2. Mose, Vorwort Mackintosh C.H.Mackintosh

10/07/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Gedanken zum 2. Buch Mose C. H. Mackintosh

Vorwort

Im zweiten Buch Mose ist die Versöhnung das zentrale Thema. Mose tritt als der Befreier Israels auf, und das Verhältnis des Volkes Israel zu Gott wird durch das Blut des Passahlammes göttlich geordnet. In ver­schiedenen Bildern wird uns vor Augen geführt, welche Bedeutung das Kreuz Christi für Gott und für den Menschen hat. 

Wir sehen Israel hinter den mit Blut besprengten Türpfosten in voller Sicherheit vor dem Schwert des Gerichts, und wir sehen es am anderen Ufer des Roten Meeres der Gewalt seines Unterdrückers glücklich entronnen. Im Bild erkennen wir hier die Stellung jedes wahren Gläubigen. Durch den Tod Christi vom ewigen Gericht und aus der Gewalt Satans befreit, ist er für den Weg durch die Wüste ausgerüstet. Wir hören den Lobgesang der Befreiten angesichts Fluten, die über ihre Feinde

 hinweggehen; wir begleiten das Volk bis zu den Palmbäumen und Wasserbächen Elims; wir durchschreiten mit ihm die Sandebenen der öden, pfadlosen Wüste; wir hören sein Murren und blicken mit Bewunderung auf die fürsor­gende Hand dessen, der aus dem Felsen Wasser hervorbrechen läßt, der Brot und Fleisch in Fälle sendet, und der in unwandelbarer Treue Seinem murrenden Volk das Geleit gibt; wir hören die Donner des Berges Sinai und das leichtfertige Gelübde

 des Volkes das sich selbst nicht kennt. Mitten in Rauch und Flammen horcht Mose auf die Worte dessen, der ein verzehrendes Feuer ist, und am Fuß des Berges tanzt das Volk mit jauchzendem Geschrei um ein gegossenes Kalb. Wir sehen dann in der Errichtung der Stiftshütte und der Berufung des Priester­tums die unverbrüchliche Treue und Fürsorge Gottes, mit der Er Seine Beziehungen zu Seinem irdischen Volk aufrecht erhält und es durch die Wüste leitet.

Alles das zieht bei der Betrachtung des zweiten Buches Mose wie Licht und Schatten an unseren Blicken vorüber. Und während das Neue Testament uns die Tragweite des vollbrachten Werkes und die Schön­heit der Person Jesu Christi darstellt, zeigt uns das Alte Testament in seinem nun vor uns liegenden Teil die einzelnen Züge dieses Werkes und dieser Person in klar ausgeprägten Bildern. jeder einzelne Zug darin ist geeignet, den Leser mit Bewunderung und Anbetung zu er­füllen. 

Die Wege und Führungen des Herrn mit Seinem Volk, die blut­besprengten Türpfosten, die Fluten des Roten Meeres, das Wasser des Felsens, das Brot vom Himmel, die Einrichtung der Stiftshütte und ihre Geräte, der Altar, der Gnadenstuhl, die Priester und seine Gewänder, die vorgeschriebenen Waschungen und das wohlriechende Räucherwerk ‑ alles zeigt uns Christus. Er ist das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte.

2. Mose 5.u.6 C.H.Mackintosh

01/13/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

MOSE UND AARON VOR DEM PHARAO

Die Wirkung der ersten an den Pharao gerichteten Aufforderung war nicht sehr ermutigend. Die Furcht, die Israeliten zu verlieren, verleitete den König zu größerer Strenge und zu doppelter Wachsamkeit. jede Einschränkung der Macht Satans vermehrt seinen Grimm. Das sehen wir auch hier. Der Feuerofen steht im Begriff, durch den Befreier aus­gelöscht zu werden; aber bevor dies

 geschieht, lodern die Flammen noch einmal gewaltig und mit zunehmender Heftigkeit empor. Der Teufel läßt nicht ohne weiteres von jemandem ab, der einmal in seinen Händen ist. Er ist der "Starke", dessen "Habe", während er "bewaff­net seinen Hof bewacht, in Frieden ist". Aber, Gott sei gepriesen! Da ist ein "Stärkerer als er", der "seine ganze Waffenrüstung, auf die er vertraute, hinweggenommen" und seine Beute unter die Gegenstände Seiner ewigen Liebe verteilt hat (Luk. 11, 21. 22).

,Und danach gingen Mose und Aaron hinein und sprachen zu dem Pharao: So spricht der HERR, der Gott Israels: Laß mein Volk ziehen, daß sie mir ein Fest halten in der Wüste!" (Kap. 5, ‑1). So lautete der Befehl Gottes an den Pharao. Er forderte für das Volk, für Sein Volk, eine völlige

 Befreiung, damit es Ihm in der Wüste ein Fest feiern sollte. Nur eine völlige Befreiung aus dem Joch der Knechtschaft kann das Herz Gottes hinsichtlich Seiner Auserwählten zufriedenstellen. Löset ihn auf und lasset ihn gehen" (Joh. 11, 44); diese Worte kenn­zeichnen in der Tat die Wege, die Gott mit Seinen Kindern geht, denen Er Seine ewige Liebe zuwendet, auch wenn sie noch in der Sklaverei Satans gehalten werden.

Wenn wir die Kinder Israel bei den Ziegelhütten Ägyptens betrachten, So sehen wir den Zustand, in dem sich jeder Nachkomme Adams von Natur aus befindet. Da lagen sie, gebeugt unter das Joch des Feindes und ohne jede Macht, sich selbst zu befreien. Allein die Erwähnung des Wortes Freiheit" veranlaßte den Unterdrücker, seine Gefangenen noch stärker zu ketten und sie mit noch schwereren Bürden zu beladen. Eine Befreiung konnte nur von außen kommen. 

Aber woher sollte sie kom­men? Wo waren die Mittel, um das Lösegeld zu bezahlen? Wo war die Macht, die ihre Ketten brechen konnte? Und wo war, wenn auch beides vorhanden gewesen wäre, der Wille, sie zu befreien? Wer war bereit, die Mühe ihrer Befreiung auf sich zu nehmen? Es gab für Israel keine Hoffnung, weder von innen, noch von außen. Das Volk konnte einzig und allein nach oben schauen. In Gott war sein Zufluchtsort. In dem HERRN, und in Ihm allein, gab es Rettung für das unterdrückte Volk.

Und so ist es immer. "Es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel, der unter den Menschen ge­geben ist, in welchem wir errettet werden müssen" (Apg. 4, 12). Der Sünder befindet sich unter dem Joch eines Gebieters, der ihn mit despo­tischer Gewalt beherrscht. Er ist "unter die Sünde verkauft" (Röm. 7, 14), "gefangen vom Teufel für seinen Willen" (2. Tim. 2, 26), ge­schmiedet in die Ketten der Lüste, der Begierden und Leidenschaften, "kraftlos" (Röm. 5, 6), "keine Hoffnung habend", "ohne Gott" (Eph. 2, 12). 

