1. Mose 1, Mackintosh Charles Henry

10/07/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Gedanken zum 1. Buch Mose

C. H. MACKINTOSH

Charles Henry Mackintosh, dessen Initialen "C. H. M." vielen Christen in aller Welt wohlbekannt sind, wurde im Oktober 1820 in der Kaserne von Glenmalure in der Grafschaft Wicklow in Irland geboren. Sein Vater war Hauptmann im "Highlanders' Regiment" und hatte während des Aufstandes in Irland gedient. Seine Mutter war eine Tochter von Lady Weldon und entstammte einer alteingesessenen irischen Familie. Im Alter von achtzehn Jahren erlebte der junge Mann eine geistliche Er­weckung durch Briefe, die seine Schwester ihm nach ihrer Bekehrung schrieb. 

Er empfing Frieden durch die Lektüre der Schrift von J. N. Darby: "Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes", wobei ihm besonders die Worte halfen, daß das Werk Christi für uns, nicht Sein Werk in uns Frieden gibt.

Als junger Christ nahm er eine Stelle in einem Geschäft in Limerick an. Er las viel in Gottes Wort und beschäftigte sich eifrig mit ver­schiedenen Studien. Im Jahre 1844 eröffnete er eine Schule in West­port und wandte sich mit großem Eifer der Erziehungsarbeit zu. Seine geistliche Haltung in dieser Zeit zeigt sich darin, daß es sein Ziel war, Christus den unangetasteten ersten Platz in seinem Leben einzuräumen und Sein Werk als die Hauptsache zu betrachten. Als er 1853 jedoch be­fürchtete, daß die Schularbeit sein Hauptinteresse wurde, gab er diesen Dienst auf.

In der Zwischenzeit hatte er bereits begonnen, seine Gedanken zu den fünf Büchern Mose niederzuschreiben. In Abständen erschienen danach je eine Betrachtung über das erste bis vierte, und zwei über das fünfte Buch Mose. Diese Bücher, die von einem starken evangelistischen Geist geprägt sind, erlebten in der Folge verschiedene hohe Auflagen. 

Das Vorwort dazu schrieb Andrew Miller, der auch den Druck weitgehend finanzierte. Mit Recht sagt er von diesen Betrachtungen: "Die vollkom­mene Verderbtheit des Menschen durch die Sünde und Gottes vollkom­mene Rettung in Christus werden ausführlich, deutlich und oftmals sehr treffend dargestellt".

Als Ausleger besaß C. 1‑1. M." einen leicht verständlichen Stil. Er ver­stand es, seine Ansichten kraftvoll darzustellen. Manche seiner Deu­tungen mochten vielen Gläubigen zunächst eigenartig erscheinen, aber in bezug auf Treue zu Gottes Wort und Vertrauen auf Christus sind sie immer wieder eine große Hilfe.

Nachdem er seinen Schuldienst aufgegeben hatte, ging "C. H. M." nach Dublin, wo er öffentlich zu predigen begann. Viele Jahre verkündigte und verteidigte er nun das Evangelium und die christliche Wahrheit, und Gott bekannte sich deutlich zu seinem Dienst. 

Als in den Jahren 1859‑60 die Erweckung Irland ergriff, war auch er aktiv dabei, und die ersten Bände der Zeitschrift "Things New and Old" ("Neues und Altes") zeugen von seiner Tätigkeit. Er war ein großer Glaubensmann, der im­mer gerne bezeugte, daß Gott ihn zwar oft in Prüfungen brachte, aber ihn nie Mangel leiden ließ, während er im Evangeliumsdienst stand und ohne Einkünfte aus materieller Arbeit war.

Seine letzten vier Lebensjahre verbrachte er in Cheltenham, wo er seinen schriftlichen Dienst fortsetzte, als er wegen seines Alters die mündliche Verkündigungsarbeit aufgeben mußte.

