Botschafter des Heils in Christo 1855

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1855 Seite
Die herrliche Hoffnung der Kirche 1
So viele nun vollkommen sind 49
Wir haben den Herrn gesehen 64
Die Erfahrungen Abrahams und Jakobs 69
Über die Leiden Christi 81
Das himmlische Leben der Kirche 87
Gedanken über Kolosser 3,18–4,1 89
Mit Christus auferweckt - Suchen was droben ist 109
Gott wirkt das Wollen aus auch das Wirken 129
Unterschied der Stellung unter Gesetz bzw. Gnade 132
Epaphroditus 149
Epheser 2 bis 4,16 161
Das Rühmen des Christen 169
Joseph, ein Vorbild auf Jesus 176
Gideon, der tapfere Held Gottes 189


Gedanken über Kol. 3, 18 bis Kap. 4,1

Es gibt Wahrheiten in der heiligen Schrift, die oft von so untergeordnetem Wert zu sein scheinen, dass sie sowohl bei gemeinsamer Erbauung als auch bei stiller Betrachtung des Worts kaum beachtet werden. Dennoch sind gerade solche Wahrheiten nicht selten von so tiefgehendem Einfluss auf das praktische Leben oder den täglichen Wandel des Christen, dass sie eben deshalb alle Wertschätzung und Berücksichtigung verdienen. Dieser Einfluss erstreckt sich nicht nur auf unseren Verkehr mit dem Herrn, sondern auch auf unsere Stellung in dieser Welt, in welcher wir in jeder Beziehung lauter und untadelig als Gottes Kinder vor allen Menschen dastehen sollen. Die Welt sieht weder das göttliche Leben in uns, noch erkennt sie unsere verborgene Gemeinschaft mit dem Herrn, aber unseren täglichen Wandel hat sie vor Augen, und sie wird, wenn sie es auch jetzt nicht will, doch am Tag Jesu Christi Gott verherrlichen müssen über unsere guten Werke, und bekennen, dass sein Geist in uns wohnte und wirkte.

Haben wir den Herrn lieb, so ist seine Verherrlichung unsere Freude und seine Ehre uns heilig; und diese Gesinnung wird sich in unserem ganzen Leben kund geben. Der Herr kann freilich nur dann wahrhaft verherrlicht werden, wenn das Gewissen gereinigt, und das Herz völlig befreit und aus der Welt ausgegangen ist. Solange diese Stücke in einer Seele mangelhaft sind, macht man diese Verherrlichung oft von besonderen Verhältnissen in diesem Leben abhängig, in welchen man sich gerade nicht befindet. 

Man denkt in einer anderen Stellung und in einem anderen äußeren Beruf, Gott besser dienen zu können; aber man gibt dadurch nur zu erkennen, dass das Herz nicht ganz befreit ist, und dass wir uns selbst noch nicht verloren haben. Diese Gesinnung bewirkt zwar viele unruhige Wünsche und oft Unzufriedenheit und Schwermut des Herzens, aber sie verherrlicht Gott nicht. Vielmehr geht Zeit und Gelegenheit zu dieser Verherrlichung unbenutzt vorüber, und man hat mehr an sich, als an den Herrn gedacht. Nie hängt auch diese Verherrlichung von einer besonderen Stellung oder einem Ort, sondern allein von der Wirksamkeit des Geistes Gottes in uns und der Treue des Herzens ab. – Wir berühren hier einen Gegenstand, der gewiss manche Seelen mehr oder weniger gefangen nimmt, und nicht selten den Wachstum des inneren Lebens aufhält.

Wir können in dieser Welt eine ganz gewöhnliche und unbedeutende Stellung einnehmen; doch diese verhindert die Verherrlichung Gottes nicht; wir werden aber oft erfahren, dass, je alltäglicher und einförmiger eine solche Stellung ist, sie umso viel mehr Mut und Ausdauer, Liebe und Verleugnung erfordert. Die schwierigsten Verhältnisse für den Christen haben nicht selten den geringsten Schein vor den Augen der Menschen, und wir bedürfen der anhaltendsten Wachsamkeit und des innigsten Verkehrs mit dem Herrn, um darin zu Lob und Preis seines Namens auszuharren. Wie viel Geduld bedarf nicht eine Mutter Tag und Nacht bei ihrem Säugling oder dem kränkelnden Kind; wie viel Verleugnung erfordert nicht die täglich wiederkehrende häusliche Arbeit, wodurch sie stets an das Haus gebunden ist! Oder erinnern wir uns an so manche Familien–Verhältnisse, wo ein Gläubiger durch irdische Bande gehalten wird, Tag für Tag unter Ungläubigen zu wohnen und mit ihnen zu verkehren.

 Man denkt kaum, wie viel es da zu tragen und zu leiden gibt, und wie viel Selbstverleugnung ein solches Zusammenleben erfordert. Gewiss, nur der innigste und ausdauerndste Umgang mit dem Herrn gibt uns in diesen so gewöhnlichen und alltäglichen, und darum oft so schwierigen Verhältnissen Kraft und Weisheit, unserer himmlischen Berufung gemäß zu wandeln. Nicht will ich hier weiter des Geschäftslebens und des notwendigen und täglichen Verkehrs mit einer spottenden und schmähenden Welt gedenken, unter welcher so mancher Christ fast ohne Unterbrechung Jahr und Tag sein Leben zubringen muss. Es wird eine jede Seele, welche in dem Verhältnis, worin sie sich gerade befindet, nur die Verherrlichung des Herrn sucht, am besten aus eigener Erfahrung alle diese Schwierigkeiten kennen, die ein stetes Aufsehen auf Jesus nötig machen, um zu überwinden und auszuharren.

Diese Schwierigkeiten werden immer unser Herz niederdrücken, wenn unser Blick auf sie und nicht auf den Herrn gerichtet ist. Wir können uns nicht der Trübsal freuen, ohne den Herrn, aber Wohl des Herrn in den Trübsalen. Wer in den mannigfachen Verhältnissen sich sucht, wird nichts finden als Traurigkeit, wer aber in allem den Herrn sucht und besitzt, findet nur Freude. Soll keine Bürde meinen Lauf durch diese Wüste erschweren, so darf ich nur mit dem Herrn wandeln und an Ihm allein genug haben. Seine Gegenwart und Gemeinschaft ersetzt und übertrifft alles andere.

Es bleibt immer ein Mangel im Leben des Christen, wenn er seine Stellung in dieser Welt gering schätzt oder vernachlässigt. Er wird alsdann die Verherrlichung des Namens Gottes, auf welche stets sein Blick gerichtet sein soll, geringschätzen und vernachlässigen, und sein inneres Leben leidet Schaden. Die Nichtbeachtung der äußeren Stellung in diesem Leben ist bei vielen Christen die Ursache, weshalb sie die Stellen der heiligen Schrift, welche auf diesen Gegenstand Bezug haben, so wenig berücksichtigen. Eins hängt mit dem anderen zusammen, und es möchte manchem Leser dieser Zeilen nicht schwer werden, hier einen bisher nicht genug beachteten Mangel wahrzunehmen. Dieser Mangel hat aber oft mehr seinen Grund in der geringeren Einsicht und Weisheit, als in der Untreue und dem Ungehorsam. Doch der Christ soll auch in den kleinsten Dingen, in jeder Arbeit und in jedem Verkehr darauf bedacht sein, den guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes zu erfüllen. 

Die Erkenntnis dieses Willens hängt aber immer von unserer Nüchternheit in dem Wesen dieser Welt und unserem geistlichen Sinn ab. – Wir sind aufgefordert, in allen Dingen zu prüfen, was das Beste sei; doch werden wir nur dann dazu geschickt sein, wenn die Liebe Christi unser Herz erfüllt; und wir sind durch die Barmherzigkeit unseres Gottes ermahnt, unsere Leiber stets zu einem lebendigen, heiligen und Gott wohlgefälligen Opfer darzustellen, welches unser vernünftiger Gottesdienst sein soll (Röm 12,1). Auch sagt uns das Wort, dass der Vater im Himmel bei uns an das Kleinste denkt, dass selbst die Haare unseres Hauptes gezählt sind, und dass ohne seinen Willen keins auf die Erde fällt; – wie sollten wir, seine Kinder, nun etwas geringschätzen? Der Herr Jesus will den Trunk Wasser, dargereicht in seinem Namen nicht unbelohnt lassen; – sollte uns dies nicht ermuntern, alles in seinem Namen und zu seiner Ehre zu tun? Zu diesem allen kommt aber auch das noch, dass der Heilige Geist, der uns von der Welt abgesondert hat, und uns als Fremdlinge durch diese Wüste der himmlischen Berufung entgegenleitet, es nicht für unwichtig und überflüssig gehalten hat, uns in allen diesen Verhältnissen so ernstlich und dringend zu ermahnen; – wie sollten wir, ein Tempel dieses Geistes, seine Ermahnungen und Unterweisungen für etwas Geringes achten können?


Das Urteil der Welt mag uns wenig oder gar nichts gelten, wenn wir das Zeugnis unseres Gewissens durch den Heiligen Geist haben, dass wir unter ihr als in der Gegenwart Gottes untadelig gewandelt haben. Sie hasst uns, weil sie Ihn nicht kennt. Ihr Spott und ihre Lästerung, die wir um Jesu willen tragen, sind nur eine Ehre für uns. Doch etwas anderes ist es, wenn sie uns mit Recht tadelt; wenn wir in irgend einer Beziehung nicht gewandelt haben, wie es unserer Berufung geziemte. Dann haben wir wohl ihren Tadel, woher er auch kommen mag, zu beachten, und von jeder Ungerechtigkeit abzutreten. Würden wir aber auch in diesem Fall sagen: „Es ist die Welt, und ihr Urteil ist mir gleichgültig,“ so würden wir da nur den traurigen Beweis liefern, dass uns auch die Ehre Gottes gleichgültig sei.

Es wird kein Kind Gottes ohne Züchtigung bleiben; aber wir werden vom Vater gezüchtigt, auf dass wir seine Heiligkeit erlangen; und wenn wir in Hebräer 12,5 ernstlich aufgefordert sind, auf diese verschiedenen Züchtigungen Acht zu haben, so werden wir finden, dass sie mit unserem Verhalten in dieser Welt ganz und gar zusammenhängen. Durch den Apostel Petrus sind wir ermahnt: „Gleichwie er, der euch gerufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in all eurem Wandel“ (1. Pet 1,15). Hier ist kein Verhältnis und kein Verkehr in dieser Welt ausgeschlossen. Doch kann ein solcher Wandel nur der Ausfluss einer steten und innigen Gemeinschaft mit Gott dein Vater und seinem Sohn Jesus Christus sein. Diese Gemeinschaft allein gibt uns im Wandel auf Erden Weisheit und Kraft, und ist diese Gemeinschaft gestört und unterbrochen, so ist auch unser Wandel nicht mehr im Licht.

Ein näheres Eingehen in die in der Überschrift angeführten Ermahnungen, welche sich auf einige besondere Verhältnisse beziehen, wird hoffentlich nicht ohne Segen bleiben, und vor allem dann nicht, wenn unsere Herzen einfältig und bereit sind, in allen Dingen nach dem Wohlgefallen Gottes erfunden zu werden. 1.) Kapitel 4,18–19: „Ihr Weiber, seid euren Männern untertan, wie es dem Herrn geziemt. Ihr Männer, liebt eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie.“

Das Band der Ehe übertrifft an Eigentümlichkeit und besonders an inniger Zuneigung jedes andere Verhältnis in diesem Leben. Wir dürfen natürlich nicht daran denken, was es durch die Sünde geworden ist, wie es sich uns durch dieselbe oft als ein Bild des Jammers darstellt, sondern was es nach den Gedanken Gottes ist und sein soll. Die Sünde hat jedes Verhältnis auf der Erde durchdrungen und verdorben, und in dem innigsten Verhältnis, wie das der Ehe, zeigt sie sich oft in ihrer ganzen Hässlichkeit.

Gott schuf Mann und Weib; und in eins vereinigt, übergab Er ihnen die Herrschaft über die Erde, und über alles, was darauf lebte (1. Mo 1,27–28). „Und Gott sah alles, was Er gemacht hatte; und siehe, es war sehr gut“ (V 31). In allem, was Er gemacht hatte, stand Er als Schöpfer verherrlicht da. Sobald aber die Kraft Satans auf der Erde Eingang fand, durchdrang die Sünde alles, und der Mensch hörte auf, unschuldig zu sein, und Gott als Schöpfer zu verherrlichen. Doch hebt die Sünde nie die Verantwortlichkeit des Menschen auf; selbst nicht in dem, was Gott Gutes in die Natur des Menschen pflanzte, ehe sie durch die Sünde verdorben war. Gott fordert die Verwirklichung dieses Guten oder der Neigungen, welche Er bei der Schöpfung in den Menschen legte. 

Im Evangelium Markus 10,19 sehen wir, dass Jesus den reichen Jüngling an die Gebote, welche darauf Bezug haben, erinnert, und dadurch alles, was Gott gemacht hatte, als gut anerkennt und auch bestätigt: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsches Zeugnis reden; du sollst niemand übervorteilen; ehre deinen Vater und Mutter.“ Der Jüngling versicherte, dass er dieses alles von seiner Jugend auf gehalten habe, und von Jesus lesen wir Vers 21, dass Er den Jüngling liebte, obgleich sein Herz, wie wir an seinem traurigen Weggehen sehen, noch nicht von dem Wesen und den Dingen dieser Welt los war. Diese Liebe von Seiten Jesu hatte nicht ihren Grund in der Bekehrung und dem Glauben des Jünglings, ohne welche niemand die Herrlichkeit Gottes erlangen kann, sondern in seiner Beachtung und Anerkennung dessen, was der Schöpfer vor dem Sündenfall in den Menschen legte.

Ebenso sehen wir in den Briefen der Apostel, dass der Heilige Geist die Verhältnisse der Menschen auf der Erde anerkennt und bestätigt. Er entbindet selbst die Christen ihrer Verantwortlichkeit in denselben nicht. Es ist wahr, wir sind mit Christus gestorben, und auferstanden, wir sind der göttlichen Natur teilhaftig geworden und unser Wandel ist jetzt schon im Himmel, dennoch, wenn auch Fremdlinge auf Erden, sind wir, wie wir aus dem oben angeführten Abschnitt des Kolosser–Briefes, wie aus vielen anderen Stellen sehen, ernstlich ermahnt, auch in den irdischen Verhältnissen der himmlischen Berufung gemäß zu wandeln. Die Christen sollen auf Erden das verwirklichen, was diese Verhältnisse nach den Gedanken Gottes sein sollen. 

Sie sollen nicht allein ihre himmlischen Vorrechte als Kinder Gottes und Glieder des Leibes Christi anerkennen und genießen, sondern in jedem Verhältnis ans Erden Gott verherrlichen und seine Gedanken darin verwirklichen. Wir bleiben in allem, was von Gott verordnet ist, verantwortlich, es sei denn, dass etwas nur für gewisse Zeiten und Umstände Geltung haben sollte. Das Bewusstsein unserer Verantwortlichkeit und vor allem die Liebe Gottes wird uns bereit und eifrig machen, zu erforschen, wie wir in jedem dieser Verhältnisse nach Gottes Wohlgefallen zur Verherrlichung seines Namens dastehen sollen, und wird uns weder diese, noch die Ermahnungen, welche darauf Bezug haben, gering schätzen lassen. Wir wollen zunächst zu dem ehelichen Verhältnis zurückkehren, und dasselbe noch etwas näher betrachten, um sowohl die Gedanken Gottes als auch unsere Verantwortlichkeit darin zu verstehen.

Gott selbst hat die Ehe gestiftet. Er sprach: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin schaffen, die um ihn sei“ (1. Mo 2,18). Und als das Weib aus der Rippe des Mannes gebaut war, und Gott sie zu dem Menschen brachte, sprach der Mensch: „Diese einmal ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch! Diese wird man Männin heißen, denn vom Mann ist sie genommen. Darum soll ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weib anhängen, und sie werden ein Fleisch sein“ (V 22–23). So hatte denn Gott auf der Erde unter den Menschen ein Verhältnis gegründet, was an Eigentümlichkeit, wie auch an innerer Zuneigung jedes andere übertraf, sowohl das zwischen Eltern und Kindern, als auch das unter Brüdern und Schwestern. Adam war Herr und Haupt in der Schöpfung, und Eva, seine Gehilfin, nahm an allen seinen Vorrechten vollkommenen Teil.

Wollen wir aber dies Verhältnis in seiner ganzen Innigkeit und Eigentümlichkeit kennen lernen; wollen wir es nach den Gedanken Gottes verstehen, so dürfen wir es nie nach dem beurteilen, was es durch die Sünde geworden ist. Die ganze Tragweite und völlige Verwirklichung des Verhältnisses nach den Gedanken Gottes finden wir in der Vereinigung des zweiten Adams, Christus, mit seiner Gemeinde, welche sein Leib ist. In Epheser 5,22–32 führt uns der Heilige Geist alle die besonderen Einzelheiten, welche dies Verhältnis zwischen Mann und Weib, wie wir bei Adam und Eva gesehen, charakterisieren, in dem Verhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde vor die Seele. Er ist das Haupt der Gemeinde über alles; (Eph 1,22) und die Gemeinde, als seine Miterbin, hat, seine Gottheit ausgenommen, alles mit Ihm gemein, und genießt es in Verbindung mit Ihm.

Zwei Stücke bilden den wahren Charakter beider Verhältnisse: die innige und hingebende Liebe einerseits und die völlige Unterwerfung andererseits. „Adam ward nicht betrogen, sondern das Weib ward betrogen und war in Übertretung“ (1. Tim 2,14). Adam aber folgte seinem Weib in die Übertretung, und trug alle Folgen derselben. Der zweite Adam, Christus, war ohne Sünde, aber er hat sich selbst für sie dahingegeben. „Er wurde für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in Ihm die Gerechtigkeit Gottes würden“ (2. Kor 5,21). Seine hingebende Liebe für seine Gemeinde war so groß, dass Er ihr in das tiefste Elend folgte, um sie daraus zu befreien. „Ihr Männer, liebt eure Weiber, gleich wie auch Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie dahin gegeben hat, auf dass er sie reinigte, sie heiligend mit dem Wasserbad durch das Wort; auf dass er sie sich selber herrlich darstellte, eine Gemeinde, die weder Flecken noch Runzel habe, oder dergleichen etwas, sondern dass sie heilig und untadelig sei. Also sind die Männer schuldig, ihre Weiber zu lieben, wie ihre eigenen Leiber. 

Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. Denn niemand hat je sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt es und pflegt es, gleich wie auch der Herr die Gemeinde. Denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Bein. Darum soll ein Mensch seinen Vater und Mutter verlassen und seinem Weib anhängen, und die zwei sollen zu einem Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß; doch ich sage dies auf Christus und seine Gemeinde“ (Eph 5,25–32). Es kann uns nicht schwer werden, hier die Vollendung und die völlige Verwirklichung des ehelichen Verhältnisses nach den Gedanken Gottes zu sehen. Es wird uns das ganze Wesen und jede besondere Beziehung dieses Verhältnisses vor die Seele geführt, und in dieser Wirklichkeit soll es stets als Muster für das Verhältnis dienen, welches zwischen Mann und Frau auf der Erde gestiftet ist, auf dass auch in diesem Gott verherrlicht werde. Dies lässt uns aber auch unsere Verantwortlichkeit darin erkennen.

Wir haben schon die Ermahnung in Kolosser 4,18 in Betreff der Frauen angeführt. „Ihr Weiber seid untertan euren Männern, wie es dem Herrn geziemt.“ Die Unterwürfigkeit soll nach dem Willen Gottes den eigentlichen Charakter der Frau in dem Verhältnis zu ihrem Mann bilden, und die Unterwerfung der Gemeinde unter Christus zeigt ihr die Tragweite ihrer Unterwerfung unter ihren Mann. Wir finden dies vornehmlich in Epheser 5,22–24 bestätigt: „Ihr Weiber seid untertan euren Männern, als dem Herrn. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleich wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist; und Er ist seines Leibes Heiland. Aber wie nun die Gemeinde Christus untertan ist, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen.“ Das Verhältnis der Gemeinde zu Christus, als ihrem Haupt, ist also das Maß der Verantwortlichkeit des Weibes in ihrem Verhältnis zu ihrem Mann.

Es darf sich diese Unterwürfigkeit nie nach den Fehlern oder der Mangelhaftigkeit des Mannes richten. Die Vernachlässigung seiner Stellung verringert nie die Verantwortlichkeit der Frau in der ihrigen; auch selbst dann nicht, wenn der Mann ungläubig ist. Das eheliche Verhältnis wird durch den Unglauben des Mannes oder des Weibes nicht verändert; „denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch das Weib, und das ungläubige Weib ist geheiligt durch den Mann; denn anders wären eure Kinder unrein, aber nun sind sie heilig“ (1. Kor 4,14). Die Frau ist ermahnt, dem Mann in allen Dingen untertan zu sein, als dem Herrn; und in diesen Worten findet sie die ganze Ausdehnung ihrer Unterwürfigkeit. Doch kann der Mann so sehr seine Stellung vergessen, dass er von der Frau in solchen Dingen Unterwürfigkeit fordert, wodurch die Ehre des Herrn verletzt würde, und da ist es selbstredend, dass die gläubige Frau ihre höhere Verantwortlichkeit in ihrem Verhältnis als Kind Gottes und Glied des Leibes Christi allein festhalten darf. Wo aber die Ehre des Herrn nicht leidet, ist sie dem Mann in allen Dingen als dem Herrn unterworfen. Sie bedarf darum immer des innigen Verkehrs mit dem Herrn, auf dass sie nüchtern bleibe, um sowohl in ihrem Verhältnis zu ihrem Mann, wie auch in dem zu Christus stets zu Lob, Preis und Ehre Gottes erfunden zu werden. Die Vernachlässigung oder Geringschätzung des einen oder anderen Verhältnisses wird immer ein Nachteil für ihr inneres Leben sein, weil sie in beiden verantwortlich ist.

Eine andere doch ähnliche Ermahnung finden wir in 1. Petrus 3,1–6: „Gleicherweise, ihr Weiber, seid euren Männern unterwürfig, auf dass, wenn auch etliche dem Wort nicht gehorchen, sie durch den Wandel der Weiber ohne Wort gewonnen werden; indem sie euren in Furcht keuschen Wandel gesehen haben; deren Schmuck nicht der äußere sei in Haarflechten und Umhängen von Goldgeschmeide, oder Anziehen von Kleidern, sondern der verborgene Mensch des Herzens, in dem Unverweslichen des sanften und stillen Geistes, welcher vor Gott sehr köstlich ist. Denn also haben einst auch die heiligen Weiber, die auf Gott hofften, sich geschmückt, den eigenen Männern unterwürfig; wie Sarah dem Abraham gehorchte, ihn „Herr“ nennend, deren Kinder ihr geworden seid, wenn ihr anders Gutes tut und keinen Schrecken fürchtet“ (vgl. 1. Tim 2,9–10).

Stets fordert der Heilige Geist die Unterwürfigkeit des Weibes gegenüber ihrem Mann. Ist dieser dem Wort nicht gehorsam, so soll sie ihn ohne Wort durch einen stillen Wandel in der Furcht zu gewinnen suchen. Fehlt ein solcher Wandel, so bleibt das Wort schon darum ohne Kraft und Eindruck, und man hat nicht selten Gelegenheit dieses wahrzunehmen. Der ausharrende Wandel in der Gegenwart und Gemeinschaft Gottes von Seiten der Frau, wird bei dem Mann gewiss nicht ohne Eindruck bleiben, wenn es auch äußerlich oft das Gegenteil scheint. Er muss sich selbst bekennen, dass seine Frau von einem anderen Geist und einer anderen Gesinnung regiert wird, als er. Sind die Frauen auf diese Ermahnung des Geistes nicht aufmerksam, so werden sie sich oft unnötigerweise Trübsale bereiten, wobei ihnen nicht einmal der Trost bleibt, dass sie um Jesu willen leiden. – So wie nun das Wort ohne den Geist oder ohne einen göttlichen Wandel unnütz ist, ebenso ist es der äußerliche Schmuck in Haarflechten und Umhängen von Goldgeschmeide. Dieser wirkt wohl für eine Zeit auf die Sinne oder das Fleisch des Mannes, aber es verändert nicht seine Gesinnung. 

Es ist die natürliche Neigung des Weibes, sich äußerlich zu schmücken, eine Neigung, die immer verwerflich ist, selbst wenn die Frau daran gedenkt, auf diese Weise ihrem Mann zu gefallen oder ihn zu gewinnen. Der wahre Schmuck des Weibes ist nur der verborgene Mensch des Herzens in dem sanften und stillen Geist. Der äußerliche Schmuck ist verweslich, dieser aber unverweslich und köstlich vor Gott; jener ist nur ein Schein, der die Sinne blendet; dieser aber das wahre Wesen der göttlichen Natur. Ist die Unterwerfung des Weibes unter ihren Mann mit dieser Gesinnung des Herzens verbunden, so hat sie ihre wahre Stellung erkannt und eingenommen, eine Stellung, die ein weltlicher Sinn verachtet, die aber vor Gott wohlgefällig ist; und der Heilige Geist stellt in dieser Beziehung Sarah als Muster hin, welche dem Abraham gehorchte und ihn Herr nannte.

Es ist hier wohl der geeignete Ort, um nach den Unterweisungen des göttlichen Wortes die Stellung der gläubigen Frauen und Jungfrauen im Allgemeinen etwas näher zu betrachten; und dies ist umso nötiger, weil die Ermahnungen des Heiligen Geistes für einen besonderen Stand oder besondere Verhältnisse oft wenig berücksichtigt werden. Wenn auch in Christus weder Mann noch Weib ist, (Gal 3,28) so bleibt dieser Unterschied doch in diesem Leben, und ein jeder Stand hat seine besondere Verantwortlichkeit. Wir finden verschiedene Ermahnungen im Wort Gottes, die nur für die gläubigen Frauen und Jungfrauen sind, und die Unterwürfigkeit und eine stille Zurückgezogenheit sind immer der bezeichnende Charakter dieser Ermahnungen.

Wenn wir zunächst unseren Blick auf die Stellung der Schwestern in den Versammlungen richten, so finden wir schon in den darauf bezüglichen Ermahnungen einen Unterschied zwischen ihnen und den Brüdern. Wir lesen in 1. Korinther 14,34–35: „Eure Weiber lasst in den Versammlungen schweigen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern geboten, unterworfen zu sein, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, so lasst sie daheim ihre Männer fragen; denn es ist schändlich für Weiber in der Versammlung zu reden.“ Doch nicht allein in den Versammlungen, sondern auch im Allgemeinen erlaubt der Heilige Geist den Weibern nicht, dass sie lehren, wie wir in 1. Timotheus 2,11–12 lesen: „Das Weib lerne in der Stille in aller Unterwürfigkeit. Ich erlaube aber einem Weib nicht zu lehren, auch nicht den Mann zu beherrschen, sondern stille zu sein.

 Denn Adam ist zuerst gebildet worden, danach Eva, und Adam ward nicht betrogen, sondern das Weib ward betrogen und war in Übertretung.“ – Wenn der Heilige Geist weder in den Versammlungen noch außerhalb derselben den Schwestern zu lehren gestattet, so ist es auch offenbar, dass er ihnen die Gabe des Lehrens nicht verliehen hat. Es ist uns geboten mit den Gaben zu dienen, welche uns gegeben sind, und wir sind sogar verantwortlich für dieselben; darum ist es unmöglich, dass der Heilige Geist Gaben austeilt, und ihren Gebrauch oder ihre Anwendung verbietet. Eins ist wahr, dass viele Schwestern oft eine größere Erkenntnis über den Ratschluss Gottes haben, als manche Brüder; doch sind Erkenntnis und Lehrgabe zwei ganz verschiedene Stücke. In der Versammlung ist dem Weib nicht allein verboten zu lehren, sondern auch zu reden; sie soll schweigen und unterwürfig sein und daheim von ihrem Mann lernen; ja es ist sogar schändlich für sie, wenn sie in der Versammlung redet. Eine solche Ausdehnung findet aber die Ermahnung in Betreff des Verhaltens der gläubigen Frauen außerhalb der Versammlung nicht, wo ihnen nur das Lehren nicht erlaubt ist; dieses aber ebenso wenig, als über den Mann zu herrschen. Sie sollen in aller Unterwürfigkeit in der Stille lernen. Ihr ganzes Verhalten soll stets das Gepräge des Verborgenen und nicht des Öffentlichen haben.

So hat der Heilige Geist den gläubigen Frauen und Jungfrauen eine Stellung angewiesen, worin das einfältige und demütige Herz den reichsten Segen finden wird. Wenn jene aber diese ihre Stellung verkennen oder vernachlässigen, so werden sie oft auf mannigfache Weise Schaden anrichten, – sowohl für sich als auch für andere Gläubige und selbst für die Versammlung. Jede Seele leidet Schaden, wenn sie die nach dem Willen Gottes überkommene Stellung versäumt, weil wir, wie wir gesehen haben, auch unter der Gnade verantwortlich bleiben. Der Geist Gottes wird immer betrübt, wenn wir seine Ermahnungen geringschätzen; und unser Wachstum und unser Segen steht immer mit der Wirksamkeit und der Kraft des Geistes Gottes in Verbindung und ist davon abhängig. Es ist möglich, dass ich mir selbst genüge und gefalle, dass ich Freude finde an meinem Tun, allein die Liebe zu Gott ist, dass wir seine Gebote bewahren und darin wandeln. Ist der Geist Gottes in mir getrübt, so fehlt mir auch das Licht, um nach der Wahrheit über mich zu urteilen; ich werde mich stets über mich selbst und meinen Wandel täuschen, und bedarf der besonderen Gnade Gottes und selbst der Züchtigung des Vaters, um wieder zu der rechten Einfalt und Nüchternheit zurückzukehren.

Wir sind hier auf einen Gegenstand gekommen, der alle Berücksichtigung und Beachtung verdient, und es wird gewiss nicht ohne großen Segen sein, wenn die Gläubigen dies erkennen und ernstlich vor dem Herrn erwägen. Wenn eine Versammlung den Schwestern erlaubt, bei der gemeinschaftlichen Erbauung zu reden, so tut sie etwas, was der Heilige Geist nicht erlaubt. Sind die Gaben unter den Brüdern mangelhaft oder selbst gar nicht vorhanden, so soll die Versammlung ihre Armut vor dem Herrn erkennen und bekennen, und um eine reichere Fülle bitten, und der Herr wird sie gewiss nicht versäumen; aber sie soll nie etwas erlauben, was der Heilige Geist nicht erlaubt. Geschieht dies letztere, so tut man selbst, was man bei anderen verwirft. Es ist immer demütiger, seine Armut bekennen, als nach eigenem Gutdünken handeln. Hält eine Schwester ihre reichere Erkenntnis für eine Lehrgabe, und sucht sie diese unter den Gläubigen anzuwenden, so wird sie sich und denen schaden, welche in ihr eine solche Gabe anerkennen, weil das Wort Gottes sagt: „das Weib lerne in der Stille in aller Unterwürfigkeit; aber ich erlaube einem Weib nicht zu lehren.“ 

Wenn wir diese so einfache und klare Ermahnung an das Verhalten so mancher Schwester legen, so werden wir oft eine traurige Abweichung wahrnehmen; und wird dieses nicht erkannt noch beachtet, so werden sich sowohl die Versammlungen als auch die einzelnen Seelen eine Züchtigung bereiten, und was sie im Anfang mit Freuden begrüßt haben, wird ihnen nachher zur drückenden Plage werden. Die Einfalt schwindet, die Seelen ermatten, die Kraft wird zu leeren Worten, weil der Geist Gottes durch Ungehorsam getrübt ist. Wie vorsichtig sollten wir doch darum in dieser Beziehung sein.

Wenn es, um würdig zu wandeln, auch stets nötig ist, nüchtern zu sein, und mit Jesu in der Gemeinschaft zu bleiben, so ist dies aber besonders nötig im gegenseitigen Verkehr der Brüder und Schwestern, besonders unter jüngeren. In diesem Verkehr findet das Fleisch viel leichter irgendwelche Nahrung, als in jedem anderen. Es gibt eine Neigung, die mit dem anderen Geschlechte lieber verkehrt, als mit dem eigenen, und folgen wir dieser, so folgen wir nicht dem Geist Gottes. Wir verlieren alsdann mehr oder weniger unsere Nüchternheit, und halten selbst einen Umgang, worin oft das Fleisch kräftig wirksam ist, für eine Wirksamkeit der Liebe Christi, und die Freude, woran das Fleisch einen so mächtigen Anteil hat, für Freude im Herrn. Das natürliche Herz ist immer geneigt, sich hervorzutun, sich angenehm und beliebt zu machen, und jede Seele, wenn sie nicht nüchtern und wachsam bleibt, wird dieser Neigung Raum geben. Wenn Schwestern ihre von Gott angewiesene Stellung verkennen oder vernachlässigen, und irgendwelche Bevorzugung benutzen, sich offenbar zu machen und die Blicke auf sich zu lenken, so bedenken sie nicht, welche große Gefahr darin für sie und andere liegt, und wie leicht unbefestigte Seelen angelockt und gefangen genommen werden. Doch wie betrübend ist es, wenn die Neigungen und Gefühle einer Versammlung oder auch einzelner Seelen, worauf nur Christus allein wahren Anspruch hat, sich von Ihm zu der Kreatur hinwenden. Er wolle uns doch in seiner Gemeinschaft befestigen und bewahren, damit jede Begierde unseres Herzens nur Ihn allein suche, und in Ihm völlige Befriedigung finde.

In Titus 2,45 sehen wir, welcher Wirkungskreis zunächst den Frauen zugeteilt ist. Die älteren Frauen sind darin ermahnt, die jüngeren zu unterweisen, „ihre Männer zu lieben, ihre Kinder zu lieben, besonnen, keusch, haushälterisch, gütig, ihren Männern unterwürfig zu sein, auf dass das Wort Gottes nicht verlästert werde.“ Diese Unterweisungen stehen ganz mit dem Familienkreis und dem Haus in Verbindung; hier ist zunächst der ihnen angewiesene Ort, wo sie mit Beharrlichkeit die Verherrlichung des Namens Gottes suchen sollen; hier werden sie stets Gelegenheit finden, ihren Glauben, ihre Liebe und ihre Geduld zu beweisen. Möchten doch die älteren gläubigen Frauen, die durch innigen Verkehr mit dem Herrn und durch mancherlei Erfahrungen im Leben weise gemacht sind, in dieser Beziehung ihre Aufgabe verstehen lernen, und den jüngeren Frauen mit Rat und Tat in liebevollem und sanftmütigem Geist beistehen; und möchten letztere solche Unterweisungen in Einfalt und Liebe entgegennehmen und ihre Stellung in Familie und Haus durch einen Wandel nach dem Willen Gottes hochschätzen lernen.

Der Heilige Geist dehnt aber auch den Wirkungskreis der gläubigen Frauen im Dienst des Herrn und zur Ehre seines Namens noch weiter aus, und teilt uns in der heiligen Schrift viele herrliche Zeugnisse ihrer ausharrenden Treue und Liebe und ihres festen Glaubens mit, die gewiss aller Beachtung und Nachahmung würdig sind. Wir wollen hier nur einiges aus den Evangelien und den Briefen der Apostel mitteilen. – Zunächst mag hier der Ermahnung gedacht werden, welche der Apostel dem Timotheus in Betreff der Witwen gibt, Welche von der Gemeinde zur Versorgung erwählt werden sollten, weil uns diese Ermahnung zugleich einen Blick in den Wandel der gläubigen Frauen, wie er Gott wohl gefällt, tun lässt. Wir lesen in 1. Timotheus 5,10: „ … die ein Zeugnis guter Werke habe; so sie Kinder aufgezogen hat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Fuße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung getan hat, so sie allen guten Werken nachgekommen ist.“ – 

Wenn wir die Evangelien durchlesen, so finden wir so oft die Liebe der Frauen, welche dem Herrn Jesus nachfolgten, wirksam. Ich will hier nur an die dienende Liebe der Maria und Marta und an die Frauen an dem Grab Jesu bei seiner Auferstehung erinnern. Welch einen tiefen Beweis der Liebe gibt uns die Salbung des Herrn im Haus Simons, des Aussätzigen! eine Liebe, wovon selbst die Jünger zu jener Zeit nichts verstanden. In Lukas 8,2–3 sind uns viele Frauen aufgezählt, welche dem Herrn durch ihre Habe Handreichung taten, und in Apostelgeschichte 16,14–15. finden wir Lydia, welche den Paulus und Silas so gerne aufnahm.

In Apostelgeschichte 18,2–3.26 wird mit Aquila auch dessen Weib Priszilla genannt, welche den Apostel Paulus, und nachher auch den Apollos aufnahmen. Ein herrliches Zeugnis von beiden finden wir in Römer 16,3–4: „Grüßt die Priszilla und den Aquila, meine Gehilfen in Christus Jesus, welche für mein Leben ihre Hälse dargegeben haben, welchen nicht allein ich danke, sondern auch alle Gemeinen unter den Heiden.“ – Von der Schwester Phöbe bezeugt der Apostel in demselben Kapitel Vers 1–2: „Denn sie hat auch vielen Beistand getan, auch mir selbst.“ Vers 6.: „Grüßt Maria, welche viele Mühe mit uns gehabt hat.“ Vers 12.: „Grüßt die Tryphäna und die Tryphosa, welche in dem Herrn gearbeitet haben. Grüßt Persis, die Geliebte, welche viel gearbeitet hat.“ In Philipper 4,2–3 nennt der Apostel einige Frauen, die mit ihm in dem Evangelium gekämpft haben.

Diese und viele andere Zeugnisse beweisen uns, wie gesegnet auch die Schwestern im Dienst und Werk des Herrn und in seiner Gemeinde sein können, wenn sie, geleitet durch den Heiligen Geist und erfüllt von der Liebe Christi, stets in seiner Gegenwart und Gemeinschaft wandeln.

Der Charakter der Stellung des Mannes zu seinem Weib ist, wie schon bemerkt, vornehmlich die Liebe. „Ihr Männer, liebt eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie.“ Das Maß und die Ausdehnung dieser Liebe ist die Stellung Christi, als Haupt, zu seiner Gemeinde, welche sein Leib ist. „Ihr Männer liebt eure Weiber, gleich wie auch Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie Hingegeben hat“ (Eph 5,25). Wir sind nicht im Stand die Tragweite seiner Liebe zu erfassen, denn sie übersteigt alle Erkenntnis;, und doch ist sie die Vollendung der Gedanken Gottes in der Stellung des Mannes zu seinem Weib. Hier ist mehr als Bruder und Schwester, und selbst mehr als Eltern und Kinder. Es soll sogar ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weib anhängen.

Christus hat sich mit seiner Gemeinde eins gemacht; sie ist ein Teil von Ihm. Wenn Saulus die Gemeinde verfolgt, so sagt Er: „Was verfolgst du mich?“ „Wir sind Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Also sind die Männer schuldig ihre Weiber zu lieben, wie ihre eigenen Leiber. Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt es und pflegt es, gleich wie auch Christus die Gemeinde“ (Eph 5,28–30). So ist denn das Weib ein Teil des Mannes; beide sind zu einem Fleisch worden.

Das Wort Gottes zeigt uns also, wie die Kraft der Verbindung in beiden Verhältnissen gleich ist, und darum soll auch ebenso sehr die Offenbarung der Gesinnung in beiden gleich sein. Die Liebe Christi zu seiner Gemeinde ist stets das vollkommene Muster für die Liebe des Mannes zu seinem Weibe, und auf dieses Muster soll stets dessen Blick gerichtet sein. Er kann alsdann seine Liebe nicht richten nach den Mängeln und Gebrechen seines Weibes, weil Christus seine Gemeinde vollkommen liebt. Würde das Maß seiner Liebe im Verhältnis zu unseren Fehlern und Mängeln stehen, so würden wir oft wenig geliebt sein; aber Er selbst versichert seinen oft schwachen Jüngern: „Gleichwie mich mein Vater liebt, also liebe ich euch“ (Joh 15,9). Seine Liebe ist voll Tragsamkeit, Geduld und Erbarmen und bleibt zu jeder Zeit dieselbe. Sobald ein Mann hart, störrig und bitter gegen sein Weib ist, hat er die Stellung Christi zu seiner Gemeinde ganz und gar außer Acht gelassen, und wird also in der seinigen Gott nicht verherrlichen. Die Liebe Christi ist voll Sanftmut, Freundlichkeit und Milde. Wie kann endlich ein Mann sein Weib vernachlässigen oder vergessen, wenn er die immerwährende treue Fürsorge Christi zu seiner Gemeinde sieht!

Es ist ein unendlich hohes Vorrecht für den gläubigen Mann, dass er von Gott gewürdigt ist, in dem Verhältnis mit seiner Frau eine Stellung einzunehmen, wie sie Christus selbst zu seiner geliebten Gemeinde hat. Das Bewusstsein kann nur sein Herz mit Lob und Anbetung und dem tiefsten Gefühl der Verantwortlichkeit erfüllen. Er wird dies köstliche Vorrecht in seiner Stellung umso mehr zur Verherrlichung des Namens Gottes verwirklichen, je mehr er als Glied des Leibes Christi die Fülle der Liebe Christi für ihn genießt und versteht. Das sichtbare Verhältnis auf Erden wird alsdann genährt und getragen von der überströmenden Liebe des unsichtbaren.

Im Brief des Petrus stellt der Heilige Geist die gläubigen Frauen als die Miterben der Gnade des Lebens hin und ermahnt die Männer, mit ihnen als solchen zu wandeln. „Ihr Männer gleicherweise, wohnt mit Einsicht bei ihnen, – dem weiblichen, als dem schwächeren Gefäße Ehre gebend, – als die auch Miterben der Gnade des Lebens sind, auf dass eure Gebete nicht verhindert werden“ (1. Pet 3,7). Es ist eine unendliche Freude für das Herz des Mannes, wenn er in seiner Frau eine Miterbin der Gnade des Lebens besitzt. Das Verhältnis ist alsdann in doppelter Beziehung gesegnet und köstlich. Dies Vorrecht wird oft viel zu wenig berücksichtigt und erkannt. Wenn es ein köstlich Ding ist, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen, so ist es vor allem köstlich, wenn Mann und Weib in einem Sinn und Geist wandeln, und ein jeder in seiner Stellung Gott verherrlicht. Sobald dies so innige Verhältnis getrübt ist, so sind auch unsere Gebete verhindert; die Freimütigkeit zu Gott ist gestört und der Friede des Herzens geschwächt. Wie sehr sollten daher die gläubigen Männer bereit sein, diese Ermahnung des göttlichen Worts zu beachten und ihnen zu folgen, nämlich mit Einsicht bei ihren Frauen zu wohnen und ihnen als dem schwächeren Gefäße Ehre zu geben.

Es gibt in Bezug auf das eheliche Leben noch verschiedene Fragen, die für schwache Seelen oft Unruhe und Besorgnis erwecken. Der Raum gestattet aber nicht, hier weiter auf dieselben einzugehen. Doch hat der Heilige Geist treulich für die Gemeinde des Herrn gesorgt, und das einfältige Herz findet im Wort Gottes für alle Fragen hinreichenden Aufschluss. Was den vorliegenden Gegenstand betrifft, so finden wir in 1. Korinther 7 manches, was wir stets mit Ernst beachten sollten. Besonders sollten gläubige Jünglinge und Jungfrauen immer eingedenk sein, was der Apostel Vers 32.34 sagt: „Der Unverheiratete ist für die Dinge des Herrn besorgt, wie er dem Herrn gefallen soll …, und die Unverheiratete ist für die Dinge des Herrn besorgt, auf dass sie heilig sei an beiden, an Leib und Geist.“ Dies wird bei nicht verheirateten Gläubigen immer der Fall sein, wenn Lauterkeit und Nüchternheit ihr Herz erfüllt, und sie allein in der Liebe Christi, glücklich sind. Haben wir das Bewusstsein der Gegenwart Christi, und ist seine Person uns in allem genug, so werden wir bewahrt bleiben, und in Reinheit des Herzens und Sinnes vor Ihm und untereinander wandeln. 

Verlieren wir aber dies Bewusstsein, und sind wir nicht mehr in Ihm allem glücklich, so sucht das Herz etwas anders, und wendet sich zur Welt oder zur Kreatur. Die jüngeren Gläubigen sind in dieser Beziehung durch ihre Gemeinschaft stets von mancherlei Versuchungen umgeben, die umso seiner und gefährlicher sind, weil ihr erster Ausgangspunkt die innige Verbindung und Gemeinschaft der Herzen durch die Liebe Christi ist. Bleibt das Auge in dem Verkehr mit Christus nicht ganz einfältig und das Herz nüchtern, so sieht und erkennt man nicht die Wirksamkeit des Fleisches, und wie sich die Freude und die Liebe der natürlichen Gefühle und Neigungen mit der Liebe zu Christus und der Freude am Herrn vermengen. Folgen jüngere Brüder und Schwestern der Neigung, sich gegenseitig ihre Gedanken, Empfindungen und Erfahrungen mitzuteilen, was in der Gegenwart des Herrn gesegnet sein kann, so sind sie doch nicht selten den Versuchungen um einen guten Schritt näher gekommen. Es tritt dann oft eine Bekanntschaft und Vertraulichkeit ein, wie sie dem Fleisch gefällt. Man sucht sich gegenseitig auf, man ist gern zusammen, man ist gegenseitig bemüht, sich angenehm zu machen, und so ist das Fleisch wirksam, wo man nur die Liebe Christi glaubt. O, wie sehr haben doch alle, besonders aber die jüngeren Gläubigen, in dieser Beziehung zu wachen und den Herrn zu bitten, dass Er sie nüchtern erhalte und alle Wege bewahre. Er, der uns so teuer erkauft hat, möge stets alles für uns bleiben. 2.) „Ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen; denn das ist dem Herrn gefällig. Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht, auf dass sie nicht scheu werden.“

Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist ganz anderer Natur, als das zwischen Mann und Weib. Wenn auch beide durch die Liebe und die Unterwerfung charakterisiert werden, so hat doch sowohl diese Liebe als auch diese Unterwerfung in beiden einen besonderen Charakter. In dem einen ist die Zuneigung der Herzen vertrauter und tiefer, es sind die zwei zu einem Fleisch geworden; in dem anderen ist die Liebe zwar zart und innig, allein es ist hier eine Verschiedenheit an Jahren und Lebenserfahrungen, und die Unterwerfung des Kindes ist hier Gehorsam. Jenes Verhältnis wird durch die Liebe gebildet, aber dieses fordert die Liebe, wenn es gebildet ist. Doch die Sünde hat auch dieses Verhältnis durchdrungen, und wir müssen unsere Blicke wiederum von der Erde, wo die Sünde wohnt, wegwenden nach oben hin, um es nach den Gedanken Gottes zu verstehen. Wir haben die vollkommene Darstellung des ehelichen Verhältnisses in der Vereinigung Christi und seiner Gemeinde gesehen; und dieses hier entspricht mehr dem Verhältnis zwischen Gott, als Vater, und den ans Ihm geborenen Kindern.

In jedem Verhältnis muss ich den Willen und die Gedanken Gottes verstehen, um seinen Namen darin verherrlichen zu können. Fehlt diese Erkenntnis, so mag ich mich wohl nach den Umständen fügen, und den natürlichen Neigungen folgen; weil aber erstere nicht immer dem göttlichen Willen entsprechen, und letztere durch die Sünde verdorben sind, so kann Gott durch dieselben nicht verherrlicht werden. Der Heilige Geist entbindet uns aber auch in diesem Verhältnis der Verantwortlichkeit nicht, vielmehr gibt er uns sehr ernste Ermahnungen. Wir lesen in Epheser 6,1–4: „Ihr Kinder seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn; denn das ist recht. Ehre Vater und Mutter; das ist das erste Gebot, welches Verheißung hat: auf dass es dir wohl gehe und du lange lebst auf Erden. Und ihr Väter reizt eure Kinder nicht zum Zorn; sondern zieht sie auf in der Zucht und Ermahnung zum Herrn.“ Nur der Christ, dem die Gedanken Gottes heilig sind, kann auch allein in diesem Verhältnis dieselben verwirklichen. Er lernt in seiner Beziehung zu dem Vater im Himmel die Kraft und die Ausdehnung dieser Gedanken verstehen. Unwissenheit aber oder Gleichgültigkeit gegen den guten und wohlgefälligen Willen Gottes in diesem Verhältnis schwächt unser inneres Leben und verherrlicht Gott nicht.

Das Kind hat die größten und nächsten Ansprüche an die Liebe der Eltern, und selbst an alles das, was diese besitzen, und ebenso haben die Eltern dieselben Ansprüche an den willigen und völligen Gehorsam des Kindes. Wie nun aber ein Kind Gottes nicht liebt, um ein Kind Gottes zu werden, oder das Erbteil zu empfangen, sondern aus dem Bewusstsein gehorcht und liebt, dass es Kind und Erbe ist, ebenso frei soll die Liebe und der Gehorsam des Kindes in dem Verhältnis zu seinen Eltern sein. Dies Verhältnis verändert sich auch selbst dann nicht, wenn das Kind zu Gott bekehrt ist, und die Eltern noch in ihrem natürlichen Zustand beharren, es sei denn, dass es jetzt in Wahrheit beweist, was der Gehorsam und die Liebe eines Kindes ist, in welchem der Geist Christi wohnt, und welches in allem die Verherrlichung Gottes sucht. Die Sanftmut, die Freundlichkeit, der kindliche Gehorsam und die ausharrende Geduld sollen den noch nicht bekehrten Eltern ein Zeugnis sein, dass die Liebe und Gnade Gottes in Christus Jesus das Herz umwandelt. Es ziemt sich nicht für ein Kind, die Eltern viel zu ermahnen; vielmehr soll es danach trachten, durch einen würdigen Wandel in einem innigen Umgang mit dem Herrn sie zu gewinnen.

Es kommt nicht selten vor, dass jüngere Christen glauben, ihr Verhältnis mit ihren Eltern sei durch ihre Bekehrung mehr oder weniger gebrochen. Sie berücksichtigen den Willen ihrer Eltern, wenn diese noch nicht den Herrn kennen, oft sehr wenig, und halten dies für Entschiedenheit und Treue vor Gott; allein sie beweisen dadurch nur, dass sie die Gedanken Gottes noch nicht recht verstanden haben, und es liegt oft mehr verborgene Eigenliebe und Eigenwille zu Grund, als solche Seelen selbst glauben. Wohl ist es wahr, dass der Wille Gottes über alles geht, und es nichts auf der Erde gibt, was ich unter oder neben diesen stellen könnte; doch muss ich ganz einfältig und nüchtern sein, um diesen zu verstehen. Es liegt ebenso sehr für das gläubige Kind darin Gefahr, den schuldigen Gehorsam gegen die Eltern zu verletzen, als auch aus Furcht vor den Eltern den Willen Gottes zu vernachlässigen. – Zwei Stücke nötigen das Kind die Eltern zu lieben und ihnen zu gehorchen: die schuldige Dankbarkeit für so viele Wohltaten, Mühen und Sorgen, und der ausdrückliche Wille Gottes; deshalb sollte es immer ein Schmerz für dasselbe sein und viel Gebet in ihm erwecken, wenn es aus Gehorsam gegen Gott den Eltern ungehorsam sein muss. Es muss von der Liebe Christi erfüllt und immer nüchtern sein, um hier in jeder Beziehung nach Gottes wohlgefälligem Willen zu wandeln. Es lassen sich hier zwar keine bestimmten Regeln feststellen; aber eine Seele, die viel mit dein Herrn verkehrt und die Wichtigkeit dieses Gegenstandes erkennt, wird auch in dieser Beziehung gewisse Tritte tun.

Wenn es auch der Raum nicht erlaubt, hier auf Einzelheiten einzugehen, so möchte ich doch einen Fall hervorheben, der sich oft wiederholt. Manche Eltern wollen ihren Kindern nicht erlauben, die Versammlungen, welchen sie angehören, zu besuchen. Dieses Verbot streitet wider den wohlgefälligen Willen Gottes. Nicht nur ist es für unsere Seele, welche stets der Nahrung bedarf, ein Bedürfnis, sich durch gemeinschaftliches Erbauen, Brechen des Brotes und Gebet zu erquicken und zu stärken, sondern der Herr hat auch selbst geboten, die Versammlungen nicht zu verlassen. Doch auch hier, wie in jedem Fall, sollte es dem Kind viel lieber sein, in Übereinstimmung mit dem Willen der Eltern handeln zu können, und deshalb im steten Gebet vor dem Herrn, der die Herzen in seiner Hand hat und sie nach seinem Willen zu leiten vermag, verharren. Wenn wir aus Gehorsam gegen den Herrn genötigt sind, dem Willen der Eltern nicht zu folgen, so sollen wir in unserem ganzen Verhalten ihnen gegenüber umso mehr beweisen, dass nicht Trotz und Eigensinn uns leitet, sondern Ehrfurcht gegen Gott, und dass wir sie wirklich lieben und ehren.

Ein Kind kann es stets als ein hohes Glück und Vorrecht betrachten, wenn es gläubige Eltern hat. Hier muss ihm der Gehorsam umso leichter werden, und doch liegt darin für manche Kinder eine Gefahr, es nicht so genau mit dem kindlichen Gehorsam zu nehmen. Es ist aber traurig, wenn gläubige Kinder dieses Vorrecht, anstatt es mit freudigem Herren anzuerkennen und darin zu wandeln, als ein Ruhekissen für die Vernachlässigung ihres kindlichen Verhältnisses benutzen. Sind die Eltern noch schwach im Glauben und in der Erkenntnis Christi, so ist gerade der willige Gehorsam und die kindliche Hingabe des Kindes für sie eine Stütze; wohingegen sie durch Unweisheit und Rücksichtslosigkeit desselben viel Anstoß nehmen können.

Wenn auch noch vieles über diesen Gegenstand, wie über das Folgende zu sagen wäre, so können wir doch des Raumes wegen nur wenige Gedanken zu einer weiteren Erwägung vor dem Herrn mitteilen.

Die Liebe ist in dem Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern, die einzige Quelle, aus welcher die ganze Handlungsweise der ersteren hervorströmen soll. Nichts ist hier weniger geziemend als Bitterkeit, Härte, Zorn, Rache usw. und wo wir diese Stücke finden, da ist die Sünde wirksam. Das Ziel aller Ermahnungen und überhaupt der ganzen Erziehung ist der Herr (Eph 6,4). Der Heiland erwies den zu Ihm gebrachten Kindlein seine besondere Zuneigung: „Er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie“ (Mk 10,16). Der Apostel nennt in 1. Korinther 7,14 die Kinder heilig, welche von gläubigen Eltern geboren sind, selbst dann, wenn nur der Mann oder das Weib gläubig ist. Wenn auch dieses Heiligsein mit der Bekehrung des Herzens des Kindes in keiner Gemeinschaft steht, so genießen sie doch um der gläubigen Eltern willen ein gewisses äußerliches Vorrecht, und diese dürfen nun mit umso größerer Freimütigkeit mit dem Herrn wegen ihrer Kinder verkehren und sie können die feste Überzeugung haben, dass damit, womit sie so angelegentlichst vor Gott durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes beschäftigt sind, auch der Herr beschäftigt ist. Dies Bewusstsein wird stets tröstlich und beruhigend für das Herz der gläubigen Eltern sein, und wird sie ermuntern, recht viel mit Zuversicht im Gebet für ihre Kinder zu Gott zu nahen. 3.)

 „Ihr Knechte seid gehorsam in allen Dingen euren leiblichen Herrn, nicht mit Augendienst als die Menschengefälligen, sondern mit Einfalt des Herzens und mit Gottesfurcht; … ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweist den Knechten und wisst, dass ihr auch einen Herrn im Himmel habt.“ Der Charakter dieses Verhältnisses entspricht weder dem von Christus und seiner Gemeinde, noch dem des Vaters im Himmel und seiner Kinder; wir finden denselben aber in der ähnlichen Ermahnung in Epheser 6,5–6 ausgesprochen: „Ihr Knechte, seid gehorsam euren leiblichen Herrn, mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens als Christus; nicht mit Augendienst als die Menschengefälligen, sondern als die Knechte Christi, die den Willen Gottes von Herzen tun.“ In den Worten „als Christus und als die Knechte Christi“ liegt die ganze Tragweite und der Charakter dieses Verhältnisses. Mit derselben Treue, womit wir uns Christus hingeben und Ihm dienen, sollen wir uns als Knechte den leiblichen Herrn unterwerfen und ihnen dienen; und dieselbe Freundlichkeit, Sanftmut und Geduld, welche die gläubigen Herrn bei ihrem Herrn im Himmel finden, soll für sie der Maßstab in dem Verhalten gegen ihre Knechte sein.

Wenn wir die Einzelheiten dieser Ermahnungen genauer betrachten, so tritt uns ein großer Ernst darin entgegen. Auch in diesem Verhältnis sind wir verantwortlich; Christus will darin durch uns verherrlicht sein, und „was ein jeglicher Gutes tun wird, das wird er von dem Herrn empfangen, er sei ein Knecht oder ein Freier“ (Eph 6,8). Man beachtet oft am geringsten seine Verantwortlichkeit und die Verherrlichung Christi in einer Stellung, die in den Augen der Menschen wenig gilt. Vor dem Herrn aber ist nichts gering, und Er wird jedes Gute und jede Treue belohnen, und darum haben wir uns in diesem Verhältnis als solche zu betrachten, die dem Herrn dienen und nicht den Menschen (Eph 6,7). Es geschieht Wohl, dass gläubige Herrschaften gläubige Dienstboten begehren und umgekehrt, was an und für sich nicht zu tadeln ist; aber man macht nicht selten die traurige Erfahrung, dass selbst diese, die doch so große Ursache haben, Gott zu preisen und zu verherrlichen, nicht in Eintracht und Liebe miteinander verkehren; und die Ursache davon ist, dass der Eine oder andere Teil, oder auch beide ihre Stellung vernachlässigen. Gewöhnlich verlangt jeder Teil von dem anderen, dass er seinerseits als Christ in der ihm angewiesenen Stellung wandelt, und vergisst dies in seiner eigenen, und so macht Untreue und Untragsamkeit dies Verhältnis, was sonst so lieblich sein könnte, zu einem traurigen, und bringt oft viel Seufzen über einander und Verklagen wider einander mit sich. „Welche aber gläubige Herren haben, sollen dieselben nicht gering achten, weil sie Brüder sind; sondern sollen desto mehr dienstbar sein, die weil sie gläubig und geliebt und der Wohltat teilhaftig sind“ (1. Tim 6,1 vgl. noch 1. Pet 2,18; Tit 2,9–10).

Der Herr wolle unsere Herzen durch seinen Geist mit Ernst auf den vorliegenden Gegenstand lenken, um auch darin zu Lob, Preis und Verherrlichung seines Namens erfunden zu werden.


