1. Mose 49 Die letzten Worte Jakobs, Bouter Hugo

08/04/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

1 Inhaltsverzeichnis

2 Vorwort

Die letzten Worte Jakobs an seine Söhne in 1. Mose 49 sind sehr beeindruckend wegen ihrer sehr weitreichenden Folgen. Der Patriarch prophezeite auf seinem Sterbebett, was den zwölf Stämmen, die Nachkommenschaft seiner Söhne, widerfahren würde. Dieser prophetische Ausblick erstreckt sich bis in die entfernte Zukunft, bis hin zu der Zeit, in der Israel unter der Regierung Christi der Mittelpunkt des Segens dieser ganzen Erde sein wird. Auch als Christen lernen wir viele praktische Lektionen aus diesem Kapitel, denn alle Dinge wurden ja zu unserer Belehrung niedergeschrieben (Römer 15,4).

3 Einleitung

Das 49. Kapitel des ersten Buches Mose enthält das Testament des Erzvaters Jakob, das nicht nur für seine direkten Nachkommen, sondern auch für die weiteren Generationen von großem Wert war und immer noch ist. Der sterbende Jakob redet zwar zu seinen zwölf Söhnen, doch richtet er sich eigentlich an die Stämme, die aus ihnen hervorkommen würden und er spricht über ihr künftiges Schicksal. Jakob der Betrüger, von dem wir aus den früheren Berichten des 1. Buches Mose viele weniger schöne Dinge erfahren, wird am Ende seines Lebens zu großen geistlichen Höhen geführt. Durch den Geist Gottes mit prophetischen Gaben beschenkt, wird der ehrwürdige Patriarch zum Propheten, der bis in die ferne Zukunft sieht. Seine Worte beziehen sich auf das, was Israel ”in künftigen Tagen begegnen wird“ (Vers 1) und so erwähnt er Besonderheiten, die erst in der Richterzeit oder noch später in Erfüllung gegangen sind oder noch gehen müssen. 

Für die Bibelkritik ist dies mit ein Grund gewesen, diese Verse zeitlich als viel späteren Ursprungs zu datieren und sie als eine Sammlung sogenannter „Stammessprüche“ zu betrachten, ähnlich den letzten Worten Moses oder dem Lied Deboras (5. Mose 33 und Richter 5). Diese Verse werden damit zu herkömmlichen Aussagen entwertet, die Sprüche sein sollen, die anlässlich von Volksversammlungen zitiert worden seien, um sie die Israeliten zu lehren. Es ist deutlich, daß solch eine Betrachtungsweise der Inspiration der Schrift Abbruch tut und ebenso wird dadurch ersichtlich, daß man die Erzväter zu einfachen Nomaden erniedrigt, von denen man solch ein literarisches Werk - 1. Mose 49 ist in der Form eines Gedichtes geschrieben - nicht erwarten könne.

Es bestehen jedoch keine begründeten Hinweise dafür, dieses Kapitel jemand anderem, als Jakob zuzuschreiben. 1. Mose 49 schließt sich eng an das vorhergehende Kapitel an, wo Jakob die Söhne Josephs segnet. Ebenfalls kann darauf hingewiesen werden, daß Jakob eine bereits bestehende Tradition fortsetzt, wenn er seine Söhne segnet. Als Isaak alt geworden war, hat er Jakob und Esau gesegnet und diese Segnungen waren ebenfalls von weitreichender Bedeutung (l. Mose 27). Dasselbe gilt für die prophetischen Worte Noahs, die er an seine Söhne richtete (l. Mose 9). Diese Beispiele sind übrigens auch von größter Bedeutung, um noch ein anderes Argument zu widerlegen, das man ins Feld geführt hat, um Jakob diese Worte abzusprechen. 

Es sind nämlich nicht nur Segnungen, die Jakob über seine Söhne ausgesprochen hat, obwohl doch in Vers 28 erwähnt wird, daß er einen jeden von ihnen mit seinem eigenen Segen segnete. Ruben, Simeon und Levi haben von ihrem Vater überhaupt keinen Segen empfangen, ihr Segen trägt vielmehr den Charakter eines Fluches. Dieser Einwand wird jedoch völlig entkräftet, wenn man bedenkt, daß sich dies beim Segen lsaaks für Esau ebenso verhält. Auch in den Worten Noahs an seinen Sohn Kanaan wird dies sehr deutlich. Zudem ist Gott auch mächtig, einen Fluch in einen Segen umzuwandeln, wie dies später in der Geschichte Levis sichtbar wird (vgl. den Segen Moses in 5. Mose 33). Hinzu kommt noch, daß wenn jemand auf seine Fehler aufmerksam gemacht wird wie dies in den zwei ersten Segenssprüchen der Fall ist - dies auch eine segensreiche Auswirkung hat. Es ist somit ausreichend Grund vorhanden, um auch diese Sprüche als einen Segen zu betrachten.

Der Segen Jakobs für seine Söhne ist ausdrücklich prophetischer Natur. Er schaut prophetisch hinweg über die lange Periode der israelitischen Sklaverei in Ägypten, sowie der Wüstenreise ins verheißene Land und des Einzugs in Kanaan. Seine Worte erstrecken sich noch weit über die Richterzeit oder sogar die Zeit der Königsherrschaft hinaus. Sie erstrecken sich bis in die ferne Zukunft. Wörtlich steht in Vers 1 nicht „in künftigen Tagen“, sondern „am Ende der Tage“ (siehe Fußnote). Dieser Ausdruck kommt im Alten Testament insgesamt 14 Mal vor, u.a. in 4.Mose 24,14; Jes.2,2; Dan.2,28; Hos.3,5. Er bezieht sich auf die Regierung des Christus, d.h., die Zeit, worin alle Verheißungen Gottes an Israel in Erfüllung gehen werden. Allein deshalb schon ist es sicherlich der Mühe wert, sich in diese Prophezeiungen des Vaters Jakob zu vertiefen.

4 Der Segen der Söhne Jakobs

4.1 Ruben

„Ruben, mein Erstgeborener bist du, meine Kraft und der Erstling meiner Stärke! Vorzug an Hoheit und Vorzug an Macht! Überwallend wie die Wasser, sollst du keinen Vorzug haben, denn du hast das Lager deines Vaters bestiegen; da hast du es entweiht. Mein Bett hat er bestiegen!“ (1. Mose 49,3-4).

4.1.1Eine ernste Botschaft

Nach dem zweifachen Aufruf Jakobs an seine Söhne sich zu versammeln und auf die Worte ihres sterbenden Vaters zu hören (Vers 1 und 2), richtet er sich begreiflicherweise zuerst an seinen ältesten Sohn Ruben. Er spricht ihn ebenso wie Juda und Joseph direkt an, während die übrigen Segenssprüche in der dritten Person geäußert sind und somit nicht dieselbe Vertrautheit ausdrücken. Wenn wir die Worte Jakobs etwas auf uns einwirken lassen, dann erkennen wir, daß er Ruben etwas Ernstes mitzuteilen hat, das wir wie folgt wiedergeben können: Ruben, du bist der Älteste, derjenige, von dem ich die höchsten Erwartungen hatte und der auch die größte Verantwortung besaß. Du hast leider meinen Erwartungen nicht entsprochen und darum kannst du auch nicht länger den bevorzugten Platz eines Erstgeborenen behalten.

Der Grundgedanke beinhaltet somit Schuld und Strafe. Rubens Versagen wird in Vers 4 erwähnt. Er hatte das Bett seines Vaters entweiht und Ehebruch mit Bilha, der Nebenfrau Jakobs getrieben (l. Mose 35,22). Die Folge davon ist der Verlust seiner bevorrechteten Stellung. Dies ist die Strafe für seinen Fehltritt. Beim folgenden Segen sieht man genau dasselbe Motiv. Die Schuld Simeons und Levis hat ebenfalls eine bestimmte Strafe zur Folge (Vers 7). So sind nun einmal die Gesetze der Regierung Gottes, obwohl die Gnade Gottes die Strafe mildern oder sogar in einen Segen verwandeln kann. Bei Ruben wurde die Strafe gemildert und bei Levi ist der Fluch später in einen Segen verändert worden (vgl. 5. Mose 33,6.8-11). Die ersten drei Söhne Jakobs zeigen uns dann auch vorbildlich das Versagen Israels und in noch allgemeinerem Sinn das Versagen des ersten Menschen in seiner Verantwortung und in Verbindung damit auch die Regierungswege Gottes.

Bei Ruben besteht jedoch noch ein anderer Grund, der sein Versagen noch ernster machte. Jakob beginnt nicht damit, daß er die Sünde Rubens, sondern dessen Vorrechte als Erstgeborener erwähnt. Diese Vorrechte werden in Vers 3 ausführlich dargelegt. Im Lichte dieser Vorrechte erscheint die Schuld und Strafe umso verheerender und die hohe Stellung Rubens machte seinen Fall umso tiefer.

4.1.2 Der Mensch verliert schnell seine Vorrechte

Doch so ist es schon immer gewesen in der Geschichte der Menschheit. Adam und Eva im Garten Eden waren ebenfalls sehr bevorrechtet, doch nachdem sie in die Sünde gefallen waren, wurden sie aus dem Paradies vertrieben und verloren damit auch die Vorrechte, die sie besaßen. In der Nachkommenschaft Kains sieht man dann, wie sich das Böse weiter entwickelt hatte. Nach dem Mord Kains an Abel floh Kain vom Angesicht des HERRN hinweg und wurde der Begründer einer Kultur ohne Gott. Diese Periode in der Menschheitsgeschichte, worin der Mensch im Lichte seines Gewissens wandelte, endete mit dem Gericht der Sintflut. Danach sehen wir Noah in der bevorrechteten Stellung als Herrscher über die neue Erde. Doch versagte er praktisch unmittelbar danach, indem er sich nicht beherrschen konnte und sich betrank. Diese Haushaltung, die durch die Einführung der menschlichen Obrigkeit gekennzeichnet war, endete mit dem Gericht der babylonischen Sprachenverwirrung.

Danach wird Abrahams berufen, und damit nahmen die besonderen Verheißungen Gottes für sein Bundesvolk Gestalt an. Doch nachdem Abraham im verheißenen Land angekommen war, ging er unmittelbar danach freiwillig nach Ägypten hinab, wo er in große Schwierigkeiten kam. Ägypten war auch das Land, wo die Geschichte der Erzväter endete. Es war der Feuerofen, in dem ihre Nachkommen geläutert wurden, bevor sie als Volk Gottes angenommen wurden. Nachdem Israel aus dem Land der Knechtschaft erlöst war und Gott es auf Adlersflügel zu Sich gebracht hatte, verfiel es bereits am Sinai wieder in Götzendienst.

Die Geschichte Israels ist dann im folgenden eigentlich eine lange Aneinanderreihung des menschlichen Versagens und der göttlichen Gnade. Unmittelbar nach der Einsetzung Aarons und seiner Söhne zu Priestern versagte das Priestertum, indem Nadab und Abihu mit fremdem Feuer vor das Angesicht Gottes traten. Die Israeliten verschmähten das gute Land Kanaan und rebellierten während der Wüstenreise fortdauernd gegen den HERRN. Nach dem Einzug ins verheißene Land versagte das Volk, indem es das Land nur teilweise eroberte. Die Richterzeit endete dann auch mit der schlimmsten Unordnung im Volke Israel. Die Söhne Samuels, des letzten Richters und ersten Propheten, wandelten nicht in seinen Wegen. Die Königsherrschaft versagte unmittelbar mit Saul, dem König nach dem Fleische. Die Periode Israels unter Gesetz endete mit der Wegführung in die Gefangenschaft, zuerst der zehn und dann der zwei Stämme. Gott verließ dann Seinen Thron in Jerusalem und gab die Macht in die Hände der Weltreiche.

Damit begannen die Zeiten der Nationen, die bis zur Wiederkunft Christi andauern werden. Doch bereits das erste Haupt dieser Reiche versagte, indem es in Götzendienst und Selbstverherrlichung verfiel. Als Christus zu Seinem eigenen Volke kam, wurde Er verworfen und ans Kreuz gebracht. Nach Seiner Auferstehung und Himmelfahrt wurde der Heilige Geist auf die Erde ausgegossen und Gott sammelte aus Juden und Heiden eine Brautgemeinde für Seinen Sohn. Doch das schöne Bild der Anfangszeit der Versammlung, wie es uns in der Apostelgeschichte gemalt wird, wurde durch die Sünde von Ananias und Saphira sogleich wieder zerstört. All diese Beispiele illustrieren, daß der Mensch seiner von Gott geschenkten Stellung nicht gerecht wird und seine Vorrechte schnell wieder verwirkt.

4.1.3 Ruben verlor sein Erstgeburtsrecht

So war es auch bei Ruben, der als Folge seines Versagens, sein Erstgeburtsrecht verspielte. Was waren nun genau die Vorrechte Rubens als Erstgeborener? Zuerst nennt Jakob ihn seine Kraft und den Erstling seiner Stärke (Vers 3a). Er war der Beweis der männlichen Kraft Jakobs, der Stammhalter, der für eine weitere Nachkommenschaft garantieren konnte. In den Psalmen findet man denselben Ausdruck („der Erstling ihrer Kraft“) für die Erstgeborenen der Ägypter (Ps. 78,51; 105,36). Im Gesetz über das Erstgeburtsrecht sagt Moses, daß der Erstgeborene eines Israeliten auf ein doppeltes Erbteil Anrecht hat, weil er „der Erstling seiner Kraft“ ist (5. Mose 21,17b).

Zweitens beinhaltete das Erstgeburtsrecht Rubens einen Vorzug an Hoheit und an Macht (Vers 3b). Er nahm seinen Brüdern gegenüber den ersten Platz ein und das nicht nur aufgrund der Besitztümer, sondern auch aufgrund seiner Stellung. Er hatte nicht nur auf ein doppeltes Erbteil Anrecht, wie wir dies soeben aus dem Gesetz Moses gesehen haben, sondern zugleich auch auf eine besondere Stellung als Autoritätsträger. Diese führende Stellung wird vielleicht im Segen Isaaks für seinen erstgeborenen Sohn am deutlichsten ausgedrückt: „Völker sollen dir dienen und Völkerschaften sich vor dir niederbeugen! Sei Herr über deine Brüder, und vor dir sollen sich niederbeugen die Söhne deiner Mutter!“ (l. Mose 27,29). 

In Übereinstimmung damit hat das Wort „Erstgeborener“ später die Bedeutung eines bestimmten Ranges, oder einer bestimmtem Würde. So lesen wir von David, dem achten Sohn Isais, daß Gott ihn zu einem Erstgeborenen machte, zum Höchsten der Könige der Erde (Ps. 89,27). Dies trifft insbesondere für das Neue Testament zu, wo dieses Wort fast ausschließlich für Christus Selbst gebraucht wird, um dessen erhabene Stellung zu beschreiben. Er nimmt in allen Dingen und in allen Beziehungen den ersten und vornehmsten Platz ein, sowohl im Blick auf Seine Brüder, als auch hinsichtlich der ganzen Schöpfung, ja sogar im Blick auf die Toten (Röm. 8,29; Kol. 1,15.18; Heb. 1,6; Offb. 1,5).

Leider hatte Ruben sein Erstgeburtsrecht verspielt, so daß er diese vornehme Stellung nicht behalten konnte. Dies ist es, was Jakob in Vers 4 ausdrückt: „Ueberwallend wie die Wasser, sollst du keinen Vorzug haben, denn du hast das Lager deines Vaters bestiegen...“. Ruben ließ sich durch seine Begierden mitfortreißen und trieb mit der Nebenfrau seines Vaters Ehebruch. Die Zügellosigkeit der Leidenschaft wird durch das Bild des ungestümen, brausenden Wassers treffend beschrieben. Ruben war nicht imstande, dem bitteren Wasserstrom, der aus seinem Herzen hervorquoll und ihn verunreinigte, Einhalt zu gebieten (vgl. Mark. 7,21-23; Jak. 3,11). Wenn jemand durch Christus erneuert worden ist und den Heiligen Geist empfangen hat, dann besitzt er eine süße und reine Quelle in seinem Innersten, woraus Ströme lebendigen Wassers fließen (Joh. 4,14; 7,37-39).

Durch seine Sünde verlor Ruben seine Vorzugsstellung unter seinen Brüdern. Der Stamm Ruben hatte dann auch inmitten der Israeliten nie eine führende Stellung eingenommen. Wichtige Führer hat es aus dem Stamm Ruben keine gegeben, höchstens im negativen Sinn, während der Zeit des Aufstandes von Korah, Dathan und Abiram (4. Mose 16,1). Die Rubeniter suchten ihr Erbteil nicht im verheißenen Land, sondern auf der östlichen Seite des Jordans (4. Mose 32; Jos. 22). Da hielten sie sich später, während den Tagen des Kampfes (Richt. 5,15.16) abseits ihrer Brüder auf. In ihrem Gebiet auf der östlichen Jordanseite waren sie durch feindliche Angriffe äußerst verwundbar, insbesondere durch die Moabiter und die Aramäer. Die Rubeniter gehörten dann auch zu den ersten Stämmen, die in die Gefangenschaft nach Assyrien gebracht wurden.

Die Führungsstellung, die Ruben hätte einnehmen können, musste er an Juda abtreten, den vierten Sohn Jakobs. Simeon und Levi wurden wegen ihrer Gewalttätigkeit, die sie an den Bürgern von Sichem verübt hatten, übergangen. Doch von Juda sagt Jakob in Vers 10, daß das Szepter nicht von ihm weichen würde, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen hinweg. Juda sollte der Königsstamm werden und der Fürst sollte aus ihm hervorkommen (l. Chron. 5,2). Zudem wird aus 1. Chron. 5 ersichtlich, daß eine Art Aufteilung der Vorrechte, die das Teil des Erstgeborenen waren, stattfand. Zwar empfing Juda die Herrscherstellung, doch der besondere Segen des Erstgeborenen - das doppelte Erbteil - ging an Joseph. Dies wird auch deutlich in 1. Mose 49 bestätigt. Die reichsten Segnungen waren dem Joseph, dem Erstgeborenen Rahels, vorbehalten (Verse 22-26).

Es ist jedoch auch wichtig auf das Werk der Gnade Gottes hinzuweisen, wie dies in der Geschichte des Stammes Ruben zum Ausdruck kam. Es besteht nicht nur die negative Seite der Strafe, wodurch Ruben schnell an Bedeutung eingebüßt hatte, sondern auch die positive Seite der Gnade Gottes, wodurch dieser Stamm vor dem Aussterben bewahrt blieb. Diese letzte Seite kommt insbesondere im Segen Moses zum Ausdruck: „Ruben lebe und sterbe nicht, und seiner Männer sei eine Zahl!“ (5. Mose 33,6). Es scheint, als ob Moses hier für Ruben um Gnade flehen würde, so daß - obwohl klein und unansehnlich - er doch weiterhin erhalten bleiben möge. Geistlich angewandt sehen wir hier die Notwendigkeit des lebendigmachenden Werkes der Gnade Gottes, um vor Gott bestehen und durch Ihn gesegnet werden zu können. Es ist auch bemerkenswert, daß bei den versiegelten Israeliten, die in Offenbarung 7 aufgeführt werden, der Stamm Ruben nicht fehlt und als zweiter nach Juda genannt wird.

4.1.4 Die Botschaft an Israel und die Kirche

Jakobs Erstgeborener hatte ihn somit enttäuscht. Was Ruben hätte heilig achten sollen (siehe auch 3. Mose 18,8), hatte er entweiht. Er hatte nicht in den Wegen Gottes gewandelt und darum mußte er als Erstgeborener zur Seite gestellt werden. Derselbe Grundsatz hat auch Gültigkeit für das ganze Volk Israel, das als Nation Gottes erstgeborener Sohn war (2. Mose 4,22.23). Gott rief ihn aus Ägypten und als der besondere Gegenstand seiner Liebe erlöste und versorgte Er ihn (Hos. 11,1-4). Israel irrte jedoch immer wieder von Ihm ab und benahm sich auf eine Art und Weise, die eines Erstgeborenen unwürdig war. Darum hat Gott Sein Volk zur Seite gestellt, so daß es jetzt den Namen Lo-Ammi, d.h. Nicht-mein-Volk (Hos. 1,9), trägt. Glücklicherweise wissen wir, daß die Gnade Gottes am Ende der Tage auch dies wieder ändern wird (Hos. 2,23).

Doch wir können diese göttlichen Grundsätze auch auf das heutige Volk Gottes, die Versammlung, anwenden. Ihre Geschichte ist nicht besser verlaufen als die Geschichte Israels und sie hat ihrer Berufung ebensowenig entsprochen. Wie die Israeliten Kinder - wörtlich „Söhne“ - des HERRN waren (5. Mose 14,1.2), so bilden die Gläubigen heute eine Versammlung von Erstgeborenen (Heb. 12,23). Christus hat den ersten Platz inmitten vieler Brüder. Obwohl das Neue Testament den Titel „Erstgeborener“ sonst allein für Ihn gebraucht, sind wir doch mit Ihm verbunden und strahlt Seine Würde auf uns ab. Wir haben durch Ihn auch die Kindschaft und die Sohnschaft empfangen. 

Dies sind Segnungen, die erst nach dem Kommen des Sohnes Gottes im Fleische und nach der Herniederkunft des Geistes des Sohnes Gottes gekannt werden konnten (Gal. 4,4.6). Israel kannte diese Beziehungen in einem kollektiven und äußerlichen Sinn, aber die volle Reichweite dieser Dinge ist erst nach dem Kreuz geoffenbart worden. Wir sind Kinder Gottes, weil wir aus Ihm geboren sind und so dürfen wir nun in dieser Welt zeigen, wer unser Vater ist. Wir sind Söhne Gottes nach dem ewigen Vorsatz Gottes und aufgrund des Erlösungswerkes Christi (Röm. 8,15; Gal. 4,4-7; Eph. 1,5-7). Als solche hat Gott uns für Sich selbst bestimmt, damit wir Ihm dienen und Ihn ehren sollen und damit wir Söhne seien, an denen Er ein Wohlgefallen hat (Spr. 3,12). Entsprechen wir persönlich und gemeinsam diesen hohen Vorrechten?