Es ist schwer, den Einfluß seiner Schriften zu schätzen. Aus aller Welt erreichten ihn Briefe, in denen Dank und Anerkennung für seine Er­klärungen zu den fünf Büchern Mose zum Ausdruck kamen. Seine erste Schrift aus dem Jahre 1843 trug den Titel: "Der Friede Gottes". Wenige Monate vor seinem Heimgang im Jahre 1896 übersandte er seinem Verleger ein Manuskript mit der Überschrift "

Der Gott des Friedens". Seine "Miscellaneous Writings" (Gemischte Schriften) sind in sechs Bänden erschienen, ebenso seine Gedanken zu den fünf Büchern Mose. Er ging am 2. November 1896 in Frieden heim. Vier Tage später wurde er unter großer Anteilnahme neben seiner geliebten Frau beigesetzt. Bruder Dr. Wolston aus Edinburgh sprach über das Begräbnis Abrahams unter Zugrundelegung von 1. Mose 25, 8‑10 und Hebräer 8, 10. Zum Abschluß sangen die Versammelten das schöne Lied von J. N. Darby:

0 bright and blessed scenes, Where sin can never come; Whose sight our longing spirits weans From earth where yet we roam.

Kapitel 1

IM ANFANG SCHUF GOTT DIE HIMMEL UND DIE ERDE‑.

Überraschend ist die Art und Weise, wie der Heilige Geist dieses ein­zigartige Buch beginnt. Er führt uns sofort in die Gegenwart Gottes, und zwar in die wesentliche Fülle Seines Seins und die Einsamkeit Seines Wirkens. Jede Einleitung wird ausgelassen. Wir werden unmittelbar zu Gott geführt. Wir hören Ihn gleichsam das Schweigen der Erde brechen und sehen, wie Er in ihre Finsternis mit Licht eindringt, um einen Be­reich zu schaffen, in dem Er Seine ewige Kraft und Göttlichkeit entfalten kann (Röm. 1, 20). 

Hier gibt es nichts, woran müßige Neugierde Nah­rung finden könnte, nichts für die Spekulationen des menschlichen Geistes. Wir finden hier die Erhabenheit und Wirklichkeit der göttlichen Wahrheit, wie sie in ihrer sittlichen Kraft auf Herz und Verständnis wirkt. Mögen die Geologen das Innere der Erde erforschen und von dort Ergebnisse zu Tage fördern, welche die göttliche Urkunde zu ver­vollständigen oder ihr auch zu widersprechen scheinen; mögen sie ihre Forschungen über versteinerte Körper anstellen ‑ der jünger des Herrn beugt sich mit heiliger Freude über das göttlich eingegebene Wort. 

Er liest, glaubt und betet an. Mögen auch wir in diesem Geist unsere Be­trachtung über das vor uns liegende inhaltsreiche Buch beginnen. Mögen wir verstehen, was es heißt, "zu forschen in seinem Tempel" (Ps. 27), und unsere Erforschungen des kostbaren Inhalts der Heiligen Schrift stets in einem Geist wahrer Anbetung fortsetzen.

„Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde" (V. '1). Dieser erste Ausspruch der Heiligen Schrift versetzt uns in die Gegenwart dessen, der die unerschöpfliche Quelle aller wahren Segnung ist. Man findet hier keine ausführlichen Beweise für das Dasein Gottes. Wie könnte der Heilige Geist sich auf so etwas einlassen? Gott offenbart sich selbst.

Er macht sich bekannt durch Seine Werke. "Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündet seiner Hände Werk" (Ps. 19, 1). 55 werden dich preisen alle deine Werke". ‑ "Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger!" (Offb. 15, 3). Nur ein Ungläubiger oder ein Gottesleugner kann nach Beweisen für das Dasein dessen suchen, der Welten schuf durch das Wort Seines Mundes, und der sich selbst als der Allwissende, der Allmächtige, der ewige Gott zu erkennen gegeben hat. Wer außer "Gott" vermochte etwas zu erschaffen?" "

Hebet zur Höhe eure Augen empor und sehet: Wer hat diese da geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, ruft sie alle mit Namen: wegen der Größe seiner Macht und der Stärke seiner Kraft bleibt keines aus" (Jes. 40, 26). "Alle Götter der Völker sind Nichtigkeiten! der HERR aber hat die Himmel gemacht". 

