3.Mose 10 Aaron und seine Söhne BdH 1911

06/27/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

1. Der Tod, die Grundlage aller Anbetung.

Im 3. Buche Mose wird uns gezeigt, auf welchem Wege der Mensch Gott; dem Heiligen, der über den Cherubim thront, nahen kann. Allerdings finden wir bei der Betrachtung dieses Buches auf Schritt und Tritt, dass der Weg zum Heiligtum in Wirklichkeit noch nicht geoffenbart war. (Vergl. Hebr. 9, 8.) Das konnte erst geschehen, nachdem der Sohn Gottes aus Golgatha ausgerufen hatte: „Es ist vollbracht!“ wonach, gleichsam in Antwort darauf, der Vorhang zerriss, der im Tempel das Allerheiligste von dem Heiligen schied. Aber vorbildlich wird uns dieser Weg hier in einer Weise gezeigt, wie sonst nirgendwo im Alten Testament. Deshalb begegnen wir auch im Eingang des Buches einer genauen Beschreibung der verschiedenen Opfer und in unmittelbarem Anschluss daran der Einrichtung des Priestertums. Aaron und seine Söhne werden geweiht und in ihren Dienst eingeführt (Kap. 8 u. 9).

Es sei hier nebenbei bemerkt, dass der Hohepriester und seine Söhne, oder Aaron und sein Haus, ein stehendes Vorbild sind von Christo und der Gemeinde. Zuweilen erscheinen sie getrennt, wie z.B. bei der Einweihung im 8. Kapitel unseres Buches. Aaron wird gesalbt, ohne dass vorher das Blut auf ihn gesprengt worden wäre (V. 12), die Söhne werden mit· Öl und Blut besprengt. Wir erkennen darin die Vollkommenheit der Person Christi: Er konnte die Fülle des Heiligen Geistes empfangen, ohne mit dem Sühnungsblute in Verbindung gebracht zu sein, wir empfangen sie nur kraft Seiner Vollkommenheit und der Vergießung Seines Blutes für uns. In Aaron allein erblicken wir daher ein Vorbild von Christo, in ihm und seinen Söhnen ein Vorbild von der Kirche.

Wir alle sind „Priester“ Gottes. Das ist unser gesegneter Platz, unser kostbares Vorrecht als Kinder Gottes, zugleich aber auch, und das sollten wir nie vergessen, eine Stellung unausgesetzten, beständigen Dienens. Durch die Einführung in die Nähe Gottes wurden die Priester in Israel Diener des ganzen Volkes. So ist selbst Jesus, der „Hoherpriester geworden ist nach der Ordnung Melchisedeks“ (König und Priester), heute „ein Diener des Heiligtums und der wahrhaftigen Hütte“ (Hebräer 8, 2), entsprechend dem Vorbilde des priesterlichen Dienstes Aarons; und wir, die wir „unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht sind“, befinden uns gleich den Söhnen Aarons in einer dienenden Stellung.

Am Ende des 9. Kapitels wird uns erzählt, wie Aaron, .nach seiner Einweihung, die vorgeschriebenen Opfer darbrachte und dann mit Mose in das Zelt der Zusammenkunft ging. Der König und der Priester entschwanden so den Blicken des draußen harrenden Volkes, und als sie wieder heraustraten und das Volk segneten, erschien die Herrlichkeit Jehovas dem ganzen Volke, und Feuer ging aus von Jehova und verzehrte auf dem Altar das Brandopfer und die Fettstücke. „Und das ganze Volk sah es, und sie jauchzten und fielen auf ihr Angesicht“ - ein ergreifendes Bild von der tausendjährigen Herrlichkeit und Freude, die am Ende der Tage ans Licht treten wird, wenn Christus, der wahre König und Priester, der jetzt im Heiligtum verborgen ist, hervortreten und Sein Volk Israel segnen wird.

Alles ist Herrlichkeit und Jauchzen. Aber ach! noch ehe die Sonne jenes bedeutungsvollen Tages unterging, verwandelte sich die Herrlichkeit in eine dunkle Wolke des Gerichts, das Jauchzen in Trauer und Wehklage. Das Wort Gottes berichtet von Anfang bis zu Ende von dem Fehlen und der Unvollkommenheit des Menschen. In welche Umstände und Verhältnisse Gott den Menschen auch stellen mochte — überall hat er gefehlt. Adam, Noah, das Volk Israel und die Kirche - alle, alle reden dieselbe Sprache und belehren uns in derselben traurigen, demütigenden Weise. Fehlen und Zukurzkommen kennzeichneten stets die Wege des Menschen. Auch das vorliegende Kapitel zeigt uns dies in ernster, ergreifender Weise. Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, bringen· „fremdes Feuer dar vor Jehova, das Er ihnen nicht geboten hatte“, und dasselbe Feuer, das am Ende des 9. Kapitels das Brandopfer und die Fettstücke auf dem Altar verzehrt hatte, ging jetzt aus von Jehova „und verzehrte sie; und sie starben vor Jehova“ (V. 2. 3).

Dies führt uns zu einem der wichtigsten Teile des priesterlichen Dienstes, zu der Anbetung. Doch ehe wir darauf näher eingehen, müssen wir uns ein wenig mit der Grundlage desselben beschäftigen. Diese Grundlage ist der Tod, der Tod eines Sühnopfers an unserer Statt. Ohne das ist jede Anbetung unmöglich. Der Tod muss zwischen uns und Gott treten. Betrachten wir Kain und Abel. Kain brachte die Früchte eines verfluchten Erdbodens, die er diesem „im Schweiße seines Angesichts“ abgerungen hatte - genau das, was der natürliche Mensch allezeit Gott zu bringen bemüht ist. Sein Gottesdienst kostete ihn mehr, als der Gottesdienst Abels diesen kostete. Aber in der ganzen Sache war kein Glaube, keine Anerkennung des gefallenen Zustandes des Menschen, kein Gedanke an Gottes Gerechtigkeit oder Gnade. Das Opfer Kains bezeugte die völlige Gefühllosigkeit seines Herzens bezüglich dessen, was er vor Gott war. Er brachte „Opfer der Toren“ dar, und das ist alles, was der natürliche, religiöse Mensch und ein ungläubiges Herz bringen können.

Wenn wir nun fragen, was das Opfer Abels „vorzüglicher“ machte, so lautet die Antwort: der Glaube, der in diesem Manne wirkte. Abel bekannte durch sein Opfer, dass der Tod zwischen ihn und Gott treten musste, dass er ein sündiger, schuldiger Mensch war, der den Tod verdient hatte. So wurde er ein wahrer Anbeter, und so muss es immer sein: ohne Tod gibt es keine Anbetung; soll der Mensch als Anbeter Gott nahen können, so muss unter allen. Umständen der Tod eintreten. Anders bleibt die Tür verschlossen, der Weg versperrt. So war es vorbildlich im Alten Bunde, und so ist es in Wirklichkeit heute.

Nun gab es unter dem Gesetz verschiedene Darstellungen des Todes Christi, verschiedene Opfer. Die zwei Hauptklassen der Opfer waren Sündopfer und Brandopfer, beide hochheilig, beide Feueropfer, aber nur die letzten „Feueropfer lieblichen Geruchs“. Ohne das Sündopfer, durch welches die Frage der Sünde geregelt wurde, wäre selbstverständlich kein Nahen zu Gott, keine Anbetung möglich; es bildet gleichsam die Eingangstür, es ist der Weg, auf dem allein wir als Erlöste nahen können. Aber das Brandopfer, ein Opfer ,,lieblichen Geruchs“, das Bild der vollkommenen Hingebung und Widmung Christi an Gott, ist es, welches unserer Anbetung ihren eigentlichen Charakter gibt: wir nahen Gott nicht nur in dem sühnenden Werte des Blutes Christi, sondern auch in unserer Annehmlichkeit in Christo; mit anderen Worten: wir nahen nicht nur als solche, deren Sünden vergeben sind, sondern als solche, die „begnadigt sind in dem Geliebten“, die des ganzen Wohlgeruchs dessen teilhaftig geworden sind, was Christus für Gott war und getan hat. - Hast du dies verstanden, und ist es das Eigentum deines Herzens geworden, mein lieber gläubiger Leser? Nicht wahr? es verleiht dem Gottesdienst der Gläubigen eine Innigkeit und Erhabenheit, wie sie höher gar nicht auszudenken wären.

Das Brandopfer gibt also der Anbetung den Charakter des ihm eigenen „lieblichen Geruchs“. Dass das, was in Christo und Seinem Opfer durchaus vollkommen ist, bei uns immer und in jeder Beziehung den Stempel der Unvollkommenheit trägt, tragen muss, brauche ich nicht zu sagen. Doch was machte das Opfer Christi für Gott so annehmlich? was gab ihm den lieblichen Geruch? Es war die Vollkommenheit Seines heiligen Willens, verbunden mit und geoffenbart in Seiner gänzlichen Hingabe an Gott. Er konnte sagen: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt es zu lassen, und habe Gewalt es wieder zu nehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh. 10, 17. 18). Er war nicht nur das reine, fleckenlose, von Gott ausersehene Opfer, sondern Er war auch fähig, „durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott zu opfern“ (Hebräer 9,14). So gab Er dem Vater einen Anlass, zu lieben. Niemand konnte Ihm das Leben nehmen, Er ließ es freiwillig in der Macht Seiner göttlichen Person. Er, der in Gestalt Gottes war, achtete es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, . . . und, in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, erniedrigte Er sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze“ (Phil. 2, 6 - 8). Es war Seine Wonne, den Willen des Vaters zu tun, Gottes Gesetz, war im Innern Seines Herzens, und Er kam als Der, von welchem in der Rolle des Buches geschrieben stand.

Der Wille, welcher in uns Sünde ist (denn wir haben von Natur nur einen bösen Willen) erwies sich in der Aufopferung Seiner selbst als vollkommener Gehorsam. In jeder Form und Gestalt finden wir in Christo nur Vollkommenheit. Er war vollkommen in allen Seinen Wegen, in Seinem ganzen Leben, in Seiner Widmung für Gott usw.; und dieser Vollkommene opferte sich selbst Gott in vollkommenem Gehorsam – „nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“ Gerade so wie der Vorsatz des eigenen Willens in dem ersten Adam, der sich selbst suchte, den Tod einführte, brachte der Willensvorsatz in dem letzten Adam, dem Herrn Jesu Christo — der Vorsatz nämlich, Gott zu dienen — durch den Tod uns das Leben. Der erste Mensch hatte aus die Lüge Satans gelauscht und so Gottes Majestät beleidigt, denn Satan leugnete, dass Gott wahrhaftig und gütig sei; der Herr Jesus aber wankte selbst in den heißesten Proben nicht einen Augenblick in Seinem Gehorsam und in Seinem Vertrauen auf Gott, ja, Er verherrlichte Gott in allem, was Er ist. So konnte Er, als Judas hinausging, um Ihn zu verraten, sagen: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm“ (Joh. 13, 31.) Wer wäre imstande gewesen, Gott selbst im Blick auf die Sünde zu verherrlichen und Friede und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden, als nur Er, der Sohn des Menschen? Und Gott hat in diesem Werke Seine Ruhe gefunden.

Gott ist am Kreuze vollkommen verherrlicht worden. Er hatte einst gesagt, der Lohn der Sünde sei der Tod. Satan hatte erwidert: „Mitnichten werdet ihr sterben“ (1. Mose 3, 3. 4). Und nun, mein Leser, blicke auf Den, der am Kreuze hing! Hat Gott die Wahrheit gesprochen? Weiter hatte Satan die Liebe Gottes zu dem Menschen in Zweifel gezogen. Und siehe da, Jesus stirbt für den Menschen am Fluchholz! Satan hatte den Menschen versucht, indem er ihm vorspiegelte, sobald er von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen esse, werde er sein wie Gott. Und was tat Gott? Er gab Seinen geliebten Sohn für uns dahin und sagt, dass wir Seinem Bilde gleichgestaltet werden sollen. So ist Gott den Menschen gegenüber in allem gerechtfertigt worden, und zwar nicht zum Verderben des Menschen, sondern zu seinem ewigen Heil.

