Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1931 | Seite |
Ihr aber geliebte (Judas 1) | 1-6 |
Der Brief an die Römer (Schluß) Römer 16 R. Brockhaus | 6-19 |
Begehrenswerte Herzenszustände (Spr 15,15; Hld 2,11-13; Ps 50,23) | 19-25 |
Aus einem Brief Tisch des Herrn, Kinder, Zusammenkünftem (1. Kor 14,40) | 25-29 |
Handelt bis ich komme (Lk 19,11-27) | 29-34 |
Das kommen des Herrn | 34-47 |
Die Sunamitin (2. Könige 4. 8-27) | 47-53 |
Die auf den Herren harren gewinnen neue Kraft (Jes 40,31) | 53-56 |
Ich meint, ich dacht (Gedicht) | 56 |
Gibt es eine Allversöhnung? | 57-75 |
Der Brief an die Galater, R. Brockhaus | |
Der Bürge (1. Mo 44,32) | 82-83 |
Fragen Blut, Heiligtum (Heb 9,11-12) | 83-84 |
Abhängigkeit und Gemeinschaft | 85-93 |
Noch etwas über Herzenszustände (1. Sam 27,1; Jona 4,4; 1. Kön 19,4) | 105-111 |
Das Lied vom guten Hirten (Psalm 23) M.Luther | 111-112 |
Laß den segen nicht vorüberfließen (Gedicht) | 112 |
Wenn die Welt euch haßt | 113-114 |
Gedanken | 139-140 |
Stille halten (Gedicht) (Jes 30,15; Neh 8,11; Ps 37,7) | 140-141 |
Thomas war nicht bei ihnen als Jesus kam (Johannes 20.24) | |
Aus einem Brief an eine alte Leserin des Botschafter (2. Sam 7,18; Ps 93,3-4) | 158-163 |
Als er aber unverwand gen Himmel schaute (Apg 7,55-56) | 163-167 |
Fünf Fragen | 167-168 |
Gib dich zufrieden (Gedicht) P. Gerhardt | 168 |
Zwei Nächte | 169-179 |
Kreuzigen und Töten | 189-194 |
Wir wissen nicht was wir bitten sollen wie sichs gebührt (Römer 8,26) | 195-196 |
Ein Wort von Luther | 196 |
Frühes Forschen (Gedicht) | 196-197 |
Es geziemt sich fröhlich zu sein Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-24) | 197-+206 |
Ein Trostwort für ernste Stunden | 217 |
Beten und nicht den Kopf hängen | 222 |
Sag alles Ihm (Gedicht) | 223 |
Ziehe hinauf nach Betel | 225 |
Wann werden die alttestamentlichen Gläubigen auferweckt? | 245 |
Bruchstücke | 250 |
Lots Wahl | 253 |
Im Anfang schuf Gott | 274 |
Jesus allein | 279 |
Wie deine Tage so deine Kraft (Gedicht) | 280 |
Herr du weißt alles | 291 |
Selbst Einfältige werden nicht irregehen | 300 |
Ein Wort über das Gebet | 305 |
Kleinarbeit | 326 |
Leget ab alles üble Nachreden | 331 |
Zum Jahreswechsel (Gedicht) | 332 |
Botschafter
des
Heils in Lhristo
„Der Herr ist nahe." (Phil. 4, 5.)
Neunundsiebzigster Jahrgang
Wuppertal-Elberfeld
Verlag von R. Brockhaus
I 931
g. W. Brockh-us, «.-G., Elbers-Id
Inhaltsverzeichnis
S-tt°
„Ihr aber, Geliebte" ........ 4
Der Brief an die Römer (Schluß) ..... 6
Begehrenswerte Herzenszustände ..... 49
Aus einem Briefe .......... 25
„Handelt, bis ich komme" ........ 29
Das Kommen des Herrn ........ 34
Die Sunamitin ........... 47
„Die auf den Herrn harren, gewinnen neue Kraft" 53
Ich meint', ich dacht' (Gedicht) ...... 56
Gibt es eine Allversöhnung? ....... 57
Der Brief an die Galater 75. 93. 444. 450.
479. 207. 234. 262. 284. 309
Der Bürge .......................................... 82
Fragen aus dem Leserkreise 83. 223. 252. 306
Abhängigkeit und Gemeinschaft ...... 85
Noch etwas über Herzenszustände.... 405. 429
Das Lied vom guten Hirten ....... 444
Laß den Segen nicht vorüberfließen! (Gedicht) . . 442
„Wenn die Welt euch haßt".....................................443
Gedanken 439. 458. 494. 206. 245
Stille halten (Gedicht) . .. . . . . . 440
„Thomas war nicht bei ihnen, als Jesus kam" . . 444
Aus einem Brief an eine alte Leserin des „Botschafter" ........................................ 459
„Als er aber unverwandt gen Himmel schaute" 463
Gib dich zufrieden! (Gedicht) .......
Iwei Mächte .................................................
Kreuzigen und Töten......................................... .
„Wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich's
gebührt".............................................................
Ein Wort von Luther.............................. ......
Frühes Forschen (Gedicht) ........
Es geziemt sich fröhlich zu sein..............................
Ein Trostwort für ernste Stunden .....
Beten und nicht den Kopf hängen .....
Sag alles Ihm! (Gedicht) .......
„Ziehe hinauf nach Bethel!" .......
Wann werden die alttestamentlichen Gläubigen
auferweckt? ................................................. .
Bruchstücke ...................................................................
Lots Wahl ............
Im Anfang schuf Gott..........................................
Jesus allein! ........................ ....................................
„Wie deine Tage, so deine Kraft" (Gedicht) . .
„Herr, du weißt alles" ....... 29t.
„Selbst Einfältige werden niicht irregehen" . . .
Ein Wort über das Gebet ........
Kleinarbeit . .....................................
„Leget ab alles üble Nachreden!" ..............................
Ium Jahreswechsel (Gedicht) ......
„Ihr aber, Geliebte"
sAudas 17-25)
Der Brief des Zudaö, des Bruders des Jakobus,
redet in prophetischer Weise von dem Verfall des Christentums,
der schließlich in dem völligen Abfall von Gott
und Seinem Christus enden wird. Erschreckend ist das
Bild, das er entwirft. Judas hatte den Gläubigen über
ihr gemeinsames Heil schreiben wollen; aber indem er
allen Fleiß dazu anwandte, war er genötigt worden, „sie
zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten
Glauben" zu kämpfen. Böse Menschen hatten sich neben-
eingeschlichen, „welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung
verkehrten und unseren alleinigen Gebieter
und Herrn Jesus Christus verleugneten", Spötter, „natürliche"
Menschen, die den Geist nicht hatten, sondern
nach ihren eigenen Lüsten der Gottlosigkeit wandelten.
Sie verleugneten nicht den Namen Jesu, sonst würden
sie wohl keinen Eingang unter den Gläubigen gefunden
haben, aber sie verleugneten Ihn als Herrn und Gebieter
und gingen den Weg Kains, d. h. der menschlichen Religion,
welche die Notwendigkeit des Werkes Christi leugnet
und Gott auf selbstgewähltem Wege begegnen will; sie hatten
sich für Lohn dem Irrtum Bileams überliefert, „der
den Balak lehrte, ein Ärgernis vor die Söhne Israels zu
t.XXIX 1
2
legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben" (Offbg.
2,14), und waren in dem Widerspruch Korahs umgekommen,
der sich wider Mose und Aaron, den König und Priester
Jehovas, empörte. (V. 11.) Schon Henoch hatte von
diesen „Gottlosen" geweissagt und ihnen das Gericht angekündigt,
das bei dem Kommen des Herrn inmitten Seiner
heiligen Tausende über alle ihre Werke der Gottlosigkeit
ergehen würde. (V. 14.15.)
Wie lieblich und ermunternd lautet demgegenüber
das Wort des Schreibers an die Geliebten Gottes im
17. und 18. Verse: „Ihr aber, Geliebte, gedenket an die
von den Aposteln unseres Herrn Jesus Christus zuvorgesprochenen
Worte, daß sie euch sagten, daß am Ende der
Zeit Spötter sein werden"! Ganz ähnlich redet Petrus im
letzten Kapitel seines zweiten Briefes, indem auch er den
Gläubigen immer wieder den kostbaren Namen „Geliebte"
beilegt. Ja, wir haben keine Ursache, uns zu fürchten oder
mutlos zu werden, wenn auch die Zeiten immer ernster
werden und das von Judas entworfene Bild heute in seiner
ganzen schrecklichen Vollendung vor uns steht. Der
schlimmste Verfall in der Christenheit vermag das nicht
anzutasten, was den „Geliebten" von Gott geschenkt ist.
Mag auch das Ganze, immer mehr sich verderbend, dem
Gericht entgegenreifen, der einmal den Heiligen überlieferte
Glaube kann dadurch nicht berührt werden. Wir werden
deshalb auch nicht aufgefordert, das Böse zu bekämpfen;
Judas ermahnt uns nicht einmal, an dem Bau der Versammlung
als solcher zu arbeiten. Wir lesen vielmehr:
„Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren
allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geiste, erhaltet
euch selbst in der Liebe Gottes". (V. 20. 21.)
z
Die Dinge um uns her mögen uns immer mehr den
unaufhaltsamen Verfall des Ganzen vor Augen führen,
aber das braucht für den einzelnen Gläubigen kein Hindernis
zu sein, sich mit dem allerheiligsten Glauben, so
wie er uns im Anfang von Gott geschenkt worden ist, zu
beschäftigen. Im Gegenteil, Gott will, daß wir nur umsomehr
uns auf ihn erbauen, nur umso eifriger gemeinsam
und allein Sein kostbares Wort zu erforschen trachten.
Welch gesegnete Stunden wir auf diesem Wege schon erleben
durften, wissen wir aus Erfahrung. Wie oft haben
wir, allem um uns her entrückt, hineingeschaut in die
Höhen und Tiefen der Offenbarungen Gottes und sind
gestärkt und erquickt unseres Weges weitergezogen! Und
wie es war, so wird es bleiben bis ans Ziel.
Der zweite Punkt, auf den Judas uns aufmerksam
macht, ist das Gebet. „Betend im Heiligen Geiste." Der
natürliche Mensch besitzt den Heiligen Geist nicht. Die Welt
kann Ihn nicht empfangen, weil sie Ihn nicht sieht noch
Ihn kennt; wir aber kennen Ihn, denn Er bleibt bei uns
und ist in uns. (Joh. 44, 46. 47.) Die Gegenwart des Heiligen
Geistes in den Gläubigen kennzeichnet das christliche
Zeitalter. Auch aus diesem Grunde dürfen wir sagen: Mag
das Verderben um uns her riesengroß werden, wir haben
keinen Grund, den Mut zu verlieren; denn solang die Versammlung,
die Braut Christi, auf Erden weilt, wird auch
der Heilige Geist Seine Wohnung in ihr und in den einzelnen
Gläubigen haben. Laßt uns denn nicht vergessen,
daß unsere Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind! Wahrlich,
wir sollten mehr daran denken! Durch diesen Geist
geleitet, dürfen wir allezeit dem Vater nahen und unsere
Herzen vor Ihm ausschütten, genau so wie die Gläubigen
4
in den Tagen der ersten Frische es taten. „Seid um
nichts besorgt", wird uns zugerufen, „sondern in
allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung
eure Anliegen vor Gott kundwerden." (Phil. 4, 6.) Unsere
Anliegen mögen zuweilen töricht sein, aber wir dürfen
sie alle in anhaltendem Gebet mit Danksagung vor Gott
kundwerden lassen, und der Friede Gottes, der allen Verstand
übersteigt, wird unsere Herzen und unseren Sinn
bewahren in Christo Jesu. Wir sind und bleiben „Geliebte",
geliebte Kinder Gottes, und jemehr wir unser
Verhältnis zum Vater in der Kraft des Geistes verwirklichen,
umsomehr werden wir „uns selbst in der Liebe
Gottes erhalten". (V. 2t.)
In der Liebe Gottes erhalten? Was will das sagen?
Die Liebe Gottes, wie sie sich in der Dahingabe Seines
Sohnes geoffenbart hat, ist als allgemeine Wahrheit uns
allen bekannt. Aber das ist nicht dasselbe, als zu wissen
und in diesem Bewußtsein zu leben, daß man persönlich
ein Gegenstand dieser Liebe ist. Das ist wohl der
Punkt, auf den Judas die Gläubigen hier aufmerksam
machen will. Gott hat nicht nur Seine Liebe uns allen,
ja, der ganzen Welt erwiesen, nein. Er hat einen jeden
von uns persönlich „zur Sohnschaft zuvorbestimmt durch
Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen
Seines Willens"; wir dürfen mit Paulus sagen: „Christus
hat mich geliebt und sich selbst für mich hingege-
ben". (Eph. t, 5; Gal. 2, 20.) Welch ein süßer Trost
ist das inmitten des allgemeinen Niedergangs! Ein Trost,
den wir in demselben Maße genießen werden, wie wir,
der Aufforderung folgend, uns selbst auf unseren aller-
heiligsten Glauben erbauen und im Heiligen Geiste beten.
5
Erfüllen wir diese beiden Bedingungen, so wird uns
als gesegnete Folge ein wachsendes, bedingungsloses Vertrauen
auf die Treue Gottes ünd die Liebe Jesu Christi,
unseres Herrn, geschenkt werden. Es ist zu erwarten, daß
die Tage noch schwerer und gefährlicher werden; beim
Ersteigen eines Berges ist das letzte Stückchen immer das
mühsamste. Aber laßt uns nur getrost weiterklettern; auch
für den Rest genügt die Gnade. Wie der Tag, so die
Kraft! Jemehr wir unsere eigene Schwachheit fühlen,
destomehr schauen wir aus nach der Kraft des Geistes und
nehmen Zuflucht zu der Gnade, in welcher wir stehen.
Wir erwarten dann, wie Judas es ausdrückt, „die Barmherzigkeit
unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen
Leben".
Schon im Eingang seines Briefes wünscht der Schreiber
den Gläubigen: „Barmherzigkeit und Friede und Liebe
sei euch vermehrt!" Wenn das Gericht am Hause Gottes
bereits angefangen hat (4. Petr. 4, 47), und die Versammlung
als Ganzes im Verfall ist, bedürfen die einzelnen
in besonderer Weise der Barmherzigkeit. Nur
sie kann uns hindurchtragen, aber sie wird es auch tun.
Ja, die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus wird
uns auf dem ganzen Pfade begleiten bis hin zum ewigen
Leben. Seine Ankunft selbst wird hier gewissermaßen als
ein Akt der Barmherzigkeit hingestellt, ähnlich wie Petrus
die Gläubigen aus den Juden auffordert, völlig auf die
Gnade zu hoffen, die ihnen gebracht werden würde bei
der Offenbarung Jesu Christi. (4. Petr. 4, 43.)
„Ihr aber, Geliebte!" — Wollen wir nicht der liebevollen,
aber auch so eindringlichen Ermahnung am Schlüsse
dieses kurzen Briefes, deö letzten von allen, Gehör geben,
6
aufblickend zu dem Gott, der uns „ohne Strau ch e l n
zu bewahren" — auch eine wunderbare Sache inmitten
des vielen Strauchelns und Fallens — „und vor Seiner
Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken"?
(V. 24.) Wir stehen im Beginn eines neuen
Jahres. Das alte ist dahin, und damit ist wieder ein bedeutsamer
Schritt dem Ziele zu getan. Wie mancher mag
noch vor uns liegen? Wir wissen es nicht, aber das wissen
wir, daß alles um uns her uns zuruft: „Es ist aber nahe
gekommen das Ende aller Dinge". So laßt uns dem:
besonnen sein und nüchtern zum Gebet! (4. Petr. 4, 7.)
„Habt nun Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des
Herrn...befestigt eure Herzen, denn die Ankunft
des Herrn ist nahe gekommen." (Jak. 5, 7. 8.)
Ber Brief an die Römer
(Schluß)
Lapitel 16
Das Ende der öffentlichen Tätigkeit des Apostels,
soweit die Schrift uns Bericht darüber gibt, ist ergreifend.
In mehr als einer Beziehung gleicht es dem Ende des
Dienstes seines großen Herrn und Meisters. Wie Er, so
wurde auch Paulus von den Juden der Gewalt der Heiden
überliefert. Von allen verlassen, ging auch er einsam
seinen Weg. Trotz rastloser Bemühungen bei Tag und
Nacht gab das Werk mehr und mehr Ursache zur Sorge,
und der Feind schien zu triumphieren. Wohl brachte Gott
trotz allem Seine Gnadenratschlüsse zur Ausführung: Juden
und Heiden war Paulus ein Zeuge gewesen; der hohe
Rat in Jerusalem, Priester und Volk, Landpfleger und
7
König, ja, selbst der Kaiser in Rom sollten die mächtige
Stimme der Wahrheit vernehmen. Aber der Zeuge selbst
stand im Begriff, von dem öffentlichen Schauplatz seiner
Wirksamkeit abzutreten. Im Osten hatte er keinen Raum
mehr, im Westen sollte er nur als Gefangener weilen.
So sind die Wege unseres Gottes. Das scharfe Auge des
Adlers erspäht sie nicht, aber die Weisheit ordnet und der
Glaube bewundert sie.
Obwohl Paulus bis dahin Rom nicht gesehen hatte,
gab es doch viele Gläubige dort, die ihm bekannt und seinem
Herzen teuer waren. Grüße der Liebe an sie füllen
die erste Hälfte des 76. Kapitels aus. Es ist bewunderungswürdig,
wie der selbst so unermüdlich tätige Arbeiter
sich jedes Liebesdienstes, der ihm persönlich erwiesen
oder im Werk des Herrn geschehen war, erinnert und für
jeden der Gegrüßten, Bruder oder Schwester, eine besondere
Bezeichnung oder eine Anerkennung hat, die den
Betreffenden wohltun und ihnen zur Ermunterung dienen
mußte. Wie schön ist das Band der Liebe, das die Herzen
aller umschließt, die Jesum lieben und in Seinem Dienste
stehen! Die Liebe kennt keine Selbstsucht, keinen Neid;
alle bilden ein Ganzes und streben, in liebender Anerkennung
alles Guten und Lieblichen in den anderen, nach
dem gleichen Ziele.
Unter den Gegrüßten waren gewiß solche, die von
Gott dazu benutzt worden waren, das kostbare Evangelium
der Gnade in die große Weltstadt zu tragen; vielleicht umherreisende
Juden, die durch ihre Geschäfte oder andere
Ursachen nach Rom geführt worden waren, oder auch
solche, die dort ihren Wohnsitz hatten und auf ihren Reisen
nach Griechenland und Palästina mit der Wahrheit
8
bekannt geworden waren. Immer wieder werden wir so
durch den Geist Gottes daran erinnert, daß in der Entstehung
des Zeugnisses in Rom keine Spur von apostolischer
Tätigkeit zu entdecken ist — gewiß, eine tief bedeutsame
Sache im Blick auf die spätere Entwicklung der
Dinge dort.
Die erste Person, welche Paulus nennt, ist eine
Schwester, eine Dienerin oder Diakonisse der Versammlung
in Kenchreä, einer der drei Hafenstädte Korinths,
uns bekannt aus Apostelgesch. 18, 18. Diese Schwester,
Phoebe mit Namen, hatte offenbar einen besonderen Dienst
unter den Heiligen in Kenchreä erfüllt. Worin er bestand,
wird nicht näher gesagt; aber aus anderen Stellen wissen
wir, daß Schwestern, besonders ältere, sich viel in Diensten
der Liebe, in Krankenpflege und anderen Hilfsleistungen
in den Umständen des täglichen Lebens, bemüht haben.
Auch von Phoebe hören wir, daß sie vielen ein Beistand
(oder eine Fürsorgerin) gewesen war, unter ihnen auch
dem Apostel selbst. Es gibt ja überall und zu allen Zeiten
Dienste und Hilfsleistungen, die von Schwestern passender
und besser ausgeübt werden können, als von Brüdern.
So war Phoebe offenbar eine in solcher Weise tätige und
von der Versammlung zu Kenchreä anerkannte Schwester
gewesen — im besten Sinne also das, was man heute
gemeinhin eine „Gemeindeschwester" nennt. Was sie nach
Rom geführt hatte, wissen wir nicht, aber der Apostel
bittet, „sie in dem Herrn, der Heiligen würdig, aufzunehmen
und ihr beizustehen, in welcher Sache irgend sie
ihrer bedürfe". (V. 2.)
Im nächsten Verse begegnen wir zwei bekannten
Namen: „Grüßet Priska und Aquila, meine Mitarbeiter
y
in Christo Jesu, welche für mein Leben ihren eigenen Hals
preisgegeben haben, denen nicht allein ich danke, sondern
auch alle Versammlungen der Nationen". Paulus
war diesem gottesfürchtigen Ehepaar zuerst in Korinth
begegnet, und weil sie gleichen Handwerks mit ihm waren
(Jeltmacher), hatte er Wohnung in ihrem Hause genommen
und mit ihnen gearbeitet. Später hören wir von ihnen,
daß sie Apollos in ihr Haus aufnahmen und ihm den
Weg Gottes genauer auslegten. (Apstgsch. 48, 2 u. 2b.)
In 1. Kor. 46, 44 finden wir sie in Ephesus. (Vergl.
2. Tim. 4, 44.) Sie arbeiteten also nicht nur in dem
gleichen Handwerk wie Paulus, sondern waren auch des
Apostels „Mitarbeiter in Christo Jesu", die für sein Leben
ihren eigenen Hals preisgegeben und sich so nicht nur
seinen Dank, sondern auch, weil er der Apostel der Nationen
war, den aller Versammlungen der Nationen erworben
hatten. Beachten wir, daß der Name der Schwester
hier, wie in Apstgsch. 48, 48 und 2. Tim. 4, 44,
voransteht. Wir dürfen daraus wohl schließen, daß Priska
oder Priscilla sich in hervorragender Weise um Paulus
bemüht und sich besonderen Gefahren seinetwegen ausgesetzt
hatte. In Apostelgesch. 48, 2 u. 26 und in 4. Kor.
4b, 44 steht der Name des Mannes an erster Stelle, und
wir verstehen leicht, warum. Wie wunderbar genau ist
doch Gottes Wort!
Noch eine kurze Bemerkung über den Ausdruck: „und
die Versammlung in ihrem Hause" hier und in 4. Kor.
4b, 44. (Vergl. auch Kol. 4, 45 und Philem. 2.) Bekanntlich
versammelten sich die Christen in jenen ersten
Tagen, in Ermanglung geräumiger Versammlungsstätten,
„hin und her in den Häusern", und da Aquila zur Aus
— io —
Übung seines Handwerks wohl einen größeren Raum nötig
hatte, ist es leicht erklärlich, daß man sich gern bei diesen
treuen Leuten versammelte. An eine „Hausgemeinde", die
nur aus den Familiengliedern bestanden hätte, ist wohl
nicht zu denken; schon aus dem Grunde, weil nirgendwo
gesagt wird, daß Aquila und Priscilla Kinder oder sonstige
Angehörige besessen hätten.
Wenn der Apostel im 5. Verse Epänetus „seinen
Geliebten" nennt, so weist das offenbar auf besondere
Bande der Zuneigung hin, die zwischen ihm und diesem
„Erstling Asiens für Christum" bestanden. Paulus umfaßte
alle Heiligen mit derselben brüderlichen Liebe,
aber Epänetus war die erste Frucht seiner gesegneten Arbeit
in der römischen Provinz Asien gewesen, und da er
sich ohne Frage seit langem als treu erprobt hatte, besaß
er die besondere Zuneigung seines Vaters in Christo.
„Grüßet Maria, die sehr für euch gearbeitet hat."
(V. 6.) Beachten wir, daß in der Reihe der Gegrüßten
manche Schwestern als solche bezeichnet werden, die im
Herrn arbeiteten oder gearbeitet hatten. (Vergl. V. 12.)
Von Maria nun wird gesagt, daß sie sehr für die Gläubigen
in Rom gearbeitet hatte, diesen also vorteilhaft bekannt
sein mußte.
„Grüßet Andronikus und Junias, meine Verwandten
und meine Mitgefangenen, welche unter den Aposteln ausgezeichnet
sind, die auch vor mir in Christo waren." (V. 7.)
Es ist interessant, wie die Liebe allerlei Umstände und
Beziehungen hervorzuheben weiß, welche geeignet waren,
die genannten Personen zu ermuntern und sie zugleich
vor ihren Mitgläubigen in ein günstiges Licht zu stellen
und ihnen wertvoll zu machen.
— kk —
In den nächsten Versen nennt Paulus auch Amplias
und Stachys seine „Geliebten im Herrn", Urbanus
seinen „Mitarbeiter in Christo", Apelles den „Bewährten
in Christo", Herodion seinen „Verwandten"; an
die, welche in den Häusern des Aristobulus und Narcissus
„im Herrn waren", sendet er nur einen Gruß. Die Liebe
vergißt keinen, aber sie schärft den Blick und leitet im
Urteil. Wie verschiedenartig wird dereinst erst das Urteil
sein, wenn Der es fällt, der Liebe und Licht zugleich ist!
Möchten wir alle eifriger nach Seiner Anerkennung
streben!
„Grüßet Tryphäna und Tryphosa, die im Herrn arbeiten.
Grüßet Persis, die Geliebte, die viel gearbeitet
hat im Herrn." (V. k2.) Wir haben schon weiter oben
auf solche Schwestern hingewiesen. Zwei von ihnen arbeiteten
noch im Herrn, eine, Persis, „die Geliebte", hatte
in der Vergangenheit viel im Herrn gearbeitet. Warum
jetzt nicht mehr? War Alter oder Krankheit die Ursache?
Wir wissen es nicht. Der Titel „die Geliebte" läßt uns
kaum daran denken, daß diese teure Schwester erlahmt
oder gleichgültig geworden wäre.
„Grüßet Rufus, den Auserwählten im Herrn, und
seine und meine Mutter." (V. kZ.) Wenn Rufus derselbe
Mann ist, von dem wir in Mark. k5, 2k lesen, was
von manchen Auslegern angenommen wird, so dürfen wir
wohl sagen, daß der Herr den unfreiwilligen Dienst, den
der Vater des Rufus Ihm einst am Tage Seines Leidens
und Sterbens erweisen durfte, reich belohnt hat. Wir
dürfen dann auch als sicher annehmen, daß das ganze
Haus Simons von Kyrene dem Herrn treu angehangen
hat, da Paulus die Mutter des Rufus (wohl in dank
— 12 —
barer Erinnerung an erfahrene Liebe und Fürsorge) auch
seine Mutter nennt und ihn selbst als „den Auserwählten
im Herrn" bezeichnet. Alle in Christo Geheiligten
sind im Herrn auserwählt, aber Rufus hatte sich dieser
Bezeichnung wohl besonders würdig erwiesen.
Nachdem der Apostel dann in den nächsten beiden
Versen noch eine Reihe von Namen ohne besondere Beifügung
genannt hat, schließt er den ganzen Abschnitt mit
den Worten: „Grüßet einander mit heiligem Kuß. Es
grüßen euch alle Versammlungen des Christus." Die
gleiche Aufforderung finden wir in 1. Kor. 16, 20; 2. Kor.
13, 12 »md 1. Thess. 5, 26. (Vergl. 1. Petr. 5, 14.)
Ohne an ein bestimmtes Gebot des Apostels denken zu
wollen, dürfen wir doch annehmen, daß die Begrüßung
mit einem Kuß unter den ersten Christen gebräuchlich
war; und wenn Gott dafür gesorgt hat, daß diese Aufforderung
für uns aufbewahrt blieb, so würde es nicht
gut sein, mit Gleichgültigkeit über sie hinwegzugehen. Es
ist sicher so, daß in dieser Art der Begrüßung sich eine
größere Wärme und Herzlichkeit kundgibt, als in dem
bloßen Händeschütteln; und wenn es auch im Morgenlande
und besonders unter den Juden, mehr als bei uns,
gebräuchlich war, den Gruß mit einem Kuß zu verbinden,
und der Nachdruck hier und an den drei anderen
Steller» auf den» Wort „heilig" liege»» mag, sollten wir
doch nicht vergessen, daß der Heilige Geist dieser Begrüßungsart
Seine Zustimmung gegeben hat. Nicht als ob
Gläubige, so oft sie einander begegnen, sich mit einem
Kuß begrüße»» sollten, aber es sollte doch auch nicht so
sein, daß die darin sich kundgebende Liebe nie oder doch
nur bei besonderen Gelegenheiten zum Ausdruck kommt.
In dem nächsten Abschnitt muß der Apostel sich um
deö Wohles der Gläubigen willen noch mit anderen, dem
Bisherigen ganz entgegengesetzten Dingen beschäftigen.
Neben so vielem Guten und Anerkennenswerten gab es
in Rom auch betrübende Erscheinungen. „Ich ermahne
euch aber, Brüder, daß ihr achthabet auf die, welche Zwiespalt
und Ärgernis anrichten, entgegen der Lehre, die i h r
gelernt habt, und wendet euch von ihnen ab." (V. 17.)
Aus diesen Worten geht hervor, daß damals schon Männer
in der Versammlung zu Rom auftraten, die im Gefühl
ihrer eigenen Wichtigkeit und unter dem auch heute
so wohlbekannten Drang, immer etwas Neues zu bringen,
nicht bei der einfachen Lehre blieben, die ihnen gebracht
worden war, sondern „verkehrte Dinge lehrten, um
die Jünger abzuziehen hinter sich her". (Apstgsch.
20, 30.)
Der Reiz der Neuheit ist groß, besonders für schwache,
einfältige Seelen, und wenn die Verkündiger neuer
Lehren, wie es meist der Fall ist, diese in schöne, verführerische
Worte und süße Reden einzukleiden vermögen, so
gelingt es ihnen leicht, „die Herzen der Arglosen zu verführen".
(V. 18.) Man folgt den Verführern, schart sich
um sie, eifert für sie, und „Zwiespalt und Ärgernis"
sind die unausbleiblichen Ergebnisse. Der Apostel ermahnt
die Brüder, auf solche Leute achtzuhaben und sich von
ihnen abzuwenden. Der Apostel Johannes fordert in späteren
Tagen die Gläubigen auf, alle, die weiter gingen
und nicht blieben in der Lehre des Christus, nicht
ins Haus aufzunehmen, ja, sie nicht einmal zu grüßen;
denn wer ihnen Heil zu ihrem Wege wünschte, würde
teilnehmen an ihren bösen Werken.
— 14 —
Solche Männer sind nicht Diener unseres Herrn
Christus, denen das Wohl der Herde am Herzen liegt,
sondern sie dienen „ihrem Bauche". Die Pflege ihrer
eigenen Personen und Interessen geht allem anderen
voran. Überaus ernst ist das Urteil des Geistes über sie
hier und an anderen Stellen. Ihnen gegenüber gibt es
nur ein Bewahrungs- und Abwehrmittel, und das ist
„die Lehre, die wir gelernt haben", das Wort der Wahrheit.
(Vergl. auch Apstgsch. 20, 32.) So wie die „auü-
erwählte Frau" und der „geliebte Gajus" (2. und 3. Joh.)
angewiesen wurden, die Lehre zu prüfen, die ihnen gebracht
wurde (nicht die Personen), so gibt auch hier das
Abirren von der einmal überlieferten Wahrheit Anlaß zu
der Ermahnung, sich mit Entschiedenheit abzuwenden.
Einen anderen Weg gibt es nicht, und der Apostel rechnet
auf den Gehorsam der römischen Gläubigen, der überall
bekannt geworden war und sein Herz erfreute. Zugleich
ermahnt er sie, „weise zu sein zum Guten, aber einfältig
zum Bösen". (V. 19.)
Die letzten Worte sind unserer besonderen Beachtung
wert. Die Menschen dieser Welt suchen durch die Beschäftigung
mit dem Bösen sich vor Betrug und Überlistung
zu schützen. Nicht so der Gläubige, der die Weisheit von
oben kennt, die „aufs erste rein ist, sodann friedsam, gelinde,
folgsam, voll Barmherzigkeit und guter Früchte".
(Jak. 3, 17.) Ihm liegt nicht daran, die verschiedenen
Arten oder Abstufungen des Bösen kennen zu lernen, er
ist einfältig zum Bösen, „unmündig an der Bosheit"
(1. Kor. 14, 20), aber „weise zum Guten". Mit
dem Guten beschäftigt, die Stimme des guten Hirten
hörend und den Belehrungen des guten Geistes Gottes
— 15 —
lauschend, geht er still den Weg, den sein Herr ihm
vorangegangen ist, den Pfad heiliger Absonderung und
göttlicher Güte und Weisheit. Diesen Pfad kennt er, und
andere braucht er nicht zu kennen. Er weiß wohl, daß er
sich noch auf dem Schauplatz der Sünde befindet, wo Satan
herrscht und das Böse so oft triumphiert, aber er weiß
auch, daß Satans Macht am Kreuze gebrochen worden
ist, und hört mit Frohlocken, daß der Gott des Friedens,
der Treue hält auf ewig, „in kurzem den Satan unter
unsere Füße zertreten wird".
In kurzem — höre auch du es, meine Seele,
und freue dich! Hat Gott auch in Gnaden bis heute noch
gezögert, das Gericht kommen zu lassen, der Richter steht
vor der Tür, dein Heiland kommt bald! Und bis
dahin wird die Gnade deines Herrn Jesus Christus mit
dir sein alle Tage. (V. 20.)
Der nächste Vers bringt Grüße von Timotheus, dem
Mitarbeiter des Apostels, und von dreien seiner Verwandten,
deren Namen kaum bekannt sind und vielleicht auch
den Empfängern des Briefes unbekannt waren. Aber der
Glaube an das Evangelium verbindet die Herzen und weckt
die liebende Teilnahme des einen für den anderen, selbst
wenn man einander nie gesehen hat.
Der Gruß in Vers 22 erinnert uns an die Tatsache,
daß Paulus keinen seiner Briefe, mit Ausnahme desjenigen
an die Galater, mit eigener Hand geschrieben hat.
Er diktierte, und ein anderer schrieb. Hier ist ein Bruder,
namens Tertius, der Schreiber. Zur Beglaubigung des
wichtigen Inhalts unterzeichnete der Apostel aber alle seine
Briefe mit eigener Hand. (Vergl. 1. Kor. 16, 21; Gal.
6, 11; 2. Thess. Z, 17.)
— rb —
Es folgen dann noch kurze, aber trotz ihrer Kürze
bedeutungsvolle Grüße von Gajus, dem Wirt der ganzen
Versammlung in Korinth, sowie des Apostels selbst,
von Erastus, dem Stadt-Rentmeister, und schließlich von
dem „Bruder" Quartus, einem wohl einfachen, bescheidenen
Manne, dessen Herz von Liebe zu seinen Brüdern
in der Ferne erfüllt war und der dieser Liebe Ausdruck zu
geben wünschte. Dann schließt der Apostel seinen Brief
mit dem uns so wohlbekannten, herrlichen Gebetswunsch:
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch
allen! Amen."
Die drei letzten Verse bilden gewissermaßen einen
Anhang, der aber von außergewöhnlicher Wichtigkeit ist.
Der Apostel kann, wie ein anderer Schreiber sagt, „diesen
Brief, in welchem er das Evangelium in seinen einfachsten
Elementen entwickelt, in seinen praktischen Ergebnissen,
seiner Verbindung mit den verschiedenen Haushalten
oder Verwaltungen Gottes und den Pflichten, die
aus der Annahme der guten Botschaft hervorgehen, nicht
schließen, ohne das Geheimnis Gottes, dessen Offenbarung
er in einigen seiner späteren Briefe bringt, mit den
genannten Dingen in Verbindung zu bringen".
Die himmlische Seite der Wahrheit, wenn ich
mich kurz so ausdrücken darf, d. h. alles das, was mit
Christo, dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohne,
dem Haupte Seines Leibes, der Versammlung, in
welchem Gott einmal alles unter ein Haupt zusammenbringen
will, in Verbindung steht, finden wir in unserem
Briefe nicht. Derselbe hat einen anderen Zweck. Er behandelt
die Frage, wie die einzelne Seele in glückseliger
Freiheit vor Gott stehen kann. Die Tatsache, daß wir
17
alle einen Leib bilden in Christo, sowie die Vorrechte
dieses Leibes, der Versammlung, werden wohl kurz angedeutet,
aber nicht näher besprochen. Wir dürfen auch
im Blick hierauf sagen: „Alles hat seine Zeit". Die
Stunde sollte kommen, in welcher der Verwalter der Geheimnisse
Gottes auch dieses Geheimnis, in Verbindung
mit der ganzen Fülle des Christus, den Gläubigen, vornehmlich
den Ephesern und Kolossern, mitteilen würde.
Der geistliche Zustand dieser beiden Versammlungen gestattete
es, sie zu solchen Höhen hinaufzuführen. Die Versammlung
in Rom bedurfte aber der Befestigung in den
Grundlagen des Christentums, in dem, was der Tod und
die Auferstehung des Sohnes Gottes dem sündigen, verlorenen
Menschengeschlecht gebracht haben. Was uns heute
bleibt, ist, alle diese Gaben Gottes dankbar entgegenzunehmen
und die Weisheit und Gnade zu bewundern,
die sich auch in der Art ihrer Darreichung bewiesen hat.
Das Herz des Apostels war so mit dem, was er
„sein Evangelium" nennt, erfüllt — dieses Geheimnis,
das ihm schon auf dem Wege nach Damaskus in den
Worten: „Ah bin Jesus, den du verfolgst", kundgetan
worden war, stand allezeit so lebendig vor seiner Seele
— daß er auch jetzt nicht umhin kann, noch einen Augenblick
dabei zu verweilen. Dieses Geheimnis war, wie er
sagt, in den Zeiten der Zeitalter verschwiegen gewesen,
„jetzt aber geoffenbart und durch prophetische Schriften,
nach Befehl des ewigen Gottes, zum Glaubensgehorsam
an alle Nationen kundgetan worden". (V. 25. 26.) Der
Geist Gottes hatte in den früheren Zeitaltern über diese
Dinge geschwiegen. Die Propheten des Alten Bundes hatten
zwar „von den Leiden, die auf Christum kommen soll
18
ten, und von den Herrlichkeiten danach" zuvor gezeugt,
aber Gottes Gedanken über Christum und die Versammlung
waren nie bekannt gewesen; sie waren erst durch
prophetische Schriften des Neuen Testaments kundgetan
worden. Welch einen bedeutsamen Charakter verleiht
auch diese letzte Bezeichnung den Briefen der Apostel!
Diese Männer waren nicht nur Gesandte Gottes, sondern
auch Propheten. Sie legten, ja, bildeten die Grundlage,
auf welche wir aufgebaut sind. (Eph. 2, 20.)
Es konnte unmöglich in der Absicht Gottes liegen,
das Geheimnis von Christo und der Versammlung während
des Zeitalters des Gesetzes kundzutun, aber nachdem
durch das am Kreuz vollendete Werk Christi und durch
Seine Verherrlichung zur Rechten der Majestät droben
alle Bedingungen dafür erfüllt waren, wurde es nach
Befehl des ewigen Gottes geoffenbart und
durch prophetische Schriften zum Glaubensgehorsam an
alle Nationen kundgetan. Die zeitlichen Wege
Gottes standen in Verbindung mit Israel und der Erde;
Seine ewigen, mit dem „Geheimnis" verbundenen Gedanken
sind jetzt allen Nationen kundgetan worden, und
unsere Sache, nein, unser seliges Vorrecht ist es, sie in
einfältigem Glaubensgehorsam anzunehmen und bewundernd
zu betrachten. O dieser allein weise Gott! Wie
tief sind Seine Gedanken, wie anbetungswürdig Seine
Wege, wie unausforschlich ist Sein Tun!
Wir sind am Schluß unserer Betrachtung airgekommen.
Wir haben ein wenig hineinschauen dürfen in die
„Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der
Erkenntnis Gottes". Dieses Wenige hat unsere Herzen
— ry —
erwärmt und weit gemacht, hat uns gezeigt, wie gering
unser Erkennen und Verstehen noch ist, und den Wunsch
in uns geweckt, bald vom Stückwerk zum Vollkommenen,
vom Glauben zum Schauen zu gelangen. Was bleibt uns
am Ende anders übrig, als von Herzen einzustimmen in
die Lobpreisung des großen Apostels der Nationen: „D e m
aber, der uns (euch) zu befestigen vermag..., dem
allein weisen Gott durch Jesum Christum,
Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit!"
Amen.
Begehrenswerte Herzenszustände
„Ein fröhliches Herz ist ein beständiges Festmahl."
(Spr. tS, tS.) Wie begehrenswert ist ein solches
Herz! Aber wie erlangt man es? Manche reisen um die
ganze Erde herum, in der Absicht, Befriedigung für ihren
Geist zu finden und ihr Herz zu erfreuen; aber sie müssen
erfahren, daß „das Auge des Sehens nicht satt wird,
und das Ohr nicht voll vom Hören". (Pred. t, 8.) Sie
finden nicht die Befriedigung, die sie suchen, geschweige
denn ein allezeit fröhliches Herz, dieses beständige Festmahl.
Salomo beschreibt im Buche des Predigers seine
reichen Besitztümer und seine Bestrebungen, das Gute zu
genießen und Befriedigung in den sichtbaren Dingen zu
finden. Er hatte alles, wonach es ein Menschenherz gelüsten
kann, er versagte sich keine Freude und entzog seinen
Augen nichts von alledem, was sie begehrten; aber was
war das Ergebnis von allem? Er fand, daß al le 6 „Eitelkeit
und ein Haschen nach Wind" war. Der Mensch findet
keinen Himmel, kein beständiges Festmahl auf Erden.
20
Wo und wie ist denn ein fröhliches Herz zu finden?
David, Salomos Vater, konnte inmitten großer Drangsale
sagen: „Du hast Freude in mein Herz gegeben, mehr
als zur Zeit da ihres Kornes und ihres Mostes viel war".
(Ps. 4, 7.) Paulus konnte im Gefängnis zu Rom andere
aufmuntern, sich mit ihm zu freuen. Die Quelle der Freude
lag für beide Männer also nicht in den äußeren Umständen,
sondern im Herrn. So dürfen auch wir heute
singen: „Jesu, Quelle unsrer F r e u d e n, unser
Trost in allem Leid". Er tränkt die Seinen „mit dem
Strome Seiner Wonnen". (Ps. 36, 8.) Besonders in
Zeiten schwerer Trübsale und Leiden läßt Er sie „reichlich
trinken von der Fettigkeit Seines Hauses". Wie lieblich
ist in dieser Beziehung das Bild der ersten Christen, und
wie laut und kräftig war ihr Zeugnis! Wir lesen von ihnen:
„Sie nahmen Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens,
lobten Gott und hatten Gunst bei dem ganzen
Volke". (Apstgsch. 2, 46. 47.) Die Freude am Herrn
löste die irdischen Bande. Es wurde ihnen nicht schwer,
Häuser und Güter zu verkaufen (Apstgsch. 4, 32—35),
oder sich solche rauben zu lassen, weil sie eine bessere und
bleibende Habe besaßen. (Hebr. 1.0, 34.) Wie schade, daß
das schöne Bild so bald durch das Murren und die Unzufriedenheit
einzelner getrübt wurde!
Jesus allein kann das Herz wirklich ausfüllen und
befriedigen. Wer Ihn kennt und besitzt, hat den Himmel
schon auf der Erde. Ihn zu genießen ist ein beständiges
Festmahl. Der Reichtum dieser Welt, ohne die Gnade Gottes
im Herzen, kann den Menschen zur Verzweiflung bringen.
Er befriedigt das Herz nicht, sondern läßt es kalt und
leer. Die Erfahrung lehrt, daß mancher reiche, angesehene
— 21 —
Mann, der allgemein für glücklich gehalten wurde, zum
Selbstmörder geworden ist, nur weil er nicht länger ein
fricdeloses, zum Überdruß gewordenes Dasein fortschleppen
mochte.
Ein befreites Herz ist ein kostbarer Schatz. —
Im 2. Kapitel des Hohenliedes heißt es: „Denn siehe,
der Winter ist vorbei, der Regen ist vorüber, er ist dahin.
Die Blumen erscheinen im Lande, die Zeit des Gesanges
ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube läßt sich
hören in unserem Lande. Der Feigenbaum rötet seine Feigen,
und die Weinstöcke sind in der Blüte, geben Duft."
(V. 11—1.3.) Welch ein Unterschied zwischen dem kalten,
rauhen Winter und dem warmen, lachenden Lenz, wenn
die Kinder draußen singen: „Alles neu macht der Mai,
macht die Seele frisch und frei"! Nun, wie im Natürlichen,
so ist es im Geistlichen. Der Unterschied zwischen
dein beängstigenden Dunkel und der verwirrenden Finsternis
eines gesetzlichen Zustandes und dem erquickenden
Sonnenschein der Gnade ist groß. Knechtschaft und Angst
sind für den befreiten Gläubigen vorüber, Friede und
Freude sind ins Herz eingekehrt. Statt der Seufzer und
Klagen werden Loblieder und Dankgebete wach. Das Herz
ist von dem schweren Druck, der auf ihm lastete, befreit.
Der „elende Mensch" (Röm. 7, 24) hat seinen Retter
gefunden und dankt nun Gott durch Jesum Christum.
Mit Frohlocken liest er: „Denn ihr habt nicht einen Geist
der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern
einen Geist der Sohnschaft habt ihr
empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater!"
(Röm. 8, 15.) Oder: „Wiederum schreibe ich euch ein
22
neues Gebot, das was wahr ist in Ihm und in euch, weil
die Finsternis vergeht und das wahrhaftige
Licht schon leuchte t". (4. Joh. 2, 8.) Oder
auch: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene
Liebe treibt die Furcht aus, denn
die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht
vollendet in der Liebe." (1. Joh. 4, 48.) Solang ein
Gläubiger sich, wie einst Israel, im Lande der Knechtschaft
befindet, hängt seine Harfe an den Weiden; er singt keines
von Zions Liedern. Wie wäre es möglich, im fremden
Lande zu singen, mit schwerem, niedergedrücktem Herzen,
das da seufzt unter dem harten Joch des fremden Dienstes?
Wenn aber Gott die Gefangenschaft wendet und den
Gefangenen hinauöführt in die Freiheit der Stellung der
Kinder Gottes, dann ist sein Mund voll Lachens und seine
Zunge voll Jubels. Dann frohlockt er: „Der Herr hat
Großes an mir getan!" und sein Herz singt und spielt
dem Herrn.
Wer die vollkommene Liebe in sich sucht, wird sie
allerdings nicht finden, und sollte er sich auch Tag und
Nacht abmühen gleich einem Ertrinkenden. Nein, sie ist in
Gott, geoffenbart in Jesu, Seinem Sohne. Ein Herz,
das sie in sich sucht, ist nicht befreit, es kann sich nicht
freuen, eben weil es mit sich selbst beschäftigt ist, anstatt
mit dem Herrn und Seiner Liebe.
Ein dankbares Herz verherrlicht den Herrn, wie
Gott selbst sagt: „Wer Lob opfert, verherrlicht mich".
(Ps. so, 23.) Wo selten ein Lob für Gott laut wird, da
ist ein bedenklicher Herzenszustand vorhanden; ja, schon
dann sieht es sicherlich nicht gut aus, wenn nur äußere
23
Segnungen und Gnadenerweisungen dem Herzen ein Lob
abzuzwingen vermögen. Bei dem Propheten Habakuk
konnte das Lob durch äußere trübe Umstände nicht gedämpft
werden. Sein Auge blickte über dieselben hinweg
auf Gott. Obwohl er sagen mußte: „Der Feigenbaum
wird nicht blühen, und kein Ertrag wird an den Reben
sein; und es trügt die Frucht des Olivenbaumes, und die
Getreidefelder tragen keine Speise; aus der Hürde ist verschwunden
das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen",
konnte er doch hinzufügen: „Ich aber, ich will
in Jehova frohlocken, will jubelnin dem Gott
meines Heils". (Hab. 3, 1.7. 18.)
