Botschafter des Heils in Christo 1924

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1924Seite
Aus Ägypten, durch die Wüste, nach Kanaan.1
Abhängigkeit14
Christus, zur Sünde gemacht25
Absonderung27
Aus einem alten Liede (Gedicht)28
Proben und Bewährung29
Nikodemus40
Manoah's Weib49
Wenn wir unsere Sünden bekennen"54
Das Festmahl Belsazars.57
Wer ein Ohr hat zu hören68
Bemerkenswerter Brief eines Aussätzigen82
Gehet zu Joseph!"103
Melchisedek113
Etwas zum Nachahmen122
Als er noch ein Knabe war126
Ein einfaches Wort zur Jugendfrage137
Überwinder148
Weide meine Lämmlein!"156
Gottesfurcht164
Still, nur still! (Gedicht)168
Hüte meine Schafe!"169
Dieses erwäget!183
Ein und derselbe Geist187
An wen ist der Brief des Jakobus gerichtet?193
Außer mir könnt ihr nichts tun" (Gedicht)196
Weide meine Schafe!".197
Er wußte nicht":216
Notizen aus einer Betrachtung über Josua 1-5219
Willst du gesund werden?"225
Eigenwille244
Gedanken250
Bitten Suchen Antlopfen (Gedicht)252
Christus, das Leben253
Der Kommende wird kommen (Gedicht)271
Die Herrlichkeit in der Wolkensäule272
Isaak und Ismael278
Fragen aus dem Leserkreise280
Achimaaz, der Sohn Zadoks289
Zwei Wohnstätten309
Seltsame Wege der Liebe319
Das kananäische Weib326
„Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht331
(Gedicht)

Botschafter des Heils in Christo

Zweiundsiebzigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1924
 Aus Ägypten, durch die Wüste, nach Kanaan

Bibelstelle: 2. Mose 12; 29, 38 – 46; Josua 8,30 -35

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 1ff

1. Durch Gnade errettet
„Das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (Joh. 1, 17).
Wir wissen, dass es so ist. Der gesetzliche Dienst war ein Dienst des Todes und der Verdammnis. Dennoch war er mit Gnade vermischt und deshalb mit Herrlichkeit, die allerdings nicht bleibend sein konnte, umgeben. (Vergl. 2. Kor. 3, 7 — 9). Außerdem ist im Alten Bunde die Gnade in zahlreichen, bedeutungsvollen Vorbildern ans Licht getreten. Es hat Gott gefallen, immer wieder von dem zu reden, was in Christo zur Ausführung und Vollendung kommen sollte.
So ist es auch mit den drei obengenannten Abschnitten, die wir kurz miteinander betrachten wollen.
Der erste führt uns nach Ägypten, in die Anfänge der Geschichte des Volkes Israel. „Dieser Monat soll euch der Anfang der Monate sein“ (2. Mose 12, 2). Mit dem Passah, das Israel in Ägypten zum ersten mal feierte, begann nicht nur das damalige Jahr *), sondern überhaupt die Geschichte des Volkes. Von da ab bestand es eigentlich erst als Eigentumsvolk Jehovas, das Er sich aus dem Sklavenhause Ägyptens erlöste. Wie diese Erlösung geschah, ist uns allen wohlbekannt.
