2. Mose 1 Joseph starb und alle seine Brüder Mackintosh

01/01/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 1"JOSEPH STARB UND ALLE SEINE BRÜDER

Wir kommen jetzt zur Betrachtung des zweiten Buches Mose, in dem das Hauptthema die Erlösung ist. Die ersten fünf Verse rufen die Schlußszenen des vorhergehenden Buches in unsere Erinnerung zurück. Die von der auserwählenden Liebe Gottes Begnadigten werden vor uns hingestellt, und wir werden durch den inspirierten Schreiber un­mittelbar in den Kreis der in diesem Buch mitgeteilten Ereignisse ver­setzt.

Bei unserer Betrachtung des ersten Buches Mose fanden wir, daß das Verhalten der Söhne Jakobs, gegenüber ihrem Bruder Joseph der Anlaß für ihr Hinabziehen nach Ägypten wurde. Diese Tatsache kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Einerseits wird uns in dem Verhalten Israels gegenüber Gott eine ernste, und andererseits in den Wegen Gottes mit Israel eine sehr ermutigende Unterweisung gegeben.

Was könnte im Blick auf das Verhalten Israels gegenüber Gott ernster sein, als die Folgen ihrer Handlungsweise gegenüber einem Mann zu betrachten, in dem das geistliche Auge ein deutliches Bild des Herrn Jesus Christus erkennt? Ohne Rücksicht zu nehmen auf die Angst, die Joseph erfüllte, überlieferten sie ihn den Händen der Unbeschnittenen. Und was war die Folge dieser Handlung für sie? Sie wurden hinabge­führt nach Ägypten, um dort die schmerzlichen Erfahrungen durchzu­machen, die in den letzten Kapiteln des ersten Buches Mose so ein­dringlich geschildert werden. Aber das war nicht alles. Eine lange und finstere Prüfungszeit wartete ihrer Nachkommenschaft in demselben Lande, in dem Joseph einen Kerker gefunden hatte.

Aber außer dem Menschen war auch Gottes Hand in allen diesen Din­gen. Er behält es sich vor, aus dem Bösen Gutes hervorkommen zu lassen. Mochten auch die Söhne Jakobs ihren Bruder den Händen der Ismaeliter ausliefern, mochten auch die Ismaeliter ihn an Potiphar ver­kaufen und dieser ihn ins Gefängnis werfen ‑ dennoch stand der HERR über allem, und Er benutzte alle diese Umstände, um Seine großen Ziele zu erreichen. "Denn der Grimm des Menschen wird dich preisen" (Ps. 76 , 10). Noch war die Zeit nicht angebrochen, daß die Erben für das Erbteil und das Erbteil für die Erben bereit standen. Noch sollten die Ziegelhütten Ägyptens eine strenge Schule für die Nachkommen Abra­hams werden, während inmitten der "Berge und Täler" des verheißenen Landes "die Ungerechtigkeit der Amoriter" ihrer völligen Reife entgegen­ging (vergl. 1. Mose 15, 16 und 5. Mose 11, 11).

Dies alles ist sehr interessant und lehrreich. In der Regierung Gottes gibt es "Räder inmitten von Rädern" (vergl. Hes. 1, '16). Gott bedient sich zur Erfüllung Seiner Ratschlüsse vielfältiger Mittel. Potiphars Frau, der Obermundschenk, die Träume des Pharao, der Pharao selbst, der Kerker, der Thron, die Kette, der königliche Siegelring, die Teuerung ‑alles steht zu Seiner souveränen Verfügung und muß zur Ausführung Seiner unergründlichen Pläne mitwirken. Das geistlich gesinnte Herz befaßt sich gern mit diesen Dingen; es untersucht mit Freuden das aus­gedehnte Gebiet der Schöpfung und der Vorsehung und erblickt in allem ein kunstvolles Triebwerk, das ein allweiser und allmächtiger Gott benutzt, um die Ratschlüsse Seiner erlösenden Liebe zu entfalten. Mögen wir dabei auch vielen Spuren der Schlange, vielen tiefen und scharf aus­geprägten Fußspuren des Feindes Gottes begegnen, sowie viele uns un­erklärliche und unbegreifliche Dinge entdecken; mag auch das Leiden der Unschuld und das Triumphieren der Bosheit den ungläubigen Über­legungen des Zweiflers eine scheinbare Grundlage verschaffen, so darf dennoch der wahre Gläubige kindlich in der Gewißheit ruhen, daß "der Richter der ganzen Erde Recht üben wird" (1. Mose 18, 25). Der blinde Unglaube wird stets irren; und vergeblich ist sein Bemühen, die Wege dessen zu ergrübeln, der allein imstande ist, sie den Menschenkindern zu offenbaren und auszulegen.

