9.) Samuel, Saul, David 10.Jahrh.v.Chr.

12/24/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Etwa 280 Jahre nach der Eroberung Kanaans hatte die Geschichte Israels einen sehr kritischen Punkt erreicht. 

Die Priester, die dem Volk als geistliche Führer ein Segen sein sollten, hatten kläglich versagt. Die Söhne Elis, des Hohenpriesters, hatten sich als ihres Amtes unwürdig erwiesen. Das Volk war verwaist, es hatte weder Führer noch Lehrer.

In dieser kritischen Stunde trat Samuel auf den Plan. Gott redete jetzt durch Propheten zum Volk statt durch die Priester. Samuel war Israels erster Prophet; ihm folgten viele andere, die zum Teil
in seinen Schulen herangebildet worden waren. Aber das Volk hatte nicht nur interne Schwierigkeiten. Von außen wurde es bedroht durch die feindlichen Heere der Philister.

Deshalb kamen die Ältesten zu Samuel und baten ihn, ihnen einen König zu geben, so wie alle Völker ringsum einen König hatten. Bis dahin war Israel eine Theokratie (Gottesherrschaft) gewesen -Gott selbst hatte das Volk regiert. Jetzt sollte ein König regieren, und damit wurde Gott verworfen.

Auf Gottes Anweisung hin wurde Saul von Samuel zum König über Israel gesalbt. Anfangs war seine Regierung vielversprechend. Das Volk hatte wieder einen Führer, aber Saul war kein wahrer
Diener des Herrn, und so fiel er immer tiefer in die Sünde. So diente er als Priester, ein Dienst, der jedem außerhalb der Familie Aarons verboten war. Dann tat er einen unnötigen Schwur, der seinem Sohn Jonathan beinahe das Leben gekostet hätte.

Außerdem verschonte er den heidnischen König Agag, den er töten sollte. Danach tötete er einige Priester des Herrn und machte wiederholt aus Neid Anschläge auf Davids Leben, weil dieser den Riesen Goliath getötet hatte und dadurch im Volk bekannt geworden war. Schließlich ging er noch zu einer Wahrsagerin in Endor, um sich dort einen Rat zu holen.

Nachdem er den heidnischen König verschont hatte, verwarf Gott sein Königtum und ließ David zum König salben. Aber David konnte seine Regierung nicht antreten, solange Saul lebte. Statt dessen mußte er sich viele Jahre lang in Höhlen in der Wüste verbergen, 

Drei Söhne Sauls kamen im Kampf ums Leben, und Saul selbst wurde durch die Philister schwerverwundet. Um dem Spott der Sieger und dem Tod von ihrer Hand zu entgehen, beging er Selbstmord.

                   Das zweite Buch Samuel
Das zweite Buch Samuel berichtet hauptsächlich von Davids Regierung. Siebeneinhalb Jahre regierte er nur über Juda, denn Is-Boseth, ein Sohn Sauls, hatte die Regierung über die
nördlichen Stämme an sich gerissen. Zwischen den beiden Reichsteilen brach Krieg aus. Is- Boseth wurde von seinen eigenen Dienern getötet, und David wurde zum König über das ganze Reich ernannt.

Im Anfang seiner Regierung führte David einen Krieg nach dem andern mit den Feinden des Landes, hauptsächlich mit den Philistern. David erhob Jerusalem zur politischen Hauptstadt und
zum religiösen Zentrum. Er hätte dort auch gerne für Gott einen Tempel gebaut, aber er war ein Kriegsmann, und deshalb in Gottes Augen untauglich für ein solches Werk. 

Dafür bekam er aber von Gott die Verheißung, daß sein Thron ewig bestehen solle und daß immer ein König aus seinem Geschlecht auf diesem Thron sitzen werde. Im elften Kapitel lesen wir den traurigen Bericht über Davids Sünde. Als ihm etwa ein Jahr später Nathan sein Unrecht vorhielt, tat er Buße, und Gott vergab ihm. Er brauchte nicht zu sterben, aber er wurde gestraft durch verschiedene Schwierigkeiten und Nöte innerhalb der eigenen Familie:

1. Das Kind, das er in Sünde gezeugt hatte, mußte sterben.

2. Sein Sohn Amnon wurde von Absalom, einem anderen seiner     Söhne, getötet.
3. Absalom erhob sich selbst zum König und trieb David ins Exil. Später wurde auch Absalom umgebracht, und David kehrte nach Jerusalem zurück. Gegen Ende seiner Regierung wurde David hochmütig. Er ließ eine Volkszählung durchführen, um sich mit der Stärke seines Heeres und der Menge des Volkes zu brüsten, anstatt sich auf Gott zu verlassen und ihm die Ehre zu geben. 

Zur Strafe für diesen Hochmut ließ Gott die Pest über das Land kommen, die 70 000 Israeliten das Leben kostete. David tat Buße, baute Gott einen Altar und brachte Opfer. Da hörte die Plage auf.

Betrachtungen über das erste und zweite Buch Samuel, Rossier H.

02/22/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

                              Einleitung 1 Samuel                                               

Auf das Buch der Richter und das Buch Ruth folgt das Buch Samuel. In seinen Anfängen ist die Zeit der Richter noch nicht abgeschlossen: der Hohepriester Eli war einer von ihnen (vergl. 1. Samuel 4, 18); auch Samuel, der erste Prophet (Apg. 3, 24; 13, 20 ), war Richter über Israel (1. Samuel 7, 6). Er glaubte seine Söhne als Richter nach ihm einsetzen zu können (1. Sam. 8, 1), aber ihre Untreue machte diesem Haushalt ein Ende. Zudem hatte die Zeit der Richter mehr den Charakter einer Übergangsperiode: die Richter brachten dem Volke, welches die Schuld auf sich geladen hatte, die Feinde Jehovas bestehen zu lassen, anstatt sie auszurotten, vorübergehende Erleichterungen in ihrem Elend. Diese Nationen hatten Israel in ihre eigene Sittenverderbnis und in ihren Götzendienst mit hineingezogen, und so musste das Volk sich ihrem Joche beugen, als Strafe für seinen Ungehorsam. Unter diesem schweren Druck seufzend, schrie das Volk zu Jehova; und der Herr, voll Erbarmen gegen sie, sandte ihnen in der Person der Richter Befreier, welche ihnen Linderung verschafften und sie aus der Hand ihrer Plünderer retteten. Aber ach! nichts vermochte ihr Herz zu ändern. Wenn der Richter starb, so verderbten sie sich wiederum, mehr als ihre Väter, indem sie anderen Göttern nachgingen, um ihnen zu dienen und sich vor ihnen zu bücken. „Sie ließen nichts fallen von ihren Taten und von ihrem hartnäckigen Wandel" (Richter 2, 19). Während der Zeit der Richter bleibt das Priestertum das unmittelbare und anerkannte Band, der Berührungspunkt zwischen dem Volke und Gott. Es vertritt das Volk in seinen Beziehungen zu Gott, welcher Selbst der König Israels ist. Zeitweise, in den Tagen, wo "ein jeder tat, was recht war in seinen Augen" (Richter 21, 25), schien das Priestertum, wenn ich mich so ausdrücken darf, seine Rolle ausgespielt zu haben; nichtsdestoweniger blieb das durch das Priestertum gebildete Band bestehen.

Das Buch Ruth ist am Ende der Geschichte der Richter eingeschoben, um uns die geheimen Gedanken Gottes betreffs eines neuen Haushalts, nämlich desjenigen des Königtums, zu offenbaren. Man sieht dort, wie Gott einen König nach Seinem Herzen vorbereitet; gleich dem Schilo der Prophezeiung Jakobs (1. Mose 49, 10), musste er aus dem Stamme Juda kommen. Dieses Buch beginnt daher mit Elimelech, einem Manne aus Juda, und verkündigt am Schluss den Namen des Königs David, indem es uns so im Voraus zeigt, wer der Gesalbte des Herrn sein soll.

Beachten wir hier, dass die Beziehungen zu Jehova unter dem Priestertum und dem Königtum verschieden sind. Unter dem Priestertum ist diese Beziehung eine unmittelbare, denn der Hohepriester vertritt das Volk vor Gott; das Königtum dagegen ist eine über das Volk eingesetzte Gewalt. Das Volk war dem König unterworfen, und dieser sollte es nach den Gedanken Gottes regieren. Die Person des Königs war es, von welcher Gott Treue erwartete; er war vor Gott für die Untreue Israels verantwortlich und von seinem Betragen hing das Geschick des Volkes ab.

Bis zur endgültigen Einsetzung des Königs finden wir auch im 1. Buche Samuel eine Übergangsperiode. Die erste große Tatsache, welche festgestellt wird, ist, dass das Priestertum untreu geworden war und deshalb nicht länger die Grundlage der Beziehungen des Volkes zu Gott bilden konnte. Ohne Zweifel war das Priestertum immer nötig und konnte nicht abgeschafft werden, aber es hört jetzt auf, den ersten Platz einzunehmen. In dem Königtum wird eine neue Grundlage geschaffen. Dann will Gott sich einen treuen Priester erwecken, welcher alle Tage vor Seinem Gesalbten wandeln wird, anstatt wie früher das Band zwischen dem Volke und Gott zu sein (1. Sam 2, 35.)

Hieraus erklärt es sich, warum das erste Buch Samuel mit dem Stamme Levi und dem Priestertum beginnt und nicht, wie das Buch Ruth, mit Juda und dem Königtum.

Elkana ist ein Levit [1], Eli ist der Hohepriester; wir stehen also auf dem Boden des Priestertums [2]. Wenn das Priestertum treu geblieben wäre, so würde eine Änderung des Haushalts nicht stattgefunden haben. Sein Verfall musste daher vor Einführung des wahren Königs festgestellt werden; Gott konnte nicht durch die Vermittlung eines verderbten Priestertums mit dem Volke in Verbindung bleiben.

Andererseits war es aber nötig zu zeigen, dass, wenn Gott Seinen König als Vermittler zwischen Israel und sich einsetzte, dieses Verhältnis nicht auf dem Boden des Fleisches errichtet werden konnte. Daher die ganze Geschichte Sauls, von Kapitel 9 bis zum Ende des Buches. Gott konnte ohne Zweifel einen König nach dem Fleische als Befreier Seines Volkes benutzen, aber diese Verwendung befähigte Saul in sittlicher Beziehung nicht dazu, das Haupt Israels zu sein. Das Buch der Richter zeigt uns dieselbe Wahrheit in der Geschichte Simsons. Die Gabe und der innere Zustand eines Menschen sind zwei verschiedene Dinge. Saul, der später Verworfene, kann „unter den Propheten" sein; Bileam kann Israel segnen; Judas kann mit den Jüngern in Kraft tätig sein, und gleichwohl zum Werkzeug des Feindes werden, um seinen Herrn und Meister zu verraten.


Eli, oder der Verfall des Priestertums (Kapitel 1 -3)


Kapitel 1 - Es fällt uns hier zunächst Hanna auf; sie zeigt den Charakter, welcher den Gläubigen aller Zeitalter eigentümlich ist. Ihr Name bedeutet „Gnade"; aber bevor sie diesem Namen entspricht, stellt sie das Fleisch dar, welches unfähig ist, für Gott Frucht zu bringen. Damit muss immer der Anfang gemacht werden. Das Wort Gottes belehrt uns, dass der natürliche Mensch zwei besondere Charakterzüge hat, und diese sind Bosheit und Unfähigkeit; und das Gesetz hat keinen anderen Zweck, als uns hiervon zu überzeugen. Doch wird es uns viel leichter, uns für schuldig zu bekennen, als unsere Unfähigkeit einzugestehen, denn die Kraftlosigkeit unseres Fleisches einzuräumen, ist tief demütigend für uns.

Hanna fühlte das, aber es war nicht ihre einzige Prüfung. So wie einst Sarah, war auch sie dem Hass und der Verachtung seitens des Weibes nach dem Fleische ausgesetzt. Diese war in vollkommenem Glück, denn Peninna „hatte Kinder" während Hanna keine hatte; und der Hass Peninnas war um so größer, weil die Liebe ihres Gatten sich dem verachteten und unfruchtbaren Weibe zugewandt hatte. Elkana „liebte Hanna" (V. 5).

Die arme Hanna war voller Herzeleid und weinte viel. Doch eine Zuflucht blieb ihr; sie konnte ihren Kummer vor Jehova bringen. Das Herz Gottes allein konnte ihr in Gnade antworten, und deshalb erschien sie vor Ihm zu Silo. Dort wartete ihrer indes eine neue Probe. Sie begegnet da dem Mangel an Verständnis bei Eli, dem geistlichen Haupte ihres Volkes, welcher das Wirken des Geistes Gottes mit der Tätigkeit des Fleisches verwechselt und sie für eine Trunkene hält, während sie doch „in Weib beschwerten Geistes" war. Welch ein Schmerz musste das für sie sein! In sich selbst ohne irgendwelche Hilfsquelle, ist das Herz der Welt ihr feindlich gesinnt, und diejenigen, welche den Namen Jehovas tragen, verurteilen und missverstehen sie. Wie hätte sie essen und trinken u können, solange der einzige Wunsch ihrer Seele keine Befriedigung gefunden hatte? Hanna will den ersehnten Sohn nicht für sich behalten; sie ist völlig bereit, ihn Jehova zu geben „alle Tage seines Lebens", einen Nasiräer für Gott aus ihm zu machen; aber was sie braucht, ist ein Zeichen der Gunst Gottes, es ist „die Gnade". Hat Gott ihr, dem unfruchtbaren Weibe, diesen Namen umsonst gegeben? Es bleibt ihr nur die Gnade übrig, und das ist der Punkt, wohin sie kommen musste.

Eli ist trotz allem ein wahrer Diener Jehovas, und sein Gewissen erlaubt ihm nicht, der Stimme der Wahrheit kein Gehör zu geben. Er kommt von seiner ersten Auffassung über Hanna zurück und segnet sie im Namen Gottes: „Gehe hin in Frieden; und der Gott Israels gewähre deine Bitte, die du von ihm erbeten hast!" (V. 17).

Der Glaube Hannas macht sich augenblicklich die Gnade zu eigen, ehe er noch deren Wirkungen erfahren hat. „Sie ging ihres Weges und aß, und ihr Angesicht war nicht mehr dasselbe" (V. 18). Diese Zuversicht des Glaubens genügt, um ihr Herz zu befestigen und es mit einer Freude zu erfüllen, die vor allen Augen sichtbar wird.

Sie ist jetzt voller Dankbarkeit. Es genügt ihr nicht, nach dem tiefen Kummer eine überströmende Freude und Ruhe gefunden zu haben. Was soll sie Gott wiedergeben für eine so große Wohltat? Das, was sie in Vers 11 gelobt hat: sie will ihren Sohn ganz Jehova weihen, er soll völlig für Ihn abgesondert sein. Und als ihr Gebet durch die Geburt Samuels Erhörung gefunden hat, zieht sie ihr Gelübde nicht zurück: „dass er vor Jehova erscheine und dort bleibe auf immerdar". Diese einfache Frau des Leviten bringt dem Herrn ein kostspieliges Opfer dar - „drei Farren und ein Epha Mehl und einen Schlauch Wein"; aber was war das alles im Vergleich mit der Tatsache, dass sie Samuel hingab? Sie trennt sich von ihrem einzigen Sohne, der ihr von Gott selbst geschenkt war, von demjenigen, den sie „von Gott erbeten" hatte, und beweist dadurch, dass Gott einen höheren Wert für sie hat, als der so heiß ersehnte Sohn.

Möchten wir auch einen solchen Glauben haben! Um ihn zu offenbaren, stellt Gott unsere Herzen auf die Probe. Diese Probe wird, wie bei Hanna, zunächst nicht ein Gegenstand der Freude, sondern des Schmerzes und der Betrübnis sein, hernach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind.

Kapitel 2 Vers 1 - 11 - Das Bewusstsein ihres unheilbaren Zustandes, ihre Hilflosigkeit und Erniedrigung hatten Hanna zum Empfang der Gnade, welche Gott ihr in der Gabe Samuels zuteil werden ließ, vorbereitet. Aber kaum hielt sie den Sohn in ihren mütterlichen Armen, als sie sich wieder von ihm trennen musste, um ihn Gott zu weihen. Ihr Leben wurde einsamer als je, und dies noch zu einer Zeit, wo durch den Zustand des Volkes der Verfall rings um sie her immer weitere Fortschritte machte. Dennoch ist Hanna erfüllt mit einer Freude, die in einen Triumphgesang ausströmt: „Es frohlockt mein Herz in Jehova ... denn ich freue mich in deiner Rettung" (V. 1). Die Ursache hiervon ist, dass Gott Sich ihr in Gnade geoffenbart hat, ja, dass Er Sich Seiner treuen Dienerin noch offenbart, welche alles von Ihm empfangen, aber nichts für sich behalten, sondern Ihm alles zurückgegeben hat. Nachdem sie ihrem Sohne entsagt hat, versteht sie besser, was Gott in Sich Selbst ist; sie weiß alles mehr zu schätzen, was Er für sie ist. Abraham machte eine ähnliche Erfahrung, als er auf das Gebot Jehovas Isaak opferte. Gerade bei dieser Gelegenheit offenbarte ihm Gott den ganzen Umfang der Verheißungen, die ihm zuteil geworden waren, und bestätigte sie seinem Samen nach ihm. (1. Mose 22, 15 - 18; Galater 3, 15. 16 .)

Mit der Freude hat Hanna auch Kraft gefunden. „Erhöht ist mein Horn in Jehova", sagt sie (V. 1). Und diese Kraft wird „in Schwachheit vollbracht" (Vergl. 2. Korinther 12, 9). Gott teilt sie einem schwachen, gedemütigten und verachteten Weibe mit, nachdem Er alle Hochgestellten, alle, die einen Namen in Israel hatten, verstoßen hatte. Der herrliche Lobgesang Hannas hat daher zum Ausgangspunkt ihre persönlichen schmerzlichen Erfahrungen, obgleich er weit darüber hinausgeht. Im Verlaufe unseres Buches werden wir finden, dass sich dieselbe Sache bei David zeigt. Die göttlich eingegebenen Psalmen sind die Frucht seiner Erfahrungen, aber die Bedeutung, die Tragweite, welche der Heilige Geist ihnen gibt, geht weit darüber hinaus; sie beschäftigen sich, prophetisch, mit den Leiden und Herrlichkeiten Christi, mit der Person Dessen, der die Erfüllung aller Verheißungen, aller Wege und Ratschlüsse Gottes ist.

So müssen wir auch den Lobgesang Hannas auslegen. Ihre persönlichen Umstände dienen zur Einführung von nicht geoffenbarten Dingen, welche bis dahin in den Ratschlüssen Gottes verborgen waren.

Der Hauptgegenstand des Lobgesanges der Hanna, der erhabene Grundsatz, welcher uns in ihm entgegentritt, ist die unumschränkte Gnade und die Macht Gottes, welcher den Stolzen und den, der sein Vertrauen auf Fleisch setzt, erniedrigt, aber den Schwachen und Kraftlosen erhöht; „denn Jehovas sind die Säulen der Erde, und auf sie hat er den Erdkreis gestellt" (V. 8). Seine Gnade und Seine Macht sind der Boden, auf welche Er die Ordnung der ganzen Schöpfung gegründet hat. Das elende und in Verfall geratene Israel sowie ein armer, schwacher, aber treuer Überrest hatten nötig, diese Dinge zu wissen; sie mußten lernen, dass alles von Ihm allein abhängt, dass Er allein die Schritte Seiner Heiligen bewahren, die Bösen zum Schweigen bringen, die ganze Kraft des Menschen zunichte machen, alle Seine Widersacher zerschmettern und schließlich die Macht Seinem König geben und das Horn Seines Gesalbten erhöhen kann [3]. Denn Er greift ein zu Gunsten von Israel, indem Er Seinem Christus die Macht gibt. Er gibt die Macht nicht Seinem Volke, sondern Seinem Gesalbten. Er erweckt den König, von dem alles abhängig ist, den Mittel- und Angelpunkt von allem, das einzige Mittel, um die Beziehungen zwischen Seinem Volke und Sich aufrecht zu erhalten.

Lasst uns noch einige Einzelheiten dieses Lobgesanges näher betrachten. Vers 1 preist die Rettung Jehovas. Alles ist lauter Gnade auf Seiner Seite, denn die Gnade führt die Rettung herbei. Vers 2 rühmt die Heiligkeit Jehovas. Der Gläubige kann diese beiden Charakterzüge nicht voneinander trennen; der, welcher Gott als seinen Erretter kennengelernt hat, versteht, dass Er „der Heilige ist, und keiner außer ihm". Aber man muss heilig sein, um Ihm anzugehören; deshalb hat Er uns für Sich Selbst geheiligt. Unser ganzes Verhalten sollte hinfort diesen Charakter tragen.

Diese große Wahrheit trat beim Passah klar ans Licht. Die Israeliten waren durch das Blut des Lammes, welches an ihrer Statt dem Gericht übergeben wurde, sichergestellt worden. Das Volk eignete sich dieses Opfer zu, indem es das Lamm verzehrte mit ungesäuertem Brot, welches vorbildlich die heilige Menschheit Christi darstellte. Von diesem Augenblick an wurde es dem Volke ausdrücklich geboten, sieben Tage lang das Fest der ungesäuerten Brote zu feiern. Wie Der, welcher sie berufen hatte, heilig war, So sollten auch sie heilig sein in allem Wandel (1. Petrus 1, 15. 16).

Vers 3 ist eine Warnung für die Bösen, von denen Peninna ein Vorbild ist. Sie werden in die Gegenwart Gottes gestellt, der alles weiß und die Handlungen der Menschen abwägt.

In den Versen 4 - 8 finden wir die Ursache der Zucht, welche die Gläubigen betroffen hatte. Sie diente dazu, um einerseits den Charakter der Gnade ans Licht zu stellen, indem die Gläubigen zur Herrlichkeit erhoben werden, und um andererseits den Charakter der Gerechtigkeit zu zeigen, indem Vergeltung die Bösen erreicht. Diese Gnade geht so weit, dass der Unfruchtbaren sieben Kinder geschenkt werden, eine vollkommene Zahl, welche Hanna niemals erreicht hat (V. 21), denn sie hatte nur sechs Kinder. Die verheißenen Segnungen werden erst ihre Vollkommenheit erreichen in der Herrlichkeit, welche dem wiederhergestellten Überrest des Volkes Israel aufbewahrt ist.

In Vers 10 wird, wie wir gesehen haben, die Ankunft des Messias, des wahren Königs, angekündigt: „Jehova wird erhöhen das Horn seines Gesalbten". Mit Ihm in unmittelbare Verbindung gebracht zu sein, ist die Kraft, welche Hanna in Vers 1 zuteil wurde: „Mein Horn ist erhöht in Jehova".

Fußnoten:

[1] Elkana (Kap. 1, 1) war ein Levit, ein Nachkomme Kehaths, vom Stamme Levi (1. Chron. 6, 27. 28). Von den Leviten gab es drei verschiedene Familien, deren Häupter Gerson, Kehath und Merari waren; diesen Familien war „aller Dienst der Wohnung des Hauses Gottes" anvertraut. (1 .Chronika 6, 48). Eine jede hatte ihren besonderen Dienst: die Gersoniter mussten alle Decken und Umhänge des Heiligtums tragen, die Merariter seine Bretter, Riegel, Säulen und Pflöcke. Die Kehathiter waren vor den anderen bevorzugt und deshalb auch besonders verantwortlich; ihr Dienst war ein ganz besonders vertrauter: sie trugen die Geräte des Heiligtums, mit welchen man den Dienst verrichtete, darunter die Bundeslade und den Vorhang. Elkana war ein Kehathiter. Von Kehath stammten auch Mose und Aaron ab. Die Söhne Moses, Gersom und Elieser, mit ihren Nachkommen, wurden die­ser Familie zugezählt. Unter der Regierung Davids, und als es sich darum handelte, das Haus Gottes zu bauen, war der Dienst der Leviten ein ganz anderer als während des Zuges durch die Wüste (Vergl. 1.Chronika 23, 28 - 32.)

[2] Das Hohenpriestertum jener Zeit wurde durch Eli dargestellt. Aaron hatte außer Nadab und Abihu welche ohne Nachkommen gestorben waren (1. Chronika 24,2), zwei Söhne: Eleasar und Ithamar. Von diesen beiden Männern mussten alle abstammen, welche das Priestertum ausübten. Ihr Dienst bestand erstens darin: „zu räuchern auf dem Brandopferaltar und auf dem Rauchaltar, nach allem Geschäft des Allerheiligsten“ und zweitens: „Sühnung zu tun für Israel“ (1. Chronika 6, 49)

Eleasar, der ältere der beiden Söhne Aarons, war Vater des Pinehas, der „in dem Eifer Jehovas eiferte in der Mitte der Kinder Israels", und welchem Gott deshalb „einen Bund ewigen Priestertums, ihm und seinem Samen nach ihm", gab (4. Mose 25, 10 - 13). Die Nachkommenschaft Eleasars ist deshalb das treue Geschlecht, dem die Verheißung gehört. Diese Linie fand ihre Fortsetzung in Zadok, welcher das Priestertum unter David und Salomo ausübte (2.Samuel 8, 17; 1.Könige 2, 35 ), und in Asaria, von dem es heißt: „Dieser ist es, der den Priesterdienst ausübte in dem Hause, welches Salomo zu Jerusalem gebaut hatte" (1. Chronika 6, 10).

Ithamars Nachkomme war Eli, der im ersten Kapitel unseres Buches auftritt. Zu jener Zeit war das Hohepriestertum also in der Familie Ithamars. Später kam Ahimelech, welchen Saul mit der ganzen damaligen Priesterschaft ermorden ließ; nur Abjathar entrann und flüchtete zu David. (1. Samuel 22.) Auch war die Nachkommenschaft Ithamars weniger zahlreich als die seines älteren Bruders. (1. Chronika 24, 4). Später, zu den Zeiten Absaloms, übte Abjathar zugleich mit Zadok das Priestertum aus (2.Samuel 17, 15). Denn vorher hatte er David gedient und „in allem gelitten, worin der König gelitten hatte" (1.Könige 2, 26). Hernach aber, als David sehr alt geworden war, verband sich derselbe Abjathar mit Joab, um Adonija an Stelle Salomos zum König zu machen, während Zadok treu blieb (1 .Könige 1, 7. 8.). Schließlich verstieß ihn Salomo von dem Hohepriestertum, weil er sich durch seine Verschwörung gegen ihn des Todes schuldig gemacht hatte, und auch „um das Wort Jehovas zu erfüllen, welches er zu Silo über das Haus Elis geredet hatte" (1 .Könige 2, 27).

[3] Der Lobgesang der Maria (Lk. 1, 46 -5 6) zeigt dieselben Merkmale. Dieses schwache Weib, welches, obgleich dem Geschlecht Davids angehörend, unter den Geringen verborgen war, verherrlicht die Gnade und die Macht des Gott-Heilandes, welcher die Hochmütigen erniedrigt, die Geringen erhöht und sich der Sache Israels annimmt


Kapitel 2, 12 – 36 - In dem Verlauf dieses Kapitels wird uns der Zustand des Verfalls, in welchen das Priestertum geraten war, vor Augen gestellt. „Die Söhne Elis waren Söhne Belials." Schreckliche Bezeichnung! denn es handelt sich um diejenigen in Israel, welche Gott am nächsten standen. Die Sünde dieser Männer war von zweierlei Art: sie verachteten die Rechte derjenigen, welche Jehova Opfergaben darbrachten, indem sie sich deren Anteil widerrechtlich aneigneten (Vers 13. 14); und sie verachteten die Rechte Jehovas, indem sie Sein Teil mit unheiligen Händen berührten und ihr Teil vorabnahmen, und so sich selbst Gott voranstellten (V. 15. 16). Sie mästeten sich an den Opfern Jehovas und machten sie verächtlich in den Augen der Menschen.

Finden wir nicht dieselben Grundsätze bei der Priesterschaft aller Völker, sei sie heidnisch, jüdisch oder christlich? Ohne Zweifel zeigen sie sich mehr oder weniger grob und hassenswürdig, je nach den Verhältnissen; aber schließlich sind es doch die Grundsätze einer jeden Klasse von Menschen, welche sich in religiösen Dingen Herrschaft oder Vorrechte der andere Menschen anmaßt (Vergl. Mt. 24, 48. 49). Sie beanspruchen Rechte über die einfachen Gläubigen, lassen sich auf deren Kosten bedienen, und selbst ein Knecht des Priesters hat in ihren Augen eine höhere Stellung als die Anbeter selbst. Sie eignen sich in gewissem Maße die Vorrechte Gottes widerrechtlich an und machen Ihn verächtlich, um dann an Seiner Stelle sich ehren zu lassen. So war es im höchsten Maße der Fall bei den bösen Söhnen Elis: sie kannten Jehova nicht; „die Furcht Jehovas war nicht vor ihren Augen". Ohne diese Furcht hasst man das Böse nicht. Ist es deshalb zu verwundern, dass sich die schrecklichste Verderbtheit bei ihnen offenbarte? (V. 22).

Hatte nun wenigstens der Hohepriester inmitten dieses Verderbnisses seinen Platz bewahrt? Ach nein! Eli, der gottesfürchtige Eli, hatte das geistliche Verständnis verloren; und doch zeigte er sich noch fähig, den jungen Samuel die Gedanken und Wege Gottes zu lehren. Noch mehr, er hatte ein richtiges Urteil über das Böse, und sein Herz blutete, wenn er das ausschweifende Leben seiner Söhne sah. Auch verbarg er dies nicht vor ihnen. Ohne Zweifel hatte niemand ihnen in so deutlicher Weise sein Missfallen ausgedrückt, wie ihr Vater: „Warum tut ihr dergleichen Dinge? Denn ich höre diese eure bösen Handlungen von dem ganzen Volke. Nicht so, meine Söhne! Denn nicht gut ist das Gerücht, das ich höre; ihr machet das Volk Jehovas übertreten. Wenn ein Mensch gegen einen Menschen sündigt, so entscheidet Gott über ihn; wenn aber ein Mensch gegen Jehova sündigt, wer wird für ihn bitten?" (V. 23-25).

Was fehlte denn nun diesem Manne Gottes? wird man fragen - Dies fehlte ihm: Er verurteilte wohl das Böse aber er trennte sich nicht davon. Es ist eine traurige und beschämende Sache, feststellen zu müssen, dass das Gleiche bei der Mehrzahl der Kinder Gottes in der Christenheit heute der Fall ist. Ihre Verbindungen, ihr Umgang, ihre Zuneigungen, allerlei Gewohnheiten, die sie höher schätzen als die Verherrlichung des Herrn, verhindern sie zu erkennen, dass man mitverantwortlich ist für Böses, welches man verurteilt, ohne sich davon zu trennen.

Diese Botschaft musste der Mann Gottes Eli überbringen. Eli beteiligte sich in keiner Weise an dem ungöttlichen und zügellosen Betragen seiner Söhne, und doch werden gerade an ihn die feierlichen Worte gerichtet: „Warum tretet ihr mit Füßen mein Schlachtopfer und mein Speisopfer, die ich in der Wohnung geboten habe? Und du ehrest deine Söhne mehr als mich, dass ihr euch mästet von den Erstlingen aller Opfergaben Israels, meines Volkes" (V. 29). „Du ehrst deine Söhne mehr als mich!" Unglücklicher Eli! trotz all seiner Frömmigkeit gab es Menschen, seine eigenen Söhne, welche er, wie sein Verhalten bewies, mehr ehrte als Jehova. Gott hatte Geduld mit ihm gehabt, aber jetzt musste Eli die bitteren Früchte des Mangels an Heiligkeit auf seinem Wege ernten, denn Heiligkeit ist nichts anderes als Trennung vom Bösen im Blick auf den Dienst Gottes.

Das Haus Elis, des Nachkommen von Ithamar, ging seinem Untergang entgegen; es konnte in der Verfassung, in welcher es war, nicht „vor Gott wandeln ewiglich" (V. 30). „Denn die mich ehren", spricht der Herr, „werde ich ehren, und die mich verachten, werden gering geachtet werden." Aber, wird man wieder fragen, verachtete denn Eli, dieser gerechte Mann, den Herrn? Ja; denn „kein Hausknecht kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird dem einen anhangen und den anderen verachten" (Lk. 16, 13). Deshalb wird auch ein schreckliches Gericht über das Haus Elis ausgesprochen (V. 31 - 34). Aber Gott, der Gott der Gnade, bleibt bei dem Gericht nicht stehen; Er bedient Sich desselben, um ein beständiges Priestertum vor Sich aufzurichten. Er vertraut das Priesteramt den Nachkommen Eleasars an: „Ich werde mir einen treuen Priester erwecken, der wird tun, wie es in meinem Herzen und in meiner Seele ist; und ich werde ihm ein beständiges Haus bauen, und er wird vor meinem Gesalbten wandeln alle Tage" (V. 35). Gleichzeitig mit der Aufrichtung eines Priestertums nach Seinem Herzen lässt Gott auch die Änderung des Haushalts ankündigen; aber dies geht prophetisch weit über das Priestertum der Söhne Eleasars unter David und Salomo hinaus. "Der Gesalbte" ist Christus, und während Er, zur Zeit des tausendjährigen Reiches, droben sein wird als König und Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks, wird es auf der Erde ein treues Priestertum aus den Nachkommen Zadoks geben, dessen ganzer Dienst gereichen wird zur Verherrlichung des erwählten Königs, des zur Rechten Gottes erhöhten Menschen (Vergl. Hesekiel 44, 13 - 15).

Möchten wir uns durch das Beispiel Elis belehren lassen! Wir leben in einer Zeit, welche durch viel Tätigkeit im Dienste gekennzeichnet wird. Diese Tätigkeit täuscht leicht uns selbst und andere, weil sie den Anschein eines großen Eifers für den Herrn und Sein Werk hat. Sie kann sogar von hervorragender Begabung begleitet sein; aber beides hat wenig Wert, wenn unser persönlicher Zustand und unser Verhalten nicht damit in Übereinstimmung sind, wie es leider bei Eli in solch trauriger Weise der Fall war. Wahrer Dienst, so wie er Gott gefällt und entspricht, kann nur ausgeübt werden, wo diese Übereinstimmung vorhanden ist.

Bei Samuel begegnen wir einem durchaus entgegengesetzten Zustand der Dinge. Wir können bei ihm die ununterbrochene Entwicklung eines Lebens in Heiligkeit verfolgen, trotzdem mehr als eine Schwachheit sich zeigte; denn Vollkommenheit findet sich nur bei Christo.

Als er noch ein kleiner Knabe war, wird von ihm gesagt: „Er betete daselbst Jehova an" (Kap. 1, 28). So soll auch ein in Christo „Neugeborener" sogleich seinen Platz als Anbeter vor Ihm einnehmen. Als Zweites lesen wir: „Der Knabe aber diente Jehova vor Eli, dem Priester" (Kap. 2, 11). Diese Stellung kennzeichnet das ganze Leben Samuels, aber er dient hier unter der Leitung Elis; denn, weil er noch sehr jung war, hatte er nötig zu lernen, ehe er andere belehren konnte.

Später hören wir, dass er nicht mehr vor Eli dient, sondern mehr unmittelbar „vor Jehova" (V. 18), „ein Knabe, umgürtet mit einem leinenen Ephod", d. h. in einem priesterlichen Charakter; denn das leinene Ephod war die besondere Kleidung des Priesters (Vergl. Kap. 22, 18). Da das Priestertum in Verfall geraten war, bekleidete Jehova damit sozusagen interimistisch (einstweilig) diesen jungen Leviten. Wir finden etwas Ähnliches später bei David, der das leinene Ephod vor der Bundeslade trug (2. Samuel 6, 14). Bei den Christen ist dies ganz anders; sie sind endgültig Könige und Priester vor Gott, dem Vater.

Sodann (V. 21) lesen wir: „Der Knabe Samuel wurde groß bei Jehova". Hier handelt es sich um seinen vertrauten Verkehr mit Gott, ohne welchen der Dienst niemals wirkungsvoll sein kann.

Schließlich (V. 26) heißt es von ihm „Der Knabe Samuel wurde fort und fort größer und angenehmer, sowohl bei Jehova als auch bei den Menschen". Ich möchte dies die Vertraulichkeit der Gunst nennen. Die innigen Beziehungen zwischen Samuel und Gott lenkten die Aufmerksamkeit der Menschen auf seinen Weg als auf eine angenehme Sache. Der vertraute Verkehr mit Gott spiegelte sich auf dem Antlitz dieses jungen Knaben wider. Dasselbe wird uns von Johannes dem Täufer (Lk. 1, 80) und mit noch viel größerem Recht von Jesu gesagt: „Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe, und an Gunst bei Gott und Menschen" (Lk. 2, 52). Die ganze Kraft unseres christlichen Zeugnisses hängt von unserem verborgenen Leben in der Gegenwart des Herrn ab.

Möchte der Herr geben, dass wir in unserem Verhalten mehr dem jungen Samuel als dem alten Eli gleichen möchten, so sehr dieser auch, eben durch sein Alter und seinen öffentlichen Dienst, die Kenntnis der Gedanken Jehovas besaß!

Kapitel 3 - In diesem Kapitel können wir den Vergleich zwischen Eli und Samuel weiter verfolgen. Eli schreitet fort auf dem Wege des Verfalls, Samuel nimmt zu, bis ganz Israel erkennt, dass Jehova ihn als Prophet bestätigt hat.

Samuel wird in dem ersten Verse in derselben Weise gekennzeichnet, wie im Anfang seiner Laufbahn; „Der Knabe Samuel diente Jehova vor Eli" (Vergl. Kap. 2, 11). Es handelt sich in dieser Stelle nicht um ein Fortschreiten bei Samuel; der Geist Gottes legt vielmehr von neuem die Grundlage für die nun folgenden Ereignisse.

Infolge dieses Dienstes waren Samuel gewisse Merkmale des Priestertums gegeben worden (Kap. 2), welches von Eli genommen werden sollte. In einer Zeit des Verfalls sind die Dienstleistungen im Hause Gottes nicht in derselben Weise bestimmt geregelt, wie in den Tagen der Blüte, wenn alles wohl steht. Wir finden dasselbe auch heute hinsichtlich der Gaben in der Kirche. Da alle Glieder Christi nicht mehr die Dienstleistungen erfüllen, welche ihnen zugewiesen waren, so vertraut der Herr heute oft einem Einzigen das an, was Er, bei einem geregelten Zustande, auf mehrere verteilt haben würde. Ich spreche hier selbstverständlich nicht von dem kirchlichen Grundsatz, nach welchem vorgeblich auf den Kopf eines einzigen Menschen Gaben zusammengehäuft werden, welche durch Studien erlangt und durch Examina bestätigt worden sind.

In unserem Kapitel führt der Dienst Samuels ihn zum Prophetentum. Denn gerade durch den Dienst erwirbt man sich „eine schöne Stufe" (1.Timotheus 3, 13). Wenn wir es machen wie Samuel, welcher sozusagen nicht aus dem Heiligtum hinausging, so wird Gott uns weitere Dienste anvertrauen. Wenn man, wie Samuel, Jehova von seiner Jugend an dient und in Seiner Gegenwart zunimmt, so kann man hernach zum Segen Seines Volkes nützlich verwendet werden.

Jedoch fehlte es in der geistlichen Entwicklung Samuels noch an zwei Dingen, ohne welche von einem öffentlichen Zeugnis keine Rede sein kann: „Samuel kannte Jehova noch nicht, und das Wort Jehovas war ihm noch nicht geoffenbart" (Vers 7). Es handelt sich hier um die persönliche Bekanntschaft mit dem Herrn; denn Samuel war ein Eigentum des Herrn, diente Ihm und betete Ihn an seit den Tagen seiner Kindheit, aber er war Jehova noch nicht von Angesicht zu Angesicht begegnet. So kann es auch in unserer christlichen Laufbahn sein, dass wir uns des für uns am Kreuze vollbrachten Werkes erfreuen, ohne eine nähere persönliche Bekanntschaft mit dem Herrn gemacht zu haben. Das Heil kennen und den Urheber des Heils kennen, sind zwei verschiedene Dinge. Doch kann niemand ein kräftiges Zeugnis sein, der nicht die Person Christi kennt. Das Geheimnis, weshalb die Korinther ein Brief Christi sein konnten, gekannt und gelesen von allen Menschen, lag in dem Anschauen der Herrlichkeit des Herrn mit aufgedecktem Angesicht.

„Und das Wort Jehovas war ihm noch nicht geoffenbart." In Zeiten des Verfalls wird die Offenbarung der Gedanken Gottes oft durch den Feind gehindert. So wird auch in Vers 1 gesagt: „Das Wort Jehovas war selten in jenen Tagen, Gesichte waren nicht häufig." Aber wenn das Wort auch gehindert war, so war es doch nicht ganz unterdrückt; denn die Gnade sorgt für die Bedürfnisse einer jeden Zeit, und es ist eine überaus trostreiche Tatsache, dass Gott oft gerade in den dunkelsten Tagen des Verfalls um so mehr neues Licht gibt zur Leitung und Ermunterung der Seinigen. Zu einer Zeit, „da Gesichte nicht häufig waren", erweckte Gott in eigentlichem Sinne den ersten Propheten in Israel. Durch die Untreue des Priestertums waren die gewöhnlichen Mittel, welche Gott zum Verkehr mit Ihm gegeben hatte, verlorengegangen; aber die Gnade Gottes kann Sein Volk nicht ohne Hülfe lassen, noch ohne einen Weg, um mit Ihm verkehren zu können. Er gibt Samuel, d. h. das Prophetentum, durch welches Er in unumschränkter Gnade Sich mit dem Menschen beschäftigt und ihn mit Seinen Gedanken bekannt macht. Samuel ist der erste in dieser langen Reihe von Propheten, die das Wort Gottes an ein Volk gelangen ließen, welches ohne diese Vermittlung, infolge seiner Untreue, ganz und gar aller Hilfsquelle beraubt gewesen wäre. (Vergl. Apg. 3, 24; 2. Chronika 35, 18; Jeremia 15, 1).

Gott offenbart Sich also dem Samuel persönlich und legt Sein Wort in ihn. Dieser junge Knabe wird zu der Würde eines Freundes Gottes erhoben, und ebenso wie vor einem Manne von der Erfahrung und dem Glauben eines Abraham verbirgt Gott vor ihm nichts von dem, was Er tun will. Bis dahin hatte die Belehrung Elis ihn mit der Weise bekannt gemacht, wie man mit Gott zu verkehren habe (Vers 9); jetzt aber tritt er in unmittelbare Beziehung zu Jehova, und Gott vertraut ihm Seine Geheimnisse an. Samuel zeigt sich als ein treuer Verwalter dieser Geheimnisse und, gleichwie Paulus später vor den Ephesern (Apg. 20, 20), verheimlicht er vor Eli nichts von dem, was ihm nützlich ist. Armer Eli! Er sieht sich beiseite gesetzt und gezwungen, die Gedanken Gottes durch den Mund eines jungen Knaben entgegenzunehmen! Welch eine Demütigung für diesen alten Mann, dessen Weg bergab geht, während derjenige seines Schülers aufwärts führt und ihn Gebiete erreichen lässt, welchen sich die Schritte des Hohenpriesters noch niemals genähert haben.

In Kapitel 1 fehlt es Eli, dem Hohenpriester, an geistlichem Unterscheidungsvermögen, in Kapitel 2 an sittlichem Mut, um sich vom Bösen zu trennen; und hier lesen wir: „seine Augen hatten begonnen, blöde zu werden, und er konnte nicht sehen", und doch war „die Lampe Gottes noch nicht erloschen", ein treffendes Bild seines geistlichen Zustandes. Ja, noch mehr, dieser Leiter der Einfältigen zeigt sich auch träge im Verstehen. Erst beim dritten Mal „erkannte Eli, dass Jehova den Knaben rief". Ja, „träge zum Hören", so weit war es gekommen! Samuel war einfach unwissend; das ist tausendmal besser. Wenn Gottesfurcht vorhanden ist, so hilft Gott der Unwissenheit ab. Wenn das neugeborene Kind „begierig ist nach der vernünftigen, unverfälschten Milch", so wird sie ihm nicht verweigert. Wir erkennen stückweise und werden immer nur stückweise erkennen. Dafür sind wir nicht verantwortlich; wohl aber handelt es sich für uns darum, zu wachsen: „auf dass ihr durch dieselbe wachset" (1. Petrus 2, 2), und dafür sind wir verantwortlich; zu diesem Zweck sollen wir der geistlichen Nahrung nachgehen.

Wir begegnen hier einem Kennzeichen der geistlichen Abnahme Elis, welches in den ersten beiden Kapiteln nicht erwähnt wird. Gott sagt zu Samuel: „um der Ungerechtigkeit willen, die er gewusst hat, dass seine Söhne sich den Fluch zuzogen, und er ihnen nicht gewehrt hat" (V. 13.). Eli wusste das Böse; aber obwohl es in seiner Macht stand, dem Bösen bei seinen Söhnen Einhalt zu tun, machte er doch keinen Gebrauch von der Autorität, die er besaß [1] Wozu nützte es also, dass sie ihm von Gott anvertraut war? In wie vielen Fällen rührt der geistliche Rückgang eines Familienhauptes von seiner Lässigkeit her, Ordnung und Zucht in der Mitte derer aufrechtzuerhalten, bei welchen er seine Autorität geltend machen sollte! Dies ist immer eine mächtige Quelle des Verfalls. Ohne Zweifel kann man auch von Eli, wie einst von Lot, sagen: „Er quälte seine gerechte Seele wegen des ausschweifenden Wandels der Ruchlosen"; aber es zeigte sich bei ihm, wie bei jenem, ein trauriges Vergessen von dem, was der Heiligkeit Jehovas gebührte.

Samuel war heilig in seinem ganzen Wandel. Gott vertraut ihm eine Offenbarung an, und Samuel erweist sich als deren treuer Verwalter. Das ist der Weg, um eine neue Offenbarung zu erhalten.

Auch wird uns gesagt: „Samuel wurde groß"; ja, er wurde fort und fort größer (Vergl. Kap. 2, 21. 26; 3, 19). Seine geistliche Entwicklung bewegte sich fortgesetzt in aufsteigender Richtung. „Und Jehova war mit ihm und ließ keines von allen seinen Worten zur Erde fallen." So wurden alle Worte Samuels behütet durch Den, der ihn stützte. Auch war er der Mund Jehovas, durch den der Herr Seine Gedanken ausdrückte; er redete „als Seine Aussprüche", weil Gott mit ihm war, um ihn zu bewahren. So erlangte er vor ganz Israel das Zeugnis, dass er „als Prophet Jehovas bestätigt war". Eine Offenbarung zieht die andere nach sich: Jehova fuhr fort, in Silo zu erscheinen und sich ihm durch Sein Wort zu offenbaren (V. 21). Auf diese Weise wuchs Samuel zugleich in der persönlichen Erkenntnis des Herrn und Seines geoffenbarten Wortes.

Wie tröstlich ist es, in Bezug auf den greisen Eli am Schluss unseres Kapitels zu lesen, dass er sich in Ergebenheit dem Gericht unterwarf, welches er verdient hatte! „Er ist Jehova", sagte er; „Er tue, was gut ist in seinen Augen." Der Wille Gottes ist gut, und Elis Seele beugt sich darunter. Möge Gott uns diese Gesinnung Elis schenken, wenn Er uns züchtigt: die aufrichtige Beugung, welche der Wiederherstellung vorangeht, ein zerbrochenes Herz, welches sich nicht gegen den Willen Gottes auflehnt und ihm widersteht, sondern denselben, mit allen seinen Folgen, annimmt, weil es „der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes" ist!


Samuel als Richter und Prophet ( Kapitel 4 – 8)

Kapitel 4 - Dieses Kapitel stellt uns nicht nur den Verfall des Priestertums, sondern auch den des ganzen Volkes vor Augen; das eine wie das andere wird von dem Gericht getroffen.

„Und Israel zog aus, den Philistern entgegen zum Streit; und sie lagerten sich bei Eben-Eser." Der Name Eben-Eser wird hier nur gebraucht, um uns die Lage des israelischen Lagers zu bezeichnen; der Ort erhielt diesen Namen erst später (Kap. 7, 12). Zur Beurteilung des moralischen Zustandes des Volkes ist die Tatsache von großer Wichtigkeit, dass Eben-Eser bei Mizpa lag. Wie Gilgal unter Josua, so war Mizpa unter den Richtern für Israel der Ort gewesen, wo das Volk sich vor Gott versammelte. Jetzt aber bedeutete der Name Mizpa nichts mehr für das Herz des Volkes, ja, er wurde nicht einmal erwähnt (Vergl. Richter 11, 11; 20, 1; 21, 1. 5 .). Das Vergessen der Gegenwart Gottes hatte die natürliche Folge, dass das Volk Ihn nicht mehr befragte, und das unmittelbare Ergebnis hiervon war, „dass Israel vor den Philistern geschlagen wurde" (V. 2).

Sie fragen: „Warum hat uns Jehova heute vor den Philistern geschlagen?" Sie verstehen nicht die Ursache ihrer Niederlage, weil sie durchaus kein Bewusstsein von ihrem Zustande haben. Um sich von dem schweren Schlage, der sie getroffen hat, zu erholen, suchen sie die Bundeslade, den Thron Gottes, mit ihrem Zustande des Verfalls in Verbindung zu bringen, so wie diese im Anfang ihrer Geschichte sich mit ihnen verbunden hatte. Sie denken gar nicht daran, vor Jehova zu erscheinen, um von Ihm zu vernehmen, warum Er Sein Volk verlassen habe. Sie ziehen, sozusagen, Gott zu sich herab. Dasselbe können wir heutzutage beobachten. Christliche Völker bekriegen sich, und jedes sagt: Gott muss mit uns sein.

Jehova, der „zwischen den Cherubim thront", lässt Sich von Israel mitführen, aber Er ist unter ihnen als Richter, nicht als Retter. Er richtet alles: zuerst das Priestertum, dann das Volk, und schließlich die Feinde des Volkes, nachdem Seine Herrlichkeit von Israel gewichen ist.

Das Volk scheint die Macht Gottes in hohem Maße anzuerkennen; bei der Ankunft der Bundeslade „jauchzt ganz Israel mit großem jauchzen, dass die Erde erdröhnte". In gleicher Weise bedient sich auch die Christenheit des Namens Christi, um inmitten des ungerichteten Bösen sich selbst zu verherrlichen. Das äußere Zeichen der Gegenwart Gottes genügt ihr; sie sagt: Wir haben die Bundeslade. Israel denkt, Gott könne sie nicht verlassen, ohne Sich Selbst der Verachtung auszusetzen. Nun, Gott gibt Sich hier dieser Verachtung preis; Er erlaubt, dass die Welt scheinbar Sein Überwinder wird. In Wirklichkeit ist es die Erfüllung des Wortes Jehovas, das durch Samuel geredet worden war; aber Gott, der in die Hände der Feinde überliefert wird, ist der Richter. Wie mit der Bundeslade, so ist es mit Christo. Er, der verworfen und verachtet wurde, mit dem die Menschen alles taten, was sie wollten, ist von Gott zum Richter über Lebendige und Tote gesetzt.

Was wurde nun aus dem Triumphgeschrei in Vers 5? An seine Stelle tritt der „Schall des Getümmels". Israel wird geschlagen, das Priestertum vernichtet, Schande und Ohnmacht kommen über Israel, die Herrlichkeit Gottes wird in die Hände des Feindes überliefert!

Die Frömmigkeit des armen, schuldigen Eli tritt bei diesem schweren Unglück hell ans Licht. Das Ende seiner Laufbahn redet zu uns noch von etwas anderem als von dem Gericht Gottes, so wirklich und schrecklich dieses auch war. Mit gerichteten Herzen hatte Eli das Urteil Gottes über sich und seine Söhne demütig entgegengenommen (Kap. 3, 18); jetzt dachte er an nichts anderes als an die Lade Gottes. „Sein Herz war bange wegen der Lade Gottes" (V. 13). Sobald der Bote sie erwähnt, fällt er von seinem Stuhle und stirbt (V. 18). Nicht das Gericht über seine Familie tötete Eli, sondern die Unehre, welche auf Jehova gefallen war, sowie Seine Entfernung aus der Mitte Seines Volkes.

In welch einem tröstlichen Lichte erstrahlen auch die letzten Augenblicke der Frau des Pinehas! Das schreckliche Ereignis führt ihre vorzeitige Entbindung herbei und verursacht so ihren Tod; aber sie nennt, sterbend, ihren Sohn lkabod: „die Herrlichkeit ist von Israel gewichen". In der Person ihres eigenen Sohnes verkündet sie den Verfall Israels und dessen Folgen. Die Zeugen des Endes werden hieran erkannt. Die Unehre, welche durch unsere Untreue auf den Namen Gottes gekommen ist, demütigt uns und, statt dass wir suchen, den Zustand der Dinge, den diese Verunehrung herbeigeführt hat, zu beseitigen, beugen wir das Haupt unter das Gericht; denn wir erkennen darin die Heiligkeit Jehovas.

Kapitel 5,1 - 6,13 - Die Bundeslade, „die Herrlichkeit Gottes", befindet sich also jetzt gefangen in den Händen der Feinde Seines Volkes; aber sie werden sich dessen nicht rühmen können. Gott wird ihnen zeigen, dass nichts herrlicher ist, als Seine erniedrigte und gefangene Herrlichkeit. So ist auch durch die Erniedrigung auf dem Kreuze der Sohn des Menschen verherrlicht worden, und Gott in Ihm (Joh. 13, 31).

Den Händen der Heiden überliefert, wird Gott Seine Heiligkeit durch Gericht aufrechterhalten, und zwar wird dieses Gericht ein vollkommenes sein und auf die falschen Götter, die Menschen und das Land der Philister fallen.

Die Bundeslade, das Zeugnis Gottes, welche sich nicht mit der Untreue des Volkes vereinigen konnte, kann sich noch viel weniger den Götzen unterwerfen. Sie kann in der Tat an keinem anderen Platz ruhen, als da, wo es Gott gefällt, in Gnade zu wohnen. Gott verlässt Israel im Gericht, aber wie wir in der Folge sehen werden, nur um auf dem ganz neuen Boden der Gnade zu ihm zurückzukehren. Es ist dies noch nicht die „Ruhe"; denn in diese wird die „Lade Seiner Macht" erst unter der Regierung Salomos eingehen, dem Vorbilde der Regierung Christi.

Wir haben gesagt, dass sich die Herrlichkeit Gottes den Götzen nicht unterordnen könne. Man setze nur, wie es die Leute von Asdod taten, diese erniedrigte Herrlichkeit an die Seite Dagons, so wird der Götze der Welt umgestürzt und zerschmettert werden. Aber das ändert nichts an der Verehrung, welche die Welt ihrem Götzen darbringt. Der ihr unerträglichen Herrlichkeit Gottes zieht sie ihre falschen, stummen Götter, Gegenstände der Verachtung und des Spottes, vor. „Darum treten die Priester Dagons und alle, die in das Haus Dagons gehen, nicht auf die Schwelle Dagons in Asdod bis auf diesen Tag." Dieser abergläubische Gebrauch bleibt als ein immerwährendes Zeugnis der Erniedrigung ihres Götzen bestehen und beweist zugleich, dass sein Gericht nicht imstande gewesen ist, sie zu Gott zu führen.

Die Anwesenheit der Bundeslade zieht auch, wie wir schon sagten, das Gericht auf die Menschen herab, welche glaubten, über Gott den Sieg davongetragen zu haben. Sie bedeutet für die Philister Unglück und Tod. Angst, geheime Leiden, eine schimpfliche Plage, Folgen des göttlichen Zorns, kommen über sie (Vergl. 5.Mose 28, 27). „Ihr Geschrei stieg zum Himmel empor" (V. 12). Zu dem für sie leeren Himmel, während Gott Sich, ohne dass sie es wussten, in ihrer Mitte befand und sie auf Erden richtete? Ja, das Ergebnis hiervon war nicht, dass sie sich zu Gott wandten, sondern dass sie Ihn zurücksandten, in der Hoffnung, sich von Ihm losmachen zu können.

Wie grell tritt hier auch die Selbstsucht, welche die Welt im allgemeinen kennzeichnet, zu Tage! Wenn es den Leuten von Asdod gut geht, was kümmert sie dann die Qual derer von Gath? Wenn die Gathiter in Ruhe gelassen werden, was liegt ihnen an der Qual der Ekroniter? Sie wollen nicht sterben, aber das hindert den Tod nicht, zu kommen und in der ganzen Stadt eine „Bestürzung des Todes" zu verbreiten (V. 11. 12).

Der Rat der Fürsten der Philister auf die Frage des Volkes: „Was sollen wir mit der Lade des Gottes Israels tun?" blieb also ohne Erfolg. Das Volk befragte hierauf die Priester und Wahrsager (Kap. 6, 2). „Was sollen wir mit der Lade Jehovas tun?" Sie wissen nicht, was sie anfangen sollen mit dem Throne Gottes, dem Gnadenstuhl, mit dem, was die Gedanken Gottes in sich barg. Auch die Gadarener, von demselben Geiste geleitet, baten in späterer Zeit den Herrn, aus ihren Grenzen wegzugehen. Seine Gegenwart ist ihnen unbequem, weil sie sich durch sie verurteilt fühlen. Die Frage für sie ist, wie sie diesen unbequemen Gast wieder zurückschicken können, nicht ob sie ihn zurückschicken sollen. Sie kommen gar nicht auf den Gedanken, sich an Gott zu wenden, sondern ihre Priester sollen ihnen ein Mittel angeben, wie sie sich von der Gegenwart Gottes befreien können. Diese Priester sind wenigstens ehrlich, trotz ihrer großen Unkenntnis. Sie erkennen die Hand Gottes in den Plagen und ersinnen ein Mittel, um dem „Gott Israels Ehre zu geben". Sie sagen dem Volke, dass es sein Herz nicht verstocken Solle, und erinnern es an die Taten Jehovas in Ägypten; dann schlagen sie ein Mittel vor, um zu erkennen, ob Er wirklich dieses große Übel über das Volk gebracht habe, oder ob es nur ein Zufall sei. Alles das zeigt, dass Gewissen vorhanden ist, wenn das durch die geoffenbarte Wahrheit gebrachte Licht fehlt. Und Gott bekennt sich immer zu dem Gewissen, so verfinstert es auch sein mag, und gibt eine klare Antwort.

Die Menschen wurden mit Beulen geschlagen, und das Land selbst wurde durch Mäuse verwüstet (V. 5). Es war, wie wir gesehen haben, ein vollständiges Gericht. Auf den Rat der Priester und der Wahrsager opfern die Philister goldene Mäuse als Schuldopfer - und das, nachdem sie das Volk Gottes bekriegt und Dagon über den allmächtigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, gestellt hatten! Ein Opfer ohne Blutvergießen, während es sich um Sühnung für die Sünde handelte! - Aber Gott beachtet auch die geringste Regung des Gewissens. Er gibt eine klare Antwort, wie wir schon gesagt haben: „Die Kühe gingen geradeaus auf dem Wege nach Beth-Semes; auf einer Straße gingen sie, im Gehen brüllend, und wichen nicht zur Rechten noch zur Linken" (V. 12). So sind die Wege Jehovas, immer gerade! (Hosea 14, 9). Der Gott-Richter zieht jetzt wieder in Gnade zu Seinem Volke hinauf. Es wird nur darauf ankommen, ob Israel Ihn in Demut anerkennt.

Kapitel 6,13 - 7,1 - Die offenbaren Wege Gottes können im Gericht sein, wie wir soeben gesehen haben, aber Seine verborgenen Wege führen Ihn immer wieder in Gnade in die Mitte Seines Volkes zurück. Die Lade ist wieder nach Beth-Semes hinaufgezogen, ohne dass Israel ein Bedürfnis dafür gefühlt oder einen dahin zielenden Wunsch ausgedrückt hätte.

Es ist eine wunderbare Sache um diese Lade Jehovas. Sie ist zunächst der Thron Gottes, Seine Gegenwart im Wege der Regierung in der Mitte Seines Volkes. Dann wird die Lade gekennzeichnet durch den Sühndeckel (oder Gnaden-Stuhl), ein Symbol des Werkes Christi, den Zugangsort für einen in Gnade angenommenen und gerechtfertigten Sünder. Endlich ist die Lade, in ihrer Gesamtheit und in ihren einzelnen Teilen, ein Bild von der Person Christi Selbst. Gleichwie die Lade die Tafeln des Gesetzes enthielt, so sagt Christus: „Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens." Gleich der Lade des Zeugnisses war der Herr hienieden der Zeuge und der Ausdruck aller Gedanken Gottes. Wie in dem goldenen Kruge das Manna enthalten war, so findet man in Ihm die Vereinigung der vollkommenen Menschheit, des in der Wüste vom Himmel herabgekommenen Brotes, mit der göttlichen Herrlichkeit. Er war der Gnadenstuhl, dem sich die Angesichter der Cherubim der Herrlichkeit zuwandten, um ihn zu betrachten, indem sie ihn mit ihren Flügeln überschatteten. Die Lade war also vor allem ein Vorbild von Christo Selbst, dem Sohne Gottes und dem Menschensohne in einer Person.

Die Leute von Beth-Semes „freuten sich, als sie ihre Augen erhoben und die Lade sahen" (V. 13). Wie sollte da nicht Freude sein, wenn man sich von neuem in Verbindung mit Demjenigen gebracht sieht, dessen Vollkommenheiten man so lange Zeit aus dem Auge verloren hat, dessen Anwesenheit Sicherheit und Heil mit sich bringt, sowie das Gefühl der Gegenwart Gottes und eine innere Schönheit, vor welcher sich die Engel in Bewunderung niederbeugen? Auch wird, sobald die Lade angekommen ist, wieder ein Brandopfer dargebracht; die Leviten nehmen ihren Dienst wieder auf. Die Fürsten der Philister schauen dieser Szene zu und kehren dann zurück; ein derartiges Schauspiel interessiert sie, aber ihr Herz und ihr Gewissen werden nicht davon berührt.

Jedoch ist die Freude, welche durch das Anschauen der Gnade hervorgerufen wird, nicht alles. Sie wird immer mit Ehrfurcht und heiliger Scheu verbunden sein, wenn man das Bewusstsein hat, sich in der Gegenwart Gottes zu befinden. Der Gott der Gnade richtet nach eines jeden Werk; der Gott der Gnade ist heilig. (1.Petrus 1, 15 - 17). Das hatten die Leute von Beth-Semes vergessen. „Sie schauten in die Lade Jehovas" (V. 19). Sie missbrauchten die Herablassung, in welcher es Gott gefallen hatte, sie in Gnade zu besuchen. Das ist beachtenswert. Weil Jesus zu uns herabgestiegen ist, ist unsere fleischliche Gesinnung versucht, Ihn als unseresgleichen zu behandeln, über den wir nach Belieben verfügen können. Man rühmt sich heute der Vertraulichkeit mit Jesu, und schreibt Bücher, um zu beweisen, dass darin die wahre Geistlichkeit bestehe. Wir haben nicht das Recht, Ihn unseren Bruder zu nennen, aber „Er schämt sich nicht, uns seine Brüder zu nennen" (Hebräer 2, 11). Das zeigt deutlich den Unterschied. Was werden meine Gefühle sein, wenn ein in dieser Welt hochgestellter Mann sich herablässt, mich mit sich zu verbinden, mich, einen ganz bedeutungslosen Menschen; wenn er sich meiner und meiner Gesellschaft nicht schämt vor den Leuten, während er vielleicht das Recht hätte, mich zu verachten? Wenn ich diese Herablassung recht verstehe, so werden meine Gefühle die einer tiefen und demütigen Dankbarkeit, einer unbegrenzten Zuneigung und Ergebenheit, ja, einer tiefen Ehrfurcht gegen denjenigen sein, welcher sich nicht fürchtet, seiner Würde dadurch etwas zu vergeben, dass er mich zu seinem Standpunkt emporhebt.

Dieser Mangel an Ehrfurcht und Scheu veranlasste die Leute von Beth-Semes, in die Lade zu schauen. Es gibt weniges, was die gegenwärtige Zeit mehr kennzeichnet, als dieser unheilige Geist. Man meint imstande zu sein, das, was zur menschlichen Natur, und das, was zur göttlichen Natur des Heilandes gehört, unterscheiden und das Geheimnis davon ergründen zu können. Das heißt in die Lade schauen, welche ein Geheimnis enthält, das nur Gott kennt; denn „niemand erkennt den Sohn als nur der Vater". Es führt dies unvermeidlich dazu, Seine Menschheit auf den Boden der sündigen Menschheit herabzuziehen. Man spricht über die Erziehung des Kindes Jesus, über die Schulen, die Ihm zur Verfügung standen, um die Schriften kennenzulernen, über Seine wissenschaftliche Ausbildung, und ob Seine Ansichten mehr oder weniger mit denen Seiner Zeit übereingestimmt haben, über die Tatsächlichkeit Seiner Versuchung, über Seine Fähigkeit zu Sündigen usw., usw. - Ihr, die ihr solches tut, denket daran, dass Jehova die Leute von Beth-Semes schlug! Wenn ihr euch um die Ehre des Herrn keine Sorge machet, so wird Gott für sie sorgen und nicht erlauben, dass man ungestraft Seine Lade anrühre. Anstatt den Segen Seiner Gegenwart zu genießen, werdet ihr unter den Schlägen Seiner Gerichte bald lernen müssen, dass Er nicht dulden kann, dass irgend jemand mit beschuhten Füßen Ihm nahe.

Die Leute von Beth-Semes sagten: „Wer vermag vor Jehova, diesem heiligen Gott, zu bestehen?" (V. 20). Sie lernten auf ihre Kosten jene Heiligkeit kennen, welche sie verachtet hatten. Aber ach! anstatt sich zu demütigen, hatten sie, wie vorher die Philister, nur den einen Gedanken: Wie können wir den unbequemen Gast wieder loswerden? „Zu wem soll Er von uns hinaufziehen?" - „Kommt herab", sagten sie zu den Bewohnern von Kirjath-Jearim, „und führet sie zu euch hinauf!" Auf diese Weise gingen sie all der Segnungen verlustig, welche mit der Gegenwart des Herrn verknüpft waren. Andere zogen Nutzen daraus; sie verstanden, dass man sich heiligen muss, um über die Lade zu wachen. „Die Männer von Kirjath-Jearim heiligten Eleasar, den Sohn Abinadabs, die Lade Jehovas zu hüten" (Kap. 7, 1). Hier wurde sie treulich bewahrt „in dem Gefilde Jaars" (Psalm 132, 6.) O möchten wir alle treue Hüter der Lade unseres Gottes sein!


Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel

Botschafter des Heils 1904 S. 99ff

Kapitel 7 - Wenn es Jehova gefällt, Seine Lade in Gnaden in die Mitte Israels zurückkehren zu lassen, so muss der sittliche Zustand des Volkes mit einer solchen Gunstbezeugung in Übereinstimmung sein. „Es geschah, von dem Tage an, da die Lade zu Kirjath-Jearim blieb, dass der Tage viele wurden, und es wurden zwanzig Jahre." Die Lade befand sich also auf dem Gebiet Israels, an einem geheiligten Orte, ohne dass die Verbindungen Gottes mit Seinem Volke wiederhergestellt worden wären. Zwanzig Jahre gingen in dieser abwartenden Stellung dahin, während das Gericht nur sieben Monate gedauert hatte (Kap. 6, 1). Der Zustand, welcher die Verbindung des Volkes mit Gott wiederherstellen sollte, konnte nur durch die Buße hervorgebracht werden. Wie viel Zeit bedarf diese Buße, um sich zu zeigen? Die fremden Götter und die Astaroth befanden sich noch in der Mitte Israels, als die Lade in Kirjath-Jearim verweilte. Konnte diese sich mit den Götzen in Israel vereinigen, während sie es bei den Philistern nicht getan hatte? Unmöglich; aber es erforderte vierunddreißigmal mehr Zeit, als das Gericht gedauert hatte, um das Volk dahin zu bringen, dass es ein ebenso grobes Übel von sich tat! Der Gnade muss eine Tätigkeit des Gewissens entsprechen, wie wir das in der Geschichte des verlorenen Sohnes sehen. Es ist eine ernste Sache (die man aber täglich beobachten kann), dass der Gläubige eine viel längere Zeit braucht, um wiederhergestellt zu werden, als er dazu nötig hat, sich dem Bösen hinzugeben.

Israel beginnt „zu wehklagen Jehova nach" (V. 2); das ist schon ein gutes Zeichen. Es fehlte ihm also etwas; die Gegenwart Jehovas war ihm ein Bedürfnis geworden. Wir können darin das erste Anzeichen eines göttlichen Werkes in der Seele des Volkes erblicken. Samuel ist wie der Mund Jehovas (V. 3), um das Volk zur Buße zu rufen: „Samuel sprach zu dem ganzen Hause Israel." Das Wort Gottes bringt uns immer zu dem Bewusstsein unseres Zustandes; ohne das Wort Gottes findet kein wirkliches Werk des Geistes im Herzen statt.

„Wenn ihr mit eurem ganzen Herzen zu Jehova umkehret, so tut die fremden Götter und die Astaroth aus eurer Mitte hinweg, und richtet euer Herz auf Jehova und dient ihm allein; und er wird euch erretten aus der Hand der Philister." Es ist also bei der Umkehr des Gläubigen zu Jehova wie bei seiner Bekehrung. Die Seele beginnt damit, sich von den Götzenbildern oder von dem Bösen zu trennen; „ihr habt euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt", wird den Thessalonichern gesagt. Dann folgt, dass man das Herz auf Jehova richtet, um Ihm zu dienen: „um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen". Das Ergebnis ist die Errettung oder Befreiung; Gott ist nicht mehr genötigt, den Gläubigen zu züchtigen.

Bei diesem Werke ist die Tätigkeit Samuels, dieses treuen Knechtes Gottes, ganz besonders beachtenswert und gesegnet. Nachdem er zu dem Volke geredet hat, fügt er hinzu: „Versammelt ganz Israel nach Mizpa, und ich will Jehova für euch bitten" (V. 5). Das Volk Gottes zu sammeln ist der Beruf eines jeden Knechtes Jehovas, der seinen Dienst versteht. Aber Samuel ist außerdem auch Mittler; das Gebet, die Frucht seines vertrauten Umgangs mit Gott, kennzeichnet ihn. Wird nicht von ihm gesagt: „Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu Jehova, und er antwortete ihnen"? (Psalm 99, 6).

Er musste Israel nach Mizpa versammeln. Wie unter Josua Gilgal der Sammelplatz war, der Ort der Beschneidung, des Gerichts über das Fleisch, um den Sieg zu erringen, so ist unter den Richtern Mizpa der gewöhnliche Sammelpunkt, und zwar nachdem der Engel Jehovas von Gilgal nach Bochim hinaufgegangen war, an den Ort des Weinens, wo der Verfall endgültig festgestellt wurde. Mizpa ist der Ort der Buße, ohne welche es keinen Sieg mehr gab. In Mizpa hatte Israel unter Eli nur eine Niederlage gefunden (Kap. 4), denn es begab sich dahin ohne dass das Gewissen in Tätigkeit gekommen wäre, wodurch es hätte wiederhergestellt werden können. Im Verfall aber ist Mizpa (und es ist gut, daran zu denken) ebenso kostbar, obgleich demütigender, wie Gilgal; man lernt dort von neuem sein Vertrauen nicht auf irgend etwas zu setzen, was aus dem Menschen ist, sondern einzig und allein auf die Kraft Jehovas.

„Und sie versammelten sich nach Mizpa, und schöpften Wasser und gossen es aus vor Jehova; und sie fasteten an selbigem Tage und sprachen daselbst: Wir haben gegen Jehova gesündigt." Dies konnte nur stattfinden, nachdem das, was uns im vierten Verse mitgeteilt wird, geschehen war: „Die Kinder Israel taten die Baalim und die Astaroth hinweg und dienten Jehova allein." Die Früchte der Buße sind bei der Wiederherstellung andere als bei der Bekehrung; hier haben wir deren drei: das ausgegossene Wasser, d. h. die Betrübnis, verbunden mit dem Bewusstsein der unheilbaren Kraftlosigkeit vor Gott (2. Sam. 14, 14; Psalm 22, 14 .); dann das Fasten, denn in der Trauer nährt man nicht das Fleisch, und endlich ein wirkliches Bekenntnis des Bösen: „wir haben gegen Jehova gesündigt".

Diese Früchte sind das Ergebnis davon, dass Samuel für das Volk eintrat. Das gleiche geschah für Petrus bei seinem Fall: „Ich habe für dich gebetet", sagt der Herr Jesus. Auf diesem Boden kann das Volk wiederhergestellt werden: „Samuel richtete die Kinder Israel zu Mizpa."

„Und die Philister hörten, dass die Kinder Israel sich nach Mizpa versammelt hatten, und die Fürsten der Philister zogen herauf wider Israel" (V. 7). Die Sammlung des Volkes Gottes konnte dem Feinde nicht gefallen. Ohne Zweifel wusste er nichts von der Tätigkeit des Gewissens, wodurch sie hervorgerufen worden war, und sah in diesem Sammeln nur die Gefahr einer der seinigen entgegentretenden Macht, deren Aufkommen er um jeden Preis verhindern müsse. „Die Kinder Israel hörten es und fürchteten sich vor den Philistern." In Kapitel 4, 7, als das Gewissen nicht erreicht war, hatte Israel keine Furcht; da waren die Philister voller Furcht. Jetzt, wo das Volk die Erfahrung seiner Kraftlosigkeit gemacht hatte, erschrickt es, denn es hatte noch nicht die Gewissheit, dass Gott für Israel war. In gewissem Sinne ist diese Furcht gewiss traurig, aber auf dem Wege der Wiederherstellung sieht man sie gern. Ist sie nicht besser als das „große Jauchzen", welches einst durch Israel ausgestoßen wurde, und wovon die Erde erdröhnte? (Kap. 4, 5).

„Und die Kinder Israel sprachen zu Samuel: Lass nicht ab, für uns zu Jehova, unserem Gott, zu schreien, dass er uns rette von der Hand der Philister" (V. 8). Sie fühlen, dass ihre Zukunft, ihr Heil, davon abhängt, dass Samuel sich für sie verwendet. Dieser, ihr Mittler, „nahm ein Milchlamm und opferte es ganz als Brandopfer dem Jehova", denn sein Dienst konnte nur auf Grund der Annahme des Opfers wirksam sein. Auf dieser Grundlage konnte er als Sachwalter des Volkes vor Gott stehen. Auch wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, und Er ist die Sühnung für unsere Sünden" (1. Joh. 2, 1. 2). „Samuel schrie zu Jehova für Israel, und Jehova erhörte ihn." Gott hörte auf die Bitte Samuels, welche das Brandopfer zum Ausgangspunkt hatte. Gott ist für uns und schenkt uns alles, Er, der Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat. In Vers 10 und 11 schlägt und verwirrt Jehova die Feinde Seines Volkes, das nichts anderes zu tun hat, als einen geschlagenen Gegner zu verfolgen. Wenn es wahr ist, dass die Hilfe gänzlich von Gott kommt, so würde der Sieg nicht völlig sein können ohne die Entfaltung der Energie des Glaubens.

Samuel stellt diese göttliche Dazwischenkunft fest. „Er nahm einen Stein und setzte ihn zwischen Mizpa und Schen, und er nannte seinen Namen Eben-Eser (Stein der Hilfe) und sprach: Bis hierher hat uns Jehova geholfen" (V. 12). Eben-Eser, welches schon in Kap. 4, 1 erwähnt wurde, empfängt erst infolge dieses Sieges seinen Namen: „Bis hierher!" Nachdem diese Grundlage gelegt war, versuchte der Feind nicht mehr, sein Haupt zu erheben. (V. 13.) Die Wiederherstellung ist, wenigstens für den Augenblick, vollständig. So haben wir Samuel gesehen als Propheten, Priester, Mittler und Richter; kostbare Eigenschaften bei diesem Manne Gottes! Seine Tätigkeit für den Herrn und für sein Volk verminderte sich nicht: „Samuel richtete Israel alle Tage seines Lebens. Und er ging Jahr für Jahr und zog umher nach Bethel und Gilgal und Mizpa", (Orte, welche seine gottgemäße Tätigkeit kennzeichneten), „und richtete Israel an allen diesen Orten." Selbst in Rama, wo sein Haus war, war er nur mit dem Wohle des Volkes Jehovas beschäftigt. Das Wort fügt hinzu: „und er baute daselbst Jehova einen Altar". Jehova anzubeten war der erste Ausdruck seines Dienstes gewesen (Kap. 1, 28); der Altar des Anbeters ist dessen letzter Ausdruck. Sind diese beiden Tatsachen nicht schöne Grenzsteine dieses Lebens des Glaubens?

Kapitel 8 - „Und es geschah, als Samuel alt geworden war, da setzte er seine Söhne als Richter ein über Israel ... Aber seine Söhne wandelten nicht in seinen Wegen; und sie neigten sich dem Gewinne nach, nahmen Geschenke und beugten das Recht" (V. 1-3).

Die Geschichte der Richter wie die des Priestertums endet mit einem völligen Verfall. Samuel selbst mangelt es hier an geistlichem Unterscheidungsvermögen. Er setzt seine Söhne ein ohne eine Leitung Gottes, als ob die Tätigkeit, welche Gott ihm anvertraut hatte, an andere hätte Übertragen werden können. Es gibt aber keine Übertragung von Gaben oder selbst von Ämtern und Dienstleistungen durch Erbfolge.

Die Ältesten von Israel missbilligen mit Recht das Betragen der Söhne Samuels, aber sie nehmen daraus Veranlassung, einen König zu begehren: „Setze einen König über uns ein, dass er uns richte, gleich allen Nationen." Das Böse, über welches sie sich beklagen, treibt sie nicht zu Jehova, sondern zu den Heiden; sie suchen ein menschliches Hilfsmittel, um den Verfall des Menschen zu heilen, in der Meinung, dadurch ihrem eigenen Elend als Volk Gottes entrinnen zu können.

Einen König begehren, hieß im Grunde nichts anderes als Jehova verlassen und Seine unmittelbare Regierung durch die Richter leugnen; aber die hauptsächlichste Sünde bestand darin, dass sie einen König forderten gleich den Nationen. War nicht der Ratschluss Gottes, ihnen einen König nach Seinem Herzen zu geben, einen Gesalbten, den Er Selbst für sie erwählen wollte? (1. Sam 2, 35; 13, 14 ). Einen König begehren gleich allen Nationen hieß: ihren Titel als Volk Gottes aufgeben und sich der Welt gleichstellen, zu einer Zeit, da infolge ihrer Untreue ein von Gott errichtetes System in ihren Händen in Gefahr geraten war. Die Christenheit hat auf dem Wege des Abfalls nicht anders gehandelt; anstatt sich zu demütigen und Leid zu tragen, hat sie, um sich aufrecht zu halten, die Unterstützung der Welt gesucht.

So tadelnswert das Verhalten Samuels hinsichtlich seiner Söhne auch sein mochte, hat er sie doch nicht, wie Eli, mehr geehrt als Jehova. Die Forderung der Ältesten: „Setze einen König über uns ein, dass er uns richte", war übel in seinen Augen. Diese Verachtung der unmittelbaren Regierung und der Herrlichkeit Gottes berührte ihn tief. In seinem Kummer nimmt er seine Zuflucht zum Gebet. O dass wir in allen Umständen und zu allen Zeiten diesem Beispiel folgen möchten!

Und Jehova sprach zu Samuel: „Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen; denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll. Nach allen den Taten, die sie getan von dem Tage an, da ich sie aus Ägypten heraufgeführt habe, bis auf diesen Tag, indem sie mich verlassen und anderen Göttern gedient haben, also tun sie auch dir" (V. 7. 8). Welch eine köstliche Ermunterung gibt Gott Seinem Diener gerade in dem Augenblick, als dieser persönlich eine Züchtigung erfuhr, deren Werkzeuge die Ältesten Israels geworden waren! Es gab nichts Tröstlicheres für sein Herz, als die Versicherung, dass er trotz allem auf seiten Jehovas stand, und dass, weil Jehova verworfen war, auch er es sein musste. Ist es nicht eine Ehre, an der Schmach teilzunehmen, welche die Welt auf unseren Herrn häuft, indem sie Ihn verwirft? Ist es zu verwundern, wenn sie uns ebenso behandelt wie Ihn?

Obwohl Gott Samuel züchtigt, macht Er ihn doch mit Sich eins, sobald Sein Volk unter dem Schein, das Böse zu verurteilen, sich mit den Nationen eins macht. Es ist besser, ein gedemütigter Samuel zu sein, verkannt und mit einem verworfenen Gott allein, als ein Israel, ausgerüstet mit einer kraftvollen äußeren Organisation, die ihm aber die Täuschung beibringt, als könne es ohne Gott fertig werden und nach seinem Gefallen handeln, während es in Wahrheit ein Sklave der Welt und des Satans ist.

„Und nun höre auf ihre Stimme; nur zeuge ernstlich wider sie und tue ihnen die Weise des Königs kund, der über sie herrschen wird" (V. 9). Die Verwerfung Samuels macht ihn zu einem neuen Dienst fähig: er zeugt ernstlich von dem, was dem Volke begegnen sollte. Der König nach dem Herzen der Menschen würde sie zu seinen Werkzeugen machen, um seine Pläne auszuführen; er würde ein unerträgliches Joch auf sie legen, und sie würden es nicht abschütteln können (V. 10-18). Gerade so geht es den Christen, welche die Unterstützung der Welt suchen: sie nimmt ihnen alles und gibt ihnen dafür nur das Bewusstsein ihres Elends, ohne irgendeine Entschädigung. Sie verleiht ihre Unterstützung nur dann, wenn man sich bereit erklärt, ihr zu dienen. Das ist nicht das sanfte Joch und die leichte Last des Knechtes Christi, sondern die Angst einer grausamen Knechtschaft.

Obwohl das Volk gewarnt ist, weigert es sich doch, auf die Stimme Samuels zu hören, und zieht vor, seinen eigenen Weg zu gehen. Samuel hat nur Jehova zu seiner Zuflucht und bringt alle Worte des Volkes vor Seine Ohren (V. 21). So bedient Sich Gott der Züchtigung, um Seinen Diener zu stärken, den Er in der Folge zu einem Werkzeug für neue Segnungen machen will. Nachdem er, der seine Söhne eingesetzt hatte, ohne Jehova um Rat zu fragen, die göttliche Unterweisung empfangen hatte, wartet er, bis Gott zu ihm sagt: „Höre auf ihre Stimme und setze einen König über sie ein".

Saul, oder der König nach dem Fleische ( Kapitel 9 – 15)

Kapitel 9 - Saul tritt auf den Schauplatz. In diesen neuen Verhältnissen erscheint der Charakter Samuels in einem unvergleichlichen Glanze. Gott hatte zu ihm gesagt: „Setze einen König über sie ein." Samuel wartet aber noch, damit Gott diesen König bezeichne. Das ist der wahre Charakter eines Dieners: Abhängigkeit im Gehorsam, derselbe Charakter, welcher sich in dem Herrn beim Tode des Lazarus zeigt (Joh. 11, 6). Es ist dies um so auffallender bei Samuel, da sein Dienst eine Sache betraf, die seinem Herzen zuwider war; aber wenn Gott so handelte, wie konnte dann Samuel es anders machen? Gott stellt Sich gleichsam Seinem Volke zur Verfügung, um ihm einen König nach den Grundsätzen des Menschen zu wählen. Er sagt in Hosea 13, 11: „Ich gab dir einen König in meinem Zorn, und nahm ihn weg in meinem Grimm"; aber wenn Gott in dieser Weise ein Gericht über Sein Volk ausübt, so ist es doch nicht weniger wahr, dass Er auch eine Gnadenabsicht dabei hat. Er sagt: „Er wird mein Volk retten aus der Hand der Philister; denn ich habe mein Volk angesehen, denn sein Geschrei ist zu mir gekommen" (V. 16).

Andererseits wird Israel durch diese Wahl auf die Probe gestellt. Im Fleische fordert es einen König nach dem Fleische; weder Gott noch Samuel widersetzen sich dieser Forderung; im Gegenteil, Gott erwählt den ausgezeichnetsten Mann aus, den das Fleisch nur wünschen konnte, und Samuel erkennt ihn als solchen an mit den Worten: „Nach wem steht das Begehren Israels? nicht nach dir?" (V. 20).

Saul besitzt alle natürlichen Eigenschaften zu einem Führer des Volkes. Er ist stark und vermögend, schön, groß, ein auserlesener Mann. Seine sittlichen Eigenschaften sind nicht weniger bemerkenswert: er ist seinem Vater unterwürfig und liebt ihn (V. 5); er ist bereit, auf den Rat seiner Untergebenen zu hören (V. 10); er ist klein in seinen Augen, sowohl im Blick auf seinen Stamm als auch auf seine Familie (V. 21). Wenn der Versuch, den Gott machen will, mit einem solchen Manne nicht gelingt, dann ist die Frage entschieden, dass der allgemeine Zustand des Menschen hoffnungslos ist.

Fügen wir noch hinzu, dass, ohne diese Probe mit dem König nach dem Fleische, die Wege Gottes mit David, Seinem Gesalbten, nicht vollständig gewesen wären. Wo wären die Leiden und die ganze Mühsal Davids, das notwendige Vorspiel seiner Herrlichkeit, wenn Saul nicht erweckt worden wäre.

Doch betrachten wir den schönen Charakter Samuels noch etwas näher. In den vorigen Kapiteln betete er und trat für das Volk ein, er fragte Jehova um Rat; hier sehen wir ihn in einer noch vertraulicheren Verbindung mit Gott. Bei ihm verwirklicht Gott, was wir in Psalm 32, 8 finden: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten." Während Saul nur ein blindes Werkzeug zur Ausführung der Absichten Gottes ist, hat Samuel das Bewusstsein davon und ist der Vertraute Gottes, er kennt Sein Geheimnis. „Jehova hatte aber dem Ohre Samuels eröffnet, einen Tag bevor Saul kam, und gesagt: Morgen um diese Zeit werde ich einen Mann aus dem Lande Benjamin zu dir senden, und du sollst ihn zum Fürsten salben über mein Volk Israel" (V. 15. 16). Die Mitteilung wird ihm gemacht, ohne dass er darum gebeten hätte. Nichts kommt von ihm; er empfängt unmittelbar, ohne irgendwelche Vermittlung, die Gedanken Gottes: „Siehe da den Mann, von dem ich zu dir geredet habe; dieser soll über mein Volk herrschen" (V. 17). Samuel hat das Bewusstsein seiner Gabe (V. 19), aber er besitzt sie zu dem Zweck, Saul die Gedanken Gottes mitzuteilen. Bevor dieser ihm begegnet, hat er sein Teil schon zuvor bestimmt (V. 23). Da ist kein Neid bei Samuel, obwohl er sehr wohl hätte da sein können, weil Samuel von den Ältesten beiseite gesetzt worden war; der Wille Gottes genügt ihm, und er erfreut sich darin. Die Einsetzung eines Königs nach dem Fleische ist ein Übel; aber Samuel hat in der Gemeinschaft mit dem Herrn gelernt (und das ist sicher eine schwere Aufgabe), sich dem Bösen nicht zu widersetzen, wenn Gott sich ihm nicht widersetzt.

Beachten wir in diesem Kapitel auch, wie alle Ereignisse, auch die unbedeutendsten, beitragen müssen zur Erfüllung der Absichten Gottes, zur Erreichung des Zweckes, den Er Sich vorgesetzt hat: der Verlust der Eselinnen, das nutzlose Umherstreifen Sauls im Lande Israel, der Gedanke, welcher dem Knaben Sauls kommt, die jungen Mädchen, die zum Brunnen gehen, die Anwesenheit Samuels in der Stadt an jenem Tage, das Opfer auf der Höhe, und endlich jeder Schritt, jeder Ausspruch, jedes Wort des Propheten, der in Gemeinschaft mit seinem Gott handelt.


Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel

Botschafter des Heils 1904 S. 137ff

Kapitel 10 - Samuel salbt Saul zum Fürsten über das Erbteil Gottes und sagt ihm die Zeichen vorher, die ihm unterwegs begegnen würden in Beziehung zu seiner Salbung zum König. Diese Zeichen waren von großer Bedeutung: die ganze Zukunft Sauls hing von der Art und Weise ab, wie er sie verstand. Es war seine Sache, über ihre Bedeutung nachzusinnen. Ihr Sinn entgeht einem Herzen ohne Verständnis und geistliches Unterscheidungsvermögen, und in dieser Hinsicht ist diese Stelle oft ein Prüfstein unseres Zustandes. Man beachte, dass Saul in dieser Szene nicht sich selbst überlassen ist, was ihm jede Entschuldigung nimmt. Samuel sagt ihm: „Gott ist mit dir", und nachher lesen wir: „der Geist Gottes geriet über ihn". Drei Zeichen werden Saul gegeben, und sie geschehen in einer von Gott gewollten Reihenfolge.

Da ist zuerst das Grab Rahels an der Grenze von Benjamin. Benjamin, das Haupt des Stammes, welchem Saul angehörte, hatte beim Tode seiner Mutter das Licht der Welt erblickt. Die Geschichte Sauls hätte, um den Gedanken Gottes zu entsprechen, da beginnen sollen. Es lag nur an ihm, der Sohn der Rechten Jakobs, der Benjamin Gottes, zu werden, wenn anders der Mensch im Fleische diesen Platz erlangen konnte. Das Grab Rahels konnte der Ausgangspunkt seines Königtums werden. Indem der Tod ihn von seiner ganzen Vergangenheit trennte, konnte es für ihn ein neues, aus dem Tode hervorkommendes Leben sein, in welchem er freimütig wandelte als der Gesalbte Jehovas.

Sodann sollte Saul, weitergehend, drei Männer treffen, die zu Gott nach Bethel hinaufgingen. Bethel war der erste Halteplatz auf der Reise Jakobs gewesen, der Ort, wo Gott dem verbannten Patriarchen verheißen hatte, ihn nie zu verlassen. So wurde inmitten des Verfalls Israels dem zukünftigen König die Treue Gottes gegenüber seinen Verheißungen gezeigt, damit er sein Verhalten dieser Treue entsprechend einrichte. Saul hätte erkennen sollen, dass Bethel ihm zugesichert war, und dass er auf göttlichen Beistand rechnen konnte. In den traurigen Umständen, in welchen das Volk sich befand, begegnete Saul Anbetern Gottes (und waren es auch nur drei), die dahin gingen, wo Jakob Ihn angebetet hatte, und wo Er immer angebetet sein wollte. Bethel war zu jener Zeit der Ort der Gnade, wo Gott Sich geoffenbart hatte, der Mittelpunkt des religiösen Lebens Israels, der Anfang und das Ende der Pilgrimschaft seines Stammvaters. Saul konnte und hätte in Verbindung treten sollen mit den Männern, die sich an diesen Ort der Segnung begaben und die, wenn auch gering an Zahl, doch vollständiges Zeugnis gaben (durch die Zahl drei angedeutet) von der Wirklichkeit des Glaubens, der in Israel noch vorhanden war. Sie fragten Saul nach seinem Wohlergehen; von ihnen musste er die nötige Nahrung empfangen, er, der nichts gehabt hatte, um es dem Propheten zu geben. Da er in den Augen dieser Männer des Glaubens Gnade gefunden hatte, hätte er sich mit ihnen vereinigen sollen.

Schließlich kam Saul an den Hügel Gottes, an den Sitz Seiner Macht, der sich aber augenblicklich in den Händen der Philister befand, d. h. von dem Feinde an sich gerissen war und beherrscht wurde. Nachdem er zu Bethel solchen begegnet war, die in Israel Gott Treue bewahrt hatten, konnte Saul hier den wahren Zustand des Volkes kennenlernen, und das hätte zu seinem Gewissen reden sollen. Und selbst an diesem Orte setzte Gott sich durch die Propheten mit Israel in Verbindung. Die göttlichen Hilfsquellen versagten nicht, und trotz der Philister konnte der Geist in Macht und Gnade handeln. Die Schar der Propheten und der kleine Überrest, der zu Bethel Gott anbetete, hätten dem Gesalbten Jehovas die Augen öffnen und ihm den Weg zeigen sollen, wie er der Führer und Retter des Volkes werden konnte. Es kam nun auf den Geist Gottes an, ob Er Saul, indem sich dieser jenen Männern anschloss, als Sein Werkzeug für Israel benutzen und „sein Herz verwandeln" würde (V. 6-9).

Das angekündigte Zeichen trifft ein; der Geist Gottes ergreift Saul (V. 10). So hätte Gott durch ihn den Lauf Seiner Beziehungen zu Israel wieder aufnehmen können, aber der Glaube war nicht im Spiel, und die Zeugen dieser Szene täuschen sich nicht. Obwohl Saul, in einen anderen Mann verwandelt, weissagt, haben die, welche ihn von früher her kannten, doch kein Vertrauen zu ihm. „Ist auch Saul unter den Propheten?", fragen sie, und ein Mann von dort antwortet: „Wer ist ihr Vater?" Haben Saul und die Knechte Gottes denselben Vater?

Außer den Zeichen empfängt Saul auch eine neue Weisung, nach welcher er handeln soll; denn die Zeichen sind nicht alles, das Wort gehört auch dazu. Es wird ihm aufgetragen, nach Gilgal hinabzugehen und sieben Tage zu warten, bis Samuel zu ihm hinabkommen und ihm kundtun würde, was er tun solle. Wir werden später das Ergebnis dieses Auftrags sehen, wenn der König, zwei Jahre später, sich entschließt, nach Gilgal hinabzugehen (Kap. 13, 1).


Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 10 - 12

Botschafter des Heils 1904 S. 158ff

Samuel beruft das Volk zu Jehova nach Mizpa. Aber die schönen Tage von Kapitel 7 waren schon nicht mehr da, denn seit der neuen Treulosigkeit des Volkes hatten sich seine Beziehungen zu Jehova aufs neue verschlechtert. Indem sie einen König begehrten, hatten sie ihren Gott verworfen (V. 19). Aber ach! dies scheint ihr Gewissen weniger zu beschweren, als wenn sie sich unter dem Joch der Philister befanden. Augenblicklich waren ihre Umstände äußerlich glücklich und leicht, aber Gott war verworfen. Das Volk hatte einen König verlangt. Anstatt ihm in den Weg zu treten, hatte Gott diesem Verlangen vielmehr auf jede Weise entsprochen, indem Er für das Volk eine Wahl traf, die nach den Gedanken des Menschen die möglichst beste war. Was waren nun die Folgen davon gewesen!