Gott machte einen Unterschied zwischen den Ägyptern und den Israeliten. (Kap. 11, 7) Aber wie war das möglich? Da war doch kein Unterschied — die Israeliten waren so unrein und verderbt wie die Ägypter. Gott machte den Unterschied. In Seiner unumschränkten, auserwählenden Gnade „erkannte Er Israel von allen Geschlechtern der Erde“ (Amos 3, 2), und Seine Gerechtigkeit sorgte für eine entsprechende Grundlage zur Ausführung Seines Heilsplanes: Er gab ihnen das Lamm, das kostbare Vorbild von Christo, dem wahren Passahlamm. Nachdem dieses Lamm vom zehnten bis zum vierzehnten Tage in Verwahrung gehalten worden war, musste die ganze Versammlung der Gemeinde Israel es schlachten zwischen den zwei Abenden, d. h. beim Untergang der Sonne, ehe die Nacht völlig einbrach. (Kap. 12, 6; vergl. 5. Mose 16, 6), 
Wie einst bei Abel, so trat hier das Lamm, sühnend und Schuld büßend, an die Stelle des Schuldigen, der den Tod verdient hatte. Ein Lamm „ohne Fehl“ (vergl. 1. Petr. 1, 19) musste es sein, „ein männliches, einjährig“ — ein anderes hätte als Vorbild nicht genügt. Der heilige, fleckenlose Mensch Jesus Christus, Gottes Sohn, allein konnte für uns in den Riss treten, Er allein vermochte den Zorn Gottes wider die Sünde von uns abzuwenden. Sein Blut reinigt von aller Sünde. Gott sieht dieses Blut und — geht vorüber. Der Schlag des gerechten Gericht Gottes hat Jesum getroffen; das Schwert ist wider Ihn erwacht (Sach. 13, 7), und nun gehen wir frei aus. Durch ein vollkommenes Sündopfer sind Gottes Ansprüche für ewig befriedigt worden. Frei und ungehindert darf das Volk Gottes Ägypten, den Schauplatz des Gerichts, verlassen und seine Reise ins gelobte Land antreten. Und bald nachher sieht es seine mächtigen Feinde, den Pharao mit seinem ganzen Heere, tot am Ufer des Roten Meeres liegen. Ein Triumphgesang — in Ägypten hatte Israel nie gesungen, nur geseufzt -— steigt auf zu dem Gott, der Sein Volk mit starker Hand befreit und auf der anderen Seite der Wasser des Todes in Sicherheit gebracht hatte.
Ein erlöstes, bluterkauftes Volk beginnt die Wüstenwanderung. Gericht und Tod liegen hinter ihm. Sein Sklavenhalter ist mit allen seinen Fronvögten in den Fluten umgekommen, das Volk selbst ist, von der Wolkensäule geschützt, „trocknen Fußes“ durch das Meer gegangen. Wie kristallene Mauern standen die Todesfluten zu seiner Rechten und Linken. Kein Tropfen konnte die Durchziehenden erreichen. Jehova selbst war ihnen zur Rettung geworden, und nur Loblieder, Neigen und Wechselgesang waren für sie übriggeblieben. „Das Ross und sein Reiter waren ins Meer gestürzt, in die Tiefen hinuntergefahren wie ein Stein“ (Kap. 15).
Ergreifendes Bild! Es hat in dem Tode Christi sein herrliches Gegenbild, seine Erfüllung gefunden. Von allem Gericht befreit, aus Satans Macht erlöst, aus der Welt herausgeführt, wohl noch in der Welt, aber nicht mehr v on der Welt, — so steht heute das Volk Gottes jenseits des Kreuzes, auf welchem alle gerechten Forderungen Gottes befriedigt, die Sünde gerichtet und der zunichte gemacht worden ist, der die Macht des Todes hatte. Da, wo Gott mit Wonne ruht, vollkommen zur Ruhe gebracht, gereinigt vom bösen Gewissen, mit süßer Ruhe im Herzen, so kann der Gläubige jetzt seine Straße ziehen, dem himmlischen Kanaan zu. 

2. Zu Gottgebracht
Als Gott Seinen Knecht Mose berief, um Israel aus Ägypten zu führen, sprach Er zu ihm: „Du sollst zu dem Pharao sagen: So spricht Jehova: Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel; und ich sage zu dir: Lass meinen Sohn ziehen, dass er mir diene“, und nachher: „So spricht Jehova, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste“ (2. Mose 4, 22. 23; 5, 1).
Wenn Gott ein Werk tut, so tut Er es ganz. Er erlöst und befreit nicht nur, sondern Er bringt Seine Erlösten und Befreiten auch zu sich, stellt sie auf einen Boden, auf dem sie in glücklicher Freiheit und Ruhe Ihm dienen, Ihm ein Fest feiern können. Von jeher war es die Absicht Seines Herzens gewesen, inmitten eines erlösten Volkes Seine Wohnung aufzuschlagen. Darum singt Israel auch, durch den Geist geleitet, schon am anderen Ufer des Schilfmeeres: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung“ (Kap. 15, 13: vergl. V. 17). Was bei Israel vorbildlich geschah, ist heute für das Volk Gottes zur Wahrheit geworden.