Mit den Aposteln im Kerker zu Philippi war es
ähnlich. Die Füße lagen im Stock, der Leib war mit blutigen
Striemen bedeckt, Finsternis herrschte rund um sie
her; aber die Herzen waren mit Lob und Dank erfüllt.
Sie stimmten mit David überein, wenn er sagt: „Jehova
will ich preisen allezeit, beständig soll Sein Lob in
meinem Munde sein". (Ps. 34, 1.) „Loben will ich Jehova
mein Leben lang, will Psalmen singen meinem
Gott, solang ich bin." (Ps. 146, 2.) Allerdings gehört
ein guter Herzenszustand dazu, um diese Worte zu
Tat und Wahrheit werden zu lassen. Das verstanden schon
die Söhne Korahs. Sie sangen: „Glückselig die da
wohnen in deinem Hause! stets werden sie dich
loben". (Ps. 84, 4.)
Das Loben und Preisen ist eine himmlische Beschäftigung;
obgleich wir auf der Erde in Schwachheit damit
beginnen, gehört es doch eigentlich dem Himmel an. Allerdings,
wer hier nicht dankt, wird es auch in Ewigkeit nicht
tun. Im Himmel gibt es keine undankbaren Herzen, und
24
in der Hölle wird keine Junge Gott loben. „Wenn ein
Baum nach Süden oder nach Norden fällt: an dem Orte,
wo der Baum fällt, da bleibt er liegen." (Pred. 1.4, Z.)
Aber solang die Gnade währt, ist Gott „gütig gegen die
Undankbaren und Bösen" (Luk. 6, 35), und Er redet
durch Seine Güte. Denn wenn Gott Regen und fruchtbare
Zeiten gibt und die Herzen mit Speise und Fröhlichkeit
erfüllt (Apstgsch. 14, 17), so erwartet Er Dank dafür.
Wird Ihm dieser Dank nicht dargebracht, so wird
das unverständige Herz verfinstert (Röm. 1, 21), der
Mensch verfällt in Torheit und wird unvernünftiger als
das Vieh und die Vögel des Himmels. So klagt Gott
durch den Mund Seiner Propheten schon über Israel:
„Ein Ochse kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe
seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk
hat kein Verständnis". (Jes. 1, Z.) Und: „Selbst der
Storch am Himmel kennt seine bestimmten Zeiten, und
Turteltaube und Schwalbe und Kranich halten die Zeit
ihres Kommens ein; aber mein Volk kennt das Recht Jehovas
nicht". (Jer. 8, 7.)
Undankbarkeit ist auch ein besonderes Kennzeichen der
Tage, in welchen wir leben. (Vergl. 2. Tim. 3, 2.) Selbst
unter den Christen ist die Tugend der Dankbarkeit keineswegs
so reichlich vorhanden, wie man es billig erwarten
könnte. Wirklich dankbare Herzen findet man selten.
Wie mancher hat sich in Krankheit und Not an Gott
gewandt und mancherlei gelobt, für den Fall daß sein Gebet
Erhörung finden würde; aber nachher hat er seine Gelübde
nicht gehalten. Der Mensch mag so etwas vergessen,
aber Gott vergißt es nicht. Er hat gehört, geholfen, geheilt,
und Er erwartet Dank dafür. „Opfere Gott Lob, und be
25
zahle dem Höchsten deine Gelübde!" (Ps. 50, 1.4.) Besser
nicht geloben, als geloben und nicht halten. — Der Herzenszustand
der neun vom Aussatz gereinigten Männer war
traurig und betrübte den Herrn tief. Er hatte nach ihrer
Bitte getan und sich ihrer erbarmt, aber sie dachten nicht
einmal daran, ihrem Helfer dafür zu danken. Nur der
zehnte gab Gott die Ehre, erfreute den Herrn und wurde
selbst erfreut durch die kostbaren Worte: „Gehe hin; dein
Glaube hat dich gerettet". (Luk. 17.)
Aus einem Briefe
Anknüpfend an den im vorigen Jahr erschienenen
Aufsatz: „Alles geschehe anständig und in Ordnung",
bittet ein langjähriger Leser des „Botschafter" aus den
Vereinigten Staaten um die Veröffentlichung der nachstehenden
Gedanken. Er schreibt:
„Es heißt da auf Seite 240 unten: „Auch entspricht
es wohl nicht der geziemenden Ehrfurcht, Kinder am Tische
des Herrn teilnehmen zu lassen, die, infolge ihrer Jugend,
die hohe Bedeutung des Brotbrechens noch nicht in dem
Maße zu erfassen vermögen, daß eine wirklich würdige
Feier des Abendmahls von ihnen erwartet werden kann".
Ich stimme dem voll und ganz bei, indes würde es doch
wohl zu weit gehen, ein bestimmtes Alter feststellen zu
wollen, wann man Kinder zum Brotbrechen zulassen darf.
Die Entwicklung, sowie das Wachstum in Gnade und
Erkenntnis sind doch wohl in jedem einzelnen Falle zu
berücksichtigen. Ich hörte kürzlich, daß ein älterer Bruder
einen solch jungen Gläubigen, der den Wunsch äußerte,
am Tisch des Herrn teilnehmen zu dürfen, schroff ab
2b
gewiesen habe mit dem Bemerken, er sei noch nicht alt
genug, um die Welt zu kennen. Ein solches Verhalten
erscheint mir doch unweise und könnte leicht zum
llnsegen der jungen Seelen dienen."
Der Briefschreiber hat recht. Die geistige und vor
allem die geistliche Entwicklung der Kinder ist so verschieden,
daß man sie nicht schablonenmäßig behandeln
darf. Gelegentlich einer Unterredung über diese Frage
sprach einmal ein alter, inzwischen längst Heimgegangener
Diener des Herrn die allen Anwesenden einleuchtende Meinung
aus: „Es ist unmöglich, eine Altersgrenze festzusetzen,
aber jedenfalls sollten die Betreffenden die Kinderschuhe
auögezogen haben".
Weiter heißt es in dem Briefe: „Es ist anderseits sehr
gefährlich, wenn man, in der Meinung, Kinder verständen
doch nichts von dem, was in den Zusammenkünften der
Gläubigen vorgeht, sie von diesen fernhält. Ich denke jetzt
selbstverständlich nicht an ganz kleine Kinder. Aber wenn
Vater oder Mutter zu Hause bleibt, um sich während der
Versammlungsstunden mit den Heranwachsenden, schulpflichtigen
Kindern zu beschäftigen, einen Spaziergang mit
ihnen zu machen oder dergl. (wie es hier zu Lande nicht gar
selten geschieht), oder wenn man die Kinder aufsichtslos
auf der Straße umherlaufen läßt, so darf man sich kaum
wundern, wenn sie in späteren Jahren meinen, der Tag
des Herrn sei für solche Dinge da. Wie manche Eltern
sähen ihre herangewachsenen, vielleicht schon verheirateten
Kinder gern da, wo der Herr verheißen hat, in der Mitte
der Seinigen zu sein, aber statt dessen müssen sie sie dem
Vergnügen, dem Sport und dergl. Dingen nachgehen
sehen. Sie beklagen das; aber es ist zu spät, die Kinder
27
hören nicht mehr auf sie. Sollte nicht in vielen Fällen die
üble Gewohnheit aus früheren Tagen die Ursache solch
trauriger Erscheinungen sein?
„Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit dankbar
daran, daß meine Eltern mich jeden Sonntag regelmäßig
mitgenommen haben, wenn sie zur Versammlung gingen,
auch morgens; und ich bin ihrem Beispiel gefolgt, als
Gott mir selbst Kinder gab. Es scheint mir auch, daß
Gottes Wort diese Gewohnheit durchaus gutheißt. Ich
erinnere an 2. Mose 12, 24—27; 13, 8 ff.; 5. Mose
31, 12. 13; Jos. 4, 21 ff.; 2. Kön. 23, 2; 2. Chrom
20, 13; Neh. 8, 3; Ps. 78, 3—8; Mark. 10, 13—16."
Auch in dieser Beziehung kann man dem Briefschreiber
nur zustimmen. Doch ist vielleicht daran zu erinnern,
daß gläubige Eltern nicht ein starres Gebot aufstellen,
sondern ihren Kindern erklären sollten, warum sie
sie in der Mitte des Volkes Gottes zu sehen wünschen.
Wenn irgend etwas Eindruck auf das Herz der Kinder
zu machen vermag, so ist es die Erkenntnis, daß Gott
sie da sehen möchte, wo Sein Wort verkündigt wird, und
daß die Eltern in Übereinstimmung mit dem Willen Got -
teö zu handeln begehren, wenn sie sie dahin mitnehmen.
Die Erfahrung lehrt, daß ein bloßer, wenn auch gut gemeinter
Zwang zur Auflehnung reizt und nicht selten
Widerwillen gegen alles Göttliche wachruft.
Der Brief schließt mit den Worten: „In dem gleichen
Aufsatz heißt es Seite 245, wo „von dem willkürlichen
Fernbleiben vom Tische des Herrn", trotz „liebevoller
Belehrung, Zurechtweisung und Ermahnung", und
der aus solchem Verhalten erfolgenden „Aufhebung der
Gemeinschaft" die Rede ist:
28
„„Der in vorstehendem Abschnitt besprochene Fall ist
selbstverständlich etwas ganz anderes als ein Ausschluß,
ein Hinaustun aus der Mitte der Gläubigen, wovon
vorhin die Rede war. Während bei einem Ausschluß jeder
Verkehr auf dem Boden der christlichen Gemeinschaft abzubrechen
ist, liegt diese Notwendigkeit in dem letzteren
Falle nicht vor. Der betreffende Bruder (oder die Schwester)
tritt, hinsichtlich des Verkehrs mit ihm, in die Stellung
zurück, die er vor seiner Zulassung einnahm, und in
welcher alle Gläubigen sich befinden, die nicht außerhalb
der Parteien sich um den Tisch des Herrn versammeln."
„Es will mir scheinen, daß der Schreiber hier nicht
weit genug geht. Es gibt zwei Gründe, weshalb ein Gläubiger
von dem Platze fern bleibt, wo der Herr ihn sehen
möchte; diese Gründe sind Unkenntnis oder Ungehorsam.
Die Erfahrung lehrt, daß solche Seelen in der
Regel mit den Geschwistern am Ort sehr unzufrieden,
wenn nicht gar bitter gegen sie sind. Kann man
nun nicht auf sie das ernste Wort des Herrn in Hebr.
ko, 38 anwenden: „Wenn jemand sich zurückzieht, so
wird meine Seele kein Wohlgefallen an ihm haben"?
Der Boden, den sie betreten haben, ist ernst, da ihr Tun
fast immer die Frucht des Eigenwillens ist, und eine Fortsetzung
des Verkehrs mit ihnen könnte meines Erachtens
für sie und die den Verkehr Suchenden nur schadenbringend
sein."
Auch diese letzten Gedanken sind sicher der Erwägung
wert. Die Liebe ist, wie schon oft betont wurde, nicht
nur gütig und entgegenkommend, sondern sie ist auch wahr
und treu.
„Handelt, bis ich komme."
lLuk. iy, 11-27)
Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden ist
reich an Belehrung hinsichtlich der gegenwärtigen Wege
Gottes. Der Herr erzählte es Seinen Jüngern, „weil Er
nahe bei Jerusalem war, und sie meinten, daß das Reich
Gottes alsbald erscheinen sollte". Sie erwarteten, gleich
den beiden Jüngern auf dem Wege nach Emmaus, daß
ihr Herr zu jener Zeit „Israel erlösen" und das Reich
Gottes unmittelbar auf Erden aufrichten würde.
In einem Sinne war das Reich schon gekommen.
Es war, wie der Herr sagt, „mitten unter ihnen", denn
der König des Reiches war da. Aber in seiner äußeren Darstellung,
„so, daß man es beobachten konnte" (Luk. b7,
20. 2b), war es noch nicht erschienen. Heute ist es nicht
anders. Nur die „Kinder des Reiches" vermögen es in
seiner gegenwärtigen, geheimnisvollen Gestalt zu erkennen.
Die Welt erblickt nur ein religiöses Bekenntnis in
ihm, das nichts weniger als die Charakterzüge eines Königreichs
an sich trägt.
Der nächste Zweck des Herrn war also, den Eifer
der Jünger hinsichtlich ihrer sofortigen Erwartung des
Reiches etwas abzukühlen. Ehe das, wonach sie ausschauten,
eintreten konnte, mußte etwas anderes geschehen. Der
Herr selbst, hier in der Gestalt eines hochgeborenen Mannes
gesehen, würde in ein fernes Land ziehen, um dort
t.XXIX 2
— 30 —
ein Reich für sich zu empfangen und dann wiederzukom-
incn. Seine Bürger — die Iriden — würden ihrer Verwerfung
Seiner Person, während Er hienieden bei ihnen
war, noch das hinzufügen, daß sie eine Gesandtschaft hinter
Ihm hersenden und sagen würden: „Wir wollen nicht,
daß dieser über uns herrsche". (V. 44.)
Nicht zufrieden damit, Ihn selbst verworfen zu haben,
verwarfen sie auch das Zeugnis des Heiligen Geistes.
Sie steinigten den Stephanus, der sie des Verrates
und der Ermordung des „Gerechten" beschuldigt hatte
und, voll Heiligen Geistes, den Himmel geöffnet und
den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen sah.
Aber nicht allein das, beharrlich weigerten sie sich auch,
dem in der Kraft des Heiligen Geistes abgelegten Zeugnis
der Apostel zu gehorchen. Und dieser Haltung der
Juden Christo gegenüber, nachdem Er „sich gesetzt hatte
zur Rechten der Majestät in der Höhe", entspricht die
Haltung der Christenheit heute. Sie ist die gleiche und
wird die gleiche bleiben, bis der Herr wiederkommt. Wenn
Ihm dann „die Nationen zum Erbteil und die Enden der
Erde zum Besitztum gegeben sein werden", wird Er mit
denen, die nicht wollten, daß Er über sie herrsche, in ernstem
Gericht Abrechnung halten.
Neben den „Bürgern" des Landes gibt es aber noch
eine andere Klasse von Personen, die „Knechte" des
Herrn. Sie werden, obgleich unter den Bürgern zurückgelassen,
deutlich von diesen unterschieden. Sie bleiben zurück,
um das, was ihr Herr ihnen anvertraut hat, zu
verwalten. Während die Bürger im allgemeinen den Herrn
hassen und als König verwerfen, erkennen die Knechte
Seine Oberhoheit an; während jene in keiner Weise an die
— Zt —
Rückkehr ihres Herrn denken, sind diese, in der Erwartung
Seiner Wiederkunft, tätig für Ihn. Die Knechte
stellen alle diejenigen dar, welche, wenigstens ihrem Bekenntnis
nach, die Rechte ihres Herrn anerkennen.
Obwohl der Herr in Seinem Gleichnis von einer
bestimmten Klasse von Menschen redet, von solchen, die
sich in besonderer Weise in Seinen Dienst gestellt haben
oder vielleicht von anderen dazu verordnet worden sind,
unterliegt doch in gewissem Sinne die ganze Christenheit
der hier vorgestellten Verantwortlichkeit, und man
kann sie im Lichte dieser Verantwortlichkeit nicht betrachten,
ohne sich traurig bewußt zu werden, wie gänzlich
sie in der Ausübung der ihr anvertrauten Verwaltung
versagt hat. Nichtsdestoweniger ist ein jeder, der Christum
als seinen Herrn bekennt, verantwortlich, für Christum
zu handeln, bis Er kommt, und Gott wird dereinst dieser
Verantwortlichkeit gemäß in Gerechtigkeit mit ihm ab-
rechnen.
Von der Masse der Bekenner wird der Auftrag des
Herrn einfach mißachtet. Vielleicht wird das Pfund nicht
gerade fortgeworfen, der christliche Name nicht gänzlich
aufgegeben, aber das ist auch alles. Man hegt harte Gedanken
über den Herrn, Seine Gaben werden vergessen
oder verachtet, Seine Gebote als unvernünftige Forderungen
angesehen. Er wird als „ein strenger Mann" betrachtet,
der nimmt, was Er nicht hingelegt, und erntet,
was Er nicht gesät hat.
Das ist das traurige Bild der Christenheit im allgemeinen;
aber damit erhebt sich die Frage: Inwieweit
entsprechen wir dem, was uns hier als unsere Verantwortlichkeit
vorgestellt wird? Zn vielen Herzen wahrer
32
Gläubiger ist sicher der Gedanke lebendig: „Ich bin hier
für Christum, beauftragt, Seine Interessen in einer Welt
zu vertreten, die Ihn verworfen hat". Sie wissen, daß
das Kreuz den Scheidcpunkt zwischen ihnen und der Welt
bildet. Es ist nicht nur das Mittel, durch welches die Frage
der Sünde geordnet worden ist, sondern hat uns auch
„aus der gegenwärtigen bösen Welt herausgenommen".
Durch dasselbe war dem Apostel „die Welt gekreuzigt
und er der Welt". (Vergl. Gal. b, 4; 6, 44.) Er konnte
an die Korinther schreiben: „Christus ist für alle gestorben,
auf daß die, welche leben, nicht mehr sich selbst
leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt
worden". (2. Kor. 5, 45.) Der Christ gehört
mit allem, was er ist und hat. Dem, der ihn erworben
hat, und ist verpflichtet, Ihm damit zu dienen. Welche
Verbindung könnte zwischen einem Menschen bestehen, der
seinen Herrn liebt, und einer Welt, die Ihn verwirft?
„Welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit?
oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis?"
Was der Herr deshalb bei den Seinen finden
möchte, ist ein ganzes Herz für Ihn. Das will nicht
sagen, daß wir uns von den Beschäftigungen in der Welt
trennen sollen. Aber es bedeutet, daß diese Beschäftigungen
nicht unser Herz einnehmen, nicht Zweck und Ziel
für uns werden dürfen. Während wir ihnen mit all'r
Gewissenhaftigkeit obliegen, muß das Herz doch allezeit
frei bleiben für Christum. Sind wir nicht „um einen
Preis erkauft worden" und nun berufen, von der Liebe
Christi gedrängt, nicht uns selbst, sondern Dem zu leben,
der für uns gestorben ist? Nur wenige von uns mögen
den Dienst empfangen haben, Christum öffentlich zu pre
33
digen, aber wir alle sind berufen. Ihm zu dienen und für
Ihn zu leben. Das aber heißt: dieselbe Stellung zur Welt
eizznehmen, in welcher Er zu ihr steht. „Sie sind nicht
von der Welt", sagte Er einst von den Deinigen, „gleichwie
ich nicht von der Welt bin". Die Welt sieht und urteilt
scharf. Sie merkt es sehr bald, ob wir in Gemeinschaft
mit Jesu zu leben begehren und uns zugleich vor
jeder Vermischung mit ihr und ihren Grundsätzen hüten,
oder ob sie es mit weltlichgesinnten Christen zu tun hat,
deren Herzen nicht wirklich aufrichtig für Christum schlagen.
Der Welt Geist und Ziele können in einem Herzen,
das von Christo erfüllt ist, keinen Raum finden.
Der Charakter des wahren Dieners Christi tut sich
auf mancherlei Weise kund. Vor allem sind Gottes Wort
und Gebote die alleinige Richtschnur für seinen Dienst.
Könnten wir uns vorstellen, daß die Knechte des abwesenden
Herrn die Bürger des Landes, die Ihn hassen
und hinausgeworfen haben, um Rat fragen würden, wie
sie Seine Güter verwalten sollen? Ist es aber viel anders,
wenn Gläubige ihre Zuflucht zu weltlichen Quellen,
weltlicher Weisheit, weltlichen Bündnissen usw. nehmen,
in der Hoffnung, damit die Sache Christi zu fördern?
Bedarf Gott unserer Kraft oder unserer Weisheit,
um Sein Werk hinauszuführen? Was Er von Seinen
Knechten erwartet, ist G eh o r s am, das treue Festhalten
an Seinem allgenugsamen Wort. Alles was in dem Dienst
für unseren Herrn sich nicht auf diesen Grund aufbaut,
ist wertlos. Der Herr kann es nicht anerkennen. Sein
Segen kann nicht darauf ruhen.
Aber noch etwas anderes kennzeichnet den wahren
Knecht. Er wartet auf das Kommen Seines Herrn, ja.
34
schaut nach diesem Kommen aus. Indem sein Herz aus
die himmlischen Dinge gerichtet ist, gibt eS nichts Glückseligeres
für ihn als die Erwartung, vielleicht heute noch
dahin entrückt zu werden. Der böse Knecht, erfüllt von
verkehrten Gedanken über seinen Herrn, kann Ihn natürlich
nicht mit fröhlichen Hoffnungen erwarten. Der Gedanke
an Seine Wiederkehr ist ihm höchst unwillkommen.
Aber die treuen Knechte! Täglich ihren Herrn erwartend,
handeln sie gewissenhaft mit dem ihnen anvertrauten
Pfunde und freuen sich auf den Augenblick, wo ihr Herr
die in der Zeit Seiner Abwesenheit bewiesene Treue belohnen
wird.
Sind wir alle solch treue Knechte? Schauen unsere
Herzen mit glücklichem Verlangen nach Jesu aus? Seine
Aufforderung: „Handelt, bis ich komme", könnte nicht
bestimmter und klarer sein. Haben wir ihr entsprochen?
Wenn nicht, sollte es dann nicht anders
werden?
Das Kommen des Herrn
Im Anschluß an die vorstehenden Ausführungen
möchte ich in dem Folgenden den Versuch machen, meinen
Lesern zu zeigen, wie wohl nichts im Neuen Testament
deutlicher in die Erscheinung tritt, nichts nachdrücklicher
betont wird, als die Wahrheit von der Wiederkunft unseres
Herrn und Heilandes Jesus Christus. Es gibt allerdings
(abgesehen von dem Brief an Philemon) zwei neu-
testamentliche Schriften, die gar nichts von diesem
Kommen reden. Es sind dies die Briefe an die Epheser
und die Galater. Ich brauche kaum zu sagen, daß das
nicht von ungefähr ist. Forschen wir nach der Ursache
dieser Erscheinung, so ergeben sich zwei völlig entgegengesetzte
Gründe. Die Galater hatten den Boden des Glaubens,
die bedingungslose Rechtfertigung durch den Glauben
an Christum, ausgegeben, und Paulus mußte in seinen:
Briese an sie zu den Anfangsgründen der Rechtfertigung
zurückkehren. Im Epheserbrief finden wir genau
das Gegenteil. Der geistliche Zustand der Epheser gestattete
es dem Apostel, sie unter der Leitung des Geistes
zu den Höhen der christlichen Wahrheit zu führen. Die
Versammlung (Gemeinde) wird im Epheserbrief gesehen
als in Christo bereits in den Himmel versetzt, sodaß von
dem Kommen des Herrn, um sie dahin zu führen, naturgemäß
nicht gesprochen werden kann. Sie ist ja schon da.
In allen anderen Büchern des Neuen Testamentes
finden wir Hinweise aus die Ankunft des Herrn als eine
Sache, die wir zu unserer Ermunterung und unserem
geistlichen Nutzen recht im Gedächtnis behalten sollten.
Die Erwartung des Herrn bildete von jeher einen der
Hauptteile des kostbaren christlichen Glaubens, ja, wir
dürfen sagen: der geistliche Zustand der Gläubigen hat
stets wesentlich davon abgehangen, inwieweit diese Erwartung
in den Herzen lebte. Sie steht in Verbindung
mit allen Seiten des christlichen Lebens, beeinflußt sie
und leitet die Gedanken und Gefühle des Gläubigen. Mit
ihr kommt oder geht eine Sache, die dem ganzen christlichen
Leben Ausdruck und Gepräge gibt. Wenn das aber
so ist, dann können wir uns gewiß nicht zu viel mit ihr
beschäftigen.
Der Gläubige erwartet seinen Herrn nicht etwa in
seiner Sterbestunde, wie manche die Worte Christi: „Ich
— Zb —
komme wieder und werde euch zu mir nehmen", auffassen.
Dann müßte Christus ja schon zahllose Male gekommen
sein und noch fortwährend kommen, während
wir in Hebr. 9, 28 lesen, daß Er, nachdem Er cin-
m a l geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen,
zum zweitenmal denen, die Ihn erwarten, ohne
Sünde erscheinen wird zur Seligkeit. Der Gläubige geht,
wenn er stirbt, zu Christo — „abzuscheiden und bei
Christo zu sein, ist weit besser" - aber der Herr kommt
nicht zu ihm. Die Wiederkunft des Herrn steht für
den Gläubigen mit der Auferstehung oder der Verwandlung,
nicht aber mit dem Tode in Verbindung; sie bedeutet
für ihn das Verschlungenwerden des Todes in
Sieg. (4. Kor. 45, 54.)
Beschäftigen wir uns denn jetzt etwas näher mit
den verschiedenen Stellen, die im Neuen Testament auf
das Kommen des Herrn Hinweisen, indem wir uns von
vornherein an die bekannte Tatsache erinnern, daß die
Schrift stets klar unterscheidet zwischen dem Kommen
des Herrn als „Morgenstern", (gleichsam in der Morgendämmerung
Seines Tages) zur Einholung Seiner-
Braut, und dem Aufgehen der „Sonne der Gerechtigkeit"
(vergl. Mal. 4, 2), d. i. Seiner Erscheinung
mit Seinen Heiligen in Herrlichkeit und Macht.
Abgesehen von verschiedenen Gleichnissen (von den
zehn Jungfrauen, den Talenten usw., Matth. 25; Luk.
49; vergl. auch Luk. 42) redet der Herr in den Evangelien
fast ausschließlich von Seiner Erscheinung in
Macht. Er kommt als „der Sohn des Menschen auf den
Wolken des Himmels", um Gericht zu halten und Sein
Reich auf dieser Erde aufzurichten. (Vergl. Matth. 4b,
27; 24, 30. 3Y; 25, 34 ff.; 26, 64; Mark. 73, 26; 74,
62; Luk. 27, 27.) Das 74. Kapitel des Evangeliums
Johannes macht eine Ausnahme von der Regel. Hier
finden wir den Herrn zum letztenmal in der Mitte Seiner
Jünger. Jin Begriff, von ihnen wegzugchen, ruft
Er ihnen zu: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubet
an Gott, glaubet auch an mich." (V. 7.) Bis dahin
waren sie gewöhnt gewesen, Jesum persönlich bei sich zu
haben; das war ihre Freude, ihr Trost, ihr Alles gewesen.
Und nun wollte Er sie verlassen und, wie Gott, ein
Gegenstand des Glaubens für sie werden! Hatten sie nicht
alle Ursache, bestürzt zu sein? Anscheinend ja. Aber was
sagt ihnen der Herr? Wollte Er ohne sic da, wohin Er
ging, glücklich sein? Nein, dort war auch Raum für sie;
im „Hause Seines Vaters" gab es viele Wohnungen,
und Er ging hin, um ihnen eine Stätte dort zu bereiten.
Dann wollte Er wiederkommen und sie zu sich nehmen.
Sie sollten nicht einsam in dieser unreinen Welt zurückbleiben.
Der Vatern am e war den Jüngern nicht
fremd geblieben, aber von einem Vaterhause als einer
Heimstätte auch für sie hatten sie bis dahin nicht gehört.
Der Herr rechnete darauf, daß Seine Mitteilung ihre
Herzen mit Friede und Freude erfüllen würde. Besaß Er
doch ihre ganze Zuneigung, und die Aussicht, mit Ihm,
der Quelle alles Glückes und Segens, bald im Hause
Seines Vaters weilen zu dürfen, war in der Tat geeignet,
ihnen jede Befürchtung zu nehmen. Beachten wir, daß
hier von einer erschreckenden oder auch nur überwältigenden
Herrlichkeit, von einer blitzähnlichen Erscheinung, von
Gericht und Vergeltung gar keine Rede ist. Wir hören
nur von Friede, Freude und Glück.
38
So viel über die Evangelien. Wir kommen jetzt zur
Apostelgeschichte. Sie beginnt mit der Botschaft
der beiden Engel an die auf dem Olberg versammelten
Jünger: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel
ausgenommen worden ist, wird also kommen, wie
ihr Ihn habt hingehen sehen in den Himmel". (Kap.
4, 'N.) Mit großer Freude kehrten die Jünger daraufhin
nach Jerusalem zurück und waren allezeit im Tempel,
Gott lobend und preisend. (Vergl. Luk. 24, 50—53.) —
Im übrigen finden sich in der Apostelgeschichte nur wenige
kurze Andeutungen über den kommenden Tag des
Herrn. (Vergl. Kap. 3, 49—24; 40, 42; 47, 34.)
Auch der Brief an die Römer bringt wohl nur
einen Hinweis auf das Kommen des Herrn. Die Gläubigen
in Rom werden daran erinnert, daß „ihre Errettung
näher sei, als da sie geglaubt hätten". Die Nacht
war schon weit vorgerückt und der Tag nahe. (Kap. 43.)
In den Briefen an die Korinther mehren sich
die Hinweise. Die Korinther erwarteten „die Offenbarung
unseres Herrn Jesus Christus", der sie befestigen
würde bis ans Ende, daß sie untadelig seien an
Seinem Tage. (4. Kor. 4, 7—9.) Sie werden ermahnt,
nicht vor der Zeit zu urteilen, „bis der Herr kommt,
der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen
und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird". (Kap.
4, 5.) So oft sie bei der Feier des Abendmahls das Brot
aßen und den Kelch tranken, verkündigten sie den Tod
des Herrn, bis Er kommt. (Kap. 44, 2b.) Sie werden
schließlich belehrt, daß alle, die des Christus sind,
lebendig gemacht werden bei Seiner Ankunft.
(Kap. 45, 23. 54—58.)
39
Im zweiten Briefe sagt ihnen der Apostel, daß sic
sein Ruhm sein würden an dem Tage des Herrn Jesus
(Kap. 4, 44), und redet davon, daß er lieber über-
kleidet als entkleidet werden, d. h. also daß er gern bleiben
möchte bis zur Ankunft des Herrn, damit das Sterbliche
verschlungen werde von dem Leben. Zugleich erinnert
er sie an das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi.
(Kap. 5, 4. 40.)
Zn dem Briefe an die Philipp er, der uns den
Gläubigen als einen himmlischen Fremdling aus seinen:
Wege zum Himmel vor Augen stellt, lesen wir in Kap.
3, 20. 24: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln,
von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland
erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten
wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der
Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der Er vermag
auch alle Dinge sich zu unterwerfen." Menschen,
die bald dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig sein
sollen (Röm. 8, 29), geziemt es wahrlich nicht, „auf das
Irdische zu sinnen".
In ähnlicher Weise ermahnt der Brief an die Kolosser
in Kap. 3, 4—4: „Wenn ihr nun mit dem
Christus auferweckt worden seid, so suchet was droben
ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet
auf das was droben ist, nicht auf das was auf der
Erde ist, denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen
mit dem Christus in Gott. Wenn der Christus,
unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch
ihr mitIhm geoffenbart werden in Herrlich kei t."
Die beiden Briefe an die Thessalonicher behandeln
den gleichen Gegenstand. Doch während der Apo-
40
stcl in jedem Kapitel des ersten Briefes, mit Ausnahme
der ernsten Warnung im fünften, von der seligen Erwartung
der Gläubigen, von ihrer Entrückung usw. spricht,
beschreibt er im zweiten Briefe vornehmlich den richterlichen
Charakter der Ankunft des Herrn. Indes ist
auch hier die Ruhe und Herrlichkeit der Gläubigen miteinbegriffen;
denn wenn der Herr geoffenbart werden
wird, will Gott Seinen Heiligen Ruhe geben und vor
aller Augen in ihnen verherrlicht werden. (Kap. 4.)
Wir kommen jetzt zu den beiden Timotheus-
Briefen. In 1. Tim. 6, 44 schreibt der Apostel: „Daß
du das Gebot unbefleckt, unsträflich bewahrst bis zur E r -
schcinung unseres Herrn Jesus Christus". Der bewährte
Knecht des Herrn ermahnt hier seinen jungen Mitarbeiter,
treu voranzugehen und gläubig auf jene Erscheinung
zu warten. So ist es überall im Worte Gottes:
wenn von der Freude der Heiligen die Rede ist, spricht
es vom Kommen des Herrn, wenn von ihrer Verantwortlichkeit
oder derjenigen der Welt, von Seiner E r -
schein» n g. Welchen Zweck aber würde es gehabt haben,
Timotheus zur Bewahrung des Gebotes bis zur Erscheinung
des Herrn aufzufordern, wenn Seine Ankunft nicht
der Gegenstand wirklicher, gegenwärtiger Erwartung für
ihn gewesen wäre? Ja, überaus gesegnet ist der Einfluß,
den diese Erwartung auf das Gewissen ausübt. Und wenn
der Herr aus Gnaden Sein Kommen bis heute verzogen
hat, weil Er nicht will, daß irgendwelche verloren gehen,
sondern daß alle zur Buße kommen (2. Petr. Z, y), so
ist das kein Verlust für die, welche dieser Erwartung gemäß
gehandelt haben; sie werden die Früchte ihrer Treue
nicht verlieren. Ihr Lohn wird an jenem Tage groß sein.
-— ——
In seinem zweiten Brief an Timotheus sagt Paulus:
„Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche
der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben
wird an jenem Tage; nicht allein aber mir, sondern auch
allen, die Seine Erscheinung lieb haben". (Kap. 4, 8.)
Dieses Wort erweckt unwillkürlich in jedem aufrichtigen
Gläubigen die Frage: Habe ich diese Erscheinung lieb?
Freue i ch mich auf das, was allem in dieser Welt Angenehmen
einmal ein plötzliches Ziel setzen wird? Diese Frage
erforscht das Herz. Nur der, dessen Gesinnung in unmittelbarem
Gegensatz steht zu dem Geist dieser Welt,
wird sie mit einem bestimmten „Za" beantworten können.
In dem Briefe an Titus unterweist uns die allen
Menschen heilbringende Gnade Gottes zu einem besonnenen,
gerechten und gottseligen Leben in dem jetzigen Zeit-
lauf, „indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und
Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und
Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben
hat, auf daß Er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und
reinigte sich selbst ein Eigcntumsvolk, eifrig in guten Werken".
(Kap. 2, 42—44.)
Im Hebräerbries heißt es zunächst: „Denn nicht
Engeln hat Er unterworfen den zukünftigen Erdkreis, von
welchem wir reden; es hat aber irgendwo jemand bezeugt
und gesagt: „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst,
oder des Menschen Sohn, daß du auf Ihn siehst?"" (Kap.
2, 5. 6; vergl. Kap. 4, 6. 40—43.) Der „zukünftige
Erdkreis" ist die ganze bewohnbare Erde, welche dem
Herrn dereinst unterworfen sein wird. Christus sitzt jetzt
zur Rechten der Majestät droben, bis Gott Ihm alles
zu Füßen legen wird.
42
Weiter lesen wir dann, abgesehen von einigen kurzen
Hinweisen auf die Zuversicht der Hoffnung, die wir haben,
in Kap. d, 24: „Denn der Christus ist nicht ein-
gcgangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein
Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel
selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen".
Ehe der Mensch aus dem Paradiese ausgeschlossen
wurde, befand er sich in einem Zustand der Erprobung,
und seitdem ist er immer wieder, bis zum Tode
Christi, auf die Probe gestellt worden; doch nichts konnte
ihn zurückgewinnen, weder Gesetz, noch die ernsten Mahnrufe
der Propheten, noch endlich die Sendung des Sohnes
Gottes. Was der Mensch jetzt ausfindig macht, ist,
daß er verloren ist. Aber er findet zugleich auch, daß Gottes
Werk, als des Menschen Sünde voll war, seinen Anfang
nahm, und daß in dem Kreuz, an welches er den
Herrn schlug, Erlösung für ihn ist. Die Sünde hatte ihr
Vollmaß erreicht, aber der Herr war gekommen, um sie
durch Sein Opfer Hinwegzutun. Das Werk ist vollbracht,
und die, welche durch die Gnade glauben und teil an ihm
haben, erwarten jetzt denselben Heiland wieder zu ihrer
endgültigen Erlösung. Wir führten die kostbaren
Schlußworte dieser Stelle schon an: „Also wird auch der
Christus... zum zweiten Male denen, die Ihn erwarten,
ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit". (V. 28.)
Jakobus ermahnt in Kap. 5, 8 seines Briefes:
„Habt auch ihr Geduld, befestiget eure Herzen, denn die
Ankunft des Herrn ist nahe gekommen". Hier erscheint
die Ankunft des Herrn wieder als ein gegenwärtiger, täglicher
Beweggrund zu Geduld und Ausharren. Das beständige
Auöschauen nach dem Herrn, dessen Ankunft den
43
ganzen Zustand der Welt ändern soll, dient auf dem wechselvollen,
ermüdenden Lebenswege zur Bewahrung unserer
Seelen.
Im 1. Briefe des Petrus finden wir ein bemerkenswertes
Zeugnis von der Ordnung der Wege Gottes
im Blick auf die Leiden, die auf Seinen Christus kommen
sollten, und die Herrlichkeiten danach. Zuerst begannen
die Propheten davon zu reden. Durch das Erforschen ihrer
eigenen Weissagungen erfuhren sie, daß das, wovon sie
zeugten, sich nicht in ihren Tagen erfüllen sollte. Dann
kam das Evangelium, das aber zunächst nur die Bestätigung
der von den Propheten angekündigten Dinge brachte
mittels des vom Himmel gesandten Heiligen Geistes, der
in den neutestamentlichen Predigern zeugte. Schließlich
werden die Gläubigen ermahnt, nüchtern zu sein und völlig,
bis ans Ende hin, auf die Gnade zu hoffen, die ihnen
gebracht werden solle bei der Offenbarung Jesu Christi,
„den sie, obgleich sie Ihn nicht gesehen hatten, liebten".
Die Zeit zum wirklichen Empfang der Verheißung ist
nicht jetzt, sondern kommt erst mit der Offenbarung Jesu
Christi, (r. Petr. H ro—r3.)
Im zweiten Petribrief nennt der Schreiber die Geringschätzung
dieser Verheißung, das Jnsragestellen derselben
durch Spötter, welche behaupten, daß seit Anfang
der Schöpfung an alles im gleichen, gewohnten Gleise
weitergehe, ein Merkmal der letzten Tage.
Im ersten Bries des Johannes dient die Erinnerung
an die „letzte Stunde" zunächst als ein ernster Warnungsruf
an das Gewissen der Gläubigen: „Und nun, Kinder,
bleibet in Ihm, aus daß wir, wenn Er geoffenbart
wird, Freimütigkeit haben und nicht vor Ihm beschämt
44
werde» bei Seiner Ankunf t". (Kap. 2, 28.) Aber
schon im Anfang des Z. Kapitels benutzt der Apostel diese
Ankunft lediglich wieder als eine Ermunterung für uns,
indem er sagt: „Jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist
noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir
wissen, daß, wenn eö offenbar werden wird, wir Ihm
gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen,
wie Er ist." Unsere kostbare und sichere Hoffnung ist,
Christo selbst gleich zu sein, und das werden wir sein, wenn
Er kommt. Die -Wirkung dieser besonderen Hoffnung besteht
darin, daß der Gläubige in der Gegenwart sich reinigt,
gleichwie Er rein ist. Mit anderen Worten, er befleißigt
sich. Ihm so viel wie irgend möglich gleich zu
sein, indem er sein Teil mit Ihm bei Seiner Erscheinung
zu Beweggrund und Richtschnur seines Wandels macht.
Der Brief des Judas redet, so kurz er ist, auch
von den beiden Seiten des Kommens Christi. Zunächst
lesen wir im 44. Verse: „Eö hat aber auch Henoch, der
siebente von Adam, von diesen (Gottlosen) geweissagt und
gesagt: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten Seiner
heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider alle"",
während er nachher, in Vers 24, die Geliebten Gottes
ermuntert, „die Barmherzigkeit unseres Herrn JesuS Christus
zu erwarten zum ewigen Leben". Der Brief
des Judas ist, was unseren Gegenstand betrifft, besonders
bemerkenswert. Er zeigt den Verfall der Kirche, der
schon damals begann: falsche Brüder hatten sich ncbenein-
geschlichen, die ihrem Charakter nach den Zustand der bekennenden
Kirche in den letzten Tagen kennzeichneten. Derselbe
wird am Ende so traurig sein, daß das Kommen
des Herrn für die Treuen gleichsam ein Akt der Barm
45
Herzigkeit ist, während die übrigen dem schonungslosen
Gericht des Herrn anheimfallen.
Das Buch der Offenbarung handelt durchweg
von der Ankunft des Herrn. Mehrere der Sendschreiben
weisen schon auf dieselbe hin, warnend oder ermunternd.
Die Kapitel 4—49, in welchem wir den Herrn kommen
sehen, um das Endgericht auszuführen, berichten dann
von den vorbereitenden oder vorlaufenden Gerichten Gottes
über diese Erde. Der Herr Jesus hat das Werk der
Erlösung vollbracht und sitzt jetzt zur Rechten Gottes, bis
Er kommen wird, um alle Dinge wicderherzustellen. Dieser
letzte Gesichtspunkt macht Sein Kommen (neben der
Darstellung Seiner eigenen Herrlichkeit, der des ewigen
Sohnes Gottes als Mensch, des Mittelpunktes aller Dinge)
so wichtig. Er allein ist es, der die Gedanken und Ratschlüsse
Gottes ihrer Erfüllung entgcgenführt. Sein erstes
Kommen hat die Grundlage dazu gelegt, aber erst
bei Seinem zweiten Kommen werden die tatsächlichen Ergebnisse
davon offenbar werden. Einerseits wird Er die
Versammlung, Seinen Leib, das Zeugnis von der unumschränkten
Gnade Gottes, zu sich nehmen, und anderseits
wird Er die Welt (die Ihm dann in der Macht
Seines Reiches unterworfen sein wird) in Frieden und
Segen regieren. Vor Seinem Kommen kann weder das
eine noch das andere stattfinden.
Wir genießen gegenwärtig schon die volle Offenbarung
Dessen, aus dem all jener Segen fließt, und zwar
in einer Natur, die dieser Offenbarung angepaßt ist und
von ihr auögeht; aber die endgültigen Ergebnisse, sowohl
für uns als auch für diese Welt, sind noch zukünftig. Wir
warten darauf und lieben Seine Erscheinung.
4b
Zum Schluß noch ein kurzes Wort. Ich weiß, daß
den meisten meiner Leser die Wahrheit von der Ankunft
des Herrn längst bekannt ist. Aber ich hoffe, daß sie trotzdem
dem Versuch, zu zeigen, wie diese Wahrheit den beständigen
Gegenstand der neutesiamentlichen Schriften
bildet, mit Interesse gefolgt sind. Und ich möchte fragen:
Sollte die Erkenntnis, daß sie einen solch unendlichen
Wert für Gott hat, daß Er sie uns immer wieder durch
Seine Apostel, ja, durch Seinen Heiligen Geist selbst,
bezeugen läßt, uns nicht anspornen, sie auch unserseits immer
wieder zum Gegenstand der Beschäftigung zu machen?
Wir wissen aus Erfahrung, welch einen gesegneten
Einfluß die beständige, persönliche Erwartung des Herrn
auf unsere ganze Gedankenwelt, auf unsere Gewohnheiten
und Wege ausübt. Zugleich belehrt uns die Geschichte der
christlichen Kirche, zu welch einem traurigen, unaufhaltsamen
Verfall das Aufgeben dieser Hoffnung geführt hat.
Das Ganze versank immer tiefer in Weltlichkeit und Formwesen.
So möge denn der Geist Gottes auch durch diese
Betrachtung zu unseren Herzen reden! Um wahrhaft auf
Christum warten zu können, genügt es nicht, auf Grund
Seiner ersten Ankunft ein gereinigtes Gewissen zu
haben, unsere Herzen müssen auch fest aus Ihn gerichtet
bleiben, der zum zweitenmal denen, die Ihn
erwarten, ohne Sünde erscheinen wird zur Seligkeit.
Darum, teurer, hochgelobter Herr:
Stärk' uns jetzt auf Deinem Pfade,
Daß wir treu Dir folgen nach,
Nicht versäumen Deine Gnade,
Halt uns nüchtern, halt uns wach
47
„Die auf den Herrn harren gewinnen
neue Kraft"
Wie kommt es, daß viele, um nicht zu sagen die meisten
Kinder Gotteö, anstatt siegreich durch die Welt zu
gehen, so manche Niederlagen zu beklagen haben? Sic
sind wiedergeboren, sic haben den Geist empfangen, der
in ihnen wohnt; sie besitzen das Wort mit all seinen Verheißungen
und Unterweisungen, haben auch wohl viel
Schriftkenntnis und dürfen die Treue und Güte Gottes
jeden Tag in Seinen Wegen und Führungen mit ihnen
54
erleben; und doch — Schwachheit, geistliche Schwachheit
ist das vorherrschende Merkmal in ihrem Leben. Mehr
noch! Sind wir nicht genötigt zu bekennen, daß das schöne
Wort in Psalm 84, 7: „sie gehen von Kraft zu Kraft",
auf nur wenige von uns, und auch so nur selten, Anwendung
finden kann? Woher kommt das? Wir sind uns
dieses Zustandes vielleicht schmerzlich bewußt; er wird uns
besonders dann fühlbar, wenn wir mit der Welt in Berührung
kommen und gern ein kraftvolles Zeugnis vor
ihr ablegen möchten, oder auch wenn wir Mitgläubigen
begegnen, die in die Schlingen der Welt geraten sind, in
unerlaubte Verbindungen und dergleichen eingewilligt haben.
Wie machtlos fühlen wir uns da oft! Wie wenige
von uns sind „geistlich" genug, wenn andere von einem
Fehltritt übereilt worden sind, sie im Geiste der Sanftmut
zurechtzubringen! Wie ratlos stehen wir zuweilen da,
wenn sich Schwierigkeiten in der Familie oder auch in der
Versammlung erheben! Überall geistliche Schwachheit, wohin
wir blicken, in Wandel und Dienst, im persönlichen
und öffentlichen Leben!
Noch einmal fragen wir: Warum ist das so? Das
was unser teurer Herr in Joh. 15, 5 sagt: „Außer mir
könnt ihr nichts tun", ist sicherlich wahr. Aber es ist
auch wahr, was Sein Knecht Paulus in seinem Brief
an die Philipper schreibt: „Alles vermag ich in Dem,
der mich kräftigt". Derselbe Apostel erinnert Timotheus
daran, daß „Gott uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit
gegeben hat, sondern der Kraft und der Liebe und
der Besonnenheit". (2. Tim. 1, 7.) Wir werden belehrt,
daß wir „nicht von uns selbst aus tüchtig sind, etwas zu
denken, als aus uns selbst", aber wir werden in derselben
55
Stelle belehrt, daß „unsere Tüchtigkeit von Gott ist".
(2. Kor. 3, 5.)
Unsere Untüchtigkeit und Schwachheit kann also nur
ihren Grund in einem Mangel an Abhängigkeit
von Gott haben. In Jes. 40, 31 lesen wir: „Die auf
Jehova harren gewinnen neue Kraft: sie heben die Schwingen
empor wie Adler; sie laufen und ermatten nicht, sie
gehen und ermüden nicht". Und die Söhne Korahs preisen
in Psalm 84 den Menschen glückselig, „dessen Stärke
in Jehova ist", und fügen dann hinzu: „in deren
Herzen gebahnte Wege sind". (V. 5.) Diese beiden Schriftstellen
sind von entscheidender Bedeutung für unsere Frage.