Das ist der Zustand des Sünders. Wie könnte er sich nun selbst helfen? Was könnte er tun? Er ist der Sklave eines andern; und alles was er tut ist Sklavenarbeit. Alle seine Gedanken, Worte und Werke sind die Gedanken, Worte und Werke eines Sklaven. Selbst wenn er über sein Elend weint und nach Befreiung seufzt, liefern seine Tränen doch nur den traurigen Beweis seiner Sklaverei. Und sollte er sogar kämpfen, um frei zu werden, so beweist gerade dieser Kampf, wie sehr er auch sein Verlangen nach Freiheit bekunden mag, daß er sich in Knechtschaft befindet.

Aber es handelt sich nicht nur um den Zustand des Sünders; seine Natur selbst ist von Grund auf verdorben und der Macht Satans unterworfen. Er benötigt daher nicht nur die Einführung in einen neuen Zustand, eine neue Stellung, sondern er muß auch eine neue Natur erhalten. Natur und Stellung gehören zusammen. Wenn es in der Macht des Sünders stünde, seine Stellung zu verbessern, was nützte es ihm, so­lange seine Natur unheilbar ist? 

Ein Edelmann kann wohl einen Bettler von der Straße holen und ihn an Kindesstatt annehmen; er kann ihn mit den Reichtümern eines Edelmanns beschenken und ihn in die Stellung eines solchen einführen; aber nie wird er imstande sein, ihm eine die­sem hohen Rang entsprechende Natur zu verleihen. Die Natur des Bettlers würde sich daher in der Stellung eines Edelmanns nicht zu Hause fühlen. Es muß eine Natur vorhanden sein, die der Stellung entspricht; und andererseits eine Stellung, die den Fähigkeiten, Wün­schen und Bestrebungen der Natur angemessen ist.

Nun aber belehrt uns das Evangelium der Gnade Gottes, daß der Gläu­bige in eine ganz neue Stellung eingeführt ist und nicht mehr wie vorher als schuldig und verdammungswürdig, sondern als vollkommen und für ewig gerechtfertigt betrachtet wird; ja, die Stellung, in der Gott ihn jetzt sieht, schließt nicht nur eine völlige Vergebung ein, sondern ist so erhaben, daß selbst die unendliche Heiligkeit Gottes nicht den geringsten Flecken mehr entdecken kann. 

Der Gläubige ist dem früheren Zustand der Schuld völlig entrissen und ewig und bedingungs­los in die neue Stellung einer fleckenlosen Gerechtigkeit versetzt wor­den. Das bedeutet nicht, daß sein alter Zustand veredelt worden wäre. Das war geradezu unmöglich; denn Aas Krumme kann nicht gerade werden" (Pred. 1, 15), und "kann ein Mohr seine Haut wandeln, ein Pardel seine Flecken" (Jer. 13, 23)? Nichts ist der Grundwahrheit des Evangeliums mehr entgegengesetzt, als die Lehre von der allmählichen Veredlung des Zustandes, in dem sich der Sünder befindet. 

Er ist in einen bestimmten Zustand hineingeboren; und bevor er "von neuem geboren ist, kann er unmöglich einen anderen Zustand erlangen. Er mag versuchen, sich zu veredeln, er mag den Vorsatz fassen, in Zu­kunft besser zu werden, ja, er mag in jeder Beziehung seine Lebensweise ändern; aber trotz allem wird er um keine Haaresbreite aus dem wirk­lichen Zustand eines Sünders heraustreten können. Er mag "religiös" werden und sich allen Vorschriften eines menschlichen Gottesdienstes unterwerfen; aber nichts wird seinen Zustand vor Gott verändern.

Genau so ist es mit der "Natur" des Menschen. Wie kann ein Mensch seine Natur verändern? Er kann sie jeden Prozeß durchmachen lassen; er kann versuchen, sie zu bezähmen und einer strengen Zucht zu unter­werfen; aber sie wird bleiben, was sie ist. "Was aus dem Fleische ge­boren ist, ist Fleisch" (Joh. 3, 6). 

Der Mensch braucht ebenso eine neue Natur wie eine neue Stellung. Wie aber ist die zu erlangen? Antwort: Durch den Glauben an das Zeugnis, das Gott gezeugt hat über Seinen Sohn. "So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind" (Joh. 1, 12. 13). 

Wir sehen hier, daß alle, die an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes glau­ben, das Vorrecht besitzen, Kinder Gottes zu sein. Sie haben damit eine neue Natur bekommen; sie haben ewiges Leben empfangen. "Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben" (Joh. 3, 36). "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen" (Joh. 5, 24). "

Dies aber ist das ewige Leben, das sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen" (Joh. 17, 3). "Und dies ist das Zeug­nis: daß Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht" (1. Joh. 5, 11. 12).

Das also ist die deutliche Lehre der Heiligen Schrift bezüglich der wich­tigen Fragen über Stellung und Natur. Aber worauf gründet sich dies alles? In welcher Weise wird der Gläubige in eine Stellung göttlicher Gerechtigkeit eingeführt und der göttlichen Natur teilhaftig gemacht? Dieser große Wechsel beruht einzig und allein auf der Wahrheit, daß "Jesus gestorben und auferstanden ist" (1. Thess. 4, 14). 

Unser Herr und Heiland kam aus dem Schoß der ewigen Liebe, von dem Thron der Herrlichkeit und aus den Wohnungen des Lichts; Er stieg in Gleichheit des Fleisches der Sünde herab in die Welt der Sünde und des Elends und starb, nachdem Er in allen Handlungen Seines Lebens Gott voll­kommen geoffenbart und verherrlicht hatte, am Kreuz unter dem Ge­wicht aller Übertretungen Seines Volkes; und indem Er dies tat, be­gegnete Er in göttlicher Weise allem, was gegen uns war und gegen uns sein konnte. "

Er machte das Gesetz groß und herrlich" (Jes. 4:2, 21), und wurde dann zum Fluch gemacht, indem Er an ein Holz gehängt wurde. jeder Forderung wurde Genüge getan; jeder Feind wurde zum Schweigen gebracht und jedes Hindernis aus dem Weg geräumt. "Güte und Wahrheit sind sich begegnet; Gerechtigkeit und Friede haben sich geküßt" (Ps. 85, 10). 

Die unendliche Gerechtigkeit Gottes wurde be­friedigt; und nun kann Seine unendliche Liebe in ihrer heilenden und erfrischenden Kraft in das zerbrochene Herz des Sünders ausgegossen werden. Aus der durchstochenen Seite des Gekreuzigten kamen Blut und Wasser heraus, und wir erkennen darin die Versöhnung und die Reinigung, die allen Bedürfnissen eines von Sünde überführten Gewis­sens begegnet. Der Herr Jesus befand sich an unserer Statt am Kreuz.

E war unser Stellvertreter. "Er, der Gerechte, litt für die Ungerechten' (l. Petr. 3, 18). "Er wurde für uns zur Sünde gemacht" (2. Kor. 5, 21). Er starb den Tod des Sünders, wurde begraben und nachdem alles voll­bracht war, verließ Er die Stätte des Todes. Daher gibt es von nun an nichts mehr, was gegen den Gläubigen sein könnte. Er ist eins mit Christus und befindet sich in derselben Stellung der Gerechtigkeit wie Er; denn "gleichwie er ist, sind auch wir in dieser Welt" (1. Joh. 4, 17).