„Und ich werde in der Mitte der Kinder Israel wohnen und werde ihnen zum Gott sein. Und sie werden wissen, dass ich Jehova bin, ihr Gott, der ich sie aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe, um — sie in der Wüste sterben zu lassen? wie sie in ihrem Unglauben wiederholt meinten, nein — um in ihrer Mitte zu wohnen; ich bin Jehova, ihr Gott“ So lesen wir am Ende von 2. Mose 29, nachdem Gott die nötigen Anordnungen zur Errichtung Seines Zeltes, der Stiftshütte, getroffen und das Priestertum eingerichtet hatte, das Seine Beziehungen zu dem Volke aufrecht halten sollte. Kurz vorher wird gesagt: „Und dies ist es, was du auf dem Altar opfern sollst: zwei einjährige Lämmer des Tages beständig. Das eine Lamm sollst du am Morgen opfern, und das zweite Lamm sollst du opfern zwischen den zwei Abenden, und ein Zehntel Feinmehl, gemengt mit einem Viertel Hin zerstoßenen Öles, und ein Trankopfer, ein Viertel Hin Wein, zu dem einen Lamm. Und das zweite Lamm sollst du opfern zwischen den zwei Abenden: wie das Morgen-Speisopfer und wie dessen Trankopfer, so sollst du zu diesem opfern, zum lieblichen Geruch, ein Feueropfer dem Jehova: ein beständiges Brandopfer bei euren Geschlechtern an dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft, wo ich mit euch zusammenkommen werde, um mit dir zu reden“ (V. 38 — 42).
Unwillkürlich werden wir beim Lesen dieser Worte an die Verordnung des Passahfestes in Ägypten erinnert. Und doch welch ein Unterschied! Täglich, morgens und abends, musste ein Lamm (am Sabbattage außerdem noch „zwei einjährige Lämmer ohne Fehl“; vergl. 4. Mose 28, 1 — 10) auf dem Altar, der Grundlage und dem Zeugen des nun festgegründeten Verhältnisses zwischen Jehova und Seinem Volke, geopfert werden; unaufhörlich musste das Feuer auf dem Brandopferaltar erhalten bleiben, unaufhörlich der liebliche Geruch des Opfers zu Gott emporsteigen (3. Mose 6, 5. 6). 
Der liebliche Geruch? Ja, denn jetzt handelte es sich nicht mehr um ein Opfer, dessen Blut die Sünde sühnen und den Sünder vor dem Gericht sicherstellen sollte, wie in Ägypten, sondern um ein Brandopfer, ein Feueropfer lieblichen Geruchs, das dem Opfernden unaufhörlich Wohlgefälligkeit, Annehmlichkeit vor Gott verlieh. (Vergl. 3. Mose 1, 4.) Es galt nicht mehr, ein unreines, dem gerechten Gericht Gottes verfallenes Volk zu erlösen, Zorn und Gericht von ihm abzuwenden, sondern vielmehr ein erlöstes, zu Gott gebrachtes Volk wohlgefällig vor Gott hinzustellen und in dieser Wohlgefälligkeit zu erhalten. Würden in dem ersten Falle Gericht und Tod von ihm abgewandt, so wurden in dem zweiten Gnade und Annehmlichkeit vor Gott ihm zugewandt. Entfernte das Sündopfer Schuld und Sünde von den Opfernden, so übertrug das Brandopfer auf ihn all den Wohlgeruch, den kostbaren Wert, den es vor Gott hatte. Und mit dem beständigen Brandopfer wurde ein Speisopfer und Trankopfer dargebracht, die Bilder der reinen Menschheit Christi und Seiner völligen Widmung für Gott.