WENN IHR NUN MIT DEM CHRISTUS AUFERWECKT WORDEN SEID, SO SUCHT, WAS DROBEN IST, WO DER CHRISTUS IST, SITZEND ZUR RECHTEN GOTTES.
Das Werk und die Person Christi sind das einzige Fundament, worauf sich alle unsere Vorrechte und Beziehungen mit Gott gründen. Dies lässt uns die Wichtigkeit erkennen, sowohl sein Werk als Ihn selbst in Wahrheit zu verstehen und daran Teil zu haben. Je mangelhafter und unklarer aber unsere Erkenntnis von dem Heil in Christus ist, desto mangelhafter und unklarer ist auch dessen Wirkung auf unsere Herzen; und es bleibt sogar ohne alle Kraft, wenn die Erkenntnis nur eine tote und buchstäbliche ist. Jesus sagt: „Die Worte, welche ich zu euch rede, sind Geist und Leben“ (Joh 6,63). Eine Erkenntnis ohne Leben ist wohl vermögend uns aufzublähen; aber sie kann keine Früchte der Gerechtigkeit in uns wirken. Selbst der natürliche Mensch kann eine äußerliche oder buchstäbliche Erkenntnis der Wahrheit haben; doch er vernimmt in der Tat nichts von den Dingen, welche des Geistes Gottes sind; er kann sie nicht begreifen; denn diese müssen geistlich beurteilt werden, (1. Kor 2,14) Die Wahrheit Gottes erfordert einen geistlichen Sinn, um verstanden zu werden; und sie wird in uns wirksam durch den Glauben nach der in uns wirkenden Kraft des Heiligen Geistes. Der Glaube erkennt die Wahrheit, und nimmt sie auf als Wahrheit Gottes; er reinigt durch dieselbe unser Gewissen und erfreut unsere Herzen; er richtet nach derselben unsere Gesinnung und unseren Wandel. „Der Glaube ist die Verwirklichung dessen, was man hofft, und die Überzeugung dessen, was man nicht steht“ (Heb 11,1).

Zunächst wollen wir einen Blick auf das Werk Christi in Betreff der Reinigung unserer Sünden werfen. – In diesem Werk findet der verlorene Sünder Versöhnung und Erlösung; und gerechtfertigt durch den Glauben, hat er Frieden mit Gott. Er naht jetzt mit Freimütigkeit dem Thron seiner Gnade; denn alles, was ihn bisher daran hinderte, alles, was ihn von Gott trennte und seinem Herzen Furcht einflößte, ist für immer hinweggetan. Das einmalige Opfer Christi reinigt unser Gewissen ganz und gar voll den Sünden und von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott (Heb 10,2–9,14). Er ist einmal durch sein eigenes Blut in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden (Kap 9,12). Wir bedürfen kein anderes Opfer, weil wir eine vollkommene und immer gültige Versöhnung oder Vergebung in diesem einen Opfer haben (Kap 10,18). Christus hat sich nach Vollendung seines Werkes für immerdar zur Rechten Gottes gesetzt, weil für Ihn in Betreff unserer Sünden nichts mehr zu tun übrig war; aber auch für uns blieb in dieser Beziehung nichts mehr zu tun übrig; darum sind wir schon mit auferweckt und in Ihm mitversetzt zur Rechten Gottes. Wir haben wegen unserer Sünden nichts mehr zu wirken, sondern nur zu glauben; nichts mehr zu fürchten, sondern mit fröhlichem Herzen Gott zu verherrlichen.

 Die Auferweckung Christi ist ein Beweis unserer Rechtfertigung. Er ward um unserer Sünden willen dahingegeben, und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt (Röm 4,25). Weil aber Christus unsere Sünden auf sich genommen hatte, so mussten diese erst ganz und gar hinweggetan sein, ehe Er seinen Platz zur Rechten Gottes nehmen konnte; denn ein nur mit einer einzigen Sünde Beladener hätte dort nie seinen Platz nehmen dürfen. Der Sünder findet keine Ruhestätte in der Gegenwart des heiligen und gerechten Gottes. Sind aber unsere Sünden ganz und gar vor dem Angesicht Gottes hinweggetan, so sind wir ja gerechtfertigt und haben Frieden mit Gott, also dass wir jetzt sagen können: „Wenn Gott für uns ist, – wer wider uns? Der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat; wie wird Er uns mit Ihm auch nicht alles schenken? Wer wird Anklage erheben wider die Auserwählten Gottes? – Gott ist es, welcher rechtfertigt. Wer ist, der verdamme? – Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet“ (Röm 8,32–34).

Unter dem alten Bunde durften nur die als Priester Geweihten und Abgesonderten dem Altar im Heiligtum nahen und Gottesdienst darin Pflegen; und allein dem Hohepriester war es einmal im Jahr gestattet, hinter den Vorhang ins Allerheiligste zu gehen, und selbst dann nicht ohne Blut. Die Sünde forderte dieses Blut und machte diese Beschränkung notwendig, weil Gott keine Sünde in seiner Gegenwart duldet. Dennoch konnten die Opfer und Satzungen des alten Bundes den Anbeter nicht nach dem Gewissen oder nach dem Bewusstsein reinigen, weil sie nur Vorbilder und Schatten waren; der Körper oder das Wesen aber ist Christus. Sein Opfer und sein hohepriesterliches Amt hat uns für immer in die Nähe Gottes gebracht; wir sind das königliche Priestertum (1. Pet 2,9). Durch ein Opfer sind wir für immerdar nach dem Willen Gottes geheiligt und vollkommen gemacht; (Heb 10,14) und als die ein für alle Mal gereinigten Anbeter, welche für immer mit dem Blut Christi besprengt sind, haben wir zu jeder Zeit das köstliche Vorrecht, im Heiligtum anzubeten. Dieses Blut ist stets vor dem Angesicht Gottes, und kraft desselben erscheinen wir vor Ihm immer als die Gereinigten. Es kann auch der Sünder Gott um Erbarmung und Gnade anrufen, wenn er das Bedürfnis dazu fühlt; aber nur der für immer durch das Blut Christi gereinigte Anbeter hat die Freiheit im Heiligtum Gott zu nahen. Hier darf der Sünder nicht erscheinen. – Während der ersten Stiftshütte war der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart (Heb 9,8). 

Die Priester konnten wohl in die vordere Hütte eintreten, aber sie hatten kein Recht, weiter zu gehen. Ein dichter Vorhang verbarg vor ihren Blicken das Allerheiligste. Durch das Blut Jesu aber steht der Weg nun auch dorthin offen; der Vorhang ist zerrissen, und Jesus selbst ist der neue und lebendige Weg (Heb 10,19–20). – Er ist mit seinem eigenen Blut in das wahre Heiligtum, in den Himmel eingegangen, und hat sowohl dieses, wie auch den Anbeter selbst, für immer gereinigt; (Heb 9,23–24) Er ist für uns vor dem Angesicht Gottes erschienen und weilt dort zu jeder Zeit. Sein fortdauerndes Priestertum entspricht in jeder Beziehung all unseren Bedürfnissen, also dass auch wir nun das selige Vorrecht haben, zu jeder Zeit in dem Heiligtum droben zu sein, um Gott anzubeten und Ihm zu dienen; und welch eine Freimütigkeit und freudige Zuversicht erweckt dies Bewusstsein in dem Herzen des gläubigen Anbeters! „So lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, besprengt an den Herzen und also gereinigt vom bösen Gewissen, und gewaschen am Leib mit reinem Wasser“ (Heb 10,22).

Wie einfach, klar und köstlich ist diese Wahrheit für das nach Versöhnung und Erlösung sich sehnende Herz. – Dem Menschen blieben zwar nichts als seine Sünden, seine Blindheit und seine Ohnmacht; Gott selbst aber hat ohne irgend ein Zutun von Seiten des Menschen unsere Versöhnung in Christus Jesus vollbracht. Nur hier findet der Sünder durch den Glauben eine vollkommene Befreiung, sonst nirgendwo. Sobald wir das Werk Christi in Wahrheit durch den Glauben erkannt und als für uns angenommen haben, so verstehen wir auch, dass in Betreff unserer Sünden alles vollbracht ist, und dass nichts mehr von uns gefordert werden kann. Wir sind völlig versöhnt, gerechtfertigt und haben Frieden mit Gott. Wir genießen jetzt die Gnade, in welcher wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Doch nicht allein das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Vermöge dieser Liebe kennen wir Gott; wir wissen, dass alles, was in Ihm ist, auch für uns ist; nicht nur seine Barmherzigkeit und Liebe, sondern auch seine Treue und Gerechtigkeit sind für uns. Er ist für uns in völliger Liebe, und darum rühmen wir uns auch selbst der Trübsale, in welchen wir diese Liebe stets wirksam finden. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir die Versöhnung empfangen haben (Röm 5,1–11). Wie süß und köstlich ist dieses Rühmen, worin Gott so reichlich verherrlicht wird, für das gläubige und befreite Herz! In Christus zu Gott gekommen, befindet sich der Gläubige an einer unermesslich reichen Quelle von Segnungen. 

Gott selbst ist diese Quelle, aus welcher ihm in Christus Gnade um Gnade entgegenströmt; und seinen Namen durch den Gehorsam des Glaubens verherrlichend, genießt sein Herz jetzt schon, gleichsam als ein verborgenes Manna, diese Fülle von Segnungen. Sobald aber der Mensch ferne Gedanken voll Unglauben und Kleinmut in die einfachen und segensreichen Gedanken Gottes bringt, richtet er nur Verwirrung an, und diese Verwirrung teilt sich stets seinem Herzen mit. Dies ist auch der Grund, warum in unseren Tagen so viele Christen so gedrückt und niedergebeugt sind, und nicht mit fröhlichem Herzen ihre Straße ziehen; warum so wenige wahrhaft befreit und sich ihrer Stellung in Christus Jesus vor Gott bewusst sind. Sie vermengen das Wort Gottes mit ihren eigenen Gedanken; aber sie glauben es nicht als Wort Gottes. Sie verkümmern es für sich selbst, und verunehren Gott.

Es gibt nun auch viele Christen, die sich ihrer Rechtfertigung durch den Glauben völlig bewusst sind, und in Folge dessen Frieden mit Gott haben; allein sie klagen stets über Mangel an Kraft zu einem würdigen Wandel und zur Ausharren darin. Gleichgültige Seelen werden sich freilich damit begnügen, dass sie ihrer Errettung durch Christus gewiss sind, und denken wenig an die Verherrlichung seines Namens; ernstere Seelen aber, welche Jesus von Herzen lieben, wünschen Ihn auch durch einen Ihm wohlgefälligen Wandel zu preisen. Dies ist ja auch der Zweck so vieler ernsten Ermahnungen des Heiligen Geistes. Zunächst handelt es sich freilich um unsere Versöhnung durch das Werk Christi außer uns; aber sobald wir durch den Glauben gerechtfertigt und uns unserer Versöhnung durch die Erkenntnis seines Werkes bewusst sind, sobald wir unseren Anteil an der himmlischen Berufung in Christus Jesus erkannt haben, gilt es auch, dieser Berufung gemäß zu wandeln. Aber woher Kraft nehmen? – Die Beantwortung dieser Frage führt uns nicht nur zu dem Werke, sondern auch zu der Person Christi. Durch die lebendige Erkenntnis und die gläubige Zueignung seines Werkes ist zwar unser Gewissen gereinigt und unser Herz völlig beruhigt; allein dieses, und selbst die innige Freude darüber, gibt keine hinreichende Kraft, um vor Gott würdig zu wandeln. Wir bedürfen der Kraft Gottes, nämlich der Kraft, welche sich in Macht wirksam erwies in der Auferweckung Christi aus den Toten, und welche sich in uns, die wir mit Ihm auferweckt und lebendig gemacht sind, kräftiglich wirksam erweist durch den Glauben nach der Kraftwirkung des in uns wohnenden Geistes. Auf zwei Stücke haben wir jetzt vornehmlich unseren Blick zu richten: auf die, Person Christi, in welchem alle Fülle wohnt, und auf unsere Vereinigung mit Ihm in Kraft des Lebens. Wir können durch den Heiligen Geist unserer Kundschaft versichert und unseres Erbteils mit Christus gewiss sein, und doch nicht wandeln, wie es einem Kind und Erben Gottes geziemt. Dieser Wandel ist abhängig von der freien und kräftigen Wirkung des Geistes Gottes in uns, und von der lebendigen Erkenntnis und dem Gehorsam des Glaubens in Betreff der Person Christi und unserer Vereinigung mit Ihm in Kraft des Lebens. 

Der Heilige Geist wirkt diese Erkenntnis; Er erweckt, nährt und kräftigt den Glauben, und verwirklicht also das Leben Christi in unserem Wandet. „Deshalb beuge ich meine Knie zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, … dass Er euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit gebe, mit Macht gekräftigt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, und ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid“ (Eph 3,14–17). Ist aber der Geist Gottes in uns durch Ungehorsam betrübt oder geschwächt worden, ist unsere Erkenntnis, wie unser Glaube mangelhaft und kraftlos, so wird sich dasselbe auch in unserem Wandel offenbaren, weil dieser davon abhängig ist; und wir bedürfen alsdann immer wieder in besonderer Weise der mächtig wirkenden Gnade Gottes, um in den Genuss der Gemeinschaft mit Christus zurückzukehren. Doch ist die Unterbrechung unseres Wandels in dieser Gemeinschaft mit Christus, nicht auch eine Unterbrechung unserer Vereinigung mit Ihm in Kraft des Lebens. Wir sind immer in Christus; aber wir können unsere Vereinigung mit Ihm im Wandel verleugnen.

Um noch tiefer in das Verständnis des Gesagten einzudringen, wollen wir einen Teil des Briefes an die Kolosser etwas näher betrachten, der sich hauptsächlich mit diesen Gedanken beschäftigt. Die Gemeinde in Kolossä hatte ihre Bereinigung mit Christus, als ihrem Haupt, etwas vergessen. Ihre Herzen fingen an, sich wieder ein wenig zur Erde zu neigen, und in anderen Dingen ihre Befriedigung zu suchen. Dies ist immer der Fall, sobald wir in Christus nicht alles haben und durch den Glauben genießen. Das Herz will völlig befriedigt sein; aber es täuscht sich immer, sobald es außer Christus etwas zu finden glaubt. Nur in Ihm ist die Fülle, und wir besitzen diese Fülle kraft unserer Vereinigung mit Ihm. Deshalb war auch der Apostel bei den Kolossern so ernstlich bemüht, sie sowohl wieder ganz in Christus zurückzuführen, als auch das Bewusstsein ihrer völligen Vereinigung mit Ihm wieder zu beleben. Diese beiden Stücke charakterisieren den ganzen Brief. Möge der Herr durch die Kraft des Heiligen Geistes auch unsere Herzen in Einfalt und Ernst auf diese so segensreiche Wahrheit lenken und darin befestigen.

In den beiden ersten Kapiteln des Briefes führt der Apostel den Kolossern namentlich die Person Christi und seine vollkommene Fülle vor die Seele. Wir lesen in Kapitel 1,15–17: „Welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, Erstgeborener aller Schöpfung. Denn durch Ihn sind alle Dinge erschaffen, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten; – alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn geschaffen.“ – Hier haben wir die Herrlichkeit Christi in Betreff aller Dinge. Er ist der Schöpfer von allen; und wenn Er als Mensch seinen Platz in der Schöpfung ein nimmt, so gebührt es auch Ihm allein, das Haupt darin zu sein (vgl. Heb 1).

Wir lesen dann Vers 18 weiter: „Und Er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, der da ist Anfang, Erstgeborener aus den Toten, auf dass Er unter allen Dingen den Vorgang habe.“ – Hier haben wir den Anderen Teil der Herrlichkeit Christi. „Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle in Ihm zu wohnen, und durch Ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen; – da Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht durch Ihn, es seien die Dinge auf der Erde, oder die Dinge in den Himmeln“ (V 19–20). – Wie die Herrlichkeit Christi eine doppelte ist, so ist es auch die Versöhnung durch Ihn. Hier haben wir die Versöhnung aller Dinge und in den beiden folgenden Versen die Versöhnung der Gemeinde. 

„Auch euch, die ihr einst entfremdet und Feinde nach der Gesinnung in den bösen Werken wart, hat Er aber nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, um euch heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen“ (V 21–22). – In Vers 14 lesen wir: „In welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Sünden,“ und in Kapitel 2,14: „Die uns entgegen stehende Handschrift in Satzungen, welche wider uns war, hat Er ausgetilgt; und Er nahm sie aus der Mitte, da Er sie an das Kreuz nagelte; und als Er die Fürstentümer und die Gewaltigen ausgezogen hatte, stellte Er sie öffentlich zur Schau, da Er an demselben über sie einen Triumph hielt.“ – Wo sind jetzt unsere Sünden? wo ist die wider uns zeugende Handschrift? und wo der Feind, der uns in der Knechtschaft der Sünde und in der Furcht des Todes hielt? Für immer hinweggetan – vernichtet – besiegt! – O Dank der unendlichen Gnade und Liebe Gottes in Christus Jesus, wodurch unsere Herzen auf eine so zuversichtliche und köstliche Weise erfreut und beruhigt werden, und wir jetzt ohne Furcht in der Gegenwart Gottes leben können.

„In Christus sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Kap 2,3). „In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig; und ihr seid in Ihm vollendet, welcher ist das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt“ (V 9–10). Welch ein Glück für uns, den zu kennen, und zu besitzen und mit dem im Leben eins und in Liebe verbunden zu sein, in dem die ganze Fülle wohnt! Es ist nichts tröstlicher, erquicklicher und beruhigender für unsere Herzen, als die Erkenntnis seiner selbst, und dann das selige Bewusstsein, dass Er selbst, wie und was Er ist, ganz und gar unser Teil ist, und wir mit Ihm auf ewig eins sind. Außer Ihm aber ist nichts für uns; jedes Bedürfnis der Seele findet nur in Ihm seine wahre und volle Befriedigung. Wir können aber sowohl von seiner persönlichen Gemeinschaft, als auch von seiner Fülle genießen, wenn unsere Herzen mit Ihm verkehren. Dieser Verkehr kann freilich jetzt nur durch den Glauben und die Wirksamkeit des in uns wohnenden Geistes geschehen; „denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen;“ und das gläubige Herz ist stets gesegnet und glücklich in seiner Gemeinschaft; der Unglaube aber geht immer leer aus.

Jetzt wollen wir auf den Anderen Teil der Wahrheit, womit sich der Kolosserbrief vornehmlich beschäftigt, etwas näher eingehen, nämlich auf unsere völlige Vereinigung mit Christus in Kraft des Lebens. Dieser Teil der Wahrheit ist ebenfalls von der größten Wichtigkeit für uns. Es gründen sich auf diese Tatsache sowohl unsere Beziehungen mit Gott, als auch die Kraft unseres Wandels. Sei es unsere so gesegnete Stellung vor Gott, sei es, was wir jetzt im Glauben und einst im Schauen genießen und besitzen, alles ist von dieser Vereinigung abhängig. Schon wenn die Erkenntnis oder das lebendige Bewusstsein derselben mangelhaft oder schwach ist, so sind auch die süßen Gefühle, welche diese Vereinigung in unseren Herzen hervorbringen, geschwächt. Wenn wir aber Jesus wirklich kennen und lieben, so wünschen wir nichts sehnlicher, als immer mit Ihm vereinigt zu sein; und welche Freude, dass das Wort Gottes uns die tröstliche Gewissheit gibt, dass wir immer mit Ihm vereinigt sind. Jetzt genießen wir seine Gemeinschaft durch den Glauben, und wenn Er kommt, so werden wir Ihn sehen, wie Er ist, und werden allezeit bei Ihm sein. – Verstehen wir unsere völlige Vereinigung mit Christus nicht, so werden wir uns immer in einer gewissen Entfernung von Ihm fühlen und stets mehr oder weniger mit Furcht erfüllt sein.

 Unsere Gemeinschaft mit Ihm ist dann weder ganz herzlich, noch innig und vertraut, und unserem Wandel in seiner Gegenwart fehlt die freudige Zuversicht und die nötige Kraft. Nicht selten fallen ernste Seelen, denen das Bewusstsein ihrer Vereinigung im Leben mit Christus mangelt, und welche dennoch wohlgefällig vor Ihm wandeln wollen, in einen gesetzlichen Zustand zurück, wo sie nur immer wieder aufs Neue erfahren, dass das Fleisch ohnmächtig und verdorben ist. Solche Erfahrungen aber machen mutlos und niedergedrückt, und selten können diese Seelen mit fröhlichem Herzen Gott verherrlichen durch Preis und Anbetung.

Was ist nun der Charakter und die Tragweite unserer Vereinigung mit Christus, und welche Ermahnungen in Betreff unserer Gesinnung und unseres Wandels knüpft der Heilige Geist an dieselbe? Diese Frage wird sowohl in dem erwähnten Briefe an die Kolosser, als auch in mehreren anderen Teilen der heiligen Schrift auf das einfachste und klarste beantwortet.

Gott hat mit dem natürlichen Menschen keine Gemeinschaft noch irgendwelche Beziehung, es sei denn als Richter. Als Jesus von der Welt verworfen war, ist jede Beziehung abgebrochen; denn Er sagt: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt“ (Joh 12,31). Gehören wir noch zu der Welt, so stehen wir auch unter diesem Gericht. „Die, welche im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen, weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist“ (Röm 8,7–8). Der Mensch von Natur ist eins mit der Sünde, und darum getrennt von Gott; denn Gott ist heilig und kann keine Gemeinschaft mit der Sünde haben. Ebenso wenig wird die Natur des Fleisches weder unter dem Gesetz, noch unter der Gnade verändert; das Fleisch ist immer sündig und ohnmächtig. Es bleibt für dasselbe nichts anders übrig, als der Sold der Sünde, der Tod. Der Sünder als solcher muss ganz und gar vor dem Angesicht Gottes hinweggetan werden; doch der gerechtfertigte und erneuerte Mensch, der allein mit Gott in einer gesegneten Beziehung sein kann, ist in Christus von der Sünde getrennt worden. Dieses findet statt durch unsere Mitpflanzung zur Gleichheit des Todes und der Auferstehung Christi.

 Wir starben als Er starb; in der Taufe sind wir mit Ihm begraben; durch den Glauben mit Ihm auferstanden, und in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter. Wir lesen in Kolosser 2,11–13: „In welchem (Christus) ihr auch beschnitten seid mit der Beschneidung nicht mit Händen geschehen, durch das Ausziehen des Leibes (der Sünden) des Fleisches, durch die Beschneidung Christi, mit Ihm begraben in der Taufe; in welchem ihr auch mit auferweckt worden seid durch den Glauben an die Wirkung Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt hat. Auch euch, als ihr in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches tot wart, euch hat Er mit lebendig gemacht, und hat euch alle die Vergehungen vergeben.“ – Der Apostel belehrt hier ausdrücklich die gläubigen Kolosser, dass sie den Leib des Fleisches, d. i. der Sünde, worin sie früher wohnten und lebten, ausgezogen hätten; dieses Ausziehen sei geschehen durch eine Beschneidung, nicht mit Händen am Fleisch, sondern durch die Beschneidung d. i. durch den Tod Christi. In diesem Tod ist der Gläubige als Sünder hinweggetan; er ist als solcher in der Taufe mit Christus begraben und also ganz und gar für immer vor Gott beseitigt worden; allein die Wirkung Gottes, die sich kräftig in der Auferweckung Christi aus den Toten erwies, hat auch ihn durch den Glauben mit auferweckt, und ihn an dem Leben Christi Teil nehmen lassen. Wir sehen hier aber, in welch enger Beziehung dies alles mit der Person Christi steht, sowohl mit seinem Tod, als mit seiner Auferstehung, und es ist durchaus notwendig, dies stets im Glauben festzuhalten. Trennen wir es von seiner Person, so bringen wir uns in Verwirrung, und bleiben in unserem Wandel nach wie vor kraftlos. Es würde auch eine Unwahrheit sein, zu bekennen, dass wir gestorben, begraben und auferstanden seien, anders als durch unsere Mitpflanzung zur Gleichheit seines Todes und seiner Auferstehung.

 Ebenso ist hier nicht die Rede davon, in wie weit diese Wahrheit durch das Werk des Heiligen Geistes in uns verwirklicht ist, sondern allein was unsere Stellung vor Gott ist durch unsere Vereinigung mit Christus, welcher auferstanden ist und lebt. In Ihm aber ist unsere Stellung vor Gott in jeder Beziehung vollkommen, und keinem Wachstum unterworfen; und haben wir diese durch den Glauben und in Kraft des Heiligen Geistes lebendig erkannt und eingenommen, so wird sie sich auch als ein Werk des Geistes Gottes in uns verwirklichen, und im Leben und Wandel offenbaren. Es gibt Seelen welche wohl zugeben, dass wir eine vollkommene Stellung in Christus vor Gott haben, allein sie schwächen sich die wirksame Kraft derselben durch die Meinung, dass wir nicht immer in Christus seien. Doch sind dies nur ihre eigene Gedanken und nicht die Gedanken Gottes; zugleich aber beweisen sie dadurch, dass sie ihre Stellung vor Gott in Christus nicht in Wahrheit verstanden haben. Es kann für eine Zeit das lebendige Bewusstsein derselben, sowie die Kraft des Glaubens und die Wirksamkeit des Geistes Gottes in uns geschwächt sein, und dieses hat immer Mangel und Schwachheit im Wandel zur Folge; aber es hebt unsere Vereinigung mit Christus in Kraft des Lebens nicht auf. Der Christ ist stets in Christus vor Gott; aber in seinem Wandel kann er an dieser Stellung fehlen.

Wir werden später zum Brief an die Kolosser zurückkehren, und wollen jetzt einen Abschnitt aus dem Brief an die Römer, Kapitel 6, welcher sich ebenfalls sehr ausführlich mit dieser Wahrheit beschäftigt, etwas näher ins Auge fassen. – Der Apostel hatte am Schluss des vorigen Kapitels nachgewiesen, dass durch die Einführung des Gesetzes die Übertretung überströmend, d. h. in ihrer ganzen Ausdehnung offenbar geworden sei, dass aber die Gnade viel überschwänglicher geworden; und also die überströmende Sünde Ursache gewesen sei, die noch reichlicher überströmende Gnade völlig ans Licht zu stellen. Diese Behauptung hatte nun zu dem falschen Schluss verleiten können: es sei gut in der Sünde zu beharren, auf dass die Gnade überströme (Kap 6,1). Dies gibt dem Apostel Veranlassung zu beweisen, dass der Gläubige von der Sünde ganz und gar getrennt worden sei; er sagt: „Das sei ferne! die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch in derselben leben? Wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Jesus Christus getauft worden, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir denn mit Ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, auf dass, gleich wie Christus aus den Toten auferweckt ist, auch wir in Neuheit des Lebens wandeln sollen. 

Denn wenn wir zur Gleichheit seines Todes mitgepflanzt worden sind, so werden wir es auch freilich zu der seiner Auferstehung sein; dieses wissend, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, so dass wir der Sünde nicht mehr dienen“ (V 2–6). Wir sind also, wie wir auch hier sehen, durch den Tod von der Sünde getrennt worden, indem wir durch die Taufe dem Tod Christi einverleibt und mit Ihm begraben worden sind; so ist also diese Trennung für uns, die Glaubenden, in dem Tod Christi vollzogen. Christus ist aber durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt; und wie wir mit Ihm eine Pflanze geworden sind zur Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner Auferstehung sein. Unser alter Mensch ist am Kreuz Christi vor Gott beseitigt; der Leib der Sünde ist hinweggetan, auf dass wir nicht mehr der Sünde dienen, sondern als mit Christus Auferstandene in Neuheit des Lebens wandeln. Was ist denn jetzt unsere Stellung vor Gott? Sein Wort bezeichnet sie ganz klar. Als Sünder in dem Tod Christi getötet, in der Taufe mit Ihm begraben, und eins mit Ihm. in der Auferstehung in Kraft des Lebens, sind wir eine neue Kreatur vor Gott, in der Gleichheit des zweiten Adams, wie wir es in der des ersten waren. In Christus von der Sünde und von der Welt getrennt, sind wir jetzt: Auserwählte, Gerechtfertigte, Heilige. 

Dies ist stets die Stellung, in welcher allein Gott uns kennt; und nur in dieser genießen wir alle die segensreichen Beziehungen mit Gott, und der Gläubige findet in dem lebendigen Bewusstsein derselben durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes reiche Kraft nach diesen Beziehungen im Glauben vor Gott zu wandeln. Solange aber der Christ seine Stellung in Christus vor Gott nicht in Wahrheit erkannt hat, darf er an keinen würdigen Wandel denken; er wird nur immer wieder beschäftigt sein, den Sünder, der ein für alle Mal durch den Tod Christi vor Gott hinweggetan und sogar begraben ist, wieder vor Ihn zu bringen. Der treue Herr kann in seiner reichen Gnade wohl die Unkenntnis der Seinen übersehen, und sie der Stellung in Christus gemäß, die Er kennt, segnen; doch wird Er nur dann in Wahrheit durch uns in Gesinnung und Wandel verherrlicht, wenn wir stets in dem lebendigen Bewusstsein derselben in Kraft des Heiligen Geistes einhergehen.

Der Apostel fährt im 7. Vers des Kapitels weiter fort: „Denn der gestorben ist, ist von der Sünde freigesprochen. Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit Ihm leben werden, wissend, dass Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; – der Tod herrscht nicht mehr über Ihn. Denn dass Er gestorben ist, – Er ist ein für alle Mal der Sünde gestorben; dass Er aber lebt, – Er lebt Gott“ (V 7–10). Diese Folgerungen sind sehr tröstlich und segensreich für uns. Frei von der Sünde, haben wir in Christus Teil an einem Leben, was dem Tod nicht mehr unterworfen ist. Denn der Tod herrscht nicht mehr über den, der aus den Toten auferstanden ist, und wir sind mit Christus auferstanden.

Was jetzt folgt, sind meistens ernste Ermahnungen in Bezug auf unseren Wandel, als Ergebnis der durch den Heiligen Geist in uns wirksamen Wahrheit, nämlich unserer Trennung von der Sünde, durch den Tod Christi und unserer Teilnahme am Leben durch unsere Auferstehung mit Ihm. „Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus (unserem Herrn)“ (V 11). Nicht als wären wir der Sünde tot, wenn wir uns dafürhielten, sondern weil es eine Tatsache ist, dass wir ihr in dem Tod Christi gestorben sind, sollen wir uns dafür halten. Unser Leben ist nicht mehr in der Sünde, sondern in Christus und für Gott. „So herrsche denn die Sünde nicht in eurem sterblichen Leib, ihr zu gehorchen in seinen Lüsten; noch gebt eure Glieder der Sünde hin, als Werkzeuge der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin als Lebende aus Toten, und eure Glieder Gott als Werkzeuge der Gerechtigkeit; denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (V 12–14). „Freigemacht von der Sünde, seid ihr Knechte der Gerechtigkeit geworden … denn da ihr der Sünde Knechte wart, da wart ihr Freie von der Gerechtigkeit. Welche Frucht hattet ihr denn damals von den Dingen, welcher ihr euch jetzt schämt? denn das Ende derselben ist der Tod. Nun aber von der Sünde freigemacht und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit; das Ende aber ewiges Leben“ (V 18.20–22). – In diesen Worten ist eine vollkommene Scheidung ausgedrückt; das Wesen oder der Charakter unseres früheren Lebens steht im völligen Gegensatz mit unserem jetzigen in Christus, und dieser Gegensatz soll sich auch ebenso in unserem Wandel offenbaren.

In 1. Petrus 4,1 haben wir ebenfalls eine Stelle, die uns deutlich zeigt, welche Beziehung der Christ zur Sünde hat, indem er zur Gleichheit des Todes Christi mitgepflanzt ist, oder, was Fleisch betrifft, gelitten hat: „Da nun Christus für uns im Fleisch gelitten hat, so wappnet euch mit demselben Sinn; denn wer am Fleisch gelitten hat, ruht von Sünde.“

Noch wollen wir hier Epheser 2,4–6 anführen: „Gott aber, weil Er reich ist an Barmherzigkeit, hat, wegen seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt, als auch wir in den Vergehungen tot waren, uns mit Christus lebendig gemacht – durch die Gnade seid ihr errettet – und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus.“ – Nach dieser Stelle waren wir die in Sünden Toten, aber nun sind wir mit Christus auferweckt und lebendig gemacht. Zugleich zeigt sie uns, welchen Platz wir jetzt schon in Christus eingenommen haben. Dieser Platz ist da, wo Er selbst ist, in den himmlischen Örtern, und in Ihm haben wir denselben schon eingenommen. – Dies aber beweist uns völlig die Tragweite unserer Stellung, die wir jetzt durch den Glauben in Christus empfangen haben; aber bald auch im Schauen und voller Wirklichkeit mit Ihm besitzen werden. Eine Fülle von Freude wird der Gläubige darin finden, wenn er sie in Wahrheit verstanden hat, und nicht weniger eine reiche Kraft, um durch einen würdigen Wandel Gott zu verherrlichen.

So haben wir denn gesehen, wie der Gläubige in Christus vor Gott dasteht. Er ist eine neue Kreatur, in der Gleichheit des zweiten Adams, welcher auferstanden ist und lebt. Diese Stellung wird uns auch besonders dadurch klar, wenn wir im Anfang der meisten Briefe den Gruß an die Gemeinen lesen. Der Heilige Geist redet darin die Christen an: „Gläubige, Geliebte, Geheiligte in Christus Jesus, berufene Heilige usw.;“ doch hören wir nie, dass Er zu ihnen sagt: „Ihr armen Sünder.“ Die letztere Bezeichnung drückt freilich unsere Stellung aus, ehe wir in Christus sind, und besonders dann, wenn wir unser Elend in der Sünde erkennen. Wollen wir dieselbe aber auf die Christen anwenden, so verkennen wir ganz und gar den Charakter, die Ausdehnung und die Kraft ihrer Vereinigung mit Christus. Man will demütig sein, und man urteilt nicht nach der Wahrheit. Wir haben ja gesehen, dass Gott mit dem Sünder, und wäre er der ärmste, keine Gemeinschaft haben kann; weil Er heilig, der Sünder aber eins mit der Sünde ist. Doch in Christus sind wir getrennt von der Sünde, und zwar so sehr, was unsere Stellung vor Gott betrifft, als Er es selbst ist, und sind eins mit Gott. 

Der Ausdruck „arme Sünder,“ auf die Christen angewandt, ist nur ein Produkt des Unglaubens und der Unwissenheit, aber nicht des Wortes Gottes. Er ist durch die List Satans unter die Christen eingeführt und hat sie mehr oder weniger ihrer Freiheit beraubt; und jetzt in der Zeit des Abfalls, bei der Schlaffheit und Unwissenheit der Christen ist dieser Ausdruck ganz und gar einheimisch geworden. Wenn es bei manchen Seelen auch nur ein bloßer Ausdruck ist, worin sie sich gefallen, so ist das doch schon übel genug; es beweist jedenfalls eine mangelhafte Erkenntnis im Wort und unserer Beziehung zu Gott; und dies kann nicht ohne Einfluss auf unseren Wandel bleiben. Ist es aber ein Grundsatz des Herzens, auf welchem ein Christ mit Gott verkehren und in Beziehung sein will, so bringt dies nur Ohnmacht und Verwirrung; der Geist wird gelähmt, das Herz niedergedrückt und Gott wird nicht durch unser Leben verherrlicht. Unsere Stellung vor Gott ist abhängig von der Tatsache, dass wir wirklich mit Christus eins sind in Kraft des Lebens; die Gefühle des Herzens aber, sowie unsere Gesinnung und unser Wandel, sind von unserer Erkenntnis und unserem Bewusstsein dieser Tatsache abhängig. Nach dem Maß, als die Erkenntnis; dieser Tatsache wirklich in uns lebendig ist, sind wir im Leben geistlich und befreit. Wohl kann auch eine befreite Seele sündigen, und so oft dies geschieht, ist die Kraft ihrer Vereinigung mit Christus und die Kraft seiner Auferstehung nicht wirksam in ihrem Herzen durch den Glauben; aber es hebt dies ihre Stellung in Christus vor Gott nicht auf; weil das Opfer Christi immerdar vollgültig, und stets vor dem Angesicht Gottes für uns ist. Christus, der treue Hohepriester, ist ohne Unterbrechung unser Fürsprecher vor Gott in Kraft seines Opfers. Unsere Gesinnung aber und unser Wandel sind stets der Maßstab für die Verwirklichung unseres Einsseins mit Christus in uns durch den Glauben und die Kraft des Heiligen Geistes. Doch Fleisch bleibt Fleisch und es wohnt nichts Gutes darin; darum lasst uns wachen und nüchtern sein, und nicht vergessen, dass wir jetzt Schuldner sind, durch den Geist des Fleisches Geschäfte zu töten (Röm 8,13).

Der Herr Jesus sagt von seinen Jüngern: „Sie sind nicht von der Welt, gleich wie auch ich nicht von der Welt bin;“ (Joh 17,14) und der Apostel Johannes schreibt den Gläubigen: „Kindlein, ihr seid von Gott“; aber von den Ungläubigen sagt er: „Sie sind aus der Welt“ (1. Joh 4,5). Diese so tröstlichen Ausdrücke sind für manche Christen zu bestimmt und zu kühn, um davon für sich zur Freude ihrer Herzen und zur Kraft in ihrem Wandel Gebrauch zu machen. Sie halten es gar für Hochmut, aus der Welt und ihrer Stellung als Sünder, auch selbst nach dem inneren Bewusstsein, herauszutreten, wie es schon in Christus geschehen ist. Sie verkümmern sich die glückselige Stellung im Heiligtum droben, welche eine gläubige Seele für immerdar und zwar ohne Sünde in Christus vor Gott eingenommen hat, und verkümmern sich die so liebliche und süße Gemeinschaft des Vaters und seines Sohnes Jesu Christi in der Gegenwart Gottes. – Der Apostel Paulus tadelt auch die Kolosser, welche anfingen zu vergessen, dass sie nicht mehr in der Welt lebten. „Wenn ihr mit Christus den Anfängen der Welt gestorben seid, – was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt“ (Kap 2,20). Wie viele Christen würden aber in unseren Tagen denselben Tadel verdienen! – Der treue Gott wolle alle die Seinen, durch die Wirksamkeit seines Geistes und die Erkenntnis der Wahrheit recht befreien, auf dass sie durch den Glauben in seiner Gegenwart und Gemeinschaft zur Verherrlichung seines Namens wandeln.

Kehren wir denn jetzt zu dem 3. Kapitel des Kolosserbriefes zurück, welches noch so manches Liebliche und Ernste über den vorliegenden Gegenstand enthält. – „Wenn ihr denn mit Christus auferweckt seid, so sucht was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herrlichkeit offenbart werden“ (Kol 3,1–4). – Als Sünder standen wir in Beziehung mit der Welt; ihr Wesen war unser Leben, wir liebten, was darinnen war. Doch wir sind gestorben; und durch unsere Auferweckung mit Christus sind wir in Ihm eines Lebens teilhaftig geworden, das nicht von der Erde, sondern himmlisch ist. Es hat nichts gemein mit dem Wesen dieser Welt; es kann durch nichts Irdisches oder Vergängliches befriedigt werden; es ist göttlicher Natur, ewig und unvergänglich. 

Dies ist das Leben Christi und des Christen, der es in Ihm besitzt. So kann es uns denn auch nicht befremden, dass das Herz des Christen niedergedrückt und ohne Ruhe und Frieden ist, wenn es sich mit dem Wesen und den Dingen dieser Welt einlässt, wenn es nach dem trachtet, das auf der Erde ist. Dieser Zustand wird umso fühlbarer sein, je mehr das Leben Christi in dem Herzen verwirklicht ist. In der Gemeinschaft mit Christus aber, welcher die Quelle unseres Lebens ist, genießen wir die Gefühle des Himmels, ja alles das, was sein Herz genießt; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Die Erde ist für den Christen eine Wüste geworden; er findet hier nichts, was seinem Leben entspricht; er ist ganz und gar ein Fremdling darin. Seine Neigungen, gleich den Neigungen Christi, weil er seines Lebens teilhaftig geworden ist, finden nur im Himmel ihre vollkommene Befriedigung. Die Welt ist zwar reich an Versuchungen, aber arm an Trost und Freude für ihn. Alles, was irdisch und vergänglich ist, kann nicht das Teil eines Lebens sein, welches ewig und unvergänglich ist. Unser Teil ist mit Christus, der unser Leben ist. Wir haben alles mit Ihm gemein, sowohl seine Stellung, als seine Herrlichkeit. Wir sind nicht von der Welt, gleich wie auch Er nicht von der Welt ist; (Joh 17,16) wir sind vom Vater geliebt, wie auch Er von Ihm geliebt ist; (V 23) und wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt (1. Joh 4,17). Er hat uns dieselbe Herrlichkeit gegeben, die Er vom Vater empfangen hat; (Joh 17,22) wir sind gesegnet mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus (Eph 1,3). „Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, – Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir anders mit leiden, auf dass wir auch mit verherrlicht werden“ (Röm 8,17).

Dies alles aber lässt uns die Kraft der Ermahnung des Apostels verstehen, wenn er den Christen zuruft: „Sucht was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf der Erde ist.“ Das Trachten nach dem Irdischen ist immer eine Verleugnung unseres himmlischen Charakters und eine Verkennung unserer Vereinigung mit dem auferstandenen Christus; und wenn schon die Unruhe des Herzens, welches sich in die Dinge der Welt einlässt, ein Beweggrund für uns sein sollte, diese Ermahnungen mit Ernst zu beachten, – so doch dieses noch viel mehr. Mit dem innigsten Dank und der seligsten Freude sollten wir die unaussprechlich köstlichen Vorrechte genießen, woran wir durch diese Ermahnung so ernstlich erinnert werden: „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1. Joh 1,3).

 Diese segensreiche Gemeinschaft ist schon jetzt unser Teil geworden, obwohl wir noch in der Fremde, in einer feindseligen Welt und fern vom Herrn sind. Wir genießen sie durch den Glauben, und genießen mit ihr alle die süßen Empfindungen, welche diese Gemeinschaft begleiten. Doch unsere Hoffnung geht noch weiter. Noch ist unser Leben mit Christus in Gott verborgen, wie Christus selbst verborgen ist; noch ist unsere Gemeinschaft mit Ihm, die des Herzens durch den Glauben. Doch Christus, unser Leben, wird offenbart werden; und wird Er offenbart, so können wir nicht verborgen bleiben, weil Er unser Leben ist. Diese Offenbarung geschieht in Herrlichkeit. Aller Kampf des Glaubens ist dann aufgehoben; wir genießen schauend und ungestört seine Gemeinschaft in vollkommener Wirklichkeit, und genießen mit Ihm in ungetrübter Freude die Herrlichkeit Gottes, ja alles, was sein ist. – O selige Hoffnung, besonders für solche Seelen, die Ihn kennen und in Wahrheit lieben. Diese Hoffnung, wenn sie unser Herz erfüllt, gibt Mut und Ausdauer im Kampf wider die Sünde, und besonders zur Verleugnung alles dessen, was nicht unser Teil ist. Wir vergessen, was dahinten ist, und strecken uns nach dem aus, was vor uns liegt, und streben, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus (Phil 3,14). Alles werden wir hienieden ausschlagen, um droben alles mit Christus zu besitzen; und das Ziel unserer Hoffnung, auf welches unverwandt unsere Blicke mit Sehnsucht gerichtet sind, und nach welchem wir immerdar hinstreben, wird sich in all unserer Gesinnung und unserem Wandel ausdrücken.

In diesen ersten Versen haben wir nun sowohl unsere jetzige Stellung, die wir in Christus durch den Glauben einnehmen, als auch die, welche wir mit Ihm in Herrlichkeit bei seiner Offenbarung haben werden. Im Wesen sind beide eins, aber in ihrer äußeren Erscheinung verschieden. Die eine ist verborgen, die andere offenbar; was Glaube und Hoffnung in der einen festhält, ist in der anderen Erfüllung. – Jetzt folgen ernste Ermahnungen, welche der Apostel an das feste Bewusstsein des Glaubens und der Hoffnung knüpft; Ermahnungen, welche wie immer nicht unserer Schwachheit, wohl aber unserer Stellung vor Gott in Christus Jesus entsprechend sind. Unser Wandel soll dieser gemäß sein; und deshalb fordert es unsererseits Kampf, ja entschiedenen Kampf des Glaubens, um diese Stellung in unserem Leben zu verwirklichen. Alles Sichtbare kann für uns Versuchung werden, und Satan, voll List und Bosheit, und alle Mächte der Finsternis sind immerdar beschäftigt, unsere Herzen niederzuhalten, den Glauben und die Hoffnung zu schwächen, und uns durch Allerlei zu täuschen, zu verführen und zu verstricken. Doch wollen wir in diesem allen mehr als Überwinder sein, so können wir es nur durch den, der uns geliebt hat. „Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod, noch Leben, noch Engel, noch Fürstentümer, noch Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, noch Gewalten, noch Hohes, noch Tiefes, noch irgend eine andere Kreatur uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, unserem Herrn, ist“ (Röm 3,39). Welch köstliches Bewusstsein ist dies für das gläubige Herz in den mannigfachen Versuchungen und Kämpfen.

 Die durch den Glauben in uns wirksame Kraft der Auferstehung Christi, welche Ihn zur Rechten Gottes über alles erhöhte, die lebendige Erkenntnis seiner selbst, und unserer Vereinigung mit Ihm in Kraft des Lebens, unser steter und inniger Verkehr oder unsere Gemeinschaft mit Ihm in Liebe durch die Kraft des heiligen Gottes, unser Ausharren in der Hoffnung auf seine nahe Zukunft und unserer Versammlung zu Ihm wird uns in allen Versuchungen feste und gewisse Tritte tun lassen und unsere Herzen immerdar mit Mut, Trost und Freude erfüllen. Doch welche Wachsamkeit, welche Gebote, welche völlige Hingabe an den Herrn, welch stetes und gläubiges Aufsehen auf Ihn, welch unverrücktes Festhalten an Gott und seinem Wort erfordert dies alles, um nicht im Kampf zu ermatten oder gar zu erliegen. Doch der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ist für und mit uns. Er ist stets bereit, durch seine Gnade und Liebe uns zu geleiten, durch seine Treue uns zu bewahren, durch seine Kraft in uns zu wirken. Darum können wir getrost und mit freudiger Zuversicht unseren Lauf vollenden und den Kampf des Glaubens kämpfen, bis seine Ankunft inmitten der Feinde uns vom Kampfplatz abruft und Er uns mit sich in die Wohnungen des Vaters, wo unsere Heimat ist, einführt.

„So tötet denn eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust, und den Geiz, welcher Götzendienst ist, um welcher willen der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt, in welchen auch ihr einst gewandelt habt, als ihr darinnen lebtet. Aber jetzt legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, Schandreden aus eurem Mund. Belügt euch einander nicht, indem ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen, und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn geschaffen hat, wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Scyte, Sklave, Freier, sondern alles und in allen – Christus“ (V 5–11). – Wir sind in Christus mitversetzt in die himmlischen Örter; aber von den Gliedern der Sünde, sagt der Apostel, dass sie auf der Erde seien. Dies Bewusstsein ist köstlich. Wir sind also ganz und gar von diesen Gliedern getrennt, weil wir gestorben und mit Christus auferstanden sind; jetzt ist die Kraft des Lebens wirksam in uns. Diese Scheidung ist, wie wir gesehen haben, in Christus vollbracht; wir sind eine neue Kreatur und der Glaube hält dies Bewusstsein fest. Doch sind wir jetzt noch in einem Leib, der nicht vom Himmel, sondern von der Erde ist; und praktischer Weise ist nicht alles getötet, nicht alles abgelegt, und die Sünde ist nicht von uns getrennt, sonst wären diese Ermahnungen überflüssig.

 In Christus aber sind wir tot für die Sünde, Gott aber lebend in Ihm; wir sind von ihr getrennt, aber eins mit Christus in Kraft des Lebens, und weil dieses eine Tatsache ist, so werden wir nun ermahnt, auch die Glieder auf der Erde zu töten. Wären die Glieder der Sünde tot, wäre das Fleisch nicht mehr bei uns, wären wir nicht mehr da, wo Satan und Sünde wohnt, so würde jede Versuchung und jeder Kampf beendigt sein. Dies hebt aber unsere Stellung vor Gott in Christus nicht auf; und je mehr wir diese in Wahrheit erkennen, je mehr wir darin im Glauben kämpfend ringen, desto mehr wird sich auch die Kraft der Auferstehung Christi in unserem praktischen Leben offenbaren. Dies ist das Werk des Heiligen Geistes in unseren Herzen. – Solange wir der Sünde leben, solange wandeln wir auch darin; doch sind wir ihr gestorben, wie sollten wir noch darin wandeln? Unser Leben ist jetzt in dem, was droben ist, und der Glaube ist die Verwirklichung dessen, was man nicht sieht. Der Sünde leben und zugleich die Glieder der Sünde töten, ist unmöglich. Mag das Gesetz noch so heilig und gut sein, mögen wir noch so sehr wünschen, das Gute zu tun, und mögen wir noch so oft hören, dass der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt, weil sie der Sünde leben, – wir können nichts anders, als der Sünde dienen. Doch freigemacht von der Sünde durch Christus und eins mit Ihm im Leben, vermögen wir kraft dieses Bewusstseins durch den Glauben nach der Wirkung des Heiligen Geistes die Glieder auf der Erde zu töten und alles abzulegen, was nicht dem himmlischen Wesen entspricht; und je mehr unsere Herzen mit Erkenntnis Gottes erfüllt sind, je mehr wir die innigen Beziehungen zu Gott in Christus verstanden haben, desto mehr werden wir auch das hohe Vorrecht unseres Dienstes in seiner Gegenwart schätzen und mit Freuden genießen.

 Ohne Glauben aber ist es unmöglich in diesem Dienst zu stehen und die Glieder des Fleisches zu töten. Der Glaube allein hat seine Kraft in Christus, der Unglaube sucht sie in der Kreatur; der Glaube wirkt nach der Macht Gottes, der Unglaube liegt ohnmächtig unter der Macht des Fleisches; der Glaube urteilt nur nach den Gedanken Gottes, der Unglaube nach den Gedanken der Menschen; der Glaube sieht den Christen stets in Christus vor Gott, der Unglaube aber sieht ihn in der Welt und der Sünde, und so viel der Eine und der Andere in den Herzen wirksam ist, so viel wird sich auch das Wesen oder der Charakter von beiden im praktischen Leben offenbaren.

Doch warum fordert der Apostel so entschieden, die Glieder auf der Erde zu töten, und alles, was zum Wesen dieser Welt gehört, abzulegen? Zunächst, weil der Zorn Gottes über alle kommt, die darin leben; dann, weil wir in Christus daraus errettet sind, indem wir den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen haben, und endlich, weil die Sünde oder das Fleisch im völligen Gegensatz zum neuen Menschen steht, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn geschaffen hat, und welchen wir angezogen haben. Christus und die Sünde haben keine Gemeinschaft, und wie könnten wir praktisch in einem Dienst beharren, wovon wir in Christus befreit sind. Es war der Zweck der unendlichen Gnade und Liebe Gottes und der Hingabe Christi uns aus der Sünde und der Welt zu erlösen, und nun sollte es gleichgültig sein, nachdem wir dieser Erlösung durch Christus teilhaftig geworden sind, in unserem Wandel in diesen Dingen zu beharren? Das sei ferne! Der Herr bewahre uns vor solcher Gleichgültigkeit und solch schrecklichem Undank! Vielmehr werden wir erneuert zur Erkenntnis des Bildes dessen, der uns geschaffen hat. Der neue Mensch ist von und nach Gott geschaffen, dessen Bild auch völlig in Ihm erkannt werden soll. Die Erneuerung geschieht praktischer Weise in uns durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Es steht aber der neue Mensch in keiner Beziehung mit irgend einem Verhältnis und Stand in dieser Welt, so wenig wie Christus selbst; bei ihm handelt es sich nur um Christus, welcher allein alles und in allen ist. –

Die jetzt folgenden Ermahnungen beschäftigen sich vornehmlich mit der Kundgebung des Wesens des neuen Menschen, d. i. des Christen im praktischen Leben oder im Wandel. „Zieht denn an, als Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte, – herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde, Langmut, einander vertragend und einander vergebend, wenn einer wider den Anderen Klage hat; wie auch Christus euch vergeben hat, also auch ihr; – zu diesem allem aber die Liebe, welche das Band der Vollkommenheit ist. Und der Friede Gottes herrsche in euren Herzen, wozu ihr auch in einem Leib berufen seid – und seid dankbar. Das Wort Christi wohne in euch reichlich in aller Weisheit; euch lehrend und ermahnend mit Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern, Gott singend mit Gnade in euren Herzen. Und alles, was ihr immer tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus, danksagend dem Gott und Vater durch Ihn“ (V 12–17). Die Namen, welche der Heilige Geist hier den Christen beilegt, bezeichnen ganz und gar die Stellung, welche sie in Christus vor Gott haben. Sie sind nicht mehr von der Welt und ohne Hoffnung, sondern Auserwählte für die Seligkeit; sie sind nicht mehr die Unreinen und die armen Sünder, sondern Heilige, gewaschen durch das Blut Christi, getrennt von der Sünde, und für Gott bei Seite gestellt; sie sind nicht mehr die Entfernten und die Feinde Gottes, sondern seine Geliebten.

 Eine Stellung wie diese, sollten wir nach den Ratschlüssen Gottes vor Ihm einnehmen; wir haben sie jetzt schon durch den Glauben eingenommen in Christus Jesus, und werden sie einst in vollkommener Wirklichkeit mit Ihm einnehmen droben in der Herrlichkeit. Das Bewusstsein einer solchen Stellung gibt dem Herzen Freimütigkeit zu Gott zu nahen, und eine kindliche und innige Freude in seiner Gegenwart zu wandeln. – Fassen wir nun die Ermahnung selbst etwas näher ins Auge, so finden wir ganz die Gesinnung und den Charakter Christi darin. Wir sollen also wandeln und gesinnt sein, wie Er. Der Unglaube möchte hier wieder fragen: Wie ist dies möglich? Allein das einfältig gläubige Herz weiß, dass wir mit Ihm eins sind in Kraft des Lebens, und dass die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher in uns wohnt; es fragt nicht lange, sondern glaubt und folgt; es ruht in Christus, es wandelt in seiner Gegenwart und genießt von seiner Gemeinschaft. Nur die Gesinnung Christi ist für den Gläubigen das vollkommenen Muster seines Wandels; sie ist für ihn das Kleid, worin er überall erscheinen soll. Dies ist die Kraft und die Tragweite dieser Ermahnungen. Sein Charakter soll der unsrige sein; wir sollen vergeben, wie Er uns vergab, und lieben, wie Er uns liebte. Die Liebe, das Band des Vaters und des Sohnes, ist das Band der Vollkommenheit. O welche Gnade, dass auch uns dieses Band mit umschlungen hat! Jetzt soll es uns nun auch untereinander umschlingen. Sein Friede soll in unseren Herzen, und in der ganzen Versammlung, als in einem Leib regieren; sein Wort soll in uns in aller Weisheit wohnen, und nicht nur ein Gast oder gar Fremdling bei uns sein; seine treue Fürsorge, seine Freude und sein Lob soll in unserer Mitte in jedem Herzen offenbar werden, und sein Name soll endlich der Grund sein, auf welchen jedes Wort und jedes Werk gebaut ist. – Diese Ermahnungen beweisen auf das klarste, welche gesegnete Stellung wir vor Gott in Christus haben, und wie wir mit Ihm ganz und gar eins sind. Haben wir sie in Wahrheit verstanden, so können sie unsere Herzen nur mit Lob und Anbetung erfüllen, und die tiefste Freude und die größte Bereitwilligkeit in uns erwecken, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen und in der Gesinnung Christi zu wandeln.

Der Gott aller Gnade aber wolle unsere Herzen mit Ernst ans diesen Gegenstand lenken; Er wolle uns durch seinen Geist unsere segensreichen Beziehungen zu Ihm in Christus Jesus verstehen lassen, und uns Kraft geben, nach denselben zur Verherrlichung seines Namens zu wandeln.

DENN GOTT IST ES, DER IN EUCH WIRKT SOWOHL DAS WOLLEN ALS AUCH DAS WIRKEN, ZU SEINEM WOHLGEFALLEN.
Durch die Gefangenschaft des Apostels Paulus, waren die Philipper auf eine lange Zeit genötigt, dessen persönliche Pflege und Unterweisung zu entbehren. Doch hatte dies die gegenseitige Gemeinschaft der Herzen in nichts geschwächt, im Gegenteil scheint die Liebe nur noch tiefer und völliger geworden zu sein. Die Philipper hatten Epaphroditus zu ihm gesandt, damit er für sie den Mangel ihres Dienstes ausfülle; (Kap 2,30) und Paulus durch die reiche Gabe ihrer Liebe, welche sie diesem zur Überbringung übergeben hatten, aufs Neue einen Beweis ihrer innigen Anhänglichkeit und Zuneigung empfinge. Der Apostel seinerseits gedachte ihrer stets in seinen Gebeten, die er mit Freuden tat; er sehnte sich nach ihnen allen mit dem Herzen Christi, (Kap 1,4.8) und nannte sie seine geliebten und gewünschten Brüder, seine Freude und seine Krone (Kap 4,1).

Während der Abwesenheit des Apostels mussten die Philipper lernen, dass Gott durch seine unsichtbare Gegenwart alles ersetzt, und dass Er stets genug ist. Solche Erfahrungen, so köstlich sie auch sind, erfordern jedoch in besonderer Weise, sowohl von einer Versammlung als auch von einer einzelnen Seele, kindlichen Glauben, ausharrende Geduld, einfältige Hingabe, und stete Verleugnung. Der Apostel erinnert sie hieran in Kapitel 2,12: „Also denn, meine Geliebten, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit bewirkt mit Furcht und Zittern eure eigene Seligkeit.“ Sie hatten einen so willigen Gehorsam bewiesen bei der Gegenwart des Apostels, allein sie bedurften es jetzt noch viel mehr, während seiner Abwesenheit, und zwar in dem Bewusstsein der unsichtbaren Gegenwart Gottes und der Leitung des unter ihnen wirkenden und wohnenden heiligen Geistes, Es zeigt die Vollkommenheit einer Versammlung an, wenn die Gegenwart Gottes in dem Heiligen Geist für sie in allen Fällen genug ist, um stets in einem völligen Gehorsam zu wandeln; und so segensreich es auch ist, so ist es doch ein Beweis ihrer Mangelhaftigkeit, wenn sie solcher Glieder bedarf, die ihr durch ihre Gaben dienen. Der treue Gott aber gibt uns diese, und lässt uns auch erfahren, dass Er durch seine Gegenwart alles ersetzt, und sowohl das Wollen als auch das Wirken nach seinem Wohlgefallen in und unter uns wirkt.