Müssen wir nicht leider feststellen, daß es viele Dinge gibt, die im Widerspruch mit dieser hohen Berufung sind? Und wenn wir die Geschichte der Versammlung betrachten, dann stellen wir fest, daß sie öfter zur Unehre als zur Ehre Gottes gehandelt hat und daß sie den Erwartungen, die Gott von ihr haben durfte, nicht entsprochen hat. Ebenso wie Israel, ist auch die Versammlung kein heiliges Volk gewesen, das ausschließlich dem Herrn angehörte und Sein Eigentum war. Sie hat sich mit der Welt vermischt und ist somit dem Götzendienst verfallen (Offb. 2 u. 3). Bereits in der Anfangszeit ihres Bestehens war das Geheimnis der Gesetzlosigkeit schon wirksam (2. Thess. 2,7). Sie hat ihre erste Liebe verlassen und ist von der hohen Stellung, die sie nach den Gedanken Gottes einnahm, gefallen (Offb. 2,4.5). 

Darum wird auch die versagende Versammlung als Gottes Zeugnis auf der Erde zur Seite gestellt werden, ebenso wie Ruben das Erstgeburtsrecht nicht behalten konnte. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Pläne und Gedanken Gottes durch das menschliche Versagen vereitelt werden, denn die wahre Versammlung wird an der Herrlichkeit Christi teilhaben, wenn Er als der Erstgeborene in diese Welt eingeführt und als Friedefürst regieren wird (l. Mose 49,10). Was durch den Menschen verdorben worden ist, wird durch Christus wieder gut gemacht werden.

Schließlich noch einige Gedanken zur Bedeutung des Namens Ruben ( = Sehet, ein Sohn). In diesem Namen kommt zweifellos etwas von der dankbaren Bewunderung, die Lea bei der Geburt ihres Erstgeboren hatte, zum Ausdruck. Wie Eva wird sie gedacht haben, daß sie mit der Hilfe des HERRN einen Mann erworben hatte, auf den man bauen konnte (l. Mose 4,1; 29,32). Beide Mütter sind durch ihre Söhne enttäuscht worden und haben lernen müssen, daß vom natürlichen Menschen nichts Gutes zu erwarten ist. Wenn wir jedoch durch Christus erneuert und Kinder und Söhne Gottes geworden sind, haben wir wirklich allen Grund, um dankbar und froh zu sein. Der Segen der Sohnschaft ist ein kostbares Gut und führt uns zur Anbetung dessen, den wir nun als „Abba, Vater“ anrufen dürfen. Lea hat gerufen: „Sehet, ein Sohn“. Wir dürfen rufen: „Sehet, welch eine Liebe der Vater uns gegeben hat, daß wir Kinder Gottes heißen sollen“ (l. Joh. 3,1). Laßt uns nun auch als würdige Kinder und Söhne leben, damit das Bild des Sohnes Gottes in uns gesehen werden kann.

4.2 Simeon und Levi

„Simeon und Levi sind Brüder, Werkzeuge der Gewalttat ihre Waffen. Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung! denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen, und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt. Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam! Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (1. Mose 49,5-7).

4.2.1 Die Brüder im Bösen

Der zweite Segensspruch Jakobs ist vom Aufbau her dem ersten sehr ähnlich, weil wir erneut wieder dem Motiv der Schuld und Strafe begegnen. Während Ruben seine Begierde nicht im Zaum behalten konnte und mit Bilha Ehebruch trieb, haben sich Simeon und Levi einer öffentlichen Gewalttat an den Bürgern von Sichem schuldig gemacht. Jakob spielt somit zum zweiten Mal auf eine frühere Begebenheit aus seinem Leben an.

Diese Begebenheit wird ausführlich in 1. Mose 34 beschrieben. Dina, die Tochter Jakobs wurde durch den Sohn des Landesfürsten von Sichem entehrt. Er wollte sie gerne zu seiner Frau haben und machte darum den Vorschlag, daß sich die Söhne Jakobs mit den Bürgern von Sichem verschwägern sollten. Hierauf antworteten die Söhne Jakobs betrüglich, indem sie sagten, daß dies nur möglich sei, wenn sich die Männer von Sichem beschneiden lassen würden. Diese Beschneidung fand dann auch statt und als die Männer von Sichem infolge dieses Eingriffs ernsthaft geschwächt waren, wurden sie plötzlich durch Simeon und Levi überfallen und getötet. Danach wurde die Stadt geplündert und die Söhne Jakobs zogen mit reicher Beute davon. Das Kapitel endet mit einem Protest Jakobs gegen dieses Vorgehen. Er sagt zu Simeon und Levi, daß sie ihn ins Unglück gestürtzt haben, doch sie rechtfertigen sich mit den Worten: „Sollte man unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ (1. Mose 34,31).

In 1. Mose 49 kommt Jakob darauf zurück und nimmt noch einmal ganz deutlich Abstand von der Gewalttätigkeit seiner beiden Söhne. Sie waren Brüder in dieser bösen Sache (Vers 5a). Simeon der zweite und Levi der dritte Sohn Leas waren natürlich Brüder im wörtlichen Sinn. Aber dies meint Jakob hier nicht. Er möchte damit sagen, daß sie denselben Charakter zeigen und in ihrer Handlungsweise eins sind. Darum spricht er sie in diesem Kapitel auch gemeinsam an. Eigentlich spricht er sie nicht direkt an, denn er benutzt die dritte Person (sie) und sagt somit etwas über sie vor den Ohren all seiner Söhne. Sie können alle etwas daraus lernen.

Aber während jeder von ihnen seinen eigenen Spruch und Segen bekommt (Vers 28), werden Simeon und Levi gemeinsam angesprochen. Sie waren Brüder, nicht im guten, sondern im bösen Sinn. Psalm 133 spricht über den Segen der brüderlichen Gemeinschaft: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ (Vers 1). Bei Simeon und Levi ist diese Gemeinschaft jedoch auf eine schreckliche Weise in eine Verschwörung entartet, die sie augenscheinlich zusammen gegen die Bürger von Sichem geschmiedet haben. In Vers 6a spricht Jakob über „ihren Rat“ und „ihre Versammlung“, wovon er sich immer noch distanziert. Von solch einer bösen Gemeinschaft will er sich fernhalten.

Der Überfall auf die Bürger von Sichem war somit ein geplanter Anschlag. Simeon und Levi wußten sehr genau, was sie taten. Es war ein gut vorbereiteter Racheakt auf die Bürger von Sichem. Die Mittel, die sie dazu gebrauchten, waren „Werkzeuge der Gewalttat“ (Vers 5b). Welche Waffen es auch gewesen sein mögen - einige denken an Schwerter oder dergleichen - jedenfalls waren es „Waffen der Finsternis“ und „Werkzeuge der Ungerechtigkeit“. Der Christ wird aufgerufen diese Waffen abzulegen und die Waffen des Lichts anzuziehen (vgl. Röm. 6,13; 13,12). Der Eifer der Söhne Jakobs wäre für eine gute Sache lobenswert gewesen. Doch wie steht es bei uns? Kämpfen wir mit den „Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken“ (2. Kor. 6,7)? Sind die Waffen unseres Kampfes „nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen“ (2. Kor. 10,4)?

4.2.2 Absonderung vom Bösen

Während die Sünde Rubens die Begierde und Lust war, gebrauchten Simeon und Levi Werkzeuge der Gewalttat. Dies sind die zwei Kennzeichen des Bösen seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Einerseits innerliche Verdorbenheit (im Gewand der Lust oder der Lüge) und andererseits äußerliche Gewalttätigkeit. Eva sündigte, indem es sie gelüstete von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Kain war gewalttätig und wurde der erste Mörder.

Sehr oft gehen diese beide Kennzeichen des Bösen Hand in Hand. So finden wir bei den Söhnen Jakobs beide Kennzeichen des Bösen. Einerseits redeten sie betrüglich mit den Bürgern von Sichem und andererseits schmiedeten sie eine Verschwörung, die in rücksichtsloser Gewalt endete. Sowohl Menschen als Tiere bekamen es zu spüren: „...denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt“ (V. 6b). Das letztere wird in 1. Mose 34 nicht erwähnt, sondern man liest lediglich, daß sie sämtliche Tiere mitnahmen. Das eine schließt das andere nicht aus. Bei solch einer Racheaktion - und dies war es gerade, was Jakob anprangerte – kann alles geschehen.

Jakob verurteilte somit das Böse seiner Söhne öffentlich. Das ist nicht immer so einfach und bestimmt nicht für einen Vater! Doch der Erzvater nimmt hier seine Kinder nicht in Schutz und versucht auch nicht ihre Schuld zu mildern oder zu beschönigen. Er versucht nicht das Böse gut zu heißen (vgl. Jes. 5,20), sondern er nennt es beim Namen. Wir erkennen hieran auch die Notwendigkeit der Absonderung vom Bösen: „Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung!“ (V. 6a). Der Gerechte wandelt nicht im Rate des Gottlosen und das Licht hat keine Gemeinschaft mit der Finsternis. In der Schrift finden wir viele Beispiele, die dies illustrieren (siehe u.a. 4. Mose 16,23-27; 2. Kor. 6,14-18; 2. Tim.2, 19-22; Offb. 18,4). Jakob spricht hier über seine Seele und seine Ehre, die er vor der Befleckung mit Bösem - das einen Menschen allein entehren und zuschanden machen kann - bewahren möchte.

Das Urteil Jakobs ist sehr weitreichend (V.7). Dieser Vers beinhaltet einen Fluch und eine Vergeltungsmaßnahme. Der Fluch gilt glücklicherweise nicht Simeon und Levi selbst, sondern ihrem Zorn und ihrem Grimm: „Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig und ihr Grimm, denn er war grausam!“ (V.7a). Anders als in 1. Mose 3,14, wo ein Fluch über die Schlange ausgesprochen wurde und in Richt. 5,23, wo die Bewohner von Meros verflucht wurden, bezieht sich die Verfluchung Jakobs allein auf die Äußerungen der Bosheit bei Simeon und Levi. Nebenbei sei erwähnt, daß Gott auch heute so mit Seinen Kindern handelt, denn Er liebt uns und möchte uns segnen, doch das Böse in uns muss Er verurteilen.

Die Söhne Jakobs hatten zwar versucht ihr Handeln zu rechtfertigen, indem sie sich als Beschützer der Ehre ihrer Schwester aufspielten (vgl. 1. Mose 34,31), doch Jakob entlarvte hier ihre wirklichen Motive. Sie ließen sich durch Zorn und Mutwillen leiten (V.6b). Es war reine Rachsucht, die sie zu grober Gewalt antrieb. Es trieb sie bestimmt kein heiliger Zorn zu solch einer Tat, sondern ein sündiger und bösartiger Drang. Heiliger Zorn kann vorkommen und ist an seinem Platz auch richtig, aber er kann auch sehr leicht in eine Äußerung des Fleisches entarten. Davor warnt Paulus: „Zürnet, und sündiget nicht. Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, und gebet nicht Raum dem Teufel“ (Eph. 4,26.27).

4.2.3 Ich werde sie zerstreuen

Auf die Verfluchung folgt dann die Vergeltungsmaßnahme: „Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (V. 7b). Ich habe bereits gesagt, daß die Verurteilung, die Jakob ausspricht, sehr weitreichend ist. Es ist ein Urteil mit weitreichenden Folgen. Die Folgen des Bösen von Simeon und Levi beschränkten sich nicht allein auf sie selbst, sondern erstreckten sich bis auf ihre Nachkommen. Vielleicht haben wir, die in der Gnadenzeit leben manchmal etwas die Neigung, den Ernst der Regierungswege Gottes zu vernachlässigen, doch auch für uns gilt, daß Sich Gott nicht spotten lässt. „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal. 6,7). „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Heb. 12,29). Natürlich ist es in erster Linie so, daß jeder Mensch für die eigenen Sünden zu büßen und die Folgen zu tragen hat. Ein Gläubiger kommt nicht mehr in das ewige Gericht, weil Christus dies an seiner Stelle bereits getragen hat (Joh. 5,24), doch solange er auf der Erde lebt, hat er es mit Gottes gerechten Wegen zu tun. Gottes Regierung ist eine gerechte Regierung - das sehen wir in allen Haushaltungen.

Doch in Seiner Gnade wird Gott oft die Folgen unserer Abweichungen mildern. Wir werden dies auch im Falle Simeons und Levis sehen. Doch daß Gott regiert, bleibt eine unumstößliche Tatsache und in einigen Fällen wird Er die Ungerechtigkeit der Eltern an den Kindern heimsuchen (2. Mose 20,5). Simeon und Levi hatten als Familienoberhäupter versagt und ihre Nachkommen würden die negativen Folgen davon zu spüren bekommen. Simeon und Levi waren Bundesgenossen im Bösen gewesen, indem sie sich zusammengeschlossen hatten gegen die Bürger von Sichem. Die Strafe bestand nun in der Auflösung dieses Bündnisses der Ungerechtigkeit, indem sie unter ganz Israel verteilt und zerstreut wurden. Dieses Urteil ähnelt sehr demjenigen der Sprachenverwirrung nach dem Turmbau zu Babel. Die Menschen vereinigten damals ihre Kräfte ebenfalls zum Bösen und Gott machte diesem Streben ein Ende, indem er die Menschenkinder über die Erde verteilte und zerstreute (l. Mose 11,1-9).

Es ist bemerkenswert, daß sich Jakob hier selber als der Urteilsvollstrecker betrachtet: „Ich werde sie verteilen...“. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß wir es hier mit prophetischer Sprache zu tun haben. Gott Selbst spricht durch den Mund Jakobs und sagt die Zukunft dieser zwei Stämme Simeon und Levi voraus. Der Lauf der Geschichte ist in Seinen Händen und Er kann das Ende von Anfang an verkündigen (Jes. 46,10). Im weiteren ist zu bedenken, daß Jakob als Familienoberhaupt auch mit einer göttlichen Autorität bekleidet war. Als Vertreter und Darsteller der Rechte Gottes war es völlig angebracht, daß er in dieser Weise zu seinen Söhnen sprach.

Über die Erfüllung dieser Prophezeiung besteht keinerlei Zweifel. Wenn wir die Geschichte dieser zwei Stämme verfolgen, dann sehen wir tatsächlich, daß Simeon und Levi in Israel zerstreut worden sind. Doch es besteht noch ein großer Unterschied. Von Simeon als einem selbstständigen Stamm ist nahezu nichts mehr übriggeblieben, während bei Levi der Fluch gerade zu einem Segen umgewandelt worden ist und dies aufgrund seines Gehorsams Gott gegenüber nach der Sünde mit dem goldenen Kalb (2. Mose 32,25-29; 5. Mose 33,8-11). Dies machte die Zerstreuung Levis jedoch nicht rückgängig, sondern gerade weil die Leviten inmitten der übrigen Stämme wohnten, konnten sie im ganzen Land das Gesetz Gottes unterrichten und als solche eine sehr bevorrechtete Stellung unter ihren Brüdern einnehmen.

Obwohl die Simeoniten anfänglich sehr zahlreich waren, war ihre Anzahl am Ende der Wüstenreise stark gesunken (wie dies aus einem Vergleich der Volkszählungen in 4. Mose 1 und 26 ersichtlich wird). Im Segen Moses wird Simeon nicht einmal mehr erwähnt. Bei der Verteilung des Landes Kanaan zur Zeit Josuas bekam dieser Stamm kein besonderes Erbteil, sondern nur eine Anzahl Städte innerhalb des Erbteils des Stammes Juda (Jos. 19,1-9). Das Los Simeons ist dann auch eng mit demjenigen Judas verbunden. Sie zogen zusammen gegen die Kanaaniter in den Kampf, um ihr zugeteiltes Gebiet zu erobern (Richt. 1,3.17). 

Weil die Simeoniten im Stammesgebiet von Juda wohnten – darin „zerstreut“ waren – sind sie später auch größtenteils in diesem Stamm aufgegangen. Als David König wurde, verloren sie ihre eigenen Städte (1. Chron. 4,31). Später fand dann auch eine Auswanderung von Simeonitern nach Gebieten außerhalb des verheißenen Landes statt, nämlich in südliche Gebiete und ins Seir-Gebirge (l. Chron. 4,34-43). Im Zehnstämmereich müssen ebenfalls Simeoniten gewohnt haben (2. Chron. 15,9; 34,6.7). Simeon ist also in Israel verteilt und zerstreut worden, so daß sich die Worte Jakobs buchstäblich erfüllt haben.

4.2.4 Levi wird beiseite gesetzt für den HERRN

Aber wie ist es Levi ergangen, dessen Geschichte viel bekannter ist? Die Nachkommen Levis sind ebenfalls unter die übrigen Stämme Israels zerstreut worden. Doch ihr Los hat sich bereits zu Beginn der Wüstenreise zum Guten hin geändert und ihre Geschichte ist deshalb ganz anders verlaufen, als diejenige der Simeoniten. Diesen Wendepunkt zum Guten hin finden wir in 2. Mose 32, wo die Leviten sich nach dem Aufruf Moses dem HERRN weihten und an dem zügellosen Volk Gericht ausübten. Oberflächlich betrachtet war dies genauso eine Art Handlung, wie Levi sie damals an den Bürgern von Sichem verübte. Am Sinai töteten die Leviten bis an die dreitausend Mann. Doch hier handelte es sich nicht um einen rein menschlichen Racheakt, wie dies in Sichem der Fall war. Sie übten ein göttliches Urteil aus, um dem Götzendienst und der Gesetzlosigkeit der Israeliten Einhalt zu gebieten.

Der Herr belohnte die Leviten für diesen Beweis der Hingabe Ihm gegenüber. Sie bekamen die besondere Stellung von Dienern des HERRN und des Heiligtums. Der Dienst an der Stiftshütte wurde ihrer Obhut anvertraut und sie durften sich rund um die Wohnung Gottes lagern. Die Leviten wurden auch die Gehilfen der Priester, der Söhne Aarons, die ebenfalls zu den Nachkommen Levis gehörten und die bereits früher für den Dienst des HERRN geheiligt wurden (2. Mose 28,1).

Die Auserwählung und die Weihe der Leviten wird im vierten Buch Mose beschrieben. Da finden wir auch die folgenden wichtigen Begebenheiten in Verbindung mit unserem Gegenstand erwähnt. Die Leviten waren nämlich anstelle aller Erstgeborenen der Israeliten dem HERRN als Eigentum gegeben (4. Mose 3,11-13. 40-45; vgl. 2. Mose 13,1.2). In gewisser Hinsicht empfingen die Leviten somit die Stellung und Würde der Erstgeborenen. Wir haben gerade soeben gesehen, daß das Erstgeburtsrecht von Ruben auf Juda und Joseph überging. Da die Leviten jetzt aber auf eine besondere Weise für den HERRN geheiligt wurden, empfingen sie in gewisser Hinsicht auch ein Teil des Erstgeburtssegens. Der Herr hatte ein Wohlgefallen an ihnen und umgekehrt hatten sie Ihn als ihr Erbteil bekommen (5. Mose 10,8.9).

In 5. Mose 10 wird die Auserwählung der Leviten deutlich mit der Sünde des goldenen Kalbes am Sinai in Verbindung gebracht. Sie folgten dem Aufruf Moses und wählten die Seite des HERRN und in seinem Segen richtete Mose dann ausschließlich nur lobende Worte an sie: „Deine Thummim und deine Urim sind für deinen Frommen, den du versucht hast zu Massa, mit dem du hadertest bei dem Wasser zu Meriba; der von seinem Vater und von seiner Mutter sprach: ich sehe ihn nicht; und der seine Brüder nicht kannte und von seinen Söhnen nichts wußte. Denn sie haben dein Wort beobachtet, und deinen Bund bewahrten sie. Sie werden Jakob lehren deine Rechte, und Israel dein Gesetz; sie werden Weihrauch legen vor deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar“ (5. Mose 33,8-10).

Erneut verweist Mose hier auf das Ereignis am Sinai (vgl. auch 2. Mose 17,1-7). Wie Levi damals für die Rechte Gottes eintrat, so war ihm fortan auch die Aufrechterhaltung des Wort Gottes in Israel anvertraut. Wir erkennen hierin auch den zweifachen Charakter des Levitendienstes, einerseits im Blick auf Gott und andererseits im Blick auf den Menschen. Im Blick auf den Menschen hielten sie das Gesetz und die Rechte Gottes aufrecht und im Blick auf Gott traten sie mit Weihrauch und Ganzopfern vor Sein Angesicht.

Der Segen Moses für Levi hat somit einen völlig anderen Charakter, als derjenige Jakobs. Doch hat sich die Prophezeiung Jakobs vollständig erfüllt, denn der Stamm Levi hatte kein Erbteil im Land Kanaan bekommen, sondern wurde unter alle Stämme Israels verteilt. Der HERR allein war ihr Erbteil und sie bekamen innerhalb aller Stämme lediglich einzelne Städte zum wohnen zugewiesen (Josua 21). Die Zerstreuung innerhalb Israels fand wohl statt, doch der Fluch wurde in einen Segen umgewandelt, indem die Leviten, als Diener des HERRN überall im Land eine bevorrechtete Stellung einnahmen.

Simeon ( = Erhörung) und Levi ( = Anschließung, Anhänglichkeit) haben ihren schönen Namen somit keine Ehre angetan. Sie handelten in Unabhängigkeit von Gott und waren Bundesgenossen im Bösen. Doch am Sinai schloss sich Levi dem HERRN an, wodurch seine Geschichte ganz anders verlief, als diejenige seines Bruders. Auch für uns gilt der Grundsatz, daß wer dem Herrn anhängt, sich Ihm weiht, ein Geist mit Ihm ist und zu Seiner Ehre wandelt (l. Kor. 6,17). Leider ist dies bei uns nicht immer der Fall. Die Geschichte der Versammlung war im allgemeinen nicht durch eine völlige Hingabe dem Herrn gegenüber gekennzeichnet. Sie hat sich der Welt angeschlossen und nicht auf die Stimme Gottes durch Seinen Geist und Sein Wort gehört.