Gepriesen sei Gott für die trostreiche Ermutigung, die aus Betrachtun­gen dieser Art hervorströmt! Wir sind stündlich auf sie angewiesen, während wir in einer bösen Welt leben, in die der Feind so schreckliches Unheil gebracht hat, in der die Lüste und Leidenschaften der Menschen so bittere Früchte tragen und wo der Weg des treuen Jüngers so viele Unebenheiten zeigt, daß die auf sich gestellte Natur sie niemals er­tragen könnte. Nur der Glaube weiß mit völliger Zuversicht, daß sich hinter der Szene jemand befindet, den die Welt nicht sieht noch beachtet; und in diesem Bewußtsein kann er mit Ruhe sagen: "Alles ist gut", und: "Alles wird gut sein".

Die einleitenden Zeilen unseres Buches lassen die oben angedeuteten Gedanken klar hervortreten. Mein Ratschluß soll zustande kommen, und A mein Wohlgefallen werde ich tun" (Jes. 46, 10). Der Feind mag sich widersetzen, aber Gott wird sich immer als der Stärkere erweisen; und alles, was wir brauchen ist ein kindlich einfältiger Geist des Ver­trauens auf Gott und des Ruhens in Seinen Ratschlüssen. Der Unglaube schaut lieber auf die entgegenwirkenden Anstrengungen des Feindes, als auf die Macht Gottes, die alles vollenden kann. Der Glaube dagegen richtet sein Auge auf diese Macht, erringt auf diese Weise den Sieg und genießt einen dauernden Frieden. Er hat es mit Gott und Seiner unver­brüchlichen Treue zu tun; er stützt sich nicht auf den Triebsand mensch­licher Händel und irdischer Einflüsse, sondern ruht auf dem unbeweg­lichen Fels des ewigen Wortes Gottes. Das Wort ist der heilige und zu­verlässige Ruheplatz des Glaubens; mag kommen, was da will, er be­findet sich in diesem Heiligtum der Kraft. Joseph starb und alle seine Brüder und dasselbige ganze Geschlecht" (V. 6). Aber was schadete es? Konnte etwa der Tod die Ratschlüsse des lebendigen Gottes kraftlos machen? Ganz bestimmt nicht. Gott wartete nur auf den bestimmten Augenblick, auf die geeignete Zeit, um selbst feindliche Einflüsse zur Entwicklung Seiner Absichten mitwirken zu lassen.

,Da stand ein neuer König über Ägypten auf, der Joseph nicht kannte. Und er sprach zu seinem Volke: Siehe, das Volk der Kinder Israel ist zahlreicher und stärker als wir. Wohlan, laßt uns klug gegen dasselbe handeln, daß es sich nicht mehre, und es nicht geschehe, wenn Krieg eintritt, daß es sich auch zu unseren Feinden schlage und wider uns streite und aus dem Lande hinaufziehe" (V. 8‑‑10). Hier haben wir die Überlegung eines Herzens, das nie gelernt hat, mit Gott zu rechnen. Der nicht erneuerte Mensch kann das auch gar nicht; seine Überlegun­gen werden hinfällig, sobald er Gott in sie einbezieht. Losgelöst oder unabhängig von Gott mögen solche Pläne und Berechnungen als weise erscheinen; aber sobald Gott einbezogen wird, zeigt sich ihre völlige Torheit.