Das gibt dem Gewissen einen dauernden, gefestigten Frieden. Wenn ich mich nicht mehr in einem Zustand der Strafbarkeit, sondern vielmehr in einem Zustand der Rechtfertigung befinde, wenn Gott mich in Chri­stus und wie Christus sieht, dann ist wirklich ein vollkommener Friede mein Teil. "Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus" (Röm. 5, 1). 

Das Blut des Lammes hat die Strafbarkeit des Gläubigen aufge­hoben, hat seine schwere Schuld ausgelöscht und in der Gegenwart der Heiligkeit, die das Böse nicht sehen kann (Hab. 1, 13), sein Konto voll­kommen ausgeglichen.

Jedoch hat der Gläubige nicht nur Frieden mit Gott gefunden, er ist auch ein Kind Gottes geworden, so daß er durch die Kraft des Heiligen Geistes die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn genießen kann. Das Kreuz Christi muß von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet wer­den: zunächst in Seiner Entsprechung der Forderungen Gottes und dann als der Ausdruck der Liebe Gottes. Blicken wir auf unsere Sünden an­gesichts der Forderungen Gottes als Richter, so finden wir, daß das Kreuz diesen Forderungen völlig genügt hat. Gott ist am Kreuz als Richter völlig zufriedengestellt, ja verherrlicht worden. Aber das ist nicht alles. 

Gott fordert nicht nur, sondern Er liebt auch; und das Kreuz des Herrn Jesus offenbart dem Sünder diese Liebe in einer überzeugen­den Weise, indem es ihn an der Natur Gottes teilhaben läßt und so ihn befähigt, diese Liebe überhaupt zu genießen und mit Gott Gemein­schaft zu haben. "Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf daß er uns zu Gott führe" (l. Petr. 3, 18). 

Wir werden also nicht nur in eine neue Stellung ver­setzt, sondern auch zu einer Person geführt, zu Gott selbst, und be­kommen eine Natur, die fähig ist, ihre Freude in Ihm zu finden. "Wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir jetzt die Versöhnung empfangen haben" (Röm. 5, 11).

Welche Kraft und welche Schönheit liegt deshalb in den Befreiungs­worten: "Lag mein Volk ziehen, daß sie mir ein Fest halten in der Wüste!" (Kap. 5, 1). "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich ge­salbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn­(Luk. 4, 18. 19). Das Evangelium kündigt völlige Befreiung von jedem Joch der Knechtschaft an. Friede und Freiheit sind, wie Gott selbst erklärt, die Gaben, die das Evangelium allen gewährt, die es durch den Glauben aufnehmen.

Und beachten wir wohl die Worte: "Daß sie mir ein Fest halten in der Wüste". Sie beweisen, daß die Kinder Israel, wenn sie mit dem Pharao geendigt hatten, mit Gott beginnen sollten. Welch eine Veränderung! Anstatt sich unter den Fronvögten des Pharao abzumühen, sollten sie dem

 HERRN ein Fest feiern; und hatten sie auch von Ägypten aus eine Wüste zu durchwandern, so durften sie sich doch dort der Gegen­wart Gottes erfreuen, und ‑ der Weg führte nach Kanaan. Die gött­liche Absicht war, daß sie dem HERRN ein Fest in der Wüste halten sollten; und um das zu können, war es nötig, Ägypten zu verlassen.

Der Pharao war jedoch durchaus nicht gewillt, dem göttlichen Befehl Gehorsam zu leisten. "Wer ist der HERR", fragt er, "auf dessen Stimme ich hören soll, Israel ziehen zu lassen" (Kap. 5, 2)? Diese Worte sind der Ausdruck seines moralischen Zustandes. Er zeigt Un­kenntnis und Ungehorsam, und diese beiden Dinge gehen gewöhnlich zusammen. 

Wenn man Gott nicht kennt, so kann man Ihm nicht ge­horchen, denn Gehorsam gründet sich auf Erkenntnis. Eine Seele, die Gott kennt, macht die Erfahrung, daß diese Erkenntnis das ewige Leben ist (Joh. 17, 3). 

Leben aber ist Kraft; und wenn ich Kraft empfange, so kann ich handeln. Es ist einleuchtend, daß ein Mensch, der kein Leben hat, auch nicht tätig sein kann. Es ist daher unsinnig, einen Menschen aufzufordern, er solle sich eine Fähigkeit erarbeiten, die selbst erst Voraussetzung für jede Aktivität ist. Wie könnte ein kraft­loser Mensch Kraft beweisen?

Aber der Pharao war über sich selbst ebenso unwissend wie über Gott. Er wußte nicht, daß er ein unbedeutender Erdenwurm und ausdrücklich zu dem Zweck erweckt war, die Herrlichkeit dessen bekannt zu machen, von dem er sagte, daß er Ihn nicht kenne (2. Mose 9, 16; Röm. 9, 17). "Und sie sprachen: 

Der Gott der Hebräer ist uns begegnet; laß uns doch drei Tagereisen weit in die Wüste ziehen und dem HERRN, unse­rem Gott, opfern, daß er uns nicht schlage mit der Pest oder mit dem Schwerte. Und der König von Ägypten sprach zu ihnen: Warum, Mose und Aaron, wollt ihr das Volk von seinen Arbeiten losmachen? Gehet an eure Lastarbeiten! ... Schwer laste der Dienst auf den Männern, daß sie damit zu schaffen haben und nicht achten auf Worte des Trugs

2. Mose 4 der Dornbusch Mackintosh C.H.

01/02/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 4 DER DORNBUSCH

Wir müssen uns noch deutlicher die Situation am Fuße des Berges Horeb "hinter der Wüste" klarmachen, um dort den Unglauben des Menschen und die grenzenlose Gnade Gottes in auffälliger Weise ans Licht treten zu sehen.

"Und Mose antwortete und sprach: Aber siehe, sie werden mir nicht glauben und nicht auf meine Stimme hören; denn sie werden sagen: der HERR ist dir nicht erschienen" (V. 1). Wie schwer ist es, den Unglauben des menschlichen Herzens zu besiegen, und welche Mühe kostet es den Menschen, sein Vertrauen auf Gott zu setzen! Wie zögert er, sich allein auf die Verheißung Gottes hin vorzuwagen! Zu allem ist die Natur bereit, nur dazu nicht. Sie hält das schwächste Rohr, das sichtbar ist, für einen stärkeren Stützpunkt ihres Vertrauens als den unsichtbaren "Fels der Ewigkeiten" (Jes. 26, 4). Sie wendet sich viel lieber an irgend­eine menschliche Hilfsquelle oder zu einem geborstenen Brunnen als daß sie an dem unsichtbaren "Born lebendigen Wassers" verweilt (vergl. Jer. 2, 13; 17, 13).