Verstehst du, mein Leser, diesen großen, grundlegenden Unterschied? O sinne darüber, suche ihn unter Gebet zu erfassen! Denn ein wahres geistliches Verständnis darüber lässt dich den Platz erkennen, auf welchen Israel in der Wüste als Gottes Volk vorbildlich gebracht war, und auf welchem heute die Erlösten des Herrn tatsächlich stehen. Der liebliche Geruch, der unaufhörlich von dem Brandopferaltar zu Gott emporstieg, versinnbildlicht in Verbindung mit dem Speis- und Trankopfer die Stellung der vollkommenen Begnadigung, in welche das Lamm uns gebracht hat und stets erhält. „Begnadigt (oder annehmlich gemacht) in dem Geliebten“ (Eph. 1, 6), so dürfen wir uns heute ausdrücken. Nicht nur von Schuld und Gericht befreit, nein, vor Gott hingestellt in dem ganzen Werte der Person unseres Heilandes, der sich ohne Flecken durch den ewigen Geist Gott geopfert und in dieser Handlung Gottes vollkommenes Wohlgefallen erlangt und auf uns übertragen hat — „heilig und tadellos in Liebe“.
Welch ein hochbegnadigtes Volk war doch Israel schon! Obwohl noch in der Wüste, auf schwierigem Pfade, von Feinden und Gefahren aller Art umringt, konnte es sich, auf Grund des kostbaren Brandopfers auf dem Altar, der steten Gunst, des Wohlgefallens seines Gottes erfreuen, und Jehova, der Gott Israels, konnte in seiner Mitte wohnen und es heiligen, absondern von allen anderen Völkern, durch Seine Herrlichkeit. (V.43; vergl. Rom. 9, 4). Das Zelt der Zusammenkunft, der Altar samt der priesterlichen Familie, der priesterliche Dienst selbst, alles sollte fortan Ihm geheiligt sein, und Er wollte am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft, da wo der Altar stand, mit Seinem Volke zusammenkommen, um mit Mose zu reden. „Und ich werde“, so schließt die ergreifende Kundgebung, »in der Mitte der Kinder Israel wohnen und werde ihnen zum Gott sein. Und sie werden wissen, dass ich Jehova bin, ihr Gott“.
Auf die Frage: Hat Israel denn den Gnadenabsichten Gottes entsprochen und diesen seinen Platz wunderbarer Segnung erfasst und eingenommen? lautet die Antwort allerdings tief beschämend. Die Zahl der wahren Gläubigen in seiner Mitte war verschwindend klein; überdies konnte das Gesetz nichts zur Vollendung bringen. Die Zeit, da „ganz Israel errettet“ und „kein Bann mehr in seiner Mitte“ sein wird, ist noch zukünftig. Das ändert aber nichts an der Schönheit und Lieblichkeit des Vorbildes, noch an seiner kostbaren Bedeutung für uns.
Die aus der Welt durch das Blut des Lammes erkaufte Schar der Erlösten steht schon heute, obwohl sie noch in der Welt, im Zustande der Unvollkommenheit, auf mühsamem, gefahrvollem Wege dem himmlischen Kanaan zu pilgert, doch allezeit unter den Wirkungen des „Feueropfers lieblichen Geruchs“, das unaufhörlich vor Gottes Auge sich befindet, „zum Wohlgefallen für uns“. Welch einen Frieden verleiht es dem Herzen, und wie lässt es uns mit überströmender Freude vor dem Angesicht unseres Gottes und Vaters versammelt sein, wenn wir, von Seiner Liebe geladen, als die priesterliche Familie, ja, als die Gemeinde des lebendigen Gottes, mit Jesu in der Mitte, an jedem ersten Tage der Woche uns zusammenfinden, um Ihm die Opfer des Lobes darzubringen, die Frucht der Lippen, die Jesu Namen bekennen. Ach, wenn doch die Erlösten alle diesen wunderbaren Platz der Segnung verstehen und im Glauben einnehmen möchten!
Und wir sind nicht nur gebracht bis an den Eingang des Zeltes der 3usammenkunft, wo Gott einst mit Israel zusammenkam, um dort, mit Mose, dem Mittler, zu reden -— nein, ins Heiligtum selbst, in Gottes unmittelbare Nähe geführt, dürfen wir mit Kindeszuversicht, in voller Gewissheit des Glaubens zu und mit dem Vater reden, Gemeinschaft haben mit Ihm und mit Christo Jesu, Seinem Sohne -— Anbeter und Anbetung geheiligt durch Gottes Gegenwart.