Als der Herr Jesus „durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott opferte“, fand Gott Seine Ruhe darin, und: „Da, wo Gott mit Wonne ruhet, bin auch ich in Ruh’ gesetzt“. Hier ist die Grundlage aller Anbetung: sie empfängt und nimmt ihren Wohlgeruch von dem, was Christus war und getan hat. Je mehr das Brandopfer dem Feuer ausgesetzt wurde, desto mehr kam seine Lieblichkeit zum Ausdruck. Es war ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova (3. Mose 1, 9). So war es in vollkommener Weise in Christo. Das Feuer der Heiligkeit Gottes, welches all Sein Inneres durchforschte und erprobte, brachte nur einen lieblichen Geruch für Gott hervor. Darin liegt auch unsere Annehmlichkeit. In dem Werte dieser Person und dieses Opfers erheben wir uns zu Gott, und indem wir dort sind, genießen wir die Gemeinschaft der Anbetung vor Ihm, ja, Gemeinschaft mit Ihm selbst. Bei den Opfern hatte Gott Sein Teil, der Priester hatte Sein Teil, und die Opfernden aßen auch davon. So ist es heute noch; aber all unser Festfeiern kann sich nur gründen auf den Wert, den Christus in den Augen Gottes hat, und wir in Ihm.

Zum Schluss noch eins: Der Tod, obwohl er des Menschen Sünde bezeugt, ist jetzt infolge des Todes Christi unser Diener geworden. „Es sei Leben oder Tod, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges: alles ist euer“ (1. Kor. 3, 22.) Weil Christus den Tod geschmeckt hat, ist der Tod jetzt für uns, wie er einst gegen uns war. Ja, alles was gegen uns war, ist verschwunden. Christus hat „durch Gottes Gnade“ für alles den Tod geschmeckt (Hebr. 2, 9). In Seinem Tode erblicken wir die Gnade Gottes, obgleich dieser Tod Ihn traf wegen unserer Sünde. Alles was unser teurer Herr anrührt, verwandelt sich für uns in Segen. Da wo der Tod in seiner gewaltigsten Machtentfaltung sich zeigte, in dem Tode Jesu, hat sich zugleich die überwältigende Macht der Gnade geoffenbart.

2. Das fremde Feuer.

Wie wir gesehen haben, empfängt und nimmt alle Anbetung ihren Wohlgeruch von dem, was Christus war und getan hat. Aaron und seine Söhne mussten die Feuerkohlen, auf welchen sie das wohlriechende Räucherwerk vor Jehova verbrannten, von dem Altar im Vorhof nehmen, auf welchem die Brandopfer, die Fettstücke der Friedensopfer, einzelne Teile der Sündopfer u. s. w.: geräuchert wurden. So sollte es nach Gottes Gedanken sein. (Vergl. Kap. 16, 12.) Aber Nadab und Abihu, die beiden ältesten Söhne Aarons, missachteten das göttliche Gebot; oder wenn jenes Gebot noch nicht bestimmt gegeben war, warteten sie nicht auf Gottes Anordnung,sondern begannen nach eigenen Gedanken ihren Dienst auszuüben. Sie „brachten fremdes Feuer vor Jehova. dar, das Er ihnen nicht geboten hatte“ (V. 1).

Hatten sie getan, was im 9. Verse bestimmt verboten wird, und so alle Nüchternheit und Überlegung verloren? Oder war es nur ein grober Mangel an Ehrfurcht vor Gott, ein völliges Vergessen ihrer Abhängigkeit von Ihm? Wir wissen es nicht. Jedenfalls aber sehen wir, wie ernst Gott ihr Vergehen richtete: dasselbe Feuer, welches Seinem Wohlgefallen an den Opfern am Ende des 9. Kapitels Ausdruck gegeben hatte, geht jetzt von Ihm aus, um die Missetäter zu verzehren. „Und sie starben vor Jehova.“

Ja, „unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“, „ein Gott, gar erschrecklich in der Versammlung der Heiligen, und furchtbar über alle, die rings um Ihn her sind“ (Ps. 89, 7). Er will „in denen, die Ihm nahen, geheiligt, und vor dem ganzen Volke will Er verherrlicht werden“ (V. 3). Er kann unmöglich die Ansprüche Seiner Heiligkeit ermäßigen, Er muss sich selbst immer treu bleiben. Wenn Er uns in Seiner unbegreiflichen Gnade gestattet, Ihm zu nahen, so dürfen wir keinen Augenblick vergessen, dass Er Licht ist und gar keine Finsternis in Ihm. „Seid heilig, denn ich bin heilig!“ Das gesegnete, kostbare Verhältnis, in welches wir zu Gott gebracht sind, führt eine ernste, heilige Verantwortlichkeit mit sich. Wir sind Kinder Gottes, Zeugen Gottes, Priester Gottes, Menschen Gottes u. s. w.; aber in all diesen Beziehungen entspricht das Maß unserer Verantwortlichkeit der Natur und dem Wesen Dessen, der die Beziehung geschaffen hat.

Es steht außer aller Frage, dass die beiden Söhne Aarons diese ernste Wahrheit aus dem Auge verloren hatten. Sie waren Priester Jehovas, und nur Ihm stand das Recht zu zu bestimmen, wie Er angebetet und gepriesen werden wollte. Jedes eigenwillige Tun war ein dreister Eingriff in Seine Rechte, eine Missachtung Seiner Herrlichkeit und Heiligkeit. Das lässt uns verstehen, warum Gott so unmittelbar und so ernst richtete. Nadab und Abihu wollten Gott nach ihren eigenen Gedanken dienen, und so traf sie ein schonungsloses Gericht. Je näher wir Gott gebracht sind, desto mehr wird von uns gefordert. Nahen wir Ihm, so darf es nur geschehen in dem tiefen Bewusstsein Seiner Heiligkeit und in der ernsten Verurteilung unseres eigenen Ichs.

Wie bereits gesagt, durfte nur von dem Brandopferaltar das Feuer genommen werden, auf welchem das „wohlriechende, kleingestoßene Räucherwerk“ (das liebliche Vorbild des kostbaren Wohlgeruchs Christi, der durch das Feuer des Gerichts nur um so herrlicher hervortrat,) vor Gott verbrannt werden musste. Was für Feuer die unglücklichen Söhne Aarons gebracht, woher sie es genommen haben, wird uns nicht gesagt; es genügt zu wissen, dass es nicht vom Altar Gottes kam. Es war fremdes Feuer und deshalb unannehmbar für Gott. Es durfte nicht in Gottes heilige Gegenwart gebracht werden.

Wie ernst ist das für uns! All unsere Anbetung, das gemeinsame Singen eines Liedes, das Loben und Danken in der Versammlung und vor allem bei der Feier des Abendmahls, mit einem Wort, alles was wir in priesterlichem Dienst Gott darbringen, muss aus jener Quelle hervorgehen, muss Christum und Seinen Tod zum Ausgangspunkt haben, muss Seine Vortrefflichkeit und Kostbarkeit zum Ausdruck bringen und Seinen Wohlgeruch tragen. Nur so ist unser Dienst Gott wohlannehmlich, obgleich er, soweit es uns betrifft, stets mit Mängeln und Gebrechen behaftet bleibt; denn die tiefste Erkenntnis der Person Christi, das verständnis- und liebevollste Eingehen in Seine Liebe und Sein Opfer, die wärmsten Zuneigungen eines ausrichtigen, dankbaren Herzens — alles ist unvollkommen und wäre unannehmbar, wenn es nicht aus jener Quelle hervorginge. Jedes Schlachtopfer muss, wie der Herr selbst sagt, mit Salz“ gesalzen werden. Alles was aus der Natur des Menschen hervorkommt oder daraus berechnet ist, seine natürlich-menschlichen Gefühle zu erregen, ist fremdes Feuer“, ist ein Gräuel vor Gott. Wer solches darbringt, wird dem Feuer Gottes im Gericht begegnen müssen.

Und was, so möchte ich fragen, gibt es in uns, das nicht das Feuer des Gerichts verdient hätte? Nichts! Wenn aber unser Ich, alles was wir sind und was in uns ist, in Christo dem Feuer begegnet und dort gerichtet ist, wenn das Feuer an Ihm sein Werk vollzogen hat, als Er für uns zur Sünde gemacht war und Gott im Blick auf die Sünde verherrlichte, dann bleibt für uns nichts anderes übrig, als der kostbare Wohlgeruch Christi. Sollten wir so töricht und vermessen sein und etwas anderes begehren? Könnten wir irgendetwas vor Gott bringen, was diesen Wohlgeruch zu ersetzen oder Gott zu befriedigen vermöchte? Nein, „in Christo und dem Werte Seines Todes erscheinen wir vor Gott“. Ihn bringen wir in unserer Anbetung Gott dar, und je mehr wir unsere Räucherpfannen mit dem Feuer vom Brandopferaltar füllen, desto reiner, voller und kräftiger wird der Wohlgeruch des kleingestoßenen Räucherwerks vor Gott aufsteigen. Inbrünstige Gefühle aber, religiöse Verrichtungen, andächtige Übungen und dergl. die armseligen Ergebnisse des frommen Fleisches und des Eigenwillens des Menschen, sind alle verwerflich, ja, verabscheuungswürdig vor Gott. Lauter „fremdes Feuer“!

In welch erschreckender Weise ist die bekennende Kirche den Weg Nadabs und Abihus gegangen! Wie ist der Wohlgeruch Christi aus ihren Gottesdiensten verschwunden und hat den traurigen Ergebnissen fremden Feuers Platz, gemacht! Der Eigenwille ist an die Stelle der Ehrfurcht vor Gott getreten, menschliche Eirichtungen und religiöse Gebräuche haben den einfachen, aber so herrlichen priesterlichen Dienst der Gläubigen verdrängt und schließlich ganz unmöglich gemacht. Alles ist darauf berechnet, den Menschen und seine religiösen, andächtigen Gefühle zum Mittelpunkt zu machen und Christum allmählich ganz verschwinden zu lassen. Man hat die Stellung völlig vergessen, in welche Gott die Seinigen als Anbeter eingeführt hat.

Es kann uns nicht Wunder nehmen, dass da, wo die meisten der den Gottesdienst Übenden Gott nicht kennen, es so steht, wie wir es eben beschrieben haben. Aber wie ist es unter denen, die aus der Mitte jener ausgegangen sind, die sich abgesondert haben und nach Gottes Gebot (2. Kor. 6, 17) Unreines nicht anrühren möchten? Wird da die Sünde Nadabs und Abihus nicht gefunden? O wollte Gott, dass es so wäre! Leider, leider müssen wir bekennen, dass das „fremde Feuer“ auch unter uns keine unbekannte Sache ist. Wie manches zeigt sich inmitten der Kinder Gottes, macht sich selbst breit „vor Jehova“, was nicht mit dem Feuer vom Brandopferaltar in Verbindung steht!

Da betet einer mit großer Salbung und redet in hohen, tönden Worten von den Segnungen, die wir in Christo haben. Aber die Hörer werden nicht erwärmt; da ist kein wahres Mitgehen und Mitbeten möglich. Man fühlt, der Mensch ist auf dem Plane. Das Ich wird da eingeführt, wo der Tod anerkannt werden sollte. Fremdes Feuer!

Da sitzt ein anderer und singt anscheinend glücklichen Herzens die schönen Dankesliedern mit, vielleicht schlägt er gar selbst eins vor oder liest einen Schriftabschnitt vor, während seine Seele nicht wirklich vor Gott in Christo ruht. Seine Stimme tönt laut, der Weihrauch steigt auf, aber — fremdes Feuer!