Man sollte annehmen, Mose habe bereits genug gesehen und gehört, um alle seine Befürchtungen fahren zu lassen. Man sollte meinen, daß das verzehrende Feuer in dem unversehrt bleibenden Busch, die herab­lassende Gnade und die großen und herrlichen Titel Gottes, der gött­liche Auftrag und die Gewißheit der Gegenwart Gottes jede Spur von Furcht genommen und ihm Sicherheit verliehen hätten. Aber noch erhebt Mose immer neue Fragen, und Gott läßt sie nicht unbeantwortet. Vielmehr bringt jede weitere Frage neue Gnade zum Vorschein. "Und der HERR sprach zu ihm: Was ist das in deiner Hand? Und er sprach: Ein Stab" (V. 2). Der Herr wollte Mose gerade so gebrauchen, wie er war, und das benutzen, was er in seiner Hand hatte. Derselbe Stab mit dem Mose die Schafe Jethros geweidet hatte, sollte das Werkzeug rein, um sowohl das Israel Gottes zu befreien und das Land Ägypten

zu züchtigen, als auch um dem erkauften Volke Gottes einen Weg durch das Meer zu bahnen und zur Erfrischung der durstigen Scharen Israels in der Wüste Wasser aus dem Felsen hervorströmen zu lassen. Gott be­nutzt schwache Werkzeuge, um Seine mächtigen Absichten zu erfüllen. Ein "Stab", ein "Widderhorn" (Jos. 6, 5), ein "geröstetes Gerstenbrot", ein "irdener Krug" (Richt. 7, 13. 16), die "Schleuder eines Hirten" (1. Sam. 17, 50), alles kann in der Hand Gottes zur Ausführung des Werkes dienen, das Er sich vorgesetzt hat. Der Mensch bildet sich ein, große Ziele seien nur durch große Mittel zu erreichen; aber das ist nicht die Weise Gottes. Er kann einen "Wurm" ebensogut zu Seinem Dienst verwenden wie eine "brennende Sonne" und einen "dürren Ost­wind" (siehe Jona 4).

Aber Mose hatte sowohl im Blick auf den Stab, als auch auf die Hand, die ihn führen sollte, noch etwas Wichtiges zu lernen. Er hatte zu lernen, und das Volk mußte überzeugt werden. "Und der HERR sprach: Wirf ihn auf die Erde. Da warf er ihn auf die Erde, und er ward zur Schlange; und Mose floh vor ihr. Und der HERR sprach zu Mose: Strecke deine Hand aus und fasse sie beim Schwanze. Und er streckte seine Hand aus und ergriff sie, und sie wurde zum Stabe in seiner Hand ‑: auf daß sie glauben, daß der HERR dir erschienen ist, der Gott ihrer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs' (V. 3‑5). Das war ein bedeutungsvolles Zeichen. Der Stab wird zur Schlange, so daß Mose vor ihr flieht; aber auf den Befehl des HERRN ergreift er sie beim Schwanz, und sie wird wieder zum Stab. Was hätte ein besserer Ausdruck von der gegen sich selbst gewendeten Macht Satans sein können? Die Wege Gottes liefern uns in dieser Weise eine Menge treffender Beispiele. Mose selbst war ein solches Beispiel. Die Schlange befindet sich völlig unter der Macht Christi; und wenn sie den Gipfel ihrer schrecklichen Laufbahn erreicht hat, wird sie im Feuersee ihre Stätte finden, um dort in alle Ewigkeit die Früchte ihres Werkes zu ernten. Die "alte Schlange", der "Verkläger", der "Wider­sacher", wird dann für ewig zermalmt sein unter dem Stab des Gesalb­ten Gottes.

,Und der HERR sprach weiter zu ihm: Stecke doch deine Hand in dei­nen Busen. Und er steckte seine Hand in seinen Busen; und er zog sie heraus, und siehe, seine Hand war aussätzig wie Schnee. Und er sprach: Tue deine Hand wieder in deinen Busen. Und er tat seine Hand wieder in seinen Busen; und er zog sie heraus aus seinem Busen, und siehe, sie war wieder wie sein Fleisch" (V. 6. 7). Die mit Aussatz bedeckte Hand und ihre Reinigung stellen uns die moralische Wirkung der Sünde und ihre Beseitigung durch das vollkommene Werk Christi vor Augen. Die in den Busen gesteckte reine Hand wird aussätzig; und die wiederum in den Busen gesteckte aussätzige Hand wird rein. Der Aussatz ist das bekannte Bild von der Sünde; und die Sünde wurde durch den ersten Menschen eingeführt und durch den zweiten wegge­nommen. "Denn sintemal durch einen Menschen der Tod kam, so auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten" (1. Kor. 15, 21). Durch den Menschen kam der Fall, durch den Menschen die Erlösung; durch den Menschen kam die Schuld, durch den Menschen die Verge­bung; durch den Menschen kam die Sünde, durch den Menschen die Gerechtigkeit; durch den Menschen kam der Tod in die Welt, durch den Menschen wurde der Tod abgeschafft und Leben, Gerechtigkeit und Herrlichkeit eingeführt. Die Schlange wird also nicht nur für ewig be­siegt und vernichtet, sondern auch jede Spur ihres scheußlichen Werkes wird durch das Sühnopfer dessen ausgerottet und weggewischt werden, der "geoffenbart worden ist, auf daß er die Werke des Teufels ver­nichte" (1. Joh. 3, 8).

"Und es wird geschehen, wenn sie selbst diesen zwei Zeichen nicht glauben und nicht auf deine Stimme hören, so sollst du von dem Wasser des Stromes nehmen und es auf das Trockene gießen; und das Wasser, das du aus dem Strome nehmen wirst, es wird zu Blut werden auf dem Trockenen"(V. 9). In diesem ausdrucksvollen und ernsten Bild ent­decken wir die Folge der Weigerung, sich unter das Zeugnis Gottes zu beugen. Dieses Zeichen sollte nur im Fall der Verwerfung der beiden vorhergehenden getan werden; es sollte zunächst ein Zeichen für Israel und dann eine Plage für Ägypten sein (vergl. Kap. 7, 17).

Aber Mose ist immer noch nicht zufriedengestellt. "Und Mose sprach zu dem HERRN: Ach Herr! ich bin kein Mann der Rede, weder seit gestern, noch seit vorgestern, noch seitdem du zu deinem Knecht redest; denn ich bin schwer von Mund und schwer von Zunge" (V. lo). Welch eine Feigheit! Aber die unendliche Geduld des HERRN konnte sie ertragen. War denn die Zusicherung Gottes Ich werde mit dir sein0 nicht eine sichere Bürgschaft, daß es Seinem Diener an nichts von allem,

was er etwa benötigte, mangeln würde? Wenn er eine beredte Zunge brauchte, was mußte Mose dann tun, angesichts des erhabenen Titels "Ich bin"? Beredsamkeit, Weisheit, Kraft, Energie ‑ alles war in dieser unerschöpflichen Schatzkammer zu haben. "Und der HERR sprach zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm, oder taub, oder sehend, oder blind? Nicht ich, der HERR? Und nun gehe hin, und ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du reden sollst" (V. 11. 12). Welch eine unvergleichliche Gnade! Eine Gnade, die des großen Gottes würdig ist! Niemand ist wie der Herr, unser Gott, dessen beharrliche Gnade alle unsere Schwierigkeiten besiegt und für alle unsere Bedürfnisse und Schwachheiten genügt. Das Ich, der HERR" sollte für immer die Einwände unserer fleischlichen Herzen zum Schweigen bringen. Aber wie schwer ist es, diese Einwen­dungen niederzuhalten! Immer von neuem stören sie unsern Frieden, und dadurch verunehren wir Gott, der sich in Seiner ganzen Fülle vor unsere Seelen stellt, um uns aus dieser Fülle nach unseren Bedürfnissen schöpfen zu lassen.

