Esra, Dennett E.,

08/02/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Einleitung

Das Buch Esra berichtet von einem wichtigen Zeit­abschnitt im Handeln Gottes mit Seinem Volke Is­rael. Es ist die Fortsetzung vom zweiten Buche der Chronika, obwohl zwischen den Ereignissen, die in den beiden Büchern beschrieben sind, siebzig Jahre liegen; denn die Zeit, in welcher die Juden ausserhalb des Landes der Verheissung im Exil wohnten, zählt nicht. Durch ihre Sünden und ihren Abfall hat­ten sie alles verloren, und Gott hatte Nebukadnezar gesandt, um sie zu züchtigen, um Sein eigenes Haus — das Sein Volk entweiht und verunreinigt hatte — zu zerstören und sie nach Babylon gefangen weg­zuführen. «Damit erfüllt würde das Wort Jehovas durch den Mund Jeremias, bis das Land seine Sabbathe genossen hätte» (2. Chron. 36,21).
Nichts könnte trauriger sein, als der Bericht von der Zerstörung Jerusalems und der Vernichtung des Königtums, das der Verantwortlichkeit des Men­schen übergeben worden war, ausgenommen die noch schrecklicheren Berichte von der Belagerung und Einnahme Jerusalems durch Titus, kurz nach dem Beginn des christlichen Zeitalters.
Die Langmut Gottes war in jeder Weise geprüft worden. In Seiner Gnade hatte Er die Rebellen Sei­nes Volkes lange ertragen. Er hatte Boten zu ihnen gesandt, «früh sich aufmachend und sendend; denn Er erbarmte sich Seines Volkes und Seiner Woh­nung. Aber sie verspotteten die Boten Gottes und verachteten Seine Worte und äfften Seine Propheten, bis der Grimm Jehovas gegen Sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war. Und Er liess den König der Chaldäer wider sie heraufkommen» usw. 

Die Schläge des Schwertes Seiner Gerechtigkeit fielen auf Sein schuldiges Volk, weil ihre Sünden die Sün­den der Amoriter, die Gott vor ihnen ausgetrieben hatte, sogar noch übertrafen (siehe 2. Kön. 21,11). Gottes Thron auf Erden war nun nach Babylon ver­legt. Die Zeiten der Nationen nahmen ihren Anfang und dauern immer noch an, bis Christus selbst Sei­nen Thron, den Thron Seines Vaters David, auf­richten wird (siehe Luk. 1. 32.33; 21,24). Lo-Ammi (nicht mein Volk) war daher auf das auserwählte Geschlecht geschrieben1, und es begann für sie die schmerzliche Erfahrung der Gefangenschaft und der Verbannung unter der Zuchtrute in der Hand ihres Gottes.
Als nun aber das Buch Esra geschrieben wurde, waren die siebzig Jahre ihrer Gefangenschaft, die Jeremia vorausgesagt hatte, erfüllt. Und in Verbin­dung damit berichtet Esra vom Tun Gottes, der nun Sein eigenes sicheres und treues Wort ausführen wollte. Die Art und Weise Seines Eingreifens ist cha­rakteristisch für die Haltung Gottes gegenüber Sei­nem Volk während der Zeiten der Nationen und er­klärt auch in gewissem Masse die Besonderheit der Bücher Esra, Nehemia und Esther. In diesen Bü­chern wird deutlich, dass Gott nicht länger mehr

direkt in die Angelegenheiten Seines Volkes ein­greift, aber Er wirkt hinter der Szene, indem Er die neue Ordnung der Dinge anerkennt, die Er selbst eingeführt hat: Er gebraucht heidnische Monarchen und legt zur Ausführung Seiner Ratschlüsse das Zep­ter über die Erde in ihre Hände. Wenn wir uns diese Grundsätze vor Augen halten, werden wir die Belehrungen des Buches Esra besser verstehen.
Das Buch selbst ist in zwei Teile geteilt. Die ersten sechs Kapitel berichten von der Rückkehr der Ge­fangenen, die auf die Proklamation Kores' antworte­ten, wie auch von der Aufrichtung des Tempels; die letzten vier von der Aufgabe, die Esra selbst zu er­füllen hatte.

Kapitel 1 Dieses Kapitel spricht von zwei Dingen:

    1. vom Aufruf Kores und der Reaktion des Volkes,
    2. von der Anzahl der «Geräte des Hauses Jeho­vas ..., welche Nebukadnezar aus Jerusalem weg­geführt und in das Haus seines Gottes gelegt hatte» (V. 7) und die nun Kores den aus der Gefangen­schaft nach Jerusalem Zurückkehrenden zurückgab.
Der erste Vers zieht den Vorhang zurück und ent­hüllt die Quelle der Macht, die damals am Ruder war und durch alle folgenden Ereignisse dieses Buches hindurch handelte, um die Absichten Jeho­vas auszuführen. «Und im ersten Jahre Kores, des Königs von Persien — damit das Wort Jehovas aus dem Munde Jeremias erfüllt würde — erweckte Jehova den Geist Kores, des Königs von Persien; und er liess einen Ruf ergehen durch sein ganzes Königreich, und zwar auch schriftlich» usw.
Lasst uns hier einen Augenblick stille stehen, um darauf hinzuweisen, wie der Herr — ob es nach aussen hin auch einen anderen Anschein haben mochte — die Herzen aller Menschen in Seiner Hand hält und sie dahin wendet, wohin immer Er will. Er benützt die Menschen jeden Standes als Werkzeuge der Ratschlüsse Seines Willens. Gerade die Erwäh­nung des Namens Kores unterstreicht dies. «Wer»,   sagt der Prophet Jesaja im Namen Jehovas, «hat vom Aufgang her den erweckt, welchem Gerechtig­keit auf Schritt und Tritt begegnet? Er gab Natio­nen vor ihm dahin» (Kap. 41,2). Und weiter: «Der von Kores spricht: Mein Hirt, und der all mein Wohlgefallen vollführt, indem er von Jerusalem sprechen wird: Es werde aufgebaut! und vom Tem­pel: Er werde gegründet!» (Kap. 44,28).
Diese Prophezeiung wurde lange Zeit vor der Zer­störung Jerusalems durch Nebukadnezar und min­destens hundert Jahre vor dem Prophetendienst Jeremias ausgesprochen. Dies zeigt, dass Gottes Auge und Herz ohne Unterlass auf Sein Volk und auf dessen Interessen gerichtet sind und dass die öffentlichen Ereignisse der Welt, das Aufstehen und Fallen von Monarchien, das Erscheinen mächtiger Eroberer, nur Mittel sind in Seiner Hand, um Seine eigenen Ratschlüsse in Verbindung mit Seinem irdi­schen Volke zu erfüllen. Wie ruhig können daher die Kinder Gottes sein mitten in den politischen Wirren und Kämpfen der Welt! Gott hat also durch den Mund Jesajas zweihundert Jahre vor den in unserem Kapitel erwähnten Ereignissen Sein aus­erwähltes Gefäss zur Wiederherstellung Seines Vol­kes und zur Aufrichtung Seines Hauses in Jerusa­lem bezeichnet.
Ein Jahrhundert später, in den letzten Tagen des Königtums, hat dann Jeremia geweissagt, indem er das Volk abwechselnd warnte und beschwor: Er warnte sie vor den unweigerlich nahenden Gerich­ten und beschwor sie, vor Gott Busse zu tun und sich zu demütigen vor Dem, dessen Zorn sie durch ihre Bosheit und Torheit hervorgerufen hatten. Im Verlaufe dieses seines Dienstes sagte er: «Dieses ganze Land wird zur Einöde, zur Wüste werden; und diese Nationen werden dem König von Babel dienen siebzig Jahre. 

Und es wird geschehen, wenn siebzig Jahre voll sind, werde ich an dem König von Babel und an jenem Volke, spricht Jehova, ihre Schuld heimsuchen», usw. (Jer. 25,11.12). Und fer­ner: «Sobald siebenzig Jahre für Babel voll sind, werde ich mich euer annehmen und mein gutes Wort an euch erfüllen, euch an diesen Ort zurück­zubringen» (Jer. 29,10). Zuerst also wurde Kores be­zeichnet, lange Jahre bevor er geboren wurde, und nach einem weiteren Zeitabschnitt verkündigte Jere­mia das Herannahen der Gefangenschaft des Volkes und die genaue Dauer ihrer Verbannung. 
Aber da war noch ein anderes Werkzeug (das zwar nicht in diesem Kapitel erscheint), mit dem sich Gott bei der Durchführung Seiner Absichten der Gnade und des Segens gegenüber Seinem Volk ver­binden wollte. 
Im Buche Daniel lesen wir: «Im ersten Jahre seiner Regierung (des Darius) merkte ich, Daniel, in den Schriften auf die Zahl der Jahre, betreffs welcher das Wort Jehovas zu dem Propheten Jeremia ge­schehen war, dass nämlich siebenzig Jahre für die Verwüstung Jerusalems vollendet werden sollten. Und ich richtete mein Angesicht zu Gott, dem Herrn, um ihn mit Gebet und Flehen zu suchen, in Fasten und Sacktuch und Asche» (Dan. 9,2.3). Gott hatte von den Werkzeugen zur Wiederherstellung Seines Volkes gesprochen und sie zubereitet; aber was fin­den wir hier? Dass einer der Gefangenen, der durch Nebukadnezar nach Babel weggeführt worden war, der Prophet Daniel, nicht durch eine besondere Offenbarung, sondern durch andauerndes Studium der Schriften Jeremias entdeckte, dass Gott für die Verwüstung Jerusalems einen Zeitabschnitt von siebenzig Jahren festgesetzt hatte. 

Daher, sich stützend auf das untrügliche Wort Got­tes, gab sich Daniel dem Gebet und dem Fasten hin, indem er sich selbst vor Gott niederbeugte, die Sün­den seines Volkes bekannte und flehentlich darum bat. Er möge Sein eigenes Wort erfüllen. «Herr», betete er, «nach allen deinen Gerechtigkeiten lass doch deinen Zorn und deinen Grimm sich wenden von deiner Stadt Jerusalem, deinem heiligen Berge! Denn wegen unserer Sünden und der Missetaten unserer Väter sind Jerusalem und dein Volk zum Hohne geworden allen denen, die uns umgeben. Und nun höre, unser Gott, auf das Gebet deines Knechtes und auf sein Flehen; und um des Herrn willen lass dein Angesicht leuchten über dein ver­wüstetes Heiligtum!» (V. 16.17). So hatte Daniel, in­dem er sich selbst mit dem Zustand seines Volkes einsmachte, Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes und das unaussprechliche Vorrecht, ein Fürsprecher für Israel und für die Erfüllung der Verheissungen Gottes zu werden. Sein Gebet wurde erhört (Verse 21—27), und wir lernen dabei, dass Gott in Seiner Gnade Seinem Volke erlaubte, in Seine eigenen Ge­danken einzutreten und mit Ihm selbst vereinigt zu werden in der Erfüllung Seiner Ratschlüsse, zu Sei­ner eigenen Verherrlichung.

Somit war nun alles bereit; die Vorbereitungen waren getroffen. In Uebereinstimmung mit Jesajas' Voraussage war nun zur Herrschaft über die Natio­nen «vom Auf gang her der erweckt, welchem Ge­rechtigkeit auf Schritt und Tritt begegnet»; und durch Ihn sollte nun die in Aussicht gestellte Befrei­ung kommen. Darum wird jetzt von der nächsten Handlung berichtet: «Jehova erweckte den Geist Kores, des Königs von Persien.» Dies hatte zur Folge, dass dieser nachstehenden Aufruf erliess: «So spricht Kores, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat Jehova, der Gott des Himmels, mir ge­geben; und er hat mich beauftragt, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem, das in Juda ist. Wer irgend unter euch aus seinem Volke ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda ist, und baue das Haus Jehovas, des Gottes Israels, (er ist Gott) in Jerusalem. Und jeder, der übrig bleibt an irgendeinem Orte, wo er sich aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und mit Vieh, nebst den freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem» (Esra 1. 2—4).
Drei Dinge werden hier bekannt gemacht, nämlich:
    1. der Auftrag, den Kores selbst bezüglich des Hau­ses Gottes empfangen hatte; 
    2. seine königliche Erlaubnis für alle Juden, nach Jerusalem zurückzukehren, zum Zwecke der Auf­richtung des Tempels; und
    3. seine Aufforderung an die Zurückbleibenden, mit den Ausziehenden Gemeinschaft zu haben durch freiwillige Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem, das sie aufbauen wollten.

Der übrige Teil des Kapitels schildert die durch die­sen Aufruf hervorgerufene Wirkung. Wir sagen «die Wirkung des Aufrufs», aber der Leser wird wohl ge­merkt haben, dass Der, welcher den Geist Kores' er­weckte, auch Der war, der den Geist derer erweckte, die sich für das in Aussicht gestellte Werk hingaben. Nur auf zwei oder drei Einzelheiten muss noch hin­gewiesen werden.
 Es ist vor allem von grosser Wichtigkeit, dass die  Häupter der Väter, und die sich mit ihnen zu dem Werke aufmachten, von den beiden Stämmen Juda und Benjamin waren. Da waren auch noch Leviten, aber sie zählten nicht als Stamm; denn Levi hatte «kein Teil noch Erbe mit seinen Brüdern; Jehova ist sein Erbteil» (5.Mose 10,8. 9). Aus diesen und aus anderen Schriftstellen geht klar hervor, dass, wenn sich auch Einzelne aus anderen Stämmen darunter befunden haben mochten, nur diese beiden Stämme wiederhergestellt wurden. 

Daher waren es nur Juda und Benjamin, denen Christus, als Er später in diese Welt kam, zur Annahme vorgestellt wurde; und die Tatsache, dass sie Ihn verwarfen, führt dazu, dass nur diese zwei von den zwölf Stämmen durch die schreckliche «grosse Drangsal» hindurchgehen müs­sen, «dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird», als Folge des Kommens und der Macht des Antichrists in Jeru­salem. Aus demselben Grunde werden die zehn Stämme erst gesammelt und wiederhergestellt wer­den, wenn der Herr zur Errettung des Ueberrestes im Lande erscheinen wird (Sach. 14; Hes. 20,33 bis 44; Kap. 34 und Jer. 31, 6-14).

Alsdann wirkte Gott auch in den Herzen der Nach­barn derer, die sich dem Werke des Hauses Gottes weihten, denn sie unterstützten sie «freiwillig» von ihrer Habe, entsprechend dem Aufruf, indem sie ihnen halfen mit silbernen Geräten, mit Gold usw. Schliesslich bezeugte Kores selbst, dass die göttliche Macht auch sein Herz berührt und Interesse an dem Werke darin bewirkt hatte, indem er die Gefässe des Tempels zurückgab, welche Nebukadnezar aus Jerusalem hieher gebracht und sie in das Haus sei­nes Gottes gelegt hatte (siehe Dan. 5,1—4); er liess sie Sesbazar, dem Fürsten Judas, übergeben (Verse 6-9).
Wir finden also in diesem Kapitel alle Zeichen eines echten Werkes Gottes. 

Zu dem einen grossen Zweck war eine Zusammenarbeit der Herzen aller Beteilig­ten bewirkt worden, sowohl in Kores — ohne seine Erlaubnis hätten die Gefangenen nicht zurückkeh­ren können — als auch in den Häuptern der Väter von Juda und Benjamin, die nötig waren zum Auf­bauwerk, und schliesslich in denen, die zurück­blieben, aber durch ihre freiwilligen Opfer Gemein­schaft hatten mit ihren Brüdern. Da waren keine Zusammenkünfte vorangegangen, um ein Uebereinkommen zustande zu bringen. Die Einigung der Herzen zum gemeinsamen Ziel wurde allein durch die Wirksamkeit des Herrn in den Her­zen aller hervorgebracht. Das ist das Merkmal eines göttlichen Werkes und der sichere Beweis einer ech­ten Tätigkeit des Geistes Gottes. Jedes benötigte Werkzeug tritt im richtigen Augenblick in den Vor­dergrund, denn das Werk ist von Gott und muss er­füllt werden.
Die letzten drei Verse enthalten die Anzahl der ge­heiligten Geräte, welche Sesbazar von Kores emp­fing, und er brachte sie von Babel nach Jerusalem.

Kapitel 2

Wir haben in diesem Kapitel ein Verzeichnis der «Kinder der Landschaft Juda, welche aus der Ge­fangenschaft der Weggeführten, die Nebukadnezar, der König von Babel, nach Babel weggeführt hatte, hinaufzogen, und die nach Jerusalem und Juda zu­rückkehrten, ein jeder in seine Stadt» (V. l).
In diesem Bericht gibt es verschiedene interessante Einzelheiten, die beachtenswert sind. Vor allem wird hier deutlich, wie wertvoll die Reaktion für Gott war, die Seine Gnade in den Herzen von vielen Tau­senden unter Seinem Volke hervorgebracht hatte, wie schwach sie auch in Seine Gedanken bezüglich Seines Hauses eingetreten sein mochten. Aus diesem Grunde veranlasste Er, dass diese Liste erhalten blieb, als Beweis, dass Er die geringsten Früchte der Wirksamkeit Seines Geistes mit Freuden wahr­nimmt. Er macht die genauen Namen derer kund, die dem Aufruf Kores' Folge leisteten, als eine Er­munterung für alle, in Seinen Wegen zu wandeln, sich einszumachen mit Seinen Interessen und Treue zu beweisen in Zeiten des Verfalls und des Abfalls. (Vgl. Luk. 12,8 mit Offb. 3,5). In Vers 2 werden die Namen der Führer angegeben, und dann wird das Volk nach seinen Geschlechtern klassifiziert.
Wenn wir dieses Verzeichnis genauer prüfen, stellen wir darin vier Teile fest:
    1. Bis zu Vers 42 werden solche aufgeführt, welche ohne allen Zweifel zum Volke Israel, zu Juda, Ben­jamin oder Levi gehörten (unter den Letzteren waren auch Sänger und Torhüter).
Dann folgen zwei andere Klassen, die Nethinim und die Knechte Salomos, im Blick auf welche einige Worte nötig sind.
    2. Bei den Nethinim (V. 43-54) erhebt sich die Frage, ob sie wirklich von jüdischer Abstammung waren. Der Name bedeutet «Geschenkte», und aus dem Platz, der ihren Namen in diesem Kapitel gegeben wird (siehe auch 1. Chron. 9,2), hat man schon ge­schlossen, dass sie von einem anderen Geschlecht waren, aber ursprünglich den Leviten für ihren Dienst beigegeben wurden, so wie auch die Leviten selbst — diese aber durch göttliches Gebot, anstelle der Erstgeborenen Israels (siehe 4. Mose 8) - dem Aaron gegeben worden waren zum Dienste des Herrn in Seinem Heiligtum.
Spuren von solchen Nethinim (Geschenkten) finden wir in zwei Schriftstellen. In 4. Mose 31,37 lesen wir bezüglich der Beute, die von den Midianitem ge­nommen wurde: «Von der Hälfte der Kinder Israel nahm Mose das Herausgegriffene, eines von fünfzig, von den Menschen und von dem Vieh, und gab sie den Leviten, welche der Hut der Wohnung Jehovas warteten; so wie Jehova dem Mose geboten hatte.» Auch finden wir, dass Josua zu den Gibeonitern sagte: «Nicht sollt ihr aufhören, Knechte zu sein, so­wohl Holzhauer als Wasserschöpfer für das Haus meines Gottes!» (Jos. 9,23, vgl. Esra 8,20).
Das also ist offenbar der Ursprung der Nethinim — es waren solche, die vom gerechten Gericht Gottes verschont worden waren. Und wenn sie auch zu Knechten erniedrigt wurden, so war es doch eine  Knechtschaft, die Seine Gnade ihnen zuwies, in Verbindung mit Seinem Hause, wobei gerade der Fluch, der auf ihnen lastete (siehe Jos. 9,23) in Segnung verwandelt wurde. Statt durch das Schwert Jehovas der Heerscharen vernichtet zu werden, wurden sie gerettet, und hier im Buche Esra noch, nachdem Jahrhunderte vergangen sind, stehen sie in ehren­voller Verbindung mit dem Volke des Herrn. Auch sie haben ein Herz für das Haus Gottes, denn auch sie kehren in diesem besonderen Zeitpunkt mit ihren Mitgefangenen aus Babylon zurück. Nicht zuletzt sind daher auch sie, sogar in unserer christlichen Haushaltung, ein Vorbild von den Gegenständen der Gnade.
    3. Bezüglich der Knechte Salomos (V. 55-57) sind die Angaben weniger deutlich. Aber wir lesen, dass Salomo die Amoriter usw., die im Lande übriggeblie­ben waren und welche die Kinder Israel nicht zu vertilgen vermocht hatten, «zu Fronarbeiten! aushob bis auf diesen Tag» (1. Kön. 9,20-21). Vielleicht waren es die Nachkommen dieser Fronarbeiter, die hier «Knechte Salomos» genannt wurden. Wie sich dies auch immer verhalten mag, so können wir hier doch die Lehre daraus ziehen, dass die geringste Verbindung mit dem Volke und den Dingen des Herrn einen Segen nach sich zieht. Bei den Knech­ten Salomos wie auch bei den Nethinim muss es mehr als nur ein zeitlicher Segen gewesen sein; denn durch Gnade waren sie auf eigenen Wunsch zurückgekehrt, um am Wiederaufbau des Hauses Gottes in Jerusalem mitzuhelfen. Aller Männer die­ser beiden Gruppen waren dreihundertzweiund-neunzig.

    4. Die nächsten beiden Gruppen nehmen eine be­sondere und in gewissem Sinne betrübliche Stellung  ein. Da waren einige — die Söhne Delajas, die Söhne Tobijas, die Söhne Nekodas, sechshundertzweiund-fünfzig —, die ihr Vaterhaus und ihre Abkunft nicht angeben konnten, ob sie aus Israel wären. Auch von den Söhnen der Priester — die Söhne Habajas, die Söhne Hakkoz', die Söhne Barsillais — «diese suchten ihr Geschlechtsregister-Verzeichnis, aber es wurde nicht gefunden; und sie wurden von dem Priester­tum als unrein ausgeschlossen» (V. 59—62).

Im Lande ihrer Gefangenschaft nahm man es mit den Ansprüchen und Befugnissen nicht so genau. Babylon stellt die Knechtschaft, den Verfall dar, in welche das Volk Gottes durch seine Sünden gekom­men ist, und daher war die Zeit ihrer Gefangen­schaft eine Zeit der Nachlässigkeit, eine Zeit zwar, in der sie unter der Hand Gottes zu leiden hatten, aber doch eine Zeit der Verwirrung und Unordnung. Das konnte nicht anders sein, da sie ohne Tempel, ohne Opfer und ohne die Gegenwart Jehovas waren. Jetzt aber, da durch Gottes Gnade eine teilweise Wiederherstellung zustande gekommen war, in wel­cher sich eine deutliche Wirksamkeit des Geistes Gottes abzeichnete und das Haus Jehovas wiederum ihr Mittelpunkt wurde, waren sie gründlich geübt bezüglich des Anspruchs auf die Zugehörigkeit aller derer, die von Babylon zurückgekehrt waren.
Wenn jemand seine Abkunft nicht angeben konnte, so hatte er kein Anrecht, an dem Werke teilzuneh­men, zu welchem sie berufen worden waren. Und im Falle der Priester waren die Folgen noch ern­ster. Wenn diese ihr Geschlechtsregister-Verzeichnis nicht finden konnten, wurden sie vom Priestertum als unrein ausgeschlossen. Man behauptete nicht, dass sie keine Priester seien, aber stellte sich auf den Standpunkt, dass ihr Anspruch nicht erwiesen  sei. Das konnte vielleicht in nächster Zeit abgeklärt werden: «Der Tirsatha sprach zu ihnen, dass sie von dem Hochheiligen nicht essen dürften, bis ein Prie­ster für die Urim und die Thummim aufstände.» Wenn dieser Tag kam, vermochte der Priester, durch die Lichter und Vollkommenheiten Gottes (Urim und Thummim) wieder mit göttlichem Verständnis und Unterscheidungsvermögen begabt, zu beurtei­len, ob sie wirklich Priester waren. Inzwischen aber war ihr Anspruch verwirkt. Gnade konnte wieder­herstellen, was unter dem Gesetz verloren ging; doch mussten sie geduldig darauf warten.

 Etwas ganz Aehnliches zeigte sich dem Grundsatz nach in der Versammlung Gottes. Wir sagen nicht zuviel, wenn wir behaupten, dass sie im Anfang des vergangenen Jahrhunderts in manchen Ländern ganz unter der Herrschaft der weltlichen Macht stand. Das Leben des Volkes Gottes wurde da und dort durch den Dienst einiger treuer Männer unter­halten, wie auch durch das persönliche Studium des Wortes Gottes. Aber die Kirche als ganze war ge­knechtet und wurde in babylonischer Gefangen­schaft gehalten. Doch fand dann eine Wiedererwek­kung statt. An verschiedenen Orten wirkte Gott in den Herzen mancher, was zu tiefen Seelenübungen führte. In manchen Ländern und an verschiedenen Orten gab es eine Bewegung, die zur Befreiung vie­ler führte. 
Die Urkunde ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft war das Wort Gottes. Ueber dieses beugten sie sich Tag und Nacht und fanden darin beides. Licht und Leben. Anhand der Heiligen Schrift überprüften sie sich selbst und ihre Wege; durch sie erkannten sie auch den wahren Charakter ihrer bisherigen Gebun­denheit und empfingen daraus auch Leitung für die   Zukunft. Indem sie auf die Belehrungen des Wortes Gottes achteten, richteten sie den Tisch des Herrn wieder auf, in seiner ganzen Einfachheit. Sie lern­ten, dass der Heilige Geist im Hause Gottes wohnt und dass der Herr verheissen hat, bald zu kommen, um Sein Volk zu sich zu nehmen.