Der Heilige Geist wohnt in jedem Kind Gottes, wie auch in der Versammlung der Heiligen, und durch seine Innwohnung macht Er sowohl den Leib des Einzelnen, als auch die Versammlung, den Leib Christi, zum Tempel Gottes. Sind wir im Namen Jesu versammelt, so ist der Heilige Geist sowohl in unserer Mitte, als auch in jedem Herzen, das sich der Gegenwart Christi bewusst ist, wirksam. Durch diese Wirksamkeit werden uns durch das Wort, welches einerseits tröstet, stärkt und erquickt, andererseits auch die mannigfachen Mängel und Gebrechen, sowohl die persönlichen als auch die der Versammlung aufgedeckt. Das Bewusstsein dieser Mängel und Gebrechen erweckt durch denselben Geist, der sie aufgedeckt hat, Betrübnis und Schmerz, sowie das Bedürfnis nach einem Völligersein zum Preis Gottes. Soweit das Wort die Herzen erreicht hat, wird sich ein ernstes und tiefes Verlangen offenbaren, alles hinweg zu tun, was dem Wesen Gottes nicht entspricht, und also zu wandeln, dass dadurch sein Name wahrhaft verherrlicht und gepriesen wird. Dies ist das Wollen, gewirkt von Gott.

Doch auch das Wirken kann nur von Ihm sein. Hier aber offenbart sich oft die größte Mangelhaftigkeit bei uns. Bei vielen Seelen, die an und für sich etwas träge sind, bleibt es bei diesem offenbar und fühlbar gewordenen Bedürfnis; bei anderen entstehen mancherlei Vorsätze, die entweder mit der ernsten Stimmung des Gemüts und den angeregten Gefühlen des Herzens wieder verschwinden, oder dieselben in eine gesetzliche Stellung zurückführen. In letzterem Fall ist man selbst wirksam, aber nicht wirksam nach dem Wohlgefallen Gottes. Wir mögen viele gesetzliche Anstrengungen an den Tag legen und sogar viel Ernst beweisen, allein wir erreichen höchstens unser Wohlgefallen und sind in eigener Gerechtigkeit. Wenn auch der Heilige Geist das Gefühl unserer Mängel und das Verlangen nach Vollkommenheit auf das Tiefste in unserem Herzen angeregt hat, so gibt uns dies doch keine Kraft, um uns nach diesem Gefühl und nach diesem Verlangen wandeln zu lassen. Wendet sich dies Bedürfnis an uns, suchen wir selbst diesen Forderungen auf irgend eine Weise zu entsprechen, so sind wir unter dem Gesetz und machen Erfahrungen über unsere Ohnmacht. Ähnlich ist es mit einer Versammlung. Sie mag über ihre Mängel seufzen, sie mag sich nach der Verherrlichung Gottes sehnen, sobald sie eigene Mittel und Wege einschlägt, um ihren Bedürfnissen zu entsprechen, schwächt sie nur die Wirksamkeit des Geistes Gottes. Ohnmächtige, ungläubige Seufzer und Selbsthilfe lassen uns in steter Hilfslosigkeit. Gott allein, der das Wollen schaffte, kann das Wirken nach seinem Wohlgefallen geben.

Wenn wir wirklich von unserer Schwachheit überzeugt sind, was hilft uns unser Vornehmen stark zu sein? Wenn der Heilige Geist eine Versammlung von ihren Mängeln und Gebrechen überzeugt hat, so dienen die selbst gewählten Mittel und Wege zur Abhilfe nur dazu, jene zuzudecken. In manchen Versammlungen hat man schon beim Entstehen derselben solche Einrichtungen getroffen, die das Offenbarwerden mancher Mängel und Gebrechen verhüten sollen; doch was ist mit solchem Zudecken gewonnen? Man täuscht sich und andere; doch nicht den Herrn; man schwächt die Wirksamkeit des Heiligen Geistes und schwächt somit den Segen und den Wachstum der Einzelnen, wie der ganzen Versammlung. Nur die erkannten und fühlbar gewordenen Mängel können durch den Heiligen Geist das Bedürfnis nach Heilung erwecken; nicht aber die unsichtbaren, die nicht gefühlt werden.

Wenn die Mangelhaftigkeit einer einzelnen Seele oder einer Versammlung in Wahrheit offenbar und erkannt wird, so ist ein reicheres Maß der Gnade und eine völligere Wirksamkeit des Heiligen Geistes nötig, um würdiger wandeln zu können, als bisher, und dies Fehlende kann nur Gott selbst darreichen und erwecken. Darum muss das Gefühl unserer Mängel, unser Verlangen und unser Wollen vor Gott kund werden, der dieses in uns wirkte, und das Vollbringen allein geben kann. Unsere Gebete müssen die in seinem Licht erkannten Mängel und Gebrechen und die tiefe Sehnsucht nach seiner Verherrlichung vor Ihn bringen, weil Er allein helfen kann und will. Nur im Herrn haben wir Gerechtigkeit und Stärke; wir sollen lernen, in allen Lagen und Verhältnissen auf Ihn hoffen, und sollen erfahren, was Er stets für uns ist. Sehen wir nicht gleich seine Hilfe, so dürfen wir doch die Überzeugung haben, dass Er uns völlig liebt, und dass Er dieser Liebe gemäß in und unter uns wirkt. Überlassen wir uns in solchem Vertrauen und solcher Hingabe seiner Leitung, so dürfen wir überzeugt sein, dass Er uns bewahrt und leitet, und was Er selbst in und unter uns wirkt, das ist immer nach seinen Wohlgefallen.

Möchte dies Bewusstsein unsere Herzen stets erfüllen und uns immerdar geneigt machen in nichts besorgt zu sein, aber all unser Anliegen mit Bitten und Flehen und Danksagung vor Ihm kund werden zu lassen, so würden wir nicht allein zu seinem Preis stets völliger werden, sondern der Friede Gottes würde in der Versammlung, als in einem Leib, regieren und unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

EINIGE WORTE ÜBER DEN GEGENSATZ UND DEN UNTERSCHIED DER ISRAELITISCHEN STELLUNG UNTER DEM GESETZ UND DER JETZIGEN UNTER DER GNADE
Es kann von großem Nutzen für uns sein, wenn wir diesen Unterschied recht begreifen. Wir sind ohne alle Hoffnung, wenn unsere Stellung vor Gott von Bedingungen abhängig gemacht wird, d. h. von Bedingungen, die von uns die Gerechtigkeit fordern. Das Gesetz stellt solche Bedingungen. Ehe wir dies aber weiter untersuchen, wird es nötig sein, einige Vorbemerkungen zu machen, nämlich die Stellung Israels vor dem Gesetz auf Sinai etwas näher ins Auge zu fassen. Der Bund, welchen Jehova mit Abraham machte, war ein Bund der Gnade. Durch diesen Bund wurde ihm und seinem Samen der Besitz des Landes Kanaan zugesichert, (1. Mo 13,15; 17,8) Es gab also eine Verheißung, welche Kanaan zu einem ewigen Besitz der Nachkommen Abrahams machte (Dies ist aber, wie ich glaube, noch zu erfüllen, und wird stattfinden, wenn Hesekiel 37 und Römer 11,25–27 verwirklicht sein werden). Nach einer anderen Verheißung (Kap 15,13–16) sollten die Nachkommen Abrahams im vierten Geschlecht nach Kanaan zurückkehren, nachdem sie vierhundert Jahre als Fremdlinge in einem anderen Land unter hartem Dienst zugebracht hätten. Unter Josua erlangte diese letzte Verheißung ihre Erfüllung. Kraft derselben wurde also Israel aus Ägypten und durch das rote Meer und die Wüste geführt; (2. Mo 12,40) die Treue Gottes war in Bezug auf seine Verheißung die Bürgschaft ihrer Einführung in das Land Kanaan. Gott war es nicht, der ihnen den Bund auf Sinai aufbürdete; sie stellten sich freiwillig unter denselben. 

Würden die Israeliten sich einerseits an ihre Fehler, an ihren Unglauben und an ihr Murren erinnert haben, und andererseits an die Treue, Langmut und Güte des Herrn, als Er ihnen sagte: „Und nun, wenn ihr meiner Stimme gehorcht, und meinen Bund beobachtet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; und ihr sollt mir ein Priesterkönigreich sein, und ein heiliges Volk“; (2. Mo 19,5–6) hätten sie daran gedacht, dass sie Abrahams Samen waren, so würden sie geantwortet haben: Kanaan und alle seine Segnungen sind uns zugesichert durch den Bund und den Eid; aber aus Erfahrung unsere eigenen Schwächen kennend, wagen wir uns nicht in eine Stellung, wo der Segen von unserem Gehorsam abhängig gemacht wird. Doch statt dessen antworteten sie im Hochmut ihres Herzens: „Alles, was Jehova geredet, wollen wir tun“ (V 8). Also hatte Israel durch den Bund auf Sinai den Boden der Verheißung, worauf es sich befand, verlassen, um ihn mit der eigenen Gerechtigkeit zu vertauschen. Vierzig Tage nachher schon machte Israel ein goldenes Kalb, und war im Abfall. Durch den Bruch dieses Bundes verlor es aber jedes Recht, kraft desselben in das Land einzugehen. Was war jetzt zu tun? Einerseits bestand die Verheißung und der Bund mit Abraham (1. Mo 15). – Gott konnte die erste nicht zurücknehmen und dem zweiten nicht untreu sein – andererseits war Israel durch die Sünde des goldenen Kalbes in Untreue und folglich unter dem Gericht. Jehova war beleidigt, und seine Gerechtigkeit musste gegen sein Volk ihren freien Lauf haben, genauso wie gegen Adam, als er in Eden ungehorsam war. Er konnte ohne Verletzung seiner Gerechtigkeit nicht über die Sünde Israels hinweggehen; sie musste gebüßt werden. Wie kam es aber nun, dass sie dennoch unter Josua in das Land eingehen konnten? – Gewiss nur durch die Kraft des Opfers Christi, welches im Voraus von Gott als vollgültig angesehen wurde. Dieser sollte als Jude kommen; Er sollte von einem Weib geboren und dem Gesetz unterworfen werden. Durch das Vergießen seines Blutes und durch seinen völligen Gehorsam vollbrachte Er vollkommen das Gesetz; Er büßte die Sünden des Volkes, und erfüllte eine Gerechtigkeit, die gesetzlich und vollkommen war. Dies ist übereinstimmend mit den Worten des Kajaphas, welcher, weil er desselbigen Jahres Hohepriester war, weissagte: „Ihr wisst nichts, bedenkt auch nicht, dass uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe …, denn Jesus sollte sterben für das Volk; und nicht für das Volk allein, sondern dass Er auch die zerstreuten Kinder Gottes, in eins zusammenbrächte“ (Joh 11,49–52).

So ging Israel unter Josua in das Land ein, wie es später unter Jesu, dem wahrhaftigen Gegenbild des Josua, eingehen wird. Dies Eingehen war genau nach demselben Grundsatz, nach welchem jeder Gläubige, von Abel an bis jetzt, in die Segnungen eingegangen ist, nämlich durch die Gnade mittels der Gerechtigkeit Christi. Nach Römer 6,21 sehen wir auch, dass dies zu jeder Zeit und in jeder Stellung der einzige Weg ist, wodurch der Mensch zu den Segnungen gelangen kann. Er hat keine Gerechtigkeit; er kann durch sich selbst zu keiner kommen; er kann jede Segnung nur auf Grund der Verheißung empfangen. Seine Gerechtigkeit muss die eines anderen sein; er muss einen Stellvertreter oder Bürgen an seiner Statt haben, wenn er etwas empfangen will.– Deshalb wird auch der Name Jesu durch Israel genannt und verherrlicht: „Der Herr, unsere Gerechtigkeit!“ (Jer 23,6; Jes 45,24–25)

Es ist sehr interessant und wichtig, die Entwicklung der Ratschlüsse und Grundsätze Gottes kennen zu lernen, und zu beobachten, wann und wie Er die Unumschränktheit seines Tuns und den Grundsatz der Auserwählung offenbart hat. Gott ändert weder sein Vorhaben, noch die Grundsätze, wonach Er handelt, obschon wir hiervon mannigfache Offenbarungen, und unter den verschiedenen Umständen und Verhältnissen auch eine verschiedene Handlungsweise sehen können. Die Israeliten waren, wie wir gesehen haben, auf den Grund ihres eigenen Gehorsams gestellt, und waren gefallen. Das ganze Volk war in diesem Abfall einbegriffen. Alle waren schuldig geworden; alle hatten sich unter den Fluch gestellt, und verdienten nichts als das Gericht. Nun hier ist es, wo Gott auftritt, um seine Unumschränktheit zu offenbaren, indem Er sagt: „Ich werde begnadigen, den ich begnadigen werde, und erbarme mich, über den ich mich erbarmen werde“ (2. Mo 33,19). Ebenso ist es jetzt.

 Die ganze Welt ist vor Gott als schuldig erklärt. Es gibt keine Gerechtigkeit, nicht eine Einzige (Röm 3,9–22). Und hier ist es wiederum, wo Gott nach dem Grundsatz der Auserwählung und der Unumschränktheit handelt. Gott sagt: „Jetzt werde ich begnadigen, den ich begnadigen werde, und mich erbarmen, über den ich mich erbarmen werde“ (Röm 9,15). Er kann so handeln, und dabei vollkommen heilig und gerecht bleiben; und dies bleibt Er wegen der Besprengung des Blutes Christi und seines Gehorsams. In Römer 3,4 und Kapitel 9 lässt es sich der Heilige Geist gefallen, Gott durch den Mund des Apostels wegen seiner Unumschränktheit und Auserwählung, gegen die ungerechten Anklagen, welche der Mensch erheben könnte, zu rechtfertigen; und „also ist die Weisheit gerechtfertigt durch ihre Kinder“ (Mt 11,19).

Angenommen, es würden sechs Missetäter, des Hochverrats angeklagt und überführt, zum Tod verurteilt. Dem Fürst, gegen welchen diese Tat vollbracht ist, steht allein das Recht zu, Gnade auszuüben; und er benutzt dieses Vorrecht und spricht drei von ihnen frei; aber gegen die drei anderen lässt er dem Gesetz seinen Lauf. Jetzt haben diese doch keine Ursache, den Fürsten der Ungerechtigkeit anzuklagen; und zwar deshalb nicht, weil das Gesetz sie als schuldig erfunden hat, und ihren Tod fordert. Handelte jener Fürst nur nach der Gerechtigkeit, so müssten alle sechs sterben; denn es ist ein Akt der Gerechtigkeit, einen Missetäter zu töten, der die Strafe des Todes verdient hat; und es ist ein Akt der Gnade, einen solchen Missetäter freizusprechen.

Wenn wir den Bund auf Sinai nicht klar verstehen, so werden wir auch die Notwendigkeit und den Wert des neuen Bundes, wovon Jesus der Mittler ist, und welchen Er durch sein Blut eingeweiht hat, nicht recht erkennen. Das Gesetz, in Folge des sinaitischen Bundes gegeben, forderte einen vollkommenen Gehorsam; aber es sorgte nicht für die Vergebung der Sünden, welche durch den Bruch desselben entstanden waren. Ebenso verschaffte es keine Kraft, um diesem Gesetz gehorchen zu können. Es beschränkte sich allein darauf, zu sagen und zu befehlen: „Tue das!“ – Es wandte sich an Menschen im Fleisch; und dem Fleisch ist es unmöglich, dasselbe zu erfüllen, weil das Gesetz geistlich, und nur die Liebe die Erfüllung desselben ist (Röm 13,10). Die Liebe ist der einzige Beweggrund und fähig, das Gesetz zu erfüllen; aber das Gesetz war den Menschen im Fleisch gegeben. Nun ist aber der Beweggrund und zwar der einzige Beweggrund, wonach das Fleisch wirkt, Feindschaft oder Hass; wie wir in Römer 8,7–8 lesen: „Die aber, welche im Fleisch sind, vermögen Gott nicht zu gefallen; weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist.“

Der Bund mit Abraham, (430 Jahre vor dem Gesetz gegeben (Gal 3,17)) unter welchem es eine Gerechtigkeit durch den Glauben gab, wie auch die Hoffnung der Gerechtigkeit durch den Glauben, d. i. die himmlische Herrlichkeit, hat auch nichts getan und konnte auch nichts tun, um für die unter dem Gesetz vollbrachten Sünden eine Vergebung zu erwirken, noch den Fluch fern zu halten, der mit der Übertretung des Gesetzes verbunden war. Dies lässt uns nun die Notwendigkeit und den Segen des neuen Bundes erkennen. Der Ausdruck „neu“ ist in der heiligen Schrift als Gegensatz des sinaitischen Bundes gebraucht, „welcher veraltet und dem Verschwinden nahe ist“; (Heb 8,7–13) aber nicht als Gegensatz des Bundes mit Abraham, welcher nicht aufgehört hat, und dessen Segnungen die Gemeinde teilhaftig worden ist (Gal 3,8–29). Ich erinnere euch an die Worte des Herrn Jesus bei der Einsetzung des Abendmahls: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, welches für euch vergossen wird“ (Lk 22,20). Ebenso ist Jesus in Hebräer 9,15 der Mittler des neuen Bundes genannt. Dieser neue Bund, notwendig geworden durch die Übertretung des ersten oder des Gesetzes, befreit von dieser Übertretung. Er trägt in sich, was der Bund auf Sinai nicht in sich trug, nämlich das Blut (wodurch die Erlassung der Sünden ist) und eine Kraft, welche möglich macht, den Geboten Gottes zu gehorchen. „Das ist der Bund, den ich für sie errichten will nach diesen Tagen, spricht der Herr: Meine Gesetze in ihre Herzen gebend, werde ich sie auch auf ihre Sinne schreiben; und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nicht mehr gedenken“ (Jer 31,31). Die ganze Abhandlung des Heiligen Geistes in Hebräer 9 und 10 bezieht sich auf diesen Gegenstand. In Hebräer 9,15 sagt Er: „Damit, – da der Tod zur Erlösung der unter dem ersten Bunde geschehenen Übertretungen eingeführt ist, – die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfangen möchten;“ und Er zeigt, dass es durch das Blut des neuen Bundes ist, wodurch das Gewissen vollkommen gemacht oder von den Übertretungen des Gesetzes gereinigt wird.

Also hat der neue Bund nicht nur die Wirkung, dass Gott der Sünden nicht mehr gedenkt, dass das Gewissen des Gläubigen gereinigt, von der Last der Sünden entledigt und von dem Fluch des Gesetzes erlöst wird, sondern er empfängt in demselben auch den Heiligen Geist der Verheißung, um die Gebote Gottes zu vollbringen. Es ist aber die Person des Heiligen Geistes, und nicht einfach seine Wirkung, wie etliche sagen und lehren (Röm 8,9–16; 2. Kor 6,16; Eph 1,13). Dieser Geist ist es, welcher unsere Kraft ist gegen die Sünde, unsere Kraft gegen den Satan, und welcher uns fähig macht, Gott zu gehorchen (vgl. Jer 31,31–34 und Heb 8,10–12 mit Hes 36,27).

Bis das Gesetz kam, war wohl Sünde in der Welt, (Röm 5,15) und es wäre die Besprengung des Blutes, um die Sünden zu tilgen, auch selbst in dem Fall nötig geworden, wenn kein Gesetz gegeben worden wäre; „denn ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Heb 9,22). – Also war es nicht das Gesetz oder der sinaitische Bund, welcher das Blutvergießen notwendig machte; dieser forderte vielmehr die Notwendigkeit eines neuen Bundes. Gott hatte den Menschen schon früher die Notwendigkeit der Blutvergießung wegen der Sünden offenbart; das sehen wir (1. Mo 3,21) und ebenso durch die Einführung der blutigen Opfer. Das Gesetz hat nur dem Menschen diese Notwendigkeit gezeigt, indem es ihn überzeugt hat, dass er vor Gott in der gleichen Übertretung mit Adam ist, (Röm 5,14) weil er ein bestimmtes Gebot Gottes übertreten hat. Durch das sinaitische Gesetz sah sich der Mensch einem neuen Fluch unterworfen; (5. Mo 27,26; Gal 3,13) durch den neuen Bund aber haben wir nicht nur die Erlösung oder die Erlassung der unter dem sinaitischen Gesetze vollbrachten Übertretungen, (Heb 9,15) sondern auch die Erlösung von dem Fluch dieses Gesetzes.

Das bisher Gesagte wolle man vornehmlich als Einleitung des in der Überschrift angeführten Gegenstandes betrachten. Sind dies auch meist bekannte Wahrheiten, so ist es doch gut, wenn sie ganz klar vor unserer Seele stehen, damit wir auch das Folgende umso besser erkennen.

1. Der sinaitische Bund war für das Volk Israel, dem Samen Abrahams nach dem Fleisch, errichtet. Nach diesem Bund war es, falls es der Stimme des Herrn gehorchte, ein Priesterkönigreich und ein heiliges Volk; allein es blieb nicht in diesem Bunde, und jetzt, seitdem Israel verworfen, ist die Gemeinde Gottes das heilige Volk. Doch ist dies nicht ein Volk, in Betreff des Fleisches, zusammengehalten durch eine bürgerliche Regierung, sondern ein Volk, welches geistlich ist; „auserwählte Fremdlinge nach Vorkenntnis Gottes des Vaters, in Heiligkeit des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ (vgl. 1. Pet 1,1–5 mit Kap 2,5–9). Die Auserwählten sind das heilige Volk, seit das irdische Volk bei Seite gesetzt ist. Es ist nötig, zu erkennen, dass es nur Verwirrung hervorbringt, wenn man Israel nach dem Fleisch als ein Vorbild der christlichen Völker betrachtet. Vielmehr ist dies die wahre Anwendung des Vorbildes: das Volk Israel oder der Same Abrahams nach dem Fleisch ist das Vorbild der Gemeinde des lebendigen Gottes, des heiligen Volkes, bestehend aus dem Samen Abrahams nach dem Geist (Gal 3,29–4,26–31). Was für Israel sichtbar, irdisch und in Beziehung mit dem Fleisch stand, ist für die Gemeinde Gottes unsichtbar, himmlisch und geistlich. So war auch jenes ein irdisches Volk mit irdischen Hoffnungen; dieses aber ist ein himmlisches Volk mit himmlischen Hoffnungen. Doch es ist ganz und gar unrichtig, das Fleisch und die Erde als Vorbilder für das Fleisch und die Erde zu betrachten; vielmehr sind sie Vorbilder des Geistes und des Himmels.

2. Der Charakter der Stellung Israels unter dem sinaitischen Bund war die Gerechtigkeit, und zwar eine Gerechtigkeit durch das Gesetz. Der Gehorsam nach dem Gesetz sollte die Gerechtigkeit des Volkes sein; (5. Mo 6,25) und diese Gerechtigkeit war der Grundsatz, nach welchem Gott mit dem Volk handelte, welches in den sinaitischen Bund eingetreten war. Doch muss man dieses wohl von dem Grundsatz unterscheiden, nach welchem Er mit einzelnen Gläubigen unter diesem Volk handelte. Dieser Grundsatz war der der Gnade durch den Glauben. Die einzelnen Gläubigen, wie David und andere, genossen von der Hoffnung der Gerechtigkeit durch den Glauben (vgl. Gal 5,5 mit Heb 11,10.13.16.39.40; 12,22–24). Ihr Glaube brachte sie in eine Stellung, welche über die gesetzliche hinausging. Als Juden nach dem Fleisch hatten sie Teil an den irdischen Segnungen; aber als geistliche Juden hatten sie auch Teil an den himmlischen Segnungen, unendlich höher und vortrefflicher als jene.

So wie die Gerechtigkeit der Grundsatz der Wege Gottes gegen Israel war, so sollte auch die Gerechtigkeit der Grundsatz und die Regel ihres Verhaltens unter einander sein (2. Mo 21,23–25; 3. Mo 24,19–20; 5. Mo 19,21). Unter ihnen sollte also die Gerechtigkeit oder das Recht walten. Jetzt aber waltet die Gnade, oder wenn man will, die Gerechtigkeit ohne das Gesetz, „die Gerechtigkeit durch den Glauben;“ nämlich „Gottes Gerechtigkeit durch den Glauben an Jesus Christus zu allen hin, und auf alle, welche glauben“ (Röm 3,22).

Die Gerechtigkeit oder das Recht handelt mit dem Menschen nach Verdienst. Darum ist es eine gerechte Handlung, den Schuldigen zu strafen, und den Schuldlosen freizusprechen. Die Gnade aber besteht darin: dem Schuldigen zu vergeben, Barmherzigkeit zu üben an dem Bösen, und den Unwürdigen zu segnen. Die Gnade handelt mit dem Menschen, ohne seine Schuld in Betracht zu ziehen und selbst trotz seiner Schuld. Wir sehen diesen Gegensatz recht deutlich, wenn wir in 2. Mose 23,7 mit Römer 4,5 vergleichen. „Ich lasse den Frevler nicht unbestraft.“ – „Dem aber, der nicht wirkt, aber an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Das ist die Gnade. So wie nun aber jetzt die Gnade der Beweggrund in Betreff der Wege Gottes gegen uns ist, so soll auch sie der Beweggrund in dem Verhalten der Christen unter einander und gegenüber der Welt sein (Lk 6,27–38; Mt 5,38–48; 1. Pet 2,20–28; 1. Kor 4,12).

Durch die Gnade Gottes haben wir eine vollkommene Vergebung von allen unseren Sünden empfangen, und sind teilhaftig geworden all der geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus (Eph 1,3.7; Kol 2,3.10; Röm 6,23). So sollen wir nun auch anderen mit gleicher Gnade begegnen, und nicht in Gerechtigkeit oder Gericht gegen diejenigen auftreten, welche uns Unrecht tun. Dies ist der Grundsatz aller Vorschriften des neuen Testaments in Betreff des Wandels der Gläubigen, sowohl in der Gemeinde als auch in der Welt. Es soll demnach der Charakter einer jeden Stellung, sowohl der früheren unter dem Gesetz, als der jetzigen unter der Gnade, durch diejenigen im praktischen Leben offenbar werden, welche dieselbe einnehmen. Israel, auf dem Boden der Gerechtigkeit stehend, soll kund tun, was die Gerechtigkeit ist; und die Gemeinde, auf dem Boden der Gnade stehend, soll kund tun, was die Gnade ist.

3. Die Segnungen Israels waren in Beziehung mit dem Fleisch und irdisch (vgl. 1. Mo 13,16–18; 5. Mo 7,12–15; 8,7–18; 11,8–15.21). Diese Stellen schon lassen uns den Charakter dieser Segnungen klar erkennen. Die Hoffnung des Juden, als Jude, stand in Betreff seiner Segnungen in Beziehung mit dieser Erde. Der Reichtum, langes Leben, Fruchtbarkeit des Bodens usw. waren sein Teil. Der Besitz dieser Dinge sollte für ihn ein Zeichen der Huld Gottes sein. War er leidend, sei es an seiner Person, sei es an seinen Gütern, so war dies ein Beweis der Ungunst Gottes. Der Segen des Juden stand also mit dem Fleisch in Beziehung, und der Ort, wo er ihn genoss, war die Erde, nämlich das Land Kanaan. – Unsere Segnungen aber sind geistlich, und der Ort, wo wir sie genießen, ist der Himmel (Eph 1,3; Kol 2,23). Wenn man jetzt seine Gedanken und seine Neigungen auf irdische Dinge gerichtet hat, so ist man ein Feind des Kreuzes Christi (Phil 3,18–21). Vielmehr sind jetzt die Leiden das Teil des Gläubigen auf Erden. Das Fleisch kreuzigen, sich selbst verleugnen, der Welt und alles was darinnen ist, entsagen; sein eigenes Leben hassen, den Verlust aller Dinge um Christi willen leiden, – das ist das irdische Teil des Jüngers Christi. Sein himmlisches Teil ist seine Gemeinschaft an der Herrlichkeit des auferstandenen Christus im Geist und durch den Glauben von jetzt an. Seine Hoffnung ist die Erlösung seines Leibes, und Jesus zu sehen, gleich wie Er ist, und Ihm gleich zu sein (vgl. Mt 16,24–25; 1. Kor 4,11–13; Joh 15,18–21; Röm 8,22–25; 1. Kor 1,7; Gal 6,14–17; Kol 3,4; Heb 10,32–37; 3,1).

4. Die Segnungen Israels waren bedingungsweise; sie hingen von dem Gehorsam des Volkes ab (2. Mo 19,5; 3. Mo 26; 5. Mo 27,12–26; Kap 28) Die Segnungen der Gemeinde aber sind nicht bedingungsweise; die Erlangung derselben ist nicht dem Gehorsam derjenigen unterworfen, welche die Genossen dieser Segnungen sind. Es ist Gnade durch den Glauben, dass sie derselben teilhaftig werden. Das Leben des Gehorsams, wozu sie berufen sind, wird die Folge der schon empfangenen Segnungen (Vgl. 1. Pet 3,5.9.12; Kol 1,9–14 mit 2. Mo 19,5 und siehe Heb 12,22–24). Alle Gebote des neuen Testaments, die sich auf den Wandel beziehen, sind an lebendige, d. h. geistlich lebendige Menschen und nicht an tote gerichtet, an Menschen, die das ewige Leben haben und folglich errettet sind; und nicht an Menschen, welche noch tot sind in Sünden und Übertretungen und folglich verloren sind (2. Kor 4,3–4; Joh 3,36–6,47; Eph 2,4–6; Kol 2,13). Der Gläubige wird zuerst errettet, und dann wird er verherrlicht; er empfängt das Heil im Anfang und die Herrlichkeit am Ende; er hält die Hoffnung der Herrlichkeit fest, und freut sich derselben, weil er errettet ist (Röm 5,1–2; 1. Pet 3–9). – Die Gläubigen stehen jetzt unter einem bessern Bunde, ruhend auf besseren Verheißungen, – besser, weil das Erbe ewig ist; (Heb 8,6; – 9,13) auch sind die Verheißungen nicht auf diese Worte gegründet: „Wenn ihr meiner Stimme gehorcht und meinen Bund, beobachtet, so sollt ihr mein Eigentum aus allen Völkern sein, denn die ganze Erde ist mein; und ihr sollt mir ein Priesterkönigreich sein und ein heiliges Volk,“ – sondern es heißt: „Nachdem ihr geschmeckt habt, wie gut der Herr ist, seid ihr ein geistliches Haus, eine heilige Priesterschar, das königliche Priestertum, das heilige und erkaufte Volk, das auserwählte Geschlecht, das Volk des Eigentums.“ Die frühere Stellung kannten nur Knechte, in der jetzigen aber sind die Söhne (Gal 3,26; 4,1; 4,21–31).

5. Der Kultus des israelitischen Volkes bestand in fleischlichen Satzungen, welche bis Zur Zeit der Zurechtbringung oder Besserung eingeführt waren (Heb 9,9–10). Der Ort des Dienstes oder des Kultus war ein irdisches Heiligtum von Händen gemacht, und errichtet durch Menschen auf der Erde. Die Priester, welche Gott Gaben und Opfer darbrachten, waren nach einem fleischlichen Gebot eingesetzt (Heb 7,11–12.16–23). Das Recht, Priester zu sein, war ganz und gar auf das Fleisch gegründet, nämlich auf ihre Eigenschaft als Glieder der Familie Aarons, und nicht auf irgend eine moralische oder geistige Eigenschaft. Dies Priestertum war auf eine besondere Klasse beschränkt, auf die Familie Aarons, und die Familie Levi allein war für den Dienst der Stiftshütte und später des Tempels berufen. Der Dienst der Priester bestand darin, die Opfer darzubringen, und auf dem ehernen Altar im Innern des Heiligtums zu räuchern, welches die Fürbitte vorstellte. Der Dienst der Leviten war nicht der Kultus, d. h. er bestand weder darin, die Opfer darzubringen, noch die Fürbitte zu üben; sie waren bloß beauftragt im Heiligtum in der Weise zu dienen, dass sie für alle Geräte desselben und was sonst dazu gehörte, Sorge tragen mussten.

Man hat sich geirrt, wenn man diese drei Klassen von Personen, die Priester, die Leviten und das Volk, als Vorbilder von drei verschiedenen Klassen in der Gemeinde Gottes betrachtet hat. Sie bezeichnen zwar drei verschiedene Charakter in der Gemeinde, nicht aber drei Klassen. Nach der jetzigen Stellung der Gläubigen ist jeder derselben ein Priester, (1. Pet 2,5–9; Off 1,6; 5,8–10) Jeder Gläubige hat das Recht, sogar in das Allerheiligste zu gehen durch das Blut Jesu; (Heb 10,19–20) jeder Gläubige ist berufen, zu opfern geistliche Opfer; (Heb 13,10–15; 1. Pet 2,14) jeder Gläubige hat Fürbitte zu üben für alle Heiligen oder für die ganze Gemeinde; (Eph 6,18) und jeder Gläubige ist Diener in der Gemeinde (welche das Haus Christi auf Erden ist (Heb 3,6)) und Diener der Gemeinde (Joh 13,14–15; Gal 5,13; Eph 5,21; 1. Kor 12,25–26; Röm 12,8; 1. Joh 3,16). Also ist jetzt jeder Gläubige das Gegenbild eines Priesters unter dem Gesetz oder eines Sohnes Aarons; und zu gleicher Zeit ist er das Gegenbild eines Leviten, wie Christus selbst ein Gegenbild von Aaron ist. Die Priester unter dem Gesetz waren ein Bild der Gemeinde Gottes in ihrem Kultus; die Leviten waren ein Bild der Gemeinde Gottes in ihrer gegenseitigen Bedienung. Israel als ein Leib oder ein Ganzes betrachtet, abgesehen von aller Einteilung in Klassen oder Ordnungen, war ein Bild der Gemeinde, betrachtet als Leib oder ein Ganzes, sowie der einzelne Israelit Vorbild eines Gläubigen war, einfach in Christus betrachtet, und nicht als Priester oder Levit.

Es konnte aber ein jeder Priester, obschon er diesen Titel und Charakter stets beibehielt, doch nirgends anders sein Priesteramt ausüben, als im Heiligtum; (in der Wüste in der Stiftshütte und später im Tempel) man konnte nirgends anders Opfer darbringen, als dort, wo der Name des Herrn war; (2. Chr 7,16) dort, wo der eherne Altar sich befand, welcher vor dem Heiligtum war; und man konnte nirgends anders räuchern, um Fürbitte zu tun, als da, wo der goldene Altar stand, im Innern des Heiligtums. – Wenn jetzt die Gläubigen Priester sind, so müssen sie auch ein Heiligtum haben, vor welchem sie Opfer darbringen und in welches sie eingehen können, um zu räuchern. Dies Heiligtum ist im Himmel, wo Jesus, der große Hohepriester mit seinem Blut eingegangen ist. Da ist es, wo Er vor und auf dem Gnadenstuhl die Besprengung seines Blutes vollbracht hat, welches stets bessere Dinge redet, als das Blut Abels (Heb 12,24; Kap 8,1–4; 9,1–24; 10,19–22; 4,14–16).

Die Gläubigen sind eine geistliche Priesterschar und haben geistliche Gaben zu opfern; ihr Heiligtum und folglich der Ort ihres Kultus oder Dienstes und ihrer Gemeinschaft mit Gott ist, wie wir gesehen haben, der Himmel. Hier gibt es weder ein Priestertum nach dem Fleisch, noch fleischliche Satzungen oder Gebote, weder ein Heiligtum in dieser Welt, noch einen Ort der Gemeinschaft oder des Kultus auf der Erde. Dieser ist jetzt nahe beim Gnadenthron, d. i. im Himmel, da wo sich der große Hohepriester befindet (2. Mo 25,21–22; Kap 29,43; Heb 9,11–12.24). – Wir haben also gesehen, dass der Kultus jetzt geistlich und nicht fleischlich ist, dass er im Geist und durch den Geist und nicht nach dem Gesetz und durch das Gesetz geschieht; ferner, dass das Priestertum geistlich und himmlisch und nicht fleischlich und irdisch ist, dass das Heiligtum sich im Himmel und nicht auf der Erde befindet, errichtet von Gott und nicht durch Menschen, und dass der Ort der Gemeinschaft mit Gott nur da sein kann, wo Gott wohnt. Seine Wohnung aber ist im Allerheiligsten im Himmel und nicht mehr in der Scheschina zwischen den Cherubim in dem Heiligtum dieser Erde. Der Gläubige hat nun das Recht und die Freiheit, durch das Blut Jesu in das Allerheiligste des Himmels einzugehen (Heb 10,19). Die Macht, mittels derer seine Seele dort eingeführt ist, ist der Heilige Geist, der in ihm wohnt (Eph 2,18; 1. Kor 6,19; 2. Kor 6,16; Gal 4,6).


Die bisher angeführten Stellen, um zu beweisen, dass jeder Gläubige ein Priester ist, dienen auch dazu, die Unrichtigkeit einer Behauptung, die man gegen diesen Grundsatz gemacht hat, darzutun. Man hat gesagt, dass, obschon Israel ein Priesterkönigreich war, es doch eine Klasse oder eine bestimmte Familie (die Familie Aarons) gab, welche zum Priesteramt berufen war, und dass jeder Israelit, der dieser Familie nicht angehörte, todeswürdig war, sobald er sich auf irgend eine Weise anmaßte, den Dienst des Priesters zu vollziehen (4. Mo 3,10.38). Hieraus schließt man, dass, obschon jeder Gläubige ein Priester ist, doch die Sohn Aarons ihr Gegenbild in einer bestimmten Klasse von Personen haben müssten, welche für die Verrichtung oder Übung des Priesteramtes geweiht und abgesondert wären, und dass kein Christ, der nicht zu dieser Klasse gehöre, das Recht habe, sich in diesen Dienst einzumischen. Man führt auch Judas 11: „Wehe ihnen! … sie kommen um in dem Aufruhr Koras,“ an, als eine Drohung gegen die Eingriffe in das jetzige Priestertum. Dieser Gedanke hat seinen Grund in der falschen Anwendung des Vorbildes des Priestertums Aarons, indem man dieses auf eine besondere Klasse in der Gemeinde, statt auf die ganze Gemeinde, betrachtet in ihrem Kultus oder Gottesdienst, anwendet. Folgendes ist jedoch entschieden gegen eine solche Meinung:

1. Nirgendwo im neuen Testament finden wir irgend eine Erwähnung von einer besonderen Klasse von Priestern in der Gemeinde Gottes, welche sich von anderen Gliedern derselben unterscheidet.

2. Alle Gläubigen haben eine und dieselbe Stellung in Christus; ein jeder gehört zu der Zahl derjenigen, welche Gott mit Christus lebendig gemacht, welche Er samt Ihm auferweckt hat, und welche Er hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus (Eph 2.5–6). So ist nun jeder Gläubige nicht allein in Christus, (1. Kor 1,30) sondern er ist in Ihm da, wo Er selbst ist, d. i. im Allerheiligsten. in dem Heiligtum im Himmel, wohin Jesus eingegangen ist mit seinem eigenen Blut, um jetzt für uns vor Gott zu erscheinen (Heb 9,1–12.24; Kap 8,1–6). Das Allerheiligste des irdischen Heiligtums stellte die Wohnung und die Gegenwart Gottes vor, und niemand konnte hineingehen als der Hohepriester, und zwar nur einmal im Jahr am großen Versöhnungstag (3. Mo 16,2–29; Heb 9,7). Die Söhne Aarons durften nur in das Heilige, welches durch einen Vorhang vom Allerheiligsten getrennt war, eingehen, um ihren Dienst zu verrichten (Heb 9,6). Die Vereinigung jedes Gläubigen mit Christus, auferstanden und verherrlicht, gibt ihm eine Stellung im Allerheiligsten. Er hat fortwährend das Recht und die Freiheit daselbst durch das Blut Jesu einzugehen, weil der Vorhang zerrissen ist (Heb 10,19–22). Es gibt keinen Ort, welcher näher bei Gott ist, als dieser, und kein größeres Vorrecht als dieses; aber es ist der Ort und das Vorrecht aller Gläubigen ohne Ausnahme, und gehört nicht nur einer besonderen Klasse von Christen an.

3. Der ganze Dienst der Söhne Aarons, nämlich das Opfer und die Fürbitte, ist jetzt der ganzen Gemeinde beigelegt (Siehe 1. Pet 2,5–9; Off 1,6; 5,8; Heb 10,19–22; 13,10.15; Eph 6,18). Alle Gläubigen haben die Freiheit in das Allerheiligste einzugehen, wo sonst nur der Hohepriester allein eingehen konnte; sie haben den Beruf und das Vorrecht, den Dienst zu verrichten, welchen die Söhne Aarons im Heiligtum vollbrachten. Hieraus folgt, dass keine Klasse von Menschen in der Gemeinde einen Dienst als Priester hat, woran nicht ein jedes Glied derselben Teil nehmen kann. – Das Wort in Judas 11 ist von großer Wichtigkeit, und der Herr gebe, dass alle diejenigen, gegen welche es gerichtet ist, es mit Ernst beachten, auf dass sie seiner schrecklichen Ausführung entgehen. Die Sünde Koras war ein Aufruhr gegen die unter dem Gesetz von Gott eingeführte priesterliche Ordnung, und ein Versuch, sich die Vorrechte dieser Ordnung anzumaßen. Dies Beispiel ist also anwendbar gegen alle, welche die in der jetzigen Zeit von Gott eingeführte Priesterordnung verkennen und verwerfen, welche den Genuss und die Verrichtung des Dienstes oder die Vorrechte derjenigen, wovon die Söhne Aarons Vorbilder waren, ausschließlich an sich reißen.

 – Jetzt sind alle diejenigen, welche durch Jesus zu Priestern Gottes gemacht sind, und welche die wahre Gemeinde Gottes ausmachen, – Menschen im Geist, Menschen, die nicht von dieser Welt sind, welche durch das Blut Jesu von ihren Sünden gewaschen und mit Ihm gestorben und auferstanden sind; es sind aber nicht Menschen im Fleisch, nicht Menschen dieser Welt, welche tot sind in Sünden und Übertretungen, und die weder gewaschen noch lebendig gemacht sind. Jesus ist es, Jesus allein, der sie zu Priestern machte. Ihr Beruf und ihre Vorrechte kommen von Ihm und von Ihm allein, ohne irgend eine Vermittlung oder Bestätigung von Seiten eines Menschen (Off 1,5–6). Die Anmaßung besteht jetzt darin, irgend einen Dienst des Priestertums an sich zu reißen, – oder ein Priestertum von einer besonderen Klasse von Personen hinzustellen, – oder, was noch mehr ist, ein Priestertum nach dem Fleisch zu errichten, indem man Menschen im Fleisch, Menschen von der Welt, die nicht den Geist haben, als Priester anerkennt und bestätigt, oder ihre Qualifikation (Befähigung) von Bildung und von menschlicher Auszeichnung, – und ihren Beruf von der Autorität (Ansehen) oder dem Willen des Menschen abhängig macht, – oder ihr Recht auf die Succession oder die Übertragung von Menschen zu Menschen gründet, – oder auch den Dienst und das Vorrecht eines Priesters für sich beansprucht, während man die Anderen, die in Christus sind, ausschließt, – oder die Erde und ein irdisches Heiligtum als den Ort des Dienstes herzustellen bemüht ist, sei es von einem Einzelnen, oder sei es von irgend einer Körperschaft, – dies alles ist im Grundsatz die Nachahmung Koras. Es ist eine Verachtung und Verwerfung der Ordnung, welche Gott eingeführt hat, und eine Anmaßung in dem Dienst und den Vorrechten dieses Priestertums. –

Die ganze jüdische Haushaltung und folglich alle fleischlichen Gebote haben für jetzt aufgehört. Dies alles sind schwache und armselige Elemente geworden (Gal 4,9). Der Versuch, Gott zu nahen nach jüdischen Zeremonien, auf Grund eines irdischen Priestertums, nach fleischlichen Geboten oder Satzungen, oder die Dinge, welche Gott beseitigt hat, wieder aufrichten zu wollen, ist nur ein Götzendienst (Heb 7,11–12; 8,7–8). Der Götzendienst besteht nicht allein darin, dass man einen anderen Gegenstand als den allein wahren Gott anbetet, sondern auch darin, dass man versucht, in einer anderen Weise anzubeten, als die, worin Er angebetet sein will; er besteht nicht allein in dem Gegenstand, sondern auch in der Weise des Kultus; Gott kann nur einen Kultus annehmen und anerkennen, wenn er nach der Weise ist, welche Er selbst vorgeschrieben hat. Der Kultus ist wahr oder falsch; ist er nicht wahr, so ist dies kein Kultus oder Gottesdienst, – es ist ein Götzendienst.

Der einzige Gott wohlgefällige Dienst ist der im Geist; (Joh 4,23) jede andere Art Gottesdienst ist falsch; weil Gott durch keinen anderen wahrhaft angebetet und geehrt werden kann. Deswegen sagt auch der Apostel in Galater 4,8–9 ausdrücklich, dass die Wiederannahme der jüdischen Satzungen, jetzt schwache und elende Elemente geworden, eine Rückkehr zu dem Götzendienst sei, unter welchen sie damals geknechtet gewesen wären, als sie Gott nicht erkannt hätten. Die Galater waren ursprünglich Heiden und nicht Juden, und wollten jetzt zu den Dingen zurückkehren, unter welchen sie geknechtet gewesen waren, nämlich zu fleischlichen Geboten, zu einem Gottesdienst nach dem Fleisch. Es bleibt sich gleich, welche Form das Fleisch annimmt, – sei es der grobe Götzendienst des Heidentums, oder sei es die etwas reinere Form der jüdischen Satzungen. Gott kann einen solchen Gottesdienst nicht annehmen. „Die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Nicht mittelst der Schatten der Satzungen der jüdischen Zeremonien, sondern durch Jesus, welcher die Wahrheit ist, d. i. das Wesen oder die Wirklichkeit, wovon jene Satzungen nur Schatten waren (Joh 1,17; Kol 2,16–23). In dieser letzten Stelle ist der Gläubige als mit Christus auferstanden betrachtet, und dadurch selbst von dem Fleisch und der Welt befreit, weshalb er nun nicht mehr den Satzungen unterworfen sein kann, welche dem Fleisch und dem irdischen Heiligtum angehören. Man rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass man sagt, man habe die Absicht, mittelst dieser Satzungen Gott anzubeten, und nicht die Absicht, den Götzen zu dienen. Wir finden 2. Mose 32,1–5, dass Aaron die Anbetung des goldenen Kalbes „ein Fest dem Herrn“ nannte. So auch in den traurigsten Zeiten des jüdischen Abfalls unter der Regierung Ahas, wo die Altäre in allen Straßen Jerusalems vervielfältigt waren, da maßten die Häupter und die Priester des Volkes sich an, sich auf den Herrn zu stützen, indem sie sagten: „Ist der Herr nicht unter uns? Es wird kein Böses über uns kommen“ (Mi 3,9.11 vgl. Kap 1 & 2 mit 2. Kön 16 und 2. Chr 28 siehe auch Jer 7,1–11). Ebenso auch als Jesus auf der Erde wandelte. Die Juden nannten sich „Abrahams Samen;“ allein der Herr sagte ihnen, dass der Vater, von dem sie herkämen, der Teufel sei, (Jos 8,33.39–44) und während sie für das Gesetz und alle äußerlichen Satzungen sehr eifrig waren, wendet Er auf sie die Worte Jesaja 29,13 an: „Weil dies Volk sich naht mit seinem Mund, und mit seinen Lippen mich ehrt, sein Herz aber ferne von mir hält, und seine Furcht gegen mich gelernte Menschensatzung ist; darum siehe, usw.“ In Kolosser 2,20–22 sagt Paulus ausdrücklich, dass die jüdischen Satzungen, vor welchen er die Kolosser warnt, Gebote und Lehren der Menschen seien.

Wir haben aber gesehen, dass das Priestertum und der Gottesdienst jetzt geistlich sind; ebenso ist der ganze Dienst geistlich. Die Gläubigen sind sowohl geistliche Priester, als auch geistliche Leviten. Es ist sehr wichtig, das Priestertum von der Bedienung zu unterscheiden. Im Priestertum gibt es völlige Gleichheit unter den Gläubigen; alle sind Priester. Im Betreff des Dienstes im Innern des Vorhangs gibt es keinen Unterschied. Alle haben gleiche Vorrechte und Berufung; aber in Bezug auf den Dienst oder die Bedienung außerhalb des Vorhangs gibt es sowohl eine Verschiedenheit in den Gaben als auch in der Berufung; sowie der Leib viele Glieder und jedes Glied seine besondere Verrichtung hat. Gerade diese Verschiedenheit der Gaben und der Berufung machen den Leib fähig, seine verschiedenen Verrichtungen zu erfüllen (2. Kor 12,4–30). Diese Verschiedenheit in dem geistlichen Leib Christi wird der Machtvollkommenheit des Heiligen Geistes zugeschrieben (1. Kor 4,11) Der Geist ist es, der die Gaben einem jeden austeilt, wie Er will. Es ist ein großer Irrtum, vorauszusetzen, dass der Dienst in der Gemeinde Gottes bloß darin bestehe, dass man bete und das Wort predige. Die Diakonen waren Diener, wie es das Wort „Diakon“ schon selbst andeutet; auch zeigt es der Dienst, welchen sie verrichteten. Phöbe war eine Dienerin der Gemeinde zu Kenchreä (Röm 16,1). Das Haus Stephanas hatte sich selbst zum Dienst der Heiligen verordnet. Die Füße der Heiligen zu waschen, ist auch ein Dienst an der Gemeinde, ebenso wahr, als die Belehrung durch das Wort, nur anderer Natur (Joh 13,14; 1. Tim 5,9–10; Tit 2,35). Nach diesen Stellen ist es augenscheinlich, dass auch die Frauen Dienerinnen sind, allein sie haben nicht den Dienst am Wort (1. Tim 2,8–12; 1. Kor 14,34–35). Was die Diener am Wort betrifft, so sind sie Diener des neuen Bundes und nicht des alten; sie sind nicht Diener nach der jüdischen Form, d. h. nach dem Fleisch, wie es die Leviten waren; sie sind ebenso wenig Diener der jüdischen Satzungen, sondern des Geistes (2. Kor 3,6). In dieser Stelle ist die Qualifikation oder die Fähigkeit, Diener zu sein, allein Gott zugeschrieben, und nicht der Autorität der Menschen. Auch nicht irgend einer Gabe oder natürlichen Fähigkeit, als vom Menschen selbst kommend.

Der Gegenstand des Dienstes sind jetzt die Dinge Gottes (1. Kor 2,6–16). Niemand kennt diese Dinge, ohne den Geist Gottes (V 11). Also kann ein Mensch, welcher den Heiligen Geist nicht hat, auch die Dinge Gottes nicht kennen, und ist also unfähig, andere zu lehren. Der 2. Brief an die Korinther zeigt, was der Dienst jetzt ist, sowohl in seiner Natur als auch in seinem Charakter. Es ist der Dienst des neuen Bundes, der des Geistes; es ist der Dienst der Gerechtigkeit und Herrlichkeit. Wir sehen hier auch, was er nicht ist. Er ist nicht der Dienst des alten Bundes, nicht der des Buchstaben oder des Gesetzes; er ist nicht der des Fleisches; denn das Fleisch ist die Decke, welche die Juden verhinderte, die Herrlichkeit Christi zu sehen. Der natürliche Mensch versteht nichts von den Dingen, die des Geistes Gottes sind. Kapitel 4 zeigt, was der Dienst in seiner Ausübung ist, und wohin er führt (V 7–17 und Kap 6,4–10). Hätte man nicht ganz und gar den Charakter des Dienstes aus den Augen verloren, wäre der Dienst selbst nicht verdorben worden, so würde er nie ein ehrenvoller Stand in der Welt geworden sein. Im Gegenteil, die Diener des Herrn würden von der Welt auch jetzt noch als ein Auskehricht und ein Auswurf von allen betrachtet werden.

6. Wir haben noch den Gegensatz zu betrachten, welcher zwischen den Feinden der Juden und der Gemeinde besteht. – Israel war zur Besitznahme eines irdischen Erbteils berufen. Dies Erbteil war in den Händen von Menschen im Fleisch. Die Israeliten sollten diese durch das Schwert vertreiben und sie ausrotten (5. Mo 7,1–2.16–26). Ihre Feinde waren im Fleisch; sie hatten beständig ihr Land gegen die Überfälle anderer Völker zu verteidigen, und auch ihre Waffen waren fleischlich. Jetzt sind unsere Feinde nicht Fleisch und Blut, sondern die Fürstentümer, die Gewalten, die Weltbeherrscher dieser Finsternis, die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern (Eph 6,12). Diese Feinde können wir auch nur durch geistliche Waffen bekämpfen (2. Kor 10,4; Eph 6,10–17). Der Unterschied der Stellung der Israeliten und der Gemeinde ist in dieser Beziehung, nach meiner Meinung, in dem Gleichnis des Herrn vom Unkraut unter dem Weizen enthalten (Mt 13,24–31). Die Israeliten sollten abgesondert und allein wohnen, (4. Mo 23,9) in einem besonderen Ort auf der Erde, im Land Kanaan; und wenn sie Gott gehorsam gewesen wären, so würde kein einziger der Unbeschnittenen im Land geblieben sein (Ri 2,2–20.23–3,1–5). Die Gemeinde aber, welche aus Auserwählten besteht, die zerstreut sind, hat auf der Erde keinen besonderen Ort, weil ihre Berufung himmlisch ist (Heb 3,1). Es sind fremde Pilger hier unten, (1. Pet 2,1) Der Wohnort der Gemeinde ist in den himmlischen Örtern in Christus Jesus, (Eph 1,3) folglich sollen die Christen nicht versuchen, das Unkraut, was der Teufel gesät hat, auszureißen; der Acker, wo das Unkraut und der Weizen wachsen, ist die Welt und nicht die Gemeinde (Mt 13,38). Dies Unkraut sollten sie, selbst wenn sie die Macht dazu hätten, nicht ausreißen. Doch die ganze papistische Verfolgung, die schauderhafte Inquisition, die blutigen Kriege der Kreuzzüge, – waren im Grundsatz nur eine Anstrengung, das Unkraut auszurotten. Man handelte nach jüdischen und nicht nach evangelischen Grundsätzen.

Man verbrannte die Ketzer und stützte sich dabei auf das, was bei der Ausrottung der Kanaaniter geschehen war. Dies ist ein auffallendes und schlagendes Beispiel, wie gefährlich es ist, den Charakter der Israeliten unter dem Gesetz und den der Gläubigen unter der Gnade zu verkennen und zu verwechseln.

Schließlich mögen hier noch in wenigen Worten die Gegensätze der beiden Stellungen, die wir bisher betrachtet haben, sowohl der unter dem Gesetz, als auch der unter der Gnade einander gegenüber gestellt werden: Die Stellung der Israeliten unter dem Gesetz

1. Gegenstand: Das Volk Israel, der Same Abrahams nach dem Fleisch.

2. Charakter: die Gerechtigkeit

3. Satzungen: fleischlich und irdisch.

4. Segnungen: bedingungsweise, von dem Gehorsam abhängig.

5. Gottesdienst: fleischliches Gebot, fleischliche Opfer, ein irdisches Heiligtum, ein fleischliches Priestertum, ein Dienst nach dem Fleisch.

6. Hoffnung: die Macht und der Reichtum und die Herrlichkeit auf der Erde

7. Feinde und Waffen: fleischlich Die Stellung der gläubigen unter der Gnade Die Stellung der Israeliten unter der Gnade

1. Gegenstand: Die auserwählten Gläubigen, der Same Abrahams nach dem Geist

2. Charakter: die Gnade

3. Satzungen: geistlich und himmlisch

4. Segnungen: ohne Bedingung zugesichert, sowie auch das Recht sie zu besitzen

5. Gottesdienst: im Geist und in der Wahrheit, geistliche Opfer, ein himmlisches Heiligtum, ein geistliches Priestertum, ein Dienst nach dem Geist

6. Hoffnung: eine himmlische und ewige Herrlichkeit

7. Feinde und Waffen: geistlich

EPAPHRODITUS
Es ist eine tief eingewurzelte Neigung des Menschen, immer seine eigene Ehre zu suchen; sogar die Segnungen der Gnade Gottes werden oft eine Gelegenheit für ihn, sich zu rühmen und zu erheben. Wenn der Herr nach dem Reichtum seiner Gnade einem Menschen besondere Huld erweist, und ihn vor anderen auszeichnet, so geschieht es nicht selten, dass dieses für ihn ein Anlass wird, sich dem Eigendünkel und der Überhebung seines Herzens zu überlassen, anstatt dass diese besondere und ganz unverdiente Huld ihn beugen und demütigen sollte. So war es mit Israel. „Jeschurun (Israel) ward fett und schlug aus … es verließ den Gott, der es geschaffen hatte und verachtete den Fels seines Heils“ (5. Mo 32,15). Selbst als diese Gunst dem Volk sichtbar entzogen worden war, so blieb doch die Überhebung im Herzen wohnend. Dieses Böse ist der traurigste Beweis des menschlichen Elends. Jesus fand, während seines Wandels und Dienstes auf der Erde, das Volk Israel ganz und gar von sich selbst eingenommen, und dies in einer Zeit, wo es durch ein gerechtes Gericht Gottes der Blindheit übergeben war.

