Die Verhältnisse in Israel reiften für die Sichel des Assyrers heran. Es war eine Zeit, die in ihrer Bedeutsamkeit nur von der Zeit der Chaldäer übertroffen wurde, denn die Gefangenschaft Israels bzw. die Beseitigung des Zehnstämme-Reiches berührte noch nicht unmittelbar das Haus Gottes, wie das bei der Wegführung Judas er Fall war.
Die Herrlichkeit Gottes war immer noch im Land, nach dem Israel an den Fluß Habor in Gosan weggeführt worden war. Die Chaldäer hingegen plünderten die Stadt des Königs und zerstörten
das Heiligtum Gottes, und Seine Herrlichkeit mußte weichen, als Juda in Gefangenschaft zog und Jerusalem als eine Einöde zurückließ.
So wie später in den Tagen der Chaldäer in Jeremia, Hesekiel, Daniel, Habakuk, Zephanja und anderen der Geist der Prophezeiung reichlich ausgegossen wurde, so geschah es auch jetzt in Jesaja, Hosea, Micha und anderen.
2. Könige 17 ist eine wichtige Schriftstelle in Verbindung mit dem Propheten Micha. Dieses Kapitel behandelt ausführlich die Sünden Israels, die seine Vertreibung zur Folge hatten. Wir finden hier ebenfalls einen Bericht über den Anfang des Volkes, das im Neuen Testament "die Samariter" genannt wird. Wir sehen hier, daß sie ursprünglich eine religiöse Sekte waren, die das für Wahrheit hielt, was die Juden verdorben hatten durch eine Vermischung mit den verschiedensten Lügen, die die heidnischen Eroberer mit in das Land gebracht hatten.
Dieses kleine Buch Micha kann in drei Abschnitte eingeteilt werden: ‑
Kapitel 1‑3: Diese Kapitel zeigen uns ein düsteres Bild von den Sünden und dem darauf folgenden Elend über Israel und Juda.
Kapitel 4 und 5: Diese Kapitel gewähren einen Ausblick auf die politische oder nationale Wiederherstellung des Volkes.
Kapitel 6 und 7:Diese Kapitel handeln von den Erfahrungen des Volkes, von seiner moralischen Wiederherstellung.
Kapitel 1‑3. Dieser Abschnitt beginnt mit der Vorausschau auf das Gericht, besonders über Samaria; doch Jerusalem wird nicht außerachtgelassen. Danach wird ausführlich über die Sünden gesprochen, die das Gericht herbeiführten. Wir finden hier in prophetischer Sprache dasselbe, was wir geschichtlich in dem bereits angeführten Kapitel 2. Könige 17 gesehen haben.
Sowohl Juda als Israel hatten gesündigt, und Jehova bereitete nun in Seinem gerechten Zorn Assyrien zu als Rute gegen Jerusalem wie schon gegen Samaria. Ahas war in Juda, was Hosea in Israel war. Doch Hiskia, der auf Ahas folgte, tat, was recht war in den Augen Jehovas. Deshalb hielt Gott Seine Rute zurück, und Assyrien gewann nicht die Oberhand über Juda, wie das bei Israel der Fall gewesen war.
Das war die Lage der Dinge in jenen Tagen, und Micha sprach als Wächter Jehovas. Fürsten, Priester, Propheten und das Volk werden einzeln von ihm aufgerufen. Alle werden für schuldig befunden und verurteilt. Das Land, das aus den Händen der Amoriter erlöst worden und zu einem reinen Gefäß unter den Nationen gemacht worden war, das sogar die Wohnstätte Jehovas war, hatte nun jedoch einen völlig anderen Charakter angenommen. Wenn nun irgendein Ohr da war, um zu hören, irgendein beschnittenes Herz unter dem Volk, so werden sie, was das Land betrifft, mit diesen Worten angesprochen: "Machet euch auf und ziehet hin! denn dieses Land ist der Ruheort nicht, um der Verunreinigung willen." Sind das nicht eigenartige und demütigende Worte? Wie konnte das feine Gold so seinen Glanz verlieren?