Im Buch Hiob (Kap. 38 bis 41) finden wir in erhabenen Worten, wie der HERR sich selbst auf das Werk der Schöpfung beruft, als einen un­widerleglichen Beweis für Seine unumschränkte Oberhoheit, und wäh­rend dies einerseits dem Verständnis die gewaltige und lebendige Dar­stellung der Allmacht Gottes zeigt, berührt sie andererseits unsere Her­zen durch die Herablassung, die sich in ihr offenbart. Die Majestät und die Liebe, die Macht und die zärtliche Güte ‑ alles ist göttlich.

"Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe" (V. 2). Das war in Wahrheit ein Ort, wo allein Gott wirken konnte. Da hatte der Mensch noch keinen Platz, bis auch er wie alles andere ein Gegenstand der schöpferischen Macht wurde. 

Gott war allein in der Schöpfung. Er schaute aus Seiner ewigen Wohnstätte des Lichts herab auf die Wüstenei und erblickte hier die Stätte, wo Seine wunderbaren Pläne und Ratschlüsse zur Ausführung kommen sollten, und wo der Ewige Sohn leben, wirken, zeugen, bluten und sterben sollte, um staunenden Welten die herrlichen Vollkommenheiten der Gottheit zu offenbaren. Überall herrschten Finsternis und Unordnung, aber Gott ist ein Gott des Lichts und der Ordnung (l. Joh. 1, 5). 

Finsternis und Unordnung, mögen wir sie von einem natürlichen, sittlichen, geistigen oder geistlichen Gesichtspunkt aus betrachten, können in Seiner Gegen­wart nicht bestehen.

"Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern". Er schwebte gleichsam brütend über dem Ort Seines zukünftigen Wirkens. Wahrlich, ein finsterer Ort ‑ ein Ort, der dem Gott des Lichts und des Lebens einen unbegrenzten Raum zum Wirken bot. Er allein konnte die Finsternis erleuchten, Leben hervorbringen, Ordnung an die Stelle des Chaos setzen und zwischen den Wassern eine Ausdehnung schaffen, in der das Leben sich ohne Todesfurcht ausbreiten konnte. Das waren in der Tat Unternehmungen, die Gottes würdig waren.

"Und Gott sprach.‑ Es werde Licht! und es ward Licht" (V. 3). Wie einfach, und doch göttlich! "Denn er sprach, und es war; er gebot, und es stand da" (Ps. 33, 9). Der Unglaube mag fragen: "Wie und wann?" Die Antwort lautet: "Durch Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so daß das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist" (Hebr. 11, 3). 

Das befriedigt eine Seele, die sich belehren lassen will. Die Weltweisheit mag verächt­lich darüber lächeln und es Unwissenheit oder Leichtgläubigkeit nennen, die zwar einem barbarischen Zeitalter angemessen, aber unwürdig für Menschen sind, die in einem aufgeklärten Jahrhundert der Weltge­schichte leben, wo uns die Wissenschaft mit Tatsachen vertraut gemacht hat, von denen jene inspirierten Schreiber nichts wußten. Welche Weis­heit! Welche Gelehrsamkeit! 

Nein, lieber welche Torheit! Welch ein Unsinn! Welche Unfähigkeit, den Zweck und die Absicht der Heiligen Schrift zu verstehen! Sicher ist es nicht die Absicht Gottes, uns zu Wissenschaftlern auszubilden. Seine Absicht ist es, uns in Seine Gegen­wart zu führen, und zwar als Anbeter, deren Herz und Verständnis durch Sein heiliges Wort belehrt und richtig geleitet werden. Doch das genügt dem sogenannten Philosophen nicht. 

Nein, er verachtet die nach seiner Meinung gewöhnlichen und engherzigen Vorurteile des frommen Jüngers des Wortes und greift vertrauensvoll zum Fernrohr und entdeckt damit ferne Welten. Oder er steigt hinab in die Tiefen der Erde, um ihre Schichten, Bildungen, Versteinerungen usw. zu er­forschen, die, wie er meint, die inspirierten Mitteilungen der Heiligen Schrift vervollständigen, wenn sie nicht gar im Widerspruch dazu stehen.

Mit solchen "Widersprüchen der fälschlich sogenannten Kenntnis" haben wir nichts zu schaffen. Wir glauben, daß alle wahren Entdeckungen, sei es im All oder auf der Erde, mit den Mitteilungen des Wortes Gottes stets in Einklang stehen werden. Tun sie es nicht, so sind sie nach dem Urteil eines jeden Freundes der Schrift zurückzuweisen. 