Es ist gut, uns immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, daß, wenn der Herr mit uns ist, gerade unsere Mängel und Gebrechen für Ihn eine Veranlassung werden, Seine Gnade und Seine Geduld zu offenbaren. Hätte Mose daran gedacht, so hätte ihn sein Mangel an Beredsamkeit nicht beunruhigt. Paulus hatte gelernt zu sagen: "Daher will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, auf daß die Kraft des Christus über mir wohne. Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten für Christum; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark" (2. Kor. 12, 9. 10). Das ist in der Tat die Sprache eines Mannes, der die Schule Christi durchlaufen hatte. Es ist die Erfahrung eines Mannes, der trotz einer unberedten Zunge ruhig geblieben wäre, weil er in der Gnade des Herrn Jesus Christus für jedes Bedürfnis eine Antwort ge­funden hatte.

Diese Erkenntnis hätte Mose von seinem Mißtrauen und seiner Furcht­samkeit befreien sollen. Wenn der Herr ihm versichert hatte, daß Er mit seinem Munde sein werde, so hätte er über den Mangel an Beredsamkeit völlig beruhigt sein sollen. Er, der den Mund des Menschen geschaffen hat, konnte, wenn es nötig war, diesem Mund glänzende Beredsamkeit verleihen. Für den Glauben ist das sehr einfach; das zweifelnde Herz aber setzt sein Vertrauen weit lieber auf eine beredte Zunge, als auf den, der sie erschaffen hat. Wir würden das unerklärlich finden, wenn wir nicht wüßten, aus welchen Elementen das natürliche Herz gebildet ist. Dieses Herz kann Gott nicht vertrauen; und daher zeigt sich dieser demütigende Mangel an Vertrauen zu dem lebendigen Gott selbst bei Kindern Gottes, wenn sie sich durch ihre Natur beherrschen lassen. Auch Mose fährt fort, Einwände zu erheben: " Ach, Herr, sende doch ' durch wen du senden willst" (V. 13)! Tatsächlich wies er damit das Vorrecht von sich, der alleinige Gesandte des HERRN für Israel und Ägypten zu sein.

Wir wissen alle, daß eine göttlich bewirkte Demut eine unschätzbare Gnade ist. "Seid ... mit Demut fest umhüllt", (1. Petr. 5, 5) ist eine göttliche Vorschrift; und zweifellos ist Demut das geziemendste Kleid, in dem ein Sünder erscheinen kann. Aber die Weigerung, einen von Gott angewiesenen Platz einzunehmen, oder den von Ihm bezeichneten Weg zu gehen, ist alles andere als Demut. Daß Mose durchaus nicht durch wahre Demut geleitet wurde, zeigt uns deutlich der "Zorn des Herrn", der gegen ihn entbrannte. Sein Verhalten war auch nicht nur menschliche Schwachheit. Denn so lange es noch der Ausdruck einer übermäßigen Furchtsamkeit war, hatte, wie tadelnswert sein Verhalten auch sein mochte, die schrankenlose Gnade Gottes Nachsicht mit ihm und begegnete ihm mit erneuten Zusicherungen; als es aber den Cha­rakter des Unglaubens und der Herzensträgheit annahm, da rief es das gerechte Mißfallen des HERRN hervor; und Mose war nun nicht mehr das alleinige Werkzeug im Dienst des Zeugnisses und der Befreiung Israels, sondern er mußte jetzt dieses Vorrecht mit einem anderen teilen.

Eine geheuchelte Demut ist sehr verunehrend für Gott und sehr ge­fährlich für uns. Wenn wir uns weigern, eine von Gott angewiesene Stellung einzunehmen, weil wir uns für unbegabt oder untauglich hal­ten, so ist das sicher keine Demut; denn sobald wir meinen könnten, diese Gaben und Fähigkeiten zu besitzen, würden wir uns sicher für berechtigt halten, eine solche Stellung einzunehmen. Wäre Mose z. B. so redegewandt gewesen, wie er es zur Erfüllung seines Dienstes für notwendig hielt, wäre er wohl ohne Zögern dem Ruf Gottes gefolgt. Nun aber entsteht die Frage: Welch ein Maß von Beredsamkeit wäre erforderlich gewesen, um ihn für seinen Dienst zu befähigen? Die Ant­wort ist: Ohne Gott kann das höchste Maß menschlicher Beredsamkeit nicht ausreichen; mit Gott aber wird auch ein schlechter Redner sich als ein tüchtiger Diener bewähren.

Das ist eine wichtige Wahrheit für die Praxis. Unglaube ist nicht Demut, sondern offenbarer Hochmut. Er weigert sich, Gott zu glauben, weil er in dem eigenen Ich keine Ursache findet, um zu glauben. Wenn ich wegen irgendeiner Sache in mir selbst dem Zeugnis Gottes nicht glaube, so mache ich Ihn zum Lügner (1. Joh. 5, 10). Wenn Gott Seine Liebe ankündigt, und ich mich zu glauben weigere, weil ich mich dieser Liebe nicht würdig erachte, so mache ich Ihn zum Lügner und offenbare den Hochmut, der in meinem Herzen wohnt. Allein der Gedanke, daß ich irgend etwas außer der Hölle verdient haben könnte, beweist wie unwissend ich bin über meinen eigenen Zustand und über die Forderungen Gottes. Und die Weigerung, den Platz einzunehmen, den mir die Liebe Gottes kraft des vollendeten Sühnopfers Christi anweist, macht Gott zum Lügner und wirft eine Schmach auf das Opfer des Kreuzes. Die Liebe Gottes wirkt freiwillig. Nicht mein Verdienst, sondern mein Elend bat sie hervorgerufen; auch handelt es sich nicht um den Platz, den ich verdiene, sondern um den, welchen Christus verdient. Christus nahm am Kreuz den Platz des Sünders ein, damit der Sünder mit Ihm Seinen Platz in der Herrlichkeit teilen könnte. Christus empfing das, was der Sünder verdiente, damit der Sünder das empfangen kann, was Christus verdient. Das Ich ist daher völlig beiseite gesetzt; und das ist wahre Demut. Niemand kann wirklich demütig sein, bevor er die himm­lische Seite des Kreuzes erreicht hat; dort aber findet er göttliches Leben, göttliche Gerechtigkeit und göttliche Gunst. Dort hat er es für immer aufgegeben, von sich selbst Gutes und Gerechtigkeit zu erwarten und nährt sich von dem Reichtum eines andern. Dort ist er zubereitet, um in den Jubelruf einzustimmen, der alle Ewigkeit hindurch im Himmel erschallen wird: "Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre !‑ (Ps. 115, 1).

