Botschafter des Heils in Christo 1902

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter des Heils in Christo Jahresband 1902

Inhalts-Verzeichnis.

Seite

Der Pfad des Gerechten

1, 29

Herz und Zunge

14, 45, 72, 107, 121, 158

Eine schreckliche Hungersnot

24

Große Dinge

25

Ich bin's!" (Gedicht)

27

Auf was harre ich, Herr?"

52

Die Gerechtigkeit Gottes

57

Freude im Himmel

81

„Die größte von diesen ist die Liebe." (Gedicht)

84

Sardes, Philadelphia und Laodizea

85

Das Opfer der roten Kuh

113, 141

Helden Davids

131

„Die Nacht ist weit vorgerückt." (Gedicht)

140

Seine Herrlichkeit

166

Simon Petrus

169, 197, 225, 253, 281, 309

Der Altar zu Bethel

179

Schwache Werkzeuge

186

Eigenwille

191

Rebekka (Gedicht).

195

Gedanken

209

Simsons Rätsel

210

Ein Wort über Gaben und Ämter

220, 233

Teilnahme an dem Evangelium

251

Hab' alles dir ergeben (Gedicht)

252

Einige Gedanken über das Gebet

259

Das Haus Gottes und der Weg dahin

269

Der Wunsch des gefangenen Paulus

292

Viele sind schwach und krank.

307

„Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?"

317

Freude in Gott

328

Der Pfad des Gerechten

Bibelstelle: Johannes 15

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 1ff

Nachdem das Zeugnis des Herrn Jesu nach Wort und Werk von Seiten der ungläubigen Juden völlige Verwerfung erfahren hatte, und der Augenblick herannahte. da Er Gott durch Seinen Tod verherrlichen sollte, widmete Er sich in den Kapiteln 13 bis 16 des Evangeliums Johannes nur den Seinigen, welche der Vater Ihm aus der Welt gegeben und Seiner Sorge anvertraut hatte. „Da Er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende“. Weder die bevorstehenden Leiden, noch der Gedanke, dass einer der Jünger Ihn verraten, ein anderer Ihn verleugnen und alle Ihn verlassen würden, vermochten Seiner tiefen Liebe irgendwie Abbruch zu tun. Vielmehr ist Er aufs Zärtlichste bemüht, sie zu trösten und zu ermuntern und sie über den Pfad zu belehren, den sie wandeln sollten, wenn Er nicht mehr bei ihnen sein würde. Die hier ausgesprochenen Gedanken sind so kostbar für ein Herz, das Ihn liebt, dass sie niemals, mag man sie auch noch so oft gelesen haben, ihre Kraft und Frische verlieren. Ja, ich möchte sagen, dass wir noch in der Ewigkeit mit anbetender Bewunderung über die Worte nachsinnen werden, die uns hienieden so oft erquickt, gestärkt und belebt haben.

Meine Absicht ist heute, an der Hand des 15. Kapitels die Belehrungen des Herrn über den Pfad derjenigen, welche als fruchttragende Reben hienieden verantwortlich sind, Gott Frucht zu bringen, etwas näher zu beleuchten, und der treue Herr wolle geben, dass Sein Wort immer mehr unseres Fußes Leuchte und das Licht für unseren Pfad werde! Wie manche Enttäuschung und wie mancher Schmerz würde uns erspart bleiben, wie mancher Genuss und wie manche Freude uns zu teil werden, wenn wir stets den an dieser Stelle gegebenen Anweisungen folgen würden, anstatt unseren eigenen, oft so törichten Gedanken und Meinungen Gehör zu schenken!

Auf gar mannigfaltige Weise wird uns der Herr Jesus im Evangelium Johannes vor Augen gestellt. In dem vorliegenden Kapitel bezeichnet Er sich selbst als den wahren Weinstock. Von alters her war Israel der Weinstock Jehovas, wie wir dies z. B. in Ps. 80, 8 lesen: „Einen Weinstock zogst du aus Ägypten, vertriebest Nationen, und pflanztest ihn«. Seine Bestimmung war, Frucht für Jehova und Segen für den Menschen hervorzubringen. Aber hat Israel dieser Berufung entsprochen? Der Prophet Jesaja möge antworten. Er sagt in Kapitel 5, 1. 2: „Mein Geliebter hatte einen Weinberg auf einem fetten Hügel. Und Er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben; und Er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus; und Er erwartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte Herlinge.“ Und durch den Mund des Propheten Jeremia hören wir die Klage Jehovas: „Ich hatte dich gepflanzt als Edelrebe, lauter echtes Gewächs; und wie hast du dich mir verwandelt in entartete Ranken eines fremden Weinstocks“ (Jer. 2, 21)! Alle Bemühungen seitens des göttlichen Weingärtners blieben erfolglos· Israel brachte keine Frucht für Jehova, und infolge dessen auch keine Segnung für die Erde; und so setzte Gott es beiseite. Damit war der Beweis erbracht, dass das Fleisch ganz außerstande ist, Frucht für Gott und Segen für den Menschen hervorzubringen. Das Fleisch, welches Feindschaft wider Gott ist, kann nur Böses tun und verderben. Aber Gott wollte Frucht haben, Er wollte auch diese Erde segnen; denn das ist Sein Ratschluss von Grundlegung der Welt an. Aber wie sollte das geschehen? Auf der Erde war niemand zu finden, durch den Er Seine Ratschlüsse hätte verwirklichen können. Da war nur Fleisch, und alles Fleisch hatte sich verderbt. So musste Er denn eine Pflanze aus dem Himmel nehmen, Seinen geliebten Sohn: und Er nahm Ihn und pflanzte Ihn als den „wahren Weinstock“ auf diese Erde.

Es ist wichtig für uns zu verstehen, was Christus als der „wahre Weinstock“ darstellt. Wir sehen Ihn hier nicht in Seinem himmlischen Charakter als Hoherpriester, als Haupt des Leibes usw. Im Himmel gibt es keinen Weinstock, noch gilt es dort Reben zu beschneiden. Nein, es handelt sich um Christum, der als der wahre Weinstock den Platz Israels hienieden einnimmt, und um alle diejenigen, welche mit Ihm als solchem in Verbindung standen oder, im weiteren Sinne, heute noch stehen. Diese werden „Reben“ am Weinstock genannt und sind berufen, Träger der Frucht zu sein, welche kraft ihrer Verbindung mit dem Weinstocke erwirkt wird. Diese Reben sind also alle diejenigen, welche laut ihres Bekenntnisses mit dem Herrn in Verbindung stehen. Von dem auf Grund des Erlösungswerkes Christi durch den Heiligen Geist gebildeten himmlischen, unauslöslichen Verhältnis der wahren Gläubigen zu Christo ist hier gar nicht die Rede, sondern von einer hienieden hergestellten Verbindung, die lebendig und bleibend sein kann oder nicht, sowie von der daraus hervorgehenden Verantwortlichkeit aller in diese Verbindung gebrachten Bekenner auf der Erde. Alle diese, ob lebendig oder tot, sind verantwortlich, Frucht für Gott hervorzubringen, da sie sich durch ihr Bekenntnis mit dem wahren Weinstock verbunden haben — ein Verhältnis, welches allein die Möglichkeit bietet, Frucht für Gott zu bringen.

Aber wenngleich die Verantwortlichkeit für alle Reben dieselbe ist, unterscheidet der allwissende Weingärtner doch von vornherein die falschen und wahren Bekenner: Reben, die nicht Frucht bringen, und Reben, die Frucht bringen. „Jede Rebe in mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt Er weg.“ Ihr fernes Schicksal wird uns in Vers G mitgeteilt: „Sie wird hinausgeworfen und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“. In Offbg. 20, 15 lesen wir die ernsten Worte: »Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen“. Welch einem schrecklichen Lose werden alle diejenigen anheimfallen, welche sich an einem toten Bekenntnis genügen lassen! Millionen stehen auf diesem Boden. Sorglos gehen sie dahin, sich damit beruhigend, durch die Taufe zu Christen geworden zu sein, und nicht fragend nach der Vergebung ihrer Sünden, deren sie doch bedürfen, um in der Ewigkeit einem heiligen und gerechten Gott begegnen zu können.

Siehst du, lieber Leser, auch noch auf diesem Boden eines toten, kraftlosen Bekenntnisses? O siehe dann zu, dass du in wahre Lebensgemeinschaft mit Jesu kommest, damit sich die von Gott geforderte Frucht bei dir offenbare. Ein toter Bekenner ist, wie gesagt, eine Rebe, die keine Frucht bringt, ja, die unfähig ist, Frucht zu bringen; sonst würde der Vater sie nicht abschneiden. „Sie geben vor, Gott zu kennen, aber in den Werken verleugnen sie Ihn und sind gräulich und ungehorsam und zu jedem guten Werke unbewährt“ (Tit. 1, 16). So lautet das Urteil des Heiligen Geistes über die bloßen Bekenner. Doch wenn der Vater als Weingärtner die unfruchtbaren Reben abschneidet, was tut Er dann mit denen, die Frucht tragen? „Er reinigt sie, auf dass sie mehr Frucht bringen“. Wenn wir an eine natürliche Rebe denken, so wissen wir, dass es viele Dinge gibt, welche störend aus das Wachstum der Rede und auf die Entwicklung ihrer Früchte einwirken können. Krankheiten von innen und feindliche Einwirkungen von außen verhindern die volle Entfaltung der Früchte. Manche fallen ab, ehe sie zur Reife kommen, andere entwickeln sich nur kümmerlich, ja, manche Fruchtknospe entfaltet sich überhaupt nicht. Das Auge des aufmerksamen Weingärtners sieht die Hindernisse, und er bedient sich des Messers und anderer Mittel, um dieselben zu beseitigen. Auch ist er oft genötigt, die Rebe zu verkürzen, weil sie Gefahr läuft, zu sehr ins Holz zu schießen.

Gerade so handelt unser Vater mit den fruchttragenden Reben an Seinem Weinstock. Sie sind fähig, Frucht zu bringen, denn sie sind schon rein um des Wortes willen, das sie gehört und geglaubt haben. Aber sie wandeln in einer sündigen Welt voll schädlicher, das Wachstum hindernder Einflüsse; auch tragen sie noch den Leib der Niedrigkeit, in welchem die Sünde wohnt, mit sich umher, wenngleich sie von der Macht und Herrschaft der Sünde befreit sind. Da ist denn der Vater manchmal genötigt, tiefe Einschnitte zu machen, manche Wucherungen wegzuschneiden, ja, die Rebe zu verkürzen, d. i. uns zu demütigen, damit mehr Frucht hervorkomme und die vorhandene sich besser entwickele.

Ja, mein lieber gläubiger Leser, die „Leiden der Jetztzeit“, die du ohne Zweifel erfahren hast und noch er-fahren wirst, haben ihre Entstehungsursache vielfach in dem Messer des göttlichen Weingärtners, unseres liebenden Vaters, der da wünscht, dass du mehr Frucht bringen mögest zu Seiner Verherrlichung. Hast du darüber wohl schon einmal nachgedacht“? Wenn du es verstanden hast, so werden deine Trübsalsstunden zu einer Quelle des Trostes und der Ermunterung für dich werden. Du weißt dann, dass die Liebe des Vaters es ist, die sich zu deinem Besten mit dir beschäftigt; und du wirst nicht murren und klagen, sondern fähig werden, dich der Trübsale zu rühmen, weil sie Ausharren bewirken, eine für den Glaubensweg notwendige Sache; und das Ausharren bewirkt Erfahrung, Erfahrung dessen, was in deinem Herzen ist, aber auch dessen, was der Herr für dich ist; und diese Erfahrung führt zur Hoffnung, welche nicht beschämt, weil die Liebe Gottes in dein Herz ausgegossen ist durch den Heiligen Geist. Du weißt, dass der Vater, der dich unendlich liebt, dich bis ans Ende bewahren wird, um dich dann in Seine Herrlichkeit einzuführen, wo kein Schmerz mehr sein und keine Träne mehr fließen wird. Darum halte nur still, wenn der Vater dich in genannter Weise behandelt, und frage mit Aufrichtigkeit: O Vater, was hast du mir zu sagen? An einer Antwort wird es dir dann nicht fehlen.

Nachdem wir so von der Tätigkeit des Vaters gesprochen haben, um bei den fruchttragenden Reben an Seinem Weinstock mehr Frucht zu erzielen, lasst uns weiter darauf hören, was der Herr uns zu tun heißt, damit kostbare Frucht hervorkomme und sich zum Preise des Weingärtners" entfalte. Er stellt uns in dieser Beziehung drei besondere Dinge vor Augen. Wir wollen sie einzeln und in der vorgeschriebenen Ordnung betrachten:

1. Abhängigkeit (Vers 4 - 8), mit dem Endergebnis: Frucht für den Vater.

2. Gehorsam (Vers 9 - 11), mit dem Endergebnis: Freude für das Herz des Gläubigen.

3. Bruderliebe (Vers 12 - 21), mit dem Endergebnis: Dienst der Liebe und Hass seitens der Welt.

1. Abhängigkeit.

„Da Seine göttliche Kraft uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt hat durch die Erkenntnis Dessen, der uns berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend. ..“ebendeshalb reichet aber auch dar, indem ihr allen Fleiß anwendet, in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend aber die Kenntnis, in der Kenntnis aber die Enthaltsamkeit, in der Enthaltsamkeit aber das Ausharren, in dem Ausharren aber die Gottseligkeit, in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die Liebe“ (2. Petr. 1, 3 -7).

Sobald eine Seele Frieden mit Gott gefunden hat, wird das Verlangen in ihr wach, Frucht für Gott zu bringen. Es kann nicht anders sein, denn ihre Gesinnung ist erneuert, und der Heilige Geist, der in ihr Wohnung genommen hat, ruft jenes Verlangen hervor. Damit aber erhebt sich zugleich die Frage: Was habe ich zu tun, damit diese Frucht hervorkomme? Viele meinen dieses Ziel dadurch zu erreichen, dass sie sogleich eifrig zu missionieren beginnen. Sie sind der irrigen Ansicht, dass nur durch eine angestrengte Tätigkeit ihrerseits jene Frucht hervorgebracht werden könne. So mühen und plagen sie sich

denn ab und finden doch keine wahre Befriedigung. Was sie finden, ist eine gewisse Art von Befriedigung in ihrer Tätigkeit, in ihrem eigenen Thun. Aber entspricht das den Gedanken Gottes?" Nein, mein lieber Leser. Gott sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“. Für die Wahrheit dieses Wortes liefert auch der vorliegende Text einen ernsten Beleg. Nicht Tätigkeit, sondern Ruhe wird uns hier als das Mittel genannt, durch welches Frucht bei uns sich entwickeln kann. Allerdings nicht eine beschauliche Ruhe, ein Sich selbstgenügen oder gar Sich selbstbetrachten, sondern

das Ruhen in Jesu.

Mit der Bekehrung fängt das Leben erst an; und um dieses Leben, eine bisher uns ganz unbekannte Sache, praktisch darzustellen, müssen wir zunächst lernen, und um zu lernen, müssen wir stille sein und hören, was der Herr uns durch Sein Wort zu sagen hat. Wenn jemand irgend eine Wissenschaft erlernen will, so ist er auf den Lehrer angewiesen, der berufen ist, ihn darin zu unterrichten. Es würde ganz widersinnig sein, wenn er, nachdem er kaum die Anfangsgründe der betreffenden Wissenschaft erfasst hat, gleich als Lehrer derselben auftreten wollte. Wenn er aber den Platz der Abhängigkeit einhält, still auf die Belehrungen seines Lehrers lauscht und die Worte desselben in sich ausnimmt, so wird er dem Augenblick immer näher kommen, in welchem ihm das Zeugnis der Reife erteilt werden kann und er fähig ist, auch Andere zu belehren. — Ähnliches erwartet der Herr von denjenigen, welche Er aus dem Tode in das Leben hinübergeführt hat. Er sagt: „Bleibet in mir, und ich in euch. Gleichwie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn im Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir“ (Vers 4). In den göttlichen Dingen bedürfen wir eines göttlichen Lehrmeisters. Menschliche Schulen genügen nicht, wenn sie auch gute Hilfsmittel sein mögen. Moses war unterrichtet in aller Weisheit der Ägypter, und diese Weisheit war groß; noch heute staunen wir über die hohe Bildungsstufe, auf welcher Ägypten damals stand. Ja, das Zeugnis des Heiligen Geistes über Mose lautet: „Er war mächtig in seinen Worten und Werken2. Aber trotz alledem war er nicht fähig, den Weg zu gehen, den er nach Gottes Willen gehen, nicht passend für das Werk, das er tun sollte. Er, der hochbegabte, angesehene Mann, der in der Schule der Menschen die höchste Stufe erreicht hatte, musste noch vierzig Jahre lang in der Schule Gottes Schafe hüten. Er musste zu nichts werden, damit Gottes Kraft sich in ihm offenbaren und durch ihn wirken könne. Denn wir bedürfen nicht nur eines Lehrmeisters, sondern auch der Kraft Gottes, um das neue Leben darstellen zu können; und die Kraft Gottes wird erst dann in uns wirksam, wenn wir mit unserer Kraft zu Ende gekommen sind und infolge dessen das Bewusstsein unserer völligen Abhängigkeit vom Herrn in uns lebendig ist. Der Herr sagt: „Bleibet in mir“. Das ist Abhängigkeit. Aber dann fügt Er hinzu: „Und ich in euch“. Das ist Kraft. Wird die erste Bedingung erfüllt, so tritt das Zweite in Wirksamkeit, und die Folge davon ist die Frucht. Unser Ruhen in Ihm und Seine Tätigkeit in uns bewirkt die Frucht.

Wenn der Herr sagt: „Bleibet in mir, und ich in euch“, so handelt es sich selbstverständlich nicht um unsere ewige Verbindung mit Ihm als Erlöste, als Glieder Seines Leibes, auch nicht um das Wohnen des Heiligen Geistes in uns. Diese Dinge gehören unserer Gnadenstellung an, und da sie auf das am Kreuze vollbrachte Erlösungswerk Christi gegründet sind, so können sie nie wieder ungültig gemacht werden. Keine Macht im Himmel und auf Erden kann dieses Verhältnis antasten; auch das Verhalten des Gläubigen selbst kann es nicht verändern. „Denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 14). Und: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir: und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben- Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben“ (Joh. 10, 27 - 29).

Welch eine unbedingte Sicherheit ist das! Und es kann nicht anders sein; denn wir sind Gottes Werk, Sein Name sei ewig dafür gepriesen! Auch bezüglich des Heiligen Geistes, der in uns wohnt, sagt Jesus: „Er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh. 14, 17). Wir können den Heiligen Geist wohl durch unser Verhalten betrüben, aber niemals wird Er wieder von uns weichen. Dem Herrn sei Dank, dass Er unsere Errettung nicht von unserem Verhalten abhängig gemacht hat! Ach, wenn es anders wäre, dann würde nicht Einer von uns das Ziel erreichen!

Aber, könnte der Eine oder Andere hier einwenden, wenn das so ist, dann kann ja der Christ ruhig in der Sünde beharren. Wenn seine Untreue keine Folgen nach sich zieht, so kommt es ja gar nicht darauf an, wie er wandelt. Ach! wie zeigt uns das die Verkehrtheit unserer Herzen! Was würdest du von einem Kinde sagen, das gefühllos die Herzen seiner Eltern betrübt, weil es weiß, dass sein Kindesverhältnis dadurch nicht umgestoßen werden kann? Wie schrecklich wäre eine solche Gesinnung! Und denken wir nur nicht, dass ein solches Verhalten ohne Folgen wäre! Nein, wenn es auch an dem Verhältnis als solchem nichts ändert, so zieht es doch höchst ernste Folgen nach sich. Denn der Christ befindet sich, obwohl er unter Gnade steht, doch auch unter einer ernsten Verantwortlichkeit. Die Gnade bewahrt ihn vor dem zweiten Tode, dem Feuersee mit seinen Schrecken, aber die Verantwortlichkeit bringt ihn unter ein zeitliches Gericht, unter die gerechte Zucht des Vaters, wenn er nicht Selbstgericht an sich übt. „Denn auch unser Gott (der Gott der Christen) ist ein verzehrendes Feuer“; und: ,,Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“.

Jede, auch die kleinste, Sünde bricht zugleich das Band der Gemeinschaft mit dem Herrn und raubt uns den Genuss Seiner Liebe. Wir bleiben dann nicht in Ihm, und als Folge davon kann Er nicht in uns wirken, und wir bringen keine Frucht. Wie ernst und beachtenswert ist auch diese Folge! Anstatt den Vater zu verherrlichen, verunehren wir Ihn, und wir müssen von Ihm gezüchtigt werden, bis wir wieder zurechtkommen, unsere Sünden bekennen und bis so das Band der Gemeinschaft wiederhergestellt wird. Um zu wachsen und Frucht zu bringen, bedürfen wir also des steten Bleibens in Ihm, oder mit anderen Worten: des Bewusstseins und der Verwirklichung unserer völligen Abhängigkeit von Dem, der gesagt hat: „Außer mir könnt ihr nichts tun“. Dieses Bewusstsein treibt das Herz an, nahe bei Jesu zu bleiben und aus Ihm zu schöpfen, der einzigen Quelle der Kraft. Man ist nicht beschäftigt mit der Frucht, sondern mit Ihm; und indem das Herz mit Ihm verkehrt und das Auge auf Ihn blickt, kommt die Frucht von selbst.

„Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt; und man sammelt

sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Vers 6). Der Herr sagt hier nicht: Wenn ihr nicht in mir bleibet, (wie vorher: Wenn ihr in mir bleibet,) sondern wenn jemand nicht in mir bleibt. Die Jünger, zu welchen Er redete, waren schon rein um des Wortes willen, das Er zu ihnen geredet hatte. Er kannte sie als solche. Judas, der, obwohl ein Bekenner, nicht rein war, hatte sich bereits entfernt. Die Worte des Herrn enthalten also einen Grundsatz von allgemeiner Anwendung. Alle, die sich zu Christo bekennen, stehen unter der Verantwortlichkeit, in dem Weinstock zu bleiben. Wenn jemand das nicht tut, so wird er abgeschnitten. Der Weingärtner sucht Frucht; findet Er sie, so reinigt Er die Rebe, damit sie immer reichlichere Frucht trage. Findet Er sie nicht, so schneidet Er die Rebe ab. Dennoch ist die Veränderung in der Redeweise des Herrn sehr beachtenswert. Es wird gar nicht als möglich vorausgesetzt, dass eine wahre Rebe nicht in dem Weinstock bleibe. Wenn es sich um die Gnade Gottes handelt, so ist das ja auch unmöglich; aber davon ist hier nicht die Rede, sondern vielmehr von unserer Verantwortlichkeit, Frucht zu bringen und auf diesem Wege der Segnungen seitens des Vaters teilhaftig zu werden. Diese Verantwortlichkeit ist gleich ernst für alle Bekenner, mögen sie nun in wahrer Lebensverbindung mit Christo sein oder nicht.

Wenn das Bewusstsein unserer Kraftlosigkeit und unserer völligen Abhängigkeit von Christo in uns lebendig ist, so werden zwei Dinge uns teuer sein; zunächst das Wort, das Er zu uns geredet hat, und dann das Gebet, in welchem wir zu Ihm reden. Und überaus groß und herrlich ist die Verheißung, welche der Herr hier dem einsichtsvollen Glaubensgebet gibt. Sie lautet: „Wenn ihr in mir bleibet, und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (Vers 7). Das Wort und das Gebet sind die Mittel, durch welche unser Abhängigkeitsgefühl lebendig erhalten bleibt, und je mehr wir diese Mittel anwenden, desto mehr Frucht wird sich offenbaren. Ja, wenn wir in Christo bleiben und unsere Herzen und Gedanken durch Sein Wort geläutert werden, so wird uns gleichsam die Macht Gottes selbst zur Verfügung stehen. Unsere Bitten werden in Übereinstimmung sein mit den Gedanken Gottes und werden Erhörung finden. Wir werden bitten was wir wollen, und es wird uns geschehen.

Noch einmal denn: die Beiseitesetzung des eigenen Ichs in dem Bewusstsein unserer Kraftlosigkeit, sowie die Erkenntnis der Kraft, welche in Jesu ist, und die in uns wirken kann, wenn wir Ihn wirken lassen, in Verbindung mit den gegebenen Mitteln: dem Worte Gottes und dem Gebet, rufen köstliche Früchte zur Verherrlichung des Vaters hervor. Wir gleichen dem Baume in Psalm 1, „der gepflanzt ist an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und dessen Blatt nicht verwelkt“. Wir vertrauen nicht

mehr auf eigene Kraft, sondern bleiben an den Wasserquellen. Jesus allein ist die Quelle, aus welcher wir

schöpfen, und in unserem geringen Maße erfüllt sich das Wort an uns: „Gesegnet ist der Mann, der auf Jehova vertraut und dessen Vertrauen Jehova ist! Und er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bache seine Wurzeln ausstreckt, und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt; und sein Laub ist grün, und im Jahre der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (Jer.17, 7. 8). Unsere Kraft ist nicht die Kreatur, hängt nicht ab von Umständen oder Menschen, sondern ist Christus. Aber wie schwer wird es uns, das zu lernen und festzuhalten!

Sich an Kreaturen lehnen

will das Menschenherz so gern,

statt vor allem sich zu sehnen

nach Gemeinschaft mit dem Herrn.

Nimmer zieht aus andern Reben

doch die Rebe ihren Saft,

in dem Weinstock ist das Leben,

aus dem Weinstock kommt die Kraft.

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 14ff

Im Morgenlande erzählt man sich, dass ein Mann einst seinen Gast, für den er ein Schaf geschlachtet hatte, gefragt habe, welche Teile er von dem Tier essen möchte. Der Gast antwortete: „Das Allerbeste". Darauf wurden ihm Herz und Zunge gebracht. Am nächsten Tage, als die gleiche Frage an ihn gerichtet wurde, wünschte er das „Allerschlechteste"; und siehe da, wieder wurden ihm Herz und Zunge vorgesetzt. Auf seine erstaunliche Frage, wie es denn komme, dass man ihm beide Male dieselben Teile gebe, erwiderte der Gastgeber, Herz und Zunge seien in der Tat das Allerbeste und das Allerschlechteste; es komme nur darauf an, welcher Gebrauch von ihnen gemacht werde.

Ob und inwieweit diese Erzählung wahr ist, weiß ich nicht; sie erinnert mich aber an Wahrheiten der Heiligen Schrift, denn die Schrift sagt: „Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge" (Sprüche 18,21), und: „Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatze seines Herzens das Gute hervor, und der böse bringt aus dem bösen das Böse hervor" (Lk. 6,45). Die Zunge ist ein treuer Dolmetscher der Gedanken und Gefühle des Herzens; wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Mit der Zunge wird gesegnet und geflucht, gelobt und gelästert. Wie schrecklich ist es, wenn das Herz von Satan regiert wird, statt von Christo; wenn es mit dem erfüllt ist, was von unten ist, statt mit den Dingen, die droben sind!

Nachstehend möchte ich nun einige Sprüche und Bilder, wie das Wort Gottes, dieser untrügliche Spiegel, sie uns darbietet, zusammenstellen, in der Hoffnung und mit dem Wunsche, dass Gott sie segnen möge. Der Feind weiß sehr wohl, wie Herz und Zunge ihm dienen können, wenn sie von ihm geleitet werden, aber auch, wie sehr sie ihm schaden können, wenn sie im Dienste Gottes stehen. Es ist ein großer Unterschied, ob es heißt: „Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handelten sie trüglich. Otterngift ist unter ihren Lippen. Ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit" (Römer 3,13. 14); oder ob wir lesen: „Es wallt mein Herz von gutem Worte. Ich sage: Meine Gedichte dem Könige! Meine Zunge sei der Griffel eines fertigen Schreibers"! (Psalm 45,1). Wie schön ist dies letzte. Christus steht vor der Seele; Er ist der Gegenstand der Bewunderung und Anbetung für das Herz, und Er wohnt darin durch den Glauben. Aber wie traurig sieht es aus, wenn das zuerst Genannte der Fall ist!

Das Herz ist das Hauptorgan, der Mittelpunkt des Gefäßsystems des Körpers. Ähnlich ist es in geistlicher Beziehung. Darum heißt es: „Behüte dein Herz, mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens" (Sprüche 4,23). Und im Blick auf die Zunge: „Bewahre deine Zunge vor Bösem, und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden" (Psalm 34,13). Israels Gefahr war, wie Gott sagt, „allezeit irre zu gehen mit dem Herzen"; und so ist es heute mit uns. Deshalb ermahnt uns der Apostel: „Sehet zu, Brüder, dass nicht etwa in jemandem von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen von dem lebendigen Gott" (Hebräer 3,12).

Wo Zunge und Herz vom Herrn gebraucht werden, da steht es wohl: „Der Mund des Gerechten spricht Weisheit aus, und seine Zunge redet das Recht; das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen" (Psalm 37,30. 31). „Die Zunge der Weisen ist Heilung" (Spr. 12,18). Wenn aber der Kanal, durch den die Mitteilung erfolgt, nicht rein ist, dann ist der Ausfluss trübe. Wenn das Herz durch den Geist und die Wahrheit geleitet wird und in der Furcht Gottes steht, dann wird Jesus erhoben, sei es durch Wort oder Schrift, und die Glieder Seines Leibes werden erbaut. Ist das Gegenteil der Fall, so werden die Herzen der Gerechten gekränkt, die Gott doch getröstet haben will (Hes. 13,22). „Die Zunge des Gerechten ist auserlesenes Silber ... die Lippen des Gerechten weiden viele" (Spr. 10,20. 21). Ja, durch solche Lippen wird die Herde Christi geweidet, die unverfälschte Milch des Wortes wird dargereicht, die Geheimnisse Gottes werden bewahrt, und gesunde, nicht zu verurteilende Worte werden gebraucht. Wenn aber das Herz verkehrt ist, so geht alles verkehrt. Darum fordert Gott das ganze Herz: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen"! (Spr. 23,26). Wo diese Ermahnung nicht beachtet wird, gewinnt der Feind Einfluss auf das Herz und gebraucht die Zunge für sich. Vom Wandeln im Rate der Gesetzlosen kommt man dazu, auf dem Wege der Sünder zu stehen und auf dem Sitze der Spötter zu sitzen (Ps. 1). Ach! wenn das Herz unter dem Einfluss. und der Leitung des Feindes steht, dann erweist sich die Zunge als ein Feuer, als die Welt der Ungerechtigkeit; sie wird dann von der Hölle selbst angezündet und ist ein unstetes Übel, voll tödlichen Giftes (Jak. 3,6-8). - In der Tat, Zunge und Herz sind das Allerbeste oder das Allerschlechteste, je nachdem sie gebraucht werden, bzw. je nach dem Einfluss, unter dem sie stehen. Gott kennt das Herz mit seinen geheimsten Absichten und Triebfedern; Er weiß, wer und was es erfüllt, und Er nennt alles, was aus ihm kommt, bei seinem rechten Namen. So auch in der folgenden Stelle: „Ein gemeiner Mensch redet Gemeinheit; und sein Herz geht mit Frevel um, um Ruchlosigkeit zu verüben und Irrtum zu reden wider Jehova, um leer zu lassen die Seele des Hungrigen und dem Durstigen Trank zu entziehen ... Aber der Edle entwirft Edles, und auf Edlem besteht er" (Jes. 32,6. 8).

In Hiob 5,21 wird die Zunge eine Geißel genannt, und in Jeremia 9,8 ein mörderischer Pfeil. David hat diese Geißel oft gefühlt, Jeremia nicht minder. „Kommt, lasst uns Anschläge wider Jeremia ersinnen ... kommt und lasst uns ihn mit der Zunge schlagen", hören wir in Kap. 18,18 die Feinde des Propheten sagen. Aber mehr als David und Jeremia, mehr als irgendein Mensch auf Erden, hat der Herr Jesus es erfahren, welch eine Geißel und welch ein mörderischer Pfeil die Zunge ist. Er, der Reine und Heilige, der Sanftmütige und von Herzen Demütige, war das Saitenspiel der Zecher, der Menschen Hohn und der vom Volke Verachtete. Sein Herz brach unter dem bitteren Hohn der am Kreuze Vorübergehenden; dieselben Zungen, die heute Hosanna riefen, schrien am nächsten Tage: „Hinweg mit diesem! Kreuzige ihn"! Miteinander raunten wider Ihn alle Seine Hasser, sie redeten Falschheit, ihre Herzen sammelten sich Unheil, und sie ersannen Böses wider Ihn (Ps. 41,6. 7).

Was für böse, unnatürliche Früchte von Herz und Zunge! Das Glied, welches Gott geschaffen hat, dass es Ihn lobe, wird zur Lästerung Seines Namens und zur Verhöhnung Seines Gesalbten benutzt. Ein Feigenbaum kann nicht Oliven hervorbringen, und ein Weinstock nicht Feigen. Aber dieses Unnatürliche ist beim Menschen möglich. Wie demütigend ist das, und wie sollte es uns im Staube erhalten und uns antreiben, über Herz und Zunge zu wachen! Ach! „wir alle straucheln oft" (Jak 3,2). Wer hat nicht schon einmal zu seiner Demütigung die Geduld verloren und sich benommen wie „eine erbrochene Stadt ohne Mauer" (Vergl. Sprüche 25,28)? Wer hat nicht schon unweislich Worte ausgesprochen, die vielleicht ein großes Feuer angezündet hätten, wenn nicht zur rechten Zeit Hilfe gekommen wäre?

Was aber soll man erst von solchen Feuern denken, die absichtlich angelegt werden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, um Zwietracht anzurichten und dem Nächsten zu schaden, wie die Geschichte und die Erfahrung es lehren? O, die Früchte sind schrecklich, wenn Herz und Zunge sich in den Dienst des Feindes stellen! Philemons Herzens-zustand war gut und ein Segen für andere, wie wir lesen: „Wir haben große Freude und großen Trost durch deine Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind" (V. 7). Auch die Thessalonicher erfreuten das Herz des Apostels durch ihren guten Herzenszustand. Über andere aber musste er weinen wegen ihrer irdischen Gesinnung. Wenn das Herz mit den himmlischen Dingen erfüllt ist, lässt man sich gern Unrecht tun, wie Abraham und Isaak (1. Mo 13 u. 26). Ist es aber irdisch gesinnt, so erwählt man Sodom und benimmt sich wie die Kinder der Welt. Schlägt das Herz für Jesum, so findet man überall Gelegenheit, Ihm zu dienen, sei es auch nur, dass man ein Kissen für Ihn bereit legt (Mk. 4,38). Die Liebe ist erfinderisch. Sie scheut keine Kosten; sie gießt im rechten Augenblick das Fläschchen mit kostbarer Narde über Jesum aus. Sie ist bereit, „alles zu verwenden und selbst verwendet zu werden", wenn nur der Herr verherrlicht und das Wohl der Seinigen gefördert wird. „Es gefiel uns wohl, euch nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen" (1. Thes 2,8).

Das sind kostbare, gesegnete Früchte, nicht wahr? Sie sind wirklich über alles begehrenswert für ein Herz, das Jesum liebt. Diese Früchte entwickeln sich indes langsam, sie reifen nicht plötzlich. Sie gedeihen nur in dem warmen Licht der Liebessonne Jesu. In einem Liede heißt es:

O Mensch, wie ist dein Herz bestellt?

Hab Achtung auf dein Leben!

Was trägt für eine Frucht dein Feld?

Sind`s Dornen oder Reben?

Denn aus der Frucht kennt man die Saat,

auch wer das Land besäet hat,

Gott oder der Verderber.

Ja, im Leben eines Menschen zeigt es sich, was für eine Saat in sein Herz gestreut ist. Zuweilen erwecken junge Leute die schönsten Hoffnungen; sie wandeln in Einfalt und Demut und vertrauen nicht auf sich und ihren Verstand. Aber mit der Zeit wird es anders. Indem sie ihr Herz nicht behüten, finden allerlei böse Dinge, ungläubige Lehren und dergleichen Eingang in das Herz. Es geht dabei wie mit einer Blutvergiftung. Die Verletzung scheint anfänglich ganz unbedeutend zu sein; von giftigen Erscheinungen ist nichts zu entdecken. Aber das Gift wirkt, und das Ende ist der Verlust der Gesundheit oder gar des Lebens.

Das Gift der Zweifelsucht und des Unglaubens ist in seinen Wirkungen schrecklich. Es verdirbt das Herz und verleitet die Zunge zu bösen Ausdrücken über das Wort und den Sohn Gottes. Unter dem schönsten Deckmantel einer gewissenhaften Prüfung der Wahrheit und unter dem Vorwande, Gottes Wort von Menschenwort zu reinigen, kommt man allmählich zum völligen Unglauben, zur Verwerfung des ganzen göttlichen Zeugnisses und zur Leugnung der Gottheit Christi mit allen ihren bösen Folgen. Wie ganz anders urteilt dagegen ein einfältiges, gläubiges Herz! Indem es sich unter den Augen Dessen weiß, der die Gedanken und Gesinnungen des Herzeins beurteilt, die Geister wägt und die Herzen prüft (Spr. 16,2; 17,3), stimmt es in den Ausspruch Davids ein: „Die Worte Jehovas sind reine Worte - Silber, das geläutert in dem Schmelztiegel zur Erde fließt, siebenmal gereinigt" (Ps. 12,6). Es spricht sein Amen zu dem ernsten Urteilsspruch Gottes: „Die Weisen werden beschämt, bestürzt und gefangen werden; „siehe, das Wort Jehovas haben sie verschmäht, und welcherlei Weisheit haben sie?" (Jer. 8,9). Vergl. auch Ps. 119,98 - 100 und 2. Timotheus 3,15 - 17.

Wie traurig war auch der Herzenszustand von Adam und Eva, nachdem sie auf die verführerische, listige Stimme Satans gelauscht hatten! Sie verloren Unschuld und Einfalt und suchten ihre Blöße durch Schürzen von Feigenblättern zu bedecken. Aber wir dürfen andererseits auch sagen: Welche Gnade wurde ihnen zuteil! Gott ließ sie nicht nackt, sondern machte ihnen Kleider und trieb sie aus dem Paradies, um sie vor größerem Übel zu bewahren. Vergessen wir nicht, dass sie unsere Eltern waren und wir alle von Natur ihre Kinder sind. Da ist kein Unterschied (Röm. 3)! Nur die überschwängliche Gnade Gottes vermochte diesem schrecklichen Zustande zu begegnen.

Die beiden Räuber am Kreuz bieten einen weiteren Beleg für das Verderben von Herz und Zunge bei dem natürlichen Menschen; es zeigt sich aber auch wieder, was die Gnade zu tun vermag. Vom Feinde beeinflusst und durch ihr eigenes feindseliges Herz getrieben, meinten sie, die letzten Augenblicke ihres Lebens zu Schmähungen gegen Christum gebrauchen zu sollen. Anfänglich schmähten beide; aber der eine konnte nicht damit fortfahren. Das Licht Gottes erleuchtete sein finsteres Herz, und er begann den anderen zu strafen, seine eigenen Sünden zu bekennen, Gott und die Obrigkeit zu rechtfertigen und Den um Gnade anzurufen, Der sterbend an seiner Seite hing, aber an Dessen Rückkehr er glaubte. Alles ging sehr rasch vor sich, und das war nötig; denn die Sanduhr des Lebens des Räubers war nahezu abgelaufen, seine Zeit glitt „schneller dahin als ein Weberschiffchen" (Hiob 7,6). Doch bevor das letzte Sandkörnlein zu Boden rann, empfing er die tröstliche und treue Zusage vom Herrn, dass er noch an demselben Tage mit Ihm im Paradiese droben sein würde; und zu welch einem herrlichen Zeugnis wurde seine Zusage in jenen schrecklichen Stunden, als alle anderen Zeugnisse für Christum verstummt waren, benutzt: „Dieser hat nichts Ungeziemendes getan"!

Ein anderes treffendes Beispiel ist Paulus. Er war einst ein stolzer Pharisäer, der Drohung und Mord schnaubte wider die Jünger des Herrn, und der glaubte, viel Widriges gegen den Namen Jesu tun zu müssen. Es genügte ihm nicht, mit seiner eigenen Zunge den Herrn zu lästern und den kostbaren Namen Jesu zu schmähen; er zwang auch andere dazu (Apg. 9,1; 26,9-12; 1. Tim. 1,13). Aber siehe da, welche Wunder der Gnade! Nicht nur wird der Rasende vernünftig, der Wolf zu einem Lamme, zum Beispiel und zur Ermunterung für andere, auch für die größten Sünder, sondern mit einem glücklichen und demütigen Herzen rühmt er fortan die Gnade und Barmherzigkeit, die ihm zuteil geworden war. Die Zunge, die einst solche bösen Lästerworte redete, verkündigte nun das Heil Gottes und brachte die Juden, die in Damaskus wohnten, in Verwirrung, indem sie bewies, dass Jesus der Christus ist. Herz und Zunge waren fortan dem Dienst des Evangeliums der Gnade geweiht, und was haben sie angerichtet zur Ehre des Herrn, Der Sich ihrer bediente!

Wie dem Apostel, so ist es manchem anderen stolzen und bösen Herzen ergangen. Tausende und aber Tausende haben dieselbe Gnade an sich erfahren und singen nun froh und dankbar:

Mir ist Erbarmung widerfahren,

Erbarmung, deren ich nicht wert.

Das zähl' ich zu dem Wunderbaren,

mein stolzes Herz hat's nie begehrt.

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Eine schreckliche Hungersnot

Bibelstelle: Amos 8,11. 12

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 24ff

Siehe Tage kommen spricht der Herr Jehova, da werde ich einen Hunger in das Land senden, nicht einen Hunger nach Brot und nicht einen Durst nach Wasser, sondern die Worte Jehovas zu hören. Und sie werden umherschweifen von Meer zu Meer und vom Norden bis zum Osten; sie werden umherlaufen um das Wort Jehovas zu suchen, und werden es nicht finden.“ (Amos 8,11. 12). Welch eine ernste Warnung für alle, die heute das kostbare Wort Gottes geringschätzen!

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Große Dinge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 25ff

„Wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung vernachlässigen“ (Hebr. 2, 3)? So fragt mit

Recht der inspirierte Schreiber des Hebräerbriefes, nachdem er zuvor (Kap. 1) die herrliche Person „unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi“ beschrieben hat, welcher, „nachdem Er durch sich selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht, sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe“. Ja, wer wird entfliehen, der ein solches Heil geringschätzt und einer solchen Liebe gegenüber gleichgültig

bleibt?

Wir bedürften eines solch großen Heilandes und einer solch großen Errettung, denn wir waren große Sünder, und des Menschen Bosheit ist groß auf Erden (1. Mose 6, 5). Ja, wir waren nicht nur Sünder, sondern auch Gottlose und Feinde, Kinder des Zorns, Söhne des Ungehorsams. Unsere Schuld war unbezahlbar, unser Zustand heillos verderbt. Aber durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist eine Errettung zuwege gebracht worden, die noch unendlich größer ist als unsere Schuld und unser Verderben. „Wo die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden“ (Röm. 5, 20). Sind die Sünden auch blutrot, das Blut Jesu Christi wäscht sie weiß wie Schnee (Jes. 1, 18). In der großen Errettung, welche der Herr uns erworben hat, besitzen wir Vergebung unserer Sünden (Apstgesch. 10, 43; 13, 38. 39), ewiges Leben (Joh. 5, 24), Frieden mit Gott (Röm. 5, 1) und die Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes selbst; und wenn der „große König über die ganze Erde“ (Ps. 47, 2) mit „großer Macht und Herrlichkeit“ erscheinen wird, so werden wir mit Ihm kommen (Mark. 13, 26).

Die gläubige Annahme der guten Botschaft von der Liebe Gottes, wie sie sich in Jesu geoffenbart hat, bewirkt in dem Herzen eine große Freude (Apstgsch. 8, 8). „Philippus ging hinab in eine Stadt Samarias und predigte ihnen den Christus. Und die Volksmenge achtete einmütig auf das, was von Philippus geredet wurde. . . . Und es war eine große Freude in jener Stadt.“ So ist es auch heute noch, wenn das Evangelium von Jesu geglaubt wird. Große Freude erfüllt nicht nur das Herz des Glaubenden, sondern auch das Herz dessen, der das Evangelium predigt, ja, Freude erfüllt den ganzen Himmel. Die Engel verkündigten einst den Hirten auf Bethlehems nächtlicher Flur große Freude; und als die Apostel Paulus und Barnabas auf ihrer Reise nach Jerusalem in den Versammlungen hin und her erzählten, welch große Dinge Gott an den Heiden getan habe, „machten sie allen Brüdern große Freude“ (Apstgsch. 15, 3).

Doch was bleibt übrig, wenn jene große Errettung vernachlässigt wird? Nichts als ein furchtvolles Erwarten des großen Tages des Zornes des Lammes und die Offenbarwerdung vor dem großen weißen Thron. „Und ich sah einen großen weißen Thron und Den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel, und keine Stätte ward für sie gefunden“ (Offbg. 6, 12 -17; 20, 11 - 15). Welch ein schrecklicher Gegensatz! An jenem Tage werden alle Knie sich beugen müssen vor dem verachteten Jesus von Nazareth; dann werden die Könige und die Obersten und die Großen der Erde sich vergeblich zu verbergen suchen vor dem Zorne des Lammes; alle, Große und Kleine, werden gerichtet werden nach dem, was in Gottes Büchern geschrieben steht. Die Spötter, welche so oft hohnlachend gefragt haben: „Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft?“ werden bebend verstummen und von dem großen weißen Throne aus ihr ewiges Urteil vernehmen: „Gehet hin in das Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Dort gibt es keine Gnade, kein Erbarmen mehr. Es ist ein weißer Thron, der Ausdruck der Heiligkeit des die Sünde hassenden Gottes, ein Thron des Gerichts, aber nicht mehr ein mit Blut besprengter Gnadenstuhl, wie er heute aufgerichtet ist. „Denn Jehova der Heerscharen hat einen Tag über alles Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, und es wird erniedrigt werden. . . Und der Hochmut des Menschen wird gebeugt und die Hoffart des Mannes erniedrigt werden; und Jehova wird hoch erhaben sein, Er allein, an jenem Tage“ (Jes. 2, 12 - 17). Dann wird Christus herrschen in die Zeitalter der Zeitalter, und die himmlischen Heiligen werden Gott anbeten und sprechen: „Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der da ist und der da war, dass du angenommen hast deine große Macht und angetreten deine Herrschaft“ (Offenbarung 11, 15 – 17).

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Ich bin`s!

Bibelstelle: Markus 6, 45 - 52

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 25ff

Autor: K. B.

Ich bin´s! des Meisters Stimme schallt,

ob laut der Wind auch stürmt,

ob sich mit Wut und mit Gewalt

euch Well auf Welle türmt.

Ihr Jünger dort im kleinen Boot,

sollt nicht verlorengehen;

und leidet ihr beim Rudern Not -

Der Heiland hat es gesehen!

Seid ohne Furcht und wohlgemut,

der Gott der Liebe naht;

wohl heult der Sturm und peitscht die Flut,

doch Er weiß einen Pfad.

Er lässt die Seinen nie allein,

und wenn sie furchtsam sind,

tritt leise Er in den Kahn hinein,

dann leget sich der Wind.

Ich bin´s! Der Heiland ruft´s noch heut,

wenn du in Sturm und Not,

wenn bitter weh und Herzeleid

die Brust zu sprengen droht;

wenn meines Leibes schwacher Bau

von Schmerzen unterwühlt,

wenn lang des Himmels strahlend Blau

sich mir verborgen hielt.

Zertrümmert gleich manch Hoffnungsschiff,

ward Erdenglück zu Schaum,

zersprang an einem Felsenriff

manch süßer Wonnetraum -

Und ob den Weg du nicht verstehst,

was Seine Liebe tut,

Er sorgt, dass du nicht untergehst,

Er wandelt auf der Flut.

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Der Pfad des Gerechten

Bibelstelle: Johannes 15

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 29ff

2. Gehorsam.

Eine der köstlichsten Früchte, die sich ergeben, wenn eine Seele sich in der im vorigen Abschnitt betrachteten Stellung der Abhängigkeit von Christo befindet, ist der Gehorsam. Ja, man darf wohl sagen, dass diese Frucht den ersten Platz einnimmt. Das erste Wort, welches wir von Jesu hören, als Er in die Welt kam, lautet: „Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet; an Brandopfern und Opfern für die Sünde hast du kein Wohlgefallen gefunden. Da sprach ich: Siehe, ich komme um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Hebr. 10, 5 - 7). Und seitdem Jesus nach vollbrachtem Erlösungswerke wieder zum Vater zurückgekehrt ist, weist der Heilige Geist die Gläubigen darauf hin, dass Er gehorsam gewesen ist bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze. „Darum (d. h. dieses Seines Gehorsams wegen) hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil. 2). Und in Bezug auf uns schreibt Petrus: „Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“; das will sagen: wir, die Auserwählten Gottes, sind berufen, in derselben Weise zu gehorchen, wie Jesus Christus gehorcht hat.

Was war denn der Beweggrund Seines Gehorsams, als Er hienieden wandelte? Die Liebe des Vaters. Nun, unser Gehorsam muss aus derselben Quelle hervorfließen und von denselben Beweggründen geleitet werden; sonst ist er nicht rechter Art. Wir verstehen im Allgemeinen unter Gehorsam die Ausübung einer Pflicht, die uns auferlegt ist, das treue Halten von Geboten, die Erfüllung des Willens eines Anderen, wobei es für uns in den meisten Fällen der Überwindung des eigenen Willens bedarf. Derart war aber nicht der Gehorsam Christi. Zwischen Ihm und dem Vater bestand eine völlige Übereinstimmung der Gedanken, ein so völliges Einssein, dass Er einmal zu den Juden sagte: „Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was Er den Vater tun sieht: denn was irgend Er tut, das tut auch der Sohn gleicherweise. Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt Ihm alles, was Er selbst tut“ (Joh. 5,19.20). Sein Gehorsam war nicht die Erfüllung einer auferlegten Pflicht, sondern das Bedürfnis und der Ausfluss eines Herzens, welches sich geliebt wusste und mit dem Herzen des Vaters in völligem Einklang stand, ja, dem es Speise war, den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und Sein Werk zu vollbringen (Joh. 4, 34).

Gerade so soll es mit uns sein. Der Herr will nicht, dass wir uns in einem gesetzlich en Geiste abquälen, sondern dass das Bewusstsein Seiner Liebe zu uns die Triebfeder unseres Gehorsams sei. „Bleibet in meiner Liebe“, sagt Er, d. h. bleibet in der Gemeinschaft, in dem Genuss meiner Liebe. Früher, als es sich um Abhängigkeit handelte, hörten wir die Aufforderung: „Bleibet in mir“; hier heißt es: „bleibet in meiner Liebe“. Der Genuss Seiner Liebe wird in unseren Herzen das tiefe Bedürfnis wachrufen, mit Freudigkeit das zu tun, was Ihm Freude macht, was Ihn verherrlicht. So sind wir berufen zu gehorchen. Abhängigkeit und Gehorsam sind die beiden wichtigen Grundsätze, welche das praktische Leben des Christen kennzeichnen sollen: Abhängigkeit, die mit einem herzlichen Vertrauen verbunden ist, und Gehorsam, der in der Liebe seine Quelle hat.

Beachten wir hier, dass der Herr nicht von unserer Liebe zu Ihm redet und solche als die Triebfeder unseres Gehorsams anpreist. Ach nein, wenn wir unsere Liebe zu Ihm zum Gegenstand haben, so kommt gar wenig dabei heraus; das Ergebnis wird sein, dass sich das Fleisch, das arme eigene Ich rühmt. Je mehr aber die Erkenntnis Seiner Liebe zu uns in unseren Herzen Raum findet, desto mehr werden wir den Abstand zwischen unserer Liebe zu Ihm und Seiner Liebe zu uns fühlen. Nichtsdestoweniger wird unsere Liebe zu Ihm wachsen, wenngleich wir es nicht merken; aber der Herr weiß es, und Andere merken es. Wenn wir uns in den Sonnenschein stellen, so verspüren wir nicht nur die Wärme der Sonne, sondern nehmen auch Wärme in uns auf, und die Folge ist, dass unser Körper wiederum Wärme ausstrahlt. So ist es auch, wenn wir uns in der Liebe Jesu sonnen. Die von Ihm ausgehende Wärme dringt in uns ein und strahlt von uns auf unsere Umgebung zurück. „Wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat“ (1. Joh. 4, 19). Es kann gar nicht anders sein. Allerdings ist die Wärme der Sonne mit der Wärme des von ihr beschienenen Körpers in keinen Vergleich zu stellen; ebenso wenig, oder noch viel weniger, die Liebe Jesu mit unserer Liebe.

Ach, dass dieser Gehorsam der Liebe mehr bei uns gesunden würde! Aber bei so vielen Gläubigen unserer Tage hat die Person und die Liebe Jesu ihren Reiz verloren. Die irdischen Dinge nehmen einen solchen Platz in ihrem Denken und Fühlen ein, dass kaum noch Raum für Jesum bleibt. Über wie viele müsste der Herr auch heute klagend ausrufen: „Ich habe wider dich, das; du deine erste Liebe verlassen hast“! O möchten sie aufwachen und die ernste Mahnung beherzigen: „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke“ (Offbg. 2, 4. 5).

Wieder andere Gläubige stehen in einem gesetzlichen Geiste. Obgleich nun gesetzlich sein unstreitig besser ist, als gesetzlos sein, ist doch auch eine solche Stellung keineswegs Gott wohlgefällig. In der Regel findet man bei Gläubigen, die sich in einem gesetzlichen Gehorsam abmühen, dass weit mehr ihre Liebe als die Liebe des Herrn ihr Gegenstand ist. Auch sind sie stets geneigt, die Liebe Anderer mit ihrer Liebe zu vergleichen und, in der Gesinnung der Martha, solche, welche mehr „das gute Teil“ der Maria schätzen, zu verurteilen, weil diese nach ihrer Meinung weniger christliche Liebe betätigen als sie. In einem solchen Falle ist immer das Fleisch in dieser oder jener Form tätig. Wer dagegen die Liebe Christi zum Maßstabe seiner Liebe nimmt, wird in Demut die Anderen stets höher achten als sich selbst.

„Bleibet in meiner Liebe.“ Wenn einerseits die Liebe Christi die Triebfeder unseres Gehorsams sein muss, ist andererseits der Gehorsam auch das Mittel, um in dieser Seiner Liebe zu bleiben; wie der Herr weiter sagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in Seiner Liebe bleibe“ (V. 10). Hierher gehören auch wohl die Worte Jesu im 14. Kapitel: »Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden: und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbar machen“. Und: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (Joh. 14, 21. 23.) Aus diesen Stellen geht hervor, dass einerseits der Gehorsam der Beweis unserer Liebe zu Ihm ist, und andererseits unsere Liebe zu Ihm die Triebfeder zum Gehorsam.

Aus allem ersehen wir, welch ein inniger Zusammenhang besteht zwischen Gehorsam und Liebe, sei es nun Seine oder unsere Liebe, ja, dass beide niemals voneinander getrennt gedacht werden können. Ohne Gehorsam keine Liebe, ohne Liebe kein Gehorsam. „Wer irgend Sein Wort hält, in diesem ist wahrhaftig die Liebe Gottes vollendet“ (1. Joh. 2, 5). Und was wird die Folge des Gehorsams sein? Erstens, wie schon bemerkt, der Genuss der Liebe Jesu, die Gemeinschaft mit Seiner Liebe; und zweitens, aus dem Ersten hervorgehend, tiefe, überströmende Freude. „Dies habe ich zu euch geredet, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde“ (V. 11).

Wenn die Stellung der Abhängigkeit Frucht zur Verherrlichung des Vaters hervorruft, so erwirkt die Stellung des Gehorsams Freude für unser Herz. Die Freude, die Jesus selbst hienieden auf Seinem Pfade des Gehorsams genoss, wird dann unserer Freude hinzugefügt, so dass diese dadurch völlig, ja, überströmend wird. Paulus genoss diese Freude in vollem Maße. Die Ketten, in welchen er zu Rom gefangen lag, vermochten diese Freude nicht zu trüben, sondern vermehrten sie nur noch und riefen das Verlangen in ihm wach, dass auch die Philipper, an welche er schrieb, dieselbe Freude mit ihm genießen möchten. In keinem Briefe ist so viel von Freude die Rede, wie in dem an die Philipper. „Wenn ich aber auch wie ein Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Gleicherweise aber freuet auch ihr euch und freuet euch mit mir“ (Phil. 2, 17. 18). „Übrigens, meine Brüder, freuet euch in dem Herrn!“ — „Freuet euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ (Kap. 3, 1; 4, 4.) Sein Gehorsam brachte ihn in schwere Leiden und Prüfungen; aber nur umso inniger genoss er die Liebe seines Herrn, und nur umso mehr war die Freude Jesu sein Teil. Er wandelte so dicht hinter Jesu her, dass er den Korinthern zurufen konnte: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“ (1. Kor. 11, 1).

Wir haben schon früher auf den in unseren Tagen weit verbreiteten Irrtum aufmerksam gemacht, als ob nur durch eine rastlose Tätigkeit unserseits Frucht für Gott hervorgebracht werden könne, während doch Ruhe in Jesuund Abhängigkeit v on Ihm die ersten Bedingungen zum Fruchttragen sind. Das Ergebnis dieses Ruhens in Jesu ist sicherlich Tätigkeit, aber diese Tätigkeit geschieht in Abhängigkeit von Ihm und in völliger Unterwerfung unter Seine Gebote. Die Folgen jenes falschen Weges bestehen einerseits darin, dass die Seelen mehr in eigener Kraft, der Kraft des Fleisches, arbeiten und vor der Zeit ermatten, auch vielfach Dinge tun, (vielleicht in der besten Meinung und Absicht), welche der Herr ihnen nicht aufgetragen hat; und andererseits darin, dass sie die Freude nicht finden, die der Herr denen verheißen hat, welche nach Seiner Vorschrift handeln. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung die oft angeführte Geschichte der beiden Schwestern in Bethanien. Der Herr war für beide gegenwärtig, aber nicht beide genossen Seine Gegenwart in gleicher Weise. Martha diente, sie war besorgt und beunruhigt um viele Dinge; Maria aber nahm den Platz- der Abhängigkeit zu Jesu Füßen ein. Martha war verdrossen über Marias Verhalten; aber der Herr straft sie und lobt das Verhalten der Maria: sie hat „das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden wird“ (Luk. 10, 42). Der weitere Verlauf der Geschichte der Schwestern, soweit der Heilige Geist sie uns mitgeteilt hat, zeigt uns das Ergebnis des beiderseitigen Verhaltens. In Joh. 12 lesen wir von Martha, wie bei dem ersten Zusammentreffen: sie ,,diente“. Ihr Dienst wird zwar nicht mehr als „Sorge und Unruhe“ bezeichnet, denn sie hatte ohne Zweifel die Ermahnung des Herrn beherzigt und griff deshalb auch Marias gegenwärtige Stellung nicht an; aber doch wird von ihrem Dienst weiter nichts gesagt. „Martha diente“, das ist alles, was der Heilige Geist von ihr berichtet. . Wenn dies nun auch als ein Fortschritt bezeichnet werden kann, so ist doch kein eigentliches Wachstum bei Martha zu bemerken. 36 Anders bei Maria. Sie war nicht vergeblich zu Jesu Füßen gewesen. Ihr Ruhen in Jesu und ihre stille Abhängigkeit von Ihm befähigten sie, ein Werk des Glaubens zu tun, welches in den Augen eines Judas Verschwendung war, aber in den Augen des Herrn für so kostbar galt, dass Er ausrief: „Wahrlich, ich sage euch: Wo irgend dieses Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch von dem geredet werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Matth. 26, 13). Mein lieber gläubiger Leser! lass uns nach dieser Richtschnur wandeln. Das gute Teil der Maria tut uns allen so sehr not. Möchten wir es von Herzen begehren und auch an das ernste Wort Samuels gedenken: ,,Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder“(1. Sam. 15, 22).

3. Bruderliebe.

Es ist ein göttlicher Grundsatz, zunächst Gott zu geben, was Ihm zukommt, und dann den Menschen entgegenzubringen, was ihnen gebührt. Im Alten Bunde wurden zunächst die Opfer dargebracht und dann erst das Volk gesegnet; und in 1. Petr. 2 werden wir zuerst ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum, genannt, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum (V. 5); und darnach erst ist von unserem königlichen Priestertum die Rede, als welches wir in dieser Welt die Tugenden Dessen verkündigen sollen, der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht. (V. 9.) Gerade so ist es in Hebt. 13, 15. 16. Dort ergeht zunächst die Aufforderung an uns, Gott durch Jesum Christum ,,stets ein Opfer des Lobes darzubringen, das ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen“, und dann werden wir ermahnt, unseren Dienst an den Menschen nicht zu versäumen: „des Wohltuns aber und Mitteilens vergesset nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“. Dem gleichen Grundsatz begegnen wir in unserem Kapitel. Nachdem der Herr uns darauf aufmerksam gemacht hat, was wir Ihm schuldig sind, nämlich Abhängigkeit und Gehorsam, lenkt Er unseren Blick auf die Menschen, und zwar zuerst auf unsere Brüder.

Ist der Gehorsam eine Frucht der Abhängigkeit, so können wir die Bruderliebe wohl eine Frucht des Gehorsams nennen. „Da ihr eure Seelen gereinigt habt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderliebe, so liebet einander mit Inbrunst aus reinem Herzen« (1. Petr. 1, 22.) So schreibt Petrus an die Fremdlinge von der Zerstreuung; und der Herr spricht hier: „Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, gleichwie ich euch geliebt habe“ (V. 12). In Kap. 13, 34 hatte der Herr gesagt: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet, auf dass, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet“. Es ist nicht ein Gebot aus dem mosaischen Gesetz, sondern ein neues Gebot, ein Gebot Dessen, durch welchen Gnade und Wahrheit geworden ist, ein Gebot der Liebe. Der Maßstab dieser Liebe ist: „Gleichwie ich euch geliebt habe“. Nun, diese Seine Liebe hat sich nicht in der Erfüllung der „Summe des Gesetzes“ kundgegeben: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, sondern darin, dass Jesus Sein Leben gelassen hat für Seine Feinde.

„Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde“ (V.13) Mehr kann ein Mensch nicht tun. Das Leben ist das Teuerste, was er besitzt. Satan hat ganz recht, wenn er sagt: ,,Alles was der Mensch hat, gibt er für sein Leben“. (Hiob 2, 4.) Nun, Jesus hat auch das getan; Er hat Sein Leben gelassen für Seine Freunde. Mit diesen Worten gibt Er Seinen Jüngern eine neue Offenbarung, welche mit Seinem Verhältnis zu ihnen, als Seinen Gefährten hienieden, sowie im weiteren Sinne mit unserem brüderlichen Verhältnis untereinander in Verbindung steht. Er sagt: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut was irgend ich euch gebiete. Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht

weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe“ (V. 14. 15). Ein Freund ist ein Vertrauter; einem Freunde teile ich meine Gedanken und Geheimnisse mit. Nicht jeder Gläubige ist ein Vertrauter des Herrn. Dieses Verhältnis ist, wie alles in diesem Kapitel, an eine Bedingung geknüpft, und die Bedingung lautet: „Wenn ihr tut was irgend ich euch gebiete“. So waren einst, und so sind heute alle, die dem Herrn von Herzen gehorsam sind, Seine Freunde. Der Herr selbst gibt ihnen diesen hohen Ehrentitel.

Wenn nun der Herr uns das bestimmte Gebot gegeben hat, einander zu lieben, sollten wir dann wohl fehlgehen, wenn wir sagen, dass die Innigkeit jenes Freundschaftsverhältnisses davon abhängt, inwieweit wir dieses Gebot erfüllen? Ich meine nicht. Ein treffendes Beispiel hierfür erblicken wir in Abraham. Abraham und Lot waren „Brüder“, und Abraham offenbarte seine brüderliche Liebe zunächst darin, dass er gelegentlich des Streites ihrer Hirten seine eigenen Interessen ganz vergaß und Lot die Wahl der Weidegründe überließ. Den zweiten Beweis seiner Liebe gab er, als Lot, der sich durch die Lust seiner Augen hatte leiten lassen, infolge seiner Untreue in die Hände der Feinde fiel. Abraham zögerte keinen Augenblick, seinen Bruder zu befreien, ohne sich dafür von Lots Freunde, dem König von Sodom, bezahlen zu lassen. Und als nun Gott im Begriff stand, Sodom zu zerstören, sprach Er: „Sollte ich vor Abraham verbergen was ich tun will?“ Die vertraute Mitteilung Jehovas war für Abraham, den „Freund Gottes“. Lot erhielt sie nicht, trotzdem er ein „Gerechter“ genannt wird. Für Abraham aber wurde diese Mitteilung wiederum ein Anlass, seine Bruderliebe zu betätigen, indem er sich fürbittend für den Wohnort Lots verwandte. Ferner lesen wir: „Und es geschah, als Gott die Städte der Ebene verderbte, da gedachte Gott Abrahams und entsandte Lot mitten aus der Umkehrung, als Er die Städte umkehrte, in welchen Lot gewohnt hatte“ (1. Mose 19, 29). Wir sehen hier also die doppelte Wirkung einer ungeheuchelten Bruderliebe: Abraham wurde Freund Gottes genannt (Jak. 2, 23), und Lot wurde um der Liebe Abrahams willen errettet.

Doch damit wir uns in einem solchen Verhältnis nicht überheben, fügt der Herr sogleich hinzu: „Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch gesetzt, auf dass ihr hingehet und Frucht bringet“. Und diese Frucht soll nicht nur für einen Augenblick sein, sondern dauernd: „Und eure Frucht bleibe, auf dass, was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, Er euch gebe“ (V. 16) Der Herr schließt diesen Teil Seiner Belehrungen mit der wiederholten Mahnung: „Dies gebiete ich euch, dass ihr einander liebet“ (V. 17).

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine Gefahr hinweisen, welche uns bei der praktischen Ausübung der Bruderliebe droht. Wir sind geneigt, aus vermeintlicher Liebe nachsichtig gegen das Böse bei unserem Bruder zu sein. Da ist es denn wichtig, auf das zu achten, was die Heilige Schrift über das Wesen der Bruderliebe sagt. Zunächst lesen wir: „Hieran wissen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und Seine Gebote halten“ (1. Joh. 5, 2). Nur in der Stellung der Gottseligkeit, wie wir sie in den vorhergehenden beiden Abschnitten betrachtet haben, kommt die Bruderliebe zu ihrem wahren Ausdruck. Nur der Gehorsam gegen die Wahrheit führt zur ungeheuchelten Bruderliebe. Und diese offenbart sich nicht immer in Zärtlichkeit, sondern zu Zeiten in ernster Treue; sie wirkt dann strafend, mahnend und züchtigend. Die Liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit“ (1. Kor. 13, 6.) Licht und Liebe lassen sich ebenso wenig trennen, wie Wahrheit und Gnade. Wo das Licht Böses offenbart, kann die Liebe nicht zudecken, sondern muss warten, bis die Seele, welche im Bösen ist, das Böse verurteilt hat. Will die Seele, trotz wiederholter liebevoller Zurechtweisung, das nicht tun, beharrt sie also trotz besseren Wissens im Bösen, so handelt der treue Bruder nach der Liebe, wenn er sich von dem ungehorsamen Bruder (oder der Schwester) zurückzieht. Das Bruder-Verhältnis, welches auf die Erlösung gegründet ist, wird dadurch selbstverständlich ebenso wenig aufgehoben, wie das Kindesverhältnis des Einzelnen, wenn ein solcher sündigt; aber die Gemeinschaft mit dem Bruder wird unterbrochen, gerade so wie im anderen Falle die Gemeinschaft mit dem Vater.

Wieder mag das Verhältnis von Abraham und Lot als Beispiel dienen. Sie waren Brüder, und beide waren „Gerechte". Das verwandtschaftliche Verhältnis wurde durch Lots Trennung nicht aufgehoben, wohl aber hörte die Gemeinschaft auf. Abraham, der aus Glauben lebte und mit Gott in Gemeinschaft blieb, konnte unmöglich die Verbindung mit dem untreuen Lot aufrecht halten; aber er offenbarte auf verschiedene Weise seine Bruderliebe, und zwar zeigte er sie zunächst gerade darin, dass er mit Lot, der nicht aus Glauben lebte, sondern irdisch gesinnt war und seine gerechte Seele Tag für Tag mit den Gottlosigkeiten der Sodomiter quälte, jede Gemeinschaft abbrach. Wie hätte er auch Gemeinschaft mit Lot haben können, ohne seinen Platz der Gemeinschaft mit Gott zu verlieren? Als Lot später in Not geriet, half er ihm, aber auch dann hielt er seine Absonderung in strengster Weise aufrecht.

Wir kommen jetzt zu dem letzten Punkt unserer Betrachtung, zu dem Verhältnis des Gläubigen zu der Welt. Die Welt hat Jesum, der in Liebe gekommen war, um sie aus der Macht Satans zu erlösen, gehasst und verworfen. Sie hasste Ihn, weil Er nicht von dieser Welt war, und weil Er den Menschen bezeugte, dass ihre Werke böse waren. Obwohl Er nicht gekommen war, die Welt zu richten, sondern sie zu erretten, wirkte doch Seine heilige Gegenwart wie ein Gericht für sie. Seine Worte und Werke, ja Sein ganzes Wesen stellten ihre bösen Werke ans Licht. Deshalb hassten sie Ihn und ruhten nicht, bis sie Ihn aus dem Wege geschafft hatten. Eben weil ihre Werke böse waren, liebten sie die Finsternis mehr als das

Licht und konnten Ihn, der das wahrhaftige Licht war und jeden Menschen erleuchtete, nicht ertragen. Es ist daher ganz natürlich, dass die Kinder dieser Welt auch diejenigen hassen, welche Jesu nachzufolgen begehren, die, wie der Herr sagt, nicht von der Welt sind, sondern die Er aus dieser Welt auserwählt hat, und die nun als Lichtlein in der Finsternis dieser Welt scheinen. Die Welt hasst ganz instinktiv die Kinder Gottes, weil sie fühlt, dass diese nicht zu ihr gehören. Sie liebt „das Ihrige“; und darum, je mehr die Gläubigen beweisen, dass sie nicht von der Welt sind, sondern dass der Herr sie aus der Welt auserwählt hat, um dazustehen als die Familie Gottes, deren Glieder sich in inniger Liebe aneinander schließen, desto entschiedener wird ihr Hass sich offenbaren.

Zwischen den Kindern Gottes und den Kindern der Welt besteht keine Gemeinschaft. Wer solche trotzdem pflegt, wie der „gerechte“ Lot, darf das Urteil des Heiligen Geistes in Jak. 4, 4. 5 auf sich anwenden: „Ihr Ehebrecherinnen, wisset ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar. Oder meinet ihr, dass die Schrift vergeblich rede?“ Wie ernst ist ferner die Ermahnung des Apostels Johannes: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm; denn alles was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern ist von der Welt (1. Joh. 2, 15. 16). Wenn wir die Welt lieben, so wird sie uns nicht mehr hassen. Wenn sie aufhört, uns zu hassen, so ist dies ein Beweis, dass wir den Platz der heiligen Absonderung von ihr nicht innegehalten haben. Wir haben dann nicht als Lichter in dem Herrn geleuchtet, sondern sind in die dunklen Straßen der Welt eingebogen. „Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt hasst“ (1. Joh. 3, 13). Nein, wir haben viel eher Ursache, uns zu wundern, wenn sie uns keinen Hass zeigt.

In einem anderen Sinne hat Jesus in Wort und Werk (V. 22. 24) der Welt Seine Liebe geoffenbart. Er war gekommen, um Gott in Seiner Natur und Seinem Wesen zu offenbaren, und Gott ist Licht und Liebe. So hat Er denn nicht nur als das wahrhaftige Licht in der Finsternis geleuchtet, sondern auch die wunderbare,

unbegreifliche Liebe Gottes kundgetan; aber die Welt hat auch diese Offenbarung der göttlichen Liebe mit Hass vergolten. „Sie haben gesehen und gehasst sowohl mich als auch meinen Vater“ (V. 24). Und Jesus konnte hinzufügen: „Sie haben mich ohne Ursache gehasst“. Ja, wahrlich, die Welt hat keine Ursache für ihren Hass. Aber wenn sie nun den Herrn und Meister gehasst hat, dürfen wir, die Knechte und Mägde, etwas anderes erwarten? Wenn wir Seinen Fußstapfen nachfolgen wollen, werden wir dasselbe Los mit Ihm teilen.

Doch wie beantwortete der Herr den unverdienten Hass der Welt? Dadurch dass Er Gleiches mit Gleichem vergalt? Nein, Seine Antwort war eine alle Begriffe übersteigende Tat der Liebe. Das Kreuz, dieser Ausdruck des bittersten Hasses der Welt, war zugleich die Offenbarung der höchsten Liebe. In demselben Augenblick, da die Menschen Jesum zwischen zwei Übeltätern ans Kreuz schlugen, und ohne Mitgefühl und Erbarmen Ihn noch zu verhöhnen und zu lästern wagten, flehte Er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. Und als Er siegreich aus dem Grabe hervorgegangen war und Seinen Platz zur Rechten Gottes droben eingenommen hatte, dachte Er nicht daran, die Welt zu richten, sondern

Er sandte den Heiligen Geist hernieder, damit dieser an Seiner Statt auf der Erde wohne und von Ihm und

Seiner erbarmenden Liebe zeuge; und dies nun schon seit fast 1900 Jahren! „Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, . . . so wird Er von mir zeugen“ (V. 26.) Und in 1. Joh. 5, 11. 12 lesen wir:“ Dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in Seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.“ Er, der aus der Welt hinausgeworfen wurde, bietet jetzt durch den Heiligen Geist den armen, verlorenen Menschenkindern das Leben an, damit sie einen Platz, im Himmel finden möchten. Welch eine Liebe! Welch eine Verantwortlichkeit aber auch für jeden toten Bekenner der Gegenwart, der ein solches Zeugnis verschmäht! „Verachtest du den Reichtum Seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut, nicht wissend, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? Nach deiner Störrigkeit und deinem unbussfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, welcher einem jeden vergelten wird nach seinen Werken« (Röm. 2, 4 — 7). So groß die Liebe Gottes ist, so groß wird auch Sein Zorn sein. Angesichts einer solchen Liebe, die sich für Sünder und Feinde in den Tod gab, kann das Gericht Gottes über diejenigen, welche die dargebotene Gnadenhand von sich weisen, nur schrecklich sein. Der zweite Tod, der See, der mit Feuer und Schwefel brennt (Offbg. 20, 14. 15; 21, 8), wo der Rauch ihrer Qual aufsteigt in die .Zeitalter der Zeitalter (Offbg.14,11), wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt (Mark. 10, 43 — 50), wird das ewige, unabänderliche Teil der „Verächter“ sein.