Da erhebt sich ein dritter, um ein Wort zu reden, Er will sich doch auch einmal in der Mitte der Gläubigen hören lassen, oder, was noch schlimmer ist, er gefällt sich selbst in seinem Reden; er hat ja doch, wie er meint, eine Gabe und deshalb ein Recht, sie auszuüben. Gegen seine Worte ist nichts einzuwenden, seine Ausführungen entsprechen der Wahrheit, aber -— fremdes Feuer!

Wieder andere sind bemüht, recht inbrünstige, andächtige Gefühle in sich wachzurufen, in der Meinung, Gott damit einen Dienst darzubringen. Sie beschäftigen sich vornehmlich mit den körperlichen Leiden Christi, und wenn sie sich dann in ein so recht tiefes Mitgefühl hineingearbeitet haben, meinen sie, Gott ganz besonders wohlgefällig zu sein. Lauter fremdes Feuer!

Was aber sollen wir erst sagen, wenn ein Christ priesterlich dienend vor Gott hintreten will, und sein Gewissen ist beschwert, sein Herz nicht rein und lauter? Wenn er sogar am Tische des Herrn unter dem Druck einer gerichteten· Sünde erscheint, wenn er isst, ohne „sich selbst geprüft zu haben“? (1. Kor. 11, 28). Ein solcher macht sich in ganz ausgeprägtem Sinne der Sünde der beiden Söhne Aarons schuldig, und das- Gericht muss gerade von der Stätte der Gnade ausgehen und ihn treffen. „Wer unwürdiglich isst und trinkt, isst und trinkt sich selbst Gericht, indem er den Leib nicht unterscheidet.“

„Feuer ging aus von Jehova und verzehrte sie, und sie starben vor Jehova.“ Welch ein ergreifendes Schauspiel! Das „fremde« Feuer begegnet der Heiligkeit oder dem „wahren« Feuer des Gerichts Gottes. Wie ernst ist der Gedanke! Gott erweist sich, und zwar gerade an der Stätte des Segens und der Gnade, als— ein Gott des Gerichts. Es kann nicht anders sein. Gott ist ein eifernder Gott, und alles was fälschlich einen: Platz „vor Ihm“ einnehmen will, muss Seinem gerechten Zorn begegnen; denn obwohl die Gnade uns in Seine« Gegenwart eingeführt hat, bleibt diese doch, wie schon. weiter oben gesagt, eine heilige Stätte, eine Stätte des Gerichts. „In denen, die mir nahen, will ich geheiligt werden.“ Nur dann, wenn wir uns selbst richten und das Urteil des Todes auf uns anwenden, werden wir nicht gerichtet werden (Vergl. 1. Kor. 11, 31).

Gott gebe, dass diese Dinge die ernsteste Beachtung von uns allen finden möchten! Ach! es gibt so viel „fremdes Feuer“ in unserer Anbetung, so viel Gleichgültigkeit und Eigenwillen in unserem Dienst; und darum muss Gott auch oft so ernst mit uns reden. Der Gott, der uns berufen hat, ist und bleibt heilig. Der, den wir als Vater anrufen, richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk. Wie sollten wir deshalb „die Zeit unserer Fremdlingschaft in Furcht wandeln“! (1. Petr. 1, 15 — 17). Unsere Verantwortlichkeit entspricht dem Platze, zu dem wir gebracht sind; der Herr richtet uns in Übereinstimmung mit diesem Platz, oder gemäß der Stellung, in welcher wir uns befinden. In unseren irdischen Verhältnissen ist es ja auch so. Die Verantwortlichkeit eines Menschen wächst mit der Höhe seiner Stellung und der Ausdehnung seiner Befugnisse. So beurteile ich schon Leute, welche zu meinem Hause gehören, ganz anders als Draußenstehende. Ein Fremder kann sich vielleicht mancherlei erlauben, was ich seinem Hausbewohner oder gar einem Familiengliede nicht gestatten würde.

Gott handelt mit uns auf dem Boden der Gnade, aber auch der Heiligkeit, und beachten wir, dass Heiligkeit bei uns ebenso gut einen Teil der Gnade ausmacht wie jede andere Segnung. Wenn Gott uns- zuruft: „Seid heilig, denn ich bin heilig“, so ist das nicht nur ein Gebot, sondern zeigt uns auch, in welch eine vertrauliche Beziehung wir zu Ihm gebracht sind. Heiligkeit geziemt uns und entspricht zugleich den tiefsten Bedürfnissen unserer neuen Natur. Die Gnade muss uns „Seiner Heiligkeit teilhaftig“ machen. (Hebr. 12, 10). Nicht dass Gott die Heiligkeit des Menschen fordere, wie man so oft meint und lehrt, sondern Er macht uns Seiner Heiligkeit teilhaftig, und zwar in Liebe. Was könnten oder möchten wir mehr wünschen, als dessen immer mehr teilhaftig zu werden, was Gott von alledem absondert, das mit Ihm selbst unverträglich ist? Es handelt sich nicht mehr um Unschuld — dies schöne Kleid ist durch die Schuld des Menschen für immer verdorben — sondern um Heiligkeit. Unschuld ist die mangelnde Kenntnis von gut und böse. Der Mensch vor seinem Falle war unschuldig; wir nennen ein kleines Kind unschuldig, so lange es den Unterschied zwischen gut und böse nicht kennt. Niemand wird Gott unschuldig nennen. Gott ist heilig, und Er macht uns Seiner Heiligkeit teilhaftig. Es ist Seine Heiligkeit, d. i. die Kenntnis des Bösen, so wie Er es kennt, und die Fähigkeit, sich über dasselbe zu erheben. Ist das nicht etwas überaus Großes und Wunderbares? Und darum sage ich, dass die Heiligkeit ebenso gut einen Teil der Gnade ausmacht wie die Liebe, welche sie bewirkt. Was den Zustand des gefallenen Menschen so schrecklich macht, ist gerade der Umstand, dass er die Kenntnis des Guten und Bösen besitzt, ohne die Fähigkeit zu haben, das eine zu tun und das andere zu lassen.

„Und Mose sprach zu Aaron: Dies ist es, was Jehova geredet hat, indem Er sprach: In denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden. Und Aaron schwieg“ (V. 3). Ach! was sollte er sagen? Es waren seine Söhne, die gesündigt hatten, sein eigen Fleisch und Blut. Sie, die unmittelbar vorher mit ihm geweiht worden, ja, mit ihm Augenzeugen der Herrlichkeit des Herrn gewesen waren, lagen, von dem Feuer Jehovas verzehrt, vor ihm! Der Mund des Hohenpriesters fand keine Worte, wenn auch das Herz des Vaters blutete. Aaron sah hier deutlich die Hand Gottes im Gericht, und er erkannte Gottes Tun an. „Ich bin verstummt, ich tue meinen Mund nicht auf; denn du, du hast es getan“ (Ps. 39, 9). Gott hatte geredet, und es geziemte Aaron, zu schweigen.

Mein lieber gläubiger Leser, wie redet das alles zu unserem Herzen und Gewissen! Wie vorsichtig und heilig sollten wir sein in all unserem Wandel, wie sorgfältig selbst über die Gedanken und Regungen in unserem Innern wachen, damit sich nicht Sorglosigkeit und Gefühllosigkeit einschleichen und die heiligen Triebe und Instinkte der göttlichen Natur in uns ersticken! Es kann auch heute dahin kommen, dass Gott mit einem unmittelbaren Gericht eingreifen muss. „Es gibt Sünde zum Tode“ (1. Joh. 5, 16). In einem solchen Falle verstummt die priesterliche Fürbitte; es geziemt sich dann, schweigend das Haupt zu beugen und anzuerkennen, dass Gott in denen, die Ihm nahen, geheiligt werden will. „Es gibt Sünde zum Tode; nicht für diese sage ich, dass er bitten solle.“ Gott hat die Sache in Seine eigene Hand genommen, Er hat an Seiner heiligen Stätte gehandelt, und alles was der Mensch tun kann, ist schweigen, so schwer es der Natur werden mag.

„Und Mose rief Misael und Elzaphan, die Söhne Ussiels, des Oheims Aarons, und sprach zu ihnen: Tretet herzu, traget eure Brüder von dem Heiligtum hinweg außerhalb des Lagers. Und sie traten herzu und trugen sie in ihren Leibröcken hinweg außerhalb des Lagers, so wie Mose geredet hatte« (V. 4. 5.) Welch ein trauriger Leichenzug! Aber auch welch eine Sprache für alle, die zuschauten! „Vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden.“ Die beiden unglücklichen Männer hatten Gott verunehrt, und so musste Gott selbst für Seine Verherrlichung eintreten.

O möchten sich diese Dinge tief in unsere Herzen eingraben und da ein gesegnetes Werk tun!

3. Wein Und starkes Getränk.

„Und Mose sprach zu Aaron und zu Eleasar und zu Ithamar, seinen Söhnen: Eure Häupter sollt ihr nicht entblößen und eure Kleider nicht zerreißen, damit ihr nicht sterbet, und Er nicht erzürne über die ganze Gemeinde . . . . Und von dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft sollt ihr nicht weggehen, dass ihr nicht sterbet; denn das Öl der Salbung Jehovas ist auf euch“ (V. 6. 7).

Schweigend hatte Aaron neben den Leichen seiner beiden ältesten Söhne gestanden und sein Haupt unter das Gericht des heiligen Gottes gebeugt. Still und stumm hatten seine beiden Vettern, Misael und Elzaphan, die Leichname von dem Heiligtum hinweggetragen außer-halb des Lagers. Wie naturgemäß wäre es gewesen, wenn Vater und Brüder sich jetzt ihrem Schmerz hingegeben und ihrer Trauer Ausdruck verliehen hätten! War es nicht fast grausam, unter solchen Umständen ein ununterbrochenes Verharren in ihren priesterlichen Verrichtungen von ihnen- zu fordern? Der Natur mag es so vorkommen, nicht aber dem erneuerten geistlichen Sinn. Dieser bringt alles in Verbindung mit Gott und urteilt nach den Forderungen der Natur Dessen, der Licht ist und vor- dem ganzen Volke verherrlicht werden will.

Aaron und seine Söhne waren Priester, das heilige Salböl Jehovas war auf ihnen. Ganz andere Anforderungen wurden deshalb an sie gestellt, als an das Volk oder selbst an die Leviten. Die Brüder Aarons und das ganze Haus Israel durften „den Brand beweinen“, aber Aaron und seine Söhne mussten sich jeder sichtbaren Bezeugung ihrer Trauer enthalten. Mochten ihre Herzen auch bluten, ihr äußeres Erscheinen musste allezeit dem Heiligtum entsprechen, in welchem sie dienten, und von dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft durften sie nicht weggehen; mit anderen Worten: ihr priesterlicher Dienst durfte durch das an ihren Brüdern vollzogene Gericht für keinen Augenblick unterbrochen werden. Der sofortige Tod wäre auch ihr Los gewesen. Gottes Ansprüche sind höher als die Ansprüche der Natur; vor ihnen muss alles andere in den Hintergrund treten. Mag Er in Gnade oder in Gericht handeln — die priesterliche Familie steht allezeit in Seiner Gegenwart, schaut Seinem Handeln zu und betet an.

Wie zeigt sich in diesem, wie ins allem anderen, der große Gegensatz zwischen dem, was von Gott kommt und dem, was vom Menschen ist! Jede menschliche Religion macht Zugeständnisse, gestattet Ausnahmen, hat Entschuldigungen selbst für ihre höchsten Vertreter und erlaubt ihnen ein gewisses Maß von Ungebundenheit und gelegentlichem Sichgehenlassen. Wie ganz anders der wahrhaftige Gott! Er hält die ernsten Forderungen Seines Charakters nirgendwo so streng aufrecht wie gerade bei denen, die Ihm nahen und in besonderer Weise von Ihm begünstigt sind. Das Fleisch schreckt vor solch ernstem, herzerforschendem Tun zurück, der erneuerte Sinn aber begrüßt es als einzig richtig und geziemend.