Ebenso wie Simeon und Levi hat die Christenheit ihre Kräfte vereinigt, um Böses zu tun, das sich in Form von Gewalttat auf der Erde äußerte. Sie ist zu einem Machthaber geworden und hat sich am Blute von Propheten und Heiligen versündigt (Offb.18,24). Gott wird ihrem Streben und ihrem Bündnis der Ungerechtigkeit, das in ihrer Mitte gefunden wurde, jedoch ein Ende bereiten (Offb. 17 und 18). So wie wir in Ruben ein Bild des ersten Abweichens der Versammlung und des Verlassens ihrer ursprünglichen Stellung gesehen haben, so können wir in Simeon und Levi die völlige Entwicklung des Bösen und die darauffolgende Strafe erkennen. Gebe Gott uns Gnade, um auf das zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt und damit wir uns nicht der Welt, sondern dem Wort und dem Namen Christi anschließen (vgl. Offb. 2 und 3). Dann sind wir „Simeoniten“ und „Leviten“ im positiven Sinn des Wortes.

Bis jetzt sind die letzten Worte Jakobs nicht sehr mutmachend gewesen. Er hat nur traurige Dinge in den Sprüchen an seine drei ältesten Söhne berührt. In Ruben, Simeon und Levi haben wir darum auch das Versagen des ersten Menschen in seiner Verantwortung vorgebildet. Dies gilt sowohl für die Menschheit im allgemeinen, als auch für Israel und die Versammlung im besonderen. Verdorbenheit und Gewalttätigkeit sind immer wieder die deutlichen Beweise des menschlichen Versagens. Wir lernen hier die schmerzliche Lektion, daß „das Geistige nicht zuerst war, sondern das Natürliche“ (l. Kor. 15,46). Wie gut ist es darum, unsere Blicke vom ersten Menschen weg auf Christus, den zweiten Menschen aus dem Himmel zu richten, der die Folgen unseres Versagens auf Sich genommen hat und durch Sein Sterben und Seine Auferstehung das Haupt eines neuen Menschengeschlechts geworden ist. In Juda, der eigentlich die Hauptperson des folgenden Segens darstellt, sehen wir dann auch ein treffendes Bild des Herrn Jesus.

4.3 Juda

„Dich, Juda, dich werden deine Brüder preisen; deine Hand wird sein auf dem Nacken deiner Feinde, vor dir werden sich niederbeugen die Söhne deines Vaters. Juda ist ein junger Löwe; vom Raube, mein Sohn, bist du emporgestiegen. Er duckt sich, er legt sich nieder wie ein Löwe und wie eine Löwin; wer will ihn aufreizen? Nicht weichen wird das Szepter von Juda, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen hinweg, bis Schilo kommt, und ihm werden die Völker gehorchen. Er bindet an den Weinstock sein Eselsfüllen und an die Edelrebe das Junge seiner Eselin; er wäscht im Weine sein Kleid und im Blute der Trauben sein Gewand; die Augen sind trübe von Wein, und weiß die Zähne von Milch“ (1. Mose 49,8-12).

4.3.1 Die erste Einführung des Messias

Wir kommen nun zum ersten Höhepunkt in den Segenssprüchen Jakobs und damit auch zur ersten Vorstellung des Messias. Der Gegensatz zu den vorhergehenden Sprüchen ist außergewöhnlich groß. Nach all den negativen Dingen, die der Erzvater von seinen drei ältesten Söhnen zu sagen hatte, bekommen seine Worte bei Juda einen völlig anderen Ton. Hier hören wir kein Wort der Kritik, sondern ausschließlich nur lobenswerte Dinge. Doch kann dieser Enthusiasmus, womit Jakob über Juda spricht nur richtig verstanden werden, wenn wir in Juda Den sehen, der größer ist als er selbst. Denn obwohl wir aus der Geschichte Josephs ein relativ günstiges Bild von Juda bekommen - er spielte damals bereits eine führende Rolle - , so finden wir doch auch den Bericht von Juda und Tamar in unserer Bibel erwähnt (l. Mose 38). Dieser Bericht macht deutlich, daß Juda selber auch nicht tadellos war. Wenn wir jedoch in Juda ein Bild des Messias sehen, des Fürsten, der aus Juda hervorkommen sollte, dann ändert sich die ganze Sache. Der große Juda ist tatsächlich all unseres Lobes wert.

Die prophetischen Segenssprüche Jakobs enthalten eine Übersicht der ganzen Menschheitsgeschichte. Nach all dem Versagen des ersten Menschen, wie dies in den Sünden Rubens, Simeons und Levis zum Ausdruck gekommen ist, wird unser Auge auf Christus gerichtet. Gott ist in Christus in Gnade dazwischengetreten, als die vollständige Verdorbenheit des natürlichen Menschen - sowohl unter Gesetz, als auch ohne Gesetz - ans Licht gekommen war. Der Messias (der große Juda, der wahre Schilo) wurde jedoch durch Juden und Heiden verworfen, so daß die Geschichte erneut einen Tiefpunkt erreichte, woraus es nur durch die Rettung (das Heil) des HERRN ein Entkommen gab (V. 18). Dies geht bei der Wiederkunft Christi, am Ende der Tage, in Erfüllung.

Das bildet dann den zweiten Höhepunkt, den wir am Ende dieser Sprüche mit Joseph und Benjamin erreichen. Sie weisen bildlich gemeinsam auf Christus in der Herrlichkeit des Friedensreiches hin. Deshalb können wir jetzt auch verstehen, daß Jakob seinen Söhnen Juda und Joseph soviel Andacht widmete. Er ist ein folgsames Instrument in der Hand des Heiligen Geistes, um uns einen Eindruck von der Größe Christi, sowohl bei Seinem ersten Kommen auf die Erde, als auch bei Seiner Wiederkunft, zu geben.

Die Länge des Segensspruches Judas wird lediglich noch durch den Segensspruch Josephs erreicht oder sogar übertroffen (V. 22-26). Beide Sprüche enthalten einen Reichtum an Gedanken. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, daß Juda eine Führungsrolle zugeteilt bekam, die dem Vorrecht des Erstgeborenen entsprach (wegen des Versagens der drei ältesten Söhne Jakobs). Dies ist der Schlüssel zu einem richtigen Verständnis dieser Verse. Joseph jedoch bekam den Reichtum an Gütern, nämlich das doppelte Erbteil, das für den Erstgeborenen bestimmt war (vgl. 5. Mose 21,15-17; 1. Chron. 5,1.2). Dies ist der Grund, weshalb sich Jakob über Juda und Joseph so weit ausbreitet. Der Heilige Geist benutzt dies als Anlaß, um uns ein Bild der Herrlichkeit Christi, als des Erstgeborenen unter vielen Brüdern, ja sogar der ganzen Schöpfung, zu malen (Röm. 8,29; Kol. 1,15).

Im Segen Moses liegt der Schwerpunkt etwas anders. Dort treten nicht Juda und Joseph, sondern Levi und Joseph in den Vordergrund. An Juda widmet Mose nur einen Vers (5. Mose 33,7). Dieser Vers enthält eine Bitte um Wiederherstellung für Juda, um eine Zurückführung aus der Gefangenschaft (worauf u.a. auch 5. Mose 30,1-10 anspielt) und um Kraft im Kampf gegen die Feinde. Das 5. Buch Mose handelt speziell von der Inbesitznahme des verheißenen Landes. Israel stand kurz vor dem Einzug ins Land Kanaan. Darum wird die geistliche Führung der Priester und Leviten, als eine notwendige Voraussetzung, um dem Volk den Besitz des verheißenen Landes garantieren zu können, bei Mose hervorgehoben. Joseph steht hier im Vordergrund als derjenige, der die reichsten Segnungen des Landes zugeteilt bekam. 1. Mose 49 behandelt mehr die prophetische Geschichte der Nachkommenschaft Jakobs und die Offenbarung der Errettung Gottes durch das Kommen des Messias.

4.3.2 Deine Brüder werden dich ehren

Der Segen Judas zerfällt in vier Teile. Zuerst wird uns Juda gezeigt als derjenige, der durch seine Brüder geehrt und von seinen Feinden gefürchtet wird (V. 8). Dies wird dann noch näher illustriert durch das Beispiel der überwindenden Kraft des Löwen, des Königs der Tiere (V. 9). Anschließend wird die bleibende Herrschaft Judas und das Kommen Schilos, des Friedefürsten, dem sich sogar die Völker unterwerfen werden, angekündigt (V. 10). Schließlich wird die zukünftige Wohlfahrt Judas beschrieben und zwar in Worten, die uns wieder an den Messias denken lassen, der bei Seinem Einzug in Jerusalem tatsächlich eine Eselin gebrauchte (V. 11.12; vgl. Sach. 9,9).

Jakob beginnt mit einem Wortspiel anlässlich des Namens Juda. Der Sohn mit dem Namen „Lobpreis“ wird ein Gegenstand des Lobes für seine Brüder: „Dich, Juda, dich werden deine Brüder preisen“. Im Hebräischen ist das persönliche Fürwort „dich“ hervorgehoben. In der Elberfelder Bibel wird dies durch die Umschreibung „Dich, Juda, dich...“ wiedergegeben. Auf diese Weise verstärkte Jakob den Gegensatz zu seinen drei ältesten Söhnen. Endlich konnte er sich an einen Sohn richten, der seine Billigung verdiente.

Juda war derjenige, der das Erstgeburtsrecht erwarb, das Ruben verspielt und auf das Simeon und Levi ebensowenig ein Anrecht hatten. Juda sollte den ersten Platz unter seinen Brüdern einnehmen und sie sollten ihn preisen und sich sogar vor ihm niederbeugen (V.8c). Das letztere finden wir auch in den Träumen Josephs, die sich erfüllten, als seine Brüder nach Ägypten herabkamen und sich vor ihm niederbeugten. Sowohl Juda als auch Joseph ist ein Bild von Christus, der die Seinen aufgrund Seines Erlösungswerkes Seine Brüder nennen kann und ihnen den Vaternamen offenbart (Joh. 20,17). Christus ist der Erste inmitten vieler Brüder und stimmt auch den Lobgesang in ihrer Mitte an (Ps. 22,22; Röm. 8,29; Heb. 2,12). Er ist der wahre Juda, der wahre „Gott-lobende“, und wir dürfen mit Ihm den Vater loben. Wenn wir dies tun, so beugen wir uns gleichzeitig auch nieder vor Ihm, der uns den Vater geoffenbart hat und wir ehren damit den Sohn, wie wir den Vater ehren. Wir preisen Gott und das Lamm, das der Löwe aus dem Stamme Juda ist (V. 9; Offb. 5,5).

Vers 8b gibt vielleicht den Grund an, weshalb die Brüder Judas ihn ehrten. Er ist der triumphierende Held über seine Feinde: „Deine Hand wird sein auf dem Nacken deiner Feinde“. Dies ist nicht das Bild eines Siegers, der seine Füße auf den Nacken seiner gefangenen Feinde setzt (Jos. 10,24; Ps. 110,1), sondern das Bild eines Verfolgers, der seinen flüchtenden Widersacher am Nacken ergreift. In der Geschichte Israels haben sich diese Worte in der Zeit des Königs David, des berühmten Sprosses aus dem Hause Juda, erfüllt (vgl. 2. Sam. 22,41, wo buchstäblich steht, daß seine Feinde ihm den Nacken zukehrten). Saul hatte seine Tausende erschlagen, aber David seine Zehntausende. Darum wurde er geehrt und alle Stämme Israels kamen nach Verlauf einer Zeit zur Anerkennung seines Königtums.

Jakob gebrauchte nicht wie lsaak den Ausdruck „die Söhne deiner Mutter“ (l. Mose 27,29), sondern den Ausdruck „die Söhne deines Vaters“ (l. Mose 49,8c). Darin waren nicht nur die Stämme, die aus Lea hervorkamen, sondern alle Stämme Israels miteinbezogen. Ebenso wie David wegen seinen großen Taten allenthalben durch seine Brüder anerkannt wurde, empfängt jetzt auch Christus von Erlösten die Ihm zustehende Ehre, wegen des Sieges, den Er errungen hat. Satan, Sünde und Tod hat Er am Kreuz von Golgatha besiegt. Er hat den Teufel mit seiner eigenen Waffe geschlagen (vgl. 1. Sam. 17; Heb. 2,14). Darum loben wir Seinen Namen und beugen uns voll Bewunderung vor Ihm nieder. Er ist der Löwe aus dem Stamme Juda, der eine universelle Herrschaft besitzt und darum auch einer universellen Anbetung würdig ist.

Dies bringt uns zu Vers 9, wo sowohl das Bild eines jungen Löwen, als auch das eines erwachsenen Löwen und einer Löwin für Juda gebraucht werden. Der junge Löwe weist hin auf Schnelligkeit und die Ruhe des erwachsenen Tieres zeugt dagegen von der Ehrfurcht, die es einflößt. Nach dem Verschlingen der Beute ist er in sein Versteck im Gebirge emporgestiegen und wer könnte ihm da noch etwas antun? Im Segen Moses wird das Bild des schnellen Löwenjungen für den Stamm Dan gebraucht und das der reißenden Löwin für Gad (5. Mose 33,20-22).

Andere vergleiche mit Tieren finden wir in 1. Mose 49 im Fall von Issaschar (Esel), von Dan (Schlange), von Naphtali (Hindin) und von Benjamin (Wolf). Diese Vergleiche sind völlig frei von irgendwelchen mystischen Bedeutungen. Diese Tiere illustrieren lediglich bestimmte Charaktereigenschaften der Söhne Jakobs. Der Stamm Juda hat anscheinend schon von alters her einen Löwen als Wappensymbol besessen und sogar in unseren westlichen Ländern ist er ein sehr gebräuchliches Wappenbild. Kein anderes Tier bringt so deutlich die besondere, triumphierende Macht zum Ausdruck, über die Juda verfügen würde. In der Rede Bileams kommen ähnliche Ausdrücke im Blick auf das ganze Volk Israel vor (4. Mose 23,24; 24,9).

4.3.3 Bis Schilo kommt

Die lobenden Worte von Vers 8 und 9 wecken Gefühle der Verwunderung und Erwartung. Juda wird durch Freund und Feind anerkannt und er ist das Vorbild von Mut und Kraft. Was gibt es denn jetzt noch mehr über ihn zu sagen? Diese Prophetie erreicht ihren Höhepunkt mit Vers 10, der einer der bekanntesten aber zugleich auch einer der schwierigsten Verse im ganzen Alten Testament ist. Juda würde seine Vorherrschaft bis zum Kommen Schilos beibehalten, der eine noch größere Herrschaft besitzen und sich sogar die Völker unterwürfig machen würde. Nach dieser Ankündigung folgt dann in Vers 11 und 12 die Beschreibung der Segenszeit, die mit dem Kommen Schilos beginnen würde.

Judas Herrschaft würde nicht zeitlich, sondern bleibend sein: „Nicht weichen wird das Szepter von Juda, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen hinweg“ (V. 10a). Jetzt wird keine Bildersprache mehr verwendet, wie in Vers 9, wo wir Juda als einen überwindenden Löwen sahen. Er wird hier direkt als ein östlicher Fürst beschrieben, der seinen langen Stab - das Zeichen seiner würde - zwischen seinen Füßen stehen hat, während er auf seinem Thron gesessen ist. Übrigens ist der Herrscherstab nicht ausschließlich ein Symbol königlicher Würde, sondern er kann auch eine niedrigere Autorität andeuten (4. Mose 21,18; Richt. 5, 14). Einige Übersetzungen geben den Ausdruck „Herrscherstab“ mit „Gesetzgeber“ wieder. Diese Übersetzung ist an sich nicht falsch, doch aufgrund des Zusammenhangs müssen wir hier an einen Gegenstand denken (siehe auch Ps. 60,7).

Juda würde eine Führerrolle haben und somit den Vorrang über die anderen Stämme einnehmen. Bereits während der Wüstenreise nahm er innerhalb der Stämme Israels den ersten Platz ein und so ist es eigentlich stets geblieben. Natürlich kam seine allgemeine Vorherrschaft erst richtig im Königtum Davids zum Ausdruck, doch dieses Königtum blieb nicht bestehen. Zuerst wurde es auf das Zweistämmereich reduziert und nachher bei der babylonischen Gefangenschaft wich es vollständig von Juda. Jedoch seine führende Stellung hat Juda auch nach der Gefangenschaft beibehalten, so daß die übrigen Israeliten, die ins verheißene Land zurückkehrten, sogar als Judäer, oder Juden bezeichnet wurden und in diesem Stamm aufgingen. Jakob prophezeite hier somit nicht ausschließlich über das Königtum, sondern im allgemeineren Sinn über die Führungsrolle, die das bleibende Teil Judas sein würde.

Diese Worte bilden die Vorbereitung zu dem nun folgenden Höhepunkt: „...bis Schilo kommt, und ihm werden die Völker gehorchen“ (V. 10b). Juda würde die Herrschaft behalten, doch beim Kommen Schilos würde sich diese noch weiter ausdehnen und sogar die Völker mit einbeziehen. Der Ausdruck „Schilo“1 hat den Übersetzern etwas Kopfzerbrechen bereitet, weil er allein hier in der Bibel vorkommt. Die Ortsbezeichnung Silo, der wir in den geschichtlichen Büchern regelmäßig begegnen, wird im Hebräischen immer in einer etwas anderen Weise geschrieben. Über die Worte „bis Schilo kommt“ bestehen viele auseinandergehende Übersetzungen, wie dies aus folgender Auswahl ersichtlich wird:

„bis er (nämlich Juda) nach Silo kommt“;

„bis er an einen Ort der Ruhe kommt“;

„bis sie (nämlich die Stämme) nach Silo kommen“;

„bis Ruhe kommt“;

„bis ein Geschenk für ihn kommt“;

„bis er in das seinige kommt“;

„bis er kommt, von welchem es ist“ (nach Hes. 21,32);

„bis sein Sohn kommt“;

„bis der Held kommt“;

„bis der Herrscher kommt“.

Das Wort Schilo wird somit als eine Ortsbezeichnung, eine Sache und ein Personenname aufgefaßt. Doch sind die meisten Übersetzer und Ausleger der Ansicht, daß es sich hier um eine messianische Prophetie handelt. Es gibt zu viele Einwände, sowohl sprachlicher als auch auslegungsmäßiger Art, um Schilo hier als eine Ortsbezeichnung aufzufassen. Der Ausdruck beinhaltet ebenfalls mehr, als nur die Andeutung einer bestimmten Sache oder eines Glückzustandes. Er ist ein Name des Messias, der aus Juda hervorsprossen und der die Herrlichkeit der Herrschaft Judas zu ungeahnten Höhen führen würde.

Es besteht kein Einwand dafür, eine erste Erfüllung dieser Prophetie im Kommen Davids und besonders Salomos zu sehen. Die Worte Schilo und Salomo zeigen auch eine gewisse Ähnlichkeit und sind eine Anspielung auf die Ruhe und den Frieden, der in Israel in den Tagen Salomos herrschte (l. Chron. 22,9). Er festigte die Herrschaft seines Vaters David und regierte über alle Königreiche, vom Nil bis zum Euphrat (l. Kön. 4,21.24). Mit dem Kommen des Friedefürsten aus dem Geschlecht Judas ist der Reichtum dieser Prophetie jedoch noch nicht erschöpft. Salomo war nicht der wahre Schilo, denn seine Herrschaft war nur zeitlich. Es sollte noch ein völlig einzigartiger Herrscher aus Juda hervorkommen (vgl. Jes. 11,1-10; Micha 5,1-3). Ihn würden die Völker suchen und Er würde groß sein bis an die Enden der Erde. Wir kennen diesen Friedefürsten. Es ist Christus, der größer ist als Salomo. Er kam und verkündigte den fernstehenden Völkern Frieden (Eph. 2,13.17), und wir haben uns Seiner Herrschaft unterworfen.

Es ist interessant, daß das hier verwendete Wort für gehorchen („und ihm werden die Völker gehorchen“) auf einen freiwilligen Gehorsam hinweist. Dieses Wort kommt nur noch in Sprüche 30,17 vor, wo es den Gehorsam eines Kindes seiner Mutter gegenüber beschreibt. Unser Gehorsam Christus gegenüber ist ein bereitwilliger Gehorsam, ein Glaubensgehorsam (Röm. 1,5; 16,26). Dieses Wort wird durch andere auch wiedergegeben mit „sich anschließen“, oder „versammeln“ („zu ihm hin werden sich die Völker versammeln“). Christus ist der Mittelpunkt und der Anziehungspunkt für all die Seinen, die zu Ihm hin versammelt werden. Er zieht uns durch den Glauben zu Sich und wir unterwerfen uns bereitwillig Seiner Autorität.

Doch diese messianische Prophetie ist noch weitreichender, wie wir aus den angeführten Stellen aus Jesaja und Micha ersehen können. Sie weist schließlich auf das Friedensreich hin, das bei der Wiederkunft Christi beginnen wird. Christus wird in Majestät erscheinen und die Völker werden Ihm öffentlich dienen und gehorchen. Seine Herrschaft wird sich bis an die Enden der Erde erstrecken (Psalm 72,8; Sach. 9,10) und Er wird der Mittelpunkt des Segens sein, sowohl für Israel, als auch für die Nationen.

4.3.4 Der Segen des Königreiches

In Übereinstimmung damit finden wir in den Schlußversen dieses Abschnittes (V. 11.12) eine Beschreibung des Segens des Friedensreiches und der Herrlichkeit des Friedefürsten. Es wäre falsch, wenn wir diese Verse ausschließlich auf Juda anwenden und in ihnen lediglich eine Vorhersage über die Fruchtbarkeit des Erbteils Judas im Lande Kanaan sehen würden. Neben der geschichtlichen Auslegung ist zugleich eine prophetische und ebenfalls geistliche Anwendung dieser Verse möglich. Der Zusammenhang mit Vers 10 macht deutlich, daß der Messias auch hier die Hauptperson darstellt. „Er bindet an den Weinstock sein Eselsfüllen und an die Edelrebe das Junge seiner Eselin“. Es wird solch einen Überfluss an Weinstöcken geben, daß sie sogar für einen derartigen Zweck gebraucht werden können. Der Einzug Christi in Jerusalem fand auch auf einem Esel statt (Sach. 9,9). Vielleicht wird sich dieses Schauspiel wiederholen, wenn Er erneut zu Seinem Volke kommt und dieses Ihm zurufen wird: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“ (Matth. 21,1-9; 23,39).