Bei der Errichtung des Königtums (V. 20-27) zeigt Saul seine Demut und Bescheidenheit; er weiß eine Beleidigung zu vergessen; er besitzt liebenswürdige natürliche Eigenschaften, die man anerkennen muss, die aber in keiner Hinsicht imstande waren, das Werk Gottes auszuführen. Nachdem die Feierlichkeit beendet ist, begibt sich Saul nach Gibea. „Und mit ihm zog die Schar, deren Herz Gott gerührt hatte. Aber etliche Söhne Belials ... verachteten ihn und brachten ihm kein Geschenk." - Das ist ein treues Bild der Welt: die Söhne Belials, welche Gott verworfen hatten, um einen König zu fordern, verachten diesen, wenn Gott ihn gibt; die wahren Gläubigen dagegen, die in Verbindung mit Samuel und später mit David sind und die Gedanken Gottes kennen, nehmen (als von Ihm kommend) die Autorität eines Menschen an, der sich als der erbittertste Feind des Gesalbten Jehovas erweisen wird. Das ist auch heute noch unser Platz in der Welt; wir erkennen die gottlosen Obrigkeiten an, um ihnen zu gehorchen (ausgenommen, wenn es sich um den Gehorsam handelt, den wir Gott schuldig sind), weil wir die Autorität Gottes annehmen, die jene eingesetzt hat.

Kapitel 11 - Kaum ist das Königtum errichtet, so betritt Nahas, der Ammoniter, der gefürchtete Feind Israels, den Schauplatz. Es ist nicht der große innere Feind, der Philister, dessen Aufstellung auf dem Hügel Gottes war (Kap. 10, 5), und von dem Jehova gesagt hatte: „Saul wird mein Volk retten aus der Hand der Philister." (Kap. 9. 16.) Um den Kampf zu vermeiden, schlagen die Leute von Jabes-Gilead dem Feinde vor, er möge einen Bund mit ihnen machen, wogegen sie ihm dienen wollten. Nahas beantwortet diesen Vorschlag nur mit Verachtung. Das ist alles, was wir von unseren feigen Zugeständnissen an die Welt und von unserem Mangel an Glauben ernten können! Die Leute von Jabes denken nicht einmal an den Retter, welchen Gott ihnen gerade gegeben hatte; denn das Volk hatte Saul nur in den Dingen anerkannt, welche das Fleisch annimmt: äußere Schönheit und natürliche Eigenschaften.

Die Boten von Jabes teilen den Stämmen die Notlage mit, in welche ihre Stadt geraten ist. Saul kommt gerade herzu, als das Volk weinend die Trauerbotschaft vernimmt; und „der Geist Gottes geriet über ihn, als er diese Worte hörte, und sein Zorn entbrannte sehr". (V. 6.) Es ist eine ernste, beachtenswerte Sache: der Geist Gottes, in Macht wirkend, rettet nicht den Menschen ohne eine Tätigkeit des Gewissens. Bei Saul war unter dem Einfluss des Geistes „das Herz verwandelt" worden, er war „in einen anderen Mann [1] verwandelt" worden; und doch findet er sich später verworfen, wenn er das wahre Innere seines natürlichen Herzens offenbart. Alle Eigenschaften der Natur und selbst eine durch den Geist verliehene Gabe der Weissagung haben aus ihm nicht einen Mann Gottes gemacht! Bileam und Judas sind erschreckende Beispiele für dieselbe Sache; Simson gibt, obwohl sein Zustand einigermaßen zweifelhaft ist, Veranlassung zu ähnlichen Bemerkungen; ebenso der unnütze Knecht im Gleichnis (Mt. 25, 30).

Saul ist also von dem Geiste Gottes ergriffen; aber ich möchte glauben, dass der glühende Zorn des Fleisches seinen persönlichen Zustand verrät. Anstatt das Vertrauen wachzurufen und sich an den Glauben zu wenden, droht er: „Wer nicht auszieht hinter Saul und hinter Samuel her, dessen Rindern wird also getan werden!"

Doch wie dem auch sei, „der Schrecken Jehovas fällt auf das Volk". Jabes wird befreit. Samuel erneuert das Königtum, welches schon im 10. Kapitel errichtet war, aber jetzt Beweise von seinem Dasein gegeben hatte. Diese Erneuerung muß in Gilgal vollzogen werden, dem Ort der Beschneidung, wo einst das Fleisch hinweggetan wurde. Was seinen inneren Zustand betrifft, bleibt dieser Akt ohne Wirkung auf Saul. Nach der Salbung durch Samuel (Kap. 10, 8) sollte der Glaube in ihm später in Gilgal auf die Probe gestellt werden. Saul gibt einen Beweis von Großmut, ja, er erkennt selbst die Hand Jehovas an in der dem Volke verliehenen Rettung. So ist Gott, in Seiner Herablassung gegenüber dem natürlichen Menschen, mit ihm und verleiht dem Fleische den Beistand und die nötigen Hilfsmittel, um vor Ihm zu wandeln.

In diesem Kapitel finden wir das Volk (V. 11 u. 12) unterschieden von den wahren Gläubigen, deren Herz Gott gerührt hatte (Kap. 10, 26), wie auch von den Söhnen Belials. (Kap. 10, 27.) „Das Volk" gehört weder zu den einen noch zu den anderen. Es verschwindet an dem Tage, wo das Herz auf die Probe gestellt wird, redet dagegen laut für Saul und gegen die Söhne Belials (V. 12), wenn es seinen Vorteil darin findet, sich dem König anzuschließen. Die Masse des Volkes ist nie auf der Seite eines verachteten Saul (Kap. 10, 27), oder eines verworfenen David, wie wir später sehen werden. Auch heute ist es nicht anders; und selbst im tausendjährigen Reich werden sich die unbekehrten Nationen Christo nur unterwerfen, weil sie ihren Vorteil dabei finden.

Kapitel 12 - Durch die Erneuerung des Königtums hat die Laufbahn Samuels als Richter naturgemäß ihr Ende erreicht. Das 12. Kapitel ist sozusagen das Testament der ganzen Tätigkeit, welche er als Führer Israels entfaltet hat. „Siehe, ich habe auf eure Stimme gehört", sagt er, „in allem was ihr zu mir gesagt habt, und ich habe einen König über euch gesetzt. Und nun, siehe, der König zieht vor euch her; ich aber bin alt und grau geworden, und meine Söhne, siehe, sie sind bei euch; und ich habe vor euch gewandelt von meiner Jugend an bis auf diesen Tag" (V.1u.2). Samuel hatte in seinen Wegen nichts Betrügliches oder Zweideutiges gehabt; indem er auf das Volk hörte, hatte er einfach den Befehl Gottes befolgt; darum kann er einige Verse weiter sagen: Jehova hat einen König über euch gesetzt (V. 13). Wir erblicken darin auch die schöne Uneigennützigkeit eines Mannes, der sich in Gemeinschaft mit Gott befindet. Samuel hatte das Unrecht und die Ungerechtigkeit, welche das Volk und die Ältesten ihm angetan hatten, vergessen und ohne Murren von seinen amtlichen Verrichtungen Abstand genommen, um sie auf einen König zu übertragen, der in sittlicher Beziehung sicher weit unter ihm stand. Er sagt: „Meine Söhne sind bei euch", und bringt damit diejenigen wieder auf ihren richtigen Platz zurück, die er selbst einst zu Unrecht eingesetzt hatte. Diese Handlung, welche scheinbar so natürlich war, die ihm aber eine gewisse Zucht von seiten seines Gottes eingetragen hatte, verurteilt er, wie mir scheint, durch das kleine Wort: „bei euch". Seine Söhne waren falsche Richter, wohingegen er, der wahre Richter, „vor" dem Volke gewandelt hatte; und jetzt war es der König, der „vor" ihnen herzog.

Der letzte der Richter steht im Begriff, sein Urteil über das Verhalten des Volkes und über die Wege Jehovas mit ihm abzugeben. „Und nun tretet her, dass ich vor Jehova mit euch rechte über alle gerechten Taten Jehovas, die er an euch und an euren Vätern getan hat" (V. 7)" Wer so reden will, muss selbst ein untadeliger Mensch sein; diese Tatsache ist in praktischer Hinsicht von der größten Wichtigkeit für uns. Wir können dem Volke Gottes gegenüber nicht die geringste Autorität haben, wenn unsere Handlungen nicht unserer Gabe und unseren Worten entsprechen. Indessen handelt es sich nicht allein um eine uns verliehene Autorität; man kann die Gewissen nicht erreichen ohne sittliche Autorität.

Das Volk ist gezwungen, Samuel Zeugnis zu geben, dass sein Leben keinen Anlass zu Vorwürfen und Tadeln geboten habe. Wie später der Apostel Paulus, so war auch Samuel dem Gewissen des Volkes Gottes offenbar gewesen. Sein sittliches Gewicht war tausendmal wichtiger als seine amtliche Autorität. Saul besaß diese Autorität, aber sie bewahrte ihn nicht vor der Verwerfung, wenngleich sie von Gott angeordnet war.

„Jehova ist es, der Mose und Aaron bestellt hat", sagt Samuel weiter (V. 6). Zu seinem Schaden hatte er dies einen Augenblick vergessen, indem er selbst seine Söhne bestellte. Heute gibt es in der Kirche (und es ist sicher am Platz, darauf hinzuweisen) keine amtliche Einrichtung mehr, aber die nötigen Gaben bleiben trotz des Verfalles, ebenso wie eine sittliche Autorität, die auf der praktischen Heiligkeit dessen beruht, der sie ausübt.

Die Rede Samuels (V. 6-17) geht zurück auf die Befreiung aus Ägypten, durch welche das Volk nach Kanaan gekommen war; denn das war der Zweck dieses mächtigen Einschreitens Gottes für sie. Doch in Kanaan hatten sie Gott vergessen, und, anstatt Ihm zu dienen, hatten sie sich vor den Götzenbildern niedergebeugt. Unter der Bedrückung des Feindes hatten sie zu Jehova geschrien, der sie dann durch Seine Richter, von Jerub-Baal bis auf Samuel, errettet hatte und sie „in Sicherheit" hatte wohnen lassen. Doch als Nahas, der König der Kinder Ammon, sie bedrohte, hatten sie zu Samuel gesagt: „Nein, sondern ein König soll über uns regieren"; und doch war Jehova ihr Gott, ihr König! (V. 12).

Der Geist enthüllt ihnen hier die verborgenen Beweggründe, welche sie geleitet hatten, einen König zu fordern. Es waren im Grunde ganz andere, als welche sie Samuel angegeben hatten. Ihm hatten sie gesagt: „Siehe, du bist alt geworden, und deine Söhne wandeln nicht in deinen Wegen" (Kap. 8, 5). So treibt der Mensch oft Schönfärberei hinsichtlich seiner Beweggründe; aber wenn ihm das auch vor den Augen der Menschen gelingt, vor Gott und Seinen Propheten kann er sie nicht verbergen. Im Grunde des Herzens herrschte bei Israel ganz einfach die Furcht vor Nahas, verbunden mit einem völligen Mangel an Glauben und Gottvertrauen. Jehova war ihr König, aber sie zogen die Hülfe eines Königs, wie die Nationen solche hatten und die Sicherheit, welche dieser ihnen bieten konnte, „den Flügeln Jehovas" vor, zu deren Schatten sie frohlockend hätten Zuflucht nehmen sollen.

Trotz allem lässt Gott Sich zu ihrer Forderung herab, und die Geschichte ihrer Verantwortlichkeit setzt sich so unter einem anderen Regiment fort: „Jehova hat einen König über euch gesetzt" (V. 13). Wird sich das Herz Israels unter diesem neuen Haushalt ändern? Die Folge wird es zeigen. Für den Augenblick handelte es sich darum, sie zu überzeugen, dass das Böse, das sie getan hatten, einen König für sich zu begehren, groß war in den Augen Jehovas. Zum Zeichen, dass es so war, lässt Samuel zu ungewöhnlicher Zeit Donner und Regen vom Himmel kommen; aber zugleich schreit und bittet er für sie. Nie, während seiner ganzen Laufbahn, hat dieser Mann des Gebets in seinem Flehen nachgelassen.

Das Gewissen des Volkes ist von neuem erreicht; aber wie viele Male war das nicht schon geschehen! Denken wir zum Beispiel an die schöne Regung zu Mizpa in Kap. 7. Hier sagen sie zu Samuel: „Bitte Jehova, deinen Gott, für deine Knechte, dass wir nicht sterben! Denn zu allen unseren Sünden haben wir das Böse hinzugefügt, einen König für uns zu begehren" (V. 19). Die Fürbitte des Mannes Gottes ist ihre einzige Hilfsquelle. Aber obschon das so ist, ist doch das Böse geschehen und bleibt bestehen. Es liegt nicht in den Wegen Gottes, eine gerissene Mauer zu verputzen, einem im Verfall befindlichen Hause ein schönes Aussehen zu geben. Ein Ding jedoch blieb ihnen, und das ist auch unsere Rettung in den Umständen, in welchen wir leben: es gibt eine Möglichkeit, inmitten der Trümmer und des Verfalls auf eine Weise zu wandeln, dass Gott dadurch verherrlicht wird. „Fürchtet euch nicht!" sagt Samuel zu dem Volke, „ihr habt zwar all dieses Böse getan; nur weichet nicht ab von der Nachfolge Jehovas und dienet Jehova mit eurem ganzen Herzen" (V. 20).

Wenn sich Seelen finden, die in der gegenwärtigen Zeit nur das eine Ziel haben, Gott zu verherrlichen und ihm zu dienen, so wird ihr Weg in der sie umgebenden Finsternis wirklich Licht sein. Andererseits werden diese Seelen, indem sie sich auf drei Dinge stützen, die für alle Zeiten bestehen bleiben, Hilfsquellen finden, welche der Verfall nicht austrocknen noch vermindern kann: „Denn Jehova wird um seines großen Namens willen sein Volk nicht verlassen; denn es hat Jehova gefallen, euch sich zum Volke zu machen. Auch ich - fern sei es von mir, dass ich gegen Jehova sündigen, dass ich ablassen sollte, für euch zu bitten; sondern ich werde euch den guten und richtigen Weg lehren." Das sind die drei Pfeiler des christlichen Lebens. Der Verfall ändert nichts an der Gnade Gottes, die stets unser gewisses Teil bleibt. Die Fürbitte Christi, von welcher Samuels Fürbitte nur ein schwaches Vorbild ist, ist imstande, uns durch alle Schwierigkeiten hindurchzuführen. Das Wort endlich, dessen Träger dem Volke gegenüber der Prophet war, „unterweist uns, dass wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben sollen in dem jetzigen Zeitlauf! (Tit. 2, 12). Schließlich sagt Samuel dem Volke: „Nur fürchtet Jehova, und dienet ihm in Wahrheit mit eurem ganzen Herzen; denn Sehet, welch große Dinge er an euch getan hat!" Lasst uns nicht vergessen, dass die Erkenntnis Seiner „großen Errettung" das wahre Mittel ist, Ihn so zu fürchten, wie Er gefürchtet sein will, und Ihm so zu dienen, wie es Ihm wohlgefällt. Lasst uns auch daran denken, dass die Kenntnis der Gnade Gottes keineswegs die Verantwortlichkeit Seines Volkes schwächt: „Wenn ihr aber dennoch übel tut, so werdet sowohl ihr als auch euer König weggerafft werden."

Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 13 - 14

Botschafter des Heils 1904 S. 180ff

Kapitel 13 - Da die Tätigkeit Samuels als Richter beendet ist, führt der erste Vers dieses Kapitels einen neuen Gegenstand ein. Beim Beginn dieses neuen Abschnittes unseres Buches ist es wichtig zu beachten, dass Saul nicht die bewusste Gegnerschaft des Fleisches gegen das Werk Gottes darstellt, sondern vielmehr das Fleisch, welches beschäftigt ist, dieses Werk auszuführen; es ist das in eine Stellung des Zeugnisses eingeführte Fleisch. Das macht Saul weit verantwortlicher und seine Tätigkeit schuldbarer, als wenn er als ein Feind Gottes und Seines Gesalbten den Schauplatz beträte. Die Christenheit, von welcher wir einen Teil ausmachen, befindet sich in derselben Stellung, so dass die Unterweisungen dieser Kapitel besonders ernst und zeitgemäß sind.

Das vorliegende Kapitel könnte die Überschrift tragen: Die Torheit und Schwachheit des Fleisches. Nach einem ersten Siege Jonathans (V. 3), worauf wir im folgenden Kapitel zurückkommen werden, um den Charakter dieses Mannes Gottes in seiner Gesamtheit darzustellen, wurden die Philister zerstreut. „Und Saul ließ im ganzen Lande in die Posaune stoßen und sprach: Die Hebräer sollen es hören! Und als ganz Israel sagen hörte: Saul hat die Aufstellung der Philister geschlagen, und auch hat sich Israel stinkend gemacht bei den Philistern, da versammelte sich das Volk hinter Saul her nach Gilgal."

Der König redet also, indem er sich an das Volk Jehovas wendet, von Hebräern. Die Philister und die feindlichen Nationen, welche Israel umgaben, redeten nicht anders (Kap. 14, 11), und dieser Titel beweist, dass Saul sich stützte auf das Zusammenströmen des Volkes, weil es jetzt eine Verfassung besaß wie die Heiden, und dass er kaum besser als die Heiden die Beziehungen des Volkes zu seinem Gott verstand. Dasselbe ist mehr oder weniger der Fall in unseren Tagen, wo die Menschen das wahre Verhältnis des Volkes Gottes und der Kirche zu Christo nicht mehr kennen. Wie könnte es auch anders sein? Kann das Fleisch die Innigkeit der Beziehungen und Zuneigungen verstehen, die der Geist zwischen Christo, dem Manne, und Seinem Weibe hervorruft? Aus dieser Unkenntnis sind all die sogenannten religiösen Systeme hervorgegangen, welche die Christenheit ausmachen und an die Stelle der Lebensverbindungen getreten sind, die das Fleisch nicht kennen kann.

Saul schreibt den Sieg Jonathans, den Sieg des Glaubens, sich zu (V. 4). Wenn Gott beim Beginn einer Erweckung durch Seine Werkzeuge tätig ist, wie sich das z. B. bei der Reformation gezeigt hat, und den Sieg über den Feind davonträgt, so verfehlen alle die, welche Nutzen daraus ziehen, ohne der Familie des Glaubens anzugehören, nicht, diesen Sieg als ihr Verdienst in Anspruch zu nehmen und sich so ein Ansehen zu geben.

Das Fleisch sucht niemals die Seelen um Christum zu sammeln; es macht sich selbst zum Mittelpunkt. So handelte auch Saul, indem er das Volk durch die Worte zu erschrecken suchte: „Israel hat sich stinkend gemacht bei den Philistern." In Kapitel 11, 7 hatte er durch Drohungen die Stämme gezwungen, ihm zu folgen; hier tut er es durch Erweckung von Furcht. Diese Handlungsweise bewirkt, dass Israel sich um ihn schart; aber die traurigen Folgen lassen nicht auf sich warten. Wer sich unter die Leitung des Fleisches stellt, um hier irgendwelche Sicherheit zu finden, wird sehr bald inne werden, dass es keine Sicherheit hat. Die Angst der Israeliten verminderte sich keineswegs; sie „zitterten hinter ihm her". Um sich in Sicherheit zu bringen, überschreiten sie den Jordan und gehen in das Land Gad und Gilead (V. 7). Sie verlassen das eigentliche Gebiet Kanaans, um so eine möglichst große Entfernung zwischen sich und den Feind zu bringen. Dieser Mangel an Glauben lässt sie die einzig wichtige Sache vergessen, dass es nämlich nicht Saul war, der in der Mitte seines Volkes wohnte, und dass ihre Sache nicht in seinen Händen lag.

Saul war endlich nach Gilgal hinabgegangen, wohin Samuel ihn im Anfang mit den Worten beschieden hatte: „Gehe vor mir hinab nach Gilgal; und siehe, ich werde zu dir hinabkommen, um Brandopfer zu opfern, um Friedensopfer zu schlachten; sieben Tage sollst du warten, bis ich zu dir komme, und ich werde dir kundtun, was du tun sollst" (Kap. 10, 8).

Die schwierigen Umstände, durch welche er geht, erinnern Saul an die Notwendigkeit, Anweisungen von Samuel zu empfangen. Am Ende von zwei Jahren gedenkt er des ausdrücklichen Befehls des Propheten. Saul, heißt es, „wartete sieben Tage bis zu der von Samuel bestimmten Zeit". Das Fleisch kann bis zu einem gewissen Punkte den Glauben nachahmen, aber auch nicht weiter. Es weicht zurück vor den Folgen seiner Untätigkeit. Nichts ist ihm schwerer, ja unmöglicher, als stille zu sein und die Rettung Jehovas zu sehen. Sein Ausharren täuscht oft, selbst bei Christen; aber es hört auf in dem Augenblick, wo es sich um Glauben handelt, um den Glauben, der nicht mit Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten rechnet, da er sich an Gott klammert, der über diesen Dingen steht. Der natürliche Mensch kann lange Zeit auf einem Wege des Ausharrens gehen und scheinbar nach jenem Grundsatz handeln, aber er hat nicht das Bewusstsein seiner Schwachheit und seines Unvermögens, und da er ohne Verbindung mit Gott ist, so kann er, wenn er wirklich auf die Probe gestellt wird, seine Hilfsquellen nur in sich selbst suchen.

Die sieben Tage waren vergangen. Samuel kam nicht nach Gilgal, und das Volk zerstreute sich von Saul weg (V. 8). Das Volk fand in dem Manne, der es durch Furcht zusammengebracht hatte, nicht die genügende Autorität, um es aufrecht zu halten und zu verteidigen. Da verliert Saul die Geduld; er kennt nicht jenes Ausharren des Glaubens, der „gekräftigt wird mit aller Kraft nach der Macht der Herrlichkeit Gottes" (Kol. 1, 11). Sein Ausharren hört da auf, wo der Glaube anfangen sollte. Wenn das Volk sich zerstreut, wenn die Stütze der Menschen ihm fehlt, so fehlt dem armen König alles. Sein Fleisch, zur Tätigkeit getrieben, nimmt sogleich den Platz ein, der dem Propheten gehörte, indem er die von Gott errichtete Ordnung umstößt. Saul sagt: „Bringet mir das Brandopfer und die Friedensopfer her! und er opferte das Brandopfer. Und es geschah, als er das Opfern des Brandopfers vollendet hatte, siehe, da kam Samuel."

Die Hilfe Gottes kommt in dem Augenblick, wo das Fleisch sich selbst helfen will. Wozu kann ihm nun diese Hilfe dienen? Saul war kein Ungläubiger und verachtete nicht offenbar den Gott Israels; er wusste, dass es eines Opfers bedurfte, um Ihm zu nahen. Weit entfernt davon, den Propheten zu verachten, „ging er hinaus, ihm entgegen, ihn zu begrüßen". Aber als ein Mensch im Fleische war er durchaus unfähig, anders zu handeln, als er tat. Nichtsdestoweniger war er völlig verantwortlich. „Was hast du getan?" sagt Samuel zu ihm - dasselbe Wort, welches Jehova einst an Kain gerichtet hatte! Wie immer, so hat das Fleisch auch hier ausgezeichnete Gründe zum Handeln und infolgedessen zum Ungehorsam. - „Weil ich sah", entgegnet Saul, „dass das Volk sich von mir weg zerstreute, und du nicht kamst zur bestimmten Zeit, und die Philister versammelt waren zu Mikmas." Er hat sogar eine fromme Entschuldigung für seinen Ungehorsam: „jetzt werden die Philister zu mir herabkommen nach Gilgal, und ich habe Jehova nicht angefleht!"

Und Samuel sprach zu Saul: „Du hast töricht gehandelt." Die Weisheit, die Überlegungen, die Pläne, die Entschließungen des Menschen sind töricht für Gott, weil sie Ungehorsam sind. „Du hast nicht beobachtet das Gebot Jehovas, deines Gottes, das er dir geboten hat." Der Gehorsam ist der erste, unumgänglich notwendige Charakterzug des Glaubens. Ohne ihn gibt es keinen Glauben. Er steht in Verbindung mit der Abhängigkeit. Wer konnte ein Gott wohlgefälliges Opfer darbringen außer Samuel?

Darum beantwortet Gott das Opfer Sauls damit, dass Er ihn als König verwirft! Sein Königtum ist, obwohl von Gott eingesetzt, nach dem Fleische; es ist verantwortlich und hat nicht nur den Beweis geliefert, dass es unfähig ist, sich aufrecht zu halten, sondern auch, dass es für den Menschen keine andere Hilfsquelle gibt, als die Gnade. Das ist es, was Gott deutlich kundtun wollte. Hernach errichtet Er das Königtum nach der Gnade, nach Seinem eigenen Herzen. „Jehova hat sich einen Mann gesucht nach seinem Herzen, und Jehova hat ihn zum Fürsten über sein Volk bestellt" (V. 14).

Gilgal, der Ort des Gerichts über das Fleisch, war durch die Untreue Sauls zu einer Stätte geworden, wo das Fleisch sich wirksam erwiesen hat. Samuel verlässt diese Stätte und geht nach Gibea-Benjamin, dem einzigen Ort, wo in der Person Jonathans der Glaube in Israel noch vorhanden war (Vergl. V. 2).

Saul erscheint ohne Gefühl für die Schwere seiner Tat; er geht auf demselben Wege weiter, indem er das Volk mustert, das sich bei ihm befand. Die Verheerungszüge der Philister gingen durch das ganze Land Israel, und das Volk war ohne Waffen: „denn die Philister hatten gesagt: dass die Hebräer sich nicht Schwert oder Speer machen! Und ganz Israel ging hinab zu den Philistern, ein jeder, um seine Pflugschar und seinen Spaten und sein Beil und seine Sichel zu schärfen ... und um den Rinderstachel zu richten." Wenn wir von der Welt abhängig sind, um unsere Waffen blank zu erhalten, so werden wir keine Hilfsmittel haben, um gegen sie zu streiten. Unsere Waffe ist das Wort. Wie sollen wir es gegen die Welt gebrauchen, wenn wir ihr das Recht einräumen, uns in ihm zu unterweisen und es uns auszuteilen? Sie hat damit das Mittel in Händen, uns zu knechten, und sie wird uns von dem Worte nur das lassen, was ihr nicht schaden kann. Und so befinden sich die Kinder Gottes gar zu oft ohne Waffen vor dem Feinde, der ihren Glauben bekämpft.

Kapitel 14 - Dieses Kapitel bildet einen völligen Gegensatz zu dem vorigen. Haben wir bei Saul die Torheit und Schwachheit des Fleisches gesehen, so werden wir bei Jonathan die Weisheit und Kraft des Glaubens finden.

Die Laufbahn Jonathans hatte mit einem Schlage begonnen (Kap. 13, 2. 3); aber damals stand er noch mit dem militärischen System Sauls in Verbindung, tausend Mann waren bei ihm und zweitausend bei seinem Vater. Jonathan war Sieger gewesen, aber anstatt zur Verherrlichung Jehovas zu dienen, hatte sein Sieg nur Saul genützt. So geht es immer bei einer Vereinigung des Gläubigen mit der religiösen Welt; sie bedient sich ihrer, um sich die Ergebnisse des Kampfes zuzuschreiben. So wird der Sieg des Glaubens vernichtet, und der Kampf muss von neuem begonnen werden.

Er hebt tatsächlich in dem vorliegenden Kapitel wieder an, aber die erste Erfahrung ist für Jonathan nicht umsonst gewesen. Er sagt zu seinem Waffenträger: „Komm und lass uns hinübergehen zu der Aufstellung der Philister, die dort drüben ist. Seinem Vater aber tat er es nicht kund", denn der Glaube erwartet keine Hilfe von der Welt. Er trennt sich durch sein persönliches Tun von der politischen und religiösen Welt; ich sage: religiös, denn der Priester, die Bundeslade, das Ephod, der Altar, alles befand sich bei Saul. Doch der Glaube besitzt das Geheimnis Gottes, welches weder Saul, noch der Priester, noch das Volk haben. Jonathan behält sein Geheimnis für sich, denn er kann nicht von einem Menschen abhängig sein, mag es sein, wer es will. Andererseits verbindet er sich in seinen Gedanken und in seinem ganzen Tun mit Israel. Saul wandte sich an die „Hebräer" (Kap. 13, 3); Jonathan sagt: „Jehova hat sie in die Hand Israels gegeben" (V. 12). Jonathan macht in diesem Kapitel große Fortschritte. Sein Vertrauen ruht auf Gott allein, keineswegs auf ihm selbst. Es ist ein großer Glaube, aber das Geheimnis seiner Kraft hat man in seiner persönlichen Absonderung zu suchen.

Die Felszacken Bozez und Sene, die ihre unbesteigbaren Gipfel gegenüber Mikmas und Geba emporreckten, sind nichts für den Glauben. Dieser hat außerdem einen klaren und reinen Blick für den Charakter dieser Welt: „Komm und lass uns hinübergehen zu der Aufstellung dieser Unbeschnittenen," sagt Jonathan (V. 6). Er hat auch einen ebenso klaren Blick für das, was Gott ist, nämlich ein Retter: „für Jehova gibt es kein Hindernis, durch viele zu retten oder durch wenige."

Jonathan handelt im Widerspruch mit aller Weisheit der Welt; er erwartet die Leitung nur von dem Herrn. Er ist keineswegs unschlüssig; er weiß, dass man auf dem Wege des Glaubens berufen werden kann, sich vorwärts zu bewegen, oder sich ruhig zu verhalten: „Wenn sie so zu uns sprechen: Stehet still, bis wir zu euch gelangen! so wollen wir auf unserer Stelle stehen bleiben und nicht zu ihnen hinaufgehen; wenn sie aber so sprechen: Kommet zu uns herauf! so wollen wir hinaufgehen, denn Jehova hat sie in unsere Hand gegeben; und das soll uns das Zeichen sein" (V. 9 u. 10).

Gezwungen, auf Händen und Füßen zu den Philistern hinaufzusteigen, kämpft Jonathan gleichsam ohne menschliche Waffen und trägt so den Sieg Gottes davon.

Was Saul betrifft, so fehlte ihm scheinbar nichts, aber in Wirklichkeit mangelte ihm alles. Gott war nicht mit ihm. Das Priestertum, welches ihn zu stützen schien, war bereits gerichtet (Kap. 2, 31; 3, 13); er selbst war als König verworfen (Kap. 13, 14). Er hatte das Heer, also die Macht, bei sich, aber es war eine Macht, die bei der Annäherung der Philister dahinschmolz (Kap. 13, 8) und so ihre Schwachheit zeigte.

Jonathan hatte das Bewusstsein, dass das Volk das Gericht verdient hatte. „Vielleicht", sagte er zu seinem Waffenträger, „wird Jehova für uns wirken"; aber wenn er dann hinzufügt: „für Jehova gibt es kein Hindernis zu retten", so zeigt er angesichts dieses Gerichts, dass er die Macht und die Güte Gottes kennt.

Vergessen wir auch den Gefährten Jonathans nicht. Sein Glaube verbindet sich mit dem seines Anführers, dessen Liebe zu Jehova und zu Seinem Volke er kannte. Die Hingebung seines Herrn genügt diesem Manne von einfältigem Herzen und tritt für ihn an die Stelle jeder Überlegung. Wie schön sind seine Worte: „Tue alles, was in deinem Herzen ist; wende dich, wohin du willst, siehe, ich bin mit dir nach deinem Herzen!"

Der Glaube gebraucht keine Verstellungskünste; er scheut sich nicht, sich zu zeigen und mit seinen Absichten offen hervorzutreten: „Siehe, wir gehen hinüber zu den Männern und wollen uns ihnen zeigen." Mit einer Kühnheit, die in den Augen der Welt reine Tollkühnheit ist, Misstraut er einem eigenwilligen Wege und begehrt ein Zeichen des Willens Gottes: „Das soll uns das Zeichen sein."

Wie blind waren die Philister über den wahren Charakter der Männer des Glaubens! „Siehe", sagen sie, „Hebräer kommen aus den Löchern hervor, worin sie sich versteckt haben." Die Gläubigen sind für die Welt ein Gegenstand der Verachtung und des Spottes.

Jonathan steigt also auf seinen Händen und Füßen hinauf; er ist in seinen Gedanken nichts anderes als der Vertreter des wahren Israel gegenüber der Welt. „Jehova hat sie in die Hand Israels gegeben", sagt er (V. 12). Die Waffen, welche sein Waffenträger ihm nachträgt, dienen nur dazu, den Sieg Jehovas zu bestätigen. Der Schrecken, von dem die Feinde ergriffen werden, ist die Folge dieses Sieges, der anscheinend über etwa zwanzig Leute, in Wirklichkeit aber über ein ganzes Volk errungen wurde. So ist es oft; wir haben nur den Streit zu streiten, der vor uns ist, ob gegen einen oder gegen tausend Feinde, tut wenig zur Sache. Gott ist es, der die Erfolge lenkt; sie gehen über alle Erwartungen und Gedanken des Menschen hinaus. Die Wächter Sauls zu Gibea-Benjamin sahen, „und siehe, die Menge zerrann und lief dahin und dorthin" (V. 16).

Angesichts dieses außerordentlichen Vorgangs kommt Saul, obwohl ohne Glauben, doch auf den Gedanken, Jehova zu befragen; aber als das Getümmel immer größer wird, verzichtet er darauf. Der arme Saul! Er opferte dem Jehova, als er auf den Propheten hätte warten sollen (Kap. 13, 9), und jetzt hält er es für unnütz, Ihn zu befragen oder Ihn zu suchen, da der Sieg vor der Tür steht. Trotz allem, was den Schein von Glauben erwecken könnte, ist doch in Wahrheit kein Funke von Glaube in ihm. Und während der Sieg Jonathans die Überläufer aus Israel wieder sammelt und sie von der Welt, der sie gedient hatten, absondert, um sie zu Streitern auf der Seite Gottes zu machen, während der Sieg auch die Furchtsamen zur Verfolgung des Feindes ermutigt und ihren Herzen wieder Mut einflößt (V. 22), weiß ihr König, dem selbst die Anfangsgründe der Religion fehlen, nichts anderes zu tun, als eine fleischliche Anordnung zu treffen, die das Volk Gottes eines guten Teiles seiner Kraft beraubt. Die in der Welt getroffenen Anordnungen schwächen notwendigerweise diejenigen, welche sich ihnen unterwerfen; denn sie haben stets einen gesetzlichen Charakter: „Verflucht sei der Mann, der Speise essen wird bis zum Abend, und bis ich mich an meinen Feinden gerächt habe!" „Verflucht", ist das nicht das Gesetz? „Bis ich mich gerächt habe", ist das nicht das Fleisch und der Mensch? Welch ein Gegensatz zu Jonathan, der in dem Siege nur die Rettung Jehovas für Sein Volk sieht!

Das Ergebnis des Glaubens Jonathans war, dass Jehova rettete und eine große Rettung in Israel schaffte (V. 45); das Ergebnis der Anordnung Sauls, dass das Volk sehr angestrengt und ermattet war. Die Folgen dieser fleischlichen Anordnung lassen nicht auf sich warten: das dem Volke durch den Schwur Sauls auferlegte Fasten und die Ermattung bringen es dahin, die ersten Grundsätze des Wortes Gottes zu übertreten: es schlachtet das Kleinvieh und die Rinder auf die Erde hin und isst mit dem Blute (V. 32). Saul hätte freilich lieber gesehen, dass die Dinge nicht so weit gekommen wären, und dass Israel sich nicht mit dem göttlichen Gebot in Widerspruch gesetzt hätte. „Ihr habt treulos gehandelt", sagt er; „sündiget nicht gegen Jehova, indem ihr mit dem Blute esset." Aber konnte er das Übel, welches er selbst hervorgerufen hatte, dadurch wiedergutzumachen, dass er es zu verringern suchte? Danach baut er auf demselben Platze, wo die unheilige Handlung geschehen war, Jehova seinen ersten Altar, indem er den Ort, an welchem der Herr verunehrt worden war, erwählt, um da anzubeten!

Jonathan hatte den Schwur nicht gehört, den sein Vater dem Volke auferlegt hatte. So steht auch der Glaube, im Blick auf das ganze religiöse System der Welt, allen fleischlichen Anordnungen fremd gegenüber, und er setzt auch sein Werk in der Freiheit des Geistes fort und, von den Ermunterungen, die Gott ihm gibt, Gebrauch machend, „trinkt er auf dem Wege aus dem Bache" (Psalm 110)" Wie hätte Jonathan, der die von Gott für die Ermattung im Kampfe bereiteten Hilfsmittel empfing und Gebrauch davon machte, das nicht tadeln müssen, was das Volk lähmte, mochte jene unheilvolle Anordnung auch aus dem Munde seines Vaters hervorgegangen sein? „Mein Vater hat das Land in Trübsal gebracht", sagt er. Ja, jede Einmischung des Fleisches ist nichts als eine Störung und ein Hindernis für den Sieg.

Saul bestimmt dann, die Philister bei der Nacht zu verfolgen, um sie gänzlich zu vernichten. Der Priester, welcher vorher seine Hand zurückgezogen hatte (V. 19), hat jedoch den Mut zu sagen: „Lasst uns hier zu Gott nahen." Saul fragt Jehova, bekommt aber keine Antwort. Gott erlaubt, dass alles bei dieser Begebenheit seine äußersten Folgen auswirkt und zu Sauls Demütigung führt. Er fordert „ein vollkommenes Los". Er empfängt es endlich, doch die Antwort verurteilt die ganze Handlungsweise des Königs. Saul sieht freilich nichts anderes darin als die Verurteilung Jonathans! So deutet das Fleisch die Antwort Gottes. Jehova behütet Seinen treuen Knecht, während der König nach dem Fleische gerichtet wird. Das Volk befreit Jonathan, weil es erkennt, dass er mit Gott gehandelt hat (V. 44-46).

Der fleischliche Mensch ist eines gewissen Heldenmutes fähig, um seine Religion und die von ihm getroffenen Anordnungen aufrecht zu halten. Man sieht ihn vielleicht, wie hier, im Begriff, die ihm am nächsten Stehenden nicht zu verschonen, aber im Grunde ist es doch nur eine Anstrengung Satans, um die Knechte Gottes zu vernichten. Gott wacht über den Seinigen und rettet sie, indem Er sogar durch den Mund der Versammlung Israels für sie Zeugnis geben lässt.

Trotz allem diesem wirkt Gott ohne Unterlass durch Saul gemäß der Verheißung, die Er (Kap. 9, 16) gegeben hatte, und das hindert Saul nicht, sich auch weiterhin auf das Fleisch zu stützen, um die Philister zu bekämpfen: „Wenn er irgendeinen streitbaren Mann und irgendeinen Tapferen sah, So gesellte er ihn sich zu."

Das ganze Kapitel hat uns also gezeigt, dass das Fleisch und der Glaube, weit davon entfernt, sich gegenseitig Hilfe und Beistand zu leisten, nur im Streit und im Gegensatz zu einander sein können.


Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 15

Botschafter des Heils 1904 S. 204ff

Kapitel 15 - Die gedrängte Schilderung der Regierung Sauls ist mit dem letzten Verse des 14. Kapitels zu Ende. Das Kapitel, welches wir jetzt besprechen wollen, ist uns wegen der Wichtigkeit seines Inhalts als eine besondere Erzählung gegeben. Wir finden darin den Grund für die endgültige Verwerfung Sauls, eine Verwerfung, welche die Einführung Davids des Königs nach Gottes Gedanken, notwendig machte.

Wie wir gesehen haben, stellt Saul das Fleisch dar, welches bekennt, Gott zu dienen, und als solches in Seinem Werke tätig ist. Um seine Unfähigkeit in dieser Stellung klar darzutun, hat Gott ihn von Kapitel 9 an auf mancherlei Weise auf die Probe gestellt. Es bleibt noch eine letzte Probe übrig: Was wird das Fleisch, welches vorgibt, für Gott zu handeln, im Kampfe mit Amalek tun?

Es stand geschrieben (5 .Mose 25, 17-19): „Gedenke dessen, was Amalek dir getan hat auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zogt, wie er dir auf dem Wege entgegentrat und deinen Nachtrab schlug, alle Schwachen hinter dir her, als du matt und müde warst: und er fürchtete Gott nicht. Und wenn Jehova, dein Gott, dir Ruhe geschafft hat vor allen deinen Feinden ringsum, in dem Lande, welches Jehova, dein Gott, dir als Erbteil gibt, es zu besitzen, so soll es geschehen, dass du das Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel austilgest. Vergiss es nicht!"

Nun hatte Gott trotz aller Fehler Sauls dafür gesorgt, dass Israel „Ruhe hatte ringsum". Die Stunde Amaleks, des grausamen und feigen Feindes, der einst die Nachzügler Israels schonungslos niedermachte, hatte geschlagen. Jehova hatte geschworen, dass der Krieg zwischen Ihm und Amalek von Geschlecht zu Geschlecht dauern solle (2. Mose 17, 16). Wem irgend also die Verherrlichung Gottes und Seines Volkes Israel am Herzen lag, musste, als der Augenblick dazu gekommen war, ohne irgendwelche Überlegung denjenigen gänzlich und ohne Schonung vertilgen, der sich dem Volke in den Weg gestellt hat, als es aus Ägypten heraufzog (V. 2 u. 3). „Sein Letztes" sollte nach der Weissagung, die Bileam wider seinen Willen aussprechen musste, „dem Untergang verfallen" (4.Mose 24, 20). Ohne Zweifel hatte Gott sich Amaleks als einer Zuchtrute für Sein ungehorsames Volk bedient (4.Mose 14, 39-45); aber nichtsdestoweniger blieb es der Feind, der ausgesprochene Gegner Israels, ein Bild Satans, der von Beginn der Wüstenreise an sich dem Volke Gottes in den Weg zu stellen sucht. Mit ihm liegt auch der Christ unausgesetzt im Kampfe; er ist berufen, zu bestehen wider die Listen des Teufels und zu kämpfen wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern (Epheser 6, 11. 12). In diesem Kampfe war Israel einst Sieger geblieben. Getränkt mit dem Wasser des Felsens, d. h. bildlich die Gegenwart des Heiligen Geistes, die auf den Tod Christi folgt, genießend, geführt durch Josua (Christum) in der Kraft des Geistes, war es berufen gewesen, diesem großen Feinde die Stirn zu bieten. Soll jetzt das Fleisch diese Rolle spielen können, oder wird es seine Unfähigkeit dazu beweisen?

Anfangs zeigte es sich scheinbar dazu fähig. Auf den Befehl Gottes macht Saul sich auf, stellt sich an die Spitze des Volkes, sondert die Keniter ab, die sich als Freunde des Volkes Gottes erwiesen hatten (Richter 4, 11), und schlägt Amalek und sein ganzes Volk. Indes führt er den Befehl Gottes nicht bis zum Ende hinaus. Das wird das Fleisch niemals tun. Es weiß nicht bis zum Ende hin untätig zu sein, wenn Gott es dazu auffordert - ein Beweis davon sind die sieben Tage von Gilgal (Kap. 13, 8); und es kann ebenso wenig bis zum Ende hin tätig sein, wie unsere Erzählung dies beweist. Einen göttlichen Befehl nicht ganz ausführen, ist aber für Jehova dasselbe, als ihn gar nicht ausführen. Gott erklärt: „Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich hinter mir abgewandt und hat meine Worte nicht erfüllt" (V. 11).

Ein tiefer Kummer für Samuel! Obwohl er weiß, dass dieser Mann verworfen ist, bittet er doch die ganze Nacht für ihn. Samuel war, wie wir oft bemerkt haben, stets in Gebet und Fürbitte tätig, sowohl für die Ungehorsamen wie für die Bösen, ja, für einen jeden. Er trauert, er fleht, aber er gehorcht; das ist dem Glauben eigen. In welch einem völligen Gegensatz steht dies zu dem Verhalten Sauls! Es heißt: „Samuel schrie zu Jehova die ganze Nacht; und am Morgen machte er sich früh auf, Saul entgegen." Dieser hatte sich ein Denkmal errichtet, indem er sich selbst den Sieg zuschrieb; denn das Fleisch, selbst wenn es in dein Werke Gottes tätig ist, kann dieses Werk nicht für Ihn tun.

Saul sagt zu dem ihm entgegenkommenden Samuel: „Gesegnet seiest du von Jehova! Ich habe das Wort Jehovas erfüllt." Wie eilig ist er, sich zu rühmen! In Vers 20 werden wir ihn mit derselben Schnelligkeit sich entschuldigen und in Vers 24 sich anklagen sehen. Doch Gott gibt sich nicht mit Worten zufrieden. Samuel fragt: „Was ist denn das für ein Blöken von Kleinvieh in meinen Ohren, und ein Brüllen von Rindern, das ich höre?" Saul, der gerade gesagt hatte: „Ich habe das Wort Jehovas ausgeführt", wälzt jetzt die Schuld von sich ab auf das Volk, obwohl er und das Volk (V. 9) im Einverständnis miteinander gehandelt hatten. „Sie haben sie von den Amalekitern gebracht, sagt er, „weil das Volk das Beste vom Klein- und Rindvieh verschont hat, um Jehova, deinem Gott zu opfern; aber das Übrige haben wir verbannt." In diesen wenigen Worten rühmt Saul sich selbst, klagt seine Mitschuldigen an und sucht seinem Ungehorsam einen schönen Schein zu geben, als handle es sich dabei um den Dienst Jehovas. Welch eine Verblendung! Samuel schickt sich an, ihn dessen zu überführen; aber ehe er das tut, erinnert er ihn daran, dass er im Anfang demütig, klein in seinen Augen, gewesen war. Das war sein natürlicher Charakter, und Gott hatte ihn gesegnet. Warum nun hatte er sich jetzt gegen das Gebot Jehovas aufgelehnt? Saul antwortet: „Ich habe der Stimme Jehovas gehorcht und bin auf dem Wege gezogen, den Jehova mich gesandt hat; und ich habe Agag, den König der Amalekiter, hergebracht, und die Amalekiter habe ich verbannt. Aber das Volk hat von der Beute genommen: Klein- und Rindvieh, das Vorzüglichste des Verbannten, um Jehova, deinem Gott, zu opfern in Gilgal" (V. 20, 21).

Opfern bedeutet für ihn mehr als Gehorchen; aber „hat Jehova Lust an Brandopfern und Schlachtopfern, wie daran, dass man der Stimme Jehovas gehorcht? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder. Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst." Ernste Wahrheit! Ein Opfer ohne Gehorsam ist nicht besser, als sich vor den Götzenbildern niederzuwerfen. Die erste Eigenschaft des Glaubens ist der Gehorsam. Paulus hatte sein Apostelamt empfangen „zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen" (Römer 1, 5). Es gibt übrigens vieles, was Gott dem Opfer vorzieht. „An Frömmigkeit habe ich Gefallen", lesen wir in Hosea 6, 6, „und nicht am Schlachtopfer, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern". „Gehet aber hin," sagt der Herr zu den Pharisäern, „und lernet, was es ist: Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer" (Mt. 9, 13). Gehorsam hat alle Männer des Glaubens gekennzeichnet, von Abraham an, dem Vater der Gläubigen, der gehorsam war und auf Gottes Gebot hin auszog, „nicht wissend, wohin er komme".

Und nun betrachte, mein Leser, die Folge des Ungehorsams für Saul, sie ist ernst: „Weil du das Wort Jehovas verworfen hast, so hat er dich verworfen, dass du nicht mehr König seiest." Einst, in Gilgal, hatte Jehova durch Samuel gesagt: „Dein Königtum wird nicht bestehen" (Kap. 13, 14). Jetzt trifft ihn der letzte Schlag: „Gott hat dich verworfen."

Wie nimmt Saul diesen Urteilsspruch auf? Er bekennt seine Sünde, aber ohne Demütigung, ohne Reue, indem er noch hofft, ihren Folgen entgehen zu können. „Ich habe gesündigt", sagt er, „dass ich den Befehl Jehovas und deine Worte übertreten habe; denn ich habe das Volk gefürchtet und auf seine Stimme gehört." Immer noch Entschuldigungen, aber verbunden mit einer erstaunlichen Bereitwilligkeit, das Böse zu bekennen, welches er noch wenige Augenblicke zuvor abgeleugnet hatte. Es fehlt eben an jeglicher Übung des Gewissens bei Saul. Er will lieber seine Feigheit dem Volke gegenüber als Milderungsgrund anführen, als die Sünde ganz auf sich nehmen. Welch ein Unterschied zwischen seinen Worten und jenem anderen: „Ich habe gesündigt gegen Jehova", dass es aus dem getroffenen Gewissen Davids nach seinem Falle hervorkam! Saul hofft auf diese Weise Vergebung zu erlangen und wiederhergestellt zu werden. Aber es ist zu spät; der Urteilsspruch ist endgültig, denn Gott ist Gott, und „das Vertrauen Israels lügt nicht, und er bereut nicht". „Ich habe gesündigt", sagt der unglückliche König zum zweiten Male; „nun ehre mich doch vor den Ältesten meines Volkes und vor Israel." Bis zum Ende hin hat er nur sich selbst und seine eigene Ehre im Auge. Samuel ehrt ihn wirklich, aber dann verlässt er ihn. So lange Gott nicht Seinen Urteilsspruch über die von Ihm eingesetzten Mächte ausgeführt hat, haben wir sie anzuerkennen.

„Saul betete an vor Jehova", aber es war ohne Nutzen für Gott und für ihn. Von nun an ist die Ausführung des Urteilsspruches Gottes über Amalek den Händen Samuels anvertraut; er ist es, der Agag in Stücke haut zu Gilgal. Dann zieht er nach Rama, seiner Vaterstadt, aber sie ist jetzt für ihn ein Ort der Tränen und der Trauer. Saul begibt sich in sein Haus, und von da an besteht eine völlige Trennung zwischen ihm und dem Propheten.

David oder der König nach der Gnade (Kapitel 16 – 31)

Kapitel 16 - Hier beginnt die Geschichte des wahren Königs nach den Gedanken Gottes, nachdem diejenige des Königs nach dem Fleische durch seine endgültige Verwerfung in Wirklichkeit beendigt ist. Das vorliegende Kapitel gibt uns, wie wir sehen werden, einen allgemeinen Begriff von der Stellung Davids vor seiner Thronbesteigung. Doch ehe wir näher hierauf eingehen, wollen wir gewisse, für uns sehr beachtenswerte Einzelheiten des Charakters Samuels betrachten.

Wenn es sich um die menschlichen Gedanken selbst eines Richters und Propheten handelt, so finden wir, dass sie nicht besser sind, als bei jedem anderen Menschen. Das Wort bietet uns manche Beispiele dafür. Wir begegnen hier zwar nicht gerade wirklichen Fehlern bei Samuel, aber doch verrät er durch seine Denkweise einen Zustand, welcher nicht der einer wahren Gemeinschaft mit Gott ist. Nachdem Saul verworfen ist, fährt Samuel fort, um ihn zu trauern, und zwar so sehr, dass Gott es ihm mit den Worten vorhalten muss: „Bis wann willst du um Saul trauern?" Sodann, anstatt sich darüber zu freuen, dass Gott einen König für Sich gefunden hat, antwortet er: „Wie mag ich hingehen? Wenn Saul es hört, so tötet er mich." - Wie mag ich hingehen? Welch eine Frage, wenn Gott ihm gebietet, zu gehen! Hatte Mose es einst nicht gerade so gemacht? (2.Mose 4). Er erhob Einwendungen gegen die Befehle Jehovas, die scheinbar auf Demut (Kap. 3, 11) und Mangel an Vertrauen auf Menschen und auf sich selbst (Kap. 4, 1 u. 10) beruhten, während sie in Wirklichkeit nur unter einem achtbaren Äußeren den Unglauben und den Mangel an Vertrauen des natürlichen Herzens verbargen.

Schließlich, als Samuel Eliab, den Erstgeborenen Isais, sah, sprach er: „Gewiss, vor Jehova ist sein Gesalbter!" So urteilt selbst dieser Mann Gottes nach dem äußeren Schein, so dass Gott gezwungen ist, ihn mit den Worten zurechtzuweisen: „Jehova sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht; denn der Mensch sieht auf das Äußere; aber Jehova sieht auf das Herz" (V. 7). Samuel urteilt also wie ein Mensch, und sein Unterscheidungsvermögen verweilt bei jenen äußeren Eigenschaften, welche Saul besessen hatte. Gott aber lässt Sich in rührender Gnade herab, Seinen Knecht in allen diesen Punkten zurechtzuweisen und zu belehren. Auch behält schließlich der Glaube die Oberhand: „Samuel tat, was Jehova geredet hatte", und ging hin, indem er auf das Wort Jehovas rechnete. Nachdem er gelernt hat, dass Jehova auf das Herz blickt, zeigt er sich treu, und seine Gemeinschaft mit Gott bricht sich Bahn; er urteilt sogleich, dass Jehova die älteren Söhne, welche Isai, der Vater, an dem Propheten vorübergehen ließ, nicht erwählt habe. Schließlich salbt er den Einen unter ihnen, den Jehova erwählt hatte. Einmal auf dem Wege Gottes, fürchtet sich Samuel nicht mehr. Wenn die Ältesten von Bethlehem ihm ängstlich entgegenkommen, beruhigt er sie, während er vorher selbst gezittert hatte.

David erscheint jetzt auf dem Schauplatz. Sein Charakter ist von Beginn seiner Laufbahn an bemerkenswert. Vergessen von Seinem Vater, der sich erst auf die dringende Frage Samuels seiner erinnert; verachtet von seinen Brüdern, deren ältester es sogar „Vermessenheit und Bosheit des Herzens" nennt, wenn er, von dem Geiste Gottes geleitet, in Tätigkeit tritt (Kap. 17, 28); nicht gekannt von Saul, welchem seine Eigenschaften kundgemacht werden (V. 18), der ihn sehr liebt (V. 21) wegen der liebevollen Sorgfalt, womit er ihn umgibt, der aber seine Herkunft so völlig vergisst, dass er später Abner fragen muss, wessen Sohn der Jüngling sei (Kap. 17, 55): das ist der Charakter Davids, was seine Beziehungen zu anderen betrifft. Seine äußere Erscheinung wird mit den Worten geschildert: „Er war rötlich, dazu schön von Augen und von gutem Ansehen" (V. 12).

Es gibt verschiedene Arten von Schönheit in dieser Welt. Saul war „jung und schön, und kein Mann von den Kindern Israel war schöner als er" [1]. Auch Eliab hatte ein schönes Aussehen, so dass er die Blicke Samuels fesselte; aber diese Schönheit allein hat nur Wert in den Augen der Menschen. Es gibt eine andere Art von Schönheit, die bei den Männern des Glaubens wohl mit äußerer Schönheit gepaart gehen kann, die aber vor Gott Wert hat, weil sie der Widerschein Seines Charakters ist: die Schönheit einer reinen Seele oder eines einfältigen Glaubens, das Ausstrahlen eines Herzens, von welchem das Böse und die Sünde ausgeschlossen sind, eines Herzens ohne Trug. Es ist die Schönheit Josephs, der „schön von Gestalt und schön von Angesicht" (1.Mose 39, 6), aber ein Abgesonderter, wörtlich Nasiräer, unter seinen Brüdern war. Es ist die Schönheit Daniels (Dan 1, 4), der in Demut Gott anhing, um sich vor den Befleckungen der Welt zu hüten. Es ist endlich die Schönheit Davids, die sich in der Wüste bei den Schafhürden offenbarte, wo er im Verborgenen Erfahrungen von der Kraft und Herrlichkeit seines Gottes machte.

Doch diese innere Schönheit, verbunden mit der äußeren, und dennoch immer unvollkommen, was ist sie angesichts der Schönheit Christi? Er hatte kein äußeres Ansehen, „Sein Aussehen war entstellt, mehr als irgendeines Mannes"; aber die ganze sittliche Herrlichkeit, die Ihn erfüllte, strahlte auf Seinem Antlitz und verbreitete rund um Ihn her Licht. Holdseligkeit war ausgegossen über Seine Lippen, und es wird von Ihm gesagt: „Du bist schöner als die Menschensöhne, darum hat Gott dich gesegnet ewiglich" (Psalm 45, 2).

In allen diesen Männern des Glaubens, wie in ihrem vollkommenen Vorbilde, ist die wahre Schönheit in der Tat nichts anderes als das Ausstrahlen der Gnade. David ist der König nach der Gnade; sein Name bedeutet „Geliebter". Dieser Charakter macht ihn notwendigerweise zu einem leidenden Menschen, zu einem hienieden gebeugten Menschen, zu einem getreuen Vorbild unseres Heilandes.

Doch der, welcher Jesus kennt, findet in Ihm nicht nur die Vollkommenheit des demütigen Menschen und des Mannes der Schmerzen, sondern auch andere Charakterzüge, und zwar vor allem die Schönheit der Kraft. Wie David für seine Freunde „ein tapferer Held" war (Kap. 16, 18), so ist der Herr für die Seinen Der, welcher das Meer und den Sturm beruhigt, vor Dessen Majestät Seine Feinde zurückweichen und zu Boden fallen, der da sagt: „Ich will", und es ist geschehen, der den Starken bindet und durch Seine Wunder ihm den Hausrat raubt.

Wie David ist Er „ein Kriegsmann", und wenn es auch wahr ist, dass Er nach Zion kommen wird, demütig wie einst und auf einem Eselsfüllen reitend (Sach. 9, 9), so ist es doch ebenso wahr, dass Er Sein Schwert um die Hüfte gürten wird als ein Held, in Seiner Pracht und Seiner Majestät, und dass Ihn Furchtbares lehren wird Seine Rechte (Psalm 45, 3. 4). Ja, als Sieger wird Er auf dem weißen Pferde sitzen, gefolgt von den Heerscharen des Himmels, und Er wird die Nationen schlagen mit dem zweischneidigen Schwerte, welches aus Seinem Munde hervorgeht (Off. 19, 11 – 16)

Wie David ist Er auch „verständig" (V. 18), voll von Einsicht; denn „Gott hat ihn gesalbt mit Heiligem Geiste und mit Kraft" (Apg. 10, 38), und „auf ihm ruht der Geist Jehovas, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und Furcht Jehovas" (Jesaja 11, 2).

Schließlich, wie „Jehova mit David war", so ist Er mit viel größerem Recht mit Christo. Ja, „Gott war mit ihm" (Apg. 10, 38).

Die Vorsehung Gottes führt David an den Hof des Königs; aber bevor er zu regieren beginnt, muss sein Glaube durch allerlei Arten von Leiden auf die Probe gestellt werden. Er muss ein abhängiger Mensch sein, ein erniedrigter, verachteter, gehasster, verfolgter Mensch; er muss in diesem Leben der Verleugnungen und Kämpfe die Erfahrung machen, dass sein Gott für alles genug ist. Der Gesalbte Jehovas wird auf diese Weise jahrelang erprobt, um vor den Augen des Volkes alle die Eigenschaften der Gnade darzustellen, welche nach Gottes Gedanken die Rechte Davids auf den Thron und auf die Herrlichkeit begründen. Diese Gnade triumphiert in seinen Gefühlen gegenüber Saul, seinem erbitterten Feinde.

Kaum ist David für den Thron berufen, so ändert sich der sittliche Zustand Sauls vollständig. Bis zu diesem Tage war der Geist Gottes mit dem König nach dem Fleische, und das erklärt die Erfolge Sauls über die Feinde Israels. Jetzt gerät der Geist Gottes über David (V. 13) und weicht von Saul, welcher der Macht eines von Jehova gesandten bösen Geistes überlassen wird. Es ist ein Gericht Gottes, eine Züchtigung über den König, welcher von nun an das Vorbild des Antichristen wird, was er vorher nicht war. Zugleich zeigt Gott, dass Sein Geist allein imstande ist, den bösen Geist zu beschwören und zu vertreiben, wenn David die Harfe nimmt um mit seiner Hand vor Saul zu spielen.

Kapitel 17 - Das 16. Kapitel hat uns ein allgemeines Bild von dem Charakter Davids in seiner Stellung als Gesalbter Jehovas und in besonderer Weise in seinen Beziehungen zu Saul gegeben. Das 17. Kapitel beginnt die Schilderung seiner Geschichte sozusagen von neuem, aber von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachtet. Daher die scheinbar überflüssige Wiederholung seiner Familienbeziehungen, die wir in Vers 12 und 13 finden.

Was uns jetzt vorgestellt wird, ist nicht mehr der Charakter, sondern die Laufbahn und das Tun Davids. Er ist hier ein Vorbild von Christo, von seinem ersten Auftreten bis zu dem schliesslichen und endgültigen Ergebnis seines Weges, dem völligen Siege über Goliath. Mit einem Wort, die ganze Geschichte Christi, des Siegers über Satan, findet sich in diesem Abschnitt der Tätigkeit Davids kurz zusammengefasst. Die Philister waren schon manchmal besiegt worden, aber nicht ihr Anführer, der Riese Goliath. Er zeigt sich, trotzend mit seiner Kraft, vor dem versammelten Volke und fordert es zum Zweikampf heraus, und nachdem es ihm gelungen ist, denen, die er sich zu Knechten machen will, Schrecken einzujagen, ruft er: „Ich habe die Schlachtreihen Israels verhöhnt an diesem Tage!" Er weiß nicht, dass er nicht mit Israel, sondern mit Gott zu rechnen hat, und dass er Gott verhöhnt, wenn er Sein Volk verhöhnt. Das ist es, was ihn ins Verderben stürzt.

David kommt hier als der Abgesandte seines Vaters zu seinen Brüdern; bei ihnen fängt sein Dienst an. Aber Gott beabsichtigte eine Rettung, die weit über diesen engen Kreis hinausging. Joseph hatte dasselbe getan (1. Mose 37, 14), und war nicht nur der Retter seiner Brüder geworden, sondern auch der Retter und Herr Ägyptens.

Ehe David zur Ausführung seiner Sendung schritt, hatte er bereits einen verborgenen Dienst in der Wüste getan. Dort, wo er die Schafe hütete, hatte er den Löwen und den Bären erschlagen - ein Vorbild von Christo, wie Er den Starken band. Bevor er in den Kampf mit dem Philister eintrat, hatte er die Schafe seines Vaters gerettet, als der Feind sie zu rauben und zu verschlingen suchte [1]). Christus hat während Seines Lebens dasselbe getan; keines der Schafe, die der Vater Ihm gegeben hatte, ist verlorengegangen. Er hat den Starken gebunden, um „Zerschlagene in Freiheit hinzusenden und auszurufen das angenehme Jahr des Herrn" (Lk. 4, 18. 19). Er hat Sich allein in den Riss gestellt mit den Worten: „Lasset diese gehen." Doch es musste weit mehr geschehen als das; die Macht des Feindes selbst musste zunichte gemacht werden.

Wie Christus, so ist auch David hier ein wahrer Knecht. Er „macht sich des Morgens früh auf", um den Willen seines Vaters auszuführen. Da er bereits gesalbt ist, ist er für diesen Dienst der Mann des Geistes, obwohl er seine Stellung der Niedrigkeit bei den Schafhürden bewahrt. Er kommt im Lager an, wo sein Gottvertrauen von seinen Brüdern als Vermessenheit und Bosheit des Herzens ausgelegt wird (V. 28). Ähnliches wird auch uns stets begegnen, wenn wir den einfachen Weg des Glaubens gehen. Unsere Verwandten nach dem Fleische können unsere Beweggründe nicht besser verstehen, als die Brüder des Herrn die Seinigen verstanden. David antwortet Eliab: „Was habe ich nun getan? Ist es nicht der Mühe wert?" Was hatte er denn getan, dass ihn solcher Hohn treffen sollte? War es nicht der Mühe wert, zu seinen Brüdern herabzukommen, wenn der Gott Israels Tag für Tag durch den Feind verhöhnt wurde?

David erkundigt sich danach, was dem Manne geschehen solle, der den Philister erschlagen und den Hohn von Israel abwenden würde. Er erfährt, dass der König den Mann mit großem Reichtum bereichern, ihm seine Tochter zum Weibe geben und das Haus seines Vaters freimachen wolle. Aber nicht um diesen Lohn zu erhalten, begibt sich David auf den Kampfplatz; er tritt auf für Gott, für die Rettung Israels, damit die ganze Erde Jehova kennenlerne, und damit die ganze Versammlung Israels erkenne, wie die Rettung Gottes geschieht (V. 46 u. 47) Ohne Zweifel gibt ihm sein Sieg, wie Christo große Reichtümer, ein Weib und die Befreiung des Hauses seines Vaters; aber das ist mehr das Ergebnis als der Zweck seines Werkes.

David teilt Saul mit, was er tun will. Der König, der nur an menschliche Hilfsmittel denkt, will ihn mit seinen Waffen ausrüsten. Doch David kann in Waffen, die dem Fleische angehören, nicht gehen; das hat er niemals versucht. Er will keine anderen Kampfgeräte als die, mit welchen der Hirte seine Schafe verteidigt oder wieder zurückholt. Für uns ist das Wort diese Waffe, deren der Glaube allein sich bedienen kann; sie wirft Satan nieder. Nichts von dem, was der Mensch geschmiedet hat, kann an einem solchen Kampf Anteil haben.

Als David sich dem Philister zeigt, hat er, obwohl er „ein tapferer Held und ein Kriegsmann" war (Kap. 16, 18), durchaus kein kriegerisches Aussehen. Seine Schönheit, ein Abglanz der Gnade Jehovas, ist sogar ein Gegenstand der Verachtung für Goliath (V. 42). Aber er ist hier der Vertreter des Gottes, welchen der Philister verhöhnt hat. Diesen Gott zu verherrlichen, den Satan verunehrt hatte, das war der Zweck Davids, und das war der Zweck Christi. Seine Kraft beruhte darauf, dass er in Jehovas Namen kämpfte: „Ich komme zu dir im Namen Jehovas der Heerscharen, den du verhöhnt hast." Über den Ausgang des Kampfes war in dem Geiste Davids kein Zweifel: „An diesem Tage wird dich Jehova in meine Hand überliefern." Oft, wenn wir in einen Kampf verwickelt sind, zweifeln wir. Selbst ein Jonathan ist des Ausgangs nicht gewiss und sagt: „Vielleicht" (Kap. 14, 6). Hier finden wir nichts derartiges, sondern vielmehr einen unbedingten Glauben, der das Geheimnis Jehovas besitzt und auf große Dinge rechnet. David ist hier das wahre Vorbild von Christo, denn er ist der Vertreter Gottes vor dem Feinde.

Auf den ersten Wurf trifft er mit seiner Schleuder Goliath an der Stirn; und nachdem er ihn gefällt hat, tötet er ihn mit seinen eigenen Waffen. So hat Christus durch den Tod den besiegt, der die Macht des Todes hatte, das ist der Teufel. Nachher zieht sich der Sieger in sein eigenes Zelt zurück, die Siegeszeichen tragend; so wie Christus, „die Gefangenschaft gefangen führend", in Seine Wohnung hinaufgestiegen ist.

Die Niederlage Goliaths ist die Niederlage der Philister; die Welt ist jetzt, gleich ihrem Fürsten, ein besiegter Feind, dem gegenüber wir guten Mut haben, wiewohl andererseits Furcht und Zittern bei uns vorhanden sein müssen.

Obwohl Saul durch den Sohn Isais Erleichterung bekommen hatte, wusste er doch nicht, wer David war. „Wessen Sohn ist doch der Jüngling?" sagt er zu Abner. Erinnert das nicht an die Unwissenheit der Juden in Johannes 7 bezüglich der Herkunft Christi und des Ortes, aus welchem Er kommen sollte? Saul erkannte David ebenso wenig, als er nachher mit den unzweideutigen Zeichen seines Sieges vor ihn trat.

Fußnoten:

[1] Absalom war schön, und „in ganz Israel war kein Mann wegen seiner Schönheit so sehr zu preisen wie Absalom“ (2. Samuel 14,25)

[2] Vergl. Betreffs des Löwen und des Bären: Sprüche 28,15; Klagelieder 3,10; Amos 5,19

Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 18

Botschafter des Heils 1904 S. 225ff

Kapitel 18 - Wir kommen hier zu einem dritten Abschnitt in der Geschichte Jonathans. Im 13. Kapitel hatte er einen Sieg davongetragen ohne Nutzen für das Volk Gottes. Im 14. Kapitel war durch die Energie seines Glaubens, der sich in dem Kampfe gegen den Feind zeigte, eine große Rettung geschaffen worden. Hier tritt er in persönliche Beziehung zu David, dem Besieger Goliaths. Er ist das Bild eines Menschen, welcher einen Christus kennt, der Satan durch den Tod besiegt hat und doch von der Welt verworfen ist. Dieses Kennen entspricht demjenigen, welches die Christen heute haben, obwohl Jonathan eigentlich ein Vorbild des Überrestes Israels ist, welchem der Herr Sich zu erkennen geben wird, ehe Er das Reich übernimmt, und der Christum liebt, obgleich Er noch der vom Volke Verworfene ist.

Jonathan trug bis dahin den Charakter eines im Glauben starken Jünglings, der den Feind bekämpft hatte. Jetzt geht er weiter; als er David reden hört, verbindet sich seine Seele mit der Seele Davids. Er schätzt dessen äußere Vorzüge viel weniger, als die innere Schönheit, die sich in seinen Worten ausprägt; er findet in David eine Seele, mit welcher die seinige übereinstimmt. Mit einem Male bildet sich zwischen ihnen ein besonderes Band der Liebe und Gemeinschaft, hervorgerufen durch den Zauber, welchen Davids Wort auf ihn ausübt.

Da die Kraft Gottes ihm geholfen hatte, hätte Jonathan versucht sein können, sich selbst irgendwelche Stärke zuzuschreiben; aber kaum sieht und hört er David, als es für ihn zu einer Wirklichkeit wird, dass er nichts ist. Was er besitzt, ist nur gut dafür, dem Sieger in Ehrerbietung angeboten zu werden; er beraubt sich dessen, was ihm gehört, um David damit zu schmücken, der in seinen Augen allein dessen würdig ist. Ihm sollen das Oberkleid und der Waffenrock Jonathans, die Zeichen der königlichen Würde, gehören; ihm das Schwert, das Mittel zu seinen Siegen; ihm der Bogen und der Gürtel seiner Kraft, denn alle Kraft gehört dem Sohne Isais!

Und nicht nur gibt er ihm alles, sondern „er liebt ihn wie seine Seele". Es handelt sich bei ihm nicht mehr um Kraft und Energie, sondern um Zuneigungen, die durch diesen allmächtigen Magneten, den vollkommenen Charakter des Gesalbten Jehovas, angezogen werden. Dieser Liebe Jonathans entspricht die Liebe Davids. „Holdselig warst du mir sehr", klagt David später in der Trauer seines Herzens, an dem trüben Tage, da sein Bruder von ihm weggenommen wurde (2. Sam. 1, 26).

Saul glaubt Rechte über David zu haben, er „ließ ihn nicht in das Haus seines Vaters zurückkehren" (V. 2), während Jonathan, der das Verständnis des Glaubens besitzt, einen Bund mit David schließt, seinen Schutz sucht und erkennt, dass es nur in seiner Nähe Sicherheit gibt. Der Liebe Jonathans liegt der Glaube zugrunde; er offenbart ihn, indem er David als den wahren König begrüßt.

Der weitere Verlauf dieses Kapitels zeigt uns die Fortschritte Davids und Sauls, bei dem einen Fortschritte im Guten, bei dem anderen im Bösen. Ein durch Satan hervorgerufenes Gefühl der Erbitterung führt notwendigerweise zu Schlimmerem. Es genügt, dass das Unkraut durch den Feind in das böse Herz des Menschen gesät wird; es wächst nachher von selbst weiter, bis es schließlich das ganze Wesen überwuchert. „Saul ergrimmte sehr ..., und er sprach: Sie haben David Zehntausende gegeben, und mir haben sie die Tausende gegeben; es fehlt ihm nur noch das Königtum." Es ist noch nicht die Gereiztheit gegen David selbst, sondern gegen die Meinung der Menschen, welche diesen erheben, indem sie den König herabsetzen, und zwar gerade in dem Augenblick, als der Glaube Jonathans dem Geliebten alles opferte. Das ist es, was das Fleisch niemals ertragen wird: nichts zu sein in der Gegenwart Christi.

Von da an sah Saul scheel auf David (V. 9). Am folgenden Tage zeigt sich, was im Grunde seines Herzens ist; der böse Geist gerät über ihn. Als Saul sich unter den Propheten befand, hatte er Ehrfurcht erwecken können als einer, der von dem Geiste Gottes abhängig war; dem Satan überliefert, zeigen sich sofort die Früchte seines bösen Herzens: er „weissagt (d. h. durch den bösen Geist getrieben) im Innern seines Hauses", und er wirft seinen Speer, um David an die Wand zu spießen (V. 10. 11).

In Vers 12 hören wir, dass Saul sich vor David fürchtet, und da er seine Gegenwart nicht ertragen kann, tut er ihn von sich weg, obwohl er ihm scheinbar eine Ehre erweist, indem er ihn „zum Obersten über tausend" macht. Diese Ehre, und das war es, was Saul beabsichtigte, entfernte David aus seinen Augen, aber sie gab auch den armen König allen Eingebungen des Stolzes und des Hasses preis, da er seinen Diener, ein Muster von Demut und Gnade, nicht mehr vor sich hat. Unglücklicher Saul! Er beraubt sich freiwillig der einzigen Person, welche ihm Erleichterung verschaffen und ihm ein Schutz sein konnte gegen die Anfechtungen Satans.

Bald sucht der König, der in seinem Herzen und in Wirklichkeit schon ein Mörder ist (V. 11), auf hinterlistige Weise sich von dem Gegenstand seines Hasses zu befreien. Er verspricht David seine Tochter Merab; doch das ist nur Schein. „Streite die Streite Jehovas", sagt er zu ihm mit scheinbar großer Achtung, aber im Grunde seines Herzens kocht der Hass und wohnt der Wunsch, dass „die Hand der Philister wider ihn sei".

Michal, die zweite Tochter Sauls, liebt David. Saul sagt sich: „Ich will sie ihm geben, dass sie ihm zum Fallstrick werde und die Hand der Philister wider ihn sei". In seinen Gedanken ist diese Verbindung ein neues Mittel, seinen zukünftigen Schwiegersohn zugrunde zu richten. Er gebraucht Verstellung und befiehlt seinen Knechten, im Geheimen mit David zu reden und ihm zu sagen: „Siehe, der König hat Gefallen an dir, und alle seine Knechte haben dich lieb." Er heuchelt Gefühle der Liebe, um den Sohn Isais desto sicherer ins Verderben zu stürzen.

Die große Demut Davids gegenüber den Anerbietungen des Königs bestärkt diesen nur noch mehr in seinem bösen Plan. Nie können der Hass und der Stolz des Menschen die Demut und die Liebe Christi begreifen.

Dadurch dass David den Sieg davonträgt und die Tochter des Königs zum Weibe nimmt, weil man dafür die Vernichtung der Feinde Jehovas von ihm fordert, werden die Ränke des Gegners endgültig vereitelt. Das Ergebnis für Saul ist, dass seine Furcht sich noch vermehrt, und dass sein Hass zu einer beständigen Feindschaft wird: „Saul fürchtete sich noch mehr vor David; und Saul wurde David feind alle Tage." (V. 29)

Während dieses Zeitabschnittes lassen sich die Fortschritte Davids in allen Dingen und nach jeder Richtung hin erkennen: „David zog aus, wohin immer Saul ihn sandte, und er hatte Gelingen ..., und er war in den Augen des ganzen Volkes und auch in den Augen der Knechte Sauls wohlgefällig (V. 5). Jehova war mit ihm ..., und er zog aus und ein vor dem Volke her. Und es gelang David auf allen seinen Wegen, und Jehova war mit ihm ... Und ganz Israel und Juda hatten David lieb" (V. 12-16). Alle diese Eigenschaften machen David notwendigerweise liebenswert; doch darf man nicht vergessen, dass die Liebe der Menschen viele verschiedene Charakterzüge trägt, und dass nur einer von ihnen in den Augen Gottes einigen Wert hat.

Die Töchter Israels, das Volk, die Knechte Sauls lieben David wegen der Befreiungen, die er ihnen verschafft. In einem bestimmten Augenblick (Kap. 16, 21) liebt auch Saul David wegen der Erleichterung von seinen Leiden, die er durch ihn bekommt. Michal liebt David mit der natürlichen Liebe, was sie nicht hindert, ihn späterhin zu verachten (2. Sam 6, 16). Jonathan endlich liebt ihn mit der allein wahren, der allein guten und dauerhaften Liebe; er liebt ihn wie seine Seele, er liebt ihn innig, und zwar um deswillen, was David in sich selbst ist.

So hatte David denn Gelingen, mehr als alle Knechte Sauls, und sein Name wurde sehr geachtet (V. 30): ein schönes Bild von dem Herrn zu Beginn Seiner Laufbahn (Vergl. Lk. 4, 15).

Kapitel 19 - Im vorigen Kapitel hatte Saul auf Umwegen sich des Gesalbten Jehovas zu entledigen gesucht; jetzt tritt er mit seiner Absicht ganz offen hervor: „Saul redete zu Jonathan, seinem Sohne, und zu allen seinen Knechten, dass er David töten wolle." Daraufhin stellt Jonathan seinem Vater vor, was David war, was er für ihn getan hatte, indem er sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, und er erinnert ihn daran, dass er selbst sich einst gefreut habe, als er Zeuge dieser Dinge war. Wie sehr übertraf doch die Tätigkeit Davids alles, was Jonathan für ihn hatte tun können, wiewohl er David liebte wie seine Seele!

„Saul hörte auf die Stimme Jonathans, und Saul schwur: So wahr Jehova lebt, wenn er getötet wird!" (V. 6.) Wenn Gott dem Herzen des natürlichen Menschen die Gnade vorstellt, so erlaubt Er vielleicht, dass das Böse vorübergehend in seiner Entwicklung aufgehalten wird; aber das ist nicht Bekehrung. Die Mordgedanken Sauls ändern sich, und doch tut er nicht Buße. Er kommt von dem, was er beschlossen hat, zurück, und fasst bei den Ermahnungen eines Glaubensmannes einen neuen Entschluss, aber kaum ist dieser gefasst, so zeigt er sich in keiner Hinsicht frei von seinen natürlichen Trieben und beweist durch sein Verhalten, dass er ein armer Sklave Satans ist.

David verändert sich nicht. „Er war vor Saul wie früher." Die Gnade, die ihn bis dahin geleitet hatte, bleibt ihm und seinem Verhalten auch fernerhin aufgeprägt.

Ein neuer Triumph Davids weckt den bösen Geist, der sich Sauls bemächtigt hatte, wieder auf. Solange der Gläubige nicht Satan durch Siege stört, die er über dessen Kreaturen davonträgt, ist seine Feindseligkeit wie eingeschlafen; doch nur zu bald wacht sein tödlicher Hass wieder auf. Man sieht dies in Betreff Davids sogar in dem Augenblick, wo der böse Geist durch die Hilfsmittel der Gnade bezwungen zu sein scheint, welche David dem Könige verschafft. Dann kommt eine Stunde, in welcher dem Gläubigen nichts anderes übrigbleibt, als zu fliehen und wie der Vogel dem Garn des Vogelstellers zu entrinnen. jetzt ist der Tod Davids unwiderruflich beschlossen. Michal, geleitet durch ihre natürliche Liebe zu David, kommt ihm auf ihre Weise zu Hülfe. Gott bedient sich hier der menschlichen Gefühle, durch welche Michal zum Handeln getrieben wurde (V. 11 - 17).

Diese Stelle zeigt uns auch, dass es im Hause Davids einen Theraphim gab. Sicherlich hat David ihn nicht verehrt, aber sein Vorhandensein erlaubt uns den Schluss, dass er ihn duldete. Der Theraphim war nicht eigentlich ein Götzenbild, und das Wort trägt Sorge, das eine von dem anderen zu unterscheiden (Siehe Hosea 3, 4; Sach. 10, 2; 1. Sam. 15, 22. 23; 2. Kön. 23, 24; Hes. 21, 26; 1. Mose 31, 19. 30. 32-35; Ri. 17, 3-5; 18, 17. 18. 20 ). Der Theraphim war etwas Geringeres als ein Götze, eine Art Halbgott, dessen Wirkungskreis das Haus war, dem man Wichtigkeit beilegte, ja, den man gelegentlich sogar um Rat fragte. Solche abergläubischen Gebräuche führen schnell zu wirklichem Götzendienst; so wird auch wohl Jakob die Sache beurteilt haben, als er zu Laban sagte, er möge „seine Götter" nehmen (1.Mose 31, 32.) Oft fehlt es dem Gläubigen an Energie, um solche Veranlassungen zum Fall aus seiner Familie zu verbannen, und jeder von uns sollte ernstlich vor ihnen auf der Hut sein, selbst wenn wir ihnen, wie Jakob und David, persönlich keinen Einfluss auf unser Leben einräumen. Augenscheinlich war der Theraphim durch Michal, die Tochter Sauls, in das Haus Davids eingeführt worden, und diese wurde so dem Manne Gottes zu einem Fallstrick.

Michal weicht dem Zorne ihres Vaters aus, indem sie sich vor ihm den Anschein gibt, als sei sie eine Feindin Davids, die nur durch seine Drohungen gezwungen worden sei, ihn entrinnen zu lassen. „Er sagte zu mir: Laß mich gehen! warum sollte ich dich töten?" Welch ein Unterschied zwischen ihrem Herzen und dem des Jonathan, welcher auf eigene Gefahr hin offen die Verteidigung des zärtlich geliebten Freundes übernimmt!

„David aber war geflohen und entronnen; und er kam zu Samuel nach Rama und berichtete ihm alles, was Saul getan hatte. Und er und Samuel gingen hin und wohnten zu Najoth" (V. 18). David berichtet alles dem Samuel, dem Vertreter Gottes und dem Propheten. Er wird sein Gefährte, und die beiden wohnen zusammen. Das ist das Ergebnis der Prüfung für David.

Dies führt uns dazu, einen Blick auf die Psalmen zu werfen, die von den Drangsalen Davids reden. Es ist ja wohl allen unseren Lesern bekannt, dass die Psalmen prophetische Gesänge sind, welche die Umstände und Seelenzustände beschreiben, durch die der gläubige Überrest Israels in den letzten Tagen gehen wird. Dieser Überrest wird in der Trübsal durch den Geist Christi aufrecht gehalten werden, indem Christus Selbst in Gnaden durch ähnliche, aber noch viel schrecklichere Umstände gegangen ist, da ja Sein Weg des Gehorsams, der Abhängigkeit, der Lauterkeit, der Heiligkeit und der Liebe kein anderes Ergebnis gehabt hat als den Tod und Er nicht anders gerettet werden konnte, als „von den Hörnern der Büffel". Es ist daher ganz natürlich, dass hauptsächlich David als Mund benutzt wird, um in prophetischer Weise die Gefühle des Überrestes und diejenigen Christi auszudrücken. Denn sein Leben ist, wie wir schon so oft festgestellt haben, ein treffendes Vorbild von dem Leben des Messias, der kommen sollte, und er hat als Vorbild alle Stufen der Verwerfung, Erniedrigung und Verfolgung durchgemacht, welche (den Tod ausgenommen) die Leiden des Heilandes darstellen. Wir sagen dies nicht in der Absicht, auf diesen Gegenstand näher einzugehen - er ist in seinen Einzelheiten schon oft von anderen behandelt worden - sondern um hervorzuheben, dass die Psalmen Davids die uns so hoch und so weit in die prophetische Zukunft einführen, zu allernächst aus seinen persönlichen Erfahrungen hervorgegangen sind, und dass man in ihnen einen treuen Ausdruck seines Herzenszustandes in der Prüfung finden kann: Ergebnisse, welche durch die Zucht Gottes im Blick auf ihn hervorgebracht wurden, und Hilfsquellen, die sein Teil waren, als die Trübsal über ihn kam. Nur von diesem beschränkten Gesichtspunkt aus wollen wir, nach Maßgabe der Ereignisse, die mit ihnen in Beziehung stehenden Psalmen betrachten.

Das Gegenstück zu dem in dem vorliegenden Kapitel Erzählten finden wir im 59. Psalm, der dem David eingegeben wurde, „als Saul sandte, und sie sein Haus bewachten, um ihn zu töten". Während die von Saul gesandten Blutmenschen, die sich gegen ihn zusammengerottet hatten, nachts die Stadt umgingen, wandte sich das Herz Davids im Gebet zu Jehova und erwartete von Ihm die Befreiung (V. 1. 2); er war gewiss, dass Er in Güte mit ihm handeln würde (V. 10), denn nicht „wegen seiner Übertretung, noch wegen seiner Sünde" trachtete man nach seinem Leben, sondern weil er Jehova angehörte. Er bittet Gott für den Augenblick nicht, dass Er seine Feinde vertilgen, oder dass Er Saul töten möge, und zwar zu dem Zwecke, damit das Volk Davids diese Dinge nicht vergesse (V. 11). Der gottlose König musste erhalten bleiben, bis das Ausharren des Gesalbten Jehovas sein vollkommenes Werk gehabt habe. Später wird Gott mit dem Feinde ein Ende machen, um Seine Herrschaft zu errichten.

Ist es nicht rührend, diesen Mann Gottes selbst in dem Augenblick, wo er so eng eingeschlossen war und sein Leben in der größten Gefahr stand, ganz mit dem Herrn, mit Seinen Absichten und Seiner Befreiung beschäftigt zu sehen? In der Tat, er zieht weder die Liebe Gottes, noch Seinen Willen, ihn zu befreien, in Frage: „Ich aber will singen von deiner Stärke, und des Morgens jubelnd preisen deine Güte" (V. 16). Des Morgens? wo doch die Feinde in dieser angstvollen Nacht „heulten wie Hunde", indem sie sein Haus bewachten und die Runde um die Stadt machten! Er war also der Befreiung sicher, weil er auf Gott rechnete, und, sich in dieser Befreiung schon vorher freuend, kann er in dieser äußersten Gefahr hinzufügen: „Du bist mir eine hohe Feste gewesen und eine Zuflucht am Tage meiner Bedrängnis."

Kehren wir jetzt zu unserem Kapitel zurück. In den Versen 19 - 24 sehen wir, dass der ganze Anschlag Sauls gegen David misslingt, und doch setzt er seine feindseligen Bemühungen, sogar während David unter dem Schutz Samuels steht, durch seine Boten fort. Diese Werkzeuge des Feindes verfallen gegen ihren Willen dem Einfluss des Geistes Gottes, durch welchen sie weissagen - eine ernste Warnung, die sie aber nicht zur Umkehr bringt, noch sie rettet. Saul selbst wird schließlich, und zwar nicht zum ersten Mal in seinem Leben, gezwungen, durch den Geist Gottes zu weissagen. In Kap. 18, 10 hatte er es durch den bösen Geist getan, der sich seiner bemächtigt hatte. Gott kann durch den Mund eines Saul reden, der zu anderer Zeit das Mundstück Satans ist; gerade so wie Er durch den Mund eines Bileam oder eines Kajaphas zu reden vermag. Dies beweist nur, dass Gott sich eines jeden als Werkzeug bedient, wenn es Ihm gefällt; aber man muss zwischen der lebendig machenden Tätigkeit des Heiligen Geistes und den verschiedenen Wirkungen Seiner Macht wohl unterscheiden. Die Macht kann eine große Kenntnis des Wortes mitteilen, vielleicht auch die Kraft, welche diese Kenntnis für Andere nutzbar macht; die Macht kann Wunder wirken, aber niemals führt sie uns dahin, uns selbst zu verurteilen und Christum zu ergreifen als Den, der unseren Bedürfnissen entspricht. Sie gibt weder die Buße noch den Glauben; es ist ein Werk des Geistes in dem Herzen erforderlich, um das Gewissen zu erreichen, ein wahres Sündengefühl hervorzurufen und die Seele zu Gott zu führen. Ohne das gibt es kein neues Leben. Das Herz Sauls und seiner Boten war nicht verändert, aber Gott bemächtigte sich durch die Weissagung ihres Geistes, um ihre Torheit bloßzustellen und David, Seinen Geliebten, zu retten.

Kapitel 20 - „Und David floh von Najoth zu Rama; und er kam und sprach zu Jonathan: Was habe ich getan? Was ist meine Ungerechtigkeit, und was meine Sünde vor deinem Vater, dass er nach meinem Leben trachtet?" Während der natürliche Mensch stets verbleibt unter dem schrecklichen Wort: „Was hast du getan?", welches einst an Kain gerichtet wurde (1. Mose 4, 10), kann der ohne Ursache verfolgte Glaubensgerechte fragen: „Was habe ich getan?" Doch David konnte nur in diesem Teil seiner Laufbahn so sprechen. Später, als er von seinem Sohne Absalom verfolgt wurde, konnte er nicht mehr sagen: „Was habe ich getan?" Noch später, als er die Sünde begangen hatte, das Volk zu zählen, ist er gezwungen, unter dem Gericht Gottes zu bekennen: „Ich habe sehr gesündigt in dem, was ich getan habe." (2. Sam. 24, 10). Und doch wird er, selbst in der Stunde der Züchtigung, uns als ein Vorbild von Christo vorgestellt, indem er, um sein Volk zu retten, in den Riss tritt mit den Worten: „Siehe, ich habe gesündigt, und ich habe verkehrt gehandelt; aber diese Schafe, was haben sie getan?" (V. 17). Nur Einer konnte sagen: „Ich habe stets den Willen dessen getan, der mich gesandt hat"; nur Einer konnte im letzten Augenblick Seines Lebens aus dem Munde des sterbenden Räubers das Zeugnis empfangen: „Dieser hat nichts Ungeziemendes getan."

David, dieses kostbare Vorbild von Christo, empfängt aus dem Munde Jonathans ein ähnliches öffentliches Zeugnis, wenn dieser vor Saul sagt: „Warum soll er getötet werden? Was hat er getan?" (V. 32). Welch ein Vorrecht für den Gläubigen, dass er durch den Heiligen Geist die Möglichkeit besitzt, seinen Herrn hierin wie in jeder anderen Sache nachahmen zu können! Nur bedurfte der Herr, damit diese Frucht der Gerechtigkeit hervorgebracht werde, niemals der Zucht, wie David und wir. Alle Seine Leiden waren einerseits das Ergebnis und der Beweis Seiner Gnade gegen uns, und ließen andererseits nur die unbedingte Vollkommenheit, die in Ihm war, sei es in Seinem Leben oder in Seinem Tode, hervortreten. In Ihm ließ das Speisopfer wie das Brandopfer „einen lieblichen Geruch", ohne jede Beimischung, zu Jehova aufsteigen.

Was David betrifft, so werden wir selbst in diesem Abschnitt seines Lebens, wo er sagen konnte: „Was habe ich getan?", gewisse Einzelheiten in seinem Verhalten finden, welche das Eingreifen Gottes in züchtigender Weise nötig machten. So finden wir z. B. hier, in Vers 6, einen Mangel an Wahrheit, der, wenn auch begreiflich, darum doch nicht weniger verwerflich ist. Die Wahrheit nahm in David einen niedrigeren Platz ein als die Gnade; es war dem fleischgewordenen Worte vorbehalten, die unvermischte Gnade vereinigt mit der vollkommenen Wahrheit in diese Welt zu bringen (Joh. 1, 14. 17).

Während David, der Mann des Glaubens, die Gefahr, in welche seine Treue ihn bringt, völlig erkennt und, nur einen Schritt zwischen sich und dem Tode sehend, weiß, dass seine einzige Hilfsquelle in Gott ist, rechnet Jonathan noch auf die Hilfe, die er seinem Freunde glaubt verleihen zu können (V. 2). Er setzt einiges Vertrauen in den Charakter seines Vaters; er wünscht, dass Jehova mit David sei, so wie Er mit Saul gewesen sei (V. 13). In Wirklichkeit gelangt er nicht auf einen höheren Boden des geistlichen Verständnisses, noch der Kenntnis des menschlichen Herzens. So ist es immer mit dem Gläubigen, wenn er durch irgendwelche Bande mit der Welt verbunden bleibt. Jonathan hat noch nicht verstanden, dass Gott Saul verworfen hat, selbst jetzt nicht, wo er doch sein ganzes Vertrauen auf David setzt. Völlig überzeugt von seiner zukünftigen Macht und von seinem Wohlwollen, sagt er: „Du sollst meinem Hause deine Güte nicht entziehen ewiglich, auch nicht wenn Jehova die Feinde Davids ausrotten wird, einen jeden vom Erdboden hinweg" (V. 15). Er fährt hier fort, sich selbst zu vergessen, indem er es ausspricht, dass das Königtum seinem Freunde gehöre. Und was für einen Augenblick wählt er, um sich ihm anzubefehlen? Gerade die Zeit, wo David auf der Flucht ist und seinem Leben beständig Gefahr droht! Ist es mit uns nicht auch so? Haben wir nicht in einem verworfenen Christus unseren Beschützer, unsere Zuflucht und unsere ganze Hoffnung gefunden?

Es ist schön, bei Jonathan keine Spur von Eigenliebe zu finden angesichts dessen, der all die Rechte erben sollte, welche die Natur ihm, dem Sohne Sauls, verliehen zu haben schien. Woher kommt das? Einfach daher, dass er David liebte wie seine Seele, dass er von Anfang an Macht, Autorität, Königtum, mit einem Worte alles dem Sohne Isais übergeben hatte. Saul rief ihm zu: „Alle die Tage, die der Sohn Isais auf Erden lebt, wirst du nicht feststehen, weder du noch dein Königtum" (V. 31), denn ihm galt das Feststehen seines Sohnes mehr als alle Herrlichkeiten Davids. Für ihn war es eine Schande, auf seiten des wahren Königs zu stehen: „Du hast den Sohn Isais auserkoren zu deiner Schande und zur Schande der Blöße deiner Mutter" (V. 30). Solche Worte verwunden Jonathan aufs tiefste; er springt auf in glühendem Zorn und isst den ganzen Tag nichts, nicht wegen der Schmach, die ihm und seiner Mutter widerfahren war, sondern aus Betrübnis „um David, weil sein Vater ihn geschmäht hatte". Er liebt David, den von Saul Verunehrten und Verfluchten, mit derselben Glut mit der er ihn einst im Glanze seiner Jugend und seines Sieges geliebt hatte.