Mein lieber gläubiger Leser! Vielleicht weißt du schon lange um diese Dinge, nimmst auch regelmäßig teil an den kostbaren Vorrechten des Volkes Gottes; aber tust du es wohl allezeit in der Weise, wie du es tun solltest? Mit der dankbaren Freude, die durch die Erkenntnis der vollkommenen Liebe geweckt wird, und zugleich in dem Bewusstsein und der Verwirklichung der Heiligkeit Gottes, der als Licht in der Mitte der Seinigen wohnt? der durch Seine Herrlichkeit Sein Volk heiligt? Wenn unser Auge Ihn auch nicht schaut, so wohnt Er doch in Seinem Hause, und diesem Hause geziemt Heiligkeit auf immerdar. Nicht so als ob Er uns durch Seine Gegenwart erschrecken und Zittern und Zagen in uns wachrufen möchte. Nein, Er will, dass wir Sein Angesicht schauen mit Jauchzen, und dass unsere Seele sich des Lichtes erfreue (Hiob 33,26. 28). So möchte Er Seine Kinder vor sich sehen und aus ihren dankbaren Herzen die Anerkennung entgegennehmen, dass sie sich allezeit der Begnadigung und Annehmlichkeit bewusst sind, die ihnen in Christo geworden ist. So möchte Er von ihnen angebetet werden in Geist und Wahrheit. Solche sucht der Vater in der Liebe Seines Herzens als Seine Anbeter. 
Müssen wir da nicht auch mit dem Apostel ausrufen: „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! . . . Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Mitberater gewesen?“ Und weiter: „Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin! Amen“? (Römer 11, 33. 34; Eph. 3, 21). 
Glückselig das Volk, das so durch die Wüste zieht, befreit, erlöst, zu Gott gebracht und allezeit unter Seinem heiligen Auge stehend, aber auch stets sich bewusst „der Herrlichkeit Seiner Gnade, worin Er uns begnadigt hat in dem Geliebten“! WahrIich, wir können verstehen, dass Engel in diese Dinge hineinzuschauen begehren und mit tiefer Bewunderung „die gar mannigfaltige Weisheit Gottes“ sehen, wie sie in Seinem Tun mit uns hervortritt. 
O wie lang waren diese herrlichen Dinge den Gläubigen verborgen, als wenn sie gar nicht im Worte wären! Wenn es Gott nun am Ende der Tage gefallen hat, den Seinigen wieder ein wenig Verständnis darüber zu geben, wie eifrig sollten sie, sollten wir alle darauf bedacht sein, sie mit heiliger Wachsamkeit zu hüten, dass sie uns nicht wieder durch die List des Feindes oder durch unsere Untreue geraubt werden! Lasst uns die Wahrheit, die unsere Vorfahren und manche der heute noch unter uns Lebenden um einen teuren Preis gekauft haben — es hat viele alles gekostet, was der Mensch für begehrenswert betrachtet — nicht wieder verkaufen um schnöden irdischen Gewinnes willen oder aus Mangel an Wachsamkeit und Treue! Der Herr erwecke besonders in den jüngeren unter uns einen heiligen Eifer, das, was sie gleichsam auch von den Vätern ererbt haben, für sich zu erwerben, um es dann wirklich zu besitzen! Er ist nahe, und je näher wir dem Ende kommen, desto ernster sollten wir danach streben, es so zu erreichen, wie der Herr es wünscht —- wie ein Wettläufer die letzte Kraft, den letzten Atem einsetzen, um als Sieger durch das Ziel zu gehen! 

3. Im Lande
Es kam die Zeit, da Israel den Jordan überschreiten und das Land, das von Milch und Honig floss, in
Besitz nehmen konnte. Es ist uns bekannt, welch ein bedeutungsvolles Vorbild die Eroberung des Landes unter der Führung Josuas für uns heute ist, und wie der Kolosser- und vor allem der Epheserbrief das neutestamentliche Gegenstück zu dem Buche Josua bilden. Doch darüber möchte ich heute nicht reden, sondern die Aufmerksamkeit meiner Leser auf den Schluss von Josua 8 richten. Nachdem die beiden Städte, die sich zunächst dem Zuge Israels in den Weg stellten, Jericho und Ai, eingenommen waren, lesen wir: 
„Damals baute Josua dem Jehova, dem Gott Israels, einen Altar auf dem Berge Ebal, so wie Mose, der Knecht Jehovas, den Kindern Israel geboten hatte, wie im Buche des Gesetzes Moses geschrieben ist, einen Altar von ganzen Steinen, über die man kein Eisen geschwungen hatte.*) Und sie opferten darauf dem Jehova Brandopfer und schlachteten Friedensopfer“ (V. 30. 31). 
