Untätigkeit einerseits und unzeitiger Diensteifer andererseits sind zwei Dinge, gegen die der Christ stets auf seiner Hut sein sollte. Untätigkeit ist durchaus unverträglich mit dem christlichen Charakter. Die Gnade, die uns mit Scham die Unvollkommenheit unserer Arbeit erkennen läßt, weckt zugleich das ernste Verlangen in uns, dem Dienst des Herrn alle unsere Kräfte zu weihen. Es ist in der Tat beklagenswert, wenn wir es nötig haben, zur Tätigkeit angespornt zu werden. Für den Christen sollte das Wirken für den Herrn ebenso natürlich sein,
wie für den natürlichen Menschen das Arbeiten zur Befriedigung seiner irdischen Bedürfnisse. Wenn er nicht wirkt, so hat er viel Ursache zu zweifeln, ob Leben in ihm sei. Der Mensch kann den „Namen haben, daß er lebe", und dennoch tot sein; aber er kann ohne Leben nicht den Namen haben, daß er Gott diene.
Andererseits dürfen wir nicht aus dem Gedächtnis verlieren, daß Gott niemandes Schuldner sein will; denn: „Er gibt allen Leben und Odem und alles" (Apg 17, 25). Beständig strebt derMensch dahin, Gott zu seinem Schuldner zu machen; aber seine Anstrengungen bleiben fruchtlos; und wer darin beharrt, wird als einer, der wider Gott streitet, erfunden werden. Die Frage zwischen Gott und dem Menschen kann nicht eher zum Abschluß gebracht werden, als bis der Mensch sich als den Empfänger und den Schuldner Gottes betrachtet; bevor dies geschieht, ist kein Hinzunahen möglich.
Indes beabsichtige ich jetzt, mehr den zweiten Punkt ins Auge zu fassen. Unzeitiger und verkehrter Diensteifer, als nicht aus der Gemeinschaft mit Gott hervorgehend, soll, im Gegensatz zu dem aus dieser Gemeinschaft strömenden Eifer für Gott, der Gegenstand meiner Betrachtung sein, wozu das Leben und die Zeiten Hiskias mir eine ganz besondere Anleitung geben. Die Regierungen dreier Könige von Juda sind durch den Heiligen Geist mit drei Propheten in eine genaue Verbindung gebracht. Jesaja, Hosea und Micha erfüllten ihren mühevollen prophetischen Beruf unter den Regierungen der Könige Jofham, Ahas und Hiskia. Ich fühle deutlich, daß eine moralische Verbindung zwischen diesen drei Regierungen bestand.
Der Tempel in Jerusalem war von jeher der große Mittelpunkt, der Sammelplatz der Juden. Alle Zuneigungen jedes gläubigen Israeliten waren mit diesem heiligen Gebäude aufs engste verflochten; und in betreff der Könige von Juda bildet ihr Verhalten dem Tempel gegenüber den Maßstab, nach dem ihr menschlicher und königlicher Charakter beurteilt werden kann.
Jeder von ihnen, von dem bezeugt wurde: „Er tat, was recht war in den Augen Jehovas", zeigte auch ein Herz für den Tempel und den Tempeldienst des Gottes Israels; alle aber, welche „taten, was böse war in den Augen Jehovas", waren solche, die das Haus Jehovas verlassen und sich dem Götzendienst hingegeben hatten. — Jotham, der König von Juda, konnte indes weder zu der einen noch zu der anderen Klasse gezählt werden. Er war kein Götzendiener; aber dennoch zeigte er nicht jenes warme Interesse, auf welches das Haus Jehovas Anspruch machen konnte.
Von ihm kann gesagt werden, daß er außerhalb des Heiligtums sein Werk begann. Er ging hinauf zu den Bergen, um zu bauen, bevor er ins Heiligtum gegangen war, um anzubeten; er stand auf dem Schlachtfelde, bevor er am Altar gestanden hatte, er redete mit den Werkleuten und dem Kriegsvolk, bevor er mit den Priestern, den Dienern des Heiligtums, gesprochen hatte.
Darum war alles mangelhaft. Freilich hatte er vieles getan: „er baute Burgen und Türme" und sogar das „obere Tor am Hause Jehovas"; ja „er richtete seine Wege vor dem Angesicht Jehovas, seines Gottes." Nichtsdestoweniger gab es bei all diesem noch ein „Doch die Höhen wichen nicht, das Volk opferte und räucherte noch auf den Höhen" (Vgl. 2. Kon 15, 35; 2. Chron 27, 2). Dies ist eine lehrreiche Lektion für uns. Wir sollten stets mit großer Strenge über den Zustand unserer Herzen wachen, damit sich nicht unser eigener, wenn auch rechtschaffener und vernünftiger Dienst, zwischen unsere Seelen und die Person Christi dränge. Wir sollen stets, sei es, daß wir predigen, Bücher oder Briefe schreiben,Besuchemachen oder dergleichen, die Motive untersuchen, warum wir solches tun; wir sollen stets ein ruhiges Urteil über die geheimen Beweggründe aller dieser Handlungen fällen.
Wenn der Herr kommt, wird er nicht nur das Werk unserer Hände, sondern auch die „Überzeugungen der Herzen" offenbar machen. Das ist sehr ernst. Manche glänzende Tat, manche geschmückte Predigt, manches gut verfaßte Buch,mancher prunkende Besuch wird dann in ewige Vergessenheit versinken oder nur erwähnt werden, um das Gewissen zu verwunden und das Urteil der getäuschten Seele zu verdunkeln, die vielleicht ihr Werk begonnen hat, ohne aus Erfahrung jene Grundregel des Hauses Gottes zu kennen, daß der Mensch ein Bettler sein muß, oder die, mit anderen Worten, sich selbst in all ihren Worten und Werken zum höchsten Gegenstande gemacht hat.
Über den König Ahas haben wir nicht viel zu sagen. Er trat Gott und der Wahrheit offenbar entgegen. Er verwahrloste den Tempel, schloß die Türen, schlug alle Gefäße in Stücke und baute Altäre an allen Ecken in Jerusalem. Dazu zog er nach Damaskus, dem König von Assyrien entgegen, und sah dort einen Altar, dessen Bildnis er dem Priester Uria sandte, der in
Jerusalem einen ähnlichen bauen ließ. Auf diese Weise rückte er den wahren Altar von seiner Stätte und hob, mit einem Wort, die ganze Ordnung der Anbetung auf. Das waren die Taten des Königs Ahas. Die Geschichte dieses unglücklichen Mannes, von welcher Seite wir ihn auch betrachten mögen, bietet uns eine ernste Warnung, besonders aber, wenn wir in ihm den Nachfolger Jothams erblicken. Wenn unsere Herzen nicht ganz und gar dem Dienste des Herrn gewidmet sind, wenn wir den verborgenen Umgang mit Gott geringschätzen und nicht mit Eifer suchen, wenn das Werk in uns nicht gleichen Schritt hält mit dem Werk außer uns, wenn wir mehr lesen und lehren als beten, wenn unsere Arbeit mehr vor dem Auge des Menschen, als vor dem Auge Gottes geschieht, dann können wir versichert sein, daß wir bald kraftlos
zusammenbrechen werden. Gemeinschaft mit Gott ist das einzige Mittel, durch das wir Ihm wahrhaft dienen können; und wo diese mangelt, da erntet man bittere Früchte.
In der moralischen Verbindung dieser beiden Regierungen war es unvermeidlich zu erwarten, daß dem unvollkommenen Dienst Jothams der offenbare Abfall des Ahas folgen mußte. Wenn
wir in den Wäldern bauen können, während der Tempel vernachlässigt wird, dann werden wir uns auch bald von dem wahren Gottesdienst abwenden und uns der Abgötterei hingeben. Mit Recht mögen wir fragen: Wozu Burgen und Türme, wenn die Türen des Hauses Gottes geschlossen sind? Was nützen Siege über die Ammoniter, wenn der Leuchter Gottes von der heiligen Stätte gestoßen ist? Sie sind weder von Nutzen, noch von langer Dauer, sondern werden bald den entscheidenden Taten eines Ahas Platz machen, der keine zweideutige Rolle spielen wollte. — Aus diesen Anmerkungen können wir für uns die nützliche Lehre ziehen, daß die Gemeinschaft mit Gott eine hervorragendere Stelle bekleiden muß, als ein Dienst für Gott.
Nie darf der verborgene Umgang mit Gott dem öffentlichen Wirken, selbst in göttlichen Dingen, den Platz räumen. Viele zeigen sich bereit, für Gott glänzende Taten zu vollbringen, während sie vielleicht wenig das Bedürfnis fühlen, mit Ihm im Stillen zu verkehren. O möchten wir doch nie vergessen, daß es, wenn unser Herz nicht ganz und gar dem Herrn angehört, wenig frommt, in welcher Weise unsere Hand äußerlich oder unser Verstand durch gelehrte Abhandlungen Ihm dient! Das Fundament unseres Gebäudes ist wurmstichig, und dieses wird bald über unseren Häuptern zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben; und je prächtiger die Zusammenstellung des Baues ist, soviel größer wird beim Einsturz das Getöse und desto trübseliger die Verwüstung sein. Ich fühle es, wie sehr es die Christen nötig haben, diesen Dingen ihre ernste Aufmerksamkeit zuzuwenden, zumal da unsere Zeit reich ist an äußerem Schein, aber arm an geistlichem Leben, reich an Werken des Kopfes und der Hände, aber arm an Werken des Herzens und der Seele, reich an Taten für das Auge des Menschen, aber arm an Taten für das Auge Gottes. Mögen wir doch unaufhörlich um Kraft, geistliche Kraft, zu Gott flehen, ohne die alles eitel ist.
Wir wenden uns jetzt zu der Regierung des Hiskia, dessen Geschichte uns mehr befriedigen wird, als die Geschichte seiner beiden Vorgänger auf dem Thron von Juda. Ober ihn lesen wir:
„Im ersten Jahr seiner Regierung, im ersten Monat, öffnete er die Türen des Hauses Jehovas und besserte sie aus" (2. Chron 29, 3). Dies war ein guter Anfang, eine ermutigende Bürgschaft für das, was seine ganze Laufbahn zu sein verhieß. Eine mit Gott begonnene Laufbahn führt gewiß am Ende zum Sieg. Man mag auf dem Wege vielen Verleugnungen, Schwierigkeiten, Versuchungen, Trübsalen und vielen dunklen Wolken begegrien, so wird es sich dennoch endlich herausstellen, daß ein im Heiligtum begonnener Weg in Herrlichkeit endet. „Die gepflanzt sind in dem Hause Jehovas, werden blühen in den Vorhöfen unseres Gottes" (Ps 92, 13). Hiskia schien dieses durch die Gnade erfahren zu haben. Er nimmt, wie wir sehen, seinen Lauf von dem rechten Punkte aus. Er schreitet nicht in die Wälder, um zu bauen, sondern greift alsbald das Werk einer Reformation an; er sendet die Leviten, das Innere des Hauses Jehovas zu reinigen und setzt auf diese Weise, sozusagen, Gott wieder in Seine Rechte ein, und zwar in der festen Überzeugung, daß, war einmal dieser Hauptschritt getan, alles übrige leicht folgen sollte. Hierin könnten wir vonHiskia vieles lernen.
Die Erfahrimg und das Wirken des Christen hängen ganz von dem Platz ab, den Gott in seinem Herzen einnimmt, mit anderen Worten, es gibt eine moralische Verbindung zwischen dem
Grade, wie wir Gott würdigen, und unserem Betragen. Sind unsere Begriffe von Gott gering, so wird auch das Maß unseres christlichen Wandels gering sein, sind sie hingegen erhaben, so
werden auch die Resultate demgemäß sein. Darum, als die Kinder Israel am Fuße des Horeb „ihre Herrlichkeit vertauschten gegen das Bild eines Stieres, der Gras frißt" (Ps 106, 20), sagt Jehova: „Dein Volk .. . hat sich verderbt" (2. Mo 32, 7).