Das gibt dem Herzen große Ruhe in einer Zeit, die so reich ist an gelehrten Spekulationen und hochtrabenden Theorien, die leider nur zu oft Rationalismus und ausgeprägten Unglauben verraten. Es ist sehr nötig, daß das Herz bezüglich der Autorität, der Vollkommenheit und der göttlichen Eingebung des heiligen Buches fest gegründet ist, denn darin beruht die einzige wirksame Schutzwehr gegen Rationalismus einerseits und Aberglauben andererseits. 

Genaue Bekanntschaft mit dem Wort und völlige Unterwerfung unter das Wort sind gegenwärtig die wichtigsten Erfordernisse. Möge der Herr in Seiner großen Gnade das eine wie das andere in unserer Mitte reichlich vermehren.

"Und Gott sah das Licht daß es gut war; und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht" (V. 4. 5). Hier haben wir die beiden großen Sinnbilder, die im ganzen Wort so häufig Anwendung finden. Die Gegenwart des Lichts macht den Tag aus, seine Abwesenheit die Nacht. In der Ge­schichte der Seelen finden wir dasselbe. 

Es gibt "Söhne des Lichts" und "Söhne der Finsternis". Das ist eine scharf bezeichnete, ernste Unter­scheidung. Alle, auf die das Licht des Lebens geschienen hat, alle, die wirklich besucht worden sind von "dem Aufgang aus der Höhe" (Luk. 1, 78), alle, die den "Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi" (2. Kor. 4,6) geschaut haben ‑ alle diese, wer und wo sie auch sein mögen, gehören der ersten Klasse an: sie sind "Söhne des Lichts" und "Söhne des Tages".

 Alle aber, die sich noch von Natur in Finsternis, Blindheit und Unglauben befinden, alle, die in ihren Herzen noch nicht die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit aufgenom­men haben ‑ diese alle sind noch in die Schalten geistlicher Nacht ge­hüllt. Sie sind "Söhne der Finsternis" und "Söhne der Nacht".

Lieber Leser! Denke einen Augenblick nach und frage dich in der Ge­genwart dessen, der die Herzen erforscht, welcher von diesen beiden Klassen du angehörst. Daß du entweder auf der einen oder auf der anderen Seite deinen Platz hast, bedarf keiner Frage. 

Du magst arm, verachtet und ungelehrt sein, aber wenn die Gnade ein Band gewirkt hat, das dich mit dem Sohn Gottes, dem "Licht der Welt", verbindet, dann bist du in Wahrheit ein Sohn des Tages und wirst bald für immer wie ein Stern in der himmlischen Herrlichkeit glänzen, in dem Bereich, deren Zentralsonne das "geschlachtete Lamm" in Ewigkeit sein wird. Das ist nicht dein eigenes Werk.

 Es ist das Ergebnis des Ratschlusses ‑und der Wirksamkeit Gottes selbst, der in Jesu und in Seinem vollkommenen Opfer dir Licht und Leben, Freude und Frieden geschenkt hat ' Aber wenn du die heilige Wirkung und den Einfluß des göttlichen Li noch nicht kennst und deine Augen noch nicht geöffnet worden sind, irgendwelche Schönheit in dem Sohne Gottes zu erblicken, dann bist du ‑ auch wenn du große Intelligenz und alle Schätze der Philosophie besitzt, und alle Ströme menschlicher Weisheit getrunken hast und dein Name alle Gelehrtentitel trägt, die Schulen und Universitäten verleihen können ‑ so bist du dennoch ein "Sohn der Nacht", ein "Sohn der Finsternis".

 Und überrascht dich der Tod in deinem gegenwärtigen Zustand, so fällst du in Finsternis und Schrecken einer ewigen Nacht. Darum lies keine Seite weiter, bevor du völlig befriedigt bist in bezug auf die Frage, ob du dem "Tage" oder der "Nacht" angehörst.

Der nächste Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist die Erschaffung der Lichter. "Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Ausdehnung des Himmels, um den Tag von der Nacht zu scheiden, und sie seien zu Zeichen und zur Bestimmung von Zeiten und Tagen und Jahren; und Sie seien zu Lichtern an der Ausdehnung des Himmels, um auf die Erde zu leuchten! Und es war also. Und Gott machte die zwei großen Lichter: das große Licht zur Beherrschung des Tages, und das kleine Licht zur Beherrschung der Nacht, und die Sterne" (V. 14‑16).