Und nun, mein lieber gläubiger Leser, was haben wir

zu tun? Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „Aber auch ihr zeuget, weil ihr von Anfang an bei mir seid“. Das gilt in weiterem Sinne auch uns, die wir ihrem Zeugnis geglaubt haben. Mag auch die Welt uns hassen und anfeinden, so sollte doch unsere Antwort allezeit bestehen in der Offenbarung der Liebe Gottes und Christi und in dem unermüdlichen Zeugnis von Seiner Gnade. Vergessen wir aber nicht, dass dieses Zeugnis nur dann kräftig und wirksam sein kann, wenn wir dem Herrn gegenüber die Stellung der Abhängigkeit und des Gehorsams einnehmen und den Brüdern gegenüber wahre, herzliche Liebe offenbaren. Denn wenn man nicht gelernt hat, die Brüder zu lieben, wie kann man dann die Liebe Christi der Welt gegenüber offenbaren?

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 45ff

Als das Herz des Apostels Petrus mit Menschenfurcht erfüllt war, gebrauchte er seine Zunge, um den Herrn zu verleugnen und zu sagen: „Ich kenne den Menschen nicht". Aber der Herr sei gepriesen! Er hörte nicht auf, Petrus zu kennen und zu lieben. Welch eine Schwachheit offenbart sich oft, wenn der Gläubige gesichtet wird! Aber die Liebe des Herrn ruht nicht. Er hatte für Petrus gebetet, Er blickte ihn an, Er hatte nach Seiner Auferstehung eine besondere Zusammenkunft mit ihm, ehe Er Sich den anderen Jüngern offenbarte; und siehe da, als Petrus wiederhergestellt war, verkündigte dieselbe Zunge, die einst mit lauten Eidschwüren Jesu verleugnet hatte, mit großer Kraft die in Jesu geoffenbarte Gnade Gottes.

Die Fürbitte des treuen Herrn hatte ein tiefes, ernstes Selbstgericht in ihm wachgerufen. Er ging hinaus und weinte bitterlich. „Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten" (Ps. 51,17). Das ist der gerade und von Gott vorgeschriebene Weg: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit" (1. Joh. 1,9). Die Gnade ruft heute wie einst: „Kehret um, ihr abtrünnigen Kinder, ich will eure Abtrünnigkeiten heilen" (Jer. 3,22).

Ein wankelmütiger oder doppelherziger Mann ist „unstet in allen seinen Wegen" (Jak. 1,8). Sein Herz ist nicht ungeteilt mit Gott; es ist mit Zweifeln und Sorgen erfüllt und auf mancherlei Art verunreinigt. Darum sagt die Schrift: „Reinigt die Herzen, ihr Wankelmütigen (oder Doppelherzigen)"! Sie gibt auch den Weg dazu an, indem sie hinzufügt: „Seid niedergebeugt und trauert und weinet... Demütigt euch vor dem Herrn, und er wird euch erhöhen" (Jak. 4,8 - 10). Satans Bemühen geht stets dahin, die Menschen über ihren wirklichen Herzenszustand zu täuschen und sie einzuschläfern, und er hat nicht nur Erfolg bei den Kindern der Welt, sondern auch bei unwachsamen Christen. Zu der Versammlung in Laodicäa wird gesagt: „Du weißt nicht, dass du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist" (Off. 3,17); und von Simson, dem Knechte Gottes, lesen wir: „Er wusste ab er nicht, dass Jehova von ihm gewichen war" (Ri. 16,20 So kann es gehen, wenn wir nicht wachsam sind. Lasst uns deshalb achthaben auf die Ermahnung in Heb. 3,12. 13: „Sehet zu, Brüder, dass nicht etwa in jemandem von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen von dem lebendigen Gott, sondern ermuntert euch selbst jeden Tag u. s. w.".

Wie verhängnisvoll ein geteiltes Herz ist, davon sehen wir auch ein warnendes Beispiel in der Geschichte Amazjas, des Königs von Juda. Es heißt im Anfang seiner Regierung von ihm: „Er tat, was recht war in den Augen Jehovas, jedoch nicht mit ungeteiltem Herzen" (2. Chr. 25,2). Die ernsten Folgen zeigten sich bald. Von Stufe zu Stufe ging es mit ihm abwärts, bis er endlich von seinen eigenen Leuten erschlagen wurde. Und wie das Herz des Königs, so war das Herz des Volkes. Der Prophet Hosea, der zur Zeit des Sohnes und Enkels Amazjas lebte, sagt von Israel: „Gleißnerisch war ihr Herz" (Hos. 10,2). Der Herr will aber das ganze Herz, ungeteilt und ohne Trug, für Sich haben; und wahrlich, Er ist es wert!

Jesus, Jesus, nichts als Jesus

soll mein Wunsch sein und mein Ziel!

Jetzt und mach' ich ein Verbündnis,

dass ich will, was Jesus will.

Denn mein Herz, mit Ihm erfüllt,

rufet nun: Herr, wie Du willst!

Ernst, ja erschreckend ist das Bild, das die Schrift von dem Herzen eines Pharisäers entwirft. „Ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel", ruft der Herr den Pharisäern zu, „euer Inneres aber ist voller Raub und Bosheit" (Lk. 11,39). Sie gingen nicht in das Prätorium hinein, „auf dass sie sich nicht verunreinigten, sondern das Passah essen möchten" (Joh. 18,28), und dabei waren ihre Herzen mit Mordgedanken erfüllt. Sie glichen übertünchten Gräbern, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll Totengebeine und aller Unreinigkeit sind (Mt. 23,27). Sollte man es für möglich halten, dass sich ähnliche Zustände auch bei Gläubigen finden könnten? Dass es möglich ist, beweist die Warnung des Herzenskündigers: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist" (Lk. 12,1).

Der Pharisäer in Lk. 7 hatte auch nichts von dem Verderben seines Herzens erkannt, wenngleich er den Herrn Jesum zu Gaste geladen hatte; die Sünderin aber hatte ein tiefes Gefühl von ihrem Elend und ihrer Sündhaftigkeit. Sie war passend für Den, Der gekommen war, um „zerbrochene Herzen zu verbinden" (Jes 61,1), ja, „der da heilt, die zerbrochenen Herzen sind, und ihre Wunden verbindet" (Ps. 147,3). Welch ein Balsam für die tiefen Wunden dieses armen Weibes, als sie aus dem Munde Jesu hören durfte: „Deine Sünden sind dir vergeben ... gehe hin in Frieden"! Das alles war für den Pharisäer eine fremde Sprache. Die Gnade war da, aber er machte von ihr keinen Gebrauch. So ist es heute noch. Für einen Menschen, der im Schlamm der Sünde versunken ist, gibt es mehr Hoffnung, als für jemanden, der sich in seinem eigenen Tun spiegelt, dessen Sprache ist: „O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen ... Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe" (Lk. 18,10-12). Der Zöllner hingegen kannte sich, flehte um Gnade und ging gerechtfertigt hinab in sein Haus. Der Pharisäer haßte die Gnade und behielt seine Sünden. Es erging ihm ähnlich, wie es in einem alten Liede heißt: „Gott teilt Geschenke aus: Wer reich ist soll nichts haben; ein armer Bettelmensch kriegt Gott und Seine Gaben".

Das mit „Ich", „Mich", „Mein" usw. erfüllte Herz des Menschen findet sich in der ganzen Heiligen Schrift fast auf jeder Seite.

„Wer ist Jehova. auf dessen Stimme ich hören soll, Israel ziehen zu lassen? Ich kenne Jehova nicht, und auch werde ich Israel nicht ziehen lassen", lautete die stolze Sprache des Pharao (2. Mo. 5,2).

„Niemanden hat die Königin Esther mit dem König zu dem Mahle kommen lassen, als nur mich; und auch auf morgen bin ich mit dem König von ihr geladen", sagte der ruhmsüchtige Haman (Vergl. Esther 5,11. 12).

„Ist das nicht das große Babel, welches ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit"! fragte der durch die Größe seiner Macht verblendete Nebukadnezar (Dan 4,30).

„Wisset ihr rächt, was ich und meine Väter allen Völkern der Länder getan haben? Haben die Götter der Nationen der Länder irgendwie vermocht, ihr Land aus meiner Hand zu erretten? ... wie viel weniger wird euer Gott euch aus meiner Hand erretten!" höhnte der siegestrunkene Sanherib (2. Chr. 32,13 - 15).

„Ich bin ein Gott, ich sitze auf einem Gottessitze im Herzen der Meere"! sprach der Fürst von Tyrus (Hes. 28,2).

„Wer wird mich zur Erde hinabstürzen"? fragte Edom in seinem Herzen (Ob. 3).

„Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts", ist die vermessene Sprache Laodicäas (Off. 3,17).

Aber wie wahr sind die Worte Gottes: „Die Treuen behütet Jehova, und er vergilt reichlich dem, der Hochmut übt" (Ps. 31,23)! Der Pharao wurde mit seiner ganzen stolzen Macht ins Meer gestürzt; Haman wurde an einen Baum gehängt; Nebukadnezar wurde von den Menschen ausgestoßen, das Herz eines Tieres wurde ihm gegeben, und er aß Kraut wie die Rinder; Sanherib wurde ein Ring in seine Nase gegeben und ein Gebiss in seine Lippen, und er wurde auf dem Wege zurückgeführt, auf welchem er gekommen war; der König von Tyrus wurde in die Grube hinabgestürzt, und er starb den Tod eines Erschlagenen im Herzen der Meere; von Edom heißt es: „Wenn du dein Nest auch hoch bauest wie der Adler, und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: ich werde dich von dort hinabstürzen, spricht Jehova"; und zu Laodicäa wird gesagt: „Ich werde dich ausspeien aus meinem Munde".

Die Menschen reden auch heute noch „von oben herab", „sie setzen in den Himmel ihren Mund, und ihre Zunge wandelt auf der Erde" (Ps. 73,8. 9). Aber wir gehen der Zeit entgegen, wo der Hochmut des Menschen gebeugt und die Hoffart des Mannes erniedrigt werden wird. An jenem Tage wird Jehova allein hoch erhaben sein, und kein „Ich" des Menschen wird sich mehr breit machen (Vergl. Jes. 2,12 - 14). Gott aber bewahre uns heute schon vor jedem Hochmut, vor aller Selbstüberhebung! Sein Wort ist voll von diesbezüglichen Warnungen und tröstlichen Ermahnungen, wie z. B.: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade" (1. Pet. 5,5). „Sinnet nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu den niedrigen" (Römer 12,16). „Der niedrige Bruder rühme sich seiner Hoheit, der reiche aber seiner Erniedrigung" (Jak 1,9. 10), „Kommt Übermut, so kommt auch Schande; bei den Bescheidenen ist Weisheit". - „Des Menschen Hoffart wird ihn erniedrigen; wer aber niedrigen Geistes ist, wird Ehre erlangen" (Sprüche 11,2; 29,23). „Ich will niedrig sein in meinen Augen" (2. Samuel 6,22). Und der Herr Jesus Selbst sagt: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig" (Mt. 11,29).

Das ist die Gesinnung, die sich für die Jünger Jesu geziemt; aber ach! die Überlegungen unserer armen Herzen gehen oft dahin, wer wohl der Größte unter uns sein möge (Vergl. Lk. 9,46-48). Was ist der Mensch! was sind wir! Hochmut in einem Christen ist ein schreckliches Übel. Darum die Ermahnung: „Seid mit Demut fest umhüllt" (1. Petrus 5,5)! Wenn es eine Sünde gibt, die mehr als andere satanisch ist, so ist es wohl der Hochmut. Denn Überhebung war die Ursache des Falles Satans (Vergl. Hesekiel 28,13-17). Der Herr sagt: „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum, und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist" (Jesaja 57,15). Und David singt in einem seiner Psalmen: „Jehova ist hoch, und er sieht den Niedrigen, und den Hochmütigen erkennt er von ferne" (Psalm 138,6). Wenn man an einem Kornfelde vorübergeht, erblickt man häufig Ähren, die hoch über die anderen emporragen; sie sehen sehr hübsch aus, sind aber meist leer, während andere, die ihr Haupt demütig beugen, schwer von Korn sind. So gibt es auch Blumen, die nur durch ihre blendenden Farben und ihren stolzen Wuchs die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während andere niedrig und versteckt stehen, aber einen kostbaren Duft um sich her verbreiten. Möchten war solch lieblich duftenden Blümlein gleichen! „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn"!

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Auf was harre ich, Herr

Bibelstelle: Psalm 39,7

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 52ff

„Und nun, auf was harre ich, Herr?“ Mit anderen Worten: Was ist der Gegenstand meiner Erwartung in. dieser eitlen Welt, wo alles so vergänglich und nichtig ist und jeder Mensch, der dasteht, nur eitel Hauch ist? (V. 5). Das ist eine herzerforschende Frage, die der Psalmist seinem Herzen stellt und die auch wir oft an uns richten sollten, da wir nicht selten auf Dinge harren, von welchen wir, wenn sie wirklich da sind, selbst sagen müssen, dass sie des Harrens gar nicht wert waren.

Das menschliche Herz gleicht dem armen Lahmen, der an der schönen Pforte des Tempels saß und auf jeden Vorübergehenden blickte, „in der Erwartung, etwas von ihm zu empfangen“. Es sieht sich in den Umständen, in welche es geführt wird, verlangend nach irgend einer Erleichterung, nach irgend einer Hilfe um, in der Meinung, der morgige Tag müsse bringen, was der gestrige und heutige versagt hat. Wie gern lässt man sich nieder an irgendeiner irdischen Quelle, in der eitlen Hoffnung, dort Labsal und Erquickung zu finden! Ja, es ist erstaunlich zu sehen, auf welche Kleinigkeiten die Natur zuweilen erwartungsvoll ihre Blicke richtet: auf eine Veränderung des Wetters, auf eine Reise, auf einen Besuch, auf einen Brief oder was es sonst sei. Es bedarf nicht viel, um in einem Herzen, welches nicht alle seine Quellen in Christo gefunden hat, Erwartungen irgendwelcher Art hervorzurufen.

Die Frage: „Auf was harre ich?“ ist deshalb von hoher praktischer Bedeutung für jeden Christen, und sie sollte oft und ernstlich unsere Herzen beschäftigen. Ohne Zweifel würde eine aufrichtige Beantwortung dieser Frage häufig ein ernstes Selbstgericht in uns wachrufen.

Der 6. Vers unseres Psalmes redet von drei verschiedenen Charakterzügen des Menschen. Wir lesen da: „Ja, als ein Schattenbild wandelt der Mensch einher; ja, vergebens ist er voll Unruhe; er häuft auf und weiß nicht, wer es einsammeln wird“. Die drei genannten Dinge kennzeichnen mehr oder weniger jeden natürlichen Menschen. Alle sind nicht mehr als ein Hauch, ihre Schönheit zergeht gleich der Motte (V. 11); alle sind voll Unruhe, und alle begehren nach dem gleißenden Golde dieser Erde. Andererseits aber können wir auch drei verschiedene Klassen oder Arten von Menschen in dem angeführten Verse unterscheiden. Jeder der genannten Charakterzüge findet sich in Einzelnen besonders stark entwickelt.

Da gibt es z. B. viele, deren ganzes Leben wirklich nur einem „Schattenbilde“ gleicht, sei es im Blick aus ihren persönlichen Charakter, oder ihrs Geschäftsleben oder auch auf ihr religiöses Bekenntnis. Es ist nichts Festes, nichts Gewisses, nichts Klares in ihnen. Da ist keine Tiefe, keine Gründlichkeit. Alles ist oberflächlich. Ihr Eifer ist ein aufflackerndes Strohfeuer, ihre Energie ein rasch verfliegender Dunst. Aus einiger Entfernung betrachtet, erwecken sie zwar den Schein des Wirklichen, Echten; sieht man aber näher zu, so findet man nichts als eine dünne, ganz dünne Vergoldung des wertlosen Innern, ein Schattenbild.

Dann gibt es eine andere Klasse von Menschen, deren Leben in beständiger Unruhe verläuft. Sie sind nie

still, nie zufrieden, nie glücklich. Voll ängstlicher Sorge und Unruhe erwarten sie immer etwas Schlimmes. Ihr Hab und Gut, ihr Geschäft, ihre Verwandten und Freunde, ihre Kinder und Dienstboten — alles wird zu einer Quelle der Unruhe für sie; sie leben wie in einem beständigen Fieber. Obgleich in Verhältnisse gestellt, die Tausende ihrer Mitmenschen sehr angenehm und begehrenswert finden würden, leben sie dennoch in steter Furcht. Sie beunruhigen sich über Schwierigkeiten, die nicht da sind, machen sich Sorge über Leiden, die nie kommen werden, und fürchten sich vor Dingen, die sich nie ereignen. Anstatt für die bereits empfangenen Segnungen dankbar zu sein und sich der Güte Gottes in der Gegenwart zu erfreuen, beschäftigen sie sich mit Schwierigkeiten, welche die Zukunft bringen könnte. Mit einem Wort: Vergebens sind sie Voll Unruhe.

Wieder andere sind besonnen, klug und gewandt; sie wissen aus allem Geld zu machen, aus jeder Lage Vorteile für sich zu erringen. Von dem oberflächlichen Wesen der ersten Klasse bemerkt man bei ihnen wenig oder gar nichts; das Leben ist eine praktische Wirklichkeit für sie. Sie wissen was sie wollen, und streben energisch ihrem Ziele zu. Sie machen sich auch nicht allzu viel Unruhe und Sorge; sie sind überlegend, unternehmend, rastlos tätig und spekulativ. Sie häufen auf, aber ach! sie wissen nicht, wer es einsammeln wird.

Diese drei Klassen von Menschen sind sehr verschieden; aber vergessen wir nicht, alle sind „eitel Hauch“. Ja, alles was unter der Sonne geschieht, ohne irgend eine Ausnahme, ist von einem Manne, der es aus Erfahrung kannte und seine Erfahrungen unter der Leitung des Heiligen Geistes niederschrieb, als „Eitelkeit und ein. Haschen nach Wind“ bezeichnet worden. „Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger, alles ist Eitelkeit“. Wohin man sich „unter der Sonne“ auch wenden mag, nirgendwo gibt es ein Plätzchen, wo das Herz wirklich ruhen könnte. Wollen wir Ruhe finden und „eine bessere und bleibende Habe“ besitzen, so müssen wir uns auf den Flügeln des Glaubens über die Sonne erheben. „Ich wandle auf dem Pfade der Gerechtigkeit“, spricht die Weisheit, „mitten auf den Steigen des Rechts, um die, die mich lieben, beständiges Gut erben zu lassen, und um ihre Vorratskammern zu füllen“ (Spr. 8, 20. 21). Nur Jesus kann „beständiges Gut“ geben, nur Er kann unsere Vorratskammern wirklich „füllen“ und das Herz befriedigen. So wie das Werk Christi allein den Bedürfnissen eines aufgewachten Gewissens zu begegnen vermag, so kann auch nur Seine Person das tiefe Sehnen des gläubigen Herzens befriedigen. Wer Christum auf dem Kreuze gefunden hat und Christum auf dem Throne Gottes droben kennt, hat alles gefunden, was er für Zeit und Ewigkeit bedarf.

Der Psalmist konnte auf die Frage: „Auf was harre ich?“ antworten: „Meine Hoffnung ist auf dich“. Kostbare Antwort! Da war nichts auf Erden, nichts Sichtbares, worauf er hätte vertrauen können, nichts was des „Harrens“ wert gewesen wäre. Da war auch keine „Unruhe“ in seinem Innern, kein vergebliches Aufhäufen von Reichtümern oder dergleichen. Er hatte seinen Gegenstand in Gott gefunden und erfahren, dass Er allein wert ist, den Gegenstand unseres Harrens zu bilden.

Mein lieber Leser! Wer auf den Herrn sich stützt, auf Ihn schaut und auf Ihn harrt, wird nie beschämt werden. In der Gemeinschaft mit Ihm besitzt und kennt er eine unerschöpfliche Quelle der Freude, und zugleich hat er teil an der gesegneten Hoffnung, bald den gegenwärtigen Schauplatz der Unruhe, der Eitelkeit und Vergänglichkeit zu vertauschen mit der seligen Ruhe und unvergänglichen Herrlichkeit droben im Lichte des Vaterhauses. Dort wird er Den schauen, an welchen er hienieden geglaubt hat, und sich sonnen in dem Lichte Seines Angesichts, ja auf ewig verwandelt sein in Sein herrliches Bild.

Aber ach! wie leicht hängen sich unsere armen Herzen an die irdischen Dinge! Wie sehen wir uns so gern

um nach der Kreatur, die im besten Sinne doch nichts anderes ist als ein Stab, der dem, welcher sich darauf stützen will, durch die Hand geht. Lasst uns darum immer wieder unsere Herzen durch die Frage erforschen: „Und nun, Herr, auf was harre ich?“ Harre ich auf Menschen, auf eine Veränderung meiner Umstände, auf eine Verbesserung meiner äußeren Lage etc. etc., oder harre ich auf den Herrn? Kann ich auf Jesum schauen und mit aufrichtigeln Herzen sagen: „Meine Hoffnung ist auf dich!“?

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Die Gerechtigkeit Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 57ff

„Denn da sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten und ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachteten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen“ (Römer 10, 8.)

Es wird dem aufmerksamen Leser nicht entgehen, dass der Apostel in dem 10. Kapitel des Römerbriefes

zwei völlig entgegengesetzte Grundsätze vor unsere Blicke stellt, nämlich Gesetzeswerke und Gerechtigkeit aus Glauben.

Das Gesetz ist an und für sich der Ausdruck dessen, was Gott von dem Menschen fordert. Die Gerechtigkeit aus Glauben ist die Gerechtigkeit Gottes; sie steht in unmittelbaren: Gegensatz, zu der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, kommt. Dies zu verstehen wird dem Menschen außerordentlich schwer. Alle Menschen besitzen das Gefühl ihrer Verantwortlichkeit, das heißt, sie kennen den Unterschied zwischen gut und böse; dieses Gefühl verlässt das Gewissen des Menschen nie. Der Mensch möchte wohl Christum annehmen, aber er will es tun, ohne sich der Gerechtigkeit Gottes zu unterwerfen. Vielleicht ist er sich dessen nicht bewusst, aber im Grunde sucht er doch nur seine eigene Gerechtigkeit auszurichten.

In unserem Kapitel finden wir zwei Arten von Gerechtigkeit, zwei Gerechtigkeits-Grundsätze. Beide sind in sich selbst richtig, aber völlig verschieden; beide sind wahr, aber sie stehen im Gegensatz zu einander. Wenn ein Mensch eine Schuld hat und sie bezahlt, so ist das nicht dasselbe, als wenn sie ihm erlassen wird. Wir haben eine Schuld, die gerechterweise eingefordert werden kann und bezahlt werden muss; aber es handelt sich hier darum, wie mit dieser Schuld verfahren wird: ob wir sie selbst bezahlen, oder ob sie uns erlassen wird. Die Tatsache, dass ein Mensch bekehrt ist, ändert nichts an der Sache selbst. Auch wenn ich bekehrt bin, kann ich sagen: „Ich muss meinem Nächsten gegenüber dies sein, oder ich muss das sein“.

Das Bewusstsein oder das Gefühl über gut und böse, von dem wir soeben sprachen, wird nach der Bekehrung nur noch bestimmter und gebieterischer. Man strengt sich an, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Man fragt: „Muss ich denn nicht dies oder das sein?“ Ja, der du so fragst, ohne Zweifel musst du das.

Man betrachtet ferner die Heiligkeit und fragt: „Ist es nicht wahr, dass ohne Heiligkeit niemand den Herrn

schauen wird? Muss ich ihr deshalb nicht nachjagen?“ Ja, es ist vollkommen wahr, du hast ganz recht; aber wenn du so fragst, heißt das dann in Wirklichkeit nicht deine eigene Gerechtigkeit aufrichten?

Man fragt weiter: ,,Wird Gott nicht am Tage des Gerichts allem nachforschen, was man getan hat?“ Ganz

gewiss; aber wenn jemand so spricht, so befindet er sich noch in dichter Finsternis im Blick auf die Wurzel der Sache, welche uns beschäftigt. Er hat noch gar kein Verständnis darüber. Die Menschen sagen: „Ich muss dies oder das tun, ich „muss;·dies oder das sein“ ; aber sie vergessen ganz, sich zu fragen, was sie sind. Die ernste, wichtige Frage ist aber nicht, was ich sein muss, sondern was ich bin.

Aber, sagst du, ich muss mir doch vornehmen, dies oder das zu sein. Ach, rede mir nicht von deinen guten Vorsätzen! Deine Wünsche mögen gut und ausrichtig sein; aber was sind sie wert? Man findet ja oft schon bei einem unbekehrten Menschen das Bewusstsein von gut und böse sehr entwickelt; und nach der Bekehrung wird das Gewissen noch mehr erleuchtet, es wird jenen Forderungen bezüglich des Guten und Bösen gegenüber noch empfindsamer; aber es sind doch nur Forderungen betreffs dessen, was man tun oder nicht tun sollte. ist ähnlich wie bei dem reichen Jüngling, einem liebenswürdigen Charakter, der zu dem Herrn kam und zu Ihm sagte: „Was muss ich getan haben, um das ewige Leben zu ererben?“ Er sagt nicht: „Was muss ich tun, um errettet zu werden?“ Nein, er glaubte etwas tun zu müssen, um ein Anrecht an das ewige Leben zu haben.

Wenn wir das Gesetz in allen Punkten beobachtet hätten, so würde Gott uns nichts vorzuwerfen haben; wir würden dann nicht Sünder sein. Es wäre indes eine völlige Selbsttäuschung, wenn ich das Gesetz als Richtschnur nehmen würde für das, was ich sein muss, ohne zu untersuchen, was ich bin. Wenn ich das Gesetz zur Richtschnur nehme, so kann ich ehrlicherweise nicht versprechen, was ich sein werde, es sei denn dass ich zu gleicher Zeit in Betracht ziehe, was ich bin. Tue ich das nicht, so leugne ich meine ganze Vergangenheit, ähnlich wie ein Kind, welches eben wegen einer Unart bestraft worden ist. Dasselbe ist sehr bald bereit zu sagen, dass es künftig artig sein werde; aber gerade diese Worte beweisen, dass ihm das richtige Gefühl über das Böse fehlt, welches es getan hat. So lange eine Seele noch etwas tun will, ist sie nicht mit ihrem wirklichen Zustand beschäftigt.

Wenn jemand sich wirklich in der Gegenwart Gottes befindet, so denkt er nicht daran, die Dinge auf einen zukünftigen Tag des Gerichts zu verschieben; nein, er ist vielmehr vor Gott in seinem gegenwärtigen Zustand, zerbrochen und niedergebeugt durch das Bewusstsein dessen, was er ist. Man schiebt diese Frage oft beiseite, selbst nach der Bekehrung, in dem Gedanken sich bessern zu können; man nimmt an, dass man die erforderliche Gerechtigkeit aufrichten könne, wenn auch mit einer Beimischung von Barmherzigkeit, die dann das Mangelnde ersetzen soll. Aber du magst so viel Barmherzigkeit beimischen wie du willst, immer ist und bleibt der Gedanke vorherrschend, dass du dich bessern könnest; es handelt sich also immer noch um deine Gerechtigkeit, es ist noch derselbe gesetzliche Grundsatz. Wenn es ein Gericht gibt, so muss ich vor Gott eine Gerechtigkeit haben. Auf welchem anderen Boden aber könnte ich stehen, als nur auf dem, der mich fähig macht, in diesem Gericht zu bestehen?

Zweierlei ist hier zu beachten: 1) So lange wir daran denken, etwas zu werden, erkennen wir nicht aufrichtig an, was wir sind. 2) Angenommen dass ich in einem gewissen Maße erkenne was ich bin (und auch was ich nicht bin), ist doch immer der Gedanke da, dass ich das, was ich sein muss, werden könnte. Das beweist aber eine völlige Unkenntnis über das, was wir sind hinsichtlich unseres Zustandes vor Gott, ein Fehlen des Bewusstseins des Bösen, welches in unserer Natur ist, sowie ihrer Unfähigkeit, das Gute zu tun.

Alles das kommt daher, dass man nicht erkennt was der Mensch vor Gott ist. Man hat keinen Frieden; wie

könnte man ihn haben, so lange man das nicht besitzt, was allein die Heiligkeit Gottes befriedigen kann? Was uns zunächst not tut, ist, klar und deutlich zu erkennen, dass wir schuldig und schon verloren sind. Das heißt nicht die Rechte Gottes über uns beiseite setzen, sondern im Gegenteil sie anerkennen und zugeben, dass wir sie schon beiseite gesetzt haben. So lange ich der Gerechtigkeit, die ich vor Gott haben muss, etwas beimische, was ich tun kann, wird es für mich keinen Frieden geben können.

Sobald ein Schimmer von dem, was Gott in der unveränderlichen Heiligkeit Seiner Natur ist, in die Seele

dringt, erkennt sie, dass alles in ihr Gott entgegengesetzt ist. Daher kann sie unmöglich Frieden haben; sie sieht, dass in sittlicher Hinsicht alles, was sie ist, verworfen werden muss; und es ist ein schreckliches Gefühl, so sein ganzes „Ich“ verdammen zu müssen. Ich rede hier nicht von groben Sünden, sondern von den Triebfedern, von den Beweggründen, die unser Leben regieren; sie alle haben ihre Quelle in einer schlechten Natur, sie entstammen alle dem bösen „Ich“. Betrachte das göttlich heilige Leben Christi. Da siehst du die Vollkommenheit in Gott; in uns steht alles im Gegensatz dazu. Ach, was sind die Beweggründe, welche die Menschen beherrschen? Der Wunsch anerkannt zu werden, die Liebe zum Gelde, die Wissenschaften, die Künste, das Ansehen, der Ruf - mit einem Wort, alle Triebfedern, welche die Welt in Tätigkeit setzen, entstammen dem „Ich“. Was ist das Trachten nach Ansehen und Ruf anders als Selbstsucht? Hast du je bei dem Herrn Jesu (ich spreche von Ihm als Mensch) irgend etwas gefunden, was Er für sich selbst, zu Seinen Gunsten, getan hätte? Niemals. Der Mensch aber hat in seiner Natur keinen Geschmack für göttliche Dinge. Gleich dem verlorenen Sohn bringt er alles zusammen, um es für f ich selbst zu vergeuden; und obwohl es eine völlige Torheit ist, verwendet der Mensch doch sein ganzes Leben aus Dinge, von denen er weiß, dass er sie verlassen muss. Selbst wenn man von den groben Sünden absieht, sind alle seine Beweggründe selbstsüchtig und die Menschen betrachten sie nicht gern allzu nahe, weil sie fühlen, dass das die ganzen Tätigkeiten ihres Lebens lahmlegen würde.

„Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm. 8, 7). Das Ende ist der Tod; das weiß ein jeder, und doch mühen sich alle für Dinge ab, denen sie sterben müssen. Es gibt nichts, was sie mitnehmen könnten in die Ewigkeit. Ihr Name mag in dem Gedächtnis Anderer fortleben, wenn sie nicht mehr sind; aber was nutzt das? Sie wandeln in eitlem Schein, „als ein Schattenbild“, und, wie es in Psalm 49 heißt: „Dieser ihr Weg ist ihre Torheit, und die nach ihnen kommen, haben Wohlgefallen an ihren Worten“. Der „Prediger“ beweist dies, und darin liegt die Erklärung des Buches. Alles was unter der Sonne geschieht, ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind. „Was wird der Mensch tun, der nach dem Könige kommen wird? „In dem Buche des Predigers sehen wir einen Menschen, der in allem, was es auf der Erde gibt, von den höchsten bis zu den niedrigsten Dingen, die bestmögliche Gelegenheit hatte, seine Wünsche zu befriedigen; doch auf alles war der Tod geschrieben, und er wusste nicht, was es jenseits desselben geben würde, so dass er sagt: „Alles ist Eitelkeit“, und zu dem Schlusse kommt: Es gibt nichts Besseres, als alles, was sich im Leben hienieden darbietet, so viel wie irgend möglich zu genießen· Alle Beweggründe beziehen sich auf das „Ich“.

Es ist gut, dass es Licht werde, und dass das Licht uns den wahren Zustand der Dinge zeige und in uns

einen völligen Abscheu davor wachrufe. Der Punkt, zu welchem die Menschen geführt werden müssen, ist der, dass in ihrem Gewissen das Bewusstsein der Sünde erwacht. Denn würdest du wohl, wenn dieses Bewusstsein in dir lebte, noch eine Gerechtigkeit vor Gott zustande zu bringen suchen? Sicherlich nicht. Wie wolltest du das fertig bringen? Die Ausübung des Gerichts gründet sich auf die Tatsache, dass ich vor Gott eine Gerechtigkeit haben muss; und auf diesem Boden muss ich stehen.

Sobald der verlorene Sohn zu sich selbst gekommen war, sagte er: „Ich komme um vor Hunger“. In diesem Zustand konnte er nicht bleiben. Als er nicht einmal mehr die Träber hatte, welche die Schweine fraßen, da war der Augenblick gekommen, dass er sich erinnerte: in dem Hause meines Vaters ist Überfluss an Brot.

Alle diese Übungen einer Seele, die darnach trachtet, eine Gerechtigkeit vor Gott zu haben, dauern so lange fort, bis sie entdeckt, dass sie verloren ist. Die Offenbarung dessen, was Gott ist, lässt uns sehen was wir sind. Wenn Gott das ist, was Er ist, und wir das sind, was wir sind, so bleibt nichts anderes übrig, als dass Er uns verdammt. Die neue Geburt verleiht mir noch nicht die Gerechtigkeit; sie gibt mir vielmehr ein aufgewachtes Gewissen, und das Gewissen hat dann die Oberhand. Ich erkenne jetzt wirklich die Heiligkeit Gottes und trachte nur umso eifriger nach Heiligkeit; aber es gelingt mir nicht, eine Gerechtigkeit hervorzubringen, und ich werde niemals dazu kommen. Kann dieses Trachten Gott befriedigen? Nein, denn ich suche immer noch meine eigene Gerechtigkeit aufzurichten.

Also selbst wenn ich wiedergeboren bin, (und ich mag dieser Tatsache so viel Gnade hinzufügen, wie ich nur will,) kann ich mir keine Gerechtigkeit erwerben. Im Gegenteil: das Gewissen ist dann, wie bereits bemerkt, schärfer und empfindsamer, ich erkenne besser, dass das Gesetz, geistlich ist, und ich besitze in dem Leben Christi eine göttliche Richtschnur für mein Verhalten; aber das alles macht mich nur umso unglücklicher. Wohl habe ich viel mehr das Gefühl meiner Fehler, ich strenge mich an, heiliger zu sein; aber schließlich ist alles doch nichts andere als der vergebliche Versuch, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten.

Doch du wirst einwerfen: „Muss ich denn nicht heilig sein?“ Ohne Zweifel; aber du willst dich der Heiligkeit

(d. h. des richtigen Verlangens, welches du nach ihr hast,) bedienen, um die Gerechtigkeit zu erlangen. Wenn dir das geriete, so wäre es deine Gerechtigkeit. Ich bin oft äußerst betroffen gewesen, wenn ich sah, wie der natürliche Geist des Menschen so gar kein Verständnis davon hat, was die Gerechtigkeit Gottes ist. Sie ist für ihn eine sinnlose Sache. Jedermann weiß, dass er eine Gerechtigkeit haben muss, um vor Gott bestehen zu können; aber nicht jeder versteht die Gerechtigkeit, die durch den Glauben ist. Trachtest du noch nach dem, was du für Gott sein musste? Ach! der Geist Gottes möchte dich im Gegenteil fühlen lassen was du bist. Nicht was wir sein müssen, sondern was wir sind, ist der wichtige Gegenstand, um den es sich handelt.

Wenn die Gnade sich mit mir beschäftigt und mich zu dem Bewusstsein bringt, dass ich nicht bin was ich sein soll, ja, wenn sie mir die Überzeugung gibt von dem, was ich bin, so fühle ich meine ganze Ohnmacht; und sobald ich das tue, unterwerfe ich mich. Wenn ich in irgend einem Maße erkannt habe, was das menschliche Herz ist, und dass ich vor Gott stehe, ohne für Seine Gegenwart passend zu sein, so beugt das Gefühl, dass mir alles fehlt, mich zu Boden und demütigt mich tief. Und dieses Gefühl wird immer stärker werden, bis mir auf einmal die völlige Unmöglichkeit zum Bewusstsein kommt, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Ich erkenne das nicht eher, als bis ich fortschreitend entdeckt habe, was Gottes Heiligkeit ist.

Wenden wir uns jetzt zu einer anderen Sache. Lasst uns, indem wir unsere Gerechtigkeit für Gott fahren lassen, ein Wort über Seine Gerechtigkeit für uns reden. Diese deckt der Seele alles auf, was sie ist, fordert sie aber keineswegs auf, eine Gerechtigkeit für Gott aufzurichten. Sie gibt mir die Überzeugung, dass ich keine Gerechtigkeit besitze; sie betrachtet mich als einen Sünder und handelt gegen mich in Gnade.

Wir konnten in unserem verderbten, unreinen Zustande nicht zu Gott gehen. Da ist Er zu uns gekommen, indem Er Seine Herrlichkeit, was deren Offenbarung nach außen hin betrifft, verhüllte; denn eine unverhüllte Offenbarung derselben hätte unsere Verdammnis bedeutet. Er kam nicht, um zu richten, sondern um zu erretten; und Gott sei ewig gepriesen! auf diesem Boden habe ich es jetzt mit Ihm zu tun: Gott hat mich in Gnaden besucht, um mich, den Verlorenen, zu erretten. Sobald ich entdeckt habe, dass ich folgerichtiger und notwendiger Weise verloren bin, erkenne ich die innere Bedeutung Seines Kommens. Er ist hier bei mir, der ich in diesem Zustande bin, erschienen und lässt mich nun sehen, dass Er größer ist als das Übel. Ist Er gekommen, um etwas von mir zu fordern? Ach! ich bin ebenso gänzlich von Früchten entblößt wie der unfruchtbare Feigenbaum; ich bin ganz verdorrt. Aber der Herr, gepriesen sei Sein Name! ist in diese Welt gekommen, gerade weil ich das bin. Statt dass das Böse in mir Gott zurückgestoßen hätte, hat es Ihn gerade herbeigeführt. Gott, der über allem Bösen erhaben ist, hat mich in dem Zustand, in welchem ich mich befand, besucht. Wie? soll das heißen, dass all das Böse in mir, dass mein ganzer unglücklicher Zustand Christum in diese Welt herabgeführt habe? Ja, genau das!

Was ich in dem Evangelium finde ist dieses: Verdammnis, Zorn und Tod sind auf den Menschen geschrieben, der seine Gerechtigkeit aufzurichten trachtet; aber von dem Augenblick an, da ich einfach zu Gott gehe als ein Sünder (und vor Ihm bin ich ganz und gar« sündig), habe ich Gott bei mir, um mich zu retten: „Wo die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden“

Das ist nicht Gerechtigkeit; das ist Gnade, die durch Gerechtigkeit herrscht. Gott ist dahin gekommen, wo

ich bin. So wie ich bin befinde ich mich in der Gegenwart Dessen, der um deswillen, was ich bin, herabgekommen ist. Ich brauche nicht mehr zu wünschen, dass meine Schuldbarkeit beseitigt werde; die Entdeckung Seiner Gnade hat sie weggenommen. Gott ist gekommen, um zu heilen, und ich habe Gott gefunden. Wo? am Tage des Gerichts? O nein, sondern jetzt, zur angenehmen Zeit, am Tage des Heils. Habe ich noch nötig, mich in irgend einer Weise zu bessern? Nein, denn Er ist gekommen, um Sünder zu erretten. Er hat sich meiner angenommen, wo ich war, durchaus so wie ich war, und um deswillen, was ich war.

Aber will Gott mich als einen Sünder vor sich haben, mit allen meinen Sünden? Nein, das würde nicht gehen. Das wäre nicht Gerechtigkeit. Aber ich muss doch eine Gerechtigkeit haben! Gewiss. Aber wie erlange ich sie? Durch Gnade. Die Gnade Gottes sucht den Sünder, um ihm eine Gerechtigkeit zu geben. .Darum heißt es auch in unserem Kapitel: „Sprich nicht in deinem Herzen: „Wer wird in den Himmel hinaufsteigen?“ oder: „wer wird in den Abgrund hinabsteigen?““(V. 6. 7). Nein, die Sache ist nicht so weit entfernt: „das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinem Herzen“. Christus ist zu mir gekommen, als ich noch in meinen Sünden war; ja, nicht nur das, Er ist auch gekommen, um für meine Sünden zu sterben, und Er bringt mir völlige Gnade dahin, wo ich bin. Er ist gestorben und hat Gott verherrlicht, indem das Werk auf dem Kreuze vollbracht, ganz und gar vollbracht worden ist, und zwar zwischen Ihm und Gott allein gemäß der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Alles was ich als Sünder war, ist völlig geordnet worden, da Gott sich mit meinen Sünden und mit mir selbst beschäftigt hat. Wir lesen: „Christus ist für uns zur Sünde gemacht worden“; und: „Er hat unsere Sünden an Seinem Leibe auf das Holz getragen“; und weiter: „Er hat, nachdem Er durch sich selbst die Reinigung der Sünden gemacht, sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe“. Dort sitzt Er jetzt, zur Rechten Gottes. Daraus erkenne ich.

dass alles endgültig, gänzlich und für immer geordnet ist.

Der Vater geht dem verlorenen Sohn entgegen, während dieser noch in seinen Lumpen ist; aber so kann

der Sohn nicht das Haus betreten. Das ist unmöglich. Nein, er wird zunächst bekleidet mit dem schönsten Kleide und dann wird er ins Haus geführt, indem er nun völlig passend ist, dasselbe zu betreten. Gott gibt eine Vollkommenheit, die für den Himmel passend macht (Kol. 1, 12). Besitzest du diese Vollkommenheit, mein lieber Leser? Wenn nicht, wie könntest du in den Himmel eingehen? Aber hat Christus nicht dort eingehen können? Ja; und darum lautet die Frage eigentlich: Hast du Christum? Besitzest du Ihn? Er ist dort; und wenn du auch dorthin kommen willst, so muss es einfach, durchaus und allein durch Glauben geschehen. Anderenfalls wäre es ja etwas aus dir. Was ich also bedarf, sind nicht gute Gefühle, nicht gute Werke, sondern einfach Christus.

Aber, so höre ich fragen, muss ich das nicht fühlen? Wenn jemand meine Schulden bezahlt und über das hinaus noch ein unermessliches Vermögen zu meinem Gebrauch bei der Bank niedergelegt hat, so ist es selbstredend, dass ich das fühle; aber was haben meine Gefühle mit dem Vermögen zu tun, das für mich hinterlegt ist? Gerade so ist es in unserem Falle. Was haben meine Gefühle mit der Gerechtigkeit zu tun? Christus ist droben im Himmel, von Gott angenommen wegen des Werkes, das Er vollbracht hat; und das ist es, was ich haben muss. Darin ist gerade die Gerechtigkeit erwiesen worden, dass Christus sich zur Rechten Gottes gesetzt hat. Die Gerechtigkeit ist dort; hienieden gibt es keine. Der einzige gerechte Mensch, den es je in dieser Welt gegeben hat, ist von ihr verworfen und aus ihr verjagt worden. Gott hat Ihn aus der Welt weggenommen, und Er führt auch mich heraus und sagt mir: Die Gerechtigkeit ist dort, zu meiner Rechten. Ja, mein Leser, dort ist meine Gerechtigkeit.

Man sagt, dass der Glaube eine sehr leichte Sache sei. Aber ist dem wirklich so ? Es ist nicht schwer, gute Werke tun zu wollen; es wird erst schwer, wenn wir finden, dass wir nicht ein einziges zu tun vermögen. Aber es ist nicht so leicht, sich zu sagen: Wenn ich nicht als ein elender Bettler errettet werden will, so kann ich überhaupt nicht errettet werden. Ja, sich sagen zu müssen: „Ich habe nichts, gar nichts; alles ist reine Gnade“, ist schwer, sehr schwer. Für den Stolz des menschlichen Herzens gibt es nichts Schwereres, als anzuerkennen: Christus ist da, und das ist alles. Der Stolz kommt und sagt: Ich bin schuldig, dies oder das zu tun, tätig zu sein; ja ich muss es, und ich kann es auch.

Zeige mir, wenn du es kannst, nur von einem Tage deines Lebens eine einzige Sache, die für den Himmel

passend wäre. Ich vermag es nicht; aber Christus ist meine Gerechtigkeit. Könnte es für den Stolz des Menschen wohl etwas Demütigenderes geben, als sich der Gerechtigkeit Gottes zu unterwerfen? Wir haben in unseren arglistigen Herzen viel zu lernen; wenn wir aber gänzlich zerschlagen und zu Boden geworfen sind, unterwerfen wir uns gern der Gerechtigkeit Gottes. Der Glaube lässt jeden Gedanken daran fahren, irgendwelche eigene Gerechtigkeit aufrichten zu können; er weiß, dass er keine hat, und unterwirft sich der Gerechtigkeit Gottes. Und wenn wir an den Tag des Gerichts denken, so wissen wir, dass der Christ dort vor Christo erscheinen wird, und die Gerechtigkeit, welche dort richtet, ist die Gerechtigkeit, die der Gläubige besitzt.

Im Anfang seines Briefes an die Römer beweist der Apostel, dass es keinen Unterschied gibt: alle Menschen sind böse, unrein, verderbt. Hier im 10. Kapitel sagt er gleichsam: Ich nehme den schlechtesten, den verderbtesten Sünder, aber da gibt es keinen Unterschied betreffs der Barmherzigkeit: „Derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“.

Der schönste menschliche Charakter, wie z. B. der eines Saulus, welcher, was die Gerechtigkeit betrifft, die im Gesetz ist, tadellos war, muss sich in den Staub beugen und erkennen, dass er der größte Feind ist, den Christus je gehabt hat. Ist es wohl etwas Leichtes, sich so im Lichte Gottes zu sehen? Nein, das ist es wahrlich nicht. Doch ich höre den Leser fragen: Willst du damit sagen, dass meine Gerechtigkeit nichts ist? Nun, Christus sagt: Sie ist nichts für mich; denn ich bin gekommen, Sünder zu rufen und nicht Gerechte. So lange ich nicht verstanden habe, dass ich um meiner Sünden willen nie mehr ins Gericht kommen werde, kann ich mich nicht selbst richten, ohne ,jene Furcht zu verspüren, welche Pein im Gefolge hat. Wenn ich stark verschuldet bin, so sehe ich nicht gern meine Geschäftsbücher durch, denn das ist eine höchst unangenehme Sache; wenn aber meine Schulden alle bezahlt sind, kann ich ohne Furcht meine Bücher durchblättern.

Ich wiederhole also: Der Punkt, wohin ein Mensch kommen muss, ist der: zu erkennen, nicht was er sein muss, sondern was er ist. Und je näher wir bei Gott sind, je mehr wir in das untrügliche Licht Seiner Gegenwart kommen, desto mehr werden wir die schier zahllosen Dinge erkennen, die fortwährend in unseren Herzen vorgehen und Gott nicht gefallen. Was der Christ entdeckt hat, ist: dass die Gnade Gottes in die Welt gekommen ist, nicht um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten, und dass diese Gnade jede Sünde hinweggetan hat, wie geschrieben steht: „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, wie Schnee sollen sie weiß werden“.

Mein lieber Leser, gestatte mir zum Schluss die Frage: Hast du dich der Gerechtigkeit Gottes unterworfen? Wenn es so ist, dann bist du imstande dich selbst zu richten, und du wirst geistliche Fortschritte machen. „Jedem, der da hat, wird gegeben werden“ Wenn aber nicht, so magst du vielleicht trachten, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, aber alle deine Mühe ist fruchtlos. Es gibt in dieser, wie in mancher anderen, Hinsicht zwei Wege: auf dem einen sieht man, dass man nicht gerecht ist, hofft aber,

es für den Tag des Gerichts zu werden; auf dem anderen erkennt man, dass das Werk bereits geschehen ist, und man ruht in Christo.

Besitzest du diese vollkommene und göttliche Gerechtigkeit? Sie ift Christus. Er ist uns von Seiten Gottes

zur Gerechtigkeit geworden. (1. Kor. 1, 30.) Sie ist ganz und gar in Ihm. Das ist es, was völligen Frieden vor Gott verleiht. „Er ist unser Friede“ Schwachheit, Kampf, Versuchungen in uns in dieser Welt, alles das wird vorhanden sein, so lange wir in diesem Leibe wallen; aber droben ist alles Friede. Möchten wir denn alle die Unaussprechliche Gnade des Ruhens in Christo kennen, der für uns in der Gegenwart Gottes ist!

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 72ff

Ein mit Eifersucht und Neid erfülltes Herz ist gleichfalls ein Übel, gegen das wir sehr auf der Hut sein sollten. Die Weisheit sagt: „Grimm ist grausam, und Zorn eine überströmende Flut; wer aber kann bestehen vor der Eifersucht" (Sprüche 27,4)! Saul ergrimmte sehr über die Worte: „Saul hat seine Tausende erschlagen, und David seine Zehntausende". Er sah von jenem Tage an scheel auf David und suchte ihn zu töten. Ach! er dachte nicht an das Wohl des Volkes Gottes, sondern nur an seine eigene Ehre. Anstatt sich zu freuen, dass der Feind geschlagen war, mochte das nun durch einen unscheinbaren Jüngling geschehen sein, oder durch einen Mann, der das ganze Volk um eines Hauptes Länge überragte, wurde er David feind alle Tage (1. Samuel 18). Auch die Söhne Jakobs waren eifersüchtig auf ihren Bruder Joseph (1. Mose 37,11), und wie schrecklich war das Ende! Wie traurig sah es ferner aus in den Herzen der Rotte Korah! 250 Fürsten der Gemeinde, Männer von Namen, waren eifersüchtig auf Mose und Aaren; aber Gott war wider sie, und die Erde tat ihren Mund auf und verschlang sie mit all ihrer Habe (4. Mose 16). Noch schrecklicher war der Herzenszustand der Leiter des jüdischen Volkes zur Zeit des Herrn Jesu. Sie überlieferten den Heiligen und Vollkommenen aus Neid, und brachten Sein Blut über sich und ihre Kinder.

Wie wahr ist das Wort, dass alle Mühe und alle Geschicklichkeit in der Arbeit Eifersucht des einen gegen den anderen ist (Prediger 4,4)! Ach! die Natur des Menschen begehrt immer mit Neid betreffs anderer. Deshalb sollten wir wachsam und nüchtern sein! Gottes Gesinnung und Tun ist ganz anders. Er „gibt größere Gnade" (Vergl. Jak 4,5. 6). Wenn jemand zufrieden ist, klein und demütig zu sein, so ist die Macht Gottes in ihm wirksam. Aber wie leicht kann der böse Einfluss des Neides auch das Herz eines Mannes Gottes aus seiner richtigen Stellung herausbringen! „Ich beneidete die Übermütigen, als ich sah die Wohlfahrt des Gesetzlosen", sagt Asaph (Psalm 73,3). Aber da war er dumm und benahm sich wie ein Tier, das keinen Verstand hat. Auch die Geschichte der Kirche ist reich an traurigen Beispielen des Neides und der Eifersucht. Darum „lasst uns nicht eitler Ehre geizig sein, einander herausfordernd, einander beneidend" (Galater 5,26). Der Apostel konnte an die Korinther schreiben: „Wir freuen uns, wenn wir schwach sind, i h r aber mächtig seid" (2. Korinther 13,9). Das war ein liebliches Zeugnis. Ähnlich sprach einst Gideon, „der tapfere Held", wie Gott ihn nannte. Als die Männer von Ephraim kamen und heftig mit ihm zankten, dass er sie nicht eher gerufen habe, sprach er zu ihnen: „Was habe ich nun getan im Vergleich mit euch? Ist nicht die Nachlese Ephraims besser als die Weinlese Abiesers" (Ri 8,1-3)? Diese bescheidene, edle Gesinnung Gideons, des Helden des Tages, beschwichtigte den Zorn der Männer und verhütete den drohenden Ausbruch eines Bruderkrieges.

„Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen" (1. Timotheus 6,10). Ein geldliebendes Herz ist auch immer ein unaufrichtiges Herz. „Sei gegrüßt, Rabbi"! sagte Judas, „und er küsste ihn sehr" (Mt. 26,49). Bileam strebte nach dem Lohn der Ungerechtigkeit und ging auf Zauberei aus. Welche Herzenszustände bei einem Jünger des Herrn und bei einem Propheten! Beide Männer fielen in die Fallstricke des Teufels; sie waren gebunden mit einer Kette von Gold. Sie sind warnende Beispiele. Der eine empfing eine Zurechtweisung seiner Verkehrtheit durch ein sprachloses Lasttier, der andere ging hin und erhängte sich. Wir finden in Psalm 119,36 ein kurzes Gebet, das .für alle Zeiten und Umstände passt; es lautet: „Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Gewinn". Die Gadarener zogen die Schweine und die Gegenwart des Teufels dem Herrn vor. Sie baten Ihn, aus ihren Grenzen wegzugehen. Ihre Herzen neigten sich zum Gewinn und nicht zu Seinen Zeugnissen. Welch ein Verlust für sie für Zeit und Ewigkeit! - Mein lieber gläubiger Leser! Erleiden wir nicht auch oft ähnliche Verluste, wenn nicht gerade in derselben Weise?

„Ein fröhliches Herz ist ein beständiges Festmahl" (Sprüche 15,15). Wie begehrenswert ist ein solches Herz! Aber wie erlangt man es? Manche reisen um die ganze Erde, in der Absicht, Befriedigung für ihren Geist zu finden und ihr Herz zu erfreuen; aber sie müssen erfahren, dass „das Auge des Seitens nicht satt wird, und das Ohr nicht voll vom Hören" (Prediger 1,8). Sie finden nicht die Befriedigung, die sie suchen, geschweige denn ein allzeit fröhliches Herz, dieses beständige Festmahl. Salomo beschreibt im Buche des Predigers seine reichen Besitztümer und seine Bestrebungen, das Gute zu genießen und Befriedung in den sichtbaren Dingen zu finden. Er hatte alles, wonach ein Menschenherz gelüsten kann, er versagte sich keine Freude und entzog seinen Augen nichts von allem, was sie begehrten; aber was war das Ergebnis von allem? Er fand, dass alles „Eitelkeit und ein Haschen nach Wind" war. Der Mensch findet keinen Himmel auf der Erde, noch ein beständiges Festmahl.

Wo und wie ist denn ein fröhliches Herz zu finden? David, Salomos Vater, konnte inmitten großer Drangsale sagen: „Du hast Freude in mein Herz gegeben, mehr als zur Zeit, da ihres Kornes und ihres Mostes viel war" (Psalm 4,7). Paulus konnte im Gefängnis zu Rom andere aufmuntern, sich mit ihm zu freuen. Die Quelle der Freude lag für beide Männer also nicht in den äußeren Umständen, sondern im Herrn. So dürfen auch wir heute singen :„ Jesu, Quelle unserer Freuden, unser Trost in allem Leid". Er tränkt die Seinen „mit dem Strome Seiner Wonnen" (Psalm 36,8). Besonders in Zeiten schwerer Trübsale und Leiden lässt Er sie „reichlich trinken von der Fettigkeit Seines Hauses". Wie lieblich ist in dieser Beziehung das Bild der ersten Christen, und wie laut und kräftig war ihr Zeugnis! Wir lesen von ihnen: „Sie nahmen Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst bei dem ganzen Volke (Apg. 2,46. 47). Die Freude am Herrn löste die irdischen Bande. Es wurde ihnen nicht schwer, Häuser und Güter zu verkaufen (Apg. 4,32-35), oder sich solche rauben zu lassen, weil sie eine bessere und bleibende Habe besaßen (Hebräer 10,34). Wie schade, dass das schöne Bild so bald durch das Murren und die Unzufriedenheit einzelner getrübt wurde!

Jesus allein kann das Herz wirklich ausfüllen und befriedigen. Wer Ihn kennt und besitzt, hat den Himmel schon auf der Erde. Ihn zu genießen ist ein beständiges Festmahl. Der Reichtum dieser Welt, ohne die Gnade Gottes -im Herzen, kann den Menschen zur Verzweiflung bringen. Er befriedigt das Herz nicht, sondern lässt es kalt und leer. Die Erfahrung lehrt, dass mancher reiche, angesehene Mann, der allgemein für glücklich gehalten wurde, zum Selbstmörder geworden ist, nur weil er nicht länger ein friedloses, zum Überdruss gewordenes Dasein fortschleppen mochte.

Ein befreites Herz ist ein kostbarer Schatz. - Im 2. Kapitel des Hohenliedes heißt es: „Denn siehe, der Winter ist vorbei, der Regen ist vorüber, er ist dahin. Die Blumen erscheinen im Lande, die Zeit des Gesanges ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube lässt sich hören in unserem Lande. Der Feigenbaum rötet seine Feigen, und die Weinstöcke sind in der Blüte, geben Duft" (V. 11-13). Welch ein Unterschied zwischen dem kalten, rauen Winter und dem warmen, lachenden Lenz, wenn die Kinder draußen singen: „Alles neu macht der Mai, macht die Seele frisch und frei"! Nun, wie im Natürlichen, so ist es im Geistlichen. Der Unterschied zwischen dem beängstigenden Dunkel und der verwirrenden Finsternis eines gesetzlichen Zustandes und dem erquickenden Sonnenschein der Gnade ist groß. Knechtschaft und Angst sind für den befreiten Gläubigen vorüber, Friede und Freude sind ins Herz eingekehrt. Statt der Seufzer und Klagen werden Loblieder und Dankgebete wach. Das Herz ist von dem schweren Druck, der auf ihm lastete, befreit. Der „elende Mensch" (Römer 7,24) hat seinen Retter gefunden und dankt nun Gott durch Jesum Christum. Mit Frohlocken liest er: „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater" (Römer 8,15)! Oder: „Wiederum schreibe ich euch ein neues Gebot, welches wahr ist in ihm und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet" (1. Johannes 2,8). Oder auch: „furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe" (1. Johannes 4,18). So lange ein Gläubiger sich, wie einst Israel, im Lande der Knechtschaft befindet, hängt seine Harfe an den Weiden; er singt keines von Zions Liedern. Wie wäre es möglich, im fremden Lande zu singen, mit schwerem, niedergedrücktem Herzen, das unter dem harten Joch des fremden Dienstes seufzt? Wenn aber Gott die Gefangenschaft wendet und den Gefangenen herausführt in die Freiheit der Stellung der Kinder Gottes, dann ist sein Mund voll Lachens und seine Zunge voll Jubels. Dann frohlockt er: „Der Herr hat Großes an mir getan"! und sein Herz singt und spielt dem Herrn.

Wer die vollkommene Liebe in sich sucht, wird sie allerdings nicht finden, und sollte er sich auch Tag und Nacht abmühen gleich einem Ertrinkenden. Nein, sie ist in Gott, geoffenbart in Jesu, Seinem Sohne. Ein Herz, das sie in sich sucht, ist nicht bereit, es kann sich nicht freuen, eben weil es mit sich selbst beschäftigt ist statt mit dem Herrn und Seiner Liebe.

Ein dankbares Herz verherrlicht den Herrn, wie Gott Selbst sagt: „Wer Lob opfert, verherrlicht mich". (Psalm 50,23). Wo selten ein Lob für Gott laut wird, da ist ein bedenklicher Herzenszustand vorhanden; ja schon dann sieht es sicherlich nicht gut aus, wenn nur äußere Segnungen und Gnadenerweisungen dem Herzen ein Lob abzuzwingen vermögen. Bei dem Propheten Habakuk konnte das Lob durch äußere trübe Umstände nicht gedämpft werden. Sein Auge blickte über die Umstände hinweg auf Gott. Obwohl er sagen musste: „Der Feigenbaum wird nicht blühen, und kein Ertrag wird an den Reben sein; und es trügt die Frucht des Olivenbaumes, und die Getreidefelder tragen keine Speise; aus der Hürde ist verschwunden das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen", konnte er doch hinzufügen: „Ich aber, ich will in Jehova frohlocken, will jubeln in dem Gott meines Heils" (Hab. 3,17.18).

Mit den Aposteln im Kerker zu Philippi war es ähnlich. Die Füße lagen im Stock, der Leib war mit blutigen Striemen bedeckt, Finsternis herrschte rund um sie her; aber die Herzen waren mit Lob und Dank erfüllt. Sie stimmten mit David überein, wenn er sagt: „Jehova will ich preisen allezeit, beständig soll sein Lob in meinem Munde sein" (Psalm 34,1). „Loben will ich Jehova mein Leben lang, will Psalmen singen meinem Gott, so lange ich bin" (Psalm 146,2). Allerdings gehört ein guter Herzenszustand dazu, um diese Worte zu Tat und Wahrheit werden zu lassen. Das verstanden sehen die Söhne Korahs. Sie sangen: „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! stets werden sie dich loben" (Psalm 34,4).

Loben und Preisen ist eine himmlische Beschäftigung; obgleich wir auf der Erde in Schwachheit damit beginnen, gehört es doch eigentlich dem Himmel an. Allerdings, wer hier nicht dankt, wird es auch in Ewigkeit nicht tun. Im Himmel gibt es keine undankbaren Herzen, und in der Hölle wird keine Zunge Gott loben. „Wenn ein Baum nach Süden oder nach Norden fällt: an dem Orte, wo der Baum fällt, da bleibt er liegen" (Prediger 11,3). Aber so lange die Gnade währt, ist Gott „gütig gegen die Undankbaren und Bösen" (Lk. 6,35), und Er redet durch Seine Güte. Denn wenn Gott Regen und fruchtbare Zeiten gibt und die Herzen mit Speise und Fröhlichkeit erfüllt (Apg. 14,17), so erwartet Er Dank dafür. Wird Ihm Dank nicht dargebracht, der Ihm gebührt, so wird das unverständige Herz verfinstert (Römer 1,21), der Mensch verfällt in Torheit und wird unvernünftiger als das Vieh und die Vögel des Himmels. So klagt Gott durch den Mund Seiner Propheten schon über Israel: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herr; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis" (Jesaja 1,3). Und: „Selbst der Storch am Himmel kennt seine bestimmten Zeiten, und Turteltaube und Schwalbe und Kranich halten die Zeit ihres Kommens ein; aber mein Volk kennt das Recht Jehovas nicht" (Jeremia 8,7).

Undankbarkeit ist auch ein besonderes Kennzeichen der Tage, in denen wir leben (Vergl. 2. Timotheus 3,2). Selbst unter den Christen ist die Tugend der Dankbarkeit keineswegs so reichlich da, wie man es billig erwarten könnte. Wirklich dankbare Herzen findet man selten. Wie mancher hat sich in Krankheit und Not an Gott gewandt und hat mancherlei gelobt, für den Fall dass sein Gebet Erhörung finden würde; aber nachher hat er seine Gelübde nicht gehalten. Der Mensch mag so etwas vergessen, aber Gott vergisst es nicht. Er hat gehört, geholfen, geheilt, und Er erwartet Dank dafür. „Opfere Gott Lob, und bezahle dem Höchsten deine Gelübde" (Psalm 50,14)! Besser nicht geloben, als geloben und nicht halten. - Der Herzenszustand der neun vom Aussatz gereinigten Männer war traurig und betrübte den Herrn tief. Er hatte nach ihrer Bitte getan und sich ihrer erbarmt, aber sie dachten nicht einmal daran, ihrem Helfer dafür zu danken. Nur einer gab Gott die Ehre, erfreute den Herrn und wurde selbst erfreut durch die kostbaren Worte: „Gehe hin; dein Glaube hat dich gerettet" (Lk. 17).

Wie steht es in dieser Beziehung mit dir, geliebter Leser? Benimmst du dich auch so undankbar und selbstsüchtig wie die neun? Der Herr Jesus, der gute Arzt und Helfer in der Not, fragt: „Wo sind aber die neun"? - Wo bist du? Stimmst du mit dem einen ein, der mit lauter Stimme Gott verherrlichte, vor dem Herrn niederfiel und auf seinem Angesicht liegend Ihm dankte? In Kolosser 1,12 lesen wir: „Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte". Und in Kolosser 2,7: „Gewurzelt und auferbaut in ihm (Christus) und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid, überströmend in demselben mit Danksagung". Ist es dir aus der Seele gesprochen, wenn der Dichter singt:

„O dass ich tausend Zungen hätte

und einen tausendfachen Mund!

So stimmt' ich damit in die Wette,

von allertiefstem Herzensgrund,

ein Loblied nach dem andern an von

dem, was Gott an mir getan".

Im Loben und Danken bleiben wir alle Gottes Schuldner, denn Er erzeigt uns täglich in hundertfacher Weise Barmherzigkeiten und Freundlichkeiten, die uns kaum zum Bewusstsein kommen, und wofür wir Ihm nicht danken. Wie leicht vergessen wir auch! Wie nötig ist daher die stete Aufforderung an unsere Seele: „Preise Jehova, meine Seele, und vergiss nicht alle seine Wohltaten" (Psalm 103,2)!

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Freude im Himmel

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 84ff

Freude im Himmel? Was ist denn imstande, so mag man wohl fragen, einen solchen Eindruck auf den

Himmel und seine Bewohner zu machen, dass dort, an der Stätte des Lichtes und des seligen Friedens, die Herzen mit Freude erfüllt werden? Der Herr Jesus selbst gibt Antwort auf diese Frage, indem Er sagt: „Also wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut“, und: „Also, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut“ (Luk. 15, 7. 10) .

Ist es nicht wunderbar, dass der ganze Himmel in Bewegung gerät über eine Sache, die auf Erden so wenig Beachtung findet? Ja, im Himmel ist Freude über etwas, das von den Kindern der Welt kaum anders als mit einem verächtlichen Achselzucken oder einem mitleidigen Lächeln besprochen wird. „Wenn ein Sünder Buße tut“, sagt Jesus.

Wenn irgend einem mächtigen Regenten ein Erbe geboren wird, wenn der Sohn des Königs heiratet, oder

wenn ein Fürst seine Regierung antritt, so herrscht viel Fröhlichkeit aus Erden. Große Festlichkeiten werden veranstaltet, und die Spalten der Zeitungen sind tagelang gefüllt mit Berichten über die Personen, welche denselben beiwohnten, über die Reden, die sie hielten u. s. w. Wenn ein mächtiger Eroberer, ein siegreicher Feldherr mit seinem tapferen Heere in die Heimat zurückkehrt, so herrscht wiederum viel Fröhlichkeit auf Erden. Wehende Fahnen, dröhnende Böllerschüsse, schmetternde Trompetenstöße verkünden das wichtige Ereignis, und von nah und fern strömen die Menschen herbei, um die ruhmbedeckten Scharen zu begrüßen.

Aber im Himmel wird von solchen Ereignissen gar wenig Vormerkung genommen. Wenn jedoch irgendwo in einem engen Dachkämmerlein oder in einer niedrigen Hütte ein sündiges, verkommene Menschenkind, das vielleicht am Ende eines traurigen, verlorenen Lebens steht, von seinem armseligen Strohlager aus, Herz und Hände zu Gott emporhebt, oder in tiefer Zerknirschung an seine Brust schlägt und ruft: „Vater, ich habe gesündigt!“ Oder: „O Gott, sei mir Sünder gnädig!“ dann tönt der ganze Himmel wieder von freudigem Jubel. Der gute Hirte freut sich, dass Er Sein verirrtes Schäflein gefunden hat; der Heilige Geist frohlockt, dass es Ihm gelungen ist, den Toten lebendig zu machen; der Vater endlich schließt mit freudebewegtem Herzen den heimkehrenden verlorenen Sohn in Seine Arme und verschließt die bekennenden Lippen mit den Küssen Seiner vergebenden Liebe.

Beachte es wohl, mein lieber Leser! nicht die menschlich tadellose Gerechtigkeit eines ehrbaren Pharisäers, nicht die vermeintlich guten Werke des gutherzigen, wohlwollenden Menschenfreundes, nicht die strengen Übungen, Fasten, Almosen, Gebete usw. des religiösen Menschen sind es, welche jene Freude wachrufen; nein, es ist die Buße eines Sünders. Ja, da ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut.

Doch du fragst vielleicht: was ist Buße tun? Was bedeutet das Wort „Buße“? Es ist jene innere Veränderung oder Umwandlung im Menschen, welche eine göttliche Reue über die Vergangenheit, ein aufrichtiges Gefühl über den gegenwärtigen Zustand der Seele vor Gott und eine ehrliche Verurteilung des ganzen bisherigen Wesens, Denkens und Handelns in sich begreift. Es ist die Umkehr von dem früheren Wege zu Gott, aus der Finsternis ins Licht. Sobald diese Veränderung in einer Menschenseele vorgeht, ist Freude im Himmel; denn dann betritt diese Seele den Platz, der ihr vor Gott gebührt und wo ihr geholfen werden kann. Sie entschuldigt sich nicht mehr, sie nennt Gott nicht mehr hart und ungerecht, sie versucht nicht mehr, sich selbst zu helfen, sich zu bessern, sie hält sich nicht mehr für gerecht und schuldlos, sondern sie erkennt ihren armen, verlorenen, und verderbten Zustand vor Gott an und blickt zu Ihm auf um Hülfe und Rettung. Sie nimmt, mit einem Wort, ihren Platz, vor Gott ein und gibt Gott den Platz, der Ihm gebührt. Ähnlich ist es, wenn eine errettete Seele sich vergessen und verirrt hat. Nicht dass

sie von neuem errettet werden müsste; das ist ein für allemal geschehen. Nein, sie muss zu Gott umkehren mit aufrichtiger Betrübnis, mit ernstem Bekenntnis und Selbstgericht.“ Erst dann wenn sie das tut, kann ihr geholfen, erst dann kann die verlorene Gemeinschaft wiederhergestellt werden. So schreibt denn auch der Apostel an die Korinther, welche so schwer gefehlt hatten, aber durch seinen ersten Brief zur Einsicht gebracht worden waren: „Jetzt freue ich mich, nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid; denn ihr seid Gott gemäß betrübt worden, auf dass ihr in nichts von uns Schaden erlittet. Denn die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod“ (2. Kor. 7, 9. 10). Und wenn der Apostel hienieden sich über diese gesegnete Veränderung bei den Gläubigen in Korinth freute, sollte dann nicht auch Freude im Himmel darüber gewesen sein? "

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Die größte von diesen ist die Liebe

Bibelstelle: 1. Korinther 13,13

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 84ff

Es trug der Herr der Welten ein Pflänzlein erdenwärts,

doch wurzelt`s wunderselten im stolzen Menschenherz.

Das Pflänzlein heißt: die Liebe, die ohne Heuchelei,

voll reiner, heil´ger Triebe und ohne Ende sei.

Es will von Himmelsfrieden gar sanft umheget sein,

drum kann sein Wuchs hienieden so selten nur gedeihn.

Auch muss man treu es nähren mit Gottes heil`gem Wort:

nur das kann Kraft gewähren zum Blühen fort und fort.

Ja, wär deim Alles Hoffen, das sehnend fernwärts blickt,

stünd dir der Glaube offen, der Berge gar verrückt;

und dein wär nicht die Liebe, - dann rief ich leis dir zu

„Wie ist das Leben trübe, wie arm, wie arm bist du!“

K.B.

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Sardes Philadelphia und Laodicäa

Bibelstelle: Offenbarung 3

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 85ff

In den sieben Sendschreiben an die Versammlungen in Kleinasien wird die Kirche betrachtet als das verantwortliche Gefäß des Zeugnisses auf der Erde. Ihre Verantwortlichkeit bestand darin, „an der Güte zu bleiben“; anders würde auch sie, gleich Israel, „ausgehauen“ werden (Röm. 11, 22). Leider hat sie die Warnung nicht beachtet; sie ist nicht an der Güte geblieben. Schon in dem ersten Sendschreiben (an die Versammlung in Ephesus) hören wir den Herrn sagen: „Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“. Er fordert sie deshalb auf, Buße zu tun und zu ihrem ersten Zustand zurückzukehren. Statt dessen aber hat sie sich immer weiter von Ihm und ihrer ursprünglichen Berufung entfernt, in einer Weise, dass schließlich der Herr, nachdem Er sie Jahrhunderte lang mit göttlicher Langmut und Geduld getragen und vergeblich aus ihre Buße gewartet hat, sie ausgeben musste. Er sagt: „Ich gab ihr Zeit, aus dass sie Buße täte, und sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei“ (Offbg. 2, 21.) Sie ist hinabgesunken zu einem System des Götzendienstes und huldigt dem Aberglauben in seiner ausgeprägtesten Form. Sie wird deshalb in dem Sendschreiben an Thyatira von dem Herrn für das Gericht beiseite gestellt. Nichts anderes bleibt für sie übrig. Wenngleich es in ihrem Schoße noch einen Überrest gibt, der sich von dem allgemeinen Verderben rein erhält, geht sie in ihrer Gesamtheit doch im Aberglauben und Götzendienst voran, bis sie später als „Babylon, die große“, von dem angekündigten Gericht tatsächlich ereilt wird.

In den drei letzten Sendschreiben (an Sardes, Philadelphia und Laodicäa) wird zwar die Geschichte der Kirche fortgesetzt, aber jenes System des Aberglaubens, von welchem wir soeben gesprochen haben und das in Thyatira zu einem Abschluss gebracht wird, kommt nicht mehr unmittelbar in Betracht; vielmehr finden wir hier die Charakterzüge von drei Klassen der Christenheit, oder vielleicht richtiger von drei neuen Entwicklungsstufen in der Geschichte der bekennenden Kirche, die neben dem in Thyatira beschriebenen Zustande der allgemeinen Kirche entstehen und bis zur Ankunft des Herrn, beziehungsweise bis zum Ende hin, fortlaufen. Eine nähere Betrachtung dieser Charakterzüge wird uns den in unseren Tagen immer deutlicher hervortretenden Unterschied dieser drei Klassen oder Entwicklungsstufen leicht erkennen lassen.

