1. Könige 17. 9-24; 2. Kön. 4. 8-37 ​Die Witwe zu Sarepta und die Sunamitin BdH 1891

02/08/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Witwe zu Sarepta und die Sunamitin. (1. Kön. 17, 9—24; 2. Kön. 4, 8-37.)

Es ist eine gesegnete Übung für das Herz, die verschiedenen Wirkungen der göttlichen Zucht in der Geschichte des Volkes Gottes zu verfolgen. „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unsrer Belehrung geschrieben, auf daß wir durch das Ausharren und .die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben." (Röm. 15, 4.) 

Es ist in der That ermutigend für uns, zu finden, daß Gott von jeher mit Menschen „von gleichen Gemütsbewegungen wie wir" zu thun gehabt hat. Wie mancher ist schon auf die eine oder andere Weise versucht worden, zu denken, daß es in der ganzen Reihe der Erlösten Gottes keinen einzigen gegeben habe, der gerade ihm gleiche! Wie gut daher, daß es dem Heiligen Geiste in Seiner vollkommenen Gnade und Weisheit gefallen hat, in der Schrift die mannigfaltigsten Fälle aufzuzeichnen, so daß wir stets in dem einen oder andern unser treues Abbild finden können!

In der Witwe von Sarepta und der Sunamitin
haben wir zwei Frauen vor uns, welche von Gott in ähnlicher Weise geehrt wurden, indem die eine den Propheten Elia, die andere den Propheten Elisa bewirten durfte. Dennoch waren die Charaktere dieser beiden Weiber sehr verschieden. Sowohl in ihrer geistlichen Geschichte als auch in ihrem natürlichen Zustande und ihren äußeren Umständen zeigt sich ein großer Gegensatz. Beschäftigen wir uns zunächst einen Augenblick mit den göttlichen Mitteilungen über die Witwe zu Sarepta.


„Es geschah das Wort Jehovas zu Elia und sprach: Mache dich auf, gehe nach Zarpath *), das zu Zidon gehört, und bleibe daselbst; siehe, ich habe daselbst einer Witwe geboten, dich zu versorgen." (1. Kön. 17, 8. 9.) Das war in der That ein auffallender Befehl, sowohl im Blick auf das Volk Israel und Elia, als auch in Bezug auf die arme heidnische Witwe.
*) Hebr. Zarephath; griech. Sarepta.
Der Prophet Jehovas wurde berufen, der Schuldner eines heidnischen Weibes zu werden. Das war wahrlich ein niederschmetterndes Zeugnis von dem damaligen Zustande Israels. Die bloße Erinnerung an diesen Vorfall, Jahrhunderte nachher in der Synagoge zu Nazareth, schnitt
deshalb auch den Juden durchs Herz und erfüllte sie mit Wut. (Luk. 4.) Der Befehl des Herrn bestätigte den traurigen Verfall Israels und gab Zeugnis von der Gnade in Bezug auf die Heiden. Er weist vorwärts auf eine Periode, in welcher gänzliche Dürre und Unfruchtbarkeit das verheißene Land beherrschen und der Aufgang aus der Höhe die Heiden besuchen sollte.
Elia hatte sich auf das Wort Jehovas hin von einem Werkzeug des Herrn zu einem andern zu wenden. 

Die Raben und der Bach Krith hatten ihm bis dahin zur Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse dienen müssen; aber jetzt wurde er in andere Umstände geführt und mußte der
Schuldner einer armen heidnischen Witwe werden. Und worin bestanden deren Hülfsquellen? Hören wir ihre eigenen kläglichen Worte: „So wahr Jehova, dein Gott, lebt, wenn ich einen Kuchen habe, außer einer Handvoll Mehl im Topfe und ein wenig Oel im Kruge! und siehe, ich
lese ein Paar Holzstücke auf und will hineingehen und es mir und meinem Sohne bereiten, daß wir eS essen und sterben." (V. 12.) Armselig genug nach dem Urteil der Natur! Allein der Glaube schaut über den beinahe geleerten Topf und Krug hinweg und blickt zu jener freigebigen
Hand empor, welche beide zu füllen vermochte. Hätte Elia auf das gesehen, was vor Augen war, so würde ihm sicher der Mut entfallen sein, „als er an den Eingang der Stadt kam". Allein er wußte, an wen er geglaubt hatte, und war überzeugt, daß der Gott Israels ihn durch die Hand einer notleidenden heidnischen Witwe ebenso gut ernähren konnte wie durch die Raben am Bache Krith.

