2.Mose 15, Das Lied Mose. C.H.Mackintosh

01/13/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 15 DAS LIED MOSES. MARA UND ELIM

Dieses Kapitel beginnt mit dem herrlichen Triumphgesang der Kinder Israel am Ufer des Roten Meeres, als sie die große Macht sahen, die der HERR an den Ägyptern erwiesen hatte (Kap. 14, 31). Sie hatten die Rettung des HERRN gesehen, und darum besangen sie Ihn jetzt und erzählten Seine mächtigen Taten. "

Damals sangen Mose und die Kinder Israel dieses Lied dem HERRN" (V. 1). Bis dahin haben wir kein Lob aus dem Munde der Israeliten vernommen. Wir hörten ihren Notschrei, als sie sich abmühten bei den Ziegelhütten Ägyptens; wir vernahmen ihr ungläubiges Rufen, als sie sich von scheinbar unüberwindlichen Schwie­rigkeiten umringt sahen; aber von einem Loblied wird bis zu diesem Augenblick nichts erwähnt. Erst als die Rettung sichtbar und vollendet war, stimmte die ganze erlöste Versammlung den Triumphgesang an. 

Als sie aus ihrer Taufe "in der Wolke und in dem Meere" hervorge­gangen waren und der herrliche Sieg ihnen bewußt wurde, fühlten sechshunderttausend Männer das Verlangen, ein Siegeslied zu singen. Die Wasser des Roten Meeres waren zwischen ihnen und Ägypten, und als ein völlig befreites Volk standen sie am Ufer. Darum waren sie fähig, den HERRN zu loben.

In dieser und in anderer Hinsicht sind sie "Vorbilder für uns". Auch wir müssen uns durch Tod und Auferstehung gerettet wissen, bevor wir zu einer klaren und einsichtsvollen Anbetung fähig sind. Fehlt je­mandem dieses Bewußtsein, so bleibt immer ein Vorbehalt und ein Zögern in seiner Seele, weil er den Wert der in Jesus Christus voll­brachten Erlösung noch nicht erkannt hat. Man

 mag überzeugt sein, daß in Christus und in keinem anderen das Heil ist; aber den Charakter und den Grund dieses Heils im Glauben ergreifen und sich praktisch zu eigen machen ist eine ganz andere Sache. Der Geist Gottes offenbart uns in der Heiligen Schrift mit unmißverständlicher Klarheit, daß die Kirche mit Christus in Tod und Auferstehung vereinigt, und daß der auferstandene Christus zur Rechten Gottes die Gewähr ihrer Annahme ist* Sobald ein Christ das versteht, hat er den Zweifel und die Unge­wißheit überwunden; denn wie könnte er zweifeln, wenn er weiß, daß ein Sachwalter, und zwar "Jesus Christus, der Gerechte", ihn beständig vor dem Thron Gottes vertritt? (1. Joh. 2, 1). 

Das schwächste Glied der Kirche Gottes kann wissen, daß es durch Christus am Kreuz vertreten wurde, und daß dort alle seine Sünden bekannt, getragen, gerichtet und gesühnt worden sind. Das ist eine göttliche Realität, die, wenn sie durch den Glauben erfaßt wird, Frieden geben muß. Aber auch nichts weniger als das kann Frieden geben. Man mag aufrichtig und ernst nach Gott verlangen; man mag fromm und ergeben alle Vorschriften, Pflichten und Formen der Religion beobachten; aber um das Bewußtsein zu erhalten, daß das Gewissen vollständig von der Sünde befreit ist, gibt es kein anderes Mittel, als die Sünde gerichtet zu sehen, und zwar in der Person Jesu Christi, der als ein Schlachtopfer für die Sünde am Fluchholz litt und starb (Hebr. 9, 26; 10, 1‑18). 

Wenn die Sünde dort "ein für alle­mal" gerichtet wurde, so darf der Gläubige sie jetzt als eine göttlich und deshalb für immer erledigte Sache betrachten. Und daß sie dort ge­richtet wurde, ist durch die Auferstehung des Bürgen erwiesen. "Ich habe erkannt, daß alles, was Gott tut, für ewig sein wird: es ist ihm nichts hinzuzufügen und nichts davon wegzunehmen; und Gott hat es also gemacht, damit man sich vor ihm fürchte" (Pred. 3, 14).

'Es wird nun zwar im allgemeinen eingeräumt, daß dies alles in bezug auf die Kirche in ihrer Gesamtheit wahr ist, aber vielen fällt es doch außerordentlich schwer, es auf sich persönlich anzuwenden. Sie sind bereit, mit dem Psalmisten zu sagen: "Fürwahr, Gott ist Israel gut, denen, die reinen Herzens sind. Ich aber.. . " usw. (Ps. 73. 1. 2). Anstatt auf Christus als den Gestorbenen und Auferstandenen zu schauen, rich­ten sie ihre Blicke auf sich selbst. Sie beschäftigen sich mehr mit ihrer eigenen Zuneigung zu Christus als mit Christus selbst. Sie denken mehr an ihre Fähigkeit als an ihre Stellung vor Gott. Auf diese Weise bleiben sie in trostloser Ungewißheit und können infolgedessen nie den Platz eines verständigen und glücklichen Anbeters einnehmen. Sie hoffen auf Errettung, anstatt sich der längst geschehenen Errettung zu erfreuen. Sie sehen ihre unvollkommenen Werke, anstatt der vollkommenen Ver­söhnung Christi.

Wenn wir jetzt den Gesang der Israeliten im einzelnen betrachten, so finden wir in ihm keine Silbe, die auf das Ich, auf seine Handlungen, Worte oder Gefühle Bezug nimmt, sondern er handelt von Anfang bis Ende nur von dem HERRN. Das Lied beginnt mit den Worten: "Singen will ich dem HERRN, denn hoch erhaben ist er; das Roß und seinen Reiter hat er ins Meer gestürzt" (V. 1). Hier wird schon der Inhalt des ganzen Liedes angedeutet; vom Anfang bis zum Schluß redet es von den Eigenschaften und Taten Gottes.

Im 14. Kapitel war das Volk durch den übermäßigen Druck der Umstände wie gelähmt gewesen; hier in Kap. 15 aber ist der Druck weggenommen, und sie sind frei und ungehindert, um Gott zu loben. Das Ich ist vergessen. Die Probleme liegen hinter ihnen. Nur der HERR selbst, Sein Charakter und Seine Wege stehen vor ihren Blicken. Sie konnten sagen: "Du hast mich er­freut, HERR, durch dein Tun; über die Werke deiner Hände will ich jubeln" (Ps. 92, 4). 

Das ist wahre Anbetung. Nur wenn das wertlose Ich, mit allem was ihm angehört, nicht mehr in unserem Blickfeld existiert und Christus allein unsere Herzen ausfüllt, sind wir fähig, in der rechten Weise Gottesdienst zu üben. Dann ist keine fleischliche Frömmigkeit nötig, um Gefühle der Andacht wachzurufen. Auch die äußeren Hilfs­mittel einer weltlichen Religion, die zum Gelingen eines wohlgefälligen Gottesdienstes mitwirken sollen, erübrigen sich dann völlig. Wenn ein Gläubiger nur mit der Person Christi beschäftigt ist, werden Lobgesänge die natürliche Folge sein. 

Man kann nicht mit aufgedecktem Angesicht den Herrn anschauen, ohne sich in Anbetung niederzubeugen. Wenn wir z. B. in der Offenbarung die Anbetung der zahllosen Erlösten be­trachten, so finden wir, daß sie immer durch die Darstellung irgend­eines besonderen Zuges der Wesensart Gottes hervorgerufen wird. So sollte es auch in der Kirche sein, solange sie noch auf der Erde ist. Wenn es aber nicht so ist, dann deshalb, weil wir uns von Dingen beanspruchen lassen, die angesichts der Herrlichkeit Gottes keinen Bestand haben. Gott selbst ist das Ziel, der Gegenstand und die Kraft wahrer An­betung.

Wir sehen in diesem Kapitel ein schönes Beispiel davon, wie Gott durch ein Lied geehrt werden kann. Es ist die Sprache eines erlösten Volkes, das seinen Erlöser lobt. "Meine Stärke und mein Gesang ist der HERR, denn er ist mir zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott, und ich will ihn verherrlichen, meines Vaters Gott, und ich will ihn erheben. Der HERR ist ein Kriegsmann, HERR sein Name ... Deine Rechte, 0 HERR, ist herrlich in Macht; deine Rechte, o HERR, hat zerschmettert den Feind ... Wer ist dir gleich unter den Göttern, o HERR! wer ist dir gleich,

 herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhm, Wunder tuend!. Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung ... Der HERR wird König sein immer und ewiglich" (V. 2. 3. 6. 11. 13. 18). Der Rahmen dieses Gesangs ist sehr weit gefaßt. Er beginnt mit der Erlösung und endet mit der Herrlichkeit. Er beginnt mit dem Kreuz und endet mit dem Königreich, er reicht ‑ neutestamentlich gesprochen von den "Leiden" bis zu den "Herrlichkeiten danach" (1. Petr. 1, 11). Und bei allem ist Gott allein das Thema. Ein solcher Gesang kann nur durch das An­schauen Gottes und Seiner herrlichen Taten hervorgerufen werden.

Überdies wird in diesem Gesang die Erfüllung der Ratschlüsse Gottes vor­weggenommen, indem wir lesen: "Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung" (V. 13). Die Kinder Israel konnten so sprechen, obwohl sie eben erst die Wüste betreten hatten. 

Es war nicht der Ausdruck einer unbestimmten Hoffnung oder eines möglichen Zufalls. Wenn ein Gläu­biger mit Gott allein beschäftigt ist, so wird er die Fülle Seiner Gnade immer tiefer erkennen und sich immer mehr erfreuen an den Schätzen Seiner Barmherzigkeit und Güte. Und in diesem Bewußtsein, mit dem auferstandenen Christus in die himmlischen Örter versetzt zu sein, kann nichts den Gläubigen hindern, die unergründlichen Pläne Gottes zu er­forschen und seine Freude zu haben an der Herrlichkeit, die Gott nach Seinem ewigen Ratschluß für alle bereitet hat, deren Kleider in dem Blut des Lammes gewaschen sind.

Dies erklärt den unvergleichlichen Charakter aller Lobgesänge, die wir in der Heiligen Schrift finden. Nicht ein Geschöpf, sondern Gott ist das Thema, von dem der Gläubige erfüllt ist. Der Mensch, seine Gefühle oder seine Erfahrungen würden das Lob Gottes nur unterbrechen; sie werden deshalb gar nicht erwähnt. Darum sind diese Gesänge so ver­schieden von solchen Liedern, die immer wieder Ausdrücke unserer Schwächen und Unzulänglichkeiten enthalten; und gerade solche Lieder sind so oft in christlichen Versammlungen zu hören. Tatsache ist, daß wir nie mit geistlicher Kraft und Einsicht singen können, wenn wir auf uns selbst blicken. 

Denn in uns selbst werden wir immer etwas ent­decken, das unser Lob und unsere Anbetung hemmt. Manche scheinen es allerdings beinahe als eine Gnade zu betrachten, wenn sie ständig in Zweifel und Ungewißheit sind; an ihren Liedern ist das allerdings auch zu erkennen. Solche Personen haben, so treu und aufrichtig sie es auch meinen, noch nicht verstanden, was Gottesdienst eigentlich ist. Sie sind noch nicht mit sich selbst zum Abschluß gekommen. Sie haben noch nicht das Rote Meer durchschritten und als ein geistlich getauftes Volk in der Kraft der Auferstehung am anderen Ufer ihren Platz eingenommen. Sie sind in der einen oder anderen Weise noch mit sich selbst be­schäftigt und betrachten das Ich, mit dem Gott für immer ein Ende ge­macht hat, nicht als gekreuzigt.

Möge der Heilige Geist in allen Kindern Gottes bewirken, daß sie ihren Platz und ihre Vorrechte klar verstehen und erkennen, daß sie, gewa­schen von ihren Sünden in dem Blut Christi, in derselben unendlichen und vollkommenen Annehmlichkeit vor Gott stehen wie Christus selbst, das auferstandene und verherrlichte Haupt Seiner Kirche! Zweifel und Befürchtungen stehen den Kindern Gottes nicht gut an, denn ihr gött­licher Bürge hat jede nur denkbare Ursache von Zweifel und Furcht beseitigt. Ihr Platz ist innerhalb des Vorhangs.

Sie haben Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu (Hebr. 10, ‑19). Gibt es etwa Zweifel und Befürchtungen im Heiligtum? Ist es nicht deutlich, daß jeder Zweifel die Vollkommenheit des Werkes Christi in Frage stellt, eines Werkes, von dem Gott angesichts aller Geschöpfe durch die Auferweckung Christi aus den Toten Zeugnis gegeben hat? Christus hätte nicht das Grab verlassen können, wenn nicht jeder Grund zum Zweifeln und Fürchten für Sein Volk weggeräumt gewesen wäre. Des­wegen kann ein Christ sich ständig eines vollkommenen Heils erfreuen, Gott selbst ist sein Heil geworden; und seine Aufgabe ist, die Früchte des Werkes, das Gott für ihn gewirkt hat, zu genießen und zu Seiner Verherrlichung zu leben, solange er auf die Zeit wartet, da "der HERR König sein wird immer und ewiglich" (V. 18).

"Und Mose ließ Israel aufbrechen vom Schilfmeer, und sie zogen aus in die Wüste Sur; und sie gingen drei Tage in der Wüste und fanden kein Wasser" (V. 22). Wenn unser Erfahrungsleben in der Wüste be­gonnen hat, dann erweist es sich, inwieweit wir Gott und unsere eige­nen Herzen kennen. Am Anfang unserer christlichen Laufbahn haben wir gewöhnlich noch sehr viel Frische und ein Übermaß von Freude, die aber sehr bald durch den schneidenden Wind der Wüste beeinträchtigt werden; und wenn dann nicht das tiefe Bewußtsein davon, was Gott für uns ist, alles andere beherrscht, so besteht die Gefahr, daß wir zusammenbrechen und uns in unseren Herzen nach Ägypten zurückwenden

(Apg. 7, 39). Die Zucht der Wüste ist nötig, allerdings nicht, damit wir ein Anrecht auf das Land Kanaan erhalten, sondern damit wir Gott und unsere eigenen Herzen besser kennenlernen. Auch die Kraft unseres Verhältnisses zu Gott erleben wir nur in der Wüste, und schließlich ‑wenn wir Kanaan erreicht haben ‑ wird aufgrund unserer Erfahrungen in der Wüste auch unsere Freude an dem Land vermehrt werden (vergl. 5. Mose 8, 2‑5).

Die Frische und der Zauber des Frühlings verschwinden bald vor der Hitze des Sommers; aber gerade diese Hitze bringt die gereiften Früchte des Herbstes hervor. So ist es auch im Leben des Christen. Überhaupt gibt es eine auffallende Übereinstimmung zwischen den Grundsätzen der Natur und denen des Reiches Gottes; wie könnte es auch anders sein, da die einen wie die anderen das Werk desselben Gottes sind?

Es gibt drei verschiedene Bereiche, in denen wir die Israeliten be­trachten können. Ägypten, die Wüste und das Land Kanaan. In jedem dieser Bereiche sind sie ein Bild von uns; nur befinden wir uns in allen dreien gleichzeitig. Das mag seltsam klingen, aber es ist die Wahrheit. Tatsächlich sind wir in Ägypten, und zwar umringt von natürlichen Dingen, die dem natürlichen Herzen ganz und gar entsprechen. Aber weil Gott uns durch Seine Gnade in die Gemeinschaft Seines Sohnes Jesus Christus berufen hat, haben wir eine neue Natur mit neuen Neigungen und Wünschen bekommen und damit zugleich auch einen Platz außer­halb Ägyptens*), d. h. der Welt in ihrem natürlichen Zustand. Und für

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*) Zwischen Ägypten und Babylon besteht ein wichtiger moralischer Unterschied. Ägypten war der Ort, von dem die Israeliten auszogen, und Babylon das Land, in das sie später geführt wurden. (Vergl. Amos 5,25‑27 mit Apg.7. 42. 43). Ägypten ist der Ausdruck dessen, was der Mensch aus der Welt gemacht hat; Babylon der Ausdruck dessen, was Satan aus der bekennenden Kirche gemacht hat oder noch machen wird. Wir sind deshalb nicht nur von den Verhältnissen Ägyptens, sondern auch von den moralischen Grundsätzen Babylons umgeben.

Das macht unsere Tage zu »schweren Zeiten", wie der Heilige Geist sich ausdrückt (2. Tim. 3, i~). Man braucht die Energie des Geistes Gottes und vor­behaltlose Unterwerfung unter die Autorität der Heiligen Schrift, um den Verlockungen Ägyptens und zugleich dem Geist und den Grundsätzen Babylons widerstehen zu können. Das erste entspricht den Wünschen des natür­lichen Herzens, während das zweite sich an die natürliche Religiosität richtet und einen großen Einfluß auf das Herz erlangt. Der Mensch ist ein religiöses Wesen und besonders empfänglich für die Eindrücke der Musik, der Bau­kunst, der Malerei und der Prachtentfaltung religiöser Gebräuche und Zeremonien. Wenn diese Dinge auch noch die Erfüllung seiner natürlichen Wün. sche und äußeres Wohlleben mit sich bringen, dann kann nur die Kraft des Wortes und Geistes Gottes jemanden in der Treue für Christus bewahren.

Beachten wir auch, daß es zwischen dem Endschicksal Ägyptens und Babylons einen großen Unterschied gibt. In Jes. 19 werden uns die Segnungen vor Augen gestellt, die für Ägypten aufbewahrt sind. Wir lesen am Schluß des Kapitels: "Und der HERR wird die Ägypter schlagen, schlagen und heilen; und sie werden sich zu dem HERRN wenden, und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen ... An jenem Tage wird Israel das dritte sein mit Ägypten und mit Assyrien, ein Segen inmitten der Erde; denn der HERR der Heerscharen segnet es und spricht: Gesegnet sein mein Volk Ägypten, und Assyrien, meiner Hände Werk, Israel, mein Erbteil" (Jes. 19, 22‑25).

Ganz anders ist das Ende der Geschichte Babylons, mag man nun buchstäblich an eine Stadt oder an ein geistliches System denken. "Und ich will es zum Besitztum der Igel machen und zu Wassersümpfen, und ich werde es ausfegen mit dem Besen der Vertilgung, spricht der HERR der Heer­scharen". (Jes. 14, 23). "Es wird in Ewigkeit nicht bewohnt werden und keine Niederlassung mehr sein von Geschlecht zu Geschlecht" (Jes. 13, 2o). Das ist das Schicksal Babylons, wenn wir es als Stadt betrachten. Sehen wir es aber in seiner geistlichen Bedeutung, so finden wir in Offb, 18 sein Endurteil; das ganze Kapitel handelt von Babylon und schließt mit den Worten: "Und ein starker Engel hob einen Stein auf wie einen großen Mühlstein und warf ihn ins Meer und sprach: Also wird Babylon, die große Stadt, mit Gewalt nieder­geworfen und nie mehr gefunden werden. ‑. "

Wie sollte sich jeder von diesen Worten getroffen fühlen, der irgendwie mit Babylon und seinen Grundsätzen verbunden ist! "Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf daß ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf daß ihr nicht empfanget von ihren Plagen!" (Offbg. 18, 4). Die "Kraft" des Heiligen Geistes kann sich nur in einer bestimmten "Form" äußern aber es ist immer das Ziel des Feindes gewesen, die bekennende Kirche der Kraft zu berauben, gleichzeitig aber zu bewirken daß sie die Form beibehielt, auch wenn der Geist und das Leben längst verschwunden waren. In dieser Weise baut er das geistliche Babylon auf. Die Steine, aus denen diese Stadt besteht, sind leblose Bekenner; und der Mörtel, wodurch Satan die Steine verbindet, ist "eine Form der Gottseligkeit ohne Kraft".

unsere praktische Erfahrung bedeutet das ein Leben in der Wüste. Die göttliche Natur in uns verlangt nach einer anderen Ordnung der Dinge, nach einer reineren Atmosphäre als die, von der wir umgeben sind, und dadurch läßt sie uns fühlen, daß Ägypten seinem Wesen nach eine Wüste ist.

Schließlich aber sind wir in den Augen Gottes auch auf ewig mit Chri­stus vereinigt, der in die Himmel eingegangen ist und dort zur Rechten der Majestät Platz genommen hat, und deshalb dürfen wir durch den Glauben wissen, daß Er auch uns in Ihm hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern (Eph. 2, 6). So sind wir nun dem Leibe nach in Ägypten, hinsichtlich unserer Erfahrungen in der Wüste und können doch gleichzeitig durch den Glauben in Kanaan eintreten und uns von "dem Getreide des Landes, d. h. von Christus nähren; nicht nur von Christus, der auf die Erde herabgestiegen ist, sondern von Christus, der in den Himmel zurückgekehrt ist und jetzt dort in Herrlichkeit thront (vergl. 1. Tim. 3, 16).

Die letzten Verse des Kapitels zeigen uns die Kinder Israel in der Wüste. Bis dahin war es glücklich gelaufen. Schreckliche Gerichte waren über Ägypten hereingebrochen, Israel aber war völlig verschont geblieben; das ägyptische Heer lag tot am Ufer, Israel aber triumphierte. Alles war nach Wunsch gegangen. Aber wie schnell änderte sich die Lage. Die Lobgesänge verstummten und Murren trat an ihre Stelle.

"Und sie kamen nach Mara, aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter ‑ darum gab man ihm den Namen Mara. Und das Volk murrte wider Mose und sprach: Was sollen wir trinken?" (V. 23. 24). Und weiter: "Und die ganze Gemeinde der Kin­der Israel murrte wider Mose und wider Aaron in der Wüste. Und die Kinder Israel sprachen zu ihnen: 'V\7ären wir doch im Lande Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung! denn ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt, um diese ganze Versammlung Hungers sterben zu lassen" (Kap. 16, 2. 3).

Das waren die Prüfungen der Wüste: "Was sollen wir essen?" und "Was sollen wir trinken"? Das Wasser von Mara stellte das Herz des Volkes Israel auf die Probe und offenbarte seinen unzufriedenen Geist; aber der Herr zeigt ihm, daß es keine Bitterkeit gab, die Er nicht ver­süßen konnte. "Und der HERR wies ihm ein Holz; und er warf es in das Wasser, und das Wasser wurde süß. Dort stellte er ihm Satzung und Recht, und dort versuchte er es" (V. 25). Ein wunderbares Bild von dem, der in die bitteren Wasser des Todes geworfen wurde, damit ihnen die Bitterkeit um unsertwillen für ewig genommen würde.

Der 26. Vers stellt uns den Ernst dieser ersten Station der Erlösten Gottes in der Wüste vor Augen. Gerade dann sind wir in Gefahr, un­ruhig und ungeduldig zu werden. Nur das beständige "Hinschauen auf Jesus" (Hebr. 12, 2.) kann uns vor diesem Geist schützen. Der Herr offenbart sich immer in einer Weise, die den jeweiligen Bedürfnissen Seines Volkes angemessen ist; und die Seinen sollten, anstatt sich über die Umstände zu beklagen, sie zum Anlaß nehmen, sich immer von neuem auf Ihn zu stützen. Auf diese Weise dient die Wüste dazu, uns erfahren zu lassen, wer Gott ist. Sie ist eine Schule, in der wir Seine Geduld, Seine Treue und Hilfe kennenlernen. "Und eine Zeit von etwa vierzig Jahren pflegte er sie in der Wüste" (Apg. 13, 18). Wer geistlich gesinnt ist, weiß, daß es der Mühe wert ist, bitteren Wassern zu be­gegnen, damit Gott sie versüßen kann. "Wir rühmen uns auch der Trübsale, da wir wissen, daß die Trübsal Ausharren bewirkt, das Aus­harren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung; die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist" (Röm. 5, 3‑5).

Allerdings gibt es in der Wüste auch Orte wie "Elim", nicht nur solche wie Mara": es gibt Wasserquellen und Palmbäume ebenso wie bittere Wasser. "Und sie kamen nach Elim, und daselbst waren zwölf Wasser­quellen und siebenzig Palmbäume; und sie lagerten sich daselbst an den Wassern" (V. 27). Der Herr bereitet in Seiner Gnade und Sorgfalt grüne Plätze für Sein Volk in der Wüste; und wenn es auch nur Oasen sind, so wirken sie doch erfrischend und belebend. Der Aufenthalt in Elim ließ das Murren der Israeliten verstummen. Der Schatten der Palm­bäume und die Quellen Elims kamen zur gelegenen Zeit nach den Prü­fungen Maras und zeigen uns, wie vollkommen Gott Seinem Volk auf Erden dient. Die Zahlen 12 und 70 stehen in Verbindung mit dem Dienst (vergl. Luk. 10, 1‑17; 6, 13).

Doch Elim war nicht Kanaan. Die Wasserquellen und Palmblume Elims waren nur ein Vorgeschmack von dem Land, das jenseits der Wüste lag. Ohne Zweifel fand Israel hier eine Erfrischung; aber es war eine Er­frischung der Wüste, und sie reichte nur für eine kurze Zeit aus, um das Volk zu ermutigen und für seinen weiteren Weg nach Kanaan zu stärken. Den gleichen Sinn hat der Dienet in der Kirche. Er ist eine gnädige Vorsorge für unsere Bedürfnisse und dazu bestimmt, unsere Herzen zu stärken und zu ermutigen, "bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes" (Eph. 4,13).

2.Mose 16, Wüste Sin, C.H.Mackintosh

01/13/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 16 IN DER WÜSTE SIN

"Und sie brachen auf von Elim, und die gan e Gemeinde der Kinder Israel kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai ist, am fünf­zehnten Tage des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus dem Lande Ägypten" (V. 1). Die Kinder Israel sind hier an einem bemerkenswer­ten Punkt angelangt. Sie sind noch in derselben Wüste, aber in einem sehr wichtigen Teil davon, nämlich "zwischen Elim und Sinai". Elim war der Platz, wo Gott sie gerade erst durch Seinen Dienst gestärkt hatte, und Sinai

wurde der Ort, wo sie den Boden der freien und un­umschränkten Gnade verließen, um sich unter ein Bündnis von Werken zu stellen. Das macht die Wüste Sin zu einem besonders wichtigen Teil der Reise der Kinder Israel. Noch begegnet Gott ihnen in derselben Gnade, mit der Er sie aus Ägypten geführt hatte, und darum hilft Er unmittelbar, sobald ein Mangel auftaucht. Wenn Gott Seine Gnade offenbaren will, dann gibt es für Ihn kein Hindernis. Der Segen, der von Ihm ausgeht, kann dann nicht unterbrochen werden. Nur wenn der Mensch sich selbst unter Gesetz stellt, verwirkt er alles; dann wird es sich zeigen, was der Mensch aufgrund seines eigenen Tuns erreichen kann.

Gott hat Sein Volk sicher nicht in der Absicht erlöst und aus Ägypten herausgeführt, um es in der Wüste eine Beute des Hungers und Durstes werden zu lassen. Die Kinder Israel hätten das wissen sollen. Sie hätten sich auf Ihn stützen und im Vertrauen auf die Liebe, die sie in so wun­derbarer Weise den Schrecken der ägyptischen Knechtschaft entrissen hatte, ihren Weg fortsetzen sollen. Sie hätten daran denken sollen, daß es unendlich viel besser war, mit Gott in der Wüste als mit dem Pharao bei den Ziegelhütten zu sein. Aber es fällt dem menschlichen Herzen un­endlich schwer, der vollkommenen Liebe Gottes Glauben zu schenken.

Der Mensch setzt mehr Vertrauen auf Satan als auf Gott (vergl. 1. Mose 3, 1‑6). Woher kommen die vielen Leiden, das Elend und die Entwürdi­gung des Menschen? Sind sie nicht die Folgen seines Hörens auf die Stimme Satans? Und dennoch beklagt er sich nie über sein Sklaven­dasein, noch drückt er je den Wunsch aus, diesem Dienst zu entrinnen. Er ist weder unzufrieden mit Satan noch des Dienens überdrüssig. Alle Tage erntet er bittere Früchte auf dem Feld, auf das Satan ihn geführt hat; und dennoch sieht man ihn immer wieder denselben Samen aus­streuen und willig dieselbe mühevolle Arbeit tun.

Wie ganz anders handelt der Mensch im Blick auf Gott! Kaum haben wir angefangen, in Seinen Wegen zu wandeln, so sind wir bei der ersten Prüfung oder Trübsal schon unzufrieden und zur Empörung bereit. In der Tat sind wir in kaum einer Sache so nachlässig wie in der Dank­barkeit. Wir vergessen zehntausend Gnadenerweisungen angesichts einer einzigen geringfügigen Entbehrung. Wir haben die Vergebung aller unserer Sünden empfangen (Eph. 1, 7; Kol. 1, 14), sind "begnadigt in dem Geliebten" (Eph. 1, 6), wir sind zu Erben Gottes und zu Mit­erben Christi gemacht (Eph. 1, 11; Röm. 8, 17; Gal. 4, 7), wir erwarten die ewige Herrlichkeit (Röm. 8, :18‑25; 2. Kor. 4, 15; 5, 4; Phil. 3, 20. 21; Gal. 5, 5; Tit. 2, 13; 1. Joh. 3, 2 u. a.), und obendrein er­fahren wir Tag für Tag durch unzählige Gnadenerweisungen die Güte unseres Herrn; und doch braucht nur eine Wolke, "klein wie eines Mannes Hand", am Horizont zu erscheinen, und wir vergessen ange­sichts dieser Wolke, die sich vielleicht sogar als Segen für uns erweisen wird, alle die reichen Segnungen in der Vergangenheit. Dieser Gedanke sollte uns in der Gegenwart Gottes tief demütigen. Wie weit sind wir in dieser und in jeder anderen Hinsicht von unserem Herrn entfernt! Be­trachten wir Ihn, den wahren "Israel", wie Er in der Wüste, um­ringt von wilden Tieren, vierzig Tage fastete. Beklagte Er Sein Los? Wünschte Er eine Änderung der Umstände? Nein. Gott war das Teil Seines Erbes und Seines Bechers (Ps. 16). Und als der Ver­sucher Ihm die Herrlichkeit und Ehren dieses Lebens anbot, konnte Er darum alles ausschlagen und blieb unerschütterlich in der Abhängigkeit von Gott und in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter Sein Wort. Er wollte nur von Gott Brot empfangen, und auch die Herrlichkeit nur von Ihm.

Wie anders war es bei dem irdischen Volk Israel! Kaum verspürten sie Hunger, da "murrten sie wider Mose und wider Aaron in der Wüste".

Sie schienen tatsächlich das Bewußtsein ihrer Befreiung durch die Hand des HERRN verloren zu haben, denn sie schrieen: "Ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt"! (V. 3) und in Kap. 17: "Warum doch hast du uns aus Ägypten herausgeführt, um mich und meine Kinder und mein Vieh sterben zu lassen vor Durst?" So offenbarten sie bei jeder Gelegenheit einen Geist der Bitterkeit und Unzufriedenheit und zeigten nur zu deutlich, wie wenig ihnen die Gegenwart ihres allmächtigen und gnädigen Befreiers bedeutete.

Wie sehr wird Gott verunehrt durch das Murren derer, die Ihm an­gehören! Der Apostel Paulus erwähnt diesen undankbaren Geist als ein besonderes Kennzeichen heidnischer Verderbtheit. "weil sie Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten, noch ihm Dank darbrach­ten, und dann folgt das Resultat: "sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen, und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde" (Röm. 1, 21). Wer nicht mehr mit Dankbarkeit an die Güte Gottes denken kann, dessen Herz wird bald mit Finsternis erfüllt werden. Auf diese Weise verloren die Kinder Israel das Bewußtsein, in Gottes Hand zu sein, und wie es zu erwarten ist, gerieten sie dadurch in noch tiefere Finsternis. In einem späteren Abschnitt ihrer Geschichte hören wir sie sagen: "Warum bringt uns der HERR in dieses Land, daß wir durchs Schwert fallen und unsere Weiber und unsere Kindlein zur Beute wer­den" (4. Mose 14, 3)? Das ist der abschüssige Weg einer Seele, die ihre Gemeinschaft mit Gott verloren hat. Sie verliert zunächst das Be­wußtsein, daß sie nur zu ihrem eigenen Segen in den Händen Gottes ist, und schließlich glaubt sie sogar, daß es zu ihrem Unglück sei. Was für ein trauriger Rückschritt!

Weil Gott aber diesem Volk Israel Seine besondere Gnade zuwenden wollte, traf Er auf wunderbare Weise Vorsorge: "Da sprach der HERR zu Mose: Siehe, ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen" (V. 4). In ihrem Unglauben hatten sie kurz vorher gesagt: "Wären wir doch im Lande Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung!" (V. 3 . Und jetzt heißt es: "Ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen". Welch ein Gegensatz! Welch ein Unterschied zwischen den Fleischtöpfen, den Zwiebeln, dem Knoblauch Ägyptens und dem himmlischen Manna, dem "Brot der Starken" (Ps. 78, 25)! Das erste war irdisch, das andere himmlisch.

Nun aber mußte diese himmlische Speise dazu dienen, den Zustand des Volkes zu prüfen: " . . damit ich es versuche, ob es wandeln wird in meinem Gesetz oder nicht" (V. 4). Die Israeliten mußten sich auch in­nerlich von Ägypten gelöst haben, um mit dem ßrot vom Himmel" zufrieden zu sein und es genießen zu können. Aber wir wissen, daß sie mit diesem Brot nicht zufrieden waren, sondern es verachteten, indem sie es eine "elende Speise" (4. Mose 21, 5) nannten und wieder Fleisch essen wollten. Sie gaben damit den Beweis, wie wenig sie in ihren Herzen von Ägypten befreit und den Gesetzen Gottes zu folgen bereit waren. Sie "wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten zurück" (Apg. 7, 39). Aber anstatt wieder dorthin zu kommen, wurden sie am Ende nach Babylon verschleppt. (Apg. 7, 43). Das 'ist eine ernste Lehre für uns Christen. Wenn wir von dem gegenwärtigen Zeitlauf erlöst sind ' aber nicht in Dankbarkeit des Herzens mit Gott wandeln und mit der Vor­sorge, die Er für Seine Erlösten in der Wüste getroffen hat, nicht zu­frieden sind, dann sind wir in Gefahr, den Einflüssen Babylons zum Opfer zu fallen. Unsere menschliche Natur findet keinen Geschmack an der Speise, die Gott bereitet hat; sie sehnt sich nach Ägypten zurück und muß daher im Tod gehalten werden. Als solche, die auf den Tod Christi getauft, mit Ihm in der Taufe begraben und durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes mitauferweckt sind (Röm. 6. 3; Kol. 2, 12), haben wir das Vorrecht, uns von Christus als dem "Brot des Lebens, das aus dem Himmel herniedergekommen ist", zu nähren (Joh. 6, 48. 51). Unsere Speise in der Wüste ist Christus, so wie Er uns in dem geschriebenen Wort durch den Heiligen Geist vorgestellt wird; darüber hinaus ist auch der Heilige Geist selbst zu uns herabge­kommen, als die Frucht des geschlagenen Felsens, d. h. des für uns ge­schlagenen Christus. Das ist unser herrliches Los in der Wüste dieser Welt.

Es ist natürlich klar, daß wir in einer solchen Situation nur dann glück­lich sein können, wenn unsere Herzen von allem gelöst sind, was dem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf angehört, von allem, was sich an unsere alte Natur richtet. Ein weltliches Herz und eine fleischliche Gesinnung werden Christus nicht in Seinem Wort finden, und wenn sie Ihn finden könnten, würden sie Ihn nicht genießen. Das Manna war so empfind­lich, daß es keine Berührung mit der Erde ertragen konnte. Es fiel auf den Tau herab und mußte vor Sonnenaufgang gesammelt werden. Jeder mußte daher früh aufstehen, um seine tägliche Nahrung zu suchen. So ist es auch heute mit dem Volk Gottes. Das himmlische Manna muß jeden Morgen frisch gesammelt werden. Das gestrige Manna taugt nicht für heute, noch das heutige für morgen. Wir müssen uns jeden Tag mit neuer Energie des Geistes von Christus nähren, sonst werden wir auf­hören zu wachsen. Auch müssen wir Christus in allen Dingen den Vor­rang geben. Wir müssen Ihn früh suchen, bevor andere Dinge unsere leicht beeinflußbaren Herzen in Anspruch nehmen. Viele von uns sind hierin leider zu bequem. Wir geben Christus den zweiten Platz, und Schwachheit und Dürre zeigen sich als die Folgen. Der Feind ist wachsam und benutzt unsere geistliche Trägheit, um uns den Segen und die Kraft zu rauben, die wir empfangen, wenn wir uns von Christus nähren. Das neue Leben in dem Gläubigen kann nur durch Christus genährt und erhalten werden. "Gleichwie der lebendige Vater mich gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich ißt, der wird auch leben meinetwegen" (Joh. 6, 57).

Die Gnade des Herrn Jesus Christus, der vom Himmel herabkam, um die Speise Seines Volkes zu sein, ist von unschätzbarem Wert für eine erneuerte Seele; aber um Ihn so genießen zu können, müssen wir in der Wüste als solche dastehen, die aufgrund einer vollbrachten Erlösung für Gott abgesondert sind. Wenn ich mit Gott durch die Wüste gehe, dann werde ich doch auch mit der Speise, die Er mir gibt, zufrieden sein; und diese Speise ist Christus, der vom Himmel Herniedergekom­mene. Das "Getreide des Landes Kanaan" hat sein Gegenbild in dem im Himmel verherrlichten Christus. Als solcher ist Er die richtige Speise für diejenigen, die durch den Glauben wissen, daß sie mit Ihm aufer­weckt und in Ihm in die himmlischen Örter versetzt sind. Das Manna aber ist der vom Himmel herabgestiegene Christus, der für das Leben und die Erfahrungen des Volkes in der Wüste nötig ist. Als ein auf der Erde nicht beheimatetes Volk brauchen wir einen Christus, der auch selbst auf der Erde ein Fremdling war. Als ein Volk, das im Geist schon in den Himmel versetzt ist, brauchen wir einen Christus, der ebenfalls dort Seinen Platz genommen hat. Das macht den Unterschied zwischen dem "Manna" und dem "Getreide des Landes" deutlich. Es geht hier nicht um die Erlösung; diese finden wir in dem Blut und dem Kreuz. Sondern es geht um die Vorsorge, die Gott im Blick auf die verschie­denen Situationen Seines Volkes getroffen hat ‑ ob es sich gerade in der Wüste abmüht oder im Geist schon von dem himmlischen Erbteil Besitz nimmt.