Betrachten wir zunächst die durch Sardes vertreten Klasse. Der. Herr sagt: „Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebest, und bist tot“. Die hier in Rede stehenden Personen haben den Namen, dass sie leben, das heißt, sie sind weder Juden noch Heiden, sondern Christen. Aber der Ausdruck: „und bist tot“, zeigt uns, dass sie von dem Wesen des Christentums selbst nicht mehr besitzen als den bloßen Namen. Es sind natürliche Menschen, entfremdet dem Leben aus Gott und tot in Vergehungen und Sünden, die aber wegen des Namens, den sie tragen, und des Bekenntnisses, dessen sie sich rühmen, unter einer weit größeren Verantwortlichkeit stehen als Andere. Denn sie haben nicht allein die Segnungen des Christentums im allgemeinen, sondern auch in besonderer Weise das Licht der Wahrheit bezüglich der Errettung aus Glauben empfangen. Die Kirche war in den Zeiten des Mittelalters, in welche uns das Sendschreiben an Thyatira bekanntlich einführt, in die tiefste Finsternis des Aberglaubens und menschlicher Anmaßungen versunken· Da kam die Reformation. Gottbegnadete Männer, gewaltige Zeugen der Wahrheit, traten auf, legten die Schäden der Kirche bloß und holten ans dem Jahrhunderte alten Schutt, welchen Überlieferung und Menschenwahn über ihr aufgehäuft hatten, die Wahrheit von der Rechtfertigung aus Glauben ohne Gesetzeswerke wieder hervor. Der Herr war in wunderbarer Weise wirksam als Der, welcher „die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne“. Er war wirksam in der Fülle des Lebens und der Macht. Ein großer Teil der Christenheit wurde ergriffen von der überwältigenden Kraft der Wahrheit und trennte sich von der allgemeinen Kirche. Man fegte den Sauerteig des Aberglaubens aus und schien eine „neue Masse“ werden zu wollen. Aber ach! das was so hoffnungsvoll begann, endete in völligem Misslingen. Hatte die Kirche früher die Welt in ihren Schoß aufgenommen, ja- schließlich sogar weltliche Herrschaft angestrebt, so suchte sie jetzt, ihre himmlische Stellung völlig vergessend, Hülfe und Schutz bei den Fürsten der Welt. Die protestantischen Kirchen wurden zu sogenannten Staatskirchen. Aber auch in anderer Beziehung förderte die Zeit völlig enttäuschende Resultate zu Tage. Es bewahrte sich in trauriger Weise in Bezug auf Sardes, was wir in Hebr. 6 lesen bezüglich des „Landes, das den häufig über dasselbe kommenden Regen trinkt“, aber statt „nützliches Kraut“- nur „Dornen und Disteln hervorbringt“. An die Stelle des lebendigen Glaubens trat ein erschreckender Unglaube, und dieser hat bis heute derartige Fortschritte gemacht, dass der größte Teil der protestantischen Christenheit davon durchdrungen ist. Trotz, der an den symbolischen Vertreter dieser Gemeinde gerichteten Mahnung: „Sei wachsam und stärke das Übrige, das sterben will“, nimmt die Zahl der Ungläubigen immer mehr zu. Die Dornen und Disteln, diese Früchte des Unglaubens, die Zeichen der moralischen Verwilderung, nehmen überhand und spotten aller an die große Masse noch gerichteten Bemühungen zum Guten. Ihr Zustand lässt keine Hoffnung auf Besserung zu; das Land ist „untauglich und dem Fluche nahe“, und sein „Ende ist zur Verbrennung“.

Das über diese Versammlung kommende Gericht entspricht den Vorrechten und Segnungen, welche ihr durch die besondere Gnade des Herrn gewährt, aber in so nichtwürdiger Weise von ihr mit Füßen getreten worden sind. „Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße. Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde“ (V. 3). Gleichwie der Herr, nach Seiner endgültigen Verwerfung seitens der Welt, kein Wort der Ermahnung und Warnung mehr für diese hat, sondern sie dem plötzlich über sie kommenden Gericht überlässt, so bleibt auch für diese verblendete Masse, nachdem sie sich einmal dem Unglauben hingegeben hat, nur noch die Erwartung des Gerichts übrig. Noch trägt sie der Herr in Seiner göttlichen Langmut und Geduld; noch hat sich die Scheidung zwischen positivem Unglauben und Glauben nicht gänzlich vollzogen; noch ist nicht alles erstorben. Aber das schnelle Überhandnehmen des Unglaubens und des sittlichen Verderbens in allen Schichten der Gesellschaft, bei Hohen und Niederen, Reichen und Armen, mahnt uns feierlich daran, dass der Tag des Gerichts herannaht. -

Dennoch gab es in Sardes seit den Tagen der Reformation immer einige wahre Gläubige, einen treuen Überrest, der sich fern hielt von dem gottlosen Treiben der großen Masse, obwohl er äußerlich noch mit ihr in Verbindung blieb. „Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben“ (V. 4). Dieser Überrest wird in dem nächsten Sendschreiben als die Gesamtheit der wahren Gläubigen auf der Erde und als eine von der ungläubigen Masse getrennte Körperschaft gesehen. Diese Trennung der wahren Gläubigen von den bloßen Bekennern tritt umso schärfer hervor, je mehr bei diesen

der positive Unglaube an Kraft und Ausdehnung gewinnt, so dass sich für alle, die Augen haben zu sehen, die Grenzlinie, welche Sardes und Philadelphia von einander scheidet, sehr leicht wahrnehmen lässt. Schon seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts hat sich diese Scheidung in bemerkbarer Weise vollzogen und ist seitdem immer klarer und deutlicher geworden. In der ganzen protestantischen Christenheit wird infolge der Wirksamkeit des Heiligen Geistes die Frage immer brennender: „Welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, . . . welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen“ (Vergl. 2. Kor. 6, 14 - 18)?

Eine nähere Betrachtung der Charakterzüge von Philadelphia wird uns den schroffen Gegensatz, erkennen lassen, welchen dieses zu Sardes bildet. Zunächst stellt sich uns der Herr dar als „der Heilige, der Wahrhaftige“. Er ist vollkommen abgesondert vom Bösen und kann in keinerlei Verbindung mit demselben sein. So offenbarte Er sich schon in den Tagen Seines Fleisches gegenüber dem Volke der Juden, deren Zustand höchst traurig geworden war. Ihr ganzer Gottesdienst war zu einer bloßen Form herabgesunken; sie hatten die Überlieferungen der Menschen an die Stelle des Wortes Gottes gesetzt und auf diese Weise die Weissagung des Propheten Jesaias erfüllt: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir“ ; ja, der Unglaube hatte so völlig Besitz von ihnen genommen, dass der Herr ihnen erklären musste: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun. Jener war ein Menschenmörder Von Anfang und ist in der Wahrheit nicht bestanden, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben. Weil ich aber die Wahrheit sage, so glaubet ihr mir nicht“ (Matth. 15; Joh. 8).

Dennoch gab es in jener Zeit einen Überrest, der an den Herrn glaubte und trotz seiner Schwachheit von Ihm anerkannt wurde. Mit diesem Überrest verband sich Jesus; er war der Gegenstand Seiner Zuneigungen. Wir wissen ja, wie schwach die Jünger waren; dennoch sagte Er von ihnen: „Sie haben dein Wort bewahrt. . .; denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, dass du mich gesandt hast“ Und ferner: „Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen“ (Joh. 17; Luk. 22, 28.) Es ist dem Grundsatz nach dasselbe, was Jesus von sich sagte und was Ihn in einen so unmittelbaren Gegensatz zu den Juden stellte, die in ihrer Verblendung sich Gottes rühmten, ohne Ihn zu kennen: „Aber ich kenne Ihn, und ich bewahre Sein Wort“ (Joh. 8) .Je größer der Abstand zwischen Ihm und dem Volke der Juden war, umso größer erscheint die Gnade, in welcher Er Seine armen, schwachen Jünger mit sich selbst in dieser abgesonderten und erhabenen Stellung verband.

Ein ähnlicher Abstand zeigt sich zwischen Sardes und Philadelphia. Wohl wird bei ersterem noch das Bekenntnis des Christentums aufrecht gehalten, aber es besteht nur in äußeren Formen: die „Überlieferungen der Menschen haben die Stelle des Wortes Gottes eingenommen. Man hat den Namen, dass man lebe, und ist tot. Und immer größer wird die Zahl derer, die selbst den Mantel des äußeren Bekenntnisses fallen lassen und sich ohne Scheu dem nackten Unglauben zuwenden. Wie der Herr einst zu den Juden sagte: „Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmet mich nicht auf; wenn ein Anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“, so ist auch die große Masse dieser Bekenner reif für die Aufnahme des Antichristen. Der Herr und Sein Wort werden nicht mehr anerkannt. Umso mehr finden der Name und das Wort des Herrn Jesu eine Stätte bei den Gläubigen der Jetztzeit. Wohl haben diese nur eine „kleine Kraft“, die weit, weit zurückbleibt hinter der Kraft des Glaubens derer, welche einst „durch Glauben der Löwen Rachen verstopften, des Feuers Kraft auslöschten . . . . durch Verhöhnung und Geißelung versucht wurden und dazu durch Banden und Gefängnis . . . . die gesteinigt, zersägt, versucht wurden, durch den Tod des Schwertes starben, umhergingen in Schafpelzen, in Ziegenfellen, in Mangel, Drangsal und Ungemach . . . , umherirrend in Wüsten und Gebirgen und Klüften und den Höhlen der Erde«. (Vergl. Hebr. 11.) Aber wie schwach ihr Glaube und wie klein ihre Kraft auch sein mag, dennoch werden sie von dem Herrn anerkannt, wie die Jünger damals von Ihm anerkannt wurden trotz ihrer Schwachheit. Der Herr schätzt die Benutzung der kleinen Kraft, die sich offenbart in dem Bewahren Seines Wortes und in dem Festhalten an Seinem Namen. ,,Denn du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ Und ferner: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast . . . .“

Diese Anerkennung ist umso bemerkenswerter, als sie von dem Heiligen und Wahrhaftigen kommt, von Dem, der abgesondert ist von allem Bösen und der die Heuchelei verabscheut. Nie hat das Böse einen schlimmeren Charakter, als wenn es mit dem Namen des Herrn in Verbindung gebracht wird, und nirgendwo spielt die Heuchelei eine größere Rolle, als in Sachen der Religion. Und eben dieser Charakter des Bösen kennzeichnet die letzten Tage der Christenheit. Dieselbe schreckliche Schilderung, welche der Apostel in Römer 1, 29 — 32 von dem natürlichen Menschen in seinem heidnischen Zustande entwirft, finden wir in 2. Tim. 3, 2 - 4 angewandt auf solche, die den Namen Christi tragen. Ja, diese letzteren sind in einem weit schlimmeren Zustande als die Heiden, indem sie das Heilige mit dem Unheiligen zu verbinden suchen. Sie sind „eigenliebig, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, ausgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott“; und trotz allem machen sie Anspruch auf den Namen „Christen“. Sie haben eine „Form der Gottseligkeit“, verleugnen aber ihre „Kraft“. Unwillkürlich erinnert uns dies wieder an das Land, das den häufig über dasselbe kommenden Regen trinkt, aber nur Dornen und Disteln hervorbringt und deshalb untauglich und dem Fluche nahe ist.

Wie lieblich ist demgegenüber die Anerkennung der Gläubigen von Seiten des Herrn! Sie bezeugt die Echtheit ihres Glaubens, der, so schwach er auch sein mag, sich kundgibt in wirklichen Zuneigungen für Christum. Diese Zuneigungen suchen wir vergeblich in Sardes, wie auch nachher in Laodicäa. Denn sie können nur da sein, wo wahres Leben aus Gott vorhanden ist, sie sind das untrügliche Kennzeichen dieses Lebens. „Jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt“; und: „Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tode“ (1. Joh. 4, 7. 8; 3, 14).

Durch die Ausdrücke „mein Wort“, „meinen Namen“, „das Wort meines Ausharrens“, gibt uns der Herr zu verstehen, dass Er die Liebe zu Seiner Person, die sich in diesen Ausdrücken kundgibt, in den Herzen der Seinigen sieht und zu schätzen weiß. Und in der Tat kann Er nur solche Werke anerkennen, die ihren Beweggrund in der Liebe zu Ihm haben, wie unscheinbar sie in den Augen der Menschen auch sein mögen, während andererseits die schönsten Handlungen wertlos für Ihn sind, wenn sie nicht aus dieser reinen Quelle hervorgehen. Diese Liebe zu Seiner Person ist es, wovon die Kirche im Anfang abgewichen ist. „Ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast«, ruft Er der Versammlung in Ephesus zu. (Kap. 2, 4.) Es war der Keim des Verderbens, der Beginn des Verfalls, die eigentliche Ursache, weshalb der Leuchter von seiner Stelle weggetan werden muss. Darum sind die Zuneigungen zu Ihm, welche Er inmitten des gegenwärtigen Verfalls in den Herzen der Seinigen wahrnimmt, so wohltuend für Ihn. Es ist das Einzige, was Sein liebendes Herz befriedigen kann: das Einzige auch, was die Seinigen miteinander verbindet, sie kennzeichnet und von der Welt unterscheidet. „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh. 13, 35).

Wie schon bemerkt, ist in einem jeden Herzen, welches wahres Leben aus Gott besitzt, auch diese Liebe vorhanden und macht sich bemerkbar. Daher kann es geschehen, dass sich solche, die sich nie in ihrem Leben gesehen haben, sofort aufs Innigste miteinander verbunden fühlen, sobald sie sich gegenseitig als Gläubige kennen lernen. Sie fühlen sich verbunden durch das unauflösliche Band gemeinsamer Interessen, deren Mittelpunkt Christus ist, der Gegenstand ihrer Herzen. Wie verschieden ihre Stellung in dieser Welt, ihr Beruf, ihr Charakter, ja, selbst ihre Ansichten sein mögen, nichts ist imstande, dieses alle umschlingende Band zu zerreißen. Es wird gehalten durch die unantastbare Macht des Lebens aus Gott, welches keine Macht der Finsternis denjenigen rauben kann, die es besitzen. Welch einen Gegensatz bilden diese innigen Zuneigungen, diese Äußerungen des göttlichen Lebens in den Gläubigen, so schwach sie sein mögen, zu dem kalten, starren Unglauben von Sardes! Möchten wir deshalb alle, gleich dem Herrn, ein Auge für diese Zuneigungen in den Gläubigen haben, sie wertschätzen, fördern und pflegen, und jeder an seinem Teile alles vermeiden, was ihrer Entwicklung hindernd in den Weg treten könnte! Wir besitzen das Leben; und je mehr wir in der Macht dieses Lebens wandeln, desto völliger wird sich der Charakter desselben: Liebe und Heiligkeit, offenbaren. Diese beiden Charakterzüge können allerdings nie von einander getrennt werden. Denn Er, der der Gegenstand unserer Herzen ist, nennt sich: „der Heilige, der Wahrhaftige".

Außer diesen Zuneigungen gibt es indes noch andere, Philadelphia näher bezeichnende Charakterzüge. Der Herr sagt: „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag“. Gleichwie David sich alle Feinde unterwarf und unter seiner Herrschaft das Reich Israel seine größte Ausdehnung erlangte, so hat auch jetzt der Herr überall die Türen für Sein Evangelium geöffnet. Nie hat es einen Zeitabschnitt in der Geschichte .der Christenheit gegeben, wo sich „das Werk des Herrn in jeder Beziehung so ungestört und frei entwickeln konnte, wie in unseren Tagen. Überall kann das Evangelium frei und ungehindert Verkündigt werden, und die Gläubigen können sich in den meisten Ländern ungestört

versammeln. Wohl lässt die Welt bei gewissen Anlässen ihre Feindschaft gegen das Werk des Herrn durchblicken und zeigt dadurch, dass sie sich gegen früher nicht verändert hat; aber der Herr erlaubt ihr nicht, den Fortgang Seines Werkes zu hindern. Die Kraft der Gläubigen in unseren Tagen ist klein, aber Seine Kraft erweist sich umso größer in der Ausführung Seiner Absicht, die Seinigen aus der Welt zu sammeln.

Dies führt uns zu einem anderen, hiermit eng verbundenen Charakterzug von Philadelphia: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen. Ich komme bald“ (V. 10. 11). Wir haben gesehen, dass der Herr in Thyatira die Kirche als solche aufgegeben und für das Gericht beiseite gesetzt hat. Sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei. Auch der Zustand von Sardes verschlimmert sich immer mehr und geht voran zum Gericht. Indessen werden diese Bekenner vor dem schließlichen Hereinbrechen des Gerichts noch einer Prüfung unterworfen werden, welche den wahren Zustand ihrer Herzen ans Licht stellen wird. Der „Gesetzlose“ wird kommen, „dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit denen, die verloren gehen, darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden. Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrtums, dass sie der Lüge glauben, auf dass alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit«. (2. Thess.2, 9 - 12.)

Der Herr sagte einst zu den ungläubigen Juden: „Wenn ein Anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“. Dasselbe wird in den letzten Tagen der Christenheit begegnen. Es wird eine Versuchung über sie kommen, der sie nicht wird widerstehen können. Die nämlichen Zeichen und Wunder, welche durch die Wirksamkeit Gottes zur Bestätigung der Person des Herrn und der durch Ihn und die Apostel verkündigten Wahrheit gedient haben, werden alsdann durch die Wirksamkeit Satans zur Bestätigung der Person des Antichristen und der Lüge dienen. Im Blick auf Christum lesen wir: „Männer von Israel, höret diese Worte: Jesum, den Nazaräer, einen Mann, von Gott an euch erwiesen durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch Ihn in eurer Mitte tat usw.“; und: ,,indem Gott außerdem mitzeugte, sowohl durch Zeichen als durch Wunder und mancherlei Wunderwerke usw..“ (Apstgsch. 2, 22; Hebr. 2, 3. 4.) Und hinsichtlich des Gesetzlosen sagt der Heilige Geist in der oben angeführten Stelle, dass er kommen wird in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit“· Die Verführung wird so groß sein, dass selbst die Auserwählten in Gefahr kommen, verführt zu werden. „Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und werden große Zeichen und Wunder tun, umso, wenn möglich, auch die Auserwählten zu verführen“ (Matth. 24, 24). Dennoch werden diese, aber auch nur sie, durch die Macht Gottes bewahrt bleiben. Außer den Auserwählten werden alle der Versuchung erliegen, wie geschrieben steht: „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es (das Tier) anbeten, ein jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buche des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an“ (Offbg. 13, 8.) Die ganze bekennende Christenheit wird dieses Los treffen; denn sie wird zu allernächst zu denen gehören, welche „auf der Erde wohnen“, d. h. die hienieden ihre Heimat haben, anstatt hier Fremdlinge und Pilgrime zu sein. Sie besteht gerade aus denen, die verloren gehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, damit sie errettet würden. Aus diesem Grunde wird Gott sie hingeben „der Stunde der Versuchung“ und ihnen eine wirksame Kraft des Irrtums senden, dass sie der Lüge glauben, auf dass alle gerichtet werden usw.

Welch entsetzliche Folgen hat doch die Verwerfung der Wahrheit! Gott lässt jene Versuchung zu, damit die Herzen aller offenbar werden und es sich zeige, dass sie das „Licht hassen“ und „die Finsternis mehr geliebt haben als das Licht“ (Joh. 3, 19. 20). Gleichwie das Kreuz den inneren Beweis von dem Zustande des Menschen geliefert hat, indem dort seine Sünde ihren Gipfelpunkt erreichte in der Verwerfung des Sohnes Gottes, so wird die Stunde der Versuchung den äußeren Beweis seines Zustandes erbringen in seiner offenbaren Empörung gegen Gott. Die ganze Erde wird sich alsdann in diesem Zustand der Empörung befinden, welchem der Herr bei Seiner Erscheinung zum Gericht ein Ende machen wird. Wie schrecklich wird diese Stunde der Versuchung sein! Der mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde hinabgeworfene Teufel wird hier seinen ganzen Zorn ausüben (Vergl. Offb. 12). Alle Leidenschaften des Menschen werden entfesselt sein; die in Röm. 3, 10 - 18 entworfene Schilderung des Tuns des Menschen wird buchstäblich in Erfüllung gehen, und das Wort wird sich bestätigen: „Wehe der Erde und dem Meere! denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (Offbg. 12, 12).

Werden denn in jenen Schreckenszeiten gar keine Gläubigen mehr auf der Erde sein? Doch, wie wir bereits weiter oben hörten. Gott wird, eingedenk der den Vätern gegebenen Verheißungen, sich wieder Seinem irdischen Volk zuwenden, und ein Überrest aus Israel wird als ein Zeugnis dastehen inmitten des Abfalls der letzten Tage. Diese „Auserwählten“ werden, gleich Noah in der Flut, durch die Macht Gottes in der Stunde der Versuchung bewahrt und aufrecht gehalten werden, so dass sie der Verführung nicht unterliegen. Aber sie werden schrecklich leiden müssen unter der Herrschaft des Antichristen. Sie gehen durch die „große Drangsal“, von welcher gesagt ist: „Alsdann wird große Drangsal sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt hin nicht gewesen ist, noch je sein wird“ (Matth. 24, 21). Die Gläubigen der Jetztzeit will der Herr bewahren „vor der Stunde der Versuchung“; sie werden vorher entrückt werden in den Himmel, wie Henoch entrückt wurde vor der Flut (Vergl. 1.Thess. 4, 17; Hebr. 11, 5). Diesen Seinen Absichten gemäß ist der Herr jetzt beschäftigt, die Seinigen zu sammeln, und Er tut es in Eile. Er hat eine geöffnete Tür gegeben, und Tausende und aber Tausende werden bekehrt. Zugleich sucht der Geist Gottes die Gläubigen mehr und mehr von der Welt abzusondern und ihre Herzen auf die nahe Ankunft des Herrn hinzulenken. Der Herr selbst ruft den Gläubigen ein Philadelphia zu: „Ich komme bald!“ Die Erwartung dieser Ankunft, welche seit vielen Jahrhunderten ganz verloren gegangen war, ist in unseren Tagen aufs neue in den Herzen der Gläubigen erwacht. Das mitternächtliche Geschrei: „Siehe, der Bräutigam!“ hat die „Jungfrauen“ aufgeweckt, und von neuem „gehen sie aus, Ihm entgegen“.

Mit der Versicherung: „Ich komme bald!“ verbindet der Herr die ernste Mahnung: „Halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme“. Möchte diese Mahnung tief in unsere Herzen dringen! Wahrlich, es tut uns not, zu wachen und unsere Zuneigungen für die Person des Herrn, des Heiligen und Wahrhaftigen, zu bewahren und festzuhalten an der Erwartung Seiner nahen Ankunft. Die Gefahr liegt nahe, dass diese beiden Dinge, diese charakteristischen Kennzeichen Philadelphias, wenn auch nicht gänzlich verschwinden, so doch ihre erste Frische verlieren unter dem blendenden Einfluss des Zeitgeistes. Ja, es ist unleugbar, dass sie bei vielen Gläubigen unserer Tage diese erste Frische bereits verloren haben. Darum lasst uns aufwachen! Möchte ein jeder von uns nach den ihm gegebenen Fähigkeiten und Mitteln unermüdlich mitwirken an dem Werke des Herrn, damit die Seinigen aus der Welt gesammelt und Ihm entgegengeführt werden. Der Herr kennt die Gefahren, welche uns in diesen letzten „schweren Zeiten“ drohen; deshalb ermahnt Er uns so treu, kommt uns zu Hülfe durch mancherlei Prüfungen und Leiden, und ermuntert uns „zugleich durch den Hinweis auf den herrlichen Kampfpreis, den Er dem Überwinder zusichert: „Halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme“. — Es gilt eine Krone, mein lieber Mit-Pilger! Sieh wohl zu, dass du sie nicht verlierst und ein Anderer sie statt deiner empfange!

Die Verheißungen, welche dem Überwinder gegeben werden, sind eine Vergeltung der für Christum hienieden bewiesenen Zuneigung und Hingebung. Haben die Gläubigen hier Sein Wort bewahrt, Seinen Namen nicht verleugnet und mit Ihm ausgeharrt, so will Er, dass sie auch droben mit Ihm alles teilen, was Er selbst in Seiner neuen Stellung besitzt. „Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen.“ Haben die Gläubigen jetzt auch eine gar kleine Kraft im Vergleich mit solchen, die einst als „Säulen“ der Kirche angesehen wurden (Galater 2, 9), so sollen sie diesen doch droben im Tempel Seines Gottes nicht nachstehen. Verachtet und verschmäht hienieden von denen, die sich in ihren Anmaßungen rühmen, das

anerkannte Volk Gottes zu sein, sollen sie droben den Nationen Gottes als Zeichen Seiner Anerkennung tragen. Sind sie hienieden Fremdlinge und ohne Bürgerrecht gewesen, so sollen sie droben Bürger des neuen Jerusalem, der Stadt Gottes, sein, Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes; „denn Er hat ihnen eine Stadt bereitet“ (Eph. 2, 19; Hebr. 11, 16). Haben sie hienieden ausgeharrt mit Ihm, dem Heiligen und Wahrhaftigen, auf dem schmalen Pfade der Absonderung vom Bösen, so sollen sie in der Herrlichkeit droben Seinen neuen Namen tragen, Seine neue Stellung und insbesondere Sein inniges Verhältnis zu Gott mit Ihm teilen. „Gott hat Ihn hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist“; Er hat Ihn bekleidet mit all Seiner Herrlichkeit. Aber hoch über all dieser Herrlichkeit steht das, was Gott selbst für Ihn ist: Er, die Quelle von allem, ist Sein Gott. Und was Gott für Ihn ist, soll Er auch für die Seinigen sein: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh. 20, 17). Möge der Herr in Seiner Güte und Treue stets unsere Blicke aus Ihn und Seine Herrlichkeit gerichtet halten, damit wir mit dem Apostel, das Ziel anschauend, „hinjagen zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“! (Phil. 3, 14).

So lieblich das Gemälde von Philadelphia ist, so traurig, ja, düster ist das von Laodicäa. Wir begegnen hier zwar nicht dem finstern Aberglauben von Thyatira, noch dem Unglauben oder Vernunftglauben von Sardes, wir finden vielmehr eine Körperschaft, die sich von beiden abwendet und das Bekenntnis des Christentums hochhält. Ja, für den oberflächlichen Beobachter scheinen die Glieder dieser Körperschaft in enger Beziehung zu Philadelphia zu stehen und manches mit diesem gemein zu haben. Sie verwerfen nicht die Heilige Schrift, halten fest an den äußeren kirchlichen Formen und Einrichtungen, rühmen sich ihres christlichen Bekenntnisses, halten sich fern von gottlosen Ausschweifungen usw. Aber ach! man sucht Vergeblich bei ihnen nach den warmen Zuneigungen eines Herzens, das für Christum schlägt. Der Herr, der Herzenskündiger, der „treue und wahrhaftige Zeuge“, sagt: „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist“. Da ist weder der Unglaube von Sardes, noch die Zuneigungen von Philadelphia. Sie erinnern uns unwillkürlich an die „törichten Jungfrauen“, die gleich den klugen ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen, aber kein O! mit sich nahmen. Das eigentliche Wesen des Christentums, das Leben, diese Quelle der Zuneigungen, fehlt ihnen vollständig. Christus hat keinen Platz. in den Herzen, Er steht draußen.

Trotzdem halten sie sich für reich. „Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts, und weißt nicht, dass du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist“ (V.17.) Sie glauben wohl noch, dass Jesus Gottes Sohn ist, kennen die Wahrheit von der durch Ihn vollbrachten Erlösung, nehmen teil an den öffentlichen Gottesdiensten, sind bekannt mit dem Worte Gottes, verrichten regelmäßig ihre Gebete &c. Je. Aber in alledem suchen sie nur sich selbst zu befriedigen; es ist nichts wie Selbstgerechtigkeit. Eingenommen von sich selbst und ihrer eigenen Frömmigkeit, stolz ans den äußeren Prunk einer fleischlichen Religion, haben sie noch nie ihren wahren Zustand im Lichte Gottes erkannt. Da ist kein Bedürfnis, kein Verlangen nach Gnade, weil sie in ihrer Verblendung meinen, alles zu besitzen. Der Herr klagt: „Ach, dass du kalt oder warm wärest!“ Es ist mehr Hoffnung vorhanden, einen offenbar Ungläubigen zu überzeugen, als diese Verblendeten mit ihrer Wahn-Religion zu überführen. Alle an sie gerichteten Ermahnungen und Warnungen scheitern an ihrer eingebildeten Frömmigkeit. Da sie nie in Wirklichkeit als verlorene Sünder die Lieblichkeit der errettenden Gnade geschmeckt haben, sehen sie auch keine Schönheit in Christo. Er hat keinen Reiz für sie: nichts, was ihre Herzen fesseln und sie veranlassen könnte, ihr eigenes Ich zu verabscheuen und ihre eigene Gerechtigkeit für „Verlust“ und „Dreck“ zu achten.

Der Rat, welchen der Herr dieser Körperschaft gibt, zeigt genau was ihnen fehlt. „Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf dass du reich werdest; und weiße Kleider, auf dass du bekleidet werdest, und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf dass du sehen mögest“ (V. 18). Es fehlt ihnen die Gerechtigkeit aus Gott, die sich bewährt hat in der Feuerprobe des göttlichen Gerichts, welches Christus auf Golgatha für unsere Sünden erduldet hat; und in Ermangelung dieser Gerechtigkeit fehlt ihnen alles, was nötig ist, um am Tage des Gerichts bestehen zu können. Sie sind in der Tat arm, wie reich sie sich auch dünken mögen; alle ihre Gerechtigkeit wird sein wie Spreu vor dem Winde, wie dürres Stroh im Feuer. Wenn der König kommt, um Seine Hochzeitsgäste zu besehen, werden sie verstummen und hinausgeworfen werden in die äußerste Finsternis (Matth. 22, 11 - 14). Die guten Werke, welche sie getan zu haben meinen, ihr fleißiges Kirchgehen, ihre rege Teilnahme an Werken der Nächstenliebe oder auch der Mission, ja, nichts von allem diesem wird ihre Blöße vor dem durchdringenden Auge des göttlichen Richters zu bedecken vermögen. Ihre Kleider sind schmutzig und zerlumpt, ihre Werke sind „tote“ Werke, ihre Opfer sind ein Gräuel vor Gott. Aber ach! für alles das haben sie kein Auge; sie sind blind, weil sie den Heiligen Geist, der allein die Augen zu öffnen und die Herzen zu erleuchten vermag, nicht kennen; sie wissen nichts von

Seiner Gegenwart, Wirksamkeit und Leitung. Mögen sie auch äußerlich den wahren Gläubigen in mancher Beziehung ähnlich sein, so haben sie doch weder den Heiligen Geist noch das Leben; darum besitzen sie keine wirklichen Zuneigungen für Christum.

„Also, weil du lau bist und weder kalt noch warm,

so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ Schreckliches Ende! Diese Unglücklichen werden nicht aufgenommen werden mit den wahren Gläubigen, sondern gleich den törichten Jungfrauen das furchtbare Wort aus dem Munde des Herrn vernehmen müssen: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht“ (Matth. 25, 12)! Ihre Lampen werden verlöschen; sie werden die Probe nicht bestehen können, wenn die Stunde der Versuchung kommt. Gleich dem Satze, das dumm geworden ist und zu nichts anderem mehr taugt, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden, werden sie aus dem Munde des Herrn ausgespieen werden als eine wertlose Sache, ja, als ein Gegenstand des Ekels und des Abscheus.

Wie ernst und feierlich ist das! Besonders wenn man bedenkt, dass sicherlich manche unter ihnen sein werden, die den Gläubigen nahe gestanden haben, die vielleicht Jahre lang mit ihnen gegangen sind und ihre Zusammenkünfte besucht haben. Viele mögen auch dabei sein, denen in ganz besonderer Weise das Wort nahe gebracht worden ist; manche, die mit Gläubigen zusammen gewohnt, gearbeitet, gegessen und getrunken haben; die bekannt waren mit den Wahrheiten von der Errettung und der nahen Ankunft des Herrn. Wie schrecklich für sie, wenn sie plötzlich die Erfüllung dessen sehen werden, wovon sie so oft gehört und das sie doch nicht zu Herzen genommen haben! wenn sie gleich den törichten Jungfrauen „draußen“ stehen und zu spät zu der Erkenntnis kommen werden, dass sie die Zeit der Gnade versäumt haben, indem die Aufnahme der Gläubigen zur Tatsache geworden ist; draußen, inmitten einer ·grauenvollen Szene, die ihre Herzen mit Angst und Verzweiflung erfüllt!

Wahrlich, nicht ohne Grund hören wir den Herrn in solch rührenden und herzbewegenden Ausdrücken sagen: „Siehe, ich stehe an der Tür: und klopfe an: wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem werde ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“. Er kennt das furchtbare Wehe, das über diese armen Verblendeten kommen wird, und lässt darum nicht nach, immer und immer wieder bei ihnen anzuklopfen. Und ob Er schon Wochen, Monate und Jahre lang vergeblich angeklopft hat, immer noch fährt Er fort, in der Erwartung, Eingang zu finden, ehe die verhängnisvolle Stunde der Versuchung hereinbricht.

O möchte sich doch niemand genügen lassen an einer bloßen Erkenntnis der Wahrheit, ohne die innere feste Überzeugung seiner Errettung zu haben! Wir leben in den Tagen großer Erweckungen, wo von Tausenden die Notwendigkeit der Bekehrung anerkannt wird. Aber ist nicht zu befürchten, dass Viele auf halbem Wege stehen bleiben, gleich dem Weibe Lots, und wiederum andere meinen errettet zu sein, während sie die Wahrheit doch nur mit dem Verstande aufgefasst haben? Eine schwache, zweifelhafte Bekehrung bleibt aber immer eine sehr bedenkliche Sache. Wenn das Leben sich nicht deutlich kundgibt, so müssen Zweifel an dem wirklichen Vorhandensein desselben aufkommen; denn wo Leben ist, da wird es sich auch in irgend einer Weise offenbaren. Es- mag schwach sein und der Kräftigung und Gründung bedürfen; der Gläubige mag zu seiner Läuterung durch Leiden und Trübsale gehen müssen, wie der Herr auch hier sagt: „Ich überführe und züchtige so viele ich liebe“; aber die Früchte des Lebens werden sich in der einen oder anderen Weise kundgeben. Darum, möchte sich doch niemand mit einer Scheinbekehrung zufrieden geben! Tausende täuschen sich in unseren Tagen, indem sie sich von dem gottlosen Treiben der Ungläubigen zurückziehen und an einem christlichen Wesen und Wandel festhalten, ohne wirklich je in das Licht Gottes gekommen zu sein und das wahre Gold von Ihm gekauft zu haben. Der Gedanke an sie ist erschreckend. - O Gott, so seufzt das Herz unwillkürlich, öffne ihnen die Augen! Schenke ihnen Augensalbe, damit sie sehen und ihren gefährlichen Zustand erkennen! Aber schenke auch uns und allen deinen Kindern Gnade, um bewahrt zu bleiben vor dem laodicäischen Geiste der Lauheit und Selbstgefälligkeit! Lehre uns wachen und beten, dass wir als wahre Philadelphier dastehen, eifrig und treu für dich, wartend auf unseren Herrn!

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 107ff

Wenn der Herr Jesus kommt, werden alle Ratschlüsse der Herzen offenbar werden (1. Kor. 4,5). Auch das Herz des bösen Knechtes wird ins Licht kommen. Dann wird es sich zeigen, warum der eine und der andere die baldige Ankunft des Herrn geleugnet hat. Doch warum wird der Knecht „böse" genannt? Zunächst: sein Herzenszustand ist nicht gut. Er spricht in seinem Herzen: „Mein Herr verzieht zu kommen". Das Nächste ist, dass er anfängt, seine Mitknechte zu schlagen und zu essen und zu trinken mit den Trunkenen (Mt. 24,48. 49). Der treue und kluge Knecht tut das Gegenteil. Herz und Zunge stehen bei ihm im Dienste seines Herrn, darum sind seine Worte und Werke dem Herrn angenehm. Der Herr lobt ihn und gibt ihm herrliche Verheißungen: Er wird ihn über Seine ganze Habe setzen. Aber über den bösen Knecht ergeht ein schreckliches Gericht.

In diesem Leben scheint es dem untreuen Knecht oft gut zu gehen; Satan läßt ihn ganz in Frieden, während er den treuen Knecht bekriegt und auf alle Weise zu Fall zu bringen sucht. Verwicklung in die Dinge dieses Lebens, Verweltlichung, Selbstüberhebung, Augen- und Fleischeslust sind einige der Waffen, die er anwendet, um den treuen Knecht zum Dienste untüchtig zu machen. Und ach! wie mancher einst gesegnete Arbeiter ist auf diesem Wege gelähmt und zunichte gemacht worden! Ja, die Gefahr ist nach einem errungenen Siege oder nach einer Zeit fruchtbaren Dienstes am größten. Der König Hiskia „tat was gut und recht und wahr war vor Jehova, seinem Gott. Und in all e m Werke, das er anfing im Dienste des Hauses Gottes und in dem Gesetz und in dem Gebot, um seinen Gott zu suchen, handelte er mit ganzem Herzen, und es gelang ihm" (2. Chr. 31,20. 21). Und siehe da, unmittelbar darauf lesen wir: Nach diesen Dingen und dieser Treue kam Sanherib, der König von Assyrien" (Kap. 32,1). Jehova half Seinem Knechte und rettete ihn aus der Hand Sanheribs; auch heilte Er ihn von seiner Krankheit. Aber Hiskia „vergalt nicht nach der Wohltat, die ihm erwiesen worden war, denn sein Herz überhob sich " (V. 24. 25). Das ist sehr beachtenswert, und wir alle haben sicherlich viel Ursache zu singen: „Ach, bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ, dass uns hinfort nicht schade des bösen Feindes List!"

Das Herz der Gesetzlosen ist friedeleer. „Die Gesetzlosen sind wie das aufgewühlte Meer; denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und Kot auf. Kein Friede den Gesetzlosen! spricht mein Gott" (Jesaja 57,20. 21). Die Herzen derer, welche das Gesetz Gottes lieben, sind dagegen friedevoll. Solche haben Frieden mit Gott, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, bewahrt ihre Herzen und ihren Sinn in Christo Jesu (Römer 5,1; Phil. 4,7). „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch", sagt der Herr Jesus, und an einer anderen Stelle: „Dieses habe ich zu euch geredet, auf dass ihr in mir Frieden habt" (Joh. 14,27; 16,33). Alle diese Worte und viele weitere ähnliche machen das Herz des Gläubigen inmitten der Drangsale dieser Welt ruhig und glücklich; und den unruhigen, friedelosen Herzen ruft der Herr Jesus heute noch zu: „Kommet her zu mir" (Mt. 11,28)! Er stillt das Toben des Meeres, „Er verwandelt den Sturm in Stille" (Psalm 107,29). Das unruhige, friedelose Herz wird ruhig und voll Friede, wenn es Den kennenlernt, Der gesagt hat: „Ich will euch Ruhe geben". Freilich kann ein gläubiges Herz sich auch wieder beunruhigen, wie z. B. Martha es tat. Aber der Herr ist bereit, zu belehren; und glücklich ist jeder, der gelernt hat, zu Seinen Füßen zu sitzen und auf Seine Stimme zu lauschen! „Selig ist das Herz und stille, wenn's in deiner Liebe ruht". Wir erreichen ja auch nichts durch unsere Unruhe. Wir machen nur uns und anderen das Herz schwer und betrüben unseren treuen Herrn, der ja doch alles tun muss und zu tun bereit ist. Er muss das Haus bauen, die Stadt bewachen, die Fische ins Netz schicken, den Schlaf geben usw. (Vergl. Psalm 127; Johannes 21,1-6). Der Prediger sagt: „Nicht den Schnellen gehört der Lauf, nicht den Verständigen der Reichtum, nicht den Kenntnisreichen die Gunst"; nein, der Segen Jehovas allein macht reich. „ Nicht d u r c h i h r Schwert haben sie das Land in Besitz genommen und nicht ihr Arm hat sie gerettet; sondern deine Rechte und dein Arm und das L i c li t deines Angesichts, weil du Wohlgefallen an ihnen hattest" (Psalm 44,3). „Er hat n i c h t Lust an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an den Beinen des Mannes; Jehova hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, an denen, die auf seine Güte harren" (Psalm 147,10. 11)!

Welche Lektionen sind das für uns! Wenn wir sie mehr beachteten, würden wir nicht so manchen vergeblichen Schritt tun, nicht so viel rechnen und planen, sondern mehr glauben und stille sein. „Den festen Sinn bewahrst du in Frieden, in Frieden; denn er vertraut auf dich" (Jesaja 26,3).

Das irdischgesinnte Herz sagt: „Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile" (Lk. 12,13). Die Worte des himmlischen Predigers gingen über den Kopf des Irdischgesinnten hinweg, weil er immer nur an die Erde dachte. Solche Leute gibt es auch heute noch; sie lernen immerdar, machen aber keine Fortschritte. Ihre Herzen haben keinen Raum für die himmlischen Dinge. Die einzige und große Sorge des reichen Mannes war, wie er wohl seine Früchte sicher berge. Aber Gott sagte zu ihm: „Du Tor" ! Das war ein passender Name, denn jener arme Mann war unbekannt mit der bleibenden Habe, mit dem unverwelklichen und unbefleckten Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt wird. - Ziba, der schlaue, irdischgesinnte Knecht Mephiboseths, betrog seinen Herrn und schwärzte ihn an bei dem Könige; und als ihm sein böses Vorhaben gelungen war, sprach er: „Ich bücke mich; möge ich Gnade finden in deinen Augen, mein Herr König" (2. Samuel 16,1-4). Ziba liebte das Land, aber Mephiboseth liebte den König (2.Samuel 19,24-30). Er verstand die Worte: „Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen" (1. Korinther 6,7)1 und handelte danach.

Habsucht wird Götzendienst genannt (Kol. 3,5), und der Herr Jesus sagt: „Hütet euch vor aller Habsucht" - „Habsucht schwächt die Kraft Christi über das Herz und Gewissen, frisst das praktische Leben aus der Seele weg und trocknet sie aus" (J.N.D.). Ein weiser Mann im Osten legte einmal einigen Irdischgesinnten die Frage vor, ob sie zu gleicher Zeit mit einem Auge den Himmel und mit dem anderen die Erde betrachten könnten. Das ist unmöglich. Beide Augen sind entweder nach oben oder nach unten gerichtet; und doch streben die meisten Menschen danach, die Erde zu besitzen, und den Himmel wollen sie dabei auch nicht fahren lassen. Dies versucht sogar mancher Gläubige, aber es ist vergeblich. Es geht nicht an, aus beiden Welten zugleich Nutzen zu ziehen.

Wie lieblich ist es dagegen, ein himmlisch gesinntes Herz zu sehen! Abraham besaß ein solches Herz. Er sagte zu Lot: „Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten ... Willst du zur Linken, so will ich mich zur Rechten wenden; und willst du zur Rechten, so will ich mich zur Linken wenden" (1. Mo 13,8. 9; vergl. auch Kap. 14,22. 23). Und was geschah? Abrahams „sehr großer Lohn" verblieb ihm, während Lot alles verlor, was er aufgehäuft hatte. Isaak handelte in ähnlicher Weise wie sein Vater. Er ließ sich einen Brunnen nach dem anderen wegnehmen (1. Mose 26). Das war schwer; aber es machte ihn nicht arm, denn die Philister mussten nach allem bekennen: „Du bist ein Gesegneter Jehovas". Mephiboseth wollte nicht mit Ziba die Felder teilen; „er mag auch das Ganze nehmen", sagte er zu David. Für sein Herz war die Rückkehr des Königs die Hauptsache; sie hatte mehr Wert für ihn als der ganze Besitz seines Vaters Saul. Er hatte „die Gnade Davids" erfahren, von der Ziba nichts wusste. Auf Zibas Teil ruhte kein Segen, denn unrechtes Gut gedeiht nicht; aber Mephiboseth saß unter denen, die am Tisch des Königs aßen.

Diese himmlische Gesinnung sollte allen Herzen, welche „die Gnade Gottes" erfahren haben, natürlich sein. Wir sind hier Fremdlinge und ohne Bürgerrecht; „unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten" (Philipper 3,20).

Seele, was ermüdst du dich

in den Dingen dieser Erden,

die doch bald verzehren sich

und zu Staub und Asche werden?

„Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott (Kolosser 3,2. 3). Christus allein ist Reichtum, alles besitzen ohne Ihn ist Armut.

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Das Opfer der roten Kuh

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 113ff

„Und Jehova redete zu Mose und zu Aaron und sprach: Dies ist die Satzung des Gesetzes, das Jehova geboten hat, indem Er sprach: Rede zu den Kindern Israel, dass sie dir eine rote junge Kuh bringen, ohne Fehl, an der kein Gebrechen, auf welche kein Joch gekommen ist; und ihr sollt sie Eleasar, dem Priester, geben, und er soll sie vor das Lager hinausführen, und man soll sie vor ihm schlachten. Und Eleasar, der Priester, nehme von ihrem Blute mit seinem Finger und sprenge von ihrem Blute siebenmal gegen die Vorderseite des· Zeltes der Zusammenkunft hin. Und man soll die junge Kuh vor seinen Augen verbrennen: ihre Haut und ihr Fleisch und ihr Blut samt ihrem Mist soll man verbrennen. Und der Priester soll Zedernholz und Ysop und Karmesin nehmen und es mitten in den Brand der jungen Kuh werfen. Und der Priester soll seine Kleider waschen und sein Fleisch im Wasser baden, und darnach soll er hin das Lager gehen; rund der Priester wird unrein sein bis an den Abend. Und der sie verbrennt soll seine Kleider mit Wasser waschen und sein Fleisch im Wasser baden, und er wird unrein sein bis an den Abend. Und ein, reiner Mann soll die Asche der jungen Kuh sammeln und sie außerhalb des Lagers an-einen reinen Ort schütten, und sie soll für die Gemeinde der Kinder Israel aufbewahrt werden zum Wasser der Reinigung; es ist eine Entsündigung. Und der die Asche der jungen Kuh gesammelt hat, soll seine Kleider waschen, und-er wird unrein sein bis an den Abend. Und es soll den Kindern Israel und dem Fremdling, der in ihrer Mitte ·weilt, zur ewigen Satzung sein“ (4. Möse 19, 1 — 10).

Es ist eine auffallende Tatsache, dass die Verordnung über. das Opfer- der „roten ,jungen Kuh“ sich nicht im 3. Buche Mose findet, in Verbindung. mit den Satzungen über die verschiedenen Opfer, welche der Israelit darzubringen hatte, sondern ganz allein und für sich stehend im 4· Buche; und für jeden nachdenkenden Leser des Wortes Gottes erhebt sich unmittelbar die Frage, worin diese Tatsache ihren Grund haben möge. Dass jene Verordnung nicht „zufällig“ hier ihren Platz gefunden hat, braucht nicht gesagt zu werden; denn wie könnte das sein in dem Buche Gottes, wo alles genau an seinem Platze steht, wo keine Zeile zu viel und keine zu wenig ist?

Das 4. Buch Mose berichtet uns die Reise der Kinder Israel durch die Wüste mit all ihren befleckenden und verunreinigenden Einflüssen für das pilgernde Volk Gottes. Diese Reise ist« ein Vorbild des Wandels des Christen durch diese Welt, bei welchem er vielen Dingen begegnet, die ihn zu verunreinigen drohen und deshalb geeignet sind, seine praktische Gemeinschaft mit Gott zu unterbrechen. Wir wissen, welch eine zarte, heilige Sache diese Gemeinschaft ist; sie kann schon durch einen unreinen Gedanken, durch ein rasches, unüberlegtes Wort gestört und unmöglich gemacht werden.

Das Opfer der roten Kuh begegnet nun in vorbildlicher Weise diesen Verunreinigungen und Befleckungen auf dem Wege. Es handelt sich hier nicht, wie im 4. Kapitel des 3. Buches Mose, um Sünden „aus Versehen“, um Verschuldungen. aus Unwissenheit, die dem Betreffenden erst durch Andere „kundgetan“ werden müssen, sondern um Sünden, die durch Mangel an Nüchternheit und Wachsamkeit begangen werden. Eine stete Wachsamkeit ..unter Gebet und Flehen ist das einzige Mittel, um jede Unterbrechung unserer Gemeinschaft mit Gott zu vermeiden. Ach, dass dies mehr von uns verstanden und beachtet werden möchte! Das Bewusstsein der Heiligkeit Gottes und das Gefühl unserer Verantwortlichkeit entschwindet uns so leicht und macht einem Sichgehenlassen und einer allmählichen Abstumpfung des Gewissens· Platz.

Die Verunreinigungen, von welchen in unserem Kapitel die Rede ist, tragen einen besonderen, ihnen allen

gemeinsamen Charakterzug. Sie alle wurden hervorgerufen durch die Berührung eines toten Körpers, oder doch von Dingen, die mit einem solchen in Verbindung standen. Niemand konnte sich deshalb entschuldigen, niemand Unwissenheit vorschützen, wenn er sich verunreinigt hatte; denn jedermann wusste, was der Tod war. Er war als der Lohn der Sünde in die Welt gekommen. Gott hatte einst zu dem Menschen gesagt: „Welches Tages du davon isst, wirst du des Todes sterben“. Der Tod war also der klarste, schlagendste Beweis von der Sünde; er war die Folge derselben. Wer daher mit dem Tode in irgend einer Weise in Berührung kam, war verunreinigt und konnte sich nicht entschuldigen.

Doch bevor wir uns mit den verschiedenen Arten der Verunreinigung beschäftigen, welche den Israeliten unfähig machten, „in den Vorhof der Stiftshütte einzutreten, lasst uns einen Blick auf das Opfer werfen, welches Gott zur Entfernung jener Verunreinigungen verordnet hatte: „Rede zu den Kindern Israel, das; sie dir eine rote junge Kuh bringen, ohne Fehl, an der kein Gebrechen, auf welche kein Joch gekommen ist“. Wir- erblicken in diesem Tiere ohne Mühe ein treffendes Vorbild von Christo, dem sündlosen Menschen, an welchem es kein Gebrechen gab, der in Seiner Natur frei war von den Folgen der Sünde, und der nie in Seinem Leben unter. die Macht der Sünde kam. Er kannte keine Sünde und trug nie ihr schweres Joch. Fleckenlos, rein und heilig, so stand Er da vor den Augen Gottes und der Menschen.

„Und ihr sollt sie Eleasar, dem Priester, geben, und er soll sie vor das Lager hinausführen, und man soll sie vor ihm schlachten.“ Wie der Leib des Sündopfers am großen Versöhnungstage, so musste auch diese Kuh außerhalb des Lagers gebracht, d. h. aus der Gegenwart des heiligen Gottes entfernt werden. Wie lässt uns das erkennen, was die Sünde nach dem Urteil Gottes ist! Er kann sie nicht ertragen. So hat denn auch Christus, unser großes Sündopfer, außerhalb des Tores gelitten. Er, der Heilige und Gerechte, in dessen Munde nie ein Betrug erfunden ward, wurde als „Sünde“ behandelt, wurde zur Sünde gemacht! O wie bebt das Herz bei diesem Gedanken vor anbetender Bewunderung und schmerzlicher Freude! Hast du es einmal versucht, geliebter Leser, dich ein wenig in diese Tatsache zu versenken, dass Christus am Kreuze so behandelt worden ist, als wenn Er sich in dem schrecklichen Zustande befunden hätte, in welchem wir von Natur uns befinden?

Indessen wurde in dem vorliegenden Falle nicht, wie am großen Versöhnungstage, das Blut in das Heiligtum, innerhalb des Vorhangs, also in die Gegenwart Gottes selbst gebracht, um dort siebenmal vor und auf den Sühndeckel gesprengt zu werden, sondern der Priester musste mit dem Blute „gegen die Vorderseite des Zeltes der Zusammenkunft hin“ sprengen, also dahin, wo das Volk erschien, um vor Gott anzubeten. Allerdings musste die Sprengung auch jetzt siebenmal, d. h. in göttlich vollkommener Weise, geschehen, aber das Blut kam nicht in die Gegenwart Gottes, vor· Sein Auge, sondern es zeigte sich den Augen dessen, der Gott nahen wollte, nachdem er schuldig befunden worden war. Es handelte sich nicht darum, eine Grundlage zu legen, auf welcher die Beziehungen Gottes zu Seinem Volke aufrecht erhalten werden konnten, wie in dem ersten Falle, sondern um die Wiederherstellung der einzelnen Seele in die Gemeinschaft mit Gott, nachdem diese durch eine Befleckung unterbrochen worden war. Zu beidem war das Blut nötig, in beiden Fällen musste der Tod des Opfers eintreten. Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung; ohne Blut kann der Mensch unmöglich Gott begegnen. Dennoch bestand, wie gesagt, zwischen beiden Fällen ein großer Unterschied. Während in dem einen das Blut im Allerheiligsten Sühnung tat, wurde es in dem anderen nur von außen angewandt, gegen das Zelt der Zusammenkunft hin gesprengt, gleichsam zur Erinnerung daran, dass eine Sühnung für die Sünde vollbracht war, und dass das Volk nunmehr Zutritt zu Gott hatte entsprechend dem Werte dieses Blutes. Das Blut ging dem Sünder sozusagen voran an den Ort, wo er Gott begegnen konnte.

Das ist sehr bedeutungsvoll und wichtig. Nicht als ob das Blut der Versöhnung immer wieder aus den Gläubigen angewandt werden müsste, so oft er fehlt oder sich verunreinigt. Nein, das geschieht ein für allemal, wenn der Sünder Jesu naht und im Glauben den Wert Seines Opfertodes sich zu eigen macht. Wohl aber müssen wir, wenn wir gefehlt haben, wissen, müssen immer wieder daran erinnert werden, dass Jesus Christus, der Gerechte, vor. Gottes Angesicht .ist als dies Sühnung für unsere Sünden. Ohne ,jene Handlung des Blutsprengens war für den Israeliten eine Reinigung nicht möglich, er hätte für immer von Gott. fernbleiben müssen; und gerade so müssten wir fernbleiben, wenn wir nicht wüssten, dass Christi Blut eine ewig gültige Sühnung zuwege gebracht hat. Viele Gläubige meinen, dass sie durch eine Verunreinigung, durch eine Verfehlung ihrerseits, eine Sache verlieren, die nie verloren gehen kann, nämlich ihr Verhältnis, ihre Beziehungen zu Gott, die sich einzig und allein auf das vollkommene Opfer Jesu, nicht aber auf unser Verhalten oder auf beides zugleich gründen. Dass unser Verhalten, unser Wandel sehr wichtig ist, soll damit sicherlich nicht geleugnet werden. Im Gegenteil, man kann nicht genug betonen wie wichtig unser Verhalten und wie ernst unsere Verantwortlichkeit in dieser Beziehung ist. Aber was durch unsere Untreue, unseren Mangel an Wachsamkeit, verloren geht, ist nicht unser Verhältnis zu Gott, sondern unsere Gemeinschaft mit Ihm.

Es ist überaus wichtig, über diesen. Punkt völlig klar zu sein. Unwissenheit in dieser Hinsicht bringt eine aufrichtige Seele, anstatt sie in die Gegenwart Gottes zurückzuführen, in Verzweiflung. Eine wahre Reinigung von Fehlern in unserem Wandel kann sich nur gründen auf die Gewissheit der Seele, dass das Blut der Versöhnung vor Gottes Augen ist und den heiligen Gott im Blick auf alle unsere Sünden völlig befriedigt hat. Wenn das Auge des Glaubens nicht auf diesem Blute ruht, sind Wiederherstellung und Frieden unmöglich.

Wie bereits bemerkt, musste das ganze Opfertier außerhalb des Lagers verbrannt werden: „Ihre Haut und

ihr Fleisch und ihr Blut samt ihrem .Mist soll man verbrennen«. Die ganze Kuh wurde zu Asche verbrannt; sogar das Blut, mit Ausnahme des kleinen Teiles, der zum Sprengen benutzt wurde, musste dem Feuer übergeben werden. Der heilige Gott kann die Sünde, selbst wenn sie durch Christum getragen wird, nicht in Seiner Gegenwart dulden; eins schonungsloses Gericht, Verbannung aus Seinen Augen, muss sie treffen. Wie ernst ist dieser Gedanke einerseits: das heilige Schlachtopfer für unsere Sünden musste von dem Feuer des göttlichen Gerichts verzehrt werden! Wie köstlich und friedengebend aber ist er andererseits: das Verbrennen des ganzen Tieres zu Asche zeigt deutlich, dass die Sünde dem glaubenden Sünder nicht zugerechnet wird; diese große Frage ist voll und ganz am Kreuze zwischen Gott und Christo geregelt worden.

„Und der Priester soll Zedernholz und Ysop und Karmesin nehmen und es mitten in den Brand der jungen

Kuh werfen« (V. 6; vergl. auch 3. Mose 14, 6.) Auch diese Handlung ist von wichtiger vorbildlicher Bedeutung. Die Zeder wird in der Heiligen Schrift oft als Bild der Größe und Macht des Menschen benutzt, der Ysop als Bild seiner Kleinheit und Schwachheit. Es sind gleichsam die beiden äußersten Endpunkte, durch welche der natürliche Mensch und alles, was er ist, begrenzt wird, zugleich die äußersten Endpunkte seiner Kenntnis und Weisheit: Salomo, der „weiser war als alle Menschen“, „redete von der Zeder, die aus dem Libanon ist, bis zu dem Ysop, der an der Mauer herauswächst“ (1. Kön. 4, 31. 33). Doch alles dieses ist nur gut zum Verbrennen; der ganze Mensch, von welcher Seite man ihn auch betrachten mag, ob in seiner scheinbaren Macht und Herrlichkeit oder in seiner« Schwachheit und seinem Nichts, findet sein Ende und sein Gericht in dem Kreuze, im Tode Christi. Gott sei ewig dafür gepriesen, dass es so ist! Das Karmesin ist ein Bild von der Herrlichkeit der Welt, von dem, was die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich zieht, was ihm gefällt und hienieden in Ansehen steht. Über alles dieses hat Gott am Kreuze Sein Gericht ergehen lassen, so dass der Gläubige mit dem Apostel sich des Kreuzes Jesu Christi rühmen kann, durch welches die Welt ihm und er der Welt gekreuzigt ist.

Der Israelit begegnete also, wenn er sich verunreinigt hatte, drei großen Tatsachen, ohne welche seine Herstellung unmöglich gewesen sein würde: das Blut wurde gesprengt, die Kuh zu Asche verbrannt, und Zedernholz, Ysop und Karmesin wurden in den Brand der Kuh geworfen. So zeigt auch Gott dem Gläubigen, der sich bei seinem Wandel durch die Welt verunreinigt hat, diese drei Dinge: die Sünde ist gesühnt, ja, in dem Opfertode Christi völlig gerichtet und hinweggetan, und er selbst ist mit Christo der Welt gekreuzigt, und die Welt ihm.

Hierbei ist noch zu bemerken, dass alle, die irgendwie mit der jungen Kuh oder ihrer Asche in Berührung kamen, selbst der Priester, der sie schlachten ließ und von ihrem Blute gegen das Zelt der Zusammenkunft hin sprengte, unrein wurden bis an den Abend. Wie zeigt uns dieser Umstand wiederum die Abscheulichkeit der Sünde und ihre verunreinigende Kraft! Selbst nicht der Wert des vollkommenen, fehllosen Opfers vermochte etwas an diesem schrecklichen Charakter der Sünde zu ändern. O wie sollten wir vor jeder Berührung mit der Sünde zurückweichen, sie hassen und fliehen! Aber wie erkennen wir auch wieder, welch einen Weg Jesus ging, als Er zum Kreuze schritt, um sich für uns zur Sünde machen zu lassen! Was muss Seine heilige Seele in jenen Stunden der Finsternis, als Er unseren Platz vor Gott entnahm, gelitten haben! Wer könnte es verstehen? Ja, würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen Ehre und Herrlichkeit und Segnung von Ewigkeit zu Ewigkeit!

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 121ff

Das Herz des Heuchlers ist Gott ein Gräuel, und Unaufrichtigkeit ist Ihm verhasst. Ernste Worte hat Er aufzeichnen lassen über solche, die sich Ihm nahen mit ihrem Munde, während ihr Herz fern von Ihm ist. So lesen wir im Blick auf Israel: „Sie heuchelten Ihm mit ihrem Munde, und mit ihrer Zunge logen sie ihm; denn ihr Herz war nicht fest gegen ihn" (Psalm 78,36. 37). Oder: „Sie tun, was ihrem Munde angenehm ist, ihr Herz gellt ihrem Gewinn nach" (Hesekiel 33,31). Und an einer anderen Stelle: „Sie reden Falschheit, ein jeder mit seinem Nächsten; ihre Lippen schmeicheln, mit doppeltem Herzen reden sie" (Psalm 12,2). Ja, die Heuchler „verstellen ihre Angesichter", um vor den Menschen etwas zu scheinen; aber der Herzenskündiger schaut durch diesen äußeren, trügerischen Firnis hindurch. Er kennt die geheimsten Gedanken von ferne, vor Ihm ist alles bloß und aufgedeckt. Er ist Licht und gar keine Finsternis ist in Ihm; wir können deshalb etwas davon verstehen, wie unerträglich alle Art von Heuchelei vor Ihm sein muss.

Auch der Gläubige ist in Gefahr, in Heuchelei zu fallen; sogar hochbegnadete Diener Gottes sind nicht sicher vor ihr, wie uns Galater 2,13 lehrt. Der Apostel Petrus ermahnt deshalb die Gläubigen so ernst, „alle Bosheit und allen Trug und Heuchelei abzulegen" (1. Petrus 2,1). Der Herr Jesus Selbst warnt wiederholt vor dem Sauerteig der Heuchelei und spricht ein siebenfaches Wehe über die heuchlerischen Pharisäer aus; denn das Tun des Heuchlers ist nicht nur verhängnisvoll für ihn selbst, sondern auch verderblich für andere. Darum wird Gott auch aller Heuchelei und Verstellungskunst mit schonungslosem Gericht begegnen. Ach! Er „hat den Menschen aufrichtig geschaffen; sie aber haben viele Ränke gesucht (Prediger 7,29).

Wie sollten wir auf der Hut sein vor aller Heuchelei, vor allem Scheinwesen, vor aller eingebildeten Frömmigkeit! Paulus wünschte, dass niemand höher von ihm denke, als was er an ihm sah oder von ihm hörte. Wir möchten oft so gern in einem besseren Licht erscheinen, als wir wirklich vor Gott dastehen, möchten treuer, frommer, besser erscheinen, als wir sind. Das ist das Herz des Heuchlers! Vergessen wir es nicht - ein Gräuel vor Gott!

Die Aufrichtigen dagegen haben köstliche Verheißungen von Gott. „Er bewahrt klugen Rat auf für die Aufrichtigen" (Sprüche 2,7). Gott bahnt den Weg des Aufrichtigen, und Er gibt dem Aufrichtigen Gnade. „Den Aufrichtigen geht Licht auf in der Finsternis" (Psalm 112,4). „Der Verkehrte ist Jehova ein Gräuel, aber sein Geheimnis ist bei (eig. Sein vertrauter Umgang ist mit) den Aufrichtigen" (Sprüche 3,32). „Das Opfer der Gesetzlosen ist Jehova ein Gräuel, aber das Gebet der Aufrichtigen sein Wohlgefallen" (Sprüche 15,8). Das sind herrliche Worte; möchten sie uns zur Aufrichtigkeit ermuntern und einen tiefen Abscheu gegen alle Heuchelei in uns wachrufen! „Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheuet das Böse, haltet fest am Guten" (Römer 12,9)!

Hohe Augen, eine Lügenzunge und ein Herz, das böse Anschläge schmiedet, gehören zu den Dingen, die Jehova hasst und die Seiner Seele ein Gräuel sind (Sprüche 6,16-18). Aber Er ist mit denen, deren Herzen aufrichtig und ungeteilt auf Ihn gerichtet sind. „Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in welchem kein Trug ist", sagte der Herr Jesus von Nathanael, und dann redete Er freundlich mit Ihm und belehrte ihn. Anderen aber vertraute Er Sich nicht an, weil Er sie durchschaute und wusste, dass ihre Herzen voll Trug waren (Johannes 1,47; 2,24. 25). Er wird nicht getäuscht durch äußeren Schein, durch ein gefälliges Wesen, oder durch liebliche Worte. Er sieht auf das Herz (1. Sam 16,7). „Der Hasser verstellt sich mit seinen Lippen, aber in seinem Innern hegt er Trug ... sieben Gräuel sind in seinem Herzen" (Sprüche 26,24. 25). Dem Menschen mögen sie verborgen sein, aber Gott sieht sie.

Ein durch äußere Schwierigkeiten besiegtes Herz schreibt Gott ungereimte Dinge zu und verführt zu allerlei verkehrten Wegen. „Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich eilends in das Land der Philister entrinne" (1.Samuel 27,1). So handelte der Mann nach dem Herzen Gottes nach so vielen wohlbestandenen Glaubensproben und herrlichen Erfahrungen von der Treue und Macht Gottes; so handelte er, als die Zeit seiner Erlösung aus allen Verfolgungen Sauls nicht mehr fern war. Die Siege über den Löwen und Bären und über Goliath waren vergessen; stattdessen hatten sich Kleinmut und Verzagtheit ins Herz geschlichen, und David meinte, Gott habe ihn vergessen. Welch eine Lehre für uns, die wir ein gleiches Herz besitzen wie David! Aber wie gut ist es auch, dass wir einen so guten und treuen Herrn haben, der weiß, was für arme Wesen wir sind, und der die Seinen nie vergisst! „Zion sprach: Jehova hat mich verlassen, und der Herr hat meiner vergessen". Aber wie lautet die Antwort? Höre sie, mein lieber Leser, und bete an! „Könnte auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde deiner nicht vergessen. Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet" (Jesaja 49,15. 16)!

Allerdings lässt Gott die Prüfung oft lang und den Trübsalsofen heiß werden, und wir erfahren dann wohl die Wahrheit des Wortes: „Lang hingezogenes Harren macht das Herz krank" (Sprüche 13,12); aber schließlich müssen wir doch immer wieder sagen: Er macht alles wohl! Wie oft zeigt sich schon nach ganz kurzer Zeit, wie weislich Er alles geordnet hatte, und wie sehr wir Ihm durch unsere Zweifel und Befürchtungen, durch unser Misstrauen und unseren Argwohn unrecht getan hatten. Darum bedürfen wir so sehr der Ermahnung: „Werfet nun eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat" (Hebräer 10,35). Der alte Tersteegen singt:

„Kinder, liebet, und betrübet

nicht durch Argwohn euren Freund;

Der euch stündlich, unergründlich

liebt und es von Herzen meint".

Aus einem durch äußere Schwierigkeiten besiegten Herzen wird leicht ein über Gottes Tun murrendes Herz. „Ich habe es nicht verdient, dass Gott so mit mir handelt", sagt der eine; „ich begreife Gott nicht", murrt der andere, während der dritte gar Gott offen der Ungerechtigkeit beschuldigt. So hadert der Ton mit dem Töpfer, das Geschöpf mit seinem Schöpfer. Das ist eine böse, traurige Sache, doppelt böse, wenn eine solche Sprache von Gottes Volk oder von einem Diener Gottes geführt wird. Als die Sonne den Propheten Jona aufs Haupt stach, dass er ermattet niedersank, da wünschte er, missmutig über Gottes Tun mit den Bewohnern von Ninive, dass seine Seele stürbe; und Gott sprach zu ihm: „Ist es recht, dass du zürnest"? Die Antwort des Propheten lautete: „Mit Recht zürne ich bis zum Tode" (Jona 4). Als Elia, der mächtige Zeuge Gottes, den Drohungen Isebels Gehör lieh und vor ihrer Wut aus dem Lande floh, hören wir auch ihn zu Jehova sagen: „Es ist genug; nimm nun, Jehova, meine Seele, denn ich bin nicht besser als meine Väter", und nachher tritt er als Ankläger seines Volkes, ja, mittelbar als Ankläger Gottes auf.

Wie schön ist demgegenüber ein Herz, das Gott ergeben ist und mit Hiob zu sagen gelernt hat: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; der Name des Herrn sei gepriesen"! - ein Herz, das Gott nicht dreinspricht, sondern bereit ist, sich belehren zu lassen; wie der Psalmist sagt: „Deine Wege, Jehova, tue mir kund, deine Pfade lehre mich" (Psalm 25,4)! Moses sang am Ende seiner langen Pilgerlaufbahn: „Der Fels: vollkommen ist sein Tun; denn alle seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und sonder Trug, gerecht und gerade ist er" (5. Mose 32,4). Aber ach! wie oft muss Gott Sich falsch beurteilen lassen, und wie langmütig ist Er gegenüber unserer Kurzsichtigkeit und Verkehrtheit! Als David die Gedanken Gottes besser verstand als zur Zeit seiner Flucht in das Land der Philister, sagte er: „Wie köstlich sind mir deine Gedanken, o Gott! wie gewaltig sind ihre Summen" (Psalm 139,17)! So konnte auch Jakob nur anbeten über Gottes Tun mit ihm. Er hatte nicht gedacht, Josephs Angesicht je wiederzusehen, und Gott ließ ihn sogar die Söhne Josephs schauen, und er segnete sie in dem Namen des Gottes, „der mich", wie er sagt, „geweidet hat, seitdem ich bin bis auf diesen Tag" (1. Mose 48).

O, wo ist ein Gott wie Er? Er sagt Selbst: „Ich weiß ja die Gedanken, die ich über euch denke: Gedanken des Friedens und nicht zum Unglück, um euch Ausgang und Hoffnung zu gewähren" (Jeremia 29,11). Er wird nicht zulassen, dass wir über unser Vermögen versucht werden, sondern wird mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen, so dass wir sie ertragen können (1. Korinther 10,13).

Du führest selig stets, o Herr, die Deinen,

ja selig, und doch meistens wunderlich.

Wie könntest Du es böse mit uns meinen,

da Deine Treu' nie kann verleugnen sich?

Die Wege sind oft krumm, und doch gerade,

darauf Du lassest deine Kinder gehn;

ja, wunderseltsam sind oft Deine Pfade,

doch bleibt zuletzt dein hoher Rat bestehn.

Das Herz eines fröhlichen Gebers ist auch ein fröhliches Herz, und ein solches Herz hat Gott lieb (2. Kor. 9,7). In 1. Chronika 29,9 und den folgenden Versen, am Ende der Regierung Davids, als der Bau des Tempels durch Salomo nahe bevorstand und die Israeliten von allen Seiten Gold und Silber, Erz, Eisen und kostbare Steine herzu brachten, lesen wir: „Und das Volk freute s i c h über ihre Bereitwilligkeit, denn mit ungeteiltem Herzen zeigten sie sich bereitwillig für Jehova; und auch der König David freute sich mit großer Freude. Und David pries Jehova vor den Augen der ganzen Versammlung, und David sprach: Gepriesen seiest du, Jehova, Gott unseres Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit! ... Denn wer bin ich und was ist mein Volk, dass wir vermöchten, auf solche Weise freigebig zu sein? Denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben ... Und ich weiß, mein Gott, dass du das Herz prüfst und Wohlgefallen hast an Aufrichtigkeit ... Jehova, Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Israel, bewahre dieses ewiglich als Gebilde der Gedanken des Herzens deines Volkes, und richte ihr Herz zu dir"!

Es sind schöne, erhebende Zeiten, wenn das Volk Gottes so mit willigem, ungeteiltem Herzen für die Sache des Herrn eintritt. Gott wird verherrlicht, und die Herzen der Gläubigen sind mit Freude und Dank erfüllt. Da ist kein zögerndes, halbherziges Geben, kein Kargen und ängstliches Rechnen. Alle wetteifern miteinander in herzlicher Bereitwilligkeit, ihre Liebe und Dankbarkeit zu beweisen und Gottes Wohlgefallen sich zu erwerben. In der Geschichte der Kirche hat es immer wieder solche Zeiten gegeben; aber leider waren sie meist von nicht langer Dauer. Mangel an Wachsamkeit! gegenüber den Einflüssen der Natur und des Fleisches, verbunden mit der listigen Wirksamkeit des Feindes, der eine solche Verherrlichung Gottes nicht ertragen kann, ließ den Eifer bald erkalten und die hässlichen Züge des alten Ichs allmählich wieder hervortreten. So war es auch bei Israel. Auf die schönen Tage im Anfang der Regierung Salomos folgten gar bald finstere, traurige Zeiten mit ernsten Heimsuchungen von Seiten Gottes, und wenn auch wiederholte Erweckungen und Neubelebungen stattfanden, so musste Gott doch am Ende zu dem Überrest in den Tagen Haggais sagen: „So spricht Jehova der Heerscharen: Richtet euer Herz auf eure Wege! Ihr habt viel gesät und wenig eingebracht ..., und der Lohnarbeiter erwirbt Lohn für einen durchlöcherten Beutel. Ihr habt nach vielem ausgeschaut, und siehe, es wurde wenig; und brachtet ihr es heim, so blies ich darein. Weshalb das? spricht Jehova der Heerscharen; wegen meines Hauses, das wüste liegt, während ihr laufet, ein jeder für sein eigenes Haus ". Und zur Zeit Maleachis brachte das Volk seinem Gott „das Geraute und das Lahme und das Kranke", und Gott musste ihm das ernste Wort zurufen: „Verflucht sei, wer betrügt, während ein Männliches in seiner Herde ist; und wer gelobt und dem Herrn ein Verdorbenes opfert"!

Man sollte kaum glauben, dass das Volk Gottes seine kostbaren Vorrechte so völlig vergessen und zugleich sich so unverständig benehmen könnte; als wenn Gott betrogen werden könnte, Der ja doch mit Beutel und Kasse, mit Kapital und Einkommen, ja, mit allen Verhältnissen wohlbekannt ist! Das Auge, welches einst die arme Witwe und ihre Gabe beachtete, ist heute dasselbe. O möchten wir lernen, teurer Leser, aus allem, was Gott in Seiner Treue für uns hat aufzeichnen lassen und, Seiner Aufforderung folgend, auch unser Herz auf unsere Wege richten! Gibt es in unseren Tagen nicht auch viel, viel Laufen für das eigene Haus, während der Bau des Hauses Gottes vergessen oder doch vernachlässigt wird? Wird nicht auch viel den Götzen geopfert, während die Opfer für Gott oft kärglich genug ausfallen? „Kinder, hütet euch vor den Götzen"! sagt Johannes. Es gibt mancherlei Götzen!

Zum Schluss noch ein wenig über das betende Herz. Petrus redet von „dem verborgenen Menschen des Herzens in dem unverweslichen Schmuck des sanften und stillen Geistes, welcher vor Gott sehr köstlich ist". Bei einem betenden Herzen findet sich dieser köstliche Schmuck. Hanna war auch eine von jenen Frauen, die sich also vor Gott schmückten (1. Petrus 3,4.5). Sie redete in ihrem Herzen mit Gott, auf Den sie ihre Hoffnung setzte; „nur Uwe Lippen bewegten sich, aber ihre Stimme wurde nicht gehört" (1.Samuel 1,13). Dem Hohenpriester Eli war dies etwas so Fremdes, dass er meinte, Hanna sei betrunken. Ein demütigendes Zeugnis für einen Mann, der eine so hohe und wichtige Stellung unter dem Volke Gottes einnahm! Ach! er verstand nichts von dieser verborgenen Herzensgemeinschaft mit Gott. Kennst du etwas davon, mein lieber Leser? Der Apostel Paulus schreibt an die Thessalonicher: „Betet unablässig"! Beim Gehen oder Stehen, Sitzen oder Liegen, Reiten oder Fahren, auf dem Meere oder auf dem Lande, auf der Erde oder unter der Erde, auf sonniger Bergeshöhe oder im Tal des Todesschattens, in Freud oder Leid - überall und zu allen Zeiten verkehrt das betende Herz mit Gott; es kann nicht anders als alles zu einem Gegenstand des verborgenen Umgangs mit Ihm machen.