Was anders konnte das Volk tun, als sich verderben, nachdem seine Vorstellungen von der Würde und der Majestät Gottes so tief herabgesunken waren, daß sie sich für einen Augenblick einbilden konnten, daß er „einem Stier, der Graß frißt", gleich sei. Das gleiche finden wir in Röm 1. Durch den Geist geleitet, zeigt uns der Apostel, daß die Ursache all der Greuel der Heiden in dem Umstände zu suchen sei, daß sie „Gott kennend, ihn nicht als Gott verherrlichten." Dieser Grundsatz übt einen äußerst mächtigen Einfluß aus. Wir erniedrigen uns selbst in dem Maße,als wir uns eine mehr sinnlicheV'orstellung von Gott machen. Diese Wahrheit läßt uns in die geheimen Schlupfwinkel unserer Herzen eindringen, um dort vor dem scharfen, durchdringenden Auge Gottes zu untersuchen, wie hoch wir jeden Tag, jede Stunde Seinen Wert schätzen. Wir dürfen es nicht versäumen, auf diesen Punkt der Wahrheit unser ganzes Augenmerk zu richten; jede Nachlässigkeit hierin wird unzweifelhaft Ursache zu Trägheit und trauriger Gleichgültigkeit in unserem Wandel sein. Er hat dann nicht den ersten Platz in unserer Liebe und wir leben nicht in der Atmosphäre Seiner göttlichen Güte und Liebe. Und unser eigener Zustand, unsere Erfahrung, unser Dienst, unser Kampf, unsere Schwachheit und unsere Leiden haben sich in hohem Grade zwischen unsere Seelen und Gott gestellt und verdüstern das lebengebende Licht Seines Antlitzes.
Wenn wir aber mit unserer eigenen Angelegenheit so sehr erfüllt sind, daß sie unser Herz und Gewissen verhindert, in der rettenden Liebe und in der Kraft des Erlösungswerkes zu ruhen, so werden wir unvermeidlich in äußere Werkheiligkeit und Gesetzlichkeit und endlich gar in völlige Weltlichkeit und moralische Verderbtheit versinken. Die erste Handlung des Königs Hiskia leitet uns nach meiner Meinung zu dieser Anschauung. Er hatte einen guten Grund gelegt; er hatte nach jener Vorschrift gehandelt, die später der Herr Jesus Seinen Jüngern gab: „Trachtet aber zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit; und dies alles wird euch hinzugefügt werden" (Mt 6, 33). Er fühlte, daß seine Burgen und Türme dem Hause Gottes nachstehen mußten. Er konnte nicht in einem getäfelten Hause wohnen, während der Tempel Jehovas die Spuren einer traurigen Verwahrlosung an sich trug. Darum ging er in das Innere des
Heiligtums und begann dort sein Werk. Verweilen wir hier einen Augenblick, um den Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Wirken ins Auge zu fassen. Der Mensch
sagt: Beginne mit dem Äußeren und wirke auf das Innere. Die Schrift sagt: Beginne mit dem Inneren, und das äußere Werk wird folgen.
Der Mensch sagt: Gehe in die Wälder und baue Burgen und Türme, und dann komme ins Heiligtum, um dort alles in Ordnung zu bringen. — Die Schrift sagt: „Gehe zuerst ins Innere des Hauses Jehovas und säubere es von Stufe zu Stufe", bis du dich in dem geeigneten Zustande befindest, die etwa nötigen Burgen und Türme zu bauen. — Der Mensch sagt: Du mußt wirken, um zu leben; die Schrift sagt: „Du mußt leben, um zu wirken. Die Sprache des Menschen lautet:
Tue und lebe; und die Sprache Gottes: Lebe und tue. Welch ein Trost für einen Sünder, der fühlt, daß Gott seinen Bedürfnissen entgegenkommt! —
Kommen wir indes zu dem Gegenstand unserer Betrachtung zurück. Nach meiner Meinung finden wir, wenigstens hinsichtlich der Reformation, in allen Handlungen Hiskias eine göttliche
Ordnung. Er betrat nicht nur den rechten Pfad, sondern er beharrte auch darin. Man kann von ihm sagen, daß er, mit Ausnahme in der Sache der Botschafter des Königs von Babel, denen er seine Schätze zeigte, seine Laufbahn mit Gott begann, fortsetzte und endete. Er beschloß, das Passah Jehovas zu halten und also nach der Größe der Gedanken Gottes über Israel zu handeln.
Er wollte nicht selbstsüchtig die Beziehung dieses großen Festes, oder die reinigende Wirkung des Blutes, für die Grenzen Judas oder Jerusalems absperren, sondern „für ganz Israel hatte der König das Brandopfer und das Sündopfer befohlen" (2. Chron 29, 24). Freilich war Israel schändlich abgewichen und in Abgötterei versunken; aber sollte dies ihn abhalten? Das Blut, das Juda reinigen konnte, vermochte auch Israel zu reinigen; und beide bedurften es in gleichem Maße. Und in der Tat, jede von Gott unterwiesene Seele wird mit ihren Gedanken die ganze Familie Gottes umfassen. Es existiert keine Zergliederung des Leibes Christi; es kann nur
von dem ganzen, oder sonst von keinem Leibe die Rede sein. Wollen wir irgend eine Wahrheit in ihrem vollen Umfange betrachten, so müssen wir sie als dem ganzen Leibe angehörend
betrachten. Die Erlösung, in der wir stehen, der Dienst, durch den wir aufrecht erhalten werden, die Hoffnung, die uns belebt, alles muß in Verbindung mit dem ganzen Leibe beschaut
werden. „Meinen Keim sahen deine Augen, und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben." —„Er bewahrt alle seineGebeine; nicht eines von ihnen wird zerbrochen" (Ps 139, 16; 34,20).
Dieser weite Blick und dieses volle Herz für das ganze Volk befähigten Hiskia, durch das ganze Land Israel die Botschaft zu senden: „Kinder Israel! kehret um zu Jehova, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, so wird er umkehren zu den Entronnenen, die euch aus der Hand der Könige von Assyrien übriggeblieben sind" (2. Chron 30, 6). Wieviel moralische Kraft und welch ein geistliches Verständnis finden wir in dieser Botschaft! Sie hat ihre Quelle im Heiligtum; sie wird ausgerichtet durch jemanden, der in einem gewissen Maße in die Größe der göttlichen Gesinnung eingedrungen ist. Es ist die Absicht Gottes, daß Juda und Israel noch gemeinschaftlich die irdischen Vorhöfe betreten und die Wirksamkeit desselben Opfers genießen sollen. Josaphat hatte mit Ahab, dem König Israels, einen Bund wider die Syrer geschlossen (2. Chron 18). Dies war, wie wir wissen, durchaus verkehrt, wenngleich der Zweck, Ramoth und Gilead aus den Händen des Königs von Syrien zu befreien, nicht gerade verwerflich war. Ramoth war eine jener Freistädte, deren Wiedereroberung dem Könige Josaphat so wünschenswert sein mußte, daß selbst ein Bund mit Ahab gerechtfertigt schien. Dennoch war es ein tadelnswerter Schritt. Die Grundlage dieses Bundes taugte nicht, er war nicht gegründet auf das „Blut des Lammes"; und daher konnte Gott ihn nicht billigen, und für Josaphat wurde dieses Bündnis hernach eine Quelle vieler Trübsale.
So aber war es nicht mit Hiskia. Er vereinigte Juda und Israel nicht, um eine Freistätte zu erobern. Nein, sein Trachten war, ihre zerstreuten Stämme um den einen Altar zu Jerusalem zu
versammeln. Er hatte einen Vereinigungspunkt aufgerichtet, um den sich jeder Israelit, eben weil er ein Israelit war, scharen durfte, der aber für die, die unbeschnittenen Herzens waren,
nichts Anziehendes hatte. Was aber befähigte ihn zu einer so allgemeinen Einladung? Hätte Hiskia sich von dem kalten, dürren Ausschließungseifer des Menschen leiten lassen, so würde
er die Kinder Israel bei ihren Götzen gelassen und nur an seinen eigenen Genuß und an den Genuß derer gedacht haben, die mit ihm in einer engeren Verbindung standen. Aber nein;
sein Herz war weich und weit geworden in der Gegenwart Gottes. Er fühlte die Lieblichkeit und die Kraft des Versöhnungs-Blutes und erkannte, daß dieses Blut allein den Bedürfnissen des abgöttischen Israels entsprechen konnte. Er wußte, daß das auf dem Altar geschlachtete Lamm der einzige Vereinigungspunkt aller war; und darum trachtete er in der anziehenden Kraft der Gnade, „die zerstreuten Kinder Gottes" zusammenzubringen. Wie viel Lehrreiches liegt in diesem allem für einen jeden von uns! Sollten wir uns nicht fragen, warum bei uns so wenig von dieser gewinnenden Kraft der Gnade zu finden ist? Warum sammeln wir die Kinder Gottes nicht mit uns um den Herrn? O, sicher, es kommt daher, daß wir in unserem Wandel so wenig den Herrn Jesus darstellen, der gesagt hat: „Ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle
zu mir ziehen" (Joh 12, 32).
Bemerken wir indes die zweifache Wirkung der Botschaft Hiskias. Man verlachte und verspottete die Boten; doch einige Männer demütigten sich (2. Chron 30, 10. 11). Dieser Umstand ist sehr lehrreich. Die Einladung wurde durch die verschiedenen Parteien verschieden angenommen; dennoch aber zeigte die Annahme, trotz ihrer Verschiedenheit, daß die Botschaft göttlichen Ursprungs und dem Heiligtum entsprossen war. Die Gnade mußte entweder das Herz demütigen oder Spott und Hohn hervorrufen; in jedem Fall zeigte sie ihre Macht. Wir sind „den einen ein Wohlgeruch des Todes zum Tode, den anderen aber ein Wohlgeruch des Lbens zum Leben." Hiskia jedoch vermochte den Spott und das Gelächter zu ertragen, denn er begriff den Wert des vergossenen Blutes; und da er sah, daß „einige Männer sich demütigten", fühlte er sich reichlich für seine Mühe belohnt. Würden wir auch in der Kraft göttlicher Gnade wandeln, so würden sich auch dieselben Resultate zeigen: Etliche würden spotten, andere sich demütigen.
Wenn sich aber weder das eine noch das andere zeigt, auch nicht in geringem Grade, so ist diese Unbestimmtheit gerade der Beweis, daß unser Zeugnis nicht war, wie es hätte sein sollen. Die Gläubigen zeigen keine innige Verbindung; das scharfe Schwert eines heiligen Zeugnisses „schneidet nicht durchs Herz" der Kinder dieser Welt. Traurige Lauheit und verabscheuungswürdige Gleichgültigkeit machen sich in Betreff göttlicher Dinge geltend, während die Begierde und das Ringen nach den Dingen dieser Welt zur Genüge beweisen, woran das Herz geknüpft ist. Gewiß, wenn wir einem so beklagenswerten Zustan nicht entgegentreten, muß alles unter uns dem Ruin entgegengehen; wir können nicht neutral bleiben. Wirken wir
nicht für Christum, so wirken wir gegen Ihn; tun wir nichts für Christum, so tun wir etwas für Satan.
Wir haben bereits angedeutet, daß sich in den Handlungen Hiskias eine göttliche Ordnung fand. Dies wird sich auf seinem ganzen Wege zeigen. Der Götzendienst der Israeliten konnte weder seine Liebe zu ihnen schwächen, noch seine Anstrengung hemmen, sie auf den Platz wahrer Segnungen zurückzuführen. Sein Bemühen war, sie um den einzigen Mittelpunkt — den Altar zu Jerusalem zu sammeln;*) er strebte, die Stämme Ich glaube, daß es in betreff der göttlichen Grundlage einer christlichen Vereinigung und Gemeinschaft von unberechenbarem Nutzen sein würde, eine völlige Erkenntnis der einfachen Grundsätze der Wahrheit zu besitzen. Darum verweise ich den Leser auf die beiden Schriftstellen: „Auf daß er die zerstreuten
Kinder Gottes in eins versammelte." — „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen." (Joh 11, 52; 12, 32). Wir sehen hier Christum als den Mittelpunkt, um den sich alle Seine Glieder vereinigen, wie die Planeten um die Sonne. Wenn nun Christus der Mittelpunkt ist, ist es denn nicht, selbst wenn es sich um irgendeine Wahrheit handelt, eine Sünde, wenn man einen anderen Mittelpunkt aufrichtet, so "Wie es für Jerobeam Sünde
Israels, ohne ihrer seitherigen Unterlassung zu gedenken, um das Passahlamm zu scharen nach dem Worte des Herrn: „Tröste, tröste mein Volk!" (Jes 40,1). In diesem allem standen seine Handlungen in Verbindung mit den Grundsätzen der Wahrheit. Es ist stets die Weise Gottes, die Seele von dem Bösen wegzulocken, indem Er ihr das Gute vorhält.