Auch wir sind Priester, und als solche, die Gott ganz nahe gebracht sind, tragen wir eine heilige Verantwortlichkeit. In diesem Sinne gibt es zwischen uns keinen Unterschied: alle Gläubige sind „Söhne Aarons“, Priester Gottes. Als „Leviten“ betrachtet, sind Verschiedenheiten vorhanden: alle zwar sind Diener, Knechte, alle gleich nahe, aber nicht alle haben dieselben Verrichtungen zu erfüllen, gleich den Leviten, von welchen die einen die Bundeslade zu tragen hatten, während den anderen die Bretter, Seite und Pflöcke der Stiftshütte anvertraut waren. Wenn es sich um uns als Priester handelt, so mögen die Fähigkeiten zur Ausübung des Dienstes, das Maß der geistlichen Erkenntnis u. s. w. gleichfalls verschieden sein, aber grundsätzlich, im Blick auf Stellung und Dienst, herrscht völlige Gleichheit. Alle sind Anbeter Gottes, und alle sind berufen, im Heiligtum zu stehen und Opfer darzubringen, Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum.

Darum haben auch die Belehrungen unseres Kapitels eine gleich ernste Bedeutung für uns alle. Uns allen, die wir so nahe zu Gott gebracht sind, geziemt es nicht, uns dem natürlichen Schmerz so völlig zu überlassen, dass wir unfähig werden, anzubeten, vor allem dann nicht, wenn es sich um die Offenbarung »der heiligen und gerechten Wege Gottes handelt. Nicht als ob Gott Kälte und Gefühllosigkeit von uns erwartete; im Gegenteil, Er will, dass wir den Schmerz fühlen, ja, selbst weinen mit den Weinenden. Aber als Priester, die Gott nahe gebracht sind und das Öl der heiligen Salbung (Bild des» Heiligen Geistes) auf sich haben, sollten wir doch immer so weit außerhalb der Einflüsse der Natur stehen, dass auch der schmerzlichste Fall, die tiefste natürliche Trauer, uns nicht an der Ausübung unseres Dienstes als Anbeter Gottes hindert und uns für unser Weilen in Seiner Gegenwart unfähig macht.

Nun, ebenso wenig wie das zur -Schau- tragen der Trauer war eine ungeziemende Erregung des Fleisches, wie sie im „Wein“ und „starken Getränk“ zum Ausdruck kommt, denen gestattet, welche Gott nahe gebracht waren. „Und Jehova redete zu Aaron und sprach: Wein und starkes Getränk sollst du nicht trinken, du und deine Söhne mit dir, wenn ihr in das Zelt der Zusammenkunft hineingehet, dass ihr nicht sterbet, — eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern, — und damit ihr unterscheidet zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen und zwischen dem Reinen und dem Unreinen, und damit ihr die Kinder Israel lehret alle die Satzungen, die Jehova durch Mose zu euch geredet hat“ (V. 8 —11).

Alles also muss fern bleiben, was das Fleisch aufregt, was nicht in Übereinstimmung ist mit den geistlichen Begriffen und Urteilen, die sich für solche geziemen, die ins Heiligtum eintreten. Wir fühlen auch ganz unwillkürlich, dass „Wein“ und „starkes Getränk“ nicht in die Gegenwart Gottes passen. Der Leser versteht, dass wir nicht an Wein und starkes Getränk im buchstäblichen Sinne denken, (obwohl auch im Blick daraus der Christ sehr wachsam und vorsichtig sein sollte,) sondern an das, was diese beiden Dinge bildlich darstellen, was in derselben Weise wie Wein und starkes Getränk auf die Natur des Menschen wirkt. Wer weiß, wie oft auch wir schon durch „Weintrinken“ verhindert worden sind, in die Gegenwart Gottes zu treten! Sobald es etwas bei uns gibt, was in der genannten Weise auf uns einwirkt, sobald wir den Neigungen unserer Natur Raum lassen und Freude und Befriedigung suchen in allerlei Dingen, die vielleicht in sich selbst harmlos sind, (es kommt gar nicht darauf an, was es ist, die Natur kann sich mit allem Möglichen beschäftigen,) so trinken wir „Wein“ und „starkes Getränk“; unser geistliches Unterscheidungsvermögen wird dadurch beeinflusst, und wir werden zu einem gesunden, nüchternen Urteil unfähig.

Da gibt es tausenderlei Dinge, die in solch verhängnisvoller Weise auf uns wirken können: die sogenannten schönen Künste, wie Baukunst, Malerei, Bildhauerei, Dichtkunst, Musik, Gesang, Beredsamkeit, abgesehen von den vielen Dingen, welche uns beeinflussen können, ohne dass sie gerade mit der Religion in Verbindung stehen, wie Geschäft, Politik, persönliche Liebhabereien u· s. w. u. s. w.. O wie viele der erstgenannten Dinge sind mit der Religion der Kinder dieser Welt verbunden! Himmelanstrebende Gebäude und Türme, Hallen mit schlanken Säulen und kühnen Gewölben, herrliche Bilder und zierliche Schnitzereien, brausende Orgeltöne und ergreifender Chorgesang, prächtige Kleider und feierliche Zeremonien, pomphafte Aufzüge und Ehrfurcht erweckende heilige Handlungen — lauter Wein und starkes Getränk, Augenweide und Ohrenschmaus, Befriedigung des religiösen Fleisches und der natürlichen Wünsche des Herzens und deshalb dem Menschen auch so wertvoll und unentbehrlich! Müssen wir es noch sagen, dass alle diese Dinge unpassend sind für das Heiligtum, weil sie nur die Sinne berücken und Auge und Herz abziehen von Ihm, der allein der Beachtung und Betrachtung wert ist? Alles was nicht den Charakter einer stillen, heiligen Freude, eines wahrhaft geistlichen Genusses trägt und ihn fördert, passt nicht in die heilige Gegenwart Gottes.

Unter den Dingen, welche als „Wein und starkes Getränk“ wirken können, haben wir auch Musik, Gesang und Beredsamkeit genannt. Dass die beiden ersten eine berauschende Wirkung auf uns ausüben können, ist wohl den meisten Lesern aus eigener Erfahrung bekannt. Aber Beredsamkeit? Kann man Beredsamkeit auch zu den Dingen rechnen, gegen welche man auf der Hut sein muss? Beredsamkeit an und für sich ist nichts Böses. Im Gegenteil, wenn Apollos ein „beredter Mann“ genannt wird (Apstgsch. 18, 24), so soll das gewiss kein absprechendes, sondern ein anerkennendes Urteil sein. Aber wenn die Gabe der Beredsamkeit dazu benutzt wird, um den Menschen zu verherrlichen, um auf die Gefühle zu wirken und dergl., so wird sie zu etwas Bösem; ihr Einfluss kann dann genau so berauschend wirken, wie der von Musik und Gesang. Würde z. B. dieselbe Wahrheit ohne jene Beredsamkeit vorgetragen, also einfach Christus, Sein Werk und Seine Person verkündigt, so würde sich die Zahl der Hörenden wahrscheinlich sehr bald vermindern, denn die ungeschminkte Wahrheit ist nicht nach dem Geschmack des Menschen; andererseits aber würden die, welche bleiben, weit tiefere und bleibendere Eindrücke empfangen. Herz und Gewissen würden in Tätigkeit kommen, und Ewigkeitsfrüchte würden hervorgebracht werden.

Wir bemerkten vorhin, dass Beredsamkeit an und für sich nicht zu verurteilen sei, und doch sagt Paulus: „Und ich, als ich zu euch kam, Brüder, kam nicht nach Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit, euch das Zeugnis Gottes verkündigend. Denn ich hielt nicht dafür, etwas unter euch zu wissen, als nur Jesum Christum, und Ihn als gekreuzigt. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern; und meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht beruhe aus Menschen-Weisheit, sondern aus Gottes-Kraft“ (1. Kor. 2, 1 — 5).

Ach, wenn manche unserer heutigen Evangelisten diesem Beispiel des großen Apostels treuer folgen möchten, wie viel weniger würden wir über falsche oder doch schwache Bekehrungen zu klagen haben! Freilich, die Anerkennung seitens der großen Menge würde auch viel magerer ausfallen, und das behagt dem natürlichen Herzen nicht.

Noch einmal denn: Alles um uns her, was geeignet ist, den einfachen, gesunden Geschmack des neuen Menschen zu verderben und sein geistliches Unterscheidungsvermögen ungünstig zu beeinflussen, mag es an und für sich auch noch so harmlos und unschädlich erscheinen, ist

wie Wein und starkes Getränk und sollte von der priesterlichen Familie Gottes gemieden werden. Ein jeder von uns sollte wissen, was in dieser Weise auf ihn wirkt und ihm zum Schaden ist. Die Neigungen und Gefahren sind verschieden, aber das Fleisch ist bei allen gleich verderbt, die Natur gleich böse. Denken wir nur nicht, dass wir imstande seien, unsere priesterlichen Verrichtungen, sei es allein oder in Gemeinschaft mit anderen, auszuüben, wenn wir nicht in ernster Wachsamkeit und Nüchternheit einhergehen, uns Von allem fernhaltend, was aufregend und berauschend auf uns einwirken könnte. Es ist unmöglich, in diesem Augenblick mit etwas beschäftigt zu sein, was nicht ins Heiligtum Gottes passt, und im nächsten in diesem Heiligtum zu dienen, als wenn nichts vorgefallen wäre.

Aber nicht nur machen diese Dinge einen Menschen unpassend für die heilige Nähe Gottes, sondern sie rauben ihm auch die Fähigkeit, „zu unterscheiden zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen und zwischen dem Reinen und dem Unreinen“ (V. 10). So wie ein Baum nur in gesundem Boden, in dem Licht und unter den erwärmenden Strahlen der Sonne, zur vollen Entfaltung seiner Kraft kommen kann, so entfalten sich auch die Fähigkeiten der geistlichen Natur, die Kräfte des neuen Menschen, nur bei geeigneter Ernährung in der Nähe Gottes, in dem belebenden und bewahrenden Licht Seiner Gegenwart. In Hebr. 5, 14 hören wir von solchen, „welche vermöge der Gewohnheit geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“. Der Apostel Paulus bittet für die Gläubigen in Kolossä, „dass sie erfüllt sein möchten mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen“ (Kap. 1, 9. 10). Und an die Philipper schreibt er: „Und um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht, damit ihr prüfen möget, was das Vorzüglichere sei,

auf dass ihr lauter und unanstößig seid auf den Tag Christi“ (Kap. 1, 9. 10). Die Gläubigen in Rom ermahnt er: „Werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr prüfen möget, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“ (Kap. 12, 2).

Der Apostel setzt also voraus, dass ein lauterer und unanstößiger Wandel, im Erkennen und Vollbringen des guten und vollkommenen Willens Gottes, bis zur Ankunft des Herrn möglich ist. Aber was ist die Vorbedingung? Eine so innige Gemeinschaft mit Gott, dass man Seine Gedanken und Seinen Willen kennt und das Vorzüglichere von dem weniger Guten zu unterscheiden vermag. Hier gibt es, wie in dem ganzen christlichen Leben, selbstverständlich ein Wachstum. Von einem Vater in Christo wird mehr erwartet als von einem Kindlein. Je mehr die geistlichen Sinne durch die Gewohnheit geübt werden, desto schärfer und klarer wird das Unter- scheidungsvermögen. Und umgekehrt: je nachlässiger jene Übung betrieben wird, desto mehr schwindet das Licht und stumpfen die geistlichen Fähigkeiten ab. Warum sind wir so oft in Verlegenheit, welchen Weg wir einschlagen, welche Schritte wir tun, wie wir uns entscheiden sollen? In den meisten Fällen liegt die Ursache nicht in einem Mangel an Winken oder Vorschriften von seiten Gottes, sondern an unserem Mangel an Nüchternheit und geistlichem Urteil. Wenn wir in der Gegenwart Gottes, in der Gemeinschaft mit Ihm im Heiligtum, besser gelernt hätten, „zwischen dem Heiligen und Unheiligen“ zu unterscheiden, würde es uns nicht so schwer werden, „das Reine von dem Unreinen“ zu trennen. Aber weil das erste so viel mangelt, macht uns das zweite so große Mühe.