Die Sonne ist der große Mittelpunkt des Lichts und der Mittelpunkt unseres Systems. Rings um sie her kreisen die kleineren Himmelskörper, und von ihr empfangen sie Licht. Daher kann sie mit Recht als ein passendes Sinnbild dessen betrachtet werden, der als die "Sonne der Gerechtigkeit mit Heilung in ihren Flügeln" aufgehen wird, um die Herzen derer zu erfreuen, die den Herrn fürchten. 

Das Passende und Schöne dieses Sinnbildes wird aber erst dem vollkommen klar, der nach durchwachter Nacht die aufgehende Sonne mit ihren glänzenden Strahlen den östlichen Himmel vergolden sieht. Die Nebel und Schatten der Nacht verschwinden, und die ganze Schöpfung scheint das wieder­kehrende Licht zu begrüßen. So wird es sein, wenn einst die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht. Die Schatten der Nacht werden entfliehen, und die ganze Schöpfung wird erfreut sein über das Dämmern eines "Mor­gens ohne Wolken", über das Anbrechen eines glänzenden und nie endenden Tages der Herrlichkeit.

Der Mond, dunkel in sich selbst, läßt stets das Licht der Sonne wider­strahlen.*) Wenn die Sonne hinter dem Horizont versunken ist, so ist der Mond da, um die von ihr aufgefangenen Strahlen auf eine dunkle

 *) Es ist interessant, daß der Mond durch ein gutes Fernrohr den Anblick eines ruinierten Naturzustandes bietet.

Welt zurückzuwerfen. Sollte er aber während des Tages sichtbar sein, so zeigt er stets ein bleiches Licht ‑ die notwendige Folge seines Erscheinens in Gegenwart eines höheren Glanzes. Allerdings treten auch manchmal die Erde und ihre Einflüsse störend dazwischen und verber­gen durch Wolken und Nebel vor unseren Blicken sein silbernes Licht.

Wie nun die Sonne ein schönes und passendes Sinnbild von Christus ist, so erinnert uns der Mond in auffallender Weise an die Kirche oder Versammlung. Christus, die Quelle ihres Lichtes, ist dem natürlichen Auge verborgen. Die Welt sieht Ihn nicht, sie aber sieht Ihn und ist verantwortlich, Seine Strahlen auf eine umnachtete Welt zurückzuwer­fen. Die Kirche Gottes bietet der Welt einen Weg, um etwas von Christus zu lernen. Der Apostel sagt: "Ihr seid unser Brief ... gekannt und gelesen von allen Menschen; die ihr offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid"( 2. Kor. 3, 2. 3).

Welch eine verantwortliche Stellung! Wie ernst sollte die Kirche in allen ihren Wegen gegen alles wachen, was den Widerschein des himmlischen Lichtes Christi verhindern könnte! Wie aber soll sie dieses Licht zu­rückstrahlen lassen? Dadurch, daß sie es in seinem ungetrübten Glanz auf sich scheinen läßt. Würde die Kirche nur im Licht Christi wandeln, so ließe sie auch ohne Zweifel Sein Licht reflektieren, und dies würde sie stets in der ihr geziemenden Stellung erhalten. 

Der Mond hat kein eigenes Licht. Ebenso verhält es sich mit der Kirche. Sie ist nicht be­rufen, sich selbst in den Blickpunkt der Welt zu stellen. Sie ist nur schuldig, das Licht widerstrahlen zu lassen, das sie selbst empfängt. Sie hat die Verpflichtung, mit heiligem Fleiß den Weg, den Er ging, zu erforschen und durch die Energie des in ihr wohnenden Heiligen Geistes Ihm auf diesem Weg zu folgen. 

Aber ach! Die Welt mit ihren Nebeln und Wolken tritt oft störend dazwischen und verbirgt das Licht und befleckt den Brief. Man kann oft nur wenig von den Zügen des Charakters Christi bei denen entdecken, die sich nach Seinem Namen nennen; ja, bei manchen Gelegenheiten zeigen sie eher einen demütigen­den Gegensatz als eine Ähnlichkeit. Möchten wir Christus mehr unter Gebet betrachten, damit wir ein treueres Bild von Ihm darstellen können!