Jedoch würde es uns übel anstehen, noch länger bei den Mängeln und Gebrechen eines so hochgeehrten Dieners wie Mose stehenzubleiben, von dem die Schrift sagt, daß er treu war in seinem ganzen Hause als Diener, zum Zeugnis von dem, was hernach geredet werden sollte (Hebr. 3, 5). Vor allem wäre es verwerflich, dies in einem Geist der Selbstgefälligkeit zu tun, als ob wir unter denselben Umständen anders gehandelt hätten. Eins aber sollten wir nicht vergessen, nämlich die Lehren für uns daraus zu ziehen, die sie uns vorstellen. Wir sollten lernen, uns selbst zu richten, unser bedingungsloses Vertrauen auf Gott zu setzen und unser Ich beiseite zu stellen, damit Gott in uns, durch uns und für uns wirken kann. Das ist das wahre Geheimnis der Kraft.

Wir haben bereits angedeutet, daß Mose nun nicht mehr das alleinige Werkzeug des HERRN in diesem herrlichen Werk sein konnte. Doch das war noch nicht alles. Wir lesen: "Da entbrannte der Zorn des HERRN wider Mose, und er sprach: Ist nicht Aaron, der Levit, dein Bruder? Ich weiß, daß er reden kann; und siehe, er geht auch aus, dir entgegen; und sieht er dich, so wird er sich freuen in seinem Herzen. Und du sollst zu ihm reden und die Worte in seinen Mund legen, und ich will mit deinem Munde und mit seinem Munde sein, und will euch lehren, was ihr tun sollt. Und er soll für dich zum Volk reden; und es wird ge­schehen, er wird dir zum Munde sein, und du wirst ihm zum Gott sein. Und diesen Stab sollst du in deine Hand nehmen, mit welchem du die Zeichen tun sollst" (V. 14‑17). Diese Stelle ist eine Fundgrube an praktischen Belehrungen. Wir haben die Befürchtungen und Zweifel gesehen, von denen Mose trotz aller Verheißungen und Zusicherungen der göttlichen Gnade erfüllt war. Und nun, ‑ obwohl an wirklicher Kraft durchaus nichts gewonnen war, obwohl in dem einen Mund nicht mehr Fähigkeit war als in dem andern und Mose nach allem immer noch derjenige blieb, der zu Aaron reden mußte ‑ sehen wir ihn ganz bereit zu gehorchen. Sobald er auf die Mitarbeit eines ebenso schwachen Sterblichen, wie er selbst war, rechnen konnte, wollte er gehen, wäh­rend er dies ablehnte, als ihm wieder und wieder die Versicherung ge­geben wurde, daß der HERR mit ihm sein wolle!

Ist dies alles für uns nicht ein deutlicher Spiegel, in dem wir unser eigenes Bild sehen können? Wir sind alle vielmehr geneigt, unser Ver­trauen auf irgend etwas anderes zu setzen, als auf den lebendigen Gott. Gestützt durch einen schwachen Menschen gehen wir mutig vorwärts; aber wir zittern, zögern und zweifeln, wenn wir die Gunst Gottes zu unserer Ermutigung und Seinen mächtigen Arm zu unserer Stütze haben. Das sollte uns tief vor dem Herrn demütigen und uns antreiben, Ihn besser kennen zu lernen, damit wir Ihm immer tiefer vertrauen, bei Ihm allein unsere Quelle finden und mit festerem Schritt unsern Weg gehen können. Freilich ist die Begleitung eines Bruders sehr nütz­lich. "Zwei sind besser daran als einer" (Pred. 4, 9), sei es in der Arbeit, in der Ruhe oder im Kampf. Auch der Herr Jesus sandte Seine jünger "zu zwei und zwei" aus; denn Vereinigung ist besser als Absonderung. Wenn aber unsere persönlichen Beziehungen zu Gott und unsere Er­fahrungen in Seiner Gegenwart uns nicht befähigen, notfalls allein unsern Weg zu gehen, so wird uns die Anwesenheit eines Bruders nur sehr wenig nützen. Ist es nicht bemerkenswert, daß gerade Aaron, dessen Begleitung Mose anscheinend so völlig zufriedenstellte, der Mann war, der nachher das goldene Kalb machte (Kap. 32, 21)? ja, wir werden oft erfahren, daß gerade die Person, deren Begleitung wir zu unserm Erfolg für unerläßlich halten, später eine Quelle tiefen Kummers für unsere Herzen wird. Möchten wir uns dessen immer bewußt sein!

Mose willigte also endlich ein zu gehorchen; aber bevor er völlig für sein Werk gerüstet war, hatte er noch eine andere schmerzliche Übung durchzumachen. Gott mußte das Todesurteil über seine Natur schreiben. Mose hatte "hinter der Wüste" viele wichtige Lektionen gelernt; aber er sollte "unterwegs in der Herberge" (V. 24) noch wichtigere lernen. Es ist eine ernste Sache, des Herrn Diener zu sein. Keine gewöhnliche Erziehung wird einen Menschen für diesen Beruf befähigen. Die Natur muß gekreuzigt und in der Stellung des Todes gehalten werden. "Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, auf daß unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt" (2. Kor. 1, 9). jeder Diener muß, um in seinem Dienst gesegnet zu sein, etwas von dieser Wahrheit erfahren haben. Auch Mose mußte, bevor er für seinen Dienst befähigt war, in eigener Er­fahrung kennenlernen, was es heißt, das Urteil des Todes in sich zu tragen. Er war im Begriff, dem Pharao die feierliche Botschaft zu bringen: "So spricht der HERR: Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel; und ich sage zu dir: Laß meinen Sohn ziehen, daß er mir diene! und weigerst du dich, ihn ziehen zu lassen, siehe, so werde ich deinen Sohn, deinen erstgeborenen, töten" (V. 22. 23). Das war die Botschaft Moses an den Pharao, eine Botschaft des Todes und des Gerichts; zu gleicher Zeit hatte er Israel eine Botschaft des Lebens und des Heils zu bringen. jeder aber, der an Gottes Statt von Tod und Gericht von Leben und Errettung reden soll, muß zunächst die Kraft dieser Dinge in seiner eigenen Seele verwirklichen. So war es bei Mose. Wir haben ihn, nicht lange nach seiner Geburt, bildlich inmitten der Todesfluten gesehen; aber das war etwas ganz anderes als persönlich in die Erfah­rung des Todes einzutreten. Daher lesen wir: "Und es geschah auf dem Wege, in der Herberge, da fiel der HERR ihn an und suchte ihn zu töten. Da nahm Zippora einen scharfen Stein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und warf sie an seine Füße und sprach: Fürwahr, du bist mir ein Blutbräutigam! Da ließ er von ihm ab. Damals sprach sie ,vB1utbräutigam", der Beschneidung wegen" (V. 24‑26). Diese Stelle macht uns mit einem Geheimnis aus der Familiengeschichte Moses ver­traut. Offensichtlich war Zippora bis zu diesem Augenblick davor zu­rückgeschreckt, das "Messer" an dem Gegenstand ihrer natürlichen Zuneigung anzuwenden. Sie hatte das Merkmal außer acht gelassen, das jedem Glied Israels aufgeprägt werden sollte. Sie wußte nicht, daß ihre Verbindung mit Mose den Tod für die Natur in sich schloß. Sie bebte vor dem Kreuz zurück. Das war ganz natürlich. Mose aber hatte ihr in dieser Sache nachgegeben und dies erklärt uns die geheimnisvolle Szene in der Herberge. Wenn Zippora sich weigert, ihren Sohn zu be­schneiden, so legt der HERR Seine Hand an ihren Mann; und will Mose die Gefühle seines Weibes schonen, so "sucht der HERR ihn zu töten". Das Todesurteil muß unbedingt auf die Natur geschrieben werden; suchen wir dem auf der einen Seite auszuweichen, so werden wir ihm auf der andern Seite begegnen.