Warum aber sollten wir uns durch Vernunftschlüsse beeinflussen lassen, deren scheinbare Richtigkeit auf den völligen Ausschluß Gottes gestützt ist? Das wäre grundsätzlich nichts anderes als Gottesleugnung. Der Pharao stellte die verschiedenen Zufälligkeiten, wie die Vermehrung des Volkes den Ausbruch eines Krieges, die Verbindung der Kinder Israels mit dem Feind, ihre Flucht aus dem Land usw., genau in Rechnung und legte alle diese Umstände mit ungewöhnlichem Scharfsinn in die Waagschale. Aber niemals kam ihm der Gedanke, daß Gott irgend etwas mit dieser Sache zu tun haben könnte; denn wenn er hieran gedacht hätte, so wären auf einmal alle seine Vernunftschlüsse über den Haufen geworfen worden und die Torheit seiner Entwürfe wäre ans Licht ge­treten.

Es liegt demnach klar zutage, daß die Überlegungen des zweifelsüchtigen Menschen Gott immer ausschließen, ja daß sogar ihre scheinbare Rich­tigkeit und Stärke gerade in diesem Ausschluß begründet sind. Das Ein­beziehen Gottes ist der Todesstoß für alle Art von Skepsis und Un­glauben. Die menschliche Vernunft kann einen glänzenden und genialen Eindruck machen ‑ sobald aber das Auge nur einen Blick auf Gott wirft, verliert sie ihren Schein und wird in ihrer Nacktheit und Häßlich­keit bloßgestellt.

Von dem König Ägyptens kann man mit Recht sagen, daß er "sehr irrte", da er weder Gott noch Seine unabänderlichen Ratschlüsse kannte (vergl. Mk. 12, 24‑27). Er wußte nicht, daß Jahrhunderte vorher' lange bevor sein sterbliches Leben begonnen hatte, das Wort und der Eid­schwur Gottes, diese "zwei unveränderlichen Dinge", die völlige und herrliche Befreiung des Volkes zugesichert hatten, das er in eigener Weisheit vernichten wollte. Alles das war ihm unbekannt; alle seine Ge­danken und Pläne waren auf die Unkenntnis der Wahrheit aller Wahr­heiten gegründet, nämlich daß Gott ist. Er bildete sich ein, durch seine Anordnungen der Vermehrung des Volkes verhindern zu können, von dem Gott gesagt hatte: "Ich werde dich reichlich segnen und deinen Samen sehr mehren, wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist" (1. Mose 22, 17). Seine klugen Überlegungen waren deshalb nichts als Unsinn und Torheit.

Überhaupt ist es der größte Fehler, in den ein Mensch fallen kann, zu handeln, ohne Gott dabei in Rechnung zu ziehen. Früher oder Später wird sich der Gedanke an Gott ihm aufzwingen; und dann brechen seine Pläne und Berechnungen zusammen. Bestenfalls kann eine ohne Gott unternommene Sache nur für die gegenwärtige Zeit von Dauer sein. Alles rein Menschliche wird eine Beute des Todes werden, so haltbar, glänzend und beeindruckend es auch immer sein mag. Die "Schollen des Tales" werden die höchste Würde und glänzendste Pracht des Men­schen bedecken (Hi. 21, 33). Er trägt das Siegel der Sterblichkeit an sich und seine Pläne schwinden wie Rauch. Alles dagegen, was mit Gott in Verbindung steht und auf Ihn gegründet ist, ist von ewiger Dauer. "Sein Name wird ewig sein, und sein Gedächtnis von Geschlecht zu Ge­schlecht".