Jonathan kommt David in dieser großen Gefahr zu Hilfe. Bei einer letzten, äußerst rührenden Begegnung „küssten sie einander und weinten miteinander, bis David über die Maßen weinte" (V. 41). Wie sehr zieht uns der liebenswürdige und gefühlvolle Charakter Jonathans an; und doch fehlte ihm eine Sache, eine einzige; er hatte nicht Glauben genug, um einem verworfenen König zu folgen. Allerdings machte seine Stellung einen solchen Schritt sehr schwer, aber für den Glauben sollten die Schwierigkeiten nicht mitrechnen. Jonathan hätte die Leiden Davids in anderer Weise teilen sollen, als nur mit dem Herzen, und weil er das nicht tat, musste er später die Niederlage und den Fall seines Vaters teilen.

Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 21

Botschafter des Heils 1904 S. 253ff

Kapitel 21 - Im vorigen Kapitel hat sich David nicht ganz auf der Höhe seiner Stellung gezeigt, und das ist auch hier so, denn er belügt Ahimelech und bedient sich vor Achis einer List, die ihm nicht zur Ehre gereicht. Und doch bietet er uns zu Nob einen der wichtigsten Züge des verworfenen Messias dar. Dieses Ereignis wird in Matthäus 12, 1-8; Markus 2, 23-28 und Lukas 6, 1-5 erwähnt.

In der ersten dieser drei Stellen lässt der Herr, nachdem Er eben erklärt hat, dass die wahre Ruhe bei Ihm zu finden sei (Kap. 11, 28-30), es geschehen, dass Seine jünger etwas tun, was seitens des Gesetzes erlaubt war (5. Mose 23, 25), was aber in den Augen der Pharisäer den Sabbat brach und entheiligte. Gerade so war es mit David zu Nob; es war ein Sabbattag, als David zu dem Priester kam, der Tag, an welchem man die Schaubrote wegnahm und neue hinlegte (Vergl. 3. Mose 24, 8). Doch warum handelte der Herr ebenso? Weil Er, der Geliebte, wie David von diesem Volke verworfen worden war, welches das gesetzliche, von Gott verordnete System nicht zur Erkenntnis seines Messias hatte führen können. Der Sabbat, ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und Seinem Volke, war also schon gebrochen durch die Tatsache, dass das Volk seinen Gott verwarf. Unter dem alten gesetzlichen System gab es keine Ruhe mehr. Der Vater war gezwungen, von neuem zu wirken, und der Sohn Selbst wirkte mit Ihm (Joh. 5, 17). Der Sabbat des Menschen hatte sein Ende erreicht. Die Verwerfung Gottes in der Person des Sohnes hatte zur Folge, dass das gesetzliche System der Juden aufgegeben wurde und der Sohn des Menschen das Recht hatte, den Sabbat zu benutzen, wie Er ihn verstand, und ein neues System einzuführen, in welchem Er Seine Jünger und Gefährten mit Sich verband. Weil Christus verworfen war (wie einst David), gab es für das Geschöpf in dieser Welt keine Ruhe, keinen Sabbat mehr, wohl aber eine Ruhe außerhalb der Welt, die auf das Erlösungswerk gegründet war, und die man durch die Erkenntnis des Herrn Jesu besitzen konnte.

Eine zweite Tatsache begleitete die Verwerfung Davids. Er ließ sich von Ahimelech die Schaubrote geben, welche, nachdem sie einmal von dem Tische weggenommen waren, nur von den Priestern gegessen werden durften. Das Brot war, wenn es nicht mehr vor Gott lag, „einigermaßen gemeines Brot" (V. 5). Welchen Wert konnten in den Augen Gottes, angesichts der Verwerfung Seines Königs, die Schaubrote haben, welche das wahre Israel in Christo vor Gott darstellten? Auch sollten an die Stelle dieser Brote vor Gott neue Brote treten, ein neues Israel, gegründet auf Christum, nach dem Herzen Gottes. David konnte daher dieses Brot als gemein betrachten. Die unumschränkte Gnade erhob sich über die Verordnungen des Gesetzes; denn es war wichtiger, David und die Seinen zu ernähren, als etwas Veraltetes zu bewahren.

David fordert auch eine Waffe. Ahimelech hat keine andere als das Schwert Goliaths. Dieses Werkzeug des Sieges Davids wurde, in ein Oberkleid gewickelt, hinter dem Ephod sorgfältig aufbewahrt; es hatte einen Ehrenplatz bekommen vor den Augen Gottes. So ist auch das Zeugnis des Sieges Christi, der Tod, durch den Er den Fürsten des Todes besiegt hat, gleichsam zum Gedächtnis in das Allerheiligste gebracht worden, indem Jesus mit Seinem eigenen Blute dort eingegangen ist.

David sagt: „Seinesgleichen gibt es nicht." Vergessen wir nicht, dass, wenn David ein Vorbild von Christo ist, er auch oft, und zwar bei derselben Gelegenheit, als ein Vorbild der Gläubigen erscheint. Wie David gehen auch wir ohne Waffen dem Feinde entgegen; nur eine einzige ist da, und sie genügt uns: der Tod Christi und unser Gestorbensein mit Ihm. Wir finden diese Waffe im Heiligtum. Sie hat nicht ihresgleichen, und Satan vermag nichts gegen die Waffe, die ihn besiegt hat.

So bewaffnet begibt sich David zu Achis, dem König von Gath. Warum wird er nun dort von Schrecken erfasst? Weil er sich von seiner natürlichen Weisheit und nicht von Jehova leiten lässt. Ebenso wenig wie Ägypten für Abraham, konnte das Land der Philister für David ein Zufluchtsort sein. Indem er auf diese Weise Saul zu entrinnen meint, tauscht er nur einen Feind gegen einen anderen ein und findet nichts als Schande und Verachtung. Doch es ist sehr trostreich, in den beiden Psalmen, welche sich auf diesen Abschnitt seiner Geschichte beziehen, die Erfahrungen zu betrachten, welche David gemacht hat, die uns aber in dem geschichtlichen Bericht nicht mitgeteilt werden.

Der 56. Psalm wurde gedichtet, „als die Philister David zu Gath ergriffen" [1]. Dass sein Glaube erlahmte, hatte ihn dahin gebracht, bei diesen Feinden Israels Zuflucht zu suchen. Was fand er dort? Den Menschen, der, anstatt ihm zu helfen, ihn bedrückte und zu verschlingen drohte. Nachdem er sich durch fleischliche Furcht hat verleiten lassen, vor Saul zu fliehen, muss David jetzt erfahren, was das Fleisch ist; nachdem das Vertrauen auf den Menschen ihn zu Achis geführt hat, muss er erfahren, was der Mensch ist. Nur Gefahren und Bedrohungen sind sein Teil bei Achis. Seine Feinde rotten sich zusammen, verstecken sich, indem sie seine Schritte beobachten und seiner Seele auflauern; sie verdrehen seine Worte den ganzen Tag, und alle ihre Gedanken sind wider ihn zum Bösen; doch Gott bleibt ihm. Er hat gelernt, völlig auf Gott zu vertrauen: „An dem Tage, da ich mich fürchte, vertraue ich auf dich" (V. 3). Das ist die große Unterweisung, welche Gott ihm gegeben hat. Wenn Gott für ihn ist, was könnte das Fleisch ihm tun? „Auf Gott vertraue ich, ich werde mich nicht fürchten; was sollte das Fleisch mir tun?" (V. 4). Es könnte der Mensch ihm tun? „Auf Gott vertraue ich, ich werde mich nicht fürchten; was sollte der Mensch mir tun?" (V. 11). Vom Tode errettet, wünscht er fernerhin vor dem Straucheln bewahrt zu bleiben. Nichts sichert unseren Wandel so wie die Prüfung, die Zucht und die damit verbundenen Erfahrungen: „denn du hast meine Seele vom Tode errettet, ja, meine Füße vom Sturz, um zu wandeln vor dem Angesicht Gottes im Lichte der Lebendigen" (V. 13).

Der 34. Psalm wurde gedichtet, „als David seinen Verstand vor Abimelech [2] verstellte, und dieser ihn wegtrieb und er fortging". Dieser Psalm besingt die zarte Sorgfalt Jehovas für den Gläubigen in der Prüfung und gibt dem Vertrauen Davids Ausdruck, welches aus der Tatsache hervorging, dass Gott in der Trübsal seine Sache in die Hand genommen hatte. David war ein Mann Gottes, aber indem er bei Achis Hilfe suchte, stützte er sich auf ein zerbrochenes Rohr. Nun aber, durch Gott unterwiesen, kann er sagen: „Ich suchte Jehova, und er antwortete mir; und aus allen meinen Beängstigungen errettete er mich" (V. 4). „Dieser Elende rief, und Jehova hörte, und aus allen seinen Bedrängnissen rettete er ihn." Er hat die Lektion gelernt, in welcher Gott ihn durch Seine Zucht unterwiesen hatte. Die Erfahrung, die er gemacht hat, befähigt ihn, andere zu ermuntern: „Schmecket und sehet, dass Jehova gütig ist! Glückselig der Mann, der auf ihn traut!"

Noch mehr; er hat durch Erfahrung gelernt, dass weder die List noch die Lüge Gutes hervorbringen können: „Wer ist der Mann, der Lust zum Leben hat, der Tage liebt, um Gutes zu sehen? Bewahre deine Zunge vor Bösem, und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden" (V. 12. 13).

Die Erfahrung Davids am Hofe des Philisterkönigs war tief demütigend gewesen; denn die Würde, welche Gott ihm verliehen hatte, war durch sein Verhalten bloßgestellt und aufs Spiel gesetzt worden. Sein Herz war infolgedessen zerbrochen und sein Geist zerschlagen; aber in dieser ernsten Zucht hatte er sich selbst kennengelernt und war zugleich auf eine innigere Weise mit Jehova bekannt geworden. Was hätte er noch mehr wünschen können? „Nahe ist Jehova denen, die zerbrochenen Herzens sind, und die zerschlagenen Geistes sind, rettet er" (V. 18).

So drückt die Seele dieses Mannes Gottes in ihren prophetischen Gesängen aus, was sie für sich selbst erfahren hat, als sie durch die Trübsale und die Zucht ging, die für sie nötig waren.

Kapitel 22 - „David ging von dannen und entrann in die Höhle Adullam." Dort dichtete er den schönen Psalm 142, der die Gefühle ausdrückt, welche seine Seele in der Einsamkeit erfüllten. „Ich habe niemanden, der mich erkennt; verloren ist mir jede Zuflucht, niemand fragt nach meiner Seele" (V. 4). „Auf dem Wege, den ich wandelte, haben sie mir heimlich eine Schlinge gelegt", während (welcher Hohn!) Saul es wagte, ihn frech zu beschuldigen mit den Worten: „Mein Sohn hat meinen Knecht als Laurer wider mich aufgewiegelt" (Kap. 22, 8). Doch David fand, gerade weil ihm jede menschliche Zufluchtsstätte fehlte, eine sichere Zuflucht für seine Seele in Jehova: „Zu dir habe ich geschrien, Jehova! ich habe gesagt: Du bist meine Zuflucht." Er konnte auf den Gott Israels rechnen in Betreff der Befreiung von seinen Verfolgern, denn sie waren ihm zu mächtig. Hätte David es jemals bedauern können, sich in solcher Bedrängnis, von allen verlassen, befunden zu haben? Nein, denn hier gerade lernte seine Seele die unumschränkte Zuflucht, die man in Gott findet, kennen und genoss sie, wie sonst nirgendwo. Auch endet der Psalm mit dem Ausdruck der Gewissheit, von welcher seine Seele erfüllt war, dass die Zeit seines Verlassenseins und seiner Einsamkeit ein Ende nehmen würde. „Die Gerechten", sagte er, „werden mich umringen" (V. 7).

Nachdem er seine Seele vor Gott ausgeschüttet hat, empfängt David sogar in der Höhle Adullam die Antwort Jehovas als Erstlingsfrucht seines Vertrauens. Er bleibt nicht länger allein. „Als seine Brüder und das ganze Haus seines Vaters es hörten, kamen sie dorthin zu ihm hinab." David wird, als Vorbild von dem verworfenen Christus der Mittel- und Anziehungspunkt für seine Brüder. Seine Familie, alle, die von seinem Geschlecht waren, scharen sich um ihn. Das waren für David, wie für Christum, „die Herrlichen der Erde" (Ps. 16). Sie erkannten in ihm den Gesalbten Jehovas, den, durch welchen der Herr Sein Volk retten wollte, das Werkzeug der Gnade in Israel. Sie wussten, dass sie, gleich ihrem Familienhaupt, von seiten der Welt nichts anderes erwarten konnten als Verachtung und Verfolgung; auch bestand ihr einziger Ausweg darin, dass sie Zuflucht suchten bei dem, der nach menschlichem Ermessen selbst ohne Ausweg war.

Doch noch eine andere Klasse von Menschen flüchtete sich zu David in die Höhle Adullam. „Und es versammelten sich zu ihm jeder Bedrängte, und jeder, der einen Gläubiger hatte, und jeder, der erbitterten Gemütes war, und er wurde ihr Oberster" (V. 2). Das waren nicht solche, die durch dieselbe Abstammung schon mit ihm in Verbindung waren; sie vereinigte kein Band mit David. Ihr gemeinsames Kennzeichen bestand darin, dass sie alles verloren hatten. Die einen waren „in Bedrängnis" und wussten nicht, wohin sie sich wenden sollten, die anderen „in Schulden", ohne sich freimachen zu können; wieder andere waren „erbitterten Gemütes" und hatten Kummer und Sorgen, wofür sie kein Heilmittel besaßen. Und das alles war hervorgerufen durch den Zustand der Dinge in Israel.

Diese Leute fanden bei David eine sichere Zuflucht, wie sie sie heute bei einem verworfenen Christus finden. Aber sie fanden noch weit mehr als das. David vermochte die Elendesten umzubilden, nach seinem Bilde zu gestalten. Er wurde ihr Oberster. Der Abglanz seiner sittlichen Schönheit fiel auf die, welche ihm nichts als ihr Elend bringen konnten. In der finsteren Höhle Adullam ergoss sich das Licht, welches von David ausstrahlte, über diese vierhundert Männer, die ihn umgaben; und was die Gnade am Tage der Trübsal aus ihnen gemacht hatte, sollte am Tage der Herrlichkeit, dessen Morgenrot schon heraufdämmerte, von jedem Auge erkannt, von jedem Munde laut verkündet werden. Alle diese außerhalb des Gesetzes stehenden Leute werden bald den Thron des Königs umgeben und „die Helden Davids" heißen (2. Samuel 23, 8).

Doch damit ist die Reihe der Hilfsquellen, welche die Höhle Adullam für die Gefährten des Sohnes Isais einschloss noch nicht erschöpft: auch Gad, der Prophet, der Träger des Wortes und Zeugnisses Gottes, war bei ihm. Die Offenbarung der Gedanken Gottes, die dem Hofe und dem Volke Sauls fern war, hatte sich gleichsam dorthin geflüchtet. Schließlich treibt das mörderische Tun des Königs an den Priestern zu Nob auch Abjathar, den Priester, zu David. Er kommt mit dem Ephod in seiner Hand. (Kap. 23, 6). Das Mittel, Gott zu nahen, Ihn zu jeder Zeit zu befragen und mit Ihm in Verbindung zu treten, war fortan das glückliche Vorrecht dieser heimatlosen Leute, welche die Welt schmähte und verachtete.

Mein lieber Leser, hast du dich auch schon zu dem verworfenen Christus geflüchtet? Man tut das nicht, solange man nicht in die äußerste Not gekommen ist und jede Hoffnung auf Selbsthilfe verloren hat. Die Welt wird dich in diesem Falle verachten, aber nicht so sehr, wie du dich selbst verachtest. Und trotzdem wird dir nichts mangeln. Die Gegenwart des Herrn Jesu, die von der Seele gefühlt und genossen wird, die Schätze Seines Wortes, die zu deiner Verfügung stehen und in einer Weise von dir gekannt sind, wie sie selbst ein Jonathan, der an den Hof Sauls zurückgekehrt war, nie kennen konnte, schließlich das Mittel, Gott zu nahen, welches dir durch das Priestertum Christi dargeboten ist, das uns mit Gott in Verbindung bringt -, das sind die Wohltaten, über welche unser David während der Zeit Seiner Verwerfung verfügt.

Es fehlt nur noch, dass Er vor aller Augen in Herrlichkeit geoffenbart wird; denn als Mittelpunkt Seiner Versammlung ist Er es jetzt schon, selbst dann, wenn sie, wie hier, nur aus vierhundert um Ihn gescharten Treuen bestände.

In Vers 5 leistet David dem Worte Folge, welches Gad ihm bringt: „Bleibe nicht auf der Bergfeste; gehe hinab und begib dich in das Land Juda." Er betritt damit das Gebiet seines Todfeindes; doch was hat er zu fürchten, was kann Saul ihm tun? Jehova ist mit ihm. Was macht es da aus, ob er aller menschlichen Klugheit zuwider handelt? Gott hat Gnaden- und Segensabsichten in dem, was Er befiehlt; unsere Sache ist es, einfältig zu gehorchen.

Saul lässt Ahimelech rufen und beschuldigt David, dass er sich wider ihn verschworen habe und ihm auflauere. Ahimelech spricht mit edler Freimütigkeit; er sagt offen die Wahrheit und gibt David, dem unvergleichlichen Manne, das Zeugnis, dass er treu sei und des Königs Eidam, dass er zu seinem geheimen Rat Zutritt habe und in seinem Hause geehrt werde. Mit diesen Worten will er sicherlich nicht Saul beleidigen, aber er gibt ihm doch eine ernste Belehrung. Sein Zartgefühl verhindert Ahimelech, die Lüge zu erwähnen, durch welche David sich Brot und Schwert verschafft hatte, weil dieser dadurch in den Augen Sauls herabgesetzt worden wäre. Aber schließlich ist es doch diese Lüge, die den Priester und sein ganzes Haus ins Verderben bringt. David fühlt dies wohl, wenn er zu Abjathar sagt: „Ich bin schuldig an allen Seelen des Hauses deines Vaters" (V. 22). So verurteilt er sich selbst; aber zu gleicher Zeit steht er von Gottes Seite da als das Vorbild Dessen, welcher der Schutz der Treuen ist: „Bleibe bei mir, fürchte dich nicht; denn wer nach meiner Seele trachtet, trachtet nach deiner Seele; denn bei mir bist du wohl bewahrt." Es ist eine Entschädigung für das, was Abjathar und das Haus seines Vaters für den Gesalbten Jehovas erlitten hatten.

Hierher gehört Psalm 52, den David sang, als er erfuhr, dass „Doeg, der Edomiter, Saul berichtet hatte: David ist in das Haus Ahimelechs gekommen". Während er einerseits ein schonungsloses Gericht über den Edomiter, den geschworenen Feind Israels, ankündigt, gibt er andererseits dem Vertrauen und der Zuversicht des Mannes Gottes Ausdruck. Das eine wird durch das andere keineswegs zerstört. Im Gegenteil, von dem dunklen Hintergrunde der Bosheit des Menschen hebt sich das glückliche Teil des Gläubigen in seinem ganzen Glanze ab: „Ich aber bin wie ein grüner Olivenbaum im Hause Gottes; ich vertraue auf die Güte Gottes immer und ewiglich. Ich werde dich preisen ewiglich, weil du es getan hast; und auf deinen Namen werde ich harren, denn er ist gut, vor deinen Frommen" (V. 8. 9).

Kapitel 23 - Die Philister streiten wider Kehila. David hätte nicht einzuschreiten brauchen und hätte Saul die Sorge überlassen können, der bedrängten Stadt Hilfe zu bringen; doch eine solche Zurückhaltung liegt den Gedanken des Mannes des Glaubens fern. Der verworfene David wird hier ein Retter für Israel. Er tritt in die Bresche, jedoch nicht ohne vorher Jehova befragt zu haben. Wie es scheint, war Abjathar in jenem Augenblick noch nicht mit dem Ephod zu David gekommen (vergl. V. 6), so dass ihm dieses von Gott verordnete Mittel, Ihn zu befragen, noch fehlte. Aber mögen auch die äußeren Hilfsquellen außer unserem Bereich sein, der Zugang zu Gott ist es niemals; er ist stets frei und weit geöffnet für alle. David spricht mit Gott wie mit einem Freunde. Voll Herablassung antwortet Gott, und zwar merkwürdigerweise auf eine vertraulichere und mehr ins einzelne gehende Art, als dann, wenn David Ihn mit dem Ephod befragt. Er erfüllt das Herz Seines Geliebten mit Vertrauen und Zuversicht. Was auch seine Gefährten sagen mögen, David, gegründet auf das Wort Gottes, hält sich nicht bei ihren Befürchtungen auf, sondern streitet für das Volk Israel, wenngleich dies letztere das Werkzeug in der Hand seines schlimmsten Feindes ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Heil in Christo; es wurde für uns bereitet, als wir noch Seine Feinde waren.

Wir begegnen hier wieder derselben Wahrheit, auf welche wir bereits in der Geschichte Jonathans hingewiesen wurden, dass nämlich der Kampf des Glaubens außerhalb des religiösen Systems der Menschen geführt wird; dieses kann dem Glauben hinderlich sein. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo Saul Jehova befragt, empfängt er entweder gar keine Antwort, oder er erhält durchs Los eine Antwort, welche eine Verurteilung seiner ganzen Handlungsweise ausspricht (Kap. 14, 40). David unterhält sich ohne die äußere Unterstützung der göttlichen Verordnungen unmittelbar mit seinem Gott.

Von nun an sehen wir David gejagt, verfolgt, verraten; er ist genötigt, sich in Höhlen und Wäldern zu verbergen, ist in Gefahr in den Städten, flüchtet sich auf die Bergfesten, irrt umher auf Bergen und Hügeln, hält sich auf in den Wüsten von Juda, Siph, Maon und Paran - mit einem Wort: er hat nicht, wohin er sein Haupt hätte niederlegen können.

Als er nach Kehila kommt, kann Saul in seiner entsetzlichen Verblendung sagen: „Gott hat ihn verworfen und in meine Hand überliefert", er, der das ernste Wort aus dem Munde Samuels gehört hatte: „Jehova hat dich verworfen, dass du nicht mehr König seiest!" (Kap. 15, 23). Welch eine Verhärtung des Herzens! Der Verfolger des Geliebten glaubt Gott zu kennen und Ihn auf seiner Seite zu haben, während er in Wirklichkeit den Gott Israels nicht besser kennt als sich selbst. In Psalm 2, 4 heißt es: „Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer"; so antwortet auch hier das Wort mit einer von Saul wohlverdienten Ironie: „Gott gab ihn nicht in seine Hand" (V. 14).

Als das Ephod herbeigebracht war (V. 6), antwortete Gott durch dieses, und David empfängt eine genügende Leitung. Es ist schön, ihn hier den Platz eines Knechtes einnehmen zu sehen. Er, dem das Königtum gehört, nimmt vor Gott die niedrigste Stellung in Anspruch. „Jehova, Gott Israels, dein Knecht hat gehört ... wird Saul herabziehen, wie dein Knecht gehört hat? Jehova, Gott Israels, tue es doch deinem Knechte kund!" Ist er darin nicht ein schönes Vorbild von Christo, welcher gekommen ist, nicht um bedient zu werden, sondern um Gott und den Seinigen zu dienen, obwohl Er wusste, dass der Vater Ihm alles in die Hände gegeben hatte?

In der Wüste Siph empfängt David den Besuch Jonathans. Bei mancher Gelegenheit hatte, wie wir gesehen haben, Jonathan bewiesen, wie teuer David ihm war. Er hatte ihn von der Gefahr benachrichtigt, die ihm drohte, er hatte zu Saul Gutes von ihm geredet, hatte einen Bund mit ihm gemacht, indem er Davids Rechte auf das Königtum anerkannte, er hatte seine Schmach getragen und für ihn gelitten (Kap. 19, 2. 4; 20, 12-17. 34); was blieb ihm noch zu tun übrig? Ihn zu besuchen, um ihn aufs neue seiner Liebe zu versichern? Nein. Es kommt in dem Leben eines Mannes des Glaubens stets ein kritischer Augenblick, wo er verpflichtet ist, seine Verbindungen mit dem alten System nach dem Fleische zu brechen, weil es sich tatsächlich in den Händen des Feindes Gottes befindet. Gott stand im Begriff, jenes politische und religiöse System zu richten. Und so wie es einst mit der Welt Sauls stand, so steht es heute mit der Christenheit. Wer mit dem System verbunden ist, wird mit ihm fallen und in seinen Untergang, sei es auch nur äußerlich, verwickelt werden. So sehr Jonathan David liebte, wandelte er doch in der veralteten Ordnung der Dinge, die um den König nach dem Fleische errichtet war, aber zu verschwinden im Begriff stand. Was hatte er anders zu tun als sie zu verlassen, sobald sie dem Gesalbten Jehovas direkt feindselig gegenübertrat? Er musste mit dem Hofe seines Vaters brechen, seinen Platz bei David bei den Heruntergekommenen in der Höhle Adullam nehmen - wahrlich, eine erniedrigende Stellung für einen Königssohn! Er musste bei David in der Wüste Siph bleiben, indem er in seinen Gedanken nicht den zweiten Platz nach ihm (V. 17) einnahm, sondern wie Abigail den eines Knechtes der Knechte seines Herrn. Ach! Jonathan tat es nicht; er handelte anders. Er hatte eine Stellung zu wahren, und, während David in die Wälder zurückkehrte, ging Jonathan nach seinem Hause! (V. 18).

Und dennoch verlieh Gott ihm das schönste Vorrecht, David auf seinem Wege zu ermuntern. Jonathan, heißt es, „stärkte seine Hand in Gott". Ferner ist er für David der Überbringer des prophetischen Wortes: „Fürchte dich nicht! denn die Hand Sauls, meines Vaters, wird dich nicht finden; und du wirst König werden über Israel." Allerdings fügt er auch hinzu: „und ich werde der Zweite nach dir sein"; wenn es sich um ihn selbst handelt, so verliert er den prophetischen Blick, und das entspricht gut dem gemischten Zustand seiner Seele.

Die Bewohner von Kehila würden David verraten haben, wenn er ihnen die Gelegenheit dazu nicht abgeschnitten hätte; die Siphiter verraten ihn wirklich und nehmen an den bösen Plänen Sauls teil. Wieder sehen wir dieselbe Verhärtung bei dem König wie früher; er bedient sich des Namens Jehovas, um seine Bosheit zu verdecken. „Gesegnet seid ihr von Jehova, dass ihr euch meiner erbarmt habt", so spricht er zu den Siphitern, und, von David redend, sagt er: „Man hat mir gesagt, er sei sehr listig." Listig? wenn Jehova, den David befragte, ihn vor den hinterlistigen Nachstellungen seines Feindes behütete? Dieses Wort „sehr listig" war eine unmittelbare Beleidigung Jehovas; aber Saul war außerstande, sich darüber Rechenschaft zu geben.

An diese Stelle gehört Psalm 54, der gedichtet wurde, „als die Siphiter kamen und zu Saul sprachen: Hält sich nicht David bei uns verborgen?" Im Gegensatz zu Saul, der den Namen Jehovas anruft, wendet sich der aus der Mitte des Volkes vertriebene David an den Namen Gottes: „Gott, durch deinen Namen rette mich und schaffe mir Recht durch deine Macht." Was Gott ist als Gott, das ist die Hilfsquelle der Seele Davids. „Fremde", die Siphiter, „waren wider ihn aufgestanden", „Gewalttätige", Saul und seine Leute, „trachteten nach seinem Leben"; und wiewohl sie den Namen Jehovas anriefen, „hatten sie Gott nicht vor sich gestellt." Doch dieser Gott, den sie nicht kannten, war der Helfer Davids; und sind einmal seine Feinde vertilgt und er aus aller Bedrängnis errettet, so will er den Namen Jehovas preisen, des Gottes Israels, dessen Beziehungen zu Seinem Volke auf diese Weise wiederhergestellt sein werden.

In der Wüste Maon befindet sich David in der äußersten Bedrängnis; aber die gänzliche Hilflosigkeit des Menschen ist die passende Gelegenheit für Gott. Er leitet die Umstände, Er berechnet die Stunden, die Minuten, die Sekunden. Alle unsere Zeiten sind in Seiner Hand. Im letzten entscheidenden Augenblick kommt ein Bote, welcher Saul den Einfall der Philister meldet (V. 27), und der König steht von der Verfolgung Davids ab. So zeigt Sich unser Gott über die Schwierigkeiten erhaben, die uns scheinbar verschlingen müssen.

Der 63. Psalm ist ein herrliches Beispiel von den verborgenen Erfahrungen, welche die Seele Davids machte, „als er in der Wüste Juda war". Er betrachtete sie als eine Wüste, weil er sich an das Heiligtum erinnerte, wo er Gott angeschaut hatte; aber wenn es Durst in der Wüste gab, so war es der Durst nach Gott, und er begehrte, dass die Macht und die Herrlichkeit des Heiligtums ihn in der Wüste begleiten und sich in seinem Leben hienieden offenbaren möchten. Die Wüste trieb ihn zu Gott und brachte das Verlangen in ihm hervor, dass Gott in den schwierigen Umständen, durch die er ging, Sich in Seinem wahren Charakter zeigen möchte. Gott entsprach seiner Bitte, indem Er ihm Seine Güte zeigte. Seine Güte ist Seine Herrlichkeit. David fand sie kostbarer als sein Leben, welches durch die Macht Gottes vor den Nachstellungen Sauls behütet wurde. Und er war überzeugt, dass diese Macht ihn auch fernerhin unterstützen würde. „Es hält mich aufrecht deine Rechte."

Das Ergebnis dieser Erkenntnis Gottes in der Wüste war, dass die Seele Davids, wie er sich ausdrückt, „Ihm nachhing". Durch die Erfahrungen in der Wüste wurde sein Herz inniger, praktischer mit seinem Gott verbunden. Was Saul betrifft, so wird er „der Gewalt des Schwertes preisgegeben werden", während der König, der Gesalbte Jehovas, die Freude in Gott an dem Tage, wo jeder Mund verstopft werden wird, vor sich sieht, eine Freude, die er schon in der Wüste in einer Weise schmeckte, dass seine Seele gesättigt wurde.

Fußnoten:

[1] Man muss nicht denken, dass nur die Psalmen Davids, welche eine Überschrift tragen, aus den Erfahrungen des königlichen Propheten bei den verschiedenen Ereignissen seines Lebens hervorgegangen seien. Weit entfernt davon; sehr oft kann man auch in anderen Psalmen gewisse Umstände aus dem Leben Davids als Ausgangspunkt des inspirierten Gesangs unterscheiden. Indes werden wir uns an die Tatsachen halten, welches das inspirierte Wort uns mitteilt.

[ 2] Abimelech war der Titel der Philisterkönige.

Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 24

Botschafter des Heils 1904 S. 281ff

Kapitel 24 - Von seinem Zuge gegen die Philister zurückgekehrt, sammelt Saul dreitausend auserlesene Männer, um David zu fangen. So bekriegt er gleich nacheinander die Feinde und den Retter Israels. Äußerer Eifer für die Beschützung des Volkes Gottes kann sehr wohl mit wirklichem Hass gegen Christum verbunden sein.

Saul begibt sich in die Höhle, die bei den Kleinviehhürden lag, um auszuruhen. Am hinteren Ende der Höhle befand sich mit seiner kleinen Schar der, den Saul mit Unrecht für seinen Feind hielt. So hatte die Vorsehung Gottes Saul wehrlos den Händen Davids überliefert. Seine Gefährten ziehen in ihrer Unkenntnis hieraus den Schluss, dass Gott Selbst ihrem Herrn Gelegenheit biete, sich zu rächen; aber das geistliche Verständnis Davids täuscht sich hierüber nicht. Sein Charakter, als der verworfene König, ist Gnade, nicht Gericht (bei Christo ist es ebenso), und die göttliche Vorsehung gibt hier der Gnade einen vortrefflichen Anlass, sich zu offenbaren.

Doch es gibt für David noch einen anderen Grund, nicht das Schwert zu ziehen. Solange Gott Selbst das über Saul ausgesprochene Urteil nicht vollzogen hat, trägt dieser noch den Namen des „Gesalbten Jehovas". Worin auch das Böse bestehen mag, wir haben nicht das Recht, das zu zerstören, was Gott noch bestehen lässt. Ohne Zweifel soll es zwischen uns und dem Bösen eine völlige Trennung geben; aber wir sind nicht berufen, der Langmut Gottes ein Ende zu setzen. Ein geistlicher Christ erkennt die Autorität an, welche Gott errichtet hat, selbst wenn sie feindlich und abtrünnig ist, und überlässt Gott die Sorge und den Augenblick für die Ausführung des Urteils über sie. Die durch Gottes Vorsehung herbeigeführten Umstände sind nicht dazu bestimmt, unser Verhalten zu regeln oder zu beeinflussen, sondern unseren Glauben auf die Probe zu stellen. So war es auch mit Mose am Hofe des Pharao, wohin die Vorsehung Gottes ihn gebracht hatte. Als der Augenblick gekommen war, weigerte er sich, demselben anzugehören, und verließ Ägypten, indem er die Wut des Königs nicht fürchtete (Heb 11). Der Glaube leitete ihn, nicht aber die Wege der Vorsehung Gottes.

Indessen schneidet David einen Zipfel von dem Oberkleide Sauls ab. Das ist ein Pfand, dazu bestimmt, dem Feinde die Gnade, die ihn verschont hat, klar vor Augen zu stellen. Sein Herz (nicht das Gewissen) wirft David sogar diese Tat vor; denn äußerlich hatte er es an der dem Gesalbten Jehovas schuldigen Achtung und Ehrfurcht fehlen lassen, obwohl er im Grunde nur von Gnade gegen seinen Verfolger erfüllt war. „Und David wehrte seinen Männern mit diesen Worten und ließ ihnen nicht zu, sich wider Saul zu erheben." Seine Gefährten werden durch ihn und durch sein Beispiel gebildet, und so spiegelt sich die Gesinnung Davids in allen denen wider, die ihn umgeben und ihn als Anführer anerkannt haben. Der abgeschnittene Zipfel dient dazu, Saul die Gesinnung seines von ihm verkannten Dieners zu beweisen und ihm über seinen eigenen Zustand die Augen zu öffnen. „Denn dass ich einen Zipfel deines Oberkleides abgeschnitten und dich nicht getötet habe, daran erkenne und sieh, dass nichts Böses in meiner Hand ist, noch ein Vergehen, und dass ich nicht an dir gesündigt habe; du aber stellst meinem Leben nach, um es zu nehmen" (V. 12). So redet Gott oft zu den Sündern durch die Umstände, in welchen Seine Gnade sie bewahrt hat, indem Er ihnen deutlich vor Augen stellt, dass ihr Zustand das Gericht verdient hätte. Doch wenn das Herz sich danach wieder verhärtet, soll der Mensch doch wissen, dass das Gericht nicht auf sich warten lässt. „Jehova richte zwischen mir und dir", sagt David, „und Jehova räche mich an dir" (V. 13).

Bei dieser Gelegenheit zeigt sich ein schöner Zug bei dem Manne Gottes. In seinen Augen ist er weniger als Saul, weniger als nichts: „Hinter wem zieht der König von Israel her? wem jagst du nach? Einem toten Hunde, einem Floh!" Ähnlich sagt Paulus von seinen geliebten Korinthern: Das Unedle der Welt und das Verachtete und das, was nicht ist" (1. Kor. 1, 28), und von sich selbst: „der da pflanzt, ist nichts" (1. Kor. 3, 7). Doch diese Leute, die in ihren Augen nichts sind, sind etwas in den Augen Gottes, und das erhöht und verherrlicht Ihn: „Er richte zwischen mir und dir; und er sehe darein und führe meine Streitsache und verschaffe mir Recht aus deiner Hand!" (V. 16). „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?" Die Liebe Gottes ist für uns; das ist es, was Ihn verherrlicht!

„Saul erhob seine Stimme und weinte" (V. 17). Als er sich auf so wunderbare Weise bewahrt sieht, erkennt er (für wie lange?) die Gnade und Gerechtigkeit in David an mit den Worten: „Du bist gerechter als ich; denn du hast mir Gutes erzeigt, ich aber habe dir Böses erzeigt." Er erkennt selbst an, dass das Königtum David zufallen werde: „Und nun siehe, ich weiß, dass du gewisslich König werden wirst, und dass in deiner Hand das Königtum Israels bestehen wird." Es ist sehr ernst zu sehen, wie ein Herz, nachdem es eine Rüge empfangen hat, angesichts der Gnade erweicht werden kann, ohne verändert zu sein. Gott fordert von uns nicht Gefühle, so richtig diese sein mögen; es handelt sich um Glauben, denn dieser allein ist imstande, das Herz umzubilden und einen Sünder zu erretten.

„Du hast heute bewiesen, dass du Gutes an mir getan hast!" (V. 19). Wie verschieden ist dieses „heute" von den Worten einer Abigail, welche, selbst bevor David es ihr bewiesen hat, durch den Glauben sagt: „Kein Böses ward an dir gefunden, seitdem du lebst!" (Kap. 25, 28).

Saul geht so weit, dass er David zutraut, er werde auch seinen Samen nach ihm am Leben lassen. David, ein schönes Beispiel der Gnade, schwört es ihm; denn die Gnade kennt keine Schranken. Wird Saul nun verstehen, sich diese Gnade zunutze zu machen? Nein: „Er ging nach seinem Hause." Ach! der gottesfürchtige Jonathan, sein Sohn, hatte ja dasselbe getan (Kap. 23, 18). Welchen Schritt das Fleisch auch getan, welche Wahrheit es auch erkannt haben mag, es gibt immer einen Punkt, wo es Halt machen wird, nämlich da, wo der Glaube allein handeln kann. Vor dem: „Komm, folge mir nach!" wendet auch die liebenswürdigste Natur den Rücken, vielleicht mit Trauer, aber sie zieht die „vielen Güter" ihres Hauses der Schmach Dessen vor, der in dieser Welt nicht hatte, wohin Er Sein Haupt legen sollte (Mt. 19, 22).

Wie schön ist es, im 57. Psalm die Gefühle Davids wahrzunehmen, „als er vor Saul in die Höhle floh." Er weiß, dass „Gott selbst es für ihn vollenden wird" (V. 2). Sein Glaube ergreift im Voraus die bevorstehende Rettung: „Vom Himmel wird er senden und mich retten; er macht zum Hohn den, der nach mir schnaubt" (V. 3). „Eine Grube haben sie vor mir gegraben, sie sind mitten hineingefallen" (V. 6). Dadurch wird sein Herz befestigt, so dass er sich gänzlich den Händen Dessen übergibt, „der seine Güte und Seine Wahrheit senden wird", um ihn zu retten. So zubereitet sucht er nicht sich selbst zu retten, sondern übergibt sich Dem, der gesagt hat: „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr." Auf diese Weise wird David bei jeder Gelegenheit durch den Geist Gottes zubereitet, seine Sache in die Hände Gottes zu legen, und ist somit frei, sich nur mit dem Herrn und Seinem Lobe zu beschäftigen. „Befestigt ist mein Herz; ich will singen und Psalmen singen ... denn groß bis zu den Himmeln ist deine Güte, und bis zu den Wolken deine Wahrheit!" (V. 7 u. 10).

Kapitel 25 - Samuel stirbt, und sein Tod ist gleichsam das Vorspiel zu dem letzten Abschnitt der Geschichte Sauls. Der treue Knecht, welcher Israel in schwierigen Zeiten gerichtet und zu seinen Gunsten den Priesterdienst ausgeübt hatte inmitten des Verfalls, der die Folge des Verderbens des Priestertums war, der Mann, den Gott erwählt hatte, um das Königtum nach dem Fleische und sodann das Königtum nach der Gnade zu salben, der Prophet vor allem, der erste der Propheten, - war nicht mehr. In diesen trüben Zeiten unterhielt die Gnade Gottes eine Verbindung mit dem Volke durch das prophetische Wort. Bei allen wichtigen Handlungen seines Lebens war Saul dem Propheten begegnet, welcher kam, um ihm die Gedanken, die Befehle, die Pläne und die Urteilssprüche Gottes kundzutun. Allerdings hatte er nicht darauf geachtet, aber er hatte sie hören können. Es ist ein großes Vorrecht, freilich verbunden mit einer großen Verantwortlichkeit, das göttliche Wort in seinem Bereich zu haben; und Saul hatte dieses Vorrecht genossen. Samuel selbst hatte bei seinen Lebzeiten das Wort an von Gott erweckte Propheten übertragen, damit sie andere darin unterweisen könnten. Jetzt aber antworteten diese Propheten auch nicht mehr (Kap. 28, 6. 15). Die ganze damalige Verwaltung hatte für Saul und für sein Volk ein Ende genommen. Das durch ihn zerstörte Priestertum hatte sich zu dem wahren König geflüchtet. Gad, der Prophet, befand sich ebenfalls bei David in der Wüste und in den Höhlen. Israel und sein König waren wie ein aller Hilfsmittel beraubtes Schiff, ohne Führer und ohne Kompass, in die Finsternis hinausgestoßen, dem Abgrunde entgegeneilend, während für die Treuen bald ein neuer Tag anbrechen sollte. War es daher zu verwundern, dass Israel sich versammelte und über Samuel klagte? Der, welcher für sie und selbst für ihren König inbrünstig und ohne Unterlass zu Gott gefleht hatte, war ja nicht mehr. Was blieb für sie übrig? - Schreckliches Gericht, wenn Gott Seine beharrlich verachteten Gnadenerweisungen zurückzieht! Für Saul wird schließlich keine andere Zuflucht bleiben, als zu dem zurückzukehren, was er einst ausgespien hatte (Kap. 28, 7). Erblicken wir hierin nicht ein Bild jener abtrünnigen Christenheit, die zum Götzendienst zurückkehrt, wenn Gott ihr den Geist der Wahrheit entzieht und sie dem Geist der Lüge zur Beute werden lässt? Doch bevor Gott uns über die letzten Tage Sauls Mitteilung macht, enthüllt er in unserem Kapitel ein neues Schauspiel. Nabal, ein gewalttätiger und zügelloser Mann, verachtet und beschimpft den Gesalbten Jehovas. Das ist eines der Kennzeichen des Menschen der Sünde am Ende der Zeiten. Nabal, so wird uns gesagt, war ein Nachkomme Kalebs. Diese beiden Männer zeigen als gemeinsamen Familienzug die Energie der Natur, welche jedoch im Dienste des Fleisches einen Nabal, im Dienste des Glaubens einen Kaleb hervorbringt; denn man kann seine Glieder der Sünde darstellen zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit, oder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit (Römer 6, 13).

Die Erweisung der Gnade hat bei einem solchen Menschen nur den Erfolg, dass er zum Bösen und zur Empörung angereizt wird. Ein Saul lässt sich zuweilen rühren (Kap. 24, 17), ein Nabal niemals.

David und seine Gefährten wohnen noch in der Wüste Juda, indem sie von Gott allein die Stunde und das Zeichen ihrer Errettung erwarten; aber hier hat David Gelegenheit, sich als Beschützer der Schwachen die während der Nachtwachen tausend Gefahren ausgesetzt sind, zu zeigen. „Nicht das geringste wird von ihnen vermisst", solange sie bei ihm sind (V. 7).

Doch darauf beschränkt sich die gnadenreiche Tätigkeit Davids nicht. Ist er, wie der Herr in den Tagen Seines Fleisches, einerseits betreffs einer Erfrischung von dem Menschen abhängig, so entbietet er andererseits, er, dem von Rechts wegen alles gehört, als Entgelt dem Sünder, dem Nabal, durch seine Boten den Frieden. „Friede dir, und Friede deinem Hause, und Friede allem, was dein ist!" (V. 6). Wollte Nabal diesen Frieden, nachdem seine Leute und seine Herden eine so offenbare Beschützung seitens Davids gefunden hatten? War David nicht im Recht, wenn er für soviel Güte und Zuvorkommenheit von ihm irgendein Zeichen der Erkenntlichkeit verlangte? Hören wir, was Nabal antwortet: „Wer ist David, und wer der Sohn Isais? Heutzutage sind der Knechte viele, die davonlaufen, ein jeder seinem Herrn. Und ich sollte mein Brot und mein Wasser nehmen und mein Geschlachtetes, das ich für meine Scherer geschlachtet habe, und es Männern geben, von denen ich nicht weiß, woher sie sind?" Dasselbe Wort kam später aus dem Munde der Obersten von Israel angesichts des Werkes des Herrn; sie sagen „Von diesem wissen wir nicht, woher er ist" (Joh. 9, 29). So hat der Mensch den verworfenen Jesus behandelt; er verachtet Seine unumschränkte Gnade, ohne Seine Macht im Gericht zu fürchten und ohne zu bedenken, dass dieses Gericht vor der Tür steht. Nabal spricht von seinem Brot, seinem Wasser, seinem Geschlachteten und seinen Gütern, als wenn das alles ihm gehöre, und zwar in einem Augenblick, wo das Verderben im Begriff steht, über ihn und alles, was sein ist, hereinzubrechen. Anstatt dem zu Füßen zu fallen, der sich freiwillig zu seinem Knechte gemacht hatte, behandelt er ihn mit Verachtung als „einen seinem Herrn entlaufenen Sklaven"! Ohne Gewissensbedenken und ohne zu überlegen, dass er David selbst damit verwirft, verwirft er seine Boten. „Wer euch verwirft", sagt der Herr, „verwirft mich; wer aber mich verwirft, verwirft den, der mich gesandt hat" (Lk. 10, 16). David sandte seine Boten, um zu segnen; aber Nabal „fährt sie an" (V. 14).

Hierdurch kommt David in Gefahr, seiner Entrüstung freien Lauf zu lassen und „sich mit seiner Hand Hilfe zu schaffen" (V. 33). An diese Stelle gehört, wie mir scheint, die Erfahrung, welche der 35. Psalm ausdrückt: „Sie vergelten nur Böses für Gutes" (V. 12; vergl. Kap. 25, 2). „Nicht von Frieden reden sie" (V. 20). „Als wäre es mir ein Freund, ein Bruder gewesen, so bin ich einhergegangen" (V. 14). „Die ohne Grund mir feind sind" (V. 19). David aber hat gelernt, was Gott ihn lehren wollte. Anstatt sich selbst Recht zu verschaffen, hat er seine Sache Jehova übergeben: „Wache auf und erwache zu meinem Rechte, mein Gott und Herr, zu meinem Rechtsstreit" (V. 23). „Lass mit Scham und Schande bekleidet werden, die wider mich großtun!" (V. 26). Ihm Überlässt er das Gericht: „Über ihn komme Verderben, ohne dass er es wisse!" (V. 8).

Doch bevor er diese Unterweisung durch den Mund der gottesfürchtigen Abigail empfing, hatte David sein Schwert umgegürtet und seinen Gefährten befohlen, dasselbe zu tun. Er eilte dem Augenblick voraus, die Stunde des Gerichts hatte noch nicht geschlagen; sie wird kommen durch Vermittlung eines Größeren als David. Von diesem Größeren wird gesagt: „Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät!" (Ps. 45, 3). Doch die Zeit der Gnade währte noch, solange David ein Fremdling in seinem Erbteil war.

Der Glaube der Abigail verstand dies, und so wurde diese schwache Frau, indem sie wusste, was der Gnade geziemte, ein Werkzeug Gottes, um den Größten Seiner Knechte, den Gesalbten Jehovas selbst, vor dem Bösen zu bewahren. Nur ein Mensch, die Gnade in Person, die allen Menschen erschienene Gnade Gottes, Jesus, hat, da Er nicht fehlbar war, nie nötig gehabt, daran erinnert zu werden, welche Gefühle der Stellung, die Er hienieden eingenommen hatte, entsprachen.

Wir können alle bei Abigail in die Schule gehen und von ihr lernen. Wie selten begegnet man einer Zuneigung, so uneigennützig wie die ihrige, gegründet auf die Vollkommenheiten, welche ihr Glaube in David erkannte!

Als Abigail erfährt, dass „das Unglück beschlossen ist" gegen Nabal und sein ganzes Haus, da beeilt sie sich, alles zuzubereiten, was ihr Mann David verweigert hatte, ja, noch darüber hinaus, und ihm entgegenzugehen. O möchten doch die Seelen, welche gehört haben, dass das Unglück gegen sie beschlossen ist, es ebenso machen! Es handelt sich darum, keine Zeit zu verlieren, sich zu beeilen; der Rächer ist schon unterwegs. Wenn die Ankündigung des Gerichts als ein göttliches Zeichen aufgenommen wird, so beeilt man sich, ihm zu entfliehen. Das ist Glaube; und es gibt kein anderes Rettungsmittel, als dem entgegenzugehen, der im Begriff steht zu richten. Abigail hatte nur eine Furcht, nämlich die, sie möchte David nicht treffen, ehe sein Schwert gezogen war. Sie wusste sehr wohl: dann war es zu spät. Aber bezüglich des Ergebnisses der Begegnung hatte sie keine Furcht, denn sie kannte die Gesinnung dessen, an den sie sich wenden wollte.

Und als Abigail David sah, da stieg sie eilends von dem Esel herab; und sie fiel vor David auf ihr Angesicht und bückte sich zur Erde; und sie fiel ihm zu Füßen und sprach: „Auf mir, mir, mein Herr, sei die Schuld!" Auch hier beeilt sich Abigail noch; sie beeilt sich, die Herrscherrechte Davids anzuerkennen, seine Rechte über sie, und ihre eigene Unwürdigkeit. Sie wendet sich als Flehende an ihn und erkennt dadurch an, dass sie von seinem Wohlgefallen abhängig ist. Noch mehr - dadurch dass sie diese Haltung einnimmt, bekennt sie (das Weib des Glaubens) sich schuldig, nimmt alle Folgen ihrer Verbindung mit Nabal auf sich. Sie kommt nicht, um ihre Unschuld zu beteuern, obwohl sie ohne jede Kenntnis des Geschehens gewesen war. Vor David will sie nur schuldig erfunden werden, und sie beeilt sich das auszusprechen, denn sie kennt die Gnade Davids.

Nachher, am Schlusse des Kapitels, beeilt sie sich noch einmal (V. 42). Diesmal geschieht es gelegentlich ihrer Berufung durch David, die Gefährtin seiner Leiden zu werden (vergl. Kap. 27, 3), und später seine Herrschaft zu teilen. „Und David sandte hin und warb um Abigail, um sie sich zum Weibe zu nehmen ... und Abigail machte sich eilends auf ... und sie zog den Boten Davids nach, und sie wurde sein Weib" (V. 39-42). Da ist kein Zaudern; sie geht eilends dem entgegen, den sie liebt, dem gnadenreichen König. Sie verschiebt ihr Weggehen nicht auf bessere Zeiten, bis dahin, wann der Thron Davids aufgerichtet sein würde. Sie verlässt alles, ohne einen Augenblick daran zu denken, was sie zurücklässt. Sie erklärt sich sogar einer solchen Ehre für unwürdig; denn ihr gebührt die niedrigste Stellung. Eine solche Bestimmung kann sie andererseits nicht stolz machen; denn sie versteht sehr wohl, dass, wenn die Gunst des Königs sie dazu beruft, an seinen Leiden teilzunehmen, um sie später auf den ersten Platz zu erheben, der Dienst des Königs sie auf den letzten Platz stellen muss. „Siehe, deine Magd als Dienerin, um die Füße der Knechte meines Herrn zu waschen." Welche Demut bei dieser Gemahlin des Königs! Ja, die Gemeinschaft mit der Gnade, mit Jesu, allein macht uns fähig uns so in den Staub zu erniedrigen; aber gerade dadurch dass Abigail sich erniedrigt, wächst der König an Würde und Majestät, und das ist es, was das Herz der Gattin wünscht.

Vergessen wir also nicht, geliebter christlicher Leser, dass es einer der Charakterzüge des Glaubens ist, sich zu beeilen. Abraham eilte, als es sich um den Dienst Jehovas handelte (1. Mose 18, 6 - 8); Zachäus stieg eilends hernieder, als der Heiland ihn aufforderte, Ihn in seinem Hause aufzunehmen (Lk. 19, 6); Maria stand schnell auf, als der Herr sie zu Sich rief (Joh. 11, 29). Und fürwahr, wenn es sich um Seine Person handelt, könnten wir dann jemals eilig genug sein? Doch haben wir uns andererseits sorgfältig vor jener Eile zu hüten, die so oft das Fleisch und den alten Menschen kennzeichnet. „Ihre Füße laufen dem Bösen zu, und sie eilen, Blut zu vergießen", „zu streiten", „reich zu werden" (Spr. 1, 16; 6, 18; 25, 8; 28, 20 ). Sobald es sich um uns selbst handelt, lasst uns nicht tun wie die Welt, von der in jenen Stellen gesprochen wird, sondern still und gelassen sein; denn es heißt an einer anderen Stelle: „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen" (Jes. 28, 16; Röm. 9, 33 ).

Diese Abigail ist bewunderungswürdig wegen der Art und Weise, wie sie David schätzt. Man findet bei ihr alles; von dem Gefühl der Würde ihres Herrn, welches sie dahin bringt, vor ihm niederzufallen, bis zu dem Entzücken, welches die Schönheit seines Charakters in ihr hervorruft. „Mein Herr streitet die Streite Jehovas, und kein Böses ward an dir gefunden, seitdem du lebst" (V. 28). Wie hätte auch ihr Herz nicht angezogen werden sollen durch den Anblick der Vollkommenheit in einem Menschen? Und doch war David, obwohl ein Vorbild von Christo, in sich selbst nur ein unvollkommener Mensch. Jesus würde, wie bereits bemerkt, nie in die Gefahr gekommen sein, Sich Selbst Recht zu verschaffen. Nur die Gnade Gottes bewahrte David davor; denn schon war sein Entschluss gefasst, keinen seiner Feinde am Leben zu lassen. Abigail war das von Gott benutzte Werkzeug, um ihn seinem Entschluss zurückzubringen und ihm behilflich zu sein, den Charakter der Gnade nicht zu verlieren, der sich für den Gesalbten Jehovas geziemte.

Alles, was Abigail sagt, ist die Frucht ihrer Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes. Es ist keine Prophezeiung, aber sie weiß, was mit David geschehen wird, weil sie weiß, was Gott über ihn denkt. „Die Seele meines Herrn wird eingebunden sein in das Bündel der Lebendigen bei Jehova, deinem Gott; und die Seele deiner Feinde, die wird er wegschleudern in der Pfanne der Schleuder"; „Jehova wird dich zum Fürsten über Israel bestellen" (V. 29 u. 30). Saul, der König Israels, ist für Abigail nur „ein Mensch, der aufgestanden ist, um David zu verfolgen und nach seiner Seele zu trachten." In seiner Feindseligkeit gegen den Sohn Isais verdient er nicht einmal die Erwähnung seines Namens.

Man erkennt leicht, dass die Worte Abigails nicht eingegeben wurden durch die Furcht vor dem, was ihrem Hause geschehen könnte, sondern sie war entrüstet darüber, dass man einem Manne wie David Böses zu wünschen wagte; sie begehrte, dass kein Makel auf seinen Charakter falle, und bewunderte rückhaltlos den zukünftigen König von Israel.

David segnet sie auch. Er will ihrer gedenken nach ihrer Bitte. Das Wort „gedenke deiner Magd" findet ein ebenso aufmerksames Ohr wie später das „gedenke meiner" des bekehrten Räubers. Er schickt sie nach ihrem Hause zurück Mit jenem Frieden, den Nabal nicht gewollt hatte, und mit der Zusicherung seiner Gunst (Vergl. V. 6 u. 35). Dort soll sie geduldig die Botschaft des Geliebten erwarten, die sie zu ihm ruft.

Doch inzwischen wird Nabal von dem Gericht ereilt. „Er machte ein Mahl in seinem Hause wie ein Königsmahl." So ist der Mensch! Nabal setzt sich an die Stelle Davids und denkt nur daran, sich gütlich zu tun. Er betrinkt sich und kann nichts von dem erkennen, was seiner wartet. Sein Los ist entschieden. Als er erfährt was geschehen ist, „erstirbt sein Herz in seinem Innern", „und er wurde wie ein Stein". Er war schon erstorben, bevor er zehn Tage spät geschlagen wurde.

Das Los der Menschen hängt davon ab, ob sie Christum heute, in der Zeit seiner Verwerfung, verachten, oder ob sie Ihn schätzen, wie Gott Ihn schätzt, und sich an Seine Gnade wenden, die allein ihnen helfen kann.

Glücklicher David! Er hat ein Weib gefunden nach seinem Herzen, ein Weib, welches er segnet, und dessen Verstand er segnet, eine wahre Hilfe in den Schwierigkeiten seiner Laufbahn. Er segnet sie, weil sie ihn verhindert hatte, Böses zu tun, wodurch sein Gott verunehrt worden wäre. Saul dagegen hatte die Siphiter gesegnet, weil sie sich erboten, seine bösen Pläne gegen David auszuführen, und hatte diejenigen im Namen Jehovas als Retter begrüßt, die ihm halfen, gegen Seinen Gesalbten Krieg zu führen.

Betrachtungen über das erste Buch Samuel

Bibelstelle: 1. Samuel 26

Botschafter des Heils 1904 S. 309ff

Die Siphiter kommen wieder und bieten sich an, David zu verraten. Ohne Rücksicht auf die Ungerechtigkeit des Königs und auf die Gnade, welche David im Blick auf ihn an den Tag gelegt hatte, wenden sie sich zu dem, von welchem sie Vorteile zu erlangen hoffen, oder dessen Missfallen ihnen schaden könnte. Ein solches Verachten der Person und der Gesinnung Davids ist vielleicht noch erschreckender als die rohe Heftigkeit Nabals. Die Siphiter sind ein getreues Bild der christlichen Welt unserer Tage. Diese nimmt scheinbar Christum auf, aber in Wirklichkeit verrät sie Ihn. Die Vor­teile, die sie begehrt, kann Jesus ihr nicht geben; sie wendet sich daher zu dem Feinde, um sie zu erlangen, indem sie so "den Gebieter verleugnet, der sie erkauft hat". (2. Petr. 2, 1.)

Saul hat alles vergessen: nicht nur die Gnade, die ihn in der Höhle von Engedi verschont hatte, sondern auch seine eigenen reumütigen Worte samt dem edlen Schwur Davids, seiner Nachkommen zu schonen. Sein alter Hass tritt wieder zutage; ein bloßes Anerbieten der Siphiter genügt, um das in seinem Innern glimmende Feuer wieder anzufachen. Die Feindseligkeit gegen Christum kann in dem natürlichen Men­schen eine Zeitlang einschlafen; sobald aber eine Gelegenheit kommt, wacht sie auf, und dann sieht man, dass in dem Herzen des Sünders nichts verändert ist, sondern dass er, wie immer, hoffnungslos böse ist.

David sendet Kundschafter aus und ist von allem unter­richtet, während Saul ihn noch sucht. Es kommt für den Gläubigen eine Zeit, wo ein gewisses Vertrauen seinen Feinden gegenüber nicht mehr am Platze ist, wo wir auf der Hut sein müssen und ihnen unsere Geheimnisse nicht preisgeben dür­fen; denn sie würden sie nur als Waffen gegen uns ge­brauchen. Wir kennen ihre Pläne nicht, und wenn das Wort uns anempfiehlt, einfältig zu sein wie die Tauben, so ermahnt es uns zugleich auch, klug zu sein wie die Schlangen. Das ist es, was David hier kennzeichnet, und was auch den Herrn selbst kennzeichnete, als man Ihn fragte, ob es recht sei, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht.

Sobald es sich aber um Vertrauen auf Gott handelt, ver­schwindet die kluge Vorsicht Davids völlig. Kühn, die Welt würde sagen tollkühn, geht er allein mit Abisai in die Mitte von dreitausend Gegnern und sucht seinen Feind ohne Furcht auf. Der Glaube, der sich von den Schwierigkeiten nährt, wächst mit ihnen. Der Hügel Hakila, an welchem David dem Saul entgegenging, wurde Zeuge eines größeren Glaubens, als die Höhle von Engedi, wo Saul gleichsam aus Versehen David in die Hände gefallen war. Doch wie verschieden auch die Umstände, unter welchen der Glaube in Tätigkeit tritt, sein rnögen, die Grundsätze, die ihn leiten, sind immer un­veränderlich. Obwohl das Gericht Sauls herannaht, bleibt er für David doch so lange der Gesalbte Jehovas, bis Gott das letzte Zeichen gegeben hat. Hätte David anders als in Gnad gegen ihn gehandelt, so wäre das eine um so ernstere Verleugnung seines Charakters gewesen, weil sein Tun in de Höhle von Engedi die Bestätigung Jehovas erhalten hatte.

Abisai, der Gefährte Davids, legt ihm hier, ohne es zu ahnen, und wahrscheinlich infolge seiner Liebe zu seinem Herrn, eine Schlinge. Wohl wissend, dass David sich niemals selbst rächen werde, bietet er sich an, ihn an Saul zu rächen. Wäre das geschehen, so würde wiederum der Charakter der Gnade des verworfenen Königs gänzlich bloßgestellt worden sein; und gerade das ist eine der hauptsächlichsten Absichten Satans bezüglich der Gläubigen. Wenn er uns dahin bringen kann, dass wir unsere eigenen Interessen in die Hand nehmen, uns selbst rächen, unsere Rechte in dieser Welt geltend machen so hat er gewonnenes Spiel: wir verlassen dann den Boden des Glaubens; denn wenn wir uns der Welt gleich­stellen, so verleugnen wir damit unser Vertrauen auf Gott allein. David war in der Sache mit Nabal in Gefahr gewesen, diesen Grundsatz aufzugeben. Doch er hat seine Aufgabe gelernt. Gott hat ihn stark gemacht, und selbst sein Herz hat ihm nichts vorzuwerfen, wie bei den "Steinbockfelsen". "Ver­derbe ihn nicht", sagt er zu Abisai, "denn wer streckte seine Hand gegen den Gesalbten Jehovas aus und bliebe schuld­los?" Diesem unveränderlichen Grundsatz blieb er treu selbst bis nach dem Tode Sauls, als er den angeblichen Mörder des Königs töten ließ. Zu diesem hören wir ihn sagen: "Wie hast du dich nicht gefürchtet, deine Hand auszustrecken, um den Gesalbten Jehovas zu verderben?" (2. Sam. 1, 14.) So blieb Saul bis zu seinem letzten Atemzug für David unantastbar, weil er der Gesalbte Jehovas war.

Wir fehlen oft da, wo David triumphiert hat. Wenn wir der beständigen Ungerechtigkeit der Menschen gegenüber ein ­und zweimal in Gnade gehandelt haben, so kommt es uns vor, als ob das genug sei; wir meinen, wir seien im Recht, wenn wir nunmehr Widerstand leisteten und gegen die Un­gerechtigkeit, die uns widerfährt, aufträten. Allein wenn wir uns in der Gemeinschaft Gottes befinden, so werden wir ler­nen, dass wir, indem wir Widerstand leisten, Seinen Weg verlassen; handeln wir anders, so wird Satan uns schnell zu seiner Beute gemacht haben.

Der tiefe Schlaf, den Jehova auf Saul und auf das ganze Lager hatte fallen lassen, konnte leicht den Gedanken er­wecken, aus einem solchen Augenblick müsse Nutzen gezogen werden. Aber so stand es keineswegs. Gott hatte diesen Schlaf gesandt, um Seinen Geliebten zu bewahren, nicht aber um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu rächen. Er wollte ihn retten angesichts der Gnadenhandlung an Saul, zu deren Aus­führung Er ihn berief. Die Gnade ist Davids Teil, das Gericht ist Jehova vorbehalten. Doch David nimmt ein Pfand, wie er es auch in der Höhle getan hatte. Der Speer und der Wasser­krug waren zwei Zeichen, durch welche das Geschehene be­stätigt wurde. Die Waffe, nach der Saul mehr als einmal gegriffen hatte, um sie gegen David zu gebrauchen, befand sich jetzt in dessen Händen. Wird er sie gegen den Gesalbten Jehovas benutzen, wie er sich einst des Schwertes Goliaths bedient hatte, um diesem Feinde Israels den Kopf abzuhauen? Keineswegs. Es genügt David, Saul das wegzunehmen, dessen er sich in der Absicht bedient hatte, ihm zu schaden; er zeigt dem Könige, dass er seine Waffen wohl kennt, und dass sie gegen ihn ohnmächtig sind.

David entfernt sich von dem schlafenden Saul so weit, dass "ein großer Raum zwischen ihnen war". (V. 13.) Anders zu handeln wäre ein blindes Vertrauen auf den Menschen gewesen. Zu gewissen Zeiten ist es nötig, dass die Welt den Raum sieht, der sie von den Kindern Gottes trennt. Wenn die Kinder Gottes sich nicht von der Welt entfernen, so lassen sie die Welt leicht im unklaren über ihren wahren Zustand.

Indem sich David dann nicht ohne Spott an Abner wendet, zeigt er ihm, dass bei einem Kinde Gottes mehr Interesse und Fürsorge für die Welt zu finden ist, als bei denen, welche vorgeben, ihr zu helfen oder sie zu verteidigen.

Schließlich wird Saul aufgefordert, dem zu antworten, welchen er wie ein Rebhuhn auf den Bergen verfolgte. Warum geschah das? Was hatte David getan? Auf diese Fragen kann es nur Schweigen geben; vor ihnen verstummt jeder Mund für immer. Wenn es Jehova ist, der Saul wider David auf­gereizt hat, warum befreit Er dann David aus seiner Hand? Und wenn es Menschen sind, so seien sie verflucht; denn sie haben David aus dem Erbteil Jehovas vertrieben und stellen ihn, den Gesalbten Jehovas, den Götzendienern gleich, gerade­so wie sie in späteren Tagen Jesum den Dämonen gleich­stellten. Diese Sünde wird ihnen nicht vergeben werden.

Doch alles, was David fordert, ist, dass „sein Blut nicht zur Erde falle fern von dem Angesicht Jehovas" (V. 20), das heißt, David möchte Gott da dienen und, wenn es Sein Wille ist, an dem Orte sterben, von welchem der König von Israel ihn zu verjagen suchte. David musste, wie Jesus in späterer Zeit, in Juda leiden. Darum hatte das Wort Jehovas ihn dort­hin gesandt (Kap. 22, 5), und wenn er sterben Sollte, um den Herrn zu verherrlichen, so musste er dort sterben.

Saul sagt: „Ich habe gesündigt . . . ich will dir nichts Übles mehr tun . . . ich habe töricht gehandelt und gar sehr gefehlt." Aber wie oft hatte er das bereits anerkannt! Trotz­dem hatte es keine Änderung in seinen Wegen gegeben. Wir lassen uns oft durch solchen äußeren Schein täuschen, wenn es sich darum handelt, Seelenzustände zu beurteilen. David lässt sich indes nicht täuschen. Er setzt sein Vertrauen nur auf Gott, nicht auf die Gefühle Sauls. Er gibt ihm seine Waffen zurück in dem Bewustsein, dass Saul ohne den Willen Gottes doch nichts damit beginnen kann. Das Leben des Königs war ihm teuer gewesen, aber er rechnet nicht darauf, dass auch sein Leben Saul teuer sein werde. Er sagt vielmehr: "Siehe, wie deine Seele hoch geachtet gewesen ist in meinen Augen an diesem Tage, also möge meine Seele hoch geachtet sein in den Augen Jehovas, " (V. 24.) Es ist Jehova, auf den er vertraut. Das Leben Davids, eines Flohes, eines Rebhuhns auf den Bergen, hat großen Wert in den Augen Dessen, der ihn erwählt, berufen und wie Seinen Augapfel behütet hat. so verherrlicht sich Gott an den Schwachen und Geringen.

Saul segnet David; aber was für einen Wert hat der Segen Sauls? Derselbe Mann, der zu den Siphitern gesagt hatte: ,Gesegnet seiet ihr von Jehova!", sagt jetzt zu David: "Gesegnet seiest du, mein Sohn David!" Derselbe Mann, der einst Jonathan vorgeworfen hatte: "Du hast den Sohn Isais aus­erkoren zu deiner Schande", kann zu David sagen: „Du wirst es sicher ausrichten und wirst sicher obsiegen." ‑ Ist Saul auch unter den Propheten? ‑ Alles das hat in den Augen Davids nicht mehr Wert als in den Augen Jehovas. Er ist zu­frieden mit der Anerkennung und den Verheißungen seines Gottes; das genügt ihm vollständig.

Kapitel 27. – „Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als daß ich eilends in das Land der Philister entrinne, und Saul wird von mir ablassen, mich ferner in allen Gren­zen Israels zu suchen; und ich werde aus seiner Hand ent­rinnen." ‑ Ist es nicht erstaunlich, nach so vielen auffallenden Beweisen der Beschirmung Gottes diese Schwäche bei David zu entdecken? Gestern noch sagte er voll Gewißheit. "Meine Seele (oder mein Leben) möge hochgeachtet sein in den Augen Jehovas, und Er möge mich erretten aus aller Bedrängnis!" Heute hat er den Mut verloren und sagt: "Ich werde eines Tages durch die Hand Sauls umkommen." Wir müssen oft die Erfahrung machen, daß auf einen großen Sieg eine große Niederlage folgt. Ist es uns nicht auch schon begegnet, daß, wenn Gott mit uns war, wir uns selbst einen Teil des Erfolges zuschrieben? Ob in den Worten Davids: „Jehova wird einem jeden seine Gerechtigkeit und seine Treue vergelten" (Kap. 26, 23), nicht etwas von Selbstzufriedenheit lag, weiß Gott allein. In einem solchen Falle überläßt uns Gott uns selbst (ich will damit natürlich nicht sagen, dass Er uns verlässt), um uns zu zeigen, daß wir durchaus kein Vertrauen auf das Fleisch setzen können. Wir lernen dann etwas mehr von der tiefen Bedeutung des Wortes: „bis zur Zerteilung (oder Scheidung) der Seele und des Geistes" (Hebr. 4, 12); diese ist so fein, daß man in dem Kampf des Glaubens die Vermengung der beiden oft nicht gewahr wird, und daß das geläuterte oder doch geläutert scheinende Gold noch des Schmelztiegels be­darf, um von jeder Beimischung befreit zu werden. Das macht es erklärlich, warum sich Schwächen bei Gläubigen oft gerade dann zeigen, wenn ihr Glaube eben in besonderem Glanze hervorgestrahlt ist.

Elias ist ein treffendes Beispiel dafür. (1. Kön. 19.) Der Himmel wurde auf seine Bitte verschlossen, er selbst war dem Zorn Ahabs entronnen, hatte Wunder verrichtet, die Baals­priester besiegt, und war einem ganzen Volke kühn ent­gegengetreten; und dann auf einmal beginnt der große Pro­phet Israels zu zittern und flieht vor einem Weibe! Vergessen wir nicht: wenn wir von Gott benutzt worden sind, so heißt das noch nicht, daß wir uns selbst kennengelernt haben; und ferner: Selbsterkenntnis ist unentbehrlich, um die Gnade wirklich schätzen zu lernen. Solche Erfahrungen machen wir oft nach Zeiten besonderer Segnung. Der Feind benutzt solche Zeiten, um uns zu Fall zu bringen. Ausgerüstet mit der Macht Gottes, fangen wir an, uns etwas auf unsere Kraft einzubilden und uns selbst für unangreifbar zu halten. Eine Zeit be­sonderer Gnade und Kraft ist daher oft eine Gelegenheit für das Fleisch. Entrückt worden zu sein in den dritten Himmel, bewahrt uns nicht, und die Zucht Gottes hat, wie wir sehen, den Zweck, uns dahin zu bringen, alles dieses und noch man­ches andere ernstlich zu erwägen.

Ist es Gott, der David befiehlt, sich in das Land der Phili­ster zu retten? Waren die Erfahrungen, die David am Hofe des Königs Achis gemacht hatte, noch nicht genügend? (Kap. 21, 11‑15.) Hatte Gott ihn damals dorthin gesandt? Nein, Gottes Befehl durch den Propheten Gad lautete ganz bestimmt: "Gehe hin und begib dich in das Land Juda." (Kap. 22, 5.) War dieser Befehl zurückgezogen worden? Und warum befragt David nicht Jehova, wie er es einst in Kehila getan hatte? Übereilung, Entmutigung, ein Vergessen des Wortes Gottes, ein Hilfesuchen bei den Feinden Israels, Ver­trauen auf seine eigenen Eingebungen, indem er völlig ver­gisst, die göttliche Leitung zu suchen, ‑ alle diese Schwächen vereinigen sich hier bei David.

Der schöne Wandel im Glauben, der ihn bis dahin gekenn­zeichnet hatte, scheint durch einen einzigen falschen Schritt wie aufgehoben zu sein. Doch es ist gut, dass unsere Seelen diese Abgründe untersuchen. Wir können nur dann die Ge­nossen Christi sein, wenn wir den Anfang der Zuversicht bis zum Ende hin standhaft festhalten. (Hebr. 3, 14.) Indem David bei Achis Schutz suchte, konnte er in keiner Weise ein Vorbild von Christo sein. Es gab für Abraham keinen Altar in Ägypten, und ein zweiter Aufenthalt Davids bei den Phili­stern gibt ihm keinen Psalm ein.

Es ist eine sehr ernste und unseres Nachdenkens werte Sache, dass oft ein einziger falscher Schritt uns des ganzen Nutzens eines langen Glaubensweges verlustig macht. Ich machte eines Tages eine Wanderung durch das Hochgebirge. Unser Weg führte an einem Abgrunde vorbei. Mein Fuß glitt aus, und es wäre um mich geschehen gewesen, wenn nicht im letzten Augenblick, ich hing schon über dem Rand des Ab­grundes, die starke Hand meines Führers mich zurückgerissen hätte. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen; seine Hand hatte mich gerettet: ein Bild der Gnade; aber in einem Moment war ich mir in überwältigender Weise der schrecklichen Folgen eines Fehltrittes bewusst geworden.

Die Gnade allein ist imstande, uns zu bewahren, dass wir nicht auf dem Wege umkommen; aber oft müssen wir lange Zeit hindurch die Folgen eines Wandels erfahren, der nicht nach dem wohlgefälligen Willen des Herrn war. Der Weg, welchen David jetzt einschlug, befreite ihn von der Verfolgung Sauls: "Und es wurde Saul berichtet, dass David nach Gath geflohen wäre; und er suchte ihn fortan nicht mehr." Aber um welch einen Preis! Die folgenden Kapitel werden uns Näheres darüber berichten, aber auch hier können wir es schon sehen.

Der Aufenthalt zu Gath ruft Heuchelei hervor. Man kann nicht den Philistern sagen, dass man zu Israel gehöre, ohne ihnen als Feind zu erscheinen. David hat einigen Erfolg gegen die Gesuriter, die Girsiter und Amalekiter; aber hätte er sich öffentlich deren Gegner genannt, so würde er sich vielen Ge­fahren ausgesetzt haben. Er ist Gast der Philister, die deshalb meinen, ihn sich dienstbar gemacht zu haben. "Er wird mir zum Knechte sein ewiglich", sagt Achis. (V. 12.) Wie hätte David unter solchen Umständen die Philister bekriegen kön­nen? Er gebraucht zweideutige Worte, um seine wahren Sympathien zu verbergen. (Kap. 28, 2.) Da sehen wir, wie viele schwere Folgen es nach sich zieht, wenn man bei der Welt Zuflucht sucht. Gebunden durch die "gesellschaftlichen Rücksichten", denen er sich unterworfen hat, verliert der Christ seinen wahren Charakter und hat nicht die mindeste Einwirkung auf das Gewissen derer, die ihn umgeben. Indem er in der beständigen Furcht lebt, der Welt, die ihn beschützt, zu missfallen, sucht er, wie David, alle Zeugen zu beseitigen, welche von seiner Gegnerschaft gegen die Feinde des Volkes Gottes Kunde geben könnten. Er hat kein gutes Gewissen mehr. Obwohl er ein Kind Gottes ist, wandelt er auf einem Wege der Heuchelei.

„Achis glaubte David." Die Welt glaubt uns und schmei­chelt sich, dass sie die Bande, die uns mit dem Volke Gottes verbinden, zerbrochen habe. (V. 12.) Was David betrifft, so sollte er durch Gottes Gnade wiederhergestellt werden und durch sein Verhalten in der Folge Achis enttäuschen; aber viele Christen, die in dasselbe Netz verstrickt sind, enttäuschen die Welt niemals! Sie verlieren dadurch ihre Kraft, ihre Ruhe und Freude, geben ihr Zeugnis auf und verlassen schließlich den Schauplatz dieser Welt, um zum Herrn zu gehen mit dem Bewusstsein, dass sie während ihres Lebens für Ihn nichts ge­wesen sind; und doch hat Er für sie alles getan!

Kapitel 28 - Der Tag kommt (David kann diesem Zusammentreffen der Dinge unmöglich entrinnen), wo die Philister aufs neue ihre Heere sammeln, um Israel zu bekriegen. Die falsche Stellung Davids in ihrer Mitte tritt damit klar hervor. Der arme David! Was soll er tun? Wie soll er sich herauswinden, nachdem er den Feind über seine Unternehmungen und seine Sympathien getäuscht hat? Lasst uns wohl daran denken, dass es leichter ist, sich auf einen verkehrten Weg zu begeben, als wieder davon abzukommen. Wir werden sehen, dass Gott David nicht verlässt und ihn trotz alledem aus der Gefahr, wider das Volk Gottes zu streiten, rettet; aber wir werden auch sehen, wie ernst die Züchtigung war, die er zu erdulden hatte.

Brauchen wir uns zu wundern, dass Achis, durch David getäuscht, auf ihn rechnet? Dieser Beweis des Vertrauens musste den Mann Gottes mit Scham bedecken. „Wisse be­stimmt", sagt Achis, dass du mit mir ins Lager ausziehen sollst, du und deine Männer." Ein schlechter Wandel ist nicht nur für uns selbst tief zu beklagen, er zieht auch die­jenigen mit ins Böse hinein, die zu führen wir berufen sind. Die Antwort Davids ist zweideutig, wie sein ganzes Ver­halten. Er sagt: „So sollst du denn auch erfahren, was dein Knecht tun wird." Später freilich, wenn es sich darum handelt, sich vor dem Könige und den Fürsten zu rechtfertigen, wird seine Sprache leider nur zu deutlich. (Kap. 29, 8.) Hier ant­wortet Achis: „So will ich dich denn zum Hüter meines Haup­tes setzen alle Tage." So sehen wir also den "Geliebten" zum Hüter des Erbfeindes Israel ernannt! Das ist sein Lohn; er steigt in seiner Würde. Er, der wahre König Israels, wird zum Leibwächter Achis' bestellt! Welch eine Beförderung, welch eine Ehre! Wenn ein Christ in seinen eigenen Augen nichts ist, so ist er in den Augen Gottes ein König; er ist berufen, in dieser Würde zu wandeln. Wenn er aber die Ehrenbezeu­gungen der Welt annimmt, verliert er sein Königtum; er wird ein Sklave und hat an den Wohltaten seines Herrn nur nach dem Maße seiner Unterwürfigkeit teil.

In Vers 3 kommt das Wort Gottes auf den Tod Samuels zurück. Wie wir gesehen haben, überließ dieser Tod Saul und sein Volk sich selbst. Die Anwesenheit Samuels und das Be­kenntnis Sauls, Jehova dienen zu wollen, hatten zur Folge gehabt, dass durch Saul selbst ein Akt der Reinigung vollzogen worden war: „Saul hatte die Totenbeschwörer und die Wahr­sager aus dem Lande weggeschafft."

Der Feind versammelt sich. „Saul fürchtete sich, und sein Herz zitterte sehr. Und Saul befragte Jehova; aber Jehova antwortete ihm nicht, weder durch Träume, noch durch die Urim, noch durch die Propheten." In der Tat, eine elendere Lage als zu der Zeit, da Israel den Zaubereien und den fremden Göttern nachging! Diese gaben ihm wenigstens scheinbar Ant­wort; es war ohne Frage eine Täuschung, aber sie belebte doch wenigstens für einen Augenblick den sinkenden Mut; jetzt ist nichts da als Schweigen. Das ausgekehrte Haus ist ohne Bildsäule und ohne Ephod und Teraphim. (Hosea 3, 4.) Was soll Saul tun? Wen soll er um Rat fragen? Auf wen sich stützen? Welch eine Ungewissheit für ihn! Das Gericht steht vor der Tür; wie soll er ihm entrinnen? Ach, wenn doch in der Finsternis, in welcher er umhertappte, wenigstens ein schwacher Lichtstrahl ihm einen Ausweg gezeigt hätte! Es gibt nichts Schlimmeres als einen solchen Zustand. Saul hat das Bewusstsein, dass sein Verhängnis unvermeidlich ist, und doch sucht er in seiner großen Angst nach einem Mittel, ihm zu entrinnen. jetzt gibt er sich Rechenschaft von der Schrecklich­keit seiner Lage. Er möchte am liebsten den Tod wählen; aber der Tod gewährt ihm keinen Schutz vor dem Gericht, welches er mit sicheren Schritten herankommen sieht, und von dem er weiß, daß es schonungslos sein wird.

„Suchet mir ein Weib, das einen Totenbeschwörergeist hat, damit ich zu ihr gehe und sie befrage." (V. 7.) In der Christen­heit unserer Tage, die auf dem Punkte steht, aus dem Munde des Herrn "ausgespien" zu werden, sieht es genauso aus. Sie beschäftigt sich mit Geisterbeschwörungen und ergötzt sich an satanischen Täuschungen; denn in diesem Treiben liegt zu­gleich eine erschreckende Wirklichkeit und eine schmähliche Täuschung. Die Wirklichkeit besteht darin, dass sich ein Dämon der Wahrsagerin zur Verfügung stellt; die Täuschung liegt in der Annahme, dass die Toten durch sie gerufen werden könnten. Der böse Geist umgibt sich mit einem Schein von Wirklichkeit; aber es ist nichts als Täuschung, denn Jesus hat die Schlüssel des Todes und des Hades, und keine Macht außer der Seinigen vermag ihre Pforten zu öffnen. Auch Satan kann die Toten nicht herbeirufen. Diejenigen, welche im Unglauben gestorben sind, sind und bleiben "die Geister im Gefängnis". Gott allein konnte in dem vorliegenden Falle eine Ausnahme machen und erlauben, dass Samuel den un­sichtbaren Ort verließ, um zu erscheinen.

„Als das Weib Samuel sah, da schrie sie mit lauter Stimme." Das war durchaus nicht, was sie durch ihre Zau­bereien hervorzubringen erwartet hatte. Der Geist, den sie kannte, war nicht da, um eine täuschende Gestalt anzu­nehmen, wie bei früheren Gelegenheiten. Noch bevor sie ihre Beschwörung vornehmen konnte, erscheint plötzlich eine Person vor ihr, welche sie aufs äußerste erschreckt. Das ist kein Schein mehr, das ist göttliche Wirklichkeit: „ein Gott, der aus der Erde heraufsteigt", eine Person, der sie mit ihren Zaubermitteln nicht beikommen kann. Es ist Samuel selbst, der von dem Könige, vor welchem er so lange gewandelt hatte, erkannt wird. Nicht das Weib erkennt Samuel, son­dern Saul. Er allein, das Oberhaupt Israels, hatte genügend Wichtigkeit, um eine so außerordentliche Erscheinung zu bekommen. Was Saul betrifft, so kann er sich nicht über die Person und noch weniger über die Worte Samuels täuschen. Gott, der ihm nicht mehr durch die Propheten antworte e tut es zum letzten Male von jenseits des Grabes durch Samuel, aber nur, um das bereits ausgesprochene Urteil zu bestätigen

Saul schildert ihm offen seine bedrängte Lage, sein gänz­liches Verlassensein, die Angst seiner Seele. Doch es ist zu spät; das Maß ist voll. Gott hat nichts vergessen. Er ist der Feind Sauls geworden (V. 16), welcher jetzt Gott und die Philister gegen sich hat. Und warum? Weil er der Stimme Jehovas nicht gehorcht und Seine Zornglut an Amalek nicht ausgeführt hatte", und ferner: weil er "das Wort Jehovas nicht beobachtet hatte und eine Totenbeschwörerin aufsuchte, um sie zu befragen; aber Jehova befragte er nicht". (1. Chron. 10, 13.) Ungehorsam und Unabhängig­keit kennzeichnen den Menschen ohne Gott, und trotz allem äußeren Schein war Saul ein solcher. Um dieser Dinge willen wurde das Todesurteil über Saul und seine Söhne ausgesprochen und zugleich die Niederlage Israels angekün­digt. (V. 19.)

Doch noch eine andere Entscheidung wird Saul mitgeteilt, und zwar zum dritten Male: „Jehova hat das Königtum aus deiner Hand gerissen und es deinem Nächsten, dem David, gegeben." Schon zweimal hatte er dasselbe Wort aus dein Munde Samuels vernommen (Kap. 13, 14; 15, 28), aber ohne dass der Name Davids dabei genannt worden wäre. Heute er­fährt er aus dem Munde Gottes, was sein Hass schon längst erraten hatte (Kap. 24, 21), dass nämlich „sein Nächster" dieser verachtete, gehasste, verworfene und von ihm verfolgte David war; er war der Auserwählte, der Gesalbte, der Geliebte, der den Ehrenplatz haben und dem das Königtum gehören sollte! Alles, was Saul gefürchtet hatte, erhebt sich jetzt gegen ihn. Es gab kein Erbarmen, keine Vergebung mehr für ihn. David selbst, der König der Gnade, der ihm so oft Erleichterung ver­schafft und ihm unaufhörlich Gutes für Böses erwiesen hatte, konnte sich ihm hinfort nur noch als Richter zeigen.

„Da fiel Saul plötzlich seiner Länge nach zur Erde, und er fürchtete sich sehr vor den Worten Samuels." Wie oft ist es der Fall, dass der Mensch erst dann, wenn er sich seinem unvermeidlichen Lose unmittelbar gegenübergestellt sieht, wirklich dessen ganze Tragweite erfasst! Bis dahin gibt es immer noch Raum für irgendeine Täuschung, die ihm das Schreckliche seiner Zukunft verbergen soll. Der König hat keine Kraft mehr; er verschmachtet fast vor Hunger und will doch nicht essen. Endlich nimmt er etwas Speise aus der Hand einer gleich ihm Verworfenen.

Welch ein ernstes Gemälde von dem Ende des Menschen, des Königs nach dem Fleische! Alles, was ihn bei seiner Tätig­keit geleitet hat, wird ihm ins Gedächtnis gerufen und auf der Waage des Heiligtums gewogen, und es erweist sich nur als Ungehorsam, Unabhängigkeit und Feindschaft gegen Gott und Seinen Gesalbten. Nichts, durchaus nichts von dem, was Saul geleitet hat, kann vor Gott bestehen. Alle seine Beweg­gründe, alle seine Wege werden zu ebenso vielen Gegenstän­den des Gerichts.

Kapitel 29. - Die Heere der Philister und Israels nähern sich dem Sammelplatz. „David und seine Männer zogen zuletzt vor­über mit Achis", denn sie waren ja nach dem Versprechen des Königs dessen Leibwache geworden. Die Fürsten der Philister fragen voll Mißtrauen: „Was sollen diese Hebräer?" So geht es immer, wenn der Gläubige eine falsche Stellung einnimmt, indem er den Schutz der Welt sucht. Er kann ihr Vertrauen nicht gewinnen, es sei denn, dass sie, wie Achis, ihm deshalb traut, weil er sich bei dem Volke Gottes stinkend gemacht und sich völlig zum Sklaven der Welt hergegeben hat. Indes hat Achis noch andere Gründe zum Vertrauen, und man kann nicht umhin, in ihm einen gewissen natür­lichen Edelmut anzuerkennen, der sich durch die hier leider nur scheinbare Geradheit von Davids Charakter angezogen fühlt. Er macht sich zu seinem Verteidiger den Fürsten gegenüber: „Ich habe gar nichts an ihm gefunden von dem Tage an, da er abgefallen ist, bis auf diesen Tag.‑ Und ihm selbst gegenüber bezeugt er: „So wahr Jehova lebt, du bist redlich, und wohlgefällig in meinen Augen ist dein Ausgang und dein Eingang bei mir im Heerlager; denn ich habe nichts Böses an dir gefunden von dem Tage an, da du zu mir ge­kommen bist, bis auf diesen Tag." Günstiger konnte das Zeugnis nicht lauten; aber ach! es gründete sich auf die Tat­sache, dass „David, der Knecht Sauls, des Königs von Israels' (V. 3), der Knecht Achis' geworden war und bleiben würde.

Hatte David wohl das Bewusstsein, dass er dieses Lob verdient habe? Konnte es ihm wohl zu Mute sein bei der hohen Meinung des unbeschnittenen Königs, der sich edler und ehrenhafter zeigte, als der Gesalbte Jehovas? Konnte er das Lob annehmen, wie einst bei Abigail?

Wie dem auch sei, jedenfalls gelang es dem Vertrauen des Achis nicht, das Misstrauen der Fürsten zu besiegen; denn wenn David treu war, so musste gerade seine Treue ihn be­wegen, zu seinem früheren Herrn zurückzukehren. Die Zeit lag noch nicht so weit zurück, wo er seine zehntausend Phi­lister erschlagen hatte, und Saul seine tausend. Warum sollte er heute mehr für Achis als für Saul sein? Das Fehlen einer entschiedenen Stellungnahme der Welt gegenüber kann nur solche Schlüsse hervorrufen. Sogar unsere frühere Treue wendet sich gegen uns. Achis ist gezwungen, mit der Meinung der Fürsten zu rechnen, und das ist eine Politik, die dem treuen Gläubigen unbekannt ist; ihn leitet der Gedanke, die Meinung, der Wille Gottes. Doch Gott bediente sich des Misstrauens der Menschen, um Seinen Geliebten vor einem noch viel ernsteren Fall zu bewahren, als wenn er sich gegen Nabal erhoben und sich selbst gerächt hätte. „Kehre zurück", sagt Achis, "und gehe hin in Frieden, damit du nichts übles tuest in den Augen der Fürsten der Philister."

Gegenüber dieser Feindseligkeit der Philister verleugnete David, und das ist einer der demütigendsten Punkte in seiner Geschichte, seinen Glauben und seinen Charakter. Er ant­wortet Achis: „Aber was habe ich getan, und was hast du an deinem Knechte gefunden von dem Tage an, da ich vor dir gewesen bin, bis auf diesen Tag, dass ich nicht kommen und streiten soll wider die Feinde meines Herrn, des Königs?" ‑ Was habe ich getan? So konnte David in Wahrheit zu Jonathan und zu Saul sprechen (Kap. 22, 1; 26, 18), aber er konnte es nicht mit gutem Gewissen zu Achis sagen. Da der König der Philister von den geheimen Unternehmungen Davids gegen die Feinde Israels nichts wusste, konnte er allerdings keinen Fehler an ihm finden. Aber David kannte sie, und überdies ver­langte er, gegen sein eigenes Volk zu streiten, gegen sein Volk, welches er „die Feinde des Königs" nennt!

Auf dieses hin erkennt Achis noch ausdrücklicher die Lauterkeit der Absichten Davids an: „Ich weiß es, denn du bist wohlgefällig in meinen Augen, wie ein Engel Gottes"; aber schließlich muss David doch gehen. „ziehet fort“, sagt Achis zu ihm. Wenn er beides auf die Waage legt, hat für Achis die Meinung der Welt, die ihn umgibt, doch noch mehr Gewicht als die vermeintliche Rechtschaffen­heit Davids.

Alles das zeigt uns die Kluft, welche die Familie Gottes von der Welt trennt; selbst gegenüber einem seiner Berufung untreuen Kinde Gottes hegt die Welt Misstrauen und weist dessen Mitwirkung zurück. Das ist nur gerecht. Gott lässt uns fühlen, und das ist eine Gnade vom Seiner Seite, dass in einer solchen Stellung der Untreue uns alles fehlt, sowohl die Billi­gung Gottes als auch die Gunst der Welt.

David zieht in das Land der Philister zurück. Welch eine hilfreiche Hand hat Jehova, wider seinen Willen, gegen ihn ausgestreckt in diesem (bis jetzt) gefährlichsten Augenblick seines Lebens! Er hat ihn nicht einen Augenblick verlassen.

Das ist Gnade! Aber was ist aus der glücklichen Herzens­gemeinschaft mit Jehova geworden, die sich in den Gesängen des lieblichen Psalmisten Israels ausdrückte?

Kapitel 30. ­- Dadurch, dass David nach den Gedanken seines natürlichen Herzens wandelte, wurde er der Gemeinschaft mit seinem Gott beraubt. Auf dem Wege, den er ging, konnte er nicht, wie Henoch, "das Zeugnis empfangen, dass er Gott wohlgefallen habe". Sich selbst überlassen, war er, einer "der Herrlichen der Erde", gleich einem anderen in Gefahr gewesen, hinsichtlich des Glaubens Schiffbruch zu leiden und die Sache der schlimm­sten Feinde seines Volkes zu der seinigen zu machen. Ihr Fürst erkannte in ihm einen unbescholtenen und tadellosen Charakter an; doch das war nur eine Gefahr mehr für seine Seele. Da er, seiner eigenen Kraft überlassen, an diesen Klippen sicher gescheitert wäre, benutzte Gott, weil Er ihn nicht mit Seinem Auge leiten konnte, „Zaum und Zügel' (Ps. 32, 9), das heißt ein Zusammentreffen von Umständen, die dem Willen Seines Knechtes entgegengesetzt waren, um ihn vor einem nicht wieder gutzumachenden Fall zu bewahren.