Verwüstung und Trostlosigkeit folgen auf diese Verunreinigungen. Doch inmitten all dieser Dinge ist der Prophet selbst erfüllt mit der Kraft des Geistes Jehovas; er spricht vor den Ohren der Nationen von dem Gericht. "Darum wird euretwegen Zion als Acker gepflügt werden, und Jerusalem wird zu Trümmerhaufen und der Berg des Hauses zu Waldeshöhen werden" (Kap. 3, 12).
Kapitel 4 - 5. ‑ Als erstes spricht Micha in diesen Kapiteln über den herrlichen Zustand Zions in den Tagen des Königreichs. Diese Zeit wird hier mit dem Ausdruck "am Ende der Tage" bezeichnet. Es sind wunderschöne Worte, die Jesaja ebenfalls (in seinem zweiten Kapitel) gebraucht, nämlich daß die Völker der Erde, der ganzen Welt, nach Zion kommen, um die Wege und Verordnungen des Königs der Herrlichkeit zu befolgen, der dann Seinen Wohnsitz dort haben wird.
Das ist sehr bezeichnend. Jetzt, in dieser Zeit der Gnade, g e h e n die Boten des Erlösers a u s , verkündigen die frohe Botschaft und bitten Sünder, sich versöhnen zu lassen. Denn die Liebe ist wirksam in Gütigkeit; sie ist auf eigene Kosten mit den Segnungen anderer beschäftigt. Königswürde und Gericht äußern sich auf eine ganz andere Weise: das Gericht beansprucht selbst den Thron, es erwartet, daß man ihm zur Verfügung steht und seinen Anordnungen Folge leistet. Wenn ein König in Gerechtigkeit regiert, muß das Volk ihm dienen. Der Wille des Königs muß zur Kenntnis genommen und befolgt werden; und so ist es auch hier.
Doch wenn es ein Zepter der Gerechtigkeit ist, wird es auch ein Zepter des Friedens sein; und eine willige, glückliche Welt wird bezeugen, daß ein Morgen ohne Wolken aufgegangen ist und daß ein anderer Salomo, ein größerer als Salomo, in Zion die Herrschaft über die ganze Erde angetreten hat (2. Sam 23, 3‑4). Der Oberrest, der jetzt zerstreut ist, wird nach Hause gebracht. Und in Jerusalem herrscht der Herr, der Messias, über sie.
Davon spricht der Prophet. Dann wendet er sich Juda zu und verläßt den Assyrer seiner Tage, um von dem Chaldäer zukünftiger Tage zu sprechen. Der Tochter Zion wird eröffnet, daß sie nach Babylon ziehen muß, bevor sie zu der Herrlichkeit gelangt, die in den Tagen des Königtums ihr Teil sein wird. In Babylon finden ihre Schmerzen und Geburtswehen ein Ende; auch die Befreiung wird schon erwähnt: "Denn nun wirst du aus der Stadt hinausziehen und auf dem Felde wohnen und bis nach Babel kommen. – Daselbst wirst du errettet werden, daselbst wird Jehova dich aus der Hand deiner Feinde erlösen." Zion kann nur durch Gefangenschaft zu seiner Freude kommen und nur durch schmerzhafte Leiden zu Ehren. So war es einst Abraham gesagt worden, daß seine Nachkommen sich jahrhundertelang in einem fremden Lande aufhalten würden, bevor sie zu ihrem Erbteil kämen. Genau so geschah es ‑ den Siegen Josuas gingen die Ziegelbrennereien Ägyptens voraus. Und wiederum wird Babylon zu einem zweiten Ägypten für die Kinder Zions, bevor sie zu der früheren Herrschaft (Kap. 4, 8) gelangen und die herrlichen Tage Davids und Salomos wiederhergestellt werden.