Wir können auch nicht sagen: „Das Fleisch ist noch in uns; es ist einmal nicht anders, wir fehlen und irren alle“. Das würde heißen, die Sünde oder doch wenigstens unsere Unentschiedenheit und Unnüchternheit entschuldigen, und davor wolle Gott uns in Gnaden bewahren! Wir dürfen auch nicht hinter den besonderen Schwierigkeiten und Versuchungen unserer Tage Deckung suchen wollen. Denn „keine Versuchung hat euch ergriffen, als nur eine menschliche. Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht

werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, so dass ihr sie ertragen könnt“ (1. Kor. 10, 13). Wenn der Christ in der Gegenwart Gottes, d. i. in der Gegenwart der Gnade, aber auch der unbestechlichen Heiligkeit, sich darüber belehren lässt, was das Fleisch ist, so wird er gewisse Tritte tun und ein gesegnetes Zeugnis für andere sein. Wie schmerzlich aber ist es, wenn er jene Belehrung auf dem Wege ernster Verfehlungen und Verirrungen empfangen muss!

Hier liegt der Schlüssel zu der für manche Christen so rätselhaften Frage eines Lebens in Heiligkeit. Es handelt sich nicht darum, einen gewissen Punkt oder eine gewisse Stufe erreicht zu haben, wie man gewöhnlich reden hört, indem man nur an sich, an seine Heiligkeit, an seine Fortschritte u. s. w. denkt, während doch die Heiligkeit, welcher wir teilhaftig werden sollen, Gottes Heiligkeit ist (Hebr. 12, 10). Das Geheimnis ist einfach dies: Der Gläubige wandelt entsprechend der Innigkeit seiner Gemeinschaft mit Gott. Hier ist die wahre Kraft seines Wandels zu suchen. Je inniger jene Gemeinschaft ist, desto weniger wird die Schwachheit seines Fleisches sich offenbaren. Er lernt das Fleisch dann, wie bereits angedeutet, in der Gegenwart Gottes kennen, nicht in der Gegenwart Satans, und indem er das tut, erfasst er klar und immer klarer das dem Fleische Entgegengesetzte, die Gnade Gottes, und geht nun seinen Weg in der Kraft dessen, was in Gott ist, anstatt in der Schwachheit und beschämenden Erfahrung dessen, was in ihm selbst ist. Er lernt, in der Absonderung von allem, was auf das Fleisch wirkt, und in der bewussten Nähe Gottes, im Heiligtum, Gottes Gedanken kennen und wird fähig, zu unterscheiden zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen, zwischen dem Reinen und dem Unreinen.

So für sich selbst belehrt und unterwiesen, vermag er dann auch andere zu belehren und kann ihnen in vielen Fällen mit aller Bestimmtheit zurufen: So und so denkt der Herr über diese oder jene Sache; wie es hier heißt: Damit ihr die Kinder Israel lehret alle die Satzungen, die Jehova durch Mose zu euch geredet hat“ (V. 11); oder wie Maleachi sagt: „Die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz sucht man aus seinem Munde; denn er ist ein Bote Jehovas der Heerscharen“ (Kap. 2, 7).

Lasst uns denn acht haben, lieber gläubiger Leser, auf Gottes ernste Mahnung an Aaron und seine Söhne, „Wein und starkes Getränk nicht zu trinken, wenn sie in das Zelt der Zusammenkunft hineingingen“. Beachten wir auch den Zusatz: „eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern“!

4. Das Essen der Opfer.

„Und Mose redete zu Aaron und zu Eleasar und zu Ithamar, seinen Söhnen, den übriggebliebenen: Nehmet das Speisopfer, das von den Feueropfern Jehovas übrigbleibt, und esset es ungesäuert, neben dem Altar; denn hochheilig ist es. Und ihr sollt es essen an heiligem Orte, denn es ist dein Bestimmtes und das Bestimmte deiner Söhne von den Feueropfern Jehovas; denn also ist mir geboten. Und die Brust des Webopfers und den Schenkel des Hebopfers sollt ihr essen an reinem Orte, du und deine Söhne und deine Töchter mit dir; denn als dein Bestimmtes und das Bestimmte deiner Söhne sind sie gegeben von den Friedensopfern der Kinder Israel . . . ., und sie sollen dir gehören und deinen Söhnen mit dir, als eine ewige Gebühr“ (V. 12 —- 15).

Die priesterliche Familie war berufen, von den Schlachtopfern zu essen; sie war „in Gemeinschaft mit dem Altar“ (1. Kor. 10, 18.) Sie brachte nicht nur die Opfer dar, sondern aß auch davon. Wenn Gott Sein Teil an den Opfern hatte, so gingen der Hohepriester, seine Söhne und bei den Friedensopfern auch seine Töchter und der Opfernde nicht leer aus. Genau so ist es mit uns. „Wir haben einen Altar, von welchem kein Recht haben zu essen, die der Hütte (d. h. dem alten jüdischen System) dienen“ (Hebr. 13, 10). —- Zu essen?“ Ja, wir essen das Opfer, wir nähren uns von Christo, dem Gekreuzigten. Wir essen Sein Fleisch und trinken Sein Blut (Joh. 6). Zu diesem Zweck ist uns Christus geschenkt. Wie im Alten Bunde Gott und der Opfernde beide ihr Teil an den Opfern hatten, so hat Gott auch heute Sein Teil an demselben Christus, von welchem wir uns nähren.

Das ist ein Punkt, welcher von den Kindern Gottes vielfach nicht verstanden wird. Dass sie von Gott berufen sind, mit Ihm an demselben Tische zu sitzen, an welchem Er Seine Freude und Sein Teil hat, erscheint ihnen zu groß und zu erhaben, als dass es wahr sein könnte. Und in der Tat, es ist groß, unbegreiflich groß; aber es ist nicht zu groß für unseren Gott. Ja, wenn wir es recht bedenken, kann es gar nicht anders sein. Das neue Leben, das wir empfangen haben, bedarf der Erhaltung und Ernährung. Wie im natürlichen Leben der bloße Besitz von Reichtümern nicht mein Leben unterhält — ich bedarf der Nahrung —- so genügt es auch im geistlichen nicht, dass Christus mein Leben in der Gegenwart Gottes ist, dass ich Ihn besitze, sondern ich muss Ihn auch zu meiner täglichen Speise haben. Ich muss mich von Ihm nähren, und das Wort sagt mir, dass Er mir zu diesem Zweck gegeben ist. Er ist nicht nur Gottes, sondern auch unser Teil. Welch ein kostbarer Gedanke! „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo.“

Von dem Speisopfer musste der Priester „dessen Gedächtnisteil“ abheben und auf dem Altar räuchern; und von dem Friedensopfer mussten die inneren Teile: alles Fett am Eingeweide, die Nieren samt ihrem Fett und das Netz, über der Leber, als „eine Speise des Feueropfers zum lieblichen Geruch dem Jehova“ getrennt und dem Herrn geräuchert werden. (Vergl. Kap. 2 und 3.) So empfing Gott zunächst Sein Teil, Seine Speise, und dann aßen der Priester mit seiner Familie und die Opfernden von demselben Opfer. Es war unmöglich, Gott und die, welche Ihm nahten, voneinander zu trennen. So ist es auch heute. Ich kann mich heute nicht von Gott und Seiner Freude an Christo trennen, noch von der ganzen Familie Gottes, die mit mir ihr Teil an Christo hat. Das kennzeichnet jede wahre Anbetung. Sie schließt Gott, Christum, sowie die ganze Familie Aarons, d. i. die Kirche, ein. Es ist ein gemeinsames Fest, wenn es anders wahr und echt sein soll. So betet denn auch der Apostel in Eph. 3: „Dass ihr völlig zu erfassen vermöget, mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, auf dass ihr erfüllt sein möget zu der ganzen Fülle Gottes“. Wie könnte ich „mit allen Heiligen« erfassen, wenn ich einige auslasse? Ich kann mich nicht von ihnen trennen, ohne mein eigenes Bewusstsein von der Fülle der Liebe Christi und Gottes zu verringern. Aber wie viel fehlen wir in dieser Beziehung! Wie wenig sind unsere armen Herzen fähig, in die Gedanken Gottes einzugehen!

Doch beschäftigen wir uns noch ein wenig mit den beiden Arten von Opfern, die hier genannt sind: Speisopfer und Friedensopfer. Von dem Brandopfer haben wir bereits im Anfang unserer Betrachtung geredet, als dem Bilde der vollkommenen Widmung und Hingebung Christi an Gott in Seinem Sühnungstode am Kreuz. Das Speisopfer war kein blutiges Opfer; bei ihm handelte es sich nicht um Sühnung und Vergebung, bewirkt durch die Hingabe eines heiligen Lebens in den Tod, sondern um dieses Leben selbst in seiner völligen Widmung für Gott. Es ist Christus als Mensch in dieser Welt. Es wurde aus Feinmehl hergestellt, mit Öl gemengt und gesalbt, und dann wurde Weihrauch darauf gelegt. In dem Feinmehl erblicken wir die Menschheit Christi, in dem Öl die Kraft des Heiligen Geistes und in dem Weihrauch den Wohlgeruch Christi, der allezeit in gleicher Kraft und Lieblichkeit zu Gott emporstieg.

Das Speisopfer konnte in der Form von Ofengebäck, von in der Pfanne gebackenen Kuchen, von Napfkuchen oder auch in seiner ursprünglichen Gestalt als Mehl dargebracht werden. Sauerteig (das Bild des wirkenden Bösen) und Honig (das Bild des natürlich Lieblichen und Angenehmen) waren streng ausgeschlossen. Dass Sauerteig Gott nicht geopfert werden durfte, ist leicht verständlich; aber warum nicht Honig? Nun, wie könnte in einer Welt der Sünde irgend Etwas, was nur zur Befriedigung der Natur dient, Gott wohlgefällig sein? Natürliche Liebe z. B., so richtig sie an ihrem Platze ist, kann niemals Gott als ein Opfer dargebracht werden. So ist es mit all den an und für sich lieblichen Eigenschaften und Äußerungen der menschlichen Natur sie sind wertlos vor Gott. *)

Wir erblicken in dem Speisopfer also den Menschen Christus Jesus in Seiner vollkommen menschlichen Natur, ungesäuert, d. i. ohne Sünde, mit Öl gemengt, d. i. von dem Heiligen Geist gezeugt, mit Öl übergossen, d. i. mit dem Heiligen Geist gesalbt, mit Weihrauch belegt, d. i. mit dem Wohlgeruch Seiner Vollkommenheit in all Seinen Wegen. Der Weihrauch wurde mit dem „Gedächtnisteil“ des Opfers ganz auf dem Altar geräuchert; alles Übrige war für Aaron und seine Söhne, ein „Hochheiliges“, das an heiligem Orte, neben dem Altar, gegessen werden musste. Während der Wohlgeruch des Weihrauchs zu Gott emporstieg, aßen die Priester das Übrige.

Das Speisopfer konnte, wie wir gesehen haben, in verschiedenen Formen dargebracht werden, aber immer musste es in Verbindung mit dem Feuer, dem Bilde des Gerichts, stehen. Es gehörte, wie das Brandopfer und das Friedensopfer, zu den „Feueropfern lieblichen Geruchs dem Jehova“. Nichts konnte Gott als ein solches Opfer lieblichen Geruchs dargebracht werden, worin Seine Heiligkeit mittels der erforschenden Probe des Feuers irgend Etwas hätte entdecken können, was nicht vollkommen gut gewesen wäre.