 Sofort aber sahen sie sich der Schwierigkeit gegenübergestellt, die in diesem Kapitel erwähnt wird, der Schwierigkeit, den Anspruch und die Befugnis zum Brechen des Brotes am Tisch des Herrn abzuklären. In der Vergangen­heit durfte es jeder gute Bürger tun, und oft wurden sogar alle ermahnt, zu kommen. Keiner, der ein Christ zu sein bekannte, wurde je zurückgewiesen, und viele, deren Leben ihrem Bekenntnis wider­sprach, wurden unbefragt zugelassen. Durfte diese Handlungsweise fortgesetzt werden?
Es wurde ihnen die Antwort gegeben, dass nur die, welche «ihr Vaterhaus angeben» oder ihr «Geschlechtsregister-Verzeichnis» finden konnten, schriftgemässen Anspruch auf einen Platz am Tische des Herrn hatten. Mit anderen Worten: Wenn wir nicht Frieden mit Gott haben, wenn wir nicht wis­sen, dass wir durch den Besitz des Geistes der Kind­schaft Kinder Gottes sind und so unser Vaterhaus und unsere Abkunft angeben können, haben wir nicht das erforderliche göttliche Anrecht. Bekenntnis ist nicht genug. An einem Tag wie diesem, einem Tag der Wiederherstellung von der Gefangenschaft, müssen wir fähig sein, unser Bekenntais durch das sichere Wort Gottes als wahr nachzuweisen.

 Denn der Apostel sagt: «Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein  Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen Teil an dem einen Brote» (1. Kor. 10,16.17).
Aber dem wird entgegengehalten: Willst du dich denn zum Richter über andere aufspielen? Keines­wegs. Wir haben uns so zu verhalten, wie der Tir­satha in unserem Kapitel, der zu den Priestern, die ausgeschlossen wurden, gewissermassen sagte: «Ihr möget wirklich Priester sein, nur könnt ihr euren Anspruch nicht beweisen. Die Sache muss daher ver­tagt werden, bis ein Priester mit dem Urim und Thummim aufsteht - einer, der Gott gemäss urteilen kann.» Nun hat der, welcher zum Tische des Herrn kommen und sich mit Seinem Volke einsmachen will, den Beweis seiner Zugehörigkeit zu erbringen. Vermag er dies nicht, wird er nicht von denen aus­geschlossen, die es mit ihm zu tun haben, sondern durch seine eigene Unfähigkeit, sein Geschlechts­register nachzuweisen. Sollte er dennoch ein Glied am Leibe des Christus sein, wird sein Anspruch, der ja ganz auf Gnade beruht, an einem kommenden Tage vom Herrn selbst völlig anerkannt werden. Es ist wichtig, dass dieser schriftgemässe Grundsatz verstanden und befolgt wird.
Die Frage bezüglich der Priester geht noch weiter. Wie wir gesehen haben, wurden diese ihres Amtes enthoben, das darin bestand, vor dem Herrn zu die­nen und das Volk zu lehren (siehe 2. Mose 28; 3. Mose 10,9-11; 5. Mose 10,8; Mal. 2,5-7), und es wurde ihnen, weil sie ihr Geschlechtsregister-Ver­zeichnis nicht finden konnten untersagt, vom Hoch­heiligen zu essen. (Vgl. auch 3. Mose 22,1-16.)
Im christlichen Zeitalter sind alle wahren Gläubigen Priester (1. Petr. 2). Gott hat sie alle zu Anbetern in Seinem Heiligtum gemacht. Niemand darf sich das ausschliessliche Recht anmassen, in Anbetung Gott zu nahen und Ihm im Namen aller zu dienen. Wenn die hier im Buche Esra genannten Priester nicht von den heiligen Dingen essen durften, weil sie ihr Ge­schlechtsregister nicht finden konnten, so ist damit auch ein ernstes Urteil gefällt über die Praxis, die man in der Christenheit jahrhundertelang geübt hat. Nicht allein wurden viele auf Grund eines äusser-lichen Bekenntnisses zum Abendmahl zugelassen, also auch solche, die ihr Geschlecht nicht beweisen konnten, die keine wahren Gläubigen waren, oder über die man in dieser Hinsicht unsicher war. Vie­len von diesen gab man durch menschliche Ordina­tion sogar die Befugnis, «heiligen» Priesterdienst auszuüben!
Die Zahl der ganzen Versammlung, so wird uns nun gesagt, war zweiundvierzigtausend dreihundertund-sechzig. Ausser diesen gab es noch siebentausend dreihundert siebenunddreissig Knechte und Mägde und unter diesen noch zweihundert Sänger und Sän­gerinnen. Schliesslich wird auch noch die genaue Zahl der Rosse, Maultiere, Kamele und Esel genannt (V. 64-67).
Das war die grosse Reisegesellschaft oder Karawane, die von Babylon nach Juda und Jerusalem hinauf­zog. Ihre Herzen waren ganz auf das heilige Unter­nehmen gerichtet, zu welchem Gott sie hatte auf­rufen lassen.
Am Bestimmungsort angelangt, geben einige Häup­ter der Väter, als sie zum Hause Jehovas kamen, freiwillige Gaben für das Haus Gottes, um es an sei­ner Stätte aufzurichten. Sie gaben nach ihrem Ver­mögen für den Schatz des Werkes einundsechzig-tausend Danken an Gold und fünftausend Minen an Silber und hundert Priester-Leibröcke (V. 68. 69).
 Die Formulierung dieses Berichtes ist interessant:   «Als sie zum Hause Jehovas in Jerusalem kamen.» Daraus geht hervor, dass das Haus, in welchem Zu­stand es auch immer gewesen sein mag — nieder­gerissen bis auf den Grund —, vor den Augen Gottes immer noch bestand. Obgleich es bis zur Zeit des Herrn drei verschiedene Häuser gab, so war es für Gott doch immer nur dasselbe Haus. Haggai sagt in diesem Zusammenhang: «Die letzte Herrlichkeit die­ses Hauses wird grösser sein als die erste» (Kapitel 2,9).
Da war zweifellos noch ein anderer Grund für diese Ausdrucksweise in Esra. Es scheint, dass Gott die Verwüstung Seines Heiligtums benützt hat, um die Herzen der Häupter der Väter zu berühren. Als sie zum Hause Jehovas kamen, als sie seinen Zustand sahen, wurden sie bewegt und «gaben freiwillig» von ihrem Vermögen und, wie der Geist Gottes mit Sorgfalt hinzufügt und Sein Siegel der Billigung dar­auf setzt: «... nach ihrem Vermögen gaben sie.» Darin sind sie gewiss für alle Zeiten Beispiele für alle, die zum Volke des Herrn gehören und das Vor­recht haben, dem Herrn zu dienen, indem sie Ge­meinschaft haben mit den Bedürfnissen der Heiligen oder mit den Erfordernissen Seines Dienstes.
Das Kapitel schliesst mit der Feststellung: «Und die Priester und die Leviten und die aus dem Volke und die Sänger und die Torhüter und die Nethinim wohnten in ihren Städten; und ganz Israel wohnte in seinen Städten» (V. 70). Es bleibt dem geistlichen Leser erlaubt zu fragen, ob dieser Bericht, besonders wenn er im Lichte von Haggai l gelesen wird, nicht kennzeichnend ist für das Nachlassen ihrer ersten Energie. 

Er redet von ihrer Neigung, an sich und ihre eigenen Häuser zu denken, und dies vor die Interessen des Hauses des Herrn zu stellen. Salomo baute dreizehn Jahre an seinem eigenen Hause, während er für den Tempel nur sieben Jahre ver­wendete. Wenn man berücksichtigt, wie der Mensch ist, ist es nicht verwunderlich, dass der wieder­hergestellte Ueberrest damit beginnt, zuerst an seine eigenen Dinge zu denken. Aber das nächste Kapitel zeigt, dass das Wort Gottes doch immer noch wirk­sam war in ihren Seelen, zum Preise Dessen, der sie aus der Gefangenschaft erlöst und sie in den Ge­danken Seines Herzens über Jerusalem und über Sein Volk mit sich selbst verbunden hatte.


Kapitel 3

Am Schluss von Kapitel 2 sahen wir, dass «ganz Israel» — eigentlich der Ueberrest, aber er nahm vor Gott den Platz des ganzen Volkes ein — in seinen Städten wohnte. Am Anfang dieses Kapitels wird nun von einer andern bemerkenswerten Wirkung des Geistes Gottes berichtet. «Und als der siebente Monat herankam, und die Kinder Israel in den Städ­ten waren, da versammelte sich das Volk wie ein Mann nach Jerusalem» (V. l). Im vierten Buche Moses lesen wir: «Und im siebenten Monat, am ersten des Monats, soll euch eine heilige Versamm­lung sein; keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun; ein Tag des Posaunenhalls soll es euch sein» (29, l).

 Die­ses Fest des Posaunenhalls stellt im Vorbild die Wie­derherstellung Israels in den letzten Tagen dar; und es war daher ein Beweis von wahrer geistlicher Ein­sicht, dass sich das Volk zu diesem Zeitpunkt in Je­rusalem versammelte, eine Einsicht, verbunden mit einer völligen Einmütigkeit, die bewies, dass sowohl das Volk als auch seine Führer von Gott belehrt wa­ren und unter der Kraft Seines Wortes standen. (Vgl. Apg. 2, 1).
Nur selten trat in der Geschichte des Volkes Gottes eine solche Einmütigkeit zutage. Sie kann nicht durch gegenseitige Uebereinkunft, sondern nur durch all­gemeine Unterwerfung aller unter das Wort Gottes, in der Kraft des Heiligen Geistes erreicht werden. In der Geschichte der Kirche wurde nur zweimal eine solche Einmütigkeit sichtbar (siehe Kap. 2 und 4), und fortan wird sie in der Gesamtheit der Kirche auf der Erde nie mehr gesehen werden, wenn sie auch in kleinen Gruppen der Heiligen dargestellt werden mag. 

Aber beim Ueberrest Israels hier, wie auch bei der Schar der Jünger an Pfingsten, waren alle wie ein Mann beisammen: Ein Wille beherrschte sie und ver­sammelte sie mit unwiderstehlicher Kraft zu dem einen gemeinsamen Mittelpunkt hin; sie waren alle einmütig auf einem Platz in der Stadt, auf welche Gottes Herz und Sinn zu dieser Zeit gerichtet war. 
Als sie so versammelt waren, machten sich «Jeschua, der Sohn Jozadaks, und seine Brüder, die Priester, und Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und seine Brü­der auf und bauten den Altar des Gottes Israels, um Brandopfer darauf zu opfern, wie geschrieben steht in dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes. Und sie richteten den Altar auf an seiner Stätte, denn ein Schrecken war auf ihnen vor den Völkern der Län­der; und sie opferten auf ihm Brandopfer dem Je­hova, die Morgen- und Abend-Brandopfer» (V. 2. 3). Serubbabel, der Landpfleger und Jeschua, der Prie­ster, unter Mithilfe ihrer «Brüder», vereinigten sich in diesem gesegneten Werk, eine Zusammenarbeit von zweien, die Den vorbildeten, der ein Priester auf Seinem Throne, der wahre Melchisedek sein wird (siehe Sach. 6, 9-15). 

Einer ihrer Beweggründe zur Aufrichtung des Altars scheint dem von ihnen empfundenen Bedürfnis nach Schutz von seiten Gottes entsprungen zu sein, und der Glaube erkannte, dass ihnen dieser Schutz auf dem Boden der Wirksamkeit der Opfer zugesichert  sein würde. Und was könnte schöner sein, als diese   Bekundung des Vertrauens in Gott? Sie waren nur ein schwacher Ueberrest, der keine materiellen Mit­tel der Verteidigung besass, und sie waren von Fein­den aller Art umgeben; aber gerade in ihrer Schwach­heit und in der Gefahr, in der sie standen, hatten sie die wichtige Lehre gelernt, dass Gott ihre Zuflucht und Stärke war. Die Aufrichtung des Altars war da­her ihr erstes Anliegen; und sobald der liebliche Wohlgeruch der Brandopfer zu Gott emporstieg, war alles, was Er ist und was Er in dem Opfer von sich offenbarte, zu ihren Gunsten verpflichtet.
Beachten wir, dass diese Brandopfer morgens und abends dargebracht wurden. Sie wurden bei ihrer Einführung das «beständige Brandopfer» genannt (siehe 2. Mos. 29, 38-46), kraft dessen es Gott möglich war, in der Mitte Seines Volkes zu wohnen. Und wenn Seine Gegenwart auch nicht mehr in ihrer Mitte war, wenn Er auch nicht mehr zwischen den Cherubim über dem Sühndeckel wohnte, 50 blieb doch die Wirksamkeit des Brandopfers bestehen; und solange der Glaube dieses morgens und abends dar­brachte, waren sie ebenso sicher unter dem Schütze Jehovas wie in früheren Tagen der Herrlichkeit, als Jerusalem von starken Mauern und Befestigungs­werken umgeben war. Sie mögen sich dabei die Sprache eines ihrer Psalmen zu eigen gemacht ha­ben: «Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen. Darum werden wir uns nicht fürchten, wenngleich gewandelt würde die Erde, und wenn die Berge wankten im Herzen des Meeres. Wenn seine Wasser tobten und schäumten, die Berge erbebten durch sein Ungestüm» (ps. 46, 1-3). 
   Nachdem nun der Altar seine Bestimmung versah, feierten sie das Fest der Laubhütten, so wie es vorge­schrieben war (siehe 3. Mose 23, 33—36), und opferten Brandopfer Tag für Tag, nach der Vorschrift, das Tägliche an seinem Tage. Das Laubhüttenfest war ein Bild der tausendjährigen Freude (3. Mose 23, 40). An diesem Fest sollte sich Israel sieben Tage lang vor Jehova, seinem Gott, freuen. In den Augen der Men­schen, die auf die verwüstete Stadt schauten, mochte es wie Spott sein, dass diese armen, von Babel zurück­gekehrten Gefangenen ein Freudenfest feierten. Aber der Glaube ist «eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Ueberzeugung von Dingen, die man nicht sieht», und bringt so die Zukunft in die Gegen­wart herein. Noch mehr, wenn die Seele einmal in der ganzen Wohlannehmlichkeit Christi, vorgebildet im Brandopfer, vor Gott steht, so hat sie schon die Gewissheit der Erfüllung jeder verheissenen Segnung, da sie in Ihm verankert ist. 

Die gläubigen Israeliten, die rings um den Altar standen, den sie inmitten der Ruinen des Tempels aufgerichtet hatten, und den Rauch der Brandopfer zum Himmel emporsteigen sahen, durften also vorwärts schauen auf die Zeit, in welcher alle Verheissungen Gottes an Abraham, Isaak und Jakob erfüllt sein würden, nach dem Wort in Jesaja 35,10: «Und die Befreiten Jehovas werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; sie werden Wonne und Freude erlangen, und Kummer und Seufzen werden entfliehen.» 
Danach, so wird uns gesagt, opferten sie «das be­ständige Brandopfer und diejenigen der Neumonde und aller geheiligten Feste Jehovas, und die Brand­opfer eines jeden, der Jehova eine freiwillige Gabe brachte» (V. 5). Das Auffallende an ihrem Tun war,   dass sie alles nach der Vorschrift des Wortes Gottes taten (V. 2. 4). Was immer sie in Babel praktiziert haben mochten, was dort auch immer ihre überliefer­ten Riten und Gebräuche gewesen sein mochten, so Hessen sie nun dies alles auf dem Schauplatz ihrer Gefangenschaft zurück; als Befreite und Zu­rückgekehrte konnte sie nur das befriedigen, was in Uebereinstimmung mit dem geschriebenen Worte war.
Wir können daher die in diesem Abschnitte erzähl­ten Geschehnisse als Wiederherstellung des schrift-gemässen Gottesdienstes bezeichnen. Er enthält also einen Grundsatz von grosser Wichtigkeit, der auch in unserer Zeit Beachtung gefunden hat. Wie schon in einem früheren Kapitel darauf hingewiesen wurde, entstand anfangs des vergangenen Jahrhunderts eine Bewegung, die — in der geistlichen Sphäre — weit­gehend der Befreiung aus Babylon entsprach. Das erste Anliegen der Gläubigen jener Tage war das gleiche wie das des Ueberrestes: Die Wiederherstel­lung des Altars (indem wir diesen Ausdruck als Symbol des Gottesdienstes verwenden) und die Ord­nung in der Versammlung, in allen ihren Zusam­menkünften, entsprechend dem geschriebenen Worte. 

Gebräuche, Ueberlieferungen, Vorschriften, Riten und Zeremonien wurden nach der in der Schrift auf­gezeichneten apostolischen Praxis geprüft, und alles, was diesem Test nicht standhielt, wurde auf­gegeben. Es war auch nur ein Ueberrest, der auf diese Weise aus der Knechtschaft herausgeführt wurde, aber sie hatten Licht und Leben in ihren Wohnungen und in ihren Zusammenkünften, denn sie suchten «wie ein Mann» dem Herrn Jesus Christus Seinen rechtmässigen Platz der Vorherrschaft als Sohn über Sein eigenes Haus zu geben. 
Und wirklich, Gott anerkannte diese Erweckung in bemerkenswerter Weise und benützte sie, um die Gläubigen in vielen Ländern zurückzuführen zur Unterwürfigkeit unter das geschriebene Wort, zur Erkenntnis der Fülle der Gnade Gottes in der Er­lösung, zu ihrem Platz als Priester und deren Vor­rechten, zu der Wahrheit der Gegenwart des Heili­gen Geistes und zur Erwartung der Wiederkunft des Herrn. Und wenn die geistliche Kraft jener Tage auch nicht aufrechtgehalten wurde, so wird doch ihr Einfluss immer noch verspürt. 
Vor jener Zeit war das Christentum in den Händen ihrer öffentlichen Verfechter zur Beobachtung eines blossen Moralkodexes herabgesunken; und die Folge davon war Rationalismus und weitverbreiteter Un­glaube. Seit jenen Tagen hingegen hat es trotz der zunehmenden Macht des Bösen und der schnellen Entwicklung der Zeichen des kommenden Abfalls nie an einem vollen Zeugnis für die Wahrheit Gottes und für den zu Seiner Rechten verherrlichten Chri­stus gefehlt. Alles das kündet uns mit lauter Stimme an, dass der Pfad des Gehorsams gegenüber dem geschriebenen Wort, in der Kraft des Geistes, der Pfad der Wiederherstellung vom Irrtum, das Ge­heimnis wahren Segens und die richtige Methode ist, um den geistlichen Niedergang aufzuhalten. 
Die ersten fünf Verse dieses Kapitels sind ein ermun­ternder Bericht und können gewiss in Verbindung mit den ersten Tagen der Kirche nach Pfingsten betrachtet werden (Apg. Kap. 2—4). In beiden Zeit­punkten offenbarte sich sowohl persönliche als auch kollektive geistliche Energie. So wird nicht nur be-   richtet, dass die Neumonde und die vorgeschriebe­nen Feste beobachtet wurden, sondern es wird auch hinzugefügt: «Und die Brandopfer eines jeden, der Jehova eine freiwillige Gabe brachte» (V. 5). Wenn Gottes Geist in Macht wirksam ist, erfüllt Er die Herzen vieler unter Seinem Volke bis zum Ueberfliessen, und das Gefäss strömt über in Danksagung und Preis zum Lobe Gottes. Dies ist das Geheimnis der Hingabe und der Anbetung.
Die nächsten beiden Verse schliessen diesen Zeit­abschnitt ab, der die Einführung eines anderen vor­bereitet. «Am ersten Tage des siebenten Monats fingen sie an, Jehova Brandopfer zu opfern; aber der Grund des Tempels Jehovas war noch nicht ge­legt. — Und sie gaben den Steinhauern und den Zimmerleuten Geld, und Speise und Trank und Oel den Zidoniem und Tyrem, damit sie Zedemholz vom Libanon nach dem Meere von Japho brächten, gemäss der Vollmacht Kores', des Königs von Persien, an sie» (V. 6. 7). 

Der Bericht vom Beginn der Opferung von Brandopfern am ersten Tage des siebenten Monats wurde mit offensichtlicher Freude abgefasst. Da ist Dankbarkeit gegen Gott zu spüren, dass Er Sein Volk zu sich zurückfühlte, zur Anerken­nung Seiner Ansprüche, auf dem alleinigen Boden der Annahme. Er zeigt uns, wie Gott das Tun der Seinigen besonders überwacht und Gefallen daran findet, wenn sie Ihm nahen und Ihn anbeten. Er, der in Seiner Gnade diese Früchte in ihren Herzen hervorbringt, rechnet sie ihnen in derselben Gnade auch an (vgl. Eph. 2,10 mit 2. Kor. 5,10).
Dann mischt sich, wie es uns dünkt, ein Ton der Traurigkeit hinein: «Aber der Grund des Tempels Jehovas war noch nicht gelegt.» Das Volk hatte auf die Gnade und Güte Jehovas in ihrer Wiederherstel­lung in vielem geantwortet; sie hatten sich mit Freude unter Seinen Schutz gestellt und hatten den Gottesdienst eingerichtet, wie es geschrieben stand in dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes. Aber zur Zeit gingen sie nicht weiter. Statt in die Gedanken Gottes bezüglich Seines Hauses einzugehen, ruhten sie in den Segnungen, in welche sie nun gebracht worden waren. Ihre geistliche Energie hatte sich in ihren ersten Anstrengungen erschöpft und sie waren nun versucht, eine Pause einzulegen, bevor sie weiter gingen. Diese Entwicklung hat sich bei den Erwek­kungen in der Kirche Gottes immer wieder gezeigt. 

Denken wir nur an das mächtige Werk Gottes, wo­zu Er den Reformator Luther als Werkzeug ge­brauchte. 
Von allem Anfang an waren die Autorität und die Vollgenügsamkeit der Schriften die Streitaxt, mit welcher er den Kampf gegen die Verderbtheit und die Götzendienereien Roms führte, und Gott erfocht und erwirkte durch ihn eine bemerkenswerte Be­freiung. Aber was folgte darauf? Seine Nachfolger ruhten bei den Früchten der ersten Siege aus und feierten sie; die Reformation sank zu einem System von Staatskirchen und Glaubensbekenntnissen herab, aus welchen die Lebenskraft bald verschwand. (Siehe Offb. 3,1—3). Sie unterliessen es, weiterhin in Ge­meinschaft mit den Gedanken Gottes voranzugehen, sie mühten sich mehr um die eigenen Ziele als um die Seinen, und die Folge davon war, dass sich bald schädliche Einflüsse und Verfall zeigten; die Bewe­gung war zum Stillstand gekommen; und heute ver­schwinden gerade die Wahrheiten, die damals wieder entdeckt wurden, aus den Plätzen, welche damals die Kampfstätten waren.
Wir lernen daraus, dass die Sicherheit des Volkes Gottes darin liegt, sich zu den Höhen ihrer Berufung zu erheben. Gott berief uns zur Gemeinschaft mit sich selbst und mit Seinem Sohne Jesus Christus. Wenn wir, dies vergessend, uns am Genuss unserer Segnungen genügen lassen und Gottes Ansprüche an uns aus dem Auge verlieren, wird uns sogleich Schwachheit und Verfall kennzeichnen, sowohl als Einzelne als auch als Gruppen von Gläubigen. Wenn aber anderseits Gottes Ziele die Unsrigen sind, wenn unser Sinn sich mit dem beschäftigt, was Ihm wichtig ist, wird Er uns zu einem immer grösseren Verständ­nis Seiner Ziele der Gnade wie auch Seiner Wege und zu grösseren Segnungen führen. Er freut sich über unsere Glückseligkeit und Er möchte sie immer mehr vertiefen, indem Er uns in Seiner Gnade mit Seinen eigenen Zielen und Zwecken verbindet.
Wenn die Kinder Israel das Werk des Herrn auch nicht mit allem Fleiss vorwärtstrieben, so vergassen sie doch den Zweck ihrer Wiederherstellung nicht; denn, wie wir gesehen haben, sie begannen für den Bau des Tempels Material zu sammeln (V. 7). Um die Umstände des Ueberrestes besser zu verstehen, die einen Gegensatz bildeten zu der Herrlichkeit des Reiches beim Bau des Tempels Salomos, sollten wir 1. Könige 5 sowie 1. Chronika 28 und 29 lesen. Aber Jehova war auch jetzt immer noch derselbe und Seine Hilfsquellen waren für diesen schwachen Ueberrest mittelst des Glaubens ebenso erreichbar wie für David und Salomo in all ihrer Macht und ihrem Glanz. Gewiss, nach aussen hin war der Ueberrest für die Erlaubnis zum Bau und für die Beschaffung des nötigen Materials von der Gunst eines heidnischen Monarchen abhängig; aber es war Gottes Werk, an welchem sie arbeiteten, und wenn sie sich auf Ihn stützten, wollte Er sie befähigen, dieses zu einem guten Ende hinauszuführen. 

Wenn die Gläubigen mit Gott wirken, werden ihre schein­baren Schwierigkeiten und Hindernisse Mittel, um durch den Glauben Gott hineinzubringen, vor wel­chem Krummes gerade und die Berge zur Ebene werden. 
In diesem Abschnitt wird von der Grundsteinlegung des Tempels berichtet. Zwischen den Versen 7 und 8 muss eine Zwischenzeit von mindestens sieben Mo­naten verstrichen sein. Mit was sie ausgefüllt war, wird uns nicht mitgeteilt. Aus dem Zusammenhang scheint hervorzugehen, dass der Grund für diese Pause vor der Inangriffnahme des Aufbauwerkes der gewesen ist, dass sie auf das «Zedernholz» war­teten. Aber «im zweiten Jahre ihres Kommens zum Hause Gottes in Jerusalem im zweiten Monat, began­nen Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und Jeschua, der Sohn Jozadaks, und ihre übrigen Brüder, die Priester und die Leviten, und alle, die aus der Ge­fangenschaft nach Jerusalem gekommen waren, und sie bestellten die Leviten von zwanzig Jahren an und darüber, um Aufsicht zu führen über das Werk des Hauses Jehovas» (V. 8).
In dieser Mitteilung sind drei Dinge zu beachten:
    1. Wie auch der Zustand des Volkes im allgemeinen gewesen sein mochte, so gingen doch Serubbabel und Jeschua, der Statthalter und der Priester, im Werke voran. Wie gut ist es für das Volk Gottes zu jeder Zeit, wenn ihre Führer in ihrem Herzen mit den Gedanken Gottes übereinstimmen und sie das Volk Gottes aufrufen, ihnen in Seinem Dienste zu folgen. Es ist nicht immer so; nicht selten tritt die erste Regung des Geistes Gottes inmitten Seines Vol­kes zutage; dadurch werden ihre nominellen Füh­rer beiseitegesetzt oder gezwungen, dem Lauf der Dinge zu folgen, damit sie ihren Platz behalten.
    2. Der Statthalter und der Priester verstanden es, das Volk in ihrem heiligen Unternehmen mit ihnen zu verbinden. Dies war ein sicheres Kennzeichen geistlicher Kraft wie auch ein Zeugnis von der Tat­sache, dass Gott durch sie wirkte. Bis dahin gab es keine Spaltungen, sondern alle waren durch den Heiligen Geist auf den einen gemeinsamen Gegen­stand gerichtet.
    3. Schliesslich waren die Leviten von zwanzig Jahren und darüber beauftragt, über das Werk des Hauses Jehovas Aufsicht zu führen.

