2. Könige 2 - 13 Elisa BdH 1897

01/23/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Elisa: 2. Könige 2 - 13

Botschafter des Heils in Christo 1897

„Erzähle mir doch alle die großen Dinge, die Elisa getan hat.“ (Kap. 8, 4.)

  1. Die Entrückung des Elia. (2.Könige Kap. 2, 1—14.)
  2. Die Wasser Jerichos werden gesund gemacht. (2.Könige Kap. 2, 15 - 22.)
  3. Das Strafgericht über die spottenden Knaben. (2.Könige Kap. 2, 23 — 2-3).
  4. Die Heere der Könige werden mit Wasser versorgt (2.Könige Kap. 3).
  5. Das Öl der Witwe wird vermehrt (2.Könige Kap. 4, 1---7).
  6. Die Sunamitin (2.Könige Kap. 4, 8 - 37).
  7. Das todbringende Gericht wird zu einem gesunden gemacht. (2.Könige Kap. 4, 38 – 41)
  8. Die Menge wird gespeist (2.Könige Kap. 4, 42 - 44).
  9. Naaman, der Syrer. (2.Könige Kap. 5.)
  10. Das Eisen wird schwimmen gemacht (2.Könige Kap. 6, 1 — 7).
  11. Das Heer der Syrer wird mit Blindheit geschlagen (2.Könige Kap. 6, 8 - 23).
  12. Die Hungersnot in Samaria ( 2.Könige Kap. 6, 24 - 7, 20).
  13. Noch einmal die Sunammitin (Kap. 8, 1 —6).
  14. Die Weissagung über Hasael (2.Könige Kap. 8, 7 - 15).
  15. Die Salbung Jehus (2.Könige Kap. 9 u. 10).
  16. Joas, König von Juda (Kap. 11 und 12).
  17. Joas, König von Israel, und die Pfeile (2.Könige Kap. 13, 1 — 19).
  18. Der tote Mann wird lebendig gemacht (Kap. 13, 20 - 25).


Einleitung.

Der Dienst, den Elia und Elisa zu vollführen hatten, füllte die Zeit aus, während welcher die Familie Ahabs,

das Haus Omris, am Ruder war. Es waren dies die Tage, in welchen das Verderben in dem Zehnstämmereich seinen Höhepunkt erreicht hatte. Das Zeugnis des Herrn bezüglich jener Zeiten lautet folgendermaßen: „Und Ahab, der Sohn Omris, tat was böse war in den Augen Jehovas, mehr als alle, die vor ihm gewesen waren“.

In jenen Tagen geschah es, dass Hiel, der Betheliter, dem Arm des Herrn dadurch Trotz bot, dass er Jericho wieder aufbaute. Aus dieser Tat, die eine Beleidigung der Wahrheit und Macht des Herrn war, blickte gewissermaßen die Verwegenheit des Unglaubens heraus; es ist, als wollte er sagen „Wo ist der Gott des Gerichts“ (Matthäus 2, 17)? Denn die Zeiten Ahabs waren wiederum Zeiten, in denen der Mensch sich erdreistete, Gott herauszufordern und zu versuchen.

Zu einer solchen Zeit, unmittelbar nach der Tat Hiels, wurde Elia berufen (1. Kön. 16, 34; 17, 1); und wir sehen bei ihm eine Berufung Gottes und eine Wirksamkeit des Geistes, die unabhängig von allem andern dastehen. Elia ist ganz und gar in des Herrn Hand. Er gehört nicht der Priesterschaft an. Er sucht nie den Tempel auf. Um den Willen Gottes zu erfahren, benutzt er nie die von Ihm zu diesem Zweck bestimmten Mittel, noch wandelt er ordnungsgemäß nach den Satzungen und Regeln, wie sie Israel gegeben waren. Der Herr ist es, der ihn ergreift und mit einem Licht und einer Kraft erfüllt, die unmittelbar von Ihm her fließen, ohne dass Er sich dazu irgend eines der von Ihm vorgeschriebenen Kanäle bediente.

Gerade so war es mit Elisa. Er war von alledem, was bereits im Lande eingerichtet war, unabhängig. Die Hand des Herrn benutzt, und der Geist Gottes erfüllt ihn, ohne dass dies in Verbindung mit dem Tempel oder dem Priestertum geschähe.

Hieraus können wir eine Lehre ziehen, die wir in der Schrift vielfach antreffen, und die so sehr gesegnet ist, nämlich: dass, wenn der Mensch alles, was Gott ihm anvertraute, verdorben und gerechter Weise jeden Anspruch darauf verloren hat, (wie dies bei Ahab und zu seinen Zeiten der Fall war,) dies dem Herrn Gelegenheit gibt, die Hilfsquellen, die Ihm zu Gebote stehen, ans Licht zu bringen. Was für den Menschen eine Wüste war, war für Christum ein Vorratshaus (Matth. 14, 15—21).

Obwohl jedoch die Berufung dieser beiden Propheten, wie erwähnt, dieselben Merkmale trägt, und wir ihr dieselbe Lehre entnehmen können, (was in gewissem Maße sogar bei der Berufung aller Propheten zutrifft,) so unterscheidet sich doch ihr Dienst im Einzelnen in sehr bestimmter Weise. Ein Zeugnis gegen das Böse, und Leiden, die daraus hervorgehen, kennzeichnen die Geschichte des Elia, während sich bei Elisa Macht zeigt, sowie Gnade in der Benutzung dieser Macht für Andere. Bei dem Herrn Jesu Christo, dessen Schatten selbstverständlich diese Männer waren, sieht man beides. Einerseits gewahren wir in Seinem Leben hienieden den leidenden, vertriebenen und verfolgten Zeugen — die Welt hasste Ihn, weil Er ihr bezeugte, dass ihre Werke böse waren; andrerseits tritt uns der mächtige, gnädige, hilfsbereite Freund Anderer entgegen — alle, die in Kummer oder in Not waren, empfingen von Ihm Heilung und Segnung.

Doch noch mehr als das spiegelt sich in der Geschichte der beiden Propheten ab; denn der Kummer, den Elia hienieden empfinden musste, und seine Verwerfung seitens der Welt endeten damit, dass er in den Himmel aufgenommen wurde; die Macht dagegen, welche Elisa zur Verfügung stand, trieb ihn geradeswegs alledem entgegen, was ihm hätte widerstehen können, und erhielt ihn in dem dauernden Genuss der ihm zu teil werdenden Ehre und der Freude über seine Siege aus Erden. Damit werden die himmlischen und die irdischen Dinge abgebildet, welche den Herrn Jesum Christum, als Sohn Gottes und König Israels, betreffen.

Indem ich jetzt zu der Betrachtung der Geschichte EIisas übergehe, wie uns dieselbe in 2. Kön. 2 13 vorgeführt wird, Beabsichtige ich nicht, dies in erschöpfender Weise zu tun; aber ich möchte doch bei dieser kurzen Wanderung aus jede einzelne Szene, welche der Heilige Geist für uns hat aufzeichnen lassen, der Reihe nach aufmerksam machen und suchen, einige der Unterweisungen ans Licht zu ziehen, die Gott uns hier betreffs Seiner Ratschlüsse und unsers Verhaltens gibt, da die Betrachtung dieses Schriftabschnitts meiner eignen Seele zu großem Nutzen und Segen gereicht hat.


1. Die Entrückung des Elia. (2.Könige Kap. 2, 1—14.)

Die oben angeführten Verse bilden den ersten Abschnitt, mit welchem wir uns zu beschäftigen haben.

Elia hatte schon weit früher Elisa aufgefordert, mit ihm in den Dienst zu treten (1 Kön. 19), indem er zu ihm hinging und seinen Mantel auf ihn warf. Damals war aber Elisa noch nicht ganz vorbereitet gewesen, der Aufforderung Folge zu leisten. Er hatte seinen Vater, und seine Mutter vorgeschützt. „Lass mich“, sagte er, „doch meinen Vater und meine Mutter küssen, so will ich dir folgen.“ Daraufhin hatte Elia ihm gleichsam seinen Mantel wieder abgenommen und seine Aufforderung mit den Worten widerrufen: „Gehe, kehre zurück! Denn was habe ich dir getan? *)

Diese Worte sind bezeichnend; denn wiewohl wir nachher sehen, dass Elisa dem Elia einen Augenblick diente (1. König. 19, 21; vergl. auch 2 Könige 3, 11), so finden wir ihn doch bis zu dem Augenblick, wo sein Meister von ihm genommen werden sollte, nicht wieder ausdrücklich in Gemeinschaft mit demselben. Und zu welchem Zwecke wird er hier bei ihm gesehen? Einfach um das Feuer auszuhalten, um die Probe zu bestehen, ob er in der Tat für den Besitz des Mantels völlig vorbereitet wäre oder nicht.

Elia konnte seinen Mantel zurücklassen. In dem Himmel, in welchen er ging, brauchte er ihn nicht mehr. Sobald er den vom Sturmwinde begleiteten feurigen Wagen bestieg, sobald er von Engeln (Heb. 1, 7) in den Himmel hinaufgetragen wurde, konnte und musste er sich seiner Kleider entledigen. Der Mantel war als das Werkzeug der Macht für den Dienst hienieden gegeben. Ist nun der Dienst beendigt, so legt der Diener den Mantel beiseite, gerade so wie der Sünder bei seiner Bekehrung, wenn sein alter Zustand vergangen ist, seine Kleider abwerfen kann. (Mark. 10, 50.) „Wir erkennen stückweise, und wir prophezeien stückweise; wenn aber das Vollkommene gekommen sein wird, so wird das, was stückweise ist, weggetan werden.“

Elia kann also seinen Mantel jetzt entbehren; ist aber Elisa für den Besitz desselben vorbereitet? Das ist die Frage. Diese Probe wird jetzt gemacht, und zwar vermittelst zweier Werkzeuge; diese sind Elia selbst und die Söhne der Propheten. Beide wurden jedoch von Gott benutzt, um zu prüfen, ob Elias Mantel in der Wertschätzung des Elisa wirklich den ersten Platz einnahm; ob er den Geist eines wahren Leviten in sich trug, eines Mannes, bei welchem die Urim und Thunnim weilen konnten, indem er sich fähig erwies, jetzt von seinem Vater und von seiner Mutter zu sagen: „Ich sehe ihn nicht“ (5. Mose 33, 8. 9). 

Das war die ernste Frage, um welche es sich bei der Probe handelte. Der Herr wog ab, wie viel die Herrlichkeit dem Elisa galt; Er überzeugte sich davon, welches Gewicht die Freude und die Ehre, in dem Geiste und dem Dienste Elias einhergehen zu dürfen, in der Waagschale der Neigungen Elisas hatte. Und Elisa hält die Probe aus; seine Hand wird durch nichts wankend gemacht. Er bringt alle Versuchungen zum Schweigen und erklärt offen heraus, dass er nach dem Mantel, ja, nach dem zwiefachen Teile des Geistes des Elia, verlange. Er wendet sein Auge von jedem anderen Gegenstande ab, nur nicht von der Herrlichkeit. Er will nicht mehr zu seinem Vater oder seiner Mutter, die er zurückgelassen hat, umkehren, um sie zu küssen, sondern er hängt an Elisa, seinem Vater im Glauben, an seinem Verwandten dem Geiste nach ; dieser ist es und dieser allein, zu welchem er aufschaut und in dessen Fußstapfen er tritt. „Mein Vater, mein Vater!“ so ruft er aus, als Elia gen Himmel fährt, „Wagen Israels und seine Reiter!“

Das genügte·. Anfänglich war, wie wir gesehen haben, sein Anrecht auf den Mantel in etwa zweifelhaft (1.Kön. 19), jetzt aber kann er vollen Anspruch auf denselben machen. Er ist nun ein wahrer Levit. „Er kennt niemanden nach dem Fleische“, und so gehört der Mantel ihm.

Darin liegt eine heilige Lehre für uns; denn wir wissen selbst am besten, wie wenig unsre Herzen den Mantel schätzen, wie gering wir die Ehre achten, Jesu dienen, oder wie wenig es uns gilt, an Seiner kommenden Herrlichkeit teilnehmen zu dürfen. Es handelte sich hier nicht darum, zu erproben, ob der Prophet Anspruch auf Gott selbst oder auf Sein Heil habe. Elia zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Elisa ein Eigentum des Herrn war. Nein, hier wurde die Probe gemacht, wie hoch er die Herrlichkeit schätzte. Und das ist eigentlich auch die einzige Frage, um die es sich bei uns handelt. Wir müssen uns prüfen, ob wir der Herrlichkeit des Herrn würdig wandeln, ob es uns wertvoll erscheint, dass wir an derselben teilnehmen sollen. Wohl uns, wenn wir, wie Elisa, durch Zucht dahin gebracht werden, nach der

Herrlichkeit zu verlangen! Wohl uns, wenn die Natur, die so hartnäckig an ihrem Leben in uns festhält, zurückgewiesen wird, und wenn wir, falls sie uns sagt: „Gehe zurück, küsse Vater und Mutter!“ lieber auf die Stimme des Mantels lauschen, der uns ermuntert, vorwärts zu eilen, dem Propheten Gottes nach!

Demütigend ist es aber, zu wissen, dass das Herz, wenn es sich selbst überlassen ist und nicht unter der Leitung des Geistes steht, sich weder um Gott noch um Seine Herrlichkeit bekümmert. Einmal verkaufte es Ihn für ein gekochtes Gericht, ein andermal für eine Herde Schweine, ein drittes Mal für dreißig Silberlinge; und es ist imstande, dies immer wieder für irgend einen beliebigen Preis zu tun. Unsertwegen mag der Wagen leer zum Himmel zurückkehren. Das ist die Sprache des natürlichen Herzens. — O möchten wir doch Gnade haben, um das Teil zu schätzen, welches wir einst mit Dir, hochgelobter Heiland, besitzen werden! Möchten unsre Seelen Kraft erlangen, um uns nach einem Platze mit Dir in jenem himmlischen Wagen zu sehnen, der uns von der Erde und allen irdischen Interessen und Bestrebungen trennen und uns in Dir, mit Dir und durch Dich auf Höhen hinauftragen wird, wo Herrlichkeit und Seligkeit unser warten!


2. Die Wasser Jerichos werden gesund gemacht. (2.Könige Kap. 2, 15 - 22.)

In dem Standpunkt, welchen die Gläubigen einnehmen, herrscht ein Unterschied; sie stehen, was ihr geistliches Leben, ihre Erkenntnis usw. betrifft, auf verschiedenen Stufen. Lot stand nicht aus gleicher Höhe mit Abraham, ebenso wenig die 7000 Verborgenen mit Elia. Dennoch waren alle in gleicher Weise die Auserwählten Gottes, welche Ihm bekannt waren als solche, die Er sich erhalten hatte. So ist es auch hier im Blick aus Elisa und die Prophetensöhne. Während wir den Ersteren durch alle Hindernisse hindurch der himmlischen Herrlichkeit zustreben sehen, müssen wir bei den Anderen eine Gesinnung wahrnehmen, die in nur zu betrübender Weise von der Erde beherrscht wird.

Diese Prophetensöhne waren, wie Nikodemus, trägen Herzens zu glauben. Ihre Gedanken erhoben sich nicht über die Berge und Täler der Erde. Sie hatten nie einen himmlischen Wagen gesehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass Elia anderswo sein könne, als an irgend einem Orte hienieden; darum suchen sie ihn hier. Elisa hätte sie gern sogleich auf den lichten, erhabenen Standpunkt gebracht, den er einnahm; aber sie mussten erst durch ihre eigenen Verkehrtheiten belehrt werden.

Doch mögen sie sich auch noch so schwach und wenig empfänglich erweisen, und mag sich die Kraft des Geistes auch in weit geringerem Maße bei ihnen offenbaren, als bei dem Propheten Gottes, so kann Elisa sie trotzdem als seine Genossen anerkennen, so dass sie seine Gegenwart genießen, sowie den Segen, dessen Träger er ist. Die Stadt, in welcher sie wohnten, hatte unter einem Fluch gelegen (Jos. 6). Elisa aber bringt ihr Heilung. „Keinerlei Fluch wird mehr sein“, so lautete die Sprache des Propheten über Jericho, wie es dereinst die Sprache des Herrn bezüglich Seines Erbteils sein wird **) (Röm. 8; Offenbg. 22). Dies ist tröstlich, wenn auch zugleich demütigend für uns, die wir uns unsrer Schwachheit bewusst sind, und die wir, soweit wir unsre armen Herzen kennen, eher mit den Söhnen der Propheten um Jericho

her stehen, als dass wir in der Kraft des Heiligen Geistes mit Elisa durch den Jordan gehen. Der Gedanke, dass wir uns nicht auf einer Höhe mit ihm befinden, sollte uns zur Demütigung gereichen, während das Bewusstsein, dass der Herr trotzdem unser ist, uns in reichem Maße zu trösten vermag. Vor Ihm stehen die Kleinen ebenso wie die Großen.

Hier möchte ich noch die Bemerkung einfügen, dass von dem Augenblick an, da unser Prophet den Mantel seines Meisters aufhob, Gott alles war, was er· hatte; er erfuhr aber auch, dass Gott für alles, was er bedurfte, genug war. Seine Bedürfnisse waren indessen, wie dies auch bei Jesu der Fall war, nicht seine eigenen. Für Andere nahm er die Hilfsquellen und die Kraft, welche ihm in Gott zu Gebote standen, in Anspruch. Er war reich, aber nicht um für sich davon Gebrauch zu machen. Er begegnet den Unannehmlichkeiten, die in der Natur ihre Quelle haben; ohne einen Geldbeutel zu besitzen, unterstützt er Arme; ohne ein Proviantamt speist er Heere; das, was todbringend war, macht er unschädlich; ohne Brot zu haben, reicht er einer Menge Speise dar und sammelt noch Brocken ein; ohne Arzneimittel heilt er Krankheiten; ohne Waffen oder Soldaten besiegt er Feinde; während einer Hungersnot versorgt er ein ganzes Volk; wiewohl er tot ist, teilt er Leben mit.

Alles dieses redet zu uns von einem Größeren als Elisa, von Jesu. Denn Jesus hatte nichts und machte doch viele reich. Für die bedürftigen Menschenkinder standen Ihm die Welten der Natur und der Gnade zur Verfügung. Und bei Seinem Diener Elisa leuchtet uns ein Wider- schein von Seinem Tun und Handeln entgegen.


3. Das Strafgericht über die spottenden Knaben. (2.Könige Kap. 2, 23 — 2-3).

In diesen Versen wird uns Stoff zu einer Betrachtung anderer Art geboten. Knaben von Bethel sind eine ganz andere Klasse von Leuten, als Prophetensöhne. Wenn Elisa den Starken in Christo darstellt, den wahren Leviten, der allem den Rücken gewandt und seinen Blick nur auf die Herrlichkeit und den feurigen Wagen, der ihn in dieselbe bringen soll, gerichtet hat, und wenn die Söhne der Propheten die Schwachen sind, die durch die Gnade Gottes doch noch dieselbe Gemeinschaft und denselben Segen mit Elisa teilen, so erblicken wir andrerseits in diesen Knaben von Bethel die Spötter oder die Ungläubigen. Sie verachten das Wort des Herrn. Sie spotten über den Gedanken an eine Himmelfahrt. Sie sagen gleichsam: „Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft?“ (2. Petr. 3). Mit dem ganzen Geheimnis Gottes, das geoffenbart ist, um dadurch Errettung und Herrlichkeit zu erlangen, treiben sie ihr Spiel. 

Sie stellen den Sohn Gottes öffentlich zur Schau. „Geh’ hinauf, Kahlkopf! Geh’ hinauf, Kahlkopf!“ so rufen sie Elisa. zu und treiben somit ihren Spott mit dem Gedanken, dass Elia bereits hinaufgegangen sein sollte. Hier ist der Fluch an seinem Platze. Diener erscheinen, um das Zornesurteil zu vollstrecken; Bären kommen über die Knaben von Bethel, sowie Adler über das Aas, um den Widersprechern gegenüber die Unanfechtbarkeit der göttlichen Wahrheit festzustellen. Die Schöpfung soll allerdings nicht für immer unter dem Fluche seufzen, den unsre Sünde über sie gebracht hat, sondern sie soll freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses zu herrlicher Freiheit (Römer 8), so wie es mit Jericho gerade geschehen war; aber auf Kain, sowie aus den Knaben von Bethel, die das Heilmittel, welches Gott gegen den Schaden darreicht, verachten, wird der Fluch ruhen. 

Von solchen spottenden, ungläubigen Knaben, Söhnen des Ungehorsams, ob sie nun von Babel, von Bethel oder von Edom stammen, steht geschrieben: „Glückselig, der deine Kindlein ergreift und sie hinschmettert an den Felsen!“ (Psalm 137) ***)


4. Die Heere der Könige werden mit Wasser versorgt (2.Könige Kap. 3).

Wir hören nichts davon, dass Elisa der Spielball gottloser Könige gewesen wäre, wie dies mit Elia der Fall war. Ihre gewalttätige Hand herrscht nicht über ihn; vielmehr hängt ihr Geschick von seinem Wort und von der ihn begleitenden Kraft Gottes ab.

Wir sehen hier, wie, ohne ihn, drei Könige mit ihrer ganzen Heeresmacht an den Rand des Verderbens kommen. Allein durch das Wort des Herrn, welches er verkündigt, wird das ganze Bild mit einem Schlage verändert, und das Elend ganzer Völker, das mit Bestürzung gepaart geht, verwandelt sich in Sieg und Beute.

Indessen müssen wir bei der Betrachtung dieser Begebenheit einen Umstand näher ins Auge fassen. Der

König von Juda befindet sich hier in schlechter Gesellschaft. Das Bündnis, welches er mit dem abtrünnigen Hause Ahabs geschlossen hatte, war das Zeichen eines traurigen Mangels an Wachsamkeit bei Josaphat. Indes lässt die Gnade Gottes hier besondere Gelegenheiten kommen, um das verborgene Leben, welches in ihm war, offenbar werden zu lassen. Er gerät plötzlich in eine Verlegenheit, und nun lässt sich die Stimme seiner besseren Natur hören: „Ist hier kein Prophet Jehovas, dass wir Jehova durch

ihn befragen?“ Diese Worte zeigen an, dass sich der erneuerte Sinn Josaphats in der Lage, in welcher er sich hier befand, nicht wohl fühlte, wiewohl er in einem unbewachten Augenblick eingewilligt hatte, sie zu schaffen. Es war Güte von Seiten des Herrn, dass Er die Verlegenheit kommen ließ, damit das Leben, welches tatsächlich in Josaphat war, zu Tage träte (Siehe 1. Kön. 22, 7).