Sie versichern uns, daß geistliche Kraft die unmittelbare
Folge des Harrens auf Gott, des Bleibens in Ihm ist.
Durch ein solches Harren auf den Herrn drücken wir unsere
Abhängigkeit von Ihm aus. Das Bewußtsein unserer
Schwachheit treibt uns ins Gebet, in die heilige Stille
der Gegenwart Gottes, wo alle unheiligen Gedanken und
Neigungen entdeckt und gerichtet werden und der Wille
des noch oft so stolzen Herzens keinen Raum findet. Wir
lernen auf diesem Wege immer mehr auf den Herrn
harren, und Er kann dann Seine Kraft in uns entfalten.
„Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark", sagt
Paulus. (2. Kor. 12, 10.)
Soll es also ein Ausleben geben, so muß es hier beginnen.
Laßt uns denn einzeln und gemeinsam viel die
Gegenwart Gottes aufsuchen und uns bestreben, stets in
einem Geist des ausharrenden Wartens auf Ihn dazustehen!
Gewiß, die Wirkung davon würde sich auf mancherlei
Weise in unserem geistlichen Leben offenbaren. Handel
und Wandel, Zeugnis und Verkehr in und außer dem
— 56 —
Hause, Dienst, Anbetung, Gebctöversammlung — alles
würde mehr das Gepräge der Kraft des Heiligen Geistes
empfangen. Manche Widersprüche würden von selbst sich
lösen, manche Schwierigkeiten verschwinden, mancher
krumme Weg gerade werden. Mit gebahnten Wegen im
Herzen, unsere Kraft da suchend, wo sie allein zu finden
ist, würden wir uns fortgesetzt der nie fehlenden, nie versiegenden
Hilfsquellen unseres Gottes erfreuen.
Ich meint', ich dacht'
Ich meint', ich sah' ein herbstlich Blatt,
Das gelb im Winde schaukelt,
Doch nein, ein schöner Falter war's,
Der munter mich umgaukelt.
Ich meint', ein Wetter brach' herein,
Schlug' Halm und Frucht zu Stücken;
Doch nein, verjüngt die Fluren stehn
Vor den entzückten Blicken.
Ich dachte: alles geht verkehrt,
War mutlos, ganz verlegen;
Doch sieh, der Weg war grade recht
Und brachte mir nur Segen!
Ich meint', ich dacht' — doch was ich dacht',
Kam nie zu seinem Ziele;
Jetzt geh' ich still an Gottes Hand,
Wie auch mein Los hier fiele.
Dein Wille, Vater, sei mein Pfad,
Laß mich auf Dich nur Horen,
Dann wird, was erst ein Unheil schien,
Zu meinem Heil sich kehren.
R. Br.
(Nach dem Holländischen von C. v. O.)
Gibt es eine Allversöhnung?
Gibt es eine Allversöhnung? Oder, genauer ausgedrückt:
Gibt es neben einer „Wiederherstellung aller
Dinge" auch eine „Versöhnung aller Menschen"?
Man hat auch schon von einer Versöhnung der gefrl -
lenen Engel geredet, den Gedanken aber wohl auf
Gmnd der nicht mißzuverstehenden Worte: „Er (Christus)
nimmt sichfürwahr nicht der Engel an" (Hebr.
2, 1b) wieder aufgegeben. Daß die Wiederherstellung aller
Dinge klar und unzweideutig im Worte Gottes gelehrt
wird, ist bekannt und wird wohl nicht bestritten. Wir
lesen ja in Kol. 1, 19. 20, daß es das Wohlgefallen der
ganzen Fülle der Gottheit war, in Christo zu wohnen und
durch Ihn alle Dinge (od. „das All^O, sowohl die
Dinge auf der Erde als auch die Dinge in den Himmeln,
mit sich zu versöhnen, indem Er Frieden gemacht hat durch
Sein Blut. Soll die durch die Sünde des Menschen ohne
ihren Willen verunreinigte Schöpfung (sie hat ja keinen Willen,
trägt deshalb auch keine Verantwortung) „an der Freiheit
der Herrlichkeit der Kinder Gottes" teilhaben, so muß
sie gereinigt und von dem auf ihr lastenden Fluche befreit
werden. Das dazu nötige Werk ist auf Golgatha geschehen,
die Grundlage ist dort gelegt worden, aber für
die Einführung in die herrlichen Ergebnisse des Werkes
hofft und wartet die Schöpfung noch auf „die Offenbarung
der Söhne Gottes". (Röm. 8, 19—21.)
l.XXIX 3
58
Wie steht es aber nun mit den Menschen? Sie sind
bewußt schuldig« und für ihre Schuld verantwortliche
Wesen. Sie bedürfen einer persönlichen Erneuerung
ihres Willens, einer aufrichtigen Umkehr und
Buße; nur auf diesem Wege können sie die Vergebung
ihrer Schuld erlangen und dem gerechten Zorn Gottes, der
auf ihnen lastet, entrinnen. Alle, die zu Jesu gekommen
sind und einfältig an den Sohn Gottes geglaubt haben,
sind mit Gott versöhnt, haben die Erlösung, die Vergebung
der Vergehungen durch Christi Blut, und stehen
in Ihm heilig und tadellos vor Gott. (Kol. r, 2t. 22;
Eph. t, 4—7.)
Wir fragen weiter: Werden denn, ähnlich wie alle
Dinge, so auch einmal alle Menschen, sei es früher
oder später, der gesegneten Folgen des Versöhnungswerkes
teilhaftig werden? Die Allversöhnungslehrer beantworten
die Frage mit „Ja", und suchen dieses Ja darauf zu begründen,
daß sie sagen: Wie könnte der Gott, der Liebe
ist, unzählige Seiner Geschöpfe für ewig verloren gehen
lassen, sie einer nie endenden Pein überliefern? Wenn
man so fragt, kann man allerdings kaum umhin, auch die
gefallenen Engel miteinzuschließen, denn sie sind, wenn
auch ganz anders geartet, doch genau so gutGeschöpfe
Gottes wie der gefallene Mensch. Doch lassen wir diesen
Punkt, und beschäftigen wir uns nur mit den Menschen.
Die Grundlage (daß Gott Liebe ist), auf welcher
die Vertreter der Allversöhnungslehre ihre Gedanken und
Schlüsse auszubauen suchen, ist an und für sich richtig,
aber die daraus gezogenen Folgerungen sind falsch. Es ist
wirklich so: Gott liebt nicht nur, sondern Er ist Liebe.
Der Apostel Johannes sagt: „Die Liebe ist aus Gott.
59
...Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn
Gott ist Lieb e." (4. Joh. 4, 7. 8.) Gott bedarf nicht,
wie der Mensch, eines Antriebs oder Beweggrundes von
außen, um zu lieben. Er liebt, weil Er Liebe i st.
Aber wir haben durch denselben Apostel auch die Botschaft
empfangen, „daß Gott Licht ist und gar keine
Finsternis in Ihm ist". (4. Joh. 4, 5.) Einerseits
ist alles vor Gott bloß und aufgedeckt, anderseits
darf nichts Ihm nahen, nichts kann in Seiner Gegenwart
geduldet werden, das irgendwie mit Finsternis in
Verbindung steht.
Man hat deshalb, und wohl mit Recht, gesagt: Gottes
Natur ist Liebe, Sein Wesen ist Licht.
Wenn aber Gott Liebe und Licht ist, dann müssen
alle Seine Wege und Handlungen der Vollkommenheit
dieser Natur, dieses Wesens entsprechen. Indes ist Gott
so weit über unser Verstehen erhaben, wie die Unendlichkeit
höher ist als die Endlichkeit. Er ist herrlich in Heiligkeit,
furchtbar an Macht, ein Gott, der Wunder tut. Er
allein. Von Ihm wird gesagt, daß Er „gerecht ist in
allen Seinen Wegen und gütig in allen Seinen Taten",
oder: daß „Er gerecht ist und Gerechtigkeiten liebt".
(Ps. 445, 47; 44, 7.)
Es gibt wohl keine Schriftstelle, die von den Feinden
der Wahrheit mehr benutzt worden ist, um die Eigenschaften
des lebendigen und treuen Gottes zu verfälschen,
als gerade jene drei kurzen Worte: „Gott ist Liebe". In
unseren Tagen mehr als je. „Die wirksame Kraft des
Irrwahns", die Gott einmal senden wird, wirft gleichsam
schon ihre Schatten voraus. Nicht nur Ungläubige oder
Halbgläubige, nein, leider wahre Gläubige gründen auf
— so —
diese Worte die bekannte Meinung, Gott habe den von
Ihm erschaffenen Menschen so lieb, daß Er alle Menschen
einmal erretten werde und keinen ewiglich verdammen
könne. Daß der Feind diese Lehre, welche die Wahrheit
von der Gerechtigkeit Gottes umstößt und der Empörung
gegen Ihn gleichsam einen Freibrief ausstellt, dazu benutzt,
die Gewissen der Menschen einzuschläfern und sie
in der Befriedigung ihrer Lüste und dem Auskosten ihrer
sündhaften Vergnügungen zu bestärken, ist mehr als verständlich.
Darüber kann sicher kein Zweifel bestehen, daß der
Mensch von jeher der Gegenstand der Güte und Sorge
Gottes gewesen ist. Wie wunderbar muß der kurze Zeitabschnitt
der Unschuld im Garten Eden gewesen sein, als
alles nur dazu geschaffen zu sein schien, zur Glückseligkeit
des Menschen beizutragen! Von einer mühevollen Bearbeitung
des Erdbodens im Schweiße des Angesichts war keine
Rede. Alles atmete Frieden und Ruhe. Unter den belebenden
Strahlen der Sonne brachte die schöne, unbefleckte
Erde ihre herrlichen Früchte in mannigfaltigstem Überfluß
hervor. Kristallklare Flüsse durchfluteten den Garten
Gottes. Alle lebendigen Wesen waren dem Menschen
untertan; er war ihr Herr und gab jedem Tiere den Namen,
mit dem es genannt werden sollte. So sprach in Eden
alles von der Güte und dem Wohlwollen Gottes dem
Menschen, Seinem Geschöpf, gegenüber.
Doch es blieb nicht lang so. Es ist uns allen bekannt,
wie der Mensch durch Ungehorsam und llberhebung fiel
und seine ganze Nachkommenschaft mit sich unter das
Urteil des Todes brachte. Wie ein schrecklicher, tödlicher
Meh^au legte es sich auf die ganze Schöpfung. Ihre ur
sprüngliche Reinheit und Schönheit waren für immer dahin!
Wie wäre es auch anders möglich gewesen? Hätte
Gott die Sünde des Menschen ungestraft gelassen, wo wäre
Seine Gerechtigkeit geblieben? Und hätte Er den Menschen
in gerechter Vergeltung seines Tuns für immer auö
Seiner Gegenwart verbannt, wo Seine Liebe? Beides war
unmöglich. Gott ist, wie Er durch Jesaja ausrufen läßt,
„ein gerechter und rettender Gott". (Jes.
45, 24.) Gerechtigkeit bedingt die Bestrafung der Sünde,
Gnade die Errettung des bußfertigen Sünders.
Wie konnte aber beides miteinander verbunden werden?
Nur durch das Kreuz auf Golgatha, wo Gotteö Gerechtigkeit
sich an einem heiligen Stellvertreter vollkommen
befriedigte. Angesichts dieses Kreuzes und auf Grund des
dort vollbrachten Sühnungöwerkes kann jetzt die Gnade
herrschen, und zwar „durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben,
durch Jesum Christum, unseren Herrn".
„Gott ist Liebe", und wahrlich, Er hat es bewiesen
und beweist es jeden Tag. Der natürliche Mensch
antwortet darauf: „Nun, wenn es einen Gott gibt, ist
Er ganz gewiß nicht Liebe; denn wenn Er Liebe wäre,
könnte unmöglich die Welt so voll sein von Elend, Armut,
Tränen, Krankheiten, Jammer und Tod! Wenn Er
Liebe wäre, würde Er den Lauf der Dinge so ändern, daß
die Menschen in der Welt glücklich sein könnten, anstatt
elend und unglücklich."
Gemach, du stolzer Tadler des Allmächtigen! Du
vergissest, daß alle diese Leiden nicht vorhanden waren,
als „Gott alles ansah, was Er gemacht hatte, und siehe,
es war sehr gut". Erst durch die Sünde des Menschen,
durch seine Auflehnung gegen Gott ist alles so ge-
62
worden, wie es ist. „Durch einen Menschen kam die
Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und
so ist der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen, weil
sie alle gesündigt haben." (Röm. 5, 12.) Außerdem
scheinst du zu vergessen, daß, ganz abgesehen von
den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, viele der
gegenwärtigen Zustände und Leiden eine Folge des Mißbrauchs
der Gesundheit oder der Vergeudung von Gott
geschenkter Kräfte sind, sodaß der Mensch wiederum als
der allein Schuldige dasteht.
Vielleicht würde es deinem Stolze mehr schmeicheln,
wenn Gott den gefallenen Menschen wieder in das verlorene
Paradies zurückgeführt hätte. Aber es ist nie
Seine Weise gewesen, wäre Seiner auch wohl nicht würdig,
das wiederherzustellen, was der Mensch verdorben
hat; es gefällt Ihm und hat Ihm stets gefallen, durch
Seine Macht und Liebe unendlich höhere und bessere Segenszustände,
als die verlorenen, einzuführen. Nach deiner
eitlen Meinung hätte Gott den Menschen trotz und ungeachtet
seiner Sünde leiblich und zeitlich segnen sollen;
statt dessen aber hat Er eine Erlösung geschaffen, die den
Gefallenen geistlich und ewig auf den Boden einer neuen
Schöpfung stellt und ihn, den Feind Gottes, in eine ewige
und innige Gemeinschaft mit Ihm selbst einführt. Wahrlich,
wenn es etwas gibt, das Zeugnis von der Tatsache
ablegt, daß Gott Liebe ist, so ist es dies.
Aber mehr noch: Alle aus Gott geborenen Seelen,
die der Vergebung ihrer Sünden teilhaftig geworden sind
und den Heiligen Geist empfangen haben, genießen heute
schon ein unendlich höheres Glück, als Adam im Zustande
der Unschuld es je kennen konnte, oder der mit irdischen
63
Glücksgütern am meisten gesegnete Mensch es je für möglich
halten würde. Auch darf nicht vergessen werden, daß
die Menschen, obgleich sie Gott lästern, ihre Kniee vor
Seinem Sohne nicht beugen wollen und das Zeugnis des
Heiligen Geistes verwerfen, von Gott täglich und stündlich
tausenderlei Segnungen empfangen. In Seiner Güte
läßt Er nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze,
Sommer und Winter. Seine Sonne geht auf über Guten
und Bösen, und Er läßt regnen auf Gerechte und Ungerechte.
Wenn Er sich in züchtigenden Wegen mit den Menschen
beschäftigt, ihnen vielleicht Vermögen, Gesundheit,
oder gar liebe Angehörige nimmt, so geschieht daS wiederum,
weil Er Liebe ist. Er hat kein Gefallen an dem
Tode des Sünders, sondern bemüht sich auf alle Weise,
„den Menschen von seinem Tun abzuwenden und Übermut
vor dem Manne zu verbergen". (Hiob 33, 17.)
Man vergißt, daß in dem Tun Gottes immer zwei bestimmt
ausgeprägte Grundsätze nebeneinander herlaufen:
Gnade und Regierung, Güte und Strenge. Wunderbar
ist der Reichtum Seiner Gütigkeit, Geduld und Langmut;
aber wenn der Mensch sich nicht durch Gottes Güte
zur Buße leiten läßt, sondern in seiner Störrigkeit und
seinem unbußfertigen Herzen seine eigenen Wege geht,
so bleibt Gott nichts anderes übrig als Züchtigung und
Gericht. Er läßt den Menschen ernten, was er gesät hat,
nach Seinem Wort: „Wer für sein eigenes Fleisch sät,
wird von dem Fleische Verderben ernten". (Gal. 6, 8.)
„Nicht von Herzen plagt und betrübt Er die Menschenkinder."
Er schlägt und züchtigt nicht, weil ErWohl-
gefallen dckran hat, sondern weil Er sich gern über
64
die zur Buße und Umkehr Gebrachten „erbarmen möchte
nach der Menge Seiner Gütigkeiten". (Klaget. 3, 32. 33.)
Gott ist Liebe.
Doch der Mensch begnügt sich in seiner Vermessenheit
nicht damit, aus den gegenwärtigen Wegen der Vorsehung
oder Regierung Gottes seine bösen, gegenteiligen Schlüsse
zu ziehen, er behauptet auch im Blick auf die Zukunft;
Wenn Gott Liebe ist, kann die Lehre von einer ewigen
Strafe, einer nie endenden Verdammnis unmöglich wahr
sein. Gott muß einmal, wenn auch erst nach kürzerer oder
längerer Bestrafung des Bösen, allen Seinen Geschöpfen
Gnade zuteil werden lassen. Diese böse Lehre hat sich im
Laufe der Jahre immer weiter entwickelt und verbreitet
und wird heute den Gläubigen in einer Weise aufgedrängt,
daß man unwillkürlich an ein Gottesgericht erinnert wird.
Sie bahnt mit anderen Irrlehren den Weg zur gänzlichen
Verwerfung der Autorität der Offenbarung Gottes, zur
völligen Verfälschung Seines Charakters, und zu der
furchtbaren Zeit, von welcher in der bereits angeführten
Stelle (2. Thess. 2, b0. bb) die Rede ist. Männer, die
früher das Wort Gottes lauter und rein verkündigten,
haben die Lehre angenommen und verbreiten sie mit einem
Eifer, der geradezu erschreckend ist, aber bekanntlich fast
alle Jrrlehrer kennzeichnet. Ach! — mit tiefem Schmerz
sei es gesagt! — sie sind nicht in dem geblieben, was sie
gelernt haben und wovon sie einst völlig überzeugt waren.
(2. Tim. 3, 14.) Sie haben „das Bild gesunder Worte"
nicht festgehalten. (2. Tim. b, 13.) Sie verkündigen nicht
mehr Christum so, wie sie Ihn einst gehört hatten und
in Ihm gelehrt worden waren. (Eph. 4, 2b.) Es ist nicht
mehr die Stimme des guten Hirten, die Durch sie redet.
65
Darum fliehet vor ihnen, ihr Schäflein Christi!
(Joh. 1.0, 5.) Wachet und wendet euch ab von
Männern, die verkehrte Dinge reden, entgegen der Lehre,
die ihr gelernt habt! (Apstgsch. 20, 30. 31; Röm. 16,17.)
Bewahret das schöne anvertraute Gut durch den Heiligen
Geist, der in euch wohnt! (2. Tim. 1, 14.) Nehmet
niemand auf, der weitergeht und nicht bleibt in
der Lehre des Christus! „Denn wer ihn grüßt, nimmt teil
an seinen bösen Werken." (2. Joh. 9—11.)
So mahnt Gottes Wort, und die einzige Sicherheit
der Herde Christi besteht darin, diesem Worte zu folgen.
Nach diesem Wort soll jede Sache durch den Mund zweier
oder dreier Zeugen bestätigt werden. Höret denn drei Zeugnisse:
Der Heilige Geist bezeugt in Joh. 3, 36: „Wer
an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem
Sohne nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern
der Zorn Gottes bleibt auf ihm". Es ist schon oft darauf
hingewiesen worden, daß diese einzige Stelle genüge, um
jedem aufrichtigen Leser, jeder dem Worte Gottes sich
einfältig unterwerfenden Seele die erschütternde Tatsache
vor Augen zu stellen, daß es Menschen gibt, die das
Leben nicht sehen werden, auf denen vielmehr der Zorn
Gottes bleibt.
Der Sohn Gottes hat gesagt: „Wer irgend
wider den Heiligen Geist lästern wird, hat keine Vergebung
in Ewigkeit, sondern ist ewiger Sünde
schuldig; — weil sie sagten: Er hat einen unreinen Geist".
(Mark. 3, 29. 30.) Ein zweites unzweideutiges Zeugnis,
daß es Menschen gibt oder jedenfalls gegeben hat, die
in Ewigkeit keine Vergebung finden werden.
— 6b —
Aum dritten hat Gott selbst geschworen,
daß die, welche nicht geglaubt haben, nicht in
Seine Ruhe eingehen werden (Hebr. 4), und wir wissen,
daß von Seinem Wort nicht ein Iota, nicht ein Tüttelchen
zu Boden fallen wird.
So stellt denn das vereinigte Zeugnis der ganzen
Gottheit, Vater, Sohn und Heiliger Geist, die Lehre, daß
alle Menschen einmal errettet werden, als Lüge hin. Auch
in Hebr. 6, 6 hören wir, daß es Menschen gibt, die unmöglich
wiederum zur Buße erneuert werden können,
und im 40. Kapitel desselben Briefes, daß für die, welche
mit Willen sündigen, kein Sündopfer mehr übrigbleibt,
sondern nur ein verzehrendes Gericht „ohne Barmherzigkeit".
Und die ganze Abhandlung schließt mit
den Worten: „Es ist furchtbar, in die Hände des
lebendigen Gottes zu fallen". (V. 26—34.)
Auch in den Evangelien spricht der Herr immer wieder
von einem unauslöschlichen Feuer, von einem
Wurm, der nicht stirbt, von einer ewigen Pein,
von einer großen Kluft im Jenseits, die befestigt ist,
sodaß niemand mehr von der einen zu der anderen Seite
hinübergehen kann, selbst wenn er will.
Wenn in Matth. 25 der Bräutigam mit den klugen
Jungfrauen zur Hochzeit eingeht, wird vor den törichten
die Tür verschlossen. Am Schluß des Gerichts über
die Lebendigen im gleichen Kapitel wird den zur Linken
des Herrn Stehenden zugerufen: „Gehet von mir,
Verfluchte, in das ewige Feuer!" Und wenn dereinst
Himmel und Erde vergangen sind und alle die „T o -
t e n" vor dem großen weißen Thron nach ihren Werken
gerichtet werden, finden alle, deren Namen nicht in
67
dem Buche des Lebens geschrieben gefunden werden, ihren
Platz in dem zweiten Tode, in dem Feuersee. (Offbg.
20, rr—75.) Wenn uns dann im nächsten Kapitel der
ewige Zustand, der neue Himmel und die neue Erde,
gezeigt wird, in Verbindung mit der Hütte Gottes, dem
Weibe des Lammes, und dem Volke Gottes, den Menschen
der neuen Erde, hören wir am Schluß: „Den Feigen
aber und Ungläubigen... und allen Lügnern — ihr
Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt,
welches der zweite Tod ist". (Vers 8.) Das Teil dieser
Verächter oder Vernachlässiger des Heils ist also in dem
unauslöschlichen Feuer, ihr Schicksal ist für ewig besiegelt.
Sie haben die wohlangenehme Zeit, den Tag des Heils,
an dem ihre Namen in das Buch des Lebens eingeschrieben
werden konnten, versäumt, auf immer versäumt. Ohne
Zweifel eine tieferschütternde Tatsache, aber der
auf dem Throne Sitzende spricht gerade hier zu Johannes:
„Schreib e, denn diese Worte sind gewiß und
wahrhaftig". (V. 5.) Wehe dem, der an diesen gewissen
und wahrhaftigen Worten rüttelt oder auch nur deutelt!
Er wird es mit Dem zu tun bekommen, der sie einst durch
Johannes niederschreiben ließ, damit ein jeder sie
lese und sie so bewahre, wie sie dastehen.
Ach, daß man immer wieder über diese Dinge reden
muß! Man möchte lieber, wie einst Judas, „über unser
gemeinsames Heil schreiben," umsomehr als jene Dinge
schon wiederholt so ernst und eingehend behandelt worden
sind *). Es ist eine schmerzliche Aufgabe, sich mit bösen
*) Ich erinnere an die im gleichen Verlag erschienenen Schriften:
„Nach Wahl der Gnade", „Unsterblichkeit der Seele, Seelenschlaf
und ewige Verdammnis" und „Ewige Verdammnis und Wiederbringungslehre".
68
Lehren und denen, die sie bringen, beschäftigen zu müssen.
Aber so wie Judas genötigt wurde, den Heiligen zu schreiben
und sie zu ermahnen, für den ihnen einmal überlieferten
Glauben zu kämpfen, so treibt angesichts der ernsten
Erscheinungen der letzten Tage die Mahnung des Herrn
an Petrus: „Hüte meine Schafe!" (Joh. 2t, 1.6; vergl.
auch 1. Petr. 5, 2) den Schreiber dazu, in seinem geringen
Maße noch einmal vor der drohenden Gefahr zu
warnen und seine lieben Leser allen Ernstes auf das
Schriftwidrige und Böse der Allversöhnungslehre aufmerksam
zu machen.
Man sollte meinen, das bekannte Wort: „Es ist den
Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber
das Gericht" (Hebr. 9, 27), müsse schon jedem Verkündiger
der Allversöhnungslehre den Mund verschließen.
Denn worüber ergeht das in dieser Stelle angekündigte
Gericht? Man wird antworten: „Selbstverständlich über
die Sünden der Menschen". Wenn aber Christus das Gericht
über die Sünden aller Menschen getragen hat,
und das ist doch nötig, wenn Gott alle erretten soll,
wie kann dann noch irgend ein Mensch wegen dieser Sünden
ins Gericht kommen? Wiederum wird man sagen:
„Selbstverständlich nicht; es steht aber auch nicht geschrieben,
daß Christus die Sünden aller Menschen getragen
habe, sondern immer nur: „Vieler Sünden"." Gut;
aber die Allversöhnungslehrer behaupten einerseits, daß
die im Unglauben sterbenden Menschen ins Gericht kommen,
zwar nicht ewig, aber doch für eine Zeit, und anderseits,
daß schließlich alle Menschen errettet werden. Daß
sie sich dadurch in unmittelbaren Widerspruch mit dem
Worte Gottes setzen, es in schlimmster Weise verdrehen,
by
daß sie ferner Gott einer offenbaren Ungerechtigkeit beschuldigen
und zugleich die Vollgültigkeit des Opfers Christi
leugnen, erkennen sie nicht oder wollen sie nicht erkennen;
auch nicht, welch eine furchtbare Verantwortung
sie dadurch auf sich laden, daß sie den Menschen, die ohnehin
den Gedanken an die Ewigkeit weit von sich fernhalten
möchten, die Möglichkeit vortäuschen, noch im Jenseits
sich bekehren zu können. O der schreckliche Gedanke, auch
nur einer unsterblichen Seele ein Hindernis in den
Weg gelegt zu haben, heute Gnade zu suchen! Gott ruft
so ernst und eindringlich: „Heute, wenn du Seine
Stimme hörst, verhärte dein Herz nicht!" Aus der Allversöhnungslehre
folgert aber der Mensch naturgemäß und
seinen Wünschen entsprechend: „Nein, morgen, ja, in
derEwigkeit habe ich noch Zeit, meine Sache mit Gott
in Ordnung zu bringen. Sollte ich dann auch im Jenseits
eine kurze oder längere Zeit durch Leiden gehen müssen,
heute will ich das Leben noch genießen!" Und so werden
die Unglücklichen um ihr ewiges Heil betrogen.
Ium Schluß noch einige Bemerkungen in Verbindung
mit Fragen, die in den letzten Wochen von verschiedenen
Seiten an den Schreiber gerichtet wurden und
manche Herzen zu beunruhigen scheinen.
Einzelne Verbreiter der Allversöhnungslehre gefallen
sich darin, ihren der griechischen Sprache fast durchweg
unkundigen Hörern oder Lesern allerlei irreführende Behauptungen
hinsichtlich der Übersetzung griechischer Wörter
aufzutischen. In welcher Absicht, ist ziemlich durchsichtig.
Sie sagen z. B., die griechischen Wörter aiün und
slünios bedeuten nicht Ewigkeit bzw. ewig, sondern „Zeit
70
alter", „ein Zeitalter während". Der eine und andere redet
auch von fünf solcher Zeitalter oder Aeonen; aber ich
frage: Wo findet sich in dem Worte Gottes auch nur der
leiseste Anhaltspunkt für die letzte Behauptung? Der
Gedanke besteht nur in dem Gehirn dieser Leute, und in
dem Bemühen, alles dieser sie anscheinend bezaubernden
Idee anzupassen, leisten sie Unglaubliches.
Daß das Wort man an mehreren Stellen des Neuen
Testaments, je nach der Verbindung, „Zeitalter" bedeutet,
ist freilich wahr, so z. B. wenn von diesem oder dem
gegenwärtigen und von dem zukünftigen (kommenden)
Zeitalter die Rede ist. (Das zukünftige oder kommende
Zeitalter ist das 1000jährige Reich. Matth. 72,
Z2; Mark. 10, 30; Luk. 18, 30; man vergleiche auch
Matth. 13, 39. 40. 49; 24, 3; Röm. 16, 25; 1. Kor.
10,11; Eph. 2, 7 u. a. St.) Im allgemeinen aber werden
die Wörter mon und siümos nicht nur von den neu-
testamentlichen Schreibern, sondern auch von weltlichen
griechischen Schriftstellern immer wieder in dem Sinne
von „Ewigkeit" bzw. „ewig" gebraucht.
Der Ausdruck eis Ion siüna (— in Ewigkeit), den
man als falsch übersetzt ganz besonders angreift, kommt
im Neuen Testament etwa 25 mal vor und kann mit nur
ganz vereinzelten Ausnahmen, wo er „immer" oder „auf
immerdar" bedeutet, nur mit „in Ewigkeit" oder „ewiglich"
übersetzt werden. Damit der Leser selbst imstande
ist zu urteilen, führe ich die Mehrzahl der Stellen an:
Mark. 3, 29; Zoh. 4, 14; 6, 51. 58; 8, 51. 52; 10, 28;
11, 26; 12, 34; 14, 16. Hebr. 1, 8; 5, 6; 6, 20; 7, 17.
21. 24. 28. 1. Petr. 1, 25. 1. Joh. 2, 17. 2. Joh. 2.
Jud. 13.
— 74 —
Das Eigenschaftswort siünios (— ewig) kommt vor,
sowohl in Verbindung mit Gott und Geist (Röm. 46, 26;
Hebr. 9, 1.4; in diesen beiden Stellen ohne Anfang
und ohne Ende bedeutend), mit Herrlichkeit, Erlösung,
Heil, Erbe usw. und viele, viele Male mit Leben, als auch
mit Feuer, Verderben, Verdammnis, Gericht usw. Es
hat die Bedeutung von nie endend, nie aufhörend. Dem
Wort in der einen oder anderen Verbindung, in der es
vorkommt (wie Feuer, Verdammnis, Gericht) diese Bedeutung
zu nehmen, ist eine rein willkürliche Handlung,
die notwendig dahin führen muß, diese Bedeutung auch
in den übrigen Verbindungen als fraglich erscheinen zu
lassen. Wenn Gericht, Verdammnis usw. nicht wirklich
„ewig" sind, wie ist es dann mit Gott, dem Heiligen
Geist, der Herrlichkeit, dem Leben usw. usw.?
Sehr bemerkenswert ist es auch, daß es einige Stellen
gibt, in denen das Wort in unmittelbarem Gegensatz
zu „zeitlich" steht, wie z. B.:
2. Kor. 4, 18: „Das was man sieht, ist
zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig."
2. Kor. 5, 1: „...ein Haus, nicht mit Händen
gemacht (also zeitlich, irdisch), ein ewige
s, in den Himmeln."
1. Tim. 6, 16: „...welchem Ehre sei und
ewige Macht."
1. Petr. 5, 10: „Der Gott aller Gnade aber,
der euch berufen hat zu Seiner ewigen Herrlichkeit..."
— (Vergl. auch Hebr. 5, 9; 9, 42.)
Die Allversöhnungslehrer machen auch viel aus dem
Wort des Apostels in 1. Tim. 4, 40: „Denn für dieses
arbeiten wir und werden geschmäht, weil wir auf einen
72
lebendigen Gott hoffen, der ein Erhalter aller Menschen
ist, besonders der Gläubigen". Sie beschuldigen die Übersetzer
der „Elberfelder Bibel" sogar einer bewußten Fälschung,
weil sie das griechische Wort soiee an dieser Stelle
mit „Erhalter" (od. Retter) übersetzt haben; es müsse
„Erretter aller Menschen, besonders der Gläubigen",
heißen. Nach ihrer Meinung ist der Sinn der Stelle fol
gender: Gott errettet alle Menschen, besonders die
Gläubigen; d. h.: niemand geht verloren, alle Menschen
gehen schließlich ins Leben ein, aber es gibt verschiedene
Arten oder Grade von Errettung, jenachdem ein Mensch
in dieser Zeit glaubt oder erst nach seinem Tode zur Errettung
kommt.
Welch eine heillose Verwirrung!
Zunächst sei zu der Stelle bemerkt, daß der Apostel
im 8. Verse sagt, daß die leibliche Übung zu wenigem
nütze sei, daß aber die Gottseligkeit die Verheißung des
Lebens habe, des jetzigen und des zukünftigen. Dann
im 70. Verse, daß er in der Übung zur Gottseligkeit beim
Ausrichten seines Dienstes vielen Schmähungen ausgesetzt
sei, weil er auf den lebendigen Gott hoffe, der
ihn inmitten aller seiner Leiden zu erhalten und aus ihnen
zu retten vermöge. Dieser lebendige Gott, „der Beobachter
dec Menschen", wie Hiob Ihn nennt (Kap. 7, 20),
dessen Augen die ganze Erde durchlaufen, hört das Schreien
aller Seiner Geschöpfe, wenn sie in ihrer Not zu Ihm
rufen, rettet sie und erhält sie am Leben. Wenn aber Gott
in Seiner Vorsehung schon den Menschen im allgemeinen
gegenüber so handelt, wieviel mehr dann im Blick auf
die Gläubigen, die Er so teuer erkauft hat, und deren Haare
selbst alle gezählt sind! Diese bewahrende und rettende
73
Treue hatte Paulus persönlich in hervorragendem Maße
erfahren, und er hoffte auch ferner auf sie.
Was das Wort soter") selbst betrifft, so hatte es in
der griechischen Welt ganz allgemein den Sinn von „Erhalter,
Retter, Befreier" und wurde manchen Fürsten oder
Männern, die sich um ihr Vaterland verdient gemacht
hatten, als Ehrentitel beigelegt. Im Neuen Testament erscheint
es zumeist in Verbindung mit ewigen Dingen und
bedeutet dann „Erretter, Heiland", ohne aber den ursprünglichen
Sinn zu verlieren. Von einer falschen Übersetzung
oder gar bewußten Fälschung des Textes kann also
gar keine Rede sein. Selbst wenn man dem Worte auch
an dieser Stelle die Bedeutung Erretter oder Heiland (im
Blick auf die Seele) beilegen wollte, könnte es doch nur
in dem Sinne von Kap. 2, 4 geschehen, wo wir lesen,
daß Gott will (Seinerseits besteht diese Liebesabsicht),
daß alle Menschen'errettet werden und zur Er
kenntnis der Wahrheit kommen, was aber wird dann aus
dem Nachsatz: „besonders (od. sonderlich, eig. am meisten)
der Gläubigen"? Er wäre völlig unverständlich.
Wie mit Zoter, so ist es auch mit dem Wort sotens.
Auch dieses wird im Neuen Testament zumeist auf die
ewigen Dinge, auf die Seele angewandt und bedeutet dann
Heil, Errettung. Da, wo es aber in Verbindung mit zeitlichen,
irdischen Dingen erscheint, hat es die Bedeutung
von Rettung oder Erhaltung. (Man vergleiche z. B. Luk.
t, 7t; Apstgsch. 27, 34; Hebr. tt, 7.)
Bekanntlich ziehen die Allversöhnungslehrer auch aus
*) abgeleitet von dem Zeitwort„sorein", da- zunächst unversehrt
erhalten, dann gesund machen, heilen, retten, auch erretten
in geistlichem Sinne bedeutet.
74
den Worten des Apostels in Röm. 74, 32: „Denn Gott
hat alle zusammen in den Unglauben eingeschlossen, auf
daß Er alle begnadige", die Folgerung, daß einmal alle
Menschen begnadigt, d. h. errettet werden würden. Indem
sie auch hier den Vers aus dem Zusammenhang herausreißen,
übersehen sie (oder wollen nicht sehen), daß
der Apostel in dem ganzen Kapitel von den Wegen Gottes
mit Juden und Heiden redet und einfach beweist, daß
sie alle, ob mit oder ohne Verheißung, nur auf einem
Boden, dem der Begnadigung, errettet werden können.
Die Allversöhnungslehre hat etwas Bestrickendes für
die Gefühle des Menschen. „Wäre es nicht schön",
so fragt man, „wenn einmal alle Menschen errettet würden?
Ist der Gedanke an eine ewige O.ual nicht furchtbar?"
Ja, er ist furchtbar. Aber solche Fragen würden
bald ihre richtige Beantwortung finden, wenn in unseren
Herzen lebte, was ein wegen seiner trefflichen und klaren
Auslegungen des Wortes bekannter „Lehrer" (Eph. 4,44)
mit den Worten ausgedrückt hat: „Eine einzige Sünde
ist in dem Auge des heiligen Gottes schrecklicher als tausend
Sünden, nein, als alle Sünden der Welt in unserem
Auge sind".
Wir vergessen immer wieder, daß die Heiligkeit und
Gerechtigkeit Gottes genau so vollkommen und für uns
Menschen unbegreiflich groß sind wie Seine Liebe und
Güte, und ferner, daß keine Seiner Eigenschaften die andere
in irgend einer Weise beeinträchtigen oder gar umgestalten
kann. Gott ist vollkommen Liebe und vollkommen
Licht.
93
Roch etwas über Herzenszustände
Wir haben im Januarheft des „Botschafter" einiges
über begehrenswerte Herzenszustände gehört. Es
kann auch andere geben, wie z. B. ein durch äußere
Schwierigkeiten besiegtes Herz. Ein solches
Herz schreibt Gott ungereimte Dinge zu und verführt zu
allerlei verkehrten Wegen.
„Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich
eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist
nichts besser, als daß ich eilends in das Land
der Philister entrinne." (r. Sam. 27, 1.) So
handelte der Mann nach dem Herzen Gottes nach so vielen
wohlbestandenen Glaubensproben und herrlichen Erfahrungen
von der Treue und Macht Gottes; so handelte
er, als die Zeit seiner Erlösung aus allen Verfolgungen
Sauls nicht mehr fern war. Die Siege über den Löwen
und Bären und über Goliath waren vergessen; statt dessen
hatten sich Kleinmut und Verzagtheit ins Herz geschlichen,
und David meinte, Gott habe ihn vergessen. Welch
eine Lehre für uns, die wir dasselbe Herz besitzen wie David!
Aber wie gut ist es auch, daß wir einen so guten und
treuen Herrn haben, der da weiß, was für arme Wesen
wir sind, und der die Seinen nie vergißt! „Aion sprach:
— 106 —
Jehova hat mich verlassen, und der Herr hat meiner vergessen."
Aber wie lautet die Antwort? Höre sie, mein
lieber Leser, und bete an! „Könnte auch ein Weib ihres
Säuglings vergessen, daß sie sich nicht erbarmte über den
Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen,
ich werde deiner nicht vergessen.
Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet!"
(Jes. 44, 44—16.)
Allerdings läßt Gott die Prüfung oft lang und den
Trübsalsofen heiß werden, und wir erfahren dann wohl
die Wahrheit des Wortes: „Lang hingezogeneö Harren
macht das Herz krank" (Spr. 13, 12); aber schließlich
müssen wir doch immer wieder sagen: Er macht alles
wohl! Wie oft zeigt sich schon nach ganz kurzer Zeit, wie
weislich Er alles geordnet hatte, und wie sehr wir Ihm
durch unsere Zweifel und Befürchtungen, durch unser Mißtrauen
und unseren Argwohn unrecht getan hatten. Darum
bedürfen wir so sehr der Ermahnung: „Werfet nun eure
Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat".
(Hebe. 10, 35.) Der alte Tersteegen singt:
..Kinder, liebet, und betrübet
Nicht durch Argwohn euren Freund;
Der euch stündlich, unergründlich
Liebt und cs von Herzen meint."
Aus einem durch äußere Schwierigkeiten besiegten
Herzen wird leicht ein über Gottes Tun murrendes
Herz. „Ich habe es nicht verdient, daß Gott
so mit mir handelt", sagt der eine; „ich begreife Gott
nicht", murrt der andere, während der dritte gar Gott
offen der Ungerechtigkeit beschuldigt. So hadert der Ton
mit dem Töpfer, das Geschöpf mit seinem Schöpfer. Das
ist eine böse, traurige Sache, doppelt böse, wenn eine solche
— rv7 —
Sprache von Gottes Volk oder von einem Diener Gottes
geführt wird. Als die Sonne den Propheten Iona aufs
Haupt stach, daß er ermattet niedersank, da wünschte er,
mißmutig über Gottes Tun mit den Bewohnern von
Ninive, daß seine Seele stürbe; und Gott sprach zu ihm:
„Ist es recht, daß du zürnest?" Die Antwort des Propheten
lautete: „Mit Recht zürne ich bis zum Tode".
(Jona 4.) Als Elia, der mächtige Zeuge Gottes, den
Drohungen Jsebels Gehör lieh und vor ihrer Wut aus
dem Lande floh, hören wir auch ihn zu Jehova sagen:
„Es ist genug; nimm nun, Jehova, meine Seele, denn
ich bin nicht besser als meine Väter", und nachher tritt
er als Ankläger seines Volkes, ja, mittelbar als Ankläger
Gottes auf. (7. Kön. 79.)
Wie schön ist demgegenüber ein Herz, das Gott ergeben
ist und mit Hiob zu sagen gelernt hat: „Der Herr
hat gegeben, der Herr hat genommen; der Name des
Herrn sei gepriesen!" — ein Herz, das Gott nicht dreinspricht,
sondern bereit ist, sich belehren zu lassen; wie der
Psalmist sagt: „Deine Wege, Jehova, tue mir kund, deine
Pfade lehre mich!" (Ps. 25, 4.) Moses sang am Ende
seiner langen Pilgerlaufbahn: „Der Fels: vollkommen ist
Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht. Ein Gott
der Treue und sonder Trug, gerecht und gerade ist Er."
(5. Mose 32, 4.) Aber ach! wie oft muß Gott sich falsch
beurteilen lassen, und wie langmütig ist Er gegenüber
unserer Kurzsichtigkeit und Verkehrtheit! Als David die
Gedanken Gottes besser verstand als zur Zeit seiner Flucht
in der Philister Land, sagte er: „Wie köstlich sind mir
deine Gedanken, o Gott! wie gewaltig sind ihre Summen!"
(Pf. 739, 77.) So konnte auch Jakob nur anbeten über
408
Gottes Tun mit ihm. Er hatte nicht gedacht, Josephs
Angesicht je wiederzusehen, und Gott ließ ihn sogar die
Söhne Josephs schauen, und er segnete sie in dem Namen
des Gottes, „der mich", wie er sagt, „geweidet hat, seitdem
ich bin bis auf diesen Tag", (4. Mose 48.) O wo
ist ein Gott wie Er? Er sagt selbst: „Ich weiß ja die Gedanken,
die ich über euch denke: Gedanken des
Friedens und nicht zum Unglück, um euch
Ausgang und Hoffnung zu gewähren". (Jer.
29, 44.) Er wird nicht zulassen, daß wir über unser Vermögen
versucht werden, sondern wird mit der Versuchung
auch den Ausgang schaffen, sodaß wir sie ertragen können.
(4. Kor. 40, 43.)
Du führest selig stets, o Herr, die Deinen,
Ja, selig, und doch meistens wunderlich.
Wie konntest du es böse mit uns meinen,
Da deine Treu' nie kann verleugnen sich?
Die Wege sind oft krumm, und doch gerade,
Darauf du lässest deine Kinder gehn;
Ja, wunderseltsam sind oft deine Pfade,
Doch bleibt zuletzt dein hoher Rat bestehn.
Wenn der Herr Jesus kommt, werden alle Ratschlüsse
der Herzen offenbar werden. (4. Kor. 4, 5.) Auch
das Herz des bösen Knechtes wird ins Licht kommen.
Dann wird es sich zeigen, warum der eine und andere
die baldige Ankunft des Herrn geleugnet hat. Doch
warum wird der Knecht „böse" genannt? Zunächst ist sein
Herzenszustand kein guter. Er spricht in seinem Herzen:
„Mein Herr verzieht zu kommen". Das Nächste
ist, daß er anfängt, seine Mitknechte zu schlagen und zu
essen und zu trinken mit den Trunkenen. (Matth. 24, 48.
49.) Der treue und kluge Knecht tut das Gegenteil. Herz
und Junge stehen bei ihm im Dienste seines Herrn, darum
— toy —
sind seine Worte und Werke dem Herrn angenehm. Der
Herr lobt ihn und gibt ihm herrliche Verheißungen: Er
wird ihn über Seine ganze Habe setzen. Aber über den
bösen Knecht ergeht ein schreckliches Gericht.
In diesem Leben scheint es dem untreuen Knecht
ost gut zu gehen; Satan läßt ihn in Frieden, während er
den treuen Knecht bekriegt und auf alle Weise zu Fall zu
bringen sucht. Verwicklung in die Dinge dieses Lebens,
Verweltlichung, Selbstüberhebung, Augen- und Fleischeslust
sind einige der Waffen, die er in Anwendung bringt,
um den treuen Knecht zum Dienst untüchtig zu machen.
Und ach! wie mancher einst gesegnete Arbeiter ist auf diesem
Wege gelähmt und zunichte gemacht worden! Za, die
Gefahr ist nach einem errungenen Siege oder nach einer
Zeit fruchtbaren Dienstes am größten. Der König Hiskia
„tat was gut und recht und wahr war vor Jehova, seinen:
Gott. Und in allem Werke, das er anfing im Dienste
des Hauses Gottes und in dem Gesetz und in dem Gebot,
um seinen Gott zu suchen, handelte er mit ganzem
Herzen, und es gelang ihm." (2. Chrom Zt, 20. 2t.)
Und siehe da, unmittelbar darauf lesen wir: „Nach diesen
Dingen und dieser Treue kam Sanherib,
der König von Assyrien". (Kap. 32, t.) Jehova half
Seinem Knechte und rettete ihn aus der Hand Sanheribs;
auch heilte Er ihn von seiner Krankheit. Aber Hiskia „vergalt
nicht nach der Wohltat, die ihm erwiesen worden
war, denn sein Herz überhob si ch". (V. 24. 25.)
Das ist sehr beachtenswert, und wir alle haben sicherlich
viel Ursache zu singen: Ach, bleib mit deiner Gnade bei
uns, Herr Jesu Christ, daß uns hinfort nicht schade des
bösen Feindes List!
Das Herz der Gesetzlosen ist friedeleer. „Die
Gesetzlosen sind wie das aufgewühlte Meer; denn es kann
nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und
Kot auf. Kein Friede den Gesetzlosen! spricht
mein Gott." (Jes. 57, 20. 2t.) Die Herzen derer, welche
das Gesetz Gottes lieben, sind dagegen friedevoll.