Die Witwe zu Sarepta selbst befand sich in dem möglichst geeigneten Zustande, um die Wirklichkeit jener Gnade zu erfahren, welche die Grenzen Israels überströmte, um diejenigen zu erreichen, welche „Fremdlinge und ohne Bürgerrecht waren". Indes sehen wir, daß ihr die Segnung geradezu aufgezwungen werden mußte. Aus eine andere Weise würde sie dieselbe nicht angenommen haben. Ihr Herz war nicht zubereitet, um die heilige Würde zu schätzen, welche ihr zu teil werden sollte. Sie hätte sie weit lieber zurückgewiesen. Sie mußte „genötigt" werden, die Fülle der göttlichen Liebe und Gnade zu kosten. Ihr Herz war zu träge, um sich der Wahrheit der Verheißung anzuvertrauen. Ach, wie sehr gleichen wir ihr oft! Wie wenig sind wir bereit, unsern Mund weit zu öffnen! Wie wenig geneigt, uns auf die Verheißungen Gottes zu stützen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir den Gott der Verheißung so wenig kennen!

Die Witwe war aber nicht nur abgeneigt, eine Empfängerin der göttlichen Gnade zu werden; sie war auch ebenso unfähig, die Stimme des göttlichen Gerichts zu verstehen. „Und es geschah nach diesen Dingen, da ward der Sohn des Weibes, der Hauswirtin, krank; und seine Krankheit wurde sehr stark, so daß kein Odem mehr in ihm blieb. Und sie sprach zu Elia: Was haben wir
mit einander zu schaffen, Mann Gottes? Du bist zu mir gekommen, um meine Ungerechtigkeit ins Gedächtnis zu bringen und meinen Sohn zu töten." (V. 17. 18.) Wie wenig erblicken wir hier von der Würde einer Seele, die in Gemeinschaft mit Gott ist! Wie wenig von der stillen und heiligen Unterwürfigkeit eines Herzens, das im Verborgenen der göttlichen Gegenwart weilt, während die züchtigende Hand Gottes ausgestreckt ist! 

„Was habe ich mit dir zu schaffen?" Diese Frage offenbart die Ungeduld und das Murren einer nicht unterworfenen Natur. Und weiter: „Du bist zu mir gekommen, um meine Ungerechtigkeit
ins Gedächtnis zu bringen." Alle diese Aeußerungen beweisen einen sehr niedrigen geistlichen Zustand. Die göttliche Züchtigung kann nur im Lichte der göttlichen Gegenwart verstanden werden; und wenn die Seele sich aus dieser Gegenwart entfernt hat, so steht sie in großer Gefahr, den „Nutzen" zu verlieren, der durch solche Züchtigungen ihr zu teil werden soll. „Alle Züchtigung scheint für die Gegenwart nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; hernach aber giebt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind."

(Hebr. 12, 11.) Welchen giebt sie diese gesegneten Frucht? „Denen, die durch sie geübt sind." In den Wörtchen „hernach" und „geübt" liegt ein weit tieferer Sinn, als vielleicht die meisten von uns darin entdecken. Die Witwe zu Sarepta schien zu denken, daß die ernste Handlungsweise des Herrn keinen anderen Zweck haben könne, als „ihre Ungerechtigkeit ins Gedächtnis zu
bringen". Gott sei gepriesen, daß der Gläubige das große Vorrecht hat zu wissen, daß Gott alle seine Sünden hinter Seinen Rücken geworfen, daß Er sie in das Meer der ewigen Vergessenheit versenkt hat! Gott kann deshalb nie etwas zu dem Zwecke thun, um diese Sünden wieder in
Erinnerung zu bringen. Seine eigene friedengebende Versicherung lautet: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken." (Hebr. 10, 17.) 

Anstatt die Sünden Seines Volkes zu sehen, sieht Er nur das Blut Seines eingebornen, teuern Sohnes, welches jene für immer getilgt hat. Wenn die Sünden der Gläubigen je wieder vor Sein Angesicht kommen, wenn ihrer je wieder vor Ihm gedacht werden könnte, so würde das beweisen, daß das Blut des Lammes Gottes zu ihrer völligen Tilgung nicht ausreichend wäre. Welch ein Gedanke! Was. ist denn der Zweck der Züchtigung Gottes?
Er züchtigt uns, „damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden." (Hebr. 12, 10.) Er thut es also nicht, um unsrer Sünden zu gedenken; denn Er hat verheißen, „ihrer nie mehr zu gedenken". Auch nicht zur Bestrafung unsrer Sünden; denn dieselben sind alle in dem göttlichen Sündenträger auf dem Kreuze gerichtet worden. Nein, die bestimmte Erklärung lautet: „Damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden." Und an einer anderen Stelle lesen
wir: „Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf daß wir nicht mit der Welt verurteilt werden." (1. Kor. 11, 32.) 