Das war offensichtlich in Uebereinstimmung mit der Anleitung der Schrift und kam aus einer guten Einsicht in die Gedanken Gottes bezüglich der Natur des Werkes, an welchem sie arbeiteten, hervor (siehe 4. Mose 4; 1. Chron. 23, 24). Die Aufrechterhaltung der göttlichen Ordnung in dem Werke Seines Hauses ist von grösster Bedeu­tung, denn das ist Unterwürfigkeit unter Seinen Wil­len, wie er in Seinem Wort zum Ausdruck kommt. Nach menschlicher Meinung mochte irgendeine an­dere Methode vorzuziehen gewesen sein; aber für die Knechte des Herrn gab und gibt es nur eine Frage: Was hat Er angeordnet? Weil dies nicht be­achtet wurde, gab es in der Kirche Gottes unaufhör­lichen Kampf zwischen dem Willen des Herrn und dem Willen des Menschen; und ach! die Folge davon war; dass der Mensch mit seinen Gedanken fast allgemein den Platz, der Christo und Seinem Worte zukommt, an sich gerissen hat. 
Die Leviten nahmen durch Gnade ihre Aufgabe bereitwillig in Angriff. Sie waren nur vierundsiebzig an Zahl (siehe Kap. 2,402). In der Wüste waren es 8580 Leviten, und dort wurden nur die Männer «von dreissig Jahren und darüber bis zu fünfzig Jahren» gezählt (4. Mose 4,46—48). 

Aber als ihnen der Herr das Tor der Befreiung von ihrer babylonischen Ge­fangenschaft öffnete, da waren es sehr wenige, denen es daran lag, dieses zu benützen. Ach! Sie hatten im Lande ihrer Verbannung ein Heim gefunden und Jerusalem vergessen; sie hatten aufgehört, an Zion zu denken. Um so wertvoller für den Herrn war die Treue dieser vierundsiebzig. Mit Seiner Gegenwart und Seinem Segen genügte ihre Anzahl zu einem Dienst als Aufseher über die Arbeiter am Hause Got­tes. Gnade hatte in ihren Herzen gewirkt, und sie «standen wie ein Mann» in der Erfüllung ihrer Auf­gabe. Das war echte Gemeinschaft und ging aus der Tatsache hervor, dass sie mit den Gedanken des Herrn über Sein Haus in Uebereinstimmung waren. Seine Ziele waren auch die ihrigen und daher wur­den sie nicht durch geteilte Meinungen gehindert, sondern konnten «wie ein Mann» die Arbeit be­aufsichtigen: ein gutes Zeichen für den Erfolg ihres Unternehmens wie auch eine offensichtliche Frucht der Wirksamkeit des Geistes Gottes! 
Die beiden folgenden Verse beschreiben die Feier der Grundsteinlegung: «Und als die Bauleute den Grund zum Tempel Jehovas legten, liess man die Priester in ihrer Kleidung hintreten mit Trompeten, und die Leviten, die Söhne Asaphs mit Zimbeln, um Jehova zu loben nach der Anweisung Davids, des Königs von Israel.

 Und sie hoben einen Wechsel­gesang an mit Lob und Dank dem Jehova: Denn er ist gütig, denn seine Güte währt ewiglich über Israel. Und das ganze Volk erhob ein grosses Jubel­geschrei beim Lobe Jehovas, weil der Grund zum Hause Jehovas gelegt wurde» (V. 10.11). Es war ein Tag grosser Freude und lauten Jubels; und so wie sie zum Wort zurückgegangen waren — «wie geschrie­ben steht in dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes» — um Anweisungen zu finden bezüglich des Altars, der Opfer und der Feste, so griffen sie auch auf die Anweisung Davids, des Königs von Israel zurück, um in ihrem Lobgesang geleitet zu werden (vgl. 2. Chron. 5,12.13).
In der Wüste lesen wir nichts von Freudengesän­gen; am Ufer des Roten Meeres hatten sie zwar das Lied der Erlösung angestimmt, aber sogar dieses er­starb bald auf ihren Lippen und wurde durch Worte des Murrens abgelöst, hervorgerufen durch die Ent­behrungen und Gefahren ihrer Pilgerreise. Als aber die Bundeslade im Lande, in Zion, einen Ruheort fand, wenn auch nur für eine Zeit, da bestellte David «vor die Lade Jehovas einige von den Leviten als Diener, dass sie Jehova, des Gottes Israels, gedächten und ihn priesen und rühmten».

 Auch Asaph und andere sollten mit Harf-Instrumenten und mit Lau­ten spielen. Andere liessen Zimbeln erklingen und gewisse Priester bliesen in die Trompeten. «An je­nem Tage trug David zum ersten Male Asaph und seinen Brüdern auf, Jehova zu preisen», und in jenem Liede kamen die Worte vor: «Preiset Jehova, denn er ist gütig, denn seine Güte währet ewiglich!»   (1. Chron. 16). So gering an Zahl und schwach auch die Kinder Israel waren, die sich an jenem Tage auf dem Berge Morija versammelten, so waren sie doch peinlich genau im Gehorsam gegenüber dem Wort. Mit dem Werke des Herrn beschäftigt, erkann­ten sie richtig, dass menschliche Gedanken und menschliche Weisheit darin keinen Platz haben durften. Der Herr, und nur der Herr allein, durfte den Plan Seines Hauses bestimmen. 
Bei dieser Freudenfeier wurden drei Klassen unter­schieden: Da waren Priester in ihrer Kleidung, mit Trompeten, die Söhne Asaphs mit Zimbeln, und ausser diesen war da auch das Volk, das auf den Lobgesang, den sie hörten, mit Jubelgeschrei ant­wortete, weil der Grund zum Hause Jehovas ge­legt wurde. Nur Priestern war es gestattet, mit den heiligen Trompeten zu blasen (siehe 4. Mose 10); denn um zu unterscheiden, wann die Töne des Zeugnisses und des Lobpreises zu erklingen hatten, musste man an heiligem Orte in der Gegenwart Gottes in Gemeinschaft mit Seinen Gedanken stehen. So sollten auch nur die Söhne Asaphs, die Leviten, «nach der Anweisung des Königs», die heiligen Zim­beln erklingen lassen (1. Chron. 25,6). So vorschrifts-gemäss zusammengestellt, «hoben sie einen Wechsel­gesang an mit Lob und Dank dem Jehova», und das Leitmotiv ihres Liedes war: «Lob und Dank dem Jehova; denn er ist gütig, denn seine Güte währet ewiglich über Israel.» 
Aber es mischten sich auch Tränen des Schmerzes in ihren Lobgesang. Der nächste Vers berichtet da­von, dass manche der Priester, der Leviten und der Häupter der Väter alte Leute waren, die den Tempel Salomos in all seiner Herrlichkeit und seinem Glänze gesehen hatten. Wenn sie jenen Tempel mit dem   Hause verglichen, das sie jetzt zu bauen begannen, so mussten sie mit lauter Stimme weinen, während andere vor Freude jauchzten. 

Und wahrlich, sowohl die Tränen der einen wie auch der Jubel der ande­ren waren den Umständen des Tages angemessen. Es war ganz natürlich, dass die, welche die Herr­lichkeit des Reiches und die sichtbare Wolke der Gegenwart Jehovas im ersten Tempel gesehen hatten und jetzt die Verwüstung Jerusalems vor sich sahen und ihren gegenwärtigen Zustand der Verarmung fühlten wie auch ihre Schwachheit im Bestreben, ein neues Haus Gottes zu bauen, nun neben ihrer Dankbarkeit auch tiefen Schmerz fühlten. Ander­seits empfanden jene, die nur an die Gefangenschaft in Babylon dachten, wo sie weder Altar noch Tem­pel gehabt hatten, unvermischte Dankbarkeit und Freude.
Zweifellos waren sowohl die Tränen als auch der Jubel dem Herrn wohlgefällig, da beides die Frucht der Wirksamkeit Seiner Gnade in ihren Herzen war.
Sehen wir da im Vergleich mit unseren Tagen nicht auch eine Parallele? Als der Herr im vergangenen Jahrhundert einige Angehörige Seines Volkes — geist­lich gesprochen — aus der «babylonischen Gefangen­schaft» herausführte und sie aufs neue in den Be­sitz ihrer priesterlichen Vorrechte der Annahme und des Gottesdienstes eintraten, indem sie auf Grund des Wortes die wahre Grundlage der Kirche frei­legten und — wenn auch in grosser Schwachheit — versuchten, sich auf diesem Boden zu versammeln, da konnten ihre Herzen in der Kraft des Heiligen Geistes nicht anders, als in Lob und Dank ausbre­chen.
 Anderseits, wenn die Alten, die im Worte besser unterrichtet waren und oft über die Schönheit und Ordnung der Versammlung in den ersten Tagen ihres Bestehens nachgedacht hatten, sie mit ihren eigenen schwachen Anstrengungen, mit den An­weisungen der Schrift in Uebereinstimmung zu kom­men, verglichen und sich dabei bewusst wurden, Wieviele ihrer Brüder in der Gefangenschaft zurück­blieben, so war Schmerz ebenso angemessen wie Freude. Diese beiden Dinge vermischten sich, so dass, wie im Fall der Kinder Israel es schwierig war, «den Schall des freudigen Jauchzens» zu unterscheiden «von der Stimme des Weinens im Volke».
Im ganzen ist die Feier der Grundlegung des Tem­pels eine schöne Szene. Der Leser wird jedoch be­merken, dass sich der Bericht — in Uebereinstimmung mit dem Charakter des Buches und der Stellung des Volkes — mit dem beschäftigt, was das Volk tat und fühlte. 

Gott war nicht sichtbar auf dem Schauplatz, obwohl augenscheinlich alles für Ihn und mit Ihm getan wurde. Mit einem Wort, Sein Volk handelte im Glauben, und nur der Glaube konnte Ihn in das Geschehen hineinbringen, und dies war naturgemäss eine persönliche Sache. Doch gab es ein Zeugnis von Gottes Gedanken über Sein Volk in jenen Tagen. Im Buch Sacharja wird uns gezeigt, dass Er über Sein Volk wachte und sich für ihr Tun interessierte. Wenn Gott auch noch nicht begonnen hatte, durch Pro­phezeiungen zu Seinem wiederhergestellten Volke zu reden, weder durch Haggai noch durch Sacharja, so hat Er ihre Herzen doch einige Jahre später durch diese Propheten angespornt und ermuntert und dabei auf die Grundlegung des Tempels Bezug genommen.

 Sacharja sagt: «Und das Wort Jehovas geschah zu mir also: Die Hände Serubbabels haben dieses Haus gegründet, und seine Hände werden es vollenden;  und du wirst erkennen, dass Jehova der Heerscharen mich zu euch gesandt hat. Denn wer verachtet den Tag kleiner Dinge? Und mit Freuden werden jene sieben das Senkblei in der Hand Serubbabels sehen: Die Augen Jehovas, sie durchlaufen die ganze Erde» (Kap. 4, 8-10).
Wir lernen daraus, wie der Anfang des Bauens an Seinem Hause für Gott so kostbar war. Sein Herz war darauf gerichtet, und Er freut sich immer, wenn Sein Volk Seine Gedanken versteht und mit Einsicht auf dem Pfade Seines Willens erfunden werden möchte. Serubbabel hatte den Grund gelegt, und er sollte das Haus auch vollenden; dies würde ein Zeichen sein, dass der Herr Seinen Knecht Sa­charja gesandt hat. Es mag wohl ein Tag kleiner Dinge gewesen sein, gemessen mit dem natürlichen Auge, aber es war der Tag, der in sich selbst die Verheissung der Wiederherstellung des Reiches in Herrlichkeit trug unter dem Zepter des verheisse-nen Messias (siehe Sach. 6,12.13), und es war das Vorrecht des Glaubens, an diesem Tage kleiner Dinge eine Brücke zu der Erfüllung der Ziele Gottes gegenüber Seinem Volke zu schlagen.
Zudem werden die Augen des Herrn — «jene sieben» in Seiner vollkommenen Einsicht und Seinem Wis­sen um alle Dinge, denn es sind die Augen des Herrn, die die ganze Erde durchlaufen — sich freuen, wenn sie das Senkblei in der Hand Serubbabels sehen, das heisst wenn Sein Haus vollendet wird.

 Im vorhergehenden Kapitel waren diese sieben Augen auf den Grundstein gerichtet: «Höre doch Josua, du Hoherpriester, du und deine Genossen, die vor dir sitzen — denn Männer des Wunders sind sie; denn siehe, ich will meinen Knecht, Spross genannt, kommen lassen. Denn siehe, der Stein, den ich vor Josua gelegt habe — auf einem Steine sieben Augen — siehe, ich will seine Eingrabung eingraben, spricht Jehova der Heerscharen, und will die Ungerechtigkeit dieses Landes hinwegnehmen an einem Tage. An jenem Tage, spricht Jehova der Heerscharen, werdet ihr einer den anderen einladen unter den Weinstock und unter den Feigenbaum» (Sach. 3,8—10).
Diese Schriftstelle enthüllt uns die volle Bedeutung, welche die Grundsteinlegung Seines Hauses in Jeru­salem für Gott hatte. Sie war die Bürgschaft für die Einführung Christi, des Sprosses, der für Sein Volk die verheissene Segnung bringen wird. So betrachtet, ist es Gott, der dies alles tat; Sein Volk war das Werkzeug in Seiner Hand. Er legte den Grundstein (vgl. Jes. 28,16), obwohl Er dazu die Hände Serubbabels gebrauchte. Als Ausführung Seiner Rat­schlüsse war es Sein Werk. Seine Augen waren auf den Stein gerichtet — den Stein der Gnade und des Segens; denn es war in der Tat «ein bewährter Stein, ein kostbarer Eckstein, aufs festeste gegründet». 

Er selbst wollte «Seine Eingrabung eingraben», das heisst, Er wollte Seine ganze göttliche Bedeutung enthüllen und bekanntmachen und alsdann die Un­gerechtigkeit dieses Landes hinwegnehmen an einem Tage. Denn wahrlich, durch Seinen Tod und Seine Auferstehung wird Christus der Heiland Seines Vol­kes werden, und somit der Grundstein, auf wel­chen Sein Volk als ein geistliches Haus aufgebaut werden kann, als ein heiliges Priestertum, um geist­liche Schlachtopfer darzubringen, Gott wohlannehm­lich durch Jesum Christum (1. Petr. 2,4. 5). Auf die­sem Steine wird auch Sein Volk Israel ruhen, und sein Vertrauen auf Ihn wird nie erschüttert werden. Die Folge davon wird volle irdische Segnung sein;  einer wird den anderen einladen unter den Weinstock und unter den Feigenbaum.
Wenn der Leser die oben angeführten Schriftstellen mit dem Bericht in Esra verbindet, wird er die Ereignisse jenes Tages mit doppeltem Interesse ver­folgen. Während uns der Geist Gottes in Esra mit den Gedanken Seines Volkes verbindet, im Zusam­menhang mit ihrem Werk, so bringt Er uns in Sa­charja in Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes. Wohl mag das Volk in diesem allem nicht viel mehr als die Verheissung der Wiederherstellung des Tem­pels und seines Dienstes gesehen haben. Aber Gott, bei welchem tausend Jahre wie ein Tag sind, ge­wahrte in diesem «Tage kleiner Dinge» den Anfang Seines Werkes der Gnade und der Macht, auf Grund dessen Er alle Seine Ratschlüsse ausführen würde, durch das Kommen, den Tod, die Erscheinung und die Herrschaft Seines Gesalbten, Seines Königs, den Er eines Tages in Zion, auf Seinem heiligen Berg, ein­führen wird.

Kapitel 4

Sobald die Grundlage des Tempels gelegt war, er­schienen Widersacher auf dem Schauplatz. So war es auch in den Zeiten des Neuen Testamentes. Wo­hin der Apostel auch immer ging und die Grundlage der Versammlung legte, rief dies die gegensätzliche Tätigkeit des Feindes hervor. Daher seine Warnung: «Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als ein weiser Baumeister den Grund gelegt: ein anderer aber baut darauf; ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen, ausser dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus» (1. Kor. 3,10,11). 

Aber wie bei Paulus, so war es auch bei Serubbabel und Jeschua: der Feind gab sich den Anschein der Freundlichkeit. «Und die Feinde Judas und Benjamins hörten, dass die Kinder der Wegführung Jehova, dem Gott Israels, einen Tempel bauten; und sie traten zu Serubbabel und zu den Häuptern der Väter und sprachen zu ihnen: Wir wollen mit euch bauen; denn wir suchen euren Gott wie ihr; und ihm opfern wir seit den Tagen Esar-Haddons, des Königs von Assyrien, der uns hierher heraufgeführt hat» (Verse 1.2).
Der Leser wird bezüglich des Charakters dieser so­genannten Helfer im Werke des Volkes Gottes kei­nen Augenblick im Zweifel gelassen. Der Heilige Geist sagt uns deutlich, dass sie «Feinde Judas und Benjamins» waren, obgleich sie Worte des Friedens  gebrauchten; denn Er kannte ihre Herzen, ihre Ziele und Zwecke. Und, in der Tat, gerade in den Worten, die sie brauchten, verrieten sie sich schon. Es ist immer so; denn der blosse Bekenner kann die Dinge Gottes nicht verstehen. Sie sagen: «Ihm (Gott) opfern wir seit den Tagen Esar-Haddons, des Königs von Assyrien, der uns hierher herauf geführt hat.» Da­durch offenbarten sie ihre wahre Herkunft. Sie waren nach ihrem eigenen Bekenntnis nicht Kinder Abrahams, sondern Assyrer und hatten daher keinen Anspruch darauf, Kinder Israels zu sein. 

Diese Men­schen waren die Väter der Samariter (siehe 2. Könige 17,24—41), die bis zum Ende der jüdischen Haus­haltung an den Platz der Vorrechte und der Segnung einzudringen versuchten. Aus diesem Grunde und wegen des Streites, der daraus entstand, verkehrten die Juden nicht mit den Samaritern. Für uns selbst können wir aus diesem Zwischenfall die Quelle einer der ernstesten Gefahren für das Werk des Herrn erkennen. Die Küsse eines Feindes sind sowohl trügerisch als auch gefährlich und erfordern Wider­stand, mag es noch so unfreundlich erscheinen, die angebotene Hilfe von solchen zurückzuweisen, die Freunde zu sein bekennen. Die Kirche hat zu ihrem Schaden diese Wahrheit nicht nur vergessen, son­dern in ihrem Werke sogar systematisch die Hilfe der Welt gesucht.

 So ist sie verdorben und eine Illu­stration für das alte Sprichwort geworden: «Das Ver­derben der besten Sache ist das schlimmste Ver­derben.»
Serubbabel, Jeschua und die Mitbauenden waren von Gott geleitet; sie erkannten und durchschauten die Schliche des Feindes. Auf das verführerische Angebot antworteten sie: «Es geziemt euch nicht, mit uns unserem Gott ein Haus zu bauen; sondern wir allein wollen Jehova, dem Gott Israels, bauen, wie der König Kores, der König von Persien, uns geboten hat» (V. 3). Einigen mag es scheinen, dass diese Füh­rer des Volkes eine gar zu enge und exklusive Hal­tung eingenommen hätten, aber sie handelten darin nach den Gedanken des Herrn und gründeten sich auf einen göttlichen Grundsatz, der immer noch gül­tig ist, nämlich auf den, dass nur das Volk des Herrn am Werke Seines Hauses mitarbeiten darf.

 Andere mögen sich Mitbauende nennen und den Wunsch zum Ausdruck bringen, an Seinem Werke mitzuwir­ken, aber sie können nur mit Holz, Heu und Stroh bauen; und der Apostel hat für alle Zeiten die ernste Warnung ausgesprochen: «Wenn jemand den Tem­pel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig» (1. Kor. 3,17). Keine Verlegenheit oder Schwierigkeit, noch irgendwelche andere Umstände rechtfertigen eine Verbindung der Kirche mit der Welt und die Annahme weltlicher Gunst oder Mithilfe am heiligen Werk des Herrn. Als solche, die nicht von der Welt sind, gleichwie Christus nicht von der Welt ist, würden wir unseren eigenen Charakter und den der Welt selbst verleug­nen, wenn wir den am Kreuze enthüllten, immer­währenden Gegensatz zwischen uns und ihr nicht gelten lassen wollten. (Siehe Galater 6,14; Johan­nes 15,18-21).
Die wahre Natur des Angebotes der Feinde Judas und Benjamins zeigte sich, als es zurückgewiesen wurde. Denn was lesen wir? «Da suchte das Volk des Lan­des die Hände des Volkes Juda schlaff zu machen und sie vom Bauen abzuschrecken. Und sie dingten Ratgeber wider sie, um ihren Plan zu vereiteln, alle die Tage Kores', des Königs von Persien, und bis zur Regierung Darius', des Königs von Persien» (V. 4. 5). Nachdem ihre Absicht, das Werk zu verderben, an welchem die aus der Gefangenschaft Zurückgekehr­ten arbeiteten, durchkreuzt war, legten sie die Maske der Freundschaft ab und suchten es durch offene Feindschaft aufzuhalten.

Das ist die Methode, nach welcher Satan in jedem Zeitalter handelt. Er und seine Diener verwandeln sich oft in Engel des Lichts und in Diener der Gerechtigkeit, weil es leichter ist, die Heiligen zu überlisten als ihnen offen entgegen­zutreten. Sobald aber seine Gegenwart und seine Tätigkeit entdeckt und bekanntgemacht werden, ge­rät er in Wut. Wie sollte es ihm daran liegen, den Bau des Hauses Gottes zu fördern? Dessen Grund­lage ist ja Christus, «und welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis? und welche Uebereinstimmung Christus mit Belial?» (2. Kor. 6,14.15). Aber ach! Satan errang in dem vor uns liegenden Fall doch einen zeitlichen Vorteil! Durch seine Machenschaf­ten, durch die er unter dem Volke Furcht und Un­glauben hervorrief, gelang es ihm, den Bau des Tem­pels sogar bis zur Regierung Darius', des Königs von Persien, aufzuhalten.
Man beachte, dass diese beiden Verse (4 und 5) eine Zusammenfassung der ganzen Aktivität der Feinde Israels sind, während der Herrschaft Kores', Ahasve­ros' und Artasastas', und dass sich daher der 24. Vers unseres Kapitels an Vers 5 anschliesst. Der dazwi­schenliegende Abschnitt erklärt, auf welche Weise die Feinde Judas und Benjamins ihre Absicht ver­wirklichen konnten. Ueberdies, wenn wir die Pro­phezeiungen Haggais mit diesem Kapitel verglei­chen, scheint es uns, dass die Kinder Israel schon lange bevor das Verbot in Kraft trat, zu bauen aufhörten. Denn aus Haggai 2,15 geht hervor, dass der Bau seit der Grundlegung, wenn überhaupt, so doch nur einen kleinen Fortschritt gemacht hatte.

 Die Furcht vor ihren Widersachern war grösser als ihr Vertrauen in Gott. Daher verloren sie den Mut, dach­ten an sich selbst und an ihre eigenen, selbstsüchti­gen Interessen. Sie begannen ihre eigenen Häuser zu bauen und zu sagen: «Die Zeit ist nicht gekom­men, die Zeit, dass das Haus Jehovas gebaut werde» (Haggai 1. 2). Wohl waren sie nur ein schwacher Ueberrest und ihre Feinde zahlreich und aktiv. Aber in einem ihrer eigenen Psalmen hätten sie lesen können: «Als Uebeltäter mir nahten, um mein Fleisch zu fressen, meine Bedränger und meine Feinde — sie strauchelten und fielen. Wenn ein Heer sich wider mich lagert, nicht fürchtet sich mein Herz; wenn Krieg sich wider mich erhebt, hierauf vertraue ich: Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas und nach ihm zu forschen in seinem Tempel» (Psalm 27,2-4). Aber ach! unsere eigenen Herzen verstehen die Schwachheit und die Furcht dieser armen Gefangenen nur zu wohl. 

Wie leicht werden wir durch die Demonstrationen der Macht des Feindes entmutigt, wenn wir vergessen, dass, wenn Gott für uns ist, niemand in seinen bösen Plänen gegen uns Erfolg haben wird. Mit anderen Worten: Wir verzagen, wenn wir, statt durch Glau­ben, nach dem Sichtbaren wandeln. Das Versagen des Volkes Gottes in diesem Kapitel ist also glei­cher Art wie das Versagen Seiner Knechte zu allen Zeiten. 
Die Verse 6—23 schildern uns, wie schon gesagt, die Einzelheiten des Weges, auf welchem die Feinde des Volkes Gottes ein ihrem Willen entsprechendes königliches Dekret erwirkten, das den Aufbau des Tempels verbot. Ein ähnlicher Versuch schien in der Regierungszeit des Ahasveros misslungen zu sein (V. 6), aber nichts liess sie davon abhalten, ihr An­liegen Artaxerxes, seinem Nachfolger wieder vor­zubringen, und nun konnten sie ihr Ziel erreichen.
Im Bericht über ihr Vorgehen gibt es einige Punkte, die für uns lehrreich sind. Der erste ist der, dass alle Völkergruppen des Landes gegen Jerusalem einge­stellt waren. «Rechum, der Statthalter, und Schim-schai, der Schreiber, und ihre übrigen Genossen, Diniter und Apharsathkiter, Tarpeliter, Apharsiter, Arkewiter, Babylonier, Susaniter, Dehiter und Ela-miter und die übrigen Völker, welche der grosse und erlauchte Osnappar wegführte und in den Städten Samarias und in dem übrigen Gebiete jenseits des Stromes wohnen liess» (V. 9.10). 