Das ist tröstlich für uns. Indes gibt es in dieser Erzählung noch etwas anderes zu beachten.

Elisa entdeckt in Gegenwart dieser Könige, dass er nicht ohne Weiteres weissagen kann. Josaphat konnte wohl Anspruch darauf machen, dass Elisa ihm das Wort des Herrn mitteilte, denn Josaphat war ein Knecht des Herrn; aber er befand sich nicht an dem Platze, an welchem er hätte sein sollen, und so war der Geist in Elisa gehindert. Das war eine ernste Sache. Ein Saitenspieler musste geholt werden, ehe der Geist in dem Propheten in gewohntem, vollem und gnadenreichem Fluss strömen konnte.

Welch ein Vorwurf lag darin für den König von Juda! Welch ein Vorwurf ist es für irgend einen Heiligen, wenn ein Anderer fühlt, dass in seiner Gegenwart der Geist in ihm zurückgehalten wird! Ist dies aber nicht

oft der Fall? Bildet unser fleischlicher Zustand nicht oft ein Hindernis für das schöne, freie und leichte Ausströmen des Geistes, so dass ebenfalls der Saitenspieler gerufen werden muss? Diejenigen, welche geistlich sind, müssen erst ein gewisses Zögern, eine gewisse Anstrengung, irgend einen Zwischenfall eintreten oder über sich ergehen lassen, ehe alles wieder in harmonischem Einklang sein kann.

So war es hier, und so ist es heute noch oft. Es war ein Beweis von Josaphats schlechtem Zustand, zugleich aber auch von Elisas himmlischer Gesinnung. Wäre des Letzteren Gemeinschaft mit dem Herrn weniger lebendig gewesen, so würde er das Bedürfnis nach dem Saitenspieler nicht in dem Maße empfunden haben. Wäre er im Fleische und nicht im Geiste gewesen, so hätte er kein Gefühl von dem Bruch gehabt, den Josaphat, welcher sich jetzt im Fleische befand, verursachte. Aus dieser seiner feinen Empfindung und seinem Bedürfnis nach einer Erquickung lässt sich seine himmlische Gesinnung erkennen. Jesus musste beständig den Saitenspieler rufen. Seine Gemeinschaft mit Seinem Vater begegnete hienieden unaufhörlich Dingen, die ihr hindernd in den Weg traten, und das sogar seitens der Seinigen, die weder für Seine Freuden noch für Seine Kümmernisse ein Verständnis hatten.

 Er musste sie verlassen; um im Gebet mit Gott zu verkehren, musste Er vor Tagesanbruch aufstehen oder die ganze Nacht einsam verharren und einen wüsten Ort aufsuchen. Gerade die Vollkommenheit Seiner Gemeinschaft war es, die dies notwendig machte. Er bedurfte den Saitenspieler. Hätte Er einen Standpunkt eingenommen, der der Erde näher gewesen wäre, so würde Er die irdische Gesinnung, von welcher Seine ganze Umgebung erfüllt war, nicht so schnell empfunden haben. Der schroffe Gegensatz aber, in welchem dieselbe zu Seiner eignen Seele stand, brachte Ihm diese Gesinnung voll und ganz zum Bewusstsein, und der Wohlklang und das Liebliche Seines Umgangs mit dem Vater reichte Ihm stets neue Erquickung dar.

So war es mit unserm hochgelobten Herrn und Meister, der das Muster aller Vollkommenheit ist, und so war es auch in seinem Maße mit Elisa. Ein bloßes Werkzeug der göttlichen Macht oder ein bloßes Gefäß einer geistlichen Gabe mag überall mit derselben Freiheit seine Aufgabe verrichten oder seine Gabe verwenden. Balaam sah sich durch die Anwesenheit Balaks und der Altäre nicht gehindert, seine Weissagungen auszusprechen; denn er war ein bloßes Werkzeug — gleichsam ein fleischerner Stoff, durch welchen ein Anderer atmete. Wo aber ein erneuerter Sinn als Werkzeug dient, da kann dies nicht der Fall sein. Mag er auch als ein Werkzeug benutzt werden, durch welches sich eine höhere Macht wirksam erweist, so werden doch die ihm eigentümlichen Gefühle und das ihm eigene feinfühlige Streben nach Heiligkeit stets rege bleiben.

So war es bei Elisa. Das was seine Augen erblickten, konnte ihn nur betrüben. Josaphat hätte nicht an diesem Platze sein sollen, und Elisa muss ihm zu verstehen geben, dass, wenn er selbst ihn betreten sollte, dies auf einem ganz anderen Wege geschehen musste. Ein Heiliger kann zwar an Stätten, die aufs Traurigste verunreinigt sind, zum Dienst oder zum Zeugnis berufen werden; aber nie wird er Gefallen daran haben, sich dort aufhalten zu müssen, vielmehr wird dies seiner Seele stets zuwider sein.

Es gereicht Elisa, als einem Heiligen, zum Ruhme, dass er in dieser Weise dem Herrn ähnlich war, indem er das Schwere und Drückende eines Auftritts, wie der vorliegende, augenblicklich fühlte, während ein anderer Heiliger an demselben teilnehmen konnte, da er nicht im Geiste, sondern im Fleische wandelte. Wie sollten wir danach trachten, Elisa zu gleichen, Geliebte! Wie sollten wir so leben, uns so bewegen Und so mit unserm ganzen Wesen im Heiligtum weilen, dass demselben nichts Unreines nahen könnte, ohne dass wir sofort eine Empfindung davon hätten!

Fußnote:

*) In Luk. 9, 62 scheint der Herr auf die Berufung Elisas anzuspielen. Elisa war damals am Pfluge, allein es hatte den Anschein, als ob er ein wenig zurückblicke. (Siehe 1. Kön. 19, 19. 20)

**) Sollte der Gedanke nicht zu kühn sein, so möchte ich aus dem, was die Schrift uns von der Geschichte Jerichos mitteilt, entnehmen, dass wir in dieser Stadt ein Bild der ganzen Erde erblicken können. Im Anfang wurde der Fluch über diese Stadt ausgesprochen (Josua 6); derselbe kam zur Ausführung (1.Kön.16,34); schließlich aber wird sie zu einem gesund gemachten Ort, der wieder zur Wohnung dienen und Gott und Menschen erfreuen kann. Dürfen wir darin nicht ein Gleichnis von der Geschichte der Erde erblicken?

***) Bethel kann wohl mit Recht mit Babel und Edom zusammengestellt werden. Was wir von ihm hören, deutet auf völligen Abfall von Gott hin. In Bethel wurden die abgöttischen Bilder aufgestellt (1. Kön.12, 25 -33); in Bethel wurde, wie wir gesehen haben, Hiel geboren (siehe die Einleitung); und hier wird uns mitgeteilt, dass es der Geburtsort dieser spottenden, ungläubigen Knaben war.


5. Das Öl der Witwe wird vermehrt (2.Könige Kap. 4, 1-7).

„Euch geschehe nach euerm Glauben!“ so lautete das Wort des Herrn an die zwei Blinden, welche Ihm einst folgten und tun Erbarmen flehten. Wie wunderbar und herrlich ist es doch, dass somit unser Glaube, unser Ausharren oder das, was unsre Hoffnung erwartet, irgendwie das Maß für die tätige und freigebige Wirksamkeit des Herrn abgeben darf! Aber so war es in der Tat: „Euch geschehe nach euerm Glauben!“ heißt es; und wiederum: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast“ (Matthäus 8 und 9).

Dieselbe Sprache redete das Wunder, welches hier durch die Hand Elisas geschah. So lange nämlich die arme Witwe Gefäße herbeibrachte, ließ der Krug sein Öl fließen. Das Öl wartete auf die Gefäße. Die Gefäße bildetest das Maß für das Öl. Mit anderen Worten: die Kraft Gottes wartete auf den Glauben; der Glaube war bei dieser Gelegenheit für die Ergiebigkeit der Hilfsquellen Gottes maßgebend. Es war gerade so wie Jahrhunderte vorher, als Abraham vor den Herrn hintrat und für Sodom Fürbitte einlegte. So lange nämlich Abraham stehen blieb und Fürbitte tat, blieb auch der Herr stehen und sagte zu (1. Mose 18, 17 —33).

Diese bewunderungswürdige Gnade Gottes findet in dem vorliegenden Abschnitt eine liebliche Darstellung. Indessen ist hier noch etwas anderes zu beachten. Der Prophet sagte zu dem Weibe: „Tue mir kund, was du im Hause hast“. In ähnlicher Weise richtete in späterer Zeit Jesus die Frage an Seine Jünger: „Wie viele Brote habt ihr?“ und so hatte Er auch einst zu Mose an dem Berge Horeb gesprochen: „Was ist das in deiner Hand?“ Denn es geziemt sich, dass alles, was irgend wir haben, zur Verwendung komme. Es mag für das vorliegende Bedürfnis durchaus nicht genügen, aber es soll benutzt werden, mag es sein was es will. Wenn es auch nur ein Hirtenstab ist, und es sich um Israels Erlösung handelt; oder nur ein Krug Öl, und der Schuldherr, der ein Recht hat, die Kinder und alles zu verkaufen, bezahlt werden muss; oder wenn nur fünf Gerstenbrote da sind und fünftausend Hungrige gesättigt werden müssen“ — ganz einerlei; was da ist, muss herbeigebracht und benutzt werden.

 „Sie hat getan, was sie vermochte“ (Mark. 14, 8). Dementsprechend finden wir hier das Wort: „Tue mir kund, was du im Hause hast“. Und wenn nun der Krug Öl und damit alles, was im Hause ist, herbeigebracht ist, so mag der Glaube auf die Kraft Gottes und auf Sein Verheißungswort rechnen; und es wird nicht nur der Schuldherr befriedigt, sondern, über die Bezahlung der Schuld hinaus, auch noch für den Lebensunterhalt auf viele Tage hin gesorgt werden. Nicht nur wird die Menge gespeist, sondern es werden auch noch Brocken eingesammelt; nicht nur wird Israel aus Ägypten erlöst, sondern derselbe Hirtenstab, der nun zu dem Stabe Gottes geworden ist, wird auch die Herde weiden und hüten bis an das Ende der Wüstenreise.


6. Die Sunamitin (2.Könige Kap. 4, 8 - 37).

In dieser Erzählung zeigt sich aufs neue, welche Macht dem Propheten zu Gebote stand, während er hienieden umherwandelte. Was wir hier vor Augen haben, ist ein herrlicher Beweis davon, und wir werden sehen, in welch bemerkenswerter Weise dabei die wirksame Kraft und die Machtvollkommenheit Gottes, womit der Prophet ausgerüstet war, zu Tage treten. Allein obwohl ihm solche Macht zum Nutzen Anderer zur Verfügung stand, besaß er selbst doch während all dieser Zeit nichts. Er war tatsächlich arm, während er viele reich machte; er schien alles zu besitzen und hatte doch in Wirklichkeit nichts. Diejenigen, um derer willen er Hilfsquellen erschloss, welche völlig außerhalb des Bereiches des Menschen lagen, sorgten für ihn und teilten ihm das mit, was er zum täglichen Leben bedurfte. Dazu kam, dass er allein durch diese Welt wandelte, während doch alle auf ihn warteten.

Alles das erinnert uns in lebendigster Weise an das Leben und den Wandel des Einen, der sich Meister und Herr nennen und die Huldigungen entgegennehmen konnte, welche der Glaube Ihm darbrachte, während Er gleichzeitig nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegen sollte. Wir finden in allen diesen Dingen bei unserem Propheten einen Widerschein, einen Abglanz des Pfades Jesu.

Das Weib, welches in diesem Abschnitt vor unsre Blicke tritt, gehörte augenscheinlich zu dem göttlichen Samen im Lande Israel. Sie lebte inmitten des abseits wohnenden Stammes Jssaschar und scheint Elisa, den mächtigen Propheten Gottes, nicht persönlich gekannt zu haben. Aber schon sehr bald nimmt sie etwas an ihm wahr, was vom Herrn ist. Sie war bereits von Gott belehrt worden; ihre Religion bestand in jener Gesinnung, welche die Gedanken und Wege Gottes an einem bösen Tage, wenn alles durch den Abfall verdunkelt ist, zu unterscheiden wusste. Neumonde und Sabbate machten nicht ihren Gottesdienst aus oder bestimmten den Verkehr ihres Geistes mit Gott, wie ihr Mann irrtümlicherweise meinte. Vielmehr war Elisa, der in jenen Tagen den Kanal bildete, durch welchen sich, unabhängig vom Tempel und seinen Verordnungen, göttliche Macht und Gnade ergoss, ihr Gegenstand und ihre Hoffnung; denn er war der Gegenstand, auf welchen das Auge Gottes gerichtet war, sowie das Werkzeug, dessen Er sich bediente.

Demgemäß bereitete sie ihm in ihrem Hause einen Platz, an welchem er sich aufhalten konnte. Die Vorkehrungen, welche sie für ihn trifft, zeigen weiter in bedeutsamer Weise, wie gut sie ihn versteht. Sie richtet ihm nur eine kleine Kammer mit Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter her. Alles entsprach dem einfachen Wesen eines Mannes Gottes, der, von der Welt abgesondert, inmitten ihres Verderbens als ein Fremdling dastand.

Sie verstand ihn, weil sie ihm glich. In ihnen beiden lebte ein Geist. Die Gedanken und Gewohnheiten eines Pilgrims, in welchen Elisa sich bewegte, waren ihr eben darum verständlich, weil sie selbst in denselben geübt war. Dies ist auch die einzige Art und Weise, in welcher man sowohl die Kinder Gottes, als auch Gott selbst in Wahrheit kennen lernen kann. Der gemeinsame Geist stellt die Verbindung her und ruft eine Übereinstimmung in der Gesinnung wach.

Die Sunamitin wohnte inmitten ihres Volkes und hatte keinen Wunsch, dass für sie, sei es mit dem Könige oder mit dem Heerobersten, geredet würde. Gerade so war es mit Elisa; denn obgleich ihm der König wie der Heeroberste Gehör schenkten, (wie dies billigerweise nicht anders sein konnte, nachdem er am Tage der Schlacht ihre Heere versorgt hatte), zog er es doch vor, ein Fremdling und Pilgrim im Lande zu bleiben und in einer kleinen Kammer zu herbergen, die mit den einfachsten Hausgeräten, einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Leuchter, versehen war.

Hier tritt uns deutlich die Gemeinsamkeit der geistlichen Empfindungen entgegen, wie sie unter den Kindern Gottes besteht. Das Weib konnte einen Propheten in eines Propheten Namen aufnehmen, und zwar so wie es den Gefühlen und Neigungen eines Propheten entsprach. Und der große Prophet jenes Tages, der Zeuge Gottes im Lande, das Gefäß der reichsten Schätze Gottes, welches damals die göttlichen Segnungen überall da, wohin die Macht des Geistes es führte, im Namen des Herrn ausströmen ließ, ist eines Sinnes mit dieser unbekannten, in entlegener Gegend in den Grenzen „Issaschars wohnenden Tochter Abrahams. Wie kostbar sind doch die Spuren des einen Geistes, der so jedem auserwählten, der gleichen Haushaltung angehörenden Gliede Leben und Gestaltung gibt!

Wir entdecken jedoch an diesem bevorzugten und angehenden Orte nicht nur eine Tochter Abrahams, sondern auch etwas von dem Hause und dem Glauben dieses Patriarchen. Die Sunamitin hatte keinen Sohn, und ihr Mann war alt. Aber so wie der Herr selbst einst zu Abraham gesprochen hatte: „Übers Jahr, und Sarah wird einen Sohn haben“, so spricht jetzt der Prophet Jehovas zu dieser Sunamitin: „Übers Jahr wirst du einen Sohn umarmen“. Und nach diesem Worte geschah es - wie bei Sarah, so auch bei diesem Weibe. Die lebengebende Kraft Gottes kehrte in ihr Haus ein, und sie umarmte einen Sohn, wie es ihr verheißen worden war.

Indessen können Wir in diesem Hause noch mehr als das wahrnehmen. Durch die Hand Elisas soll dieses Weib nicht nur die Macht, Leben zu geben, sondern auch die Macht der Auferstehung kennen lernen; gerade so wie das Haus Abrahams durch die Wirksamkeit des Herrn selbst über diese Macht belehrt wurde. Isaak, zuerst im Mutterleibe durch die Macht Gottes ins Leben gerufen, wurde nachher wie aus den Toten empfangen. Ähnlich ist es hier. Der Sohn der Verheißung wird unter das Urteil des Todes gestellt, aber durch dieselbe Macht Gottes, mittelst des Elisa, aus den Toten auferweckt.

Das ist also wiederum ein Zug, der an Abrahams Haus erinnert; und ein in entlegener Gegend wohnendes

Weib von Issaschar ist es, welchem seitens des Gottes ihres Volkes solche Beachtung, solche Ehre, solche Gnade zuteil wird. Aus diesem Wege wird das Haus der Sunamitin zu einem Beispiel, in welchem jenes herrliche Geheimnis zu Tage tritt, an dem wir alle teilhaben; es wird zu einem Zeugnis von dem, was eine jede Seele erfahren hat, der die Kraft Gottes bekannt geworden ist; denn es zeigt sich hier eine Kraft, die sowohl Leben mitteilt, als auch Auferstehung bewirkt, eine Kraft, welche diejenigen, die tot in Sünden und Übertretungen waren, auferweckt, um nun in dem Leben des Sohnes Gottes leben zu können.

Der Glaube macht sich dies zu eigen: der Glaube, welcher erfasst, dass in uns der Tod, in Jesu aber das Leben ist. Je einfältiger dies geschieht, um so glücklicher find wir. Je weniger Fragen und Zweifel wir erheben, desto mehr sind wir mit den Gedanken Gottes in Übereinstimmung. So war es bei dieser Sunamitin. Ihr Glaube war, wie wir gesehen haben, sofort bereit, in die Gedanken des Propheten einzugehen, ja bereit, zu verstehen, dass alles wohl stände oder doch gut werden würde, selbst nachdem

der Tod das Haus betreten hatte. Und er war bereit, trotz aller Versucher und Versuchungen, sich an den Propheten Gottes, an den Gegenstand und das Werkzeug Gottes zu klammern, und nur an ihn allein. Das war eine kostbare Glaubenseinfalt, ein liebliches Vertrauen. Und auch während der ganzen Glaubensprobe, durch welche sie jetzt, wie seiner Zeit ihr Vater Abraham, geführt wird, ist an ihr eine sich stets gleichbleibende Ruhe und Gewissheit der Seele zu bemerken. Als der Erzvater den Befehl erhielt, seinen Sohn zu nehmen und als Brandopfer zu opfern, da ging er dieser Probe entgegen, ohne dass seine Seele auch nur im Geringsten beunruhigt worden wäre. Der Esel und die Knaben werden unverzüglich in Bereitschaft gestellt, und alles was nötig war: Messer, Feuer und Holz, wird ohne Zögern beschafft. Der Glaube rechnete auf eine Auferstehung. Abraham urteilte, dass Gott imstande wäre, Isaak aus den Toten aufzuerwecken, gerade so gut, wie Er ihm vorher in dem Mutterleibe der Sarah das Leben verliehen hatte. Abraham blieb daher völlig ruhig: und als am Ende die Errettung wirklich eintrat und die Stimme vom Himmel den Stellvertreter für Isaak ankündigte, bemerken wir nichts von Überraschung oder Erstaunen bei unserm Patriarchen. 

Er wundert sich nicht, ist auch nicht im Zweifel und fragt nicht, ob sich wirklich also verhalte, sondern er macht seinen Sohn mit derselben Ruhe und Gewissheit los, wie er ihn vorher gebunden hatte. Welch eine Tiefe und welch eine Würde offenbaren sich in dieser Gelassenheit! Der Glaube hatte sich im Voraus die Auferstehung zu eigen gemacht. Und ganz in demselben Geiste schreitet die teure und geehrte Tochter Abrahams, mit welcher wir uns hier beschäftigen, auf dem Pfade des- Glaubens voran. Der Tod trat auch in ihr Haus- ein; aber sie wusste von Einem, der die Toten lebendig macht. Und so werden denn auch hier wieder der Esel und die Knaben bereit gemacht, und in der sichern und gewissen Hoffnung einer Auferstehung der Toten lautet die Sprache ihres Glaubens: „Es geht Wohl“. IV. 26.«) Und am Schlusse hat die Belebung ihres Kindes nichts Überraschendes für sie. Sie erhielt ihren ins Leben zurückgerufenen Toten wieder (Hebr. 11, 35). 

Sie vermag im Glauben ihren Sohn sowohl zu lösen als auch zu binden. Sie fällt dem Propheten zu Füßen und bückt sich zur Erde (V. 37). Sie erkennt die kostbare Gabe mit Dank und Beugung an; aber dann trägt sie das Kind von dannen, ohne irgendwelche Überraschung zu zeigen. Sie war über das wunderbare Ereignis nicht erstaunt. Sie untersucht auch nicht in leicht begreiflicher Neugier den Knaben, ob er wirklich lebendig sei. Nein, ihr Glaube hatte auf eine solche Stunde gerechnet und das Kind bereits wie durch Auferstehung wieder erhalten; und so hatte ihre Seele nichts weiter nötig, als zu wissen, dass ihr Liebling wieder warm und lebendig in ihren Armen lag.