Überfluss an Wein ist insbesondere ein Kennzeichen der zukünftigen Heilszeit (Jes. 25,6). Wenn der Fluch vom Erdboden weggenommen sein wird, werden die Berge triefen von Wein und Milch (Joel 3,18; Amos 9,13). Dieser Überfluß wird auch durch die Ausdrucksweise in Vers 11b angedeutet. Der Messias wird sein Kleid in Wein waschen können. Dieser Vers bildet einen bemerkenswerten Gegensatz mit Johannes 2, wo es an Wein mangelte. Wenn jedoch auf das Wort des Herrn gehört wird, wird dieser Mangel in einen Überfluß verwandelt. Der Wein ist ein bekanntes Bild der Freude (Richt. 9,13, Psalm 104,15). Wenn Christus den Platz bekommt, der Ihm zusteht, dann schenkt Er Überfluß an Freude. Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne macht unsere Freude völlig (l. Joh. 1,4). Diesen Segen möchte Er uns heute schon schenken.

Es ist schön, daß Vers 12 mit einer Beschreibung der persönlichen Herrlichkeit Christi endet: „Die Augen sind trübe von Wein, und weiß die Zähne von Milch“. Dieser farbliche Gegensatz erhöht Seine Schönheit, wie wir dies auch in der Beschreibung des Bräutigams im Hohelied 5,10-16 sehen. Christus wird im Friedensreich groß gemacht werden, doch dies geschieht bereits heute im Kreise Seiner Brüder. Der Überfluß an Segnungen, die Er uns gibt, bringt uns zur Anbetung Seiner Person.

4.4 Sebulon

„Sebulon, am Gestade der Meere wird er wohnen, und am Gestade der Schiffe wird er sein, und seine Seite gegen Sidon hin“ (Vers 13).

4.4.1 Die Zerstreuung

Der Segen Sebulons stellt die Ausleger vor verschiedene Fragen, worauf sie im allgemeinen keine abschließenden Antworten geben können und dies aus dem einfachen Grund, weil die prophetische Seite dieses Kapitels nicht beachtet wird. Ein erstes Problem stellt die Reihenfolge dar, in der Sebulon hier vorkommt. Er wird vor Issaschar erwähnt, obwohl er als der sechste Sohn Leas nach ihm geboren wurde (l. Mose 30,20). Zweitens enthält dieser Segen eigentlich nichts anderes als einen Hinweis auf das zukünftige Erbteil Sebulons im verheißenen Land und keine einzige persönliche Bemerkung an ihn selber. Sind diese Worte im positiven oder im negativen Sinn zu verstehen? Drittens bestehen Zweifel an der Erfüllung dieser Prophetie, weil wir aus der Geschichte Israels wissen, daß das Erbteil Sebulons nicht direkt an das Mittelmeer angrenzte - wie dies hier erwähnt wird - , sondern zwischen dem Gebiet Asers und Naphtalis im Norden des Landes lag.

Auf all diese Fragen bekommt man erst eine befriedigende Antwort, wenn man versteht, daß dieses Kapitel eine prophetische Übersicht der ganzen Geschichte des Volkes Gottes darstellt. Nach dem Versagen der drei ersten Söhne Jakobs erreichen wir mit der Prophezeiung über Juda und Schilo einen deutlichen Höhepunkt. Der Inhalt davon war das Kommen des Messias zu Seinem Volk und die Herrschaft, die Ihm gegeben werden sollte. Doch was ist dann geschehen? Der Messias wurde verworfen und Israel unter die Nationen zerstreut. Dies ist nun gerade das Thema, das wir im Segen Sebulons finden.

Es wäre schön gewesen, wenn Jakobs letzte Worte an seine Söhne mit dem Segens Judas beendet worden wären. Es sollte leider nicht so sein und das Kommen des vollständigen Heiles in der Person des Messias wurde bis in die Endzeit verschoben. Der verheißene Segen kommt bestimmt, wie dies aus den letzten Segenssprüchen über Joseph und Benjamin ersichtlich ist. Christus wird wiederkommen und alle Seine Feinde werden zum Schemel Seiner Füße gelegt werden, während Seine Brüder Ihm huldigen werden. Doch vorläufig ist Israel zur Seite gestellt und wohnt es gewissermaßen unter den Nationen.

Dies kommt zum Ausdruck in dem Namen Sebulon ( = Wohnung) und im Bild des weiten Meeres, d.h. des Völkermeeres, das ständig in Aufruhr ist und nie zur Ruhe kommt (Jes. 17,12. 13). Sebulon wohnte am Gestade der Meere und am Gestade der Schiffe. Das Wort „am“ ist richtungsweisend (darum ist darunter auch nicht der eigentliche Grenzverlauf des Erbteils Sebulons zu verstehen). Es ist ein Hinweis auf die Orientierung Sebulons, d.h. sein Verlangen und Streben zum Meer und zur Schiffsfahrt kommt darin zum Ausdruck. Anscheinend trieb er mit den Völkern Handel, was auch durch die letzte Zeile dieses Spruches bestätigt wird: „...und seine Seite gegen Sidon hin“ (V. 13). Sidon steht hier stellvertretend für die Phönizier, das bekannte Handelsvolk aus dem Altertum. Der Prophet Jesaja sprach über die zidonischen2' Kaufleute, die das Meer befuhren (Jes. 23,2).

Dies alles ergibt ein treffendes Bild von der Zeit der Zerstreuung Israels unter den Nationen, den „Zeiten der Nationen“ (Luk. 21,24), die bis zur Wiederkunft Christi andauern werden. Israel wohnte unter den Nationen, war zu den Nationen hin orientiert und betrieb Handel mit ihnen. Im Spruch über Issaschar werden wir sehen, daß dies zur Unterwerfung den Nationen gegenüber führte, indem sie sich zu fronpflichtigen Knechten machen ließen. Noch ernster war die Einführung des Götzendienstes, der aus der Annäherung an die Nationen hervorkam. Wir werden dies bei der Prophetie über Dan sehen. Einen ersten Hinweis dafür haben wir in der Erwähnung des Ortes Sidon, dem Zentrum des Baaldienstes (l. Kön. 16,31). Wenn man wie Sebulon seine Seite nach Sidon hin wendet, dann können die negativen Folgen davon nicht ausbleiben.

4.4.2 Liebe nicht die Welt

Aber auch im Blick auf uns ist es wahr, daß Weltförmigkeit und Götzendienst Hand in Hand gehen. Offenbarung 2 zeigt uns, wie sich die Kirche mit der Welt vermischt hat und anschliessend in Götzendienst verfallen ist. Die Versammlung in Pergamus hatte ihre Wohnung (!) an demselben Ort gefunden, wo auch der Thron Satans stand und in der Versammlung von Thyatira war Jesabel als Prophetin Satans aktiv. Beide Versammlungen tadelte der Herr wegen des Götzendienstes und der Hurerei (d.h. Ehebruch mit der Welt), die in ihrer Mitte betrieben wurden.

Es ist wichtig, daß wir Jesabel hier im Neuen Testament wieder finden. Die Geschichte hat sich wiederholt und die Kirche hat dabei kein besseres Bild abgegeben, als das Volk Israel. Der Baaldienst, der zur Zeit des Königs Ahab in Israel eingeführt und durch Jesabel gefördert wurde (die Propheten des Baal aßen an ihrem Tisch), findet sein Gegenbild in den Praktiken des Papsttums. In der Endzeit wird sowohl die Geschichte der abgefallenen Kirche, als auch des abgefallenen Judentums auf einen schrecklichen Satansdienst hinauslaufen (2. Thess. 2,3.4; 1. Joh. 2,18-22; Offb. 13,17 und 18).

In diese Gefahr laufen wir, wenn wir uns Sidon, d.h. der Welt zukehren. Wenn wir die Welt lieben, dann verlieren wir Christus aus den Augen. Dann schwindet auch das Bewußtsein der Größe Judas und Schilos. Übrigens besteht neben dieser prophetischen und geistlichen Anwendung auch die bereits erwähnte geschichtliche Auslegung in Verbindung mit der Zeit der Könige.

4.4.3 Frohlocke, Sebulon

Nach der Blütezeit der Regierung unter David und Salomo kam das Volk Israel langsam unter dem Einfluß der umliegenden Völker mit all den schlimmen Folgen davon. Daß Jakobs Worte an Sebulon - die tatsächlich nicht mehr als eine Ortsbestimmung seines zukünftigen Erbteils sind - wirklich negativ aufgefaßt werden können, wird aus einem Vergleich mit Richter 5,17 deutlich. Dort wird Dan getadelt, weil er bei den Schafen verweilte und Aser, weil er am Gestade des Meeres blieb und an seinen Buchten ruhte. Im Segen Moses finden wir Sebulon ebenfalls in Verbindung mit den Völkern und dem Meer, jedoch nicht im negativen Sinn: „Und von Sebulon sprach er: Freue dich, Sebulon, deines Auszugs, und du, Issaschar, deiner Zelte! Sie werden Völker zum Berge laden; daselbst werden sie Opfer der Gerechtigkeit opfern; denn sie werden saugen die Fülle der Meere und die verborgenen Schätze des Sandes“ (5. Mose 33,18.19).

Sebulon und Issaschar werden hier in einem Atemzug genannt, ebenso besteht in 1. Mose 49 eine deutliche Verbindung zwischen den Segenssprüchen dieser beiden Stämme. Die Hinwendung zu den Völkern, führt zum Verlust der eigenen Selbständigkeit und anschliessend zur Sklaverei. Doch wie bereits bemerkt, spricht Mose nicht in tadelndem Sinn über Sebulons Hinwendung zu den Völkern, wodurch auch seine Geschichte noch in erfreulicher Weise endet. In den letzten Tagen wird in der Geschichte Israels ein Wendepunkt zum Guten hin stattfinden, wodurch es zum Mittelpunkt des Segens für die ganze Erde werden wird. 

Dann wird keine Rede mehr sein von Angleichung und Unterwerfung den Völkern gegenüber, sondern die Völker werden sich nach dem Gesetz richten, das von Zion ausgehen wird. In Übereinstimmung mit der Prophetie Jesajas (Jes. 2,1-5) werden die Völker im Friedensreich zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs hinaufziehen. Über diese zukünftige Heilszeit spricht Mose in seinem Segen über Sebulon und Issaschar. Sie werden die Völker auffordern mit Geschenken nach Jerusalem zu kommen, wo sie dann gemeinsam ihre Schätze dem Friedefürsten anbieten werden.

Es ist auch bemerkenswert, daß das Erbteil Sebulons zum Gebiet von Galiläa gehörte, das von Jesaja der Kreis der Nationen genannt wurde. Gerade in diesem abgelegenen und verschmähten Teil des Landes sollte der Messias einst wohnen und Sein Werk beginnen: „Land Sebulon ... Galiläa (Kreis) der Nationen: das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Lande und Schatten des Todes saßen, Licht ist ihnen aufgegangen“ (Jes. 9,1.2; Matth. 4,15.16).

Es war ein Teil des Planes der Gnade Gottes, daß Christus zum Licht der Nationen gesetzt werden sollte (vgl. Jes. 49,6). Das Heil, das in Ihm zu uns gekommen ist und unsere finsteren Herzen erleuchtet hat, ist die Garantie für die Nationen, um diesen Segen bald im zukünftigen Friedensreich zu genießen. Dann wird Christus als die Sonne der Gerechtigkeit erscheinen und die Nationen werden sich zusammen mit Israel unter Seine segensreiche Herrschaft stellen. Wir finden den Stamm Sebulon in der Schrift somit stets in Verbindung mit den Nationen, sowohl im negativen, als schließlich auch im positiven Sinn.

4.5 Issaschar

„Issaschar ist ein knochiger Esel, der sich lagert zwischen den Hürden. Und er sieht, daß die Ruhe gut ist, und daß das Land lieblich ist; und er beugt seine Schulter zum Lasttragen und wird zum fronpflichtigen Knecht“ (1. Mose 14 - 15).

4.5.1 Der Welt dienen

Issaschar kann am Besten charakterisiert werden als jemand, der seine Ruhe und seinen Vorteil sucht. Er erwirbt Ruhe und Reichtum, doch muß er dafür einen Preis bezahlen. Dieser Preis ist seine eigene Freiheit, denn er erlangt seine Wohlfahrt durch den Dienst an Fremden. Das Bild eines Lasttieres, das dazu bestimmt ist, Lasten für andere zu tragen, ist außerordentlich treffend, um dies zu illustrieren. Issaschar wird hier mit einem knochigen Esel verglichen. Er ruht aus zwischen den Hürden (V. 14b). Dieses letzte Wort bereitet noch etwas Schwierigkeiten, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß es verschieden übersetzt worden ist, unter anderem durch „Päcke“, „Landesgrenze“, „Bretterzaun“ und „Schafstall“. Es kommt allein hier und in Richter 5,16 in demselben Sinn und Zusammenhang vor.

Es scheint auf eine Umzäunung für das Vieh hinzuweisen. Ebenso wie ein Esel einen geeigneten Platz sucht, um auszuruhen, so hatte der Stamm Issaschar einen günstig gelegenen Ruheplatz im Land Kanaan gefunden. Die Ebene von Jisreel gehörte zu seinem Stammesgebiet und eine wichtige Handelsverbindung der Phönizier nach dem Süden verlief durch dieses Gebiet. Issaschar befand sich somit in einer schwierigen Lage, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Er hatte an dieser Handelstätigkeit im Dienste der Völker teilgenommen. Der Ruheplatz, den er gefunden hatte war gut und das Land war lieblich (V. 15a), aber dazu beugte er seine Schulter zum Lasttragen (V. 15b). Der Ausdruck „fronpflichtiger Knecht“ beinhaltet auch, daß er Zwangsarbeit verrichten mußte (Jos. 16,10; 1. Kön. 9,21).

Die Situation, worin Issaschar sich befand, war im völligen Gegensatz zu den Gedanken Gottes über Sein auserwähltes Volk. Israel war gerade dazu berufen, sich die Völker zu unterwerfen. Gemäß 5. Mose 28,1.13 sollte es über alle Völker der Erde erhaben sein, indem es zum Haupte und nicht zum Schwanze gemacht werden sollte. Doch diese Verheißung war vom Gehorsam Israels den Geboten Gottes gegenüber abhängig und falls es dem HERRN ungehorsam sein würde, sollte die Rolle vertauscht werden. Dann würde der Fluch sie treffen und sie würden den Völkern dienen müssen. Die Fronarbeit war somit eine Schande für Issaschar und sie bedeutete eine völlige Verdrehung der normalen Beziehungen zwischen Israel und den Völkern (siehe auch Richt. 1).

Wenn über diesen Punkt einmal Klarheit herrscht, wird es uns nicht schwer fallen, auch die prophetische und geistliche Bedeutung dieses Spruches zu begreifen. Issaschar stellt Israel in der Phase seiner Geschichte dar, in der es den Völkern unterworfen und tatsächlich ein fronpflichtiger Knecht war. Israels Hinwendung zu den Völkern, wie wir dies bei Sebulon bereits sahen, führte unmittelbar zu ihrer Abhängigkeit von den Völkern. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb wir hier die Reihenfolge Sebulon – Issaschar vorfinden und zwar im Gegensatz zur normalen Aufzählung, die in Übereinstimmung mit der Geburtsfolge ist (vgl. 1. Mose 30; 2. Mose 1; 4. Mose 1 und 2; Hes. 48; Offb. 7). 

Geschichtlich gesehen fand diese Unterwerfung Israels von seiten der Völker nach der Blütezeit der Regierung Davids und Salomos statt. Doch nach dem Kommen und der Verwerfung Christi, des wahren Schilos, hat sich dieses Phänomen wiederholt. Israel wurde unter die Nationen zerstreut und ist ein wichtiges Handelsvolk geworden und zwar meistens im Dienst fremder Herrscher. Es ist interessant, daß wir in der Bedeutung des Namens Issaschar ( = Lohn) ebenfalls eine Anspielung hierauf finden können. Israel ist in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Nationen gekommen.

Die geistliche Belehrung für uns liegt auf der Hand. Wenn wir uns mit der Welt einlassen und vergessen, daß wir Fremdlinge sind, kommen wir unmittelbar in den Bereich der Welt, die dann über uns zu herrschen beginnt. Die prophetische Geschichte der Versammlung in Offenbarung 2 und 3 bestätigt dies. Pergamus hatte sich in einer götzendienerischen Welt häuslich niedergelassen - ebenso wie Sebulon sich zu dem götzendienerischen Sidon hinwandte - und kam damit in Gefahr von ihr beherrscht zu werden. Die Folge wird dann sein, daß man dem Irrtum Balaams verfällt und für Lohn mit der Welt Freundschaft schließt (Offb. 2,14; 2. Petr. 2,15; Jud. 11). Der Judasbrief zeigt uns, daß dieser Weg des Verfalls auf den öffentlichen Abfall und Aufstand gegen Gott hinausläuft. Im Segen Jakobs erreichen wir diese Endphase mit dem Stamm Dan, in dem die Macht der Schlange völlig geoffenbart wird.

4.5.2 Wahrer christlicher Dienst

Doch diese ernsten Dinge sind nicht nur allgemein auf die Geschichte des Volkes Gottes anzuwenden. Gott spricht dadurch auch zu uns persönlich. Wie viele Diener Gottes dienen in Wirklichkeit nicht der Welt? Paulus jedoch wollte kein Sklave der Menschen sein, sondern bemühte sich ausschließlich Gott zu gefallen (Gal. 1,10). Issaschar war ein Werkzeug im Dienst anderer. Wie steht dies bei uns? Sind wir wirklich Instrumente in der Hand des Herrn, oder lassen wir uns durch andere leiten, oder sind es rein menschliche Erwägungen, die uns in unserem Dienst bestimmen? In 1. Mose 49 können wir zwei Gegensätze erkennen. Einerseits finden wir in Vers 14 in Verbindung mit Issaschar den Esel als Lasttier und andererseits in Vers 11 einen Esel, der Schilo zur Verfügung steht. 

Ebenso sollen wir Werkzeuge sein, die ausschließlich für den Meister bestimmt sind (vgl. Luk. 19,30.31). In Vers 21 sehen wir in der losgelassenen Hindin den zweiten Gegensatz. Dies redet von der Freiheit nach der Gefangenschaft. Wenn Gott mit Seinem Heil erscheint, dann verwandelt sich die Sklaverei Issaschars in die Freiheit Naphtalis. In der Freiheit stehen zu dürfen, womit Christus uns freigemacht hat, bedeutet ein großer Segen. Dann sind wir keine Sklaven von Fremden, sondern wir dienen Ihm allein. Dann gehören wir zu den Überwindern in Offenbarung 2 und 3, die ihren Lohn nicht von der Welt, sondern von Christus erwarten. Darin allein besteht die Kraft des Glaubens, der über die Welt triumphiert (l. Joh. 5,4). Issaschar war wohl ein starker Esel, aber natürliche Kraft ist wertlos (2. Mose 13,13). Laßt uns dies nicht vergessen und allein das Joch Christi auf uns nehmen.

4.6 Dan

„Dan wird sein Volk richten, wie einer der Stämme Israels. Dan wird eine Schlange sein am Wege, eine Hornotter am Pfade, die da beißt in die Fersen des Rosses, und rücklings fällt sein Reiter. Auf deine Rettung harre ich, Jehova!“ (1. Mose 16 - 18).

4.6.1 Dan wird sein Volk richten

Jakob beginnt diesen Segensspruch mit einem Wortspiel im Hinblick auf den Namen Dan (ebenso wie bei Juda in V. 8). Dan ( = Richter) wird sein Volk richten, wie einer der Stämme Israels (V. 16). Er war der erste Sohn Bilhas, der Magd Rahels. Seine Geburt war für Rahel der Beweis, daß Gott ihr endlich Recht verschafft hatte in ihrem Kampf mit Lea. „Da sprach Rahel: Gott hat mir Recht verschafft und auch auf meine Stimme gehört und mir einen Sohn gegeben! Darum gab sie ihm den Namen Dan“ (l. Mose 30,6). Nach den letzten Worten Jakobs zu schließen, würde die Bedeutung dieses Namens auch im Betragen Dans zum Ausdruck kommen. Er würde seinem Volk Recht verschaffen, wie einer der anderen Stämme.

Im allgemeinen faßt man diese Worte in dem Sinn auf, daß Dan den übrigen Söhnen Jakobs in nichts nachstehen würde, obwohl er nur der Sohn einer Sklavin war. Ebenso wie die anderen Stämme würde auch Dan in der Lage sein für sein Volk, beziehungsweise sein Geschlecht eine gewisse Selbständigkeit zu erwerben. Aus den Büchern Josua und Richter wissen wir jedoch, daß dies lange dauerte und daß Dan seinem Volk auch nicht immer mit ganz makellosen Mitteln Recht verschafft hatte. Darauf spielt Jakob wahrscheinlich in Vers 17 an, wenn er Dan mit einer gefährlichen Schlange vergleicht, die ihren Widersacher durch einen unerwarteten Überfall besiegt. Das ursprünglich dem Stamm Dan zugewiesene Erbteil im Süden des Landes Kanaan, schien u.a. durch den Widerstand der Amoriter zu klein zu sein. Darum zogen die Daniter in den äußersten Norden und überfielen die scheinbar harmlosen Bewohner der Stadt Lais oder Leschem, der sie dann den Namen Dan gaben (Jos. 19,40-48; Richt. 1,34; 18,1-34). Diese Stadt war am nördlichsten Punkt der Grenze Israels, so daß die Bezeichnung „von Dan bis Beerseba“ (im äußersten Süden) der Inbegriff für ganz Israel wurde.

Viele Ausleger denken bei den Worten aus Vers 16 und 17 auch an das Auftreten des bekannten Richters Simson aus dem Stamm Dan, der die Übermacht der Philister ganz allein zu besiegen vermochte - ebenso wie eine giftige Otter sogar einen Reiter zu Fall bringen kann. Die hier erwähnte Hornotter ist eine kleine sandfarbige Schlange, die ihren Namen zwei kleinen Schuppen oberhalb der Augen verdankt. Wegen seiner Farbe ist das Tier sehr unauffällig und es kann deshalb jemandem völlig unerwartet eine tödliche Wunde versetzen.

4.6.2 Dan wird eine Schlange sein

Die prophetische Erklärung dieser Verse kann hieraus abgeleitet werden. In den vorhergehenden Sprüchen sahen wir, daß Israel unter die Nationen zerstreut werden (Sebulon) und in eine völlige Abhängigkeit ihnen gegenüber geraten würde (Issaschar). In der Zukunft wird jedoch ein Führer auftreten, der das Volk wieder zu Ansehen und einem gewissen Maß an Selbständigkeit bringen wird. Um dies zu erreichen, wird er sich einer sehr heimtückischen Taktik bedienen. Dieser zukünftige König der Juden wird nämlich durch den Satan selbst, „die alte Schlange ... die den ganzen Erdkreis verführt“ (Offb. 12,9), inspiriert sein.