Alle diese verban­den sich, um das Werk des Herrn im Bau Seines Hauses zu verhindern. Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, und daher ist es nicht schwierig, wenn Gott und Sein Zeugnis in Frage ste­hen, unter seinen Feinden Widersacher zu sammeln. So verschieden diese auch unter sich sein und ein­ander gar hassen mögen, so haben sie doch nur einen Sinn, wenn Gott auf dem Schauplatz erscheint. Dies trat im Fall unseres geliebten Herrn besonders deutlich in Erscheinung, als die Könige der Erde auf­traten und die Fürsten miteinander wider Jehova und wider seinen Gesalbten ratschlagten (Psalm 2): Herodes und Pilatus, die vorher gegeneinander in Feindschaft waren, wurden durch die gegenseitige Geringschätzung Christi Freunde. 

Auf diese Weise hat sich Satan als der Gott dieser Welt erwiesen, denn es gelang ihm, Hohe und Niedrige gegen den Sohn Gottes zu verbinden und zum Kampf aufzustellen — Römer und Juden, zivile, reli­giöse und militärische Autoritäten sowohl als auch das gewöhnliche Volk —, und er führte eine Truppe an, die von seinem eigenen Geist und Sinn erfüllt war, um Christum aus dem Lande der Lebendigen abzuschneiden. Noch einmal in der Geschichte der Welt wird er seine Macht über die Herzen sündiger Menschen beweisen, aber dann zu seinem eigenen und ach! zum ewigen Verderben seines Anhangs (Offb. 19 und 20). So war Satan auch in unserem Kapitel, obgleich verborgen, der Handelnde, indem er diese verschiedenen Völker zu ihrem bösen Tun gegen das Werk des Ueberrestes aufstachelte.
Das geht auch aus dem nächsten bemerkenswerten Punkt hervor. In dem an den König adressierten Brief sagen sie: «Es sei dem König kundgetan, dass die Juden, die von dir heraufgezogen, zu uns nach Jerusalem gekommen sind; sie bauen die aufrühre­rische und böse Stadt wieder auf, und vollenden die Mauern und bessern die Grundlagen aus» (V. 12). Diese Erklärung verrät die Sprache des «Verklägers der Brüder»; denn sie war trügerisch und von Satan eingegeben, von dem gesagt wird: «Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben.» 

Die Juden waren doch noch weit davon entfernt, die Mauern der Stadt zu vollenden und die Grundlagen auszu­bessern! Sie hatten ja noch kaum die Grundlagen des Tempels gelegt! Und beachten wir, obwohl diese «Feinde Judas und Benjamins» den Wunsch geäus-sert hatten, beim Aufbau des Tempels zu helfen, da auch sie schon lange dem Gott Israels geopfert hät­ten, so unterliessen sie in ihrer Anklage doch jede Bezugnahme auf den Tempel und sprachen nur von der Stadt. Der Grund war offensichtlich. Der Aufruf   des Kores betraf den Tempel. Wenn sie daher die Juden bezichtigten, dass sie die Stadt bauten, gaben sie dem ganzen den Anstrich von Rebellion und ver­räterischem Handeln, und aus der Antwort des Königs geht hervor, dass sie sich in der Wirkung ihrer Anklage nicht verrechnet hatten (V. 19.20).

Ein weiterer Punkt, der nicht übersehen werden darf, ist der, dass die Sünde Israels in der Vergangenheit für diese Kinder der Gefangenschaft bittere Früchte trug. Ihr letzter König, Zedekia, hatte «bei Gott ge­schworen», gegenüber Nebukadnezar treu zu sein, dann aber seinen Schwur gebrochen, sich gegen den König von Babel empört und so die Zerstörung Jeru­salems herbeigeführt, wie auch das Gericht Gottes auf sich herabgezogen (siehe 2. Chron. 36,13; Hes. 17,12—16). Die Bemerkung in der Anklageschrift, dass Jerusalem eine aufrührerische Stadt sei, war also zutreffend. Wenn der Ueberrest auch unter der Gunst und dem Schütze Gottes stand und ihnen nie­mand Böses tun konnte, solange sie auf Ihn vertrau­ten, so hatten sie doch in Seinen Regierungswegen über diese Welt unter den Folgen der Sünden ihrer Väter zu leiden. Doch hätten diese Gegner keine Macht gegen das Volk Gottes gehabt, wenn das Volk nicht selbst sein Vertrauen in Gott und den Eifer für Sein Werk verloren hätte. 

Der Apostel schrieb: «Denn eine grosse und wirkungsvolle Tür ist mir aufgetan, und der Widersacher sind viele» (1. Kor. 16, 9); aber keiner dieser Widersacher konnte sein Werk hindern, weil er mit Dem rechnete, «der da öffnet, und niemand wird schliessen». So war das Versagen also der eigenen Trägheit und dem Un­glauben des Ueberrestes zuzuschreiben; denn, wie wir schon darauf hingewiesen haben, sie unterbrachen das Werk, schon bevor das Verbot aus­gesprochen wurde. 
Die beiden Gründe, die angegeben wurden, um den König zum Einspruch zu veranlassen, waren Gefähr­dung seiner Interessen «diesseit des Stromes» und die Möglichkeit einer Verringerung seiner Einkünfte. 
Nachdem der König diese Behauptungen bezüglich des Charakters der Stadt in der Vergangenheit an Hand der Aufzeichnungen in den königlichen Archi­ven hatte nachprüfen lassen, schrieb er: «So gebet nun Befehl, diesen Männern zu wehren, damit diese Stadt nicht wieder aufgebaut werde, bis von mir Be­fehl gegeben wird. Und hütet euch, hierin einen Feh­ler zu begehen; warum sollte der Schaden wachsen, um den Königen Nachteil zu bringen? (17—22). Die Feinde hatten also einen Erfolg errungen, und so­bald sie den Brief empfangen hatten, gingen sie, mit königlicher Autorität versehen, eilends hinauf und wehrten den Juden mit Gewalt und Macht, weiter am Hause Jehovas zu bauen. 

Das Kapitel schliesst mit der Feststellung: «Damals hörte die Arbeit am Hause Gottes in Jerusalem auf, und sie unterblieb bis zum zweiten Jahre der Regie­rung des Königs Darius von Persien» (V. 24). Dieser letzte Vers ist also mit dem 5. Vers verbunden und zeigt das Ergebnis des feindlichen Widerstandes, von welchem die Verse 4 und 5 eine allgemeine Zusam­menfassung geben. Im ganzen ist es ein trauriges Kapitel — der Bericht von der Tätigkeit Satans. Der einzige Lichtblick darin ist die Treue der Führer Isra­els, in der sie sich weigerten, mit der Welt ein Bünd­nis einzugehen. 

Gott erscheint nicht in diesem Kapi­tel, und, mit menschlichen Augen betrachtet, macht es den Anschein, als ob der Feind einen völligen Sieg errungen hätte. Aber wenn sich Gott auch nicht da­zwischen stellt, so ist Er gegenüber den Geschehnis­sen doch keineswegs ein uninteressierter Zuschauer. Wie der Zustand Seines Volkes auch immer sein mag — Er bleibt treu. Obwohl Er Sein Volk jetzt gründlich prüfte, wartete Er nur den geeigneten Augenblick ab, um eine Macht zu erwecken, welcher der Feind nicht widerstehen konnte. Sie wird Seine Knechte aus ihrem Schlafe aufwecken und sie in der Verfolgung des Zieles antreiben, für das sie aus Babylon zurückgeführt worden sind.

Kapitel 5

Im vorhergehenden Kapitel sahen wir, wie das Volk durch die Tätigkeit Satans vom Werke abgehalten wurde. In den ersten beiden Versen dieses Kapitels finden wir nun den Bericht vom Eingreifen Gottes durch Seine Propheten, zugunsten Seines Volkes, um die Absichten des Feindes zunichtezumachen.
Der Leser möge sich die besondere Lage dieser aus der Gefangenschaft Zurückgekehrten in Erinnerung rufen. Obwohl durch die Gnade Gottes in ihr eige­nes Land zurückgebracht, konnten sie doch die sicht­bare Gegenwart Jehovas nicht in ihrer Mitte haben, wie in den Tagen des Königtums; denn Er hatte die Herrschaft über die Erde den Nationen übergeben. Es kam kein Feuer mehr vom Himmel, um ihre Opfer zu verzehren, und die Priester waren ohne die heiligen Urim und Thummim (Kap. 2, 63). Gott war daher für sie ausschliesslich ein Gegenstand des Glaubens, und der Gottesfürchtige hatte auszuhar­ren, indem er auf Ihn, den Unsichtbaren blickte.

Gerade in diesem Zusammenhang griff Gott ein, nicht durch einen Akt der Macht, um den Wider­sacher zu vernichten, sondern durch das Wort der Weissagung, um das Gewissen Seines Volkes zu er­reichen und ihr Vertrauen in Ihn anzufachen. So stärkte Er sie für den Kampf, den ihr Tun hervor­rufen würde, und Er sicherte ihnen zu, dass, solange
 sie auf Ihn vertrauten, selbst die äussersten Anstrengungen des Feindes vergeblich sein würden. Daraus erkennen wir die wahre Funktion eines Pro­pheten. Ein anderer hat gesagt: «Weissagung setzt voraus, dass das Volk Gottes in einem schlechten Zustande ist, auch wenn es noch als solches aner­kannt ist und Prophezeiungen an sie gerichtet wer­den. Dagegen besteht keine Notwendigkeit, einem Volk ein machtvolles Zeugnis zuzurufen, das in den Wegen des Herrn glücklich vorangeht, noch den Glauben eines geprüften Ueberrestes durch die Hoff­nung auf die unveränderliche Treue Gottes anzu­fachen, solange sich dieser in völligem Frieden der Früchte Seiner gegenwärtigen Güte erfreut, als einer Folge der Treue des Volkes. 

Der Beweis dieses ein­fachen und leicht verständlichen Grundsatzes findet sich in jedem der Propheten.» Beachten wir im weiteren, dass der Prophet als ein Mittel der Verbindung mit dem Volke Gottes erweckt wurde, als das verantwortliche Haupt oder die Häup­ter des Volkes gefehlt hatten. Als das Priestertum unter Eli versagt hatte, war Samuel das von Gott er­wählte Gefäss zur Uebermittlung Seiner Botschaften an das Volk, und sein Dienst wurde auch während der Regierung Sauls fortgesetzt, wenigstens bis David gesalbter König war. Dies erklärt den Umstand, dass die Grössten der Propheten in den dunkelsten Perio­den der Geschichte Israels auf dem Schauplatz er­schienen, wie zum Beispiel Elia und Elisa. 

Zu diesem Zeitpunkt waren Serubbabel, der Statthalter, und Jeschua, der Hohepriester, die verantwortlichen Häupter des Ueberrestes; aber sie waren den zer­mürbenden Angriffen der Widersacher erlegen und entmutigt, wie auch das Volk, und alle hatten auf­gehört, am Hause des Herrn zu bauen. Daher sandte ihnen Gott nun die Propheten Haggai und Sacharja, und diese «weissagten den Juden, die in Juda und in Jerusalem waren; im Namen des Gottes Israels weissagten sie ihnen» (V. l).
Haggai empfing seine erste Botschaft von Jehova (wie aus einer Vergleichung der Zeitpunkte ihrer bezüglichen Weissagungen hervorgeht) zwei Monate vor dem Tage, an welchem Sacharja von Gott ge­braucht wurde, und es ist als Hinweis für das Ver­sagen der Führer bemerkenswert, dass ihn Gott zu­erst zu Serubbabel und zu Jeschua sandte (siehe Hagg. 1, 1). Es ist nötig, die Botschaften der beiden Propheten in Verbindung mit Esra zu lesen; denn in diesem Buche wird der wahre Zustand des Vol­kes geschildert. 

Offensichtlich war es nicht nur die Furcht vor dem Feinde, die sie dazu führte, das Werk aufzugeben; ihre eigenen Herzen hatten die Nei­gung, es sich bequem zu machen. Sie fanden Zeit, ihre eigenen Häuser zu bauen und sagten: «Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, dass das Haus Jehovas gebaut werde» (Hagg. 1, 1—5). Ach! Wie oft kam es vor, dass das Volk Gottes, sein Bürgertum im Him­mel und seine Stellung der Pilgerschaft vergessend, ihre Anstrengungen darauf richtete, in einer Szene des Todes und des Gerichtes für sich selbst Häuser zu bauen! So wendeten sich die Kinder der Gefan­genschaft, unberührt vom Anblick des verwüsteten Hauses Jehovas, davon weg, um für sich selbst «ge­täfelte Häuser» zu errichten. Aber im Gegensatz zu ihnen war Gott gegenüber dem Zustand Seines Hau­ses nicht gleichgültig, und Er «blies» auf den Ertrag ihrer Felder, weil Sein Haus wüste lag und jeder für sein eigenes Haus «lief» (Hagg. 1. 6—9).
Haggai wurde gesandt, um auf diesen Zustand auf­merksam zu machen; und seine Worte waren mit einer solchen Energie und Kraft bekleidet, dass die  Führer und das Volk selbst innert kaum drei Wo­chen aus ihrer selbstsüchtigen Teilnahmlosigkeit er­wachten und auf die Stimme Jehovas, ihres Gottes, hörten und auf die Worte des Propheten Haggai, so wie Jehova, ihr Gott, ihn gesandt hatte; und das Volk fürchtete sich vor Jehova (vgl. Hagg. 1, 1 mit den Versen 12—15). Es scheint also, dass der erste Vers von Esra 5 das Werk der Propheten zusammenfasst, während der zweite Vers die Wirkung der ersten Botschaft Haggais beschreibt oder vielleicht auch die des prophetischen Dienstes unter dem Volke überhaupt. 

Da machten sich Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und Jeschua, der Sohn Jozadaks, auf und fingen an, das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen, und mit ihnen die Propheten Gottes, welche sie unterstützen. Diese letzte Aussage bezieht sich auf das fortwährende Wirken der Propheten wäh­rend des Fortgangs des Baues, durch welches Jehova Sein Volk ermutigte, in ihrer Arbeit anzuhalten, in­dem Er durch die Weissagungen die zukünftige Herr­lichkeit in Verbindung mit dem Kommen des Mes­sias und der Aufrichtung Seines Reiches vor ihnen entfaltete. Das Volk baute und die Propheten weis­sagten; beide füllten den ihnen bezeichneten Platz aus und widmeten sich ihrer Aufgabe in Gemein­schaft mit den Gedanken Gottes. Die Propheten rede­ten, so wie der Heilige Geist sie trieb (2. Petr. 1,21), und Jehova erweckte den Geist der Bauenden (Hag­gai 1. 14); daher arbeiteten alle in der Kraft des Gei­stes und alle standen an dem Platz, den ihnen die erhabene Gnade Gottes bezeichnet hatte.
Der Leser beachte, dass das Volk nicht auf die Er­neuerung ihres Auftrages zum Bauen seitens des Herrschers der Nationen wartete. Zweifellos waren sie jenen Mächten unterworfen, und gewiss bestand ein Dekret, das ihnen das Bauen untersagte; aber Gott selbst hatte gesprochen. Wenn sie daher dem Kaiser zu geben hatten, was des Kaisers ist, so mussten sie auch Gott geben, was Gottes ist. 

Wenn Gott zu reden sich herablässt, so haben Seine Ansprüche vor allen anderen Erwägungen den Vorrang, welche Folgen auch immer daraus entstehen mögen. Dieser Grundsatz wurde von Petrus und Johannes, den «Bauenden» späterer Tage, erkannt; als ihnen unter­sagt wurde, in dem Namen Jesu zu reden und zu lehren, antworteten sie: «Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilet ihr; denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden» (Apg. 4,19.20). Der Glaube verbindet die Seele mit Gott selbst, mit Sei­nem Willen und mit Seiner Kraft, und sie kann da­her jede andere Frage getrost Ihm überlassen. 

So gehorchten diese Kinder der Gefangenschaft der Stimme ihres Gottes und setzten ihr Werk fort, im Bewusstsein, dass Er die Herzen aller Menschen in Seiner Hand hält und dass Er — wie es im Verlauf der Ereignisse auch geschah — selbst den Widerstand der Feinde benützen kann, um das Werk an Seinem Hause zu fördern. Der Bericht über die Weise, in der Gott zeigte, dass Er über allen hochmütigen An­schlägen des Widersachers stand, ist im übrigen Teil dieses Kapitels und in Kapitel 6 enthalten. Zunächst lesen wir, was der heidnische Landpfleger und seine Genossen taten: «Und in jener Zeit kamen Tatnai, der Landpfleger diesseit des Stromes, und Schethar-Bosnai und ihre Genossen zu ihnen und sprachen zu ihnen also: Wer hat euch Befehl gegeben, dieses Haus zu bauen und diese Mauer zu vollenden? Darauf sagten wir ihnen, welches die Namen der Männer wären, die diesen Bau ausführten.»

Der Landpfleger war zweifellos in seinem Recht, wenn er diese Erkundigung einzog, und er handelte nach den Interessen seines Herrschers, da ja ein Dekret erlassen worden war, das den Wiederaufbau der Stadt — jedoch nicht des Tempels — verbot. Er konnte von keinem anderen Befehl Kenntnis haben, als von dem seines eigenen Königs. Die Kinder die­ser Welt können die Ansprüche Gottes an Sein Volk nie verstehen, und es erscheint ihnen immer als eine Torheit, wenn jemand das Missfallen eines irdischen Monarchen riskiert, um Dem zu gefallen, an den sie, die Weltkinder, selbst nicht glauben.
Auf Verlangen dieser Leute (V. 10) nannten ihnen die Juden die Namen der Verantwortlichen, die die­sen Bau ausführten, damit sie diese Uebertreter des Verbots beim König verzeigen konnten. Satan steht hinter der Szene; wann immer Gott durch Sein Volk auf der Erde handelt, arbeitet Satan sogleich ent­gegen. Das ist die Belehrung der Worte: «in jener Zeit» (V. 3). Wir lesen von keiner Verfolgung des Volkes, während der Zeit, in der sie — nach den Worten Haggais — ihre eigenen Häuser bauten und täfelten. 

Beim Wiederbeginn ihrer Arbeit am Hause Jehovas aber begegneten sie sogleich neuen Schwie­rigkeiten, ja sogar offenem Widerstand.
Das Haus Jehovas war das Zeugnis Gottes jener Tage, und das ist es, was Satan immer hasst. Wenn sich Gläubige in der Welt niederlassen, von irdi­schen Dingen erfüllt sind und «Erdbewohner» wer­den — in sittlicher Hinsicht, meine ich —, wird Satan sie in Ruhe lassen. Sobald sie aber durch den Geist Gottes dazu geführt werden, Seine Gedanken zu ver­stehen und sie in der Folge als ein lebendiges Zeugnis vorangehen, sucht der Widersacher sie durch irgendwelche Listen oder Anschläge, die ihm für sein Ziel passend erscheinen, davon abzulenken. Aber wir haben im Leben unseres Herrn selbst eine deut­liche Illustration dafür, dass Satan machtlos ist, Got­tes Volk anzugreifen, wenn es in Abhängigkeit und Gehorsam vorangeht (siehe Matth. 4).
Wenn Satan erbarmungslos ist in seiner Gegner­schaft, so ist Gott anderseits nicht gleichgültig gegen­über den Bedürfnissen und der Schwachheit Seiner Knechte, die im Kampfe stehen. Sogleich nach der neuen Anstrengung des Feindes, die Juden von ihrem Werk abzuhalten, lesen wir die Worte: «Aber das Auge ihres Gottes war über den Aeltesten der Juden, dass sie ihnen nicht wehrten, bis die Sache an Darius gelangte» (V. 5). Das Auge Gottes war auf Sein geliebtes Volk gerichtet; Er erkannte ihre Ge­fahr und sorgte dafür, dass sie in der Gegenwart des Feindes den nötigen Mut hatten; Er gab ihnen das Bewusstsein Seiner Gegenwart und Seines Schutzes und regte sie damit an, an ihrem Werke auszuharren.

 In der Tat, es ist für unsere Seelen etwas Wunder­bares, im Bewusstsein zu leben, dass das Auge Gottes über uns ist. Dies bewirkt in uns eine heilige Gottes­furcht, die uns zu furchtlosen Menschen macht und uns auch das köstliche Gefühl der überschattenden Gegenwart und des Schutzes Dessen gibt, der uns in Seiner Gnade durch unvergängliche Bande mit sich selbst verbunden hat. Ist dies für uns eine Wirklich­keit, werden wir in die siegreiche Herausforderung des Apostels einstimmen: «Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?» So werden wir befähigt, den Pfad des Dienstes in Ruhe und Frieden fortzusetzen, auch wenn wir umgeben sind von mächtigen Feinden, weil wir des allmächtigen Beistandes unseres Gottes gewiss sind. 

Es ist ein Ansporn zum Ausharren und  zur Treue.
Als nächstes wird nun die Abschrift des Briefes, den Tatnai und seine Genossen an den König Darius sandten, wiedergegeben, aus welchem nähere Ein­zelheiten ihres Besuches in Jerusalem ersichtlich sind. Eine nähere Betrachtung dieses Briefes wird für uns nützlich sein.
Sie waren von dem Werke der schwachen Juden sichtlich beeindruckt, denn sie sagten: «Es sei dem König kundgetan, dass wir in die Landschaft Juda zu dem Hause des grossen Gottes gegangen sind; und es wird mit Quadersteinen erbaut, und Balken werden in die Wände gelegt; und diese Arbeit wird eifrig betrieben, und sie gedeiht unter ihrer Hand» (V. 8). 

Im Gegensatz zu dem im fünften Kapitel er­wähnten Brief vermittelt uns dieser wenigstens einen treuen Tatsachenbericht, wenn auch beide be­zweckten, den Fortschritt des Werkes aufzuhalten. Hier gibt der Feind den Bauenden Zeugnis von ihrem Eifer und ihrem Erfolg.
Die nächsten beiden Verse 9 und 10 sind eine Wie­derholung der Verse 3 und 4 zur Information des Königs, und die Verse 11—16 enthalten die Antwort, welche die Aeltesten der Juden auf ihre Fragen er­teilt hatten. Nichts könnte einfacher und schöner sein als die Weise, in der sie ihre eigene Geschichte und die des Tempels wiedergeben, an dessen Wie­deraufbau sie arbeiteten. Gegenüber den Anläufen Satans gibt es keine wirksamere Waffe als das kühne Bekenntnis unseres wahren Charakters. Der Anfang vom Fall des Petrus, oder der erste äussere Schritt dazu, war seine Leugnung, dass er zu Jesu von Na­zareth gehörte. 

Und wie oft ist eine solche Verleug­nung seither der Vorläufer der Niederlage und der   Beschämung gewesen! Wie gut war es daher, dass diese Juden fähig waren, das offene Bekenntnis ab­zulegen, dass sie Gottes Diener waren: Dies war ein Segen für ihre eigenen Seelen und bestimmt das Er­gebnis davon, dass sie wussten, dass das Auge Gottes auf sie gerichtet war; gleichzeitig war es auch ihre völlige Rechtfertigung dafür, dass sie das Werk trotz des königlichen Dekretes wieder aufgenommen hat­ten. Im weiteren erwähnten sie auch die Ursache der Zerstörung des Hauses in vergangenen Tagen: «Unsere Väter haben den Gott des Himmels gereizt», daher «hat er sie in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, des Chaldäers, gegeben, und er hat dieses Haus zerstört und das Volk nach Babel weggeführt» (Verse 11 und 12). 

Welch eine traurige Geschichte: Salomo hatte das Haus gebaut, Nebukadnezar hat es zerstört; und die Ursache all dieses Unglücks waren die Sünden ihrer Väter! Und welche Langmut, Gnade und Barmher­zigkeit Gottes waren zwischen diese beiden Zeit­punkte eingeschlossen, aber auch welche Offen­barung des Menschenherzens, das doch unter gött­licher Pflege stand! Mit einem Wort, zwischen die­sen beiden Zeitepochen steht die Geschichte des Rei­ches unter der Verantwortlichkeit des Menschen. Unter Salomo, dem Fürsten des Friedens, wurde es in Herrlichkeit und Glanz aufgerichtet — (David war wohl der erste König nach dem Herzen Gottes, aber es war der Bau des Tempels, der die Einsetzung des Königtums kennzeichnete) — und zerstört unter der Regierung des schwachen und bösen Zedekia (siehe 2. Chron. 36, 11-21). 
Ferner erklärten die Juden, dass das Werk, mit wel­chem sie sich befassten, das Ergebnis eines Dekretes von Kores sei. Um dies zu beweisen, berichteten sie.

 wie die zum Tempel gehörenden goldenen und silbernen Gefässe, die Nebukadnezar herausgenommen hatte, wieder ihrer Obhut übergeben worden seien (Verse 13—15). Schliesslich fügten sie hinzu: «Da kam dieser Sesbazar und legte den Grund des Hau­ses Gottes, das in Jerusalem ist; und von da an bis jetzt wird daran gebaut, es ist aber noch nicht voll­endet» (V. 16).
Diese Auskunft der Juden war richtig, und so waren sie völlig gerechtfertigt, sogar nach menschlichen Begriffen; denn es war ein wohlbekanntes Merkmal der Gesetze der Meder und Perser — und Kores war König von Persien —, dass sie nicht abgeändert wer­den durften (Dan. 6). Ihre Gegner waren im Irrtum, weil sie die Gesetze nicht kannten.
Der jetzt abgesandte Brief schloss mit der Bitte: «Und nun, wenn es den König gutdünkt, so werde nachgesucht in dem Schatzhause des Königs, wel­ches dort zu Babel ist, ob es so sei, dass vom König Kores Befehl gegeben worden ist, dieses Haus Gottes in Jerusalem zu bauen; und der König sende uns seinen Willen hierüber zu» (V. 17).