Alles dieses liefert uns ein Beispiel von dem Glauben eines Sünders. Sollte es bei uns für etwas Unglaubliches gehalten werden, dass Gott Tote auferweckt? Die Sprache des Glaubens sollte immer lauten: „Ist für Jehova eine Sache zu wunderbar?“ Bei Gott sind alle Dinge möglich. Und so sind wir denn berufen, ans einem Zustande, da wir tot in Übertretungen und Sünden waren, herauszutreten und in das Leben und die Freiheit einzugehen — heraus ans dem Geiste der Knechtschaft und der Furcht und unter der Schuldenlast eines ungereinigten Gewissens hinweg: und zwar dürfen wir dies tun, ohne überrascht zu sein oder zu zweifeln, weil der Herr es bewirkt hat. „Einst war ich blind, aber jetzt sehe ich“, so darf sich die ruhige, glückliche, dankbare Gewissheit des Sünders äußern, wenn er mit dem Sohne Gottes zusammengetroffen ist und die Heilkraft Seines Blutes kennen gelernt hat.

In dem Glauben dieser teuren Seele gibt es aber noch mehr zu beachten. Es scheint mir, dass er in derselben doppelten Weise geprüft wurde, wie vorher der Glaube Elisas. Die Söhne der Propheten einerseits und das Wort Elias andrerseits hatten den Glauben Elisas auf eine harte Probe gestellt; derselbe trug aber den Sieg davon, und Elisa ging voran, seinem Herrn nach, bis der „Wagen Israels sie trennte.“

So war es auch hier. Zuerst stellen die Gedanken ihres Mannes und dann das Verhalten Elisas die Festigkeit ihrer Seele auf die Probe. „Warum willst du heute zu ihm gehen?“ sagt ihr Mann zu ihr, „es ist weder Neumond noch Sabbat; und Elisa sucht sie mit Gehasi zufrieden zu stellen, indem er diesem gebietet, hinzugehen und seinen Stab aus das Angesicht des Knaben zu legen. Der Glaube des Weibes aber macht beide verstummen. Sie lässt sich durch nichts aufhalten, sondern verfolgt ihren Weg mit derselben Entschiedenheit und demselben Eifer wie vordem Elisa, als er sprach: „So wahr Jehova lebt und deine Seele lebt, wenn ich dich verlasse“ (Kap. 2, 2; 4, 30)!

Der große Feind und Verführer, die alte Schlange, möchte die Seelen oft an die Kraft irgend eines Abgesandten, an diesen oder jenen Diener und seinen Stab fesseln. Der Glaube widersetzt sich dem aber stets. Durch seine List und durch die Verdunklung der Ratschlüsse Gottes hatte Satan in späteren Tagen die gläubigen Galater dahin gebracht, ihr Vertrauen auf äußere Satzungen und Verordnungen zu setzen; Paulus aber klammerte sich an das Kreuz und stieß die Magd aus dem Hause hinaus (Gal. 4, 30). Um eine Seele auf die Probe zu stellen, kann sogar der Herr selbst, wie hier Sein Prophet es tat, ein ähnliches Anerbieten machen. „Wenn du ins Leben eingehen willst, so halte die Gebote“, sagte Jesus zu dem jungen Obersten. Was würde der Glaube hierauf geantwortet haben? Seine Antwort hätte gelautet: „Herr, Du hast Worte des ewigen Lebens“. Der junge Oberste mochte. das ihm vorgeschlagene Heilmittel untersuchen, den Diener und den Stab mit sich nehmen und seines Weges gehen; Paulus aber und der Glaube und dieses Weib von Issaschar konnten und können sich nur an Jesum klammern.

Aus dem Werke des Geistes in der Seele der Sunamitin strahlt uns eine Größe entgegen, die in der Tat kostbar ist. Elisa war ihr bereits dadurch bekannt geworden, dass er ihrem erstorbenen Leibe Leben verliehen hatte. Sie hatte in dieser Sache ihn oder vielmehr die sich durch ihn kundgebende Kraft Gottes kennen gelernt, und an diese Kraft klammert sie sich jetzt angesichts aller Versuchungen, die an sie herantreten mögen. Gerade so verhält es sich im Blick auf den Sünder und esum. Der Sünder, welcher zum Glauben gekommen ist, hat den Sohn Gottes in Seiner Leben bringenden Kraft kennen gelernt. Er hat das Geheimnis des Todes und der Auferstehung verstanden. Er ist auf Golgatha und bei dem leeren Grabe gewesen. Hier hat er Dinge geschaut und in ihrer Bedeutung erfasst, durch welche ihm eine völlige Reinigung des Gewissens Gott gegenüber zu teil geworden ist. Und keine Satzung, kein religiöser Brauch, wie man es nennt, kann in dem Herzen eines Gläubigen die Stelle jener Dinge einnehmen· Der Eine mag von Neumonden und Sabbaten reden, ein Anderer von dem Stabe des Propheten, der sich in der Hand eines Stellvertreters oder Abgesandten befindet; aber der Glaube des von Gott belehrten Sünders ergreift nichts anderes als den kostbaren, unveränderlichen und unvergänglichen Wert Dessen, der tot war und wieder lebendig geworden ist· Von Ihm hat er gelernt, wie es einst dieses teure Weib von Elisa lernte, wo man allein lebendig machende, erlösende und errettende Kraft von Gott empfangen und genießen kann.

In der Tat, es ist ein lieblicher und fruchtbringender Ort, an welchem die Füße des Propheten des Öfteren weilten, und zu welchem sich auch unsre Gedanken, wenn wir unser selbst und der Welt müde sind, ebenso oft wenden mögen, um dort in Gott erfrischt zu werden!


7. Das todbringende Gericht wird zu einem gesunden gemacht. (2.Könige Kap. 4, 38 – 41)

Die verschiedenen Vorfälle, denen wir im Leben unsers Propheten begegnen, bilden ebenso viele Gelegenheiten, an denen die Herrlichkeit die Wolke seines scheinbaren Nichts und seiner Armut in dieser Welt durchbrach; und dies war einer von den Zügen, die auch das Leben des Sohnes Gottes hienieden kennzeichneten.

Das Tun und Lassen des Propheten kommt in dem vorliegenden Abschnitt in besonders bezeichnender Weise zum Ausdruck, und damit das Verhalten Dessen, den er vorbildlich darstellte. „Der Tod war im Topfe“; d. h. der Tod war da, wo Leben hätte sein sollen, der Tod war in einen Ort eingedrungen, von dein aus das Leben seinen Unterhalt und seine Kräftigung erhoffte. Der Prophet aber besitzt hier ebenso wohl ein Gegenmittel gegen den Tod, wie er es einst in Jericho gegen den Fluch hatte. Wir kennen den Einen, von dem wir singen:

„Wo Seine Heilkraft Er beweist, da müssen Fluch und Tod verschwinden.“

Hier hat unser Prophet das Vorbild von Jesu, Mehl, um es in den Topf zu tun, wie früher Salz, um es in das Wasser zu werfen; das eine wie das andere wird auf diesem Wege gesund gemacht. Mose stellte zu Mara, wo er für das bittere Wasser das Holz hatte, dieselbe Sache im Bilde dar. Denn der Sohn Gottes hat sich selbst auf den Schauplatz des Todes begeben und den Lauf des Todes aufgehalten. Er erschien mit Seinem heilbringenden Kreuze und „machte den zunichte, der die Macht des Todes hat“ (Hebr. 2, 14). „Durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jesaja 53). Wohl ertönt bei der Entdeckung, dass der Tod eingedrungen ist, ein Schrei; aber der Sohn Gottes hat auf diesen Schrei geantwortet. Wir genießen von dem, was wir uns in unserm Eigenwillen zusammengelesen haben; Jesus aber gestaltet das Mahl um und gibt uns wahrhaftig Speise und wahrhaftig Trank, wovon wir selbst in der Zeit der Hungersnot leben können.

Fluch und Tod sind völlig Dein unterworfen, der sich um unsertwillen auf den Schauplatz und in das bewegte Leben dieser Welt begeben hat. Er sagt: „Ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades“, und Seine Macht wird die Schöpfung von dem Fluche befreien und den Tod selbst in den Feuersee werfen.

Warum, so könnten wir voll Erstaunen fragen, haben wir uns jemals daran gemacht, unsere wilden Früchte zusammenzulesen und so den Tod einzuführen? Warum blieben wir nicht bei dem Mahle sitzen, wie es anfänglich für uns zubereitet war?

Denn dieser an und für sich unbedeutende Vorfall gibt uns ein Bild im Kleinen von dem großen Geheimnis in seinem ganzen Umfang. Was hat Adam getan? Was tat Christus? Finden wir hier nicht die Antwort auf diese beiden Fragen? -— Der Prophet richtete eine Mahlzeit zu. Wiewohl es eine Zeit der Hungersnot war, besaß er doch seine Hilfsquellen. Er hatte ein Gericht für seine Gäste, und der Topf brodelte auf dem Feuer. Da war aber einer, -— einerlei wer; jedenfalls war es weder der Prophet noch sein Diener, — der die Mahlzeit zu verbessern gedachte und in aufdringlicher Dienstfertigkeit wilde Koloquinthen las. Seine Koloquinthen brachten aber den Tod in des Propheten Topf. Und nun frage ich, hat nicht Adam dasselbe getan? Jehova, der Schöpfer, hatte in Eden für den Menschen ein nahrhaftes, wohlschmeckendes und reichliches Mahl zugerüstet; Adam meinte aber, es noch verbessern zu müssen. Er las wilde Früchte zusammen, etwas was der Herr nicht für den Tisch bestimmt hatte, etwas was Adam noch hinzufügte; damit aber verdarb er alles und brachte den Tod in den Topf. Er brachte also den Tod auf jene Tafel, welche der Herr mit der lieblichsten, nahrhaftesten Lebensspeise in reicher Fülle beladen hatte!

Der Prophet besitzt jedoch das passende Gegenmittel und macht den Inhalt des Topfes gesund; und dann setzen sich seine Gäste mit einem Appetit, der an Stärke nur gewonnen hat, aufs neue zu dem Mahle nieder, um die nun noch schmackhafter gewordene Speise zu genießen. Sie sehen jetzt eine nicht nur zubereitete, sondern auch eine gesund gemachte Mahlzeit vor sich. Sie haben wohl Ursache, den Mann und seine Hilfsquellen zu bewundern und zu lieben, der imstande gewesen war, (in einer Gnade, die keinerlei Vorwürfe machte,) den guten Dingen, die für sie bestimmt waren, ihre Kraft wiederzugeben — jenen guten Dingen, welche sie in ihrem leichtfertigen Übermut zu verbessern gedacht, aber völlig verdorben und verunreinigt hatten. Erblicken wir hierin, so frage ich wiederum, nicht ein Bild von Jesu und von uns selbst? Sitzen wir nicht bei einer Mahlzeit, die gesund gemacht worden ist? „Die Blätter des Baumes sind zur Heilung der Nationen« Wir befinden uns bei einer Mahlzeit, so herrlich und freudenvoll, wie sie im Schatten der Bäume Edens nie hätte stattfinden können; ja wir nehmen mit einem Herzen voll neuer, glücklicher Empfindungen teil an dem Feste des Erlösers. Wir bewundern Seine Macht, die nicht nur imstande war, zu erschaffen, sondern auch zu heilen, und gehen auf in Liebe und Lob, wenn wir der Gnade gedenken, die, anstatt uns Vorwürfe zu machen, dem angerichteten Schaden in solcher Weise abgeholfen hat.


8. Die Menge wird gespeist (2.Könige Kap. 4, 42 - 44).

In der vorhergehenden kleinen Erzählung kam in bezeichnender Weise die Macht des Sohnes Gottes zum Ausdruck, wie sie der Macht des Todes begegnet. Wir wurden an den Stärkeren erinnert, der in das Haus des Starken hineingeht, um seinen Hausrat zu rauben - an die Macht des Lebens, die auf der Stätte des Todes erscheint, um mit dem Tode ein Ende zu machen und ihn zu vernichten.

In diesem Abschnitte begegnen wir einer milderen Äußerung der Macht desselben herrlichen Jesus. Es war noch dieselbe Zeit der Hungersnot wie vorher. (V. 38.) Aber mit zwanzig Gerstenbroten und etwas Gartenkorn speist der Prophet, zum Erstaunen seines Dieners, hundert Männer — wie später Jesus, zum Erstaunen Seiner Jünger, mit fünf Gerstenbroten und zwei kleinen Fischen Fünftausend speiste; und nach beiden Mahlzeiten blieben Brocken übrig, um uns erkennen zu lassen, welch eine Fülle im Hause unsers Vaters ist. Dort gibt es „Überfluss an Brot“ (Lukas 15). Wir dürfen zu Ihm gehen, als zu Einem, der überströmende Reichtümer sowohl, als auch eine überströmende Liebe hat. Weder im Blick auf Ihn selbst, noch auf Seine Hilfsquellen sind uns — irgendwelche Schranken gesetzt. „Seine Liebe entspricht Seiner Macht“ (und ich möchte hinzufügen, Seine Macht Seiner Liebe) „und kennt weder Schranke noch Ziel.“

Indessen besteht nicht nur ein Unterschied hinsichtlich des Umfanges (wenn ich mich so ausdrücken darf) dieser beiden von Elisa und von Jesu bewirkten Wunder, sondern auch bezüglich der Art und der Tragweite derselben. Elisa speist die Leute „nach dem Worte Jehovas“, Jesus kraft Seines eigenen Wortes. Elisa sagt: „So spricht Jehova: Man wird essen und übriglassen“; Jesus aber sagt: „Machet, dass die Leute sich lagern!“ So sind die Herrlichkeiten verschieden. Jesus war „das Wort“, nach welchem Elisa die Leute speiste. Elisa trug den Namen Jehovas mit sich; Jesus aber war selbst Jehova, und die Rechte und die Machtvollkommenheit Seines eignen Namens waren es, die Er mit sich umhertrug und kraft deren Er handelte.


9. Naaman, der Syrer. (2.Könige Kap. 5.)

Die Herrlichkeiten, von denen der Pfad unsers Propheten erstrahlt, sind ebenso mannigfaltig wie bezeichnend und bedeutungsvoll. Jede Stufe tut uns ein neues großes Geheimnis Gottes kund.

In der vorliegenden Geschichte werden augenscheinlich alle die Hauptwahrheiten, welche in dem Geheimnis der Gnade Gottes verborgen sind, in einfacher, aber treffender Weise ans Licht gestellt. Sie wird so zu einem Gleichnis voll der reichsten Belehrung.

In der Person Naamans tritt uns der Mensch in vorteilhaftester Lage entgegen. Ohne Zweifel wird dieser Mann von vielen wegen seiner einflussreichen Stellung beneidet worden sein. Er war der erklärte Liebling des Volkes, der Held des Tages. Jedermann hielt, wie man zu sagen pflegt, große Stücke auf ihn, von dem Könige herab bis zu dem geringsten Manne im Volke. Was Ausstattung mit natürlichen Gaben und Lenkung seiner Lebensschicksale betrifft, so hatte der Herr ihn in hervorragender Weise begünstigt. Aber — „er war aussätzig“! Auf alledem, dessen er sich rühmen konnte, auf seiner ganzen Herrlichkeit ruhte ein Flecken, den nur die Hand Gottes entfernen konnte; und mochte die Welt ihm auch schmeicheln, wie sie es sicherlich tat“— der Flecken blieb; und derselbe war für ihn ein Zeuge, ein beständiger Zeuge, dass nicht alles in Richtigkeit war.

Gerade so verhält es sich mit dem Menschen. Mag er sich in noch so vorteilhaften Verhältnissen befinden, oder vielleicht mit Reizen und mancherlei Anziehendem geschmückt sein, trotz alledem ist etwas da, was gegen ihn zeugt.

In der kleinen gefangenen Dirne, welcher wir zunächst begegnen, erblicken wir das gerade Gegenteil von Naaman. Was ihre Verhältnisse betraf, so war alles zu ihren Ungunsten. Von ihren Lieben und aus ihrem Vaterlande weggeschleppt, musste sie jetzt in fremdem Hause und fremdem Lande eine Sklavin sein; aber sie bewahrte ein. Geheimnis bei sich, welches in unmittelbarstem Gegensatz zu dem Geheimnisse Naamans stand. Sie hatte das Zeugnis Gottes für sich, während er Sein Zeugnis gegen sich hatte. Sie kannte das Heilmittel, während er die Plage fühlte. Darin lag ein gewaltiger Unterschied, ja der ganze Unterschied, wenn Gott in Frage kam. Ihn für und nicht gegen uns zu haben, ist sicherlich die große Sache, aus die es vor allem ankommt. Und das war hier der Fall. Und das ist bei jedem wahren Israeliten, der ihr gleicht, der Fall; indem sie alle dasselbe Geheimnis, das Heilmittel Gottes, kennen gelernt haben, können sie sagen: „Wenn Gott für mich ist, wer wider mich?“

Wahrlich, schon dies sind wertvolle Lehren, die wir der vorliegenden Erzählung entnehmen können. Doch finden sich noch andere in ihr. Als Dritter in der Reihe der handelnden Personen tritt uns der König von Syrien entgegen; in ihm erblicken wir den Menschen in dem Stolz seiner Gedanken und in der hohen Meinung, die er sogar in religiösen Dingen von sich selbst hegt. Ohne Zweifel war der König der Ansicht, die Heilung seines geschätzten Heerführers von Seiten Gottes ließe sich nicht anders erreichen, als durch die Vermittlung seiner Person und durch die Anwendung der ihm zu Gebote stehenden Mittel. „Wer konnte ein wirksames Wort einlegen wie er? Wer war gleich ihm, dem Könige?“ so lautete die Sprache seines Herzens. Daher schafft er sein Silber, sein Gold und seine Wechselkleider herbei und schreibt eigenhändig in dieser Angelegenheit einen Brief an den König von Israel. Ein König schreibt an einen König! Denn hätte wohl etwas Geringeres als eine solche Fürsprache das sichere Erlangen der Segnung gewährleisten können?

In allem diesem offenbart sich die Religion der Welt, die Gedanken, welche sich der Mensch hinsichtlich der Wege Gottes macht. Aber all das Tun des Königs von Syrien ist einfach „verlorene Mühe“, nichts anderes. Seine eigene persönliche Fürsprache, die Geschenke, die er sendet, die Mitwirkung, die er von seinem königlichen Bruder beansprucht — alles das sind Ergebnisse der Einbildung, welcher sich der Mensch in religiöser Beziehung hingibt: törichte, wertlose Dinge! Und der König von Israel, der das Vorrecht genoss, die Offenbarung Gottes in seinem eigenen Lande zu besitzen, ist imstande, die erbetene Mitwirkung abzulehnen; er will den Platz nicht einnehmen, noch die Rolle spielen, welche der König von Syrien ihm in diesem erhabenen Werke zuwies.

Doch da war Einer, der in allem diesem höher stand als der König, wiewohl der Syrer nichts von ihm wusste. Elisa war selbstredend der Beachtung jener Großen der Erde entgangen; aber jetzt kommt an ihn die Reihe, in dieser Geschichte handelnd aufzutreten. Er ist die einzige Hoffnung Naamans in den Tagen seines Aussatzes. Und indem Elisa sich bewusst ist, dass die Kraft Gottes ihm zur Seite steht, gerät er nicht in Aufregung, noch macht er Schwierigkeiten, wie der König es getan hatte. Zwar steht ihm nicht, wie später einem Anderen, einem Größeren als er, die Machtvollkommenheit seines eigenen Wortes zur Verfügung, um die befleckende Krankheit zu entfernen, aber er kennt das geheimnisvolle, von Gott verordnete Heilmittel, und kann dasselbe mit Autorität dem Aussätzigen verkündigen.

An dieser Stelle möchte ich daraus hinweisen, wie Jesus alle, selbst die größten Propheten und Gottesmänner, unendlich überstrahlt· Wenn der Aussätzige zu Ihm kommt, so hört man Ihn nicht, gleich dem König von Israel, sagen: „Bin ich Gott, einen Mann von seinem Aussatz zu heilen?“ Auch weist Er ihn nicht an, wie der Prophet es Naaman gegenüber tat: „Gehe hin, bade dich im Jordan, und du wirst rein sein“. Nein; Er offenbart sich vielmehr sofort als Gott und in der Kraft Gottes. „Ich will, sei gereinigt!“ Elisa konnte nur als ein Prediger Jesu, als einer, der Ihn verkündigte, vor Naaman hintreten; Jesus aber war in Seiner Person die Reinigung, die Heilung, ja, der Gott des Aussätzigen. So war auch Johannes, der Bevorzugteste unter allen diesen Männern, nur der Freund des Bräutigams; Jesus allein war der Bräutigam.

Weiterhin tritt uns in unsrer Erzählung eine Sache entgegen, die von dem höchsten Interesse für uns ist. Ich meine die Art und Weise, wie der arme, sich seines Zustandes bewusste Aussätzige die Reinigung an sich erfährt.

Anfänglich leistete seine Natur mächtigen Widerstand. Er fühlte sich durch das Heilmittel, welches die Gnade für ihn bereitet hatte, tief beleidigt. Denn es war wohl ein sehr einfaches, aber zugleich auch ein sehr demütigendes Heilmittel; so einfach, dass es nicht missverstanden und ohne jede Schwierigkeit angewendet werden konnte. Das einzige Hindernis bildet die Schwierigkeiten, welche der Stolz und die Vorurteile des Menschen seiner Anwendung entgegensetzten. Diese machten sich denn auch sofort geltend. Aber, Gott sei Dank! die Gnade kann nicht nur darreichen, was ein aussätziger Leib bedarf, sondern sie vermag sich auch mit einem trägen, widerstrebenden Herzen zu beschäftigen und es zu belehren. Sie kann zum Heile der Sünder ebenso gut die Tätigkeit eines Dieners benutzen, wie sie einen Quell zur Reinigung auftun kann. Und jene Tätigkeit ist, gleich dem Heilmittel, einfach und ungekünstelt, und daher zur Erreichung ihres Zweckes durchaus geeignet. Die Knechte Naamans treten in ihrer Weise der aufwallenden Natur ihres Herrn entgegen, und ihr Wort oder ihr Dienst bleibt nicht ungesegnet: der empfohlene Quell wird versucht, seine Kraft erprobt sich, und das vorher aussätzige Fleisch Naamans wird wie das Fleisch eines jungen Knaben. Das ist mehr als Wiederherstellung; es ist Auferstehung. Das Baden im Jordan hatte für diesen Syrer in Wahrheit die Bedeutung einer Taufe. Er stirbt und wird wieder lebendig; er wird begraben und steht wieder auf, und steigt nun, nicht als ein nur geheiltes, sondern als ein neues Geschöpf aus dem Wasser heraus.