Wir wiederholen also: die Züchtigung hat nicht den Zweck, die Sünde ins Gedächtnis zu bringen, noch sie zu bestrafen; vielmehr soll sie bewirken, daß wir nicht mit der Welt verurteilt, sondern
der Heiligkeit Gottes teilhaftig werden. Es ist nötig, über diesen Punkt klar zu sein, sowohl
in Bezug auf unsre eigene geistliche Geschichte, als auch im Blick auf andere. Viele haben die üble Gewohnheit, wenn sie jemanden unter der züchtigenden Hand Gottes stehen sehen, sogleich zu urteilen wie die Witwe zu Sarepta, daß nämlich Gott die Ungerechtigkeit jenes ins Gedächtnis bringe. Das ist ein großer Fehler und sollte nicht so sein.
Bei der Witwe zu Sarepta erkennen wir aus der Wirkung der Züchtigung sehr klar den Zweck derselben. Sobald sie ihren Sohn aus dem Tode zurückerhält, sagt sie: „Nunmehr erkenne ich, daß du ein Mann Gottes bist, und daß das Wort Jehovas in deinem Munde Wahrheit
ist," (V. 24.) Der Zweck der Züchtigung war, sie zur Erkenntnis dessen zu bringen, was sie schon viel früher hätte erkennen sollen. Wie oft ist dies leider auch bei uns der Fall! Wie viele Wahrheiten haben wir bekannt, welche unsre Seelen erfahrungsgemäß nie verstanden, bis wir
in die tiefen Wasser der Trübsal geführt und unter der Hand des „Vaters der Geister" gezüchtigt, unterwiesen und geübt wurden.

Wenden wir uns jetzt zu der Sunamitin in 2. Kön. 4. Da möchte ich denn zunächst bemerken, daß die Sunamitin gerade da begann, wo die Witwe zu Sarepta aufhörte. „Und es geschah eines Tages, da ging Elisa hinüber nach Sunem; und daselbst war ein wohlhabendes Weib, und sie nötigte ihn, das Brot zu essen. Und sie sprach zu ihrem Manne: Siehe doch, ich merke, daß dieser ein heiliger Mann Gottes ist, der beständig bei uns durchzieht." (V. 8. 9.) Sie erkannte sofort durch ihr geistliches Urteilsvermögen das, was die Witwe zu Sarepta erst durch eine schwere Prüfung lernen mußte. Sie hatte in der Schule Christi einen höheren Platz erreicht als jene; ihr ganzes Verhalten trägt den Stempel einer weiter vorgeschrittenen Erkenntnis. Sie bewegt sich mit einer Würde, einer Erhabenheit und moralischen Schönheit, die nur bei denen
gefunden wird, welche die Luft des Heiligtums atmen.

Nicht als ob die Gnade, welche das „wohlhabende Weib" in Sunem besuchte, größer oder reicher gewesen wäre als diejenige, welche der „armen Witwe" zu Sarepta zu teil wurde. Im Gegenteil; die zu einer heidnischen Fremden ausgehende Gnade war sogar reicher als diejenige, welche
innerhalb der Grenzen Israels wirkte. Ferner lag die Verschiedenheit der beiden Weiber nicht
bloß in der Verschiedenheit ihrer Umstände. Allerdings war die eine eine arme Witwe, welche, mit Kummer und Sorge im Herzen, auf „eine Handvoll Mehl im Gefäß und ein wenig Oel im Kruge" hinblickte und darüber nachsann, das Wenige so sparsam wie möglich einzurichten; während die andere „ein wohlhabendes Weib" und mit Ueberfluß umgeben war. Auch mußte der Prophet die Witwe zu Sarepta dringend bitten, ihm Brot zu geben; während die Sunamitin den Propheten anging, es von ihr zu nehmen.