Die Sterne sind ferne Lichter. Sie leuchten in anderen Welten und stehen nicht in unmittelbarer Verbindung mit unserem Sonnensystem, außer daß ihr Flimmern gesehen werden kann. Es unterscheidet sich Stern von Stern an Herrlichkeit". 

So wird es in dem kommenden Reich des Sohnes sein. Er wird in lebendigem und ewigem Glanz strahlen, Sein Leib, die Kirche, wird Seine Strahlen auf ihre Umgebung zurückfallen lassen, und die einzelnen Gläubigen werden in der Sphäre scheinen, den der gerechte Richter ihnen zum Lohn für treuen Dienst in der Nacht Seiner Abwesenheit zuweist. Dieser Gedanke sollte uns ermuntern, unserem abwesenden Herrn ähnlicher zu werden (Luk. 19,12‑19).

Nun treten die niedrigen Ordnungen der Schöpfung in Erscheinung. Das Meer und die Erde sollen von lebendigen Wesen wimmeln. Einige glauben, in den Verrichtungen jedes Schöpfungstages ein Vorbild der verschiedenen Haushalte und ihrer großen charakteristischen Grund­sätze erblicken zu müssen.

 Ich möchte dazu nur bemerken, daß es not­wendig ist, wenn man die Schrift in dieser Weise behandeln will, über die Einbildungskraft zu wachen, sowie streng die Aufmerksamkeit auf die allgemeine Übereinstimmung der Schrift zu richten, denn sonst liegt die Gefahr nahe, in traurige Irrtümer zu verfallen. Ich jedenfalls möchte mich nicht auf diese Art der Auslegung einlassen und werde mich daher nur auf das beschränken, was ich als den klaren Sinn des Textes zu erkennen glaube.

Wir kommen jetzt zu dem Platz des Menschen, als gesetzt über die Werke der Hand Gottes. Nachdem alles geordnet war, brauchte die Schöpfung ein Haupt. "Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis; und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über das Gevögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das sich auf der Erde regt! Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn; Mann und Weib schuf er sie. 

Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan; und herrschet über die Fische des Meeres und über das Gevögel des Himmels und über alles Getier, das sich auf der Erde regt" (V. 26‑28). Auffallend ist die Ab­wechslung in den Ausdrücken: "Er schuf ihn" und "Er schuf sie". Zwar wird uns erst im nächsten Kapitel die Erschaffung der Frau mit­geteilt, jedoch finden wir hier, daß Gott "sie" segnet und ihnen ge­meinschaftlich den Platz der Regierung über die Erde einräumt. Alle niedrigeren Ordnungen der Schöpfung werden unter ihre vereinte Herr­schaft gestellt. 

Eva empfing alle ihre Segnungen in Adam. In ihm er­ langt sie auch ihre Würde. Obwohl sie noch nicht tatsächlich ins Dasein gerufen war, wurde sie doch in dem Ratschluß Gottes als ein Teil des Mannes betrachtet. "Meinen Keim sahen deine Augen, und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben; während vieler Tage wurden sie gebildet, als nicht eines von ihnen war" (Ps. 139, 16).

Ebenso ist es mit der Kirche, der Braut des zweiten Menschen. Sie wurde von Ewigkeit her in Christo, ihrem Haupt und Herrn, gesehen, wie wir in Eph. 1, 4 lesen: "Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe". Bevor noch ein einziges Glied der Versammlung lebte, waren alle schon nach Gottes ewigem Willen "zuvorbestimmt dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein". 

Nach den Ratschlüssen Gottes ist die Kirche notwendig zur Vollendung des geheimnisvollen Menschen. Darum ist sie berufen, "die Fülle dessen zu sein, der alles in allem erfüllt". Das ist ein wun­derbarer Titel. Er enthält die Würde, die Wichtigkeit und 2.ic Herrlich­keit der Versammlung.