Und was sind die Früchte des neuen Zustandes, in welchem er sich befindet? Indem wir diesen nachforschen, werden wir wiederum finden, dass die vorliegende Erzählung ein Gleichnis ist, in welchem die auf dem Wege Gottes zur Geltung kommenden Grundsätze noch weiter dargestellt werden.

1. Naaman steht vor Elisa mit seinem ganzen Zuge. Aber er ist jetzt nicht mehr der stolze, sondern der demütige Naaman. Welch eine liebliche Frucht des neuen Menschen, zu welchem Naaman nun geworden ist! Er ist gedemütigt, weil er gewaschen ist.

2. Er legt ein herrliches Bekenntnis von dem Namen des einen wahren Gottes ab. Er nimmt Ihn zu seinem Gott ein“, denn er hatte Ihn kennen gelernt durch die Heilung und Errettung, die ihm zu teil geworden waren. Das ist der Weg, auf welchem ein neues Geschöpf Ihn kennen lernt, ja, der einzige Weg, auf welchem man in dieser Welt dazu gelangen kann, Ihn kennen zu lernen.

3. Er drängt seine Geschenke, alles was er hatte, dem Propheten auf -— und zwar jetzt nicht, wie sein königlicher Herr es gemeint hatte, um damit seine Heilung zu erkaufen, sondern weil die Heilung geschehen war. Ihm war vergeben worden, und daher liebte er.

4. Er will von nun an von keinem anderen Gott etwas wissen —- und deshalb wünscht er einen Wagen voll Erde aus Kanaan mitzunehmen, um Gott davon einen Altar zu erbauen. Gott muss sein Gott sein, selbst inmitten des ungläubigen Syrien, wohin er zurückzukehren im Begriff stand. Ihn und Ihn allein will er anbeten. Denn diese ,,Last eines Maultiergespannes Erde“ begehrte er zu dem Zwecke, um gleichsam einen zweiten „Zeugen“ jenseits des Jordan zu errichten (Vergl. Jos. 22, 34.) Derselbe sollte in dem fernen Syrien Zeugnis davon ablegen, dass wenigstens ein Bürger jenes Landes, gleich dem Eunuchen aus Äthiopien (Apstgsch. 7), sein Los mit Israel verbunden und, gleich Ruth, der Moabitin, unter den Fittichen des Gottes Israels seine Zuflucht gefunden hatte.

Und zum Schluss: Er empfängt ein erneuertes Gewissen, das in jeder Beziehung rege ist und ein Gefühl für das geringste, selbst nur scheinbare Abweichen von dem Gott hat, der ihn so reichlich gesegnet hatte. Naaman fürchtete sich schon vor dem bösen Schein. Er wünschte nicht den Gedanken zu erwecken, als wäre eine Aufmerksamkeit, die er seinem Herrn erweisen zu müsset glaubte, gleichbedeutend mit einer Umkehr zu den alten Grundsätzen Syriens und zu dem Hause Rimmons. Diese Dinge hatte er verlassen, und zwar durch die Gnade Gottes für immer verlassen, und deshalb wollte er jetzt, nachdem er eben erst in die Stellung einer neuen Schöpfung in Christo Jesu eingetreten war, sich gegen alles verwahren, was auch nur einen gegenteiligen Schein erwecken konnte.

Ist also nicht diese Geschichte, die einen so hervorragenden Platz. in dem Dienst unsers Propheten einnimmt und den Teil seiner Laufbahn bildet, an welchen sein göttlicher Meister später erinnert und auf welchen Er sich bezieht (Luk. 4), von höchstem Werte für uns? In welch deutlicher und vollständiger Weise veranschaulicht sie uns, wie Gott mit einem jeden von uns handelt! Möchten unsre Herzen in aller Einfalt daran festhalten, dass alles, was zuvor geschrieben worden, zu unsrer Belehrung geschrieben worden ist, und dass unser Gott von Anbeginn an Andern dies und jenes widerfahren ließ, damit wir dadurch ermahnt und getröstet werden möchten!

Es gibt jedoch in unserm Kapitel noch einen Punkt, auf welchen ich aufmerksam machen muss. Der Prophet macht seinem Diener Gehasi nicht deswegen Vorwürfe, weil er Naaman belogen hatte, sondern wegen einer ganz andern Art des Bösen, das in seinem Verhalten zu Tage getreten war (V. 26). Und hierin liegt, wie es mir vorkommt, eine besondere Kraft und Schönheit. „War es Zeit“, spricht Elisa zu seinem Knechte, „Silber zu nehmen und Kleider zu nehmen, und Olivenbäume und Weinberge, und Kleinvieh und Rinder, und Knechte und Mägde?“

Diesen besonderen Umstand in der Sünde Gehasis zu kennzeichnen, war eher Sache des Geistes — die Lüge lag für das sittliche Urteil jedes Menschen klar am Tage.

„Der Heide hatte soeben die Gnade des Gottes Israels kennen gelernt. Die Talente Silber, die Goldstücke und Wechselkleider, welche der König von Syrien in das Land Israel gesandt hatte, waren von dem Propheten verschmäht worden, und Naaman nahm sie alle bis zum letzten „Faden oder Schuhriemen“ wieder mit sich nach Hause. Er war zu den „Wassern ohne Geld und ohne Kaufpreis“ gekommen, und war nun ein Zeuge davon, dass die Gabe Gottes nicht mit Geld zu erlangen war.

Wie schrecklich war es daher, dieses ganze kostbare Zeugnis zu verderben! Wohl mochte der Prophet fragen: „War es Zeit, das Silber des Syrers zu nehmen?“ Hätte es etwas Betrübenderes für den Heiligen Geist geben können als das? Die Lüge war sicherlich abscheulich, erstlich die Lüge Naaman gegenüber und dann die Lüge Elisa selbst gegenüber; sie könnte nicht abscheulicher sein. Aber was sollen wir von jenem traurigen Gegenzeugnis sagen, von der Verdunkelung des hellen Glanzes der Gnade Gottes, von dieser leichtfertigen Art, „denen eine Gelegenheit zu geben, welche eine Gelegenheit suchen“ mochten?

Das war das Verwerfliche, welches der Geist ans Licht zog und der Prophet seinem Diener zum Vorwurf machte. Gehasi hatte die Ehre der reichen und freien Gnade des Jehovas Israels den Verunglimpfungen einer schmähsüchtigen Welt preisgegeben. Wenigstens hatte er zur Erreichung dieses Zieles alles getan, was in seinen Kräften stand. Daher musste sein Geld samt ihm ins Verderben fahren. Er musste aus den Grenzen des Lagers entfernt werden; denn wer imstande war, den Gott Israels in solcher Verfälschung darzustellen, war unfähig, dem Israel Gottes anzugehören.

Das Gleichnis von dem unbarmherzigen Knechte enthält dieselbe Warnung für uns. Dort wurde die Gnade des Evangeliums verhöhnt; und der Mann, der sie der Verunglimpfung aussetzte, wurde ebenso hinausgetan wie der aussätzige Gehasi. Im Gegensatz hierzu bestand die besondere Kraft des geliebten Apostels Paulus darin, dass er in seiner Person diese Gnade beständig wieder spiegelte und hervorstrahlen ließ. Man lese betreffs seines Verhaltens nur Apstgsch. 20, 33 — 35! Ja, hierin besteht unser vernünftiger Dienst: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“; oder mit andern Worten: „Haltet den Charakter der Familie aufrecht, welcher ihr angehört“! Aber ach! Gehasi war nicht darauf bedacht, die Ehre oder den Ruhm derselben den Heiden gegenüber aufrechtzuerhalten. Bewies er damit nicht, dass er sich selbst eines Platzes in derselben für unwert hielt?“

Das ist der ernste Zug in diesem sonst so erfreuenden Bilde. Und es ist in der Tat ein ernster Gedanke, dass ein Mann wie Gehasi, der einen solchen Diener Gottes, wie Elisa war, so lange begleitet und in so vertrautem Verkehr mit ihm gestanden hatte, von der Gesinnung desselben so fern gewesen sein soll!

Indessen zeigt uns dieser Teil der Erzählung andrerseits auch etwas Erquickendes und Ermunterndes. Das Herz des Syrers nämlich hatte, wiewohl die Stunde seiner ersten Liebe bereits hinter ihm lag, und er sich auf der Reise nach seiner fernen Heimat befand, noch nichts von der willigen Hingabe jener ersten Stunde eingebüßt. Er springt, sobald er den Knecht des Propheten hinter sich sieht, von seinem Wagen herab und legt ihm seine Schätze ohne Argwohn und ohne Rückhalt zu Füßen, gerade so wie er sich im ersten Augenblick erbötig gezeigt hatte, dies dem Herrn gegenüber zu tun. O möchte sich so auch auf unserm Wege die Kraft der ersten Stunde beständig spürbar erweisen!


10. Das Eisen wird schwimmen gemacht (2.Könige Kap. 6, 1 — 7).

Wir kommen jetzt zu einer einfachen Begebenheit, die sich im Rahmen des alltäglichen Lebens abspielt; und doch, da wir auch hier bei Elisa dieselben wunderbaren Züge wie bei dem Herrn beobachten können, so hat auch sie den Zweck, uns an das Tun des Letzteren zu erinnern. Denn mag ein Petrus oder eine Axt von dem Wasser getragen werden — beides ist in gleicher Weise der Natur zuwider. Auch besteht keinerlei natürlicher Zusammenhang zwischen der Ursache und der Wirkung, zwischen dem Hineinwerfen eines Holzes und dem Schwimmen des Eisen?-; wie auch später kein solcher Zusammenhang bestand zwischen dem Streichen von Kot auf die Augen eines Blinden und der Verleihung des Augenlichtes. Denn es ist weder die Geschicklichkeit des Werkmannes, noch die Tauglichkeit des Werkzeuges, welche in Betracht kommen, sondern einzig und allein die Größe der Kraft Gottes. 

Wie natürlich und ungezwungen ist das Verhalten unsers Propheten hier! In einem Augenblick hat er sich einer Schar angeschlossen, die von den einfachsten Angelegenheiten des täglichen Lebens in Anspruch genommen ist! Der große Apostel der Nationen konnte Reiser zusammenraffen, um das Feuer anzufachen, und der Herr der Propheten und Apostel konnte, sogar nach Seiner Auferstehung aus den Toten, das Frühstück am Ufer des Sees herrichten. Und doch welch hohe Kraft ruhte, indem sie dieses taten, in ihren Händen! Der Apostel schüttelt ein giftiges Tier in dasselbe Feuer ab, welches er angefacht hatte, und der Prophet macht das Eisen der Axt auf dem Wasser schwimmen. O wie schön und Gott entsprechend ist es, wenn wahre Kraft sich so herablässt!

Indessen können wir dieser Erzählung noch eine andere Lehre entnehmen.

Es ist wiederholt die Bemerkung gemacht worden, dass es bei Gott weder Großes noch Kleines gebe; ein derartiger Gedanke sei Seiner Natur zuwiderlaufend. Es mag dies der Fall sein. Indessen sind wir weniger befähigt, Schlüsse zu ziehen oder Behauptungen aufzustellen, die auf die Natur Gottes gegründet sind, als wie solche, die auf Seiner Offenbarung beruhen. Ja, wir dürfen keinen Anspruch darauf erheben, Seine Natur zu kennen, es sei denn auf Grund Seiner Offenbarung. Diese Seine Offenbarung führt uns indessen in gewissem Sinne dazu, es als Wahrheit zu erkennen, dass für Ihn nichts groß und nichts klein ist. Dies tritt in all Seinem Tun zu Tage.

Schon die Schöpfung veranschaulicht uns diese Wahrheit. Es wurde bei derselben auf die Bildung des Flügels eines Insekts dieselbe Sorgfalt verwandt, wie auf die Gestaltung des Himmels und der Erde. Die kleinen wie die großen Dinge nahmen damals den gleichen Platz, vor Ihm ein.

Als es sich um die Niederlassung des Volkes Israel in dem Lande Kanaan handelte, wurde ebenso klar und bestimmt durch göttlichen Ausspruch angeordnet, dass die Dächer der Häuser, um Blutvergießen zu vermeiden, den Schutz von Geländern erhalten sollten, wie die Gottesdienste des Heiligtums oder die Anteile der einzelnen Stämme festgesetzt wurden.

Jesus konnte bei der Ausübung Seines Dienstes hienieden ebenso wohl Kindlein in Seine Arme schließen, wie Seine bevorzugtesten Jünger mit sich auf den Berg der Verklärung nehmen. Hierin offenbarte sich ebenfalls derselbe Charakter.

Desgleichen, als es sich später um die Pflege und Einrichtung der Versammlungen handelte, sorgte der Geist für die Einzelheiten der Beziehungen zwischen Männern und Weibern, zwischen Älteren und Jüngeren, sowie für andere irdische Verhältnisse, wie Er auch - und zwar derselbe Geist -— Geheimnisse offenbarte, die von Grundlegung der Welt an verborgen gehalten waren. Er gab Anweisung, um des Magens willen ein wenig Wein zu gebrauchen, wie Er das Erbe des Vaters der Herrlichkeit in den Heiligen entfaltete.

Gerade diese Gnade, welche der Heilige Geist beweist, indem Er für die großen wie für die kleinen Dinge die gleiche Sorge trägt, ist es, welche mein Herz in der gegenwärtigen Zeit besonders bewegt hat. Denn wiewohl es die Ihm zukommende, ja Seine glückliche Ausgabe ist, von den Dingen des Vaters und Christi zu nehmen und uns zu verkündigen, wendet Er doch auch Seine Sorge den Angelegenheiten der Zucht in der Versammlung Gottes zu, um dem Schwächsten unter uns zu Hilfe zu kommen. Und geschieht dies nicht, wenn ich so sagen darf, indem Er persönlich ein Opfer bringt? „Sollte ich meine Süßigkeit aufgeben und meine gute Frucht, und sollte hingehen, zu schweben über den Bäumen“ (Richter 9, 11)?

Es ist die Freude des Heiligen Geistes, sich mit Jesu zu beschäftigen. In Seiner Gnade aber willigt Er ein, sich um alles das zu bekümmern, was für die Bedürfnisse der Heiligen erforderlich ist.

Es ist also tatsächlich so: ob Gott in der Schöpfung, der Vorsehung oder der Erlösung wirkt; ob es sich um Israel oder die Versammlung handelt; ob es je nach der betreffenden Haushaltung der Vater, der Herr Jesus oder der Heilige Geist ist, den wir in Tätigkeit sehen —- immer und überall sehen wir Gott für die erhabenen wie für die geringen Dinge in gleicher Weise Sorge tragen; das Große wie das Kleine nimmt vor Ihm denselben Platz ein.

Dieselbe Wahrheit können wir auch dann wahrnehmen, wenn unser Gott mehr im Stillen und Verborgenen handelt. Er lässt in unserm Abschnitt durch Seinen Propheten eine Axt aus dem Wasser in die Höhe kommen, weil der Gedanke daran, dass es entlehnt war, einen der Begleiter des Propheten in Kummer versetzte. So ermuntert auch der Herr Sein Volk, sie möchten darum bitten, „dass ihre Flucht nicht im Winter geschehe“, aus dem einfachen Grunde, weil eine Flucht zu jener Jahreszeit unbequemer und schwieriger sein würde. Er zeigt so, wie Er ebenso sehr darum besorgt ist, Seinen Heiligen in ganz gewöhnlichen Dingen des Lebens Erleichterung zu verschaffen, wie ihre Kümmernisse und Ängste zu stillen. Das kleine Ereignis in dem vorliegenden Kapitel redet, wie bereits gesagt, dieselbe Sprache.

Und nun, was erblicken wir in allem diesem? Nicht nur, wie die Macht Gottes sich herablässt, wenngleich auch das wunderschön ist, sondern, wie gütig Er sich in Seinem Wohltun erweist. Gerade weil es sich bei diesen geringen Dingen darum handelt, uns zu erfreuen und unser augenblickliches Wohlbefinden zu fördern, wird ihrer in solcher Weise gedacht. ·Und nun, was sollten wir tun? In unserm geringen Maße Nachahmer Gottes sein! Es mag nicht, ja, es kann nicht die Freude der geistlich Gesinnten fein, die Süßigkeit und die gute Frucht, welche in der Lehre vom Vater und von Christo enthalten find, aufzugeben, um sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die die Aufrechterhaltung der Zucht unter den Heiligen betreffen — um über solchen Dornen und stachelichten Sträuchern zu schweben. Dennoch aber legt das Vorbild, welches Gott uns in Seinem Wohltun gibt, die Art und Weise, wie Er auf alle Dinge, (mögen sie nun groß oder klein sein, sofern sie nur das Wohl Anderer betreffen,) eingeht, uns jene Beschäftigung als unsre Pflicht auf. „Seid Nachahmer Gottes“, so steht geschrieben, „als geliebte Kinder“! Und weiter: „Wer irgend dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem gehe zwei“.


11. Das Heer der Syrer wird mit Blindheit geschlagen (2.Könige Kap. 6, 8 - 23).

Wie ich bereits bemerkt habe, kennzeichnete sich die Geschichte des Elia durch ein entschiedenes Zeugnis gegen das Böse und durch Leiden, die aus diesem Zeugnis hervorgingen; in der Wirksamkeit Elisas dagegen offenbarte sich Macht, sowie ein gnadenvoller Gebrauch derselben. In Übereinstimmung damit finden sich viele Beispiele aus dem Leben Jesu, bei welchen der Herr Macht im Verein mit Gnade offenbarte, in der Geschichte Elisas wieder, wenn auch selbstverständlich nur in schwachen Abbildern.

So treten uns in der Begebenheit, welche sich unsrer Betrachtung jetzt darbietet, verschiedene Züge entgegen, die uns lebhaft an unsern Herrn erinnern. Wenn es Ihm gefallen hätte, so hätten zwölf Legionen Engel zu Seiner Verfügung — gestanden; und ebenso steht hier ein Berg voll Rosse und Wagen unserm Propheten zu Diensten. Dabei ist die Einfalt seines Glaubens sehr bemerkenswert. Er brauchte in dieser Beziehung nicht für sich selbst zu bitten; er hatte bereits „die Wagen Israels und seine Reiter“ gesehen (Kap. 2, 12) und ruhte in der Gewissheit, dass sie jederzeit zu seiner Benutzung bereit standen. Wenn er ihrer hier bedarf, so weiß er, dass sie in der Nähe sind. Er braucht deshalb nichts für sich selbst zu erbittert. Alles was er wünscht, ist nur, dass sein Knabe mit ihm auf derselben Höhe des Glaubens stehen möchte.

Elisa hatte, wie gesagt, diese Rosse und Wagen Israels bereits gesehen. Er wusste, dass der Gott Jeschuruns auf den Himmeln einherfuhr zu seiner Hilfe (vergl. 5. Mose 33, 26), und er wünschte, dass in jener Stunde der Gefahr sein Knabe sich dieses göttlichen Schutzes gleichfalls bewusst werden möchte. Die feurigen Rosse und Wagen, welche den Berg bedeckten, und die am Tage der Entrückung Elias von einem Sturmwind begleitet waren, stellen, wie ich nicht zweifle, ein Heerlager von Engeln dar, eine Schar jener himmlischen Geschöpfe, die, gewaltig an Kraft, in der Gegenwart Gottes stehen, oder ausgehen zum Dienst um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen. (Ps. 103, 20; Hebr. 1, 14.) Im Blick auf sie lesen wir, dass Gott „Seine Engel zu Winden macht und Seine Diener zu einer Feuerflamme“; und wiederum: „Der Wagen Gottes sind zwei Zehntausende, Tausende und aber Tausende“ (Ps. 68, 17). Auf den Befehl Gottes machen sie sich aus, um. zu dienen, wie die Bedürfnisse der Heiligen oder die Regierungswege Gottes es gerade erfordern. Sie bildeten den Reisewagen, der Elia gen Himmel brachte und Lazarus in den Schoß Abrahams trug. 

Und hier, wo Elisa von den feindlichen Scharen der Syrer umzingelt ist, bilden sie Kriegswagen. Einzeln oder gemeinschaftlich besuchen sie die Auserwählten auf Erden, und einzeln oder zu einer Schar vereinigt, verherrlichen sie die Freude des Himmels vor den Ohren der Erdenbewohner. Sie ziehen das Schwert, um eine schuldbeladene Stadt zu schlagen, oder sie führen an der starken Hand der Liebe den zaudernden Lot aus dem gottlosen Sodom· Sie gleichen entweder Winden oder Feuerflammen. Sie überbringen eine Gnadenbotschaft, oder sie vollziehen das Gericht, je nachdem „der Herr“, der „unter ihnen ist“, ihnen Seine Befehle erteilt. Sie waren auf dem Berge Sinai, als das Gesetz gegeben wurde, und sie schwebten über den Gefilden Bethlehems, als Jesus in diese Welt kam. Und an der vorliegenden Stelle gleichen sie in der Ordnung und Kraft, in welcher sie dastehen, einer feurigen Mauer, einer Mauer des Heils, die unsern Propheten von allen Seiten umgibt.

Alles das ist sehr köstlich. Und noch köstlicher ist es, zu wissen, dass die verborgenen Herrlichkeiten, welche gegenwärtig nur einem Glauben, wie Elisa ihn besaß, bekannt sind, binnen kurzem offen zu Tage treten werden, und dass die Drohungen des Feindes, das Geklirr und Getöse der Waffen, wovon wir jetzt umgeben sind und wodurch das Herz so leicht mit Befürchtungen und Sorgen erfüllt wird, dann gleich einem Gewitter für immer vorübergezogen sein werden; das Rollen des Donners wird verstummen, und heller als je wird die Sonne von dem wolkenlosen Himmel herabstrahlen.