So hatten nun die Kinder Israel Ägypten hinter sich gelassen, vor ihnen lag Kanaan und rings um sie her der Sand der Wüste, während sie selbst berufen waren, ihre tägliche Nahrung vom Himmel zu erwarten. Die Wüste bot dem Volk Gottes weder einen Grashalm noch einen Tropfen Wasser. In dem HERRN allein war die Hoffnung der Erlösten. In allem sehen wir ein Bild des durch diese Welt wandernden Volkes Gottes. Sie finden nichts in dieser Welt, und ihr Leben kann, weil es himmlisch ist, nur durch himmlische Dinge erhalten werden. Obwohl in der Welt, sind sie doch nicht von der Welt, weil Christus sie von der Welt auserwählt hat. Als ein himmlisches Volk befinden sie sich auf dem Weg zu ihrem Vaterland und werden durch die Speise erhalten, die sie von dort her empfangen. Ihr Ziel ist der Himmel, und nur dort­hin werden sie durch die Herrlichkeit Gottes geleitet. Es ist sinnlos, nach. Ägypten zurückzuschauen, denn dort ist nicht ein einziger Strahl der Herrlichkeit zu erblicken. " . . da wandten sie sich gegen die Wüste, und siehe, die Herrlichkeit des HERRN erschien in der Wolke" (V. 10). Gott selbst war mit ihnen in der Wüste, und alle, die in Gemeinschaft mit Ihm sein wollten, mußten ebenfalls dort sein; dann aber sollte auch das himmlische Manna, und nichts anderes, ihre Speise sein.

Dieses Manna war allerdings ein eigentümliches Nahrungsmittel, das einem Ägypter niemals zusagen würde und von dem er auch nicht leben könnte; aber diejenigen, die "in der Wolke und in dem Meere getauft" waren und in Übereinstimmung mit dieser Taufe lebten, konnten Ge­schmack daran finden und sich auch davon ernähren. Ebenso ist es jetzt mit den wahren Gläubigen. Ein Mensch dieser Welt kann nicht begreifen, wie ein Gläubiger lebt. Sowohl das Leben des Gläubigen selbst, als auch das, wodurch er erhalten wird, sind dem Blick des natürlichen Menschen verborgen, denn dieses Leben ist Christus, und auch die Kraft dieses Lebens ist Christus. Ein Christ lebt durch Glau­ben von der Vortrefflichkeit dessen, der "über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit" (Röm. 9, 5), der aber "Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist" (Phil. 2, 7). Er sieht, wie Er aus der Gegenwart des Vaters zum Kreuz und vom Kreuz zum Thron ging, und er findet in Ihm, in jedem Abschnitt Seines Lebens, die Speise für den "inneren Menschen' (Eph. 3, 16). Die Umgebung des Christen ist zwar Ägypten, aber doch erlebt er sie nur als eine dürre Wüste, die dem erneuerten Geist nichts bieten kann; und in dem Maß, wie seine Seele dort Nahrung findet, werden seine Fortschritte im geistlichen Leben gehemmt. Die einzige Speise, die Gott für uns bereitet hat, ist das Manna, und jeder Gläubige sollte ein echtes Verlangen nach dieser Speise haben.

Es ist sehr traurig, wenn man Christen findet, die den Dingen dieser Welt nachjagen. Es beweist deutlich, daß sie des himmlischen Mannas überdrüssig geworden sind und es als eine "elende Speise" betrachten. Sie dienen dem, was sie töten sollten. Unser neues Leben kann nur dann wirksam sein, wenn wir gleichzeitig den "alten Menschen mit seinen Handlungen" ausziehen (Kol. 3, 9), und je mehr das verwirk­licht wird, um so größer wird das Verlangen nach dem wahren Manna. Wie im täglichen Leben jede Anstrengung unseren Appetit steigert, so vermehrt sich auch im geistlichen Leben das Bedürfnis, uns von Christus zu ernähren, wenn wir unser neues Leben wirken lassen. Zu wissen, daß wir in Christus das Leben besitzen, verbunden mit einer völligen Vergebung und Annahme bei Gott, ist eine Sache. Aber etwas ganz anderes ist es, gewohnheitsgemäß in Gemeinschaft mit Ihm zu sein und in Ihm allein Speise für die Seele zu finden. Viele bekennen, Vergebung und Frieden in Jesus gefunden zu haben, und doch haben sie in ihrem praktischen Leben vollauf Genüge an allerlei Dingen, die in keiner Verbin­dung mit Christus stehen. Sie nähren ihren Geist mit politischen Kom­mentaren oder geistlosen Erzeugnissen der Tagesliteratur. Finden sie dort Christus? Teilt uns der Heilige Geist dadurch etwas von Christus mit? Ist das das himmlische Manna, das Gott Seinen Erlösten in der Wüste zur Nahrung gibt? Nein; an diesen Dingen kann nur unsere alte Natur Freude finden. Wie könnte ein Christ von ihnen leben? Das Wort Gottes belehrt uns, daß der Gläubige zwei Naturen in sich trägt, und wir möchten fragen: Welche von diesen beiden Naturen findet ihre Nahrung in der Literatur dieser Welt? Die Antwort ist nicht schwer. Welche aber von beiden möchte ich stärken? Mein praktisches Leben wird die beste Antwort auf diese Frage geben. Wenn ich aufrichtig wünsche, im göttlichen Leben zu wachsen, wenn es mein wichtigstes Ziel ist, Christus gleichförmig zu werden und für Ihn zu leben, wenn ich ernsthaft danach trachte, daß das Reich Gottes in meinem Innern Fortschritte macht, dann werde ich auch nur die Nahrung suchen, die Gott zur Förderung meines geistlichen Wachstums bereitet hat. Das ist sehr einfach. Die Handlungen eines Menschen sind der beste Maßstab für seine Wünsche und Absichten. Wenn ich jemanden finde, der ein Christ sein will, aber seine Bibel vernachlässigt, während er genug Zeit findet und oft seine besten Stunden dazu verwendet, Zeitungen zu lesen, so kann es mir nicht schwer fallen, den wahren Zustand seiner Seele zu beurteilen. Ein solcher Christ kann nicht geistlich sein, kann sich auch nicht von Christus nähren, nicht für Ihn leben oder von Ihm zeugen.

Wenn ein Israelit es versäumt hätte, morgens seine tägliche Ration der für ihn bestimmten Nahrung zu sammeln, dann hätte ihm bald die Kraft gefehlt, seine Reise fortzusetzen. Ebenso ist es mit uns. Wenn nicht Christus der Hauptinhalt unseres Lebens ist, dann wird zwangs­läufig unser geistliches Wachstum verhindert. Selbst Gefühle und Er­fahrungen, die mit Christus in Verbindung stehen, können nicht unsere geistliche Nahrung ausmachen, weil sie veränderlich und ständigen Schwankungen unterworfen sind. Christus war es gestern, und Er muß es heute und in alle Ewigkeit sein. Es geht auch nicht an, daß wir uns teils von Christus und teils von anderen Dingen nähren. Christus allein kann das Leben ‑eben und Er allein kann es erhalten.

Es ist wohl wahr, daß wir uns, wie es in dem "Getreide des Landes" (siehe Jos. 5) bildlich gezeigt wird, schon jetzt im Glauben von dem auferstandenen und verherrlichten Christus nähren können, der auf­grund der vollbrachten Erlösung in den Himmel zurückgekehrt ist. Und nicht nur das, sondern wir wissen auch, daß die Erlösten, wenn sie jenseits des Jordan die Herrlichkeit, die Ruhe und die Unsterblichkeit erreicht haben, mit der Speise der Wüste zum Abschluß gekommen sind. Aber mit Christus werden sie nicht zum Abschluß gekommen sein, noch mit der Erinnerung an das, was einst in der Wüste ihre Nahrung war.

Die Kinder Israel sollten in dem Land, das von Milch und Honig floß, nie vergessen, was während ihres vierzigjährigen Aufenthalts in der Wüste zu ihrem Unterhalt gedient hatte. "Dies ist das Wort, das der HERR geboten hat: Ein Ghomer voll davon sei zur Aufbewahrung für eure Geschlechter, damit sie das Brot sehen, womit ich euch in der Wüste gespeist habe, als ich euch aus dem Lande Ägypten herausführte. Und Mose sprach zu Aaron: Nimm einen Krug und tue Man darein, einen Ghomer voll, Lind lege es vor dem HERRN nieder zur Aufbewahrung für eure Geschlechter. So wie der HERR Mose geboten hatte, legte Aaron es vor das Zeugnis nieder, zur Aufbewahrung" (V. 32 bis 34). Das war eine wichtige Erinnerung an die Treue Gottes. Er ließ sie nicht Hungers sterben, wie es ihre Torheit und ihr Unglaube angenommen hatte. Er gab ihnen Brot vom Himmel, nährte sie mit dem Brot der Starken, wachte über sie wie ein Vater, handelte in Langmut und Ge­duld mit ihnen und trug sie auf Adlers Flügeln (Kap. 19, 4), und wären sie auf dem Boden der Gnade geblieben, dann hätte Er ihnen zum ewigen Besitz gegeben, was Er ihren Vätern verheißen hatte. Der mit Manna gefüllte Krug, der einen Ghomer als täglichen Speisebedarf für eine Person enthielt und vor den Herrn hingestellt wurde, ist daher ein lehrreiches Bild für uns. Es gab keinen Wurm oder irgend etwas anderes in diesem Krug, was Fäulnis hätte bewirken können. Er bezeugte für alle Zeiten die Treue Gottes in der Fürsorge für die, die Er aus der Hand des Feindes befreit hatte.

Ganz anders war es, wenn der Mensch das Manna für sich selbst auf­häufte. Dann erschienen bald die Zeichen der Fäulnis. Wir können niemals einen Vorrat sammeln. Es ist unser Vorrecht, uns Tag für Tag von Christus zu nähren als dem, der vom Himmel herabkam, um der Welt das Leben zu geben. Wollte aber jemand dies vergessen und sich für den folgenden Tag einen Vorrat sammeln, d. h. eine Wahrheit, die sein augenblickliches Bedürfnis übersteigt, für spätere Zeiten aufbe­wahren, anstatt sie zur Förderung seiner Kräfte zu verwerten, so würde sie sicher dem Verderben anheimfallen. Das ist eine heilsame Unter­weisung. Die Wahrheit kennenlernen ist eine sehr ernste Sache; denn jeder Grundsatz, den wir gelernt zu haben bekennen, legt uns die Verpflichtung auf, ihn auch praktisch zu verwirklichen. Gott will keine Theoretiker. Man zittert oft, wenn man Gläubige, sei es in ihren Ge­beten oder bei anderen Gelegenheiten, erhabene Bekenntnisse ablegen und Worte der tiefsten Hingebung aussprechen hört, da man fürchten muß, daß sie, wenn die Stunde der Prüfung kommt, nicht die nötige geistliche Kraft besitzen, um das, was ihre Lippen ausgesprochen haben, zur Ausführung zu bringen.

Es besteht immer eine große Gefahr, daß der Verstand das Gewissen und die Zuneigungen überholt. Daher kommt es auch, daß viele anfangs bis zu einem gewissen Punkt große Fortschritte zu machen scheinen, dann aber plötzlich stehen bleiben und zurück gehen. Sie gleichen dem Israeliten, der mehr Manna sammelte, als er zur Nahrung für einen Tag brauchte. Er legte scheinbar einen weit größeren Fleiß an den Tag als alle anderen; aber doch war jedes Korn, das er über seinen täglichen Bedarf hinaus gesammelt hatte, nicht nur nutzlos, sondern es brachte Würmer hervor. So verhält es sich auch mit dem Christen. Er muß von dem, was er empfängt, Gebrauch machen. Er muß ein echtes Verlangen haben, sich von Christus zu nähren, und dieses Verlangen wird gerade durch einen tätigen Dienst bewirkt. Um den Charakter und die Wege Gottes, die Schönheit Christi und die lebendigen Tiefen des Wortes kennenzulernen, sind Glaube und echtes Verlangen notwendig. Nur wenn wir von dem Empfangenen Gebrauch machen, wird uns mehr ge­geben. Der Weg des Gläubigen muß ein praktischer sein; und gerade hieran scheitern so viele. Es kommt oft vor, daß diejenigen, die in der Theorie am schnellsten vorwärtskommen, in der Praxis und in der Er­fahrung die Trägsten sind, weil bei ihnen das Christentum mehr eine Sache des Verstandes als des Gewissens und Herzens ist. Wir sollten aber nie vergessen, daß das Christentum nicht aus einer Sammlung von Meinungen und Dogmen besteht, daß es nicht ein Lehrsystem ist, sondern eine lebendige Wirklichkeit, eine persönliche, praktische, mäch­tige Sache, die sich in allen Ereignissen und Umständen des täglichen Lebens offenbart. Es übt einen heilsamen Einfluß auf den Charakter und den Wandel und auf alle Beziehungen aus, in die Gott uns stellt. Zusammenfassend gesagt: es ist das Ergebnis unserer Vereinigung und Beschäftigung mit Christus. Das ist Christentum. Man kann richtige Begriffe verwenden, klare Anschauungen und gesunde Grundsätze ver­treten, ohne irgendwelche Gemeinschaft mit Jesus zu haben; aber ein orthodoxes Glaubensbekenntnis ohne Christus wird sich immer als eine kalte und tote Sache erweisen.

Wir müssen sorgfältig darauf achten, daß wir nicht allein durch Chri­stus errettet sind, sondern auch von Ihm leben, indem wir Ihn zu unserer täglichen Speise machen! Wir müssen Ihn "früh suchen und nur Ihn allein suchen! Wenn irgend etwas unsere Aufmerksamkeit fesseln will ' so sollten wir uns fragen: "Wird Christus dadurch meinem Herzen nahe gebracht?" oder "Wird mir dadurch Seine Liebe größer und mein Herz enger mit Ihm verbunden?" Wenn diese Fragen zu verneinen sind, so sollte jene Sache ohne Zögern verworfen werden, wenn sie auch noch so erstrebenswert und notwendig erscheint. Wenn es wirklich unser Wunsch ist, im göttlichen Leben Fortschritte zu machen und per­sönliche Gemeinschaft mit Christus zu pflegen, dann müssen wir hin­gehen, das auf den Tau fallende Manna sammeln und es essen. Und je wachsamer unser Wandel mit Gott durch die Wüste ist, um so größer wird unser Hunger nach diesem Manna sein.*)

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*) Es wird von Nutzen sein, bezüglich des Mannas einen Blick auf das 6. Kapitel des Johannesevangeliums zu richten. Das Passah war nahe; Jesus speist die Menge und zieht sich dann auf einen Berg zurück, um dort allein zu sein. Von da kehrt Er zurück, um den Seinen zu helfen, die auf den unruhigen Wogen des Meeres umhergeschleudert werden und sich in großer Not befinden. Darauf enthüllt Er die Lehre von Seiner Person und Seinem Werk und erklärt, wie Er Sein Fleisch für das Leben der Welt geben werde, und daß niemand das Leben haben kann, der nicht Sein Fleisch ißt und Sein Blut trinkt. Schließlich redet Er von sich als dem Sohn des Menschen, der dahin auffahren werde, wo Er zuvor gewesen war, sowie von der belebenden Kraft des Heiligen Geistes.

Es gibt in diesem Kapitel noch eine andere Sache, die wir hervorheben müssen, nämlich die Einführung des Sabbaths in seiner Verbindung mit dem Manna und mit der Stellung Israels, wie sie uns hier beschrie­ben wird. Von 1. Mose 2 an bis zum vorliegenden Kapitel wird dieses Thema mit keiner Silbe berührt. Das ist bemerkenswert. Abels Opfer, Henochs Wandel mit Gott, Noahs Predigt, Abrahams Berufung und die ausführlich erzählte Geschichte Isaaks, Jakobs und Josephs ‑ alles das wird mitgeteilt; aber nirgends finden wir eine Anspielung auf den Sabbath bis zu dem Augenblick, da wir Israel als Volk anerkannt sehen, und zwar in Verbindung mit dem HERRN und unter der Verantwort­lichkeit, die aus dieser Verbindung entspringt. Der Sabbath war in Eden unterbrochen worden und wird hier für Israel in der Wüste wieder ein­geführt. Aber der Mensch hat kein Herz für die Ruhe Gottes. "Und es geschah am siebenten Tage, daß etliche von dem Volke hinausgingen, um zu sammeln, und sie fanden nichts. Und der HERR sprach zu Mose: ­Bis wann weigert ihr euch, meine Gebote und meine Gesetze zu beob­achten? Sehet, weil der HERR euch den Sabbath gegeben hat, darum gibt er euch am sechsten Tage Brot für zwei Tage; bleibet ein jeder an seiner Stelle, niemand gehe am siebenten Tage von seinem Orte heraus" (V. 27‑29). Gott wollte Sein Volk an Seiner eigenen Ruhe teilhaben lassen. Es war Sein Wille, ihm sogar in der Wüste Ruhe, Nahrung und Erquickung zu geben. Aber das Herz des Menschen ist nicht geneigt, mit Gott zu ruhen. Die Israeliten konnten von jener Zeit reden, da sie bei den Fleischtöpfen Ägyptens sagen (V. 3); aber in ihren Zelten zu sitzen, sich mit Gott der "Ruhe des heiligen Sabbaths" zu erfreuen und sich von dem Manna des Himmels zu nähren, das vermochten sie nicht als einen Segen zu schätzen.

Beachten wir auch, daß der Sabbath hier als eine Gabe dargestellt wird. "Der HERR hat euch den Sabbath gegeben" (V. 29). An späterer Stelle in diesem Buch werden wir die Sabbathruhe als Gesetz wiederfinden, verbunden mit Fluch und Gericht im Fall des Ungehorsams. Doch der gefallene Mensch mag ein Vorrecht oder ein Gesetz, einen Segen oder einen Fluch empfangen, es ist alles von gleicher Wirkung. Seine Natur ist böse; er kann weder mit Gott ruhen, noch für Gott tätig sein. Wenn Gott wirkt und ihm eine Ruhe bereitet, so will er an dieser Ruhe nicht teilnehmen; und wenn Gott ihn zum Wirken auffordert, dann will er nicht tun, was Gott von ihm fordert. So ist der Mensch. Er hat kein Herz für Gott. Er kann freilich zum Zeichen seiner Frömmigkeit vorn Sabbath Gebrauch machen; aber er ist nicht imstande, Gottes Sabbath als eine Gabe zu würdigen; und wenn wir uns zu 4. Mose 15, 32‑36 wenden, dann finden wir, daß er auch unfähig ist, ihn als ein Gesetz zu beobachten.

Nun ist aber der Sabbath ebenso wie das Manna ein Bild. An und für sich war er eine Segnung, ein Gnadengeschenk aus der Hand eines liebenden und gnädigen Gottes, der aus sieben Tagen einen Ruhetag wählte, um die Mühe und Arbeit der sündenbeladenen Erde erträglicher zu machen. Von welcher Seite wir auch die Einführung des Sabbaths betrachten, wir sehen darin sowohl für den Menschen als auch für die Tierwelt die Weisheit und die Gnade Gottes. Und wenn auch die Chri­sten "den ersten Tag der Woche", "den Tag des Herrn" feiern und die ihm eigenen Grundsätze damit verbinden, so ist dennoch auch in diesem Tage die gnädige Vorsehung Gottes ebenso zu erkennen. "Der Sabbath ward um des Menschen willen"; und obwohl der Mensch ihn nie in einer den Gedanken Gottes entsprechenden Weise beachtet hat, vermindert dies doch nicht die Gnade, die wir in seiner Einsetzung sehen, noch nimmt es diesem Tag die Bedeutung als Bild von der ewigen Ruhe, die für das Volk Gottes bleibt, oder als Schatten von dem, worüber sich der Glaube jetzt in der Person und dem Werk des auferstandenen Christus freut.

Es ist nicht die Absicht des Verfassers, in irgendeiner Weise die gnädige Verordnung eines Ruhetages für den Menschen und die Schöpfung an­zutasten, und noch viel weniger, die besondere Stellung, die der Tag des Herrn im Neuen Testament einnimmt, zu verkennen. Als Mensch schätzt er den Tag der Ruhe zu hoch und als Christ erfreut er sich des Tages des Herrn zu sehr, als daß er eine einzige Silbe reden oder schreiben könnte, durch die der einen oder anderen Sache Abbruch ge­schähe. Man sollte aber diese Gedanken auf der Waage der Heiligen Schrift abwägen, bevor man sich ein Urteil bildet. Wenn der Herr es erlaubt, werden wir noch auf dieses Thema zurückkommen. Mögen wir die Ruhe, die unser Gott in Christus für uns bereitet hat, mehr schätzen lernen und uns von Ihm nähren als "dem verborgenen Manna" (Offbg. 2, 17), das in der Kraft der Auferstehung im innersten Heiligtum auf­bewahrt wird zum Zeugnis von dem, was Gott für uns vollbracht hat, damit wir in der Vollkommenheit Christi vor Ihm sein können.

Kapitel 17

DER GESCHLAGENE FELS. AMALEK

"Und die ganze Gemeinde der Kinder Israel brach auf aus der Wüste Sin, nach ihren Zügen, nach dem Befehl des HERRN, und sie lagerten sich zu Rephidim; und da war kein Wasser zum Trinken für das Volk. Und das Volk haderte mit Mose, und sie sprachen: Gebet uns Wasser, daß wir trinken! Und Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? was versuchet ihr den HERRN?" (V. 1. 2). Wenn wir nicht ein wenig die demütigende Bosheit unserer eigenen Herzen kennten, würden wir uns die Gefühllosigkeit der Israeliten gegenüber der Güte und Treue und den mächtigen Taten Gottes nicht erklären können. Gerade hatten sie noch Brot vom Himmel herabfallen sehen, um 600 000 Menschen in der Wüste zu speisen und schon neigen sie dazu, Mose zu steinigen ‑unter dem Vorwand, er habe sie in die Wüste geführt, um sie vor Durst umkommen zu lassen. Nichts kann den entsetzlichen Unglauben und die Bosheit des menschlichen Herzens übertreffen, als nur die überströ­mende Gnade Gottes. Nur in dieser Gnade können wir ruhen trotz der immer zunehmenden Erkenntnis unserer bösen Natur, die durch die Umstände offenbar gemacht wird. Wenn die Israeliten von Ägypten un­mittelbar nach Kanaan geführt worden wären, dann hätten sie keine so traurigen Beweise von der Unzulänglichkeit des Menschen gegeben; dann wären sie allerdings auch keine so treffenden Beispiele für uns geworden. Nun aber ist ihre vierzigjährige Wüstenwanderung für uns eine Quelle ernster Ermahnungen, Warnungen und Unterweisungen. Unter vielem anderen zeigen sie uns die unverständliche Neigung des menschlichen Herzens, Gott mit Mißtrauen zu begegnen. Dies Herz will alles ‑ nur Gott nicht. Es stützt sich lieber auf die armseligen mensch­lichen Hilfsmittel, als auf den allmächtigen, allweisen und allgütigen Gott; und eine kleine Wolke genügt, um ihm das Licht des Angesichts Gottes zu verbergen. Mit Recht wird es ein "böses Herz des Unglau­bens" genannt, das ständig bereit ist, von dem lebendigen Gott abzu­fallen (Hebr. 3, 12).

Es sind zwei interessante Fragen, die der Unglaube in diesem und im vorigen Kapitel erhebt. Es sind genau dieselben Fragen, die tagtäglich in uns selbst und in unserer Umgebung aufkommen: "Was sollen wir essen?" und‑. "Was sollen wir trinken?" (Matth. 6, 31). Das Volk stellt hier zwar nicht die dritte Frage dieser Art: "Was sollen wir anziehen?", aber das sind die Fragen der Wüste: "Was?" "Wo?" "Wie?" Für jede von ihnen hat der Glaube nur eine kurze, aber entscheidende Antwort, nämlich: Gott! Das ist eine vollkommene Antwort! Möchten wir immer mehr erkennen, welche Kraft und Fälle darin liegt. Gewiß ist es nötig, daß wir uns in Prüfungssituationen an die Worte des Apostels erinnern: "Keine Versuchung hat euch ergriffen, als nur eine menschliche; Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, daß ihr über euer Vermögen ver­sucht werdet, sondern wird mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen, so daß ihr sie ertragen könnt" (1. Kor. 10, 13). Sooft wir in irgendeine Bedrängnis kommen, dürfen wir überzeugt sein, daß mit dieser Bedrängnis auch ein Ausweg da ist, wenn wir nur unseren Eigen­willen ablegen und einfältig genug sind, um diesen Ausweg zu sehen.

"Da schrie Mose zu dem HERRN und sprach: Was soll ich mit diesem Volke tun? Noch ein wenig, und sie steinigen mich. Und der HERR sprach zu Mose: Gehe hin vor dem Volke und nimm mit dir von den Ältesten Israels; und deinen Stab, womit du den Strom geschlagen hast, nimm in deine Hand und gehe hin. Siehe, ich will daselbst vor dir stehen auf dem Felsen am Horeb; und du sollst auf den Felsen schla­gen, und es wird Wasser aus demselben herauskommen, daß das Volk trinke. Und Mose tat also vor den Augen der Ältesten Israels" (V. 4‑6). So führt jede Unzufriedenheit eine neue Offenbarung der Gnade herbei. Wir sehen hier das erfrischende Wasser aus dem geschlagenen Felsen hervorquellen ‑ ein Bild von dem Geist, der dem Gläubigen als die Frucht des vollbrachten Opfers Christi geschenkt ist. Im vorigen Kapitel fanden wir ein Bild von Christus als dem, der vom Himmel kam, um der Welt das Leben zu geben; hier haben wir ein Bild des Heiligen Geistes, der kraft des vollbrachten Werkes Christi "ausgegossen" worden ist. und alle denselben geistlichen Trank tranken, denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, welcher nachfolgte. (Der Fels aber war er, Christus)" (1. Kor. 10, 4). Aber wer hätte trinken können, bevor der Felsen geschlagen worden war? Die Kinder Israel hätten diesen Felsen tagelang anstarren und doch vor Durst sterben können; denn bevor er nicht durch den Stab Gottes geschlagen war, konnte er keine Erquickung schenken. Das ist leicht zu verstehen. Der Herr Jesus ist der Mittelpunkt und die Grundlage aller Ratschlüsse der Liebe und Barm­herzigkeit Gottes. Die Gnade sollte durch das "Lamm Gottes" geoffen­bart werden; aber bevor das möglich war, mußte das Lamm geschlach­tet und das Werk am Kreuz eine vollendete Tatsache sein. Erst als der Fels durch die Hand des HERRN gespalten war, wurden die Schleusen der ewigen Liebe weit geöffnet und verlorene Sünder durch das Zeugnis des Heiligen Geistes eingeladen, in Fülle und umsonst zu trinken (Offbg. 22, 17). "Die Gabe des Heiligen Geistes" (Apg. 2, 38) ist das Resultat des am Kreuz vollbrachten Werkes Christi. Die Verheißung des Vaters (Luk. 24, 49) konnte nicht eher erfüllt werden, als bis Christus zur Rechten der Majestät in den Himmeln erhöht worden war, und zwar nachdem Er eine vollkommene Gerechtigkeit bewirkt, alle Forderungen der Heiligkeit erfüllt, das Gesetz verherrlicht, den Zorn Gottes über die Sünde in seiner ganzen Schärfe getragen und die Macht des Todes ge­brochen hatte. Nachdem dies alles geschehen war, ist Er "hinaufgestie­gen in die Höhe" und hat "die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben. Das aber: Er ist hinaufgestiegen, was ist es anders, als daß er auch hinabgestiegen ist in die unteren Teile der Erde? Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllte" (Ps. 68, 18; Eph. 4, 8‑10).

Dies ist für alle Ewigkeit die Grundlage des Friedens, der Glückseligkeit und der Herrlichkeit der Kirche. Bevor der Felsen geschlagen wurde, konnte kein Wasser hervorkommen, und der Mensch war unfähig, etwas zu tun. Welche menschliche Macht hätte aus einem harten Felsen Wasser hervorbringen können? Welche menschliche Gerechtigkeit hätte die Macht gehabt, die Schleusen der Liebe Gottes zu öffnen? Es gab kein besser geeignetes Mittel, um die Fähigkeit des Menschen zu er­proben. Weder durch seine Handlungen, noch durch seine Worte, noch durch seine Gefühle hätte er die Sendung des Heiligen Geistes bewir­ken können. Aber, Gott sei Dank! was der Mensch nicht vermochte, das hat Gott getan. Christus hat das Werk vollbracht! Der Felsen ist ge­schlagen worden, und ein Strom ist daraus hervorgebrochen, an dein jeder Dürstende Erquickung finden kann. Der Herr Jesus sagt: "Das Wasser, das ich ihm geben werden, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt" (Joh. 4, 14). Und an anderer Stelle lesen wir: "An dem letzten, dem großen Tage des Festes aber stand Jesus und rief und sprach: Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, gleichwie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geiste, welchen die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war" (Joh. 7, 37‑39; vergl. Apg. 19, 2).

Das aus dem geschlagenen Felsen hervorströmende Wasser ist also ein Bild des Heiligen Geistes. "Wenn du die Gabe Gottes känntest,... so würdest du ihn gebeten haben, und er hätte dir lebendiges Wasser (d. h. den Heiligen Geist) gegeben" (Joh. 4, 10). Aber der Name des Ortes, an dem dieses Bild gegeben wurde, ist ein ewiges Denkmal von dem Unglauben des Menschen. "Und er gab dem Orte den Namen Massa (Versuchung) und Meriba (Hader), wegen des Haderns der Kinder Israel, und weil sie den HERRN versucht hatten, indem sie sagten: Ist der HERR in unserer Mitte oder nicht?" (V. 7.) Nach so vielen Zu­sicherungen und Beweisen von der Gegenwart Gottes zeigte diese Frage, wie tief der Unglaube im menschlichen Herzen verwurzelt ist. Das hieß in der Tat "Ihn versuchen". Dasselbe taten die Juden, als Christus unter ihnen lebte: sie versuchten Ihn, indem sie ein Zeichen vom Himmel forderten. So handelt der Glaube niemals; er glaubt an die Gegenwart Gottes und freut sich darüber, und zwar nicht aufgrund eines Zeichens, sondern aufgrund der Erkenntnis Gottes selbst. Möge der Herr uns ein einfältigeres Vertrauen auf Ihn geben!

Das nächste, was uns in diesem Kapitel vor Augen gestellt wird, ist von besonderer Bedeutung für uns. "Und es kam Amalek und stritt wider Israel in Rephidim. Und Mose sprach zu Josua: Erwähle uns Männer und ziehe aus, streite wider Amalek: morgen will ich auf dem Gipfel des Hügels stehen mit dern Stabe Gottes in meiner Hand" (V. 8. 9). Die Gabe des Heiligen Geistes führt zum Kampf. Das Licht streitet mit der Finsternis (vergl. Eph. 5, 7‑14 und 6, 12). Wo alles finster ist, gibt es keinen Kampf; aber der schwächste Kampf beweist, daß Licht vorhanden ist. "Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt, auf daß ihr nicht das tut, was ihr wollt" (Gal. 5, 17). Genauso ist es in dem vor uns liegen­den Kapitel; kaum ist der Felsen geschlagen und läßt seine Wasser hervorströmen, lesen wir: "Und es kam Amalek und stritt wider Israel".

Zum ersten Mal sehen wir hier die Kinder Israel im Kampf mit einem äußeren Feind. Bisher hatte der Herr für sie gekämpft, wie wir in Kap. 14 lesen: "Der HERR wird für euch streiten, und ihr werdet still sein". Hier aber heißt es: "Erwähle uns Männer". Allerdings mußte Gott jetzt in Israel streiten, wie Er bisher für Israel gestritten hatte. Aber doch ist der Unterschied groß. Und wenn wir das Gegenbild betrachten, sehen wir, daß es auch zwischen dem Kampf Christi für uns und dem Kampf des Heiligen Geistes in uns einen großen Unterschied gibt. Der Kampf Christi ist für immer beendet, der Sieg errungen und ein ewiger Friede gesichert. Der Kampf des Heiligen Geistes aber ist heute noch not­wendig.

Der Pharao und die Amalekiter versinnbildlichen zwei verschiedene Mächte oder Einflüsse. Der Pharao stellt die Macht dar, die sich der Be­freiung Israels aus Ägypten widersetzte, während Amalek ein Bild von dem ist, was das Volk hinderte, mit Gott durch die Wüste zu gehen. Der Pharao versuchte, durch die Dinge Ägyptens die Kinder Israel am Dienst für den Herrn zu hindern; ebenso benutzt Satan die "gegen­wärtige böse Welt" (Gal. 1, 4) gegen das Volk Gottes. Amalek dagegen tritt als ein Bild des Fleisches auf. Er war der Enkel Esaus, der ein Linsengericht seinem Erstgeburtsrecht vorgezogen hatte (s. ‑1. Mose 36, 12). Amalek war der erste, der sich den Israeliten nach ihrer Taufe "in der Wolke und in dem Meere" entgegenstellte. Diese beiden Tat­sachen zeigen uns sehr deutlich seinen Charakter. Auch wissen wir aus späteren Tagen, daß Saul als König Israels verworfen wurde, weil er Amalek nicht völlig vernichtet hatte (l. Sam. 15). Und schließlich sehen wir, daß Haman, der letzte Amalekiter, den die Heilige Schrift erwähnt, wegen seines bösen Anschlags gegen die Juden an ein Holz gehängt wurde (Esther 7). Keinem Amalekiter war der Eintritt in die Gemeinde des Herrn gestattet; und am Schluß unseres Kapitels kündigt der Herr einen fortdauernden Krieg mit Amalek an (vergl. 5. Mose 25, 17‑19).

Dies alles zeigt uns deutlich, daß Amalek ein Bild des Fleisches im Christen ist. Die Verbindung zwischen seinem Kampf mit Israel und dem aus dem Felsen fließenden Wasser ist sehr bedeutungsvoll und steht vollkommen im Einklang mit dem Kampf, den ein Gläubiger mit sein r fleischlichen Natur zu bestehen hat, einem Kampf, der unver­meidlich ist, weil wir eine neue Natur haben, in der der Heilige Geist Wohnung gemacht hat. Der Streit nahm für die Kinder Israel erst seinen Anfang, als sie in der vollen Kraft der Erlösung standen und nachdem

sie "die geistliche Speise gegessen und aus dem geistlichen Felsen ge­trunken hatten" (1. Kor. 10, 3. 4). Bis zu dem Augenblick, da sie mit Amalek zusammentrafen, gab es für sie nichts zu tun. Sie stritten nicht mit dem Pharao, noch zerstörten sie die Macht Ägyptens oder brachen die Ketten ihrer Sklaverei; sie zerteilten nicht das Meer, noch ließen sie die Wasserwogen über dem Pharao und seinem Heer zusammen­schlagen. Sie ließen weder Brot vom Himmel regnen, noch Wasser aus dem Felsen hervorquellen. Nichts von alledem hatten sie getan, nichts hatten sie tun können. Jetzt aber werden sie zum Kampf gegen Amalek gerufen. Alle bisherigen Kämpfe hatten zwischen dem HERRN und dem Feind stattgefunden; sie hatten nur "still zu sein" und die glänzen­den Siege Gottes anzuschauen und die Früchte davon zu genießen. Der Herr hatte für sie gekämpft; aber jetzt kämpfte Er in ihnen und durch sie.

Ebenso verhält es sich mit der Kirche Gottes. Die Siege, auf die ihr ewiger Friede und ihre ewige Glückseligkeit gegründet sind, hat Christus allein für sie errungen. Er war allein am Kreuz, allein im Grab. Wie hätte die Kirche auch dort sein können? Wie hätte sie Satan besiegen, den Zorn Gottes ertragen oder den Tod seines Stachels berauben kön­nen? Für sündige Menschen war das unmöglich, aber nicht für Ihn, der zur Errettung der Verlorenen kam und der allein fähig war, das schwere Gewicht all ihrer Sünden zu tragen und es durch Sein vollkommenes Opfer für immer hinwegzutun. Und aufgrund dieser Versöhnung, die der Sohn Gottes vollbracht hat, konnte Gott der Vater den Heiligen Geist senden, der nun in der Kirche insgesamt, aber auch in jedem

einzelnen Glied der Kirche, Seine Wohnung genommen hat.

Sobald aber der Heilige Geist, als Folge des Todes und der Auferstehung Christi, Wohnung in uns nimmt, beginnt der Kampf. Christus hat für uns gekämpft; der Heilige Geist kämpft in uns. Gerade diese Tatsache, die für uns die erste Frucht des Sieges Christi ist, bringt uns sofort in Konflikt mit dem Feind. Aber wie tröstlich ist es, daß wir schon Sieger sind, bevor wir das Schlachtfeld betreten! Der Gläubige schreitet zum Kampf mit dem Ruf: "Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus" (1. Kor. 15, 57)! Wir kämpfen daher "nicht wie aufs Ungewisse ... nicht wie einer, der die Luft schlägt", in­dem wir unseren Leib zerschlagen und in Knechtschaft führen (1. Kor. 9, 26. 27). "Wir sind mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat" (Röm. 8, 37). Die Gnade, in der wir stehen, nimmt dem Fleisch alle Macht über uns (siehe Röm. 6). Wie "die Kraft der Sünde" im Gesetz liegt (1. Kor. 15, 56), so wird die Sünde kraftlos durch die Gnade. Das Gesetz gibt der Sünde Gewalt über uns; die Gnade gibt uns Gewalt über die Sünde.

"Und Mose sprach zu Josua: Erwähle uns Männer und ziehe aus, streite wider Amalek; morgen will ich auf dem Gipfel des Hügels stehen, mit dem Stabe Gottes in meiner Hand. Und Josua tat, wie Mose ihm gesagt hatte, um wider Amalek zu streiten; und Mose, Aaron und Hur stiegen auf den Gipfel des Hügels. Und es geschah, wenn Mose seine Hand er­hob, so hatte Israel die Oberhand, und wenn er seine Hand ruhen ließ, so hatte Amalek die Oberhand. Und die Hände Moses wurden schwer. Da nahmen sie einen Stein und legten denselben unter ihn, und er setzte sich darauf; und Aaron und Hur unterstützten seine Hände, hier einer und dort einer; und so waren seine Hände fest, bis die Sonne unterging. Und Josua streckte Amalek und sein Volk nieder mit der Schärfe des Schwertes" (V. 9‑13).

Wir haben hier zwei verschiedene Dinge: Kampf und Fürbitte. Christus ist als Fürsprecher für uns tätig, während der Heilige Geist in uns den Kampf führt. Beides geht Hand in Hand. In demselben Maß, wie wir durch den Glauben die Kraft der Fürbitte Christi verwirklichen, trium­phieren wir über unsere böse Natur. Manche möchten den Kampf des Christen mit dem Fleische in Abrede stellen, indem sie die Wiederge­burt als eine gänzliche Veränderung oder Erneuerung der alten Natur betrachten. Aus diesem Grundsatz würde folgen, daß ein Christ mit nichts mehr zu kämpfen habe. Denn wenn meine alte Natur erneuert ist, was bereitet mir dann noch Kampf? In mir gibt es nichts, weil meine alte Natur neugemacht ist; und von außen kann nichts auf mich ein­wirken, weil das Böse keinen Anknüpfungspunkt in mir findet. Die Welt hat keinen Reiz für jemanden, dessen Fleisch völlig verändert ist; und Satan findet nichts, wodurch und worauf er wirken könnte. Wer eine solche falsche Lehre aufstellt, hat den Platz vergessen, den Amalek in der Geschichte des Volkes Gottes einnimmt. Wenn die Israeliten sich eingebildet hätten, daß mit der Vernichtung der Heere des Pharao der Kampf für sie beendet sei, dann wäre es traurig um sie bestellt gewesen, als Amalek sie überfiel. Vielmehr nahm ihr Kampf gerade damals seinen Anfang. Und bei den Gläubigen ist es genauso. "Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist" (1‑ Kor 10. 11). Für den Menschen, dessen alte Natur erneuert wäre, fänden sich in diesen Dingen aber weder "Vorbilder", noch "Beispiele", noch "Er­mahnungen". In der Tat, ein solcher Mensch hat kein Bedürfnis nach der, Vorsorge, die Gott für Seine Auserwählten getroffen hat.