Solche haben Frieden mit Gott, und der Friede
Gottes, der allen Verstand übersteigt, bewahrt ihre
Herzen und ihren Sinn in Christo Jesu. (Röm. 5, 1;
Phil. 4, 7.) „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe
ich euch", sagt der Herr Jesus, und an einer anderen
Stelle: „Dieses habe ich zu euch geredet, auf daß ihr in
mir Frieden habt". (Joh. 14, 27; 1b, 33.) Alle diese
Worte und viele andere ähnliche machen das Herz des
Gläubigen inmitten der Drangsale dieser Welt ruhig und
glücklich; und den unruhigen, friedelosen Herzen ruft der
Herr Jesus heute noch zu: „Kommet her zu mir!" (Matth.
11, 28.) Er stillt das tobende Meer, „Er verwandelt den
Sturm in Stille". (Ps. 107, 2y.) Das unruhige, friedelose
Herz wird ruhig und voll Friede, wenn es Den kennen
lernt, der gesagt hat: „Ich will euch Ruhe geben". Freilich
kann ein gläubiges Herz sich auch wieder beunruhigen,
wie Martha z. B. es tat. Aber der Herr ist bereit zu belehren;
und glücklich ein jeder, der gelernt hat, zu Seinen
Füßen zu sitzen und auf Seine Stimme zu lauschen! „Selig
ist das Herz und stille, wenn'ö in Deiner Liebe ruht."
Wir erreichen ja auch nichts durch unsere Unruhe. Wir
machen nur uns und anderen das Herz schwer und betrüben
unseren treuen Herrn, der ja doch alles tun muß
und zu tun bereit ist. Er muß das Haus bauen, die Stadt
bewachen, die Fische ins Netz schicken, den Schlaf geben
— irr —
usw. usw. (Vergl. Ps. 127; Joh. 21., 1.—-6.) Der Prediger
sagt: „Nicht den Schnellen gehört der Lauf, nicht
den Helden der Krieg, nicht den Weisen daö Brot, nicht
den Verständigen der Reichtum, nicht den Kenntnisreichen
die Gunst"; nein, der Segen Jehovas allein macht reich.
„Nicht durch ihr Schwert haben sie das Land in
Besitz genommen, und nicht ihr Arm hat sie gerettet;
sondern deine Rechte und dein Arm und
das Licht deines Angesichts, weil du Wohlgefallen
an ihnen hattest." (Ps. 44, 3.) „Er hat nicht
Lust an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an den
Beinen des Mannes; Jehova hat Gefallen an denen, die
Ihn fürchten, an denen, die auf Seine Güte harren!"
(Ps. 147, 10. 11.)
Welche Lektionen für uns! Wenn wir sie mehr beachteten,
würden wir nicht so manchen vergeblichen Schritt
tun, nicht so viel rechnen und planen, sondern mehr glauben
und still sein. „Den festen Sinn bewahrst du in
Frieden, in Frieden; denn er vertraut auf dich."
(Jes. 26, Z.)
Sas Lied vom guten Hirten
Eine liebe, langjährige Leserin des „Botschafter" sendet
die nachstehenden Gedanken Martin Luther's über den
23. Psalm ein. Obgleich manchem wohl schon bekannt,
mögen sie wegen ihrer lebendigen Kraft und lieblichen
Frische hier ein Plätzchen finden. Sie selbst lesen sich wie
ein Lied und zeigen uns, was dieser Psalm für den Schreiber
der Gedanken in seinem gesegneten, an Mühen so
reichen Leben gewesen ist.
— rr2 —
Luther sagt: Der 23. Psalm ist die Nachtigall unter
den Psalmen; er ist klein und singt im verborgenen,
aber er hat zahllose Herzen mit seliger Freude erfüllt. Gesegnet
der Tag, an welchem dieser Psalm geboren ward!
Denn er gleicht einem Engel, der durch alle Lande zieht
und durch sein Lied in allen Sprachen Schmerz und Kummer
stillt in der Kraft des Geistes Gottes.
Ja, der 23. Psalm hat mehr Sorgen gestillt als alle
Wohltäter der Erde; er hat dem großen Heere der Betrübten
Mut zugesprochen, hat Balsam in das Herz der
Trauernden, linderndes Dl in die Wunde der Leidenden
und Bedrängten gegossen. Und noch ist sein Werk nicht
vollbracht. Singend und tröstend wird er weiterziehen und
immer wiederkehren. Nicht früher wird er dieses Tränental
verlassen, als bis der letzte Seufzer ausgestoßen, die
letzte Träne geweint worden ist von Gottes Pilgern hic-
nieden. Dann wird auch er seine Flügel ausbreiten und
dahin zurückkehren, von wo er gekommen ist, um dann
ewig fortzutönen in den Liedern der Erlösten, die schon
auf dieser armen Erde singen und sagen durften: „Der
Herr ist mein Hirte".
Laß den Segen nicht vorüöerfließen!
Wenn aller Segen, der uns zugedacht,
Von uns würd' willig ausgenommen,
So würde lichter werden manche Nacht,
Zu manchem Leide würd' es garnicht kommen.
Unendlich reich ist Gottes Daterhuld;
Wohl allen, die sie voll genießen!
Allein wir lasten — hier liegt unsre Schuld —
Den reichsten Segen oft vorüberfließen. H. B.
„Vpenn die Vt>elt euch haßt"
„Wenn die Welt euch haßt, so wisset, daß sie mich
vor euch gehaßt hat. Wenn ihr von der Welt wäret, würde
die Welt das Ihrige lieben; weil ihr aber nicht von der
Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe,
darum haßt euch die Welt." (Joh. tS, t8. ty.)
Die Erlösten des Herrn müssen sich darauf gefaßt
machen, neben allem anderen auch Seine Verwerfung und
den Haß der Welt zu teilen. Und beachten wir, nur in dem
Maße, wie wir das tun, genießen wir den Segen, der in
Ihm für uns ist. Jemchr wir Ihn von der Welt, auch
von der religiösen Welt, verworfen sehen und diesen Platz
mit Ihm einnehmen, desto tiefer werden wir in den Genuß
jenes Segens eingeführt werden. Leider kommt es
vor, daß jemand Christum besitzt und doch mit der Welt
nicht wirklich bricht oder wieder zu ihr umkehrt. Es ist
dann wie bei Lot. Gott wird gekannt von einem Menschen,
der in den Toren Sodoms sitzt. Aber wir mögen
dann wohl fragen: Inwieweit genießt ein solcher den Segen,
der ihm von Gott zugedacht ist? Ein von der Welt
verworfener Christus ist die einzige Quelle, aus welcher
uns der nie versiegende, durch niemand und nichts anzutastende
Segen zufließt. Nur wer sein Leben verliert,
wird das Leben finden. Aber dann vermag auch nie-
I.XXIX
— 114 —
mand, ob Mensch, Engel oder Teufel, uns aus der
Hand des Herrn zu rauben. Der Vater hat den Sohn
gegeben, damit wir durch Ihn und in Ihm leben möchten,
und niemand vermag dieses Leben anzutasten. „Ich
und der Vater sind eins", sagt der Herr. Vater und Sohn
sind in gleicher Weise an unserer Errettung und Bewahrung
beteiligt, und der Heilige Geist, die dritte Person
der Gottheit, hat uns Verständnis über diese Dinge gegeben.
Aber obwohl so die ganze Dreieinheit in Beziehung
steht zu unserer Freude und der bedingungslosen Gewißheit
unseres Heils, wird doch beides nur dann so, wie
es sein sollte, von uns gekannt werden, wenn wir willig
unser Kreuz aufnehmen und dem verworfenen Sohne Gottes
folgen. Der Weg der S e l b st v e r l e u g n u n g ist der
selige Pfad des Christen.
- ^29 —
Noch etwas über Herzenszustände
ii.
Das Herz eines fröhlichen Gebers ist auch ein
fröhliches Herz, und ein solches Herz hat Gott lieb.
(2. Kor. 9, 7.) In I. Chron. 29, 9 ff., am Ende der
Regierung Davids, als der Bau des Tempels durch Salomo
nahe bevorstand, und die Israeliten von allen Seiten
Gold und Silber, Erz, Eisen und kostbare Steine herzubrachten,
lesen wir: „Und das Volk freute sich über
ihre Bereitwilligkeit, denn mit ungeteiltem Herzen zeigten
sie sich bereitwillig für Jehova; und auch der König David
freute si ch m it großer Freude. Und David
pries Jehova vor den Augen der ganzen Versammlung,
und David sprach: Gepriesen seiest du, Jehova, Gott unseres
Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit! ...Denn
wer bin ich, und was ist mein Volk, daß wir vermöchten,
auf solche Weise freigebig zu sein? Denn von dir kommt
alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben... Und
ich weiß, mein Gott, daß du das Herz prüfst und
Wohlgefallen hast an Aufrichtigkeit . . . Jehova,
Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Israel, bewahre
dieses ewiglich als Gebilde der Gedanken des Herzens
deines Volkes, und richte ihr Herz zu dir!"
Es sind schöne, erhebende Zeiten, wenn das Volk
Gottes so mit willigem, ungeteiltem Herzen für die Sache
des Herrn eintritt. Gott wird verherrlicht, und die Herzen
der Gläubigen sind mit Freude und Dank erfüllt. Da
ist kein zögerndes, halbherziges Geben, kein Kargen und
ängstliches Rechnen. Alle wetteifern miteinander in herz
— rzo —
licher Bereitwilligkeit, ihre Liebe und Dankbarkeit zu beweisen
und Gottes Wohlgefallen sich zu erwerben. In der
Geschichte der Kirche hat es immer wieder solche Zeiten
gegeben, aber leider waren sie meist von nicht langer
Dauer. Mangel an Wachsamkeit gegenüber den Einflüssen
der Natur und des Fleisches, verbunden mit der listigen
Wirksamkeit des Feindes, der eine solche Verherrlichung
Gottes nicht ertragen kann, ließ den Eifer bald erkalten
und die häßlichen Züge des alten Ichs allmählich wieder
hervortreten. So war es auch bei Israel. Auf die schönen
Tage im Anfang der Regierung Salomos folgten gar
bald finstere, traurige Zeiten mit ernsten Heimsuchungen
von feiten Gottes, und wenn auch wiederholte Erweckungen
und Neubelebungen stattfanden, so mußte Gott doch
am Ende zu dem Überrest in den Tagen Haggais sagen:
„So spricht Jehova der Heerscharen: Richtet euer Herz
auf eure Wege! Ihr habt viel gesät und wenig eingebracht
..., und der Lohnarbeiter erwirbt Lohn für einen durchlöcherten
Beutel. Ihr habt nach vielem ausgeschaut, und
siehe, es wurde wenig; und brachtet ihr es heim, so blies
ich darein. Weshalb das? spricht Jehova der Heerscharen;
wegen meines Hauses, das wüst liegt,
während ihr laufet, ein jeder für sein
eigenes Hau s." Und zur Zeit Maleachis brachte das
Volk seinem Gott „das Geraubte und das Lahme und das
Kranke", und es mußte ihm das ernste Wort zugcrufen
werden: „Verflucht sei, wer betrügt, während ein
Männliches in seiner Herde ist; und wer gelobt und dem
Herrn ein Verdorbenes opfert!"
Man sollte kaum glauben, daß das Volk Gottes seine
kostbaren Vorrechte so völlig vergessen und zugleich sich
— rrr —
so unverständig benehmen könnte; als wenn Gott zu betrügen
wäre, der ja doch mit Beutel und Kasse, mit Kapital
und Einkommen, ja, mit allen Verhältnissen wohlbekannt
ist! Das Auge, welches einst die arme Witwe und
ihre Gabe beachtete, ist heute dasselbe. O möchten wir
lernen, teurer Leser, aus alledem, was Gott in Seiner
Treue für uns hat aufzeichnen lassen, und. Seiner Aufforderung
folgend, auch unser Herz auf unsere Wege
richten! Gibt es in unseren Tagen nicht auch viel, viel
Laufen für das eigene Haus, während der Bau des Hauses
Gottes vergessen oder doch vernachlässigt wird? Wird nicht
auch viel den Götzen geopfert, während die Opfer für Gott
ost kärglich genug ausfallen? „Kinder, hütet euch vor
den Götzen!" sagt Johannes. Es gibt mancherlei
Götzen!
Unterhalten wir uns zum Schluß noch ein wenig
über daö betende Herz. Petrus redet von „dein verborgenen
Menschen des Herzens in dem unverweslichen
Schmuck des sanften und stillen Geistes, welcher vor Gott
sehr köstlich ist". Bei einem betenden Herzen findet sich
dieser köstliche Schmuck. Hanna war auch eine von jenen
Weibern, die sich also vor Gott schmückten, (t. Petr. 3,
4. 5.) Sie redete in ihrem Herzen mit Gott, auf
welchen sie ihre Hoffnung setzte; „nur ihre Lippen bewegten
sich, aber ihre Stimme wurde nicht gehört", (l. Sam.
l, 43.) Dem Hohenpriester Eli war dies etwas so Fremdes,
daß er meinte, Hanna sei betrunken. Ein demütigendes
Zeugnis für einen Mann, der eine so hohe und wichtige
Stellung unter dem Volke Gotteö einnahm! Ach!
er verstand nichts von dieser verborgenen Herzensgemein-
132
schäft mit Gott. Kennst du etwas davon, mein lieber Leser?
Der Apostel Paulus schreibt an die Thessalonicher:
„Betet unablässig!" Beim Gehen oder Stehen, Sitzen
oder Liegen, Reiten oder Fahren, auf dem Meere oder auf
dem Lande, aufder Erde oder unterder Erde, auf sonniger
Bergeshöhe oder im Tale des Todesschattens, in
Freud oder Leid — überall und zu allen Zeiten verkehrt
das betende Herz mit Gott; eö kann nicht anders als alles
zu einem Gegenstand des verborgenen Umgangs mit Ihm
machen.
Und wie einfach und ungezwungen kann das Herz
init Gott verkehren! Da ist keine bestimmte Stätte, auf
welcher der Betende erscheinen oder nach welcher er sein
Angesicht richten müßte, wie einst bei Israel; nein, wir
gehen wie Kinder zum Vater. Nur fordert Gott Wirklichkeit.
Die wahre Beschneidung ist die des Herzens,
im Geiste, nicht im Buchstaben. (Röm. 2, 2Y.)
Gott hat Wohlgefallen an der Wahrheit im Innern,
und im verborgenen (d. h. im Innern des Herzens)
lehrt Er uns Weisheit kennen. (Ps. 5b, b.) Fromme
Mienen und Gebärden annehmen, eine Mönchskutte oder
ein Nonnengewand anlegen, sich in geweihte Kleider hüllen
und anderen Absolution erteilen — alles das kann der
Mensch tun> ohne wirkliches Leben aus Gott zu haben.
Vor Jahren fragte ich einmal einen Mann, wie es um
sein Seelenheil stehe. Er gab mir zur Antwort, daß in
seiner Familie einer ein Lehrer, ein anderer ein Priester
sei und ein dritter sogar ein Bischofsamt bekleide; mit anderen
Worten: ihm könne es doch unmöglich fehlen, da
er einer solch bevorzugten, heiligen Familie angehöre. Ähnliches
kann man häufiger hören; aber wenn einmal der
— 1ZZ —
Tod kommt und die Ewigkeit vor die Seele tritt, dann
fällt aller religiöse Schein dahin, und nur die nackte Wirklichkeit
bleibt. Ja, der Tod ist ein ernster Prediger; er
trennt uns von allem Sichtbaren und führt uns hinüber
in die unsichtbare Welt. Alles verschwindet, nur das Leben
aus Gott bleibt, sowie die Gemeinschaft mit Gott im
Geiste. Wer davon nichts kennt in dieser Welt, was will
der im Himmel tun? Wie wird ein solcher die Ewigkeit
zubringen? Wer hier nichts gelernt hat über den inneren
Menschen, ist tief zu beklagen; denn der äußere
Mensch vergeht. Wie traurig, wenn jemand den Kopf angefüllt
hat mit allerlei Wissen, während sein Herz leer
geblieben ist und nichts versteht von dem Frohlocken des
Herzens in Jehova! (1. Sam. 2,1,.)
Es glänzct der Christen inwendiges Leben,
Obgleich sie von außen die Sonne verbrannt.
Was ihnen der König des Himmels gegeben,
Ist keinem als ihnen nur selber bekannt.
Was niemand verspüret, was niemand gerühret,
Hat ihre erleuchteten Sinne gezicrct
Und sic zu der göttlichen Würde geführet.
Nachdem wir so das Herz desMenschen von den
verschiedensten Seiten aus betrachtet haben, wollen wir
uns zum Schluß noch ein wenig mit dem Herzen des
Herrn beschäftigen. Es ist eine unaussprechlich große
Gnade, daß wir einen Blick in das Herz Dessen tun dürfen,
der uns zuerst geliebt und sich selbst für uns hingegeben
hat, der von sich sagen konnte: „Siehe, ich komme,
um deinen Willen, o Gott, zu tun", und: „Dein Wohlgefallen
zu tun, o Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz
ist im Innern meines Herzens". (Ps. 40, 8.)
Ach! um diesen Willen zu tun, mußte Er, der Heilige und
734
Gerechte, von Gott verlassen werden. Er, der von Sünde
und Sündern Abgesonderte, mußte sich zur Sünde machen
lassen. Da hören wir Ihn denn rufen: „Alle deine Wogen
und deine Wellen sind über mich hingegangen"; „wie
Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen
inmitten meiner Eingeweide"; „der Hohn hat mein Herz
gebroche n". (Ps. 42, 7; 22, 74; 6Y, 20.) Seine Liebe
war stärker als der Tod; sie ertrug alles für „die Heiligen,
die auf Erden sind" (Ps. 76, 3), bis Er ausrufen konnte:
„Es ist vollbracht!"
Wenn der Apostel Paulus seine große Liebe zu den
Philippern ausdrücken wollte, sagte er: „Gott ist mein
Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem
Herzen Christi Jes u". (Phil. 7, 8.) Keine menschliche
Junge vermag die treue, geduldige, alles ertragende
Liebe dieses Herzens auszudrücken. Als zur Zeit der Richter
Israel, das abtrünnige, götzendienerische Volk, Buße
zeigte und die Götzen aus seiner Mitte Hinwegtat, lesen
wir: „Und Seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal
Israels". (Richt. 70, 7 b.) Ja, „in all ihrer Bedrängnis
war Er bedrängt", und „in Seiner Liebe und Seiner
Erbarmung hat Er sie erlöst". Sie waren widerspenstig
und hartnäckig, aber „Er hob sie empor und trug sie",
„wie ein Mann seinen Sohn trägt". (Jes. 63, 7—y;
5. Mose 7, 37.) O welch ein Herz ist das Herz unseres
hochgelobten Herrn! Mit Recht singt der Gläubige:
Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb' mich hin dem freien Triebe,
Womit ich Wurm geliebet ward.
Ich will, anstatt an mich zu denken.
Ins Meer der Liebe mich versenken.
135
Wenn Israel in Not und Drangsal ist, erinnert es
Gott an die Regungen Seines Innern: „Die
Regung deines Innern und deine Erbarmungen halten
sich gegen mich zurück". (Jes. 63, 15.) Das war etwas
Fremdes, Ungewohntes. Ferner lesen wir von der
„herzlichen Barmherzigkeit unseres Gottes".
(Luk. 1, 78.) Wir werden ermahnt, „Nachahmer Got-
t e s" zu sein und in Liebe zu wandeln (Eph. 5,1), „innerliche
Gefühle und Erbarmungen" zu offenbaren (Phil.
2,1), „herzliches Erbarmen" anzuziehen usw. (Kol. 3,12.)
Nun, alle diese herrlichen Tugenden und Eigenschaften,
welche sich bei uns so mangelhaft offenbaren, finden wir
in dem Herzen des Herrn Jesus in ihrer ganzen Vollkommenheit.
Als Er auf dieser Erde wandelte, wurde Er
oft innerlich bewegt; und wie Er damals war,
so ist Er heute noch. Seine Liebe erkaltet nie, Seine innerlichen
Gefühle und Erbarmungen sind keinem Wechsel unterworfen.
Sein Herz ist mit allem bekannt, was durch
Satan und die Sünde in diese Welt gekommen ist. Er
vernimmt das Seufzen der Schöpfung, und Er weiß, was
für armselige Wesen wir sind. Er kannte auch all die
traurigen Herzenszustände, von welchen wir weiter oben
gesprochen haben, den Unglauben, die Undankbarkeit, Bosheit,
Heuchelei usw. usw., und doch erschien inmitten derselben
„die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes", „die
Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes".
(Tit. 3, 4.) Der Herr kam dahin, wo die Not ihren höchsten
Gipfelpunkt erreicht hatte, zu dem unter die Räuber
gefallenen, halbtot daliegenden Menschen; und als Er ihn
sah, wurde Er innerlich bewegt. In dem Herzen
des Priesters und des Leviten gab es keine inneren Re
— 136 —
gungen und Erbarmungen, wohl aber in dem Herzen des
Samariters. Auch der Kranke am Teiche Bethesda war
während der 38 Jahre seines Siechtums gewiß von vielen
gesehen worden, aber keiner hatte „innerliche Gefühle und
Erbarmungen" ihm gegenüber bewiesen. Diese waren nur
in dem Herzen Jesu, des großen Arztes und Heilandes;
und sie sind wie Balsam für ein wundes Herz.
Jesus war auch mit der Ursache der Krankheit
bekannt: „Siehe, du bist gesund geworden", sagte Er,
„sündige nicht mehr, auf daß dir nichts Ärgeres
widerfahre". (Joh. s.) Aber das hinderte Sein Erbarmen
und Mitgefühl in keiner Weise. Ähnlich sprach Er auch
zu dem Weibe, das im Ehebruch ergriffen worden war.
Das Gesetz hatte nur Gericht und Steinigung für sie.
Er gab Gnade und Barmherzigkeit. Er ist der Herr, welcher
gesagt hat: „Ich will Barmherzigkeit und nicht
Schlachtopfer". (Matth. 9, 13.) Und als Er einst Israel
zurufen mußte: „Du hast mir zu schaffen gemacht mit
deinen Sünden, du hast mich ermüdet mit deinen Missetaten",
fügte Er nicht hinzu, wie Israel es verdient hätte:
„darum will ich dich verdammen", sondern: „Ich, ich
bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen;
und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken". (Jes. 43,
24. 25.) Im Blick auf Ephraim sagte Er: „Darum ist
mein Innerstes um ihn erregt; ich will mich
gewißlich seiner erbarmen". (Jer. 34, 20.)
Ja, Jesus weiß den Müden mit einem Worte aufzurichten.
Gott hat Ihm eine Junge der Belehrten
gegeben, und Holdseligkeit ist ausgegossen über Seine
Lippen. (Jes. 50; Ps. 45, 2.) „Sein Gaumen ist lauter
Süßigkeit", sagt die Braut im Hohenliede; „Seine Lip
737
pen sind Lilien, träufelnd von fließender Myrrhe". (Kap.
5, 73. 7 b.) Seine Worte sind Kraft und Leben und machen
tiefen Eindruck auf das arme, schuldbewußte oder
niedergedrückte Herz. Sie trösten und ermuntern, erquik-
ken und beleben, stärken und richten auf. Wahrhaft anbetungswürdig
ist die langmütige Liebe, mit welcher der
Herr Seinem Volke Israel begegnet ist. „O daß mein
Volk auf mich gehört, daß Israel in meinen Wegen gewandelt
hätte!" klagt Er im 87. Psalm. „O daß du gemerkt
hättest auf meine Gebote!" lesen wir in Jes. 48, 78;
„dann würde dein Friede gewesen sein wie ein Strom, und
deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wogen". Und vom
Dlberge herab erklang Sein klagender Ruf: „Jerusalem,
Jerusalem...! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln
wollen, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter
ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!" (Matth. 23, 37.)
Ja, als Er die Stadt sah, weinte Er über sie!
Durch den Propheten Micha wandte Er sich mit den rührenden
Worten an Israel: „Mein Volk, was habe ich
dir getan, und womit habe ich dich ermüdet? Lege Zeugnis
gegen mich ab!" (Micha b, 3.)
Im 80. Psalm und im 5. Kapitel des Propheten
Jesaja vergleicht der Herr Sein Volk Israel mit einem
Weinberg, den Er umgegraben, von Steinen gesäubert und
mit Edelreben bepflanzt habe, und Er fragt am Ende:
„Was war noch an meinem Weinberge zu tun, das ich
nicht an ihm getan hätte?" Ja, was hätte Er mehr tun
können? In ähnlicher Weise fragt Er auch heute einen
jeden, der in christlicher Umgebung geboren und erzogen
worden ist: Kann ich mehr an dir tun, als was ich getan
habe? O wie ernst ist die Verantwortlichkeit aller christ
— rzs —
liehen Bekenner! Das rührende Gleichnis vom Feigenbaum
in Luk. "lZ, wenn auch zunächst auf Israel anwendbar,
redet mit gleich ernster Sprache zu jedem Namenchristen.
Der Feigenbaum brachte nicht allein keine Frucht, sondern
machte auch das Land unnütz. Die Gerechtigkeit wollte
mit einem solch unfruchtbaren und hinderlichen Baume
ein Ende machen, aber die Barmherzigkeit möchte noch
das Letzte versuchen: „Herr, laß ihn noch dieses Jahr, bis
ich um ihn graben und Dünger legen werde; und wenn
er etwa Frucht bringen wird, gut, wenn aber nicht, so magst
du ihn künftig abhauen". Wenn alles nicht hilft, so kommt
daö Gericht. Wie rührend ist auch die Frage des Herrn
an Israel: „Warum wollt ihr sterben, Haus Israel?"
und der vorhergehende Schwur: „So wahr ich lebe, spricht
der Herr, Jehova, ich habe kein Gefallen am Tode des
Gesetzlosen, sondern daß der Gesetzlose von seinem Wege
umkehre und lebe! Kehret um, kehret um von
euren bösen Wegen!" (Hes. 33, bb.) O was wird es
sein, wenn jemand dieser Liebe gegenüber sein Herz verhärtet
und vor solch ernsten Mahnrufen sein Ohr verschließt!
In Jer. 8, 20 lesen wir: „Vorüber ist die Ernte,
die Obstlese ist zu Ende, und wir sind nicht gerettet!"
Wie erschütternd ist ein solches Bekenntnis,
wenn die Tür der Gnade für immer verschlossen, die Segenszeit
der erbarmenden und rettenden Liebe Gottes auf
ewig vorüber ist! Zu spät, für immer zu spät! Besser, viel
besser, nie geboren zu sein, als in der Zeit der Gnade gelebt
und sein ewiges Heil verscherzt zu haben.
So laßt uns denn nicht müde werden, mit Herz und
Junge dem Herrn für die große Gnade zu danken, die
— rZ9 —
uns zuteil geworden ist! Ja, möchte die Gemeinschaft mit
Ihm, dem besten Freunde, dessen Herz sich nie verändert,
dessen Treue nimmer wankt, uns auf dem Wege immer
köstlicher werden, bis Er kommt und wir uns verlieren
werden in dem Anschauen Seiner unverhüllten Herrlichkeit
und Schönheit!
Gedanken
Auf dem Kreuze war der Herr Jesus der Gegenstand
des Gerichts Gottes; „inmitten des Thrones" ist
Er der Vollstrecker göttlichen Gerichts.
Auf Erden wies der Mensch dem Herrn den
niedrigsten Platz an, den die Erde bieten konnte, das
Kreuz; im Himmel wies Gott Ihm den höchsten
Platz an, den selbst der Himmel bieten kann, den Platz
zu Seiner Rechten, „zur Rechten der Majestät
in der Höhe".
Auf dein Kreuze war Er der Gegenstand bitteren
Hohnes, ruchlosen Spottes, größter Geringschätzung; inmitten
des Thrones wird Er der Gegenstand der Anbetung
und Verherrlichung sein.
Mit Befriedigung sahen Ihn Seine Feinde auf dem
Kreuze; mit Befriedigung werden Ihn Seine Erlösten inmitten
des Thrones sehen.
*
Der lüsterne Blick auf die verbotene Frucht des
Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen führte zur
Sünde und brachte so dem Menschen Verderben und Tod.
Der gläubige Blick eines von einer feurigen Schlange
gebissenen und so dem Tode verfallenen Israeliten auf
— r4v —
die erhöhte eherne Schlange brachte demselben Heilung
und Leben. Ium ersten verführte der Teufel und bediente
sich dabei der schrecklichen Lüge: „Mit Nichten werdet
ihr sterben!" Ium zweiten ermunterte Gott und
verhieß dabei die kostbare Wahrheit: „Es wird geschehen,
jeder der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben
bleiben".
Stille halten
lNes. zo, 15, Nehem. 8, 11, ps. 37, 7-1
Stille halten, wenn alles weicht,
Warten und Dulden
Ist nicht so leicht.
Stille halten im Sorgenmeer,
Wenn alles dunkel —
Nein, das ist schwer!
Stille halten in eigner Kraft?
Den möcht' ich jeden,
Der's kann und schafft.
Stille halten, lehrt Jesus nur,
Läßt sich nur üben
In Seiner Spur.
Stille halten im Crdenleid —
Vom Herrn getragen,
Ist Seligkeit.
Stille halten im Heiligtum,
Im Dienste Gottes,
Das bringt Ihm Ruhm.
Stille halten, kannst du es schon?
Groß, reich und herrlich
Ist dann dein Lohn.
(Eingesandt)
„Thomas war nicht bei ihnen,
als Aesus kam."
MH. 20, 24.1
Für den Gläubigen ist es von Wichtigkeit, sich stets da
zu befinden, wo er dem Herrn begegnen und infolgedessen
auf Seinen Segen rechnen kann. Ich denke jetzt nicht so
sehr an die Ortlichkeit, als vielmehr daran, innerlich
da zu sein, wo Jesus ist; denn nur dann kann die
Seele Segen empfangen. Es ist kaum nötig zu sagen, daß
alle, die innerli ch am rechten Platze sind, auch örtlich
gern da sein werden, wo Er sich in der Mitte der Seinen
einfindet. Wenn die richtige Herzensstellung vorhanden
ist, ergibt sich das ganz von selbst. Elieser, der Knecht
Abrahams, konnte von dem Wege, den er gegangen war,
bezeugen: „Mich hat Jehova geleitet auf den Weg zum
Hause der Brüder meines Herrn", (t. Mose 24, 27.) In
Abhängigkeit und Treue war er den Weg des Gehorsams
gegangen, auf welchem der Herr ihn begleiten und ans
richtige Ziel bringen konnte. Einen anderen Weg kann der
Herr niemals durch Seine Gegenwart heiligen. Nur da
können wir auf den Segen Seiner Gemeinschaft rechnen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit
des Lesers auf die Worte richten: „Thomas war nicht bei
ihnen, als Jesus käm".
l.xxix 6
142
Wahre Freude ist von dem Frieden der Seele abhängig.
Wo kein Friede ist, da ist auch keine Freude, und
wo wahre Freude ist, da muß Friede sein. Woher kommt
cs nun, daß es nicht mehr Freude in unseren Herzen
gibt? Warum finden „Musik und Reigen" im Vaterhause
— die Freude, die schon begonnen hat — in unseren Herzen
nicht immer den rechten Widerhall? Kommt es nicht
daher, daß wir noch so wenig von den wunderbaren Ergebnissen
kennen, die uns durch den Sieg des Herrn über alle
unsere Feinde erwachsen sind? Wo aber können wir diese
Ergebnisse besser kennen lernen als in Seiner Gegenwart?
Nur Er, der den Sieg errungen hat, kann die ganze Größe
und Herrlichkeit desselben vor uns entfalten.
In 2. Mose 15 hören wir den Siegesgesang Israels.
Ägypten mit seiner Sklaverei war für immer verlassen,
das Volk dem Gericht entronnen, und Gott war
mit ihm. Mose ist hier, wie so oft, ein Vorbild von unserem
geliebten Herrn. Der Gesang ist Moses Gesang.
Er stimmt ihn an, und die durch die Gnade Erlösten
fallen dann ein: „Damals sangen Mose und die Kinder
Israel dieses Lied dem Jehova". In späteren Tagen hören
wir: „Verkündigen will ich Deinen Namen meinen
Brüdern; inmitten der Versammlung will ich
Dich loben". (Ps. 22, 22; vergl. auch Joh. 20, 17.) Der
Siegesgesang Israels gründete sich auf Frieden. Der
Kampf war des Herrn gewesen, und alle Feinde waren
für immer vernichtet. Das Rote Meer ist ein Bild des
Todes des Herrn, durch welchen alle Widersacher zunichte
gemacht worden sind. „Singet Jehova, denn hoch erhaben
ist Er." Der Streit wurde an jenem Tage nicht
zwischen dem Volke und dem Feinde ausgetragen, son
143
dern zwischen Jehova und dem Feinde. Deshalb blieb
auch nicht ein Feind übrig.
Aber du sagst vielleicht: „Das ist alles recht und
schön. Wenn ich nur nicht immer wieder das Gesetz der
Sünde in mir fühlte! Ist da nicht doch noch ein Feind
übriggeblieben?" Hier liegt eine wirkliche Schwierigkeit
für viele, aber sie entspringt dem Unglauben. Gott läßt
dir in Seinem Worte sagen, daß Er in Christo am Kreuze
die Sünde im Fleische verurteilt hat, und daß das Gesetz
des Geistes des Lebens in Christo dich freimacht von dem
Gesetz der Sünde und des Todes; und früher schon: „Wer
gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde".
(Röm. 8, 2. 3; 6, 7.) Was mußt du nun tun? Dir diese
Wahrheiten zu eigen machen und im Glauben in die Gemeinschaft
Seines Todes eintreten. Anders kann deine
Seele den Sieg, so wirklich und herrlich er ist, allerdings
nicht verwirklichen und keine Freude genießen. Du mußt
auf Ihn hören, nicht auf deine Gefühle und Erfahrungen.
E r hat jeden Feind überwunden, und wenn Er F ri e-
den verkündigt, so mu ß es Friede sein, trotz deiner widersprechenden
Gefühle. Der Sohn Gottes, der für uns zur
Sünde gemacht wurde, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit
würden in Ihm (2. Kor. 5, 21), ist es, der den Triumphgesang
anstimmt. Willst du leugnen, daß Seine Worte
wahr sind? Wenn du das tust, dann ist es freilich kein
Wunder, daß du ihren Inhalt nicht genießest; du
glaubst ja nicht.
„Friede euch!" so lauteten die Begrüßungsworte des
großen Siegers an jenem Abend des ersten Wochentages.
Wie hätte Er, wenn noch e i n Feind übrig gewesen wäre,
so sprechen können? Daraufhin zeigte Er ihnen Seine
144
Hände und Seine Seite, diese Seite, aus welcher Blut
und Wasser hervorgeflossen waren, die gesegneten Zeichen
der geschehenen Sühnung und Reinigung. Diese Wunden-
male redeten von dem, was der „F ried e", den Er verkündigte,
Ihn gekostet hatte, redeten aber auch von der
wunderbaren Macht Seiner Liebe. Und Freude war
hierauf gegründet. „Da freuten sich die Jünger, als sie
den Herrn sahen." An die Stelle der Traurigkeit trat
Freude, selige Freude. Die Tränen der Seinen sind dem
Herrn nicht gleichgültig. Das Wort „Friede euch!" sollte
eine Saite in den Herzen der Jünger berühren, deren Echo
frohlockend nachklang und sie mit Freude erfüllte. Und
so soll es auch bei uns sein. Die Melodie des „neuen
Liedes" ist schon angestimmt, und seine Töne sollen jetzt
schon einen jubelnden Widerhall in uns finden. Glückseliger
Gesang einer nie endenden, unaussprechlichen Freude!
Glückselig alle, in deren Herzen diese Freude lebendig ist!
Sie hat ihre Quelle nicht in irgend etwas, das wir getan
haben. Die Jünger hatten den Herrn lieb. Trotzdem hatten
sie alle Ihn verlassen, und einer von ihnen hatte Ihn verleugnet!
Und nun saßen sie, mit Trauer und bangen Hoffnungen
erfüllt, aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen
Türen. Sie hatten also nichts getan, was
ihre Herzen hätte freudig stimmen können. Was den erstaunlichen
Umschwung bewirkte, war lediglich das, was
Er getan hatte. Und der Wert dessen, was Er getan, ist
so unvergänglich, so ewig wie Er selbst. Und in diesem
Werte stehen wir.
Und doch gibt's hier ein „Aber". Nicht von allen
Jüngern wurde die Freude dieses neuen, herrlichen Tages
geteilt. Einer fehlte, und dieser eine war Thomas. Wo war
145
er in dieser erhebenden Stunde? Was hielt ihn von der
Stätte fern, wo die anderen versammelt waren? War
es die ihm angeborene Ängstlichkeit und Iweifelsucht?
Hatte er gar „zurückgeblickt"? Wir wissen es nicht. Die
Schrift sagt uns nichts darüber. Wir hören nur, daß er
nicht bei ihnen war.
„Nicht bei ihnen, als IefuS kam." O welch
ein Verlust! Thomas gehörte genau so gut zu der kleinen,
verachteten Schar wie die übrigen, und doch — nicht dort!
Er zählte zu denen, für die Jesus gestorben war, um nun
ungehindert alle die Zuneigungen Seines Herzens gegen
sie ausströmen lassen zu können, aber — er war fern! Er
weilte allein draußen, als seine Brüder die Botschaft von
dem wunderbaren Siege ihres Herrn empfingen und mit
Freude erfüllt wurden durch den Einen, der zu ihnen kam.
Wir fragen noch einmal: Warum war er nicht
drinnen? Weder bei dem Herrn lag ein Hinderungsgrund,
noch bei den anderen Jüngern, noch endlich in den äußeren
Umständen; das Hindernis lag allein bei ihm, in ihm.
Armer Thomas! Könnten wir uns denken, daß am Tage
der Erlösung Israels auch nur ein Israelit mit glücklichem
Herzen in Ägypten zurückgeblieben wäre? Oder daß
ein Israelit, der noch mit Ägypten in Verbindung geblieben
wäre, sich darüber hätte freuen können, daß alle
seine Feinde vernichtet waren?
Eine Woche verging. Während dieser ganzen Woche
wußte Thomas nicht, was die anderen Jünger wußten.
Er hatte das Wort „Friede euch!" nicht vernommen, noch
wollte er denen glauben, die ihm das wunderbare Ereignis,
daß sie den Herrn gesehen hatten, mitteilten. So
blieb er von der Freude, die ihre Herzen erfüllte, ausge
1.46
schlossen, obgleich er einer von ihnen war, einer, für den
der Herr Jesus Sein Leben gelassen hatte. „Nicht bei
ihnen" — die dunklen Wolken des Unglaubens und der
Iweifelsucht verhüllten ihm den Glanz der aufgegangenen
Sonne. Obwohl sie in ihrer ganzen Pracht und Lieblichkeit
leuchtete, sah er sie nicht. Der Auferstehungsmorgen
lag auf der anderen Seite der Todesnacht. Er warf die
Strahlen seiner Herrlichkeit nicht auf den Pfad des einsamen
Jüngers. Wohl war der Herr auch für ihn im
Gericht gewesen und als Sieger aus Tod und Grab hervorgegangen,
aber die Botschaft nützte ihm nichts, „weil
sie nicht mit dem Glauben vermischt war".
Ich habe mich wohl einmal gefragt, ob die Erfahrung,
die Thomas gemacht hat, nicht auch in meiner eigenen
Geschichte vorgekommen sei. Aus der Beantwortung
habe ich Nutzen gezogen, und ich möchte nun auch den
Leser bitten, sich die gleiche Frage in der Furcht Gottes
vorzulegen. Vielleicht dient es ihm auch zum Segen.
Der Herr hatte kurz vor Seinem Hingang den Jüngern
gesagt: „Noch ein Kleines, und die Welt sieht mich
nicht mehr; ihr aber sehet mich"; und ein wenig später:
„Ihr habt jetzt zwar Traurigkeit; aber ich werde euch
Wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure
Freude nimmt niemand von euch". (Kap. 14, 14; 16,
22.) Seine Worte waren eingetroffen. Die Welt sah Ihn
nicht mehr, aber die Seinen sahen Ihn. Die Welt war
draußen, sie waren drinnen, und Er kam zu ihnen.
Ihre Herzen waren mit Traurigkeit erfüllt gewesen, aber
jetzt freuten sie sich, als sie den Herrn sahen. Er hatte in
Seiner unbegreiflichen Liebe davon gesprochen, daß Er
1.47
s i e Wiedersehen würde, als wenn das das Wichtigste gewesen
wäre. Anbetungswürdiger Herr! Es war für den
Augenblick das Deinem liebenden Herzen am nächsten Liegende.
Und nun war Er da, aber Thomas war nich t da,
und doch war er, wie ausdrücklich hervorgehoben wird,
„auch einer von den Zwölfen"!
Gibt es nicht auch heute Stunden, wo wir in näherer,
innigerer Weise als sonst auf die Gegenwart des Herrn
rechnen dürfen, besondere Zusammenkünfte der Seinigen,
von denen Er sagt: „Da bin ich in ihrer Mitte"? Ja,
es gibt solche Stunden und Zusammenkünfte, wie wir
alle gut wissen; und wir dürfen hinzufügen: Wie oft
haben wir uns da gefreut, wenn der Herr uns Sein
„Friede euch!" zurief, wenn der Heilige Geist Ihn so
lebendig vor unsere Seelen stellte, „als ob wir selbst Ihn
sähen"! Aber ist es nicht auch vorgekommen, daß wir,
wie Thomas, draußen waren, anstatt drinnen bei dem
Herrn und Seiner kleinen Herde? Und zwar draußen aus
Gründen, die vor dem liebenden, aber auch heiligen Auge
unseres Herrn, ja, nicht einmal vor unserem eigenen Gewissen
standhielten? Weshalb Thomas fernblieb, wissen
wir nicht; aber weshalb wir es tun, ist uns bekannt. Vielleicht
ist's auch ein Zurückblicken, ein leises Umwenden
zur Welt, ein Gleichgültigwerden, vielleicht eine vermeintliche
Zurücksetzung, eine Kränkung, Vernachlässigung oder
dergleichen, vielleicht auch ein unbedachtes, rasches Wort,
das über unsere eigenen Lippen gegangen ist und uns nun
die Freimütigkeit raubt, den gewohnten Segenskreis aufzusuchen.
Unsere Geschwister sind wie gewöhnlich versammelt,
Jesus ist bei ihnen, und wir sind nicht da! Wir
sind draußen, als wenn wir, gleich der Welt, nicht
148
zu ihnen gehörten. Anstatt uns vor Gott zu demütigen,
das Hindernde zu entfernen, das stolze Herz zu beugen,
bleiben wir fort, betrüben den Herrn und bereiten uns und
anderen Herzeleid. In Verbindung mit der Feier des
Abendmahls mahnt das Wort: „Der Mensch aber prüfe
sich selbst, und also esse er" — nicht etwa: je nach
dem Ergebnis der Prüfung bleibe er weg.
O das arme menschliche Herz! „Wer mag es kennen?"
Gott möchte uns in Gemeinschaft mit Seinen Kindern
um Ihn versammelt sehen, den mächtigen Sieger,
der Ihn verherrlicht hat, und den der Tod nicht behalten
konnte; der Herr möchte sich selbst uns zu genießen geben
in der ganzen Fülle der Ergebnisse Seines Werkes
und der Lieblichkeiten Seiner Person — und da sollte
es Gläubige geben, die nicht mit tiefer Herzensfreude diesem
Willen und Wunsch entsprechen? Daß Satan, der
Fürst dieser Welt, mit neidischer Wut auf solche blickt, die
als von seiner Macht Befreite sich inmitten seines Reiches
zusammenfinden, um ihren Herrn und Erlöser zu
feiern und durch Ihn als geliebte Kinder dem Vater zu
nahen, können wir verstehen. Aber er ist ein besiegter
Feind, seine Macht ist gebrochen. Seine finstern Heerscharen
mögen noch so sorgsam Wache halten, sie wachen
vergeblich. Die Türen mögen aus Furcht vor den Juden
noch so fest verschlossen sein. Ihn vermögen sie nicht
auszuschließen, der zu den Seinigen kommt. Er kommt
lind steht in der Mitte und spricht: „Friede euch!" Vor
Ihm, dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohn,
muß sich alles beugen, alles muß Seine Rechte anerkennen.
O die wunderbare Gnade, die hohe Freude, Sein
zu sein, Sein eigen, von Ihm besucht, durch Ihn erfreut,
149
von Ihm begrüßt zu werden als „Seine Brüder"! War
es ein Wunder, daß die Jünger sich freuten, als
sie den Herrn sahen? Und ist Er nicht heute noch derselbe?
„Thomas aber war nicht bei ihnen,
als Jesus kam." Es sind nur wenige Worte, und
doch von solch tiefer Bedeutung — auch für uns in der
gegenwärtigen Zeit; denn wir machen dieselben Erfahrungen
wie die, die vor uns waren. Der Heilige Geist möchte
uns heute wie damals mit dem bedienen, was unseres
Herrn ist, und solang Er nicht durch uns daran gehindert
wird, tut Er es. Es ist auch unser Vorrecht, in dem Sonnenschein
der neuen Schöpfung zu leben, in dem ungetrübten
Licht eines Tages, derkeine Nacht kennt. Wohl
mögen am Horizont die Schatten irdischer Sorgen und
Nöte aufsteigen, aber unser Vater läßt uns zurufen: „Sorget
um nichts!" und: „Alle eure Sorgen werfet auf mich!"
Grübeln und Sorgen ist nicht die Luft, die Gottes
Kinder atmen sollten. Wir sind nicht aus dem Mangel des
„fernen Landes" in die Fülle und Ruhe des „Vaterhauses"
versetzt worden, um durch Zweifel und Sorgen aller
Art zu gehen. Das sind die Früchte des Unglaubens, und
niemals können solche Erfahrungen der Wunsch Gottes
für Seine Kinder sein. Sollte Er, der den eingeborenen
Sohn für uns dahingegeben hat, uns mit Ihm nicht auch
alles schenken? Seine Freude als Vater erfüllt das ganze
Haus, und sollten wir die einzigen sein, die sich nicht
freuen? Nein, wenn der Vater auffordert: „Lasset uns
essen und fröhlich sein", so sind wir zu allernächst miteingeschlossen;
denn wir waren tot und sind wieder lebendig
geworden, waren verloren und sind gefunden worden.
— iso —
Gedanken
Lies das Wort Gotteö nicht, wie ein Rechtsanwalt
das Testament liest, sondern wie der Erbe es liest.
*
Ein Christ, der wenig betet, unterschätzt Gott
und den Feind und überschätzt sich selbst.
— rS9 —
Aus einem Brief
an eine alte Leserin des „Botschafter". *!
*) Dem „Botschafter" freundlich zur Verfügung gestellt.
... Wenn man es in stillen Stunden so macht wie
einst der König David, nämlich sich vor Jehova niedersetzt,
dann ergeht es einem gleich ihm: die Güte Gottes
kommt einem mit aller Gewalt und zugleich mit aller
Lieblichkeit zum Bewußtsein. Wir lesen von David: „Da
ging der König hinein und setzte sich vor Jehova nieder
und sprach: Wer bin ich, Herr, Jehova, und was ist
mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?"
(2. Sam. 7, 48.)
Ich weiß, daß es Dir ebenso geht. Wie oft wirst
Du so vor Gott gesessen und auch auf Deinen Knieen gelegen
haben! Leiden und Übungen sind Dir ja nicht erspart
geblieben. Auch mir nicht. Oft umbrandeten uns
gewaltige Wogen, und wir durften aus eigener Erfahrung
Psalm 93, 3. 4 kennen lernen: „Ströme erhoben,
Jehova, Ströme erhoben ihre Stimme, Ströme erhoben
ihre Brandung. Jehova in der Höhe ist gewaltiger
als die Stimmen großer Wasser,
als die gewaltigen Wogen des Meeres!"