Allein wir finden hier noch mehr als diese Ruhe und Sicherheit des Glaubens. Es zeigen sich auf dem Pfade unsers Propheten auch Spuren der Macht und Gnade Jesu.

„Als Übeltäter mir nahten, um mein Fleisch zu fressen, meine Bedränger und meine Feinde . . . sie strauchelten und fielen.“ So redete David einst im Blick auf Jesum (Ps. 27). Und so geschah es im Garten Gethsemane, als die Schar von den Hohenpriestern und Ältesten kam, um Hand an Jesum zu legen. Wen suchet ihr? Sie antworten Ihm: Jesum, den Nazaräer. Jesus spricht zu ihnen: Ich bin’s . . . Als Er nun zu ihnen sagte: „Ich bin’s«, wichen sie zurück und fielen zu Boden“ (Joh. 18). Ähnliches finden wir hier bei unserm Propheten. Die Scharen der·-Syrer kommen nach Dothan, um Elisa zu holen; aber als sie sich anschicken, ihn zu ihrem Gefangenen zu machen, da schlägt der Herr sie mit Blindheit.

So spiegelt sich die Herrlichkeit der Macht des Herrn in Elisa wieder. Aber die Abmessungen dieser Herrlichkeit sind auch hier wieder, wie wir es schon früher gesehen haben, verschieden. Elisa begehrte, dass sich die Macht des Herrn bei dieser Gelegenheit offenbaren möchte, während Jesus in der Macht Seiner eigenen Person dasteht und den Feind zwingt, sich vor derselben zu beugen. Als Er nun zu ihnen sagte: „Ich bin’s“, wichen sie zurück und fielen zu Boden.“

Doch es offenbart sich hier ebenso wohl die Gnade wie die Macht des Sohnes Gottes. Der Herr wollte in den Tagen Seines Fleisches das zerknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Er weigerte sich, von Seiner Stärke und Machtvollkommenheit Gebrauch zu machen, selbst wenn es sich um das gerechte Gericht über Seine Feinde handelte. Er wollte nicht streiten noch schreien, noch Seine Stimme auf den Straßen hören lassen; sondern, den Weg des Leidens gehend, überwand Er das Böse mit dem Guten. So war es auch bei Elisa. Das zerknickte Rohr und der glimmende Docht befanden sich in seiner Gewalt; aber er wollte weder zerbrechen noch auslöschen. „Soll ich schlagen, mein Vater?“ fragt der König, als er die Scharen der Syrer in seiner Gewalt, mitten in Samaria, sieht. Aber der Prophet antwortet: „Du sollst nicht schlagen; —— setze ihnen Brot und Wasser vor, dass sie essen und trinken und zu ihrem Herrn ziehen“.

In welch herrlicher, kostbarer Weise zeigt sich hier die Gesinnung Gottes! Wahrlich, wir erkennen mit Bewunderung und Freude in den Wegen dieses bevorzugten Propheten ein Abbild von den Wegen des Herrn hienieden, wie Er in Seinem Tun Macht und Gnade in lieblicher Weise mit einander verband. In welch einer Vertraulichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, wandelte Elisa mit Gott! Wie vollkommen genoss er Seine Freundschaft und kannte Seine Geheimnisse! Und welch eine schöne Erläuterung fanden in seiner Geschichte die Worte des Propheten: „Der Herr Jehova tut nichts, es sei denn dass Er Sein Geheimnis Seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart habe“ (Amos 3, 7)! Elisa wusste von Bergen voll hilfsbereiter Streitkräfte, die Anderen gänzlich unsichtbar waren; er konnte von Überfluss reden, der morgen in den Toren herrschen würde, obwohl heute nichts als Hungersnot und Tod in der Stadt herrschten. Ja, so groß war die wunderbare, herablassende Liebe des Herrn zu ihm, und so vertraut war sie seiner Seele, dass es ihn fast Wunder nahm, wenn ihm nicht jede Sache mitgeteilt wurde. (Siehe Kap. 4, 27.) Und ebenso wirklich kann in Bezug auf einen jeden von uns (die wir nicht bevorzugte Propheten, sondern die Schwächsten der Heiligen sind) gesagt werden: „Wir haben Christi Sinn“. O möchten unsre Seelen mit Kraft erfüllt werden, um eine solche Güte auf Seiten des Herrn, und ein solch erhabenes Vorrecht und solch kostbare Segnungen auf unsrer Seite nach Gebühr zu schätzen!


12. Die Hungersnot in Samaria ( 2.Könige Kap. 6, 24 - 7, 20).

Dieser Abschnitt der Geschichte unsers Propheten ist von ganz besonderer Bedeutung. Das ergreifende Gemälde von dem Elend und der Befreiung Samarias führt uns die Gnade Gottes in ihrer ganzen Fülle, in ihrem reichsten Ausströmen vor Augen.

Die Belagerung jener Stadt durch das Heer der Syrer brachte die unglücklichen Bewohner in einen Zustand, wie er nicht trauriger und elender hätte sein können. Die Not erreichte eine entsetzliche Höhe. Ein Eselskopf galt achtzig Sekel Silber, und Mütter sahen sich durch den nagenden Hunger getrieben, ihre eigenen Kinder zu schlachten und zu verzehren.

Mehr braucht nicht gesagt zu werden, um das Bild des Jammers in seiner ganzen Furchtbarkeit vor unsre Blicke zu stellen. Nur mit tiefem Entsetzen können wir es betrachten. Es erinnert uns an den Mann, von welchem wir in den Evangelien lesen, der von einer Legion Teufel besessen war — an ein anderes Bild davon, was die Macht des großen Verderbers, wenn ihr unbeschränkt. und ungehindert zu wirken erlaubt würde, mit einem jeden von uns zu tun vermöchte.

Der Mensch offenbart sich indes in dieser Geschichte noch in anderer Beziehung. Erblicken wir ihn einerseits- in seinem ganzen schrecklichen Elend und in der Gefangenschaft, in welcher ihn sein unbarn1herziger Feind hält, so zeigt er sich andrerseits in der Gesinnung seines natürlichen Herzens. „So soll mir Gott tun und so hinzufügen“, sagt der König von Israel, „wenn der Kopf Elisas, des Sohnes Saphats, heute auf ihm bleibt!“

Damit erklärte der Mensch Gott, oder Seinen Diener — was dasselbe bedeutete —- für den Urheber all des Unheils, welches ihn betroffen hatte. Gerade so machte es einst Adam, als unsre Sünde ihren Anfang nahm. „Das Weib“, sagte er zu Gott, „das du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baume, und ich aß“. Das hieß, die Sünde mit ihren schrecklichen Folgen auf das Haupt Dessen wälzen, der allein rein und frei von aller Schuld war.

Erblicke hier, mein Leser, die Sünde in ihrer Vollendung! Wie später bei dem Kreuze Christi, so hatte auch hier das Böse seinen Höhepunkt erreicht. Weiter konnte die Ungerechtigkeit Samarias nicht gehen, höher konnte die Sünde der Stadt nicht steigen; aber auch gerade so wie es bei jenem Kreuze der Fall sein sollte, betrachtete Gott diesen Augenblick als den gelegenen Zeitpunkt zur Entfaltung Seiner Gnade. Das Verderben war völlig ausgereift, und von menschlicher Seite war keine Hilfe mehr zu erhoffen. Da, in diesem hoffnungslosen Augenblick, öffnen sich die Lippen Elisas, um eine wunderbare Verheißung auszusprechen, und er wird der Überbringer eines Wortes vom Herrn.

Denn wenn die Kraft Israels geschwunden, wenn der Gebundene und der Freie dahin ist, wird Jehova sich’s dann nicht gereuen lassen über Seine Knechte (5. Mose 32, 36)? Wenn Gott sieht, dass kein Mann, kein Vermittler mehr da ist, wird dann nicht Sein eigner Arm Rettung schaffen? Wenn der Bedränger kommt wie ein Strom, wird nicht der Hauch Jehovas ihn in die Flucht schlagen (Jes. 59, 16 — 19)? Ein solcher Augenblick war jetzt gekommen; und ein solcher Augenblick war für Gottes herrliche Gnade der geeignete Zeitpunkt, um sich zu offenbaren. Wo die Sünde überströmend geworden, da ist die Gnade noch überschwänglicher geworden. Wie bei dem Kreuze Christi der Mensch auf der Höhe seiner Empörung, und Gott auf der Höhe der Herrlichkeit Seiner Gnade sich offenbarte, so sollte auch hier, als die Sünde und das Elend Samarias ihren Gipfelpunkt erreicht hatten, der Becher der Segnungen Gottes bis zum äußersten Rande gefüllt werden. „Da sprach“ Elisa: Höret das Wort Jehovas! So spricht Jehova: Morgen um diese Zeit wird ein Maß Fein Mehl einen Sekel gelten, und zwei Maß Gerste einen Sekel im Tore von Samaria.“

„Im Tore von Samaria!“ Der Gedanke, der sich in diesen Worten ausdrückt, ist für die heilsbedürftige Seele in der Tat kostbar; die Gnade des Evangeliums gibt sich in denselben in wahrhaft herrlicher Weise kund. Die Rettung braucht weder oben im Himmel noch unten in der Tiefe gesucht zu werden; sie ist zu uns gekommen! Das Sündopfer liegt vor der Tür· Der Israelit hatte nicht nötig, die Schwelle seines Hauses zu überschreiten, um dasselbe vor dem Schwerte des Verderbers sicher zu stellen. Die Gnade bringt die Hilfe, die sie bereitet hat, auch selbst herbei. Die Verhungernden konnten das Fein Mehl und die Gerste unmittelbar im Tore ihrer Stadt bekommen (Siehe Röm. 10, 6 — 8)!

Wie deutlich können wir in allem diesem die leuchtenden Fußstapfen unsers Heiland-Gottes verfolgen! „Gott gebe uns Gnade“, hat einmal jemand gesagt, „zu holen, nein, zu begehren, nein, zu empfangen und nur zu empfangen!“

Ist das nicht sehr bedeutsam, geliebter Leser? Und gerade das war es, was Elisa bei der vorliegenden Gelegenheit zum Ruhme gereichte: er war mit der Gesinnung Gottes vertraut. Das böse, verderbte Herz des Menschen ging bis zum Äußersten. Der König von Israel suchte, wie bereits bemerkt, die Schuld an dem ganzen Unheil auf den Einzigen abzuwälzen, der tatsächlich schuldlos an demselben war; gerade so wie der Hohepriester Kajaphas in späteren Tagen den Rat erteilte, es müsse einer für das Volk sterben, damit nicht die ganze Nation umkäme, und dieser Eine musste Der sein, welcher allein an dem traurigen Zustand des Volkes unschuldig war (Joh. 11). Und gerade in einem solchen Augenblick lässt Gott Seine Rettung offenbar werden und Seine Gnade überströmen. Statt dass ein Eselskopf achtzig Silbersekel galt, sollten jetzt ein Maß Fein Mehl und zwei Maß Gerste in dem Tore der Stadt, die durch eigene Schuld an den Rand des Verderbens gekommen war, für einen Sekel verkauft werden.

So sehen wir also, wie das menschliche Böse, nachdem es seinen Gipfelpunkt erreicht hat, der überströmenden Gnade Gottes begegnet; zugleich aber gewahren wir auch, in welch verschiedener Weise diese Gnade in der Welt aufgenommen wird. Einige weisen sie zurück, wie hier der Anführer. Er wollte nicht glauben, dass Gott alles das tun könnte, was Sein Prophet soeben verkündigt hatte.

Ein Löwe war auf dem Wege. Ja, wenn sich noch Fenster am Himmel auftun würden, dann hätte das Wort des Propheten vielleicht in Erfüllung gehen können; wer aber hatte je von Fenstern am Himmel gehört? Und beachten wir, dass diese Worte in dem Geiste vollständigen Unglaubens ausgesprochen wurden, in der bösen Gesinnung des menschlichen Herzens, welches sich weigert, die frohe Botschaft großer Freude, die Gott ihm verkündigen lässt, anzunehmen; welches Ihm gegenüber weder glückliche Gedanken hegen, noch kindliches, heiliges Vertrauen empfinden will; welches vielmehr, wenn Er von Vergebung und Segnung redet, die Gnade von sich weist und lieber seine eignen, selbst gebildeten Meinungen festhält. denen zufolge eine solche Gnade rein unmöglich ist. Ja, so unwissend, so entfremdet von dem Leben Gottes ist das Herz des Menschen!

Indessen gibt es auch eine Klasse von Leuten, welche gar keine Hoffnung mehr haben; solche, die alle ihre Habe an die Ärzte verwandt haben, um von ihrer Plage geheilt zu werden, und mit denen es doch um kein Haar besser geworden ist. Es gibt noch Aussätzige außerhalb des — Lagers —- arme, überführte Sünder, die, wie einmal jemand gesagt hat, „für jeden Anderen, als für Jesum, zu schlecht sind“. Vor ihnen, hinter ihnen, um sie her ist nichts als der Tod. Vor sich gewahren sie die Syrer, hinter sich die hungernde Stadt, und an sich ihre siechen, aussätzigen, erstorbenen Leiber. Für solche kommt die — Gnade gerade zur rechten Zeit. Sie sind ihrer bedürftig. Sie erkennen, dass dieselbe ganz für sie ist, ganz für sie passt. Entweder steht der gewisse Tod vor ihnen, oder diese letzte, diese einzige Zuflucht in Gott selbst. Und solche machen sich auf und bemächtigen sich der Beute. Ihre Not bringt sie an den Platz, wo Christus den Sieg errungen hat.

So war es hier mit den vier Aussätzigen. Sie sahen keinen Ausweg, keine Hilfe. Der Tod umringte sie in verschiedenster Gestalt, ja, von allen Seiten; und so trieb sie ihr eigener, trauriger Zustand in das Lager der Syrer, wo der Herr ganz allein, ohne Mitwirkung von irgend Jemandem, einen herrlichen Sieg errungen hatte. Denn der Herr hatte das Heerlager der Syrer ein Getöse von Wagen und Rossen hören lassen, und so war Er es ganz allein gewesen, der sie« in die Flucht geschlagen hatte. Von dem Volke Israel war niemand mit Ihm gewesen. Es war „der Tag des Herrn“. In der Stadt rang das Volk mit dem Tode, und vor der Stadt hatten die Aussätzigen nichts anderes als den Tod vor sich. Da tritt Gott dem Heere der Syrer allein entgegen; und den armen Aussätzigen bleibt nichts" weiter zu tun übrig, als sich aufzumachen und sich ihren Anteil an den Früchten des Sieges des Herrn zu holen. Gerade so ist es jetzt mit dem Sünder. Der Sieg ist ganz ausschließlich das Werk Jesu. Es war niemand, der Ihm beigestanden hätte oder für Ihn eingetreten wäre. Allein trat Er dem Feind entgegen; allein erduldete Er die Strafe; allein trank Er den Kelch. Die drei Stunden der Finsternis kamen vom Himmel her über Ihn, weil Er zur Sünde gemacht war; allein hing Er als ein Fluch an dem Holze. Und im Evangelium wird dieser ganze Kampf und Triumph Jesu frei verkündigt, damit Sünder, tote, den Aussätzigen gleichende Sünder, kommen und das Festmahl genießen können, welches die Errungenschaft des ruhmreichen Kampfes bildet, den Jesus für sie ausgefochten hat— ein Festmahl, durch welches für alle ihre Bedürfnisse in Ewigkeit gesorgt ist.

Und was erwächst ihnen aus ihrer eigenen Freude? Das Verlangen, auch Andere an der Beute teilnehmen zu lassen! Sie breiten die gute Botschaft aus, die sie selbst empfangen haben und auf Grund deren sie jetzt das Leben genießen. Ja, es gibt keinen Seelenzustand, der von dem Geiste des erneuerten Sinnes entschiedener verurteilt würde, als die Selbstsucht unsrer alten, verderbten Natur. Die Tätigkeit derselben ist der herrlichen, frei nach allen Seiten hin ausströmenden Gnade, die Gott im Evangelium offenbart, so entgegengesetzt, dass da, wo man sich ihr hingibt, sie das drückende Gefühl der Furcht in der Seele zurücklässt. „Wir tun nicht recht“, sagten jene Aussätzigen zu einander. „Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft; und schweigen wir und warten, bis der Morgen hell wird, so wird uns Schuld treffen. Und· nun kommet und lasset uns hineingehen und es im Hause des Königs berichten.“ Und so gehen sie hin und verkündigen das Geschehene, und es ward dem Hause des Königs berichtet.

Alle diese Herzenserfahrungen werden einem erneuerten Sinne, der die Gnade des Evangeliums geschmeckt hat und unter dem Einfluss dieser Gnade steht, leicht verständlich sein. Indes gibt es in diesem bedeutungsvollen Bilde noch weitere Belehrungen für uns. So erblicken wir z. B. in dem Könige einen schwachen Glauben, ein Herz, welches glaubensträge ist. Er geht, wenn er die gute Botschaft hört, erst mit seiner Vernunft zu Rate. Er weist die Botschaft nicht, wie der Anführer, in dreistem Unglauben und Spott sofort zurück, sondern beginnt zu überlegen und seinen Verstand zu befragen. Auf ihn lässt sich das Wort des Herrn anwenden: „O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!“ Doch die Gnade erweist sich als überschwänglich. Wie bei Naaman, so vermag sie auch hier ebenso gut für einen Diener zu sorgen, wie sie Schätze aufzutun weiß; und der Erfolg ist der, dass der glaubens- und herzensträge König, ebenso gut wie die Aussätzigen, die sich mehr bereit gezeigt hatten als er, seinen Anteil an der Beute des herrlichen Sieges Jehovas empfängt. Und die ganze ausgehungerte Stadt folgt ihm nach. „Lahme plündern die Beute!“ Keiner kommt zu kurz, mit alleiniger Ausnahme des ungläubigen Anführers. Nur das Misstrauen, welches in die Freigebigkeit Gottes gesetzt wird, schließt an diesem Festtage Israels von der allgemeinen Segnung aus. Alles was der Prophet angekündigt hatte, ging in Erfüllung. Das Mehl und die Gerste wurden im Tore zu dem angegebenen Preise verkauft; der Anführer allein kam in seinem Unglauben um.

So sehen wir denn die großen Dinge, welche in dem Evangelium Gottes enthalten sind, in diesem überaus treffenden Bilde von Samarias Elend und Befreiung dargestellt und erläutert; es bietet uns reichen Stoff zu heiliger, nutzbringender Ermunterung und Ermahnung. Möchten wir jedoch nicht nur begehren, diese bewunderungswürdigen Wege der Weisheit Gottes zu erforschen und zu bewundern, sondern lasst sie uns auch wohl beachten und in unsre Herzen aufnehmen, damit dieselben erfrischt und unser Glaube an Den gestärkt werde, dessen Gnade für alle unsre Bedürfnisse und unsre Freude auf immerdar Sorge getragen hat!


13. Noch einmal die Sunammitin (Kap. 8, 1-6).

Der kurzen Nachricht, welche wir hier über eine andere Begebenheit aus dem Leben unsers Propheten erhalten, können wir wiederum entnehmen, wie sehr er mit den Gedanken Gottes vertraut war. Wir werden hier von neuem an jenes Schriftwort erinnert: „Der Herr, Jehova, tut nichts, es sei denn dass Er Sein Geheimnis Seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart habe“.

Elisa muss von der bevorstehenden Hungersnot Kunde erhalten, wie Joseph, Agabus und Andere in früherer oder späterer Zeit. „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?“ so lautete die Sprache desselben gnadenreichen Herrn, welcher mit den Seinigen wie mit Freunden umgeht. So waren denn bei unserm Propheten ebenso wohl die Gedanken wie die Hand des Herrn zu finden; er war in gleich herrlicher Weise der Träger Seiner Ratschlüsse wie Seiner Macht.

Und immer wieder sehen wir, wie er alles das, worüber er verfügen konnte, in Gnade für Andere benutzte. „Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben.“ Abraham benutzte sie zum Wohle Anderer. Als er erfahren hatte, welches Gericht über Sodom verhängt war, legte er für den gerechten Überrest einer Stadt Fürsprache ein. Ebenso sehen wir hier Elisa handeln. Nachdem er von der bevorstehenden Hungersnot gehört hatte, warnte er das gottesfürchtige Weib von Sunem und forderte sie auf, im Blick auf dieselbe für· ihr Haus Sorge zu tragen.“

Die Sunammitin befindet sich jetzt in anderen Verhältnissen als früher. Diese Tochter Sarahs, der Gegenstand so vieler Liebe und Bevorzugung, ist jetzt augenscheinlich eine Witwe geworden, und das kleine Kind, welches Gott ihr geschenkt hatte, ist herangewachsen. Die Hungersnot hat sie aber von ihrem Heim und ihrem Grundbesitz, der im Gebiete Issaschars lag, getrennt. (Siehe Kap. 4.) Dort hatte sie sich einst der göttlichen Gnaden-Erweisungen erfreut und hatte „inmitten ihres Volkes gewohnt“. Damals war der königliche Hof oder eine Gunstbezeugung seitens des Königs ohne Wert für sie gewesen, und auch jetzt verlangt sie nicht darnach, es sei denn um dadurch wieder in die einfachen Verhältnisse von ehedem innerhalb ihrer Heimat und ihres Volkes zurückkehren zu können. Und wir dürfen wohl annehmen, dass „das kleine gemauerte Obergemach“ mit dazu beitrug, ihre Gedanken und Wünsche zu dem bevorzugten Orte zurückzulenken, wo sie die lebengebende und aus dem Tode erweckende Macht ihres Herrn und Heilandes mittelst des von Ihm erwählten Dieners erfahren hatte.