Wieder ein Altar und wieder Brandopfer und in Verbindung damit Friedens- oder Dankopfer, das bekannte Bild der Gemeinschaft, und jetzt nicht mehr in der Wüste, sondern im Lande! Zudem musste der Altar auf dem Berge Ebal errichtet werden, nicht auf dem Berge Gerisim, d. h. also auf dem Berge des Fluches, nicht auf dem Berge des Segens. (Vergl. 5. Mose 27,11 — 13). 
Das Ziel war erreicht, Gottes Verheißung erfüllt, und nun wird das ganze Volk vor Gott hingestellt, um vor Ihm zu bekunden, dass Er Sein Wort wahr gemacht und Sein Volk ins Land gebracht habe, nicht infolge irgendwelcher Verdienste ihrerseits, sondern auf Grund der auserwählenden Gnade Gottes und des Wertes des Opfers. Das Gesetz konnte ihnen freilich nicht solchen Segen bringen, konnte auch nichts von seiner unerbittlichen Strenge aufgeben — darum musste eine Abschrift des Gesetzes
Moses auf die Steine geschrieben und nachher Segen und Fluch, nach allem, was im Buche des Gesetzes geschrieben stand, der ganzen Gemeinde vorgelesen werden — dennoch zeigt uns das ganze Bild ein Volk, das, ins verheißene Land geführt, den Fluch in Segen verwandelt sieht und nun, im Bewusstsein seiner Annehmlichkeit vor Gott, Brandopfer opfert und in den Friedensopfern seiner Gemeinschaft mit „Jehova, dem Gott Israels“ Ausdruck gibt. So wird es einmal wahr werden, wenn Gott in Bezug auf die beiden Häuser Israel „einen neuen Bund vollziehen“ und „ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten nie mehr gedenken wird“. Dann wird es nicht mehr nötig sein, die Worte des Gesetzes auf Steine zu schreiben, damit sie unvergessen bleiben, sondern Gott, ihr Gott, wird sie in ihren Sinn geben und auch auf ihre Herzen schreiben. (Vergl. Hebräer 8, 8 —13). 
Ähnlich redet Gott durch den Propheten Hosen von der Mutter Israel zur Zeit des Endes: „Siehe, ich werde . ..ihr das Tal Achor — d. i. die Stätte des Gerichts — zu einer Tür der Hoffnung geben. Und sie wird daselbst si n g e n wie in den Tagen ihrer Jugend und wie an dem Tage, da sie aus dem Lande Ägypten heraufzog“ (Hos· 2, 14. 15). 
Doch wir wollen diese Gedanken hier nicht weiter verfolgen, so schön und belehrend sie sind, sondern nur noch eine kurze Anwendung von unserer Stelle auf uns machen. 
Auch wir sind auf dem Wege ins Land. „Noch über ein gar Kleines“, dann wird unser Josua Sein erlöstes Volk in das himmlische Kanaan einführen, und wir werden dann in alle Ewigkeit ungehindert und ungeschmälert die Segnungen des Landes genießen. In ewiger, seliger Gemeinschaft mit dem Lamme, die Herrlichkeit Seiner Person und die Kostbarkeit Seines Opfers in einer Weise erkennend, wie es hienieden nie möglich war, werden wir das neue Lied singen und den Vater anbeten mit gereinigten Lippen und mit Herzen, die nur noch von himmlischen Gefühlen erfüllt sind. keinerlei Fluch wird mehr sein, kein Stäublein sich mehr an unsere Füße hängen. Den Thron Gottes und des Lammes umgebend, die Wüste hinter uns, die lichtvolle Ewigkeit vor uns, die Herrlichkeiten des Himmels rund um uns her — gleichwie Israel vom Berge EbaI aus das Land mit seinen gesegneten Tälern und Höhen überschauen konnte — so werden wir Ihm dienen, werden Sein Angesicht schauen, und Sein Name wird an unseren Stirnen sein. 