Und wie einfach und ungezwungen kann das Herz mit Gott verkehren! Da ist keine bestimmte Stätte, auf welcher der Betende erscheinen oder nach der er sein Angesicht richten müsste, wie einst bei Israel; nein, wir gehen wie Kinder zum Vater. Nur fordert Gott Wirklichkeit. Die wahre Beschneidung ist die des Herzens, im Geiste, nicht im Buchstaben (Römer 2,29). Gott hat Wohlgefallen an der Wahrheit im Innern, und im Verborgenen (d. h. im Innern des Herzens) lehrt Er uns Weisheit kennen (Psalm 51,6). Fromme Mienen und Gebärden annehmen, eine Mönchskutte oder ein Nonnengewand anlegen, sich in geweihte Kleider hüllen und Anderen Absolution erteilen - alles das kann der Mensch tun, ohne wirkliches Leben aus Gott zu haben. Vor Jahren fragte ich einmal einen Mann, wie es um sein Seelenheil stehe. Er gab mir zur Antwort, dass in seiner Familie einer ein Lehrer, ein anderer ein Priester sei und ein dritter sogar ein Bischofsamt bekleide; mit anderen Worten: ihm könne es doch unmöglich fehlen, da er einer solch bevorzugten, heiligen Familie angehöre. Ähnliches kann man häufiger hören; aber wenn einmal der Tod kommt und die Ewigkeit vor die Seele tritt, dann fällt aller religiöse Schein dahin, und nur die nackte Wirklichkeit bleibt, ja, der Tod ist ein ernster Prediger; er trennt uns von allem Sichtbaren und führt uns hinüber in die unsichtbare Welt. Alles verschwindet, nur das Leben aus Gott bleibt, sowie die Gemeinschaft mit Gott im Geiste. Wer davon nichts kennt in dieser Welt, was will der im Himmel tun? Wie wird ein solcher die Ewigkeit zubringen? Wer hier nichts gelernt hat über den inneren Menschen, ist tief zu beklagen; dem der äußere Mensch vergeht. Wie traurig, wenn jemand den Kopf angefüllt hat mit allerlei Wissen, während sein Herz leer geblieben ist und nichts versteht von dem Frohlocken in dem Herrn (1.Samuel 2,1).

Es glänzet der Christen inwendiges Leben,

obgleich sie von außen die Sonne verbrannt.

Was ihnen der König des Himmels gegeben,

ist keinem als ihnen nur selber bekannt.

Was niemand verspüret, was niemand gerühret,

hat ihre erleuchteten Sinne gezieret

und sie zu der göttlichen Würde geführet.

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Helden Davids

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 131ff

Lange bevor David den Thron Israels bestieg, irrte er in den Wüsten Judas umher, fliehend vor Saul, seinem Todfeinde. Obwohl er der „Gesalbte Jehovas“ war und der Herr sich von Saul abgewandt hatte, ließ Gott es doch nicht zu, dass David in den Genuss seiner königlichen Rechte eintreten konnte. „Wie man einem Rebhuhn nachjagt auf den Bergen“ (1. Sam. 26, 20), so verfolgte der unglückliche Saul den Mann, welchen Gott zu seinem Nachfolger bestimmt und an seiner Statt zum König hatte salben lassen. Mit ihm erkannte der größte Teil des Volkes die Rechte Davids nicht an. Der Mann nach dem Herzen des Menschen hatte die Gewalt in Händen, und der Mann nach dem Herzen Gottes besaß kein Heim in Israel; man vertrieb ihn, dass er sich »dem Erbteil Jehovas nicht anschließen“ durfte.

David wurde auf diese Weise ein treffendes Vorbild von Christo, dem Allerverachtetsten und Unwertesten hienieden, der, obwohl Er der wahre Messias war und Eigentumsrechte an Sein Volk und Land hatte, von den Seinen nicht angenommen wurde, ja, der nicht einmal hatte, wohin Er Sein Haupt legen sollte. Obwohl Er Herr war über alles, wanderte Er als ein Fremdling im Lande umher, als der abhängige Mann des Glaubens, der von jedem Worte lebte, das aus dem Munde Gottes hervorging, und der ebendeshalb von Israel so bitter gehasst und verfolgt wurde. Er war Israels König, aber auf alle Seine Rechte verzichtend, unterwarf Er sich willig der damals herrschenden Regierungsgewalt und nahm den niedrigsten Platz ein.

Auch heute noch ist Er der Verworfene. Sein Reich besteht zwar, aber in einer geheimnisvollen Form: der

König ist verworfen, und alle Seine Untertanen müssen Seine Schmach und Verwerfung teilen; Er ist droben und wartet auf den Augenblick, da Gott Ihm alle Seine Feinde unterwerfen und Er selbst wiederkommen wird, um Seine Herrschaft in Herrlichkeit anzutreten. Dann wird Er auf Seinem Throne sitzen, und jedes Knie, ob willig oder gezwungen, wird sich vor Ihm beugen und jede Zunge bekennen, dass Er „Herr“ ist. Dann werden auch alle, die Ihm in der Zeit Seiner Verwerfung mit Herz und Hand gedient haben, ihre öffentliche Anerkennung und ihren reichen Lohn finden. Bis dahin aber ist der Platz bei ihrem Herrn »in der Wüste« ihr Teil, und ihr Weg ist ein Weg des Glaubens.

So mussten auch alle, die einst in Israel den von Gott gesalbten König anerkannten und mit dem herrschenden Zustand der Dinge nicht einverstanden waren, zu David hinausgehen. Dazu war Glaube nötig und ein ganzes Herz für David; denn es ist viel leichter, mit dem Strom dieser Welt zu schwimmen, als ihm entgegenzutreten und auf der Seite Dessen zu stehen, der nicht von dieser Welt ist, und dessen Name nur mit Geringschätzung oder gar Verachtung genannt wird. Es war unmöglich, Saul und David zu gleicher Zeit zu dienen, gerade so wie es heute unmöglich ist, die Welt und Christum miteinander zu verbinden. Es galt damals wie heute eine ernste Entscheidung, ein ganz bestimmtes „Entweder – Oder“. Lauheit und Unentschiedenheit im Blick auf den Gesalbten Gottes waren und sind unerträglich.

In dem 12. Kapitel des 1. Buches der Chronika werden uns nun einige Mitteilungen gemacht über die Männer, die zur Zeit der Regierung Sauls treu zu David hielten und bereitwillig alle Mühen und Entbehrungen mit ihm teilten, so lange er den Thron, welcher ihm rechtmäßig gehörte, nicht für sich in Anspruch nahm, sondern geduldig aus die Zeit wartete, da Gott ihm denselben übergeben würde; Männer, die im Glauben mit David ausharrten und ihre ganze Kraft, Leib und Leben, in den Dienst des von Gott erwählten Königs stellten. Es ist sehr bemerkenswert und belehrend für uns, zu hören, wie der Heilige Geist diese Männer beschreibt. Es werden in dem genannten Kapitel drei verschiedene Klassen erwähnt, und alle drei sind charakteristisch. Von der ersten lesen wir: „Und diese sind es, welche zu David nach Ziklag kamen, als er sich noch vor Saul, dem Sohne Kis’, verborgen hielt; auch sie waren unter den Helden, die ihm im Streite halfen, ausgerüstet mit dem Bogen und geübt, mit der Rechten und mit der Linken Steine zu schleudern und Pfeile mit dem Bogen abzuschießen: Von den Brüdern Sauls, aus Benjamin: das Haupt Achieser usw." (V. 1 — 3).

Diese Männer gehörten dem Stamme an, aus welchem auch Saul entsprossen war, ja, sie werden seine Brüder genannt. Sie kamen also geradeswegs aus ihrem alten Dienst heraus, um nun mit aller Kraft und der ganzen Geschicklichkeit ihrer Hände ihrem neuen Herrn zu dienen. Sie waren ausgerüstet mit dem Bogen und geübt, mit der Schleuder umzugehen, d. h. sie trugen gerade die Waffen, welche einst den Riesen Goliath zu Fall gebracht hatten und später für Saul so verhängnisvoll wurden. (Vergl. 1. Sam. 17, 49; 31, 3.) Zugleich waren sie geübt, mit der Rechten und mit der Linken zu schleudern, also ungewöhnlich gewandte, furchtbare Gegner. Und sie alle werden „Helden“ genannt. Es gab unter den Streitern Davids Unterschiede: da waren „drei“, die sich ganz besonders hervortaten, und „dreißig“, deren Namen in der Reihe der Helden Davids hell glänzen; aber auch diese hier waren unter den Helden.

Solche Helden sucht der wahre David auch heute: solche, die von dem Dienste des Fürsten dieser Welt für immer Abschied genommen haben und entschlossen sind, sich in dem Dienste ihres neuen Herrn verwenden zu lassen, wo immer Er will, sei es zur Rechten oder zur Linken; die wohl ausgerüstet sind mit geistlichen Waffen und geübt, sie zu benutzen. Eine unbedingte Notwendigkeit für den Streiter Christi ist, das; er seine Waffen kennt und sie zu benutzen weiß; dass er ferner mit wachsamem Auge jede Gelegenheit erspäht, wo er dem Feinde eine Wunde beizubringen vermag. Wie oft geht eine Gelegenheit unbenutzt vorüber, wo ein Pfeil aus dem Köcher Gottes abgeschossen, ein Stein geschleudert werden könnte, der unter dem Segen von oben vielleicht Wunder zu tun vermöchte. Wie mancher meint: Ich bin nicht fähig, ich habe nicht die Gabe, ein Wort an meine Mitmenschen zu richten, (dass es in dieser Beziehung große Unterschiede gibt, ist keine Frage,) während es ehrlicher wäre zu sagen: Es fehlt mir an dem nötigen Interesse, an der Liebe zu den Seelen, an dem Entschluss des Herzens und an der Vorbereitung in der Rüstkammer des Glaubens. Wer nicht in der Stille der Verborgenheit vor Saul mit David verkehrt, wird auch nicht fähig sein, am Tage des Kampfes Siege zu erringen. Es fehlt an der Ausrüstung.

Jeder Soldat weiß auch, wie notwendig und nützlich die Übung in den Waffen ist. Je mehr er übt, desto gewandter wird er in der Führung seiner Waffe, desto genauer mit der Eigenart und Wirksamkeit jeder einzelnen vertraut.. Mit der Übung wächst zugleich sein Vertrauen auf die Güte seiner Waffen und die Überzeugung, dass ihm der Sieg nicht fehlen wird. Genauso ist es im Geistlichen. Versuche es nur, mein lieber, gläubiger Leser! Verkehre viel in der Stille mit deinem Herrn, damit die Liebe und das Interesse für Ihn und Seine Sache zunehmen und Er dich mit allem Nötigen ausrüsten könne, und dann übe dich eifrig! Tue, was deine Hand zu tun findet, mit deiner ganzen Kraft. Sei bereit zu jedem Dienst. Beneide nicht Andere. um ihren Posten, sondern fülle den deinigen treu rund gewissenhaft ans, nicht um deiner Ehre willen, sondern um Jesu wohlzugefallen und Seine Sache zu fördern.

Von der zweiten Klasse in unserem Kapitel lesen wir: „Und von den Gaditern sonderten sich ab zu David, nach« der Bergfeste in der Wüste, tapfere Helden, Männer des Heeres zum Kriege, mit Schild und Lanze gerüstet, deren Angesichter wie Löwen-Angesichter, und die den Gazellen auf den Bergen gleich waren an Schnelle“. (V. 8) .Waren die Benjaminiter gewandte, zu jedem Dienst geübte Leute, so trat bei diesen Gaditern mehr die unerschrockene Tapferkeit hervor, verbunden mit unüberwindlicher Kraft und ausdauernder Schnelligkeit. Waren jene für den Fernkampf besonders geschickt, so diese für den Kampf Mann gegen Mann; erprobte Helden, die da feststanden im Gewühl der Schlacht, von denen der Kleinste

es mit hundert, der Größte mit tausend Feinden aufnehmen konnte. (V. 14.) Die bloße Beschreibung dieser Männer erweckt Mut und Vertrauen in der Seele.

Gott gebe uns viele solcher tapferen, ausdauernden Streiter für Christum, die den Schild des Glaubens hochhalten und dem Feinde furchtlos entgegentreten! Es ist zuweilen erstaunlich zu sehen, was ein tapferer Jünger oder eine mutige Jüngerin Jesu für den Herrn zu tun vermag und wie sehr ihr Beispiel den Mut Anderer belebt und sie zur Nachahmung anspornt. Ach, wie sehr sind wir auch hier wieder geneigt, uns selbst zu täuschen! Wir nennen das vielleicht bescheidene Zurückhaltung oder kluge Vorsicht, was im Grunde nichts anderes ist als Furchtsamkeit und Kreuzes-scheu. Lebendiger, tätiger Glaube und Menschenfurcht gehen nie miteinander. In demselben Maße, wie wir auf Gottes Macht vertrauen und uns auf Seinen Arm stützen, werden wir praktische Kraft für Ihn und Seine Sache offenbaren. „Übrigens, Brüder seid. stark in dem Herrn und in der Macht Seiner Stärke“, schreibt der Apostel an die gläubigen Epheser, deren Kampf nicht war wider Fleisch und Blut, sondern wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern. „Sei stark und mutig!“ hieß es zu Josua, als es galt, das Volk Gottes in den Besitz des gelobten Landes einzuführen. Wir sind gar manchmal schwach und verzagt, und wir können daraus ersehen, wie oft unser Glaube nicht in Tätigkeit ist, sondern das Fleisch, die Natur, die Oberhand hat mit allen ihren Einwürfen, Zweifeln und Befürchtungen.

Die dritte Klasse finden wir in den Versen 16 — 18, wo wir lesen: „Und es kamen einige von den Kindern

Benjamin und Juda nach der Bergfeste zu David. Und David ging hinaus, ihnen entgegen, und er hob an und sprach zu ihnen: Wenn ihr zum Frieden zu mir gekommen seid, um mir zu helfen, so wird sich mein Herz mit euch vereinigen; wenn aber, um mich an meine Feinde zu verraten, ohne dass Unrecht in meiner Hand ist, so möge der Gott unserer Väter es sehen und strafen! Da kam der Geist über Amasai, das Haupt der Anführer: Dein sind wir, David, und mit dir, Sohn Isais! Friede, Friede dir, und Friede deinen Helfern! Denn dein Gott hilft dir!“

Das waren in der Tat schöne Worte, das Ergebnis der Gefühle von Herzen, die David, dem König, dessen

Reich noch nicht gekommen war, ja, der noch als ein Flüchtling in der Verbannung umherirrte, völlig ergeben waren. Dein sind wir, David, dein mit allem, was wir sind und haben; und mit dir sind wir, Sohn Isais, mit dir, dem von Gott erwählten Fürsten Seines Volkes! Entschiedenheit ist nötig im Kampfe wider die Feinde Christi. Treue und Lauterkeit der Gesinnung fordert der wahre David von Seinen Streitern. Halbherzigkeit und Lauheit sind Ihm ein Gräuel.

„Bist du für uns oder für unsere Feinde?“ so fragte Josua den Mann, der ihm bei Jericho erschien, mit seinem Schwerte gezückt in seiner Hand. Entweder — oder! Hier gibt es keine Kompromisse, keine friedlichen Übereinkünfte zwischen Freund und Feind. „Lass die Toten ihre Toten begraben sagt Jesus, „du aber folge mir nach“; oder: „du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes“. Entweder für Jesum oder wider Ihn; und wenn für Ihn, dann auch mit ganzem Herzen für Ihn, mit Leib und Seele aus Seiner Seite, Schulter an Schulter mit allen denen, die Ihn lieben und Seine Kämpfe streiten! „Friede dir, und Friede deinen Helfern!“ rief Amasai, getrieben von dem Geiste Gottes. Es war der Ausdruck dessen, was sein Herz bewegte, wenn auch der Geist in jenem Augenblick seinen Gefühlen die rechten Worte verlieh. Wir können verstehen, wie die Seele Davids durch eine solch warmherzige Entschiedenheit erquickt und gestärkt werden musste. Es war derselbe, alles überwindende und auf äußere Umstände und Schwierigkeiten nicht hinschauende Glaube, der sein eigenes Herz belebte und aufrecht hielt.

Auch unser David wird durch eine solche Entschiedenheit des Herzens erfreut. Ach, wenn Er ihr nur mehr bei uns begegnen möchte! Wir bedürfen dringend solch ganzherziger, entschlossener Männer in unseren Tagen. Der Zeitpunkt der Rückkehr und Thronbesteigung (wenn wir es so nennen dürfen) unseres geliebten Herrn rückt näher und näher heran; und wenn Er in Herrlichkeit erscheint, so wird der Lohn ausgeteilt werden, und ein jeder wird feinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit, der viel, der wenig. Dann werden die Namen der treuen Streiter Christi hell glänzen in Seinem Lichte und ewiglich nicht vergessen werden. „Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn, da ihr wisset, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn!“ (1.Kor. 15, 57. 58).

Vergessen wir auch nicht, dass ein gutes Beispiel belebend, ermunternd ·und anfeuernd auf Andere wirkt. Zuerst heißt es in unserem Kapitel: „Es kamen einige zu David“, ihre Zahl konnte leicht festgestellt werden; aber schließlich lesen wir: „Es kamen von Tag zu Tage zu David, um ihm zu helfen, bis es ein großes Heerlager wurde, wie ein Heerlager Gottes“ (V. 22).

Etwas Ähnliches dürfen wir in unseren Tagen sehen. Der Name Jesu wird von der Menge im allgemeinen

mehr als je verachtet und gehasst, aber von Tag zu Tage wächst die Zahl derer, die „sich absondern“, den „Dienst Sauls“ verlassen, die da „überlaufen“ zu Jesu (V. 19); und lauter als je ertönt der Ruf: „Kommet zu Jesu!“ und: „Jesus allein!“ Eine mächtige Bewegung durchzieht alle Länder und Völker, und mag auch der völlige Unglaube immer weitere Kreise erfassen, so erringt andererseits doch die frohe Botschaft von Jesu Sieg um Sieg, und immer mehr Stimmen bekennen sich dankbar und freudig zu dem verworfenen und verachteten Sohne Davids. -— O teurer Herr! wecke die Herzen der Deinen auf, belebe sie, dass alle miteinander wetteifern in den Werken des Glaubens, in der, Bemühung der Liebe und in dem Ausharren der Hoffnung auf dich, unseren kommenden Herrn! Löse sie von den nichtigen Dingen dieser Erde und verbinde sie immer inniger mit dir, dem allein begehrenswerten Kleinod!

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Die Nacht ist weit vorgerückt

Bibelstelle: Römer 13, 11. 12

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 140ff

Und dieses noch: Die Zeit erkennend, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlafe aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben: die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe (Römer 13, 11. 12)

Noch liegt mit dunklen Schwingen

Nacht auf dem Erdenrund.

Doch horch! Ein lieblich Klingen,

ein Ruf von Mund zu Mund!

Ihr Schläfer allerorten,

von Träumen noch umwallt;

schon regt sich es hier und dorten,

der Bräutigam kommt bald!

Beglückte Blicke spähen

hinauf zum Himmelszelt;

heilsfreudige Lippen flehen:

Herr, hol uns aus der Welt!

Sieh, lieblich in den Händen

blinkt lichter Lampenschein,

gegürtet sind die Lenden,

die Knechte harren Dein!

Du helles Licht, erstrahle

In voller Herrlichkeit:

O hol zum Hochzeitsmahle

Die selige Braut noch heut!

Noch breitet dunkle Schwingen

Die Nacht auf nah und fern;

Doch glänzend wird durchdringen

Sie bald der Morgenstern.

K. B.

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Das Opfer der roten Kuh

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 141ff

„Wer einen Toten anrührt, irgend eine Leiche eines Menschen, der wird sieben Tage unrein sein. Selbiger soll sich am dritten Tage damit (s. Vers 9) entsündigen, und am siebenten Tage wird er rein sein; und wenn er sich nicht entsündigt am dritten Tage so wird er am siebenten Tage nicht rein sein. Jeder, der einen Toten anrührt, die Leiche irgend eines Menschen, der gestorben ist, und sich nicht entsündigt, hat die Wohnung Jehovas verunreinigt; und selbige Seele soll ausgerottet werden aus Israel. Weil das Wasser der Reinigung nicht auf ihn gesprengt wurde, ist er unrein; seine Unreinigkeit ist noch an ihm. —Dies ist das; Gesetz, wenn ein Mensch im Zelte stirbt: Jeder, der ins Zelt geht, und jeder, der im Zelte ist, wird sieben Tage unrein sein. Und jedes offene Gefäß, aus dem kein festgebundener Deckel ist, wird unrein sein. -— Und jeder, der auf freiem Felde einen mit dem Schwerte Erschlagenen oder einen Gestorbenen oder das Gebein eines Menschen oder ein Grab anrührt, wird sieben Tage unrein sein“ (4.Mose 19, 11 — 16).

Was unsere Aufmerksamkeit beim Lesen der obigen Worte zunächst in Anspruch nimmt, ist der heilige Ernst, mit welchem jede Verunreinigung eines Israeliten, mochte sie noch so geringfügig erscheinen, behandelt werden musste. Ja, Gott ist der dreimal heilige Gott, der die Sünde nicht sehen kann und jede Leichtfertigkeit im Blick auf dieselbe richten muss. Der Apostel schreibt an die gläubigen Hebräer: „Auch unser Gott ist ein verzehrend es Feuer“. (Kap. 12, 29.) Das Bewusstsein der vollkommenen Gnade, die man erfahren hat, lässt, wenn der Gläubige nicht wachsam ist, so leicht das Gefühl der Verantwortlichkeit schwächer werden. Man vergisst, was die Sünde in den Augen Gottes ist und was es Christum gekostet hat, die Frage der Sünde zu ordnen. Und je länger eine Seele in diesem Zustande beharrt, desto mehr verliert sie das Zartgefühl für alles das, was sich geziemt oder nicht geziemt für einen „Heiligen“ Gottes. Anstatt „vermöge der Gewohnheit geübte Sinne zu haben zur Unterscheidung des Guten sowohl, als auch des Bösen“, nimmt das Licht ab, und die Grenzen dessen, was man sich erlaubt, werden immer weiter gesteckt.

Der Herr bewahre uns in Gnaden vor dem Betreten dieser abschüssigen Bahn und schenke uns, „Gott wohlgefällig zu dienen mit Frömmigkeit und Furcht“! Ach! diese Frömmigkeit und Furcht sind manchen Gläubigen unserer Tage in erschreckendem Maße abhanden gekommen. Ihr «weltliches Wesen, ihr sorgloses Reden und Handeln, ihr Teilnehmen am Tische des Herrn ohne ernste Selbstprüfung und aufrichtiges Selbstgericht – alle diese Dinge beweisen, wie sehr sie in ihrem Innern die Gemeinschaft mit Gott verloren haben, und geben zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass. Wenn ein Israelit sich verunreinigt hatte und die Entsündigung mit dem Wasser der Reinigung versäumte, musste er ausgerottet werden aus der Mitte der Versammlung (V. 13. 20); wenn der Gläubige heute in ähnlicher Weise handelt, so verliert er zunächst die Gemeinschaft mit Gott, und beharrt er auf seinem bösen Wege, so ist der Ausschluss auch aus der Gemeinschaft der Gläubigen das schreckliche Ende. Darum „wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten“! (Eph. 5, 14).

Beschäftigen wir uns jetzt ein wenig mit den verschiedenen Arten der Verunreinigung. Wir haben bereits

gesehen, dass jede Berührung eines Toten verunreinigend wirkte. Diese Berührung konnte nun an zwei Orten geschehen: auf freiem Felde oder im Zelte. Im ersten Falle war die Person, welche den Toten oder das Gebein anrührte, für sich allein unrein; im zweiten erstreckte sich die Verunreinigung auf das Zelt und alles was darin war, besonders aber auf jedes offene Gefäß, auf dem kein festgebundener Deckel war.

Wie oft kommt diese letzte Art der Verunreinigung unter den Christen vor! Wenn man sich auf freiem Felde, d. h. in unserem Falle öffentlich inmitten der Welt, befindet, so ist man wachsamer, weil man weiß, dass man von Feinden beobachtet wird, die uns so gern Fehltritte tun sehen, damit sie das Evangelium Verlästern können. Im Zelte, d. h. in dem mehr oder weniger abgeschlossenen Familienkreis, ist man meist weniger aufmerksam, man wacht nicht so ernst über sich selbst. Man erlaubt sich und den Seinen Dinge, die man in der Gegenwart Anderer vielleicht nicht dulden würde; man ist eben „unter sich“. Gewisse Weltförmigkeiten werden zugelassen, die man im Öffentlichen nicht gern sehen lassen möchte; dieses oder jenes Böse wird beschönigt, weil niemand da ist, um es zu verurteilen. Infolge dessen ist der Tod im Zelt. Was ist das Ergebnis? Jedes offene Gefäß wird verunreinigt. Der Gedanke ist sehr ernst, dass die Verunreinigung, welche wir in unserem Zelte erlauben, sich auf unsere ganze Umgebung ausdehnt und ihre verderblichen Folgen rund um uns her hervortreten lässt.

Woher kommt.es z. B. dass so häufig Kinder gläubiger Eltern in die Welt gehen und die Wahrheit aufgeben, die ihnen im Elternhause doch eingeprägt wurde? Ohne Zweifel kann man mancherlei Ursachen dafür anführen, und ich gebe gern zu, dass in den meisten Fällen die Veranlassung nicht gerade in einer groben, weitgehenden Weltförmigkeit der Eltern zu suchen ist; aber müssen diese nicht doch oft mit Beschämung anerkennen, dass sie im Familienkreise diese oder jene weltliche Verunreinigung zugelassen haben, welche Einfluss hatte aus die offenen Gefäße? Setzen wir die leicht empfänglichen Gemüter unserer Kinder nicht durch unseren Mangel an Wachsamkeit jenen bösen Einflüssen aus? Ich glaube, eine aufrichtige Erwägung dieser Frage würde viele Eltern ins Kämmerlein treiben und sie zu ernster Demütigung vor Gott, sowie zu einer Änderung ihres Verhaltens in mancher Beziehung veranlassen.

Bei der zweiten Art der Verunreinigung, der auf freiem Felde, konnte man, wenn man nicht sehr wachsam war, mit dem Tode unter viererlei Gestalt in Berührung kommen. Wir lesen von einem mit dem Schwerte Erschlagenen, von einem Gestorbenen, von dem Gebein eines Menschen und endlich von einem Grabe (V. 18).

Die beiden ersten Fälle reden von einem gewaltsamen und einem natürlichen Tode. Gewalttat und Verderben, das waren die beiden großen Sünden, welche vor Gottes Augen standen, als Er beschloss, die Erde durch die Flut heimzusuchen. „Die Erde war verderbt vor Jehova, und die Erde war voll Gewalttat“ (1. Mose 6, 11). Die Welt hat sich seitdem nicht verändert. Ausdrücke, wie: „Alle sind abgewichen, sie sind allesamt verderbt“ (Ps. 14, 3), oder: „Verwüstung und Zertrümmerung ist auf ihren Bahnen“ (Jes. 59, 7), und: „Gewalttat umhüllt sie wie ein Gewand“ (Ps. 73, 6), sind immer noch wahr; und die Frage für uns Christen ist, ob und inwieweit in unseren Beziehungen zu der Welt und in unserem Verkehr mit ihr diese Dinge unserem Wandel ankleiden. Wenn wir gelästert und verspottet werden, wenn man uns übervorteilt oder Unrecht tut, wenn wir persönliche Beschwerden und Klagen gegen Andere haben, wenn wir uns beleidigt oder zurückgesetzt glauben — was offenbaren wir dann? Ist es ein Geist des Friedens, der sich in unserem Benehmen äußert, oder ein Geist der Gewalttat? Vergelten wir Gleiches mit Gleichem? Sind wir erregt, empört, mit bitteren Gedanken erfüllt?

Andererseits gibt es ein sittliches Verderben in der Welt, das uns von allen Seiten umgibt, gleich der Luft, die wir einatmen. Es befindet sich in allem, was man hört, was man liest, ja, was man sieht an dem Manne

oder der Frau, die an uns vorübergehen; es macht sich breit in den Spalten der Zeitungen, in den Erzeugnissen der Tagesliteratur, in Wort und Bild, in den Schaufenstern der Läden, in den Straßen, auf den Jahrmärkten und Ausstellungen; es zeigt sich im hellsten Tageslicht und verbirgt sich in dem Dunkel der Nacht. Mein lieber Leser! Gehen unsere Wünsche und Begierden nach diesen Dingen aus? Lassen wir uns besudeln durch das Verderben rund um uns her? O möchten wir wachsam und nüchtern sein, um unsere Augen und Ohren zu bewahren, unsere Füße in den Pfaden des Herrn zu erhalten und unsere Herzen und Gedanken in Seiner Gemeinschaft! Lasst uns fernbleiben von allen solchen Verunreinigungen und, wie der Apostel Judas sagt, sogar das von dem Fleische befleckte Kleid hassen!

Außer einem Erschlagenen oder Gestorbenen konnte auch das Gebein eines Menschen zur Verunreinigung dienen. Ein Gebein hat nicht sehr viel Ähnlichkeit mit einem Leichnam. Man sieht ihm das ursprüngliche Verderben nicht mehr an. Schon lange haben Sonne, Regen und Lust, die Vögel des Himmels und die Tiere des Feldes es von dem ihm anhängenden Fleische befreit und jede Spur von Fäulnis entfernt. Ein Gebein bot deshalb keinen so erschreckenden Anblick wie ein Toter; es war etwas, das seinen Ursprung nicht sofort verriet und dem man auf einem Gange ins freie Feld leicht begegnen konnte, ja, das die Menschen sogar als etwas Nützliches und selbst Unentbehrliches zu betrachten gelernt haben. — Was ist denn nun die allgemein verbreitete Sünde, die unter dem Bilde eines Gebeines vorgestellt wird? die Sünde, welche so vielfach vorkommt und so gewöhnlich geworden ist, dass man sie nicht nur nicht mehr beachtet, sondern dass die Welt sich höchlichst darüber verwundert, wenn Einige sie tadeln und verurteilen?

Mein lieber Leser! Du begegnest ihr überall, wenn du, wie einst der Israelit ins Feld ging, heute genötigt bist, das Gebiet der Welt zu betreten. Du wirst jeden Augenblick sehen, dass der Verkäufer den Käufer beträgt hinsichtlich der Güte oder des Preises seiner Waren; dass der Bankhalter seinen eigenen Vorteil über denjenigen seiner Kunden stellt; dass der Arzt seinen Kranken allerlei vorlügt; dass der Mann dieser Welt dir ins Angesicht schmeichelt, während er hinter deinem Rücken übel von dir redet; dass die Herrschaft sich von den Dienstboten verleugnen lässt, während sie ruhig daheim ist; dass die Menschen täglich, stündlich aus Höflichkeit und Rücksicht einander belügen und hintergehen. Alle diese Dinge und noch viele andere finden ihr treffendes Vorbild in dem „Gebein“; und nun ist die Frage: Haben wir Christen diese Grundsätze auch zu den unsrigen gemacht und uns bereits so an sie gewöhnt, dass wir nichts Verunreinigendes mehr in ihnen erblicken? Lasst uns sehr auf unserer Hut sein? Die Gemeinschaft mit Gott ist, wie wir schon früher sahen, eine äußerst zarte Sache.

Der vierte Fall der Verunreinigung stand in Verbindung mit dem Grabe. Man konnte sehr leicht aus ein Grab treten, ohne es zu wissen. Der Herr ruft den Pharisäern zu: „Wehe euch! denn ihr seid wie die Grüfte, die verborgen sind, und die Menschen, die darüber wandeln, wissen es nicht“ (Luk. 11, 44). Auch gebraucht Er das Bild des Grabes, um die Heuchelei des Herzens ans Licht zu stellen. Er redet von „übertünchten Gräbern, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll Totengebeine und aller Unreinigkeit sind“ (Matth. 23, 27. 28). Einem Grabe gleicht ein Herz, welches unter einem schönen äußeren Schein das Verderben, das es in sich trägt, zu verbergen sucht. Die Pharisäer waren solche Leute, die von außen, vor den Menschen, zwar gerecht schienen, von innen aber voll Heuchelei und Gesetzlosigkeit waren. Ach! wie viele Tausende von Kindern Gottes rühren in ihrem Wandel diese Gräber an, indem sie sich einen Schein von Frömmigkeit geben, der nicht dem Zustande ihres Herzens entspricht! Ja, auch ein Christ kann sich durch ein Grab verunreinigen; auch er kann in dem eben angedeuteten Sinne ein Heuchler sein. Der Apostel Paulus mied diese Verunreinigung aufs Ernsteste; er trachtete nicht nach der Anerkennung der Menschen, sondern nach derjenigen Gottes. Er konnte den Korinthern zurufen: „Wir sind Gott offenbar geworden; ich hoffe aber auch in euren Gewissen offenbar geworden zu sein. Denn wir empfehlen uns selbst euch nicht wiederum usw.“ (2. Kor. 5, 11. 12). Sobald man ein Grab anrührt, ist man verunreinigt, und die Gemeinschaft mit Gott ist unterbrochen. Und wie zahlreich sind die Gelegenheiten, die Versuchungen, auf ein Grab zu treten! Unversehens, ehe wir es ahnen, sind sie da. Ach! wir wissen es ja aus schmerzlicher Erfahrung, wie eitel und selbstgefällig unsere Herzen sind, wie uns die Anerkennung seitens der Menschen so wohl tut und wie leicht wir geneigt sind, „eitler Ehre geizig zu sein“! (Gal. 5, 26). Ach, wie groß ist die Verstellungskunst unserer armen Herzen! Wie oft suchen wir nicht nur Andere, sondern auch uns selbst über etwas hinwegzutäuschen, was uns den Frieden der Seele geraubt und uns die Freimütigkeit genommen hat, in die heilige Gegenwart Gottes zu treten!

Ein einziger selbstgefälIiger Gedanke, eine einzige, im Innern des Herzens verborgene und niemand als uns selbst bekannte Begierde genügt, um die praktische Verbindung unserer Seele mit Gott zu zerstören. Wir fühlen uns oft so matt und dürr; das Wort Gottes hat sein Interesse für uns verloren; die geistliche Freude und Kraft sind verschwunden. Warum? Wir wissen uns vielleicht selbst nicht Rechenschaft zu geben über die Ursache dieses beklagenswerten Zustandes; nur das Eine wissen und fühlen wir, dass wir den Genuss der innigen Gemeinschaft mit Gott eingebüßt haben. Was sollen wir tun? Lasst uns Gott bitten, uns die Ursache aufzudecken. Er wird uns antworten und uns zeigen, dass wir ein Grab angerührt haben. Vielleicht ist es nur eine böse Begierde, nur ein eitler Wunsch, nur eine Unaufrichtigkeit oder ein heuchlerisches Wort, worüber wir uns anzuklagen und zu richten haben; aber diese eine Sache, so gering und unscheinbar sie aussehen mag, war genügend, uns zu verunreinigen und jenen traurigen Zustand herbeizuführen.

Diese Erwägung ist ernst, umso ernster, wenn wir an so manche Christen denken, die gewohnheitsmäßig über solche „geringfügige“ Verunreinigungen und Befleckungen hinweggehen, sie kaum beachten, geschweige denn in ernstem Selbstgericht vor Gott bringen. „Es ist ja nicht der Rede wert“, sagen sie, „man muss auch nicht zu gereiht sein wollen!“ Das Herz solcher Christen gleicht einem ungereinigten Zimmer, in welchem sich der Staub immer höher ansammelt, und dessen Läden zu öffnen man sich ängstlich hütet, weil das Licht, welches alles offenbar macht, zeigen würde, wie schlimm es innerhalb aussieht. Ach, wie beklagenswert sind solche Seelen! Wie friede- und freudeleer ist ihr Inneres, wie arm und schwach ihr Zeugnis, wie schwankend und unklar ihr Weg!

Doch lasst uns jetzt sehen, was ein Israelit zu tun hatte, wenn er durch die Berührung mit einem Toten verunreinigt war. Wir lesen am Ende der Verordnung über die Opferung der roten jungen Kuh: „Und ein reiner Mann soll die Asche der jungen Kuh sammeln und sie außerhalb des Lagers an einen reinen Ort schütten, und sie soll für die Gemeinde der Kinder Israel aufbewahrt werden zum Wasser der Reinigung; es ist eine Entsündigung“. Im 17. Verse unseres Kapitels heißt es dann weiter: „Und man soll für den Unreinen von dem Staube des zur Entsündigung Verbrannten nehmen und lebendiges Wasser darauf tun in ein Gefäß; und ein reiner Mann soll Ysop nehmen und ihn ins Wasser tauchen, und soll auf das Zelt sprengen und auf alle Geräte und auf die Personen, die daselbst sind, und auf den, der das Gebein oder den Erschlagenen oder den Gestorbenen oder das Grab angerührt hat. Und zwar soll der Reine auf den Unreinen sprengen am dritten Tage und am siebenten Tage, und ihn am siebenten Tage entsündigen; und er soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden, und am Abend wird er rein sein“ (V. 17 —19).

Was ist die Bedeutung dieses Vorbildes? Die Schrift selbst gibt uns Antwort auf diese Frage. Das lebendige oder fließende Wasser, welches auf die Asche der jungen Kuh geschüttet werden musste, ist ein Bild des Heiligen Geistes (Vergl. Joh. 7, 38. 39), welcher vermittelst des Wortes Gottes der Seele, die sich verunreinigt hat, nahe tritt und sie an das erinnert, was einst auf Golgatha geschehen ist, was geschehen musste, um die Frage der Sünde zu ordnen. Es ist, wie bereits bemerkt, nicht eine neue Anwendung des Blutes auf die Seele, sondern eine Erinnerung an die Leiden Christi unter dem Gericht Gottes, an die ernste Tatsache, dass Er um der Sünde willen dort leiden musste, und dass die Sünde und alles, was zu dem natürlichen Menschen und zu der Welt gehört, in Seinem sühnenden Tode gerichtet, gleichsam zu Asche verbrannt worden ist. Die Asche, welche in dieser Handlung zur Anwendung kam, war der Beweis, dass das Sühnopfer vollbracht war, und infolge dessen die Sünde nicht mehr zugerechnet werden konnte (alles natürlich in vorbildlichem Sinne betrachtet).

Gott hat durch die Hingabe Seines Sohnes das Werk unserer Erlösung vollbracht. Wir gehören Ihm nun an und sollen in Seiner Gegenwart in Heiligkeit wandeln. Haben wir hierin gefehlt, haben wir den alten Menschen, den wir mit seinen Handlungen ausgezogen haben, wieder wirken lassen, haben wir den Grundsätzen der Welt nachgegeben, mit einem Wort, haben wir einen Toten angerührt, so muss Reinigung stattfinden. Jene vorbildliche Handlung in der Wüste stellt uns also in sehr verständlicher Weise die Gewissensprüfung und Wiederherstellung vor, welche stattfinden muss, wenn ein Kind Gottes durch irgend eine Unwachsamkeit die Gemeinschaft mit dem Vater verloren hat. Unsere Sorglosigkeit ist die Ursache, dass wir diese Gemeinschaft so oft verlieren, die doch so köstlich ist für unsere Herzen, das größte und höchste Vorrecht, das ein Mensch genießen kann, zu welchem Zweck er das ewige Leben empfangen hat; diese Gemeinschaft, welche ihn in den Stand setzt, die Gedanken Gottes bezüglich aller Dinge zu kennen und Seine Gefühle, Seine Interessen und Seine Freude zu teilen. Sind wir wachsam und

nüchtern, so schrecken wir unwilIkürlich vor allem zurück, was Gott verabscheut und hasst. Wir schätzen Christum und Sein Werk, und der Gedanke, in irgend eine Sünde zu willigen, für welche Er so unaussprechlich leiden musste, ist uns unerträglich. Wir vermeiden jede Verunreinigung und fliehen alles, was Sein liebendes Herz betrüben könnte. Wir rühren, mit einem Wort, nichts von alledem an, was solch bitteres Weh über Seine heilige Seele brachte.

Verstehst du, mein lieber gläubiger Leser, welche Bedeutung die Asche der jungen Kuh, mit lebendigem Wasser vermengt, vorbildlich für das Gewissen eines verunreinigten Israeliten hatte, und was der Geist Gottes uns heute unter diesem Bilde vorstellen will? Die reinigende Besprengung geht notwendigerweise Hand in Hand mit Demütigung und Selbstgericht, ja, mit tiefen Herzensübungen im Blick auf die Ursache unserer Verunreinigung. Zugleich ruft sie der Seele den unendlichen Wert dessen, was am Kreuze für sie geschehen ist, ins Gedächtnis zurück. Ferner lernt die gereinigte Seele, dass sie kein Vertrauen auf Fleisch haben kann. Unsere Fehler und Gebrechen, gerichtet und verurteilt in Gottes heiliger Gegenwart, öffnen uns die Augen über die demütigende Tatsache, dass von uns selbst nichts Gutes zu erwarten ist, aber auch über die kostbare, friedengebende Wahrheit, dass Gott am Kreuze die Sünde im Fleische, d. i. unseren ganzen traurigen Zustand von Natur, gerichtet hat. „Das dem Gesetz, Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem Er, Seinen eigenen Sohn in Gleichheit des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte“ (Röm. 8, 3).

Wenn ein Gläubiger diese Wahrheit verstanden hat, hört er auf, gute Vorsätze zu fassen; er weiß aus schmerzlicher Erfahrung, dass er doch nicht imstande ist, sie zu halten. „Gute Vorsätze« setzen immer ein Vertrauen auf das Vorhandensein von Kraft voraus, und in uns ist keine Kraft. Nein, der Gläubige fasst nicht den Vorsatz, sich zu bessern, fortan nicht mehr zu sündigen, sondern er nimmt die Tatsache an, dass der alte Mensch ganz und gar verderbt, aber in Christo am Kreuze zu seinem Ende gekommen ist, um dann in der heiligen Freiheit des neuen. Menschen und in der Kraft Christi zu Gottes Ehre zu wandeln. Wohl bedarf es stets eines ernsten Herzensentschlusses, bei dem Herrn zu verharren, aber dieser wird gefasst in dem Bewusstsein der eigenen Kraftlosigkeit, doch als solche, die „gekräftigt sind mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden“ (Kol. 1, 11).

Es durfte nicht viel Zeit vergehen zwischen der Verunreinigung und ihrer Abwaschung. Gott stellte drei Tage fest, an deren Ende das Wasser der Reinigung zum ersten Male gesprengt werden musste. Das ist sehr bedeutungsvoll. Wer das Bekenntnis seiner Sünde und die Demütigung vor Gott aufschiebt, beweist zunächst, dass er den Ernst der Verunreinigung nicht fühlt, dass sein Gewissen wenig in Tätigkeit ist; und er bewirkt zweitens durch sein Zögern in den meisten Fällen eine weitere Abstumpfung und Verhärtung seines Gewissens. Satan spiegelt ihm vor, die Verfehlung sei nicht so schlimm, Andere hätten auch schon

in ähnlicher oder gar noch schlimmerer Weise gefehlt; oder: er habe nun einmal diese körperliche oder geistige Veranlagung, die ihn der Gefahr der Verunreinigung besonders aussetze, und deshalb sei er zu entschuldigen oder doch milder zu beurteilen. Das arme, bereits irregeleitete Herz lässt sich gern überreden und vergisst die ernste Wichtigkeit der Sünde. In fast allen Fällen gibt diese Nachlässigkeit dem Bösen Gelegenheit, seine Versuchung in gröberer Weise zu wiederholen; und siehe da, man hat keine Kraft zu widerstehen, es geht von Schlimmem zu immer Schlimmerem. Darum sieht man den Wandel so mancher Gläubigen damit enden, dass sie als „Böse“ aus der Versammlung hinausgetan werden müssen· Wir haben schon weiter oben auf diesen schrecklichen Ausgang hingewiesen. „Wenn jemand unrein wird und sich nicht entsündigt, selbige Seele soll ausgerottet werden aus der Mitte der Versammlung; denn er hat das Heiligtum Jehovas verunreinigt: das Wasser der Reinigung ist nicht auf ihn

gesprengt worden, er ist unrein“ (V. 20). Gott ist ein heiliger Gott, und Seinem Hause geziemt Heiligkeit. Er kann es unmöglich dulden, dass Sein Haus verunreinigt werde; und mag auch in der Christenheit alles in traurigem Verfall sein, so bleiben die göttlichen Grundsätze doch immer die gleichen, und da wo der Herr Seinem Namen sein Gedächtnis gestiftet hat, können diese Grundsätze nicht ungestraft verletzt werden.

Andere Gläubige meinen wiederum, alles Nötige getan zu haben, wenn sie unmittelbar nach geschehenen Verunreinigung ihre Sünde bekennen. Sie denken, sobald sie dies oder jenes dem Herrn gesagt hätten, sei alles wieder in Ordnung, indem sie sich auf das Wort in 1. Joh. 1, 9 berufen: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“.

Ja, so steht es geschrieben, und Gott sei ewig dafür gepriesen! Aber was will das sagen: „unsere Sünden

bekennen«? Ist das ein Bekenntnis, wenn ich ohne tiefen Schmerz in meinem Innern, ohne wahre, aufrichtige Beugung meiner Seele, vor Gott komme und sage: „Ich habe dies oder das getan; vergib mir“? Man hört oft Gläubige, deren Zustand offenbar unrein ist, wenn sie auf diesen Zustand oder auf einzelne Sünden aufmerksam gemacht werden, antworten: „Das habe ich dem Herrn bekannt!“ und zwar geschieht das in einem Tone, als wenn es sich um irgend eine alItägliche Handlung, um Essen und Trinken oder dergleichen, handle. Wahrlich, das ist kein Bekenntnis! Wo eine solche Sprache geführt wird, da ist sicher eine erschreckende Leichtfertigkeit vorhanden, und man kann nur mit großer Sorge an solche Seelen denken. Wenn Gottes Erbarmen sie nicht zur Einsicht und Einkehr bringt, muss man das Schlimmste befürchten.

Sollen wir denn nicht jede Verunreinigung, sobald sie uns zum Bewusstsein kommt, vor Gott bekennen? Ganz gewiss. Aber vergessen wir nicht, dass der verunreinigte Israelit zweimal mit dem Wasser der Reinigung besprengt werden musste, am dritten und am siebenten Tage, und dass er erst nach der zweiten Anwendung des Entsündigungswassers wieder rein war und seine Vorrechte als Israelit genießen konnte. Die Gemeinschaft mit Gott geht leicht verloren, aber sie wird nicht so leicht wiedergefunden. Wenn wir die Segnungen eines vertrauten Umgangs mit dem Herrn genossen und sie nun durch unsere Schuld verloren haben, dann möchten wir gern sogleich wieder zu diesem Genuss zurückkehren und die Kraft wiederfinden, die uns durch unsere Nachlässigkeit geraubt worden ist; wir möchten gern wieder wie früher in der glücklichen Gemeinschaft mit dem Vater verkehren, welche die Frucht eines kindlichen Vertrauens und eines Wandels in kindlicher Gottesfurcht ist. Aber das kann nicht sein. Die praktische Reinigung bedarf Zeit. Die Demütigung, das ernste Selbstgericht, muss der Freude der Wiederherstellung vorangehen; und ich glaube, dass uns diese Wahrheit in der Verordnung über die zweimalige Besprengung am dritten und am siebenten Tage vorgestellt werden soll. Das erste Gefühl, welches unsere Herzen erfüllt, wenn wir zum Bewusstsein einer geschehenen Verunreinigung kommen, ist Bitterkeit. Obwohl wir wissen, dass uns die Sünde nicht mehr zugerechnet wird, ja, ich möchte sagen, gerade weil wir es wissen, kommt ein tiefer, herber Schmerz über uns. Ach! wir haben uns versündigt an der Liebe Gottes, wie auch an Seiner Heiligkeit. Wir haben die Gnade, die uns zu Gebote stand, nicht benutzt, sondern schnurstracks gegen sie gehandelt. Wir haben uns mit dem eingelassen, was unserem teuren Herrn den tiefen Notschrei auspresste: „Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen?“ Dieses Bewusstsein erweckt Beschämung, Beugung, Schmerz und ein aufrichtiges Bekenntnis. Man kommt ins Licht und bleibt dann nicht stehen bei der einzelnen verunreinigenden Handlung, sondern erkennt und bekennt die böse Wurzel, aus welcher die Handlung hervorging: Hochmut, Eitelkeit, Habsucht, Eigenwille, oder was es nun sein mag. Erst hernach kehrt das friedliche Ruhen in der Liebe Gottes, das süße Bewusstsein der Gnade des Herrn und die Freude des Gereinigtseins. Von aller Befleckung zurück. Der erste Teil der Reinigung besteht also in dem Erwachen des Bewusstseins, wie sehr man gegen die Gnade gefehlt hat, und in dem Gefühl des Schreckens darüber; der zweite Teil in der beglückenden Erkenntnis, dass man durch die überströmende Gnade von der Befleckung gereinigt ist.

Lass uns hieran allezeit gedenken, geliebter Leser! Schätzen wir die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne hoch? O lass uns dann wachsam sein, allezeit „nüchtern zum Gebet“, damit wir sie nicht verlieren! Nichts ist mit ihr zu vergleichen, und doch ist die Gefahr so groß, ihres Genusses beraubt zu werden. Alles, was wir in dieser Welt anrühren, stört sie, macht sie unmöglich. Diese Welt ist nichts mehr als ein wertloser Lappen „Karmesin“, der trotz seiner scheinbaren Schönheit nur für das Feuer taugt. Sie ist der Sammelplatz der Totengebeine, des Verderbens Und der Gräber; und wenn unsere Herzen, die so sehr geneigt sind, sich betrügen zulassen, in der Wachsamkeit müde werden und wir auf diesem verunreinigten Boden sorglos zu wandeln beginnen, so wird die Befleckung nur zu bald da sein, und der kostbare Genuss der Gemeinschaft mit Gott ist verloren. Lasst uns deshalb auf unserer Hut sein und uns fern halten von all den verunreinigenden Einflüssen dieses Zeitlaufs! Lasst uns mit der ganzen Kraft unserer Seele alles hassen, was jene heilige Gemeinschaft stören könnte!“

Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung über die Tatsache, dass nur ein reiner Mann das Wasser der Reinigung sprengen durfte, und ferner, dass dieser Mann durch seine Handlung selbst unrein wurde und seine Kleider waschen musste (V. 21). Wir sind berufen, auf dem Wege durch diese verunreinigende Welt einander die Füße zu waschen, einer dem anderen wieder zurecht zu helfen, wenn wir gefehlt und uns verunreinigt haben. Diese Pflicht ruht aus uns, wenngleich sie viel, viel versäumt wird. Doch wenn wir sie ausüben, so lasst uns daran gedenken, dass wir dem Verunreinigten nur dann wirklich dienen können, wenn wir selbst rein sind. Wie könnten wir unserem fehlenden Bruder oder der Schwester zu einem aufrichtigen Bekenntnis, zu einer wahren Wiederherstellung helfen, wenn unser eigenes Herz uns verurteilt? — Wie ernst ist es ferner, dass jede Beschäftigung mit der Sünde, selbst wenn sie, wie in diesem Falle, aus einer heiligen Liebespflicht hervorgeht, uns verunreinigt und eine Reinigung notwendig macht! Es ist« allerdings nicht eine Verunreinigung wie bei der schuldigen Person; aber doch eine Verunreinigung; man kann die Sünde nicht anrühren, ohne selbst von ihr befleckt zu werden. Lebt dieses Bewusstsein in unseren Herzen?

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Herz und Zunge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 158ff

„Und Jehova sah, dass des Menschen Bosheit groß war auf Erden, und alles Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag" (1. Mose 6,5). Das war ein niederschmetterndes Urteil, das durch den „Prediger" in späteren Tagen bestätigt wurde, indem er sagte: „Auch ist das Herz der Menschenkinder voll Bosheit, und Narrheit ist in ihrem Herzen wahrend ihres Lebens; und danach geht's zu den Toten" (Prediger 9,3). Und der Herzenskündiger Selbst hat erklärt: „Von innen aus dem Herzen der Menschen gehen hervor die schlechten Gedanken, Ehebruch, Hurerei, Mord, Dieberei, Habsucht usw." (Mk. 7,21-23). Die Sündflut hat das Herz des Menschen nicht besser gemacht. Der natürliche Mensch ist wie ein verdorbenes, „missratenes" Gefäß, aber die Gnade Gottes schafft etwas ganz Neues daraus, ein Gefäß, „wie es dem Töpfer gut dünkt" (vergl. Jeremia 18,2-4), an dem Er Sein Wohlgefallen haben kann. „Aus Gott geboren", so lesen wir in Johannes 1,13; „von neuem geboren" in Johannes 3,3; „nach seinem eigenen Willen durch das Wort der Wahrheit gezeugt" in Jakobus 1,18; „Gottes Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken", in Epheser 2,10; und endlich in 2. Korinther 5,17. 18: „Wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden. Alles aber von dein Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesum Christum".

Wer davor zurückschreckt, sich so zu sehen, wie er in Adam ist, wird sich nie recht freuen können über das, was der Gläubige durch die Gnade in Christo geworden ist. So lange das kananäische Weib Ansprüche machte auf den „Sohn Davids", wurde sie abgewiesen; sobald sie aber ihren rechten Platz einnahm, sich als ein „Hündlein" betrachtete und nur auf den Reichtum der Gnade sich berief, wurde ihre Bitte gewährt und ihr Glaube gepriesen, (Mt. 15,21-28). Als Mephiboseth in seinen Augen ein „toter Hund" war, wurde die Gnade Davids sein Teil: beständig durfte er an der königlichen Tafel essen, wie einer der Königssöhne. Gott sei gepriesen, dass wir wissen, dass Er nicht nur Licht, sondern auch Liebe ist! Licht ohne Liebe könnte uns nur verdammen; Wahrheit ohne Gnade könnten wir nicht ertragen. Aber so wie Gott Licht und Liebe ist, so sind Gnade und Wahrheit durch Jesum Christum geworden (Johannes 1,17). Wenn der Apostel in seinem ersten Brief an die Korinther eine Reihe von Lastern anführt, wie sie unter den Menschen im Schwange sind, fügt er hinzu: „Solches sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes" (1. Korinther 6,11). Welch eine Gnade! Nur dürfen wir nicht vergessen, dass dem Reichtum dieser Gnade auch die Größe unserer Verantwortlichkeit entspricht. So lange wir noch einen Leib von Fleisch und Blut an uns tragen, gibt es auch einen Kampf zwischen Fleisch und Geist, und die Ermahnung, die der Apostel einst an die Galater richtete: „Wandelt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen", ist auch für uns geschrieben.

Israel sollte einst Gottes Volk sein „zum Ruhm und zum Namen und zum Schmuck" (5. Mose 26,19). Wir sollen mit Herz und Zunge, durch Wort und Wandel, die Tugenden Dessen verkündigen, Der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht (1. Petrus 2,9). Die Kinder Israel mussten sich eine Quaste an den Zipfel ihres Oberkleides machen und an diese Quaste eine blaue Schnur befestigen, damit sie, so oft sie sie ansähen, an die Gebote Jehovas erinnert würden und ihrer hohen Stellung als Gottes Zeugnis inmitten aller übrigen Völker gedächten. Für u n s ist es Christus Selbst, auf den wir zu sehen und mit dem wir uns zu beschäftigen haben. Der Gläubige kennt eine Person, nicht nur eine Lehre (so wichtig die Lehre an ihrem Platze ist), eine Person, mit Der das Herz verkehren kann; und er wird ermahnt, sein Auge dahin zu richten, wo diese Person ist: „Suchet was droben ist, wo der Christus ist" (Kolosser 3,1). „Betrachtet Jesum" - „hinschauend auf Jesum" - „wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend...". (Hebräer 3,1; 12,2; 2. Korinther 3,18). Die Beschäftigung mit Diesem Herrn, Den wir bald sehen werden, wie Er ist, gibt uns Kraft gegen das Böse in uns und um uns her. Ein Gebot gibt keine Kraft zum Gehorchen, aber die Liebe Christi erneuert das Herz, und Seine Gnade reicht alles dar, was zu einem gottseligen Wandel nötig ist.

Nachdem wir so das Herz des Menschen von den verschiedensten Seiten aus betrachtet haben, wollen wir uns zum Schluss noch ein wenig mit dem Herzen des Herrn beschäftigen. Es ist eine unaussprechlich große Gnade, dass wir einen Blick in das Herz Dessen tun dürfen, der uns zuerst geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben hat, Der von Sich sagen konnte: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun", und: „Dein Wohlgefallen zu tun, o Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens" (Psalm 40,8). Ach! um diesen Willen zu tun, musste Er, der Heilige und Gerechte, von Gott verlassen werden. Er, Der von Sünde und Sündern Abgesonderte, musste Sich zur Sünde machen lassen. Da hören wir Ihn denn rufen: „Alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen"; „wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolz en inmitten meiner Eingeweide"; „der Hohn hat mein Herz gebrochen" (Psalm 42,7; 22,14; 69,20). Seine Liebe war stärker als der Tod; sie ertrug alles für „die Heiligen, die auf Erden sind" (Psalm 16,3), bis Er ausrufen konnte: „Es ist vollbracht"!

Wenn der Apostel Paulus seine große Liebe zu den Philippern ausdrücken wollte, sagte er: „Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen Christi Jesu" (Philipper 1,8). Keine menschliche Zunge vermag die treue, geduldige, alles ertragende Liebe dieses Herzens auszudrücken. Als zur Zeit der Richter Israel, das abtrünnige, götzendienerische Volk, Buße zeigte und die Götzen aus seiner Mitte hinwegtat, lesen wir: „Und seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal Israels" (Richter 10,16). Ja, „in all ihrer Bedrängnis war er bedrängt", und „in seiner Liebe und seiner Erbarmung hat er sie erlöst". „Sie waren widerspenstig und hartnäckig, aber „Er hob sie empor und trug sie", „wie ein Mann seinen Sohn trägt" (Jesaja 63,7 - 9; 5. Mose 1,31). O welch ein Herz ist das Herz unseres hochgelobten Herrn! Mit Recht singt der Gläubige:

Ich bete an die Macht der Liebe,

die sich in Jesu offenbart;

ich geb' mich hin dem freien Triebe,

womit ich Wurm geliebet ward.

Ich will, anstatt an mich zu denken,

ins Meer der Liebe mich versenken.

Wenn Israel in Not und Drangsal ist, erinnert Gott es an die Regungen Seines Innern: „Die Regung deines Innern und deine Erbarmungen halten sich gegen mich zurück" (Jesaja 63,15). Das war etwas Fremdes, Ungewohntes. Ferner lesen wir von der „herzlichen Barmherzigkeit unseres Gottes" (Lk. 1,78). Wir werden ermahnt, „in der Bruderliebe herzlich gegeneinander zu sein" (Römer 12,10), ferner „gütig, mitleidig, einander vergebend" (Epheser 4,32), „Nachahmer Gottes" zu sein (Epheser 5,1), „innerliche Gefühle und Erbarmungen" zu offenbaren (Phil 2,1), „herzliches Erbarmen" anzuziehen usw. (Kolosser 3,12). Nun, alle diese herrlichen Tugenden und Eigenschaften, die sich bei uns so mangelhaft offenbaren, finden wir in dem Herzen des Herrn Jesu in ihrer ganzen Vollkommenheit. Als Er auf dieser Erde wandelte, wurde Er oft innerlich bewegt; und wie Er damals war, so ist Er heute noch. Seine Liebe erkaltet nie, Seine innerlichen Gefühle und Erbarmungen sind keinem Wechsel unterworfen. Sein Herz ist mit allem bekannt, was durch Satan und die Sünde in diese Welt gekommen ist. Er vernimmt das Seufzen der Kreatur, und Er weiß, was für armselige Wesen wir sind. Er kannte auch all die traurigen Herzenszustande, von denen wir weiter oben gesprochen haben, den Unglauben, die Undankbarkeit, Bosheit, Heuchelei usw., und doch erschien dabei „die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes", „die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes" (Titus 3,4). Der Herr kam dahin, wo die Not ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht hatte, zu dem unter die Räuber gefallenen, halbtot daliegenden Menschen; und als Er ihn sah, wurde Er innerlich bewegt. In dem Herzen des Priesters und des Leviten gab es keine inneren Regungen und Erbarmungen, wohl aber in dem Herzen des Samariters. Auch der Kranke am Teiche Bethesda war während der 38 Jahre seines Siechtums gewiss von vielen gesehen worden, aber keiner hatte „innerliche Gefühle und Erbarmungen" ihm gegenüber bewiesen. Diese waren nur in dem Herzen Jesu, des großen Arztes und Heilandes; und sie sind wie Balsam für ein wundes Herz.

Der Herr Jesus war auch mit der Ursache der Krankheit bekannt: „Siehe, du bist gesund geworden", sagte Er, „ sündige nicht mehr, auf dass dir nichts Ärgeres widerfahre" (Johannes 5). Aber das hinderte Sein Erbarmen und Mitgefühl in keiner Weise. Ähnlich sprach Er auch zu dem Weibe, das im Ehebruch ergriffen worden war. Das Gesetz hatte nur Gericht und Steinigung für sie, Er gab Gnade und Barmherzigkeit. Er ist der Herr, Der gesagt hat: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer" (Mt. 9,13). Und als Er einst Israel zurufen musste: „Du hast mir zu schaffen gemacht mit deinen Sünden, du hast mich ermüdet mit deinen Missetaten"', fügte Er nicht hinzu, wie Israel es verdient hätte: „Darum will ich dich verdammen", sondern: „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken" (Jesaja 43,24. 25). Im Blick auf Ephraim sagte Er: „Darum ist mein Innerstes um ihn erregt; ich will mich gewisslich seiner erbarmen" (Jeremia 31,20).

Ja, der Herr Jesus weiß den Müden mit einem Worte aufzurichten. Gott hat Ihm eine Zunge der Belehrten gegeben, und Holdseligkeit ist ausgegossen über Seine Lippen (Jesaja 50; Psalm 45,2). „Sein Gaumen ist lauter Süßigkeit", sagt die Braut im Hohenliede; „Seine Lippen sind Lilien, träufelnd von fließender Myrrhe" (Kap. 5,13. 16). Seine Worte sind Kraft und Leben und machen tiefen Eindruck auf das arme, schuldbewusste oder niedergedrückte Herz. Sie trösten und ermuntern, erquicken und beleben, stärken und richten auf. Wahrhaft anbetungswürdig ist die langmütige Liebe, mit welcher der Herr Seinem Volke Israel begegnet ist. „O dass mein Volk auf mich gehört, dass Israel in meinen Wegen gewandelt hätte" klagt Er im 81. Psalm. „O dass du gemerkt hättest auf meine Gebote"! lesen wir in Jes. 48,18; „dann würde dein Friede gewesen sein wie ein Strom, und deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wogen". Und vom Ölberge herab erklang Sein klagender Ruf: „Jerusalem, Jerusalem ... ! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt" (Mt. 23,37)! Ja, als Er die Stadt sah, weinte Er über sie! Durch den Propheten Micha wandte Er Sich mit den rührenden Worten an Israel: „Mein Volk, was habe ich dir getan, und womit habe ich dich ermüdet? Lege Zeugnis gegen mich ab" (Micha 6,3).

In Psalm 80 und in Jesaja 5 vergleicht der Herr Sein Volk Israel mit einem Weinberg, den Er umgegraben, von Steinen gesäubert und mit Edelreben bepflanzt habe, und Er fragt am Ende: „Was war noch an meinem Weinberg zu tun, das ich nicht an ihm getan hätte"? Ja, was hätte Er mehr tun können? In ähnlicher Weise fragt Er auch heute jeden, der in christlicher Umgebung geboren und erzogen worden ist: Kann ich mehr an dir tun, als was ich getan habe? O wie ernst ist die Verantwortlichkeit aller christlichen Bekenner! Das rührende Gleichnis vom Feigenbaum in Lk. 13, wenn auch zunächst auf Israel anwendbar, redet mit gleich ernster Sprache zu jedem Namenchristen. Der Feigenbaum brachte nicht allein keine Frucht, sondern machte auch das Land unnütz. Die Gerechtigkeit wollte mit einem solch unfruchtbaren und hinderlichen Baume ein Ende machen, aber die Barmherzigkeit möchte noch das Letzte versuchen: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis dass ich um ihn graben und Dünger legen werde; und wenn er etwa Frucht bringen wird, gut, wenn aber nicht, so magst du ihn künftig abhauen". Wenn alles nicht hilft, so kommt das Gericht. Wie rührend ist auch die Frage des Herrn an Israel: „Warum wollt ihr sterben, Haus Israel"? und der vorhergehende Schwur: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jehova, ich habe kein Gefallen am Tode des Gesetzlosen, sondern dass der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe! Kehret um , kehret um von euren bösen Wegen" (Hesekiel 33,11)! O, was wird es sein, wenn jemand dieser Liebe gegenüber sein Herz verhärtet und vor solch ernsten Mahnrufen sein Ohr verschließt! In Jeremia 8,20 lesen wir: „Vorüber ist die Ernte, die Obstlese ist zu Ende, und wir sind nicht gerettet"! Wie erschütternd ist ein solches Bekenntnis, wenn die Tür der Gnade für immer verschlossen, die Segenszeit der erbarmenden und rettenden Liebe Gottes auf ewig vorüber ist! Zu spät, für immer zu spät! Besser, viel besser wäre es, nie geboren zu sein, als in der Zeit der Gnade gelebt und sein ewiges Heil verscherzt zu haben.

So lasst uns denn nicht müde werden, mit Herz und Zunge dem Herrn für die große Gnade zu danken, die uns zuteil geworden ist! Ja, möchte die Gemeinschaft mit Ihm, dem besten Freunde, Dessen Herz Sich nie verändert, Dessen Treue nicht wankt, uns auf dem Wege immer köstlicher werden, bis Er kommt und wir uns verlieren werden in dem Anschauen Seiner unverhüllten Herrlichkeit und Schönheit!

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Seine Herrlichkeit

Bibelstelle: Lukas 9,32

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 166ff

Als sie aber völlig aufgewacht waren, sahen sie Seine Herrlichkeit und die zwei Männer welche bei Ihm standen (Lukas 9,32)

Über die vorbildliche Bedeutung der Verklärung des Herrn auf dem heiligen Berge kann es kaum eine Frage geben, da Jesus selbst diese Bedeutung mitteilt. Er sagt: „Es sind etliche .von denen, die hier stehen, welche den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes gesehen haben“; oder nach Markus: „bis sie das Reich Gottes, in Macht gekommen, gesehen haben“; oder endlich nach Matthäus: „bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in Seinem Reiche“. Es handelt sich um die Aufrichtung oder das Kommen des Reiches Gottes in Macht und himmlischer Herrlichkeit. Schon heute ist das Reich aufgerichtet; aber es besteht in einer geheimnisvoller: Gestalt: der König ist verworfen, und alle

treuen Untertanen müssen mit ihrem verworfenen König Schmach und Verwerfung teilen. Doch so wird es nicht bleiben. Der Sohn des Menschen wird wiederkommen, und zwar in Seiner Herrlichkeit (als Menschensohn) und in der des Vaters (als Gottessohn) und in der Herrlichkeit der heiligen Engel (als Herr über alles) Vergl. Luk. 9, 26.

Eine wunderbare Verbindung wird dann hergestellt sein zwischen Himmel und Erde, entsprechend dem Traumgesicht Jakobs, als er auf der Flucht vor seinem Bruder Esau in Bethel übernachtete: „eine Leiter war auf die Erde gestellt, und ihre Spitze rührte an den Himmel; und siehe, Engel Gottes stiegen auf und nieder an ihr. Und siehe, Jehova stand über ihr“ (1. Mose 28, 12. 13). So werden in den Tagen der Herrlichkeit des Reiches die Bewohner des Himmels ungehindert mit den glücklichen Bewohnern der Erde verkehren können, gleichsam als die Boten Gottes und als die Vermittler Seiner Segnungen für diese Erde. Dann „wird der Spross Jehovas zur Zierde und zur Herrlichkeit sein“, und „Jehova wird über jede Wohnstätte des Berges Zion und über seine Versammlungen eine Wolke und einen Rauch schaffen bei Tage, und den Glanz eines flammender! Feuers bei Nacht; denn über die ganze Herrlichkeit wird eine Decke sein“ (Jes. 4, 2. 5). Auf dem Berge der Verklärung erschien über den Jüngern (den Vertretern der irdischen Heiligen) und über Jesu und Seinen Begleitern (den Vertretern der himmlischen Heiligen) eine lichte Wolke, eine „prachtvolle Herrlichkeit“ (2. Petr. 1, 17), die Wohnung Gottes, aus welcher, „vom Himmel her“, wie Petrus sagt, die Stimme ertönte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe; Ihn höret!“ Ein wunderbares Schauspiel: Jesus mit Mose und Elias in himmlischer Herrlichkeit, redend über den Ausgang, den Er in Jerusalem erfüllen sollte, d. h. über das Kreuz und seine gesegneten Resultate; die Jünger, in das Anschauen dieser Herrlichkeit versunken; und über dem allem, das Ganze überdeckend, die lichte Wolke, das bekannte Symbol der Wohnstätte Gottes, in welche sie schließlich eintreten! (Luk. 9, 34).

Die Jünger waren anfänglich beschwert vom Schlaf. Ach, wie sind wir so träge, die herrlichen Offenbarungen unseres Gottes zu schauen! Die Jünger schliefen hier, und sie schliefen auch später im Garten Gethsemane, als ihr Herr so innig nach einem mitfühlenden Herzen verlangte. O was sind wir! Und solche hat Jesus erkoren, Seine Genossen hienieden zu sein und Seine Genossen dereinst in der Herrlichkeit droben. „Als sie aber völlig aufgewacht waren, sahen sie Seine Herrlichkeit.“ So werden auch wir einmal, wenn die Decke von unseren blöden Augen genommen und das Vollkommene gekommen sein wird, Seine Herrlichkeit schauen. Nicht Mose und Elias, nicht Abraham und David, nicht Paulus und Johannes, so groß und wunderbar es sein wird, diese treuen Zeugen und Glaubensmänner von Angesicht zu Angesicht zu sehen, nein, Er, Seine Herrlichkeit wird jedes Auge ausfüllen und jedes Herz in Anbetung vor Ihm niederbeugen. „Du bist würdig“, so wird von Ewigkeit zu Ewigkeit, in nie endendem Lobgesang, im

Vaterhause droben das neue Lied ertönen. Dann wird erfüllt sein, was Jesus in Seiner Liebe zu uns vom Vater erbat: ,,Vater, ich will, das die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen“ (Joh. 17, 24).

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 169ff

Die Geschichte des Simon Petrus ist außerordentlich lehrreich. Jeder Christ kann darin in großen Zügen seine eigene Geschichte wiederfinden, von dem ersten Schritt, den er in der Erkenntnis Christi gemacht hat, bis zu dem leider so selten erreichten oder bewahrten Zustande, in welchem der Heilige Geist ungehindert wirken und Seine Macht in uns entfalten kann. Zwischen diesen beiden Endpunkten entwickelt sich die ganze Tätigkeit der Gnade, die uns zu der Erkenntnis Christi und der christlichen Vorrechte durchdringen lässt. Wir werden auch den Bruch sehen, der notwendigerweise in der Seele stattfinden muss, damit der Gläubige, nachdem er alles Vertrauen auf sich selbst verloren hat, endlich seine Vorrechte verwirkliche und dem Herrn aus dem Wege folge, den Er vorgezeichnet hat.

Die Geschichte des Petrus teilt sich naturgemäß in zwei Abschnitte, die wir auch in dem Worte Gottes finden. Die Evangelien stellen den einen Abschnitt dar; in der Apostelgeschichte und in den Briefen findet sich der andere. Die Wahrheiten, von denen wir soeben gesprochen haben, beziehen sich auf den ersten Abschnitt; der zweite, mit dem wir uns, wenn Gott es erlaubt, später einmal beschäftigen werden, ist (obwohl Fehler von Seiten des Menschen nicht ausgeschlossen sind) voll von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in dem Dienste Petri und von der göttlichen Macht, die ihn als einen Zeugen Christi inmitten der Hindernisse und Kämpfe aufrecht hielt.

1.

Ich bin ein sündiger Mensch.“ (Luk. 5, 1—11.)

Die Art und Weise, in welcher Petrus in dem Evangelium Lukas mit dem Herrn in Berührung kommt, ist sehr beachtenswert. *) Die Schwiegermutter Simons (Luk. 4, 38. 39) war von einem starken Fieber befallen, welches sie zu jeder Tätigkeit unfähig machte. Jesus heilt sie und setzt sie in den Stand, Ihm zu dienen. Auf solche Weise begegnet häufig eine Seele Christo zum ersten Male; sie kommt mit Ihm in Berührung durch die Segnungen, die Er Anderen zu teil werden lässt. Wenn der Augenblick gekommen ist, wo Er sich unserem eigenen Herzen offenbaren will, entdecken wir, dass Er uns schon nicht mehr völlig fremd ist. Der Herr benutzt diese vorbereitende Bekanntwerdung mit Ihm zur Abkürzung des Werkes, durch welches unsere Gewissen dem Schuldbewußtsein und unsere Herzen dem Gefühl der Gnade zugänglich werden. In unserem Evangelium kannte also Simon Petrus Jesum, weil er Ihn in seinem Hause tätig gesehen hatte.

Der Sohn Jonas war von Beruf Fischer; er besaß die nötigen Geräte, um Fische zu fangen: ein Schiff und

Netze. Er hatte auch Gebrauch davon gemacht, um das Gewünschte zu erlangen, er hatte zu diesem Zweck die ganze Nacht. gearbeitet; aber ohne jeden Erfolg. So bedient sich der natürliche Mensch seiner Fähigkeiten und der Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, um etwas zu erlangen, was sein Herz erfüllen und befriedigen soll; aber es ist vergeblich, das Netz bleibt leer. Seine Arbeit bringt nichts zustande, das den tiefen Bedürfnissen seiner Seele entsprechen könnte. Die Nacht geht dahin, und der Tag bricht an, wo das Fischen, die Arbeit zur Erlangung des Glückes, ihm nicht einmal mehr möglich sein wird.

Weil sie nichts gefangen haben, verlassen Simon und seine Genossen die Schiffe und waschen ihre Netze. Sie reinigen sie, weil sie nichts als Schlamm von dem Meeresboden heraufgeholt hatten; sind sie damit fertig, so kann der Fischfang von neuem beginnen. Ist es mit dem Menschen in dieser Welt nicht gerade so? Jeder Tag sieht seine erneuten Anstrengungen, und doch erreicht er niemals das Ziel, nach welchem er so sehnlich verlangt.