Das Böse in der Kirche hat trauriger Weise in der gegenwärtigen Zeit denselben Charakter. Jesus, nachdem Er gen Himmel aufgestiegen ist, hat für die Erhaltung und Pflege seines Leibes, d. i. der Kirche, große und herrliche Gaben ausgeteilt … Allein, wie wir es schon in der Versammlung zu Korinth sehen, sind diese Gaben bei vielen ein Anlass der Überhebung geworden. Die Verantwortlichkeit, verbunden mit dem Empfang einer Gabe, wurde sehr bald vergessen. Freilich kann auch die Trägheit eine Gabe in ihrer Wirksamkeit schwächen und aufhalten; allein sehr häufig diente sie dazu, um den Menschen als solchen zum Vorschein zu bringen und zu verherrlichen. Die Folge davon war, dass der Charakter des Dienstes oder Amtes, über das hinaus erhöht wurde, was er sein sollte, und dass bei denen, welche sich nicht zutrauten, eine amtliche Stellung zu haben, das Gefühl der persönlichen Verantwortlichkeit sehr geschwächt wurde. Später machte das Böse immer weitere Fortschritte und alle Ehre, welche dem Dienst oder dem Amt, da wo es die wahre geistliche Kraft besitzt, wirklich zukommt, wird jetzt auf das Amt als solches, abgesehen von dieser Kraft, auf das Amt in seiner äußeren Form übertragen. Das Reich Gottes besteht aber nicht in Worten, sondern in der Kraft; und die Behauptung, dass es ein Amt gibt, unabhängig von dieser Kraft, macht gerade den Verfall der Kirche aus. Diese Form des Bösen zeigt sich besonders darin, dass man ein Amt annimmt oder behauptet, und die Verantwortlichkeit der Gaben, welche man empfangen hat, bei Seite lässt. Es ist augenscheinlich, dass wir in dieser Beziehung bei dem jetzigen Zustand der Dinge ein köstliches Vorrecht verloren haben; das Heilmittel dieses Übels aber besteht nicht in einer äußeren Wiederherstellung, sondern in der persönlichen Treue. „Wer Ohren hat, zu hören, der höre.“

Das große Übel unserer Zeit, entstanden durch die Einführung und Behauptung eines äußeren Amtes mit richterlicher Autorität, besteht darin, dass die Heiligen die Gewohnheit angenommen haben, zu leben, ohne sich durch die Gedanken Christi unterweisen zu lassen, und ohne sein vollkommenes Beispiel vor sich zu haben, um demselben zu folgen. Sie sind im Allgemeinen befriedigt, wenn sie den gebahnten Pfad verfolgen, und halten es ihrerseits für eine Anmaßung, Untersuchungen über das anzustellen, was durch die Übung der Gaben mitgeteilt wird (vgl. 1. Kor 14,29). Dies ist auch wohl ein Grund mit, weshalb die Namen von mehreren einfachen Christen, d. i. solcher, welche keine besonders auffallende und anerkannte Stellung in der Kirche hatten, im neuen Testamente aufbewahrt worden sind. Sie werden durch den Heiligen Geist zu unserer Belehrung erwähnt, und es gereicht uns zur Freude, zu wissen, dass uns verhältnismäßig nur eine sehr kleine Zahl von den Namen derer mitgeteilt werden, die im Buch des Lebens eingeschrieben sind. Dies Bewusstsein ist es aber auch, was uns zum größten Teil die Namen der einzelnen Gläubigen, welche in den Briefen der Apostel erwähnt werden, so besonders köstlich macht. Nicht für jene ist es köstlich, dass ihre Namen aufbewahrt sind, sondern für uns; aber für jene, wie für uns ist es gleich erfreulich, zu wissen, dass ihre Namen in dem Himmel angeschrieben waren. Gewiss hat der Heilige Geist einen besonderen Zweck dabei gehabt, die Namen aller der Heiligen, wovon Er redet, bis auf uns zu bewahren. In gewissen Fällen können wir seine Absicht sehr bald erraten. Oft wird ein Grundsatz hingestellt, und zugleich eine Person angeführt, in welcher wir die Wahrheit dieses Grundsatzes verwirklicht finden. Dies ist der Fall bei Epaphroditus, dessen Namen diesen Zeilen als Überschrift gegeben ist.

Im Anfang des Briefes an die Philipper finden wir einen Gruß an die Aufseher und Diakonen; allein Epaphroditus scheint keins von diesen Ämtern bekleidet zu haben. Aus dem, was uns nachher in diesem Brief von ihm gesagt ist, geht wohl deutlich genug hervor, dass er nur, wie man jetzt zu sagen pflegt, ein einfacher Christ war. Dies verhindert jedoch den Apostel nicht, ihn anzuerkennen; nicht nur als einen Bruder, sondern auch als „seinen Mitarbeiter und Mitkämpfer“ (Kap 2,25). Wir sehen in diesem Brief, wie der Apostel sich an die Seite des Timotheus als Diener stellt, (Kap 2,22) und dass er durch die Gnade sich über seine öffentliche Stellung in der Kirche hinaus erhebt, nicht denkend an die Autorität, sondern an den Dienst. Nach demselben Gnade stellt er den Epaphroditus neben sich, als den, welcher sich mit ihm in demselben Dienst und in demselben Kampf befand. Wie viel größere Segnungen würde es den Heiligen bringen, wenn sie anstatt über die Fragen der Autorität zu disputieren, daran gedachten, auf eine bessere Weise zu dienen. Die Seele eines Heiligen kann unmöglich in einem guten Zustand sein, sobald derselbe von seiner Autorität oder von der eines anderen in der Kirche eingenommen ist. Sobald wir nicht tun, was wir können, streiten wir, um zu wissen, was wir tun sollen, und was wir anderen zu tun erlauben. Auf diese Weise verlieren wir Zeit und die Gelegenheit, um dem Herrn zu dienen, weil wir auf unseren eigenen Vorteil, und nicht auf den der anderen bedacht sind; und die Gesinnung, „welche in Christus Jesus war,“ ist nicht in uns.

Epaphroditus war der Gesandte der Philipper. Er hatte sich freiwillig zu ihrem Diener gemacht, um dem Apostel, damals im Gefängnis zu Rom, sowohl ihre Botschaft, als auch die Beweise ihrer Liebe zu überbringen. Er war nicht in der Eigenschaft als Prediger oder Lehrer voll jenen gesandt; sein Amt war in den Augen der Menschen viel geringer, – er war ein Diener. – In Kapitel 4,18 bekennt der Apostel, dass er die reiche Gabe der Philipper durch Epaphroditus empfangen habe, und in Kapitel 2,25 redet er von ihm, als einem Bruder, der ihm in seiner Notdurft gedient hat. Der. Apostel hatte ihn als einen freiwilligen Diener benutzt, und sandte ihn jetzt zu den Philippern zurück, um diese in ihren gegenwärtigen Versuchungen zu trösten. Welch ein inniges Band knüpfte dieser Dienst zwischen dem Apostel zu Rom und der Kirche zu Philippi! Es scheint mir, dass das Gefühl von der Existenz solcher Bande in unseren Tagen in der Kirche fast ganz verloren ist. Es sind wenige mit dem Gedanken beschäftigt, Spender der mannigfachen Gnadengaben Gottes zu sein, weil man die Segnungen so vielfach durch gewisse anerkannte Organe erwartet. Epaphroditus bekleidete in der Kirche eine Stelle, welche weder Paulus, noch die Aufseher, noch die Diakonen ausfüllen konnten.

 – Ebenso hat man auch seit langer Zeit die Kirche in zwei Klassen geteilt, in die Diener oder Beamte, und das Volk; und man findet kaum jemand, der gleich Epaphroditus in einer ähnlichen Stellung wirksam ist. Sein Wirkungskreis war zwar gering und von wenigem Schein nach Außen; allein ein solcher Dienst offenbart in ganz besonderer Weise die Gegenwart der Gnade des Herrn Jesus Christus.

Die köstliche Lehre, welche im Anfang dieses 2. Kapitels dargestellt ist, finden wir in einer lieblichen und lebendigen Weise in dem Charakter und dem Verhalten des Epaphroditus verwirklicht. „Nichts tuend aus Parteisucht oder eitlem Ruhm, sondern in Demut einer den Anderen besser haltend, als sich selbst“ (V 3). – In Kapitel 1,15.17 sehen wir, dass etliche Christus aus Neid, Streit und Eifersucht predigten. Dies ist immer der Grundsatz des Fleisches (Röm 2,8) wo der Mensch durch seinen eigenen Willen zu erfüllen trachtet, was er in Unterwürfigkeit dem Heiligen Geist nicht tun mag; und also handelnd, gedachten jene, den Banden der Apostel Trübsal zuzufügen. Epaphroditus tat nicht also; er achtet Paulus viel höher, als sich selbst, und ist glücklich, ihm in seiner Notdurft zu dienen. – Der Apostel scheint durch die herzliche Zuneigung, welche man ihm in seiner Gefangenschaft zeigte, in besonderer Weise erquickt worden zu sein. Seine Bande waren für viele ein Anlass geworden, sich durch das Fleisch leiten zu lassen; solche, welche seine persönliche Gegenwart gefürchtet haben würden, drängten sich jetzt vor, um ihm zu schaden.

 Allein seine Gefangenschaft war auch zu verschiedenen Malen, sowohl für die persönlichen Gaben, als auch für die brüderliche Liebe, eine Gelegenheit geworden sich auf eine gesegnete Weise tätig zu erweisen, (Kap 2,16) Die Seele des Apostels hatte auch jetzt eine große Erquickung empfangen. Er freute sich, wenn nur Christus verkündigt, wenn nur sein Name bekannt wurde. Er sagt, indem er von einem anderen Bruder redet: „Der Herr gebe dem Haus des Onesiphorus Barmherzigkeit, denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Kette nicht geschämt“ (2. Tim 1,16). Wenn nur Christus verkündigt und die Gnadengaben der Kirche sich wirksam erwiesen … Paulus war zufrieden, ein Gefangener zu sein. Das einfältige Auge ist die mächtigste Waffe gegen die Eigenliebe und den Hass.

„Ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des anderen ist. Denn diese Gesinnung sei in euch, welche auch in Christus Jesus war.“ Seine Liebe war in der Tat uneigennützig. Er hatte alles verlassen und für sich selbst nichts behalten, es sei denn die Genugtuung, welche sein von Liebe erfülltes Herz darin fand, dass Er sein Leben für uns gelassen hat (1. Joh 3,16). Wir würden nie die Liebe in ihrem wahren Wesen erkannt haben, wenn wir nicht Christus gesehen hätten, der alles für uns verlassen hat, und als Belohnung nur die Genugtuung seiner Liebe fand. Er sähe nicht auf das seine, – denn „die Liebe sucht nicht das ihre“, – sondern sähe auf das, was den Anderen zum Segen gereichte. – Der Ausdruck in 1. Korinther 2,16: „Wir aber haben Christi Sinn“, lässt uns verstehen, dass der geistliche Mensch in die Gedanken und in die Gesinnung Christi eingehen kann. Er vermag mit Einsicht von Gott zu urteilen, denn er versteht seine Gedanken.

Die Gesinnung Christi, welche uns in vorliegendem Kapitel dargestellt wird, ist seine freiwillige Erniedrigung, seine Erniedrigung bis zum Tod am Kreuze. Von dieser Erniedrigung verstand aber Petrus als der Herr einst davon redete, nichts. Er nahm ihn vielmehr bei Seite und strafte Ihn mit den Worten: „Ei behüte Herr! das kann dir nicht widerfahren.“ Jesus aber sagt zu ihm: „Du sinnst nicht auf das, was Gottes ist, sondern auf das, was der Menschen ist.“ Die Gesinnung, welche damals in Petrus war, ist die Gesinnung des Fleisches (Röm 8,6). Die herrschende Gesinnung seines Herzens bezog sich auf das, was Er hochschätzte – das Ansehen Christi; der Sohn des lebendigen Gottes sollte nicht leiden. Jesus aber, dessen Gesinnung in Übereinstimmung mit Gott war, konnte dieses nicht suchen. Er konnte nur dann den Anderen wahrhaft zum Segen sein, wenn Er sich selbst erniedrigte; Er durfte sich nicht schonen, weil Er nicht das Seine suchte. Seine Gesinnung war auf das gerichtet, was Gottes war. Von dieser Seite aus ist es hauptsächlich, warum uns der Apostel Jesus als Beispiel hinstellt. „Dass in uns dieselbe Gesinnung sei, welche auch in Christus Jesus war.“ Wir sollen uns selbst erniedrigen, um fähig zu werden, den Anderen in ihren Bedürfnissen zu dienen. Und verstehen wir wohl, was diese Erniedrigung wirklich in sich schließt? Jesus hat sich erniedrigt; und uns ist gesagt, es gerade sowie Er zu tun. Als Sünder können wir uns nicht erniedrigen, denn wir sind verloren und verdorben. Ein solches Bekenntnis ist ohne Zweifel für den Stolz des Menschen sehr demütigend. Wir haben uns als Heilige zu erniedrigen; Gott hat uns mit berufen mit einem so heiligen Ruf, dass wir uns jetzt wirklich erniedrigen können.

Wir sind in Jesu geheiligt, und sind eins mit Ihm gemacht. Mit derselben Liebe sind wir geliebt und mit demselben Namen beehrt. Wir sind Söhne Gottes und Miterben der Herrlichkeit Christi. Jesus hat sich nicht geschämt, uns seine Brüder zu nennen. Wir müssen unsere Würde als Sohn Gottes verstehen, um begreifen zu können, wie wir uns zu erniedrigen haben. Das Fleisch strebt immer nach dem, was es erhebt; es sucht immer wieder irgend einen Vorrang über die Anderen. Gott aber hat uns mit Jesu, der über alles erhöht ist, eins gemacht, so dass wir jetzt nur nach dem zu trachten haben, was Er ist; denn alles ist unser, weil wir Christi sind, und Christus Gottes ist. Welch ein bewundernswürdiger Gegenstand ist doch unsere Erlösung in Christus Jesus! Wahrlich! nur der allein weise Gott konnte diesen Plan fassen und ausführen. Niemals würde er in dem Herzen des Menschen, welcher ein Sünder ist, Eingang gefunden haben. Jetzt aber, durch die Gnade genügsam erhoben, ist er vermögend von seiner Würde in eine niedrigere Stellung herabzusteigen. Das Bewusstsein unserer jetzigen Höhe in Christi, ist der wahre Grund unserer Erniedrigung. Der Sohn Gottes, als Sohn, konnte nicht erhöht werden; aber Er konnte sich selbst zu nichts machen und Knechtsgestalt annehmen. Vom Sohn erniedrigte Er sich bis zum Knecht, und zwar zum Knecht des Menschen. Dies heißt wahrhaft, sich erniedrigen; und wir sollen Ihm darin folgen. Er hat sich aber noch tiefer erniedrigt; nicht nur bis zum Diener, sondern bis zum Kreuz; und darum ist er auch so hoch erhöht. Alles dieses war vollkommen. In Epaphroditus sehen wir, bis zu welchem Grad sich ein Mensch, an Neigungen uns gleich, erniedrigt, um in den Fußstapfen unseres göttlichen Meisters zu wandeln. Er, von Paulus als Bruder und selbst als seines Gleichen anerkannt, verstand die Freude, um der Liebe Jesu willen ein Diener des anderen zu sein. Seinen Titel „Bruder“ wurde ihn: durch die Freiheit, sich bis zum Diener seines Bruders herabzulassen, nicht geraubt. Dieselbe Gesinnung, welche in Christus Jesus war, war auch in Ihm.

Der Apostel schreibt den Philippern von ihm: „Denn er sehnte sich nach euch allen, und war sehr betrübt, weil ihr gehört, dass er trank gewesen ist.“ Gewiss haben wir hier ein lebendiges Beispiel von dem, was uns als die Gesinnung Christi dargestellt wird. „Es sehe nicht ein jeglicher auf das Seine, sondern auf das, was des anderen ist.“ Dies wurde ganz vollkommen allein in Jesu, der allein vollkommen ist, erfüllt und offenbart. Es ist sein tiefster Wunsch, alle Heiligen bei sich zu sehen, und seine Schmerzen, sind die, wovon die Gläubigen getroffen werden; „in allen ihren Bedrängnissen ist Er bedrängt worden.“ – Epaphroditus besaß eine tiefe Erkenntnis von Christus, und diese war es, die eine so uneigennützige Liebe in ihm wirkte. Er wünschte die Philipper zu sehen; aber vielmehr um ihret– als um seinetwillen. Er war sehr betrübt, nicht weil er in einer fremden Stadt krank lag, sondern weil sie seine Krankheit erfahren hatten. Wie ist dies so ähnlich der uneigennützigen Liebe des Herrn, als Er so sehnlichst wünschte, das letzte Passah mit seinen Jüngern zu essen. Er vergaß seine eigenen Schmerzen und Leiden, und dachte nur daran, die über seinen nahen Abschied betrübten Herzen seiner Jünger zu trösten. „Weil ich dieses zu euch geredet habe, hat die Traurigkeit euer Herz erfüllt“ (Joh 16,6). Er, dessen Blick seine Erniedrigung in ihrer ganzen Ausdehnung und Tiefe durchschaute, rief ihnen zu: „Seid getrost!“

Die beiden folgenden (V 27–28) enthalten eine sehr wichtige Belehrung. Der Herr hatte den Aposteln eine solche Macht gegeben, dass wenn sie den Kranken die Hände auflegten, dieselben gesund wurden. Selbst der Schatten von Petrus, welcher über diejenigen kam, welche man auf die Straßen von Jerusalem getragen hatte, heilte diese (Apg 5,15). In Ephesus legte man sogar die Schweißtücher und Schürzen von dem Leib des Paulus auf die Kranken, und die Krankheiten wichen von ihnen und die bösen Geister fuhren aus (Apg 19,12). Es war Kraft genug da, um allerlei Krankheiten zu heilen; aber wir sehen nicht, dass diese Kraft auch für die Gemeinde gebraucht worden ist. Diese sollte die Dinge kennen lernen, welche tiefer sind, als die Zeichen und Wunder, wodurch die Seele zwar in Erstaunen gesetzt, aber nicht doch in die Gemeinschaft Gottes eingeführt wird. Die Gemeinde ist in das Leben gesetzt; und es ist das Wohlgefallen des Herrn, ihr die Kraft zu geben, die Bürde der Krankheit zu tragen, oder dieselbe für sie eine Gelegenheit werden zu lassen, ihr eigenes Mitgefühl kund zu tun, und ihre Liebe für die Heiligen in Übung zu bringen. Es ist viel besser das Mitgefühl und das Erbarmen Gottes kennen zu lernen, als Zeuge seiner Macht zu sein; und es gefällt Gott wohl, zusehen, dass seine Kinder in ihren Nöten an seinem Herzen allein ihre Zufluchtsstätte finden.

Das Herz des Apostels, so zart und so voll Fürsorge, scheint Traurigkeit über Traurigkeit gehabt zu haben. Es wäre ihm als Mensch gewiss sehr angenehm gewesen, den Epaphroditus durch die Wunderkraft zu heilen; allein Paulus sowohl, als auch Epaphroditus wurden in ein und derselben Schule belehrt, und der Eine wie der Andere sollte die Schätze der Barmherzigkeit Gottes kennen lernen. Gott sieht die Bedrängnisse seiner Heiligen und ist voll Erbarmung darüber; und Er offenbart nicht allein seine Macht, sondern auch noch seine Liebe. Es gefiel dem Herrn, das Mitgefühl seines Knechtes Paulus durch die Krankheit des Epaphroditus zu üben, und seinerseits sein tiefes Mitgefühl gegen Beide zu offenbaren. Nie ist doch unser Glaube oft so schwach und lässt uns so wenig das Erbarmen oder Mitgefühl Gottes verstehen, und wie wenig lassen wir Ihn an unseren Schmerzen Anteil nehmen. Es will sich so häufig der Gedanke in uns erheben, als beliebte es Ihm, uns Traurigkeit über Traurigkeit zu senden. „Denn er ist auch krank gewesen, dem Tod nahe; aber Gott hat sich über ihn erbarmt; nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich, auf dass ich nicht Traurigkeit auf Traurigkeit hätte.“

Wie sehr erweitert sich unser Herz, wenn wir das Mitgefühl Gottes kennen. Epaphroditus war bekümmert, weil die Philipper von seiner Krankheit gehört hatten. Derselbe Grund macht den Paulus so eifrig, denselben zurückzusenden, damit sie, wenn sie ihn sähen, sich freuten, und an seiner Freude über die Genesung des Epaphroditus Teil hätten, und „er, Paulus selbst, weniger betrübt sei.“ Seine Freude war die, den Kummer der anderen zu stillen, und ihn auf sich selbst zu nehmen, indem er Epaphroditus von sich ließ. Dies ist in der Tat das wahre göttliche Mitgefühl. Der „Mann der Schmerzen“ fand seine Lust darin, die Schmerzen der anderen auf sich zu nehmen. Paulus offenbart hier dieselbe Gesinnung, welche auch in Christus Jesus war. „Er sieht nicht auf das seine, sondern auf das, was des anderen ist.“ Auf diese Weise wurde er weniger betrübt. In dieser Welt voll Schmerzen kommt der wahre Segen nicht vom Freisein von Leiden und von persönlichen Schmerzen, sondern von unserer Bereitwilligkeit die Leiden der anderen zu tragen, und die unsrigen dadurch zu vergessen, dass wir die der anderen erleichtern. Jesus vergaß seine Müdigkeit, als Er mit dem Weib am Jakobsbrunnen beschäftigt war, und übersah seine eigenen Leiden, als Er die furchtsamen und ängstlichen Jünger tröstete. Diese Gesinnung, die in Ihm war, befand sich durch die Gnade auch in Paulus und Epaphroditus; und warum nicht auch ebenso in uns? Gewiss, nur aus dem einfachen Grund, weil sie so wenig gewünscht und gesucht wird. –

 Die Gaben und die Macht eines Apostels können unseren Ehrgeiz reizen; allein ihre Gnadengaben, die wir mit ihnen gemein haben können, haben oft so wenig Wert in unseren Augen. Aber was sagt der Heilige Geist durch den Apostel: „So nehmt ihn denn auf im Herrn mit aller Freude, und haltet Solche in Ehren. Es gab Männer in der Kirche, die mit großer Autorität bekleidet waren, wie die Apostel, welchen diejenigen, die der Gnade gemäß wandelten, alle mögliche Ehre erweisen sollten; sie sollten erkennen, dass der Herr in ihnen war, und sie als den Herrn selbst aufnehmen. Es gab solche, welche über die Seelen wachten, die um ihres Werkes willen in Liebe anerkannt und besonders beachtet werden sollten“ (1. Thes 5,12–13). Hier aber handelt es sich um etwas, was nicht so schnell in die Augen fällt, um etwas, was der durchdringende Blick des Geistes allein durchschauen konnte; ich meine die Gesinnung, welche in Christus Jesus war. Es war die uneigennützige Liebe in einem Menschen von gleichen Neigungen, wie wir. „Haltet Solche in Ehren.“ Gewiss, dieser Dienst der geduldigen Liebe, welche sich nicht aufdrängt, ist hoch geehrt von Gott. Und an dem Tage, wo jeder wahre Dienst durch den Herrn selbst anerkannt und bekannt werden wird, werden die Heiligen, die keine anerkannte Stellung in der Kirche gehabt haben, ihren Dienst, der so gering geachtet, und von vielen nicht einmal als einen Dienst angesehen wurde, von dem Herrn selbst anerkennen hören. Möchten doch die Heiligen, im Werk des Glaubens, in der Arbeit der Liebe und in der Geduld der Hoffnung immer völliger werden!

Der Herr gibt uns hier ein Unterpfand seiner eigenen Freude, der Freude seines Herzens im Hinblick auf den Tag, wo Er alle Heiligen zu sich aufnehmen wird (Joh 14,3). Durch den Heiligen Geist können wir jetzt schon die Freude genießen, welche der Apostel hier ausdrückt: „Nehmt ihn denn auf in dem Herrn mit aller Freude.“ Dies ist etwas von der Freude im Heiligen Geist, deren besonderer Charakter ist, den Gegenstand derselben mit unserem Herrn selbst zu verbinden. Sie mussten ihn in dem Herrn empfangen, als einen Bruder, in welchem sie eine lebendige Vereinigung mit Jesu erkennen konnten. Die göttliche Unterweisung hat zuverlässig den Zweck, uns von uns selbst, wo wir nur Anlass zum Zank und zur eitlen Ehre finden, abzulenken, und unsere Gedanken auf den Herrn hin zu wenden. Wenn wir irgendjemand in dem Herrn empfangen, so findet der Neid keinen Raum, und es ist auch nicht zu fürchten, dass wir die Gnade in ihm geringschätzen. Es ist aber hinzugefügt: „Haltet solche in Ehren, denn um des Werkes Christi willen ist er dem Tod nahe gekommen, da er sich in Lebensgefahr begeben hat, damit deren Mangel eures Dienstes gegen mich ausfüllte.“

Wir sind ermahnt die Gesinnung anzunehmen, welche in Christus Jesus war. Er hatte ein Werk zu vollbringen, das Werk dessen, der Ihn gesandt hatte; und indem Er dieses Werk vollendete, war Er nicht allein dem Tod nahe, sondern auch, aus Gehorsam gegen den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte, senkte Er das Haupt unter der Macht des Todes, „welcher gehorsam war bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“ Und warum dieses? Damit Er für uns diesen Dienst erfüllte, welchen kein anderer über sich nehmen konnte. Sein Gehorsam gegen den Willen Gottes und in den Dienst, welchen Er für uns vollbracht hat, ist die Ursache, warum Ihn Gott geehrt und so hoch erhoben hat: „Nachdem Er die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst gemacht hat, hat Er sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt“ (Heb 1,8). „Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat, und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen“ (1. Joh 3,16).

Wir sollen dieselbe Gesinnung haben, welche auch in Christus Jesus war, um den Brüdern zu dienen. In einer Beziehung können wir weder den Brüdern noch Gott dienen, wie Er gedient hat. „Niemand kann auf irgend eine Weise seinen Bruder erlösen, noch Gott jemand versöhnen.“ In dem großen Werk, welches Er vollbracht hat, um den Tod kraftlos zu machen, und um das Leben und die Unverweslichkeit ans Licht zu bringen, ist Er allein geblieben; Er hat keine Nachfolger gehabt. Doch können wir Ihm in der Gesinnung folgen, welche sein Herz erfüllte. Wir finden in Epaphroditus einen Menschen, welcher um des Werkes Christi willen sein Leben nicht ansah, um einem von denen zu dienen, welche durch das kostbare Blut erlöst waren. Dies war höchst angenehm vor Gott; es war vor Ihm wie der liebliche Geruch des Dankes seines eigenen Auserwählten, und seines eigenen Dieners, – der sich gleichsam von Neuem von der Erde bis zu ihm erhob. Auch diejenigen, welche den Geist Gottes besaßen, sollten einen solchen in Ehren halten. Aber welches war das Werk Christi, das Epaphroditus erfüllt hatte? Es war weder das Predigen, noch das Lehren, noch irgend eine andere Sache, welche dem Menschen Ruhm geben konnte. Er diente einem unbekannten Gefangenen zu Rom Jesus selbst hatte seinen armen Gefangenen in dem Kerker zu Rom besucht, und der Apostel betrachtete die christliche Liebe des Epaphroditus, welcher von Philippi nach Rom gekommen war, ganz und gar als ein Werk durch den Herrn und für den Herrn.

 Gewiss kannte Paulus die Worte Jesu: „Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Persönlich war Jesus fern, und auch die Philipper befanden sich weit von Paulus; aber Epaphroditus konnte das Werk Christi ausführen, und den Mangel des Dienstes der Philipper ersetzen. In unseren Tagen wird diese Art des Dienstes unter den Heiligen nicht geachtet, wie es sein sollte. Viele wünschen fähig zu sein, zu lehren, während Gott ihnen vielleicht eine andere Stellung angewiesen hat, um ihren Brüdern in einer anderen Weise zu dienen. Weil wir die Ermahnungen finden, „mitzuteilen den Bedürfnissen der Heiligen“ – „mit Eifer nach Gastfreundschaft zu trachten,“ – „die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal zu besuchen,“ – so kann ein jeder eine Stellung einnehmen, welche für seine eigene Seele heilsam und für die Heiligen im Allgemeinen nützlich ist. Es scheint nicht, dass Epaphroditus bei der Notdurft des Paulus wegen seiner eigenen Bedürfnisse besorgt war; er war nur der Gesandte der Philipper, und er fügte zu ihrer Freigebigkeit seine persönlichen Dienstleistungen, welche hier so hoch geehrt sind. Wir sehen in diesem Fall ganz und gar einen Wirkungskreis, welcher von Christus auch dem Geringsten geöffnet ist; es ist dies vielleicht nur ein einziges Pfand, allem in die Wechselbank gegeben, bringt es seine reichlichen Zinsen. Es war nicht die Hilfe durch das Geld, welches das Herz des Apostels erfreute, obgleich seine Bedürfnisse dringend sein mochten, sondern es war der Anblick der Frucht, welche sich in der Rechnung der Philipp er so reichlich erwies, und dann die Überzeugung, dass in Epaphroditus dieselbe Gesinnung war, wie auch in Christus Jesus.

Es ist leicht zu begreifen, warum dieser Teil des Werkes Christi in Vergessenheit und beinahe in Verachtung gekommen ist. Die Kirche hat in ihrem Verfall eine Ordnung von Personen eingeführt, die mit allerlei Ehren der Welt geziert sind. Obgleich die köstliche Lehre von „der Rechtfertigung durch den Glauben“ seit der Reformation von Neuem ans Licht gebracht ist, so blieb doch der Rückschritt so groß, dass man die Predigt des Wortes beinahe ausschließlich als das Werk Christi betrachtete, und dass fast alle anderen Dienstleistungen, welche vom Heiligen Geist, als zum Werk Christi gehörend, angewiesen sind, vernachlässigt wurden. Es ist dem Satan gelungen, das Gute mit dem Bösen zu vermengen, und also dem Geist Gelegenheit zum Streit und dem Fleisch zum Ruhm zu geben, und es lebt in sehr vielen der Wunsch in derselben Weise zu dienen, anstatt sich ein jeglicher nach seiner eigentümlichen Weise verwenden zu lassen. Es war oft so wenig geistlicher Sinn unter uns, dass die einzelnen Sorgen für die Heiligen und die Freiheit ihnen irgend welchen Trost darzureichen, selten als ein Teil des Werkes Christi betrachtet worden sind. Es kann sich bei einem tätigen Evangelisten viel physische Anstrengung und eine ausgedehnte Sorge offenbaren, aber der geduldige Diener der Gnade, welcher weder seine Gesundheit noch sein Leben ansieht, wird kaum von jemand beachtet, wenn nicht vom Herrn selbst.

Auf eine Sache haben wir besonders unsere Aufmerksamkeit zu richten, dass es nämlich dem Herrn Jesus eine Freude ist, die Seinen gleichsam durch lebendige Glieder miteinander zu verbinden. Obgleich persönlich von ihnen entfernt, ist Er doch im Leben mit ihnen vereinigt durch den Heiligen Geist. Die Philipper konnten dem Apostel zu Rom nicht persönlich dienen, allein Epaphroditus füllte den Mangel ihres Dienstes aus. Es ist auch nach dem Sinn Jesu Christi vermöge des lebendigen Weges seiner Gnade uns gegenseitig zu dienen, und aus jedem Glied seines Leibes ein Gelenk zu machen, welches die Anderen Glieder verbindet.

Wir begreifen kaum, wie der Herr selbst in den kleinsten Umständen unserer Sorgen beschäftigt ist. Es ist ein großer Trost für uns, die Teilnahme zu sehen, mit welcher der Herr um das Wohlergehen seiner Jünger besorgt war. „Geht, sagte Er zu den Aposteln, an einen ernsten Ort und ruht ein wenig aus, – denn es waren viele, welche kamen und gingen, so dass sie selbst keine Zeit zum Essen hatten.“ Damals war es das Werk Christi, und jetzt in der Kirche ist es durch die Gaben denen übertragen, welche es ausfüllen sollen. Gewiss dürfen wir nicht verachten, was die Freude des Sohnes Gottes selbst ausmachte. Wir haben wahrlich sehr nötig, Augensalbe von Ihm zu kaufen, welche uns fähig macht, zu erkennen, was Ihm wohlgefällig ist, und die Stellung zu unterscheiden, in welcher jeder von uns in seinem Haus dienen soll. Das Werk Christi ist sehr mannigfaltig; Epaphroditus war beschäftigt dem Apostel zu dienen und der Apostel diente den Heiligen durch seine Briefe. Und für einen jeden von uns, wird mir das der Teil des Werkes Christi sein, worin Er uns durch die Gaben seines Geistes gesetzt hat. „Gott hat jedes der Glieder in dem Leib gesetzt, wie Er wollte. Und einem jeden ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi.“ „Aber Gnadengaben habend, verschieden nach der Gnade, die uns gegeben ist: – Es sei Weissagung, – übe er sie aus nach dem Maß des Glaubens; es sei ein Dienst, so bleibe er in dem Dienst; es sei der Lehrer, – in der Lehre; es sei der Ermahner, – in der Ermahnung; der Mitteilende – in Einfalt; der Vorstehende – in Fleiß; der Barmherzigkeit Übende, – in Freudigkeit“ (Röm 12,6.8). Fragt aber jemand, wie man am besten wissen könne, welches Teil des Werkes Christi uns übertragen sei, so antwortet das Wort: „Es sei in euch dieselbe Gesinnung, welche auch in Christus Jesus war.“


KURZE BETRACHTUNG ÜBER EPHESER 2 BIS 4,16
Der Brief an die Epheser enthält den Ratschluss Gottes in Betreff der Gemeinde oder Versammlung. Sie ist der Leib und die Braut Christi; sie ist die Wohnung Gottes auf der Erde, die Wohnung durch den Geist. In diesem Brief betrachtet der Heilige Geist die Versammlung als schon im Himmel dargestellt; sie ist in Christus mitauferweckt und mitversetzt in die himmlischen Örter.

Das erste Kapitel offenbart uns, dass alle unsere Segnungen von dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus geistlich sind und dass wir in den himmlischen Örtern in Christus gesegnet sind; (Kap 1,3) ferner unsere Auserwählung in Ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos vor Ihm in Liebe sein sollten; (V 4) unsere Verordnung zur Kindschaft durch Ihn für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens (V 5). Unsere Auserwählung steht in Beziehung zu dem Gott und unsere Kindschaft in Beziehung zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, und Beides ist zum Lob der Herrlichkeit der Gnade Gottes, in welcher Er uns begnadigt hat in dem Geliebten. Dann haben wir in Vers 7 die Bestätigung unserer Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen nach dem Reichtum seiner Gnade. Der Ratschluss Gottes ist nach der Herrlichkeit, und die Befriedigung unserer Bedürfnisse nach dem Reichtum seiner Gnade. Ferner haben wir die Offenbarung des Geheimnisses seines Willens, (V 8–9) nach welchem für die Verwaltung der Fülle der Zeiten alle Dinge, die in den Himmeln und die auf der Erbe, unter ein Haupt in dem Christus zusammengebracht werden sollen, (V 10) und die Gabe des Heiligen Geistes als Siegel und Unterpfand bis zur Erlösung des Erbteils.

Mit dem 15. Verse des 1. Kapitels beginnt das Gebet des Apg Er bittet zunächst, dass die gläubigen Epheser Verständnis der Berufung Gottes (V 18; vgl. mit V 4) und des Reichtums seines Erbteils in den Heiligen (V 18; vgl. mit V 5) haben möchten. Er spricht hier nicht von der Berufung und dem Erbteil der Heiligen, sondern von der Berufung und dem Erbteil Gottes. Es ist sein Erbteil in seinen Heiligen. Dies zeigt uns, dass wir die innigste Gemeinschaft mit Gott haben. Weiter bittet der Apostel, dass sie wissen möchten die überschwängliche Größe seiner Macht an uns, den Glaubenden, nach der Wirkung der Kraft seiner Stärke, welche uns in den Besitz alles dessen führt. Diese Kraft hat in Christus gewirkt, als Gott Ihn aus den Toten auferweckte und Ihn in den höchsten Himmel einführte, (V 20) wo Er Ihn über alles zu seiner Rechten gesetzt hat, (V 21–22) und hat Ihn der Versammlung, welche sein Leib ist – die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt, als Haupt über alles gegeben (V 23). – Gott findet hier Jesus unter den Toten und setzt Ihn, nachdem Er Ihn auferweckt hat, über alles der Versammlung zum Haupt. Diese genießt alles mit Ihm, doch nicht als Haupt, sondern als Leib. Christus war tot für uns und wir in Ihm; dieselbe Kraft, welche Ihn aus den Toten auferweckte und Ihn zur Rechten Gottes setzte, bringt auch uns, wie wir jetzt im zweiten Kapitel sehen werden, in dieselbe Stellung.

In diesem 2. Kapitel haben wir die Wirkung, durch welche der Ratschluss in Betreff der Gemeinde vollbracht ist, die Wirkung der Macht, welche die Versammlung mit Christus vereinigt hat und die Weise dieser Einigung. Wir lesen in Kapitel 1,20, dass Gott Christus von den Toten auferweckt hat, und der Apostel fährt hier im 1. Verse fort: „Und auch euch usw.“ als weitere Verwirklichung dieser Tatsache an uns, den Glaubenden.

„Und auch euch als ihr in den Sünden und in den Vergehungen tot wart, in welchen ihr einst wandeltet nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirksam ist; unter welchen auch wir einst alle unseren Verkehr in den Lüsten unseres Fleisches hatten, indem wir den Willen des Fleisches und der Sinnen taten, und von Natur, wie auch die Übrigen, Kinder des Zornes waren“ (V 1–3). – In Vers 1 und 2 haben wir den natürlichen Zustand der Heiden und in Vers 3 den der Juden. Beide waren tot in den Vergehungen und Sünden, (vgl. V 5) beide waren von Natur Kinder des Zornes. In diesem Zustand konnten beide keine Gemeinschaft mit Gott haben, weil das Wesen Gottes und das des Sünders im vollkommensten Gegensatz stehen. Gott ist heilig, und der Sünder wandelt nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Wesen des Satans, nach den Lüsten des Fleisches und der Sinnen, und dies alles ist Feindschaft wider Gott.

„Gott aber, weil Er reich an Barmherzigkeit ist, hat wegen seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, uns mit dem Christus lebendig gemacht – durch die Gnade seid ihr errettet – und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern, in Christus Jesus; damit Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte an uns in Christus Jesus erweise“ (V 4–7). – In Vers 4 haben wir die Quelle seiner Liebe, welche sowohl Heiden als Juden aus dem verlorenen Zustand errettet hat, nämlich den Reichtum seiner Barmherzigkeit. In Christus finden wir beide vereinigt; die Einen wie die Anderen sind mit Christus lebendig gemacht und mitauferweckt und in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter. Der Vers 5 ist eigentlich die Fortsetzung von Vers 1: „Und auch euch usw.“; wir sehen in beiden, dass sowohl Juden als Heiden in den Vergehungen und Sünden tot waren; aber nun sind sie mit Christus lebendig gemacht. In Vers 20 des 1. Kapitels sagt der Heilige Geist nicht von Christus, dass Er lebendig gemacht sei, weil Er selbst das Leben war; uns aber hat Er samt Ihm lebendig gemacht. Dann ist auch zu bemerken, dass es in Vers 5 heißt: mit Christus; aber in Vers 6 nicht mit, obgleich dies auch wahr ist, sondern in Christus. Wir sind noch nicht persönlich, dem Leib nach, droben, sondern in Christus; aber wir werden auch mit Ihm in den Himmel versetzt werden. Das Haupt ist jetzt schon dort, allein die Glieder befinden sich noch auf der Erde. Doch wird, wie schon bemerkt, die Versammlung in diesem Brief als im Himmel betrachtet, weshalb der Heilige Geist hier auch nicht von der Ankunft Christi redet. Im Epheserbrief ist alles im Himmel. Die Segnung ist in den himmlischen Örtern in Christus; (Eph 1,3) wir sind in Ihm mitauferweckt und mitversetzt in die himmlischen Örter; (Kap 2,6) wir sind ein Zeugnis für die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern, (Kap 3,10) und unser Kampf ist mit den bösen Geistern in den himmlischen Örtern (Kap 6,12). – Es ist nach Vers 7 der Zweck Gottes, in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte an uns in Christus Jesus zu erweisen. Es wird den Engeln offenbar werden, was Er am gottlosen Sündern getan hat.

„Denn durch die Gnade seid ihr errettet mittelst des Glaubens, und zwar nicht aus euch, – Gottes Gabe ist es, – nicht aus den Werken, damit nicht jemand sich rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, auf dass wir darinnen wandeln!“ – Hier fällt aller Ruhm und alle Werkgerechtigkeit des Menschen in den Staub; selbst das Glauben ist eine Gabe Gottes, und ist nicht von uns. Wir selbst sind sein Werk; wir sind in Christus von Neuem erschaffen, um gute Werke zu tun, – nicht aber, um gerechtfertigt zu werden, weil wir dieses durch das Opfer Christi schon sind. – Bis jetzt haben wir die Ausführung des Ratschlusses, und nun ermahnt der Apostel die Heiden, und stellt ihnen die Art und Weise der Einigung vor.

In Vers 11 und 12 erhöht er die Gnade dadurch, dass er den Heiden ihren traurigen Zustand vor ihrer Bekehrung vergegenwärtigt. Dann entwickelt er von Vers 13 an die Art und Weise der Vereinigung der Juden und Heiden zu einem Leib, um durch den Heiligen Geist zu einer Wohnung Gottes zu werden. Es bestand jetzt kein Unterschied mehr. Die, welche einst ferne waren, sind in dem Blut Jesu Christi nahe geworden, (V 13) die Zwischenwand der Umzäunung ist abgebrochen; (V 14) die Feindschaft, das Gesetz der Gebote in Satzungen, ist abgeschafft; auf dass Er die zwei, Frieden stiftend, in sich selbst zu einem neuen Menschen schaffen möchte, und dass Er die beiden in einem Leib Gott durch das Kreuz versöhnte, nachdem Er durch dasselbe die Feindschaft getötet (V 16–17). 

Dieses Werk ging in der Bildung der Versammlung in der gegenwärtigen Zeit in Erfüllung, und dieser eine Leib ist die Versammlung. – Wir sehen ferner, wie Gott wirksam ist, sowohl denen, die ferne, als auch denen, die nahe waren, diesen Frieden zu verkündigen; denn Beide haben durch Christus Zugang, in der Kraft des einen Geistes zum Vater, so dass die Gläubigen aus den Heiden jetzt nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht sind, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, auferbaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten des neuen Testaments, wo Jesus Christus selbst der Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, wohl zusammengefügt, zu einem heiligen Tempel im Herrn wächst, in welchem auch ihr zu einer Wohnung Gottes im Geist auferbaut werdet (V 19–22). – Die Stelle des Tempels, wo Jehova wohnte, ist jetzt durch diese Verewigung der Gläubigen aus Juden und Heiden, als dem wahren Tempel, der Wohnung Gottes durch den Geist, ersetzt. Dies zeigt uns den wahren Charakter der Versammlung auf der Erde, einen Charakter, der die größte Verantwortlichkeit offenbart, aber auch die köstlichste, weil die Gläubigen nach der ihnen zugeteilten Gnade verantwortlich sind; einen Charakter endlich, den die Versammlung nie verliert, weil er von der Gnade und der Verheißung Gottes abhängt, und weil der Heilige Geist ewiglich in den Seinen bleiben wird.

In Kapitel 3 offenbart und entwickelt der Apostel den Reichtum des Geheimnisses, welches vor den Zeitaltern her in Gott verborgen und jetzt dem Apostel anvertraut war. Er zeigt uns die Verwirklichung und die Tragweite dessen, was Gott und seine Herrlichkeit in der Versammlung ist. Der 1. Vers dieses Kapitels steht mit Kapitel 4,1 in Verbindung, und alles, was zwischen beiden liegt, ist als eine Paranthese (Einschaltung) zu betrachten. In Vers 5 teilt der Apostel mit, dass dieses Geheimnis in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kund gemacht worden sei. Die Versammlung sollte eine ganz neue Offenbarung der Tiefen der Ratschlüsse und der mannigfaltigen Weisheit des unendlichen Gottes sein. Sie war vor Gründung der Welt in den Tiefen dieser Ratschlüsse verborgen, bis Christus, von der Erde verworfen, ihr himmlisches Haupt werden konnte. Solange das Haupt im Himmel fehlte, konnte der Leib nicht auf Erden sein. Seit der Verwerfung Israels offenbart Gott das verborgene Geheimnis, welches sich an die himmlische Herrlichkeit des Menschensohnes knüpft.

 Besonders war Paulus erwählt, diese unergründlichen Reichtümer zu verkündigen, und er selbst erklärt, dass er dies Geheimnis durch eine besondere Offenbarung empfangen habe: (V 3–4) „Welches (Geheimnis) in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kund gemacht worden, wie es jetzt seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden ist, dass nämlich die Heiden Miterben und ein Teil ein und desselben Leibes, und teilhaftig seiner Verheißung in dem Christus durch das Evangelium sein sollten, dessen Diener ich nach der Gabe der Gnade Gottes geworden bin, welche mir nach der Wirkung der Macht gegeben ist. Mir, dem allergeringsten von allen Heiligen, ist diese Gnade gegeben worden, unter den Heiden den unausforschlichen Reichtum des Christus zu verkündigen, und alle zu erleuchten, welche die Verwaltung des Geheimnisses sei, welches von den Zeitaltern her verborgen war in Gott, der alle Dinge geschaffen hat; auf dass nun den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung die mannigfaltige Weisheit Gottes kund gemacht sei, nach dem Vorsatz von den Zeitaltern her, welchen Er gefasst hat in Christus Jesus, unserem Herrn, in welchem wir die Freimütigkeit und den Zugang in Zuversicht durch den Glauben an Ihn haben“ (V 5–12).

Dies Geheimnis ist das Geheimnis Gottes, weil Gott die Urquelle dieses Ratschlusses ist, und es ist das Geheimnis Christi, weil Christus der Mittelpunkt desselben ist. Die Engel hatten die Weisheit Gottes in der Schöpfung, in der Regierung der Juden und der Welt gesehen, aber nie einen himmlischen Leib auf der Erde, der mit Gottes Sohn im Himmel vereinigt war. Dies war eine ganz neue Offenbarung der mannigfaltigen Weisheit Gottes. Ehe Christus verworfen war, suchte Gott von den Menschen Frucht, und Israel war sein Weinberg; von da aber wirkt Gott allein, und die Welt kann nicht mitwirken. Er vereinigt die Gläubigen aus den Juden und Heiden zu einem Leib, dem Leib Christi, und dieses ist die Wohnung Gottes durch den Geist.

In Vers 15 bekennt der Apostel, dass er für die Gläubigen aus den Heiden leide. Die Lehre, dass der Zaun Mischen Juden und Heiden niedergerissen sei, zog ihm den schrecklichsten Hass zu. Doch waren seine Leiden für die gläubigen Epheser nur eine Ehre, weil er sie für einen Gegenstand trug, welcher die Heiden so nahe zu Gott gebracht hatte. Er beugt seine Knie zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, von welchem jede Familie in den Himmeln und auf der Erde den Namen hat (V 14–15). Sie sind alle sein, und finden alle Platz unter dem Namen: „Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Christus gehört alles an und Er ist das Haupt der Versammlung, seines Leibes; Er ist der Mensch, welchen Gott auferweckt und zu seiner Rechten gesetzt hat. Hier ist Er als der Sohn dargestellt, und der Apostel betet zum Vater unseres Herrn Jesus Christus. Die Versammlung, als der Leib Christi, ist in Ihm der Mittelpunkt aller Herrlichkeit. Israel fand seinen Platz in dem Namen Jehova.

Betend wünscht der Apostel, dass die Gläubigen die Ausdehnung dieser Herrlichkeit verstehen möchten: „dass Er euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit gebe mit Macht, gekräftigt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne; und ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, auf dass ihr vermögt mit allen Heiligen zu erfassen, welches die Breite, und Lange und Tiefe und Höhe sei, und zu erkennen die das Erkenntnis weit übersteigende Liebe des Christus, damit ihr zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt seid“ (V 16–19). Der Apostel hat keine Worte für diese Ausdehnung; deshalb fasst er den Mittelpunkt derselben an, d. i. die Liebe Christi. Gott erfüllt alle Dinge und diese Fülle ist in Christus leibhaftig. Die Versammlung, welche in Ihm ist, besitzt die Fülle Christi; und der Apostel wünscht, dass sie diese Fülle ganz und gar begreifen und verwirklichen möge, dass durch seinen Geist die Liebe in uns gekräftigt und gewurzelt sei.

Die Fülle Gottes, welches die Liebe ist, ist in uns. Wir wissen, dass wir geliebt sind, aber die Liebe selbst soll unser Herz ganz erfüllen. Der Apostel will, dass diese Liebe in solcher Kraft und Fülle in uns wohne, dass wir mit allen Heiligen die Ausdehnung der Herrlichkeit verstehen. – Die Kraft des Heiligen Geistes ist Christus, wohnend in unseren Herzen und Gott ist in Christus in der Versammlung. Bin ich in Christus, so bin ich in Gott, als meinem Mittelpunkt, von wo aus ich alle Herrlichkeit verstehe. Unter diesem Meer von Herrlichkeit ist der Fels, die Liebe Christi. Die Gedanken des Apostels sind in alle Herrlichkeit ausgegangen, und sie kehren zu der Liebe Christi zurück. Hierhin setzt er seinen Fuß. Diese versteht auch der schwächste Christ, obgleich sie alle Erkenntnis übersteigt; – „damit ihr zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt seid;“ dies ist nichts anders, als sich selbst ganz und gar zu verlieren.

„Dem aber, der weit über das Maß, über alles hinaus, was wir erbitten oder erdenken, nach der Macht, die in uns wirkt, zu tun vermag, Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christus Jesus in alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter!“ (V 20–21) In diesem ersten Vers haben wir die Kraft, welche nicht für uns, sondern in uns wirkt, und der Andere gibt Grund, zu glauben, dass die Versammlung von den übrigen Gläubigen stets unterschieden werden wird.

In dem 4. Kapitel spricht der Apostel von dem Heiligen Geist und dessen Wirksamkeit in der Versammlung. Die Heiligen sind hier ermahnt, in einer ihrer Berufung würdigen Weise zu wandeln; (V 1) d. i. der Leib Christi und die Wohnung Gottes durch den Geist zu sein. Dieses Kapitel enthält die Anwendung von der Lehre des 2. Kapitels und hängt mit diesem zusammen. – Das Gefühl der Gegenwart Gottes wirkt immer Demut, Sanftmut, Langmut und Liebe (V 2). Von Vers 3–6 haben wir die Einheit der Versammlung und die Ermahnung, die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens zu bewahren. Es gibt nur einen Leib und nur einen Geist. Von dem 7. Vers an redet der Apostel von der Verschiedenheit der Gaben der Glieder. Das Haupt der Versammlung, Christus, ist in die Höhe hinaufgestiegen und hat die Gefangenschaft gefangen geführt, und den Menschen Gaben gegeben (V 8). Die Gläubigen sind so vollkommen befreit, dass sie, anstatt Sklaven des Satans zu sein, die Gefäße der Kraft Christi geworden sind, um sein Werk wider den Feind fortzusetzen. Er spricht hier nicht von den Gaben als Schmuck seiner Versammlung, sondern als Gaben zur Bildung und Erbauung seines Leibes. Christus erfüllt, hier nicht als Schöpfer, sondern als Mensch, alle Dinge. Er ist hinabgestiegen dahin, wo die Kraft Satans und des Todes war; und ist in die Herrlichkeit über alle Himmel hinaufgestiegen (V 9–10). Sein Leib war im Grab, seine Seele im Hades. Es war seine unendliche Liebe, die Ihn hinunter steigen ließ, und Er stieg hinauf und erfüllte alles, von dem Staub des Todes bis zu dem Thron Gottes. Satan und Tod haben alles verloren.

 Zwar ist dies noch nicht alles verwirklicht; Christus macht noch nicht völlig von seiner Macht Gebrauch; aber Er erfüllt Einige mit seiner Kraft und mit seinen Gaben. Er hat die Versammlung der Knechtschaft des Feindes entzogen, und sie kann jetzt das Gefäß dieser Macht und dieses Zeugnisses sein. Die Gaben dienen dazu, dass die Heiligen vollkommen gemacht werden, (V 12) hier im Glauben und dort in Herrlichkeit. Das Ziel Gottes ist also, wie wir Vers 11–12 sehen, die Vollendung der Heiligen nach dem Willen seines Herzens; das Mittel, dieses zu vollbringen, ist der Dienst durch die Gaben. Dieser Dienst findet hienieden statt. Während Christus zur Rechten Gottes sitzt, ist die Versammlung der einzige Leib, der das Gefäß dieses Dienstes und des Geistes ist. Die Worte sind sehr köstlich, welche auf den letzteren Gegenstand Bezug haben: „Und Er hat die Einen als Apostel gegeben, die Anderen als Propheten, die Anderen als Evangelisten, die Anderen als Hirten und Lehrer zur Vollendung der Heiligen; – für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen werden zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu einem vollkommenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf dass wir nicht mehr Unmündige seien, hin und her geworfen, und umhergetrieben von jeglichem Wind der Lehre, durch das Würfelspiel der Menschen in Verschlagenheit zur List der Verführung; aber wahrhaftig in Liebe lasst uns wachsen in allem, zu Ihm hin, der das Haupt ist – der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohlzusammengefügt und zusammenbefestigt, durch jedes Gelenk der Darreichung nach der Wirksamkeit in dem Maß eines jeglichen Teiles, das Wachstum des Leibes zu seiner Selbstauferbauung in Liebe schafft“ (V 11–16).

Die Grundlage der Erbauung der Versammlung sind die unermesslichen Reichtümer Christi, von welchen jedes Glied dem Leib nach der ihm verliehenen Gnadengabe mitteilt. Dieser Leib entwickelt sich also in seinen Gliedern. Christus ist in seiner Fülle das Maß dieses Wachstums, weil die Wahrheit, welche diese Fülle offenbart, das Mittel ist, den Leib in Christus, dessen Fülle offenbart ist, wachsen zu lassen. Das Ziel ist also der volle Wuchs der Fülle des Christus. Wie unendlich reich und köstlich ist doch die Gnade Gottes in Christus Jesus.


DAS RÜHMEN DES CHRISTEN
Erst dann, wenn der Sünder das Gewicht der Sünde in der Gegenwart Gottes fühlt, wenn sein Herz, unstet und ruhelos, sich nach Frieden sehnt, wird er verstehen, dass er der Gnade und zwar einer vollkommenen Gnade bedarf, um erlöst zu werden. Wie tief und mächtig muss aber der Eindruck sein, wenn in ein solches Herz durch die wirksame Kraft des Heiligen Geistes das Wort dringt: „Welcher (Christus) unserer Übertretungen wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist“ (Röm 4,25). Dieser so kurze und einfache Ausspruch enthält das lieblichste Evangelium für den verlorenen Sünder. Er sieht hier die Gerechtigkeit Gottes, welche er seiner Sünden wegen fürchtet, auf das vollkommenste befriedigt. Sie fand ihre Befriedigung in dem Tod eines anderen, in dem Opfertod Christi auf Golgatha. Anstatt des Sünders ist die Sünde im Fleisch verdammt worden. „Gott, seinen eigenen Sohn in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und als Opfer für die Sünde sendend, verurteilte die Sünde im Fleisch“ (Röm 8,3). So ist denn die Sünde im Fleisch verurteilt, aber der Sünder freigesprochen worden. Diese Freisprechung ist nach der Kraft und dem Wert des Opfers Christi; unsere Versöhnung mit Gott ist so vollgültig, wie das Blut Jesu, welches für unsere Sünden vergossen ist. Das Bewusstsein unserer Befreiung ist stets nach dem Maß der Erkenntnis des Werkes Christi für uns, weil jene allein von diesem Werk abhängig ist. Die Auferweckung Christi ist der vollständige Beweis, dass die Gerechtigkeit Gottes in Betreff unserer Sünden völlig befriedigt ist und wir gerechtfertigt sind. Weil Er unsere Sünden auf sich nahm, weil Er für uns zur Sünde gemacht war, so konnte Er auch nur dann wieder auferweckt und zur Rechten Gottes gesetzt werden, wenn diese unsere Sünden, welche Er trug, ganz und gar hinweggetan waren. Solange noch eine Sünde auf Ihm lag, blieb Er dem Tod, als Sold der Sünde, unterworfen, und konnte weder auferweckt noch zur Rechten Gottes gesetzt werben. So ist denn seine Dahingabe in den Tod ein Beweis, dass unsere Sünden gebüßt, und seine Auferweckung ein Beweis, dass sie hinweggetan und wir gerechtfertigt sind.

Haben wir den Wert und die Kraft des Opfers Christi für unsere Sünden und die Bestätigung unserer Rechtfertigung durch seine Auferweckung wahrhaft im Glauben erkannt, so werden wir auch das Bewusstsein in unseren Herzen haben, dass wir völlig versöhnt und von unseren Sünden freigesprochen sind; wir sind los vom bösen Gewissen, welches uns bis dahin als Sünder anklagte und verdammte. „Gerechtfertigt also aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Kap 5,1). Dieser Friede ist die Frucht unserer Rechtfertigung durch den Glauben. Der also Gerechtfertigte befindet sich jetzt ohne Furcht in der Gegenwart Gottes. Der Glaube an Jesus und die Erkenntnis seines Werkes hat ihn frei gemacht. Er kam als Gottloser, aber er kam im Glauben zu dem, der die Gottlosen rechtfertigt und sein Glaube wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet (Röm 4,5). Welch Heil für den verlorenen Sünder, wenn er diesen Gott kennt, und zu Ihm im Glauben seine Zuflucht nimmt! Es ist ein Akt der Gnade, wenn Gott den Gottlosen freispricht, aber im Hinblick auf das Opfer Christi, ist es auch ein Akt der Gerechtigkeit. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt“ (1. Joh 1,9). Gott bleibt also völlig gerecht, wenn Er gnädig ist und den Gottlosen freispricht. „Wer will Anklage erheben wider die Auserwählten Gottes? Gott ist es, welcher rechtfertigt“ (Röm 8,23). So haben wir denn die Gerechtigkeit Gottes jetzt nicht mehr zu fürchten, sondern wir freuen uns derselben und preisen sie. – Wir sehen also, dass unsere Rechtfertigung und als Folge dessen unser Friede mit Gott nur auf das Werk Christi gegründet ist und nie auf unseren Wandel. „Wir haben Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Der Christ bleibt zwar immer gerechtfertigt, aber der Friede seiner Seele und dessen Genuss ist von der Wirksamkeit des Glaubens und von der Erkenntnis des Werkes Christi abhängig.

Der Gläubige ist also in Christus zu Gott gekommen, und ist durch den Glauben seines Werkes teilhaftig geworden. Er befindet sich jetzt in einem unergründlichen Meer von Gnade; er besitzt – und genießt alles in Christus, „durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher wir stehen.“ Wir stehen also in der Gnade und haben Zugang zu derselben. In Christus haben wir Gnade um Gnade empfangen; in Ihm wohnt die ganze Fülle derselben und wir besitzen sie in Ihm. Sei es die Herrlichkeit der Gnade Gottes in Betreff seiner Ratschlüsse, sei es der Reichtum derselben in Betreff der Versöhnung unserer Sünden durch sein Blut, wir haben einen völligen Zugang. 