Es ist bereits angedeutet worden, daß Zippora ein lehrreiches Bild der Kirche darstellt. Sie war mit Mose vereinigt während der Zeit seiner Verwerfung; und die soeben angeführte Stelle belehrt uns, daß die Kirche berufen ist, Christus als den zu erkennen, mit dem sie "durch Blut" vereinigt ist. Es ist ihr Vorrecht, aus Seinem Kelch zu trinken und mit Seiner Taufe getauft zu werden. Gekreuzigt mit Ihm, muß sie Seinem Tod gleichgestaltet werden, muß ihre Glieder töten, die auf der Erde sind, und das Kreuz täglich auf sich nehmen und Ihm nachfolgen. Ihre Verbindung mit Christus ist auf Blut gegründet; und die Offen­barung der Macht dieser Verbindung schließt unausbleiblich den Tod für die Natur in sich. "Und ihr seid vollendet in ihm, welcher das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Chri­stus, mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat" (Kol. 2, 10‑12).

Das ist die Lehre von dem Platz, den die Kirche mit Christus einnimmt, eine Lehre voll herrlicher Vorrechte für die Kirche und für jedes ihrer Glieder. Hier finden wir alles. völlige Vergebung der Sünden, göttliche Gerechtigkeit, vollkommene Annahme, ewige Sicherheit, volle Gemein­schaft mit Christus in all Seiner Herrlichkeit. "Ihr seid vollendet in ihm". Das umfaßt alles. Was könnte einem Menschen, der "vollendet' ist, noch hinzugefügt werden? Die Philosophie, die Überlieferung der Menschen, die Elemente der Welt, die Speisen und Getränke, die Feste, Neumonde und Sabbathe, die Gebote und Lehren der Menschen, welche sagen: „Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht!", die Tage, Monde, Zeiten und Jahre (siehe Kol. 2), ‑ könnte eines dieser Dinge, oder könnten sie alle zusammengenommen einem Menschen, den Gott als ,vollendet" bezeichnet, noch ein Jota hinzufügen? Man könnte ebenso gut fragen, ob nach den sechs Arbeitstagen, an denen Gott das herrliche Werk der Schöpfung vollendete, der Mensch es hätte unternehmen können, die letzte Hand an das zu legen, was Gott als "sehr gut" be­zeichnete.

Auch dürfen wir keineswegs diesen Zustand des Vollendetseins als eine Sache sehen, die der Christ noch erst erreichen muß, an deren Erlangung er beharrlich mitarbeiten muß, und deren Besitz er erst in der Todesstunde oder vor dem Richterstuhl sicher sein kann. Nein, diese Vollkommenheit ist das Teil des schwächsten, des unerfahren­sten und des unwissendsten Kindes Gottes. Der schwächste Heilige ist in dem Wörtchen "ihr" des Apostels mit eingeschlossen. Alle Kinder Gottes sind "vollendet in Christo". Paulus sagt nicht: "Ihr werdet voll­endet werden", oder: "Vielleicht seid ihr es", oder: "Hoffet, betet, daß ihr es werdet"; sondern er erklärt durch den Heiligen Geist völlig be­stimmt und unmißverständlich: "Ihr seid vollendet". Das ist der wahre Ausgangspunkt für den Weg des Christen; wenn daher der Mensch das, was Gott zum Ausgangspunkt bestimmt hat, als Endziel betrachtet, so verdreht er alles.

Aber, wird man fragen, haben wir denn keine Sünden, keine Fehler, keine Unvollkommenheiten mehr? Ganz sicher. "Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns" (1. Joh. 1, 8). Wir haben die Sünde in uns, aber nicht auf uns. Dazu stehen wir vor Gott nicht mehr in dem Ich, sondern in Christus. In Ihm sind wir vollendet. Gott sieht den Gläubigen in Chri­stus, mit Christus und wie Christus; das ist sein unwandelbarer Zu­stand, seine ewige Stellung. Die "Ausziehung des Leibes des Fleisches" ist durch die "Beschneidung des Christus" bewirkt worden (Kol. 2, 11). Der Gläubige ist nicht mehr im Fleische (Röm. 7, 5), obwohl das Fleisch noch in ihm ist. Er ist mit Christus in der Kraft eines neuen und unauf­löslichen Lebens vereinigt; und dieses Leben ist untrennbar mit der göttlichen Gerechtigkeit verbunden, in welcher der Gläubige vor Gott steht. Der Herr Jesus hat alles weggenommen, was gegen den Gläubi­gen war und hat ihn nahe zu Gott gebracht, um ihn derselben Gunst teilhaftig zu machen, die Er selbst genießt. Mit einem Wort, Christus ist unsere Gerechtigkeit (2. Kor. 5, 21). Das ordnet jede Frage, widerlegt jeden Einwand und bringt jeden Zweifel zum Schweigen. "Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem" (Hebr. 2, 11).

Die eben genannten Wahrheiten ergeben sich aus dem Bild, das uns in der Verbindung Moses mit Zippora vor Augen gestellt ist. Doch wir nehmen jetzt eine Zeitlang Abschied von der "Wüste", ohne jedoch die dort empfangenen Unterweisungen und Eindrücke zu vergessen, die für jeden Diener Christi und für jeden Gesandten des lebendigen Gottes von so wesentlicher Bedeutung sind. Alle, die in irgendeiner Weise dienen (sei es in der Evangelisation oder in den verschiedenen Dienst­verrichtungen des Hauses Gottes, d. 1. der Kirche oder der Versamm­lung) und in ihrem Dienst gesegnet sein wollen, werden das Bedürfnis fühlen, sich diese Unterweisungen tief einzuprägen, die Mose am Fuß des Berges Horeb und "auf dem Wege, in der Herberge" empfing.

Würde man diesen Dingen die Aufmerksamkeit schenken, die sie ver­dienen, so würde man nicht so viele Personen in Dienstverrichtungen sehen, für die sie nicht von Gott berufen sind. Möchte doch jeder, der sich aufmacht, um zu predigen, zu lehren, zu ermahnen oder in irgend­einer Weise zu dienen, ernsthaft untersuchen, ob er dazu von Gott ausgerüstet, belehrt und gesandt ist! Ohne das Wirken Gottes wird sein Werk weder von Gott anerkannt, noch für die Menschen gesegnet sein; und je schneller er sich in diesem Fall zurückzieht, um so besser sowohl für ihn selbst als auch für diejenigen, denen er es zugemutet hatte, ihn anzuhören. Ein von Menschen verordneter oder nur auf eigener Sendung beruhender Dienst ist innerhalb der Kirche Gottes immer fehl am Platze. Wer hier dienen will, muß von Gott ausgerüstet, von Gott belehrt und von Gott gesandt sein.