Doch wenn die Ohnmacht des Menschen völlig ans Licht gebracht ist, betritt Jesus den Schauplatz, scheinbar mit allem anderen beschäftigt, als mit Petrus. Er lehrt die Volksmenge; aber bei Seinem Dienst ist Sein Herz mit Petrus, und Er verliert ihn nicht aus dem Auge. „Er stieg in eines der Schiffe, welches Simon gehörte, und bat ihn ein wenig vom Lande hinauszufahren.“ Er entfernt sich ein wenig mit ihm von der Volksmenge. So hört Petrus die ganze Rede des Herrn. Früher schon war ihm Jesus nicht mehr fremd, jetzt hört er Sein Wort; und seine Stellung der Absonderung mit Ihm trägt dazu bei, dass er aufmerksam lauscht. Indes scheint jenes Wort nichts mehr bei ihm bewirkt zu haben als die Überzeugung von der Machtvollkommenheit des Herrn (V. 5).

Doch dann beschäftigt sich der Herr eingehender mit ihm. „Fahre hinaus auf die Tiefe“, sagt Er, „und lasset eure Netze zu einem Fange hinab.“ Das hatte Petrus die ganze Nacht hindurch getan; aber während es bis dahin nach dem Willen des Menschen geschehen war, sollte er es jetzt auf das Wort des Herrn hin tun. Petrus glaubt diesem Worte und unterwirft sich ihm. Das ist die erste Wirkung des Wortes Gottes; es bringt den Glauben hervor. Dieser erkennt die Autorität des Wortes an und gehorcht ihm. Der Herr hat gesprochen; das ist für den Glauben genug.

Hierauf wendet sich Jesus in einer noch mächtigeren Weise an Petrus. Er zeigt ihm, in wessen Gegenwart er sich befindet, und erreicht so sein Gewissen. Der Schöpfer aller Dinge, der allem gebietet, versammelt am hellen Tage die Fische dahin, wo in der Nacht keine waren, und füllt die Netze Petri damit. Er stillt sie mit Segnungen, welche menschliche Gefäße nicht zu fassen vermögen — sie zerreißen, und welche die Bedürfnisse des Jüngers weit übersteigen. Seine Gefährten kommen mit einem zweiten Schiffe; aber auch dieses wird bis zum Sinken gefüllt. So überströmend sind die Segnungen, die der Herr der Herrlichkeit gibt.

Petrus sieht (V. 8) die Fülle dieses Segens, und sie bringt ihn zum ersten Male, so wie er ist, in die Gegenwart Dessen, der die Quelle des Segens ist und der ihn austeilt. Nunmehr ist es nicht allein das Wort Jesu, welches ihn trifft, sondern Jesus selbst und die Herrlichkeit Seiner Person. In seiner Seele geht etwas ganz Unerwartetes vor: der Segen erweckt in ihm keine Freude, sondern bewirkt die Überzeugung, dass er ein sündiger Mensch ist; er lässt ihn erschrecken, weil er ihn in die Gegenwart des Herrn der Herrlichkeit führt. Das Gefühl seines Zustandes gibt ihm die erschreckende Gewissheit, dass Jehova ihn verstoßen muss, aber es bringt ihn andererseits auch zu den Füßen Jesu, als dem einzigen Rettungsmittel für ihn.

So sehen wir auch in Psalm 130, 1 — 4, wie die Seele Den um Hülfe anfleht, gegen welchen sie gesündigt hat. Wenn Er auf die Ungerechtigkeiten merkt, so ist es um sie geschehen; sie ist verloren, es sei denn dass die Frage der Sünde geordnet werde. Und sie wird geordnet; der beleidigte Gott vergibt: Gott wird gekannt in Seiner Liebe!

Welch ein Segen für den Sünder, wenn er zu der Erkenntnis seines wahren Zustandes, sowie des· Urteils,

welches er verdient hat, und der Heiligkeit des Herrn kommt! „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ Petrus betrachtet sich als einen Sünder und als unwürdig für die Gegenwart Gottes; er zittert vor Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit. Er hat bis jetzt nur ein unbestimmtes Gefühl davon, was Gnade ist; er weiß nicht, dass Gott gerecht bleiben kann, wenn Er den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist. Aber er befindet sich zu Seinen Füßen; er flieht nicht, denn wenn es irgendwelche Hoffnung gibt, so ist sie nur hier.

So lange er damit beschäftigt war, seine Netze zu waschen, kannte er weder Gott noch sich selbst. Jetzt

kennt er den einen wie den anderen. Sonderbar! er verurteilt nicht was er getan hat, sondern was er ist. Viele Seelen erkennen wohl, dass sie über ihre bösen Taten Buße zu tun haben, und sie verurteilen sie auch; aber sie sind nie dahin gebracht worden, die Quelle dieser Taten zu sehen. Gleichsam unter der äußeren Decke der Sünden befindet sich „ein sündiger Mensch“. Das Bewusstsein der Gegenwart Gottes öffnet uns die Augen hierüber, zeigt uns was wir sind, und lässt uns zugleich erkennen, dass es nur bei Dem eine Zuflucht für uns gibt, der ein Recht hätte, uns zu verdammen.

„Entsetzen hatte ihn erfasst.“ Doch der Herr lässt in Seiner Gegenwart niemals die Furcht bestehen; Er spricht und vertreibt sie, weil Er der Herr aller Gnade ist. Alles Übrige lässt Er wie es ist; Er schwächt in keiner Hinsicht die Wirkungen des in der Seele vorgegangenen Werkes, aber Er nimmt das Entsetzen fort. Sagt Er etwa: „Gehe von mir hinaus“? Nein, wie könnte Er sich von einem vor Ihm knienden Sünder abwenden? Er sagt: „Fürchte dich nicht; von nun an wirst du Menschen fangen“. Mit anderen Worten: Wenn ich nicht mit dir zusammengetroffen wäre, um dich zu. retten, so könnte ich dich nicht als Werkzeug zur Rettung Anderer benutzen. Er tut mehr, als dass Er Petrus nur glücklich macht; Er gibt ihm eine neue

Segnung: Er verheißt ihm den Dienst. Anstatt ein Fischer zu bleiben, ist Petrus ein Diener geworden, fähig alles zu verlassen und Jesu nachzufolgen.

2.

Petrus geht Jesu entgegen auf dem Wasser. (Matth. 14, 22 —- 33).

Jesus hatte gemäß der Prophezeiung in Psalm 132, 15 die Armen Israels mit Brot gespeist, indem Er Seine Aufgabe als Messias inmitten eines Volkes, welches Ihn nicht annahm, erfüllte. Nachdem Er ihnen Gutes getan, hatte Er die Volksmenge entlassen; Er trennte sich in bildlichem Sinne von Israel, um es für eine Zeit zu verlassen. Der Abend war gekommen; der Herr war allein auf einen Berg gestiegen, um dort zu beten. Schließlich brach für die Zwölfe, die der Herr genötigt hatte, in das Schiff zu steigen, die Nacht herein. Die Beziehungen zu dem Volke waren, bildlich gesprochen, aufgegeben; aber Jesus hatte für sich einen Überrest, der dem anderen Ufer zuruderte. Die Jünger waren während dieser finsteren Stunden allein auf dem sturmbewegten Meere und voll Angst; aber dann, in der vierten Nachtwache, also gegen drei Uhr morgens, machte der Herr sich auf, um zu ihnen zu gelangen. Sein Kommen ist das Zeichen der Wiederaufnahme Seiner Beziehungen zu denen, die Er aufs neue Sein Volk nennen wird. Er kommt zu ihnen auf dem ungestümen See, inmitten von Schwierigkeiten, die nichts sind für Seine göttlichen Füße, die aber für sie der Weg werden sollen, um Ihn kennen zu lernen. So wird Er sich dereinst auch der „Mühsal Jakobs“ bedienen. Es ist ein rührendes Schauspiel und voll von geistlicher Belehrung auch für uns Christen, wenngleich es sich nicht zunächst um uns hier handelt; was aber dann zwischen Jesu und Petrus sich ereignet, hat wieder mehr Bezug auf uns persönlich.

Die erste Handlung des Petrus bestand darin, dass er sich, seinen sündigen Zustand erkennend, zu Jesu Füßen niederwarf; die zweite, dass er sich aufmachte, um Ihm entgegen zu gehen. Man kann dies nicht zu stark betonen. **) Was der Bekehrung folgen muss, ist das Sich aufmachen, um dem Heiland entgegenzugehen. Dies geht dem Dienst voran. Petrus hatte bisher nur die Verheißung, dass er zu einem Menschenfischer gemacht werden solle, und doch fühlte er sich zu Jesu hingetrieben. Er richtete hier seine Blicke auf Den, der von dem Gipfel des Berges herabkam; und das war nur der· Anfang der herrlichen Offenbarungen, die er über die Person Christi empfangen sollte. Lieber Leser! Bist auch du ausgegangen, Ihm entgegen? Wenn du es nicht von Anfang deiner Bekehrung an getan hast, so bist du noch nicht über die Erkenntnis deiner Errettung hinausgekommen; denn du kannst keinen Anspruch machen auf die tiefere Erkenntnis Christi, welche Petrus später erlangte, wenn nicht vorher der vom Himmel kommende Herr der Gegenstand deines Herzens geworden ist und dich mit dem Wunsche erfüllt hat, Ihm entgegenzugehen.

Im ersten Augenblick ist diese Erkenntnis bei Petrus noch wenig entwickelt: „Herr, wenn du es bist“, sagt

er. Aber sie genügt ihm, um sich auf den Weg zu machen. Für ihn hängt alles davon ab, ob diese Person wirklich Jesus ist; und wenn das der Fall ist, so genügt ihm Sein Wort, um das Schiff zu verlassen: „Befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Gewässer“. Es war nicht leicht, den Ort scheinbarer Sicherheit zu verlassen, um da zu wandeln, wo kein Weg war; aber, wie gesagt, das Wort Christi genügte ihm. Er kannte die Macht desselben sehr gut. Auf Sein Wort hatte er das Netz hinabgelassen; auf Sein Wort macht er sich jetzt auf den Weg. Es genügt, um ihn zu befähigen, auf dem Wasser zu wandeln, gerade so wie es genügt hatte, ihn den Heiland erkennen zu lassen.

„Befiehl mir, zu dir zu kommen.“ Indem Petrus um diese Gnade bittet, denkt er nicht daran, nur einen Versuch zu machen, oder gar mit seiner Fähigkeit zur Überwindung der Hindernisse zu prahlen. Nein, was er will ist: zu Ihm gehen. Christus zieht ihn an. Für den Augenblick denkt er nicht an den Wind, noch an die Wellen; denn wenn auch das natürliche Herz nicht den Weg kennt, der zu Christo führt, der Glaube findet einen Weg, wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen, in Nacht und Sturm, und er benutzt ihn, um dem Herrn näher zu kommen. Der Glaube verlässt das Schiff, den anscheinend einzig sicheren Platz, indem er ihn nicht als den wahren Ort der Sicherheit betrachtet und sich, wie ein alter Philosoph es gut ausgedrückt hat, auf einem göttlichen Worte einschifft, um zu Jesu zu gelangen, dessen Gegenwart dem Glauben noch mehr gilt, als die Erreichung des anderen Ufers.

Ach! so ist es. Man fängt gut an; der erste Glaube und die erste Liebe, die Einfalt eines Herzens, welches von einem Gegenstand erfüllt ist, unterstützen uns; aber dann lässt sich unser Blick von seinem Gegenstande ablenken. Satan hatte versucht, die Jünger in Verwirrung zu bringen, indem er ihnen Furcht vor Jesu einflößte (V. 26); doch sie erfahren sehr schnell aus Seinem Munde, dass sie gutes Mutes sein können. Sodann erschreckt der Feind den Petrus durch die Schwierigkeiten. Welch eine Torheit, auf ihn zu hören! Führen die Schwierigkeiten nicht gerade zu Jesu hin? Was für arme, ungläubige Geschöpfe sind wir doch! Das Einzige, was wir in den Prüfungen und Bedürfnissen nicht aus dem Auge verlieren sollten, die göttliche Macht, das gerade ist es, was wir vergessen! Am vorhergehenden Tage hatten die Jünger nicht vergessen, ihre Brote und Fische zu zählen, auch nicht die Hilfsmittel der Dörfer in Betracht zu ziehen; aber auf die Gegenwart des Herrn hatten sie durchaus nicht gerechnet. So fängt auch Petrus, nachdem er sich auf den Weg gemacht hat, auf einmal an, auf die Gewalt des Windes zu blicken und an seine eigene Kraft zu denken; er vergisst ganz, dass er eine stärkere Anziehungskraft vor sich hat, als die des magnetischen Poles, eine Kraft, die ihn unfehlbar zu Jesu bringen muss; und siehe da, er fängt an zu sinken!

Nun, wer ist nicht schon auf dem Punkte gewesen, zu versinken wie Petrus? Ist es der Kirche oder den einzelnen Gläubigen nicht gerade so ergangen wie ihm? Doch ein Schrei dringt aus dem Munde des Jüngers: „Herr, rette mich!“ nicht wie früher: „Gehe von mir hinaus!“ Nein, das Gegenteil ist der Fall. Denn der Retter ist von dem Gläubigen gekannt; er weiß, dass es Sein Charakter ist, zu retten. Petrus ruft um Hilfe in dem Augenblick, wo er beinahe am Ziel ist; Jesus braucht nur die Hand auszustrecken, um ihn zu sich zu ziehen. Hätte Petrus eine Minute länger geglaubt, so würde er nicht gesunken sein! Und wir, wir wollen noch zweifeln? Wir dürfen an vielen Dingen zweifeln, doch niemals an Christo. Lasst uns Vertrauen haben zu Dem, der imstande ist, uns bis ans Ende zu erretten; denn der Sturm wird sich erst dann legen, wenn der Herr und die Seinen für immer vereinigt sind.

Fußnoten:

*) Ich lasse hier absichtlich die interessanten Betrachtungen beiseite, zu denen die erste Begegnung Petri mit dem Herrn in anderen Evangelien Veranlassung geben könnte.

**) Wir betrachten diese Stelle hier nur in ihrer Anwendung auf den Einzelnen; sie führt uns eigentlich (zur Vervollständigung des ausgedehnten Gemäldes im 14. Kapitel) die Stellung der Kirche vor Augen, die das Judentum verlassen hat, um Jesu entgegenzugehen, indem sie an Sein Wort glaubt und die Augen auf ihn gerichtet hat, und da wandelt, wo es scheinbar keinen Weg gibt.

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Der Altar zu Bethel

Bibelstelle: 1. Könige 12, 25 – 33 und 13

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 179ff

Der Bericht, den wir in Röm. 1 über den Götzendienst finden, belehrt uns, dass die Abgötterei ihren Ursprung hat in dem Verderben des menschlichen Herzens und Geistes. Der Hochmut des Menschen, das Vertrauen auf seinen Verstand, ist der Vater des Götzendienstes geworden. „Indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden“ (V. 22—25). Auch sagt uns der Apostel in Hebr. 3, 12, dass „das Herz des Unglaubens“ ein „böses“ Herz ist, das sich kundgibt in dem Abfallen von dem lebendigen Gott. Und im Beginn des oben angeführten Schriftabschnittes ans dem 1. Buche der Könige finden wir, dass die Liebe zur Welt und zu ihrer Ehre und Anerkennung den Götzenaltar zu Bethel erbaute. Jerobeam glaubte, es gebe keinen anderen Weg, um sich Thron rund Reich zu sichern, als die Errichtung der goldenen Kälber und des damit verbundenen Götzendienstes.

Er verdarb die Religion des Volkes. Er leugnete nicht in ungläubigem Spott, dass es einen Gott gebe; nein, er erkannte an, dass das Volk Gottes durch höhere Macht aus Ägypten herausgeführt worden sei; aber er verdarb die Religion Israels - eine ebenso schlimme, wenn nicht schlimmere Sache als die offene Verleugnung Jehovas. Er benutzte dies zur Erreichung seiner eigenen Zwecke und selbstsüchtigen Ziele.

Im Beginn des 13. Kapitels wird uns mitgeteilt, wie Gott im Blick auf dieses religiöse Verderben handelt. Es ist die gewöhnliche Art und Weise Seines Tuns. Er sendet Seinen Knecht, mit einer neuen Mitteilung Seiner Gedanken und gleichsam unter einer neuen Salbung Seines Geistes, aus dem Lande Juda zu dem Altar in Bethel, damit er wider diesen ausrufe nach dem Worte Jehovas und das Gericht Gottes allen denen ankündige, welche mit dem Altar in Verbindung getreten waren. Zwar sollte die Ausführung des Gerichts erst in den Tagen Josias, des zukünftigen Königs aus dem Hause David, stattfinden; aber inzwischen wird eine Art von Unterpfand, ein Zeichen, gegeben, dass jenes Gericht wirklich stattfinden werde: der Altar zerreißt, und die Fettasche, die darauf ist, wird verschüttet. *)

So handelt Gott vielfach. Er kündigt Gericht an, aber Er verzieht die Ausführung desselben, indem Er Zeichen oder Unterpfänder dafür gibt, dass es wirklich zu seiner Zeit hereinbrechen wird. Die Zwischenzeit wird in der Schrift „die Langmut Gottes“ genannt, und wir wissen, dass diese Langmut Gottes „Errettung“ bedeutet, oder, mit anderen Worten, eine Zeit des Errettens und Einsammelns ist. (2.Petr. 3, 15). Henoch kündigte das Gericht der Gottlosen an, und aus dem Briefe des Judas erfahren wir, dass dieses Gericht noch seiner Vollziehung harrt. Die große Flut war aber wie ein Unterpfand dieser Vollziehung. Der Herr selbst sprach in späteren Tagen das Gericht über Jerusalem aus (Matth. 24), und aus Seinen Worten geht klar hervor, dass das Gericht noch zukünftig ist; aber das Eindringen der Römer in die Stadt und die Zerstörung derselben durch Titus war eine vorläufige Erfüllung, ein Unterpfand. Jerobeam erzürnte über den Mann Gottes, der sich erkühnt hatte, ein solches Gericht über seinen Altar auszusprechen, und er streckte seine Hand aus, um seinen Dienern zu befehlen, dass sie den Boten Gottes griffen. Aber statt dessen ergriff ihn die Hand Gottes, und sein ausgestreckter Arm verdorrte; er konnte seine Hand nicht wieder an sich zurückziehen. Jetzt verändern sich seine Gedanken; er bereut sein Tun und bittet den Mann Gottes, doch für ihn zu Jehova zu flehen, damit „seine Hand wieder zu ihm komme«. (V. 6). Nachdem dies geschehen ist, ladet er den Mann Gottes ein, mit ihm in seinen Palast zu gehen und sich zu stärken; auch wolle er ihm ein Geschenk geben. Man sieht, dass der Ernst Gottes, wenigstens für einen Augenblick, Eindruck auf den gottlosen König gemacht hatte. Doch der Mann Gottes, handelnd in dem Geiste Daniels, lässt ihn. wissen, dass er seine Gaben für sich selbst behalten und seine Geschenke einem Anderen geben möge (Vergl. Dan. 5, 17). „Wenn du mir die Hälfte deines Hauses gäbest“, sagt er zu dem Könige, „so würde ich nicht mit dir hineingehen“. Er verlässt hierauf den Schauplatz des Fluches und begibt sich auf den Rückweg nach Juda; das Geschäft, welches ihm „durch das Wort Jehovas“ aufgetragen war, war getan. Der Altar wird mit seinen Priestern allein gelassen, um zu seiner Zeit dem Gericht Gottes zu begegnen.

So weit war alles gut und recht; aber nun ändert sich die Szene. Wir sehen fortan nicht mehr den Mann Gottes und den König beieinander, sondern wir müssen den Mann Gottes in der GeselIschaft eines alten Propheten erblicken, der damals in Bethel wohnte.

Wir sind immer in großer Gefahr, wenn wir uns hart an der Grenze des Landes niederlassen, wenn wir eine zweideutige Stellung einnehmen und uns in Verhältnisse begeben, die nicht völlig einwandfrei sind. Der alte Prophet war ohne Zweifel ein Gläubiger, aber er lebte —- ähnlich wie einst Lot in Sodom — nahe bei dem Götzenaltar Jerobeams. Sein Herz war nicht ungeteilt mit Jehova; er blieb in Verhältnissen, welche sein Gewissen fortwährend beschweren mussten. Anstatt ein entschiedenes Zeugnis gegen das Böse abzulegen, blieb er in Verbindung mit demselben, und so wurde er schließlich ein Werkzeug in der Hand Satans! Mit einer Lüge in seinem Munde führt er den Mann Gottes von dem Pfade des Gehorsams nach Bethel zurück. „Auch ich bin ein Prophet, wie du“, sagt er, als der Mann Gottes sich weigert, seiner Einladung zu folgen; „und ein Engel hat zu mir geredet durch das Wort Jehovas und gesagt: Bringe ihn mit dir zurück in dein Haus. (V.18).

Ach! hätte der Mann Gottes nicht auf ihn gehört! Aber er befand sich nicht auf der Höhe des Apostels Paulus, noch besaß er dessen geistliche Kraft. Paulus stand ein für das Wort des Herrn gegenüber allen Anmaßungen und widersprechenden Behauptungen. Er würde selbst über einen Engel sein — Anathema ausgesprochen haben, wenn ein solcher es gewagt hätte, dem Worte zu widersprechen, das ihm von Gott anvertraut worden war. Es machte für ihn nichts aus, wer der Widersprechende war; mochte er von der Erde, aus dem Abgrunde oder aus dem Himmel kommen- — er hielt .an dem Worte Gottes fest und wich nicht um eines Haares Breite davon ab. Und wenn selbst Petrus, der Vornehmste der Apostel, einmal der Wahrheit einen Anstoß in den Weg legte, widerstand er ihm ins Angesicht und strafte ihn vor allen.

Aber der Mann Gottes hier stand, wie gesagt, nicht auf der Höhe des Paulus. Er gab das Wort, welches er von Gott empfangen hatte, auf für ein Wort, das, wie er meinte, von einem Engel geredet worden war, und er kehrte zurück, um an dem Orte zu essen und zu trinken, von welchem der Herr ihm gesagt hatte: „Du sollst kein Brot essen und kein Wasser daselbst trinken“. Die Folge war ein ernstes Gericht.

In der Art dieses Gerichts findet ein anderer göttlicher Grundsatz treffende Erläuterung. Gott richtet einen jeden nach seinem Werke. (1. Petr. 1, 17.) Das heißt: Er züchtigt Sein Volk, wie auch in dem vorliegenden

Falle, in der Gegenwart; das Gericht hat am Hause Gottes angefangen (1. Petr. 4, 17). Während das Gericht an Jerobeam und seinen Priestern hinausgeschoben wird, kommt das Gericht des Mannes Gottes unmittelbar. Er wird jetzt von dem Herrn gerichtet, damit er nicht später mit der Welt oder mit Jerobeam verurteilt werde (Vergl. 2. Kön. 23, 17. 18). Der Urteilsspruch Jehovas kommt über ihn, noch während er essend und trinkend am Tische des alten Propheten sitzt. Ach! er aß und trank sich selbst Gericht! Er sah seine irdische Heimat nie wieder. Als er aus der Rückreise nach Juda war, begegnete ihm ein Löwe und tötete ihn (V. 24).

Wie beachtenswert und bedeutungsvoll ist das alles! Das Gericht der Welt ist aufgeschoben, die Züchtigung der Gläubigen geht jetzt vor sich. Aber das ist noch nicht alles; unsere Erzählung enthält noch weitere Belehrungen. So wie ein Unterpfand für das zukünftige Gericht der Welt gegeben wurde, so finden wir hier auch ein Unterpfand für die zukünftige Errettung der Gläubigen. Der Altar zerriss, wie wir gesehen haben, und die Fettasche wurde verschüttet; und jetzt wird dem Löwen nicht erlaubt, den Leichnam des Mannes Gottes anzurühren oder den Esel der diesen getragen hatte, zu zerreißen. Der Leib wird aufbewahrt, damit ihm die letzte Ehre erwiesen werde, wenngleich das Leben dem gerechten Gericht oder der heiligen Zucht Gottes verfallen war. Der Natur des Löwen würde es entsprochen haben, den Esel samt seinem Reiter zu töten und den Leichnam zu fressen; aber er handelte gerade so gut nach einem göttlichen Auftrag, indem er den Mann Gottes tötete, wie dieser es getan hatte, als er das Gericht wider den Altar ausrief.

Welch mannigfaltige und belehrende Erläuterungen göttlicher Wahrheiten treten uns in diesen Dingen entgegen!

Auch der alte Prophet erscheint wieder vor unseren Blicken. Es gab in ihm etwas, das von Gott war, gerade so gut wie die Natur oder das Fleisch in ihm wirksam war. Aber er war alt geworden, und das graue Haar hatte sich in betrübender Weise auf dem Haupte dieses Ephraimiten vermehrt, um in der Sprache des Propheten Hosen zu reden (Vergl. Kap. 7, 9). Er hatte als Gläubiger sorglos gelebt und seine Wohnung an einem unreinen Orte aufgeschlagen. Er glich einem alt und träge gewordenen Bekenner, welcher der Wiederbelebung bedarf. So konnte Satan ihn als Werkzeug benutzen, (wie wir gesehen haben, aber es ist eine traurige Erscheinung,) um seinen jüngeren Bruder, ein frischgesalbtes Gefäß des Geistes Gottes, zu verderben. Dennoch scheint er ein „Gerechter“ gewesen zu sein gleich Lot, der seine gerechte Seele mit den gesetzlosen Werken der Bewohner Sodoms quälte. Seine Klage über den Tod des Mannes Gottes war aufrichtig, es war die Klage eines Heiligen über seinen Bruder, die Trauer eines Heiligen Gottes; und er gab seinen Söhnen den Auftrag, ihn, wenn er sterben sollte, in demselben Grabe zu begraben, in welchem er jetzt die Überreste dessen niederlegte, den er seinen „Bruder“ nannte. 185

Alles das zeugt von der besseren Natur in ihm. Und wenn nun die Hand des Herrn kommt, um durch Josia das Gericht auszuführen, welches Er durch den Mann Gottes hatte ankündigen lassen; wenn Seine mächtige Hand erscheint, um die Mitteilungen Seines Geistes wahr zu machen, wenn der Tag des Verderbens der Welt (jener Jerobeams-Welt, von welcher wir reden) hereinbricht, dann nimmt diese Hand Rücksicht auf den alten Propheten sowohl wie auf den Mann Gottes. Josia schont das Grab dieser Männer und bewahrt. die Gebeine beider vor dem Verbrennen auf dem Götzenaltar. Alle übrigen Gebeine, die in den Gräbern dieser Gräuelstätte, rund um den Altar von Bethel her, gefunden wurden, „verbrannte er auf dem Altar und verunreinigte ihn, nach dem Worte Jehovas, das der Mann Gottes ausgerufen hatte“ (2. Kön. 23, 16).

Alle diese Dinge reden zu uns in vernehmlicher Weise. Wir sehen die Verschiedenartigkeit der Wege Gottes im Gericht dieser Welt und in der Züchtigung der Seinigen. Wir sehen, wie gefährlich es ist, nahe bei Sodom zu wohnen, und wir lernen aufs Neue, dass wir an dem Worte Gottes festhalten müssen gegenüber allem und jedem. Möchten wir gelehrige Schüler sein!

Fußnote:

*) Das hier angekündigte Gericht ist buchstäblich ausgeführt worden. (Vergl. 2. Kön. 23) Der Name Josias wird hier schon zuvor verkündigt, ähnlich wie in späteren Tagen der Name des Königs Cyrus. (Jes. 45.)

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Schwache Werkzeuge

Bibelstelle: 1. Samuel 16,7

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 186ff

Der natürliche Mensch denkt, dass Großes nur durch große Mittel zu erreichen sei; er jauchzt dem zu, der mit großen Geistesgaben ausgerüstet auftritt, und verachtet das, was klein und unscheinbar aussieht. Leider lassen sich auch Christen im Blick auf die Werkzeuge, deren sich der Herr bedient, oft von solchen Gedanken beeinflussen. Wir sind so geneigt, auf das zu sehen, was vor Augen ist, auf große Gaben, auf ein schönes Redetalent, ja sogar auf die äußere Gestalt und die irdische Stellung des Dieners des Herrn; es liegt uns so nahe, den Menschen zu erheben, anstatt Den, der allein alles darzureichen und zu segnen

vermag. So wurde jüngst in einem Blatte ein religiöser Führer „ein Fürst unter den Predigern“ genannt; ein

anderer wurde als „ein starker Turm“ bezeichnet. Doch der Herr sagt: „Meine Ehre gebe ich keinem anderen“ (Jes. 42,8). Die Werkzeuge, deren Er sich bedient, haben andere Namen; wie es in dem bekannten Liede heißt: „Es war ja so dein Wesen von alten Tagen her, dass du dir hast erlesen, was schwach, gebeugt und leer; dass mit zerbrochenen Stäben du deine Wunder tatst und mit zerknickten Reben die Feinde untertratst.“

Es mag daher wohl zu unserer Belehrung dienen, wenn wir uns die Werkzeuge und Mittel, welche der Herr von Zeit zu Zeit gebraucht hat, ein wenig näher ansehen, und untersuchen, was die Schrift von ihnen sagt. Von dem hervorragendsten Knechte Gottes im Alten Testament, von Mose, lesen wir, dass er kein Mann der Rede war, und nur mit einem Stabe in der Hand stand er vor dem Pharao, dem mächtigen Beherrscher Ägyptens (2. Mose 4).

Gegen die starken Mauern Jerichos musste Israel nicht etwa mit Sturmböcken vorgehen; sie bliesen die

Posaunen, und die Mauern fielen (Jos. 6).

Um mächtige Könige und große Nationen zu vertreiben, bediente sich Gott der Hornissen (Jos.24,12). Und welch schwache Werkzeuge benutzte Er in der Zeit des Verfalls, um Sein Volk zu retten und zu segnen! Ehud, ein Benjaminiter, war links (Richt. 3, 15); Schalngar schlug 600 Philister mit einem Rinderstachel (Richt. 3, 31); Debora und Jael, zwei Weiber benutzte Gott zur Rettung Israels (Richt. 4). Gideon musste von sich sagen, dass sein Erbteil das kleinste in Manasse, und dass er der Jüngste im Hause seines Vaters sei; 32000 Mann zogen mit ihm aus, aber Gott rettete Israel durch 300 Mann und benutzte dazu ein Gerstenbrot und zerschlagene Krüge (Richt.6 u.7). Jephtha war ein unehelicher Sohn (Richt. 11, 1). Simson erschlug mit einem Eselskinnbacken 1000 Philister. (Richt. 15, 15).

Jonathan und sein Waffenträger kletterten auf Händen und Füßen einen Felsen hinauf wider das Heer der Philister (1.Sam.14). Wie töricht war eine solche Handlungsweise in den Augen der Welt! Aber Gott gab ihnen den Sieg.

Als Samuel im Hause Jsais erschien, um im Auftrages Jehovas den König von Israel zu salben, meinte er, Eliab sei der zum König Bestimmte. Er sah auf das Aussehen und den hohen Wuchs Eliabs. Gott aber erwählte nicht ihn, sondern David, den Jüngsten der das Kleinvieh weidete (1. Sam. 16).

Ein Stab, eine Schleuder und einige Steine waren die Waffen Davids, mit denen er den Riesen Goliath besiegte (1. Sam. 17).

Eine kleine gefangene Dirne musste dem hochangesehenen Heerführer Naaman den Weg zeigen, wie er

von seinem Aussatz geheilt werden könne (2. Kön. 5).

Esther, eine Waise, wurde von dem Herrn benutzt, um die bösen Anschläge Hamans gegen Sein Volk zu vereiteln (Esther 2, 7).

Der Prophet Amos war ein Viehhirt und las wilde Feigen. (Amos 7, 14.)

So könnten wir noch eine Menge Beispiele dafür anführen, dass es Gottes Weg von alters her war, sich gerade des Schwachen und Verachteten zur Erreichung Seiner großen Zwecke zu bedienen. Und ist es im Neuen Testament anders? Nein, wir finden genau dasselbe. Petrus, Jakobus und Johannes, diese großen Zeugen des Herrn, waren Fischer, ungelehrte und ungebildete Leute (Apstgsch. 4, 13); von Paulus wurde gesagt, dass die Gegenwart des Leibes schwach und die Rede verächtlich sei (2. Kor. 10, 10); und er selbst schreibt den Korinthern: „Denn sehet eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind; sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, auf dass Er die Weisen zu Schanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, aus dass Er das Starke zu Schanden mache; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt, und das was nicht ist, auf dass Er das was ist zunichte mache, damit sich vor

Gott kein Fleisch rühme“ (1. Kor. 1, 26 - 29).

Wie köstlich ist „die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes“ (Tit. 3, 4), wie entgegengesetzt

den Gedanken der Menschen! Gott offenbart die Wahrheit den Unmündigen (Matth. 11, 25), Er sucht die

Armen und Krüppel, die Lahmen und Blinden (Luk.14, 21). Die Gnade geht dem Verlorenen entgegen, während dieser noch in seinen Lumpen ist (Luk. 15); sie begegnet „einem Lästerer und Verfolger und Gewalttäter“, wie Saulus von Tarsus war (1. Tim. 1, 13); einem zum Tode verurteilten Übeltäter (Luk. 23); einer Maria von Magdala, die von sieben Dämonen besessen war (Mark. 16, 9). Sie sucht einen Zachäus aus, der durch Betrug Reichtümer gesammelt hatte (Luk. 19), und eine Samariterin, deren vergangenes Leben höchst traurig war (Joh. 4). Diese Gnade Gottes ist genügend für offenbare Sünder (Luk. 7 und Joh. 8), für Kraftlose und Gottlose, für Sünder und Feinde (Röm. 5, 6 —- 10); sie reitet sie und macht sie zu geliebten Heiligen. Was das donnernde Gesetz nicht vermochte, und was die selbstgerechten Pharisäer nicht wollten, das tat die wunderbare Gnade Gottes, unseres Heilandes. Und damit sich Gottes Kinder nicht überheben, erlaubt Gott unter ihnen allerlei Schwachheiten und Leiden, auf dass sie sich nur im Herrn rühmen. Mephiboseth war lahm an beiden Füßen sein Leben lang; aber durch die Gnade Davids wohnte er in Jerusalem und aß beständig am Tische des Königs. (2. Sam. 9.) Einem geliebten und begabten Diener gab Gott, damit er sich nicht überhebe, einen Dorn für das Fleisch (2. Kor. 12, 7). Gott erlaubt mancherlei Versuchungen, um uns klein zu erhalten, damit wir alle mit David einstimmen und sagen: „Nicht uns, Jehova, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deiner Güte, um« deiner Wahrheit willen!« (Psalm 115, 1.) Als Saul klein war in seinen Augen, wurde er zum König gesalbt (1.Sam· 9, 21), aber als er sich erhob, konnte Gott ihn nicht mehr gebrauchen (1.Sam.15); Er erwählte den geringen David und nahm ihn von den Schafhürden. (Psalm 78, 70.) „Denn was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott“ (Luk. 16, 15).

Wenn jemals „ein Fürst unter den Predigern“ auf Erden war, dann war es der Herr Jesus selbst, nicht aber

ein armer, sündiger Mensch; und Er ist auch der alleinige und wahre „starke Turm“ für alle Gläubigen, die von ihrer eigenen Schwachheit überzeugt sind. Sie finden in Ihm einen „starken Turm vor dem Feinde“ (Psalm 61, 3), und können sagen: „Nur Er ist mein Fels und meine Rettung, meine hohe Feste; ich werde nicht· wanken“ (Ps. 62, 6).

Wie betrübend ist es, von den Jüngern des Herrn zu lesen: „Es entstand aber auch ein Streit unter ihnen,

wer von ihnen für den Größten zu halten sei“ (Luk. 22, 24) und welch ein trauriges Bild zeigt in dieser Beziehung auch die Geschichte der christlichen Kirche! Wie ungleich dem Meister, der da sagen konnte: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matth. 11, 29), und von dem wir in Phil. 2, 5 lesen: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war, welcher, da Er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in Seiner Gestalt wie ein

Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze«! Möchten wir auch die wichtige und ernste Ermahnung beherzigen: „Alle aber seid gegen einander mit Demut fest umhüllt; denn Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade“. (1. Petr. 5, 5) Der Hochmut des Menschen brachte auch die Verwirrung der Sprachen hervor, so dass die Menschen einander nicht mehr verstehen.

Der Herr wolle uns auch davor bewahren, dass wir bei unseren Zusammenkünften zur Betrachtung des Wortes nicht auf den Menschen sehen. Gewiss können und sollen wir dankbar sein für die Gaben, die der Herr gegeben hat ,,zur Vollendung der Heiligen: für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“ (Eph.4,12); aber schließlich ist doch auch der am meisten Begabte nichts anderes als ein Werkzeug in der Hand des Meisters, der, wenn Er will, sich ebenso gut des Schwächsten und Unscheinbarsten bedienen kann und oft bedient, um die Seinigen zu segnen.

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Eigenwille

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 191ff

„Wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst“ (1. Sam. 15, 23.) Wie ernst reden diese Worte zu unseren Herzen, die so geneigt sind, ihrem eigenen Willen zu folgen! Eigenwille ist wie Abgötterei und Götzendienst. Denn wer seinen eigenen Willen tut, setzt den Willen Gottes, ja, Ihn selbst, beiseite und stellt das eigene Ich an den Platz Gottes. Götzendienst ist nicht nur Anbetung von Holz, Stein oder Metall, von Vögeln, Tieren u. dergl. Nein, wenn ich irgend einer Sache den Platz gebe, welcher Gott allein gebührt, so bin ich ein Götzendiener. So ist Habsucht „Götzendienst“; der Habsüchtige hat den Mammon zu seinem Götzen. Eigenwille ist Götzendienst, denn der Eigenwillige hat sich selbst zum Götzen.

Die Formen, unter welchen der Eigenwille sich offenbart, sind sehr verschieden, oft grob, oft fein. Ich möchte heute nur kurz aus eine besondere Form aufmerksam machen, die sehr häufig vorkommt, aber leicht übersehen wird. Wir nahen uns oft Gott und erbitten Seine Leitung in irgend einer Sache, während in unseren Herzen schon der Plan, wie alles gehen soll, fertig ist. Oder wir bitten Gott, unsere eigenen Pläne zu segnen und unseren Weg gutzuheißen, während wir noch gar keine Weisung von Ihm erhalten haben, den Weg anzutreten. Die Wolke, um in der Sprache von 4. Mose 9, 15 — 23 zu reden, hat sich noch nicht erhoben. In beiden Fällen ist der Eigenwille tätig, und obwohl wir· zu dem wahren Gott beten, sind wir in Wirklichkeit Götzendiener.

Wir finden in Jer. 42 ein ernstes, erschütterndes Beispiel von solch törichtem Handeln und seinen Folgen. Eine große Menge von Menschen, Große und Geringe, Männer und Weiber, sind dort versammelt zu einem anscheinend sehr guten Zweck: sie wollen durch den Propheten Gott bitten, ihnen den Weg kundzutun, aus welchem sie wandeln, und die Sache, die sie tun sollen. (V. 3.) Was hätte schöner und geziemender sein können? Die Zukunft ganz in Gottes Hände legen ist doch gewiss etwas sehr Gutes. Und die Versammelten blieben hierbei noch nicht stehen; sie gingen so weit, in feierlichster Weise Gott selbst zum Zeugen anzurufen, dass sie nach jedem Worte handeln würden, welches Er ihnen durch Seinen Propheten senden würde; „es sei Gutes oder Böses, wir wollen hören auf die Stimme Jehovas, unseres Gottes“ (V. 6).

Zehn Tage darnach kam die Antwort, und zwar eine ganz klare, unzweideutige Antwort, verbunden mit der Verheißung, dass Leben und Wohlfahrt ihr Teil sein würden, wenn sie dem göttlichen Gebote nachkämen und im Lande Kanaan blieben. Nun sollte man doch erwarten, dass sie ihrem feierlichen Versprechen gemäß auch gehandelt haben würden. Aber nein; im nächsten Kapitel hören wir, dass sie dem Worte Jehovas nicht nur nicht gehorchten, sondern den Propheten der Lüge bezichtigten: „Du redest

Lügen! Jehova, unser Gott, hat dich nicht gesandt usw.“ Ach, wie betrügerisch ist doch das menschliche Herz! Zu der Zeit, da sie so schön sprachen und einer völligen Ergebenheit in den Willen Gottes Ausdruck gaben, stand es in ihren Herzen bereits fest: „Wir ziehen nach Ägypten!“ Gern hätten sie gesehen, dass Gott ihrem eigenwilligen Plane Seine Billigung erteilt hätte; aber wenn das nicht sein konnte, nun, so waren sie entschlossen, ihn trotz Gott und trotz Seiner ernsten Warnungen —- denn Ihm waren ihre Gedanken und Pläne ja völlig bekannt zur Ausführung zu bringen. Ja, sie» trafen unverzüglich Anstalten, ihrem Willen die Tat -folgen zu lassen, versammelten sich vollzählig und zogen nach Ägypten hinab, indem sie den Propheten Jeremia mit sich nahmen. Was war das Ergebnis? Ein schonungsloses, schreckliches Gericht. Wie hätte es anders sein können? „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was irgend ein Mensch säet, das wird er auch ernten“ (Gal. 6, 7). Liegt in diesem allen nicht eine ernste Unterweisung für uns? Reden wir nicht auch oft von unserer Bereitwilligkeit, nur das tun zu wollen, was dem Herrn gefällt, während unser ganzes Verhalten beweist, dass der eigene Wille tätig ist? Lässt uns Gott nicht auch manchmal durch den einen oder anderen der Seinigen deutlich Seinen Willen kundtun, und wir fühlen sehr wohl, dass Er zu uns redet, aber die Bereitwilligkeit fehlt, den Rat oder der Weisung zu folgen? Gehen wir nicht oft zu Gott, voll von unseren eigenen Gedanken und Überlegungen, anstatt in der Stille und in Abhängigkeit aus Ihn zu warten? Wenn es so ist, dann kann Gott unmöglich unseren Weg segnen und mit uns sein. Es ergeht uns dann ähnlich wie den unglücklichen Israeliten hier, oder Jahrhunderte früher dem falschen Propheten Bileam, dem der Engel des Herrn mit dem gezückten Schwert in der Hand entgegentreten musste. Jeremia sagt: „Ihr habt um den Preis eurer Seelen geirrt“, und so war es in der Tat. Wenn wir den weiteren Verlauf der Geschichte dieses Überrestes von Israel verfolgen, nachdem sie ihren Willen durchgesetzt hatten und nach Ägypten hinabgezogen waren, so finden wir nur ein fortschreitendes Abirren von Gott, halsstarrige Verhärtung und als Folge davon Verwüstung und Elend. Sie entblödeten sich nicht, zu Jeremia zu sagen: „Was das Wort betrifft, welches du im Namen Jehovas zu uns geredet hast, so werden wir nicht auf dich hören; sondern wir wollen gewisslich alles tun, was aus unserem Munde hervorgegangen ist, der Königin des Himmels zu räuchern und ihr Trankopfer zu spenden (Kap. 44, 16. 17). Das Herz erhebt unwillkürlich, wenn es solch vermessene Worte hört; aber lasst uns nicht denken, dass wir aus einem anderen Stoffe gemacht seien, als jene es waren. Fleisch bleibt Fleisch, und wenn wir ihm und seinem bösen Willen zu wirken erlauben, so kommt auch heute noch dasselbe hervor wie damals. „Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm. 8, 7). Und: ,,alle diese Dinge widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung«. (1. Kor. 10, 11.) Lasst uns also nur nicht denken, dass wir einer solchen Ermahnung nicht bedürften!

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Rebekka

Bibelstelle: 1. Mose 24,58

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 195ff

Jugendschön mit stolzen Prangen

steht die Braut im Feierkleid,

freudig glühen ihre Wangen,

kostbar funkelt ihr Geschmeid.

Willst du mit dem Manne ziehen,

der von ferneher gesandt,

durch der Wüste Last und Mühen

wandern an des Fremdlings Hand?

Schreckt dich nicht der Reise Länge,

nicht der Mühevolle Weg,

der Gefahren reiche Menge?

Bangt dir nicht um Schutz und Steg?

Locken nicht der Heimat Matten,

nicht das traute Vaterhaus?

Für den unbekannten Gatten

Tauschest du das alles aus?

Ich will ziehen! – Haltet nimmer

von der Reise mich zurück!

Seht, in rosgem Morgenschimmer

Liegt vor mir ein selig Glück.

Ja, es winkt ein Meer von Freuden.

Sollt ich da in trägem Tun

Labans Lämmer weiter weiden,

unter Nahors Palmen ruhn?

Wohl mit schattenloser Dürre

dehnet sich der Wüstensand –

doch hinaus aus Glut und Irre

weiset meines Führers Hand.

Lieblich bei des Weges Stille

spricht er mir von seinem Herrn;

und ich ahne süße Fülle,

und ich folge froh und gern.

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Auch ich zieh im Feierkleide

jubelnd hin ins heil`ge Land;

Christi Blut ist mein Geschmeide,

ist mein hochzeitlich Gewand.

Manche labende Zisterne

mir im Wüstensande blinkt,

bis aus heißersehnter Ferne

Zions Herrlichkeit mir winkt.

Lehr mich wandern, hilf mir gehen,

leite mich o Heilger Geist!

Der Du durch der Erde Wehen

Aufwärts nach dem Himmel weist.

Lieblich bei des Weges Stille

Sprich Du mir von meinem Herrn;

Und ich ahne süße Fülle,

und ich folge froh und gern.

Klara Becker

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 197ff

3.

Die persönliche Erkenntnis Christi. (Matth. 16, 13 —- 23).

Petrus hatte den Herrn als Den kennen gelernt, der seinen Bedürfnissen entsprach: als den Heiland im Blick auf seine Sünden und als den Retter im Blick auf seine Schwachheit. Jetzt soll er in eine noch tiefere und wunderbarere Kenntnis eingeführt werden; er soll erfahren, was der Herr in sich selbst ist.

So ist es immer: der Gläubige geht Schritt für Schritt in der Erkenntnis Christi voran. Indes ist es nicht die Treue Petri, die ihm diese neue Segnung einbringt; sie wird ihm vielmehr durch die Treue Gottes zu teil, der ihn von den Menschen abgesondert hatte, um ihm eine solche Offenbarung zu machen. Der Vater (nicht Fleisch und Blut) hatte es ihm geoffenbart, wie wir in Vers 17 des oben angeführten Schriftabschnittes lesen.

Durch den Vater in den Mittelpunkt der Segnung eingeführt, wird Petrus in die Gegenwart des lebendigen Gottes gebracht. In dem Sohne des Menschen erkennt er den Christus, den Gegenstand aller Verheißungen und die Person, an welche alle Ratschlüsse Gottes sich knüpfen; aber dieser Christus ist der Sohn des lebendigen Gottes. Er ist nicht nur der in die Welt hineingeborene Mensch, welchen Gott als Seinen Sohn bezeichnet hatte, indem Er sagte: „Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt“; sondern Er ist der Sohn des lebendigen Gottes. Er besitzt eine Macht des Lebens, welche Gott allein gehört, und deren ganze Fülle sich in Christo findet.

Die Menschen, von denen Petrus abgesondert worden war, um diese herrliche Offenbarung zu empfangen, wussten gar nichts von der Größe und Hoheit Jesu. Für sie war Er nur der Sohn Josephs, allenfalls einer der Propheten. Sie sahen sich zwar dieser Majestät gegenüber, aber ohne sie zu kennen; denn dazu bedarf es einer Offenbarung des Vaters. Hinfort kennt Petrus den Herrn in Seiner persönlichen

Herrlichkeit, als die Quelle und den Mittelpunkt jeder Segnung; auch wird Simon, der Sohn Jonas, von dem Herrn selbst glückselig gepriesen. Der Himmel ist ihm geöffnet; er besitzt ein Glück, dem nichts zu vergleichen ist. *)

Doch der Vater kann die persönliche Herrlichkeit Seines Sohnes dem Simon nicht offenbaren, ohne dass

der Sohn Seinen Jünger die Verbindung dieser Herrlichkeit mit der persönlichen und gemeinsamen Segnung der Erlösten verstehen lässt. „Aber auch ich sage dir . . .“ Das will sagen: Auch Christus teilt ihm mit, was aus Seinem Charakter als Sohn des lebendigen Gottes hervorgeht; und was ist das?

1. Du bist Petrus; wie der Vater dir meinen Namen geoffenbart hat, so tue ich dir den deinigen kund. Du hast persönlich und amtlich einen Platz in dem Gebäude, welches auf diese Offenbarung errichtet werden wird.

2. Da die Grundlage dieses Gebäudes von nun an bekannt war, (wiewohl sie erst später in der Erweisung

des Sohnes Gottes in Kraft, als Frucht der Auferstehung aus den Toten, gelegt werden musste), so erklärt der Herr, dass Er auf diese Grundlage jene Versammlung bauen werde, von welcher der Jünger ein lebendiger Stein sei: „Ich werde meine Versammlung bauen.“ Sie musste die Versammlung Christi sein und Ihm angehören, der Gegenstand Seines Interesses und Seiner Zuneigung. Für uns ist die Sache vollendet; die Versammlung besteht, sie gehört Ihm.

Wie steht es, teurer Leser? Teilst du einigermaßen das Interesse und die Gefühle Christi für Seine Versammlung? Es gibt, Gott sei Dank! christliche Herzen, die für sie schlagen, und welche trotz des allgemeinen Verfalls fähig sind, ihre Schönheit zu verstehen, weil sie sie mit den Augen des Heilandes betrachten und sie nach dem Preise schätzen, um den Er sie erworben hat; die von ihr sagen, wie einst der Geist von Israel sagte: „Gott erblickt keine Ungerechtigkeit in Jakob und sieht kein Unrecht in Israel“. Diese Grundlage, ein auserweckter und in den Himmel erhöhter Christus, verleiht der Kirche einen himmlischen Charakter. Ohne Zweifel wird sie auf Erden gebaut, aber ihre Grundlage ist im Himmel, jenseits der Pforten des Hades, Dort befindet sie sich schon. Die Macht des Todes, welche durch den auf-erstandenen Christus, der die Schlüssel des Todes und des Hades hat, gebrochen ist, vermag nichts und wird niemals etwas vermögen gegen sie.

3. Auf Grund dieser Erklärung Christi sollte hienieden eine neue Verwaltung beginnen. An die Stelle Israels sollte das Reich der Himmel treten, dessen Schlüssel Petrus haben würde; er sollte dazu berufen werden, die Juden und die Heiden in einen neuen Kreis von Segnungen auf der Erde einzuführen. Kraft der Offenbarung des Sohnes des lebendigen Gottes sollte es in dieser Welt einen Boden geben, auf welchem man bekennen würde, Ihm anzugehören. Petrus sollte, wie wir in der Apostelgeschichte sehen, das Werkzeug zur Einführung in dieses gesegnete Bekenntnis werden· Ihm sollte sozusagen die äußere und innere Verwaltung des Reiches übertragen sein: die Schlüssel und die Macht, zu binden und zu lösen. Die persönliche Erkenntnis Christi erschließt den Augen des Simon Petrus alle Kreise der Segnungen; er wird in den Mittelpunkt der Segnung, welcher Christus ist, gestellt, um den unermesslichen Bereich derselben zu überschauen. **)

Es war zu Ende (V. 20) mit allen Beziehungen Israels zu einem irdischen Messias. Später werden diese Beziehungen wieder aufgenommen werden; aber von jenem Augenblick an offenbarte der Herr den Jüngern einen vollständigen Wechsel in ihren Hoffnungen und ihrer Stellung, welche sich aus irdischen in himmlische umgestalten sollten.

Welch herrliche Wahrheiten sind in der Offenbarung enthalten, die hier dem Petrus gemacht wird! Welch kostbare Vorrechte! Aber dann kommt eine neue, unerwartete Enthüllung: diese Vorrechte sind die Folge des Todes Christi; sie sind uns durch denselben erworben, und um sie besitzen zu können, müssen wir das Kreuz aufnehmen. „Von der Zeit an begann Jesus Seinen Jüngern zu zeigen, dass Er . . . . vieles leiden und getötet und am dritten Tage auferweckt werden müsse“ (V. 21). Petrus konnte nicht zugeben, dass Christus eine solche Schmach erleiden sollte. War es Ihm denn nicht möglich, diese herrlichen Absichten zu erfüllen, ohne zu sterben? Der Jünger nimmt den Herrn beiseite und fängt an Ihn zu strafen mit den Worten: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren“. In diesen Worten lag natürliche Liebe zu Christo; doch sie zeigen uns auch, dass Petrus die Offenbarung, welche er empfangen hatte und die uns nur um diesen Preis gehören kann, in jenem Augenblick weder verstand noch schätzte. Zugleich deuten sie darauf hin, dass er von einer solchen Schmach nichts wissen wollte, weder für Christum, der ihm solche Vorrechte verhieß, noch für sich selbst, der mit den Elfen das Gefolge des Messias bildete.

Doch wenn wir auch einigermaßen die natürlichen Beweggründe Petri verstehen können, die ihn dahin brachten, Jesum zu tadeln, so bleibt doch die Tatsache bestehen, (die er allerdings nicht ahnen konnte), dass Satan sich seiner bediente, um einen Anstoß auf den Pfad Christi zu legen. Die schlimmsten und gefährlichsten Werkzeuge Satans sind Gläubige, welche die Wahrheit besitzen und vielleicht auch genießen, die aber die Schmach und Feindschaft seitens der Welt fürchten.

Vor dem Kreuz zurückweichen, heißt das Christentum verleugnen; und das ist die Neigung eines jeden natürlichen Herzens. Unsere Beziehungen zu der Welt beweisen das nur zu sehr. Sie duldet uns, wenn wir von zukünftigen Ereignissen zu ihr reden, oder von solchen Wahrheiten, welche nicht gerade die Grundlagen des Christentums berühren; wenn wir aber von dem Kreuze und dem Blute Christi sprechen, so verachtet sie uns. Das haben wir nicht gern, denn wir möchten der Schmach ausweichen, und so verdienen wir den ernsten Tadel des Herrn.

Welch eine Demütigung für Petrus, dass er von der Höhe der Offenbarungen herabstürzte zu der Überzeugung, dass er Christo gegenüber die Rolle des Feindes spielte! Dass er, der Bekenner des Sohnes des lebendigen Gottes, ein zukünftiger lebendiger Stein der Kirche, er, der mit der Autorität des Reiches bekleidet worden war, aus dem Munde des Herrn, den er liebte, die Worte vernehmen musste: „Gehe hinter mich, Satan!“ Welche Torheit war es aber auch, zu dem Sohne des lebendigen Gottes zu kommen, um Ihn zu tadeln und Ihm zu sagen, was Er zu tun habe! Ach, wie wenig kannte sich Petrus, und wie wenig kannte er Den, welchen der Vater ihm geoffenbart hatte!

Diese ganze Erzählung enthüllt uns, was das Fleisch in dem Gläubigen ist, und zwar wenn es an seinem besten Tage und mit seinen besten Absichten gesehen wird. Es weicht vor der Schmach zurück, beleidigt Christum, und Satan kann sich mit ihm eins machen. Nachdem Petrus in die Gegenwart des lebendigen Gottes eingeführt ist, erfährt er, dass seine natürlichen Gedanken nicht sinnen auf das was Gottes, sondern auf das was der Menschen ist. Dieses Wort besagt alles: das was der Menschen ist, ist das, worüber Satan die Oberhand hat. Die Menschen und Satan sind in völliger Übereinstimmung.

4.

Jesu nachfolgen. (Matth. 16, 24 — 28).

In dem weiteren Verlauf unseres Kapitels werden die Jünger berufen, Christo nachzufolgen. Dazu bedarf es aber der beiden Dinge, die wir in dem vorhergehenden Ab- schnitt besprochen haben: der persönlichen Kenntnis Christi und der Bekanntschaft mit dem Kreuze. Die erste hatte Petrus empfangen, vor der zweiten wich er zurück. Doch nur das Kreuz nimmt jedes Hindernis, Christo nachzufolgen, hinweg. Hier ist unser Ausgangspunkt, unser erster Schritt auf dem christlichen Pfade; denn der Gläubige vermag nicht einen Schritt zu tun, wenn er nicht vom Fuße des Kreuzes seinen Ausgang genommen hat. Das widerspricht allerdings durchaus der allgemeinen Anschauungsweise, ja, jeder gewohnten Belehrung des religiösen Menschen. Diese Belehrung läuft hieraus hinaus: Tue zunächst einen Schritt zu Christo hin, gib deine Untugenden auf, widme dich Gott, und Seine Gnade wird dir helfen. Aber niemals hat Gott eine solche Sprache geführt. Davon ist gerade der Anfang der Geschichte Petri ein Beweis. Das Wort belehrt uns, dass Gott den ersten Schritt auf den Menschen zu getan hat, dass dieser erste Schritt den Herrn an das Kreuz brachte, und dass durch das Kreuz allein der Mensch anfängt, Ihm wohlgefällig zu sein. „Das Kreuz ist daher unser Ausgangspunkt, wenn wir Ihm nachfolgen wollen.

Lasst uns nun sehen, unter welchen Bedingungen wir auf diesem Wege wandeln können. „Wenn jemand mir nachkommen will“, sagt Jesus, „der verleugne sich selbst“ Die meisten Christen deuten diese Worte so: Man muss gewisse Sünden, gewisse Lüste verleugnen. Das Wort aber sagt uns, dass man s ich selbst verleugnen muss. Ist das aber möglich? Nicht anders als in der Kraft des neuen Menschen; denn der alte Mensch kann nicht sich selbst ablegen. Man muss ein neuer Mensch sein, um sich als einen solchen betrachten zu können, der den alten Menschen ausgezogen hat, und um sagen zu können: „Ich bin mit Christo gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“. Für den neuen Menschen hat das Fleisch keine Rechte, keinen Platz mehr; er hält sich für tot. Die Folge davon ist, dass der Christ, und nur er, allem entsagen kann. Was sind für den neuen Menschen die menschlichen Gewohnheiten und die fleischlichen Lüste? Beachten wir es wohl, es handelt sich nicht darum, eine auf die eigene Person gerichtete Anstrengung zu machen, um sich von seinen Banden zu befreien. Nein, die Erkenntnis des am Kreuze über uns ergangenen Gerichts und der neuen Stellung des Menschen in Christo, das ist es, was uns frei macht. Der Kampf zwischen den beiden Naturen kommt hernach. Sich selbst verleugnen heißt: das tun, was Christus getan hat — nur in anderer Weise als wir, denn in Ihm gab es keinen alten Menschen zu richten. Er wandelte in der unumschränkten Kraft des neuen Menschen, denn Er war wie die rote junge Kuh ohne Fehl, auf welche kein Joch gekommen war (4. Mose 19, 2). Aber Christus hatte als Mensch einen vollkommenen Willen; Er hat ihn völlig unterworfen. „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine“, sagt Er. Christus hatte Rechte; Er hat darauf verzichtet. Er besaß alle Gewalt, aber Er ist in Schwachheit gekreuzigt worden. Er betrat den Schauplatz dieser Welt unter der Verleugnung Seiner selbst; Er verließ ihn mit derselben unbedingten Verleugnung, die ihren Höhepunkt erreichte in der Dahingabe Seines eigenen Lebens.

„Und er nehme sein Kreuz auf.“ Das ist die Folge des Sich-selbst-Verleugnens. Wer sich selbst völlig verleugnet hat, wird in dem, was die Welt ihm darbietet, keine Anziehungskraft mehr finden, sondern nur eine Veranlassung zur Betrübnis. Christus war den Versuchungen gegenüber nicht gleichgültig, sondern Er litt darunter: „Er hat gelitten, als Er versucht wurde“ (Hebr. 2, 18). Tausende von Christen meinen, dass sie ihr Kreuz aufnehmen, wenn sie geprüft werden, oder wenn die züchtigende Hand Gottes auf ihnen ruht. Das hat aber mit dem Kreuze gar nichts zu tun. Beachten wir das Wort: „sein Kreuz aufnehmen“. Das heißt nicht: Trübsale aus der Hand Gottes annehmen, sondern aus freien Stücken, ja, ich möchte sagen, gern die Bürde von Leiden auf sich nehmen, welche die Welt uns darbietet. Diese Bürde ist umso wirklicher vorhanden und umso schwerer, je mehr wir, um Christo nachzufolgen, in der Kraft des neuen Menschen wandeln, den nichts an diese Erde fesselt, und der in der Welt nur die Feindschaft gegen seinen Heiland und gegen den aus Ihm Geborenen findet.

„Und folge mir nach.“ Das Ihm-Nachfolgen ist die Folge der beiden vorstehenden Bedingungen. Ihm nachfolgen heißt: Ihm nachahmen, sich nach Seinen Handlungen und Seinen Gedanken bilden.

Diese drei Dinge sind nötig, wenn man Ihm nachkommen will. Wo ist die Kraft, um sie zu verwirklichen?

Petrus täuschte sich in dieser Beziehung. (Luk. 22, 33.) Er dachte, die Kraft dazu liege in seinen guten Absichten, in seinen Entschlüssen, in seiner Liebe zu dem Heilande. Wie viele Christen denken ebenso! Sie würden gern sagen: „Mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“; doch diese Kraft ist nicht vom Menschen, (wir werden später darauf zurückkommen,) sie ist ganz und gar

an zwei Dinge gebunden: an die Gabe des Heiligen Geistes, der Kraft von oben für unseren Weg, und an

den Verlust jedes Vertrauens auf das Fleisch. Dieses gänzliche Aufgeben des Vertrauens auf sich selbst erlangte Simon Petrus mit Satan, vermittelst eines Falles; Paulus erlangte es mit Gott, durch die Erkenntnis eines verherrlichten Christus. Als Petrus gänzlich gebrochen war, hören wir das bestimmte, endgültige Wort des Herrn: „Folge mir nach“ (Joh. 21, 19.) Und Petrus begab sich, indem er Jesu nachfolgte, auf den Weg dem Tode zu, um Christum in der Herrlichkeit zu erreichen.

Geliebte Brüder, lasst uns ihm folgen bis zum Ziel! Im 17. Kapitel unseres Evangeliums werden wir sehen,

dass uns hienieden schon die kostbare Belohnung dafür zu teil wird: wir werden von der Erde aus Ihn in der Herrlichkeit kennen lernen.

5.

Christum betrachten in der Herrlichkeit. (Matth. 17, 1 — 8; Lukas. 9, 28 — 34; 2. Petrus 1, 16 — 19).

Ein neues Ereignis in dem geistlichen Leben unseres Apostels bietet sich jetzt unserer Betrachtung dar. Nachdem Petrus gelernt hat, dass die Segnungen nur durch den Tod und die Auferstehung Christi erlangt werden können, wird ihm und seinen beiden Gefährten die Gunst zu teil, den Herrn Jesum, in Herrlichkeit kommend, von hier unten zu schauen. Sie haben das Vorrecht, ein solches Gesicht zu sehen, und zu erkennen, wohin der mühevolle Weg führt, der bei dem Kreuze beginnt. Dieses Schauspiel ließ in dem Geiste Petri einen tiefen Eindruck zurück, obwohl er erst später die ganze Tragweite desselben verstanden hat. Im 1. Kapitel seines zweiten Briefes- stellt er den Heiligen die Bedingungen für den Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi vor, gedenkt dann der Verklärung auf dem Berge und setzt ihnen auseinander, worin dieses Reich besteht: „Denn nicht indem wir künstlich erdichteten Fabeln folgten, haben wir euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesu Christi kundgetan, sondern als die da Augenzeugen Seiner Majestät gewesen sind. Denn Er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der prachtvollen Herrlichkeit eine solche Stimme an Ihn erging: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Und diese Stimme hörten wir vom Himmel erlassen, als wir mit Ihm auf dem heiligen Berge waren“ (2. Petr. 1, 16 -18).

Alle Wahrheiten, welche auf das Reich Bezug hatten, vereinigten sich in der Person Christi. Es war Seine

Macht und Seine Ankunft; Seine Majestät wurde geschaut, und Ehre und Herrlichkeit wurden Ihm von Gott, dem Vater, aus dem Schoße der prachtvollen Herrlichkeit gegeben. Es handelte sich daher bei der Verklärung vor allem um Ihn selbst. Die Jünger sollten von hier unten aus erkennen, wer dieser Christus war, der soeben von Seiner Erniedrigung und Seinem Kreuze zu ihnen geredet hatte. Petrus sollte Ihn nicht nur als den Sohn des lebendigen Gottes, den Spender aller himmlischen Segnungen an die Seinen, kennen lernen sondern auch als einen Menschen, von dem der Vater in der Herrlichkeit erklärte, dass Er Sein geliebter Sohn sei. Er sollte Ihn anschauen als den Mittelpunkt dieser Herrlichkeit, als einen Menschen, von dem nicht nur jede Segnung herkam (wie im 16. Kapitel), sondern zu dem auch jede Ehre und Herrlichkeit wieder hinaufstieg, als zu dem einzigen Gegenstand für Erde und Himmel. In den Ohren des Jüngers sollte diese erhabene Stimme wiederhallen, welche erklärte, dass alle Zuneigungen und alle Gedanken Gottes in diesem Menschen ihren Vereinigungspunkt fanden. Außer Ihm blieb nichts. Nachdem jene Stimme gesagt hatte: „Ihn höret“, sahen sie niemanden mehr, als Jesum allein; und wenn Er ihnen genommen worden wäre, so würde der Himmel selbst öde und leer geblieben sein.

Die zweite Wahrheit, welche dem Petrus aus dem Berge enthüllt wurde, ist diese: das; Menschen, Geschöpfe von gleichen Schwachheiten wie wir, mit dem Sohne des Menschen in Seiner Herrlichkeit vereinigt wurden. Veachtenswerte Tatsache! Moses und Elias hatten einstmals beide in ihrer Verantwortlichkeit gefehlt und mussten stillgestellt werden, bevor sie den Weg des Glaubens bis zum Ziele hin durchlausen hatten. Die Segnung, die mit einem solchen Ausharren bis ans Ziel verbunden ist, wurde ihnen genommen, dem Elias wenigstens insoweit, als es sich um sein Prophetenamt handelte. (1.Kön. 19, 16.) Vergessen wir nicht, dass diese beiden Männer sehr groß waren; sie stellten in den Augen der Jünger das Gesetz und die Propheten dar. Allein Moses schlug den Felsen zweimal, indem er vergaß, „Jehova in der Mitte des Volkes zu heiligen“ und musste auf dem Nebo angesichts des verheißenen Landes sterben; Elias legte sich nieder unter einen Ginsterstrauch und wünschte zu sterben, und dann trat er vor Gott auf gegen Israel und musste sein Prophetenamt niederlegen und einen Anderen an seiner Statt salben. Und doch, welch eine wunderbare Gnade! sie sind in derselben Herrlichkeit wie Jesus, in der Herrlichkeit, die Christo allein gebührte, die aber den Seinigen kraft Seines Werkes verliehen wird. Moses und Elias beten hier nicht an; sie reden mit Ihm, das Zeichen einer völligen Vertraulichkeit. Der Gegenstand ihrer Unterhaltung ist Sein Tod. Die Herrlichkeit ist das Ergebnis Seines Todes, und Sein Tod ist der Gegenstand, worüber man sich in der Herrlichkeit unterhält!

Drittens schaute Petrus auf dem heiligen Berge ein vollständiges Gesicht von alledem, was das Reich ausmacht: einen verherrlichten Christus, dann auferweckte oder verwandelte Heilige, die mit Ihm in Herrlichkeit erscheinen, und endlich irdische Heilige, die an diesem gesegneten Vorgang teilnehmen, — alles wohlbekannte prophetische Wahrheiten, die ich nur im Vorbeigehen berühre, und von denen der Apostel sagen konnte: „Wir besitzen das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr wohl tut, (als auf eine Lampe, welche an einem dunklen Orte leuchtet), bis der Tag anbreche und der Morgenstern ausgehe in euren Herzen“.

Fußnote:

*) Ich möchte hier bemerken, dass in dieser und den folgenden Betrachtungen nicht davon die Rede ist, inwieweit Petrus die Dinge, welche ihm geoffenbart wurden, ergriffen hat, sondern von der Tragweite der ihm gemachten Offenbarungen. In Wirklichkeit verstanden und genossen Petrus und seine Gefährten diese Dinge erst, nachdem sie die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten.

**) Siehe die Anmerkung auf Seite 198.

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 209

Die Rechtfertigung ist eine Handlung der Gnade gegen einen armen Sünder, zugleich aber auch ein Akt der Gerechtigkeit gegen Christum.

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Das Gebet ist der Ausdruck eines mit Abhängigkeit verbundenen Vertrauens.

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Simsons Rätsel

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 210ff

„Und Simson ging mit seinem Vater und seiner Mutter hinab nach Timna; und als sie an die Weinberge von Timna kamen, siehe, da brüllte ein junger Löwe ihm entgegen. Und der Geist Jehovas geriet über ihn, und er zerriss ihn, wie man ein Böcklein zerreißt. Und er hatte gar nichts in seiner Hand . . . Und er kehrte

nach einiger Zeit zurück . . ., und er bog ab, um das Aas des Löwen zu besehen, und siehe, ein Bienenschwarm war in dem Körper des Löwen, und Honig. Da nahm er ihn heraus in seine Hände, und ging und aß im Gehen; und er ging zu seinem Vater und zu seiner Mutter und gab ihnen, und sie aßen“ (Richter 14, 5 — 9).

„Aus dem Fresser kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit“ (Richter 14, 14), so lautete das Rätsel,

welches Simson im Anschluss an das oben erzählte Ereignis seinen dreißig Gesellen bei dem Mahle in Timna aufgab; und wir mögen wohl sagen: Simsons Rätsel — Gottes Rätsel.

Dieses Rätsel hat in der Geschichte der Welt immer wieder eine bildliche Darstellung und Erläuterung gefunden, ja, ich möchte sagen, es ist der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte. Es zeigt uns bildlich Gott und Satan an ihrer bezüglichen Arbeit; der Feind tut sein Werk als der Starke und der Fresser, und Gott zwingt ihn in gnadenvoller, siegreicher Macht, sowohl Speise als auch Süßigkeit darzubieten. Mit anderen Worten: Gott bringt immer und immer wieder Gutes aus dem Bösen hervor und lässt aus den Ruinen, die Satan hervorgerufen hat, neue, wunderbare Gebäude zu Seiner Verherrlichung und Freude erstehen.

Ich möchte heute bei diesem Gegenstand nur insoweit verweilen, wie er uns in den ersten neun Kapiteln des 1. Buches Mose vorgestellt wird; vielleicht gibt es später Gelegenheit zu einer weiteren Ausführung.

Der Mensch wurde in Unschuld in den Garten Eden gestellt. Die ganze Schöpfung war ohne Fehl aus der Hand Gottes hervorgegangen. Gott konnte alles anschauen, was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Es diente zur Verherrlichung und Freude des Schöpfers, und das Geschöpf war gesegnet und glücklich.

Aber der Mensch verlor diesen gesegneten Zustand. Verleitet durch die List der Schlange, verwirkte er seine Unschuld und verlor mit derselben alles. Damit veränderte sich die ganze Szene. Wie hätte es auch anders sein können? Der Mensch, seine Blöße erkennend, floh unter die Bäume des Gartens, um sich dort vor dem heiligen Auge Gottes zu verbergen. Er entfernte sich, im Gefühl seiner Schuld, aus der Gegenwart Gottes. Doch was tat Gott? Er ging dem Menschen nach, suchte ihn auf in seinem Elend und trat für ihn ein. Er machte Röcke von Fellen für Adam und Eva und zog sie ihnen an.

Was meinst du, mein lieber Leser? war dieses Werk für Gott angenehmer als Sein vorausgegangenes sechstägiges Schöpfungswerk, oder war das Umgekehrte der Fall? Lasst uns der Frage ein wenig näher treten. Bei dem Schöpfungsakt hatte Gott Stoffe vor sich, und Er schmückte die Himmel mit glänzender Schöne und verlieh der Erde Reichtum und Fruchtbarkeit. Jetzt aber steht Christus vor Seinem Auge, und Er ist mit jenem Werk der Gnade beschäftigt, welches von den Zeitaltern her als Geheimnis und Ratschluss in Seinem Herzen verborgen war und in alle Ewigkeit zur Bewunderung, Freude und Anbetung aller Erlösten dienen wird.

Und was Adam betrifft, so finden wir bei ihm auch eine bemerkenswerte Veränderung. Er nannte seine Gehilfin anfänglich: „Männin“, weil sie vom Manne genommen war; nach dem Falle aber nannte er sie Eva, „denn sie war die Mutter aller Lebendigen“ (Kap. 3, 20).

Hier möchte ich wiederum fragen: An welchem dieser beiden Namen fand Adam wohl die größere Freude? Die Worte eines Anderen mögen die Antwort geben. Sie lauten: „Im Beginn empfing Adam sein Weib gleichsam von sich selbst, als Gebein von seinen Gebeinen und Fleisch von seinem Fleische; aber jetzt empfängt er sie als die Mutter (und für ihn auch die Zeugin) jenes geheimnisvollen Samens, welcher in den Kampf treten sollte mit dem großen Feinde, der Adam soeben ins Verderben gestürzt hatte; und dieser Kampf sollte währen bis zur Überwindung und völligen Zermalmung Satans“.

Wir können deshalb gar nicht zweifelhaft darüber sein, welcher von den beiden Namen für Adam eine Quelle reicherer Freude wurde. Neben diesem Frohlocken in dem Geiste Adams finden wir Spuren derselben Freude oder desselben Frohlockens in Eva, wenn sie bei der Geburt ihres ersten Sohnes ausruft: „Ich habe einen Mann erworben mit Jehova“ (Kap. 4, 1.) Und nachher begegnen wir einem treffenden Ausdruck eines einsichtsvollen, gläubigen Triumphierens bei Abel, wenn er mit den Erstlingen seiner Herde auch von ihrem Fett auf seinem Altar Gott darbringt. (V. 4.) Wir lesen später: „Alles Fett gehört Jehova; es ist eine Speise des Feueropfers zum lieblichen Geruch“. Abel handelte also in völliger Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes, geleitet durch Seinen Geist, als er das „Fett“ auf den Altar brachte. Es ist der Teil des Opfers, welcher in besonderer Weise die völlige Widmung Christi für Gott, Seine Hingebung, die Kraft Seines Gott geweihten Willens, mit einem Wort, Sein Inneres, vorstellt (Vergl. die Verordnungen über die Opfer in den ersten 7 Kapiteln des Buches Mose).