Die Heilige Schrift belehrt uns eindeutig, daß der Gläubige etwas in sich trägt, was dem Volk Amalek in der Wüste entspricht; und das ist: "das Fleisch" ‑ "der alte Mensch ‑ "die Lust des Fleisches" (Röm. 6; 8, 7; Gal. 5, 17). Wenn nun aber ein Christ, indem er die Regungen seiner alten Natur verspürt, an der Echtheit seines Christentums zu zweifeln beginnt, so macht er sich nicht nur äußerst unglücklich, son­dern er gibt damit auch seine vorteilhafte Stellung gegenüber dem Feind auf. Das Fleisch ist in dem Gläubigen und wird dort bis zum Ende be­stehen. Der Heilige Geist erkennt seine Existenz völlig an, wovon wir uns aus verschiedenen Stellen des Neuen Testaments überzeugen kön­nen. In Römer 6, 12 z. B. lesen wir: "SO herrsche denn nicht die Sünde in eurem sterblichen Leibe". Ein solches Gebot wäre sinnlos, wenn das Fleisch nicht mehr in dem Gläubigen vorhanden wäre. Wie könnten wir ermahnt werden, die Sünde nicht in uns herrschen zu lassen, wenn sie tatsächlich nicht mehr in uns wohnte? Zwischen Wohnen und Herrschen besteht ein großer Unterschied. Die Sünde wohnt in dem Gläubigen, aber sie herrscht in dem Ungläubigen.

Die Sünde wohnt also in uns; aber ‑ Gott sei Dank! ‑ sind wir gleich­zeitig in einer Stellung, die es uns ermöglicht, die Sünde zu überwinden. „Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade" (Röm. 6, 14). Die Gnade, die durch das Blut des Kreuzes die Sünde weggenommen hat, sichert uns den Sieg und verleiht uns in der Gegenwart Macht über sie.

Wir sind der Sünde gestorben, und deshalb hat sie keine Ansprüche mehr an uns. "Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sün­de" (Röm. 6, 7). "Indem wir dieses wissen, daß unser alter Mensch mit­gekreuzigt worden ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, daß wir der Sünde nicht mehr dienen" (Röm. 6, 6). "Josua streckte Amalek und sein Volk nieder mit der Schärfe des Schwertes" (V. 13). Alles war Sieg, und das Banner des HERRN wehte über dem triumphierenden Heer mit der ermutigenden Inschrift: "Jahwe-Nissi" ‑ der HERR mein Panier! Der Sieg sollte ebenso gewiß sein wie die Vergebung, und wir wissen, daß beides auf die Tatsache des Todes und der Auferstehung Jesu gegründet ist. Aufgrund dieser Tatsache kann der Gläubige sich eines gereinigten Gewissens erfreuen und die in ihm wohnende Sünde im Tode halten. Da der Tod Christi allen Forderungen Gottes hinsicht­lich unserer Sünden entsprochen hat, wird die Auferstehung Christi zu einer Quelle der Kraft für jeden Abschnitt des Kampfes. Er ist gestor­ben für uns, und Er lebt jetzt in uns. Das erste gibt uns Frieden, das zweite Kraft.

Es besteht ein bedeutsamer Unterschied zwischen Mose auf dem Hügel und Christus auf dem Thron. Die Hände unseres großen Fürsprechers können niemals sinken, und Seine Fürbitte endet nie. Er lebt immer­dar, um sich für uns zu verwenden (Hebr. 7, 25). Alle Schwierigkeiten können durch Seine Fürsprache beseitigt werden. Nachdem Er in der Macht göttlicher Gerechtigkeit in den Himmeln Platz genommen hat, wirkt Er für uns in Übereinstimmung mit dem, was Er ist, und gemäß der un­endlichen Vollkommenheit dessen, was Er getan hat. Seine Hände können niemals "schwer" werden, und Er braucht niemanden zu ihrer Unterstützung. Seine vollkommene Fürsprache ist gegründet auf Sein vollkommenes Opfer. Er stellt uns vor Gott, bekleidet mit Seiner eigenen Vollkommenheit, so daß der Heilige Geist (obwohl wir im Bewußtsein dessen, was wir sind, immer Ursache haben, uns in den Staub zu beu­gen) uns gegenüber dennoch nur von dem Zeugnis geben kann, was Christus für uns ist und was wir in Ihm sind. "Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geist" (Röm. 8, 9). Wir befinden uns, unserem tatsächlichen Zustand nach, in dem Leibe; aber niemals sind wir, unserer Stellung nach, im Fleische. Zwar ist das Fleisch in uns, obwohl wir ihm gestorben sind; aber wir sind nicht in dem Fleische, weil wir mit Christus lebendig gemacht sind.

Bevor wir die Betrachtung dieses Kapitels schließen, möchte ich noch bemerken, daß Mose "den Stab Gottes", mit dem er den Felsen geschla­gen hatte, auf dem Hügel bei sich führte. Dieser Stab war das Sinnbild der Macht Gottes, die in der Versöhnung und ebenso in der Fürsprache erkennbar ist. Nachdem das Werk der Versöhnung vollbracht war, nahm Christus Seinen Platz im Himmel ein, und der Heilige Geist wurde gesandt, um in der Kirche Wohnung zu machen, so daß eine untrennbare Verbindung zwischen dem Werk Christi und dem Werk des Heiligen Geistes besteht. In beiden zeigt sich die Macht Gottes.

Kapitel 18

JETHRO

Wir sind nun am Schluß eines bemerkenswerten Teiles des zweiten Buches Mose angelangt. Gott hat in Seiner vollkommenen Gnade Sein Volk erlöst; Er hat es aus Ägypten herausgeführt und es zunächst aus der Hand des Pharao und dann aus der Hand Amaleks befreit. Wir haben in dem Manna ein Bild des aus dem Himmel herabgekommenen Christus gesehen, in dem Felsen ein Bild des für Sein Volk geschlage­nen Christus und schließlich in dem hervorströmenden Wasser ein Bild des Heiligen Geistes. Und jetzt folgt gemäß der wunderbaren Ordnung, die wir überall in der Heiligen Schrift finden, ein Bild, das uns die zukünftige Herrlichkeit in ihren drei Hauptzügen vor Augen stellt, näm­lich in Verbindung mit den Juden, mit den Heiden und mit der Kirche Gottes.

Während der Verwerfung Moses durch seine Brüder wurde ihm in der Wüste eine Frau, die Gefährtin seiner Verwerfung, gegeben; und der Anfang dieses Buches hat uns über den Charakter der Verbindung Moses mit seiner Frau belehrt. Er war für sie ein "Blutbräutigam", d. h. gerade das, was Christus für die Kirche ist. Die Verbindung der Kirche mit Christus gründet sich auf Seinen Tod und Seine Auferstehung, und sie ist zur Gemeinschaft Seiner Leiden berufen. Sie wird, wie wir wissen, während der Zeit des Unglaubens Israels und der Verwerfung Christi gesammelt, und wenn sie nach den Ratschlüssen Gottes vollendet und die "Vollzahl der Nationen eingegangen ist" (Röm. 11, 25), wird die Geschichte Israels wieder aufgenommen.

Ebenso war es mit Zippora und Israel. Für die Zeit seiner Sendung zu Israel hatte Mose sie zurückgesandt; nachdem das Volk aber gänzlich befreit worden war, lesen wir: "Und Jethro, der Priester von Midian

der Schwiegervater Moses, hörte alles, was Gott an Mose und an Israel, seinem Volke, getan ... Und Jethro, der Schwiegervater Moses, nahm Zippora, das Weib Moses, nach ihrer Heimsendung, und ihre zwei Söhne, von denen der Name des einen Gersom war, denn er sprach: Ein Fremdling bin ich geworden in fremdem Lande, und der Name des anderen Elieser: denn der Gott meines Vaters ist meine Hilfe gewesen und hat mich errettet vom Schwerte des Pharao; und Jethro, der Schwie­gervater Moses, und seine Söhne und sein Weib kamen zu Mose in die Wüste, wo er gelagert war am Berge Gottes. Und er ließ Mose sa­gen: Ich, dein Schwiegervater Jethro, bin zu dir gekommen und dein Weib und ihre beiden Söhne mit ihr. Da ging Mose hinaus, seinem Schwiegervater entgegen, und beugte sich nieder und küßte ihn; und sie fragten einer den anderen nach ihrem Wohlergehen und gingen in das Zelt. Und Mose erzählte seinem Schwiegervater alles, was der HERR an dem Pharao und an den Ägyptern getan hatte um Israels willen, all die Mühsal, die sie auf dem Wege getroffen, und daß der HERR sie errettet habe. Und Jethro freute sich über all das Gute, das der HERR an Israel getan, daß er es errettet hatte aus der Hand der Ägypter. Und Jethro sprach: Gepriesen sei der HERR, der euch errettet hat aus der Hand der Ägypter und aus der Hand des Pharao, der das Volk errettet hat unter der Hand der Ägypter hinweg! Nun weiß ich, daß der HERR größer ist als alle Götter; denn in der Sache, worin sie in Übermut handelten, war er über ihnen. Und Jethro, der Schwiegervater Moses, nahm ein Brandopfer und Schlachtopfer für Gott; und Aaron und alle Ältesten Israels kamen, um mit dem Schwiegervater Moses zu essen vor dem Angesicht Gottes" (V. 1‑12).

Das ist eine sehr interessante Szene. Ganz Israel ist im Triumph vor dem HERRN versammelt; der Heide bringt ein Opfer dar, und uni das Bild zu vervollständigen, erscheint die Frau des Befreiers samt den Kin­dern, die Gott ihm gegeben hat. Es ist bis in die Einzelheiten eine treffen­de Darstellung des zukünftigen Reiches. "Gnade und Herrlichkeit wird der HERR geben" (Ps. 84, 11). Im Laufe unserer Betrachtung sind wir schon unzähligen Wirkungen der Gnade begegnet; hier aber gibt uns der Heilige Geist einen Einblick in die künftige Herrlichkeit, indem Er uns die verschiedenen Bereiche, in denen sie geoffenbart werden wird, bild­lich vor Augen stellt.

"Juden, Griechen und die Versammlung Gottes" sind drei in der Heili­gen Schrift eindeutig unterschiedene Begriffe (vergl. ‑1. Kor. 10, 32), die man nicht miteinander verwechseln kann, ohne die vollkommene Ordnung der Wahrheit zu zerstören, die Gott in Seinem heiligen Wort ge­offenbart hat. Diese Unterschiede haben bestanden, seitdem das Ge­heimnis der Kirche durch den Dienst des Apostels Paulus ans Licht ge­stellt worden ist; und auch während des Tausendjährigen Reiches wer­den sie fortbestehen. jeder, der in geistlicher Weise die Schriften unter­sucht, wird ihnen daher auch gebührend Rechnung tragen.

Der Apostel belehrt uns in seinem Brief an die Epheser ausdrücklich, daß das Geheimnis der Kirche den Söhnen der Menschen in anderen Geschlechtern nicht kundgetan worden sei, wie es jetzt ihm geoffenbart war (Eph. 3; vergl. Kol. 1, 25‑28). Obwohl es nicht unmittelbar ge­offenbart war, fand dieses Geheimnis doch in der einen oder anderen Weise eine bildliche Darstellung, z. B. in dem Verhältnis zwischen Adam und Eva, in der Ehe Josephs mit einer Ägypterin und in der Verbindung Moses mit einer äthiopischen Frau. Das Bild oder der Schatten einer Wahrheit ist aber etwas ganz anderes als ihre unmittelbare und be­stimmte Offenbarung. Das Geheimnis der Kirche war verborgen, bis Christus es in himmlischer Herrlichkeit dem Saulus von Tarsus offen­barte. Wer also die vollständige Entfaltung dieses Geheimnisses in dem Gesetz, den Propheten oder den Psalmen sucht, ist auf einem falschen Weg; wenn er aber die Unterweisung des Epheserbriefes verstanden hat, wird er die bildlichen Ergänzungen im Alten Testament mit Interesse und Gewinn verfolgen.

Das Kapitel beginnt also mit einem Bild vom Tausendjährigen Reich. Die ganze Herrlichkeit ist vor unseren Blicken aufgetan. Wir sehen "den Juden" vor uns als den großen irdischen Zeugen der Treue, der Gnade und der Macht des HERRN (siehe Jes. 43, 10‑12. 21). Er war dies in vergangenen Zeitaltern, er ist es jetzt und wird es in Ewigkeit sein. "Der Heide" liest in dem Buch der Wege Gottes mit Israel; er verfolgt die wunderbare Geschichte dieses auserwählten und abgeson­derten Volkes, "dieses Volkes, wunderbar seitdem es ist und hinfort" (Jes. IS, 2; vergl. 2. Mose 33, 16; 5. Mose 4, 6‑8). Er sieht Throne und Reiche umgestürzt und Nationen bis in ihr Innerstes erschüttert; er sieht, wie alles der Herrschaft dieses Volkes Platz machen muß, das der HERR zum Gegenstand Seiner Liebe auserwählt hat. "Nun weiß ich", sagt Jethro, "daß der HERR größer ist als alle Götter; denn in der Sache, worin sie in Übermut handelten, war er über ihnen" (V. 11). So lautet das Bekenntnis "des Heiden", wenn die jüdische Geschichte vor ihm aufgerollt wird.

Die "Kirche Gottes" schließlich, die in ihrer Gesamtheit durch Zippora, und in ihren Gliedern durch die Kinder Zipporas dargestellt wird, zeigt sich hier in enger Verbindung mit dem Befreier. Vielleicht wird man uns fragen, mit welchem Recht wir diese Szene so deuten. Wir antwor­ten mit 1. Kor. 10, 15: "ich rede als zu Verständigen; beurteilt ihr, was ich sage". Man kann niemals eine Lehre auf eine bildliche Darstellung gründen; aber wenn die Lehre geoffenbart ist, kann man ihr Abbild deutlich erkennen und es mit Gewinn erforschen. In jedem Fall braucht man, sowohl um eine Lehre als auch um ein Abbild zu verstehen, geist­liches Unterscheidungsvermögen. "Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird" (1. Kor. 2, 14).

Von Vers 13 bis zum Schluß des Kapitels finden wir die Ernennung der Häupter, die Mose in der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten unterstützen sollten. Diese Ernennung geschah auf den Rat Jethros, der fürchtete, daß Mose unter der Last seiner Arbeiten ermatten würde. Es ist vielleicht nützlich, in Verbindung hiermit einen Blick auf die siebzig Ältesten zu werfen, die in 4. Mose 11 erwähnt werden. Dort sehen wir nämlich, wie Mose unter der schweren Verantwortung, die auf ihm lastete, niedergedrückt war und in der Angst seines Herzens sagte: "Warum hast du an deinem Knechte übel getan, und warum habe ich nicht Gnade gefunden in deinen Augen, daß du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Bin ich mit diesem ganzen Volke schwanger ge­gangen, oder habe ich es geboren, daß du zu mir sprichst: Trage es in deinem Busen, gleichwie der Wärter den Säugling trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast7 ... Ich allein vermag nicht dieses ganze Volk zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Und wenn du also mit mir tust, so bringe mich doch um, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, damit ich mein Unglück nicht ansehe" (V. 11‑15).

Mose wollte sich hier von einer ehrenvollen Aufgabe zurückziehen. Wenn es aber Gott wohlgefiel, ihn als einzigen Führer Seiner Versammlung zu benutzen, geschah es dann nicht, um ihn dadurch auch beson­ders zu ehren und zu segnen? Zweifellos hatte Mose eine sehr große Verantwortung zu tragen, aber durch Glauben hätte er erkennen kön­nen, daß die Gnade und Weisheit Gottes auch dafür völlig ausreichte. Doch obwohl er ein so gesegneter Diener war, verlor er hier den Mut und sagte: "Ich allein vermag nicht dieses ganze Volk zu tragen, denn es ist mir zu schwer". Hatte Gott ihn denn aufgefordert, es allein zu tragen? War Er nicht mit ihm? Für Gott war diese Last nicht zu schwer. Er war es, der sie trug; Mose war nur das Werkzeug. Er hätte ebensogut von seinem Stab sagen können, er trüge das Volk, denn was war Mose anders in der Hand Gottes' als ein Werkzeug, ebenso wie der Stab in seiner eigenen Hand? Hier ist der Stein, über den die Diener Christi so oft straucheln; und dieses Straucheln ist um so gefährlicher, weil es einen Schein von Demut trägt. Ein Zurückschrecken vor einer großen Verantwortung kann so leicht als Mißtrauen gegen sich selbst und als tiefe Demut gedeutet werden. Unsere einzige Aufgabe besteht jedoch darin, zu untersuchen, ob Gott uns diese Verantwortung auferlegt hat. ist das der Fall, dann wird Er uns auch sicher zur Seite stehen, um sie uns tragen zu helfen; und mit Ihm vermögen wir alles zu ertragen. Mit Ihm können wir Berge versetzen, während wir ohne Ihn schon von geringfügigen Dingen entmutigt werden. Wenn jemand in der Eitelkeit seines Herzens sich selbst in den Vordergrund stellt und eine Last auf sich nimmt, die Gott ihm nie auferlegt hat und wozu Er ihn deshalb auch nie befähigt hat, dann wird er sicher bald unter dieser Last zu­sammenbrechen; aber wenn Gott sie ihm auflegt, wird Er ihm auch ge­wiß die nötige Kraft und Fähigkeit schenken, um sie zu tragen.

Einen Platz zu verlassen, auf den Gott uns gestellt hat, ist nie ein Zeichen von Demut. Denn echte Demut zeigt sich darin, daß wir in einfältiger Abhängigkeit von Gott auf unserem Posten bleiben. Wir sind zweifellos mit uns selbst beschäftigt, wenn wir unter dem Vorwand unserer Unfähigkeit vor einem Dienst zurückweichen, den Gott uns auf­getragen hat. Nicht unsere, sondern Gottes Fähigkeit ist die Grundlage, auf der unsere Berufung erfolgt; und deshalb brauche ich nie einen Dienst oder ein Zeugnis für Gott wegen der damit verbundenen Ver­antwortung aufzugeben, es sei denn, daß ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt oder von Mißtrauen gegen Gott erfüllt bin. Alle Macht ge­hört Gott; und es ist genau dasselbe, ob diese Macht durch eine oder durch siebzig Personen wirkt. Die Macht bleibt dieselbe; und wenn einer den ihm aufgetragenen Dienst verweigert, dann trägt nur er den Scha­den. Gott zwingt niemanden, ein ehrenvolles Amt auszufüllen, wenn ihm das Vertauen fehlt, daß Er ihn da erhalten könne. Der Weg steht ihm immer offen, seine hohe Stellung zu verlassen und einen Platz ein­zunehmen, den ihm sein Unglaube anweist.

So war es mit Mose. Er klagte über die Last, die er zu tragen hatte; und schnell wurde sie ihm abgenommen, aber mit ihr zugleich die Ehre, sie tragen zu dürfen. "Und der HERR sprach zu Mose: Versammle mir siebenzig Männer aus den Ältesten Israels, von denen du weißt, daß sie die Ältesten des Volkes und seine Vorsteher sind, und führe sie zu dem Zelte der Zusammenkunft, daß sie sich daselbst mit dir hinstellen. Und ich werde herniederkommen und daselbst mit dir reden, und ich werde von dem Geiste nehmen, der auf dir ist, und auf sie legen, daß sie mit dir an der Last des Volkes tragen, und du sie nicht allein tragest" (4. Mose 11, 16. 17). Keine neue Macht wurde eingeführt; es war der­selbe Geist, ob in einem oder in siebzig Menschen. Siebzig Menschen hatten an und für sich nicht mehr Wert oder Verdienst als ein einzelner Mann. "Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts" (Joh. 6, 63). Dieser Schritt brachte Mose keinen Gewinn an Kraft, wohl aber großen Verlust an Würde.

In dem eben zitierten Kapitel zeigt Mose sogar einen Unglauben, der ihm einen ernsten Tadel von Gott eintrug: "Ist die Hand des HERRN zu kurz? jetzt sollst du sehen, ob mein Wort dir eintrifft oder nicht" (V 23). Wenn man die Verse 11‑15 mit 21‑23 vergleicht, findet man eine bemerkenswerte und ernste Verbindung zwischen ihnen. Wer auf­grund seiner Schwachheit vor der Verantwortung zurückweicht, beginnt sehr leicht auch an der Hinlänglichkeit der Mittel und Wege Gottes zu zweifeln.

Dieser Abschnitt aus der Geschichte Moses enthält für einen Diener Christi, der sich in seinem Dienst allein oder überlastet fühlt, eine wich­tige Unterweisung. Möge er sich erinnern, daß da, wo der Heilige Geist wirkt, ein einziges Werkzeug ebenso gut und wirksam ist, wie siebzig; und daß da, wo Er nicht wirkt, siebzig keinen höheren Wert haben als ein einziges. Alles hängt von der Kraft und Wirksamkeit des Heiligen Geistes ab. Mit Ihm kann ein einzelner Mensch alles tun, alles er­tragen; ohne Ihn allerdings vermögen auch siebzig Menschen nichts. Möge jeder alleinstehende Diener zum Trost und zur Ermunterung sei­nes ermüdeten Herzens sich daran erinnern, daß, wenn die Macht des Heiligen Geistes mit ihm ist, er keine Ursache hat, über seine Bürde zu klagen, oder sich nach einer Verminderung seiner Arbeit zu sehnen. Möge jeder, den Gott dadurch ehrt, daß Er ihm viel zu tun gibt, sich darüber freuen und nicht darüber seufzen; denn wenn er unzufrieden ist, könnte er bald diese Ehre verlieren. Gott ist nicht in Verlegenheit um Werkzeuge. Er hätte dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken können; und so kann Er auch aus Steinen die Arbeiter erwecken, die zur Erfüllung Seines Werkes erforderlich sind.

Möchten wir doch ein Herz zum Dienen haben, ein geduldiges, demüti­ges, von sich selbst befreites Herz! Ein Herz, das zu dienen bereit ist, sei es in Gemeinschaft mit anderen oder allein, und das so von der Liebe zu Christus durchdrungen ist daß es seine höchste Freude darin findet, Ihm zu dienen, mag der Wirkungskreis und Charakter dieses Dienstes sein, wie er will! Das ist es, was in den Tagen, in denen wir leben, so dringend nottut. Möchte der Heilige Geist in uns ein tieferes Gefühl von der Unübertrefflichkeit des Namens Jesu bewirken und uns fähig machen, Seine unveränderliche Liebe kräftiger und unge­trübter zu erwidern!

Kapitel 19

"AM FUSSE DES BERGES‑

Wir kommen jetzt zu einem sehr wichtigen Abschnitt in der Geschichte Israels. Wir sehen das Volk am Fuß des "Berges, der betastet werden konnte, und der mit Feuer brannte". Das Bild der tausendjährigen Herrlichkeit, das uns im vorigen Kapitel vor Augen gestellt wurde, ist verschwunden und hat einem anderen, düsteren Bild Platz gemacht: Israel, getrieben durch den Geist einer finsteren und gefühllosen Ge­setzlichkeit, verläßt den Bund der Gnade Gottes und tauscht dafür einen Bund menschlicher Werke ein. Welch ein entsetzlicher Schritt! Ein Schritt, der die traurigsten Folgen hervorbrachte. Bisher konnte, wie wir gesehen haben, kein Feind vor Israel bestehen; kein Hindernis konnte seinen Siegeszug aufhalten. Die Schärfe des Schwertes hatte Amalek und sein Volk getroffen; alles war Sieg, weil Gott dafür sorgte, daß die Verheißungen erfüllt wurden, die Er Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte.

In den ersten Versen des 19. Kapitels zählt nun der HERR alles auf, was Er für Israel getan hatte: "Und Mose stieg hinauf zu Gott; und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du zum Hause Jakob sprechen und den Kindern Israel kundtun: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern; denn die ganze Erde ist meint und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein. Das sind die Worte, die du zu den Kindern Israel reden sollst', (V. 3‑6). Beachten wir, daß der HERR sagt: "meine Stimme" und "mein Bund". Wie hatte diese Stimme bis dahin geredet, und was hatte dieser Bund enthalten? Hatte der HERR geredet, um strenge und unerbittliche Vorschriften aufzustellen? Keineswegs. Er hatte gesprochen, um die Befreiung der Gefangenen zu fordern, um ihnen eine Zufluchtstätte vor dem Gericht des Würgengels zu bereiten, um für Seine Erkauften einen Weg zu ebnen, um Brot vom Himmel und Wasser aus dem Felsen her­vorkommen zu lassen. Das war der Inhalt der Worte Gottes gewesen bis zu dem Augenblick, da Israel an den "Fuß des Berges" trat.

Und hatte Gott nicht allein aus Gnade diesen Bund eingesetzt? Er stellte keine Bedingungen, forderte nichts und legte kein Joch auf Sein Volk. Als der "Gott der Herrlichkeit" dem Abraham zu Ur in Chaldäa er­schien (Apg. 7, 2), stellte Er keine Gebote und Verbote auf; das wäre nicht nach dem Herzen Gottes gewesen. Sein an Abraham gerichtetes Wort lautete: "Ich will geben". Das Land Kanaan konnte nicht durch menschliches Tun erworben werden; es sollte die freie Gabe der Gnade Gottes sein. Und im Anfang dieses Buches haben wir gesehen, wie Gott in Seiner Gnade Sein Volk aufsuchte, um die Verheißung zu erfüllen, die Er Abraham gegeben hatte. Der Zustand der Nachkommen Abra­hams hinderte Ihn nicht an der Erfüllung Seiner Gnadenabsichten, weil das Blut des Lammes Ihm einen vollkommen gerechten Grund gab, Seine Verheißung zu erfüllen. Gott hatte Abraham und seinen Nach­kommen das Land Kanaan nicht deshalb verheißen, weil Er bei ihnen einen Grund dafür fand; dann wäre es keine echte Verheißung, sondern eher ein Vertrag gewesen. Abraham aber wurde die Erbschaft "durch Verheißung" geschenkt (siehe Gal. 3).

Deshalb erinnert der HERR am Anfang des 19. Kapitels die Kinder Israel daran, daß Er bisher nur in Gnade gegen sie gehandelt hatte, und auch für die Zukunft versichert Er ihnen Seine Gunst, wenn sie Seiner Stimme gehorchen und in dem Bund der freien und unum­schränkten Gnade bleiben würden. "Ihr sollt mein Eigentum sein aus allen Völkern". Wie war das möglich? Etwa dadurch, daß sie die Leiter der eigenen Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit hinaufstolperten? Machten die Flüche eines gebrochenen Gesetzes (das sie schon übertreten hatten, noch ehe sie es empfingen) sie zu einem Eigentum des HERRN? Ganz sicher nicht. Dieses herrliche Vorrecht war ihnen nur so lange vergönnt, wie sie in der Stellung blieben, in der Gott sie erblickte, als Er den habsüchtigen Propheten Bileam ausrufen ließ: "Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel! Gleich Tälern breiten sie sich aus, gleich Gärten am Strome, gleich Aloebäumen, die der HERR ge­pflanzt hat, gleich Zedern am Gewässer. Wasser wird fließen aus seinen Eimern, und sein Same wird in großen Wassern sein, und König wird höher sein als Agag, und sein Königreich wird erhaben sein, Gott hat ihn aus Ägypten herausgeführt; sein ist die Stärke des Büffels“ (4. Mose 24, 5‑8).

Aber leider war Israel nicht bereit, diese gesegnete Stellung einzunehmen. Anstatt sich über die Verheißung Gottes zu freuen, legten sie in ihrer Selbstsicherheit ein Gelübde ab, wie es wohl selten von Menschen ausgesprochen worden ist. "Da antwortete das ganze Volk insgesamt und sprach: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun! (V.8) Welch eine vermessene Sprache! Sie sagen nicht: "Wir hoffen, es zu tun, oder: "Wir wollen uns bemühen, es zu tun". Das hätte wenigstens noch ein gewisses Mißtrauen gegen sich selbst verraten. Aber nein, sie antworten mit großer Bestimmtheit: "Wir wollen es tun". Auch war dies nicht die Sprache einzelner, von sich selbst überzeugter Israeliten, sondern das ganze Volk antwortete insgesamt. Sie verließen einmütig "die heilige Verheißung", den "heiligen Bund".

Und was war die Folge? Sobald die Kinder Israel dies Gelübde gesprochen hatten, sobald sie selbst etwas tun wollten, nahmen die Dinge eine ganz andere Gestalt an. "Und der HERR sprach zu Mose: Siehe ich werde zu dir kommen im Dunkel des Gewölks ... Und mache eine Grenze um das Volk ringsum und sprich ‑ Hütet euch, auf den Berg zu steigen und sein Äußerstes anzurühren; alles was den Berg anrührt, soll gewißlich getötet werden" (V. 9‑12). Alles ist völlig verändert. Er, der soeben noch gesagt hatte: "Ich habe euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht", hüllt sich jetzt in eine dichte Wolke und, gebietet: Mache eine Grenze um das Volk ringsum". Er begegnet ihnen nicht mehr mit Worten der Gnade, sondern mit Donner und Blitzen (V. ‑16). Der Mensch hatte sich erkühnt, angesichts der herrlichen Gnade Gottes von seinen elenden Werken zu reden. Israel hatte gesagt: "wir wollen tun", und darum mußte eine Distanz geschaffen werden, damit es deutlich würde, was sie zu tun fähig waren. Gott selbst steht fern; und das Volk ist sogar damit einverstanden, denn Furcht und Schrecken haben es ergriffen. Und kein Wunder; denn "die Erscheinung war so furchtbar, daß Mose sagte: Ich bin voll Furcht und Zittern> (Hebr. 12, 21). Wer hätte den Anblick dieses "verzehrenden Feuers“ des Ausdrucks der göttlichen Heiligkeit, ertragen können? "Der HERR ist vom Sinai hergekommen und ist ihnen aufgegangen von Seir; er ist hervorgestrahlt von dem Berge Paran und ist gekommen von heiligen Myriaden. Aus seiner Rechten ging Gesetzesfeuer für sie hervor" (5.Mo 33/ 2). Der mit dem Gesetz verbundene Ausdruck "Feuer" ist bezeichnend für Seine Heiligkeit. "Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer" (Hebr. 12, 29). Er kann das Böse nicht ertragen, weder in Ge­danken, noch in Worten, noch in Werken.

Die Kinder Israel machten daher einen verhängnisvollen Fehler, als sie sagten. "Wir wollen tun". Sie übernahmen damit eine Verpflichtung, der sie selbst beim besten Willen nicht nachkommen konnten; und wir kennen Ihn, der gesagt hat: "Besser, daß du nicht gelobst, als daß du gelobst und nicht bezahlst" (Pred. 5, 5). Das Wesen eines Gelübdes Mut die Fähigkeit voraus, es zu erfüllen; aber wo ist diese Fähigkeit bei den Menschen? Ein zahlungsunfähiger Kaufmann kann keinen Scheck ausstellen, und ebensowenig kann ein kraftloser Sünder ein Gelübde ablegen. Er ist ruiniert ‑ was kann er tun? Völlig ohne Kraft, kann er das Gute weder wollen noch tun. Hat Israel seine Gelübde erfüllt? Hat es alles getan, was der HERR gesagt hat"? Das goldene Kalb, die zerbrochenen Tafeln, der entheiligte Sabbath, die verachteten und vernachlässigten Gebote, die Steinigung der Propheten, die Ver­werfung und Kreuzigung Christi, der Widerstand gegen den Heiligen Geist, alles das legt ein beredtes Zeugnis dagegen ab. Nichts hat Israel erfüllt, nichts konnte es erfüllen. Und so wird es immer sein, wenn der gefallene Mensch sich zutraut, Gott gegenüber ein Gelübde abzulegen und einzuhalten.

jeder Gläubige kann sich darüber freuen, daß seine ewige Rettung nicht auf seinen eigenen kraftlosen Vorsätzen beruht, sondern auf dem »ein für allemal geschehenen Opfer des Leibes Jesu Christi" (Hebr. 10, 10). Das ist unsere Freude, die uns nie geraubt werden kann. Christus hat unsere Gelübde auf sich genommen und hat sie herrlich und für immer erfüllt. Sein Auferstehungsleben durchströmt die Glieder Seines Leibes und bringt in ihnen Wirkungen hervor, die kein Gelübde und keine gesetzliche Forderung je hätte hervorbringen können. Er ist unser Leben, und Er ist unsere Gerechtigkeit. Möge Sein Name uns kostbar sein! Möge Seine Sache unser ganzes Leben beherrschen und leiten! Möge es unsere Speise sein, in Seinem Dienst alles zu verwenden und selbst verwendet zu werden!

Ich kann dieses Kapitel nicht schließen, ohne an eine Stelle des 5. Bu­ches Mose zu erinnern, die manchem Leser Schwierigkeiten bereiten könnte. Sie hat unmittelbar auf den hier behandelten Gegenstand Bezug. "Und der HERR hörte die Stimme eurer Worte, als ihr zu mir redetet, ` und der HERR sprach zu mir: Ich habe die Stimme der Worte dieses Volkes gehört, die sie zu dir geredet haben; es ist alles gut, was sie geredet haben" (5. Mose 5, 28). Es könnte nach diesen Worten scheinen, als ob Gott jenes Gelübde Israels gebilligt habe; aber wenn man die ganze Stelle von Vers 24‑27 im Zusammenhang liest, dann wird deutlich, daß es sich hier keineswegs um das Gelübde selbst handelt, son­dern vielmehr um den Schrecken des Volkes angesichts der Folgen seines Gelübdes. Sie waren nicht fähig, die Gebote Gottes zu ertragen. "Wenn wir die Stimme des HERRN, unseres Gottes, noch weiter hören, so werden wir sterben. Denn wer ist von allem Fleische, der die Stimme des lebendigen Gottes mitten aus dem Feuer reden gehört hätte, wie wir, und wäre am Leben geblieben? Nahe du hinzu und höre alles, was der HERR, unser Gott, sagen wird; und wir wollen hören und es tun". Es war das Bekenntnis ihrer Unfähigkeit, Gott in jener erschreckenden Gestalt, die Er wegen ihrer stolzen Gesetzlichkeit angenommen hatte, zu begegnen. Gott kann es niemals billigen, wenn Seine freie und unver­änderliche Gnade aufgegeben und stattdessen der Boden von Gesetzes­werken betreten wird.

Kapitel 20

DIE ZEHN GEBOTE

Es ist von großer Wichtigkeit, den Charakter und die Absicht des Sitten­gesetzes zu verstehen, das uns in diesem Kapitel vorgestellt wird. Der Mensch ist nämlich immer geneigt, die Grundsätze des Gesetzes und die der Gnade durcheinanderzubringen, so daß weder das eine noch das andere richtig verstanden werden kann. Dadurch aber wird das Gesetz seiner strengen, unerbittlichen Majestät und die Gnade ihrer göttlichen Vollkommenheit beraubt. Die heiligen Forderungen Gottes bleiben un­beantwortet, und anderseits findet der Mensch keinen Ausweg aus der Not seiner Sünden. Gesetz und Gnade sind so verschieden voneinander, daß sie niemals in ein einziges System verwoben werden können. Das Gesetz ist der Ausdruck dessen, was der Mensch sein sollte, während die Gnade zeigt, was Gott ist. Deshalb ist es unmöglich für einen Sünder, teils durch Gesetz und teils durch Gnade errettet zu werden.

Das Gesetz ist gelegentlich der "Ausdruck der Gedanken Gottes" ge­nannt worden. Davon kann aber keine Rede sein. Es ist zwar der sittliche Maßstab Gottes für den Menschen, aber niemals der Inhalt aller Seiner Gedanken! Gibt es denn nichts anderes in den Gedanken Gottes, als ein „Du sollst und "du sollst nicht'? Findet sich in Ihm kein Er­barmen, keine Güte? Will Gott nicht offenbaren, was Er ist ‑ nämlich Liebe? Gibt es in Seinem Wesen nichts als Forderungen und Verbote? Wäre es so, dann müßte man sagen: "Gott ist Gesetz", und nicht: "Gott ist Liebe". Aber Gott sei Dank! ‑ in Seinem Herzen ist weit mehr, als was in den "zehn Geboten" je zum Ausdruck kommen könnte. Wenn ich Gott kennenlernen will, dann muß ich meine Blicke auf Christus richten; "denn in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2, 9). "Das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden" (Joh. 1, 17). Gewiß war das Gesetz ein Teil der Wahrheit. Es enthielt die Wahrheit über das, was der Mensch sein sollte. Wie alles, was von Gott kommt, war auch das Gesetz in seiner Weise vollkommen, nämlich im Hinblick auf den Zweck, um dessentwillen es gegeben wurde. Worin aber bestand dieser Zweck? Sollte darin das Wesen Gottes vor den Augen der Sünder enthüllt werden? Ganz sicher nicht, denn in dem Gesetz gab es weder Gnade noch Barmherzigkeit. Jemand, der das Gesetz Moses' verworfen hat, stirbt ohne Barmherzigkeit" (Hebr. 10, 28). "Der Mensch, der diese Dinge getan hat, wird durch sie leben" (Röm. 10, 5; 3. Mose 18, 5). "Verflucht sei, wer nicht aufrecht hält die Worte dieses Gesetzes, sie zu tun!" (5. Mose 27, 26; vergl. Gal. 3, 10). Das war keine Gnade. Der Berg Sinai war gewiß nicht der Ort, wo man Gnade finden konnte. Dort offenbarte sich der HERR in erschreckender Majestät, in Dunkel gehüllt und mit Sturm, Donner und Blitz. Das deutete nicht auf ein Handeln Gottes in Gnade und Barmherzigkeit hin; aber es entsprach völlig einem Handeln in Wahrheit und Gerechtigkeit; und genau das und nichts anderes war das Gesetz.

In dem Gesetz legt Gott fest, wie der Mensch sich verhalten sollte und spricht einen Fluch über ihn aus, wenn er diesen Anforderungen nicht entspricht. Nun aber findet der Mensch, wenn er sich im Licht des Gesetzes prüft, daß er gar nicht imstande ist, zu erfüllen, was das Gesetz fordert. Wie könnte er nun durch das Gesetz Leben erlangen? Das Gesetz verheißt ihm zwar Leben und Gerechtigkeit, wenn er die Gebote hält; aber es zeigt ihm schon vom ersten Augenblick an, daß er sich in einem Zustand des Todes und der Ungerechtigkeit befindet. Er ist also von Anfang an auf die Dinge angewiesen, die das Gesetz ihm als Ziele hinstellt. Wie kann er diese nun erreichen? Um so zu sein, wie es das Gesetz verlangt, muß er Leben und Gerechtigkeit haben; und wenn ihm beides fehlt, ist er "verflucht". Tatsächlich aber besitzt er weder Leben noch Gerechtigkeit. Was soll er tun? Das ist die Frage. Mögen die ihm Antwort geben, die "Gesetzlehrer sein wollen" (1. Tim. 1, 7); mögen sie in befriedigender Weise einem aufrichtigen Gewissen Rede stehen, das ohne Hoffnung ist angesichts der Heiligkeit und Unerbitt­lichkeit des Gesetzes und der unverbesserlichen rnenschlichen Natur.