Wir haben in Christus eine solche Stellung empfangen, dass wir ihre ganze Fülle und Ausdehnung, jetzt mittels des Glaubens und einst in der Herrlichkeit, genießen können. Unsere Seele ist mit Christus in Gott eingeführt, als unseren Zufluchtsort, unsere Wohnung und unsere Ruhestätte. Wollen wir die Tragweite unserer Stellung, in welche uns die Gnade geführt hat, verstehen, so müssen wir die von Christus verstehen lernen; „denn gleich wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“ Sein Gott ist unser Gott und sein Vater unser Vater, und wir sind geliebt, wie Er. Die Fülle Christi ist das Maß der Gnade, in welcher wir stehen, und die Erkenntnis dieser Fülle ist das Maß des Genusses dieser Gnade. Wir sind auch durch dieselbe in die Gegenwart Gottes gebracht, als geliebte Kinder, und rufen durch den empfangenen Geist der Kindschaft das „Abba, lieber Vater!“ Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus. In dieser Gemeinschaft lernen wir erst recht den Reichtum der Gnade verstehen und genießen. Wir sind in Christus immerdar in der Gegenwart Gottes, und sind kraft seines Blutes stets ohne Sünde darin. Wandeln wir auch hienieden in einer Wüste, unser Herz lebt schon in der himmlischen Heimat droben; sind wir auch Fremdlinge auf dieser Erde, so sind wir doch Bürger und Hausgenossen Gottes droben; werden wir hier auch verkannt und gehasst, – von Gott, dem Vater in Christus Jesus, sind wir völlig gekannt und geliebt; wandeln wir auch durch mancherlei Trübsale, – wir finden in allen die Liebe Gottes; leiden wir in den Versuchungen, – Jesus der treue und barmherzige Hohepriester, der selbst in allen Versuchungen gelitten hat, vertritt uns immerdar und bittet für uns; Er ist unsere Stärke im Kampf, unser Trost und unsere Freude in der Traurigkeit, unsere Kraft in Schwachheit; Er leitet und bewahrt uns auf unserem Wege, ja Er ist durch die unter und in uns wohnende persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes stets um uns beschäftigt; „durch Ihn haben wir mittelst des Glaubens Zugang zu dieser Gnade, in welcher wir stehen.“

Wie segensreich und köstlich ist für uns die Gewissheit, in dieser Gnade zu stehen. Ihr Reichtum entspricht allen unseren Bedürfnissen und ihre Herrlichkeit lässt uns die größten und lieblichsten Vorrechte verstehen und genießen. In der Gnade stehen, heißt nichts weniger als in Christus, in Gott stehen und ruhen. Hier findet die Seele alles, was sie völlig befriedigt und glückselig macht. – Und was ist jetzt unser Teil? „Wir rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.“ Was wir durch alle eigene Anstrengung nie erlangen konnten, haben wir durch Christus umsonst gefunden. Der Sünder hatte nichts zu erwarten, als die Verdammnis, aber in Christus ist er von der seligsten und überschwänglichsten Hoffnung erfüllt. „Er rühmt sich in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.“ Es gibt keine höhere und vollkommenere Herrlichkeit, als die Herrlichkeit Gottes. Diese ist in Christus unser Teil geworden. Wir sind Kinder und Erben Gottes und Miterben Christi. Wie süß ist dies Bewusstsein und wie selig dies Rühmen! Gott hat denen, die Ihn lieben, eine Herrlichkeit bereitet, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und die in keines Menschen Herz gekommen ist.

 Wir sind die, welche Nichts inne haben, und doch alles haben. Wir haben in Christus die Gerechtigkeit und werden mit Ihm die Herrlichkeit Gottes haben; jene besitzen wir durch den Glauben, diese in Hoffnung und unsere Teilnahme an beiden ist nur das Ergebnis des Werkes Christi und nicht unseres Wandels. Dieses gibt aber unserem Glauben, wie unserer Hoffnung einen festen Grund. Wir rühmen uns dessen, was wir wirklich und vollkommen besitzen werden. Wir sind mit Christus eins gemacht; wir sind Glieder seines Leibes und also ein Teil von Ihm, und werden darum alles mit Ihm genießen. Er ist zur Rechten der Majestät Gottes erhöht und jetzt schon mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt worden. Stephanus sah bei seiner Steinigung die Herrlichkeit Gottes und den Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehend. Dies bestätigt die Gewissheit unserer Hoffnung, weil wir sein Leib sind. Aber wir haben auch den Geist Gottes, der uns in Betreff unserer Kindschaft versiegelt hat, bis zur Besitznahme unseres Erbteils, als Unterpfand empfangen. So ist denn die Herrlichkeit Gottes das Ziel unserer Berufung; sie ist unser Teil geworden durch das vollkommene Werk Christi; wir haben in Hoffnung die Bestätigung ihres Besitztums in seiner Verherrlichung zur Rechten Gottes, und durch das Pfand des Heiligen Geistes. Dies alles lässt uns erkennen, wie sicher und gewiss der Ruhm unserer Hoffnung ist, und wie sehr wir Ursache haben, diesen Ruhm der Hoffnung bis ans Ende festzuhalten. Wir erwarten die Ankunft Christi zu unserer Aufnahme in seine Herrlichkeit. Solange dieses Warten und dieser Ruhm unser Herz erfüllt, werden wir alles Irdische, weil es unser Teil nicht ist, stets ausschlagen, um mit Christus alles zu genießen.

Dieser erste Vers des oben angeführten Kapitels enthält eigentlich in wenigen Worten das ganze Evangelium. Gerechtfertigt aus Glauben haben wir Frieden mit Gott; unser Leben und Wandel ist in der Fülle der Gnade und wir rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Das ist das herrliche Ergebnis des Werkes Christi. Doch der Apostel hat noch mehr zu rühmen. Er sagt: „Und nicht allein das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsal, wissend, dass die Trübsal Ausharren wirkt; das Ausharren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung; die Hoffnung aber lässt uns nicht beschämt werden; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (V 3–5). Haben wir die Vollkommenheit und das Ergebnis des Werkes Christi verstanden, so rühmen wir uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes; doch um sich der Trübsal rühmen zu können, muss man die Liebe Gottes erkannt haben. Solange wir in unseren Trübsalen nicht die Liebe Gottes finden, werden sie uns immer in Unruhe und Unzufriedenheit bringen. Wir können Gott nur vermöge der Liebe, welche durch die Innwohnung des Heiligen Geistes in unsere Herzen ausgegossen ist, erkennen. „Wer lieb hat, kennt Gott; denn Gott ist die Liebe; wer nicht lieb hat, der kennt Gott nicht.“ –

Der Apostel stellt uns hier vor, wie die Liebe Gottes in unseren Trübsalen stets wirksam ist. Der nächste Segen derselben ist das Ausharren. Die Befreiung durch die Erkenntnis des Werkes Christi wird gewiss große Seligkeit und Freude, und einen tiefen Zug der Liebe zu Jesu in der Seele erwecken, aber dies alles ist mit einer gewissen Unruhe vermengt; nicht eine Unruhe der Furcht, sondern eine Unruhe in dem, was jetzt die Seele fühlt und genießt. Ihre Freude hat mehr ihren Grund in dem Bewusstsein ihrer Befreiung, als in der Erkenntnis Gottes; sie ist mehr über das glücklich, was sie empfangen, als über den, welcher gegeben hat. Diese Freude aber kann nicht beständig und völlig bleiben, weil sie mehr oder weniger mit unserem Gefühl zusammenhängt. Die Trübsale stehen aber auch mit unserem Gefühl in Verbindung, und so hat die Freude ein Gegengewicht und ist oft geschwächt. Wir müssen aber, wenn wir uns allewege freuen wollen, eine Freude haben, die von allem Sichtbaren und Menschlichen unabhängig ist, und das ist nur die Freude am Herrn.

 Unsere Beziehung zu Ihm ist so unveränderlich, als Er es selbst ist. Gott ist Liebe, und wenn Er der alleinige Gegenstand meiner Freude ist, so werde ich mich allewege freuen. Die Freude am Herrn ist unsere Stärke. Wir werden jene aber nur nach dem Maß genießen, nach dem wir den Herrn kennen, und zu dieser Erkenntnis sollen uns die Trübsale leiten. Durch sie werden unsere Herzen geläutert und gereinigt; alles Harte und Eigenwillige wird gebrochen; wir werden stille und hingebend, und das Bild Christi wird sich immer mehr in unserem ganzen Wesen ausprägen. Wenn unser Glaube wirksam ist, so werden wir in unseren Trübsalen stets Gott selbst finden, und werden seine Liebe, Langmut, Treue und Bewahrung darin kennen lernen; die Kinder der Welt aber sind in ihren Trübsalen mutlos und verzagt; sie sind allein darin, weil sie den Herrn nicht kennen. Unsere Herzen aber werden in denselben durch den Herrn befestigt und ausharrend gemacht. Was für jene ein Unsegen ist, ist für uns ein großer Segen; worin jene zittern, darin können wir uns rühmen und freuen.

Je stiller die Seele durch die Trübsale geworden, je inniger und völliger sie mit dem Herrn darin verkehrt hat, desto besser wird sie die Fülle seiner Liebe verstehen und in der Erkenntnis seiner selbst wachsen. Ist sie in allen Dingen recht nüchtern geworden, so ist sie auf den guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes gerichtet und weiß ihn zu unterscheiden. Sie ist nicht allein ausharrend und befestigt worden, sondern auch reich gemacht in allerlei Erfahrung. Eingekehrt in Gott selbst, hat sie erkannt, wie Er ist, und was Er für uns ist. Diese Erfahrung aber wirkt Hoffnung. Unser Vertrauen auf den Herrn wird immer fester; wir lernen selbst in den schwierigsten Lagen unsere Hoffnung auf Ihn setzen; weil wir erkannt haben, dass Er stets genug war. Er ist immer mit uns und für uns, und in dieser Hoffnung wandeln wir getrost und kämpfen in Kraft, Wir werden in jeder Trübsal mit dem Psalmisten singen können: „Ja, auf Gott hofft still meine Seele; von Ihm kommt meine Hilfe! Ja, Er ist mein Fels und meine Hilfe, meine Burg; ich werde nicht Wanken“ (Ps 62,2–3). Diese Hoffnung beschämt uns nicht, denn wir kennen Gott und wissen, dass Er die Liebe ist; – darum rühmen wir uns auch der Trübsal.

In den folgenden Versen wird uns der vollkommene Beweis dieser Liebe, außer uns in Christus Jesus, dargestellt. „Denn Christus, da wir noch schwach waren, ist zu seiner Zeit für Gottlose gestorben. Denn kaum wird jemand für einen Gerechten sterben; (denn für einen Gütigen möchte vielleicht jemand zu sterben wagen) Gott aber erweist seine eigene Liebe gegen uns, indem Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr denn, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch Ihn von dem Zorn errettet werden. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt wurden, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben errettet werden.“ – Will jemand einen äußeren Beweis der Liebe Gottes, so richte er seinen Blick nach Golgatha; hier sieht er den eingeborenen und geliebten Sohn Gottes am Kreuze, am Fluchholz unter den Missetätern, als ein freiwilliges Opfer für Gottes Feinde, für Sünder und Gottlose. Dies ist der höchste und vollkommene Beweis der Liebe Gottes. Diese fand in uns keinen Beweggrund, um sich also wirksam zu erweisen; im Gegenteil, was in uns war, hasste diese Liebe und stieß sie feindselig von sich. Jesus, der vollkommene Ausdruck des Wesens Gottes wurde verachtet, verworfen und getötet. Sie konnte den Beweggrund, um sich für uns so reichlich wirksam zu erweisen, nur in sich selber, in Gott, der die Liebe ist, finden, und wir sehen auch, dass sie keinen Beweggrund außer sich bedurfte, um in ihrer Fülle auszuströmen und zu wirken; ihr Wesen und ihre Kraft ist in sich selbst vollkommen. Das ist also die Liebe Gottes, zu welcher wir gekommen sind. Diese Liebe gab uns Jesus, und durch seinen Tod wurden wir versöhnt, durch sein Blut gerechtfertigt. Jetzt sind wir ganz und gar ein teurer Gegenstand der Liebe Gottes geworden, wie Christus selbst, welcher sagt: „Auf dass die Welt erkenne, dass du sie liebst, wie du mich liebst:“ jetzt heißt es: „Auserwählte, Heilige und Geliebte Gottes.“ Wie tief muss es unsere Herzen beruhigen und beseligen, wie sehr uns in jeder Lage trösten und mit Zuversicht aufblicken lassen, wenn wir das Wesen und die Tragweite seiner Liebe in Wahrheit erkannt haben.

Der Apostel sagt nun in Vers 11 noch einmal: „Nicht allein aber das,“ und fügt hinzu: „sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben.“ Dies ist das höchste und köstlichste Rühmen. Es hat nicht die Herrlichkeit, noch unsere Zubereitung, noch die Beweise der Liebe zum Gegenstand, sondern Gott selbst. Wenn wir Ihn in seinem Wesen erkannt haben, erkannt, wie Er ist und was Er für uns ist, so gibt es nichts Erhabeneres und Köstlicheres für unsere Herzen, als hinzufügen zu können: „Das ist mein Gott und mein Vater in Christus Jesus.“ So wertvoll für den Abraham auch alle Verheißungen Gottes waren, so gab es doch für sein Herz nichts Süßeres, als das Wort: „Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn!“ Gott selbst als sein völliges Teil zu haben und zu genießen, ist das Höchste und Herrlichste, was uns durch Jesus Christus geworden ist. Dieses Rühmen wird in der Herrlichkeit selbst nicht aufhören, wo Gott und das Lamm der einzige Gegenstand unseres Lobes und unserer Anbetung sein werden; und hier in der Wüste wird dieses Rühmen uns über alles erheben.

In diesem dreifachen Rühmen offenbart sich der innere Standpunkt eines Christen. Zuerst rühmt er sich in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Er freut sich des unermesslichen Reichtums, der ihm in Christus Jesus zugefallen ist, und gewiss, er hat vollkommen Ursache dazu. Sobald aber seine Seele ruhiger wird, sobald er die Liebe und Gnade Gottes in allen seinen Wegen wirksam findet, um ihn zu erziehen und um ihn dem Bild Christi gleichförmiger zu machen, rühmt er sich auch der Trübsal, deren Ergebnis so gesegnet für ihn ist; und endlich, wenn er tiefer in Gott selbst hineingezogen wird, wenn er anfängt, Gott in der Fülle seines Wesens zu erkennen, so gibt es für ihn nichts Beseligenderes, als sich Gottes selbst zu rühmen.

Der Herr gebe, dass unsere Herzen dies dreifache Rühmen durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes kennen lernen, und dass wir vor allen Dingen lernen, uns Gottes zu rühmen durch unseren Herrn Jesus Christus.

JOSEPH, EIN VORBILD AUF JESUS
Wir finden im Alten Testament wohl keine Geschichte, die als Vorbild auf Jesus so reich und so ausgedehnt ist, als die Geschichte Josephs. Die Verwandtschaft derselben, selbst in den verschiedenen Einzelheiten, mit dem, was den Herrn offenbart, ist so sehr in die Augen fallend, dass selbst der einfachste Christ sie mit leichter Mühe bald herausfindet. Zugleich ist es aber auch für das einfältig gläubige Herz eine höchst angenehme und erquickende Beschäftigung, in so vielen innerlichen Schönheiten dieser Geschichte den Herrn selbst, und das, was Ihn offenbart, gleichsam in einem Bild zu schauen; überall findet es Gelegenheit, die mannigfaltige Weisheit Gottes zu bewundern und seinen Namen zu preisen. Der Heilige Geist wolle uns denn bei dieser Betrachtung leiten, dass unsere Herzen durch dieselbe reichlich genährt und erquickt werden, und wir immer tiefer hineinschauen in seine wunderbaren und herrlichen Wege, worin sich stets seine Weisheit und Liebe, seine Gnade, Macht und Gerechtigkeit offenbaren.

Nach den Ratschlüssen Gottes war Joseph der Erbe der Herrlichkeit und das Oberhaupt seiner ganzen Familie. Im Anfang seiner Geschichte haben wir die Offenbarung dieser Ratschlüsse an Israel (Jakob) und seine Söhne durch Josephs Träume, (Kap 37,5–11) und am Ende die Erfüllung derselben (Kap 41–46). Zwischen beiden aber die wunderbaren Wege Gottes. Die Brüder Josephs verstehen Nichts von diesen Ratschlüssen, weil alles das, was uns Gott mitteilt, von unserer Seite Glauben fordert, und dieser war nicht in ihnen. Nur bei der Erfüllung derselben müssen sie mit tiefer Beschämung erkennen, dass Gott treu und wahrhaftig ist, und alles erfüllt, was Er verheißen hat. Jakob aber, ihr Vater, obwohl ihm auch der Ausgang dunkel war, bewahrte doch die Sache (Kap 37,11). Er hatte etwas von den unbegreiflichen Wegen Gottes, sowie von der Wahrhaftigkeit seines Wortes erfahren. – Werfen wir unseren Blick auf die Person des Joseph, so finden wir auch hier die Worte des Apostels bestätigt: „Gott hat das Törichte der Welt auserwählt, auf dass er die Weisen zu Schanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, auf dass er das Starke zu Schanden mache; und das Unedle der Welt, und das Verachtete hat Gott auserwählt, und das, was nicht ist, auf dass er das, was ist, zu Nichte mache, dass sich vor Ihm kein Fleisch rühme“ (1. Kor 1,27–29). – Betrachten wir die Führungen des Joseph, so sind diese in der Tat sehr wunderbar, und scheinen oft den Ratschlüssen Gottes nicht zu entsprechen, und ihr Ziel ganz und gar zu verfehlen. Doch am Ende sehen wir den Zweck Gottes völlig erreicht; – und, seien es die Führungen einer einzelnen Seele, seien es die seines ganzen Volkes, immer werden wir genötigt sein, in den Ausspruch des Apostels einzustimmen: „O Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte, und unaufspürbar seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Mitberater gewesen? Oder wer hat ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden?“ (Röm 11,33–34) – Wenn wir aber glauben, dass die Wege Gottes, die Er uns führt, unaufspürbar und unbegreiflich sind, und der Ausgang köstlich ist, wie ruhig und getrost sollten wir denn in solchen Wegen sein, die wir nicht begreifen. Ist der Zweck Gottes erfüllt, ist das herrliche Ziel erreicht, so wird uns nichts anderes übrig bleiben, als Anbetung und Bewunderung seiner Weisheit und Liebe, seiner Macht und Gnade. –

Die Ratschlüsse Gottes in Betreff des Joseph sind vorbildlich und im kleinen Maßstab diejenigen, welche auf unseren Herrn Jesus Christus Bezug haben. Er ist nach diesen Ratschlüssen der wahrhaftige Herr der Herrlichkeit, der Erbe aller Dinge, das Haupt der ganzen Schöpfung, und das Oberhaupt oder der König seines Volkes, des Volkes Israel. Die Gemeinde, seine Miterbin und die Genossin seiner Herrlichkeit, kommt hier nicht in Betracht. Sie nimmt eine besondere Stellung in den Ratschlüssen Gottes ein; als himmlisches Volk, jetzt vor Gott in Christus, aber bei seiner Erscheinung mit Ihm in Herrlichkeit, genießt sie in seiner persönlichen Gemeinschaft alles, was Ihm vom Vater übergeben ist.

Das jüdische Volk verstand weder die Ratschlüsse Gottes in den Weissagungen der Propheten, noch erkannte es den, welcher der Mittelpunkt derselben und der Träger aller Verheißungen war, nämlich Jesus, der in Niedrigkeit unter ihnen wohnte, und dessen Herrlichkeit, als die eines Eingeborenen vom Vater, stets sichtbar war. Wie wenig sie ihn aber kannten, sagen uns die prophetischen Worte des Jesaja Kapitel 53,2–3: „Und Er schoss auf vor Ihm, wie ein Reis, und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Schöne; wir sahen Ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste unter den Menschen, voller Schmerzen und Krankheit, und wie ein die Antlitz vor uns Verhüllender war Er verachtet, und wir haben Ihn nicht geachtet.“ – Nur wenige, obgleich in vielen Stücken noch unwissend, glaubten Ihm in seiner Niedrigkeit und bewahrten seine Worte (Joh 17,6).

Wir haben gesehen, dass die Brüder Josephs die Ratschlüsse Gottes weder verstanden noch glaubten. Die Offenbarung derselben durch die Mitteilung der beiden Träume erregte nur Eifersucht, Neid und Hass in ihren Herzen. Schon hatte die zärtliche Liebe des Vaters zu Joseph diese Neigungen in ihnen aufgeweckt, und als sie nun vollends von letzterem dessen Träume hörten, sagten sie zu ihm: „Willst du etwa König über uns werden; willst du etwa über uns herrschen? Und sie hassten ihn noch mehr um seiner Träume und um seiner Rede willen“ (Kap 37,8). So fiel denn der Hass der Brüder ganz und gar auf den, welcher der Gegenstand der Liebe des Vaters und der Ratschlüsse Gottes war, und sie ruhten nicht eher, als bis sie durch eine böse und grausame Tat ihren Hass an ihm befriedigt hatten. – Als sie nämlich einst fern vom Vaterhaus die Herden weideten, sandte Jakob seinen Sohn Joseph zu ihnen, indem er zu diesem sagte: „Gehe doch, siehe, ob es um deine Brüder und um die Herden wohl steht, und bringe mir Nachricht“ (V 14). Joseph ging hin, und suchte, bis er sie fand. „Und sie sahen ihn von ferne; und bevor er ihnen nahte, machten sie gegen ihn den Anschlag, ihn zu töten. Und sie sprachen einer zu dem anderen: Siehe, der Träumer da kommt! Und nun wohlan, lasst uns ihn erwürgen, und ihn in eine Grube werfen, und dann sprechen wir: Ein böses Tier hat ihn gefressen; da wollen wir sehen, was aus seinen Träumen wird“ (V 18–20). So gedachten sie die Ratschlüsse Gottes, die nichts anderes als ihren Segen bezweckten, zu Nichte zu machen. Und welch einen Unterschied finden wir hier in der Gesinnung des Vaters und der seiner Kinder. Jener ist besorgt, und schickt zu ihnen, um zu erfahren, wie es um sie steht; diese dagegen, sobald sie seinen Gesandten, sein geliebtes Kind, ihren Bruder sehen, denken sie gleich daran, ihn zu töten. Bei ihnen ist keine Besorgnis um das Wohlergehen des Vaters; sie sind sogar bereit, sein Herz mit dem tiefsten Schmerz zu durchbohren. Es gewährt ihnen keine Freude, wenn sie mit guter Botschaft das Herz des Vaters erquicken, und mit einem freien, kindlichen Bewusstsein vor sein Angesicht zurückkehren können; sie wollen ihm vielmehr mit der hässlichsten Lüge nahen, und ihm den grausamen Tod seines Geliebten melden. So sehr herrschte die Sünde in ihren Herzen, dass selbst aller kindliche Gehorsam und alle natürliche Liebe sowohl zu dem Vater als zu dem Bruder darin erstickt war.

 – Ruben, der älteste Sohn Jakobs, erkannte wohl dieses Unrecht, und dachte auch daran, den Joseph zu retten, und ihn dem Vater zurückzugeben; allein er war zu schwach, seinen Entschluss vor den entarteten Brüdern entschieden auszuführen (V 21–24). – Besonders finden wir hier den Judas wirksam; er rät zwar den Brüdern von ihrem Mordanschlag ab, allein er bestimmt sie, den Joseph an vorüberziehende Ismaeliter zu verkaufen. Und also wurde dieser von seinen Brüdern für zwanzig Silberlinge verkauft und den Heiden übergeben (V 26–28). – Doch sehen wir in diesem allem die verborgene Hand Gottes, der immer beschäftigt ist, alle Umstände zum Besten der Seinen und zur Verherrlichung seines Namens zu leiten; und gerade da ist seine unsichtbare Macht besonders tätig, wo Satan seine volle Wirksamkeit entwickelt, und Triumphe zu feiern glaubt. Dieser denkt nur daran, die weisen und segensreichen Ratschlüsse Gottes zu vereiteln, und dennoch muss sein finsteres Treiben stets dazu dienen, dieselben herbeizuführen. O wie ruhig und getrost, macht es uns, wenn wir überall den Herrn sehen und uns stets in seiner Gegenwart wissen; wenn wir in allen Wegen, die Er uns leitet, die feste Überzeugung haben, dass Er mit uns ist, und in seiner Macht und Liebe immerdar für uns wirkt. Den Gottlosen aber begleiten nur seine Sünden und sein böses Gewissen; er ist in der Gegenwart ohne Trost und für die Zukunft ohne Hoffnung; will er seinen Blick nach oben richten, so fühlt er nur die Furcht vor dem Gericht Gottes.

Die Söhne Jakobs senden ihrem Vater den Rock Josephs, nachdem sie ihn in das Blut eines geschlachteten Ziegenbocks getaucht haben, und sagen herzlos: „Dies haben wir gefunden, erkenne doch, ob es der Rock deines Sohnes ist, oder nicht?“ (V 31–32) Und als der Vater in tiefem Herzeleid über den Geliebten jammert, da machen sie sich alle auf, um ihn zu trösten. O schreckliche Verstellung des menschlichen Herzens! Doch keine Reue und kein Schmerz über die böse Tat. Wie überschwänglich muss aber die Gnade sein, die solch überströmende Sünde noch weit überströmt.

Doch noch in einem viel tieferen und ausgeprägteren Sinne tritt uns die Wahrheit des Gesagten entgegen, wenn wir unseren Blick auf den wahren Joseph, auf Jesus und das jüdische Volk richten. Kennen wir einigermaßen die Geschichte dieses Volkes, und seine Führungen vom Herrn, so begreifen wir sowohl die Frage des Letzteren in dem Propheten Jesaja 5,3–4: „Und nun, Bewohner Jerusalems und Männer Judas, richtet doch zwischen mir und meinem Weinberg! Was war noch zu tun an meinem Weinberge, das ich nicht getan hätte?“ als auch dessen Ausruf in Amos 5,25–26: „Habt ihr mir Schlacht– und Speisopfer gebracht in der Wüste vierzig Jahre, Haus Israels? Ihr trugt ja die Hütte eures Molochs, und das Gestell eurer Bilder, den Stern eures Gottes, den ihr euch gemacht hattet.“ – Es wurde stets offenbar, dass Israel ein halsstarriges Volk war. Dennoch hatte die Langmut Gottes ihr Ziel nicht erreicht. So groß auch die Sünde war, so war doch die Gnade noch überschwänglicher. Er sandte seinen Sohn, den Geliebten. Jesus sollte in Niedrigkeit unter ihnen, die Gesinnung Gottes zu seinem Volk offenbaren; allein die Weingärtner, die bisher alle vom Herrn des Weinbergs gesandten Knechte beschimpft, geschlagen und gar getötet hatten, stießen auch Ihn, den alleinigen Erben des Weinbergs, hinaus und töteten Ihn. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf“ (Joh 1,11). In Ihm begegnete ihnen Gott selbst voll Gnade und Liebe, voll Freundlichkeit und Sanftmut, voll Geduld und Erbarmen; aber dies Volk begegnete in Jesu seinem Gott mit Neid und Hass, mit allerlei Schmähung und Verfolgung, mit Bosheit und Mordlust, und es ruhte nicht eher, als bis sie den Gerechten, ihren verheißenen König vor Pilatus verleugnet und ans Kreuz geheftet hatten. Doch auch jetzt hatten Liebe und Gnade ihr Ziel noch nicht erreicht. Am Kreuz ertönen die erbarmungsreichen Worte aus Jesu Mund: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun;“ allein ihr verhärtetes Herz verstand es nicht; sie lästerten fort und fort. Dies Volk wollte die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkennen. Trotz der Niedrigkeit, welche den Herrn umgab, konnte man in Ihm den König Israels nicht verkennen; nur Israel selbst sah es nicht. Bei seiner Geburt ward Er von den Magiern als König der Juden begrüßt; als solcher hielt Er in Jerusalem seinen Einzug; als solcher war Er gekrönt und als solcher gekreuzigt. Er genehmigte das Lob seiner Jünger, welche riefen: „Gesegnet, der König, der da kommt im Namen des Herrn!“ indem Er sagte: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen würden, so würden sofort die Steine schreien“ (Mt 19,38–40). Allein alles blieb vor ihren Augen verborgen; sie wollten nicht, dass dieser über sie herrsche. Befreite Er selbst durch die Kraft des Heiligen Geistes die Besessenen von den Teufeln, sie sagten: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel.“ Sie wollten das erbarmungsreiche Herz Gottes nicht erkennen; sie stießen selbst seinen geliebten Sohn, in dem alle Verheißungen Ja und Amen sind, und der, geboren in ihrer Mitte, aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, gekommen war, die verlorenen Schafe vom Haus Israel zu suchen und selig zu machen, hartherzig und grausam von sich.

Mannigfache Gefühle durchdringen uns, wenn wir daran denken, dass die Geschichte Israels die Geschichte unserer eigenen Herzen von Natur ist. Dies Bewusstsein lässt uns erst recht die große Gnade, die uns widerfahren ist, schätzen. Wir werden voll Dank und Freude bekennen müssen, dass uns ein lieblich Los und ein köstlich Heil zu Teil geworden ist. – Doch welch ein unermesslicher Kontrast zwischen Gott und dem Sünder! aber auch welch unzertrennliche Vereinigung in Christus zwischen Ihm und dem Begnadigten und Gerechtfertigten! Dort ein gerechter Richter und ein in allem schuldiger Sünder; hier der Vater voll Liebe und Gnade und seine geliebten Kinder; dort ewige Trennung und hier ewige Gemeinschaft. Gott war durch uns entehrt, aber nun ist Er durch das Kreuz Christi für uns völlig geehrt; seine Gerechtigkeit war durch uns schmählich beleidigt, aber durch das Opfer Christi für uns ist sie nun vollkommen befriedigt. Er ist nun völlig treu und gerecht, wenn Er uns keine Sünde zurechnet. Handelt Er nach Gnade, so handelt Er auch nach Gerechtigkeit. Dies gibt uns große Zuversicht, stets mit Freimütigkeit und ohne Furcht zu nahen; es lässt uns erkennen, wie sicher und köstlich unser Heil in Christus ist, dass wir in Ihm nach allen Seiten geborgen sind. Jeder Feind muss weichen, jede Anklage verstummen, denn Gott selbst ist es, der uns rechtfertigt. Möge Er durch seinen Geist, doch allen den Seinen reiche Erkenntnis des unermesslichen Heils in Christus geben.

Nach der Abwesenheit des Joseph sehen wir in Kapitel 38, wie Juda in allerlei Elend und Schande verfällt. Er hat die Ratschlüsse Gottes verachtet, und ist jetzt den Sünden und der Blindheit seines Herzens preisgegeben. Doch Gott verstößt ihn nicht ganz; Er handelt mit ihm nach Gnade. Er bleibt in der Reihe des königlichen Geschlechts, und selbst sein Sohn, den er mit seiner Schwiegertochter Tamar zeugte, durfte die Linie dieses Geschlechts fortsetzen. –

Viel schrecklicher und ausgedehnter ist jedoch der Verfall des jüdischen Volkes, seit Jesus durch dasselbe verworfen ist. Auf die gräuliche Tat, welche sie durch die Kreuzigung Christi verübt hatten, antwortete ihnen Gott noch einmal mit Gnade. Er sandte seinen Heiligen Geist, und erfüllte also auch diese segensreiche Verheißung. Der Heilige Geist überführte sie von ihrer schrecklichen Sünde und gab Zeugnis von der Gerechtigkeit und von dem Gericht Gottes; allein Er fügte auch durch den Mund des Apostels Petrus hinzu: „Und nun, Brüder, ich weiß, dass ihr es aus Unwissenheit getan habt, gleich wie auch eure Obersten. Tut denn Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden, damit die Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn, und Er euch Jesus Christus sende, der euch zuvor gepredigt ist“ (Apg 3,17–20). Auch jetzt noch sollte ihrer blutroten Schuld nicht gedacht werden; Gott wollte noch einmal die Zeit ihrer Unwissenheit übersehen, weil der Gerechte für sie am Kreuz gebetet hatte. Jesus sollte wieder zurückkehren, und durch seine Gegenwart dem Volk Zeiten der Erquickung bringen. Doch Israel hatte auch für diese erbarmungsreiche Stimme kein Ohr; es kehrte nicht um, und tat keine Buße; es antwortete vielmehr mit Wut und Zähneknirschen auf das Zeugnis des Heiligen Geistes, und steinigte Stephanus (Apg 7,54–58). Von jetzt an verfiel Israel von Sünde zu Sünde, bis endlich die schreckliche Zerstörung Jerusalems durch die Römer seiner Existenz als Volk ganz und gar ein Ende machte. Seit Jahrhunderten wandeln sie jetzt unstet und zerstreut unter allen Nationen einher, als ein Zeugnis der Langmut und Gerechtigkeit Gottes.

Sie, welche die Ratschlüsse Gottes verwarfen und zu Nichte wachen wollten, könnten jetzt schon, wenn sie anders Augen dafür hätten, das Wort des Propheten Hosea Kapitel 3,4 über sich erfüllt sehen: „Lange Zeit werden die Söhne Israels ohne König, und ohne Obersten, und ohne Opfer, und ohne Bildsäule, und ohne Schulterkleid und ohne Terafim bleiben.“ Doch Israel ist der Blindheit anheimgefallen, bis die Fülle der Heiden eingegangen ist; allein es ist nicht ganz verstoßen, weil Gottes Gnadengaben und Berufung unbereubar sind (Röm 11).

Wenn wir jetzt die Geschichte Josephs weiter verfolgen, so treten uns besonders die wunderbaren und unbegreiflichen Wege Gottes in dessen Führungen entgegen. Die Ismaeliter verkauften ihn nach Ägypten in das Haus des Potifar. Wenn auch jetzt von allen den Seinen verlassen, so begleitete ihn doch der Herr, und war in allem, was er tat, mit ihm; und Er segnete auch um seinetwillen Potifar und sein ganzes Haus (Kap 39,2.5). So versäumt der Herr die Seinen nie, auch nicht den Einzelnen in der Wüste. Er ist ihnen immer nahe, und ist stets bereit, sie zu bewahren und zu segnen. Wie gut ist es, wenn wir dies Bewusstsein haben, wenn wir Ihn in allen unseren Versuchungen finden. Joseph kannte und liebte seinen Gott und wandelte in seiner Gegenwart. In seinem Herzen lebte die Furcht des Herrn; denn selbst in der Stunde der Versuchung, als das Weib des Potifar ihn zum Bösen verleiten wollte, gab er zu erkennen, dass er Gott mehr liebte, als die vergängliche Lust des Fleisch. Er sagte: „Wie sollte ich ein so großes Übel tun, und wider Gott sündigen!“ (V 9) Der Herr ist in jeder Versuchung unsere Kraft und Stärke, wenn wir unser Vertrauen allein auf Ihn setzen. Potifars Weib aber durch Josephs Gottesfurcht gestraft, erhob eine falsche, Anklage wider ihn, und er wurde in Folge dessen ins Gefängnis geworfen. Das war also der Lohn seiner Treue, und Gott schweigt dazu; er hatte den Herrn vor den Menschen bekannt, aber der Herr scheint ihn zu vergessen; seine Gottesfurcht wird für ihn ein Weg zum Gefängnis. Also prüft Gott den Glauben der Seinen. Er lässt sie Unrecht leiden, damit sie den Gehorsam lernen; aber seine Liebe finden sie in allen Umständen und selbst in den größten Trübsalen wirksam. Er erzieht die Seinen in der Schule der Leiden, und bereitet sie vor und macht sie tüchtig zu dem Zwecke, wozu Er sie bestimmt hat. Das Ende aber zeigt uns stets die herrlichen Resultate seiner Führungen. Durch seine Wege macht Er die Seele stille, ernst und besonnen, und lehrt sie ausharren und auf Ihn in jeder Lage zu vertrauen. Doch zu seiner Zeit erhöht Er die Erniedrigten; Er offenbart alsdann seinen starken Arm und verherrlicht seinen Namen. – Auch im Gefängnis ward Joseph nicht verlassen noch versäumt; Jehova war mit ihm, und ließ alles gelingen, was er tat. Wohin uns niemand begleitet, da ist Er uns nahe, und weiß unsere Herzen durch seine Gemeinschaft und Gegenwart zu trösten und zu stärken.

In seiner Niedrigkeit offenbart Joseph die Gedanken und Ratschlüsse Gottes, und wir sehen auch hier, dass der Herr bei der Wahl seiner Werkzeuge zu solchen Offenbarungen sich nicht an das bindet, was hoch und angesehen ist vor der Welt. Selbst der Inhalt seiner Offenbarungen ist in den Augen der Menschen nur Torheit und Schwachheit, auf dass sich vor Ihm kein Fleisch rühme. – Zunächst deutet Joseph den beiden königlichen Dienern ihre Träume im Gefängnis, welche sich nach seiner Deutung erfüllen – der Eine wird nach dreien Tagen wieder in sein Amt eingesetzt; der Andere aber nach ebenso viel Zeit hingerichtet. Zugleich musste Joseph jetzt erfahren, wie schnell die Welt das ihr erwiesene Gute vergisst. Sie denkt nur an sich, und selbst wenn sie an andere denkt und anderen hilft, so ist dies im Grund nichts anderes, als Selbstsucht und Eigenliebe. Gott aber gedachte an Joseph. Sobald die Zeit seiner Prüfung und seines Wartens vollendet war, da wusste Er auch Mittel und Wege zu finden, ihn zu befreien, und ihn die Stellung einnehmen zu lassen, welche er nach seinen Ratschlüssen einnehmen sollte. Ein Traum des Königs Pharao, den alle Zeichendeuter und alle Weisen Ägyptens nicht deuten konnten, weil er eine göttliche Offenbarung enthielt, erinnerte den Ober–Mundschenk an seine Sünden und an Joseph.

 Dieser wurde aus dem Gefängnis geholt, und wie er früher in demselben bei der Deutung der Träume der beiden königlichen Diener Gott die Ehre gab, indem er sagte: „Gott gehören die Deutungen an,“ so tat er es auch jetzt vor Pharao. Er sprach: „Die Deutung steht nicht bei mir; Gott möge dem Pharao Heil verkündigen“ (Kap 41,16). – Nachdem nun Joseph dem König durch die Auslegung seines Traumes die Gedanken Gottes offenbart, und ihm in Bezug auf diese Gedanken und das Wohl des Landes den Rat erteilt hatte, sich nach einem weisen und verständigen Mann umzusehen, und ihn über das Land Ägypten zu setzen, da sprach Pharao zu seinen Knechten: „Werden wir einen Mann wie diesen finden, in welchem der Geist Gottes wohnt?“ Und er sprach zu Joseph: „Da dir Gott dies alles kund getan, so ist keiner so einsichtsvoll und weise wie du. Du sollst über mein Haus gesetzt sein, und nach deinem Mund soll mein ganzes Volk sich richten, nur um den Thron will ich höher sein, als du.“ Dann bekleidete er den Joseph mit Schmuck und Ehre, und alles musste sich vor ihm beugen. Seinen Namen nannte er: „Zaphnathphaneach“ (d. i. Retter der Welt)

Gleich dem Joseph wurde auch Jesus in Folge falscher Anklagen durch die Heiden erniedrigt. Die Juden verleugneten Ihn vor Pilatus und übergaben Ihn seinen Händen, den Händen der Gesetzlosen, auf dass Er gekreuzigt würde (Apg 2,23). „Er war in der Welt, und die Welt ist durch Ihn gemacht, und die Welt kannte Ihn nicht“ (Joh 1,10). Sie verstand weder die Liebe Gottes, die den eingeborenen Sohn zur Erlösung derer gab, die an Ihn glauben würden, noch fühlte sie die Notwendigkeit ihrer Errettung und Versöhnung mit Gott durch Ihn; sie kannte weder den, der gekommen war, das Verlorene zu suchen und selig zumachen, noch die Ratschlüsse dessen, der alles seinen Füßen unterworfen hat. Sie verwarf und kreuzigte Ihn. Der Prophet Jesajas führt ein lebendiges Bild seiner Erniedrigung und seiner Leiden vor unsere Seele; und wer Ihn unter die Missetäter gerechnet, und geschmäht und gelästert am Kreuz hängen sähe, wer Ihn durch den Mund Davids ausrufen hörte: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch! ein Hohn der Leute und verachtet vom Volk. Wer mich sieht, der spottet mein, verzieht die Lippen, schüttelt das Haupt: Befehl er seine Sache Jehova, der helfe ihm, wenn er ihn liebt;“ (Ps 22,7–9) – wer hätte da noch daran denken können, dass Er der Mittelpunkt aller Verheißungen und Ratschlüsse Gottes wäre, und dass Ihm das prophetische Wort des Psalmisten gelte: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt! Fordere von mir, so gebe ich dir die Völker zum Besitztum, und zum Eigentum die Enden der Erde. Du sollst sie zerschmettern mit eisernem Zepter, wie Töpfer–Gefäße sie zertrümmern;“ und wiederum: „Küsst den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr auf eurem Weg umkommt“ (Ps 2,7–12). Gott hat den, der sich selbst zu Nichts machte, und gehorsam war bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuze, erhöht, und hat Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist: dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,8–11). Jetzt ist diese Unterwerfung und Verehrung noch nicht völlig verwirklicht, doch Er ist schon zum Voraus zur Rechten Gottes mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Er hat Ihn gesetzt über seiner Hände Werk, und alles seinen Füßen unterworfen (Heb 2,8). Ist Er und seine Herrlichkeit auch jetzt noch vor den Augen der Welt verborgen, so wird Er doch offenbart werden, und sie wird Ihn dann in dem völligen Besitz alles dessen sehen, was Ihm vom Vater übergeben ist. Er, der in seiner Niedrigkeit nichts hatte, wird dann in Herrlichkeit als Haupt über alles dargestellt werden.

Wir sehen in Kapitel 41,45, dass Pharao dem Joseph Asenat, die Tochter Potifars, des Priesters zu On, zum Weib gab. Diese, obgleich dem Joseph als ihrem Haupt untergeordnet, hatte doch an dessen hohen Stellung und Ehre völligen Anteil, und wir finden in diesem Verhältnis ein Bild der Gemeinde in ihrem Verhältnis zu Christus, als ihrem Haupt. Die Gemeinde ist Ihm zugesellt, nicht als das Erbe, sondern als seine Miterbin. Sie teilt in jeder Beziehung seine Herrlichkeit; nur ist sie nicht Gott, wenn sie auch im gewissen Sinne der göttlichen Natur teilhaftig geworden ist. Sie ist aus der Welt erwählt und ist jetzt priesterlichen Geschlechts, versöhnt und erlöst durch das Blut Christi. Ihr Wesen ist himmlisch, wie auch ihre Berufung. Sie ist gesegnet in geistlichen Gütern in den himmlischen Örtern in und mit Christus. Es kann nur ihre Freude sein, immer mehr von der Fülle Christi zu erfahren, weil ja seine Fülle die ihrige ist, und wenn seine Stellung in Herrlichkeit völlig verwirklicht ist, so wird sie bei Ihm sein, und alles mit Ihm genießen. Alsdann wird Offenbarung 19,7–8 erfüllt sein.

Nach der Erhöhung Josephs nimmt besonders das Zusammentreffen mit seinen Brüdern unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Not führte die Söhne Jakobs hinab nach Ägypten zu Joseph. Sie erkannten ihn nicht, aber er erkannte sie. Sie beugten sich vor ihm mit dem Antlitz zur Erde, und dies erinnerte den Joseph, der sich gegen sie verstellte und hart mit ihnen redete, an seine Träume (Kap 42,6–9). Einst von seinen Brüdern verkannt, verachtet und verworfen, wird er jetzt von ihnen hochgeehrt. Die Ratschlüsse Gottes finden ihre Erfüllung. Die Brüder Josephs, welche es böse zu machen gedachten, hatten diese Erfüllung nicht verhindern können. Wir sehen, wie eitel und nichtig jeder Anschlag, jede Macht des Feindes ist, wenn Gott in seiner Weisheit und Kraft wirksam ist, und dass seinem Willen nichts widerstehen kann. – Die Bedrängnisse, in welche jetzt die Söhne Jakobs durch die scheinbare Härte des Joseph kommen, demütigen sie und bringen sie zum Bewusstsein ihrer Sünden. Jetzt heißt es: „Fürwahr! das haben wir verschuldet an unserem Bruder, dessen Seelenangst wir sahen, als er uns um Erbarmen bat, und wir hörten nicht; darum ist über uns gekommen diese Not“ (Kap 42,21). Das in Sünden solange verhärtete Herz fängt an, weich zu werden und seine Missetaten zu erkennen. Weder die Liebe und der Kummer des Vaters, noch die mannigfachen Wege Gottes hatten dieses Gefühl, das sich jetzt in der Bedrängnis und in der nicht geahnten Gegenwart Josephs kund gab, zu erwecken vermocht. So muss der Herr oft durch harte Wege die Seelen zu sich führen. Joseph verstand seine Brüder; er wandte sich von ihnen und weinte. Seine Tränen wurden durch ihr Geständnis erweckt; es waren Tränen der Liebe und der Freude.

Auf ihrer zweiten Reise brachten die Söhne Jakobs dem Joseph viele Geschenke mit, und sich vor ihm zur Erde beugend legten sie ihm dieselben dar. Also huldigten sie dem Joseph. Dieser erkundigte sich nach dem Wohlbefinden ihres Vaters und als er Benjamin sähe, da entbrannte sein Herz und er ging ins innere Gemach, um zu weinen. Dann wusch er sein Angesicht, und ging wieder zu ihnen hinaus und hielt die Tränen zurück. Er ist sehr weit von Rache entfernt; er kann nicht Böses mit Bösem vergelten, denn sein Herz ist voll Liebe und Erbarmen gegen seine Brüder. Er gibt sich noch nicht zu erkennen, um sie zu prüfen; allein dieses Verborgenbleiben und dieses Verstellen wird fast für ihn selbst eine Prüfung. Es folgen noch einige schwere Versuchungen für die Söhne Jakobs, worin sie sich aber als solche beweisen, die ihre Sünden erkannt und ihren Sinn geändert haben. Besonders fällt uns in Kapitel 44 die Sinnesänderung des Juda auf, der früher seinen Brüdern den Rat gab, den Joseph zu verkaufen. Er war bei seinem Vater für die Rückkehr des Benjamin Bürge geworden, und als Joseph diesen zurückhalten will, da denkt er nicht daran wie früher, mit Lügen vor das Angesicht des Vaters zurückzukehren. Er stellt sich wirklich für den Benjamin in den Riss; er offenbart dem Joseph seine Bürgschaft, und seine Bereitwilligkeit anstatt des Knaben zu bleiben; er befürchtet, was er früher nicht befürchtete, dass der Vater, wenn Benjamin nicht zurückkehre, stürbe, und also seine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube hinab führen, und fügt hinzu: „Wie könnte ich zu meinem Vater hinaufziehen, ohne dass der Knabe bei mir wäre? Ich müsste das Unglück mit ansehen, das meinen Vater träfe“ (V 84). Wir sehen hier, wie sehr seine Gesinnung umgewandelt ist. Joseph aber kann sich jetzt nicht länger enthalten. Nachdem er alle, die bei ihm standen, hatte hinausgehen lassen, gibt er sich seinen Brüdern zu erkennen, und weint laut vor ihnen. Die Bestürzung und die Freude der Söhne Jakobs über dies unerwartete Wiedersehen war groß, doch sei es jedem Leser überlassen, sich unter dem Einfluss des Heiligen Geistes in die Gefühle ihrer Herzen zu versetzen.

Jakob und seine Söhne ziehen jetzt auf den Rat des Joseph mit allem, was sie haben, nach Ägypten, um in Gosen, im besten Teile des Landes Ramses, zu wohnen. Ehe Jakob mit den Seinen hinkommt, wird Juda vorausgesandt zu Joseph, um gleichsam den Weg in das bezeichnete Land zu eröffnen, und als sie alle daselbst angekommen sind, und sich wohnend niedergelassen haben, da versorgt Joseph seinen Vater und seine Brüder und das ganze Haus seines Vaters mit Brot, nach Verhältnis der Kinder (Kap 47,12). Die Ratschlüsse Gottes in Betreff des Joseph und seiner Familie sind jetzt erfüllt. Joseph, bezeichnet als Retter der Welt, ist das Haupt und der Versorger seiner Familie, und er leitet und regiert ganz Ägypten, welches jeden Segen durch seine Hand empfängt. Besonders wird uns in Kapitel 47 seine Weisheit dargestellt, mit welcher er während seiner Erhöhung alles ordnet und leitet; es geschieht mit derselben Weisheit, die er schon in seiner Niedrigkeit an den Tag gelegt hatte.

Jakob wurde auch durch Joseph dem König Pharao vorgestellt. Er erkennt vor diesem an, dass seine Tage, im Vergleich mit dem Leben seiner Väter, traurig gewesen sind, indem er sagt: „Der Tage meiner Wallfahrt sind hundert und dreißig Jahre; wenig und böse waren die Tage meines Lebens, und erreichen nicht die Lebenstage meiner Väter in ihrer Wallfahrt“ (Kap 47,9). Trotz dieses Bewusstseins fühlt sich dennoch der verachtete Hirte im Stand, den Monarchen zu segnen, und es ist unstreitig, dass der Segnende größer ist, als der, welcher von ihm gesegnet wird. Selbst das schwächste und am meisten strauchelnde Kind ist sich in Christus seiner Überlegenheit selbst vor den Großen dieser Welt bewusst.

Dieser letzte Teil der Geschichte Josephs, betreffend seine Vereinigung mit seinen Brüdern, ist besonders und selbst in seinen Einzelheiten reich an Vorbildern auf Jesus und der Wiederherstellung Israels.

Wir sehen nach Matthäus 24 und vielen anderen Stellen, dass Israel noch eine große Trübsal bevorsteht. Es werden Tage der Drangsale kommen, wie sie nie gewesen sind, und auch nie mehr sein werden. In dieser Zeit der Läuterung und des Gerichts, auf dessen einzelne Umstände wir hier nicht näher eingehen können, wird Israel seinen Gott suchen, und es werden sich alsdann die Worte des Propheten Sacharia Kapitel 12,10 erfüllen: „Dann gieße ich über das Haus Davids und über Jerusalems Bewohner den Geist der Gnade und des Flehens, und sie blicken hin auf mich, den sie durchbohrt haben, und beklagen ihn, wie man den einzigen Sohn beklagt, und weinen bitterlich über ihn, wie man bitterlich weint über den Erstgeborenen.“ – Israel erkennt und beweint seine vielen Sünden und Missetaten, womit es gegen seinen Gott gesündigt hat. Die Einzelheiten der Wiederherstellung Israels und seiner Glückseligkeit im Land der Verheißung nach dieser Wiederherstellung unter Christus, als dem König der Gerechtigkeit und des Friedens, finden wir namentlich in den Propheten mitgeteilt, und es macht einen wohltuenden und lieblichen Eindruck auf unsere Herzen, diese zu erforschen. Wir sehen Jesus, einst von seinem Volk erniedrigt, verschmäht und verworfen, jetzt durch dasselbe hoch verherrlicht und verehrt und von Ihm mit großer Weisheit und Kraft regiert und geleitet. Als Folge der Wiedereinsetzung der Juden und der Gegenwart des Herrn wird auch der Segen über die Heiden kommen.

Der Herr aber lehre uns durch Erkenntnis der Wahrheit und vor allem seiner selbst immer mehr seinen Namen zu preisen und zu verherrlichen.


Botschafter des Heils in Christo 1856

01/26/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1856 Seite
Inhalts-Verzeichnis:
Christus: innerhalb des Vorhangs - außerhalb des Lagers 1
Die vor den Gerichten aufgenommene Kirche 7
Sie sind nicht von der Welt 21
Der Nasir 36
Gedanken über Heb 11,1-10 41
Aussatz, ein Bild der Sünde 52
Gott in allen Dingen 58
Über Gaben und Ämter 61
Gottes Ruhe, der Heiligen Ruhe 73
Seid um nichts besorgt! Phl. 4,6,7 81
Kaleb Josua 14, 6-12 87
Die zuversicht Jesu Psalm 16 101
War unser Herz nicht brennend in uns Luk 24. 13-32 110
Bileam - angeworben von Balak, benutzt von Gott 4. Mose 22-24 116
Der Durchzug durch das Rote Meer 121
Jonathan, 1. Sam. 14 135
Zu Dir, o Jesu (Gedicht) 140
Harre auf Gott 141
Ich will dich mit meinen Augen leiten 158
Die Thessalonicherbriefe 161

Teil 2


Die Zuversicht Jesu (Psalm 16)

 „Bewahre mich, o Gott, denn ich traue auf dich! Zu Jehova spreche ich: Du bist der Herr; meine Güte geht nicht zu dir hin, sondern zu den Heiligen, welche auf der Erde sind, und den Herrlichen, an denen ich alle meine Lust habe. Viel sind der Schmerzen derer, die anderswohin eilen. Ich will ihre Trankopfer von Blut nicht opfern, und ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen. Jehova ist das Teil meines Besitztums und meines Bechers; du bewahrest mein Los. Die Meßschnur fiel mir in lieblicher Gegend; ja, ein schönes Erbteil ist mir geworden. Ich lobe den Herrn, der mich beraten, selbst des Nachts unterweisen mich meine Nieren. Ich habe den Herrn allezeit vor mir; denn er ist zu meiner Rechten, ich werde nicht wanken. 

Deswegen freuet sich mein Herz, und mein Geist frohlockt; ja, auch mein Fleisch wird ruhen sorgenlos. Denn du wirst meine Seele nicht in dem Hades zurücklassen, und nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Du tust mir kund den Weg des Lebens; eine Fülle von Freude ist bei deinem Angesicht, liebliches Wesen an deiner Rechten ewiglich." Von dem Augenblick an, wo wir an den Herrn Jesus gläubig geworden sind, rindet alles, was uns trösten, was uns Freude und Zuversicht geben kann, seine Quelle i n I h m , und alles, was uns betrübte, alles, was unser Gewissen verurteilte oder richtete, dieses alles endigte in einfacher aber vollkommener Gnade d u r c h Ihn . So lange wir unsere Stellung in Christo nicht kennen, fürchten wir die Wahrheit, die von der Vollkommenheit eines Heiligen spricht; aber sobald wir über dieselbe völlig klar sind, sehen wir, daß diese Wahrheit uns nur Segen und Freude zuführt.

 So ist es mit diesem Psalm. Es gibt wenige Abschnitte in der Heiligen Schrift, die uns so unsere Schwachheit und unsere Fehler, sowie unser mannigfaltiges Straucheln fühlen lassen, als dieser Psalm, und zwar dadurch, daß er uns die Vollkommenheit von Einem vorstellt, der o h n e F l e c k e n vor Gott war und n i e fiel. Alles aber, was Seine äußere und innere Vollkommenheit offenbart, kann nur Traurigkeit und Niedergeschlagenheit in uns erwecken, wenn wir es außer dem wahren Gegenstand d. i. Jesus Selbst, betrach- 8 113 ten. Suchen wir unsere Herzen, durch die E r f a h r u n g e n , welche uns die Psalmen geben, sicher und gewiß zu machen, so können wir nur sagen: „Herr, gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch." Keine Seele könnte wahren Frieden bekommen. Dennoch suchen manche h i e r ihre Gewißheit; sie sind bemüht, dieselben Züge, dieselben Erfahrungen in sich zu finden, wie sie uns in den Psalmen dargestellt werden, und sie nehmen diese zum Maßstab, um sich selbst zu beurteilen. Wir lesen in Psalm 17, 2. 3: „Mein Recht gehe von deinem Angesicht her, auf das Recht laß deine Augen schauen. Du hast mein Herz geprüft, des nachts besucht, du hast mich geläutert; du findest keinen bösen Gedanken in mir, nicht vergeht sich mein Mund.

" Weil sich nun in unserem Wandel und unserer Gesinnung gewiß Unvollkommenheit befindet, (obgleich der Geist Gottes in uns wohnt) so kann eine solche Stelle nie für uns ein sicherer Grund des Friedens in der Gegenwart Gottes sein. Unsere Freude ist nicht eher vollkommen, als bis wir jede Forderung der Heiligkeit Gottes erfüllt und in Jesu beantwortet sehen. Wenn Gott (wie Er getan) das Herz und die Nieren Jesu prüfte, so fand Er nichts, was Seiner Heiligkeit nicht entsprochen hätte; und darum ist nicht eher unsere Freude völlig, als bis wir sehen und erkennen, daß Jesus dahin gegangen ist, wo eine Fülle von Freude und liebliches Wesen zur Rechten Gottes ist ewiglich. Ja, unser Herz ist dann beruhigt, wenn wir verstehen, daß die Worte in Hebr. 9, 24 zu uns gesagt sind: „Denn der Christus ist nicht in das von Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, eingegangen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesichte Gottes für un s zu erscheinen." Und dies ist wahr von einem jeden, der wahrhaft mit Ihm in Berührung gekommen ist. Es hat nie ein elendes oder betrübtes Herz gegeben, welches nicht, wenn es Jesum anschaute, in Ihm, welcher höher als die Himmel geworden ist, völlige Errettung fand. Die Psalmen sind also für solche Seelen, die an Jesum glauben. Wir erlangen nicht dadurch das Leben und die Segnungen, daß wir versuchen, Schritt für Schritt in den Fußstapfen Jesu zu wandeln. 

Nein, wir befinden uns auf einmal darin und zwar durch Ihn, der alle diese Schritte zurückgelegt hat und welcher jetzt beim Vater ist. Wir sind auf einmal in die Segnungen gestellt, welche Christus für uns empfangen hat. Wir sollen die Psalmen lesen, als solche, welche in Ihm schon Errettung, Segnung und Herrlichkeit erlangt haben; und dann erst sind wir in die Stellung versetzt, wo wir mit Ihm sagen können: „ Bewahre mich, o Gott, denn ich traue auf dich! " 114 Diese Worte finden also nur auf E r r e t t e t e ihre Anwendung. Jesus sprach sie nicht aus, weil Er es für Sich nötig hatte, vom Zorn Gottes errettet zu werden. Er kam aus dem Schoß des Vaters in diese Welt; Er stand da, als der Heilige — „der Sohn des Menschen, welcher im Himmel ist." Nie war Er weniger, als dieses; aber äußerlich waren Seine Umstände ganz verändert, und Er konnte sagen: „Bewahre mich , o Gott, denn ich traue auf dich! " Also können auch wir, die wir vom Bösen aller Art und von Feinden, die uns stets zu versuchen und aufzuhalten trachten, umgeben sind, dies Gebet zu dem unsrigen machen. Es gibt mancherlei Umstände, in welchen wir uns tagtäglich befinden, — Umstände, hinter welchen sich Satan verbirgt, und durch welche wir mit ihm in den Kampf gebracht werden. Nun können wir entweder dem Satan in diesen Dingen nachgeben, oder wir können Gott darin ehren und den Satan überwinden.

 Unsere Füße aber werden immer ausgleiten, und Satan wird u n s stets überwinden, wenn wir nicht die Macht Gottes durch den Glauben in diese Umstände bringen, und dadurch siegen. Der Herr Jesus brachte immer die Gesinnung Gottes in die gegenwärtigen Umstände, und harrte auf Ihn; um die nötige Kraft von Stunde zu Stunde zu besitzen. Er stand nicht allein; denn als M e n s c h geziemte es Ihm nicht, allein und unabhängig zu stehen. Er war Der, welcher Sein Ohr von Morgen zu Morgen geöffnet hatte, gleich dem Gelehrten (Jes. 50, 4. 5). Er war der gehorsame Knecht, welcher nicht Seinen Willen tat, sondern den Willen eines anderen, und Er war unabhängig von Ihm. Und siehe! welch gesegnete Gemeinschaft mit dem Herrn Jesu muß eine Seele genießen, welche bereit ist, Ihm auf diesen Pfaden zu folgen und in seinen Fußstapfen zu wandeln. Der, welcher diese Fußstapfen ein wenig kennt, muß immer ausrufen: „ B e - w a h r e mich , o Gott , d e n n ic h t r a u e au f d i c h ! " Er muß seinen Platz jetzt da finden, wo ihn einst der Herr Jesus hatte. Es ist schon gesagt, daß wir weder Errettung, noch Frieden, noch Herrlichkeit durch Gehorsam erlangen können; aber es bringt uns viel Freude, wenn wir den Willen des andern tun. Es war eine Freude für Jesum, den Willen Seines Vaters zu tun. Dies war die einzige Stellung, in welcher der große Feind überwunden werden konnte. Deshalb nahm Er sie ein, und Er fand Segen darin. Und nun, geliebte Brüder, das Herz, welches eine andere Stellung liebt und wählt, kann nie in Gemeinschaft mit Jesu sein. 