In späteren Tagen werden uns, was wir in Eden nicht sehen, Gläubige vor Augen gestellt, die gemeinschaftlich den Namen des Herrn anrufen, mit Gott wandeln, die diesem Leben und dieser Welt sterben, in den Himmel entrückt werden u. s. w. Was ist das alles für unsere Herzen, mein lieber Leser? Bedeutet es mehr oder bedeutet es weniger, als der Zustand der Unschuld und die Segnungen des Gartens Eden? Ist nicht der Himmel ein herrlicherer Schauplatz, als der Garten Eden je hätte sein können, wenn er auch das unbefleckte Erbe des Menschen auf immerdar geblieben wäre? Reden nicht diese Gegensätze in deutlicher, ergreifender Sprache davon, dass der Fresser in diesen frühesten Abschnitten unserer Geschichte gezwungen wurde, Speise darzureichen, und der Starke Süßigkeit?

Betreten wir jetzt das zweite Feld, welches sich unserer Betrachtung darbietet. Wir werden wieder Gott und Sein Geschöpf, sowie den grausamen, schonungslosen Fresser darauf finden.

Die Bosheit des Menschen reifte immer mehr heran und erreichte endlich ihren Gipfelpunkt; das Maß floss über, die Langmut Gottes ging zu Ende. Sein Gericht, die große Flut, brach überwältigend, alles verheerend herein. Doch siehe da, eine Arche, zur Sicherstellung vor dem Gericht, wird von Gott vorgeschrieben und im Glauben von Noah erbaut. Und als sie fertig ist, kommen alle Geschöpfe der Erde, nach Gottes Auswahl möchte ich sagen, herbei, um ihren Platz in der Arche einzunehmen. Und sobald alle untergebracht sind, sobald Noah mit seinem Weibe, seinen Söhnen und den Weibern seiner Söhne, samt allen jenen abgesonderten Geschöpfen von jeder Art, in der Arche geborgen ist, schließt Gott selbst hinter ihm zu, indem Er so gleichsam Seinen Auserwählten Seine eigene Kraft und Sicherheit mitteilt und ihre Lage so unangreifbar macht, wie Sein Thron selbst nur sein kann.

Während des Aufenthaltes in der Arche hatte Noah verschiedene Herzensübungen zu bestehen, Übungen im Geiste, wie man sie nennen könnte. Da war das Öffnen des Fensters und das Aussenden des Raben und der Taube, die Rückkehr der Taube, ihr zweites Aussenden und ihre zweite Wiederkehr mit dem Olivenblatt in ihrem Schnabel, und endlich das Hinwegtun der Decke von der Arche — alles Dinge von mannigfaltiger vorbildlicher Bedeutung, wobei wir uns jetzt jedoch nicht aufhalten wollen. Als dann endlich die Zeit zum Verlassen der Arche gekommen war, gingen alle so frisch und unversehrt aus ihr heraus, wie sie dreizehn Monate vorher in sie eingegangen waren. Nichts fehlte, auch das Kleinste und Unbedeutendste nicht; nichts war beschädigt, nichts umgekommen, so zart und schwach es auch sein mochte. Und dieses Wunder vollzog sich, wie das erste, unter den Augen Noahs. Was muss das alles für seinen Geist gewesen sein! Welch mannigfaltige, früher nie gekannte Gefühle der Freude muss dieser Anblick in seinem Innern wachgerufen haben! Wohl hatte das Werk des Fressers seine Einschließung in die Arche während der Zeit des Gerichtes Gottes notwendig gemacht, aber nun war das Gericht vorüber, und der» herrliche Morgen eines neuen Tages brach an.

Nachdem die Arche von Allen verlassen war, welche sie durch das Gericht Gottes hindurchgetragen, und Noah mit seiner erlösten Schar die „jetzige Erde«, wie Petrus sie nennt, betreten hatte, erblicken wir den Altar Noahs und sein Opfer, sowie Gottes Annahme desselben. Noah übernimmt die neue Welt gleichsam in dem Namen Jesu. Er liest sein Anrecht auf sie in dem Blute des Lammes Gottes und bringt demgemäß seine Schlachtopfer des Lobes dar. Die Arche war Christus für ihn gewesen am Tage des Gerichts, und das darauf folgende Reich soll auch nur durch Christum ihm gehören. Wenn wir so reden, so geschieht es selbstverständlich in der Erkenntnis, die uns heute über Christum und Sein Werk geschenkt ist; inwieweit Noah diese Dinge verstand, ist schwer zu sagen. Wir dürfen aber annehmen, dass der Geist Gottes die Gläubigen des alten Bandes durch den Glauben, der in ihnen war, innerlich weit über das hinausgeführt hat, was ihnen äußerlich geoffenbart war (Vergl. z. B. Hebr. 11, 10).

Und was waren alle diese Dinge für den Gott Noahs? Wir können ein wenig davon verstehen, wenn wir lesen: „Und Jehova roch den lieblichen Geruch, und Jehova sprach in seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen“. War vorher irgend etwas dergleichen laut geworden? War in dem Herzen Gottes je eine solche Sprache gewesen? Gott hatte mit unendlichem Wohlgefallen Sein Schöpfungswerk betrachtet und darin geruht. Wir lesen, dass Er am siebenten Tage von all Seinem Werk ruhte. „Er sah alles was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Jetzt aber steht der Wert Christi für eine dem Gericht verfallene Schöpfung vor Seinen Blicken, und zwar in all der Kostbarkeit des Blutes der Versöhnung, welches ein Sünder durch Glauben vor Ihn bringt, indem er durch die geheimnisvolle« Sprache seines Altars bekennt, dass alle seine Anrechte und Ansprüche sich einzig und allein gründen auf das Opfer des Lammes Gottes. Früher hatte Gott gesagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“; jetzt aber spricht Er „in Seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen“. Früher hatte Gott gesehen, dass das Werk Seiner Hand gut war; jetzt aber roch Er einen lieblichen Geruch in dem Werke Christi.

War das alles nicht wieder Speise aus dem Fresser und Süßigkeit aus dem Starken? Der Feind hatte sich

in der Tat von neuem als ein Fresser und ein Starker erwiesen, wie früher im Garten Eden; er hatte den Menschen außerhalb Edens verderbt, wie er es früher innerhalb des Gartens getan hatte. Aber wieder hatte Gott ihn gezwungen, Speise und Süßigkeit darzureichen. Die Wonne Gottes an dieser Erlösungsszene, wenn ich sie so nennen darf, war sicherlich ungleich größer als die Freude, die Er bei der Schöpfung genossen hatte. Denn der Wert Christi ist für Gott mehr als all die Schönheit und Ordnung, welche in den Werken Seiner Hand entfaltet sind.

Und war nicht auch Noah, der Erlöste Gottes in der Arche, weit reicher als Adam, das Geschöpf Gottes im

Garten Eben? Noah empfing die Gaben Seiner Gnade und erwies Ihm aus dankbarem Herzen den Gehorsam des Glaubens. Er lernte, wenigstens im Bilde, die Vollgenugsamkeit Christi kennen und erfuhr die Wirkungen des Geistes in sich. Er erblickte sich nicht nur in einem geschaffenen, sondern in einem erlösten System.

Wahrlich, das ist ein großes Gesicht: der Fresser hat Fraß, und der Starke Süßigkeit dargereicht. Und bis

zum Ende des 9. Kapitel unseres Buches, nachdem die neue Welt erworben und „die jetzige Erde“ förmlich in Besitz genommen ist, stehen wir immer noch im Gesichtskreis dieses großen Geheimnisses. Wir erblicken Noah in königlicher und priesterlicher Stellung. Er wird „gesegnet“ gleich Adam in seinen Tagen, und ihm und seinen Söhnen wird gesagt: „Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde“ (1.Mose 1, 28; 9, 1.) Wohl zeigen sich die Spuren der Schlange in dem Zustand der Dinge wie in dem ganzen Schauplatz. Dem ersten Menschen war die Erde unterworfen worden, und die Tiere des Waldes, des Feldes, des Meeres und der Luft erkannten seine Herrschaft über sie an, er gab ihnen Namen, wie es ihm gefiel; während zur Zeit Noahs die Geschöpfe der Erde nur in der Furcht Noahs standen. Sie bringen nicht länger dem Menschen ihre Unterwerfung entgegen, sondern sind sich nur seiner leitenden Stellung bewusst, weil sie fühlen, dass er ihnen überlegen ist. In diesem Umstande zeigt sich das Ergebnis des Werkes des Fressers, ja, es ist der deutliche Beweis desselben. Zugleich aber wurde der Tisch Noahs reicher ausgestattet, als derjenige Adams je gewesen war. Das Kraut des Feldes ernährte früher den Menschen, jetzt soll auch das Fleisch der Tiere des Feldes zu seiner Speise dienen. Adam erfreute sich des Lebens eines unbefleckten Geschöpfes, Noah des Lebens eines durch Blut erkauften Sünders. *)

So haben wir hier ein neues Zeugnis dafür, dass Speise aus dem Fresser kam: Außerhalb eine Welt, welche die Narben und Wunden eines tödlichen Kampfes aufwies -- innerhalb ein Tisch, der von einer vollen, gewissen und durch Blut besiegelten Erlösung redete!

Doch mehr noch: Der Herr macht einen Bund mit Noah und mit allen Geschöpfen um ihn her, und verheißt, dass Er die Erde vor einer zweiten Flut sicherstellen wolle. Zum Zeichen dafür befestigt Er den Bogen in die Wolken; dort soll er sein vor Seinem Auge, damit Er ihn ansehe und sich Seiner Verheißung erinnere. Was für Gedanken und Worte sind das! Und doch sind es die Worte des Geistes, welche uns von den verborgenen Wegen Gottes mit uns, mit unseren Seelen und Umständen erzählen. Die Wolke mag finster und schwerbeladen aufsteigen; aber der Bogen ist da, um ihre Bewegungen zu überwachen. Die Wolke mag drohen, der Bogen soll lächeln. Der Herr will jetzt erquickt und verherrlicht werden durch die Ratschlüsse Seiner Gnade, wie es einst geschah durch die Werke Seiner Hände.

An dem Himmel, der sich über dem Garten Eden wölbte, gab es keine dunkle Wolke, aber es gab auch keinen strahlenden Bogen, der sich triumphierend über der Wolke hätte ausspannen können. Die Wolke war der Beweis, dass der Fresser sein Werk getan hatte, und es war in der Tat ein böses Werk, ein Werk der Verheerung und des Verderbens; und der Regenbogen war der Beweis, dass Gott Sein Werk getan, dass Er Speise und Süßigkeit aus dem Fresser hervorgebracht hatte. – Wunderbares Rätsel! so mögen wir wohl ausrufen.

Indes möchte gefragt werden: Wenn es im 6. Kapitel unseres Buches heißt: „Und es reute Jehova, dass Er den Menschen gemacht hatte aus der Erde, und es schmerzte ihn in sein Herz hinein“, greift das dann nicht jenes Rätsel an, und widerspricht es nicht dem bisher Gesagten? Nein; denn in jenen Worten werden uns die Gefühle Gottes mitgeteilt, wenn das Werk des Fressers; an und für sich betrachtet wird, abgesehen von dem Werke Gottes, welches Speise und Süßigkeit aus ihm hervorbringt.

Der Fall oder das Verderben des Menschen ist hervorgerufen durch die List des Fressers, des Starken, der alten Schlange, welche der Teufel und der Satan heißt; aber inmitten der Ruinen sammelt Gott eine reichere Freudenernte und bereitet sich eine größere Herrlichkeit, als es irgend vorher möglich gewesen wäre; und was das Geschöpf betrifft, so ist seine Gemeinschaft mit Gott tiefer und gesegneter, seine Bestimmung erhabener und herrlicher, als früher, sei sie nun himmlisch, wie diejenige Henochs und der Heiligen vor der Flut, oder zeige sie sich in königlicher und priesterlicher Würde, wie bei Noah, der gleichsam in einer erlösten und nicht bloß erschaffenen Welt stand und die gewissen Zeichen der nie fehlenden Sorge und treuen Hut Gottes vor sich hatte.

Fußnote:

*) Das Blut durfte nicht mit dem Fleische gegessen werden, es war bestimmt, Sühnung zu tun für die Seele. (Vergl. 3. Mose 17, 10 — 14.) Noah nährte sich also von dem, was seine Versöhnung bezeugte, gerade so wie Israel in der Passah-Nacht in Ägypten. Sein Fest war das Fest eines durch Blut erkauften Sünders.

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Ein Wort über Gaben und Ämter

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 220ff

Es ist weit angenehmer, die Reichtümer der Gnade Gottes und die Liebe Christi zu betrachten, als die Frage von Gaben und Ämtern zu behandeln. Es ist jedoch nötig, davon zu reden, weil diese Frage viel benutzt wird, um die Ruhe der Christen zu stören und die Geister zu erregen. Solchen, welche die hergebrachte Lehre über das sogenannte „geistliche Amt“ nicht annehmen können, wirft man vor, ihr Christentum sei mangelhaft, sie wandelten in Unordnung und es fehle ihnen vor Gott etwas. Die nachstehenden Zeilen möchten nun unter Gottes Gnade dazu beitragen, den Streitpunkt klarer ins Licht zu stellen und wenn möglich die Geister zu beruhigen. Zugleich aber geben wir dem herzlichen Wunsche Ausdruck, dass ein jeder, der über diesen Punkt wirklich zur Klarheit gekommen ist, sich von allen solchen Fragen abwenden und sie ganz und gar verlassen möge, um sich mit Christo, mit Seiner unerschöpflichen Liebe und Seiner unermesslichen Gnade zu beschäftigen. Das ernährt und erbaut, während die Beschäftigung mit Streitfragen die Seele verdorren lässt.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen Gaben und Ämtern. Die Gaben fließen von Christo, dem Haupte, herab in die Glieder, um durch sie die Kirche zu sammeln und die also Gesammelten zu erbauen. Mit Ämtern wurden dagegen besondere, hierzu geeignete Personen seitens der Apostel oder ihrer Bevollmächtigten betraut. Aufseher, Älteste und Diakonen (Diener) waren solche mit Ämtern betraute Personen. Sie wurden, wie gesagt, von den Aposteln bzw. den Versammlungen zu ihrem Dienst angestellt und empfingen auf diesem Wege Stellung und Autorität. Vielleicht hatten sie Gaben, ja, es war wünschenswert, wenn sie solche hatten; aber oft befassen sie auch keine besondere Gabe. Jedenfalls aber wurden sie, wenn sie treu und hingebend waren in ihrem Dienste, von Gott gesegnet.

Betrachten wir denn zunächst ein wenig die Lehre der Heiligen Schrift über die Gaben. Alles Gute ist eine

Gabe und kommt von oben, von Gott. Allein wir reden jetzt nicht von Gaben in diesem allgemeinen Sinne, sondern von den Gaben, welche Gott geschenkt hat, um Seine Kirche aus der Welt zu sammeln und sie zu erbauen; wie geschrieben steht: „Hinaufgestiegen in die Höhe, hat Er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben“ (Eph. 4, 8). Das heißt: die Gaben, von welchen wir reden, sind solche, die Christus von dem Vater empfangen hat, nachdem Er in die Höhe hinaufgestiegen ist, um Haupt der Kirche, ja, Haupt über alles zu sein.

Der Mensch hat durch die Sünde alles verdorben. Ehe das Gesetz kam, verlor er sich in Ausschweifungen

aller Art, war gesetzlos und füllte die Erde mit Verderben und Gewalttat. Unter dem- Gesetz ist er ein Verbrecher geworden, ein Verächter der Autorität Gottes. Als Gott ihn in Seiner, Barmherzigkeit da besuchte, wo er in Elend, Verderben und Ungehorsam lag, hat er Gott verworfen, und Ihn, soweit es an ihm lag, aus der Welt vertrieben. Es bleibt also für den aus dem Paradiese ausgewiesenen Menschen, den Übertreter des Gesetzes Gottes, den Verächter der Liebe Gottes, den Untertan des Fürsten und Gottes dieser Welt, nichts anderes übrig als ein schonungsloses Gericht. Alle Hoffnung für den ersten Menschen, als solchen, ist verloren.

Nichtsdestoweniger hält Gott Seine Gedanken aufrecht und führt Seine Ratschlüsse zum Ziele. Er hat den zweiten den gehorsamen Menschen, den Herrn vom Himmel, verherrlicht und in Seine himmlische, Ihm zuvorbestimmte Stellung hinaufsteigen lassen. Während Jesus droben ist, wirkt Gott in Gnaden in den Herzen der Menschenkinder, um ihnen ein neues Leben zu geben. Er sammelt aus der Welt die Gegenstände Seiner Gnade und vereinigt sie mit dem verherrlichten Christus, damit sie mit Ihm alle Vorrechte genießen und, was herrlicher ist als alles, sich in Ihm und in der Liebe des Vaters erfreuen möchten. Die Neugeborenen sind demnach auch Glieder Christi, des Hauptes des Leibes.

Es gibt aber noch eine Wahrheit, welche mit dem Gegenstand und Zweck unserer Betrachtung in Verbindung steht, nämlich die, dass Christus Seine neue Stellung durch die Vollbringung des Erlösungswerkes erworben hat. Wir waren Gefangene des Teufels und Sklaven der Sünde. Jetzt sind wir befreit. Christus hat die Gefangenschaft, das was uns gefangen hielt, gefangen geführt, und Er erfüllt die Befreiten mit der Kraft des Heiligen Geistes, damit sie Ihm dienen. Als Er den Satan überwunden und die Erlösung vollbracht hatte, stieg Er hinauf in die Höhe und hat als Haupt der Kirche von dem Vater den Heiligen Geist der Verheißung für die Glieder Seines Leibes empfangen (Apstgsch. 2, 33; Eph. 4, 8).

Der erlöste Christ empfängt den Heiligen Geist auf zweierlei Art oder unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten. Er ist versiegelt mit dem Geiste, dem Unterpfande unseres Erbes, und ist so ein Geist mit dem Herrn und mit Ihm vereinigt; und er hat den Heiligen Geist als Kraft empfangen, um Christo dienen zu können. Die Gaben hängen also von diesen Wahrheiten ab. Das Erlösungswerk ist vollbracht, und die Gläubigen sind von ihren Sünden vollkommen gereinigt, so dass der Heilige Geist um des Blutes Jesu Christi willen, mit welchem sie besprengt sind, in ihnen wohnen kann. Christus hat sich als Mensch, nachdem Er Gott, Seinen Vater, hienieden verherrlicht hat, zur Rechten Gottes gesetzt, als Haupt der Kirche, deren ewige Gerechtigkeit Er ist. Als solcher hat Er, wie bereits bemerkt, den Heiligen Geist für Seine Glieder, d. h. für die Gläubigen, empfangen, und wir sind „Gottes Gerechtigkeit in Ihm“ (2. Kor. 5, 21). Und nun ist der Heilige Geist, vom Vater im Namen des Sohnes gesandt, von dem Sohne herniedergekommen, als Geist der Freiheit und der Sohnschaft. Er ist von dem Vater und aus dem Vater, und Er wohnt in den Gläubigen, um diesen die Gewissheit des Heils mitzuteilen und, als Kraft und Weisheit in den Gliedern des Leibes, das Werk des Herrn auf der Erde zu vollbringen.

Den erstgenannten Punkt, so wichtig und köstlich er ist, lassen wir für den Augenblick beiseite, um uns mit

den Gaben zu beschäftigen. Der Heilige Geist ist auf der Erde, kraft des vollbrachten Erlösungswerkes und des Sitzens Christi zur Rechten Gottes. Hier wirkt Er durch das Evangelium, um die Liebe Gottes zu verkündigen und die Auserwählten zu sammeln und aus ihnen einen Leib, den Leib Christi, zu bilden. Jede bekehrte Seele, welche Leben von Christo empfangen hat und durch den Heiligen Geist versiegelt worden ist, ist ein Glied Christi, des himmlischen Hauptes. So kann man denn die Gaben entweder als Gaben des droben verherrlichten Christus oder als die Wirkungen des hienieden gegenwärtigen Heiligen Geistes betrachten. Die Heilige Schrift tut beides. Im Epheserbries (Kap. 4) spricht sie von den Gaben Christi. Im 1. Korintherbrief (Kap. 12 und 14) redet sie von der Einheit des Leibes und von den Gaben als der Wirkung des Geistes in den verschiedenen Gliedern. In jedem Falle stehen die Gaben in Verbindung mit der Einheit des Leibes, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man Eph. 4 liest.

Ehe wir weitergehen, sei noch bemerkt, dass die Gaben von zweierlei Art sind: es gibt zunächst solche, welche zur Aufweckung der Seelen und zur Sammlung und Auferbauung der Kirche dienen, und dann solche, welche als Zeichen für die Welt gegeben sind, als Zeichen der Gegenwart Gottes in der Person des Geistes in der Kirche. Der Epheserbrief spricht nur von der ersten Art, der Brief an die Korinther von beiden. Das Wort Gottes selbst macht diesen Unterschied, wenn es uns sagt, dass die Sprachen zu einem Zeichen für die Ungläubigen, die Weissagung aber für die Gläubigen sei (1. Kor. 14, 22). Dieser Unterschied ist wichtig, weil unmöglich jemals etwas von dem fehlen könnte, was zur Bekehrung von Seelen und zur Auferbauung der Kirche notwendig ist, während wir andererseits gut verstehen können, dass Gott das, was eine Zierde für die Kirche ist und ihr den Stempel der göttlichen Anerkennung aufdrückt, zurückzieht, wenn die Kirche untreu ist und, anstatt Gott zu ehren, den Heiligen Geist betrübt. Nichtsdestoweniger blieb dieses äußere Zeugnis, diese Zeichen für die Ungläubigen, nach der Weisheit Gottes der Kirche so lange erhalten, als es nötig war, um die Verkündigung der christlichen Wahrheiten zu bestätigen.

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 225ff

6.

Das Haus des Vaters. (Luk. 9, 34 — 36).

Wir haben soeben gesehen, wie die Jünger berufen wurden, die Herrlichkeit Christi vor deren Offenbarwerdung zu genießen. Dieser Vorgang, dessen Tragweite sie damals nicht verstanden, sollte später der Autorität ihres Apostelamtes zur Stütze dienen. Von diesem Gesichtspunkt aus sind wir nicht berufen worden, die Herrlichkeit anzuschauen; wir kennen jenen Vorgang nur durch das Zeugnis der Jünger. Nichtsdestoweniger erblicken auch wir jetzt schon Seine Herrlichkeit; denn es wird gesagt, dass „wir alle, mit ausgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, verwandelt werden nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18).

Indessen ist der heilige Berg nicht nur der Schauplatz der zukünftigen Erscheinung oder der gegenwärtigen Betrachtung der Herrlichkeit, sondern er gibt auch den Jüngern ein besonders inniges Teil mit Christo. Derselbe Petrus, der wenige Tage zuvor die Zurechtweisung des Herrn hatte erfahren müssen, wird durch die Gnade berufen, mit seinen Gefährten da einzutreten, wo niemals einem Menschen vor ihnen der Zutritt gestattet worden war. Die Wolke bedeckt die Jünger, und sie treten mit Jesu in sie ein. Das war etwas Erschreckendes für einen Juden. Wie hätten sie nicht „sich fürchten“ sollen, in die Gegenwart Jehovas, der in majestätischer Einsamkeit diese Wolke bewohnte, einzudringen? Wie hätten sie nicht zittern sollen bei dem Gedanken, dass selbst der Hohepriester, wenn er in das Heiligtum vor Gott trat, sich mit einer Wolke von Weihrauch umgeben musste, um nicht zu sterben? Aber die Jünger dürfen sich beruhigen: die Wolke ist für sie nicht mehr die Wohnung Jehovas, sondern das Haus des Vaters! Die Gegenwart Christi bei ihnen in der Wolke ist das Mittel, um ihnen den Namen Dessen, der sie bewohnt, zu offenbaren. Sie werden nicht nur, wie Moses und Elias, die Gefährten des Sohnes des Menschen in Seiner Herrlichkeit, sondern die Gefährten des Sohnes in dem Hause Seines Vaters. In der Herrlichkeit wohnen ist tatsächlich eine zukünftige Segnung, welche noch kein Heiliger erreicht hat, auch nicht die Entschlafenen; im Hause des Vaters wohnen ist ein gegenwärtiges und ein zukünftiges Teil. Wenn ich im Blick auf die Zukunft sagen kann: „Ich werde wohnen im Hause Jehovas auf

Länge der Tage« (Psalm 23, 6), so kann ich, was die Gegenwart betrifft, auch sagen: „Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas und nach Ihm zu forschen in Seinem Tempel“ (Psalm 27, 4). In dieses Haus des Vaters wird der verlorene Sohn, kaum bekehrt, eingeführt; da wird er mit dem schönsten Kleide bekleidet und darf in seiner Stellung als Sohn an allen Gütern des Vaters teilhaben, sowie an der Freude, die der Vater daran hat, ihm alles dieses zu geben. Dieses Haus ist die verborgene Wohnstätte der Gemeinschaft. Bei der Verklärung gab es manches, was die Blicke der Jünger auf sich zog: das Angesicht Christi leuchtete wie die Sonne, Seine Kleider waren weiß wie das Licht, Moses und Elias, diese berühmten Personen, erschienen mit Ihm in Herrlichkeit. In der Wolke gibt es nichts derart. Wie Paulus, als er in das Paradies entrückt war, sehen. die Jünger nichts, denn Moses und Elias verschwinden; und das geschah, damit sie ihre Aufmerksamkeit ungeteilt auf ein Wort richten konnten, in welchem der ganze Gedanke Gottes zusammengefasst ist.

So lange Petrus Moses und Elias sah, vergaß er den Vorrang Christi. „Lass uns drei Hütten machen“, sagte er. Wie so viele Christen es unbewusster Weise tun, wollte er das Gesetz und die Propheten mit Christo auf denselben Boden stellen, indem er sie mit Ihm verband. Armer Jünger! wie wenig zeigt er sich dieses Schauspiels würdig! Seine Worte, sein Schlafen und seine Furcht verrieten den Zustand seiner Seele. Je mehr die Vollkommenheit Jesu hervorstrahlte, desto mannigfaltiger offenbarten sich die Unvollkommenheiten des Jüngers. So lange er nicht dahin gekommen ist, sich selbst völlig zu verurteilen, finden wir ihn bei jeder Gelegenheit so. Der Geist teilt ihm Kraft mit, das Fleisch raubt sie ihm; der Geist gibt ihm Erkenntnis, das Fleisch zeigt sich unwissend, namentlich in Bezug auf das Kreuz; der Geist lässt ihn die Herrlichkeit anschauen, das Fleisch zieht diese Herrlichkeit herab auf den Boden von Menschen, die gefehlt haben. Dasselbe werden wir bei dem Vorfall mit der Doppeldrachme finden, bei dem Abendessen, in Gethsemane und in dem Hofe des Hohenpriesters, bis Petrus gelernt hat, was das Fleisch ist, und er Kraft von oben empfangen hat.

Doch die prachtvolle Herrlichkeit stößt die Jünger nicht zurück, sondern zieht sie vielmehr zu Christo hin,

bringt sie als Jünger zu Seinen Füßen, indem sie ihnen sagt: „Ihn höret“; und Petrus wird mit den Anderen

in die Gedanken des Vaters über den Sohn Seiner Liebe eingeführt. Ja, das Haus des Vaters ist der Ort dieser Offenbarung. Die Jünger hören da, wie gesagt, ein einziges Wort, einen kurzen Ausdruck des Gedankens, den die Gegenwart des Sohnes dem Munde des Vaters entlockt, aber ein Wort, welches alles, was in Seinem Herzen ist, zusammenfasst: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe; Ihn höret“. Das ist unsere gegenwärtige Segnung. Wir haben die Mitteilung des Geheimnisses des Vaters empfangen. Er führt uns heute in eine Vertraulichkeit mit sich ein, welche in dem ewigen Zustand wohl völliger genossen werden wird, aber nicht größer sein kann, als sie es gegenwärtig ist. Wir werden dort die ganze Entfaltung der Herrlichkeit Christi sehen, und wir selbst werden in dieser Herrlichkeit geschaut werden; aber wir sind heute schon Mitwisser der Gedanken des Vaters, der uns den Sohn offenbart, des Vaters, welcher uns durch den Sohn geoffenbart wird. Wenn die Stimme gehört worden ist, bleibt Jesus allein bei uns; wenn wir auf sie hören, lernen wir immer besser verstehen, was der Vater für Ihn und für uns ist.

7.

Das Verhältnis zum Sohne. (Matth. 17, 24 — 27).

Auf dem Berge hatte Petrus Menschen mit Christo in der Herrlichkeit des Reiches vereinigt gesehen; dann war er in die Wolke eingeführt worden und damit in die Gemeinschaft mit dem Vater in Bezug auf Seinen Sohn eingetreten. *) Hier, in dem Vorfall mit der Doppeldrachme, vereinigt der Herr Seinen Jünger mit sich, nicht in einer zukünftigen Herrlichkeit, oder in einem gegenwärtigen himmlischen Genuss, sondern hier auf Erden als einen Sohn Gottes, der im Bewusstsein seiner Würde als Sohn wandelt. **)

Wenn der Herr Seinen Jüngern die Teilhaber Seiner Herrlichkeit zeigt, kommt ein Augenblick, wo diese verschwinden, um Jesu allein Platz, zu machen, damit die Herrlichkeit Christi, welche „größer ist als die des Moses“, in ihrer ganzen Erhabenheit erkannt werde; wenn aber der Herr den Petrus mit sich als Sohn verbindet, so versetzt Er ihn in dasselbe Verhältnis, in welchem Er zu dem Vater steht, und erhält ihn darin. Die drei Worte: „Demnach sind die Söhne frei“, ferner: „auf dass wir ihnen kein Ärgernis geben“, und: „den gib ihnen für mich und dich“, sind der köstliche Ausdruck dieses Verhältnisses.

Wie wenig kennen und schätzen wir dieses Verhältnis! Ein Sohn Gottes zu sein, in einem Verhältnis zu stehen, welches nicht geringer ist als dasjenige, in welchem Jesus als Mensch zu Ihm stand — das würde unglaublich, ja, ganz unmöglich sein, wenn Gott selbst uns nicht desselben versicherte. Doch lasst uns. hier gleich hinzufügen, dass Christus unter zwei Gesichtspunkten Sohn Gottes ist: als „der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist“, hat Er eine Beziehung, die wir nicht haben und nie haben

werden; aber als Mensch wird Er Sohn Gottes genannt (Ps. 2 u. Luk. 1, 35), und Er bringt uns in diese Beziehung, welche nur den einen Unterschied zwischen Ihm und uns aufweist, dass Er sich nach Seinem persönlichen Wert und Seiner eigenen Würde darin befindet, ***) wogegen wir einzig und allein kraft Seines Werkes Söhne sind. Aber ist es nicht wunderbar, daran zu denken, dass unsere Beziehungen durchaus dieselben sind? „Mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott“, sagt Jesus. „Wir haben den Geist der Sohnschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba Vater!“ (Vergl· Mark. 14, 36). „Erben Gottes, Miterben Christi!“

Aber ach! wie wird bei jeder Gelegenheit die Erbärmlichkeit der natürlichen Gedanken bei den armen Jüngern bloßgelegt! Als Petrus sagte: „Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren“, waren seine Gedanken menschlich, ja, satanisch. Als ob Jesus je daran hätte denken können, sich selbst zu schonen! — Auf dem Berge „wusste Petrus nicht was Er sagte“ (Luk. 9, 33). Es war Unverstand, der aus einer zukünftigen Szene eine gegenwärtige machen wollte. Man könnte die Worte Simons: „Es ist gut, dass wir hier sind“, denjenigen vieler Christen unserer Tage vergleichen, welche für die Zeit des gegenwärtigen göttlichen Haushalts ein Reich Christi auf der Erde durch das Evangelium erwarten. Zudem führte sein Unverstand etwas neben Christo ein, eine Autorität neben der Seinigen. Es ist, wie ich schon weiter oben sagte, wie bei so vielen Christen, die ein Gemisch von Gesetzund Gnade herstellen wollen, indem sie die Gnade als das betrachten, was uns reitet, während sie das Gesetz, die Richtschnur für unser Verhalten nennen. Die irdischen Gedanken Petri waren ein Ärgernis für Christum, und Er schalt Seinen Jünger heftig; aber aus dem Berge kommt Gott in Gnaden seiner Unwissenheit entgegen (welch eine Herablassung!), indem Er ihm Christum als den Einzigen vorstellt, den er hören sollte.

In dem Vorgang mit der Doppeldrachme zeigt sich bei dem Jüngern der Wunsch, für seinen Meister den Charakter eines eifrigen Juden in Anspruch zu nehmen. Das gleicht dem in unseren Tagen so häufigen Bestreben, Christum der Religion einer Welt, die Ihn verworfen hat, anzupassen, damit sie Ihn annehme, anerkenne und ehre. Petrus wollte, dass Jesus nicht als ein Fremder in dem öffentlich anerkannten Religionssystem behandelt werde, und nicht den Schein habe, als ob Er sich davon trenne. Der Herr zeigt Seinem Jünger, dass Er im Ausblick zu Gott wandelte, nicht aber unter Rücksichtnahme auf ein religiöses System. Wenn Christus hinfort dem jüdischen System fremd gegenüberstand, so lag es daran, dass dieses letztere Gott fremd war, während Jesus Gott gegenüber Sohn ist. Zudem muss der Herr des Tempels nicht die Steuer für den Tempel bezahlen; Er, der Schöpfer, der alle Gewalt über die Schöpfung hat, kann nicht dem Geschöpf gleichgeachtet werden; Er, dem sogar ein Fisch vom Meeresgrunde seine Abgabe bringt, muss nicht selbst Abgabe bezahlen.

Wie erbärmlich sind doch die besten Gedanken des Menschen, wenn er bei feiner Schätzung der Person Christi sich selbst überlassen ist! Auch kann der Herr in Seinen Mitteilungen niemals das Verständnis des Petrus anerkennen, außer in dem Falle, wo dieser eine unmittelbare Offenbarung vom Vater empfangen hatte, welche Fleisch und Blut ihm nicht mitteilen konnten. Doch, wie gesagt, die Gnade begegnet der Torheit des Jüngers. Der Herr und Gebieter nimmt die niedrige Stellung, die Ihm unverdient gegeben wird, an, um ihnen kein Ärgernis zu geben. Er sucht nicht ein System zu bekämpfen, welches Gott zwar verlassen, aber noch nicht gerichtet hatte. Er, der in der Tat schon verworfen war, will den Menschen, die Ihn verwarfen, kein Ärgernis geben. Obwohl Er Sohn ist, nimmt Er die Stellung der Abhängigkeit an, die Ihm angewiesen wird. Zudem will Er nicht durch die Weigerung die Doppeldrachme zu bezahlen, Seinen armen Jünger vor der Welt demütigen und verleugnen. Welch eine Herablassung!

Doch Er tut noch mehr; in Seiner Antwort offenbart Er dem Petrus seine Verbindung mit Christo als dem Sohne des höchsten Gottes. Auf dem Berge hatten die Jünger die Offenbarung des Vaters bezüglich des Sohnes empfangen; hier offenbart Jesus Seinen Jüngern ein wunderbares Familienverhältnis. Beide sind Söhne Gottes; Petrus ist es allerdings nur auf Grund der Tatsache, dass Christus sich erniedrigt hat, um uns zu erretten. Das sind in der Tat Segnungen! Aus dem Berge erblickten wir drei arme Fischer, versunken in Furcht, Schlaf und Unwissenheit; und sie wurden berufen, in das Haus des Vaters einzutreten, um mit Ihm Gemeinschaft zu haben in Bezug auf Seinen Sohn. Hier in Kapernaum sehen wir einen schwachen Jünger, dessen menschlicher Eifer, Christum zu ehren, zur Folge hat, dass er Ihn erniedrigt; und er wird berufen, so wie er ist mit Ihm zu wandeln, allerdings in Niedrigkeit, aber auch in dem Bewusstsein der Würde eines Sohnes Gottes!)

Fußnoten:

*) Siehe die Anmerkung auf Seite 198.

**) So begrüßt Gott Ihn denn auch, wenn Er in dieser Welt erscheint, mit den Worten: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“.

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Ein Wort über Gaben und Ämter

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 233ff

Alle Gaben kommen unmittelbar von Christo, dem Haupte, herab und haben ihr Bestehen in den Gläubigen durch die Wirkung des Heiligen Geistes. Diese beiden wichtigen Wahrheiten werden uns in Eph. 4 und 1. Kor. 12 ganz klar und deutlich vor Augen gestellt; die genannten Kapitel reden auch von der Grundlage und der Entwicklung der Gaben. Eph. 4 spricht ausschließlich von den Gaben, welche zur Sammlung und Auserbauung der Kirche dienen. Christus ist in die Höhe hinaufgestiegen und hat für die Menschen Gaben empfangen. Diese Menschen sind durch das Erlösungswerk Christi, welches sie im Glauben genießen, vollkommen befreit von der Macht Satans, der sie früher unterworfen waren, sind Gefäße der Gnade und der Kraft geworden, welche von Christo, dem Haupte, herabströmt, und werden nun durch die ihnen mitgeteilten Gaben Werkzeuge eines abwesenden Christus. Durch die Apostel und Propheten hat der Herr das Fundament gelegt; sie bilden, wie der Apostel Paulus in Eph. 2 sagt, die Grundlage, während Jesus Christus selbst Eckstein ist. Außerdem gibt es Evangelisten, Hirten und Lehrer, und diese bleiben. So lange Christus die Kirche liebt und die ein auch die Gaben für die Auferbauung der Kirche bleiben. Weil nun diese Gaben nur durch die Gegenwart und Kraft des Heiligen Geistes wirksam werden können, die Christen aber leider oft untreu sind und Seine Mahnungen nicht beachten, so ist die Entwicklung der Gaben und ihre öffentliche Ausübung unklar und vielfach gehemmt. Dies ist auch in anderer Beziehung wahr, sowohl im Blick auf das christliche Leben, als auch auf den praktischen Zustand der Kirche. Trotzdem aber bleibt die Tatsache bestehen, dass Christus allezeit und unfehlbar für Seinen Leib sorgt. Hierauf können wir stets rechnen, wenngleich wir im Blick auf Einzelheiten durch unsere Untreue gedemütigt werden mögen. Auch hat der Herr uns gesagt, dass die Ernte groß sei und der Arbeiter wenige, und dass wir den Herrn der Ernte um die Aussendung von Arbeitern in Seine Ernte bitten sollen.

Jeder, der eine Gabe empfangen hat, ist dadurch ein Diener Dessen geworden, der sie ihm mitgeteilt hat. In jedem Falle sind wir Diener Christi, des alleinigen Herrn unserer Seelen; aber der Christ ist in besonderem Sinne ein Diener Christi infolge und hinsichtlich der Gabe, die er von Ihm empfangen hat. Weil der Herr sie ihm gegeben hat, ist er verantwortlich, sie zu benutzen und auszuüben, und zwar zu dem Zweck, für welchen sie ihm gegeben worden ist. Ohne Zweifel ist jeder Christ der allgemeinen Zucht der Kirche oder Versammlung unterworfen, sowohl was sein Leben als auch was seinen Dienst betrifft. Er

dient aber nicht Menschen, sondern Christo; und gerade weil er Christo dient, ist sein Dienst fruchtbar für die Versammlung. Auch weiht er seinen Dienst den Christen, weil er ein Diener Christi, des Herrn, ist; und er ist zu dienen verpflichtet, wiederum weil er Christi Diener ist und von dem Eigentum seines Herrn empfangen hat.

Das ist die Lehre des Gleichnisses von den drei Knechten, deren Herr außer Landes reiste und ihnen von

seiner Habe gab, dem einen mehr, dem anderen weniger (Matth. 25). Warum tat er das? Damit sie träge und untätig bleiben sollten? Nein! Er vertraute ihnen das Geld an, damit sie damit handeln und Gewinn machen möchten. Man gibt einem Menschen nicht Handwerkszeug und Material, damit er seine Hände müßig in den Schoß lege. Das wäre ganz sinnlos; aber nicht allein das, sondern wenn die Liebe Christi und Seine Liebe zu den Seelen in einem Herzen tätig ist, so sind Trägheit und Nichtstun ganz unmöglich.

Die Gegenwart und Wirksamkeit diese Liebe wird gerade auf diese Weise auf die Probe gestellt und erwiesen. Wenn die Liebe Christi in meinem Herzen wirksam ist und ich habe Gelegenheit, einer von Ihm geliebten Seele nützlich zu sein, wie wäre es dann möglich, untätig zu bleiben? Die Kraft zum Dienst, die nötige Weisheit, um ihn wohlgefällig zu tun, kommen stets und unmittelbar von Ihm; aber die Liebe Christi im Herzen ist es, welche die Tätigkeit des Herzens wachruft. Um Mut zum Dienst zu haben, muss ich Vertrauen zu Christo haben; anders wird das Herz sagen: „Vielleicht wird Er mein Tun nicht gutheißen; vielleicht wird Er nicht mit mir zufrieden sein; vielleicht bin ich zu tollkühn, und mein Beginnen ist übereilt; vielleicht ist es nur Stolz, dass ich so etwas zu unternehmen wage u. s. w.“ Der Faule spricht: „Ein Löwe ist auf dem Wege“; aber die Liebe ist nicht untätig, sondern einsichtsvolI, weil sie Vertrauen hat zu Christo. Die Liebe versteht was die Liebe will, und folgt dem Willen und dem Beispiel Christi, ihres Führers.

So ist die Liebe wirksam, dieselbe Liebe, welche in Christo ist und sich in wahrhastiger, demütiger Weisheit tätig erweist. Sie ist gehorsam und einsichtsvoll und erfasst durch die Gnade ihre Pflicht, indem sie aus der Liebe Christi Mut schöpft, diese Pflicht zu erfüllen. Und wessen Verhalten hat der Herr anerkannt und mit Seinem Beifall belohnt? Das Verhalten des Knechtes, der, geleitet durch dieses herzliche Vertrauen, ohne weiteren Befehl gearbeitet hat? oder das Verhalten jenes Knechtes, der sich fürchtete, es zu tun? Wir alle kennen die Antwort. Die Anerkennung Christi genügt dem Herzen des Christen und genügt auch zu seiner Rechtfertigung vor Anderen. Darum, geliebte Brüder, wenn wir Seine bestimmt ausgesprochene und deutlich geoffenbarte Anerkennung besitzen, so können wir alles andere getrost beiseite lassen. Denn das ist gerade der Punkt, um den es sich handelt: Christo treu zu sein. Lasst uns denn Geduld haben und ausharren! Hier mögen wir missverstanden, falsch beurteilt oder gar scharf verurteilt werden; nicht lange mehr, und Er wird alles ins wahre Licht stellen und richtig beurteilen. Inzwischen müssen wir durch Glauben wandeln. Aber Sein Wort genügt uns. Zur rechten Zeit wird Er uns vor der Welt rechtfertigen, und Sein Wort und unseren Glauben ehren.

Der Herr Jesus hat also diese Gaben als Mensch empfangen und sie Menschen gegeben, um durch sie das Werk des Evangeliums und die Sammlung der Kirche Gottes zu vollbringen; und diejenigen, welche diese Gaben empfangen, sind verpflichtet, in Gott wohlgefälliger Weise damit zu handeln, Seelen zu gewinnen, die Gläubigen zu erbauen und ihren Herrn und himmlischen Meister zu verherrlichen. Im 4. Kapitel des Epheserbriefes haben wir die Gaben zur Erbauung als von Christo, dem in die Höhe Hinaufgestiegenen, hienieden ausgeteilt gesehen; die Glieder Seines Leibes werden auf der Erde durch diese Gaben gesammelt und zusammengefügt, und durch die gegenseitige Wirkung der Glieder auf einander wächst dieser Leib und wird gleichzeitig bewahrt vor jedem Winde der Lehre, auf dass er hingelange „zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“.

Im 12. Kapitel des ersten Korintherbriefes werden die Gaben mehr als die Wirkung des Heiligen Geistes auf der Erde betrachtet, welcher sie einem jeden austeilt, wie Er will. Wir haben schon weiter oben bemerkt, dass wir hier nicht bloß den Gaben zur Erbauung begegnen, sondern allen denen, welche das Ergebnis der Kraft des Geistes und die Zeichen Seiner Gegenwart sind. Dieses Kapitel behandelt alles, was als eine Offenbarung des Geistes, als geistliche Erscheinung, betrachtet werden kann, und indem es von der Wirkung der dämonischen Kräfte spricht, gibt es die Mittel an, durch welche diese von den göttlichen Gaben unterschieden werden können. Es stellt die Lehre von dem Leibe und den Gliedern Christi in deutlichster Weise dar und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass es einen einigen Herrn gibt, auf dessen Autorität hin diejenigen, welche Gaben haben, arbeiten, sei es in der Welt, sei es in der Versammlung, um so das Werk Gottes durch die Wirkung des Geistes zu voll-führen. Jedes Glied ist von der Tätigkeit des anderen abhängig, indem alle durch einen und denselben Geist zu einem Leibe getauft worden sind.

In Römer 12 und 1. Petr. 4, 10. 11 werden die Gaben nur kurz erwähnt. In Römer 12 besitzen wir sie gleichfalls als Glieder des Leibes Christi, und der Apostel redet nur im allgemeinen von ihnen, um die Besitzer der Gaben zu ermahnen, nicht über dieselben hinauszugehen, sondern sich auf das Maß des Empfangenen zu beschränken. In 1. Petr. 4 werden die Gläubigen ermahnt, sich als unmittelbare und treue Verwalter Gottes der Gaben zu bedienen; zu reden als Aussprüche Gottes; zu dienen als durch eine von Gott dargereichte Fähigkeit. Bei allen diesen Belehrungen hören wir kein Wort von einem Amt, sondern es ist nur von den Gliedern des Leibes Christi die Rede, welche alle an der Erbauung des Leibes teilhaben und den ihnen zufallenden Teil zu erfüllen verpflichtet sind. Nicht alle reden, nicht alle verkündigen das Evangelium, nicht alle lehren, weil nicht alle diese Gaben haben; aber alle sind nach der Schrift verpflichtet, das zu tun, was Gott ihnen anvertraut hat, und zwar entsprechend der im Worte niedergelegten Ordnung des Hauses Gottes. Sobald man versteht, dass alle wahren Gläubigen Glieder Christi sind, und dass jedes Glied seine eigene Verrichtung, seine eigene besondere Pflicht am Leibe hat, ist alles einfach und klar. Alle haben eine Pflicht zu erfüllen, und zwar durch die Kraft Gottes; und die verborgenste Tätigkeit, welche vor Gott und nicht vor den Augen der Menschen geübt wird, ist vielleicht die köstlichste. Alle aber haben etwas zu verrichten. Wenn man sagen würde, alle hätten ein Amt, so hieße das die Ämter Überhaupt leugnen. Die Lehre der Schrift über diesen Punkt ist so klar wie möglich, und die Ereignisse, von welchen uns die Schrift in Verbindung mit diesen Dingen berichtet, bestätigen die Lehre. Wer die Schrift untersucht und sich ihr unterwirft, wird sehr bald erkennen, dass es sich bei der Verkündigung des Evangeliums in der Welt oder bei der Erbauung der Gläubigen in den Versammlungen in keiner Weise um ein Amt handelt, sondern dass alles von den Gaben abhängt.

Zum Beweise des Gesagten wollen wir einige Stellen anführen. Wir haben den Leser bereits auf Matth. 25

aufmerksam gemacht. In dem Gleichnis von den Talenten stellt der Herr den Grundsatz auf, dass die beiden ersten Knechte Lob verdienten, weil sie Handel getrieben hatten, ohne eine weitere Bevollmächtigung zu besitzen als die Tatsache, dass der Herr ihnen sein Geld anvertraut hatte, während der dritte getadelt und gestraft wird, weil er eine weitere Bevollmächtigung erwartet und kein Vertrauen zu seinem Herrn gehabt hatte; er hatte es nicht gewagt, ohne eine weitere Versicherung zu arbeiten. Was will uns das sagen? Es belehrt uns, dass die Gaben selbst für den Arbeiter eine Bevollmächtigung sind, sich ihrer zu bedienen, vorausgesetzt dass die Liebe Christi sein Herz drängt; ist diese Liebe nicht vorhanden, so ist er schuldig, und der Beweis, dass sie nicht wirksam in ihm ist, liegt gerade darin, dass er mit seiner Gabe nicht gedient hat: er ist ein böser und fauler Knecht. Christus gibt nicht Gaben mit der Absicht, dass wir sie unbenutzt liegen lassen; nein, Er gibt sie, damit wir sie fleißig benutzen. Und in der Tat finden wir, dass dies unter den ersten Christen so geschehen ist. Als die Verfolgung, welche auf den Tod des Stephanus folgte, die Christen zerstreut hatte, gingen diese überall umher und predigten das Evangelium (Apstgsch. 8, 4); und in Kap. 11, 21 lesen wir, dass des Herrn Hand mit ihnen war. Es ist aber möglich, dass ich das Mittel, wodurch eine Seele errettet werden kann, kenne und es doch nicht verkündige, obgleich Gott mich dazu fähig gemacht hat; und das ist dann höchst traurig. Nicht jeder kann

öffentlich austreten, aber im Stillen und Verborgenen kann und sollte ein jeder etwas tun; in der Fähigkeit zur öffentlichen Verkündigung des Wortes erweist sich gerade die Gabe Gottes.

Als Paulus sich im Gefängnis zu Rom befand, gewannen viele der Brüder im Herrn durch seine Bande Vertrauen und erkühnten sich viel mehr als vorher, das Wort Gottes zu reden ohne Furcht. (Phil. 1, 13. 14).

Als später die falschen Lehrer ausgingen und die Gläubigen durch ihre bösen Reden zu verführen suchten, hing ihre Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht davon ab, ob sie ein Amt besaßen oder nicht; selbst einer Frau wurden ganz andere Verhaltungsregeln gegeben. (2. Brief Johannes.) Dem Apostel kam keinen Augenblick der Gedanke, die Frau, an welche er schrieb, durch solche Mittel für die Zukunft in Sicherheit zu stellen. Nein, er schrieb ihr einfach, sie solle einen jeden, der da komme, nach seiner Lehre prüfen. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, ihr zu raten, sie möge den als Prediger sich Einführenden fragen, ob er ein Amt habe, oder ob er geweiht und ordiniert sei. Er sagt vielmehr: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht“ (V. 10). Und er lobt den „geliebten Gajus“, weil er die Brüder, welche für den Namen Christi ausgegangen waren, aufgenommen hatte, und er ermuntert ihn, sie auf eine gotteswürdige Weise zu geleiten; auf diese Weise würde er ein Mitarbeiter der Wahrheit werden (3. Johannes 5 — 8). Auch hier hören wir kein Wort von Amt oder Ordination.

Was also die Predigt des Evangeliums betrifft, so lehrt das Wort Gottes deutlich, dass ein jeder nach seiner Fähigkeit und nach den Gelegenheiten, welche Gott in Seiner Gnade gibt, dasselbe zu verkündigen verpflichtet ist.

Im Blick auf die Erbauung der Gläubiger: ist die Heilige Schrift nicht weniger klar. Nicht allein stellen uns Eph. 4 und 1. Kor. 12, wie bereits bemerkt, die allgemeine Wahrheit vor Augen, dass Christus die Gaben gegeben hat und der Heilige Geist durch sie wirkt, auf dass das Werk Gottes in allerlei Weise vollführt werde, sondern die Schrift spricht auch genau und klar verständlich über die Pflicht derer, welche die Gaben besitzen. Der Heilige Geist lässt uns durch den Apostel Petrus sagen: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes. Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes u. s. w.“ Ferner finden wir in 1. Korinther 14 die Ordnung, nach welcher die Ausübung der Gaben stattfinden soll: „Propheten aber lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst urteilen. Wenn aber einem anderen, der dasitzt, eine Offenbarung wird, so schweige der erste. Denn ihr könnt einer nach dem anderen alle weissagen, aus dass alle lernen und alle getröstet werden“ (V. 29 — 31). Dann zeigt uns Jakobus die wahren Grenzen dieses Dienstes (ohne irgendwelche Bezugnahme auf ein Amt), indem er den Gläubigen sagt, dass nicht viele Lehrer werden möchten, weil deren Verantwortlichkeit naturgemäß eine größere ist, und weil sie, da wir alle mannigfaltig straucheln, ein umso schwereres Urteil empfangen würden.

Es ist also völlig gewiss, dass die Gaben und der seitens der Gläubigen durch die Gaben geleistete Dienst

nach der Belehrung der Heiligen Schrift ganz und gar unabhängig sind von dem Besitz eines Amtes; und ferner, dass diejenigen, welchen Gott Gaben geschenkt hat, verpflichtet sind, sie zur Auferbauung der Heiligen zu benutzen. Die Schrift teilt uns auch die Regel mit, nach welcher die Ausübung dieser Gaben stattfinden soll, und bemerkt, dass die Geister der Propheten den Propheten untertan seien, und dass alles zur Erbauung geschehen müsse, damit keine Verwirrung in der Versammlung oder Gemeinde entstehe. Von Ämtern aber spricht die Schrift in dieser Hinsicht nicht mit einem einzigen Worte. *)

An dieser Stelle sei es erlaubt, noch einmal zu betonen, dass zwischen Gabe und Amt ein großer Unterschied besteht, der durch die Natur beider bedingt ist. Eine Gabe ist überall gültig und anwendbar. Wenn ich die Gabe eines Evangelisten habe, so predige ich das Evangelium überall, wohin Gott mich ruft. Bin ich ein Lehrer, so lehre ich die Gläubigen, meiner Befähigung gemäß, wo immer ich mich auch befinde. Apollo lehrte in Ephesus und war auch den Gläubigen in Korinth behilflich. Wenn aber jemand ein Amt empfangen hat, so erfüllt er die Pflichten, welche mit diesem Amte verbunden sind, an dem bestimmten Orte, wo es ihm anvertraut worden ist. Ist er ein Ältester oder ein Diakon in Ephesus, so hat er seine Pflichten in Ephesus zu erfüllen; nur in Ephesus hat und genießt er die mit seinem Amt verbundene Autorität. In Korinth hat er keine.

Die mit einem Amte Betrauten sind nicht als solche Glieder des Leibes Christi; sie sind in diesem Sinne vielmehr Beamte, die Ihm unterworfen sind. Die Gaben, als Gaben, können aber nur mit dem Leibe Christi in Verbindung stehend betrachtet werden; sie bilden gleichsam die mancherlei Glieder dieses Leibes, welche ihren Dienst nach dem Willen Gottes überall zu leisten haben, wo immer sie sich befinden mögen. Die Schrift sagt niemals, dass ein Evangelist der Evangelist einer bestimmten Versammlung oder Gemeinde sei, oder ein Lehrer oder Hirte der Lehrer und Hirte der örtlichen Versammlung, in deren Mitte er wohnt; nein, Gott hat in der Kirche Christi im allgemeinen, in dem Leibe Christi, wo immer dessen Glieder sich befinden mögen, diese Gaben gegeben. „Und Er hat etliche gegeben als Apostel und etliche als Propheten und etliche als Evangelisten und etliche als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen: für das Werk des Dienstes, für die Auserbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf dass wir nicht mehr Unmündige seien, hin und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Winde der Lehre, die da kommt durch die Betrügerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum; sondern die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns heranwachsen in allem, zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph. 4, 11 — 16).

Es gab im Anfang allerdings Ämter in den Versammlungen. Man findet in der Heiligen Schrift zwei Arten solcher Ämter: Aufseher und Diener, und, wenn man den Unterschied noch machen will, auch Dienerinnen. Die erstgenannten waren gewöhnlich Presbyter, jetzt Älteste genannt, die anderen Diakonen. Indessen findet man nicht, dass überall, z. B. unter den Judenchristen, Älteste in bestimmter Weise angestellt worden wären. Bei den Christen, welche durch die Gnade aus den Heiden berufen wurden, sieht man sehr deutlich, dass die Ältesten von den Aposteln oder ihren Abgeordneten gewählt und in ihr Amt eingesetzt wurden. In Apstgsch. 14, 23 lesen wir z. B. dass Paulus und Silas „in jeder Stadt Älteste für die betreffenden Versammlungen wählten; ferner ließ der Apostel den Titus auf der Insel Kreta mit dem Gebot zurück, in jeder Stadt Älteste anzustellen; und obgleich der Dienst des Timotheus ein anderer war, indem er von dem Apostel in Ephesus gelassen wurde, um über die Lehre zu wachen, wurde doch auch er mit den passenden Eigenschaften eines Aufsehers bekannt gemacht. Mit den Versammlungen als solchen ist der Apostel über diesen Punkt nie in Verhandlungen eingetreten; er vollbrachte alles persönlich oder vertraute es seinen Abgeordneten an, selbst da wo die Versammlungen schon gebildet waren.

Über die Diener (Diakonen) wird in der Schrift wenig gesagt. Im 6. Kapitel der Apostelgeschichte lesen wir, dass die Apostel (weil sie mit Geldangelegenheiten der Heiligen nichts weiter zu tun haben wollten) die Gläubigen in Jerusalem ausforderten, sieben Männer aus ihrer Mitte zu erwählen und sie „über dieses Geschäft zu bestellen“. Diese Männer werden nicht gerade Diakonen genannt, hatten aber die Pflichten von Diakonen, und um das Geringste zu sagen, besaßen sie in vieler Beziehung jene Eigenschaften, welche in den Briefen an Timotheus und Titus von dem Apostel Paulus aufgezählt werden als erforderlich für den Dienst eines Diakonen.

Man könnte nun fragen: Was dürfen wir heute, wo es keinen Apostel mehr gibt, im Blick auf die Erwählung

von Ältesten tun? Unser Gott, der vorhergewusst hat, was Seine geliebte Versammlung zu allen Zeiten bedürfen würde, hat uns in der Schrift die Antwort auf diese Frage gegeben und auch für diese Bedürfnisse hinreichend Sorge. getragen. In 1. Thess. 5, 12. 13 heißt es: „Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennet, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Maßen in Liebe achtet um ihres Werkes willen. Seid in Frieden unter einander.“ Zugleich stellt der Apostel in den beiden nächsten Versen die gemeinsame Verantwortlichkeit der Gläubigen in nicht mißzuverstehender Sprache vor: „Wir ermahnen euch aber, Brüder: Weiset die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmet euch der Schwachen an, seid langmütig gegen alle. Sehet zu, dass niemand Böses mit Bösem jemandem vergelte, sondern strebet allezeit dem Guten nach gegen einander und gegen alle.

In Hebräer 13 redet er von wirklichen Vorstehern oder Führern. Das Wort ist dasselbe wie in Apstgsch. 15, 22, wo von Judas und Silas gesagt wird, dass sie Führer unter den Brüdern waren. „Gedenket eurer Führer“, sagt der Apostel in Vers 7, „die euch das Wort Gottes verkündigt haben, und, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmet ihren Glauben nach.“ Diese waren waren gestorben, aber ihre Gesinnung war bekannt; andere lebten noch und wachten über die Seelen der Gläubigen. (Vers 17.) Die letzteren sollten solche Männer achten und ihnen gehorchen.

Die Pflicht der Ältesten war, Aufsicht zu üben. In Apstgsch. 20 nennt der Apostel sie Aufseher. Das griechische Wort lautet episkop0s, aus welchem in unserer Sprache das Wort „Bischof“ entstanden ist. Man findet diesen Titel auch in dem Briefe an die Philipper. In Apstgsch. 20, 28 — 31 sehen wir, worin die Pflicht dieser Ältesten oder Aufseher bestand; sie sollten wachen über die ganze Herde, sie nähren mit gesunder Lehre, wachsam sein gegen falsche Lehrer und acht haben auf alles. In 1. Petr. 5, 1 — 3 finden wir im Wesentlichen dasselbe.

Die Pflicht der Diakonen ist, wie bei den Ältesten, schon in ihrem Titel ausgesprochen. Das griechische Wort diakonos bedeutet Diener. Die Diakonen bedienten die Versammlung als deren Diener; auch gab es Dienerinnen (wie Phoebe) mit demselben Titel. Den sieben Männern in Apostelgesch. 6, welche für die armen Witwen zu sorgen hatten, war dieser besondere Dienst zu teil geworden.

Das waren also die Ämter in den örtlichen Versammlungen, als noch alles in Ordnung war, so wie die Apostel und besonders Paulus es eingerichtet hatten. Es gab in jeder Versammlung, wo diese Einrichtung bestand, mehrere Älteste. Indes hatten, wie schon weiter oben bemerkt, nicht alle Ältesten Gaben. „Die Ältesten, welche wohl vorstehen, lass doppelter Ehre würdig geachtet .werden, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre“ (1. Tim. 5, 17). Diese Worte beweisen, dass nicht alle Ältesten begabt waren, in dieser Weise tätig zu sein. Mit den Diakonen war es gerade so. Wenn sie eine Gabe besaßen, so sollten sie dieselbe ausüben, wie alle anderen Christen. Aber schon die· treue und sorgfältige Besorgung ihres Amtes brachte ihnen reichen geistlichen Gewinn. „Denn die, welche wohl gedient haben, erwerben sich eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben, der in Christo Jesu ist“ (1. Tim. 3, 19). Wir sehen dies bei Stephanus und Philippus in lieblichster Weise erfüllt. (Apstgsch. 6. 7 und 8).

Auch aus anderen Stellen geht hervor, dass die Gläubigen, ohne ihre eigene Verantwortlichkeit der empfangenen Gnade gemäß zu verlieren, den Arbeitern unterworfen sein sollten. „Ich ermahne euch aber, Brüder: Ihr kennet das Haus des Stephanas, dass es der Erstling von Achaja ist, und dass sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben; dass auch ihr solchen untertan seid und jedem, der mitwirkt und arbeitet“ (1. Kor. 16, 15. 16). Der Christ kann seine persönliche Verantwortlichkeit nie beiseite

schieben. Die Zucht seitens der Versammlung bezweckt die Wiederherstellung eines dieser Verantwortlichkeit entsprechenden Wandels, wenn der Gläubige vergessen hat, so zu wandeln. So sind denn die Brüder, welche durch die Gnade des Herrn zur Arbeit berufen sind, tätig, um den christlichen Wandel unanstößig zu erhalten, die Schwachen zu stärken, die Unwissenden zu unterweisen, alle zu ermahnen und zu ermuntern, sie durch das Wort zu nähren und sie durch diese göttliche Speise fähig zu machen, den Herrn zu verherrlichen und die Lehre unseres Heiland-Gottes zu zieren; - kurz, sie bemühen sich auf allerlei Weise, den Gläubigen eine Hilfe zu sein, damit der gemeinschaftlichen Verantwortlichkeit geziemend entsprochen werde.

Der Christ kann sagen: Alles ist mein, sowohl die Wirksamkeit des Arbeiters Gottes, als auch seine Bemühungen, alles Böse· zu entfernen oder fernzuhalten. „Es sei Paulus, oder Apollos, oder Kephas, es sei Welt, oder Leben, oder Tod, es sei Gegenwärtiges, oder Zukünftiges“ — alles gehört dem Christen, er selbst aber gehört Christo, Christus aber Gott (1. Kor. 3, 22. 23). Der Apostel sagt: „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Christum Jesum als Herrn, uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2. Kor. 4, 5).

Die beiden öffentlichen Amter, von denen wir gesprochen haben, fehlen uns also jetzt, und niemand kann sie nach der Heiligen Schrift auf eine göttliche Weise wiederherstellen, weil niemand dazu die Autorität besitzt oder den Auftrag von Gott dazu empfangen hat. Weil aber Christus Seinem Leibe unfehlbar treu ist und der Heilige Geist immer in der Versammlung wohnt, so lange sie auf Erden ist, bleiben die Gaben, welche zur Erbauung der Versammlung nötig sind, immer da. Die Schwachheit der Versammlung Gottes offenbart sich freilich in dieser wie in jeder anderen Beziehung; aber Christus bleibt immer treu, und Er kann nicht anders als Seine Glieder nähren und pflegen.

Die Lehre der Schrift über die Gaben und deren Ausübung hat man nahezu vergessen, oder man widersetzt sich ihr schnurstracks, indem man das Recht, Menschen zu erbauen, nur solchen zugesteht, welche durch Menschen in ihre Stellungen eingeführt sind — in Stellungen, die der Mensch wiederum zum größten Teil für sich selbst erfunden hat. Selbst wenn man zugibt, dass Gott die Gaben darreiche, erlaubt man doch nicht, dass sie ohne eine Bestätigung seitens des Menschen zur Ausübung kommen. Die Verwirrung, die aus der Vermengung von Gaben und Ämtern, welche die Menschen erfunden haben, herstammt, hat zu dem geführt, was man heutzutage ,,Geistlichkeit« und ,,Gottesdienst« nennt. Ja, man behauptet sogar, dass, wenn man jene (die Geistlichkeit) nicht anerkenne und achte, man jeden Dienst, wie er sich Gott gegenüber geziemt, leugne. Ein solcher wahrhaftiger Dienst kommt aber nur da zum Ausdruck, wo jedes Glied Christi mit der Gabe, welche Christus ihm durch die Kraft des Heiligen Geistes mitgeteilt hat, auch Gott dient, sei es in der Verkündigung des Evangeliums der Welt gegenüber, oder zur Auferbauung der Brüder, d. h. also des ganzen Leibes Christi.

Wenn die Wiederherstellung der von der Schrift anerkannten Ämter in dem gegenwärtigen Zustand der Kirche nicht möglich ist, hat Gott doch für diesen Zustand, so traurig er ist, alles was nötig und gut ist, zuvor verordnet, wie Er auch alles, was nützlich ist, unfehlbar denen darreichen wird, die Ihn darum bitten.

Von der Notwendigkeit der Händeauflegung, um zur Ausübung einer Gabe zu berechtigen oder diese selbst in Ansehen zu setzen, weiß die Schrift nichts. Wenn den Aposteln Paulus und Silas die Hände aufgelegt wurden, so geschah das nur, um diese beiden Männer der Gnade Gottes und dem Segen des Herrn zu befehlen für das Werk, welches sie erfüllen sollten; beide hatten aber schon lange vorher ihre Gaben ausgeübt. Was die Propheten in Antiochien taten, war also nichts anderes als eine Empfehlung jener Knechte an die Gnade des Herrn für ein besonderes Werk. Die zwölf Apostel legten auch den Sieben, welche gewöhnlich Diakonen genannt werden, die Hände auf; und obgleich es nirgendwo gesagt wird, ist es doch wahrscheinlich, dass der Apostel oder seine Abgeordneten den von ihnen erwählten Ältesten gleichfalls die Hände aufgelegt haben. Von der Ausübung der Gaben aber wird überall erzählt, ohne diese Zeremonie zu erwähnen, ja, in einer Weise, dass (wenn das nötig wäre) alle Christen sich die Hände auflegen lassen müssten. Es ist so klar wie das Licht der Sonne, dass alle weissagen konnten zur Belehrung und Tröstung der übrigen, und dass somit wohl auch alle gepredigt haben und viele in fremden Sprachen redeten, so dass die Auflegung der Hände zur Ausübung der Gaben ein Ding der Unmöglichkeit wurde.

Von irgend einer amtlichen Zeremonie zur Bedienung des Abendmahls des Herrn weiß die Schrift auch nichts, und ebenso wenig hat Gott irgendwo erklärt, dass diese Bedienung nur das Vorrecht einzelner ordinierter Männer sei. Nein, die Jünger kamen einfach zusammen, um Brot zu brechen (Apstgsch. 20, 7). Wahrscheinlich wurde von solchen, die in der Versammlung geachtet waren, zunächst unter Gebet das Brot gebrochen, ehe es weitergereicht wurde, weil es offenbar als allgemeiner Grundsatz, geziemend ist, wenn ältere, geachtete Brüder dies tun; aber die Schrift hat nichts darüber angeordnet. Das Segnen bei dem Gottesdienst ist nicht etwa ein Segensprechen über Brot und Wein, sondern bedeutet einfach Danksagung. (Vergl. 1. Kor. 14, 16.) Von dem Herrn Jesu selbst wird gesagt: „Er nahm Brot, und als Er gedankt hatte, brach Er es und sprach: Dies ist u. s. w. (1. Kor. 11, 23. 24).

Fußnote

*) Es ist beachtenswert, dass in den Briesen an die Korintl)er der Ältesten gar keine Erwähnung geschieht, und obgleich so viel Verwirrung und Böses vorhanden war, schlägt der Apostel der Versammlung doch nicht vor, Älteste zu ernennen oder Ämter einzurichten; vielmehr sucht er durch das Wort auf die Gewissen der Gläubiger: zu wirken und sie in Tätigkeit zu setzen, damit auf diesem Wege das Böse hinweggetan werde.

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Teilnahme an dem Evangelium

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 251ff

Der Apostel Paulus konnte für die gläubigen Philipper allezeit das Gebet mit Freuden tun „wegen ihrer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt“ (Kap. 1, 4. 5). Worin gab sich diese Teilnahme kund? Worin erweist sie sich heute? Besteht sie allein darin, dass man gegenwärtig ist, wenn ein Evangelist die frohe Botschaft von Jesu verkündigt? Manche scheinen; heutzutage diese Meinung zu haben. Aber man kann. regelmäßig der Verkündigung des Evangeliums beiwohnen, ohne auch nur in der geringsten Weise an demselben teilzunehmen; während andererseits ein Gläubiger eine herzliche Teilnahme beweisen kann, ohne gerade immer bei der Verkündigung selbst gegenwärtig sein zu können. Es handelt: sich stets darum, ob das Herz an der Sache beteiligt ist, ob, man, getrieben durch die Liebe Christi, ernstlich um: die Errettung verlorener Seelen bekümmert ist. Ist dies der Fall, so wird man mancherlei Wege finden, um seine Teilnahme zu beweisen, sei es durch anhaltende Fürbitte, durch Verbreitung von Evangeliumsschriften, durch Einladung unbekehrter Seelen, durch ein gelegentliches liebevolles Wort an solche, oder sei es durch die äußere Unterstützung des Evangelisten und seines Werkes, durch die Aufnahme der Diener des Herrn in Herz und Haus. Die Liebe ist nie um Mittel und Wege verlegen. Die Philipper hatten den Apostel „im Herzen“ und waren, „sowohl in seinen Banden als auch in der Verantwortung und Bestätigung des Evangeliums, seine Mitteilnehmer der Gnade“; und sie waren dies alles, obwohl sie weit von ihm getrennt waren. Gott gebe, dass Ähnliches auch von uns allen gesagt werden könnte!

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Hab alles dir ergeben

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 252ff

Hab alles Dir ergeben,

mein Heiland Jesus Christ;

führ Du mein Los, mein Leben,

wie es mir am Besten ist.

Ich weiß, dass Deine Hände

nur Gutes mir verleihn;

wie auch mein Teil sich wende,

lehre mich, geduldig sein.

Und magst Du es auch gestalten

so, dass ich weinen muss,

hilf mir nur stillehalten

ob Deines Rats Beschluss!

Was ich so heiß begehre,

vielleicht bleibt es unerreicht;

was ich erstrebe als Ehre –

mein Unglück ist es vielleicht.

Oft erst, nachdem vom Weinen

sich trübte unser Blick,

lässt Du, o Herr, erscheinen

das echte, wahre Glück.

Durch heißer Tränen Schleier

ergänzt dann sonnenklar

ein Glück, viel höher, freier,

als unser Wünschen war.

Und lassen wir drauf müde

das eigene Suchen sein,

so zieht Dein süßer Friede

ins wunde Herz hinein.

K. B.

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 253ff

8.

Gemeinschaft. (Joh. 13.)

Der Vorgang bei dem Abendessen offenbart dem Petrus eine neue Seite des Charakters Christi und Seines Werkes, nämlich Seinen Dienst als Sachwalter im Blick auf die Gemeinschaft. Auf dem heiligen Berge war Petrus schon in die Stätte der Gemeinschaft eingeführt worden und hatte gehört, wie der Vater dem Wohlgefallen, welches Er an dem Sohne hatte, Ausdruck gab; aber er musste noch lernen, was für ihn notwendig war, um diese Gemeinschaft zu genießen und ausrechtzuhalten, oder um wieder in sie zurückgeführt zu werden, wenn er sie verloren hatte. Wir können, wie Petrus in Matth. 17, in gewissem Maße unsere Beziehungen zu Gott genießen, ohne wirkliche Gemeinschaft mit Ihm zu haben. Gemeinschaft haben heißt: einen Gedanken und eine Gesinnung mit dem Vater und dem Sohne haben. Der Herr drückt dies in unserem Kapitel mit den Worten aus: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir“ (V. 8). Haben wir ohne Vorbehalt teil mit Christo, dort wo Er sich jetzt befindet, in dem was Ihm teuer ist, in Seinen Gedanken und Seinen Zuneigungen? Haben wir ein mit Gott übereinstimmendes Urteil über den Menschen, die Welt und die Sünde? dieselben Gedanken bezüglich des Werkes Christi und des Wertes Seines Blutes? Haben wir die nämlichen Zuneigungen, welche der Sohn zu dem Vater und der Vater zu dem Sohne hat? Haben wir einen gemeinsamen Genuss mit Gott hinsichtlich der Vollkommenheit Christi, einen gemeinsamen Gedanken mit dem Sohne hinsichtlich des Vaters, um Ihn zu verherrlichen, Ihm wohlzugefallen, Seinen Willen zu tun, uns Ihm anzuvertrauen und völlig Seine Gegenwart zu genießen?

Ach! wenn es sich um die Verwirklichung dieser Dinge handelt, so werden wir wohl alle gestehen müssen,

dass wir von einer solchen Gemeinschaft gar wenig kennen. Die Augenblicke, in denen wir die göttliche Gemeinschaft wirklich genießen, sind verschwindend gering in unserem christlichen Leben; und doch fehlt uns nichts, um uns derselben stets erfreuen zu können, denn wir haben das ewige Leben, welches uns in diese Gemeinschaft gebracht hat (1. Joh. 1). Aber wenn es nun so ist, dass wir mit dieser Gemeinschaft wenig vertraut sind, so lasst uns deshalb nicht mutlos werden, aber uns andererseits auch nicht mit unserem geringen Maße begnügen! Gott hat für alle unsere Fehler, für alles, was uns mangelt, Vorsorge getroffen in dem priesterliehen Dienste, oder genauer genommen in der Sachwalterschaft Christi.

Dieser Dienst hat zu seiner Grundlage die Liebe, welche einmal (am Kreuze) geoffenbart, aber nicht erschöpft worden ist; denn sie ist und bleibt dieselbe bis ans Ende: „Da Jesus die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende“ (Joh. 13, 1). Es war dem Herrn nicht genug, uns zu erretten; Seine Liebe wollte uns bis ans Ende erretten, wollte uns reinigen von jeder Befleckung auf dem Wege, und zu diesem Zwecke nimmt Er voll und ganz den Platz, eines Dieners ein. Nichts kann diesen Dienst der Liebe zu Gunsten der Seinigen aufhalten oder verhindern. Gerade angesichts des Verrates des Judas umgürtet Er sich, um Seinen Jüngern die Füße zu waschen. Ebenso wenig hindert Ihn das Bewusstsein, „dass der Vater Ihm alles in die Hände gegeben, und dass Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“, an der Ausübung dieses niedrigen Dienstes. Im Gegenteil, Er bedient sich Seiner ganzen Macht, um diese, indem Er sich erniedrigt, in de-n Dienst Seiner Geliebten zu stellen.