In unserem Kapitel sehen wir, wie Gott David wieder­herstellt, indem Er die Zucht benutzt, welche der Mangel an Heiligkeit bei ihm nötig gemacht hatte. Aber dann, unter der vollen Schwere der Zucht, kann Gott wieder bei ihm sein ‑wie unaussprechlich kostbar ist das! Gott, der am Tage der Gunst Achis' sich fernhalten musste, ist jetzt, inmitten der großen Trübsal, gegenwärtig. David wird gerade in dem, was ihm am teuersten ist, getroffen, und das erweckt große Traurigkeit; aber die friedsame Frucht der Gerechtigkeit wird hervorgebracht. Wie könnte man es also bedauern, dass die Hand Gottes sich auf Seinen Knecht legte? Der durch die Zucht gebildete Charakter dieses Mannes Gottes ist von großer Schönheit und voll Belehrung für unsere Seelen.

In Davids Abwesenheit hatten sich die Amalekiter, ohne Zweifel um sich zu rächen (vergl. Kap. 27, 8), Ziklags, der Stadt Davids, bemächtigt, hatten sie in Brand gesteckt und die ganze Bevölkerung mit der Beute weggeführt; aber „sie hatten niemanden getötet". Welch eine Gnade Gottes! Bei diesem grausamen Überfall eines mitleidlosen Feindes waren alle Gefangenen verschont geblieben So strafte Gott seinen Knecht mit Maß und mit einem Gericht, welches seine Wiederherstellung zum Zwecke hatte. Indes ist es nötig, dass die Zucht, um Frucht zu bringen, tief gefühlt werde; und so lesen wir: "David und das Volk, das bei ihm war, erhoben ihre Stimme, und sie weinten, bis keine Kraft mehr in ihnen war zu weinen." Die für David teuersten Wesen befanden sich unter den Gefangenen; auch die edle Abigail, welche durch Glauben die Gefährtin des Umherirrens und der Leiden ihres Gatten geworden und an seinem Be­nehmen am Hofe Achis' sicherlich schuldlos war, war in die Gefangenschaft geführt. Um den bitteren Kelch zum Über­laufen zu bringen, machten seine Gefährten, die er bisher geleitet hat, erregt wegen ihrer Söhne und Töchter, ihn für dieses Unglück verantwortlich, wandten sich gegen ihn und sprachen davon, ihn zu steinigen.

Doch für den Mann Gottes ist die Zucht ein bitterer Trank, der die Seele stärkt, anstatt sie zu schwächen. Wenn alles ihm zu fehlen beginnt, findet David wieder seine Zu­flucht in Gott. Er "stärkte sich in Jehova, seinem Gott". Dieser treue, von ihm gekannte Gott, der ihm früher in allen seinen Beängstigungen geholfen hatte, war unveränderlich geblieben, und er erfuhr, dass Er Derselbe war gestern und heute und in Ewigkeit.

Und siehe da, nun kommt er auch zu dem zurück, was ihn einst gekennzeichnet hatte. „Er sprach zu Abjathar: Bringe mir doch das Ephod her! Und Abjathar brachte das Ephod zu David. Und David befragte Jehovaa." Wie Samuel ein Mann des Gebets und der Fürbitte gewesen war, so war auch David, in der Zeit seiner Kraft, ein abhängiger Mann, der Jehova befragte und zu Rate zog. Und dahin kommt er jetzt wieder zurück. Jehova, der sich geweigert hatte, Saul zu antworten, gibt David Antwort. „Soll ich dieser Schar nach­jagen? werde ich sie erreichen? Und Er sprach zu ihm: jage nach, denn du wirst sie gewisslich erreichen und wirst gewiss­lich erretten."

Gestützt auf diese Antwort, begibt sich David ohne Zögern auf den Weg. Am Bache Besor bleiben zweihundert Mann zurück, die zu ermüdet waren, um weiterzugehen; sie wer­den zur Hut des Gerätes zurückgelassen. Es mangelte ihnen an Kraft; doch ihr Dienst war für David und ihre Brüder von Nutzen und sollte nicht verachtet werden. Die tätige Teilnahme am Kampfe macht, dass wir ge­sehen werden, und setzt uns weit mehr der Gefahr geistlicher Überhebung aus, als eine niedrige Stellung. Dies zeigt sich deutlich im Verlauf unserer Erzählung, indem die Gefährten Davids sich selbst den Sieg zuschreiben, während doch Gott allein ihn für sie vorbereitet und ihnen gegeben hatte.

Ein ägyptischer Sklave, den die Amalekiter krank hatten liegen lassen, bringt David auf die Spur des Feindes. Man erkennt in diesem Umstande deutlich die Hand Gottes. Wenn wir in Jehova, unserem Gott, gestärkt sind, welche mächtige Hilfe reicht Er uns dann dar, und wie unerwartet !

Während die Feinde essen, trinken und tanzen, kommt ein plötzliches Verderben über sie. "David rettete alles, was die Amalekiter genommen hatten, und David rettete auch seine beiden Weiber. Und es fehlte ihnen nichts, vom Kleinsten bis zum Größten, und bis zu den Söhnen und den Töchtern, und von der Beute bis zu allem, was sie ihnen genommen hatten: alles brachte David zurück", nebst einer sehr großen Beute.

Die Prüfung ist beendet; die Zucht hat ihre Früchte ge­bracht, aber durch die Gnade Gottes fährt sie fort, solche zu bringen. Sehen wir nur, mit welcher Weisheit der wiederhergestellte David den „bösen und nichtswürdigen Männern unter denen, die mit ihm gegangen waren", entgegentritt, wie er sie tadelt, indem er Jehova alles zuschreibt und Ihm die ganze Ehre gibt: „Tut nicht also, meine Brüder, mit dem was Jehova uns gegeben hat; und Er hat uns behütet und die Schar, die über uns gekommen war, in unsere Hand gegeben." Gott verteilt die verschiedenen Dienst­leistungen unter die Seinigen; Er ist der einzige Beurteiler der Tätigkeit, welche wir entfalten, und Er misst die Belohnung nicht zu nach dem Werte der Gabe, sondern nach der Treue in der Verwaltung dessen ' was Er uns anvertraut hat. Darum ist das Teil dessen, der bei dem Gerät bleibt, gleich dem Teile dessen, der in den Kampf zieht. Dieser von David aufgestellte Grund­satz ist "zur Satzung und zum Recht für Israel geworden bis auf diesen Tag". Es war der Grundsatz der mit Gerechtigkeit verbundenen Gnade, welchen der wiederhergestellte David aufstellte; ist es deshalb zu verwundern, dass er so andauernde Folgen gehabt hat?

In seinem Wohlergehen vergisst David keinen von denen, welche ihm in den Tagen seiner Trübsal beigestanden haben. Er überhäuft sie mit Wohltaten; und soweit ich sehen kann, ist keiner davon ausgeschlossen, als nur die Siphiter; alle haben Anteil an seinen Geschenken, nur die Angeber nicht, welche einst den König Israels hatten ausliefern wollen. Die Freigebigkeit Davids gibt allen Treuen einen handgreiflichen Beweis davon, dass Jehova mit ihm ist, und dass es gut ist, ihn als Herrn anzuerkennen und sich unter seine Botmäßigkeit zu stellen. ‑ Während die Untreue gegen Christum eines Tages, vielleicht erst nach langer Zeit, ihre unausbleiblichen Folgen nach sich zieht, wird andererseits ein Glas Wasser, welches man David in der Wüste gereicht hat, aufgeschrieben in dem Buche Dessen, der alle unsere Handlungen einschätzt nach dem größeren oder geringeren Nutzen, den sie für Christum haben.

Kapitel 31. - Dem Worte Gottes gemäß, welches durch Samuel ausgesprochen worden war (Kap. 28, 19), wird Israel von den Philistern auf dem Gebirge Gilboa geschlagen. Die drei Söhne Sauls, unter ihnen auch Jonathan, fallen. Saul bleibt bis zu­letzt übrig. Bei der Ankündigung des Gerichts durch Samuel hatte er sich sehr gefürchtet; beim Anblick des Heeres der Philister, bei den Vorbereitungen des Gerichts, hatte sein Herz sehr gezittert; wieviel mehr, als das Gericht selbst zur Ausführung kam! „Es wurde ihm sehr angst vor den Schützen." So ergeht es auch dem Sünder; in dem Augenblick, wo er sich dem Gericht Gottes gegenübergestellt sieht, verläßt ihn all seine Kraft, und nichts als Schrecken tritt an ihre Stelle. Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen" (Heb. 10, 31), wenn man den Glauben bekannt und ihn preisgegeben hat. Saul will sterben, um dieser namenlosen Angst zu entfliehen, und damit stürzt er sich nur in eine ganz andere Angst, in die Qualen des unsicht­baren Ortes, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.

„Ziehe dein Schwert und durchbohre mich damit, dass nicht diese Unbeschnittenen kommen und mich durch­bohren und mich misshandeln!" – „Diese Unbeschnittenen", das Wort drückt bis in den Tod seine äußere Religion aus, welche sich auf seine Verachtung derer, die nicht Hebräer waren, gründete.*) Und konnte seine Beschneidung ihn ret­ten? Ist es nicht die Beschneidung des Herzens, auf welche Gott blickt?

Saul und sein Waffenträger nehmen sich das Leben, um den schmählichen Beschimpfungen seitens des Feindes zu ent­gehen. Die Furcht Gottes würde sie davon abgehalten haben, wenn sie Ihn vor Augen gehabt hätten. Ein toter Saul fühlt die Schmach nicht mehr, aber er erleidet sie doch. Die Philister enthaupten den König; vielleicht dachten sie, für den Tod Goliaths an ihm Rache zu nehmen. Seine Waffen werden in das Haus der Astaroth gebracht und verkünden anscheinend den Sieg der Götzen der Philister über den wahren Gott. Ähnliches war bei der Wegnahme der Bundeslade geschehen. Israel flieht; der Feind nimmt seine Städte ein und wohnt darin, Die Männer von Jabes-Gilead, welches Saul einst aus der Hand der Ammoniter gerettet hatte (Kap. 11), erweisen den Toten Ehrerbietung, aber Gott bleibt stumm. Er scheint wie teilnahmslos bei diesem ganzen Zusammenbruch; man könnte meinen, Er sei von den Menschen besiegt.

So sind wir am Schluss unserer Betrachtung des ersten Buches Samuel angekommen. Dieses Buch ist gleichsam das Ende von allem. Wir erblicken darin das Ende des Priestertums und der Richter und schließlich das Ende des Königtums nach dem Menschen. Alles stürzt zusammen; Gott lässt es gehen, denn das ist es gerade, was Er tun muss. Alles muss fallen vor David. Dass er bleibt, ist genug. Diese Niederlage, dieses Gericht, dieser Ruin des Menschen sind für Gott der Anbruch der Regierung Seines Ge­liebten!


Das zweite Buch Samuel

 

Einleitung

 

Die Wege Gottes mit Israel seit seinem Einzug in Kanaan sind Gegenstand der geschichtlichen Bücher des Alten Testa­mentes. Das Verhalten dieses Volkes und das Leben der Männer Gottes aus seiner Mitte bieten uns auf jeder Seite wichtige sittliche Unterweisungen dar. Auch findet man in diesen Büchern mancherlei Bilder von der Person, dem Werke und den Herrlichkeiten des Herrn Jesu.

 

Die beiden Bücher Samuel machen in dieser Hinsicht selbstverständlich keine Ausnahme. Auch in ihnen begegnet man diesen drei wichtigen Gegenständen. Das erste dieser Bücher beginnt, wie wir gesehen haben, mit dem Verfall des Priestertums, welches Israel in unmittelbare Beziehung zu Gott hätte bringen sollen. Doch weder die Tatsache, daß das Gericht über die Söhne Elis hereinbrach und die Bundeslade weggenommen wurde, noch der Abbruch der Beziehungen Jehovas zu Seinem Volke hinderten Ihn, einen Propheten (Samuel) zu erwecken und durch ihn Beziehungen der Gnade mit Israel aufrechtzuerhalten. Auch erklärt Gott, daß Er neue Beziehungen zwischen Seinem Volke und Sich anknüpfen wolle durch einen König, durch Seinen Gesalbten, vor welchem ein treuer Priester alle Tage wandeln solle.

 

Doch anstatt nun geduldig auf den Gesalbten Jehovas zu warten, fordert das rebellische Volk einen König, wie alle Nationen einen hatten. Gott gibt ihnen einen König in Seinem Zorn, hört aber deshalb nicht auf, barmherzig zu sein. Saul ist ungehorsam und wird verworfen. Sodann erweckt Jehova David, den König nach Seinem Herzen. Der verworfene Saul verfolgt den wahren König. Die zweite Hälfte des Buches ist voll von den Leiden Davids. Der Sohn Isais sammelt die treuen Zeugen seiner Trübsale als einen schwachen Überrest um sich, und sie werden die Gefährten seines Königtums sein, wenn er einmal die Krone empfangen haben wird.

 

Der in dem ersten Buche Samuel geschilderte Zeitabschnitt ist ein Vorbild der Leiden des Messias inmitten Israels. Er schließt mit dem Siege Davids über den Amalekiter, der in der Schrift ein Bild von Satan ist. (2. Mose 17, 8‑16.) Der König nach den Gedanken Gottes schlägt den Feind, welchen Saul verschont hatte, während der König nach dem Fleische, der einst Sieger über die Philister gewesen war, unter deren Streichen fällt, und so alle anfänglichen Erfolge seiner Lauf­bahn zunichte werden.

 

Der Anfang des zweiten Buches Samuel zeigt uns David, den Besieger Amaleks, sowie die allmählich sich vollziehende Anerkennung seines Königtums durch Juda und hernach auch durch ganz Israel. Diese königliche Herrschaft ist erst dann wirklich vollständig, wenn der herrliche Thron Salomos in Jerusalem errichtet ist. Wir finden daher in diesem Buche die Einführung Davids, des Königs der G n a d e , i n M a c h t : ein treffendes Bild davon, was der Messias im Anfang Seiner Regierung sein wird. Mit dem ersten Buche der Könige beginnt dann die Geschichte Salomos, des Königs der Gerechtigkeit und des Friedens, dessen glor­reiche, ausgedehnte Herrschaft das herrliche Vorbild des tausendjährigen Reiches Christi ist.

 

Beachten wir jedoch, daß David in unserem Buche nicht nur das Bild des Messias ist; er ist zugleich der v e r a n t ‑w o r t 1 i c h e K ö n i g, welchem Gott die Regierung Seines Volkes anvertraut hat. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist sein Königtum zu Fall gekommen, wie jedes andere Ver­hältnis, welches Gott im Laufe der Zeit auf Erden errichtet hat. Darum werden uns in diesem Buche auch der Fall Davids, die schrecklichen Folgen davon, die an ihm ausgeübte Zucht, seine Wiederherstellung und sein Bekenntnis mitgeteilt; und ganz am Ende, wenn die Sünde Veranlassung zum Opfer gegeben hat, sehen wir, daß dieses den Zorn Gottes aufhält, und daß dann in dem Altar auf dem Berge Morija eine Be­gegnungsstätte zwischen Jehova und Seinem Volke errichtet wird.

 

Die Erfahrungen Davids, eines Menschen, der dem Fallen ausgesetzt war, sind voll ernster Unterweisungen. Sie sind auch wie ein im voraus entworfenes Bild von den Erfahrungen, welche der aus Jerusalem vertriebene und dann wiederherge­stellte Überrest Judas dereinst machen wird, und von denen die Psalmen in prophetischer Weise reden.

 

Kapitel 1

 

Das Gericht Gottes über Israel und Saul

Der Amalekiter, Kapitel 1, 1‑16.

 

Zwei Tatsachen kennzeichnen den Beginn der Regierung Davids: das Gericht über Israel und seinen Fürsten auf dem Gebirge Gilboa, und der Sieg über Amalek, welchen der erringt, der morgen König sein wird. Die Regierung Christi wird dieselben Kennzeichen tragen: sie kann nur er= richtet werden infolge des Gerichts über den Antichristen und die abtrünnigen Juden, und durch einen Sieg, welcher den großen Feind Gottes, Seines Gesalbten und der Menschen völlig kraftlos macht. Zur Einführung der tausendjährigen Regierung Christi wird Satan tatsächlich gebunden werden. (Offbg. 19, 19‑20, 3.)

 

Kaum ist der Sieg über die Amalekiter errungen, da kommt ein Bote aus dem Lager Sauls, "seine Kleider waren zerrissen, und Erde war auf seinem Haupte"; er kommt mit den Zeichen des Mitgefühls, der Trauer und des Schmerzes und zugleich mit den Ehrenbezeugungen, die er dem mut­maßlichen Erben der Königswürde schuldig ist: "Als er zu David kam, fiel er zur Erde und bückte sich. jeder andere als der Mann Gottes würde wohl von diesen Zeichen der Ehr­erbietung ergriffen worden sein; aber die einfältige Gemein­schaft mit dem Herrn, verbunden mit der Klugheit der Schlange, wenn es sich um Beziehungen zu der Welt handelt, bewahrt David vor dieser Schlinge. Wir selbst würden viel­leicht in einem ähnlichen Falle einige Mühe gehabt haben, die Absichten des Feindes zu erkennen; aber hüten wir uns vor jeder voreiligen Entscheidung. Das tat auch David. " Wo ‑h e r k o m m s t d u ? " fragt er. Ach bin aus dem Heerlager Israels entronnen", lautet die Antwort. " W i e s t e h t d i e Sache ? berichte mir doch"; und: "Wie weißt du, daß Saul und sein Sohn Jonathan tot sind?" Erst bei der dritten Frage offenbart sich der Lügner. David, der geistliche Mensch, kann schon aus der Redeweise des Boten die Unwahrschein­lichkeit der Erzählung vermuten. "Ich geriet z u f ä 11 i g auf das Gebirge Gilboa", sagt er. Wie? Zufällig? Gerät man wohl je zufällig ins Gedränge der Schlacht? "Und siehe, Saul lehnte sich auf seinen Speer ; und siehe, die Wagen und die R e i t e r setzten ihm hart nach." Wie völlig stand dies mit den Tatsachen im Widerspruch! Saul hatte sein S c h w e r t in der Hand, und nicht die Reiter, sondern die B o g e n ‑s c h ü t z e n bedrängten ihn. (l. Sam. 31, 3. 4.) Der ganze Rest der Erzählung ist völlig falsch. Wie konnte Saul den Amalekiter bitten, ein Ende mit ihm zu machen, da ja sein Waffenträger sich nicht eher tötete, als bis er sah, daß S au 1 t o t w a r ? "Da trat ich zu ihm hin und tötete ihn." (V. 10.)

 

Dieser Geist der Lüge hat den großen Feind zur Quelle, der das Herz des Sohnes Isais nicht verstehen konnte. Wie hätte er, der Böse, denken können, daß David nur Gefühle der Gnade und Liebe für seine Feinde hatte, und daß ihr Fall sein Herz mit ungeheuchelter Betrübnis erfüllen würde? Doch vor allem wollte er David dahin bringen, die Krone Sauls, das Zeichen der königlichen Würde, a u s s e i n e r H a n d anzunehmen. Seine List wird vereitelt. Wenn er in späteren Tagen den Messias, den Sohn Davids, auf einen sehr hohen Berg führt und Ihm alle Reiche der Welt anbietet unter der Bedingung, daß Er ihm huldige, erleidet er eine neue voll­ständige Niederlage.

 

Das erste Gefühl Davids bei der Kunde von dem Sturz des Königtums und der Niederlage Israels ist Trauer. Wie rührend ist sein Verhalten! "Da faßte David seine Kleider und zerriß sie; und alle Männer, die bei ihm waren, taten ebenso. Und sie klagten und weinten und fasteten bis an den Abend um Saul und um Jonathan, seinen Sohn, und um das Volk Jehovas und um das Haus Israel, weil sie durchs Schwert gefallen waren.‑ Der Mann Gottes hat den Haß, die Nach­stellungen und Verfolgungen, die beständige, sein eigenes Leben bedrohende Gefahr gänzlich vergessen; er denkt nur daran, daß Jehova Sein Zeugnis Saul anvertraut und ihn ge­salbt hatte, und daß Israel einst durch ihn zum Siege geführt worden war. Er trauert auch um Jonathan, und mochte das Volk Gottes auch noch so schuldig sein, er trennt sich nicht von ihm, als wenn er nicht zu ihm gehöre, und er weint über das Unglück des Volkes.

 

Welch eine ernste Unterweisung liegt hierin für uns! Das Gericht ist bereits ausgesprochen und wird bald hereinbrechen über die Christenheit, welche die wahren Zeugen Christi haßt, verachtet und oft sogar verfolgt. Haben wir gegen sie und ihre Leiter die wahren Gefühle Davids? Trauern wir, anstatt uns zu freuen? Zerreißen wir unsere Kleider, anstatt jene zu ver­dammen? Erfüllt uns der Gedanke mit Betrübnis, daß bei der Vernichtung dessen, was den Namen Christi trägt, oder Ihm anzugehören bekennt, Satan seine Rechnung finden wird? Wahrlich, es sollte so sein! Diese Tränen über den Verfall, diese Gnade, dieses Mitgefühl mit den Irregeleiteten reden eindringlicher zu den Herzen der Schafe des Herrn, die noch mit jenen Zuständen verbunden sind, als die gerechteste Kritik, und öffnen ihnen die Augen über die Notwendigkeit, ihre Zuflucht zu dem Hirten Israels zu nehmen, wo das Schwert schon zum Schlage erhoben ist.

Der Überbringer der Nachrichten wohnt diesem Ausdruck der Betrübnis schweigend bei; er kann den Sinn davon nicht verstehen, und ahnt nicht im geringsten das Schicksal, welches über seinem Haupte hängt. Dann aber wendet sich David mit der letzten Frage an ihn: " W o h e r b i s t d u ? " Wenn Sa­tan, der die Gestalt eines Engels des Lichts anzunehmen weiß, uns zu versuchen trachtet, so laßt uns ihn zwingen, uns über seinen Ursprung Rechenschaft zu geben, uns seinen wahren Namen zu nennen. Sind wir in der Gegenwart Gottes, so wird er schließlich immer sich verraten. Der Name seines Volkes war diesem Lügner, der wahrscheinlich nur auf den Gilboa gekommen war, um die Toten zu berauben, schon entschlüpft, als er seine vorgebliche Unterredung mit Saul erzählte. jetzt kann er sich nicht selbst widersprechen. "Ich bin der Sohn eines amalekitischen Fremdlings", sagt er. "Wie hast du dich nicht gefürchtet", entgegnet David, "deine Hand auszustrecken, um den Gesalbten Jehovas zu töten? ... Dein Mund hat wider dich gezeugt." Nein, es kann nichts Gemeinsames zwischen David und einem Amalekiter geben, und niemals wird David die Krone aus seiner Hand annehmen. Wenn auch unsere Herzen voll Erbarmen sein können, falls es sich handelt um die Bedürfnisse und Trübsale des untreuen Volkes Gottes und derer, die, wie Saul verworfen, doch Sein Zeugnis getragen haben, so müssen sie doch für die Werkzeuge, die Satan ge­sandt hat in der Absicht, uns zu versuchen, ohne Gnade sein; sie müssen ohne jedes Zaudern das Böse böse und den Feind einen Feind nennen.

 

Das Lied von dem Bogen, Kapitel 1, 17‑27.

 

,David stimmte dieses Klagelied an über Saul und über Jonathan.‑ Er drückt darin seinen Schmerz aus über das Unglück der Fürsten Israels und ihres Heeres; aber dieses Lied von dem Bogen soll von den Kindern Juda gelernt werden. Es ist eine Unterweisung für sie. Sie waren Zeugen des Unglücks Israels und sollten daher wissen, wie sie es für sich selbst in Zukunft vermeiden könnten. Saul war durch die Bogenschützen besiegt worden (i. Sam. 31, 3), da er selbst dieser Waffe beraubt war. Wir hören in 1. Chron. 12, 1‑7, daß vor der Niederlage Sauls die Bogenschützen, die zum Stamme Benjamin und zum großen Teil zur Familie des Soh­nes Kis' gehörten, sich mit David verbündet hatten und zu ihm nach Ziklag gekommen waren. Daher wurde Saul so "sehr angst vor den Schützen".

 

Dieses Lied von dem Bogen hat einen treffenden Kehr­reim: "Wie sind die Helden gefallen!" (V. 19.) "Wie sind die Helden gefallen mitten im Streit!" (V. 25.) "Wie sind die Helden gefallen, und umgekommen die Rüstzeuge des Strei­tes!" (V. 27.) Was hatte ihnen denn gefehlt? Der Bogen, durch den Saul besiegt worden war! Der Bogen ist in der Schrift überall das Sinnbild der K r a f t , den Feind zu be­siegen. Mit dem Schwerte greift man ihn Mann gegen Mann an; mit dem Bogen bekämpft man ihn aus der Entfernung, indem man seine Annäherung zu verhindern sucht. Der Schütze sieht den Feind von weitem kommen, gibt sich Rechen­schaft von seinen Bewegungen und Absichten und streckt ihn zu Boden, bevor er angegriffen hat. Der Bogen ist eine mehr Einsicht erfordernde Waffe als das Schwert, aber er ist vor allem das Sinnbild der Kraft, denn es bedarf starker Hände und Arme, um ihn zu spannen und zu gebrauchen.

 

Die Helden Israels, Saul an der Spitze, hatten den Bogen eines Feindes angetroffen, der stärker war als sie. Der Irr­tum, der sie ins Verderben geführt hatte, bestand darin, daß sie ihre Kraft für genügend gehalten hatten. Doch die Kraft ist nichts ohne Abhängigkeit, denn sie ist nicht in uns selbst, sondern in Dem, der sie unfehlbar für uns besitzt. Der Mensch Jesus Christus ist das Beispiel dafür. Er hat Seine Kraft nur in Gott suchen wollen und würde sonst auch nicht der voll­kommene Mensch gewesen sein. Obwohl die Bogenschützen Ihn beschossen, hat Seine Kraft Ihn nicht verlassen. (l. Mose 49, 23. u. 24.) Als Seine Schwachheit scheinbar der Macht des Feindes erlag, blieb Sein Bogen fest, Seine Kraft unvermin­dert. Sie bestand nur in der Abhängigkeit : "Die Arme Seiner Hände waren gelenkig d u r c h d i e H ä n d e des Mächtigen Jakobs."

 

Hatte Er nicht schon i n S e i n e m L e b e n die Kraft Gottes durch eine völlige Abhängigkeit von Ihm geoffenbart? Alle Seine Handlungen bewiesen das. So sagt Er auch am Grabe des Lazarus, wenn Er Seine Kraft in der Auferweckung eines Gestorbenen zeigt: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast."

In S e i n e m T o d e war Er, obwohl Er in Schwachheit gekreuzigt wurde, nichtsdestoweniger G o t t e s K r a f t. Vor dem Kreuze wurde die ganze Kraft des Menschen und des Satan von Ihm zunichte gemacht. Durch den Tod hat Er den besiegt, der die Macht des Todes hat. Da vor allem blieb Sein Bogen fest und waren die Arme Seiner Hände gelenkig durch die Hände des Mächtigen Jakobs.

 

Seine Auferstehung ist die öffentliche Darstel­lung dieser Kraft Gottes, auf welche Er vertraute. Gott hat Ihn als Sohn Gottes in Kraft erwiesen, indem Er Ihn aus den Toten auferweckte. Christus hatte Gewalt, Sein Leben "wieder­zunehmen", gerade so gut wie es "zu lassen"; aber selbst hinsichtlich Seiner Auferweckung wartete Seine abhängige Seele auf die Kraft Gottes: " Du wirst meine Seele dem Scheol nicht lassen, und wirst nicht zugeben, daß dein From­mer die Verwesung sehe." (Ps. 16. 10.) " Du hast mich er­hört von den Hörnern der Büffel' (Ps. 22, 21.) " E r hat mich heraufgeführt aus der Grube des Verderbens, aus kotigem Schlamm, und E r hat meine Füße auf einen Felsen gestellt." (Ps. 40, 2.) Er ist aus den Toten auferweckt worden d u r c h die Herrlichkeit des Vaters." (Röm. 6, 4.) "Die überschwengliche Größe Seiner Kraft ... hat in dem Christus gewirkt, indem er ihn aus den Toten auferweckte." (Eph. 1, 19. 20.)

 

Doch damit ist es noch nicht zu Ende. Sein Bogen wird fest, Seine Kraft unvermindert bleiben i m m e r d a r. Wenn der Sohn des Menschen kommen wird, um die Völker zu richten, dann wird der eherne Bogen, der die Sünder treffen wird, in Seiner Hand sein. Auch dann noch wird es Sein Gott sein, der Ihn mit Kraft umgürten und Seine Hände den Streit lehren wird. In dieser Abhängigkeit wird Er Seine Feinde zerschmettern, so daß sie nicht aufzustehen vermögen. (Ps. 18, 32. 34. 38.) Seine Pfeile werden scharf sein und das Herz der Feinde des Königs treffen. (Ps. 45, 5.) Ja, Sein Bogen bleibt fest, und die Arme Seiner Hände bleiben gelenkig durch die Hände des Mächtigen Jakobs, bis Er Sich für immer auf den Thron Seiner Macht setzen wird.

 

Der Mensch mag einen Bogen haben, und doch kann es seinen Händen an Kraft fehlen in dem Augenblick, da er ihn gebrauchen muß. "Die Söhne Ephraims, gerüstete Bogen­schützen, wandten um am Tage des Kampfes" (Ps. 78, 9), und was die Feinde des Herrn angeht, so "wird der Bogen der Helden zerbrochen". (i. Sam. 2, 4; Ps. 46, 9; Jer. 49, 35; Hos. 1, 5; 2, 18.)

 

Was uns Christen betrifft, so kann auch unser Bogen nur unversehrt bleiben unter der Bedingung, daß wir unser Vertrauen auf Gott setzen, der uns Seine Kraft mitteilt. "Gehe hin in dieser deiner Kraft", sagt Jehova zu Gideon (Richt. 6, 14), und der Apostel Paulus machte die Erfahrung: "wenn ich schwach bin, dann bin ich stark". (2. Kor. 12, 10.) Nichts ist schwächer als ein Christ, welcher Christum als seine Kraft verlassen hat. Möchten wir daher unseren Bogen zu gebrauchen wissen; dann werden die Arme unserer Hände, ähnlich wie bei Christo, gelenkig bleiben durch die Hände des Mächtigen Jakobs. Laßt uns das Lied von dem Bogen lernen, indem wir uns üben, ihn zu spannen und den Pfeil passend zu machen, um das Ziel zu erreichen! Je mehr wir ihn gebrauchen, desto mehr werden wir dem Feinde gegenüber erstarken. Die Bogenschützen Benjamins, die sich als Treue in der elften Stunde, kurz vor der Niederlage Israels, zu dem Sohne Isais geflüchtet hatten, gaben dadurch zu verstehen, daß sie nicht auf ihren Bogen vertrauten mit Saul als Herrn, sondern auf die Kraft des verachteten David. Laßt uns tun wie sie; laßt uns den verworfenen König umgeben! Laßt uns nicht über unsere Schwachheit seufzen, als ob es kein Hilfsmittel dafür gebe; das würde weder Glaube noch Vertrauen auf Christum sein. Laßt uns in völliger Demut und Abhängigkeit auf Seine Kraft rechnen, welche unsere Hände stärken wird, um für Ihn zu kämpfen bis zu dem Tage, da wir nach beendetem Kampfe in Seine ewige Ruhe eingehen werden!

 

Das Klagelied Davids ist der rührende Ausdruck der Zuneigungen dieses Mannes Gottes. Ein mit Liebe erfülltes Herz hat keinen Raum für Groll und Bitterkeit. Mochte er einst auch unter den ungerechten Anklagen des Hasses ge­seufzt haben, jetzt hat er alles vergessen. Nicht ein Wort des Tadels wird laut gegen den, dessen Gebeine unter der Tamariske zu Jabes ruhten. Aber zu vergessen genügt diesem vortrefflichen Herzen nicht; nein, es erinnert sich gern. David gedenkt daran, daß Saul der Gesalbte Jehovas, der Träger Seines Zeugnisses, gewesen war, der Sein Volk zum Siege geführt hatte; er erkennt die natürlichen Gaben an, die ihn während seines Lebens liebenswürdig gemacht und die Liebe Israels ihm zugewandt hatten; er sieht ihn, wie er die Töchter seines Volkes köstlich kleidete. Sein Lied drückt zu gleicher Zeit Achtung und Schmerz betreffs dessen aus, der ihn immer nur gehaßt und verfolgt hatte. Was Israel betrifft, gegen welches David an einem Tage der Schwachheit hatte kämpfen wollen, indem er sich mit den Philistern verband, so vereinigt er sich mit ihm und weint mit ihm. Freude mag das Teil der Töchter der Unbeschnittenen sein, David wird nie daran teil­nehmen. Verflucht seien die Berge von Gilboa, die Zeugen der Niederlage des Volkes Gottes!

 

Sein Schmerz wegen Jonathan ist ohne Grenzen. 0 wie hoch schätzte das zärtliche Herz des Sohnes Isais die Liebe seines Freundes! "Mir ist wehe um dich, mein Bruder Jonathan! holdselig warst du mir sehr; wunderbar war mir deine Liebe, mehr als Frauenliebe!" Es war eine gänzlich uneigennützige Liebe, was die Liebe zum anderen Geschlecht schwerlich je sein wird. In der Tat, Jonathan hatte sich seiner Würden, seines Ruhmes und des Bogens seiner Kraft ent­kleidet, um David damit zu schmücken am Tage seines Sieges über Goliath; dann hatte er mit der ganzen Wärme seiner Überzeugung die Sache seines Freundes vertreten; schließlich hatte sich seine Bewunderung für den Sohn Isais nicht vermindert in dessen Verwerfung und Verbannung, wo er ihn aufsuchte, ohne allerdings den Mut zu haben, ihm dahin zu folgen. Über diesen letzten Punkt sagt David kein Wort. Er schirmt das Andenken seines Freundes mit wunder­barem Zartgefühl. Er redet nicht von seiner eigenen Liebe zu ihm, aber er beweist sie, indem er die Liebe Jonathans preist.

 

0 wie trägt dies alles den Geschmack und Wohlgeruch des Herzens Christi! Nur mit dem Unterschiede, daß David durch die Zucht für solche Herzensergüsse hatte zubereitet werden müssen, während das Herz des Herrn dessen in keiner Hinsicht bedurfte. Sein ganzes Leben ist nichts als Liebe und Gnade. "Ich habe euch Freunde genannt", sagt Er zu denen, die im Begriff standen, Ihn zu verleugnen, oder zu fliehen und Ihn allein zu lassen. "Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen", sagt Er zu denen, die kurz darauf nicht einmal eine Stunde mit Ihm wachen konnten. Laßt uns an diesem vollkommenen Muster ein Beispiel nehmen!

 

Kapitel 2 ‑ 4

 

Das Königtum über Juda

 

Hebron. Kapitel 2.

Obwohl David hauptsächlich eine Klage über Saul und Jonathan aussprach, war doch, wie wir gesehen haben, sein eigentlicher Zweck der, die Kinder Israel in dem Gebrauch des Bogens zu unterweisen. Wir haben bemerkt, daß diese Waffe für den Gläubigen die Kraft Gottes bedeutet, die sich nur in der Abhängigkeit offenbart. Im Anfang des 2. Kapitels liefert das Verhalten Davids eine Illustration zu dieser 'Wahr­heit. Die Tage seiner Drangsal sind vorüber. Ein neuer Zeit­abschnitt beginnt; der Weg zum Throne öffnet sich vor ihm. Er steht im Begriff, den Platz einzunehmen, welchen Gott seit lange für ihn bestimmt hat. Das erste jedoch, was David tut, ist, Jehova zu befragen und so zu zeigen, daß er gänzlich von Ihm abhängig ist. Man kann sagen, daß vor allem Ab ‑h ä n g i g k e i t Davids Laufbahn kennzeichnet. Bei den Schafhürden, wo er mit dem Löwen und dem Bären stritt, Goliath gegenüber in der Wüste Juda, in Kehila, in Ziklag (l. Sam, 30, 6 u. 7), überall ist David der abhängige und infolgedessen der starke Mensch. Nichts ist Gott wohl­gefälliger als das. Die Unbestimmtheit und das Schwanken in unserem Wandel erklären sich durch unseren Mangel an Abhängigkeit. Wenn diese vorhanden ist, so legen wir uns bei jedem Umstand zuerst die Frage vor: Was ist der Wille Gottes? Was hat Er für uns zu tun? Wir fragen Ihn, um es zu wissen; denn man befragt Gott, wenn man von Ihm ab­hängig ist. Auch wird dann unser Weg einfach und gesegnet sein, weil es der Weg Gottes ist. Er bringt nur dann Ver­wicklungen, wenn wir uns nicht an Gott wenden, bevor wir einen Entschluß fassen.

Nichtsdestoweniger fehlen auch im Leben Davids die Gelegenheiten nicht, wo er vergißt, Jehova zu befragen. Oft greift der Feind uns an Punkten an, wo wir unverwundbar zu sein meinen. Man kann sagen, daß gerade die Geschichte Davids, des Musters an Abhängigkeit, uns mehr als jede andere die Unabhängigkeit, ihre Gefahren und ihre Folgen zeigt. So haben wir ihn aus eigenem Antriebe zweimal an den Hof des Königs der Philister hinabgehen sehen. Beim ersten Male erntet er nur Verachtung und Demütigung; beim zweiten Male gibt er, aus Furcht getrieben und in der Absicht, sein Leben zu retten, die glücklichen Erfahrungen der Wüste Juda preis, verliert seinen Charakter als Zeuge und läuft Gefahr, sich mit den Unbeschnittenen zu verbünden, um gegen das Volk Gottes zu streiten. Unter der Zucht lernt er aufs neue Jehova zu befragen und erlangt alles wieder, was sein Mangel an Glaube ihm genommen hatte. Wir werden im 6. Kapitel unseres Buches sehen, daß der Mangel an Abhängigkeit die Ursache war, daß Jehova einen Bruch an Ussa" machte. Alles dieses ist eine reiche Quelle von praktischen Belehrungen für uns.

 

"Und es geschah hernach, da befragte David Jehova und sprach: Soll ich in eine der Städte Judas hinaufziehen? Und Jehova sprach zu ihm: Ziehe hinauf. Und David sprach: Wohin soll ich hinaufziehen? Und Er sprach: Nach Hebron." Gott ist es, der den besonderen Ort auswählt, wohin Sein Gesalbter gehen soll. David würde sich selbst überlassen, vielleicht zwischen vielen anderen Orten geschwankt haben, aber Gott bestimmt einen einzigen für seinen Knecht, nämlich Hebron.

 

In der Betrachtung über das Buch Josua haben wir darauf hingewiesen, was Hebron war: ein Begräbnisplatz, ein Ort des Todes, des Endes des Menschen, ein treffendes Bild von dem, was für uns das Kreuz Christi ist. Nach den Gedanken Gottes war es notwendig, daß David nach Hebron hinabging, weil es der einzige Ausgangspunkt für das Königtum war; und die Regierung Davids ist nur ein Vorbild der auf das Kreuz gegründeten Regierung Christi. Sein Reich ist die Folge und die Belohnung Seines Kreuzes. Die um den Thron gescharten Ältesten singen ein neues Lied: "Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine ‑Siegel zu öffnen, denn d u bist geschlachtet worden." (Offbg. 5, 9.) Er wird alle Regierungswege Gottes, die Ihn auf den Thron des tausendjährigen Reiches führen werden, in feierlicher Weise einleiten, weil Er gelitten hat und weil Sein kostbares Blut ge­flossen ist. Eine ewig wunderbare Sache! Man sieht im Him­mel inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und der Ältesten ein geschlachtetes Lamm, welches den Mittel­punkt von allem bildet. Es ist nicht a u f dem Thron, sondern i n m i t t e n des Thrones. Von Ihm, als dem Mittelpunkt, gehen aus und zu Ihm führen hin alle inwendig in dem Buche geschriebenen Ratschlüsse und alle auf der Außenseite des Buches verzeichneten Wege Gottes. Es steht auf, und damit beginnen diese Wege sich zu entfalten; die vier lebendigen Wesen, die Kennzeichen und Eigenschaften der göttlichen Gerichte, geraten in Bewegung, das Königtum des Löwen aus Juda wird errichtet, und die Ratschlüsse Gottes werden für immer erfüllt. Das ewige "Es ist geschehen!" hat seinen Aus­gangspunkt an dem Fluchholze gefunden, an welchem der Sohn des Menschen gelitten, an welches die Welt den Sohn Gottes gehängt hat.

 

Hebron ist aber auch der Ort, wo sich die Geliebten Davids versammeln. Seine Gefährten wohnen dort um ihn her. "Auch seine Männer, die bei ihm waren, ließ David hinaufziehen, einen jeden mit seinem Hause; und sie wohnten in den Städten Hebrons." Da, wo David seinen Aufenthalts­ort hat, haben die Seinen viele Wohnungen. So wird auch das geschlachtete Lamm, der König der Zeitalter, "inmitten der Ältesten" sein, welche alle verherrlichten Heiligen darstellen.

 

In Erwartung dieses herrlichen Augenblicks vereinigt uns Sein Kreuz um Ihn. Es ist der Mittelpunkt, um den die Kinder Gottes gesammelt sind, und das wird es immer bleiben.

Hebron wird auch (Kap. 5, 1) der Sammelpunkt aller Stämme Israels. Wenn das irdische Volk Gottes D e n erkennen wird, Welchen s i e durchstochen h a b e n, und sich Ihm unterwerfen wird, so wird es den

ersten Gegenstand der Segnungen Seiner Regierung bilden. Noch eine andere Tatsache scheint in den folgenden Versen angedeutet zu sein: "David zog dort hinauf, und auch seine zwei Weiber, Achinoam, die Jisreelitin, und Abigail, das Weib Nabals, des Karmeliters." Der Mann der Schmerzen der verworfene König, hat zu Hebron nicht nur seine Gefährten und ein Volk, sondern auch sein Weib und seine Gemahlin. Abigail ist, wie Rebekka, eines der seltenen Vorbilder des Alten Testaments, welche die Kirche darstellen; sie ist die Gemahlin, die freiwillige, demütige und glückliche Gefährtin Davids in den Tagen seiner Verwerfung. Achinoam, ein undeutlicheres Bild, scheint mehr den Überrest Israels vorzu­stellen, welcher vor der Errichtung Seiner Regierung mit dem Messias in Verbindung getreten ist.*) *) Abigail bedeutet "Freude des Vaters", Achinoam "Gnade des Sohnes‑.

 Wie dem auch sei, jedenfalls gibt es für David zu Hebron innigere Bande, als nur seine Beziehungen zu seinem Volke. Ebenso sehen wir, am Ende der Offenbarung, das Weib des Lammes an Seiner ganzen Herrlichkeit teilnehmen, während in den Propheten Jerusalem als von Jehova geliebt anerkannt wird. So wird Christus durch Seinen Tod der Mittelpunkt der Segnungen für alle.

 

"Und die Männer von Juda kamen und salbten daselbst David zum König über das Haus J u da." Wie die Regie­rung Davids, so wird auch diejenige Christi n i c h t in i t e i n e m S c h 1 a g e in dieser Welt errichtet werden. Sein Gericht wird plötzlich da sein, aber Sein Reich nicht. Das würde nicht den Gedanken Gottes entsprechen, welcher dem Gewissen der Seinen Zeit lassen will, geübt zu werden. Christus muß ein " w i 11 i g e s Volk am Tage Seiner Macht" haben, nicht ein Volk, den Heiden ähnlich ' welche ‑ die unzählbare Schar der Erretteten aus den Heiden ausgenommen ‑ sich dem Könige mit schmeichlerischen Worten und Unterwerfung heuchelnd nähern werden. Hier wird David zuerst von den Genossen seiner Verwerfung anerkannt, dann vereinigt sich Juda um ihn. Später kom­men die anderen Stämme, wenn sie die fleischliche Stütze in der Person Isboseths verloren haben. Schließlich (Kap. 5, 11) kommen auch die Nationen, die durch die Gnade des Königs für ihn gewonnen werden und glücklich sind, ihm dienen zu können.

 

Der weitere Teil des Kapitels enthält wichtige Begeben­heiten, auf die wir zum Teil im nächsten Kapitel zurück­kommen müssen. Wir finden zunächst die Männer von Jabes‑Gilead, die entsprechend dem Geist der Gnade, der David kennzeichnete, von ihm gelobt werden, weil sie an Saul Güte erwiesen und ihn begraben haben. David läßt ihnen mitteilen, daß Juda ihn zum König gesalbt habe, und so dringt diese Nachricht bis zu den Grenzen des israelitischen Landes.

 

Sodann sehen wir Abner, den Heerführer Sauls, der sich David nicht unterwerfen will; er ist ein ehrenhafter Mann nach der Welt, sehr tapfer und mit einem natürlichen Edel­mut, aber heftigen und stolzen Charakters. Er unterstützt in der Person Isboseths den Grundsatz der Erbfolge nach dem Fleische, der mit einer scheinbaren Autorität bekleidet ist; denn Saul war von Gott erwählt worden. Diesen Grund­satz verteidigen die Menschen aufs äußerste, denn es ist der Grundsatz der Religion ihrer Väter, der nationalen Religion, die in den Augen der Menschen weit achtungswerter ist, als die " M e i n u n g " Einzelner, die sich absondern, indem sie dem Sohne Isais folgen. Mit diesem religiösen System ist ein ganzes politisches System verbunden. Die Sache muß gut sein, weil Gott in einem früheren Zeitraum Sein Siegel darauf gedrückt hat, und gerade wegen ihres Alters muß sie achtungswert sein. Abner wendet seine ganze natürliche Energie auf, um sie zu verteidigen. Was will man dagegen einwenden? Nur das Eine: daß dieses ganze System sich den Gedanken Gottes widersetzt und Seinen Gesalbten bekämpft. Man kämpft für seine eigene Sache und muß, wie später Saulus von Tarsus, entdecken, daß man ein Feind Dessen ist, dem Gott die Oberherrschaft gegeben hat.

 

Es ist beachtenswert, daß David in diesem Kampfe keinerlei Rolle spielt, obwohl es sich scheinbar um ihn han­delt. Ein Mann aus seiner Umgebung, Joab, stellt sich mit seinen Brüdern an die Spitze der Knechte des Königs. Aus 1. Chron. 2, 16 ersehen wir, daß sie die Neffen Davids, die Söhne seiner Schwester Zeruja, waren. Sie hatten infolge dieser Verwandtschaft eine hohe Stellung und hielten fest zu dem königlichen Hause. Joab, ein ehrgeiziger Mann, sucht in der Welt vorwärtszukommen und den ersten Platz unter dem Königtum zu erringen. Obwohl er, und zwar nicht ohne Grund unter den "Helden Davids" nicht genannt wird, ist er doch ein tapferer Mann. Das Gefühl für Recht und Un­recht fehlt ihm nicht, aber er tritt dem Unrecht nur dann entgegen, wenn es seinen Plänen entgegensteht; und wenn eine gerechte Sache ihm im Wege ist, so unterdrückt er sie. Nichts hält ihn auf. Er ist gewissenlos, wenn er nur seinen Ehrgeiz befriedigen kann. Es hat jemand von ihm gesagt: "Man findet ihn überall da, wo es etwas Böses zu tun gibt, oder wo viel zu gewinnen ist." Joab ist das weltkluge Fleisch. Es liegt in seinem Vorteil, die Sache Davids zu unterstützen. Wenn wir Abner und Joab miteinander vergleichen, so steht Abner als der bessere vor uns. Und doch tritt Joab als der Streiter für das Zeugnis auf. Auf seinen Schul­tern wird bald das Gewicht der kriegerischen Ereignisse und anderer Dinge ruhen; er ist es, der unter der Hand leitet und manche geheimen Anschläge ausführt. Dieser Fähigkeit gegenüber fühlt David sich schwach. (Kap. 3, 39.) Von dem Augenblick an, wo das Fleisch sich des Zeugnisses bemäch­tigt, ist dies das Ergebnis. Trümmer und nichts als Trümmer! Der eine kämpft für David, der andere für den, den Gott nicht mehr anerkennt. Ist der eine mehr wert als der andere? Wenn das F 1 e i s c h David oder Christum unterstützt, so sind die Ergebnisse nicht viel besser, als wenn es den Antichrist unterstützt.

 

Die beiden Gegner stoßen aufeinander. (V. 12‑17.) Zu welchem Zweck? Um ihre Kräfte zu messen. Wo ist Gott? Abwesend. Wo ist David? Sein Name wird nicht einmal ge­nannt. Wer wird in diesem Zweikampf die Oberhand haben? Nicht einer der Kämpfenden entkommt; David verliert dabei seine Knechte, und das Ergebnis ist für seine Sache gleich Null.

 

Die Folge dieses Einzelkampfes ist eine regelrechte Schlacht, wobei Joab einen geliebten Bruder verliert, gegen welchen Abner den natürlichen Edelmut seines Charakters gezeigt hatte. Asael wollte durchaus nicht hören; voll Selbst­überschätzung stürmt er voran und fällt, von dem Speer Abners getroffen, als Opfer seiner Ruhmsucht. Joab wird seinen Tod nicht vergessen und in dem Augenblick Rache üben, wo sie ihm den größten Nutzen bringen wird.

Ach! was bleibt von allen diesen Kämpfen übrig? Man findet nichts von Gott, nichts für Gott, selbst wenn die Welt dem Anschein nach unter der Fahne Christi kämpft; und der Seele des Treuen bleibt als Zuflucht nur, sich nach Hebron zurückzuziehen, in die Nähe Dessen, der der einzige Mittelpunkt der Segnung ist, und Dessen Gegenwart ihr Friede, Glück und köstliche Ruhe gibt. Aber wenn unser David Sich zum Kampfe aufmacht, so laßt uns kühn Ihm folgen; denn mit Ihm kämpfen heißt einen gewissen und dauernden Sieg über den Feind davontragen.

 

Abner. Kapitel 3.

 

Im Anfang des zweiten Kapitels haben wir die glückliche Abhängigkeit Davids gesehen in dem Augenblick, als er zum König über Juda ernannt wurde. Die allmähliche Auf­richtung seines Königtums hat unsere Gedanken auf zukünf­tige Zeiten gelenkt, wo die Herrschaft Christi in Macht errichtet werden wird. Doch das zweite Kapitel enthält noch eine bisher nicht erwähnte, aber der Erwähnung werte Tat­sache. Das Königtum ist kaum errichtet, so wird der Ton der Erzählung ein anderer, wir hören von traurigen und demütigenden Umständen. Das hat seinen Grund in folgender Tatsache: David ist nicht nur ein Vorbild von Christo, son­dern ‑ und das werden wir im weiteren Verlauf dieses Buches viele Male sehen ‑ auch der Vertreter des den Händen eines Menschen anvertrauten Königtums, und er ist verantwortlich, dieses aufrecht zu halten. Als König befindet sich David von seiten Gottes im Besitz der Macht, allerdings noch nicht der ganzen Macht. Er ist frei, hinsichtlich des Guten damit zu tun, was er will, frei, die ihn umgebenden Menschen nach seinem Gefallen zu erniedrigen oder zu erhöhen und sie seinen Absichten dienstbar zu machen; frei auch, Befehle zu geben und Bestimmungen zu treffen zum Wohle seines Volkes und zur Verherrlichung seines Gottes. Doch ach! es ist der Mensch, dem diese große Verantwortlichkeit und diese gleichsam unbegrenzte Macht übertragen sind. Tatsächlich war das Königtum anfänglich nicht, wie in unseren Tagen, beschränkt durch allerlei Gesetze, noch stand es unter Beauf­sichtigung durch den Volkswillen, wie es heute mehr oder weniger der Fall ist. Der König nach der Schrift war nur Gott gegenüber verantwortlich. Er haftete für das Verhalten des Volkes, und wenn dieses sich versündigte, mußte der König büßen. ‑ Wir werden jetzt sehen, was aus dieser Autorität unter den Händen Davids geworden ist.

 

Das zweite Kapitel (V. 8 ‑ 32) zeigt uns schon den An­fang dieser Geschichte. David ist von seinen Verwandten umgeben; von tapferen Männern, die auf den ersten Rang unter den Führern Anspruch machten. Die Söhne der Zeruja nahmen diesen Rang dem Fleische gemäß ein, aber nach Gottes Gedanken hatten sie ihn in keinem höheren Grade als die übrigen; im Gegenteil: Abisai war nicht von den "ersten Drei"; Asael war unter "den Dreißig". (Kap. 23.) Joab wird, wie schon früher bemerkt, nicht einmal unter den Helden genannt; aber mutig und ebenso gewandt wie ehrgeizig, listig, grausam und blutdürstig, wenn sich der Verwirklichung seiner Pläne ein Hindernis in den Weg stellt, dabei sehr klug in der Beeinflussung des Königs, indem er dessen Schwächen schmeichelt (Kap. 14), gelangt dieser Mann dahin, die Ereignisse wenigstens scheinbar nach seinem Gefallen zu lenken.

 

In dem ganzen zweiten Teile des Kapitels verschwindet der König vor diesen Männern. Seine Umgebung ist in Tätigkeit, entscheidet, bekämpft die dem Hause Sauls ange­hörigen Gegner, ohne nur daran zu denken, den zu befragen, der allein das Recht hatte, die Sache in die Hand zu nehmen. Welch eine traurige Begleiterscheinung der Macht! In den Zeiten seiner Drangsal flößte David sozusagen seinen Ge­fährten seinen Charakter ein, oder er nahm vor ihrem Auf­ruhr seine Zuflucht zu Jehova, um Ihn zu befragen. (l. Sam. 30, 6‑8.) Hier aber, wo er im Besitz der Autorität und für sie verantwortlich ist, entschwindet sie ihm, und unter dem Schein, sie für seine Sache zu gebrauchen, bedienen sich seine Gefährten ihrer tatsächlich, um den Charakter Jehovas und Seines Gesalbten zu verunehren. Die Ziele derer, welche den Thron umgeben, bereiten dem König während seiner Regierung mannigfache Schwierigkeiten, und er gesteht, daß er zu schwach ist, ihre Gefühle richtig zu leiten und ihren Taten Einhalt zu tun.

 

Das 3. Kapitel fährt in derselben Geschichte fort. Ange­sichts dieser Schwierigkeiten bestand der einzige Schutz für David darin, in der Abhängigkeit von dem Herrn zu leben.

Die Zucht wird ihn dahin bringen, sie wiederzufinden; aber der Geist Gottes zeigt uns hier, daß der Gläubige, wenn er von Gott eine herrschende Stellung erhalten hat, leicht das Bewußtsein seiner Abhängigkeit verliert, weil das Fleisch in ihm wohnt. Bei der Ausübung der Macht faßt David Ver­trauen zu sich selbst, ohne das Bedürfnis der Hilfe Jehovas zu verspüren, wie damals, als er wie ein gejagtes Rebhuhn auf den Bergen umherirrte. Bevor die Krone auf seinem Haupte war, befragte er, mit vereinzelten Ausnahmen, Gott und tat keinen Schritt ohne Ihn; seitdem er gekrönt ist, vergißt er das, was ihn allein schützen kann. Er wird es ein wenig später wiederfinden, nachdem er bittere Erfahrungen gemacht hat; denn wir dürfen nicht vergessen, daß bei David ‑ und das ist einer der Hauptzüge seines Charakters ‑die Zucht immer wunderbare Früchte trägt, und zwar bis zu den letzten Augenblicken seines Lebens, ja, bis zu seinen letzten Worten.

 

Auch wir haben nötig, gezüchtigt zu werden, um die Abhängigkeit zu lernen. Wenn wir unseren Willen wirken lassen, was im Grunde nichts anderes ist als Unabhängig­keit, so zerbricht uns der Herr, um uns unter Sein gesegnetes Joch zurückzubringen, welches so sanft und so leicht zu tragen ist.

 

Die ersten fünf Verse unseres Kapitels liefern zu dem eben Gesagten ein treffendes Beispiel. David nimmt in Hebron mehrere Weiber neben Achinoam und Abigail, den Gefährtinnen seines Umherirrens. Wenn er vorher Jehova gefragt hätte, was würde dieser ihm geantwortet haben? L i e s m e i n W o r t ! Die Abhängigkeit von Gott und von Seinem Worte sind eine und dieselbe Sache. David hatte die Bücher des Gesetzes in Händen und brauchte nur über sie nachzusinnen, um seinen Weg zu erkennen. War nicht in 5. Mose 17, 17 in bezug auf den König gesagt: " E r s o 11 sich die Weiber nicht mehren, daß sein Herz nicht abwendig werde"? Um zu handeln, wie er tat, mochte er wohl allerlei gute menschliche Gründe haben, wie z. B. königliche Nachkommenschaft und dergleichen; aber Gründe Gott gemäß hatte er nicht. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir nur die Geschichte der Abkömmlinge seiner Weiber zu verfolgen. Wenn David nur die gottesfürchtige Abigail zur Gefährtin gehabt hätte, würde er dann erlebt haben, daß ein Amnon sein Haus mit Schmach und Schande bedeckte, daß ein Absalom sich gegen seinen eigenen Vater empörte, daß ein Adonija versuchte, das Königtum an sich zu reißen und schließlich die Sunamitin zum Weibe begehrte?

 

Mit diesen Verbindungen noch nicht zufrieden, fordert dieser Mann Gottes, der seinen Willen tun kann ‑ wie ge­fährlich ist diese Freiheit! ‑, von Isboseth sein Weib Michal zurück, die eine Ehebrecherin geworden war, indem sie einen anderen Mann genommen hatte: Michal, die Tochter Sauls, welche David einst mit einer natürlichen, fleischlichen Liebe geliebt hatte, die später aber ihre Verachtung des Samens Gottes zeigte, indem sie weder dessen Frömmigkeit noch seine Hingebung für den Dienst Jehovas verstehen konnte! (Kap. 6, 20‑23.) Dieses ehebrecherische Weib zieht er an seinen Herd, anstatt sie ihrem neuen Manne zu lassen, und bricht dadurch das Herz dieses Mannes, der doch ehrbar und seiner Genossin innig zugetan war, und der ihr weinend folgte, ohne daran zu denken, sich gegen die errichtete Macht aufzulehnen.

 

ach! so ist dieser gottesfürchtige König, wenn er Ge­brauch macht von seiner noch begrenzten, bald nachher unbe­grenzten Macht, die Gott in seine Hände gelegt hat.

Daß Abner sich mit Wissen und Willen Jehova widersetzt, indem er Isboseth unterstützt, braucht uns nicht wun­derzunehmen. Abner w e i ß , daß David der Gesalbte Jehovas ist. "So möge Gott Abner tun und so ihm hinzu­fügen, wenn ich nicht, wie Jehova dem David geschworen hat, ihm also tun werde...." (V. 9), sagt er zu Isboseth, und nachher zu den Ältesten Israels: "Jehova hat von David geredet und gesagt: Durch die Hand Davids, meines Knechtes, will ich mein Volk Israel retten aus der Hand der Philister und aus der Hand aller seiner Feinde." Abner ist sich bewußt, daß er nicht auf der Seite Gottes steht, aber weil er nicht Jehova zum Gegen­stand seiner Pläne und seiner Tätigkeit hat, macht er sich wenig Unruhe über einen solchen Widerspruch zwischen seinem Bewußtsein und seiner Handlungsweise. Abner hat nur die Absicht, ein politisch‑religiöses System der Erbfolge zu verteidigen. Es ist ehrenvoll, sich die direkten Nach­kommen dessen nennen zu können, den Gott eingesetzt hat; und wenn Gott an die Stelle des Königtums Sauls und der Formen einer Religion ohne Leben das Königtum Davids mit seinen religiösen Hilfsquellen, die Er Seinem Volke inmitten des Verfalls gibt, gesetzt hat, was kümmert das Abner? Er wird trotz allem dem Hause Sauls beistehen. Isboseth wird sich auf ihn stützen, aber er mag sich wohl hüten, die Stütze seines Thrones nicht anzutasten! Sobald er gegen die Sittenlosigkeit Abners auftreten will, verläßt dieser aus verletztem Stolz seinen Herrn und wendet sich David zu. ,Bin ich ein Hundskopf?" fragt er Isboseth und teilt ihm dann offen seine Absichten mit. Bei seiner freimütigen Natur führt er sie am hellen Tage aus, und der arme König, ohne Kraft zu einer Erwiderung, kann nur zittern vor seinen Drohungen. Doch in dem allen sehen wir die göttliche Vor­sehung, welche inmitten der Leidenschaften des Menschen und sogar durch sie Seinem Gesalbten den Weg bahnt.

 

Wir betrachten diese Vorgänge, ohne von seiten derer, die, wie Abner, Ihm nicht angehören, etwas für Gott zu erwarten. Aber was sollen wir von David denken? Warum befragt er nicht Jehova, als ihm dieses Bündnis angeboten wird? Wird er, der sich geweigert hatte, die Krone aus der Hand des Amalekiters anzunehmen, und der sie nachher auch aus der Hand der Mörder Isboseths zurückwies ' sie aus der Hand Abners annehmen? Ja, weil er sich frei fühlt, weil er Gründe aller Art hat, um so zum Besten seines Reiches zu handeln. Dieses Bündnis wird die Schwierigkeiten beseitigen; der Krieg hat lange genug gedauert ... Alles das ist mensch­lich sehr verständig, aber es ist nicht nach den Gedanken Gottes.

 

Abner redet mit den elf Stämmen. Es gelingt ihm, sie zu überzeugen; sogar den Stamm Benjamin, der aufs engste mit Saul verbunden war. Und dann kommt er, um David von seinen Schritten Rechenschaft zu geben. "Und Abner sprach zu David: Ich will mich aufmachen und hingehen und ganz Israel zu meinem Herrn, dem König, versammeln, daß sie einen Bund mit dir machen, und du über alles regierst, was deine Seele begehrt." (V. 21.) Doch das läßt Gott nicht zu; Er will nicht, daß David das Königreich aus einer anderen Hand als der Seinigen empfange. Keiner soll sich rühmen können, daß er den Gesalbten Jehovas auf den Thron gesetzt habe. Wie könnte auch Gott dem Stolz des menschlichen Herzens erlauben, die Wege zu bestimmen, auf welchen David zur Macht emporsteigen soll? Abner wird ermordet. Gott weiß die größte Schlechtigkeit der Menschen zur Erfül­lung Seiner Absichten dienen zu lassen. Er benutzt die ehr­lose Tat Joabs um den zu beseitigen, auf welchen David schon sein Vertrauen gesetzt hatte.

 

Joab begeht im tiefsten Frieden einen Mord und rächt Sich so für den Tod Asaels, obgleich Abner diesen "im Streit getötet hatte", ein Beweis, daß seine Tat nicht tadelnswert war. (Kap. 2, 20‑23.) Rache ist der per­sönliche Beweggrund zu dieser schrecklichen Tat; aber wer Joab und seinen Ehrgeiz, der Heeroberste Israels zu werden, kennt, vermutet noch einen anderen. Joab fürchtete den Wert und die Macht Abners, die sich damals viel mehr erprobt hatten als die seinigen. Wenn es Abner gelang, das Bündnis zustande zu bringen, erlangte er dann nicht den ersten Platz? Daher hatte Joab bei der Ausführung seiner Rache alles zu gewinnen.

 

Abner wird also nicht der Wiederaufrichter des Reiches; Joab noch viel weniger, denn der von ihm begangene Mord würde ohne das Einschreiten Gottes zweifellos zu einem noch längeren und erbarmungsloseren Kriege als der eben beendete geführt haben. Was das Herz Israels einnimmt, ist die Entrüstung des Königs über das Böse, seine Betrübnis über ein Verbrechen, welches den Charakter Jehovas und den Seines Gesalbten verunehrte; es ist die Demütigung, das Fasten, die offenbare Trauer Davids angesichts seines ganzen Volkes. "Das ganze Volk und g a n z 1 s r a e 1 erkannten an selbigem Tage, daß es nicht von dem König ausgegangen war, Abner, den Sohn Ners, zu töten."

 

0 wie gewinnt David in diesen schwierigen Umständen die kostbaren Züge seines Charakters zurück! Indem er jede Gemeinschaft mit dem Bösen von sich weist, bekundet er, daß er in dieser Sache völlig rein war. Er ruft das Gericht Gottes auf Joab herab: "Es komme über das Haupt Joabs und über das ganze Haus seines Vaters; und nie soll fehlen im Hause Joabs der Flüssige und der Aussätzige und der sich am Stabe stützt und der durchs Schwert fällt und dem es an Brot mangelt!" Und weiter: "Jehova vergelte dem, der das Böse tut, nach seiner Bosheit!" (V. 29 u. 39.) Später ist dieses durch David ausgesprochene Gericht Gottes vollzogen worden. (l. Kön. 2, 31‑34.)

 

David findet als König betreffs Abners die Ausdrücke der Gnade wieder, deren er sich in seiner Verwerfung in bezug auf Saul bedient hatte. Er klagt über Abner mit den Worten: "Mußte, wie ein Tor stirbt, Abner sterben? Deine Hände waren nicht gebunden, und nicht in eherne Fesseln gelegt deine Füße. Wie man fällt vor Söhnen der Ungerechtigkeit, so bist du gefallen!" Er sagt, "daß an diesem Tage ein Oberster und Großer in Israel gefallen sei". (V. 33. 34 u. 38.)

Ach! was hatte er, obwohl die Macht in seinen Händen war, gegen die "Söhne der Ungerechtigkeit" tun können? Gott allein konnte das Gute hervorbringen. Die Söhne der Zeruja waren zu hart für David. Er erkennt selbst seine Schwach­heit an, wie sie sich an diesem Tage zeigte. Wie lieb wird uns David dieses Wortes wegen: "Ich aber bin heute schwach, obschon zum König gesalbt!" (V. 39.) Das Geschehene trifft sein Herz als eine ernste Züchtigung. Schwach warst du in der Tat, geliebter Diener Jehovas, trotz­dem du gesalbst warst; doch fürchte dich nicht, Gott wird deine Kraft und dein Schutz in deiner Schwachheit sein, und deine Füße werden vor dem Fall bewahrt werden, wenn du deine Kraft in der Gemeinschaft mit Ihm suchst! ‑ So ist es auch mit uns. Zwei unzertrennliche Dinge sind unser Schutz: das Gefühl unserer Schwachheit, und in Verbindung damit die Abhängigkeit von Gott und von Seinem Worte. David hatte in diesem Kapitel angefangen, seine Macht zu ge­brauchen, und, als sein eigener Herr handelnd, hatte er Jehova nicht befragt. Die Ereignisse, die ihn niederdrücken, bringen ihn zu dem Bewußtsein seiner Kraftlosigkeit, und gleichsam ganz von neuem beginnt er, die so schnell ver­gessene Abhängigkeit wieder zu lernen.

 

Infolge dieser Ereignisse verliert Isboseth sein Reich. Er war gänzlich von Abner abhängig, der ihm den Sieg und den Bestand seines Thrones gesichert hatte. Nachdem dieser Mann hinweggetan ist, bleibt ihm nichts mehr. Als er dem Mangel an Achtung vor dem Andenken seines Vaters entge­genzutreten sucht, wird er von dem verlassen, der ihn unter­stützte. Das ist es auch, was jede Kraft in der bekennenden Christenheit zunichte macht, welche sich mehr oder weniger auf die ununterbrochene Überlieferung einer dem Menschen entsprechenden Religion zu gründen sucht. Um sich aufrecht­zuhalten, hat sie sich mit den Regierungen und den Mächten einer christusfeindlichen Welt verbündet, wird so deren Sklave und hat keine Kraft, sich der dadurch herbeigeführten Unordnung zu widersetzen oder derselben Einhalt zu tun. Ich denke hier weniger an das römische System, welches als die große Hure sich anmaßt, "auf dem Tiere z u s i t z e n " und es zu lenken, als vielmehr an die Kirche der Reformation, welche sehr schnell ausartete, indem sie den Grundsatz des Glaubens verließ und ihre Stütze bei den Großen dieser Welt suchte. Der Verfall war die notwendige Folge davon. Begnü­gen wir uns damit, uns von jeder Einmischung des Menschen in religiöse Dinge fernzuhalten, und laßt uns, in dem Bewußt­sein unserer Unfähigkeit, dem Bösen abzuhelfen, wie David sagen: "Diese Männer, die Söhne der Zeruja, sind zu hart für mich."

 

Isboseth. Kapitel 4.

 

Dieses Kapitel ist das letzte von denen, welche die dem Königtum Davids vorangehenden Ereignisse berichten. Satan der Verführer, verliert nicht den Mut bei seinem bösen Werk gegen den Gesalbten Jehovas; obwohl er einmal zurückge­wiesen ist, fürchtet er sich nicht, den Angriff zu wiederholen. Im 1. Kapitel hatte er David durch einen Amalekiter die Krone angeboten. Nach menschlichem Ermessen wäre es sehr natürlich gewesen, sie anzunehmen; aber David konnte keine Gabe, welcher Art sie auch sei, aus der Hand eines Feindes annehmen. Sein Glaube triumphiert. Er straft den, "der in seinen Augen ein guter Bote war". "Ich ergriff ihn", sagt er, "und tötete ihn zu Ziklag, um ihm so Botenlohn zu geben." (V. 10.) So zurückgeschlagen, fürchtet sich der Feind nicht, den Angriff zu erneuern. Inzwischen hatte David aus der Hand Gottes das Königtum über Juda empfangen. (Kap. 2.) Doch in Betreff des Königtums über Israel wird er durch die Vorschläge Abners versucht, die auf eine so ver­fängliche Weise gemacht werden, daß der König weniger auf Widerstand vorbereitet ist. Wir haben gesehen, daß Gott ins Mittel tritt und ihn befreit, indem Er Sich dazu der Bosheit Joabs bedient. So wird auch das Bündnis mit den elf Stäm­men, die Frucht menschlicher Pläne, zunichte gemacht. Nicht von dieser Seite kann David die Krone erwarten.

Doch die Gefahr ist noch nicht vorüber; denn der große Verführer ermüdet keineswegs. Zwei böse und verbrecherische Menschen ermorden den Sohn Sauls, welchen David selbst "einen gerechten Mann) nennt. Baana und Rekab bringen dem König den Kopf Isboseths und öffnen ihm durch ihr Verbrechen den Weg zur Herrschaft über ganz Israel: "Siehe da, der Kopf Isboseths, des Sohnes Sauls, deines Feindes, der nach deinem Leben trachtete; und so hat Jehova meinem Herrn, dem König, an diesem Tage Rache verliehen an Saul und an seinem Samen." (V. 8.) Doch anstatt ihr Anerbieten anzunehmen, straft David, der in seinen Wegen rein ist, das Böse, haßt es und trennt sich davon.

*) Isboseth war ein gerechter Mann im Gegensatz zu diesen Bösewichtern. David will nicht damit sagen, daß er ‑vor Gott gerecht war, aber wir sehen hier aufs neue die Gnade Davids, die immer das Gute bei seinen Feinden anerkennt. Eine wichtige Belehrung für uns!

 

Der Arm des Fleisches war für Isboseth unentbehrlich. Seit der Ermordung Abners "wurden seine Hände schlaff, und ganz Israel war bestürzt"; denn der Sohn Sauls hatte "einen. Großen" als Stütze seines Thrones, und alles bricht zusammen, sobald diese Stütze versagt. So war es nicht bei David. Die Erfahrung hatte ihn erkennen lassen, was der Mensch wert ist und was Gott wert ist. Diese Erfahrung kehrt allerdings im Leben des Gläubigen oft wieder. Wenn alle natürlichen Stützen, selbst die, welche Gott uns gegeben hatte, brechen, dann bleiben wir in der völligsten Schwachheit zu­rück. Das ist eine Aufgabe, die wir lernen müssen, weil wir als Christen unser Vertrauen oft auf Grundlagen setzen, die erschüttert werden können. Dann wird unser Glaube auf die Probe gestellt, und es handelt sich darum, zu wissen, ob Gott uns als Hilfsquelle genügt.

 

So machen wir die in Psalm 30, 6 erwähnte Erfahrung: "Ich sagte in meinem Wohlergehen: Ich werde nicht wanken ewiglich!" David war ein Mann des Glaubens, der während der Prüfungen des 1. Buches Samuel vieles gelernt hatte; und als er diesen 30. Psalm schrieb als sein " E i n w e i h u n g s ‑1 i e d d e s H a u s e s ", waren all die Erfahrungen des 1. Buches bereits gemacht. Jehova! in deiner Gunst hattest du festgestellt m e i n e n B e r g ." (V. 7.) Das ist nicht der Berg Zion, der Berg Gottes, der nicht erschüttert werden kann, sondern David redet hier von sich selbst und von m e n s c h 1 i c h e n Hilfsquellen, die ihm von seiten Gottes gehören. Wenn aber diese Hilfsmittel uns zu mangeln be­ginnen, was wird dann unser Seelenzustand sein? Werden unsere Hände schlaff werden wie diejenigen Isboseths? Oder werden wir einen dauerhaften Frieden, eine feste Zuversicht genießen? Ach, wie oft müssen wir mit David antworten: "Du verbargst dein Angesicht, ich ward bestürzt!"

 

Worin auch unsere Schwierigkeiten bestehen mögen, wir haben darüber zu wachen, daß sie nicht den Zustand unserer Seele beeinflussen. Wenn der Glaube in Tätigkeit ist, weigert man sich, in den äußeren Umständen Hilfe zu suchen. Wie David in Psalm 11, 1 sagt: "Auf Jehova traue ich; wie saget ihr zu meiner Seele: Fliehet wie ein Vogel nach eurem Berge?" Wenn wir durch Proben gehen, sagt uns die Welt: Suche deine Hilfe bei deinem Berge; gebrauche die Hilfsquellen, welche du in dieser Welt zu deiner Verfügung hast. Der Glaube antwortet mit David: Nein, denn es gibt hienieden keine Grundlage, die nicht zerstört werden wird; aber "Jehova ist in seinem heiligen Palast; Jehova ‑ in den Himmeln ist sein Thron". Dort suche ich Zuflucht.

 

Als David in Ziklag in Bedrängnis war, "stärkte er sich in Jehova, seinem Gott". (i. Sam. 30, 6.) Isboseth kannte diese Hilfsquelle nicht. In den Tagen des Glückes, wenn die Güte Gottes unserem Berge Festigkeit und Kraft verliehen hat, müssen wir sorgfältig und täglich die wahre Quelle der Kraft aufsuchen, damit wir nicht, wenn Schwierigkeiten auftauchen, gleich furchtsamen Vögeln durch den Sturm weg­geführt werden, wer weiß wohin; sondern daß wir an dem bösen Tage Zuflucht zu suchen wissen bei Dem, der Seine Küchlein versammelt unter Seiner Flügel Schatten. Dort singen wir dann jubelnd unsere Lieder. (Ps. 63, 7.)

 

Durch die Ermordung Isboseths bahnten Rekab und Baana für David den Weg zum Königtum, und es erhob sich jetzt die Frage, ob er aus diesem Umstand Nutzen ziehen dürfe. Ein geübterer geistlicher Sinn würde ihn im vorigen Kapitel dahin gebracht haben, das ihm von Abner angebotene Bündnis auszuschlagen. Hier versteht er, daß er die sich ihm darbietende menschliche Hilfe nicht nur nicht benutzen darf, sondern daß er sie auch als von Satan kommend z u r ü c k w e i s e n muß. Das ist es, was wir zu tun haben, wenn die Welt sich erbietet, uns zu helfen.

Diese Geschichte zeigt uns, daß Gott alle benutzt, um Seine Gnadenabsichten gegen David zur Ausführung zu bringen: Abner, Joab, Rekab und Baana. Sicherlich billigt Er ihre Handlungen nicht, aber Seine Vorsehung läßt selbst das Böse mitwirken, Seine Wege zu bahnen. Das Böse wird ge= richtet werden, aber erst nachdem es den Absichten Gottes ge­dient hat. Ist nicht das Kreuz in ganz hervorragender Weise ein Beweis von diesem Seinem Tun?

Aber, möchte gefragt werden, wenn Gott solche Mittel gebraucht, habe ich dann nicht auch das Recht, mich ihrer zu bedienen? Keineswegs; denn Gott ist unumschränkt, und das bin ich nicht. E r kann Sich des Bösen, ja, des Satan selbst bedienen, wenn es Ihm gefällt; i c h bin ein Wesen, welches von Ihm abhängig ist, und ich habe zu gehorchen. Der Gehorsam läßt mich den Weg gehen, den das Wort Gottes mir zeigt, den Weg der Heiligkeit, der mich von dem Bösen und von der Welt trennt. Wenn die Welt kommt und mir ihre Dienste anbietet, so weise ich sie zurück; denn ich habe es mit Gott zu tun, wie David sagt: "So wahr Jehova lebt, der meine Seele erlöst hat a u s a 11 e r Bedrängnis..." (V. 9.) Das ist Der, auf den ich ver­traue. Ich weigere mich, etwas von der Welt anzunehmen, weil ich von Jehova abhängig bin.

 

In einer Zeit der Erweckung, die noch nicht sehr weit zurückliegt, einer Erweckung, welche von Anfang an durch schriftwidrige Lehren, die heute noch ihre traurigen Früchte tragen, verdorben wurde, wo aber trotzdem Gott beschäftigt war, Seelen zu bekehren, sagte jemand zu einem Diener Gottes: "Warum nehmen Sie an dieser Tätigkeit nicht teil? Ist es nicht augenscheinlich, daß Gott hier durch Seinen Geist wirkt?" Der Gefragte antwortete mit folgenden Worten, die jedenfalls nicht verstanden wurden: "Der Geist weht, wo Er will, aber ich muß gehorchen.‑ Diese Antwort erläutert das eben Gesagte. Gott ist unumschränkt! Er allein kann. sich des Bösen bedienen, aber ich habe nichts anderes zu tun, als mich davon zurückzuziehen.

 

Doch David hätte so denken können: Indem die Vor­sehung Gottes diesen Mord zuließ, tat sie es, um mir den Thron zu geben; ich bin also frei, ihn aus den Händen der Mörder anzunehmen. Das wäre eine Täuschung gewesen, denn auch die Vorsehung Gottes versetzt uns zuweilen in Umstände, in welchen unser G 1 a u b e auf die Probe gestellt wird und sich gerade dadurch bewährt, daß wir die Dinge nicht annehmen, die sich uns darbieten. Moses am Hofe des Pharao ist ein Beispiel dafür. Die Vorsehung hatte ihn nicht dorthin gebracht, damit er diese Stellung einnehme und "die zeitliche Ergötzung der Sünde" genieße, sondern damit er sich, sobald der Augenblick gekommen sein würde, durch Glauben davon zurückziehe. Sein Glaube wurde auf diese Weise geübt, und als es sich darum handelte, entweder Sohn der Tochter des Pharao zu heißen, oder mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, zögerte er nicht, das letztere zu w ä h 1 e n.

 

So scheinen auch hier die Umstände für David den Zu­gang zu dem Throne zu öffnen, den Gott ihm geben w i 11. Aber er weist mit Unwillen jede Verbindung mit dem Bösen zurück und befiehlt, die Schuldigen zu töten. Diese Unter­weisungen sind von großer Wichtigkeit für uns, denn wir liegen immer mit denselben Grundsätzen im Kampfe. Wenn Gott uns hienieden in eine angenehme Stellung bringt, so bezweckt Er damit nicht, daß wir uns in Ruhe darin nieder­lassen, sondern, daß unser Glaube lerne, diese Bande zu lösen und, wenn es Sein Wille ist, sie mit Freuden zu verlassen, um vor dem Herrn zu wandeln. Möchten wir verstehen, das Böse, unter welcher Form es uns auch entgegentreten mag, wie David zu verurteilen, es offen zurückzuweisen und keiner­lei Gemeinschaft mit ihm zu haben!

 

Die Handlungsweise Davids am Ende dieses Kapitels war also nach den Gedanken Gottes. "David gebot seinen Knaben, und sie erschlugen sie und hieben ihnen die Hände und die Füße ab, und hängten sie auf am Teiche zu Hebron." Stand David im Besitz der Autorität, so mußte er sie in Heiligkeit und Gerechtigkeit so ausüben, daß diese schreckliche Strafe zum Exempel diente.

 

Unser Kapitel bietet uns noch eine andere nützliche Unter­weisung, die wir nicht übergehen dürfen, weil David trotz seiner persönlichen Erfahrungen bis zum 11. Kapitel ein Vor­bild von Christo bleibt. Ich meine dies: daß David, bevor er das Königtum über alle Stämme erhält, von allen v e r k a n n t wird, daß keiner sein H e r z zu würdigen weiß.

Beeroth war eine Stadt der Gibeoniter, welche einst (Jos. 9) in den Bund mit dem Volke Israel aufgenommen worden war. Beeroth wurde als zu Benjamin gehörend betrachtet (V. 2), dem Stamme Sauls, des glühenden Feindes Davids. "Die Beerothiter entflohen nach Gittaim und haben sich dort als Fremdlinge aufgehalten bis auf diesen Tag." (V. 3.) Die Ursache ihrer Flucht wird nicht bestimmt mitgeteilt, aber die Tatsache derselben wird mit Baana und Rekab, den Söhnen eines Beerothiters, in Verbindung gebracht. Wir können daraus wohl schließen, daß die Erzählung der Flucht den Ereignissen vorauseilt, und daß diese erst stattgefunden hat, nachdem David sein Urteil über die Mörder gefällt hatte. Da ergriff alle Beerothiter Furcht, und sie entflohen nach Gittaim.

 

Diese Leute verkannten also David. Sie dachten, daß der König Rachegedanken nähre, und diese dadurch zu befrie­digen suchen würde, daß er sie an dem durch Bürger Beeroths begangenen Morde mitverantwortlich mache. Hätten sie David gekannt, so würden sie vielmehr zu ihm geflohen sein und sich seiner Gnade anvertraut haben. Ähnlich ist das Verhalten der Welt dem Herrn Jesu gegenüber. Da sie zu einem Herzen, welches sie nicht kennt, kein Vertrauen haben kann und sich vor Seinem Urteil fürchtet, flieht sie lieber, als daß sie mit Ihm in Verbindung tritt. In dem Gleichnis von den Talenten verkannte der Knecht, der sein Talent in die Erde vergraben hatte, ebenso seinen Herrn, indem er, aufgefordert, von seiner Verwaltung Rechenschaft zu geben, sagt: "Herr, i c h k a n n t e d i c h, daß du ein harter Mann bist." (Matth. 25, 24.)

 

In Vers 4 führt uns eine Begebenheit, die auf den Tod Sauls folgte, wieder weiter zurück. Die Amme Mephiboseths flieht, mit dem fünfjährigen Knaben auf dem Arm. Die Sache ist dieselbe wie bei den Beerothitern: immer dieses Ver­k e n n e n des Sohnes Isais, immer dasselbe, dem Menschenher­zen so natürliche Gefühl. David hatte, als er den Tod Sauls und Jonathans erfuhr, getrauert und ein Klagelied über sie aus­gesprochen; aber diesem armen Weibe kommt der Gedanke gar nicht, daß er an dem Sohne seines Freundes keine Rache üben könne. Sie flieht, anstatt zu dem zu eilen, der Jonathan und selbst Saul geschworen hatte, ihre Nachkommen nicht zu vertilgen. Sie vertraut ebensowenig auf die Liebe und das bestimmte Wort Davids, wie die Sünder auf die Gnade und das Wort Christi vertrauen. Die Folge davon war, daß Mephiboseth "fiel und lahm wurde". David findet ihn später wieder, elend und gebrechlich infolge Mangels an Glauben, bei diesem Weibe, welches den günstigen Augenblick, ihre Bürde den Händen des Freundes Jonathans anzuvertrauen, nicht benutzt hatte.

 

Rekab und Baana kennen auch nicht den, dessen Herz das Böse von sich abweist; sie stürzen sich ins Verderben, indem sie die Heiligkeit des Gesalbten Jehovas v e r k e ri n e n. Sie meinen, mit ihrer Sünde David nahen zu können, ohne daß dieser die mit dem Blute eines Gerechten besudelten Hände verabscheuen und von sich stoßen würde.

In der Tat, nur die Seinigen können den Herrn kennen und Ihm in allem Vertrauen nahen, da sie wissen, daß Seine Güte ewiglich währt, und daß Seine Verheißungen zuverlässig sind.

 

Kapitel 5 ‑ 24 Das Königtum über Israel 

Kapitel 5‑10. David vor seinem Fall. 

Die Burg Zion. Kapitel 5,1‑10. 

Aus Rachsucht gegen Isboseth hatte Abner den elf Stäm­men David empfohlen mit den Worten: "Jehova hat von David geredet und gesagt: Durch die Hand meines Knechtes David will ich mein Volk Israel retten aus der Hand der Philister und aus der Hand aller seiner Feinde." (Kap. 3, 18.) Abner war in einem Sinne der Bote Jehovas, um Seinem Gesalbten das Herz des Volkes wieder zuzuwenden; aber zwischen den Verrichtungen, zu welchen Gott ihn benutzte, und seinem inneren Zustand lag eine große Kluft. Daraus sollten wir für uns selbst eine Lehre ziehen. Gott kann durch einen Menschen handeln und Wahrheiten verkündigen lassen, die Ihm gemäß sind, selbst wenn das Herz dieses Menschen in keiner Beziehung zu Ihm steht. Es geziemte sich, daß Israel den Worten ' Abners das Ohr lieh, aber nicht, daß es sich mit seiner Person verband. Wenn wir denjenigen Gehör schenken, die uns das Wort Gottes vorstellen, so müssen wir wohl darauf achten, daß wir die Person von dem verkündigten Wort unterscheiden und der Person nicht eine Wichtigkeit beilegen, die nur der Schrift zukommt. Es ist erfreulich, wenn wir fest­stellen können, daß das Verhalten des Redenden mit seinen Worten übereinstimmt. So war es mit Timotheus dem Apostel Paulus gegenüber.: er hatte "g e n a u e r k a n n t s e i n e Lehre, sein Betragen". (2. Tim. 3, 10.) Diese beiden Dinge standen bei dem großen Apostel der Heiden in völligem Einklang. Es ist gut, festzuhalten, daß d i e Gabe unter­schieden ist von dem inneren Zustand. Wenn ein Mensch eine Gabe hat, so ist es nötig, daß er in bestän­digem Selbstgericht vor Gott einhergehe, um dadurch seinen inneren Zustand mit dem, was ihm anvertraut ist, in Übereinstimmung zu bringen. Wenn es einerseits eine große Gefahr für die Hörenden gibt, einem Menschen seiner Gabe wegen zu folgen, so besteht andererseits eine gleiche Gefahr für den Redenden, tätig zu sein, ohne daß sein Herz und sein Wandel mit den Wahrheiten, die er vorstellt, in Überein­stimmung sind.

 

Tatsächlich hatten Abners Worte keinen wirklichen Erfolg bei dem Volke, weil der Geist Gottes nicht in den Herzen wirkte. Sie änderten ihre Haltung in keiner Weise, solange Isboseth nicht beseitigt war; erst als ihre Stütze ihnen ge­nommen war, "kamen alle Stämme Israels zu David nach Hebron". (Kap. 5, 1.)

Der Zustand der Stämme hat dieses Bemerkenswerte, daß sie Gottes Gedanken über David kannten, ja, i m m e r gekannt h a t t e n. Sie sagen: "Schon früher, als Saul König über uns war, bist du es gewesen, der Israel aus ‑ und ein­führte; und Jehova hat zu dir gesagt: Du sollst mein Volk Israel weiden, und d u sollst Fürst sein über Israel." Sie wußten das also sehr wohl; aber diese Kenntnis übte nicht die geringste Wirkung auf ihr Gewissen aus. Dieselbe Erscheinung zeigt sich heute unter den Christen. Man ist viel­fach mit dem Worte Gottes vertraut, man kennt die Gedanken Gottes bezüglich Seines Sohnes und Seiner Kirche; aber diese Wahrheiten bleiben ohne praktisches Ergebnis, sie sind nicht in die Gewissen eingedrungen. In diesem Punkte ist die Hauptursache der Trennungen unter den Kindern Gottes zu suchen. Der eine folgt dieser Sekte, der andere einer anderen; der eine nimmt diese Lehre an, der andere jene; der eine beruft sich auf diesen, der andere auf jenen Menschen. Dieses Auseinandergehen hat weniger seinen Grund in dem Stande der Erkenntnis, als in dem des Gewissens, man fühlt nicht die Notwendigkeit, der erkannten Wahrheit gemäß zu wandeln. 

Die drei ersten Verse unseres Kapitels zeigen uns, daß Israel noch etwas anderes fehlte: es hatte keine Z u n e i ‑g u n g zu David; es hing Isboseth an. Wenn das Herz auf seiten der Welt steht, so kann es nicht auf seiten des Mannes Gottes sein. Wie könnte man die Christen um Christum vereinigen, wenn ihre Gedanken mit den Dingen der Erde beschäftigt sind, und die Gnade und die Schönheit des Herrn ihre Herzen nicht anzieht? Seine Person hat wenig Wert für ein geteiltes Herz; es verlangt nicht nach ihr. Wenn aber die Gewissen erreicht sind, so werden es die Herzen auch bald sein: "Siehe, wir sind dein Gebein und dein Fleisch." Jetzt verkünden diese Israeliten öffentlich ihre Verbindung mit David; sie kannten sie wohl, aber sie erkannten sie n i c h t a n als eine alles andere beherrschende Tatsache. Dann erinnern sie sich auch auf einmal dessen, was Gott bezüglich Seines Geliebten gesagt hatte. Wenn der Geist anfängt in der Seele zu wirken, so redet das Gewissen; das Herz wendet sich zu Christo, und man wird dahin gebracht, Seine Ober­hoheit und Seine Rechte anzuerkennen. "Sie salbten David zum König über Israel." "David machte einen Bund mit ihnen zu Hebron, vor Jehova, und durch dieses Bündnis erkannte er an, daß Israel von jetzt an sein Volk sei. 

Mit diesem Kapitel beginnt der zweite Abschnitt der Re­gierung Davids. Von nun an ist er König über ganz Israel zu Jerusalem. Der Heilige Geist betont diesen Unterschied in Vers 5: "David regierte zu Hebron sieben Jahre und sechs Monate über Juda, und zu Jerusalem regierte er dreiunddreißig Jahre über ganz Israel und Juda." 

So wird es auch mit Christo sein: als vorbildliche Ge­schichte der Errichtung Seiner Regierung ist dieses Buch, im Lichte der Prophezeiung betrachtet, von besonderem Interesse. Es handelt sich, wie schon gesagt, in diesem zweiten Buche Samuel nicht um das e rri c h t e t e K ö ni g t um, (das wird erst in Salomo erscheinen,) sondern um die A u f r i c h t u n g d e s K ö n i g t u m s in David, was eine andere Sache ist. Wir finden daher in diesem Buch die Wege Gottes, welche dahin führten, den Thron Davids zu gründen, die zwölf Stämme um ihn zu sammeln und ihm die Nationen zu unter­werfen, indem seine Feinde überwunden wurden.

Sobald David als König über ganz Israel anerkannt ist, sieht man eine Reihe von Ereignissen sich abspielen, die zu dieser öffentlichen Kundgebung in Beziehung stehen. 

Das erste dieser Ereignisse ist von der allergrößten Be­deutung. (V. 6‑9.) Oft werden Tatsachen von unendlicher Tragweite in der Schrift in wenigen Versen behandelt. Wir können nicht an der Länge der Erzählung den Wert abmessen, welchen Gott dem erzählten Ereignis beilegt. Eine kurze Ein­schaltung enthält zuweilen eine Summe von überaus wichtigen Wahrheiten, wie z. B. die in Eph. 1, 20‑23, welche uns die Ratschlüsse Gottes über Christum und die Versammlung mit­teilt. So lassen uns auch die drei ersten Verse von Offenb. 21 in alle Herrlichkeiten der Ewigkeit hineinschauen. Der 23. Psalm ist ein weiteres Beispiel. In sechs kurzen Versen gibt er uns Bericht über das ganze Leben und Verhalten, über alle Erfahrungen des Gläubigen hienieden, bis zu seiner Ein­führung in das Haus Jehovas. Man könnte die Zahl dieser Beispiele mit Leichtigkeit vermehren. Eines davon finden wir eben in der Stelle, die uns beschäftigt. Sie handelt von der Einnahme Jerusalems. Damit beginnt von seiten Gottes eine ganz neue Weise zu handeln: es ist die E n t f a 1 t u n g Seiner Gnade in der Person des Königs, die Vereinigung der Macht mit der Gnade, um die Absichten Gottes auszuführen, nachdem von seiten des Menschen alles verfehlt ist. 

Das Buch der Richter und das erste Buch Samuel (ohne von den Büchern Mose zu reden) haben uns diese soeben erwähnte Wahrheit vorgestellt, nämlich den völligen Verfall, unter den Händen des Menschen, von allem, was Gott seiner Verantwortlichkeit anvertraut hatte. Israel, unter das Gesetz gestellt, war als Volk zugrunde gerichtet, die Richter, das Priestertum, das Königtum nach dem Fleische waren ruiniert; mit alledem war es unwiderruflich vorbei. "Was hat Gott gewirkt" (4. Mose 23, 23) angesichts all dieser Trümmer? Seine G n a d e offenbart sich, wenn das Ende der Geschichte des Volkes unter dem Gesetz schon zutage getreten ist; sie würde nicht Gnade sein, wenn sie sich nicht mit gefallenen Wesen beschäftigte. Ihre Fülle strömt hervor, nachdem die Geschichte des verantwortlichen Volkes zu unheilbarem Ver­fall geführt hat. Gott wählt den Augenblick, wo das König­tum nach Seinem Herzen verkündet wird, dazu aus, um Jerusalem einzunehmen und es David zu geben.

Welchen Grund hatte Gott, daß Er Sich für diesen Ort mehr interessierte als für jeden anderen? Keinen, als den, daß Er diese Stadt g e 1 i e b t hatte, die sich in der Gewalt der Jebusiter, der Feinde Jehovas und Seines Gesalbten, be­fand. Sein Herz hing an diesem Orte, denn hier wollte Er endgültig den Thron Seiner Gnade auf Erden aufrichten. ,Jehova hat Zion erwählt, hat es begehrt zu Seiner Wohn­stätte: Dies ist meine Ruhe immerdar; hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt." (Ps. 132, 13. 14.) "Seine Grün­dung ist auf den Bergen der Heiligkeit; Jehova liebt die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs." (Ps. 87, 1. 2.) 