Es wäre mit dieser göttlichen Weise nicht in Übereinstimmung gewesen, wenn Hiskia zuerst mit dem Hause Juda das Fest gefeiert hätte war, als er die Einheit des irdischen Volkes Gottes durch das Aufrichten der Kälber zu Dan und Bethel zerstörte, während Jerusalem der große Sammelplatz des Volkes war? Und welche Folge trug die Handlungsweise Jerobeams? Statt
des einen Mittelpunktes gab es jetzt drei , nämlich: Jerusalem, Bethel und Dan; und mithin, da das Volk nach drei verschiedenen Richtungen sich bewegte, so entfernten sie sich immer mehr voneinander. Hätten sie hingegen den göttlich bezeichneten Platz festgehalten, so würde dieses das Zusammenkommen der Kinder Israel wesentlich gefördert haben, denn sie würden von Norden, Osten, Süden und Westen herbeigeströmt sein, während jetzt viele ganz zurückblieben, da sie wußten, daß Dan und Bethel keine von Gott, sondern von Menschen
eingerichteten Sammelplätze waren. Hiskia war von der Wahrheit, daß Jerusalem der Mittelpunkt sei, um den Israel sich scharen mußte, so sehr überzeugt, daß er in seiner Einladung sagen konnte: „Kehret um zu Jehova, dem Gott eurer Väter!" Dies wäre eine unerlaubte Sprache gewesen, wenn Jerusalem nicht wirklich der von Gott bezeichnete Mittelpunkt war.
Für uns jedoch ist nicht Jerusalem, sondern der Name Jesu der Mittelpunkt und das Band der Vereinigung. Sobald etwas, als für diese Vereinigung nötig, dem Namen Jesu beigefügt wird, ist die Einheit gebrochen und eine Sekte ins Leben gerufen. Sollte dieser Name nicht genügen? Wenn den Gläubigen durch das Blut Jesu der Zugang in das Allerheiligste gestattet ist, wenn sie aus Gnaden dort gemeinschaftlic h eingetreten sind, wenn ihre Namen gemeinschaftlich in das Lebensbuch des Lammes eingeschrieben sind, wenn sie gemeinschaftlich auferweckt und jetzt im Geist und durch den Glauben in die himmlischen örter versetzt sind, wenn sie endlich bald der Tat nach gemeimschaftlich dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft, warum sollten sie nicht auch schon hienieden gemeinschaftlich ihren Weg gehen?
Wir stehen gemeinschaftlic h vor dem prüfenden Auge Gottes und schreiten einem Orte zu, wo wir vor den Augen aller geschaffenen Wesen ein s sein werden; und dürfen wir uns nun auf dem Wege in unsere engen Grenzen absperren und auf andere mit Geringschätzung herabblicken? Ach! möchten doch alle, die dieses gesegnete Band christlicher Vereinigung erkennen, sie zu fördern suchen; Gott würde wirklich dadurch verherrlicht werden. Ist nun aber der Name Jesu das einzige Vereinigungsband der Christen, so ist der Heilige Geist die einzige Kraft, sie darin zu leiten. Wo diese beiden Grundsätze in ihrer vollen Bedeutung angenommen sind, da werden wir bald ihren Einfluß gewahren.
Wir dürfen indes, während wir das Volk Gottes in die Freiheit und Einheit des Geistes zu leiten trachten, den hoffnungslosen und unvermeidlichen Ruin der bekennenden Kirche, als eine Körperschaft auf Erden, nicht aus dem Auge verlieren. Es wird hier das Wort eines treuen Dieners des Herrn am Platze sein, der einmal gesagt hat: „Wenn wir ein Zeugnis suchen, so werden wir zugrunde gehen; wenn wir aber mit Gott zu wandeln trachten, werden wir bestehen. Es scheint mir, als ob jede Anstrengung, das Volk Gottes zu vereinigen, den Charakter des „Rufes um Mitternacht" an sich trage, wovon in Mt 25 die Rede ist. Man bemerkt hier, daß, wenn der Bräutigam kommt, die klugen Jungfrauen vereinigt sind. Das ganze Gleichnis lehrt dies deutlich. Die, welche Öl hatten, waren zusammen und bereit; aber die, denen das Öl fehlte, die Törichten, die bloßen Bekenner, zerstreuten sich, um sich ö l zu verschaffen. O möchte doch diese sicht in den Herzen aller wahren Gläubigen den Wunsc h erwecken , vereinigt gefunden zu werden und dann zu den Städten Israels gegangen wäre, um gegen die Abgötterei zu predigen. Dies würde seinen Einfluß nur geschwächt haben. Eins der Übel der Abgötterei war das Streiten
gegen die Einheit des Volkes Gottes und dessen Getrenntsein in Parteien und Sekten; und wie hätte Hiskia gegen diese Spaltungen zeugen können, wenn er nicht selbst von dem Grundsatz der Einheit ausgegangen wäre?
Die Beschränkung des Festes auf die Grenzen Judas würde ebenso sektiererisch gewesen sein wie die Aufrichtung eines anderen Altars oder die Gründung eines neuen Vereinigungspunktes. Die wahre Methode, um die Christen von ihrer Sektiererei zu heilen, ist, sie die Süßigkeit wahrer Einheit kosten zu lassen. So dachte Hiskia und so handelte er. „Und die Kinder Israel, die sich in Jerusalem befanden, feierten das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage lang mit großer Freude; und die Leviten und die Priester lobten Jehova Tag für Tag mit den Instrumenten des Lobes Jehovas. Und Jehiskia redete zum Herzen aller Leviten, welche gute Einsicht in bezug auf Jehova bewiesen. Und sie aßen das Festopfer die sieben Tage hindurch, indem sie Friedensopfer opferten und Jehova, den Gott ihrer Väter, priesen" (2. Chron 30, 21—23). — Dies war der geeignete Weg, um Israel das Schändliche der Abgötterei unter die Augen zu stellen. Solche glücklichen Tage hatten sie nie in der Nähe des Kalbes zu Dan verbracht; eine solche Freude haten sie nie gekostet unter dem Einfluß jenes politischen Religionssystems, das sie Jerobeam verdankten. Nein, nichts vermochte so tief in das Herz eines wahren Israeliten einzudringen, wie die Stimme eines von Gott verordneten Priesters oder Leviten, nichts vermochte ihre Seele so sehr zu erquicken, wie das von Gott eingeführte Opfer.
Und ist es nicht köstlich, daß wir die Echtheit eines Systems oder einer Einrichtung nach der Wirkung auf die Seele beurteilen dürfen? Das was wirklich von Gott ist, wird die Seele
wirklich glücklich machen, während das, was nicht von Gott ist, das Gegenteil ans Licht stellen wird. Die „Freude" und die „sehr große Versammlung" bezeugen es uns daher deutlich,
daß Gott unter ihnen war, und daß solch eine Versammlung den mächtigen Einfluß ausüben mußte. Unvermeidlich mußte der hier herrschende Geist laut gegen die Abgötterei und Sektiererei zeugen, die ihren verderblichen Einfluß über alle Städte Israels ausgebreitet hatten. Wie eine Wasserflut strömte eine moralische Macht aus Jerusalem, um die Götzen und ihre Altäre aus dem Lande zu verdrängen; und gewiß, wäre diese Macht nicht gehemmt worden, so würde sie für immer den Thron der Abgötterei und des Sektengeistes über den Haufen geworfen haben.
Die Lehre, die wir aus dem Vorhergehenden ziehen können, ist deutlich und von größter Wichtigkeit. Der wahre Grundsatz, der bei jeder Reformation Wert hat, liegt nicht so sehr darin, niederzureißen, was falsch ist, als darin, aufzuhauen, was wahr ist. Hiskia fühlte, daß, wenn er Israel nur um den wahren Altar führen und sie in die Lieblichkeit der wahren Anbetung
des Gottes ihrer Väter leiten könnte, alle falschen Altäre bald verschwinden würden. Und wirklich, er wurde in seinen Erwartungen nicht getäuscht; denn „als sie dies alles vollendet
hatten, zogen die Israeliten, die sich daselbst befanden, hinaus zu den Städten Judas; und sie zerschlugen die Bildsäulen und hieben die Ascherim um und rissen die Höhen und die Altäre
nieder in ganz Juda und Benjamin und in Ephraim und Manasse, bis sie damit fertig waren. Und alle Kinder Israel kehrten in ihre Städte zurück, ein jeder zu seinem Besitztum" (2. Chron
31, 1). Hier zeigt sich der wahre Eifer für Gott, als die Frucht der Anbetung. Die einzige Quelle, aus der solcher Eifer hervorströmen kann, ist die Herrlichkeit Gottes. Man hätte erwarten
sollen, daß diese Altäre die Aufmerksamkeit der Kinder Israel würde erregt und ihren Abscheu dagegen aufgeweckt haben, als sie auf dem Wege nach Jerusalem waren; aber dies war nicht der Fall. Nein, zuerst mußten sie den Segen und die Kraft der Wahrheit in ihren Herzen erfahren und sozusagen aus dem Hauptbrunnen getrunken haben; sie mußten eingetreten sein
in das Heiligtum in Jerusalem, wo der wahre Priester stand, der das wahre Opfer darbrachte, erst dann konnten sie, inmitten des anbetenden Volkes Gottes gestärkt und erquickt durch
Seine Gegenwart, sich aufmachen, um durch ihre Werke Zeugnis abzulegen. Diese Art des Handelns zeigt sich sowohl bei Hiskia, als bei Israel. Hiskia hatte die Türen des Hauses Gottes
geöffnet, bevor er die Hand an die Altäre legte. Israel stärkte sich am Altar Gottes, um Satan überwältigen zu können.
Aber ebenso wie Hiskia infolge des Öffnens der Türen des Tempels die abgöttischen Altäre niederreißen konnte, so stärkte Gott auch Israel, das Böse auszurotten. Unmöglich vermochten sie während ihres Ganges von Dan nach Jerusalem die Abgötterei zu vernichten. Nein, sie gingen von Dan nach Jerusalem, um dort Kraft zu empfangen, damit sie, zurückkehrend von Jerusalem, für Gott und gegen das Böse zeugen konnten. Wo wir den uns von Gott angewiesenen Platz verlassen haben, müssen wir uns hüten, auf dem Irrwege vorwärts zu gehen, sondern wir müssen sogleich mit Demut und Schuldbekenntnis zurückkehren.
Auf diese Weise wird unser Auge für unseren Irrtum geöffnet werden, und wir empfangen Kraft, um den Irrtum zu überzoindrn. Die Kinder Israel empfingen in diesen vierzehn Tagen der „Freude" eine tiefe Erkenntnis von der Scheußlichkeit des Götzendienstes und der Sektiererei, und zugleich die Kraft, über beides das Todesurteil zu fällen. Dies hätten sie zu Dan nie lernen können. Sind wir der Gefahr eines wankenden Gebäudes entronnen, erst dann werdn wir begreifen, wie nahe sein Sturz ist.
Wir sehen es daher ebenso in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, daß die Kinder Israel, bevor sie ihre Hände an die abgöttischen Altäre legten, nach Jerusalem gingen wie daß Hiskia
das Haus Gottes herstellte, bevor er nach außen hin in den Dienst Gottes trat. Das eine wie das andere steht auf einem wahrhaft göttlichen Grundsatz. Nachdem Israel einmal wieder die Kraft der alten, wahren Anbetung gekostet hatte, konnte es begreifen, wie weit es sich davon entfernt hatte, und auf welchem Wege eine Rückkehr möglich war. Und nachdem Hiskia
dem wahren Gott wieder Seinen rechten Platz zwischen den Cherubim eingeräumt und die Segnung dieses Werkes erfahren hatte, war er vorbereitet, jenes scheußliche Böse, die Aufrichtung der Götzenaltäre in den Straßen Jerusalems, zu erkennen.