Nun, unser hochgelobter Herr ist aus Seinem ganzen Wege, bis ans Kreuz, aus alle nur erdenkliche Weise auf die Probe gestellt und in allen, auch den geringfügigsten Einzelheiten vollkommen erfunden worden. Heißer und heißer wurden die Proben, je näher Er dem Abschluss Seines Zeugnisses und Dienstes hienieden kam. Aber was war das Ergebnis? Was brachte das Feuer zu tage? Nichts als vollkommene Gerechtigkeit und fleckenlose Reinheit, nichts als Sanftmut und Güte, Liebe und Gehorsam, Vertrauen und Hingebung — mit einem Wort, all die herrlichen Tugenden eines vollkommen abhängigen, gehorsamen, sündlosen Menschen, der, durch den Heiligen Geist gezeugt, mit dem Heiligen Geist gesalbt, in jeder Einzelheit Seines Pfades hienieden in der Kraft dieses Geistes redete und handelte, und der in all Seinen Beweggründen, Gedanken und innersten Gefühlen nur den süßen Geruch unendlicher Gnade ausströmen ließ. 195

Und von diesem Jesus sollen wir uns nähren! Ist es zu verwundern, dass das nur an heiligem Orte, in Gottes Gegenwart, „neben dem Altar“, geschehen kann, und dass diese hochheilige Speise nur für Aaron und seine Söhne, die Priester, ist, ein für ewig Bestimmtes, von den Feueropfern Jehovas? (Vergl. 3. Mose 6, 11). Hast du darüber schon einmal nachgesonnen, und kennst du etwas von diesem Essen des Speis-opfers an heiligem Orte, mein lieber gläubiger Leser? Du bist ein Heiliger Gottes, ein Glied der priesterlichen Familie, berufen in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes. Auch für dich ist diese Speise bestimmt. Gott will, dass du sie genießest in Gemeinschaft mit Ihm, ungesäuert, an heiligem Orte. Es kann nur geschehen in Absonderung von allem Unheiligen, unter der Leitung und durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Nüchternheit und ehrerbietige Wachsamkeit, verbunden mit einem heiligen Eifer, in die Höhen und Tiefen dieses wunderbaren Lebens einzudringen, sind die unerlässlichen Bedingungen für diesen Teil der priesterlichen Verrichtungen. Aber wo diese Dinge vorhanden sind, da ist auch ein reicher Lohn, eine herrliche Ausbeute sicher. Man lernt etwas kennen von der ergreifenden Schönheit dieses heiligen, Gott geweihten Lebens, von der hehren Reinheit und lieblichen Anmut dieses Menschen Jesus Christus, des Sohnes Gottes; man kommt zu demselben Ergebnis wie die Braut im Hohenliede, welche sagt: „Ein ausgegossenes Salböl ist dein Name“; man ruft wie die Söhne Korahs in Psalm 45: „Es wallt mein Herz von gutem Worte. . . . Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen“.

Was sollen wir aber sagen von jenen Menschen (deren Zahl in unseren Tagen erschreckend zunimmt), die ohne Glauben an Christum, ohne irgend ein Bewusstsein ihrer Sündhaftigkeit und ihres Heilsbedürfnisses, ohne einen Gedanken an die Verherrlichung Gottes, sich daran machen, das Leben Christi zu erforschen, hier Ausgezeichnetes und Nachahmungswertes findend, dort über vermeintliche Unvollkommenheiten, menschliche Schwächen und dergleichen stolpernd? Ach! solche Menschen haben noch nie „neben dem Altar“ gestanden, noch nie erkannt, dass das, was sie meinen beurteilen zu können, ein „Hochheiliges“ ist, dem man sich nur mit heiliger Scheu, mit unbeschuhten Füßen nahen darf; sie waren noch nie an „heiligem Orte“, in Gottes Gegenwart. Kann man von ihnen nicht sagen, dass sie das Speisopfer mit gesäuertem Brote und an unheiliger Stätte essen? Wie ernst muss die Vergeltung sein! Gott wacht eifersüchtig über die Ehre Seines Sohnes und Seines heiligen Namens.

„Und die Brust des Webopfers und den Schenkel des Hebopfers sollt ihr essen an reinem Orte, du und deine Söhne und deine Töchter mit dir; denn als dein Bestimmtes und das Bestimmte deiner Söhne sind sie gegeben von den Friedensopfern der Kinder Israel“ (V. 14).

Das Friedens- oder Dankopfer gehörte, wie das Brand- und Speisopfer, zu den Feueropfern lieblichen Geruchs. Indes wird es, im Unterschied von den beiden genannten Opfern, nicht nur ein Feueropfer, sondern „eine Speise des Feueropfers dem Jehova“ (3. Mose 3, 11. 16) genannt, und zwar wohl deshalb, weil in ihm in ganz besonderer Weise die Anbetung zum Ausdruck kommt. Es gab Gott, der priesterlichen Familie und dem Opfernden einen Anteil. Es verband alle, die daran teilnahmen, Gott und Menschen, in gemeinsamer Freude, und soweit es den Menschen anging, in Lob und Dank.

Das Friedensopfer führt also in ganz hervorragender Weise den Gedanken der Gemeinschaft, einer gemeinsamen Festfeier, ein. Der Umstand, dass es an reinem (nicht: heiligem) Orte gegessen werden musste, und dass auch die Töchter Aarons (das Bild der Schwächeren) daran teil hatten, weist wohl darauf hin, dass es gerade infolge seiner Bedeutung nicht denselben Grad heiliger, priesterlicher Absonderung, nicht dasselbe Maß geistlicher Einsicht erforderte wie das Speisopfer.

Beachtenswert ist bei dem Friedensopfer seine unbedingte und völlige Annehmlichkeit bei Gott. Es wird, wie bereits bemerkt, eine Speise Gottes genannt, d. i. etwas, worin Er, der Heilige, Seine tiefste Befriedigung finden konnte, und woran Er uns in Gnaden Anteil gegeben hat, mag auch die Verwirklichung unserseits immer schwach und unvollkommen bleiben. Bei dem Friedensopfer handelt es sich nicht um die Frage der Sünde. Diese wird als geregelt betrachtet: alles ist infolge der freiwilligen und völligen Dahingabe Christi in Ordnung gebracht, (die Fettstücke des Friedensopfers mussten „auf dem Brandopfer“, gleichsam mit ihm eins gemacht, geräuchert werden), und wir treten in die Gegenwart Gottes ein, so zusagen mit Christo in unserer Hand, und nähren uns von Ihm, in welchem alles Gott angenehm und wohlgefällig ist. All die inneren Teile des Opfertieres, das will sagen alles was in Christo ist, wurde Gott auf dem Altar dargebracht. Das Blut (das Leben) wurde gesprengt, und das Fett (das, woran das Wohlbefinden eines Tieres sofort erkannt werden kann, das Beste, die innere Kraft und Widmung) wurde „geräuchert“. Jeder Gedanke, jeder Beweggrund, jede Handlung in Christo war zur Verherrlichung des Vaters. Brust und Schenkel (Web- und Hebopfer), der Sitz der inneren Gefühle und der Kraft, gehörten Aaron und seinen Söhnen, der Schenkel im Besonderen dem opfernden Priester; die übrigen Teile des Tieres wurden von dem, der das Friedensopfer darbrachte, *) von seiner Familie und den Geladenen gegessen. So nahmen alle teil an demselben Opfer, es war ein gemeinsames Fest. Gott empfing Sein Teil, der Priester, welcher das Opfer darbrachte, empfing sein Teil mit der priesterlichen Familie, und der Opfernde empfing sein Teil samt allen, welche er zu der gemeinsamen Mahlzeit eingeladen haben mochte. Es war ein Fest der Freude für alle. Alle fanden mit Gott ihre Speise in dem Opfer. Nicht alle empfingen dieselben Teile, nicht alle genossen in gleicher Weise; da gab’s Blut und Fett, Brust und Schenkel, da gab’s ferner Söhne und Töchter in der priesterlichen Familie, und endlich Opfernde und Geladene —— aber alle umschlang ein Band, alle erfüllte ein Gedanke.

So kam im Friedensopfer die völligste Vereinigung zwischen Gott, Christo und dem Anbeter zum Ausdruck. Ja, es zeigt uns, was wahre Anbetung ist, bei welcher die Liebe alle umschlingt, das Herz alle Heiligen umfasst.

Beachten wir hier, dass es sich bei der Anbetung nicht eigentlich um die Frage des Hinwegtuns der Sünde handelt, (obwohl man selbstverständlich nur auf Grund des vollbrachten Sühnungswerkes als Anbeter nahen kann,) sondern dass wir zusammenkommen, um unsere Freude in dem zu finden, worin Gott Seine Wonne hat, ja worin Er Seine ganze -Wonne finden muss. Wie lieblich war das Bild eines solch gemeinsamen Festes vor dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft in jenen alten Tagen! Wie ungleich lieblicher ist heute das Gegenbild, wenn Gläubige, mit Jesu, dem „Sohne über Sein Haus“, in der Mitte, vor des Vaters Angesicht versammelt sind, den Platz offen haltend für alle, welche der Familie und dem Volke Gottes angehören und teilnehmen wollen an der gemeinsamen Freude! Wohl mögen wir fragen: Sollte nicht die ganze Gemeinschaft der Gläubigen sich so zusammenfinden und auf diese Weise an ihrem Teile zur Erfüllung des Wortes des Herrn beitragen: „Inmitten der Versammlung (oder Gemeinde) will ich dir lobsingen?“ Wäre es nicht ein schwacher Abglanz von dem, was die Anbetung der Heiligen in der Ewigkeit sein wird? O wenn nur die Gläubigen mehr verstehen lernen wollten, was Anbetung, wahrer christlicher Gottesdienst, nach Gottes Gedanken ist!

Wir haben schon gesagt, wie wenig es im allgemeinen verstanden wird, dass der Gläubige berufen ist, mit Gott gleichsam an demselben Tische zu sitzen und sich von derselben Sache zu nähren, welche Er genießt, Seine Speise zu essen. Wenn wir aber einen Augenblick darüber nachdenken, verstehen wir, dass es bei der Anbetung sich nicht um meine Sünden handeln kann, sondern nur um die Kostbarkeit Christi. Wir reden mit Gott über Seinen geliebten Sohn, wir haben Verkehr, Gemeinschaft mit Ihm betreffs Seiner. Wir „essen“ Ihn, an den wir geglaubt haben, und der für uns starb, und indem wir das tun, machen wir die kostbare Erfahrung, dass wir uns von dem nähren, was Gottes eigenes Herz nährt und erquickt. Die Seele erfreut sich dessen, woran Gott selbst Seine Freude hat; der Opfernde naht Gott und verkehrt mit Gott.

Anbetung ist also nicht Gebet. Wenn ich bete, so nahe ich Gott, um Ihm meine Bedürfnisse kundzutun, und so kann Gebet die Anbetung in dem Sinne begleiten, dass ich bei der Betrachtung meines Herrn unwillkürlich zu dem Ausruf geleitet werde: „O, dass ich Ihm ähnlicher wäre!“ oder bei dem Gedanken an die Zerrissenheit unter den Kindern Gottes: „Wollte Gott, dass sie doch alle zur Erkenntnis der Wahrheit kämen!“ Aber doch unterscheidet sich Gebet wesentlich von Anbetung. Ich bete, wie gesagt, im Hinblick auf das, was ich bedarf; ich bete an im Bewusstsein dessen, was mir geschenkt, was mir zu teil geworden ist. Gott erfreut sich dessen, was Christus ist, allerdings in einer vollkommenen, Ihm eigenen, für mich unerreichbaren Weise; aber ich nahe Ihm mit Christo in meiner Hand und finde, dass ich mit Ihm auf demselben Wege bin, dass ich die gleichen (wenn auch selbstverständlich unendlich schwach) Gedanken und Gefühle habe wie Er.