Man hat sich vielfach daran gewöhnt, die Segnung und Sicherheit einzel­ner Seelen als das einzige Ziel der Erlösung zu betrachten, aber wie gering und unvollständig ist eine solche Meinung von der Erlösung! Daß wir auch individuell vollkommen sichergestellt sind, unterliegt keinem Zweifel. Dennoch ist da‑, der kleinste Teil der Erlösung. Die Herrlichkeit Christi ist in die Existenz der Kirche oder Versammlung eingeschlossen und damit verbunden, und das ist eine Tatsache von weit höherer Würde und Kraft. 

Wenn ich nach den Worten der Heiligen Schrift berechtigt bin, mich als einen Bestandteil von dem zu betrachten, was Christus unumgänglich bedarf, so kann ich an der völligen Vor­sorge bezüglich meiner persönlichen Bedürfnisse nicht länger zweifeln. Und ist die Kirche für Christus nicht unumgänglich nötig? Ohne Zwei­fel. "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, seines Gleichen". Und wiederum: "

Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne; denn der Mann wurde auch nicht um des Weibes willen geschaffen, sondern das Weib um des Mannes willen ... Dennoch ist weder das Weib ohne den Mann, noch der Mann ohne das Weib im Herrn. Denn gleichwie das Weib vom Manne ist, also ist auch der Mann durch das Weib; alles aber von Gott" (l. Kor. 11, 8‑12). Wie ohne Eva eine Lücke in der Schöpfung gewesen wäre, so wäre ohne die Braut, die Kirche, eine Lücke in der neuen Schöpfung.

Laßt uns jetzt untersuchen, in welcher Weise Eva ins Dasein gerufen wurde. Wir müssen dabei auf den Inhalt des nächsten Kapitels vor­greifen. In der ganzen Schöpfung wurde keine Hilfe für Adam ge­funden. Ein "tiefer Schlaf" mußte auf ihn fallen und eine Gefährtin aus ihm selbst gebildet werden, um seine Herrschaft und Segnung zu teilen. "Und Gott der HERR ließ einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief. 

Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloß ihre Stelle mit Fleisch; und Gott der HERR baute*) aus der Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, ein Weib, und er brachte sie zu dem Menschen. Und der Mensch sprach: Diese ist einmal Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch; diese soll Männin heißen, denn vom Manne ist diese genommen" (Kap. 2,21‑23).

*) Das hebräische Wort, das hier mit "baute" übersetzt ist, wird in der Septuaginta mit okodomesen wiedergegeben. In Eph. 2, 20. 22 sind die Worte "aufgebaut" und "mitaufgebaut" Ableitungen desselben griechischen Wortes.

Wenn wir nun Adam und Eva als ein Vorbild von Christus und der Kirche betrachten, wozu uns die Schrift völlig berechtigt, so sehen wir, daß der Tod Christi eine vollendete Tatsache sein mußte, bevor die Kirche gebildet werden konnte, obwohl sie nach dem Vorsatz Gottes vor Grundlegung der Welt in Christus gesehen und auserwählt wurde. Zwischen dem verborgenen Ratschluß Gottes und seiner Offenbarung und Ausführung, besteht ein großer Unterschied. 

Bevor der Ratschluß Gottes in bezug auf die Kirche verwirklicht werden konnte, mußte der Sohn verworfen und gekreuzigt werden. Er mußte Seinen Platz im Himmel einnehmen und, um die Gläubigen zu einem Leibe zu taufen, den Heiligen Geist herniedersenden. Das heißt natürlich nicht, daß einzelne Seelen nicht schon vor dem Tod Christi lebendig gemacht und errettet worden waren. Ohne Zweifel war das der Fall. Adam und viele tausend andere im Lauf der Zeiten wurden durch das Opfer Christi errettet, obwohl dieses Opfer noch nicht vollbracht war. 

Aber die Er­rettung einzelner Seelen und die Bildung der Kirche durch den Heiligen Geist sind zwei verschiedene Dinge. Leider wird dieser Unterschied nicht genug beachtet, und selbst da, wo er der Lehre nach verteidigt wird, findet man nur selten die praktischen Ergebnisse, die aus einer so hohen Wahrheit hervorgehen sollten. Der einzigartige Platz der Kirche, ihr besonderes Verhältnis zu dem "zweiten Menschen, dem Herrn vom Himmel", ihre besonderen Vorrechte und Würden ‑ alles das würde, wenn es durch die Kraft des Heiligen Geistes aufgenommen und erfaßt würde, reiche 'und liebliche Früchte hervorbringen (Siehe Eph. 5, 23‑32).