Bevor ich jedoch die Betrachtung dieses Gegenstandes abbreche, möchte ich noch ein tröstendes Wort reden zu dem unter meinen Lesern, der es fühlt, daß er in irgendeiner Weise von Gott abgewichen ist. Zu einem solchen sage ich: Bist du dir wirklich bewußt, an geistlichem Leben abgenommen und durch Sünden den Heiligen Geist betrübt zu haben, hast du es versäumt, über
deine Gedanken und Werke zu wachen, so daß Satan die Macht über dich erlangt hat, dich zu schwächen und zu beunruhigen, hast du deine Pflichten des Dienstes oder der Anbetung versäumt, mit einem Worte, ist etwas da, was dein Herz niederbeugt und deinen Geist umdunkelt: dann ist es nutzlos, über das Böse zu brüten, sondern es ist nötig, daß du, gleich den Kindern Israel, alsbald zu dem Altar Gottes hinschreitest, dein Auge auf das Blut, auf Jesum, als den Grund deiner Annahme
vor „dem Throne Gottes" richtest; und du kannst versichert sein, daß du mit neuer Kraft gegen das Böse wirst streiten können, das dich in den Staub beugt und täglich zu Boden drückt. Nicht die Anstrengung, das Netz der Sünde und des Verderbens, worin wir gefangen sind, abzuwerfen, verleiht wahre Kraft, sondern das Bekenntnis unseres Vertrauens auf unsere vollkommene Annahme in dem Geliebten. Dann stehen wir plötzlich in dem vollen Licht der erlösenden Liebe Gottes;
und in dem heiligen Triumph des Glaubens zertreten wir das Netz der Sünde. „Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt."
Doch wir wenden uns zu unserer Betrachtung zurück. Es war nicht zu erwarten, daß der Feind lange ein ruhiger Zuschauer dieser herrlichen Vorgänge bleiben würde. Es war zuviel Ehre für Gott, zuviel Freude für das Volk Gottes, als daß er ein gleichgültiger Zeuge dieser Dinge sein konnte. Darum, „nach diesen Dingen und dieser Treue kam Sanherib, der König von Assyrien, und er drang in Juda ein und lagerte sich wider die festen Städte, und er gedachte sie für sich zu erobern" (2. Chron
32, 1). Wir dürfen nicht erwarten, daß wir, ohne Stürmen zu begegnen, unseren Weg fortsetzen werden. Wir haben es mit einem bösen und mächtigen Feind zu tun; und selten finden wir auf Erden den Sonnenglanz des Glücks, ohne daß eine Wolke ihren Schatten darauf wirft. So wurden auch Hiskia und sein glückliches Anbeter-Gefolge von Sanherib und dessen wüsten Kriegsgesellen überfallen. Aber Gott sei Dank! das Heiligtum und seine heiligen Beschäftigungen machen uns nie
für äußeren Dienst unfähig. Wir werden im Gegenteil nur dann mit Erfolg wirken, wenn wir zuvor im Heiligtum gewesen sind. Haben wir zuerst dort im Inneren als Priester unsere Aufgabe erfüllt, dann sind wir auch bereit, draußen als Leviten oder als Kriegsleute zu handeln; diese von Gott eingeführte Ordnung dürfen wir nicht umwenden. Hiskia war zumHandeln bereit, sobald der Augenblick dazu gekommen war. Freilich stand ihm das Heiligtum mit seiner feierlichen Stille höher, als der Lärm des Schlachtfeldes; und die lieblichen Altäre Gottes galten ihm mehr als die Schlösser und Burgen der Kriegskunst; aber wenn es gefordert wurde, konnte er auch die in stiller Verborgenheit gesammelte Weisheit zur Vernichtung seiner Feinde erweisen. Es zeigt sich indes augenscheinlich ein Unterschied in der Weise, wie uns in 2. Chron. 32 und in Jes. 37 die Handlungen Hiskias dargestellt werden. In Chronika ist nur, wie mir scheint, die einfache Tatsache als solche mitgeteilt, während Jesaja sie aus einem moralischen Gesichtspunkte betrachtet und zwar in Beziehung auf das zukünftige Schicksal Israels. In 2. Chron finden wir die Kriegstaten Hiskias, die Jesaja ganz mit Stillschweigen übergeht. Wir wollen daher bei den letzten Begebenheiten aus
dem Leben dieses Königs, so wie sie uns durch den Geist in Jesaja mitgeteilt sind, ein wenig verweilen.
Wie schon bemerkt, setzte Hiskia einen weit höheren Wert auf die Stille des Heiligtums, als auf das Getümmel des Schlachtfeldes. Dies zeigt sich in seiner ganzen Laufbahn. Besonders aber sagt uns Jesaja, daß er den größten Teil seiner Zeit den Dingen widmete, die mit dem Tempel in Verbindung standen. Er legte mehr Wert auf den Ort, wo Gott zwischen den Cherubim wohnte, als au seinen eigenen Platz auf dem Thron Davids, und seine Anhänglichkeit an das Haus Jehovas ging so weit, daß wir, als die Zeit kam, wo wir sein Ausrücken ins Schlachtfeld erwarten sollten, ihn streitend im Heiligtum finden. Der stolze König von Assyrien stand mit einem mächtigen, sieggewohnten Heer vor den Toren Jerusalems; und jeder würde natürlich den König von Juda, von Kopf bis zu Fuß gewappnet, inmitten seiner Kriegsleute gesucht haben; aber nein, Hiskia unterschied sich von den meisten Königen und Hauptleuten; er hatte einen Platz der Kraft ausfindig gemacht, den Sanherib
durchaus nicht kannte; und er hatte ein Schlachtfeld entdeckt, wo er, ohne einen Hieb zu tun, Sieger sein konnte. Und welche Waffenrüstung hatte er sich angelegt? Wir lesen: „Als der König Hiskia es hörte, zerriß er seine Kleider und hüllte sich in Sacktuch und ging in das Haus Jehovas" (Jes 37, 1). Das also war die Waffenrüstung, in der der König von Juda kämpfen wollte mit dem König von Assyrien. Wahrlich, eine seltsame Rüstung! Es war eine Rüstung aus dem Heiligtum. Was würde
Sanherib bei ihrem Anblick gesagt haben? Mit einem solchen Gegner war er niemals zusammengetroffen; nie war er in Berührung gekommen mit einem Mann, der sich in Sacktuch
hüllte, statt sich einen Panzer anzulegen, und der im Tempel auf seinen Knien lag, statt auf seinem Wagen ins Schlachtfeld zu eilen. Wahrlich, das wäre in den Augen des stolzen Feindes
eine neue Art von Kriegsführung gewesen.
Er hatte sich gemessen mit den Königen von Hamath und Arpad und mit anderen; aber dies war nach seinen eigenen Grundsätzen und in seiner eigenen Weise geschehen; und nie hatte er einem
Gegner wie Hiskia gegenübergestanden. Und was anderes gab diesem solch eine außergewöhnliche Kraft zum Streit, als gerade das Bewußtsein, daß er nichts, und daß sein „Arm von Fleisch"
ein machtloses Ding sei, ja, daß es sich hier nur um Jehova und um nichts anderes handelte. Dieses sehen wir vor allem darin, daß Hiskia den Brief vor Jehova ausbreitete. Der Glaube trieb
Hiskia ganz von dem Kriegsschauplatz weg, indem er das Ganze zu einer Frage zwischen Jehova und dem König von Assyrien machte. Nicht mehr Sanherib und Hiskia, sondern Sanherib und Gott standen sich gegenüber. Das ist die Ursache, warum Hiskia sich in Sacktuch hüllte. Er fühlte sich ganz hilflos und nahm den Platz eines Hilfsbedürftigen ein. Er teilte dem Herrn mit, daß der König von Assyrien Ihn verhöhnt habe; er flehte zu Gott, daß Er Seinen eigenen und herrlichen Namen rechtfertigen möge, und war völlig überzeugt, daß Er also Sein Volk erretten werde. Welch eine bewundernswürdige Szene! Dort im Heiligtum liegt, schwach und zurückgezogen, ein Mann auf seinen Knien; er schüttet seine Seele aus vor Dem, der zwischen den Cherubim wohnt. Er rüstet kein Kriegsvolk aus, hält keine glänzenden Paraden ab, sondern sendet die Ältesten und Priester, in Sacktuch gehüllt, zu dem Propheten Jesaja. Alles verrät Ohnmacht.
— Ihm gegenüber aber steht, aufgebläht von Siegesfreude und lechzend nach Beute, an der Spitze eines zahlreichen Heeres ein mächtiger Eroberer. Sicher müßte man menschlicherweise sagen: Der Untergang Hiskias und Jerusalems ist unvermeidlich; Sanherib und sein trotziges Heer werden solch eine schwache Rotte in einem Augenblick verschlingen! Und welchen Standpunkt nahm Sanherib ein? Er sagt: „Was ist das für ein Vertrauen, womit du vertraust? Ich sage: Nur ein Wort der
Lippen ist Rat und Macht zum Kriege. Nun, auf wen vertraust du, daß du dich wider mich empört hast? Siehe, du vertraust auf jenen geknickten Rohrstab, auf Ägypten, der, wenn jemand sich auf ihn stützt, ihm in die Hand fährt und sie durchbohrt. So ist der Pharao, der König von Ägypten, allen, die auf ihn vertrauen. Und wenn du zu mir sprichst: Auf Jehova, unseren Gott, vertrauen wir, — ist er es nicht, dessen Höhen und dessen Altäre Hiskia hinweggetan, da er zu Juda und zu Jerusalem
gesagt hat: Vor diesem Altar sollt ihr anbeten" (Jes 36, 4—7)? Wir sehen hier, daß Sanherib den Hiskia tadelt wegen seiner Reformation, um ihm, nach seiner Meinung, jeden Ruheplatz und alles Vertrauen zu rauben. Er sagt wiederum: „Bin ich ohne Jehova heraufgezogen wider dies Land, es zu verheeren? Jehova hat zu mir gesagt: Ziehe hinauf in dieses Land und verheere es" (V. 10). In der Tat, Hiskias Glaube wurde auf die Probe gestellt — der Glaube mußte in den Schmelztiegel. Es ist
nicht genug, daß wir unser Vertrauen zum Herrn mit Worten bezeugen, sondern wir müssen es durch die Tat beweisen, selbst wenn alles uns entgegen zu sein scheint. Und wie begegnet Hiskia den prunkenden Worten? In dem würdigen Schweigen des Glaubens. „Es war das Gebot des Königs,
der gesagt hatte: Ihr sollt ihm nicht antworten" (V. 21). In dieser Weise zeigte sich der König vor den Augen des Volkes; ja in solcher Ruhe, Selbstbeherrschung und Würde tritt der Glaube stets vor den Blicken der Menschen auf, während er sich zugleich vor Gott in den Staub niederbeugt. Der Glaubende kann zu seinen Mitmenschen sagen: „Stehet und sehet die Rettung Jehovas!" und im Gefühl seiner Ohnmacht schreit er in demselben Augenblick zum Herrn (Siehe 2. Mo 14, 13—15).
Also handelte der König von Juda in diesem feierlichen, entscheidenden Augenblick. Aber laßt uns ihm lauschen, wie er in der Verborgenheit des Heiligtums mit Gott ringt und sein Herz ausschüttet vor dem Einen, der stets bereit ist zu hören und mächtig zu helfen. „Und Jehiskia betete zu Jehova und sprach: Jehova der Heerscharen, Gott Israels, der du zwischen den Cherubim thronst, du allein bist es, der der Gott ist von allen Königreichen der Erde: du hast den Himmel und die Erde gemacht. Jehova, neige dein Ohr und höre! Jehova, tue deine Augen auf und sieh! Ja, höre alle die Worte Sanheribs, der gesandt hat, um den lebendigen Gott zu verhöhnen! Wahrlich, Jehova, die Könige von Assyrien haben alle Nationen und ihr Land verwüstet; und sie haben ihre Götter ins Feuer geworfen,
denn sie waren nicht Götter, sondern ein Werk von Menschenhänden, Holz und Stein, und sie haben sie zerstört. Und nun, Jehova, unser Gott, rette uns von seiner Hand, damit alle Königreiche der Erde wissen, daß du allein Jehova bist" (Jes 37,15—20).