Kapitel 6

Der auf diese Weise angerufene König veranlasste eine entsprechende Untersuchung, und das Dekret des Kores fand sich tatsächlich vor (V. 1—5). Die Erklärung der Juden wurde dadurch in jeder Einzel­heit bestätigt; ja mehr noch: nun stellte sich auch heraus, dass Kores nicht nur ein Dekret zum Wieder­aufbau des Tempels erlassen, sondern auch befohlen hatte, dass die Kosten aus dem Hause des Königs bestritten und die heiligen Gefässe, welche Nebukad­nezar weggenommen hatte, zurückgegeben werden sollten.

Auf Grund dieses Dekretes befahl Darius dem Tatnai, Schethar-Bosnai und ihren Genossen, die Juden nicht mehr zu belästigen und deren Werk in Frieden fortführen zu lassen. Für den Glauben war dies ein Beweis vom Wirken Gottes hinter der Szene. Er benützte die Macht des Feindes zur Ausführung Seiner eigenen Ziele, indem Er dabei einmal mehr zeigte, wie Er alle Dinge zum Guten derer mit­wirken lässt, die Ihn lieben. Denn als Folge der Ein­mischung ihrer Widersacher bestätigte Darius nicht nur das Dekret Kores', sondern er erliess auch ein weiteres, dass alle Kosten für den Bau des Hauses Gottes aus dem Einkommen des Königs erstattet werden sollten.
 Er sagte: «Und von mir wird Befehl gegeben wegen dessen, was ihr diesen Aeltesten der Juden für den Bau dieses Hauses Gottes tun sollt; nämlich, von den Gütern des Königs, aus der Steuer jenseits des Stromes, sollen diesen Männern die Kosten pünktlich gegeben werden, damit sie nicht gehindert seien. Und was nötig ist, sowohl junge Stiere, als auch Widder und Lämmer zu Brandopfern für den Gott des Himmels, Weizen, Salz, Wein und Oel, soll ihnen nach dem Geheiss der Priester, die in Je­rusalem sind, Tag für Tag unfehlbar gegeben wer­den, damit sie dem Gott des Himmels Opfer lieb­lichen Geruchs darbringen und für das Leben des Königs und seiner Söhne beten» (V. 8—10).
«Wenn eines Mannes Wege Jehova Wohlgefallen, so lässt er selbst seine Feinde mit ihm in Frieden sein» (Spr. 16, 7); wenn er also auf dem Pfade des Willens Gottes wandelt, so kann er seine Feinde ge­trost den Händen des Herrn überlassen. Diese Ael­testen der Juden hatten jetzt eine Lektion gelernt, die im Worte Gottes oft gelehrt wird und die Sein Volk jederzeit so nötig hat: dass derer, die bei uns sind, mehr sind als derer, die bei ihnen sind (2. Kön. 6,16).
So war also Gott selbst der Schild Seines Volkes, als sie in Seinem Dienste standen; und so lange sie Seinem Worte gehorsam waren und sich auf Seine Kraft und Seinen Schutz stützten, konnten sie nicht daran gehindert werden.

 In dieser Weise hatte sich also Satan wieder einmal selbst überlistet und trug wider Willen zur Förderung des Werkes bei, das er hasste, gerade so wie der Apostel es Jahrhunderte später auch erfuhr: «Ich will aber, dass ihr wisset, Brüder, dass meine Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind» (Phil. 1. 12). 

Als es  Satan gelang, Paulus ins Gefängnis einzuschliessen, meinte er, einen Sieg errungen zu haben, gerade so wie auch im bemerkenswertesten Fall von allen, als er die Juden dazu trieb, die Kreuzigung ihres Mes­sias zu fordern. Aber beide Male war sein scheinbarer Erfolg eine völlige Niederlage. Trotz allen Widerstan­des und aller Verfolgung, die sich erheben mögen, können wir ruhig und in mutigem Ausharren vor­angehen, weil es des Herrn Werk ist, mit dem wir beschäftigt sind, und Er gesagt hat: «Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeit­alters.»
Darius ging noch weiter. Er fügte hinzu: «Und von mir wird Befehl gegeben: Welcher Mensch diesen Erlass abändern wird, von dessen Hause soll ein Balken ausgerissen und er, aufgehängt, daran ge­schlagen werden; und sein Haus soll dieserhalb zu einer Kotstätte gemacht werden. Der Gott aber, der seinen Namen daselbst wohnen lässt, stürze jeden König und jedes Volk nieder, die ihre Hand aus­strecken werden, diesen Erlass abzuändern, um dieses Haus Gottes zu zerstören, das in Jerusalem ist! Ich, Darius, habe den Befehl gegeben; pünktlich soll er vollzogen werden!» (V. 11,12). 

So umgab der König die Juden mit seiner Autorität und bewahrte sie vor weiterer Belästigung dadurch, dass er die Todesstrafe über die Behinderung ihres Werkes ver­hängte. Und auf Grund der Worte, die er brauchte, kann schwerlich bezweifelt werden, dass Darius selbst einige Erkenntnis des «Gottes des Himmels» besass; denn er redete von Ihm als Dem, «der seinen Namen daselbst wohnen lässt». Wie dem auch im­mer sein mag, Gott neigte sein Herz zugunsten Sei­nes Volkes und des Wiederaufbauwerkes Seines Hauses.
 Das Dekret hatte eine sofortige Auswirkung; denn wir lesen, dass Tatnai und seine Genossen «pünktlich taten», was der König Darius entboten hatte. Fortan unterblieb aller Widerstand, und die Feinde des Werkes verschwanden vom Schauplatz. 

Nicht nur das, Gott hatte in Seiner Fürsorge für Sein Volk und als Antwort auf ihren Glauben ihnen auch das Herz des Königs zugewendet, sodass nun dessen königliche Macht ihr Schutz und Schirm wurde. So lesen wir:
«Und die Aeltesten der Juden bauten; und es gelang ihnen durch die Weissagung Haggais, des Propheten, und Sacharjas, des Sohnes Iddos; und sie bauten und vollendeten nach dem Befehle des Gottes Israels, und nach dem Befehle Kores' und Darius' und Artasa­stas', des Königs von Persien. Und dieses Haus wurde beendet bis zum dritten Tage des Monats Adar, das ist das sechste Jahr der Regierung des Königs Darius» (V. 14. 15).
Bevor wir auf die Einzelheiten dieses Berichtes nä­her eingehen, möchten wir dem Leser eine auffal­lende Parallele aus der Geschichte vom Bau des Hauses Gottes im Neuen Testament in Erinnerung rufen. Im Zusammenhang mit dem Tode des Stepha­nus entstand «eine grosse Verfolgung wider die Ver­sammlung, die in Jerusalem war; und alle wurden in die Landschaften von Judäa und Samaria zerstreut, ausgenommen die Apostel».

Bald darauf, bei dem Besuche des Paulus in Jerusalem, nach seiner Be­kehrung (wir sagen nach seiner Bekehrung, doch waren schon verschiedene Jahre seither verstrichen - siehe Galater l — aber wir reden entsprechend der Reihenfolge des Berichtes), erhob sich nochmals der Widerstand; die Hellenisten suchten ihn umzu­bringen und die Brüder sandten Paulus nach Tarsus hinweg (Apg. 9,29. 30). Dann folgt die Feststellung: «So hatten denn die Versammlungen durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurden erbaut und wandelten in der Furcht des Herrn und wurden vermehrt durch den Trost des Heiligen Geistes» (Apg. 9, 31). Gott hatte ihnen vor den Verfolgern Ruhe gegeben, und durch die Gnade benützten sie die Gelegenheit, um sich in ihrem allerheiligsten Glauben aufzuerbauen. 

So war es auch hier mit den Vätern der Juden. Sie bauten und wurden ermutigt durch den Trost des Heiligen Geistes, so wie er ihnen durch den Dienst der Propheten vermittelt wurde. 
Es ist wichtig, die Klasse der Bauenden und die der Propheten auseinanderzuhalten. Wie schon in Ver­bindung mit Haggai erwähnt, können diese beiden Arten des Dienstes nicht vermischt werden. Der Bauende kann sich nicht die Funktionen eines Pro­pheten anmassen, noch darf ein Prophet seinen Pro­phetenmantel mit der Maurerkelle des Bauenden vertauschen. So sagt auch der Apostel: «Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns ver­liehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Masse des Glaubens; es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst; es sei, der da lehrt, in der Lehre» (Röm. 12,6. 7). 

Das Werk des Bauenden besteht darin, Steine auf die Grundlage zu legen; er wird von Gott gebraucht, um durch Predi­gen oder Lehren Seelen zu sammeln und sie als lebendige Steine zu der Grundlage zu bringen, die Jesus Christus ist (siehe 1. Korinther 12). Der Prophet hingegen ist einer, der das Volk durch die Mitteilung der Gedanken Gottes in seinem Werke anspornt und der auch alles anhand Seines Wortes prüft. Ein Prophet versetzt das Gewissen in die Gegenwart Gottes, hält somit das Verantwortungsbewusstsein  aufrecht, dient zur Führung, tadelt oder ermahnt entsprechend dem Erfordernis des Augenblicks und redet so, wie er vom Heiligen Geiste getrieben wird — heute natürlich durch das geschriebene Wort, aber geleitet durch den Geist zu dem für den Fall geeigneten Wort.

So arbeiteten die Aeltesten Israels, die Propheten aber weissagten. Auch wird hier vermerkt: «Es ge­lang ihnen durch die Weissagung Haggais» etc. Der Grund ist offensichtlich. Der Heilige Geist wirkte in Kraft, zuerst durch die Propheten, dann aber da­durch, dass Er in den Herzen der Bauenden eine Antwort auf das durch die Propheten geredete Wort Gottes hervorrief. Durch die ganze Geschichte des Volkes hindurch lasst sich feststellen, dass die Na­tion Gedeihen hatte, wenn sie auf die Stimmen ihrer Propheten achteten; anderseits aber auch, dass ihnen aus der Missachtung dieser vom Himmel gesandten Ermahnungen und Warnungen jedesmal schlimme Folgen erwuchsen.
In der Kirche Gottes ist es nicht anders. Wenn im­mer die «Bauenden» auf die Propheten achten, welche die Gedanken Gottes so entfalten und an­wenden, wie sie in Seinem Worte kundgemacht werden, gedeiht ihr Werk; es ist dauerhaft, und sie selbst werden gesegnet. Aber wenn sie gleichgültig sind gegenüber der göttlichen Führung und Ermah­nung und nach ihren eigenen Gedanken arbeiten, dann verderben sie das Werk nur, mit dem sie sich beschäftigen und führen Holz, Heu, Stroh ins Haus ein, anstatt Gold, Silber und kostbare Steine. 

Ihr Werk mag in menschlichen Augen grösser und er­folgreicher erscheinen, aber die Prüfung des kommenden Tages steht noch aus, und der Herr allein kann beurteilen, was wahrer Erfolg des Dienstes ist. 
Nun gab es keine weitere Unterbrechung mehr, denn sie setzten das Werk bis zum Ende fort. Der Geist Gottes bemerkt sorgfältig, dass es vollendet wurde «nach dem Befehle des Gottes Israels und nach dem Befehle Kores' und Darius' und Artasastas', des Kö­nigs von Persien».

Alles wurde somit in Gehorsam gegenüber Gott getan und auf Grund der Erlaubnis der irdischen Mächte, denen sie durch Gottes Ver­ordnung unterworfen waren. Gesegnetes Vorrecht dieser Arbeiter, so zu wirken, und keine geringe Ehre, können wir hinzufügen, für diese heidnischen Monarchen, so mit den Absichten Gottes verbunden zu sein und zu deren Ausführung gebraucht zu werden! Ohne Zweifel - und diese Lektion darf nicht übersehen werden — werden die Namen dieser Könige auch aufgeführt, um den Wert zu zeigen, den Gott dem Grundsatz des Gehorsams gegenüber der eingesetzten Autorität beimisst. 
Nur dann überschreiten diese eingesetzten weltlichen Mächte die Grenzen ihrer Befugnisse, wenn sie mit ihren Forderungen in das Gebiet eindringen, wo Got­tes Ansprüche allein Gültigkeit haben. Im Augen­blick, wo menschliche Autorität mit den Ansprü­chen Gottes über die Seele zusammenstossen, wird sie null und nichtig. 

Mit dieser Ausnahme (Apg. 4,19) hat der Gläubige sich immer den von Gott verord­neten Mächten zu unterziehen (Röm. 13). 
Nun wird das Datum genannt, an welchem das Haus vollendet wurde: am dritten Tage des Monats Adar, im sechsten Jahre der Regierung des Königs Darius. Sie waren somit vier Jahre mit dem Wiederaufbau des Tempels beschäftigt gewesen (Kap. 4,24). Wie­ viele Jahre seit der Grundlegung verflossen waren,   kann hingegen nicht genau festgestellt werden, da die Dauer der Regierung der Könige zwischen Kores und Darius nicht angegeben wird. Es mochten kaum weniger, vielleicht sogar mehr als zwanzig Jahre sein.

 Mit welcher Langmut und Geduld hatte Gott das Zukurzkommen Seines Volkes ertragen! Nach­dem nun Sein Ziel erreicht und das Haus gebaut ist, lenkt Er unsere Aufmerksamkeit mit Freuden auf die Arbeit Seines Volkes! Wenn auch alles durch Seine Gnade zustandegekommen ist, so rechnet Er in der­selben Gnade doch Seinem Volke an, was Er selbst gewirkt hat. So war es von jeher, und so wird es auch immer sein, wie der Richterstuhl es deutlich kundmachen wird. Denn wenn welche von uns für das Gute, das sie in dem Leibe getan haben, Beloh­nung empfangen, so werden sie zum Preise Gottes gerne bekennen, dass Er selbst die Quelle und die Kraft aller guten Werke war, die Er ihnen zu tun gab.
Nach der Feststellung, dass das Haus Jehovas voll­endet ist, folgt als nächstes der Bericht über dessen Einweihung.
«Und die Kinder Israel, die Priester und die Leviten und die übrigen Kinder der Wegführung, feierten die Einweihung dieses Hauses Gottes mit Freuden. Und sie brachten dar zur Einweihung dieses Hauses Got­tes hundert Stiere, zweihundert Widder, vierhundert Lämmer; und zum Sündopfer für ganz Israel zwölf Ziegenböcke, nach der Zahl der Stämme Israels. Und sie stellten die Priester in ihre Klassen und die Levi­ten in ihre Abteilungen zum Dienste Gottes in Jeru­salem, nach der Vorschrift des Buches Moses» (Verse 16-18).

 Es war nur natürlich, dass sie sich jetzt freuten, denn das Haus ihres Gottes war doch der Ausdruck aller Segnungen des Bundes, in welchem sie stan­den. Endlich, nach ermüdenden Jahren der Arbeit, der Schwachheit, der Schwierigkeiten, der Enttäu­schungen und der Leiden, stand es vor ihren Augen vollendet da. Zu diesem Zweck waren sie aus Babel herausgeführt worden, und wenn etliche von ihnen mit Tränen gesät hatten, so konnten sie nun mit Freuden ernten. Aber ihre eigene Schwachheit und die Armut ihrer Umstände kann aus dem Gegensatz dieser Einweihung mit der des Tempels Salomos er­messen werden. 

Damals opferte der König zweiund-zwanzigtausend Rinder und hundertundzwanzigtau-send Schafe, nebst dem Klein- und Rindvieh, das vor der Lade geopfert wurde, welches nicht gerech­net und nicht gezählt werden konnte vor Menge (2. Chron. 7,5; 5,6). Hätten sie es von dieser Seite angesehen, wäre ihre Freude, wie bei der Grund­legung, wohl auch von Klagen und Tränen begleitet gewesen. Der Glaube hingegen hat es mit unsicht­baren Dingen zu tun, und er konnte dem Geiste die­ses schwachen Ueberrestes in Erinnerung rufen, dass Jehova für sie nicht weniger mächtig und nicht weniger gnädig war als für Salomo.

Das Haus mochte weniger herrlich und sie selbst nur arme Untertanen eines heidnischen Monarchen sein; doch weil Gott für sie war, waren die für den Glauben zugänglichen Hilfsquellen wie eh und je überströmend. Auch uns kann sich die Wahrheit nicht zu tief in den Sinn einprägen, dass Christus für Sein Volk an einem Tage der Schwierigkeit Derselbe bleibt wie in einer Zeit der Wohlfahrt. In der Kraft dieser Tatsache zu leben erhebt uns über die Um­stände, wie nichts anderes sonst, und gibt uns Mut, voranzueilen, wie gross auch die Gefahren des Weges sein mögen.

Bei diesen Kindern der Gefangenschaft war der Glaube wirklich tätig: sie opferten ein Sündopfer für ganz Israel. Obwohl nicht ganz Israel gegenwärtig war — nur Vertreter von zwei oder drei Stämmen — standen diese wenigen vor Gott auf dem Boden der Nation. Sie verstanden dies und schlössen somit alle Stämme Israels in ihr Sündopfer ein. — Dies ist auch eine bedeutsame Lektion für den in diesen letzten Tagen zum Namen des Herrn Jesu Christi versam­melten Ueberrest. Es mögen nur ihrer wenige sein, die dazu noch arm und schwach sind; aber wenn sie die Wahrheit ihrer Stellung erfassen, werden sie alle Glieder des einen Leibes in ihre Herzen und ihre Gebete einschliessen.

 Sie werden im Geiste den Bo­den einnehmen, auf welchen sie «mit allen Heili­gen» gestellt worden sind, sonst werden sie zu den vielen Sekten, die die Kirche schon zertrennen, nur noch eine andere hinzufügen. Ist der Glaube leben­dig, so ist es nicht schwierig, diesen Standpunkt ein­zunehmen; denn der Glaube, der sich einerseits mit Gott verbindet, weiss sich anderseits auch eins mit Seinem ganzen Volke.
Der Ueberrest war in diesem Augenblick auch durch Gehorsam gekennzeichnet. Sie regelten den Dienst des Hauses Gottes durch die Priester und Leviten «nach der Vorschrift des Buches Moses». — Der Pfad des Gehorsams, sei es für den Einzelnen, sei es für die Versammlung, ist der alleinige Pfad des Segens. - Jetzt, nachdem das Haus Gottes gerade vollendet worden war, wäre es ihnen töricht erschienen, wenn der Mensch seine eigenen Gedanken in den Dienst des Hauses Gottes eingeführt hätte. 

Sie begehrten nur zu erkennen, was Gott gesagt, was Er angeordnet hatte. — So war es auch, als am Pfingsttage das Haus Gottes aus lebendigen Steinen gebaut wurde, und so war es wiederum, als Gott in Seiner Gnade am Anfang des vergangenen Jahrhunderts das Wie­deraufleben der Wahrheit bezüglich der Versammlung bewirkte. Aber was sich nach dem Hinschied der Apostel ereignete, geschieht auch jetzt wieder: Das Wort Gottes, das der alleinige Regulator Seines Hau­ses sein soll, wird oft durch den Menschen ersetzt, der nach seinem eigenen Belieben und nach seiner eigenen Weisheit Anordnungen trifft. Auch der jüdi­sche Ueberrest verfiel dieser Gefahr, wie aus dem letzten Kapitel des Buches Esra hervorgeht. 

Keine Gefahr ist heimtückischer als die des allmäh­lichen Einschleichens menschlicher Gedanken und Anordnungen als Ersatz für die Weisungen des Wor­tes Gottes. Wenn auch nicht beabsichtigt, so ist dies doch eine Verdrängung des Herrn von Seinem Platze der Oberhoheit über Sein Volk. Nie war es nötiger als jetzt, sich der Worte unseres auferstandenen Herrn zu erinnern: «Wer ein Ohr hat höre, was der Geist den Versammlungen sagt!» 
Auf die Einweihung des Hauses folgte nach einer kurzen Zwischenzeit die Feier des Passahs: «Und die Kinder der Wegführung feierten das Passah am vier­zehnten Tage des ersten Monats. Denn die Priester und die Leviten hatten sich gereinigt wie ein Mann; sie waren alle rein. Und sie schlachteten das Passah für alle Kinder der Wegführung und für ihre Brü­der, die Priester, und für sich selbst. 

Und die Kinder Israel, welche aus der Wegführung zurückgekehrt waren, und ein jeder, der sich von der Unreinigkeit der Nationen des Landes zu ihnen abgesondert hatte, um Jehova, den Gott Israels, zu suchen, assen das Passah. Und sie feierten das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage mit Freuden; denn Jehova hatte ihnen Freude gegeben und ihnen das Herz des Kö­nigs von Assyrien zugewandt, so dass er ihre Hände stärkte in dem Werke des Hauses Gottes, des Gottes Israels» (V. 19-22).

Die Verbindung ist ausserordentlich schön. Nach­dem nun das Haus ihres Gottes vollendet war, feierte das Volk das Gedächtnis seiner Erlösung aus dem Lande Aegypten, und gedachte zum Preise Jehovas des Bodens, auf dem sie standen, und der Tatsache, daß das Blut des geschlachteten Lammes die Grund­lage aller ihrer Segnungen, aller Taten der Gnade Gottes für sie war. Das Passah war, nach den Wor­ten Moses, «eine Nacht, die dem Jehova zu beobach­ten ist, weil er sie aus dem Lande Aegypten heraus­führte; diese selbige Nacht ist dem Jehova zu beob­achten von allen Kindern Israel bei ihren Geschlechtern» (2. Mose 12,42). 

Nichts hätte besser zeigen kön­nen, dass die Kinder der Gefangenschaft in diesem Augenblick in Uebereinstimmung mit den Gedanken des Herrn waren, als ihre Beobachtung des Passahs. Sie gingen in Gedanken durch die Jahrhunderte zu­rück, an den Herrlichkeiten des Königtums vorbei, bis sie die Grundlage alles dessen erreichten, was sie besassen, sowohl in Wirklichkeit als auch bezüglich der Zukunft, und an diesem Punkt bekannten sie Gott als den Gott ihres Heils. Sie bauten somit auf das, was Gott auf Grund des Blutes des Passahlam­mes für sie war, und fanden darin, was auch die ein­zelnen Seelen darin finden, einen unveränderlichen und unbeweglichen Felsen.

 Ihr Herz war an diesem Fest beteiligt, «denn», so lesen wir, «die Priester und Leviten hatten sich gereinigt wie ein Mann; sie waren alle rein». (Vgl. 4. Mose 9,10—14). Sie hatten  erfasst, was sich Dem gegenüber geziemte, Dessen Fest sie feierten. 
Ausser ihnen waren da noch andere, die sich mit ihnen dieser Vorschrift unterzogen, solche, die «sich von der Unreinigkeit der Nationen des Landes zu ihnen abgesondert hatten, um Jehova, den Gott Is­raels, zu suchen». 

Ob es sich hierbei um die weni­gen Israeliten handelte, die im Lande zurückgelas­sen worden waren, als ihre Brüder einst gefangen weggeführt wurden, oder ob es solche von den Na­tionen waren, wird nicht erwähnt. In 2. Mose 12,44 wird gesagt: «Kein Fremdling soll davon essen.» Doch wird hinzugefügt: «Wenn ein Fremdling bei dir weilt und das Passah dem Jehova feiern will, so werde alles Männliche bei ihm beschnitten, und dann komme er herzu, um es zu feiern» (V. 48, siehe auch 4. Mose 9,14). Vermutlich waren es daher «Fremdlinge»3, und wenn dem so war, so hatten sie sich den Kindern der Gefangenschaft deshalb ange­schlossen, weil sie sich von der göttlichen Kraft, die sich in der Trennung vom Bösen bei ihnen kundgab, angezogen fühlten. 

Ach! Wir lesen nicht, dass wei­tere in dieser Weise angezogen wurden; vielmehr neigten sich die Kinder Israel wieder zu den Heiden. So ist es immer mit dem Volke Gottes. Wenn der Geist Gottes in ihrer Mitte wirkt und sie, als eine Folge davon, in gewissem Masse gemäss ihrer Beru­fung wandeln, so wird es manche geben, die, ange­zogen von dem, was sie sehen, ihre Gesellschaft und Gemeinschaft suchen. Wenn aber anderseits Leben und Kraft schwinden und Gleichgültigkeit und Kälte zutage treten, so ist die Welt die anziehende und  nicht die Kirche. So übt also jede Bewegung in der Versammlung Gottes am Anfang einen grossen Einfluss aus, weil dann die Entfaltung der Kraft des Geistes offensichtlicher ist.
Nach dem Passah feierten sie, entsprechend dem Worte Gottes, sieben Tage lang mit Freuden das Fest der ungesäuerten Brote (siehe 2. Mose 13). Dieses Fest folgte unmittelbar auf das Passah; seine beson­dere Bedeutung ist davon abgeleitet.

 Der Apostel hat es uns erklärt. Er sagt: «Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet. Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit ungesäuertem Brote der Lauterkeit und Wahr­heit» (1. Kor. 5, 7.8). Das will sagen: Sobald wir er­löst sind, erwartet und wünscht Gott von uns, dass wir durch ein heiliges Leben Seinen Anforderungen entsprechen, in der Trennung vom Bösen und der Absonderung zu Ihm hin. Das Fest dauerte sieben Tage, also einen vollkommenen Zeitabschnitt lang, der im Vorbild den Zeitabschnitt unseres ganzen Lebens darstellt. 

«Ihr seid nicht euer selbst, denn ihr seid um einen Preis erkauft.» Das ist, wenn auch die Worte ändern, der unveränderliche Grundton, der uns immer wieder dieselbe Lektion lehrt: «Seid heilig, denn ich bin heilig.» Sauerteig soll in unse­ren Wohnungen nicht gefunden werden; wir sollen das Fest allezeit mit ungesäuertem Brot der Lauter­keit und Wahrheit feiern. Diese beiden Dinge sollten auch nie von der Lehre getrennt werden: Wenn uns in der Erlösung überströmende Gnade zu­teil wurde, so soll diese Gnade auch in den Herzen der Erlösten wirken;  wenn uns Gott aus der Welt herausruft, so sollten wir nicht dahin zurückkehren und unser Heim wie­der in der Welt suchen; wenn wir durch Gnade in dem kostbaren Blute Chri­sti gewaschen sind, so sollen wir darauf achten, dass wir unsere Kleider unbesudelt erhalten. 