Das ist es, was Gott von Zion sagt: Er hat es geliebt. Wenn Seine Augen die Erde durchliefen, so verweilten sie über diesem besonderen Ort, um da Seine Wohnung aufzu­schlagen. "Warum blicket ihr neidisch, ihr gipfelreichen Berge, auf den Berg, den Gott begehrt hat zu seinem Wohnsitz? Auch wird Jehova daselbst wohnen immerdar." (Ps. 68, 16.) Das ist also der von Gott erwählte Ort, die Stätte Seines Wohlgefallens, weil Er dort Seinen König in Gnade einführt und einsetzt. Sollte nicht auch dort der Sohn Davids den Grund des ewigen Heiles legen? Jesus, die W u r z e 1 Davids, ist der König der Gnade, wenn alles verdorben und verfallen ist; gleichwie Jesus, der S am e Davids, der wahre Salomo, der König der Herrlichkeit sein wird.

Der Berg Zion steht in unmittelbarem Gegensatz zu dem Berge Sinai. In Hebr. 12, 22 sagt der Apostel zu den Juden, die vom Gesetz freigemacht und Christen geworden waren: 

Ihr seid gekommen zum Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem." Das bedeutet einen vollständigen Wechsel in den Wegen Gottes mit Israel. Die Verse 6‑9 unseres Kapitels zeigen uns den geschichtlichen Augenblick, wann diese Veränderung stattgefunden hat, wo Gott einen neuen Berg erwählte, im Gegensatz zu dem Berge Sinai, um dort für immer die Burg Davids zu errichten. Tat­sächlich hat die Sache damals für Israel nicht verwirklicht werden können wegen der Untreue des verantwortlichen Königs; und das Volk wird die Errichtung der Regierung Christi abwarten müssen, um in die Segnungen dieses neuen Bundes eingeführt zu werden. Für uns Christen aber h a t dies stattgefunden. "Ihr s e i d g e k o m m e n zum Berge Zion", sagt der Apostel. Keine der Forderungen und Schrecknisse des Sinai bestehen mehr für die, welche glauben. Wir haben den Berg der Gnade gefunden an dem Orte, wo das Kreuz Christi aufgerichtet war, und unser Fuß hat dieses sichere Fundament betreten, die erste Sprosse der Leiter, welche uns zu allen himmlischen Segnungen hinaufführt, von der "Stadt des lebendigen Gottes" bis zur "Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind". Alles das gehört jetzt uns, und bald werden wir es in der Herrlichkeit besitzen. 

Die verschiedenen Stellen dieses Kapitels entsprechen anderen Stellen im 1. Buche der Chronika, die hie und da weitere Einzelheiten hinzufügen. Die Einnahme Jerusalems wird dort in Kap. 11, 4‑9 berichtet. In unserem Kapitel sagen die Jebusiter zu David: "Du wirst nicht hier hereinkommen, sondern die Blinden und die Lahmen werden dich wegtreiben." 

Sie rechneten so fest auf ihre Mauern und ihre uneinnehm­bare Burg, daß sie es nicht für nötig hielten, starke, gesunde Männer zu bestellen, um den Angriff des Königs abzuschlagen; sie meinten, die Kranken schon seien dieser Aufgabe völlig gewachsen. "Aber David nahm die Burg Zion ein." (V. 7.) Kein Wort wird weiter hinzugefügt; die Sache findet so einfach statt, als ob sie nichts gekostet hätte. In der Tat, dieser Sieg hat Gott nichts gekostet. Dasselbe ist der Fall, wenn Er die ganze Feindschaft des Menschen gegen Sich und gegen Seinen Gesalbten bekämpfen wird. Welch ein göttlicher Spott gibt sich in Psalm 2 kund! "Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile!" sagen die Könige der Erde; aber Gott antwortet: "Der im Himmel thront lacht, der Herr spottet ihrer!" (Ps. 2.) 

David zeigt sich entrüstet über diese verletzenden Worte der Jebusiter, und seine Entrüstung entspricht den Gedanken Gottes. Wenn wir sehen, daß die Welt sich des Gebietes Got­tes bemächtigt, obwohl sie eine Feindin Christi ist, so können unsere vom Heiligen Geiste beseelten Herzen wohl mit Ent­rüstung erfüllt sein. Wir können mit Eifer begehren, daß der Herr endlich den Platz habe, der Ihm von Rechts wegen zu­kommt, daß Er nicht länger von einer Welt, die Ihn verworfen hat, verhöhnt werde, und daß, nach dem Gericht der Leben­digen, Seine Herrschaft auf der Erde errichtet werde. Dieses Gefühl ist rechtmäßig. 

Doch wir finden in dem Herzen Davids noch ein anderes Gefühl, welches man weniger gutheißen kann. Er ist neben der vorbildlichen Person der energische Mann, welchem Gott die Macht anvertraut hat. Seine Oberhoheit wird bestritten, und so ergreift ihn ein menschlicher Zorn. Das beweisen seine Worte: "Wer die Jebusiter zuerst schlägt, soll Haupt und Oberster werden.‑ (l. Chron. 11, 6.) Und was geschieht? .Joab, der Sohn der Zeruja, stieg zuerst hinauf, und er wurde zum Haupte." Der Mann, dessen Ränken wir von Anfang an begegnet sind, dessen Bosheit David wohlbekannt geworden war, den er deshalb auch vor dem ganzen Volke mit dem Namen "Sohn der Ungerechtigkeit" belegt, und auf dessen Haupt er das Gericht Gottes herabgerufen hatte (Kap. 3, 28‑30), von dem er wiederholt erklärte, daß er "zu hart für ihn" sei ‑Joab ist der Mann, welchem das Wort Davids Gelegenheit gab, Haupt und Oberster zu werden. 

Die Tatsache, daß Joab so an die Spitze des ganzen Heeres gestellt wurde, war eine der verhängnisvollsten der Regierung Davids, und es zeigte sich in ihr die Schwachheit des Königs. Ein einziges Wort, das nicht von dem Heiligen Geiste diktiert war und einem fleischlichen Eifer entsprang, genügte, solche Folgen hervorzubringen. Wie leicht mißbraucht der Mensch die Macht, welche Gott ihm anvertraut hat, und bedient sich ihrer in unabhängiger Weise! Diese Tatsache sollte uns zu denken geben. Ein Wort nach dem Fleische trägt oft ver­derblichere Früchte als eine schlechte Tat. 

Am Ende des 8. Verses lesen wir: "Die Lahmen und die Blinden, welche der Seele Davids verhaßt sind. Daher spricht man: Ein Blinder und ein Lahmer darf nicht ins Haus kommen." Wer spricht so? Es ist David selbst. Wie verschie­den ist er darin von Christo! Der Herr Jesus tut bei Seinem Eintritt in diese Welt genau das Gegenteil: Blinde werden sehend, und Lahme wandeln." (Matth. 11, 5.) Er kann nicht einem dieser Armen, Zurückgesetzten begegnen, ohne daß Seine Liebe und Seine Macht sich vereinigen, um ihm zu helfen. Ist es nicht wunderbar, zu sehen, daß Er Selbst in dem Fall, wo Er Seinem Zorn, einem göttlichen Zorn, freien Lauf läßt, die Schleusen Seiner Gnade öffnet? Jesus trat in den Tempel Gottes ein und trieb alle hinaus, die im Tempel ver­kauften und kauften, und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um. Und er spricht zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden; ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht. Und es traten B 1 i n d e und L a h m e in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie.‑ (Matth. 21, 12‑14.) Sein Zorn und Seine Entrüstung zeigen sich in dem Eifer um das Haus Gottes, der Ihn verzehrt (Ps. 69, 9), aber Er reinigt Sein Haus nicht um wie David die Blinden und Lahmen zu verhindern, in das Haus einzutreten, sondern um sie hinein­zuführen, indem Er sie heilt. Wir finden ein ähnliches Bei­spiel in dem Gleichnis von dem Manne, der ein Abendmahl machte. Alle Eingeladenen entschuldigten sich, daß sie nicht kommen könnten. "Da wurde der Hausherr z o r n i g und sprach zu Seinem Knechte: Gehe eilends hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt, und bringe hier herein die Armen und Krüppel und L a h in e n und B 1 i n d e n." (Luk. 14, 21.) Der Zorn des Hausherrn gegen die Eingeladenen hat zur Folge, daß die Blinden und die Lahmen an Seine große Festtafel gesetzt werden. 

Uns ist dasselbe widerfahren. Die Entrüstung des Haus­herrn über dieses Volk, welches Seinen Gnadenruf nicht ge­wollt hat, hat die Tür zu dem Hochzeitsmahl für arme Heiden geöffnet, die, Seinen Verheißungen fremd, unfähig waren, Ihn zu sehen oder zu Ihm zu kommen.

Alles dieses zeigt uns, wie wichtig es ist für ein richtiges Verständnis dieses Teiles der Schrift, den Unterschied zwischen David als Mensch und David als Vorbild von Christo festzuhalten.

 

Siege. Kapitel 5, 11‑25. 

Die Errichtung des Thrones auf dem Berge Zion hat als erstes Ergebnis die Anerkennung Davids seitens der Nationen. "Hiram, der König von Tyrus, sandte Boten zu David, und Zedernholz und Zimmerleute und Mauerleute; und sie bauten David ein Haus." (V. 11.) Denn Hiram wollte in seinem Maße zu dem Glanz der beginnenden Regierung beitragen. Später, unter Salomo, wirkt derselbe Hiram bei der Erbauung des Tempels mit. Er spielt in dieser Geschichte eine wichtige Rolle, indem er die befreundeten Nationen darstellt, welche frei­willig kommen werden, um sich der Regierung des Messias zu unterwerfen. 

Die Geschichte Davids, als Vorbild von Christo, entwickelt sich in diesem Kapitel weiter. Unter den Nationen gibt es solche, welche seine Oberherrschaft durchaus nicht anerkennen wollen und sein Joch abzuschütteln suchen. Die Philister ziehen gegen David herauf; der Aufstand beginnt durch den Feind im Innern, der das Erbteil des Volkes in Besitz hat. Weiter werden wir sehen, wie die Völker, welche an den Grenzen Israels wohnten, Moab und die Kinder Ammon, dann Syrien und Assyrien, sich der Reihe nach erhoben. Die Be­siegung der Nationen findet, gleich der Unterwerfung der Stämme, nach und nach statt. Philistäa wird unterjocht, und der Herr sagt von ihm durch den Mund Davids: "Über Phili­stäa will ich jauchzen" (Ps. log, 9); denn wir dürfen nicht vergessen ‑ die Prophezeiung ist in dieser Hinsicht sehr be­stimmt ‑, daß die alten Feinde Israels, die jetzt zum Teil ver­schwunden sind, zur Zeit des Endes wieder hervortreten werden, sei es um ihr endgültiges Gericht zu empfangen, oder um mit dem Volke Gottes an den Segnungen des tausend­jährigen Reiches teil zu haben. Die Philister werden unter­jocht und ihre Götzen vernichtet. 

Zugleich mit der Geschichte Davids als Vorbild des Mes­sias entwickelt sich auch die Geschichte Davids als des ver­antwortlichen Königs weiter. Sie zeigt uns manche Schwäche, die eine Zucht nötig machte, wodurch David zum Selbstgericht gebracht wurde, damit er, nach seiner Wiederherstellung, die Gemeinschaft mit Gott wiederfinde. Es ist für uns von außer­ordentlichem Nutzen, in dieser Geschichte uns selbst kennen zu lernen, sowie die Forderungen der Heiligkeit Gottes und Seine Wege mit uns zu verstehen. 

Das Ende dieses Kapitels gibt uns eine besondere Unter­weisung. Als Hiram kam, um sich dem König zu unterwerfen, ereignete sich etwas Rührendes und Charakteristisches. Ein besonderer Zug des Charakters Davids ist die völlige Ab­wesenheit von Selbstvertrauen; er war d e in ü t i g und hatte diesen Charakterzug bewahrt, seitdem Gott ihn "von der Trift genommen hatte". (Vergl. Kap. 7, 8.) Obwohl er die Gunst schätzte, die Gott ihm erwies, indem Er ihm einen glorreichen Thron gab, hatte er doch keine hohe Meinung von sich selbst. "David erkannte, daß Jehova ihn zum König über Israel bestätigt, und daß er sein Königreich erhoben hatte um seines Volkes Israel willen (V. 12); nicht um seinetwillen ‑ er verschwand in seinen eigenen Augen ‑, sondern um Seines Volkes Israel willen. In dem Bewußtsein, daß dieses Königreich, dessen Haupt er war, er­hoben worden, weil Gott an Sein Volk gedacht hatte, stellte er sich nicht ü b e r das Volk, um es dadurch zu beherrschen, daß er seine Rechte geltend machte, sondern u n t e r das­selbe, indem er nur dessen Wohl im Auge hatte. Er sah den Platz, welchen Israel im Herzen Gottes besaß, und erkannte an, daß Gott alles im Hinblick auf sein Volk geleitet habe. Unser vollkommenes Muster, der Herr Jesus, hat durch Seine Leiden einen Platz in der Herrlichkeit erworben; aber Er hat ihn eingenommen für uns, für Sein Volk, Seine geliebte Gemeinde. So entspricht der Charakter Davids als Mensch demjenigen Christi, was stets bei uns der Fall sein sollte. 

Doch siehe da, was in Hebron geschehen war (Kap. 3, 2‑5), wiederholt sich in Jerusalem. (V. 13‑16.) Wir haben weiter oben gesagt, daß die Anzeichen eines unabhängigen Handelns bei David aus der Tatsache hervorgingen, daß er mit einer unumschränkten Macht bekleidet war. Indem er seine Macht für sich selbst anwandte, handelte er im Gegen­satz zu den Gedanken Gottes. (Vergl. 5. Mose 17, 17‑19.) David k o n n t e , neben den politischen und anderen Grün­den, die er haben mochte, um eine große Zahl Weiber zu nehmen, das Verbot Gottes vergessen; er hätte es aber nicht vergessen s o 11 e n. Gott hatte gesagt: "Es soll geschehen, wenn er (der König) auf dem Throne seines Königtums sitzt, so soll er sich eine Abschrift dieses Gesetzes in ein Buch schreiben, aus dem, was vor den Priestern, den Leviten, liegt. Und es soll bei ihm sein, und er soll darin lesen alle Tage seines Lebens." Der größte Teil unserer Handlungen im Ungehorsam kommt daher, daß wir nicht in lebendiger und täglicher Berührung mit Gottes Wort bleiben. Wir folgen unseren eigenen Gedanken, indem wir jene wirk­liche und ausschließliche Leitung vernachlässigen; und das ist Ungehorsam. 

Zwei Dinge müssen den Wandel jedes Kindes Gottes kennzeichnen. Der Lebenslauf Davids, wie er uns im 1. Buche Samuel geschildert wird, stellt das erste dieser beiden Dinge zur Schau; es heißt: A b h ä n g i g k e i t. Der zweite Charak­terzug, dem wir gewöhnlich nicht die Wichtigkeit des ersten beimessen, heißt: G e h o r s a m. Abhängigkeit und Gehorsam sollten bei dem Kinde Gottes immer miteinander gehen.

Wir haben David gerade ungehorsam gesehen, wir werden ihn gleich abhängig sehen, ohne daß dieser Mißklang für den Augenblick sein geistliches Leben beeinflußte. Aber wenn David in der Schule Gottes ist, wird er lernen, in Zukunft diese beiden Charakterzüge nicht mehr voneinander zu trennen. Am Ende unseres Kapitels zwingt Gott ihn, sozu­sagen den einen mit dem anderen zu verbinden, und wenn er später (im folgenden Kapitel) dieser Verpflichtung nicht nachkommt und dem im Worte ausgesprochenen Willen Gottes nicht folgt, sehen wir, daß er der Züchtigung verfällt. 

Die Philister ziehen gegen David herauf (V. 17‑21); der König hört es und zieht in die Burg hinab. Seine Zuflucht war der Ort, wo Gott wohnen wollte. "David b e f r a g t e Jehova und sprach: Soll ich wider die Philister hinaufziehen? wirst du sie in meine Hand geben?" Er ist nach seiner Ge­wohnheit abhängig von Gott. Wenn es sich darum handelt, gegen den Feind hinaufzuziehen, weiß er nicht, was er tun soll; Gott allein kann es wissen, und er wendet sich an Ihn: "Was soll ich tun?" Sofort antwortet Gott: *"Ziehe hinauf, denn ich werde die Philister gewißlich in deine Hand geben." David zieht hinauf; ein Durchbruch wird gemacht in dem Damm, den der Feind ihm entgegenzusetzen sucht, und David und sein Heer breiten sich aus wie ein reißender, überfluten­der Strom, der die Philister und ihre Götzen verschlingt. In 1. Chron. 14, 12 sehen wir, was der König mit diesen Götzen tut: "Sie ließen daselbst ihre Götter; und David gab Befehl, und sie wurden mit Feuer verbrannt." So werden auch am Ende die Götzen der Nationen vernichtet werden. (Jes. 2, 18.) 

Doch damit ist nicht alles beendigt; der Angriff des Fein­des erneuert sich unter den früheren Umständen, durch das­selbe Volk, auf dieselbe Weise und an demselben Orte. David hätte sich sagen können: Weil es so ist, will ich handeln wie bei dem ersten Angriff. Aber, weit entfernt davon, vertraut er sich wiederum gänzlich der Leitung Jehovas an; und er tut wohl daran, denn Jehova gibt ihm diesmal eine ganz andere Antwort. "Du sollst n i c h t hinaufziehen", sagt Er; zugleich schreibt Er ihm eine ganz andere Kampfweise vor: "Wende dich ihnen in den Rücken, daß du an sie kommst, den Baka­bäumen gegenüber. Und sobald du das Geräusch eines Daher­schreitens in den Wipfeln der Bakabäume hörst, alsdann beeile dich; denn alsdann ist Jehova vor dir ausgezogen, um das Heer der Philister zu schlagen." Warum das? Die Umstände des Angriffs sind doch genau dieselben wie früher? Es geschieht wohl deshalb, weil Gott in dem Herzen Seines Knechtes jene beiden Dinge miteinander vereinigen will, die dieser mehr oder weniger geneigt war zu trennen. Es handelte sich für David nicht nur darum, von Gott abhängig zu sein, sondern auch darum ' Seinem Worte zu gehorchen, in o c h t e er es begreifen oder nicht. Um einen neuen Sieg zu erringen, mußte er gehorchen, indem er dem von Gott gegebenen Befehl folgte. "David tat also, wie ihm Jehova geboten hatte; und er schlug die Philister von Geba, bis man nach Geser kommt.‑ 

So läßt Gott in Seiner Güte David die Segnungen erfahren, welche die Abhängigkeit in Verbindung mit d e in G e h o r s a in stets begleiten. David hätte sich irgend­welches Verdienst bei diesem zweiten Siege zuschreiben und stolz auf ihn werden können; aber Gott will das nicht. Es ist nötig, daß Sein Knecht verstehe, daß er gehorchen muß, und zu diesem Zweck weist Gott ihn an, bestimmte Zeichen zu beachten. Das daherschreitende Heer, dessen Geräusch man in den Wipfeln der Bakabäume hörte, war Jehova Selbst mit Seinem Heere. Sobald David dieses Geräusch hörte, konnte er sich von dem ihm angewiesenen Posten aufmachen, denn auf das Wort Gottes hin faßte er den Feind im Rücken; ihm gegenüber erhoben sich die Bakabäume. Er wußte, daß Jehova sich aufmachte, den Feind von vorn anzugreifen, und da er sich von hinten auf ihn warf, war die Niederlage vollständig. Die Hauptrolle gehörte Jehova; David verblieb in Niedrig­keit. Er hört und tut das, was Jehova ihm befohlen hat; das ist Gehorsam. Er trägt den Sieg davon. 

Wie beachtenswert ist das für uns! Unsere Abhängigkeit und unser Gehorsam müssen sich indes nicht nur in großen Dingen, wie hier, offenbaren, sondern auch in den Einzel­heiten des täglichen Lebens. Wenn wir es daran fehlen lassen, setzen wir uns Züchtigungen aus. In David werden wir schon sehr bald ein Beispiel davon sehen. 

Die Bundeslade in Zion. Kapitel 6. 

Es genügt nicht, daß der Sitz des Königtums Davids ‑oder Christi ‑ in Zion, dem Berge der Gnade, aufgeschlagen ist; Gott Selbst will dort für immer bei Seinem König wohnen. Auch zeigt David sich völlig vertraut mit den Gedanken Gottes, als er die Bundeslade holt, um sie nach Jerusalem zu bringen. Die Herrlichkeit Gottes findet ihre Ruhe nur an der Stätte der Gnade. Die Bundes­lade, der Thron Gottes, vereinigt Sich innig mit dem Throne Davids, mit dem Throne des Sohnes Gottes. Jehova, der bis dahin durch die Untreue Seines Volkes ohne dauernden Wohnort geblieben war, kann jetzt bei dem Volke wohnen, weil Er bei Seinem Gesalbten wohnen kann. 

Um die Bundeslade zu holen, versammelt der König alle Auserlesenen in Israel, dreißigtausend Mann. Das mag sonder­bar erscheinen. Wenn es sich um die Streite Jehovas handelt, sieht man nicht die Männer Gottes ihr ganzes Heer ver­sammeln. Viel eher findet das Gegenteil statt. Gideon trägt mit dreihundert Mann, Jonathan sogar mit einem einzigen Mann, wunderbare Siege davon; und neben ihnen glänzen die Namen vieler anderer Anführer. Gott kämpft auf ihrer Seite, und was macht es für I h n aus, ob mehr oder weniger Krieger zur Hand sind? Es kann Ihm gefallen, Sein ganzes Volk in der Schlacht zu erproben; aber es ist mit Ihm nicht, wie mit den Völkern. Die Zahl spielt bei Seinen Siegen keine Rolle. 

Handelt es sich dagegen darum, für Gott, der zwischen den Cherubim thront, Zeugnis zu geben, Ihm eine Stätte der Anbetung zu bereiten, so ist alles, was die Macht Israels dar­stellt, nicht zuviel. Wie wenig wird das unter den Kindern Gottes verstanden! Versammeln sich alle Auserlesenen um Christum, vor dem Throne Gottes, des Vaters, um Ihn zu ehren, indem sie Ihm Anbetung darbringen? Hat die An­betung mehr Wert in den Augen der Christen, als jede noch so gesegnete Tätigkeit, die sie für Ihn entfalten können. Man meint vielfach, das christliche Leben bestehe aus dem Kampf für das Evangelium ‑ ohne Zweifel ein gesegneter Kampf, für den es aber keineswegs nötig ist, "alle Aus­erlesenen" zu versammeln, denn dann würde man ihn bald in ein Werk ausarten sehen, welches auf menschliche Ver­einigung gegründet wäre ‑, wohingegen die Anbetung ver­nachlässigt, verkannt, aufgegeben würde. Ja, der Mittelpunkt des Zusammenkommens aller Kinder Gottes würde verachtet ' und sie selbst würden zerstreut bleiben wie Schafe, die keinen Hirten haben. 

Gott sei Dank! so dachte David nicht. Sein Ziel während seines ganzen Wanderlebens, in all seiner Drangsal, war gewesen, daß er zu dem Augenblick gelangen möchte, mit welchem unser Kapitel beginnt. Den Beweis hierfür finden wir in Psalm 132, auf welchen wir später zurückkommen werden. 

Die Beziehungen oder Berührungspunkte zwischen dem 5. und 6. Kapitel beschränken sich indes nicht nur auf das, was wir soeben hervorgehoben haben. David, als verantwort­licher König, war trotz mancher Verfehlungen Gott wohl­gefällig. Jehova verbarg nicht Sein Angesicht vor ihm; Er liebte ihn wegen seiner Treue, wegen der Gnade, die er in seinen Wegen offenbarte, wegen seines demütigen und unter­würfigen Herzens. Er hatte ihn, wie wir gesehen haben, gelehrt, den Gehorsam mit der Abhängigkeit zu verbinden. David hatte dies verstanden, als es sich darum handelte, mit dem Feinde zu streiten. Verstand er es ebenso gut bei den jetzt vorliegenden Ereignissen? 

Was hatte David zu tun, als der Augenblick gekommen war, die Stämme um die Bundeslade, ihren göttlichen Mittel­punkt, zu vereinigen? Er mußte Jehova befragen! Wenn er sich auch, indem er die Bundeslade zurückholte, in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes befand, so hing doch das " W i e " dieser Handlung nicht von ihm ab; wenn er das verstanden hätte, würde er einer ernsten Züchtigung ent­gangen sein. Hätte er Jehova befragt, so würde er gewußt haben, auf welche Art er die Bundeslade nach Jerusalem bringen mußte. 

Die Philister (i. Sam. 6, 7) hatten die Bundeslade auf einen "neuen Wagen" gestellt, um sie in das Gebiet Israels zurückzubringen. Sie handelten in Unwissenheit, und anstatt ihnen Seine Mißbilligung auszudrücken, hatte Gott der Furcht Rechnung getragen, die sie so handeln ließ. Augenscheinlich erinnerte sich David dieser Tatsache, als er der Handlungs­weise der Nationen folgte, um die Bundeslade an den Ort zu bringen, an welchem sie stehen sollte. "Sie stellten die Lade Gottes auf einen neuen W a g e n , und brachten sie aus dem Hause Abinadabs weg, das auf dem Hügel war." 

Doch wenn Gott auch auf die Unwissenheit der Philister Rücksicht nehmen konnte, kann Er doch nicht wirklichen Ungehorsam gegen Sein Wort dulden bei denen, die Ihm angehören. Es war den Leviten ausdrücklich befohlen worden, die Lade zu t r a g en, gleich allen Geräten des Heiligtums. (4. Mose 4, 15.) 

Was David tat, sollte zu den Gewissen der Kinder Gottes reden. Ach, wie richtet man so gern einen Gottesdienst ein nach den Systemen und Gedanken des Menschen, die immer den Gedanken Gottes entgegengesetzt sind! Doch in den Augen Gottes ist es von der größten Wichtigkeit, daß die Seinen gehorchen, wenn es sich um den Gottesdienst, den höchsten Ausdruck des christlichen Lebens, handelt, gerade so wie in den geringsten Einzelheiten des täglichen Lebens; und Gott kann den Ungehorsam Seiner Kinder nicht übersehen. 

Wie sehr auch David zeigte, daß sein Herz mit Frömmig­keit gegen Gott erfüllt war, ist er dennoch ungehorsam, weil er die Tragweite und die Folgen seiner Handlung nicht kannte. Er hatte keine Entschuldigung, weil er s i e hätte k e n n e n sollen. Das ist um so merkwürdiger, da er mit Freude er­füllt war bei dem Gedanken, Seinem Gott endlich den Platz zu geben, der Ihm zukam. "David und das ganze Haus Israel spielten vor Jehova mit allerlei Instrumenten von Zypressenholz, und mit Lauten und mit Harfen und mit Tamburinen und mit Sistren und mit Cimbeln." Nichts schien an dem Aus­druck ihrer Freude zu fehlen, und doch fehlte etwas dabei: die Trompeten waren nicht da, jene silbernen Trompeten, die erschallen sollten, wenn die Bundeslade sich in Bewegung setzte. (4. Mose 10, 1‑10; vergl. Ps. 150 und den 15. Vers unseres Kapitels.) Das war doch nur eine Kleinigkeit, wird man sagen, gerade so wie der neue Wagen; aber diese Kleinig­keit enthüllte eine Tatsache von größtem Gewicht, nämlich, daß David nicht das Wort Gottes zur Richtschnur für sein Verhalten genommen hatte. 

Bei alledem war das ganze Haus Israel voll Freude. Es lag viel Frömmigkeit in dieser erhabenen Feier, aber sie war

befleckt durch die eine und andere menschliche Anordnung. Für die Freude der Herzen hatte dies keine große Bedeutung, wohl aber für Den, der gesagt hat: "Gehorchen ist besser als Schlachtopfer." Es kommt ein Augenblick, wo die Einmischung des Menschen in den Gottesdienst den Menschen an irgend einer Stelle zum Hinken bringt. "Die Rinder reißen sich los, und die Menschen denken natürlich, daß sie ihnen zu Hilfe kommen, das wankende System mit ihrem Arm stützen müssen. Sie vergessen, daß es eine vermessene Torheit ist, Gott zu Hilfe kommen zu wollen. So war es mit Ussa, dem Sohne Abinadabs, dem ersten und hauptsächlichsten Leiter dieser Überführung der Lade. Er fühlte das ganz natürliche Bedürfnis, das, was er gemacht hatte, zu unterstützen, und gab sich nicht Rechenschaft darüber, daß er seine Hand gleich­sam auf Gott Selbst legte. "Als sie zur Tenne Nakons kamen, da langte Ussa nach der Lade Gottes und faßte sie an, denn die Rinder hatten sich losgerissen. Da entbrannte der Zorn Jehovas wider Ussa, und Gott schlug ihn daselbst wegen des Vergehens; und er starb daselbst bei der Lade Gottes." Sein Gericht trat sofort ein; denn wenn es sich um Kinder Gottes handelt, welche der Herr in eine Stellung des Zeugnisses gebracht hat, so erlaubt Er ihnen nicht, ein menschliches Element in den Gottesdienst einzuführen, ohne sie Sein Gericht fühlen zu lassen. 

Was hier David begegnete, geschah auch den Korinthern, welche fleischlichen Dingen den Zutritt zum Tische des Herrn gestattet hatten. Gott konnte das nicht dulden. "Deshalb sagt der Apostel, "sind viele unter euch schwach und krank Und ein gut Teil entschlafen." (i. Kor. 11, 30.) Gott war ein verzehrendes Feuer für sie wie für Ussa, das sollten wir nie vergessen. David wurde gezwungen, es zu verstehen. Er, v o r d e m Jehova einen Bruch gemacht hatte u n t e r den Philistern zu Baal‑Perazim, war heute der, g e g e n den das Gericht Gottes einen Bruch an Ussa machte. "Er nannte selbigen Ort Perez‑Ussa (Bruch Ussas)." 

Das erste Gefühl des Königs ist Erregung. "David en t ‑b r a n n t e darüber, daß Jehova einen Bruch an Ussa gemacht hatte." Das ist zu verstehen, aber nicht zu entschuldigen. Siehe da einen Menschen, der von dem Wunsche erfüllt ist, Jehova zu dienen, Ihm die schuldige Ehre zu erweisen; er ist voll Freude, voll Lob und Dank; er hat alles angeordnet ' um den Dienst seines Gottes wiederherzustellen; da fehlt er in e i n e r Einzelheit, und der Zorn Gottes entbrennt wider ihn! Und David hatte ein gottesfürchtigeres Herz als wir. Wie tief mußten deshalb seine Gefühle verwundet sein! ‑ Wie? hätte er ausrufen können, Gott richtet mich in solcher Weise, wäh­rend Er doch meine Absicht, Ihn zu verherrlichen, kennt? 

In Vers 9 erwacht ein anderes Gefühl in seinem Herzen, das jedoch ebensowenig zu entschuldigen ist wie das erste. "David f ü r c h t e t e s i c h vor Jehova an selbigem Tage. ­Er lenkt die Bundeslade von ihrem Weg ab: "Wie soll die Lade Jehovas zu mir kommen? Und David wollte die Lade Jehovas nicht zu sich einkehren lassen in die Stadt Davids; und David ließ sie beiseite bringen in das Haus Obed‑Edoms, des Gathiters." Wegen der Züchtigung betrachtet David Jehova als einen mitleidslosen Richter und entbrennt gegen Ihn. Er vergißt in diesem Augenblick, daß Er ein gnädiger Gott war, der ihn erwählt, geleitet, behütet, zum Siege geführt und endlich zum Träger des Königtums auf dem Berge Zion gemacht hatte. Er kann nicht verstehen, daß die Gnade ihn richten kann, und daß Gott, je näher man bei Ihm ist, um so weniger in den Seinigen etwas dulden kann, was Ihn verunehrt. Aber Gott zeigt ihm bald, daß andere Nutzen von dem haben, dessen er sich zu seinem großen Schaden beraubt hat. Die Anwesenheit der Bundeslade wird eine Quelle überströmenden Segens für das Haus Obed-Edoms, des Gathiters: "Jehova segnete Obed‑Edom und sein ganzes Haus." 

Endlich hat David seine Aufgabe gelernt! Das Geschehene wird ihm berichtet; und nun sieht man, daß die Tatsachen für sein Gewissen Frucht getragen haben. In 1. Chron. 15, 12 und 13 wird uns in Verbindung mit dem gleichen Ereignis berichtet, daß David die Priester und die Leviten berief und zu ihnen sagte: Heiliget euch, ihr und eure Brüder, und bringet die Lade Jehovas, des Gottes Israels, hinauf an den Ort, welchen ich für sie bereitet habe. Denn weil ihr das vorige Mal e s nicht tatet, so machte Jehova, unser Gott, einen Bruch unter uns, weil wir ihn nicht suchten na c h der Vorschrift." David versteht jetzt, daß dieser Bruch wegen seines Ungehorsams gemacht worden ist, und daß Heiligkeit nur auf dem Wege des Gehorsams gefunden werden kann. 

Als die Lade auf den neuen Wagen gestellt wurde, hatten die Priester und die Leviten nicht nötig gehabt, sich zu heiligen, aber als sie selbst sie zu tragen hatten, mußten sie dies wohl tun; sie konnten nicht, ohne sich zu richten, mit den Gegenständen des Heiligtums in Berührung kommen. 

Die Priester nehmen also den Platz ein, den Jehova ihnen angewiesen hat, und zudem ordnet David, was den Gottes­dienst betrifft, alles genau so an, wie es den Gedanken Gottes entsprach. "Es geschah, wenn die Träger der Lade Jehovas sechs Schritte gegangen waren, so opferte er ein Rind und ein Mastvieh." So machte David das Opfer zum eigentlichen Mittelpunkt des Gottesdienstes. Beim ersten Male hatte man merkwürdigerweise die Opfer vergessen! Der Wagen ‑ man beachte die Wichtigkeit einer vergessenen Einzelheit ‑brauchte gar nicht anzuhalten, während die Priester und die Leviten, welche die Lade trugen, immer wieder Pausen machen mußten, während welcher die Opfer dargebracht wurden.

Und dann die Trompeten, und das Jauchzen, und der mit aller Kraft vor Jehova tanzende David! Der König war mit einem leinenen Ephod umgürtet, dem unterscheidenden Klei­dungsstück der Priester. Hier ist er wieder ein Vorbild von Christo in Seiner zukünftigen Herrlichkeit geworden. Wir finden ein wenig von Melchisedek in der Person Davids, so wie er uns hier dargestellt wird. Das Königtum erscheint ver­einigt mit dem Priestertum. Die Anbetung steigt von dem Volke zu Gott empor durch den Mund Davids, und die Segnung kommt durch seine Vermittlung von Gott herab auf das Volk. (V. 17 u. 18.) 

"David tanzte mit aller Kraft vor Jehova.‑ Er machte sich lächerlich; das war wenigstens das Gefühl Michals, der Tochter Sauls, als sie ihren Mann seine Würde vergessen sah, um Jehova allein zu erhöhen. Es geschieht oft, daß die Welt die Anbetung, welche Gott von Seinen Kindern dargebracht wird, lächerlich findet; und je mehr sie Gottes Gedanken entspricht, desto mehr werden die, welche sie darbringen, verachtet werden. Woher kommt das? Daher, daß der Anbeter keinen Wert auf sich selbst legt. "Wir," sagt der Apostel, "die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen." (Phil. 3, 3.) David, in sich selbst, war nichts; er war gering: "Ich will noch geringer werden denn also, und will niedrig sein in meinen Augen." Das kann der Welt nicht gefallen; doch, Gott sei Dank! es gibt einfältige Seelen, welche diese Erniedrigung verstehen und sie, wenn es sich um Jehova handelt, als eine Ehre be­trachten: "aber bei den Mägden, von denen du sprichst, bei ihnen werde ich geehrt sein". 

David tanzte vor Jehova, und er tat es für Ihn, indem er sich selbst vergaß, damit Gott verherrlicht würde. Die könig­liche Würde war abgelegt; er war nur ein einfacher Anbeter, erfüllt von Freude in der Gegenwart Jehovas der Heer­scharen, der zwischen den Cherubim thront, und der Seine Wohnung endgültig in der Mitte Seines Volkes aufschlagen wollte. 

"Sie brachten die Lade Jehovas hinein und stellten sie an ihren Ort innerhalb des Zeltes, das David für sie aufge­schlagen hatte." Das ganze Volk wird gesegnet und gesättigt; Michal wird ihrer stolzen Zurückgezogenheit überlassen und zu ihrer Schande mit Unfruchtbarkeit bis zu ihrem Tode bestraft. Sie ist von da ab für David eine Unbekannte. Der Charakter dieser Tochter Sauls war dem ihres Vaters ent­sprechend. Bei Saul war Haß, bei Michal Verachtung des Gesalbten Jehovas. Zwischen ihr und dem König kann es keine Verbindung mehr geben. Er überläßt die Tochter des gefallenen Geschlechts dem Gericht, während er, der Erwählte Jehovas, als Fürst über sein Volk, über Israel, eingesetzt wird. 

Gemeinschaft. Kapitel 7. 

Die beiden vorigen Kapitel haben uns die wichtigen Ver­änderungen gezeigt, welche durch die Errichtung des König­tums Davids in Zion in den Wegen Gottes mit Israel herbei­geführt wurden. Der König bringt die Bundeslade dorthin und verbindet so den Thron Gottes mit seiner Regierung. Dies ist aber, wie wir gesehen haben, noch nicht ein Zustand der Dinge, der von Dauer sein konnte, wie er später unter der Regierung Salomos bestand. 

Aus diesem Grunde finden wir hier noch keine geregelte Ordnung des Gottesdienstes. Wohl brachte David die Bundes­lade nach Jerusalem, aber die übrigen Gegenstände aus der Stiftshütte blieben zurück. Er schlug für die Bundeslade ein Zelt auf, aber es war nicht das Zelt der Wüste, wie wir lesen: "Sie stellten die Lade Jehovas an ihren Ort innerhalb des Zeltes, das David für sie aufgeschlagen hatte." (Kap. 6, 17.) Die Stiftshütte selbst mit dem Altar war anderswo. 

Im Beginn des 1. Buches Samuel befanden sich die Stifts­hütte und die Bundeslade in Silo. Dann aber wurde die Bundeslade durch die Philister weggeführt, und als sie nach­her in Gnade wiederkehrte, fand sie ihre Stätte nicht wieder in Silo, an dem Orte, wo man Gott durch das Opfer nahen konnte, sondern zunächst in Kirjath‑Jearim, im Hause Abinadabs, dann bei Obed‑Edom. 

In dem 2. Buche Samuel verschwindet Silo, aber die Stifts­hütte wird nicht nach Jerusalem gebracht. Wir finden sie später in Gibeon wieder, ohne daß uns gesagt würde, wie sie dahin gekommen sei. Eins ist sicher, nämlich, daß zur Zeit, als David die Bundeslade auf den Berg Zion brachte, die Stiftshütte und der Brandopferaltar in Gibeon waren: "Und David ließ daselbst, vor der Lade des Bundes Jehovas, Asaph und seine Brüder, um beständig vor der Lade zu dienen, nach der täglichen Gebühr ... Zadok, den Priester, aber und seine Brüder, die Priester, ließ er vor der W o h n u n g Jehovas, auf der Höhe, die zu G i b e o n ist, um Jehova beständig Brandopfer zu opfern auf dem Brandopferaltar." (i. Chron. 16, 37‑41.) Später, nach der Pest in Jerusalem, als David auf den Befehl Jehovas einen Altar auf dem Berge Morija baute und dort opferte, wird gesagt: "Die Wohnung Jehovas, die Mose in der Wüste gemacht hatte, und der Brandopferaltar waren zu jener Zeit auf der Höhe zu Gibeon. Aber David vermochte nicht vor denselben hinzugehen, um Gott zu suchen; denn er war erschrocken vor dem Schwerte des Engels Jehovas." (i. Chron. 21, 29. 30.) 

Auch Salomo opferte im Anfang seiner Regierung noch zu Gibeon: "Und der König ging nach Gibeon, um daselbst zu opfern, denn das war die große Höhe; tausend Brandopfer opferte Salomo auf selbigem Altar." (i. Kön. 3, 4.)

Alles das zeigt uns, daß während der Regierung Davids ein Zustand von Unordnung oder großer Schwachheit bezüg­lich der Anbetung Jehovas vorherrschte. Silo war seit dem Verfall des Priestertums tatsächlich verlassen (Ps. 78, 60. 61); das Haus Jehovas war noch nicht in Jerusalem gebaut, und der Gottesdienst war sozusagen zerteilt zwischen der Bundes­lade in Zion und dem Altar zu Gibeon. Die übrigen Geräte waren in dem Zelte der Zusammenkunft geblieben; sie werden in 1. Kön. 8, 4 erwähnt. Da Gibeon eine Stadt der Söhne Aarons war (Jos. 21, 17), kann man annehmen, daß die Dinge des Heiligtums sich dort, wie in Nob (i. Sam. 21, 6), unter der Obhut der Priester befanden. 

Doch wie dem auch sei, der Dienst Jehovas unter der Regierung Davids war sehr weit von dein entfernt, was er hätte sein sollen. Aber eine Tatsache genügte David, sie war der Gegenstand all seiner Wünsche in der Zeit seiner Drangsale gewesen (Ps. 132 , 1‑8): er hatte eine Stätte der Ruhe gefunden für den Thron Jehovas der Heerscharen, für die Lade Seiner Stärke. Da wo David als König eingesetzt war, hatte er jetzt den Gott Israels bei sich, denn „der Name" (Kap. 6, 2) stellt d i e P e r s o n dar. Seine Zuflucht, eine vor allem anderen kostbare Zuflucht, inmitten der Zerstreuung der heiligen Geräte, in einer Übergangszeit, auf welche die Herr­lichkeit folgen sollte ‑ war die Gegenwart Gottes S e 1 b s t bei ihm und seinem Volke Israel. 

Das ist es auch, was in der gegenwärtigen Zeit das Glück der Gläubigen ausmacht. Die Kirche befindet sich in einem Zustand des Verfalls und großer Unordnung; aber e i n e Gewißheit genügt uns: die persönliche Gegenwart des Herrn in unserer Mitte. Wenn wir ein solches Vorrecht haben, wie sollten wir uns dann durch den uns umgebenden Zustand der Dinge entmutigen lassen? Haben wir nicht mit Ihm, und zwar in weit besserer und höherer Weise als David, den Gottesdienst? Die Gegenwart Gottes genügte, um das Herz des Königs mit Freude und Dank zu erfüllen. 

Im 7. Kapitel wohnt David in seinem Hause; die Macht Gottes hat ihm Ruhe gegeben vor allen seinen Feinden; sein Königtum ist befestigt; die Bundeslade ist bei ihm. Da wünscht er in seiner Liebe zu Jehova, Ihm eine dauernde Stätte der Ruhe zu bauen. Darf die Bundeslade noch "unter Teppichen" weilen, in einer vorläufigen, vorübergehenden Wohnung, während David ein schönes, festgegründetes Haus von Zedern bewohnt7 Er teilt seinen Wunsch dem Propheten Nathan mit, den Wunsch eines frommen Herzens; denn er wünschte die Herrlichkeit in Israel errichtet zu sehen. Nathan billigt ihn mit den Worten: "Tue alles, was du im Herzen hast, denn Jehova ist mit dir." 

Wenn David sich so in frommer Weise mit der Ruhe Gottes in Israel beschäftigte, kannten weder er noch der Prophet den A u g e n b 1 i c k , den Gott für diese Sache bestimmt hatte. David s o 11 t e n i c h t das tun, was in seinem Herzen war; er mußte von Gott abhängig sein und auf Ihn warten. Nathan k o n n t e s i c h n i c h t auf seine Prophetengabe verlassen, um David in seinem Tun zu leiten. Der König täuscht sich trotz seiner Frömmigkeit, und der Prophet begeht einen Irrtum trotz all des Lichtes, das er besaß. 

David war ein Mensch, der wirklich in Abhängigkeit von Jehova wandelte; und doch, bei wie vielen Gelegenheiten hat ihm diese Abhängigkeit gefehlt! Er konnte nicht auf seine Liebe zu dem Herrn vertrauen und hatte dies eben erst bei dem "Bruch Ussas" erfahren; er mußte Gott fragen, und Nathan war ebensowenig wie der König von dieser Verpflichtung befreit. Es ist nötig, daß jeder von uns persönlich nur von Gott abhängig ist; die gottesfürchtigsten Menschen können Gott nicht ersetzen. Lot wandelte eine Zeitlang mit A b r a h a m. Aber ach! was war sein Ende! Abraham wan­delte in i t G o t t. Laßt uns den Ausgang seines Wandels anschauen und seinen Glauben nachahmen! Sicher können wir auf Ratschläge hören, sie von solchen erbitten, die weiter vorgeschritten sind als wir in Erkenntnis, Weisheit und wahrer Frömmigkeit; das tun demütige Herzen, die nicht auf sich selbst vertrauen, ‑ aber a b h ä n g i g hinsichtlich unserer Entscheidungen und unseres Wandels dürfen wir nur von Gott sein. 

Jehova hat Mitleid mit Seinem Knechte; Er sieht in seinem Herzen den Wunsch, Ihn zu ehren, und Er enthüllt ihm Seine geheimsten Gedanken. "Es geschah in selbiger Nacht, da geschah das Wort Jehovas zu Nathan also: Gehe hin und sprich zu meinem Knechte, zu David: So spricht Jehova: Solltest du mir ein Haus bauen zu meiner Wohnung? denn ich habe nicht in einem Hause gewohnt von dem Tage an, da ich die Kinder Israel aus Ägypten heraufgeführt habe, bis auf diesen Tag; sondern ich wanderte umher in einem Zelte und in einer Wohnung." (V. 4‑6.) Niemals, sagt Er, habe Ich Mich nach Ruhe umgesehen bis jetzt; Ich bin immer mit Meinem Volke umhergewandert. Solange die endgültige Ordnung nicht hergestellt ist, habe Ich kein Wort darüber geredet, daß man Mir eine Ruhestätte erbauen solle.

 

Warum das? Weil Gott die endgültige Ruhe für Sich noch nicht für gekommen erachtete. Er fuhr fort zu wirken. Er opferte Seine eigene Ruhe derjenigen Seines Volkes und Seines Königs, und entfaltete Seine Tätigkeit noch zu ihren Gunsten, um sie auf den Berg Seines Erbteils zu setzen, sie dort zu pflanzen, wie in dem Liede Moses gesagt worden war: "Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils" (2. Mose 15, 17); und diese Arbeit hatte Gott noch nicht zu Ende gebracht. Er will sie vollenden und übernimmt die Rolle eines Wanderers zugunsten dieses elenden Volkes; Er läßt sozusagen Seine eigenen Interessen beiseite, um Sein Volk endgültig in eine Ruhe einzuführen, die ewig durch nichts gestört werden wird. Das Wort "ewiglich" oder "auf ewig" kennzeichnet alle Segnungen in diesem Kapitel. (V. 13. 16. 24. 26. 29.) Das ist der Gedanke Gottes für die Seinigen.

 

Auch wir haben einen Herrn, der zu unserer Segnung tätig ist. Hat Er nicht gesagt: "Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke?" (Joh. 5, 17.) Er hat noch nicht aufgehört, durch Seinen Geist zu wirken, und wird in Tätigkeit bleiben bis zu dem Augenblick, wo "er von der Mühsal seiner Seele Frucht sehen und sich sättigen wird." (Jes. 53, 11.) Dann wird Gott Ruhe haben können, und wird Seinem Volke Anteil daran geben und Seinem König, den Er zum Haupt über alles setzen wird; dann wird Er für Sich Selbst ruhen. "Der König Israels, Jehova, ist in deiner Mitte, du wirst kein Unglück mehr sehen. An jenem Tage wird zu Jerusalem gesagt werden: Fürchte dich nicht! Zion, laß deine Hände nicht erschlaffen! Jehova, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held; er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel!" (Zeph. 3, 15‑18.) Das ist die Ruhe Gottes. Wenn Er alle Gegenstände Seiner Liebe in die Ruhe eingeführt und sie um Sich haben wird in der Herrlichkeit, wo nie mehr eine Veränderung stattfinden, wo keine Wolke mehr über sie hinziehen wird, wenn der Herr, wie Sein Herz es begehrt, die reife und volle Frucht Seines Werkes auf dem Kreuze sehen wird, dann wird die Ruhe Gottes da sein. Die Ruhe der Schöpfung hat einen Tag gedauert und ist dann gestört worden; die Ruhe der Erlösung wird nie gestört werden, sie wird "ewiglich" währen.

 

Das 1. Buch der Könige stellt uns diese Ruhe v o r b i 1 d ‑1 i c h dar in der herrlichen Regierung Salomos: ein schwaches Bild von der Regierung Christi. Dann werden Gerechtigkeit und Friede auf der Erde h e r r s c h e n , nachdem sie sich am Kreuze "geküßt" haben. (Ps. 85, 10.) Doch das wird nicht das Ende sein. Neue Himmel und eine neue Erde werden auf die ersten folgen, und die Gerechtigkeit wird in ihnen w o h n e n, nachdem ihre H e r r s c h a f t für immer ein Ende gefunden haben wird. (2. Petr. 3, 13.)

 

Bevor nun diese Dinge eintreten, finden wir in unserem Buche eine Übergangszeit, in welcher Gott tätig ist, um die völlige Erfüllung Seiner Ratschlüsse herbeizuführen.

Gott erinnert David an das, was Er für ihn getan hat: "Ich habe dich von der Trift genommen, hinter dein Kleinvieh weg, daß du Fürst sein solltest über mein Volk, über Israel." Das war seine Herkunft. "Ich bin mit dir gewesen überall, wohin du gezogen bist, und habe alle deine Feinde vor dir ausgerottet; und ich habe dir einen großen Namen gemacht, gleich dem Namen der Großen, die auf Erden sind." Gott hatte ihm gnädiglich beigestanden von seinem ersten bis zu seinem letzten Schritt; überall war Er mit ihm gewesen und hatte ihn mächtig und geehrt gemacht.

 

"Und ich werde einen Ort setzen für mein Volk, für Israel, und werde es pflanzen, daß es an seiner Stätte wohne und nicht mehr beunruhigt werde, und die Söhne der Ungerechtig­keit sollen es nicht mehr bedrücken wie früher und seit dem Tage, da ich Richter über mein Volk Israel bestellt habe­ Welch eine Gnade, welch ein zärtliches Mitgefühl für Sein Volk gibt sich in diesen Worten kund! Er nennt es mit Wonne S e i n V o 1 k. Und was David betrifft: "Ich habe dir Ruhe geschafft vor allen deinen Feinden", aber Ich will noch mehr für dich tun. Du wolltest Mir ein Haus bauen? Ich will Mich vielmehr d e i n e m Dienste widmen, um d i r eins zu bauen; nicht ein Haus von Zedern, sondern: "Jehova tut dir kund, daß er dir ein Haus machen wird. Wenn deine Tage voll sein werden, und du bei deinen Vätern liegen wirst, so werde ich deinen Samen nach dir erwecken, der aus deinem Leibe kommen soll, und werde sein Königtum befestigen. Der wird meinem Namen ein Haus bauen; und ich werde den Thron seines Königtums befestigen a u f e w i g.

Bezieht sich dies nur auf die Person Salomos? Nein, Gott richtet Davids Blicke auf Christum, das Geschlecht Davids. Welche Gedanken mußten das Herz des Königs erfüllen angesichts einer solchen Ehre, die seinem Hause zuteil werden sollte! Die Verheißungen der Gnade erstrecken sich bis zu dem ewigen Reiche: j c h will ihm zum Vater sein, und e r soll mir zum Sohne sein." Der Sohn Davids sollte der Sohn Gottes sein! (Hebr. 1, 5.) Welch ein Ausblick für das Herz Davids! Ein Strom von Gnade fließt ihm entgegen und wird von ihm ausfließen.

 

Sodann redet Gott zu David über Salomo, und zwar nicht mehr als Vorbild von Christo, sondern als einem fehlbaren Menschen, dem als solchem eine Verantwortlichkeit übertragen wird; er kann unter die Zucht und das Gericht Gottes fallen. "Wenn er verkehrt handelt, werde ich ihn züchtigen mit einer Menschenrute und mit Schlägen der Menschenkinder", aber seine Nachkommenschaft wird für immer bestehen: "Meine Güte soll nicht von ihm weichen, wie ich sie von Saul weichen ließ, den ich vor dir weggetan habe. Und dein H aus und dein Königtum sollen vor dir beständig sein auf ewig, dein Thron soll fest sein auf ewig."

 

Hat Gott gelogen? Die Nachkommenschaft Davids scheint ein Ende genommen zu haben, die schwachen Spuren seines Thrones scheinen mit Serubbabel, der nicht einmal den Königstitel verdiente, in Staub zu zerfallen; aber man sehe, was die Stimme Sacharjas schon Serubbabel in Kap. 4, 6‑10 zuruft. Ferner lesen wir im 9. Kapitel desselben Propheten: "Frohlocke laut, Tochter Zion; jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen : gerecht und ein Retter ist er, demütig, und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Füllen, einem Jungen der Eselinnen." Es gibt also keine Zwischenregierung . . . Aber der Messias, der wahre König, ist doch von Seinem Volke verworfen worden! Ohne Zweifel; der Thron ist verloren, und die Ver­heißung Gottes an David ist nicht in Erfüllung gegangen, Wo ist der König? Wo ist die Erbfolge des Samens Davids? Und doch, der Thron besteht. Ehe Gott ihn von neuem auf der Erde errichten wird, ist er im Himmel aufgerichtet. Der Sohn Davids ist hingegangen, "um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen". (Luk. 19, 12.) Er ist anerkannt als Haupt des himmlischen Teiles Seines Reiches, bevor Ihm der irdische Teil ebenfalls unterworfen sein wird. "Der König ist tot, es lebe der König!" so sagen die Men­schen, indem sie dem Nachfolger des gestorbenen Herrschers Heil zurufen. Aber der Christus ist einmal gestorben, und der Christus, Sein eigener Nachfolger, lebt ewiglich!

 

Seit der Kreuzigung und der Verwerfung Christi durch die Juden haben wir eine Zwischenzeit, welche mit der Bildung der Kirche beginnt und sich erstreckt bis zu dem Augenblick, wenn der Herr die Kirche aufnehmen wird, um sie mit Sich in die Herrlichkeit einzuführen. Erst dann wird Er Seine Rechte auf den irdischen Teil Seines Reiches geltend machen. Alle "gewissen Gnaden Davids" werden in Ihm in Erfüllung gehen, dessen Reich beständig sein wird auf ewig.

 

Ich gebe unserem Kapitel gern die Überschrift: "Gemeinschaft ". Gott vertraut hier David alle Seine Gedanken an, nicht nur in bezug auf ihn und sein Volk, sondern auch in bezug auf Christum. David "geht hinein und setzt sich vor Jehova nieder", und in aller Freiheit, in allem Vertrauen wendet er sich an den Gott der Heerscharen, der zwischen den Cherubim thront, und teilt Ihm seine eigenen Gedanken mit, Gedanken der tiefsten Dankbarkeit für alles, was Gott für ihn getan hat. Er erfreut sich mit Gott an dem, was Gott vorhat, für ihn, für sein Volk und für sein Haus zu tun.

 

Das erste Bemerkenswerte hierbei ist die Demut des Königs; er hat keinen stolzen Gedanken. Die Gemeinschaft mit dem Herrn macht den Menschen, anstatt ihn zu erheben, gering in seinen eigenen Augen. "Wer bin ich, Herr, Jehova, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?" Er kennt seine Herkunft und rühmt sich ihrer, weil sie den Gott erhöht, der ihn "von den Triften des Kleinviehes" genommen hat.

 

Können wir nicht dieselben Worte aussprechen, wir, die wir aus einer solchen Tiefe heraufgeholt worden sind, um an all dem Herrlichen teilzuhaben, das sich vor unseren Blicken auftut? "Wer bin ich, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast? Und dies ist noch ein Geringes gewesen in deinen Augen, Herr, Jehova! und du hast auch von dem Hause deines Knechtes geredet in die Ferne hin." Du hast deine Größe gezeigt, indem Du mir einen großen Namen gemacht hast, mir, einem elenden und wertlosen Ge­schöpf. Ja, nicht meine, sondern Deine Größe ist herrlich! "Ist dies die Weise des Menschen, Herr, Jehova?" Doch was soll David noch weiter zu dir reden?" David steht da vor Gott, indem er den Gefühlen, die sein Herz erfüllen, freien Lauf läßt, aber auch das Bewußtsein in sich trägt, daß seine Worte immer zu schwach sein werden, diesen Gefühlen einen entsprechenden Ausdruck zu geben. Dann preist er Jehova für das, was Er an seinem Volke getan hat.

Im 25. Verse kommt die Bitte, und damit schließt dieses Kapitel. Man findet darin den Charakter eines Gebetes wahrer Gemeinschaft mit Gott: Tue, was Du hast tun wollen und was Du geredet hast. "Das Haus deines Knechtes sei fest vor dir, d e n n du hast dem Ohre deines Knechtes eröffnet und gesagt: Ich werde dir ein Haus bauen." "So laß es dir nun gefallen und segne das Haus deines Knechtes, denn du, Herr, Jehova, hast geredet." (V. 26‑29.)

 

Wir können dem Verhalten Davids ein Vorbild für uns entnehmen. Nachdem wir die göttlichen Mitteilungen in unseren Herzen empfangen haben, mögen wir uns prüfen, was die Gebete unserer Herzen sind, die von Gott das er­bitten, was Er Selbst uns verheißen hat; denn Er gibt gern das, um was wir bitten, Er verleiht gern nach unseren Ge­danken und Wünschen, weil sie als die Frucht der Gemein­schaft mit Ihm Seine Gedanken und Seine Wünsche sind. 

Neue Siege. Kapitel 8. 

Nach dem 7. Kapitel, welches in sittlicher Hinsicht den Höhepunkt der ganzen Geschichte Davids darstellt, berichtet das 8. Kapitel eine Reihe von Siegen. Die Siege in diesem Kapitel haben zum Ausgangspunkt die Gemeinschaft Davids mit seinem Gott, wie diejenigen des 5. Kapitels die Frucht seiner Abhängigkeit und seines Gehorsams waren. Wenn wir in Gemeinschaft mit Gott sind, hat Gott nicht nötig, Zucht an uns zu üben, wie Er es im Falle Ussas tat. Die Gemeinschaft erlaubt uns, voranzugehen in der Gewißheit, daß wir auf dem Wege Gottes sind, ohne eine besondere Unterweisung nötig zu haben, die uns ihn als solchen erkennen läßt, und wir können das Wort verwirklichen: "Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; m ein Auge auf dich richtend, will ich dir raten." (Ps. 32, 8.) Unser Weg wird der Weg Gottes, weil unsere Gedanken nicht von den Seinigen abweichen. So wird auch in diesem Kapitel zweimal gesagt: Jehova half David ü b e r

all, wohin er zog." (V. 6 u. 14.)*)

*) Es ist auch zu beachten, daß die Siege des 5. Kapitels auf die Errichtung des Königtums in Zion folgen, und die des 8. Kapitels auf die Errichtung des Thrones Gottes an demselben Orte. Im ersten Fall behauptet Gott den Nationen gegenüber den Cha­rakter und die Würde Seines Gesalbten, im zweiten Seine eigene Herrlichkeit als Gott Israels. Die Nationen müssen sich unter diese zweifache Oberhoheit beugen. Ich zweifle nicht daran, daß ähnliche Ereignisse der endgültigen Einführung der Segnungen des tausendjährigen Reiches vorangehen werden,

 

Wie der Herr, wenn Er am Ende die Nationen richten wird, so übt David auf verschiedene Weise Gericht an ihnen, entweder nach dem Charakter seiner Feinde, oder nach der Art, wie sie sich gegen sein Volk benommen haben.

Zuerst schlägt er die Philister und demütigt sie, indem er sich des Zaumes ihrer Hauptstadt bemächtigt, und dadurch sind diese geschworenen Feinde Israels dessen beraubt, was das Bollwerk ihrer Macht war. 

Moab ist der stolze Feind, der sich wider Gott und wider Seinen Gesalbten erhebt, das grausame Volk, ohne Mitleid für Israel. David vernichtet davon zwei Drittel, aber er übt Gnade an einem Oberrest, dem er das Leben schenkt: "Er maß eine volle Meßschnur, um sie am Leben zu lassen". "Sie wurden David zu Knechten, welche Geschenke brachten."

 

Ebenso wurden die Syrer von Damaskus, die Hadadeser, dem Könige von Zoba, zu Hilfe gekommen waren, durch die Macht Davids besiegt, und "wurden seine Knechte, welche Geschenke brachten.

In Vers 13 u. 14 wird Edom gänzlich unterworfen. In 1. Chron. 18, 12 heißt es, daß dies durch Abisai, den Bruder Joabs, in Ps. 60, daß es durch Joab selbst geschehen sei. Doch welches auch die Werkzeuge waren, der Sieg wird hier David zugeschrieben. Edom ist die einzige von all den Nationen, die am Ende zum Gericht wieder erscheinen, von welcher kein Überrest bleiben wird. Gott wird Edom ohne Erbarmen richten für die Art und Weise, wie es sich seinem Volke gegenüber verhalten hat; denn es war die böseste und am meisten auf die Vernichtung des Volkes bedachte Nation. Hatte Edom nicht einst "sich geweigert, Israel durch. sein Gebiet ziehen zu lassen", um nach Kanaan zu kommen? (4. Mose 20, 21.) Und der betrübte Überrest in Babel ruft aus: "Gedenke, Jehova, den Kindern Edom den Tag Jerusalems, die da spra­chen: Entblößet, entblößet sie bis auf ihre Grundfeste!" (Ps. 137, 7.)

 

Der Prophet Obadja, dessen einziger Gegenstand das Gericht über Edom ist, sagt: "Das Haus Jakob wird ein Feuer sein, und das Haus Joseph eine Flamme, und das Haus Esau zu Stoppeln; und sie werden unter ihnen brennen und sie verzehren. Und das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben, denn Jehova hat ge­redet." (V. 18.) Von allen übrigen Nationen wird ein "Über­rest" bleiben. So wird am Ende das schreckliche Wort Jehovas in Erfüllung gehen: "Esau habe ich gehaßt" (Mal. 1, 3); "denn", sagt Obadja, "Jehova hat geredet".

Im 5. Verse unseres Kapitels wird noch ein anderes Ereig­nis mitgeteilt. Als Toi, der König von Hamath, erfuhr, daß David Hadadeser geschlagen hatte, mit welchem Toi stets im Kriege war, sandte er seinen Sohn Joram zum König mit Geräten von Silber, von Gold und von Erz. Toi erkannte aus freien Stücken die Rettung an, die Gott durch David bewirkt hatte, und brachte seine Geschenke ungezwungen dar.

 

Das alles zeigt uns, daß die Nationen zur Zeit des Endes ganz verschiedene Charakterzüge tragen werden. Die einen werden mit einer eisernen Rute zerschmettert und zur Unter­werfung gezwungen werden, die anderen werden sich den Schein der Unterwürfigkeit geben, wie geschrieben steht: "Die Söhne der Fremde unterwarfen sich mir mit Schmeichelei" (PS. 18, 44; 2. Sam. 22, 45); wieder andere, und zwar nicht Vereinzelte wie Toi, sondern eine große Schar, die niemand zählen kann (Offbg. 7, 9), werden sich willig unter das Joch Christi beugen und Seinen Sieg als ihre Rettung anerkennen.

 

Die ganze Siegesbeute, samt den freiwilligen Geschenken Tois, wird durch David Jehova geweiht. Er teilt sich selbst nicht das Geringste zu. Wozu sollen diese Schätze dienen? 1. Chron. 18, 7‑8 berichtet uns, daß sie nach Jerusalem ge­bracht wurden, und daß Salomo von der großen Menge Erz das "eherne Meer und die Säulen und die ehernen Geräte" für den Tempel Jehovas machte. Nachdem im 6. Kapitel David dem Throne Jehovas den Platz gegeben hatte, der ihm in der Regierung des Reiches gebührte, waren seine Gedanken nur noch darauf gerichtet, die Frucht seiner Siege zur Aus­schmückung der endgültigen und unbeweglichen Wohnung seines Gottes in der Mitte Israels zu benutzen. Die Siege des 5. Kapitels hatten zur Befestigung des Thrones Davids ge­dient, die des 8. Kapitels dienen zur Verherrlichung des Thrones Gottes, der zwischen den Cherubim wohnt.

 

Zwei oder drei Psalmen stehen in besonderer Weise mit den Ereignissen dieses 8. Kapitels in Verbindung. Es ist interessant zu sehen, wie die prophetischen Gesänge Davids die Frucht seiner persönlichen Erfahrungen sind, oder damit in Verbindung stehen, aber auch wie diese Erfahrungen nur einen geringen Faktor in dem prophetischen Lauf der Ereig­nisse bilden, ein schwaches Bild von den Leiden Christi und von den darauf folgenden Herrlichkeiten.

Psalm 60, der sich auf unser Kapitel bezieht, würde, wenn das überhaupt nötig wäre, uns beweisen, daß diese Ereignisse nicht einfach die Geschichte Davids sind, sondern als Vorbild die zukünftige Errichtung des Reiches Christi auf der Erde darstellen.*)

*) ‑Das zweite Buch der Psalmen, zu welchem der 60. Psalm gehört, hat Bezug auf die zukünftigen Umstände des Überrestes, wenn er aus Jerusalem vertrieben sein wird, und führt uns bis zur Errichtung des Reiches Davids und zu dem Siege über die Nationen. Psalm 72 beschließt dieses Buch mit der Regierung Salomos, der als König der Gerechtigkeit und des Friedens über sein Volk eingesetzt ist.

 

Die Überschrift dieses Psalmes sagt uns, daß er "ein Gedicht von David ist, zum Lehren, als er stritt mit den Syrern von Mesopotamien und mit den Syrern von Zoba, und Joab zurückkehrte und die Edomiter im Salztale schlug, zwölf­tausend Mann". Der Anfang des Psalmes ist merkwürdig: "Gott, du hast uns verworfen, hast uns zerstreut, bist zornig gewesen; führe uns wieder zurück! Du hast das Land er­schüttert, hast es zerrissen; heile seine Risse, denn es wankt! Du hast dein Volk Hartes sehen lassen, mit Taumelwein hast du uns getränkt." Kein Umstand des 2. Buches Samuel ent­spricht diesen Worten, wohl aber die Geschichte Israels im 1. Buche. Infolge seiner Untreue unter dem Priestertum sowie unter dem Königtum Sauls hat Israel in der Tat am Ende dieses Buches den Taumelwein getrunken; es wird ihn in noch verderblicherer Weise unter dem Antichrist trinken.

 

"Denen, die dich fürchten, hast du ein Panier gegeben, daß es sich erhebe um der Wahrheit willen; damit deine Geliebten befreit werden." (V. 4 u. 5.) Was ist dieses Panier? Es ist David, wie wir in Jes. 11, 10 sehen: "Und es wird geschehen an jenem Tage: der Wurzelsproß Isais, welcher dasteht als Panier der Völker, nach ihm werden die Nationen fragen; und seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein." Diese Segnung wird in unserem Kapitel nur teilweise gefunden; sie wird ihre volle Erfüllung in "Jehova‑Nissi" (Jehova, mein Panier) finden, in Christo, dem wahren Wurzelsproß Isais, vor Seiner Einsetzung in Seine Regierung als der wahre Sa­lomo. Er wird das Panier sein, um welches Israel sich scharen wird, um von Sieg zu Sieg zu schreiten. "Damit deine Ge­liebten befreit werden; in der Tat, die Siege des wahren David werden die Befreiung des Überrestes Israels bedeuten.

 

"Gott hat geredet in Seiner Heiligkeit: Frohlocken will ich, will Sichem verteilen und das Tal Sukkoth ausmessen.‑ (V. 6.) Sichem und Sukkoth erinnern uns an den Anfang der Ge­schichte Israels, in der Person seines Stammvaters Jakob. (1‑ Mose 33, 17‑20.) Es sind die ersten Orte, wo er sich niederließ, nachdem er in der Fremde umhergewandert war und nun wieder das Land der Verheißung betreten hatte. Ähnlich wird es für den Überrest Israels am Ende sein, indem er den wahren David umringt und in Seinem Gefolge in den Besitz des Landes Kanaan zurückkehrt.

 

"Mein ist Gilead, und mein Manasse, und Ephraim ist die Wehr meines Hauptes, Juda mein Herrscherstab." (V. 7.) Alle Stämme Israels werden den wahren König anerkennen.

,Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen; Philistäa, jauchze mir zu!" (V. 8.) Nachdem der Messias anerkannt sein wird, werden die drei großen Feinde in unserem 8. Kapitel unterworfen; Philistäa erkennt laut die Oberhoheit des Gesalbten Jehovas an.

 

In den Versen 9‑12 fragt der Überrest: "Wer wird mich führen in die feste Stadt, wer wird mich leiten bis nach Edom?" und antwortet: "Nicht du, Gott, der du uns ver­worfen hast, und nicht auszogest, o Gott, mit unseren Heeren?" Ein Größerer als David, ihr Messias, Gott Selbst, wird da sein, um sie zu führen. Dieser Psalm, der durch die Erfahrungen Davids und durch die Tatsachen seiner Ge­schichte hervorgerufen worden ist, findet also in ganz bestimmter Weise seine Anwendung auf die Person des Herrn Jesu.

 

Diesen 60. Psalm finden wir, wenigstens teilweise, in Psalm 108 (V. 6‑13) im fünften Buche wieder. Die fünf ersten Verse sind dem 57. Psalm entnommen, stammen also gleichfalls aus dem zweiten Buche. Psalm 57 wurde gedichtet, als David vor Saul in die Höhle floh. In den Versen 7‑11 frohlockt David über die Folgen der Rettung, die Jehova zu seinen Gunsten gewirkt hat. Er geht gewissermaßen aus dem 1. in das 2. Buch Samuel über und sagt: "Befestigt ist mein Herz, o Gott! ich will singen und Psalmen singen. Wache auf, meine Seele! wachet auf, Harfe und Laute! ich will auf­wecken die Morgenröte. Ich will dich preisen, Herr, unter den Völkern, will dich besingen unter den Völkerschaften. Denn groß bis zu den Himmeln ist deine Güte, und bis zu den Wolken deine Wahrheit. Erhebe dich über die Himmel, o Gott! und über der ganzen Erde sei deine Herrlichkeit!"

 

Die Verse 6 ‑ 13 des 108. Psalms sind dieselben wie in Psalm 60, aber der Gedanke dort ist verschieden von dem Gedanken hier; das heißt, in Psalm 108 trägt David den Sieg davon, damit Jehova verherrlicht werde u n t e r d e n N a t i o n e n , und a u c h , damit Seine Geliebten befreit werden, während in Psalm 60 nur von der B e f r e i u n g Seiner Geliebten die Rede ist.

 

Im 5. Buche der Psalmen, wovon der 108. Psalm einen Teil bildet, haben wir die Umstände, welche die Rück­kehr Israels in sein Land begleiten; es befindet sich noch nicht unter der Regierung Salomos, des Vorbildes von Christo während des tausendjährigen Reiches, sondern unter der Regierung Davids, des Königs der Gnade, und zwar in unruhigen Zeiten (wie in 2. Sam. 8), hervorgerufen durch das Erscheinen des A s s y r e r s , der sich beim An­bruch des tausendjährigen Zeitalters des Landes Israel be­mächtigen will. Wenn alle Feinde geschlagen sind, und d e r K ö n i g über Philistäa triumphiert hat (vergl. Ps. 60 ' 8), fragt der Überrest, wer ihn bis na c h Edom leiten werde. Jesaja 63, 1‑6 gibt uns die Antwort: "Wer ist dieser, der von Edom kommt? ... Ich habe die Kelter allein getreten, und von den Völkern war niemand bei mir.... Denn der Tag der Rache war in meinem Herzen, und das Jahr meiner Er­lösung war gekommen.... Und ich trat die Völker nieder in meinem Zorn."

Das wird der letzte der aufeinanderfolgenden Siege des Messias über Seine Feinde sein; ganz allein wird Er sie zu Boden werfen.

 

Wie interessant ist es, die ganze Geschichte des Alten Testamentes auf ihr Gegenbild zurückzuführen, und es nicht bei den sittlichen Unterweisungen, die man ihm entnehmen kann, bewenden zu lassen; denn das ganze Wort redet zu uns von dem Herrn Jesu. ihn müssen wir vor allem darin suchen. Wenn wir das Wort mit Gebet, unter dem Auge des Herrn, untersuchen, führt es uns notwendigerweise zu der Erkenntnis Seiner Person. Wir haben nötig, vor allem mit Ihm beschäftigt zu sein. Dann werden die Herrlichkeit Seines Reiches, Sein Sieg über die Nationen, sowie die Wiederan­knüpfung Seiner Beziehungen zu Seinem Volke von höchstem Interesse für uns sein, obschon diese Dinge nicht uns per­sönlich angehen. Wir freuen uns in dem Gedanken, Ihn den Platz einnehmen zu sehen, der Ihm gebührt; denn Jehova wird dieses Reich der Herrlichkeit auf der Erde für Den er­richten, der das wunderbare Werk der Erlösung vollbracht hat, durch welches Gott vollkommen verherrlicht und wir für immer gerettet wurden.

 

Die letzten Verse (15‑18) unseres Kapitels bezeichnen einen Abschnitt des ganzen Buches. Wir werden sie mit einigen Änderungen in Kapitel 20, 23‑26 wiederfinden. Diese Verse stellen d i e Ordnung d e r Regierung D a v i d s vor, und das 8. Kapitel schließt eigentlich die Ge­schichte der Einsetzung des Königs als Vorbild des Messias ab. Indessen zeigt uns die Anwesenheit Joabs an der Spitze des Heeres und die Ausübung des Priestertums durch zwei Hohenpriester, daß die endgültige Ordnung noch nicht einge­führt war. Sie tritt erst unter der Regierung Salomos ans Licht. 

Mephiboseth ‑ Kapitel 9. 

Die Kapitel 9 und 10 bilden eine Art Anhang; sie stellen vorbildlich die Gnade des Messias dar, im 9. Kapitel dem Überrest Israels, im 10. Kapitel den Nationen gegenüber. Die Nationen weisen aber die Gnade zurück und ziehen sich dadurch das Gericht Gottes zu. 

Im 9. Kapitel erinnert sich David im rechten Augenblick wie­der des Hauses Sauls; er forscht nach übriggebliebenen von diesem Geschlecht, um ihnen Güte zu erweisen um seines Freundes Jonathan willen. Er findet Mephiboseth, einen armen Nachkommen dieser Familie, der an seiner Person die Folgen des Mangels an Glauben seiner Wärterin zu tragen hatte. (Vergl. Kap. 4, 4.) 

Mit dem Herrn Jesu wird es gerade so sein wie mit David. Die Zeit wird kommen, wo der Messias Seine Be­ziehungen zu dem Überrest Israels wieder aufnehmen wird, dessen Väter (gleich Jonathan) Ihn während der Tage Seiner Verwerfung anerkannt und trotz ihrer Schwachheit geliebt haben wie ihre Seele. Dieser erste Überrest, der in den Tagen Jesu bekehrt wurde, hat ein Ende gefunden und ist nach der Auferstehung des Herrn sozusagen in der christlichen Kirche aufgegangen. Die Kirche bildet in der jetzigen Zeit die große Einschaltung, welche durch das Kommen des Herrn zur Aufnahme der Heiligen ihren Abschluß finden wird. Dann erst wird der wahre David sich der Nachkommenschaft Jonathans erinnern, der Nachkommenschaft der ersten jüdi­schen jünger in geistlichem Sinne. Er wird diese Nachkom­menschaft in einem elenden Überrest zu entdecken wissen, welcher einstmals, indem er sich nicht der Gnade anvertraute, dem Messias den Rücken wandte und am Ende der Tage unter den Folgen seines Unglaubens leiden wird.

 

Dieser Überrest wird zwei Charakterzüge haben, die wir beim Lesen der Psalmen immer und immer wieder finden. Er wird einerseits das Gewicht des göttlichen Zornes i n G o t ‑tes Regierungswegen tragen, des Zornes gegen ein aufrührerisches Volk, von welchem er sich hätte trennen sol­len, und andererseits, wie Mephiboseth, des Charakters der Gnade nicht entbehren, die dann sein Teil sein wird. Die Psalmen geben durch den Mund des Überrestes diesen beiden, scheinbar sich widersprechenden Gedankenreihen, Ausdruck: 1. der Regierung Gottes, die äußerlich in Zorn gegen den Überrest ausgeübt wird, weil dieser einen Teil des Volkes ausmacht, welches den Messias gekreuzigt und sich auch mit "Blutschuld" beladen hat (Ps. 51, 14); 2. der Gnade, die in den Herzen dieser Gerechten wirkt, um sie dahin zu bringen, daß sie den Herrn als ihren Retter anerkennen und an der Herrlichkeit Seines Reiches teilnehmen.

Laßt uns jetzt die Züge in dieser Erzählung hervorheben, welche mit unseren eigenen Beziehungen zu Christo in Be­rührung stehen.

 

David läßt seinem Erbarmen gegen die, welche er segnen will, freien Lauf. Es gab gar keinen Grund dafür, daß er an dem Hause Sauls hätte Interesse nehmen sollen. Es hatte ihn zu aller Zeit bekriegt, und was seinen jetzigen Zustand betraf, so konnte nur seine jammervolle Lage die Gedanken des Königs auf sich ziehen. Aber gerade Jammer und Elend sind es, welche die Gnade anziehen. David sagt: "Ist noch jemand da, der vom Hause Sauls übriggeblieben ist, daß ich Güte an ihm erweise um Jonathans willen?" und weiter: "daß ich Güte Gottes (d. i. göttliche Güte) an ihm erweise?" Ziba teilt ihm mit, daß noch ein armer Elender übrig sei, lahm an seinen beiden Füßen, weil er einst vor dem geflohen war, der nur daran dachte, ihn zu segnen. Der König läßt ihn holen; und Mephiboseth, der zu der Zahl jener "Lahmen und Blinden" gehörte, "die der Seele Davids verhaßt sind" (Kap. 5, 8), kommt vor ihn. Von welchen Gefühlen mag das Herz dieses armen Krüppels bewegt worden sein! Mit welcher Angst mag er das Los erwogen haben, welches seiner wartete! David hatte zwar zu Ziba gesagt, daß er an einem der Nach­kommen Sauls Güte erweisen wolle; aber würde er, wenn er nun wirklich einen Abkömmling dieses Geschlechts, welches ihn ohne Erbarmen im Lande umhergeiagt hatte, vor sich sah, noch daran denken, die versprochene Barmherzigkeit zu erweisen?

 

" Und David sprach: Mephiboseth!" Er nennt ihn bei seinem Namen, obwohl anscheinend niemand denselben vor ihm genannt hatte. "David kennt mich also; er erinnert sich meiner", muß der Unglückliche gedacht haben. Und Mephi­boseth, zu den Füßen des Königs auf seinem Angesicht liegend, sagt: "Siehe, dein Knecht."

 

David tut das, was der Herr immer tut, wenn Er das Vertrauen eines Sünders gewinnen will; er sagt zu ihm: ,Fürchte dich nicht!" Als diese arme Seele, in Schrecken vor dem kommenden Gericht, zu den Füßen ihres Richters liegt, dringen die lieblichen Worte in ihr Ohr: "Fürchte dich nicht; denn ich will gewißlich Güte an dir erweisen um deines Vaters Jonathan willen." David gedenkt seines Bundes mit Jonathan; er hatte sich ihm gegenüber durch Zusagen verpflichtet, die nicht zurückzunehmen waren (l. Sam. 20, 14‑17); er konnte nicht davon zurücktreten, wollte es aber auch nicht. Mephiboseth hatte nichts zu fürchten, denn s e i n R i c h t e r sagt ihm: "Ich will gewiß­lich Güte an dir erweisen."

 

Doch David läßt es dabei nicht bewenden: "Ich will dir alle Felder deines Vaters Saul zurückgeben", sagt er. Er setzt ihn wieder in sein Erbteil ein. Ferner: "Du sollst beständig an meinem Tische essen." Die Gnade des Königs gibt ihm einen der ausgezeichnetsten Plätze an seinem Hofe. Er ißt mit dem König;‑ und noch mehr: "wie einer von den Königssöhnen." (V. 11.) David gibt ihm vor aller Augen den Titel und das Verhältnis eines Sohnes!

 

Für das Auge des Menschen war dieser Mann das Bild des Elends selbst. Unfähig, sich fortzubewegen, arm und kraftlos, mußte er stets an den Tisch des Königs getragen werden. Was mochten die Draußenstehenden von ihm denken, wenn sie an einem der Hoffeste teilnahmen? Ach, mochten sie denken, was sie wollten, f ii r D a v i d war er ein Sohn, in die höchste Stellung versetzt, die er ihm geben konnte. Finden wir nicht dasselbe in Eph. 2, 6. 7, wo es heißt: "Gott hat uns mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu, auf daß er in den kommenden Zeitaltern den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns erwiese in Christo Jesu?" Die Tatsache, daß Mephiboseth als Sohn am Tische Davids sitzen durfte, war in den Gedanken des Königs tausendmal kostbarer, als die Tatsache, daß er Erbe der Felder seines Vaters war. Auch werden diese Worte dreimal wiederholt. (V. 7. 10 u. 13.)

 

Beachten wir, daß die Einführung in dieses so überaus herrliche Verhältnis an dem Zustand Mephiboseths gar nichts änderte. Das Kapitel schließt mit den Worten: "Er war aber lahm an beiden Füßen." In den Augen anderer, wie in seinen eigenen, blieb er daher notwendigerweise derselbe.

 

"Ich Weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt", sagt Paulus in Röm. 7, 18. In den Augen Davids aber ist es ganz anders: Mephiboseth ist mit der ganzen W ü r d e eines Königssohnes bekleidet. So ist es auch mit uns Christen, die "kein Vertrauen auf Fleisch haben": wir müssen b 1 e i ‑ben, wo wir sind, indem wir das betrachten, was Gott aus uns gemacht hat. Er sieht uns nicht mehr in unserem Elend. Zur Verherrlichung Seiner Gnade gibt Er Armen, an beiden Füßen Lahmen, das Recht, in Seiner Gegenwart in der Herrlichkeit zu sein.

 

Was geht in dem Herzen Mephiboseths vor, wenn er sieht, daß er der Gegenstand einer solchen Gunst ist? Er beugt sich nieder und spricht: "Was ist dein Knecht, daß du dich zu einem toten Hunde gewandt hast, wie ich einer bin?" Vor David bezeichnet er sich als einen Hund, als unrein und ver­ächtlich, ein Bild des Schmutzes; ja, als einen t o t e n Hund, einen Gegenstand des Ekels und Abscheus, den man mit dem Fuße von sich stößt. Indem er so zu David redete, stellte er sich auf denselben Platz, auf welchen David sich einst seinem Großvater Saul gegenüber gestellt hatte: "Wem jagst du nach? Einem toten Hunde  (l. Sam. 24, 15.) Der mächtige König, vor dem Mephiboseth sich befand, hatte einst denselben Platz eingenommen wie er; er hatte während der Tage seiner Drangsal kennen und würdigen gelernt, was Schmutz, Tod und Verwerfung sind. Mit einem solchen Retter hatte Mephiboseth es zu tun.

 

Als die Syrophönizierin zu dem Messias kam, sagte dieser zu ihr: "Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündlein hinzuwerfen." ‑ "ja, Herr", antwortet sie. Sie nimmt dieses Wort an. Ja, Herr, das ist wahr; ich bestätige, was du gesagt hast; ich bin unwürdig, aber du bist die Gnade, und dieser Gnade vertraue ich mich an. "Es essen ja auch die Hündlein unter dem Tische von den Brosamen der Kinder." (Mark. 7, 24‑30.) Diese Worte treffen sogleich das Herz des Herrn Jesu. Ein Glaube, der trotz der eigenen tiefen Unwürdigkeit an seiner Liebe und Macht nicht zweifelt, ist sicher, als Entgelt einen Überfluß von göttlichen Segnungen zu empfangen. Unsere Unwürdigkeit dient nur dazu, die Größe der Gnade ans Licht zu stellen.

 

Der jüdische Überrest am Ende wird auch in der Gegen­wart Dessen, den er verworfen hat, zum völligen Selbstge­richt kommen. Er wird sagen: Ist es möglich, daß ich Ihn, den Sohn Gottes, "für nichts geachtet" habe? Und Er hat meine Feindschaft benutzt, um Sich an meiner Stelle schlagen zu lassen! Er ist in meinen Zustand eingetreten; wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, hat Er Seinen Mund nicht aufgetan, denn Er hatte beschlossen, mich um jeden Preis zu erretten!

Das Teil Mephiboseths konnte ihm nicht genommen wer­den: "Du sollst beständig an meinem Tische essen" (V. 7 u. 10); "er aß beständig am Tische des Königs." (V. 13.) Er wohnte in Jerusalem, an demselben Ort, den der König für sich zur Wohnung gewählt hatte. Wir besitzen dieselben Vorrechte. Die Reihe von Gnadenerweisungen, welche Mephiboseth gehörten, sind auch unser jetziges und zukünftiges Teil. Wir haben das Erbteil, und wir wer­den es besitzen. Wir wohnen im Hause des Va­ters, und wir werden dort wohnen in Ewigkeit. Er läßt uns an Seinem Tische sitzen, und wir werden d a s e i n auf immerdar. Ja, wenn wir uns an jenem zu­künftigen Gastmahl niederlassen werden, wird die Liebe, die sich erniedrigt hat, um uns zu erretten, ihre Freude darin finden, sich für immer zum Diener unserer Freude zu machen! 

Wie Mephiboseth finden auch wir den Maßstab für das, was wir sind, im Lichte der Gnade, die uns zuteil geworden ist; und indem wir uns selbst verurteilen, müssen wir ver­stehen, daß unsere herrliche Stellung als Kinder Gottes nur von der Liebe abhängig ist, von welcher das Herz des Herrn zu so armen Wesen, wie wir es sind, erfüllt ist. 

Hanun. Kapitel 10. 

Die Gnade Davids wendet sich nicht nur dem jüdischen Überrest zu; in dem vorliegenden Kapitel bietet er sie auch den aufrührerischen Heiden an. Moab und Ammon, die Nach­kommen Lots, bildeten sozusagen nur ein Volk, indem wir sie stets miteinander und mit den Feinden Israels verbündet finden, um dem Volke Gottes Schaden zuzufügen. "Es soll kein Ammoniter noch Moabiter in die Versammlung Jehovas kommen; auch das zehnte Geschlecht von ihnen soll nicht in die Versammlung Jehovas kommen ewiglich: deshalb, weil sie euch nicht mit Brot und Wasser entgegengekommen sind auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zoget; und weil sie Bileam, den Sohn Beors, aus Pethor in Mesopotamien, wider dich gedungen haben, um dich zu verfluchen. Aber Jehova, dein Gott, . . . wandelte dir den Fluch in Segen; denn Jehova, dein Gott, hatte dich lieb." (5. Mose 23, 3‑5.) Das ist die Verordnung Gottes in bezug auf sie. Israel sollte niemals ihren Frieden und ihr Wohl suchen; und dennoch wünschte David, wenn nicht das Volk als solches, so doch wenigstens das Haupt desselben durch seine Gnade zu gewinnen, indem er Boten hinsandte, um ihn zu trösten. 

Gerade so wird es am Ende der Zeiten sein: die Gnade Gottes, welche durch die Regierung Christi eingeführt wird, wird den Nationen angeboten werden. Boten werden aus­gehen, um die Nationen aufzufordern, sich Christo zu unter­werfen, und eine große Menge von ihnen wird das Joch des Sohnes Davids leicht finden; andere aber werden, wie Hanun, sich weigern, irgendetwas von Ihm anzunehmen. 

Diese Geschichte redet indes, gleich derjenigen Mephi­boseths, noch von etwas anderem als von der zukünftigen Regierung Christi und von Seiner Gnade, die Er am Ende den Nationen anbieten wird. Wir finden darin auch die Wege Gottes für die jetzige Zeit.

 

"Und David sprach: Ich will Güte erweisen an Hanun, dem Sohne Nahas', so wie sein Vater Güte an mir erwiesen hat." Wir haben keinen Grund zu der Annahme, daß dieser Nahas ein anderer gewesen sei, als der, von welchem in 1. Sam. 11 die Rede ist, dessen Stolz und Wut sich darin zu befriedigen wünschten, daß er allen Bewohnern von Jabes-Gilead, zur Schmach für ganz Israel, das rechte Auge aus­stechen wollte. Gott befreite sie durch die Hand Sauls; aber die Geschichte zeigt uns, welch ein böser und blutdürstiger Mensch und welch ein Feind des Volkes Gottes dieser Nahas war.

 

"Sein Vater hat Güte an mir erwiesen." War das während des Umherwanderns Davids geschehen? Wir wissen es nicht. Das Wort berichtet nichts darüber. Aber jedenfalls war es so, und David, das Vorbild von Christo, erinnert sich einer güti­gen Handlung seitens dieses Mannes, der ihn als den zu­künftigen König Israels doch eigentlich hassen mußte. Zu einer Zeit, wo der Gesalbte Jehovas verworfen war, hatte dieser Nahas (Gott hatte jedenfalls Seine Hand in seinem Tun) ihm Wohlwollen erwiesen.

 

Es kann sein, daß die Welt, daß ein Mensch, welcher zu der dem Volke Gottes feindseligen Welt gehört, etwas für Christum tut, sein Herz reden läßt, um denen, die auf Erden den Herrn Jesum vergegenwärtigen, irgendwelche Hilfe zu leisten. Dieser Mensch mag sein Tun vergessen, auch die Welt mag es vergessen; es mag nirgendwo aufgezeichnet sein, doch der Herr vergißt es nicht. Ein solcher Mensch bekommt nicht im Himmel eine Belohnung, aber die Augen, das Herz, die Gedanken des Herrn Jesu. sind auf ihn gerichtet; Er will nicht ein Schuldner dessen bleiben, der, obwohl im Grunde seines Herzens Ihm feindlich gesinnt, doch etwas für Ihn ge­tan hat. "David sandte hin, um ihn durch seine Knechte wegen seines Vaters zu trösten." Nahas war gestorben; er war ohne Zweifel ein guter König für sein Volk gewesen, und Hanun, sein Sohn und Nachfolger, betrübt über diesen großen Verlust, bedurfte des Trostes. David denkt an ihn.

 

So ist es auch heute. Der Herr vergißt nichts, und als Vergeltung für eine Tat der Güte, die ein sonst böser Mensch Ihm erwiesen hat, sendet Er ihm etwas, das ihn glücklich macht. Es sind T r ö s t u n g e n, welche die Seele aufzurichten vermögen, auf welcher der Schmerz lastet, der durch die Sünde in die Welt gekommen ist. David kannte die Bedürf­nisse Hanuns; er verstand es, den Schmerz und die Trauer durch liebliche und glückliche Gefühle zu ersetzen. Er sendet ihm weder Geschenke, noch Reichtümer, noch Ehrenbezeu­gungen, sondern was unendlich mehr wert ist, er sendet hin, um ihn zu trösten. Er sendet seine Knechte; diese aufnehmen, hieß ihn aufnehmen.

 

So ist es auch mit dem Evangelium, welches der Welt ver­kündet wird. Wie ermutigend ist es, daran zu denken, daß der Herr Seine Augen auf jeden gerichtet hat, und daß Er nicht, auch nicht für einen Augenblick, die Herzen der Sünder, die zu Ihm gebracht werden, vergißt, um ihnen und ihren Kindern Seine Wohltaten anzubieten.

 

Welches Glück wäre es für Hanun gewesen, wenn er die Absichten des Königs verstanden hätte! Die Gnade ist es immer, welche David kennzeichnet. Sie macht ihn zu dem bemerkenswerten Vorbilde von dem Herrn Jesu, ganz abge­sehen von seinen Leiden und Drangsalen. In dem ganzen Ver­laufe unseres Buches beweist er diese Gnade, sowohl ange­sichts des traurigen Loses Sauls, als auch des beklagenswer­ten Geschickes Abners und Isboseths. David hat von seinen Feinden nur Gutes zu sagen; er vergißt ihre Feindseligkeit und ihre Beleidigungen; sein edles und weites Herz erhebt sich über jeden persönlichen Beweggrund, um seine Gegner nur in dem reinen Lichte der Gnade zu betrachten. So sendet auch Jesus Seinen schlimmsten Feinden die beglückende Bot­schaft des Heils.

 

Hanun empfängt die Boten Davids nicht. Wäre er allein gewesen, so würde sein Herz vielleicht gerührt worden sein. Er jagt die Boten nicht sofort weg, aber er wird schlecht be­raten. Die Fürsten der Ammoniter erregen sein Mißtrauen: "Hat nicht David seine Knechte zu dir gesandt, um die Stadt zu erforschen und sie auszukundschaften und sie umzukeh­ren?" Wie leicht finden solche Einflüsterungen Gehör, wenn man Jesum nicht kennt! Diese Leute, sagen sie, sind Heuchler; ihre Absicht ist, uns zu bekriegen. 0 wie oft sind die Knechte des Herrn durch solche Zuflüsterungen in ihrer Ar­beit, Seelen für Christum zu gewinnen, gehemmt worden! Die Welt hat mehr Vertrauen zu der Meinung ihrer Ratgeber, als zu der Botschaft Christi, und jene tun alles, um diejenigen aus ihr von dem Evangelium abzuwenden, die sich geneigt zeigen, es anzunehmen. Vom Mißtrauen zur Beleidigung ist ein kleinerer Schritt, als es oft scheint.

 

"Da nahm Hanun die Knechte Davids und ließ ihnen die Hälfte des Bartes abscheren und ihre Oberkleider zur Hälfte abschneiden, bis an ihre Gesäße; und er entließ sie." Das war die größte Schmach ' die man den Gesandten eines Königs antun konnte. Sie mußten das Gebiet Hanuns entehrt und halbnackt durchziehen, als Gegenstände des Gelächters und des Gespöttes. Kann man sich wundern, wenn "sie sich sehr schämten?" David sandte ihnen entgegen und läßt ihnen sagen: "Bleibet in Jericho, bis euer Bart gewachsen ist; dann kommet zurück."