Hiskia legt die Sache ganz in die Hände Gottes und zieht sich selbst zurück. Er trachtet nicht, die Schwierigkeit gering darzustellen; er erkennt, „daß die Könige von Assyrien alle Nationen und ihr Land verwüstet haben." Aber warum? Weil ihre Götter nicht gleich Jehova waren; se verstanden nicht, die Sache in die Hand des lebendigen Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erde, zu legen. Das allein war das Geheimnis ihrer Niederlage. Welch ein überwindender Glaube! Welch
ein kühnes, vertrauensvolles Verfahren! Wo, möchten wir fragen, wo war die Schwierigkeit, die einen solchen Glauben überstieg? Der Glaube, der sich auf Ihn stützt, der Himmel und Erde gemacht hat, kümmert sich wenig um das Heer, wie zahlreich es auch sein mag. Der Glaube entdeckt Myriaden von Engeln und Berge, die mit feurigen Wagen bedeckt sind, zur Verteidigung dessen, der auf Jehova vertraut. — Und welche Aufnahme fand das Gebet Hiskias bei Dem, der „zwischen den Cherubim thront?" Der Herr verweigert es nie, Sich in Schwierigkeiten hineinziehen zu lassen, wenn er nur frei handeln kann und nicht Seiner Herrlichkeit beraubt wird. Und wie lautet Seine Antwort: „So spricht Jehova, der Gott Israels: Was du zu mir gebetet hast wegen Sanheribs, des Königs von Assyrien, — dies ist das Wort, welches Jehova über ihn geredet hat: Es verachtet dich, es spottet deiner die Jungfrau, die Tochter Zion; die Tochter Jerusalem schüttelt das Haupt dir nach. Wen hast du verhöhnt und gelästert, und gegen wen die Stimme erhoben? Gegen den Heiligen Israels hast du
deine Augen emporgerichtet" (Jes 37, 21—23)! Wir haben schon angedeutet, daß Hiskia sich ganz aus der Schwierigkeit herauszog.
Er erkannte es öffentlich an, daß er unvermögend sei, sich mit dem König von Assyrien in einen Streit einzulassen, indem er sich in Sacktuch hüllte, statt seine Waffenrüstung anzulegen. Sein Verhalten in dem Hause Jehovas trug das Gepräge: Gott oder nichts! Und nachdem der Glaube dieses demütigen, sich selbst erniedrigenden Mannes den Herrn, den Gott Israels mit dem König von Assyrien in unmittelbare Berührung gebracht hatte, leitete der Gott Israels den in Sacktuch
gehüllten Mann huldreich zu der Beute des überwundenen Feindes. Hiskia hatte gesagt: „Er hat gesandt, um den lebendigen Gott zu verhöhnen;" — und Jehova redet über Sanherib zu Hiskia: „Wen hast du verhöhnt? Den Heiligen Israels." — Sicher hatte Sanherib mit einem solchen Gegner nicht gerechnet; sicher hatte er nie daran gedacht, daß sein Brief ausgebreitet werden würde vor dem Auge des lebendigen Gottes. Seine Erwartung war, sich, wie er es gewohnt war, mit Fleisch und
Blut, mit Schwert und Speer messen zu können. Aber seht! ein Mann des Glaubens betete, und ein Engel Jehovas fuhr aus und schlug im Lager der Assyrer hundertfünfundachtzigtausend Mann. Und als man des morgens früh aufstand, siehe, da waren sie allesamt Leichname" (Jes 37, 36).
Dies läßt uns in die reichen Hilfsmittel Hiskias einen Blick tun. Er kannte den Wert des Alleinseins mit Gott; er war ruhiger und fühlte sich stärker im stillen Umgang mit Gott, als in der Mitte seiner gewappneten Kriegsknechte. In ihm erfüllte sich das Wort des Apostels: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." Und hätte Sanheribs Heer auch Millionen statt der Tausenden gezählt, so hätte der Engel des Herrn sie doch in einem Augenblick von der Oberfläche der Erde hinwegzuraffen
vermocht; denn nichts begrenzt die Macht Jehovas, wenn Er Seinen Arm ausstreckt, um als Antwort ihrer Gebete die Seinigen zu retten. „Er stürzte Pharao und sein Heer ins Schilfmeer; denn Seine Güte währet ewiglich" (Ps 136,15).
Und bei Ihm ist kein Wechsel. Wendet sich der Glaube zum Gnadenthron, so werden stets die staunenswertesten Resultate folgen. „Was irgend ihr in meinem Namen bitten werdet, das
werde ich tun" (Joh 14, 12); und: „Wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen werden über irgendeine Sache, um welche sie auch bitten mögen, so wird
sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist" (Mt 18, 19). O, wie gering sind unsere Begriffe über das, was Gott für uns tun würde, wenn wir Ihm nur die Ehre gäben. Wie beschränkt sind wir in unseren Gedanken, wie kalt in unseren Gebeten! Wie oft gleichen wir dem König von Israel (2. Kö 13), der dreimal auf die Erde schlug und dann innehielt, da er fünfbis sechsmal hätte schlagen sollen. Wie er den Wert des Schiagens nicht verstanden haben mag, so kann von uns das gleiche in betreff unserer Gebete gesagt werden. Würden wir in unseren Schwierigkeiten den Herrn dadurch ehren, daß wir sie vor Sein Angesicht brächten, so würde Er uns ohne Zweifel stets den Sieg über sie geben. Mögen diese Schwierigkeiten groß oder klein sein, so kann doch Seine Macht die größten erreichen, und Seine Liebe sich zu den kleinsten herabbeugen. „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Anliegen vor Gott kund werden; und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu" (Phil 4, 6. 7). Wie herrlich ist in dieser Beziehung das Beispiel Hiskias! Er gebot dem Volk: „Ihr sollt ihm nicht antworten!" Warum? Weil er wußte, daß Jehova ihm antworten würde. Und Jehova, gepriesen sei Sein herrlicher Name, tat es in einer Weise, als habe Er dem Hiskia zeigen wollen, daß er durch seine Beschäftigungen im Hause des Herrn nichts eingebüßt habe. Es sollte nicht von dem König von Juda gesagt werden können, daß er sich mit dem Dienst und der Anbetung im Tempel beschäftigt habe, während er sein Königreich gegen feindliche Überfälle
hätte sichern sollen. Hatte Hiskia mit Eifer gewacht über den Platz des Herrn zwischen den Cherubim, so zeigte Gott in Seiner Huld, daß selbst vom politischen Standpunkt aus kein Mißgriff geschehen sei; denn in einer Nacht wirkte Gott ein Werk, das die militärischen Vorbereitungen eines ganzen Jahrhunderts zunichte gemacht hätte. „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, und dieses alles wird euch hinzugefügt werden." Gott bleibt niemandem etwas schuldig. Laßt uns nur mit ganzer Seele Sein Werk treiben, und das Ende wird zeigen, ob wir auf guten Grund gebaut haben.
„Prüfet mich doch dadurch, spricht Jehova der Heerscharen, ob ich euch nicht die Fenster des Himmels auftun und euch Segen ausgießen werde bis zum Übermaß" (Mal 3, 10). Ohne Zweien
fei gibt es viele unter uns, die sich mit Recht beschämt fühlen wegen der großen Bedeutung, die wir unseren eigenen Angelegenheiten beilegen, wahrend die Dinge des Hauses Gottes, die Versammlung des lebendigen Gottes, die Herde Gottes — so wenig unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Der Herr läßt oft unser Mißlingen zu einer Lehre dienen, indem wir erkennen müssen, daß wir bei all unserem Eifer in betreff unseres Ichs unser Ziel nicht erreichen. „Ihr habt nach vielem ausgeschaut, und siehe, es wurde wenig; und brachtet ihr es heim, so blies ich darein. Weshalb das? spricht
Jehova der Heerscharen. Wegen meines Hauses, das wüst liegt, während ihr laufet, ein jeder für sein eigenes Haus. Darum hat der Himmel den Tau über euch zurückgehalten, und die Erde
ihren Ertrag zurückgehalten" (Hag 1, 9—10). Der Herr handelt mit Seinem Volk auf einem Grundsatz vergeltender Gerechtigkeit nach den Worten: „Was irgend ein Mensch säet, das wird er auch ernten" (Gal 6, 7). Dieses tut der vollkommenen Annahme des Gläubigen aus Gnaden und seinem Bleiben in der Gnade durchaus keinen Eintrag. Nein, Gott sei Dank! diese Dinge stehen unerschütterlich fest. Aber dennoch lehrt uns der Apostel: „Wer sparsam säet, wird auch sparsam ernten" (2. Kor 9, 6). Dieser Grundsatz gestattet eine ausgedehnte Anwendung. Der Charakter des Säens tut nichts zur Sache. Können wir nicht freigiebig für den Herrn säen, so wird Er uns auch keine reiche Ernte schenken. Haben für unsere Herzen und Seelen die Angelegenheiten der Versammlung, die Angelegenheiten der Lämmer und Schafe der Herde Christi kein Interesse, dürfen wir uns dann wundern, wenn unsere Seelen sich in einem dürren, unfruchtbaren Zustand befinden? Wenn
wir nun mit unseren eigenen Dingen, mit unseren Umständen, unseren Sorgen, unseren Schwierigkeiten, unseren Kämpfen beschäftigt sind, ist es dann ein Wunder, daß diese Dinge endlich unsere Herzen ganz anziehen? Hätte Hiskia nur an das Bauen der „Burgen und Türme" gedacht, hätte er nur auf die Verstärkung seines Königreichs und auf die Befestigung seines Thrones sein Augenmerk gerichtet, wie hätte er dann im Augenblick der Gefahr in das Haus Jehovas eilen und dort
Hilfe suchen dürfen? Würden nicht unter solchen Umständen, statt der herrlichen Antwort Jehovas an Hiskia die Worte sein Ohr getroffen haben: „Gehe hin zu deinen Burgen und Türmen, daß sie dich erlösen in der Stunde der Gefahr?"
Doch dies war nicht der Fall. Hiskia hatte Wache gehalten über das Haus Gottes, und Jehova trug Sorge um das Königreich Hiskias; denn: „Gott ist nicht ungerecht, eures Werkes zu vergessen
und der Liehe ... " (Hebr 6,10). Und so wird es zu allen Zeiten sein. Bilde sich niemand ein, daß seine Seele gedeihen werde, wenn er sich selbst nicht den Interessen des Hauses Gottes
widmet. Wollen wir den stolzen Assyrer überwunden sehen, so müssen wir die Verborgenheit der Gegenwart Gottes kennen. Wir müssen mehr vor Gott und mehr für Gott sein, und zwar nicht, um irgend etwas zu gewinnen, sondern aus reiner und unbedingter Widmung an Ihn, den Geber aller Gaben, der uns durch die Ausübung Seiner unumschränkten Gnade zu allem, was wir sind und ewig sein werden, gemacht hat. In dieser Stellung finden wir bisher den König Hiskia. Wir sahen ihn als Priester im Heiligtum, als Levit unter den Brüdern, als Kriegsmann gegenüber dem Feind; und stets entdecken wir an ihm die gleiche Liebenswürdigkeit und die gleiche sittliche Größe. Er liefert uns ein beachtenswertes Beispiel von der Segnung eines Menschen, der sein Werk mit Gott beginnt, fortsetzt und vollendet. Er wünscht einen entscheidenden Sieg über den Feind davonzutragen, ohne jedoch den lieblichen Ruheort des Heiligtums zu verlassen. Er wünscht den Tempel zu seiner Ratskammer zu machen und auf den Knien ordnet er seine Kriegsrüstungen. In dieser Weise überwand er, in dieser Weise gewann er den Sieg ohne Stoß und Hieb. Der König
von Juda lag auf den Knien, während der König von Assyrien, gleich einem wilden Tiere, mit „einem Ring in seiner Nase und einem Gebiß in seinen Lippen" in sein Land zurückgeführt wurde. Welch ein schlagendes Beispiel der Folgen des Hochmuts! Und dennoch war dieses nicht das Ende seiner Laufbahn. Wie beschämend und erniedrigend es auch für einen so hochmütigen und aufgeblähten Eroberer sein mochte, in sein Land, und zwar geschlagen durch jenen in Sacktuch gehüllten
Mann zurückkehren zu müssen, so harrte seiner doch noch ein größeres Unheil. Er hoffte Sicherheit zu finden im Tempel seines Gottes. Aber ach! er verstand es nicht, sich in Sacktuch zu hüllen vor dem Angesicht dessen, der zwischen den Cherubim wohnt, und daher fand er sein schreckliches Ende vor dem Altar dessen, den er anbetete. Denn wir lesen: „Und es geschah, als er sich niederbeugte im Hause Nisrocks, seines Gottes, da erschlugen ihn Adrammelek und Scharezer, seine Söhne, mit dem Schwerte, und sie entrannen in das Land Ararat. Und Esar-Haddon, sein Sohn ward König an seiner Statt" (Jes 37, 38). Ein solches Ende ist das Los aller, die ihre Hand erheben wider den Herrn und Sein Volk.