Wozu dann aber das Gesetz? Es kam, wie der Apostel uns belehrt, "da­neben ein, auf daß die Übertretung überströmend würde" (Röm. 5, 20). Das zeigt uns sehr klar den wahren Zweck des Gesetzes. Es kam dane­ben ein, um die Sünde als Sünde erkennbar zu machen (Röm. 7, 13).

Es gleicht in gewissem Sinn einem vollkommenen Spiegel, der von Gott gegeben wurde, um dem Menschen sein moralisches Verderben zu zeigen. Wenn ich mich mit unordentlichen, zerrissenen Kleidern vor einen Spiegel stelle, zeigte er mir zwar die Unordnung, hilft aber dem übel nicht ab. Wenn ich mit einem guten Senkblei eine unebene Mauer untersuche, zeigt es mir wohl die häßliche Ausbuchtung, beseitigt sie aber nicht. Wenn ich in dunkler Nacht mit einer Laterne ausgehe, läßt sie mich wohl alle Hindernisse und Schwierigkeiten meines Weges er­kennen, räumt sie aber nicht weg. Natürlich bringen weder der Spiegel, noch das Senkblei, noch die Lampe die Übel hervor, die durch sie ans Licht gebracht werden. Sie schaffen weder die Übel, noch beseitigen sie diese; sie offenbaren sie nur. Genauso ist es mit dem Gesetz; es kann das Böse im Herzen des Menschen weder hervorbringen, noch beseitigen, aber es offenbart es mit untrüglicher Genauigkeit.

"Was sollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde hätte ich nicht erkannt, als nur durch Gesetz. Denn auch von der Lust hätte ich nichts gewußt, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: Laß dich nicht gelüsten" (Röm. 7, 7). Der Apostel sagt nicht, daß der Mensch keine Lust gehabt, sondern daß er nichts davon gewußt habe. Die Lust war in ihm; aber er war in völliger Unwissenheit über sie, bis die "Leuchte" des Allmächtigen (Hiob 29, 3) sein Herz erhellte und ihm das dort verborgene Böse offenbarte. So kann jemand in einem dunk­len Zimmer von Staub und Unordnung umgeben sein, ohne es zu mer­ken; sobald aber ein Sonnenstrahl ins Zimmer fällt, kann er alles unter­scheiden. Haben die Sonnenstrahlen den Staub hervorgebracht? Natür­lich nicht. Der Staub war vorhanden, und die Sonnenstrahlen bewirkten nur, daß er gesehen wurde. Das ist eine einfache Erklärung der Wirkung des Gesetzes. Es beurteilt den Charakter und den Zustand des Men­schen. Es beweist ihm, daß er ein Sünder ist und stellt ihn unter den Fluch. Es beurteilt den Menschen und verflucht ihn, wenn er seinen Forderungen nicht völlig entspricht.

Niemals also kann ein Mensch durch das Gesetz Leben und Gerechtig­keit erlangen, weil das Gesetz ihn nur verurteilt; und solange nicht der Zustand des Sünders oder der Charakter des Gesetzes gänzlich verändert wird, kann das Gesetz nicht anders, als den Sünder verfluchen. Es er­laubt keine Schwachheiten und Gebrechen und begnügt sich nicht mit einem unvollkommenen, wenn auch aufrichtigen Gehorsam. Sonst wäre es nicht mehr "heilig und gerecht und gut" (Röm. 7, 12). Gerade weil das Gesetz aber diesen Charakter trägt, kann der Sünder kein Leben daraus erlangen. Würde er es erlangen können, so wäre das Gesetz nicht vollkommen oder der Mensch kein Sünder. "Darum, aus Gesetzes­werken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" (Röm. 3, 20). Der Apostel sagt nicht. "Durch Gesetz kommt die Sünde sondern die "Erkenntnis der Sünde". "Denn bis zu dem Gesetz war Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist" (Röm. 5, 13). Die Sünde war vorhanden, und es bedurfte nur des Gesetzes, um sie als "Über­tretung" zu enthüllen. Wenn ich zu meinem Kind sage: "Du darfst dieses Messer nicht anrühren", dann wird gerade dieses Verbot die Nei­gung des Kindes, seinen eigenen Willen zu tun, ans Licht bringen. Er bewirkt die Neigung nicht, sondern offenbart sie nur.

Der Apostel Johannes sagt: "Die Sünde ist die Gesetzlosigkeit" (1. Joh. 3, 4). Der Begriff "Übertretung" würde den Gedanken des Heiligen Geistes in dieser Stelle nicht richtig wiedergeben, denn um ein "Übertreter" sein zu können, muß ich zunächst eine eindeutig festgelegte Regel oder Richtschnur haben. "Übertretung bedeutet das Überschrei­ten einer verbotenen Linie, und eine solche Linie finde ich im Gesetz. Es sagt: "Du sollst nicht töten", Au sollst nicht ehebrechen", Au sollst nicht stehlen" usw. Damit wird eine Regel oder eine Richtschnur vor mich gestellt, aber nun entdecke ich in mir selbst gerade jene Neigun­gen, gegen die die Verbote des Gesetzes gerichtet sind. Allein die Tat­sache, daß mir geboten wird, nicht zu töten, zeigt, daß Mordlust in meiner Natur vorhanden ist (vergl. Röm. 3, 15). Es wäre sinnlos, nur eine Sache zu verbieten, wenn ich gar keine Neigung hätte, sie zu tun. Die Offenbarung des Willens Gottes verrät also die Neigung meines Willens, das zu sein, was ich nicht sein sollte. Das ist einfach und klar und entspricht vollkommen der apostolischen Belehrung über diese Sache.

Allerdings gibt es viele, die zwar wissen, daß es unmöglich ist, durch Leben zu erlangen, die aber dennoch das Gesetz zu ihrer Lebensregel machen. Der Apostel sagt aber ausdrücklich: So viele aus Gesetzes Werken sind, sind unter dem Fluche" (Gal. 3, 10). Ihr per­sönlicher Zustand kommt hierbei gar nicht in Betracht. Stellen sie, sich auf den Boden des Gesetzes, so sind sie unter Fluch. Vielleicht wird je­mand sagen: "Ich bin wiedergeboren und darum nicht dem Fluch aus­gesetzt". Aber wenn die Wiedergeburt den Menschen nicht vom Boden des Gesetzes entfernt, kann sie ihn auch nicht vor dem Fluch bewahren. Was hat aber das Gesetz Überhaupt mit der Wiedergeburt zu tun? Fin­den wir in dem vorliegenden Kapitel irgendeine Spur davon? Das Ge­setz hat nur eine, und zwar eine kurze, ernste und bestimmte Frage an den Menschen: "Bist du das, was du sein solltest?" Wenn diese Frage verneint werden muß, so kann es dem Menschen nur seine schrecklichen Flüche entgegenhalten und ihn töten. Und wer wird so be­reitwillig wie der wirklich wiedergeborene Mensch anerkennen, daß er in sich selbst alles andere ist als das, was er sein sollte? Wenn er daher unter dem Gesetz ist, dann ist er auch unausweichlich dem Fluch unter­worfen. Die Forderungen des Gesetzes können niemals verringert wer­den ‑ auch durch die Gnade nicht. Der Mensch aber, der seine Unzu­länglichkeit vor dem Gesetz erkennt, versucht immer, das Gesetz in sei­nem Anspruch zu erniedrigen. Solche Anstrengungen sind jedoch ver­geblich. Das Gesetz bleibt in seiner ganzen Reinheit, Majestät und Strenge bestehen und wird von seiner Forderung eines vollkommenen Gehorsams auch nicht um Haaresbreite ablassen. Wo aber ist der Mensch, wiedergeboren oder nicht wiedergeboren, der eine solche For­derung jemals erfüllen könnte? Man wird vielleicht sagen, daß wir in Christus die Vollkommenheit besitzen. Allerdings. Aber wodurch haben wir sie erlangt? Nicht durch Gesetz, sondern allein durch Gnade. Wir dürfen diese beiden Grundsätze auf keinen Fall durcheinanderbringen. Die Heilige Schrift belehrt uns ausführlich und deutlich, daß wir weder durch das Gesetz gerechtfertigt sind, noch daß es die Richtschnur unse­res Lebens ist. Das, was nur verfluchen kann, kann niemals rechtferti­gen, und das, was nur zu töten vermag, kann niemals eine Lebensregel sein.

Ein Blick in das 15. Kapitel der Apostelgeschichte zeigt uns, wie ent­schieden der Heilige Geist dem Versuch entgegentritt, nichtjüdische Gläu­bige unter das Gesetz als Richtschnur ihres Lebens zu stellen. "Etliche aber derer von der Sekte der Pharisäer, welche glaubten, traten auf und sagten ‑ Man muß sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz Moses zu halten" (V. 5). Der traurige Rat jener Gesetzesmänner der ersten Zeit war nichts anderes als das Zischen der alten Schlange. Der Heilige Geist aber hat durch die einmütige Stimme der zwölf Apostel und der ganzen Kirche diese Zumutung zurückgewiesen: "Als aber viel Wort­wechsel entstanden war, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Brüder, ihr wisset, daß Gott vor längerer Zeit mich unter euch auserwählt hat, daß die Nationen durch meinen Mund das Wort des Evangeliums hören und glauben sollten" (V. 7). Was sollten sie hören? Etwa die Forderun­gen und Flüche des Gesetzes Moses? Das war, Gott sei Dank! nicht die Botschaft für hilflose Sünder. Was aber sollten sie hören und glauben? Das Wort des Evangeliums! Das allein war dem Wesen Gottes ange­messen, und die Pharisäer, die sich gegen Paulus und Barnabas erhoben, waren weit davon entfernt, Seine Boten zu sein. Sie hatten keine gute Botschaft und keinen Frieden zu verkündigen, und darum war ihre Predigt auch nicht im Sinne Gottes, der nur an Barmherzigkeit Gefallen findet (vergl. Röm. 10, 15).

"Nun denn", fährt der Apostel fort, "was versuchet ihr Gott, ein Joch auf den Hals der jünger zu legen, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten?" (V. 10). Das war ein deutliche, ernste Sprache. Gott wollte nicht "ein Joch auf den Hals" derer legen, die durch das Evangelium des Friedens befreit worden waren. Er wollte sie lieber ermahnen, festzustehen in der Freiheit Christi und sich "nicht wiederum unter einem Joche der Knechtschaft" halten zu lassen (Gal. 5, 1). Er wollte nicht, daß erlöste Sünder, denen Er einen Platz an Seinem Herzen gegeben hatte, durch das Dunkel und die Finsternis und den Sturm des Berges Sinai wieder entmutigt würden (Hebr. 12). Wie könnten wir dem Gedanken Raum geben, daß Gott sie, nachdem Er sie in Gnaden angenommen hatte, wieder unter die Herrschaft des Gesetzes bringen wollte? "Wir glauben", sagt Petrus, „durch die Gnade des Herrn Jesus in derselben Weise, wie auch jene, errettet zu werden" (Apg. 15, 11). Sowohl die Juden, die das Gesetz empfangen hatten, als auch die Heiden, die ohne Gesetz waren, sollten hinfort alle "durch Gnade" errettet wer­den, ja, nicht nur "errettet" werden durch Gnade, sondern auch in der Gnade "stehen" (Röm. 5, 2; Gal. 5, 1) und in ihr "wachsen" (2. Petr. 3, 18). Wer anders lehrt, "versucht Gott" (Apg. 15, 10). jene Pharisäer tasteten die Grundlagen des christlichen Glaubens an, und dasselbe tut jeder, der die Gläubigen unter das Gesetz zu stellen versucht. Es gibt in den Augen des Herrn kein schrecklicheres Übel, keinen verwerfliche­ren Irrtum als die Gesetzlichkeit. Man höre nur die scharfe Sprache, die Ausdrücke des Unwillens, die der Heilige Geist in bezug auf jene Ge­setzlehrer benutzt: "Ich wollte, daß sie sich auch abschnitten, die euch aufwiegeln!" (Gal. 5, 12).

Und haben sich die Gedanken des Heiligen Geistes im Hinblick auf diese Frage etwa geändert? Heißt es heute nicht mehr "Gott versuchen", wenn man einem Sünder das Joch des Gesetzes auferlegt? Ist es etwa jetzt in Übereinstimmung mit Seiner Gnade, einem Sünder das Gesetz zu predigen? Diese Frage ist im Lichte des 15. Kapitels der Apostelge­schichte und des Galaterbriefes leicht zu beantworten. Selbst wenn keine anderen vorhanden wären, würden diese Schriftstellen zur Genüge be­weisen, daß es niemals in der Absicht Gottes lag, die Nationen unter das Gesetz zu stellen. Sonst hätte Er sicher jemanden auserwählt, um es ihnen zu verkünden. Als Gott Sein Gesetz gab, redete Er nur in einer einzigen Sprache. Als Er aber die frohe Botschaft des Heils durch das Blut des Lammes verkündigte, redete Er in der Sprache "jeder Nation derer, die unter dem Himmel sind". Er redete in einer Weise, daß jeder in seiner eigenen Mundart, in der er geboren war, die frohe Botschaft der Gnade vernehmen konnte (Apg. 2, 1‑11).

Und weiter, als Gott vom Berge Sinai aus die harten Forderungen des Bündnisses der Werke vernehmen ließ, richtete Er sich ausschließlich an ein einziges Volk. Nur die Juden sollten Seine Stimme hören. Aber als der auferstandene Christus Seine Heilsboten aussandte, geschah es mit dem Auftrag: "Gehet hin in die ganze Welt und predigt das Evan­gelium der ganzen Schöpfung" (Mark. 16, 15; vergl. Luk. 3, 6). Die unendliche Gnade Gottes, deren Schleusen durch das Blut des Lammes geöffnet worden waren, sollte durch die wirksame Kraft des Heiligen Geistes über die engen Grenzen des Judentums hinaus der ganzen sün­denbeladenen Welt zugute kommen. Alle Völker sollten die Botschaft des Friedens, das Wort des Evangeliums durch das Blut des Kreuzes in ihrer eigenen Sprache hören.

Die Grundlage des Lebens für den Sünder und die Richtschnur des Lebens für den Gläubigen ist also nicht im Gesetz zu finden, sondern nur in Christus. Er ist unser Leben, und Er ist die Richtschnur unseres Lebens. Das Gesetz kann nur verfluchen und töten. Christus ist unser Leben und unsere Gerechtigkeit. Er ist ein Fluch für uns geworden, als Er am Kreuz hing. Er stieg hinab bis zu dem Platz, wo der Sünder lag ‑ zu dem Ort des Todes und des Gerichts, und nachdem Er uns durch Seinen Tod von allem befreit hat, was gegen uns war und gegen uns sein konnte, ist Er für alle, die an Seinen Namen glauben, in der Auf­erstehung die Quelle des Lebens und die Grundlage der Gerechtigkeit geworden. Und indem wir auf diese Weise Leben und Gerechtigkeit in Ihm besitzen, sind wir berufen, nicht nach den Vorschriften des Gesetzes zu leben, sondern "zu wandeln, wie er gewandelt hat" (1. Joh. 2, 6). Selbstverständlich sind Töten, Ehebrechen und Stehlen Handlungen, die mit der christlichen Ethik in Widerspruch stehen. Aber wenn ein Christ seinen Weg nach diesen Vorschriften oder nach den zehn Geboten über­haupt einrichten wollte, würde er dadurch wohl die wunderbaren Früchte hervorbringen, von denen der Brief an die Epheser redet? Würden die zehn Gebote wohl je einen Dieb dahin bringen, nicht mehr zu stehlen, sondern zu arbeiten, um auch anderen etwas geben zu können? Würden sie je einen Dieb in einen arbeitsamen, freigebigen Menschen umwandeln können? Das Gesetz sagt: "Du sollst nicht steh­len; aber sagt es etwa auch: "Gib dem Dürftigen, segne deinen Feind, und tue auch dem Gutes, der nur darauf aus ist, dir zu schaden? Wenn ich als Christ unter dem Gesetz als einer Lebensregel stände, könnte es mich nur verfluchen und töten. Aber wie ist das mög­lich, da doch die Forderungen im Neuen Testament noch viel weiter gehen? Nun, einfach deshalb, weil ich schwach bin und das Gesetz mir weder Kraft gibt noch Barmherzigkeit erweist. Das Gesetz fordert Kraft von dem, der kraftlos ist, und verflucht ihn, wenn er keine Kraft offen­baren kann. Das Evangelium gibt Kraft dem, der keine besitzt, und segnet ihn, wenn er sie offenbart. Das Gesetz stellt das Leben als das Ziel des Gehorsams hin. Das Evangelium gibt das Leben als die einzig wahre Grundlage des Gehorsams.

Aber um nicht länger mit Beweisführungen zu ermüden, möchte ich fragen: wenn wirklich das Gesetz eine Lebensregel für den Gläubigen darstellt, wo finden wir dann einen Hinweis darauf im Neuen Testa­ment? Offenbar hatte der Apostel diesen Gedanken nicht, als er an die Galater schrieb: "Denn weder Beschneidung noch Vorhaut ist etwas, sondern eine neue Schöpfung. Und so viele nach dieser Richtschnur wan­deln werden ‑ Friede über sie und Barmherzigkeit, und über den Israel Gottes!" (Kap. 6, 15. ‑16). Welche Richtschnur meint er hier? Das Ge­setz? Nein, sondern die "neue Schöpfung". Finden wir etwas derglei­chen in 2. Mose 20? Redet das Gesetz ein einziges Wort über die "neue Schöpfung"? Im Gegenteil. Es richtet sich an den Menschen in seinem natürlichen Zustand gemäß der alten Schöpfung und stellt ihn auf die Probe, um seine Fähigkeiten zu untersuchen. Wenn nun das Gesetz der Grundsatz wäre, nach dem die Gläubigen leben sollten, warum spricht dann der Apostel einen Segen über die aus, die nach einem ganz anderen Grundsatz wandeln? Warum sagt er nicht. "So viele nach dem Grundsatz der zehn Gebote wandeln"? Ist es nicht aufgrund dieser ein­zigen Stelle offensichtlich, daß die Kirche Gottes einen erhabeneren Grundsatz hat, nach dem sie wandeln soll? Obwohl die zehn Gebote zweifellos zu dem inspirierten Wort gehören, können sie doch niemals die Lebensregel eines Menschen sein, der durch die unendliche Gnade Gottes in eine neue Schöpfung eingeführt ist und neues Leben in Chri­stus empfangen hat.

Aber ist das Gesetz nicht vollkommen? Und wenn es vollkommen ist, was will man dann mehr? Das Gesetz ist göttlich vollkommen. ja, gerade wegen seiner Vollkommenheit verflucht und tötet es jeden, der meint, vor ihm bestehen zu können und doch nicht vollkommen ist. "Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich" (Röm. 7, 14). Es ist unmöglich, sich von der Vollkommenheit und Geist­lichkeit des Gesetzes eine angemessene Vorstellung zu machen. Aber sobald dieses vollkommene Gesetz mit der gefallenen Menschheit in Be­rührung kommt, sobald dieses geistliche Gesetz der "Gesinnung des Fleisches" begegnet, kann es nur Zorn bewirken und die Feindschaft des Menschen ans Licht bringen (Röm. 4, 15; 8, 7). Warum? Etwa des­halb, weil das Gesetz nicht vollkommen ist? Nein, sondern weil es voll­kommen ist und weil der Mensch ein Sünder ist. Wenn der Mensch voll­kommen wäre, würde er das Gesetz in all seiner geistlichen Vollkom­menheit erfüllen; und der Apostel Paulus belehrt uns, daß selbst in den wahren Gläubigen, obwohl sie noch eine sündige Natur in sich tragen, "das Recht des Gesetzes erfüllt" wird ‑in denen nämlich, "die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln" (Röm. 8, 4). "Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt ... Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe die Summe des Gesetzes" (Röm. 13, 8‑10; vergl. Gal. 5, 14. 22. 23). Wenn ich jemanden liebe, werde ich ihm wohl nichts stehlen, vielmehr werde ich ihm Gutes tun, soviel ich kann. Dies alles ist für einen geistlich gesinnten Christen leicht verständlich, aber es läßt die Frage des Gesetzes, sei es als Grundlage des Lebens für den Sünder oder als Lebensregel für den Gläubigen, völlig unberührt.

Wenn wir das Gesetz in seinen zwei Hauptgedanken betrachten, dann sehen wir, daß es dem Menschen gebietet, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzer Kraft, und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Das ist die Summe des Gesetzes. Das und nichts Geringeres fordert das Gesetz. Aber wer von den gefallenen Nachkommen Adams hat je dieser Forderung des Gesetzes entsprochen? Wo ist der Mensch, der sagen könnte, er habe Gott und seinen Nächsten in dieser Weise geliebt? ‑.. weil die Gesinnung des Fleisches (d. i. die Gesinnung, die wir von Natur haben) Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht" (Röm. 8, 7). Der Mensch haßt Gott und die Wege Gottes. Gott ist in der Person Christi auf die Erde gekommen und hat sich dem Menschen geoffenbart, und zwar nicht in dem überwältigenden Glanz Seiner Majestät, sondern in unendlicher Gnade und Herablassung. Und das Ergebnis war, daß der Mensch Gott haßte. "jetzt aber haben sie ge­sehen und gehaßt sowohl mich als auch meinen Vater" (Joh. 15, 24). Aber man wird sagen: "Der Mensch sollte Gott lieben". Ganz recht, und wenn er Ihn nicht liebt, verdient er den Tod und die ewige Verdamm­nis. Kann aber das Gesetz diese Liebe im Herzen des Menschen hervorru­fen? War das der Zweck des Gesetzes? Nein. "Denn das Gesetz bewirkt Zorn" ; "es wurde der Übertretungen wegen hinzugefügt; "durch Ge­setz kommt Erkenntnis der Sünde" (Röm. 4, 15; Gal. 3, 19; Röm. 3, 20). Das Gesetz sieht den Menschen in einem Zustand der Feindschaft gegen Gott, und ohne diesen Zustand irgendwie zu verändern, gebietet es ihm, Gott von ganzem Herzen zu lieben, und es verflucht ihn, wenn er es nicht tut. Das Gesetz war nicht dazu bestimmt, die Natur des Menschen zu verändern oder zu verbessern, noch vermochte es irgend­wie Kraft darzureichen, damit der Mensch seinen gerechten Forderun­gen nachkommen könnte. Das Gesetz sagte: "Tue dies, und du wirst leben". Es gebot dem Menschen, Gott zu lieben. Es offenbarte nicht, was Gott für den Menschen, selbst für den schuldigen und verderbten Menschen war, sondern es sagte dem Menschen, was er für Gott sein sollte. Das war keine Entfaltung der wunderbaren Wesenszüge Gottes, die in dem Menschen wahre Buße, ungeheuchelte Liebe und echte An­betung Gottes bewirken, sondern es war ein unumstößliches Gebot, Gott zu lieben; und anstatt diese Liebe wachzurufen, bewirkte es Zorn ‑ nicht weil Gott nicht geliebt werden sollte, sondern weil der Mensch ein Sünder war.

Der zweite Grundsatz: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" ist für den natürlichen Menschen ebenso unerfüllbar. Liebt er seinen Nächsten wie sich selbst? Ist das der Grundsatz, der sich in der Politik oder im Wirtschaftsleben dieser Welt offenbart? Nein, der Mensch liebt seinen Nächsten nicht, wie er sich selbst liebt. Zweifellos sollte er es tun, und er würde es tun, wenn sein Zustand gut wäre. Aber sein Zustand ist durch und durch böse, und wenn er nicht durch das Wort und durch den Geist Gottes von neuem geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes eingehen (Joh. 3, 3‑5). Das Gesetz kann diese neue Geburt nicht bewirken. Es tötet den "alten Menschen", aber es ruft keinen "neuen Menschen" ins Leben. Wir wissen, daß der Herr Jesus Gott ist, aber in Seinem Leben auf der Erde war Er zugleich auch unser Nächster; Er war Gott, geoffenbart im Fleische (l. Tim. 3, 16). Und wie haben die Menschen Ihn behandelt? Liebten sie Ihn von gan­zem Herzen' wie sich selbst? Genau das Gegenteil war der Fall. Sie kreuzigten Ihn zwischen zwei Räubern, nachdem sie vorher einen Dieb und Mörder Ihm vorgezogen hatten. Und das, obwohl Er ihnen nur Gutes getan hatte, obwohl Er vom Vaterhaus, wo nur Licht und Liebe herrschen, auf die Erde gekommen war, um diese Liebe und dieses Licht in sich selbst darzustellen. Sie haben den getötet, der nur von tiefem Mitgefühl für ihre Not erfüllt war, und der immer bereit war, Sünden zu vergeben und Leidenden zu helfen. Wenn wir so das Kreuz Christi betrachten, sehen wir in ihm einen sicheren Beweis dafür, daß es der menschlichen Natur unmöglich ist, das Gesetz zu halten.

Nach allem, was wir betrachtet haben, muß es für einen geistlich ge­sinnten Gläubigen eine Freude sein, den Schluß dieses Kapitels zu lesen. "Und der HERR sprach zu Mose: Also sollst du zu den Kindern Israel sprechen: ... Einen Altar von Erde sollst du mir machen und darauf opfern deine Brandopfer und deine Friedensopfer, dein Kleinvieh und deine Rinder; an jedem Orte, wo ich meines Namens werde ge­denken lassen, werde ich zu dir kommen und dich segnen. Und wenn du mir einen Altar von Steinen machst, so sollst du ihn nicht von be­hauenen Steinen bauen; denn hast du deinen Meißel darüber ge­schwungen, so hast du ihn entweiht. Und du sollst nicht auf Stufen zu meinem Altar hinaufsteigen, damit nicht deine Blöße an ihm aufge­deckt werde" (V. 22‑26).

Der Gläubige vollbringt hier keine Werke mehr, sondern er betet an; und dies am Ende von 2. Mose 20! Wie klar belehrt uns diese Tatsache, daß Gott nicht die Absicht hat, den Sünder mit dem Geist des Sinai zu konfrontieren, und daß überhaupt der Sinai nicht der Ort ist, an dem Gott und Mensch einander begegnen können. "An jedem Orte, wo ich meines Namens werde gedenken lassen, werde ich zu dir kommen und dich segnen". Wie sehr unterscheidet sich dieser Ort, wo der HERR das Gedächtnis Seines Namens stiften, wo Er Sein anbetendes Volk segnen will, von den Schrecken des rauchenden Berges!

Gott will dem Sünder an einem Altar begegnen, der aus unbehauenen Steinen erbaut ist und keine Stufen hat, also an einem Ort der Anbe­tung, dessen Herrichtung keine menschliche Tätigkeit voraussetzt und der dem Menschen ohne irgendwelche Anstrengung zugänglich ist. Das Erste würde nur den Altar entweihen und das Zweite nur die Nacktheit des Menschen enthüllen. Welch ein bewundernswertes Bild von der Per­son und dem Werk Jesu Christi! Das ist der geistliche Ort, an dem Gott jetzt dem Sünder begegnet, an dem alle Fragen des Gesetzes, der Gerechtigkeit und des Gewissens vollkommen beantwortet sind! Zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen hat der Mensch die Neigung verraten, bei der Aufrichtung seines Altars nach eigenem Werkzeug zu greifen und Ihm auf selbstgebauten Stufen zu nahen, aber Verunehrung und Nacktheit waren immer das Ergebnis solcher Versuche. "Wir alle­samt sind dem Unreinen gleich geworden, und alle unsere Gerechtigkei­ten gleich einem unflätigen Kleide; und wir verwelken allesamt wie ein Blatt, und unsere Missetaten rafften uns dahin wie der Wind" (Jes. 64, 6). Wer würde es wagen, Gott in einem "unflätigen" Kleid zu be­gegnen oder in seiner Nacktheit Ihn anzubeten? Genau das aber tut jeder Sünder, der sich durch eigene Anstrengung einen Weg zu Gott bahnen will. Solche Anstrengungen sind nutzlos, weil sie die Unreinig­keit und Nacktheit des Menschen nicht beseitigen können. Gott ist dem in den Tiefen seines Verderbens liegenden Sünder so weit entgegenge­kommen, daß weder Gesetzlichkeit noch eigene Gerechtigkeit den Sün­der noch näher zu Gott bringen kann.

Das sind die Grundsätze, mit denen der Heilige Geist diesen Teil des göttlichen Buches schließt. Es sind Grundsätze, die jeder Christ kennen muß, um den wichtigen Unterschied zwischen Gesetz und Gnade klar zu verstehen!

Kapitel 21‑23

RECHTE UND SATZUNGEN

Der nun vor uns liegende Teil des zweiten Buches Mose zeigt uns be­sonders die Weisheit und unendliche Güte Gottes. Anhand der Kapitel 21 bis 23 können wir uns eine Vorstellung von einem Königreich machen, das durch von Gott angeordnete Gesetze verwaltet wird. Zu­gleich sehen wir die bewundernswerte Herablassung des großen Gottes des Himmels und der Erde, dem es nicht zu gering ist, eine Rechtssache wie den Tod eines Ochsen (Kap. 22, 10), einen zum Pfand genommenen Mantel (V. 26) oder den Verlust des Zahnes eines Sklaven (Kap. 21, 27) durch ein Gesetz zu regeln. Wer ist dem Herrn, unserem Gott gleich? Er regiert das Weltall und kann zugleich um die Ernährung und Beklei­dung irgendeines Seiner Geschöpfe besorgt sein. Er leitet den Flug des Adlers und nimmt Notiz von einem kriechenden Wurm. Er lenkt die Himmelskörper in ihrer Bahn durch den unermeßlichen Weltraum, und es ist Ihm doch nicht zu gering, auf das Fallen eines Sperlings achtzu­haben.

Die in Kapitel 21 aufgezählten Rechte und Gesetze enthalten eine zwei­fache Belehrung. Sie reden von Gott und von dem Menschen.

Zunächst sehen wir Gott, und zwar als einen strengen, unparteiischen, vollkommenen Richter. "Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme" (V. 24. 25). Das war der Charakter der Vorschrif­ten und Rechte, durch die Gott Sein irdisches Königreich Israel regierte. Für alles war gesorgt. Jedes Interesse wurde gewahrt, und jeder Forde­rung geschah Genüge. Hier gab es keine Parteilichkeit, hier galt kein Ansehen der Person, hier wurde kein Unterschied gemacht zwischen reich und arm. Es herrschte eine vollkommene Gerechtigkeit, so daß sich niemand über die Entscheidung beklagen konnte. Diese Gerechtig­keit konnte nicht durch Bestechung oder Parteilichkeit beeinträchtigt werden. Gott selbst war der treu sorgende Gesetzgeber und zugleich der unerbittliche Vollstrecker. Nur der Schuldige wurde gestraft; wer aber gehorsam war, konnte sicher sein, daß alle seine Rechte geschützt wurden.

Zum anderen aber wird in diesem Kapitel auch die schreckliche Verdor­benheit des Menschen enthüllt. Gott hätte nämlich keine Gesetze gegen gewisse Verbrechen anordnen müssen, wenn der Mensch nicht auch imstande wäre, solche Verbrechen zu begehen. Angesichts der in diesem Kapitel genannten Greuel möchte vielleicht jemand wie einst Hasael sagen: "Was ist dein Knecht, der Hund, daß er diese große Sache tun sollte?" (2. Kön. 8, 13). Wer aber so spricht, hat ganz sicher noch nicht in den Abgrund seines Herzens hineingeblickt. Denn obwohl hier Ver­brechen genannt werden, die den Menschen unter einen Hund zu er­niedrigen scheinen, beweisen doch gerade diese Vorschriften, daß selbst der edelste und gebildetste Mensch den Keim der finsteren und ab­scheulichsten Greuel in sich trägt. Denn nur für den Menschen wurden diese Gesetze angeordnet. Der Mensch ist zu allen Dingen fähig; er ist so tief gesunken, daß er nicht tiefer sinken kann. Seine Natur ist gänz­lich verderbt, und von Kopf bis Fug ist nichts Gesundes an ihm (Jes. 1; Röm. 3, 9‑18).

Wie kann ein solches Geschöpf ohne Furcht im vollen Licht des Thrones Gottes stehen? Wie kann es im Innern des Heiligtums oder am gläser­nen Meer stehen (Offbg. 4, 6)? Wie kann es durch die Perlentore ein­treten und durch die goldenen Straßen des heiligen Jerusalem gehen (Offbg. 2,1, 21)? Die Antwort auf diese Fragen entfaltet vor uns die bewundernswerten Tiefen der erlösenden Liebe und die ewige Gültigkeit des Blutes des Lammes. Wie groß auch das Verderben des Menschen sein mag, die Liebe Gottes ist größer. Wie schwer seine Schuld auch ist, das Blut Jesu vermag sie völlig zu tilgen. Wie weit die Kluft auch ist, die den Menschen von Gott trennt, das Kreuz hat sie überbrückt. Gott ist bis zu dem Sünder hinabgestiegen, um ihn in einen Bereich unendlicher Gunst, in ewige Gemeinschaft mit Seinem eingeborenen Sohn zu erhe­ben. "Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, daß wir Kin­der Gottes heißen sollen" (1. Joh. 3, 1). Nur die Liebe Gottes konnte das Elend des Menschen ermessen, und nur das Blut Christi vermochte seine Schuld zu begleichen. Aber gerade durch die Tiefe des menschli­chen Verderbens wird die Liebe Gottes verherrlicht, so wie die Größe der Schuld das Blut verherrlicht, das sie voll und ganz hinwegzutun vermag. Der größte Sünder kann, wenn er an Jesus glaubt, sich der Ge­wißheit erfreuen, daß Gott ihn für "ganz rein" erklärt (Joh. 13, 10).

je genauer wir diese Gesetze und Vorschriften im einzelnen untersuchen, um so mehr entdecken wir ihre Vollkommenheit. Nehmen wir zum Bei­spiel die allererste dieser Vorschriften, die über den hebräischen Knecht:

„Und dies sind die Rechte, die du ihnen vorlegen sollst: So du einen he­bräischen Knecht kaufst, soll er sechs Jahre dienen, und im siebenten soll er frei ausgehen, umsonst. Wenn er allein gekommen ist, soll er allein ausgehen; wenn er eines Weibes Mann war, soll sein Weib mit ihm ausgehen. Wenn sein Herr ihm ein Weib gegeben und sie ihm Söhne oder Töchter geboren hat, so sollen das Weib und ihre Kinder ihrem Herrn gehören, und er soll allein ausgehen. Wenn aber der Knecht etwa sagt: Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen, so soll ihn sein Herr vor die Richter bringen und ihn an die Tür oder den Pfosten stellen, und sein Herr soll ihm das Ohr mit einer Pfrieme durchbohren; und er soll ihm dienen auf ewig" (Kap. 21, 1‑6). Der Knecht persönlich war völlig frei; er hatte jeder Forderung genügt und konnte daher in Freiheit und nach Belieben fort­gehen; aber es konnte sein, daß er aus Liebe zu seinem Herrn, zu seinem Weibe und seinen Kindern sich freiwillig zu einem fortdauernden Dienst verpflichtete und sogar bereit war, an seinem Leibe ein bleibendes Kennzeichen dieses Dienstes zu tragen.

In diesen Anordnungen sehen wir einen deutlichen Hinweis auf den Herrn Jesus. Er war vor Grundlegung der Welt die Wonne des Vaters, und Er hätte durch alle Ewigkeiten hindurch diesen Ihm persönlich ge­bührenden Platz im Schoß des Vaters behalten können (Spr. 8, 22‑31). Nicht eine Verpflichtung, sondern allein Seine unaussprechliche Liebe ließ Ihn diesen Platz verlassen. Er liebte Seinen Vater, um dessen Rat­schlüsse es hier ging; Er liebte die Kirche insgesamt und jedes einzelne Glied der Kirche so sehr, daß Er freiwillig auf die Erde kam, sich selbst zu nichts machte, Knechtsgestalt annahm und die Zeichen eines bestän­digen Dienstes an sich trug. In Ps. 40, 6 finden wir wohl eine Anspie­lung auf diese Zeichen in den Worten: "Ohren hast du mir bereitet". Dieser Psalm ist der Ausdruck der vollkommenen Hingabe Christi an Gott. Wir lesen in V. 7 und 8: "Da sprach ich: Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens. Er kam, um den Willen Gottes zu tun, worin dieser auch bestehen mochte. Er folgte niemals Seinem eigenen Willen, selbst nicht bei der Annahme und Errettung von Sündern, obwohl Ihn mit Sicher­heit Seine Liebe zu diesem Werk drängte. Nur als Diener der Ratschlüsse des Vaters nahm Er sich der Sünder an und errettete sie. "Alles was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinauswerfen; denn ich bin vom Himmel herniederge­kommen, nicht auf daß ich meinen Willen tue, sondern den Willen des­sen, der mich gesandt hat. Dies aber ist der Wille dessen, der mich ge­sandt hat, daß ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tage (Joh. 6, 37‑39; vergl. Matth. 20,23).

Wir sehen hier den Herrn Jesus in Seinem Charakter als Diener Gottes. In vollkommener Gnade fühlt Er sich dafür verantwortlich, alle, die der Vater Ihm zuführt, nicht nur aufzunehmen, sondern sie auch in allen Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens, selbst in der Stunde des Todes, zu bewahren und sie am letzten Tage aufzuerwecken. Auch das schwächste Glied der Kirche Gottes befindet sich in völliger Sicherheit! Auch auf den schwächsten Gläubigen beziehen sich die Ratschlüsse Got­tes, für deren Ausführung sich Jesus verbürgt hat. Jesus liebt den Vater; und die Stärke dieser Liebe ist das Maß der Sicherheit für jeden einzel­nen in der erlösten Familie Gottes. Die Errettung des Sünders, der an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, ist in einer Hinsicht nur der Aus­druck der Liebe Christi zum Vater. Wenn einer von denen, die an den Namen des Sohnes Gottes glauben, wegen irgendeiner Ursache verloren gehen könnte, dann wäre das der Beweis dafür, daß der Herr Jesus nicht den Willen Gottes erfüllt hat, und das wäre nichts anderes als eine Lästerung Seines heiligen Namens, dem Ehre und Majestät ge­bührt in Ewigkeit!

Wir sehen also in dem hebräischen Knecht ein Bild von Christus in Seiner vollkommenen Hingabe an den Vater. Aber das ist noch nicht alles. Der Knecht sagt: "Ich liebe mein Weib und meine Kinder". ,' . . gleichwie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf daß er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf daß er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern daß sie heilig und tadellos sei" (Eph. 5, 25‑27). Es gibt noch verschiedene andere Schriftstellen, die uns Chri­stus als Gegenbild des hebräischen Knechtes zeigen, sowohl in Seiner Liebe zur Kirche insgesamt, als auch zu jedem Gläubigen persönlich. Matth. 13, Joh. 10 und 13 und in Hebr. 2 finden wir weitere Ausführungen über diesen Punkt.