Ist also das Gedächtnis unserer Erlösung kostbar für uns, lieben wir es, um den Tisch des Herrn versam­melt zu sein, angesichts der Symbole Seines Leibes und Seines Blutes, so lasst uns auch mit Freuden das Fest der ungesäuerten Brote feiern, zum Zeugnis für Den, der uns erlöst hat, und zur Verherrlichung Sei­nes Namens.
Das war eine Zeit der Freude für diesen armen Ueberrest; denn der Segen Gottes ruhte auf ihm, und das Herz des heidnischen Königs war ihnen zu­gewandt. Für eine Weile waren die Wolken ver­schwunden, und sie konnten im Sonnenschein himmlischer und irdischer Gunst stehen. Hier schliesst der erste Teil dieses Buches; die ver­bleibenden vier Kapitel beschäftigen sich mit dem Auftrag und dem Werk Esras.

Kapitel 7

Wir kommen nun zum zweiten Teil dieses Buches. Im ersten Teil wurden uns die Rückkehr des Volkes von Babylon und der Bau des Tempels erzählt; im zweiten hingegen haben wir die persönliche Aufgabe und das Werk Esras. Auch da sollten wir wieder beachten, dass die Zeichen der Uebergabe der Re­gierungsgewalt auf der Erde — von den Juden zu den Nationen — überall sichtbar sind. So wird er­wähnt, dass die Mission Esras «unter der Regierung Artasastas, des Königs von Persien» begonnen habe. 

In der Tat, der Auftrag des Königs zum Werke Esras wird in den Versen 11—26 ausführlich beschrieben, als Beweis, dass das Volk Gottes in diesem Zeitpunkt unter der Herrschaft der Nationen stand, und dass Gott jederzeit die Gewalten anerkennt, die ihre Quelle in Seinen eigenen erhabenen Ratschlüssen haben.
Es mag dem Leser eine Hilfe sein, wenn wir den Aufbau des siebenten und achten Kapitels zuerst kurz skizzieren. Nach Esras Geschlechtsregister (Kap. 7,1—5) folgt eine kurze Zusammenfassung von der Erlaubnis des Königs für ihn, nach Jerusalem hinauf­zuziehen, von seiner Reise dorthin und vom Gegen­stand seiner Mission (V. 6—10). Dann folgt der Brief des Königs, worin er Esra Vollmacht zum Handeln gibt und die nötige Unterstützung für die Ausfüh­rung seines Werkes anordnet (V. 11—26). Dieses Ka­pitel schliesst mit Esras Lobpreisung Gottes, der das Herz des Königs dem Tempel Jehovas zugeneigt und ihm vor dem König Güte zugewandt habe (V. 27 und 28).

In Kapitel 8,1-14 folgt das Verzeichnis derer, die von der königlichen Erlaubnis, mit Esra aus Babel heraufzuziehen, freiwillig Gebrauch mach­ten. Als sich diese alle bei dem Fluss versammelten, der nach Ahawa fliesst, stellte Esra fest, dass sich keiner der Söhne Levis unter ihnen befand und er­griff Massnahmen, um «Diener für das Haus Gottes» zu bekommen (V. 15—20). Nachdem so alles vorbe­reitet war, folgten zwei Dinge: Zuerst Fasten und Flehen vor Gott (V. 21—23) und dann Aussonderung von zwölf Obersten der Priester, welche die Ver­antwortung für das Silber, das Gold und die Geräte übernehmen sollten, die «für das Haus unseres Got­tes» geschenkt worden waren (V. 24—30). Schliess-lich wird die Reise und die Ankunft in Jerusalem beschrieben, wie auch die notwendigen Vorberei­tungen zum Beginn des Werkes Esras (V. 31—36).
Aus all diesem geht hervor, dass die Kapitel 7 und 8 zusammen gelesen werden sollten, da sie eine fort­laufende Erzählung darstellen, von welcher Kapitel 7, 1—10 die Einleitung bildet.
Das Geschlechtsregister Esras wird bis auf Aaron zurückgeführt (Kap. 7,1—5). Er war daher einer, der auf alle Rechte und Vorrechte des Priestertums An­spruch hatte (siehe im Gegensatz dazu Kap. 2,62). Zudem war er ein kundiger Schriftgelehrter im Gesetz Moses und somit befähigt, das Volk in den Satzun­gen Jehovas zu unterweisen. (Siehe 3. Mose 10, 8—11; Mal. 2, 4—7). Priester wurde er durch Geburt und Weihe, aber «ein kundiger Schriftgelehrter in dem Gesetz Moses, welches Jehova, der Gott Israels, ge-  geben hatte», konnte er nur durch persönliches Er­forschen des Wortes werden.

 Selbst bei den Juden konnte das geerbte Amt nicht die Eigenschaften hervorbringen, die zu dessen Ausübung erforderlich waren; diese konnten nur durch persönlichen Um­gang mit Gott auf Grund der Schriften kommen; denn während der Priester kraft seiner Hingabe durch die Gnade befähigt war, vor Gott zu dienen, konnte er dies nur dann in einer Ihm wohlgefälligen Weise tun, wenn es in Gehorsam gegenüber dem Worte geschah, und es war ihm unmöglich zu leh­ren, wenn er nicht selbst mit den Gedanken Gottes vertraut war. Die Vernachlässigung dieses zweiten Teiles ihres Amtes war es, die zum Niedergang und zum Ruin des Priestertums führte; in den Tagen Josias war das Wort Gottes so völlig vergessen, dass das Auffinden einer Abschrift des Gesetzes zu einem Wendepunkt in seiner Regierung wurde.

Es ist daher umso erfreulicher — wie das Entdecken einer schönen Blume inmitten einer sandigen Wüste — in Esra einen Mann zu finden, der an seiner prie­sterlichen Abkunft festhielt und gleichzeitig seine Freude und Kraft im Gesetz seines Gottes fand. Im zehnten Verse wird das Geheimnis seiner grossen Erkenntnis gezeigt: Er «hatte sein Herz darauf ge­richtet, das Gesetz Jehovas zu erforschen und zu tun». Möge der Leser über diese bedeutungsvolle Feststellung nachsinnen: «er hatte sein Herz darauf gerichtet». So betete auch der Apostel für die Heili­gen in Ephesus, dass sie an den Augen ihres Herzens erleuchtet sein und wissen möchten, welches die Hoffnung ihrer Berufung ist (Kap. 1. 18). 

Ja, dem Herzen werden die Offenbarungen Gottes gegeben, so wie sich der auferstandene Herr der Maria Magdalena am Grabe offenbarte und nicht so sehr dem Verständnis Seiner Jünger. Wir können diese Wahr­heit nicht zu sehr betonen. Zubereitung des Herzens (und auch diese kommt vom Herrn) ist von grosser Bedeutung, sowohl für das Wortstudium, für das Gebet wie auch für den Dienst der Anbetung. (Siehe 1. Kor. 8,1-3; Hebr. 10, 22; 1. Joh. 3,20-23.) Da ist noch etwas anderes. Wenn Esra sein Herz dar­auf richtete, das Gesetz Jehovas zu erforschen, so vor allem deshalb, weil er es tun wollte. Er las es nicht, um seine Erkenntnis zu vergössem und seinen Ruf als Lehrer zu befestigen, sondern damit sein Herz, sein Leben und seine Wege dadurch gebildet werden und sein eigener Wandel die Darstellung der Wahr­heit und dadurch dem Herrn wohlgefällig sein möchte. Dann erst folgte das Lehren: «Und in Israel Satzung und Recht zu lehren.» 

Diese Reihenfolge kann nie ungestraft missachtet werden; denn wo die Lehre nicht aus einem Herzen fliesst, das selbst der Wahrheit unterworfen ist, wird sie nicht nur kraftlos sein, andere zu beeinflussen, sondern dies wird auch das Herz des Lehrers selbst verhärten. Dies ist ein Grund für so manches Versagen in der Kirche Gottes. Die Gläubigen sind immer wieder erstaunt über das plötzliche Abweichen von der Wahrheit oder gar über den Fall solcher, die den Platz von Lehrern eingenommen haben; aber immer, wenn der Diener den Zustand seines Herzens übersieht und die Wirk­samkeit des Verstandes in göttlichen Dingen über­betont, ist seine Seele einer der gefährlichsten Ver­suchungen Satans ausgesetzt. Ein wahrer Lehrer sollte in seinem Masse wie Paulus auf sein eigenes Beispiel hinweisen können, so wie der Apostel zu den Thessalonichern sagte: «Ihr seid Zeugen und Gott, wie göttlich und gerecht und untadelig wir gegen euch, die Glaubenden, waren» (1. Thess, 1. 10;  siehe auch Apg. 20 und Phil. 3). 

Ferner ist es offensichtlich, dass Esra in Gemein­schaft mit Gott war hinsichtlich Seiner Gedanken über Sein Volk. Sein Herz war mit ihnen, denn wir lesen, dass er beim König Erlaubnis einholte, nach Jerusalem hinaufzuziehen, und dass ihm der König all sein Begehr gab, weil die Hand Jehovas, seines Gottes, über ihm war (V. 6). Was er wünschte, war also die Wohlfahrt und die Segnung des Volkes seines Gottes, aber weil er vom König abhängig war, musste ihm die Erlaubnis zur Reise gegeben wer­den; denn der Herr will nicht, auch nicht für Seinen eigenen Dienst, dass wir die Autorität missachten, unter die wir gestellt sind. Weil jedoch der Herr den Wunsch ins Herz Esras gelegt hatte. Ihm zu dienen, so beeinflusste Er auch den König, die Bitte Seines Knechtes zu gewähren.
Wie gut ist es, uns Seinen Händen zu überlassen.

 Wir sind oft versucht, die Hindernisse, die der Mensch uns in den Weg legen mag, zu überspringen und die Türen, die der Mensch geschlossen haben mag, mit Gewalt zu öffnen, aber zu unserem Trost und zu unserer Stärkung ist es gut, sich daran zu erinnern, dass der Herr Seinen Weg vor unserem An­gesicht ebnen kann, wann immer Er will, und dass es unsere Sache ist, ruhig auf Ihn zu warten, bereit, vor­wärts zu schreiten, wenn Er das Zeichen dazu gibt. Die Erkenntnis, dass die Hand Gottes über ihm war, kennzeichnete diesen hingebenden Knecht (siehe V. 6 und 9: Kap. 8, 18. 22. 31 usw.), und dies war die Quelle seiner Geduld und auch seines Mutes.

 Die Einzelheiten der Reise, die in den Versen 7—9 kurz erwähnt wird, werden im nächsten Kapitel näher beschrieben; und wir können daher sogleich zum Brief des Königs zur Bevollmächtigung Esras übergehen - ein Brief, der ihn zum Handeln er­mächtigte, den Gegenstand seiner Mission umschrieb und ihm durch die Schatzmeister jenseits des Stro­mes die Mittel zur Ausführung seines Dienstes in Verbindung mit dem Hause Jehovas verschaffte, das in Ordnung gebracht werden sollte. 
Sofort nach dem Gruss — ein Gruss, welcher zeigt, dass Esra ein treuer Zeuge unter den Nationen war — verfügt der König, dass «ein jeder... von dem Volke Israel und seinen Priestern und den Leviten, der be­reitwillig ist, nach Jerusalem zu ziehen, mit dir ziehen mag» (V. 13). Auch Kores, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, hatte dieses Vorrecht ge­währt; und nun, nach Verlauf mancher Jahre, wirkte der Geist Gottes wiederum durch einen anderen Kö­nig, Sein Volk zu befreien. 

Aber kein menschlicher Zwang sollte ausgeübt werden: wenn irgendeiner mit Esra hinaufzog, so musste es freiwillig gesche­hen. Denn Gott will nur willige Knechte haben. Wenn unter Zwang, so darf es nur der des Heiligen Geistes sein. In den Versen 14—20 werden dann der Wirkungskreis und die Ziele des Auftrages Esras sorgfältig und in allen Einzelheiten umschrieben. Er wurde von dem König und seinen sieben Räten ge­sandt, um nach dem Gesetz Gottes, das in sei­ner Hand war, eine Untersuchung über Juda und Jerusalem anzustellen (V. 14).

Ferner sollte er das Silber und das Gold unter seine Obhut nehmen, das der König und seine Räte dem Gott Israels freiwillig geopfert hatten, wie auch jenes, das er in der Land­schaft Babylon bekommen würde, zusammen mit den freiwilligen Spenden des Volkes usw.; und dies sollte zum Ankauf von Opfertieren verwendet wer­den, oder was Esra und seine Brüder gutdünkte,   damit zu tun, «nach dem Willen eures Gottes». Der Leser möge selber über die Einzelheiten des Auftrages Esras nachsinnen. Wir möchten jedoch noch besonders auf eine oder zwei lehrreiche Ein­zelheiten hinweisen: Es kann nicht übersehen wer­den, dass dieser Monarch der Nationen alles auf den Willen Gottes bezog, oder, genauer ausge­drückt, dass alles diesem Willen unterworfen wer­den sollte. 

Es mochte sogar scheinen, dass er, der Heide, in voller Gemeinschaft mit den Zielen Esras war; und wenn er Jehova, den Gott des Himmels nannte (V. 21 und 23), so ist es nicht ausgeschlossen, dass die Gnade sein Herz berührt hatte. Wie dem auch sei, er traf sorgfältige Vorkehrungen für die Ausführung der Mission Esras, in jeder möglichen Weise, und gleichzeitig bestellte er Esra über sein Volk «nach der Weisheit deines Gottes». Schliesslich wurden Strafen ausgesprochen für jeden Ungehor­sam gegen das Gesetz Gottes und das Gesetz des Königs, die sich sogar bis zur Todesstrafe steigern konnten. 

Die Lektion liegt auf der Hand, dass Gott in der Wahl Seiner Werkzeuge souverän ist, und dass Er unter den Bewohnern der Erde wie auch im Heere des Himmels alles nach Seinem Willen tut, und dass niemand Seine Hand aufhalten und zu Ihm sagen kann: Was tust Du? Eine Illustration für diese Tat­sache findet sich in unserem Kapitel darin, dass Artasasta, der «König der Könige», und «der Prie­ster Esra, der Schriftgelehrte in den Worten der Ge­bote Jehovas», zur Ausführung der Gedanken Gottes über Sein Volk und über Sein Haus in Jerusalem zusammen ins Joch gespannt werden.

Esra selbst wird mit Anbetung erfüllt, wenn er die wunderwirkende Kraft der Hand Seines Gottes betrachtet; denn nachdem er den Inhalt des Briefes des Königs wiedergegeben hat, bricht er in einen Lobgesang aus: «Gepriesen sei Jehova, der Gott un­serer Väter, der solches in das Herz des Königs ge­geben hat, um das Haus Jehovas zu verherrlichen, das in Jerusalem ist, und der mir Güte zugewandt hat vor dem König und seinen Räten und allen mächtigen Fürsten des Königs!» (V. 27 und 28).
Dann fügt er hinzu: «Und ich erstarkte, weil die Hand Jehovas, meines Gottes über mir war, und ich versammelte Häupter aus Israel, dass sie mit mir hinaufzögen.» Darin zeigte er sieh als wahrer Mann des Glaubens; er führte alles auf Gott zurück; er be­trachtete nicht sich selbst; für seine Seele war Gott alles in allem. Es war also nicht seine Bitte (V. 6), die den König zum Handeln bewog, sondern Gott, der dies in des Königs Herz gelegt hatte; es war nicht Esras Einfluss, der den König und seine Fürsten für sich einnahm, sondern Gott war es, der ihm in ihrer Gegenwart Güte zuwandte; es war auch nicht seine eigene Macht, in der er die Häupter aus Israel ver­sammelte, dass sie mit ihm hinaufzögen, sondern er erstarkte, weil die Hand seines Gottes über ihm war. 

In diesem allem ist er ein auffallendes Beispiel für jeden Gläubigen; glücklich der Mensch, welcher, wie Esra, gelernt hat, in der Gegenwart Gottes zu leben, den Blick über das Tun der Menschen auf die gött­liche Macht zu erheben, die über sie gebietet und alles, Gunst oder Verfolgung, Hilfe oder Hindernisse aus der Hand des Herrn zu nehmen. Eine solche Seele hat inmitten der Verwirrung und des Aufruhrs der Welt, wie auch angesichts der Macht Satans das Geheimnis vollkommenen Friedens erfasst.

Kapitel 8

Die enge Verbindung zwischen diesem und dem vor­angehenden Kapitel wird uns sofort bewusst. Kapitel 7 schloss mit den Worten: «Ich versammelte Häupter aus Israel, dass sie mit mir hinaufzögen», und Kapitel 8 beginnt mit der Mitteilung: «Und dies sind die Häupter ihrer Väter und ihr Geschlechtsverzeichnis, nämlich derer, die unter der Regierung des Königs Artasasta mit mir aus Babel heraufzogen.» Dieses Geschlechtsregister wird bis zum 14. Vers fortgesetzt und zeigt, wie die Namen derer, die in einem solchen Augenblick auf Gottes Ruf antworteten, Ihm kostbar waren. Die Antwort selbst war die Frucht Seiner Gnade; aber in der Ausübung derselben Gnade gefällt es Ihm wohl. Seinem Volke zuzurechnen, was Er selbst in ihren Herzen hervorgebracht hat. Es war eine ansehnliche Gesellschaft von über fünfzehnhundert Personen, die hier versammelt war, um in das Land ihrer Väter zurückzukehren, in das Land ihrer Tradi­tionen wie auch ihrer Hoffnungen.

Die erste Handlung Esras bestand darin, sie zu ver­sammeln «an den Fluss, der nach Ahawa fliesst; und wir lagerten daselbst drei Tage. Und ich sah mich um unter dem Volke und unter den Priestern, und ich fand keinen von den Söhnen Levis daselbst» (V. 15). Nur zwei Priester, nämlich Gersom, von den Söhnen Pinehas' und Daniel, von den Söhnen Ithamars, waren unter ihnen. Und von der Familie der Leviten, die Priester ausgenommen, fand sich kein einziger vor. Esra hatte alle Ursache, darüber be­kümmert zu sein, denn dies war ein trauriges Symp­tom des Zustandes, in den das Volk gefallen war. Die Priester allein hatten Zutritt zum Heiligtum des Hau­ses ihres Gottes, und die Leviten allein waren die be­rufenen Diener in dem Bereich ihres Dienstes; als aber der Aufruf erfolgte, dass sie zurückkehren durf­ten, um noch einmal ihre Vorrechte zu verwirklichen, blieben sie unberührt und gleichgültig. 

Sie hatten an dem Orte ein Heim gefunden, wo die Väter ihre Lau­ten an die Weiden gehängt und im Gedenken an Zion geweint hatten. So ist es auch mit dem Volke Gottes heute. Gelingt es dem Feind, sie zu veranlassen, «auf das Irdische zu sinnen», werden sie gegenüber ihren geistlichen Vorrechten gleichgültig, und sie können, wenn sie sich von ihrer Schlafsucht nicht erheben, sogar «Feinde des Kreuzes Christi» werden. Kein Kind Gottes, das seine himmlische Berufung versteht, kann sich damit zufrieden geben, in Babel zu woh­nen. Esra wollte sich nicht damit abfinden, dass die Levi­ten zurückblieben. Zudem kannte er die Bedürfnisse des Hauses Jehovas, und es schmerzte diesen hinge­benden Diener, dass sich diese mehr um ihre eigenen Dinge kümmerten, als um die Vorhöfe des Herrn. 

Er ergriff daher geeignete Massnahmen, um ihr Gewis­sen zu erreichen, damit sie sich in seiner Aufgabe in Jerusalem mit ihm verbänden. Zu diesem Zweck sandte er zu ihren Häuptern, unter welchen Jojarib und Elnathan waren, die «einsichtigen Männer». Wie gut ist es für das Volk Gottes, in Zeiten des Nieder­gangs und des Verfalls, wenn bei ihm noch einsichtige Männer gefunden werden können! Durch diese bewahrt Gott die Seinigen, in noch grössere Tiefen hinabzusinken und hält durch sie das lebendig, was unter ihnen vom Glauben und der Hoffnung noch übrig geblieben ist. Esra wusste, wo er die Hand auf einige solcher Männer zu legen hatte, und sein Eifer für das Werk, auf das sein Herz gesetzt war, kommt in dem Auftrag zum Ausdruck, den er ihnen anver­traute.

Er sagt: «Und ich entbot sie an Iddo, das Haupt in der Ortschaft Kasiphja, und ich legte ihnen Worte in den Mund, um sie zu Iddo zu reden und zu seinen Brü­dern, den Nethinim, in der Ortschaft Kasiphja, dass sie uns Diener für das Haus unseres Gottes brächten» (V. 17). Vom Herrn Jesus wird gesagt, oder vielmehr der Geist Christi sagt selbst: «Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt» (ps. 69, 9; Joh. 2,17); und dies war so, weil die Verherrlichung des Vaters allezeit Sein oberstes Ziel war. Gottes Name, Gottes Ehre waren jederzeit die Wonne Seiner Seele. In Seinem Masse war es auch so mit Esra; es ging Ihm um die Ehre Jehovas in Seinem Hause und Er war in Gemein­schaft mit dem Herzen Gottes selbst.

Dies war die Erklärung für seinen Ernst, in welchem er «Diener für das Haus unseres Gottes» suchte. Und Gott wirkte durch ihn, wie er selbst bekennt, indem er sagt: «Und sie brachten uns, weil die gute Hand unseres Gottes über uns war, einen einsichtsvollen Mann von den Söhnen Machlis, des Sohnes Levis, des Sohnes Israels; und Scherebja und seine Söhne und seine Brüder, achtzehn; und Haschabja und mit ihm Jesaja, von den Söhnen Meraris, seine Brüder und ihre Söhne, zwanzig; und von den Nethinim, welche David und die Fürsten zur Bedienung der Leviten gegeben hat­ten: zweihundertundzwanzig Nethinim; sie alle waren mit Namen angegeben» (V. 18—20). Insgesamt waren es immer noch weniger als vierzig Leviten gegenüber zweihundertundzwanzig Nethinim.4 
Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass bei dem fleischlichen Wohlergehen in Babylon die nationalen Hoffnungen und Vorrechte des Volkes aufgehört hat­ten, auf ihre Gesinnung eine praktische Kraft auszu­üben. Gegenüber der Trägheit der Leviten ist es schön, die Anzahl der Nethinim (vermutlich aus einem an­deren Volke) zu sehen, die dem Aufruf Esras gehorch­ten. 
Es mag sein, dass in bezug auf diese gesagt wird: «Sie alle waren mit Namen angegeben.» Gott nahm Kennt­nis von ihrer Treue und veranlasste, dass dies auf­geschrieben wurde. 
Nun war hinsichtlich der Sammlung des Volkes alles bereit. Aber sowohl Esra als auch das Volk brauchten eine Vorbereitung für die Reise, die vor ihnen war. 

Darum sagt er: «Und ich rief daselbst, am Flusse Ahawa, ein Fasten aus, um uns vor unserem Gott zu demütigen, um von ihm einen geebneten Weg zu er­bitten für uns und für unsere Kinder und für alle unsere Habe. Denn ich schämte mich, von dem König eine Heeresmacht und Reiter zu fordern, um uns ge­gen den Feind auf dem Wege beizustehen; denn wir hatten zu dem König gesprochen und gesagt: Die Hand unseres Gottes ist über allen, die ihn suchen, zum Guten; aber seine Macht und sein Zorn sind ge­gen alle, die ihn verlassen. Und so fasteten wir und erbaten dieses von unserem Gott; und er liess sich von uns erbitten» (V. 21—23).

Das Werk Gottes darf nie in leichtfertiger Weise in Angriff genommen werden; und mit einer richtigen Erkenntnis, sowohl des Charakters des Werkes als auch was der Ehre Gottes geziemte, der ihn dazu be­rufen hatte, rief Esra ein Fasten aus, um sich mit dem Volke vor Gott zu demütigen. Das Fleisch kann im Dienste des Herrn in keiner Weise oder Form ge­braucht werden, und nur in wahrer Absonderung von allem, was diesem zur Nahrung sein könnte und un­ter Demütigung in Gottes Gegenwart, werden unsere Beweggründe, Wünsche und Ziele geprüft und ge­reinigt. 

So mochten einige von denen, die sich zu Esra versammelt hatten, von anderen Dingen angezo­gen worden sein, als von der Wohlfahrt des Hauses ihres Gottes. Dies ist immer der Fall, wenn der Hei­lige Geist ein Werk tut. Esra wollte daher, dass alles im Lichte der heiligen Gegenwart Gottes untersucht würde, damit sie lernen möchten, dass nichts anderes sie auf ihrer Reise bewahren und leiten und nichts auf dem Wege oder in ihrem darauffolgenden Dienste sie aufrecht halten konnte, als nur die gute Hand ihres Gottes. Daher fasteten er und das Volk und demütigten sie sich vor Gott und beteten sie.

Da mag die Frage gestellt werden: Nehmen wir heute unseren Dienst für Gott nicht oft zu leicht? Und führte es nicht zu grösserer geistlicher Kraft und Wir­kung, wenn wir beim Beginn eines Dienstes für Gott häufiger in dieser Haltung Esras und seiner Genossen gefunden würden? Fern sei es von uns, auch nur für einen Augenblick anzunehmen, dass die Diener des Herrn unterlassen könnten, auf diese Weise Sein An­gesicht zu suchen, bevor sie ihren Dienst beginnen. Unsere Frage betrifft mehr das gemeinsame Warten auf Gott unter Fasten, bevor ein Werk begonnen wird, für das die Heiligen ein gemeinsames Interesse haben. 
Das verstanden die Gläubigen in den ersten Tagen der Kirche, denn wir lesen: «Es waren aber in Antiochien in der dortigen Versammlung, Propheten und Leh­rer...