Wir möchten deshalb auch die Leiden und Übungen
der gemachten herrlichen Erfahrungen wegen nicht missen.
Wieviel Segen haben sie uns gebracht! Kamen sie doch
alle aus der weisen und liebenden Hand des Gottes, dessen
Tun vollkommen und dessen Wege alle recht sind. (5. Mose
32, 4.) Und wenn uns der eine und andere Seiner voll
— rso —
kommenen Beweggründe und gewisse Absichten Seiner
Liebe und Weisheit bis heute noch verborgen geblieben
sind (wenigstens was Einzelheiten betrifft), so wird das
doch nicht immer so bleiben. Einmal wird alles offenbar,
was hier verhüllt und dunkel war.
Ich höre Dich im Geiste fragen, was ich für Erfahrungen
im Dienste des Herrn mache. Ich weiß ja, welch
regen Anteil Du daran nimmst. Nun, beim Bewußtsein
des eigenen Nichts, der eigenen Ohnmacht und Schwachheit
erfährt man des Herrn reichen Segen. Er hat gesagt:
„Ohne m i ch könnt ihr nichts tun". Die Wahrheit dieses
Wortes muß ein Diener des Herrn immer wieder ganz
besonders erfahren. Doch der Herr hilft von Ort zu Ort,
von Fall zu Fall. Arbeit gibt es ja viel, und die Erfahrungen
sind mannigfaltig. Gute und böse Dinge wechseln
fortwährend. In Villa und Hütte führt der Weg. Junge
und Alte, Reiche und Arme sind der Gegenstand des Dienstes.
Wahrer Dienst hat aber nur ein Ziel: die Schönheit
und Vollkommenheit des Einen in den Gegenständen
des Dienstes mehr hervorleuchten zu lassen durch die
Wirksamkeit des Wortes, Unbekehrte zu diesem Einen hinzuführen.
Dabei geht der Diener durch die verschiedensten
Erfahrungen, wie wir sie auch in 2. Kor. 6 finden. Man
hat oft das Empfinden, daß viele Gläubige dafür wenig
Gefühl und Verständnis haben. Sie sehen gewisse angenehme
Seiten dieses Dienstes und haben für das übrige
wenig Verständnis. Doch so ist es, dem Herrn sei Dank,
nicht bei allen. Bei vielen findet die Seele des Dieners
Erquickung in ihrem Verständnis und Mitgefühl, in ihrer
Fürbitte und ihrem Mittragen. Doch am besten versteht
ihn sein Herr, dem er dient.
— rbr —
Eines der größten Vorrechte, das man allen Dienern
des Herrn von Herzen wünschen möchte, ist das Bewußtsein,
eine betende Frau hinter sich zu haben.
Hast Du auch daran gedacht, daß es dieses Jahr,
am Z0. Januar, fünfundzwanzig Jahre her war, daß ich
in Deinem Stübchen Frieden fand? Es war um die vierte
Stunde. Als der Tag dieses Jahr zum fünfundzwanzigsten
Male wiederkehrte, da zog noch einmal alles lebendig oder,
besser gesagt, besonders lebendig an meinem geistigen Auge
vorüber. Diese Stunde hat ja doch Ewigkeitsbedeutung,
wie allerdings auch alles andere, was nachher auf dem
schmalen Pfade vor sich ging. Wie hat der Herr getragen,
bewahrt, genährt und gepflegt!
Ich hoffe, daß es Dir erträglich geht, da ich weiß,
daß auch Du eine schwache Hütte hast. Da ich Dich schon
zwei Jahre nicht sah, muß ich bei Deinem Alter damit
rechnen, daß sie schon mehr verfallen ist. Doch wie gut,
daß das kein Hindernis zu sein braucht, um den inneren
Menschen Tag für Tag zu erneuern! Im Gegenteil. Aber
beide, der äußere und der innere Mensch, sind hienieden
mit Unvollkommenheit verbunden, bis das herrliche, vollkommene
Ziel erreicht sein wird, das der Herr sich im
Blick auf beide gesteckt hat.
Meine Familie ist nun schon zu sieben Köpfen angewachsen.
Da ist alles vertreten: Arbeit, Freude, Übungen,
Gutes und Böses, Lachen und Weinen. Da ist Seelen-
und Körperpflege erforderlich, wobei es immer wieder
beten, aber auch handeln heißt. Da können die Eltern
Gelerntes verwerten und müssen anderseits fortwährend
dazu lernen. Weil ich viel von Hause fort sein muß, ist
meine liebe Frau in besonderer Weise eine viclbcgehrte
162
Persönlichkeit. Tausend Dinge stürmen auf sie ein, und
ebenso viele möchte sie erledigen. Da möchten Kraft, Liebe
und Geduld nie ausgehen, und mit Weisheit möchte sie
wohl versehen sein. Wie viele Fähigkeiten möchte eine solche
Mutter und Hausfrau besitzen, und über welche Fertigkeiten
verfügen! Wohl jeder, die gute Anleitung empfing,
ehe sie dieser Würde teilhaftig wurde! Möchten doch alle
Eltern und besonders alle Mütter sich ihrer Verantwortlichkeit
auch in dieser Hinsicht bewußt sein! Die Verhältnisse
bzw. die Not der gegenwärtigen Zeit rufen förmlich
nach fleißigen, sparsamen, soliden, geschickten und in
gewissem Sinne klugen Hausfrauen. Und was ist zu allen
diesen Dingen nütze? Gottesfurcht und Gottseligkeit. Es
wäre gut, wenn allen christlichen Jungfrauen, Frauen
und Müttern ein Weib nach der Beschreibung von Sprüche
31, 10—31 einerseits und eine Maria von Bethanien
anderseits als Vorbild vor der Seele ständen. Wohl dann
unseren christlichen Häusern, soweit es sich um die Seite
des Weibes handelt!
Im Blick auf die Versammlung dort und anderswo
gibt es gewiß nach wie vor viel Ursache, den Gnadenthron
aufzusuchen. Doch das ist ein Vorrecht, selbst dann noch,
wenn Herz und Auge weinen im Blick auf so manches,
was da nicht gefunden werden sollte, wo man den Namen
des Herrn aus reinem Herzen anrufen und abstehen
möchte von jeder Ungerechtigkeit. Laß uns denn getreulich
fortfahren mit Gebet, Flehen, Fürbitte und Danksagung
für die Versammlungen, für alle Heiligen, für alle Knechte
und Mägde des Herrn, doch nicht zu vergessen, auch für
die arme, blinde Welt! Näher ziehen die drohenden Wolken
der göttlichen Gerichte, aber die meisten Menschen
— rsL —
wollen sich nicht warnen lassen. Möchte der Herr Sein
Erbarmen noch gegen viele groß machen, besonders gegen
jeden aus den Häusern der Gläubigen, der noch nicht geborgen
ist! L.
„Als er aber unverwandt gen Himmel
schaute."
„Als er aber, voll Heiligen Geistes, unverwandt gen
Himmel schaute, sah er die Herrlichkeit Gottes, und Jesum
zur Rechten Gottes stehen." Wie kam es, daß Stephanus
unverwandten Blickes die Herrlichkeit des Himmels
anschauen und in vollkommener Ruhe bezeugen konnte:
„Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet, und den Sohn
des Menschen zur Rechten Gottes stehen!"? (Apstgsch.
7, SS. 56.)
Im 6. Kapitel des Propheten Jesaja hören wir, daß
der Anblick der Herrlichkeit Gottes tiefe Bestürzung über
Jesaja brachte und in seinem Innern ein ernstes Selbstgericht
wachrief. „Wehe mir!" ruft er erschrocken aus
— und er war doch ein wirklicher Prophet Gottes! —
„denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann von unreinen
Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen
Lippen wohne ich." (V. S.) Da ist kein Boden, auf dem
seine Füße stehen können. In den nächsten Versen wird
dann von feiten Gottes eine gnädige Vorkehrung für diesen
Zustand getroffen.
Ähnlich erzählt uns Hesekiel im r. Kapitel seines
Buches, wenn die Herrlichkeit Jehovas ihm erscheint. Nachdem
er sie näher beschrieben hat, sagt er: „Das war das
Aussehen des Bildes der Herrlichkeit Jehovas. — Und
— rb4 —
als ich es sah, fiel ich nieder auf mein Angesicht; und
ich hörte die Stimme eines Redenden." (V. 28.) Er denkt
nicht im entferntesten daran, daß er ein Recht habe,
diese Herrlichkeit anzuschauen. Er fällt auf sein Angesicht.
Das Bewußtsein seines unreinen Zustandes vor Gort wirft
ihn zu Boden.
Wenden wir uns noch zu einem anderen großen Propheten
Gottes, zu Daniel. Hier finden wir dasselbe. Obwohl
er von dem in Linnen gekleideten Manne, dessen Angesicht
dem Blitze glich, und dessen Augen wie Feuerfackeln
waren, ein „vielgeliebter Mann" genannt werden konnte,
berichtet er doch: „Und es blieb keine Kraft in mir, und
meine Gesichtsfarbe verwandelte sich...Und als ich die
Stimme Seiner Worte hörte, sank ich betäubt auf mein
Angesicht, mit meinem Angesicht zur Erde. Und siehe, eine
Hand rührte mich an und machte, daß ich auf meine
Kniee und Hände emporwankte." (Kap. tv, 8—ro.)
Ist daö alles nicht sehr auffallend? Diese treuen
Knechte Gottes waren sich ihrer völligen Unfähigkeit bewußt,
in der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes zu stehen,
und gaben diesem Bewußtsein Ausdruck. Und beachten
wir es wohl, es geschah das nicht etwa auf Grund dessen,
was sie getan hatten; daran scheint keiner von ihnen
gedacht zu haben. Was sie so erschreckte war ihr Zustand,
das, was sie vor Gott waren, was die
Herrlichkeit Gotteö sie in sich selbst erblicken ließ.
In unmittelbarem Gegensatz dazu steht das in Apostelgeschichte
7 Berichtete. Stephanus wird nicht durch die
Herrlichkeit Gottes überwältigt, er scheint nicht einmal
überrascht zu sein. Er fällt weder auf sein Angesicht, noch
ruft er: „Wehe mir!" Auch bedarf er nicht des Zurufs:
— 165 —
„Fürchte dich nicht!" „Voll Heiligen Geistes" steht er
da, schaut unverwandt gen Himmel und sieht die Herrlichkeit
Gottes und Jesum zur Rechten Gottes stehen. Weder
das, was er sieht, noch das, was um ihn her vorgeht,
erschreckt oder beängstigt ihn.
Welch ein Anblick! Ein einsamer, schwacher Mensch,
umgeben von einer heulenden Rotte blutdürstiger Feinde,
ist imstande, in vollkommener Ruhe, mit einem Antlitz,
das eines Engels Angesicht glich, die Herrlichkeit Gottes
anzuschauen, vermag niederzuknieen und zu beten: „Herr,
rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" Weißt du, mein Leser,
worin der Unterschied zwischen ihm und den Propheten
des Alten Testaments seine Ursache hatte? Worin seine
Kraft bestand, und warum seine Vorgänger diese Kraft
nicht besaßen? Ein Wort erklärt die Ursache, ein Name
deutet die Quelle der Kraft an. Das Wort lautet: das
Kreuz, und der Name heißt: Christus. Der Jesus,
den Stephanus in der Herrlichkeit sah, hatte inzwischen am
Fluchholz den Zorn Gottes wider die Sünde getragen und
Gott so vollkommen verherrlicht, daß Gott Ihn wiederum
verherrlicht hatte. Jesus selbst hatte gesagt: „Jetzt ist der
Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht
in Ihm. Wenn Gott verherrlicht ist in Ihm, so wird
auch Gott Ihn verherrlichen in sich selbst, und alsbald
wird Er Ihn verherrlichen." (Joh. 13, 31. 32.) Und
die Schrift legt Zeugnis von der Vollendung dieser Tatsache
ab, wenn sie sagt, daß „Christus aus den Toten auferweckt
worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters".
(Röm. 6, 4.) Gott war es Seiner eigenen Herrlichkeit
schuldig, Den nicht im Tode zu lassen, der sterbend Ihn
in allem, was Er war, verherrlicht hatte.
— rs6 —
Stephanus sieht die Herrlichkeit Gottes und in ihr
Seinen hochgelobten Heiland, der am Kreuze sein Gericht
getragen hatte. Derselbe Herr, der in den drei furchtbaren
Stunden der Finsternis um seinetwillen von Gott
verlassen gewesen war, erscheint jetzt vor seinen Blicken in
der Herrlichkeit des Himmels. „Daö Kreuz unseres Herrn
Jesus Christus" hatte ihm ein göttlich begründetes, unbestreitbares
Recht gegeben, das anzuschauen, was ihn
vor dem Tode des Herrn zu Boden geworfen haben
ivürde; auch war von dem verherrlichten Menschensohne
zur Rechten Gottes der Heilige Geist gekommen, welcher
sein ganzes Inneres erfüllte und sein Auge nach oben
lenkte.
Kennst du, mein Leser, die Bedeutung und göttliche
Fülle des Kreuzes Christi? Ich setze voraus, daß du an
Ihn glaubst und deiner Errettung gewiß bist. Aber kannst
du auch so furchtlos, so friedevoll zu der strahlenden Herrlichkeit
Gottes emporschauen, wie Stephanus es tat?
Könntest du, wenn es des Herrn Wille wäre, dich heute
abzurufen, mit gleicher Freude deinen Geist in die Hände
des Herrn Jesus befehlen, und abscheiden mit einer liebenden
Fürbitte für deine vielleicht feindliche Umgebung
auf den Lippen? Er, der einst in Schwachheit gekreuzigt
wurde, lebt jetzt in Kraft droben, siegreich hervorgetreten
aus den Umständen, in welchen Er dein Stellvertreter
war, und du hast jetzt kraft Seines Todes den berechtigten
Anspruch darauf und durch den Heiligen Geist auch
die Kraft dazu, dazustehen und in vollkommener Ruhe
„unverwandt gen Himmel zu schauen".
— 167 —
Fünf Fragen
G. V. Wigram stellte einmal einem früheren Richter, namens Richard H., die folgenden fünf Fragen:
1.) „Steht Christus zwischen Ihnen und dem kommenden Gericht?"
„Christus hat am Kreuze das Gericht für mich getragen. Ich werde nie ins Gericht kommen, denn ich bin „aus dem Tode in das Leben übergegangen"," war die
Antwort.
Die zweite Frage lautete: „Steht Christus
zwischen Ihnen und Ihren Sünden?"
„Ja", erwiderte der Gefragte. „Christus starb für
meine Sünden." (1. Kor. 15, Z.) „Er selbst hat unsere
Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen."
(1. Petr. 2, 24.) „Jehova hat Ihn treffen lassen unser
aller Ungerechtigkeit." (Jes. SZ, 6.)
Die dritte Frage: „Steht Christus zwischen
Ihnen und dem Gesetz Gottes?" wurde etwas
zögernder beantwortet.
„Der Schrift gemäß muß es so sein, obgleich ich
noch immer bete: „Herr, neige mein Herz zu Deinen
Satzungen, laß mich Deine Gebote bewahren". Aber Petrus
sagt in Apostelgesch. 15, 10: „Was versuchet ihr
Gott, ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, das
weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten?" In
einer Bibelbetrachtung habe ich auch einmal sagen hören:
Das Gesetz ist für den Gläubigen weder die Grundlage
des Lebens noch die Richtschnur desselben — beides
ist Christus."
— rb8 —
„Sehr gut", erwiderte der Fragende; „nun meine
vierte Frage: Steht Christus zwischen Ihnen
und der Welt?"
Noch zurückhaltender kam diesmal die Antwort: „Ich
hoffe es; es sollte wenigstens so sein. Denn es steht geschrieben:
„Der sich selbst für unsere Sünden hingegeben
hat, damit Er uns herausnehme aus der gegenwärtigen
bösen Welt". (Gal. t, 4.) Und Paulus konnte sagen:
„Die Welt ist mir gekreuzigt, und ich der Welt". (Gal.
6, 44.) Auch sagt der Herr Jesus von den Seinigen:
„Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der
Welt bin".
Dann kam die letzte Frage: „Steht Christus
zwischen Ihnen und Richard H.?"
Der Gefragte stutzte. Die Frage hatte er wohl am
allerwenigsten erwartet. Endlich sagte er: „Ich fürchte,
darauf nicht antworten zu können. Aber ich danke Ihnen.
Ich werde über die Frage nachdenken und sie vor Gott
zu beantworten suchen."
Die ernste Lektion von Röm. 7 hatte er wohl noch
nicht gelernt und vor allem deren gesegnetes Ergebnis
(Vers 2S) für sich noch nicht erfaßt.
Gib dich zufrieden l
Was sorgst du für dein armes Leben,
Wie du's basten wallst und näbren?
Der dir das Leben bat gegeben,^
Wird auch Unterhalt bescheren.
Cr hat die Hand voll aller Gaben,
Da See und Land sich muß von laben:
Gib dich zufrieden! Paul Gerhardt
Zwei Mächte
Das Wort Gottes zeigt und die Erfahrung lehrt uns,
daß es zwei große Mächte gibt, die um die Herrschaft über
die Seelen der Menschen streiten: die Macht der Finsternis
und die Macht des Lichts. Im 9. Kapitel des Buches
der Offenbarung wird uns berichtet, wie die erste Macht
am Ende der Tage in furchtbarer, nie dagewesener Weise
wirken wird. Einem vom Himmel gefallenen Stern wird
der Schlüssel zum Schlunde des Abgrundes gegeben,
er öffnet ihn, und eine zahllose Schar unheimlicher,
verderbenbringender Wesen entsteigt demselben. Sie haben
über sich einen König, den „Engel des Abgrundes",
dessen hebräischer Name „Abaddon" (Verderben) heißt,
der griechische „Apollyon" (Verderber), gleichsam um anzudeuten,
daß seine finstere Gewalt sich über alle Menschen,
Juden und Heiden, erstreckt.
Man fragt oft, was unter dem Worte „Abgrund"
zu verstehen sei. Ist es ein Ort, eine bestimmte Stätte,
etwas, das mit den Sinnen wahrgenommen werden könnte?
Wohl nicht. Das Wort will eher andeuten, daß der
Ursprung der satanischen Einflüsse, der Mittel- und Ausgangspunkt
des Wirkens Satans, sich in den tiefsten Tiefen
von Finsternis, Sünde und Verderben befindet, in
Tiefen, die nicht zu ermessen sind. Ein „bodenloser Ab-
I.XXIX 7
— 170 —
gründ" — das gibt uns einen Begriff von dem Bereich,
aus welchem auch heute schon Satans Einflüsse kommen.
Aus dieser furchtbaren, unergründlichen Tiefe wird einmal
„ein Rauch" aufsteigen, aus welchem die unzähligen
Untertanen des „Apollyon" hervorkommen, um die Menschen
zu quälen und ins Verderben zu stürzen. Diese furchtbare
Macht ist schon seit dem Falle des Menschen in der
Welt wirksam, wenn auch nicht in dieser Furchtbarkeit.
Doch wir sprachen von zwei Mächten. Es gibt noch
eine andere Macht, eine andere Person, die auch König
genannt wird. Diese Person ist Jesus, Er, der im Lukas-
Evangelium den Namen „Sohn des Höchsten" trägt. Der
Bereich, aus welchem Er gekommen ist und dem Er angehört,
ist der Himmel. Auch hier dürfen wir wieder nicht
eigentlich an eine bestimmte Stätte, an etwas mit den
Sinnen Wahrnehmbares, denken. Wir werden vielmehr
zu den höchsten Höhen von Herrlichkeit, Macht und Segnung
geführt. Die Schrift spricht von einem „dritten
Himmel" und von „Himmeln der Himmel". Von dort
kam Jesus, dort hat Er, wenn wir uns so ausdrücken dürfen,
Seine Heimat und Seinen Thron. Sein Name ist
Heiland, Erretter.
Jede Seele auf Erden, vorausgesetzt daß sie ihrer
Sinne mächtig ist und das Alter der Verantwortlichkeit
erreicht hat, befindet sich unter der Herrschaft einer dieser
beiden Mächte. Von Natur stehen alle Menschen unter
der Gewalt und den Einflüssen des Verderbers, dessen
Endzweck ist, die Seelen in die Tiefen seines eigenen
Verderbens hinabzuziehen. Durch die Gnade aber können
sie unter die Macht und die Einflüsse des Sohnes des
Höchsten, dessen Name Erretter ist, gebracht werden.
— 171 —
Er hält Seine mächtige Hand ausgestreckt, mit welcher Er
sie aus der Macht der Finsternis befreien und in Sein
Reich bringen will. Glücklich, dreimal glücklich alle, die
diese rettende Hand ergriffen haben!
Ein Zwischending gibt es hier nicht; entweder ist man
noch ein Untertan des Verderbers und auf dem Wege
zum ewigen Verderben, oder man ist ein Untertan des
Herrn vom Himmel geworden und befindet sich nun auf
dem Wege zur ewigen Herrlichkeit. Gott läßt allen Menschen
die frohe Botschaft Seines Heils verkündigen und
stellt sie vor die Wahl: Wem willst du dienen? Das
Evangelium ist „Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden",
die Kraft, durch welche Gott die Seelen der
Menschen der Macht des Verderbers entreißt und in das
Reich des Sohnes Seiner Liebe versetzt.
Wir lesen in Offenbarung 9, daß von dem aus dem
Schlunde des Abgrundes aufsteigenden Rauch die Sonne
und die Luft verfinstert werden. Sonne und Luft vermitteln
uns das Licht, aber der Rauch des Abgrundes
verfinstert alles. Die aus dem „Rauche" kommenden Wesen
werden als „Heuschrecken" bezeichnet. Heuschrecken
sind sehr gefräßige Tiere, die meist in gewaltigen Scharen
auftreten und alles Grüne und Kraut wegfressen. Der
Geist Gottes benutzt sie als Bild der furchtbaren Einflüsse,
die Satan einmal ausüben wird, um die Sinne der Menschen
völlig zu verblenden und ihre Seelen zu verderben.
Diesen Zweck verfolgt er ja heute schon. Zn der Welt
freilich trägt er nicht den Namen „Verderber". Er sagt
den Menschen vielmehr, daß er ihnen Licht und Aufklärung
bringe, nimmt unter Umständen sogar die Gestalt eines
„Engels des Lichts" an. (2. Kor. 11, 14.)
172
Der Rauch des Schlundes macht sich gegenwärtig
schon in der ganzen sogenannten Christenheit bemerkbar,
die Sinne der Ungläubigen verblendend, das Licht des
Himmels mehr und mehr ausschließend. Die Menschen
öffnen Ohren und Herzen willig den verfinsternden Einflüssen
des Unglaubens. Die Heuschrecken haben „Menschenangesichter",
d. h. sie besitzen Einsicht. Die Werkzeuge
Satans machen Anspruch auf tiefes Wissen und
besondere geistige Kräfte (auch heute), und die Menschen
überlassen sich gern ihren die Sinne berückenden Lehren.
Gott sei gepriesen, daß diesen finsteren Mächten die
Macht des Heilandes und Erretters in ihrer ganzen Größe
entgegensteht! Sie erweist sich, wie schon gesagt, darin,
daß Christus die Menschen aus der Gewalt Satans befreit
und inSein Reich versetzt. „Wenn der Starke bewaffnet
seinen Hof bewacht, so ist seine Habe in Frieden,
wenn aber ein Stärkerer als er über ihn kommt und
ihn besiegt, so nimmt Er seine ganze Waffenrüstung weg,
auf welche er vertraute, und seine Beute teilt Er aus."
(Luk. 11, 21. 22.) Der Herr Jesus ist als der Stärkere
über Satan, den Starken, gekommen und hat ihn besiegt.
Laßt uns den Kampf zwischen diesen beiden großen
Mächten, dessen Wirklichkeit uns in der Versuchung des
Herrn in der Wüste, in dem schweren Kampf in Gethsemane
und in den darauf folgenden Ereignissen so ernst
und ergreifend gezeigt wird, in einigen Begebenheiten aus
den Evangelien kurz betrachten.
Als der Herr Jesus von dem Berge herabkam, auf
dem Er gepredigt hatte, begegnete Er einem Aussätzigen.
(Matth. 8.) Es war ein Mensch, der in einen Zustand
gekommen war, den die Schrift als „gänzlich aussätzig"
— riz —
bezeichnet. Sein ganzer Körper war durchseucht, jedes
Glied angesteckt, seine Lippen verunreinigt, seine Ohren
befleckt, seine Hände und Füße beschmutzt, kurz, er war
aussätzig durch und durch. Welch ein Bild von der Sünde!
Wie dieser arme Mann leiblich in der Gewalt der furchtbaren
Krankheit war, so befindet sich der Mensch in geistlichem
Sinne in den Banden der Sünde, der mächtigen
Waffe in der Hand des Verderbers, durch die er die Menschen
in seiner Gewalt zu behalten und sicher ins Verderben
zu stürzen sucht. Der Aussätzige begegnet dem
Herrn Jesus. In dem Bewußtsein des ganzen Elends
seines Zustandes wirft er sich vor Ihm nieder und sagt:
„Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen". Und
der Herr streckt Seine Hand aus, rührt den Aussätzigen
an und sagt: „Ich will, sei gereinigt". Der Prediger sagt
von einem irdischen Herrscher: „Des Königs Wort ist
eine Macht, und wer will zu ihm sagen: Was tust du?"
(Kap. 8, 4.) Hier streckt der Herr des Himmels, dessen
Name Jesus (Jehova-Heiland) ist, Seine machtvolle Hand
aus und befreit den Armen, zunächst in leiblichem Sinne,
aus der Gewalt des Verderbers.
Diese Begebenheit ist, rein geschichtlich betrachtet, von
lieblicher Schönheit, aber was sie uns im Bilde vorstellt,
ist noch weit schöner. Haben wir, die Erlösten, in geistlichem
Sinne nicht dasselbe erlebt wie jener Mann? Als
wir die furchtbare Wirklichkeit der Sünde verspürten,
welche die Sinne verdirbt und Lippen, Herz, Hände und
Füße verunreinigt, da haben auch wir wohl in völliger
Hoffnungslosigkeit ausgerufen: „Ich elender Mensch! wer
wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" Das ist
ja der Verzweislungsschrei eines Menschen, der im Ge
r74
fühl seines ganzen Elends der Macht der Sünde gegenüber
vor Gott zusammenbricht. Aber dann haben wir auch
jene andere, größere Macht kennen gelernt, sind zu Jesu,
dem Heiland, gekommen, der uns aus Sünde und Finsternis
herausnahm und unter die Herrschaft Gottes und
des Lichtes brachte.
Ein anderes Beispiel. Das Wort berichtet uns von
einem Weibe, das achtzehn Jahre einen Geist der Schwachheit
hatte. „Sie war zusammengekrümmt und gänzlich
unfähig sich aufzurichten." (Luk. tz.) Der Herr sagt von
diesem Weibe, daß der Satan sie gebunden habe. Es
war in diesem Falle nicht eine verunreinigende Krankheit,
aber die Frau konnte sich nicht aufrichten. Sie war zusammengekrümmt
und konnte nur nach unten schauen,
oder doch nur das sehen, was unmittelbar um sie her
vorging: ihr Heim, ihre Angehörigen, deren Tun, Arbeiten
usw. Gibt es in unserer Zeit nicht viele, die ihr
gleichen?
Gott hat den Menschen aufrecht geschaffen, hat
ihn so gebildet, daß er zum Himmel emporschauen kann.
Eine der Listen Satans besteht nun darin, die Menschen so
zu binden, daß sie sich nicht aufzurichten vermögen. Sie
schauen nur nach unten, gehen ganz auf in der Beschäftigung
mit irdischen Dingen, mit den Mühen und Sorgen
oder den Freuden und Vergnügungen dieses Lebens.
An Gott denken sie nicht. Auch von ihnen könnte man
sagen: „die der Satan gebunden hat nun schon so viele
Jahre".
Das Weib war insofern nicht besser daran als der
Aussätzige. Sie befand sich ebenso völlig in der Macht
des Verderbers wie er. Aber Jesus, der Erretter, tritt
— 175 —
auch auf ihren Weg. „Als Er sie sah, rief Er ihr zu:
Weib, du bist gelöst von deiner Schwachheit!" Dann legte
Er ihr die Hände auf, und alsbald wurde sie gerade
und verherrlichte Gott.
Ähnlich hat es der Herr mit vielen von uns gemacht.
Diese Vielen lebten einst auch wie diese Frau, deren Auge
nur auf die irdischen Dinge gerichtet war. Aber der Herr
hat sie aus den Fesseln, die Satan ihnen angelegt hatte,
befreit und sie befähigt, zu Gott aufzuschauen und Ihn
zu verherrlichen. Und dieselbe erbarmende Heilandöliebe
bemüht sich immer noch, andere Gebundene von dem Geist
ihrer Schwachheit zu lösen.
Im gleichen Evangelium (Luk. 18) lesen wir, daß
ein Blinder in der Nähe von Jericho bettelnd am Wege
saß. Über Jericho war einst der Fluch ausgesprochen worden,
und in der Nähe dieses verfluchten Ortes saß der
Blinde, dessen Name Bartimäus war, bettelarm, vom
Licht des Himmels ausgeschlossen, gleichsam in die Macht
der Finsternis gebannt. Armer, bedauernswerter Mann!
Da näherte sich ihm das wahrhaftige Licht, der reiche Herr
vom Himmel, der um unsertwillen arm geworden ist,
auf daß wir durch Seine Armut reich würden. Bartimäus,
die Gelegenheit, aus der Gewalt der Finsternis
befreit zu werden, im Glauben ergreifend, ruft, ohne sich
durch die Bedrohungen der Menge einschüchtern zu lassen:
„Jesu, Sohn Davids, erbarme dich meiner!" Jemehr ihm
gewehrt wird, desto lauter schreit er: „Sohn Davids, erbarme
dich meiner!" Und als der Herr Jesus ihn dann
rufen läßt, wirft er sein Gewand ab, springt auf
und kommt zu Ihm. Er zögert keinen Augenblick. „W a s
willst du, daß ich dir tun soll?" fragt der Herr. Sei
— 176 —
n e r Macht sind keine Schranken gesetzt. „Der Vater liebt
den Sohn und hat alles in Seine Hand gegeben." Der
Blinde bittet: „Herr, daß ich sehend werde!" und siehe da,
im nächsten Augenblick ist alles für ihn verändert. Der
Herr erwidert: „Sei sehend! dein Glaube hat dich geheilt".
Er „sieht" und verherrlicht Gott. So wurde auch er gleichsam
aus der Gewalt der Finsternis in das Reich des Sohnes
der Liebe Gottes versetzt, und ohne sich einen Augenblick
zu besinnen, „folgte er Jesu nach, indem er Gort
verherrlichte".
Wenden wir uns jetzt im Geiste nach Golgatha. Die
dunkelste Stunde in der Geschichte der Welt ist gekommen.
Von ihr sagte der Herr, als Er in Sünderhände
überliefert wurde: „Dies ist eure Stunde und die Gewalt
der Finsternis". Bei dieser Gelegenheit fand
die Finsternis ihren Ausdruck in der bittersten Feindschaft,
in dem äußersten Haß des Menschenherzens; und doch
konnte der Herr sagen: „Sie haben mich ohne Ursache
gehaßt". Ergreifendes Wort! Konnte damals,
könnte heute irgend ein Grund angegeben werden, weshalb
die Menschen Jesum hassen? was sie in jener Stunde
veranlaßte, in Sein heiliges Angesicht zu speien. Ihm die
Dornenkrone aufs Haupl zu drücken und selbst über den
Gekreuzigten noch die giftige Lauge ihres Spottes auszugießen?
Es war die Macht der Finsternis, die, von unten
kommend, einen solch furchtbaren Ausdruck gegen Jesum
im menschlichen Herzen fand.
In dieser tiefdunklen Stunde erblicken wir zwei Menschen
zur Rechten und Linken des Herrn. Während ihres
ganzen Lebens haben sie dem Fürsten der Finsternis gedient
und stehen nun im Begriff, vor ihren ewigen Rich
— 177 —
ter zu treten. Aber auch sie lästern anfänglich beide. Welch
erschreckende Tiefen der Finsternis! Aber horch! da kommen
von den Lippen des geschmähten Heilandes die Worte:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"
Licht vom Himmel fällt selbst in diese furchtbare Stunde.
Das Gebet kommt aus dem Herzen des Hohen und Erhabenen,
der die Ewigkeit bewohnt. Erhabenere Worte
sind nie auf Erden gesprochen worden.
Der Glanz dieses himmlischen Lichts fällt in die Seele
des einen Räubers. Er blickt auf und erkennt in Jesu
den kommenden König Israels. Bis zu diesem Augenblick
hatte er einem anderen Herrn gedient. Aber dicht am
Abgrunde stehend, wird seine Seele zu Jesu, dem Heiland,
geführt, und dem Licht folgend, das sein Herz zu
erleuchten beginnt, verurteilt er sich selbst, straft seinen
Genossen und bittet: „Herr, gedenke meiner, wenn
Du in Deinem Reiche kommst!" Mit einemmal
sieht er in dem verachteten Nazarener an seiner Seite
den Herrn vom Himmel, den König, dem das Reich gehört.
Vom Rande des Verderbens zurückgerissen, geht er
mit Jesu ins Paradies!
Nach vollendetem Werke ist Jesus in den Himmel
zurückgekehrt. Gott hat Ihn aus den Toten auferweckt
und „zu Seiner Rechten gesetzt in den himmlischen Örtern,
über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft
und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird".
(Eph. r, 20. 2r.) Beinahe zwei Jahrtausende sind seitdem
vergangen, aber noch immer ist Seine Hand ausgestreckt,
und Wunder der Gnade vollziehen sich vor unseren Augen.
Ein ganz besonderes Wunder dieser Art war Saulus
von Tarsus. In seinem Haß gegen Christum Drohung
r?8
und Mord wider die Jünger des Herrn schnaubend, eine
Beute des Fürsten der Finsternis, zog er seines Weges
nach Damaskus. Da umstrahlte ihn plötzlich vom Himmel
her ein Licht, das das Licht der Mittagssonne übertraf,
und, zur Erde fallend, hörte er eine Stimme, die zu ihm
sprach: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Zitternd
fragt er: „Wer bist du, Herr?" und erhält die Antwort:
„Ich bin Jesus, den du verfolgst". Das war ja der
Mann, das war der Name, den er bis dahin so bitter gehaßt
hatte, und diesen Namen trug der Herr der Herrlichkeit,
der vom Himmel her zu ihm redete! Von Stund
an predigte Saulus hin und her in den Synagogen, daß
dieser Jesus der Sohn Gottes sei. Ihm gehörte fortan
sein Dienst, seine Kraft, sein Herz.
Sollte es mit uns anders sein, teurer gläubiger Leser?
Nein,
Wir waren hoffnungslos verloren,
In Welt- und Sünde nlust verstrickt;
Er hat uns für sich selbst erkoren,
Des Feindes Macht und List entrückt.
Für immer entrückt! Auch wir können und dürfen
jetzt Ihm dienen, der uns geliebt und, sich selbst für uns
hingebend, Heil und Erlösung uns gebracht hat. Wahrlich,
es sollte jetzt auch uns genug sein, „die vergangene
Zeit" den Lüsten der Menschen gedient zu haben,
um „die noch übrige Zeit" dem Willen Dessen zu leben,
der uns der Macht der Finsternis entrissen und unsere
Herzen mit Licht, Frieden und Freude erfüllt hat. „Im
Wort, im Werk, in allem Wesen sei Jesus und sonst
nichts zu lesen!"
Kreuzigen und Tölen
„Ich habe erkannt", sagt der Prediger, „daß alles,
was Gott tut, für ewig sein wird: es ist ihm nichts hinzuzufügen,
und nichts davon wegzunehmen." (Kap. 3,
44.) Das ist ein Wort, das der Seele Ruhe zu geben vermag,
weil es ihr die Vollkommenheit und Unveränderlichkeit
des Werkes Gottes verbürgt. Es macht das Herz
des Gläubigen fest, vor allem im Blick auf die Grundlage,
auf welcher sein Glaube ruht.
Wir lesen im 9. und 40. Kapitel des Hebräerbriefes:
„Mit einem Opfer hat Er (Christus) auf immerdar
vollkommen gemacht, die geheiligt werden". — „Jetzt aber
ist Er einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart
worden zur Abschaffung der Sünde durch
Sein Opfer." — „Christus ist einmal geopfert worden,
um vieler Sünden zu tragen." — „Siehe, ich komme,
um deinen Willen, o Gott, zu tun... durch welchen Willen
wir geheiligt sind durch das ein für allemal
geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi." Und Johannes
der Täufer zeugt von Christo: „Siehe, das Lamm Gottes,
das die Sünde der Welt wegnimmt". Wenn aber das
— iso —
Opfer dieses Lammes genügt, um „die Sünde der Welt
wegzunehmen", die Sünde „abzuschaffen", dann muß es
ein vollkommenes Sühnopfer sein; und wiederum,
weil es ein vollkommenes und ein für allemal vollendetes
Werk ist, bedarf es keiner Wiederholung, ja, kann
es nicht wiederholt werden.
Nun, Christi Werk ist zugleich Gottes Werk.
Denken wir an den ewigen Ratschluß, so gab es vor
Grundlegung der Welt in dem Vater und dem Sohne
nur einen Sinn, nur einen Gedanken; und als die
Zeit gekommen war, um das Werk zur Ausführung zu
bringen, gab es gleichsam nur ein Herz. Und da dieses
Werk „für immer" ist, kann es, wie schon gesagt, kein
weiteres Opfer für die Sünde mehr geben. So lesen wir
denn auch: „Wo aber eine Vergebung derselben ist, da
ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde". (Hebr. 10,18.)
Das Kreuz Christi ist den Bedürfnissen des Sünders für
Zeit und Ewigkeit vollkommen begegnet.
Um das aber tun zu können, durfte es nicht nur den
Tod Christi für die Schuld des Menschen darstellen,
sondern mußte notwendigerweise auch das Gericht in sich
schließen, das dem Sünder seines Zustandes wegen
gebührt. Tod und Gericht sind des Sünders gerechtes
Teil; wenn nun aber das Gericht durch einen Stellvertreter
für ihn erduldet wird, so ist das sein Gericht, und
da dieses Gericht der Tod ist, tatsächlich auch sein Tod.
Christus brauchte nicht um Seiner selbst willen zu sterben
(Er war ja ohn e Sünde), Er starb für unsere Sünde;
und indem wir an Ihn glauben, erkennen wir an, nicht
nur daß Ihn das Gericht für das, „was unsere Taten
wert sind", getroffen hat, sondern auch für das.
— rsr —
was wir sind, für unseren Zustand. Sein Tod ist
unser Tod, und indem wir diese Seite des Werkes
Christi, die Stellvertretung, in zuversichtlichem und verständnisvollem
Glauben erfassen, können wir mit dem
Apostel sagen: „Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden";
oder: „Ich bin mit Christo gekreuzigt". (Röm.
6, 6; Gal. 2, 20.) Sein Kreuz ist mein Kreuz, Sein
Sterben mein Sterben geworden. Indem ich mich durch
den Glauben mit Ihm dort einsmache, ruhe ich in der
Gewißheit, daß das Gericht Gottes, das über Christum
erging, in Ihm über mich ergangen ist. „Was Christus
gestorben ist, ist Er ein für allemal der Sünde gestorben."
(Röm. 6, ro.) Sie kann Ihm nicht noch einmal
zugerechnet werden, Gott kann Ihn nicht noch einmal
„unser aller Ungerechtigkeit treffen lassen".
Das Wort Gottes redet also von dem Gekreuzigtsein
des Gläubigen mit Christo als einer ein für allemal geschehenen,
nie zu wiederholenden Handlung. Darum kann von
allen denen, die des Christus sind, auch gesagt werden,
daß „sie das Fleisch gekreuzigt haben samt den
Leidenschaften und Lüsten". Sie können sich mit dem Apostel
Paulus des Kreuzes rühmen, durch welches ihnen
die Welt und sie der Welt gekreuzigt sind. (Gal. 5, 24;
6, 44.) Wie weit sie diese Dinge erfassen und im Glauben
verwirklichen, ist eine zweite Sache; aber es
ist von überaus großer Wichtigkeit für den Frieden und
die Festigkeit unserer Seelen, diese Aussprüche des Wortes
Gottes klar zu verstehen. Beachten wir vor allem,
daß der Gläubige niemals aufgefordert wird, sich selbst
zu kreuzigen; das ist ein für allemal geschehen und
wird im Worte Gottes stets so betrachtet.
1S2
Aber es könnte gefragt werden: Müssen wir denn
nicht das Fleisch und seine Wirkungen im Jaume halten?
Gibt eö nicht einen Kampf, der fortwährend von uns geführt
werden muß? Die Antwort lautet: Ganz gewiß;
und zwar ist das gerade deshalbso, weil wir schon
mit Christo gekreuzigt sind. Gerade weil wir uns im
Glauben für „mit Christo gestorben" und somit für „der
Sünde gestorben" halten dürfen, sind wir berufen, unsere
„Glieder, die auf der Erde sind, zutöte n". Beachten
wir: zu töten, nicht zu kreuzigen.
In den Augen Gottes und nach unserem eigenen Erfassen
durch den Glauben sind wir mit Christo gekreuzigt;
Seine Kreuzigung war unsere Kreuzigung.
Deshalb wird uns nicht gesagt, daß wir „die Glieder,
die auf der Erde sind", kreuzigen sollen. Wohl
sind wir noch in diesem sterblichen Leibe, in welchem die
Sünde wohnt und wirkt, aber wir dürfen uns selbst als
Lebende aus den Toten Gott darstellen und unsere Glieder,
die wir einst als Werkzeuge der Ungerechtigkeit benutzten,
Gott darstellen zu Werkzeugen der Gerechtigkeit.
Und der Weg, der dahin führt, heißt: „Töte n": „Wenn
ihr durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so
werdet ihr leben". (Röm. 8,1.3.) Den gläubigen Kolossern
ruft der Apostel zu: „Tötet nun eure Glieder, die auf
der Erde sind", und dann nennt er eine Reihe von unreinen,
bösen Dingen, um derentwillen der Jörn Gottes
kommt über die Söhne des Ungehorsams, unter welchen
auch wir einst wandelten. (Kol. 3, 5. 6.)
Warum heißt es denn aber: Tötet? Was einmal
tot ist, braucht doch nicht mehr getötet zu werden? Der
scheinbare Widerspruch ergibt sich aus dem Umstand, daß
193
wir noch in dem Leibe der Niedrigkeit sind und den Leib
der Herrlichkeit, in welchem einmal alles neu sein wird,
noch nicht angezogen haben. In der Herrlichkeit wird nicht
mehr von einem Töten der „Handlungen des Leibes" oder
„der Glieder, die auf der Erde sind", die Rede sein. Aber
solang wir indieser Hütte sind, müssen wir das Todesurteil,
das in Christo über uns ergangen ist, durch den
Glauben auf uns anwenden, müssen uns der Sünde
für gestorben halten, mit aller Entschiedenheit jede Regung
der Sünde in unseren Gliedern verurteilen und
im Zaume halten. Wir sind dazu imstande in der Kraft
des Heiligen Geistes, der durch Gottes Gnade in uns
wohnt und uns befähigt, zwischen Geist und Fleisch, Gutem
und Bösem, Kostbarem und Gemeinem zu unterscheiden.
Indem wir das Kreuz auf alles in Anwendung bringen,
womit wir in Berührung kommen, mit all den Wünschen
und Beweggründen unserer Herzen und Sinne, und
„allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragen"
(2. Kor. 4,10), werden wir die Wirkungen des Fleisches
in Gedanken, Worten und Werken nur als des Todes
würdig betrachten und so auch behandeln. Die Sünde
wird nicht mehr in unserem sterblichen Leibe herrschen, um
seinen Lüsten zu gehorchen. Nein, indem wir nicht unter
Gesetz, sondern unter Gnade stehen, dürfen und werden
wir, uns der Sünde für tot haltend, Gott leben in Christo
Jesu.
Gott sei Dank für diese wunderbare Befreiung! Einst
Sklaven der Sünde, die in Dingen lebten, deren wir uns
jetzt schämen müssen, deren Ende der Tod ist, vermögen
wir jetzt, von der Sünde freigemacht und Gottes Sklaven
geworden, Ihm Frucht zu bringen in Gerechtigkeit und
ry4
Heiligkeit, und das Ende unseres Weges ist das ewige
Leben. Möchte Gott denn allen gläubigen Lesern dieser
Zeilen klar den Unterschied zu verstehen geben zwischen
ihrem einmaligen „Gekreuzigtsein", d. h. ihrer
Einsmachung mit Christo am Kreuze, und dem „Töte n",
d. h. der praktischen Anwendung dieses Gekreuzigtseins,
dem täglichen, ja, stündlichen „im Tode Halten" der Wirkungen
der Sünde in ihren Gliedern! Laßt uns nie vergessen,
daß so, wie mit unserem alten Zustande nur ein
Ende gemacht, wie „der Leib der Sünde nur abgetan" werden
konnte durch den Tod, d. i. die „Kreuzigung",
daß so auch die Sünde in unseren Gliedern nur besiegt
werden kann durch den Tod, d. i. das „Töten" der
Handlungen des Leibes. Beides ist nur auf Gnade gegründet.
Aber während das erste Gottes Gnadengabe ist,
die uns einmal zuteil wurde durch den Glauben
an Christum, wird uns das zweite in praktischer
Betätigung des Glaubens fortwährend geschenkt,
und zwar je nach der Aufrichtigkeit unserer Gesinnung
und der Willigkeit unserer Herzen.
Gedanke
Der Herr hat am Kreuze für unseren verderbten Zustand
und unsere Schuld nicht in dem Maße Sühnung
getan, wie wir beides erkannt haben oder hienieden noch
erkennen werden (dann gäbe es keine Hoffnung für uns),
sondern so, wie ein vollkommen heiliger Gott beides gesehen,
be- und verurteilt hat. — Was muß dort am Kreuze
in Seiner Seele vorgegangen sein!
rss
„Wir wissen nicht, was wir bitten sollen,
wie sicher gebührt"
Mn Wort von Augustinl
Willst du wissen, warum Paulus Röm. 8, 26 sagt:
„Wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich's gebührt"?
Ich denke so: Zeitliche Trübsal und Leiden sind
uns meistens nützlich, sei es, um unseren hochfahrenden
Sinn zu heilen, sei es, um uns in der Geduld zu prüfen
oder irgendwelche Sünden zu züchtigen und zu tilgen.
Wir aber, die wir nicht wissen, wozu uns solches gut ist,
möchten gern von allen Leiden erlöst sein. Von dieser
Unwissenheit war nicht einmal der Apostel frei. Damit
er sich nicht der hohen Offenbarungen überhebe, ward
ihm nach 2. Kor. 72, 7 ein Dorn im Fleisch gegeben,
nämlich des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlug.
Dreimal bat er den Herrn, daß er von ihm weiche. Er
wußte nicht, um was er bitten müsse, um recht zu beten.
Endlich vernahm er, warum ihm sein Wunsch nicht erfüllt
wurde: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft
wird in Schwachheit vollbracht".
Bei solchen Heimsuchungen also, die sowohl nützen
wie schaden können, „wissen wir nicht, was wir bitten
sollen, wie sich's gebührt", möchten aber doch bei der
natürlichen Schwäche unseres Willens davon gelöst werden.