Ist das nicht etwas ganz Außerordentliches, geliebter gläubiger Leser? Kennst du etwas von einer solchen Anbetung, von diesem Essen des Friedensopfers, der Speise Gottes, persönlich, aber vor allem in Gemeinschaft mit dem Volke Gottes? Wenn nicht, möchte Gott dann in deinem Herzen ein ernstes Fragen und Forschen danach erwecken! Dein Verlust ist unberechenbar. Aber mehr noch als das: Gott kommt nicht zu Seinem Rechte bei dir; Er möchte dich vor sich sehen und dir teil geben an dem, was für Sein Herz das Kostbarste ist, und du folgst Seinem Rufe nicht.

Anbetung, wahre Anbetung setzt als Grundlage ein gutes Gewissen voraus; alle, die daran teilnehmen, dürfen „kein Gewissen mehr von Sünden haben“ (Hebr. 10, 2). So lange die Frage, ob ich von Gott angenommen bin oder nicht, für mich nicht geordnet ist, kann ich unmöglich mit glücklichem Herzen anbeten. Für den wahren Anbeter ist die Frage der Sünde völlig und für immer geregelt. Nicht dass der Anbeter nicht sündigen und so Züchtigung über sich bringen könnte, aber die Frage der Sündenzurechnung ist auf immerdar entschieden; Gott „gedenkt seiner Sünden und Gesetzlosigkeiten nie mehr“ (Hebr. 10,17). Indem er vor Gott hintritt, tut er es in dem Bewusstsein, dass der hochgelobte Sohn Gottes seine Sünden an Seinem eigenen Leibe auf dem Holze getragen hat, und dass er in Ihm jetzt vor Gott wohlgefällig und angenehm ist. Abel brachte einst von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett, und Gott gab Zeugnis zu seinen Gaben. Heute kommt der Anbeter, bringt Jesum vor Gott und nährt sich von Ihm, der die Speise Gottes ist. Und welch ein Unterschied zwischen dem Christentum und Judentum! Der Jude durfte niemals ins Heiligtum eintreten; der Christ dagegen hat „Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu“. Und kommt er mit leeren Händen? Nein, er naht Gott, indem er Christum, Den, an welchem Gott Seine ganze Wonne hat, vor Gottes Auge stellt. 223

Wir können diesen Teil unserer Betrachtung nicht schließen, ohne noch auf einen besonderen Punkt in Verbindung mit dem Friedensopfer aufmerksam gemacht zu haben. Es heißt in dem Gesetz des Friedensopfers in 3. Mose 7, 13: „Nebst den Kuchen (Speisopfer) soll man gesäuertes Brot als Opfergabe darbringen“. Bekanntlich ist Sauerteig in der Schrift stets ein Bild des Bösen, der Sünde. Wie kommt es nun, dass dem Friedensopfer gesäuerte Brote beigefügt werden mussten? Eben weil der Opfernde hier mit in Betracht kommt, und in ihm ist Sünde. Wir können nicht sagen, dass wir sündlos seien, wie Christus. Wir nahen im Gegenteil in dem Bewusstsein unserer Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit, obwohl zugleich mit dem, worin wir völlig annehmlich gemacht worden sind. Sünde ist in uns, und wir können das nicht ändern; aber wir sind verantwortlich dafür, dass sie nicht in Tätigkeit tritt. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh. 1, 8.) Für unsere „Sünden“ haben wir Vergebung empfangen, für „Sünde“ gibt’s keine Vergebung. Aber Gott hat, „indem Er Seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sandte, die Sünde im Fleische verurteilt“(Röm. 8, 3). So hindert uns der Gedanke an das Vorhandensein der Sünde in uns nicht, weil wir wissen, dass Gott sie verurteilt hat, als Christus starb. Wir können nicht sagen, dass keine Sünde mehr in uns sei, aber wir können sagen: „wir sind mit Christo gestorben“, und: „wir sind nicht mehr im Fleische“.

So nahen wir denn Gott, nicht leugnend, dass Sauerteig in uns ist, sondern im Gegenteil in voller Anerkennung dieser Tatsache; aber Gott sei gepriesen! was wir Ihm darbringen, ist nicht unsere eigene Person, — sie könnte wahrlich nicht als ein lieblicher Geruch Gott geräuchert werden, — sondern wir bringen Christum, und so haben wir das Recht, uns selbst zu vergessen, unseren Zustand von Natur zu vergessen, weil Gott damit ins Gericht gegangen ist, dann aber mit ungesäuertem Brote, zu kommen und das Fest zu feiern.

Und Mose suchte eifrig den Bock des Sündopfers, und siehe, er war verbrannt. Und er erzürne über Eleasar und Ithamar, die Söhne Aarons, die übriggebliebenen, und sprach: Warum habt ihr das Sündopfer nicht an heiligem Orte gegessen? Denn es ist hochheilig; und Er hat es euch gegeben, um die Ungerechtigkeit der Gemeinde zu tragen, um Sühnung für sie zu tun vor Jehova. Siehe, das Blut desselben ist nicht in das Innere des Heiligtums gebracht worden; ihr sollt es jedenfalls im Heiligtum essen, so wie ich geboten habe. Und Aaron redete zu Mose: Siehe, heute haben sie ihr Sündopfer und» ihr Brandopfer vor Jehova dargebracht, und solches ist mir begegnet; und hätte ich heute das Sündopfer gegessen, würde es gut gewesen sein in den Augen Jehovas? Und Mose hörte es, und es war gut in seinen Augen“ (V. 16 — 20).

So lautet der Schluss des Berichts von den ergreifenden Ereignissen jenes ersten Tages priesterlichen Dienstes in Israel. Von Anfang bis zu Ende Verfehlung, Zorn und Trauer! Wir lesen ihn und — legen die Hand auf den Mund. Es geziemt uns nicht, zu verurteilen und zu richten, sondern nur, uns zu beugen und zu lernen. Wie wendet sich zugleich auch der Blick so ganz von dem Menschen und seiner Unvollkommenheit ab, und zu Ihm hin, dem großen Priester über Sein Haus, in welchem wir nur Vollkommenheit erblicken und deshalb selige Ruhe finden!

Die Sündopfer bildeten, wie uns bekannt ist, eine besondere Klasse der Opfer, die von den anderen aufs deutlichste unterschieden war. Die Opfer „lieblichen Geruchs« waren freiwillige Opfer, bei welchen der Opfernde als Anbeter mit der Annehmlichkeit und Kostbarkeit seines Opfers eins gemacht wurde. Die Sünd- und Schuldopfer waren gebotene Opfer, sie mussten für die Sünde des Volkes oder die Schuld des Einzelnen dargebracht werden, und der Opfernde trat nicht vor Gott als Anbeter, sondern als Sünder, als unrein und schuldig. Obwohl er sich durch die Handlung des Händeauflegens auch hier mit dem Opfer eins machte, geschah dies doch gleichsam in umgekehrter Weise: nicht wurde die Annehmlichkeit des Opfers auf ihn übertragen, sondern das Opfertier wurde mit der Schuld und Verwerflichkeit des Opfernden eins gemacht, trug seine Sünden und wurde dementsprechend behandelt.

Es gab verschiedene Arten von Sündopfern: solche, deren Blut zur Sühnung ins Heiligtum getragen wurde, und deren Leiber dann außerhalb des Lagers verbrannt werden mussten, und solche, deren Blut nur an die Hörner des Brandopferaltars getan und am Fuße desselben ausgegossen wurde; die letzteren mussten von dem Priester, der sie darbrachte, an heiligem Orte, im Vorhofe des Zeltes der Zusammenkunft, gegessen werden. Das Gesetz gebot darüber: „Alles Männliche unter den Priestern soll es essen: hochheilig ist es“ (Vergl. 3. Mose 6, 17 — 23). Es waren Opfer für Verschuldungen (einzelner Personen oder auch des ganzen Volkes) verschiedenster Art. (3. Mose 4 und 5.) Der in der Mitte Seines Volkes wohnende heilige Gott konnte Sünde und Unreinheit nicht sehen, und so musste alljährlich am großen Versöhnungstage die Grundlage für das Weilen des Zeltes der Zusammenkunft in der Mitte des Volkes gelegt werden, und täglich musste das Blut der Opfertiere fließen für bestimmte Übertretungen und Sünden. „Jeder Priester steht täglich da, den Dienst verrichtend und oft dieselben Schlachtopfer darbringend“ (Hebr. 10, 11).

„Das Gesetz, hatte einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst.“ In Jesu finden wir die Verwirklichung all dieser Schatten. Er hat unsere Sache übernommen, auf Ihn sind alle unsere Sünden bekannt worden, und Er hat sie getragen und hinweggetan, ein für allemal. Auf Grund dessen kann der Anbeter, wie wir bei der Betrachtung des Friedensopfers sahen, in Frieden nahen und sich von Christo nähren. Aber während der Glaube diese kostbare Tatsache ergreift und sich daran erfreut, erfahren wir auf dem Wege, dass noch Sünde in uns ist. Wir fehlen oft, und wie viel öfter wohl noch unbewusst infolge der geistlichen Blindheit unserer Herzen! Und nun siehe, welch eine gnädige Vorsorge der Herr für solche Verunreinigungen auf dem Wege getroffen hat! Der Priester, welcher das Sündopfer darbrachte, musste es auch essen. Mit anderen Worten: der Priester nahm teil an dem Sündopfer und zeigte so vorbildlich, dass Jesus mit der Sünde eins gemacht ist, welche unsere Gemeinschaft mit Gott verhindert. Er hat dies ein für allemal getan, als Er am Kreuze mit unserer Schuld beladen und für uns zur Sünde gemacht war. So ist denn der gesegnete Boden bereitet worden, auf welchem die Gnade die Gemeinschaft wiederherstellen kann.

Aber nicht nur der opfernde Priester, sondern auch alles Männliche unter den Priestern sollte das Sündopfer essen. Die ganze priesterliche Familie (mit Ausnahme der Töchter) sollte an diesem Dienst teilnehmen. Mit anderen Worten: wir sind berufen, in einem gewissen Sinne die Sünden und Schmerzen unserer Brüder zu tragen; selbstverständlich nicht in sühnender Weise — das konnte nur Christus tun, Sein Blut wurde ins Heiligtum gebracht — aber doch so, dass auch wir von einem Essen des Sündopfers reden können. Freilich fehlen wir hierin vielleicht mehr als in irgend einer anderen Hinsicht. Wir mögen nicht fremdes Feuer vor den Herrn bringen wie Nadab und Abihu, aber wir unterlassen es, das Sündopfer an heiligem Orte zu essen, wie Eleasar und Ithamar.

Doch wie ist das zu verstehen? Wir haben bei der Betrachtung des Friedensopfers gesehen, wie innig das Volk Gottes miteinander verbunden ist: die Freude, das Loben und Danken, die Anbetung — alles ist gemeinsam, und die Verbindung wird gefühlt. Nun, Ähnliches finden wir bei der Betrachtung des Sündopfers. Wenn ein Bruder oder eine Schwester sündigt, so kann ich nicht sagen: Das geht mich nichts an, damit habe ich nichts zu tun. Wie machte es Daniel? Sagte er: Israel hat gesündigt? Nein, obwohl persönlich schuldlos, aber sich völlig einsmachend mit seinem Volke, betete er: „Wir haben gesündigt und verkehrt und gesetzlos gehandelt, und wir haben uns empört und sind von deinen Geboten und von deinen Rechten abgewichen . . . Unser ist die Beschämung des Angesichts u. s. w.“ (Dan. 9, 5ff). Das ist auch unser Platz. Dazu sind auch wir berufen.