Es ist möglich, daß ein Heiliger in Unabhängig- 115 keit von Gott wandelt, und die Umstände selbst zu ordnen sucht, und daß dennoch ein solcher gesegnet ist, weil der, welchen Gott gesegnet hat, gesegnet ist, und weil Er nie aufhören kann, den zu segnen, welcher an Jesum glaubt, — ein solcher also kann nachlässig wandeln, er kann sich in einer unabhängigen Stellung von Gott befinden, aber die Gemeinschaft Jesu, welcher die unabhängige Stellung vor Gott wählte, genießt er nicht. Wenn dies nun bei einer Seele der Fall ist, so wird sie auch die Schwierigkeiten auf dem Wege, um in allen Umständen würdig zu wandeln, nicht erkennen, weil es gewöhnlich ist, daß diese Schwierigkeiten erst erkannt und gefühlt werden, wenn wir wirklich auf Gott trauen; und dann kommt auch dieses gesegnete Rufen aus dem Herzen: „ B e w a h r e m i c h , o G o t t , d e n n ic h t r a u e au f d i c h ! " Es gibt keinen Ausruf, welcher für den Heiligen ehrenvoller wäre, als dieser; — es war kein Ausruf, welcher sich dem Munde des Herrn geziemte, weil Er die Stellung des Gehorsams eingenommen, und deshalb die Schwierigkeiten in den Umständen fühlte. Er sagte: „ B e w a h r e m i c h , o G o t t , d e n n ic h t r a u e au f d i c h ! " Wenn also die Seele in Versuchung und Kampf ist, inmitten der boshaften Pfeile Satans — denn sie fallen schrecklich auf den, welcher im Gehorsam zu wandeln sucht — so dringt dieser Ruf zu Gott hinauf. Und kein Ruf ist Gott wohlgefälliger; er kommt von dem Geiste Christi in denen, welche im Kampf mit dem Bösen sind.

 Er setzt Erkenntnis Gottes und unsers Mangels voraus; wir fühlen, daß wir als M e n s c h versucht und also von G o t t unterschieden sind. Obgleich Jesus wahrhaft Gott war, so war Er doch in Gleichheit der Menschen geworden, ein vollkommener und fleckenloser Mensch; — Er litt, da Er versucht ward. „Zu Jehova sprach ich: du bist der Herr! " — Diese Aufgabe ist so schwer zu erlernen, daß nur der Herr Jesus allein dieses sagen und darin v e r h a r r e n konnte. Er sagte es mit der Festigkeit der Seele, und wich nicht davon ab. Er kannte Jehova und sagte zu Ihm: „D u b i s t d e r H e r r ! " Dies ist im Gegensatz wider alle Götzen, — den Herrn zu unterscheiden von allem, was unser Herz, unsere Wünsche, unsere Gefühle und unsere Gesinnung beherrschen will, — wegzuwerfen alle Götzen, und Jehova über alles zu setzen. Dies ward nur in Jesu vollkommen gefunden: Gott in allem, was wir tun, als H e r r n anzuerkennen, Ihm unsern Willen zu unterwerfen, in allen Dingen, sowohl in der Wahl der Mittel, als in der Ausführung, unsern Willen Ihm zu opfern, das heißt: „D u b i s t d e r H e r r ! " So 116 weit dieses in den Herzen der Gläubigen verwirklicht ist, sind sie glücklich; und sie werden vor tausend Ängsten und Nöten, welche die treffen, die sich andern Herren unterwerfen, bewahrt bleiben. Die Seele hat alsdann Ähnlichkeit mit Jesu und hat Teil an Seiner Freude; sobald aber irgend etwas anderes in dem Herzen sich der Rechte des Herrn angemaßt hat, so wird gewiß auch in allen Gefühlen und Neigungen des Heizens Unordnung sein. Diese Gedanken sollen den Heiligen demütigen und richten, weil er nicht nur schwach, elend und wertlos nach dem Fleische ist, sondern auch, weil ihm Gott den Heiligen Geist gegeben hat, daß er möge stark sein, tüchtig in allen Dingen durch Jesum, der ihn kräftigt.

 Und wenn uns unsere Herzen sagen, geliebte Brüder, daß es nicht also mit uns ist, so laßt uns durch diese Worte uns richten. Die Prüfung unsers Gehorsams wird uns demütigen und niedrig gesinnt machen, und alle selbstgefälligen Gedanken niederwerfen. Ja, ich bin überzeugt, daß, wenn diese Wahrheit in Treue auf unsere Seele angewandt wird, so wird sie uns eine geläuterte, sanfte und gedemütigte Gesinnung geben, welche in unsern Tagen unter den Heiligen so mangelhaft ist. In dieser Unterwerfung finden wir „die Güte", — die moralische Vollkommenheit des Verstandes, des Willens und der Handlung in Jesu. Alles, was sich in Jesu an Verstand, an Gefühlen und Neigungen, an Willen offenbarte, war vollkommen, und dies charakterisierte Seine „Güte". Aber was sagt Er von Seiner Güte? Verursachte sie Ihm Freude? Gewiß —. aber (Er sagt) diese Güte in Mir wird keinen Unterschied in Deinem Wesen, o Gott, hervorbringen; „ m e i n e G ü t e g e h t n i c h t z u d i r h i n , sondern . .. . " Welcher Zustand ist durch diese Güte verändert? „...z u d e n Hei - l i g e n , w e l c h e au f d e r E r d e s i n d , u n d d e n H e r r l i c h e n , a n d e n e n i c h a l l e m e i n e L u s t habe." Es ist immer ein Teil des Glaubens der Knechte Gottes: zu sehen, daß solche „auf der Erde sind" — eine heilige Priesterschar, in welchen, wenn das irdene Gefäß zerbrochen ist, auf einmal die Herrlichkeit des Lichtes, welches in ihnen ist, scheinen wird. Die Sinne sehen nur die irdenen Gefäße; aber der Glaube erkennt leicht den Puls, welcher, wenn auch nur schwach, für Jesum schlägt, und gern an Seine Wege denkt. Es ist oft so schwer, „diese Heiligen" zu erkennen; aber da, wo es jemand gibt, der den Namen Jesu bekennt, und die Frucht des Glaubens, der im Herzen ist, darbringt, — da sehen wir Einen, an dem Er „seine Freude" hat, Einen, welchen Er liebt, als Sich Selbst. Die habsüchtige, böse, argwöhnische Gesinnung der Welt, so wie die Ge- 117 sinnung des Fleisches in den Heiligen (denn beide sind gleich) erkennt leicht, was böse ist, und liebt, die Schwachheiten und Mängel der Heiligen auf eine harte Weise aufzudecken und auszulegen, und der Teufel unterstützt dieses immer.

 Ja, das Fleisch deckt gern die Fehler der Heiligen auf, und brüstet sich dann, daß es nicht so schwach ist, wie ein anderer. Wie verschieden aber ist der Geist Christi! Nichts offenbart so sehr die Gesinnung des Geistes Christi, als die Liebe, welche nicht argwöhnisch ist, welche sich aber immer freut einen Heiligen zu finden, wie schwach und mangelhaft er auch sein mag. Ist dies auch unsere Freude, teure Brüder? Es ist gut, wenn wir diese Frage wohl beherzigen. Wir sind gewiß gesegnet, wenn wir uns mit der Versammlung Gottes, sowohl in ihren Gefühlen, Gedanken und Neigungen, als auch in ihrem äußerlichen Zeugnis, einverleibt wissen, wenn wir sie als von Gott anerkennen, ausgezeichnet, herrlich, als die, von welcher Christus sagt: „a n w e l c h e r i c h a l l e i n m e i n e L u s t h a b e " ; und über welcher Seine „Güte" bleibt. Diese „Güte" ist für sie, darum kann sie wohl als a u s g e z e i c h n e t betrachtet werden. Wir wissen, daß der Herr Jesus sagt: „Was ihr dem Geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan." Nichts macht im Praktischen einen tieferen Eindruck auf den Christen, als tagtäglich an Christum zu denken, — nicht nur als im Himmel, sondern auch als in den Heiligen hienieden, so daß wir für sie sorgen können und sagen: „a n w e l c h e n ic h a l l e m e i n e L u s t h a b e . " Wenn wir also Gott mit den Heiligen vereinen, — wenn wir aufsehen zu Gott, und sagen können: „ B e w a h r e mich , o Gott , d e n n ic h t r a u e au f d i c h ! " und hinsehen auf die Heiligen und sagen: „an dene n ic h a l l e m e i n e L u s t h a b e , " — gewiß, eine solche Seele befindet Mch in einer Stellung von reichen, praktischen Segnungen. Dann werden die Widerwärtigkeiten, die sich uns auf dem Wege entgegenstellen, nur ein Samenkorn sein, welches in die Erde fällt und stirbt, auf daß es viel Frucht bringe.

 Keins von diesen Körnlein wird verloren gehen; und obgleich viel Ausharren Not tut, es wird aber die Frucht nicht ausbleiben — ein reicher Erntetag wird kommen. Laßt uns aber bemerken, wie verschieden der Zustand dieser von dem Jener ist, von welchen gesagt wird: „Viel sind die Schmerzen derer, die anders wohin eilen. Ich will ihre Trankopfer von Blut nicht opfern, und ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen." Es ist ein Unterschied zwischen denen, die von der Welt, und denen, die von Gott sind. Der Herr wird mit jenen keine Gemeinschaft haben. Er sagt: Ich will keine Gemein- 118 schaft haben mit den Dingen, womit sie Gemeinschaft haben. „Trankopfer von Blut", — das ist der Charakter ihrer heiligen Dinge. „Sie laufen anders wohin." — Es macht nichts, wie weit sie entfernt sind; ihre Füße sind auf einem andern Wege. In Vers 5 finden wir Sein heiliges Verhältnis zu Gott: „ J e h o v a is t d a s T e i l m e i n e s B e s i t z t u m s." Dies ist wahr von Ihm und von uns. Ich wünsche, daß wir diese köstlichen Gedanken einen Augenblick betrachten. Unsere Freude ist Gott. Es gibt zwar Freude und Mitgefühl, aber kein wahres Glück außer Gott. Sind die Gefühle und Freuden des Himmels das Teil der Seele, so wird sie außer Gott nur unglücklich sein. Es würde nichts als Elend im Himmel sein, wenn Gott Selbst dort nicht das Teil eines jeden wäre. Ich versuche nicht zu erklären, wie dieses Glück oder diese Seligkeit sein wird; allein wenn die Seele mit der Herrlichkeit Seiner Zukunft beschäftigt ist, so ist es ihr nötig, daß sie Gott Selbst mit ihrem Teil und mit ihrer Freude verbindet, sonst würde selbst die Herrlichkeit eine zu große Last sein, denn a u ß e r Gott ist uns die Herrlichkeit fremd. „ U n d m e i n e s B e c h e r s . " Der Becher ist eine gegenwärtige Segnung. Jesus bewährte dieses, als Er hienieden praktisch in der Gemeinschaft mit Gott wandelte, und auch wir werden es erfahren, wenn wir in Seinen Fußstapfen einhergehen. 

Kein Segen wird a m E n d e für uns verloren sein, aber wir werden g e g e n w ä r t i g Segen verlieren, ja, wir werden darben, wenn wir unser Glück anderswo suchen, als in dem Bewußtsein, daß der Herr „das Teil unseres Bechers" ist. Wir können verschiedene Becher für uns bereiten; wir können in diesen oder jenen Dingen Segen suchen, — nichts aber wird uns Trost und Freude bringen, nichts vollkommenen Segen bereiten, wenn nicht der Herr „das Teil unseres Bechers" ist. Gott a l l e i n kann die Seele wahrhaft befriedigen. „D u b e w a h r e s t m e i n Los. " Bewahren, ernähren, sorgen, — die Seele fühlt, daß sie dieser Stücke notwendig bedarf, wenn sie die Gefahr umher betrachtet. Die geübte Seele zittert beinahe, wenn sie eine Freude oder einen Segen empfängt, wovon sie nicht sicher weiß, ob es von Gott ist und von Gott bewahrt wird, weil sie überzeugt ist, daß alles andere, wie das Gras auf dem Felde verwelken wird. Aber wenn sie mit Gewißheit sagen kann: Dies ist kein Becher o h n e Gott, sondern v o n I h m , dann erhält sie Kraft und Freude und wiederholt mit Zuversicht: „D u b e w a h r e s t m e i n L o s." Alle Segnungen also, die uns von Gott zufließen, sei es Errettung, sei es Kraft zu dienen oder sei es 119 selbst eine irdische Segnung, welche durch Jesum kommt, wir haben immer das Vorrecht zu sagen: „Du b e w a h r e s t m e i n Los. " Und dann auch, in dem Maße, als wir den Herrn als das Teil unseres Besitztums und unseres Bechers und als unseren Erhalter sehen, sind wir fähig zu sagen: „Di e M e ß - s c h n u r f i e l m i r i n l i e b l i c h e r G e g e n d , j a e i n s c h ö n e s E r b t e i l i s t m i r g e w o r d e n . 

" Die Heiligen sagen dies jetzt selten. Diese Lieblichkeit ist wenig bekannt, und warum? Weil der Herr so wenig genossen wird. Aber gerade in dem Maße, als wir Gott kennen und in Ihm ruhen, finden wir wahre Freude und verstehen, daß für uns die „Meßschnur in lieblicher Gegend gefallen ist." Gesegnet sind diejenigen, welche diese Erfahrungen zu verwirklichen suchen. Doch dies ist's, ich wiederhole es, worin die Gläubigen so mannigfach fehlen, — in der praktischen Anerkennung Gottes in ihren Wegen. Und wenn die Seele imstande ist, zu sagen: „Ich habe mit dem Herrn gewandelt und bei ihm Rat gesucht", so wird sie auch imstande sein, Ihn zu loben und sagen zu können, wie wir in diesem Psalm V. 7 lesen: „ I c h l o b e d e n H e r r n , d e r m i c h b e r a t e n , s e l b s t de s n a c h t s u n t e r w e i s e n m i c h m e i n e N i e r e n." Das ist eine glückliche Stellung. Aber nur dann, wenn die Seele mit Ihm wandelt, können wir von dem, was wir unternehmen, glückliche Erfolge erwarten. Haben wir unsere Wege selbst erwählt, so finden wir nur Unglück und Entfernung, und wir werden nicht imstande sein, den Herrn zu preisen, und zu sagen: „ I c h l o b e d e n H e r r n , d e r m i c h b e r a t e n . " Dieser Vers beschreibt gleichsam die Freude eines glücklichen Erntetages, als Folge unsers Wandels nach dem Rat des Herrn. Wir sind oft so eigensinnig, so eilig und nachlässig, daß wir etwas tun, wozu wir so sehr Seines Rates bedurft hätten, und doch suchen wir erst nachher diesen Rat. Und dann können wir den Herrn nicht loben, als Den, der uns b e r a t e n hat; wenn es auch möglich ist, daß wir Ihn deshalb loben, weil Er uns von der Torheit unserer selbst erwählten Wege errettet hat. 

Wenn wir nicht nur den Herrn haben, sondern auch Sein Wort zu unserer Unterweisung, und den Heiligen Geist in uns wohnend, um uns zu raten und zu leiten, und uns seine eigenen Gefühle und Neigungen mitzuteilen, so können wir getrost voran gehen. Der Heilige hat eine verborgene Macht, um sich selbst zu richten, und oft „während der Nacht", wenn die Umstände, welche ihn beunruhigen, nicht gegenwärtig sind, werden wir von dem Heiligen Geist unterwiesen und ermahnt. „ I c h l o b e d e n H e r r n , d e r m i c h 120 b e r a t e n , s e l b s t de s n a c h t s u n t e r w e i s e n m i c h m e i n e N i e r e n . " Dies ist wirklich ein gegenwärtiger und wahrer Segen. Der Heilige Geist wohnt in uns; und wenn wir auf diese verborgenen Ermahnungen, auf diese verborgene Macht, um uns zu richten, (natürlich geleitet durch das Wort) mehr Acht gäben, so würden wir selbst von dieser wirksamen Macht, welche die Welt nie erfahren kann, überzeugt sein. Wir haben unseren geliebten Herrn, als Den, welcher den Pfad der Trübsal gewandelt hat, betrachtet, und hier sehen wir Ihn am Ende Seiner Wege. „D u tus. t m i r k u n d de n P f a d d e s L e b e n s ; e i n e F ü l l e vo n F r e u d e is t be i d e i n e m A n g e s i c h t , l i e b l i c h e s W e s e n a n d e i n e r R e c h t e n e w i g l i c h . " Damit wir fähig sind, dieses zu verstehen, müssen wir den Unterschied zwischen Tod und Leben begreifen. Wir lesen in dem Verse vorher: „ D e n n d u w i r s t m e i n e S e e l e n i c h t i n d e m H a d e s z u r ü c k l a s s e n , u n d n i c h t z u g e b e n , d a ß d e i n H e i l i g e r di e V e r w e s u n g sehe. " Nachdem Jesus das Verlassen sein von Gott erfahren hatte, wurde Ihm „der Pfad des Lebens und eine Fülle von Freude zur Rechten Gottes kund getan." Es gibt hier etwas, geliebte Brüder, da können wir unserem Herrn auf dem Pfade Seiner Leiden nicht folgen; wir können niemals erfahren, was Er durchgemacht. Er hat den Zorn Gottes getragen, den Zorn, den wir nie für uns tragen werden. Wir können Trübsal, Schmerz und Leiden haben, aber der Ausgang ist sicher und gewiß. Wir mögen auch etwas von dem Pfade des Lebens kennen, wenn wir ihn in unserer Erkenntnis von dem Pfade des Todes zu unterscheiden vermögen. Dies aber können nur die Heiligen. 

Wenn der Geist, der in uns wohnt, uns zur Erkenntnis des Pfades des Todes gebracht hat, weil Er der „ l e b e n d i g e G e i s t " ist, so können wir begreifen, daß alles Liebliche und Schöne hienieden der Verwesung entgegen geht, und die Zeichen des Todes in sich trägt. Nun, alle Hindernisse und Trübsale, welchen wir hier so oft begegnen, werden aufhören; und dann werden wir erfahren, was es heißt, den „Pfa d de s L e b e n s " zu sehen und darauf zu wandeln, und zwar mit demselben Gefühl von Freude, von welchem unser geliebter Herr in Joh. 17 spricht. Jesus Selbst war in diesen Umständen, und Er hat uns dies Kapitel hinterlassen, auf daß wir durch die Erkenntnis Seines Dienstes und Seiner Wege getröstet würden, um sowohl in d i e s e n U m s t ä n d e n als auch in d e r H e r r l i c h k e i t hernach mit Ihm Teil zu haben. Und da es gewiß ist, daß wir das Ende des Segens erreichen werden, 121 so sollten wir jetzt diese Umstände nicht fürchten, sondern vielmehr wünschen, in dieselben gestellt zu werden, weil wir darin etwas von dem gesegneten Wandel Jesu erfahren. Die Seele, die nicht nachlässig, sondern im Gegenteil geübt ist, erkennt, daß diese Stellung, in welcher Jesus hier wandelte, die einzige Stellung ist, in welcher der Segen Gottes bleiben kann, und welche sie d e s h a l b wünscht. (Words of truth) 

„War unser Herz nicht brennend in uns, als er auf dem Wege zu uns redete, und als er uns die Schriften auftat?" (Lukas 24, 13—32) 

Erst dann, wenn die Befreiung in meinem Herzen durch den Glauben verwirklicht ist, verstehe ich in Wahrheit meine Stellung in dieser Welt, und erkenne, daß sie für mich eine Wüste geworden ist. Gestorben und auferstanden mit Christo, steht meine Seele nicht mehr in Beziehung zu dieser Welt und ihrem Wesen, sondern nur in Beziehung zu den himmlischen Dingen. Mein Wandel ist im Himmel. Doch gehe ich hienieden durch eine Wüste voll Kummer und Beschwerden, wo allein die Fußstapfen Jesu mir zum Wegweiser dienen. 

Seine Gesinnung und Sein Wandel allein geziemt sich auch für mich auf diesem Wege. Nur dann bin ich gesegnet, wenn ich in allen Umständen Seinen Tritten folge; nur dann genieße ich S e i n e n Frieden und S e i n e Freude hienieden, wenn ich auf S e i n e m Wege wandle. Zwar ist es, wie gesagt, ein Weg voll Kampf und Trübsal, voll Schwierigkeiten und Verleugnung; aber es ist der Weg, auf den mich Gott gestellt hat, auf welchem Er Sich jetzt an mir verherrlichen will, — der einzige, auf welchem ich Seine gesegnete Gemeinschaft genießen kann. Es ist so tröstlich, für unsere Herzen, teure Brüder, wenn wir überall in dieser Wüste unserm geliebten Herrn begegnen. In allen unseren Versuchungen ward Er versucht, und in allen hat Er gelitten. „Und deswegen sollte er in allem den Brüdern gleich werden, auf daß er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden möchte, um die Sünden des Volkes zu versöhnen. Denn in d e m e r s e l b s t g e l i t t e n h a t , d a e r v e r s u c h t w a r d , v e r m a g e r d e n e n z u h e l f e n , di e v e r - 122 s u c h t w e r d e n " (Hebr. 2, 17. 18). Ich komme auf diesem Wege in keine Lage, in keine Schwierigkeit, wo ich Jesum und Seine Liebe nicht finde. Überall ist Er mein Trost und mein Licht, meine Speise und meine Kraft. Auch jetzt, obgleich in Herrlichkeit, ist Er stets um mich beschäftigt, und begleitet mich im Geist durch diese Wüste. Nie bin ich allein, nie verlassen. Wenn der gefangene Paulus zu Rom bei seiner ersten Verantwortung erfahren mußte, daß sie ihn alle verließen, so konnte er dennoch bekennen: „ D e r H e r r a b e r s t a n d m i r be i u n d s t ä r k t e mich , . . . un d ic h b i n g e r e t t e t a u s d e m R a c h e n d e s L ö w e n " (2. Tim. 4,16. 17). — So bietet uns auch diese Geschichte der beiden Jünger auf dem Wege nach Emmaus in dieser Beziehung manches Liebliche dar. „Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselbigen Tage nach einem Dorfe, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt liegt, welches Emmaus heißt.

 Und sie unterhielten sich über alles dieses, welches sich zugetragen hatte. Und es geschah, als sie sich unterhielten und sich einander befragten, daß Jesus selbst nahete und mit ihnen ging. Ihre Augen aber wurden gehalten, ihn nicht zu erkennen." Der Gegenstand der Unterhaltung war für die Jünger von höchstem Interesse. Sie hatten schreckliche Dinge gesehen; ein gewaltsamer Tod hatte Den von ihrer Seite weggerissen, den sie sehr liebten, und dessen Umgang für sie so gesegnet gewesen war. Dennoch lebte Er, und Er nahete ihnen, während sie sich von Seiner Trennung unterhielten und darüber trauerten. Ihre Augen aber wurden gehalten, Ihn nicht zu erkennen. Sie sollten Ihn auch von jetzt an nicht mehr in derselben Weise erkennen, wie sie Ihn gekannt hatten. Er Selbst hatte schon zu Maria Magdalena gesagt: „Rühre mich nicht an; denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater" (Joh. 20, 17). Paulus schreibt den Korinthern: „Wenn wir aber auch Christum n a c h d e m F l e i s c h gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr." Jesus offenbarte Sich zwar den Jüngern nach Seiner Auferstehung, nicht aber um hienieden das frühere sichtbare Verhältnis i m F l e i s c h e wieder herzustellen, sondern um sie zu trösten, und besonders auszurüsten, Zeuge Seiner Auferstehung zu sein. Christum im Fleisch gekannt zu haben, war nicht länger ein besonderes Vorrecht. Wir haben jetzt Christum verherrlicht im Himmel, erhöht zur Rechten Gottes. Also kennen wir Ihn jetzt, und also ist Er unser Teil. Mit Ihm sind wir vereinigt im Leben. Aber obgleich im Himmel, so ist Er doch stets bei den Seinigen im Geiste gegenwärtig. Sie können fort und fort Gemein- 123 schaft mit Ihm haben; aber nur durch den Glauben. 

Seine Gegenwart bleibt uns selbst dann, wenn wir sie, was immer traurig ist, durch Unwissenheit, Zweifel, Unlauterkeit usw. nicht genießen. Nie kann Er die Seinigen, die hier in der Wüste sind, wo sie nicht Weg noch Steg wissen, wo mächtige Feinde sie umgeben, wo Sünde und Fleisch stets reizen und locken, wo keine Nahrung für die Seele ist, — nie kann Er sie hier allein lassen. Er ist das Leben, das Licht und die Kraft der Seinigen. Hienieden ist nichts mehr, was Interesse für uns hat, als die Seinigen, die hier mit uns wandeln; nichts kann hier eine Erquickung für unsere Seele sein, als wenn wir von oben erquickt werden, und wenn Gott in diese Umstände eingreift, und Sich in Seiner Gnade, Liebe und Macht verherrlicht. Selbst das Jerusalem hier unten hat für uns kein Interesse, wenn wir es nicht als Gegenstand der Ratschlüsse Gottes betrachten. Unsere Berufung ist nicht irdisch, sondern himmlisch. Wir finden in dieser Wüste keinen Ort, wo wir unser Haupt niederlegen können; unsere Heimat ist droben, und durch den Glauben wandeln wir jetzt schon dort. Wir sind auf dem Wege zu Ihm, und es ist für uns so gesegnet, Ihn als Mittelpunkt aller Ratschlüsse Gottes und als das Alpha und Omega, Ihn in Seiner ganzen Fülle zu betrachten. Er allein ist der Gegenstand unserer Liebe, ein Gegenstand von höchstem Interesse für uns. So gibt es auch für uns keine Unterhaltung auf unserem Wege durch die Wüste, die köstlicher und gesegneter wäre, als die von Ihm. Jedes Herz, was Ihn wahrhaft besitzt und kennt, ist erfüllt von Seiner Fülle, und aus dieser Fülle redet der Mund. Und während wir hienieden von Ihm reden, ist Er Selbst stets gegenwärtig, uns zu unterweisen, zu trösten, zu stärken. Es gibt keine Lage, wo wir Ihn nicht finden. Er kennt und sorgt für alle unsere Bedürfnisse.

 Wie gesegnet ist doch unser Wandel, wenn wir Ihn kennen und das Bewußtsein Seiner Gegenwart stets in unseren Herzen tragen; aber auch wie traurig und unruhig sind die Seinigen, wenn ihnen dies Bewußtsein mangelt. Das Gefühl des Alleinseins ist für die, welche Seine Gemeinschaft genossen haben, höchst schmerzlich und niederdrückend. „Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr, wandelnd, miteinander wechselt und seid niedergeschlagen? — Einer aber mit Namen Kleophas, antwortete und sprach zu ihm: Weilest du als Fremdling allein in Jerusalem, daß du die D i n g e n i c h t weißt, welche i n d i e s e n T a g e n in ihr geschehen-sind? — Und er sprach zu ihnen: Welche? — Sie aber sprachen zu ihm: Die von Jesu, dem 124 Nazaräer, welcher ein Prophet war, mächtig im Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk; und daß ihn unsere Hohenpriester und Obersten zum Urteil des Todes überlieferten und ihn kreuzigten. Wir aber hofften, daß er der sei, der Israel erlösen sollte. Doch auch bei alledem ist es heute der dritte Tag, seit diese Dinge geschehen sind. Aber auch einige Weiber der Unseren haben uns außer uns gebracht, welche am frühen Morgen zur Gruft gewesen sind; und als sie seinen Leib nicht fanden, kamen sie, sagend, daß sie ein Gesicht von Engeln gesehen hätten, welche sagen, daß er lebe. Und einige der Unseren gingen nach der Gruft und fanden es so, wie es auch die Weiber gesagt hatten; ihn aber sahen sie nicht." Wir sehen hier, mit wieviel Ungewißheit, Zweifel und Verwirrung die Herzen dieser Jünger erfüllt waren. Sie hatten erkannt, daß dieser Jesus ein Prophet war, mächtig in Wort und Werk vor Gott und dem ganzen Volk; sie waren mit Ihm in Israel umhergewandelt; sie hatten dessen Erlösung von Ihm erwartet, und jetzt? — Jesus hatte Sein Leben am Kreuze ausgehaucht und Israel war nicht erlöst; Er war ins Grab hinabgesunken und mit Ihm alle ihre Hoffnungen. Ihr Glaube (oder vielmehr Unglaube) ruhte in den Umständen, und nicht im Wort; er war nicht gestützt auf die Unveränderlichkeit der Ratschlüsse Gottes, noch auf Seine Macht und Weisheit. Es waren auch ihre Herzen durch etliche verwirrt worden, welche die Nachricht vom Grabe brachten, daß Er lebe, ohne daß sie Ihn Selbst gesehen hatten.

 Wie wunderbar lautet die Sprache dieser Jünger in der Gegenwart Jesu; wie befremdend ist es in der Gegenwart Dessen, in Dem alle Verheißungen Ja und Amen sind, zu hören: „Wir aber hofften, daß er der sei, der Israel erlösen sollte." Wir verstehen dieses nur, wenn wir uns an die Worte erinnern: „Ihre Augen aber wurden gehalten, ihn nicht zu erkennen." — Es schwindet nur dann alle unsere Furcht und Ungewißheit und alle unsere Unruhe und Verwirrung, wenn wir von Seiner Gegenwart ü b e r z e u g t sind, wenn unser Glaube Ihn schaut. Es ist gewiß, geliebte Freunde, daß viele der Seinigen in dieser Welt wandeln, ohne von Seiner steten Gegenwart überzeugt zu sein, und dies erzeugt viel Unruhe in ihrem Herzen, viel Furcht und Verzagtheit in den Schwierigkeiten, viel Übermut in guten Tagen und so oft Unlauterkeit im Wandel, — alles aber darum, weil sie das Bewußtsein Seiner Gegenwart nicht völlig in sich tragen. Dies Bewußtsein macht uns stille und getrost in den Umständen, besonnen und stark in den Schwierigkeiten, ausharrend in den Trübsalen und wirkt stets heili- 125 gend auf unseren ganzen Wandel. Der Glaube hat an Ihm genug, wenn auch für unser Auge und für unsere fleischlichen Hoffnungen so wenig in dieser Welt übrig bleibt, als für jene Jünger. In Ihm haben wir die Fülle Gottes; wir haben a l l e s in Ihm, was zu jeder Zeit und in jeder Lage völlig zufrieden und glücklich macht, und Sein Wort ist stets der treue und sichere Leitstern für den Glauben. „Und er sprach zu ihnen: O ihr Unverständigen und von Herzen träge, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht der Christus dieses leiden, und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Mose und allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen den Schriften das, was ihn betraf."

Außer der steten G e g e n w a r t J e s u , gibt es noch etwas, was zur Beruhigung und zur Festigkeit unserer Herzen dient, d. i. J e s u m i n S e i n e r F ü l l e z u k e n n e n . Jesus Selbst führte diese beiden Jünger in die Schriften ein. Der Gegenstand dieser Schriften und des Wortes Gottes ist Er. „Und von Mose und allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in all den Schriften, w a s i h n b e t r a f . " Das geistliche und gläubige Herz findet in dem Worte Gottes überall Jesum, sowohl in den Schriften von Mose und den Propheten, als auch in denen der Evangelisten und Apostel. „Ihr suchet in den Schriften . . . d e n n s i e s i n d e s , d i e v o n m i r z e u g e n . " Sie zeugen von Seinen Leiden und von Seiner Herrlichkeit. Jenen Jüngern waren ohne Zweifel die Schriften nicht unbekannt; aber ihre Kenntnis war in ihrer jetzigen Lage nicht mit Glauben verbunden. „O ihr Unverständigen und von Herzen träge, zu glauben alles, was die Propheten geredet haben." Wieviele lesen das Wort Gottes, wieviele kennen es, und dieses Lesen, und dieses Kennen bleibt ohne allen gesegneten Einfluß auf ihre Herzen und ihren Wandel, weil der Glaube fehlt. Das Herz ist ungewiß und unruhig trotz dieser äußeren Bekanntschaft mit dem Worte. Wo aber der Glaube wirksam ist, da offenbart sich dies Wort als G o t t e s Wort. „Meine Worte sind Geist und Leben", sagt Jesus. Für den Glauben wird das stets in uns verwirklicht und gewiß gemacht, was wir hoffen und nicht sehen, wovon uns aber das Wort redet. Und diese Verwirklichung und Gewißheit durch den Glauben erzeugt im Herzen Leben und Seligkeit, Friede und Freude, Trost und Kraft, Ausharren und Hoffnung. Jesus Selbst war es, der mit den beiden Jüngern redete, und sie in den Schriften, die von Ihm zeugten, unterwies, obgleich sie Ihn nicht kannten. 

Doch müssen sie nachher bekennen: „W a r u n s e r H e r z n i c h t b r e n n e n d i n u n s , al s e r au f d e m W e g e z u u n s r e d e t e , u n d 126 al s e r u n s d i e S c h r i f t e n a u f t a t." Wir haben vorhin gesehen, daß Jesus Selbst die Seinigen im Geist begleitet; hier finden wir Ihn auch beschäftigt, ihnen 'die Schriften zu eröffnen, damit sie Ihn in Seiner ganzen Fülle, sowohl in Seiner Niedrigkeit, als auch in Seiner Hoheit kennen lernen. Diese zwei Stücke bedürfen wir hienieden: S e i n e G e g e n w a r t u n d d i e E r k e n n t n i s G o t t e s o d e r S e i n e F ü l l e i n J e s u ; und wir sehen hier, daß ans durch Ihn Selbst beides zuteil wird. Wir haben die Heiligen Schriften, die von Ihm zeugen noch reichhaltiger als jene Jünger; wir finden im voraus auf alle die Fragen und Gedanken, die in unseren Herzen aufsteigen können, eine völlig genügende Antwort. Welche treue Fürsorge Gottes für uns! Aber wie beschämend auch, wenn wir trotzdem in mancher Lage traurig, niedergeschlagen, unruhig und besorgt sind; und dies ist immer der Fall, wenn, wie schon bemerkt, das Wort nicht im Glauben aufgenommen wird. Aber auch wie tröstlich für unsere Herzen, wenn Jesus durch den Heiligen Geist mit uns redet; wie werden sie belebt und brennend, wenn der Heilige Geist unseren Herzen die Schriften aufschließt. Da wird uns das bekannte Wort, als noch nie gekannt, und das so oft gelesene, als noch nie gelesen. Wie oft haben wir, geliebte Brüder, diese köstliche Erfahrung in den verschiedenen Umständen und Schwierigkeiten gemacht, und wir machen sie noch immer fort. Er kommt stets unserer Schwachheit zu Hilfe, und Er weiß am besten, was wir auf dem Wege durch die Wüste bedürfen, weil Er Selbst diesen Weg in Niedrigkeit, wo Er nicht hatte Sein Haupt hinzulegen, gewandelt hat. Darum kann Er allein unsere Herzen wahrhaft brennend machen. damit wir unseren Weg immer mit Freude und Trost und Ausharren fortsetzen. Lasset uns denn nie vergessen, daß Er stets bei uns ist, und daß wir hienieden durch das Wort Gottes und den Heiligen Geist, in welchem Er stets unter uns ist, unterwiesen werden zu Seiner gesegneten Erkenntnis. „Und sie naheten dem Dorfe, wohin sie gingen; und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 

Und sie nötigten ihn, sagend: Bleibe bei uns; denn es ist gegen Abend, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben.— Und es geschah, als er mit ihnen zu Tische lag, nahm er Brot und segnete; und brechend reichte er es ihnen. Ihre Augen aber wurden aufgetan, und sie erkannten ihn; aber er ward ihnen unsichtbar. Und sie sprachen zueinander: War unser Herz nicht brennend in uns, als er auf dem Wege zu uns redete und als er uns die Schriften auf tat?" 127 „Er stellte sich, als wollte er weiter gehen." Wir sehen also, daß Er Selbst bereit war, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen einzukehren. Es sollte nur ihr Verlangen offenbar werden. Und wie konnten die Jünger anders als Ihn bitten, bei ihnen zu bleiben. Wenn Er auch noch für sie ein Fremdling war, so war Er doch ein seltsamer Fremdling. Wie hätten sie sich von Ihm so leicht trennen können! Er hatte sie in ihrer Betrübnis und Verwirrung aufgerichtet. Seine Gegenwart war ihnen lieb und teuer geworden; Sein Wort und Seine Eröffnung der Schriften hatten ihre Herzen brennend gemacht, Er war für sie in ihrer Trauer und Not ein tröstender Engel. Es gibt nichts Erquicklicheres auf unserem Wege, als die Gemeinschaft Jesu zu genießen. Er ist immer da, w o und w i e wir Ihn bedürfen. Doch schrecklich und trostlos ist es, Seine Gemeinschaft zu entbehren — besonders wenn man sie genossen hat. Der Herr aber Selbst weiß, wie unentbehrlich Er für uns ist, darum läßt Er uns nicht, sondern geleitet uns alle Wege. Wir finden hier den Herrn mit Seinen Jüngern am Tische, und Er wird von ihnen am Brotbrechen erkannt. Welche Gnade, daß Er uns in dieser Wüste einen Tisch bereitet, wo Er Selbst unter uns Teil nimmt.

 Nicht nur begleitet Er die Seinigen auf ihrem Wege durch die Wüste, nicht nur ist Er ihre Freude, Trost und Kraft in allen Umständen, sondern Er bereitet ihnen auch einen Tisch in einem öden und dürren Lande, um sie zu erquicken und zu erfreuen. Er ist Selbst gegenwärtig und ist die Speise der Seinigen. Alles, was Er in Seiner Niedrigkeit bis in Seinen Tod war, ist die wahre Speise für unsere Seele. Sein Leib ist in den Tod gegeben und Sein Blut für uns vergossen worden. Wir bekennen an Seinem Tische, wie völlig unser Anteil daran ist. „Der Kelch der Segnung, welchen wir segnen,— ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, welches wir brechen, — ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?" (1. Kor. 10,16). Wir freuen uns als Erlöste und Versöhnte mit dankbarem Herzen Seines Todes, wir freuen uns Seiner Auferstehung und warten auf Sein Kommen. An Seinem Tische bezeugen wir, daß wir Ihn kennen, sowohl in Seiner Niedrigkeit wie in Seiner Verherrlichung. Er hat unsere Augen aufgetan, Ihn zu sehen und zu erkennen. So lasset uns" denn allezeit ge t r o s t sein, geliebte Brüder, denn alles bezeugt uns, wie sehr wir selbst in dieser Wüste dazu Ursache haben; wie sehr wir bewahrt und wie sorgfältig wir gepflegt und geleitet werden. Er mache denn stets unsere Herzen brennend durch Sein köstliches Wort 128 und die Kraft des Heiligen Geistes; Er erleuchte unsere Augen, daß wir Seine Gegenwart stets durch den Glauben erkennen. Das Wort Christi wohne reichlich unter uns; es stärke und kräftige unsere Herzen, damit wir durch einen Wandel im Glauben Ihn allezeit verherrlichen. 

Bileam, gedungen von Balak und benutzt von Gott (4. Mose 22 — 24) 

Es ist sehr interessant und köstlich, die Wege zu sehen, welche die leitende Macht Gottes benutzt, um durch die Anstrengungen Satans gegen Sein Volk, den Segen desselben um so klarer an den Tag zu legen. Wir finden in diesen Kapiteln den Namen Gottes mit der Macht des Satans vermengt. 

Es gibt Werkzeuge Satans, die bewußt,, und andere, die unbewußt durch dessen Macht geleitet werden. Wir finden kaum eine größere Verwirrung, als in dem, was sich hier zwischen Balaam und Balak ereignete. Balaam war, wie wir wissen, ein völlig gottloser Mensch (siehe 2. Petri 2,15.16. Juda 11). Nichts übertrifft die Bosheit und die Verderbtheit seines Weges. Und doch wird er ein P r o - p h e t genannt; wie von ihm gesagt ist: „'. . . welcher den Lohn der Ungerechtigkeit liebte, hatte aber eine Strafe seiner eigenen Verkehrtheit: ein sprachloses Lasttier, mit Menschenstimme laut redend, wehrte der Torheit des P r o - p h e t e n . " Wir sehen Kapitel 24, 1, daß er sich mit der Zauberei abgab; und dennoch, als er zu Balak kommt, sagt er: „Siehe, ich komme zu dir; nun aber, vermag ich zu reden, was es auch sei? Das Wort, das mir Jehova in den Mund legt, muß ich reden" (Kap. 22, 39). Balak suchte die Macht des Bösen gegen die Kinder Israel, des Volkes Gottes, und er erwartete dasselbe von Gott (Kap. 23, 27). In gewissem Sinne war dies ein Anerkennen der Macht und der Dazwischenkunft Gottes; und deshalb war alles V e r w i r r u n g . 

Ebenso ist es jetzt in der Welt, da wo Satan wirkt. Wir sehen oft in denen, worin er wirksam ist, und welche sogar im Bösen geübt sind, ein unbestimmtes Fragen nach Gott. Dies ist aber nichts anderes als gänzliche V e r w i r r u n g ; man will den Willen Satans tun, und doch mit einer gewissen Anerkennung Gottes. 9 129 Kap. 22, 1—6: Wir sehen hier die Feindschaft der Welt gegen das Volk Gottes und besonders gegen die M a c h t des Volkes Gottes. Gottes Macht war mit Seinem Volke, und dieses rief die Feindschaft Satans hervor. Als der Sohn Gottes in die Welt kam, war die ganze Wirksamkeit der Macht und der Feindschaft Satans gegen Ihn gerichtet. So nachher gegen die Apostel, jene, „welche den Erdkreis aufwiegelten" (Apg. 17, 6); aber Gottes Macht ist mit Seinem Volke und Er ist für dasselbe. Siehe den Gesang des Moses (2. B. Mose 15, 14—16). Gott hatte Sein Volk mit mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm von der Macht und der Gefangenschaft Satans befreit, und z u Sich gebracht (2. Mose 19, 4). Wenn dies der Fall ist, so sucht Satan andere in einen offenen Aufruhr gegen das Volk Gottes zu bringen.

 Aber die Folge von diesem allem ist, daß er dieses Volk in besonderer Weise unter Gottes Auge und Sorge bringt. Schon der Wunsch, daß Gott Israel verfluchen sollte, macht Seine Segnung über dasselbe um so offenbarer. „Da hob er an seinen Spruch, und sprach: Aus Aram führte mich Balak, der König Moabs aus den Gebirgen des Ostens: ,Komm, verfluche mir Jakob, und komm, verwünsche Israel!' Wie soll ich verfluchen, den Gott nicht verflucht; und wie verwünschen, da Gott nicht verwünschet? Denn vom Gipfel des Felsen schau' ich es, und von den Höhen erblick' ich es: s i e h e , e i n V o l k , a b g e s o n d e r t w o h n e t e s , u n d u n t e r di e V ö l k e r r e c h n e t e s sic h n i c h t " (Kap. 23, 7—9). Hier finden wir den Erfolg von Satans Empörung. Es war nur, um auf das klarste zu offenbaren, daß das Volk nicht von dieser Welt war. So lange Israel in Ägypten lebte, gab es nichts von alle dem, was die Gedanken und Gesinnungen Balaks und Balaams gegen dasselbe hervorrufen konnte, oder was es der Welt unerträglich gemacht hätte. Doch der bemerkenswerteste Punkt dieses Zeugnisses von ihrer Segnung ist, daß sie ein e i g e n t ü m l i c h e s Volk waren, abgesondert von allen anderen Völkern, i n G o t t und in Übereinstimmung mit Seinem Worte. „Der Herr hat dir an diesem Tage versichert, daß du s e i n eigentümlich Volk bist" (5. B. Mose 29,18). Vers 11 und ferner; — Balaam, auf die Aufforderung Balaks, suchte Israel von einem „ a n d e r n O r t e " zu verfluchen. Er sagte zu Balak: „Tritt hin neben dein Brandopfer und ich will dort entgegen gehen."

 Er scheint nicht zu wissen, wem er entgegen gehen will. Dieses zeigt ebenfalls die völligste V e r w i r r u n g . Er sagt: „Ich will dort entgegen gehen"; aber es war der Herr, welcher ihm begegnete, und Sein Wort in seinen Mund legte, um die F e s t i g - 130 k e i t S e i n e s R a t s c h l u s s e s i n B e t r e f f S e i n e s V o l k e s z u o f f e n b a r e n . „Nicht Mensch ist Gott, daß er lüge, noch Menschensohn, daß er bereue. Sollte er sprechen und nicht tun, und reden und nicht erfüllen: Siehe, zu segnen hab' ich empfangen; ?" Balaam würde sich gefreut haben, dieses Zeugnis Gottes zu ändern; aber er sagte: „E r s e g n e t e u n d ic h k a n n e s n i c h t w e n d e n . " Darnach kommt das Zeugnis d e r V o l l k o m m e n h e i t , d e r G e r e c h t i g k e i t G o t t e s , S e i n e s V o l k e s . „Er schaut nichts Böses an Jakob, und sieht kein Unrecht an Israel" (Kap. 23,21). Es gibt keinen deutlicheren Ausspruch der Wahrheit. Israel hatte so mangelhaft und ungläubig gehandelt, während seiner Wanderung durch die Wüste, daß selbst Moses, welcher es hinauf führte, und welcher der sanftmütigste Mann auf der ganzen Erde war, die Worte aussprach: „Widerspenstig wäret ihr gegen Jehova, s e i t - d e m ic h e u c h k e n n e " (5. B. Mose 9, 24). 

Das Urteil dieses Mannes Gottes über dasselbe war nach einer vierzigjährigen Erfahrung, daß es ein hartnäckiges und rebellisches Volk war; aber das Urteil Gottes in Betreff ihrer Gerechtigkeit war seinem Urteil über die moralische Führung des Volkes gänzlich entgegen gesetzt. Es ist sehr beachtenswert, daß wir, indem wir dieses auf uns beziehen, zwischen diesen beiden Stücken einen bestimmten Unterschied machen: Das Gericht des Geistes Gottes in mir, sowohl über das, was wir praktisch sind, als auch über die Sünde im Fleische usw. und das Zeugnis des Geistes von dem, was Gottes Urteil über mich ist, d. i. was ich in Christo bin. Wir finden oft, daß die Seele durch den Geist Gottes beschäftigt ist, ein gerechtes Gericht über sich zu fällen, und vergißt, daß der Grund, auf welchem sie vor Gott, dem Ruheplatz des Glaubens steht, das ist, was er für uns durch den Herrn Jesum gewirkt hat.

 Der Heilige Geist richtet die Sünde gemäß Seines Charakters, wie sie gesehen wird in dem Lichte der Heiligkeit Gottes; aber Er läßt mich auch wissen,, daß ich deshalb nicht gerichtet werde, weil Christus das Gericht für mich durchgemacht hat. In Betreff unserer Stellung vor Gott handelt es sich nicht darum, daß wir uns speziell untersuchen, ob wir Gutes oder Böses in uns finden, es handelt sich allein um die Wirkung und den Wert des Werkes Christi und Seiner Annahme. Wir stehen entweder unter dem völligen Gericht Gottes, tot in Sünden und Übertretungen, oder „wir sind angenehm in dem Geliebten." Obgleich es von großer Wichtigkeit ist, daß wir uns selber beurteilen, wie gesagt ist: „Wenn wir uns selbst beurteilen, so würden wir nicht gerichtet" (1. Kor. 11, 31. 32), so 131 ist dies doch ganz unterschieden von dem Urteil, welches Gott über uns fällt durch das Werk Christi.

 Am Ende einer langen Reihe von Übertretungen, nachdem die Verderbtheit der Kinder Israel völlig offenbar geworden war, „schaute Gott nichts Böses an Jakob, und sah kein Unrecht an Israel" (Kap. 23,21). Wo die Seele eines Gläubigen das Urteil des Heiligen Geistes i n und ü b e r ihn mit dem Gericht Gottes durch das Werk Christi fü r i h n verwechselt, da kann kein Friede sein. „ .. . Jehova, sein Gott, ist mit ihm, und des Königs Posaunenhall unter ihm" (Kap. 26, 21). Das unterscheidenste Merkmal des Volkes Gottes ist: daß Er i n ihnen und u n t e r i h n e n ist (1. Kor. 14, 25). Es wird die größte Schwäche der Heiligen gesehen, wo dieses nicht der Fall ist. Es ist eine gesegnete Wahrheit, daß Gott Seine Kinder erlöst und gerechtfertigt hat, deshalb kann Er auch jetzt für immer „ u n t e r i h n e n w o h n e n " (2. B. Mose 29, 45. 46). „Gott führte ihn aus Ägypten, sein ist die Stärke des Wildochsen" (Kap. 23, 22). Ich darf mich nicht mit ihnen abgeben (sagt Balaam), ich habe zu viel erfahren, was sie sind, um dies zu tun; sie sind vereinigt mit Gott, mit Seiner Kraft und Seiner Macht. — „Nicht Zauberei hilft wider Jakob, noch Wahrsagung wider Israel. Zur Zeit wird es Jakob verkündigt und Israel, was Gott tut" (V. 23). „Zur Zeit", — wann war dies? Es war die Zeit, als Israel schwach und matt war, entmutigt durch die Länge des Weges und als noch keiner ihrer Feinde auf der anderen Seite des Jordans überwunden war. Diese Feinde waren viel mächtiger als sie, (5. B. Mose 7,1) und doch sagte er: „wa s G o t t t u t ! — Siehe das Volk, gleich der Löwin steht es auf, und gleich dem Löwen erhebet es sich. Es legt sich nicht, bis es den Raub verzehret, und das Blut der Erschlagenen trinket. 

Da sprach Balak zu Balaam: Weder verwünschen sollst du es, noch segnen sollst du es. Und Balaam antwortete, und sprach zu Balak: Habe ich nicht zu dir geredet und gesprochen: alles was Gott reden wird, das werde ich tun? Und Balak sprach zu Balaam: Komme doch, ich will dich an einen anderen Ort führen, vielleicht gefällt es Gott, daß du mir es von dannen verwünschest. Da führte Balak Balaam auf den Gipfel des Peor, der emporragt über die Fläche der Wüste usw." (V. 24—28). Kap. 24, 1. „Und als Balaam sah, daß es Jehova gefiel, Israel zu segnen, ging er nicht, wie einmal und das andere Mal, nach Wahrsagung aus, und richtete nach der Wüste sein Angesicht. Und Balaam erhob seine Augen und sah Israel, gelagert nach seinen Stämmen: da kam auf ihn der 132 Geist Gottes. Und er hob an seinen Spruch und sprach: usw. (V. 1 — 9). Er beginnt das Volk Gottes selbst anzuschauen, und sieht Israel wohnend in seinen Zelten, in seinen eigenen Wohnungen. Der Anblick der Schönheit des Volkes Gottes gibt hier dem Heiligen Geist Gelegenheit, also zu sprechen, wie Er's Vers 5 und ferner tut: „Wie schön sind deine Zelte, o Jakob, deine Wohnungen, o Israel! Gleich Tälern breiten sie sich aus usw." Er schaut das Volk Gottes selbst und sieht seine Schönheit in den Gesichten des Allmächtigen. — Israel war beschäftigt mit seinen eigenen kurzsichtigen Gedanken in der G e g e n w a r t und diese Szene ging in die Z u k u n f t hinein. Ebenso ist es mit uns, geliebte Freunde. Wir sind oft mit unseren eigenen kurzsichtigen Gedanken beschäftigt; der Ankläger spricht gegen uns; und kann doch nichts über uns gewinnen, weil G o t t für uns wirkt.

 Ich spreche hier nicht davon, daß Gott uns rechtfertigt, sondern von unserer gesegneten Stellung und von der nie versiegenden Quelle der Erquickung des Volkes Gottes — „alle meine frischen Brunnen sind in d i r." Gott offenbart dies aufs völligste durch das Böse, welches Balak und Balaam verlangten. Wir sehen in diesem Kapitel, wie man nach dem Willen des Satans wirksam sein kann und doch die Macht und Dazwischenkunft Gottes in etwa anerkennen. Deshalb ist hier auch a l l e s Verwirrung, und es wird immer also sein. Aber in dem Augenblick, wo die Kinder Gottes ihren rechten Platz vor Gott einnehmen, da ist keine Verwirrung, keine Unruhe, — der Pfad ist so einfach als möglich. Möge der Heilige Geist uns in den Stand setzen, um diesen der Kirche Gottes so ganz eigentümlichen Zug, und das, was die Macht ihrer Heiligkeit und auch ihres Trostes ist, zu verwirklichen, nämlich: „Jehova, sein Gott, ist mit ihm und des König« Posaunenhall unter ihm!" 

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Der Durchzug durch das Rote Meer (Hebr. 11, 23—29) 

Wir haben in diesen Versen ein kleines Bild, entworfen von dem Heiligen Geiste, von den Wegen Gottes, um Israel, Sein Volk, durch Moses aus Ägypten zu führen. Und wir können sagen, es ist ein treues Bild von der Befreiung der Kirche oder der Versammlung Gottes von der Macht Satans, und von den Mitteln, durch welche diese Befreiung vollbracht ist. Vers 23: „Durch den Glauben ward Moses, als er geboren war, drei Monate von seinen Eltern verborgen, weil sie sahen, daß das Kind schön war; und sie fürchteten sich nicht vor dem Gebot des Königs." — Gott bewies für den Moses in seiner Kindheit die zärtlichste Sorge. 

Dasselbe hat Er bei uns getan in den Tagen, da wir Ihn noch nicht kannten Gottes Fürsorge war über uns in tausendfachen Wegen. Vers 24—26: „Durch den Glauben verweigerte Moses, als er groß geworden war, Sohn der Tochter Pharao's zu heißen, lieber wählend mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung hin."— Hier haben wir ein Wort in Betreff der Führung durch die Vorsehung Gottes. 

Viele halten sich an der Vorsehung, als wenn dies die Führung durch den Glauben wäre. Nichts könnte uns die Vorsehung deutlicher an den Tag legen, als die Umstände, welche Moses an den Hof Pharaos brachten; aber es war nicht die Führung durch den G l a u b e n des Moses. Er war auferzogen als Sohn der Tochter Pharaos, unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter, mächtig in Wort und Tat, — d o r t h i n hatte ihn die „Vorsehung" gebracht. Wenn es irgendwie eine augenscheinliche Vorsehung gibt, so ist es diese in Betreff des Moses.

 Nachdem ihn seine Eltern drei Monate verborgen hatten und ihn nicht länger verbergen konnten, legten sie ihn in ein Kästchen von Rohr, und setzten ihn ins Schilf am Ufer des Nilstroms. Also ausgesetzt und schreiend, zog der Säugling die Aufmerksamkeit der Tochter Pharaos auf sich, welche in demselben Augenblick mit ihren Dirnen zu dem Orte hinging, um zu baden. Sie hatte Mitleid mit dem Knaben; sie achtete auf 

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die Worte des jungen Mädchens, der Schwester Mose, und gab ihn seiner eigenen Mutter zur Pflege, um ihn für sie zu ernähren; — und er ward ihr Sohn. Das erste was Moses, als er zu Jahren gekommen, tat, war, daß er alle äußeren Vorteile hingab. Hätte er zuerst überlegt, gewiß würden seine Überlegungen einen weiten Raum für allerlei Folgerungen gehabt haben; er hätte denken können Gottes V o r s e h u n g hat mich hierher gestellt; ich kann meinen ganzen E i n f l u ß für das Volk Gottes benutzen u. dergl. Aber an so etwas dachte er nicht. Seine Stellung war mit dem Volke Gottes. Er handelte nicht fü r dieses Volk, noch suchte er dessen S c h u t z h e r r zu sein; seine Stellung war mi t und u n t e r dem Volke Gottes.

 Die Vorsehung hatte ihm eine Stellung gegeben, welche er aufgeben konnte, die er aber nicht als Führer des Gewissens benutzen konnte. Es mag der scheinbarste Grund für eine Sache da sein, — wenn „das Auge einfältig" ist, so wird der ganze Leib „voll von Licht" sein. Moses sah in seinen Brüdern d a s V o l k G o t t e s , obgleich es ein schwaches Volk war; und er einverleibte sich mit ihm, als mit einem Volke, welches für Gott kostbar auf der Erde war.

Das ist, was der Glaube immer tut. Dies Volk mag sich in einer elenden und höchst unvollkommenen oder in einer herrlichen Lage befinden, — darum handelt es sich nicht, —• der Glaube macht sich ganz gleich mit dem V o l k e G o t t e s , mit dem, was vor Ihm kostbar ist, und darnach handelt er. Die Kinder Israel waren, wie gesagt, in einem sehr traurigen Zustande, und dennoch waren sie das „Volk Gottes"; und das erste, was der G l a u b e des Moses tat, war, daß er seinen Platz unter diesem bedrängten Volke nahm. Wenn er bei ihnen geschmäht war, so war es doch „die Schmach Christi", und er achtete diese für größeren Reichtum, als „die Schätze Ägyptens". Er urteilte Gott gemäß, und dies hielt seine Seele von jedem anderen Einfluß frei. Er schaute geradeaus. — „Laß deine Augen geradeaus schauen, und deine Augenlider stracks vor dich hinsehen usw." Auf einem anderen Wege kann das Licht nicht scheinen. Vers 27: „Durch den Glauben verließ er Ägypten und fürchtete nicht die Wut des Königs; denn er hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren." Der Glaube hatte den Moses in die Stellung gesetzt, wo die Belohnung für ihn sicher war, und auf diesem Wege wurde er durch den Glauben fähig, sich mit Gott Eins zu machen und auf Ihn, als seine Kraft zu schauen.