Wenn uns das Verständnis über diese Liebe Jesu aufgeht, wird in uns ein starkes Verlangen wachgerufen, uns Ihm hinzugeben, der allein fähig war, eine so reine, vollkommene und uneigennützige Liebe zu offen­baren. Hätten etwa die Frau und die Kinder des hebräischen Knechtes dem ihre Liebe versagen können, der freiwillig und für immer auf seine Freiheit verzichtete, weil er bei ihnen bleiben wollte? Und ist die Liebe des Knechtes nicht schwach im Vergleich zu der Liebe Christi? Eph. 3, 19 sagt uns, daß die Liebe des Christus die Erkenntnis übersteigt. Sie leitete Ihn, vor Grundlegung der Welt an uns zu denken, in der Fülle der Zeit uns aufzusuchen, aus freien Stücken sozusagen an den Türpfosten zu treten und am Kreuz für uns zu leiden, damit Er uns zu Seinen Genossen in Seinem Reich und Seiner ewigen Herrlichkeit erheben konnte.

Eine vollständige Erläuterung der übrigen Verordnungen und Rechte, die in diesen Kapiteln enthalten sind, würde jedoch jetzt zu weit führen.*) Zum Schlug sei noch bemerkt, daß diese Kapitel, die von der tiefen Weisheit, der vollkommenen Gerechtigkeit und der zärtlichen Sorgfalt Gottes reden, den Gläubigen mit Lob und Anbetung erfüllen. Sie lassen in der Seele die tiefe Überzeugung zurück, daß der, der hier redet, der "allein wahre", der "allein weise" und der unendlich barm­herzige Gott ist.

Denn dazu hat Gott uns Sein ewiges Wort gegeben, damit wir uns in aufrichtiger Anbetung vor Ihm niederbeugen, dessen vollkommene Wege und herrliche Eigenschaften uns aus diesem Wort entgegenstrah­len, zur Belebung und Auferbauung Seines erlösten Volkes!

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*) Da die in Kap. 23, 14‑19 erwähnten Feste und die in Kap. 29 genannten Opfer im 3. Buch Mose genau beschrieben sind, wollen wir es der Betrachtung von 3. Mose vorbehalten, näher hierauf einzugehen.

Kapitel 24

MOSE AUF DEM BERG

Dieses Kapitel beginnt mit einer Aussage, die in beachtenswerter Weise die ganze mosaische Haushaltung kennzeichnet. "Und er sprach zu Mose. Steige zu dem HERRN herauf, du und Aaron, Nadab und Abihu und siebenzig von den Ältesten Israels, und betet an von ferne. Und Mose allein nahe sich zu dem HERRN; sie aber sollen sich nicht nahen, und das Volk soll nicht mit ihm heraufsteigen" (V. 1. 2). In keiner Vor­schrift des Gesetzes finden wir eine Aufforderung an das Volk, Gott zu nahen. Solche Worte waren mit dem Gesetz vom Sinai nicht vereinbar. Sie sind erst durch den Tod und die Auferstehung Jesu möglich gewor­den. Die Worte "von ferne" sind ebenso charakteristisch für das Gesetz wie die Aufforderung, Gott zu nahen für das Evangelium. Unter dem Gesetz ist nie ein Werk vollbracht worden, das dem Sünder die Freiheit gab, vor Gott zu erscheinen. Der Mensch hatte sein Versprechen, zu gehorchen, nicht gehalten, und das Blut von Stieren und Böcken konnte weder seine Sünden wegnehmen noch seinem Gewissen Frieden geben. Darum mußte er "von ferne" anbeten. Er hatte sein Gelübde gebrochen, und seine Sünden waren nicht abgewaschen ‑ wie hätte er vor Gott hin­treten können? Das Blut von zehntausend Stieren vermochte keinen einzigen Flecken von seinem Gewissen wegzuwischen, noch konnte es ihm das sichere Bewußtsein geben, als ein versöhnter Sünder Gott nahe gebracht zu sein.

Dennoch wird hier der "erste Bund" mit Blut eingeweiht. Am Fuß des Berges wird ein Altar mit zwölf Denksteinen, nach den zwölf Stämmen Israels errichtet( V. 4; vergl. Jos. 4 und 1. Kön. 18, 31). "Und er sandte Jünglinge der Kinder Israel hin, und sie opferten Brandopfer und schlachteten Friedensopfer von Farren dem HERRN. Und Mose nahm die Hälfte des Blutes und tat es in Schalen, und die Hälfte des Blutes sprengte er an den Altar. Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes; und sie sprachen: Alles was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen. Und Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk und sprach: Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR mit euch gemacht hat über alle diese Worte" (V. 5‑8). Obwohl, wie der Apostel uns belehrt, Blut von Stieren und Böcken un­möglich Sünden hinwegnehmen konnte (Hebr. 10, 4), heiligte es den­noch zur Reinigkeit des Fleisches (Hebr. 9, 13); und als Schatten der zukünftigen Güter" reichte es aus, die Beziehungen des Volkes zum HERRN aufrecht zu erhalten.

"Und es stiegen hinauf Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebenzig von den Ältesten Israels; und sie sahen den Gott Israels; und unter seinen Füßen war es wie ein Werk von Saphirplatten und wie der Himmel selbst an Klarheit. Und er streckte seine Hand nicht aus gegen die Edlen der Kinder Israel; und sie schauten Gott und aßen und tran­ken" (V. 9‑11). Das war die Offenbarung des Gottes Israels in Licht und Reinheit, in Majestät und Heiligkeit. Es war nicht die Entfaltung der Liebe des Vaters, die dem Herzen Frieden und Vertrauen gibt. Die "Saphirplatten" offenbarten die Heiligkeit Gottes, das unzugängliche Licht, und geboten dem Sünder, Abstand zu halten. Dennoch "schauten sie Gott und aßen und tranken" ‑ ein Beweis für die Nachsicht und Barmherzigkeit Gottes und die Kraft des Blutes!

Wenn wir uns diese ganze Szene bildlich vorstellen, erkennen wir einige Besonderheiten, die für den Gläubigen von Bedeutung sind. Da ist das verunreinigte Lager unten im Tal und der durchsichtige Saphir oben; aber der Altar am Fuß des Berges redet zu uns von dem Weg, auf dem der Sünder der Unreinheit seines Zustandes entfliehen und in die Gegenwart Gottes hinaufsteigen kann, um dort ein Fest zu feiern und in vollkommenem Frieden anzubeten. Nur das Blut auf dem Altar konnte dem Menschen ein Recht geben, in die Gegenwart der Herrlich­keit Gottes zu treten, deren Ansehen war "wie ein verzehrendes Feuer ... vor den Augen der Kinder Israel" (V. 17).

"Und Mose ging mitten in die Wolke hinein und stieg auf den Berg; und Mose war auf dem Berge vierzig Tage und vierzig Nächte" (V. 18). Das war in der Tat eine erhabene und heilige Stellung für Mose. Er wurde weggerufen von der Erde und ihren Dingen. Getrennt von allen natürlichen Einflüssen, ist er allein mit Gott, um von Ihm die tiefen Geheimnisse der Person und des Werkes Christi zu erfahren; denn diese Geheimnisse sind es, die uns in der Stiftshütte und ihrer Ein­richtung, den "Abbildern der Dinge in den Himmeln" (Hebr. 9, 23), vor­gestellt werden. Gott wußte sehr wohl, was das Ende dieses Bündnisses der Werke sein würde; aber Er zeigt Mose in Bildern und Schatten Seine eigenen wunderbaren Gedanken der Liebe und Seine Gnaden­Ratschlüsse, die in Christus geoffenbart und durch Ihn für ewig ge­sichert worden sind.

Wie können wir Gott danken, daß Er uns nicht unter dem ersten Bund der Werke gelassen hat, sondern daß Er durch das Blut des ewigen Bun­des (Hebr. 13,20) den Donner des Gesetzes zum Schweigen gebracht, das Feuer des Berges Sinai ausgelöscht und uns einen Frieden geschenkt hat, den keine Macht der Erde und der Hölle zu erschüttern vermag! "Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blute, und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen" (Offbg. 1, 5. 6).

Kapitel 25

DIE GERÄTE DES HEILIGTUMS

Mit diesem Kapitel beginnt einer der unerschöpflichsten Abschnitte der Heiligen Schrift. Auf Schritt und Tritt finden wir hier wertvolle Schätze, wenn wir mit dem richtigen Handwerkszeug an die Arbeit gehen, d. h. wenn wir den Dienst des Heiligen Geistes dafür in Anspruch nehmen. Mit unserer eigenen Vernunft können wir hier nichts ausrichten. Wir müssen alle unsere eigenen Vorstellungen beiseite lassen, müssen nüch­tern, einfältig und geistlich gesinnt sein, um die Anordnung und die Einrichtungen des Hauses des HERRN richtig verstehen zu können. "Die Abbilder der Dinge in den Himmeln" (Hebr. 9, 23) lassen sich nicht durch den natürlichen Verstand erklären, und sei er noch so scharf­sinnig. Ihre Bedeutung läßt sich durch kein irdisches Licht erhellen. Nur der HERR selbst, der die Bilder gegeben hat, kann sie uns erklären.

Nach menschlichem Urteil besteht keine erkennbare Ordnung in der Art und Weise, wie der Heilige Geist die Einrichtung der Stiftshütte dar­stellt, aber in Wirklichkeit herrscht auch hierin vollkommene Ordnung und Genauigkeit. Die Kapitel 25‑3o bilden einen besonderen, deutlich abgegrenzten Abschnitt des 2. Buches Mose. Er ist in zwei Teile ge­gliedert; der erste Teil endet mit Kapitel 27, 19 und der zweite mit dem letzten Vers des 30. Kapitels. Der erste beginnt mit der Beschreibung der Bundeslade innerhalb des Vorhangs und schließt mit der Beschrei­bung des ehernen Altars und des Hofes, in dem sich dieser Altar befand; mit anderen Worten, wir sehen zunächst den Richterstuhl des Herrn der ganzen Erde und werden dann zu der Stätte geführt, wo der HERR in der Kraft und dem Wert der vollbrachten Erlösung dem Sünder be­gegnet. Im zweiten Teil finden wir dann die Art und Weise, wie der Mensch Gott nahen konnte, die Aufgaben und die damit verbundene erhabene Stellung der Priester, denen es gestattet war, in der Gegen­wart Gottes ihren Dienst zu tun und Ihn anzubeten.

So ist also auch die Darstellung der Dinge in diesem Schriftabschnitt göttlich ‑ und darum vollkommen ‑ angeordnet. Die Bundeslade und der eherne Altar bilden sozusagen die beiden äußeren Endpunkte. Die Bundeslade stellt den Thron Gottes dar, der auf Gerechtigkeit und Ge­richt (Ps. 89,14) gegründet ist; der Altar andererseits war die Stätte, wo der Sünder Gott nahen konnte und wo Seine Gnade und Wahrheit" sicht­bar wurden. Der Mensch an sich durfte der Bundeslade nicht nahen, um dort Gott zu begegnen, denn der Weg zum Heiligtum war noch nicht geoffenbart (Hebr. 9, s). Aber Gott konnte dem ehernen Altar nahen, um dort dem sündigen Menschen zu begegnen. Aufgrund Seiner Ge­rechtigkeit und Heiligkeit konnte Gott keinem Sünder den Zutritt zum Heiligtum gestatten, aber aufgrund Seiner Gnade konnte Er aus dem Heiligtum hervortreten, und zwar nicht in der überwältigenden Majestät, in der Er über den geheimnisvollen Trägern Seines Thrones, den "Cherubim der Herrlichkeit", zu erscheinen pflegte, sondern eben als der barmherzige Gott, dessen Gnade in den Geräten und der Einrichtung der Stiftshütte versinnbildlicht ist.

Dies alles erinnert uns an den Weg Jesu, denn Er ist die Wirklichkeit, auf die alle Bilder und Schatten des Alten Testaments hinweisen. Er verließ den ewigen Thron Gottes in den Himmeln und erniedrigte sich bis zu Seinem Tod auf Golgatha. Er kam aus der Herrlichkeit des Him­mels und nahm die Schande des Kreuzes auf sich, um Sein erlöstes und in Gnade angenommenes Volk tadellos vor dem Thron Gottes dar­zustellen, den Er um dieses Volkes willen verlassen hatte. Der gewaltige Abgrund zwischen dem Thron Gottes auf der einen und dem Staub des Todes auf der andern Seite ist durch unseren Herrn und Sein Werk überbrückt worden. In Ihm hat Gott sich in vollkommener Gnade dem Sünder zugewandt, und in Ihm ist der Sünder in vollkommener Gerech­tigkeit zu Gott geführt worden. Der ganze Weg von der Bundeslade bis zum ehernen Altar zeigte die Liebe Gottes, und der ganze Weg vom ehernen Altar bis zur Bundeslade war besprengt mit dem Blut der Ver­söhnung (siehe 3. Mose 1, 5; 3~ 2; 4, 6. 7. 16‑18. 30. 34 usw.; 16, 14‑19; Hebr. 9, 6‑12). Und indem der gereinigte Anbeter diesen Weg geht, sieht er das Bild Jesu in allem, was seinen Blicken begegnet.

Wenn wir jetzt die Kapitel in ihrer Reihenfolge betrachten, sehen wir, daß der Herr Seinem Knecht Mose vor allem anderen die Gnadenabsicht mitteilt, sich inmitten Seines Volkes eine heilige Wohnstätte zu berei­ten; und zwar sollte dieses Heiligtum aus solchen Materialien gebaut werden, die in ihrer Bedeutung unmittelbar auf Christus, auf Seine Person, Sein Werk und auf das herrliche Ergebnis dieses Werkes hin­weisen. Außerdem waren diese Baustoffe freiwillige Opfer aus dem Volk und als solche eine Frucht der Gnade Gottes. Der HERR, dessen Majestät die Himmel und der Himmel Himmel nicht fassen können (l. Kön. 8, 27), fand Wohlgefallen daran, in einem von Menschen ge­bauten Zelt zu wohnen ‑ von Menschen, die den tiefen Wunsch hatten, daß ihr Gott in ihrer Mitte wohnte. Dieses Zelt oder diese Hütte kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden, nämlich einerseits als ein Muster der Dinge in den Himmeln, des wahrhaftigen Heiligtums (Hebr. 9, 24), und anderseits als ein bedeutungsvolles Bild vom Leibe Christi. Die verschiedenen Stoffe, aus denen die Hütte gebaut war, werden uns später beschäftigen. Richten wir zunächst unsere Auf­merksamkeit auf die drei wichtigsten Gegenstände, deren Anferti­gung im 25. Kapitel angeordnet wird, nämlich auf die Bundeslade, den Tisch und den Leuchter.

Die Lade des Zeugnisses" nimmt in den Mitteilungen Gottes an Mose die erste Stelle ein, auch hatte Sie einen hervorragenden Platz in der Stiftshütte. Eingeschlossen innerhalb des Vorhangs, im Allerheiligsten' bildete sie die Grundlage des Thrones des HERRN. Schon ihr Name deutet auf ihre Wichtigkeit hin. Eine Lade ist dazu bestimmt, das, was man hineinlegt, unversehrt zu erhalten. Ein Lade oder Arche war es, die Noah und seine Familie mit allen Tierarten der Schöpfung vor den Fluten des Gerichts in Sicherheit brachte. Eine solche Lade war auch das "Kästlein von Schilfrohr", das, wie wir im zweiten Kapitel dieses Buches gesehen haben, als das Gefäß des Glaubens den Knaben Mose über den Wassern des Todes am Leben erhielt. Wenn daher von der "Lade des Bundes" (4. Mose 10, 33; 5. Mose 31, 26; Jer. 3, 16; Hebr. 9, 4) die Rede ist, denken wir daran, daß diese Lade von Gott dazu be­stimmt war, Seinen Bund inmitten eines irrenden Volkes unversehrt zu bewahren. In dieser Lade wurde das zweite Paar der Gesetzestafeln zur Aufbewahrung niedergelegt. Das erste Paar wurde am Fuß des Berges zerschmettert (2. Mose 32, 19) ‑ zum Zeichen dafür, daß der Bund des Menschen völlig gebrochen war, und daß menschliche Werke niemals die Grundlage des Thrones der Regierung des HERRN bil­den konnten. "Gerechtigkeit und Gericht sind deines Thrones Grund­feste" (Ps. 89, 14), sowohl in irdischer als auch in himmlischer Bezie­hung. Die Lade konnte in ihrem geweihten Raum keine zerbrochenen Tafeln aufnehmen. Der Mensch mochte die Erfüllung seiner aus eigenem Antrieb abgelegten Gelübde gänzlich versäumen, aber Gottes Gesetz mußte in seiner Reinheit und Vollkommenheit bewahrt bleiben. Wenn Gott Seinen Thron inmitten Seines Volkes aufrichten wollte, dann mußte dabei Seiner Heiligkeit Rechnung getragen werden. Der Maßstab Seines Gerichts und Seiner Regierung muß vollkommen sein.

"Und mache Stangen von Akazienholz und überziehe sie mit Gold. Und bringe die Stangen in die Ringe an den Seiten der Lade, um die Lade mit denselben zu tragen" (V. 13. 14). Die Bundeslade sollte das Volk auf allen seinen Wanderungen begleiten. Sie ruhte nie, solange die Israeliten ein wanderndes und kämpfendes Volk waren. Sie wurde in der Wüste von Ort zu Ort getragen. Sie ging vor dem Volke her in die Mitte des Jordan, sie war der Sammelplatz Israels in allen Kriegen Kanaans, und überall war sie der sichere und zuverlässige Bürge der Macht Gottes. Der mächtigste Feind vermochte nicht zu bestehen ange­sichts dieses Zeichens der Macht und Gegenwart Gottes. Auch die Stangen und Ringe an der Lade waren ein Ausdruck ihres Pilgercharakters.

Jedoch sollte die Bundeslade nicht für immer auf der Pilgerschaft sein. Die Mühsal Davids (Ps. 132, 1) und die Kriege Israels sollten einmal ein Ende nehmen. Das Gebet: "Stehe auf, HERR, zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Stärke!" (Ps. 132, 8) sollte Erhörung finden. Diese erhabene Bitte fand in den Tagen Salomos eine teilweise Erfüllung. Wir lesen: "Und die Priester brachten die Lade des Bundes des HERRN an ihren Ort, in den Sprachort des Hauses, in das Allerheiligste' unter die Flügel der Cherubim; denn die Cherubim breiteten die Flügel aus über den Ort der Lade, und die Cherubim bedeckten die Lade und ihre Stangen von oben her. Und die Stangen waren so lang, daß die Spitzen der Stangen vom Heiligen aus an der Vorderseite des Sprachortes ge­sehen wurden; aber auswärts wurden sie nicht gesehen. Und sie sind daselbst bis auf diesen Tag" (l. Kön. 8, 6‑8). Die Pilgerschaft der Bundeslade hatte damals ihr Ende erreicht, und "kein Widersacher und kein schlimmes Begebnis" (l. Kön. 5, 4) waren mehr vorhanden.

Das ist aber nicht der einzige Unterschied zwischen der Bundeslade in der Stiftshütte und der Bundeslade im Tempel. Wenn der Apostel von der Lade in der Wüste redet, beschreibt er sie als "die Lade des Bundes, überall mit Gold überdeckt, in welcher der goldene Krug war, der. das Manna enthielt, und der Stab Aarons, der gesproßt hatte, und die Tafeln des Bundes" (Hebr. 9, 4). Das waren die Dinge, die die Bundeslade während ihrer Wüstenreise enthielt. der Krug mit Manna, das Denkmal der Treue des HERRN hinsichtlich der Versorgung Seiner Erlösten in der Wüste, und der Stab Aarons, "ein Zeichen für die Widerspensti­gen", damit ihrem Murren ein Ende gemacht werde (vergl. 2. Mose 16, 32‑34 und 4. Mose 17, 10). Aber als die Wanderungen und Kriege Israels aufgehört hatten, als das Haus "überaus groß" (l. Chron. 22, 5) und vollendet war und die Herrlichkeit Israels ebenso wie die Pracht der Regierung Salomos ihren Höhepunkt erreicht hatte, da verschwanden diese Dinge, die das Volk an seine Bedürfnisse und Fehler in der Wüste erinnerten. Da blieb nur das zurück, was die ewige Grundlage des Thrones des Gottes Israels und der ganzen Erde bildete. "Nichts war in der Lade, als nur die beiden steinernen Tafeln, welche Mose am Horeb hineinlegte" (l. Kön. 8, 9).

Aber leider wurde diese Herrlichkeit schon bald durch die Untreue des Menschen und das dadurch hervorgerufene Mißfallen Gottes getrübt. Sogar die Ruinen dieser herrlichen Wohnung sollten noch von unbe­schnittenen Heiden zertreten werden, und ihre geschwundene Herrlich­keit sollte nach nicht allzulanger Zeit nur die Verachtung der Vorüber­gehenden wachrufen (1. Kön. 9, 8). Allerdings ist dies jetzt nicht Ge­genstand der Betrachtung, und ich beschränke mich auf einen Hinweis auf die letzte Bemerkung, die wir im Worte Gottes über die Bundeslade finden ‑ eine Bemerkung, die uns in jene Zeit versetzt, in der die Sünde und die Torheit des Menschen die Ruhe dieser Lade nicht mehr stören werden. Sie wird dann nicht mehr in einer aus Decken und Vorhängen bestehenden Hütte und auch nicht mehr in einem mit Händen gemach­ten Tempel eingeschlossen sein. "Und der siebente Engel posaunte; und es geschahen laute Stimmen in dem Himmel, welche sprachen: Das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus ist gekommen, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen, fielen auf ihre Angesichter und beteten Gott an und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der da ist und der da war, daß du angenommen hast deine große Macht und angetreten deine Herrschaft! Und die Nationen sind zornig ge­wesen, und dein Zorn ist gekommen und die Zeit der Toten, um ge­richtet zu werden, und den Lohn zu geben deinen Knechten, den Pro­pheten, und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen, und die zu verderben, welche die Erde ver­derben. Und der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel gesehen; und es ge­schahen Blitze und Stimmen und Donner und ein Erdbeben und ein großer Hagel" (Offbg. 11, ‑15‑19).

Betrachten wir jetzt den "Gnadenstuhl. ‑ "Und mache einen Deckel von reinem Golde: zwei und eine halbe Elle seine Länge, und eine und eine halbe Elle seiner Breite. Und mache zwei Cherubim von Gold; in getriebener Arbeit sollst du sie machen an beiden Enden des Deck und mache einen Cherub an dem Ende der einen Seite und einen Cherub an dem Ende der anderen Seite; aus dem Deckel sollt ihr die Cherubim machen an seinen beiden Enden. Und die Cherubim sollen die Flügel nach oben ausbreiten, den Deckel mit ihren Flügeln überdeckend, und ihre Angesichter einander gegenüber; die Angesichter der Cherubim sollen gegen den Deckel gerichtet sein. Und lege den Deckel oben über die Lade; und in die Lade sollst du das Zeugnis legen, das ich dir geben werde. Und daselbst werde ich mit dir zusammenkommen und von dem Deckel herab, zwischen den zwei Cherubim hervor, die auf der Lade des Zeugnisses sind, alles zu dir reden, was ich dir an die Kinder Israel gebieten werde" (V. 17‑22).

Der HERR offenbart hier Seine Absicht von dem feurigen Berg herab­zusteigen, um Seinen Platz auf dem Gnadenstuhl einzunehmen. Er konnte dies tun, weil einerseits die Tafeln des Zeugnisses unversehrt in der Lade bewahrt wurden und dadurch der Heiligkeit Gottes Rech­nung, getragen wurde, andererseits aber auch die Symbole Seiner Macht (sowohl in der Schöpfung als auch in der Vorsehung) als unzertrennliche Begleiter zu beiden Seiten des Thrones standen, auf dem der HERR sich niederlassen wollte. Hier zeigte sich die Herrlichkeit des Gottes Israels in ihrem vollen Glanz. Von hier aus erließ Er Seine Befehle und diese Befehle wurden erträglich, ja sogar angenehm gemacht, weil die Gnade Gottes ihre Quelle war und auch den Weg bereitete, auf dem sie zu den Menschen gelangten. "Seine Gebote sind nicht schwer" (1. Joh. 5, 3), wenn sie von einem "Gnadenstuhl" her empfangen werden ‑wenn uns bewußt wird, daß allein die Fähigkeit, sie zu hören, schon Gnade ist, und daß nur die Gnade uns Kraft geben kann, zu gehorchen.

Die Lade und der Gnadenstuhl, als ein Ganzes betrachtet, sind ein deutliches Bild von der Person Christi und Seines Werkes. Nachdem Er in Seinem Leben das Gesetz verherrlicht hatte, wurde Er durch Seinen Tod zu einer Sühnung oder zu einem Gnadenstuhl für jeden Glaubenden (Röm. 3, 25). Gottes Barmherzigkeit konnte nur auf einer Grundlage vollkommener Gerechtigkeit verwirklicht werden. "Die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn" (Röm. 5, 21). Der einzige Platz, wo Gott und der Mensch zusammentreffen können, ist dort, wo Gnade und Gerechtigkeit sich begegnen und sich in vollkommenem Einklang miteinander befin­den. Nur eine vollkommene Gerechtigkeit kann Gott genügen, und nur eine vollkommene Gnade dem Menschen. Aber wo konnten diese beiden Dinge zusammentreffen? Nur am Kreuz. Dort sind "Güte und Wahr­heit sich begegnet, dort haben "Gerechtigkeit und Friede sich geküßt" (PS. 85, 10), und dort findet jetzt der glaubende Sünder Frieden für seine Seele. Er sieht, daß Gottes Gerechtigkeit und seine eigene Recht­fertigung auf demselben Boden ruhen, nämlich auf dem vollbrachten Werk Christi. Wenn der Mensch unter der mächtigen Wirkung der Wahrheit Gottes den ihm geziemenden Platz als Sünder einnimmt, so kann Gott in der Ausübung der Gnade Seinen Platz als Erretter ein­nehmen, und dann ist jede Frage gelöst. Denn da das Kreuz allen For­derungen der göttlichen Gerechtigkeit genügt hat, kann nun auch Gottes Gnade ungehindert ausströmen. Wenn der gerechte Gott und ein ver­lorener Sünder auf dem Boden der Blutbesprengung zusammentreffen, dann ist alles für immer in Ordnung gebracht, und zwar in einer Weise, die Gott vollkommen verherrlicht und den Sünder für alle Ewigkeit rettet. Gott muß wahrhaftig sein, mag auch jeder Mensch als Lügner erfunden werden, und wenn der Mensch einmal seinen Zustand vor Gott erkennt und den Platz einnimmt, den die Wahrheit Gottes ihm anweist, dann lernt er verstehen, daß Gott sich als ein gerechter Recht­fertiger eines solchen Menschen geoffenbart hat, und dies gibt ihm nicht nur einen unerschütterlichen Frieden des Gewissens, sondern auch die Fähigkeit, mit Gott Gemeinschaft zu haben. Und in der Erkenntnis dieses wunderbaren Verhältnisses, in das die Gnade Gottes ihn ge­bracht hat, kann er auch Seinem heiligen Wort gehorchen.

Das "Allerheiligste" gibt uns daher einen Einblick in die Ratschlüsse der Liebe und Weisheit Gottes. Die Lade, der Gnadenstuhl, die Cherubim, die Herrlichkeit ‑ welch ein Anblick für den Hohenpriester, wenn er einmal des Jahres hineinging innerhalb des Vorhangs!

Weiter empfängt Mose Unterweisung über den "Tisch der Schaubrote". Auf diesem Tisch lag die Speise für die Priester Gottes. Sieben Tage lang wurden die zwölf Schaubrote von "Feinmehl mit reinem Weihrauch" vor Gott zur Schau hingelegt, und nachdem sie durch andere ersetzt worden waren, dienten sie den Priestern zur Speise an heiliger Stätte (siehe 3. Mose 24, 5‑9). Es ist offensichtlich, daß diese zwölf Brote den "Menschen Christus Jesus" darstellen. Das Feinmehl, aus dem sie gebacken wurden, kennzeichnet die vollkommene Menschheit des Hei­landes, während in dem reinen Weihrauch zum Ausdruck kommt, wie völlig sich dieser Mensch Gott geweiht hat. Wenn Gott Seine Priester hat, die Ihm im Heiligtum dienen, dann hat Er auch einen wohlge­deckten Tisch für sie. Christus ist der Tisch, und Er ist zugleich das Brot auf dem Tisch. Der reine Tisch und die zwölf Brote zeigen Ihn als den, der beständig und in der ganzen Vortrefflichkeit Seines Menschseins vor Gott steht und der priesterlichen Familie zur Speise dargeboten ist. Die sieben Tage zeigen uns, wie vollkommen das Wohlgefallen Gottes an Christus ist, und die zwölf Brote bringen zum Ausdruck, daß dieser Christus den Menschen als vollkommene Nahrung verordnet ist. Viel­leicht weisen sie auch auf die Verbindung Christ! mit den zwölf Stäm­men Israels und den zwölf Aposteln des Lammes hin.

Als nächstes folgt der "Leuchter von reinem Gold", denn die Priester Gottes brauchen nicht nur Nahrung, sondern auch Licht; und beides finden sie in Christus. An diesem Leuchter gab es nichts anderes als reines Gold. Der ganze Leuchter eine getriebene Arbeit, von reinem Golde" (V. 36). Daß es gerade sieben Lampen sind, die vor dem Leuch­ter ihr Licht verbreiten sollten, ist ein Ausdruck der Vollkommenheit des Lichts und der Energie des Geistes, gegründet auf die vollkommene Wirksamkeit des Werkes Christi. Das Werk des Heiligen Geistes darf niemals von dem Werk Christi getrennt werden. Das wird uns im Bilde des goldenen Leuchters auf zweifache Art deutlich gemacht. Die Verbin­dung der sieben Lampen mit dem Schaft aus getriebenem Gold weist uns darauf hin, daß das vollbrachte Werk Christi die einzige Grundlage ist, auf der die Offenbarung des Geistes in der Kirche ruht. Der Heilige Geist wurde nicht gesandt, bevor Jesus verherrlicht war (vergl. Joh. 7, 39 mit Apg. 19, 2‑6). Im dritten Kapitel der Offenbarung wird Christus der Versammlung zu Sardes als derjenige vorgestellt, "der die sieben Geister Gottes hat." Erst nachdem Er zur Rechten Gottes er­höht war, goß der Herr Jesus den Heiligen Geist über die Kirche aus (Apg. 2, 33); und aufgrund dessen ist nun für die Kirche das Heiligtum der angemessene Bereich ihrer Wirksamkeit und Anbetung, wo sie ‑ der Vollkommenheit dieser Stellung gemäß ‑ ihr Licht verbreiten kann.

Es war eine der besonderen Aufgaben Aarons, die sieben Lampen anzu­zünden und zuzurichten. "Und der HERR redete zu Mose und sprach: Gebiete den Kindern Israel, daß sie dir reines, zerstoßenes Olivenöl bringen zum Licht, um die Lampen anzuzünden beständig. Außerhalb des Vorhangs des Zeugnisses, im Zelte der Zusammenkunft, soll Aaron sie zurichten, vom Abend bis zum Morgen, vor dem HERRN beständig: eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern. Auf dem reinen Leuchter soll er die Lampen beständig vor dem HERRN zurichten" (3. Mose 24, 1‑4). Wir sehen auf diese Weise, wie das Werk des Heiligen Geistes in der Kirche mit dem Werk Christi auf Erden und auch mit Seinem Werk im Himmel verbunden ist. Wenn auch die sieben Lampen vor­handen waren, war doch darüber hinaus der Dienst und die Umsicht des Priesters notwendig, um sie zuzurichten und brennend zu erhalten. Der Priester mußte ständig die Lichtschneuzen und Löschnäpfe gebrauchen, um alles zu entfernen, was die Kanäle des reinen, zerstoßenen Öls verstopfen konnte. Diese Lichtschneuzen und Löschnäpfe waren gleich­falls aus getriebenem Gold. Denn die ganze Sache war das unmittelbare Ergebnis der Wirksamkeit Gottes. Wenn die Kirche ihr Licht leuchten lä.9t, so tut sie es nur durch die Kraft des Geistes, und diese Kraft ist gegründet auf Christus, der nach dem ewigen Ratschluß Gottes in Sei­nem Opfer und Priesterdienst in allen Dingen die Quelle und Kraft für Seine Kirche geworden ist. Alles ist von Gott. Ob wir daher hinter den geheimnisvollen Vorhang schauen und dort die Lade mit ihrem Deckel und ihren zwei Cherubim betrachten, oder ob wir außerhalb des Vor­hangs den reinen Tisch und den reinen Leuchter mit ihren verschiedenen Gefäßen und Geräten sehen ‑ alles redet zu uns von Gott, als geoffen­bart in Verbindung mit dem Sohn oder dem Heiligen Geist.

Wenn du an den Herrn Jesus als deinen Erretter glaubst, dann bist du dadurch zugleich mit allen diesen herrlichen Wahrheiten verbunden. Dein Platz ist nicht nur inmitten der "Abbilder der Dinge in den Him­meln" (Hebr. 9, 23), sondern inmitten der "himmlischen Dinge selbst". Du hast "Freimütigkeit ... zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu" (Hebr. 10, 19). Du bist ein Priester für Gott. Die Schaubrote ge­hören dir. Dein Platz ist an dem reinen Tisch, um im Licht des Heiligen Geistes die priesterliche Speise zu genießen. Nichts kann dir diese gött­lichen Vorrechte rauben. Sie sind dein für immer. Sei daher wachsam gegen alles, was dir ihren Genuß rauben könnte. Hüte dich vor allen Leidenschaften, vor allen unheiligen Gefühlen und Gedanken! Halte deine alte Natur unter deinen Füßen, halte die Welt draußen, halte Satan fern! Möge der Heilige Geist deine ganze Seele mit Christus er­füllen! Dann wirst du praktisch heilig und immer glücklich sein. Du wirst Frucht tragen, der Vater wird verherrlicht werden, und deine Freude wird völlig sein (Joh. 15, 11).

Kapitel 26

DIE STIFTSHÜTTE

Es folgt nun ein lehrreicher Abschnitt, der eine Beschreibung der Teppiche und Decken der Stiftshütte enthält und uns in diesen Bildern verschiedene Züge des Charakters Christi erkennen läßt. "Und die Woh­nung sollst du aus zehn Teppichen machen; von gezwirntem Byssus und blauem und rotem Purpur und Karmesin, mit Cherubim in Kunst­weberarbeit sollst du sie machen" (V. 1). Hier haben wir den Menschen Christus Jesus, von verschiedenen Seiten aus betrachtet. Der gezwirnte Byssus stellt die fleckenlose Reinheit Seines Wandels und Charakters dar, während der blaue und rote Purpur und das Karmesin Ihn uns als den Herrn vom Himmel zeigen. Dieser Herr sollte nach dem Ratschluß Gottes zwar herrschen, aber Sein Königtum sollte das Ergebnis Seiner Leiden sein. Wir sehen hier also einen fleckenlosen, himmlischen, könig­lichen und leidenden Menschen. Die hier genannten Stoffe sollten nicht nur für die Teppiche der Wohnung verwendet werden, sondern auch für den Vorhang (V. 31), für den Vorhang am Eingang des Zeltes (V. 36), für den Vorhang am Tor des Vorhofs (Kap. 27, 16), und für die Dienst­kleider und die heiligen Kleider Aarons (Kap. 39, 1). In allem war Christus und Christus allein.*)

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*) Der Ausdruck "glänzend und rein" in Offbg. ig, 8 gibt dem Bild, das der Heilige Geist uns in den gezwirnten Byssus vor Augen stellt, besondere Kraft und Schönheit. Es könnte in der Tat kein besser geeignetes Sinnbild der reinen und fleckenlosen Menschheit Jesu geben.

Der gezwirnte Byssus, als Bild der reinen und fleckenlosen Menschheit Christi, gibt uns Anlaß zu einigen wichtigen Gedanken. Die Tatsache der wahren Menschheit Christi muß mit aller Konsequenz und geist­licher Kraft anerkannt, verteidigt und bekannt werden. Irren wir in diesem Punkt, so irren wir in allem. Sie ist eine Fundamentalwahrheit, und wenn sie nicht in der Weise aufgenommen, bewahrt und bekannt wird, wie Gott sie in Seinem heiligen Wort geoffenbart hat, dann wird das ganze darauf ruhende Gebäude baufällig.

Als der Engel der Jungfrau Maria die frohe Botschaft von der Geburt des Heilandes verkündete, fragte sie: "Wie wird dies sein, dieweil ich keinen Mann kenne?" (Luk. 1, 34) Ihr schwaches Verständnis war un­fähig, das wunderbare Geheimnis: "Gott geoffenbart im Fleische" (l. Tim. 3, 16) zu fassen, geschweige denn zu ergründen. Beachten wir die Antwort des Engels an Maria, die zwar unwissend war, aber nicht zweifelte. "Der Heilige Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden" (V. 35). Maria dachte ohne Zweifel, daß diese Geburt nach den gewöhnlichen Grund­sätzen der Natur geschehen sollte. Der Engel aber berichtigt ihren Irr­tum, und indem er das tut, offenbart er eine der größten Wahrheiten. Er erklärte ihr, daß Gott im Begriff war, einen wirklichen Menschen, den zweiten Menschen, den Herrn vorn Himmel (l. Kor. 15, 47), zu bilden ‑ einen Menschen, der von Natur göttlich rein und unfähig war, sich selbst oder andere zu verunreinigen. Dieses heilige Wesen wurde gebildet "in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde" (Röm. 8, 3), aber ohne Sünde im Fleische. Er nahm wirklich Fleisch und Blut an, jedoch ohne irgendwie mit dem Bösen in Verbindung zu kommen, das der ganzen Schöpfung anhaftete.

Dies ist, wie schon gesagt, eine Wahrheit, die wir unbedingt genau ver­stehen und festhalten müssen. Die Fleischwerdung des Sohnes, der zweiten Person in der ewigen Dreieinheit, Sein geheimnisvoller Eintritt in ein reines und fleckenloses Fleisch, gebildet in einer Jungfrau durch die Kraft des Allerhöchsten ‑ das ist die Grundlage des großen Geheim­nisses der Gottseligkeit (1. Tim. 3, 16), dessen Vollendung der verherr­lichte Mensch im Himmel ist, das Haupt, der Vertreter und das Vorbild der erlösten Kirche Gottes. Die Reinheit des Menschen Jesus entsprach vollkommen den Forderungen Gottes und ebenso den Bedürfnissen des Menschen. Er war ein Mensch; denn nur ein Mensch vermochte dem Verderben des Menschen zu begegnen, aber Er war ein Mensch, der allen Forderungen der Herrlichkeit Gottes genügen konnte. Er war ein wahrhaftiger Mensch, aber rein und fleckenlos, ein Mensch, in dem Gott Seine vollkommene Wonne finden und auf den sich der Mensch vorbehaltlos stützen konnte.