 

So wurde die letzte Gnadenbotschaft ‑ ach! wie wenig ahnte Hanun, daß es die letzte war! ‑ verworfen. Die Folge war ein schreckliches Gericht, welches in diesem Kapitel be­ginnt und in den folgenden fortgesetzt wird, ein Gericht ohne Erbarmen, hervorgerufen durch die Entrüstung über die Beschimpfung, die der Gnade angetan war.

"Als nun die Kinder Ammon sahen, daß sie sich bei David stinkend gemacht hatten, da sandten die Kinder Ammon hin und dingten die Syrer von Beth‑Rechob und die Syrer von Zoba, zwanzigtausend Mann zu Fuß, und den König von Maaka, tausend Mann, und die Männer von Tob, zwölftausend Mann. Und als David es hörte, sandte er Joab hin und das ganze Heer, die Helden."

 

Man beschimpft den Herrn Jesum, und man hat Furcht vor Ihm; man erweist sich als Sein Feind und macht, in der Absicht dem Gericht zu entgehen, ein Bündnis mit anderen Feinden. Man meint, Ihm Widerstand leisten zu können. "Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völker­schaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander wider Jehova und wider Seinen Ge­salbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile! Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer. Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie schrecken. Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge!` (Psalm 2, 1‑6.) Die Ereignisse entwickeln sich reißend schnell in der Welt. Der Augenblick ist nicht mehr fern, wo die verbündeten Völker so gegen den Gesalbten Jehovas reden werden. Wehe ihnen! Der Augenblick ist auch nicht mehr fern, wo Jehova ihrer spotten wird, und wo Er durch Sein Gericht Den erhöhen wird, den Er zum König auf Zion gesalbt hat.

 

Wir finden hier bei David wieder einige Zeichen von Schwäche. Hätte er sich nicht an die Spitze seines Heeres stellen sollen, anstatt es Joab anzuvertrauen? Es scheint, als ob dieses Leben in beständigen Kämpfen ihn ein wenig niedergedrückt habe, und er hat wohl gemeint, die Führung des Krieges anderen überlassen zu können, um sich etwas Ruhe zu gönnen.

 

Die Kinder Ammon ziehen aus, um sich dem Heere Isra­els gegenüber aufzustellen, während die verbündeten Völker ihm in den Rücken zu fallen suchen. Joab entwirft in ge­schickter Weise seinen Schlachtplan. Er stellt seinen Bruder Abisai den Ammonitern gegenüber und wendet sich selbst gegen die Syrer. Er sagt zu seinem Bruder: "Wenn die Syrer mir zu stark sind, so sollst du mir Hilfe leisten; und wenn die Kinder Ammon dir zu stark sind, so will ich kommen, dir zu helfen". Dann fügt er hinzu: "Sei stark und laß uns stark sein für unser Volk und für die Städte unserer Gottes! und Jehova wird tun, was gut ist in seinen Augen." ‑ Beginnen wir damit, stark zu sein, sagt Joab. Kämpfen wir für die Ehre unserer Nation und für die Städte unseres Gottes. Das ist es, was wir zu tun haben, und dann möge Jehova tun, was Ihn gut dünkt; wir weisen seine Hilfe nicht zurück. So ähnlich lautet der Wahlspruch der Welt: "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!" Die Frömmigkeit Joabs erhebt sich nicht über diesen Standpunkt.

 

Joab trägt den Sieg davon, aber einen Sieg ohne Nutzen. Die Kinder Ammon und die Syrer fliehen; die Kinder Ammon kehren in ihre Stadt zurück. Sie sind zwar geschlagen, aber nicht besiegt und zu Gefangenen gemacht. Die Schlacht ist er­folglos. Die Sache muß von neuem begonnen werden. David hatte das, was Gott ihm anvertraut hatte, den Händen des Menschen übergeben. Die ihm erteilte Lektion ist voll Milde, denn er erleidet keine Niederlage; doch die Unterweisung des Herrn bringt ihn auf den rechten Weg zurück.

 

Die Syrer versammelten sich aufs neue. "Da versammelte David ganz Israel und ging über den Jordan und kam nach Helam; und die Syrer stellten sich David gegenüber auf und stritten mit ihm. Und die Syrer flohen vor Israel, und

David tötete von den Syrern siebenhundert Wagenkämpfer und vierzigtausend Reiter; und er erschlug Schobak, ihren Heerobersten, und er starb daselbst. Und als alle die Könige, welche Knechte Hadaresers waren, sahen, daß sie vor Israel geschlagen waren, da machten sie Frieden mit Israel und dien­ten ihnen. Und die Syrer fürchteten sich, den Kindern Am­mon fernerhin zu helfen." Das ist ein wirklicher und voll­ständiger Sieg, so vollständig, daß die Könige sich Israel unterwerfen.

 

David hätte aus dieser Tatsache eine Lehre für sich ziehen sollen. Er hatte sich seiner Verantwortlichkeit entzogen, und lernte jetzt in der Schule Gottes die Gefahr eines solchen Sichzurückziehens kennen.

Die Kinder Ammon bleiben noch zu besiegen; die Auf­gabe ist schwieriger, wie wir bald sehen werden. Zugleich werden wir Zeugen der schrecklichen Erfahrungen sein, welche David machen mußte, weil er nicht ein für allemal die Unterweisung gelernt hatte, die der Herr ihm hier in so gnädiger Weise gab. 

Kapitel 11 – 20 Der Fall Davids und seine Folgen 

Vom 11.‑20. Kapitel haben wir die Geschichte Davids, des verantwortlichen Königs. Diese Kapitel erzählen seinen schrecklichen Fall, die Züchtigung, die ihn daraufhin trifft, die Folgen seines Fehltritts und endlich seine Wiederherstellung. Das 20. Kapitel schließt mit der Darstellung der Ordnung seines Reiches, (worauf wir schon früher bei der Betrachtung von Kap. 8, 15‑18 hingewiesen haben,) aber einer weniger vollständigen Ordnung als die erste war, weil David hier nicht mehr das Vorbild von dem Messias ist.

Es ist sehr bemerkenswert, daß das 1. Buch der Chronika kein Wort sagt, von der Geschichte Bathsebas, Ammons und Tamars, noch von Absalom und der Flucht Davids und seiner Wiedereinsetzung als König. Die drei ersten Verse von 1. Chron. 20 enthalten den ersten Vers von 2. Sam. 11 und die Verse 29‑31 von Kap. 12. Über alles andere herrscht völliges Schweigen. Die Erklärung ist einfach. Diese Weg­lassung ist einer der unzähligen Beweise von einem göttlichen Plan in den verschiedenen Büchern der Bibel. Das Buch der Chronika zeigt uns nicht den verantwortlichen König, der als solcher auf die Probe gestellt wird, sondern den König, der, den Ratschlüssen Gottes gemäß, in Gnade und Segnung eingesetzt ist. In Kap. 21 folgt dann ein neuer Ab­schnitt, der uns das Gericht über das Haus Sauls zeigt. Die Kapitel 22 und 23 verbinden die Worte Davids, des Vor­bildes von Christo, mit den Worten Davids, des verantwort­lichen Königs. Schließlich, nach der Aufzählung der Helden Davids, endet das Buch in bewunderungswürdiger Weise mit dem Opfer auf Morija, welches, wie jemand gesagt hat, durch die Gnade den Zorn Gottes zurückhält und den Grund legt zu der Stätte der Anbetung, wo Er mit Israel zusammen­treffen kann. 

Der Fall. Kapitel 11. 

Beim Lesen dieses Kapitels erfüllt ein Gefühl tiefer De­mütigung das Herz eines jeden Kindes Gottes. Es sind unge­fähr dreitausend Jahre her', seitdem die hier berichteten Dinge geschehen sind; aber auch dreißig in den Strom der Zeit ver­sunkene Jahrhunderte ändern nichts an der Tatsache, daß Gott durch einen Seiner Knechte verunehrt worden ist. Die Sünde hat getilgt werden können, aber die Beleidigung, welche Gott durch sie zugefügt wurde, bleibt bestehen. Die Sünde ist umso schwerer, weil sie in dem Leben eines Mannes vorge­kommen ist, welcher trotz mehr als einer Schwäche das Zeug­nis empfangen hatte, daß "kein Böses je an ihm gefunden worden sei." (i. Sam. 25, 28.) Mitten in seiner Laufbahn wird dieser Knecht Gottes ein Ehebrecher, Heuchler und Mörder! 0 wenn wir nur einigen Eifer für die Ehre des Herrn, nur einige Liebe zu Seinen Erlösten haben, so laßt uns weinen beim Anblick eines David, der, seine ganze Vergan­genheit verleugnend, die Heiligkeit Jehovas mit Füßen tritt ‑er, der gerade diese Heiligkeit vor der Welt hätte darstellen sollen! Wie demütigend ist der Gedanke, daß David, der Ge­liebte, den Namen Jehovas, welcher über ihm angerufen war, in solcher Weise hat bloßstellen können, er, dem Gott das Vorrecht einer besonders innigen Nähe geschenkt, und den Er mit solch wunderbaren Gnadenerweisungen überhäuft hatte! 

Das Leben der Gläubigen bietet in seiner Gesamtheit sehr verschiedene Charakterzüge dar: man sieht Gläubige ihre Laufbahn schlecht beginnen, aber, indem sie lernen, sich unter der Züchtigung zu verurteilen, ihren Lauf gut, ja, zuweilen in herrlicher Weise beenden. Das war bei Jakob der Fall, dessen Tage "wenig und böse" waren, dessen Leben aber in dem vollen Anschauen der Herrlichkeit endete. Öfter noch sieht man Gläubige ihre Laufbahn gut beginnen, aber schlecht beenden. Das ist die Geschichte Lots, der, obwohl er nicht den Glauben Abrahams besaß, doch seinen Spuren folgte. Sein Leben floß dahin in innerem Schwächerwerden, hervorgerufen durch seine Liebe zu den irdischen Dingen, und endete auf die schmählichste Weise. Es ist auch die Ge­schichte Gideons, der demütig und ohne Selbstvertrauen, voll Mut, sein Haus von falschen Göttern säuberte, dann Fürst Israels und Besieger Midians wurde, schließlich aber sein Haus und ganz Israel sündigen machte durch ein Ephod, welchem man abgöttische Verehrung darbrachte. Es ist end­lich die Geschichte Salomos. Er besaß alles: Weisheit, prak­tische Gerechtigkeit, Selbstverleugnung, Kenntnis der Ge­danken Gottes, das Begehren, Ihn zu verherrlichen, und große Macht. Gott benutzt ihn dazu, den kommenden Geschlechtern die Sprüche der Weisheit zu geben. Aber das Ende Salomos ist traurig: er liebte viele fremde Weiber, die sein Herz zu ihren Göttern hinneigen. Der Diener des wahren Gottes wird ein Götzendiener.

 

Zwischen diesen beiden Wegen sehen wir den Pfad eines Gläubigen, der von Anfang bis zu Ende treu wandelt, ohne zu straucheln, im Geiste persönlicher Heiligkeit und Absonde­rung von der Welt. Das war bei Abraham der Fall, dessen Glaube und Abhängigkeit sich nur selten verleugneten, und der sein Verhalten stets verurteilte, wenn es seine Gemein­schaft mit Gott gestört hatte. Aber vor allem war es der Weg Christi, der gleichmäßige Pfad des vollkommenen Dieners, wie wir ihn in Psalm 16 finden. Da zeigt sich nicht ein Feh­ler; alles ist vollkommen: bedingungsloses Vertrauen, völliger Gehorsam, gänzliche Abhängigkeit, praktische Ge­rechtigkeit ohne je zu fehlen, göttliche Heiligkeit in einem Menschen, unerschütterlicher Glaube, unbegrenzte Liebe, un­geschwächte Hoffnung. Angesichts eines solchen Weges bleibt nichts übrig als anzubeten. Doch wir können Ihm nach­folgen, und Er gibt uns die Fähigkeit und die Kraft dazu. Zwischen Ihm und uns wird immer der Unterschied von Vollkommenem und Unvollkommenem, von Unbegrenztem und Begrenztem vorhanden sein; aber soweit unsere Blicke sich nicht von Ihm abwenden, finden wir das Geheimnis eines Wandels, der Ihn in dieser Welt bis zum Ende hin verherrlicht.

 

Der Fall Davids ist selten, aber nicht alleinstehend in der Schrift. David hat gut angefangen und gut geendet, aber die Mitte seiner Laufbahn war ein sittlicher Zusammenbruch. Man könnte auch auf die Geschichte des Petrus hinweisen; doch möchten wir hier nicht länger bei ihr verweilen.

 

Warum hat Gott diesen Fall Davids zugelassen? Die Ant­wort ist reich an Unterweisung und, in einem Sinne, sehr köstlich für uns. Wie Abraham ein Muster des Glaubens ist, so ist David in dem 1. Buche Samuel ein Muster der Gnade. Überall entfaltet sich bei ihm die Gnade und beherrscht seine Wege. Er offenbart sie stets, sowohl gegenüber seinen Fein­den als auch seinen Freunden, ja, gegenüber seiner ganzen Umgebung. Sein Herz ist von der Liebe Gottes erfüllt und von einem unbeschreiblichen Zartgefühl durchdrungen. Auf­richtig sind die Tränen, die er über Saul, seinen Verfolger, vergießt; er hat alles vergessen, was Saul ihm angetan hat; in seinem Herzen ist nur noch Raum für die Gnade. Und doch genügte es, daß dieser Mann für einen Augenblick sich selbst überlassen wurde, um ihn in tiefe Finsternis zu stürzen und jede Spur dessen, was ihn vorher erfüllte, auszulöschen.

 

Wir bedürfen solcher Beispiele, um das Fleisch in uns kennenzulernen. "In mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes", sagt Paulus. Es gibt für das Fleisch weder Ver­edlung, noch Reinigung, noch irgendwelche Verbesserung; das einzige, was ihm gebührt, ist, ans Kreuz geschlagen zu werden.

 

Nachdem die Sünde vor Gott bekannt ist, folgt diesem so plötzlichen Fall eine lange und schmerzliche Arbeit der Wie­derherstellung. Petrus vergoß bittere Tränen, als er aus dem Hofe, dem Zeugen seiner Verleugnung, hinausging; aber nicht da fand er die Gemeinschaft mit dem Herrn wieder. Ebenso konnte David erst später mit einem völlig freien Herzen die Gnade preisen. Es genügte nicht, daß er sie in seiner Laufbahn mehr oder weniger treu geoffenbart hatte; Gott wollte ihm S e i n e G n a d e g e g e n i h n, diese volle und unvermischte Gnade, zeigen in den Umständen, welche aus David einen Mörder gemacht hatten. Er, der arme, elende Gegenstand des Gerichts, wird gerade derjenige, an welchem Gott Seine triumphierende Gnade groß macht und verherrlicht.

 

Doch wie war es möglich, so ist man versucht zu fragen, daß ein Mann Gottes von einer solchen Höhe herabstürzen konnte? Jehova hatte ihm Autorität und eine verantwortliche Stellung anvertraut. Er hätte in der ununterbrochenen Tätig­keit des Glaubens davon Gebrauch machen sollen, um Jehova und Seinem Volke zu dienen. Aber was tut David? E r r u h t aus. Es war die Zeit, in welcher die Könige der Erde zu Felde ziehen; denn die Menschen der Welt entfalten oft mehr Tätigkeit für das Gelingen ihrer Pläne, als die Christen für den Dienst Christi. Diese meinen oft ein wenig ausruhen, sich an der Seite des Weges niedersetzen zu dürfen. Doch wir sind nicht in den Dienst gestellt worden, um faule Knechte zu sein.

 

"Da sandte David Joab und seine Knechte mit ihm und ganz Israel." Das, was er am Ende des 10. Kapitels gelernt hatte, hätte ihn auch diesmal an die Spitze seines Heeres stellen sollen. So bereitet sich der Fall vor, oft in ganz un­scheinbarer Weise. Ein‑, zweimal redet Gott zu Seinem Knechte, um ihn zurechtzubringen; er fehlt, Gott stellt ihn wieder her; er fällt wieder, und nun läßt Gott ihn seinen Weg gehen. David bleibt zu Jerusalem; ein wenig Müßig­gang hält ihn von der Teilnahme am Kriege fern. Ein Wan­derer kommt zu ihm herein; er heißt: die Lust. Des Königs Augen werden von einem Gegenstand angezogen, der ihm begehrenswert erscheint; sein Fleisch ist gewonnen; die Macht, über die er verfügt, dient zur Befriedigung seiner Begierde; das Böse wird vollbracht; der Gesalbte Jehovas wird ein Ehebrecher!

 

Wie lange hat die Befriedigung seines Fleisches gewährt( Kaum ist der Fehler begangen, so trägt er seine Früchte ‑eine Schwangerschaft. Die Lage ist schwierig, der König ist voll Besorgnis. Sein Charakter ist bloßgestellt, seine Sünde wird ans Licht kommen; er muß sie verbergen. Man handelt immer so, wenn man das Bewußtsein der Gegenwart Gottes verloren hat. David kämpft mit den Umständen, er wehrt sich dagegen, will sie lenken, und in seiner Blindheit sieht er nicht, daß Gott sie leitet.

 

Er läßt Urija aus dem Feldlager kommen, erkundigt sich heuchlerisch nach Joab, nach dem Volke und dem Stande des Streites. War er um diese Dinge besorgt? Waren nicht alle seine Gedanken auf das eine Ziel gerichtet, seine Sünde zu verbergen? Urija, der von dem König zu seinem Weibe ge­schickt wird, legt sich bei allen Knechten an dem Eingang des Palastes nieder. "Warum", fragt ihn der König, "bist du nicht in dein Haus hinabgegangen?" Welch eine schöne Antwort gibt Urija: "Die Lade und Israel und Juda weilen i n H ü t t e n, und mein Herr Joab und die Knechte meines Herrn lagern auf freiem Felde, und i c h sollte in mein Haus gehen?" In der Schule Davids hatte er diese Hingebung ge­lernt. Hatte nicht David (Kap. 7, 2) zu Nathan gesagt: "Siehe doch, i c h wohne in einem Hause von Zedern, und d i e Lade Gottes wohnt unter Teppichen?" Dieser fromme Wunsch und dieses Zeugnis Davids waren von seiner Umgebung aufgenommen worden und hatten Früchte ge­tragen. Urija redet wie der David der vorigen Tage. Welch einen Tadel gibt er damit ungewollt und unbewußt seinem verehrten Herrn! Dieser Mann hat ein einfältiges und edles Herz. Gott, sagt er, beruft mich zu einem Dienst, zu einer Tätigkeit für Ihn, und so lange Er nicht ruht, kann auch i c h nicht ruhen.

 

David beachtet diese ernsten Worte nicht im geringsten; sein ganzes Sinnen ist nur darauf gerichtet, Urija zu dem Akt zu treiben, durch welchen der König seine Sünde meint zu­decken zu können. Er macht seinen Diener trunken; trotzdem bleibt Urija fest bei seinem Beschluß. David flattert, wie ein Vogel in seinem Käfig, hilflos gegen die Hand an, die ihn darin eingeschlossen hat. Satan gibt ihm das einzige Mittel ein, welches noch blieb, um dem Bekanntwerden seiner Sünde zu entrinnen: er wird der Mörder Urijas und macht sich der­selben Sünde schuldig, welche sein Volk später begangen hat, indem es "den Gerechten, der ihm nicht widerstand" (Jak. 5, 6), zum Tode gebracht hat. Er macht Joab, der selbst ein Mörder war, zum Mitschuldigen, und so wird er, der einst gesagt hatte: "Das Blut Abners komme über das Haupt Joabs!" (Kap. 3, 28), der Sklave des Menschen, der alles Interesse daran hatte, ihn zu knechten.

 

Auf die Nachricht vom Tode Urijas, der mit einigen anderen Knechten Davids an der Mauer von Rabba getötet wurde, läßt David dem Joab sagen: Laß diese Sache n i c h t übel sein in deinen Augen, denn das Schwert frißt bald so, bald so." An seinem Ziele angelangt, beruhigt er seinen Mitschuldigen. Dann nimmt er Bathseba in sein Haus; sie wird sein Weib und schenkt ihm einen Sohn.

 

Doch damit ist die Geschichte nicht aus, nein, sie beginnt erst. Am Ende dieses 11. Kapitels, das so voll von Verderben und Schande ist, erinnert uns ein kurzes Wort an das einzige, woran David nicht gedacht hatte, das einzige, woran er hätte denken sollen. Es lautet: "Aber die Sache, die David getan hatte, war übel in den Augen Jehovas."

 

Geliebter Leser! Laß uns auf unsere Wege acht haben! Zum Fallen genügt ein Augenblick; aber um einem Fall zu entgehen, haben wir lange über das, was ihm vorangeht, zu wachen, ja, möchte unser Wachen ein tägliches sein, damit wir nicht auf einem "Wege der Mühsal" wandeln, sondern auf dem "ewigen Wege" geleitet werden. (Ps. 139, 24.) Auf diesem Wege ist alles Frieden für unsere Seelen; es ist der Weg des Lebens, der zu dem wolkenlosen Genuß der Gegen­wart Gottes führt: "Fülle von Freuden ist vor deinem Ange­sicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar." (Ps. 16, 11.) 

Vergebung, Züchtigung und Wiederherstellung. Kapitel 12. 

Seit dem Falle Davids war eine Zeit vergangen. Der Krieg gegen Ammon, dessen Beginn uns im vorigen Kapitel, welches die Ereignisse von ungefähr einem Jahre umfaßt, berichtet wird, war noch im Gange. Die Belagerung von Rabba war noch nicht zu Ende; wir wissen ja, daß die Belagerung einer Stadt zu jener Zeit Jahre dauern konnte. Während dieser ganzen Zeit war Davids Gewissen stumm geblieben, obwohl seine Sünde auf ihm lag und die Folge seiner Übertretung ständig vor seinen Augen war. 

Endlich schreitet Jehova ein, nachdem Er lange vergeblich auf Buße gewartet hat. Der Prophet Nathan, der Träger Seines Wortes, wird von Ihm gesandt, um die Seele des Königs aufzuwecken. Wie verschieden ist dieses Kapitel von dem siebenten! In einer Zeit des Glücks und der Freude hatte David, ganz dem Dienst Jehovas gewidmet, nur e i n e n Gedanken gehabt: seinem Gott ein Haus zu bauen; und Gott hatte jenes erste Mal Nathan zu ihm gesandt, um ihm zu sagen, daß der Augenblick dafür noch nicht gekommen sei, aber auch, um ihm die reichen Schätze Seiner Gnade aufzutun; denn Seine Absicht war, die Seele Davids zu erfreuen. Jetzt ist die ganze Szene verändert. Der Prophet erscheint, um David in das Licht eines heiligen und gerechten Gottes zu stellen, dessen Augen zu rein sind, um das Böse zu sehen, und Der die Sünde richten muß.

 

Nathan redet in einem Gleichnis, und der verblendete König erkennt gar nicht, daß die Erzählung ihn selbst betrifft. Es waren, sagt der Prophet, in einer Stadt zwei Männer, der eine reich, der andere arm; der eine besaß Rind‑ und Klein­vieh, der andere nur ein einziges kleines Lamm, das er zärt­lich liebte. Da kam ein Reisender zu dem Reichen, und dieser nahm, um sein eigenes Vieh zu schonen, das Schaf des Armen und richtete es für den Wanderer zu, der zu ihm gekommen war.

 

Laßt uns vor einem solchen Reisenden auf der Hut sein, denn wir sind alle der Gefahr seines Besuches in unseren Häusern ausgesetzt. Gewiß, wenn er sich zeigt, ist es das Beste, sofort die Tür vor ihm zu verschließen. Dieser Reisende ist die Lust, und zwar eine uns begegnende Lust; es ist nicht eine von denen, die man bei sich duldet und ge­wohnheitsmäßig nährt. Dieser Reisende war bei dem König eingekehrt, da er wußte, daß er dort Aufnahme und Nahrung finden würde. Auch unsere Herzen enthalten stets die geeig­neten Elemente, um den Versuchungen Satans zu erliegen. David hatte, indem er die Abhängigkeit von Gott vergaß, gemeint, ausruhen zu können, anstatt zu dienen und zu kämpfen. Diese Elemente genügten dem Reisenden, sich die Tür zu öffnen und seine Einkehr durch Verwüstung und Jammer zu kennzeichnen.

"Da entbrannte der Zorn Davids sehr wider den Mann, und er sprach zu Nathan: So wahr Jehova lebt, der Mann, der dieses getan hat, ist ein Kind des Todes; und das Lammsoll er vierfältig erstatten, darum daß er diese Sache getan, und weil er kein Mitleid gehabt hat!" Das Herz und das Gewissen Davids sind in einem schlechten Zustand, und doch bleibt sein Urteil richtig. Obwohl er selbst sich unter dem Joch der Sünde befindet, urteilt er streng über andere. Wenn es sich nicht um uns selbst handelt, haben wir oft ein völlig klares Unterscheidungsvermögen für das Böse bei anderen, aber unsere eigenen Herzen unterwerfen sich dem Urteil nicht. (Matth. 21, 41.) 

"Da sprach Nathan zu David: D u bist der M a n n ! " Welch ein plötzlicher Umschwung! David hat sein eigenes Urteil gesprochen: er hat den Tod verdient! Dieser Stich mußte sein Herz treffen; aber er traf nicht nur sein Herz, er drang tiefer, bis auf den Grund seines Gewissens. Plötzlich in das Licht gestellt, kann ein Sünder, der Gott nicht kennt, überführt werden, so daß er den Mund nicht mehr auftun kann, ohne daß diese Oberführung tiefer eindringt; für ein Kind Gottes aber kann ein solcher Zustand nur vorüber­gehend sein. 

Jehova ruft jetzt David alles ins Gedächtnis zurück, was Er für ihn getan hatte: "Ich habe dich zum König über Israel gesalbt, und ich habe dich aus der Hand Sauls errettet, und ich habe dir das Haus deines Herrn gegeben, und die Weiber deines Herrn in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und wenn es zu wenig war, so hätte ich dir noch dies und das hinzugefügt." Die Schätze Meiner Gnade waren dein, und du hast angesichts Meiner Liebe gesündigt! "Warum hast du das Wort Jehovas verachtet, indem du tatest, was übel ist in seinen Augen?" Worin hatte David Ihn denn verachtet? Gott hatte ihn mit Segnungen überhäuft, aber er hatte diesen die Befriedigung seiner Lüste vorgezogen! 

Dasselbe Urteil wird über Eli ausgesprochen (i. Sam. 2, 30), weil er seine Söhne mehr geehrt hatte als Gott. Er fürchtete Jehova, aber er hatte Ihn verachtet, indem er seine Söhne "sein Schlachtopfer und sein Speisopfer, die er in der Wohnung geboten hatte, mit Füßen treten" ließ. Auch sagt ihm Jehova: "Die mich verachten, werden gering geachtet werden." Dieselbe Wahrheit finden wir in Luk. 16, 13: "Kein Hausknecht kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." Wenn wir zu Gegenständen unseres Begehrens die Dinge haben, welche diese Welt darbieten kann, so heißt das Gott verachten. Man denkt im allgemeinen sehr wenig daran, aber G o t t betrachtet es so. "Darum, daß du mich verachtet hast", wiederholt Er im 10. Verse.

 

David hatte die Sünde Gott vorgezogen. Welch eine schreckliche Sache! Sagen uns unsere Gewissen nichts, wenn wir hierüber nachdenken? jedes natürliche Herz hat Lüste, die es anziehen. Unter "Lüsten" muß man nicht nur die groben Befleckungen der Welt verstehen, sondern alles: "die Lust der Augen, die Lust des Fleisches, den Hochmut des Lebens", Eitelkeit, Vergnügungen und Ehrgeiz. Diese Dinge finden leicht Eingang in das Herz des Christen, und wie viele Tage und Jahre gehen oft dahin, ohne daß wir die Tür wirklich vor ihnen verschließen! So oft wir sie aber einem solchen Gast öffnen, verachten wir den Herrn Selbst. Und ‑ bedenken wir es wohl: Deshalb kam das Gericht Gottes über Seinen Knecht.

 

Die David verliehenen Gnadenerweisungen waren irdisch; die unseren sind "geistliche Segnungen in den himmlischen Örtern in Christo". Haben diese Dinge einen solchen Wert für unsere Herzen, daß darin kein Raum mehr bleibt, den "Reisenden aufzunehmen? Die Züchtigung und das Gericht des Herrn werden über uns kommen nach dem Maße, wie wir diesen Gast aufnehmen oder abweisen.

 

Der Prophet kündigt David dreierlei an. Zunächst: "Das Schwert soll von deinem Hause nicht weichen ewiglich." Gott hat dieses Bluturteil nicht zurückgenommen. Sodann (V. 11 und 12): Du hast für das Fleisch gesät, du wirst von dem Fleische Verderben ernten. Diese beiden Dinge, die von An­fang an den der Sünde unterworfenen Menschen gekenn­zeichnet haben (i. Mose 6, 11), sollen fortan beständige Gäste in dem Hause des armen, schuldigen Königs werden.

 

Bevor wir uns den züchtigenden Wegen der Regierung Gottes aussetzen, laßt uns daran denken, daß diese Regierung unbeugsam ist. Wir können den Folgen unserer Hand­lungen, unseres Betragens nicht entrinnen; das ganze Wort Gottes beweist es uns. Der 1. Brief Petri zeigt uns, daß, selbst unter dem Haushalt der Gnade, die Grundsätze der Regierung Gottes unveränderlich sind. Ohne Zweifel muß die Seele eines Christen, der gefallen ist, wiederhergestellt werden, aber i n d i e s e r W e 1 t wird er von den. Folgen seiner Tat nicht wieder befreit.

David hat bis ans Ende seiner Laufbahn die bittere Er­fahrung hiervon gemacht, obwohl seine völlig wiederher­gestellte Seele von neuem beginnen konnte, zu seiner Harfe die "lieblichen Gesänge Israels" zu singen. Die Züchtigung selbst wird dann ein neuer Gegenstand, um die Reichtümer der Gnade zu preisen.

 

Nathan sagt nur ein Wort: "Du bist der Mann", um David zu überführen. Dieser sagt auch nur ein Wort in der Gegenwart Gottes: "Ich habe gegen Jehova ge­s ü n d i g t." Wenn die Seele das eingesehen hat, so hat sie einen sehr weiten Schritt vorwärts getan. Wenn ein Christ gefallen ist, und Gott seine Sünde offenbar gemacht hat, so findet man gewöhnlich bei ihm das Bekenntnis: Ich habe gesündigt. Aber was hat das auf sich, nachdem die Sünde doch einmal ans Licht gekommen ist? Beachten wir deshalb, daß David nicht sagt: "Ich habe gesündigt", auch nicht: Ach habe gegen Urija, oder "gegen das Weib Urijas, gesündigt", sondern: "Ich habe g e g e n J e h o v a gesündigt." Unsere Sünden gegen andere können uns von denen vergeben wer­den, die wir beleidigt haben; wir können in vielen Fällen, in gewissem Maße wenigstens, unsere Sünden gegen andere wieder gut machen; aber was haben wir zu sagen, wenn wir gegen J e h o v a gesündigt haben? Man sagt: Ich habe ge­sündigt; man schämt sich wegen seiner Sünde, weil die Menschen sie sehen, aber etwas anderes ist es, wenn man überzeugt ist, daß das, was man getan hat, "in den Augen J e h o v a s " böse gewesen ist. 

Nachdem dieses völlige Bewußtsein der Sünde hervorge­bracht ist, läßt Gott Seinen armen, schuldigen Knecht nicht lange warten. Er sagt ihm wiederum nur ein Wort, aber welch ein Wort: "So hat auch Jehova deine Sünde hinweg­getan!" Er sagt nicht: Jehova w i r d es tun", sondern "Er h a t deine Sünde hinweggetan". Er hatte sich vorher mit der Sünde Seines Knechtes beschäftigt, und Er hat dafür Sorge getragen, daß sie von ihm weggenommen werden konnte, und daß vor Gott keine Rede mehr davon zu sein brauchte. Das ist es, was wir auf dem Kreuze Christi finden. 

Dann sagt Nathan zu David: "Du wirst nicht sterben; nur weil du den Feinden Jehovas durch diese Sache Anlaß zur Lästerung gegeben hast, so soll auch der Sohn, der dir ge­boren ist, gewißlich sterben. ‑ Und Nathan ging nach seinem Hause." "Du hast den Feinden Jehovas Anlaß zur Lästerung gegeben." Das ist die Folgerung, welche die Welt aus unseren Fehltritten zieht. Satan benutzt jede unserer Sünden, um in den Herzen der Menschen eine offenbare Abneigung gegen Gott und gegen Christum hervorzurufen. Da sieht man, sagt die Welt, wohin ihre Religion sie bringt; und so wird Gott gelästert. Satan weckt die Lüste bei einem Christen nicht nur deshalb, um ihn verklagen zu können, sondern auch, um bei den Menschen, den Zeugen seines Falles, Abneigung gegen Christum hervorzurufen, damit sie sich nicht zu Ihm wenden, um das Heil zu erlangen. 

Gewalttat und Verderben in seinem Hause waren David als Frucht seiner Sünde angekündigt worden. Das dritte ist der Tod seines Kindes. Der Tod kommt nicht über ihn, den Schuldigen, sondern über seinen geliebten Sohn. Das Gericht Gottes muß in unmittelbarer Weise, vor aller Augen, das Haus des Königs treffen. Das Kind wird krank. Der arme Vater ist in Betrübnis, in Fasten und Flehen. Wenn es doch möglich wäre, daß Gott ihm Gnade erwiese! Nein, die Züch­tigung muß ihren Lauf haben. Welch eine Pein für dieses Herz, dessen zärtlichste Gefühle so tief erregt waren ange­sichts des unschuldigen Opfers seines Fehltritts!

 

Das Kind stirbt. "Da stand David von der Erde auf und wusch und salbte sich und wechselte seine Kleider." Er ist wie ein neuer Mensch, der eine neue Laufbahn beginnt. Er geht in das Haus Jehovas und betet an. Tut er das, um zu

trauern? Nein, sondern um die Gerechtigkeit, die Heiligkeit, die Liebe Gottes, die Aufrechterhaltung Seines Charakters in der Züchtigung anzuerkennen. David steht auf als ein Wiederhergestellter; er kann in sein Haus gehen und sich zu essen geben lassen. Nachdem er sich vor Gott gebeugt hat, ist er auf dem Wege, die Gemeinschaft mit Ihm wiederzufinden.

 

Seine Knechte sagen zu ihm: "Was ist das für ein Ding, das du tust? Als das Kind lebte, hast du um seinetwillen ge­fastet und geweint, und wie das Kind tot ist, stehst du auf und issest?" David antwortet: "Als das Kind noch lebte, habe ich gefastet und geweint, weil ich dachte: Wer weiß, ob Jehova mir nicht gnädig sein wird, daß das Kind am Leben bleibt? Nun es aber tot ist, warum sollte ich denn fasten? Vermag ich es wieder zurückzubringen? 1 c h gehe zu ihm, aber es wird nicht zu mir zurückkehren." ‑ "Ich gehe zu ihm." David ist jetzt damit zufrieden, das Siegel dieser Züch­tigung, von welcher der Tod seines Sohnes Zeugnis gab, bis zum Ende seiner Laufbahn zu tragen. "Es wird nicht zu mir zurückkehren." Diese Freude konnte David nicht zuteil wer­den, aber er nimmt den Weg des Todes, den er einst gehen wird, um seinen Sohn wiederzufinden, als notwendig an.

 

Der König kann jetzt Bathseba trösten. Die Gnade strömt von neuem ihm entgegen. Er bekommt einen Sohn, den er Salomo (der Friedliche) nennt, und dem Gott durch Nathan den Namen Jedidjah (Geliebter Jahs) gibt. Die Gnade führt Bathseba, die durch ihre Befleckung verhindert war, an den Segnungen teilzuhaben, in die Geschlechtslinie des Messias ein. (Matth. 1, 6.) Sie wird die Mutter des Königs des Frie­dens und der Herrlichkeit. Die Gnade erweist sich gern an gefallenen Wesen, die sie mit Christo verbindet, um in den ,kommenden Zeitaltern zu offenbaren, was ihr "überschwenglicher Reichtum" ist.

 

Um sich von der Weise, in welcher die Seele Davids Wiederhergestellt wurde, Rechenschaft zu geben, ist es nötig, den 51. Psalm zu betrachten. Andere Psalmen spielen auf dieselben Umstände an, doch wir führen, wie immer, in diesen Betrachtungen nur die Psalmen an, deren Überschrift auf die Ereignisse hinweist, welche den Anlaß zu dem be­treffenden Psalm gegeben haben. Dies ist bei dem 51. Psalm der Fall: "Ein Psalm von David, als Nathan, der Prophet, zu ihm kam, nachdem er zu Bathseba eingegangen war." Dieser Psalm, der wie alle Psalmen prophetisch ist, geht weit über die Umstände des Lebens Davids hinaus. So haben die Worte: "Tue Zion Gutes in deiner Gunst, baue die Mauern Jerusa­lems" (V. 18), Bezug auf zukünftige Ereignisse. Die "Blut­schuld" besteht nicht nur in der Ermordung des Urija, son­dern in der des Messias. David selbst ist, wie wir im Verlauf dieser Geschichte sehen werden, das Vorbild von dem Über­rest Judas, wenn er in den Regierungswegen Gottes unter den Zorn Gottes gestellt wird. Derselbe Psalm kann auch bei der Verkündigung des Evangeliums benutzt werden, um den Zu­stand eines S ü n d e r s zu beschreiben, der sich, wie der verlorene Sohn, wieder zu Gott wendet und sagt: "Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir"; doch was wir darin suchen, das sind die persönlichen Gefühle die in der Seele eines G 1 ä u b i g e n hervorgebracht w2en, welcher durch seinen Fall der Gemeinschaft beraubt ist und infolge­dessen die Freude des Heils verloren hat. 

Zwei Gedanken haben zu Beginn dieses Psalms in dem Herzen Davids die Oberhand; der erste ist, daß die Gnade das einzige Heilmittel für seine Übertretung ist (V. 1); der zweite, daß er gegen Gott allein gesündigt hat (V. 4), (und dieses Wort kam, wie wir gesehen haben, aus dem Munde Davids in Gegenwart des Propheten) "damit du gerechtfertigt werdest, wenn du redest, rein erfunden, wenn du richtest". ,Ich habe gesündigt', sagt der König, und du, o Gott, findest durch meine Sünde Gelegenheit, dich selbst zu rechtfertigen. Du rechtfertigst dich, indem du zeigst, daß du die Sünde nicht ertragen kannst. Für mich bedeutet das bedingungslose Ver­urteilung, du aber kannst es zu deiner Verherrlichung benutzen!' Das sind die richtigen Gefühle für einen Heiligen, welchen Gott gerichtet und gedemütigt in Seine Gegenwart zurückführt. 

Sodann zeigt uns der Psalm drei Herzenszustände bei dem wiederhergestellten Gläubigen. Diese drei Zustände und ihre Folgen werden in den drei Abschnitten des Psalms geschildert.

Die Verse 1‑6 zeigen den ersten Herzenszustand, der mit den Worten beschrieben wird: "Siehe, du hast Lust an der W a h r h e i t im Innern, und im Verborgenen wirst du mich W e i s h e i t kennen lehren." "Die Wahrheit im Innern" wünscht Gott zu allererst hervorzubringen, indem Er uns, wenn wir gesündigt haben, in Seine Gegenwart führt. Oft verurteilt die Seele eine T a t und geht nicht weiter; doch das ist nicht die g a n z e Wahrheit im Innern. David verurteilt nicht nur seine Tat mit den Worten: "Denn ich kenne meine Übertretungen, und meine Sünde ist beständig vor mir", son­dern er richtet auch seinen Z u s t a n d : "Siehe, in Ungerech­tigkeit bin ich geboren, und in Sünde hat mich empfangen meine Mutter." Es genügt ihm nicht, s e i n e S c h u 1 d zu richten; er richtet auch d i e S ü n d e als solche, das, was er von seiner Geburt an gewesen war. Er begnügt sich nicht damit, zu sagen: Ich habe Gott beleidigt, sondern er geht auf die Quelle dieser Beleidigung zurück und versteht, daß die Ursache all dieses Bösen in seinem Herzen war. Die W e i s ‑h e i t besteht darin, dies zu unterscheiden. (V. 7‑13.) Die Wahrheit im Innern hat ihre Früchte getragen; ein zweiter Seelenzustand ist die Folge davon: "Schaffe mir, Gott, ein r e i n e s H e r z , und erneuere in meinem Innern einen festen Geist!" Auf welche Weise konnte dieses reine Herz hervorgebracht werden? " E n t s ü ‑ n d i g e m i c h mit Ysop, und ich werde r e i n sein; wasche mich, und ich werde weißer sein als Schnee." Er spricht von dem Ysop, womit man das Blut auf den Aussätzigen sprengte, dann vom Waschen mit Wasser. Unter dem Gesetz mußte bei jeder Sünde die Blutbesprengung erneuert werden; für uns ist das Opfer ein für allemal dargebracht worden; doch außerdem bedarf die Seele des Gläubigen fortgesetzt der Waschung mit Wasser durch das Wort, angewandt durch unseren Hohenpriester auf die Befleckungen, die wir uns auf dem Wege zuziehen: "Wasche mich, und ich werde weißer sein als Schnee.‑ 

Doch um ein reines Herz zu haben, ist noch etwas anderes als unsere persönliche Reinigung erforderlich: "Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Ungerech­tigkeiten!" Es ist nötig, daß Gott selbst nicht mehr d a r a n g e d e n k t. Für einen Heiligen des Alten Testa­mentes war das nicht eine vollendete, geschehene Sache; wir würden uns deshalb nicht in derselben Weise ausdrücken können, wie David in Vers 9, sondern wenn unsere Herzen von jeder Ungerechtigkeit gereinigt worden sind, treten wir vor Gott mit dem B e w u ß t s e i n, daß Er nicht mehr daran gedenkt. Die Folge davon ist die Wiederkehr der Freude des Heils und der Geist der Befreiung, der uns stützt.

In den Versen 14‑19 finden wir den dritten und letzten Seelenzustand, einen Zustand, welcher, nach seinem Fall und seinem Wiederaufstehen, David bis zum Ende seiner Lauf­bahn kennzeichnen soll. "Die Opfer Gottes sind e i n z e r gebrochener Geist ; ein zerbrochenes und zer­s c h 1 a g e n e s H e r z wirst du, Gott, nicht verachten." Was ihn zerbricht, ist, daß er "die Blutschuld" vor Augen hat, der Gedanke daran, daß er das Blut des gerechten Urija vergossen hat, ein prophetisches Bild von dem durch Israel vergossenen Blute Christi, welches auf diesem Volke und seinen Nach­kommen liegt bis zu dem Augenblick, wo der Überrest mit einem zerbrochenen und zerschlagenen Herzen zu Ihm wieder umkehren wird. Wir werden in der Folge noch hierauf zurück­kommen; doch laßt uns nicht vergessen, daß Gott uns züchtigt, um uns Schritt für Schritt von dem wahrhaftigen und reinen Herzen zu dem zerbrochenen Herzen zu bringen, dem einzigen Zustand, der sich angesichts des Kreuzes für uns geziemt, dem einzigen Opfer, welches Gott neben dem des Lobes (V. 15) annimmt, dem einzigen Herzenszustand, der uns vor neuen Fehltritten bewahren kann. 

Ammon. Kapitel 13.

Die Seele Davids ist wiederhergestellt, sein Gewissen gereinigt, sein Herz gedemütigt; trotzdem müssen die Wege der Regierung Gottes betreffs seiner ihren Lauf haben. Was Nathan vorhergesagt hatte: "Das Schwert soll von deinem Hause nicht weichen ewiglich . . . ich will Unglück über dich erwecken aus deinem Hause . . . ich werde dieses tun vor ganz Israel und vor der Sonne", das alles muß unfehlbar in Erfüllung gehen, und David wird sich dieser Notwendigkeit mit einem zerbrochenen Herzen unterwerfen. 

Die in diesem Kapitel erzählten Dinge sind schändlich. Es war "eine Schandtat in Israel". (V. 12. 13.) Das Wort Gottes berichtet sie, weil dieses Wort "die Wahrheit" ist und uns den Menschen so schildert, wie er ist, in seiner ganzen Häßlichkeit, um in uns Abscheu vor seiner Verdorbenheit zu er­wecken. Diese schrecklichen Handlungen der Unsittlichkeit und Gewalttat sind Handlungen der beiden Söhne Davids, Amnon und Absalom, von denen der eine ebensoweit von Gott entfernt ist wie der andere. Ein Freund, ein Verwandter und Ratgeber, Jonadab, findet sich, um Amnon in den Sumpf hineinzuführen (V. 4, 5); derselbe Mensch kennt später das böse Vorhaben Absaloms, ohne ihm entgegenzutreten. (V. 32.) 

Wie kurz und eitel ist das Ergötzen der Sünde! Kaum hat man mit dem Inhalt des Bechers seine Lippen benetzt, so schmeckt man schon dessen unsägliche Bitterkeit! "Amnon haßte Tamar mit einem sehr großen Hasse; denn der Haß,

womit er sie haßte, war größer als die Liebe, womit er sie geliebt hatte." Er hat sofort Abscheu vor diesem armen, unfreiwilligen Opfer seiner schändlichen Tat. Er verurteilt alles, ausgenommen sich selbst. Absalom, gewalttätig und hinterlistig wie er war, rächte sich wegen der seiner Schwester zugefügten Schmach durch Brudermord.

 

Bei dem wiederhergestellten David fällt mir jedoch etwas auf, das von allgemeinerer Bedeutung und Anwendbarkeit ist. Es mangelt ihm an geistlichem Unterscheidungsvermögen, was wir v o r seinem Fall nicht bei ihm gefunden haben. Zwischen seiner Seele und Gott war schon alles geordnet, als er hinging, um Rabba zu belagern. (Kap. 12, 26‑31.) Das Gericht über die Kinder Ammon war gerecht und nach den Gedanken Gottes; aber es scheint doch, als ob David seine persönlichen Eindrücke sowohl mit dem Siege als auch mit der Rache vermengt habe. Sein geistlicher Sinn besaß nicht mehr dieselbe S p a n n k r a f t wie früher. Er nimmt die Krone des Königs der Kinder Ammon und setzt sie sich aufs Haupt, während er früher alle Kostbarkeiten der Nationen Jehova geweiht hatte. (Kap. 8, 11; 1. Chron. 20, 2.) Er voll­zieht an dem Volke eine grausame Rache, wovon 1. Chron. 20, 3, wo uns der König nach den Ratschlüssen Gottes dar­gestellt wird, wenigstens einen Teil fortläßt. Zu anderen Zeiten hatte David niemals so gehandelt.

 

Doch es gibt hier noch mehr zu beachten. In dem vor­liegenden Kapitel wenden sich die wohlwollenden Absichten Davids, sein Wunsch nach Eintracht unter seinen Kindern, alle gegen ihn. Er tut, ohne es zu wollen, gerade das Umge­kehrte von dem, was er hätte tun sollen. So ist er es, der Tamar in das Haus Amnons schickt. Später, als in Absalom der Mordplan zur Reife gekommen ist, sucht David anfangs zu widerstehen in dem Gedanken, daß, wenn er der Bitte seines Sohnes nachgebe, Böses daraus entstehen könne; aber dann gibt er nach und schickt, um Amnon zu behüten, seine anderen Söhne mit ihm. Das alles deutet wohl nicht auf ein geübtes geistliches Urteil hin.

 

Außerdem zeigt uns der 39. Vers, daß der gottlose Absa­lom der Lieblingssohn Davids war. "Der König David sehnte sich, zu Absalom hinauszuziehen; denn er hatte sich über Amnon getröstet, daß er tot war." Im folgenden Kapitel läßt David sich leicht überreden, Absalom wieder nach Jerusalem kommen zu lassen, und dieser Entschluß ist die unmittelbare Veranlassung zu all dem Unheil, welches hernach herein­bricht. Ohne Zweifel vollführt Gott auf diese Weise Seine Absichten, aber doch geben uns alle diese Tatsachen eine ernste Unterweisung. Wenn ein Gläubiger zu Fall gekommen ist, indem er sich seinem eigenen Willen überließ, so hat seine Seele, selbst wenn sie wiederhergestellt ist, einen Teil ihrer geistlichen Spannkraft eingebüßt; wenn er dahin gekommen ist, die Gemeinschaft mit dem Herrn gering zu schätzen oder doch nicht mehr für wichtig zu halten, und er sie infolge­dessen verloren hat, so braucht es eine gewisse Zeit, um das geistliche Verständnis, welches mit dieser Gemeinschaft ver­bunden ist, wiederzuerlangen. Es ist, als ob der Fall bei dem Gläubigen einen Stillstand im geistlichen Wachstum herbei­führte.

 

Fast jede Seele, die sich der Zucht des Herrn und der Ver­sammlung aussetzt, liefert ein Beispiel hierfür. Sie kann wiederhergestellt werden und die Gemeinschaft Gottes und der Heiligen wiedererlangen; allein es ist ihr, infolge der Wirksamkeit der Sünde, eine geheime Kraft entschwunden, und es ist möglich, daß sie sie niemals wiedererlangt.

Gott wolle uns geben, daß wir Seine Gemeinschaft für etwas überaus Kostbares halten, für so kostbar, daß wir eifersüchtig darüber wachen, sie nicht zu verlieren, und so auch die Kraft und das Unterscheidungsvermögen, welche mit ihr verbunden sind, uns zu erhalten!

 

Joab. Kapitel 14. 

Wir haben bereits hervorgehoben, daß das 1. Buch der Chronika über die Ereignisse, welche uns hier beschäftigen, Schweigen beobachtet. In unserer Erzählung ist David nur noch beiläufig das Vorbild von Christo; weit mehr stellt er den wiederhergestellten Überrest dar, welcher dereinst durch die Drangsal gehen wird in dem Bewußtsein der Schuld, den Gerechten getötet zu haben. Jedoch sind alle Erfahrungen Davids in diesen Kapiteln auch unmittelbar auf uns anwend­bar, weil wir gleich ihm in eine Stellung der Verantwortlich­keit gesetzt und darum auch, wie er, Gegenstände der Zucht sind.

 

Das 14. Kapitel zeigt uns, wie es Joab gelingt, das Herz Davids zu gewinnen. Wir haben schon bemerkt, daß Joab nie etwas tat, das ihm selbst nicht nützlich gewesen wäre. Wenn er die Sache Davids zu der seinigen machte, so tat er es nicht aus Liebe, wiewohl er Beweise einer gewissen Anhänglichkeit an seinen Herrn geben mochte, sondern weil er die Seite Davids für die geeignetste hielt, um seine ehrgeizigen Ab­sichten zu erreichen. Seine Gedanken gingen nicht bis zum Königtum; er war klug genug, zu wissen, daß ihm der Zu­gang zum Thron versperrt war; sein Ehrgeiz begnügte sich damit, oberster Feldherr, Kriegsminister und Rat des Königs zu sein. Wenn irgendein Hindernis sich seinen Plänen entgegenstellte, war er bemüht, es zu überwinden; ein Verbrechen hielt ihn auf seinem Wege nicht auf.

Vor allem suchte Joab sich unentbehrlich zu machen. Das beste Mittel dazu war, daß er sich zum Diener der Schwächen des Königs gebrauchen ließ. Als David sich des Urija ent­ledigte, indem er ihn den Händen Joabs überlieferte, hatte Joab nicht ein Wort des Vorwurfs; er handelte ohne Zögern. Der schuldige David hatte jetzt einen geheimen Mitschuldigen gewonnen, der aber gerade durch seine Verschwiegenheit zum Herrn Davids wurde. Der gute Ruf des Königs hing fortan von Joab ab; nur wurden die Pläne Joabs durch das Ein­schreiten Gottes vereitelt. Gott redet, David erkennt sich als schuldig; der Aussatz wird, anstatt verborgen zu bleiben, öffentlich ans Licht gebracht und anerkannt unter Demütigung und Tränen, und das nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen.

 

So wurden die Pläne Joabs vereitelt, seine Interessen ge­schädigt; er konnte seinen Herrn nicht mehr durch dessen geheimes Verbrechen beherrschen. Um seinen Einfluß wieder­zugewinnen, mußte er es anders anfangen. Was tut er nun? Als er im Begriffe stand, Rabba zu erobern und bereits den Teil der Stadt eingenommen hatte' in welchem das für sie unentbehrliche Wasser war, läßt er David sagen: "Nun ver­sammle das übrige Volk und belagere die Stadt und nimm sie ein, daß nicht ich die Stadt einnehme und sie nach meinem Namen genannt werde." (Kap. 12, 28.) Welch eine Uneigen­nützigkeit! möchte man ausrufen. Doch gewinnt er nicht auf diesem Wege den Einfluß auf das Herz des Königs zurück? David gehorcht, und wir haben in dem vorigen Kapitel ge­sehen, daß sein Sieg über Rabba auf seine geistlichen Gefühle nicht günstig wirkte, daß aber Joab ihm wieder unentbehrlich wurde und den verlorenen Einfluß wiedergewann.

 

Am Ende des 13. Kapitels sehnt sich der König nach Ab­salom. Das war eine schlimme Schwäche. Absalom war ein Mörder; das Gesetz Jehovas erlaubte David nicht, sich nach ihm zu sehnen. Der Mörder verfiel den Händen des Blut­rächers, und die Sühnung konnte nur durch das Blut dessen geschehen, der es vergossen hatte. (4. Mose 35, 33.) David hatte dies gezeigt bei dem Amalekiter und bei Rekab und Baana. Wenn Absalom seinen freiwilligen Verbannungsort verließ, so mußte das Urteil an ihm vollzogen werden. Ihn schonen hieß einer Übertretung Ungehorsam hinzufügen. Die Tatsache, daß David Maaka, die Tochter Talmais, des Königs von Gesur (Absalom war zu seinem Großvater geflohen), geheiratet hatte, war eine Übertretung. Talmai war einer der kanaanitischen Könige, welche durch die Untreue des Volkes verschont worden waren (Jos. 13, 2. 3); jede Heirat mit diesen war Israel verboten. (2. Mose 34, 15. 16.) Lange, bevor dieses Verbot ausgesprochen wurde, hatte der geistliche Sinn Abra­hams es schon zu einem Gesetz gemacht. (i. Mose 24, 3.) Anstatt dem Gesetz zu gehorchen, hatte David die ihm ver­liehene unumschränkte Macht dazu benutzt, diese Verordnung zu brechen.

 

Alle diese demütigenden Tatsachen hätten den Zuneigun­gen Davids Schweigen gebieten sollen; aber Joab hatte ein Interesse daran, daß der König nicht den einfachen Weg des Gehorsams ging, und er stand auf der Wache. Joab, der Sohn der Zeruja, m e r k t e , daß das Herz des Königs nach Absalom stand." Er war nicht der Mann, um aus diesem Umstand keinen Nutzen zu ziehen. Er ersinnt einen unwürdig gen Kunstgriff, um David dahin zu bringen, daß er den Entflohenen nach Jerusalem zurückkommen läßt. Die Worte, die er dem tekoitischen Weibe in den Mund legt, lassen den Hintergedanken bei Joab vermuten, daß David Absalom zu seinem Nachfolger bestimmen könnte. Er läßt sie sagen: "Sie sprechen: Gib den heraus, der seinen Bruder erschlagen hat, daß wir . . . auch den E r b e n vertilgen." (V. 7.) "Warum hast du dergleichen wider Gottes V o 1 k im Sinn?" (V. 13.) "Der Mann, der mich und meinen Sohn aus dem E r b t e i 1 Gottes vertilgen will." (V. 16.) Man kann in der Tat aus den Worten des Weibes sehen, daß Joab den Gedanken hatte, sich für die Zukunft eine Stellung bei Absalom zu sichern; denn dieser mußte ihm doch dankbar dafür sein, daß er ihn an den königlichen Hof zurückgebracht hatte.

 

Um diese Machenschaften durchzuführen, hatte Joab sogar die Kühnheit, sich bei dem König als Träger der Gedanken Gottes hinzustellen: "Gott nimmt nicht das Leben weg son­dern er sinnt darauf daß der Verstoßene nicht von ihm weg verstoßen bleibe!"

 

In diesem allen war David ohne Zweifel zu entschuldigen, wenn wir an die natürlichen Gefühle eines Vaters für seinen Sohn denken; aber als Knecht Gottes war er schuldig. Jehova hatte durch den Mund des Propheten (Kap. 12, 24. 25) denjenigen seiner Söhne bezeichnet, auf welchem Seine Wahl ruhte; das war Salomo, der Sohn der Bathseba, den Gott "Jedidjah", d. i. Geliebter Jehovas, genannt hatte. Joab aber sagte sich, daß Davids H er z im Geheimen, ohne vielleicht sich selbst dessen klar bewußt zu sein, den Gedanken hege, Absalom zum Nachfolger zu haben. Konnte nun der König bei der Wahl zwischen dem bestimmten Worte Gottes und den eigennützigen Einflüsterungen Joabs einen Augenblick zaudern? Er hätte verstehen müssen, daß Absalom, trotz all seiner äußeren Vorzüge (V. 25‑27), und trotzdem er ein schöner und vielleicht ebenso eindruckerweckender Mann war wie Saul, nicht der Mann der Ratschlüsse Gottes sein konnte. Er hatte gesehen, daß sein Bruder Eliab, von dem selbst ein Samuel dachte: "Gewiß, vor Jehova ist sein Gesalbter!" (l. Sam. 16, 6), trotz seiner schönen Erscheinung beiseite gesetzt worden war, um ihm Platz zu machen, ihm, dem armen Hüter der Schafe. Es ist eine ernste Sache, wenn wir uns von unseren natürlichen Zuneigungen, so berechtigt sie sein mögen, leiten lassen, und nicht durch das geistliche Urteil, welches Gott uns gegeben hat.

 

Damit soll nun keineswegs gesagt sein, daß in diesem Zeitabschnitt bei dem geliebten König nichts als Schwäche vor­handen gewesen sei. Nein, es gab in seinem Herzen eine gött­liche Saite, die nie vergeblich berührt wurde. Joab wußte dies wohl und verfehlte nicht, es zu benutzen. Eine Berufung auf die Gnade fand bei David stets ein Echo; das tekoitische Weib verwendet sich deshalb bei ihm um Gnade. Der König gibt nach, indem er vergißt, daß es sich nicht allein um Gnade handelt; Gott ist auch ein gerechter Gott, und man kann nicht Seine Gnade a u f K o s t e n Seiner Gerechtigkeit erhöhen. Der Rat Joabs, den David befolgt, führt ihn zu einem Miß­brauch der Gnade, der um so ernster war, weil seine natürlichen Gefühle dabei im Spiele waren. Das ist wie der Honig, der den Opfern im alten Bunde niemals beigemengt werden durfte. (3. Mose 2, 11.) Die Gnade darf den menschlichen Gefühlen, den Banden und der Sanftmut der menschlichen Natur keinen Platz einräumen. Leider war es bei David anders. Seiner Vaterliebe nachgebend, unterscheidet er nicht genügend das Werk des Feindes, obwohl es ihm nicht ganz entgehen kann. Er fragt: "Ist die Hand Joabs mit dir in diesem allen?" Das Weib gesteht: "Joab hat dieses getan; und der König sagt zu Joab: "Siehe doch, i c h h a b e d i e s e s g e t a n." Er nimmt die Verantwortlichkeit für das auf sich, was Joab hatte tun wollen. Der Feind, Absalom, wird nach Jerusalem zurückgebracht; und was für ein Feind!

 

Doch David will nicht, daß der Schuldige sich vor ihm zeige. Joab nimmt die Entscheidung seines Herrn an. Einmal und zweimal weigert er sich, zu Absalom, der ihn rufen läßt, zu kommen, in dem Bewußtsein, daß es in seinem Interesse lag, es mit dem König zu halten. Absalom läßt in seinem Zorn Feuer an das Feld Joabs legen und übt so Gewalttat gegen den aus, der für ihn eingetreten war und ihn aus Gesur geholt und nach Jerusalem zurückgebracht hatte, alles in der Hoff­nung, ihn sich zu Dank zu verpflichten. Schließlich muß Joab gegen seinen Willen bei David vermitteln, damit dieser einer Begegnung mit seinem Sohne zustimmt.

 

In Absalom hat Joab seinen, Meister gefunden. Gott er­laubt das alles. Er hat schon die List, die Geschicklichkeit, die Bosheit und Grausamkeit Joabs benutzt, um Seine Pläne aus­zuführen; und Er steht nun im Begriff, sich Absaloms zu demselben Zweck zu bedienen. Aber schließlich werden sich alle Seine Wege nur als Gnade gegen David erweisen. Doch Joab wird gezwungen, dem zu gehorchen, welchen er zu be­herrschen gedachte. Er wird das nicht vergessen. Absalom ist ein Hindernis für seine Aussichten geworden, eine Macht, auf die er nicht mehr rechnen kann, die sich gegen ihn wendet. Wenn ein günstiger Augenblick kommt, wird Joab Absalom töten.

 

Davids Flucht. Kapitel 15. 

Joab besitzt, obwohl er mit David zusammen arbeitet, keinen der Beweggründe dieses Mannes Gottes; aber zwischen ihm und Absalom besteht doch noch ein großer Unterschied. Der Charakter Absaloms ist von Anfang an der eines Ver­worfenen, im sittlichen Sinne eines Sohnes Satans, weicher "ein Mörder von Anfang" ist. Am Ende läßt er allen schlech­ten Trieben seiner Natur freien Lauf, um seinen Zweck zu erreichen. Er wendet Schmeicheleien an, gibt sich den Anschein von Gerechtigkeit, von Uneigennützigkeit, von Liebe, um "das Herz der Männer von Israel zu stehlen". Er täuscht die Einfältigen (V. 11), er tut, als ob er Jehova Opfer bringen und Ihm dienen wolle, und das alles, um sich des Königtums zu bemächtigen und sich an Stelle des Gesalbten Jehovas, seines eigenen Vaters, auf den Thron zu setzen, denn er haßt seinen Vater, er haßt jeden, ausgenommen sich selbst. Er ver­bindet sich mit Ahitophel, der beim Volke in dem Rufe stand, ein Prophet zu sein: "Der Rat Ahitophels, den er in jenen Tagen riet, war, wie wenn man das Wort Gottes be­f r a g t e". Schließlich erhebt er sich und vergöttert sich fast noch bei seinen Lebzeiten. (Kap. 18, 18.)

 

Alle diese Züge werden am Ende der Zeiten den großen Feind des Königs Israels, den "Antichristen", den Menschen der Sünde, "den Gesetzlosen" (2. Thess. 2, 3. 8), kennzeich­nen. Er wird das Volk verführen, wird dessen nationalen Gottesdienst unterstützen, um ihn hernach zu beseitigen; er wird sich erheben und sich selbst erhöhen, bis er sich endlich als Gott anbeten läßt; er wird sich für den wahren Messias ausgeben, den Vater und den Sohn leugnen und in seiner Person den falschen König mit dem falschen Propheten ver­einigen. Wir finden ihn vom jüdischen Gesichtspunkt aus in Daniel 11, 36‑39 gekennzeichnet, und der Herr weist Seine Jünger (den ersten Kern des späteren jüdischen Überrestes, so lange der in ihrer Mitte lebende Messias noch nicht ver­worfen war) an, zu fliehen, sobald sie den Greuel, wovon Daniel geredet hatte, in dem Tempel aufgestellt sehen würden.

 

Das ist es, was hier geschieht. Der vor Absalom fliehende David ist ein treffendes Vorbild von den treuen Juden am Ende der Tage. Auf beiden Seiten ruht die Schuld des un­schuldig vergossenen Blutes, hier des Urija, dort des ver­worfenen Messias; auf beiden Seiten finden wir die nach diesem Verbrechen wiederhergestellte Seele; auf beiden Seiten die Lauterkeit des Herzens, vermischt mit dem tiefen Gefühl über den Fehltritt; auf beiden Seiten endlich die Folgen des Fehltritts, die unter der Regierung Gottes getragen werden, welcher die Missetat nicht ungestraft lassen kann, der aber die wiederhergestellte Seele aufrecht hält unter dem Zorn, den sie in aller Augen tragen muß, und zwar tragen muß als eine Bürde, von welcher sie aber weiß, daß Gott sie schließlich davon befreien wird, um sie in den wolkenlosen Genuß Seiner Gegenwart einzuführen.

 

David, der im Anfang seiner Laufbahn ein so schönes Vorbild von Christo war, ist durch seine Sünde zu einem Vorbild des leidenden Überrestes geworden. jedoch wird das ganze Buch der Psalmen hindurch der Überrest dadurch er­muntert, daß er durch den Mund des Propheten David erfährt, daß der Messias Selbst, in dem vollkommenen Mitgefühl Seines Herzens und um ihnen den Weg zu zeigen, im voraus in die Trübsale und Bedrängnisse eingetreten ist, durch welche der Überrest am Ende gehen muß. Die Treuen werden auf diese Weise jeden Tag durch die Worte gestärkt werden, welche der Geist Christi ausgesprochen hat, und in denen sie inmitten ihrer Drangsal den prophetischen Ausdruck ihres Glaubens und ihres Gottvertrauens finden werden. Wir be­gegnen also in diesem Teile der Geschichte Davids den Erfahrungen der Seele unter den Folgen ihres Fehltritts und den Ermunterungen, welche der Geist Christi ihr unter der Re­gierung Gottes zuteil werden läßt.*)

David flieht in Eile, sobald er erfährt, daß das Herz der Männer von Israel sich Absalom zugewandt hat. Das ist weder Feigheit noch Schwäche von seiner Seite, sondern vielmehr G 1 a u b e. Der Glaube wird nie den Weg gehen, den der natürliche Mensch wählen würde. Wer hätte nicht in diesem Augenblick ein krieggewohntes Heer einer entstehenden Ver­schwörung entgegengestellt? Wer würde nicht, mindestens einmal, die Entscheidung der Waffen versucht haben, wo ganz Jerusalem noch auf seiten des rechtmäßigen Königs stand? David flieht, nicht weil Absalom der Stärkere ist, sondern weil er in ihm die Rute sieht, welche Gott zur Züchtigung Über Seinen Knecht erhoben hat. Doch David denkt nicht nur an sich; er will auch Jerusalem, der Stadt Jehovas, eine Prü­fung oder ein Verderben ersparen, welche sein Widerstand über sie gebracht haben würde.

*) Es ist sehr bemerkenswert, daß die Psalmenreihe 3‑7, welche dem ganzen Buche der Psalmen zur Einleitung dient, ‑ Psalm 1 und 2 geben den Inhalt an; sie stellen die beiden Hauptgegen­stände der Psalmen dar: den Charakter der Söhne des Reiches (Ps. 1) und die Ratschlüsse Gottes bezüglich des Messias (Ps. 2), und man findet in ihnen alle auftretenden Personen: die Gerech­ten, das abtrünnige Volk, die Nationen und den Messias ‑ ich sage, es ist sehr bemerkenswert, daß die Einleitung mit dem Psalm beginnt, den David sang, "als er vor Absalom, seinem Sohne, floh". In der Tat gehört diese ganze Psalmenreihe jener Zeitperiode an, wie Ps. 7 zeigt, welcher die Beschimpfung Simeis, die in 2. Sam. 16 berichtet wird, erwähnt. Alles das beweist, daß Davids Flucht vor Absalom wohl ein prophetisches Bild ist von der Stellung und den Gefühlen des überrestes in den Psal­men, Fügen wir noch hinzu, daß Ps. 71, wie überhaupt ein Teil des 2. Buches, zu dem er gehört, sich direkt auf diesen Abschnitt der Geschichte Davids bezieht.

 

So zieht der König hinaus und macht Halt am Bache Kidron. So eilig die Flucht ist, geht sie doch so ruhig vor sich, daß sie mehr einem königlichen Zuge als einer Niederlage gleichsieht. Das kommt daher, weil sie von dem tiefen Gefühl beherrscht wird, daß man mit Gott in der Trübsal ist. Der fliehende König wird bei diesem Auszug von vornherein der Mittelpunkt des Volkes. In seinem Gefolge ist sein Haus und das ganze ihm treu gebliebene Volk; zu seiner Seite sind seine Knechte; an der Spitze seine Krieger. Ist es nicht merkwürdig, daß die Bewaffneten nicht den Nachtrab bildeten, wo doch der Feind dem verteidigungslosen Volke auf den Fersen war? Sie marschieren v o r dem König her; seine Helden, seine Kampfgenossen, ziehen ihm voran auf dem Wege zur Wüste. Die Gefährten Absaloms mochten diesen Marsch als eine Flucht betrachten; die Kerethiter, die Pelethiter und die Gathiter sahen darin eine hohe Ehre. Doch man beachte dies: In dem Augenblick, wo der wahre König Israels infolge der Empörung seines Volkes ein Fremdling und Flüchtling wird, werden Fremde auf den Ehrenplatz gestellt ‑ die Kerethiter und die Pelethiter, zu den Philistern gehörende und, wie man sagt, von Kreta eingewanderte Stämme; die Gathiter, Leute von Gath, welche die Hauptstadt der Philister und ihr Geburts­land verlassen hatten, um ihr Los mit demjenigen Davids zu verbinden. Ihr ehemaliger König hatte seine Autorität über sie verloren; der König Jehovas war der Wegweiser geworden, dem sie fortan folgten.

 

Das alles redet zu uns von Christo. Von Israel verworfen, ist Er der Mittelpunkt geworden, welcher die Nationen an­zieht, die in Betreff der Verheißungen Fremdlinge waren und kein Anrecht auf die Segnungen des Volkes hatten. Verworfen, ist Er noch viel mehr der Mittelpunkt von allem geworden, Derjenige, welchem die Seinen mit Freude folgen, weil sie nur bei Ihm, den die Welt nicht gewollt hat, Sicherheit finden weil sie w i s s e n, daß die Zeit Seiner Verwerfung ein Ende nehmen wird, und daß die, welche an Seinen Trübsalen teil­genommen haben, sicherlich auch an Seiner Herrlichkeit teil­nehmen werden; ja, der Mittelpunkt von allem, ein Christus, der immer noch Seine Stellung als Fremdling bewahrt und von der Welt verachtet ist, ein Vorbild zum Nachfolgen, ein Gegenstand des Dienstes (denn Seine Knechte umringen Ihn, Seinem Willen unterwürfig), ein Gegenstand des Zeugnisses, und welch eines glücklichen Zeugnisses!

 

In diesem Abschnitt der Geschichte Davids werden die H e r z e n offenbar. Während der Herrschaft des Thrones handelt es sich viel mehr um Unterwerfung als um Liebe; aber ein verworfener Christus bringt die Hingebung der Herzen ans Licht, und in solchen Umständen zeigt es sich, ob die Seinigen an Ihn gefesselt sind oder nicht. Es gab in dieser Zeit in Jerusalem solche, die sich sehr leicht der gott­losen Herrschaft Absaloms anbequemten; doch Gott sei Dank! es gab auch ergebene Herzen, die nicht an David irre wurden und trotz allem wußten, daß Jehova mit ihm war; die ihr Los mit dem des Königs verbanden Lind nicht fürchteten, sich bloßzustellen, wenn sie offen erklärten, daß sie zu ihm ge­hörten. 0 diese Furcht, sich bloßzustellen! Man braucht sich nicht zu wundern, wenn man sie bei Christen findet, die vom Christen nur den Namen haben, und die im Grunde der Welt angehören und sich nicht von ihr trennen wollen. Aber bei den Kindern Gottes ‑ welche Schande! Was, du wagst nicht, den Namen deines Heilandes vor den Menschen zu bekennen? Die Meinung der Welt hat also einen solchen Einfluß auf dich? Von ihr geschmäht zu werden ist nicht deine höchste Ehre? Willst du so als Feind des Kreuzes Christi handeln? Hat nicht das den Apostel zum Weinen gebracht, daß er sah, daß Menschen, die Christi Namen trugen, die irdischen Dinge der Schmach des Kreuzes vorzogen?( Phil. 3, 18.)

 

Ittai, der Gathiter, war ein ganz anderer Mann. Alles traf zusammen, um ihn zu entschuldigen, wenn er sein Los nicht mit demjenigen Davids zusammenwarf. Er war ein Fremder, ein Eingewanderter, der noch kein Bürgerrecht in Israel besaß, gestern erst gekommen; er war, moralisch betrachtet, wie ein kleines Kind, das seine ersten Schritte versucht. David ‑selbst erwartete nicht, daß er sich der Beschwerde, ihm zu folgen, unterziehen würde. "Kehre um", sagt er zu ihm, "und führe deine Brüder zurück; Güte und Wahrheit seien mit dir!" Er segnet ihn sogar, um ihn wohl verstehen zu lassen, daß unter solchen Umständen ein Mangel an Entschiedenheit ihm keines­wegs als böse angerechnet werden würde. Nun, dieser Fremde gibt den Beweis eines großen Glaubens. Zu einem großen Glauben ist weder viel Verständnis noch ein langes christliches Leben nötig; es genügt, einen hohen Begriff von dem Herrn zu haben, zu wissen, daß nichts Ihm an die Seite gestellt, nichts mit Ihm verglichen werden kann, daß Er allein imstande ist, alle Bedürfnisse völlig zu befriedigen. Vergebens ent­schuldigt David ihn, vergebens fordert er ihn auf, zurück­zukehren; nichts überwindet ihn. Er bleibt; er kennt keinen anderen Platz, keinen anderen Herrn. Wem könnte er dienen, außer David? Ist nicht Absalom der Feind seines Herrn? Wer und was könnte ihn zurückhalten, David zu folgen? Der Tod? Nein, wenn David sterben soll, so ist der Tod auch Ittai willkommen. Er wartet darauf und nennt ihn in erster Linie: "Sei es zum Tode, sei es zum Leben." Das Leben kommt für ihn nach dem Tode. Wie und an welchem Orte es auch sei: da wo David ist, "daselbst wird auch dein Knecht sein". Wie müssen solche Gefühle das Herz des flüchtenden Königs, das Herz unseres geliebten Heilandes erquicken! Was Ittai wünscht, verheißt uns Jesus: "Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo i c h bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn mir jemand dient, so wird der Vater ihn ehren." (Joh. 12, 26.) Der Herr sagt uns: Vielleicht im Tode, aber sicher in der Herrlichkeit. Indem wir Ihm dienen, sind wir der Herrlichkeit sicher; denn dort befindet Er Sich auf immer.

 

Beachten wir auch, daß das Herz des Vaters durch eine solche Hingebung an Seinen Sohn befriedigt wird. Haben wir Ihm in Seiner Erniedrigung gedient, haben wir uns nicht gefürchtet, vor der Welt Seine Schmach zu teilen, so können wir gewiß sein, daß der Vater uns einen Ehrenplatz geben wird. Ein armer, unwissender Gathiter wird diesen Platz haben; eine arme Moabitin wird ihn ebenfalls einnehmen, sie, die nicht gezögert hatte, der Noomi, der Ahnfrau des flüchtenden Königs, zu folgen: "Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, hinter dir weg umzukehren; denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott." (Ruth 1, 16.)

 

"Komm und ziehe hinüber!" sagt der König zu Ittai; und er ging über den Bach Kidron, indem er dem triumphierenden Feinde den Rücken wandte und den Weg zur Wüste vor sich sah. Aber was machte das? David ist sein Hirte, es wird ihm nichts mangeln.

 

Welch ein Gegensatz zwischen diesem Fremdling und Petrus, dem jüdischen jünger, welcher dem Herrn von Anfang an nachgefolgt war. Ach, wie eilig war er zu sagen, ohne daß Jesus ihn dazu aufgefordert hatte: "Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen!" (Luk. 22, 33.) Petrus dachte an das, was er war, Ittai an das, was

sein Herr für ihn war. Der arme Petrus! Sein Glaube war, ohne daß er es ahnte, der kleinste und ärmste, den man finden konnte, denn er hatte eine hohe Meinung von sich selbst.

 

Da sind auch Zadok und Abjathar mit der Lade Jehovas. David weist sie zurück; er kann eine solche Ehre nicht an­nehmen. Die Lade ist in ihre Ruhe eingegangen und kann nicht wieder mit David die Wanderungen durch die Wüste beginnen. David übernimmt hier wieder die Rolle des büßenden und leidenden Überrestes. Die Nationen können mit einem Schein von Recht ihn fragen: "Wo ist dein Gott?" und sein Vertrauen verspotten, wie es in dem zweiten Buch der Psalmen geschieht, welches die Gefühle des vor dem Antichristen von Jerusalem wegfliehenden Überrestes ausdrückt. (Ps. 42, 10 u. a.) Mit diesen Gefühlen sagt David zu dem Priester: "Bringe die Lade Gottes in die Stadt zurück. Wenn ich Gnade finde in den Augen Jehovas, so wird er mich zurückbringen, und mich sie und seine Wohnung sehen lassen. Wenn er aber also spricht: Ich habe kein Gefallen an dir ‑ hier bin ich, mag er mit mir tun, wie es gut ist in seinen Augen." Wunderbares Ergebnis der Wirkung des Geistes Gottes auf ein durch die Zucht geübtes Herz! Völlige Ergebung in den Willen Gottes, in dem Bewußtsein, daß man das Gericht verdient hat ‑ völliges Vertrauen auf Seine Güte, die ewiglich währt, auf Sein Interesse an den Seinigen, die dessen unwürdig sind! Alles was ihn trifft, ist gerecht; doch David rechnet auf die Gnade, indem er die Demütigung annimmt und Gott die Sorge, ihn zu rechtfertigen, überläßt; denn "Gott ist es, welcher rechtfertigt".

Diese Gefühle bilden einen Gegensatz zu den Gefühlen Ittais; aber die einen sind an ihrem Platz ebenso schön wie die anderen. Es ist kostbar, die Kraft Gottes in dem Glauben zu finden; aber er ist ebenso wunderbar, wenn er "alles Ausharren" hervorbringt bei einem armen, schwachen Wesen, welches, vorn Sturm getroffen, keine Kraft in sich selbst hat, um der wachsenden Flut des Bösen zu widerstehen.

David geht unter Weinen die Anhöhe der Olivenbäume hinauf, barfuß und mit verhülltem Haupte. Das Volk, das ihm nachfolgt, trägt Trauer wie er. Diese Erniedrigung hat Christus am Ende Seiner Laufbahn für Sein geliebtes Volk auf Sich genommen und getragen. Der, welcher über Jerusalem weinte, befand Sich in Gethsemane im Kampf gegen den schrecklichen Ansturm Satans. Es handelte sich dabei ohne Frage um noch größere und weiterreichende Dinge, als um das Mitgefühl mit dem leidenden Überrest Israels, um ein weit wichtigeres Werk, als die schließliche Befreiung Seines Volkes; aber es handelte sich auch um diese, denn "in all ihren Bedrängnissen war Christus bedrängt". Da hat der Mann, der mit Ihm aß, wie Absalom die Ferse wider Ihn erhoben, hat Ihn verraten mit einem Kuß; da hat Er auch in der Angst Seiner Seele mehr als die Tränen Davids vergossen; da ist Sein Schweiß geworden wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen.

 

In diesem Augenblick bricht Schlag auf Schlag über den armen König herein. Er erfährt den Verrat Ahitophels. Alle Hilfsquellen sind versiegt, ausgenommen eine einzige; diese aber ist vollkommen genügend. Er beugt sich vor Gott nieder. "Betöre doch", sagt er, den Rat Ahitophels."

 

Gott gibt auf das Gebet Seines Knechtes s o f o r t Ant­wort. Husai, der vertraute Freund des Königs, kommt ihm entgegen. David, voll geistlichen Verständnisses, sendet ihn wieder fort in dem Bewußtsein, daß Gott ihn ausersehen habe, den Rat Ahitophels zu vereiteln. Husai kehrt nach Jerusalem zurück. Was auch unsere Vorzüge sein mögen, wir müssen stets an dem Platz sein, wo Christus uns hinstellt. Ein Diener Christi kann immer da sein, wo die Bundeslade und das Priestertum sind, da er dort Christum findet. Ist Er nicht zugleich Bundeslade und Priester? Wir sind zu verschiedenen Diensten in Seiner Sache berufen. Das Zeugnis und der Dienst sind e i n e Sache; eine andere ist der Kampf gegen die Listen des Feindes, um den Namen Christi triumphieren zu lassen; wieder eine andere Sache ist es, in Seine Gegenwart zu treten und Ihm Anbetung darzubringen. All diese verschiedenen Dienstleistungen sind unser Teil. Die Aufgabe Husais war schwierig; ebenso ist sie es heute für die, welche gegen die Feinde Christi zu streiten haben, gegen Leute wie Ahitophel, die Anspruch darauf machen, Propheten zu sein, und im Grunde falsche Propheten sind, welche die Gedanken des Herrn kennen und ihr Wissen dazu benutzen, Seine Autorität zu vernichten. Doch wenn der Herr uns in die Mitte der Feinde sendet, so laßt uns ohne Furcht gehen. Den Rat Ahitophels vereiteln, heißt das nicht unserem David den Platz wieder zu bereiten, der Ihm gehört?

 

Freunde und Feinde. Kapitel 16. 

Die Umstände, durch welche David geht, stellen den Zustand der H e r z e n auf die Probe; auch sind die verschie­denen Charaktere der Menschen, die vor den König treten, in dieser Hinsicht lehrreich für uns.

Wir haben Ittai gesehen, dessen Herz erst "seit gestern" für David schlug und gerade darum ein einfältiges Herz war. Der König, dessen Knecht er geworden war, ist für ihn alles. Mit einem solchen Gegenstand im Herzen wird man immer richtig geleitet. Zadok und Abjathar haben nicht unrecht, wenn sie meinen, daß die Bundeslade bei dem König sein müsse; sie haben ein allgemeines Verständnis über die Ge­danken Gottes, bringen aber Seine W e g e mit David nicht in Rechnung. Dieser selbst unterweist sie, indem er sie zurückschickt. Er muß betreffs seiner Zurückführung gänzlich auf Gott rechnen, da er diese Züchtigung verdient hat; und selbst, wenn er ganz verworfen werden sollte, ist David bereit, sich zu beugen; denn alles, was Gott tut, ist gut.

 

Husai hat einen anderen Charakter, der in seiner Art ebenso so schön ist wie derjenige Ittais; tatsächlich besitzt er mehr Einsicht in die Gedanken Gottes. Husai ist "der Freund Davids"; eine innige Liebe verbindet die beiden Männer, und sie haben kein Geheimnis voreinander; dennoch ist Husai, im Gegensatz zu Ittai, damit einverstanden, eine Zeitlang von seinem Freunde getrennt zu werden. Die Trennung wurde ihm offenbar schwer, denn er war zu David gekommen, um David sein ganzes Mitgefühl auszudrücken; aber er wählt die bessere Art, ihm zu dienen, und kehrt nach Jerusalem zurück. Husai hat bei seiner ruhigen und tiefen Liebe zu seinem Freunde eine E r k e n n t n i s , wie sie selbst die Hohenpriester nicht be­saßen; eine Erkenntnis allerdings, die David selbst ihm mit­geteilt hatte durch die Worte: "Du wirst mir den Rat Ahi­tophels zunichte machen". In dem innigen Verkehr mit Christo empfangen wir die Mitteilung Seiner Gedanken.

 

Das 16. Kapitel berichtet uns zunächst etwas von Ziba, der schnell zum Handeln bereit und dienstbeflissen ist. Die Esel satteln, sie mit allem, was für die Begleiter des Königs auf der Flucht nötig ist, beladen, sie dann hinbringen, alles das wird ihm nicht schwer. Das ist ein schöner Eifer, eine liebliche Wirkung der Gnade in dem Herzen;*) denn nichts verpflichtete Ziba, so zu handeln. *) Diese Auffassung wird kaum allgemein geteilt werden. An­dere Ausleger halten Ziba für einen klug berechnenden, selbst­sÜchtigen Mann. (Der übersetzer.)

 

Und doch fehlt diesem eifrigen Herzen Geradheit, oder, um das wenigste zu sagen, er schreibt Mephiboseth Beweggründe zu, die diesem fremd sind. Ich denke nicht, daß er wissentlich gelogen hat. Er sagt nicht, daß Mephiboseth ihm seine Pläne mitgeteilt habe, sondern, weil er in den Entschließungen seines Herrn ein Zögern wahrnimmt, schiebt er ihm A b s i c h t e n unter, die, wie wir in Kapitel 19 sehen, dem Herzen Mephiboseths völlig fern lagen. Nichts ist gefährlicher, als in den Gedanken Anderer lesen zu wollen, um ihre Beweggründe zu erkennen. Eine gewisse Schärfe des Urteils, verbunden mit einiger Kennt­nis des menschlichen Herzens, bringt uns leicht dazu. Unsere Schlüsse sind leider fast immer wenig wohlwollend. Da es uns nur von mittelmäßigem Interesse ist, gute Absichten zu entdecken, beschäftigen wir uns mehr mit den schlechten. Doch Gott behält sich das Urteil vor über das, was in den Herzen vorgeht; Er allein kennt und beurteilt das Ver­borgene. Der Herr sagt uns: "Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet". (Matth. 7, 1.) Setzen wir uns daher nicht der Gefahr aus, selbst von anderen gerichtet zu werden. Das ist es, was später Ziba trifft, wenn er in die Gegenwart Mephiboseths gestellt wird. Dem König, der hier nicht ein Vorbild von Christo ist, fehlt es anscheinend an Scharfblick. Er kommt später (Kap. 19, 29) auf seine Entscheidung zurück; nichtsdestoweniger bietet er hier ein schönes Beispiel von Dem dar, welcher das, was für Ihn geschieht, hundertfach belohnen wird, mag auch die Schwachheit Seiner Knechte noch so groß sein: "Siehe, dein ist alles, was Mephiboseth gehört".

 

Nach dem Beispiel von Ergebenheit finden wir ein Beispiel von Haß. Gott läßt es zu; denn es bildet einen Teil der Züch­tigung, die Er über David verhängt hat. Indes war es auch das Teil Christi, ohne Ursache gehaßt zu werden. (Joh. 15, 25.) Sollte es Seinen Jüngern anders ergehen? Er allein aber konnte in Wirklichkeit sagen: " 0 h n e U r s a c h e ". Die Beweg­gründe zum Hasse waren bei Simei ohne Zweifel unrecht­mäßig, und David hatte in keiner Weise Grund dazu gegeben; aber der gedemütigte König hielt das Urteil seines Feindes für wahr. Simei rief David zu: "Hinweg, hinweg, du Mann des Blutes und Mann Belials! Jehova hat alles Blut des Hauses Sauls, an dessen Statt du König geworden bist, auf dich zu­rückgebracht, und Jehova hat das Königtum in die Hand Ab­saloms deines Sohnes, gegeben; und siehe, nun bist du in deinem Unglück, denn ein Mann des Blutes bist du!" Welch eine unwürdige Verleumdung! So wurde der Mann angeschul­digt, welcher Saul in der Höhle und inmitten seines schlafen­den Heerlagers verschont hatte, der ihm für sein Böses stets nur Gutes getan, der sich gerecht, geduldig und heilig erwie­sen hatte in allen seinen Wegen (i. Kön. 15, 5), indem er niemals sich selbst rächte, der in Saul den Gesalbten Jehovas geachtet, ja, den Tod seines Feindes mit einem Klagelied ge­ehrt hatte!

 

Seine ganze Lauterkeit lehnte sich gegen eine solche An­klage auf ‑ und dennoch war er ein Mann des Blutes! Simei wußte das nicht, aber Gott wußte es. Dieser Bösewicht war ein Werkzeug in der Hand Gottes, um David an seinen Fehltritt zu erinnern: Laßt ihn, daß er fluche; denn Jehova hat es ihn geheißen." David nimmt den Fluch an; sein zerbrochenes Herz sucht weder Verteidigung, noch Entschuldigung, noch erblickt er in seiner früheren Gerechtigkeit irgendwelche Aus­gleichung für sein späteres Tun. Für ihn ist Simeis Fluchen das Urteil Gottes, und seine einzige Zuflucht ist die Gnade: "Vielleicht wird Jehova mein Elend ansehen, und Jehova mir

 

Gutes erstatten dafür, daß mir geflucht wird an diesem Tage." Sehen wir hier nicht wieder ein treffendes Bild von dem jüdischen Überrest? Lauterkeit und praktische Gerechtigkeit, sowie Demütigung, hervorgerufen durch die Ermordung des Gerechten, von welchem sie gesagt hatten: "Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!" finden sich in einem und demselben Herzen vereinigt.

 

"1"bisai, der Sohn der Zeruja, trachtet David von der de­mütigen Unterwerfung unter die Züchtigungswege Gottes ab­zubringen. "Warum soll dieser tote Hund meinem Herrn, dem König, fluchen? Laß mich doch hinübergehen und ihm den Kopf wegnehmen!" Man kann von Abisai nicht erwarten, daß er sich selbst einen toten Hund heißt, wie Mephiboseth, oder wie David vor Saul. Wie hassenswürdig Simei auch sein mochte, er und Abisai waren in den Augen Gottes einander gleich. Das Bewußtsein unserer Unwürdigkeit bewahrt uns vor beleidigenden Worten gegen das Geschlecht, dem wir an­gehören. Ein Menschenfeind ist immer ein Mensch, der sich für besser hält als andere. Dennoch scheint die Veranlassung die Worte Abisais einigermaßen zu rechtfertigen. Gott war Verachtet und beleidigt worden. Mußte man nicht Seine Par­tei nehmen dem gewalttätigen Menschen gegenüber? Das tat Petrus, als die Schar des Verräters Judas seinen Herrn weg­führte. Hatte Petrus recht, als es sich um einen Größeren, einen Würdigeren als David handelte? "Stecke dein Schwert wieder an seinen Ort", sagt ihm Jesus, denn alle, die das Schwert nehmen, werden durchs Schwert umkommen." (Matth. 26, 52.) Die Worte Abisais zeigen seine völlige Unfähigkeit, in die Leiden Davids unter der Züchtigung Gottes einzugehen; er war nicht imstande, die demütige Unterwerfung Davids zu begreifen oder seinen unerschütterlichen Entschluß zu ver­stehen, den Weg, welchen Gott ihm wies, zu gehen. Wie könnte das Fleisch, dessen Wille, weil er Feindschaft gegen Gott ist, sich Ihm nicht unterwerfen kann, eine vollkommene Abhängigkeit verstehen, die keinen anderen Willen kennt, als den des Vaters? Petrus liefert uns dafür wiederum ein Bei­spiel. Als der Herr Seinen Jüngern gezeigt hatte, daß Er von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und dann getötet werden müsse, "fing Petrus an I h n Z u s t r a f e n , indem er sagte: Gott behüte dich, Herr! dies wird dir n i c h t widerfahren". Was sagt ihm der Herr? "Gehe hinter mich, Satan! du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist." (Matth. 16, 23.) David sagt zu Abisai "was haben wir miteinander zu schaffen, ihr Söhne der Zeruja?" Ihre Gedan­ken konnten nur durch das Fleisch hervorgebracht werden und kamen vom Feinde. David nimmt den Kelch aus der Hand Gottes, wie später Jesus in Gethsemane. "Vielleicht", sagt er, "wird Jehova mein Elend ansehen, und Jehova mir Gutes er­statten dafür, daß mir geflucht wird an diesem Tage." Welch ein Wort! Laßt uns überzeugt sein, daß Gott der Gott der Gnade ist, und daß der Fluch ebensowenig das Ende Seiner Wege mit Seinen Geliebten ist, wie er es einst war in bezug auf Christum!

 

Husai, von Absalom empfangen, widersetzt sich nicht dem Rat Ahitophels bezüglich der Kebsweiber Davids. Sein Ver­trautsein mit David kam ihm sehr zustatten; denn er konnte über das, was Gott dem König hatte sagen lassen, nicht in Unwissenheit sein, und er mußte dem göttlichen Ausspruch seinen Lauf lassen. (Kap. 12, 11. 12.) Ahitophel meinte, durch dieses Mittel die Hände Absaloms zu stärken, aber er trug nur dazu bei, das Wort Gottes zu erfüllen, das Ende Seiner Wege herbeizuführen und die Wiederherstellung dessen zu beschleunigen, den er zu verderben dachte. Dieser Elende sollte bald in seinen eigenen Schlingen gefangen werden. Wie es scheint, tat er das Böse aus keinem anderen Beweggrund, als um es zu tun, und er endete wie Judas, dem er sehr ähnlich ist. Dieser "Freund", der wider David die Ferse erhoben hatte (vergl. Ps. 41, 9), erdrosselte sich und starb.

 

Der Dienst. Kapitel 17. 

Wie wir gesehen haben, hatte der König Zadok, Abjathar und Husai nach Jerusalem zurückgeschickt, um sie dort in seinem Dienst zu verwenden. Die Beweise von Ergebenheit genügen nicht, wie kostbar sie auch dem Herzen des Herrn sein mögen; sie sind nur ein Vorspiel des Dienstes. So ist es auch für uns Christen. Wie Husai und den Priestern, ist es auch uns nicht gestattet, den Ort zu wählen, noch die Weise, in welcher wir dem Herrn dienen wollen; es ist Seine Sache, das zu bestimmen. Hier handelte es sich darum, den Rat Ahitophels zunichte zu machen, zu verhindern, daß es diesem falschen Propheten gelang, die Sache Davids zu verderben.

 

In den Versen 1‑4 entdecken wir die verborgene Absicht des Feindes: er will David schlagen. Er urteilt mit Recht: wenn dieser Mann beiseite geschafft ist, wird alles zusammenbrechen und das ganze Volk die Beute Absaloms werden. "Ich werde d e n K ö n i g a 11 e i n schlagen; und so werde ich alles Volk zu dir zurückbringen." (V. 2.) So handelt der Fürst der Fin­sternis: seine ganze Anstrengung ist darauf gerichtet, Christum zu beseitigen. Er hat zu diesem Zweck die Welt gegen Ihn aufgestachelt, aber am Kreuze hat er das Spiel verloren, statt es zu gewinnen, und seine Macht ist gebrochen worden. Später wird er, in einem vermeintlich günstigen Augenblick, die Könige der Erde aufwiegeln, um das Joch Christi zu zer­brechen. Aber dann "wird der im Himmel thront, lachen, der Herr wird ihrer spotten". (Ps. 2.)