Ich habe bereits angedeutet, daß Jesaja die treffliche Geschichte des Hiskia mehr von einem moralischen Gesichtspunkt aus, und zwar in Verbindung mit dem zukünftigen Schicksal des
Hauses Israel, zu behandeln scheint. Wenn wir sie von dieser Seite aus ins Auge fassen, erkennen wir in Sanherib das Bild jenes „eigenwilligen Königs", der sich „selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist", und von dem wir lesen: „Und der König wird nach seinem Gutdünken handeln, und er wird sich erheben und groß machen über jeden Gott, und wider den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden, und er wird Gelingen haben, bis der Zorn vollendet ist, ... " (2. Thess 2, 4; Dan 11, 16-45). Ebenso kann der in Sacktuch gehüllte Hiskia als ein Sinnbild jenes gerechten Überrestes in den letzten Tagen betrachtet werden, der um Errettung seufzt von der Hand des mächtigen Unterdrückers, wenn der Herr Seine Auserwählten „in die Wüste führen und
ihnen zum Herzen reden wird", und wenn „die Jungfrau, die Tochter Zion ihr Haupt schüttelt" gegen ihn, der die Erde beben und die Königreiche zittern macht. Wahrlich dann wird „das Entronnene vom Hause Juda, das übriggeblieben ist, wiederum wurzeln nach unten und Frucht tragen nach oben.
Denn von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen, ein Entronnenes vom Hause Zion. Der Eifer Jehovas der Heerscharen wird solches tun" (Jes 37, 31—32).
Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus die letzten Zeiten Hiskias betrachten, so steigert sich für uns der Wert seiner Geschichte bedeutend; denn sie liefert uns nicht nur tiefe moralische Grundsätze für unseren täglichen Wandel, sondern auch eine wichtige prophetische Schilderung von der Geschichte Israels in den letzten Tagen. Möge der Herr uns die Gnade schenken, Seine Zeugnisse mehr und mehr zu würdigen und zu lieben, zumal da die traurige Unsicherheit aler menschlichen
Dinge und Meinungen immer deutlicher in die Erscheinung tritt! „Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Anmut wie die Blume des Feldes. Das Gras ist verdorrt, die Blume abgefallen, denn der Hauch Jehovas hat sie angeweht. Fürwahr, das Volk ist Gras. Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen; aber das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit" (Jes 40, 6—8).
In Jesaja 38 finden wir den König Hiskia „todkrank". Hier handelt es sich nicht um die Umstände seines Königreichs, sondern um seine eigene Person. Wie er früher durch die stolze Herausforderung des assyrischen Königs erschreckt worden war, so fühlte er jetzt den verwelkenden Atem des Königs der Schrecken. Er erfährt jetzt, daß er nicht nur für sein Reich, sondern auch für sich selbst seine Zuflucht bei Gott suchen muß. Es war eine Prüfungszeit, aber auch eine heilsame Zeit für ihn. Wir gewahren in dieser ernsten Szene deutlich die Hand eines treuen Freundes. Hiskia hatte vieles erfahren, das ihn unter dem Einfluß des Feindes zur Selbsterhebung hätte führen können. Die vielen Jahre seines Diensteifers für Gott, die herrliche, durch ihn bewirkte Reformation, sein Einfluß auf
die Priester und Leviten, auf die Männer Judas und Israels und schließlich die glänzende Befreiung, die ihm Jehova der Heerscharen über einen so mächtigen Feind verliehen hatte, dies alles war ganz und gar geeignet, den Hochmut seines Herzens zu nähren; und, wie wir im Verlauf seiner Geschichte sehen werden, wußte Hiskia sehr wohl, was Hochmut war.
Aber wie sehr müssen wir die Treue unseres Gottes bewundern, wenn wir, nach einem flüchtigen Blick auf die hervorragenden Lebensszenen dieses vortrefflichen Mannes, die feierlichen
Worte vernehmen, mit denen dieses Kapitel beginnt. „So spricht Jehova: bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht genesen." Hier handelt es sich um eine persönliche Frage.
„Dein Haus." Er hatte, und zwar mit gutem Erfolg, für das Haus des Herrn geeifert; er hatte mit Recht dem Königreich seine ganze Sorgfalt gewidmet. Hätte er es nicht getan, so wäre
er unfähig gewesen, den Thron Davids zu bekleiden. Aber es gab für ihn noch etwas von größerer Bedeutung. Der Herr will Seinem Diener noch näher kommen. Er will mit ihm reden über sein Haus. „Bestelle dein Haus." Das war in der Tat ein prüfendes Wort. Bei einer solchen Berührung wird manche Saite des Herzens erzittern, die man im Geräusch des tätigen Dienstes nicht beachtete; und manche verborgene Kammer der Seele wird aufgeschlossen werden, die man im Verkehr mit
Menschen nicht entdeckte. Wir begegnen hier am Bett Hiskias einer höchst ernsten Erscheinung, die uns um so mehr auffällt, da der Übergang so plötzlich ist. Soeben gewahrten wir ihn im Glanz des Sieges, jetzt sehen wir ihn am Rande des Grabes; vor wenigen Augenblicken finden wir ihn, das Haupt kühn über seine Feinde erhebend, im Heiligtum, und jetzt sehen wir ihn niedergeworfen, und der Todesengel ist bereit, den letzten Schlag zu tun. Doch in beiden Umständen entdecken wir die
Hand Gottes. Freilich zeigt sich dort Gott in Seiner Gnade und Barmherzigkeit, und hier in Seiner Weisheit und Treue; aber immer ist es Gott; und man weiß nicht, ob die Gnade der an
Sanherib gerichteten Worte: „Die Tochter Zion schüttelt ihr Haupt dir nach", oder ob die Treue der zu Hiskia gesprochenen Worte: „Bestelle dein Haus!" am meisten zu bewundern ist.
In dem einen Fall sehen wir, wie Gott seinen Diener von einem Feind, und im anderen, wie er ihn von sich selbst befreit. Was wird Hiskia tun in dieser Prüfungsstunde? Er kann nicht zum Hause Gottes pilgern: aber er kann zu Gott selbst gehen; und das tut er. „Da wandte Hiskia sein Antlitz gegen die Wand und betete zu Jehova."*) Das war zu allen Zeiten sein Heilmittel. „Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen" (Ps 130, 6). Der Herr hatte nur die Absicht,
in seinem vielgeliebten Diener das klare Bewußtsein seiner Abhängigkeit wachzurufen. Er wollte ihm zeigen, daß dieselbe Hand, die sein Königreich noch kürzlich aus dem Rachen des Feindes befreit hatte, jetzt ihn selbst aus dem Rachen des Todes retten mußte. Er sollte, mit anderen Worten, erfahren, daß *) Es könnte jemand die Frage aufwerfen, warum Hiskia sich so sehr an das
Leben klammerte. Die Antwort ist, daß er als Jude gelernt hatte, ein langes Leben als einen besonderen Segen aus der Hand des Herrn zu betrachten; für den Gläubigen unter der Verwaltung des Evangeliums würde es hingegen widersinnig sein, nach einem langen Leben zu trachten. Für den Juden war es wünschenswert, lange in dem Lande zu leben; aber das Bürgerrecht des Christen
ist bereits jetzt im Himmel, und die Verwirklichung dessen, was im Geist und im Grundsatz wahr ist, nämlich der wirkliche Hingang zum Himmel, sollte jetzt sein Wunsch sein.
Welch eine göttliche Harmonie liegt in den Worten: „Bestelle dein Haus!" und: „Da wandte Hiskia sein Antlitz gegen die Wand." Das war seine Antwort. „Obwohl mein Haus nicht also ist bei Gott, hat er mir doch einen ewigen Bund gesetzt, geordnet in allem und verwahrt; denn dies ist all meine Rettung und all mein Begehr, obwohl er es nicht sprossen läßt" (2. Sam 23, 5). Und wie er es
einst mit seinem Königreich tat, so übergibt er sich jetzt selbst den Händen Jehovas — dem einzigen Platz wahrer Sicherheit. Und siehe, wie der Herr die Befreiung des Königreichs genau verbindet mit der Wiederherstellung des Königs! „Siehe, ich will zu deinen Tagen fünfzehn Jahre hinzutun, und von der Hand des Königs von Assyrien will ich dich und diese Stadt erretten; und will diese Stadt beschirmen" (Jes 38, 5—6). Hier sehen wir deutlich, daß sowohl Juda als auch der König von
Juda durch den Tod und die Auferstehung gehen mußten. Alles geschah ganz außer dem gewöhnlichen Lauf der Natur, und weil dieses so war, so wurde auch der Lauf der Natur gestört.
„Und die Sonne kehrte an dem Sonnenzeiger zehn Grade zurück, welche sie niederwärts gegangen war" (V. 8).
Welch eine herrliche Entfaltung der Macht Gottes, der in Seiner Gnade den Lauf der Natur geradezu umkehrt! Jede Szene in dem Leben Hiskias ist beachtenswert. Auf eine wunderbare Weise wird er von dem Assyrer erlöst; seine Befreiung aus dem Rachen des Todes ist noch wunderbarer. Er wußte alle seine Beschwerden in einer Weise auf Gott zu legen, daß die Handlungen Gottes dadurch durchaus ans Licht treten mußten; und Gott wird, wie wir wissen, keine Rücksicht auf irgend etwas nehmen, was Seinem Handeln in betreff Seines Volkes im Wege steht. Er läßt nicht nur die Sonne stillstehen, wie bei Josua, sondern läßt sie auch zurückgehen und zeigt dadurch die göttliche Macht Seiner Gnade und Barmherzigkeit, um denen zu helfen, die auf Seine Hilfe warten. Wahrlich, wir dürfen sagen: Wenn die Gnade die Allmacht Gottes anruft, gibt es nichts, das nicht zu überwinden wäre. Jedoch befreite der Herr Seinen Diener nicht in einer Weise, die der göttlichen Unterweisung irgendwelchen Abbruch tat. Dies sehen wir deutlich beim Durchlesen der „Aufzeichnungen
Hiskias, als er krank gewesen und von seiner Krankheit genesen war." Die Erfahrung, die sich darin kundgibt, hätte er weder inmitten der Gemeinde erlangen können, noch im Schlachtfelde, noch sonst irgendwo, sondern nur da, wohin Gott ihn führte, auf dem Krankenbett. Niemand kann unterweisen wie Gott.
Vielleicht wird jemand fragen, welche Lektion Hiskia denn eigentlich in der Leidensstunde gelernt habe. „Was soll ich sagen? Daß er es mir zugesagt und es auch ausgeführthat. Ich will sachte wallen alle meine Jahre, wegen der Betrübnis meiner Seele" (V. 15). Er lernte, mit einem Wort, die Notwendigkeit, langsam zu wandeln. Und in der Tat war diese Heimsuchung geeignet, ihm diese Unterweisung zu geben, wie bald er sie auch wieder vergessen mochte. Aber noch mehr.
Hiskia lernte etwas sowohl in betreff Gottes, als auch in betreff seiner selbst. Und das ist für uns wichtig. Es würde wenig nützen, wenn wir nur die geheimen Triebfedern in unseren Herzen, und nicht zugleich die geheimen Triebfedern in dem Herzen Gottes entdeckten. Lernt der Mensch nur, daß sich verborgene Sünden sowie böse Grundsätze, die er bisher nicht kannte, in seinem Herzen befinden, so wird diese Erkenntnis seine Seele in Verzweiflung stürzen. Aber entdeckt er, im Blick
auf seine Sünde, zugleich die Gnade Gottes, Sünden wegzunehmen, dann ist die Erkenntnis eine göttliche, dann lernt er sich selbst und Gott kennen; und nur diese Erkenntnis wird ihn
wahrhaft demütig machen. Die Gnade, welche die Sünde hinwegnimmt, leitet die Seele zur wahren Demut. So war es auch bei Hiskia; er lernte „sachte zu wallen", und zwar durch die Gnade, die ihm alle Furcht betreffs seiner Sünde weggenommen hatte. „O Herr! durch dieses lebt man, und in jeder Hinsicht ist darin das Leben meines Geistes. Und du machst mich gesund und hältst mich am Leben. Siehe, zum Heile ward mir bitteres Leid: Du, du zogest liebevoll meine Seele aus der Vernichtung Grube; denn alle meine Sünden hast du hinter deinen Rücken geworfen" (Jes 38, 16—17).