Es wird kaum nötig sein, daran zu erinnern, daß alles dieses nutzlos für uns wäre, sobald man es von dem Tod und der Auferstehung tren­nen wollte. Wir brauchen nicht nur einen menschgewordenen, sondern auch einen gekreuzigten und auferstandenen Christus. Allerdings mußte Er ein Mensch sein, um gekreuzigt werden zu können, aber nur Sein Tod und Seine Auferstehung machen Seine Fleischwerdung wirksam für uns. Die Annahme, daß Christus schon durch Seine Fleischwerdung den sündigen Menschen mit sich vereinigt habe, ist nichts als eine schreckliche Irrlehre. Das war unmöglich. Er selbst lehrt gerade das Gegenteil. "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht" (Joh. 12, 24). Es konnte keine Vereinigung geben zwischen sündigen, dem Tod verfallenen Menschen und dem sündlosen Menschen Jesus, über den der Tod keine Macht besaß, so daß Er Sein Leben lassen und es wiedernehmen konnte (vergl. Joh. 10, 18; 14, 30). Der Tod, den Er freiwillig erduldete, ist die einzige Grundlage der Ein­heit zwischen Christus und Seinen erwählten Gliedern. Wir sind "mit ihm einsgemacht worden in der Gleichheit seines Todes". Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, "auf daß der Leib der Sünde abgetan sei" (Röm. 6, 5. 6). "In welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat" (Kol. 2, 11. 12). In den beiden hier angeführten Kapi­teln finden wir eine ausführliche Darstellung der Wahrheit zu diesem wichtigen Thema. Nur als gestorben und auferstanden konnten Chri­stus und die Seinigen "eins" werden (vergl. auch Eph. 1, 2o bis 2, 8). Das wahre Weizenkorn mußte in die Erde fallen und sterben, bevor es Frucht für den Himmel hervorbringen konnte.

So klar wie diese Wahrheit in der Heiligen Schrift ans Licht gestellt ist, ebenso klar ist es auch, daß die Grundlage für das Erlösungswerk die Tatsache ist, daß der Sohn Gottes als sündloser Mensch auf die Erde kam; und die Teppiche von gezwirntem Byssus stellten die Reinheit dieses Menschen Christus Jesus bildlich dar. Wir haben gesehen, wie Er empfangen und geboren wurde (Luk. 1, 26‑38), und wenn wir den ganzen Lauf Seines Lebens verfolgen, begegnen wir immer und überall in Ihm derselben fleckenlosen Reinheit. Er wurde vierzig Tage lang in der Wüste vom Teufel versucht, aber in Seiner reinen Natur gab es nichts, was den listigen Vorschlägen des Versuchers entsprochen hätte. Er konnte einen Aussätzigen oder die Bahre eines Toten anrühren, ohne selbst verunreinigt oder mit dem Geruch des Todes behaftet zu werden. Er lebte in einer Welt tiefsten Verderbens und blieb doch ohne Sünde (Hebr. 4, 15) ‑ ebenso wie ein Sonnenstrahl, der aus der Quelle des Lichts hervorkommt und durch das schmutzigste Fenster dringen kann, ohne selbst verunreinigt zu werden. Er war ganz und gar einzigartig in bezug auf Seine Natur und Seinen Charakter. Keiner außer Ihm hat je sagen können: "Du wirst nicht zugeben, daß dein Frommer die Verwesung sehe" (Ps. 16, 10). Diese Aussage bezieht sich auf Sein Leben als Mensch, das so vollkommen heilig und rein war, daß Er aufgrund dessen fähig war, die Sünde anderer zu tragen. "Wel­cher selbst unsere Sünden an seinem Leibe auf dem Holze getragen hat" (l. Petr. 2, 24). Am Kreuz war Christus der Träger unserer Sünden, und nur dort. "Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde ge­macht, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm" (2. Kor. 5, 21).

Blau ist die Farbe des Himmels. Der "blaue Purpur" deutet daher an, daß Christus, obwohl Er wirklich Mensch war und, die Sünde ausge­nommen, alle Bedingungen des menschlichen Lebens kannte, dennoch stets der Herr vom Himmel (i. Kor. 15, 47) blieb. Obwohl Er ein wahrer Mensch war, lebte Er doch in dem ununterbrochenen Bewußtsein Seiner Würde als ein Fremdling vom Himmel. Nicht einen Augenblick vergaß Er, woher Er gekommen war, wo Er sich befand und wohin Er ging. Die Quelle Seiner Freude war im Himmel. Die Erde konnte Ihn weder reicher noch ärmer machen. Sie war für Ihn ein dürres Land ohne Wasser, und deshalb konnte Seine Seele nur im Himmel Erquickung finden. "Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, als nur der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Him­mel ist" (Joh. 3, 13).

Der "rote Purpur" ist das Zeichen der Königswürde und zeigt uns Ihn als den König der Juden. Als solcher hat Er sich dem jüdischen Volk dargestellt und wurde Er verworfen (Joh. 19, 3); auch vor Pilatus nannte Er sich selbst einen König, als man äußerlich nicht eine Spur königlicher Würde an Ihm zu entdecken vermochte. "Du sagst es, daß ich ein König bin" (Joh. 18, 37). "Und ihr werdet den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Him­mels" (Mark. 14, 62; vgl. Dan. 7, 13). Die Überschrift auf dem Kreuz endlich in hebräischen, griechischen und römischen Buchstaben, d. h. in der Sprache der Religion, der Wissenschaft und der Regierung, ver­kündigte der ganzen Welt, daß "Jesus, der Nazaräer, der König der Juden" sei. Die Erde leugnete zu ihrem Unglück Seine Rechte, aber nicht der Himmel. Hier wurden die Rechte Christi völlig anerkannt. Hier, in den ewigen Wohnungen des Lichts, wurde Er als Sieger empfangen, und, gekrönt mit Herrlichkeit und Ehre, hat Er sich unter dem Jubel himm­lischer Heerscharen auf den Thron der Majestät in der Höhe gesetzt, fortan wartend, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind (vgl. Ps. 2; 110, 1).

"Karmesin" oder "Scharlach", die Farbe des Blutes, weist auf Christus hin, der "für uns im Fleische gelitten hat" (‑1. Petr. 4, 1). Ohne den Tod wäre alles nutzlos gewesen. Wir mögen den "blauen und roten Purpur" mit Bewunderung betrachten, aber ohne den "Scharlach" hätte in der Stiftshütte einer der wichtigsten Aspekte gefehlt. Nur durch den Tod zerstörte Christus den, der die Macht des Todes hatte. Niemals hätte der Heilige Geist uns mit der Stiftshütte ein so treffendes Bild von Christus vor Augen stellen und dabei einen so wichtigen Gedanken übergehen können; denn der Tod Christi ist die Voraussetzung für Seine Vereinigung mit Seinem Leibe, der Kirche, und die Grundlage Seines Anspruchs auf den Thron Davids und auf Seine Herrschaft über die ganze Schöpfung. So zeigt uns der Heilige Geist symbolisch in den Teppichen der Stiftshütte den Herrn Jesus nicht nur als den sündlosen und königlichen Menschen, sondern auch als den Leidenden, der durch den Tod Seine Ansprüche auf alles das geltend machte, wozu Er nach den Ratschlüssen Gottes als Mensch berechtigt war.

Die Teppiche der Stiftshütte sind aber nicht nur der Ausdruck der Voll­kommenheit der Wesenszüge Christi, sondern sie stellen auch die Einheit und Beständigkeit dieser Wesenszüge da. jeder Zug wird in seiner eigenen Vollkommenheit entfaltet; keiner wird durch den anderen beeinträchtigt. Alles war in vollkommenem Einklang vor den Augen Gottes und wurde so dargestellt in dem Muster, das Mose auf dem Berg gezeigt wurde (Kap. 25, 40; Hebr. 8, 5; Apg. 7, 44), sowie in der Nachbildung dieses Musters in der Wüste. "Ein Maß für alle Teppiche. Fünf Teppiche sollen zusammengefügt werden, einer an den anderen, und wieder fünf Teppiche zusammenge­fügt, einer an den anderen" (V. 2. 3). Wir erkennen hierin das richtige Verhältnis und die Übereinstimmung in allen Wegen Christi. In wel­chen Umständen oder in welchem Verhältnis wir Ihn auch betrachten, Er wandelte stets als ein vollkommener Mensch auf dieser Erde. Wenn in Seinem Handeln irgendeiner dieser Wesenszüge zum Ausdruck kam, geschah es niemals auf Kosten der göttlichen Vollkommenheit des anderen. Er war zu jeder Zeit, an jedem Ort und in allen Umständen der vollkommene Mensch. In allen Seinen Wegen gab es nichts, was dieser vollkommenen Ausgewogenheit nicht entsprochen hätte. Es gab nur "Ein Maß für alle Teppiche".

Die Zusammenfügung von zweimal je fünf Teppichen versinnbildlicht vielleicht die beiden Seiten des Charakters Christi, nämlich Sein Handeln Gott und den Menschen gegenüber. Wir finden dieselben beiden Seiten im Gesetz: das, was sich Gott gegenüber geziemt, und das, was man den Menschen schuldig ist. In Christus ist alles vollkommen. Blicken wir in Sein Inneres, so entdecken wir: "Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens" (Ps. 40, 8); betrachten wir Seinen äußeren Charakter und Wandel, finden wir beide Elemente vollkommen und untrennbar mitein­ander verbunden durch die in Ihm wohnende himmlische Gnade und göttliche Kraft.

"Und mache Schleifen von blauem Purpur an den Saum des einen Tep­pichs am Ende, bei der Zusammenfügung; und also sollst du es ma­chen an dem Saume des äußersten Teppichs bei der anderen Zusammen­fügung ... Und mache fünfzig Klammern von Gold, und füge die Teppiche mit den Klammern zusammen, einen an den anderen, so daß die Wohnung ein Ganzes sei" (V. 4‑6). In den "Schleifen von blauem Purpur" und "Klammern von Gold" finden wir eine Darstellung der himmlischen Gnade und göttlichen Kraft in Christus, die Ihn befähig­ten, die Forderungen Gottes und des Menschen zu verbinden und in Einklang zu bringen; beiden entsprach Er völlig, ohne daß für einen Augenblick die Einheit Seines Charakters beeinträchtigt wurde. Wenn listige und heuchlerische Menschen Ihn durch die Frage versuchten "Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht?", so lautete Seine weise Antwort: "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist"( Matth. 22, 17. 21). Und so entsprach Er nicht nur allen Pflichten gegenüber dem Kaiser, sondern auch gegenüber den Menschen in jeder Hinsicht. So wie Er in Seiner vollkommenen Person die Natur Gottes und des Menschen vereinigte, so begegnete Er auch in Seinen voll­kommenen Wegen den Anforderungen Gottes und des Menschen.

Die Teppiche, mit denen wir uns bisher beschäftigten, wurden von anderen "Teppichen aus Ziegenhaar" überdeckt (V. 7‑14). Die Schön­heit der inneren Teppiche wurde durch die Rauheit und Strenge der äußeren verborgen. Im Innern sah man die Decke aus Ziegenhaar nicht. Alle, die das Vorrecht hatten, in das Innere des Heiligtums einzutreten, erblickten nur den blauen und roten Purpur, das Karmesin und den gezwirnten Byssus, diese verschiedenen und dennoch vereinigten Bilder der Herrlichkeiten jener göttlichen Hütte, in der Gott innerhalb des Vor­hangs wohnte, d. h. der Person Christi, durch dessen Fleisch hindurch Seine göttliche Natur in so angenehmer Weise sichtbar wurde, daß der Sünder sie anschauen konnte, ohne durch ihren Glanz geblendet zu werden.

Als der Herr Jesus diese Welt durchschritt, wie wenige erkannten Ihn da wirklich! Wie wenige hatten erleuchtete Augen, um das tiefe Ge­heimnis Seines Charakters durchdringen und schätzen zu können! Wie wenige erblickten den blauen und roten Purpur, das Karmesin und den gezwirnten Byssus! Nur wenn der Glaube einen Menschen in Seine Gegenwart brachte, ließ Er Seine Herrlichkeit hervorstrahlen. Dem na­türlichen Auge erschien Er von einer Zurückhaltung und Strenge zu sein, die in den "Teppichen von Ziegenhaar" treffend vorgebildet wur­den. Dieser Eindruck war die Folge Seiner gänzlichen Absonderung und Zurückhaltung, nicht etwa von den Sündern persönlich, sondern von den Gedanken und Grundsätzen der Menschen. Er hatte mit dem Men­schen als solchem nichts gemein. Auch war der Mensch von Natur aus gar nicht in der Lage, Ihn zu verstehen oder sich Seiner zu erfreuen.

"Niemand", sagte Er, "kann zu mir kommen, es sei denn, daß der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe" (Joh. 6, 44). Und wenn einer von denen, die gezogen wurden, Seinen Namen bekannte, so erklärte Er: "Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist" (Matth. 16, 17). Er war wie ein "Wur­zelsproß aus dürrem Erdreich", der "keine Gestalt und keine Pracht" hatte (Jes. 53, 2), um das Auge des Menschen auf sich zu ziehen oder sein Herz zu befriedigen. Die Volksgunst war nicht auf Seiner Seite, während Er diese eitle Welt durchschritt, in eine "Decke von Ziegen­haar" gehüllt. Jesus war kein volkstümlicher Mann. Die Menge mochte Ihm für einen Augenblick folgen, weil sie durch Seinen Dienst mit "Broten und Fischen" versorgt wurde, aber sie war ebenso bereit, zu schreien: "Hinweg, hinweg! Kreuzige Ihn!" (Joh. ig, 15) wie: "Ho­sanna dem Sohne Davids!" (Matth. 21, 9). Wie wichtig ist es, daß die Christen, die Diener Christi und alle Prediger des Evangeliums diese Dinge im Bewußtsein behalten!

Wenn nun aber die Ziegenfelle die Strenge der Absonderung Christi von der Welt andeuteten, so stellten die "rotgefärbten Widderfelle" (V. 14) Seine gänzliche Weihung und Hingabe für Gott dar, worin Er bis zum Tode ausharrte. Er war der einzige vollkommene Diener, der sich je in dem Weinberg Gottes befand. Er kannte nur ein Ziel, das Er von der Krippe bis zum Kreuz ohne Unterbrechung verfolgte, und dieses Ziel war die Verherrlichung des Vaters und die Vollendung des Werkes, das Er Ihm aufgetragen hatte. Schon als Kind sagte Er: "Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?" (Luk. 2, 49). Seine Speise war, den Willen dessen zu tun, der Ihn ge­sandt hatte, und Sein Werk zu erfüllen (Joh. 4, 34). Die "rotgefärbten Widderfelle" kennzeichneten, wenn wir so sagen dürfen, ebenso deut­lich Sein Verhalten wie die "Teppiche von Ziegenhaar". Seine vollkom­mene Hingabe an Gott trennte Ihn von den Gewohnheiten der Men­schen.

Die "Dachsfelle" (V. 14) scheinen mir die Wachsamkeit zu bezeichnen, mit der der Herr Jesus jede Annäherung des Feindes beobachtete, der Ihn von der Verwirklichung Seines Lebensziels abbringen wollte. Er nahm Seine Stellung für Gott ein und behauptete sie mit einer Beharr­lichkeit, die durch keine Einflüsse der Menschen oder der Teufel, der Erde oder der Hölle überwältigt werden konnte. Die Dachsfelldecke hing über der Decke von Widderfellen, und daraus erkennen wir, daß der hervorragendste Zug im Charakter des Menschen Christus Jesus der unerschütterliche Entschluß war, ein Zeuge für Gott auf Erden zu sein. Er war der wahre Naboth, der eher Sein Leben hingab, als daß Er die Wahrheit Gottes verleugnete oder das aufgab, wofür Er in diese Welt gekommen war.

Die Ziege, der Widder und der Dachs müssen als Symbole gewisser na­türlicher Züge, aber auch moralischer Eigenschaften betrachtet werden; und es ist nötig, bei der Anwendung dieser Bilder auf den Charakter Jesu beiden Seiten Rechnung zu tragen. Die Menschen vermochten nur die natürlichen Züge zu erkennen und entdeckten nichts von der inneren Gnade, Schönheit und Würde, die hinter der äußeren Erscheinung des verachteten und demütigen Jesus von Nazareth verborgen waren. Wenn Er in Seinen Reden Seine himmlische Weisheit zu erkennen gab, so fragte man: "Ist dieser nicht der Zimmermann?" (Mark. 6, 3) oder: "Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?" (Joh. 7, 15). Und wenn Er Seine ewige Sohnschaft und Gottheit behauptete, so hieß es: "Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt!" oder "sie hoben Steine auf, damit sie auf ihn würfen" (Joh. 8, 57. 59). Mit einem Wort, das Bekenntnis der Pharisäer: „von diesem wissen wir nicht, woher er ist" (Joh. 9, 29) traf auch auf die Menschen im allgemeinen zu.

Es ist im Rahmen dieses Buches nicht möglich, die Offenbarung der Charakterzüge Jesu in den Evangelien weiter zu verfolgen. Das bereits Gesagte möge hier genügen, um den Leser zu weiterem Nachdenken anzuregen und ihm eine schwache Vorstellung von dem Reichtum zu geben, der in den Teppichen und Vorhängen der Stiftshütte enthalten ist. Das verborgene Wesen Christ!, Seine inneren Beweggründe und Seine Vollkommenheit, Seine äußere, den Menschen nicht anziehende Gestalt, das, was Er in sich selbst, was Er für Gott und für die Men­schen war, was der natürliche Mensch und was der Glaube von Ihm hielt ‑ alles das wird dem Auge, das zu sehen vermag, in den Teppi­chen von blauem und rotem Purpur, Karmesin und gezwirnten Byssus, sowie in den Decken von Fellen in lieblicher und doch eindringlicher Weise gezeigt.

Die Bretter zu der Wohnung" (V. 15) bestanden aus demselben Holz, aus dem die Bundeslade gemacht war, und ruhten außerdem auf Füßen, die ebenso wie ihre "Haken und Köpfe" aus Silber verfertigt waren, das von Sühnung sprach (vgl. sorgfältig Kap. 30, 11‑16 mit Kap. 38, 25‑28). Das ganze Zimmerwerk der Stiftshütte ruhte also auf einem Material, das von Sühnung und Lösegeld redete, während die "Haken und Köpfe" denselben Gedanken fortsetzten. Die Füge standen in dem Sand der Wüste, die Haken und Köpfe waren oben. Ob wir also in die Tiefe oder in die Höhe sehen ‑ überall begegnen wir der ewigen und herrlichen Wahrheit: "Ich habe eine Sühnung gefunden" (Hiob 33, 24). Gott sei gepriesen! wir sind erlöst, "nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold ... sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken" (l. Petr. 1, 18. 19).

Die Stiftshütte war in drei verschiedene Teile gegliedert, nämlich in das "Allerheiligste", das "Heilige" und den "Vorhof". Der Eingang zu jedem dieser Teile bestand aus denselben Stoffen: aus "blauem und rotem Purpur und Karmesin und gezwirntem Byssus" (vgl. Kap. 26, 31. 36 mit Kap. 27, 16). Die Erklärung dieser Einrichtung ist einfach: Christus ist die einzige Tür, durch die man eintreten kann in die verschiedenen Bereiche der Herrlichkeit, die auf der Erde, im Himmel oder in den Himmeln der Himmel noch geoffenbart werden soll. "jede Familie in den Himmeln und auf Erden" (Eph. 3, 15) wird unter die Autorität Christi gestellt werden, und Menschen aus allen Geschlechtern der Erde werden aufgrund Seines vollbrachten Versöhnungswerkes in ewige Glückseligkeit und Herrlichkeit eingehen. Das ist klar und kann leicht verstanden werden. Wenn wir die Wahrheit kennen, dann ist ihre bild­liche Darstellung leicht zu erfassen. Wenn nur unsere Herzen mit Chri­stus erfüllt sind, werden wir bei der Erklärung der Stiftshütte und ihrer Geräte nicht so leicht auf Irrwege geraten. Weder vieles Wissen noch ein scharfer, kritischer Verstand sind hier in erster Linie von Nutzen, sondern ein mit Liebe zu Christus erfülltes Herz und ein Gewissen, das in dem Blut des Kreuzes Frieden gefunden hat.

Kapitel 27

DER VORHOF UND DER EHERNE ALTAR

Wir kommen nun zum Ende dieses Abschnittes (Kap. 25, 1 bis 27, 19), in dem die Einrichtung und Anordnung des Heiligtums beschrieben wird. Wenn man die Reihenfolge der Darstellung, die der Heilige Geist in diesem Abschnitt gewählt hat, vergleicht mit Kap. 35, '15, Kap. 37, 25 und Kap. 40, 26, so findet man, daß in allen diesen Stellen der goldene Räucheraltar zwischen dem Leuchter und dem ehernen Altar erwähnt wird, während hier der eherne Altar unmittelbar nach dem Leuchter und den Teppichen kommt. Da es nun eine Ursache für diese Verschiedenheit geben muß, so ist es für jeden denkenden Leser des Wortes gewiß der Mühe wert, nach dieser Ursache zu forschen.

Warum also läßt Gott, wenn Er Seine Anweisungen über die Geräte des Heiligtums gibt, den Räucheraltar zunächst außer Betracht und geht unmittelbar zu dem ehernen Altar über, der vor der Tür der Wohnung stand? Die Ursache ist nach meiner Meinung folgende: Er beschreibt zu­nächst die Weise, in der Er sich dem Menschen offenbaren wollte, und dann belehrt Er uns über die Weise, in der der Mensch Ihm nahen soll. Er nahm als "Herr der ganzen Erde" (los. 3, 11) Seinen Platz ein auf dem Thron im Allerheiligsten. Seine Herrlichkeit war hinter dem Vor­hang, dem Bild des Fleisches Christi (Hebr. 10, 20), verborgen, aber schon der Tisch mit den Schaubroten kündigte die Offenbarung Seiner selbst an, in Verbindung mit dem Menschen und durch das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes, bildlich dargestellt in dem goldenen Leuchter. Dann folgt, vorgebildet in den Vorhängen und Teppichen, der geoffenbarte Charakter Christi, der als Mensch auf die Erde kommen sollte. Und schließlich erblicken wir in dem ehernen Altar sinnbildlich den Platz, wo der heilige Gott und der sündige Mensch sich begegnen konnten. Wir haben auf diese Weise sozusagen den äußersten Punkt erreicht, von dem aus wir uns, in Begleitung Aarons und seiner Söhne, zum Heiligtum zurückwenden, wo der goldene Räucheraltar stand, und wo sie als Priester ihren alltäglichen Platz hatten. Diese Reihenfolge ist beachtenswert. Von dem goldenen Altar ist nicht eher die Rede, als bis ein Priester da ist, um den Weihrauch auf ihm anzuzünden, denn der HERR zeigte Mose die Abbilder der Dinge in den Himmeln in der Reihenfolge, in der sie durch den Glauben erfaßt werden sollen. Wenn aber Mose der Gemeinde Anweisungen erteilt (Kap. 35), wenn er die Arbeiten des "Bezaleel" und des "Oholiab" (Kap. 37 und 38) bezeichnet, oder wenn er die Wohnung aufrichtet (Kap. 40), so folgt er einfach der Ordnung, in der die Geräte wirklich aufgestellt wurden.

Betrachten wir jetzt den ehernen Altar etwas näher. Dieser Altar war der Platz, wo der Sünder in der Kraft und Wirkung des Blutes der Ver­söhnung Gott nahte. Er stand "an dem Eingang der Wohnung des Zeltes der Zusammenkunft", und auf ihm wurde alles Blut der Opfer vergossen. Er bestand aus Akazienholz und Erz. Das Holz war also das gleiche wie bei dem goldenen Räucheraltar, das Metall aber war verschieden. Die Ursache dieser Verschiedenheit ist einleuchtend. Der eherne Altar war der Ort, wo die Frage der Sünde behandelt wurde, und zwar nach dem Urteil, das Gott über sie fällte. Der goldene Räu­cheraltar hingegen war der Ort, wo der Wohlgeruch der Vortrefflichkeit Christi zum Thron Gottes emporstieg. Das "Akazienholz", als das Bild der Menschheit Christi, mußte in jedem Fall gleich sein. Aber in dem ehernen Altar erblicken wir Christus, wie Er dem Feuer der göttlichen Gerechtigkeit begegnet, während in dem goldenen Altar das vollkom­mene Wohlgefallen Gottes an Ihm zum Ausdruck kommt. Auf dem einen wurde das Feuer des Zornes Gottes ausgelöscht, auf dem anderen das Feuer des priesterlichen Gottesdienstes angezündet. Zwar kann der Gläubige in dem einen wie in dem anderen Christus sehen, aber der eherne Altar entspricht den Bedürfnissen eines schuldigen Gewissens, und das ist es, was ein kraftloser, überführter Sünder zu allererst nötig hat. Man kann keinen beständigen Frieden des Gewissens haben, so­lange man nicht im Glauben auf Christus, als dem Gegenbild des ehernen Altars, ruht. Ich muß meine Sünde durch das Feuer des Gerichts zu Asche verbrannt sehen, bevor ich wahre Ruhe des Gewissens in der Gegenwart Gottes genießen kann. Wenn ich durch den Glauben an das Zeugnis Gottes weiß, daß Gott selbst meine Sünde in der Person Christi, dem ehernen Altar, gerichtet, daß Er selbst allen Seinen gerechten For­derungen Genüge geleistet, und daß Er meine Sünde aus Seiner heiligen Gegenwart für immer entfernt hat, erst dann, und nur dann kann ich mich eines göttlichen und ewigen Friedens erfreuen.

Es mag an dieser Stelle noch ein Hinweis auf die Bedeutung des Goldes und des Erzes an den Geräten der Wohnung von Nutzen sein. "Gold" ist das Symbol der göttlichen Gerechtigkeit oder der göttlichen Natur in dein Menschen Christus Jesus. "Erz" ist das Symbol der Gerechtigkeit, die das Gericht über die Sünde fordert, wie in dem ehernen Altar, und das Gericht über die Unreinigkeit, wie in dem ehernen Becken (Kap. 30, 18). Deshalb mußte im Inneren der Wohnung alles von Gold sein: die Lade, der Gnadenstuhl, der Tisch, der Leuchter und der Räucher­altar. Alle diese Dinge waren ausnahmslos Bilder der göttlichen Natur, der inneren persönlichen Vollkommenheit des Herrn Jesus. Anderseits war außerhalb des Zeltes der Wohnung alles von Erz: der Altar und seine Geräte, das Becken und sein Gestell. Die Forderungen der Ge­rechtigkeit Gottes in bezug auf Sünde und Ungerechtigkeit müssen er­füllt sein, bevor die Geheimnisse der Person Christi, wie sie im Innern des Heiligtums Gottes entfaltet sind, irgendwie genossen werden kön­nen. Erst dann, wenn ich jede Sünde vollkommen gerichtet und abge­waschen sehe, kann ich als Priester ins Heiligtum eintreten und dort anbeten ‑ angesichts der Offenbarung der Schönheit und Vollkom­menheit des Menschen Christus Jesus, der zugleich der Sohn Gottes ist.

Es wird für den Leser von Nutzen sein, diesen Gedanken nicht nur bei der Betrachtung der Stiftshütte und des Tempels, sondern auch in ver­schiedenen Stellen des Wortes weiter zu verfolgen. So z. B. sehen wir Christus im ersten Kapitel der Offenbarung "an der Brust umgürtet mit einem goldenen Gürtel" und "seine Füße gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen". Der goldene Gürtel ist das Symbol Seiner persönlichen Gerechtigkeit, während die "Füße gleich glänzendem Kup­fer" auf die göttliche Gerechtigkeit in ihrem unerbittlichen Gericht über das Böse hinweisen. Gott kann das Böse nicht dulden, Er muß es mit Seinen Füßen zertreten.

Das ist der Christus, mit dem wir es zu tun haben. Er richtet die Sünde, aber Er rettet den Sünder. Der Glaube sieht auf dem ehernen Altar die Sünde zu Asche verbrannt; er sieht in dem ehernen Becken alle Unrei­nigkeit hinweggewaschen, und endlich genießt er durch das Licht und die Macht des Heiligen Geistes Christus, so wie Er geoffenbart ist, in der geheimnisvollen Stille der Gegenwart Gottes. Er findet Ihn in dem goldenen Altar in dem ganzen Wert Seiner Fürsprache. Er nährt sich von Ihm an dem goldenen Tisch. Er erkennt in der Lade und in dem Gnadenstuhl den, der alle Forderungen des gerechten Gottes befriedigt und zugleich allen Bedürfnissen des Menschen entsprochen hat. Er sieht Ihn in den Teppichen und Vorhängen mit ihren geheimnisvollen Bildern. Er liest überall Seinen wunderbaren Namen. 0 möchten wir Herzen haben, um einen so unvergleichlichen, herrlichen Christus zu preisen und zu würdigen!

Es ist außerordentlich wichtig, über die bildliche Bedeutung des ehernen Altars und über die Lehre, die der Heilige Geist uns in ihm gibt, ein klares Verständnis zu haben. Der Mangel an Klarheit in dieser Sache ist der Grund dafür, daß so viele Kinder Gottes ihres Lebens nicht froh werden. Die Frage ihrer Schuld ist für sie niemals völlig in Ordnung gebracht worden. Sie haben noch nie durch den Glauben wirklich er­kannt, daß Gott selbst diese Frage auf dem Kreuz für immer geordnet hat. Sie suchen Frieden für ihr beunruhigtes Gewissen in den Beweisen ihrer Wiedergeburt, in den Früchten des Geistes, in ihren Neigungen, Gefühlen und Erfahrungen ‑ kurz, in Dingen, die an und für sich sehr schätzenswert sind, die aber nie die Grundlage des Friedens bilden kön­nen. Nur die Erkenntnis dessen, was Gott an dem ehernen Altar getan hat, kann der Seele vollkommenen Frieden geben. Die Asche auf dem Altar verkündigt mir die glückselige Botschaft, daß alles vollbracht ist. Die Sünden des Gläubigen sind alle durch Gott selbst in Seiner erlösen­den Liebe ausgelöscht worden. "Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm" (2. Kor. 5, 21). Jede Sünde muß gerichtet werden, aber die Sünden des Gläubigen sind bereits auf dem Kreuz gerichtet worden. Deshalb steht er vollkommen gerechtfertigt da. Die Annahme, daß noch irgend­etwas gegen den schwächsten Gläubigen sein könnte, wäre eine Ver­leugnung des ganzen Werkes am Kreuz. Der Tod des fleckenlosen Lammes hat alle Sünden und Vergehungen des Gläubigen für immer hinweggetan.

Kapitel 28 und 29

DAS PRIESTERTUM

Diese beiden Kapitel stellen uns ein neues interessantes Thema vor Augen: den Dienst und den Wert des Priestertums.

Mit dem Priestertum Aarons hatte Gott Vorsorge für das Volk getrof­fen, das in sich selbst fern von Ihm stand und jemanden brauchte, der seinetwegen beständig in der Gegenwart Gottes erschien. In Hebr. 7 werden wir belehrt, daß diese Ordnung des Priestertums mit dem "Gesetz eines fleischlichen Gebots" (V. 16) in Verbindung stand, daß es viele solcher Priester gab, weil "sie durch den Tod verhindert waren zu bleiben" (V. 23), und daß diese Priester selbst Schwachheiten hatten (V. 28). Dieses Priestertum konnte daher nicht zur Vollkommenheit füh­ren, und wir haben deshalb Ursache, Gott zu danken, daß es "ohne Eidschwur" (V. 20) eingeführt worden ist. Der Eidschwur Gottes konnte nur mit einer Sache in Verbindung stehen, die für immer bleiben sollte: mit dem vollkommenen, unvergänglichen, unübertragbaren Priestertum unseres großen und herrlichen Melchisedek, der sowohl Seinem Opfer als auch Seinem Priestertum den ganzen Wert, die ganze Würde und Herrlichkeit Seiner unvergleichlichen Person verleiht. Dieser Gedanke, daß wir ein solches Opfer und einen solchen Hohenpriester haben, muß in unseren Herzen tiefe Dankbarkeit wachrufen.

In Kapitel 28 ist von Kleidern und in Kapitel 29 von Opfern die Rede. Die ersteren stehen mehr mit den Bedürfnissen des Volkes, die letzte­ren mit den Ansprüchen Gottes in Verbindung. Die Kleider weisen auf die Aufgaben und besonderen Merkmale des priesterlichen Dienstes hin. Das "Ephod" war das Hauptstück der priesterlichen Bekleidung. Es war mit den beiden Schulterstücken und dem Brustschild untrennbar ver­bunden. Dies lehrt uns deutlich, daß die Stärke der Schulter des Priesters und die Zuneigung seines Herzens ganz und gar den Interessen derer gewidmet waren, die er vertrat und derentwegen er das Ephod trug. Und was hier in Aaron bildlich dargestellt wird, ist in Christus verwirklicht. Seine Allmacht und Seine unendliche Liebe sind unser ewiges, un­bestreitbares Teil. Die Schulter, die das ganze Weltall trägt, hält auch das schwächste und unwissendste Glied der mit Blut erkauften Gemeinde aufrecht. Das Herz Jesu schlägt mit unveränderlicher Zuneigung und mit ewiger, unermüdlicher Liebe für das am wenigsten geachtete Glied der erlösten Gemeinde. Welch ein unendlich tröstlicher Gedanke für jeden von uns!

Die Namen der zwölf Stämme wurden, eingegraben in kostbare Steine, sowohl auf den Schultern als auch auf der Brust des Hohenpriesters ge­tragen (siehe V. 9‑12, 15‑29). Der Glanz eines Edelsteines tritt um so stärker hervor, je heller das Licht ist, das auf ihn fällt. Die zwölf Stämme, die kleinsten wie die größten, wurden beständig auf der Brust und den Schultern Aarons vor dem Herrn getragen. In der Gegenwart Gottes wurde jeder einzelne Stamm in dem ungetrübten Glanz und der unwandelbaren Schönheit erhalten, die der Stellung geziemten, in die die vollkommene Gnade des Gottes Israels ihn versetzt hatte. Das Volk wurde durch den Hohenpriester vor Gott vertreten. Was auch immer die Schwachheiten, die Irrtümer oder Fehler der Kinder Israel sein mochten, ihre Namen glänzten allezeit auf dem Brustschild in unvergänglichem Glanz. Der HERR hatte ihnen diesen Platz angewiesen. Wer hätte sie von dort vertreiben können? Wer hätte in das Heiligtum dringen kön­nen, um den Namen eines der Stämme Israels von der Brust Aarons zu entfernen? Wer hätte den Glanz beeinträchtigen können, der diese Namen da, wo Gott sie hingesetzt hatte, umgab? Kein Feind konnte sie dort angreifen, nichts Böses sie beeinflussen.

Wie ermutigend und tröstlich ist für die geprüften, versuchten, umher­geworfenen und oft so schwachen Kinder Gottes der Gedanke, daß Gott sie nur auf dem Herzen Jesu sieht! Vor Seinen Augen erscheinen sie beständig in der Vortrefflichkeit Christi. Die Welt kann sie natürlich so nicht sehen, aber Gott sieht sie so, und darin liegt der ganze Unter­schied. Wenn die Menschen die Kinder Gottes betrachten, dann sehen sie ihre Mängel und Schwachheiten. Sie sind unfähig, weiter zu sehen, und darum ist ihr Urteil immer einseitig und damit falsch. Sie können die kostbaren Steine nicht sehen, in die Gott in Seiner unveränderlichen Liebe die Namen der Erlösten eingegraben hat. Allerdings müssen die Christen äußerst wachsam sein, um der Welt keinen gerechten Anlaß

zum Tadeln zu geben, sie sollten versuchen, "durch Gutestun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen" zu bringen (l. Petr. 2, 15). Würden sie nur durch die Kraft des Heiligen Geistes die wunderbare Stellung erfassen, in der sie ununterbrochen vor den Augen Gottes stehen, dann würden sie sicher auch vor den Augen der Menschen ein Leben in praktischer Heiligkeit, moralischer Reinheit und Erhabenheit führen. Je mehr wir durch den Glauben die Wahrheit und unsere Stellung in Christus erkennen, um so intensiver wird unsere praktische Lebensführung sein, und um so stärker wird unser Charak­ter davon geprägt werden.

Aber, Gott sei Dank! wir haben es nicht mit dem Urteil der Menschen, sondern mit dem Urteil Gottes zu tun, und in Seiner Barmherzigkeit zeigt Er uns unseren großen Hohenpriester, der beständig unser Gericht vor Gott auf seinem Herzen trägt (V. 30). Das verleiht uns einen tiefen, dauernden Frieden, der durch nichts erschüttert werden kann. Unsere Mängel und Versäumnisse mögen uns beständig vor Augen sein und wir mögen darüber manchmal so betrübt sein, daß wir kaum den Glanz der kostbaren Steine erkennen, in die unsere Namen eingegraben sind. Aber trotzdem sind sie da; Gott sieht sie, und das ist genug. Er wird verherrlicht durch ihren Glanz, der allerdings nicht von uns herrührt, sondern von Gott selbst geschenkt ist. In uns war nichts als Finsternis, Unreinigkeit und Häßlichkeit. Gott hat uns Licht, Glanz und Schönheit gegeben und Ihm allein gebührt Dank und Lob in Ewigkeit!

Der "Gürtel" ist das bekannte Symbol des Dienens, und Christus ist der vollkommene Diener geworden, indem Er die Ratschlüsse der Liebe Gottes und ebenso die tiefen und vielfältigen Bedürfnisse Seines Volkes erfüllt hat. In völliger Ergebenheit, die durch nichts beeinträchtigt wer­den konnte, hat Er sich für Sein Werk gegürtet, und wenn der Gläubige den Sohn Gottes so gegürtet sieht, dann erkennt er, daß für Ihn keine Schwierigkeit zu groß sein kann. Außerdem sehen wir in diesem Bilde, daß alle Tugenden und Herrlichkeiten Christi, die Er als Gott und als Mensch hat, voll und ganz auch in Seinem Charakter als Diener zum Ausdruck kommen. "Und der gewirkte Gürtel, womit es angebunden wird, der darüber ist, soll von gleicher Arbeit mit ihm sein, von glei­chem Stoffe: von Gold, blauem und rotem Purpur und Karmesin und gezwirntem Byssus" (V. 8). Das muß allen unseren Bedürfnissen und Wünschen genügen. Nicht nur erblicken wir Christus als das geschlach­tete Opfer an dem ehernen Altar, sondern auch als den gegürteten Hohenpriester über das Haus Gottes. Der Apostel mag daher wohl sagen: "Laßt uns hinzutreten" ‑ "laßt uns festhalten" ‑ laßt uns auf einander acht haben" (Hebr. 10, 19‑24)!

„Und lege in das Brustschild des Gerichts die Urim und die Thummim, daß sie auf dem Herzen Aarons seien, wenn er vor dem HERRN hin­eingeht; und Aaron soll das Gericht der Kinder Israel auf seinem Herzen tragen vor dem HERRN beständig (V. 30). Aus verschiedenen Stellen des Wortes Gottes wissen wir, daß die Urim bei der Erkundung der Gedanken Gottes über verschiedene Probleme, die sich im Laufe der Geschichte Israels ergaben, eine wichtige Rolle spielten. So lesen wir z. B. bei der Ernennung Josuas zum Führer des Volkes die Worte: "Und er soll vor Eleasar, den Priester, treten, und der soll für ihn das Urteil der Urim vor dem HERRN befragen" (4. Mose 27, 21). Auch sprach Mose zu Levi: "Deine Thummim und deine Urim (deine Vollkommen­heiten und deine Lichter), sind für deinen Frommen ... Sie werden Ja­kob lehren deine Rechte, und Israel dein Gesetz" (5. Mose 33, 8‑10). "Und Saul befragte den HERRN; aber der HERR antwortete ihm nicht, weder durch Träume, noch durch die Urim, noch durch die Propheten" (1. Sam. 28, 6). "Und der Tirsatha sprach zu ihnen, daß sie von dem Hochheiligen nicht essen dürften, bis ein Priester für die Urim und die Thummim aufstände" (Esra 2, 63). Wir finden also, daß der Hohe­priester nicht nur das Gericht der Versammlung vor dem HERRN trug, sondern daß er auch das Urteil des HERRN der Versammlung mitteilte. Das war ein sehr wichtiger und feierlicher Dienst. Alles das aber be­sitzen wir in göttlicher Vollkommenheit in unserem "großen Hohen­priester .... der durch die Himmel gegangen ist" (Hebr. 4, 14). Er trägt das Gericht Seines Volkes beständig auf Seinem Herzen, und Er teilt uns durch den Heiligen Geist die Gedanken Gottes über die kleinsten Fragen unseres täglichen Lebens mit. Wir sind nicht auf Träume oder Gesichte angewiesen; wenn wir uns nur durch den Geist Gottes leiten lassen, dann wird unser großer Hoherpriester uns die gleiche praktische Gewißheit geben, die Er den Israeliten durch die Urim gab.