In ihm finden die Worte aus Römer 3,13 ihre buchstäbliche Erfüllung: „Otterngift ist unter ihren Lippen“. Er wird sich als der Messias darstellen, aber er ist ein falscher Christus. Er sieht zwar aus wie ein Lamm, aber er spricht wie der Drache und wird die große Masse des jüdischen Volkes zum Götzendienst verführen. Dies wird zur Hälfte der letzten Jahrwoche Daniels geschehen. Der Antichrist wird im wiedererbauten Tempel in Jerusalem einen Götzenkult einführen, in dem sowohl er, als auch das Bild des Hauptes des wiederhergestellten römischen Reiches angebetet werden sollen. Er ist der törichte Hirte, über den Sacharja prophezeite, der sein Volk ins Verderben stürzen wird, weil er es mit Hilfe der bösen Mächte, womit er sich verbunden hat, regieren („richten“) wird (Jes. 28,15; Dan. 9,27; 11,36-39; Sach. 11,15-17; Matth. 24,15; 2. Thess. 2,3.4; Offb. 13,11-18).

Deshalb ist das Ross und sein Reiter, worüber Jakob in Vers 17 spricht, in dieser prophetischen Auslegung kein Bild von den Feinden Israels, sondern von Israel selbst. In 2. Mose 15,1.21 symbolisieren das Ross und sein Reiter die Macht des Pharao. In Jesaja 63,13 wird das Bild eines Rosses jedoch auch für Israel gebraucht. Somit dürfen wir in den Worten Jakobs bestimmt auch einen prophetischen Hinweis auf das heimtückische Verhalten des Antichristen sehen, der sein eigenes Volk zu Fall bringen und völlig machtlos machen wird.

Es ist auch nicht richtig, die Prophetie Jakobs lediglich als einen Wunsch aufzufassen, wie dies einige Übersetzungen getan haben („Möge Dan eine Schlange sein am Wege...“ usw.). Es ist nur eine Beschreibung dessen, was Dan tun wird, geschichtlich im Blick auf seine Feinde und prophetisch im Blick auf sein eigenes Volk. Zudem, wie ist die Verbindung mit Vers 18 zu sehen, wenn Vers 17 als ein Wunsch wiedergegeben und damit ausschließlich als etwas Günstiges betrachtet wird? Dann besteht doch keine Ursache mehr, um für die Offenbarung der Rettung Gottes zu bitten! Doch kann es etwas ungünstigeres und heilloseres geben, als das Auftreten des Antichristen? Die Wirksamkeit des Bösen und die völlige Kraftlosigkeit Israels in den letzten Tagen vor der Wiederkunft Christi geben unverkennbar zu einem Rettungsruf Anlaß. Israels Hilfe muß von oben kommen und Jakob spricht hier die Gedanken und Gefühle des gläubigen Überrestes jener Tage aus.

Es besteht auch eine sehr alte Tradition, die in diesen Versen eine Anspielung auf das Auftreten des Antichristen sieht und daraus die Schlußfolgerung zieht, daß dieser Antichrist aus dem Stamm Dan hervorkommen wird. In diesem Zusammenhang verweist man meistens auf das Fehlen des Stammes Dan in der Aufzählung der Versiegelten aus Israel in Offenbarung 7. Zudem finden wir Dan in der Schrift oft in Verbindung mit Abfall und Götzendienst. In 3. Mose 24 spricht ein Daniter die erste Gotteslästerung aus. In Richter 18 führen die Daniter an ihrem neuen Wohnort im Norden den Götzendienst in Israel ein. In 1. Kön. 12 errichtet Jerobeam den Kälberdienst in Dan. Schließlich kann man auch noch eine gewisse Übereinstimmung feststellen in der Handlungsweise der Schlange in Vers 26 und der Schlange in 1. Mose 3,15, der Satan, der die Ferse des Samens der Frau zermalmen würde. Die Tätigkeit Satans ist immer gegen den Messias und Sein Volk gerichtet. So war es in der Vergangenheit und so wird es auch in der Zukunft wieder sein. Im Auftreten des Antichristen wird seine Macht völlig ans Licht kommen.

4.6.3 Die Rettung des HERRN

Doch wenn wir an diesem Tiefpunkt der Geschichte Israels angelangt sind, ist die Zeit reif für die Offenbarung der Rettung des Herrn (V. 18). Wenn die Verdorbenheit des gefallenen Menschen und die Macht des Bösen in der Person des Antichristen, des Menschen der Sünde, völlig offenbar werden, dann wird es nur noch bei Gott Rettung geben. Er wird dies tun, indem Er Sein Heil offenbart, dieses Heil, wovon Er die Quelle ist und das Er für alle, die Ihn erwarten, bereitet hat. Dies ist übrigens immer die herrliche Antwort auf unsere Not. Wenn wir nur noch sagen können, wie völlig hoffnungslos wir sind, kommt Gott mit Seinem Heil. Jakob hatte auf diese Rettung gewartet und darum gebetet: „Auf deine Rettung harre ich, Jehova!“ (V. 18).

Dies sind prophetische Worte, die bald auch vom Überrest in der notvollen Situation der großen Drangsal ausgesprochen werden (Ps. 3,9; 38, 16; 39,8; 119,166). Am Ufer des Roten Meeres hatte Israel bereits einmal mit der Rettung des HERRN Bekanntschaft gemacht (2. Mose 14,13). Ebenso wird es auch in der Zukunft von all seinen Feinden erlöst werden und in den Besitz seines Erbteils gelangen. Der HERR wird erneut für sie streiten und sie sollen still sein. Ebenso wie Jona werden sie festen Boden unter die Füße bekommen, sobald sie erkannt haben, daß allein beim HERRN Rettung zu finden ist (Jona 2,10.11). Mit der Wiederkunft des Heilandes wird ihnen dieses Heil geschenkt werden und auch das innerliche Heil der Sündenvergebung (Jes. 53,5-12; Sach. 12,10-13,1). Die Macht des Antichristen und des Hauptes des wiederhergestellten römischen Reiches wird gebrochen und der Satan gebunden werden (2. Thess. 2,8; Offb. 19,20; 20,2). Dann wird auch die Schöpfung von der Sklaverei der Vergänglichkeit erlöst werden und Christus wird Seine segensreiche Regierung aufrichten.

Zweifellos ist es gut, „daß man still warte auf die Rettung Jehovas“ (Klag. 3,26). Dies gilt auch für uns. Wir haben diese Rettung bereits als Folge des ersten Kommens Christi kennen lernen dürfen und wir sehen sie in Seinem Kreuz und Seiner Auferstehung. Christus starb für unsere Sünden und Seine Auferstehung ist das göttliche Siegel, das uns Heilsgewißheit schenkt. Doch die endgültige Errettung empfangen wir erst bei Seiner Wiederkunft. Obwohl wir durch den Glauben bereits errettet sind, erwarten wir Ihn doch auch als Heiland aus dem Himmel, damit Er auch unseren Leib erlöst und uns dahin bringt, wo Sünde und Schwachheit uns nicht mehr anhaften werden (Eph. 2,8; Phil. 3,20.21).

Diese Gedanken haben ihre Gültigkeit bestimmt auch für die ganze Versammlung in ihrem Charakter als Zeugnis Gottes auf der Erde. Die Versammlung hat im Blick auf dieses Zeugnis ernsthaft versagt. Denken wir nur an die prophetische Geschichte der Kirche in Offenbarung 2 und 3. Ebenso wie der Stamm Dan in der Geschichte Israels mit der Einführung des Götzendienstes verbunden war, ist dies auch der Fall mit Pergamus und Thyatira in der Geschichte der Kirche gewesen (Offb. 2,14.20). Den Tiefpunkt, den wir nun in 1. Mose 49 mit Dan erreicht haben, findet sein Gegenstück in der abgefallenen Kirche, die im letzen Bibelbuch in ihrer endgültigen Form als das große Babylon beschrieben wird (Offb. 17 und 18). 

Babel ist nach der Schrift die Wiege des Götzendienstes (l. Mose 11,1-9; Jos. 24,2; Sach. 5,5-11). Während die Namenchristenheit ihrem Gericht entgegengeht, gibt es jedoch einen Überrest, der an all dem, was der Versammlung ursprünglich anvertraut wurde, festhält und der das Zeugnis davon bis zum Kommen Christi bewahrt. Wir sehen diesen Überrest in Offenbarung 2 und 3 in denen, die am allgemeinen Verderben nicht teilhaben und darum als Überwinder angesprochen werden. Ebenso wie Jakob harren sie auf die Rettung des Herrn. Christus wird bei Seiner Wiederkunft Rettung bringen und die wahre Versammlung in Seine Herrlichkeit einführen.

Schließlich kann noch eine praktische Anwendung in Verbindung mit unserem persönlichen Glaubensleben gemacht werden. Inmitten des Verfalls dürfen wir mit Gottes Hilfe und Errettung rechnen, so daß wir unseren Weg als Überwinder gehen können, indem wir das Wort Gottes bewahren und den Namen Christi nicht verleugnen. So können wir bereits jetzt Seine erlösende Hand erfahren, die mit uns sein will, während wir im Glauben nach dem endgültigen Heil ausschauen, das uns erwartet.

Ebenfalls kann auch eine Parallele zwischen dem Gebet Jakobs um Errettung und dem Gebet in Römer 7,24 um Erlösung aus der Macht der Sünde und des Todes gezogen werden. Wie die Worte Jakobs in 1. Mose 49 den Wendepunkt bilden, ebenso ist das kurze Gebet am Ende von Römer 7 der Wendepunkt im Kampf des Christen mit der Macht der Sünde, die in ihm wohnt. Und wie wir in den nun folgenden Söhnen Jakobs (Gad, Aser und Naphtali) den Segen vorgebildet finden, der das Teil der Überwinder ist, ebenso finden wir in Römer 8 das Überwinderleben des Christen in der Kraft des Geistes Gottes dargestellt. Darin erkennen wir die praktische Auswirkung der Rettung Gottes und der Erlösung, die wir durch unseren Herrn Jesus Christus besitzen.

Beenden wir unsere Betrachtung über den Stamm Dan mit einigen positiven Bemerkungen. Im Segen Moses lesen wir folgendes über Dan: „Und von Dan sprach er: Dan ist ein junger Löwe, der hervorspringt aus Basan“ (5. Mose 33,22). Wenn es sich um den endgültigen Besitz des Erbteils gemäß den Ratschlüssen Gottes im verheißenen Land handelt, dann bleibt für Dan auch ein Segen aufbewahrt. Hier wird nichts negatives von ihm erwähnt. Im Gegenteil, als ein starker, junger Löwe nimmt er sein Erbteil in Besitz.

So sehen wir in Hesekiel 48 bei der Verteilung des Landes am Anfang des Friedensreiches, daß Dan nicht fehlt und sogar als erster Stamm sein Erbteil im Norden Israels zugeteilt bekommt. Gottes Gnade wird über die Bosheit des Menschen triumphieren und ebenso über die Macht Satans, die in der Geschichte dieses Stammes in einmaliger Weise wirksam gewesen ist und in prophetischer Hinsicht nach der Entrückung der Versammlung noch zu seiner vollen Entfaltung kommen wird.

4.7 Gad

„Gad, Scharen werden ihn drängen, und er, er wird ihnen nachdrängen auf der Ferse“ (1. Mose 49,19).

4.7.1 Durch Kampf zum Sieg

Auf Dan folgt nun nicht dessen Bruder Naphtali, der zweite Sohn Bilhas, sondern Gad, der erste Sohn Silpas, der Magd Leas (vgl. 1. Mose 30,7-11). Zweifellos steht diese Reihenfolge wieder in Verbindung mit dem großen Plan, der 1. Mose 49 zugrunde liegt. Die Kämpfe, die bei Dan und Gad erwähnt werden, gehen dem Reichtum an Segnungen, die uns in Aser und Naphtali vorgestellt werden, voraus. Dieser Segensspruch enthält verschiedene Anspielungen auf die Bedeutung des Namens Gad ( = Bande, Schar, Glück). 

Anders als in 1. Mose 30,11, wo eine deutliche Verbindung zum Ausdruck „Glück“ festzustellen ist, wird der Name hier mit dem Wort „Schar“ und gleichzeitig mit dem zweimal vorkommenden Tätigkeitswort „drängen“ bzw. „nachdrängen“ verbunden. Siehe auch Stellen wie 1. Sam. 30,8.15.23; 1. Kön. 11,24; 2. Kön. 5,2 und Hab. 3,16. Die feindlichen Scharen, die Gad bedrängen würden, sollten ihm schließlich doch unterliegen und dann von ihm verfolgt werden. Gad würde seinen Feinden auf den Fersen sein, d.h. er würde sie verfolgen, angreifen und vertreiben.

In geschichtlicher Hinsicht ist es nicht schwierig die Bedeutung dieses Spruches zu verstehen. Gads Erbteil war auf der Ostseite des Jordans. Deshalb war er ständig den Angriffen aus dem Osten und dem Süden durch arabische Wüstenvölker und insbesondere durch die Ammoniter, ausgesetzt. Die Gaditer bewiesen jedoch ihre kriegerischen Fähigkeiten und besiegten diese feindlichen „Scharen“ wiederholt. Jephtha besiegte die vorstoßenden Ammoniter (Richt. 11). Zusammen mit den beiden anderen Stämmen auf der östlichen Jordanseite besiegten die Gaditer die Hageriter (1.Chron. 5,10. 18-22). 

Auch wird die Tapferkeit der Gaditer, die sich auf die Seite Davids stellten, als dieser noch auf der Flucht vor Saul war, ausführlich gelobt (l. Chron. 12,8-15). Ihre Angesichter waren wie Löwen-Angesichter und sie waren den Gazellen auf den Bergen gleich an Schnelle. Es ist deutlich zu erkennen, daß der Segen Jakobs auch viele Gemeinsamkeiten mit demjenigen Moses aufweist. Mose rühmt ebenso die Tapferkeit Gads, weil er nicht nur sein eigenes Erbteil auf der östlichen Jordanseite eroberte, sondern auch an der Eroberung Kanaans teilgenommen hatte (5. Mose 33,20.21).

In prophetischer Hinsicht symbolisiert Gad die Tapferkeit des Überrestes aus Israel bei der Wiederkunft Christi und der Errichtung des Friedensreiches. Ebenso wie ehemals David wird auch der Messias Seine Helden gebrauchen, um Seine Feinde zu besiegen und Sein Königreich aufzurichten (Jes. 11,14; Micha 4,13; 5,7.8; Sach. 12,6). Diese Phase der Offenbarung der Rettung Gottes folgt dem Gericht, das Christus bei Seiner Wiederkunft persönlich am Tier und am falschen Propheten und ihren Kriegsheeren vollstrecken wird (Offb. 19,11-21). Das letztere sahen wir bereits bei der Prophetie über Dan, die über das Auftreten des Antichristen und die gläubige Erwartung des Überrestes spricht. Es ist somit verständlich, wenn wir jetzt bei der Prophetie über Gad einen Schritt weiter gehen und sehen, wie der Herr Sein Volk auch durch Kampf zum Sieg über die umliegenden Völker führen wird.

4.7.2 Gott gibt uns den Sieg

Diesen Grundsatz können wir im übertragenen Sinn auch auf uns anwenden. Wir haben bereits auf die Überwinder, die in Offenbarung 2 und 3 angesprochen werden, angespielt. Inmitten der Kämpfe, die die Folge des Versagens der Versammlung in ihrer Verantwortlichkeit sind, dürfen wir erfahren, wie der Herr uns durch Kampf zum Sieg führt. So gehen wir von Kraft zu Kraft und erfahren dabei Seine Hilfe und Rettung im Kampf gegen die uns bedrohenden Feinde.

 Denken wir nur an Gefahren, wie z.B. das Verlassen der ersten Liebe (Ephesus), Drangsal und Lästerung (Smyrna), Vermischung mit der Welt (Pergamus), falsche Prophetie (Thyatira), Formalismus (Sardes), Judaismus (Philadelphia) und geistliche Lauheit (Laodicäa). Vor diesen Gefahren können wir allein in der Kraft des Herrn standhalten, indem wir uns auf Sein Wort stützen. „Wer ein Ohr hat, höre was der Geist den Versammlungen sagt“ (Offb. 2,7. 11.17.29; 3,6.13.22).

Derselbe Grundsatz hat auch Gültigkeit in praktischer Hinsicht im Kampf mit der innewohnenden Sünde, wie dies in Römer 7 beschrieben wird. Der Ruf um Errettung und Erlösung („Ich elender Mensch! wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“) wird beantwortet, indem das Auge des Glaubens auf das gerichtet wird, was Gott in Christus getan hat („Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn!“). Gott hat Seine Errettung nämlich durch das Werk Christi geoffenbart. Weil nicht allein unsere Sünden gesühnt sind, sondern auch unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt worden ist, sind wir rechtmäßig vom Gesetz der Sünde und des Todes freigemacht. 

In der Kraft des Heiligen Geistes können wir nun ein Überwinderleben führen, während wir gleichzeitig nach dem vollen Heil ausschauen, das uns bei der Wiederkunft Christi geschenkt werden wird. Dies bildet dann auch das Thema von Römer 8. Zudem sehen wir hier, daß Gott Seine Erlösten sogar zu mehr als Überwindern macht, wenn es sich um die Gefahren handelt, die uns von außen bedrohen können, solange Satan der Fürst dieser Welt ist (Röm. 8,35-37).

Die Prophezeiung über Gad zeigt uns somit, daß Überwindung nach Kampf die Folge der Rettung des Herrn ist. Dies gilt sowohl im prophetischen Sinn für Israel, als auch in geistlicher und praktischer Hinsicht für uns. Der Herr möchte uns in unserem irdischen Kampf zu Überwindern machen, unabhängig davon welcherlei Art dieser Kampf auch sein mag. In den nun folgenden Prophezeiungen werden wir die weiteren Auswirkungen der Rettung des Herrn sehen (Aser und Naphtali), während der Höhepunkt von dem allem ist, daß unsere Augen auf die Herrlichkeit Christi selbst gerichtet werden (Joseph und Benjamin).

4.8 Aser

„Von Aser kommt Fettes, sein Brot; und er, königliche Leckerbissen wird er geben“ (1. Mose 49,20).

4.8.1 Speisen in Überfluß

Bei der Geburt Asers ( = Glückselig) sprach Lea die folgenden Worte: „Zu meiner Glückseligkeit! denn glückselig preisen mich die Töchter. Und sie gab ihm den Namen Aser“ (l. Mose 30,13).

Hinsichtlich Asers stimmt der Segen Jakobs mit demjenigen Moses völlig überein, denn beide Prophezeiungen beschreiben Aser als ein richtiges Glückskind. Aser erhielt ein sehr fruchtbares Erbteil im Lande Kanaan, den Küstenstreifen vom Karmel bis Zidon (Jos. 19,24-31). Dieses Gebiet lieferte fette Speisen, u.a. Weizen und Öl, sowohl für den Stamm selbst, als auch für die angrenzenden Phönizier. Wahrscheinlich belieferte der König Salomo seinen Freund Hiram, den König von Tyrus mit Weizen und Olivenöl aus dem Gebiet Asers (l. Kön.5,11). Dies war als Gegenleistung für all das Holz gedacht, das Hiram Salomo für den Bau des Tempels lieferte. Vielleicht verweist der zweite Teil des Segens Jakobs auf diese Lieferungen an den Hof Hirams (vgl. auch Hes. 27,17).

Im Segen Moses wird der Überfluss an Olivenöl aus dem Gebiet Asers mit folgender bildhafter Sprache wiedergegeben: „Gesegnet an Söhnen sei Aser; er sei wohlgefällig seinen Brüdern, und er tauche in Öl seinen Fuß!“ (5. Mose 33,24).

Prophetisch verweist dieser Segensspruch auf den Reichtum und die Wohlfahrt Israels im kommenden Friedensreich, nachdem die großen Kriege der letzten Tage zu einem guten Ende gekommen sind (vgl. das vorhergehende Kapitel). Es wird ein Überfluß an Getreide im Land vorhanden sein (Psalm 72,16; 85,12). Der Himmel wird die Erde erhören, und die Erde wird das Korn, den Most und das Öl erhören, und sie werden Jisreel erhören (Hos. 2,20.21). Die Tennen werden voll Getreide sein und die Kufen überfließen von Most und Öl. Die Berge werden von Most triefen und die Hügel von Milch fließen (Joel 2,19.24; 3,18). 

Der Pflüger wird sich dem Schnitter anschließen und der Traubentreter wird bis an den Sämann reichen (Amos 9,11-15). Das wiederhergestellte Israel wird tatsächlich fette Speisen essen, wenn der HERR ihr Los geändert haben wird. Zugleich wird es im Königreich Leckerbissen geben, die auch für die Bedürfnisse anderer sorgen. Der Segen wird in und durch Israel über die ganze Erde ausströmen und die Völker werden im Lichte des HERRN wandeln. Sie werden dann teilnehmen am Mahl von Fettspeisen, das bereitet werden wird (Jes. 25,6).

Die geistliche Anwendung kann wieder daraus abgeleitet werden. Wir sehen hier ein Bild des Reichtums und Überflusses, den die Überwinder erhalten, wenn sie den Kampf siegreich bestanden haben. Man beachte in diesem Zusammenhang die verschiedenen Segensverheißungen, die den Überwindern in Offenbarung 2 und 3 gegeben werden. Wir können dabei auch an das heutige Teil des Gläubigen denken, der ja bereits jetzt reich gemacht ist in Christus und mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern gesegnet ist (l. Kor. 1,5; Eph. 1,3; Kol. 2,2). 

Wir dürfen einen Reichtum an geistlicher Nahrung zu uns nehmen. Ebenso wie Aser genießen wir „fette Speisen“ und dürfen davon auch an andere weitergeben. Denken wir nur an die Kenntnis all der Geheimnisse, die uns durch den Dienst des Apostels Paulus enthüllt wurden und womit sich erwachsene Christen nähren können (l. Kor. 3,1.2; 4,1; Eph. 4,13.14; Hebr. 5,13.14). Dies sind tatsächlich „königliche Leckerbissen“, die der erhabenen Stellung entsprechen, die Gott Seinen Kindern geschenkt hat.