Der Prophet wendet sich dann von den Chaldäern zu der Zeit des Endes, in der sich Israels Feinde zusammengeschlossen haben werden (Jer 4, 10. 11).*) *) Zwischen den Versen 10 und 11 besteht ein langer Zeitraum, den Micha jedoch nicht erwähnt. Diese letzten Gerichte über Israel werden sehr schwer sein; die Verwerfung Christi wird als Begründung und Ursache hierfür zur Sprache gebracht. Juda verschmähte den Messias, als Er zu ihnen kam. Der Richter Israels wurde auf die Backe geschlagen (Mt 27, 30). Doch Derjenige, den sie zurückwiesen und verschmähten, wird ihre einzige Hoffnung sein. Er ist der wahre Joseph und auch der wahre Mose. Diese Männer, die die Nation zuerst nicht annahm, sind ihre einzige Stärke und Erwartung in den Tagen ihrer Bedrängnis. Und nur weil der Messias, den Israel einst verschmähte, ihre Hilfe und Rettung sein wird, wird dann Assyrien in den letzten Tagen vergeblich versuchen, Israel zu beunruhigen. In den folgenden Versen wird der Zustand des Volkes unter diesem Messias beschrieben. Sie werden gereinigt, während alle ihre Feinde vernichtet werden. Der Überrest wird dann "wohnen" (Kap. 5, 3), weil ihr Messias in Kraft und Majestät "groß sein wird bis an die Enden der Erde". Sie werden auch "wie ein Tau von Jehova" und "wie ein junger Löwe unter den Schafhirten" sein. Sie werden für alle Völker um sie her entweder zu einem Anlaß des Segens oder des Gerichts sein.
Und inmitten all dieser Dinge wird der Messias als der Herrscher in Seinen verschiedenen Herrlichkeiten, sowohl persönlich als auch offiziell, vorgestellt. Das arme und in Juda unbedeutende Bethlehem kommt Seinetwegen zu Ehren. So wie die arme Frau des Zimmermanns, Seine Mutter, Seinetwegen zu Ehren und Segen kam, so ist es jetzt bei der armen Stadt Bethlehem, Seinem Geb4irtsort, der Fall. Damit sind wir am Ende des 5. Kapitels angekommen.
Kapitel 6 - 7. ‑Die vorhergehenden Kapitel dieses Propheten gestatten uns einen Blick auf das mehr äußere H a n d e l n Gottes mit Israel; nun sehen wir die Wege Seines G e i s t e s mit diesem Volk. Mit diesen beiden Themen beschäftigen sich alle Propheten in der einen oder anderen Weise. Sie stellen sowohl die politische als auch die moralische Geschichte des Volkes Gottes dar, die Wiederherstellung und die Bekehrung Israels.
Das Werk des Geistes Gottes wird uns in diesen Kapiteln Michas in der Form eines Dialoges vorgestellt. Die Seelenübungen eines Menschen werden uns geschildert. Der Herr Selbst gibt dann gleichsam eine Antwort darauf, indem Er die Handlungsweise Gottes zeigt. Die Art und Weise dieser Kapitel erinnert uns an die Psalmen, wo der Pulsschlag des Herzens gespürt wird und wo die Wege des Geistes, die Gott einen Menschen führt, in so mannigfaltiger Weise beleuchtet werden. Es geht hier, wie in den Psalmen, um den einzelnen ganz persönlich.
Der Herr eröffnet dieses Gespräch. Er tadelt die Wege Seines Volkes. Er tut es gleichsam so, daß es auch die Berge und die Hügel und die Fundamente der Erde hören können.
Er hat nichts dagegen, wenn die gesamte Schöpfung anwesend ist, wenn Er richtet. Der Richter der ganzen Erde übt Recht; deshalb sollen Himmel und Erde in den Vorhöfen Seiner Gerechtigkeit und vor dem Thron Seines Gerichts warten (5. Mo 32, 1).
Diesen Tadel hört ein Überrest. Er antwortet in den Versen 6 und 7. Sie erwachen. Es wird ihnen bewußt, daß das Schwert Jehovas nun erhoben ist. Sie sind erschreckt und würden gern eine Zuflucht finden. Doch Unkenntnis über Gott und Seine Wege kennzeichnet ihre Worte. Aber das ist nicht ausschlaggebend. Eine Belebung hat stattgefunden. Die Seele ist aus ihrem Schlaf und ihrer Betäubung erwacht.