Welch eine gesegnete Entdeckung! Er konnte nicht nur sagen: „Du hast das Königreich aus der Hand des Königs von Assyrien gerettet!" sondern auch: „Du hast meine Seele errettet, denn du hast alle meine Sünden hinter deinen Rücken geworfen." So war also Hiskia befreit von sich selber, von seinen Sünden und vom Grabe, um einen gesegneten Platz unter jenen „Lebendigen" einzunehmen, die allein den Namen des Herrn zu preisen und zu verherrlichen vermögen. Ach! zu welch glücklichem Platz wurde die Seele dieses vortrefflichen Mannes durch jene Führungen Gottes gebracht, die uns in diesem Kapitel gezeichnet werden. Es begann mit den Worten: „Bestelle dein Haus!" mit Worten, die, wie wir bemerkt haben, viele Dinge zu seiner Demütigung vor seinen Blicken aufdeckten, die ihn jedoch zugleich soviel von der erlösenden und wiederherstellenden Liebe erkennen ließen,
daß er diesen Befehl mit den Worten beantwortete: „Du hast alle meine Sünden hinter deinen Rücken geworfen." Er übergab sich ganz seinem Gott, „Der ihm einen ewigen Bund gesetzt
hatte, geordnet in allem und wohl verwahrt. Jehova war bereit, mich zu retten; und wir wollen mein Saitenspiel rühren alle Tage unseres Lebens im Hause Jehovas" (V. 20). Es ist höchst lehrreich, den Tempeldienst wiederhergestellt, das Königreich Juda aus der Hand des Unterdrückers befreit, und den König von Juda dem Grabe des Verderbens entrückt zu sehen; und man könnte versucht sein zu denken, daß sich jetzt die Herrlichkeit selbst offenbaren werde. Aber leider konnte es so nicht sein. Alles, wie segensreich es auch war, war doch nur ein Schatten von dem, was geoffenbart werden soll, wenn der wahre König von Juda den Thron Seines Vaters David einnehmen und das Zepter über ein Königreich führen wird, das nimmer erschüttert werden kann.
Wir nähern uns jetzt der letzten Szene aus dem Leben Hiskias, die unsere Behauptung unzweideutig bestätigt, daß die Herrlichkeit sich noch nicht offenbaren konnte. Wir brauchen bei diesem Teil unserer Betrachtung nicht lange zu verweilen. Der Heilige Geist gibt uns darin ein Beispiel: denn die Erzählung und deren Anwendung nimmt nur den Raum zweier Verse ein. Und in der Tat finden wir stets, daß der heilige Geschichtsschreiber eine weit höhere Freude darin findet, die Tugenden jener Personen aufzuzeichnen, deren Geschichte er behandelt, als ihre Mängel. Dies ist besonders in der Geschichte Hiskias beachtenswert. Die Mitteilung seiner guten Taten umfaßt vier lange Kapitel im zweiten Buche der Chronika, während wir bezüglich seines Fehlers nur die kurzen Worte lesen: „Und so verließ ihn Gott bei den Gesandten der Fürsten von Babel (die zu ihm gesandt hatten, um nach dem Wunder zu fragen, welches im Lande geschehen war) um ihn zu versuchen, damit er alles erkennte, was in seinem Herzen war" (2. Chron 32, 31). Nur wenige Worte; aber wie inhaltsreich! Es ist in der Tat kein geringes Maß von Erkenntnis der erlösenden Liebe erforderlich, um „Alles, was im Herzen des Menschen ist", zu erkennen. Sie nahm alles in Anspruch, was Hiskia während seines gesegneten Lebens von Gott gelernt hatte, um ihn zu befähigen, in die tiefen Winkel seines Herzens blicken und dort „alles", was darin war, entdecken zu können. O wie umfangreich ist das Wörtchen „alles"!
Wer anders könnte dazu fähig sein, als nur der, der gelernt hat, zu sagen: „Du hast alle meine Sünden hinter deinen Rücken geworfen/' Nur dann, wenn wir wissen, daß der Herr uns alle
unsere Übertretungen vergeben und alle unsere Krankheiten geheilt hat, wenn wir durch den Glauben den von Gott herbeigeführten Sündenbock erkennen, der „alle unsere Ungerechtigkeiten auf sich trug in ein ödes Land" (3. Mo 16, 21—22) — nur dann können wir uns umwende und in unsere Herzen hineinblicken und dort all das entsetzliche Böse entdecken. Das Böse zu schauen, ohne das Hinwegtun unserer Sünden durch das Werk Jesu erkannt und erfahren zu haben, ist eine niederschmetternde Entdeckung. Wenn dagegen unser Blick auf dem Kreuze Christi ruht, dann werden wir nicht nur immer tiefer unsere eigene Nichtswürdigkeit erkennen und uns nicht nur
immer mehr der Grenze des umfangreichen Wörtchens „alles" nähern, sondern wir werden auch immer mehr die Gnade unseres Gottes und die reinigende Kraft des Blutes unseres Herrn Jesu Christi zu würdigen verstehen.
Es ist beachtenswert, daß Gott in den verschiedenen Zeitabschnitten dieser höchst anziehenden Geschichte immer näher an Hiskia herantritt. „Jede Rebe an mir, die Frucht bringt, die reinigt er" (Joh 15, 2). Je mehr jemand sich Gott gewidmet hat, und je ausgezeichneter sein Wandel ist, desto eifersüchtiger wacht Gott über ihn, damit er um so kräftigere und gesegnetere Beweise von seiner Ergebenheit an den Tag zu legen imstande sei, oder auch, um irgendein verborgenes Übel vor sein Auge zu bringen und auszurotten, das bisher im Herzen geschlummert hatte. Dies war Seine weise und treue Absicht in bezug auf Hiskia.
Was die Verwaltung des Königreichs betraf, so hatten unverkennbar die jüngst geschehenen Ereignisse und vor allem die Niederlage Sanheribs einen tiefen, nachhaltigen Eindruck bei den Nachbarvölkern zurückgelassen. Es lagen genügende Beweise vor, daß das Land sich einer guten Verwaltung erfreute. Dazu hatten die in ihre Heimat zurückkehrenden Kinder Israels die ihrem Herzen so wohltuende Überzeugung gewonnen, daß der Tempeldienst sich in bester Ordnung befand. Mit einem Wort, Hiskia hatte das Zeugnis von außen seitens der Welt und von innen seitens der Brüder, daß sein Pfad ein guter und gerechter Pfad sei. Das war von großer Bedeutung. Welch ein
Glück für uns, wenn wir der Welt keinen Anlaß zum Tadel und den Brüdern keinen Anlaß zum Argwohn geben! Und dieses Glückes müssen wir teilhaftig sein. Aber noch mehr als
dieses. Gott prüft unseren Weg mit einem schärferen Auge als die Welt und die Versammlung. Er begnügt sich nicht mit einem gutverwalteten Reich, noch mit einem wohlgeordneten Haus,
nein, Er stellt höhere Forderungen; — Er schaut auf ein gut zugerichtetes Herz. Das ist lehrreich und entscheidend. Im Beginn seiner öffentlichen Laufbahn wurde die Aufmerksamkeit Hiskias zunächst auf die Unordnung des Reiches, dann auf den Verfall seines Hauses, und schließlich auf das schwer zu entdeckende Böse seines Herzens gelenkt. Und eben diese zuletzt genannte mühevolle Prüfung, die ihm auferlegt wurde, zeigt uns, wie weit Hiskia selbst Männer übertraf, denen eine außergewöhnliche Gnade zuteil geworden war.
So wurde z. B. Jotham nie auf eine solche Probe gestellt; warum nicht? Weil er schon auf der Schwelle seiner Laufbahn Fehler machte. Es gab hinsichtlich seiner ein „Aber" in der bloßen Angelegenheit des Königreichs, geschweige denn im Blick auf sein Haus und sein Herz. So war es nicht bei Hiskia. Bei ihm gab es kein „Aber", bis die „Gesandten" zu ihm kamen; mit anderen Worten, Gott hatte mit ihm zu reden über den Zustand seines Herzens; und müssen wir nicht sagen, daß nur Einer existiert, der diese dreifache Probe bestehen konnte? Nur Er konnte sagen: „Im Innern meines Hauses will ich wandeln in Lauterkeit meines Herzens" (Ps 101, 2).
Und von woher kam der Feind, der Überwinder jenes Mannes, den wir bisher mit so festen Tritten in den Wegen Gottes wandeln sahen? — Von Babylon. Ja, von Babylon, dieser alten Quelle des moralischen Bösen, die schon in den Tagen Josuas das Lager Israels durch ihre Wasser vergiftete. „Zu der Zeit sandte Merodak Baladan, der Sohn Baladans, des Königs von Babel, Brief und Geschenk an Hiskia" (Jes 39, 1). Hier wird Hiskia von einem anderen Könige angegriffen; es ist nicht der
König von Assyrien mit einem zahlreichen Heer; es ist nicht der König der Schrecken mit der feierlichen Aufforderung zur Übergabe; nein, es ist der König von Babel mit einem Geschenk.
Und wie seltsam es auch erscheinen mag, das Geschenk aus Babel erwies sich als ein zu gewaltiger Angreifer für das Herz Hiskias. Als der König von Assyrien einen Brief zu ihm sandte,
„ging er hinauf in das Haus Jehovas und breitete ihn vor Jehova aus." So siegte er. Aufgefordert, sich auf den Tod vorzubereiten, „wandte er sein Antlitz gegen die Wand und betete zu Jehova." So genas er. Als aber die Gesandten aus Babel kamen, zeigte er ihnen „alles, was sich in seinen Schätzen vorfand." So fiel er. Wie ernst — wie sehr ernst ist diese Warnung! Hiskia war nicht auf seiner Hut. Er betete nicht — er suchte nicht das Antlitz Jehovas, sein geistliches Auge entdeckte nicht
die Angel, die unter der vergoldeten Lockspeise verborgen war. Hätte er wie ehedem den Brief Merodaks vor Jehova ausgebreitet, so würde er, wie einst über den Einfluß der erschrekkenden Drohungen der Welt, auch jetzt über den Einfluß ihrer verführerischen Reize erhoben worden sein.
Das Heiligtum würde ihm jetzt eine ebenso sichere Zufluchtsstätte gegen das Zischen der Schlange dargeboten haben, wie früher gegen das Brüllen des Löwen. Aber wir haben das Geheimnis dieser
Niederlage aus den Schriftworten kennen gelernt: „Und so verließ ihn Gott bei den Gesandten der Fürsten von Babel, um ihn zu versuchen, damit er alles erkennte, was in seinem Herzen war." Wenn Gott den Menschen sich selber überläßt, ist ein Strohhalm imstande, ihn umzuwerfen.
Wir können indes eine sehr nützliche Lehre aus dem Fall Hiskias ziehen. Wir können daraus lernen, daß das Lächeln der Welt uns besiegen kann, während vielleicht ihr Spott uns näher zum
Kreuze getrieben hätte. Es ist weit schwieriger einen schein heiligen Gibeoniten oder einen höflich gewandten Agag wahrheitsgetreu zu behandeln, als die rohen Söhne Enaks — diese offenbaren und nichts weniger als liebenswürdigen Feinde Gottes. Es ist sehr schwer, den Weltmenschen wahrheitsgetreu zu begegnen und zu gleicher Zeit ihre Komplimente hinnehmen zu müssen. Es erfordert kein geringes Maß von geistlicher Überlegenheit, an der gastfreien Tafel eines Weltlings zu sitzen und zu gleicher Zeit mit ihm über das Heil seiner Seele zu verhandeln. „Und kein Geschenk sollst du nehmen; denn das Geschenk blendet die Sehenden und verkehrt die Worte der
Gerechten" (2. Mo 23, 8). Daher müssen die Christen unabhängig und getrennt von der Welt sein. Besser ist es, wenn wir, der geistlichen Kraft ermangelnd, uns so viel wie möglich von
der Welt fern halten, als daß wir mit ihr verkehren und den Herrn verleugnen. Abraham nahm nichts an von dem König Sodoms und von den Kindern Heth; er wollte den Unbeschnittenen nichts schuldig sein. Getrennt von ihnen, konnte er ein lebendiger Zeuge gegen sie sein.