So viel Ergebung schulden wir unserem Herrn, daß
wir nicht meinen, von Ihm vernachlässigt zu sein, wenn
Er uns nicht den Willen tut. Wir sollen dann vielmehr
in heiliger Geduld den Sinn auf Höheres lenken, auf
daß die Kraft Gottes in unserer Schwachheit vollbracht
werde, Darum bitte ich euch, meine Brüder, und ermahne
— ryb —
euch im Herrn, verlangt in zeitlicher Hinsicht nie etwas
Bestimmtes, vielmehr dasjenige, wovon Gott weiß, daß
eö uns frommt. Ihr wißt ganz und gar nicht, was euch
gut ist.
Ein Vstort von Luther
Du Narr, höre und laß dir sagen: Ium ersten bitte
ich, man wolle meinen Namen nicht nennen und sich nicht
Lutherisch, sondern Christen heißen. Was ist Luther? Ist
doch die Lehre nicht mein. Ich bin auch für niemand gekreuzigt.
Paulus wollte nicht leiden, daß die Christen sich
Paulisch oder Petrisch nennen sollten, sondern Christen.
Wie käme ich denn dazu, daß man die Kinder Christi
sollte mit meinem heillosen Namen nennen? Nicht also,
liebe Freunde, laßt uns tilgen die parteiischen Namen
und Christen heißen, dessen Lehre wir haben.
Krühes Korschen
Will die Sorge garnicht schwinden,
Drückt sie schwer und immerzu',
Seufzest du: Ach! Könnt' ich finden
Nur ein cinz'ges Stündlein Nuh!
O dann stefic früh am Morgen
Mit dem Blick nach oben auf!
Frühes Forschen scheucht die Sorgen
Für den ganzen Tageslauf.
Schon ein kurzes Sichversenken
In das Wort erquicket reich;
Läßt du dich zur Quelle lenken,
Findest Segen du sogleich.
Frühes Forschen läßt verlieren
Nie des Tages Zweck und Ziel;
Wird dich gut und sicher führen
Durch des Lebens wirres Spiel. H.B.
Es geziemt sich fröhlich zu sein
(Lies Luk. 45, 44—24)
Das Evangelium nach Lukas stellt in besonderer
Weise die in Christo geoffenbarte, heilbringende Gnade
Gotteö, „das angenehme Jahr des Herrn", vor unsere
Blicke. Darum ist „Freude" der Grundton, der sich durch
das ganze Buch hindurchzieht. Schon im 2. Kapitel verkündigt
ein Engel vom Himmel den Hirten „große
Freude"; war doch in Davids Stadt ein Erretter geboren,
und dieser Erretter war kein Geringerer als „Christus,
der Herr (Jehova)". Und wenn im 4. Kapitel das
zum Manne herangewachsene „Kindlein" in der Synagoge
von Nazareth die bekannte Stelle aus dem 64. Kapitel
des Propheten Jesajas vorgelesen hat: „Der Geist des
Herrn ist auf mir, weil Er mich gesandt hat, Armen gute
Botschaft zu verkündigen, Gefangenen Befreiung auszurufen
usw.", und erklärend hinzufügt: „Heute ist
diese Schrift vor euren Ohren erfüllt", dann „verwundern
sich alle über die Worte der
Gnade, die aus Seinem Munde hervorgingen". Und
wenn der Herr schließlich nach vollbrachtem Werke mit
segnenden Händen gen Himmel fährt, kehren die Jünger
„mit großer Freude" nach Jerusalem zurück und sind
allezeit im Tempel, „Gott lobend und preisend".
So reden Anfang und Ende dieses Evangeliums von
I.XXIX 8
ry8
Gnade und Freude, und wenn in der Mitte desselben Pharisäer
und Schriftgelehrte murrend dem Herrn vorwerfen,
daß Er Sünder aufnehme und gar mit ihnen esse,
empfangen sie in den drei Gleichnissen von dem verlorenen
Schaf, der verlorenen Drachme und dem verlorenen Sohn
Antworten, die in lauter Freude und Fröhlichkeit ausklingen.
In ergreifender Weise tritt uns in allen dreien die
göttliche Liebe entgegen, die da sucht, findet und
aufnimmt. Im ersten geht der Hirte — das Bild
des Sohnes Gottes — dem verlorenen Schaf so lang
nach, bis er es findet und heimtragen kann; im zweiten
zündet das Weib — das Bild des Heiligen Geistes —
eine Lampe an, kehrt das Haus und sucht sorgfältig,
bis sie die verlorene Drachme wiedergefunden
hat. Alles geschieht hier von feiten des Hirten oder des
Weibes. Was könnte auch ein törichtes, verirrtes Schaf,
was ein lebloses, im Staube liegendes Geldstück tun, um
zu der Herde seines Eigentümers oder in die Hände seiner
Besitzerin zurückzugelangen?
In der Erzählung von dem Sohne, der in die Ferne
zog, um dort, fern vom Angesicht des Vaters, seinen
Lüsten zu leben, ist es anders. Der Vater — das Bild
von Gott selbst — geht nicht ins ferne Land, um den
Sohn zu suchen und zurückzuholen, sondern er wartet
auf ihn, bis er zurückkehrt, um ihn dann aufzuneh-
m e n und mit allem zu versehen, was die Liebe zu ersinnen
und das Vaterhaus zu bieten vermag. Aber während der
Vater daheim wartet, vollzieht sich in dem Herzen des
Sohnes eine Umwandlung. Erkommtzu sich selbst,
ein Bild von dem göttlichen Werke in der Seele eines
Sünders. Darum ist es hier auch nicht ein Schaf oder
ry9
ein Geldstück, sondern ein Mensch, der nach langem
Umherirren auf Wegen der Sünde und Schande zur Einsicht
kommt und nun spricht: „Ich will mich aufmachen
und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen: Vater,
ich habe gesündigt".
Der diese Gleichnisse erzählt kannte allein die ganze
Ausdehnung unseres Verderbens, sowie die Liebe, die im
Herzen Gottes gegen uns war. Aber obwohl Ihm die ganze
Größe der Schuld bekannt war, die bezahlt werden mußte,
kam Er doch, um sie auf sich zu nehmen, sich unter das
Gericht zu stellen, das um ihretwillen auf uns lag, und
uns zugleich mit der ganzen Liebe Gottes bekannt zu machen.
Er erschien in dieser Welt, um einerseits für die
Beleidigung Gottes, deren wir uns schuldig gemacht hatten,
zu büßen, und anderseits die Tiefen und Höhen des
Herzens Gottes vor unseren staunenden Blicken zu entfalten.
Wer von uns könnte nur ahnen, was unser geliebter
Herr erduldet hat, als das Angesicht Gottes sich
vor Ihm verbarg? Er, der allein dieses Angesicht kannte,
vermochte auch allein die Schrecken zu ermessen, die das
Verbergen desselben über Ihn bringen mußte.
Die Sünde des Menschen begann mit Mißtrauen gegen
Gott. Inmitten der herrlichen Entfaltung der mannigfaltigen
Gnaden Gottes im Garten Eden wurde ihm der
Zweifel an Gottes Liebe durch Satan ins Herz gesenkt.
Der Lügner von Anfang vergiftete seinen Sinn durch die
Einflüsterung, Gott behalte ihm das Höchste und Beste
vor, könne es also in Wirklichkeit nicht gut mit ihm meinen.
So schuf er in ihm eine falsche Vorstellung von Gott, säte
Mißtrauen in seine Seele und verleitete ihn zu seinem
schweren Fall.
200
Jahrtausende vergingen. Aber als „die Fülle der Zeit
gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von
einem Weibe". Der Sohn Gottes kam in diese Welt, um
den Gott, den niemand jemals gesehen hatte, kundzumachen,
um der Lüge Satans die Wahrheit entgegenzustellen.
Gnade und Wahrheit ist in Ihm geworden. O welch eine
Freude muß es für das Herz unseres hochgelobten Herrn
gewesen sein, inmitten der verlorenen Söhne und Töchter
dieser Welt das Herz Gottes zu offenbaren — das Weib
am Jakobsbrunnen, die drei Geschwister in Bethanien, den
Räuber am Kreuze und so viele, viele andere Blicke in
dieses Herz tun zu lassen!
In der Erzählung von dem verlorenen Sohn will
uns der Herr vor allem die Weise, wie der Vater den
zurückkehrenden Sohn aufnimmt, vor Augen malen. Er
war der Einzige, der das tun, der uns damit bekannt machen
konnte. Beachten wir zunächst, daß dem Sohne nicht
eines von den Dingen wiedergegeben wurde, die er besessen
und im fernen Lande vergeudet hatte. Was er empfing
war alles neu, völlig neu. Der erste Gedanke
des in der Ferne dem Hungertode nahe Gekommenen war,
daß es im Hause seines Vaters Überfluß an Brot gebe,
während er selbst Hungers sterben müsse. Der zweite,
daß dieser Vater ihn nicht von seiner Schwelle weisen
werde, wenn er ihn auch nicht mehr als seinen Sohn
anerkennen könne. Daß er sich dieser Stellung für immer
unwürdig gemacht hatte, sagte ihm sein aufgewachtes Gewissen.
Man kann von dem ersten Erwachen des Glaubens
in einer Seele reden, wenn sie anfängt, an das zu denken,
was in dem Herzen Gottes für sie ist.
— 2or —
Gerade an dem Punkte, wo im Anfang der Mensch von
Gott abirrte, findet die Wiederannäherung statt. Wir
sagten, daß im Paradiese Mißtrauen gegen Gott
der Anfang des Verderbens war. Vertrauen zu
Gott, so schwach es zunächst sein mag, ist der Anfang
der Wiederherstellung, der Umkehr zu Ihm. Und wenn
dann der Mensch im Glauben erfaßt, daß Gott Liebe ist,
daß Er Seinen eingeborenen Sohn für Sünder und Feinde
dahingegeben hat, ist die Errettung da.
Satan sucht auch heute noch den Menschen einzureden,
daß Gott sie nicht liebe, ihre Wünsche nicht erfülle,
sie gar hart und ungerecht behandle usw. Aber es ist
heute wie im Anfang schlimm und verhängnisvoll, den
Lügen des Feindes Gehör zu schenken. Wer könnte uns darüber
belehren, wer und was Gott ist, wenn nicht Sein
eingeborener Sohn? Und Sein Zeugnis annehmen heißt
glauben, oder mit anderen Worten: nicht länger auf
das bauen oder mit dem rechnen, was in uns, sondern
mit dem, was in Gott ist. Als der verlorene
Sohn „noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich
bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals
und küßte ihn sehr". (V. 20.) Welch eine Überraschung!
Einen „Tagelöhner" umarmt und küßt man nicht, geschweige
denn daß man sein Angesicht mit Küssen bedeckt.
Aber jeder weitere Schritt war für den Heimkehrenden
eine Überraschung. Den Küssen folgten das beste
Kleid, der Ring und die Schuhe!
Die Not hatte den Sohn zum Vater zurückgetrieben,
die Liebe ließ den Vater nach ihm ausschäuen
und ihm entgegenlaufen. O es ist eine wunderbare
Sache, wenn die Seele entdeckt, daß Gott Liebe ist!
202
Zwei Dinge waren es, die, wie wir schon sagten, den
Herrn zu uns herabführten: zunächst, um für unsere Sünden
zu sterben, und dann, um uns mit der Freude des
Vaterherzenö in der Aufnahme des armen, zurückkehrenden
Sünders bekannt zu machen. Wer könnte die Gefühle
eines Sünderherzens beschreiben, das, von oben erleuchtet,
diese Liebe zum erstenmal kennen lernt? Es bleibt ihm
nichts anderes übrig, als in anbetender Bewunderung ihrem
Tun zuzuschauen.
Wir können dieser Liebe, wenn ich mich in aller Ehrerbietung
so ausdrücken darf, keinen größeren Dienst erweisen,
als wenn wir ihr unser Herz öffnen, und ihr
keinen größeren Schmerz bereiten, als wenn wir ihr Mißtrauen
entgegenbringen oder gar uns ihr verschließen.
Nichts befriedigt einen Menschen, der mich wirklich liebt,
mehr, als wenn ich ihm Vertrauen schenke. Wahres V e r-
trau en ist darum mehr als der eifrigste, hingebendste
Dienst. Erinnern wir uns nur an Maria und Martha
in Bethanien. Dem Herrn dienen ist sicher gut und begehrenswert,
aber in liebendem Vertrauen zu Seinen Füßen
sitzen ist besser. Nichts gefällt der Liebe, die für uns
starb, als wir noch Sünder waren, so sehr, als wenn wir
an sie glauben und auf sie rechnen.
Als der verlorene Sohn in den Armen des Vaters
lag und dessen Küsse empfing, sprach er: „Vater, ich
habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich
bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen". (V. 21.)
Er hatte das schon vorher tief empfunden, aber nie so tief
wie in diesem Augenblick. Doch wozu leitete dieses Bekenntnis?
Nur zu einer neuen, noch weitergehenden Kundgebung
der Liebe. Der Sohn kam garnicht dazu, zu sagen:
203
„Mache mich wie einen deiner Tagelöhner". Das beste
Kleid, das er wohl nie vorher gesehen hatte, wird aus
dem Hause geholt und ihm angezogen. Kein Überbleibsel
aus dem fernen Lande darf in des Vaters Wohnung an
die Vergangenheit erinnern. Der Sohn muß in jeder
Beziehung passend sein für das Vaterhaus; und er soll
das wissen, soll wissen, daß er dort willkommen ist
und sich wohl fühlen darf.
Das „beste Kleid" versetzte ihn in einen ganz neuen
Stand — ähnlich wie der Gläubige „den alten Menschen
mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen
hat, der erneuert wird nach dem Bilde Dessen,
der ihn erschaffen hat". (Kol. 3, y. 10.) Er ist ein „Mensch
in Christo" geworden, so reich begnadigt und so hoch gestellt,
daß Engel begehren, in die Herrlichkeiten dieser
„Errettung" hineinzuschauen. Ja, Der, welcher heiligt,
und die, welche geheiligt werden, sind alle von einem,
sodaß der Herr sich nicht schämt, sie „Brüder" zu nennen.
In voller Glaubensgewißheit dürfen sie „dem Vater dank-
sagen, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe
der Heiligen in dem Lichte". (Kol. 1, 12.) Mehr noch:
Der Apostel bittet für die gläubigen Epheser, daß heute
schon der Christus durch den Glauben in ihren Herzen
wohne, und daß sie, die die Erkenntnis übersteigende
Liebe des Christus erkennend, schon hienieden erfüllt sein
möchten zu der ganzen Fülle Gottes. (Eph.
3, 17—19.) Welch eine Stellung! Wohl mögen wir mit
Johannes ausrufen: „Sehet, welch eine Liebe uns der
Vater gegeben hat!"
Der „Ring", das Zeichen der Sohnschaft, wird dem
Sohne an den Finger gesteckt, und „Schuhe" werden ihm
204
angezogen. Als Moses einst in die Gegenwart Gottes trat,
wurde er aufgefordert, seine Schuhe auszuziehen.
Dem verlorenen Sohne werden Schuhe angezogen.
Warum? Er soll sich, wie wir uns schon sagten, heimisch
fühlen im Vaterhause und sich frei dort bewegen
können. Deshalb wird er in einen Zustand versetzt,
der seiner Stellung entspricht. Jedes Gefühl, dort unpassend
zu sein, wird entfernt. Die Liebe ist nicht eher befriedigt,
als bis sie das Äußerste für ihren Gegenstand
getan hat. Wenn ich für jemand, den ich wirklich liebe,
etwas tun will, so tue ich das Beste, was ich kann.
So handelt die göttliche Liebe mit uns.
Zu den genannten Dingen, dem Kuß, der Kundgebung
der Liebe des Vaters, und der Bekleidung mit
Kleid, Ring und Schuhen, der Befähigung, diese
Liebe und alle Reichtümer des Vaterhauses genießen zu
können, kommt als letztes das gemästete Kalb hinzu, d. h.
das was die Liebe für eine solche Gelegenheit aufbewahrt
hat. „Bringet das gemästete Kalb her und schlachtet eö,
und lasset uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein
Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren
und ist gefunden worden." (V. 23. 24.) Je tiefer
Gott in Seinem Erbarmen herabsteigt, um den verlorenen
Sünder zu erreichen, umso höher steigt Er in Seiner
Gnade hinauf, um sich an ihm zu verherrlichen.
Das gemästete Kalb stellt nicht das Opfer Christi
vor. Es wird erst geschlachtet, wenn der Verirrte schon
ausgenommen ist und das beste Kleid trägt. In dem gemästeten
Kalbe erblicken wir eher den Freudenbereich, in
welchen Gott die Erlösten mit sich einführt. Sie treten
gleichsam in den Kreis der Feste Gottes ein, an denen
205
das ganze Haus teilnimmt mit alleiniger Ausnahme des
älteren Sohnes. „Er wollte nicht h i n e i n g e h e n!"
Könnte es eine klarere Beleuchtung und eine vernichtendere
Verurteilung des gesetzlichen Geistes geben? Aber während
er murrend und zornig zur Seite steht, wird der errettete
Sünder in den Vollgenuß dessen eingeführt, was
der Vater in Seiner Liebe für ihn bereitet hat. Unwillkürlich
werden wir an das Wort erinnert: „Was kein
Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen
Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen,
die Ihn lieben; u n s aber hat Gott es geoffenbart
durch Seinen Geist", (t. Kor. 2, y. tO.)
Wie so oft im Worte Gottes, geht es auch hier von
Herrlichkeit zu Herrlichkeit. Hören wir in dem ersten
Gleichnis von „Freude im Himmel", im zweiten von
„Freude vor den Engeln", wenn e i n Sünder Buße tut,
hier ist es die Freude im Vaterhause über die Rückkehr
des verlorenen Sohnes. „Und sie fingen an fröhlich
zu sein." Lieblicher Gedanke! Noch nie hatte man ein
solches Fest im Hause gefeiert. Der Tote war lebendig,
der Verlorene gefunden worden! Wahrlich, „es geziemte
sich fröhlich zu sein". Nur einer fehlte im Kreise
der Fröhlichen. Er wollte den Wiedergekehrten nicht einmal
als seinen Bruder anerkennen! (V. 30.) Armer
Mann! Aber wie viele machen es ähnlich wie er!
Teurer gläubiger Leser! auch uns ist, während wir
noch hienieden pilgern, die ganze Liebe des Vaters kundgetan
worden, und wenn Er den Ton der Freude an-
stimmt, geziemt es sich wahrlich für uns, fröhlich zu sein
und uns zu freuen. Wir sind mit Dingen bekannt gemacht
worden, die von den Geschlechtern und Zeitaltern her in
206
Gott verborgen waren, mit dem ganzen wunderbaren Geheimnis
Seines Willens, dessen Offenbarung Er für das
Ende der Zeiten aufgespart hatte. Sollten wir nicht immer
wieder diese Dinge zu erforschen suchen?
Ein Mahl ist uns bereitet, eine Freude uns geschenkt,
die nur die kennen können, welche tot waren und lebendig
geworden, verloren waren und gefunden sind. Eine Freude
mit Gott! In der Tat, „unsere Gemeinschaft ist mit
dem Vater und mit Seinem Sohne Jesus Christus".
Und warum schreibt der Apostel Johannes uns dies?
„Auf daß unsere Freude völlig sei." (4. Joh. 4, Z. 4.)
Ach, wenn wir nur mehr in heiliger Stille über diese
Dinge nachsinnen wollten! Wir würden dann sicherlich
mehr von der Bedeutung der Worte des Vaters verstehen:
„Es geziemte sich aber fröhlich zu sein und
sich zu freuen", sowie von der Freude des Sohnes,
zu uns, den Verlorenen, herabzukommen und uns kundzutun,
was in dem Herzen des Vaters für uns war. Es
würde uns dann wie David ergehen, als er in der Wüste
Juda war: Wie von Mark und Fett würde gesättigt werden
unsere Seele, und mit jubelnden Lippen würde loben
unser Mund. (Ps. 63, 5.)
Gedanke
Habe ich meine Hände gefüllt, ehe mein Herz
von Christo erfüllt ist, so werde ich die Mittel nicht
zur Ehre Christi, sondern zu meiner Selbstverherrlichung
gebrauchen.
207
Ein Trostwort für ernste Stunden
Seitdem die Sünde in die Welt gekommen ist und
mit ihr der Tod, fließen Tränen, trauern Herzen. Welche
Gefühle mögen das erste Menschenpaar bestürmt haben,
als sie ihren geliebten Sohn, erschlagen von der Hand
seines Bruders, vor sich liegen sahen, als ihre Augen zum
erstenmal eine Leiche erblickten und sie sich sagen mußten:
„Das ist der Lohn unseres Tuns, unseres Ungehorsams!"
Abel, d. i. Hauch oder Nichtigkeit, hatten sie ihn genannt,
und wie bald hatte sich die Richtigkeit dieses Namens
erprobt! Wie ein Hauch war er gekommen und
wieder verschwunden. Kaum hatten sie den Knaben aufwachsen
sehen, kaum war er Mann geworden, da kam
schon die Scheidestunde, und wie bitter war sie für die
armen Eltern!
218
Jahrtausende später geschah das Wort Jehovas zu
dem Propheten Hesekiel: „Menschensohn, siehe, ich nehme
die Lust deiner Augen von dir weg durch einen Schlag;
und du sollst nicht klagen und nicht weinen, und keine
Träne soll dir kommen. Seufze schweigend, und Totenklage
stelle nicht an!" Dort der geliebte Sohn, der durch
Glauben ein vorzüglicheres Opfer dargebracht hatte als
Kain, hier das teure Weib, die eine, auf der das Auge
des Propheten mit Lust geruht, auf die sein Herz vertraut
hatte, und die ihm Gutes erwiesen und nichts Böses
alle Tage ihres Lebens. Dort der Beweis des schrecklichen
Zustandes des Menschen nach dem Fall, hier das Bild
des Gerichts, das über das Haus und das irdische Volk
Gottes kommen sollte. Zwei sehr verschiedene Fälle, aber
beide in erschütternder Weise zeigend, was die Sünde in
die Welt gebracht hat.
Auch wir stehen oft tiefbewegt, ja, im Innersten erschüttert
angesichts des „Königs der Schrecken". Heute
wird hier der geliebte Gatte, der treue Versorger der Familie,
morgen dort ein teures Weib, die liebende Mutter
einer zahlreichen Kinderschar, plötzlich, unerwartet abgerufen.
Fast kann man's nicht fassen. Unwillkürlich spricht
der Mund: „Ist es denn möglich?", fragt das Herz:
„Warum? Warum?" Schwer, unsagbar schwer ist
der Schlag, der die Familie getroffen hat, schmerzlich,
überaus schmerzlich das Leid, das über sie gekommen ist.
Eine Lücke ist entstanden, eine Wunde geschlagen, wie
man sie sich größer und empfindlicher kaum vorstellen
könnte.
Aber — o Gott sei gepriesen für dieses Aber! —
wir stehen weder fassungslos, zu Boden geschmettert da,
2ry
wie einst die Eltern Abels, noch gebietet uns Gott, nicht
zu weinen oder zu trauern, weil Er ein Exempel Seines
Gerichts hat aufstellen wollen, wie zur Zeit Hesekiels.
Nein, Gottes Liebe und Weisheit haben gehandelt,
seltsam zwar, ganz unbegreiflich für den Augenblick, aber
der Glaube hält fest: „Sein Tun ist stets gesegnet, selbst
wenn es hart uns scheint", und schreibt Gott nichts Ungereimtes
zu. Der Glaube hat auch von dem Auöharren
Hiobs gehört und „daö Ende des Herrn gesehen, daß
der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist",
daß Er schlägt, aber auch verbindet, verwundet, aber auch
heilt. Der Glaube spricht mit ganzem Herzen sein Amen
zu den Worten Jeremias: „Es sind die Gütigkeiten Jehovas,
daß wir nicht aufgerieben sind; denn Seine Erbarmungen
find nichtzu Ende; sie sind alleMorgen
neu"; und er weiß, daß, „wenn Er betrübt hat, Er sich
erbarmt nach der Menge Seiner Gütigkeiten. Denn nicht
von Herzen plagt und betrübt Er die Menschenkinder."
Der Glaube kennt den Gott alles Trostes, der die Niedergebeugten
aufrichtet, kennt den barmherzigen, treuen
Hohenpriester, der einst mit den Weinenden weinte und
heute, Seine Rechte auf uns legend, uns zuruft: „Ich
bin'ö! Fürchte dich nicht, glaube nur!"
Sagt, haben wir Seine Treue und die untrügliche
Gewißheit Seiner Verheißungen in der Vergangenheit
nicht immer und immer wieder erfahren, s o erfahren,
daß wir nur staunen und anbeten konnten? Hat Er
je einen Fehler gemacht? Wir haben viele gemacht, aber
Er nie. Sollte Er es heute tun? Sollte Er vergessen
haben, gnädig zu sein? Oder im Zorn verschlossen haben
Seine Erbarmungen? Nimmermehr! So hat Asaph, der
220
Sänger Jehovas, zusammenbrechend unter der Bitterkeit
der Fragen eines Herzens, das sich nicht trösten lassen
wollte, einst gefragt, aber dann auch beschämt hinzugefügt:
„Das ist mein Kranksein", die Ursache meines
Jammers. (Ps. 77, 70.) Nein, Seine Güte ist nicht
zu Ende, und Sein Wort steht fest in Ewigkeit. Auch
die Wege, die Er uns heute führt, werden am Ende nur
erweisen, daß Er „voll innigen Mitgefühls und barmherzig"
ist. Der Herr schenke und vermehre deshalb uns
allen den Glauben, der, unverrückt auf Jesum schauend,
uns wandeln läßt auf den sturmgepeitschten Wogen des
Meeres!
„Aber", seufzt da das Herz des vereinsamten Mannes,
der trauernden Witwe — und jetzt können wir Gott
nicht für dieses Aber danken, obwohl wir es gut verstehen
— „wenn ich nur wüßte, wie Gott mich weiter
führen will, mich und die Meinigen, nachdem die Sonne
untergegangen ist und es so dunkel um mich her geworden?
Ach, wenn Er mich nur Seinen Weg wissen lassen
wollte!"
Was antwortete der gnädige Gott einst Seinem zaghaften
Knecht, als er im Anfang der Wüstenreise vor die
Aufgabe gestellt wurde, das widerspenstige Volk ins gelobte
Land zu führen? „M ein Angesicht wird mitgehen,
und ich werde dir Ruhe geben"; und nachher,
wenn Moses die Bürde des zahlreichen Volkes auf Gott
zurückwirft und eine Aussonderung desselben von allen
anderen Völkern der Erde von Ihm erbittet: „Auch dieses,
was du gesagt hast, will ich tun; denn du hast
Gnade gefunden in meinen Augen, und ich kenne dich
mit Name n".
22r
Ist daö nicht genug? Ist es nicht unendlich mehr
und größer als ein Vorauswissen des Kommenden? Der
Glaube antwortet: Ja! und fügt, wenn auch unter Tränen,
hinzu: „Wenn ich auch gar nichts fühle von Deiner
Macht, Du führst mich doch zum Ziele, auch durch
die Nacht". Und wollen wir wissen, was das Ende
eines solchen Glaubensweges ist? Moses selbst sagt es
uns am Schluß seiner Reise und seines Dienstes. Er
fordert Himmel und Erde auf, die Worte seines Mundes
zu hören. Wie Regen träufelt seine Lehre, und wie
Tau fließt seine Rede: „Der Fels! Vollkommen
ist Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht. Ein
Gott der Treue und sonder Trug, gerecht und gerade
ist Er."
Darum „aufgeschaut! Nacht entflieht, der Morgen
graut" — jener Morgen ohne Wolken, an welchem
wir Ihn sehen werden, an den wir geglaubt haben,
der einst zu Martha sprach: „Ich bin die Auferstehung
und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch
wenn er gestorben ist; und wer da lebt und an mich
glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit", und nachher, in
Gegenwart des Grabes und des Verwesungsgeruchs:
„Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glauben würdest,
würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?"
O wie werden wir diese Herrlichkeit einmal sehen,
wenn der Glaube sich in Schauen wandelt und die Hoffnung
endet in dem himmlischen Kanaan droben — wenn
Jesus kommt, die entschlafenen Heiligen auferweckt, die
lebenden verwandelt, und wir dann alle miteinander
Ihm entgegengerückt werden, um für immer bei Ihm
zu sein! Dann werden wir auch alle unsere im Glauben
222
vorangegangenen Lieben Wiedersehen und, mit ihnen in
Sein Bild verwandelt, Ihn schauen, wie Er ist. Dann
werden die Tränen getrocknet, alle Rätsel gelöst sein,
aber auch die Goldkörnlein des Glaubens, der sich im
Tiegel der Trübsal bewährt hat, werden glänzen „zu
Lob und Herrlichkeit und Ehre" Dessen, der auch mit uns
im Feuerofen wandelte und Seine Hand schirmend über
uns deckte, damit die Glut uns nicht erreiche.
Glückselig der Mensch, der auf Ihn vertraut!
Beten und nicht den Topf hängen
Fehlt euch etwas, wohlan, da ist Rat zu: schüttet
euer Herz vor Ihm aus; saget es nur frei und verberget
Ihm nichts. Es sei, was es wolle, werfet es mit Haufen
heraus vor Ihm, als wenn ihr euer Herz einem guten
Freunde ganz eröffnet. Er hört euch gern und will euch
gern helfen und raten. Scheuet euch nicht vor Ihm und
denket nicht, es sei zu groß oder zu viel. Getrost heraus!
und sollten es eitel Säcke voll Mangels sein. Alles heraus!
Er ist größer und vermag und will auch mehr tun,
als unsere Gebrechen sind. Stückelt es Ihm nur nicht!
Er ist nicht ein Mensch, dem man zu viel Bettelns und
Bittens könnte vortragen. Je mehr du bittest, desto lieber
hört Er dich. Schüttle nur rein und alles heraus, tröpfle
und zipfle nicht; denn Er wird auch nicht tröpfeln und
zipfeln, sondern mit Fluten dich überschütten.
Rufen mußt du lernen und nicht dasitzen bei dir
selbst oder liegen auf der Bank, den Kopf hängen und
schütteln und mit deinen Gedanken dich beißen und fressen,
sorgen und suchen, wie du sie loswerdest, und nichts an
22Z
deres ansehen, als wie übel es dir gehe, wie weh dir sei,
welch ein elender Mensch du seiest. Sondern wohlauf, du
fauler Schelm, auf die Kniee gefallen, die Hände und
Augen gen Himmel gehoben und deine Not mit Weinen
vor Gott dargelegt, geklagt und angerufen! Beten, Not
anzeigen, Hände aufheben sind Gott die allerangenehmsten
Opfer. Er begehrt es, Er will es haben, daß du selbst
Ihm deine Not vorlegen, nicht auf dir lassen liegen und
dich selbst damit schleppen, nagen und martern sollst, damit
du aus deinem Unglück zwei, ja, zehn und hundert
machest. Luther.
Sag alles Ihm!
Nicht zu den Menschen trage deinen Jammer,
Des Trostes Ort sei dir die stille Kammer!
Tritt da hinein, vor Gott allein!
Sag alles Ihm, was dich an Leid beschweret.
Und sei gewiß, daß Er dich gnädig höret!
Bring alles Ihm aus deiner Seele Tiefen,
Selbst wenn nur bittre Klagen aus dir riefen!
Du wirst es sehn — es wird vergehn,
Was lange, lange du in dir getragen
An Angst und Sorge, an viel bangen Fragen.
Nicht trag zu Menschen hin der Seele Jammer,
Dein heil'ger Betört sei die stille Kammer!
Geh zu Gott hin, mit Kindessinn!
Ja, wie ein Kind vertrauend eilt zum Vater,
So nahe Ihm, dem Helfer und Berater!
H. B.
Kragen aus dem Leserkreise
l) Was sind Cherubim und was Seraphim?
Die Frage, was Cherubim und Seraphim sind, wird wobl
kein Mensch beantworten können, denn Gottes Wort, die einzige
Quelle, aus der wir zu schöpfen vermögen, teilt uns nichts darüber
224
mit. Die Cherube oder Cherubim (hebr. Form) erscheinen oft und
in verschiedenen Gestalten, die Seraphe nur einmal, in Jes. 6, und
zwar dort in menschenähnlicher Gestalt mit Angesichtern, Füßen
und .Händen. Beide werden als geflügelte Wesen beschrieben, die
Cherube mit zwei (2. Mose 25, 20; 1. Kön. 6, 24), vier (Hes.
4, 6) oder sechs (Offbg. 4, 8) Flügeln, die Seraphe mit sechs
Flügeln. (Jes. b, 2.) Sind sie als Engel („Boten" Gottes) oder
als eine besondere Klasse von himmlischen Wesen zu betrachten?
Sie werden nicht Engel genannt, stehen auch, im Unterschiede
von diesen, fast überall in Verbindung mit dem Throne Gottes,
sei es in der Stiftshütte oder im Tempel, sei es in den Gesichten
Hesekiels oder im Buch der Offenbarung. Johannes sieht
sie „inmitten des Thrones und um den Thron her", während
die Engel den Thron und die himmlischen Heiligen in weitem
Umkreise umgeben.
Daß beide, Cherubim wie Seraphim, als symbolische Wesen
zu betrachten sind, bedarf wohl kaum der Erwähnung. In dieser
Beziehung läßt uns das Wort denn auch nicht ohne nähere Andeutungen.
Beide weisen auf die unnahbare Heiligkeit und unverletzliche
Gerechtigkeit Gottes hin, die Seraphe in absolutem
Sinne Sein Wesen darstellend, (über dem Herrn stehend, rufen
sie unaufhörlich einander zu: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova
der Heerscharen!") — während die Cherube mehr an die Betätigung
dieser Heiligkeit und Gerechtigkeit den Menschen gegenüber
erinnern. In ihnen erscheint die richterliche Autorität und Macht
Gottes gleichsam verkörpert; man könnte sie die heiligen Wächter
über die Ausführung der gerechten Wege Gottes in Regierung
und Gericht nennen. Die vier lebendigen Wesen in der Offenbarung
vereinigen beide Charaktere in sich. „Sie sind inwendig
und auswendig voller Augen und hören Tag und Nacht nicht auf
zu sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger!" d. h.
sie sind Seraphim. Weiter sind sie „das erste gleich einem
Löwen, das zweite gleich einem Kalbe, das dritte hatte das Angesicht
eines Menschen, und das vierte war gleich einem fliegenden
Adler", d. h. sie sind Cherubim; ihr Aussehen erinnert an
die majestätische Kraft, den stetigen Fortgang, die einsichtsvolle,
aber auch schnelle Ausübung der göttlichen Gerichte.
2) Ist es richtig zu sagen: „Christus hat für uns den Fluch
getragen?" Wir sind doch nie unter Gesetz gewesen.
Das Gesetz ist allerdings dem Volke Israel gegeben worden,
aber die zehn Gebote enthalten die heiligen, gerechten und
guten Forderungen Gottes an Sein Geschöpf, an den Menschen
im Fleische, sei er Jude oder Heide. Wer sie übertritt
oder nicht beachtet, kommt deshalb, bewußt oder unbewußt, unter
den Fluch.
„Ziehe hinauf nach Beihel!"
li. Mose zs.j
Jakob lagerte bei Sichern. Infolge der Bluttat, die
seine Söhne an den Bewohnern dieses Ortes verübt hatten,
war seine Lage sehr ernst. Was sollte, menschlich gesprochen,
werden? Zweifellos würden die Kanaaniter nicht
zögern, Vergeltungsmaßregeln zu ergreifen; und es war
so, wie er gesagt hatte: „Ich bin ein zählbares Häuflein,
und sie werden sich wider mich versammeln und mich
schlagen, und ich werde vertilgt werden, ich und mein
Haus". (Kap. 34, 30.) Solches wäre auch gewiß sein
Los geworden, wenn Gott ihn den Folgen seines Aufenthalts
bei Sichern und des Verhaltens seiner Söhne überlassen
hätte. Aber Gott hatte schon früher zu ihm gesagt:
„Ich bin der Gott von Bethel, wo du ein Denkmal gesalbt,
wo du mir ein Gelübde getan hast. Nun mache dich
auf, ziehe aus diesem Lande und kehre zurück in das Land
deiner Verwandtschaft." (Kap. 34, 43.) Dieser Ausspruch
des Gottes von Bethel, der ihn an das Gelübde erinnerte,
das er einst getan, als er aus dem Elternhause floh, hätte
ihn vertrauen lassen sollen, daß die Kanaaniter nicht imstande
sein würden, ihn und sein Haus zu vertilgen; denn
Gott hatte ihm damals die Verheißung mit auf den Weg
gegeben: „Und siehe, ich bin mit dir, und ich will dich be-
I.XXIX 9
226
hüten überall, wohin du gehst, und dich zurückbringen in
dieses Land; denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich
getan was ich zu dir geredet habe". (Kap. 28, 45.) Nun,
wenn Jakob sich dieser Verheißungen nicht mehr entsann,
Gott gedachte ihrer, und Er würde ausführen, was Er
gesagt hatte.
Es ist für uns Christen nicht anders; wenn Gott uns
den Folgen unserer Untreue überließe, unserer Aufenthalte
an Stätten dieser Welt, wo wir in Gefahr stehen,
den Fremdlingscharakter auf unserem Wege zum Himmel
zu verlieren, nie würden wir ans Ziel kommen. Das
lehren uns die Kapitel 3 u. 4 des Hebräerbriefes, wo es
heißt: „Fürchten wir uns nun, daß nicht etwa, da eine
Verheißung, in Seine Ruhe einzugehen, hinterlassen ist, jemand
von euch zurückgeblieben zu sein scheine". (Kap.
4, 1.) Als Jakob sich ein Haus baute und seinem Vieh
Hütten in Sukkoth machte und sich dort ein Stück Feld
kaufte, da hatte es den Anschein, als ob er das Ziel, wohin
Gott ihn führen wollte, nie erreichen würde. Jedes
Stillstehen auf dem Glaubenswege ist gefährlich und schädlich.
Deshalb werden wir aufgefordert, „mit Ausharren
zu laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf
Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens".
(Hebr. 42, r. 2.)
Jakob scheint wenig Wert darauf gelegt zu haben,
wieder nach Bethel zu kommen, an den Ort, den er doch
als „Gottes Haus und die Pforte des Himmels" erkannt
hatte. Die Gegenwart Gottes hatte ihm Furcht eingeflößt.
(Vergl. Kap. 28, 47.) Solang er sich in Haran aufhielt,
hatte er sie ganz aus dem Auge verloren. Ach! er gab sich
keine Rechenschaft darüber, daß diese Gegenwart der ein
227
zige Platz ist, an dem der Gläubige glücklich sein kann,
und daß Gott ihn gerade dahin führen wollte.
Gott wird häufig „der Gott Jakobs" genannt. Immer
wieder finden wir Ihn in ganz besonderer Weise mit
diesem Manne beschäftigt, um ihn dahin zu bringen, die
bevorzugte Stellung, die Er ihm gegeben, auch wirklich
einzunehmen — hatte Er ihn doch vor seinem Bruder
Esau zum Patriarchen Seines Volkes erwählt. Schon
war Er ihm in Pniel begegnet, um ihn zu belehren, daß
die Kraft, deren er bedurfte, in Gott lag, und nicht in
seiner unabhängigen, ränkevollen Natur. Und jetzt, in diesem
gefährlichen Augenblick, wo er, menschlich gesprochen,
am Rande des Abgrundes stand, kommt Gott und sagt
zu ihm: „Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel und
wohne daselbst, und mache daselbst einen Altar dem Gott,
der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau
flohest". (V. 1.) Jakob sollte nicht nur an Bethel vorbeiziehen,
nein, er sollte dort wohnen und einen Altar,
das Symbol des Gottesdienstes, dort errichten.
Auch diese Aufforderung ist von vorbildlicher Bedeutung
für uns Christen. Gott hat alles getan, was nötig
ist, damit wir in Seiner Gegenwart weilen und Ihm den
Gottesdienst in der von Ihm gewünschten Weise darbringen
können, indem Er Anbeter sucht, die Ihn in Geist
und Wahrheit anbeten. Das Werk Christi hat uns in Gottes
Gegenwart versetzt, hat uns ins Licht gebracht, wie Er
selbst im Licht ist. Am Tage unserer Bekehrung sind wir
dort für ewig eingetreten. Leben wir nun im Gefühl dieser
Gegenwart, so ist das Herz von Dankbarkeit erfüllt,
und ein ununterbrochener Gottesdienst kann auö unseren
Herzen zu Gott emporsteigen — nicht nur wenn wir Ihm
228
als Versammlung gemeinsam Anbetung darbringen, sondern
ununterbrochen, wie geschrieben steht: „Durch Ihn
nun laßt uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen,
das ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen
bekennen". (Hebr. 13, 45.) Im Genuß der Gegenwart
Gottes verstehen wir am besten die Unermeßlichkeit Seiner
Liebe. Wir vergessen dann uns selbst, um uns der wunderbaren
Gnade zu erfreuen, deren Gegenstände wir sind.
Wären unsere Herzen allezeit empfänglich für diese Gnade
Gottes, so wäre unser ganzes Leben ein Dankopfer für
Seine große Liebe. So ermahnt uns ja der Apostel „durch
die Erbarmungen Gottes, unsere Leiber darzustellen als
ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer".
(Röm. 42, 1.) Mit welcher Inbrunst würden wir
auch bei unseren gemeinsamen Zusammenkünften Gott
Lob und Anbetung darbringen, wenn unsere Herzen gewohnheitsgemäß
mit Dank erfüllt wären gegen Den, welcher
Urheber, Quelle und einzige Ursache unseres ewigen
Glückes ist!
In den folgenden Versen, 2 bis 5, sehen wir, wie
die erhaltene göttliche Aufforderung bei Jakob das Verständnis
für eine andere große und wichtige, aber bis dahin
vernachlässigte oder außer acht gelassene Wahrheit bewirkte,
eine Wahrheit, die ebenfalls für uns von Wichtigkeit
ist. Zn Kap. 32, 24, als Gott mit Zakob rang, blieb
er allein. Da handelte es sich um seine persönliche Erziehung
von feiten Gottes. Hier dagegen nehmen wir ein
Verantwortungsgefühl seinem Hause gegenüber wahr, das,
soweit es sich um das Zeugnis handelte, mit ihm in
gleicher Stellung war, und das infolgedessen praktisch in
einem Zustand hätte sein sollen, der einer solchen Siel-
229
lung vor Gott entsprach. Ein Familienvater soll nicht allein
in der Gegenwart Gottes wandeln, er befindet sich mit all
den Seinigen dort. Josua hatte diese Tatsache verstanden,
als er sprach: „Ich und mein Haus, wir wollen Jehova
dienen!" (Jos. 24, 45.) Ohne eine dahingehende Weisung
empfangen zu haben, befiehlt Jakob ohne Zögern seinem
Hause und allen, die bei ihm waren: „Tut die fremden
Götter hinweg, die in eurer Mitte sind, und reiniget euch,
und wechselt eure Kleider; und wir wollen uns aufmachen
und nach Bethel hinaufziehen, und ich werde daselbst einen
Altar machen dem Gott, der mir geantwortet hat am
Tage meiner Drangsal und mit mir gewesen ist auf dem
Wege, den ich gewandelt bin". Mögen nun seine Kinder
in dem Zustand gewesen sein, die Beweggründe ihres Vaters
zu dieser Maßnahme zu verstehen, oder ob nicht, jedenfalls
war es an ihnen zu gehorchen, und Jakobs eigenes
Verhalten mußte der göttlichen Aufforderung entsprechend
sein. Wahrscheinlich hatte er es bis dahin versäumt,
mit seinen Kindern über seine Beziehungen zu Gott
zu reden, weil er eben sich selbst ihrer nicht so erfreute,
wie es hätte sein sollen. Jetzt aber, nachdem Gott in seinem
Herzen gewirkt hatte, vermochte er ihnen einiges darüber
mitzuteilen, was dieser Gott für ihn auf seinem
Wege gewesen war. Er kann ihnen zwar nicht sagen, daß
er mit Gott gewandelt sei, wie Henoch und Abraham;
aber er kann ihnen bezeugen, daß Gott auf seinem ganzen
Wege über ihn gewacht habe.
Alles das läßt uns verstehen, wie wichtig es für einen
Familienvater ist, seine Beziehung zu Gott im praktischen
Leben zu verwirklichen und in Unterwürfigkeit unter Sein
Wort zu wandeln. Denn nur so kann er seine Kinder in
230
Gottesfurcht erziehen und durch sein eigenes Verhalten
die Erkenntnis in ihnen wecken, daß Gott sie allezeit sieht.
Leider fehlen wir oft in dieser Hinsicht. Aber so traurig es
ist, wenn es geschieht, bleibt uns doch jederzeit die Möglichkeit,
wie Jakob auf Gottes Aufforderung: „Ziehe hinauf
nach Bethel!" zu lauschen und unseren Wohnsitz dort
aufzuschlagen, indem wir zuallernächst das richten, was
nicht in Gottes Gegenwart paßt, und so dann des Herrn
würdig zu wandeln und in jeder Hinsicht Ihm wohlzugefallen
vermögen. Auf diese Weise werden wir dann auch
den Segen empfangen, der sich an den Gehorsam knüpft.
In der Familie des Patriarchen gab es fremde Götter.
Sie sind ein Sinnbild all jener Dinge, die in unseren
Herzen den Platz einnehmen, welcher Gott allein zukommt.
Hier kann nur ein schonungsloses Gericht Abhilfe schaffen.
Wer und was diese fremden Götter bei uns sind, darüber
muß ein jeder sich selbst Rechenschaft geben. Daö was
gleichsam alle Götzen in sich birgt, dem wir auch am leichtesten
die Herrschaft über uns einräumen, ist unser Ich.
Nachdem Jakob gesagt hat: Tut die fremden Götter
hinweg, die in eurer Mitte sind, fährt er fort: „Reiniget
euch, und wechselt eure Kleider!" Zunächst mußten sie sich
reinigen von allem Schmutz; dann mußte die ganze Veränderung,
die in ihnen vorgegangen war, in ihrem Wandel
ans Licht treten: die Kleidung mußte gewechselt werden.
Sie ist daö Symbol des Bekenntnisses, d. h. dessen,
was nach außen hin in Erscheinung tritt und einem guten
Seelenzustand entsprechen muß, wenn das Bekenntnis
nicht wertlos sein soll vor Gott.
All die fremden Götter samt den Gegenständen, mit
denen das Fleisch sich zu schmücken pflegt, wurden unter
231
der Terebinthe bei Sichern vergraben. An Ort und Stelle,
noch auf dem der Welt gehörenden Gebiet, vergrub Jakob
alle diese Dinge. Dann erst brachen sie auf. Und nun, als
sie in dieser Weise ihren Gehorsam bewiesen hatten, ließ
Gott Seinen Schrecken auf die Städte rings um sie her
fallen, sodaß niemand den Söhnen Jakobs nachjagte.
Wenn wir Gott gehorsam sind, in dem Wunsch, in Treue
in Seiner Gegenwart zu wandeln, werden wir Ihn zu
unseren Gunsten handeln sehen, selbst bei solchen, welchen
wir Anlaß gegeben haben, uns Böses zu tun.
Wie immer bei einem Wandel im Gehorsam, sehen
wir auch hier Jakob Fortschritte machen. In Bethel angekommen,
baute er dort einen Altar und gab dem Ort
den Namen El-Bethel, auf Deutsch: Gott des Gotteshauses;
denn hier hatte Gott sich ihm geoffenbart, als er
vor seinem Bruder Esau floh. Wie viel Zeit und Segnungen
würde er gewonnen haben, wenn er Gott vertraut
hätte, als Er ihm zum erstenmal an diesem Ort erschien!