Und Gott? Wir hören Ihn sagen: „Siehe, ich mache alles neu“· In Seiner Hütte, dem neuen Jerusalem, dem Weibe des Lammes, das in alle Ewigkeit diesen bevorzugten Platz behält, wird Er bei den Menschen der neuen Erde wohnen und jede Träne von ihren Augen abwischen. Ja, mehr, weit mehr als das! Wenn einst im Blick auf die alte Schöpfung gesagt werden konnte: „Und Gott sah alles was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“, wenn es hinsichtlich des armen, elenden Überrestes aus Israel von Ihm heißt: „Jehova, dein Gott, ist in deiner Mitte... Er freut sich über dich mit Wonne, Er schweigt in Seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph. 3, 17), wieviel mehr wird Er dann in Seiner neuen, auf dem Siege Seines Geliebten erbauten Schöpfung ruhen und sich über die Braut freuen, die Er Ihm, dem letzten Adam, dem „Himmlischen“, gegeben und für Ihn geschmückt hat!
Gott sei gepriesen, das; dann auch alles das hinweggetan sein wird, wag heute so oft die Freude und die dankbare Anbetung stört! Das hässliche Ich des ersten Menschen ist für immer verschwunden, alles ist neu geworden, alle sind dem Bilde des Sohnes Gottes gleichgestaltet, alle zur Vollendung gebracht, da,
Wo kein Glied vom Glied sich trennt,
Wo kein Herz erkaltet;
Wo man Liebe völlig kennt,
Wo nur Liebe waltet!

Fußnoten:
*) d. h. das sogenannte „heilige“ Jahr; das „bürgerliche“ Jahr begann erst im Herbst.
**) Jede, auch die geschickteste und kunstvollste Tätigkeit des Menschen war ausgeschlossen, sie würde den Altar nur entweiht für den Gebrauch untüchtig gemacht haben. Welch eine wichtige und doch so wenig beachtete Unterweisung!

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Abhängigkeit

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 14ff

Es gibt kaum etwas Schwereres für den Menschen, als stilles Warten und Harren. Unabhängigkeit und Eigenwille kennzeichnen all sein Tun. Dabei ist nichts gesegneter für ihn, als ein ergebenes Wandeln auf dem Pfade des Gehorsams und der Unterwürfigkeit unter Gottes Willen. Beides wird uns im Worte Gottes in Lehre und Beispiel immer wieder vor Augen gestellt — das erste zu unserer Warnung, das zweite zur Belehrung und Ermunterung. 
Der Weg des Herrn Jesus war stets durch vollkommene Abhängigkeit gekennzeichnet. Ob wir Ihn in den Jordan hinabsteigen sehen, um sich von Johannes taufen zu lassen, oder ob wir Ihn auf den Berg der Verklärung hinaufbegleiten, wo, „indem Er betete“, das Aussehen Seines Angesichts verändert wurde (Luk. 9, 29), überall erblicken wir Ihn in dem Stande tiefster Abhängigkeit, und hören Gott Seinem Wohlgefallen an Seinem Sohne lauten Ausdruck geben: „Dieser ist mein geliebter Sohn, Ihn höret!“ (Vergl. Matthäus 3, 17). 
Die Tage, in denen wir leben, sind nun ganz besonders dazu angetan, den Geist der Unabhängigkeit zu nähren — man predigt ja offen Abfall von Gott und Aufrichtung des Menschenwillens als höchste oder gar einzige Instanz. Die Gläubigen, von denen viele gezwungen sind, sich tagaus·- tagein unter den Kindern der Welt zu bewegen, stehen in Gefahr, sich von diesem Geist beeinflussen zu lassen, sind wohl schon mehr, als sie selbst es ahnen, von ihm beeinflusst worden. Da kann es denn nur von Segen für uns sein, uns an solche Beispiele und Vorbilder zu erinnern, die Gott selbst uns zu unserem
Heil und Nutzen gegeben hat. Wie leicht vergessen wir, dass wir nicht nur zur Blutbesprengung, sondern auch zum Gehorsam Jesu Christi gebracht, d. h. berufen sind, so zu gehorchen, wie Er selbst gehorcht hat! 