 Plötzlich brach der Grimm des Königs aus. Doch derselbe Glaube, welcher am Ende des Pfades di e H e r r l i c h k e i t fü r i h n erblickte, sah Gott au f 135 d e m g a n z e n P f a d e fü r ihn . Dies ist das Geheimnis der wahren Kraft. Was der U n g l a u b e tut, ist dieses: Er vergleicht uns selbst und unsere eigene Kraft mit den Umständen; aber der Glaube vergleicht Gott mit den Umständen. Jenes war der Fall bei den Kundschaftern (4. B. Mose 13,14). Sie sagten: „Alles Volk, welches wir darin gesehen, sind Leute von Größe und Länge; und daselbst sahen wir die Riesen, die Söhne Enaks von.den Riesen, und wir waren in unseren Augen wie Heuschrecken, und also waren wir auch in ihren Augen" (Kap. 13, 33. 34). Wenn die Kinder Israel ihre Länge mit der der Enakiter verglichen, so konnten sie dort nichts ausrichten. Was aber sagten Kaleb und Josua? Sie stillten das Volk und sagten: „Hinaufziehen werden wir, und es einnehmen, denn überwältigen werden wir es . . . Das Land, das wir durchzogen, es zu erkunden, das Land ist sehr, sehr gut. Wenn Jehova uns geneigt ist, so bringt er uns in dieses Land, und gibt es uns, ein Land, das fließt von Milch und Honig" (Kap. 13, 31 und Kap. 14, 7. 8). Sie verglichen die Söhne Enaks mit Gott, und da blieb es sich gleich, ob sie Riesen oder Heuschrecken waren. Sie redeten die Sprache des Glaubens. Es war nicht ein Besprechen der Umstände; sie sagten ganz einfach: „Größer ist er, der fü r uns ist, als alle die, welche g e g e n uns sind." Gott war da. Dies ist es, was den Weg des Glaubens so einfach macht. — Wie urteilte David? Er ging nicht, um die Länge Goliaths und seine eigene kleine Statur zu untersuchen; er brachte Gott hinein. „Wer ist der Philister, dieser Unbeschnittene", sagte er, „daß er die Schlachtreihen des lebendigen Gottes höhnet?" — Das war eine grade und sehr gute Sprache. Wenn die vor uns liegende Herrlichkeit uns auf den Weg der Verheißung leitet, und wir unseren Platz mit dem verachteten und bedrängten Volke Gottes nehmen, so wird dies die Welt nicht lieben, und „der Grimm des Königs" wird, als Folge davon, ausbrechen.

 Dies ist nun immer etwas, was wir so lange fürchten, und wovor wir so lange zittern, bis Gott von der Seele klar erkannt wird, als ein Gott, der fü r uns ist. Als Pharao den Kindern Israel mit all seinen Wagen und seinen Reitern und seinem Heere nachjagte, (2. Mos. 14) (er hatte jene wohl ziehen lassen, um Jehova zu dienen; aber sein Herz war nicht anders gegen sie gesinnt) gab der Herr zu, daß das Volk einerseits von dem Heere Pharaos (der Macht des Bösen) und andererseits von dem roten Meere umgeben wurde. Nachdem sie völlig eingeschlossen waren, sagte Er: „Fürchtet euch nicht, stehet und sehet die Hilfe Jehovas, welche er euch heute erweisen wird." 136 Wenn Gott mit den Sündern in Verkehr tritt, s o m u ß E r m i t i h n e n v e r k e h r e n n a c h d e m , w a s E r ist , — al s ei n h e i l i g e r Gott . Mögen es die Israeliten oder die Ägypter sein, Er muß mit ihnen handeln, nach dem, was Er ist. Das Gericht Gottes muß die Sünde treffen. Gottes Vorsatz war, Israel zu segnen, und, indem Er dieses tat, mußte Er Ägypten richten. Er muß deshalb der Sünde gedenken. Und so ist es immer. Wenn Gott mit einem Herzen in Verkehr tritt, so ist, wenn es sich auch um etwas zwischen dem Herzen und der Macht Satans handelt, dies doch nicht das erste, woran Got t denkt. Bei einer neuerweckten Seele zwar wird das traurige Bewußtsein der Macht Satans und der Knechtschaft seines Dienstes oft einen tieferen Einfluß ausüben, als die Furcht vor der Wirkung und dem Wesen der Sünde. Allein damit beginnt Gott nicht. Er befreit uns wohl davon, aber Er fängt nicht damit an. Zuerst gedenkt Gott dessen, was zwischen Ihm und uns ist. Die Kinder Israel waren in den Götzendienst verfallen; sie waren schlechter als die Ägypter; sie hatten die Verheißungen Gottes (1. Mos. 15) gehört und dienten den Götzen in Ägypten, und dennoch fühlten sie ihre Sünde nicht. —• Sie seufzten unter den Fronvögten Ägyptens; sie beklagten ihre Gefangenschaft; — und dies alles rief das zärtliche Mitleid der Liebe Gottes hervor. Er kam zu Mose hernieder und sprach zu ihm: „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, und ihr Geschrei habe ich gehöret wegen ihrer Treiber; denn ich kenne ihre Leiden. Und ich bin herabgekommen, es zu erretten aus der Hand der Ägypter" (2. Mos. 3, 7). Wenn Er aber kam, um die Sünde zu richten, so mußte Israel vor dem Gericht sicher gestellt sein, oder dieses würde auf dasselbe ebenso gewiß gefallen sein, als auch auf die Ägypter. 

Die Frage war also nicht, ob Israel in der Gegenwart Pharaos, sondern ob es in der Gegenwart Gottes stehen konnte. Vers 28: „Durch den Glauben hielt er das Passah und die Besprengung des Blutes, auf daß der, welcher die Erstgeburt zerstörte, sie nicht antastete." Gott hatte zu Israel gesagt, 12. Mose 12) sie sollten von dem B l u t e des Passah-Lammes nehmen und es an die beiden Pfosten und die Oberschwelle der Häuser, worin sie aßen, streichen. „Und ich werde", sagte Er, „durch das Land Ägypten gehen in dieser Nacht und schlagen alles Erstgeborene im Lande Ägypten vom Menschen bis zum Vieh; und an allen Göttern Ägyptens werde ich Gericht üben, ich Jehova. Und das B l u t soll euch zum Zeichen sein an den Häusern, woselbst ihr seid; und sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorüber- 137 gehen, und es wird euch keine Plage treffen zum Verderben, wenn ich das Land Ägypten schlage." Der Würgengel ging durch das Land. In der Finsternis und in dem Tode der Nacht verrichtete er sein Werk. Er würde keinen Unterschied zwischen den Häusern der Israeliten und denen der Ägypter gemacht haben, wenn sie nicht mit dem B l u t e bezeichnet gewesen wären. An einem solchen Hause aber ging er vorüber; er sah das Blut an der Türschwelle und an den Türpfosten, und dann untersuchte er nicht weiter und ging auch nicht hinein. — Aller Verkehr Gottes mit einem Sünder muß auf dem Grunde Seines heiligen Gerichts über die Sünde stattfinden. 

Da, wo es sich um Errettung handelt, sucht Er sie von Seiner Heiligkeit und dem Gericht zu überzeugen, und Er sagt: Das Gericht über die Sünde ist gekommen, und es ist die Folge derselben; und dann bringt Er das Blut auf die Türschwelle und die Türpfosten. Ehe uns Gott die Reise nach Kanaan antreten läßt, offenbart Er auf das klarste, daß alles in Betreff der Sünde beseitigt ist, und daß die Forderungen Seiner Gerechtigkeit vollkommen befriedigt sind. Gott kann mit uns in Gnade handeln; aber Er begibt Sich nicht mit uns eher auf den Weg, bis die Frage über die Sünde beseitigt ist. Ehe Israel seine Reise antrat, hatte Gott das Land im Gericht durchzogen. Sie aber aßen in dem völligsten Vertrauen, daß sie unter dem Schutze des Blutes des Lammes seien. Bevor wir beginnen im Glauben zu wandeln, muß die Frage des Gerichtes Gottes über die Sünde erörtert sein. Alles, d. h. das christliche Leben, der Weg der Erfahrung, das Leben des Glaubens, ist darauf gegründet, daß Gott an uns vorüber gegangen ist. An der Sünde aber kann Er nicht vorübergehen. Er zeigt uns, wenn Er das Bewußtsein der Sünde in uns erweckt hat, das B l u t ; und ehe wir den Weg des Glaubens betreten, unterweist Er uns, daß Alles in Betreff der Sünde ein für allemal geordnet ist. „Ihrer Sünden und Übertretungen will ich nicht mehr gedenken." Darnach wird Er auf dem Wege ein Gott fü r uns. Der Glaube sieht und erfaßt (nicht, als ob es keine Sünde und kein Gericht gäbe) das Werk und das Wort Gottes, und siehe: Alles ist zwischen Ihm und uns fü r i m m e r beseitigt. Das B l u t ist zwischen die Seele und Gott gestellt, — dasBlutde s S o h - n e s G o t t e s . 

Nie gab es ein solches Gericht über die Sünde. Mögen meine Sünden noch so groß sein, ich sehe hier etwas, welches jede Forderung der Gerechtigkeit Gottes auf das vollkommenste befriedigt hat: „ U n d d a s B l u t s o l l e u c h z u m Z e i c h e n s e i n usw." Und dennoch ist die Seele leider! zu sehr daran gewöhnt, 138 ein Sklave zu sein. Nachdem die Kinder Israel das Blut auf den Türpfosten gesehen hatten, finden wir sie zitternd vor der Macht Pharaos. Sie waren auf der Reise, aber sie waren noch nicht aus Ägypten; sie befanden sich noch auf dem Gebiete Pharaos. Wohl besaßen sie die Erkenntnis von der Befreiung durch das Gericht Gottes, welches auf die Erstgeborenen gefallen war; aber sie waren noch im Kampf mit Pharao. Zur bestimmten Zeit traten sie ihre Reise an; sie verließen die Welt, sie gingen aus Ägypten, dem Orte, wo sie Sklaven gewesen waren, und Pharao, der Fürst der Welt, verfolgte sie. Da kam Furcht und Schrecken. So lange wir nicht wissen, daß der Tod Christi uns vollkommen aus dem Bereich Satans befreit hat, können wir nie wahre Ruhe der Seele haben. Der Satan kann immer Forderungen an uns stellen, bis wir ihm sagen können, daß wir mit Christo gestorben und auferstanden sind. Weil sie Sklaven der Macht Pharaos waren und weil sie Pharao fürchteten, (und es ist kein Wunder) hatten sie nicht den Glauben, zu sagen: „Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns!" Pharao war stärker als Israel; aber Gott war stärker als Pharao. Als sie ihre Augen erhoben und sahen die Ägypter hinter sich herkommen, wurden sie sehr furchtsam; und sie sagten zu Mose: „Weil wohl keine Gräber in Ägypten waren, hast du uns weggeführet, damit wir sterben in der Wüste? Warum hast du uns das getan, daß du uns aus Ägypten führtest? Ist es nicht das Wort, was wir zu dir redeten in Ägypten: Laß ab von uns, wir wollen den Ägyptern dienen; denn besser ist es uns, den Ägyptern zu dienen, als daß wir sterben in der Wüste?" (2. Mose 14, 11—12). Sie verrieten hier, was ihre Gefühle betrifft, einen schlechteren Zustand, als je zuvor, Und so ist es oft mit den Heiligen.

 Wir bedürfen der Kraft Gottes m i t uns und fü r uns und auch die Überzeugung davon, (und zwar ebenso sehr als wir die Gewißheit der Befriedigung des Gerichtes Gottes bedurften, als dieses gegen uns war), wenn wir die Fülle des Friedens besitzen wollen. Ich mag die Kraft des Blutes Christi, welches durch das Gericht segnet, erfahren haben; aber es ist eine ganz verschiedene Sache, eine beständige und völlige Überzeugung zu haben, daß Gott fü r mich ist. Zuerst, nachdem Gott in der Seele ein Gefühl der Sünde, wie Er sie sieht, erweckt hat, entsteht die Frage, wie diese Seele gegen Sein gerechtes Gericht mag gesichert werden. Sie sieht durch den Glauben das Blut Christi und bekommt Frieden. Allein, wenn ich das Blut aus dem Gesicht verliere, betrachte ich Gott, zur Besorgnis meiner Seele, immer noch als Richter. Dies ist aber nicht der eigentliche Platz für 139 einen Gläubigen. Ich sehe da die Gerechtigkeit Gottes, und — „ohne Blutvergießen ist keine Vergebung!" Wenn ich nun sagen kann, daß das Blut, welches vergossen ward, jene Gerechtigkeit befriedigt hat, so kann ich sehen, daß Gott nicht länger ein Richter ist, Seine Gerechtigkeit ist befriedigt worden. Aber wenn Seine Gerechtigkeit noch befriedigt werden muß, so ist er auch noch ein Richter. Die Israeliten bekamen solche Furcht, Schrecken und Not, sie waren so sehr unter der Macht des Bösen, welches gegen sie war, daß es bei ihnen sogar in Frage gestellt wurde, ob sie Gott oder den Satan haben wollten. Und so ist es stets mit den Heiligen, welche noch nicht befreit sind, sobald Schwierigkeiten und Hindernisse kommen. Wir sind so sehr die Sklaven der Gewalt des Satans gewesen, daß wir kein Bewußtsein von der Errettung Gottes haben. Es war Pharao (bei uns ist es Satan) die Macht des Bösen, welcher sie verfolgte, und sie bis auf diesen Punkt trieb, wo Tod und Gericht (wovon das Rote Meer das Symbol ist) ihnen ins Auge sah.

 Tod und Gericht aber mußten für sie völlig hinweggetan sein, wenn sie unversehrt durch beides hindurch gehen wollten; sie konnten nicht in ihrer eigenen Kraft durch diese Schwierigkeiten kommen: — das Rote Meer war vor ihnen und sie konnten nicht hindurch gehen, und Pharao und alle seine Kriegsheere hinter ihnen; dawar auch kein Ausweg auf irgend einer anderen Straße. Sie waren ganz eingeschlossen und wurden zu der Überzeugung gebracht, daß sie eines Befreiers bedurften, oder es war mit ihnen ganz aus. Dies nun war der Weg Gottes zur Befreiung, und Moses sagte: „Fürchtet euch nicht, stehet und sehet die Errettung Jehovas, welche er euch heute erweisen wird; denn die ihr heute sehet, die Ägypter, werdet ihr nimmermehr sehen ewiglich" (2. Mos. 14, 13). Ihr könnt weder vorwärts noch rückwärts gehen, ihr müßt ganz still stehen und sehen die Errettung von Seiten des Herrn. „Jehova wird für euch streiten und ihr sollt ruhig sein" (V. 14). Der Herr schreitet ein und stellt Sich zwischen den Satan und Sein Volk. „Da brach der Engel Gottes auf, der vor dem Heere Israels herzog, und ging hinter sie; und es brach die Wolkensäule auf von vorne, und trat hinter sie. Und sie kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels, und war die Wolke und Finsternis (von der einen Seite), und erleuchtete die Nacht (von der anderen); und so nahten diese nicht jenen die ganze Nacht" (V. 19. 20). Bevor Er den Trost der Befreiung gibt, trägt Er immer Sorge, daß Satan uns nicht anrühren kann. „ D u r c h de n G l a u b e n g i n g e n si e d u r c h da s R o t e M e e r , w i e d u r c h s T r o c k e n e , w e l c h e s 140 di e Ä g y p t e r v e r s u c h t e n u n d w u r d e n v e r - s c h l u n g e n " (Hebr. 11, 29). Das, was ihr Verderben zu sein scheint, wird ihre Befreiung. „Und Mose reckte seine Hand aus über das Meer; da ließ Jehova das Meer weggehen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht, und machte das Meer zu trockenem Boden, und das Gewässer teilte sich. Und die Söhne Israels gingen mitten durchs Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken" (2. Mos. 14, 21. 22). Hier war keine Schlacht für Israel gegen Pharao. 

„Und die Ägypter jagten nach, und kamen hinter ihnen, alle Rosse Pharaos, seine Wagen und seine Reiter, hinein ins Meer. Und es geschah um die Morgenwache, da blickte Jehova auf das Heer der Ägypter in der Wolken- und Feuersäule, und verwirrte das Heer der Ägypter, und ließ die Räder ihrer Wagen ausweichen, und machte ihren Zug beschwerlich. Da sprachen die Ägypter: Lasset uns fliehen von Israel, denn Jehova streitet für sie und wider die Ägypter! Und Jehova sprach zu Mose: Recke deine Hand aus über das Meer, daß das Wasser zurückkehre über die Ägypter, über ihre Wagen und über ihre Reiter. Da reckte Moses seine Hand aus über das Meer, und das Meer kehrte gegen Morgen zurück in seine Flut, und die Ägypter flohen ihm entgegen, und Jehova trieb die Ägypter mitten ins Meer. Und das Wasser kehrte zurück, und bedeckte die Wagen und die Reiter vom ganzen Heere Pharaos, die hinter ihnen ins Meer gekommen waren; e s b l i e b vo n i h n e n ü b r i g a u c h n i c h t e i n e r . Die Söhne Israels aber gingen trocken mitten durchs Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. Und so rettete Jehova Israel aus der Hand der Ägypter, u n d I s r a e l s a h di e Ä g y p t e r to t a m U f e r de s M e e r e s " (2. Mose 14, 23—30). Der Tod ist der Sold der Sünde, da ist kein Entrinnen; das Rote Meer muß durchschritten werden: „Es ist dem Menschen gesetzt einmal zu sterben und darnach das Gericht." Dies ist die natürliche Folge der Sünde. 

Es bleibt sich gleich, ob Ägypter oder Israelit, der Tod ergreift sie alle; man muß durch das Rote Meer hindurch. Aber wenn die Gnade uns begegnet, wie den Kindern Israel, so werden wir sehen, daß uns dies zur völligen und unzweideutigen Freiheit wird. Israel stand da und schaute den ewigen Untergang, seiner Feinde. Als die Ägypter tot am Ufer des Meeres lagen, und sie in Sicherheit gebracht waren, sangen sie den Lobgesang der Befreiung. Es ist wahr, daß sie jetzt die Wüste zu durchwandern hatten, wo Amalek zu bekämpfen war usw., aber sie waren doch aus Ägypten. Sie sangen den 141 Lobgesang der Befreiung in einfältigem, herzlichem Vertrauen. Ägypten war verlassen, und verlassen für immer; die Macht Pharaos war gebrochen, und nicht ein Ägypter zu sehen. 

Und dennoch versuchen jetzt leider viele das Rote Meer zu durchschreiten, vielleicht in einem besseren Geiste als jene Ägypter, aber mit demselben, ebenso schrecklichen Erfolg. Ich spreche hier nicht von den anerkannten Feinden Gottes, obgleich wir alle von Natur solche sind; auch nicht von denen, welche das Volk Gottes verfolgen, sondern von denen, welche versuchen in ihren eigenen Wegen durch den Tod und das Gericht zu gehen. Gerade weil sie in einem christlichen Lande und unter Christen sind, hoffen sie mit dem Namen Christi in Gemeinschaft mit Seinem Volke in den Himmel einzugehen; aber alle müssen durch d a s hindurch, was sich am Anfang des Weges Gottes befindet. 

Wenn wir zum Roten Meer hinaufgegangen sind, so muß Tod und Gericht durchschritten werden, und wo bleiben wir dann mit all unserer ägyptischen Weisheit und Erkenntnis, mit all unseren Wagen und Reitern vor Tod und Gericht? Wir müssen aber hindurch. Wenn wir dieses, ohne daß Gott fü r uns ist, versuchen, wenn wir nicht die Überzeugung haben, daß jede Frage über Tod und Gericht vollständig und für immer beseitigt ist (wie es für Israel war, als sie durch Glauben durch das Rote Meer gingen, wie durchs Trockene), so finden wir unsern Untergang. 

Wenn wir verstanden haben, daß wir einmal sterben müssen, daß nach dem Tode das Gericht folgt, und daß wir in jenem Gericht stehen müssen, so trifft uns, wenn wir dies in unserer eigenen Kraft versuchen, auch wirklich ein unausbleibliches, schreckliches Verderben. Wir müssen alle, bekehrt oder unbekehrt, die Welt verlassen. Der größte Freund der Welt muß früher oder später seine Eitelkeiten und Vergnügungen, seine Hoffnungen und seine Interessen, ja alles muß er verlassen. Der einzige Unterschied ist dieser, daß die Christen sie für Gott verlassen; die Weitlinge aber geben sie auf, weil sie dieselbe nicht behalten können. Der König von Ägypten gab Ägypten und seinen Hof auf, wie auch Moses; aber es war dieser Unterschied: der König von Ägypten gab es auf für das Gericht, und Moses für Christum. Dieselbe Hoffnung, welche das Volk Gottes hatte, wurde der Untergang der Ägypter. Sie sahen Israel nach Kanaan gehen, und sie hofften auch auf diesem Wege zu gehen. Allein sie gehen zum Himmel auf ihrem eigenen Wege und in ihrer eigenen Kraft. 

Was sagt der Psalmist: — Gib deinem Knecht ein günstiges Gericht? Nein!— „ G e h e n i c h t i n d a s G e r i c h t m i t d e i n e m K n e c h t e ; d e n n 142 vo r d e i n e m A n g e s i c h t is t k e i n L e b e n d i g e r g e r e c h t . " Sie geben sich der Hoffnung hin, daß es mit ihnen ganz gut gehen werde im Gericht; sie nehmen den Namen Christi auf ihre Lippen und denken ebenso gewiß zum Himmel zu gehen, als die wahren Gläubigen. Aber sie müssen durch das hindurch gehen, was sie in das volle Licht stellt, und klar und bestimmt offenbart, was sie wirklich sind. Sie können das nicht umgehen, was Gott auf den Weg gestellt hat; sie müssen durch Tod und Gericht gehen; und da werden sie erfahren, d a ß k e i n L e b e n d i g e r g e - r e c h t ist . Die Rute der Macht Gottes war ausgestreckt, als Israel hindurch ging, und da war kein Meer (nur ein Wall zu ihrer rechten und linken Hand als Sperre gegen Pharao). Wo finden wir den Grund zu der Zuversicht des Glaubens? Er ist ganz und gar verschieden von dem bloßen Bekenntnis. Durch jenes Meer, sagt der Gläubige, wage ich nicht hindurchzugehen, ich wage nicht einen Fuß in dasselbe zu setzen, es sei denn auf den Befehl Gottes, und dann findet er kein Meer. Weil der Weg für den Glauben geöffnet ist, so daß der Glaube ihn betreten und darauf wie auf trockenem Boden wandeln kann, so denken die äußeren Bekenner auch darauf gehen zu können. Doch der Weg ist nur für de n G l a u - be n geöffnet, welcher keinen Tropfen Wasser mehr findet — der Tod ist gewichen und das Gericht, alles ist vorüber — es ist trockener Boden, Gott Selbst hat es also gemacht. Es ist aber nur das Volk des Glaubens, welches ihn betreten kann. Das, was für Israel ein trockener Boden ist, ist Meer für alle anderen. Laßt die Ägypter versuchen, ihnen nachzujagen und daran denken, ihrem natürlichen Lauf zu folgen, so wird Tod und Gericht d a sein; k e i n L e b e n d i - g e r is t g e r e c h t . Der Gläubige denkt nicht, daß er in dem Gericht Gottes in eigener Kraft bestehen würde.

 Wenn Gott zwischen ihm und Pharao einschreitet, was sieht er? Die Errettung des Herrn. Das, was er fürchtete, wird seine Sicherheit. Christus ist da in der Tiefe: Er sieht das Gericht Gottes, in seinem ganzen Gewicht und in seiner ganzen Macht durch Christum getragen. „Flut rufet der Flut beim Brausen deiner Wasserfälle; alle Wogen und Wellen strömen über mich." Die Wogen und Wellen sind über Christum gegangen; dort habe ich Tod und Gericht gesehen. Ich habe gesehen, daß der Schweiß des Sohnes Gottes zur Erde rann, wie große Blutstropfen, wegen meiner Sünden. Ich habe den Sohn Gottes schreien hören: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Ich habe Ihn gesehen zur Sünde gemacht, tragend das Gericht, welches den Sündern gebührte. 143 Ja, ich habe das ganze Gewicht und den Schrecken dieser Wogen gesehen; aber — sie sind über Christum gegangen. Das, was mich jetzt errettet, ist der Tod und ist das Gericht. Die G n a d e h a t i h r e n W e g i n d e m T o d e g e f u n - d e n ; „und es ist alles trockenes Land." Gott begegnet mir da und sagt: „Stehe still und siehe die Errettung des Herrn." Ich sehe diese große und vollkommene Errettung in der Auferstehung Christi; und was ich empfangen habe, ist, daß „der Tod" mein ist. „Alle Dinge", sagt der Apostel, „sind unser"; ja, der Tod ist „unser". Satan hat sich mit dem Tode und dem Gericht beschäftigt, und seine Macht im Tode ist völlig gebrochen; „ .. . auf daß er durch den Tod den zunichte machte, der die Kraft des Todes hat, das ist, den Teufel." Gleich Pharao ist er in dem letzten festen Platze, in welchem er uns gefangen hielt, überwunden. Alle die Wogen des Roten Meeres, die Wellen des Zornes Gottes gingen über Christum. Er hat alles hinweggetan, was gegen uns war. Satan ist gekommen und hat gewirkt, und was hat er ausgerichtet? Er hat Christum zum Tode gebracht; aber der Triumph des Fürsten der Finsternis hat nur seine Niederlage offenbart. Er ist gekommen und hat mit Christo ge - kämpft; er hat alle seine Kraft gegen Ihn angewandt; er h«t alle Bosheit und Kraft, welche er im Tode hatte, bei Ihm versucht, — a b e r C h r i s t u s is t d a r a u s a u f e r - s t a n d e n . Er ist an der anderen Seite; Er ist außerhalb des Bereichs Satans; und jetzt hat der Tod moralisch keine Kraft mehr über die Gläubigen; sie sind mit Christo auferstanden. Als Anführer der Errettung ist Christus hernieder gekommen, und Er nahm Seine Stellung unter denen, über welche Satan die Gewalt des Todes hatte.

 Wenn Er ihre Sache in die Hand nahm, so mußte Er auch in ihre Umstände eintreten. Er stand da, und fühlte das ganze Gewicht dieser Stelle. Die Schrecken des Zornes Gottes und die Bitterkeit des Kelches, welchen Er zu trinken hatte, kennend, flehte Er, daß, wenn es möglich wäre, dieser Kelch an Ihm vorüber gehe. Aber Liebe hatte Ihn in diese Stelle gebracht „ d u r c h d i e G n a d e Gottes" , daß Er den Tod schmeckte. Jetzt ist alle Schuld gegen mich, die Ursache der Anklage Satans vor dem gerechten Gericht Gottes, hinweggetan. Gottes Zorn ist über alle gegangen. In dem Augenblick, wo wir an der anderen Seite des Roten Meeres ankommen, ist alles geschehen; wir haben nur den Lobgesang zu singen. Der Herr hat Seine Rechte verherrlicht in Macht. Die Ägypter, welche wir am Tage gesehen haben, werden wir nimmer wieder sehen. 144 Die Israeliten konnten den Lobgesang singen, ehe sie einen Schritt in der Wüste getan hatten. Sie konnten sagen: „Du leitest mit deiner Gnade das Volk, d a s d u e r l ö s e t ; führtest es mit d e i n e r Kraft zu d e i n e r heiligen Wohnung. Es hörten's die Völker, sie bebten; Schrecken ergriff die Bewohner Philistäa's. Da waren bestürzt die Fürsten Edoms; die Gewaltigen Moabs, sie ergriff Zittern; es schmolzen (vor Furcht) alle Bewohner Kanaan's. Auf sie fällt Schrecken und Furcht, o b d e i n e s A r m e s G r ö ß e starren sie gleich Steinen, bis hindurchzieht d e i n Volk, das du erworben. Du bringest und pflanzest sie auf d e i n e n Eigentum-Berg, die Stätte, die d u zu d e i n e r Wohnung gemacht, Jehova, —• das Heiligtum, das, Herr, deine Hände bereitet. Jehova ist König in Ewigkeit und immerdar" (2. Mose 15,13—18). Es war jetzt jeder mögliche Unterschied zwischen dem armen Israel und den Ägyptern bezeichnet. Jene hatten Gott für sich, diese (welche mit viel größerer m e n s c h l i c h e n Möglichkeit hindurch gehen konnten) verließen sich in ihrer Sorglosigkeit und Torheit auf ihre eigene Macht. Doch bald wurden sie zum Stillstand gebracht, und zwar durch die Macht des Todes und des Gerichts. 

Weil sie das arme, unbedeckte Israel hindurch schreiten, weil sie die Christen zum Himmel gehen sahen, versuchten sie es auch also zu tun, aber ohne die K e n n t n i s des Blutes, welches an die Häuser in Ägypten gesprengt worden war. Dieses Blut konnte allein die Frage über Tod und Gericht beseitigen. Nur durch dasselbe konnte Israel Gott fü r sich haben, welcher zwischen sie und Pharao trat. Ohne dieses würde derselbe Platz der Errettung ein Platz des Verderbens sein. Israel sang diesen Lobgesang noch nicht, als es nur das Blut an den Türpfosten gesehen hatte. Sie sangen erst, nachdem sie vier oder fünf Tage von dem Platz ihrer Gefangenschaft gereist und zwischen dem roten Meer und Pharao eingeschlossen und befreit worden waren. Sie waren auf der Straße, sie waren von Ramses nach Suchoth gekommen, und von Suchoth nach Etham und waren gelagert vor Pihachiroth zwischen Michdol und dem Meere. Sie hatten Ägypten verlassen und hatten alle Bosheit Satans über sich gebracht. Aber die Macht Gottes war m i t ihnen und fü r sie und es hieß einfach: „Stehet still, und sehet die Errettung Jehovas!" Der Streit war zwischen Gott und Pharao und nicht zwischen Israel und Pharao, und er war bald beseitigt. Gott wollte Israel zuerst sicher stellen, deshalb war das Blut auf ihren Türpfosten. Jetzt war nicht mehr die Rede von irgend einer Sünde zwischen ihnen und Gott, so schwach, elend und man- 10 145 gelhaft sie auch sein mochten. Sie waren in guter Ruhe von den Ägyptern ausgegangen. Ihren gekneteten Teig in ihre Kleider gebunden und auf ihren Schultern tragend, besangen sie jetzt ihre völlige Errettung. Sie hatten die Wüste betreten, wo kein Weg, noch Labung, noch Wasser war; das Manna mußte von Tag zu Tag gesammelt werden, und wenn die Sonne aufgegangen war, dann war es all vergangen (der geistliche Fleiß ist nötig; „die fleißige Seele wird fett werden"); aber sie waren befreit, und hatten Gott mit sich und Gott fü r sich, um sie auf dem Wege zu begleiten und zu führen. Und nun, Geliebte, haben unsere Seelen diese Errettung gesehen? Sind wir zum Roten Meer gekommen, und haben gefühlt, daß wir den Pfad geöffnet für den Glauben in unserer eigenen Kraft nicht betreten konnten, und daß, wenn wir es versucht hätten, ertrunken wären? Und haben wir gefunden, daß für den Glauben k e i n M e e r da ist, sondern t r o c k e n e r B o d e n , w o k e i n T r o p f e n W a s - s e r z u r ü c k g e l a s s e n i s t ? — Wenn wir das Blut Christi erkannt haben, als unsere einzige Hoffnung vor Gott, als Richter betrachtet; wenn wir erkannt haben, daß wir Ägypten verlassen müssen und die Wüste betreten, unseren Weg zu der verheißenen Ruhe, so können wir dennoch in einem gewissen Maße unfähig sein zu sagen: „Du l e i - t e s t m i t d e i n e r G n a d e d a s V o l k , d a s d u e r - l ö s e t usw."

 Dies will nicht sagen, daß wir nicht auf dem Wege sind, aber daß wir nicht wissen, daß Gott ganz und gar fü r uns ist. Wir mögen als Sünder das Blut einfach im Glauben angeschaut haben, aber wir haben die Auferstehung des Herrn Jesu Christi, als unsere Befreiung und unseren Ausgang, aus dem Bereich und der Macht Satans, nicht völlig erkannt; wir haben nicht still gestanden, um die Errettung des Herrn zu sehen. Die Wogen und Wellen des Zornes Gottes sind über das Haupt Christi gegangen und Er hat gemacht, daß es kein Meer für uns ist. Er ist herniedergekommen und hat Sich unter diesen Zorn gestellt, um unsere Sündenschuld zu tragen; und Er ist daraus auferstanden, und alles ist vorüber. Der Blitzstrahl der Gerechtigkeit Gottes hat das Haupt Christi getroffen, und aller Sturm ist für den Glauben vorüber. Nichts gibt ein solches Gefühl von der Abscheulichkeit der Sünde, nichts ein solches Zeugnis von dem Gericht Gottes über dieselbe, als wenn wir Christum unter diesem Gericht sehen; und ebenso gibt nichts ein solches Zeugnis von der Liebe Gottes gegen den armen Sünder, als gerade dies. — Möge der Heilige Geist 146 unseren Herzen stets über die Kraft und die Wirksamkeit und den Wert des Blutes Christi völlige Klarheit und Gewißheit geben. (Übersetzt)

Jonathan (1. Samuel 14) 

In dem Werke Jonathans sehen wir die Energie des Glaubens inmitten der traurigen Verwirrung Israels. Das Volk hatte auf einem fleischlichen Wege sich gegen seine Feinde stark zu machen gesucht. Sie hatten keinen Glauben, sich unmittelbar auf Gott zu stützen, und hatten deshalb für sich einen König verlangt; und, während Gott, von Seiner eigenen Verwerfung durch sie, Zeugnis ablegte, beauftragte Er den Samuel, ihrer Stimme in allem, was sie sagten, zu gehorchen, und ihnen einen König zu geben Kap. 8). 

„Gib uns einen König, der uns richte, gleich allen Nationen", schrieen sie. Samuel warnte sie ernstlich und verkündigte ihnen die Weise des Königs, der über sie herrschen sollte. Aber das Volk weigerte sich, der Stimme Samuels zu gehorchen und sprach: „Nein, sondern ein König soll über uns sein, daß auch wir seien, wie alle Völker, und uns richte unser König, und ausziehet vor uns her, und unsere Streite streite" (1. Sam. 8,19. 20). Jehova war für Israel gleichsam nicht mehr da. Das fleischliche Verlangen wurde erfüllt, und Saul eingesetzt, um gegen Israels Feinde Krieg zu führen. — Solches war der Zustand der Dinge, in deren Mitte wir Jonathan finden; und obgleich er nicht ganz und gar in die Gedanken Gottes einging, so war er doch fähig, in der Energie des Glaubens zu handeln. Es ist für den Glauben schwer, die Unterdrückung des Volkes Gottes durch seine Feinde und die Entehrung, welche also Gott Selbst angetan wird, zu ertragen. Jonathan ertrug sie nicht. Er hatte Glauben an den Gott Israels, und machte sich auf, die Philister anzugreifen. Er rief seinen Waffenträger und sagte: „Komm und laß uns hinüber gehen zu der Aufstellung dieser Unbeschnittenen usw." Mag auch die Sünde des Volkes Gottes dieses der Macht der „Unbeschnittenen" unterworfen haben, so kann jene doch das Recht Gottes nicht unterwerfen. So urteilt der Glaube, und nichts ist einfacher. In dem Augenblick, wo die Seele für Gott abgesondert ist, wo sie ihren Platz bei Ihm genommen hat, ist 147 sie auch für Ihn und stark in Seinem Dienste. 

Er bespricht sich aber nicht mit Fleisch und Blut: „.. . s e i n e m V a t e r s a g t e e r e s n i c h t . " In Saul war kein Glaube; und hätte er ihm sein Vorhaben mitgeteilt, so würde er sehr wahrscheinlich ihn nur entmutigt haben. Hätte Saul Glauben gehabt, so wäre er selbst gegen die Philister gezogen; jetzt aber hätte er ihn entweder zurückgehalten, oder beunruhigt. Wenn der Unglaube wirksam ist, so beunruhigt er nur. Der Glaube hat auch nach seiner eigenen Verantwortlichkeit zu handeln. In dieser Beziehung wird sehr oft gefehlt, daß wir nämlich jene um Rat fragen, die nicht einmal so viel Glauben und Licht haben, als wir selbst, und wir sinken deshalb zu ihrer Schwäche hinab. Alles, was in den Augen des Volkes als Macht, Ansehen und Gottesdienst galt, war mit Saul. Der König, der Priester und die Bundeslade waren da; aber Jonathan weilte nicht bei dem Volke. Er hatte niemand als seinen Waffenträger bei sich; und dies war um so besser für ihn; weil er sich jetzt nicht durch den Unglauben Anderer zu beunruhigen brauchte. Da, wo ein einfaches Auge ist, da ist immer Zuversicht im Handeln und keine Ungewißheit. Das Fleisch mag zuversichtlich sein, aber seine Zuversicht ist zu sich selbst; und darum ist sie Torheit. Der Glaube macht sich nichts aus den Umständen, weil er sich a l l e s aus Gott macht. Die Schwierigkeit wird deshalb zwar nicht geringer, allein Gott füllt das Auge. Die Philister nahmen mit ihrem Lager eine Stellung ein, deren Zugänge von außerordentlicher Schwierigkeit waren, nur durch einen engen Weg zugänglich, auf welchem man Felsenzacken erklettern mußte. Was konnte hier menschliche Energie helfen? „Jonathan mußte sogar auf Händen und Füßen hinaufklettern" (V. 13). Die Unterdrücker waren da in großer Zahl und wohl bewaffnet. Der Glaube aber mit einem einfachen Schwert hält Gott für hinreichend. „Komm", sprach er ohne Zögern, „laß uns hinüber gehen zu der Aufstellung d i e s e r U n b e - s c h n i t t e n e n : vielleicht wird Jehova für uns wirken; denn für Jehova ist kein Hindernis, durch Viel oder Wenig zu segnen." Die Unbeschnittenen haben keine Kraft, wenn man daran denkt, daß der Gott Jakobs ihr Gott nicht ist, und daß sie ihre Hoffnung nicht auf den Herrn setzen; aber Seinem Volke hilft Er oft durch die geringfügigsten Mittel; „denn für den Herrn ist kein Hindernis, durch Viel oder Wenig zu segnen."

 Der Feind mag sein wie der Sand am Meere; das ist nichts, und der Glaube weiß, daß es nichts ist. Gott kann e i n e m Schwerte Kraft geben, ein ganzes Kriegsheer zu überwinden. 148 Jonathan suchte keine andere Hilfe. Er ist glücklich in der Gemeinschaft des Waffenträgers einen Mann verwandten Geistes gefunden zu haben. Dieser sagte zu Jonathan: „Tue alles, was dir am Herzen ist; wende dich, siehe, ich bin mit dir nach deinem Herzen" (V. 7). Mit diesem wollte er sich den Philistern zeigen. Wir haben schon die Stärke, die einfache Zuversicht des Jonathan auf des Herrn Kraft, bemerkt. Es gibt hier aber noch etwas anderes. Er erkennt die Treue Jehovas gegen sein Volk an; er ist überzeugt, daß Jehova mit seinem Volke ist, was auch dessen Zustand sein mag. Dies ist es, was den Glauben charakterisiert. 

Der Glaube erkennt nicht allein an, daß Gott stark ist, sondern er erkennt auch das unauflösliche Band zwischen Ihm und Seinem Volke an. Gott ist mit Seinem Volke und nicht mit Seinen Feinden. Der Zustand des Volkes Israel war gewiß ein trauriger: die Philister, ein mächtiges Volk, plünderten das offene Land; kein Mittel, um ihnen Widerstand zu leisten, war übrig geblieben; nicht einmal ein Schwert oder ein Speer, (ausgenommen bei Saul und Jonathan) wurde in Israel gefunden (Kap. 13,19. 22). Welch ein Bild von dem Zustand des Volkes Gottes! Wie oft aber finden wir, daß solche, welche sich zum Volke Gottes, zur Wahrheit, und als Erben der Verheißungen bekennen, ohne Waffen wider die Feinde sind, welche sie plündern! Bei Israel kam noch dazu, daß der König in ihrer Mitte ihrer Sünden wegen eingesetzt war; — aber dieses alles schwächte nicht die Treue Gottes. Die Philister wurden in die Hand Israels überliefert, (nicht in seine eigene) in das Gericht des Mannes des Glaubens (V. 12). 

Er war abgesondert mit Gott, und er einverleibte sich im Glauben mit seinem Volke. Er sieht weder auf sich, noch auf ihren Verfall, sondern erkennt an, was sie in den Augen Gottes sind. Jonathan ist gleichsam die Hand des Herrn, und siehe, welche Unerschrockenheit! Obgleich Israel nicht im Stande ist, eine Hacke zu schärfen, so begibt er sich dennoch im Namen des Gottes der Heerscharen, im Namen Jehovas, de s G o t t e s I s r a e l s , auf den Weg. Während er geht, bespricht er sich nicht mit Fleisch und Blut, und wir finden auch in seinem Herzen weder Prahlerei, noch ein Handeln in fleischlicher Hast und Aufregung. Seine Hoffnung steht auf Gott. Er hätte einfach zu dem Lager der Philister gehen und sich ihnen zeigen können und sagen: „Hier bin ich, ein Israelit"; aber er wollte warten, um ganz nach dem Willen des Herrn zu gehen. Wenn sie sagten: „Haltet, bis wir zu euch gelangen, so wollten sie an ihrer Stelle stehen bleiben, und nicht zu ihnen hinauf gehen; wenn sie aber sprachen: Kommt herauf zu uns, so wollten 149 sie hinauf gehen; denn Jehova hatte sie in ihre Hand gegeben" (V. 9.10). Mit anderen Worten, er war bereit, entweder zu warten, bis sie zu ihm kamen, oder hinzugehen, und sich in der Mitte ihres Lagers zu zeigen.

 Wenn die Kühnheit der Feinde diese antrieb, herabzusteigen, so wollte er sie erwarten, ohne sich Schwierigkeiten zu machen; aber er wollte nicht vor den Schwierigkeiten zurückweichen, die sich auf seinem Wege zeigten. Dies ist die wahre Abhängigkeit des Glaubens. Nachdem er dieses getan hatte, unterrichtete ihn der Hochmut und der Stolz der feindlichen Macht, was er zu tun hatte. „Siehe", sagten die Männer im Lager zueinander: „Hebräer kommen hervor aus den Löchern, in welchen sie sich verkrochen"; und dann schmähten sie sorglos und mit fleischlicher Zuversicht die Treue dieser Israeliten und sagten: „Kommet herauf zu uns, wir wollen euch etwas kund tun" (V. 12). Dies ist das Zeichen für Jonathan. „Steige mir nach", sagte er zu dem Waffenträger, „denn Jehova hat sie in die Hand Israels gegeben". In der Kraft des Glaubens geht er vorwärts und erklimmt den Felsen; sein Waffenträger ihm nach. Die Philister fallen vor ihm, „und sein Waffenträger tötete sie hinter ihm her." Dieser hatte vergleichsweise ein leichtes Werk, — die Macht des begeisterten Jonathans wirkte für ihn. Gott hatte Ehre auf den Arm des Glaubens gelegt, obgleich Er es Selbst war, der Sich hier offenbarte. Der Schrecken Gottes fiel auf die Feinde Israels (V. 13.15). Doch was tut jetzt der arme Saul? Hat der Unglaube auch noch so gute Absichten, wenn er sich mit dem Werke des Glaubens vereinigt, so tut er doch nie etwas anderes, als daß er es besudelt.

 Saul war zurückgelassen und lag am Ende von Gibea, unter dem Granatbaum zu Migron, während Gott durch Jonathan über die Philister triumphierte (V. 2). „Da schauten die Wächter Sauls zu Gibea-Benjamin, und siehe, die Menge zerrann und lief hin und her. Und Saul sprach zum Volke, das bei ihm war: Z ä h l e t , und sehet, wer von uns weggegangen ist" (V. 16,17). Die äußere Ordnung sehen wir hier bei Israel, aber es war kein Glaube da. „Und sie zählten, und siehe, es waren nicht da Jonathan und sein Waffenträger." Das war alles, was sie davon wußten. Da sprach Saul zu Ahija: „Bringe die Lade Gottes her!" Hier sehen wir wieder die Form — die Form der Ehre des Herrn, um sich scheinbar von Ihm leiten zu lassen. Es scheint alles in Ordnung zu sein; doch ist es nur die Form. Saul fragte bei der Bundeslade um Rat, während Gott anderswo, ohne Israel, über Seine Feinde triumphierte. (Gott hatte Sich, wenn ich so sagen darf, dem Jonathan überge- 150 ben.) Während nun Saul mit dem Priester redete, dauerte der Tumult der Niederlage in dem Heer der Philister fort, und wurde immer größer; und der Unglaube, welcher nie weiß was er zu tun hat, sagte zu dem Priester: „Ziehe deine Hand zurück!" Der König und die Priester waren nicht das Band zwischen Gott und Israel. Es war weder der Glaube des Volks ohne König an Gott, noch der König, welchen Gott Selbst gegeben hatte. — Jetzt kamen sie zum Streite (V. 20), aber da war kein Eingehen in den Geist der Sache. Saul hatte kein Gefühl von dem, worauf Jonathan gerechnet hatte, von dem Geheimnis seiner Kraft.

 „Es gibt aber kein Hindernis, mit dem Herrn durch viel oder wenig zu wirken." Saul redete nun das Volk um sich her an, und beschwor es und sprach: „Verflucht der Mann, der Brot isset bis zum Abend, bis ich mich gerächt habe an meine n Feinden. Und niemand vom Volke kostete Brot" (V. 24). Dies ist augenscheinlich große Energie, es ist wahr; aber es ist nichts von dem Geiste Gottes darin, und in Wahrheit war diese fleischliche und selbstsüchtige Energie in der Zeit des Sieges nur störend, indem sie das Volk Israel elend machte, und die Verfolgung des Feindes schwächte. Wir mögen uns auf den Weg des Glaubens begeben; aber immer wenn sich das Fleisch in das Werk des Glaubens mischt, dient dies nur zu unserer Schwächung.

 Das Volk kam in einen Wald, und es war Honig auf dem Erdboden; aber keiner tat die Hand zum Munde, weil sie den Schwur fürchteten (V. 25. 26). Jonathan aber hatte jenen Schwur nicht gehört, und er reckte die Spitze seines Stabes, der in seiner Hand war, aus, und tauchte ihn in den Honigseim und führte seine Hand zum Munde und seine Augen wurden hell. Und als er mit dem Fluch bekannt gemacht wurde, und er um sich her das matte Volk erblickte, rief er aus: „Mein Vater bringt das Land ins Verderben! Sehet doch, daß meine Augen hell sind, da ich ein wenig gekostet von diesem Honig. Wenn nun gar das Volk heute hätte gegessen von der Beute seiner Feinde, die es gefunden; — denn nun ist die Niederlage nicht groß gewesen unter den Philistern" (V. 29.30). Glücklicher Jonathan! Der Glaube ist so sehr mit dem Werke beschäftigt und hat so tief die Gefühle der Liebe und Gnade Gottes, daß er voll Freiheit ist; und was immer Gott auf dem ermüdenden Wege schenkt, davon macht er mit dankbarem Herzen Gebrauch. Er nimmt es und eilt dann weiter; während die fleischliche Seele, welche den Glauben nur nachahmt, und welche nie mit Gott wirkt, solches zu tun verbietet.

 Wäre Jonathan nicht mit Herz und Seele im Werke des Herrn beschäftigt gewesen, 151 er möchte sich vielleicht auch des Honigs wegen haben aufhalten lassen; während er ihn jetzt zu seiner Erfrischung nimmt, und dann weiter eilt. Durch die Energie des Glaubens allein kam es, daß er von dem Schwur nichts gehört hatte, daß er vor diesem Unglauben bewahrt blieb und die Güte Gottes mit Freude und Danksagung genoß, und dann seinen Lauf, erfrischt und ermutigt, fortsetzte, während das Volk, welches nicht den Glauben hatte, mit ihm zu gehen, unter dem Fluche war, und nicht konnte. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." Saul hatte sich und das Volk unter diesen elenden Zwang gestellt, (wenn das Fleisch sich selbst unter die Dienstbarkeit stellt, so muß es seinen Schwur halten) und infolge dessen wurden sie zur Sünde verleitet; denn sie waren so hungrig, daß sie, als die Zeit des Eides zu Ende war, über die Beute herfielen, Schafe, Rinder und Kälber nahmen, sie auf der Erde hinschlachteten und mit Blut aßen, und also einem direkten Befehl Gottes entgegen handelten (5. Mose 12, 22). Der Glaube aber wirkt wahre Freiheit, und wandelt darin; doch ist dies nie ein Weg für das Fleisch, dessen Einmischung nur den Glauben schwächt und hindert.

 Bei dem Offenbarwerden eines solchen Segens baute Saul einen Altar, und war sehr beschäftigt, die Gebote Gottes aufrecht zu erhalten; er redete viel vom Namen des Herrn, wie er schon früher getan, als er den Rat des Herrn bei der Bundeslade gesucht hatte (V. 36). Aber laßt uns die ausdrückliche Erklärung des Heiligen Geistes bemerken: „Dies war der erste Altar, welchen er dem Herrn baute" (V. 35). Er fragte durch den Priester Gott, wegen der Verfolgung der Philister; — „aber er antwortete ihm nicht an diesem Tage" (V. 37). Da suchte er unter Anrufen des Gottes Israel die verborgene und hindernde Sünde zu entdecken (V. 36). Er dachte weder an seinen noch an des Volkes traurigen Zustand, vielmehr hielt er irgend eine verborgene Sünde für die Ursache des Schweigens Gottes. Der Herr aber warf sich ins Mittel; doch war es nur, um die Torheit des Königs zu offenbaren. Das Los wurde geworfen und Jonathan getroffen: „Und Saul sprach zu Jonathan: Sage mir, was hast du getan? Da sagte es ihm Jonathan, und sprach: Gekostet habe ich mit der Spitze des Stabes in meiner Hand ein wenig Honig: siehe, ich muß sterben.

 Da sprach Saul: So soll mir Gott tun, und ferner! sterben mußt du, Jonathan" (V. 43. 44). Das Volk aber gab dies nicht zu; es mischte sich hinein und sagte: „Jonathan soll sterben, der diesen großen Sieg geschaffet in Israel? Das sei ferne! Beim Leben Jehovas, wenn von den Haaren seines Hauptes eines 152 zur Erde fällt; d e n n m i t G o t t h a t e r g e w i r k t a n d i e s e m T a g e . " Das war jetzt augenscheinlich. „Und so erlöste das Volk Jonathan, daß er nicht starb" (V. 45). Jonathan hatte mit Gott gewirkt; und wir sehen hier den einfachen, glücklichen Weg des nie zaudernden Glaubens, welcher auf Gott rechnet, und auf seine treue Verbindung mit Seinem Volke, der in der gesegneten Freiheit wandelt, indem er die Erquickungen, welche der Herr auf dem Wege gibt, benutzt, — eine Freiheit zur Erquickung und nicht zur Ausschweifung, — während das Fleisch den feierlichen Entschluß faßt, dieses weder zu benutzen, noch zu kosten, noch anzurühren, und bei einer anderen Gelegenheit die Autorität Gottes bei Seite setzt. Der Glaube bespricht sich nicht mit Fleisch und Blut; er wirkt m i t Gott, und wirkt d u r c h Ihn und fü r Ihn. Alle religiösen Übungen, alle Formen der Frömmigkeit waren mit Saul.

 Er hatte die Bundeslade und die Priester; er tat das feierliche Gelübde, sich von der Speise zu enthalten; er zeigte großen Eifer für die Satzungen; allein er verhinderte das Volk, alle Früchte des Triumphs einzusammeln, und brachte es dahin, das Fleisch mit Blut zu essen; er baute seinen Altar, wenn andere die Segnung erlangt hatten und nahm die Ehre für sich. Er konnte fromm sein, wenn er getröstet und gesegnet war; aber es zeigt sich keine wahre Beziehung z u G o t t d u r c h G l a u b e n , noch ein Hindurchgehen durch die Schwierigkeit m i t G o t t ; da ist Energie, aber es ist die Energie des Fleisches; da ist Überlegung, wenn Gott wirkt, und wenn Saul wirksam ist, so ist das ein Handeln in Hast und Aufregung. Der Herr bewahre und leite Sein Volk auf dem Wege des Glaubens; und lasse uns erkennen, wie gesegnet die Einfalt und die Energie des Glaubens ist, der nur mit Gott wandelt und wirkt. (Übersetzt) 153 Melodie: 

Mein Leben ist ein Pilgrimstand. 

Zu Dir, o Jesu, führt mein Pfad; Ich geh' getrost, das Endziel naht, 
Wo ich die Wüste werä" verlassen. Hier find' ich nichts! 
doch Du bist mein; Bin nie vergessen, nie allein,

Wer kann, Herr, Deine Liebe fassen! Einst floß Dein Blut, 
es floß für mich; Ich bin versöhnt; — Dein Glied bin ich. 
Durch Dich, o Herr, ist all' mein Heil; — Ein lieblich Los ward mir zuteil, 

Als Jesu, Du Dich mir gegeben. Durch Dich ist alles, was ich hob': 
Du bist mein Stecken und mein Stab, Bist meine Hoffnung und mein Leben; 
Durch Dich ist all mein Trost im Leid, Durch Dich ist mein die Herrlichkeit.  

Mit Dir ich wandle; — unverweilt Mein Fuß durch diese Wüste eilt, 
Wo keinen Ruhort Du gefunden. Ich seh' nur Kampf und Leiden hier; , 
Ich geh' hindurch, — doch nur mit Dir, Mit Dir ist alles überwunden.

O, Herr, dies eine bleibe mir, Daß stets ich wandle treu mit Dir. 
Für Dich nur kann mein Leben sein, Und was ich hob' für Dich allein,
 Weil Du am Kreuze mich erworben. Von Sund' und Tod bin ich befreit, 

Und bin zu Deinem Dienst geweiht; — Ich lebe jetzt, weil Du gestorben. 
O welche Huld! wie liebst Du mich! Und was ich bin, bin ich für Dich. 
Bei Dir, o Jesu, werd' ich sein, Geh' ich mit Deinen Heilgen ein; 

Bei Dir, wo jeder Kampf beendet. Dort werde ich Dein Antlitz schau'n 
Mit allen, die auf Dich hier trau'n; Dort ist mein Glaubenslauf vollendet; 
Ich werd' verherrlicht sein wie Du, Dich preisen stets in sel'ger Ruh'. 



154 

Harre auf Gott! (Psalm 42)

 „Wie der Hirsch lechzet nach "Wasserbächen, so lechzet meine Seele, o Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werä" ich hineingehen und vor Gottes Angesicht erscheinen? Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man den ganzen Tag zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott? Daran gedenke ich, und ergieße in mir mein Herz in Klagen, wie ich einherzog im Haujen, mit ihnen wallete zum Hause Gottes unter Jubel und Lobgesang in feiernder Menge. Warum bist du gebeugt, meine Seele, und bist unruhig in mir? Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. Gebeugt ist meine Seele in mir, darum, daß ich an dich gedenke aus dem Lande des Jordan, und des Hermon, von dem kleinen Berge. 

Flut rufet der Flut, beim Brausen deiner Wasserfälle; alle deine Wogen und Wellen gehen über mich. Des Tages gebot Jehova seiner Gnade und des Nachts war sein Loblied in mir, das Gebet zu Gott, meines Lebens. Nun muß ich sprechen zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mein vergessen? Warum muß ich trauernd einhergehen unter des Feindes Druck? Mit Zermalmung meiner Gebeine schmähen mich meine Feinde, da sie den ganzen Tag zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? Warum bist du gebeugt, meine Seele, und bist unruhig in mir? Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist." Es gibt für uns zur Betrachtung keinen Gegenstand gesegneter und köstlicher, als den Herrn Selbst. Mögen wir Ihn in Seinem Wandel auf der Erde, oder in Seinem Tode am Kreuz, oder als wieder lebendig im Himmel betrachten, überall finden wir Segen und Freude. In Ihm findet das Herz sein volles Genüge. „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." Glückselig, wer Ihn kennt und liebt, dessen Herz an Ihm hängt, und welcher immer sagen kann: D u b i s t m e i n ! Wir sind reich gesegnet in und mit Ihm; aber der größte Segen für uns ist, daß Er Selbst unser Teil ist. Gott hat uns das Beste geschenkt, Seinen eingeborenen und geliebten Sohn, so daß wir jetzt stets sagen können: „Sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?" 

155

 Wer diese Gabe kennt, dessen Herz ist immer voller Zuversicht zu Gott und Seiner Gnade und Liebe. Wenn unsere Blicke dem Herrn bis in Seine tiefste Erniedrigung und dann bis zu Seiner Erhöhung zur Rechten der Majestät Gottes gläubig folgen, so können wir nur bewundern und anbeten. Wir sehen hier eine Höhe und Tiefe, eine Breite und Länge, die jede Grenze und alle Erkenntnis weit übertrifft. „Denn es war das Wohlgefallen der g a n - ze n F ü l l e in ihm zu wohnen." In Ihm ist ein Meer voll Herrlichkeit, und wir haben alle Fülle in Ihm; aber unser Auge ist viel zu schwach, um auch nur nach einer Seite hin weit hineinzudringen. „Denn wir erkennen stückweise und wir prophezeien stückweise", sagt der Apostel. 

Doch gesegnet sind wir, wenn die Augen unserer Herzen durch den Heiligen Geist so viel erleuchtet sind, daß wir, Seine Herrlichkeit anschauend, immer ausrufen müssen: „O, welch eine Tiefe des Reichtums!" Wenn wir so viel davon zu erfassen vermögen, daß sich unsere Herzen mit seliger Freude erfüllen. Der Mittelpunkt aller Seiner Herrlichkeit ist die Liebe. Und wenn auch die Liebe Christi alle Erkenntnis übertrifft, so ist sie doch unser Teil. Hier vermag unser Herz sich niederzulassen. Sie reicht uns das Vermögen dar, um Ihn und Seine Fülle zu erkennen. „Jeder, welcher liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott; wer nicht liebt, kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe." In Seiner Liebe finden auch alle unsere Bedürfnisse ihre völligste Befriedigung. Lesen wir die Heilige Schrift, so finden wir überall Jesum als Gegenstand ihres Zeugnisses. Der Heilige Geist und auch das Wort zeugen von Ihm und Seiner Fülle. Ohne Ihn wäre das Wort nur ein leerer Buchstabe und eine törichte Predigt. Mag auch der eine hier eine schöne Moral finden, und der andere aus Gewohnheit dem Worte eine gewisse Achtung zollen, so ist es doch in Wahrheit für die, welche es lesen und betrachten, ohne Ihn zu kennen, nur ein Buchstabe ohne Leben und Kraft.