Während sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir nun5 Barnabas und Saulus zu dem Werke aus, zu welchem ich sie berufen habe» (Apg. 13, 1. 2). Wenn eine Wie­derbelebung dieser Praxis erfolgte in der Kraft des Heiligen Geistes (denn solches nachzuahmen ohne diese göttliche Kraft wäre schlimmer als nutzlos), dann wären bestimmt viel grössere Resultate aus der Verkündigung des Wortes und dem Dienst zu erwar­ten. 
Ein anderer Grund noch bewog Esra, das Volk hier zu sammeln. Er war ein Mann des Glaubens und er hatte vor dem König sein Vertrauen in Gott bezeugt hin­sichtlich des Schutzes auf ihrer Reise; er wollte ihn daher nicht um eine militärische Begleitung bitten. Und nun, in Uebereinstimmung mit seinem Bekennt­nis, vertrauten er und das Volk sich Gott an für die Leitung, «um von ihm einen geebneten Weg zu er­bitten für uns und für unsere Kinder und für alle unsere Habe».

 Wie jeder Gläubige weiss, ist es eine Sache, seinem Vertrauen in Gott Ausdruck zu geben, bevor eine Schwierigkeit kommt, und eine andere Sache, diese Abhängigkeit angesichts und inmitten der Schwierigkeit aufrecht zu halten. Esra tat beides und war fähig, in der Zuversicht zu ruhen, dass die Hand Gottes über allen sein würde, die Ihn zum Gu­ten suchen, dass aber Seine Macht und Sein Zorn über alle jene kommen würde, die Ihn verlassen. Zweifellos sprach er das alles vor dem Herrn aus während dieses Fastens, und wenn er einem heidnischen Mo­narchen gegenüber von der Treue Gottes geredet hatte, so waren nun der Name und die Ehre Jehovas damit verknüpft, dass Er für Seinen Knecht eintrat. Esra sagt uns: «Und so fasteten wir und erbaten dieses von unserem Gott; und er liess sich von uns erbitten.» Ja, Gott liebt es, auf das Vertrauen Seines Volkes zu ant­worten und denen zu erscheinen, die inmitten von Prüfungen und Gefahren bezeugen, was Er für sie ist.

Der Leser möge beachten, dass es keine eingebildete Gefahr war, die Esra vor sich sah; denn später berich­tet er zum Preise Gottes, dass Er sie errettet habe «von der Hand des Feindes und des am Wege Lauern­den» (V. 31). Ja, Gott ist für Sein Volk Zuflucht und Stärke und eine jederzeit gegenwärtige Hilfe für die, welche in Trübsalen sind; wir würden dies in reiche­rem Masse erfahren, wenn wir — wie Esra — lernten, in allen Umständen mit Ihm, als dem Allgenügenden zu rechnen. Als Nehemia einige Jahre später dieselbe Reise unternahm, wurde er von Heerobersten und Reitern begleitet (Neh. 2,9). In ihm schien sich der Glaube nicht in derselben lebendigen Weise auszu­wirken, obgleich er ein treues Herz für die Interessen des Herrn hatte. Wieviel besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen, als auf einen sichtbaren Arm! Und die auf Ihn warten, werden — wie Esra — nie beschämt werden.

Als nächstes «sonderte Esra zwölf von den Obersten der Priester aus. Scherebja, Haschabja, und mit ihnen zehn von ihren Brüdern», um für die Hebopfer, die sie für das Haus ihres Gottes empfangen hatten, die Verantwortung zu übernehmen, bis sie in Jerusalem ankämen (V. 24-30). Veranlassung zu dieser Wahl war dies, dass sie «Jehova heilig» waren, wie auch die Geräte (V. 28). Wie der Prophet sagte: «Reiniget euch, die ihr die Geräte Jehovas traget» (Jes. 52, 11). Diese Anweisung Esras, wir wissen es, entsprach der göttlichen Ordnung; denn niemand als die Priester und Leviten durfte die heiligen Geräte oder die Ge-fässe des Hauses Gottes tragen (siehe 4. Mose 4).

Aus einer falschen Auffassung sowohl dieser Dinge als auch der Natur des Christentums heraus entstand die kirchliche Gewohnheit, eine Klasse von Männern, den Klerus, zum Dienst in der Kirche auszusondern. Wohl trifft es zu, dass die, welche dem Herrn in irgendeiner Weise unter Seinem Volke dienen, für ihren Dienst berufen sein müssen, aber dies soll nicht durch die Hände der Menschen geschehen, sondern durch die souveräne Handlung der Gnade Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes. Unter Gesetz gab es eine besondere Klasse von Männern — die Priester und die Leviten — aber diese waren von Gott bezeich­net und geweiht; unter Gnade jedoch sind alle Gläu­bigen gleicherweise Priester und haben als solche ein unzerstörbares Anrecht darauf, im Allerheiligsten, in der unmittelbaren Gegenwart Gottes, zu erscheinen, wenn auch da Unterschiede in den Gaben und Dien­sten bestehen (1. Kor. 12).

Esra übergab also die heiligen Gefässe, das Silber und das Gold für das Haus ihres Gottes, die als freiwillige Gaben geschenkt worden waren, der Verantwortung der Priester. Und er ermahnte sie, wachsam zu sein und diese Dinge zu bewahren, «bis ihr es darwäget vor den Obersten der Priester und der Leviten und den Obersten der Väter zu Jerusalem, in die Zellen des Hauses Jehovas» (V. 29). Der Ausdruck «darwä­gen» enthält einen wichtigen Grundsatz. Esra bezwei­felte nicht die Treue der Priester, die er ausgesondert hatte; aber, wie der Apostel in späteren Tagen, wollte er «vorsorglich sein für das, was ehrbar ist, nicht   allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Men­schen» (2. Kor. 8, 21). Das Volk mochte volles Ver­trauen haben in die Ehrbarkeit Esras und der Priester; aber Esra wollte jeden Anlass zu einem bösen An­schlag des Feindes wegräumen, indem er die Geräte, das Silber und das Gold abwog, als er sie in die Hände der Priester gab, und dasselbe geschah auch, als sie abgeliefert wurden. Dadurch stellte er seine und ihre Treue unter Beweis. 

Und dies ist bestimmt ein göttliches, biblisches Beispiel, das von denen nach­geahmt werden sollte, die in irgendeiner Weise ver­antwortlich sind für die Gaben des Volkes des Herrn. Diese sollten darauf bedacht sein, über ihre Verwal­tung Rechnung abzulegen und nicht darauf warten, dass sie dazu gezwungen werden.
Manche Schwierigkeit in der Kirche Gottes hätte ver­mieden werden können, wenn diese Praxis übernom­men worden wäre. Man möge auch beachten, dass bei der Ankunft in Jerusalem das Abwägen nicht durch Esra, sondern durch andere geschah: «Und das ganze Gewicht wurde zu selbiger Zeit aufgeschrieben» (V. 33.34). In heutiger Sprache ausgedrückt: Die Buch­haltung Esras war geprüft und für gut befunden wor­den, und dies schon am vierten Tag nach Vollendung ihrer Reise.
Im 31. Vers haben wir einen kurzen Bericht über ihre Reise, auf den wir schon Bezug genommen haben; er ist eine Bestätigung der Treue ihres Gottes als Ant­wort auf ihre Gebete. «Und wir brachen auf von dem Flusse Ahawa am zwölften des ersten Monats, um nach Jerusalem zu ziehen; und die Hand unseres Gottes war über uns, und er errettete uns von der Hand des Feindes und des am Wege Lauernden. 

Und wir kamen nach Jerusalem.» In Kapitel 7, 9 wurde gesagt, dass sie am ersten Tage des ersten Monats hinaufzuziehen begannen, und dies war vermutlich auch das Datum der Sammlung des Volkes am Flusse Ahawa (Kap. 8,15). Die Reise dauerte also etwas we­niger als vier Monate; und Esra bezeugte, dass Gott sie sicher durch alle Schwierigkeiten und Gefahren hindurchgeführt und sie vor allen ihren Feinden be­schützt habe. Wahrlich, «der Name Jehovas ist ein starker Turm; der Gerechte läuft dahin und ist in Sicherheit.»
Auch vergassen sie den Herrn nicht, nachdem die Schwierigkeiten der Reise vorüber waren: «Die aus der Gefangenschaft Gekommenen, die Kinder der Wegführung, brachten dem Gott Israels Brandopfer dar: zwölf Farren für ganz Israel, sechsundneunzig Widder, siebenundsiebzig Schafe, und zwölf Böcke zum Sündopfer, das Ganze als Brandopfer dem Je­hova.» 
Es ist überaus rührend zu sehen, wie dieser schwache Ueberrest — so wie es auch bei der Einweihung des Hauses Gottes der Fall gewesen war (Kap. 6,17) — in seinem Glauben ganz Israel einschloss. 

Sie waren nur gering an Zahl, aber sie konnten sich auf keine en­gere Grundlage stellen als auf die der zwölf Stämme, und dies bezeugten sie durch die Anzahl ihrer Opfer. Heute sollte bei denen, die auf Grund des einen Lei­bes zum Namen des Herrn Jesu Christi hin versam­melt sind, derselbe Grundsatz gelten. Auch sie mögen gering an Zahl, schwach und arm sein. Aber wenn sie einiges Verständnis haben für den gesegneten Platz, auf den sie gestellt worden sind, werden sie jede engere Grundlage als die, welche alle Glieder des einen Leibes umschliesst, ablehnen; und wenn sie diese Wahrheit in Kraft aufrecht halten, werden ihre Lobopfer in der Gegenwart aller Zeugnis davon geben. Versäumen sie dies, werden sie — was auch  immer ihr Bekenntnis sein mag — zum engsten Sek­tierertum hinabsinken, das nach den Gedanken des Herrn überaus abstossend ist.

Andere mögen sie wegen ihrer Armut und ihrem schwachen Zustand verspotten. Aber wenn sie nur darin ausharren «mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe», um die Ein­heit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Frie­dens, indem sie vor Gott das Bewusstsein der Einheit mit allen Heiligen aufrecht halten, wird der Herr sie reichlich stärken mit Seiner Anerkennung und Seinem Segen.
Beachten wir, dass zweierlei Opfer dargebracht wur­den — Brandopfer und Sündopfer. Aus ihrer Anzahl kann geschlossen werden, dass die zwölf Farren und die zwölf Böcke für ganz Israel bestimmt und die an­deren Opfer mehr persönlicher Natur waren, als un­mittelbarer Ausdruck dankbarer Herzen für die ihnen erwiesene Barmherzigkeit Jehovas, in der Er sie in Sicherheit nach Jerusalem und zu Seinem Hause ge­bracht hatte.

Indem sie sich so unter die Wirksamkeit der Opfer stellten und ihre Beziehung zu Gott auf dem allein möglichen Boden festgestellt hatten, «übergaben sie die Befehle des Königs den Satrapen des Königs und den Landpflegern diesseits des Stromes; und diese unterstützten das Volk und das Haus Gottes» (V. 36). Diese Reihenfolge ist belehrend und schön. Zuerst stellten sie sich mit ihren Opfern unter die Gunst Got­tes, und dann wendeten sie sich zu den Beamten des Königs. Ihr erster Gedanke galt ihrem Gott, sie setz­ten Ihn an den ersten Platz und anerkannten damit, dass alles von Ihm abhing. Er antwortete auf das Vertrauen Seines Volkes, indem Er die Herzen der Satrapen und Landpfleger berührte und sie geneigt machte, Sein Volk und das Ziel, das sie verfolgten, zu begünstigen. Wie gesegnet ist es, völlig von Gott abhängig zu sein und in der Verfolgung Seiner Sache nur auf Ihn zu blicken!

Kapitel 9

Wer auch immer die Wohlfahrt des Volkes Gottes sucht, muss damit rechnen, auf seinem Pfade Prüfun­gen und Leiden zu finden; denn während ihn die Zu­neigungen zu Gott selbst zum Handeln treiben, wird sich der Diener, in seinem Masse, auch mit ihrem Zustand und mit ihren Umständen eins machen, in­dem er zur Ehre Gottes in ihrer Mitte wirkt. Hiefür haben wir ein vollkommenes Beispiel in dem Leben Dessen, welcher sagen konnte: «Der Eifer um dein Haus verzehrt mich.» So war es auch, und zwar nicht in einem schwachen Masse, bei Seinem Knechte Paulus, der in der Kraft des Heiligen Geistes be­kannte: «Deswegen erdulde ich alles um der Aus­erwählten willen, auf dass auch sie die Seligkeit er­langen, die in Christo Jesu ist, mit ewiger Herrlich­keit» (2. Tim. 2,10).
Dies war auch die Erfahrung Esras, wie es der An­fang dieses Kapitels zeigt. Erfüllt mit heiligem Eifer, hatte es ihn getrieben, nach Jerusalem hinaufzu­gehen, «um in Israel Satzung und Recht zu lehren», aber schon ganz am Anfang musste er feststellen, dass viele des auserwählten Volkes sehr tief gesunken waren, womöglich noch tiefer als die Kanaaniter, die  Gott vor ihnen ausgetrieben hatte. Er sagt: «Und als dieses ausgerichtet war, traten die Obersten zu mir und sprachen: Das Volk Israel und die Priester und die Leviten haben sich nicht von den Völ­kern der Länder, nach deren Greueln, abgesondert, nämlich der Kanaaniter, der Hethiter, der Perisiter, der Jebusiter, der Ammoniter, der Moabiter, der Aegypter und der Amoriter; denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen, und so hat sich der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt; und die Hand der Obersten und der Vorsteher ist in dieser Treulosigkeit die erste gewesen» (V. l und 2).

So ist der Mensch, ja sogar das Volk Gottes, wenn es der Neigung seines eigenen Herzens folgt, statt in Gehorsam gegenüber Gottes Wort zu wandeln! Be­achte auch, dass, wenn Gläubige in die Sünde fallen, es oft schlimmere und gröbere Formen des Bösen sind als die, welche das Volk dieser Welt ausübt. Es ist, als ob Satan, nachdem er einen Vorteil über sie errungen hat, sich über sie lustig machen und über sie triumphieren wollte, indem er sie in die schreck­lichsten Formen des Bösen verstrickt. In dem Falle, der vor uns liegt, waren es nicht nur die Schändlich­keiten der Kanaaniter (der früheren Einwohner des Landes), sondern auch die der Ammoniter, der Moa­biter, der Aegypter und der Amoriter, in welche die Kinder der Gefangenschaft gefallen sind, das heisst in jede mögliche Form des Verderbens.

Und dies alles hatte sich in so kurzer Zeit, innert der wenigen Jahre der Vollendung des Tempels, ereignen können. Als Gegenstände der besonderen Gnade Got­tes, die sie aus ihrer babylonischen Gefangenschaft befreite, hatten sie diese Gnade in Ausschweifung verwandelt.
Welche Geduld und Langmut sehen wir bei Gott, der sie noch einmal in das Land ihrer Väter zurück­gebracht hatte, dass Er nicht sogleich mit ihnen ins Gericht ging! Doch wenn sich Sein Volk in der Ab­trünnigkeit und seinen Sünden auch immer als das­selbe erwies, so war auch Er unwandelbar in Seiner Huld und Gnade. Seine Gnadengaben und Seine Be­rufung sind unbereubar und hierin allein liegt die Sicherheit Seines Volkes.

Die besondere Sünde, die hier erwähnt wird, ist die, dass «sich der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt» hat durch gegenseitige Verhei­ratung. Dies war ihnen ausdrücklich untersagt* (vgl. 2. Mose 34,12—16). Sie hatten diese schändlichen Ver­bindungen mit der Welt daher in willentlichem Un­gehorsam geschlossen; denn dies ist es, was diese Heiraten darstellen, und das ist die Gewohnheits­sünde des Volkes Gottes in jedem Zeitalter. So sagt der Apostel Jakobus: «Ihr Ehebrecherinnen, wisset ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will» (also die weltliche Gesinnung pflegt), «stellt sich als Feind Gottes dar» (Kap. 4, 4). 

Und der Apostel Paulus ruft aus: «Seid nicht in einem un­gleichen Joche mit Ungläubigen. Denn welche Ge­nossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Uebereinstimmung Christus mit Belial?» (2. Kor. 6,14 und 15). Wenn sich schon Jehova her-abliess zu sagen, dass Er sich mit Israel vermählt habe (Jer. 3,14), so wird auch heute von den Gläubi­gen gesagt, dass sie Christo angehören und als eine keusche Jungfrau mit Christo verlobt seien (Röm. 7). Daß es sich dabei nicht nur um gegenseitige Verhei­ratung handelt, kann aus der oben angeführten Stelle ent­nommen werden, wie auch aus 4. Mose 25; in der Tat, alle Greuel des Götzendienstes der genannten Nationen waren mit diesen Heiraten verbunden.
 2. Kor. 11,2). Sowohl für den Juden als auch für den Christen ist es daher Untreue und Sünde, sich mit der Welt zu verbinden und den heiligen Platz der Ab­sonderung zu vergessen, zu welchem der Jude und auch der Christ berufen sind. Diese Sünde blieb auch nicht auf eine gewisse Klasse des Volkes be­schränkt. «Die Hand der Obersten und der Vorsteher ist in dieser Sache die erste gewesen», und auch die Priester und die Leviten, wie auch das ganze Volk werden gesondert erwähnt. 

Daraus scheint hervor­zugehen, dass die Obersten und die Vorsteher als erste das Beispiel gegeben hatten und dass die an­deren nur zu gern bereit waren, es ihnen gleich zu tun. «Ein Sünder vernichtet viel Gutes», besonders, wenn dieser eine hohe Stellung einnimmt und grossen Einfluss ausübt. Ermattete ein Fahnenträger am Tage der Schlacht, wurden oft auch die Krieger ent­mutigt und leicht besiegt. So ist es auch, wenn es Satan gelingt, einen Führer in der Versammlung Got­tes zu umstricken; es ist ihm dann oft ein leichtes, manche andere zu betören, die weniger im Vorder­grund stehen. Unter Gesetz war für die Sünde eines Obersten oder Priesters ein grösseres Opfer erforder­lich, als für die Sünde eines Mannes aus dem ge­wöhnlichen Volk. 

Es ist daher eine ernste Sache — ernst für ihn selbst und auch hinsichtlich der daraus hervorgehenden Folgen — wenn ein «Oberster» oder «Vorsteher» auf dem Pfad der Weltlichkeit und des Götzendienstes dem Volke Gottes zum Führer wird. Das waren die traurigen Nachrichten, die Esra kurz nach seiner Ankunft in Jerusalem zu Ohren kamen, und der nächste Vers zeigt, welche Wirkung dies alles in seiner frommen und hingebenden Seele her­vorgebracht hat. Er sagt: «Und als ich diese Sache hörte, zerriss ich mein Kleid und mein Obergewand  und raufte mir Haare meines Hauptes und meines Bartes aus und sass betäubt da» (V. 3). Er empfand grossen und unaussprechlichen Schmerz über die Sünden seines Volkes, und der Grund der Tiefe sei­ner Bestürzung, die sich in allen diesen äusseren Zeichen der Demütigung vor Gott kundgab, war der, dass er in seiner innersten Seele fühlte, wie der heilige Name Jehovas dadurch verunehrt wurde.

Es ist verhältnismässig leicht, mit dem Volke Gottes mitzuempfinden, wenn es durch sündiges Tun in den Augen der Welt beschämt dasteht. Aber nur die, welche in der Kraft des Heiligen Geistes in Gemein­schaft mit den Gedanken Gottes sind, die an Seinen Zuneigungen zu den Seinigen teilhaben, die also, die vor allem anderen mit Eifer erfüllt sind, um die Ehre Gottes aufrecht zu erhalten, werden die Sünde des Volkes Gottes einschätzen als solche, die dem heili­gen Namen, nach welchem sie genannt sind, Einbusse tut; nur sie werden sich demütigen, die Sünde zu ihrer eigenen machen und sie vor Gott bekennen. 

Moses, Nehemia und Daniel sind Beispiele dafür, jeder in seinem Masse, wie auch Esra. Aber diese alle, wie auch andere, die genannt werden könnten, sind nur schwache Schatten Dessen, der sich mit Seinem Volke einsgemacht hat im Bekenntnis ihrer Sünden, als er sagte: «Du, o Gott, weisst um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht ver­borgen» (ps. 69, 5).
Durch den Schmerz und die Demütigung Esras wur­den die Gewissen anderer erreicht, und alle, die in irgendwelchem Masse über den Zustand des Volkes getrauert hatten, stellten sich zu ihm. Er sagt: «Und zu mir versammelten sich alle, die da zitterten vor den Worten des Gottes Israel wegen der Treulosigkeit der Weggeführten» (V. 4). «Aber auf diesen will ich
 blicken», sagt der Herr, «auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte» (Jes. 66,2); denn das Zittern vor Gottes Wort ist das Kennzeichen eines zarten Ge­wissens, eines Mannes, der in der Furcht Gottes wan­delt und auf Seinen Wegen gefunden werden möchte. 

Wie gut war es daher, dass sich unter den Kindern der Wegführung noch solche Männer fanden, obwohl ihr Zittern mehr einer Erkenntnis der Folgen der Uebertretung ihrer Brüder entsprungen sein mag, als einer durch die Gnade gewirkten Furcht, ihren Gott beleidigt zu haben.
Wie dem auch sei, so müssen wir uns doch fragen: Wo waren sie und wo war ihr Zeugnis vor der An­kunft Esras? Gewiss, ihre Herzen waren aufrichtig; dies zeigte sich darin, dass sie in diesem kritischen Augenblick ihren Platz bei Esra bezogen; und sie sind ein Beispiel dafür, dass wir keine Kraft haben, unsern Brüdern zu helfen, bevor wir deutlich und offen Stellung gegen das Böse nehmen, von welchem sie umstrickt worden sind. Treue gegenüber Gott ist das erste Erfordernis, um andern helfen zu können. Esra verharrte an seinem Platz im Staube — nieder­gebeugt durch einen unaussprechlichen Schmerz — bis zum Abendopfer.

 Hatte er einerseits ein gebro­chenes Herz im Blick auf die Sünde des Volkes, so er­kannte er anderseits in seinen Glaubensübungen den einzigen Boden an, auf dem man Gott in bezug dar­auf nahen konnte. Mit einem Wort, er stützte sich auf die Wirksamkeit des Opfers, als der Grundlage, auf der er vor Gott hintreten konnte, um die Gesetzlosig­keiten der Kinder Israel vor Ihm auszubreiten. (Vgl. 1. Sam. 7, 9; 1. Kön. 18, 36 und andere Stellen.) Das Abendopfer war ein Brandopfer, das auf dem Altar völlig verzehrt wurde und dessen lieblicher Wohl­geruch zu Gott emporstieg. Wenn Esra im Werte dieses Opfers vor Ihm war — in dem ganzen Werte dessen, was es im Bilde davon darstellte, was Christus in Seinem Tode für Gott war — dann war der Erfolg seiner Fürsprache gesichert. Der Herr selbst konnte in diesem Zusammenhang sagen: «Was irgend ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde in dem Sohne» (Joh. 14,13). 

Dann, in der Erkenntnis des Wertes des Opfers, erhob sich Esra von seiner Demütigung, wo­bei er sein Kleid und sein Obergewand zerrissen hatte, beugte sich auf seine Knie nieder, breitete seine Hände aus zu Jehova, seinem Gott, und bekannte die Sünde seines Volkes. Lasst uns die Worte seines beladenen Herzens wohl erwägen!
Beachte zuerst, wie völlig er den Platz des Volkes vor Gott einnahm. Er sagt: «Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, mein Angesicht zu dir, mein Gott, zu erheben; denn unsere Missetaten sind uns über das Haupt gewachsen und unsere Schuld ist gross geworden bis an den Himmel» (V. 6). Nicht ein­mal im Geiste trennte er sich von denen, die gesün­digt hatten; er und sie — in der Tat, das ganze Volk — waren eins vor Gott. Er selbst betrachtete es so; denn als Achan übertrat, sagte Gott zu Josua: «Israel hat gesündigt.

» Esra verstand dies und das befähigte ihn zum Fürsprecher für das Volk; denn erst wenn wir unser Einssein mit dem Volke Gottes verstehen und seine Sünde und Reue auch unsere Sünde und Reue sind, können wir es wirklich auf unseren Her­zen vor den Herrn tragen in Zeiten seiner Not.
Indem er so den Platz des Volkes eingenommen hatte, bekannte Esra, dass von den Tagen der Väter an nichts als Sünde ihren Weg gekennzeichnet habe und dass alle Regierungswege Gottes mit ihnen, in denen Er sie «der Hand der Könige der Länder..., dem Schwerte, der Gefangenschaft und dem Raube und der Be­schämung des Angesichts» übergeben habe, «wie es an diesem Tage ist», die Folge ihrer Gesetzlosigkeiten gewesen seien. Er rechtfertigte Gott in all Seinem Tun mit Seinem Volke in der Vergangenheit.

Und dann erinnerte er sich der Gnade, die ihnen Jehova, ihr Gott, darin erwiesen hatte, dass Er einen Ueberrest zurückbrachte, indem Er «uns einen Pflock gegeben hat an seiner heiligen Stätte, damit unser Gott unsere Augen erleuchte und uns ein wenig auf­leben lasse in unserer Knechtschaft. Denn Knechte sind wir; aber in unserer Knechtschaft hat unser Gott uns nicht verlassen; und er hat uns Güte zuge­wandt vor den Königen von Persien, sodass sie uns ein Aufleben verliehen, um das Haus unseres Gottes aufzubauen und seine Trümmer aufzurichten, und uns eine Mauer zu geben in Juda und in Jerusalem» (V. 8-9).

Die Reihenfolge der Bekenntnisse Esras ist äusserst belehrend. Nachdem er die Sünden seiner Brüder bekannt und Gott in Seinen Wegen mit Seinem Volke gerechtfertigt hatte, rühmte er als nächstes die Gnade, in der Er sie in ihrem niedrigen Zustand besucht, sie als einen Ueberrest ins Land zurückgebracht und ihnen noch einmal erlaubt hatte, das Haus ihres Gottes aufzubauen.