Auch Gehasi ist jetzt in anderen Verhältnissen. Es mag sein, dass die Wurzel der bösen Sache, um die es sich bei ihm handelte, noch in seinem Herzen war. „Aber er ist aussätzig.“ Er steht jetzt außer aller Verbindung mit dem Propheten Gottes. Indessen hatte nicht die Hungersnot diese Veränderung hervorgerufen, sondern seine verabscheuungswürdige Habsucht. Er kann sich jetzt „der großen Dinge, die Elisa getan hat“, nur noch erinnern, aber ein Zeuge derselben kann er nicht mehr sein. Ein Glück für ihn, wenn er in bußfertiger Gesinnung mit heiliger Freude dem König von jenen Ereignissen erzählen konnte; aber glücklicher, viel glücklicher wäre er gewesen, wenn er dem Pfade des Glaubens und der Unterweisung des Geistes treu geblieben wäre und so noch länger den Umgang mit seinem Herrn hätte genießen können. Aber er hatte seiner Seele Gewalt angetan, wie auch wir, Geliebte, es tun können und es leider, ein jeder in seiner eigenen Weise, mehr oder weniger tun. „Glückselig der Mensch, der auf mich hört“, sagt die Weisheit, indem er an meinen Türen wacht Tag für Tag, die Pfosten meiner Thore hütet! Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden und Wohlgefallen erlangt von Jehova. Wer aber an mir sündigt, tut seiner Seele Gewalt an.“ Und es ist ein Beweis von Gnade seitens des Herrn, dass Er uns hier noch diesen letzten Blick auf Gehasi erlaubt. Wir dürfen so doch die Hoffnung hegen, dass, wie er sich einst mit vielen Schmerzen durchbohrt hatte (1. Tim. 6), so jetzt das Geld nicht länger der Gegenstand war, den er im Herzen oder im Munde führte, sondern vielmehr Erinnerungen an Elisa. Denn der Herr scheint ihn hier in Seiner Gnade wieder zu benutzen, um der gottesfürchtigen Freundin des Propheten in der Zeit ihrer Bedrängnis behilflich zu sein. Wie erfreulich ist es, aus der Hand des Herrn ein solches Pfand Seiner wiederherstellenden Gnade zu empfangen, mag auch Sein Geist durch die Abirrungen Seines Volkes noch so tief betrübt worden sein! O möchten wir Ihn preisen wegen Seiner Güte und wegen

Seiner Wundertaten an den Menschenkindern! *)

„Ein Wort zu seiner Zeit, wie gut ist es!“ so fühlen wir uns versucht auszurufen, wenn wir den Bericht von diesem kleinen Vorfall lesen. Gehasi und der König unterhielten sich gerade von der Sunammitin, als diese an den Ort kam, wo sie sich befanden. Und wie oft haben wir Gelegenheit, ein gleich glückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände zu beobachten! Es wird schwerlich Jemanden geben, dem nicht dergleichen hie und da in seinem Lebens begegnet wäre. Wie· oft bekommt :man, wenn man unerwartet in einen kleinen Kreis von Freunden tritt, zu hören: „Soeben war gerade von dir die Rede«! Und der Glaube. wird die Gnaden anerkennen, welche sich in dem Erscheinen solch günstiger Vorläufer offenbart, die den Weg bahnen oder verschlungenen Pfaden eine gerade Richtung geben, so dass; dieselben, wie in dem vorliegenden Falle, zu „der gewünschten Segnung führen. Der Glaube wird sich auch, nicht darüber beklagen, dass das nicht immer so ist. Denn der Glaube sagt: „Es steht Wohl“, mögen die Umstände günstig oder ungünstig sein. Die nämliche Hand der Liebe ist tätig,“ ob sie nun den Dorn aus dem Fleische herausnimmt oder ihn unberührt darin stecken lässt.

14. Die Weissagung über Hasael (2.Könige Kap. 8, 7 - 15).

Wie in dem vorhergehenden Falle, so finden wir auch hier! wieder, wie genau der Prophet mit den Absichten des Herrn bekannt war. Welcher Verkehr muss täglich zwischen ihm und dem Herrn stattgefunden haben! — Und in der Tat, die Geschichte des Volkes Gottes lässt uns immer wieder sehen, wie jenen Treuen, die „in böser Zeit“ den Platz des gehorsamen, von der Wahrheit Zeugnis ablegenden und um deswillen leidenden Überrestes einnahmen, herrliche Offenbarungen zu teil wurden. Denken wir z. B. an Hesekiel und Daniel, welche sich unter den Gefangenen in Babylonien befanden! Welch weitreichende Blicke in das Gebiet der Ratschlüsse Gottes wurden ihnen eröffnet! Ebenso nach der Rückkehr des treuen Überrestes aus der Gefangenschaft, als Sacharja, Haggai und ihre Genossen mit aufrichtigen Herzen, „der Feinde ungeachtet, an dem Hause Jehovas zu arbeiten begannen, welche Gedanken und Bilder zukünftiger Herrlichkeit ließ Gott da an ihnen vorüberziehen! Dasselbe begegnete später uns noch wunderbarere Weise dem Johannes auf der Insel Patmos, wo er ein Mitgenosse in dem Königtum und dem Ausharren in Jesu war. Zu diesen Männern gehörten auch Elia und Elisa. Sie bildeten, ein jeder zu seiner Zeit, den gottesfürchtigen Überrest ihrer Tage, und genossen- den kostbaren Vorzug, dass das Auge, das Ohr und die Lippen des Herrn für sie geöffnet waren.

Dem vorliegenden Abschnitt der Geschichte unsers Propheten können wir zugleich entnehmen, dass Elisa auch über die Grenzen Israels hinaus Ansehen genoss. Wir begegnen ihm hier in Damaskus, wo seine Ankunft sogleich dem König berichtet und ihm seitens desselben Ehre erwiesen wird. Möglicherweise hatte das mit Naaman Vorgefallene ihm den Zugang zu der Ehre und dem Vertrauen des syrischen Hofes gebahnt; vielleicht können wir hierin auch einen Beweis von dem Zeugnis erblicken, welches jener geheilte Aussätzige, jener bekehrte Sünder aus den Nationen, von dem Namen des Gottes Israels abgelegt hatte, so dass der König von Syrien sich jetzt wenigstens nicht wieder an den König (vergl.. Kap. 5, 5), sondern an den Propheten von Israel wendet.

Indes gibt es hier noch einen anderen Punkt, der eine wertvolle Belehrung für unsere Herzen enthält, bei welchem ich deshalb noch einen Augenblick verweilen möchte. Ich meine in dem Charakter und dem Verhalten Hasaels. Hasael war zu Elisa gekommen, um ihn, im Auftrage des Königs von Syrien, seines Herrn; betreffs der Krankheit, an welcher dieser litt, zu befragen. Elisa lässt ihn seinem Herrn sagen: „Du wirst gewisslich genesen“. Nachdem er ihm jedoch diese Antwort aus die Anfrage des Königs erteilt hat, fügt er noch ein Wort hinzu, welches nur an Hasael persönlich gerichtet war: „Aber Jehova hat mir gezeigt, dass er gewisslich sterben wird“.

Als Hasael dies hörte, „stellte er“, wie wir lesen, „sein Angesicht fest und richtete es auf ihn, bis er sich schämte“. Das war Heuchelei. Unter den Augen unsers Propheten, angesichts des wahrheitsliebenden Geistes des Mannes Gottes, musste das Aussehen, welches er seinem Antlitz zu geben suchte, gegen ihn zeugen. Er wollte sich den Schein geben, als sei er über die Weissagung des Propheten bezüglich des Todes Ben-Hadads betrübt.

Während Hasael sich so Mühe gibt, einen Kummer zu heucheln, den er nicht fühlte, scheint der Prophet selbst mittlerweile dem Gange göttlicher Mitteilungen, die seiner Seele zu teil wurden, gefolgt zu sein und weint bei dem Gedanken an all das Böse, welches dieser Hasael, wenn einmal zur Macht gelangt, Israel zufügen würde. Denn schreckliche Bilder waren es, welche ihm die göttliche Eingebung, unter der er soeben stand, vor Augen führte. Dieser Kummer war aber echt; er war nicht erzwungen. und gemacht, wie derjenige Hasaels. Er kommt aus einem aufrichtigen Herzen, das durch das göttliche Gesicht, auf welchem das Auge des erleuchteten Sehers ruhte, traurig gemacht worden war.

Nach einer weiteren kurzen Unterredung zwischen den beiden Männern, auf welche ich nicht näher eingehen will, kehrt Hasael zu Ben-Hadad zurück. Der Prophet hatte gesagte· „Du wirst gewisslich genesen“, —— und damit angedeutet, dass die Krankheit des Königs an sich nicht lebensgefährlich sei; dann aber hatte er hinzugefügt: „Jehova hat mir gezeigt, dass er gewisslich sterben wird“. Damit hatte er Hasael zu verstehen gegeben, dass Ben-Hadad auf eine andere Weise als infolge der Krankheit sein Ende finden würde. Der Ausgang zeigt in schlagender Weise die volle, unverfälschte Wahrheit der Worte des Propheten; denn der König stirbt nicht an der Krankheit, sondern findet sein Ende durch die mörderische Hand Hasaels. Er hätte von seiner Krankheit genesen können, aber er stirbt gewisslich, wie der Prophet geredet hatte.

Diese rätselartige Abfassung der Antworten oder Aussprüche des Geistes verdient unsere Bewunderung. Dem vorliegenden ähnlich war das Wort, welches unser Prophet an den ungläubigen Anführer in Samaria richtete: „Siehe, du wirst es mit deinen Augen sehen, aber du wirst nicht davon essen“. So seltsam dieser Ausspruch auch dem Ohre klingen mochte, so ging doch jeder Buchstabe davon in Erfüllung. „Und es geschah ihm also-; und das Volk zertrat ihn im Tore, und er „starb“, - d. h. in· demselben Augenblick, da die Volks-Menge ihm ihre Gerste und-ihr Feinmehl. unter die Augen brachte, kam er in dem Gedränge zu Fall und wurde zertreten. (Siehe Kap. 7). Gerade so ist es hier; Die Worte: „du wirst gewisslich genesen“ und: „er wird gewisslich sterben“, werden durch den Ausgang als wahr erwiesen, wiewohl sie so seltsam und widerspruchsvoll klangen wie möglich.

Noch auffallender sind indes die Aussprüche über Zedekia, den letzten König von Juda. Jeremia hatte von ihm gesagt, seine Augen würden die Augen des Königs von Babel sehen, und er würde nach Babel kommen (Jer. 34, 3). Hesekiel hatte gesagt, er würde nach Babelkommen, aber sehen würde er es nicht, wiewohl er daselbst sterben würde. (Hesekiel 12, 13.) Diese beiden Aussprüche miteinander zu vereinigen, schien so gut wie unmöglich zu sein, und doch ist alles auf das Allergenaueste in Erfüllung gegangen. Es waren Worte, die von den Lippen Dessen kamen, dessen Hand wunderbar und mächtig ist und unbeschränkt in all ihrem Tun. (Siehe Jer. 39).

Dies jedoch nur beiläufig. Die Geschichte, welche uns der unsrer Betrachtung zu Grunde liegende Schriftabschnitt vor Augen führt, zeigt uns wahrlich ein erschreckendes Bild menschlicher Selbstsucht und Heuchelei. Wir können dem eine ernste Warnung für uns alle entnehmen; und zwar ist es diese: dass mit einem Blick ebenso gut geheuchelt werden kann, wie es vermittelst eines Wortes geschehen mag. Und »wir« alle sollten stets aus unsrer Hut sein unter Gebet und Flehen, damit der Geist, der ja alles erforscht, in dem Innern unsrer Herzen sowohl, wie in unserm ganzen äußeren Verhalten, in jedem Blick und jeder Bewegung, nur Wahrheit finden möge!

15. Die Salbung Jehus (2.Könige Kap. 9 u. 10).

Unser Prophet bildet zwar nicht die Hauptperson in dieser Erzählung, aber doch sehen wir ihn in derselben handelnd austreten. Und da die erzählten Begebenheiten selbst von tiefgehender Bedeutung sind, so möchte ich sie nicht unberührt lassen.

Wir empfangen hier aufs Neue eine ernste Unterweisung. Es wird uns ein erschreckendes Beispiel von jener Wahrheit vor Augen geführt, dass der Herr solche, an denen Er, was ihre Person betrifft, kein Wohlgefallen hat, sowohl als Werkzeuge wie auch als Diener benutzen kann. Es ist dies eine ernste Tatsache. Einen Balaam hätte Gott niemals in Sein Vertrauen ziehen können; aber Er bediente sich seiner als eines Propheten, wie Er später einen Saul als König und einen Judas als Apostel benutzte.

Wir tun wohl, hier einen Augenblick stille zu stehen und über eine solch ernste Wahrheit nachzusinnen und uns dieselbe zur Warnung dienen zu lassen. „Viele werden an jenem Tage fragen: Herr, Herr! haben wir nicht durch deinen Namen „geweissagt?“ Aber der. Herr wird ihnen antworten: „Ich habe euch niemals gekannt“. (Matth. 7, 21 — 23). Es ist keine Gemeinschaft des Geistes dagewesen, wiewohl die Hand oder die Zunge von dem Herrn benutzt worden sein mag.

Wie klar tritt dies bei Jehu zu Tage! Die Hand dieses Heerobersten wird benutzt, aber keinerlei Gemeinschaft besteht zwischen ihm und dem Herrn. Er verrichtet seinen Dienst, er führt den ihm gewordenen Auftrag vollständig aus; allein es findet sich in seiner Geschichte keine Spur von einer Andeutung, dass seine Seele Gott gegenüber in Tätigkeit gekommen wäre. Er geht mit Eifer an die ernstesten und wichtigsten Unternehmungen und führt sie zu Ende, und er tut das alles im Namen und auf Befehl des Herrn, aber sein Herz bleibt unberührt; von inneren Übungen und Erfahrungen im Heiligtum oder in der Gegenwart Gottes· weiß er nichts.

Und das ist es gerade, was einen Mann kennzeichnet, welchen Gott zwar als Diener benutzen mag, an dessen Person Er aber keine Freude hat. Alles kann in dieser toten Weise benutzt werden. Wie man sich mit einer toten Hand an Dienstverrichtungen machen kann, so kann man ebenso gut mit einem toten Verstande Erkenntnis in sich aufnehmen. Denn welchen Wert hat Erkenntnis, wenn man sich ihrer bedient, ohne dass das Herz durch dieselbe beeinflusst wird? Jehu besaß beides. Er hatte Erkenntnis und Kraft; er besaß ein Verständnis, welches die Aussprüche Gottes über das Haus Ahabs zu fassen vermochte, und eine Hand, die bereit war, dieselben in Ausführung zu bringen. Aber es war ein toter Verstand und eine tote Hand. Weder göttliche Liebe noch göttliche Gnade erfüllten den ersteren, oder setzten die letztere in Bewegung, Und auch für uns wird Erkenntnis keine andere Bedeutung haben, wenn sie nicht dazu dient, gottgemäße Empfindungen in unserm Innern wachzurufen. Die Erkenntnis, welche Jesus besaß, veranlasste Ihn beständig, sich in die Gedanken Gottes zu vertiefen und dieselben in Seiner Person und in Seinem Tun zum Ausdruck zu bringen. Bei Jehu aber finden wir nichts dergleichen. Er konnte von den Absichten Gottes reden und als Werkzeug zu ihrer Ausführung dienen, aber bei all seinem Tun war er nicht in Gemeinschaft. mit Gott.

Und nun möchte ich auf etwas anderes hinweisen, das in völligem innerem Gegensatz zu dem bisher Gesagten steht, und worin sich in schöner Weise offenbart, welcher Geist Elisa beseelte.

Er sagte seinem Boten, sobald er das Öl auf Jehus Haupt ausgegossen habe, solle er die Tür öffnen und fliehen, um dadurch auszudrücken, dass er mit Jehu keine Gemeinschaft haben dürfe. Es erinnert uns dies an den Mann Gottes, welcher mit dem Orte, den zu verfluchen er gesandt war, in keinerlei nähere Berührung treten durfte (Siehe 1. Kön. 13, 9). Der Bote Elisas hatte ein Geschäft bei Jehu zu verrichten, ein überaus wichtiges Geschäft; aber das war auch alles. Sobald sein Auftrag vollzogen war, musste er sich eiligst entfernen. Und hierin offenbarte Elisa in bewunderungswürdiger Weise die Gefühle Gottes selbst, wenn ich mich so ausdrücken darf.

Wir haben bereits gesehen, in welch herrlicher Weise sowohl die Gedanken wie die Kraft Gottes bei ihm zu finden waren, indem er die ersteren kundtat und die letztere ausübte; aber in diesem Falle lässt er erkennen, dass auch das Empfinden, die Gefühle des hochgelobten Gottes ihm vertraut waren.

Darnach sollten auch wir in Wahrheit innig verlangen. Ein solch heiliges Vorrecht genießen zu dürfen, sollte der Gegenstand unsers eifrigen Begehrens sein. Gott hatte, wie schon bemerkt, an Jehu, was seine Person betraf, keine Freude, wiewohl Er sich seiner als Werkzeug bedienen mochte. Und ebenso hatte Elisa an ihm persönlich keine -Freude, wiewohl er ihn auf göttlichen Befehl hin zum König salben ließ.

Und hierin unterscheidet sich Elisa von Jonadab. Nicht dass Jonadab nicht treu gewesen wäre, oder dass er nicht zu den Abgesonderten, den Heiligen Gottes gehört hätte. Aber er steht nicht auf derselben Höhe wie Elisa, gerade so wie Lot nicht auf der Höhe Abrahams, oder Obadja nicht auf der Höhe Elias stand. Jonadab besaß nicht jene göttlichen Empfindungen über das, was Jehu war. Er stieg zu ihm auf den Wagen. Er machte so zu sagen Kameradschaft mit ihm. Er hatte seine Freude an dem, was Jehu tat. Aber Elisa und der Herr fanden kein Wohlgefallen an ihm. „Öffne die Tür und fliehe und harre nicht“, lautete das Wort des Propheten an seinen Boten.

Dies sollte uns allen zu heiliger Warnung dienen und uns antreiben, inbrünstig von unserm Gott zu begehren, dass auch uns dieses kostbare Teilnehmen an Seinen Gefühlen, dieses Mitempfinden Seines Wohlgefallens, Seiner Zuneigungen wie Seiner Abneigungen, verliehen werden möchte. Es war dies die Frucht eines tiefgehenden Werkes des Geistes in der Seele unsers Propheten. Es war außerdem noch vieles bei ihm anzutreffen; er war, wie schon gesagt, der Träger der Gedanken und der Macht Gottes. Aber höher und herrlicher als alles das ist jenes Eingehen seiner Seele in das Empfinden Gottes über Dinge und Personen! In der Tat, es war eine liebliche, gesegnete Frucht, welche auf dem Pfade und unter der Pflege des Geistes in ihm erwachsen war. Es war, mit einem Worte, göttlich. Er konnte, wie Gott selbst, dem ganzen Laufe der Wirksamkeit Jehus folgen und doch kein Wohlgefallen an seiner Person finden. Anders aber stand es mit Jonadab. In ihm waren die Empfindungen eines geistlich gesinnten Herzens nicht so rege. Er vermochte die Person nicht von dem Werke zu trennen; das Werk ließ ihn das Missfällige in der Person übersehen. Und solchen Verschiedenheiten im geistlichen Empfinden können wir heute noch beständig begegnen.

Und vergessen wir nicht, dass die Gesinnungsart, welche Jehu offenbarte, von sehr ernster Natur war. Wir finden bei ihm keine Spur von einem zerbrochenen Geiste, keine Äußerungen eines heiligen Verlangens, kein Gefühl für die Ehre Gottes. Er kann sogar seinen Anführer Bidkar an den Tag erinnern, an welchem sie beide hinter Ahab herritten - als dieser seine Blutgier und Habsucht offenbarte und der Herr sein gerechtes Urteil über ihn aussprechen ließ, — ohne dass sich eine tiefere Regung seiner Seele geoffenbart hätte. Sein Herz ist bei der Erinnerung an jene traurigen Tage nicht beteiligt. Er hat kein Gefühl von einer Mitschuld an all dem Bösen. Wie unähnlich ist er einem Daniel oder einem Nehemia, welche bei der Aufzählung der Sünden ihres Volkes, ihrer Könige, ihrer Priester und ihrer Propheten, (an welchen sie persönlich ja nicht beteiligt gewesen waren,) dennoch den ihnen zukommenden Platz einnahmen und ihre Mitschuld an allem, was vorgekommen war, bekannten! Wie unähnlich auch einem David, welchem das Gericht, das an einem Anderen vollzogen werden sollte, den Weg zum Throne bahnte, (wie hier das Gericht über das Haus Ahabs dieselbe Wirkung für Jehu hatte) und der doch nur auf die Schmach sah, welche dem Gesalbten des Herrn angetan wurde; -— dessen Auge nicht von Freude erstrahlte im Blick auf den Thron, der vor ihm schimmerte, sondern sich vielmehr mit Tränen füllte, als er die Schande und den Sturz derer erblickte, welche ihm den Weg zum Throne versperrt hatten!

So steht Jehu in unmittelbarem Gegensatz zu solchen Männern, die in ähnlichen Lagen auf Seiten Gottes standen. Und dieser Gegensatz ist eben der Gegensatz. zwischen Fleisch und Geist, zwischen einem Herzen, das sich nur von den verderbten Grundsätzen dieser Welt leiten lässt, und einem solchen, welches von der Macht und Gnade Gottes regiert wird.

Trotzdem war es ein Auftrag Gottes, welchen Jehu ausführte. Aber wie furchtbar war derselbe! Auf welch einen schreckenerregenden Weg wurde das Schwert Jehovas durch jenen Auftrag gesandt! Von Ramoth nach dem Weinberge Naboths, von dort nach der Anhöhe Gar, von dort nach Jisreel, von dort nach Beth-Eked und endlich nach Samaria, und der ganze Weg ist mit Blut bezeichnet, und zwar mit Blut, dessen Vergießen die Gerechtigkeit forderte! Denn wiewohl das Schwert, durch welches es vergossen wurde, nicht nach Gerechtigkeit fragte, so übte doch Jehova durch dasselbe an dem Fleische Ahabs und seines Hauses Gericht, wie Er seiner Zeit ein noch größeres Gericht an allem Fleische ausüben wird; und dann werden der Erschlagenen Jehovas viele sein. Und mit welch einer Schnelligkeit wird dann das Gericht Gottesausgeführt werden, und wie weit wird es reichen! Wie wird der Weg aussehen, den das Schwert des Herrn oder „die verhängte Rate“ an jenem Tage nehmen wird! Denn „gleichwie der Blitz ausfährt vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, also wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein.“

Dieser Weg Jehus stellt uns einen Zeitabschnitt des gerechten Gerichts vor Augen. Er erinnert uns an die Zeit der großen Flut, an den Tag von Sodom und Gomorra, oder an die Ereignisse am Roten Meere; und unsere Herzen, geliebter Leser, freuen sich beim Betrachten dieser Szenen unwillkürlich aufs Neue des kostbaren Blutes, welches uns in Sicherheit gebracht hat, und erkennen zugleich in Ehrerbietung das gerechte Tun Dessen an, welchem allein die Rache zukommt!