Das Priestertum Christi hat mannigfache Verrichtungen. Ohne von dessen Notwendigkeit, um Sühnung zu tun (Hebr. 2, 17), zu reden, sehen wir es in Tätigkeit, um denen zu helfen, die versucht werden (Hebräer 2, 18), und um uns in den Stand zu setzen, dem Thron der Gnade zu nahen (Hebr. 4, 16), sodann um Gemeinschaft haben zu können mit dem Herrn, da wo Er jetzt ist (Joh. 13), und schließlich um diese Gemeinschaft wiederherzustellen, wenn wir sie durch die Sünde verloren haben (1. Joh. 2, 1). In den beiden letztgenannten Verrichtungen des Priesters erblicken wir, wie schon gesagt, den eigentlichen Sachwalterdienst. Dieser Dienst hat in seiner Ausübung zu unseren Gunsten zwei Seiten; die eine ist Gott zugekehrt, die andere uns. Christus ist vor Gott für uns als unser Fürsprecher; und Er kommt uns zu Hilfe, wenn wir gefehlt haben.

In unserem Kapitel (Joh. 13) finden wir die hilfebringende Seite des Dienstes Christi im Blick auf die Gemeinschaft. Wenn dagegen Jesus später zu Petrus sagt: „Ich habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aushöre« (Luk. 22, 32), so ist das die Tätigkeit des Herrn vor Gott zur Wiederherstellung Seines Jüngers. Hier sehen wir den Herrn beschäftigt, uns mit dem Worte, dem Wasser der Reinigung, in Berührung zu bringen, welches Er selbst auf unser Gewissen und unseren Wandel anwendet, um uns ein gegenwärtiges — nicht ein zukünftiges — Teil mit Ihm zu gehen: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir“. Das ist es, was uns in dem Vorbilde der roten Kuh, im 19. Kapitel des fünften Buches Mose, so eingehend und klar gezeigt wird.*)

Doch von diesem Dienst der Liebe Christi, wie er ihm hier vorgestellt wurde, verstand Petrus noch nichts; ebenso wenig vermochte er da einzutreten, wo derselbe ihn einführen wollte. Dafür fehlten ihm zwei Dinge, die sich in den beiden Worten ausgedrückt finden: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach verstehen“ (V. 7); und: „Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; du wirst mir aber später folgen“ (V. 36)- Diese beiden Dinge sind also: Erkenntnis und Kraft.

Petrus hatte wirkliche Liebe zu seinem Herrn, aber diese Liebe konnte ihn nicht vor dem tiefsten Fall bewahren. Es fehlte ihm eben jene unentbehrliche Sache, die Erkenntnis; man sucht sie vergeblich in den hauptsächlichsten Handlungen seines Lebens, die wir bisher betrachtet haben. Wenn er sagt: „Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren«, so war das der Ausdruck seiner Gefühle für den Herrn; aber Petrus war gerade in jenem Augenblick ein Satan, der, weil er das Herz Christi nicht kannte, dem Gedanken Raum zu geben wagte, der Gott der Liebe könne darein willigen, selbstsüchtig zu sein.

— Wenn er weiterhin auf dem Berge sagt: „Lass uns drei Hütten machen, dir eine und Moses eine und Elias eine“, so war auch das Zuneigung für Jesum; aber die Erkenntnis der Herrlichkeit dieser Person fehlte gänzlich, obgleich die Augen des Jüngers die Offenbarung derselben sahen. Petrus stellte die göttliche Gnade auf dieselbe Höhe wie „das Gesetz“ welches durch Moses gegeben wurde“, um zu verdammen, und wie die Prophezeiung, die das Gericht ankündigte. — Auch in dem Vorgang mit der Doppeldrachme zeigt das „Ja“ des Petrus auf die Frage: „Zahlt euer Lehrer nicht?“ einerseits wohl Zuneigung für seinen Lehrer, den er vor seinen Landsleuten zu ehren gedachte, andererseits aber auch den Mangel jeglicher Kenntnis von der Würde Dessen, der Gott, Schöpfer, Herr des Tempels, Sohn des höchsten Gottes war. In einem Sinne geht die Erkenntnis den Zuneigungen voran, denn im Grunde ist sie nichts anderes als das durch den Heiligen Geist bewirkte Verständnis von dem Werke, der Liebe und der Person Christi; in einem anderen Sinne folgt sie ihnen nach, denn die Zuneigungen für Christum sind das beste Mittel, um Ihn genauer kennen zu lernen. In unserem Kapitel offenbaren die Worte Petri: „Du sollst nimmermehr meine Füße waschen“, aufs neue seine Zuneigung, verbunden mit einem Gefühl von der Würde-Christi; aber sie zeigen auch, dass er den Dienst des Heilandes nicht verstand, noch die Liebe kannte, welche ihre Befriedigung gerade darin fand, sich diesem Dienst zu widmen. Als der Herr ihm dann

sagt: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir“, will er nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt gewaschen haben. Sicher gab sich auch darin wieder Zuneigung für Christum kund, denn teil mit Jesu zu haben, hielt Petrus für das Köstlichste und Begehrenswerteste; aber diese Zuneigung war verbunden mit einer völligen Unwissenheit bezüglich des Werkes, welches die Reinigung schon ein für allemal vollbracht hatte. *)

In dieser Erkenntnis des Werkes und der Liebe Christi liegt auch das Geheimnis aller unserer Beziehungen zu unseren Brüdern. Wie der Herr sie geliebt hatte, sollten die Jünger einander .lieben (V. 34); wie Er ihre Füße gewaschen halte, sollten auch sie einander die Füße waschen (V. 14). Lasst uns hier beiläufig bemerken, dass dann, wenn wir selbst des Sachwalterdienstes bedürfen, um wiederhergestellt zu werden, nicht der geeignete Augenblick da ist für die Ausübung dieses Dienstes an unseren Brüdern. Um das Wasser der Reinigung auf den, der durch Anrührung eines Toten verunreinigt war, zu sprengen, bedurfte es eines reinen Mannes, der nicht selbst verunreinigt war (4. Mose 19). Wenn wir es in unserem Wandel an Wachsamkeit fehlen lassen, so verlieren wir zugleich mit der Gemeinschaft das große Vorrecht, den wiederherstellenden Dienst der Liebe Anderen gegenüber ausüben zu können. Wie oben bereits gesagt, war das Zweite, das Petrus fehlte, die Kraft. Menschlich betrachtet wurde er durch eine Energie gekennzeichnet, welche ihn den Schwierigkeiten trotzen ließ, die ihn aber, eben weil es die Energie des Fleisches war, im Stiche ließ, wenn es galt, die Schwierigkeiten zu überwinden. „Ich will dir folgen“; „mein Leben will ich für dich lassen“; „ich werde dich nicht verlassen“, das war seine gewöhnliche Sprache. Es war immer Liebe, die sich so kundgab, aber ohne göttliche Kraft; und diese Liebe verhinderte den Jünger nicht, seinen Meister zu verleugnen. Die Kraft, welche ihm fehlte, ist die Kraft des Geistes, d. h. gerade das Gegenteil von der Kraft des Fleisches, eine Kraft, die sich nur in dem Maße entfaltet, wie das Fleisch gerichtet ist. Damit sie sich völlig offenbare, muss der Mensch das Bewusstsein seiner gänzlichen Ohnmacht haben.

Ehe Christus gestorben und auferstanden war, Und ehe der Heilige Geist aus dem Himmel herniederkam, konnte Petrus diese Erkenntnis und diese Kraft auch nicht so besitzen, wie es später der Fall war; aber die Erfahrungen, welche er machen musste, als diese beiden Dinge noch nicht sein eigen waren, sind ihm zum Nutzen und Segen geworden, und sie sind heute noch nützlich für Andere. In der Apostelgeschichte zeigt sich in der Laufbahn und dem Verhalten des Petrus alles verändert: Erkenntnis Christi, Kraft, Selbstverleugnung und gesegnete Einwirkung auf Andere begegnen uns da auf jedem Schritt. Das Alte ist

vergangen; es ist die neue Laufbahn eines neuen Menschen.

Fußnoten:

*) Vergleiche die Betrachtung auf Seite 113 ff.

**)Ich sage „vollbracht hatte“, weil von diesem 13. Kapitel an bis zum Ende des 17·Kapitels der Herr sich uns darstellt, als ob Er bereits jenseits des Kreuzes stehe, indem Seine Stunde gekommen war, dass Er aus dieser Welt zu dem Vaterhingehen sollte.

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Einige Gedanken über das Gebet

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 259ff

Es ist wohl nicht nötig, etwas über die große Wichtigkeit des Gebets zu sagen; denn wie oft das Gebet auch vernachlässigt werden mag, wird es doch wenige Gläubige geben, die nicht zugeben, dass es ein notwendiger Ausdruck des christlichen Lebens ist. Was wir wünschen ist, einige Gedanken über die Natur, sowie über die Eigenschaften und Gegenstände des Gebets auszusprechen; und möchte Gott in Seiner Gnade die kurze Betrachtung dazu dienen lassen, dass die Herzen Seiner Kinder wieder mehr angetrieben werden zu einem treuen, anhaltenden Gebet!

Drei Dinge sind es zunächst, die im Gebet zum Ausdruck kommen: Abhängigkeit, Vertrauen und Erwartung. Das Gebet ist notwendigerweise der Ausdruck der Abhängigkeit; denn gerade die Tatsache unseres Betens beweist, dass wir von Dem abhängig sind, zu welchem wir beten. Als der Herr einst zu Ananias im Blick auf Saulus sagte: „Siehe, er betet“, gab Er damit zu verstehen, dass Saulus jetzt seinen wahren Platz, der Abhängigkeit erkannt habe, verbunden mit dem Bewusstsein seiner Schuld, dass Er die Nachfolger des verachteten Jesus von Nazareth so bitter verfolgt hatte. Das Gefühl der Abhängigkeit erzeugt Bedürfnisse und richtet unsere Augen nach oben zu Dem hin, der ihnen allein begegnen kann. Wir finden dies in der Sprache des Psalmisten ausgedrückt: „Nur auf Gott vertraue still meine Seele! denn von Ihm kommt meine Erwartung“ (Ps. 62, 5). Indessen könnte wahre Abhängigkeit in einer Seele vorhanden sein, ohne Vertrauen; in diesem Falle wäre das Gebet kein wirkliches. Ein natürlicher Mensch könnte z. B. überzeugt sein, dass er hinsichtlich seines Bestehens von einer höheren Macht abhängig ist; da er aber mit seiner fleischlichen Gesinnung in Feindschaft gegen Gott ist, so kann er sich Ihm nicht im Gebet nahen. Der Gläubige jedoch ist sich nicht nur seiner Abhängigkeit von Gott bewusst, sondern hat auch Vertrauen zu Gott. Er hat schon etwas von Seiner Gnade und Seinem Herzen kennen gelernt, so dass er sich im Gefühl seiner Not mit kindlichem Vertrauen ganz auf Ihn werfen kann, mit dem Bewusstsein, dass Gott sein Gebet erhören wird. Dann, in Verbindung hiermit, gibt sich in einem wirklichen Gebet Erwartung kund, ein Harren im Glauben auf Antwort. Ohne Zweifel wird das Herz schon dadurch erleichtert, dass es seine Bedürfnisse vor Gott ausspricht; doch wird der, welcher im Geiste betet, auch in seinen Gebeten auf die erwartete Antwort harrend erfunden werden. Wie der Psalmist wiederum sagt: „Beharrlich habe ich auf Jehova geharrt, und Er hat sich zu mir geneigt und mein Schreien gehört«; oder an einer anderen Stelle: „Ich warte auf Jehova, meine Seele wartet; und auf Sein Wort harre ich. Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen, die Wächter auf den Morgen“. So werden wir auch im Neuen Testament ermahnt, „im Gebet zu beharren und in demselben zu wachen mit Danksagung“; oder: „Betet unablässig! (Kol. 4, 2; 1. Thess. 5, 17).

Die Bedingungen, welche zu einem Gott wohlgefälligen Gebet gehören, finden wir an verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift. Judas spricht in seinem Briefe von einem Beten „im Heiligen Geiste“, und man könnte das vielleicht die Grundbedingung alles Betens nennen; denn wenn wir auch in den Schriften von Gebeten lesen, die von natürlichen Menschen zu Gott emporgesandt und von Ihm in Seiner großen Gnade und Barmherzigkeit auch beantwortet wurden, so bleibt es doch wahr, dass kein Mensch wirklich beten kann, es sei denn in und durch den Geist Gottes. Er ist es, der in uns das Gefühl des Bedürfnisses hervorrufen muss, und Er ist es auch allein, der uns in die Gegenwart Gottes führen und uns in Betreff unserer Bitten richtig leiten kann. So sagt denn auch der Apostel, wenn er von unserer Beziehung zu der seufzenden Schöpfung spricht: „Desgleichen aber nimmt auch der Geist sich unserer Schwachheit an; denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich’s gebührt, aber der Geist selbst bittet in unaussprechlichen Seufzern“ (Röm. 8, 26). So sind wir denn für unser Beten ebensosehr von der Kraft des Geistes abhängig, wie für unseren Wandel. Dem Vergessen dieser Wahrheit ist es zuzuschreiben, dass die Christenheit, sowohl bei ihren häuslichen Andachten als auch in ihren öffentlichen Versammlungen ihre Zuflucht zu Gebetbüchern genommen hat; sie verbirgt dadurch zu gleicher Zeit ihr Bedürfnis und ihre Armut.

Unser Herr und Heiland hat uns gleichfalls eine unerlässliche Bedingung für das Gebet angegeben, deren

Erfüllung uns allezeit die Antwort auf unsere Bitten zusichert. Er sagt: „Was irgend ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde in dem Sohne. Wenn ihr etwas

bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun“. (Joh. 14, 13. 14). Es ist daher von der höchsten Wichtigkeit, uns den Sinn der Worte „in meinem Namen“ klar zu machen. Es kann unmöglich das einfache Hersagen jener Worte damit gemeint sein, oder dass wir unsere Gebete mit den Worten schließen: „Wir bitten dies durch unseren Herrn Jesum Christum“. Das würde die Beantwortung des Gebets an eine bloße Formel knüpfen.

Das kann nicht sein; bei näherer Betrachtung werden wir auch sehen, dass viel mehr darin eingeschlossen ist. Selbst bei menschlichen Verhandlungen kann der Name eines Anderen nicht ohne dessen Einwilligung und Erlaubnis gebraucht werden. Wenn wir irgend etwas von einer dritten Person in eines Anderen Namen erbitten, vielleicht weil dieser Name unserer Bitte besonderen Nachdruck verleiht, so kann dies nur mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis geschehen; und die Erteilung dieser Erlaubnis muss nachgewiesen werden können, wenn es verlangt wird. In ähnlicher Weise können wir auch den Namen Christi nicht ohne Seine Vollmacht in unseren Gebeten gebrauchen, und diese Vollmacht muss in Seinem eigenen Worte gefunden werden. Wenn wir aber diese Vollmacht haben, (und wir haben sie für jede Bitte, die durch den Heiligen Geist in uns wachgerufen wird, für jedes Gebet, welches der Ausdruck Seines Sinnes ist,) so erscheinen wir vor Gott gleichsam mit der Autorität Christi selbst, in dem ganzen Werte und all der Kostbarkeit, welche Seine Person für Gott hat. Gebete, die auf diese Art dargebracht werden, steigen daher mit derselben Kraft zu Gott empor, als wenn Christus selbst sie dargebracht hätte. Dies geht aus dem Versprechen hervor, welches Er der Bedingung beifügt: „Ich will es tun“. Ja, Er will es auch aus dem Grunde tun, damit der Vater verherrlicht werde in dem Sohne. Wie gesegnet ist es, wenn wir in solcher Weise beten! Und welch eine Ermunterung haben wir, so zu beten! Ja, wir können noch hinzufügen: welch eine Grundlage für den Glauben, um alle seine Hoffnungen und Erwartungen darauf zu stützen!

Im 15. Kapitel des Evangeliums Johannes hat der Herr uns eine weitere Bedingung gegeben; sie lautet: „Wenn ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (V. 7). Man hat zuweilen gesagt, dass dies eine niedrigere Art von Gebet sei; aber eine solche Aussage kann nur auf einem Missverständnis der Worte unseres Herrn beruhen. Es heißt hier allerdings: „bitten was ihr wollt“; aber diesem geht eine doppelte Bedingung voran. Die erste ist: „wenn ihr in mir bleibet“. Nun, in Christo bleiben heißt: in unseren Seelen unsere Abhängigkeit von Ihm im Blick auf Leben, Kraft und alles beständig bewahren; eine Abhängigkeit, die so vollständig ist wie die der Rede vom Weinstock. ,,Außer mir, sagt der Herr, „könnt ihr nichts tun“; ebenso wenig wie die Rebe, wenn sie vom Weinstock getrennt ist, Frucht bringen kann. Die Rebe empfängt ihre Kraft allein aus dem Weinstock. Gerade so ist es mit uns. Mag es sich um Äußerungen des geistlichen Lebens Gott gegenüber, oder um unseren Dienst im Zeugnis, oder um irgendwelche Frucht zur Verherrlichung des Herrn handeln — alles hat seine Quelle in Ihm, und kann nur durch uns ausströmen, so lange die Verbindung durch unser Bleiben in Ihm erhalten bleibt, so lange wir verwirklichen, dass wir von Ihm abhängig sind und in diesem Sinne in Ihm leben, weben und sind. Dann fügt der Herr hinzu: „und wenn meine Worte in euch bleiben“. Diese beiden Dinge müssen zusammengehen: dass wir in Ihm und Seine Worte in uns bleiben. Das Erste offenbart uns das Geheimnis der Kraft, das Zweite teilt uns die Erkenntnis Seines Sinnes, Seiner Gedanken mit. Denn wenn Seine Worte in uns bleiben, in uns wohnen, so werden sie in uns zur Quelle Seiner Gedanken; ja, sie bilden oder gestalten Seinen Sinn in uns, und infolge dessen sind unsere Wünsche Seinem Sinne gemäß. Dies zeigt uns, dass unsere Gebete, wenn sie anders Kraft vor Gott haben sollen, aus Gottes eigenen Gedanken hervorfließen müssen, so wie die Heilige Schrift uns diese offenbart.

Vielleicht kann ein Abschnitt aus dem Leben Davids uns als Beispiel dienen. Als der Herr den Propheten Nathan zu David schickte, um ihm zu sagen, dass nicht er, sondern sein Sohn Salomo Ihm ein Haus bauen solle, und ihm zugleich Verheißungen gab in Betreff seines Hauses, seines Thrones und seines Königtums, „da ging David hinein und setzte sich nieder vor Jehova« mit einem Herzen, das von Danksagung, Lob und Gebet überfloss. Unter anderem sprach er die bemerkenswerten Worte aus: „Du, Jehova der Heerscharen, Gott Israels, hast dem Ohre deines Knechtes eröffnet und gesagt: Ich werde dir

ein Haus bauen; darum hat dein Knecht sich ein Herz gefasst, dieses Gebet zu dir zu beten“ (2. Sam. 7, 27). Das will sagen: das Gebet Davids bezüglich seines Hauses war gegründet auf und gebildet durch die gnädigen Mitteilungen, welche Jehova ihm gemacht hatte. Gleicherweise sind auch unsere wahrsten Gebete diejenigen, welche aus dem Worte Gottes sich herleiten, aus den Worten Christi, die in unseren Herzen wohnen; denn wir beten dann nicht nur in Gemeinschaft, sondern auch in Übereinstimmung mit dem göttlichen Sinne, und beten somit notwendigerweise auch im Heiligen Geiste.

Im Evangelium des Matthäus wird wieder unter einem anderen Gesichtspunkt vom Gebet geredet. Wir lesen dort: „Alles was irgend ihr im Gebet glaubend begehret, werdet ihr empfangen“ (Matth. 21, 22; vergl.

auch Mark. 9, 24.) Auch Jakobus spricht von der Not-wendigkeit des Glaubens beim Beten, und fügt noch hinzu, dass ein Zweifelnder nicht erwarten dürfe, etwas vom Herrn zu empfangen. Nun, der Glaube kann nur aus dem Vertrauen zu Gott hinsichtlich der erbetenen Sache entspringen, und dieses Vertrauen zu Gott wird seinerseits nur eine Folge der Überzeugung sein können, dass das, was wir erbeten haben, dem Willen Gottes gemäß ist. Wir können ferner noch hinzufügen, dass nur der Heilige Geist uns die Gewissheit geben kann, dass wir Gottes Sinn haben, und zwar gibt Er sie, allgemein gesprochen, durch das Wort. Wenn wir diese Gewissheit einmal haben, so harren wir mit bestimmter Erwartung der Antwort entgegen, wie Johannes sagt: »Und dies ist die Zuversicht, die wir zu Ihm haben, dass, wenn wir etwas nach Seinem Willen bitten, Er uns hört. Und wenn wir wissen, dass Er uns hört, um was irgend wir bitten, so wissen wir, dass wir die Bitten haben, die wir von Ihm erbeten haben“ (1, Joh. 5, 14. 15.) Diese Stelle ist von besonderer Wichtigkeit, da sie uns zeigt, dass der Glaube seine sichere Grundlage in der Erkenntnis des Willens Gottes findet; und dieser Wille ist uns in den Schriften geoffenbart.

Der Apostel Johannes warnt uns auch vor einem allgemeinen Hindernis im Gebet. Er sagt: „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir bitten empfangen wir von Ihm, weil wir Seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun. (1. Joh. 3, 21. 22.) Selbstgericht und Bekenntnis, wenn sich Mängel oder Sünden gezeigt haben, sind also für ein wirksames Gebet durchaus erforderlich. So sagt auch der Psalmist: „Wenn ich es in meinem Herzen auf Frevel abgesehen hätte, so würde der Herr nicht gehört haben“ (Psalm 66, 18.) Dies verbindet sich von selbst wieder mit dem Ausspruch des Jakobus: „Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel“. Der Gerechte ist an dieser Stelle wohl nicht nur ein solcher, der seiner Stellung nach gerecht ist, sondern auch

in seinem praktischen Wandel, der, wie Johannes sagt, „Gottes Gebote hält“. Denn ein Wandel im Gehorsam ist nicht nur ein Einhalten des Pfades der Heiligkeit, sondern wird auch mittelst des Heiligen Geistes zur Quelle der Einsicht in Gottes Sinn und Gedanken, und somit zur Quelle des Vertrauens im Gebet. Gerade das Beispiel des Elias, welches Jakobus anführt, ist eine Erläuterung hierfür. In der Geschichte erklärt Elias durch des Herrn Wort, dass „in diesen Jahren« kein Regen auf die Erde fallen solle, und nach Verlauf dieser Jahre, dass Gott wieder Regen geben werde. Und in dem Briefe des Jakobus lesen wir, dass beide Prophezeiungen, die eine wie die andere, Antworten auf seine Gebete waren.

Die Gegenstände des Gebetes möchten wir nur ganz kurz erwähnen. In Phil. 4 lesen wir, dass wir alles, was uns auf dem Herzen liegt, vor Gott bringen können: »Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden“. Es wird nicht gesagt, dass Gott alle diese Anliegen so ordnen werde, wie wir es wünschen oder für gut halten; das wäre ein Unglück für uns. Nein, in Seiner Liebe und Gnade will Er, dass wir unsere Herzen vor Ihm ausschütten, alles was uns drückt Ihm anvertrauen, und dann verheißt Er uns, dass „Sein Friede unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu bewahren werde.“ Ja, Er will, wie Petrus uns ermahnt, dass wir alle unsere Sorgen auf Ihn werfen, in dem Bewusstsein, dass Er für uns sorgt. Diese Anliegen stehen mit unseren persönlichen Bedürfnissen in Verbindung, doch außer diesen (und es ist unser Vorrecht, uns über uns selbst zu erheben) können wir Gemeinschaft haben mit dem Herzen Gottes hinsichtlich Seiner Gedanken, Ziele und Absichten, hinsichtlich Seiner Wünsche für die Heiligen, sowie der Tätigkeit Seiner Gnade gegenüber der Welt. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Propheten Jesaja: „Um Zions willen“, sagt der Prophet, „will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht stille sein, bis ihre Gerechtigkeit hervorbreche wie Lichtglanz und ihr Heil wie eine lodernde Fackel“; und einige Verse weiter lesen wir: „Auf deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt; den ganzen Tag und die ganze Nacht werden sie keinen Augenblick schweigen. Ihr, die ihr Jehova erinnert, gönnet euch keine Ruhe und lasst Ihm keine Ruhe, bis Er Jerusalem befestigt und bis Er es zum Ruhme macht auf Erden!“ (Kapitel 62, 1. 6. 7). So möchte Gott, obwohl Er beabsichtigt, Zion zu segnen, auf der Erde solche haben, die Ihn erinnern, die für die Erfüllung dessen, was Ihm am Herzen liegt, zu Ihm flehen. Um daher mit Verständnis beten zu können, muss man mit Seinem Worte vertraut sein. In den Briefen des Apostels Paulus finden wir in besonderer Weise das, was Gott für die Heiligen wünscht, sei es in den göttlich eingegebenen Gebeten des Apostels, sei es in den Ermahnungen, welche er den Gläubigen zu ihrer Leitung gibt. Außerdem bittet der Apostel oft um die Gebete der Heiligen für seinen Dienst, und in dem ersten Briefe an Timotheus (Kap. 2) nennt er noch besondere Gegenstände, für welche Flehen, Gebete, Fürbitten und Danksagungen getan werden sollen.

Das Gesagte wird genügen, um dem Leser zu zeigen, dass er aus dem Worte Gottes lernen muss, welches die geeigneten Gegenstände für seine Gebete sind; und dass er sich, wenn er einmal durch die Kraft und Wirksamkeit des Heiligen Geistes auf dieses gesegnete Feld des Dienstes geführt worden ist, unaufhörlich, in Gemeinschaft mit den Gedanken und dem Herzen Gottes, in ringendem Gebet beschäftigen kann (S. Kol. 4, 12). O möchte der Herr viele in unserer Mitte erwecken, die in dem Geiste eines Epaphras zum Wohle Anderer tätig sind!

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Das Haus Gottes und der Weg dahin

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 269ff

Wir machen oft die Erfahrung, dass die wahre Bedeutung gewisser Dinge, an die wir durch den beständiger: Gebrauch gewöhnt sind, uns gar nicht mehr so recht zum Bewusstsein kommt. So kann z. B. ein gutes oder auch ein schlechtes Wort, welches einen Anderen vielleicht tief berühren würde, auf uns gar keinen besonderen Eindruck mehr machen, weil die Gewohnheit unser Empfinden abgestumpft hat. Diese Tatsache bestätigt sich sogar im Blick auf die Wahrheiten der Schrift nur zu oft. Um nur eins zu nennen: Welch eine Wirkung würde ein Schriftwort wie das in Joh. 3, 16: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab“, auf uns ausüben, wenn wir es zum ersten Male hörten und dabei seine kostbare Bedeutung völlig erfassten! Dasselbe ist der Fall mit dem vor uns liegenden Psalm. Er beginnt mit den Worten: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jehova der Heerscharen!“ Würde nicht der Gedanke, in den Vorhöfen Jehovas sein, in Gottes eigenem Hause wohnen zu dürfen, uns im höchsten Maße erfreuen und überraschen, wenn wir ihn zum ersten Male vernähmen und seine Bedeutung verständen? Ja, welch eine Wirkung würde eine derartige Wahrheit, dass Gott uns bei sich selbst wohnen lassen will in Seinem eigenen Hause, auf uns ausüben, wenn wir sie im Glauben erfassten!

Gott wohnt jetzt bei uns, wie wir wissen; aber wir wohnen noch nicht in Seinem Hause. Gott wohnte nie bei Adam, noch Adam bei Gott. Er bereitete einen passenden Wohnplatz für den Menschen und setzte Adam darein. Er kam herab, um ihn zu besuchen, aber Er wohnte nicht bei ihm. Dies erhellt daraus, dass Gott, als Er zum ersten Male (soweit wir lesen) auf die Erde herabkam, rief: „Adam, wo bist du?“ Das Paradies auf Erden war nicht Gottes Wohnplatz. Wir lesen in der Offenbarung, dass die Hütte Gottes bei den Menschen sein wird, und dass das Lamm deren Licht und Tempel ist.

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jehova der Heerscharen! Es sehnt sich, ja, es schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen Jehovas.“ Das Herz, welches Gott gefunden hat, sehnt sich danach, bei Ihm zu wohnen. Dieses Verlangen bewog die Jünger auf dem Berge der Verklärung, den Wunsch auszusprechen, drei Hütten zu bauen. Es entsprach dies selbstverständlich ihrer jüdischen Stellung, aber es zeigt doch, dass sie den Gedanken, der Herr könnte von ihnen weggehen, nicht ertragen konnten. Sie wünschten, dass Er bei ihnen bliebe; sie wollten Ihn hier auf Erden bei sich behalten. Er konnte ihren Wunsch nicht erfüllen, aber Er hinterließ ihnen, und damit auch uns, herrliche Worte des Trostes: „Euer Herz werde nicht bestürzt.. · . In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen (viele Zimmer) . . . . Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.· . . . Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet.“ Diese neue, bisher unbekannte Tatsache, dass der Mensch bei Gott in Seinem

eigenen Hause wohnen soll, wird uns in diesen Stellen in höchst gesegneter Weise mitgeteilt. Der Herr Jesus konnte nicht bei Seinen geliebten Jüngern hienieden bleiben, weil die Erde verunreinigt ist; aber Er will die Seinigen bei sich haben, da wo Heiligkeit wohnt und alles passend gemacht ist, um den Forderungen und Ansprüchen der Heiligkeit gerecht zu werden. Sein Volk soll bei Ihm wohnen: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch· bei mir seien, wo ich bin“. In 2. Mose 15, 13 lesen wir: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöset, hast es geführt durch deine Stärke zu deiner heiligen Wohnung“. Es ist der Erlösten Gesang von des Herrn Stärke und Macht“ Und im 17. Verse finden wir die klare, bestimmte Verheißung einer Wohnstätte bei Gott, welche von Ihm selbst bereitet ist. Das ist es, was Gott für Sein Volk tun will: Er will ihm nicht nur einen Ruheort in der Wüste erkunden; nein, Seine Absicht ist, Sein Volk in Sein Heiligtum zu bringen, an die Stätte, welche Seine Hände bereitet haben. — Was? Der Mensch soll bei Gott wohnen? Wunderbare Tatsache! Der bloße Gedanke daran muss unsere Herzen mit der tiefsten Freude erfüllen.

Das Herz, das sich nach Gott sehnt, findet Ruhe in dem Altar Gottes. „Deine Altäre, Jehova der Heerscharen, mein König und mein Gott!“ so ruft der Psalmist aus. „Mein Herz . . ruft laut nach dem lebendigen Gott. Selbst der Sperling hat ein Haus gefunden, und die Schwalbe ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hingelegt.“ Wie schön zeigt uns dieser eingeschobene Satz, mit welch zarter Sorge sich Gott um alle Seine Geschöpfe bekümmert! Er lässt selbst den wertlosesten aller Vögel ein Haus finden, und den unruhigsten ein Nest. Welches Vertrauen sollte uns das geben! Wie sollten wir ruhen! Ja, welch selige Ruhe genießt eine Seele, die sich der immer wachen, zarten Fürsorge Dessen überlässt, der in so reichem Maße für die Bedürfnisse Seiner Geschöpfe sorgt! Wir wissen, was der Ausdruck „Nest“ alles in sich einschließt, gerade so wie das Wort: „ein Haus“. Ist es nicht der Ort völliger Sicherheit, ein Obdach bei Sturm und Wetter, ein Bergungsort vor dem Bösen, ein Schutz gegen alles, was Schaden bringen könnte, ein Platz, um auszuruhen, sich glücklich und geborgen zu fühlen? Der Ausdruck ist in der Schrift gerade so bekannt wie das Wort „Haus“. Der verlorene Sohn kannte wohl die Bequemlichkeit und den Überfluss des Vaterhauses, ehe er sich dahin zurückwandte; aber nur dem Vater waren die Ansprüche des Hauses bekannt, und er musste den Sohn erst mit einer Kleidung versehen, welche diesen Ansprüchen genügte. Eher konnte er nicht eingelassen werden.

„Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! Stets werden sie dich loben.“ Das ist die gesegnete neue Sache: die Menschen sollen in Gottes eigenem Hause wohnen; sie sollen nicht nur als Besucher dort sein, sondern als Bewohner. Ein Besucher kennt nicht alles was zum Hause gehört; aber einem Bewohner kann nichts verborgen und vorenthalten bleiben: er ist zu Hause und muss alle Vorrechte und Segnungen des Hauses kennen. Sicherlich kann es nur vollkommene Segnungen geben in dem Hause, in welchem Christus alles bereitet hat, wo Gott zu Hause ist und alles nach Seiner Weisheit, Macht und Herrlichkeit eingerichtet hat, und wo das Lamm Licht und Tempel ist. Nur müssen die, welche da wohnen, auch die moralischen Eigenschaften des Hauses besitzen; ihr Geschmack, ihr Fühlen und Empfinden, ihre Natur, alles muss der Würde des Hauses entsprechen.

In den vergangenen Zeiten stieg Gott nach einer jüdischen Ordnung in den Tempel hernieder; aber selbst

von dieser Herrlichkeit war das Volk ausgeschlossen. Das gerade Gegenteil von einem Wohnen bei Gott zeigte sich. Israel war allerdings ein auserwähltes, hochbegünstigtes Volk, durch Gottes Gnade von den übrigen Nationen abgesondert; aber es kannte nicht die stets wachsenden Segnungen des Hauses.

Es gibt noch eine andere bedeutsame Sache, und das ist der Weg zu diesem Hause, die Straße zu dem Ort, wo Gott und Sein Volk wohnen sollen. Er hat bei ihnen gewohnt, aber Er will sie in Seinem Hause haben, und Sein Herz hat den Weg dahin gebahnt. Als wir Sünder waren, nichts als Sünder, und nichts anderes tun konnten als sündigen, da hat Er die Sünde hinweggetan. „Christus hat für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“ Er hat uns eine neue Natur gegeben, welche die Fähigkeiten besitzt, das Wohnen bei Ihm in Seinem eigenen Hause genießen zu können.

Gott hat einst bei dem Menschen gewohnt; der Gott-Mensch Jesus Christus hat Sein Zelt hienieden ausgeschlagen, und Seine Herrlichkeit wurde in Gnade und Wahrheit entfaltet.

In 2. Mose 29 werden wir mit einer weiteren Wahrheit über die Wohnung und den Altar bekannt gemacht;

aber der große Gedanke, der durch das Ganze hindurchgeht, ist nicht nur der, dass Gott bei Seinem Volke wohnen, sondern dass Er die Seinigen bei sich haben will, in Seiner Wohnung.

In dem Buche des Propheten Hesekiel sehen wir die Herrlichkeit, die auf dem Tempel geruht hatte, sich allmählich, zögernd, aber doch wirklich, entfernen. Aber das war auch nicht die Fülle Seines Wohnens in dem Christen, noch Seine Gegenwart in der Kirche, welche der Leib Christi ist. In Bezug darauf lesen wir in Eph. 2, 22: „Ihr werdet mitausgebaut zu einer Behausung Gottes im Geiste“.

Wie sehr beschäftigt Gott diese neue Sache, der Gedanke an Sein eigenes Haus! Sein Wort verkündet sie; die Propheten reden davon; die Gnade setzt uns in ihren Besitz; der Glaube macht uns fähig, uns ihrer zu erfreuen, und der Herr Jesus ist der Weg dahin. Im 1. Briefe des Johannes wird uns diese Wahrheit sehr klar und ausführlich vor Augen gestellt (Vergl. Kap. 3 u. 4).

Wie kommt es, dass wir uns so viel mehr zu einem Christen hingezogen fühlen, den wir erst seit einer halben Stunde kennen, als zu einem bloßen Bekannten, mit dem wir vielleicht unser ganzes Leben verkehrt haben? Wird dadurch nicht offenbar die Wahrheit verwirklicht, dass Gott da ist? Gott wohnt in uns, und wir in Ihm. Es ist das mehr als der Besitz einer neuen Natur, denn in 1. Joh. 3, 24 lesen wir: „Hieran erkennen wir, dass Er in uns bleibt, durch den Geist, den Er uns gegeben hat“. Und im nächsten Kapitel finden wir das wunderbare Wort: Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott. Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat“. O welch eine Freude gibt diese Erkenntnis dem Herzen! Welchen Trost genießt die Seele in solch unmittelbarer Nähe Gottes! In welche Seligkeit versetzt uns der Gedanke an dieses Haus, wohin uns Gott bringen will, wo wir Ihn aufs völligste verstehen und Ihn ohne irgend welches Hindernis lieben werden!

Wie vollkommen, wie vollendet ist Gottes Werk! Er gab Jesum, um für uns zu sterben; und Er sandte den

Heiligen Geist hernieder, um uns zu belehren, um unsere Herzen zu versichern, dass der Herr Jesus Christus alles für uns getan hat. Er hat uns für dieses Haus geschickt gemacht, und in Ihm haben wir alles, was wir bedürfen. Er gibt uns die für die Bewohner dieses Hauses nötigen Eigenschaften, die neue Natur, welche die Herrlichkeit des Hauses genießen kann. „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! stets werden sie dich loben.“ Nichts als Lob geziemt denen, die im Hause Gottes wohnen sollen; das wird ihre nie endende, ununterbrochene Beschäftigung ausmachen: ein beständiges Lob!

„Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind!“ Wenn ich durch

Glauben im Hause Gottes wohne, so genieße ich völlige Ruhe. Ich werde stets unbesorgt sein, indem ich auf Seine Stärke rechne, mögen auch Schwierigkeiten aller Art mich umringen. Gemeinschaft mit Gott verleiht immer Vertrauen auf Seine Macht. Das ist der Schlüssel zu dem Psalm, den wir betrachten. Wenn mein Herz die Liebe kennen gelernt hat, welche Gott zu mir hat, und was Seine Gnadenabsichten im Blick auf mich sind, so kann ich Ihm das Vertrauen schenken, dass Er meinen Weg ordnen wird. Gottes Liebe hat sich in Seinem Sohne entfaltet, in Seiner Dahingabe geoffenbart; und der Sohn wird die

für den Weg nötige Gnade und Kraft darreichen. Er sagt: „Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen verloren“ (Joh. 18, 9). Gott hat für alles, was wir nötig hatten, völlig gesorgt. Er hat uns lebendig gemacht, gereinigt, versiegelt. Wenn Paulus sagen musste: „Nicht dass ich es schon ergriffen habe, oder schon vollendet sei“, so wusste er, dass es sich um den Weg nach oben, um den Weg zum Vaterhause, zur Heimat droben handelte. Wenn mein Herz auf diesen herrlichen Wohnplatz gerichtet ist, so werde ich nicht so viel damit beschäftigt sein, ob der Weg dahin leicht und bequem ist, als vielmehr mit dem Bewusstsein, dass ich auf dem Wege bin, dass es der Weg zur Heimat ist. Die Herrlichkeit des Erbes wird

eine ungleich höhere Wichtigkeit für mich haben, als der Charakter der Dinge, die den Pfad dorthin umgeben.

Alles mag gegen mich sein, alles sich scheinbar vereinigt haben, um meinen Lauf zu hindern. Sollte ich nun suchen, es mir bequem zu machen, sollte ich wünschen, mich in einer Welt niederzulassen, die bemüht ist, mich von meinem Hause und meiner Heimat fern zu halten, die mir Freude und Segnung raubt? Nein; das Einzige, was mich beschäftigen sollte, ist der Weg ans ihr hinaus. Ich werde durch das, was hier auf Erden vorgeht, nicht so sehr beunruhigt werden, wenn ich nur erkennen kann, dass es mich aufwärts führt. Ist es der Weg zur Heimat? Wird es mich zu dem Vaterhause führen? Diese Frage wird mir

weit, weit wichtiger sein als alles andere. Der Weg mag gefährlich, rau und schwierig sein; aber ist es der Weg nach oben? Wenn ich nur das weiß, so werde ich mich um die Schwierigkeiten des Bergsteigens nicht kümmern, die Gefahren des Abstiegs nicht fürchten. Soll ich nach einer leichteren, glatteren Straße Umschau halten? Nimmermehr! Ist es die richtige Straße? Ist es der Weg zur Heimat? Das ist die einzige Frage. Wenn mir gesagt wird, ein Löwe laure auf dem Wege, nun wohl, ich fürchte mich nicht: Gott ist meine Stärke; ohne Ihn kann ich nicht gehen. „Sind der Stunden des Tages nicht zwölf?“ sagte Jesus einst zu Seinen Jüngern. Er hatte zu leiden; wir mögen es auch haben. Aber die Frage ist: Bin ich auf dem Wege nach oben, auf dem Wege zu der Heimat, welcher alle meine Zuneigungen gehören, auf dem Wege zu dem Hause der Segnungen, welches der Herr bereitet hat? Das entscheidet alles und befreit mich von tausend Sorgen. Ich kümmere mich nicht um die Schwierigkeiten und Gefahren: es ist der Weg zur Heimat. Die Stärke Gottes hält mich auf demselben aufrecht, und die Liebe Gottes führt mich sicher hindurch bis ans Ziel.

„Durch das Tränental gehend, machen sie es zu einer Quelle.“ Das Tränental ist ein Platz der Leiden und der Demütigung, aber auch eine Stätte des Segens. Für Paulus war es der Dorn im Fleische, etwas, das ihn in seinem Dienst den Galatern gegenüber verächtlich machte. Es war offenbar demütigend für ihn und veranlasste ihn, dreimal zu Gott zu flehen, Er möge es von ihm wegnehmen. Aber als er Gott sagen hörte: „Meine Gnade genügt dir“, bat er nicht länger um die Entfernung des Dornes; nein, er rühmte sich vielmehr seiner Schwachheit, damit die Kraft Gottes offenbar würde. Das war die Stätte des Segens für Paulus: er fand in ihr eine Quelle. Das Tränental verwandelte sich für ihn in den Ort eines unsagbar innigen Vertrautseins mit Gott. Das Tal mag für einige von uns den Verlust dessen bedeuten, was unseren Herzen am nächsten steht, oder die Durchkreuzung unseres Willens, etwas, das uns tief demütigt; aber es ist eine Stätte des Segens. Wir erhalten weit mehr geistliche Erquickung durch die schmerzlichen Dinge als durch die angenehmen. Das Tränental wird zu einer Quelle gemacht. Von welchen der dir angenehmen Dinge kannst du sagen: „Mache sie zu einer Quelle“? Erquickung und Segen bringt nur das, was uns geschmerzt, gedemütigt, uns von uns selbst freigemacht hat. Das ist Gottes Weise, um uns zu zeigen was Er ist; und so macht Er das Tränental, indem Er uns durch dasselbe führt, zu einer Quelle.

In 1. Thessalonicher 5 lesen wir: „Danksaget in allem“. Wie ist das zu verstehen? Dankte Paulus etwa für den Dorn, für das gerade, was ihm nach seiner Meinung im Dienste hinderlich sein würde? Nein, so lange

er wenigstens auf die Sache selbst blickte; er konnte nur danken, wenn sein Auge sich auf das Herz und die Hand Dessen richtete, der den Dorn gegeben hatte. Es gibt viele Dinge, für die wir an und für sich nicht danken können, wie z. B· das Zerreißen eines Bandes, das unserem Herzen überaus teuer war, oder das Zertrürnmern eines Gegenstandes, den wir über alles liebten. Wir müssen die Liebe anschauen, die es so bestimmt, und die Hand, die es so geführt hat; dann können wir danken. 279

„Mit Segnungen bedeckt es der Frühregen." Der Herr kann Quellen in der Wüste hervorsprudeln lassen, um die Bedürfnisse Seines Volkes zu stillen, oder Regen vom Himmel herniedersenden, um ihnen darzureichen was nötig ist. Er kennt weder Schwierigkeiten noch Unmöglichkeiten; sich auf Ihn verlassen ist unbedingte Sicherheit. Er wird die Seinigen sicher durch jede Prüfung hindurchbringen. Sollte nicht bei jedem neuen Siege ihr Vertrauen auf Ihn wachsen?

„Du, unser Schild, siehe, o Gott; und schaue an das Antlitz deines Gesalbten!“ Gott ist unser Schild in jedem Leid, in jeder Schwierigkeit. Aber vielleicht wird jemand einwenden: „Meine Sünden haben die Schwierigkeit über mich gebracht; da wird Gott doch sicher nicht mein Schild sein!“ Es ist traurig, wenn es so ist; aber selbst in einem solchen Falle können wir sagen: „Schaue an das Antlitz deines Gesalbten!“ Gott kann immer mit Wonne auf Seinen Sohn blicken. Er ist Sein stetes Wohlgefallen; und so können wir auf das hinweisen, was Christus ist. In welcher Lage ein Gläubiger sich auch befinden mag, stets kann er Gott um Hilfe angehen. Wenn auch das über ihn gekommene Leid die Folge seiner Sünde ist, und er nur dadurch von seiner Sünde und seinem Leid befreit werden kann, dass er zu Gott geht und sich hinter Seinem Gesalbten verbirgt — der Weg ist offen. Du magst, von dem Bewusstsein deiner Schuld niedergebeugt, nicht zu sagen wagen: „Blicke auf mich herab“; aber du darfst immer sagen: „Schaue an das Antlitz deines Gesalbten!“ Christus ist dein einziger Bergungsort. Er ist dein Schutz in jedem Sturm, sogar dann, wenn deine eigenen Fehler das Unwetter über dich gebracht haben. Du kannst nicht zu Gott zurückkommen, außer du birgst dich in Christo und suchst Schutz hinter Ihm.

Zum Schluss noch einige Fragen an den Leser. Sie lauten: Was sind deine Wege? Wie ist dein Wandel dem Orte zu, welchem du entgegenpilgerst? Ist er in Übereinstimmung mit dem Charakter des Hauses? Sind deine Wege der Heimat angemessen, für welche Gott dich passend gemacht hat, dieser Wohnung Gottes selbst, die Er für dich bereitet hat? Ist dein Verhalten derart, dass du dich zu freuen vermagst bei dem Gedanken, dass diese Welt in Stücke zerfällt? Ist die Hoffnung auf das Kommen des Herrn deine tägliche Wonne? Beeinflusst sie dich in den tausenderlei Einzelheiten deines täglichen Lebens? Oder wandelst du Hand in Hand mit der Welt, so dass du nur mit Beschämung an den Tag Seiner Ankunft denken kannst? Der Herr gebe dir Gnade, auf deinen Weg acht zu haben! Mögest du wandeln zu Seiner Freude und Ehre, indem du mehr bekümmert bist um die Verherrlichung Seines Namens, als um dein eigenes Wohlergehen, oder um ein angenehmes und bequemes Leben!

„Jehova Gott ist Sonne und Schild; Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln.“

„Jehova der Heerscharen! glückselig der Mensch, der auf dich vertraut!“

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 281ff

9.

Petrus kommt in Versuchung. (Luk. 22, 31 — 62)

Petrus hatte durch das Waschen seiner Füße gelernt, was notwendig war, um in Gemeinschaft mit dem Herrn sein zu können. Wenn wir die Segnungen, welche sich seit dem Beginn seiner Laufbahn vor ihm entfaltet haben, an unseren Blicken vorüberziehen lassen, so möchte es uns fast scheinen, als ob der Kreis derselben jetzt geschlossen sei, und als ob ihm nichts mehr zu lernen übriggeblieben wäre. Doch es blieb noch ein Ding übrig, ohne welches alle jene Segnungen ohne Wirkung geblieben sein würden; und dieses Eine war die Erkenntnis und Verurteilung des Fleisches und seiner gänzlichen Untauglichkeit vor Gott. Dieser neue Vorgang beginnt mit dem 31. Verse von Luk. 22. Satan hatte begehrt, die armen Jünger zu sichten wie den Weizen. Wie in dem Falle Hiobs, so hatte der Feind sich auch hier vor Gott gestellt, um sie anzuklagen, indem er sich des für seine Absichten günstigsten Augenblickes bediente: der Herr sollte von ihnen genommen werden, und sie sollten infolge dessen äußerlich ohne Schutz dastehen. Satan hatte begehrt, sie in dieser ernsten Stunde auf das Sieb zu legen, in der festen Erwartung, dass nichts übrigbleiben würde, was Gott annehmen könne. Er meinte sie auf diese Weise Christo entreißen zu können; aber er täuschte sich. Ohne Zweifel konnte auf dem Siebe nichts zurückbleiben, was vom Menschen war; aber was Gott in den Jüngern hervorgebracht hatte, musste bleiben. In seinem Hass weiß Satan nicht, dass, wenn er auch alle Macht über das Fleisch hat, er doch keine besitzt über Gott und über das, was von Ihm kommt. Gott ließ es zu, dass Satan seinem Begehr folgen durfte, weil er Gnaden- und Liebesabsichten gegen Petrus und die Jünger hatte, wie einst gegen Hiob. Petrus wurde den Händen des

Feindes preisgegeben, um sich selbst kennen zu lernen. Es bedurfte solcher Wege, um ihn zu segnen; gegenüber einem Saulus von Tarsus waren die Wege anders. Dieser lernte bei seiner ersten Begegnung mit Christo auf dem Wege nach Damaskus sich selbst kennen. So schmerzlich diese Erkenntnis auch war, so hatte er doch das Glück, sie mit Gott zu erlangen, und er bedurfte nie wieder, dahin zurückgeführt zu werden. Vom Beginn seiner christlichen Laufbahn an konnte er sagen: „Ich weiß, das in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt“, und ferner: „die wir nicht auf Fleisch vertrauen“. Vor jener Begegnung war sein natürlicher Charakter zu seiner vollen Entwicklung gekommen und hatte sich in seinen Früchten völlig gezeigt. Die Umstände hatten bewiesen, dass sein Fleisch ohne Grund und Ursache von einer Feindschaft gegen Christum beseelt war, wie man sie schrecklicher sich nicht denken konnte. Sein Gewissen — und er hatte viel Gewissen, denn er sagt: „Ich meinte bei mir selbst, gegen den Namen Jesu, des Nazaräers, viel Widriges tun zu müssen“ — hatte ihn zu einem erbitterten Feinde Jesu gemacht. Petrus besaß, wie wiederholt bemerkt, viel Liebe zu dem Herrn. Wenn irgend etwas imstande war, die Tätigkeit des Fleisches zu verhindern und es in Schranken zu halten, so war es gerade diese Liebe. Und doch, was sehen wir? Seine Liebe zu Christo brachte ihn dahin, auf sein Fleisch zu vertrauen! Selbst bei Paulus, der seine Aufgabe gut gelernt hatte, hätte das Fleisch sich später gern der Gemeinschaft mit Gott bedient, um sich zu erheben. Der große Apostel bedurfte einen Engel Satans, um

ihn vor dem Fall zu bewahren; für Petrus war der Fall und das Sichten Satans nötig, um ihm die Augen zu öffnenDoch wenn der Feind seine Tätigkeit entfaltete, so hatte Christus sich schon vor ihm aufgemacht und war dem Augenblick des Sichtens zuvorgekommen: „Ich habe für dich gebetet, auf das dein Glaube nicht aufhöre“ (V. 32). Er hatte sich für Petrus verwandt, bevor noch das Mindeste in dessen Bewusstsein und Gewissen vorgegangen war. Die erste Art der Tätigkeit des Priestertums, die, welche Gott zugekehrt ist, hatte stattgefunden, ohne das Petrus irgendwelche Kenntnis davon empfing, und im Blick auf einen Fall, der noch nicht geschehen war; die zweite Art der Tätigkeit begann nach dem Falle, als der Herr sich umwandte und Petrus anblickte (V. 61), und sie erreichte sein Gewissen. Ein einziger Blick Christi wurde der Ausgangspunkt aller nachfolgenden Segnungen, indem dieser Blick das Herz des Jüngers an all die Liebe erinnerte, welche tätig gewesen war, um seinen Fall zu verhüten, und ihn zugleich versicherte, dass diese unerschöpfliche Liebe durch seine Untreue sich nicht verändert hatte; endlich traf dieser Blick auch sein Gewissen, so das er angesichts einer solchen Gnade bittere Tränen der Reue vergoss.

Erst wenn Petrus zurückgekehrt wäre, hatte der Herr gesagt, würde er fähig fein, seine Brüder zu stärken (V. 32); erst dann würde er beginnen können, auf das Herz und Gewissen Anderer zu wirken. Der Dienst kann nur in Selbstgericht ausgeübt werden. Alles, was Petrus vorher gelernt hatte, konnte ihn nicht befähigen, seinen Brüdern zum Segen zu sein; was ihn dazu fähig machte, war die Erkenntnis der Gnade, und diese Erkenntnis hatte ihren Ausgangspunkt in der Erfahrung, welche er von seiner gänzlichen Unwürdigkeit machen musste.

Der Herr lässt Petrus sein ganzes Selbstvertrauen an den Tag legen: „Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“. Ich bin bereit; das ist ganz und gar das Fleisch! Bereit, allem Trotz zu bieten! Selbst wenn es gewarnt ist, hat das Fleisch stets Vertrauen auf sich selbst. Und doch ist es ohne jede Kraft. Wenn es nur die mindeste Kraft besäße, würde diese so außergewöhnlich ernste Warnung des Heilandes es wohl vor dem Fall bewahrt haben.

Der Augenblick kommt, wo Petrus, sich selbst über- lassen, den Herrn nach Gethsemane begleitet. Auch der Meister wird allein gelassen; nicht einer Seiner Jünger wacht eine Stunde mit Ihm. „Wachet und betet“, sagt Er, „auf das ihr nicht in Versuchung kommet“ (Matth. 26, 41). Wachen und beten, das war es, was Jesus tat. Wenn Petrus aufgemerkt hätte, (er schlief vor der Versuchung, wie er auch vor der Herrlichkeit geschlafen hatte). so würde die Versuchung ihn auf der Hut und in der Abhängigkeit von Gott gefunden haben, und er würde nicht hineingekommen sein. In Versuchung kommen heißt für fleischliche Wesen: unterliegen. Christus allein konnte hineinkommen und göttlich siegreich daraus hervorgehen, und diesen Sieg gewann Er nur durch Abhängigkeit. Er hätte von Seiner Macht Gebrauch machen können, um sich zu befreien; denn Sein bloßer Anblick und das Wort: „Ich bin’s“ bewirkten, das Seine Feinde zurückwichen und zu Boden fielen. Er hätte Legionen Engel fordern können; doch Er unterwarf sich, ertrug .den Verrat des Judas, überließ alle Seine Rechte (und was für Rechte!) den Händen der Menschen, stumm wie ein Schaf vor seinen Scherern, ohne Widerspruch, ohne Murren,

Petrus wacht nicht und betet nicht, und so kommt er in Versuchung und fällt alsbald. In seiner Ungeduld zieht er das Schwert, um sich zu verteidigen; er vergießt Blut, anstatt dem Herrn zu folgen und, gleich Ihm, geschlagen zu werden. Dann folgt er von ferne und geht in den Hof des Hohenpriesters. So weit konnte das Fleisch ihn führen; aber hier erliegt all seine fleischliche Kraft und sinkt in den Staub vor dem Worte einer Magd!

10.

Das Grab. (Joh. 20, 1 —18).

Einige Weiber und der Jünger, den Jesus liebte, waren bei dem Tode des Herrn zugegen gewesen. Bevor

Er Sein Haupt neigte und Seinen Geist übergab, hatte Er das Wort ausgerufen: „Es ist vollbracht!“ Ein Segen von unendlicher Tragweite für das Herz der Jünger, welche damit die Versicherung einer göttlichen Liebe empfingen, die in Erbarmen ihren Platz eingenommen und alles getan hatte, was nötig war, um dahin zu gelangen. Es ist vollbracht! Ein solches Werk ließ nichts zu tun übrig. Das Kreuz konnte das Opfer nicht länger behalten. Joseph von Arimathia und Nikodemus sind die von Gott erwählten Werkzeuge, um dem Heiland in Seinem Tode einen Platz bei dem« Reichen zu geben; und zu dem in Felsen ausgehauenen Grabe leitet uns die oben angeführte Stelle.

In der Tat, es war noch nicht alles, jene Liebe zu kennen, die den Herrn für sie in Tod und Grab hatte hinabsteigen lassen. Die Jünger sollten noch etwas anderes, und zwar sehr Wichtiges, kennen lernen. Die Frage: was enthielt das Grab? blieb noch zu beantworten. Wer war Sieger geblieben, der Heiland oder der Tod? Wenn das Grab Ihn behalten hätte, so wäre Sein Werk vergeblich gewesen, und nicht ein Einziger von denen, für welche Er sich hingegeben hatte, wäre freigemacht und gerechtfertigt worden. Maria findet das Grab offen; Petrus und Johannes stellen fest, das es leer ist. Petrus geht hinein und besieht es; die Merkmale des Todes, die leinenen Tücher und das Schweißtuch, sind da und beweisen durch ihr Vorhandensein, das der Tod seine Beute nicht hat behalten können, das er besiegt ist, und zwar mit einem ruhigen, friedlichen Siege, ohne Kampf und Streit. Das Schweißtuch lag besonders zusammengewickelt an einem Ort, wie man es mit einem Kleidungsstück macht, wenn man sich anschickt

auszugehen. Der Beweis für das Wort „Es ist vollbracht!« war geliefert. Die Liebe, welche das Werk unternommen, hatte es zu einem guten Ende geführt, und die Jünger, welche die Schrift noch nicht konnten, werden durch den Augenschein überzeugt; sie glauben und kehren nach Hause zurück mit der Kenntnis eines bereits vollbrachten Werkes.*)

Das war gewiss viel; doch wenn wir an „die Verwirrung denken, in welcher sich die beiden Jünger befanden, war es wenig im Vergleich mit dem, was ein armes, unwissendes Weib bei dem Grabe fand. Maria von Magdala war in ihrer Person ein Zeugnis von der Liebe Christi. Er hatte sie von einer Schar von Dämonen befreit, und nun hing sie an ihrem Herrn mit einer Liebe, welche durch die Größe der ihr erwiesenen Liebe hervorgerufen war und weit über das Maß ihrer Erkenntnis hinausging. Glückliches Weib! glücklicher als Petrus und Johannes. Denn die Erkenntnis der beiden Jünger konnte an ein Werk geknüpft sein und dadurch befriedigt werden; die Liebe der Maria aber vermochte das nicht. Sie musste etwas anderes haben; sie verlangte nach der Person, dem Gegenstand ihrer Zuneigungen. Petrus, der in das Grab hineingegangen war, hatte dort nur die leinenen Tücher und das Schweißtuch gesehen; Maria, die eine Person sucht, bückt sich weinend vornüber in die Gruft und sieht Engel. Die leinenen Tücher hatten den Jüngern genügt; aber die Engel genügen der Maria nicht. Selbst in deren Gegenwart und ohne ihre Antwort abzuwarten, wendet sie sich um, denn sie muss ihren Herrn haben. Zunächst wird sie durch ihre völlige Unkenntnis über das, „was geschehen musste“, verhindert, Ihn zu erkennen; aber „Jesus spricht zu ihr: Maria!“ — nur ein einziges Wort: Maria.

Ist es zu verwundern, dass ein Band der Liebe diese Maria mit Jesu verknüpfte? das die vollkommene Person des Heilandes alle Gedanken und die ganze Liebe eines solch Unwissenden und unvollkommenen Wesens an sich fesselte, und noch dazu eines Wesens, das der Gegenstand ganz besonderer Wohltaten und einer unvergleichlichen Befreiung gewesen war? Nein, das ist nicht zu verwundern. Aber das ein Band der Liebe von Jesu aus zu Maria bestand, das ist wunderbar! Unter den tausendmal Tausenden kannte Er sie bei Namen, als Sein Schäflein; und Er gedachte ihrer, des in jenem Augenblick unglücklichsten von ihnen. Sie ruft: Rabbuni, d. i. Lehrer! Aber was antwortet Er? Nicht: „Geh hin zu meinen Knechten“; sondern: „Geh hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“. Infolge ihrer Zuneigung zu Christo erhält Maria eine Offenbarung, größer als alle Offenbarungen, die Petrus bis dahin empfangen hatte· Der Liebe, welche sich an Seine Person knüpft, wird die weitaus größte Erkenntnis verliehen. Mit der einfachen Kenntnis von Seinem Werke waren die Jünger nach Hause zurückgekehrt; mit der Liebe, die sich mit Seiner Person verband, hatte Maria Magdalene zu den Füßen des Heilandes die Kenntnis der herrlichsten Ergebnisse Seines Opfers gefunden! Das ist der Grund, warum Petrus und Johannes bei dieser Gelegenheit eine so untergeordnete Rolle spielen; ein schwaches Weib, das bei seiner bescheidenen Rolle bleibt, übertrifft sie. Die Füße der Jünger waren ohne Zweifel schnell, als sie zum Grabe eilten; Maria aber hat als Erste den Weg kennen gelernt, welcher unmittelbar zum Vater führt, und hat, mit dieser wunderbaren Offenbarung zurückkehrend, die Botschaft davon den Jüngern gebracht!

11

Der Dienst und die Nahrung. (Joh. 2!, 1—14).

In diesem Abschnitt finden wir einige Belehrungen bezüglich des Dienstes und der Nahrung der Knechte des Herrn; betrachten wir ihn etwas näher. Nach all den Erfahrungen, die er gemacht hat, scheint Simon Petrus nunmehr für den Dienst geeignet zu sein. Begleitet von sechs anderen Jüngern, geht er hin, um in dem See von Tiberias zu fischen. Dieses Unternehmen wird durch die Tatsache gekennzeichnet, das Petrus sich aus eigenem Antriebe ans Werk begibt, um so die Ergebnisse seiner Arbeit zu erhalten. Diese Ergebnisse sind gleich Null; die Nacht geht dahin, ohne das Petrus und seine Gefährten irgend einen Erfolg von ihrer Tätigkeit sähen. Petrus wandte hier dasselbe Verfahren an, wie an dem Tage, da er belehrt wurde. Wie oft handeln auch wir, wenn Gott uns eine Tätigkeit in Seinem Dienste anvertraut, in der Weise und nach den Entschließungen des Menschen nach dem Fleische; und unsere Arbeit bleibt fruchtlos. Es ist wichtig zu verstehen, das in unserem Dienst alles und jedes von Gott und nichts von dem

Menschen sein muss.

Wenn Jesus sich am Ufer befindet, ändert sich die Sache sofort; mit Seiner Gegenwart erscheint die Morgenröte eines Tages der Segnung. Seine Gegenwart ist vor. allem nötig. Die Jünger hatten sich in Seiner Abwesenheit, fern von Seinem Blick, in jeder Weise abgemüht; aber all ihr Arbeiten war fruchtlos gewesen.

Dieser Vorgang findet bei Tagesanbruch statt. Es gibt einen besonderen Augenblick, der von Gott für den Dienst bestimmt ist, und die Jünger, die diesen Augenblick nicht kannten, hatten die ganze Nacht ihre Zeit

nutzlos zugebracht. Sie finden Fische auf der rechten Seite des Schiffes, d. i. an einem besonderen Ort, den Jesus allein kannte, und Petrus muss sich dieser Kenntnis unterwerfen, um seine Tätigkeit mit Erfolg gekrönt zu sehen. Ferner werfen die Jünger das Netz auf Sein Wort aus: nur von diesem können sie abhängen. Sie fangen 153 große Fische: ihr Fischzug an diesem Orte umfaßt eine bestimmte Anzahl, welche der Herr allein kennen konnte. Und von diesem Augenblick an haben sie etwas anderes zu tun: sie bringen das Ergebnis ihrer Arbeit zu Jesu (V. 10). Sie fischen weder für sich noch für Andere, sondern für den Herrn allein.

O möchten alle die teuren Knechte Christi diese Aufgabe lernen! Es sind ernste, wichtige Fragen: Wann, wo, mit wem, durch wen und für wen arbeite ich? Ist unser Leben eine lange Nacht menschlicher Tätigkeit, die durch den Willen des Menschen geleitet ist? oder gleicht es einem anbrechenden Morgen, der durch die Gegenwart Christi erleuchtet wird, und in welchem wir unsere Netze sich füllen

sehen, weil unsere Arbeit in Abhängigkeit von Ihm getan wird?

Jetzt kommen wir zu der Nahrung. Der Herr steht am Ufer und fragt: „Kindlein, habt ihr wohl etwas zu essen?“ Nein, antworten sie. Sie meinten jedenfalls, dieser Fremdling, den sie noch nicht erkannt hatten, sei der Nahrung bedürftig. Doch die Frage des Herrn zwang sie zu dem Geständnis, das ihre ganze bisherige Arbeit Christo noch nichts hatte geben können. Dann hören sie das Wort: „Werfet das Netz, aus“. Es ist, als ob Er zu ihnen sagen wollte: „Wenn ihr mir etwas zu geben wünscht, so müsst ihr es zuvor von mir empfangen haben“. Von diesem Augenblick an kann Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, nicht länger betreffs Seiner in Unwissenheit sein; denn der Herr war für Ihn Der, welcher gibt, nicht

Der, dem man gibt.

Doch aus dem Gesagten geht noch etwas anderes hervor, nämlich dies, das die Jünger selbst nichts zu essen hatten. Die Arbeit ernährt nicht, nein, sie erweckt Hunger. Selbst eine erfolgreiche Arbeit, ein wunderbarer Fischzug, ließ die Jünger hungrig. Wie viele Seelen bleiben in unseren Tagen eifriger Tätigkeit dürre trotz ihrer Arbeit, weil sie sich über den Nutzen täuschen, den diese Tätigkeit für ihr geistliches Leben hervorbringt! Nicht auf dem Meere, bei der Anstrengung und Aufregung des Fischens, sondern am Ufer, in der Stille, hören die Jünger das Wort des Herrn: „Kommet her, frühstücket“. Die Mahlzeit war nicht von den Fischen zubereitet, welche sie in ihrem Netz gefangen hatten. Sie war zubereitet durch den Herrn selbst, und Er teilt sie ihnen aus. Sie nähren sich von dem Erfolg der Arbeit Christi, von dem, was Er ganz allein für sie getan hat. **) Möchte es auch mit uns so sein, Geliebte! Nachdem wir die Frucht unseres Dienstes dem Herrn gebracht haben, damit Er damit tue, was Ihn gut dünkt, lasst uns verstehen, uns bei der Mahlzeit, zu welcher Er uns einladet, niederzulassen und uns in der Zurückgezogenheit des Ufers von Ihm zu nähren. Kehren wir immer wieder, nicht nur für Andere, sondern vor allem auch für uns selbst, zu der Heiligen Schrift zurück, die uns Christum offenbart! Nachdem Petrus die Mahlzeit eingenommen hatte, wurde er in einen besseren Dienst eingeführt und fähig gemacht, den Lämmern und Schafen des Herrn Nahrung und Speise auszuteilen.

Fußnote:

*) Petrus scheint weniger davon überzeugt gewesen zu sein als Johannes (Luk. 24, 12).

**) Ich beabsichtige nicht, hier die bildliche Bedeutung des ganzen Vorganges zu erläutern. Das haben Andere getan, und ich kann den Leser nur auf ihre Schriften verweisen.

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Der Wunsch des gefangenen Paulus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 292ff

(Nach einem Vortrag)

Ich wollte zu Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Bande“ (Apstgsch. 26, 29.) So sprach einst der Apostel Paulus zu dem König Agrippa; und in der Tat, es war viel, so reden zu können.

Der Apostel konnte aus dem Grunde seines Herzens diese Worte denen zurufen, welche ihn umgaben. Hätte er dem König Agrippa aus seine Bemerkung: „In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden“, entgegnet: „Wollte Gott, dass du ein Christ wärest!“ so wäre diese Antwort gut und der Nächstenliebe entsprechend gewesen; aber sie würde uns nicht einen Zustand geoffenbart haben, wie er sich in den Worten des Apostels ausdrückt. Es gibt mehr, weit mehr in diesem Wunsche des Apostels als Nächstenliebe. Sein von göttlicher Freude erfülltes Herz strömte über gegen seine Umgebung. Das ist einem glücklichen Herzen natürlich; es kann nicht anders.

Der Apostel wurde gedrängt, das auszusprechen, was er wusste; mit anderen Worten: er musste dem Ausdruck geben, was in einem Herzen, das sich seiner Stellung in Gott erfreute, vorging. Seine Seele war so glücklich, dass er Anderen das wünschen konnte, was er selbst in bewusster Weise besaß. Freude zeigt immer viel guten Willen Anderen gegenüber; göttliche Freude offenbart Liebe. Doch mehr als das; der Wunsch des Apostels beschreibt uns den Zustand seiner Seele inmitten und trotz seiner äußeren Umstände. Trotz seiner Gefangenschaft, welche nun schon mehr als zwei Jahre gedauert hatte, war sein Herz vollkommen glücklich; und dieses Glück ruhte auf fester Grundlage, er konnte Rechenschaft davon ablegen. Was anderes hätte er deshalb wünschen können, als dass alle, die ihn hörten, der König Agrippa eingeschlossen, solche werden möchten, wie auch er war, ausgenommen die Ketten, welche er trug?

Das ist die Wirkung jenes seltsamen, unbegreiflichen Glückes, welches in einer Seele hervorgerufen wird, die das Christentum in seiner vollen Bedeutung ergriffen hat. Sie besitzt ein Glück, das dem Grundsatz, nach nichts mehr zu wünschen übriglässt, und welches immer Hand in Hand geht mit jener Energie der Liebe, die ihren Ausdruck findet in dem Wunsche, dass Andere sein möchten wie sie (die Seele) selbst. Außerdem sehen wir hier, dass dieses Glück durch äußere Umstände nicht berührt und beeinflusst werden kann; es ist eine Quelle der Freude, welche in der Seele sprudelt. Die äußere Lage des Apostels war wahrlich schlecht dazu angetan, Freude hervorzurufen. Seit langer Zeit war er darauf vorbereitet gewesen, dass Bande und Trübsale seiner warteten; aber das alles hatte ihn nicht zu erschüttern vermocht. Er hatte den Ältesten von Ephesus sagen können: „Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben,

als teuer für mich selbst, auf dass ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesu empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes“ (Vergl. Apstgsch. 20).

Paulus war ergriffen und in das römische Standquartier zu Jerusalem gebracht worden, um ihn so der Gewalttätigkeit des Volkes zu entreißen. Dann hatte man ihn von einem Gerichtshof zum anderen geschleppt. Zwei Jahre lang schmachtete er nun schon in der Gefangenschaft und sah sich schließlich gezwungen, sich auf den Kaiser zu berufen. Will man seine Geschichte in ein kurzes Wort zusammenfassen, so kann man sagen: Er war ein Mann, von dem man hätte annehmen können, dass er des Lebens müde war, ein Mann, gequält und geplagt wie selten einer, auf allen Seiten bedrängt von Dingen, die angetan waren, das Herz zu brechen und den Mut zu lähmen. Aber von alledem finden wir nichts bei ihm. Er spricht vor dem Gerichtshof· von dem Zweck, der ihn bei seiner Reise nach Jerusalem geleitet hatte; aber kein Wort von seinen Leiden. Er befand sich inmitten all dieser Dinge und übte sich, wie er selbst sagt, „allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen“ (Apstgsch. 24, 16.) Die schwierigen Umstände, durch welche er gehen musste, waren bedeutungslos für ihn; sie konnten sein Herz nicht erreichen. Er war glücklich in seiner Seele, und er wünschte nichts anderes als dieses Glück für sich und Andere. Und in der Tat, ein Glück, welches vollkommene Befriedigung gewährt, ist ein höchst begehrenswertes Glück. Paulus war freilich mit Ketten gebunden, aber das Eisen dieser Ketten erreichte sein Herz nicht: Gottes Freigelassener kann nicht gekettet werden. Und, wie gesagt, nichts anderes begehrte er für sich und Andere, als diese völlige Freimachung durch den Herrn. Mehr, Höheres konnte er nicht wünschen, als dass alle gerade so werden möchten, wie er war, seine Fesseln ausgenommen.

Untersuchen wir jetzt ein wenig näher, was dieses Glück, diese Ruhe, die keinen Wunsch mehr übriglässt,

verleiht. So lange uns noch etwas zu wünschen übrigbleibt, mögen wir wohl bis zu einem gewissen Punkte Freude genießen, aber wir haben keinen Frieden. In Paulus konnte man ein Vollkommenes Glück sehen; und in diesem Glück offenbarte sich eine ungehinderte, brennende Liebe. Er war ohne Zweifel noch nicht zur Vollkommenheit gelangt; er selbst sagt es: „ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben; aber Glück und Liebe waren bei ihm vorhanden. Er besaß ein Vollkommenes Glück, und als er vor „Königen und Statthaltern“ stand und von all ihrem Pomp und Glanz umgeben war, da wünschte er ihnen, dass sie so werden möchten, wie er war. Und sein Zeugnis war so mächtig, dass es Agrippa zu dem Ausruf veranlasste: „In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden“.

Vielleicht sind Einige hier unter uns, deren Umstände höchst traurig und beklagenswert sind, und die deshalb viel Sorge und Herzweh haben. Nun, die äußere Lage des Apostels Paulus war so, dass man von ihm sagen konnte: er war der „elendeste von allen Menschen“; er selbst litt nicht nur unsäglich, nein, auch seinem Werke war Einhalt getan worden. Er konnte sich nicht mehr um irgend etwas, was die teure Herde des Herrn betraf, bekümmern. Hätte er also in diesen Dingen irgendwie einen Anlass zur Freude gesucht, so würde er völlig enttäuscht worden sein. Menschlich gesprochen, hatte er allen Grund. zu trauern und zu klagen; aber statt dessen war er ein Muster von Glückseligkeit. Seine Freude war eben unabhängig von den äußeren Umständen; sie waren es nicht, die ihn glücklich machen konnten.

Es gibt Leute, welche sich einbilden, wenn diese und jene Umstände zusammenträfen, so würden sie glücklich sein. Aber das hätte Paulus nicht das Glück verschaffen können, welches er genoss; nein, Gott allein war die Quelle, aus welcher er es geschöpft hatte. Wir mögen vielleicht Sorgen und Kümmernisse haben; aber dadurch wird das Glück, von dem wir gesprochen haben, nicht getrübt. Und wir bedürfen, geliebte Freunde, der Festigkeit dieses Glückes; denn wer die Umstände dieses Lebens, ob unter Reichen oder Armen, ein wenig kennt, der weiß, dass Sorgen nie fehlen.