"Und mache das Oberkleid des Ephods ganz von blauem Purpur ... Und an seinen Saum mache Granatäpfel von blauem und rotem Purpur und Karmesin, an seinen Saum ringsum, und Schellen von Gold zwi­schen ihnen ringsum: eine Schelle von Gold und einen Granatapfel, eine Schelle von Gold und einen Granatapfel an den Saum des Ober­kleides ringsum. Und Aaron soll es anhaben, um den Dienst zu ver­richten, daß sein Klang gehört werde, wenn er ins Heiligtum hineingeht vor dem HERRN, und wenn er hinausgeht, daß er nicht sterbe­(V. 31‑35). Das blaue Oberkleid ist das Sinnbild des ganz und gar himmlischen Charakters unseres großen Hohenpriesters. Er ist in die Himmel eingegangen und für Menschen nicht wahrnehmbar. Aber durch die Kraft des Heiligen Geistes gibt es ein göttliches Zeugnis von dieser Tatsache, daß Er in der Gegenwart Gottes lebt ‑ und nicht nur ein Zeugnis, sondern auch Frucht: "eine Schelle von Gold und ein Granat­apfel, eine Schelle von Gold und ein Granatapfel". Das ist eine wunder­bare Ordnung: ein treues Zeugnis für die große Wahrheit, daß Jesus allezeit lebt um sich für uns zu verwenden, wird immer auch mit Fruchtbarkeit in Seinem Dienst verbunden sein.

"Und mache ein Blech von reinem Golde und stich darauf mit Siegel­stecherei: Heiligkeit dem HERRN! Und tue es an eine Schnur von blauem Purpur; und es soll an dem Kopfbunde sein, an der Vorderseite des Kopfbundes soll es sein. Und es soll auf der Stirn Aarons sein, und Aaron soll die Ungerechtigkeit der heiligen Dinge tragen, welche die Kinder Israel heiligen werden, bei allen Gaben ihrer heiligen Dinge; und es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN" (V. 36‑38). Hier haben wir einen weiteren wichtigen Ge­danken. Das goldene Blech an der Stirn Aarons war ein Bild der Heilig­keit des Herrn Jesus. "Es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohl­gefallen für sie vor dem HERRN". Welch eine Ruhe gibt das dem Her­zen mitten in all der Unbeständigkeit unserer eigenen Erfahrung! Unser großer Hoherpriester ist "beständig" in der Gegenwart Gottes für uns. Wir werden durch Ihn vertreten und sind in Ihm angenehm ge­macht. Seine Heiligkeit ist die unsrige. je klarer wir unsere persönliche Unreinigkeit und Schwachheit erkennen, je gründlicher wir die demüti­gende Erfahrung machen, daß in uns nichts Gutes wohnt, um so mehr werden wir mit Anbetung erfüllt und den Gott aller Gnade für die tröstende Wahrheit preisen, die in den Worten enthalten ist: "Es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN".

Manche Gläubige sind so sehr mit ihren eigenen Fehlern, mit ihrer Gleichgültigkeit und Unzufriedenheit beschäftigt, daß sie durch Zweifel und ständige Schwankungen in ihrem geistlichen Zustand beunruhigt werden. Sollte einer der Leser zu diesen Gläubigen gehören, so möge er immer an die wunderbare Wahrheit denken, daß sein großer Hoher­priester ihn vor dem Thron Gottes vertritt.

„Und den Söhnen Aarons sollst du Leibröcke machen und sollst ihnen Gürtel machen, und hohe Mützen sollst du ihnen machen zur Herrlich­keit und zum Schmuck ... Und mache ihnen Beinkleider von Linnen, um das Fleisch der Blöße zu bedecken ... Und Aaron und seine Söhne sollen sie anhaben, wenn sie in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen, oder wenn sie dem Altar nahen' um den Dienst im Heiligtum zu verrichten, daß sie nicht eine Ungerechtigkeit tragen und sterben" (V. 40. 42. 43). Hier sehen wir in Aaron und seinen Söhnen Christus und die Kirche ‑bekleidet mit derselben göttlichen und ewigen Gerechtigkeit. Die Prie­sterkleider Aarons sind der Ausdruck der persönlichen und ewigen Eigenschaften Christi, während die Leibröcke und Mützen der Söhne Aarons die erhabene Stellung andeuten, in die die Kirche aufgrund ihrer Verbindung mit dem Haupt der priesterlichen Familie versetzt ist.

So sehen wir in allen Einzelheiten dieses Kapitels, mit welcher Sorgfalt Gott den Bedürfnissen Seiner Erlösten entgegenkommt. Er stellt ihnen Christus als den Hohenpriester vor Augen, der bereit war, vor Gott für sie einzutreten ‑ und zwar entsprechend ihrem wirklichen Zustand in den Augen Gottes, wie er in den verschiedenen Gewändern zum Aus­druck kommt. Das Volk konnte den Hohenpriester von Kopf bis Fuß betrachten und sich überzeugen, ob alles dem auf dem Berge ge­zeigten Muster entsprach; und dann konnte es sicher sein, daß sowohl den eigenen Bedürfnissen, als auch den Ansprüchen Gottes völlig genügt wurde.

Es mag hier noch ein anderer Gesichtspunkt erwähnt werden, der zwar erst in Kapitel 39 näher entwickelt wird, der aber doch bei der Betrach­tung der Priesterkleidung bedeutsam ist: die Verwendung des Goldes bei der Anfertigung der Gewänder Aarons. "Und sie plätteten Gold­bleche, und man zerschnitt sie zu Fäden, zum Verarbeiten unter den blauen und unter den roten Purpur und unter den Karmesin und unter den Byssus, in Kunstweberarbeit" (Kap. 39, 3). Wir haben gesehen, daß der blaue und rote Purpur, das Karmesin und der gezwirnte Byssus die verschiedenen Seiten der Menschheit Christi darstellen, während das Gold Seine göttliche Natur andeutet. Die Fäden von Gold wurden so kunstvoll unter die übrigen Stoffe gewirkt, daß sie untrennbar mit ihnen verbunden, aber doch nach wie vor völlig verschieden von ihnen waren. Dieses Bild wirft wieder ein neues Licht auf den Charakter des Herrn Jesus. Bei verschiedenen Begebenheiten, von denen die Evangelisten berichten, tritt uns diese wunderbare Verbindung der Menschheit und Gottheit Christi und zugleich ihre geheimnisvolle Verschiedenheit entgegen.

Betrachten wir z. B. Christus auf dem See Genezareth. Mitten im Sturm war Er auf einem Kopfkissen eingeschlafen (Mark. 4, 38). Daran er­kennen wir, daß Er als Mensch allen menschlichen Bedürfnissen unter­worfen war. Aber einen Augenblick später offenbart Er sich als der unumschränkte Beherrscher des Weltalls, indem Er den Wind und den See beruhigt. Da ist keine Anstrengung, kein Hasten, keine Vorberei­tung bei Ihm zu bemerken. Sein Ruhen als Mensch ist nicht natürlicher als Seine Tätigkeit als Gott. Beides offenbart Er in vollkommener Weise.

Oder betrachten wir Ihn in Matth. 17, wo die Einnehmer der Tempel­steuer sich mit der Frage an Petrus wenden: "Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen?" Als Gott der Höchste, der Himmel und Erde be­sitzt (l. Mose 14, 22), beansprucht Er die Schätze des Ozeans als Sein Eigentum (Ps. 50, 12; 24, 1; Hiob 41, 2); und nachdem Er bewiesen hat, daß das Meer Sein ist, und daß Er es gemacht hat (Ps. 95, 5), wen­det Er sich um und zeigt wiederum Seine vollkommene Menschheit, indem Er sich mit Seinem armen Diener verbindet: "Den nimm und gib ihnen für mich und dich" (Matth. 17, 27). Gnadenreiche Worte ‑ be­sonders, wenn man sie in Verbindung mit dem Wunder betrachtet, das in so eindrucksvoller Weise die Gottheit dessen offenbarte, der sich so tief zu einem armen, schwachen Menschen herabließ. Werfen wir ferner einen Blick auf unseren Herrn am Grab des Lazarus (Joh. 11). Er seufzt und weint, und diese Seufzer und Tränen sind der Ausdruck eines voll­kommenen menschlichen Herzens, das wie kein anderes diese Erde als eine Wüste empfand, in der die Sünde so schreckliche Früchte hervor­gebracht hatte. Dann aber ruft Er als der Allmächtige, der "die Schlüssel des Todes und des Hades" hat (Offbg. 1, 18), und der selbst die Auf­erstehung und das Leben ist: "Lazarus, komm heraus!" Und der Tod muß diese Autorität anerkennen und seinen Gefangenen herausgeben (Joh. 11, 43).

Der Leser wird sich ohne Mühe noch an andere Beispiele aus den Evan­gelien erinnern, in denen diese Verbindung der goldenen Fäden mit dem blauen und roten Purpur, dem Karmesin und dem gezwirnten Byssus, d. h. die Verbindung der Gottheit mit der Menschheit in der ge­heimnisvollen Person des Sohnes Gottes hervortritt. Dieser Gedanke ist nicht neu und ist schon mehrfach von einsichtsvollen Erforschern der Schriften des Alten Testaments hervorgehoben worden. Es ist aber von Nutzen, sich dieser Tatsache immer wieder bewußt zu werden, daß der Herr Jesus wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch war. Der Heilige Geist hat "in Kunstweberarbeit" die Gottheit und Menschheit miteinan­der vereinigt und sie dem erneuerten Geist des Gläubigen vorgestellt.

Werfen wir jetzt, bevor wir diesen Abschnitt verlassen, noch einen Blick auf Kapitel 29. Wir haben bereits gesehen, daß Aaron und seine Söhne Christus und die Kirche darstellen; aber in den ersten Versen dieses Kapitels erhält Aaron den Vorrang. "Und Aaron und seine Söhne sollst du herzunahen lassen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft und sie mit Wasser waschen" (V. 4). Die Waschung mit Wasser be­wirkte, daß Aaron im Bilde das wurde, was Christus in sich selbst ist, nämlich heilig. Die Kirche ist heilig durch ihre Verbindung mit Christus in dem Auferstehungsleben. Christus ist der vollständige Ausdruck des­sen, was die Kirche in den Augen Gottes ist. Das Waschen mit Wasser stellt die Wirkung des Wortes Gottes dar (siehe Eph. 5, 26).

"Und nimm das Salböl und gieße es auf sein Haupt und salbe ihn" (V. 7). Hier haben wir ein Bild des Heiligen Geistes. Aber wir müssen beachten, daß Aaron gesalbt wurde, bevor das Blut vergossen war, weil er hier als ein Bild von Christus vor uns steht, der aufgrund dessen, was Er in sich selbst war, durch den Heiligen Geist gesalbt wurde, lange bevor das Werk des Kreuzes vollbracht war. Bei den Söhnen Aarons hingegen fand die Salbung erst statt, nachdem das Blut geflossen war. .Und du sollst den Widder schlachten und von seinem Blute nehmen und es tun auf das rechte Ohrläppchen Aarons und auf das rechte Ohr­läppchen seiner Söhne und auf den Daumen ihrer rechten Hand und auf die große Zehe ihres rechten Fußes; und du sollst das Blut an den Altar sprengen ringsum.*) Und nimm von dem Blut, das auf dem Altar ist, und von dem Salböl, und sprenge es auf Aaron und auf seine Kleider, und auf seine Söhne und auf die Kleider seiner Söhne mit ihm; und er wird heilig sein und seine Kleider, und seine Söhne und die Kleider seiner Söhne mit ihm" (V. 20. 21). In bezug auf die Kirche ist das Blut des Kreuzes die Grundlage von allem. Sie konnte nicht mit dem Heiligen Geist gesalbt werden, bevor ihr auferstandenes Haupt in den Himmel

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*) Das Ohr, die Hand und der Fuß werden Gott geweiht, nachdem die Versöhnung vollbracht ist; dies kann nur in der Kraft des Heiligen Geistes ge­schehen (= Salböl).

aufgenommen war und auf dem Thron Gottes das Zeugnis des durch Ihn vollbrachten Opfers niedergelegt hatte. "Diesen Jesus hat Gott auf­erweckt, wovon wir alle Zeugen sind. Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vorn Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret" (Apg. 2, 32. 33; vgl. Joh. 7, 39; Apg. 19, 1‑6). Von den Tagen Abels an bis jetzt hat es Seelen gegeben, die durch den Heiligen Geist erneuert waren, in denen Er wirkte und die Er zum Dienst befähigte; aber die Kirche konnte nicht eher mit dem Heiligen Geist gesalbt werden, bis ihr siegreicher Herr in den Himmel eingegangen war und für sie die Verheißung des Vaters empfangen hatte. Diese Lehre ist im ganzen Neuen Testament deutlich erkennbar, und ihre Unverletzlichkeit wird in dem alttestamentlichen Bild durch die Tatsache hervorgehoben, daß Aaron zwar vor der Blutvergießung gesalbt wurde (V. 7), seine Söhne aber erst gesalbt werden konnten, nach dem das Blut geflossen war (V. 21).

Aber die hier in der Salbung beobachtete Ordnung zeigt uns nicht nur die Wahrheit über das Werk des Geistes und die Stellung der Kirche. Auch der persönliche Vorrang des Sohnes wird uns hier vor Augen ge­stellt. "Gerechtigkeit hast du geliebt und Gesetzlosigkeit gehaßt: darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Genos­sen" (Ps. 45, 7; Hebr. 1, 9). Diesen Gedanken müssen wir festhalten. Freilich hat sich die unendliche Gnade Gottes darin geoffenbart, daß schuldige und verdammungswürdige Sünder gewürdigt werden, "Ge­nossen" des Sohnes Gottes zu heißen; aber vergessen wir nie den Aus­druck. "mehr als deine Genossen". Wie innig unsere Verbindung mit Christus auch sein mag, ‑ und sie ist so innig, wie die ewigen Rat­schlüsse Gottes sie zu machen vermochten, ‑ so muß Er doch "in allen Dingen den Vorrang" haben (Kol. 1, 18). Es kann unmöglich anders sein. Er ist das Haupt über alles, das Haupt der Kirche, das Haupt der Schöpfung, das Haupt der Engel, der Herr des Weltalls. Es gibt keinen einzigen Himmelskörper, der Ihm nicht gehörte und dessen Bewegun­gen Er nicht leitete. Kein einziger Wurm kriecht durch die Erde, den Er nicht im Auge behielte. Er ist "Gott über alles" (Röm. 9, 5), „der Erstgeborene aus den Toten" (Kol. ‑1, 18; Offbg. 1, 5). "der Erstgebore­ne aller Schöpfung" (Kol. 1, 15), "der Anfang der Schöpfung Gottes ' (Offbg. 3, 14). "jede Familie in den Himmeln und auf Erden" (Eph. 3, 15) muß sich Ihm unterordnen. jeder geistlich gesinnte Christ wird diese Wahrheit dankbar anerkennen. Wer durch den Heiligen Geist geleitet wird, freut sich über jede neue Entfaltung der Herrlichkeiten Christi und kann nicht dulden, daß sie durch irgendetwas beeinträchtigt werden. Mag die Kirche auch zur höchsten Herrlichkeit erhoben werden, sie wird sich immer mit Freuden vor Dem niederbeugen, der sich herab­ließ, um sich für sie zu opfern, damit Er sie zu sich selbst erheben konnte. Er hat nicht nur dem Anspruch der Gerechtigkeit Gottes ent­sprochen, sondern auch der Liebe Gottes, indem Er der Kirche an Seiner eigenen Herrlichkeit Anteil gegeben und sie unzertrennlich mit sich ver­bunden hat. Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen.

Ich gehe absichtlich nicht näher auf die Opfer in Kapitel 29 ein, weil uns diese im einzelnen bei der Betrachtung des 3. Buches Mose beschäfti­gen werden, wenn der Herr Gnade dazu schenkt.

Kapital 30

DIE GERÄTE DES HEILIGTUMS

Nachdem in den beiden vorhergehenden Kapiteln das Priestertum ein­gesetzt worden ist, werden wir hier mit dem wahren priesterlichen Gottesdienst und mit wahrer Gemeinschaft bekannt gemacht. Dabei ist die Reihenfolge beachtenswert; sie stimmt mit der praktischen Erfahrung des Gläubigen überein. Am ehernen Altar sieht der Gläubige seine Sün­den in Asche verwandelt, dann erkennt er, wie er mit Christus verbun­den worden ist, der in sich selbst so rein und fleckenlos war, daß Er ohne Blut gesalbt werden konnte; und schließlich erblickt er in dem goldenen Altar die Vortrefflichkeit Christi, in der Gott für alle Ewigkeit Sein vollkommenes Wohlgefallen findet.

So ist es immer. Es muß ein eherner Altar und ein Priester vorhanden sein, bevor es einen goldenen Altar und Weihrauch geben kann. Viele Kinder Gottes sind nie über den ehernen Altar hinausgekommen. Sie haben noch nie durch den Geist die Kraft und Wirklichkeit eines wahren priesterlichen Gottesdienstes erfahren. Sie haben kein klares Bewußtsein der Vergebung und Rechtfertigung. Sie haben niemals den goldenen Altar erreicht. Sie hoffen ihn einmal zu erreichen, wenn sie sterben, während es doch ihr Vorrecht ist, schon jetzt dort zu stehen. Das Werk des Kreuzes hat alles aus dem Weg geräumt, was einen freien und ein­sichtsvollen Gottesdienst verhindern konnte. Die gegenwärtige Stellung aller wahren Gläubigen ist an dem goldenen Räucheraltar. Dort erfahren wir die Wirklichkeit und die Wirksamkeit der Fürbitte Christi. Nachdem unser eigenes Ich in dem Tod Christi für immer ein Ende gefunden hat und wir deshalb nichts Gutes mehr von uns selbst erwarten, sind wir berufen, uns mit dem erhöhten Christus zu beschäftigen, so wie Gott Ihn sieht. Das eigene Ich wirkt nur verunreinigend, sobald es sich offen­bart. Es ist daher im Gericht Gottes verurteilt und beiseitegesetzt worden, und nicht ein Stäubchen davon ist in dem geläuterten Weihrauch und in dem Feuer auf dem Altar von reinem Gold zurückgeblieben. Das Blut Jesu hat uns die Tür ins Heiligtum geöffnet und uns zu der Stätte priesterlichen Dienstes und priesterlicher Anbetung gebracht, wo keine Spur von Sünde mehr zu entdecken ist. Dort sehen wir den reinen Tisch, den reinen Leuchter und den reinen Altar, dort gibt es nichts, was uns an das Ich und sein Verderben erinnern könnte. Wenn noch irgendetwas von unserem Ich dort vorhanden wäre, so würde das unserer Anbetung den Todesstoß geben, unsere priesterliche Speise verderben und unser Licht verdunkeln. Die alte Natur kann keinen Platz im Heiligtum Gottes haben. Sie ist mit allem, was zu ihr gehört, zu Asche verbrannt worden, und jetzt sind wir berufen, das zu Gott emporsteigende, duftende Räu­cherwerk, d. h. Christus zu genießen. Das ist es, woran Gott Wohlge­fallen findet. Alles, was die Herrlichkeit der Person Christi darstellt, ist lieblich und angenehm vor Gott. Selbst die schwächste Darstellung Christi im Leben oder in der Anbetung eines Heiligen ist ein duftender Wohlgeruch, Gott angenehm und wohlgefällig.

Nur zu oft haben wir uns leider mit unseren Mängeln und Schwächen zu beschäftigen. Haben wir irgendwie der in uns wohnenden Sünde ge­stattet, sich zu offenbaren, so müssen wir dies vor Gott bekennen, denn Er kann Sünde nicht dulden. Er kann sie vergeben und uns von ihr reinigen, Er kann unsere Seelen wiederherstellen durch den Dienst unseres großen und barmherzigen Hohenpriesters, aber Er kann nicht mit einem einzigen sündhaften Gedanken in Gemeinschaft sein. Ein leichtfertiger und törichter Gedanke genügt ebenso wie ein böser Wunsch oder ein unreiner Gedanke, um unsere Gemeinschaft zu unter­brechen und unsere Anbetung zu stören. Sobald ein solcher Gedanke in uns aufsteigt, muß er bekannt und verurteilt werden, denn es ist unmöglich, die Gemeinschaft mit Gott im Heiligtum zu genießen und gleichzeitig irgendwelchen bösen Gedanken nachzugehen. Wenn wir uns in dem geziemenden priesterlichen Zustand befinden, so ist es, als ob die alte Natur nicht mehr bestehe, und dann können wir das göttliche Glück erfahren, von uns selbst befreit und nur mit Christus erfüllt zu sein.

Alles das kann nur durch die Macht des Geistes hervorgebracht werden. Die äußeren Mittel einer menschlichen Religion können wohl andächtige Gefühle erzeugen, sie kommen aber aus dem Fleisch. Es muß reines Feuer und reiner Weihrauch vorhanden sein. jede Anstrengung, Gott mit den unheiligen Kräften der menschlichen Natur anzubeten, gehört zu dem Begriff des "fremden Feuers" (vgl. 3. Mose 10, 1 mit 3. Mose 16,‑12). Gott ist der Gegenstand, Christus die Grundlage und der Inhalt, und der Heilige Geist die Kraft der Anbetung.

Wie wir denn, genau gesprochen, in dem ehernen Altar Christus in dem Wert Seines Opfers erblicken, so sehen wir in dem goldenen Altar den Wert Seiner Fürbitte. Diese Tatsache macht auch verständlich, warum der priesterliche Dienst gleichsam zwischen den Altären steht. Es be­steht natürlich eine enge Verbindung zwischen diesen Altären, denn die Fürbitte Christi ist auf Sein Opfer gegründet. "Und Aaron soll einmal im Jahre für dessen Hörner Sühnung tun mit dem Blute des Sündopfers der Versöhnung; einmal im Jahr soll er Sühnung für ihn tun bei euren Geschlechtern: hochheilig ist er dem HERRN" (V. 10). Alles ruht auf der unbeweglichen Grundlage des vergossenen Blutes. "Und fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutver­gießung ist keine Vergebung. Es war nun nötig, daß die Abbilder der Dinge in den Himmeln hierdurch gereinigt wurden, die himmlischen Dinge selbst aber durch bessere Schlachtopfer als diese. Denn der Chri­stus ist nicht eingegangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen" (Hebr. 9, 22‑24).

In den Versen 11‑16 ist von dem Sühngeld für die Versammlung die Rede. jeder Israelit hatte die Hälfte eines Sekels zu bezahlen. "Der Reiche soll nicht mehr geben, und der Arme nicht weniger als die Hälfte eines Sekels, wenn ihr das Hebopfer des HERRN gebet, um Sühnung zu tun für eure Seelen". Wenn es um Versöhnung geht, stehen alle auf demselben Boden. In dem Maß der Erkenntnis, der Erfahrung, der Fähigkeiten, des Eifers und der Hingabe mag es große Unterschiede geben; aber die Grundlage der Versöhnung ist für alle dieselbe. Der große Apostel der Heiden und das schwächste Lamm der Herde Christi stehen hinsichtlich der Versöhnung auf dem gleichen Boden. Das ist ein sehr einfacher, aber auch ein beruhigender Gedanke. Es ist nicht bei allen die gleiche Treue und die gleiche Frucht ihrer Arbeit für den Herrn, aber allein das "kostbare Blut Christi" (l. Petr. 1, 19) und nichts ande­res kann die Grundlage für die ewige Ruhe des Gläubigen sein. je mehr wir in die Wahrheit und Kraft dieser Dinge eindringen, um so mehr Früchte werden wir tragen.

Im letzten Kapitel des 3. Buches Mose finden wir eine andere Wertung. Wenn jemand ein besonderes Gelübde tat (3. Mose 27, 2), so schätzte Mose ihn nach seinem Alter. Mit anderen Worten, wenn jemand sich irgendeine Fähigkeit zutraute, so schätzte ihn Mose, als der Vertreter der Forderungen Gottes, nach dem "Sekel des Heiligtums". War ein solcher aber "ärmer" als Mose ihn schätzte, so mußte er vor den Prie­ster als den Vertreter der Gnade Gottes gestellt werden (V. 8), der ihn schätzte nach dem Maße dessen, "was die Hand des Gelobenden auf­bringen" konnte.

Wir wissen ‑ Gott sei Dank! ‑ daß allen Seinen Forderungen Rechnung getragen ist und daß alle unsere Gelübde durch Christus erfüllt worden sind, der sowohl der Vertreter der Rechte Gottes als auch der Ausdruck Seiner Gnade war. Die Erkenntnis dieser Dinge gibt uns Ruhe für Herz und Gewissen. Die Versöhnung ist die erste Sache, die wir erfassen, und nie dürfen wir sie aus den Augen verlieren. Wie tief auch unser Ver­ständnis, wie reich unsere Erfahrung und wie groß unsere Hingabe sein mag ‑ wir müssen doch immer wieder zu der einfachen und unveränder­lichen Lehre von dem Blut zurückkehren. Die begabtesten und einsichts­vollsten Diener Christi haben sich immer wieder mit Verlangen dieser Quelle der Freude zugewandt, aus der sie zum ersten Mal den Durst ihrer Seele stillten, als sie ihren Herrn kennenlernten. ja, selbst der ewige Gesang der Kirche in der Herrlichkeit wird Dem ertönen, „der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut" (Offbg. 1, 5).

In den Versen 17‑21 finden wir das "Becken von Erz und sein Gestell von Erz" oder das Waschgefäß mit seinem Fuß. Becken und Gestell werden immer zusammen genannt (siehe Kap. 30, 28; 38, 8; 40, 11). In diesem Becken wuschen die Priester ihre Hände und Füße und be­wahrten so die Reinheit, die zur Ausübung ihres Dienstes erforderlich war; eine erneute Anwendung des Blutes war dazu auf keinen Fall nötig. "Wenn sie in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen, sollen sie sich mit Wasser waschen, daß sie nicht sterben, oder wenn sie dem Altar nahen zum Dienst, um dem HERRN ein Feueropfer zu räuchern. Und sie sollen ihre Hände und ihre Füße waschen, daß sie nicht sterben" (V. 20. 21).

Von einer wahren Gemeinschaft mit Gott kann nur dann die Rede sein, wenn die persönliche Heiligkeit mit Sorgfalt aufrecht erhalten wird.

"Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit (1. Joh. 1, 6). Diese persönliche Heiligkeit kann nur die Wirkung des Wortes Gottes auf unsere Worte und Handlungen sein. "Durch das Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen (Ps. 17, 4). Unsere Unvollkommenheit in der Ausübung unseres priesterli­chen Dienstes hat darin ihren Grund, daß wir den Gebrauch des eher­nen Waschbeckens" vernachlässigen. Wenn wir uns der reinigenden Wirkung des Wortes Gottes nicht unterwerfen, wenn wir fortfahren, ein Ziel zu verfolgen oder eine Sache zu tun, die nach dem Zeugnis unse­res eigenen Gewissens nicht mit dem Worte Gottes im Einklang steht, so wird unser priesterlicher Charakter immer kraftloser. Wissentliches Verharren im Bösen und wahre priesterliche Anbetung sind unvereinbar.

"Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit,' (Joh. 17, 17). Solange irgendeine Unreinigkeit an uns ist, können wir uns unmöglich der Gegenwart Gottes erfreuen. Gerade die Gegenwart Gottes würde uns nämlich überführen. Aber wenn wir unsere Wege der Heiligkeit Gottes gemäß gereinigt haben, dann sind wir auch imstande, Seine Ge­genwart zu genießen. Wie notwendig ist es doch, daß alle Gläubigen, die ‑ bildlich gesprochen ‑ in priesterlichen Kleidern das Heiligtum betreten und in Anbetung dem Altar Gottes nahen, ihre Hände und Füße rein erhalten durch den Gebrauch des wahren ehernen Beckens!

Mit der durchdringenden und reinigenden Wirkung des Wortes Gottes ist der priesterliche Dienst Christi eng verbunden. "Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, so­wohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsicht­bar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben". Und dann fügt der Apostel unmittelbar hinzu: "Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesum, den Sohn Gottes, so laßt uns das Bekenntnis fest­halten; denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem ver­sucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Laßt uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur recht­zeitigen Hilfe" (Hebr. 4, 12‑16).

je deutlicher wir die Schärfe des Wortes Gottes fühlen, um so höher schätzen wir den barmherzigen und gnadenreichen Dienst unseres Ho­henpriesters. Diese beiden Dinge hängen zusammen. Sie sind die un­trennbaren Wegbegleiter des christlichen Lebens. Der große Hohepriester hat Mitgefühl mit den Schwachheiten, die das Wort ans Licht bringt. Er ist sowohl ein "treuer" als auch ein "barmherziger" Hoherpriester. Wir können also nur dann dem Altar nahen, wenn wir von dem Wasch­becken Gebrauch gemacht haben. Anbetung kann nur in der Kraft prak­tischer Heiligkeit dargebracht werden. Wir müssen alles Natürlich­menschliche aus dem Auge verlieren und ganz mit Christus, so wie Er im Worte dargestellt ist, beschäftigt sein. Nur so werden die "Hände und Füße", d. h. die Werke und die Wege, gereinigt sein, und zwar gemäß der Reinigung des Heiligtums.

In den Versen 22 bis 33 finden wir das "heilige Salböl", mit dem die Priester und die Stiftshütte samt ihren Geräten gesalbt wurden. In dieser Salbung erkennen wir ein Bild der vielfältigen Gnadengaben des Heili­gen Geistes, die sich alle in ihrer göttlichen Fülle in Christus finden. "Myrrhen und Aloe, Kassia sind alle deine Kleider; aus Palästen von Elfenbein erfreut dich Saitenspiel" (Ps. 45, 8). Gott hat Jesus von Na­zareth mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt (Apg. 10, 38). Alle Gnadengaben des Heiligen Geistes, in all ihrer Vollkommenheit, haben ihre Darstellung und ihren Ursprung in Christus. Bei Seiner Mensch­werdung wurde Er von dem Heiligen Geist gezeugt. Bevor Er Seinen öffentlichen Dienst antrat, wurde Er mit dem Heiligen Geist gesalbt, und nachdem Er Seinen Platz im Himmel eingenommen hatte, teilte Er, zum Zeichen der vollbrachten Erlösung, die Gaben des Heiligen Geistes an Seinen Leib, die Kirche, aus (s. Matth. 1, 20; 3, 16. '17; Luk. 4, 18. 19; Apg. 2, 33; 10, 45. 46; Eph. 4, 8‑13).

Als solche, die mit diesem hocherhobenen Christus in Verbindung stehen, haben die Gläubigen teil an den Gaben und Gnaden des Heiligen Geistes. Aber nur wenn es ihre Gewohnheit ist, Gemeinschaft mit Ihm zu haben, können sie sich dieser Gaben auch praktisch erfreuen und sie nach außen wirksam werden lassen. Ein nicht wiedergeborener Mensch kennt nichts von diesen Dingen. "Auf keines Menschen Fleisch soll man es gießen" (V. 32). Die Gnadengaben des Heiligen Geistes können nicht mit dem natürlichen Fleisch des Menschen in Verbindung gebracht wer­den, denn der Heilige Geist kann diese Natur nicht anerkennen. Nicht eine Frucht des Geistes ist je auf dem dürren Boden der Natur hervorgebracht worden. "Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde" (Joh. 3, 3). Nur der neue Mensch kann, als ein Teil der neuen Schöpfung, etwas von den Früchten des Heiligen Geistes wissen. Es ist sinnlos, diese Früchte und Gnadengaben nachahmen zu wollen. Die schönsten Früchte, die auf dem Boden der Natur gewachsen sind, und die liebenswertesten Züge, die die Natur zeigen mag, können im Heilig­tum Gottes in keiner Weise anerkannt werden. "Auf keines Menschen Fleisch soll man es gießen, und nach dem Verhältnis seiner Bestandteile sollt ihr keines desgleichen machen; es ist heilig, heilig soll es euch sein. Wer desgleichen mischt, und wer davon auf einen Fremden tut, der soll ausgerottet werden aus seinen Völkern" (V. 32. 33). Gott will keine Nachahmung des Werkes des Heiligen Geistes, alles muß ausschließlich von dem Geist sein. Auch darf das, was von dem Geist herrührt, nicht dem Menschen zugeschrieben werden. "Der natürliche Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird" (‑1. Kor. 2,14).

Der letzte Abschnitt dieses lehrreichen Kapitels lenkt unseren Blick auf das "Räucherwerk..., ein Werk des Salbenmischers, gesalzen, rein, heilig" (V. 35). Auch dieses unvergleichliche Räucherwerk stellt uns die Vollkommenheiten Christi dar. Gott schrieb kein bestimmtes Maß für die einzelnen Zutaten für dieses Räucherwerk vor, weil die Tugenden und Vortrefflichkeiten der Person Christi ohne Grenzen sind. "In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2, 9). Nur Gott selbst vermag diese Fülle zu erfassen, und sie wird in Ewigkeit Gegen­stand der Anbetung aller Heiligen und Engel sein.

Wenn nun aber für die einzelnen Teile des Räucherwerks kein Maß be­stimmt wurde, so gebot Gott doch, von allem "zu gleichen Teilen" zu nehmen. Alle die hervorragenden Eigenschaften waren bei Christus an ihrem wahren Platz und im richtigen Verhältnis. Keine wurde durch eine andere verdrängt oder auch nur beeinträchtigt. Alles war Würzwerk, ... gesalzen, rein, heilig", und verbreitete einen duftenden Wohlgeruch, den nur Gott richtig zu schätzen vermochte.

"Und zerstoße davon zu Pulver, und lege davon vor das Zeugnis in das Zelt der Zusammenkunft, woselbst ich mit dir zusammenkommen wer­de; hochheilig soll es euch sein" (V. 36). Welch eine ungewöhnliche Tiefe und Kraft liegt in den Worten: "Zerstoße davon zu Pulver"! Sie lehren uns, daß jede noch so unbedeutende Handlung im Leben Jesu, jedes Wort und jeder Blick Gott vollkommen wohlgefällig war, weil in allem das gleichmäßige Verhältnis Seiner Charakterzüge zum Aus­druck kam. je feiner das Räucherwerk zerstoßen wurde, um so deutlicher trat seine vortreffliche und kostbare Mischung zu Tage.

"Und das Räucherwerk, das du machen sollst, nach dem Verhältnis sei­ner Bestandteile sollt ihr es euch nicht machen; heilig dem HERRN soll es dir sein. Wer desgleichen macht, um daran zu riechen, der soll aus­gerottet werden aus seinen Völkern" (V. 37. 38). Dieser duftende Wohl­geruch war ausschließlich für Gott bestimmt; sein Platz war "vor dem Zeugnis". Es gibt in Jesus etwas, was nur Gott zu würdigen vermag. Allerdings kann jeder Gläubige Seine unvergleichliche Person betrachten und von Bewunderung erfüllt werden; aber dennoch ‑ über alles hin­aus, was die Erlösten Gottes und sogar die Engel von Seiner Herrlich­keit zu begreifen fähig sind ‑ gibt es etwas in der Person Jesu, das nur Gott ergründen kann und nur Ihm Freude bereitet (vergl. Matth. 11, 27). Das Auge eines Menschen oder Engels kann niemals alles un­terscheiden, was in diesem zu Pulver zerstoßenen Räucherwerk enthalten ist und was mit irdischen Maßstäben gar nicht zu erfassen ist.

Wir haben hiermit das Ende eines klar unterschiedenen Teils des 2. Bu­ches Mose erreicht. Wir begannen bei der Lade des Zeugnisses und gingen weiter bis zum ehernen Altar; von dort wandten wir uns wieder zurück und sind nun bei dem heiligen Räucherwerk angelangt. Welch ein Weg, wenn er nicht mit menschlicher Einbildungskraft, sondern in dem Licht des Heiligen Geistes zurückgelegt wird, der uns in allen diesen Dingen die persönliche Herrlichkeit des Sohnes Gottes zeigt! Hat der Leser diesen Weg so zurückgelegt, dann wird seine Zuneigung sich mehr als vorher Christus zugewandt haben. Er wird eine Vorstellung bekommen haben von Seiner Herrlichkeit und von Seiner Fähigkeit, einen zerbrochenen Geist zu heilen und das Verlangen eines ermüdeten Herzens zu befriedigen; er wird seine Augen und Ohren fester als vor­her für die lockenden Verheißungen der Erde verschließen, und er wird auch eher bereit sein, sein Amen zu den Worten des Apostels zu spre­chen: "Wenn jemand den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat, der sei Anathema; Maranatha!" (l. Kor. 16,22).

Kapitel 31

BEZALEEL UND OHOLIAB. NOCHMALS DER SABBATH

Dieses Kapitel beginnt mit der Mitteilung Gottes, daß Er zwei Männer berufen und ausgerüstet habe, um die Arbeit an dem Zelt der Zusam­menkunft auszuführen. "Und der HERR redete zu Mose und sprach: Siehe, ich habe Bezaleel, den Sohn Uris, des Sohnes Hurs, vom Stamme Juda, mit Namen berufen und habe ihn mit dem Geiste Gottes erfüllt, in Weisheit und in Verstand und in Kenntnis und in jeglichem Werk... Und ich, siehe, ich habe ihm Oholiab, den Sohn Achisamaks, vom Stamme Dan, beigegeben; und in das Herz eines jeden, der weisen Her­zens ist, habe ich Weisheit gelegt, daß sie alles machen, was ich dir geboten habe" (V. 1. 2. 3. 6). Sei es die Arbeit an dem Zelt der Zu­sammenkunft jener Tage oder sei es die Arbeit für den Herrn in unse­rer Zeit ‑ in jedem Fall steht Gott allein die Auswahl, Berufung und Befähigung Seiner Diener zu; Menschen haben dabei kein Mitsprache­recht. Dieser Grundsatz galt damals und er gilt ebenso für das Werk des Herrn heute. Auch kann sich niemand selbst dazu berufen, alles muß ganz und gar von Gott kommen. Man mag aus eigenem Antrieb gehen oder sich von irgendeinem Verein aussenden las5en ‑ sicher ist, daß alle, die ausgehen, ohne von Gott gesandt zu sein, eines Tages beschämt dastehen werden. Das ist die einfache und heilsame Lehre, die uns in den Worten gegeben wird: "Ich habe berufen", "ich habe erfüllt", "ich habe gegeben", "ich habe genommen, "ich habe geboten. Die Worte Johannes des Täufers: "Ein Mensch kann nichts empfangen, es sei ihm denn aus dem Himmel gegeben" (Joh. 3, 27), werden immer wahr blei­ben. Wie wenig Ursache hat also der Mensch, sich selbst zu rühmen oder auf einen Mitmenschen eifersüchtig zu sein!

mit 1. Mose 4. Tubalkain war ein "Hämmerer von allerlei Schneidewerk­zeug aus Erz und Eisen" (V. 22). Die Nachkommen Kains versuchten mit ihren eigenen, menschlichen Fähigkeiten ‑ unabhängig von Gott ‑die verfluchte und seufzende Erde in einen angenehmen Ort umzuwan­deln. Bezaleel und Oholiab hingegen hatten von Gott Fähigkeiten emp­fangen, um ein Heiligtum zu schmücken, das durch die Gegenwart und die Herrlichkeit des Gottes Israels geheiligt und gesegnet werden sollte.