 — Besonders aber bildet die Person Christi in den Psalmen den Mittelpunkt des Zeugnisses. Hier finden wir Seine Erniedrigung bis zum Tode am Kreuze, Seine Erhöhung zur Rechten Gottes und Seine Herrlichkeit über die ganze Erde. Der oben mitgeteilte Psalm zeigt uns Ihn besonders in Seinem Wandel und Leiden in dieser Welt, und es ist gesegnet für unsere Herzen, wenn wir Ihm hier auf der Erde von Schritt zu Schritt folgen. Wir sehen da, was Gott ist; wir lernen Seine Gesinnung gegen uns kennen, und wir sehen die tiefste Demut und die völligste Hingebung des Menschensohnes an Gott. „Er machte sich selbst zu nichts und ward gehorsam bis zum 156 Tode am Kreuze." In Ihm sehen wir die völlige Verherrlichung Gottes für uns, und daß jede Forderung der Gerechtigkeit Gottes für immer befriedigt ist. „Unwidersprechlich groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist offenbart worden im Fleische usw." Doch wie glücklich sind wir, geliebte Brüder, daß uns dies kein Geheimnis geblieben ist, daß wir einen so völligen und gesegneten Anteil daran haben. „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns — (und haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit, als eines Eingeborenen von seinem Vater) — voller Gnade und Wahrheit." „Die Gnade und die Wahrheit sind durch Jesum Christum geworden." Sie machen Sein Wesen aus, und wir besitzen beides in Ihm. 

Die G n a d e entspricht unserm Bedürfnis und die W a h r h e i t dem Wesen Gottes. —• Wir genießen von der Fülle Christi durch unsere Gemeinschaft mit Ihm durch den Heiligen Geist im Glauben, und das Bewußtsein Seiner Gemeinschaft macht unsere Freude völlig. Besonders innig und lieblich wird sie uns 1. Joh. 1, 1—4 dargestellt: „Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir betrachtet, und unsere Hände betastet haben von dem Worte des Lebens; (und das Leben ist offenbart worden, und wir haben gesehen und zeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist); was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf daß eure Freude völlig sei." Diese Gemeinschaft ist eine vollkommene und bleibende. Glückselig ist, wer sie zu schätzen und zu benutzen weiß. Wir betrachten jetzt die Person Christi mit anderen Gefühlen, als da, wo die Sünde uns niederbeugte. Doch ist es wahr, daß das Sünderherz, das sich nach Gnade sehnet, so sehr zu Ihm hingezogen wird. „Die Zöllner und Sünder nahten ihm." Er ist voll Erbarmen, Milde und Huld, und bei Ihm ist viel Vergebung; Er kam nur, um das Verlorene zu suchen und selig zu machen. Doch jetzt ist es nicht mehr der erste Zug der Gnade, der uns zu Ihm zieht, sondern wir kennen Ihn und haben Seine Freundlichkeit geschmeckt. Die befreite Seele betrachtet Ihn ohne Furcht, weil sie in Seiner Liebe ruht. Er hat durch Sein eigenes Blut ihre Sünden getilgt; durch Ihn ist sie dem Tode und dem Gericht entronnen; durch Ihn hat sie den Heiligen Geist empfangen, durch Ihn die Kindschaft, durch Ihn die Hoffnung der Herrlichkeit, durch Ihn wird sie im Heiligtum droben vertreten, durch Ihn genährt und gepflegt — kurz: die befreite Seele kennt Ihn als ihre Fülle und erfreut sich Seiner seligen Gemeinschaft und Liebe. Sie schaut zurück auf Seine Niedrig- 157 keit, auf Seinen Wandel, Seine Leiden und Sein Werk, und findet da nichts als Gnade und Liebe; und alles, was sie findet, erweckt Freude und Dank. Sie genießt die Früchte Seines Werkes und freut sich auf Sein Kommen. 

Hinter uns, geliebte Brüder, liegt Tod und Gericht; wir sind in Christo hindurchgegangen; unsere Sünden sind versöhnt, denn Sein Blut ist im Heiligtum droben vor dem Angesicht Gottes; wir sind auferstanden mit Christo, und vor uns liegt eine Fülle von Segnungen und unaussprechlicher Freude. Dies alles erkennen wir, und sind gewiß darin, und dies Bewußtsein macht uns Seine Person so köstlich und so wertvoll. Ja, es ist gewiß ein süßes Gefühl, versöhnt und befreit zu sein, und dann zurückzuschauen, und Jesum in Seinem Wandel auf Erden und in Seinem Tode am Kreuze zu betrachten, da wir wissen, daß alles Glück und alle Freude der Erlösung und der Hoffnung der Herrlichkeit nur durch Ihn ist. Der obige Psalm führt uns besonders in die L e i d e n des Herrn ein. Als ein armer, verachteter Knecht wandelt Er durch diese Welt. „Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg.

" „Die Welt ward durch ihn, aber sie kannte ihn nicht." Die Sünde hat alles verderbt, alles zu einer Wüste gemacht. Er ging durch diese Wüste, aber Er fand nirgends, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte; überall war nur dürres Land, und nirgends eine Erquickung für Seine Seele. Dennoch ging Er hindurch ohne Murren und in der völligsten Ergebung. Er ging durch alle Umstände und Schwierigkeiten, welche uns auf dem Wege begegnen. „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht mit unseren Schwachheiten Mitleid haben kann, sondern der in allem gleichwie wir versucht worden ist, ausgenommen die Sünde" (Hebr. 4,15). „Und deswegen sollte er in allem den Brüdern gleich werden, auf daß er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden möchte, um die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn in dem er selbst gelitten hat, da er versucht ward, vermag er denen zu helfen, die versucht werden" (Kap. 2,17.18). Wie tröstet und beruhigt es unsere Herzen, wenn wir wissen, daß uns der Sohn Gottes als Hoherpriester vertritt, der alle unsere Schwachheiten kennt, der voll Mitleiden mit uns ist und der Selbst in allen unseren Umständen und Schwierigkeiten hienieden war. Er versteht alle unsere Gefühle, und weiß, wie uns in den mannigfachen Versuchungen zu Mute ist.

 Unsere Seufzer treffen stets in Ihm ein Herz, welches selbst in allen den Versuchungen gelitten hat. Ja, meine Brüder, daß gerade Jesus uns versteht, ist stets ein lieblicher Gedanke für uns; 158 wir wandeln um so getroster und freudiger auf Seinen Pfaden hienieden. Jesus hatte die Herrlichkeit beim Vater verlassen, und war in Knechtsgestalt auf dieser armen, elenden Erde, wo für Ihn keine Labung, sondern nur Schmach, Hohn und Verfolgung war. Er trat in unsere Umstände ein, um Opfer für unsere Sünde zu werden, und um Gott für uns zu verehren, der durch uns so völlig entehrt war. In dieser Stellung war Er allein. Niemand ist Ihm hier gefolgt und nie wird, noch kann Ihm jemand folgen; nicht einmal reicht unsere Erkenntnis so weit, da bis in die Tiefe hineinzuschauen. Allein das Wort, und besonders die Psalmen, sind so reich an Ausdrücken, die uns Seine Leiden, Seine Angst und Seinen Jammer schildern, daß wir wenigstens verstehen, daß hier etwas ist, was über alle unsere Begriffe geht. Besonders entwirft uns der 22. Psalm ein Bild der tiefsten Not und Angst Seiner Seele. „ M e i n G o t t , m e i n G o t t , w a r u m h a s t d u m i c h v e r l a s s e n ? U n d b l e i b e s t f e r n , m i r z u h e l f e n , b e i d e n W o r t e n m e i n e s H e u l e n s ? M e i n G o t t , de s T a g e s r u f e i c h , so a n t w o r t e s t d u n i c h t ; u n d de s N a c h t s w i r d m i r k e i n e R u h e . . . Zu dir schrieen unsere Väter; und da sie hofften, halfst du ihnen aus. Zu dir schrieen sie und wurden errettet; auf dich hofften sie und wurden nicht zu Schanden. Aber ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Hohn der Leute und Verachtung des Volks. Alle, die mich sehen, spotten mein; sperren das Maul auf und schütteln den Kopf. Er hats dem Herrn befohlen, der helfe ihm aus, und errette ihn, hat er Lust an ihm . . . Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Große Farren haben mich umgeben, Stiere Basans haben mich umringt. Ihren Rachen sperren sie auf wider mich, wie ein reißender, brüllender Löwe. Ich bin ausgeschüttet, wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist wie zerschmolzenes Wachs in meinem Leibe. Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebet an meinem Gaumen; und in des Todes Staub legest du mich. Denn Hunde haben mich umgeben; der Bösen Rotte hat mich umzingelt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben..." Welch ein Bild stellt uns hier der Heilige Geist von den Leiden des Herrn vor unsere Seele; und die Psalmen sind reich an solchen Bildern. Die menschliche Sprache aber ist viel zu arm, um Seine Angst und Seine Leiden in ihrer ganzen Tragweite darzustellen, und unsere Herzen sind viel zu schwach und zu unfähig, um in diese Tiefen weit hineinzuschauen.

 Doch eins wissen wir, daß dies alles fü r u n s ge- 159 schah. Jesus „ward für uns zur Sünde gemacht." „Alle unsere Sünden lagen auf ihm", „und um unserer Sünden willen wurde er dahingegeben." Richten wir unsere Blicke nach dem Kreuze, so finden wir hier das Lamm Gottes für unsere Sünden geschlachtet; hier begegnen sich Zorn und Liebe, Gerechtigkeit und Gnade; hier sehen wir was Gott, und was der Mensch ist; hier ist das Werk unserer Versöhnung und Erlösung für immer vollbracht. „Denn durch ein. Opfer hat er auf immerdar, die, welche geheiligt werden, vollkommen gemacht." Das Werk Christi für uns gläubig anschauen, und dann noch vor Gott in Betreff unserer Sünden Furcht haben, beweist nur, wie wenig wir die Vollkommenheit dieses Werkes kennen, und wie klein unsere Gedanken von den Leiden Christi und der Angst Seiner Seele sind. Doch was Er getan, das überströmt und bedeckt alle unsere Sünden. „W i e d e r H i r s c h l e c h z e t n a c h W a s s e r b ä - c h e n , s o l e c h z e t m e i n e S e e l e , o G o t t , n a c h dir . M e i n e S e e l e d ü r s t e t n a c h Gott , n a c h d e m l e b e n d i g e n Gott . W a n n w e r d ' ic h h i n e i n - g e h e n u n d v o r G o t t e s A n g e s i c h t e r s c h e i - n e n ? " — Hier haben wir ein Bild von Seinen Leiden, welches etwas verschieden von dem oben angeführten ist, und dennoch eng damit verbunden. Es ist schon bemerkt worden, daß der Herr hier in einem dürren Lande war, wo Seine Seele nicht die geringste Erquickung fand. Es war weder Speise noch Trank hier und deshalb mußte er hungern und dürsten. Er war fern von Gott in einer Wüste und darum lechzte oder dürstete Seine Seele nach Gott. Und als am Kreuze die ganze Schwere unserer Sünden auf Ihm lag, (und Er doch Selbst ohne Sünde war), als die Macht des Todes Ihn, den Fürsten des Lebens, umgab, da hören wir Sein Geschrei: Mich dürstet! — Aber ach! die arme, elende Welt hatte für Ihn keine Erquickung; die Sünde hat alles unrein und bitter gemacht. 

Und wenn auch immer, so war es doch am Kreuze in besonderer Weise, daß Seine Seele nach dem lebendigen Gott dürstete. Sein Verlangen war einzugehen, um vor Gott zu erscheinen. Nur Gott vermochte Seine Seele zu erquicken, und Ihn durch Seine Gegenwart zu erfreuen.*) * Hier mag die Bemerkung ihren Platz finden, daß David oder auch ein anderer Heiliger, wenn er einen Psalm sang oder niederschrieb, in ähnlichen Umständen war, wie sie der Psalm ausdruckte, allein der völlige Ausdruck, die gänzliche Erfüllung desselben, finden wir vornehmlich in der Person Christi, der aus den Lenden Davids kam, und auch wohl in den Drangsalen und in den Segnungen des treuen Überrestes von Israel kurz vor oder in dem tausendjährigen Reich. 160 „ M e i n e T r ä n e n s i n d m e i n e S p e i s e T a g u n d Nacht , w e i l m a n d e n g a n z e n T a g z u m i r s a g t : W o i s t n u n d e i n G o t t ? " Wie sehr bezeichnen uns diese wenigen Worte den Kummer und den Schmerz unseres geliebten Herrn. Wir finden dasselbe in Hebr. 5, 7 ausgedrückt: „Welcher (Jesus) in den Tagen seines Fleisches, da er Bitten und Flehen zu dem, der ihn aus dem Tode zu retten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht hat, und um seiner Frömmigkeit willen erhört ward, obgleich er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte, und vollendet, allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils ward." Wir sehen hier, welche Arbeit und Kämpfe Seine Seele für uns hatte, und wieviel es Ihn gekostet, um uns aus dem Verderben der Sünde zu erlösen. 

Der Kaufpreis ist nicht gering, und wohl uns, daß er mehr gilt als alle unsere Sünden. In einem anderen Verse des Psalms lesen wir: „ F l u t r u f e t d e r F l u t , b e i m B r a u s e n d e i n e r W a s s e r - f ä l l e ; a l l e d e i n e W o g e n u n d W e l l e n g e h e n ü b e r m i c h." Alle Pfeile des göttlichen Zornes trafen Ihn, die ganze Schwere des Gerichts über die Sünde fiel auf Ihn, ja, alle Schrecken des Todes kamen über Ihn. Freiwillig stellte Er Sich fü r uns; mit unseren Sünden ging Er Gott entgegen, und Er mußte den bitteren Kelch bis auf den Grund trinken. Die Angst Seiner Seele war groß; die göttliche Gerechtigkeit forderte auch den letzten Heller. O hier, geliebte Brüder, gibt es etwas, das wir nicht zu ergründen vermögen. In Gethsemane finden wir Ihn in ringendem Kampfe, und Sein Schweiß fiel zur Erde wie Blutstropfen; Seine Seele war sehr betrübt bis zum Tode. Er betete: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!" Er wußte wohl, wie so schrecklich er war. Doch Er mußte ihn völlig trinken, weil Er an unserer Stelle dastand, und Er trank Ihn mit der freiwilligsten Unterwürfigkeit. Alle Wogen und Wellen gingen über Ihn; aber kein Murren kam über Seine Lippen.— Welch ein Greuel ist doch die Sünde vor dem gerechten und heiligen Angesicht Gottes. 

Selbst der Sohn, der für uns zur Sünde gemacht ward, und obwohl Er Selbst ohne Sünde und der geliebte Sohn war, mußte durch die Schrecken des Gerichts auf das völligste hindurchgehen; doch Dank, ewig Dank Seiner göttlichen Gnade und Liebe, daß wir, die wir Sein sind, die Gerechtigkeit Gottes unserer Sünde wegen nicht mehr zu fürchten haben. Wir sind völlig versöhnt, das Gericht Gottes über die Sünde liegt hinter uns und wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten. Wir lesen in Vers 10 u. 11: „Ic h m u ß s p r e c h e n z u G o t t , m e i n e m F e l s : W a r u m h a s t d u m e i n v e r - 11 161 g e s s e n ? W a r u m m u ß ic h t r a u e r n d e i n h e r - g e h e n u n t e r d e s F e i n d es D r u c k ? M i t Z e r m a l - m u n g m e i n e r G e b e i n e s c h m ä h e n m i c h m e i n e F e i n d e , d a s i e d e n g a n z e n Ta g z u m i r s a g e n : W o is t n u n d e i n G o t t ? " — Welch ein schrecklicher Zustand! Unter dem Druck der Feinde von Gott vergessen zu sein; sich ringsumher in der größten Gefahr und Not zu befinden und nirgends einen Retter zu sehen, statt Hilfe und eine Zuflucht, Spott und Verachtung zu finden. Dies war die Stellung Jesu, als Opfer unserer Sünden. Er war von Gott verlassen, wie schrecklich für Seine Seele, und hörte um sich her nur den Hohn und das Gespött der Feinde: „Wo ist nun Dein Gott?" Dies sehen wir am Kreuze in seiner ganzen Schrecklichkeit erfüllt. Satan entfaltete hier alle seine Bosheit und Macht aufs völligste; allein der grausame Feind ist geschlagen durch Den, der am Kreuze in einem so trostlosen, verlassenen und jammervollen Zustande war. Anstatt zu triumphieren, als Jesus am Kreuze hing und dem Tode in die Arme sank, ist über ihn triumphiert worden .. . „und als er (Jesus) die Fürstentümer und die Gewaltigen ausgezogen hatte, stellte er sie öffentlich zur Schau, da er an demselben über sie einen Triumph hielt" (Kap. 2,15). Ja, der gewaltige Feind ist geschlagen und geschlagen für immer. Wir sind aus seiner Gewalt befreit; unsere Sklaverei hat ein Ende. Trotz allen Versuchungen, womit uns Satan versucht, weiß er, daß er überwunden ist. „Widerstehet dem Teufel, so fliehet er von euch";— weiter haben wir nichts nötig. Wo er die Kraft Christi findet, da fliehet er. Mit welcher Zuversicht und Freude können wir jetzt das Kreuz Christi anblicken. Wir sehen da unsere Versöhnung in Betreff unserer Sünden, die Erfüllung des Gerichts Gottes über uns in Christo, und den Triumph über Satan.

So wenig wir aber die Liebe Christi zu erfassen vermögen, ebenso wenig fassen wir auch Seine mannigfachen und schrecklichen Leiden für uns. Doch eins wissen wir, daß Seine Liebe und Sein Leiden uns unaussprechliche Segnungen bereitet haben. Die Schrecken des Kreuzes hat Jesus für Sich genommen; die Segnungen sind für uns. In Seinem vergossenen Blute haben wir Vergebung und Reinigung von allen unseren Sünden, und in Seinem Tode haben wir das Leben gefunden. Das Blut Christi allein macht unsere Annahme bei Gott möglich; kraft dieses Blutes und dieses Opfers ist Gott für uns und mit uns. Die Wirksamkeit des Opfers Christi dauert immerwährend, und bildet die einzige Grundlage der Beziehungen zwischen Gott und uns. Sein Blut ist auf dem Gnadenthron, um ohne Aufhören vor den Augen Gottes zu 162 sein, also daß wir jetzt stets mit den Psalmisten singen können: „Heil dem, dem die Übertretung vergeben, dem die Sünde bedecket ist! Heil dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet und in dessen Geist kein Falsch ist." Wir finden noch einiges in diesem Psalm, was zu den Leiden unseres Herrn gehört, doch wollen wir darauf nachher zurückkommen. Aus dem bisher Gesagten werden wir ganz überzeugt sein, daß Jesus e i n e n Weg ging, den wir nie zu gehen vermögen, und Dank Seiner Liebe, daß Er Ihn allein für uns gegangen ist. Doch gibt es auch einen Weg, wovon Er zu uns sagt: „Folget mir nach!" und wovon Paulus sagt: „Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi." 

Und sobald uns der Weg zum Kreuze Christi geführt hat, wo wir im Glauben unsere Versöhnung durch Sein Blut gefunden, und mit Ihm durch Tod und Gericht gegangen und auferstanden sind, befinden wir uns auf diesem Wege. Dann gilt uns das Wort des Apostels: „ . . . deshalb litt auch Jesus, auf daß er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores. D a r u m l a ß t u n s z u i h m h i n a u s g e h e n , a u ß e r h a l b de s L a g e r s , s e i n e S c h m a c h t r a - g e n d " (Hebr. 13, 12. 13). Unser Platz ist jetzt nicht mehr im Lager der Welt, sondern außerhalb desselben mit Jesu. Überall finden wir jetzt für uns eine Wüste mit mannigfachen Beschwerden und Versuchungen und Kämpfen; wir sind hienieden Pilgrime und Fremdlinge und finden überall die Schmach Christi. Dennoch ist es ein gesegnetes Vorrecht für uns, auf dem Pfade Jesu mit Ihm wandeln zu können. Den Ausgang dieses Weges wissen wir schon, wenn wir Jesum zur Rechten Gottes anschauen. „Gott hat ihn erhöhet", und Seine Auferstehung gibt unseren Herzen die Hoffnung der Herrlichkeit droben. Doch hier ist es auch für uns ein dürres Land, wo keine Quelle fließt, um den Durst unserer Seele zu stillen. Hienieden ist alles bitter. „Wer von diesem Wasser trinken wird, den wird wieder dürsten", sagt Jesus zu dem samaritischen Weibe. Das gilt von allem, was hienieden ist. Wer hier trinkt, der wird immer wieder dürsten und dann sterben. In dieser Wüste fließen nur die Bäche des Todes. 

Jede Speise und jeder Trank ist vergänglich und kann nicht das Unvergängliche stärken und erquicken. Jeder Trunk von den Dingen dieser Welt, macht uns nur matt und dürre. Wandeln wir aber auf dem Pfade Jesu, den der Herr Selbst für uns durch die Wüste gebahnt hat, so finden wir die Bäche des Lebens. Christus ist die Quelle des Lebens, und alle Bäche, die zu unserer Erquickung auf diesem Wege dienen, fließen aus Ihm. „Jedweder aber, der von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht 163 dürsten in Ewigkeit, sondern das Wasser, welches ich ihm geben werde, wird in ihm ein Quell des Wassers werden, welcher in das ewige Leben quillt." Wo wir die Fußstapfen Jesu sehen, wo wir Seinen Tritten folgen, da werden wir Segen die Fülle finden, da wird's uns an Erquickung nicht fehlen. In Seiner Niedrigkeit ist Er unsere Speise, unser Manna in der Wüste. Sein Gehorsam, Seine Demut, Seine Liebe, Sein Erbarmen, Seine Milde, kurz alles ist Nahrung für unsere Seele. Außer Ihm aber finden wir nichts. Nur in Ihm, in dem lebendigen Gott ist die Quelle des Lebens, da findet jedes Bedürfnis der erneuerten Seele völlige Befriedigung. Der treue Herr bewahre uns, geliebte Brüder, daß keiner von uns seinen Blick nach der Wüste wende, um sich einen Labetrunk zu suchen. Wir finden nichts, als höchstens eine Ergötzung für das Fleisch und eine Verunreinigung und Ermattung der Seele. Er wolle uns aber stets ermuntern und stärken, treu auf dem Pfade Jesu zu wandeln, und auf Ihm alle Erquickung und Stärkung aus Seiner Fülle zu nehmen. Wenn wir Jesum in den schwierigsten Umständen und in den schrecklichsten Leiden sehen, so finden wir Ihn geduldig und völlig ergeben an Gott. 

In der tiefsten Angst Seiner Seele, in den schwersten Verfolgungen von Seiten Seiner Feinde, wo Er nirgends Trost noch Hilfe sah, blieb dennoch Gott Seine Zuflucht, und Er setzte stets Sein Vertrauen auf Ihn. Ja, ruhig und besonnen finden wir Ihn in den schrecklichsten Stunden. Betrachten wir Ihn nur einen Augenblick in Gethsemane. In welcher Not und Angst befand sich Seine Seele, in welch heißen Kämpfen rang Er, wie groß war der Haß der Welt, alle Seine Feinde waren in wilder Aufregung und — wie so voller Schlaf waren Seine Jünger! Allein betrachten wir den Herrn in dieser unaussprechlich schrecklichen Lage, so finden wir Ihn vollkommen ruhig. Oder sehen wir Ihn bei Seiner Gefangennehmung, vor Kaiphas, vor Pilatus, vor Herodes, oder auf Seinem letzten und schwersten Gang hienieden nach Golgatha, oder am Kreuze, — welche göttliche Ruhe, welche Ergebung, welches geduldige Ausharren! Er sprach stets zu Seiner Seele: „ W a r u m b i s t d u g e b e u g t , m e i n e S e e l e , u n d b i s t u n r u h i g (oder jammerst) i n m i r ? H a r r e au f G o t t ! d e n n ic h w e r d e i h m n o c h d a n k e n , d a ß e r m e i n e s A n - g e s i c h t s H i l f e u n d m e i n G o t t ist. " — Überall, wo wir auch den Herrn hienieden sehen mögen, tritt uns diese Sprache entgegen: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist." Er übergibt sich in allen Umständen Gott und vertraut Ihm völlig. Nichts kann Ihn in Furcht oder Verlegen- 164 heit bringen, weil Er sich nicht durch die Schwierigkeiten leiten läßt, sondern mit Gott durch alles hindurch geht. „Ich bin gekommen, deinen Willen, o Gott, zu tun."

 Dies tritt uns überall entgegen. Seine Speise war, den Willen Seines Vaters zu tun, und nicht Seinen Willen. Diese völlige Hingebung stellt uns auch der Apostel vor, wenn er uns zu der Gesinnung ermuntert, die auch in Christo Jesu war. „Welcher, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für eine Beute hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte, und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und in seiner Stellung wie ein Mensch befunden, sich selbst erniedrigt hat, und bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz gehorsam ward" (Phil. 2, 5—8). So wie es uns einerseits die Arbeit sehen läßt, welche wir mit unseren Sünden dem Herrn gemacht haben, so liegt andererseits gewiß etwas Beseligendes für uns darin, zu sehen, daß der Anführer unserer Errettung durch Leiden zur Vollkommenheit gebracht ist; daß Er fühlte und litt, wie wir fühlen und leiden, doch ohne Sünde; daß Er so freiwillig diese niedrige Stellung nahm, um uns in allem gleich zu werden; daß Er Selbst sagen mußte: „Was bist du gebeugt meine Seele und bist unruhig in mir... " Ja, alles, was wir in Christo sehen, ist bewundernswert und anbetungswürdig, alles offenbart uns Seine Vollkommenheit und ist so gesegnet für uns. Je mehr wir dies alles betrachten, desto mehr Freimütigkeit und Zuversicht bekommen wir, mit Ihm zu verkehren, und desto ruhiger und glücklicher macht uns Seine Gemeinschaft.

 „ H a r r e au f G o t t ! d e n n ic h w e r d e i h m n o c h d a n k e n , d a ß e r m e i n e s A n g e s i c h t s H i l f e u n d m e i n G o t t ist. " Unser Herr ist nicht zu Schanden geworden; Seine Zuversicht hat eine große Belohnung gefunden. Er hat Sein Werk vollbracht und Seinen Lauf hienieden vollendet, vollendet für immer. Sein Weg ging durch die tiefste Tiefe und Sein Ausgang zur höchsten Höhe. Gott erhöhet die Demütigen. „Wir sehen aber den, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, Jesum, wegen des Leidens des Todes mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt" (Hebr. 2, 9). Und in der vorhin angeführten Stelle des Philipper-Briefes, wo uns der Apostel die Niedrigkeit und den willigen Gehorsam des Herrn zur Nachahmung vorstellt, fährt er weiter fort: „Deswegen hat ihn Gott auch hoch erhoben und ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf daß vor dem Namen Jesu sich jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen beuge, und auf daß jede Zunge bekenne, daß Jesus „Herr" ist, zur Verherrlichung Gottes, 165 des Vaters." — Der Herr Jesus zur Rechten Gottes droben zeigt uns den glückseligen Ausgang der Wege Gottes; und dies ist der Ausgang für alle, welche sich auf diesem Wege befinden. Zu allern heißt es: „ . . . von allem absehend auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher für die ihm vorliegende Freude das Kreuz erduldete, und der Schande nicht achtete, und s i t z e t z u r R e c h t e n au f d e m T h r o n e G o t t e s " (Hebr. 12, 2). Was uns betrifft, geliebte Brüder, so ist es zunächst und vor allem nötig, zu wissen, in welcher Stellung wir uns hienieden befinden.

 Wir sind versöhnt und befreit, (gebe der Herr, daß wir alle unsere Freiheit recht verstehen und zu würdigen wissen;) wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten und sind Kinder Gottes; ja, „wie er (Jesus) ist, so sind auch wir in dieser Welt." Was unsere Sünden und das Gericht über dieselben betrifft, so kann zwischen Gott und uns nicht mehr davon die Rede sein, weil das Werk Christi dies alles beseitigt hat. Allein jetzt sind wir in einer Wüste und Gott will, daß wir darin sein sollen; wir treffen auf diesem Wege viele schwierige Umstände und Versuchungen, und Gott will, daß wir sie treffen, und es gibt viele Kämpfe für uns hienieden und Gott will, daß wir den guten Kampf des Glaubens kämpfen. Wäre es nicht völlig Gottes wohlgefälliger Wille, daß unsere Lage diese sei. worin wir uns befinden, so würde sie gewiß anders sein; denn Gott hat uns lieb und hat keinen Wohlgefallen in unseren Leiden. Wir sind also nach dem vollkommenen Willen Gottes auf diesem Wege; und das ist ein großer Trost für uns. „Denn euch ist es in Bezug auf Christum gegeben, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden", schreibt der Apostel den Philippern. Mein Weg ist also von Gott, es ist der Weg des Herrn Jesu; alle Umstände, Schwierigkeiten und Versuchungen sind für mich oder für jede andere gläubige Seele auf diesem Wege nach Gottes wohlgefälligem Willen, (obgleich Gott kein Versucher zum Bösen ist, so haben wir doch das Vorrecht, alles, was Er erlaubt, als einen Segen für uns zu betrachten, weil Er uns durch alles, was uns begegnet, stets zu segnen sucht). Mein Platz zu leiden, zu kämpfen und auszuharren ist gerade da, wo ich bin und nicht anderswo. Ich habe für mich hier nichts zu suchen, noch zu wählen, sondern nur da auszuharren und den guten Kampf zu und in Dem zu kämpfen, worin ich mich befinde, und da ist der Platz für mich, um stets zu lernen und meiner Seele zuzurufen: H a r r e au f G o t t ! Weiter ist es für uns nötig, zu verstehen, daß unsere Feinde hienieden voll List und Bosheit sind. „Denn unser 166 Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürstentümer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen örtern" (Eph. 6,12). In all den Umständen, durch welche wir gehen, sucht Satan immerfort auf unsere Seelen zu wirken; den Glauben zu schwächen, den Mut und das Vertrauen zu rauben, und den Frieden und die Freude des Herzens zu stören. Und was sind wir inmitten der Schwierigkeiten und Hindernisse? Was sind wir gegen Satans List und Bosheit? — Es ist gut und nötig, daß wir uns dies nicht verhehlen, — ein irdenes Gefäß, ein schwaches Geschöpf voller Mängel und Gebrechen.

 Und wenn ich alle diese schwierigen Umstände sehe, wenn ich Satans List und Bosheit erkenne, und wenn ich von meiner Schwachheit und von meinen Mängeln völlig überzeugt bin, kann das für mich Trost, Freude und Frieden sein? Gewiß nicht. Kann nicht dies in meinem Herzen Furcht, Angst, Sorgen und Unruhe erwecken? Gewiß; hier unten ist nichts für uns; hier findet unsere Seele keine Erquickung, keine Freude, und unser Fuß keine Ruhe. O, wie gut ist es, dies in Wahrheit zu erkennen, um immer zu lernen und zu sagen: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist." Ja, in Gott allein finde ich genug, um alles das, was mir begegnet, für nichts zu achten, um stets hindurchzugehen mit einem Herzen voll Ruhe, Trost, Freude und Kraft. Wir wollen uns nichts von dem verhehlen, was wir hier unten finden, noch von unseren ernsten Kämpfen, noch von unserer Schwachheit, um ganz und gar zu fühlen, wie nötig wir haben, jede Stunde auszurufen: „Harre auf Gott!" Seelen, die hienieden in den Umständen ihrer Ruhe und ihren Frieden suchen, bereiten sich selbst viele Schmerzen. Man findet aber aufrichtige Seelen, die sich Mühe geben, in den Umständen stille und glücklich zu sein, allein sie denken nicht daran, daß in den Schwierigkeiten und Versuchungen selbst nichts Liebliches für uns liegt, noch finden wir in uns Kraft zu widerstehen; wollen wir Ruhe, Freude und Kraft haben, so müssen wir dieses Wort „Harre auf Gott!" in jeder Lage recht kennen lernen. Unsere Stärke ist allein in dem Herrn, und nur Seine Waffenrüstung kann die unsrige sein. Wenn uns Gott in unserer Schwachheit durch diese Wüste und all ihre Schwierigkeiten gehen läßt, so hat Er Seine Verherrlichung und unsere Zubereitung zum Zweck. In unserer Schwachheit und in den schwierigen Umständen kann Er gerade Seine Kraft offenbaren. Sind unsere Augen recht erleuchtet und unsere Herzen recht nüchtern, so werden wir 167 überall die verborgene Hand Gottes wahrnehmen.

 Er offenbart an uns Seine Treue, Seine Liebe, Seine Langmut, Seinen Willen; er tröstet, er stärkt und erquickt uns auf mannigfache Weise. Ja, in unserer Schwachheit und in den Umständen hienieden, lernen wir Gott in einer Weise kennen, wozu wir selbst in der Herrlichkeit keine Gelegenheit haben. Die Welt mag sich über das Ausharren der Heiligen in den Kämpfen und Versuchungen dieser Wüste wundern; allein sie kennt nicht das verborgene Manna, (die verborgene Speise und Kraft), welches uns fortwährend auf unserem Wege begleitet. Gott ist stets bereit, in allem Seinen Namen zu verherrlichen, und wo die Schwachheit am größten und die Umstände am schwierigsten sind, da kann Er dies am meisten. Jede Selbsthilfe steht Seiner Verherrlichung nur im Wege. Stets gilt der Zuruf: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist." Wenn wir recht verstehen, daß Gott es ist, der sich in unseren Umständen verherrlichen will, wenn Seine Verherrlichung unsere Freude ist, so werden wir auch das Wort des Apostels beweisen: „. . . daher will ich mich denn am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, auf daß die Kraft des Christus mir innewohne. Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Drangsalen, für Christum. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich mächtig" (2. Kor. 12, 9. 10). Wenn wir vor den schwierigsten Umständen, ohne irgend einen Ausweg, stehen, wenn unsere Schwachheit in einer Lage völlig offenbart ist, da ist es Zeit zu sagen: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken,, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist." Haben wir nichts, dann haben wir genug, sind wir wirklich ohne Kraft, dann wird uns keine Kraft fehlen. „Harre auf Gott!" das ist unsere Kraft und unser Ausweg. Doch ist dies etwas, was wir auf dem Wege durch die Umstände und Versuchungen lernen müssen. Wenn wir diesen Weg betreten, so w i s s e n wir wohl, daß wir in Gott Alles haben, aber wir lernen auf dem- Wege selbst, daß wir in Ihm wirklich alles h a b e n . 

Der Glaube geht durch die Proben; damit unser Bekenntnis sich auch im Wandel und in seiner Kraft offenbare. Wir lernen und lernen immer wieder, bis wir mit dem Apostel Paulus sagen können: „Den n ic h h a b e g e l e r n t , w o r i n ic h bin , m i c h z u b e g n ü g e n . Ich weiß niedrig zu sein, ich weiß auch Überfluß zu haben, in jedem und in allem bin ich unterwiesen; sowohl gesättigt zu sein, als Hunger zu leiden, sowohl Überfluß, als Mangel zu haben." Und was der Apostel hier in Betreff der äußern Notdurft von sich sagte, das müs- 168 sen wir auch in allen Dingen lernen. Alle Heiligen sind hier in einer Schule, wo sie zu lernen haben; und sind in der Schule Gottes. So vollkommen auch unsere Stellung in Christo ist, so gibts im praktischen Leben immer zu lernen und zuzunehmen, „bis wir alle hingelangen werden zu der Einheit des Glaubens, und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu einem vollkommenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus" (Eph. 4,13). Darum, meine Brüder, lasset uns nicht müde werden, zu lernen, bis wir in allen Dingen auf Gott harren und in jeder Lage sagen können: Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen." Verstehen wir unsere Beziehung, unser Verhältnis zu Gott in seiner ganzen Fülle und Tragweite, so wird es uns eine Freude sein, uns stets zuzurufen: „Harre auf Gott!" „Wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten", und verstehen wir, was es heißt: „der Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi", so begreifen wir auch unsere gesegnete Stellung. Die Heiligen auf der Erde sind der Gegenstand der Pflege, der Fürsorge und Liebe Gottes, des Vaters. Wie früher Sein Wohlgefallen auf dem S o h n e hienieden ruhte, so ruht es jetzt auf den S ö h n e n . „Vater, ich will, daß du sie liebest, wie du mich liebest." Das Auge Gottes ist stets offen über uns; Sein Herz strömt allezeit in Liebe und in Vatergefühlen gegen uns aus. Da findet kein Aufhören, kein Verändern s tatt; denn „wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten." Auf der Erde hat Gott jetzt keinen anderen Gegenstand für Seine Liebe und Seine Sorgen, als Seine Kinder, „Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte." Er ist stets um sie bemüht, sie zu segnen, und reichlicher zu erfüllen, und je mehr wir in allem Guten zunehmen, desto größer wird unsere Freude. 

Darum begegnet uns nichts auf unserem Wege, was Er nicht sieht, worin Seine Liebe nicht für uns tätig ist. Keine Sache, kein Umstand ist für Ihn zu klein, oder zu geringfügig, daß Er Sich nicht darum bekümmern sollte; alles sucht Er für uns zum Segen zu bereiten. Es ist unmöglich, daß uns etwas begegnen könnte, was Ihm gleichgültig wäre, oder worin Er uns unbeachtet ließe. „Er kann uns nicht verlassen, noch versäumen." Der Unglaube nur denkt das Gegenteil. Aber wie köstlich ist für uns, Seine Liebe und Fürsorge zu erkennen, und zu verstehen, daß kein Haar ohne Seinen Willen von unserem Haupte fällt. Gott will Sich um unsere kleinsten und geringsten Umstände treu und völlig bekümmern. Haben wir die Augen zu sehen, wir werden in allem Seine liebende und segnende Hand wahrnehmen, so daß wir uns stets voll Mut und Zuversicht zurufen können: 169 „Harre auf Gott!" Selbst Seine Züchtigungen sind nur ein Ausfluß Seiner Liebe und väterlichen Fürsorge. Er will, daß wir Seine Heiligkeit erlangen. Welch ein Segen, welch ein köstliches Vorrecht für uns! Ja, wenn wir uns selbst, durch Nachlässigkeit oder Selbsthilfe usw., was immer traurig ist, in verwickelte Umstände gebracht haben, so ist Sein Herz dennoch stets bemüht, uns so herauszuhelfen, daß wir dadurch reichlich gesegnet werden. Er sucht alles für uns zum Segen zu bereiten, weil wir Sein sind, und weil Er uns so völlig liebt. Darum auch, wenn wir gezüchtigt werden, wenn wir in gewissen Dingen unsere Nachlässigkeit fühlen müssen, so heißt es doch immer zu uns: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist". •— Wenn wir dies alles erwägen, geliebte Brüder, wieviel Ursache finden wir dann, auf unserem Wege durch diese Wüste stets stille und getrost zu sein. Wir mögen hinblicken oder hinkommen, wohin wir wollen, überall begegnet uns die zärtliche Liebe Gottes, des Vaters, überall Seine segnende Hand. Dieses Bewußtsein macht unseren Weg sicher und unseren Gang gewiß. Doch nur der Glaube harret auf Gott und versteht den gesegneten Ausweg; nur die Liebe erkennet Gott, und sieht überall Seine Bemühung und Seine Sorge um uns. Durch den Glauben allein erkennen wir Seine Gegenwart hienieden und wandeln in Seiner Gemeinschaft. 

O, es ist etwas überaus Herrliches, Ihn zu kennen, unsere Beziehung zu Ihm zu verstehen, und dann in Seiner Gemeinschaft zu wandeln und sie zu genießen. Wir kennen auch schon unseren gesegneten und herrlichen Ausgang, wenn wir die Worte des Herrn verstanden haben: „ .. . auf daß ihr seid, wo ich bin." Bei Ihm ist unser Ruheort, bei Ihm sind unsere Segnungen und alles werden wir in der Herrlichkeit droben mit Ihm genießen. O, wir sind reich gesegnet! Hier begleitet, nährt und pflegt uns Seine Liebe, kräftigt und hilft uns Seine starke Hand; dort warten unserer unaussprechliche Segnungen mit Ihm nach der Herrlichkeit Seiner Gnade. Das Erbteil droben ist uns so gewiß, als wir jetzt auch Seine Liebe haben, und in dieser Gewißheit können wir nicht anders, als uns stets zuzurufen: „Harret auf Gott!" Es gibt noch etwas in diesem Psalm, was wir nicht übersehen dürfen. Wir lesen in V. 3 und ferner: „W an n w e r d ' ic h h i n e i n g e h e n , u n d v o r G o t t e s A n g e s i c h t e r s c h e i n e n . . . . D a r a n g e d e n k ' i c h , u n d e r - g i e ß e i n m i r m e i n H e r z i n K l a g e n , w i e ic h e i n h e r z o g i m H a u f e n , m i t i h n e n w a l l e t e z u m H a u s e G o t t es u n t e r J u b e l u n d L o b g e s a n g i n 170 f e i e r n d e r M e n g e . . . G e b e u g t is t m e i n e S e e l e i n m i r , d a r u m , d a ß ic h a n d i c h g e d e n k e a u s d e m L a n d e de s J o r d a n u n d de s H e r m o n v o n de m k l e i n e n B e r g e . " — Hier haben wir etwas, was uns die Leiden des Herrn, als Er auf Erden war, und auch der Seinigen offenbart. Wir haben schon davon gesprochen, daß der Herr hienieden ganz und gar ein Fremdling war. Die Welt kannte Ihn nicht, und obwohl „er in sein Eigentum kam, die Seinen rlahmen ihn nicht auf.

 Sein Eigentum war der Welt gleich geworden — eine Wüste. Jesus war hier völlig ein Fremdling, selbst mitten unter Seinem Volke; niemand kannte, noch verstand Ihn. Er Selbst sagte zu Seinen Jüngern: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so b l e i b t e s a l l e i n " (Joh. 12, 24). Er war der einzige, der Gott wirklich kannte, und Ihn anbetete im Geist und in der Wahrheit; der einzige, der Ihn durch gänzliche Hingabe und willigen Gehorsam völlig verherrlichte. Der Gottesdienst Seines Volkes bestand in Buchstaben und in der äußeren Form; in diesem Dienste war ihre Herzenshärtigkeit auf das vollständigste offenbar geworden; stets hatte sich das Fleisch als Fleisch in seiner Feindschaft wider Gott völlig dargestellt. Deshalb, als Johannes, der Vorläufer des Herrn, in der Wüste (Bild Israels) auftrat, mußte er predigen: „Alles Fleisch ist Gras und alle Herrlichkeit des Menschen, wie des Grases Blume" (Jes. 40). So groß die Sehnsucht des Herrn auch war, mit Seinem Volke Sich zu erfreuen und zu erquicken, so fand Er doch in dem jetzigen Zustande nicht „den Haufen, die feiernde Menge, in welcher er zum Hause Gottes unter Jubel und Lobgesang zu wallen wünschte." Das Haus Gottes war zu einer Räuberhöhle geworden, und das Volk, das sich dort befand, war voll Haß, Bitterkeit und Feindschaft wider den Herrn Seines Hauses. In diesen Umständen befand Sich der Herr hienieden, und wir verstehen Seine Worte, die so voll des tiefsten Schmerzes sind: „Daran gedenk' ich, und ergieße in mir mein Herz in Klagen." Jerusalem, die Stadt Gottes, Zion, der Berg Seiner Heiligkeit, der Tempel, Seine heilige Wohnung, das Volk, Sein Eigentum — kurz alles, war jetzt nur eine Wüste. Unter Seinem Volke war Er fern von „der feiernden Menge, die mit Jubel und Lobgesang zum Hause Gottes wallete"; ob in Jerusalem, oder im Tempel, es war immer in einer Wüste, in den Höhlen der Räuber und der wilden Tiere. Er drückte darüber Seine tiefe Trauer in diesen Worten aus: „Gebeugt ist meine Seele in mir, darum, daß ich an dich gedenke aus dem Lande des Jordan und des Hermon von dem kleinen Berge." 

Was Sein Inneres, Sein 171 Herz, Sein Gefühl usw. betraf, so befand sich der Herr, wenn Er an Gott gedachte, nie auf Zion im Hause Gottes, sondern fern; Er gedachte an Ihn „aus dem Lande des Jordan und des Hermon von dem kleinen Berge", — als Gegensatz von Zion. Wenn sich hier auch die Gefühle Davids kund geben, da er diesen Psalm, wie man vermutet, auf der Flucht vor Absalom dichtete, so finden wir doch nur den vollkommenen Ausdruck desselben in dem Herrn Jesum Selbst wieder. Vermögen wir einen Blick in Seine unvergleichliche Liebe und Sein herzliches Verlangen zu Gott und den Seinigen zu werfen, so begreifen wir auch in etwa Seine Leiden und Seine Sehnsucht in dieser öden Wüste, wo Er in der schrecklichsten und bejammernswertesten Lage allein war, wo Er nur die Sünde und ihre mächtige Wirkung sah. Wir wissen nun, daß ein Teil der Sehnsucht unseres geliebten Herrn erfüllt ist. Er ist droben in das Heiligtum hineingegangen und vor dem Angesicht Gottes erschienen. Er ist auch dort für uns, wir wissen es, doch davon wollen wir hier nicht reden. — Seine Sehnsucht war nach oben, weil Er hier nicht fand, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte; Er sagt Selbst zu seinen Jüngern: „Wenn ihr mich liebtet, so hättet ihr euch gefreut, daß ich zum Vater gehe; denn mein Vater ist größer als ich." Nur dort war Er völlig verstanden, nur dort fand Er alles in voller Harmonie mit den Gefühlen und Neigungen Seines Herzens. Doch sind die Seinigen jetzt noch in der Wüste. Sein Herz ist voll Sehnsucht, mit ihnen völlig vereint zu werden. Wenn der Apostel im Gefängnis zu Rom, das Maß seiner Sehnsucht zu den Philippern kund geben will, so sagt er: „Denn Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch Allen sehne mit dem Herzen Jesu Christi." Der Herr ist ganz eins mit den Seinen, und ihre Leiden auf dem Wege durch diese Wüste fühlt Sein Herz mit ihnen, weil Er voll Liebe, voll der zärtlichsten Zuneigung, voll des tiefsten Mitleids für sie ist. Und gewiß ist dies für uns ein süßes Gefühl, voll Trost und Freude, völlig überzeugt zu sein, daß wir stets in Ihm ein solches Herz gegen uns finden. Wandeln wir hienieden mit dem Herrn, genießen wir durch den Glauben Seine Gemeinschaft, so werden wir uns auch gewiß sehnen, droben zu sein, und Sein Angesicht zu schauen. 

So groß auch unser Trost und unsere Freude im Herrn hienieden sein mag, so sind wir doch in dieser irdischen Hütte beschwert; wir sind in einem Lande, wo die Sünde wohnt und der Fürst dieser Welt herrscht. Und wenn wir die Gefühle des Herrn zu den Seinigeh teilen, — und wie können wir anders, wenn Seine Liebe in unsere Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen ist, als den innigsten 172 Anteil an der Versammlung Gottes hienieden haben? — so werden wir im Hinblick auf die große Verwirrung und Erschlaffung Seines Volkes, um so sehnlicher verlangen, dort zu sein, wo keine Sünde wohnt, wo Satan diejenigen nicht entzweit, die so völlig eins sind. Dort wird diese Einheit zu Seines Namens Preis und Rühm vollkommen verwirklicht und der Herr in der Mitte Seiner Heiligen völlig verherrlicht sein; dort werden alle Heiligen in sichtbarer Einheit und Herrlichkeit Gott und das Lamm preisen ohne Aufhören. — Geliebte Brüder! ist das jetzt die Sehnsucht und die Freude unserer Herzen? — Ebenso werden wir wünschen, weil alles dem Sohne übergeben und weil Seine Herrlichkeit die unsrige ist, daß Sein Reich auf dieser Erde komme, wo Er als König über alles regieren, und auf Zion in der Mitte Seines Volkes „unter Jubel und Lobgesang in feiernder Menge", sein wird. Ja, je inniger unsere Gemeinschaft hienieden mit dem Herrn verwirklicht ist, desto mehr wird unser Herz von alle dem erfüllt sein, womit Sein Herz beschäftigt ist; Sein Interesse wird das unsrige, und Seine Freude unsere Freude sein. Es gibt noch etwas in diesem Psalm, worauf ich zum Schluß mit wenigen Worten aufmerksam machen möchte. Wir rinden darin die Ausdrücke: „M ei n G o t t ! " „M ei n F e l s ! " — In den schwierigsten Umständen, in den dunkelsten Wegen, selbst da, wo jede Hilfe fern ist, bleibt Gott für das Vertrauen und die Zuversicht des Herrn Jesu immer „ s e i n G o t t u n d s e i n F e l s ! " — Seitdem nun Jesus auferstanden ist, seitdem Er gesagt hat: „Ich fähre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem. 

Gott und eurem Gott", dürfen auch wir zu jeder Zeit und in jeder Lage mit Zuversicht sprechen: „Mein Gott! Mein Fels!" Wenn wir erkannt haben, wie das Vertrauen Jesu auf Seinen Gott, als Seinen Felsen, — obwohl Er durch die schwersten Umstände ohne irgendwelche Hilfe zu sehen, hindurchging,— so herrlich gekrönt worden ist, so gibt uns dies Zuversicht, in allen Umständen gläubig zu bekennen: „Mein Gott und mein Fels!" Und wir werden gewiß ebenso erfahren, daß Gott „unseres Angesichts Hilfe und unser Gott ist!" — Dann ist es aber auch so reich an Trost und Freude für uns, wenn wir erkennen, was Gott ist, wenn wir Seine Liebe, Gnade und Geduld verstehen, wenn wir überall Seine segnende Hand erblicken, und immer dabei sagen können: „ M e i n Gott  und mein F e l s ! " 

Der treue Herr wolle uns immer mehr die Fülle, die in Christo Jesu für uns ist, erkennen und genießen lassen, da- 173 mit wir unsere Versöhnung und Befreiung recht verstehen, Ihn durch Wort und Wandel preisen, und auf die Erfüllung unserer Hoffnung mit Sehnsucht und Ausharren warten.

Ich will dich mit meinen Augen leiten" (Psalm 32, 8. 9) 

In diesem Psalm sehen wir die Glückseligkeit des Menschen, dessen Übertretungen bedecket sind, und den Verkehr Gottes mit ihm. Glückselig ist der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde bedeckt ist (nicht: welcher keine Übertretung hat, oder welcher nicht sündigt). „Glückselig ist der Mensch, welchem der Herr Ungerechtigkeiten nicht zurechnet und in dessen Geist kein Falsch ist (d. i. die erneuerte Seele). — Es ist wichtig das Werk des Geistes Gottes auf dem Wege, auf welchem die Seele hier geht, zu betrachten. „Deine Hand war schwer auf mir."

 Hier sehen wir das Verfahren Gottes gegen die Seele, welche nicht gänzlich unterworfen ist, um sie in völlige Abhängigkeit und zum aufrichtigen Bekenntnis zu bringen. „Da ich es verschwieg, verschmachteten meine Gebeine durch mein Heulen den ganzen Tag; denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir; mein Saft wurde verwandelt in Sommer-Dürre. Ich bekenne dir meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen, da vergabst du mir die Ungerechtigkeit meiner Sünde" (v. 3—5). Dies ist immer wahr, wenn des Herrn Hand auf jemand liegt bis das Böse vor Gott anerkannt wird; und dann ist Vergebung der Ungerechtigkeit da. 

Es ist wichtig, daß wir das Verfahren Gottes gegen unsere Seelen, in Betreff der Vergebung verstehen. Wo nicht Bekenntnis der Sünde, wo selbst von irgend einer bestimmten Sünde nicht ein wahres Bekenntnis ist, da ist auch keine Vergebung, — die Seele hat kein wirkliches Bewußtsein von der Vergebung. Wir finden, daß David (Ps. 51) als er seine Sünde bekannte, sagt: „Siehe, ich bin in Ungerechtigkeit geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen"; doch spricht er nicht bloß so im allgemeinen, sondern er bekennt auch (v. 1—4) das besondere Böse, welches er tat. Er erkannte die W u r z e l und die Q u e l l e der Sünde. Wenn das natürliche Herz dahin gebracht wird, die Hand Gottes zu erkennen, so handelt es 174 sich nicht nur um eine besondere Sünde, oder um eine besondere Ungerechtigkeit, wofür sie Vergebung bedarf, sondern Gott bringt die Seele durch das Werk Seines Geistes dahin, die Quelle der Sünde zu erkennen und wo diese und nicht bloß eine besondere Sünde wahrhaft erkannt und bekannt wird, da ist eine wirkliche Wiederherstellung der Seele. In diesem Psalm aber gibt es noch etwas viel Tieferes, sowohl in seinen praktischen Folgen als auch in dem Verfahren des Herrn, selbst tiefer als wir zu denken vermögen.

 Freigemacht von den Dingen, welche uns hinderten mit Gott zu verkehren, lernt die Seele jetzt auf Gott sich stützen, anstatt auf diese Dinge, welche sozusagen die Stelle Gottes vertraten. „Dafür wird dich jeder Heilige bitten zur rechten Zeit; ja wenn große Wasserfluten kommen, werden sie ihn nicht anrühren. Du bist mein Schirm; du wirst mich vor Angst bewahren, du umgibst mich mit Gesängen der Befreiung" (V. 6. 7). Da ist ihre Zuversicht. Jetzt folgt das, was mehr den besonderen Gegenstand unserer Betrachtungen ausmacht: I c h w i l l D i c h u n t e r w e i s e n u n d D i r d e n W e g z e i g e n , d e n D u w a n d e l n s o l l s t ; i c h w i l l D i c h m i t m e i n e n A u g e n l e i t e n . Seid nicht gleich einem Rosse, gleich einem Maultier, welches keinen Verstand hat, welchem man Zaum und Gebiß in das Maul legen muß, weil sie nicht zu Dir nahen (V. 8. 9). Wir waren oft wie das Roß oder das Maultier, ein jeglicher von uns; unsere Seelen wollten nicht vorwärts. Wenn es etwas gibt, worin der Wille des Menschen wirksam ist, so verfährt der Herr mit uns wie mit einem Maultier, er hält uns zurück

. Wenn jeder Teil unseres Herzens mit ihm in Berührung ist, so leitet er uns mit seinen Augen. Die Lampe des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge einfältig ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster. Siehe nun zu, daß das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei. Wenn nun dein ganzer Leib licht ist, und keinen finstern Teil hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit dem Schein dich erleuchtete" (Luk. 11, 34—36). Wenn es irgend etwas gibt, worin das Auge nicht einfältig ist, und solange es etwas gibt, wird kein völlig freier Umgang mit Gott in unserm Herzen, in unsern Neigungen und Gefühlen stattfinden — unser Wille wird nicht unterworfen sein, und wir werden uns auch nicht einfach von Gott leiten lassen. Wenn das Herz in der rechten Stellung ist, so ist der ganze Leib „voll von Licht", und wir befinden uns in einer völligen Hingabe an den Willen Gottes.

 Er lehrt uns jetzt durch Sein Auge, und bringt in uns das Wohlgefallen an Seiner Furcht hervor (Jes. 11,8). Dies ist 175 unser Teil: weil der Heilige Geist wohnend in uns ist, nämlich „Wohlgefallen an der Furcht Gottes zu haben", worin nur e i n Gegenstand, der Wille und die Ehre Gottes, Raum rindet. Dieses gerade sehen wir an Christum: „Siehe, ich komme (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben) deinen Willen, o Gott, zu tun" (Ps.40, 7. 8; Hebr.10, 7). Da, wo dieses ist, da ist auch, selbst wenn wir noch so bittere und schmerzliche Umstände auf dem Wege antreffen, immer die Freude des Gehorsams, und bei dieser Freude können wir sagen: Gott „leitet uns mit seinen Augen." Es bleibt stets beachtenswert für uns, zu wissen, ob wir uns, ehe wir irgend etwas tun, ehe wir in einen besonderen Dienst eintreten, in Unterwürfigkeit vor Ihm befinden. Lasset uns die völlige Gewißheit darin stets suchen und alles in unseren Herzen richten, was uns daran hindert.

 Bin ich ohne diese Gewißheit in diesem oder jenem Werke beschäftigt, und ich stoße auf Schwierigkeiten, so werde ich bald anfangen, unsicher zu werden, weil ich nicht weiß, ob dieses nach Gottes Willen ist oder nicht; und dann werde ich schwach und entmutigt sein. Andererseits aber, wenn ich in der Gewißheit des göttlichen Willens und in der Gemeinschaft mit Ihm handele, werde ich immer „mehr als Uberwinder sein", was sich mir auch in den Weg stellen mag; und der Herr wirkt auch innerlich und will mich nicht etwas außer Seinem Wege finden lassen, sondern nur da, wo wir uns im Geiste des Gehorsams befinden. Was könnte dies auch helfen, Gott würde für Seine eigene Unehre behilflich sein. „Wenn jemand will seinen Willen tun", sagt der Herr, „der wird von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist, oder ob ich von mir selber rede" (Joh. 7,17). Dies ist völlig der Gehorsam des Glaubens. Das Herz muß in der Stellung des Gehorsams sein, wie Christus war: „Siehe, ich komme usw." Der Apostel spricht zu den Kolossern: „...da ß ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistigem Verständnis erfüllt sein möget" (Kol. 1, 9). Hier ist das Wohlgefallen an der Furcht des Herrn; es ist der Zustand der Seele eines Menschen; und der Geist der Gesinnung muß sich aber auch notwendigerweise in der äußeren Handlung offenbaren, wenn jener Wille stets vor ihm ist, wie Paulus fortfährt zu sagen: „ — um des Herrn würdig zu allem Wohlgefallen zu wandeln, in allem guten Werke fruchtbringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes" (V. 10). Hier haben wir den gesegneten und freudigen Zustand, wo wir mit Gottes Augen geleitet werden. „Ich habe Speise zu essen", sagt der Herr zu Seinen Jüngern, „welche ihr nicht kennt" (Joh. 4,32). Und was war jene Speise? „Jesus 176 spricht zu ihnen: Meine Speise ist, daß ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe" (V 33). Der Herr leitet, oder besser, wacht über uns auch auf einem anderen Wege; wir werden durch allerlei Umstände Seine stete Sorge um uns erfahren, damit wir keinen Schaden nehmen; aber wir sind denen gleich, die keinen Verstand haben. Und sind wir in dieser Stellung auch dankbar, daß Er also tut? Wir gleichen vielmehr dem Roß und dem Maultier.

 Er aber sagt: Dein Wille muß dem Meinen unterworfen sein, und Ich will dich l e i t e n mit M e i n e n A u g e n ; aber wenn ihr nicht unterworfen seid, so muß Ich euch Z a u m u n d G e b i ß e i n l e g e n . Dies ist augenscheinlich sehr verschieden. Mögen unsere Herzen doch wünschen, Gottes Willen zu erkennen und zu tun. Es wird dann nicht soviel die Frage sein, was dieser Wille ist, sondern wir werden den Willen Gottes w i s s e n und t u n , und dann haben wir das völlige und gesegnete Bewußtsein, daß Er uns mit Seinen Augen leitet. Dies ist das Walten Gottes über die, deren Übertretung vergeben, deren Sünde bedecket ist, welchen der Herr Ungerechtigkeiten nicht zurechnet und in deren Geist kein Falsch ist, — über die, welche ihr ganzes Vertrauen auf Ihn gesetzt haben, und welche fühlen, daß sie ohne Seine Leitung gewiß irren. 

Quelle BdH 1856