Wenn wir nun das vorliegende Bild betrachten, können wir uns eine ge­wisse Vorstellung von den Ergebnissen machen, die aus dem Ver­ständnis über die Stellung der Kirche hervorgehen sollten. Wieviel Liebe schuldete Eva dem Adam! Welche Nähe genoß sie! Wie eng war die Gemeinschaft! Wie nahm sie teil an allen seinen Gedanken! In all seiner Würde, in all seiner Herrlichkeit war sie vollständig eins mit ihm. Er herrschte nicht über sie, sondern mit ihr. 

Er war Herr der ganzen Schöpfung, und sie war eins mit ihm, ja, sie wurde, wie bereits be­merkt, in ihm gesehen und gesegnet. Um des "Mannes" willen wurde sie ins Dasein gerufen. Zuerst wurde der Mann geschaffen, dann das Weib in ihm gesehen und aus ihm gebildet.

In Psalm 8 finden wir eine schöne Darstellung des Menschen, den Gott über das Werk Seiner Hände gesetzt hat: "Wenn ich anschaue deinen Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkst, und des Men­schen Sohn, daß du auf ihn acht hast? 

Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt; und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn ge­krönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder alle­samt und auch die Tiere des Feldes, das Gevögel des Himmels und die Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchwandert" (Ps. 8, 3‑8). Hier wird uns der Mensch ohne Erwähnung des Weibes vorgestellt. Das ist durchaus richtig, denn das Weib wird im Mann gesehen.

In keinem Teil des Alten Testaments finden wir eine direkte Offen­barung des Geheimnisses der Kirche. Der Apostel sagt ausdrücklich: "Welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden, wie es jetzt geoffenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten (des Neuen Testaments) im Geiste" (Eph. 3, 5). 

Aus diesem Grund wird in Psalm 8 nur der "Mann" vor unsere Augen gestellt, aber wir wissen, daß Mann und Weib gleichsam unter einer Überschrift betrachtet werden. Dies alles wird in den zukünftigen Zeitaltern sein vollkommenes Gegenbild finden. Dann wird der wahre Mensch, der Herr vom Himmel, Seinen Platz auf dem Thron einnehmen und in Gemeinschaft mit Seiner Braut, der Kirche, über eine wiederhergestellte Schöpfung herrschen. 

Die Kirche, die lebendig aus dem Grab Christi hervorging, ist ein Teil von seinem Leibe, von seinem Fleische und von seinen Gebeinen". Der Herr Jesus als das Haupt und die Kirche als der Leib machen einen Menschen aus, wie wir in Kapi­tel 4 des Epheserbriefes lesen: "Bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachse­nen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus". 

Da die Kirche einen Teil von Christus bildet, wird sie in der Herrlichkeit einen besonderen, nur für sie allein bestimmten Platz einnehmen. Kein anderes Geschöpf stand Adam so nahe wie Eva, denn keins war ein Teil von ihn. Ebenso wird die Kirche in der zukünftigen Herrlichkeit den allernächsten Platz bei Christus einnehmen.

Doch nicht nur, was die Kirche sein wird, sondern auch was sie ist, ruft unsere Bewunderung hervor. Sie ist jetzt der Leib Christi. Sie ist jetzt der Tempel, in dem Gott selbst Wohnung gemacht hat. Wenn aber das die gegenwärtige und die zukünftige Würde der Versammlung ist, von der wir durch Gottes Gnade einen Teil bilden, dann geziemt uns ein heiliger, unterwürfiger und abgesonderter Lebensweg.

Möge der Heilige Geist diese Dinge unseren Herzen deutlicher offen­baren, damit sich unser Verantwortungsgefühl immer mehr vertieft, unserer hohen Berufung durch würdiges Verhalten zu entsprechen. "

Damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisset, welches die Hoffnung seiner Berufung ist, und welches der Reichtum der Herrlich­keit seines Erbes in den Heiligen, und welches die überschwengliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, in welcher er gewirkt hat in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte; und er setzte ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum und jede

 Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Versamm­lung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt" (Eph. 1, 18‑23).