Allein obwohl in diesen Punkten eine Verschiedenheit zu bemerken ist, so ist diese doch nicht von Bedeutung. Die wirkliche Verschiedenheit lag nicht in den äußern Umständen, sondern in den Personen und in ihrer Gemeinschaft mit Gott; und diese Verschiedenheit zeigt sich in dem ganzen Verhalten der Sunamitin. Sie hat ein Bedürfnis, welches weder „der König" noch „der Heeroberste" befriedigen kann. Sie verlangt sehnlichst, die lebendig machende Kraft des Gottes der Auferstehung kennen zu lernen; sie wünscht mit den Sarahs und Hannas der früheren Geschlechter auf einem Boden zu stehen. Sie wünscht den lebendigen Gott zu schauen, der einherzieht in der Größe Seiner Macht und in ihrem Falle über alle Schwachheit und den Tod der Natur triumphiert. 

Sie begehrt sich zu sonnen in den glänzenden Strahlen der göttlichen Herrlichkeit, Gemeinschaft zu haben mit der höchsten Wahrheit und den höchsten Pfad in dem göttlichen Leben zu betreten. Das war das Verlangen der Sunamitin. Sie war nicht, wie die Witwe zu Sarepta, mit dem Tode beschäftigt; sie blickte nicht auf ein leeres Gefäß und einen zur Neige gehenden Krug, sondern schaute den Gott der Auferstehung gegenüber dem Tode und der Unfruchtbarkeit der Natur. Ihr Glaube erwartete „Großes" von dem lebendigen Gott, und sie wurde nicht beschämt.

Es wurde ihr gestattet, „einen Sohn zu umarmen, "und durfte so in ihrer eigenen Person „die Kraft der Auferstehung" erfahren. Bei ihr war es nicht der Gott der Vorsehung, welcher das Gefäß füllt, sondern der Gott der Auferstehung, der Tote lebendig macht. Beachten wir ferner, wie sie ihr Haupt beugt angesichts der göttlichen Heimsuchung. Anstatt, wie die Witwe
zu Sarepta, in die Tiefe der Trübsal hinabzusteigen, um sich dort Erkenntnis zu holen, führt sie ihre Erkenntnis in die Tiefe ein, und erlangt so eine noch tiefere Erkenntnis.

Die Witwe blickte nur auf den Tod hin, indem sie nichts von der Auferstehung kannte. Die Sunamitin aber war fähig, in der Kraft der Auferstehung siegreich durch die Umstände des Todes hindurchzugehen. (Vergl. Phil. 3,10.) Sie war imstande, ihren toten Sohn da niederzulegen,
wo sie gleichsam auch ihren eignen toten Leib niedergelegt hatte, d. h. zu den Füßen des Gottes der Auferstehung, indem sie wußte, daß Er sowohl den einen wie den andern lebendig machen konnte. Wer vermöchte nicht den Unterschied zwischen den beiden Weibern zu erkennen?
Und doch ist sehr zu befürchten, daß viele unter uns nur wenig davon verstehen. Viele sind zufrieden damit, den niedrigen Boden der Witwe zu Sarepta einzunehmen, anstatt sich ernstlich nach dem weit erhabneren Standpunkt der Sunammitin zu sehnen. Wir schätzen uns glücklich,
wenn wir das Gefäß und den Krug von der freigebigen Vorsehung Gottes gefüllt sehen, und sind zu träge, nach dem tieferen Charakter der Gemeinschaft zu trachten, welche aus dem Anschauen des Gottes, der Tote auferweckt, hervorstießt. 

Sicher sind die durch die göttliche Vorsehung empfangenen Gaben lieblich und erquickend; aber es giebt etwas weit Höheres als das. Es giebt eine Gemeinschaft mit Ihm selbst. Und wo wird diese genossen? Auf der andern Seite des Todes. Es bedarf keiner Auferstehung, um ein Gefäß und einen Krug zu füllen, wohl aber um einen toten Leib und einen toten Sohn lebendig zu
machen.
Es ist daher klar, daß die Sunamitin auf einem erhabeneren Boden stand als die Witwe zu Sarepta. Sicherlich waren beide Weiber Gegenstände der Gnade Gottes; aber obwohl Gegenstände derselben Gnade, war ihre Gemeinschaft doch sehr verschieden. Für die Witwe brachte der Tod ihre Sünden in Erinnerung; für die Sunamitin aber schaffte der Tod nur einen Bereich, in welchem der Gott der Auferstehung sich offenbaren konnte. Die Witwe sagte zu dem Manne Gottes: „Was habe ich mit dir zu schaffen?" Die Sunamitin wollte mit keinem
andern zu schaffen haben.