 

"Das Wort Ahitophels war recht in den Augen Absaloms, und in den Augen aller Ältesten von Israel"; alle waren von der Vortrefflichkeit des Weges, den dieser Mensch vorschlug, überzeugt. Wie kam es nun, daß Absalom trotzdem dazu überging, auch Husai, den Arkiter, zu rufen, um seinen Rat zu hören? Wie kam es, daß, nachdem man ihn gehört hatte, Absalom und alle Männer von Israel sagten: "Der Rat Husais, des Arkiters, ist besser als der Rat Ahitophels?" Weil Gott die Umstände, die Entschlüsse der Menschen und ihre Überlegungen leitet nach Seinem Willen und zur Ausführung Seiner Vorsätze. Wenn man die Dinge nur äußerlich betrach­tet, schien Gott sich um das, was damals geschah, gar nicht zu bekümmern; der Böse triumphierte, ja, der Böse herrschte, die Menschen "wallten über in den Einbildungen des Her­zens". Doch Gott war hinter der Szene verborgen, Gott, dem nichts zu widerstehen vermag, und dem selbst Satan als Werk­zeug dienen muß. Für uns ist die Macht Satans schrecklich, für Gott ist sie weniger als der Strohhalm, den ein leises Lüft­chen davonträgt. "Der Gott d e s F r i e d e n s ", heißt es, "wird in kurzem den Satan unter eure Füße zertreten." Es ist nicht der mächtige Schöpfer, nicht der Gott der Rache, der diese schreckliche Macht bricht; es ist der Gott des Friedens. Es kostet Ihn keine Anstrengung, das zu tun; Er zertritt in völliger Ruhe den Feind unter die Füße Seiner Heiligen.

 

Der Wohlgeruch des D i e n s t e s wird in diesem Kapitel überall wahrgenommen. Jeder beteiligt sich an der Tätigkeit zu dem Zweck, seinem Herrn den Platz zu geben, der ihm gebührt, und den Gottlose ihm genommen haben. Husai, der Freund Davids, ist der erste in der Gefahr, aber auch das erste Werkzeug des Sieges. Die Priester sind seine ersten Vertrau­ten. Ihre Söhne, Jonathan und Achimaaz, überbringen die Bot­schaft, welche David und seine Schar retten soll. Eine einfache und unbekannte Magd dient als Mittel, um sie zu ihnen ge­langen zu lassen. Das Weib zu Bachurim, ebenso unbekannt, ebensowenig genannt wie die Maria von Matth. 26 ' 6‑13, ein Weib, welches das Haus hütet, erfüllt ihren Dienst an den Boten und verschafft ihnen ein Versteck, das den forschenden Blicken des Feindes entgeht. Ihr Dienst ist ein "gutes Werk" an Da v i d , obwohl es unmittelbar an den beiden Boten getan wurde. Wir erblicken somit eine ununterbrochene Kette von Dienstleistungen, die alle denselben Zweck hatten. Hätte ein Glied gefehlt, so wäre David die Beute Absaloms gewor­den. Die Ergebenheit der armen Magd hat für den König den gleichen Wert wie die schöne Uneigennützigkeit Husais. Keiner ist zu verachten, und die Niedrigsten werden vielleicht den besten Platz haben, wenn einmal gesagt werden wird: "Der und der ist darin geboren." (Ps. 87, 5.) "Wo irgend dieses Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt", sagt der Herr, "wird auch von dem geredet werden, was diese ge­tan hat, zu ihrem Gedächtnis." (Matth. 26, 13.)

 

Nicht nur bilden die verschiedenen Dienstleistungen, worin sie auch bestehen mögen, ein Ganzes, da sie nur e i n e n Zweck und e i n e n Gegenstand haben; es ist auch beachtens­wert, daß der Dienst des einen sozusagen den des anderen hervorruft. Von einem Ende dieser Erzählung bis zum anderen geht jeder Handelnde ans Werk, indem er durch den vorher­gehenden Teilnehmer dazu angetrieben wird. In Zeiten geist­licher Trägheit und Entmutigung beklagen wir uns manchmal über den geringen Eifer derer, die uns folgen, über die man­gelnde Bereitwilligkeit, etwas für den Herrn zu tun, etwas aufzugeben, sei es Bequemlichkeit, Gewinn oder Ansehen und so der Welt gegenüber die Rechte unseres Herrn aufrechthalten. Solche Klagen sind wirkungslos und gleichen sehr dem Worte des Elias: "Ich allein bin übriggeblieben!" Was wir zu tun haben ist, unseren Eifer zu verdoppeln und keinen Augen­blick in dem Dienste des Geliebten zu erschlaffen. Gleich den Wellen des Schalles, des Lichtes und der Wärme wird sich die Wirkung davon bald über unsere nächste Umgebung hin­aus fühlbar machen.

 

Als David die Nachricht erhalten hatte, ging sein ganzes Volk über den Jordan, ohne daß ein einziger vermißt wurde.*) *) Wir finden hier wieder das Bild des aus Jerusalem fliehen­den Überrestes, der von dem Drachen, dem Tier und dem falschen Propheten verfolgt und außerhalb der Grenzen Israels bewahrt wird, so daß kein Haar von seinem Haupte fällt, obwohl der Strom überflutet. (Offbg, 12, 16.)

 

Dank dieses Dienstes setzt das wahre Volk Gottes eine Schranke zwischen sich und den Feind. Ahitophel, der in seinem Stolz verletzt ist, aber vor allem den schließlichen Triumph Davids fürchtet, nimmt sich das Leben, und stürzt sich so in das ewige Gericht, um der kommenden Rache zu entgehen!

 

David, von Absalom verfolgt, kommt nach Machanaim. Hier war es, wo Jakob auf der Rückkehr aus der Verbannung dem Heerlager Gottes begegnete, welches ihn gegen die An­schläge Esaus in Schutz nehmen sollte. Hier befindet sich David, der unter der Zucht den Weg der Verbannung wieder einschlägt, unter demselben Schutz. Wie ermunternd ist das für die Seele! Unsere Umstände können sich ändern: mag es sich um die Kraft oder die Schwachheit, die Prüfung oder die Wiederherstellung der Seele handeln ‑ in beiden Fällen bleibt die Gefahr dieselbe, ob sie von seiten eines Esau oder eines Absalom kommt; aber auch die Hilfsmittel unseres Gottes bleiben unveränderlich.

 

Amasa tritt an Stelle Joabs an die Spitze des Heeres des aufrührerischen Sohnes. Er war ein Vetter Joabs durch seine Mutter, aber auch durch die Schande seiner Mutter. Joab ver­zeiht, wie wir sehen werden, niemals etwas, weder einen Schandfleck auf seiner Familie, noch die Anmaßung seines Platzes, noch die Gefahr einer Mitbewerbung um den Ober­befehl.

 

Zu Machanaim finden wir den Dienst an dem Volke Davids, wie vorher an dem König selbst. Es ist rührend zu sehen, wie derselbe Eifer drei Personen herbeiführt, die so verschieden an Stellung, Nationalität und Charakter waren. Ein Gegenstand gemeinsamen Interesses beseitigt alle Schran­ken. Schobi, der Ammoniter, der Sohn des Nahas, ein Bruder jenes Hanun, der die Gesandten Davids geschmäht hatte (Kap. 10), ein Mann aus königlichem Geschlecht, erscheint ver­bündet mit Makir, dem Sohne Ammiels, aus Lodebar, dem ehemaligen Wärter des armen Mephiboseth. (Kap. 9, 4.) Bar­sillai, der Gileaditer, aus Rogelim, vereinigt sich mit ihnen; er hatte die Autorität des Alters und das Ansehen, welches große Reichtümer verleihen (Kap. 19, 32); doch das Alter ver­hindert seinen Dienst nicht, und sein ganzer Reichtum wird dazu benutzt, den König und sein Volk zu unterhalten. Das V o 1 k hat eine besondere Anziehungskraft für die Liebe dieser Männer; sie sagen: "Das Volk ist hungrig und matt und durstig in der Wüste." (V. 29.) Sie scheuen keine Mühe, wenn die Gefährten des flüchtenden Königs in Frage stehen; sie handeln durch Glauben; auch ziehen sie ihre eigenen In­teressen gar nicht in Betracht. Die hohe Stellung des einen, die Tätigkeit des anderen, der Reichtum und das Ansehen des dritten, alles wird zu den Füßen Davids, in der Person seiner Gefährten, niedergelegt. Alle diese Männer wünschen, wie Abigail, die Füße der Knechte ihres Herrn zu waschen; und das ist keine Erniedrigung, denn es erhöht und verherr­licht einen David, der heute erniedrigt ist, morgen aber in Herrlichkeit über alle Könige der Erde gesetzt werden wird. 

Der Tod Absaloms und das zerbrochene Herz Davids. Kapitel 18. 

David mustert das Volk und stellt es unter den Befehl Joabs, Abisais und Ittais, des Gathiters, den der König allein für würdig hält, das Heer zu führen in demselben Range wie die seit lange bewährten Führer; und doch war Ittai "erst gestern gekommen", ein Fremdling, ohne Verbindung mit dem Volke Gottes. Was war der Grund, daß er in diesem kritischen Augenblick auf einen Posten von solcher Wichtigkeit gestellt wurde? Seine rückhaltlose Hingebung für David. So vertraut der Herr auch uns einen in Aussicht stehenden Dienst an nach dem Maße unserer Liebe zu Ihm. 

David wollte mit seinem Volke in den Kampf ziehen; aber alle antworten: "Du sollst nicht ausziehen." Das eine wie das andere dieser Gefühle war Gott gemäß. Einst war David, anstatt mit dem Volke auszuziehen, in Jerusalem geblieben (Kap. 11, 1), und hatte die Folgen davon tragen müssen; er versteht jetzt, daß sein Platz bei dem Heere ist. Aber das Volk hat auch recht, denn es schätzt den Wert Davids: "Du bist wie unser zehntausend." Das begriff der Haß Ahitophels sehr gut: "Ich werde den König allein schlagen ... Gleich der Rückkehr aller ist der Mann, den du suchst", sagte er. (Kap. 17, 2. 3.) Die Liebe des Volkes verstand es aber noch viel besser. Auf beiden Seiten herrschte die Überzeugung, daß alles von David abhing; nur war bei dem Volke der G 1 a u b e wirksam. Für diesen war es dasselbe, ob David vom Schlachtfeld abwesend war, oder ob er sich in der Mitte des kämpfenden Volkes be­fand. "Es ist besser", sagen sie, "daß du uns von der Stadt aus zum Beistande bist." David gibt ihrer Bitte nach: "Was gut ist in euren Augen, will ich tun." So handelt auch der Herr Jesus mit uns. Wie einst bei dem Hauptmann und dem kananäischen Weibe, gibt Er dem Glauben nach, läßt sich Gewalt antun, denn Er kann nicht anders, als auf das antworten, was Seine eigene Gnade in den Herzen hervorgebracht hat. 

Das Volk zieht an dem König vorüber. In aller Gegenwart gebietet David den Führern, "gelinde zu verfahren mit dem Jüngling, dem Absalom". Welch eine zärtliche Liebe zu die­sem aufrührerischen Sohne! ‑ vielleicht mit Schwäche ver­mischt, aber sie läßt uns doch an die schrankenlose Liebe unseres Herrn zu Seinen Feinden denken. 0, wenn sie nur zurückkehren und in der elften Stunde Buße tun möchten! Geht Seine Langmut gegen sie nicht bis an die äußersten Grenzen? Erst wenn sie völlig erschöpft ist, gießt Gott Seinen Zorn in den Kelch; dann bleibt allerdings auch kein Erbarmen mehr übrig.

 

Was nun folgt, braucht keine Erläuterung. Der gottlose Sohn wird zu seinem Fluch und seiner Schande ans Holz ge­hängt. Dieser Mann, der in seinen jüngeren Jahren, bevor er Söhne hatte*) (vergl. V. 18 mit Kap. 14, 27), sich eine

*) Oder waren seine Söhne vor ihm gestorben? (Der Übersetzer.)

 

Denksäule errichtet hatte, "um seinen Namen in Erinnerung zu halten", wird unter einem Haufen Steine im Walde Ephraim begraben, während sein Denkmal blieb, um seine Demütigung und sein schreckliches Gericht der Nachwelt stets ins Gedächtnis zu rufen. So wird es auch mit dem Antichristen und mit dem Tier gehen, die sich gegen den Herrn erheben werden. Ihr Sturz wird um so schrecklicher sein, weil sie sich bis zu Gott erhoben haben. (Jes. 14, 12‑20.) 

Man sieht in diesem schmählichen Ende die Hand Gottes, aber man sieht auch, und das ist erschreckend, die mörderische Hand Joabs dabei. Stets verübt er Böses. Er zeigt hier das Maß seiner Achtung vor dem Willen und der Person des Königs. Sein Interesse bringt ihn dahin, Absalom zu beseiti­gen, der einst seinen Stolz verletzt hatte (Kap. 14, 32. 33) und ihm eines Tages würde schaden können, indem er Amasa an seine Stelle setzte. Joab wird auch Amasa selbst töten, wenn die Ermordung Absaloms nicht die gewünschten Ergebnisse bringen wird. Ein Mann aus dem Volke hat mehr Achtung vor dem Willen des Königs, als der Anführer seines Heeres. 

Die Niederlage ist vollständig; Israel flieht vor dem sieg­reichen Juda. Achimaaz möchte der erste sein, David die gute Botschaft zu bringen. Er, der sein Leben gewagt hatte, um ihn vor einer drohenden Gefahr zu warnen, will jetzt keinem das Vorrecht lassen, ihm seinen Triumph anzukündigen. Joab, stets politisch und die Gefühle des Königs für Absalom ken­nend, sucht ihn davon abzubringen; aber vergebens. Daß es ihm persönlich schaden oder seinem Fortkommen hinderlich sein könnte, macht für Achimaaz wenig aus; die Politik Joabs ist nicht die seinige. Was auch geschehen möge, er will, vor dem König zur Erde niedergebeugt, als der erste die Würde anerkennen, die ihm wieder geworden ist. Dahin treibt es ihn mit Macht, denn sein ganzes Herz gehört David. Vielleicht hat ihn auch der Gedanke geleitet, er könne den Schlag ab­schwächen oder lindern, welchen Absaloms Tod über das Herz seines geliebten Herrn bringen würde. Doch wie dem auch sei, das eine ist sicher, daß er nur die Verherrlichung Davids im Auge hatte. Er kommt dem vor ihm abgesandten Läufer zu­vor. 0 möchten wir auch laufen wie Achimaaz! ‑ laufen, um uns als erste zu den Füßen unseres siegreichen Erretters zu befinden, ohne uns durch irgend jemand überholen zu lassen!

 

Als der Kuschit die schmerzliche Nachricht bringt, bricht Davids Herz unter einem untröstlichen Schmerz zusammen: "Mein Sohn Absalom! mein Sohn, mein Sohn Absalom! wäre ich doch an deiner Statt gestorben! Absalom, mein Sohn, mein Sohn!"

 

"Wäre ich doch an deiner Statt gestorben!" Das konnte David nicht. Das mußte für einen Einzigen vorbehalten bleiben, für Ihn, der für Gottlose starb; für den Einzigen, welcher den Übertretern beigezählt worden ist und die Sün­den vieler getragen hat". (Jes. 53, 12.) Doch David konnte seinem Schmerz freien Lauf lassen über den endgültigen Ver­lust desjenigen, dessen Rettung er so ernstlich begehrt hatte.

 

Dieser ganzen Trauer waren ohne Zweifel menschliche Ge­fühle beigemengt; darum mußte Davids Herz zerbrochen werden. Obwohl es viel ist, so ist doch e i n z e r b r o c h e ‑n e r G e i s t (Ps. 51, 17) noch nicht genug. Bei einem zer­brochenen Geist kann der eigene Wille nicht wirksam sein. Bevor David einen zerbrochenen Geist hatte, war er seinem Willen gefolgt, der ihn zum Ehebruch und zur Ermordung Urijas geleitet hatte. Ein zerbrochener Geist bewirkt das Auf­geben des eigenen Willens, um von Gott abhängig zu sein. (Kap. 15, 25. 26; 16, 10‑12; 18, 4.) Der Geist Jesu brauchte nicht zerbrochen zu werden. Sagte Er nicht bei Seinem Ein­tritt in die Welt: "Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun"?

 

Doch früher oder später muß auch unser H e r z ebensogut zerbrochen werden wie unser Geist. Gott beginnt zuweilen mit dem einen, zuweilen mit dem anderen. Bei Petrus war, als er bitterlich weinte, das Herz wirklich zerbrochen und gedemütigt, denn das Zerbrechendes Herzens geht nicht ohne Demütigung vor sich. (Ps. 51, 17.) Petrus hatte aber erst später einen zerbrochenen G e i s t : "Als du jünger warst", sagt Jesus zu ihm, "gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest ; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich 9,ürten und hinbringen, wohin du nicht willst."

 

Oft wird das Herz nicht auf einmal zerbrochen; bei David geschah es bei drei Gelegenheiten: am Hofe Achis', als er sah, daß er den Herrn verunehrt hatte, und als er deshalb im Staube lag (Ps. 34, 18); nach dem Tode seines Kindes (Ps. 51, 17); und schließlich in unserem Kapitel. Hier war die Demüti­gung schon vollständig, und doch mußten d i e natürlich en Zuneigungen noch verzehrt und zu Asche ver­brannt werden, damit göttliche Zuneigungen allein das Herz Davids erfüllen möchten. Dieses Ergebnis erreicht Gott nur durch dieses Mittel. Nur in einem zerbrochenen Herzen kann der Herr den Platz ganz ausfüllen.

 

In bezug auf unseren hochgelobten Herrn lesen wir auch von einem "Brechen" Seines Herzens; doch hat dies einen ganz anderen Sinn als bei uns. Die Verkennung Seiner Liebe war es, was Sein Herz brach. je mehr diese Liebe sich zeigte, desto mehr erhob sich der Haß gegen Ihn. "Der Hohn hat mein Herz gebrochen", lesen wir in Ps. 69, 20. Er bedurfte nicht eines Zerbrechens wie wir, um von allem losgemacht zu werden. Er war die Liebe selbst. Aber Sein menschliches Herz wurde gebrochen durch die Unmöglichkeit, diese Liebe zu zeigen angesichts des Hasses des Menschen, dessen einzige Antwort auf soviel Gnade die Schmach und Schande des Kreuzes war. Und trotzdem hat das gebrochene Herz des Heilandes den Fluch und die ganze Schwere des Gerichts Gottes getragen, um die zu erretten, welche Ihm ins Angesicht spieen.

Vergessen wir indes nicht, daß es für uns fortgesetzt nötig ist, daß das Herz zerbrochen wird. So oft Gott in uns irgendeinen neuen Charakterzug Christi ans Licht bringen will, zerbricht Er unser Herz, um ihn hervorkommen zu lassen. 

So tat Er es auch mit dem Apostel Paulus. Das Licht und das Leben Jesu, welche aus Paulus als einem zerbrochenen Gefäß hervorleuchteten, erwärmten und belebten die Seele seiner Brüder.

Von nun an hat Gott nicht mehr nötig, David zu zer­brechen. Die Sonne geht zuletzt strahlend auf; sein Herz ist erfüllt von einer Gnade, die ein Ergebnis seiner schweren Prüfung ist, und er wird für andere der Austeiler dieser göttlichen Gnade.

 

Die Gnade. Kapitel 19, 1‑40. 

Joab wirft David seine Schwäche vor, er ermahnt David! Aber wer hatte denn all dieses Böse herbeigeführt und das Vaterherz zerrissen, außer Joab allein? Ohne Zweifel gehörte auch dies zu den Wegen Gottes, die dem angekün­digten Gericht (Kap. 12, 10. 11) Bahn machten, und David mußte Gottes Hand darin erkennen; doch wehe dem unge­rechten Werkzeug, durch welches diese Wege zur Ausführung gebracht wurden! Nur war jetzt der Augenblick der Ver­geltung noch nicht gekommen. Gott erlaubt nicht einmal, daß Amasa an Joabs Stelle tritt, wie der gekränkte David es beabsichtigte. (V. 13.) David befolgt den Rat Joabs, und zwar, wie ich überzeugt bin, weil er die Gerechtigkeit der Wege Gottes betreffs seiner anerkennt. Wenn er später die Aus­führung des Gerichts an Joab seinem Sohne Salomo überträgt, so klagt er ihn eigentlich nicht der Tötung Absaloms an, sondern vor allem der Ermordung Abners und Amasas in Friedenszeiten. (l. Kön. 2, 5.) ‑ David setzt sich in das Tor der Stadt, und das ganze Volk kommt vor ihn. 

Die Züchtigung ist nunmehr zu Ende. Im ersten Buche Samuel hatte die Züchtigung den Zweck, David auf dem Wege der Abhängigkeit zu erhalten, und so gab es damals kein Herzeleid für ihn, sondern vielmehr das glückliche Bewußt­sein der göttlichen Gunst. Im 2. Buche dagegen ist die Züch­tigung bitter, weil sie verbunden ist mit dem Bewußtsein, daß er Gottes Heiligkeit verunehrt habe. Welche Früchte trägt sie aber auch! Gott erfüllt das zerbrochene Herz, wie Er allein es tun kann, und nach außen hin offenbart sich das Leben Jesu. Wir treten jetzt in eine Szene der Gnade, der Vergebung und des Friedens ein, in welcher das zum Ausdruck kommt, was jetzt das Herz des Königs beschäftigt.

 

In den Versen 9‑15 erblicken wir die G n a d e. Die zehn Stämme hatten David verraten und verlassen, um dem gott­losen Absalom zu folgen; sie kehren zuerst um und reden davon, den König zurückzuführen. David hört es und öffnet seine Arme für 1 u da, welches bis dahin sich so langsam und träge gezeigt hatte in der Wiederanerkennung des Thrones seines Königs, und welches doch für denselben hätte Sorge tragen sollen. "Ihr seid mein Gebein und mein Fleisch", läßt David den Ältesten von Juda sagen. Amasa war der Anführer des Heeres gewesen, welches David verfolgt hatte, und er war um so schuldiger, weil er, wie Joab, ein Neffe des Königs war. Auch ihm sendet David die Botschaft: "Bist du nicht mein Gebein und mein Fleisch?" Seine Gnade fordert nichts; im Gegenteil, sie findet ihr Glück darin, den Feinden Gutes zu tun. 

In den Versen 16‑23 finden wir die V e r g e b u n g. Der König gewährt sie dem Simei, welcher kommt und sich unter­wirf t ' um so dem Lose, das seiner wartet, zu entgehen. "Mein Herr wolle mir keine Verschuldung zurechnen", sagt er; "und gedenke nicht, wie dein Knecht sich vergangen hat, . . . denn dein Knecht weiß wohl, daß ich gesündigt habe." Abisai, der immer derselbe bleibt (vergl. Kap. 16, 9), möchte an Simei Rache nehmen. David hält ihn zurück mit den Worten: Was haben wir miteinander zu schaffen, ihr Söhne der Zeruja, daß ihr mir heute zu W i d e r s a c h e r n werdet? Sollte heute ein Mann in Israel getötet werden?" Nein, es ist der Tag der Gnade und der Vergebung. Ob die von Simei an den Tag gelegten Gefühle echt waren oder nicht, damit hält David sich nicht auf; er beurteilt sie jetzt nicht; dieserhalb wird später Rechenschaft von ihm gefordert werden, wenn sein Verhalten sie erkennen lassen wird. (i. Kön. 2, 36‑46.) "Du sollst nicht sterben", sagt David zu dem Schuldigen. 

In den Versen 24‑30 haben wir ein Bild des F r i e d e n s. Mephiboseth kommt herab, seinem Wohltäter entgegen; er hatte seit dem Weggang des Königs getrauert. Ziba hatte ihn betrogen und verleumdet. Hier entdecken wir einen neuen Zug in dem Charakter Zibas. Er hat in Gesellschaft des bösen Simei den Jordan überschritten, um dem König entgegen­zugehen. (V. 16 u. 17.) Das Schweigen Davids in bezug auf ihn ist bezeichnend, aber anscheinend wird Mephiboseth von David getadelt. Vielleicht war seine Gebrechlichkeit nicht ein so unübersteigliches Hindernis, dem fliehenden David zu folgen, wie er sich gedacht hatte. Vielleicht war bei ihm, wie bei seinem Vater Jonathan, ein gewisser Mangel an sittlichem Mut vorhanden, um sich seinem Wohltäter in den Gefahren, die diesem bevorstanden, beizugesellen. Die Sache ist für uns nicht ganz klar, und wir sind auf Mutmaßungen angewiesen. Aber gewiß ist, daß während der Abwesenheit des Königs Mephiboseths Leben voll Betrübnis, Trauer, Gelübde und tiefem Verlangen nach Davids Rückkehr gewesen war. Wie kommt es nun, daß David ihn so hart behandelt? "Warum redest du noch von deinen Sachen?" fragt er. Diese Worte erinnern ein wenig an die anscheinend so harten Worte Jesu dem kananäischen Weibe gegenüber. Der Herr sprach sie aus, um den Glauben jenes Weibes auf die Probe zu stellen. Wenn ein Ingenieur eine Brücke gebaut hat, so führt er sehr schwere Lasten über sie hin, um ihre Festigkeit zu erproben, So ist es auch mit den Worten Davids. Der kostbare Glaube Mephi­boseths wird auf die Probe gestellt, und es geht nur ein Wohlgeruch der Abhängigkeit und Selbstverleugnung aus der Probe hervor. Dieser Glaube hat drei Charakterzüge: Mephiboseth fügt sich dem Willen Davids, als ob es der Wille Gottes sei: "Mein Herr, der König, ist wie ein Engel Gottes: so tue, was gut ist in deinen Augen." Dieser Wille, worin er auch bestehen möge, ist gut in den Augen Mephi­boseths, weil er es in den Augen Davids ist. (Vergl. Röm. 12, 2.) Zweitens erkennt er an, daß er durch seine Abstam­mung und seinen persönlichen Wert keinerlei Rechte auf die Gunst des Königs hat: "denn das ganze Haus meines Vaters war nichts anderes als Männer des Todes vor meinem Herrn, dem König; und doch hast du deinen Knecht unter die gesetzt, welche an deinem Tische essen. Und was für ein Recht habe ich noch? und um was hätte ich noch zum Könige zu schreien?" Schließlich, als David entgegnet: "Ich sage: Du und Ziba, ihr sollt die Felder teilen", antwortet Mephiboseth: "Er mag auch das Ganze nehmen, nachdem mein Herr, der König, in Frieden in sein Haus gekommen ist." Er verzichtet auf alle seine zeit­lichen Vorteile; es genügt ihm, daß sein Herr den Platz zurückerhalten hat, der ihm gebührt. 

0 möchte auch unser Glaube, wenn er auf die Probe gestellt wird, immer solche Früchte hervorbringen!

Im Gegensatz zu Mephiboseth wird Barsillai durch das Anerbieten von zeitlichen Segnungen auf die Probe gestellt. Er war sehr reich, aber ganz verschieden von dem Jüngling, den "Jesus liebte"; er hatte sein Vermögen dem König wäh­rend seines Aufenthaltes in Machanaim zur Verfügung gestellt. Sein hohes Alter hatte ihn nicht verhindert, sich selbst mit Leib und Gut dem Dienste Davids zu widmen. Dieser bietet ihm eine seiner Hingebung angemessene B e ‑1 o h n u n g an: "Gehe du mit mir hinüber, und ich will dich bei mir versorgen zu Jerusalem." Doch Barsillai hatte nicht für eine Belohnung gearbeitet, und er weist sie deshalb zurück, indem er sich ihrer nicht für würdig hält. "Wieviel sind noch der Tage meiner Lebensjahre, daß ich mit dem König nach Jerusalem hinaufziehen sollte? Ich bin heute achtzig Jahre alt; kann ich Gutes und Schlechtes unterscheiden? oder kann dein Knecht schmecken, was ich esse und was ich trinke? ... und warum sollte dein Knecht meinem Herrn, dem König, noch zur Last sein?" Daß sein Sohn Kimham von der Frucht seiner Arbeit genieße, dagegen hat er durchaus nichts ein­zuwenden, er freut sich vielmehr darüber. Später werden, wie Mephiboseth am Tische Davids, die Söhne Barsillais am Tische Salomos essen. (l. Kön. 2, 7.)

Drei Dinge genügen diesem Manne Gottes neben dem Glück, die Rechte des Königs jenseits des Jordan wieder aner­kannt und ihn in sein Reich wieder eingeführt zu sehen. Das erste ist die schöne Verheißung in Vers 38: "Kimham soll mit mir hinübergehen, und ich will ihm tun, was gut ist in deinen Augen; und alles, was du von mir begehren wirst, will ich für dich tun." Das zweite ist, daß David, in dem Augenblick, als Barsillai von ihm Abschied nimmt, ihm einen Beweis seiner Liebe gibt: "d e r K ö n i g k ü ß t e B a r s i 11 a i". Wie Henoch empfängt er durch diesen Kuß das Zeugnis, daß er Gott, in der Person Seines Gesalbten, wohlgefallen habe. Das dritte ist, daß der König i h n s e g­n e t e. Auch Jesus breitete Seine Hände aus, als Er Seine geliebten jünger verließ, um sie zu segnen, und noch heute steht Er in derselben Haltung uns gegenüber. Seine Hände bleiben, wenn auch unsichtbar, über uns ausgebreitet und halten in unseren Herzen die Gewißheit der völligen Wir­kungskraft Seines Werkes aufrecht. Barsillai kehrte an seinen Ort zurück mit der Wärme der Liebe, mit dem Genuß der Segnungen, mit der Verheißung Davids: "Alles, was du von mir begehren wirst, will ich für dich tun, und mit der anderen herrlichen Verheißung, daß sein Sohn, ja, seine Söhne, mit dem König hinübergehen sollten, um ihn nie mehr zu verlassen und um für immer an dem Tische des Königs der Herrlichkeit zu sitzen! 

Streit zwischen Brüdern. Kapitel 19, 41 ‑ 20, 26. 

In ähnlicher Weise wie David, wird auch der Überrest Israels am Ende der Tage einen Weg finden, (er in Wirklich­keit, das Volk einst im Vorbild,) um wieder nach Kanaan zu kommen. Der Jordan, der Fluß des Todes, ist dieser Weg. Man muß mit Christo gestorben sein, um in das Erbteil und die Segnungen der Verheißungen einzutreten. Nachher kommt Gilgal (Kap. 19, 40), der Ort der Beschneidung, wo einst die Schande Ägyptens von dem Volke abgewälzt wurde. Zum ersten Male werden dann jene Treuen am Ende wirklich wissen, was die wahre Beschneidung Christi ist, das Ausziehen des Leibes des Fleisches". Sie werden in das Reich Gottes als von neuem geborene Wesen eingehen. 

Diese Stelle läßt sich auf den Überrest anwenden und, obwohl in anderer Weise, auch auf uns selbst. Ohne Zweifel sind wir jetzt mit Christo gestorben; wir sind ein für allemal beschnitten worden mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, mit der Beschneidung des Christus (Kol. 2, 11); wir können nicht aus den himmlischen Örtern, die unser Erbteil sind, vertrieben werden; aber unsere Untreue hat not­wendigerweise die Züchtigung seitens des Herrn zur Folge. Wir k ö n n e n nicht nur, sondern m ü s s e n durch einen Fall den G e n u ß der himmlischen Dinge verlieren, und wenn wir auch nicht wie David und der Überrest aus Kanaan ver­trieben werden, so sind wir doch mindestens Fremdlinge dort geworden, indem wir dahin zurückgekehrt sind, von wo die Gnade Gottes uns ausgeführt hatte.Um dies herbeizuführen, genügt es schon, wenn wir einen Augenblick (indem wir zu dem zurückkehren, wovon da, Kreuz uns abgesondert hat) vergessen, daß der Tod Christi, wie der Jordan und Gilgal, uns von der Welt und von dem Fleische trennt. Um dann die Kraft dessen, was unsere Tor­heit verachtet hat, wiederzuerlangen, müssen wir p r a k ‑t i s c h e r w e i s e den früher zurückgelegten Weg noch einmal machen, die Bekanntschaft mit unserem Jordan und unserem Gilgal erneuern und durch die Buße den Zweck des Kreuzes und die Kraft dieses Todes mit Christo wiederfinden, durch welchen wir der Sünde und der Welt gekreuzigt worden waren. Gott wolle es uns schenken, diese Erfahrungen an der Hand Seines Wortes zu machen und nicht infolge wirk­licher Fehltritte! Die Geschichte Davids zeigt uns den uner­meßlichen Verlust, welchen ein Fall seiner Seele zufügte, trotz der Vollkommenheit der Gnade, die sich in seiner Wieder­herstellung verherrlichte.

 

Von Kap. 19, 41 bis 20, 2 sind wir Zeugen des Zwie­spaltes zwischen Israel und Juda. Tatsächlich hatte weder der eine noch der andere Teil recht; Israel hatte in Masse Verrat geübt, war aber nach dem Tode Absaloms zuerst zurück­gekehrt; Juda hatte sich anfangs langsam und lässig gezeigt, hatte aber diesen Mangel an Eifer dadurch wieder gut gemacht, daß es dem Ruf der Gnade Folge leistete, als Israel noch zauderte. (Kap. 19, 9‑15.)

 

Eifersüchtig auf die Entschlossenheit Judas, beklagen sich die zehn Stämme darüber bei dem König. Juda antwortet damit, daß es seine nahen Beziehungen zu dem Sohne Isais geltend macht, und gibt zugleich zu verstehen, daß es bei der Zurückführung des Königs nicht, wie andere, durch selbst­süchtige Beweggründe geleitet werde. (Kap. 19, 42.) Israel erwidert: "Ich habe zehn Teile an dem König, und habe auch an David mehr Anrecht als du; und warum hast du mich gering geachtet? und ist nicht m e i n Wort das erste gewesen, meinen König zurückzuführen?" Alle diese Reden sind vom Fleische. Der Ehrgeiz, in den Dingen Gottes eine Rolle zu spielen, die Eifersucht angesichts der Tätigkeit unserer Brüder, die verletzte Eigenliebe, das Eingenommensein von uns selbst alles das ist sicherlich nicht die Frucht des Geistes und der göttlichen Zuneigungen. Juda steht trotz seiner besseren Stellung nicht besser da als die zehn Stämme: Das Wort der Männer von Juda war h ä r t e r als das Wort der Männer von Israel' Die, welche recht haben, handeln o h n e L i e b e , und daraus kann nur eine Trennung entstehen. Sie vollzieht sich in Kap. 20, 1. 2. Auf Antrieb Satans, welcher Scheba, den Sohn Bikris, als Werkzeug benutzt, ruft Israel, nachdem es eben erst gesagt hat. "Ich habe zehn Teile an dem König", nunmehr: "Wir haben kein Teil an David und kein Erbteil an dem Sohne Isais!" So trennt sich ganz Israel von dem König wegen einer Personenfrage; das ist es, was der Feind wünscht. Es ist oft schwer, von vornherein seine Absichten zu erraten; doch der Augenblick kommt immer, wo er seine Maske abwirft und die armen, verblendeten Heiligen hinter sich herzieht. Welche Torheit, einen Mann Belials", einen Scheba, den Sohn Bikris, einen Benjaminiter, David vorzu­ziehen! So ist es immer in den inneren Streitigkeiten des Volkes Gottes. Satans Zweck ist, die Seelen von Christo abzuwenden. Es macht ihm dabei wenig aus, daß Juda mit dem Gesalbten Jehovas verbunden bleibt. Hat diese kleine Zahl nicht die Achtung verloren dadurch, daß ihr Wort härter war als das der Männer von Israel? Es ist für Juda demü­tigend, in diesem Streit einen Fehler gemacht zu haben; aber etwas bleibt ihm: die Gnade Davids war ihm zuvorgekommen "Ihr seid mein Gebein und mein Fleisch", hatte er gesagt. Er hatte ihre Herzen wie eines Mannes Herz geneigt, indem er in ihnen das Bewußtsein ihrer innigen Verbindung mit ihm wieder wachrief. (V.14.) Das ganze Verdienst gebührt deshalb David. Infolge seiner Gnade "h i n g e n d i e M ä n n e r v o n  J u d a  i h r e in K ö n i g  a n, vom Jordan bis Jerusalem" (Kap. 20, 2.) So ist denn die Segnung für Juda, trotz seines Fehlers; denn es wird da erhalten, wo David ist.

 

Nachdem David seinen Platz in der Mitte des Oberrestes seines Volkes wieder eingenommen hat, reinigt er sein Haus von dem Verderben, welches hineingebracht worden war. Indes jagt er nicht seine verunreinigten Weiber aus dem Hause, um es auf einer neuen Grundlage wieder aufzurichten; denn er selbst trug Schuld an diesem ganzen Verfall. Das Böse, die Gefäße zur Unehre, die Verunreinigung, sind da. David trägt die Strafe und die Demütigung dafür, zugleich aber reinigt er sich persönlich davon, um ein Gefäß zur Ehre für Jehova zu sein. Er vereinigt sich keineswegs mit dem Bösen, wenngleich er es war, der es hervorgerufen hatte. Seine Absonderung ist im Gegenteil eine öffentliche Absonderung. Er versteht, daß er hinfort "ein Gefäß zur Ehre" sein muß, "geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet".

 

Diese Dinge finden auch ihre Anwendung auf uns, ge­liebter Leser. Wir stehen in der Zeit des Verfalls, welche im 2. Briefe an Timotheus angekündigt wird. Wir können weder das Haus Gottes wiederherstellen, noch die Gefäße zur Unehre zerbrechen; aber wir können von der Ungerechtigkeit abstehen und so das Siegel des "festen Grundes Gottes" tragen. (2. Tim. 2, 19‑21.)

 

Während David entschlossen ist, Joab zu entlassen, sucht er das seinem Neffen Amasa gemachte Versprechen zu er­füllen, indem er ihn zum Anführer des Heeres macht (vergl. Kap. 19, 13); er trägt ihm auf, die Männer Judas zu berufen, um dem Sohne Bikris nachzujagen. Amasa zaudert bei der Ausführung dieses Auftrags. Vielleicht hatte David auch nicht genug Geduld; denn Amasa war kein Verräter und war schon bis Gibeon, nicht weit von Jerusalem, gekommen, als das Heer Abisais und die Helden aus der Stadt zogen. jedenfalls ist es Tatsache, daß David aus Furcht vor dem Bösen, welches Scheba tun könnte, durch Abisai wieder in die Hände Joabs geriet. Hätte er nicht bei diesem Wiederbeginn seiner Regierung Jehova um Rat fragen sollen? Nachdem Gott schon einmal das Herz Israels geneigt hatte, hätte Er es da nicht auch ein zweites Mal tun können?

 

Der ehrgeizige, gewissenlose Joab, für den alles, was seinen Interessen dient, erlaubt ist, wird zum dritten Mal zum Mörder, um seinen Platz wiederzugewinnen. vor der Stadt Abel wehrt die Weisheit eines Weibes weiterem Blutvergießen. Der Bruderkrieg nimmt durch den Tod Schebas, des eigentlichen Schuldigen, ein Ende. Joab selbst hat hier ein weises Wort; er beschuldigt Scheba, "seine Hand wider den König, wider David, erhoben zu haben" * (V. 21.) Damit traf er in der Tat den Kern der Sache, denn der Angriff Schebas war gegen den König gerichtet. Das Weib in Abel ist sich darüber klar, daß die einzige Möglichkeit, den Frieden wiederherzustellen, darin besteht, den Schuldigen zu richten: "Siehe, sein Kopf soll dir über die Mauer zuge­worfen werden." Es handelt sich nicht darum, wie man so oft sagt, daß jeder sein Unrecht anerkenne und sich demütige; das beseitigt das Übel nicht. Nein, der, welcher seine Hand gegen David erhoben hat, muß weggetan werden.

 

Sollte dies nicht immer geschehen in den Streitigkeiten unter Brüdern betreffs der Lehre? Die einen verurteilen den Ketzer, die anderen nehmen ihn an, aber der Friede kann nur durch das Hinwegtun des Bösen wiederhergestellt werden. Dieses Kapitel schließt, wie Kap. 8, 15‑18, mit der Be­schreibung der in der Verwaltung des Reiches wiederherge­stellten Ordnung. Was jetzt noch folgt, bildet gleichsam ein Schlußwort zu dem ganzen Buche.

 

Kapitel 21 – 24 Das Ende der Regierung Davids 

Rizpa. Kapitel 21, 1‑14. 

Die schrecklichen und wohlverdienten Prüfungen, die über das Reich Israel hereingebrochen waren, sind vorüber; das Reich ist wiederhergestellt, und man hätte glauben können, daß ihm jetzt eine Zeit friedlichen Gedeihens beschieden sein würde. Aber ach! es wird von einer neuen Plage heimgesucht. Es ist wohl möglich, daß die Hungersnot zu einem anderen Zeitpunkt der Regierung Davids stattgefunden haben kann, denn es heißt: "Es war Hungersnot i n den Tagen D a v i d s "; aber es ist nie ohne Absicht, wenn der Geist Gottes bei einer Erzählung die Zeitfolge unbeachtet läßt, beziehungsweise verändert. Wir sehen das am Ende des Buches der Richter und an vielen Stellen in den Evangelien.

Die Regierung Gottes kann das Böse nicht übersehen, worin es auch bestehen mag, und sie richtet es mit um so größerer Strenge, wenn die Gemeinde sich in einem verhält­nismäßig guten Zustande befindet. Viele Jahre waren seit der Bluttat Sauls verflossen; die Geschichte dieses Königs erwähnt sie nicht. Das Volk hatte sie vielleicht vergessen, vielleicht war sie David gar nicht bekannt; aber Gott hatte sie nicht vergessen, sie lag noch ungesühnt vor Seinen Augen. Doch die Gemeinde Israels hatte keinen Anteil an diesem Ver­brechen, und Saul, der es begangen hatte, war ja längst ge­storben; wozu also mußte es wieder ins Gedächtnis gebracht werden? Weil es sich eben um einen sehr wichtigen Grund­satz handelt in den Wegen Gottes, sei es mit Israel oder mit der Kirche. Das Volk ist verantwortlich für die Tat Sauls, weil sie auf dem Boden der Gemeinde Israels stattgefunden hat. Die gewaltsame Verletzung der eingegangenen, Verpflich­tungen und des im Namen Jehovas geschworenen Eides (Jos. 9, 18) machte die ganze Gemeinde der Sünde ihres Führers schuldig. Ein neues Geschlecht war seitdem erstanden; sie hätten sich darauf berufen können, daß sie nichts davon wußten; aber das Verbrechen blieb, und Gott bringt es zu Seiner Zeit wieder in Erinnerung.

Ereignen sich in unseren Tagen nicht ähnliche Dinge, und reden sie nicht zu den Gewissen der Heiligen? Ob nach einer Sünde Zeit verflossen ist, ist von wenig Belang; die Versamm­lung ist haftbar für die Sünde, die sie hat geschehen lassen, und bleibt befleckt durch eine Tat, gegen die sie nicht aufge­treten ist.

 

Der Leser kennt die Geschichte der Gibeoniter; man kann sie in Josua 9 lesen. Diese Amoriter hatten sich durch List in die Gemeinde Israels eingeschlichen, um dem Gericht über ihr Volk zu entgehen. Gott betrachtete als gebunden, was die Gemeinde gebunden hatte: sie konnte ihren Eidschwur nicht zurücknehmen. Ohne Zweifel hatte die Gnade Gottes Israel von den Folgen eines leichtsinnigerweise und durch Un­kenntnis begangenen Fehlers dadurch befreit, daß die Gibeoniter dem Volke gegenüber in Sklavenstellung gebracht wurden; aber die Nachwirkung einer Entscheidung nach dem Fleische blieb immerfort bestehen. Saul urteilte anders darüber; denn ein Mensch im Fleische tut stets genau das Gegenteil von dem, wozu der Geist Anleitung geben würde. Und doch "eiferte Saul für die Kinder Israels und Judas" (V. 2); aber es geschah mit einem Eifer, der sich leider sehr mit dem Haß gegen den Gesalbten Jehovas verband. Saulus von Tarsus war in späteren Tagen auch mit Eifer erfüllt, aber dieser Eifer machte ihn zu einem Verfolger Christi in Seiner Versammlung. Auch in unseren Tagen kann man mit Eifer für seine Nation, für seine Kirche erfüllt sein, ohne daß Gott irgendwie Anteil daran hat.

 

Derselbe Mann, der um seines eigenen vermessenen Schwures willen seinen Sohn, den Retter Israels, geopfert hätte (l. Sam. 14, 24. 44), verachtet den Eid, durch welchen Josua und die Fürsten Israels sich im Namen Jehovas den Gibeonitern gegenüber verpflichtet hatten.

 

Die Hungersnot wütet drei Jahre nacheinander; die Schläge, welche die Gemeinde Gottes treffen, wiederholen sich. Durch die Prüfung wird das Gewissen Davids dahin gebracht, daß er die Ursache davon kennenzulernen wünscht: "David suchte das Angesicht Jehovas." Das war das einzige Hilfs­mittel, und Gott antwortete ihm sogleich: "Es ist wegen Sauls und wegen des Bluthauses, weil er die Gibeoniter getötet hat." Wegen des Bluthauses! Als der Sohn Geras den gebeugten David verfolgte und ihm zurief: Hinweg, hinweg, du Mann des Blutes! Jehova hat alles Blut des Hauses Sauls auf dich zurückgebracht... denn ein Mann des Blutes bist du", da hatte Gott diese Beleidigungen eines Mannes aus dem Hause Sauls aufgezeichnet; aber jetzt war die Zeit gekom­men, um Seinen Gedanken über diese Schmähung Aus­druck zu geben: Gott bezeichnet das Haus Sauls als ein Blut­haus und rechtfertigt das Haus Davids.

David hatte Jehova über die Ursache der Züchtigung be­fragt, und ohne Zweifel hätte er Ihn auch weiter befragen sollen über die Weise, wie den Gibeonitern Gerechtigkeit widerfahren müsse. Statt dessen befragt er diese selbst, und sie fordern sieben Männer der Familie Sauls, "um sie dem Jehova zu Gibea aufzuhängen". David stimmt dem zu, denn das Gericht war notwendig, obwohl er seinerseits Schwäche offenbarte. Mephiboseth wird dabei verschont. David, der ihn bei einer anderen Gelegenheit anscheinend mit Härte behandelt hatte, zeigt hier, daß er ihn immer auf dem Her­zen trägt. Ein David vergißt seine Eidschwüre nicht. Hatte er nicht einst dem Jonathan geschworen: "Jehova sei zwischen mir und dir und zwischen meinem Samen und deinem Samen auf ewig"? (i. Sam. 20, 42.)

 

Die beiden Söhne der Rizpa und die fünf Söhne der Michal (oder der Merab), der Tochter Sauls (vergl. 1. Sam. 18, 19), werden den Gibeonitern ausgeliefert. Das Vorgehen der letzteren ‑ man braucht sich über ihre Gleichgültigkeit gegen die Vorschriften des Gesetzes allerdings nicht zu wun­dern ‑ ist nicht in Übereinstimmung mit der Verordnung des 5. Buches Mose: "Wenn an einem Manne eine todeswürdige Sünde ist, und er wird getötet, und du hängst ihn an ein Holz, so soll sein Leichnam nicht über Nacht an dem Holze bleiben, sondern du sollst ihn jedenfalls an demselben Tage begraben; denn ein Fluch Gottes ist ein Gehängter; und du sollst dein Land nicht verunreinigen, das Jehova, dein Gott, dir als Erbteil gibt." (5. Mose 21, 2 .2. 23.)

 

Die "Weizenernte" könnte als Entschuldigung dafür dienen, daß man den ausdrücklichen Befehlen der Schrift ungehorsam gewesen sei; aber Entschuldigungen rechtfertigen den Ungehorsam nicht. Indessen ist es nach der Erzählung wahrscheinlich, daß die Leichname von dem Galgen herabge­nommen wurden, um auf dem Felsen liegen zu bleiben, an­statt ein Begräbnis zu finden.

 

Rizpa, die Tochter Ajas, die Mutter zweier der Gehängten, die schon bei dem Streit zwischen Abner und Isboseth erwähnt wurde, vollführt eine Handlung der Pietät, welche verdient, daß ihr Name in dem Gedächtnis der Gläubigen fortlebt. Sie macht sich zur Hüterin der sieben Leichname. Der Beweggrund zu ihrer Aufopferung ist nicht allein der, daß ihre beiden Söhne sich unter den Hingerichteten befan­den, denn sie wacht über die fünf anderen Leichname ebenso gut wie über die ihrer Söhne. Die Nachkommenschaft dessen, welcher "der Erwählte Jehovas" (V. 6) gewesen war, liegt ihr am Herzen. Sie zeigt ihre Anhänglichkeit an ihren Mann und ihren Herrn. Mehr noch, Rizpa ist ein Weib des G 1 a u b e n s. Sie behütet die Leiber vor jeder Entheiligung und bewacht sie, ohne zur Erfüllung dieser mühsamen Aufgabe etwas anderes zu haben, als das Sacktuch der Trauer, welches sie unter sich ausbreitet. Sie verbindet so ihre Trauer mit der wachsamen Pietät gegen die Toten. Deren Begräbnis wenig­stens soll ehrenvoll sein. Sie will sie nicht bei Tage den Vögeln des Himmels, noch bei Nacht dem Getier des Feldes zum Fraß überlassen, als ob sie verurteilte Verbrecher seien. So haben zwar die Nationen gegen das Volk Gottes gehan­delt (Psalm 79, 2), aber so hat Jehova nicht b e f o h 1 e n , und so tat man nicht in Israel!

 

Der Glaube Rizpas wird belohnt: Es wurde David be­richtet, was sie getan hatte." Die Tat dieses Weibes ist wert, in dem Herzen des Königs eingeschrieben zu werden. Welche Freude bei ihrer Trauer! Sie hat ein Herz gefunden, das sie versteht, und das sein Glück darin findet, sie zu belohnen; eine Gnade, die ihren Wünschen entspricht. Die Gebeine der Nachkommen Sauls werden mit denen ihrer Väter in dem Begräbnis Kis' vereinigt. , Dieses Weib befand sich auf dem Wege Gottes und hat die Antwort erhalten, welche ihr Glaube f orderte.

 

Von da an kann Jehova dem Lande gnädig sein, denn das Gericht ist ausgeführt; aber auch die Gnade hat ihren Lauf gehabt, denn in Seinen Wegen bleibt Gott nicht bei dem Gericht stehen; letzteres bereitet vielmehr den Weg für den Triumph der Gnade.

 

Die Söhne des Riesen. Kapitel 21, 15‑22. 

Das Ende der Geschichte Davids trägt denselben Charakter wie ihr Anfang. Goliath scheint wieder lebendig geworden zu sein. Für den Herrn war es ebenso: nach der Versuchung in der Wüste ließ Satan Ihn für eine Zeit in Ruhe, dann erschien er wieder in Gethsemane und versuchte Ihn in Schrecken zu setzen, um Ihn dahin zu bringen, Sein Werk aufzugeben. Seine Anstrengungen waren vergeblich, und wie im ersten Falle, so trug auch hier die Abhängigkeit Jesu den Sieg davon.

 

Wenn nach dem Siege Christi die "Söhne des Rapha" (d. i. des Riesen) sich an Seine Erlösten wagen, in dem Ge­danken, da leichter zu ihrem Ziele zu kommen als bei deren Meister, so wird ihr Los dasselbe sein; sie werden besiegt aus dem Kampfe hervorgehen. Dieser Streit mit den Philistern wiederholt sich viermal. Aus der Mitte dieser inneren Feinde gehen die Söhne des Riesen hervor, diese "reißenden Wölfe", welche die Herde zu berauben suchen, indem sie ihre Leiter in Schrecken setzen.

 

Beim ersten Male ist David persönlich auf dem Schauplatz. Er war mit seinen Knechten herabgekommen und hatte weder sein Alter noch seine Kräfte in Betracht gezogen: "David war ermattet". Jischbi‑Benob, der von den Söhnen des Riesen war, furchtbar durch seine Waffe ‑ "das Gewicht seiner Lan­zenspitze war dreihundert Sekel Erz an Gewicht" ‑ unver­wundbar, denn "er war neu gerüstet", wollte sich die augen­scheinliche Schwäche des Königs zunutze machen. Aber "Abisai, der Sohn der Zeruja, kam ihm zu Hilfe und schlug den Philister und tötete ihn". Auf solche Weise wird dieser Knecht Davids auf die Probe gestellt; er verläßt seinen Herrn nicht in der Gefahr und hat die Ehre, Davids Retter zu sein. Ist es nicht auch so bei uns? Da der Herr für uns ge­stritten und uns gerettet hat, haben wir da nicht in gewissen Sinne die Pflicht, Ihm zu Hilfe zu kommen? Sein Name, Seine Person, Seine Ehre werden durch die Werkzeuge des Feindes bedroht. Der Feind wagt sich an unseren David heran, um Sein Gedächtnis gänzlich zu beseitigen, und er weiß, daß er wenig Zeit hat, denn schon steht in der Person Salomos der Tagesanbruch Seiner glorreichen Regierung nahe bevor. Wird der Feind die Oberhand gewinnen? Wir sind dafür verantwortlich, ob er siegt oder eine Niederlage erleidet. An uns ist es jetzt, in der Kraft des Geistes Gottes die Söhne des Riesen zu schlagen, den zu besiegen, der sich an Christum heranwagt, Seinen Namen und Sein Wort un­verletzt zu erhalten gegenüber dem Feinde, der sie vernich­ten möchte.

 

Und selbst wenn wir nicht "Helden Davids" wären, sollten wir ihm nicht wenigstens zuschwören, wie dessen Diener alle taten: "Du sollst nicht mehr mit uns ausziehen zum Streit, daß du die Leuchte Israels nicht auslöschest"? Der Glaube aller wird so auf die Probe gestellt. Sie fühlen, daß sie selbst zu streiten haben, ein jeder seinem Rang entsprechend, damit die Leuchte des Volkes Gottes nicht ausgelöscht werde, son­dern fortfahre, in ihrem ganzen Glanze zu strahlen. Ohne Zweifel ist unser David niemals ermattet, wie derjenige dieser Geschichte: "Ein ewiger Gott ist Jehova, der Schöpfer der Enden der Erde; er ermüdet nicht und ermattet nicht." (Jes. 40, 28.) Doch um unseren Glauben zu erproben und zu stärken, um unsere Herzen im Kampf zu ermutigen und sie durch den Sieg und die Belohnung zu erfreuen, bringt Er Sich den Seinigen gegenüber gern in eine Lage, wo Er, der Besieger Satans, unserer Hilfe zu bedürfen scheint. Welch ein Vorrecht, für Ihn zu streiten! Die Tage sind ernst. Christus wird von allen Seiten angegriffen. Die Anstrengungen, die in dieser Hinsicht gemacht werden, sind furchtbar und über­steigen weit unsere schwachen Hilfsmittel. Diejenigen, welche auf Seiner Seite stehen und die Unverletzlichkeit Seines Wortes und Seiner Person verteidigen sollten, machen leider fast immer gemeinsame Sache mit den Söhnen des Riesen. Möchten wir uns dadurch nicht beunruhigen lassen!

 

Es macht nichts aus, daß unser David, wie in den beiden Kämpfen zu Gob (V. 18. 19), abwesend ist; derselbe Geist, der Ihn belebte, ist noch bei uns. Vielleicht werden wir wie Sibbekai, der Huschathiter, allein dem Saph gegenüberstehen müssen, denn der geschlagene Riese steht unter einer anderen Gestalt immer wieder auf. Aber was macht das aus? Vielleicht wird, und das ist ein entmutigender Umstand, der­selbe Ort, wo der Feind schon einmal besiegt worden ist (Gob), zum zweiten Male zum Kampfplatz. Aber was macht das, wenn wir noch einmal in dieselben Spuren treten müssen, nachdem wir glaubten, mit einem unehrlichen Kampf zu Ende zu sein?

 

Auf diesem Boden kommt auch Goliath, der alte Feind, wieder zum Vorschein. "Und wiederum begann der Streit mit den Philistern zu Gob. Und Elchanan, der Sohn Jaare­Orgimes, der Bethlehemiter, erschlug Goliath, den Gathiter; und der Schaft seines Speeres war wie ein Weberbaum." Ist denn Goliath nicht von David besiegt worden? Beunruhige dich nicht, erschrick nicht, Elchanan, du Held von "Gottes Gnaden"!*) Dieser Goliath, der Gathiter, ist ein falscher Goliath, der sich mit einem täuschenden, lügnerischen Namen schmückt. Es ist nur sein Bruder Lachmi. (Vergl. 1. Chron. 20, 5.) Aber er trägt doch denselben Speer, wie ein Weber­baum? (Vergl. 1. Sam. 17, 7.) Frage ihn, Elchanan, wo sein Schwert ist. Es ist in den Händen Davids geblieben und wird da immer bleiben. Der Sieg, Elchanan, ist dir sicher; es ist dazu nicht einmal ein Schleuderstein nötig, den du sicher nicht so würdest schleudern können wie dein König. Was ihn besiegen wird, ist das Vertrauen, die demütige Abhängigkeit, die du in David gesehen hast. ja, wie es auch sein möge, der Sieg gehört dir; er gehört uns, weil er Ihm gehört!

*) Elchanan bedeutet: Gottes Gnade.

 

Der letzte, ungeschlachte, schreckliche Feind wird nicht mit Namen genannt, aber "auch er war dem Rapha (dein Riesen) geboren worden", "ein Mann von großer Länge, der je sechs Finger an seinen Händen und je sechs Zehen an seinen Füßen hatte, vierundzwanzig an der Zahl". Wie einst Goliath, so höhnt auch er Israel. (V. 21; 1. Sam. 17, 10.) In Abwesenheit Christi haben wir ebenso gut für Ihn wie f ü r S e i n V o 1 k zu streiten. Das Volk verhöhnen heißt Ihn verhöhnen. Wir haben Brüder, die vom Feinde gefangenge­nommen wurden, wie Lot, die auf traurige Weise wie er mit der Welt verbunden sind, bei denen das Wort in Anwendung kommt: "Die anderen aber rettet mit Furcht, sie aus dem Feuer reißend." (Jud. 23.) Laßt uns wie Jonathan, der Sohn Schimeas, in die Bresche treten; zeigen wir wie er, daß wir durch Gnade den Namen "Brüder Davids" (V. 21) tragen! Laßt uns wie er die Interessen Seines Volkes auf dem Herzen tragen!

 

Wie schmerzlich ist es, sagen zu hören: Was mischt ihr euch in unsere Sachen ein? Wir befinden uns wohl da, wo wir sind. Ihr streitet gegen uns. ‑ Ach! die so reden, machen sich eins mit dem Feinde, der sie knechtet, und sie ziehen ihre Knechtschaft der Freiheit vor, die ihnen angeboten wird. Doch was liegt daran? Laßt uns für sie kämpfen, laßt uns diese schreckliche Macht, die das Volk Gottes verhöhnt, schlagen! Noch ein Schlag; es wird vielleicht der letzte sein. Nur noch ein Sieg, und Jehova wird uns aus den Händen aller unserer Feinde befreien, und wir werden Ihm in Frieden, wie David, die Worte unseres Liedes darbringen können!

 

Das Lied der Errettung. Kapitel 22. 

Wir sind jetzt bei der endgültigen Errettung Davids ange­langt. Alle seine Feinde, zu denen auch Saul gehörte (V. 1), sind verschwunden. Dieses Lied, welches der Zeit nach an den Anfang des 7. Kapitels gehört, hat seinen Platz hier gefun­den, weil der letzte Gegner Davids und seines Volkes eben vernichtet worden ist (Kap. 21. 21) und diese feindliche Macht hinfort nicht mehr ihr Haupt erhebt. Die Worte dieses Liedes, die wir in Psalm 18 wiederfinden, konnten tatsächlich nicht bei dieser Gelegenheit ausgesprochen werden, denn sie reden von einer Zeit, wo David nicht unter der Zucht war, sondern inmitten der Verfolgungen seitens seines grau­samen Feindes durch Gnade vor dem Fall bewahrt worden war. Aber auch selbst in diesen Zeiten der Kraft und der Heiligkeit, welche den ersten Abschnitt seiner Laufbahn ge­kennzeichnet hatten, würde David nicht alle Worte dieses Psalms auf sich haben anwenden können. David war ein Prophet; seine prophetischen Gesänge gingen aus seinen persönlichen Erfahrungen hervor, aber sie würden nicht prophetisch gewesen sein, wenn sie nicht Christum zum Ge­genstand gehabt hätten. In seinen Erfahrungen ist David ein Abglanz Christi, und das ist ein sehr großes Vorrecht; indes ist dieser Abglanz immer nur ein gedämpftes Licht, eine schwache Wiedergabe des vollkommenen Musters.

Der vorliegende Psalm kann in drei Teile eingeteilt werden.

Der erste (V. 1‑18) verkündet die Errettung aus der Hand Sauls: "Er errette mich von meinem starken Feinde." (V. 17.) Diese Errettung erinnert an die Errettung Israels von der Verfolgung des Pharaos beim Durchzug durch das Rote Meer: "Es wurden gesehen die Betten der Wasser, und die Grundfesten des Erdkreises wurden aufgedeckt vor deinem Schelten, Jehova, vor dem Schnauben des Hauches deiner Nase. Er streckte seine Hand aus von der Höhe, er nahm mich, er zog mich aus großen Wassern." (V. 15. 16.) jedoch entspricht diese Schilderung nicht genau der Errettung Davids, noch derjenigen Israels aus Ägypten. Es handelt sich um eine zukünftige, prophetische Zeit. Es ist die Errettung des Über­restes am Ende, wenn Gott offenbarlich und sichtbarlich zu seinen Gunsten einschreiten wird. (V. 7‑14.) Der Überrest wird bis an die Pforten des Todes geführt werden; aber dann wird Gott für ihn eintreten und in einem Augenblick seine Feinde zerstreuen. Vor dieser Errettung wird der Überrest lernen, daß sein Messias, der Sohn Davids, allein durch diese Schrecknisse hindurchgegangen ist und sie getragen hat, indem Er Sich so mit der zukünftigen großen Bedrängnis Seines Volkes einsmachte, um sie erretten zu können. David hat den Inhalt dieser Worte, welche uns an die Ängste Gethsemanes denken lassen, nur in schwachem Maße ver­wirklichen können: "Es umfingen mich die Bande des Todes, und die Ströme Belials erschreckten mich; die Bande des Scheols umringten mich, es ereilten mich die Fallstricke des Todes." (V. 4 u. 5.)

 

Der zweite Teil des Psalms (V. 19‑29) ist, von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, noch treffender als der erste. Die Ursache der Errettung Davids liegt darin, daß Gott Lust hat an Seinem Gesalbten, und zwar nach der ganzen Vollkommenheit dessen Charakters. Nun hat aber der Cha­rakter Davids, nicht einmal vor seinem Fall, wieviel weniger nachher, genau diesen Versen entsprochen: "Er führte mich heraus ins Weite, er befreite mich, weil er Lust an mir hatte. Jehova vergalt mir nach meiner Gerechtigkeit, nach der Rein­heit meiner Hände erstattete er mir. Denn ich habe die Wege Jehovas bewahrt, und bin von meinem Gott nicht frevelhaft abgewichen. Denn alle seine Rechte waren vor mir und seine Satzungen, ich entfernte sie nicht von mir. Und iä; war voll­kommen gegen ihn, und hütete mich vor meiner Ungerechtigkeit. Und Jehova erstattete mir nach meiner Gerechtigkeit, und nach der Reinheit meiner Hände vor seinen Augen. Gegen den Gütigen erzeigst du dich gütig, gegen den voll­kommenen Mann erzeigst du dich vollkommen; gegen den Reinen erzeigst du dich rein, und gegen den Verkehrten erzeigst du dich entgegenstreitend." (V. 19‑26.) David preist die Vollkommenheit eines Anderen in den Worten: "Jehova erstattete mir nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner Hände vor seinen Augen." Christus allein konnte Seinem Vater einen Beweggrund darbieten, um Ihn zu lieben und Ihn zu retten ‑ aber Seine Rettung ist diejenige Seines Volkes geworden. (V. 30‑50)

 

In dem dritten Abschnitt des Psalmes (Verse 30‑50) preist David das, was Gott für ihn getan hatte. Gott hat ihm geantwortet und "ihn aus den Streitigkeiten des Volkes errettet", (was in der Geschichte Davids dem in 2. Sam. 20 Mitgeteilten entspricht,) und hat ihn "zum Haupt der Nati­onen gesetzt", die er unterjocht hatte. (V. 43.) Die Kinder Ammon, die Philister, die Syrer, die Edomiter ‑ alle haben sich unter sein Joch beugen müssen. Doch wie redet das alles zu uns von einem Größeren als David! Es beginnt damit, daß dieser Größere als König Israels und als Haupt der Nationen anerkannt wird. "Die Söhne der Fremde unterwerfen sich ihm mit Schmeichelei" (V. 44); "Gott gibt ihm Rache und unterwirft ihm die Völker" (V. 47); "Er wird erhöht über die, welche wider ihn aufstanden." (V. 48) Vergl. Psalm 2, 2 u. 6.

 

Nichtsdestoweniger konnte David diese Dinge mit einem dankerfüllten Herzen verkünden. Die Gnade ruhte damals auf ihm wegen der Lauterkeit und Vollkommenheit seines Verhaltens. Er stand am Ende des Leidensweges, und dieser Weg war der des Wandelns mit Gott. Ruhigen und fröh­lichens Herzens rühmt er die Errettung, welche die Gnade der Treue zuteil werden läßt. Auf seiten Davids ist alles Freude, Freiheit, Macht, Danksagung; auf seiten Gottes alles Gunst und Gnade.

Was werden wir in dem folgenden Kapitel finden, wo es sich um die Verantwortlichkeit des Königs handelt? 

Die letzten Worte Davids. Kapitel 23, 1‑7‑ 

Es sind ernste Worte, mit denen die Laufbahn Davids schließt. Beim Herannahen seines Todes betrachtet er als der von Gott begnadete, aber verantwortliche König das Ergebnis seines ganzen Lebens. Dieses Leben umfaßt alle seine Erfah­rungen samt seinem Fall und der Züchtigung, welche die Folge desselben war. Er war im Begriff, die Welt zu verlassen, nun wenden sich seine Blicke rückwärts, vorwärts und um sich her, und sein Auge ist klarer als je. Er erblickt die Vergan­genheit wieder, beschaut die Gegenwart und betrachtet die Z u k u n f t ; wir hören, was er darüber denkt, erleuchtet durch die Unterweisung und die Eingebung des Geistes Gottes.

Der 1. Vers stellt uns in feierlicher Weise und als etwas sehr Bedeutungsvolles dar, was den Mann kennzeichnete, der die nachfolgenden Worte aussprach. Der erste wichtige Punkt ist deren göttliche Eingebung. Zweimal hören wir: "Es spricht" (od. Spruch), wodurch die Worte Davids als Orakelsprüche, d. h. Aussprüche Gottes, bezeichnet werden. David war also inspiriert in den vier Beziehungen, in welchen dieser Vers ihn uns zeigt: als "Sohn Isais", in dem geringen Charakter seiner menschlichen Abstammung, ‑ als "der hochgestellte Mann", in dem Charakter, den Gott ihm gegeben, zu dem Er ihn als Mensch erhoben hat, ‑ als der Gesalbte des Gottes Jakobs", in seinem Charakter als König über Israel, das Volk der Verheißungen, ‑ und endlich als der Liebliche in Gesängen Israels", in seinem Charakter als Prophet, der seinem Volke die Gnade brachte.

 

Wie lauten nun die Worte dieses Mannes, den Gott uns so beschreibt? Er gibt zunächst Zeugnis davon, daß der Geist Gottes es war, welcher durch ihn geredet hatte: "Der Geist Jehovas hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge." Sodann, daß Gott ihm Seine Gedanken über Sein Volk Israel unmittelbar mitgeteilt habe: "Es hat ge­sprochen der Gott Israels, der Fels Israels zu mir geredet." Wir haben hier neben einer göttlichen und feierlichen Autori­tät zugleich eine sehr deutliche Erklärung darüber, was In­spiration ist. Sie benutzt den Menschen, den ganzen Menschen, und bedient sich zum Ausdruck dessen, was sie sagen will, aller Eigenschaften dieses menschlichen Werk­zeugs. Wenn der inspirierte Mensch spricht, so geschieht es als Ausspruch Gottes; wenn er redet, so redet Jehova durch ihn. Seinen Worten ist nichts beigemengt, was von ihm selbst käme: " S e i n Wort war auf m e i n e r Zunge." Gott benutzt von dem Menschen, was Er will, um Seine Gedanken in der völligen Unversehrtheit Seines Wortes vorzustellen. Doch wenn Gott einerseits durch David redet, so redet Er andererseits auch zu David: "Der Fels Israel hat zu mir g e r e d e t." Das, was Gott zu ihm geredet hat, bildet einen Teil des Schatzes seiner persönlichen Erfahrungen.

 

Was will nun dieses so wunderbar behütete Wort uns mitteilen? Wir haben es bereits gesagt, und wir werden es sehen: es teilt uns die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft mit. Die Vergangenheit bin ich, ist meine Ge­schichte; die G e g e n w a r t ist die Gnade; die Z u k u n f t ist Christus, ist die Herrlichkeit.

 

Indes ist der erste Gegenstand, welchen Gott dem David und durch ihn uns vorstellt, nicht Er Selbst, d. h. Seine Vergangenheit, sondern Christus, d. h. Seine Z u k u n f t, und die unsrige mit Ihm. David kündigt hier ohne Zweifel als un­mittelbar bevorstehend die Regierung Salomos an; aber in Wirklichkeit hat Salomo der glänzenden Beschreibung, welche uns hier von dem zukünftigen König der Herrlichkeit gegeben wird, keineswegs entsprochen. Es ist, wie immer, eine Prophezeiung auf Christum hin. Die Zukunft ist in den Gedanken Gottes das unmittelbar Bevorstehende, und sie sollte es auch in unseren Gedanken sein, wie sie in denjeni­gen Davids es war. Doch welch wunderbare Offenbarung wird uns von dem Charakter des wahren Königs gegeben. "Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht; und er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken ! " Wie ist alles so frisch, neu, jung und unbefleckt an dieser Herrlichkeit, bei diesem Auf­gang der Sonne der Gerechtigkeit! Er bedeutet den Anbruch eines Zeitalters unvermischten Glückes. Wer hat nicht schon an einem Frühlingsmorgen, bei völlig klarem Himmel, das Auf­gehen der Sonne betrachtet? Wie wird das Herz da so weit unter dem überwältigenden Eindruck dieser Frische und dieses unaussprechlichen Friedens! Die Schönheit der Erscheinung reißt uns hin; nichts trübt den reinen Genuß. Nicht ein ein­ziger dunkler Punkt zeigt sich am Horizont; die Möglichkeit eines Sturmes scheint für immer ausgeschlossen zu sein. Man sieht, man genießt ohne Nebengedanken das herrliche Schau­spiel; es ist ein Morgen ohne Wolken !

 

Doch es gibt noch mehr, als nur die Pracht dieses herrlichen Gestirns an einem reinen Himmel zu bewundern. Wir hören weiter: "Von ihrem Glanze nach dem Regen sproßt das Grün aus der Erde." Die erneuerte Erde erscheint uns wie auferweckt von dem Glanze der Sonne. Von Salomo, dem Vorbilde von Christo, heißt es: "Er wird herabkommen wie je ein Regen auf die gemähte Flur, wie Regenschauer, Regen­güsse auf das Land.‑ (PS. 72, 6; vergl. auch 5. Mose 32, 2; Sprüche 19, 12; Jes. 66, 14; Micha 5, 6.) Die Menschen, Sein Volk, werden von ihren Strahlen durchdrungen sein. Das vom Gericht abgemähte Gras wird einem neuen Grase Platz machen, d. i. dem Überrest, einem "willigen Volke". Der Glanz der Sonne der Gerechtigkeit wird ihn sprossen lassen, nachdem der Herr, gleich dem erfrischenden Regen, mit einer Fülle von Segnungen über Sein erniedrigtes Volk herabge­kommen ist. "Aus dem Schoße der Morgenröte wird der Tau deiner Jugend kommen." (Ps. 110, 3.)

 

Die Erscheinung der Herrlichkeit Christi, ihrer Freude und ihrer Hoffnung, überwiegt also jeden anderen Gedanken in den Herzen derer, die Ihn kennen und lieben.

Angesichts dieser Herrlichkeit wirft David nunmehr einen Rückblick auf sich selbst und seine ganze Geschichte. Es ist so, als wenn er sagte: Das ist es, was ich hätte sein sollen und was ein anderer nach mir sein wird; aber nun sehet, was ich bin: "Obwohl mein Haus nicht also ist bei Gott." Ach! um diese Geschichte der Demütigung und Schmach nie­derzuschreiben, bedarf es nur weniger Worte. Doch man sieht hier, daß David angesichts des Todes durchaus kein Vertrauen mehr auf sich selbst noch auf sein Haus hat; er verurteilt den einen wie das andere. Klingt sein Ausruf nicht wie das Wort des Patriarchen Jakob: "Wenig und böse waren die Tage meiner Lebensjahre"? Was also die Vergangen­heit betrifft, so hatte David weder dem, was Gott von ihm erwartete, entsprochen, noch war er "ein gerechter Herrscher unter den Menschen" gewesen.

 

Doch etwas blieb, und zwar festgestellt für die Gegenwart und für die Ewigkeit: Er hat mir doch einen ewigen Bund gesetzt, geordnet in allem und verwahrt."

Die Gegenwart ist die G na de, das, was Gott für David getan hat trotz allem, was David gewesen ist. "Um diese Zeit wird gesagt werden, was Gott gewirkt hat." (4. Mose 23, 23.) Der Bund Jehovas ist ewig, gesichert oder verwahrt. Es ist ein neuer Bund; denn der alte war wohl geordnet, aber weder verwahrt noch ewig, wegen der Ver­antwortlichkeit des Menschen. Gott hat in Sich Selbst einen Beweggrund für den neuen Bund gesucht; der Mensch tritt da nicht als ein vertragschließender Teil ein. Darum kann dieser Bund auch von Dauer sein, ja er wird niemals ein Ende nehmen. David ruht auf dem, was Gott ge­tan hat: "Denn dies ist all meine Rettung und all mein Be­gehr, obwohl er es nicht sprossen läßt." Dieser Bund sproßt jetzt nicht; er wird bei einem neuen Volke sprossen. (V. 4.) Damit er sprossen könne und die volle Segnung eingeführt werde, ist es zuvor nötig, das das Gericht ausgeführt wird, daß "die Söhne Belials allesamt sind wie Dornen, die man wegwirft . . . . und daß sie mit Feuer gänzlich ver­brannt werden an ihrer Stätte." David aber kann sich fest stützen auf diesen Bund und auf die Verheißungen Gottes.

 

Bei einer Seele, die sich in der Gegenwart des Herrn auf­hält, findet man immer diese drei Dinge, von denen wir soeben gesprochen haben. Sehen wir sie nicht sogar bei einem Räuber am Kreuze in ihrem ganzen Glanz erstrahlen? Dieser Mensch verurteilte sich selbst, indem er die Gerechtig­keit des Gerichts Gottes anerkannte: "Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind." Er nahm als Maßstab das, was Christus gewesen war: "Dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan." Er rechnete auf Seine Gnade: "Gedenke meiner, Herr"; und auf Seine zukünftige Herrlichkeit blickend, fügte er hinzu: "wenn du in deinem Reiche kommst." (Luk. 23, 39‑43.) 

Die Helden Davids. Kapitel 23, 8‑39. 

Nach den letzten Worten Davids zeigt uns Gott, daß Er das Andenken der Helden, der Gefährten Seines Gesalbten bis zur endgültigen Aufrichtung seiner Herrschaft, bewahrt. Es fanden sich noch andere ergebene Männer, wie Ittai, Schobi, usw., auf seinem Wege, als er aus Jerusalem floh; aber diejenigen, welche hier aufgezählt werden, waren seine Genossen von der ersten Stunde an. So sind auch in späteren Tagen die zwölf Jünger ausgezeichnet worden, weil sie den Herrn begleitet hatten "in all der Zeit, in welcher er bei ihnen ein ‑ und ausging". (Luk. 22, 28. 29; Apstgsch. 1, 21.) Und so werden auch dereinst diejenigen ausgezeichnet werden, welche Ihm nachfolgen, während die Welt Ihn verwirft und ver­kennt. 

Diese Männer sind hier siebenunddreißig an der Zahl. (Vergl. 1. Chron. 11 und 12.) Joab, der bis ans Ende der Regierung Davids einen hervorragenden Platz als Heer­oberster einnahm, ist von den Helden Davids ausgeschlossen. Es ist nicht unmöglich, daß er mehr glänzende Waffentaten verrichtet hatte als alle anderen; man fand bei ihm viel Mut und auch eine gewisse äußere Hingebung für den König. Aber diese Eigenschaften geben an und für sich noch keinen Platz in dem Verzeichnis Gottes; sonst würde das Wort fast alle großen Helden der Menschheit aufzählen. Der 87. Psalm belehrt uns über das, was Gott unter Helden versteht: "Er­wähnen will ich Rahabs und Babels bei denen, die mich kennen; siehe, Philistäa und Tyrus samt Äthiopien: dieser ist daselbst geboren." Die Herrlichkeit dieser Helden der Natio­nen war vergangen und blieb nicht über ihr kurzes Be­stehen hinaus, obwohl sie die Erde mit dem Klang ihres Namens erfüllt hatten. "Und von Zion wird gesagt werden: der und der ist darin geboren; und der Höchste, er wird es befestigen." Das war das Kennzeichen der Helden Davids: 

sie wurden als durch ihren Ursprung der Stadt der könig­lichen Gnade angehörend betrachtet. Doch der Geist fügt hin­zu: Jehova wird schreiben beim Verzeichnen der Völker: dieser ist daselbst geboren." Wenn das Verzeichnis der Völker vor Jehova aufgeschlagen werden wird, so wird Er nur einen Einzigen haben, den Mann Seiner Rechten, welcher v e r d i e n t , Seinen Ursprung in Zion zu haben. Die Häupter der Nationen haben ihren Tag gehabt, und ihre Herrlichkeit ist in Rauch aufgegangen; D i e s e r wird herrschen über alle Völker; der Ausgangs‑ und Mittelpunkt Seines Reiches wird in Jerusalem sein, und die Seinigen werden "alle ihre Quellen" in Ihm finden. Aber Seine Helden, der und der", werden in Seiner Herrschaft mit Ihm verbunden sein. 

Was die Helden Davids kennzeichnete, war die Verbin­dung mit dem Gesalbten Jehovas, welche die Gnade ihnen gegeben hatte. Joab hatte nie in einem solchen Verhältnis zu David gestanden; dieses Buch hat es uns reichlich gezeigt. Er suchte sich selbst, indem er David diente, und niemals hatten seine Handlungen die Verbindung mit seinem Herrn zum Ausgangspunkt. Sein Name wird deshalb mit Still­schweigen übergangen. 

Unter den Helden nennt das Wort zunächst drei, die geehrter waren als alle anderen. Was war die Ursache dieser Auszeichnung? Diese Männer hatten eine ausdauernde Tat­kraft bewiesen, wenn es sich darum handelte, die Rettung des Volkes Gottes zuwege zu bringen; aber im Kampfe hatten sie nicht auf sich selbst gerechnet; es war Jehova, der die Rettung durch ihre Vermittlung bewirkte. Jehova", so wird zweimal in Vers 10 und 12 gesagt, "schaffte eine große Rettung." 

Woher kam ihr Ausharren? Wären sie allein gewesen, so würden sie sicher schwach geworden sein; aber sie waren alle drei "mit David" und unter seinen Augen (V. 9) während des Kampfes. Er flößte ihnen den Mut und das Ausharren ein. Sie hatten ihn zum Muster, der sagen konnte: "Mit dir werde ich gegen eine Schar anrennen"; "Er lehrt meine Hände den Streit, und meine Arme spannen den ehernen Bogen"; und weiter: "Meinen Feinden jagte ich nach und vertilgte sie, und ich kehrte nicht um, bis sie auf gerieben waren." (Kap. 22, 30. 35. 38.) 

Welchen Feind bekämpften diese tapferen Männer? Den Philister, den inneren Feind, wie wir so oft in diesen Betrach­tungen gesehen haben. Kein Feind ist gefährlicher als dieser; die Ägypter oder die Moabiter waren weniger zu fürchten als diejenigen, welche im Gebiet Israels lebten und sich be­ständig dem Volke Gottes in dem friedlichen Besitz des Landes widersetzten, das Gott Seinem Volke zum Erbteil gegeben hatte. 

Die drei Männer waren in diesem Kampfe nicht schwach geworden. Der erste, Joscheb‑Baschebeth, schwang seinen Speer wieder achthundert Mann;*) er hatte sie a u f e i n m a 1 erschlagen und nur aufgehört, weil keine Gegner mehr da waren. Daher kam sein Vorrang.

*) Der Text bietet hier einige Schwierigkeit für die Übersetzung, vielleicht liegt auch ein Fehler seitens der Abschreiber vor. (Man vergleiche Vers 8 mit 1. Chron. 11, 11.) 

Der zweite, Eleasar, der Sohn Dodos, kämpfte a 11 e i n in Gegenwart der Männer von Israel. Er erwartete keine Hilfe von ihnen, denn er rechnete nicht auf die Kraft des Menschen. Mit David sein, das war für ihn genug, um den Philistern Trotz zu bieten. Er schlägt sie und hört nicht auf, "bis seine Hand ermüdet". Es kann im Kampfe des Glaubens Grenzen geben, denn Gott bedient sich unvoll­kommener Werkzeuge, die erwarten müssen, daß ihre Kräfte erlahmen; doch das Ausharren Eleasars war ein solches, daß "seine Hand am Schwerte klebte", d. h. daß er sie nicht von der Waffe, die er gebraucht hatte, losmachen konnte. Möchte der Sieg Eleasars auch der unsrige sein! Un­sere Waffen sind nicht fleischlich; wir haben das Schwert des Geistes, welches Gottes Wort ist. Laßt uns das Wort Gottes

so gebrauchen, daß wir sozusagen einen Leib mit ihm bilden, selbst nach dem Kampfe ! Möchte der Kampf stets den Erfolg haben, daß wir dadurch das Wort mehr schätzen lernen, so daß es uns unmöglich ist, uns davon zu trennen!

 

Der dritte dieser Männer war Schamma, der Sohn Ages, des Harariters. Unter Eleasar hatte das Volk, wie es scheint, leichte Arbeit gehabt, da es umkehrte, Eleasar nach, "nur um zu plündern". Hier war "das Volk vor den Philistern ge­flohen". (V. 11.) Der Gegenstand des Streites war "ein Ackerstück voll Linsen", ein ganz kleines Stück des Erbteils, welches Gott Israel gegeben hatte, das aber Nahrung für dieses Volk enthielt. Der Feind suchte ihm den Acker und seine Ernte zu entreißen. Schamma *) hatte sich mitten auf das Stück gestellt und es dem Volke Gottes erhalten. Diese Tat redet zu unserem Gewissen. Unser Erbteil und unser "Ackerstück" sind himmlisch, und wir haben sie ebenso zu verteidigen, wie die himmlische Speise, das Wort, welches Gott uns anvertraut hat. Das Volk Gottes flieht feige vor dem Feinde, indem es zu seiner Schande die Rechte des Unglaubens auf Vernichtung des Wortes Gottes anerkennt. Laßt uns sein wie Schamma; verteidigen wir es für die Heiligen ohne Furcht, denn wir sind m i t D a v i d 1 Laßt uns auf Gott rechnen, der "eine große Rettung" schaffen wird.

 

Die Verse 13‑17 zeigen uns eine zweite Reihe von drei Häuptern.**) Ihre Namen werden bei der kühnen Tat, von welcher diese Verse berichten, nicht genannt, und das nicht

*) Und die beiden anderen mit ihm. (S. 1. Chr. 11, 14.)

**) Es ist vielleicht von Interesse, hier die Gründe anzugeben, weshalb man Abisai, Benaja und Asael für die drei Häupter des 13. Verses hält. Es heißt in Vers 17: "Das taten die drei Helden", und in Vers 22: "Er hatte einen Namen unter den drei Helden." Außerdem ist zu beachten, daß, wenn in Vers 23 gesagt wird: "Vor den Dreißigen war Benaja geehrt", diese dreißig sich als Z w e i u n d d r e i ß i g erweisen, die in den Versen 24‑39 auf­gezählt werden. Wenn man nun Asael davon wegläßt, der "unter den Dreißig" war (V. 24), aber zusammen mit Abisai und Benaja die Zahl drei ausmacht, und wenn man Urija, den Hethiter, weg­läßt, der in so bemerkenswerter Weise an das Ende des Verzeich­nisses gestellt ist, während er in 1. Chron. 11 in der Reihe der übrigen aufgeführt wird, so findet man "die Dreißig"; doch, wie bereits gesagt, ihre volle Zahl ist siebenunddreißig. In 1. Chron. 11 und 12 wird aus einem anderen Grunde eine noch viel grö­ßere Zahl genannt. 

ohne Grund; es geschieht nachher bei der Erzählung ihrer glänzenden Waffentaten. Doch warum werden die Namen hier weggelassen? Wohl deshalb, weil es sich hier nicht um Tatkraft und Ausharren handelt, sondern um die Hinge­bung des Glaubens. Diese Hingebung ist für das Herz von Dienern, die ihren Herrn kennen und schätzen, ganz selbstverständlich; sie quillt aus dem Grunde der Herzen empor. Ihrer Natur nach ist die Hingebung verborgen. Wel­cher Mensch hat ein Recht, sich ihrer zu rühmen? Hat unser verworfener und der Welt unsichtbarer David durch die über­wältigende Vollkommenheit Seines Charakters nicht ein Recht auf unsere Hingebung? Ihn kennen heißt Ihn lieben. 

Jene drei Besucher der Höhle Adullam fühlten sich sofort zu David hingezogen. Ein einfacher Wunsch ihres Königs war für sie genug, um sie alle Hindernisse überwinden zu lassen; um diesen Wunsch befriedigen zu können, achteten sie ihr Leben für nichts. Auf diese Weise wurde ihre Zuneigung viel mehr als ihre Tatkraft auf die Probe gestellt. Die Gefahr schreckte sie nicht zurück, wenn es sich darum handelte, ein wenig Wasser aus der Zisterne zu Bethlehem zu schöpfen, weil ihr Geliebter zur Zeit der Ernte Durst hatte. Wenn sie infolge ihres Unternehmens umgekommen wären, so würden sie das, was David eine, wenn auch nur vorübergehende, Befriedigung gewähren konnte, nicht zu teuer bezahlt haben. Gott verzeichnet diese Hingebung in Seinem Buche; der König schätzt sie hoch, aber er will sie sich nicht zunutze machen. Er sagt: "Sollte ich das Blut dieser Männer trinken, die mit Gefahr ihres Lebens hingegangen sind?" Wohl ruft er die Hingebung der Seinen wach, aber sein Charakter ist an sich doch der, sich für sie hinzugeben. Das Wasser, welches ihm dargeboten wird, geht nur durch seine Hände, um "als Trank­opfer dem Jehova" dargebracht zu werden; denn alles, was für Christum getan wird, ist für Gott getan, und Gott nimmt es, durch Christum dargebracht, als ein vortreffliches Opfer an. Ein einfaches Glas Wasser, welches "einem dieser Kleinen" gereicht wird aus Liebe zu Christo, geht aus Seinem Herzen in das Herz Gottes Selbst über. 

Die W a f f e n t a t e n dieser drei Männer reichten nicht an die der drei ersten hinan. Da ist zuerst Abisai, der, dem Joscheb‑Baschebeth ähnlich, seinen Speer über dreihundert Mann schwang, die er erschlug; doch hatte er nicht dasselbe Ausharren des Glaubens. 

Sodann finden wir Benaja, den Sohn Joiadas; er bekämpft die äußeren Feinde, Moab und den Ägypter. Er erschlägt zwei Helden*) von Moab. *) Wörtlich: "Zwei Ariel" oder Gotteslöwen, d. i. starke Helden. 

Wie David, erschlägt er allein einen Löwen. Er tötet den Ägypter, wie David den Goliath erschlagen hatte; und so wie David dem Riesen das Schwert entriß, um ihm das Haupt damit abzuschlagen, brachte Benaja den Ägypter mit seinem eigenen Speer zu Fall. Benaja wandelte treu in den Fußstapfen seines Herrn, und seine große Zuneigung zu ihm brachte ihn dahin, die Charakterzüge seines Vorbildes in sich wieder zur Darstellung zu bringen. Ein solcher Wandel findet seine Belohnung: "David setzte ihn in seinen geheimen Rat", an einen Platz des Vertrauens und der innigen Gemeinschaft. Benaja nimmt teil an den Geheimnissen seines Herrn, empfängt die Mittei­lung seiner Pläne und sieht jederzeit das Angesicht des Königs. Welch ein glückseliges Teil! Wenn wir den Herrn Jesum lieben, um Ihm im Gehorsam zu folgen und Ihm zu dienen, so werden wir dafür belohnt durch eine Nähe, ähnlich der des Johannes, des geliebten Jüngers, dessen Platz an der Brust Jesu war, Asael wird nicht besonders erwähnt. Er hätte irgend eine Waffentat vollführen können, aber sein Vertrauen auf sich selbst und auf seine Behendigkeit ließ seine Laufbahn in dem Zweikampf mit Abner frühzeitig zu einem Ende kom­men. (Kap. 2, 18‑24.) 

Schließlich finden wir die "Dreißig", weniger berühmt als die sechs Vorhergehenden; aber der Herr vergißt keinen der Seinigen. Wenn Davids Auge das Verzeichnis seiner Knechte durchlief, mit welchem Schmerz mußte es dann Halt machen bei dem Namen Urijas, des Hethiters, dem letzten in der Reihe! Er war unter den Helden, und wahrlich, er nahm unter diesen, dem König und seinem Volke ergebenen Herzen nicht den geringsten Platz ein. Aber David hatte ihn getötet, um eine seiner Lüste zu befriedigen! Sein Name blieb da stehen zum Zeugnis gegen den, welchem er gedient hatte. Dieser eine Name, Urija, rief David seine ganze Vergangen­heit mit ihrer ganzen Schande und Züchtigung ins Gedächtnis zurück; aber indem er sich selbst verurteilte und die Gnade pries, die ihn wiederhergestellt hatte, dachte er nie daran, diesen Namen aus dem Buche, in welches er eingetragen war, auszulöschen.

 

Morija.*) Kapitel 24. 

*) Siehe 2. Chron. 3, 1.

Das zweite Buch Samuel endet mit der wunderbarsten Offenbarung des Erlösungswerkes, welche während der Dauer des Haushaltes des Gesetzes gegeben worden ist.

Das Wort sagt uns, daß der Zorn Gottes abermals wider Israel entbrannte". Es sagt uns nicht, bei welcher Gelegen­heit, aber wir haben in Kap. 21 gesehen, daß längst geschehene und vergessene Taten vor Gott gegenwärtig blei­ben, wenn es sich um die Bestrafung oder Züchtigung Seines Volkes handelt. David selbst wird das Werkzeug für diese Züchtigung: "Jehova reizte David wider Israel, indem er sprach: Gehe hin, zähle Israel und Juda." Der 1. Vers von 1. Chron. 21 belehrt uns darüber, daß, wie in dem Falle Hiobs, Satan dazu benutzt wurde, gegen das Volk aufzu­treten und David zu verleiten. "Der Verkläger der Brüder" hätte gern gesehen, daß Gott das Volk und seinen Fürsten verflucht hätte; er konnte nicht wissen, daß Gott ihn als unfreiwilligen Diener Seiner Pläne für die schließliche Segnung und den Triumph Seiner Auserwählten benutzen würde.

 

Man könnte sich fragen, inwiefern die Zählung des Volkes so gegen die Gedanken Gottes gewesen sei; denn seit dem Auszug aus Ägypten waren mehrere Zählungen der kräftigen Männer in Israel von Gott angeordnet worden.

Die erste Zählung, welche erwähnt wird (2. Mose 38, 25‑27), bezweckte die Einsammlung des Silbers (ein Beka auf den Kopf), welches dazu bestimmt war, die Füße der Säulen für die Stiftshütte herzustellen; sie fand also statt für Jehova und im Blick auf Seinen Dienst. Die zweite Zählung (4. Mose 1, 2. 3) sollte die Zahl der für den Kriegsdienst geeigneten Männer feststellen in dem Augenblick, als Israel im Begriff stand, den Kampf mit dem Feinde zu beginnen. Die Sache war Gott gemäß; jeder Israelit von zwanzig Jahren und darüber sollte seine persönliche Verantwortlichkeit in den Kriegen Jehovas kennenlernen.*) *)Eine ergänzende Zählung wurde in bezug auf die E r s t ‑geborenen, von einem Monat und darüber, angeordnet. (4. Mose 3, 40.) An ihre Stelle traten die Leviten, um Jehova anzugehÖren. Die über die Zahl der Leviten hinausgingen, mußten gelöst werden, und das Geld wurde Aaron und seinen Söhnen gegeben. 

Das Wort erwähnt noch eine dritte Zählung (4. Mose 26, 2. 52‑65) solcher, die zum Heeresdienst tauglich waren, im Blick auf die Verteilung des Landes. Auch hier war die Zählung von großer Wichtigkeit; denn jede Familie sah ihr Erbteil mehr oder minder groß je nach der Zahl ihrer Söhne. 