Hier möchte ich den Leser bitten, einen Augenblick nachzudenken und sich ernstlich zu fragen: Widme ich meine Fähigkeiten und Kräfte den Interessen der Kirche, die Gottes Wohnung ist, oder der Verschönerung einer gottlosen Welt, die Christus verworfen hat? Denke nicht: Ich bin weder von Gott berufen noch befähigt, um für Ihn zu arbeiten. Wie damals, so ist auch heute für alle die Tür geöffnet, um an dem Dienst teilnehmen zu können. Jeder hat einen Platz auszufüllen und arbeitet entweder für die Interessen des Hauses Gottes, des Leibes Christi, der Kirche, oder er fördert die Pläne einer gottlosen Welt, die noch befleckt ist mit dem Blute Jesu Christi und mit dem Blut all Seiner ermordeten Zeugen.

Das Kapitel endet mit einem besonderen Hinweis auf die Einsetzung des Sabbaths. Er wurde bereits in Kap. 16 erwähnt, und zwar dort in Verbindung mit dem Manna. Dann, in Kap. 20, als das Volk formell unter das Gesetz gestellt wurde, finden wir seine ausdrückliche Anord­nung. Hier begegnen wir ihm wieder in Verbindung mit der Aufrich­tung der Stiftshütte. Jedesmal, wenn das Volk Israel in irgendeiner be­sonderen Stellung oder unter einer besonderen Verantwortung gesehen wird, dann wird auch der Sabbath erwähnt. "Beobachtet den Sabbath, denn heilig ist er euch; wer ihn entweiht, soll gewißlich getötet werden; denn wer irgend an ihm eine Arbeit tut, selbige Seele soll ausgerottet werden aus der Mitte ihrer Völker. Sechs Tage soll man Arbeit tun, aber am siebenten Tage ist der Sabbath der Ruhe, heilig dem HERRN; wer irgend am Tage des Sabbaths eine Arbeit tut, soll gewißlich ge­tötet werden" (V. 14. 15). Der "siebente Tag", und kein anderer, wird bestimmt, und an diesem Tage ist bei Todesstrafe jede Arbeit verboten. Diese Anordnung ist deutlich und unmißverständlich. Und erinnern wir uns wohl, daß es in der Heiligen Schrift keine einzige Zeile gibt, die die weitverbreitete Meinung rechtfertigt, als sei der Sabbath ver­ändert worden oder als habe Gott Seine strengen Grundsätze auch nur im geringsten gemildert!

Aber halten denn die bekennenden Christen den Sabbath Gottes an dem von Ihm bestimmten Tag und so, wie Er es geboten hat? Gewiß nicht, obwohl doch die Folgen der geringsten Übertretung des Sabbaths "Ausrottung" und "Tod" sind!

Aber wir sind "nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade" (Röm. 6. 14). Gott sei Dank, daß Er uns diese Gewißheit gegeben hat! Ständen wir unter dem Gesetz, dann gäbe es keinen einzigen Christen, den nicht schon längst wegen dieses einen Punktes, der Sabbath‑Entweihung, das Gericht Gottes getroffen hätte.

Weil wir aber unter Gnade stehen, gehört uns nun "der erste Tag der Woche", "der Tag des Herrn". Das ist der Tag der Kirche, der Auf­erstehungstag Jesu, der, nachdem Er den Sabbath im Grabe zugebracht hatte, triumphierend über alle Mächte der Finsternis wieder auferstand. Damit hat Er Sein Volk aus der alten Schöpfung und aus allem, was mit ihr zusammenhing, heraus und in die neue Schöpfung eingeführt, deren Haupt Er ist und deren Ausdruck wir in dem ersten Tag der neuen Woche sehen.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Tagen ist ernster Beachtung wert. Allein ein bestimmter Name ist in der Bibel oft schon von großer Tragweite, und das ist gerade hier der Fall. Der erste Tag der Woche nimmt im Wort Gottes einen Platz ein, den kein anderer Tag hat. Kein anderer Tag trägt den erhabenen Namen: "Tag des Herrn". Allerdings behaupten einige, das Offbg. 1, 10 sich nicht auf den ersten Tag der Woche bezieht, aber ich bin völlig überzeugt, daß eine gründliche Unter­suchung und eine gesunde Auslegung es gestatten, ja, sogar fordern, diese Stelle nicht auf den Tag der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, sondern auf den Tag Seiner Auferstehung aus den Toten anzuwenden.

Sicher aber wird der Tag des Herrn nicht ein einziges Mal "Sabbath" genannt. Vielmehr werden die beiden Tage immer wieder in der Schrift deutlich unterschieden. Man muß sich daher vor zwei entgegengesetzten Klippen hüten. Einerseits wird man jene Gesetzlichkeit vermeiden müs­sen, die sich oft in Verbindung mit dem Wort "Sabbath" vorfindet, und anderseits muß man entschieden die Gewohnheit ablehnen, den Tag des Herrn zu verunehren oder ihn wie einen gewöhnlichen Tag anzu­sehen. Der Gläubige ist von der Beobachtung der "Tage und Monate und Zeiten und Jahre" freigemacht (Gal. 4, 10). Seine Vereinigung mit einem auferstandenen Christus hat ihn von allen solchen abergläubi­schen Gebräuchen befreit (Kol. 2, 16‑20). Aber wie wahr dies auch ist, so sehen wir doch, daß der "erste Tag der Woche" im Neuen Testament einen besonderen Platz einnimmt. Es ist deshalb ganz natürlich, wenn er auch im Leben eines Christen eine besondere Bedeutung erhält.

Wir haben dieses Thema schon in früheren Abschnitten dieses Buches ausführlicher besprochen. Ich beschränke mich deshalb darauf, in einigen Punkten den Gegensatz zwischen dem "Sabbath" und dem "Tag des Herrn" aufzuzeigen:

1. Der Sabbath war der siebente Tag, während der Tag des Herrn der erste Tag der Woche ist.

2. Der Sabbath war ein Prüfstein für den Zustand Israels; der Tag des Herrn ist für die Kirche der Beweis, daß sie ohne jede Be­dingung von Gott angenommen ist.

3 Der Sabbath gehörte der alten Schöpfung an, während der Tag des Herrn der neuen angehört.

4 Der Sabbath war ein Tag der leiblichen Ruhe für den Juden­ der Tag des Herrn dagegen ist ein Tag der geistlichen Ruhe für den Christen.

5. Wenn der Jude am Sabbath arbeitete, mußte er getötet werden; wenn der Christ nicht am Tag des Herrn arbeitet, d. h. wenn er nicht zum Segen der Menschen, zur Verherrlichung Christi und zur Ausbreitung der Wahrheit wirkt, gibt er einen sehr schwachen Beweis von Leben. Tatsächlich ist ein treuer Christ, wenn er irgendeine Gabe besitzt, im allgemeinen am Ende des Tages des Herrn mehr ermüdet als am Ende jedes anderen Wochentags; denn wie könnte er ruhen, während um ihn her Seelen zugrunde gehen?

6. Dem Juden war durch das Gesetz geboten, während des Sab­baths in seinem Zelt zu bleiben; der Christ aber wird durch den Geist des Evangeliums geleitet auszugehen, sei es um an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder um verlore­nen Sündern die Botschaft des Heils zu verkünden.

Möge der Herr uns allen geben, mit mehr Einfalt in dem Namen des Herrn Jesus Christus zu ruhen und mit mehr Eifer für diesen Namen zu wirken! Wir sollen ruhen in der Gesinnung eines Kindes und arbei­ten mit der Kraft eines Mannes.

Kapitel 32

DAS GEGOSSENE KALB

Wir kommen jetzt zu einem Ereignis, das ganz und gar verschieden ist von dem, was uns bisher beschäftigt hat. Die "Bilder der Dinge in den Himmeln" (Hebr. 9, 23) sind an uns vorübergezogen. Wir sahen Chri­stus in Seiner herrlichen Person und in Seinem vollkommenen Werk, wie Er in der Stiftshütte und ihren Geräten dargestellt war. Wir hörten auf dem Berge die Worte Gottes und die Ratschlüsse, von denen Jesus das "Alpha und das Omega", der Anfang und das Ende ist.

jetzt aber müssen wir auf die Erde zurückblicken, um dort die traurigen Trümmer zu sehen, in die der Mensch alles verwandelt, was ihm an­vertraut wird. "Und als das Volk sah, daß Mose verzog, von dem Berge herabzukommen, da versammelte sich das Volk zu Aaron, und sie spra­chen zu ihm: Auf! mache uns einen Gott, der vor uns hergehe! denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat, ‑ wir wissen nicht, was ihm geschehen ist" (V. 1). Welch ein niedri­ger Zustand offenbart sich hier! "Mache uns einen Gott!" Israel sagte sich von seinem HERRN los und unterwarf sich der Führung eines von Menschenhänden gemachten Gottes. Der Berg war von undurchdring­lichen Wolken verhüllt, und die Israeliten waren müde geworden, auf Mose zu warten und auf einen unsichtbaren, aber starken Gott zu ver­trauen. Sie bildeten sich ein, daß ein mit einem Meißel gemachter, sicht­barer Gott besser sei als der unsichtbare, aber allgegenwärtige HERR.

In der Geschichte der Menschen ist dies leider eine bekannte Erschei­nung. Der Mensch liebt etwas, was er wahrnehmen kann, was seinen Sinnen entspricht und sie befriedigt. Nur der Glaube vermag standhaft zu bleiben, "als sähe er den Unsichtbaren" (Hebr. 11, 27). Daher hat der Mensch zu allen Zeiten die Neigung offenbart, menschliche Nachbil­dungen göttlicher Wirklichkeiten aufzustellen und auf sie zu vertrauen. Auch heute gibt es zahlreiche solcher Nachbildungen. Viele Dinge, die wir aufgrund des Wortes Gottes als göttliche und himmlische Wirklich­keiten kennen, hat die bekennende Kirche sichtbar nachzubilden ver­sucht. Müde geworden, sich auf einen unsichtbaren Gott zu stützen oder auf ein unsichtbares Opfer zu vertrauen, bei einem unsichtbaren Hohenpriester Hilfe zu suchen oder sich der Leitung eines unsichtbaren Führers anzuvertrauen, hat sie sich daran gemacht, diese Dinge selbst zu "bilden, und so ist sie von Jahrhundert zu Jahrhundert eifrig beschäf­tigt gewesen, mit dem Meißel in der Hand ein Ding nach dem anderen nachzubilden, so daß wir jetzt zwischen einem großen Teil dessen, was wir um uns her sehen, und dem, was wir im Wort Gottes lesen, nicht viel mehr Ähnlichkeit entdecken als zwischen einem gegossenen Kalb und dem Gott Israels.

"Mache uns einen Gott!" Welch ein Gedanke! Ein Mensch wird aufge­fordert, einen Gott zu machen, und ein Volk erklärt sich bereit, ihm sein Vertrauen zu schenken! Es ist sicher aufschlußreich, in uns hinein und um uns her zu blicken, ob wir da nicht Ähnliches entdecken. Wir lesen in bezug auf die Geschichte Israels in 1. Kor. 10, 11: "Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben wor­den zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekom­men ist". Sehen wir daher zu, daß wir uns dieser Ermahnung nicht ent­ziehen. Zwar haben wir wohl nicht gerade die Absicht, ein gegossenes Kalb zu machen, um uns vor ihm niederzuwerfen, dennoch ist die Sünde Israels ein "Vorbild" von etwas, das auch für uns eine große Gefahr sein kann. Sobald wir aufhören, wegen unseres Heils oder wegen unserer praktischen Bedürfnisse ausschließlich auf Gott zu vertrauen, sagen wir im Prinzip schon: "Auf! mache uns einen Gott“ Es ist un­nötig zu sagen, daß wir in uns selbst um nichts besser sind als Aaron und die Kinder Israel. Während sie anstelle des HERRN ein Kalb ver­ehrten, sind wir in Gefahr, nach demselben Grundsatz zu handeln und denselben Geist zu offenbaren. Unser einziges Bewahrungsmittel ist, viel in der Gegenwart Gottes zu sein. Mose wußte, daß das gegossene Kalb nicht der HERR war, und deshalb erkannte er es nicht an. Aber wenn wir die Gegenwart Gottes verlassen, können wir zu unzählbaren groben Irrtümern und Sünden fortgerissen werden.

Wir sind berufen, durch Glauben zu leben. Unsere leiblichen Augen können uns dabei nicht helfen. Jesus ist jetzt im Himmel, und wir haben die Weisung, mit Geduld auf Seine Erscheinung zu warten. Das Wort Gottes, angewandt auf das Herz in der Kraft des Heiligen Geistes, ist die Grundlage des Vertrauens in allen Dingen ‑ seien sie zeitlich oder geistlich, gegenwärtig oder zukünftig. Der Heilige Geist redet zu uns von dem vollkommenen Opfer Christi. Wir glauben es durch die Gnade, stellen unsere Seelen unter die Wirksamkeit dieses Opfers und wissen, daß wir nie und nimmer beschämt werden können. Er redet zu uns von einem großen, durch die Himmel gegangenen Hohenpriester, von Jesus, dem Sohn Gottes, dessen Fürbitte allmächtig ist. Wir glauben es durch die Gnade, ruhen im Vertrauen auf Seine Macht und wissen, daß wir völlig gerettet werden. Er redet zu uns von dem lebendigen Haupt, mit dem wir durch das Auferstehungsleben verbunden sind und von dem uns kein Einfluß der Engel, der Menschen oder der Teufel je zu trennen vermag. Wir glauben es durch die Gnade, klammern uns in einfältigem Glauben an dieses Haupt und wissen, daß wir nie zuschanden werden. Er redet zu uns von der herrlichen Erscheinung des Sohnes vom Himmel. Wir glauben es durch die Gnade, versuchen die reinigende und befreien­de Kraft dieser wunderbaren Hoffnung auf uns wirken zu lassen und wissen, daß wir nie enttäuscht werden können. Er redet zu uns von einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelkten Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt ist" für uns, die wir "durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werden (1. Petr. 1, 4), ‑ von einem Erb­teil, das wir zu Seiner Zeit in Besitz nehmen werden. Wir glauben es durch die Gnade und wissen, daß wir niemals beschämt werden können. Er sagt uns, daß alle Haare unseres Hauptes gezählt sind und daß uns nichts Gutes mangeln soll. Wir glauben es durch die Gnade und unsere Herzen können in jeder Hinsicht vollkommen ruhig sein. So ist es, oder wenigstens möchte unser Gott, daß es so sei. Aber der Feind ist immer auf dem Plan und will uns verleiten, diese göttlichen Wirklichkeiten zu verwerfen und den "Meißel" des Unglaubens zur Hand zu nehmen, um uns selbst einen Gott zu machen. Laßt uns vor ihm auf der Hut sein! Wappnen wir uns gegen ihn durch anhaltendes Gebet! Leisten wir ihm Widerstand in Wort und Tat! Auf diese Weise wird seine Absicht ver­eitelt, Gott wird verherrlicht, und wir selbst werden reich gesegnet.

Israel hat in dieser Hinsicht seinen HERRN vollständig verworfen. "Und Aaron sprach zu ihnen: Reißet die goldenen Ringe ab, die in den Ohren eurer Weiber, eurer Söhne und eurer Töchter sind, und bringet sie zu mir ... Und er nahm es aus ihrer Hand und bildete es mit einem Meißel und machte ein gegossenes Kalb daraus. Und sie sprachen: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat. Und als Aaron es sah, baute er einen Altar vor ihm; und Aaron rief aus und sprach: Ein Fest dem HERRN ist morgen!" (V. 2‑5) Damit wurde Gott gänzlich beiseitegesetzt und ein Kalb an Seinen Platz gestellt. Wenn die Israeliten sagen konnten, ein Kalb habe sie aus Ägypten geführt, dann hatten sie offenbar jedes Bewußtsein von der Gegenwart und dem Cha­rakter des wahren Gottes verloren. Wie "schnell" mußten sie "von dem Wege abgewichen sein" (V. 8), um in einen so groben und entsetzlichen Fehler verfallen zu können! Und Aaron, der Bruder und Leidensgefährte Moses, war in dieser Sache ihr Leiter. Er konnte angesichts eines Kalbes sagen: "Ein Fest dem HERRN ist morgen!" Wie beschämend! Gott mußte einem Götzen Platz machen. Ein elendes Ding, von der Hand und nach dem Plan eines Menschen gebildet, wurde an die Stelle des "Herrn der ganzen Erde" gesetzt.

Die Israeliten haben mit vollem Bewußtsein das Verhältnis zu ihrem Gott gekündigt. Infolgedessen begegnete ihnen Gott nun auf dem Boden, auf den sie sich gestellt hatten. "Da sprach der HERR zu Mose: Gehe, steige hinab! denn dein Volk, das du aus dem Lande Ägypten heraufge­führt hast, hat sich verderbt. Sie sind schnell von dem Wege abgewichen, den ich ihnen geboten habe ... Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk; und nun laß mich, daß mein Zorn wider sie entbrenne und ich sie vernichte; dich aber will ich zu einer großen Nation machen" (V. 7‑10). Mit diesen Worten wurde Mose eine weite Tür geöffnet, aber er zeigt hier eine ungewöhnliche Gnade und eine sehr ähnliche Gesinnung wie jener Prophet, gleich ihm, den der Herr in späteren Tagen erwecken wollte (5. Mose 18, 15). Er weigerte sich, etwas zu sein oder etwas zu empfangen ohne dieses Volk. Er verhandelt mit Gott auf dem Boden Seiner eigenen Herrlichkeit und wirft das Volk auf Ihn zurück mit den rührenden Worten: "Warum, HERR, sollte dein Zorn entbrennen wider dein Volk, das du aus dem Lande Ägypten her­ausgeführt hast mit großer Kraft und mit starker Hand? Warum sollten die Ägypter also sprechen: Zum Unglück hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge zu töten und sie von der Fläche des Erdbodens zu vernich­ten? Kehre um von der Glut deines Zornes und laß dich des Übels wider dein Volk gereuen. Gedenke Abrahams, Isaaks und Israels, deiner Knechte, denen du bei dir selbst geschworen hast, und hast zu ihnen ge­sagt: Mehren will ich euren Samen wie die Sterne des Himmels; und dieses ganze Land, von dem ich geredet habe, werde ich eurem Samen ge­ben, daß sie es als Erbteil besitzen ewiglich" (V. 11‑13). Das war eine gewaltige Verteidigung. Die Herrlichkeit Gottes, die Ehre Seines heiligen Namens, die Erfüllung Seines Eidschwurs ‑ das waren die Gründe' auf die Mose sich stützte, um den Zorn seines Herrn abzuwenden. In Israel konnte er nichts finden, worauf er seine Fürsprache hätte gründen kön­nen. Er fand alles in Gott selbst.

Der Herr hatte zu Mose gesagt. "Dein Volk, das du aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hast", aber Mose antwortet dem Herrn: Dein Volk, das du herausgeführt hast". Trotz allem war und blieb Israel das Volk Gottes; Sein Name, Seine Herrlichkeit und Sein Eidschwur standen mit dem Schicksal Israels unmittelbar in Verbindung. Wenn Gott sich mit einem Volk einsmacht, dann ist Er in Seiner ganzen Herrlichkeit mit ihm verbunden, und auf dieser unerschütterlichen Grundlage ruht auch der Glaube. Mose verliert sich selbst ganz und gar aus dem Auge. Seine ganze Seele ist erfüllt mit der Herrlichkeit Gottes und mit dem Volk Gottes. Welch ein Diener! Wie wenige gleichen ihm! Und doch, wie unendlich weit war er selbst in diesem Dienst von unserem Herrn Jesus entfernt! Mose stieg vom Berge herab, und als er das Kalb und die Reigentänze sah, "da entbrannte sein Zorn, und er warf die Tafeln aus seinen Händen und zerbrach sie unten am Berge" (V. 19). Der Bund war gebrochen, die Zeugnisse davon lagen in Stücken am Boden, und dann, nachdem Mose in gerechtem Zorn das Gericht vollzogen hatte, sagte er zu dem Volk: "Ihr habt eine große Sünde begangen: und nun will ich zu dem HERRN hinaufsteigen, vielleicht möchte ich Sühnung tun für eure Sünde" (V. 30).

Etwas völlig anderes sehen wir bei Christus. Er war aus der Gegenwart des Vaters gekommen, nicht mit Gesetzestafeln in Seiner Hand, sondern mit dem Gesetz in Seinem Herzen. Er brauchte den Zustand des Volkes nicht erst kennenzulernen, sondern Er kam in vollkommener Kenntnis dieses Zustandes. Anstatt die Zeugnisse des Bundes zu zerstören und Gericht auszuüben, verherrlichte Er das Gesetz und ertrug am Kreuz an sich selbst das Gericht Seines Volkes; und nachdem alles vollbracht war, ging Er in den Himmel zurück, und zwar nicht mit einem: "Viel­leicht möchte ich Sühnung tun für eure Sünde", sondern um vor dem Thron Gottes Zeugnis davon zu geben, daß die Erlösung vollbracht ist. Das ist ein unermeßlicher und herrlicher Unterschied. Gott sei Dank! Wir haben nicht nötig, ängstliche Blicke auf unseren Mittler zu richten, um zu erfahren, ob Er Sühnung für uns tun und der beleidigten Gerech­tigkeit Gottes Genüge tun werde. Nein, Er hat alles vollbracht. Seine Gegenwart in den Himmeln ist für uns die Garantie, daß das ganze Werk vollendet ist.

Am Ende dieses Kapitels stellt Gott die Grundsätze fest, nach denen Er künftig das Volk regieren wird: "Wer gegen mich gesündigt hat, den werde ich aus meinem Buche auslöschen. Und nun gehe hin, führe das Volk, wohin ich dir gesagt habe. Siehe, mein Engel wird vor dir her­ziehen; und am Tage meiner Heimsuchung, da werde ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen" (V. 33. 34). Hier sehen wir Gott in Seiner Regierung und nicht im Evangelium. Hier redete Er von dem Auslöschen des Sün­ders, während Er im Evangelium die Sünde auslöscht. Das ist ein großer Unterschied.

Das Volk sollte also unter der Mittlerschaft Moses durch einen Engel weitergeführt werden. Auf dem Weg von Ägypten bis zum Sinai war es noch ganz anders gewesen. Aber nun stand Israel auf dem Boden des Gesetzes und konnte daher keine Gnade mehr erwarten. Auch für Gott blieb nichts anderes übrig, als in Seiner Unumschränktheit zu sagen: ,Ich werde begnadigen, wen ich begnadigen werde, und werde mich er­barmen, wessen ich mich erbarmen werde" (Kap. 33, 19).

Kapitel 33 und 34

DAS "ZELT DER ZUSAMMENKUNFT". DIE FÜRBITTE MOSES UND DER NEUE NAME DES HERRN

Der HERR weigerte sich, das Volk in das Land der Verheißung zu ge­leiten. "Ich werde nicht in deiner Mitte hinaufziehen, denn du bist ein hartnäckiges Volk, daß ich dich nicht vernichte auf dem Wege" (V. 3). Am Anfang dieses Buches, als das Volk sich in der Sklaverei Ägyptens befand, hatte Er sagen können: "Gesehen habe ich das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, und sein Geschrei wegen seiner Treiber habe ich gehört; denn ich kenne seine Schmerzen" (Kap. 3, 7). Aber jetzt muß Er sagen: "Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk". Solange das Volk bedrängt ist, wendet Er ihm Seine Gnade zu, aber wenn es hartnäckig geworden ist, muß es gede­mütigt werden.

"Ihr seid ein hartnäckiges Volk; zöge ich nur einen Augenblick in deiner Mitte hinauf, so würde ich dich vernichten. Und nun lege deinen Schmuck von dir, und ich werde wissen, was ich dir tun will" (V. 5). Nur wenn wir wirklich alle Vorzüge, die wir von Natur aus haben, ablegen, kann Gott sich uns zuwenden. Ein nackter Sünder kann beklei­det werden, aber wer sich seiner natürlichen Qualitäten rühmt, muß entblößt werden.

"Und die Kinder Israel rissen sich ihren Schmuck ab an dem Berge Horeb (V. 6). Da standen sie am Fuß dieses denkwürdigen Berges. Ihre Festgesänge hatten sich in Klagelieder verwandelt, ihr Schmuck war dahin, und die Tafeln des Zeugnisses lagen in Stücken am Boden. Das war ihr Zustand, und Mose beginnt augenblicklich, diesem Zustand gemäß zu handeln. Er konnte das Volk nicht mehr in seiner Gesamt­heit anerkennen. Die Gemeinde hatte sich ganz und gar verunreinigt, indem sie ein selbstgefertigtes Götzenbild an den Platz Gottes gestellt hatte. "Und Mose nahm das Zelt und schlug es sich auf außerhalb des Lagers, fern vom Lager, und nannte es: Zelt der Zusammenkunft" (V. 7). Das Lager wurde also nicht länger als die Stätte der Gegenwart Gottes anerkannt. Gott war nicht dort und konnte nicht dort sein. Er war durch eine menschliche Erfindung verdrängt worden. Demzufolge wurde ein neuer Versammlungspunkt gebildet. "Und es geschah, ein jeder, der den HERRN suchte, ging hinaus zu dem Zelte der Zusammen­kunft, das außerhalb des Lagers war" (V. 7).

Hier wird ein Grundsatz deutlich, den der geistlich gesinnte Christ leicht verstehen wird. Der Platz, den Christus jetzt einnimmt, liegt "außerhalb des Lagers" (Hebr. 13, 13). Es erfordert eine große Unterwürfigkeit unter das Wort Gottes, um genau unterscheiden zu können, was eigent­lich das Lager" ist, und es bedarf viel geistlicher Kraft, sich von diesem Lager zu trennen. Und noch größerer Kraft bedarf es für den, der sich schon getrennt hat, um sowohl in Heiligkeit als auch in Gnade denen zu begegnen, die noch im Lager sind. Denn es ist die Heiligkeit, die uns von dem verunreinigten Lager absondert, und die Gnade, die uns fähig macht, denen zu helfen, die noch darin sind.

"Und der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet; und er kehrte zum Lager zurück. Sein Diener aber, Josua, der Sohn Nuns, ein Jüngling, wich nicht aus dem Innern des Zeltes" (V. 11). Mose legt hier mehr geistliche Tatkraft an den Tag als sein Diener Josua. Es ist viel leichter, eine Stellung der Ab­sonderung einzunehmen, als den richtigen Umgang mit denen zu finden, die noch im Lager sind.

"Und Mose sprach zu dem HERRN: Siehe, du sprichst zu mir: Führe dieses Volk hinauf, aber du hast mich nicht wissen lassen, wen du mit mir senden willst. Und du hast doch gesagt: Ich kenne dich mit Namen, und du hast auch Gnade gefunden in meinen Augen" (V. 12). Mose bit­tet, daß Gott ihn begleiten möge, zum Beweis dafür, daß er Gnade ge­funden habe in Seinen Augen. Wäre es nur nach der Gerechtigkeit Gottes gegangen, so hätte Er das Volk vernichten müssen, denn es war ein "hartnäckiges Volk". Aber nun ist der Mittler da, der gerade wegen dieser Hartnäckigkeit an die Gnade des HERRN appelliert. "Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, Herr, so ziehe doch der Herr in unserer Mitte; denn es ist ein hartnäckiges Volk; und vergib unsere Ungerechtigkeit und unsere Sünde, und nimm uns an zum Ei­gentum" (Kap. 34, 9). Gerade ein hartnäckiges Volk brauchte die un­erschöpfliche Gnade und Geduld Gottes. Nur Er konnte ein solches Volk ertragen.

"Und er sprach: Mein Angesicht wird mitgehen, und ich werde dir Ruhe geben" (V. 14). Könnte uns noch irgendetwas fehlen? Gott ist mit uns während der ganzen Wanderung durch die Wüste, und am Ende gibt Er uns ewige Ruhe! Für die Gegenwart haben wir die Gnade Gottes und für die Zukunft Seine Herrlichkeit.

In Kap. 34 wird das zweite Paar der Gesetzestafeln gegeben, nicht um wie das erste zerbrochen, sondern um in die Bundeslade gelegt zu wer­den, über der Gott als der Herr der ganzen Erde Seinen Platz einnehmen wollte. "Und er hieb steinerne Tafeln aus wie die ersten; und Mose stand des Morgens früh auf und stieg auf den Berg Sinai, so wie der HERR ihm geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. Und der HERR stieg in der Wolke hernieder, und er stand da­selbst bei ihm und rief den Namen des HERRN aus. Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt, ‑ aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen' ‑ der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, am dritten und am vierten Glied‑ (V. 4‑7). Denken wir daran, daß Gott sich hier als der Herr vorstellt, der die ganze Welt regiert, und nicht wie Er sich am Kreuz geoffenbart hat, nicht wie Er im Angesicht Jesu erscheint und nicht wie Er in dem Evangelium der Gnade angekündigt wird. Das Evangelium stellt uns Ihn in den Worten dar: "Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus und hat uns den Dienst der Versöhnung gegeben: nämlich, daß Gott in Christus war, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend, und hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt" (2. Kor. 5, 18. ig). Die Missetat "heim­suchen" und die Übertretungen "nicht zurechnen" sind zwei sehr ver­schiedene Dinge. Im ersten Fall sehen wir Gott in Seiner Regierung, im zweiten in dem Evangelium. In 2. Kor. 3 stellt der Apostel den Dienst nach 2. Mose 34 dem Dienst des Evangeliums gegenüber. Wer jenes Kapitel aufmerksam liest, der erkennt daraus, daß jeder, der den Cha­rakter Gottes, so wie er Mose auf dem Berg Horeb geoffenbart wurde, als eine Entfaltung des Evangeliums betrachtet, eine völlig verkehrte und mangelhafte Vorstellung von dem Evangelium haben muß. Weder in der Schöpfung noch in den Wegen der Regierung Gottes kann man jemals die tiefen Geheimnisse des Vaterherzens kennenlernen. Aber Gott hat sich im Angesicht Jesu geoffenbart (2. Kor. 4). Am Kreuz hat Er alle Seine Eigenschaften in göttlicher Harmonie ans Licht gestellt. "Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküßt" (Ps. 85, 10). Die Sünde ist gänzlich beseitigt und der glaubende Sünder vollkommen gerechtfertigt "durch das Blut seines Kreuzes" (Kol. 1, 20).

Kapitel 35‑40

"DIE ARBEIT DER WOHNUNG DES ZELTES DER ZUSAMMENKUNFT"

Diese Kapitel enthalten eine kurze Wiederholung der verschiedenen Teile der Stiftshütte und ihrer Geräte. Die Bedeutung der wichtigsten Teile davon habe ich, soweit mein Verständnis darüber reicht, bereits erklärt, so daß es nutzlos wäre, noch einmal darauf zurückzukommen. Zwei Dinge aber finden wir in diesem Abschnitt, die uns eine nützliche Unterweisung geben, nämlich erstens die "freiwillige Widmung“ und zweitens der "unbedingte Gehorsam" des Volkes im Blick auf die Arbeit an der Stiftshütte. In bezug auf die freiwillige Widmung lesen wir: "Und die ganze Gemeinde der Kinder Israel ging von Mose hinweg. Und sie kamen, ein jeder, den sein Herz trieb; und ein jeder, der willigen Geistes war, brachte das Hebopfer des HERRN für das Werk des Zeltes der Zusammenkunft und all seine Arbeit und für die heiligen Kleider. Und die Männer kamen mit den Weibern; ein jeder, der willigen Herzens war, brachte Nasenringe und Ohrringe und Finger­ringe und Spangen, allerlei goldene Geräte; und jeder, der ein Web­opfer an Gold dem HERRN webte. Und ein jeder, bei dem sich blauer und roter Purpur fand und Karmesin und Byssus und Ziegenhaar und rotgefärbte Widderfelle und Dachsfelle brachte es. jeder, der ein Heb­opfer an Silber und Erz hob, brachte das Hebopfer des HERRN, und jeder, bei dem sich Akazienholz fand zu allerlei Werk der Arbeit, brachte es. Und alle Weiber, die weisen Herzens waren, spannen mit ihren Händen und brachten das Gespinst: den blauen und den roten Purpur, den Karmesin und den Byssus. Und alle verständigen Weiber, die ihr Herz trieb, spannen das Ziegenhaar. Und die Fürsten brachten Onyxsteine und Steine zum Einsetzen für das Ephod und für das Brust­schild, und das Gewürz und das öl zum Licht und zum Salböl und zum wohlriechenden Räucherwerk. Die Kinder Israel, alle Männer und Wei­ber, die willigen Herzens waren, um zu all dem Werke zu bringen, das der HERR durch Mose zu machen geboten hatte, brachten eine freiwilli­ge Gabe dem HERRN" (Kap. 35, 20‑29). ‑ Und weiter lesen wir: "Und es kamen alle weisen Männer, die alles Werk des Heiligtums machten, ein jeder von seinem Werke, das sie machten, und sprachen zu Mose und sagten: Das Volk bringt viel, mehr als genug für die Arbeit des Werkes, das der HERR zu machen geboten hat ... Und des Verfertig­ten war genug für das ganze Werk, um es zu machen; und es war übrig" (Kap. 36, 4‑7).

Hier zeigt sich aufrichtige Widmung für die Arbeit am Heiligtum! Es war keine besondere Aufforderung oder eindringliche Mahnung nötig, um das Volk zum Geben zu ermuntern. Nein, ihr eigenes Herz trieb sie, und das war der rechte Weg. Freiwillige Widmung kommt aus dem Innern hervor. Fürsten, Männer und Frauen ‑ alle betrachteten es als ein Vorrecht, dem Herrn geben zu dürfen, und sie gaben nicht aus einem engen Herzen oder mit karger Hand, sondern in so fürstlicher Weise, daß man am Ende sogar zu viel hatte.

In bezug auf ihren unbedingten Gehorsam lesen wir: "Nach allem was der HERR dem Mose geboten hatte, also hatten die Kinder Israel die ganze Arbeit gemacht. Und Mose sah das ganze Werk, und siehe, sie hatten es gemacht; so wie der HERR geboten hatte, also hatten sie es gemacht; und Mose segnete sie" (Kap. 39, 42. 43). Gott hatte genaueste Anweisungen für die ganze Arbeit an der Stiftshütte gegeben. Jeder Pflock, jede Schleife, jede Klammer, jeder Haken ‑ alles war genau vorgeschrieben. Für den Verstand oder die gewöhnliche Einsicht des Menschen war kein Spielraum gelassen. Gott hatte keinen allgemeinen Umriß gegeben, den der Mensch noch vervollständigen mußte. "Siehe zu, daß du sie nach ihrem Muster machest, welches dir auf dem Berge gezeigt worden ist" (Kap. 25, 40; 26, 30; Hebr. 8, 5). Dieses Gebot ließ dem menschlichen Erfindungsgeist keinen Spielraum. Wenn es dem Menschen überlassen worden wäre, nur einen einzigen Pflock zu machen, so wäre dieser Pflock nach dem Urteil Gottes sicher nicht an die richtige Stelle gekommen. In Kap. 32 können wir sehen, was der "Meißel" des Menschen hervorbringt. Gott sei Dank! Er fand keinen Raum in der Stiftshütte. Die Israeliten taten in dieser Sache genau das, was ihnen geboten worden war ‑ nichts mehr und nichts weniger. Das ist eine heilsame Lehre für die bekennende Kirche! Es gibt viele Dinge in der Geschichte Israels, die wir mit allem Ernst zu vermeiden suchen sollten, so z. B. ihr ungeduldiges Murren, ihre gesetzlichen Gelübde und ihre Abgötterei. Aber in der Widmung für den Herrn und in dem un­bedingten Gehorsam bei der Arbeit am Hause Gottes sollten wir ihre Nachahmer sein. Wir dürfen mit voller Gewißheit behaupten, daß, wenn nicht alles nach dem auf dem Berge gezeigten Muster gemacht worden wäre, wir nicht am Ende des Buches lesen würden: "Und die Wolke be­deckte das Zelt der Zusammenkunft, und die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung. Und Mose konnte nicht in das Zelt der Zusam­menkunft hineingehen; denn die Wolke ruhte darauf, und die Herrlich­keit des HERRN erfüllte die Wohnung" (Kap. 40, 34. 35). Die Woh­nung entsprach in jeder Beziehung dem göttlichen Muster, und darum konnte die göttliche Herrlichkeit sie erfüllen.

Dies alles enthält wertvolle Belehrungen für uns. Man ist im allgemei­nen geneigt, das Wort Gottes als unzureichend zu betrachten in bezug auf Einzelheiten, die mit der Anbetung Gottes und Seinem Dienst in Verbindung stehen. Das ist ein großer Irrtum, der in der bekennenden Kirche immer wieder zu Fehlern und Verirrungen geführt hat. Das Wort Gottes genügt für alles, mag es sich nun um unser persönliches Heil und unseren Wandel oder um die Ordnung und Leitung der Versammlung handeln. "Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Ge­rechtigkeit, auf daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werke völlig geschickt" (2. Tim. 3, 16. 17). Wenn das Wort Gottes einen Menschen zu Jedem guten Werke völlig geschickt macht, so folgt notwendigerweise daraus, daß alles, was nicht in Einklang mit diesem Wort steht kein gutes Werk sein kann (vgl. Eph. 2, 10). Und vergessen wir es nie, daß sich die Herrlichkeit Gottes nicht mit etwas verbinden kann, was nicht dem göttlichen Muster entspricht!

Wir haben nun das Ende dieses wunderbaren Buches erreicht. Ich hoffe, daß wir es mit Gewinn betrachtet und manchen erfrischenden Gedan­ken über Christus und Sein Opfer dabei entdeckt haben. Freilich sind unsere erhabensten Gedanken, Vorstellungen und Begriffe im Blick auf die Offenbarungen Gottes in diesem Buch nur schwach und oberflächlich. Die Gnade Gottes aber hat uns auf den Weg zu jener Herrlichkeit ge­bracht, wo wir erkennen werden, wie wir erkannt sind und im vollen Lichte Dessen stehen werden, der der Anfang und das Ende aller Wege Gottes ist, sowohl in der Schöpfung als auch in der Vorsehung und in der Erlösung. Möchten Schreiber und Leser das unendliche Glück ken­nen, alles in Christus zu finden, und möchten wir nicht aufhören, mit Geduld auf Seine nahe Ankunft zu warten! Amen!