Der Herr gibt eine kurze Antwort. Er läßt die Erweckten, die Fragenden, lernen, was "gut" ist und was Gott "fordert". Das "Gute" wird ihnen gezeigt. Gott offenbart, wie wir wissen, daß das Gute mit Ihm in Verbindung steht. "Niemand ist gut als nur einer, Gott" (Mk 10, 18). Das Evangelium offenbart das in seiner ganzen Fülle. Das Vieh des Menschen wird weder "gefordert" noch als Opfer verlangt; es sind keine "Ströme Öls", auch nicht "die Frucht des Leibes", sondern allein das, was m o r a l i s c h gut ist, nämlich daß wir Recht üben, Güte lieben und demütig wandeln (Vers 8). Das ist vollkommen an seinem Platz. Aber nachdem Er dem Überrest auf diese Weise kurz geantwortet hat (dem "Menschen"), wie er hier genannt wird, demjenigen, der Ohren hatte, um zu hören inmitten der verderbten Nation), fährt der Herr fort, diese Nation zu tadeln, indem Er auf Einzelheiten eingeht. Er deckt die schrecklichen Wege und Ungerechtigkeiten Israels auf. Seine Stimme wendet sich an die Stadt, und doch wird Er sicherlich auf den Ruf Seines Oberrestes antworten, dieses Oberrestes, der auf die Zuchtrute hört und auf den, der sie bestellt hat (Verse 9‑16).
Die zum Leben Erwachten greifen sofort das Wort auf, anerkennen das gerade verkündete Gericht und sehen auch ein, daß die Dinge wirklich denkbar schlecht standen. Nur wenige waren in der Mitte des Volkes als ein würdiger Same übriggeblieben. Die engsten Familienbande wurden untergraben und entweiht. In Gott Selbst zur Ruhe gekommen, gehen sie allem aus dem Wege, worin sie keine Zuflucht und Befreiung gefunden hatten. So konnten sie dem trotzen, was sich ihnen entgegenstellte. Und doch, bei all dieser schönen, Gott wohlgefälligen Kühnheit in der Gegenwart ihrer Feinde, demütigen sie sich unter die Hand des Herrn, indem sie wissen und anerkennen, daß sie, da sie zu einem sündigen, unreinen Volk gehörten, Ihm nicht antworten konnten (Kap. 7,1‑10).
Hierauf antwortet der Herr wiederum in einer sehr schönen Weise. Da die Frommen soeben die Gerechtigkeit Seiner Gerichte anerkannt haben, setzt Er nun Sein Siegel auf ihre Erwartungen und spricht zu ihnen von der Zeit, da ihre Gefangenschaft enden wird ‑ wenn sie wieder zurückgebracht werden in ihr eigenes Land und in ihre Stadt. Dann werden die Absichten ihrer Gegner vereitelt sein, und sie werden aufgesucht werden von allen Nationen um sie her, nachdem diese Nationen in gerechter Weise bestraft worden sind (Verse 11‑13).
Der Oberrest ergreift wiederum das Wort. Ermutigt bitten sie um Wiederherstellung jener Tage, als alle Stämme noch zu Hause in ihrem Erbteil waren, selbst in den entfernten Orten Basans und Gileads (Vers 14).
Der Herr antwortet darauf und übertrifft diese Wünsche; denn die Gnade übertrifft den Glauben ebenso wie die Sünde. Die Sünden können die Gnade nicht erschöpfen ‑der Glaube kann sie nicht ausloten. Der Herr verheißt hier, daß die Tage des Auszugs wiederholt werden und daß Sein Israel sich wiederum freuen soll über die außerordentlichen und erhabenen Entfaltungen Seiner Macht ihretwegen, so wie sie sich damals freuten, als Er sie aus dem Land Ägypten herausführte (Verse 15‑17).
Diese Worte der Gnade unterbricht der Oberrest jedoch, um zu betonen (nachdem sie diesen Bericht über die Barmherzigkeiten gehört hatten), daß Gott es ist, dem alle Herrlichkeit zukommt, und daß das Geheimnis ihrer Befreiung darin besteht, Ihn zu fürchten. Das sollten ihre Feinde dann auch wissen. Diese Unterbrechung finden wir am Schluß von Vers 17.
Doch dann, nachdem sie das Wort ergriffen haben, um alle Ehre für diese großen, letzten Barmherzigkeiten der Befreiung Gott allein zuzuschreiben, fahren sie in diesem Ton fort, und mit Hingabe des Geistes preisen sie Seine Gnade und Treue (Verse 18‑20).