Die Zählung in unserem Kapitel konnte keinen dieser Charakterzüge aufweisen. Da die Stiftshütte errichtet war, Levi an die Stelle der Erstgeborenen getreten und das Erbteil zum größten Teil erobert war, blieben nur noch die für den Krieg geeigneten Männer übrig, aber Gott "hatte David errettet aus der Hand aller seiner Feinde". (Kap. 22, 1.) Wozu war es also nötig, die Zahl seiner Krieger kennenzulernen? Sein Zweck war, wie er zu Joab sagt, "die Zahl des Volkes zu w i s s e n ". Durch die Anreizung Satans wurde das Herz dieses gottesfürchtigen Königs am Ende seines Lebens einer Versuchung ausgesetzt, die seinem Charakter ganz zuwider war. David war immer ein demütiger Mann gewesen, sowohl vor Jehova (Kap. 7, 18) als auch vor den Menschen (i. Sa­muel 26, 20). Es schien so, als ob er nicht nötig gehabt hätte, gegen den Hochmut auf seiner Hut zu sein. Einst hatte ihn die Lust der Augen und des Fleisches fortgerissen, und er war schwer dafür gestraft worden; jetzt wird er durch den Hochmut des Lebens versucht und widersteht nicht dem Ver­langen, sich von seinen eigenen Kräften Rechnung zu geben, um zu wissen, inwieweit er sich auf sie stützen könne. Die Züchtigung trifft ihn, damit er lerne, daß er nur auf Gott allein rechnen kann und soll.

Joab tadelt seinen Herrn. Dieser Mensch, der sich selbst nie gerichtet hatte, verurteilt den Mann Gottes! Das Wort des Königs war Joab ein Greuel." (l. Chron. 21, 6.) Welche Schande für einen David, von einem Joab getadelt zu werden! Man kann nur einen einzigen Grund finden für die Weigerung Joabs, den Befehlen des Königs zu gehorchen. Es war aus dieser Tat kein Nutzen zu ziehen, noch war es vorteilhaft, Gott Trotz zu bieten. Joab würde sie nie ausge­führt haben, weit er seine Rechnung nicht dabei fand und seine Interessen nicht dabei im Spiele waren. Warum hätte also David diese gottlose und keinerlei Nutzen bringende Sache tun sollen?

 

Das Verlangen des Königs behält indes die Oberhand, und während einer Zeit von mehr als neun Monaten be­schäftigen sich Joab und die Obersten des Heeres mit der Zählung. In dieser ganzen Zeit redet das Gewissen Davids nicht; doch sobald er die Frucht seines Begehrens erlangt hat, findet er, daß sie bitter schmeckt. Wie viel Mühe war für einen so erbärmlichen Gegenstand verschwendet worden! Zudem fehlte noch etwas daran, denn Levi und Benjamin waren nicht gezählt worden. Diesem unvollständigen Ergebnis gegenüber mußte David doppelt die Torheit seines Vergehens fühlen.

 

Wir machen dieselben Erfahrungen wie er. Satan verlockt uns durch Lüste. Doch niemals kann der Besitz dessen, worauf diese Gelüste gerichtet sind, das Herz eines Kindes Gottes befriedigen; denn es vermag sein Gewissen nicht zum Schweigen zu bringen. Der Weltmensch findet in dieser Be­ziehung nicht mehr Genugtuung als der Christ; aber er be­gibt sich sogleich wieder auf die Suche nach neuen Gegen­ständen, durch welche er die Leere, die er fühlt, auszufüllen hofft. So ist es nicht bei dem Christen. Er wacht erschreckt auf, mit leeren Händen, mit leerem Herzen, ein Bild des Jammers, da er die Gemeinschaft mit Gott und die Freude des Himmels verloren und die Freude der Erde nicht gewonnen hat. Sein Gewissen macht ihm Vorwürfe, und er kommt von Reue erfüllt zu Gott.

 

0 wie gern hätte David jetzt jene unglückseligen neun Monate weggewischt, wenn er es nur gekonnt hätte! Aber es war unmöglich. Da nimmt er Zuflucht zu dem einzigen Wege, der ihm noch bleibt: er wendet sich an Jehova. "Ich habe sehr gesündigt in dem, was ich getan habe, so ruft er; "und nun, Jehova, laß doch die Ungerechtigkeit deines Knechtes vorüber­ gehen, denn ich habe sehr töricht gehandelt!" Er hatte bei einer anderen Gelegenheit gesehen, was es auf sich hat, die Heiligkeit Gottes zu verletzen. Sollte ein neues Gericht über ihn kommen? Die Folgen seiner Tat erwecken Furcht in ihm, aber zu spät; sie hätten ihn erschrecken sollen, bevor er diesen Weg einschlug. Seine Reue kann das Böse nicht weniger schuldhaft und strafbar machen; sie kann seine Sünde nicht austilgen, noch ihn von ihren Folgen retten. Was allein bleibt für David übrig? Sich dem Urteil zu unterwerfen, dem er hatte entgehen wollen.

Doch hier zeigt sich sein Glaube. Jehova legt ihm durch den Mund des Propheten Gad dreierlei vor; er wählt das letzte. Das Schwert Jehovas, dieses zweischneidige Schwert, ist beruhigender für ihn als das Schwert des Menschen. Warum? Weil er Gott kennt. Hat er nicht in seiner langen Laufbahn voll Schmerzen, Prüfungen und Kämpfen erfahren, daß "die Erbarmungen Jehovas groß sind"? (V. 14.) Er übergibt sich den Händen der Gerechtigkeit, weil er weiß, daß diese unzertrennlich mit Barmherzigkeit verbunden ist. David ist in großer Angst, wie der Oberrest Israels am Ende der Tage es sein wird; doch er weiß, daß er auf die Gnade Gottes rechnen kann. (Vergl. Kap. 12, 13.) 

Die Pest wütet; der Engel hat vom Norden bis zum Süden des Landes geschlagen, von Dan bis Beerseba, in dem ganzen Gebiet der Zählung (V. 7); er kommt nach Jerusalem und streckt sein Schwert über die geliebte Stadt aus. In diesem Augenblick "reut Jehova des Übels", und Er hält die Hand des Engels zurück. Er hält sie nicht zurück wegen der Reue Davids, sondern wegen Seiner eigenen Reue. Sein Gericht macht Seiner Gnade Platz, ohne daß das eine oder die andere geschwächt oder gar geopfert würde. 

Doch zuvor tritt David als Mittler und Schiedsmann zwischen Gott und dem Volke ein: "Siehe, i c h h a b e gesündigt, und ich habe verkehrt gehande1t ; aber diese Schafe, was haben sie getan? Es sei doch deine Hand wider mich und wider das Haus meines Vaters." Er nimmt das Gericht auf sich und tritt in den Riß, damit die Schafe verschont werden; er nimmt die Sünde und Schuld auf sich ‑ aber ach! diese Sünde war s e i n e Sünde, dieses Gericht hatte er v e r d i e n t . Ein anderer, ein ganz einzig­artiger Schiedsmann, hat unsere Sünden getragen, ohne daß Er Selbst eine einzige gehabt hätte; Er hat, indem Er sie zu den Seinigen machte, Sein Leben für Seine Schafe hingegeben und gesagt: "Wenn ihr mich suchet, so laßt diese gehen.‑ 

Nunmehr tritt eine dritte große Tatsache vor unsere Augen. Die erste war die Gnade, die zweite das Eintreten eines Schiedsmannes zwischen Gott und Menschen, die dritte ist das 0 p f e r. Die Barmherzigkeit von der einen, das Opfer von der anderen Seite halten das schließliche Gericht auf, und der wahre Schiedsmann kann auftreten und sagen: "Ich habe eine Sühnung gefunden." (Hiob 33, 24.) Jerusalem, die Stadt der Gnade, wird verschont; doch dies kann nur durch das Sühnopfer geschehen, welches auf Morija, auf der Tenne Ornans, des jebusiters, dargebracht wird. (2.Chron.3,1.) 

Morija war der geschichtliche Ort, wo Abraham den Isaak geopfert hatte. (l. Mose 22, 2.) Auf diesem Berge Jehovas war es, wo einst " e r s e h e n " wurde. Wieviel mehr jetzt, da die Sünde Israels und seines Königs das Gericht Jehovas gegen das Volk hervorgerufen hatte! Hier wurde jetzt ein Opfer ersehen, welches das Volk nichts kostete, für das aber David den vollen Preis bezahlte. Auf eine noch weit vollkommenere Weise ist auf diesem selbigen Berge "ersehen worden", als Jesus für uns gekreuzigt wurde. 

Gott, der sich ehemals den Widder zum Brandopfer ersah, nimmt jetzt das Opfer an, da Er dessen Wirksamkeit vorausgesehen hat, und so wird die unumschränkte, in Ge­rechtigkeit herrschende Gnade, die als solche auf dem Kreuze geoffenbart worden ist, für Israel das Mittel, um Gott zu nahen. Die alte Stiftshütte wird mit ihrem Altar verlassen; die Bundeslade allein bleibt auf dem Berge Zion. Es beginnt eine neue Ordnung der Dinge. Das S y s t e m des Gesetzes wird als veraltet beiseite gelassen; die freie Gnade, die das Opfer ersieht, ist mehr wert als alles, was der Mensch dar­bringen könnte. Hier entspricht Jehova den Bedürfnissen eines jeden armen Sünders, hier opfert auch der Gläubige und betet an. (Vergl. 1. Chron. 22, 1.) Nicht mehr das Zelt Moses, sondern die Tenne eines Jebusiters, der den Verheißungen fern stand, wird der Ort des Zusammentreffens zwischen Gott und Seinem Volke.

Verlag R. Brockhaus 1904

1. Samuel 17 Die Schule Gottes (1) BdH 1853

12/31/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

 Die Schule Gottes (Aus dem Englischen)

Er lehret meine Hände kriegen, und meine Finger streiten 1.Samuel 17

Es haben Alle, welche von Gott zu Seinem Dienste erzogen worden sind, in ihrer Zubereitung etwas Gemeinschaftliches; es ist der verborgene Umgang mit Gott, ehe sie vor die Augen der Menschen hervorgezogen werden. Das Gegenteil hiervon ist jene Unruhe des Fleisches, welche die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken sucht, ehe die Seele den hierzu nötigen Unter­richt durchgemacht hat. — Diese laufen einher, ohne gesandt zu sein, und haben immerdar an ihren eigenen elenden Fehlern zu lernen. — Obwohl Paulus ein von dem Herrn auserwähltes Rüstzeug war. Seinen Namen zu tragen, so ist er dennoch in der Schule der Probe erzogen worden. — 

„Ich will ihm zeigen, wie viel er um meines Namens willen leiden muß." — So hat Gott Seine verborgenen Wege die Seelen zu Seinem Dienste zu erziehen. — Gerade so war es mit David. In dem vorigen Kapitel (Kapitel 16) finden wir David in völliger Verborgen­heit, unbeachtet von seinen Brüdern und seinem Vater, fern von seiner Familie, die Schafe hütend und nicht, würdig befun­den zum Opfer hinzugezogen zu werden. Gleichwohl war er der Erwählte, des Herrn. In der Einöde war er nicht allein; er stand unter Gottes Leitung. In der verborgenen Schule wurde er erzogen von Ihm, der nicht auf das Äußere sieht und nicht sieht wie; ein Mensch, Nun, so muß es mit uns sein; da muß ein Leben vor dem Herrn stattfinden. Wenn unsere Seelen vor Ihm .nicht geübt sind, so will Er uns als Werkzeuge in Seinem Dienst nicht gebrauchen. — Wenn wir auch denken, 

Er will; aber es ist nicht so. Gott will immer mit der Seele im Verborgenen zu tun haben, welche Er bestimmt. Ihm. öffentlich zu dienen. Die erhabene Weisheit unseres Gottes hierbei, kann in der Geschichte mancher Seiner ausgezeichneten Diener erkannt werden. Sie kommen fort in der Stunde der Not; sie sind vorbereitet für allerlei Bedrängnisse. Sie werden ruhig, besonnen und ausharrend gefunden, wenn alle anderen um sie her bestürzt und in Furcht sind. Alle sagen und verkündigen uns, daß sie für ihr Werk vorbereitet sind. 

Männer, die im Verborgenen vor dem .lebendigen Gott wandelten, können sich durch die Verwirrung und Streitigkeiten der Menschen unan­gefochten hindurch bewegen. Sie haben es gelernt, vor dem erschreckten Israel in der Bresche zu stehen oder dem Goliath von Gath, Angesicht vor Angesicht zu begegnen. — Ihre Vor­bereitung hierzu war ihr Leben im Verborgenen vor Ihm, der größer ist, als Alles, — vor dem lebendigen Gott.

So ist es hier mit David. In der Wüste hat er die Zuflucht kennen gelernt, welche der Glaube in Gott hat, und jetzt soll er der Streiter Gottes sein, gegen den Verfechter der Unbeschnittenen.; Ungesehen von Menschen hat er den Löwen und den Bären schon geschlagen, da kommt er hervor, um. über Goliath den Sieg davon zu tragen. Angesichts des ganzen be­waffneten Israels und der Philister.

Welch einen furchtbaren Feind hatte Israel in Goliath! Mor­gens und Abends forderte er ihre Heere zum Kampfe heraus, aber sein Trotz blieb unvergolten, denn sie waren entmutigt und sehr furchtsam.

Saul hatte sein Heer in Schlachtordnung gestellt und die Feinde rückten schon zum Kampfe hervor und forderten zur Schlacht auf (V. 19—21), aber „siehe, da kam herauf der Streiter (der Philister, Goliath mit Namen), trat vor aus den Reihen der Philister und sprach, wie vorher dieselben Worte, und alles Volk in Israel, wenn es den Mann sah, floh vor ihm und fürchtete sieh sehr" V. 23—24). 

So geschah es gerade als David (S287) auf dem Kampfplatze erschien. David hörte den frechen Trotz des Goliath (V. 23) und sah die Entmutigung und die Schmach Israels. — Ihre laute Herausforderung war bald herüber, und das ganze Volk war in großer Bestürzung. Aber David war mitten unter allen ruhig und unerschrocken. Der kleine David war der einzige, der sich nicht fürchtete; er, den seine Brüder verhöhnten, er, auf den der Philister stolz herabsah und ver­fluchte. 

Es war an David nichts zu sehen, was irgendwie ge­eignet schien, vorzutreten, um dem Philister zu begegnen, was ja keiner zu tun wagte. Die Leute, welche nach der äußeren Erscheinung, als Kraft, urteilten, konnten davon nichts ent­decken, sondern gerade das Gegenteil. Das Fleisch erscheint bei den Feinden in der Anzahl und in den Waffen kräftig, oder in dem mächtigen Goliath, aber nie in dem kleinen Manne, ganz so, wie er von seinen wenigen Schafen in der Wüste kam.

Geliebte achtet hierauf. David hatte mit dem lebendigen Gott Umgang gehabt, und jetzt sah er, daß der Name des lebendigen Gottes mit in's Spiel gezogen wurde. Israel sah auf Israels Hilfe; und was war die Hilfe Israels im Vergleich mit der der Philister!

Aber hier war Einer, der den Geist Gottes hatte; Einer, der auf die Hilfe des lebendigen Gottes vertraute. — Nicht, als ob David mehr natürlichen Mut als Saul gehabt hätte, es war der Glaube in ihm. Es ist wahr, daß David in der Wüste zu­rückgezogen gelebt hatte; aber da hatte er die Gemeinschaft mit Gott kennen gelernt. — Und jetzt kam er hervor als ein Unverdorbener von dem lebendigen Gott, und schaute alles um sich her in Übereinstimmung mit Gott an, und was er im' Ver­borgenen von Gott gelernt hatte, das trug er in die jetzige Lage hinein. 

Und dieses gerade war das Geheimnis seiner Kraft und seines Sieges. Die Umstände wurden wohl in Be­tracht gezogen, ihre Schwierigkeit und Gefahr erwogen; aber sein Glaube brachte Gott in sie hinein, und handelte mitten in ihnen In Seiner Macht und Seiner Kraft. — In dieser Weise sah David Alles um sich her an, Er sah auf das Heer Israels als auf das Heer des Herrn Zebaoth. Er sah es an in Seinem Lichte, durch dessen Allgegenwart er gerade gekommen war (V. 26).

Und ich frage, ob hier unser Fehler nicht stets der ist, daß. wir im Verborgenen mit dem lebendigen Gott nicht verkehrt haben? Dies ist der wesentliche und hauptsächliche Grund. Achten wir die Gemeinschaft mit Gott als unser höchstes Vor­recht? Halten wir das Leben mit Gott teuer, ja, teurer selbst als das Leben vor den Heiligen und mit den Heiligen? Ich glaube, wir ziehen das Leben vor und mit den Heiligen oft dem Leben vor und mit Gott vor. 

Wir mögen getröstet wer­den, wenn wir von den Heiligen umgeben sind, aber unsere Kraft Hegt in dem Umgange, in der Gemeinschaft mit dem (S288) lebendigen Gott, der es weiß, daß wir ausharren können, als ob wir Ihn sähen, der nicht gesehen wird. Das Fleisch mag es in sich selbst suchen und auch Antwort finden, aber es ver­geht wie/Gras vor der Gegenwart Gottes. 

Daher ist unsere Zurückgezogenheit sowohl unser Hell, als unsere Freude, im Glauben verborgen bei dem Allerhöchsten zu wohnen und her­vorzukommen zu Seinem Dienste, in der Kraft, die wir hierzu bekommen. Dann werden wir im Stande sein, jeden Feind so anzusehen, wie hier David den Goliath sah: „Wer ist der un­beschnittene Philister, daß er den Heeren des lebendigen Gottes Trotz bieten sollte?

Aber die Sprache des Glaubens reizt das Fleisch beständig. — So war es mit Joseph, wenn er seinen Brüdern seine Träume erzählte. So ist es hier mit David und seinen Brüdern, wie wir an Eliabs Worten hören: „Ich kenne deinen Stolz und die Ver­dorbenheit deines Herzens." Augenblicklich sieht das Fleisch eine Kraft, die größer ist, als es selbst (wie Eliab hier in David sah), und Alles, was es tun kann, ist, davon als von Stolz zu sprechen. Eliab war der älteste Bruder und er steht hier vor uns in der Auszeichnung, welche das Fleisch gerne hat und sucht. 

Er war ein Mann, ausgezeichnet durch körperliche Reize; aber trotz seines schönen Äußern und seines stattlichen Wuchses hatte ihn Gott verworfen (Röm. 16, 6—7). Der Gesalbte des Herrn war er nicht, den die Menschen achteten. — Und wie oft wird uns diese Lehre in dem Worte gegeben, z. B. bei Gottes Verwerfung des Erstgebornen und die Erwählung des Jungem. Eliab steht hier vor uns, wie Ismael oder Esau; als der Ver­treter des natürlichen fleischlichen Rechtes schilt er spöttisch David. Aber David sprach gemäß der Weisheit, welch rege ge­macht durch eine Kraft, von der Eliab nichts kannte; er redete die Sprache des Glaubens. Der lebendige Gott, Gott der Herr der Heere Israels erfüllte sein Auge und mit Ihm maß er die Philister und ihren Streiter. 

Eliab hatte nicht diese Richtschnur vor sich; er sah und fühlte wie ein Mensch und daher war ihm die Sprache des Glaubens „Stolz und Verderbtheit des Herzens." — Das Fleisch verkennt so immer den Glauben; es antwortet uns zornig: „Es ist Stolz!" so oft, als wir vom Vertrauen zum lebendigen Gott sprechen. Solches wahre Vertrauen, das in der tiefsten Demut besteht, wird bei dem Fleische immer als Stolz verurteilt, denn es ist keine Tiefe der Demut so groß, als Selbstverwerfung, um sich dem lebendigen Gott ganz hinzu­geben. David läßt sich selbst bei dieser ganzen Handlung außer Acht, indem er nur Gott und dessen Heere ansieht. 

Es besteht die Kraft und das Vorrecht des Glaubens in dem Vermögen, sich selbst ganz außer Acht zu lassen und Gott allein im Auge zu behalten. In Seiner Gegenwart soll sich kein Fleisch rühmen, „wer rühmen will, rühme sich in dem Herrn." Das ist es, was (S289) David gelernt hatte, was er jetzt darstellt und was Eliab Stolz nennt. Es ist wahr, daß das Fleisch ein trotziges Ding ist. Ich glaube, daß wir dieses wissen, daß der Glaube ein selbstver­leugnendes Ding ist, weil er jede Sache als von Gott herkom­mend betrachtet; ja, meine Geliebte, noch mehr, der Glaube nimmt Gott selbst auf, wie auch jede Segnung von oben, welche Gott geben kann.

 David sagt: „Was habe ich getan? Ist es mir nicht befohlen?" Hatte David sich selbst gerühmt? Nein, wahr­lich nicht. Und hatte er nicht Grund, so zu sprechen, wie er tat? Wenn der Name des lebendigen Gottes in Frage gestellt wird, so ist immer eine Ursache hierzu da. Der wahre Zweck, warum wir in diese Welt gesetzt sind, ist, daß wir den Namen Jesu, vor den Menschen bekennen und unseren eigenen Namen beiseite setzen sollen. O, daß die Heiligen Gottes hierin einig wären, in dem Bekenntnis des Namens des Herrn Jesu.

Aber laßt uns dem David weiter folgen, wie er von Eliab zu Saul geht. Welche sich selbst bewußte Würde! welch eine gänzliche Selbstbeherrschung sehen wir jetzt an David! Und David sprach zu Saul: „Keinem Manne entfalle das Herz seinet­wegen! dein Knecht will hingehen und mit diesem Philister kämpfen" (V. 32). Während das ganze Heer Israels zittert, steht ein kleiner Mann vor dem Könige und spricht: „Keinem Manne entfalle das Herz." Ja, da ist in dem Glauben ein Selbstvertrauen, welches uns in den Stand setzt, nicht allein zu empfinden, sondern auch Ändern Trost und Vertrauen ein­zuflößen, selbst in den bedrängtesten Lagen. — 

Der Glaube be­kommt Hilfe unberührt von den Verhältnissen, und daher ist er im Stande, anstatt durch die Prüfung überwältigt zu wer­den, wie der Apostel sagt: „Andere zu trösten mit dem Tröste, womit wir selbst von Gott getröstet werden" (2. Kor. 1. 4). David hatte in der Probe bereits bestanden und hatte dadurch Gott erprobt, auf den er vertraute. Er wußte, an wen er glaubte. Er war in Gefahr gewesen und siegreich daraus hervorgegangen, darum ist er jetzt guten Mutes. In der Wildnis hatte ein Um­gang stattgefunden zwischen seiner Seele und Gott, ein Um­gang, der anscheinend nie an das öffentliche Licht gebracht war, bis zu diesem Augenblick (V. 34—37). 0 Geliebte, wo lernen die Heiligen wirklich siegen? 

Ich glaube da, wo kein Auge sieht, als Gottes Auge. Die gänzliche Selbstverleugnung, die Aufnahme des Kreuzes im Verborgenen; die Bekanntschaft mit dem Wege der Zurückgezogenheit unseres Kämmerleins, um unsere Ideen und Alles, was der Kenntnis Gottes entgegen, stolz auf sich selbst ist, niederzuschlagen, das sind unsere größ­ten Heldentaten. — Das stille Gemach ist das große Kampffeld des Glaubens. Laßt dann den Feind kommen und streiten, so werden wir fähig sein, fest zu stehen, zu trösten und andere aufzurichten in der Stunde des äußeren Streites. Er, der (S290) bereits den Löwen und Bären in der Wildnis erschlagen hatte, war der einzige, der dem Goliath gegenüber im Tale Elah unerschrocken dastand.

Wie zeigt uns diese Enthüllung das ganze Geheimnis von Davids Macht; es ist die wahre Kraft des Glaubens. Jetzt wissen wir» was der Apostel Paulus meint, wenn er sagt: „ich bin ein Tor." Er war genötigt von sich selbst zu reden, das war seine Torheit; der Grund, warum er Im Stande war, so viel von der Unverschämtheit der Heiligen zu ertragen, lag darin, daß ein Umgang stattfand zwischen seiner Seele und dem Herrn, woran keiner Teil hatte außer ihm und seinem Gott.

Aus demselben Grunde konnte David zu Saul sagen: „Laß keines Mannes Herz seinetwegen verzagen." Und Saul sagte zu David: „Du kannst dich mit diesem Philister nicht messen." Saul sah auf David und auf Goliath; und in seiner Sprache als Mensch hatte Saul Recht. Aber er kannte das Geheimnis Gottes nicht, welches David gelernt hatte; er wußte nicht, was David jetzt sagen wollte.

Wenn Eliab solche Heldentaten vollbracht hätte, so würde er das Geheimnis keinen Tag bewahrt haben, aber David hatte in einer anderen Schule gelernt, eine Schule, in welcher er gelernt worden war, nicht viel von sich, sondern von dem lebendigen Gott zu reden. Daher hat David, so viel uns die Schrift lehrt, nie damit geprahlt, oder davon als von seinem Siege gesprochen; wenn es aber die Gelegenheit forderte, konnte er vortreten und von des Herrn Güte erzählen. So ist es mit dem Apostel, wenn er sagt: „Ich kannte vor 14 Jahren einen Menschen in Christo." 

Vor 14 Jahren wußte anscheinend keiner, daß er in dem dritten Himmel gewesen war; wenn aber eine Gelegenheit kommt, es auszukündigen, für seines Gottes Ruhm, nicht für seinen eigenen, dann zeugt er davon. — Zwischen dem Herrn und Paulus war bedeutend mehr Umgang gewesen, als irgend ein anderer wußte. So war es mit David. Wer wußte es, daß er bereits auf eine so wunderbare Weise gesiegt hatte? Wer wußte es, daß er das Lamm seiner Herde aus dem Rachen des Löwen errettet hatte, und daß beide,. Löwe und Bär, unter seiner Hand gefallen waren? Eliab wußte es nicht, Saul auch nicht. Es mochte möglicherweise von dem Scharfsinn des per­sönlichen Glaubens erkannt worden sein (1. Sam. 16, 18); aber er war darüber nicht hinausgegangen. — 

Geliebte, seid ver­sichert, daß, wenn ihr wahrhaft stark sein wollt, es durch das verborgene Leben vor Gott sein muß. Ich glaube, daß der Grund, warum wir oft so schwach sind, darin liegt, daß wir uns so wenig um diese Zurückgezogenheit vor Gott kümmern. Wir sind bereit und eitrig in irgend einem Dienste einherzu­laufen, um von den Menschen gesehen zu werden; aber halten wir ungesehen etwas auf die Gemeinschaft und die Unter­würfigkeit vor Gott? Verlaßt euch darauf, wenn im Geheimen (S.291) kein Löwe und Bär getötet wurde, so wird auch keine Tötung Goliaths, nach Kraft und Weisheit im öffentlichen Dienste stattfinden. — 

Dies sollte uns dahin führen, jenes kleine Wort, „das tägliche Kreuz auf sich nehmen", zu verstehen. Die Leute meinen, sie könnten das Kreuz bei einer großen Veranlassung auf sich nehmen; aber dieses bei großen Veranlassungen zu tun, ist Nichts gleich dem, das tägliche Kreuz auf sich nehmen; täglich sich selbst zu verleugnen; täglich sich zu bestreben, das Leben in diesem Worte zuzubringen. Gottes Auge ist immer über uns. Es ist unser Vorrecht, immer vor Gott hinzutreten, und so haben wir stündlich Gelegenheit, das Kreuz auf uns zu nehmen vor Ihm, indem wir Jesum vor Ihm bekennen, und uns selbst verleugnen.

David sagte weiter: „Der Herr, der mich aus den Klauen des Löwen und Bären errettet hat, wird mich auch aus der Hand dieses Philisters retten" (V. 27). David wußte, daß Gott das eine so leicht war, wie das andere. — Wenn wir in der Gemeinschaft mit Gott sind, stellen wir keine Schwierig­keit über die andere, denn was ist Ihm eine Schwierigkeit? Der Glaube mißt jede Schwierigkeit nach der Kraft Gottes, und dann erscheint der Berg als eine Ebene. 

Zu oft, meine Ge­liebten, denken wir, daß es in kleinen Dingen ohne die Allmacht geschehen könnte, und da finden wir uns getäuscht. Haben wir nicht eifrige und ergebene Heilige in einem kleinen Dinge sich täuschen sehen? Der Grund ist, daß sie Gott im Glauben nicht alle ihre Wege anempfehlen wollten. Abraham liebte seine Familie und seines Vaters Haus, gleichwohl wanderte er aus, auf Befehl Gottes, ohne zu wissen, wohin er kommen würde; aber als er in seiner eigenen Weisheit auf eine Schwierigkeit stieß, auf seinem Wege nach Ägypten, was tut er da? 

Be­ständige Mängel in verhältnismäßig kleinen Dingen. Zuweilen sind wir in einer schlimmen Lage, welche wir uns gewählt haben, und wie schwach sind wir da! Der Glaube kennt keine unbedeutende Dinge. Der Glaube nimmt unsere eigene Schwä­che so deutlich war, daß er sieht, daß nur die Kraft Gottes uns fähig machen kann, in Allem zu siegen, er nimmt die Ge­fahr niemals leicht, denn er weiß, was wir sind; so wie er auf der anderen Seite vor der Gefahr nicht mutlos wird, da er weiß, was Gott ist. 

Diese unsere Erkenntnis unserer eigenen Schwäche und Gefahr ist uns stets eine ermahnende Stimme nur im Glauben zu vertrauen. Wenn wir uns nach unseren Feinden messen, wie kommen wir uns vor? Wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürstentümer, gegen Mächte und Herrscher der Finsternis dieser Welt, gegen Bos­heiten der Geister in den himmlischen Örter n (Eph. 6), und wie uns mit diesen messen, wie unsere Kraft mit der ihrigen vergleichen! Wir sind in unseren Augen wie die Heu­schrecken und sind es in ihren Augen. — 

Deshalb lege die (S.292) ganze Rüstung Gottes an! So entdeckt der Glaube die Wirk­lichkeit unserer eigenen Schwäche, damit, er sicher bleibt in der Macht Gottes. So weiß der Glaube, was das Fleisch ist, obwohl es das Fleisch selbst nicht weiß, und folglich wird der­jenige, welcher stärker im Glauben ist, sich selbst nicht rühmen. „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark."

So ist es hier mit David. Er wußte wohl, daß er dem Goliath nicht gleich kam; aber er bekümmert sich nicht darum. — Er handelte nicht im Stolze des Herzens; ferne von ihm war jeder Gedanke eigener Stärke, als er den fürchterlichen Riesen von Gath sah. Er hielt sich für weniger, als wofür ihn sogar Eliab, Saul oder Goliath hielten. — Des ungeachtet konnte er vorgehen in der vollkommensten Zuversicht, denn er wußte, wozu er bestimmt war. In der Schwäche wurde er stark ge­macht. — Und Saul sagte zu David: „Geh' hin und der Herr sei mit dir." 

Als er dies gesagt hatte, legte er dem David seine eigene Rüstung an; er setzte ihm einen ehernen Helm auf den Kopf; auch bekleidete er ihn mit einem Panzerhemd. Saul konnte sagen: „der Herr sei mit dir"; aber er verstand es nicht, auf den Herrn zu vertrauen, wie es David konnte. — Er ge­dachte David zu bewaffnen, wie Goliath bewaffnet war; er brachte diese seine eigenen weltlichen Waffen hervor. Aber diese konnte der Glaube nicht gebrauchen. Sobald David Saul's Rüstung anhatte, konnte er sich gar nicht bewegen. Alles war Zwang, alles Anstrengung. 

Nun, Geliebte, es gibt keine An­strengung im Glauben. Allemal, wenn ihr und ich außer un­serem Glauben handeln, stoßen wir auf eine Schwierigkeit und sind unbeholfen. Überall, wo der einfache Glaube in dem lebendigen Gott ist, sehen wir Heilige ruhig, leicht, unbehindert und (wie es mir scheint) siegreich fortgehen. Da ist eine glück­selige Freiheit im Dienste, den der Glaube in Gott verrichtet, welche die Gewandtheit oder Anstrengung des Fleisches sich nicht aneignen kann, und wir müssen uns hüten, diese An­strengung mit dem Glauben zu verwechseln. Auf mancherlei Weise wird solche Anstrengung hervorgerufen, den Glauben anderer nachzuahmen, z. B. ein Opfer zu bringen, weil ein an­derer es gebracht hat, ist so eine Art. Ich glaube, daß Alles dies wohl zu beachten ist. —

 Überall, wo eine wahrhafte Kraft von dem Herrn ist, bewegt man sich leicht und ruhig, indem alle andere Hilfe außer Acht gelassen und aufgegeben wird, weil dies im Kreuze gelernt worden ist. Und David sagte zu Saul: „Ich kann mit diesem Zeug nicht gehen, denn ich habe mich darin nicht versucht." — David fürchtete sich nicht zu gehen, denn der Herr war bei ihm, wie Saul gesagt hatte; aber mit diesen Sachen konnte er nicht gehen. 

Der Glaube traut nicht teils auf den Herrn und teils auf die Menschen. David hatte keinen ehernen Helm, kein Panzerhemd gehabt, als er den Löwen und Bären erschlug; und er ging, weil der Herr allein (S.293) seine Stärke war. Und wie er sagte, der Herr errettete ihn. Gerade so wie Paulus sprach: „Kein Mensch war mit mir, aber der Herr stand mir zur Seite und errettete mich aus dem Rachen des Löwen." In gleicher Weise hatte David den kräf­tigen Arm des Herrn erprobt; aber Saul's Waffe hatte er nie versucht. — 

Doch wie oft haben wir uns in solche Schuldenlast versenkt, oder versenken lassen, ohne auch nur ihre Unschick­lichkeit zu entdecken, und sie von uns zu werfen. Haben wir sie nicht oft mit Vergnügen getragen, ja, sind wir gegen sie zu Felde gezogen? 

Haben wir nicht oft so gehandelt, als ob Gottes Wort in dieser oder jener Weise der Hilfe bedürftig gewesen wäre? als ob das, was im Geiste angefangen wurde, durch das Fleisch vollendet werden könnte? Und deshalb müssen wir unsere Torheit und unseren Unglauben in unserem Mißgeschick und Untergang büßen. Aber hier war es mit David nicht so. Er entdeckte augenblicklich, daß die zierlich gearbeitete und fein polierte Waffenrüstung Saul's für den Glaubenshelden nicht paßte.

Das Wort Saul's war gut, aber diesem wurde durch eine solche Waffenrüstung widersprochen. Und ich glaube, daß die, mit welchen Gott im Verborgenen viel Umgang pflegt, gerade so sein werden, wie hier David. Sie werden so schnell wie möglich und so augenscheinlich, als es hier war, die Fort­schritte des Fleisches erkennen und verwerfen. — 

Auf diese Weise können sie zwischen dem Wertvollen und Unnützen unterscheiden. In solchen Menschen wird eine Schärfe des geistigen Sinnes sein (Phil. 1. 9), die nur in direkter Verbindung mit Gott erlangt werden kann. — Wenn dann unter den Fall­stricken und Kunstgriffen des Feindes für einen Augenblick über das Auge ihres Glaubens ein Schleier sich ausbreitet und so ein trügerischer Gegenstand sie anzieht, so wird eine Falsch­heit gefühlt, selbst, wenn sie nicht sichtbar ist. So ist es hier mit David. Er zögerte einen Augenblick, die ganze Waffenrüstung Saul's anzulegen, aber gerade, als Saul ihn für den Kampf gerüstet halten mochte, fühlte er sich gefesselt und be­drückt. — 

Die gewandteste Hilfe der Welt ist das größte Hinder­nis des Glaubens. „Und David legte sie von sich." So ent­kleidet sich der Glaube aller fleischlichen Waffen. Denn der Glaube besteht ganz in der Kraft Gottes. Dieses zu lernen, ist oft der schwerste Teil unserer Aufgabe; aber das, was wir am langsamsten lernen, wird oft am schnellsten vergessen. Allein, wenn wir mehr von dem geheimen Umgange mit Gott erfahren, so werden wir uns auch weit leichter aller fleisch­lichen Waffen entledigen. 

Die Seele, welche wie David viel im Verborgenen vor Gott geübt wurde, kennt die völlige Unwür­digkeit jedes Dinges außer Gottes eigener Kraft. Und wenn sie auf solche Weise diese gesegnete Aufgabe gelernt hat, so macht sie sich schnell los von solchen Dingen, welche das Fleisch als seine Hilfe hochachtet, fühlt sich selbst befreit durch deren (S.294) Untergang. Wie weit gesegneter ist dieser Weg, das Fleisch kennen zu lernen und zu verleugnen. Aber aus Mangel eines solchen unmittelbaren Lebens vor Gott haben wir dies In einer qualvolleren Schule und nach vielen Fehlern zu lernen. 

Es ist der schwerste Teil unserer Erziehung, ganz bloß zu sein von solchen Dingen, welche wir aus Gewohnheit und Erziehung als notwendig gedacht haben; fern zu stehen von solchen Hand­lungen, in welchen nach Art des Saul's, der Name des Herrn und die menschliche Kraft und Weisheit vermengt werden. Solche Verbindungen, oft gerecht und nützlich genannt, sind am trügerischsten und gefährlichsten. Wie sehen wir des Apo­stels Freude, alle bei den Menschen geachtete Dinge für Schaden zu achten um Christi willen. Weshalb war ihm dies nicht schwer? Wie konnte er diese Dinge auf solche Weise verleug­nen und von sich werten? Er hatte es gelernt, sich in dem Herrn Jesu zu treuen, „stark zu sein in dem Herrn und in der Kraft seiner Macht."

Bedenkt daher, Geliebte, daß der, welcher im Verborgenen mit Gott verkehrt hat, solche fleischlichen Watten nicht gebrau­chen kann. Und es sollte uns dieses sicherlich die Wichtigkeit fühlen lassen, in der Gegenwart des lebendigen Gottes in all unserem Dienste vorwärts zu gehen, damit wir auf solche Weise vorbereitet werden, alle Anmaßungen und Lüste des Fleisches zu entdecken und zu töten. Denn es ist traurig zu sehen, wie ein Heiliger, dem jenes mangelt, in des Herrn Namen kämpft, aber mit weltlichen Waffen bekleidet ist. —

 Auf diese Weise erlangt die Welt einen Platz in der Versammlung. Ihre Grundsätze und Macht werden an d e r Stelle der Schrift be­leuchtet, wo Gott gesagt hat: „Habt nicht lieb die Welt"; „alles, was in der Welt ist, ist nicht vom Vater"; „die Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott." — Diese Vermengung ist oft zu einer Streitfrage gemacht worden; Beweis auf Beweis wird zusammengebracht, gegenüber der einfachen Anwendung des Wortes Gottes.

 Saul's eherner Helm und Panzerhemd werden der Schleuder und dem Stein und die Glaubenswaffe, dem Erze und Stahle Goliath's entgegengesetzt. Wie oft rechtfertigt der Herr Sein eigenes Wort, wenn es im Glauben angewendet wird, indem es mit göttlicher Kraft zum Herzen dringt. Und wie oft demütigt Er uns, indem Er uns zeigt, wie wenig unsere Be­weiskraft hilft, indem sie nur zu Streit und Widerspruch reizt. Der Herr mache uns in all diesem einfältiger.

Aber David zieht nicht unbewaffnet in den Streit, obwohl er die Rüstung Saul's von sich gelegt hat. Er nimmt seinen Stab, fünf glatte Steine in seinen Schäferrock und seine Schleu­der. So bewaffnet, nähert er sich dem Philister (V. 40). So legt er die eine Waffenrüstung von sich, um sich in eine andere zu kleiden. — Aber welch' eine einfache Rüstung ist dies! Wenn David hiermit den Goliath überwältigte, so mußte der Sieg des (S.295) Herrn sein. Diese Rüstung war nicht durch menschliche Kraft und Erfindung gemacht; der fließende Bach hatte den Steinen ihre Glätte gegeben. Aber also ist der Glaube immer be­waffnet.

Die Waffe des Glaubens ist daher auch in den Augen der Menschen stets schwach und lächerlich; aber Gottes mächtigste Siege sind immer durch ein Werkzeug gewonnen worden, wel­ches die Menschen verachteten. — Die törichte Predigt vom Kreuze erfüllt die Menschen mit Verachtung, dennoch ist es die Kraft und Weisheit Gottes. Sie ist immer lächerlich ge­wesen, wie Davids Schleuder. Aber wir bedürfen noch mehr diese Einfalt, wenn wir daran denken, daß wir Gottes Wahrheit den Menschen zu bringen haben. Wir haben Waffen „mächtig durch Gott", wenn wir nur einfachen Glauben haben, auf Ihn allein zu vertrauen, und die Waffe menschlicher Kraft und Weisheit zu verwerfen.

Und der Philister kam hervor und näherte sich David (V. 41). Und sowohl David als seine Waffe verachtend, sagt Goliath: „Bin ich denn ein Hund, daß du kommst, um in der Weise mit mir zu kämpfen?" Gedenkt daran, Geliebte, daß das Fleisch sich immer beschimpft glaubt, weil unsere Waffen nicht wie seine zu sein pflegen. 

Das Fleisch setzt immer Schwert gegen Schwert, Helm gegen Helm; das Fleisch gefällt sich selbst. — Aber David sagte: „Du kommst zu mir mit einem Schwerte, einem Schilde und einem Speere; aber Ich komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes, der Heere Israels, dem du Hohn gesprochen hast." So stellte David die Sache auf die wahre Basis; es war jetzt eine einfache Frage geworden zwi­schen dem Herrn Zebaoth und dem Philister. David bringt sich aus der Streittrage heraus und führt Gott selbst hinein, als den Widersacher Goliath's. 

So sollte es immer mit uns sein. — Was sind wir? Was ist der Feind? Es tut nichts, wie wir sind und wie die Kraft des Feindes ist, es liegt nicht immer an der Macht des Einen und Schwäche des Ändern; will Gott nicht Seinen eigenen Namen rächen? David kam Im Namen des Herrn Zebaoth, und wird Gott nicht eifersüchtig auf Seinen eigenen Namen sein? Wird Er es zugeben, daß der Philister darüber triumphiert? Niemals? Denn hier ist die Macht des Glaubens, ja, der Glaube macht immer allmächtig. „Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein?" ist immer das Wort des Glaubens. David hätte bis zu dieser Stunde nimmer so gestanden, wenn er Gott nicht als seinen Gott im Ver­borgenen kennen gelernt hätte. 

Deshalb konnte er auch sagen: „Keinem Manne entfalle das Herz", und deshalb konnte er Goliath also begegnen. Der Name des Herrn muß gegen jedes Böse unsere Kraft sein, sowohl nach innen, wie nach außen. Die schlimmste Art des Bösen ist die Sünde bei einem Heiligen (und ich habe das Vertrauen, daß wir alle wissen, daß Sünde (S.296) bei einem Heiligen weit schlimmer ist, als bei irgend einem Ändern) und was ist unsere Zuflucht? Wir brauchen Gott nur an Seinen eigenen Namen zu erinnern, denn Er ist eifersüchtig auf Seinen Namen. 

Der Glaube kann den Namen des Herrn immer als seine Macht gegen jeden Feind gebrauchen. Anstatt, daß Davids Herz von Stolz erfüllt war, verschwand er selbst zu Nichts und machte Gott zu Alles. Seine zuversichtlichsten Worte sind seine demütigsten. Und ist es nicht der Name Jesu, den wir Jedem vorzuhalten haben? Gegen jede Versuchung, gegen jede Angst und gegen jeden Feind? Ist es nicht das, was Gott jetzt manchen Seelen im Verborgenen lehrt, wenn Er sie in ein Gefühl von Mangelhaftigkeit und Schwäche führt, wovon sie vorher Nichts wußten; in eine Probe, von der sie vorher nichts kannten, damit sie den Wert erkennen, welchen sie im Kreuze haben? Nicht als ob sie nicht jedes Ding erlangt hätten, sondern um es in ihnen zu erproben und sie zu ver­einigen. 

So haben manche durch die Erfahrung erprobt, was Erlösung ist, indem sie die Notwendigkeit eines solchen all­mächtigen Freundes als Gott fühlen. Gott unterrichtet auf diese Weise im Geheimen viele Seelen von dem Werte des Kreuzes. "Und warum? Damit sie stark im Streite werden sollen. Vor Gott im Geheimen leben macht uns, sozusagen, fähig zu dem Angriff. Dies ist an David bemerkenswert. Er sagt (V. 46—48): „Heute wird der Herr dich in meine Hand liefern; ich will dich werfen und dir den Kopf abschlagen, damit die ganze Welt erkenne, daß in Israel ein Gott ist! Und David lief eiligst gegen das Heer, um dem Philister zu begegnen." 

Er zauderte und schwankte nicht, aber er gebrauchte plötzlich seine einfache Waffe und warf seinen Feind zur Erde (V. 49). „So siegte David über den Philister mit einer Schleuder und einem Steine, und warf den Philister und schlug ihn, und es befand sich kein Schwert in David's Hand" (V. 50, 51).

David wartete nicht erst angegriffen zu werden, sondern er lief hurtig, um dem Philister zu begegnen. Das Bekenntnis des Namens Gottes bringt mächtige Früchte in uns hervor, wenn wir im Verborgenen den Wert dieses Namens kennen gelernt haben. Denn Gnade und Weisheit werden uns erteilt, um sie als Angriffswaffe gegen das Böse zu gebrauchen. Aber gewiß haben wir gesehen, wie viel Gnade, wie viel christliches Leben es wirklich erfordert, gegen das Böse zu zeugen. 

Wie oft wird gefehlt aus Mangel am verborgenen Umgange mit Gott! Wir sehen, wie ruhig und sicher David plötzlich den Stein warf; da war kein Anzeichen von Anstrengung. Es geschah gerade so, als ob er in der Wildnis gewesen wäre, von keinem als Gottes Auge gesehen. Und der Herr richtete jenen Stein gerade so, wie er den David fähig machte, den Löwen und Bären zu be­siegen.

So siegte David und so siegt der Glaube immer. Es ist in gegenwärtiger Zeit viele Veranlassung da zu solchem Glaubens­dienste; aber die Kraft dazu muß im geheimen Leben vor Gott gesucht werden. Was für einen Dienst dann auch immer unsere Hand zu verrichten hat, wir werden durch Gottes Kraft dazu im Stande sein.

Wenn ein Christ vor Gott öffentlich sehr gesegnet wird, so können wir überzeugt sein, daß Gott mit ihm im Verborgenen auf eine Weise verkehrt hat, die wir nicht vermuteten. Aber wie oft sehen wir einen Christen, nachdem er augenscheinlich im Dienste gebraucht worden, bei irgend einer verhältnismäßig kleinen Veranlassung fallen. Solche Fehler haben zu oft ihren Grund in der geringen Beachtung dieser Vorschritt: „Bitte deinen Vater im Verborgenen und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dich öffentlich belohnen."

1. Samuel 17 Die Schule Gottes (2) 1853 BdH

12/31/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Schule Gottes 1. Samuel 17 

Es gibt einen Zug, der allen gemein ist, die Gott zu Seinem Dienst erwählt hat: sie haben im Verborgenen mit Ihm zu tun gehabt, bevor sie öffentlich auftraten? Das bildet einen Gegensatz zu der Ruhelosigkeit des Fleisches, das die Auf­merksamkeit auf sich zu lenken trachtet, bevor die Seele die Zucht der Schule Gottes durchgemacht hat. Viele gehen aus, ohne gesandt zu sein und bekommen erst durch ihre bitteren Erfahrungen schmerzliche Lektionen erteilt. 

Paulus, das Ge­fäß, das der Herr erwählt hatte, um Seinen Namen zu tragen, empfing seine Erziehung in der Schule der Trübsale. „Ich werde ihm zeigen, wie vieles er für meinen Namen leiden muß" (Apg 9, 16). So hat Gott Seine verborgenen Wege, um für Seinen Dienst zu erziehen. Ebenso war es mit Seinem vollkommenen Diener, Seinem vielgeliebten Sohn. „Und er ist wie ein Reis vor ihm aufgeschossen, und wie ein Wurzel­sproß aus dürrem Erdreich" (Jes 53, l).

Ebenso verhielt es sich mit David. In 1. Sam 17 finden wir ihn in völliger Verborgenheit. Weder sein Vater noch seine Brüder schienen sich um ihn besonders zu kümmern; er war von seiner Familie getrennt und hütete die Schafe. Niemand hielt es für wichtig, ihn zum Opfermahl herbeizurufen. Aber dennoch war er der Erwählte Jehovas. Er war nicht allein in der Wüste; er stand unter der Zucht Gottes. Er wurde für den öffentlichen Dienst zubereitet, und zwar in der geheimen Schule Dessen, Der nicht nach dem äußeren Schein urteilt, wie es die Menschen tun. 

So müssen auch wir ein Leben vor dem Herrn führen. Wenn unsere Seelen nicht vor Ihm geübt sind, so wird Er uns nicht als Werkzeuge in Seinem Dienst gebrauchen. Mögen wir es uns auch einbilden, es ist doch nur Täuschung. Gott will mit jeder Seele, die Er in Seinem Dienst öffentlich gebrauchen will, vorher zu tun haben. Diese Weis­heit unseres Gottes finden wir in der Geschichte Seiner her­vorragendsten Diener. Nachdem sie für ihren besonderen Dienst zubereitet sind, treten sie in der

 Stunde der Not in Erscheinung. Dann sind sie ruhig, weise und voll Ausharren, während alle anderen verlegen und furchtsam sind. Alles was sie sagen und tun, verrät, daß sie für ihren Dienst zubereitet sind. Menschen, die im Verborgenen vor dem lebendigen Gott gelebt haben, sind fähig, voranzuschreiten, unbekümmert über die Verwirrung und Kämpfe der Menschen. Sie haben gelernt, sich vor dem ängstlichen Israel in die Bresche zu stellen und selbst einem Goliath die Stirn zu bieten. Sie haben ihre Zubereitung in dem verborgenen Leben vor Ihm empfangen, Der größer ist als alles, vor dem lebendigen Gott.

David hatte in der Wüste die Hilfsquellen kennengelernt, die der Glaube in Gott besitzt, und jetzt rüstet er sich, um als Streiter Gottes dem Kämpfer der Unbeschnittenen gegenüber zu treten. Den Löwen und den Bären hat er bereits zu Boden gestreckt, jetzt tritt er auf den Schauplatz, um vor den Heeren Israels und der Philister Goliath zu besiegen.

Welch einen furchtbaren Feind hatte Israel in Goliath vor sich! Vom Morgen bis zum Abend forderte er sie trotzig heraus, aber seine Herausforderung wurde nicht angenom­men, denn die Kinder Israel waren entmutigt und heftig erschrocken. Saul mochte sein Heer in Schlachtordnung, aufstellen, das Heer mochte auf den Kampfplatz rücken und sein Kampfgeschrei erheben (V. 19 - 21), aber „siehe, da kam der Zwischenkämpfer herauf, Goliath, der Philister und sprach nach jenen Worten; . . . 

Und alle Männer von Israel, als sie den Mann sahen, flohen vor ihm und fürchteten sich sehr" (V. 23, 24). Unter diesen Umständen betrat David das Schlachtfeld. Er vernahm die trotzige Herausforderung des Riesen und sah die Entmutigung und Schmach Israels. Ihr lautes Kriegsgeschrei war bald verhallt, und das ganze Volk war in äußerster Bestürzung. Der kleine Mann, den seine Brüder in der Leichtfertigkeit ihrer Herzen wegen seines Kommens tadelten, er, den der Philister verachtete und ver­fluchte, ist der einzige, der sich nicht fürchtet. 

Gleichwohl gab es in David nichts, das ein Grund gewesen wäre, sich weniger zu fürchten, nichts, das den äußeren Schein der Macht an sich trug, sondern eher das Gegenteil. Das Fleisch sucht die Macht in den Armeen, den zahlreichen Bewaffneten, oder dem mächtigen Goliath, nie aber in dem Knaben, der soeben von seinen Schafen in der Wüste gekommen war.

Beachten wir, David war dem lebendigen Gott im Verborge­nen begegnet, und jetzt sah er, daß der Name des lebendigen Gottes angetastet wurde. Israel blickte auf seine eigenen Hilfsmittel, und was waren diese im Vergleich mit denen der Philister! Aber es gab hier einen, der die Gedanken Gottes besaß, der auf die Hilfsmittel des lebendigen Gottes blickte. David besaß sicher nicht mehr natürlichen Mut als Saul, aber er hatte Glauben. In der Wüste war David zwar im Verbor­genen gewesen, aber dort hatte er die Gemeinschaft mit Gott kennengelernt. 

Nun trat er mutig und frisch aus der Gegen­wart des lebendigen Gottes hervor und betrachtete alles um sich her nach den Gedanken Gottes; und er verwertete in dieser neuen Lage, was er von Gott im Verborgenen gelernt hatte. Das war das Geheimnis seiner Kraft und seines Sieges. Wohl wurden die Umstände erwogen, ihre Schwere und Ge­fahr abgemessen, aber sein Glaube brachte Gott hinein und er handelte nun nach der Weisheit und Macht des lebendigen Gottes. 

Von diesem Gesichtspunkt aus muß David betrachtet werden. Er sieht das Heer Israels als das Heer Jehovas der Heerscharen, er sieht es im Lichte Dessen, aus Dessen Gegen­wart er soeben gekommen ist (V. 26).

Fragen wir uns, ob unsere Fehler nicht meistens daher kom­men, daß wir nicht im Verborgenen bei Gott gewesen sind. Es ist von höchster Wichtigkeit. Schätzen wir die Gemein­schaft mit Gott als unser höchstes Vorrecht? Schätzen wir den Wandel mit Gott höher als den Wandel vor und mit den Gläubigen? 

Ich glaube, daß wir das Leben vor und mit den Gläubigen oft für wichtiger halten als das Leben vor und mit Gott. Umringt von Gläubigen mögen wir gestärkt werden, aber Kraft können wir nur empfangen durch unseren Wandel und unsere Gemeinschaft mit Gott; denn nur im Blick auf den Unsichtbaren können wir ausharren. Das Fleisch mag unter den Gläubigen Anerkennung suchen und auch finden, aber in der Gegenwart Gottes verwelkt das Fleisch wie Gras.

 Sicher und glücklich sind wir daher nur, wenn wir im Glau­ben „im Verborgenen des Höchsten" wohnen, und mit der dort gesammelten Kraft in den Dienst treten. Dann werden wir jeden Feind so anblicken können, wie David Goliath. „Denn wer ist dieser Philister, dieser Unbeschnittene, daß er die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt" (V. 26)?

Aber die Sprache des Glaubens bringt augenblicklich das Fleisch in Aufregung.. So war es bei Joseph, als er seinen Brüdern seine Träume mitteilte, und so finden wir es hier bei David und seinen Brüdern. Eliab ruft ihm zu: „Ich kenne deine Vermessenheit wohl und die Bosheit deines Herzens" (V. 28). Wenn das Fleisch etwas sieht, das mächtiger ist als es selbst, dann besteht alles, was es tun kann, darin, das andere als Vermessenheit zu bezeichnen. Eliab war der älteste Bruder, er stand daher auf der Höhe, die das Fleisch liebt und sucht. 

Für das natürliche Auge besaß er einen hervorragen­den Platz, aber obwohl seine Person die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, hatte Gott ihn dennoch „verworfen" (Kap. 16, 6. 7). Er war nicht der Gesalbte des Herrn. Eliab steht hier, wie Ismael und Esau, als der Repräsentant der natürlichen Ansprüche des Fleisches. Gestützt auf diese Tat­sache tadelt er David. 

Aber die Weisheit, die die Sprache Davids verrät, ist durch eine Macht hervorgerufen, von der Eliab nichts versteht. Es war die Sprache des Glaubens. Der lebendige Gott, Jehova der Heerscharen Israels, steht vor sei­nen Blicken, und an ihm mißt er die Philister und ihren Vorkämpfer. Eliab sprach und fühlte es als Mensch, dar­um war für ihn die Sprache des Glaubens nichts als „Ver­messenheit und Bosheit des Herzens".

Das Fleisch verkennt immer den Glauben. Stets ruft es uns zornig die Worte zu: „Es ist Vermessenheit!", so oft wir von Vertrauen auf den lebendigen Gott reden. Gerade dieses Vertrauen, das völlige Erniedrigung, völligen Verzicht auf eigene Kraft voraussetzt, wird von Seiten des Fleisches als Vermessenheit bezeichnet. David verliert sich selbst bei die­ser ganzen Handlung aus den Augen, weil er auf Gott und Dessen Heere schaut. 

Es ist die Macht und das Vorrecht des Glaubens, das Ich völlig auszuschalten und allein auf Gott zu blicken. „Damit sich vor Gott kein Fleisch rühme." — „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn." Was David ge­lernt hatte und offenbaren wollte, das nannte Eliab Ver­messenheit. Das Fleisch ist stolz und trotzig. Ich setze voraus, daß wir dies wissen, und auch dieses, daß der Glaube das Ich beiseitesetzt, weil der Glaube alles von Gott empfängt und Gott Selbst sein Teil ist.

„Was habe ich nun getan?" fragte David. „Ist es nicht der Mühe wert" (V. 29)? Hatte David sich selber gerühmt?" Keineswegs. Und gab es für David nicht eine Veranlassung, seine Stimme zu erheben? Wenn der Name Gottes in Frage gestellt wird, dann ist immer Ursache vorhanden, ein Wort zu reden. Der einzige Zweck, weshalb wir in dieser Welt zurückgelassen worden sind, besteht darin, daß wir vor den Menschen den Namen Jesu bekennen und unseren eigenen Namen beiseite setzen sollen. Möchten doch alle Kinder Gottes in dieser einen Sache vereinigt sein — im Bekennen des Namens Jesu!

Aber folgen wir David, der, ohne sich durch die Verweise Eliabs zurückhalten zu lassen, in die Gegenwart Sauls tritt. Welch eine Würde, welch eine Festigkeit und Gewißheit zeigt sich in jeder seiner Bewegungen. „Und David sprach zu Saul: Es entfalle keinem Menschen das Herz seinetwegen! Dein Knecht will gehen und mit diesem Philister kämpfen" (V. 32). 

Während das ganze Heer Israels zittert, steht ein kleiner Mann vor dem König und sagt: „Es entfalle keinem Menschen das Herz." Ja, der Glaube verleiht ein solches Selbstbewußtsein, das uns nicht nur befähigt, inmitten der bedrohlichsten Umstände Trost und Vertrauen zu schöpfen, sondern auch den Verzagten neuen Mut zu geben. Von den Umständen unbehindert schöpft der Glaube aus den nie ver­siegenden Quellen des Himmels, und so können wir, anstatt dem Druck der Trübsale zu erliegen, wie der Apostel sagt, „die trösten .. ., die in allerlei Drangsal sind, durch den Trost, mit welchem wir selbst von Gott getröstet werden" (2. Kor 1. 4). 

David hatte die Schule der Trübsale durchlaufen und hatte bereits den Gott erprobt, auf Den er vertraute. Er wußte, an Wen er glaubte. Er war vorher in Gefahren gewesen und hatte siegreich bestanden, darum ist sein Herz jetzt voller Vertrauen. In der Wüste waren zwischen seiner Seele und Gott Dinge geschehen, die, wie es scheint, bis zu diesem Augenblick nicht ans Tageslicht gekommen waren (V. 34 - 37). 

Wo ist der Ort, Geliebte, an dem die Gläubigen lernen kön­nen, Siege zu feiern? Ich glaube dort, wo uns außer Gott kein menschliches Auge sieht. Entschiedene Selbstverleug­nung, das Aufnehmen des Kreuzes im Verborgenen, die in der Einsamkeit unseres Kämmerleins erlangte Erkenntnis der Notwendigkeit, unsere Einbildungen und alles, was sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, niederzuhalten, — das sind die mächtigsten Mittel, um den Schwierigkeiten des täglichen Lebens widerstehen zu können. 

Das Betkämmerlein ist das große Schlachtfeld des Glaubens., Haben wir dort den Feind getroffen und besiegt, dann werden wir auch in der Stunde wirklicher Gefahr feststehen und andere aufrichten und trö­sten können. Nur derjenige, der bereits in der Wüste den Löwen und den Bären niedergestreckt hat/ kann im Terebinthental einem Goliath unerschrocken entgegentreten.

Wie deutlich offenbart uns dies das wirkliche Geheimnis der Kraft Davids! Es ist die Kraft des Glaubens. Jetzt verstehen wir, was der Apostel meint, wenn er sagt: „Ich bin ein Tor geworden." Er war gezwungen worden, von sich selbst zu sprechen und das war seine Torheit. Was war das große Geheimnis seiner Kraft für den Dienst und seiner Fähigkeit, den Widerstand so vieler Gläubiger ertragen zu können? War alles dies nicht eine Frucht jener Übungen, die im Verbor­genen zwischen seiner Seele und Gott stattgefunden hatten und nur ihm und seinem Gott vertraut waren? Aus demsel­ben Grund konnte jetzt David zu Saul sagen: „Es entfalle keinem Menschen das Herz."

„Aber Saul sprach zu David: Du vermagst nicht wider diesen Philister zu gehen, um mit ihm zu kämpfen" (V. 33). Saul blickte auf David und dann auf Goliath, und nach menschli­chem Ermessen war sein Urteil richtig. Aber Saul kannte nicht das Geheimnis Gottes, das David kennengelernt hatte. Saul wußte noch nicht, was David sagen wollte. Wenn Eliab sich solcher Heldentaten hätte rühmen können, so hätte er sie sicher nicht einen einzigen Tag geheim gehalten, aber David war in einer Schule gewesen, in der er gelernt hatte, nicht viel aus seiner eigenen Person zu machen, sondern dem lebendigen Gott die Ehre zu geben. 

Daher hatte er, soweit uns die Schrift darüber belehrt, seine Taten nie erwähnt, ge­schweige sich ihrer gerühmt. Aber als die Gelegenheit es er­forderte, konnte er kühn auftreten und verkündigen, wie die Güte und Macht Jehovas ihm geholfen hatten. Ebenso ver­hielt es sich mit dem Apostel Paulus, als er sagte: „Ich kenne einen Menschen in Christo vor vierzehn Jahren usw." (2. Kor 12, 2). Obwohl vierzehn Jahre verflossen waren, scheint es doch, daß niemand etwas von seiner Entrückung bis in den dritten Himmel gewußt hat. Aber als die Gelegenheit kam, dieses Ereignis nicht zu seinem, sondern zu seines Herrn Ruhm ins Licht zu stellen, teilte er es ohne Zögern mit. 

Sicher hat weit mehr zwischen dem Herrn und seinem treuen Apostel stattgefunden, ohne daß es je ans Tageslicht gekommen ist. Ebenso war es bei David. Wer wußte, was dieser „Knabe" be­reits ausgeführt hatte? Wer kannte die wunderbaren Triump­he, die er bereits gefeiert hatte? 

Wer wußte, daß er schon ein Lamm seiner Herde aus dem Rachen des Löwen befreit, und sowohl den Löwen als auch den Bären mit seiner Hand niedergestreckt hatte? Weder Eliab noch Saul wußte es. Nur von dem scharfen Unterscheidungsvermögen des persönlichen Glaubens hätte es möglicherweise erkannt werden können (Kap. 16, 18); sonst aber waren seine Heldentaten unbekannt. In der Tat, wenn wir stark sein wollen, müssen wir einen verborgenen Umgang mit Gott unterhalten. 

Wir sind oft schnell bereit, irgendeinen Dienst vor den Augen der Men­schen zu verrichten, während wir vielleicht eine ungesehene Gemeinschaft und Übung vor Gott vernachlässigen. Und den­noch hängt hiervon alles ab, denn wenn wir nicht im Ver­borgenen den Löwen und den Bären erlegt haben, werden wir nicht in der Öffentlichkeit einen Goliath töten können.

Dieses sollte uns dahin führen, das Wort zu verstehen: „Der . . . nehme sein Kreuz auf täglich." Viele mögen meinen, man könne und müsse bei gewissen außergewöhnlichen Gelegen­heiten das Kreuz auf sich nehmen, aber ein tägliches Auf­nehmen des Kreuzes, eine tägliche Selbstverleugnung, ein tägliches Hassen und Verlieren des eigenen Lebens in dieser Welt ist eine ganz andere Sache. Gottes Auge ruht immer auf uns. Es ist unser Vorrecht, immer vor Gott zu wandeln, und darum hat man stündlich Gelegenheit, das Kreuz vor Ihm auf sich zu, nehmen, sich selbst zu verleugnen, und Jesu nachzufolgen.

„Und David sprach: Jehova, der mich aus den Klauen des Löwen und aus den Klauen des Bären errettet hat, er wird mich auch aus der Hand dieses Philisters retten" (V. 37). David wußte, daß das eine so leicht war wie das andere. Wenn wir in Gemeinschaft mit Gott sind, wissen wir, daß es für Ihn keine Schwierigkeit gibt. 

Der Glaube mißt jede Schwierigkeit an der Macht Gottes; dann werden Berge zu Ebenen. Ach, wie oft denken wir, daß wir in kleinen Dingen diese Allmacht nicht benötigen, und das ist die Ursache un­seres Versagens. Haben wir nicht oft sonst eifrige und ergebene Gläubige in geringen Versuchungen fallen sehen? 

Die Ursache war, daß sie versäumt hatten, Gott durch Glau­ben in alle ihre Wege einzuführen. Abraham konnte seine Familie und seines Vaters Haus verlassen und auf Befehl Gottes ausgehen, ohne zu wissen, wohin, aber in dem Augen­blick, wo er einer Schwierigkeit begegnet und in seiner eige­nen Weisheit hinabzieht nach Ägypten, wie ist dort sein Ver­halten?

 Beständig fällt er in verhältnismäßig kleinen Dingen. Sind wir einmal in einer verkehrten Stellung, die wir uns selbst gewählt haben, wie schwach erweisen wir uns dann! Der Glaube kennt keine geringen Dinge, er setzt unsere Schwachheit so völlig voraus, daß er für jeden Sieg nichts Geringeres als die Macht Gottes nötig hält. Er unter­schätzt keine Gefahr, weil er weiß, was wir sind, er verzagt aber auch in keiner Gefahr, weil er weiß, was Gott ist. 

Diese wahre Einschätzung der Gefahr und unserer eigenen Schwach­heit kennzeichnet die Glaubenszuversicht. Wenn wir uns an unseren Feinden messen, was sehen wir dann? „Unser Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürsten­tümer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern" (Eph 6, 12). Und was sind wir im Ver­gleich zu. solchen Feinden? 

Was ist unsere Macht im Vergleich zu der ihrigen? „Wir waren in unseren Augen wie Heuschrecken, und also waren wir auch in ihren Augen" (4. Mo 13, 33). „Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes" (Eph 6, 11)! Der Glaube entdeckt überall unsere Schwachheit, aber er ruht sicher in der Macht des Herrn. Der Glaube weiß, was das Fleisch ist, obwohl das Fleisch es selbst nicht weiß, und daher wird jemand, der durch den Glauben stark ist, sich nie des Fleisches rühmen. „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark".

So ist es hier bei David. Er wußte, daß er sich nicht mit Goliath messen konnte. Er hatte auch keine Veranlassung dazu, denn er handelte nicht aus Stolz. Er war weit davon entfernt, an seine eigene Kraft zu denken, als er den schreck­lichen Riesen von Gath erblickte. Er wußte, daß er selbst ge­ringer war als Eliab oder Saul, wie hätte er sich da mit einem Goliath vergleichen können? Trotzdem konnte er in völliger Zuversicht sein Ziel verfolgen. Er wußte, daß er gerettet werden würde. Er vertraute auf Jehova, und Er war stark und mächtig.

„Und Saul sprach zu David: Gehe hin, und Jehova sei mit dir! Saul zog David seinen Rock an und setzte seinen ehernen Helm auf sein Haupt und zog ihm einen Panzer an" (V. 37b, 38). Saul konnte sagen : „Jehova sei mit dir!" Aber Saul besaß nicht das Vertrauen auf Jehova, das David kennzeich­nete. Er versuchte den kleinen David auszurüsten wie er selbst ausgerüstet war, und er brachte darum seine eigenen fleisch­lichen Waffen zum Vorschein. Aber diese sind ungeeignet für einen Glaubenskämpfer. Sobald David die Waffenrüstung Sauls angelegt hatte, war er zu jeder Bewegung unfähig. Er fühlte sich gefesselt und gehemmt. 

Wer nicht alles im Glau­ben tut, ist ungeschickt und unfähig/ festen Schrittes zu ge­hen. Wenn aber der einfältige Glaube an den lebendigen Gott in Tätigkeit ist, dann schreiten die Gläubigen ruhig, leicht, unbeschwert und siegreich vorwärts. Es liegt eine glückselige Freiheit in dem Dienst, den der Glaube für den Herrn tut, Der keine Fähigkeit oder Anstrengung des Fleisches anerken­nen kann. Deshalb müssen wir jede zur „Unterstützung" des Glaubens angewandte Tätigkeit des Fleisches

 entschieden zu­rückweisen. Bei den verschiedensten Dingen kann man ent­decken, daß Anstrengungen gemacht werden, die den Glauben anderer nachahmen sollen, und man versucht irgendein Opfer zu bringen, nur weil andere es auch getan haben. Aber das alles ist verabscheuungswürdig. Wer wirkliche Kraft von dem Herrn besitzt, bewegt sich frei und ruhig, und schlägt jedes andere Hilfsmittel aus. Er stützt sich auf Gott, das ist das wahre Geheimnis seiner Kraft. Wir werden dies bei David sehen.

„Da sprach David zu Saul: Ich kann nicht darin gehen, denn ich habe es nie versucht" (V. 39). David hatte keine Furcht, dem Philister entgegenzutreten, weil er wußte, daß Jehova mit ihm war, aber unmöglich konnte er in dieser

Weise sein Vorhaben ausführen. Der Glaube vertraut nicht teilweise auf den Herrn und teilweise auf den Menschen. David hatte keinen ehernen Helm und keinen Panzer, als er den Löwen und den Bären schlug. Jehova war seine einzige Kraftquelle, und Er errettete ihn, wie er sagte. Ebenso hören wir Paulus sagen: „Der Herr aber stand mir bei . . . und ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen" (2. Tim 4, 17). In derselben Weise hatte auch David den mächtigen Arm seines Gottes erprobt, aber er war nicht „gewohnt", die Waf­fenrüstung Sauls zu tragen.

Aber wie oft haben wir uns selbst so eine falsche Rüstung angezogen oder uns von anderen in so beengende und hin­derliche Waffenröcke einschnüren lassen, ohne wie David deren Untauglichkeit zu entdecken und sie so schnell wie möglich wieder abzulegen! Haben wir sie nicht oft sogar mit Wohlbehagen getragen, und sind wir nicht oft so gerüstet in den Kampf gezogen? 

Haben wir nicht oft versucht, das Werk Gottes in irgendeiner Form mit menschlicher Macht zu unterstützen und das im Fleische zu vollenden, was im Geiste begonnen war? Aus diesem Grunde haben wir dann zu unse­rem Schaden und Nachteil unsere Torheit und unseren Un­glauben erkennen müssen. Wie ganz anders handelte David! Er entdeckte sofort, daß die glänzende Waffenrüstung Sauls für einen Glaubensstreiter untauglich war. 

Die Worte Sauls waren gu.t, aber sie wurden durch diese Waffenrüstung Lügen gestraft. Ich glaube, daß diejenigen, mit denen Gott Sich viel im Verborgenen beschäftigt, David gleichen werden; sie wer­den ruhig und klar die Hilfsmittel des Fleisches erkennen und zurückweisen. 

Sie prüfen, was „das Vorzüglichere sei" (Phil 1. 10), mit dem geistlichen Unterscheidungsvermögen, das man nur in der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott erlangen kann. Selbst wenn dies durch die Kunstgriffe des Feindes für einen kurzen Augenblick getrübt und durch einen trügerischen Gegenstand beeinflußt wird, wird der Betrug, wenn auch nicht gesehen, so doch bald ge­fühlt werden. So ist es bei David. Für einen Augenblick ließ er sich die ganze Waffenrüstung Sauls anlegen, aber gerade als Saul ihn vorschriftsmäßig ausgerüstet zu haben

glaubt, fühlt David sich gefesselt und behindert. Das geeignet­ste Hilfsmittel der Welt ist das größte Hindernis für den Glauben.

„Und David legte sie (die Rüstung) von sich ab." So begibt sich der Glaube aller fleischlichen Waffen und hält sich nur an die Macht Gottes. Dies zu lernen, fällt uns oft sehr schwer. Wir lernen langsam, vergessen aber umso schneller. Aber wenn wir mehr den verborgenen Umgang mit Gott genössen, würden wir viel eher auf alle fleischlichen Waffen verzichten.

 Die Seele, die wie David im Verborgenen vor Gott geübt wor­den ist, weiß, daß alles außer der Kraft Gottes gänzlich wertlos ist. Wenn sie diese gesegnete Lektion erlernt hat, wirft sie ei­ligst alle die Dinge von sich, die das Fleisch als gute Hilfsmittel so sehr schätzt, und fühlt sich erst glücklich und frei, wenn sie alles das beiseitegeworfen hat. Wie gesegnet ist es, das Fleisch zu erkennen und zu verleugnen! Aber eben weil wir jenen verborgenen Umgang mit Gott vernachlässigen, bleibt oft nichts anderes übrig, als auf dem Wege schmerzlicher Züchtigungen Erfahrungen dieser Art zu sammeln. 

Ein solcher Weg ist schwierig. Sicher aber gibt es nichts Verwerflicheres, als wenn man wie Saul den Namen des Herrn mit menschli­cher Autorität oder menschlicher Weisheit verbindet. Wie sehr freut sich der Apostel, alle die von Menschen so hoch ge­schätzten Dinge um Christi willen verloren zu haben! Wie kam es, daß ihm dies so leicht wurde? Wodurch erlangte er die Kraft, alle diese Dinge zu verleugnen und für nichts zu. achten? Er hatte gelernt, sich in Christo Jesu zu erfreuen und stark zu sein „in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke".

Möchten wir uns daher stets daran erinnern, daß jeder, mit dem Gott Sich im Verborgenen beschäftigt hat, sich nicht dieser fleischlichen Waffen bedienen kann! Das zeigt uns, wie notwendig es ist, daß wir nicht eher unseren Dienst beginnen, als bis wir vorher in der Gegen­wart des lebendigen Gottes gewesen sind. Nur dann werden wir fähig sein, die Ansprüche und Hilfsmittel des Fleisches verleugnen und ausschlagen zu können. 

Es ist wirklich be­trübend, einen Gläubigen zu sehen, der jene heilige Gemein­schaft noch nicht gepflegt hat, wie er in der Waffenrüstung

der Welt kämpfen muß. Auf diese Weise ist auch die Welt in die Kirche eingedrungen. Ihre Grundsätze und Kräfte werden an einem Ort anerkannt, der eigentlich durch die Worte Got­tes gekennzeichnet werden sollte: „Liebet nicht die Welt!" „Alles was in der Welt ist ... ist nicht von dem Vater", und „die Freundschaft der Welt (ist) Feindschaft wider Gott."

Wie oft kämpft das Fleisch gegen das Fleisch. Anstatt einfach das Wort Gottes zu gebrauchen, sucht man auf einem fleisch­lichen Wege einen Sieg zu erringen; statt der Schleuder in der Hand des Glaubens wird der eherne Helm und der Pan­zer Sauls der Rüstung Goliaths gegenübergestellt. Wie oft rechtfertigt Gott Sein eigenes im Glauben angewandtes Wort, indem Er es mit göttlicher Macht begleitet! Wie oft demütigt er uns aber auch dadurch, daß Er uns zeigt, wie unser Fleisch nichts anderes vermag als zu fallen!

David geht jedoch nicht unbewaffnet in den Streit, obwohl er die Waffenrüstung Sauls von sich wirft. „Und er nahm seinen Stab in seine Hand und wählte sich fünf glatte Steine aus dem Bache . . . und seine Schleuder hatte er in seiner Hand; und er trat an den Philister heran" (V. 40). Er legte die einen Waffen ab, um sich mit Waffen anderer Art ausrüsten zu können. Aber wie einfach sind diese Waffen! Wenn David mit solchen Waffen den Riesen Goliath erlegte, mußte dies sicher ein Sieg Jehovas sein. 

Diese Waffen waren nicht durch die Kunst und nach dem Plan des Menschen gearbeitet, denn der dahinfließende Bach hatte diesen Steinen ihre Glätte gege­ben. Der Glaube ist stets so bewaffnet. Aber in den Augen der Menschen ist diese Waffenrüstung des Glaubens immer schwach und töricht. Die größten Siege Gottes sind durch Werkzeuge gewonnen worden, die der Mensch am meisten verschmäht hat. 

Der Mensch behandelt die törichte Predigt am Kreuze Christi mit Verachtung, und doch ist sie die „Macht und Weisheit Gottes." Eine solche Predigt war stets so töricht wir die Schleuder Davids. Aber eben diese Einfach­heit haben wir nötig, wenn wir daran denken, daß die Wahr­heit Gottes in die Gewissen der Menschen dringen soll. Un­sere Waffen haben eine göttliche Kraft, und wenn wir in einfältigem Glauben nur auf Gott unser Vertrauen setzen

und die Waffen menschlicher Energie, Weisheit und Autori­tät von uns werfen, dann wird uns der Sieg gewiß sein.

„Und der Philister ging und kam David immer näher" (V. 41). Verächtlich auf David und seine Waffen sehend, sagt Goli­ath: „Bin ich ein Hund, daß du mit Stöcken zu mir kommst" (V. 43)? Das Fleisch in seinem Stolz sieht sich immer schimpf­lich behandelt, wenn unsere Waffen den ihrigen nicht ähnlich sind. Es fordert Schwert gegen Schwert und Helm gegen Helm, denn das Fleisch liebt sich selbst. Aber David antwor­tet: „Du kommst zu mir mit Schwert und mit Speer und mit Wurfspieß; ich aber komme zu dir im Namen Jehovas der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, den du verhöhnt hast" (V. 45). So stellt David die Frage auf den rechten Boden. 

Es handelt sich jetzt einfach um eine Frage zwischen Jehova der Heerscharen und dem Philister. David setzt seine eigene Person ganz beiseite und bringt Gott als den Gegner Goliaths auf den Schauplatz. So sollte es auch bei uns immer sein. 

Wer sind wir? Was liegt daran, was wir sind, und was die Macht des Feindes ist? Mögen wir auch schwach und er stark sein, ist es nicht Gott, Der Seinen eige­nen Namen verteidigen will? David kam im Namen Jehovas der Heerscharen, und wird Gott nicht über Seinen eigenen Namen wachen? Wird Er dem Philister erlauben, darüber zu triumphieren? Niemals. Hierin besteht die Kraft des Glau­bens. Der Glaube bringt die Allmacht Gottes in die Umstän­de. Der Glaube sagt immer: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?"

David hätte sicher nicht die Probe bestanden, wenn er nicht Gott als seinen Gott in der Einsamkeit kennengelernt hätte. Aber jetzt konnte er sagen: „Es entfalle keinem Menschen das Herz", und jetzt konnte er dem Philister mutig entgegen­treten.

 Der Name des Herrn muß unsere Kraft gegen das Böse sein, mag es von außen oder von innen kommen. Setzen wir die schlimmste Art des Bösen voraus, und das ist sicher, wenn wir irgendeine Sünde bei einem Gläubigen sehen, wo­hin sollten wir dann unsere Zuflucht nehmen? „Herr, um Deines Namens willen, verzeihe mir mein Unrecht, denn es ist groß!" — Wir haben in jedem Falle nur nötig, Gott an Seinen Namen zu erinnern, und Er wird für diesen Namen einstehen. 

So kann also der Glaube sich immer dieses Namens als seiner Kraft gegen den Feind bedienen. Anstatt sich durch den Stolz seines Herzens leiten zu lassen, trat David selbst ganz in den Hintergrund und legte alles in die Hand Gottes. Sein volles Vertrauen zeigt seine völlige Demut. Für uns ist es der Name Jesu, den wir jedem Ding gegenüberstellen müs­sen. Ist dieser Name nicht in jeder Trübsal, in jeder Verlegen­heit und jedem Feinde gegenüber genügend? Diese Unter­weisung will Gott jetzt vielen Seelen im Verborgenen ertei­len. 

Er weckt in ihnen das Gefühl eines Elends, das sie früher nicht kannten, und eine Traurigkeit, die sie früher nie gefühlt hatten, damit sie den Wert des Werkes, das am Kreuz für sie geschehen ist, schätzen lernen. Während sie so auf dem Wege der Erfahrung die Kostbarkeit der Erlösung er­kennen, erkennen sie zugleich die Notwendigkeit, diesen all­mächtigen Gott als ihren Freund zu besitzen. Gott ist jetzt im Verborgenen unaufhörlich bemüht, viele Seelen mit dem Werte des Kreuzes bekannt zu machen, damit sie im Kampf stark werden.

Ja, wenn wir vor Gott im Verborgenen gelebt haben, werden wir, wenn ich so sagen darf, den ersten Schritt beim Angriff tun können, wie David es tat. Er sagt: „An diesem Tage wird dich Jehova in meine Hand überliefern, und ich werde dich erschlagen und dein Haupt von dir wegnehmen; ... da eilte David und lief der Schlachtreihe zu, dem Philister entgegen" (V. 46. 48). 

David zögerte nicht, sondern bediente sich augen­blicklich seiner einfachen Waffen und schleuderte einen Stein gegen die Stirn des Riesen, so daß dieser tot zur Erde fiel (V. 49). „So war David, mit der Schleuder und mit dem Stei­ne, stärker als der Philister, und er schlug den Philister und tötete ihn" (V. 50).

David wartete also nicht den Angriff ab, sondern eilte dem Philister sofort entgegen. Wenn wir im Verborgenen den Wert des Namens des Herrn kennengelernt haben, gibt uns das Bekenntnis dieses Namens alle Kraft, daß wir, statt an­gegriffen zu werden, selbst den Angriff auf den Feind er­öffnen können. Aber wir haben gesehen, wieviel Gnade nötig ist, um wirklich gegen das Böse Zeugnis ablegen zu können. Ach, wie schwach ist oft unser Zeugnis, weil wir nicht wirk­lich mit Gott Umgang haben! Möchten wir es uns merken, wie ruhig und sicher David ohne zu zögern seine Schleuder zur Hand nahm. 

Er trifft keine großartigen Vorbereitungen, er handelt, als ob er in der Wüste sei, wo außer Gott kein Auge ihn sah. Wie Jehova ihn befähigt hatte, den Löwen und den Bären zu erschlagen, so lenkte er auch die Richtung; des geschleuderten Steines. So trug David den Sieg davon, und so wird der Glaube stets siegen. Auch in unseren Tagen gibt es viele. Gelegenheiten für einen solchen Dienst des Glaubens. 

Vergessen wir nur nicht, daß die Kraft dazu im Verborgenen bei Gott gewonnen werden muß. Nur in der Kraft Gottes können wir dienen. Wenn ein Gläubiger in der Öffentlichkeit vom Herrn gesegnet wird, so können wir sicher sein, daß der Herr Sich im Verborgenen mit ihm beschäftigt hat, und zwar auf eine Weise, die wir nicht vermutet haben. 

Aber wie oft sehen wir auch einen Christen, der sich eine Zeitlang im Dienst auszeichnete, plötzlich bei einem geringen Widerstand fallen. Woher kommt das? Aus Mangel an fortgesetztem, verborgenem Umgang mit Gott. „Bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergel­ten" (Matth 6, 6).

1. Samuel 17 Die Schule Gottes (3) 1853 BdH

12/31/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Das Kämmerlein der Kampfplatz des Glaubens

(1. Samuel 17)

David war in der geheimen Schule Gottes für den öffent­lichen Dienst vorbereitet worden. Gott wird jeden, den Er in Seinem öffentlichen Dienst gebrauchen will, im geheimen dazu vorbereiten. In der Wüste hatte David die Hilfsquellen kennen­gelernt, die der Glaube in Gott besitzt. Er hatte den Löwen und den Bären erschlagen.

Sind unsere Fehler nicht deshalb so mannigfaltig, weil wir so wenig im geheimen mit dem lebendigen Gott verkehren? Unse­re Stärke besteht darin, daß wir in Gemeinschaft mit Ihm wan­deln. David war bereits durch allerlei Prüfungen hindurchge­gangen und hatte den Gott kennengelernt, auf Den er vertraute. In der Wüste war etwas vorgegangen zwischen seiner Seele und Gott. Und wo, geliebte Freunde, lernt der Gläubige den Sieg gewinnen? Ich glaube da, wo kein Auge als dasjenige Gottes ihn sieht. 

In der stillen Zurückgezogenheit der Kammer, allein mit Gott, lernt er sich selbst erkennen, sich verleugnen und sein Kreuz aufnehmen; dort zeigt ihm Gott Seinen Weg, und alle Einbildungen schwinden; alles, was „sich erhebt wider die Er­kenntnis Gottes" (2. Kor 10,5), kommt ins Licht und wird ver­urteilt. Die Kammer ist der große Kampfplatz des Glaubens. 

Dort muß der Feind überwunden werden. Jeder, der viel im geheimen mit Gott verkehrt, kann keine fleischlichen Waffen gebrauchen, und dies zeigt uns, wie wichtig es ist, aus der Ge­genwart des lebendigen Gottes hervor in unseren Dienst zu treten. Dann werden wir fähig sein, alle Anmaßungen des Fleisches niederzuhalten. Es ist wahrlich ein trauriger Anblick, wenn ein Gläubiger, gehüllt in die Waffen der Welt, in dem Namen des Herrn zu kämpfen versucht.

David konnte zu Saul sagen: „Jehova, der mich aus den Klauen des Löwen und aus den Klauen des Bären errettet hat, er wird mich aus der Hand dieses Philisters erretten" (V. 37). Er wußte, daß vor Gott das eine so leicht war, wie das andere. Wenn wir in Seiner Gemeinschaft sind, dann blicken wir nicht auf die Schwierigkeiten unseres Weges; denn was sind alle Schwierigkeiten für Ihn? Der Glaube mißt jede Schwierigkeit nach der Macht Gottes ab, und dann wird der Berg zur Ebene. 

Wir denken oft, daß in geringfügigen Dingen etwas weniger als die Allmacht Gottes genüge, und gerade dann kommen wir zu Fall. Sobald ich vergesse, durch den Glauben Gott in alle meine Wege zu bringen, werde ich in den kleinsten Dingen straucheln und fallen. Abraham konnte seine Familie und sei­nes Vaters Haus verlassen und auf den Befehl Gottes ausziehen, nicht wissend, wohin er komme; sobald er aber eine Schwierig­keit nach seinen eigenen Gedanken und in seiner Weisheit ab­wog und nach Ägypten hinabzog, fiel er aus einem Fehler in den anderen.

Ist der Glaube in uns wirksam, so erkennen wir unsere ei­gene Schwachheit und erfahren, daß nichts Geringeres als die Macht Gottes uns befähigen kann, in irgendeiner Sache zu überwinden. Auf diese Weise ist der Glaube nicht gleichgültig gegen die Gefahr, da er weiß, was wir sind, aber er schreckt auch vor keiner Gefahr zurück, da er weiß, was Gott ist.

2. Sam. 24, 12 Dreierlei lege ich dir vor; erwähle.. C.H. Spurgeon

12/27/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Wahl des Kreuzes

Dreierlei lege ich dir vor; erwähle dir der eines, daß ich es tue. 2. Sam. 24, 12

Alle Kinder Gottes werden gezüchtigt; aber nur selten dürfen sie wie David die Rute wählen, aus einer Anzahl von Trübsalen die leichteste aussuchen. Gewöhnlich erscheint uns gerade das Kreuz, das uns auferlegt ist, als das schwerste. „Ich weiß wohl", heißt es, „daß wir Trübsal haben müssen, aber mein gegenwärtiges Leiden ist das schwerste, das mich treffen konnte. Jedes andere Kreuz trüge ich leichter." 

Der eine sagt: „Oh, körperliche Schmerzen wollte ich gerne ertragen." Der andere meint: „Oh, arm wollte ich gerne sein, wenn ich nur
gesund wäre!" Der dritte erklärt: „Schmach und Verfolgung von den Gottlosen wollte ich mir gerne gefallen lassen, aber die Armut ist doch zu schwer zu tragen."
Und so weiter. Der Herr aber hat alles für jeden geordnet. Wir sind nicht die Herren, sondern die Knechte in seinem Hause und haben nur zu gehorchen.

Aber denke dir einmal, du dürftest wählen! Du würdest dann die Wahrheit des Sprichwortes erfahren: „Wer die Wahl hat, hat die Qual." Wählst du Krankheit des Leibes? Sag nicht so schnell: „Ja!" Ich weiß, was Krankheit ist, und kann sie durchaus nicht rühmen. Also Armut?
Mancher weiß ein Lied von ihr zu singen, und zwar kein frohes. Es ist ganz gewiß kein Vergnügen, abends nicht zu wissen, woher am folgenden Morgen das Geld für Nahrung und Kleider kommen soll, und von den Gaben der Wohltätigkeit abhängig zu sein. 

Oder wählst du Schmach und Verleumdung? Die können auch einem starken Mann das Herz brechen. Oder soll es etwa der Verlust deiner Lieben sein? Möchtest du wirklich, daß der Gefährte oder die Gefährtin deines Lebens dir genommen, daß dir ein Kindlein vom Herzen gerissen werde?
Wenn du so die Wahl unter den Kreuzen hättest, ginge es dir wohl wie den Eltern, die aufgefordert wurden, eines ihrer zehn Kinder einem andern zu überlassen.
Das erste konnten sie nicht hergeben, denn es war der Stammhalter; das zweite nicht, weil es ein sehr zartes Mägdlein war; das dritte war seiner Mutter Ebenbild und das vierte war ganz besonders lieb. Und so ging es fort bis zum Nesthäkchen, das noch an der Brust seiner Mutter lag und das man ihr natürlich gar nicht nehmen
konnte. So hätten wir auch gegen jedes Kreuz einen besonderen Grund, und die Wahl des Kreuzes wäre allein schon ein schweres Kreuz.
Dazu würden wir uns wahrscheinlich ein schlimmeres Kreuz wählen als das, was wir schon tragen müssen.
Unser erstes Gefühl wäre: Wir müssen unser bisheriges Kreuz los werden; es ist uns gründlich entleidet und wir meinen, jede Veränderung werde auch eine Verbesserung sein. Wir sehen, wie unser Freund unter seinem Kreuz so fröhlich ist, und wünschen uns an seine Stelle. 
Aber glaube mir: Gott hat die Last deinem Rücken und deinen Rücken der Last angepaßt, und ein Vertauschen der Last wäre für dich und deinen Freund nur ein Nachteil.

Außerdem soll das Kreuz eine Züchtigung und ein Heilmittel sein. Wenn du dir aber selbst das Leiden wählst, so geht gerade diese Wirkung, die es doch haben soll, verloren. Ich habe gehört, daß die Nonnen eines gewissen Ordens jede Nacht in ihrem Sarg schlafen, der in fast aufrechter Stellung an die Wand gelehnt ist. 

Die Gewohnheit macht das Schlafen in solcher Stellung bald erträglich, wahrscheinlich sogar angenehm, und die Abtötung des Fleisches ist mehr scheinbar als wirklich. In einem Kloster bei Brüssel habe ich die Peitschen gesehen, mit denen die Menschen sich geißeln. Ich hoffe, diese Übung mache ihnen Vergnügen und sie gebrauchen die Peitsche kräftig. 

Eine selbstauferlegte Geißelung ist nur ein Scheinleiden; ein selbsterwählter Schmerz ist überhaupt kein ernsthafter Schmerz. Er kann uns schließlich
sogar lieb werden. Wenn ich aus eigenem Willen leide, so hat das Leiden nicht die Wirkung, daß es den Eigenwillen bricht und den Stolz demütigt; aber wenn ich nach des Herrn Willen täglich Schmerz, Armut oder Verlassenheit ertrage, wenn ich den Kelch des Leidens trinke und spreche: „Dein Wille geschehe!" (Matth. 26, 42; Apg. 21,14), dann ehre ich Gott und habe einen Segen
von meinem Leiden.
Bedenke auch die Verantwortung, die du dir auflüdest, wenn du dein Kreuz selber wähltest, und welche Vorwürfe du dir machen würdest, wenn du dir sagen mußtest: „Wie schlecht habe ich gewählt! Aber ich habe es ja selbst getan und muß jetzt liegen, wie ich mich gebettet habe."
So ist es am allerbesten, wenn Gott uns das Leiden bestimmt und wenn wir es, wie es kommt, als den Willen Gottes annehmen und uns durch den Beistand seiner Gnade vor dem Sturm beugen. Der Blick auf die Hand unseres Vaters gibt uns mitten im Sturm Trost, und der Ton seiner Stimme, die das Ungewitter übertönt:

„Fürchte dich nicht, ich bin's!" (Matth. 14, 27) hält uns aufrecht. Wenn der Herr den Kelch der Trübsal wählt und ihn uns zu trinken gibt, so trinken wir ihn im Frieden.
Wenn wir das Leben dahingegangener Christen betrachten, so staunen wir oft, wie eine bestimmte Trübsal für einen bestimmten Menschen das Richtige war. Aus einem Leiden, das Melanchthon das Herz gebrochen hätte, ist Luther nur um so größer und stärker hervorgegangen. Wir sehen jetzt ganz gut ein, wie einem
Bunyan seine Gefangenschaft, einem Milton seine Blindheit, einem Baxter seine Kränklichkeit zum Heil diente.
Wenn wir in den Himmel kommen, wird es wohl eine unserer Aufgaben sein, zu erkennen, wie weise der Herr uns nicht nur unsere Nahrung, sondern auch unsere Arzneien zugeteilt hat. Aber auch schon hier unten, wenn wir älter werden, können wir zurückblicken und mitten im Nebel und der Dunkelheit der Unwissenheit den Herrn für das Feuer des Schmelzofens preisen. Das Kreuz, der bittere Baum, hat Knospen und Blüten bekommen. 

Ja, gerade das Kreuz, das wir am meisten fürchteten, ist uns zum größten Segen geworden. Fortan, wenn Trübsal kommt, wollen wir sie annehmen und willkommen heißen, wollen uns der Liebe, die sie uns schickt, der Gnade, die in ihr zu uns kommt, und des Wachstums, das sie uns ermöglicht, freuen und niemals die Dinge anders wünschen, als der Herr sie uns bestimmt. 

Wir wollen nicht mehr wünschen, selbst wählen zu können; sollte uns aber je eine Wahl gelassen sein, so wollen wir mit David sagen: „Laß uns in die Hand des Herrn fallen!" (2. Sam. 24,14). Wir sind geborgen, wenn wir uns ganz dem Herrn überlassen.