So viel über den Unterschied zwischen diesen beiden von Gott geehrten Weibern, welche durch ähnliche Umstände zu gehen hatten. Wir haben gesehen, daß die Witwe zu Sarepta weit hinter der Sunamitin zurückblieb. Die letztere wurde auf den Schwingen eines weit stärkeren Glaubens in Regionen getragen, welche die erstere nicht zu erreichen vermochte. Sie bewegte sich in einem weit höheren Bereich der Gemeinschaft als diese. Die geistliche Welt hat gerade so gut ihre Bereiche und Kreise wie die natürliche und gesellschaftliche Welt; und der Kreis, in welchem wir uns bewegen, ist von dem Maße unsrer Gemeinschaft abhängig, während unsre Gemeinschaft wiederum im Verhältnis zu unserm Glauben steht. 

Die Sunamitin scheint sich, wenn wir so sagen dürfen, in dem höchsten geistlichen Kreise bewegt zu haben; ihre Erkenntnis von Gott und Seinen Wegen war tief. Sie stand im Besitz eines Geheimnisses, welches sie weder ihrem Manne noch dem Diener des Propheten mitteilen
konnte. „Und sie rief ihrem Manne und sprach: Sende mir doch einen von den Knaben und eine von den Eselinnen, und ich will zu dem Manne Gottes laufen und wiederkommen. Und er sprach: Warum willst du heute zu ihm gehen? es ist weder Neumond noch Sabbath. Und sie sprach: Es ist gut. Und sie sattelte die Eselin und sprach zu ihrem Knaben: Treibe und gehe; halte mich nicht
auf im Reiten, es sei denn daß ich es dir sage. 

Und sie ging hin und kam zu dem Manne Gottes an den Berg Karmel. Und es geschah, als der Mann Gottes sie von ferne sah, da sprach er zu Gehasi, seinem Knaben: Siehe da, die Sunamitin! Nun laufe ihr doch entgegen und sprich zu ihr: Geht eS dir wohl? Geht es deinem Manne wohl? Geht es dem Kinde wohl? Und sie sprach:. Wohl."
(V. 22 — 26.) Weder Gehasi noch ihr Mann hatten ein Verständnis für das, was in dem Herzen der Sunamitin vorging. Sie legte den toten Sohn auf das Bett des Mannes Gottes und schloß die Thür hinter ihm zu, wie um dadurch auszudrücken, daß niemand dort eintreten könne
und solle als nur der Gott der Auferstehung.

Der Glaube dieses edlen Weibes führte auf diese Weise Gott auf einen Schauplatz, auf welchem die Strahlen Seiner Herrlichkeit Gelegenheit fanden, in vollem Glanze zu scheinen. Er war fähig, die finstere Kammer mit Licht, die Kammer des Todes mit Leben zu füllen. Es war ein herrliches, wunderbares Werk; aber der Glaube wußte, daß Gott es auszuführen vermochte. Als Gehasi die Sunamitin fragte, wie es ihr und ihrem Sohne gehe, gab sie zur Antwort: „Wohl!" denn ihre ganze Seele war mit der Gewissheit erfüllt, daß der geliebte Gegenstand,
den sie tot daheim zurückgelassen hatte, durch den Gott der Auferstehung auferweckt werden würde. Und sie wurde nicht beschämt. „Da kam sie und fiel zu seinen Füßen nieder und bückte sich zur Erde; und sie nahm ihren Sohn auf und ging hinaus." (V. 37.) Sobald der Gott der Auferstehung als ein Handelnder aufgetreten war, konnte sie eintreten als eine Anbeterin.
Geliebter Leser! laß uns von dieser Sunamitin lernen, nach einem tieferen und innigeren Wandel mit Gott zu trachten!

Alles üble Nachreden ist böse und im höchsten Grade verwerflich. Sollten wir daher einmal in die Gesellschaft von Leuten kommen, welche Freude daran finden, allerlei Böses über ihre Mitchristen zu sagen, und es gelingt uns nicht, die Unterhaltung in andere Bahnen zu leiten, so
laßt uns aufstehen und den Ort verlassen, indem wir so Zeugnis ablegen gegen eine Sache, welche für Christum so Hassens würdig ist. Lasst uns nie bei einem Verleumder
sitzen und auf seine Worte lauschen. Wir können versichert sein, daß er das Werk des Teufels thut und ein dreifaches Unrecht begeht: an sich selbst, an seinem Zuhörer und an dem, über welchen er redet.
Der Glaube bringt Gott in die Umstände hinein, und so wird alles hell und leicht; der Unglaube schließt Gott aus, und alles ist dunkel und schwierig.