Aber der Gott, der ihm gefolgt war auf seinem Wege,
brachte ihn in Seiner Güte an diesen Anfangspunkt zurück,
und von nun an sollte er für Jakob der Beginn eines
Wandels in Gemeinschaft mit Gott werden bis zu dem
Augenblick, wo er diese Welt für immer verließ.
Mit dem Fortschritt im Genießen der göttlichen Gemeinschaft
gibt es auch einen Fortschritt im Selbstgericht.
Das lehrt uns der Tod und das Begräbnis der Amme
Rebekkas. Es gilt nicht nur, grobe Dinge unter der Terebinthe
bei Sichern zurückzulassen, es gibt auch mancherlei
Gewohnheiten und Gepflogenheiten, vielleicht Folgen unserer
Erziehung oder empfangener Unterweisung, die wir
ablegen müssen, koste es was es wolle. Wir haben diese
232
Dinge, bildlich gesprochen, unter der Eiche des Weinens
(Alton Bakuth) zu begraben. Jakob war der Schüler seiner
Mutter gewesen, mit der er lang im Zelte (Kap. 25, 27)
zusammengelebt hatte. Debora ihrerseits war die Amme
Rebekkas gewesen. Beide Frauen waren aus dem Lande
Labans gekommen und hatten dessen Gewohnheiten mitgebracht.
So haben auch wir vieles dergleichen abzulegen,
damit unsere Gewohnheiten und unsere ganze Art, uns
zu geben, nicht der Belehrung unserer Natur, sondern der
Belehrung des Wortes Gottes entspringen. Man versteht
gut, daß es für Jakob schmerzlich war, mit allem zu brechen,
was ihn an seine Mutter erinnerte. Aber so schmerzlich
es auch sein mag, mit Dingen aufzuräumen, die mit
Gottes Gegenwart unverträglich sind, wir müssen sie verurteilen
und begraben, müssen sie zurücklafsen in dem
Grabe, in welchem Christus alles zurückgelassen hat, was
irgend den alten Menschen kennzeichnet.
In einem heiligen Wandel treten noch weitere Fortschritte
zutage. Gott erschien dem Jakob wiederum (V.
y—75) und segnete ihn. Er erneuert die Namensänderung,
die Er bereits in Pniel (Kap. 32) vorgenommen
hatte, denn jetzt kann Jakob diesen Namen tragen in der
vollen Erkenntnis seiner Bedeutung: Israel --- Kämpfer
Gottes, statt Jakob --- llberlister. So sollte auch unser
Verhalten unserem Namen Christ entsprechen, einem
Namen, der, von Christus abgeleitet, an die Stelle unseres
Namens in Adam getreten ist. Weiter offenbart
Gott ihm Seinen eigenen Namen: „Ich bin Gott, der
Allmächtige", eine Offenbarung, die er in Pniel noch nicht
empfangen konnte, als er zu dem Engel sagte: „Tue doch
deinen Namen kund!" Jetzt kennt er Gott, wie Abraham
— 2ZZ —
Ihn kannte (Kap. 47), Ihn, der allmächtig ist, alle gegebenen
Verheißungen zu ihrer Zeit zu erfüllen. Bon nun
an wird Jakob in den Spuren Abrahams wandeln, bis
sein Lauf endet.
Die Geschichte Jakobs ist ermunternd. Wir sehen in
ihr die Güte und Treue Gottes einem der Seinigen gegenüber,
dem wir nur allzusehr gleichen; denn wie oft haben
wir Ursache, uns mit den Worten des 84. Psalms an
Gott zu wenden: „Nimm zu Ohren, du Gott Jakobs!"
— in dem Bewußtsein, daß Gott das, was Er
für Jakob war, auch für uns sein will! Wir gehen zuweilen,
als Folge unserer Untreue, durch schmerzliche, entmutigende
Umstände. Aber anstatt es dann uns zu überlassen,
uns mit ihnen herumzuschlagen, ruft Gott uns zu:
„Ziehe hinauf nach Bethel und wohne daselbst!" Das will
sagen: Kehre zu mir zurück und genieße meine Gegenwart!
Wir werden dann vielleicht antworten, dazu seien wir nicht
imstande. Aber das stimmt nicht. Nur müssen wir es
machen wie Jakob: die falschen Götter hinwegtun, uns
reinigen, das Böse verurteilen, oft auch aus weiter Ferne
zurückkehren, um von neuem die Gemeinschaft mit Gott
zu genießen. So werden wir nicht nur immer mehr und
besser erkennen, was wir sind, was die Gnade aus uns
gemacht und für uns getan hat, sondern auch, was E r für
uns ist, nicht nur als der allmächtige Gott, sondern auch
als unser Vater.
Nur zu oft kommt es leider vor, daß wir, anstatt nach
Bethel hinaufzuziehen und alles zu richten, was es in uns
selbst und in unseren Häusern zu verurteilen gibt, lieber
abseits stehen bleiben, ohne Freude, ohne Frieden, in Gefahr,
uns noch weiter von dem Segenspfade zu entfernen.
2Z4
Auch in einem solchen Falle redet Jakobs Geschichte eindringlich
zu uns. Was wäre aus diesem Manne geworden,
wenn in den traurigen Umständen, in die seine eigene
und seiner Söhne Schuld ihn bei Sichern gebracht hatte,
Gott nicht an ihn herangetreten wäre und ihm gesagt
hätte: „Ziehe hinauf nach Bethel und wohne daselbst!"?
So tritt der treue Gott auch immer wieder an uns heran.
Möchten wir denn auf Seine Stimme hören, so oft Er
uns zuruft:
„Ziehe hinauf nach Bethel und wohne
daselbst!" S.P.
Gedanken
Der Gott, der in Gerechtigkeit fordert, hat in Gnade ersehen,
und die Vorkehrungen des Altars entsprechen den Anforderungen
des Thrones.
Ehe mir meine Gefühle Gewißheit geben könnten, bedürfte ich
erst der Gewißheit über meine Gefühle!
246
Vstann werden die alttestamentlichen
Gläubigen auferweckt?
Die Frage, ob die alttestamentlichen Gläubigen bei
der Entrückung der Braut mitauferweckt und mitaufgenommen
werden, wird immer wieder gestellt, und eö
wird nach den Gründen gefragt, die für diese Annahme
sprechen. Bekanntlich gibt es im Worte Gottes keine Stelle,
die ausdrücklich sagt, daß eö so sein werde. Wenn der
Herr persönlich Seinen Jüngern verheißt, daß Er wiederkommen
und sie zu sich nehmen werde, spricht Er weder
von den Gläubigen früherer Tage, noch von denen,
die später an Ihn glauben würden. Er sagt einfach: „Ich
werde euch zu mir nehmen". Und wenn der Apostel
Paulus an die Korinther oder die Thessalonicher über die
Auferweckung und Entrückung der Gläubigen schreibt,
redet er auch nur allgemein von „Toten", oder von „Toten
in Christo".
Wir sind also zur Beantwortung unserer Frage
darauf angewiesen, nach Gründen zu forschen, die für
eine Bejahung derselben sprechen.
Gehen wir zunächst einmal von der Annahme aus,
das Gegenteil sei der Fall, die alttestamentlichen Gläubigen
würden also nicht mit der Braut oder der Gemeinde
Christi auferweckt bzw. entrückt. In diesem Falle
müßte sich doch irgendwo im Worte eine Andeutung darüber
finden, wann sie auferweckt werden. Daß sie zu
der ersten Auferstehung, der Auferstehung der „Gerechten"
(Luk. 44, 44) oder des „Lebens" (Joh. 5, 2y)
gehören, wird wohl von niemand bezweifelt werden. In
247
Luk. 20, 35 sagt der Herr zu den Sadducäern betreffs
derer, „die würdig geachtet werden, jener Welt teilhaftig
zu sein", daß sie auch an der „Auferstehung aus den
Toten" teilhaben würden. Schon diese eine Stelle beweist,
daß die Gläubigen des Alten Testaments der ersten
Auferstehung angehören. Weiter lesen wir in 4. Kor.
15, 22. 23: „Denn gleichwie in dem Adam alle sterben,
also werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht
werden. Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der
Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus sind
bei Seiner Ankunft". Würden die alttestamentlichen Gläubigen
bei dieser Gelegenheit in ihren Gräbern zurückbleiben,
so müßte man annehmen, daß sie „nicht des Christus"
sind.
Doch darüber später. Behandeln wir zunächst die
Frage: Wann werden sie auferweckt, wenn es nicht bei
der Ankunft des Herrn geschieht? Offbg. 20, 4—b gibt
uns, wenn ich mich so ausdrücken darf, einen Bericht
über den Schlußakt der ersten Auferstehung. Die
bei dieser Gelegenheit Auferweckten werden deshalb, weil
auch sie noch an der ersten Auferstehung teilhaben, glückselig
und heilig gepriesen. Wer aber sind diese Glücklichen?
Sie werden genau beschrieben. Es sind die Märtyrer aus
den Tagen der Gerichte. Johannes sieht „die Seelen derer,
welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Got
tes willen enthauptet waren, und die, welche das Tier
nicht angebetet hatten, noch sein Bild, und das Malzeichen
nicht angenommen hatten an ihre Stirn und an ihre
Hand". (V. 4.) Von diesen beiden, bestimmt bezeichneten
Klassen wird gesagt, daß „sie lebten (od. lebendig wurden,
d. h. daß ihre Seelen wieder mit ihren Leibern
248
vereinigt wurden) und herrschten mit dem Christus tausend
Jahre". Nur sie, keine anderen! „Die übrigen
der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre
vollendet waren." (V. 5.)
Wenn nun in 4. Kor. 45 die alttestamentlichen Gläubigen
nicht eingeschlossen wären, so müßten sie doch hier
genannt sein, weil die Schrift nirgendwo von einem anderen
Abschnitt der Auferweckung von Gläubigen redet.
Der Erstling ist Christus, dann die, welche des
Christus sind bei Seiner Ankunft, und schließlich
noch die späteren Zeugen Jesu, die in den auf Seine Ankunft
folgenden Gerichten um ihrer Treue willen ihr
Leben einbüßen. Mir der Auferweckung dieser Blutzeugen
schließt die erste Auferstehung ab. Die zweite, die
Auferstehung des Gerichts, erfolgt erst nach dem
Tausendjährigen Reich und umfaßt ausschließlich die
Toten, welche vor dem großen weißen Thron stehen werden,
um dort nach ihren Werken gerichtet zu werden.
(V. 44—45.)
Es bleibt daher nur die eine Schlußfolgerung übrig,
daß die alttestamentlichen Heiligen zugleich mit den neu-
testamentlichen auferweckt und entrückt werden. Indes
gibt es neben diesem gleichsam negativen Beweis noch
positive Gründe, die für die Richtigkeit dieser Folgerung
sprechen. Wir deuteten schon an, daß das Wort in 4. Kor.
45, 23: „sodann die, welche des Christus sind
bei Seiner Ankunft", unzweideutig darauf Hinweise, daß
alle Gläubige, die von Adam an bis zur Ankunft des
Herrn auf der Erde gelebt haben, dem Rufe des Sohnes
Gottes folgend, dann aus ihren Gräbern hervorkommen
werden. Sie alle sind durch den Glauben an
249
Christum errettet worden, die einen den verheißenen Erretter
erwartend und auf Sein Opfer voraus-
schauend, die anderen an den Gekommenen glaubend und
auf Sein vollendetes Werk zu rück blickend. Einen anderen
Weg der Errettung, ein anderes Heilmittel als
Christum und Sein Blut, gibt es nicht. Jene alle gehören
deshalb zu Christo, zu denen, „die das Gute getan
haben", und damit zur Auferstehung des Lebens.
Geradeso ist es mit dem Wort des Apostels in
4. Thess. 4, 46, daß bei der Ankunft des Herrn „die
Toten in Christo" zuerst auferstehen werden. Dürfen
wir nur die in den Tagen des Neuen Testaments entschlafenen
Gläubigen „Tote in Christo" nennen, was
wird dann aus den anderen? In welcher Beziehung
stehen sie zu ihrem Herrn? Sind sie „Tote außer
Christo"?
Weiter lesen wir in 2. Thess. 4, 40, daß der Herr,
wenn Er an Seinem Tage in flammendem Feuer vom
Himmel her geoffenbart werden wird, um denen, die
Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium nicht
gehorcht haben, Vergeltung zu geben, verherrlicht werden
will in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen,
die geglaubt haben. Wieder fragen wir: Gehören
die alttestamentlichen Heiligen zu denen, die geglaubt haben,
oder nicht? Wenn sie aber zu ihnen gehören, also
an jenem Tage mit dem verherrlichten Menschensohn
erscheinen werden, so müssen sie vorher auferweckt und
zu Ihm entrückt worden sein. Ähnlich hat schon Henoch
geweissagt, daß der Herr „inmitten Seiner heiligen Tausende"
kommen werde, um Gericht zu halten über die
Gottlosen und alle ihre Werke.
250
Auf Grund des Gesagten dürfen wir auch wohl in
den 24 Ältesten in Offbg. 4 usw. die Gesamtheit
der himmlischen Heiligen erblicken, also nicht, wie es
vielfach geschieht, nur die Gläubigen des gegenwärtigen
Zeitabschnitts, die Braut des Lammes. Nicht alle Gläubige
stehen in diesem innigen bräutlichen Verhältnis zu
dem Lamme, aber alle werden dereinst eine priesterliche
und königliche Stellung einnehmen. Manche Ausleger
glauben deshalb auch in den zu dem Hochzeitsmahle des
Lammes Geladenen (Kap. 49, 6 u. f.) die Gläubigen
des Alten Testaments erblicken zu sollen, da man
von einer Braut doch nicht sagen könne, daß sie zu ihrem
eigenen Hochzeitsmahle geladen werde. Nach der
Hochzeit ist dann auch von den 24 Ältesten als solchen
keine Rede mehr.
Bruchstücke
Der Christ steht in zwiefacher Hinsicht unter Verantwortlichkeit:
er ist ein Diener seines Herrn, ein Knecht
Jesu Christi, und er ist ein Glied am Leibe Christi. Eine
jede dieser Verantwortlichkeiten hat ihre besondern Verpflichtungen.
Der Richterstuhl wird zeigen, inwieweit wir
diese erfüllt haben.
Drei bedeutungsvolle Tatsachen kennzeichnen das
Christentum: 4. Das Erlösungswerk ist vollbracht. 2. Christus,
der Sohn Gottes, die zweite Person der Gottheit,
weilt als der verherrlichte Mensch zur Rechten Gottes
droben, und der Heilige Geist, die dritte Person der Gott
2sr
heit, ist auf diese Erde herabgesandt, um die Versammlung
(Gemeinde), den Leib Christi, zu bilden. 3. Der Herr
hat verheißen, wicderzukommen, und der Geist und die
Braut rufen: „Komm!"
Willst du wissen, worin das christliche Leben besteht,
so lies 2. Kor. S, ick. Den Schrecken des Herrn kennend,
zittert der Christ nicht, sondern überredet seine Mitmenschen,
dem kommenden Zorn zu entfliehen, während er selbst
„Gott offenbar geworden ist". Er wandelt im Lichte des
Richtersttthls, den er vor sich sieht, aber nickt fürchtet, ist
allezeit gutes Mutes und beeifert sich, dem Herrn wohlgefällig
zu sein.
Man hat zuweilen behauptet, daß es in dem gefallenen
Menschen noch einen Rest von göttlichem Leben
gebe, an das Gott anknüpfen könne. Die Wahrheit ist,
daß der Mensch seit dem Falle nicht nur ein Kind des
Zorns, sondern auch in Gottes Augen tot ist, „tot in den
Vergehungen". Aber es gibt einen zweiten Menschen,
der, nachdem Er alle Hindernisse besiegt hat, in die Herrlichkeit
droben eingegangen ist. Und nun, obwohl Christus
noch nicht alle Früchte Seines Erlösungswerks eingesammelt
hat, tritt das Evangelium an den Sünder heran und
knüpft ganz neue Beziehungen und Verbindungen, die
sich auf Ihn, den auferstandenen, zur Rechten Gottes
verherrlichten Menschen, gründen. Nur auf diesem Wege
empfängt der Glaubende Vergebung und göttliches Leben,
nur so kann der Heilige Geist in ihm Wohnung machen.
252
Kragen aus dem Leserkreise
1. Was ist „das Ihm von mir anvertraute Gut" und „das
schöne anvertraute Gut" in 2. Tim. 1, 12 u. 14?
In dem ersten Falle handelt es sich um ein Gut, das der Apostel
Paulus dem Herrn anvertraut hatte, in dem zweiten um
ein Gut, das von feiten des Herrn Timotheus anvertraut war.
Paulus ging in der Ausführung des ihm aufgetragenen Dienstes
durch viele Leiden, durch Bande und Trübsale; aber er schämte sich
ihrer nicht, weil er Den kannte, an welchen er geglaubt hatte, und
wußte, daß in Seinen Händen alles das wohl aufgehoben war,
was ihm in Christo geschenkt war, alles was seine Glückseligkeit
als Christ ausmachte. Er war der vollen Gewißheit, daß er in
der Herrlichkeit jenes Tages, an welchem jeder treue Arbeiter
auch den vollen Lohn für seine Arbeit empfangen soll, alles das wie-
derfindcn würde, was er Ihm anvertraut hatte. (Vergl. Kap. 4, 8.)
Das dem Timotheus anvertrautc Gut war „das Bild gesunder
Worte", die er von Paulus gehört hatte. (V. 13.) Dieses
„schöne" Gut sollte er gegenüber den eitlen Reden und Widersprüchen
menschlicher Weisheit festhalten , rein und lauter b e -
wahren in der Kraft des in ihm wobnendcn Heiligen Geistes.
(Vergl. 1. Tim. 6, 20. 21.)
2. Warum bittet Paulus den Herrn in demselben Kapitel
(V. 1b—18), daß Onesiphorus von Seiner Seite Erbarmen finden
möge an jenem Tage, während er für sein Haus um Barmherzigkeit
bittet?
Onesiphorus hatte den Apostel in seinem einsamen Kerker
oft besucht und erquickt, sich seiner also barmherzig angenommen.
Darum bittet Paulus, daß der Herr ihm anSeinem Tage, wann
der Lohn ausgeteilt werden wird, mit Gleichem vergelten wolle,
nach dem Worte: „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen
wird Barmherzigkeit widerfahre n". (Matth. 5, 7.)
Aus demselben Grunde wünscht er den Angehörigen des Onesiphorus
für dis Gegenwart Barmherzigkeit. War Onesiphorus vielleicht
noch nicht nach Hause zurückgekehrt oder gar schon hcimge-
gangen, weil Paulus auch nur sein Haus grüßen läßt? (Kap.
4, 19.)
3. Wer sind Jannes und Iambres in 2. Tim. 3, 8?
Ohne Frage zwei der Weisen und Zauberer, die in Ägypten
Mose und Aaron widerstanden, als sie im Auftrage Jehovas ihre
Wunderzeichen vor dem Pharao taten; vielleicht zwei hervorragende
Führer aus deren Mitte. Ihre Namen waren wohl durch mündliche
Überlieferung unter dem Volke erhalten geblieben.
Lols Dahl
i. Mose iy.
Viel wertvolle Belehrung liegt in der Betrachtung
der so verschiedenartigen Charaktere Abrahams und Lots,
und wir tun gut, uns die Geschichte dieser beiden Männer
immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Beide waren
„Gläubige", beide aus dem Lande ihrer Verwandtschaft
ausgezogen, beide befanden sich in der Fremde. Und doch
wie verschieden war ihr Wandel! wie gänzlich verschieden
waren ihre Erfahrungen! Während Abraham einen tiefen
Frieden genoß und sich der Gunst und Gemeinschaft Gottes
erfreute, lesen wir von Lot, daß er „Tag für Tag
seine gerechte Seele quälte". (2. Petr. 2, 8.) Obgleich im
Sinne der Schrift ein „Gerechter", genoß er seine bevorzugte
Stellung doch nicht, weil er nicht in ihr lebte und
deshalb keine von den gesegneten Erfahrungen Abrahams
machen konnte. Dieser Unterschied wird sich immer wieder
zeigen zwischen einem weltlich gesinnten Gläubigen und
einem solchen, der durch die Gnade treu mit Gott wandelt.
Der Herr kann nicht anders, als den Seinigen gegenüber
treu bleiben. Er nimmt Kenntnis von allem, was
auf ihrem Wege aus Glauben ist, aber auch von allem, was
nicht aus Glauben ist. Die Versuchungen, denen Lot begegnete,
waren nur Folgen seines Unglaubens. Große Ungewißheit
bezüglich seines eigenen Pfades und völliges
Dunkel im Blick auf Gottes gerechtes Handeln zeigen sich
XXIX . 10
254
während seines ganzen Lebens. Er machte keine Erfahrungen
von der Kraft eines Glaubens, der in Gott ruht. Diesen
Glauben kannte er nicht, und darum fehlte ihm die
Sicherheit, die ihn zu einem glücklichen Vorangehen, unbekümmert
um die Dinge der Welt, befähigt haben würde.
Daher auch seine demütigenden und schmerzlichen Erfahrungen.
Aber vergessen wir nicht, daß auch wir die gleichen
Erfahrungen machen werden, wenn wir nicht Christum
von Herze n als unser Teil erwählen. Warum war das
Leben Abrahams ein so glückliches Leben? Auö dem einfachen
Grunde, weil Gott sein Teil war.
Wir könnten Lot eher einen Gefährten derer nennen,
die Glauben haben und auf dem Glaubenswege wandeln,
als einen Mann, der selbst Glauben besitzt und nun
in der Kraft desselben seinen Weg geht. Es war so mit
ihm von Anfang seines Weges an. Und deshalb mußte sich,
sobald er auf die Probe gestellt wurde, seine ganze
Schwachheit zeigen. So ergeht es auch uns oft, wenn wir
uns in unserem Wandel mit solchen verbinden, die Glauben
haben, während wir selbst keinen besitzen. Mit den
Jüngern des Herrn war es nicht anders. Sobald sie deshalb
auf die Probe gestellt wurden, versagten sie. Die
Seele, die dem Lichte eines anderen folgt, wird nur so lang
standhalten, wie sie nicht durch Prüfungen gesichtet wird.
Die persönliche Berufung Gottes begegnete bei Abraham
zunächst einem gewissen Unglauben, ähnlich wie in
dem Falle des Jüngers, der den Ruf des Herrn mit den
Worten beantwortete: „Herr, erlaube mir, zuvor hinzugehen
und meinen Vater zu begraben". (Matth. 8, 2t.)
Abraham zieht aus, doch nimmt er seinen Vater Tarah
mit. Darum kommt er nicht weit. Schon in Haran macht
255
er halt, um seine Wohnung daselbst aufzuschlagen. Gott
hatte Abraham berufen, nicht Tarah, aber Abraham wollte
Tarah gern mitnehmen in das Land Kanaan. Gehorsam
verließ er alles, was er hatte und was ihm menschlich teuer
war, und war zufrieden, nichts zu besitzen. Nur e t -
was würde Gott ihm doch wohl gestatten mitzunehmen,
seinen lieben, alternden Vater? Wie verständlich erscheint
uns das! Aber dieses „etwas" war nicht von Gott, deshalb
konnte die Sache nicht gelingen. Tarah erweist sich nur als
ein Hindernis auf dem Wege. Erst nachdem er gestorben
ist, kommt Abraham in das Land, wohin Gott ihn gerufen
hatte. (Vergl. Kap. 42, 4 u. Apstgsch. 7, 4.)
„Und Abram ging hin, wie Jehova zu ihm geredet
hatte, und Lot ging mitihm . . und sie zogen aus,
um in das Land Kanaan zu gehen; und sie kamen in das
Land Kanaan." (Kap. 72, 4. 5.) Beachten wir es wohl,
Lot war ein gläubiger Mann, aber er betrat den neuen
Weg als der Gefährte Abrahams. Er stand nicht da in
der Kraft eines persönlichen Glaubens, er stand nur m i t
Abraham. Darum, obwohl ein Gerechter, sehen wir ihn
hernach die krummen Pfade weltlicher Klugheit gehen.
Der Segen Gottes ist mit den beiden Männern. Ihr
Besitztum mehrt sich. Sie haben große Herden und viel
Vieh, sodaß das Land, in dem sie wohnen, nicht mehr
Raum genug für sie beide hat. Sie müssen sich trennen.
(Kap. 43.) Umstände, welcher Art sie sein mögen — hier
ist es die Fülle der Segnungen Gottes — bringen ans
Licht, worauf das Herz in Wahrheit gerichtet ist.
Daß Abraham und zunächst wohl auch Lot den Platz
von Fremdlingen und Beisassen in Kanaan einnahmen,
darüber kann kein Zweifel bestehen. „Die Kanaaniter und
256
die Perisiter wohnten damals im Lande." Ihnen selbst
gehörte vom Lande nicht so viel, daß sie ihre Fußsohle
darauf hätten stellen können. Alles hing für sie davon ab,
was die göttlichen Verheißungen für sie galten. (Hebr.
11, y.) Zwei Dinge, Altar und Zelt, kennzeichneten sie.
Im Lande umherziehend und Gott anbetend, bezeugten sie,
daß sie Fremdlinge und Pilgrime auf der Erde seien. Jedenfalls
war es mit Abraham so. Er zeigte „deutlich, daß
er ein Vaterland suchte. Und wenn er an jenes gedacht
hätte, von welchem er ausgegangen war, so hätte er Zeit
gehabt zurückzukehren". Er trachtete aber nach einem „besseren,
das ist himmlischen". Darum schämte Gott sich
seiner nicht, sein Gott genannt zu werden. (Vergl. Hebr.
11,13—16; wir lesen niemals, daß Gott „der Gott Lots"
genannt wird.) Alles das wirkte gestaltend auf die Gesinnung
und den Charakter Abrahams ein.
Wenn das Land das Zusammenwohnen der beiden
Männer nicht mehr erlaubt, und die beiderseitigen Hirten
in Streit geraten, sagt Abraham zu Lot: „Ist nicht das
ganze Land 'vor dir?" Nimm was du willst, nur laß kein
Gezänk sein zwischen mir und dir. Willst du das Land zur
Linken wählen, so will ich mich zur Rechten wenden, oder
willst du rechts gehen, so gehe ich links. Mein Teil ist die
Verheißung; ich besitze hier nichts, aber die Stadt Gotteö
in der Herrlichkeit droben öffnet mir ihre Tore. Abrahams
Herz war auf die Verheißungen Gottes gerichtet, im Vergleich
mit ihnen war alles andere nichts. Es mochte töricht
erscheinen, Lot wählen zu lassen, ihm gleichsam alles
preiszugeben, aber der Glaube bewirkte in Abraham eine
himmlische Gesinnung, und befreite ihn von jedem Trachten
nach irdischem Gewinn.
257
Nicht so Lot. Er hebt seine Augen auf — die Jordan-
Ebene ist überall wohlbewässert, gleich dem Garten Jehovas,
und er wählt sie. An und für sich ist nichts Ungebührliches
oder Unrechtes dabei, eine „bewässerte Ebene"
zu wählen, aber es beweist, daß nicht das ganze Herz auf
die Verheißungen Gottes gerichtet ist. Abrahams Verhalten
entspringt einer Glaubenseinfalt, welche die Verheißungen
Gottes sich zueignet und nichts außer ihnen bedarf.
Der Glaube kann aufgeben und es Gott überlassen, für
ihn zu wählen. *) Eine fleischliche Gesinnung dagegen
nimmt alles, was sie kriegen kann. Lot handelte seinen
Überlegungen entsprechend und wählte das, was ihm im
Augenblick angenehm und wünschenswert erschien. Warum
sollte er auch nicht? Es gab doch nichts Böses in der
Jordan-Ebene. Hatte Gott sie nicht gegeben und sie so
schön gemacht?
*) „Und Jehova sprach zu Abram, nachdem Lot sich von
ihm getrennt hatte: Hebe doch deine Augen auf und
schaue von dem Orte, wo du bist, gegen Norden und gegen Süden
und gegen Osten und gegen Westen! Denn das ganze Land,
das du siehst, dir will ich cs geben und deinem Samen auf
ewig." (Kap. 1Z, 14. 15.)
Der Gefährte Abrahams erscheint hier auf dem niedrigen
Boden seines Glaubens. Aber wenn er die Flüsse
der Ebene erwählt, so wird es nicht ausbleiben, daß er
auch in ihren Städten wohnt. „Und die Leute von Sodom
waren böse und große Sünder vor Jehova." (Kap. 13,
13.) Es mag nicht Lots Absicht gewesen sein, in Sodom
zu wohnen, aber Schritt für Schritt mußte er dahin
kommen. Schließlich saß er als ein angesehener Mann „im
Tore Sodoms". Doch es konnte nicht ausbleiben, daß der
Ort, an dem er Gefallen gefunden hatte, ihm Nöte und
258
Trübsale brachte. Wo der Glaube fehlt, der Herz und Sinn
auf die Verheißungen Gottes gerichtet hält, da ist auch
kein Glaube, der die Seele vor der Sünde bewahrt. Sie
mag nicht unmittelbar unaufrichtig sein, aber ihr Zustand
zwingt Gott, sie zu züchtigen.
Abrahams Pfad wird in all dieser Zeit durch eine innige
Vertrautheit mit Gott gekennzeichnet. Der Herr verkehrt
mit ihm, besucht ihn und teilt ihm Seine Gedanken
und Absichten mit, sodaß er „Freund Gottes" genannt
wird. (Vergl. 2. Chrom 20, 7; Jes. 47, 8; Jak. 2, 23.)
Und nicht nur wird er bezüglich seiner selbst in die Gedanken
des Herrn eingeführt, Gott offenbarte ihm auch, obgleich
er persönlich nichts damit zu tun hatte, was Er
mit Sodom, der Sündenstadt, zu tun im Begriff stand.
(Kap. 78.) Auch heute teilt Gott den Seinigen mit, was
Er mit der Welt, deren Sünde bald ihr Vollmaß erreicht
haben wird, tun will. Obgleich die Hoffnung der Gläubigen
heute mit dem himmlischen Kanaan in Verbindung
steht, mit dem, was ihnen droben bevorsteht und verheißen
ist, zieht Er sie doch ins Vertrauen und läßt sie jetzt schon
wissen, welch furchtbare Dinge sich einmal auf dieser Erde
abspielen werden, wo sie dann nicht mehr sind.
Unterdes „quält Lot seine gerechte Seele". Ist ihm
irgend etwas von den Absichten Gottes bekannt? Nicht
das geringste. Er wird gerettet, doch so wie durchs Feuer.
Obgleich „gerecht", wohnt er in Sodom. Anstatt die
Gemeinschaft Gottes zu genießen, wird seine Seele Lag
für Tag gequält durch die gesetzlosen Werke der Sodomi-
ter. Mit beschwertem Herzen und anklagendem Gewissen
lebt er dort, ehe das Gericht kommt, während der glückliche
Abraham auf dem Berge weilt und dort mit Gott
259
verkehrt; und wenn dann das Gericht kommt, findet es
Lot völlig unvorbereitet.
Doch der Herr erbarmt sich seiner, sendet Engel zu
ihm, um ihn aus der Stadt herauszusühren. Doch da ist
keinerlei Kraft bei Lot, loözukommen, sie ist durch seine
Untreue völlig verloren gegangen. Bande knüpfen ihn an
den Ort, an den sein Unglaube ihn gebracht hat. Seine
Töchter haben dort geheiratet. Alle Kraft zum Zeugnis
ist dahin, weil er sich mit der Welt verbunden hat, anstatt
durch eine entschiedene Absonderung von ihr gegen sie zu
zeugen. Die Männer der Stadt haben ganz recht, wenn sie
von ihm sagen: „Der eine da ist gekommen, als Fremdling
hier zu weilen, und will den Richter machen?"
(V. 9.) Es ist ungereimt, wenn einer, der den Ort der
Sünde aufgesucht hat, wider die Sünde zeugen will. Wie
ganz anders war es mit Abraham, als er nach Ägypten
hinabzog! Sein Weg war nicht gut, aber sobald er das
erkannt hatte, konnte er geradeswegs an den Ort zurückkehren,
wo zuvor sein Altar gestanden hatte. Wer jedoch
lange bergab gewandert ist, findet das Bergan nur
schwer wieder.
Wo immer die Ratschlüsse Gottes dem Glauben geoffenbart
werden, erwacht der Geist der Fürbitte. So
war es in späteren Tagen bei dem Propheten Jesaja. Wenn
der Herr ihm den Auftrag gibt: „Mache das Herz dieses
Volkes fett usw.", kommen unmittelbar die Worte über
seine Lippen: „Wie lange, Herr?" Auch Abraham verwendet
sich hier bei Gott für Sodom. Aber ach! es gab
nicht zehn Gerechte in der Stadt; außer Lot wurde kein
einziger gefunden. Was Abrahams Stellung betrifft, so
blickte er von seiner Höhe auf die unglücklichen Städte
260
hinab, und als sie am frühen Morgen in Flammen aufgingen,
befand er sich wieder an dem Platze, wo er „vor
Jehova gestanden hatte". (V. 27.) Sicherlich stimmte das,
was seine Augen erblickten, ihn tiefernst, aber er war fern
von der Stätte des Gerichts, ruhig und glücklich in der
Gegenwart des Herrn.
Lot schenkt der Warnung der Engel Gehör; doch sein
Herz weilt noch in Sodom. Der Verbindungen, die ihn an
die Stadt fesselten, waren zu viele. Er hätte so gern alles
mitgenommen. Aber man kann nichts aus Sodom für
Gott mitnehmen, man muß alles dahinten lassen. Da,
wo das Fleisch seine Freude findet, muß der Herr mit
Leid antworten.
Angesichts des unmittelbar drohenden Verderbens
kann der arme Lot noch zögern. Da „ergriffen die Männer
seine Hand und die Hand seines Weibes und die Hand
seiner zwei Töchter, weil Jehova sich seiner erbarm
t e, und führten ihn hinaus und ließen ihn außerhalb
der Stadt". Alle seine Güter, seine Schafe und sein
vieles Vieh muß Lot zurücklassen, was ihm bleibt, ist nur
sein nacktes Leben. Unser Kapitel schließt mit den Worten:
„Und es geschah, als Gott die Städte der Ebene verderbte,
da gedachte Gott des Abraham und entsandte
Lot mitten aus der Umkehrung".
Wenn die Treue des Herrn sich in der Rettung
Lots erwies, so offenbarte sie sich auch darin, daß Er jedes
Bindeglied, das ihn noch mit dem gottlosen Orte verknüpfte,
hinter ihm abbrach. Er sprach zu ihm: „Nette
dich um deines Lebens willen; sieh nicht hinter dich und
bleibe nicht stehen in der ganzen Ebene; rette dich auf das
Gebirge, damit du nicht weggerafft werdest." Aber Lots
— 26k —
Geist ist ganz in Verwirrung. Er antwortet: „Nicht doch,
Herr!... ich kann mich nicht auf das Gebirge retten, es
möchte mich das Unglück erhaschen, daß ich stürbe". Er
hat jedes Gefühl von Sicherheit auf seinem Pfade verloren.
So wird es immer sein, wenn ein Kind Gottes im
Unglauben seinen eigenen Weg geht. Der Pfad des Glaubens
erscheint ihm dann als der gefährlichste Weg der
Welt. Lot hatte sich an die wasserreiche Ebene gewöhnt,
und der Platz, an dem Abraham sich einer vollkommenen
Sicherheit und Ruhe erfreute, war auf dem Gebirge.
Der Herr hört auf seine Bitte, verschont die Stadt Zoar
und erlaubt ihm, dorthin zu fliehen. Aber wenn Lot das
Gericht erblickt, sieht er sich doch endlich gezwungen, Zoar
wieder zu verlassen und seine Zuflucht im Gebirge zu suchen.
(V. 30.)
Beachten wir die große Unsicherheit Lots, seine völlige
Unfähigkeit, dem Herrn einfältig zu folgen! Es wird,
wie eben gesagt, auch uns so ergehen, wenn wir im Unglauben
uns an Stätten begeben, Verbindungen usw. eingehen,
in denen „der Gerechte" nicht gefunden werden
sollte. Wir werden dann notwendig allerlei Nöten und
Ängsten begegnen, die aber nicht unser natürliches Teil
als Gläubige sind, sondern über uns kommen, weil wir
uns in einer verkehrten, weltlichen Stellung befinden —
Prüfungen, die eine Frucht des Unglaubens sind, das
Ergebnis unseres Abirrens von dem Pfade des Glaubens,
weil wir nicht gelernt haben, „wegen der Vortrefflichkeit
der Erkenntnis Christi Jesu alles einzubüßen".
„Einbüßen", „aufgeben", sieh da, mein Leser, die eigentliche
Stellung des Christen, das ihm zugewiesene Teil.
Dem Gläubigen, der in der Erkenntnis und dem gegen
262
wärtigen Bewußtsein lebt, daß „alles unser ist", wird
es auch nicht schwer werden, diese Stellung einzunehmen.
Auf die Verheißung hinschauend, konnte Abraham
freudig auf alle äußeren Vorteile verzichten. So vermag
der Glaube auch heute, „aufzugeben". Indem er die göttlichen
Verheißungen höher einschätzt als die Reichtümer
und Ehren dieser Welt, ist er bereit, alles was dem Fleische
Gewinn bringt, um des Herrn willen für „Verlust" zu
achten.
3m Anfang schuf Gott
„Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde."
(4. Mose 4, 4.)
Könnte es einen passenderen, würdigeren Anfang des
Wortes Gottes geben als diesen? Wäre der Mensch der
Schreiber, so würde er dem, was er mitzuteilen im Begriff
stand, gewiß eine möglichst eindrucksvolle Einleitung
gegeben, vor allen Dingen versucht haben, seinen
Lesern zu sagen, wer und was Gott ist.
Nicht so der Heilige Geist, der Moses und nach ihm
275
die übrigen Schreiber „inspirierte", der ihnen „eingab",
was sie verkündigen oder niederschreiben sollten, „nicht in
Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in
Worten, gelehrt durch den Geist", (k. Kor. 2, 43.) Seine
Sprechweise, Seine Art ist ganz anders als die der Menschen,
sie ist unmittelbar göttlich. Wir werden hier sofort
vor die Offenbarung einer Tatsache gestellt, die kein
Mensch vorher kannte, auch nie hätte in Erfahrung bringen
können, wenn sie nicht in dieser Weise geoffenbart
worden wäre. Der Mensch kann aus dem, was er sieht,
hört, erforscht usw., Schlüsse ziehen, sich Meinungen bilden,
und er hat das im Blick auf die Entstehung aller
Dinge von jeher in der ausgiebigsten Weise getan; aber
Gewisses, bedingungslos Feststehendes kann er nicht darüber
mitteilen, aus dem einfachen Grunde, weil er noch
nicht da war, als diese Dinge in Erscheinung traten. Die
„Wahrheit" wäre uns für immer unbekannt geblieben,
wenn eö Gott nicht gefallen hätte, sie uns zu offenbaren.
„Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde."
Sieh da, mein Leser, die einfache, aber so große Wahrheit
von der Schöpfung. „Durch Glauben verstehen wir,
daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind,
sodaß das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem —
d. h. aus Dingen, die mit den Sinnen wahrgenommen
werden können — geworden ist." (Hebr. U, Z.) Gott
schuf — ähnlich wie wir im Neuen Testament im Blick
auf das Erlösungswerk lesen: „Gott sandte". (Gal.
4, 4.) Schöpfung und Erlösung bezeugen, obwohl in ganz
verschiedener Weise, Seine Herrlichkeit. Offenbart sich in
der zweiten die Herrlichkeit Seiner Gnade, so zeigt sich
in der ersten die herrliche Größe Seiner Macht und Weis
276
heit. Geradezu überwältigend ist, wie schon angedeutet,
auch die Sprache, in welcher der wahrhaftige Gott,
der allein die Wahrheit kannte, sie dem Menschen mitteilt.
Nur Er konnte sie mitteilen, und fürwahr, Er har es
getan in einer Einfachheit und Erhabenheit, die Seiner
würdig ist.
„Im Anfang schuf Gott." Da war nicht etwa ein
„Urstoff", wie man zu sagen pflegt, waren nicht Dinge,
die neben und mit Gott bestanden hätten, die Er als
Unterlage Seines Wirkens oder als Gegenstand Seines
Gestaltens benutzt hätte. Er sprach: „Es werde!" und es
ward, „Er gebot, und es stand da". (Ps. ZZ, 9.)
So besitzen wir eine göttliche Grundlage dafür, wie die
Dinge wirklich liegen, eine göttliche Mitteilung von Tatsachen,
die für den Glauben von weitestgehender Bedeutung
und von tiefstem Interesse ist, und die gerade durch
ihre schmucklose, ungezwungene, jede Anstrengung entbehrende
Art einen solch tiefen Eindruck auf den Leser
macht. Die gewaltige Tatsache wird berichtet, als wenn
es sich um ein alltägliches Ereignis handle.
Auch der zweite Vers berichtet in wenigen Worten
eine zweite Tatsache, die, obwohl von unmittelbar gegensätzlicher
Bedeutung, doch kaum weniger wichtig für
uns ist als die erste: „Und die Erde war wüst und leer,
und Finsternis war über der Tiefe". Hat Gott sie so geschaffen,
Er, der Gott der Ordnung, der Gott, der Licht
ist? Ist sie als ein Chaos, als ein in Finsternis liegendes,
wüstes Durcheinander, aus Seiner Schöpferhand hervorgegangen?
Unmöglich! So etwas gibt es in den Wegen
unseres Gottes nicht. Der Vers will uns nur mitteilen,
wie es auf der Erde aussah, als Gott begann, sie
277
für den Menschen umzugestalten, sie zu bilden ihm zur
Wohnstätte und zum Schauplatz Seiner eigenen Wege
mit den Menschenkindern bis hin zur Erscheinung Seines
geliebten Sohnes. Als Er sie schuf, war sie, wie
alles, was aus Seiner Hand hervorgeht, vollkommen,
herrlich und schön.
Wie aber ist sie so geworden? Und was war die Ursache
ihrer Veränderung? Wie lang hat der Chaos-Zustand
gewährt? Wir wissen es nicht, brauchen es auch
nicht zu wissen, sonst würde Gott eö uns mitgeteilt haben.
Das eine nur ist gewiß, daß zwischen dem l. und 2. Verse
ein Zwischenraum von unbekannter Ausdehnung liegt, liegen
muß. Im Anfang schuf Gott. Wann dieser Anfang
aller Dinge war, ist uns nicht bekannt. Der Zwischenraum
mag Tausende, Zehn- oder Hunderttausende
unserer gegenwärtigen Erdjahre gedauert haben. Gott ist
der ewige Gott. Vor Ihm sind tausend Jahre wie ein
Tag. Wenn die Geologen auf Grund ihrer Forschungen
behaupten, daß die Erde viel älter sein müsse als 6000
Jahre, so bestätigen sie damit nur die Wahrheit der Bibel.
Die Vollkommenheit der Schrift ist unanfechtbar, das
Wort Gottes besteht in Ewigkeit.
Der erste Vers berichtet uns also die Erschaffung
aller Dinge, des Himmels und der Erde; der zweite beschreibt
den furchtbaren Zustand, in welchen die Erde durch
irgend eine unS unbekannte Ursache geraten ist. Was war
denn die Bestimmung, der Zweck der ersten Erde? Hat
sie den Engeln, über deren Erschaffung das Wort uns
auch nichts meldet, als Wohnplatz gedient, wie manche
vermuten? Wieder müssen wir antworten: Wir wissen
es nicht. Es hat Gott nicht gefallen, uns eine Mitteilung
278
darüber zu geben. Es ist auch nicht Seine Weise, neugierige
Fragen zu beantworten. Werden wir es einmal,
„wenn das Vollkommene gekommen sein wird", erfahren?
Vielleicht. Wenn es zur Verherrlichung Gottes und
zu unserer größeren Freude dient, wahrscheinlich. Gedulden
wir uns also bis dahin und bewundern wir heute
die herrliche Größe unseres Gottes und die Genauigkeit
Seines Wortes.
„Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern."
Auch dieses Wort scheint das bisher Gesagte zu bestätigen.
Im 1. Verse, der mit dem Menschen nichts zu tun hat,
wird der Geist Gottes nicht erwähnt, wenn aber der
Mensch eingeführt werden soll, tritt auch der Geist Gottes
in Tätigkeit, wie es wohl immer der Fall ist, wenn
Gottes Tun für oder mit dem Menschen in Frage kommt.
Sobald diese Erde für Adam und seine Nachkommenschaft
zubereitet werden soll, erscheint die dritte Person der Gottheit
als die unmittelbar in ihr wirkende Kraft.
Das Evangelium Johannes, das die Person des Sohnes
Gottes vor unsere Augen stellt, beginnt mit demselben
Wort wie das t. Buch Mose: „Im Anfang", nur
mit dem Unterschiede, daß Johannes uns dann sofort
noch vor den Anfang aller Dinge, in die Ewigkeit führt.
Er spricht nicht von dem Schaffen Gottes im An
fang, sondern sagt: „Im Anfang war das Wort". Das
„Wort", durch welches „alles geworden ist", mußte notwendigerweise
vorher da sein, und es war da, war bei
Gott und war Gott von Ewigkeit her.
279
Mus allein l
Jesus allein hat für dich am Kreuze gelitten,
war an deiner Stelle im Gericht vor Gott — kein anderer,
kein zweiter. Willst du Ihm nicht dein Herz
schenken. Ihm allein, ganz und ungeteilt? Er
allein ist deiner Sünden wegen gestorben. Willst du Ihn
nicht lieben und Dem leben, der für dich gestorben
ist? Du liebst vielleicht eine auf Erden dir nahestehende
Person mit der ganzen Kraft deiner Seele. Ist dieser
Mensch für dich in die Kelter des Zornes Gottes geworfen
worden? Hat er den bitteren Kelch für dich getrunken?
Wenn nicht, so stelle deinen Heiland über diesen
Menschen und wache darüber, daß der Herr Jesus
nicht etwa erst an zweiter Stelle stehe.
Er allein gibt dir für den Weg aus Seiner Fülle
Gnade um Gnade. Er allein kann dich völlig und ganz
verstehen, kann jetzt, und einst für immer, deine Tränen
trocknen. Nur Er vermag süße Ruhe, tiefen Frieden
in dein Herz zu senken, während du durch Kampf und
Leiden gehst und stürmische Wogen dich umbranden. Dann
vermagst du zu sagen: „Wenn Er Ruhe gibt, wer will
beunruhigen?" Auch vermag nur Er allein den
Sturm in Stille zu verwandeln. Nur Ihm allein
ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben, drum
kann nur Er dir in allen Dingen helfen. Er allein
ist bei dir alle Tage, und zu Ihm allein kannst du zu
jeder Zeit und an jedem Orte kommen.
Von Ihm allein kannst du singen und sagen:
„Wer ist wohl wie Du", von Ihm allein heißt es:
280
„Alles an Ihm ist lieblich". Ihm allein darfst du
unbegrenzte Bewunderung und uneingeschränktes
Vertrauen entgegenbringen. Möchtest
du das nicht tun? Er allein ist dessen
würdig.
Nur Er ist unwandelbar, derselbe gestern, heute
und in Ewigkeit, der Fels der Ewigkeiten. Er ist der
einzige, der dir nicht genommen werden kann. Er lebt
immerdar.
Er allein führt dich ins Vaterhaus ein und wird
ewig deine gesegneten Beziehungen zu Gott aufrecht halten.