Das reiche und fruchtbare Erbteil Asers kann auch mit dem guten Teil verglichen werden, das Maria gewählt hatte und das nicht von ihr genommen werden sollte (Luk. 10,42). Wenn wir zu den Füßen des Herrn sitzen und auf Sein Wort hören, werden wir essen und gesättigt werden. Christus gibt Seinen Schafen das Leben im Überfluß (Joh. 10,10). In den Psalmen ist auch die Rede von der „Fettigkeit“ des Hauses Gottes und von dem „Mark und Fett“, womit der Gläubige gesättigt wird (Psalm 36,8; 63,5).

4.8.2 Leben durch den Geist

Wie es scheint, bezieht sich der Ausdruck „von Aser kommt Fettes“ vorwiegend auf den Überfluß an Oliven und Olivenöl im Gebiet Asers. Der Segen Moses bestätigt diesen Gedanken. So haben wir also bei diesem Bild in erster Linie an die segensreiche Wirksamkeit des Geistes Gottes zu denken, weil ja das Öl in der Schrift ein gebräuchliches Symbol des Heiligen Geistes ist (Sach. 4,2.6.14; Matth. 25,1-13; 2. Kor. 1,21. 22). Die Wirksamkeit des Geistes Gottes ist die Quelle der Kraft für unser Zeugnis hier auf der Erde und die Voraussetzung um wahrhaftige Bruderliebe zu praktizieren. Im Segen Moses wird die Bruderliebe, die Aser erlebte, ausdrücklich mit dem Ölreichtum in Verbindung gebracht, den er besaß: „...er sei wohlgefällig seinen Brüdern, und er tauche in Öl seinen Fuß!“ (5. Mose 33, 24). Gerade in einer Atmosphäre brüderlicher Eintracht kann der Geist ungehindert wirken (vgl. auch Psalm 133,1.2).

In praktischer Hinsicht können wir diesen Segensspruch wieder mit Römer 8 verbinden, weil das Überwinderleben eines Christen gerade auch ein Leben in der Kraft des Geistes Gottes ist. Der in uns wohnende Geist offenbart das Leben Christi in uns. Ebenso wie die Prophezeiung über Gad mit der Überwindung der Macht der innewohnenden Sünde in Verbindung steht, so sehen wir jetzt in Aser das Leben des Geistes, das daraus hervorfließt. Dies ist ein reiches und fruchtbares Leben, indem der Geist Selbst Frucht für Gott in uns hervorbringt (Röm. 8,4-14). Anschließend werden wir bei Naphtali den Lobgesang der christlichen Freiheit sehen (Röm. 8,15.16).

Bei Gad ist der Hauptgedanke somit Überwindung, bei Aser Fruchtbarkeit und bei Naphtali Freiheit. Doch all diese Vorrechte und Segnungen des Christen sind die Folge der Offenbarung der Rettung Gottes, die Jakob gläubig erwartete und die jetzt für uns durch das Erlösungswerk Christi ans Licht gekommen ist. So dürfen wir als wahre Aseriter, als glückliche Kinder Gottes zur Ehre Seines Namens und zum Segen für andere leben.

4.9 Naphtali

„Naphtali ist eine losgelassene Hindin; er, der schöne Worte gibt“ (Vers 21).

4.9.1 Das Lied der Befreiung

Naphtali ist in 1. Mose 49 der letzte in der Reihe der vier Söhne der Mägde, obwohl er in 1. Mose 30 als zweiter vor Gad und Aser erwähnt wird. Diese Abweichung von der Geburtsfolge lässt sich mit den Worten Jakobs über Naphtali erklären. Nach dem Tiefpunkt, der uns in Dan vorgebildet wurde und dem Gebet Jakobs um die Offenbarung der Rettung des HERRN (V. 18), erreichen wir nämlich in Naphtali einen glänzenden Höhepunkt. Während wir in Gad die Überwindungskraft und in Aser die Fruchtbarkeit vorgebildet finden, die aus dieser Rettung hervorfließen, so können wir in Naphtali die herrlichste Frucht, nämlich den Lobgesang der Freiheit sehen.

Es ist auffallend, daß gerade durch den Sohn einer Magd der Gedanke der Freiheit dargestellt wird („Naphtali ist eine losgelassene Hindin“). Es besteht hier ein deutlicher Gegensatz mit Issaschar, der nicht aus einer der Mägde Jakobs geboren war, sich aber trotzdem zu einem fronpflichtigen Knecht machen ließ (V. 15). Issaschar war ein Arbeitsesel, aber Naphtali eine losgelassene Hindin. Dies redet von größter Bewegungsfreiheit. Eine losgelassene Hindin wird in ihrem schnellen Lauf durch nichts gehindert und fühlt sich vollkommen frei. Die Bedeutung des Namens Naphtali ( = Kampf, vgl. 1. Mose 30,8) weist auf den Kampf hin, der nötig war, um zu dieser Freiheit zu gelangen.

Im Blick auf die geschichtliche Erfüllung dieses Verses weisen mehrere Ausleger auf die Kampfbereitschaft und Kampffähigkeit hin, die die Männer von Naphtali im Kampf mit Jabin und Sisera bewiesen (Richt. 4). Der Richter Barak kam aus Naphtali und unter seiner Führung befreiten sich die nördlichen Stämme aus dem Joche Jabins, des Königs von Kanaan. Die Dankbarkeit für die erworbene Erlösung kommt im darauffolgenden Lied Deboras zum Ausdruck (Richt. 5), das man mit den „schönen Worten“ aus der zweiten Zeile des Segensspruches Jakobs in Verbindung bringen kann.

Tatsächlich wird dann das Bild der Hindin mit dem des Sängers ausgetauscht, doch der Zusammenhang ist deutlich erkennbar. Die erworbene Freiheit führt zu „Worten des Lobes und der Danksagung“, wie es im Targum (alte, aramäische Übersetzung) übersetzt wurde. Es ist somit nicht nötig - wie es einige gemacht haben - , anstelle von „schöne Worte“, „schöne Lämmer“ zu lesen, um den Zusammenhang zu wahren. Andere gehen sogar so weit, daß sie das Bild der Hindin preisgeben und statt dessen an eine Terebinthe denken, die schöne Zweige hervortreibt. Diese Änderungen des hebräischen Textes sind jedoch unsicher.

Das Bild einer Hindin oder einer Gazelle wird auch an anderen Stellen gebraucht, um die Schnelligkeit und Gelenkigkeit eines Kämpfers anzudeuten (2. Sam. 2,18; 1. Chron. 12,8). David drückt dies folgendermaßen aus: „Er macht meine Füße denen der Hindinnen gleich, und stellt mich hin auf meine Höhen“ (2. Sam. 22,34; Psalm 18,33). Der Prophet Habakuk macht denselben Vergleich (Hab. 3,19). Ebenso wie die Hindin ihre Höhen betritt, hatte auch Naphtali das ihm geschenkte Hochland im Norden Kanaans als Erbteil betreten (Richt. 5,18).

 Sehr bedeutsam ist auch der Ausdruck in Psalm 22 „Hindin der Morgenröte“, der auf den neuen Tag anspielt, der anbrechen würde, nachdem Christus Seinen Kampf am Kreuz von Golgatha völlig allein gestritten hatte. Luther bringt die Überschrift dieses Psalms mit der Tatsache in Verbindung, daß Christus während der Nacht gefangen und am Morgen früh vor das Synedrium gestellt wurde. Er hat übersetzt: „Die Hindin, die früh gejagt wird“. Der Targum verbindet diese Überschrift mit dem Morgenopfer - ebenfalls ein sehr schönes Bild vom Opfer Christi - das geopfert wurde, nachdem der Wächter den Tagesanbruch angekündigt hatte. Nach jüdischer Tradition hatte das erste Morgenlicht die Form von Hindinnenhörnern, „zwei Hörnern des Lichts, die im Osten aufgehen und die Welt mit Licht erfüllen“ (F. Delitzsch).

4.9.2 Die christliche Freiheit

Dies ist sehr wichtig für unseren Gegenstand, weil es wahre Freiheit und Erlösung – sowohl für Israel, als auch für die Nationen - nur auf der Grundlage des vollbrachten Werkes Christi geben kann. Im ersten Teil von Psalm 22 finden wir Seinen Kampf und schließlich Seine „Loslassung“ (V. 1-21), und als Folge davon im zweiten Teil die „schönen Worte“ des Siegers (V. 22-31). Der Tod konnte Ihn nicht behalten und der Leidensnacht folgte der Morgen der Erlösung. In der Auferstehung hatte Christus die Antwort auf Seine Leiden empfangen und darum kann Er nun den Lobgesang inmitten Seiner Brüder anheben, denen Er den Namen des Vaters geoffenbart hatte (V. 22; Heb. 2,12).

Dies geschieht in der heutigen Zeit in der Versammlung, aber bald wird Er auch in der großen Versammlung - dem wiederhergestellten Israel - Gottes Lob besingen (V. 23-26). Schließlich wird dieses Lob im Friedensreich von allen Enden der Erde her erschallen (V. 27.28), denn alle Nationen werden sich vor dem Friedefürsten niederbeugen. So erstreckt sich der Segen von Golgatha über die ganze Erde und dies bis in die ferne Zukunft.

Damit ist zugleich auch die geistliche und prophetische Bedeutung des Segens Naphtalis gegeben. Auf dem Kreuz sind sich Licht und Finsternis begegnet und es wurde eine gerechte Grundlage für die Offenbarung der Rettung und des Segens gelegt, die die Erde seitdem erfüllt haben und noch erfüllen werden, wenn der Morgen des Friedensreiches anbricht. Das Leben im Licht, die Freiheit der Sohnschaft nach der Knechtschaft unter dem Gesetz der Sünde und des Todes, der Lobgesang der Erlösung, der uns zur Anbetung des Vaters bringt: das alles ist gegründet auf das vollbrachte Werk Christi und Seiner Erlösung aus den Banden des Todes. Weil wir mit Ihm verbunden sind, dürfen wir auch als „Losgelassene“ in der Freiheit der Auferstehung wandeln und die „schönen Worte“ des Liedes der Erlösung auf die Lippen nehmen. All diese Vorrechte, die auf die Auferstehung Christi gegründet sind, finden wir in Römer 8 erwähnt. Die Anbetung des Vaters in der Kraft des Heiligen Geistes bildet den Höhepunkt (V. 15.16).

Hinsichtlich der prophetischen Geschichte der Versammlung, wovon wir in 1. Mose 49 auch einen Kurzabriß finden, sehen wir hier bei Naphtali somit eine Wiederherstellung des Lobgesanges, wie er bereits bei Juda erwähnt worden ist (siehe Kapitel 3). Wenn sich die Versammlung mit der Welt vermischt (Sebulon) und durch weltliche Grundsätze beherrscht wird (Issaschar), dann verschwindet in ihrer Mitte das Loblied, das zur Ehre des Vaters und des Sohnes erklingen sollte. Innerhalb des treuen Überrestes, der inmitten des allgemeinen Verfalls auf die Offenbarung der Rettung des Herrn wartet, wird dieses Vorrecht jedoch wieder genossen. Sie überwinden nicht nur die Feinde, von denen sie bedrängt wurden (Gad) und nähren sich mit fetten Speisen (Aser), sondern die Freiheit, wozu sie gelangt sind, macht sie zu wahren Anbetern. Das ist die geistliche Anwendung aus dem Segen Naphtalis. Die Erlösten singen das himmlische Lied zur Ehre dessen, der sie erkauft hat und der würdig ist, um in alle Ewigkeit geehrt und gepriesen zu werden (vgl. Offb. 5).

Die prophetische Bedeutung für Israel verläuft parallel dazu. Israel wird hier auf der Erde im Friedensreich das neue Lied singen, wenn nach all den Kämpfen der Endzeit eine Sabbathruhe für das Volk Gottes und für die ganze Schöpfung anbrechen wird (vgl. Psalm 92; 96; 98). Dann wird ein Jahr der Freiheit, nämlich das große Jubeljahr, worin Zion getröstet und mit Freudenöl gesalbt werden wird, für Land und Volk ausgerufen werden (3. Mose 25; Jes. 35,10; 51,11; 61,1-3). Das Danklied für die Befreiung wird erklingen (Jes. 25; 26). Die „schönen Worte“ der Erlösten des HERRN werden gehört werden. Für ganz Israel werden die Worte Moses im Segen Naphtalis Wirklichkeit werden: „Naphtali, gesättigt mit Huld und voll des Segens Jehovas“ (5. Mose 33,23).

4.10 Joseph

„Sohn eines Fruchtbaumes ist Joseph, Sohn eines Fruchtbaumes am Quell; die Schößlinge treiben über die Mauer. Und es reizen ihn und schießen und es befehden ihn die Bogenschützen; aber sein Bogen bleibt fest, und gelenkig sind die Arme seiner Hände, durch die Hände des Mächtigen Jakobs. Von dannen ist der Hirte, der Stein Israels: von dem Gott deines Vaters, und er wird dir helfen, und dem Allmächtigen, und er wird dich segnen mit Segnungen des Himmels droben, mit Segnungen der Tiefe, die unten liegt, mit Segnungen der Brüste und des Mutterleibes. Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern“ (1. Mose 49,22-26).

4.10.1 Ein Fruchtbaum

Daß Joseph der geliebte Sohn seines Vaters Jakob war, wird durch die Länge und den reichen Inhalt dieses Segensspruches bestätigt (vgl. 1. Mose 37,3). Beim Lesen dieses Spruches wird man unwillkürlich daran erinnert, was über Isaak, den Lieblingssohn Abrahams geschrieben steht: „...er (Abraham) hat ihm alles gegeben, was er hat“ (l. Mose 24,36). Eigentlich umfassen diese Segnungen für Joseph viel mehr, als was Jakob imstande war seinem Sohn zu schenken. Jakob spricht über all das, was Gott Joseph und seinen Nachkommen zugedacht hatte. Als Prophet durfte er diesen göttlichen Segen ankündigen, den wir vorwiegend in den letzten zwei Versen erwähnt finden (V. 25.26).

Doch vorher werden einige Vergleiche gezogen. Zuerst wird Joseph mit einem Fruchtbaum oder Weinstock verglichen, dessen Schößlinge über die Mauer wachsen (V. 22). Danach folgt ein völlig anderes Bild, nämlich das eines Bogenschützen. Joseph war auch ein guter Bogenschütze, der - weil Gott ihn stärkte - den Angriffen seiner Feinde nicht unterlag (V. 23.24). Der Spruch kann somit in drei Teile unterteilt werden. Im dritten Teil wird Joseph als der „Auserwählte“ oder der „Abgesonderte“ unter seinen Brüdern beschrieben (vgl. auch mit dem Segen Mose, 5. Mose 33,16). Hier finden wir zum ersten Mal in der Heiligen Schrift den Ausdruck „Nasiräer“ erwähnt.

In jeder Hinsicht - als Fruchtbaum, Bogenschütze und Nasiräer - ist Joseph ein treffendes Bild von Christus. Wir dürfen wohl sagen, daß Joseph, sowohl in seiner Erniedrigung als auch in seiner Erhöhung eines der schönsten Bilder des Alten Testamentes von Christus ist. Das Neue Testament bestätigt dies auch sehr deutlich, denn in der Rede des Stephanus (Apg. 7) werden die Leiden des Messias von seiten Seiner Volksgenossen durch zwei Geschichten illustriert, nämlich durch diejenige Josephs und Moses. Ebenso wie Joseph von seinen Brüdern gehaßt und nach Ägypten verkauft wurde, ist auch Jesus von „den Seinigen“ (Joh. 1,11) verworfen und den Nationen überliefert worden. Genauso wurde auch Mose von seinen Verwandten verleugnet und verworfen, als er zum ersten Mal zu ihnen kam. 

Doch auch in seiner Erhöhung ist Joseph ein Bild von Christus. Ebenso wie Gott mit Joseph war und ihn aus all seinen Bedrängnissen erlöste und ihn zum Herrscher über das Land Ägypten machte, ist auch Christus von Seinen Leiden erlöst und zur Rechten Gottes erhöht worden. Er ist der Erhalter des Lebens, der Retter der Welt (vgl. 1. Mose 41,45). Jeder muß jetzt zu Christus kommen um „Brot“ zu erlangen und am Leben zu bleiben.

Im Bilde des jungen Fruchtbaumes oder Weinstockes (wörtl.: „Sohn eines Fruchttragenden“) sehen wir zwei Kennzeichen des Lebens Christi in Seiner Erniedrigung auf Erden. Er lebte in vollkommener Abhängigkeit von Gott und trug auch reichlich Frucht für Ihn. Der Baum ist an einem Quell gepflanzt (V. 22a). Dies ist das bekannte Bild eines an Wasserbächen gepflanzten Baumes, das öfters vorkommt in der Schrift (Psalm 1,3; Jer.17,8). So fand Christus als abhängiger Mensch alle Seine Quellen in Gott Seinem Vater. 

Darum konnte Er im Überfluß Frucht tragen und zwar nicht nur unter Israel, sondern auch außerhalb davon. Dies wird in der zweiten Hälfte dieses Verses durch das Bild der Schößlinge, die über die Mauer treiben, angedeutet (V. 22b). Christus sah auch Früchte Seines Dienstes außerhalb der Umzäunung, worin Er gesetzt war, d.h. außerhalb des Volkes Israel, das durch das Gesetz umzäunt war. Denken wir nur an das Gespräch mit der samaritischen Frau und der darauffolgenden Bekehrung der Samariter (Joh. 4).

Dieses Fruchttragen ist jedoch nicht ausschließlich auf das Leben Christi auf der Erde beschränkt. Christus, der verherrlichte Mensch im Himmel fährt damit fort, indem Er durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes auch außerhalb des Weinberges Israel Frucht trägt. Gottes Gnade in Christus erstreckt sich zu allen Menschen und bewirkt überall Frucht für Gott. Was das Leben Josephs selbst betrifft, bringt man die hier erwähnte Fruchtbarkeit meistens mit der Geburt Ephraims in Verbindung. Gott hatte Joseph im Lande Ägypten fruchtbar gemacht und ihn mit Söhnen gesegnet (l. Mose 41,52).

4.10.2 Ein Bogenschütze

In den folgenden Versen finden wir das offensivere Bild eines Bogenschützen, der von seinen Feinden bedroht wird. Die Bogenschützen (wörtl. „Meister der Pfeile“) hatten ihm das Leben schwer gemacht. Ihre Feindschaft war so stark, daß dafür in Vers 23 sogar drei verschiedene Tätigkeitswörter gebraucht werden („reizen“, „beschießen“ und „befehden“). Im Blick auf Josephs persönliche Geschichte kann dabei an die Feindschaft seiner Brüder, oder an das Erlebnis im Hause Potiphars gedacht werden. Was Christus betrifft, ist die Auslegung auch nicht schwierig. Wie viele Pfeile sind nicht auf Ihn geschossen worden? Die Führer des jüdischen Volkes waren Ihm feindlich gesinnt und haben Ihn fortwährend bedroht. Der Prophet Jeremia vergleicht die Zunge des Truges mit einem mörderischen Pfeil (Jer. 9,8). Hinterhältige Fragen wurden auf Christus abgefeuert, doch hat Er all diese „Pfeile“ abwehren können (vgl. Matth. 22,15-46).

Wir können dabei auch an die Versuchung in der Wüste denken, wo der Satan seine schärfsten Pfeile auf Christus abgeschossen hatte. Doch es wahr vergeblich. Dieser „Meister der Pfeile“ musste in Christus den Überlegenen erkennen und ist deshalb von Ihm gewichen. Christus konnte all diese Angriffe abwehren, indem Er immer wieder einen anderen treffsicheren Pfeil aus dem Köcher der Schrift nahm. Gegen das ständig wiederholte „es steht geschrieben“ vermochte der Satan nicht zu widerstehen. Das ist das Geheimnis der Kraft im geistlichen Kampf, wodurch Christus als abhängiger Mensch auf der Erde den Sieg über den Widersacher erringen konnte. Dieser Grundsatz gilt auch für uns. Wir vermögen den Listen des Feindes allein standzuhalten, wenn wir aus der Kraft, die Gott uns in Seinem Wort gibt, schöpfen. So wurde auch Joseph durch das Wort des Herrn geläutert (Psalm 105,19).

Der Grundsatz der völligen Abhängigkeit von Gott im Kampf wird in Vers 24 näher erläutert: „... aber sein Bogen bleibt fest, und gelenkig sind die Arme seiner Hände, durch die Hände des Mächtigen Jakobs“. Es wird uns hier so vorgestellt, als ob Gott Seine starken Hände auf die Arme des Bogenschützen legt, um ihn zu unterstützen und alle seine Bewegungen kräftig und gelenkig zu machen. Gott ist ein vollkommener Helfer für den Kämpfer, denn Er ist der „Mächtige Jakobs“. Jakob wußte aus eigener Erfahrung, daß Gott mächtig ist zu helfen und in den schwierigsten Situationen Rettung verschaffen konnte. Siehe für diesen Ausdruck auch Jesaja 1,24; 49,26; 60,16 und Psalm 132,2.5.

Jakob hatte am Ende seines Lebens eine reiche Erkenntnis Gottes, wie dies unter anderem aus den übrigen Bezeichnungen, die er für Gott gebrauchte, ersichtlich wird. Gott ist auch der „Stein Israels“ und der „Hirte“ (V. 24b) und zugleich der „Gott deines Vaters“ und der „Allmächtige“ (V. 25a). Als der Stein ist Gott das feste Fundament, worauf der Glaube bauen kann (vgl. 5. Mose 32, 4.18; Ps. 18,31; 31,2.3; 62,2.6.7). Christus ist sowohl der Eckstein als auch der Schluß- oder Giebelstein, der zwar von den Menschen verworfen, bei Gott aber auserwählt und kostbar ist (Jes. 28,16; Ps.118,22; Sach. 4,7; Matth. 21,42; Eph.2,20; 1. Petr. 2,4-7).

