2. Könige 4. 8-27 Die Sunamitin BdH 1931

02/08/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Sie Sunamitin (2.Könige 4. 8)


Der Mensch hat von jeher alles, was Gott seinen Händen oder seiner Verwaltung anvertraut hat, verdorben. Ob er aber auch Fehler auf Fehler häufte, Gott kam dadurch nicht in Verlegenheit, Seine Hilfsquellen erschöpften sich nicht. Immer wieder begegnete Er den Torheiten und Untreuen des Menschen mit neuen Vorkehrungen Seiner Gnade, und der Glaube war stets bereit, sich ihrer zu bedienen, ja, zu Zeiten auf sie zu rechnen und nach ihnen auszuschauen.

Wenn Israel in der Wüste das goldene Kalb machte und so das allererste Gebot des Bundes, der gerade in Kraft getreten war, übertrat, handelte Moses wie ein Mann, der in Gott etwas sand, das der furchtbaren Katastrophe begegnen konnte. Er rechnete auf Gnade für sich und das schuldige Volk. (2. Mose 33.)

Wenn das Volk in späteren Tagen, nachdem Josua es ins Land geführt hatte, den Bund immer wieder brach und die Folgen davon tragen mußte, antwortete Jehova mit der Sendung von „Richtern", die den Bedrängten zu Hilfe kamen und sie aus der Hand ihrer Feinde befreiten.
Verderbte sich im weiteren Laufe der Zeit das Priestertum, und mußte Jkabod (Nicht-Herrlichkeit) auf die Stirn Israels geschrieben werden, so hatte Gott in dem Geheimnis Seiner Ratschlüsse und Hilfsquellen einen „Propheten" bereit, und Samuel führte als Prophet das
Volk nach Eben-Eser, dem Stein der Hilfe, (4. Sam. 4, 24; 7, 42.)


Wenn endlich das Königtum in völligen Verfall geriet, wenn das Haus und der Thron Davids im Staube lagen, und Israel in die Gefangenschaft ziehen mußte, harrte der Glaube dennoch auf Gott, in dem Bewußtsein, daß Er nicht versagen würde, wenn auch alle Menschen versagt hatten. Der Tempel mochte in Trümmern liegen, die Bundeslade samt allen heiligen Geräten aus Jerusalem verschwunden sein, das Land selbst in den Besitz der Unbeschnittenen geraten und die einstigen Besitzer als Sklaven in die Hände ihrer Feinde gefallen sein — dennoch konnten ein Daniel, ein Nehemia, eine Esther und andere gleichgesinnte Seelen ihr Nasiräertum aufrecht halten und nach neuen Offenbarungen dessen ausschauen, was Gott für Israel war und hatte.

Noch einmal denn: Die Hilfsquellen Gottes trocknen niemals infolge der Verfehlungen des Menschen aus, und der Glaube kann zu allen Zeiten mit ihnen rechnen. So war eö in den Tagen vor alters, und so ist es heute. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen den Zeiten des Alten und denen des Neuen Testaments, und zwar dieser: Der Glaube nimmt und benutzt heute das, womit Gott ihn ein für allemal versehen hat, und er tut das mit voller Befriedigung, indem der Geist Gottes ihn immer wieder mit heiliger Eifersucht darauf hinweist, daß er nach nichts anderem ausschauen soll, weil es für alle bestehende oder neu entstehende Bedürfnisse genügt.
Der Unterschied besteht also darin, daß in früheren Tagen der Glaube mit dem rechnen mußte, was er noch nicht tatsächlich empfangen hatte, während er heute treu zu dem hält und darin bleibt, was er bereits empfangen hat. 

