KAPITEL 19, 1-9 Elia vor Isebel und vor sich selbst
Bei Beginn dieses Kapitels sei darauf hingewiesen, daß die Männer Gottes oder ihre Handlungen uns wohl zu Vorbildern dienen, daß damit aber nicht gesagt sein soll, diese Männer hätten auch die verborgene Bedeutung ihres Lebens oder ihrer Handlungen verstanden. Ohne über den Rahmen der Geschichte des Elia hinauszugehen, haben wir schon darauf aufmerksam gemacht, daß der Herr im
Evangelium des Lukas seiner Sendung zu der Witwe in Zarpath eine andere Tragweite beilegt, als es die Mitteilung in unserem Buche tut. Das auf das Brandopfer vom Himmel herabfallende Feuer ist ein weiterer Beweis hierfür. Elia konnte in dieser Tatsache weder das Kreuz noch das Gekreuzigtsein mit Christo erkennen Zusammenhänge, die für uns im Lichte des Evangeliums so klar geworden sind.
Tatsächlich war Elia als Mann Gottes vor allem ein Prophet des Gerichts, und was seine persönlichen Erfahrungen betrifft, so dringt nur in dem vorliegenden Kapitel sein Blick unter der göttlichen Belehrung über den Schauplatz des Gerichtes hinaus zu jenem erhabenen und lichten Bereich, in welchem Gott Seine Wonne findet, Sich erkennen läßt und Sich in der Fülle Seines Charakters offenbart. Dieser Hinweis wird uns zum Verständnis der Szene behilflich sein, die sich jetzt vor uns zu entfalten beginnt.
Nachdem Ahab der Isebel die gänzliche Vernichtung der Propheten des Baal berichtet hat, schwört diese bei ihren falschen Göttern, daß sie sich binnen vierundzwanzig Stunden an Elia rächen werde, und läßt ihm dies sagen. "Und als er das sah, machte er sich auf und ging fort um seines Lebens willen". Er flieht vor einem Weibe, er, der Ahab entgegengetreten war und den vierhundertundfünfzig Propheten des Baal gegenüber standgehalten hatte! Dieses, seinem bisherigen Verhalten so entgegengesetzte Benehmen hatte seinen Ursprung darin, daß Elia in diesem Augenblick die Quelle seiner Kraft vergessen hatte.
Er konnte nicht mehr sagen: "Jehova, vor dem ich stehe". Er befand sich v o r Isebel, und nicht vor Jehova. Und das ist so wahr, daß er gezwungen war, vierzig Tage und vierzig Nächte zu gehen, um seinen Standpunkt vor G o t t wiederzufinden. Von dem Augenblick an, da der Gläubige erlaubt, daß sich etwas zwischen seine Seele und Gott stellt, nimmt die Entfernung alsbald unberechenbare Verhältnisse an. Die notwendige Folge dieser Entfernung ist, daß der Prophet seine ganze Kraft verliert; denn diese findet man nur vor Gott: "du verbargst dein Angesicht ich ward bestürzt" (Ps. 30, 7).
Elia, dieses hervorragende Werkzeug der Macht Jehovas, hatte nicht in demselben Maße verwirklicht, daß es in ihm selbst weder Gutes, noch Licht noch Kraft gab. Er muß diese Erfahrung machen, und Gott führt ihn dahin, indem Er ihn mit seinen eigenen Hilfsquellen vor der Macht des Gegners allein läßt. Und siehe da, derselbe Mann, der Ahab sagen ließ: "Siehe, Elia ist da", flieht um seines Lebens willen vor der bloßen Drohung eines Weibes. Von Jisreel begibt er sich auf das Gebiet Judas, wo die Königin ihn nicht mehr erreichen konnte, und verfolgt den Weg bis Beerseba, der äußersten Grenze Judas nach der Wüste hin.
Dort läßt er seinen Diener; und mit dieser Flucht noch nicht zufrieden, geht er eine Tagesreise weit in die Wüste selbst hinein. Hier "setzte er sich unter einen Ginsterstrauch; und er bat, daß seine Seele stürbe, und sprach: Es ist genug; nimm nun, Jehova, meine Seele, denn ich bin nicht besser als meine Väter" (V. 4). Das ist tiefste Entmutigung, die bis zu dem Wunsch geht, daß das Leben ein linde nehmen möge. Aber warum denn? " Ich bin nicht besser als meine Väter.
Der Prophet hatte also, und mochte es auch nur für einen Augenblick gewesen sein, gedacht, daß er besser sei als seine Väter, und daß Gott ihn wegen dieser Vorzüglichkeit in dem Kampf unterstützte! Armer Prophet! Ohne Kraft vor Isebel, völlig entmutigt vor sich selbst, und doch hatte er geglaubt, auf dieses Fundament von Sand etwas aufbauen zu können!