Die Belehrung der Schrift über Gott als den Hirten Seines Volkes ist ebenfalls sehr reich. Im vorhergehenden Kapitel sagt Jakob, daß Gott ihn sein Leben lang als Hirte geführt habe (1. Mose 48,15). Wir dürfen es ganz persönlich, wie David sagen: „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps. 23,1). Israel wird in der Zukunft durch den einen Hirten geweidet werden (Hes. 34,23; 37,24). Christus ist der gute Hirte (Joh.10,11.14), der große Hirte (Heb. 13,20) und der Erzhirte (1. Petr. 5,4).

In der holländischen Übersetzung (Statenvertaling) werden diese beiden Namen auf Joseph selbst bezogen („... davon ist er ein Hirte, ein Stein Israels“), doch dies scheint nicht ganz korrekt zu sein. Die Schwierigkeit wird durch die Worte „von dannen“ verursacht, die durch einige abgeändert werden in „durch den Namen“ (des Hirten, des Steines Israels). Im buchstäblichen Sinn sagte Jakob mit Nachdruck, wobei er vielleicht nach oben gewiesen hatte: „von da (wo ist) der Hirte, der Stein Israels“. In diesen beiden Versen (V. 24 und 25) finden wir somit einen durchgehenden Gedankengang, worin die verschiedenen Charakter Gottes beschrieben werden als derjenige, der den Bogenschützen stärkt und unterstützt. Nebst Hirte, Stein und Mächtiger Jakobs kannte der Erzvater Ihn sehr persönlich als seinen Gott und als den Allmächtigen. Jakob wünschte nun seinem Sohn, daß seines Vaters Gott ihm helfen und daß der Allmächtige ihn segnen sollte. Als der Allmächtige hatte Gott Sich in besonderer Weise Abraham, Isaak und Jakob geoffenbart (l. Mose 17,1; 28,3; 2. Mose 6,2), und als solcher ist Er der Quell aller Fürsorge und Segens für die Seinen.

4.10.3 Ein dreifacher Segen

Damit, daß Jakob Gott den Allmächtigen nennt, kommt er auf die eigentlichen Segnungen zu sprechen, die Josephs Teil sein sollten: „... dem Allmächtigen, und er wird dich segnen mit Segnungen des Himmels droben, mit Segnungen der Tiefe, die unten liegt, mit Segnungen der Brüste und des Mutterleibes“ (V. 25). Der Segen ist dreifacher Art. Er umfaßt zuerst die guten Gaben, die von oben kommen, wie Regen, Tau und Sonnenschein; zweitens beinhaltet er Dinge, die sich unterhalb der Erde (des Erdbodens) befinden, wie unterirdische Wasserreservoirs, von denen Bäche und Flüsse entspringen (5. Mose 8,7; 33,13); drittens sind es Dinge, die dem Menschen auf der Erde geschenkt werden, wie Fruchtbarkeit von Menschen und Tieren. Joseph wurde somit in jeder Hinsicht reich gesegnet. Die geschichtliche Erfüllung dieser Prophezeiung sehen wir in dem geräumigen und fruchtbaren Erbteil, das Ephraim und Manasse im Land Kanaan empfingen. So empfing Joseph - in seinen beiden Söhnen - das doppelte Erbteil, das dem Erstgeborenen zustand. Juda würde jedoch der Königsstamm werden (siehe Kapitel 1 und 3).

Die Segnungen Josephs sind so reichhaltig, daß Jakob sagen konnte: „Die Segnungen deines Vaters (d.h. die Segnungen, die dein Vater dir gibt) überragen die Segnungen meiner Voreltern“ (V. 26a). Dieser Segen übertraf somit alle früheren Segnungen, die Gott den Erzvätern verheißen hatte. Einige lesen hier nicht „Voreltern“, sondern „uralte Höhen“ (z.B. Zwingli). Davon ist jedenfalls im folgenden die Rede, wenn es heißt: „ ... bis zur Grenze (andere lesen: zum Köstlichsten) der ewigen Hügel“. Das Beste des Landes, seine kostbarsten Früchte (l. Mose 27,28; 5. Mose 33,15.16) sollten alle, bildlich gesprochen, auf das Haupt Josephs kommen, wie es in Vers 26b heißt: „Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern“. Vielleicht haben wir dabei an die Gewohnheit der Handauflegung zu denken. Jakob legte seine Hände segnend auf das Haupt Josephs. Als Prophet war er der Kanal des göttlichen Segens für Joseph.

Der letzte Teil dieses Segens (V. 25.26) hat viel Ähnlichkeit mit dem Segen Moses für Joseph (5. Mose 33,13-16). Mose erwähnt noch einen weiteren Charakter Gottes, wenn er über das Wohlgefallen dessen spricht, der im Dornbusch wohnte. So hatte Mose Gott kennengelernt, nämlich als derjenige, der in seiner Gnade inmitten eines sündigen Volkes wohnen konnte, obwohl Er ein verzehrendes Feuer war. Nebst allen anderen Segnungen sollte auch dieses göttliche Wohlgefallen auf dem Haupte Josephs ruhen, der hier erneut der Abgesonderte unter seinen Brüdern genannt wird. Wörtlich steht hier „Nasiräer“, ein Begriff, den wir aus dem Leben Simsons und aus dem Gesetz des Nasiräers aus 4. Mose 6 kennen.

Joseph nahm eine abgesonderte, eine geweihte, eine einzigartige Stellung unter seinen Brüdern ein. In dieser Hinsicht ist er ebenfalls wieder ein wunderbares Bild von Christus, dem Gottgeweihten und dem Erstgeborenen inmitten vieler Brüder. Schon während Seines Lebens auf der Erde lebte Christus völlig Gott geweiht und jetzt nachdem Er die Frage der Sünde gelöst hat, lebt Er vor Gott in der Heiligkeit des Himmels (Röm. 6,10; Joh. 17,19). Er ist der wahre Nasiräer und der wahre Joseph, dem eine Segnung nach der anderen hinzugefügt wird (Joseph = Er füge hinzu). Gott der Vater hat Ihm, Seinem vielgeliebten Sohn, tatsächlich alle Dinge in die Hände gegeben (Joh. 3,35). Gott ist Ihm mit reichen Segnungen entgegengetreten und hat Ihn für ewig gesegnet (Ps. 21,3; 45,2).

So dürfen wir Ihn nun im Glauben kennen als den Gesegneten des Vaters, als den Erben aller Dinge im Himmel und auf der Erde. Wenn wir Ihn so betrachten, dann dürfen wir auch wissen, daß wir in und mit diesem himmlischen Herrn gesegnet sind. Als Seine Brüder sind wir eng mit Ihm verbunden und haben Teil am Segen, der auf dem Haupt dessen ruht, der sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat. Bald wir Er kommen, um uns zu holen und uns in die Herrlichkeit zu führen, die Er für Seine Brüder, Seine Genossen bereitet hat. Dann empfangen wir das volle Heil, das wir jetzt noch erwarten (vgl. 1. Mose 49,18). Doch auch jetzt schon möchte Er in unserem Leben verherrlicht werden, damit wir Ihm gleichförmig werden. Das Ziel allen geistlichen Wachstums besteht ja immer darin, daß Er, der der Erste unter vielen Brüdern ist, auch in Seinen Brüdern Gestalt annimmt (Röm. 8,29).

Doch auch Sein irdisches Volk wird Ihn bald als den Herrn aus dem Himmel kennenlernen, der von Gott mit Segnungen beladen ist. So wie Josephs Brüder sich vor dem niederbeugten, den sie einst verworfen und den Nationen überliefert hatten, so wird auch Israel sich reuevoll vor dem erhöhten Christus niederbeugen. Sie werden Ihn anschauen, den sie durchstochen haben (Sach. 12,10). Bei Seiner Erscheinung wird Er jedoch nicht nur den Überrest Seines Volkes segnen, sondern auch alle Seine Feinde besiegen. Damit wird die Weltgeschichte dann ihrem endgültigen Ziel zugeführt. Dies werden wir vorbildlich in der Prophezeiung über Benjamin sehen.

4.11 Benjamin

„Benjamin ist ein Wolf, der zerreißt; am Morgen verzehrt er Raub, und am Abend verteilt er Beute“ (1. Mose 49, 27).

4.11.1 Ein reißender Wolf

Mit dem Bild des reißenden Wolfes wird sowohl die Kampfeslust, als auch die Schnelligkeit, womit Benjamin seine Feinde besiegen würde, symbolisiert. An anderen Stellen im Alten Testament wird nicht so positiv über den Wolf gesprochen (vgl. Jer. 5,6; Hes. 22,27; Hab. 1,8; Zeph. 3,3). Die Tatsache, daß hier sowohl vom Morgen, als auch vom Abend die Rede ist, weist darauf hin, daß er zu jeder Zeit im Kampf erfolgreich sein würde.

Vom kriegerischen Charakter des Stammes Benjamin gibt es viele Beispiele in der Schrift. Bekannte Benjaminiten waren der Richter Ehud (Richt. 3,15), König Saul (l. Sam. 9,1.2) und dessen Sohn Jonathan, Simei und Scheba, die sich gegen David erhoben (2. Sam. 16,5; 20,1), Mordokai (Esth. 2,5) und Paulus (Phil. 3,5). Diese waren alle kämpferische Männer. Vor seiner Bekehrung verfolgte der Apostel Paulus die Versammlung Gottes und nachher hatte er wie kein anderer für sie gekämpft. Mordokai und Esther hatten für die Sache des Volkes Gottes gekämpft und verteilten anschließend die Beute Hamans und seiner Mitgenossen.

Beim „Verteilen der Beute“ können wir auch daran denken, was Saul durch seine Siege für Israel zustande gebracht hatte, indem er die Töchter Israels mit Karmesin und goldenem Schmuck bekleidete (2. Sam. 1,24). Jonathan kämpfte den Kampf des Glaubens und errang einen großen Sieg in Israel (l. Sam. 14,1-45). Unter dem Stamm Benjamin gab es viele fähige Steinschleuderer und Bogenschützen (Richt. 20,16; 1. Chron. 8,40; 12,2; 2. Chron. 14,8; 17,17).

Es gibt somit genügend Beispiele, die die Anwendung dieses Segensspruches verdeutlichen. Der Segen Moses für Benjamin ist völlig andersartig. Er beschreibt Benjamin als den Liebling des HERRN, der in Sicherheit bei Ihm wohnt und durch Ihn beschirmt wird (5. Mose 33,12). Hier ist jedoch nicht der Charakter Benjamins der Gegenstand, sondern sein Erbteil im verheißenen Land und die besondere Gunst, die ihm dadurch erwiesen wurde, daß Gott Sein Heiligtum in sein Gebiet gesetzt hatte.

4.11.2 Das Verteilen der Beute

In prophetischer Hinsicht haben wir in Benjamin ein Bild des wiederkommenden Christus, der bei Seiner Erscheinung in Herrlichkeit alle Seine Feinde besiegen wird. Joseph und Benjamin bilden zusammen ein Bild von Christus, wie Er am Ende der Tage geoffenbart werden wird. In der Geschichte Josephs im 1. Buch Mose, wo Benjamin zwölfmal erwähnt wird, sind die beiden Brüder ebenfalls miteinander verbunden. Diese Verbundenheit ist auch in vorbildlicher Hinsicht zu erkennen. Joseph ist ein Bild des erniedrigten und verherrlichten Christus, der der Träger der gesamten Gunst Gottes ist und Benjamin symbolisiert den wiederkommenden Herrn, der hier auf der Erde im Namen Gottes regieren wird. Es existieren mehrere solche Doppelbilder von Christus in der Schrift, z.B. Mose und Aaron, David und Salomo, Josua und Serubbabel.

Die Bedeutung des Namens Benjamin ist in dieser Hinsicht ebenfalls wichtig (l. Mose 35,18). Rahel nannte ihn Benoni (Sohn meiner Not), aber sein Vater nannte ihn Benjamin (Sohn der Rechten). Israel hat durch die große Drangsal zu gehen, bevor der Messias erscheint, von dem sich dann herausstellt, daß Er der Mann zur Rechten Gottes ist, der auf den Wolken des Himmels kommt (Dan. 7,13.14; Matth. 26,64).

Dieser himmlische Machthaber wird alle Seine Feinde besiegen, wenn der Morgen des Friedensreiches anbricht und Er als die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht (2. Sam. 23,3.4; Mal. 4,1.2). Für den gläubigen Überrest aus Israel, der an den Folgen Seines Sieges teilhaben wird, bedeutet dies Segen. Doch den gottlosen Teil des Volkes, der dem Antichristen nachgefolgt war, wird Er richten. Er wird in flammendem Feuer Vergeltung üben und die Gesetzlosen, sowie den abtrünnigen König der Endzeit vernichten (2. Thess. 1,7.8; 2,8). Er wird die Nationen mit dem Schwerte Seines Mundes schlagen, wenn Er als der Sieger aus dem Himmel niederkommt (Offb. 19, 11-21).

Dann beginnt ein neuer Tag für diese Welt, wenn Christus als Friedefürst regieren wird. 1. Korinther 15 belehrt uns, daß Er herrschen muß, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt und schließlich auch den letzten Feind, den Tod beseitigt hat (V. 25.26). Durch einen Vergleich mit Offenbarung 20 wird ersichtlich, daß dies am Ende der Christusregierung sein wird und zwar nach dem Gericht vor dem großen, weißen Thron, wenn Christus das Königreich Gott dem Vater übergibt und der ewige Zustand beginnt, worin Gott alles in allem sein wird. Der Tod und der Hades werden dann nämlich in den Feuersee geworfen, so daß in der neuen Schöpfung keinerlei Platz mehr für die Macht des Todes sein wird (Offb. 20,14; 21,4).

Ich denke, daß dies die prophetische Bedeutung des „Morgens“ und „Abends“ darstellt (l. Mose 49,27). Der Segen Benjamins erstreckt sich über den ganzen Tag des Friedensreiches. Diejenigen, die Christus angehören und mit Ihm als dem großen Sieger verbunden sind, werden an den Folgen des Sieges, den Er errungen hat, teilhaben (Benjamin verteilt die Beute).

Daneben besteht auch eine geistliche Anwendung, die bereits für die heutige Zeit ihre Gültigkeit hat. Wenn wir in diesen Segenssprüchen das geistliche Wachstum eines Gläubigen gesehen haben, dann besteht der Höhepunkt dieses Wachstumsprozesses darin, daß Christus in Seiner Herrlichkeit gesehen wird und Er in unserem Leben zur Gestaltung kommt. 

Nach dem großen Wendepunkt in Vers 18, dem Gebet um die Offenbarung der Rettung Gottes, sahen wir in Gad die Überwindungskraft, in Aser die Fruchtbarkeit und in Naphtali die Freiheit, worin der Christ steht und Gott als seinen Vater anrufen kann. Doch die Krönung unseres Glücks besteht nicht in unserem Heil, sondern in unserem Heiland, dem wir angehören und der in unserem Leben groß gemacht werden möchte. Wir dürfen unsere Augen auf Ihn richten, den Herrn der Herrlichkeit, der der Mittelpunkt und der Kanal jeglichen Segens ist und der als der Mann zur Rechten Gottes uns bereits jetzt in unserem irdischen Kampf zu Überwindern macht.

5 Zusammenfassung

In diesem Schlußkapitel folgen noch einige Übersichten und die wichtigsten Schlußfolgerungen, wozu diese Betrachtungen uns geführt haben:

5.1 Die Reihenfolge der Söhne Jakobs in 1. Mose 49

Die Reihenfolge entspricht nur teilweise der Geburtsfolge, wie dies aus der folgenden Übersicht zu ersehen ist:

1. Mose 29, 30 und 35 (Geburt) 1. Mose 49 (Segen)

1. Ruben (Lea) Ruben

2. Simeon (Lea) Simeon

3. Levi (Lea) Levi

4. Juda (Lea) Juda

5. Dan (Bilha) Sebulon

6. Naphtali (Bilha) Issaschar

7. Gad (Silpa) Dan

8. Aser (Silpa) Gad

9. Issaschar (Lea) Aser

10. Sebulon (Lea) Naphtali

11. Joseph (Rahel) Joseph

12. Benjamin (Rahel) Benjamin

Bei der Austeilung des Segens richtet Jakob sich somit zuerst an die Söhne Leas, wobei Sebulon vor Issaschar genannt wird. Anschließend folgen die Söhne der Mägde, von denen Naphtali als letzter genannt wird. Die beiden Söhne Silpas, der Magd Leas bekamen also einen Platz zwischen den zwei Söhnen Bilhas, der Magd Rahels. Schließlich folgen dann Joseph und Benjamin, die zwei Söhne Rahels, der Lieblingsfrau Jakobs für die er seinem Schwiegervater Laban insgesamt vierzehn Jahre gedient hatte.

Diese Reihenfolge stimmt mit der Vorschrift Moses über das Erstgeburtsrecht überein (5. Mose 21,15-17), wo geschrieben steht, daß der Sohn der Geliebten gegenüber dem Sohn der Nicht-Geliebten keineswegs bevorzugt werden darf. Daß Ruben sein Erstgeburtsrecht dennoch verspielte, war allein seine Schuld. Er hatte das Bett seines Vaters bestiegen und mit Bilha, der Nebenfrau seines Vaters Ehebruch getrieben. Dies war der Grund, weshalb er sein Erstgeburtsrecht verlor (l. Mose 35,22; 49,3.4; 1. Chron. 5,1.2).

Die mit dem Erstgeburtsrecht verbundene Stellung ging an Juda, den vierten Sohn Leas (Simeon und Levi wurden wegen der Gewalttat, die sie an den Bürgern von Sichem verübten, übergangen). Die mit dem Erstgeburtsrecht verbundenen Segnungen - der Erstgeborene hatte Anrecht auf ein doppeltes Erbteil - gingen an Joseph, den ersten Sohn Rahels, der Geliebten. Genau genommen ging dieses doppelte Teil an die Söhne Josephs, Ephraim und Manasse, die Jakob bereits früher gesegnet und sie mehr oder weniger als seine eigenen Söhne adoptiert hatte (l. Mose 48). Ephraim und Manasse erhielten einen separaten Platz innerhalb der übrigen Stämme Israels (5. Mose 33,17). In Übereinstimmung damit nahmen sowohl Juda als auch Joseph im Segen Jakobs eine hervorragende Stellung ein. Juda empfing die Führerstellung und Joseph den Reichtum an Gütern, die für den Erstgeborenen bestimmt waren.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß die Söhne der Mägde keine untergeordnete Sonderstellung zugewiesen bekamen, sondern zusammen mit den übrigen Söhnen Jakobs gesegnet wurden; dies im Gegensatz zu den Söhnen Abrahams, Ismael und Isaak. Für sie galt der Grundsatz, daß der Sohn der Sklavin keinesfalls mit dem Sohn der Freien erben durfte (l. Mose 21,8-21). Paulus zieht daraus die Schlußfolgerung, daß eine klare Trennungslinie zwischen Judentum und Christentum, zwischen dem Volk unter der Sklaverei des Gesetzes und dem Volk der Erlösten besteht (Gal. 4,21-31). 

Beim Segen Jakobs steht die Unterscheidung zwischen Israel und der Versammlung jedoch nicht im Blickfeld. Während Abraham sowohl der „Vater“ eines himmlischen Volkes, als auch einer irdischen Nachkommenschaft ist, so ist Jakob insbesondere der Stammvater Israels nach dem Fleische. Die zwölf Söhne Jakobs ergeben zusammen ein vollständiges Bild des irdischen Volkes Gottes. Sie werden gemeinsam gesegnet in Übereinstimmung mit den Regierungswegen Gottes hinsichtlich Israels, denn die Zahl zwölf steht in der Schrift immer in Verbindung mit der Art und Weise, wie Gott Sein Volk regiert.

Wenn aber weder die Geburtsfolge, noch die Reihenfolge der Mütter für die Anordnung der Söhne Jakobs in 1. Mose 49 maßgebend ist, nach welchen Kriterien sind sie dann geordnet? Die Antwort auf diese Frage kann nur gegeben werden, wenn prophetische und geistliche Elemente mit berücksichtigt werden. Diese Elemente machen die Segnungen Jakobs zu einem prächtigen Gemälde der Geschichte Israels bis in die letzten Tage.

5.2 Die Weltgeschichte in einer Nußschale

Ich denke sogar, daß wir in diesem Kapitel eine kurze Übersicht der ganzen Menschheitsgeschichte finden, weil Israel nach den Gedanken Gottes den Mittelpunkt davon bildet. In den ersten drei Söhnen sehen wir das Versagen des natürlichen Menschen seit dem Beginn seiner Geschichte. Ruben ließ sich durch seine Begierden leiten, Simeon und Levi gebrauchten Werkzeuge der Gewalt. Dies sind die zwei Grundsätze des Bösen seit dem Sündenfall: Innerliche Verdorbenheit und äußerliche Gewalttätigkeit. Diese Kennzeichen finden wir wiederholt in der Geschichte der Menschheit und auch in derjenigen Israels. Die Sünde Adams und Evas war die Begierde und diejenige Kains die Gewalttätigkeit. Sie wurden aus Gottes Gegenwart vertrieben. Die Verdorbenheit und die Gewalttätigkeit, die die Erde danach erfüllten, gaben den Anlaß zum Gericht der Sintflut.

Doch auch nach der Sintflut sehen wir keinerlei Verbesserung. Der Mensch wollte sich selbst einen Namen machen und begann den Götzen zu dienen. Zudem wird uns von einem Gewaltherrscher, namens Nimrod berichtet. Danach machte Gott einen Neuanfang mit der Berufung Abrahams. Er sonderte ein Volk aus der Mitte der übrigen Völker ab, damit es Ihm angehören und Ihm dienen sollte. Die Geschichte Israels war jedoch auch eine Geschichte des Versagens, sowohl während der Wüstenreise, als auch im verheißenen Land. Verdorbenheit und Gewalt kennzeichnen die letzten Kapitel des Buches Richter und die ersten des Buches Samuel. Danach schaffte Gott jedoch durch den König David Rettung (das Buch Ruth erwähnt bereits seine Geburt).

Diese Phase der Geschichte Israels finden wir in Jakobs Prophezeiung über Juda, den Königsstamm erwähnt. Hier hören wir ausschließlich lobende Worte (Juda = Lob). Israel erlebte eine Blütezeit, worin es sich sogar die Nationen zu unterwerfen vermochte. Die Worte Jakobs über Schilo (= Ruhebringender) finden ihre Vorerfüllung wahrscheinlich in Salomo, dem Friedefürsten. Doch besitzen sie augenscheinlich eine weit größere Reichweite. Das Szepter würde nicht von Juda weichen, bis Schilo kam, dem die Nationen gehorchen würden. Diese Schilo-Prophetie ist eine messianische Prophetie. 