Aber, wird man vielleicht fragen, wie ist das zu verstehen? Die Antwort ist einfach: der Glaube besitzt heute Christum, das Ende oder den Inbegriff aller göttlichen Vorkehrungen. Immer wieder werden wir in den Briefen ermahnt, in dem zu bleiben, was wir gelernt haben, so in dem Christus Jesus, dem Herrn, zu wandeln, wie wir Ihn empfangen haben, gewurzelt und
auf erbaut in Ihm und befestigt in dem Glauben, so wie wir gelehrt worden sind, und alles abzuweisen, was nicht Christus und Sein Wort ist. Der Apostel Paulus hatte nicht zurückgehalten, den ganzen Ratschluß Gottes den Gläubigen zu verkündigen, und wenn er von ihnen Abschied nehmen muß, befiehlt er sie nicht anderen Werkzeugen, die Gott etwa senden würde, sondern nur „Gott und dem Wort Seiner Gnade". (Vergl. Kol. 2, 6—8; Apstgsch. 20, 27. 32.) In anderem Sinne gibt es natürlich Ähnliches in der Vergangenheit und Gegenwart, in alt- und neutestamentlichen Zeiten. 

Die Untreuen und Fehler des Menschen und die daraus hervorgehende Verwirrung rundumher
tragen heute den gleichen Charakter, beeinflussen und gestalten auch die Verhältnisse in ähnlicher Weise wie damals, nur, wie bereits gesagt, mit dem Unterschiede, daß die göttliche Hilfsquelle im Alten Testament immer wieder als etwas Neues hervortrat, während sie heute unveränderlich dieselbe bleibt, nämlich Christus und die Schriften, Gott und das Wort Seiner Gnade.

Als das goldene Kalb gemacht wurde, schaute, wie wir gesehen haben, der Glaube nach einer neuen Offenbarung des Namens Gottes aus, und er erhielt sie: Jehova ließ alle Seine Güte vor dem Angesicht Moses vorübergehen und rief: „Jehova, Jehova, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit... der Ungerechtigkeit, Übertretung und
Sünde vergibt usw." (2. Mose 34, 6. 7.) Welch ein Unterschied im Vergleich mit dem zuerst geoffenbarten Namen: „Ich, Jehova, bin ein eifernder Gott, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht usw."! 

Als dann das Volk im Lande seinen Platz unter den Flügeln Jehovas verscherzt hatte, fand der Glaube seinen Stützpunkt in dem von Gott erweckten Richter und Befreier. Wenn das  Priestertum sich verderbte, machte er Gebrauch von dem Propheten. Wenn das Königtum in unheilbaren Verfall geraten war, wartete er auf neue, den veränderten Umständen
angepaßte Wege Gottes, wie Mordokai der Königin Esther sagen ließ: „Befreiung und Errettung für die Juden wird von einem anderen Orte her erstehen".(Esther 4, 44.)

Heute aber besitzt der Glaube angesichts aller Fehler und Verwirrungen, in welcher Gestalt sie sich auch zeigen mögen, Gott und Sein Wort, Christum und die Schriften als seine nie fehlende, unveränderliche Hilfsquelle. Er bedarf keiner neuen Offenbarungen, wartet auch nicht auf Veränderungen in Gottes Wegen oder Vorkehrungen. Er mag im Blick auf alles, was um ihn her
vorgeht, mit Trauer und tiefen Gefühlen der Demütigung erfüllt sein, aber er bleibt ruhig und gerät nicht in Verwirrung. Denn „das Ende der Zeitalter ist auf uns gekommen". (4. Kor. 40, 44.) Benutzen wir deshalb, anstatt nach weiteren Kundgebungen der Gnade Gottes auszuschauen, das, was wir haben. Mögen auch Verfall und Verwirrung um uns her immer größer werden, der
Glaube „hält den Anfang der Zuversicht standhaft fest bis zum Ende". (Hebr. 3, 44.) 

Er ist darauf vorbereitet, in Gottes Dienern und Verwaltern Fehlern zu begegnen, aber da er mit Gott selbst in Verbindung gekommen ist, bleibt er ruhig und wohlgemut. Die Geschichte der Sunamitin erläutert diese Wege des Glaubens in überaus schöner Weise. Auch sie lebte
in einer Zeit des Verfalls und der schlimmsten Unordnung, aber wir finden bei ihr keinerlei Bestürzung. Auf Fehler von feiten des Menschen vorbereitet, in der Verbindung mit Gott und Seinen Hilfsquellen stehend und darin ruhend, blieb ihr Glaubensauge klar und ihr Herz ruhig.