Selbstverständlich können wir dieser Berufung nur dann entsprechen, wenn wir in Gemeinschaft mit Gott und in der bewussten Verwirklichung des Platzes wandeln, auf welchen wir versetzt sind. So ist es immer. Nur ein reiner Mann konnte das Wasser der Reinigung auf den Unreinen sprengen (4. Mose 19, 18. 19), nur ein Priester, der seinen Platz in Treue und Heiligkeit vor Gott einnimmt, kann von dem Sündopfer essen. Vergessen wir nicht, dass es ein „Hochheiliges“ genannt wird und nur an heiliger Stätte gegessen werden durfte.

Das große Vorbild für diese Seite des priesterlichen Dienstes, d. i. die Beschäftigung in Gnade und Liebe mit den Verfehlungen unserer Geschwister, finden wir in Joh. 13; und dort sagt der Herr, nachdem Er Seinen Dienst vollführt hat: „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen“. Wenn sich in irgend einem Gläubigen Verunreinigung zeigt, sollten wir bereit und bemüht sein, diese Waschung an ihm vorzunehmen. Aber, wie schon gesagt, sie ist unmöglich, wir sind völlig unfähig zu diesem Dienst, wenn wir nicht in der heiligen Nähe Gottes weilen und dort im Geiste die ganze Last der Sünden und Verfehlungen auf uns nehmen, deren Bekenntnis wir herbeiführen möchten. Ich brauche kaum zu wiederholen, dass von einem Aufsichnehmen der Sünde in sühnendem Sinne unserseits keine Rede sein kann; so konnte nur Einer das Sündopfer essen, unser großer Hoherpriester. Fußwaschung ist nicht Sühnung. Aber wie sehr bleiben wir alle in der Ausübung dieses Teiles des priesterlichen Dienstes zurück!

Wenn ich wirklich in praktischer Beziehung da bin, wo ich sein sollte, und sehe Sünde in meinem Bruder und gehe nun hin, um für ihn zu beten, so werde ich unwillkürlich daran erinnert, dass er mit Christo, so wie Er der Welt dargestellt ist, in Verbindung steht: das Kleid Christi ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, besudelt, die Ehre Christi ist beeinträchtigt, der Name Christi verunehrt, die Freude Christi gehindert worden, — alles ist in diesem Sinne verdorben, der Genuss der Gemeinschaft verloren. Ist es nicht etwas Schreckliches, die Heiligen Gottes in solcher Weise Christum verunehren zu sehen? Nun, wenn ich das wirklich fühle, so werde ich das Schmerzliche und Demütigende von allem diesem so auf meinem Herzen tragen, als wenn ich selbst die Sünde begangen hätte. Offenbar werden meine Gefühle in demselben Maße sich vertiefen, wie ich in persönlicher heiliger Absonderung von allem Bösen Gott näher komme und von Dem lerne, der mir ein vollkommenes Vorbild auch für diesen Dienst der Liebe gegeben hat. Die Liebe begibt sich gleichsam dahin, wo der Sünder sich befindet, und dessen Sünde wird zu einer Gelegenheit für das Herz, in fürbittender Liebe sich zu Gott zu wenden und in Gnade für den Fehlenden einzutreten.

Man hat oft das Beispiel einer Mutter angeführt, deren Kind in schweren körperlichen Leiden ist. Sie sieht, wie der kleine Körper im Schmerz krampfhaft zuckt, sie hört die ergreifenden Klagelaute, und obwohl sie selbst keinerlei Schmerzen hat, leidet sie in der Liebe und Not ihres Mutterherzens weit mehr als das Kind. Ähnlich sollte es mit uns sein. Auch wir sollen es tief fühlen, wenn wir andere Gläubige unter böser Lehre oder in unwürdigem Wandel sich drehen und winden sehen. Gewiss, Jesus hat alles am Kreuze getragen, aber sollten wir uns nicht mit Ihm eins machen, indem wir uns in geeigneter Weise mit der Sünde beschäftigen, das „Sündopfer essen“?

Moses tadelt Eleasar und Ithamar scharf, dass sie dem göttlichen Gebot nicht gefolgt seien. Aber dann tritt Aaron für seine Söhne ein und nimmt alles auf sich. Allerdings musste „der mit Schwachheit Umgebene“ an sein eigenes Fehlen infolge des schrecklichen Todes seiner beiden ältesten Söhne erinnern; aber dennoch ist er auch hier ein schönes Vorbild von unserem großen Hohenpriester. Christus steht für uns ein, Er macht sich verantwortlich für alles. Dennoch welch ein Verlust für Eleasar und Ithamar an diesem denkwürdigen Tage! Es wäre ihr Vorrecht gewesen, von dem „Sündopfer“ zu essen, wie es unser Vorrecht ist. Es war ihnen gegeben worden, ,,um die Ungerechtigkeit der Gemeinde zu tragen«, und so ist es uns gegeben als unser Teil. In den unerschöpflichen Reichtümern Seiner Gnade segnet Gott uns nicht nur, sondern Er benutzt uns: wir dürfen unter Seiner gnädigen Leitung Seine Mitarbeiter sein. So durfte Paulus pflanzen, Apollos begießen, und Gott gab das Wachstum. Gott ist es, der alles tut, und doch, wessen Freude ist es, wenn ein Mensch bekehrt wird? Dessen, der ihn zu Jesu führen durfte. „Ihr seid unsere Herrlichkeit und Freude“, schreibt Paulus an die Thessalonicher. Paulus hatte sie nicht erlöst, aber er genoss die Freude, welche die Liebe schmeckt, wenn sie anderen dienen kann.

Aber unser Dienst besteht nicht nur in der Predigt des Evangeliums an verlorene Sünder — das ist mehr der Dienst eines Gesandten, eines Apostels — da gibt es auch den mehr priesterlichen Dienst des Lehrens, Ermahnens und Zurechtbringens, und gerade diese Seite des Dienstes· beschäftigt uns hier. Fürbitte für einen Bruder, der gesündigt hat, ist priesterlicher Dienst in Liebe, wobei das Herz die fremde Sünde gleichsam als eigene Schuld Vor den Herrn bringt. Auf diese Weise wird dann gerade die Verfehlung zu einer Gelegenheit für die Liebe, sich zu offenbaren und in Tätigkeit zu treten, und das Wort erfüllt sich: »Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden«. (1. Petr. 4, 8; vergl. Jak. 5, 19. 20.) Statt dass die Sünde Gericht herbeiführt, wird sie in Gott wohlgefälliger Weise hinweggetan, zugedeckt.

Viele Gläubige haben wohl kaum eine Ahnung von diesem Dienst der Liebe; andere einfältige Seelen mögen ihn in Treue ausüben, ohne sich selbst Rechenschaft darüber zu geben. Aber ach! gar wenige werden ihn mit Verständnis und heiliger, eifernder Liebe tun. Ja, viel, sehr viel hat es an diesem Dienst unter uns gefehlt. Wie oft hat sich gerade das Gegenteil gezeigt! Zu unserer Beschämung sei es gesagt. Haben wir nicht oft in gesetzlicher, scharfer Weise über unsere Brüder geurteilt, lieblos den Stab über sie gebrochen, anstatt „im Heiligtum“, in Gottes Gegenwart, uns in Liebe und Gnade mit ihrer Sünde eins zu machen?

Die Prüfungen des täglichen Lebens, Trauer und Leiden, sollten uns nicht hindern, in solcher Weise priesterlich vor dem Herrn zu dienen. Wir wissen alle aus Erfahrung, wie diese Prüfungen uns so ganz hinnehmen können, dass wir für andere kaum noch Auge und Ohr haben. Und sicher, der Herr fühlt mit uns und hat Mitleid mit unseren Schwachheiten, aber wir sollten uns niemals dahinter verstecken. Andererseits müssen wir acht haben, dass nicht die Freuden der Natur, „Wein und starkes Getränk“, uns hindernd im Wege stehen! Auch sie bilden eine gefährliche Schlinge.

Das Essen des Sündopfers ist etwas, wovor die Natur zurückschrickt, wobei sie ihre Rechnung in keiner Weise findet. Es erfordert lautere, selbstverleugnende Liebe, und wir leben in einer Zeit, die durch Eigenliebe und Selbstsucht in besonderer Weise gekennzeichnet wird. O wie wenig schmerzen uns die Verfehlungen eines lieben Bruders, einer teuren Schwester so, als wenn es unsere eigenen wären! Wir hören davon, seufzen darüber, aber wir machen uns nicht vor Gott damit eins, tragen nicht ernstlich Leid darüber.

Teurer Leser! weiß dein Gebets-Kämmerlein etwas von diesem Eintreten für deine Geschwister in Gnade und ernster Beugung, von diesem ringenden Flehen eines liebenden Herzens, das für den anderen in den Riss tritt? Nicht wahr? da fehlt viel in unserer Mitte.

Der Herr wolle es uns allen zu erkennen und zu fühlen geben und uns schenken, die Zusammengehörigkeit, das Einssein des Gläubigen mit Ihm mehr zu verwirklichen! Es würde uns mehr auf diesen Boden der Fürbitte treiben und uns füreinander eintreten lassen in Liebe und Treue.

Gott sei gepriesen, dass unser großer Hoherpriester sich allezeit für uns verwendet, und dass Seine Stimme gehört wird, wie uns unsere Geschichte vorbildlich zeigt! Mose, durch dessen Vermittlung das Gebot gegeben worden war, gleichsam der Vertreter der Ansprüche Gottes, ist durch die Worte Aarons befriedigt. „Es war gut in seinen Augen“ (V. 20). So ist auch unser Gott, wenn Er die Stimme unseres Aaron hört, befriedigt, und das gibt dem aufrichtigen Herzen Trost und Ermunterung. Aber Gott bewahre uns davor, dass dieses Bewusstsein uns oberflächlich gegen uns selbst mache, oder uns leichten Sinnes an die Sünden unserer Brüder denken lasse!

Fußnote:

*) Es mag gut sein, an dieser Stelle auf ein Ereignis in dem Leben unseres Herrn und Heilands aufmerksam zu machen, das, oft nicht verstanden, gerade über diese Seite der Wahrheit Licht verbreitet. Wir meinen Seine Antwort am Hochzeitsfeste zu Kana auf die Erinnerung Seiner Mutter, dass der Wein ausgegangen sei. Es könnte keinen schlagenderen und zugleich schöneren Beweis für den völligen Mangel an bloß natürlicher Liebenswürdigkeit in Christo geben als Seine Antwort an Maria: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Weib?“ Er war gekommen, um den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und Sein Werk zu vollbringen. Als Kind war Er Joseph und Maria untertan; aber als Er Seinen Dienst angetreten hatte, wäre es ein Vermengen des Speisopfers mit Honig gewesen, wenn Er der Bitte Seiner Mutter nachgegeben hätte. Er war in allem vollkommen. Er war, wie gesagt, nicht gekommen, um selbst der liebenswürdigen Seite der menschlichen Natur Rechnung zu tragen, sondern um in allem und zu aller Zeit den Willen Gottes zu tun. Da war kein Sauerteig und kein Honig in Ihm, wohl aber „das Salz des Bunde?“, das bei dem Speisopfer nie fehlen durfte (Vergl. 3.Mose 2, 13).

*) In der Wüste mussten alle Schlachttiere als Friedens- oder Dankopfer zu dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft gebracht werden. Wer ein Tier anderswo schlachtete, wurde aus der Mitte seines Volkes ausgerottet. Er war ein Mensch, „der Blut vergossen hatte“. Denn das Blut (Leben) gehört Gott, nur Er hat darüber zu verfügen. Im Lande Kanaan wurde diese Bestimmung geändert, jedoch unter genauer Beachtung der Rechte Jehovas an das Blut. (Vergl. 3. Mose 17, 1 — 7 mit Mose 12, 20 - 28).