Juda würde den Herrscherstab bis zum Kommen Christi behalten, obwohl nur im Zweistämmereich und in noch geringerem Maße nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Ihm haben sich die Nationen jetzt im Glaubensgehorsam unterworfen (Röm. 16,26). Aber erneut stellen wir fest, daß diese Prophezeiung noch weitreichender ist. Christus ist jetzt noch der Verworfene und Er wird erst bei Seiner Wiederkunft den universellen Frieden und die Wohlfahrt bringen, worüber Jakob gesprochen hatte. Dann wird Er als der wahre Friedefürst regieren und Seine Herrschaft wird sich bis an die Enden der Erde erstrecken.

In der Folge sehen wir, was nach der Blütezeit unter David und Salomo, resp. nach der Verwerfung des Messias geschah: Angleichung an die Nationen und Unterwerfung den Nationen gegenüber, was auf den völligen Abfall hinausläuft. Dies wird in Sebulon, Issaschar und Dan dargestellt. Auch hier hat die Prophetie wieder zwei Ebenen, einerseits eine geschichtliche, die sich bereits erfüllt hat und andererseits eine, die sich teilweise erst in der Zukunft erfüllen wird. Israel hat sich langsam unter den Wirkungsbereich der umliegenden Völker begeben, was dazu führte, daß es zum Sklaven dieser Nationen (u.a. Ägypten, Assyrien, Babel) wurde und auch in dessen Götzendienst verfiel.

Hier finden wir Sebulon in Verbindung mit dem „Völkermeer“ (vgl. Jes. 17,12.13; Offb. 17,15). Sebulon (= Wohnung) orientierte sich völlig nach den Nationen und insbesondere nach Zidon, wovon der Baalsdienst herstammte, den König Ahab in Israel einführte (1. Kön. 16,31-33). Issaschar (= Lohn) verkaufte sich zum Sklavendienst und wurde dadurch tributpflichtig. In Dan (= Richter) nahm die Macht der Schlange, d.h. des Satans vollkommen Gestalt an, so daß Israel zu Fall gebracht und machtlos wurde. Der Stamm Dan wird in der Schrift oft in Verbindung mit Götzendienst erwähnt (Richt. 18; 1. Kön. 12,29,30). 

Israel hatte den einen wahren Gott verlassen und schließlich seinen Messias verworfen, als dieser in Knechtsgestalt zu ihm kam. Damit endete die Geschichte Israels und des ersten Menschen in seiner Verantwortung vor Gott. Es war ein völliger Mißerfolg und allein in der Rettung des HERRN kann noch ein Ausweg gefunden werden (siehe V. 18). Wir finden diese Rettung im Kreuz und in der Auferstehung Christi angekündigt, doch gibt es auch noch einen zukünftigen Aspekt, der sich auf die Erlösung und die Wiederherstellung Israels bezieht.

Das kurze Gebet Jakobs bildet den Wendepunkt in diesem Kapitel. Der oben genannte Prozeß des Verfalls und Abfalls hatte sich nach der Verwerfung Christi wiederholt. Israel wurde unter die Nationen zerstreut und ist in noch größerem Maße von ihnen abhängig geworden. Diese Situation hat bis heute angedauert, womit wir nun bei der noch zukünftigen Anwendung dieses Abschnittes angelangt sind. Dan ist ein Bild des Antichristen, der Israel regieren („richten“) wird. Dieser Antichrist wird stark in der Gunst des Führers des wiederhergestellten, römischen Reiches und des Satans selbst stehen (Offb. 13). Der Götzendienst erreicht dann seinen endgültigen Höhepunkt und der gläubige Überrest aus Israel wird unter Schmerzen Ausschau halten nach der Offenbarung der göttlichen Rettung.

Doch dann wird Gott plötzlich das Geschick Seines Volkes ändern. Er offenbart Seine Rettung als Antwort auf das Gebet in Vers 18. In Dan wird der absolute Tiefpunkt erreicht, doch die Geschichte wendet sich dann zum Guten. In Gad, Aser und Naphtali werden die Auswirkungen der Rettung Gottes in der Endzeit vorgebildet. Gad (= Schar) wird zwar durch eine feindliche Schar bedrängt, aber er trägt schließlich doch den Sieg davon und vertreibt die Feinde aus dem Land (vgl. Micha 4,14-5,8). Aser (= Glückselig) genießt von einem Überfluß an Nahrung und teilt davon auch anderen mit. Naphtali (= Kampf) freut sich an der Freiheit, die das Teil des Siegers ist und singt das Loblied der Erlösung.

Schließlich schildern uns Joseph und Benjamin ein zweifaches Bild der Herrlichkeit Christi im Friedensreich. Joseph (= Er füge hinzu) ist besonders ein Bild von dem durch Seine Brüder verworfenen Messias, den Gott jedoch zu Seiner Rechten erhöht und zum Retter der Welt gemacht hat. Der Vater blickt in Gunst und Wohlgefallen auf Ihn nieder und die reichsten Segnungen fallen Ihm anheim. In Benjamin (= Sohn der Rechten) sehen wir mehr die irdische Seite der Regierung Christi. Bei Seiner Erscheinung, wenn der Morgen des Friedensreiches anbricht, vernichtet Christus alle Seine Feinde. Er muß herrschen, bis Er auch den letzten Feind, den Tod weggetan hat (l. Kor. 15,24-28). Dies wird am Ende des Reiches geschehen, „am Abend“ (1. Mose 49,27), und dann wird das tausendjährige Friedensreich in den ewigen Zustand übergehen.

Zusammenfassend sehen wir somit in den ersten drei Söhnen Jakobs die Verdorbenheit des natürlichen Menschen. Ruben (d.h. Sehet, ein Sohn), erweist sich als ein unwürdiger Sohn. Simeon (= Erhörung) und Levi (= Anhänglichkeit) sind Bundesgenossen im Bösen. Drei Söhne sind besonders ein Bild Christi, die uns zeigen, wie Er in die Not des Menschen eingreift: Juda, Joseph und Benjamin. Die Bedeutung ihrer, sowie der übrigen Namen ist bereits erwähnt worden. In der dritten Gruppe von drei Söhnen - Sebulon, Issaschar und Dan - stellen wir eine deutlichen Abwärtsentwicklung fest, die den Verfall inmitten Israels, der schließlich in den Abfall der letzten Tage mündet, darstellt. In der letzten Gruppe von drei Söhnen - Gad, Aser und Naphtali - finden wir wieder eine Aufwärtsentwicklung, die die Wiederherstellung Israels und die Auswirkung der Rettung Gottes darstellt. 1. Mose 49 ist somit prophetische Geschichtsschreibung. Verschiedene Teile davon haben sich im Laufe der Geschichte Israels bereits historisch erfüllt, aber es besteht noch ein großer Teil unerfüllter Prophezeiungen in Verbindung mit der Endzeit.

5.3 Die Geschichte der Versammlung

Im weiteren denke ich, daß dieses Kapitel auch geistliche Belehrungen im Blick auf die Geschichte des heutigen Volkes Gottes, nämlich der Versammlung enthält. Auch dieses Kapitel des Alten Testamentes ist ja zu unserer Belehrung geschrieben (Röm. 15,4). Israel ist aufgrund seiner Verwerfung des Messias eine zeitlang zur Seite gestellt worden und Gott besitzt nun ein anderes Zeugnis auf der Erde, mit dem Er einen bestimmten Weg geht. Doch leider hat die Versammlung ebenso versagt, wie das alte Volk Gottes. In den ersten vier Söhnen Jakobs sehen wir bildlich die charakteristischen Segnungen, die Gott Seiner Versammlung ursprünglich geschenkt hatte:

  1. den Segen der Sohnschaft (Ruben);
  2. den Segen durch die Leitung des Geistes Gottes und das Hören des Wortes Gottes (Simeon);
  3. den Segen der Gemeinschaft mit Gott und mit den Gläubigen untereinander (Levi);
  4. den Segen der Anbetung in Geist und Wahrheit in der Anerkennung der Autorität Christi, der selber den Lobgesang inmitten der Seinen anstimmt (Juda).

Wenn wir die Geschichte der Christenheit verfolgen, dann erkennen wir, daß diese Vorrechte nicht lange bewahrt worden sind. Die Söhne Jakobs machten den wunderbaren Bedeutungen ihrer Namen leider keine Ehre und ebenso war die Handlungsweise der Versammlung oft im Widerspruch zu ihrer hohen Berufung gewesen. Die Christen haben sich mit der Welt vermischt und den Preis, den sie dafür zu bezahlen hatten, war daß sie in die Knechtschaft der Welt gerieten. Dies wird durch Sebulon (= Wohnung) und Issaschar (= Lohn) dargestellt. Der Tadel, den Christus an die Versammlung von Pergamus richtete, lautete dann auch folgendermaßen: „Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist“ (Offb. 2,13). 

Die Kirche hat sich zu einem Machtfaktor von Bedeutung für diese Erde entwickelt, was im völligen Widerspruch zu ihrer himmlischen Berufung war. Darum haben die Welt und „das Weib Jesabel“ (d.h. das Papsttum, Offb. 2,20) über sie geherrscht. Diese Geschichte des Versagens in Offenbarung 2 endet ebenfalls mit Götzendienst. Dies wird durch den Stamm Dan symbolisiert. Den Einfluß Jesabels finden wir in der Endzeit im götzendienerischen Babylon von Offenbarung 17 und 18 wieder. Die bekennende Christenheit ohne Leben geht ihrem Gericht entgegen.

In dieser Situation kann allein Gott noch helfen. „Auf deine Rettung harre ich“, ist darum das Gebet derer, die dem Wort Gottes und dem Namen Christi treu bleiben möchten. Selbst in den dunkelsten Zeiten gibt es einen Überrest von Überwindern (Gad besiegt eine Schar), der sich an einem Reichtum geistlicher Nahrung erfreut (Aser ißt Fettes) und der sich von den weltlichen und jüdischen Einflüssen freigekämpft hat (Naphtali ist eine losgelassene Hindin). Die wahre Versammlung wird an der Herrlichkeit Christi, des Ersten unter vielen Brüdern (Joseph ist der Abgesonderte unter seinen Brüdern), teilhaben. Sie teilt auch Seine Herrschaft hier auf dieser Erde und wird mit Ihm auf Seinem Thron sitzen (Benjamin verteilt die Beute). Die verlorengegangenen Segnungen der Anfangszeit bleiben somit das Teil eines treuen Überrestes, der Ausschau hält nach der vollen Offenbarung der Rettung Gottes bei der Wiederkunft Christi.

5.4 Etappen des geistlichen Wachstums

Zudem enthält 1. Mose 49 wertvolle Belehrungen für den einzelnen Gläubigen. Unsere Geschichte als Kinder und Söhne Gottes ist leider nicht immer fleckenlos, wie uns dies bildlich in den drei ersten Söhnen Jakobs gezeigt wird. Sie beginnt mit der Lektion aus dem 1. Korintherbrief: „Aber das Geistige war nicht zuerst, sondern das Natürliche, danach das Geistige“ (Kap. 15,46). Trotz aller geschenkten Vorrechte kann uns der alte Mensch Probleme bereiten. Zwar anerkennen wir die Autorität Christi in unserem Leben (Juda und Schilo), aber in der Praxis sind wir nur allzu oft Sklaven der Welt, des Gesetzes und der Sünde (Sebulon, Issaschar und Dan). Unsere Not treibt uns dann zum Gebet um die Offenbarung der Rettung Gottes: „Auf deine Rettung harre ich“ (V. 18). Wir haben aus eigener Erfahrung gelernt, daß wir von uns selber nichts Gutes mehr erwarten können und daß nur noch Gott helfen kann.

Das neutestamentliche Gegenstück dieses Gebetes Jakobs finden wir in dem Ausruf aus Römer 7,24: „Ich elender Mensch! wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ Wenn die Not einmal so groß ist, dann ist die Rettung nahe. So wie die Prophezeiung Jakobs von diesem kritischen Moment an einen guten Verlauf nimmt, so ergeht es auch dem Gläubigen, wenn ihm einmal die Augen für die Fülle des Heils in Christo geöffnet worden sind und er gelernt hat, daß er vom Gesetz der Sünde und des Todes freigemacht worden ist. Er lernt Gott zu danken und es beginnt ein Prozeß der Veränderung vom Sklaven zum Freien, vom Verlierer zum Sieger. Römer 8 beschreibt uns das Leben des Überwinders, das der Christ in der Kraft des Geistes Gottes führen kann.

Dies ist genau das, was wir in den folgenden drei Söhnen Jakobs finden. Gad überwindet die Feinde, die ihn bedrängen. Aser symbolisiert das Leben im Überfluß, das das Teil des Überwinders ist. Seine Speise ist fett und er gibt königliche Leckerbissen, d.h. er kann von seinem eigenen Überfluß auch anderen mitteilen. Naphtali vervollständigt dieses Bild und stellt die Freiheit und Freude dar, die der Gläubige nach dem Kampf von Römer 7 genießt. Er ist eine losgelassene Hindin und er gibt schöne Worte, d.h. er singt den Lobgesang der christlichen Freiheit und ruft: „Abba, Vater!“

Schließlich erreicht dieser Prozeß des geistlichen Wachstums seinen Höhepunkt, indem Christus Selbst in dem Gläubigen Gestalt annimmt. Das Leben im Geiste macht uns dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig (vgl. Röm. 8,14.29). Dies wird bildlich durch die zwei letzen Söhne Jakobs, nämlich Joseph und Benjamin dargestellt. Beide sind ein deutliches Bild des Herrn Jesus. Christus Selbst ist der Höhepunkt unserer Segnungen, die Krönung unseres Glücks.

 In Joseph sehen wir Ihn sowohl in Seiner Erniedrigung, als auch in Seiner Erhöhung, was unserem Leben sein Gepräge geben sollte. So besitzen wir einerseits Christus in Seiner tiefen Erniedrigung als unser Vorbild (Phil. 2), und andererseits Christus in Seiner himmlischen Herrlichkeit als das Ziel unseres ganzen Strebens (Phil. 3). Wenn Er in dieser Weise Gestalt in uns bekommt, dann wird unser Leben auch mehr und mehr durch den Mann zur Rechten Gottes beherrscht werden, der uns an den Folgen Seines Sieges teilhaben läßt (Benjamin verteilt die Beute). So werden wir geistlich zu Erwachsenen, von denen in den neutestamentlichen Briefe öfters die Rede ist und das Bild Christi kann deutlich in uns gelesen werden (siehe u.a. 1. Kor. 3,1-3; Gal. 4,19; Eph. 4,12-16; Kol. 1,28).

6Vergleich mit dem Segen Moses (5. Mose 33)

Der Segen Jakobs hat ein bemerkenswertes Gegenstück in dem Segen Moses, wie er am Ende seines 5. Buches zu finden ist. Der wichtigste Unterschied besteht darin, daß in 1. Mose 49 die Verantwortung des Menschen betont wird, während in 5. Mose 33 der Schwerpunkt auf den Ratschlüssen Gottes liegt. 1. Mose 49 ist eine lange Geschichte von Schuld und Strafe, von Versagen und Wiederherstellung. 5. Mose 33 stellt eine Momentaufnahme des Volkes dar, wenn es in Übereinstimmung mit Gottes Gnadenratschlüssen im Besitz all der Segnungen des verheißenen Landes ist. Der Geist Gottes übergeht hier all die negativen Dinge, die Jakob in 1. Mose 49 von seinen Söhnen erwähnt.

Natürlich gibt es auch ein Unterschied in der Art und Weise wie sie angesprochen werden. Jakob betrachtet seine Söhne als Häupter und Vertreter der zwölf Stämme (l. Mose 49,28), während Mose über die Stämme selbst spricht.

Die Reihenfolge der Stämme ist in 5. Mose 33 auch etwas anders als in 1. Mose 49. Auf Ruben folgt unmittelbar Juda, der Rubens Stellung als Erstgeborener empfing. Simeon fehlt völlig, wahrscheinlich deshalb, weil sich dieser Stamm größtenteils in Juda aufgelöst hatte. Es werden aber trotzdem zwölf Stämme erwähnt, weil Ephraim und Manasse beim Segen Joseph als einzelne Stämme gezählt wurden.

Im folgenden nun eine vergleichende Übersicht:

1. Mose 49 5. Mose 33

1 Ruben Ruben

2. Simeon Juda

3. Levi Levi

4. Juda Benjamin

5. Sebulon Joseph (Ephraim + Manasse)

6. Issaschar Sebulon

7. Dan Issaschar

8. Gad Gad

9. Aser Dan

10. Naphtali Naphtali

11. Joseph Aser

12. Benjamin

Auf Juda folgt Levi, der infolge seines Gehorsams zu Gott nach der Sünde Israels mit dem goldenen Kalb einen reichen Segen empfing (vgl. 2. Mose 32,25-29). Zusammen mit Joseph nimmt er im Segen Moses den vornehmsten Platz ein. In 1. Mose 49 sind dies Juda und Joseph. Wir sehen das Volk in 5. Mose 33 im Besitz des Landes, in die Nähe Gottes versetzt und in Übereinstimmung mit den Geboten Gottes leben. Hierfür ist der Levitendienst notwendig.

Danach folgen die beiden Söhne Rahels. Zuerst Benjamin und dann Joseph. Die Reihenfolge wird durch geistliche Kriterien bestimmt. So wie Levi den Dienst am Heiligtum besaß, so besaß Benjamin den Ort des Heiligtums. Jerusalem gehörte zu seinem Gebiet und darum wird hier gesagt, daß er in Sicherheit bei dem HERRN wohnte und umgekehrt, daß der HERR auch bei ihm wohnte. Dies führt dann zum Höhepunkt des Segens, der Joseph zufiel. Er wird hier ebenso wie in 1. Mose 49 der „Abgesonderte“ unter seinen Brüdern genannt. Danach folgen erst die beiden letzten Söhne Leas und die vier Söhne der Mägde. Ihre Segnungen stehen im engsten Zusammenhang mit dem Besitz und dem Genuß ihres jeweiligen Erbteils im verheißenen Land.

Mose hatte diese Segnungen ausgesprochen, kurz bevor das Volk unter der Leitung Josuas ins Land Kanaan einzog. Doch abgesehen von der geschichtlichen Erfüllung einiger dieser Segnungen, enthalten sie ebenso wie die Segnungen in 1. Mose 49 doch mehrheitlich eine deutlich geistliche und prophetische Bedeutung. Auch 5. Mose 33 enthält einige Hinweise auf das Friedensreich. Israel wird dann nicht nur zeitlich, sondern für immer im Besitz des Landes sein. Merkwürdig dabei ist, daß von der Zurückkehr Judas (aus der Zerstreuung) die Rede ist. Levi besiegt seine Widersacher (V.11) - von denen es in der Endzeit genug geben wird - und Benjamin wohnt dann in Sicherheit im Land (V.12).

Joseph herrscht sogar über die Nationen und seine Herrschaft wird sich bis an die Enden der Erde erstrecken. Sebulon und Issaschar werden die Völker zum Berg laden, d.i. zum Berg des HERRN oder Tempelberg, der am Ende der Tage als der erhabenste Berg feststehen wird (Jes. 2,2-5). Eine letzte Anspielung auf das Friedensreich ist noch im Schlußvers des Segens Moses enthalten, der über die Huldigung spricht, die die Feinde Israels erzwungenermaßen dem Volke darbringen werden. Diese Ausdrucksweise finden wir auch in den Psalmen erwähnt, und sie ist ein Hinweis auf die endgültige Unterwerfung der Nationen während der Regierung Christi.

7 Schluß

Über die praktische und geistliche Bedeutung dieser Segnungen für uns kann auch kein Zweifel bestehen. Auch für uns gilt, daß es der Segen des Herrn ist, der uns reich macht (Spr. 10,22). Unser Reichtum ist in erster Linie geistlicher Art, weil wir mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern in Christus gesegnet sind (Eph. 1,3). So wie Israel das verheißene Land als Erbteil besaß - und dies ist der Gegenstand des Segens Moses - so ist der Versammlung ein weitläufiges Gebiet geistlicher und ewiger Segnungen zuteil geworden, das es gilt im Glauben in Besitz zu nehmen.

 Es handelt sich hier somit nicht, wie in 1. Mose 49 um die Etappen des geistlichen Wachstums, das wir durchmachen und ebenso wenig um die Geschichte des Versagens und der Wiederherstellung des ganzen Volkes Gottes. In 5. Mose 33 finden wir als Gegenstand den ungestörten Besitz des göttlichen Segens im „Land“, das Er uns verheißen hat. Dieser Segen ist persönlich unser Teil, doch handelt es sich hier mehr um die gemeinschaftliche Seite davon. Er wird im „Stammesverband“, worin Gott uns gestellt hat und worin wir miteinander zusammenleben, genossen. Dies kann mit Psalm 133 verglichen werden, wo über den Segen gesprochen wird, den Gott dort verordnet, wo Brüder einträchtig beieinander wohnen.

Ich gehe jetzt nicht näher auf die Segenssprüche Moses ein, weise aber nur noch darauf hin, daß sie mit einer Lobpreisung gegen Gott enden, die Quelle allen Segens - während Jakob inmitten seiner Prophezeiung ein kurzes, aber eindringliches Gebet ausspricht.

1 Der Ausdruck „Schilo“ wird in anderen Übersetzungen auch mit „Silo“ oder „Shilo“ wiedergegeben (Anmerk. d. Übersetzers)

2 Sidon und Zidon sind Bezeichnungen derselben Stadt (Anmerk. des Übersetzers)

(Revidiert vom Autor im Juli 2000, eine Diskette ist zu beziehen durch

Br. Andreas Hardt, Uellendahler Straße 142, D – 42109 Wuppertal, Tel. 0202 – 979 1656)

Autor: Hugo Bouter

Originaltitel: De zegenspreuken van Jakob

Herausgeber: Stichting Boeken om de Bijbel

Bilderdijkstraat 59

2951 TB Alblasserdam / NL


Kommentare

Keine Beiträge gefunden.

Rezension verfassen