"Und der HERR sprach zu Aaron: Gehe hin, Mose entgegen in die Wüste. Und er ging hin und traf ihn am Berge Gottes und küßte ihn. Und Mose berichtete dem Aaron alle Wort des HERRN, der ihn ge­sandt, und alle die Zeichen, die er ihm geboten hatte" (V. 27. 28). Diese Szene brüderlicher Liebe und Eintracht bildet einen auffallenden Gegensatz zu verschiedenen Auftritten, die später auf ihrer Wanderung durch die Wüste zwischen diesen beiden Männern stattgefunden haben. Vierzig Jahre Wüstenleben können große Veränderungen bei Menschen und Dingen hervorrufen. Doch ist es schön, einen Augenblick bei den ersten Tagen der Laufbahn eines Gläubigen zu verweilen, bevor die ernste Wirklichkeit des Wüstenlebens die herzliche Zuneigung ge­hemmt hat, bevor Betrug, Verführung und Heuchelei das Vertrauen geschwächt und das ganze moralische Sein den Einflüssen einer arg­wöhnischen Neigung preisgegeben haben.

Daß solche Resultate oft durch Jahre der Erfahrung hervorgebracht worden sind, ist leider nur zu wahr. Glücklich derjenige, der mit geöff­neten Augen und in klarem Licht erkennt, was die menschliche Natur ist und dennoch seinen Zeitgenossen durch die Kraft jener Gnade die­nen kann, die von dem Herzen Gottes ausgeht. Wer hat je die Tiefen und Ränke des menschlichen Herzens so erkannt, wie Jesus sie er­kannte? "Er kannte alle und bedurfte nicht, daß jemand Zeugnis gebe von dem Menschen; denn er selbst wußte, was in dem Menschen war" ach. 2, 24. 25). Er konnte sich weder dem Menschen anvertrauen, noch seinem Bekenntnis Vertrauen schenken. Und dennoch, wer zeigte je eine solche Fülle von Gnade, wie Er? Wer solche Liebe, solche Zärt­lichkeit, solches Mitleiden, solches Mitgefühl? Mit einem Herzen, das jeden verstand, konnte Er für einen jeden fühlen. Er ließ sich durch Seine vollkommene Erkenntnis der Gottlosigkeit des Menschen nicht fernhalten von dessen Elend. Er ging umher, wohltuend und heilend. Warum? Etwa deshalb, weil Er meinte, daß alle, die sich um Ihn drängten, aufrichtig seien? Nein, sondern weil Gott mit Ihm war (Apg. 10, 38). Er ist unser Vorbild. Laßt uns Ihn nachahmen, wenn wir auch, indem wir es tun, bei jedem Schritt gezwungen sein mögen, unser eigenes Ich mit allen seinen Interessen zu verleugnen.

Wenn wir in den Fußspuren des Herrn Jesus wandeln, wenn wir Seine Gesinnung in uns aufnehmen, wenn wir sagen können: "Das Leben ist für mich Christus!‑, dann werden wir bei klarer Erkenntnis darüber, was die Welt ist und was wir von dem Menschen zu erwarten haben, durch die Gnade fähig sein, Christus in unserem Leben zu offenbaren. Die Triebfedern, die uns dann bewegen, und die Inhalte unseres Glau­bens, die uns beleben, sind droben, wo Christus ist, welcher derselbe ist gestern und heute und in Ewigkeit" (Hebr. 13, 8). Hier fand auch der Diener, aus dessen Geschichte wir schon so viele ernste Unterwei­sungen geschöpft haben, Gnade und Kraft, um die mühevollen und wechselnden Szenen des Wüstenlebens durchstehen zu können. Und wir dürfen sicher behaupten, daß Mose am Ende von allem, ungeachtet der vierzigjährigen übungen und Kämpfe, seinen Bruder mit derselben Wärme "auf dem Berge Hor" (4. Mose 20, 25.) umarmen konnte, wie im Anfang, als er ihm am "Berge Gottes" (2. Mose 4, 27) begegnete. Freilich war das Zusammentreffen bei beiden Gelegenheiten sehr ver­schieden. Am "Berge Gottes" begegneten und umarmten sich die beiden Brüder, um dann gemeinschaftlich den Weg ihrer göttlichen Sendung zu betreten. Auf dem "Berge Hor" begegneten sie sich auf Befehl des HERRN ' damit Mose seinem Bruder wegen eines Vergehens, an dem er selbst sich beteiligt hatte, die priesterlichen Kleider ausziehe und ihn zu seinen Vätern versammelt werden sehe. Wie ernst und nahegehend! Die Umstände wechseln; die Menschen können sich voneinander abwenden; aber bei Gott ist keine Veränderung noch ein Schatten von Wechsel (Jak. 1, 17).

"Und Mose und Aaron gingen hin, und sie versammelten alle Ältesten der Kinder Israel. Und Aaron redete alle die Worte, welche der HERR zu Mose geredet hatte, und er tat die Zeichen vor den Augen des Vol­kes. Und das Volk glaubte; und als sie hörten, daß der HERR die Kin­der Israel heimgesucht, und daß er ihr Elend gesehen habe, da neigten sie sich und beteten an" (V. 29‑31). Wenn die Hand Gottes zu wirken beginnt, muß jede Schranke fallen. Mose hatte gesagt: "Siehe, sie wer­den mir nicht glauben; aber es handelte sich nicht darum, ob sie ihm, sondern ob sie Gott glauben würden. Wenn jemand befähigt ist, sich selbst als Boten Gottes zu betrachten, kann er wegen der Annahme seiner Botschaft völlig ruhig sein. Diese Gewißheit beeinträchtigt kei­neswegs seine liebevolle Sorgfalt im Blick auf die, an die er sich wendet. Im Gegenteil; sie bewahrt ihn vor jener Unruhe des Geistes, die nur dazu dienen würde, ihn zur Ablegung eines ruhigen, erhabenen und beharrlichen Zeugnisses unfähig zu machen. Der Bote Gottes sollte nie vergessen, wessen Botschaft er bringt. Wurde etwa der Engel Gabriel im geringsten beunruhigt, als Zacharias die Frage an ihn stellte: "Wor­an soll ich dies erkennen?" Nein. Ruhig und würdevoll antwortete er: "Ich bin Gabriel, der vor Gott steht; und ich bin gesandt worden, zu dir zu reden und dir diese gute Botschaft zu verkündigen" (Luk. 1, 18. 19). Der Engel steht vor dem zweifelnden Sterblichen in dem klaren Bewußtsein der Hoheit seiner Botschaft. Es ist, als ob er sagen wollte: "Wie? du zweifelst, obwohl ich ein Bote aus der heiligen Gegen­wart der Majestät des Himmels bin?" Ebenso sollte, in seinem Maß, jeder Bote Gottes vorangehen und in diesem Geist seine Botschaft aus­richten.