Ihm allein gebührt alle Ehre, höchstes Lob,
ewige Anbetung. Willst du Ihn nicht jetzt schon
verherrlichen?
„V>l<r deine Tage, so deine Kraft."
Wie dein Tag, so soll auch sein
Deine Kraft, dem Tagewerk entsprechend.
Wandernd keinen Augenblick allein,
Unter keiner Last zusammenbrcchend;
Unverzagt, auch wenn ins Dunkel führen
Seine Wege, wenn Verderben droht;
Immer wird ein Christenherz es spüren:
Cr kennt meine Schwachheit, meine Not,
Meinen Weg, mein Ziel. — Der mich berufen
Hin zu Seines Himmelsthrones Stufen,
Er allein auch wunderbar es schafft,
Daß Sein Wort, Sein heil'ger Liebeswille
Tag für Tag sich immerdar erfülle:
Wie dein Tagewerk, so deine Kraft! G H
„Selbst Einfältige
werden nicht irregehen."
Da ist eine Stelle im 35. Kapitel des Propheten
Jesaja, die eine sehr wertvolle Unterweisung für unsere
Seelen enthält. Sie lautet: „Und daselbst wird eine Straße
sein und ein Weg, und er wird der heilige Weg genannt
werden; kein Unreiner wird darüber hinziehen, sondern
er wird für sie sein. Wer auf dem Wege wandelt —
selbst Einfältige werden nicht irregehen." (V. 8.)
Zweifellos bezieht sich dieser Vers zunächst auf Israel,
wenn die Zeit für Gott gekommen ist, diesem Volke sich
wieder in Gnaden zuzuwcnden und es in den Genuß der
ihm verheißenen Segnungen einzuführen; aber er ist
grundsätzlich gültig für alle Zeiten.
Es hat stets einen „heiligen Weg" gegeben. Schon
Henoch wandelte darauf, und andere mit und nach ihm.
Selbst unter dem Gesetz konnte er gefunden werden.
Wenn auch der Mensch durchs Gesetz nie Heiligkeit erlangen
konnte, war Gott doch in der Mitte Seines Volkes,
und wenn es fleißig auf Seine Stimme hören und
Seinen Bund halten würde, sollte es Ihm ein König
— 307 —
reich von Priestern und eine heilige Nation sein. (2. Mose
79, 5. 6.) Sehr wahrscheinlich haben nur wenige diesen
Weg erkannt, und die Zahl der darauf Wandelnden war
noch geringer; aber die Verfehlungen Israels machten
weder das, was Gott für Sein Volk sein wollte, noch die
Stellung, in welche Er es gebracht hatte, ungültig.
Daß Gott für Sein Volk in der gegenwärtigen Zeit
einen „heiliget» Weg" vorgesehen hat, braucht kaum hervorgehoben
zu werden. Er läßt ihm sagen: „Auch ihr
selbst werdet als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches
Haus, ein heiliges Priestertum, um darzubringen
geistliche Schlachtopfer, Gott wohlannehmlich durch
Jesum Christum", (7. Petr. 2, 5.) Und: „Gott hat uns
nicht zur Unreinigkeit berufen, sondern inHeiligkei t".
(7. Thess. 4, 7.) Und: „Jaget dem Frieden nach mit
allen und der Heiligkeit, ohne welche niemand den
Herrn schauen wird". (Hebr. 42, 74.)
Doch wie ist dieser Weg zu finden, und wer sind die
Leute, die darauf wandeln? Wir lesen in Psalm 703, 7,
daß Gott den Kindern Israel Seine Taten kundgetan
hat, Mose aber, dem Sanftmütigsten unter den
Menschen seiner Zeit (4. Mose 72, 3), Seine Wege.
Das steht im Einklang mit dem Wort in Ps. 25, y:
„Er leitet die Sanftmütigen im Recht, und lehrt
die Sanftmütigen Seinen Weg". Beide Stellen
zeigen uns den Geist, in welchem wir an das Wort Gotteö
herantreten müssen, um Gottes Wege kennen zu lernen.
Von großem Wissen, von Bildung und Gelehrsamkeit
ist hier keine Rede; was wir bedürfen und was uns
geziemt, ist Sanftmut und Demut. „Die Opfer Gottes
sind ein zerbrochener Geist." (Ps. 57, 77.) „Auf diesen
Z02
will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen
Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte." (Jes.
66, 2.)
Niemand darf auch erwarten, Gotteö Wege kennen
zu lernen, der aus bloßer Wißbegierde oder gar nur aus
Neugier das Wort erforscht und, wenn er diese Wege er-
kannr zu haben meint, nun denkt, es stehe bei ihm zu
entscheiden, inwieweit er auf ihnen wandeln wolle oder
nicht. ES ist nicht dem Menschen überlassen, nach Belieben
dies und daö aus Gottes Geboten auszuwählen.
Nein, „wer da weiß Gutes zu tun, und tut es nicht, dem
ist eö Sünde". (Jak. 4, 47.) Wenn Gott gesprochen
har, gebührt eö uns, zu gehorchen, in Einfalt und Treue
den Weg zu gehen, den Er vorschreibt. Folgen wir unsern
Gefühlen oder geben wir den Auslegungen und Einwürfen
unseres Verstandes Gehör, so werden wir „irregehen".
Wie viele sind auf diese Weise irregegangcn, ja,
haben den Weg der Wahrheit völlig verfehlt!
Wenn es je eine Zeit gegeben hat, auf welche die
ernsten Warnungen des Wortes Gottes anzuwenden waren,
so ist es die gegenwärtige. Mehr als je stellt man
seine eigenen Gedanken dem Worte Gottes entgegen und
scheut sich nicht, einzelne Teile desselben als nicht mehr
zeitgemäß zu erklären und andere nach Gutdünken abzuschwächen.
Daß man damit Gottes Wort schlimmer
behandelt, als die Kundgebungen irgend eines vertrauenswürdigen
Menschen, daran denkt man nicht. Hunderttausende
geben wohl zu, daß die Bibel Gottes Wort enthalte,
erkühnen sich aber, die Schreiber der einzelnen
Bücher zu kritisieren und über sie zu Gericht zu sitzen.
Als wenn der allweise und allmächtige Gott nicht im-
30Z
ftande wäre. Seine Gedanken durch die von Ihm erwählten
Werkzeuge in Worten wiederzugeben, die durch
Seinen Geist eingegeben find. (Vergl. 1,. Kor. 2, 6—16.)
Man behauptet auch, ohne Kenntnis der Ursprachen,
in welchen daö Wort Gottes geschrieben ist, sei es überhaupt
unmöglich, das Geschriebene richtig zu verstehen
und zu beurteilen. Daß jene Kenntnis von überaus hohem
Werte ist, wird niemand bestreiten; aber der Gott aller
Gnade hat dafür gesorgt, daß gute und wortgetreue Übersetzungen
uns zu Gebote stehen, und der „geistliche" Leser
wird an Hand derselben das durch den Heiligen Geist
Gelehrte weit besser verstehen als ein „natürlicher", nicht
wiedergeborener Mensch bei aller Gelehrsamkeit und Verstandesschärfe.
Von einem solchen Menschen lesen wir:
„Er nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn
eö ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen,
weil es geistlich beurteilt wird". (1. Kor. 2, 14.)
Vergessen wir nie: „Wer auf dem Wege wandelt
— selbst Einfältige werden nicht irregehen". Immer
wieder machen wir die Erfahrung, daß einfältige, oft des
Lesens kaum kundige Männer und Frauen, deren Füße
auf dem „heiligen Wege" stehen, weit mehr von der Wahrheit
Gottes erfassen und in Seinen Offenbarungen zu
Hause sind, als sogenannte Gottesgelehrte mit all ihrem
Wissen. Diese Erfahrung deckt sich mit dem Worte des
Herrn: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und
der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen
hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja,
Vater, denn also war es wohlgefällig vor
dir." (Matth. 11, 25. 26.) O daß alle, die da meinen,
Gottes Wort mit ihrem Verstände beurteilen und mei
Z04
stern zu können, über diesen Ausspruch nachsinnen möchten!
„Unmündige", die da überzeugt sind, daß sie der
Belehrung bedürfen, nehmen froh und dankbar an was
Gott sagt, und Er segnet und belohnt ihren kindlichen
Glauben, während jene anderen, stolz auf ihre Forschungen
und ihre vermeintliche Fähigkeit, alles prüfen zu können,
den Weg verfehlen, der zur wahren Weisheit leitet.
Nicht unbekannt ist ja auch, daß der Herr einst ein
Kindlein in die Mitte Seiner Jünger stellte und zu ihnen
sprach: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret
und werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht in das
Reich der Himmel eingehen. Darum, wer irgend sich selbst
erniedrigen wird wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte
im Reiche der Himmel." (Matth. 48, 2—4.)
In welch einem Gegensatz steht dies zu dem, was
wir heute rund um uns her erblicken! Hüten wir uns deshalb
vor „dem Geist dieser Zeit", damit er nicht auch
uns ungewollt und unbewußt beeinflusse! Laßt uns alle
danach trachten, einem kleinen Kinde zu gleichen, das
ohne Zögern und Überlegen dem Worte des geliebten Vaters
glaubt! Das ist der Weg, auf welchem der Heilige
Geist unS belehren kann. Laßt uns, wie einst Maria zu
den Füßen unseres Herrn sitzend und Ihm zuhörend, alle
die gnadenvollen Worte in uns aufnehmen, die aus Seinem
Munde hervorgegangen sind, oder die Schriften erforschen,
„die von Gott eingegeben und nütze sind zur
Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung
in der Gerechtigkeit"! Nur so werden wir als
Menschen Gottes „vollkommen sein, zu jedem guten
Werke völlig geschickt". (2. Tim. Z, 46. 47.)
305
Ein N>ort über das Gebet
In seinen nachgelassenen kurzen Aufzeichnungen sagt
Z. N. Darby sehr schön über das Gebet:
„Gott schenkt uns im Gebet nicht nur Segen in der
Gemeinschaft mit Ihm, sondern Er gibt uns auch Anteil
an Seinem Vorrecht, anderen Segen zu bringen. Wenn
ich das Wort Gottes verkündige, und der eine oder andere
Hörer empfängt ewiges Leben, so ist das ganz und gar
Gottes Werk, nicht das meinige; allein Gott gibt mir in
Seiner Gnade einen Anteil daran als Werkzeug, wiewohl
ich meine völlige Abhängigkeit von Ihm darin anzuerkennen
habe. Diese Abhängigkeit kommt im Gebet noch völliger
zum Ausdruck. Nicht als ob Gott hier das Werk
noch ausschließlicher allein täte als bei der Predigt des
Wortes, aber ich stehe in vertrauterer Beziehung zu Ihm:
ich bringe Ihm meine Wünsche und Anliegen dar, Liebe
zu den Seelen, ihre Bedürfnisse, oder die Bedürfnisse der
Versammlung (Gemeinde), und Er handelt, wie Er es
tat, als ich das Wort verkündigte. Ich habe mehr Gemeinsames
mit Gott im Gebet, als in der Predigt. Ich kann
schwierigere Fälle erreichen, wo ein gesprochenes Wort
nicht angebracht ist, auch Fälle, die außer meinem Bereich
liegen; ich kann die Macht Satans, die Welt, ja,
jedes Hindernis für solche Seelen vor Gott bringen, die
ich selbst nicht erreichen kann. Im Gebet gibt es mehr Vertraulichkeit,
mehr gemeinsame Interessen mit Gott (selbstverständlich
in Abhängigkeit von Ihm), als in der Predigt
des Wortes, und der Kreis meiner Tätigkeit ist weit ausgedehnter."
Z06
Kragen aus dem Leserkreise
1. — Wie ist der Ausdruck „Diener des neuen Bundes" in
2. Kor. 3, 6 zu verstehen? Inwiefern waren die Apostel solche
Diener, da doch nach Hebr. 8, 8 ff. und Id, IS dieser neue Bund
für Israel bestimmt ist ? — Kann das griechische Wort für „Bund"
auch mit „Erbe" überseht werden?
Zunächst sei bemerkt, daß das betreffende griechische Wort
niemals die Bedeutung von „Erbe" Hut. Cs bezeichnet ur'prllng-
lich eine Anordnung, eine lehtwillige Verfügung, ein T e st a m e n t.
(Vergl. Hebr. y, 16. 17.)
Was nun den „neuen Bund" betrifft, so wird er allerdings in
buchstäblichem Sinne erst mit dem Haust Israel und mit dem Hause
Juda (Ier. 31, 31) oder „in bezug auf sie" (Hebr. 8, 8) vollzogen
werden. Unsere Beziehungen als Kinder zum Vater beruhen
nicht auf einem Bunde. Nichtsdestoweniger stehen wir auf derselben
Grundlage, auf welcher der neue Bund errichtet werden wird,
dem Blute Jesu Christi. (Vergl. Matth. 2S, 28; Luk. 22, 20;
1. Kor. 11, 25; Hebr. 13, 2d.) Der Mittler dieses neuen Bundes
ist wiederum Christus (Hebr. S, 15), unser großw Hoher-
priester, der, nicht wie einst Aaron, in das Heiligtum hienieden,
sondern in die himmlischen Drter droben ein gegangen ist, wo wir
jeht, nachdem der Vorhang (d. i. «ein Fleisch) zerrissen ist, auf
einem neuen und lebendigen Weg: eintreten dürfen und durch den
Auferstandcnen teichaben an den himmlischen Dingen, die nunmehr
rückhaltlos dem Glauben geoffenbart sind. Unter dem alten Bunde
war weder dieser Weg geoffenbart, noch das Gewissen ein für allemal
so gereinigt, daß ein freimü iges Eintreten ins Heiligtum möglich
gewesen wäre. Beide Segnungen sind jetzt das Teil der Kinder
Gottes.
Wir dürfen also sagen: Dis Gläubigen der Jetztzeit sind
nicht (oder doch nur teilweise) in die buchstäblichen Segnungen
des mit Israel und Juda noch zu errichtenden Bundes eingeführt,
stehen nicht in diesem Bunde, gen eßen aber die mit
seiner Grundlegung verbundenen oder die ihn begleitenden geistlichen
Segnung m. Der Apostel füg" dechalb bedeutungwo'l hi zu:
„nicht des Buchstabens, sondern des Geistes". Mit anderen Worten:
er verkündigte den geistlichen Sinn oder die tieferen Gedanken
Gottes, die in den Schatten und Vorbildern des alten Bundes verborgen
lagen und nur von dem Glauben erfaßt werden können.
Während für Israel erst „bei seiner U nkehr" am Erde der Tage,
mit der V o l l z i e h u n g des neuen Bundes, di: auf ihrem H rzen
liegende Decke weggenommen werden wird, schauen wir heute schon
307
mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn. (Vergl.
V. 12—18.)
Beachtenswert ist wohl auch, daß in unserer Stelle im Griechischen
das Geschlechtswort „des" vor „neuen Bundes" fehlt, sodaß
man auch übersehen könnte: „der uns tüchtig gemacht hat zu Neuen-
bundes-Dicnern", d. h. zu Dienern dieses Bundes in geistlichem, nicht
buchstäblichem Sinne des Wortes.
2. — Ist jeder Gläubige ein Brief Christi in dem Sinne von
2. Kor. Z, Z, oder sind es nur dir, dir treu wandeln? Oder will
die Stelle sagen, daß die Versammlung (Gemeinde) in ihrer Gesamtheit
bzw. die Versammlung eines Ortes ein Brief Christi ist?
Im 2. Verse des genannten Kapitels sagt der Apostel von den
Korinthern: „Ihr seid unser Brief, eingeschrieben in unsere Herzen,
gekannt und gelesen von allrn Menschen". Die Gläubigen in
Korinth waren als Ergebnis der Arbeit des Apostels und seiner
Mitarbeiter, vor allem seines persönlichen treuen Zeugnisses, ein
lebendiger Empfehlungsbrief für ihn in der Welt und an di: Welt.
Die Menschen konnten aus dem Bekenntnis urd völlig veränderten
Verhalten der Korinther einerseits erkennen, wie sehr der dem Ap stel
anvcrtraute Dienst eine Herzenssache für ihn wir, und wurden anderseits
überführt, daß es sich bei jenen Gläubigen nicht um ein
bloß äußeres Glaubensbekenntnis oder das Unterschreiben einn Reihe
von Verpflichtungen und Lehrsätzen handelt:, so richtig dieselben
sein mochten, sondern um ein wahres, inneres Werk, um die lebendige
Darstellung dessen, was Paulus lehrte und vertrat.
Aber mehr noch: Der Apostel steht nicht an, von di sen Leuten,
die ihm nicht lange vorher noch so viel Sorge und Schmerz verursacht
hatten, jetzt aber Trost und Freude bereiteten, zu sagen: „die
ihr offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid". Obwohl
sein Dienst das Mittel dazu gewesen war, hatte doch der Heilige
Geist, so wie Gott einst das Gesetz für Israel auf steinerne Tafeln
schrieb, Christum auf die fleischernen Tafeln ihrer Herzen
geschrieben, damit die Welt nun Christum in ihnen lesen möge: und
das war geschehen. Der Apostel sagt nicht, daß sie ein Brief Christi
sein sollten, sondern daß sie das seien; er redet also von einem
bestehenden Verhältnis, in das sie gebracht waren, nicht nur
von einer Pficht. Daß dieses Verhältnis die Pflicht für die Gläubigen
in sich schloß und heute in sich schließt, die Gesinnung
Christi, sei es als Versammlung oder als einzelne, gewissenhaft
und treu zu offenbaren, und daß ein untreuer Christ dieser Pflicht
nicht entspricht, ist selbstverständlich. Das auf unsere Herzen Geschriebene
stellt uns unter eine ernste Verantwortlichkeit.
308
3. — Worin besteht der Unterschied zwischen Zeichen, Wundern
(Wunder werken) und mächtigen Taten? (Vergl. Hebr. 2, 4;
Apstgsch. 2, 22.)
Es ist nicht leicht, diesen Unterschied mit wenigen Worten stst-
zustellen, umsomehr als die genannten Dinge ihrer Bedeutung nach
ost ineinandergreifen. In Nachstehendem seien nur einige Winke
gegeben.
„Zeichen" sind Merkmale, an denen eine Person oder Sache
erkannt wird; z. B. Zeichen eines Apostels, Zeichen der Zeit, Zeichen
der Vollendung des Zeitalters, Zeichen des Sohnes des Menschen
usw. So waren auch die „Sprachen" oder „Zungen" ein Zeichen
für die Ungläubigen (mochten sie es annehmen oder nicht), daß der
Geist Gottes in den Gläubigen wirkte und durch sie allen Menschen
die Heilsbotschaft verkündigen ließ. Diese Zeichen bestanden
häufig in Wunder Zeichen, d. h. es waren Vorgänge oder Handlungen
(wie z. B. in 2. Kor. 12, 12 u. anderswo), in denen Gottes
Macht und Größe sich offenbarten.
„Wunder" (Wunderwerke) sind Erscheinungen oder Handlungen,
die nicht nur von dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, sondern auch
von den Gesehen der Natur abweichen, sie vielleicht unmittelbar
durchbrechen. Das in Apstgsch. 4, 3S—41 Berichtete war in ganz
besonderer Weise ein solches „Wunder".
„Mächtige Taten" sind Handlungen, in denen sich besondere,
dem Handelnden persönlich innewohnende oder ihm verliehene Kräfte
offenbaren.
Hierzu einige Beispiele: Die Speisung der fünftausend (bezw.
viertausend) war sowohl ein Zeichen (von der Anwesenheit des
Messias, des Königs von Israel, nach Ps. 1Z2, 15), als auch ein
Wunder, indem nicht nur die Tausende gespeist wurden, sondern
schließlich noch weit mehr Brot übrigblieb, als ursprünglich vorhanden
war. Ein anderer Beweis von der Herrlichkeit der Person Jesu,
also auch ein Zeichen, war die Stillung des Sturmes auf dem
See Genezareth; hier könnte man aber zugleich auch an eine mächtige
Tat denken. Schon oft hatte der Sturm aufgehört zu wüten,
und die Wogen hatten sich geglättet, aber noch niemals war es auf
diese Weise geschehen. Daher die Frage: „Wer ist denn dieser?"
— Zu dieser letzten Klasse von Zeichen gehört wohl auch der
in Apstgsch. 13, 8—11 erzählte Vorgang.
In 1. Kor. 12, 28—30 lesen wir schließlich noch von „Wun-
derkräften" und „Gaben der Heilungen".
„Herr, du weißt alles."
(Schluß)
Mannigfach sind die Übungen des Gläubigen und
deren Ursachen. Zuweilen sind eö bewahrende Wege des
die Zukunft kennenden himmlischen Vaters, zuweilen die
bitteren Früchte der Wirksamkeit des natürlichen Herzens,
und in Verbindung damit die Erziehungs- und Regierungswege
Gottes. Bald sind es die allgemein in
dieser Welt bestehenden Umstände und Verhältnisse, bald
die ihn umgebenden gottlosen und feindseligen Kinder dieser
Welt, oder es ist gar das Gott verunehrende Verhalten
anderer Gläubiger. Alle diese Dinge gestalten seinen Weg
oft sehr bewegt und bereiten ihm Herzensübungen. Selbst
wenn sein eigenes Herz für den Herrn schlägt und sich
Ihm völlig hingeben möchte, bleiben sie ihm nicht erspart.
So erging es auch einst der Maria von Bethanien im
Hause Simons, des Aussätzigen. Sehr kostbare Salbe
— 319 —
goß sie aus über den Leib des Herrn — eine Salbe, kostbarer
für Sein Herz als für Seinen Leib. Duftender Wohlgeruch
erfüllte das ganze Haus, und, was mehr war, die
Liebe der Maria erfüllte und erquickte das Herz des Herrn.
Er konnte sagen: „Ich bin in meinen Garten gekommen,
...habe meine Myrrhe gepflückt samt meinem Balsam,
habe meine Wabe gegessen samt meinem Honig, meinen
Wein getrunken samt meiner Milch". (Hohel. 5, 1.) Hätten
nicht alle Seine Geliebten, die um Ihn waren, an
Seiner Freude teilnehmen können und sollen? Doch gerade
das Gegenteil muß Er erfahren. Seine Jünger, mit Judas
an der Spitze, haben für Maria nur Verurteilung.
Gleichlaufend mit der Erquickung des Herrn begegnen
wir bei dieser Gelegenheit der Übung der Maria. Niemand
teilt ihre hingebende Liebe, keiner zeigt ein Verständnis
für ihr Tun; sie findet bei den Jüngern nicht
einmal eine stillschweigende Anerkennung ihrer Liebeötat.
Im Gegenteil, man spricht von einer Verschwendung,
einem Verlust, wird unwillig und zürnt mit ihr.
(Vergl. Matth. 26, 6—13; Mark. 14, 3—9 und Joh. 12,
1—8.) Wir sollten meinen, jetzt sei die Zeit für Maria
gekommen gewesen, sich zu rechtfertigen. Doch sie tat es
nicht — ein Anderer, Jesus selbst, trat für sie ein und
rechtfertigte ihr Tun vor aller Welt, für Zeit und Ewigkeit.
Wer aber kann sagen, was ihr Herz vorher gefühlt
haben mag? Daß sie jenen Dingen gegenüber gefühllos
gewesen wäre, ist nicht anzunehmen. „Was machet ihr
dem Weibe Mühe?" Stehen diese Worte nur in Verbindung
damit, daß man unwillig und zürnend über ihr
Tun redete, oder lassen sie uns einen Blick in das Herz
der Maria tun und uns dessen Übungen erkennen? Mir
Z20
scheint das letztere der Fall zu sein. Doch wie ermunternd,
wenn diese Annahme richtig ist: Er, der alles weiß,
sieht auch diese Übungen und eilt der Geübten zu Hilfe
und rechtfertigt sie völlig vor allen!
Seitdem sind fast zwei Jahrtausende verflossen. In
dieser langen Zeit haben viele Herzen treu für Jesum geschlagen,
und viele haben Ihm selbstlos gedient, aber wie
mancher mag auch in seiner Liebe zu Ihm, in der Ausübung
wahrer Anbetung, in der Hingabe an Ihn und im
Dienst für Ihn verkannt und verurteilt worden sein!
Maria hatte schon einmal eine ähnliche Erfahrung
gemacht, als sie zu den Füßen Jesu saß und still Seinen
Worten lauschte. Damals war es ihre eigene Schwester
Martha gewesen, die ihr Tun mißbilligte. Doch auch in
jenem Falle hatte sie eine völlige Rechtfertigung seitens
des Herrn erfahren. Beide Male trugen die Beanstandungen
der Kritiker ein frommes Gepräge, schienen recht
und billig zu sein, entsprachen aber weder den Gedanken
des Herrn noch der Bedeutung der Stunde. Maria
war in diese Gedanken eingedrungen, und sie tat alles
zu seiner Zeit und Ihm entsprechend, gemäß den richtig
gebildeten und geleiteten Empfindungen ihres Her
zens.
Auch in der gegenwärtigen Zeit werden viele treue
und liebende Herzen in ihrem Verhalten durch das Wort
des Herrn gerechtfertigt und ermuntert angesichts des
Nicht-verstanden-werdens oder gar der Verurteilung seitens
anderer Gläubiger oder der Welt. Der Herr kennt
ihre Beweggründe und ihre Übungen und rechtfertigt alles,
was Seinen Gedanken und Seinem Herzen entspricht. So
laßt uns denn viel zu Seinen Füßen sitzen, um in Wahr
— 321 —
heit diese Gedanken zu erfassen, alles zur rechten Zeit
und in der rechten Weise zu tun, um so hier schon, wie
auch einst droben in Seiner Gegenwart, Seine Billigung
zu erfahren.
Bedenken wir indes noch eins: Die Einwendungen
und Beanstandungen der durch Judas Jskariot verleiteten
Jünger in dem einen und der Martha in dem anderen
Falle richteten sich nicht nur gegen Maria, sondern liefen
auch darauf hinaus (wenn auch zum Teil unbewußt und
unbeabsichtigt), den Herrn in Seiner Erquickung und in
Seinen Rechten zu verkürzen, ja, sie waren sogar, mehr
oder weniger, ein offenbarer Tadel des Verhaltens des
Herrn. Wie ernst und belehrend ist das alles für unsl
Oft ergeht eö auch dem Jünger wie dem Herrn selbst,
als Er hienieden war: er ist von Feinden umgeben, und
beißender Spott und giftiger Hohn ergießen sich über ihn,
sodaß er mit dem Herrn sagen könnte: „Denn deinetwegen
trage ich Hohn, hat Schande bedeckt mein Antlitz.
Entfremdet bin ich meinen Brüdern, und ein Fremdling
geworden den Söhnen meiner Mutter. Die im Tore sitzen
reden über mich, und ich bin das Saitenspiel der Zecher."
(Psalm 64, 7. 8.12.) Doch Er, der Seine Seele einst ausschüttete
im Gebet vor Gott nach dem Worte: „Ich aber,
mein Gebet ist zu dir, Jehova" (V. 13), und sich daran
erinnerte: „Du, du kennst meinen Hohn und meine
Schmach und meine Schande; vor dir sind alle meine Bedränger"
(V. Id), der weiß auch von diesen Übungen
Seiner Jünger, und Er weiß den Müden durch ein Wort
auszurichten. Doch möchten auch wir uns jeden Morgen
daö Ohr wecken lassen, damit wir nicht widerspenstig seien
Z22
noch zurückweichen, gleich Ihm, der Seinen Rücken den
Schlagenden bot, Seine Wangen den Raufenden und Sein
Angesicht nicht verbarg vor Schmach und Speichel! Er
wußte: „Der Herr, Jehova, hilft mir; darum bin ich
nicht zuschanden geworden, darum machte ich mein Angesicht
wie einen Kieselstein und wußte, daß ich nicht würde
beschämt werden" (Lies Jes. 50, 4—y.)
Wenn wir das festhalten, so werden wir auch erfahren,
daß Sein Heil, dessen wir uns rühmen, das unsere
Herzen erfreut und uns immer wieder als Bekenner und
Zeugen vor die Menschen hintreten läßt, „in Ewigkeit sein
wird". (Jes. St, 6.) Ermunternd ruft Er selbst uns zu:
„Höret auf mich, die ihr Gerechtigkeit kennet, du Volk,
in dessen Herzen mein Gesetz ist: Fürchtet nicht der Menschen
Hohn, und erschrecket nicht vor ihren Schmähungen!
Denn wie ein Kleid wird sie verzehren die Motte, und
wie Wolle sie verzehren die Schabe; aber meine Gerechtigkeit
wird in Ewigkeit sein, und mein Heil durch alle
Geschlechter hindurch. Ich, ich bin es, der euch tröstet.
Wer bist du, daß du dich vor dem Menschen fürchtest?"
(Jes. 5t, 7. 8. t2.) Und „betrachtet Den, der so großen
Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat,
auf daß ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen
ermattet". (Hebr. 72, 3.) Der Herr schenke all den Seinen
immer wieder neuen Jeugenmut!
Jesu, Jesu, Du allein
Stillest mein Verlangen.
Dich selbst darf ich nennen mein,
Freudig, ohne Bangen.
Du verstehst von ferne schon,
WaS ich Dir will sagen.
Weißt, was Leiden ist und Hohn,
Darf Dir alles klagen.
323
Laßt uns zum Schluß noch einen Blick werfen auf
die Worte in Joh. 2, 23—25: „Als Ec aber zu Jerusalem
war, am Passah, auf dem Feste, glaubten viele an
Seinen Namen, als sie Seine Zeichen sahen, die Er tat.
Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil Er
alle kannte und nicht bedurfte, daß jemand Zeugnis gebe
von dem Menschen; denn Er selbst wußte, was in dem
Menschen war." Wie erhaben steht unser Herr auch in
diesen Worten vor uns! Andere mochten sich in Zukunft
getäuscht sehen an denen, die Seiner Zeichen wegen an
Ihn glaubten, Er von Anfang an nicht. „Jesus selbst aber
vertraute sich ihnen nicht an." In Joh. 6, von Vers 60
an, finden wir etwas Ähnliches, und in Vers 64 lesen wir:
„Aber es sind etliche unter euch, die nicht glauben. Denn
Jesus wußte von Anfang, welche es seien, die nicht glaubten,
und wer es sei, der Ihn überliefern würde."
Ähnliche Erfahrungen machen auch wir bei der Verkündigung
des Wortes. Wie so mancher Same erweist
sich als auf das Steinichte gesät: „Der aber auf das
Steinichte gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört und
es alsbald mit Freuden aufnimmt; er hat aber keine Wurzel
in sich, sondern ist nur für eine Zeit; und wenn Drangsal
entsteht oder Verfolgung um des Wortes willen, alsbald
ärgert er sich." (Matth. 43, 20. 24.) Schon das
Hören der Wahrheit dient bei manchem dazu, seinen wahren
Zustand zu offenbaren, wie es auch zur Zeit des Herrn
der Fall war: und „von da an gingen viele Seiner Jünger
zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm". (V. 66.)
Zeichen und Wunder mochten damals, Worte der Gnade
mögen heute wie damals Bewunderung und Scheinglauben
bei manchen hervorbringen; Drangsal und Verfolgung um
324
des Wortes willen machen aber solche offenbar und zeigen
uns die wahre Beschaffenheit ihres Herzens. Denn die
Worte der Gnade sind auch Worte der Wahrheit.
(Vergl. hierzu Luk. 4, 22 mit den Versen 23—30.) Wie
sollte uns das alles solchen gegenüber, die wohl Seinen
Namen bekennen, sich aber noch nicht durch ihre Frü ch-
t e als wahre Gläubige erwiesen haben, zur Vorsicht mahnen,
besonders in der gegenwärtigen Zeit! Da wir nicht
in die Herzen hineinschauen können und nicht, wie Er,
„alles wissen", sollten wir umsomehr darauf warten,
welche Früchte sich offenbaren, und dazu bedarf es eben
einer gewissen Zeit und mancher Gelegenheiten.
Die möglichst richtige Beurteilung der Stellung
und des Zustandes eines Bekenners ist äußerst wichtig,
da sie doch schließlich unser persönliches und gemeinsames
Verhalten einem solchen gegenüber bestimmt. Freudige Anerkennung
als Bruder oder Schwester im Herrn oder vorsichtige
Zurückhaltung hangen von dieser Beurteilung ab.
Ein falsches Verhalten einer solchen Seele gegenüber
in der einen oder anderen Form kann nur ernste Folgen
haben. Auch sollte sich in diesen Dingen kein Gläubiger
ausschließlich auf sein eigenes Urteil verlassen. Wie
bitter haben schon viele ein solches Tun bereut! Wie
manche Ehe ist z. B. auf diese Weise geschlossen worden,
die sich bald nachher als ein ungleiches und hartes
Joch erwies und unzählige bittere Tränen auslöste! Wenn
irgend möglich sollten wir in vorkommenden Fällen das
Urteil erfahrener Gläubiger hören und die Erfahrungen
der Zeit uns dienstbar machen. Gläubige, die allzuschnell
bereit sind mit der Anerkennung von Seelen, legen
häufig auch einen nicht geringen Druck auf diejenigen ih
Z2S
rer Geschwister, die auf Grund der Belehrungen deö Wortes
und eigener oder fremder Erfahrungen in diesem
Stück mit Recht vorsichtiger und zurückhaltender sind.
Wahr ist es allerdings, daß jemand in der Zurückhaltung
oder gar Versagung der Anerkennung, vielleicht aus einseitigen
Erwägungen und Erfahrungen heraus, zu weit
gehen kann. Aber solche Fälle sind naturgemäß seltener.
Alles das zeigt uns, daß es mit uns nicht ist wie
mit Ihm. Er kannte (und kennt) alle, und bedurfte nicht,
daß jemand Zeugnis gebe von dem Menschen. (Joh. 2, 24.
25.) Wir aber sind auf Beobachtung, Erfahrung und
Zeugnis-geben von anderer Seite angewiesen. Und wenn
wir uns fragen, ob wir uns nicht schon selbst im Laufe
der Zeit in Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten gebracht
haben, weil wir diese Dinge mehr oder weniger
unterschätzten oder doch nicht genügend beachteten, so werden
wir die Frage wohl in schmerzlicher Erinnerung bejahen
müssen. Im Zusammenhang damit sei noch auf Stellen
des Wortes hingewiesen, wie: „Die Hände lege niemand
schnell auf" (4. Tim. 5, 22) und: „Als sie die
Gnade erkannten, die mir gegeben ist, gaben Jakobus
und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen
wurden, mir und Barnabas die Rechte der Gemeinschaft".
(Gal. 2, y.) Diese Stellen mögen in ihrer Bedeutung
und Auswirkung noch weitergehen, aber sie haben uns
sicher manches zu sagen in Verbindung mit dem Besprochenen.
Welche Lehre und Ermunterung aber könnten und
sollten wir aus dem allen ziehen? Nun, nichts liegt näher,
als daß wir mit unserer Unwissenheit immer wieder
im Gebet zu Dem gehen, der „alles weiß", der auch weiß,
32k
was im Menschen ist. Er kann und will uns leiten, damit
niemand Unrecht geschehe. Er kann und will offenbar
machen, sowohl das Gute, als auch, wenn nötig, das
Böse, und dann wissen wir, woran wir sind, und wie wir
uns zu verhalten haben, wenn anders Gottes Wort unsere
alleinige Richtschnur ist für unser Tun, sei es persönlich
oder gemeinsam. Darum laßt uns auch in diesen Dingen
„mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der
Gnade, auf daß wir... Gnade finden zur rechtzeitigen
Hilfe". (Hebr. 4, 16.)
Indem wir hiermit unsere Betrachtung schließen, sei
noch einmal daran erinnert, daß unser hochgelobter Herr
nicht nur alles weiß, sondern auch mächtig und bereit
ist, nach Seiner Kenntnis unserer Bedürfnisse, sowie
nach der Freundlichkeit Seines Herzens und nach der Heiligkeit
Seiner Person uns zu belehren, zurechtzuweisen,
zu ermuntern und zu trösten, uns zu versorgen nach Seele
und Leib, uns Licht zu geben und uns zu leiten in allen
persönlichen und gemeinsamen Angelegenheiten.
Wie groß und herrlich ist doch Sein Name, wie unergründlich
Seine Fülle, wie reich Seine Gnade! Sein
Name sei jetzt und ewig von uns gepriesen! Amen.
Ll<rtN2rbett *l
Im natürlichen Leben liegt es dem Menschen, auf
große Dinge zu sinnen und nach ihnen zu trachten. Aber
') Obige, von einigen bewährten Sonntagschulhaltern nieder-
geschriebcnen Gedanken wurden mir mit der Bitte zugeschickt, sie
im „Botschafter" zu veröffentlichen. Ich entspreche der Bitte mit
Freuden in der Hoffnung, daß die warme, zeitgemäße Anregung
einer willkommenen Aufnahme begegnen und in den Herzen der
Leser einen entsprechenden Widerhall finden wird.
Z27
auch im christlichen Leben läuft man diese Gefahr, wenn
es an der nötigen Wachsamkeit fehlt. Schon den Korinthern
mußte Paulus den Vorwurf machen, daß sie sich
in den Dingen suchten, die in den Augen der Menschen
groß waren: in geistlichen Gaben, Redeweisheit, Sprachenreden
usw. Und was war die Folge dieser Sucht? Anstatt
Fortschritte zu machen, waren die Gläubigen stehengeblieben,
wenn nicht gar zurückgegangen, sodaß der
Apostel ihnen schreiben mußte: „Ich konnte nicht zu euch
reden als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen".
Unsere Natur ist heute nicht anders. Die Gefahren,
die jene hatten, drohen auch uns. Tun wir nicht oft dasselbe
wie sie, indem wir auf Menschen blicken und Unter
schiede machen, die Gott nicht anerkennt? Er sieht das
Herz an und beurteilt dessen Beweggründe.
Wie mancher hat sich, zumal in seiner Jugend, zu
Großem berufen gefühlt, meinte in fleischlichem Eifer,
allerlei für Gott tun zu müssen, und hat darüber das
versäumt, was Gott wirklich von ihm wollte. Im Worte
Gottes werden wir immer wieder ermahnt, im Kleinen
treu zu sein, jede, auch die geringste uns übertragene
Arbeit gewissenhaft und in Abhängigkeit vom Herrn
zu tun.
Zu diesen scheinbar kleinen Dingen gehört auch die
Sonntagschularbeit, die dementsprechend in ihrer
allgemeinen Bewertung wie in der Ausübung oft allzu
leicht genommen wird. ES gibt Orte, wo diese Arbeit vernachlässigt
wird, vielleicht noch nie richtig getan worden
ist. Der Entschuldigungsgründe gibt es da manche.
Hier meint man, es fehle an den nötigen Gaben für diesen
Dienst, dort kann man hören, die Kinder der Ge
Z28
schwister seien so gering an Zahl, daß die Arbeit sich nicht
lohne. An einer Stelle wurde die Arbeit sogar deshalb
eingestellt, weil „nur eine Schwester" sie tat. Indem ich
diesen Fall anführe, möchte ich betonen, daß gerade in
der Sonntagschule den Schwestern sich ein schönes Betätigungsfeld
darbietet, zumal bei kleineren Kindern, zu deren
Herzen eine Schwester oft viel leichter den Weg findet
als ein Bruder.
Wir zählten vorhin die Sonntagschularbeit zu den
scheinbar kleinen Dingen. Aber ist sie wirklich so wenig
wichtig, wie manchmal angenommen wird? Würden nicht,
wenn man eine Rundfrage anstellen könnte, Tausende
bekennen, daß sie gerade in der Sonntagschule ihren Heiland
gefunden haben? Es ist ja doch viel leichter, ein
Kinderherz, das noch nicht durch die Sünde hart geworden
ist, zu erreichen, als das Herz eines Erwachsenen. Sicher
gehen Kinderbekehrungen meist nicht so tief wie die bei
reiferen Menschen, welche die Furchtbarkeit der Sünde
aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben; aber sind es
deshalb in den Augen Gottes keine vollwertigen Bekehrungen?
Was bedeutet es ferner, wenn in manchen Versammlungen
nicht mehr der Kinderreichtum zu finden ist
wie früher? Die Erscheinung ist an und für sich tief bedauerlich.
Aber sind wir auf die Kinder der Gläubigen
beschränkt? Sollten wir nicht vielmehr Kinder aus ungläubigen
Kreisen zu erreichen suchen? Kinder, die vielleicht
noch nie etwas von einem Heiland, der Sein Leben
für sie gab, gehört haben, die vielmehr schon in früher
Jugend systematisch zum Unglauben oder gar zur Gottlosigkeit
erzogen und so für das ganze Leben vergiftet
werden?
Z2Y
Um solche Kinder zu erreichen, ist natürlich viel Liebe
und fleißige Werbearbeit von jung und alt nötig. Und
wenn die Kinder regelmäßig kommen sollen, so muß es
ihnen in der Sonntagschule gefallen, sis müssen sich
angezogen fühlen, da sie wohl selten von ihren Eltern
zum Besuch der Schule angehalten, viel häufiger aber davon
abgehalten werden. Bildet die Sonntagschule für diese
Kinder keinen starken Magnet, so kommen sie einmal und
bleiben dann wieder fort.
Das Kinderherz zu gewinnen ist garnicht so schwer.
Kinder singen gern, hören auch gern Geschichten; darum
muß der ganze Unterricht für das kindliche Verständnis
möglichst geschichtenmäßig zugeschnitten sein. Für Kinderohren
sind lehrhafte Predigten immer langweilig. Das
Kind will teilnehmen, will viel gefragt werden, je mehr
desto lieber. Soll es nur stumm dasitzen und hören, so
läßt die Aufmerksamkeit leicht nach und damit die Lust,
überhaupt wiederzukommen. Kleine Belohnungen für fleißiges
Sprüchelernen, für das Mitbringen von anderen
Kindern usw. wirken oft Wunder.
Vor allem muß ein Herz voll Liebe da sein. Ein Kind
merkt sofort, wo ihm Liebe entgegengebracht wird. Da
fühlt es sich wohl, und dahin kommt es gern. Um mit
Kindern umzugehen, muß man ein Kind werden und sich
erinnern, was einem selbst gefallen hat, als man noch
so klein war. Liebe macht erfinderisch. Das gilt auch hier.
Wo Liebe das Herz regiert, da stellt sich ganz von selbst
das Nötige ein. Und vor allem — machen wir die ganze
Arbeit mehr als bisher zum Gegenstand des Gebets, erbitten
wir uns von oben alles, was wir brauchen, tragen
wir jedes einzelne der Kinder, die Gott uns zuführt, auf
— zzo —
betendem Herzen! Dann wird gewiß die Frucht nicht ausbleiben.
Die Sonntagschularbeit ist eine schöne Arbeit, ein
vollwertiger Teil des Werkes des Herrn, eine Missionsarbeit
im Kleinen. An einem Missionar findet man es
selbstverständlich, daß er sich alle Mühe gibt, womöglich
das ganze Leben darauf verwendet, um den Weg zu den
Herzen der Eingeborenen zu finden, daß er mit ihnen lebt
und sich ganz auf ihre Eigenarten einstellt. Sollen wir
die Arbeit an den Kindern mit geringerem Eifer betreiben?
Ist es nicht der Mühe wert, allen Fleiß anzuwenden?
So lieblich das Vorrecht ist, wenn der Herr uns eine Arbeit
gibt, und so hoch die Ehre, wenn Er uns würdigt,
Seine Mitarbeiter zu sein, so ernst ist auch die Verantwortlichkeit,
daß wir uns Seines Auftrages entledigen,
und wie wir es tun; denn: „Wer da weiß, Gutes zu
tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde".
Aber nicht nur auf den einzelnen, die sich an einem
Orte unmittelbar mit den Kindern beschäftigen, liegt die
Verantwortung für diesen Dienst. Alle Geschwister sollten
an ihrem Teil daran mithelfen und -tragen. Wie jeder
andere Teil des Werkes des Herrn, ist auch die Sonntagschularbeit
Sache aller Geschwister. Nicht jeder kann
Sonntagschule halten, aber jeder kann dafür beten, und
viele können auch noch in anderer Weise mithelfen. Wieviel
erfolgreicher würde z. B. die Werbearbeit für die
Sonntagschule sein, wenn jede Schwester, jeder Bruder,
jeder, der überhaupt mit Kindern zusammenkommt, sei
es auf der Straße, sei es im Hause oder im Bekanntenkreise,
sei eö mündlich oder durch Einladungskarte, für
die Sonntagschule einlüde!
— 331. —
Welch reiche Frucht wird es auch haben, wenn der
Kreis derer, die für diese Arbeit beten, sich nicht nur auf
die Sonntagschulhalter oder -Halterinnen und vielleicht
noch einige andere Geschwister beschränkt, sondern wenn
alle Geschwister in beständiger, herzlicher Fürbitte dafür
eintreten! Welch eine Ermunterung wäre es auch für alle,
die sich in diesem Dienst bemühen, wenn in den gemeinsamen
Gebetsstunden häufiger dieser Arbeit gedacht würde!
„Leget ab alles üble Nachreden!"
Fürwahr, ein passendes Wort für alle Zeiten, besonders
aber Wohl kurz vor Beginn eines neuen größeren
Zeit- und Lebensabschnittes! Ich las kürzlich:
Eine gläubige Frau bekam eines Tages Besuch von
einer Nachbarin. Geheimnisvoll erzählte diese von einer
bekannten Frau im Orte, die sich etwas hätte zuschulden
kommen lassen. Haarklein wußte sie die Geschichte vorzutragen.
Als sie endlich ihren Bericht schloß, sagte die an
dere:
„Das ist aber schrecklich! Da will ich doch gleich
meinen Hut aufsetzen, und dann gehen wir beide zu der
armen Frau hin und reden mit ihr, damit sie zur Einsicht
und Umkehr komme."
Da wurde die Erzählerin ganz verlegen. Sie stammelte
eine Entschuldigung, und endlich, als die andere
auf ihrem Vorhaben bestand, meinte sie, vielleicht verhalte
sich die Sache doch anders, als sie berichtet habe;
sie habe nur von ungefähr davon gehört. Dann verließ
sie schleunigst das Haus.
Z32
Kum Jahreswechsel
Warum noch zagen, wenn die Morgenröte
Sich leuchtend schon am Horizonte zeigt?
— Als ob der Himmel einen Gruß entböte
Aus einer Welt, wo jede Klage schweigt!
Mag auch die Nacht noch ihre Schatten breiten —
Des Glaubens Auge sieht ein Helles Licht,
Den Widerschein verborgner Herrlichkeiten
Von ew'gem, überschwenglichem Gewicht.
Bald wird wie Schall und Rauch das Leid verwehen.
Und aller Augen werden unverhüllt
In Herrlichkeit des Herren Antlitz sehen;
O ja, noch heute kann es wohl geschehen.
Daß unsers Herzens Hoffnung sich erfüllt,
Und wir vereinigt Ihm entgegengchen.
Warum noch klagen, wenn der erste Strahl
Des heißerschnten Tages, schon erglommen,
Weit hinter uns enthüllt das tiefe Tal,
Vor uns die Höhe, die nun bald erklommen?
Dann bleibt zurück der Erde Last und Tand,
Wie von des wegemüden Pilgers Rücken
Am Ziele fällt daS staubige Gewand
Und jede Bürde, die ihn mochte drücken.
Des Geistes Ruf, der Braut inbrünstig Flehen —
Ein Weilchen noch! dann wird's vom Herrn gestillt.
Schon weicht die Nacht, und Morgenlüfte wehen;
O ja, noch heute kann es wohl geschehen.
Daß unsers Herzens Hoffnung sich erfüllt.
Und wir vereinigt Ihm entgegengehen.
R. H.