 Weshalb aber zählt er diese Be­weise der Gnade und des Erbarmens Jehovas auf? Um den Charakter der Sünde seines Volkes erkennt­lich zu machen; denn er fährt fort: «Und nun, unser Gott, was sollen wir nach diesem sagen? Denn wir haben deine Gebote verlassen.» Dann bekennt er, dass sie sowohl gegen das Licht wie auch gegen die Gnade gefehlt hatten. Er verheimlicht und beschö­nigt nichts, sondern breitet alles vor Gott aus, wobei er gesteht, dass, wenn sie nach all der Gnade, die sie empfangen hatten (V. 13), Gottes Gebote übertraten und sich mit den Greuel-Völkern verschwägerten, Er wohl wider sie erzürnt sein konnte bis zur Ver­tilgung, dass kein Ueberrest und keine Entronnenen mehr übrig bleiben würden (V. 14). Er schliesst da­mit, Gott noch einmal zu rechtfertigen und sich Seinem Standpunkt anzuschliessen gegen sich selbst und gegen das Volk.

 Er sagt: «Jehova, Gott Israels, du bist gerecht; denn wir sind als Entronnene übrig­geblieben, wie es an diesem Tage ist. Siehe, wir sind vor dir in unserer Schuld; denn dieserhalb kann man nicht vor dir bestehen» (V. 15).
Dieses inspirierte Bekenntnis enthält manche Punkte, auf die sich die Aufmerksamkeit des Volkes des Herrn richten sollte. Einige davon sind schon bespro­chen worden, aber wir möchten noch auf die Tat­sache Nachdruck legen, dass Esra vom Anfang bis zum Schluss Gott rechtfertigt und die Gesetzlosig­keiten seines Volkes blosslegt. Das allein schon ist nicht nur ein Beweis der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, sondern auch eine Voraussetzung für den Segen. Der Platz der Demütigung ist immer der Platz der Wiederherstellung und der geistlichen Kraft; und daher ist es immer das Zeichen eines schlechten Zu­standes, wenn dieser Platz selten eingenommen wird.
Lasst uns denn für einen Augenblick uns selbst prü­fen. 

Wir haben mehr als einmal auf die Uebereinstimmung zwischen diesem Ueberrest und denen hin­gewiesen, die sich in diesen Tagen zum Namen des Herrn Jesus hin versammeln. Ist da nicht auch eine Uebereinstimmung der Sünden dieser beiden Gruppen? Ist es nicht eine Tatsache, dass wir uns weit­gehend mit den Weltkindern «verschwägert» haben? Haben wir uns nicht ihren Gewohnheiten, Wegen und Gebräuchen angepasst? Wirkt die Weltlichkeit nicht wie ein Gift unter uns? Sind in der Versamm­lung nicht überall Aegyptens Spuren zu sehen? Sind wir nicht vielmehr auf Wohlstand und soziale Stel­lung bedacht, als auf die Frucht des Geistes?
Zudem, ist es nicht so, dass wir unsere Sünden (wir meinen nicht persönliche Sünden, sondern die Sünden des Volkes Gottes) selten wirklich bekennen in unseren Zusammenkünften? Ruft es nicht sogar unseren Unwillen hervor, wenn wir hören, wie un­sere Sünden vor dem Herrn ausgebreitet werden? 

Wenn zum Beispiel in unseren Gebetsversammlun­gen unsere Abweichungen vom Worte Gottes, unsere Missachtung der Autorität Christi, unsere Kälte, un­sere Untreue gegenüber dem Herrn und Seiner Wahrheit, unser Mangel an Absonderung ausgespro­chen werden, zeigen sich da nicht manchmal offen­sichtliche Ungeduld und Empfindungen, wie sie im Propheten Maleachi ausgesprochen werden: «Womit haben wir dies oder das getan?» Aber wir können nicht zu bald die Lektion lernen, dass der Herr Wirklichkeit zu sehen wünscht, dass Er unseren Zu­stand sieht, auch wenn wir blind dafür sind, und uns, bis wir wie Esra zur Selbsterkenntnis gebracht sind, aus Liebe durch Züchtigungen zurückbringen muss. Wir sollten auch beachten, dass Esra kein einziges Mal um Vergebung bittet. Da er in Uebereinstimmung war mit den Gedanken Gottes, war es ihm unmöglich, dies zu tun. Wird uns Böses bewusst in den eigenen Herzen oder in der Versammlung, sind wir in erster Linie verantwortlich, es zu richten und nicht aufgerufen, um Vergebung zu bitten. 

Als daher Josua, nach der Niederlage Israels durch die Män­ner von Ai, vor Jehova auf seinem Angesicht lag, sagte der Herr zu ihm: «Stehe auf! Warum liegst du denn auf deinem Angesicht? Israel hat gesündigt...» Und doch, wie oft verleitet Satan in einer Zeit, wo im Volke des Herrn Böses offenbar wird, den einen oder anderen dazu zu sagen: Lasst uns darüber beten! Nein, dann sollen wir unsere Sünden bekennen und Gnade und Kraft suchen, um dem Bösen gegenüber­zutreten und uns davon abzusondern; denn wenn sich Esra, wie uns dieses Kapitel zeigt, vor dem Herrn demütigte und die Schuld des Volkes bekannte, so sehen wir ihn im nächsten Kapitel energisch handeln gegenüber der Sünde, die er bekannt hat. Er ruhte nicht, bis sie weggetan war.

Kapitel 10

Der Herr gebraucht den Schmerz Seines Knechtes, um die Gewissen Seines Volkes zu berühren, das sich der Uebertretung Seiner Gebote schuldig gemacht hat; denn wahrlich der Schmerz Esras war kein ge­wöhnlicher Schmerz. Jede Einzelheit der Grosse sei­nes Kummers wird uns mitgeteilt, als er «betete, und als er bekannte, weinend und vor dem Hause Gottes hingestreckt». 

Durch sein Gebet, seine Bekenntnisse, seine Tränen und sein Sichniederwerfen vor Gott hatte er seinen Schmerz über die Sünden Israels zum Ausdruck gebracht; und er hatte es «vor dem Hause Gottes» ganz öffentlich getan. Das sprach sich unter denen herum, für die er gebetet hatte, und es «ver­sammelte sich zu ihm aus Israel eine sehr grosse Versammlung von Männern, Weibern und Kindern; denn das Volk weinte mit vielem Weinen» (V. l). Die Tränen des Volkes mochten sowohl der Reue als auch der Furcht vor den Folgen ihrer Vergehungen entsprungen sein. Esra war mit Autorität bekleidet (siehe Kap. 7, 25.26) und sein Eifer für seinen Gott war offensichtlich. 

Sie wussten daher, dass er nicht Halt machen, sondern sie von dem Bösen, worüber er sich vor seinem Gott demütigte, trennen würde. Dies musste für viele von ihnen bittere Folgen nach sich ziehen. Obwohl sie im Eigenwillen und im Un­gehorsam gehandelt hatten, mochten ihre Herzen den Frauen, die sie geheiratet hatten, und ihren Kindern in Liebe zugetan sein. Sich von ihnen zu lösen, bedeutete Abbruch inniger Bande, und dieser Ausblick konnte unter ihnen wohl «viel Weinen» hervorrufen. Dass dies die Erklärung ist für ihre Trä­nen, scheint daraus hervorzugehen, dass Frauen und Kinder unter der sehr grossen Versammlung waren, die sich um Esra versammelte. Ach! Wie hart ist es doch, die Wege der Untreue und der Sünde rück­gängig zu machen! Und wie oft bleiben deren bittere Früchte bis zum Ende unseres Lebens bestehen!
Da waren jedoch einige, die einsahen, dass in dieser Sache sogleich gehandelt werden musste, was es auch kosten würde. Ohne Zweifel wussten sie, dass Jehova sie nicht segnen und ihnen im Lande kein Gedeihen geben konnte, solange sie in offener Uebertretung Seiner Gebote lebten. «Schekanja, der Sohn Jechiels, von den Söhnen Elams, hob an und sprach zu Esra:
Wir haben treulos gehandelt gegen unseren Gott und haben fremde Weiber aus den Völkern des Landes heimgeführt; nun aber ist noch Hoffnung für Israel betreffs dieser Sache. 

So lasst uns jetzt einen Bund machen mit unserem Gott, dass wir alle Weiber, und die von ihnen geboren sind, hinaustun, nach dem Rate meines Herrn und derer, die da zittern vor dem Gebote unseres Gottes; und es soll nach dem Gesetz gehandelt werden. Stehe auf, denn dir liegt die Sache ob; und wir werden mit dir sein. Sei stark und handle!» (V. 2-4).
Verschiedene Punkte in diesen Worten Schekanjas sind der Beachtung wert. Wie wir schon im Zusam­menhang mit Kapitel 9 festgestellt haben, ist es zu­nächst auffallend, wie der Herr den treuen Eifer des einen benützt, um andere zum Bewusstsein ihres Zustandes zu bringen. Vor dem Erscheinen Esras schie­nen die Gewissen aller verhärtet gewesen zu sein. Nicht einmal Jeschua oder Serubbabel schienen we­gen der vorhandenen Sünde beunruhigt gewesen zu sein. Esra war zuerst allein, und wenn nötig, wollte er sich auch allein auf die Seite Gottes stellen gegen die Uebertretung des Volkes. 

Dazu brauchte es Mut und ein einfältiges Auge, und durch Gnade besass Esra beides. Gott war mit ihm in seiner Stellung­nahme; und nun sehen wir deren Auswirkung. Schekanja trat für das Volk hervor, bekannte seine Sünde und stellte sich unter die Notwendigkeit, sich dem Worte zu unterwerfen; und ausser ihm gab es noch andere, die vor dem Gebot Gottes zitterten (vgl. Kap. 9,4) und sich auf die Seite Esras stellten. In bösen Zeiten ist der Pfad der Treue der alleinige Pfad des Segens und des Erfolges im göttlichen Sinne.
Zweitens sollten wir beachten, dass sowohl die frem­den Weiber als auch deren Kinder hinausgetan wer­den mussten. Die Weiber, die nicht von Israel waren, waren unrein, und auch die Kinder, die Frucht der gemischten Ehen, wurden als unrein betrachtet. So war es unter Gesetz; aber unter Gnade ist jetzt alles umgekehrt. Nicht dass ein Christ die Freiheit hat, einen Unbekehrten zu heiraten. 

Aber, wie der Apo­stel lehrt: «Der ungläubige Mann ist geheiligt durch das Weib, und das ungläubige Weib ist geheiligt durch den Bruder; sonst wären ja eure Kinder un­rein, nun aber sind sie heilig» (1. Kor. 7,14). Wenn also der Gatte oder die Gattin nach ihrer Verheira­tung bekehrt werden und sich dann mit einem Un­bekehrten verbunden sehen, so bezieht sich die obige Anweisung auf ihren Fall.
 Unter Gesetz, wie in der vorliegenden Schriftstelle, mussten das heidnische Weib und ihre Kinder weg­geschickt werden; unter Gnade aber ist das un­gläubige Weib geheiligt durch ihren Mann, und die Kinder sind heilig. Dabei ist es klar, dass die hier genannte Heiligung nur äusserer Natur ist, wie auch die Heiligung der Kinder. Die Weiber und die Kin­der wurden unter Gesetz entlassen, weil sie unrein waren, und als solche konnten sie nicht in die Ge­meinde Israel aufgenommen werden; aber unter Gnade ist das unbekehrte Weib geheiligt durch den Bruder und wird somit als mit Gottes Volk auf der Erde für Ihn abgesondert betrachtet. 

Daher sind auch die Kinder heilig, das heisst durch den Tod und die Auferstehung Christi abgesondert, und werden auf der Erde als zu Seinem Volk gehörend betrachtet. Ist diese Heiligung auch nur rein äusserlich und ohne jede rettende Kraft, wie es nicht anders sein kann, — denn das Heil ist immer mit der persön­lichen Uebung des Glaubens an den Herrn Jesus Christus verbunden — so verleiht sie doch das un­schätzbare Vorrecht, an dem Platz der Segnung sein zu dürfen, in der Sphäre, wo der Heilige Geist wohnt und handelt.
Die Gnade konnte nicht in die engen Grenzen des Gesetzes eingeschlossen werden, wie unser Herr ge­sagt hat: «Niemand tut neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der neue Wein die Schläuche zerreissen, und er selbst wird verschüttet werden, und die Schläuche werden verderben» (Luk. 5, 37). Und wie kostbar ist es für uns zu erkennen, dass das Herz Gottes an allen denen interessiert ist, die durch natürliche Bande mit Seinem Volke auf der Erde verbunden sind!
 Man beachte auch, dass Schekanja die Autorität des Wortes anerkennt. «Es soll nach dem Gesetz gehan­delt werden», sagt er. Die Wiederherstellung der Autorität des Gesetzes über die Wege, über die Her­zen und Gewissen des Volkes war der Gegenstand der Mission Esras (Kap. 7,10), und Gott hatte ihm jetzt in Schekanja einen Helfer gegeben. Wahrlich, es gibt keinen anderen Weg der Reformation unter dem Volke Gottes.
Im Laufe der Zeit, wie dies in jeder Haushaltung Gottes gesehen werden kann, werden Gebräuche, menschliche Grundsätze, Ueberlieferungen usw. an­genommen, und das geschriebene Wort wird ver­nachlässigt (siehe Matth. 15; 1. Tim. 4 und andere Stellen). Das alles sind Zeichen des Verfalls, sowohl im Herzen und Leben der einzelnen wie auch in der Verwaltung des Hauses Gottes. 

Das einzige Heil­mittel in Zeiten der Abweichung von der Wahrheit ist daher die unnachgiebige Anwendung des Wortes Gottes, das lebendig und wirksam ist, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und die Ablehnung alles dessen, was dadurch verurteilt wird. Dabei wird auch das Volk selbst in die Gegenwart Gottes und Seiner Ansprüche gestellt und angespornt, auf das zu hören, «was der Geist den Versammlungen sagt». Die Gewissen der einzelnen wurden aufgeweckt und erleuchtet, und unter der Wirksamkeit des Geistes Gottes versammelten sich alle, die vor dem Worte des Herrn zitterten (Kap. 9, 4), in dem gemeinsamen Wunsche, dass der Name des Herrn geehrt und Seine Oberhoheit wiederhergestellt werde. Schekanjas Rat war also von Gott und entsprang einer richtigen Er­kenntnis der Ursache der Sünden Israel und was Dem gebührte. Dessen Name durch die Uebertretungen Seines Volkes entweiht worden war.
 Schliesslich forderte er Esra auf, zu handeln. «Stehe auf», sagte er, «denn dir liegt die Sache ob; und wir werden mit dir sein. Sei stark und handle!» Wie wohltuend mussten diese Worte für das beschwerte Herz Esras gewesen sein! Zweifellos wird er darin das Dazwischentreten Gottes als Antwort auf seine Gebete gesehen haben. Er hatte sich zu der Quelle aller Weisheit und Kraft gewandt und den Herrn auf­gesucht, bevor er die Mißstände in der Mitte Israels in Ordnung zu bringen suchte. 

Darum ging ihm der Herr voran, bereitete den Weg und neigte das Herz des Volkes dazu, seine Verfehlungen zu bekennen und seine Sünde hinwegzutun.
Es ist überaus wichtig zu lernen - wie Esra es tat — dass für Gott durch menschliche Energie nichts zu­stande gebracht werden kann, und dass nur dann etwas ausgerichtet wird, wenn Er Weisheit und Stärke dazu gibt.
Esra machte sich die offene Tür, die der Herr ihm auf diese Weise gegeben hatte, zunutze. Er stand auf und «liess die Obersten der Priester, der Leviten und des ganzen Israel schwören, nach diesem Worte zu tun. Und sie schwuren» (V. 5). So verpflichtete er sie durch einen feierlichen Schwur, das auch wirklich zu tun, was sie versprochen hatten. Wie beeindruckt uns doch die geistliche Kraft, die sich in solcher Weise in diesem Manne zeigte! Ihr Geheimnis war dies, dass er in Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes war und inmitten der allgemeinen Untreue in Treue vor Gott stand; daher war Gott mit Seinem Diener und wirkte durch ihn. Von aussen betrachtet war Esra sozusagen allein; aber in Wirklichkeit war Gott mit Esra, und so geschah es, dass die Herzen des Volkes sich ihm zuneigten. Was macht es doch für einen Unterschied aus, wenn Gott in den Dienst hineingebracht wird! Manch ein Knecht Gottes wird eingeschüchtert, wenn er Widerstand und Schwierig­keiten vor sich sieht; sobald er aber seine Augen zum Herrn erhebt, misst er alles an dem Maßstab Seiner Grosse, und sogleich werden die Hindernisse, die ihm unüberwindlich schienen, für seinen Glau­ben Gelegenheiten zur Entfaltung der Macht Gottes, auf die er vertraut. Unsere einzige Sorge sollte daher sein, dass wir darauf achten — wie einst Jonathan (1. Sam. 14) — dass wir mit Gott handeln.

Die Aufgabe war jedoch noch nicht erfüllt, und der Schmerz Esras dauerte so lange an, als die Sünde noch bestehen blieb; denn er empfand in seinem Innersten die Unehre, die auf den Namen seines Gottes gekommen war. So lesen wir denn: «Und Esra stand auf vor dem Hause Gottes und ging in die Zelle Jochanans, des Sohnes Eljaschibs; und er ging dahin, er ass kein Brot und trank kein Wasser, denn er trauerte über die Treulosigkeit der Weg­geführten» (V. 6). Esra fühlte die Sünde seines Vol­kes gottgemäss, und auf diese Weise befähigte ihn Gott, Sein Volk von ihrer Sünde zu lösen. Als unser Herr vom Berge herabstieg und von dem gequälten Knaben den Dämon austrieb, fragten Ihn Seine Jünger: «Warum haben wir ihn nicht austreiben können?» Die Antwort lautete: «wegen eures Un­glaubens», und nachdem Er erklärt hatte, dass der Glaube Berge zu versetzen vermöge, fügte Er hinzu:
«diese Art aber fährt nicht aus, als nur durch Gebet und Fasten.» Wir dürfen wohl sagen, dass unter die Kinder der Wegführung ein unreiner Geist einge­drungen war, und Esra konnte darum gebraucht werden, diesen auszutreiben, weil er mit Gebet und Fasten Gott gesucht hatte. Ja, in dieser Weise mit Gott allein zu sein, ist dies nicht das Geheimnis aller geistlichen Kraft? Ohne das gibt es in der Tat keine Kraft, und dass uns diese oft fehlt, hat seinen Grund darin, dass wir Esra, wie er sich hier zeigt, manch­mal so unähnlich sind.
Hierauf Hessen sie durch Juda und Jerusalem einen Ruf ergehen, wonach alle Kinder der Wegführung binnen drei Tagen nach Jerusalem kommen sollten. Für das Nichterscheinen wurden strenge Strafen an­gedroht:

 Die ganze Habe dessen, der nicht kam, sollte verbannt, und er selbst aus der Versammlung der Weggeführten ausgeschlossen werden (V. 7. 8). Aber es kamen alle: «Da versammelten sich alle Männer von Juda und Benjamin» am zwanzigsten Tage des neunten Monats. Wie man sich leicht vor­stellen kann, muss die Szene, die sich nun abspielte, sehr angreifend gewesen sein: «Und das ganze Volk sass auf dem Platze des Hauses Gottes, zitternd um der Sache willen und infolge der Regengüsse.» Zum inneren Schmerz kam noch das körperliche Unbeha­gen dazu.
Da stand Esra auf und redete sie an. Zuerst hielt er ihnen ihre Sünde vor (V. 10) und dann forderte er sie auf, diese zu bekennen: «So leget nun Bekenntnis ab vor Jehova, dem Gott eurer Väter; und tut sein Wohlgefallen und sondert euch ab von den Völkern des Landes und von den fremden Weibern!» (V. 11). Sein erster Gedanke galt somit dem, was sie Jehova gegenüber schuldig waren, und wenn sie Ihm dies bekannten, so mussten sie sich auch Seinem Willen unterwerfen.

Zu oft betrügt sich die Seele beim Bekennen darin, dass sie dabei die Sünde nicht verurteilt. Esra war im Worte und in den Wegen Gottes zu gut unter­wiesen, als dass er dies gestatten konnte; und er ver­langte daher sowohl Selbstgericht und Trennung von dem Bösen als auch Bekenntnis der Sünde. Auch die Reihenfolge der Absonderung ist belehrend: «Von den Völkern des Landes und von den fremden Wei­bern.» Da doch die Verheiratung mit fremden Wei­bern ihre Sünde gewesen war, hätte man erwartet, dass diese zuerst erwähnt worden wäre. Aber was hatte denn zu diesen gemischten Ehen geführt? Die Verbindung mit den Völkern des Landes. Dies war die Wurzel des Uebels. Darum nannte Esra es zuerst. So ist es bei allen Abirrungen von Gott — solange ihre Wurzel nicht blossgelegt und erkannt wird, ist nichts gewonnen, und die Wiederherstellung wird unmöglich sein.
Der Herr selbst hat in Seinen Wegen mit Petrus eine vollkommene Illustration dazu gegeben. Erst als Er ihn dreimal gefragt hatte: «Liebst du mich?» (ein­mal sogar: «Liebst du mich mehr als diese?»; denn das Vertrauen in seine eigene Liebe zu Christo, die er für grösser eingeschätzt hatte als die der anderen, war die Ursache seines Falles), führte Er ihn zur Wiederherstellung. Esra handelte nach demselben Grundsatz, wenn er in erster Linie Absonderung von den Völkern des Landes forderte.

Die Kraft Gottes war offensichtlich mit Seinem Knechte. Das Volk unterzog sich Seinen Forderungen, denn es war ihnen zum Bewusstsein gekommen, dass wegen ihrer Sünden «die Glut des Zornes unseres Gottes» auf ihnen war. Sie antworteten: «Nach dei­nen Worten, also liegt es uns ob zu tun!» Sie gaben ihm nur zu bedenken, dass dieses Werk nicht so rasch ausgeführt werden könne und sagten: «Aber das Volk ist zahlreich; und es ist die Regenzeit, sodass man nicht draussen zu stehen vermag; auch ist es nicht ein Geschäft von einem Tage oder von zweien, denn viele unter uns haben in dieser Sache
 übertreten. Lass doch unsere Obersten für die ganze Versammlung dastehen; und alle, die in unseren Städten sind, welche fremde Weiber heimgeführt haben, mögen zu bestimmten Zeiten kommen, und mit ihnen die Aeltesten jeder Stadt und ihre Richter, solange diese Sache währt, bis die Glut des Zornes un­seres Gottes von uns abgewendet werde» (V. 12—14). Die Bitte und der Rat des Volkes wurden angenom­men. 

Dann wird uns gesagt, dass «ausgesondert wur­den Esra, der Priester, und Männer, Häupter der Väter nach ihren Vaterhäusern, und zwar alle mit Namen; und sie setzten sich nieder am ersten Tage des zehnten Monats, um die Sache zu untersuchen. Und sie kamen bis zum ersten Tage des ersten Mo­nats mit allem zu Ende hinsichtlich der Männer, die fremde Weiber heimgeführt hatten». So war also das Werk nach zwei Monaten vollendet. Dann folgt eine Liste der Namen derer, die übertreten hatten, und über diese sind noch zwei oder drei Bemerkungen zu machen.
Zuerst werden die Namen der Priester genannt, die in Sünde gefallen waren, und diese sind in zwei Gruppen eingeteilt. In Vers 18 sind es «die Söhne Jeschuas, des Sohnes Jozadaks, und seine Brüder»; und in den Versen 20—22 andere Priester (siehe Ka­pitel 2, 37—40). Die Erstgenannten werden, wie es scheint, für die Schuldigeren gehalten, und mit Recht; denn Jeschua war durch die Gnade Gottes mit Serubbabel zusammen zu einem Führer des Volkes für den Bau des Hauses bestellt worden. 

Es zeigt, wie das Bewusstsein vom Charakter ihrer Sünde bei allen verloren ging. «Die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz sucht man aus seinem Munde; denn er ist ein Bote Jehovas der Heerscharen» (Mal. 2, 7); aber in diesem Fall hatten die Priester durch ihre bösen Wege dem Volke ge­schadet. Nachdem ihnen aber der Ernst ihrer Ver­fehlung vorgestellt worden war, gaben sie nun ihre Hand darauf, «dass sie ihre Weiber hinaustun und einen Widder vom Kleinvieh für ihre Schuld ent­richten wollten». Dies wird — beachten wir es — nur von den Verwandten Jeschuas gesagt. 

Von den an­dern Priestern, den Leviten, Sängern, Torhütern und den übrigen Fehlbaren vom Volke werden nur die Namen genannt.
Dies führt zu unserer zweiten Bemerkung, dass dem Auge Gottes nichts entgeht. Er beachtet und wägt alle unsere Handlungen und macht sie eines Tages offenbar, um Seine Gnade zu verherrlichen oder — wenn es sich um die Ungläubigen handelt — sie bil­den die Grundlage des gerechten Gerichtes. «Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nachdem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses» (2. Kor. 5,10).
Schliesslich mag hervorgehoben werden, dass Esra, wie aus Nehemia 8, 1 hervorgeht, fortfuhr, unter sei­nem Volke zu dienen, aber nicht länger mehr als die Führerfigur vor uns steht. Nach dem Abschluss der in diesem Kapitel berichteten Ereignisse war sein besonderes Werk getan, und er erkennt dies. Dazu ist grosse Gnade nötig. 

Wenn der Herr einen Seiner Knechte zu einem besonderen und öffentlichen Dienst gebraucht, liegt die Versuchung nahe, zu meinen, dass er nun fortfahren müsse, einen besonderen Platz einzunehmen. Gibt er dieser Versuchung nach, bringt er sich selbst und auch das Volk des Herrn in Schwierigkeiten. Der Herr, der heute den einen benützt, mag morgen einen anderen senden, und ge­segnet ist der Diener, der — wie Esra — erkennt, wenn sein besonderer Auftrag zu Ende ist, und der, wie Johannes der Täufer, willig ist, etwas oder nichts zu sein, wenn nur sein Herr auf diese Weise verherr­licht wird.

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