Jehu führte allerdings den göttlichen Auftrag aus; derselbe diente aber seinem eigenen Vorteil. Das Gericht, welches Gott über Ahab verhängt hatte, bildete für Jehu das Mittel, um in der Welt vorwärts zu kommen. Gleich einem echten Pharisäer trieb er mit der Religion Handel, oder benutzte die Gottseligkeit als ein Mittel zum Gewinn. Darüber hinaus hatte« sie« keinen Reiz« für ihn; sie hatte keinen Einfluss auf sein Herz. Und so sehen wir ihn denn bemüht, das, was religiöser Eifer ihm eingebracht hatte durch religiösen Abfall sich zu bewahren. Wenn er imstande war, Baal aufzugeben, um auf den Thron zu gelangen, so konnte er mit gleicher Leichtigkeit Jehova aufgeben, um sich den Thron zu sichern. Nachdem er die Propheten Ahabs ausgerottet hatte, konnte er sich zu den Kälbern Jerobeams zurückwenden, damit, wie Jerobeam sich einst ausgedrückt hatte, nicht „das Königreich an Andere zurück komme „Welch eine tiefgehende, ernste Belehrung liegt in allen diesen Dingen für uns! Möchten wir über dieselbe nachsinnen und darnach trachten, dass bei all unserm Dienen und Erkennest unsere Herzen und Gewissen in Tätigkeit bleiben; denn sonst ist all unser Denken und Tun nur ein totes Werk!

Fußnote:

*) Ich weiß wohl, dass Anderen das Auftreten Gehasis an dieser Stelle nicht in so günstigem Lichte erscheint. Sie erblicken vielmehr den Beweis darin, dass er immer noch ein Mann der Welt war und sich von Geldliebe leiten ließ, weil er in der Nähe des Königs angetroffen wird und augenscheinlich in gewissem Grade das Vertrauen desselben besaß. Vielleicht ist es so. Auf mich macht indes die Begebenheit, in welcher wir ihn hier handelnd austreten sehen eher den oben geschilderten Eindruck;


16. Joas, König von Juda (Kap. 11 und 12).

Wir hören in diesen Kapiteln nichts von unserem Propheten, da dieselben sich mit den Angelegenheiten des Reiches Juda beschäftigen; indessen stehen sie insofern doch zu den Angelegenheiten des Reiches Israel in Beziehung, als sie uns von einem großen Abfall Bericht geben, der in erstgenanntem Reiche eintrat, sowie von dem darauffolgenden Gericht, gerade so wie die vorhergehenden Kapitel uns mit dem Gericht über den Abfall in dem Reiche Israel bekannt machten. Überdies lassen sie uns wichtige Blicke in die Ratschlüsse Gottes - tun, so dass ihre Betrachtung, wenn auch von Elisa in ihnen keine Rede ist, „dennoch von Nutzen und Interesse sein wird.

Die beiden Kapitel führen uns in die Zeit ein, in welcher das Haus Davids vorübergehend des Besitzes des Thrones Judas beraubt war, so wie auch in der gegenwärtigen Zeit der Same und das Hans Davids den Thron und die Macht Davids nicht inne haben.

Athalja, die Tochter Ahabs und Iesabels, — und wir können sie wohl die Iesabel von Juda nennen, war das Werkzeug, durch welches dieser Frevel ausgeführt wurde. Eine Mörderin, eine Götzendienerin und Thronräuberin, bringt sie hier das Böse zur Vollendung, wie Ahab und Iesabel es in Israel getan hatten, bis der Zorn Gottes sie heimsuchte und hinwegraffte, wie er jene heimgesucht und hinweggerafft hatte.

Ihre Mordgier richtete sich gegen den königlichen Samen, um sich selbst in den Besitz, der Krone zu setzen und (wie sie vielleicht in der Anmassung ihres Unglaubens meinte) so die von Gott dem Hause Davids gegebene Verheißung zunichte zu machen (1. Kön. 2,4). Sie handelte gerade so, wie Ahab in Samaria dem Weinberge des Gerechten gegenüber verfuhr, oder wie später das ganze Volk den Herrn des Weinbergs oder den Erben des Reiches behandelte.

Aber es gibt verborgene Gedanken und eine verborgene Macht Gottes, welche alle solche Pläne vereiteln. Er stellt die Auferweckung Jesu dem Feinde entgegen und macht so alle Anschläge desselben zunichte; und hier dient Ihm Joas, der ein Kind der Auferstehung ist, als Werkzeug zu gleichem Zwecke. Das Urteil des Todes war ebenso gut gegen Joas ergangen, wie gegen alle diejenigen, welche infolge desselben umkamen. Der Herr hatte jedoch eine Errettung für ihn vorbereitet, da Er durch ihn Großes zur Ausführung bringen wollte, und so wird er denn, wie einst Mose in ähnlicher Lage, durch eine Königstochter, Namens Joseba, die den Hohenpriester Jojada geheiratet hatte, von der Stätte des Todes entfernt.

Es ist indessen sehr bemerkenswert, dass, nachdem Joas so von der Stätte des Todes entfernt worden war, er durch den Priester Gottes „im Hause des Herrn“ verborgen wurde, und noch dazu „bis zum siebenten Jahre -— ein treffendes Bild von dem, was Gott in späteren Tagen mit dem wahren Erben des Thrones Davids tun wollte. Denn nachdem Jesus durch die Auferstehung von der Stätte des Todes entfernt worden ist, wird Er während der Dauer eines ganzen Zeitalters im Hause Gottes verborgen gehalten, indem die Himmel Ihn als den Hohenpriester des gegenwärtigen Hauses Gottes aufgenommen haben. So liefert uns denn das zeitweilige Verbergen des Erben Davids in damaliger Zeit ein schönes Bild von der gegenwärtigen Verbergung Jesu in den Himmeln.

Joas sollte aber nicht für immer dort bleiben, wohin die Hand Jojadas ihn in Sicherheit gebracht hatte. Zu seiner Zeit bereitet Jojada in Juda einen Überrest zu, der für Joas ist. Mit diesem Überrest schließt er im Hause Jehovas einen Bund und zeigt ihm „den Sohn des Königs“. Und nachdem er ihn zubereitet hat, benutzt er ihn: er versieht jeden Einzelnen für den Tag des Kampfes mit Kriegswaffen und Schilden, die er der Rüstkammer Davids entnimmt, und lässt alle sich in bestimmter Ordnung aufstellen, um mit ihrer Hilfe die freche, ungläubige Räuberin vom Throne zu stoßen. Und dies geschieht ebenso mit einem vollkommenen, heiligen Verständnis für die Gedanken Gottes wie vorher die Verbergung des Kindes im Tempel. Dieser selbst darf nicht mit Blut befleckt werden; die Gottlosen aber müssen an diesem Tage gerechten Gerichts ohne Gnade ausgerottet, und „der Sohn des Königs“ muss aus dem Hause Jehovas heraus-geführt werden — drei Punkte, die bei dieser wichtigen Gelegenheit genau zu beobachten sind. Der König muss auf den Thron erhoben und die Gesetzlosen müssen umgebracht werden, aber bei alledem muss der Tempel rein erhalten bleiben. Alles muss geschehen in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes. Nachdem alles bestens vorbereitet ist, tritt der König von dem Orte, an welchem er verborgen gewesen war, hervor, und zwar mit all der Feierlichkeit, wie sie ihm zukam, indem diejenigen, welche die Stütze seines Königtums bildeten, die Gerechten, auf welche er sein Vertrauen setzen konnte, ihn begleiten. Dazu geschieht dies am Sabbattage.

Indem Jojada (als Priester und als der Beschützer des jungen Königs während der Herrschaft der Thronräuberin) die ganze Angelegenheit seiner Krönung und Offenbarmachung ordnet, zeigt er den Thronerben zunächst einem auserwählten Überreste. Dies tut er im Geheimen innerhalb des Tempels. Dann lässt er eine Leibwache sich in einer Reihe aufstellen, die sich von; Hause Jehovas bis zum Hause des Königs, von dem Heiligtum des Reiches bis zu dem Palaste hin erstreckt. Die Aufgabe derselben war, den König auf dem ganzen Wege, von seinem Austritt aus dem Tempel bis zu seinem Eintritt in den Palast, zu bewachen.

Dann wird er aus dem Tempel herausgeführt und unmittelbar vor demselben auf dem Standorte stehend, unter den Beifallsbezeugungen des Volkes zum König ausgerufen, wobei ihm sowohl das Zeugnis wie auch die Krone überreicht wird, das erstere als Zeichen seiner Unterwerfung unter Jehova, die letztere als Symbol seiner Oberhoheit über Israel.

Sodann wird die Thronräuberin Athalja getötet, jedoch außerhalb des Tempelgebietes. Denn selbst wenn es sich um die Wiedereinsetzung des Königs und um die Ruhe des Reiches handelt, will der Priester nicht die Heiligkeit des Tempels zum Opfer bringen — ein schönes Zeugnis dafür, dass der Herr bei all Seinem Tun eine jede Seiner Herrlichkeiten aufrechterhält und nie erlaubt, dass eine derselben durch das Hervorstrahlen einer anderen in den Schatten gestellt wird· Dann wird ein Bund mit dem ganzen Volke geschlossen; sie nehmen den König an, und der König bekennt sich zu ihnen. Alles was Ärgernis verursacht und böse ist, wird entfernt: das Haus, die Altare, die Bilder und die Priester Baals. Und schließlich schreitet der König an der aufgestellten Leibwache entlang, die voller Freude ihm zu Diensten steht, und setzt sich, wie ein zweiter Salomo, in Frieden und voller Würde, mit Ehren überhäuft und inmitten der Freudenbezeugungen seines Volkes, aus den königlichen Thron, den Thron des Hauses Davids.

Könntet! wir uns wohl eine schönere Darstellung der Rückkehr Jesu aus Seinem himmlischen Heiligtum vorstellen? Wird Er nicht in all der Macht und Gerechtigkeit Seines Reiches erscheinen? Wird dann nicht ein neuer Sabbat für Sein Volk Israel und die ganze Schöpfung anbrechen? Und wird es nicht zugleich der Tag der Heimsuchung für diejenigen sein, welche das Blut der Gerechten vergossen und die Erde verderbt haben? Der Himmel wird geöffnet werden, und der Tag der Krönung Jesu und der Freude Seines Volkes wird beginnen, so wie hier der Priester Joas salbt, ihm die Krone ans das Haupt setzt und, der göttlichen Verordnung gemäß (vergl. 5. Mose 17), ihm das Zeugnis in die Hand gibt, während das Volk ruft: „Es lebe der König!“ Der König erscheint in seiner Schönheit, wie aus den Toten erstanden, während die Thronräuberin und Mörderin vor seinen Augen ihr Ende findet.

Eine deutlichere Darstellung unsers wahren David, wie Er einstmals erscheinen wird, könnten wir uns kaum denken. Wir erblicken gleichsam Sein Herabsteigen vom Himmel, Sein Kommen aus dem Hause Jehovas in Macht und großer Herrlichkeit. Zudem war damals gerade der geeignete Augenblick für ein solches Vorbild. Denn die widerrechtliche Einnahme des Thrones durch Athalja bezeichnete den vollendeten Abfall Judas und damit den Zeitpunkt, wo der Herr, wie einst bei Gelegenheit der Bosheit Babels und Gomorras, hervortreten musste, um die Erde für ihre Bosheit zu strafen und die Ihm zukommende heilige Macht und Ehre an sich zu nehmen.

Der Name Davids erfüllt jetzt wieder das Land. Nicht nur war die Wache des Königs mit den Speeren und Schilden Davids — die man aufbewahrt und, während der Verborgenhaltung des Erben im Heiligtum, gleichsam hatte verrosten lassen -— ausgerüstet worden, sondern es werden jetzt auch die Anordnungen Davids beobachtet, und die Klänge der Musik Davids ertönen von neuem. (2. Chron. 23, 18.) Der Priester lässt es sich angelegen sein, in jeder Beziehung Erinnerungen an David wachzurufen. Zugleich wird der Baal samt seinen Dienern beseitigt, und der Gott Israels hat wieder den Ihm gebührenden Platz. Jehova wird als der Herr und David als Sein Knecht anerkannt, wie es in dem herrlichen Gegenbilde dieser Szene der Fall sein wird, wenn „jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“. Und dann wird, wie bereits bemerkt, ein weitergehender Bund geschlossen. Der Priester nimmt nicht nur Einig en einen Eid zu Gunsten des verborgen gehaltenen Joas ab, indem er ihnen allein denselben zeigt; sondern er vereinigt jetzt aufs Neue das ganze Volk, den König und Jehova in einem heiligen, gnadenvollen Bunde — Israel soll wieder das Volk Jehovas sein — und dann zeigt er den rechtmäßigen Erben der ganzen Herrlichkeit nicht nur Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinde Israel. Und so hatte die Stadt Ruhe, das Volk des Landes freut sich, der König sitzt auf dem Throne und stellt in Gemeinschaft mit dem Priester den Dienst des Gottes Israels wieder her. S. 147

In diesen Vorgängen erblicken wir ein Vorbild von der zukünftigen großen Wiederherstellung aller Dinge. Ein vollständiger Wechsel tritt in den Verhältnissen ein. Der König ist nicht länger im Hause Jehovas verborgen, während ein fremdes Weib den Thron innehat und gleichsam auf dem Tiere reitet (vergl. Offbg. 17), während Baal angebetet wird und der Tempel des einzig wahren Gottes sich in einem Zustand der Verunreinigung und des Verfalls befindet; sondern der König ist durch sein Ihm bereitwillig dienende Volk herausgeführt und anerkannt, die Thronräuberin ist gerichtet, und das Heiligtum Jehovas steht wiederum in Ansehen, und dem Herrn wird aufs neue die gebührende Verehrung zu teil.

Wie es aber einst bei Salomo der Fall war, so ist es jetzt auch bei Joas; dieser liebliche Zustand der Dinge dauert nur eine Zeitlang. Sobald Jojada den Schauplatz verlässt, trübt sich der helle Glanz· Doch das Eine sehen wir, dass, so lange der Priester Jojada lebte, der König Joas die Heiligkeit und Schönheit des Reiches bewahrte. Auch dieser Umstand ist bedeutungsvoll. Was können wir ihm entnehmen? Lehrt er uns nicht, dass in dem zukünftigen Reiche, in welchem der König und der Priester in einer Person vereinigt sein werden, alles gut gehen wird? Wie geschrieben steht: „Er wird Herrlichkeit tragen; und Er wird auf Seinem Throne sitzen und herrschen, und wird Priester sein auf Seinem Throne; und der Rat des Friedens wird zwischen ihnen beiden sein“ (Sach. 6, 13). Der Priester jenes Reiches kann nicht sterben, weil Er nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens Priester geworden ist; und der König jenes Reiches kann nichts Verkehrtes oder Unrechtes tun, weil Sein Szepter ein Szepter der Gerechtigkeit ist, und es von Ihm heißt: „Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst“. Deshalb werden auch dieser Friede und diese Herrlichkeit während der ganzen Dauer Seiner Herrschaft fortbestehen, bis Er das Reich Seinem Gott und Vater übergeben wird. „In Seinen Tagen wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist“ (Ps. 72, 7). „Die Herrschaft ruht auf Seiner Schulter, und man nennt Seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben auf dem Throne Davids und über Sein Königreich, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit (Jes. 9, 6. 7).

Wir erblicken hier also eine klare Darstellung der Dinge, welche die Herrlichkeit Christi betreffen, die damals noch in ferner Zukunft lagen, uns aber heute ganz nahe gerückt sind: Seine Rückkehr aus dem Himmel, dem Heiligtum Gottes, dann die Übernahme und Ausführung des Gerichts durch Seine Hand, weiterhin die Ehren, welche Ihm als Priester und als König zu teil werden sollen, und schließlich Seine Herrschaft in dem Lande, welches Er sich von alters her zum Besitztum erwählt hatte. Es macht unsere Herzen stets glücklich, wenn sie sich mit Gedanken beschäftigen, die Ihn zum Gegenstande haben, und es wäre deshalb schade gewesen, diese Kapitel zu überschlagen.

17. Joas, König von Israel, und die Pfeile (2.Könige Kap. 13, 1 — 19).

Wir kehren jetzt aus dem Reiche Juda in das Land der zehn Stämme zurück. Während der ganzen, siebenzehn Jahre währenden Regierung Joahas, des Sohnes Jehus, hören wir nichts von Elisa. Erst in den Tagen seines Nachfolgers Joas wird uns ein letzter Blick auf unseren Propheten gestattet.

Joas hatte nach dem Tode seines Vaters Joahas den Thron Israels bestiegen. Er tat, gleich diesem, was böse war in den Augen Jehovas, wie Jerobeam, der Sohn Nebats, und alle übrigen Könige es vor ihm getan hatten. In seinen Tagen nun „erkrankte Elisa an seiner Krankheit“, an welcher er nachher starb (V. 14).

Man hat oft gesagt, dass der längste Tag seinen Abend habe. So war es auch im Blick auf die Wirksamkeit Elisas. Er hatte die Regierungszeiten Jorams, des Sohnes Ahabs, Jehus, Joahas und Joas durchlebt, und auch schon vorher die Tage Ahabs und Ahasjas gesehen. Vielleicht hatte seine Wirksamkeit als Prophet Gottes nahezu sechzig Jahre gedauert. Jetzt aber war der Abend seines Tages gekommen, und indem seine Sonne untergeht, verbreitet sie noch die schönste Abendröte um sich her und erstrahlt in einem Glanze, der völlig dem ihrer Mittagshöhe entspricht.

„Joas, der König von Israel“, so lesen wir, „kam zu ihm herab und weinte über seinem Angesicht und sprach: Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!“ Es mag uns dies Wunder nehmen. Allein es ist augenscheinlich, dass es sich hier nicht um Heuchelei, Spott oder Unaufrichtigkeit handelte. Es war vielmehr die Äußerung natürlicher Gefühle. Vielleicht war Elisa von diesem König des Hauses Jehus bisher sehr vernachlässigt worden. Und indem dieser nun voraussieht, dass Elisa bald von ihm genommen werden würde, erwacht, wie das sehr natürlich ist, sein Gewissen, und infolge dessen sucht er den Propheten auf. Selbst ein Herodes, der doch ein schlimmerer Mann war als Joas, konnte bei dem Gedanken an den lebenden Johannes vieles tun, wie hier Joas bei dem Gedanken· an den sterbenden Elisa sich aufmacht, um noch einmal sein Angesicht zu sehen und seine Stimme zu vernehmen.

Es waren dies, wie gesagt, natürliche Gefühle. Joas legte Wert darauf, dass Elisa in seinem Reiche weilte. Außerdem wünschte er ohne Zweifel, ihn zu ehren, ehe es dazu zu spät war; denn die Erinnerung an eine solchen Ehrung konnte nach dem Abscheiden Elisas zur Beruhigung seines Gewissens dienen. Der heilige Wandel des Propheten, die Macht, welche sich so oft bei ihm gezeigt hatte, der Platz, den er inmitten des Volkes einnahm, das Ansehen, welches er genoss — alles das rief in dem Herzen des Königs in jenem ernsten Augenblick die erwähnten Regungen hervor; und so kam er, nicht als ein Spottender oder aus Heuchelei, sondern getrieben von dem Drang seiner natürlichen Empfindungen, zu dem sterbenden Propheten, und begrüßte ihn mit demselben Zuruf, wie einst Elisa selbst den Elia bei dessen Himmelfahrt begrüßt hatte.

Die Natur kann sich jedoch niemals zu der Höhe aufschwingen, welche den Gedanken des Geistes Gottes entspricht. „Stehet fest im Herrn“, ruft das Wort uns zu; und: „Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“, lautete des Apostels einziger Ruhm. Wir haben uns keiner Sache zu rühmen, es sei denn dessen, was Christus in uns wirkt. Darum, mag auch der Anfang der vorliegenden Erzählung zu schönen Hoffnungen Anlass geben, so zeigt sich doch die Natur in Joas bald den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Er konnte nicht, wie Elisa es früher getan hatte, in der Kraft des Geistes seinen Weg bis zum Ende hin verfolgen. Natürliche Regungen mögen uns dem Anscheine nach und für eine kurze Zeit in der Richtung forttreiben, nach welcher der Heilige Geist uns gehen sehen möchte; aber sie werden uns niemals befähigen, mit denen, welche in der Kraft des Geistes auf diesem Pfade wandeln, das Ende desselben zu erreichen. Obwohl daher anfänglich dieselbe Sprache auf den Lippen des Elisa wie des Joas liegen mochte, so gab es doch zwischen diesen beiden Männern einen großen Abstand.

Indessen möchte» ich im Anschluss an die in Vorstehendem enthaltene Warnung bemerken, dass wir die Güte Gottes niemals in Zweifel ziehen dürfen, wenn wir auch immer wieder erfahren mögen, wie schwach und betrügerisch unsere eignen Herzen sind. Wir sind so leicht geneigt, das Licht, die Freude oder die Kraft, welche zu Zeiten uns erfüllen mögen, auf einen anderen als den wirklichen Ursprung derselben zurückzuführen. Die Vernunft möchte uns glauben machen, das; dies einfach Wirkungen der Natur, nicht aber des Geistes Gottes seien. Wir tun, was wir nur irgend können, um Gott des Ruhmes zu berauben, dass wir Ihm allein unsere Segnungen zu verdanken haben, als wenn irgendwelche gute Gaben anderen Quellen entstammen könnten als nur dem Vater der Lichter. Das sollte nicht so sein. Das Herz ist freilich betrügerisch; aber Gott ist gut. Und wir sollten uns in einfältigem Glauben daran gewöhnen, das Licht, die Freude oder die Kraft, welche unseren Seelen zu teil werden, der Wirksamkeit Seines Geistes zuzuschreiben, ohne den verwirrenden Vernunftschlüssen unsrer Herzen Gehör zu schenken.