Betrachten wir kurz ihr liebliches Tun. Von Anfang an versteht und beurteilt sie Elisa richtig. Ohne daß irgend jemand den Propheten bei ihr eingeführt hätte, erkennt sie in ihm einen „Mann Gottes", und als solchen heißt sie ihn willkommen und nötigt ihn, bei ihr zu essen.
Sie rechnet darauf, daß Gottes Gedanken über Sein Volk unverändert waren, und daß Er wirken konnte, durch wen Er wollte, wenn es auch mit dem Zehnstämmereich so überaus traurig stand. Sie beweist das in ihrem ganzen Verhalten Elisa gegenüber. Ihr ist nicht nur seine Person bekannt, sondern auch sein Charakter. Sie nennt ihn ihrem Manne gegenüber einen „heiligen" Mann Gottes" und hat das Vertrauen, daß er die geistlichen Eigenschaften und den Geschmack eines solchen Mannes besitzt. So trifft sie ihre Vorkehrungen. Ein kleines, gemauertes
Obergemach und als notwendigste Ausstattung ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Leuchter — das genügt. Sie denkt nicht daran, ihrem Gast gegenüber das „wohlhabende Weib" hervorzukehren, sondern begegnet ihm seinem Charakter gemäß. 

Das nennen wir mit Recht Gemeinschaft. Die geistlichen Triebe dieser Frau waren so schön, wie ihr Glaube ungekünstelt und einsichtsvoll war. Die ganze Szene möchte ich himmlisch nennen; das will sagen: das Zimmer und alles, was es enthielt, redete von himmlischer Fremdlingschaft inmitten sittlichen Verderbens und wachsenden Abfalls. Die Zustände im Lande Israel hätten kaum schlimmer sein können, als sie waren. Die Familie Ahabs aus dem Hause Omris saß auf dem
königlichen Thron; in dem ganzen Reich entdeckte das erleuchtete Auge nichts, was Gottes Gedanken entsprochen hätte, was Seiner würdig gewesen wäre. 

In solchen Zeiten genügen dem Volke Gottes „kleine Dinge", ja, sie allein tun das. In den Tagen eines Salomo ist es anders. Während hier ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Leuchter genügen, hören wir zur Zeit Salomos von einem Hause, das der König gebaut hatte, von der Speise seines Tisches, von Knechten und ihrem Sitzen, von Dienern und ihrem Aufwarten, von Mundschenken usw. usw.; alles zeugte von Reichtum und irdischer Größe. Der Unterschied war groß, aber das wackere Weib in Sunem hatte ein Verständnis für den Zeugen und das Zeugnis Gottes in jenen bösen Tagen. Sie verachtete nicht den „Tag kleiner Dinge", sondern wußte, daß, wenn auch die Grundpfeiler umgerissen waren, Gott dennoch in Seinem heiligen Palaste blieb. (Ps. 11, 4.) 

Das Werkzeug Gottes für jene Zeit war freilich nur ein einsamer Mann, eine Art Jona in Ninive, der von niemand eingeführt, von keiner Seite beglaubigt war; aber sie verstand
diesen Mann, und nachdem sie ihn einmal kennen gelernt hatte, ließ sie nicht wieder von ihm. Ihr Gatte mochte von Neumonden und Sabbaten reden, Elisa selbst von seinem Knaben und seinem Stabe, aber für sie war Gottes Werkzeug alles. Er war der Anfang ihrer Zuversicht
gewesen, und an ihm wollte sie standhaft festhalten bis ans Ende.

Das war Glaube, einfältig und unverfälscht, ein Glaube, der sich an Gott und Seine Hilfsquellen klammerte; der, wie wiederholt gesagt, wohl nach neuen Hilfsquellen ausschauen konnte, wenn neue Bedürfnisse entstanden, aber treu an dein Gegebenen festhielt, solang nicht neues Verderben ein neues Einschreiten Gottes in Gnade nötig macht. Und diese Gabe war für jene Zeiten eben Elisa. Laßt uns von dem einfachen Weibe lernen, treu wie sie an dem unendlich Größeren festzuhalten, das uns gegeben ist und nie sich verändern, nie uns genommen werden
kann, an Gott und dem Worte Seiner Gnade!