Um diesen Mann Gottes gänzlich von seinem Ich zu befreien, läßt Jehova ihn eine weite Reise machen, an deren Ende er dem Gott des Gesetzes am Horeb begegnet.
Wieviel Belehrung enthält diese Geschichte für uns! Wir können im Dienst Gottes benutzt worden sein und doch Ihn nur sehr unvollkommen kennen. Dann geht eine Zeit besonderer Segnungen oft einer Zeit großer geistlicher Schwachheit voran, weil Satan, der immer auf der Lauer steht, uns in den Segnungen selbst eine Gelegenheit finden läßt, uns etwas einzubilden und unser Fleisch zu erheben.
Das ist zum Teil die Ursache der Züchtigung des Elia; ähnlich war es bei Paulus, obwohl hier nur vorbeugend, nachdem er in den dritten Himmel erhoben worden war. Beachten wir auch, daß Satan uns stets von der Seite angreift, die wir am wenigsten hüten, weil sie uns die am wenigsten verwundbare zu sein scheint. War es wahrscheinlich, daß man vor einer bloßen Drohung einen Mann würde fliehen sehen, dessen Mut einem ganzen Volke standgehalten hatte?,
Er ging in die Wüste". Welch ein Segen, wenn der Herr uns in die Wüste führt, um uns hier die Erfahrung machen zu lassen, welch unendliche Hilfsquellen in Ihm sind! Welch eine demütigende, aber auch heilsame Sache, wenn unser eigener Wille uns dahin bringt und wir dort erfahren, was in unserem Herzen ist! Das war bei Elia der Fall. "
Er legte sich nieder und schlief ein unter dem Ginsterstrauch". Er gab sozusagen seine Mission in dem Augenblick auf, wo auffallende Taten die Wirklichkeit derselben bewiesen haben würden; doch er mußte lernen, daß sein inneres Leben nicht in gleicher Weise durch den Glauben gestützt war, wie vorher sein Zeugnis nach außen hin.
"Und siehe da, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Stehe auf, iß!" Im 17. Kapitel war Elia es, der anderen Nahrung austeilte, nachdem er selbst gespeist worden war; an der Stätte, wohin sein Mangel an Glauben ihn gebracht hatte, ist er ohne jede Nahrung. Doch Gott verläßt ihn nicht und denkt an ihn. Die einzige Kraft, die er erhalten kann, bekommt er durch die Speise, die Gott für ihn bereitet hat; er findet zu seinen Häupten einen Kuchen, auf heißen Steinen gebacken, und einen Krug Wasser.
Er ißt, versteht aber nicht, was Gott von ihm will, und schläft wieder ein. Zum zweiten Male findet er wiederum Speise, und der Engel sagt zu ihm: "Stehe auf, iß 1 denn der Weg ist zu weit für dich". Gott speiste ihn, u m i h n zum Gehen fähig zu machen. Eine wichtige Lehre für uns! Jehova hatte ihn am Krith und in Zarpath ernährt, damit er ein kräftiges Z e u g n i s für Ihn ablegen könne; wenn aber die göttliche Speise uns nicht Kräfte f ü r uns selbst mitteilt, wird dann der Zweck Gottes erreicht werden?
Diese Speise, die Elia zu seinen Häupten fand, hat eine wunderbare Kraft. Ist es mit dem Worte Gottes nicht ebenso? Es führt uns bis an "den Berg Gottes". Das war auch das Urteil des Apostels darüber, als er zu den Ältesten von Ephesus sagte: .Ich befehle euch Gott und dem Worte seiner Gnade, welches vermag ... euch ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten" (Apgsch. 20, 32).
Elia "ging in der Kraft dieser "Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes, den Horeb". Mit ihr geht man ermattet nicht. Moses hatte vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Horeb zugebracht, indem Gott zu ihm redete. Sein Wort und Seine Gegenwart hatten genügt, die Kräfte Seines Knechtes aufrechtzuhalten. Der Herr Selbst brachte vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste zu ohne irgendwelche Nahrung, umgeben von wilden Tieren und den Angriffen Satans ausgesetzt.
Er hatte H u n g e r und fand nichts zu Seinen Häupten, das Ihn in den Stand gesetzt hätte, den Versuchungen des Feindes zu widerstehen. Aber Er war der Mensch, der nicht vom Brot allein lebte, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes hervorging. Die einfache Abhängigkeit von diesem Worte ernährte Ihn, war Seine Kraft und verlieh Ihm den Sieg inmitten unerhörter Umstände, die nur Er allein überwinden konnte.