Lasst uns auf die Belehrungen acht haben, welche sich uns in dieser Geschichte darbieten! Möchten wir auf unsrer Hut sein vor allen bloß natürlichen Regungen, aber auch des Trostes gedenken, der uns hier in Gott selbst entgegentritt! Indes gibt es noch etwas anderes hier, das unsrer eingehenden Betrachtung wert ist. 

Auf das Geheiß des Propheten holt der König Pfeil und Bogen herbei und tut mit denselben, was der Prophet ihm sagt; dann erklärt ihm Elisa die Bedeutung dieser Handlung. Er sprach: „Ein Pfeil der Rettung von Jehova und ein Pfeil der Rettung wider die Syrer! und du wirst die Syrer schlagen zu Aphek bis zur Vernichtung“ (V. 17). Hierauf muss der König die Pfeile zur Hand nehmen, und es wird ihm gesagt, er solle mit denselben auf die Erde schlagen. Er tut dies, aber nur dreimal. Darüber macht ihm der Prophet Vorwürfe. Der Mann Gottes ist zornig und schilt ihn, denn er fühlte sich schmerzlich enttäuscht. Aus welchem Grunde? Warum war die Seele Elisas von solch brennendem Eifer erfüllt? Die Ursache ist wahrhaft schön. Er hatte soeben dem König gesagt, dass „ein Pfeil der Rettung von Jehova und ein Pfeil der Rettung wider die Syrer“ in seiner Hand sei; wäre nun seine Seele mit derjenigen des Propheten im Einklang gewesen, hätte ihn der Gedanke an die Herrlichkeit, die ihm hier so nahe gebracht wurde, entflammt; und wäre sein Herz angesichts des Köchers des Herrn selbst, den er in seinen Händen hielt, erglüht, mit welcher Lust würde er dann nach dem Geheiß des Propheten auf die Erde geschlagen haben! Hätte der Pfeil Jehovas denselben Wert für Joas gehabt, wie einst der Mantel seines Herrn für Elisa, so hätten beider Herzen vollkommen zusammen gestimmt. 

Aber ach! der König hatte jene Bahn, auf welcher der Prophet einst vorangeschritten war, betreten, ohne durch den Geist dazu getrieben zu sein. In ihm konnte der Geist nicht in jenem schönen Strome dahinfließen wie einst in Elisa, und darum schlägt er mit träger Hand nur dreimal auf die Erde. O wieviel können auch wir von ähnlichen Erfahrungen erzählen! Wo ist der erhebende Eifer der Herzen geblieben, der in früheren Zeiten zu finden war? wo das Entflammt sein der Seelen? wo die Kundgebungen der Kraft, welche in vergangenen Tagen unter unsern leidenden und schwer geprüften Brüdern zu bemerken waren? Wie wurde damals, gleichsam in Übereinstimmung mit dem Geiste Elisas, immer und immer wieder auf die Erde geschlagen! Doch unsere Hand ist träge. Die Salbung des Geistes, der Ernst und Eifer, den Er bewirkt, treten gegenwärtig in weit schwächerem Maße zu Tage, als dies in vergangenen Zeiten der Fall war. Elisa rief einst, als Elia ihn verließ, schmerzlich bewegt aus: „Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!“ aber er hob auch den Mantel des Propheten auf und schlug auf das Wasser, wie Elia es getan hatte, und es teilte sich dahin und dorthin. Der König kann jetzt auch zu Elisa kommen, wenn dieser im Begriff steht, ihn zu verlassen, und sogar dieselben Worte aussprechen, aber wir sehen hier nicht ein Schlagen, welches jenem entsprochen hätte. Des Königs Herz ist kalt, und seine Hand ist träge, während Elisa ein warmes Herz und eine kühne Hand gezeigt hatte.

Wir stehen heutzutage nur in geringem Maße unter der reichlichen und eifrigen Wirkung des Geistes Gottes. Dies macht sich in der Tat nur zu deutlich unter uns allen fühlbar. Wohl mögen wir jetzt eine vermehrte Einsicht auf dem Gebiet der Ratschlüsse Gottes besitzen; die Heiligen mögen im allgemeinen eine größere Fülle von Wahrheiten in sich aufgenommen haben; aber die Kraft der Wahrheit selbst in ihrer Tiefe und der von ihr ausgehenden Salbung wird weniger empfunden. Wieviel Ursache haben wir daher zu rufen: „Herr, belebe dein Werk inmitten der Jahre, inmitten der Jahre mache es kund!“


18. Der tote Mann wird lebendig gemacht (Kap. 13, 20 - 25).

Dies ist der letzte Beweis der in unserm Propheten wirkenden Kraft Gottes. Und auch hier finden wir wiederum einen schwachen Widerschein von Jesu Christo, dem Sohne Gottes. Denn Sein Tod ist es, durch welchen wir leben. Den für uns dahingegebenen Leib Jesu zu berühren oder an Sein Blut zu glauben, heißt so viel als gerechtfertigt zu sein und das Leben zu haben.

Indessen wird Jesus uns hier nicht so sehr in dieser allgemeinen Beziehung, in welcher Er für alle Sünder da ist, vor Augen gestellt, sondern wir werden vielmehr an Ihn in Verbindung mit Israel erinnert, dessen Prophet Elisa war; zugleich stellte Elisa den irdischen Menschen dar, welcher seinen Lauf unter Entfaltung der ihm verliehenen Macht durch Israel hindurch und auf Erden verfolgte, nachdem Elia, der himmlische Mensch, an seinen Platz in der Höhe versetzt worden war. Denn so verhält es sich mit Jesu. Er wird derjenige sein, welchem Israel am Ende der Tage seine Rettung, sein Leben und die Aufrichtung seines Reiches zu verdanken haben wird, nachdem Seine Gnadenabsichten im Blick auf Seine himmlische Zeugin, die Kirche, erfüllt sein werden.

So sehen wir denn hier, wie unser Prophet als der Mann, der in Gnade und Macht zu Gunsten Israels wirksam gewesen war, seinen letzten Dienst verrichtete. Israel befand sich in jenem Augenblick angesichts seiner Feinde in einem Zustande der Verwirrung. Es hatte von den Moabitern Schweres zu erdulden. Das Einzige, was uns von Israel an dieser Stelle berichtet wird, das Einzige, was es tun konnte, war: seine Toten zu begraben. Das ist, wie wir wissen, der Dienst der Toten:“ Lasst die Toten ihre Toten begraben“. Damit wird in kurzer, aber treffender Weise der damalige Zustand des Volkes gekennzeichnet; Einer jedoch, und zwar ein bereits Gestorbener, trug Leben für sie in sich, ein Leben, an welches sie nimmermehr gedacht hätten. Auch dies wird hier in kurzer, aber schlagender Weise dargestellt. Ins dem Grabe des Propheten, der in bedeutungsvoller Weise einen Anderen vorbildete, war die Kraft der Wiederbelebung zu finden.

Gerade so ist es mit dem Gegenbilde, mit Jesu, dem Messias. und Jehova Seines Volkes Israel. In Ihm werden sich die Dinge erfüllen, die hier vorbildlich dargestellt sind, wenn es dereinst heißen wird: „Jehova wird Sein Volk richten, und Er wird sich’s gereuen lassen über Seine Knechte, wenn Er sehen wird, dass geschwunden die Kraft, und. der Gebundene und der Freie dahin ist. Und Er wird sagen: . . . „Sehet nun, dass ich, ich bin, der da ist, und kein Gott neben mir! Ich töte und ich mache lebendig, ich zerschlage „und ich heiIe“ (5. Mose 32, 36. 37. 39). Dann werden, wie wir durch Hesekiel hören, die verdorrten Gebeine wieder lebendig werden; der Herr wird die Gräber Seines Volkes auftun und es aus denselben herausführen

„Es wird geschehen zur Zeit des Abends, da wird es Licht sein“, so lesen wir in Sach.14,7. Und wiederum: »Er verwandelt den Todesschatten in Morgen“ (Siehe Amos 5, 8). Von der Wirksamkeit der heiligen und erhabenen Kräfte, von welchen in diesen Stellen die Rede ist, finden sich in der Geschichte unsers Propheten leise Spuren. Denn am Abend seiner Tage, als er im Sterben lag, sahen wir bei Gelegenheit des Besuches des Königs Joas ein Licht erstrahlen, welches dem der Mittagsstunde seines Lebens entsprach. Und jetzt, nachdem seine Sonne bereits untergegangen ist, leuchtet, sogar in der Nacht des Grabes, die volle Kraft des wiederkehrenden Morgens auf. Und in allem dem liegt ein geheimer Sinn verborgen. Der Boden, auf welchem wir bei der Betrachtung der Geschichte unsers Propheten dahinschreiten, ist sowohl geheimnisvoll wie heilig. Es geziemt uns daher, so leise wie möglich aufzutreten, mit unbeschuhten Füßen zu wandeln, aber doch zugleich mit glücklichen Gedanken an Jesum und Sein Tun erfüllt zu sein.

Damit haben wir die Geschichte der „großen Dinge“, welche der Prophet Elisa getan hat, beendet. Es waren in der Tat große Dinge. Indes finden wir in den letzten Versen unsers Kapitels noch ein kurzes Nachwort, wenn ich es so nennen darf, zu denselben, eine Art von Anhang, welcher mir sehr bezeichnend und bedeutungsvoll erscheint. Ich meine den Bericht über die Zeiten des Joahas und Joas. (V. 22 — 25).

Wir hören hier, dass Hasael von Syrien die Israeliten alle Tage des Joahas drückte, aber dass Jehova sich ihnen gnädig erwies und sich Seinem Volke zuwandte, indem Er Seines Bandes mit Abraham, Isaak und Jakob gedachte. Und Er schenkte Joas drei Siege über den Sohn Hasaels, in Übereinstimmung mit dem Zeichen der Pfeile, mit welchen Joas nach dem Geheiß des Elisa auf die Erde geschlagen hatte; und Joas entriss ihm die Städte Israels wieder, welche sein Vater im Kriege an Hasael verloren hatte.

Hier wird des Gottes der Väter Israels und Seines Segensbundes, noch dazu in Verbindung mit den geheimnisvollen Pfeilen unsers Propheten, in bemerkenswerter Weise gedacht. Und dies ist, wie gesagt, sehr bezeichnend und bedeutungsvoll. Denn das Wirken Elisas war ein Wirken in Gnade und Macht Israel gegenüber gewesen, wodurch das Tun: des Messias zu Gunsten Seines Volkes vorbildlich dargestellt worden war. Und nun, nachdem unser Prophet jene Wirksamkeit völlig beendet hatte, nachdem er im Tode noch Leben gegeben, den Gefangenen aus der Grube entlassen und die Begrabenen aus ihren Gräbern hatte hervorgehen lassen, geschieht hier in einer kleinen Nachschrift des Gottes Abrahams und Seines Bandes Erwähnung, kraft dessen Israel, trotz allem was gegen sie war, bewahrt und gesegnet werden sollte.

Ist es nicht, wie wenn hier die Lehre aus der ganzen Geschichte Elisas gezogen würde? Finden wir hier nicht gleichsam den Schlüssel zu dem Geheimnis, die Auslegung des ausgestellten Gleichnisses? Hat nicht der Herr durch die ganze Geschichte Elisas dem Volke Israel für die letzte Zeit Hilfe, Kraft, Gnade und Neubelebung zusichern wollen? Nichts weniger als ein befreites und gesegnetes Israel, wie es vor alters war, tritt hier vor unsere Blicke. Die alten, längst vergangenen Zeiten, da Israel in Ägypten Barmherzigkeit widerfuhr, stehen hier aufs Neue vor uns. Denn als sie damals unter der Rate des Pharao wehklagten und wegen des harten Dienstes seufzten, gedachte Gott Seines Bandes mit Abraham, Isaak und Jakob, so wie Er es hier tut, und nahm auch, wie es hier der Fall ist, Kenntnis von ihnen (2. Mose 2, 23 — 25). Hasael mag dem Pharao gleichen, aber der Gott Abrahams ist noch immer der Gott Abrahams. und kann durch Elisa Befreiung und Segnung zusichern, wie Er sie einst durch Mose herbeigeführt hatte.

Seit langer, langer Zeit war der Name des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs nicht mehr in Verbindung mit den zehn aufrührerischen Stämmen genannt worden. Ja, nur die Lippen Elias, den ich einen Verwandten unsers Propheten nennen möchte, hatten davon gesprochen, dass Jehova Gott in Israel sei (Siehe 1. Kön. 18, 36). Aber jetzt, nachdem Elisa als der Zeuge Seiner Gnade und Macht in ihrer Mitte gewesen ist, kann wieder von dem Gott der Gnade, dem Gott ihrer Väter, gesagt werden, dass Er über ihnen und für sie sei.

Wir haben somit das Wirken Elisas, dessen Name „Heil Gottes« bedeutet, bis zum Ende hin verfolgt. Wir begegneten darin wiederholt einem Abglanz der wunderbaren Macht und überströmenden Gnade, welche sich in Jesu finden -— einigen zwar schwachen, aber echten Spuren jener göttlichen Majestät und göttlichen Zartheit, die wir an dem Sohne Gottes bemerken, wenn Er in Macht oder in Güte handelte, und in welchen sich in den Tagen Seines Fleisches Seine Herrlichkeit offenbarte.

Alles was in Jesu ist, finden wir freilich nicht bei unserm Propheten. Wo wäre das auch wohl anzutreffen? In Seiner Stellung als ein leidender Zeuge der Welt gegenüber wird Jesus, wie bereits früher gesagt, mehr durch Elia vorgebildet. Aber in Seinem Wirken in Macht und Gnade erblicken wir Ihn in Elisa.

Elisa hatte, nachdem sein Meister von ihm gegangen war, keine Leiden zu erdulden. Es war anders mit ihm, als es mit seinem Meister gewesen war: kein königlicher Zorn trieb ihn in die Verbannung oder ließ ihn ermattet zu Boden sinken. Vielmehr machten Heeroberste vor seinem Tore Halt, und Könige sandten ihm Geschenke. Einem von ihnen enthüllt er seine Geheimnisse, einem anderen vereitelt er seine Absichten, einem dritten gibt er gewisse Bürgschaften des Sieges, und schließlich versorgt er ihre vereinigten Heere mit dem Nötigen. Wohin er sich auch wenden mag, überall lässt er Spuren zurück, die von der Größe dessen zeugen, der da gewandelt hat. Ein Berg voll hilfsbereiter Wagen steht dem Propheten zu Diensten. Hunger, Krankheit und Tod müssen vor ihm weichen. Wieder und wieder muss auf sein Geheiß die Natur ihren gewöhnlichen Lauf ändern. Er geht im Herrn von Kraft zu Kraft, und sogar seinem Leichnam entströmen noch wunderbare, überraschende, Kräfte.

Alle diese Dinge treten uns in den Wegen und dem Wirken Elisas entgegen· Und doch war er für seine Person während all dieser Zeit nichts auf der Welt. Umso mehr war er Jesu ähnlich. Was die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens betraf, so wurden ihm Gaben und Fürsorge seitens derselben Personen zuteil, welchen er Hilfsquellen eröffnete, die gänzlich außerhalb des Bereiches menschlicher Macht lagen. Wie ist er darin Dem so gleich geworden, welcher, wiewohl Er selbst „hungrig“ war, wiederholt Tausende mit wenigen Broten und Fischen speiste; der, wiewohl Er Quellen in die Täler entsendet und sie zwischen den Bergen dahinfließen lässt (Ps. 104, 10), wiewohl Er die Wasser mit Seiner hohlen Hand misst (Jes. 40, 12), doch ein Weib an einem Brunnen um einen Becher kalten Wassers bat, und der ein Eselsfüllen von seinem Eigentümer entlehnte, wiewohl das Vieh auf tausend Bergen Sein ist!

Es ist auffallend, dass der Herr in den finsteren Gegenden des Reiches Israel, in dem Gebiet der aufrührerischen Stämme, sich solche Propheten, wie Elisa und seinen Meister, erweckte. Sie waren in Wahrheit Lichter an dunkeln Örtern. Juda, welches noch das Heiligtum und das Priestertum besaß, wurde nie in dieser Weise vom Herrn besucht. Wohl zeigte sich zur Zeit da es mit diesem Reiche zu Ende ging, und noch nachdem seine Sonne untergegangen war, bei Männern, wie Jeremia, Hesekiel, Daniel und Anderen, eine reiche Fülle prophetischen Geistes. Und derselbe Geist hatte sich, wie wir bei Jesaja sehen, bereits früher wirksam erwiesen. Keiner dieser Männer aber übte eine derartige Tätigkeit aus, wie Elia oder Elisa, welche Wunder wirkten, Strafgerichte nicht nur ankündigten, sondern auch vollstreckten, Gnadenerweisungen nicht nur voraussagten, sondern auch zu teil werden ließen.

„Ein Prophet, mächtig im Werk und Wort«, so wird der Herr Jesus von einem Seiner Jünger genannt. Elia und Elisa waren Propheten, die mächtig im Werk waren; aber wir besitzen weder von dem einen noch von dem anderen ein Buch, wie wir es z. B. von Jesaja besitzen. Dagegen sehen wir in der Person Jesajas nicht die Größe, welche wir bei diesen Männern wahrnehmen; er nahm in der Geschichte seiner Zeit nicht die hervorragende Stellung ein wie jene; auch war er, wiewohl er ein Prophet des Herrn war, doch in der Weise ein Vorbild von Jesu. Durch Elia und Elisa wurde Jesus aber in den hervorstechendsten Zügen Seiner Geschichte vorgebildet. Sie erzählen uns von Ihm als dem leidenden Zeugen, dessen Laufbahn im Himmel endete; von Ihm als dem gnädigen, mächtigen, aber sich selbst vergessenden Freunde Israels, welcher durch ihre Städte und Dörfer zog, Lebens- und Heilungskräfte von sich ausströmen ließ und durch Seinen Tod ihnen die Bürgschaft gab, dass sie in den letzten Tagen neubelebt werden würden.

Das sind „die großen Dinge“, welche ein starkes und helles Licht über den ganzen Pfad unsers Propheten verbreiten; über einen Pfad, dessen einzelne Teile, wie wir gesehen haben, alle die Spuren einer Gnade tragen, die für Israel tätig war. Möchten unsere Herzen mit Freude erfüllt werden, wenn wir an das schließliche Glück jenes Volkes denken! Denn ist einmal das himmlische Volk in seine himmlische Heimat eingegangen, so wird die Erde wieder der Schauplatz der Macht und Gnade des Gottes Elisas, des Gottes Israels, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, werden. „Lobet Jehova von den Himmeln her -— lobet Jehova von der Erde her, so wird der Chorgesang lauten, der von allen Seiten voller Jubel immer wieder angestimmt werden wird. Denn in der Verwaltung der Fülle der Zeiten wird Gott alles unter ein Haupt zusammenbringen in dem Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist. Und »in dem Namen Jesu wird jedes Knie sich beugen, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekennen, dass Jesus Christus Herr ist zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“.

Glückselige Aussicht! Sind wir imstande, Geliebte, unser ganzes Sein und die uns anvertrauten Pfunde an dieselbe zu setzen? Jeremia verwandte im Vertrauen auf die Treue Gottes sein Geld für etwas, was er erwarten durfte, wiewohl es für die damalige Zeit weggeworfen zu sein schien; denn die Chaldäer standen vor den Toren, und die Felder von Anathoth waren bereits in ihren Händen. (Jer. 3).

Ein solcher Glaube ist gerade so kostbar, wie die Aussicht herrlich ist. Und die Hoffnung kann jetzt im Blick auf die letztere frohlocken, bis sie in Erfüllung gehen und „das lieblichere, herrlichere Lied“ ertönen wird.

Freu’ dich, du altes Israel!
Er sprengt, was dich gekettet. .
Er hats vollbracht;
Durch Seine Macht
bist du nun ganz errettet!
Freut euch, erlöste Völker!

der Feind ist nun gebunden,
der euch verführt; —-
der Herr regiert,
der siegreich überwunden.
Freu’ dich, glücksel’ge Kirche!
Du darfst nun bei Ihm weilen,

und alle Macht und alle Pracht
will Er nun mit dir teilen.
Er tilgte deine Sünden,
hat dich zu sich erhoben,
und du kannst nun nichts Schön’res tun,
Als ewig Ihn zu loben.

Unsere Betrachtungen begannen mit Elia, der nach einem Leben, in welchem er hier auf Erden unter Leiden Zeugnis ablegte, zum Himmel entrückt wurde, was uns an jene auserwählte Schar erinnert, die, nachdem sie mit Jesu in Seinen Versuchungen ausgeharrt hat, in den Tagen Seines Königreichs Seinen Thron mit Ihm teilen wird; und so erblicken wir ihn denn auch als den, der diese Schar darstellt, gemeinschaftlich mit Mose in Herrlichkeit auf dem von himmlischem Glanze erstrahlenden Berge (Matth. 17, 3). Und wir schließen unsere Betrachtungen mit Elisa, der, nach Ausübung eines Dienstes voll Macht und Gnade, Israel in seinem toten Zustande neues Leben darreichte und dem Samen des Volkes im Lande seines Erbteils wieder die ihm verheißenen Gnaden des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs zuführte. Damit ist in geheimnisvoller Weise die Geschichte des Himmels und der Erde erzählt, und das gewisse Erscheinen der verschiedenen Herrlichkeiten beider verbürgt. Und die kommenden Tage des tausendjährigen Reiches werden die Wahrheit dieser wunderbaren Geschichte dartun und diese kostbaren Bürgschaften einlösen.

„O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind Seine Gerichte und Unaus spürbar Seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Mitberater gewesen? Oder wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge; Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“