Vor seiner Bekehrung kannte Paulus dieses Glück nicht. Die Vorrechte, welche er als Jude besaß, konnten es ihm nicht geben. Er hatte als Mensch ein gutes Gewissen; aber sein Gewissen wurde durch ein falsches Licht geleitet: er meinte, gegen den Namen Jesu, des Nazaräers, viel Widriges tun zu müssen (Vers 9 und 10). Das Gewissen wird oft durch Erziehung falsch geleitet; so war es bei ihm der Fall, und gerade dadurch dass er seinen Weisungen folgte und seinen Vorschriften gehorchte, wurde er ein solch entschiedener Gegner Christi. Mit gutem Gewissen tat er Dinge, die so ungerecht und böse waren wie nur möglich. Im Übrigen war er in der Religion seiner Väter wohl unterrichtet, ein „Pharisäer nach der strengsten Sekte2, sehr tätig und wegen seines Eifers allgemein bekannt. Er hatte zu den Füßen Gamaliels gesessen, stand unter der unmittelbaren Leitung des Hohenpriesters (V. 12) und befand sich im offenen Kampf wider den Herrn Jesum (V. 14. 15). So sehen wir denn, dass wir mit all unserem Gewissen, mit unserer Religion und unserer Gelehrsamkeit, ja, mit der Anerkennung der Doktoren und Professoren dieser Welt, uns in offener Auflehnung gegen den Herrn befinden können.

Der Besitz all dieser Vorzüge hindert uns nicht, vor Gott leer, ja, ganz bankrott dazustehen; und das ist eine schreckliche Sache! umso schrecklicher, als die Dinge, auf welche wir ein so großes Vertrauen setzten, uns nicht nur keine Stütze sind, sondern sich als die Werkzeuge erweisen, durch welche unsere Seelen verblendet wurden. Obwohl Paulus ein gutes Gewissen hatte, fromm war und von weisen Männern geleitet wurde, brachten ihn alle diese Vorteile schließlich doch nur dazu, in offenem Kampf gegen Gott aufzutreten. Man mag sich rühmen und mit den Worten prahlen: „Niemand kann etwas über mich sagen«, (so reden bekanntlich viele Menschen), und schließlich muss man doch entdecken, dass alles das, was man zu besitzen meint, nur dazu gedient hat, uns als offene Feinde Christi hinzustellen. Das Fleisch hat seine Religion, gerade so gut wie seine Lüste; es tut alles, um das Gewissen an einer

Begegnung mit Gott zu hindern. Wenn Paulus im Fleische tätig war, so war er mit sich selbst zufrieden; und mit Hilfe des Guten, das er tat, meinte er, seine Sache vor Gott sei in bester Ordnung. Die Religion, welche das Fleisch benutzt, wird in die Waagschale geworfen, und manmeint, so das nötige Gewicht erreichen zu können. Wenn das Gewissen sagt: „Du bist nicht ganz das gewesen, was du hättest sein sollen“, so kommt schnell die Religion, fügt ihre Formen und Zeremonien, die das Fleisch erfüllen kann, hinzu, wirst das Ganze in die Waagschale, und das Gewissen wird in den Schlaf gelullt und beruhigt sich mit diesen Dingen. Das ist aber kein Glaube. Denn der Glaube bringt und kommt in die Nähe Gottes. Vor

Gott hat man keine Religion, sondern nur ein sündenüberführtes Gewissen; und man ist dort viel zu viel mit dem Gericht Gottes über die Sünde beschäftigt, als dass man an seine Religion denken könnte, oder, richtiger gesagt, man hat überhaupt keine. Es gibt niemanden unter uns, der, in die Gegenwart Gottes gestellt, an seine Religion denken würde. Weltliche Frömmigkeit ist nur da dienlich, wo wir ihrer nicht bedürfen. Im Bedürfnisfalle, sei es der Gerechtigkeit Gottes gegenüber, oder wenn das Herz gebrochen ist und das Gewissen seine Anklagen erhebt, erweist sie sich als null und nichtig; es zeigt sich dann, wie schon oben bemerkt, dass sie nur als Mittel gedient hat, um das Bewusstsein unserer Bedürftigkeit als Sünder von uns fernzuhalten. Dieses Bewusstsein hätte uns, vermittelst derselben Gnade, welche es selbst im Herzen hervorruft, zu dem einzigen wahren Heilmittel geführt, und dieses hätte uns in der Stunde, da wir es bedurften, treue Dienste geleistet.

Was machte nun Paulus so glücklich? Es war ohne Zweifel die Wahrheit, doch nicht unmittelbar; denn als Gott ihm auf dem Wege nach Damaskus begegnete, sah er mit Schrecken, dass er im Kampf gegen Ihn gestanden hatte. Bis dahin war er zufrieden mit sich gewesen, aber nun war er es nicht mehr (Vergl. Kap. 9). Der Herr Jesus offenbarte sich ihm in Herrlichkeit und überführte ihn von der Sünde. Drei Tage lang aß und trank er nicht, erschüttert wie er war durch seine Begegnung mit dem Herrn. Damals war er noch nicht in der Lage, sagen zu ich wollte, dass alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin“.

Der Herr sendet ihn dann nach Damaskus, um dort das Wort der Wahrheit zu hören; und nach dreitägigen

Leiden, welche durch die Überzeugung hervorgerufen wurden, dass der Jesus, gegen den er mit solcher Wut gekämpft hatte, der Herr vom Himmel war, schickt dieser selbige Herr den Ananias zu ihm. Und nun zeigt es sich, wie vollständig und durchgreifend seine Bekehrung war. Aus einem Feinde wird er der Freund Jesu und der Apostel der Gnade. So handelt Gott: aus dem Verfolger „Saulus“ macht Er einen „Paulus“, einen mächtigen Zeugen von der Liebe Jesu.

Paulus war ein gewissenhafter Mann und ein großer Eiferer für die Religion seiner Väter gewesen; aber trotz, aller Gewissenhaftigkeit und Religion war er ein Feind Gottes. Er war der gottloseste und, wie er selbst sagt, der „erste“ der Sünder gewesen.. Und doch wurde er in drei Tagen der ausgezeichnetste Apostel der Gnade. Wie war das möglich? Ganz einfach. Er war mit Jesu bekannt geworden. Es konnte sich nicht mit einemmale zeigen, was er sein würde, denn er war aufs höchste erschrocken, als er den Zustand des Todes, in welchem er sich befand, erkannte; aber er hatte in seinem Herzen die Stimme Jesu vernommen.

Ob Jude oder Grieche, das ist völlig gleich, so lange die Seele nicht von allem entblößt, das Gewissen nicht von der Sünde überführt ist, und der Mensch nicht verstanden hat, dass alle seine Religion nur Feindschaft gegen Gott ist. Dieses Überführtwerden von der Sünde findet nicht bei allen in der gleichen Weise statt; die Umstände sind verschieden, aber immer muss die Seele ihre Nacktheit vor Gott erkennen, und Christus muss ihr Seine Beziehungen zu den Seinigen offenbaren.

Es gibt unscheinbare Christen, welche von solchen, die auf Erden in Ansehen stehen, geschmäht und selbst mit beleidigenden Titeln belegt werden; nun, gerade diesen wegen ihres Glaubens verachteten und geschmähten Personen offenbart der Herr Seine innigen Beziehungen zu ihnen in einer sehr bestimmten und klaren Weise. Die Offenbarung, welche Er dem Paulus machte, war die, dass die Seinigen gänzlich mit Ihm eins sind. Er sagt gleichsam: Ich bin alle jene Menschen, die du verfolgst.

Paulus sieht die Herrlichkeit und wird plötzlich auf seinem Wege still gestellt. Kein Zweifel, der da redete war der Herr. Aber dieser Herr war der bitter gehasste Jesus, welcher ihm zeigte, dass er Ihn verfolgte, indem er die Christen verfolgte. „Ich bin es“, sagt Jesus, „den du verfolgst.“

Es gab auch in jenen Tagen Verschiedenheiten in Glaube, Ausharren und Gottesfurcht bei den Christen; aber Jesus trug sie alle auf Seinem Herzen. Er sagte: „Ich bin es“. Als Paulus das hörte, fand eine völlige

Umwälzung in ihm statt, in ihm, dem gelehrten, religiösen Manne und vor Wut rasenden Verfolger. Je mehr Fleisches - Religion bei uns vorhanden ist, desto größere Feinde Jesu sind wir. Je schöner die Außenseite ist, je ehrenhafter und rechtschaffener ich mich hinstelle, desto mehr, ja genau so viel mehr, bin ich ein Feind Gottes und ein Widersacher der in Jesu geoffenbarten Gnade. Ein Mensch, der sich in der Sünde wälzt, wird sich nicht anmaßen, der Freund Gottes zu heißen oder mit Ihm versöhnt zu sein. Doch was die angeht, welche geglaubt haben, so macht Christus sich mit ihnen eins. Unter denen, die hier im Saale sind, gibt es solche, welche glauben, und andere, die nicht glauben. Bei denen, welche glauben, sind ohne Zweifel große Unterschiede vorhanden im Blick auf ihren geistlichen Zustand; aber ich kann von allen diesen letzteren sagen: sie sind eins mit dem Herrn Jesu. Es liegt auf der Hand, dass diese einfache Wahrheit, das Eins-sein mit Ihm, der in der Herrlichkeit ist, hinsichtlich der Stellung der Seele vor Gott alles verändert.

Paulus wurde später bis in den dritten Himmel entrückt und empfing kostbare Offenbarungen. Als er auf dem Wege nach Damaskus still gestellt wurde, hatte er noch viel zu lernen, noch große Fortschritte zu machen; denn er hielt sich sogar noch für verloren, bis Ananias ihm verständlich machte, was Jesus von ihm erwartete: „Der Gott unserer Väter hat dich zuvor verordnet, Seinen Willen zu erkennen und den Gerechten zu sehen und eine Stimme aus Seinem Munde zu hören. Denn du wirst Ihm an alle Menschen ein Zeuge sein von dem, was du gesehen und gehört hast“ (Apstgsch. 22, 14. 15). Doch von dem Augenblick an, wo er in Wahrheit den Herrn Jesum kennen lernte, war er eins mit Ihm; und er wusste das. Mochten denn auch die Umstände des Apostels sein, wie sie wollten, sei es in Jerusalem oder in Cäsarea, vor Festus oder vor dem Kaiser, er konnte sagen: „Ich möchte wünschen, dass ihr alle solche wäret wie ich bin, ausgenommen diese Bande“; denn er wusste, was er in Christo besaß. Es handelte sich um diese Wahrheit, das Einssein mit Jesu. Sicherlich hatte Paulus noch viel von dem Herrn zu lernen, aber trotzdem war er eins mit Ihm; er hatte verstanden, dass er, indem er die Christen, die Geliebten Jesu, verfolgte, Jesum selbst verfolgte. Denn die Stimme hatte gesagt: „Saul, Saul, was verfolgst du mich? -— Je näher wir dem Herrn Jesu sind, desto besser werden wir verstehen, dass, wer Seine Brüder antastet, der „tastet seinen Augapfel an“.

„Ich möchte noch einige Worte hinzufügen über das, was wir in Jesu sind. Von Natur ist alles in uns: unsere Religion, unsere Werke, unser ganzes Wesen, Feindschaft gegen Gott, so dass es unmöglich ist, in diesem Zustande Gott zu gefallen. Es ist traurig, dass es so mit uns steht; aber schließlich ist und bleibt es die Wahrheit. Paulus gesteht es selbst ein. Er legte keinen Wert mehr auf das, was er einst für „Gewinn“ gehalten hatte; im Gegenteil, er achtete es für „Dreck“. Aber er verstand auch, dass durch den Glauben alle eins in Christo sind. Der Glaube ließ ihn seinen Platz mit den Christen einnehmen. Er fragte sich nicht, ob er Glauben habe; er stellte auch keine gelehrten Untersuchungen über die Frage an: Was ist Glaube? sondern er wurde ein Christ, weil er glaubte, dass die Christen eins mit dem Herrn sind. Und gerade das ist auch das Leben und die Freude unserer Seelen; wir lernen verstehen, dass Christus gesagt hat: Du bist eins mit mir. Das ist mehr als die Beantwortung der Frage, ob ich Glauben habe.

Als Jesus in diese Welt kam, geschah es, um den Willen Gottes zu erfüllen, und sündigen Menschenkindern das tiefe Interesse zu offenbaren, welches Gott an ihnen nahm. Und wenn ich jetzt im Glauben zu Christo komme, so finde ich in Ihm das, was mein ganzes Misstrauen wegnimmt; denn ich weiß, dass Er mich durch und durch kennt. Er kennt meine Sünden besser als ich; deshalb ist mein Herz frei, weil Er eben alles weiß und doch gekommen ist, um mich zu erretten und die Beziehungen mit Gott, welche durch die Sünde verloren waren, auf einem ganz neuen Boden wiederherzustellen. Ich finde in Ihm nichts als Freiheit, Gnade und Güte. Ferner: indem ich weiß, dass Er Gott ist, kenne ich Ihn als Heiland-Gott. Und welch eine Veränderung findet in der Seele statt, wenn sie zu der Erkenntnis kommt, dass sie es mit dem Gott zu tun hat, der Liebe ist und sich nie verleugnet! Er ist nicht gekommen, um mir nur zu helfen, nein, sondern um mich zu erretten. Und wie außerordentlich köstlich ist die Tatsache, dass, wenn ich dem Menschen Jesus begegnet bin, ich Gott begegnet bin! Ich bin eins mit Ihm, nicht auf dem Kreuze (dort hat Er meinen Platz eingenommen), sondern in allen Seinen Vorrechten. Er hat meine Sache als Sünder vertreten und sich selbst als Sühnopfer für die Sünde hingegeben. Gott kann mich nicht noch einmal belangen in Sachen meiner Errettung; Christus hat für mich im Gericht gestanden, und ich bin nun eins mit dem verherrlichten Christus droben. Wenn ich mich noch mit Zweifeln und Befürchtungen quäle, so ist das nur mein Fehler; denn vor Gott kann ich die vollkommenste Ruhe genießen.

Satan hat alles getan, was er konnte, um das zu verhindern; aber feine Anstrengungen haben nur dazu gedient, zu zeigen, dass seine Macht vernichtet ist. Nichts ist mehr da, was mich vor Gott beunruhigen könnte. In Seiner Gegenwart gibt es nur eine Quelle des Lebens und der Freude für mich. Ich finde alles in Jesu, in welchem „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ (Kol. 2, 9). In Ihm finde ich Gnade für jedes meiner Bedürfnisse; Er ist meine Stärke und meine Gerechtigkeit.

Der Gerechtigkeit des Menschen ist eine andere Gerechtigkeit gefolgt, die Gerechtigkeit Gottes. Christus ist das Haupt aller Dinge geworden, und alle Herrlichkeit ist zur Rechten Gottes geoffenbart, als Folge des Sühnungswerkes, welches für meine Sünde geschehen ist. So ist die ganze Fülle geoffenbart, und Jesus, der zur Rechten Gottes Verherrlichte, hat gesagt, dass Er eins mit uns sei, und Er hat Seinen Heiligen Geist gesandt, um uns in dieser Wahrheit zu unterweisen. Christus hat von uns gesagt: „Das bin ich“. Was mir deshalb zu tun übrigbleibt, ist, zu untersuchen, was Christus ist, und zugleich meine Freude daran zu finden, dass ich zu offenbaren suche, was Er ist, da Er ja von den Seinigen gesagt hat, dass sie mit Ihm eins seien.

Der Heilige Geist ist in die Herzen solch armer, unwürdiger Geschöpfe, wie wir sind, ausgegossen worden als „Siegel“ und als „Unterpfand des Erbes“. Aber, könnte man fragen, wenn man den Heiligen Geist hat, ist man dann nicht mehr unruhig betreffs seiner selbst? Das gerade Gegenteil ist der Fall; denn dann sind wir eins mit Christo, der uns als „Sein Fleisch2 betrachtet und in Liebe und Fürsorge nach uns sieht. Vielleicht muss Er es zuweilen ein wenig verwunden, aber das tut Er nur, weil Er es nicht vernachlässigen kann, da es eben „Sein Fleisch“ ist. Und der Heilige Geist macht uns auf alles das aufmerksam, was Jesus nicht in uns dulden kann, eben weil wir eins mit Ihm, Sein Leib, sind; und je näher wir Christo kommen, desto schärfer wird unser Blick für alle diese Dinge werden. Um sich in völligem Maße des

Vorrechts, eins mit Jesu zu sein, erfreuen zu können, so dass das Herz vor Freude überströmt in dem Bewusstsein und Genuss dieser Einheit, genügt es nicht, die bloße Tatsache zu kennen; nein, wir müssen auch ernstlich darauf bedacht sein, den Heiligen Geist nicht zu betrüben. Wäre das Herz des Apostels Paulus in dieser Beziehung nicht völlig frei gewesen, so hätte er, ungeachtet der Wahrheit seines Einsseins mit Christo, nicht sagen können: „Ich wollte, dass alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin“. Sein Verstand möchte die Wahrheit dieses Einsseins vielleicht erkannt haben, aber sein Herz würde solche Worte nicht durch den Heiligen Geist haben aussprechen können. Der Heilige Geist wird weder durch lange Kerkerhaft noch durch irgendwelche Art von Leiden unterdrückt. Nichts konnte Paulus hindern, sich der Gnade Jesu zu erfreuen. Er konnte sich glücklich nennen in jeder Lage, inmitten der schwierigsten Umstände, und seinen Zuhörern zurufen: „Ich wollte, dass ihr alle solche würdet, wie auch ich bin u. s. w.“

Zum Schluss noch eine Frage: Was würde wohl unsere Antwort auf die Bemerkung des Agrippa: „In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden“, gewesen sein? Hätten wir mit den Worten des Apostels antworten können, oder würden wir gesagt haben: „Wollte Gott, dass du ein Christ würdest!“? Mögen wir unsere Herzen prüfen! Die Antwort des Apostels zeigt das innere Glück, welches er besaß. O glücklich ein jeder, der so reden kann! Und alle Gläubige können in Christo so reden; denn Christus hat von allen gesagt: „Das bin ich“. Aber was uns not tut, ist in der Nähe des Herrn verharren, wie Paulus es tat. Nur dann haben wir volle Freimütigkeit.

Leider kann es manche Dinge in dem Leben eines Christen geben, welche Christum zwingen, ihn zu züchtigen; und in dieser Offenbarung Seiner Liebe gibt es eine große Mannigfaltigkeit. Aber das ändert nichts an der Wahrheit, die wir besprochen haben. Der Christ sieht in Gott jede Art von Güte zu ihm, und als Sünder erblickt er nichts als Gnade. Er schaut in Christo die Gerechtigkeit Gottes, das Leben Gottes und die Herrlichkeit Gottes, ja, er sieht das, was ihn für eins mit Christo erklärt. Er hat ferner den Heiligen Geist, um Jesum verstehen und sich Seiner erfreuen zu können, und damit er durch dieses „Unterpfand“ wisse, dass die Gemeinschaft mit Gott und das Glück, welches diese Gemeinschaft verleiht, für ewig sein sind. Ist es nun ein Wunder, wenn er, mit einem Herzen voll Liebe, ausruft: „Ich wollte, dass alle, die mich hören, solche würden, wie auch ich bin!“?

Das Eintreten in die Gegenwart Gottes räumt alles beiseite, was ein Mensch dem Aufwachen und der Tätigkeit seines Gewissens hindernd in den Weg stellen mag. Vor Ihm, dessen Auge jeden Schleier, jede Bedeckung durchdringt, ist der Mensch mit all seiner Religion nackt und bloß. Und wenn einmal unser Gewissen erwacht, so wird alles das, was wir zwischen uns und Gott gestellt haben, was Ihn unseren Augen verbirgt: alle unsere Sorgen oder Vergnügungen, alle unsere eigene Frömmigkeit oder Gleichgültigkeit, zu einem Gegenstand des Abscheues für uns. Und wenn wir so zu Gott gebracht worden sind, kann Christus zu uns, zu dir und mir, sagen: „Du bist eins mit mir; und Gott beschäftigt sich mit dir, eben weil du eins mit mir bist“; gerade so wie Er einst im Blick auf Seine Jünger hienieden zu Paulus sagte: „Ich bin es, den du verfolgst“.

Möge Gott uns Gnade geben, geliebte Freunde, diese kraftvolle und für unsere Seele so gesegnete Wahrheit besser zu verstehen!

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Viele sind schwach und krank

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 307ff

„Deshalb sind viele unter euch schwach und krank und ein gut Teil entschlafen“ (1. Kor. 11, 30). Diese Worte des Apostels sind uns allen wohlbekannt, und ebenso bekannt ist auch wohl die Ursache jener ernsten Züchtigungen inmitten der in anderer Beziehung so reich gesegneten Versammlung von Korinth. Grobe Unordnungen in Verbindung mit der Feier des Abendmahls hatten den heiligen Gott gezwungen, richtend und züchtigend ins Mittel zutreten. Denn Seinem Hause geziemt Heiligkeit.

Auch in unseren Tagen sind viele schwach und krank; ernste, erschütternde Todesfälle sind nicht selten, und viele Kinder Gottes seufzen unter Schwierigkeiten und schmerzlichen Umständen aller Art. Liegt darin nicht eine ernste, feierliche Mahnung für uns alle? Sollten wir uns nicht auch fragen nach dem „Weshalb“? Dass Gott durch diese Dinge zu uns redet, unterliegt keinem Zweifel. Was hat Er uns zu sagen? Worauf will Er uns aufmerksam machen?

Sicher gibt es vieles in den Häusern der Seinigen, in ihrem Familien- und Geschäftsleben, was mit Seinem heiligen Namen unverträglich ist. Das Verhalten vieler Gläubigen ruft die ernste Frage wach, ob sie nicht ihre Fremdlingschaft hienieden gänzlich vergessen und sich denen gleichgestellt haben, welche „auf der Erde wohnen“, d. h. hier ihre Heimat finden. Man singt wohl: „Im Wort, im Werk, in allem Wesen sei Jesus und sonst nichts zu lesen!“ Aber wie steht’s mit der Verwirklichung? Wird nicht viel ungerichtetes Böses: geistliche Trägheit, Gleichgültigkeit, Ungebrochenheit, Eitelkeit u. dergl., selbst mit dem Tische des Herrn in Verbindung gebracht? Sollte Gott das ungestraft lassen können? Gleichen nicht manche von uns den Israeliten zur Zeit Maleachis, die blinde und lahme und kranke Opfertiere oder Geraubtes Jehova darbrachten und so den Altar des Herrn verunreinigten und verächtlich machten? Müsste nicht Gott auch vielen von uns zurufen: „Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht?« (Lies Mal. 1, 6—8.) Ach! wie oft sind wir in den Stunden, welche einer heiligen Anbetung, einem weihevollen Gottesdienst gewidmet sein sollten, zerstreut und mit allerlei anderen Gedanken beschäftigt! — Wie viele traurige Dinge haben sich ferner hie und da gezeigt! Haben wir uns damit eins gemacht, uns gedemütigt und aufrichtig Leid darüber getragen? Haben wir unsere eigenen „Herzen gereinigt“ und unsere „Hände gesäubert“? Haben wir mit Eifer und Treue gewacht über die Heiligkeit des Tisches unseres Herrn? Waren wir „eifrig in guten Werken“ und „allezeit überströmend in dem Werke des Herrn“?

O möchten wir aufmachen und ,“es hören und zu Herzen nehmen“! Unser Gott ist „ein verzehrendes Feuer“, und Er lässt uns durch Seinen Knecht sagen: „Wenn wir uns selbst beurteilten, würden wir nicht gerichtet." Der Herr gebe uns allen ein aufmerksames Ohr und ein bereitwilliges Herz!

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Simon Petrus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 309ff

12.

Die wiederhergestellte Seele. (Joh. 21, 15 19).

Nachdem der Herr alle Seine Jünger gespeist und dadurch von einer Liebe Zeugnis gegeben hatte, die keinen Unterschied unter ihnen machte, nimmt Er den Petrus beiseite und fragt ihn: „Simon, Sohn Jonas’, liebst du mich mehr als diese?“ Petrus liebte den Herrn; doch gab es einen Jünger, welcher den Herrn, ich möchte nicht sagen mehr, wohl aber in besserer Weise liebte, als Petrus. Während dieser mit seinem Dienst beschäftigt war, beschäftigte sich Johannes mit dem Herrn. Er nennt sich nie den Jünger, der Jesum liebte, sondern den Jünger, den Jesus liebte. Dass Jesus ein solches Wesen, wie er war, liebte, das niederzuschreiben erschien ihm wunderbar; und er wurde nicht müde, es immer wieder zu tun. Jonathan liebte David wie seine Seele, und doch opferte er seine Stellung nicht für ihn auf. Die Liebe der

Abigail glich mehr der des Johannes. Sie bestand in nichts mehr und nichts weniger als dem Bewusstsein, dass sie von einem solchen Manne geliebt wurde, sie, „die Magd, um die Füße der Knechte ihres Herrn zu waschen“. Johannes war, wie Maria von Magdala, mit der Person und der Liebe Christi beschäftigt; auch er erkennt Jesum schnell und hat nicht nötig, wie Petrus, dass ihm jemand sage: „Es ist der Herr“. Petrus wirft sich ins Meer mit dem ganzen Ungestüm seiner Natur, um zu Ihm zu kommen und Ihm seine Zuneigung zu zeigen. Johannes hatte genug an dem Bewusstsein, der Gegenstand der Liebe Jesu zu sein.

„Liebst du mich mehr als diese?“ Petrus hatte gesagt, dass er Ihn mehr liebe, und — hatte Ihn verleugnet.

Der Herr nimmt ihn so zu sagen bei der Hand und geht mit ihm zu dem Ausgangspunkt seines Falles zurück, zu seinem Vertrauen auf seine eigene Kraft und auf seine Liebe für Christum. In den letzten Unterhaltungen des Heilandes mit Seinen Jüngern geben drei Aussprüche des Petrus ein klares Bild von feinem Seelenzustand. Diese sind: „Wenn sich alle an dir ärgern werden, ich werde mich niemals ärgern“. (Matth. 26, 33). „Herr, mit dir bin ich bereit auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Luk. 22, 33); und: „Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Mein Leben will ich für dich lassen“ (Joh. 13, 37). Der Herr greift diese drei Aussprüche wieder auf und beginnt mit dem ersten: „Wenn sich alle ärgern werden“. —„Liebst du mich mehr als diese?“ Ach! alle hatten Ihn verlassen; aber Petrus allein hatte Ihn verleugnet! Petrus konnte sich daher nicht mehr auf seine Liebe stützen, um sich mit Anderen zu vergleichen. In seiner Demütigung beruft er sich denn auch nicht auf seine Gefühle, sondern auf die Allwissenheit des Heilandes: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“. Er fügt nicht hinzu: ,,mehr als jene“; denn er vergleicht sich jetzt mit Christo, und in seiner Demut achtet er die Anderen höher als sich selbst.

Dann sagt Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmlein“. Aus der Demut, verbunden mit der Liebe zum Herrn, fließt der Hirtendienst für die jungen Seelen hervor. Wenn der Herr diese beiden Dinge bei den Seinigen findet, kann Er ihnen jenen Dienst anvertrauen. Andere Gaben stehen vielleicht nicht in solch unbedingter Verbindung mit dem inneren Zustande dessen, dem sie anvertraut werden; aber eine wirkliche Beschäftigung mit den Bedürfnissen schwacher, zarter Seelen ist unmöglich ohne Selbstverleugnung und ohne viel Liebe, nicht nur zu den Seelen, sondern auch zu Christo. „Weide meine Lämmlein.“ Dieses eine Wort zeigt uns, was sie für Jesum sind. Es offenbart den Wert dessen, was der Herr dem Petrus hier anvertraut. Sie sind Sein Eigentum. Wir ersehen zugleich daraus, dass das Herz Christi sich im Blick auf Simon nicht verändert hatte; bei dem ersten Schritt, welchen Petrus auf dem schmerzlichen Wege tat, der zu einer völligen Wiederherstellung führte, vertraute ihm der Herr das an, was Er liebt. Das Herz des Jüngers wurde zermalmt, aber bei dieser Zermalmung von Christo aufrecht gehalten. Jesus erforschte ihn nicht dreimal, um ihm erst beim dritten Male eine Antwort zu geben. Nein, die Antwort erfolgte gleich beim ersten Male. Welch eine zärtliche Liebe und Sorge bei Ausübung der Zucht! Wenn die drei Fragen gestellt worden wären, ohne dass bei einer jeden eine Verheißung ermunternd hinzugetreten wäre, so würde das über seinen Fehler tief betrübte Herz durch übermäßige Traurigkeit verschlungen worden sein. Die Verheißung dagegen unterstützte es bei jedem Schlage, der dazu bestimmt war, es zu zerbrechen. Es erinnert uns an den Dornbusch, der im Feuer brannte, aber durch die Gnade vor dem Verbrennen bewahrt wurde.

Jesus fragte den Petrus dreimal, denn er hatte Jesus dreimal verleugnet. Was blieb beim dritten Male von ihm übrig? Nichts, als was der Herr sehen konnte und was Er hervorgebracht hatte. Betrübnis ohne Zweifel, aber doch verbunden mit der Gewissheit, dass die Liebe des Jüngers, die Frucht der Liebe Christi, obwohl vor den Augen aller begraben unter den Kundgebungen des Fleisches, von dem Auge Christi und von Seiner Allwissenheit unterschieden und erkannt wurde: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe“. Bei der zweiten Frage wird die Überwachung (das Hüten) der Schafe, bei der dritten endlich das Weiden der ganzen Herde den Händen des Petrus übergeben. , Nachdem so die Augen des Petrus durch die Gnade auf sich selbst gerichtet sind und er gezwungen ist, sich auf den Herrn zu berufen, damit Er aufdecke, was Petrus selbst nicht mehr aufdecken will, dann -— und nicht eher — sieht er sich im Besitz der völligen, rückhaltlosen Segnung.

13.

Folge mir nach! (Joh. 21, 18. 19)

Im Vertrauen auf sich selbst hatte Petrus gesagt: „Herr, mit dir bin ich bereit auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Luk. 22, 33). Nachdem jetzt die Seele des Jüngers zerbrochen ist, kann der Herr ihn belehren: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest“. Bei Beginn seiner Laufbahn verfügte er so zu sagen über seine eigene Kraft *); das Vertrauen auf sich selbst war das Ergebnis. Er wandelte, wohin er wollte, und ging so in Unabhängigkeit einher. „Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein Anderer wird dich glitten und hinbringen, wohin du nicht willst.“ Am Ende seiner Laufbahn, wenn das Alter seine natürliche Kraft geschwächt haben würde, sollte er betreffs der Kraft von einem Anderen abhängig sein, und er würde einem Anderen erlauben müssen, ihn zu führen und dahin zu bringen, wohin sein Wille ihn niemals geführt haben würde. Petrus hatte gesagt: „ins Gefängnis und in den Tod“. Das sollte geschehen, aber keineswegs in der Kraft des Menschen; es würde in Erfüllung gehen inmitten der Schwachheit des Greisenalters. „Dies aber sagte Er, andeutend, mit welchem Tode er Gott verherrlichen sollte.“ Gott sollte in dieser völligen Zerbrechung des Menschen verherrlicht werden, und zwar dann, wenn derselbe alt, schwach und gegen seinen Willen von Anderen geführt, anscheinend ein nutzloses Werkzeug geworden sein würde. Welch verkehrte Begriffe haben wir gewöhnlich von dem, was Gottes Gedanken entspricht und was Ihn ehrt! Wenn wir, körperlich und vielleicht selbst geistig schwach geworden, von den Menschen als unbrauchbar beiseite geworfen werden, wenn wir im Gefühl unserer Unbrauchbarkeit gleich der Welt sagen möchten, dass wir zu nichts mehr taugen, erklärt Gott, dass wir für Ihn brauchbar sind. Bis zu diesem Augenblick hatte Petrus mit all seiner Energie den Herrn mehr verunehrt als verherrlicht. Nun aber beginnt der Mensch alt und schwach zu werden und abzusterben, und vor seinem Tode sagt Gott: Hierin gerade werde ich verherrlicht. Das will sagen: Diese Seine Verherrlichung wird nur in solchen Gefäßen verwirklicht, welche zerbrochen sind, ihre Abhängigkeit fühlen und keine andere Kraft mehr haben als die Kraft Gottes.

Hierauf sagt Jesus: „Folge mir nach!“ Er beantwortet damit die frühere Frage des Petrus: „Warum kann ich dir jetzt nicht folgen?“ (Joh. 13, 37). Von nun an wird Petrus Ihm folgen können.

Petrus wendet sich um und sieht Johannes nachfolgen, „den Jünger, welchen Jesus liebte, der sich auch

bei dem Abendessen an Seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert?“ (V. 20). Drei Dinge kennzeichnen hier den geliebten Jünger: er war der Gegenstand der Liebe Christi und war sich dessen bewusst; er hatte Vertrauen auf Christum allein, und sein Sichlehnen an die Brust Christi während des Abendessens bewies eine Innigkeit der Gemeinschaft mit dem Meister, welche andere nicht besaßen. Es gibt keinen einfacheren Beweggrund, Jesu nachzufolgen, als diesen: Seine Liebe, die uns bekannt ist, zieht uns zu Ihm hin; diese Liebe gewinnt naturgemäß unser Vertrauen und bringt uns in Gemeinschaft mit dem Herrn. Petrus wurde gegeben, dem Herrn jetzt Schritt für Schritt nachzufolgen, selbst durch den Tod. Die Erfahrungen, die er von sich selbst gemacht hatte, bevor er „zurückgekehrt“ war (Luk. 22, 32), waren beendigt; er hatte das Vertrauen auf sich selbst verloren, das Vertrauen auf Christum gewonnen, und er betrat jetzt den gesegneten Weg, auf welchen er lernen sollte, die Abhängigkeit bis zum Tode zu verwirklichen. Ich sage: „lernen sollte“; denn diese Abhängigkeit wird nicht auf einen Wurf und mit einem Male gelernt, so tief auch die in der Seele hervorgebrachte Wirkung sein mag. „Wenn du alt geworden bist“, sagte der Herr. Petrus musste bis zum Tode erprobt werden, und in diesem Tode sollte sich, wie bei seinem Meister, die Krönung eines Lebens finden, welches dazu bestimmt war, Gott zu verherrlichen. Johannes hatte eine andere Mission: ihm ward es nicht gegeben, dem Pfade Christi in einen gewaltsamen Tod zu folgen, sondern bildlicherweise zu bleiben, bis der Herr kommen würde, indem er bei dem allmählichen Abweichen und dem Verfall der Kirche zugegen war, wie auch bei jener machtvollen Erscheinung des Herrn in Verbindung mit der Kirche (siehe die Offenbarung), deren Vorbild die Jünger auf dem heiligen Berge hinsichtlich des Reiches gesehen hatten. Doch auch Johannes folgte dem Herrn nach. Er bedurfte nicht, wie Petrus, eines Befehls oder einer Aufforderung, Ihm nachzufolgen; die Liebe zog ihn zu Ihm hin.

Indem er dem Herrn nachfolgt, hat Petrus sich nicht mit Anderen zu beschäftigen. „Was geht es dich an?“ sagt der Herr; „folge du mir nach“. In dem Augenblick, wo man sich umwendet, hört man auf nachzufolgen und bleibt stehen. Die Sache ist ernst. Um Ihm nachzufolgen, muss man nur einen Gedanken haben und ein einfältiges Auge besitzen. Petrus konnte nicht zugleich mit Johannes und mit Christo beschäftigt sein. Um dem Herrn gut nachzufolgen, ist es nötig, dass Er uns so mächtig ergriffen habe, dass wir nicht mehr uns selbst angehören. Das ist das einzige Mittel, um uns selbst zu verleugnen, das einzige Mittel, um mutig unser Kreuz aufzunehmen; wir sind dann der Überzeugung, dass Jesus allein es wert ist, dass man Ihm hienieden nachfolge, bringt es uns selbst ein Leben voller Leiden. Die Jünger sind Ihm auf zweierlei Art nachgefolgt: vor und nach dem Kreuze. Im 1. Kapitel des Evangeliums Johannes sagt Jesus zu Philippus: „Folge mir nach“, und im letzten Kapitel spricht Er zu Petrus dasselbe Wort. Im ersten Falle, vor dem Kreuz, verließen die Jünger alles, um Ihm nachzufolgen, denn sie glaubten an Ihn; aber ihr Lauf endete vor Golgatha, und sie flohen alle. Petrus hielt am längsten stand und folgte Ihm von weitem; aber wir haben gesehen, welchen Ausgang das nahm.

Jenseits des Kreuzes beginnt der unterbrochene Weg von neuem; aber nunmehr folgen die Jünger einem auferstandenen, himmlischen Christus nach, der ihrem Wandel Sein Gepräge aufdrückt: er wird himmlisch Vor dem Kreuze konnte auch die Volksmenge, obwohl aus anderen Beweggründen und mit anderen Gefühlen als die Jünger, Ihm nachfolgen; nach dem Kreuze kann das die Welt nicht mehr, denn dazu bedarf es des Endes des alten Menschen und der Macht des Geistes, zweier Dinge, die nur von dem Gläubigen gesunden werden, Und zwar in dem Tode und der Auferstehung Christi.

Gott wolle uns viel ausdauernde Kraft und eine beständig wachsende Energie geben, um Jesu nachzufolgen! Und indem wir Ihm nachfolgen, der uns ein Beispiel hinterlassen hat, damit wir Seinen Fußstapfen nachfolgen“ (1. Petr. 2, 21), werden wir ein Beispiel für Andere werden. Es ist unser großes Vorrecht, in Jesu das Beispiel eines Menschen zu besitzen, der hienieden in unbedingter Vollkommenheit wandelte, sowie zugleich das Beispiel eines Menschen, der sich für uns in: Himmel geheiligt hat; doch, ich wiederhole es, indem wir Ihm nachfolgen, können wir selbst ein Beispiel für unsere Brüder werden. Der Apostel Paulus sagte: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und sehet hin auf die, welche also wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt (Phil. 3, 17). Er stellte sich nicht als jemanden hin, dem man nachfolgen müsse, (damit würde er sich an die Stelle Jesu gesetzt haben,) aber er bot das Beispiel eines Menschen, welcher, indem er nur diese gesegnete Person zum Gegenstand seines Herzens hatte, danach trachtete, Ihm hienieden nachzufolgen, und dessen Lauf zu Ihm hinging als seinem einzigen Ziel in der Herrlichkeit. So verbarg die Persönlichkeit Pauli nicht nur nicht den Herrn vor den Augen seiner Brüder, nein, sie stellte Ihn vielmehr ins volle Licht als den einzigen Gegenstand, welcher der Nachfolge und des Ergreifens wert ist.

Fußnote

*) Der Gurt dient zur Stärkung der Lenden. Es ist interessant, in dem Worte zu sehen, dass man sich gürtet für den Wandel (2. Mose 12, 11), für den Dienst (Luk. 12, 35) und für den Kampf (Eph. 6, 14).

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Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?

Bibelstelle: Hiob 9

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 317ff

In Hiob sehen wir das- Bild einer starken, rechtschaffenen Seele, welche die Gnade nicht versteht und ein

gut Teil Eigenwillen besitzt. Hiob wusste, dass er kein Heuchler, sondern ein aufrichtiger Mann war. Gott selbst hatte von ihm gesagt: „Seinesgleichen ist kein Mann auf Erden, vollkommen und rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend (Kap. 1, 8); und Hiob war sich dessen wohl bewusst. Es gab in seinem Herzen viel Eigengerechtigkeit, Selbstgefälligkeit und Eigenwille. Seine Frömmigkeit ließ ihn zwar alle Widerwärtigkeiten, die über ihn kamen, Gott zuschreiben, aber sein Stolz empörte sich dagegen. Es ist sehr interessant, die Übungen einer in einem derartigen Zustande befindlichen Seele zu betrachten. Hiob sagte viel Richtiges von Gott, und er wusste, dass Gott ihn nicht so behandeln würde, wie seine Freunde es taten. Ja, er wünschte, Gott zu finden. Er wusste, Gott würde ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn er Ihn fand; denn „Er bleibt sich gleich, und wer kann Seinen Sinn ändern?“ (Kap. 23, 13). Aber Hiob konnte Gott nicht finden. Ihm war das Geheimnis noch nicht aufgeschlossen, wie es uns aufgeschlossen ist; er nannte sich selbst gerecht, und vor Menschen war er es auch. Aber die Frage, welche sich jetzt erhob, war: Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott? Wie kann wahre Gerechtigkeit gefunden werden?

In Hiob war Leben, und es gab viel Liebliches in seinem Wandel, viel rechtschaffenes Handeln u. s. w. Gott konnte auf ihn hinweisen und zu Satan sagen! „Hast du acht gehabt auf meinen Knecht Hiob?“ Es war nicht Satan, der zuerst das Wort nahm; nein, Gott sprach zu Satan. Gott wusste, was Er zu tun vorhatte; Satan wusste es nicht. Diese Geschichte zeigt uns die Hilfsquellen, welche der Seele zu Gebote stehen, wenn Gerechtigkeit gefordert wird. Sie trug sich zu, bevor das Gesetz gegeben wurde; wenn nicht vor den Verheißungen, so doch ehe das Evangelium kam. — Wie kann ein Mensch vor Gott gerecht sein? Diese Frage bildete die Seelenübung Hiobs. Seine Freunde dachten daran gar nicht. Sie standen auf einem ganz anderen Boden. . Sie waren der Meinung, diese Welt sei die Stätte, wo Gottes Gerechtigkeit in Seinen Regierungswegen geoffenbart werde. Aber Hiob sah das gerade Gegenteil; er sah, wie die Gottlosen Gedeihen hatten, während die Gerechten trauerten.

Manche Menschen sagen uns, —- und die Weise, wie sie ihre Meinung belegen, ist durchaus verständig, — dass die andere Welt die Stätte sei, wo die gerechten Taten ihren Lohn und die bösen ihre Vergeltung finden würden. Aber warum werden dann diejenigen, welche einen guten Platz in jener Welt verdient haben, in dieser gequält? Es ist bekanntlich keineswegs der Fall, dass die äußere Lage der Menschen stets ihrem Wandel und Betragen entspricht. Woher kommt das? Nun, es gibt noch eine andere Sache, neben der Gerechtigkeit; und diese andere Sache ist die Gnade. Die Gnade begegnet der Sünde, ohne jedoch dabei die Gerechtigkeit außer Acht zu lassen oder ihr Abbruch zu tun. Aber der Mensch kennt nichts von diesem Gnadenwege Gottes.

Hiob hatte noch nicht gelernt, was seine eigene Gerechtigkeit wert war; auch nicht, wie Gott eine Seele zu einem Bewusstsein über ihren wahren Zustand bringt. Weder Hiob noch seine Freunde verstanden Gottes Gnadenwege; es war ihnen völlig fremd, wie Gott über die Sünde hinwegschreiten kann, indem Er ihr in Gnade begegnet. Hiobs Freunde konnten gelehrte Auseinandersetzungen halten, sie konnten viele Wahrheiten aussprechen; aber was für ein Trost lag darin für ein zerbrochenes Herz?

Heute beschäftigt sich Gott in Christo mit dem Sünder. Die Menschen sind nicht tätig für Gott, nein, Gott wirkt in Gnade für den Menschen, wegen seines traurigen, hilflosen Zustandes. Christus sagte einst zu den Pharisäern, die Ihn der Verletzung des Sabbats beschuldigten: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“. Er hatte den Sabbat nicht gebrochen, sondern Gott wirkte, weil der Mensch in Sünde und Elend gefangen lag.

In unserem Falle handelte Gott weder auf Grund des Gesetzes, noch der Verheißungen, noch der völligen Gnade, wie sie in Christo geoffenbart worden ist; vielmehr sehen wir einen Menschen vor uns, der von Satan angeklagt wird, und mit dem sich Gott in Seiner besonderen Weise beschäftigt. Eine Meisterhand hielt die Fäden und leitete alles, wenn auch Satan erlaubt wurde, Hiob zu sichten. Infolge der Anklage des Widersachers muss Hiob einen ernsten, aber höchst gesegneten Prozess durchmachen. Er wird darüber unterwiesen, wie ein Mensch, ein Sünder, in der Gegenwart Gottes selbst gesegnet werden kann, wie es möglich ist, Gott zu kennen und Seine Gedanken und Gefühle zu verstehen. — Es wurde Satan gestattet, das Eigentum Hiobs, nicht aber ihn selbst anzutasten. Was uns zunächst erzählt wird, der Verlust von Kindern, von Hab und Gut, erscheint uns vielleicht als ein alltägliches Vorkommnis. Aber Gott ist darin, und Er zeigt uns, wie Er alles ordnet und leitet. Hiob hält diese Verluste aus; er schreibt Gott nichts Ungereimtes zu, sondern preist den Namen des Herrn. Doch sein Herz ist noch nicht erreicht.

Doch Gott muss Sein Werk vollenden. Er kann nichts halb tun. Hiob sitzt in der Asche, umgeben von seinen Freunden, sieben Tage und sieben Nächte lang. Er ist jetzt ein Malzeichen für jedermann, und das ist zu viel für ihn. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Früher hatte Behaglichkeitsgefühl gehabt, aber er war nie in der Gegenwart Gottes geübt worden. So können manche viel Gutes von Gott sagen, die noch nie erprobt und geschmeckt haben, was sie selbst in der Gegenwart Gottes sind. Was wir aber bedürfen ist eine Gerechtigkeit, die selbst in der Gegenwart des heiligen Gottes nicht wankt. Wir müssen dahin gebracht werden, nicht nur die Gnade zu kennen und uns ihrer bewusst zu sein, sondern auch mit unseren Gewissen in dem Lichte der göttlichen Wahrheit zu stehen. Wenn wir in der Gegenwart Gottes weilen, so entdecken wir praktischer Weise all das Böse und Verkehrte, das in den Beweggründen und Quellen unserer Herzen verborgen liegt: diese müssen bloßgelegt werden. Wie viele Menschen sind mit Gott so unzufrieden wie nur möglich, weil sie nichtnach Heiligkeit trachten, sondern nur suchen, es sich auf Erden bequem zu machen! So lange nicht der Wille in der Gegenwart der Majestät Gottes gebrochen ist, kann es keine richtige Stellung der Seele vor Gott geben.

Gott hasst die- Ungerechtigkeit und liebt die Gerechtigkeit; aber was kann das einem gefallenen, verderbten Menschen nützen? Er bedarf etwas anderes; und dieses andere ist, wie gesagt, die Gnade. Aber der Mensch will diese Gnade nicht. Obwohl er sich der Sünde bewusst ist, bleibt sein Wille ungebrochen, und er betrügt sich selbst. — So viele Christum annehmen, rechtfertigen Gott in Seinem Urteil über den Menschen. Aber wie viele gleichen heute den Pharisäern, die sich vor allem darüber beklagten, dass der Herr sich mit Zöllnern und Sündern zu Tische setzte und aß! Der Zöllner aber kann sagen: Das ist es gerade, was ich bedarf. Der Sünder rechtfertigt Gott dadurch, dass er die Sünde anerkennt und die Gnade annimmt. So lange ein Mensch nicht zu dem Bekenntnis kommt: „Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott!“ kennt er Gott nicht. Er ist vielleicht willens, mit Ihm zu rechten; aber was nützt das? „Wenn er Lust hat, mit Ihm zu rechten, so kann er Ihm auf tausend nicht eins antworten“ (V. 3). Gott liebt Gerechtigkeit; aber was kann mir das helfen? Wie viele Sünden habe ich begangen, heute, gestern, vorgestern und so weiter! Es ist ein schlimmes Ding, Gott auf diesem Boden begegnen zu wollen.

In dem weiteren Verlauf unseres Kapitels führt Hiob einen anderen Fall an. Er kann Gott in Seiner Majestät nicht antworten, und Seine Liebe erkennt er nicht. „Wenn ich auch gerecht wäre“, sagt er, „so würde mein Mund mich doch verdammen.“ (V. 20). Wie kann ich gerecht sein, wie mich rechtfertigen, ich, dessen Mund in einer einzigen Woche schon so viel Törichtes gesprochen hat? Und wenn ich nun ungerecht bin, was kann ich tun? Hiob ist in seiner Seele darüber ganz erregt, und er ruft aus: „Den Vollkommenen und den Gesetzlosen vernichtet Er. Wenn die Geißel plötzlich tötet, so spottet Er der Prüfung der Unschuldigen.“ (V. 22. 23). Eine Geißel, eine Krankheit oder dergl. kommt, und vielleicht fällt ihr die beste Familie zur Beute. Soll ich nun Gott aufgeben und mich um diese Dinge, die mir unbegreiflich sind, nicht weiter bekümmern? Unmöglich! Hiob hat es nun einmal mit Gott zu tun, und er kann Seiner Hand nicht entrinnen; denn Gott ist nicht ein Mensch wie wir. Er würde sich gern aus Gottes Gegenwart entfernt haben, wenn er gekonnt hätte; aber er konnte es nicht. Hiob befand sich ganz und gar im Unrecht im Blick auf diese Dinge, er urteilte ganz verkehrt; aber von Gott konnte er dennoch nicht loskommen.

„Wenn ich mich mit Schnee wüsche“, hören wir ihn weiter sagen, „und meine Hände mit Lauge reinigte, alsdann würdest du mich in die Grube tauchen, und meinen eigenen Kleidern würde vor mir ekeln“ (V. 30. 31). Ich kann mich selbst nicht reinigen vor Gott. Das Leben der Menschen in dieser Welt setzt einen in Erstaunen. Sie denken an ihren Charakter, an ihren rechtschaffenen Lebenswandel, sie suchen Ehre von einander u. s. w. Aber was sind sie in den Augen Gottes? „Übertünchte Gräber, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll Totengebeine und aller Unreinigkeit sind.“ Je mehr ein Mensch sich anstrengt Gutes zu tun, gut zu sein, desto mehr findet er, dass er dem Mohren gleicht, der seine Haut nicht· ändern kann: das Böse ist in seiner Natur, und er kann nicht davon loskommen. Wenn ein Herz wirklich aufrichtig ist, so wird der Kampf immer heftiger. Das Bewusstsein der Aufrichtigkeit, ohne dass man die Gerechtigkeit kennt, bereitet dem Herzen tiefen Kummer, macht es ganz elend. Hieb sagt: „Sein Schrecken ängstige mich nicht“. Er kannte diesen Schrecken. Gott sei gepriesen! Er hat ihn in Christo weggenommen, und zwischen uns und Gott steht jetzt ein Schiedsmann, dessen Notwendigkeit Hiob lebhaft fühlte (V. 33).

Die Folgen der Sünde sind heute noch nicht bekannt. Gott ist jetzt beschäftigt, zu erretten, nicht in Gerechtigkeit zu richten. Es kommt die Zeit, wo Er in Gerechtigkeit regieren wird. Jetzt reitet Er Seelen für einen besseren Zustand hernach; aber wenn Er in Gerechtigkeit regieren wird, so wird „der Sünder als Hundertjähriger verflucht werden“. Wir können heute nicht von den Umständen auf den Seelenzustand einer Person schließen; wir können nicht sagen, dass solche, auf die der Turm zu Silvani fiel, schlechter waren als alle Bewohner von Jerusalem.

Wenn ich zu dem Punkt komme, zu sagen -— nicht: die Welt ist böse, sondern: ich bin böse, so finde ich den „Schiedsmann“ zwischen mir und Gott. Jesus ist zu mir gekommen trotz der ganzen Verderbtheit meines Herzens; ja, Er hat sich gerade deshalb mir zugewandt, weil ich in einem solch traurigen Zustand bin. Jetzt wirkt nicht nur Gott in mir, indem Er Satan sendet, um den brachliegenden Boden meines Herzens auszupflügen und meinem Gewissen zu zeigen, was lange vorher da war, ohne dass ich es wusste, sondern Gott wirkt für mich. Er führt eine Gerechtigkeit, Seine eigene Gerechtigkeit, für den Sünder ein. Er tut ein Werk für uns.

Das Erste, was ich also finde, ist, dass dieser mein Zustand Ihn nicht von mir fern gehalten, nein, dass er im Gegenteil Ihn mir nahe gebracht hat. Das ist Gnade, nicht Gerechtigkeit. Meine Sünde vor mir zu verbergen, wäre nicht Barmherzigkeit. Mich die Dinge nicht so sehen zu lassen, wie Gott sie sieht, ist keine Barmherzigkeit. Wenn aber Gott mir begegnet, gerade so wie ich bin, und dann, erhaben über die Sünde, mit mir handelt, so erweist Er mir Barmherzigkeit. Christus erschreckt nie jemanden, der in seiner Not zu Ihm kommt. Dem Heuchler verkündet Er Schrecken; aber zu dem Armen im Geiste sagt Er:-„Fürchte dich nicht! Ich bin alles, was du nötig hast“. Vielleicht wendet der Arme ein: „Aber ich bin ein solch großer Sünder“. Christus antwortet: „Gerade deshalb bin ich gekommen“. Oder er sagt: „Ich habe einen schrecklichen Eigenwillen“. Wieder entgegnet Christus: „Deswegen bin ich gekommen; ich will deinen Willen brechen“. — „So verurteile auch ich dich nicht“, sagte Er einst zu dem von den Pharisäern wegen Ehebruchs angeklagten Weibe. Er war nicht gekommen, zu richten.

Niemand kann mir einen Fall nennen, wo Jesus ein überführtes Gewissen in Furcht versetzt hätte. Nein, Er nimmt die Furcht weg, anstatt sie zu verursachen. Er ist als der Ärmste und Niedrigste gekommen, um solchen, die in Not sind, zu begegnen und um ihnen alle Furcht vor Ihm zu benehmen. Die Gnade regiert heute; sie ist erschienen in Gottes eigener, gesegneter Unumschränktheit.

Wie verschieden sind doch die Gedanken der Menschen über die Gerechtigkeit von den Gedanken Gottes! Wir, die wir die Gnade an unseren Herzen erfahren haben, können den Dingen um uns her ruhig ihren Lauf lassen, ohne zu versuchen, alles in Ordnung zu bringen, da wir wissen, dass wir etwas Besseres besitzen. Wir sind Gottes Gerechtigkeit geworden in Christo Jesu!

Wir haben einen Schiedsmann, der Seine Hand nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf Gott legt.

(V. 33.) Er ist der Mittler, der die Versöhnung zuwege gebracht hat. Christus ist nicht nur zu mir in meinen

Sünden gekommen, Er ist auch gekommen, um meine Vertretung, meine ganze Sache zu übernehmen. Er hat es getan, Er hat im Blick auf meine Sünden alles in Ordnung gebracht, und ist jetzt in die Gegenwart Gottes zurückgekehrt, um dort für mich zu erscheinen. Er ist einmal unter uns für Gott erschienen, aber jetzt ist Er hingegangen, um für uns bei Gott, in Seiner Gegenwart, zu erscheinen. Ich habe deshalb jeden Versuch, mich selbst zu verantworten, als nutzlos ausgegeben; Er hat meine Verantwortung übernommen, und die einzige Frage ist, ob Gott jetzt befriedigt ist und Seine Vertretung angenommen hat. Hier nun tritt der Glaube ein und nimmt Gott bei Seinem Wort, wenn Er sagt, dass Er Jesum angenommen habe. Das Werk, welches der Schiedsmann getan hat, ist von Gott angenommen worden. Wir wissen nicht nur, dass ein Schiedsmann da ist, sondern auch, dass dieser Schiedsmann „sich gesetzt“ hat, da das Werk beendet und nichts mehr (was das Opfer betrifft) zu tun übriggeblieben ist.

Und nicht nur hat sich Christus zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt und dadurch den Beweis geliefert, dass alle, die geheiligt werden, durch ein Opfer auf immerdar vollkommen gemacht sind; auch der Heilige Geist gibt hiervon Zeugnis, wenn Er sagt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (Vergl. Hebr. 10, 11 — 18).

Es ist also Gerechtigkeit vorhanden. Wo? Vor Gott. Ich rede jetzt nicht von den Früchten der Gerechtigkeit, sondern von der Gerechtigkeit an und für sich. Gott hat Christum dahingegeben; das ist Liebe. Er hat Sein Werk angenommen; das ist Gerechtigkeit. Furcht ist jetzt nicht mehr vorhanden. Wie wäre es möglich? Die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit. Ich stehe in der Gegenwart Gottes kraft der vollkommenen Gerechtigkeit, welche Gott dargebracht worden ist. Wo ist Liebe zu sehen? In uns, den Christen, ist ihre Darstellung sehr schwach, aber in Gott ist die Liebe nicht schwach. In Ihm finde ich vollkommene Liebe. Und warum muss Er mein Herz zerbrechen? Gerade weil es ein hartes Herz und weil Er die Liebe ist.

In unserer Geschichte sehen wir das ganze Land, Sabäer, Chaldäer usw. in Bewegung gesetzt, um Hiobs Herz in die richtige Stellung zu bringen. Die Hand Gottes war in diesem allem, und wir besitzen jetzt den Schlüssel dazu im Evangelium. Eigenwille, Stolz, alles muss zerbrochen werden, vielleicht durch schwere, schmerzliche Wege, die Gott uns führt; aber Er ist Liebe, vollkommene Liebe. Er hat die Sünde durch das Kreuz hinweggetan und für uns Gerechtigkeit ausgewirkt. Was haben wir also noch zu fürchten? Mag Er auch unsere Seelen üben, damit wir Gutes und Böses unterscheiden lernen, es ist doch nur Liebe. Ja, wir können uns sogar der Trübsale rühmen, „wissend, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung“ (Röm. 5, 3. 4).

Geliebter Leser! Hast du in Christo, dem Schiedsmann, Ruhe gefunden? Oder sagst du noch, wie so viele

andere: „Wenn ich nur meine Hände ein wenig reiner waschen und mein Gewissen ein wenig mehr beruhigen könnte, dann wäre alles gut“? Ach! mit solchen Überlegungen kannst du in der Gegenwart Gottes nicht bestehen. Wenn du dich auch mit Schnee wüschest und deine Hände mit Lauge reinigtest, so würdest du doch vor dem Auge des Heiligen und Gerechten in dem ganzen Unflat der Sünde dastehen. Warum willst du also nach einer Gerechtigkeit trachten, die nur Trug ist und in der Gegenwart Gottes in ihr Nichts zerfällt? Nein, das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, allein vermag uns von aller Sünde zu reinigen. Dieses Blut hat Sühnung für uns getan, und Christus zur Rechten Gottes ist unsere Gerechtigkeit.

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Freude in Gott

Bibelstelle: Psalm 63

Botschafter des Heils in Christo 1902, S. 328ff

„Gott, du bist mein Gott!“ So frohlockte David einst, als er in der Wüste Juda war und vor Saul, seinem Feinde, floh. Er war einsam und verlassen, ein Fremdling in dem Lande seiner Väter, aber umso inniger klammerte sich seine Seele an den lebendigen Gott. So ist es stets, wenn der Glaube in dem Herzen lebendig und wirksam ist. Je größer die Schwierigkeiten sind, je einsamer und verlassener eine Seele sich in dieser Welt der Sünde und des Elends fühlt, desto köstlicher und herrlicher wird Gott für sie. Denn sie hat Ihn angeschaut im Heiligtum, sie kennt Ihn. (V. 2.) Der Herr Jesus, der wahre David, allein konnte diese Worte in ihrer vollen Kraft und Bedeutung aussprechen; aber bis zu einem gewissen Maße können sie auch den Ausdruck des Zustandes und der Gefühle der Seinen bilden. Die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns lässt uns diese Welt als „ein dürres und lechzendes Land ohne Wasser« erscheinen. Wir finden hier nichts, was uns erquicken und stärken könnte, gleichwie die Taube Noahs keinen Ruheplatz, für ihren Fuß fand. Es gibt tatsächlich in dieser Welt nichts, was den Hunger und Durst der Seele stillen könnte. Das Fleisch kann seine Begierden hier befriedigen, nicht aber das neue Leben aus Gott, der Geist Christi in uns.

Jeden Augenblick Seines Lebens, ohne eine einzige Ausnahme, hat der Herr Jesus hienieden nur ein dürres Land ohne Wasser gefunden. Für Ihn gab es hier keinen Genuss. Selbst Seine Jünger stritten bei der Feier des Abendmahls miteinander, wer von ihnen für den Größten zu halten sei. Johannes der Täufer wurde irre an Ihm. Seine Freunde verstanden Ihn nicht. Teilnahme und Mitgefühl, sowie eine Antwort auf die Liebe ,Seines Herzens suchte Er vergeblich. Alles das hatte zur Folge, dass der Himmel, aus welchem Er herniedergekommen war, stets vor Seiner Seele stand, und in Verbindung damit die Gemeinschaft mit Seinem Vater und der Genuss der himmlischen Dinge. Dasselbe ruft der Heilige Geist, wenn auch in unendlich schwächerem Maße, in uns hervor. Eine weitere Folge ist, dass die Seele nach Gott dürstet; und dieser Durst nimmt in demselben Maße zu, wie uns die Welt öde und dürr vorkommt. Nichts in der Welt und alles in Gott zu finden — das sind die untrüglichen Kennzeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes in uns.

„Gott, du bist mein Gott!“ Dieses Gefühl wird, wie gesagt, umso lebendiger werden, je einsamer wir uns hier fühlen. Das Verhältnis des Herzens zu Gott wird vertraulicher und inniger; der Gläubige sagt: „mein Gott“, nicht nur: „Unser Gott“. So schreibt auch der Apostel aus dem einsamen Gefängnis zu Rom an seine geliebten Philipper: „Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum“ (Phil. 4, 19). Diesen Gott hatte er kennen gelernt als den nie Wankenden, ewig Treuen, der sich Seines von allen verlassenen Knechtes mit solch zärtlicher Fürsorge annahm, als wenn er der Einzige auf Erden gewesen wäre, mit welchem Er Seinen heiligen Namen verbunden hatte.

Eine weitere Folge ist, dass die Seele danach verlangt, die Macht und Herrlichkeit Gottes zu sehen (V. 2).

Jesus sah diese Dinge in der Welt nicht; auch wir sehen sie nicht. Was Er hienieden sah und was auch uns immer wieder entgegentritt, ist im Gegenteil die Macht Satans. Aber gerade die Offenbarungen dieser Macht und die Ungerechtigkeit der Welt, die alles, was Gott gemacht hat, verdirbt und verunreinigt, erwecken und nähren das Verlangen in uns, die Macht und Herrlichkeit Gottes zu betrachten. Auch in der Christenheit sehen wir diese Macht und Herrlichkeit nicht. Das was einst so schön und herrlich dastand, ist in Trümmer zerfallen, ja, ist ein Hindernis für die Ausbreitung der Wahrheit und die Bekehrung der Ungläubigen geworden. Wir müssen jetzt gerade so gut gegen den Verfall des Christentums ankämpfen, wie gegen das Heidentum.

Was war es, das den Herrn Jesum so sehr danach verlangen ließ, diese Macht und Herrlichkeit Gottes zu

sehen? Weil Er aus dem Himmel herabgekommen war und sie dort gesehen und genossen hatte. Er redete von dem, was Er gesehen und gekannt hatte. Ihm waren alle Pläne und Ratschlüsse Gottes bekannt. Welche Gedanken mussten Ihn deshalb erfüllen, wenn Er in dieser Welt, über welche Satan regiert, den Zustand erblickte, in den die Geschöpfe Gottes durch die Sünde gekommen waren! Welche Gefühle mussten Seine reine, heilige Seele, Sein liebendes Herz bestürmen! Er wünschte das anzuschauen, was Er früher gesehen hatte. Er hatte die Herrlichkeit des Himmels aufgegeben und wanderte nun in der Wüste dieser Welt umher. O was muss Er gelitten haben bei dem Anblick all des Sündenelends um Ihn her! Welch ein sehnendes Verlangen nach dem, was Er aus Gnaden um unsertwillen aufgegeben hatte, muss in Seinem Herzen gewesen sein!

Etwas davon kann und wird auch der Christ, wie bereits bemerkt, fühlen; bis zu einem gewissen Grade ist

es auch sein Teil. Denn auch er kommt aus der Gegenwart Gottes, wohin er durch den Glauben versetzt ist, um seinen Wandel in dieser Welt zu führen. Sein Heim ist droben, und er hat das Gefühl, dass er sich in einem Lande befindet, wo Öde und Dürre herrschen; denn er hat die Süßigkeit der Gemeinschaft mit Gott in Christo geschmeckt. In der Stille des Heiligtums hat Er Gott angeschaut und sich in Seine Gedanken und Ratschlüsse mit himmlischer Freude versenkt. Und ach! wie steht alles in dieser Welt im schneidendsten Gegensatz zu dem, was er dort gesehen und genossen hat!

Die Gewissheit, dass Gott sein Gott ist, treibt den Gläubiger: an, Ihn schon frühe, bei Anbruch der Morgenröte, zu suchen. Er hat volles Vertrauen zu Ihm und beginnt mit Ihm sein Tagewerk, seinen täglichen Weg; und obwohl er nichts von der Herrlichkeit Gottes rund um sich her sieht und sehnlichst nach ihr seufzt, verhindert ihn das doch nicht, Gott zu loben und zu danken. „Deine Güte, sagt er, „ist besser als Leben; meine Lippen werden dich rühmen. Also werde ich dich preisen während meines Lebens, meine Hände aufheben in deinem Namen“ (V 3. 4). Hienieden gibt es keine Ursache zur Freude; aber die Seele freut sich in Gott, in Seiner Güte. Das ist der Geist Christi. Er pries Gott, selbst wenn Er am Ende Seiner Wirksamkeit sagen musste: „Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt“ (Jes. 49, 4). Angesichts des Unglaubens des Volkes Israel und der Herzenshärtigkeit der Bewohner von Kapernaum, Chorazin und Bethsaida, „frohlockte Jesus im Geiste und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde“ (Luk. 10; Matth. 11). Er sah die Herrlichkeit voraus, welche auf Seine Verwerfung folgen sollte, den Sturz Satans aus dem Himmel, die Vernichtung der Macht der Finsternis und die Einführung der Macht und Herrlichkeit Gottes. Und so freute Er sich in Gott und frohlockte in den göttlichen Ratschlüssen, nachdem Er eben erst in der schmerzlichsten Weise erfahren hatte, in welch einer armen, öden Wüste Er war.

Ähnlich ist es mit uns. Gerade die Erfahrung des traurigen Charakters unserer Umgebung lässt das Verlangen nach der Offenbarung der Macht und Herrlichkeit unseres Herrn immer lebendiger in uns werden. Wir sehnen uns danach, dass Er, der Geliebte unseres Herzens, hier regieren möge, wo Sünde und Gewalttat herrschen; wir wünschen Ihn zu sehen als den Mittelpunkt all der Herrlichkeit, die Ihm gehört, als Den, der allem Leid und Kummer dieses Tränentales ein Ende machen wird. Wir haben in der Stille des Heiligtums Ihn kennen gelernt; Er hat sich selbst uns geoffenbart, und Gott hat uns Seine Gedanken und Ratschlüsse über Ihn mitgeteilt, und nun schmachtet die Seele nach der Verwirklichung derselben. Wie könnte es anders sein bei einer Seele, die Ihn liebt und Tag für Tag erfahren muss, wie Sein teurer Name in dieser Welt verunehrt wird? Der „Tag Seiner Macht“ wird all dieser Verunehrung, dem ganzen gegenwärtigen Zustande für immer ein Ziel setzen und uns Jesum zeigen in all Seiner Herrlichkeit, wie Er ist.

„Deine Güte ist besser als Leben.“ Um diese Worte richtig zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, was das Leben auf dieser Erde für einen Israeliten bedeutete. Alle seine Hoffnungen waren mit demselben verknüpft, alle seine Erwartungen waren irdisch, zeitlich, gingen nicht über das Grab hinaus. Allerdings bot das Leben dem Psalmisten an gegenwärtigen Genüssen damals wenig oder gar nichts; umso inniger verwirklichte und genoss er die Güte und Huld des Gottes, den er in Seinem Heiligtum kennen gelernt hatte und dessen Offenbarung in Macht und Herrlichkeit er erwartete. Er erfuhr in seiner schwierigen Lage, welch eine unerschöpfliche Quelle von Freude und Glück in Gott ist. Darum sollen seine Lippen Ihn rühmen, und er will seine Hände aufheben in Seinem Namen.

Auch der große Apostel der Heiden fand am Ende seines Lebens, als er, fern von seinem Werke, im Kerker zu Rom schmachtete, dass die Person seines Herrn nur umso köstlicher für ihn wurde, je mehr alle anderen Quellen der Freude versiegten. „Freuet euch in dem Herrn“, und „freuet euch mit mir!“ so ruft er ein über das andere Mal den Gläubigen in Philippi zu· Sein Pfad hienieden wurde immer einsamer, das Land immer öder und dürrer, aber die Verbindung seines Herzens mit der Quelle aller wahren Freude immer inniger. Er konnte auch sagen: „Wie von Mark und Fett wird gesättigt werden meine Seele, und mit jubelnden Lippen wird loben mein Mund“ (V. 5). In Vollkommenheit war dies wiederum nur wahr von Christo, dem abhängigen und gehorsamen Menschen hienieden, der am Brunnen von Sichar sagen konnte: „Meine Speise ist, dass ich den Willen Dessen tue, der mich gesandt hat, und Sein Werk vollbringe“ (Joh. 4, 34). Von uns, den Gläubigen, ist es nur insoweit wahr, wie wir unsere Vereinigung mit Jesu verwirklichen, oder mit anderen Worten, nur in dem Maße, wie das neue Leben, das in uns ist, sich wieder zu der Quelle hin erhebt, von welcher es ausgegangen ist. Aber der Herr will, dass wir diese Seine Freude mit Ihm teilen, und Er wirkt durch Seinen Geist in uns, benutzt auch die Umstände des Weges dazu, dass die Hindernisse, welche dem Genuss dieser Freude im Wege stehen, entfernt werden. Das ist schmerzlich für die Natur, aber köstliche Speise für das neue Leben, das hienieden nichts findet, was ihm

entspricht. Wie von Mark und Fett wird die Seele gesättigt; getrennt von dem Treiben der Welt, erhoben über alles Sichtbare, sitzt sie an der Tafel des Himmels und findet sie reich besetzt mit allem, was sie bedarf. Das Herz ist befriedigt, gesättigt; der Becher fließt über, und mit jubelnden Lippen lobt der Mund den Gott, der durch die Offenbarung Seiner selbst der Seele volle Befriedigung, reichen, tiefen Genuss gewährt.

Diese Freude wird am tiefsten und innigsten, wenn die Seele, zurückgezogen von allen zerstreuenden Einflüssen, in einsamer Stille über Gott und Sein Tun nachsinnt, wie der Psalmist dies im 6. Verse zum Ausdruck bringt: „Wenn ich deiner gedenke auf meinem Lager, über dich sinne in den Nachtwachen“. Das Geräusch des täglichen Lebens ist verstummt, die Seele kann sich ungestört mit den Dingen beschäftigen, die droben sind.

Kennst du etwas von solchen stillen Stunden inniger Freude in Gott, mein lieber Leser? Sie werden nur dann unser Teil sein, wenn unser Auge einfältig ist und unser Herz in wahrer Gemeinschaft mit Gottsteht. Denn in solchen Stunden steigt gerade das vor unserem Geiste empor, was in der Tiefe, auf dem Grunde des Herzens verborgen -ist. War das Herz am Tage mit nichts- anderem als irdischen Dingen, mit Familie, Haus, Erwerb und dergleichen, beschäftigt, so werden diese Dinge auch unsere stillen Stunden ausfüllen und sie zu nichts weniger als angenehmen, glücklichen Stunden gestalten. Wenn wir auch wünschen, uns mit Gott zu beschäftigen, wird es uns doch große Mühe kosten, unsere Gedanken auf Ihn zu richten und bei Ihm zu erhalten. Das Herz ist zerstreut und kann sich nicht in Seine heilige Gegenwart erheben. Ja, anstatt sich in Gott freuen zu können, wird Selbstgericht nötig. Haben wir aber unsere Arbeit in Abhängigkeit vom Herrn getan, war unser Wandel ein „Wandel mit Gott“, so befinden wir uns in Seiner Gemeinschaft, und wir sind nur zu froh und dankbar, alles andere vergessen zu dürfen und über Ihn zu sinnen. Wir suchen und finden dann reiche Freude und unaussprechlichen Segen in Gott und werden erinnert an die vielen Beweise Seiner treuen Hilfe und Fürsorge: „Denn du bist mir zur Hülfe gewesen, und ich werde jubeln in dem Schatten deiner Flügel“ (V. 7).

O wie glücklich ist die Seele, die in kindlicher Glaubenseinfalt so ihre Freude, ihre Hilfe, ihr Alles in Gott findet. Geborgen in dem erquickenden Schatten Seiner mächtigen Flügel, der Stätte des Vertrauens und des bewussten Wohlgefallens Gottes, (wie schön und lieblich ist das Bild) jubelt und frohlockt sie. Andere seufzen und klagen — sie lobt und dankt. Andere zagen und zweifeln — sie ist voll Mut und Zuversicht. Andere blicken mit bangen Sorgen in die Zukunft — sie ist fröhlich und wohlgemut. Wie wäre es auch möglich, dass eine Seele, die im Schatten der Flügel Gottes jubelnd singt, durch irgend etwas in Verwirrung oder Unruhe gebracht werden könnte? Der Herr ist allezeit ihre Hülfe gewesen und wird es auch in Zukunft sein, selbst .wenn Feinde wider sie aufstehen und sie zu verderben trachten möchten (V. 9. 10). Sie blickt nicht auf ihre eigene Schwachheit, nicht auf die Macht ihrer Feinde oder die Schwierigkeit der Umstände, sondern auf den mächtigen und treuen Gott, den sie auf dem Wege kennen gelernt hat. Und diesem Gott „hängt sie nach“; sie kann nicht anders. „Er hat sie ganz gewonnen, und sie weiß, dass sie nur in Seiner nächsten Nähe völlig sicher und geborgen ist. Sie hat auch keine Furcht, denn die Liebe treibt die Furcht aus· Sie ist voll Vertrauen und rechnet mit unerschütterlicher Zuversicht auf die Huld und Güte Gottes: „es hält mich aufrecht deine Rechte“. Sie weiß wohl, wie schwach sie selbst ist; aber da ist eine Hand, die sie aufrecht hält, ein Arm, der sie stützt, und sie weiß: auf diese Hand, auf diesen Arm kann sie sich verlassen. So eilt sie vorwärts, an Gott hangend und voll Verlangen, diese arme Erde verlassen zu können, um dann für ewig bei dem Herrn zu sein. Glückliche, beneidenswerte Seele! Unter dem Schutz und der Fürsorge Gottes geht sie ihren Weg, reich in Ihm, glücklich in Ihm, von der Welt nicht verstanden, aber von Gott gekannt und geliebt.