Nun werden wir es uns vorstellen können, wie schwierig es Hiskia gefunden haben würde, mit diesen noblen Fremdlingen über die Wahrheit zu reden. Er mochte ihnen nicht gern mit solchen Gegenständen lästig fallen — die Zeit, der Platz und die Umstände mochten ihm nicht dafür geeignet scheinen; viele solcher Gedanken mochten in seinem Geist aufsteigen, um ein treues Zeugnis gegenüber seinen Gästen zu verhindern. Weder die Welt, noch vielleicht die Brüder würden etwas Verkehrtes darin zu finden vermögen, daß er ihnen seine Schatzkammer zeigte; aber ach! die heimlichen Beweggründe waren verkehrt. Der Hochmut schlummerte in der verborgenen Kammer des Herzens: statt mit ihnen zu reden über Den, der zwischen den Cherubim wohnt, oder über die glänzende Befreiung aus der Hand des Königs von Assyrien, oder über die am Rande des
Grabes empfangene Unterweisung, oder endlich über die vergebende Liebe Gottes, der „alle seine Sünden hinter seinen Rücken geworfen hatte", statt ihnen diese Dinge vor Augen zu stellen, zeigte er ihnen sein Schatzhaus, Silber, Gold, Spezerei und das beste ö l und sein ganzes Zeughaus (das ihn nicht gegen den König von Assyrien verteidigen konnte) und alles, was in seinen Schätzen vorhanden war. „Es war nichts in seinem Hause und in seiner ganzen Herrschaft, das Hiskia ihnen nicht gezeigt hätte" (Kap. 39, 2). Er tat alles in betreff seiner, aber nichts in betreff Gottes. Seltsame, unerklärliche Vergessenheit! So ist der Mensch — selbst ein Mann Gottes, — wenn er sich seihst überlassen ist. —
Jetzt aber, nachdem das Böse nicht nur vor dem Auge Gottes, sondern auch vor seinem Auge, völlig bloßgestellt ist, verdient es eine ganz besondere Beachtung, daß der Herr durch Seinen Propheten, Seinen Diener, geradezu nicht nur zum Ende seines Königreichs, oder seines Hauses, sondern auch zum Ende seiner selbst zu führen trachtet. „Siehe, es kommen Tage, da alles, was in deinem Hause ist, und was deine Väter aufgehäuft haben bis auf diesen Tag, nach Babel weggebracht werden
wird; es wird nichts übrig bleiben, spricht Jehova. Und von deinen Söhnen, die aus dir hervorkommen werden, die du zeugen wirst, wird man nehmen, und sie werden Kämmerer sein im
Palaste des Königs von Babel" (Jes 39, 6—7). Hier sah Hiskia das Ende seines Reiches, das Ende seines Hauses und das Ende seiner selbst. Alles sollte nach Babel weggeführt werden, dessen
Gesandte ihn umstrickt hatten. Alles, worüber sich sein armes Herz vor den Menschen dieser Welt gerühmt hatte, sollte zu Grunde gehen. Er hatte ihnen seine Schätze gezeigt; und gerade
diese sollten eine Beute der Welt sein; denn den „Frieden und die Wahrheit", oder mit anderen Worten, die Schätze, die er bei Gott hatte, „konnte die Welt nicht geben und nicht nehmen;" —
es war ein „besseres und bleibendes Gut", weil es „im Himmel" war. —
So haben wir denn das Ende dieser lehrreichen Geschichte erreicht. Die Taten Hiskias, die ersten wie die letzten, sind an uns vorübergezogen. Wir sind in das Innere seines Königreichs,
seines Hauses und seines Herzens geführt worden, sind mit ihm durch eine Regierung von neunundzwanzig Jahren gepilgert, und am Schluß verlassen wir ihn im gesegneten Besitz des
„Friedens und der Wahrheit". Wir sahen ihn unter den schwersten Prüfungen voll Vertrauen auf Gott; wir sahen ihn gegenüber der Welt und gegenüber seinen Brüdern; und, mit nur
einer Ausnahme, war sein Pfad wie der „Pfad des Gerechten, wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe" (Spr 4, 18). — Und, o mein geliebter Leser! Ist es
Und von woher kam der Feind, der Überwinder jenes Mannes, den wir bisher mit so festen Tritten in den Wegen Gottes wandeln sahen? — Von Babylon. Ja, von Babylon, dieser alten Quelle des moralischen Bösen, die schon in den Tagen Josuas
das Lager Israels durch ihre Wasser vergiftete. „Zu der Zeit sandte Merodak Baladan, der Sohn Baladans, des Königs von Babel, Brief und Geschenk an Hiskia" (Jes 39, 1). Hier wird
Hiskia von einem anderen Könige angegriffen; es ist nicht der König von Assyrien mit einem zahlreichen Heer; es ist nicht der König der Schrecken mit der feierlichen Aufforderung zur
Übergabe; nein, es ist der König von Babel mit einem Geschenk. Und wie seltsam es auch erscheinen mag, das Geschenk aus Babel erwies sich als ein zu gewaltiger Angreifer für das Herz
Hiskias. Als der König von Assyrien einen Brief zu ihm sandte, „ging er hinauf in das Haus Jehovas und breitete ihn vor Jehova aus." So siegte er. Aufgefordert, sich auf den Tod vorzubereiten, „wandte er sein Antlitz gegen die Wand und betete zu Jehova." So genas er. Als aber die Gesandten aus Babel kamen, zeigte er ihnen „alles, was sich in seinen Schätzen vorfand." So fiel er. Wie ernst — wie sehr ernst ist diese Warnung!
Hiskia war nicht auf seiner Hut. Er betete nicht — er suchte nicht das Antlitz Jehovas, sein geistliches Auge entdeckte nicht die Angel, die unter der vergoldeten Lockspeise verborgen war.
Hätte er wie ehedem den Brief Merodaks vor Jehova ausgebreitet, so würde er, wie einst über den Einfluß der erschrekkenden Drohungen der Welt, auch jetzt über den Einfluß ihrer
verführerischen Reize erhoben worden sein. Das Heiligtum würde ihm jetzt eine ebenso sichere Zufluchtsstätte gegen das Zischen der Schlange dargeboten haben, wie früher gegen das Brüllen des Löwen. Aber wir haben das Geheimnis dieser Niederlage aus den Schriftworten kennen gelernt: „Und so verließ ihn Gott bei den Gesandten der Fürsten von Babel, um ihn zu versuchen, damit er alles erkennte, was in seinem Herzen war." Wenn Gott den Menschen sich selber überläßt, ist ein Strohhalm imstande, ihn umzuwerfen. Wir können indes eine sehr nützliche Lehre aus dem Fall Hiskias ziehen. Wir können daraus lernen, daß das Lächeln der Welt uns besiegen kann, während vielleicht ihr Spott uns näher zum Kreuze getrieben hätte. Es ist weit schwieriger einen scheinheiligen Gibeoniten oder einen höflich gewandten Agag wahrheitsgetreu zu behandeln, als die rohen Söhne Enaks — diese offenbaren und nichts weniger als liebenswürdigen Feinde
Gottes. Es ist sehr schwer, den Weltmenschen wahrheitsgetreu zu begegnen und zu gleicher Zeit ihre Komplimente hinnehmen
zu müssen. Es erfordert kein geringes Maß von geistlicher Überlegenheit, an der gastfreien Tafel eines Weltlings zu sitzen und zu gleicher Zeit mit ihm über das Heil seiner Seele zu verhandeln. „Und kein Geschenk sollst du nehmen; denn das Geschenk blendet die Sehenden und verkehrt die Worte der Gerechten" (2. Mo 23, 8). Daher müssen die Christen unabhängig und getrennt von der Welt sein. Besser ist es, wenn wir, der geistlichen Kraft ermangelnd, uns so viel wie möglich von
der Welt fern halten, als daß wir mit ihr verkehren und den Herrn verleugnen. Abraham nahm nichts an von dem König Sodoms und von den Kindern Heth; er wollte den Unbeschnittenen nichts schuldig sein. Getrennt von ihnen, konnte er ein lebendiger Zeuge gegen sie sein.
Nun werden wir es uns vorstellen können, wie schwierig es Hiskia gefunden haben würde, mit diesen noblen Fremdlingen über die Wahrheit zu reden. Er mochte ihnen nicht gern mit solchen Gegenständen lästig fallen — die Zeit, der Platz und die Umstände mochten ihm nicht dafür geeignet scheinen; viele solcher Gedanken mochten in seinem Geist aufsteigen, um ein treues Zeugnis gegenüber seinen Gästen zu verhindern. Weder die Welt, noch vielleicht die Brüder würden etwas Verkehrtes darin zu finden vermögen, daß er ihnen seine Schatzkammer zeigte; aber ach! die heimlichen Beweggründe waren verkehrt. Der Hochmut schlummerte in der verborgenen Kammer des Herzens: statt mit ihnen zu reden über Den, der zwischen den Cherubim wohnt, oder über die glänzende Befreiung aus der Hand des Königs von Assyrien, oder über die am Rande des Grabes empfangene Unterweisung, oder endlich über die vergebende Liebe Gottes, der „alle seine Sünden hinter seinen Rücken geworfen hatte", statt ihnen diese Dinge vor Augen zu stellen, zeigte er ihnen sein Schatzhaus, Silber, Gold, Spezerei und das beste ö l und sein ganzes Zeughaus (das ihn nicht
gegen den König von Assyrien verteidigen konnte) und alles, was in seinen Schätzen vorhanden war.
„Es war nichts in seinem Hause und in seiner ganzen Herrschaft, das Hiskia ihnen nicht gezeigt hätte" (Kap. 39, 2). Er tat alles in betreff seiner, aber nichts in betreff Gottes. Seltsame, unerklärliche Vergessenheit! So ist der Mensch — selbst ein Mann Gottes, — wenn er sich seihst überlassen ist. — Jetzt aber, nachdem das Böse nicht nur vor dem Auge Gottes, sondern auch vor seinem Auge, völlig bloßgestellt ist, verdient es eine ganz besondere Beachtung, daß der Herr durch Seinen Propheten, Seinen Diener, geradezu nicht nur zum Ende seines Königreichs, oder seines Hauses, sondern auch zum Ende seiner selbst zu führen trachtet. „Siehe, es kommen Tage, da alles,
was in deinem Hause ist, und was deine Väter aufgehäuft haben bis auf diesen Tag, nach Babel weggebracht werden wird; es wird nichts übrig bleiben, spricht Jehova. Und von deinen Söhnen, die aus dir hervorkommen werden, die du zeugen wirst, wird man nehmen, und sie werden Kämmerer sein im Palaste des Königs von Babel" (Jes 39, 6—7). Hier sah Hiskia das Ende seines Reiches, das Ende seines Hauses und das Ende seiner selbst. Alles sollte nach Babel weggeführt werden, dessen
Gesandte ihn umstrickt hatten. Alles, worüber sich sein armes Herz vor den Menschen dieser Welt gerühmt hatte, sollte zu Grunde gehen. Er hatte ihnen seine Schätze gezeigt; und gerade
diese sollten eine Beute der Welt sein; denn den „Frieden und die Wahrheit", oder mit anderen Worten, die Schätze, die er bei Gott hatte, „konnte die Welt nicht geben und nicht nehmen;" —
es war ein „besseres und bleibendes Gut", weil es „im Himmel" war. —
So haben wir denn das Ende dieser lehrreichen Geschichte erreicht. Die Taten Hiskias, die ersten wie die letzten, sind an uns vorübergezogen. Wir sind in das Innere seines Königreichs, seines Hauses und seines Herzens geführt worden, sind mit ihm durch eine Regierung von neunundzwanzig Jahren gepilgert, und am Schluß verlassen wir ihn im gesegneten Besitz des „Friedens und der Wahrheit". Wir sahen ihn unter den schwersten Prüfungen voll Vertrauen auf Gott; wir sahen ihn gegenüber der Welt und gegenüber seinen Brüdern; und, mit nur einer Ausnahme, war sein Pfad wie der „Pfad des Gerechten, wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe" (Spr 4, 18). — Und, o mein geliebter Leser! Ist es nicht ein tröstlicher Gedanke für die Seele, daß, nachdem wir
bis an das Ende aller menschlichen Dinge gepilgert sind und das Ende aller irdischen Dinge kennengelernt haben, ja, nachdem wir die ernste und demütigende Lektion unserer eigenen
Herzen und das Böse darin verstanden und das „Ende alles Fleisches" und unseres Fleisches entdeckt haben — daß „Friede und Wahrheit" unser nie endendes Teil sein wird? — daß unser gnadenreicher Gott, nachdem Er „alle unsere Sünden hinter seinen Rücken geworfen" und uns aus der „Grube des Verderbens" auf einen Felsen geführt hat, uns Harfen in die Hand geben will, damit wir, inmitten der Ruhe und der Glückseligkeit Seines Hauses, von „Friede und Wahrheit" singen mögen während der ganzen Dauer unseres „Tages", der, wie wir wissen, ewig währen wird.