Welche Torheit begeht daher ein schwacher Sterblicher, wenn er sich gegen den ewigen Gott auflehnt und "wider den Allmächtigen trotzt!" (Hi. 15, 25). Der König von Ägypten hätte ebensogut versuchen können, die Gezeiten des Meeres zu hemmen, wie die Vermehrung eines Volkes zu verhindern, das der Gegenstand der ewigen Ratschlüsse Gottes war. Zwar "setzte man Fronvögte über das Volk, um es mit ihren Lastar­beiten zu drücken"; aber "so wie sie es drückten, also mehrte es sich und also breitete es sich aus" (V. 11. 12). So wird es immer sein. "Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer" (Ps. 2, 4). Jedem Wider­stand von Menschen und Teufeln wird ewige Beschämung folgen. Das gibt dem Herzen Ruhe mitten in einer Welt, in der alles Gott und dem Glauben total entgegengesetzt ist. Besäßen wir nicht die bestimmte Ver­sicherung, daß der Grimm des Menschen den Herrn preisen wird (Ps. 76, 10), so würden wir im Blick auf die uns umgebenden Umstände und Einflüsse oft niedergeschlagen sein. Aber Gott sei Dank! Wir schauen nicht das an, "was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig" (2. Kor. 4, 18). In der Kraft dieser Blickrichtung dürfen wir wohl sagen: "Vertraue still dem HERRN und harre auf ihn! Erzürne dich nicht über den, dessen Weg gelingt, über den Mann, der böse Anschläge ausführt" (Ps. 37, 7). Wie klar tritt die Wahrheit dieser Worte in dem vor uns liegenden Kapitel an den Tag, sowohl hinsichtlich der Unter­drückten als auch des Unterdrückers! Hätte das Volk auf die sichtbaren Dinge geschaut, was hätten sie dann gesehen? Den zürnenden Pharao, die grausamen Fronvögte, die drückenden Lastarbeiten, den strengen Dienst, die harte Sklaverei, den Lehm und die Ziegelsteine. Aber was waren die Dinge, "welche man nicht sieht"? Der ewige Vorsatz Gottes, Seine unfehlbare Verheißung, das Aufdämmern eines Tages des Heils und die Befreiung durch den HERRN. ‑ Wunderbare Gegensätze! Nur der Glaube konnte den armen, unterdrückten Israeliten befähigen, sich von den rauchenden Öfen Ägyptens abzuwenden und sich nach den Gefilden Kanaans zu sehnen. ja, der Glaube allein war imstande, in den niedergebeugten und unter der rauhen Arbeit des Ziegelbrennens seufzenden Sklaven die Erben des Heils und die Gegenstände der be­sonderen Gunst und Fürsorge des Himmels zu erkennen.

Und wie es damals war, so ist es auch jetzt. "Wir wandeln durch Glau­ben, nicht durch Schauen' (2. Kor. 5, 7). "Es ist noch nicht offenbar ge­worden, was wir sein werden" (1. Joh. 3, 2). Wir sind noch auf der Erde, einheimisch in dem Leibe und ausheimisch von dem Herrn (2. Kor. 5, 6). Tatsächlich befinden wir uns noch in Ägypten, aber im Geist sind wir im himmlischen Kanaan. Durch den Glauben werden wir unter den mächtigen Einfluß der himmlischen und unsichtbaren Dinge gebracht und dadurch befähigt, uns über alles zu erheben in dieser Welt, wo Tod und Finsternis herrschen. Möchten wir alle diesen kindlich einfältigen Glauben besitzen, so daß wir an der ewigen Quelle der Wahrheit immer wieder belebt werden und die Kraft empfangen, die wir auf unserem Weg so nötig brauchen!

Die letzten Verse unseres Kapitels geben uns in dem Verhalten der beiden gottesfürchtigen Frauen Schiphra und Pua eine nützliche Beleh­rung. Sie trotzen dem Zorn des Königs und weigern sich, seinen grau­samen Befehl auszuführen; und "Gott macht ihnen Häuser" (V. 21). "Die mich ehren, werde ich ehren, und die mich verachten, werden ge­ring geachtet werden" (‑1. Sam. 2, 30). Möchten wir uns immer an diese Wahrheit erinnern und unter allen Umständen für Gott handeln!