Die Geschichte des Propheten Elia ist schon oft in vorbildlichem Sinne betrachtet worden, und immer wieder kehren wir gern zu diesem Mann „von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“ zurück. Wenn irgend einer der Zeugen Gottes, so ist er in der kostbaren Tugend des abhängigen, ausharrenden Gehorsams geübt worden, und manche Probe, besonders im Anfang seines Weges, hat er siegreich bestanden. 
Ganz unerwartet betritt er den Schauplatz. Gleichsam aus der Stille und Verborgenheit des Gebetskämmerleins, das nicht mit Unrecht der eigentliche Kampfplatz des Glaubens genannt worden ist, tritt der bis da- hin völlig unbekannte „Beisasse Gileads“ unerschrocken und unangemeldet vor den König Ahab und tut ihm kund, dass in den nächsten Jahren weder Tau noch Regen fallen werde, es sei denn auf sein Wort. Jakobus er- zählt von ihm: „Elias . . . betete ernstlich, dass es nicht regnen möge, und es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs Monate (Jak. 5, 17.) Wie lang der Prophet in der Zurückgezogenheit Tisbes in Gemeinschaft mit seinem Gott zugebracht hat, wird uns nicht gesagt. Aber aus der Weise, wie er auftrat und seinen Dienst ausführte, können wir schließen, dass eine längere Zubereitung in der heiligen Stille der Gegenwart des Herrn vorangegangen sein muss. Und nun, im Bewusstsein seiner lebendigen Verbindung mit „Jehova, dem Gott Israels“, wagt er es, dem gottlosen König, „der mehr Böses tat als alle Könige Israels, die vor ihm gewesen“, die ernste Zucht Gottes anzukündigen. Doch kaum hat er sich seiner Aufgabe entledigt, da spricht das Wort Gottes zu ihm: „Geh von hinnen und wende dich nach Osten, und verbirg dich am Bache Krith“. Und als wenn das so ganz selbstverständlich gewesen wäre, gar nicht anders hätte sein können, geht der energische Mann, dessen mannhaftes Auftreten soeben noch unsere ungeteilte Bewunderung hervorgerufen hat, und „tut nach dem Worte Jehovas“. 
„Geh hin und verbirg dich!“ Man weiß kaum, was man mehr bewundern soll, die heldenmütige Unerschrockenheit des Propheten, mit seiner Botschaft an die Öffentlichkeit zu treten, oder seine unmittelbare, keinen Augenblick zögernde Bereitwilligkeit, sich am Bache Krith zu verbergen. Hätte es nach Ausführung des ihm gewordenen ehrenvollen Auftrags etwas geben können, was der Natur mehr zuwider gewesen wäre, was den natürlichen Stolz des Menschenherzens tödlicher hätte treffen können? „Geh hin und verbirg dich!“ Mit anderen Worten: Ich brauche dich nicht mehr, wenigstens vorläufig nicht. Bleibe ganz für dich in dem unwirtlichen Tale des Baches und warte! Warte, bis ich dich rufe! 
„Aus dem Bache wirft du trinken, und ich habe den Raben geboten, dich daselbst zu versorgen“ Auch das noch! Untätig, gleichsam wie ein Besen in die Ecke gestellt und betreffs seines Unterhalts abhängig von unreinen, gefräßigen Vögeln und von dem trüglichen Wasser eines Wildbaches!
Rätsel über Rätsel! Fragezeichen über Fragezeichen! 
Aber Elia machte es wie viele Jahrhunderte später ein anderer Knecht des Herrn, Paulus: „er ging nicht mit Fleisch und Blut zu Rate“, sondern wie jener nach Arabien zog, „ging er hin und blieb am Bache Krith“. Menschliche Erwägungen hatten für ihn keinen Wert, eigene Meinungen keine Bedeutung; nur das Wort Gottes, das allerdings an Klarheit nichts zu wünschen übrigließ, war entscheidend für ihn.
Das ist Abhängigkeit!
Nicht in ein herrliches Eden führte sein Weg, sondern in die trostlose Einsamkeit eines abgelegenen Gebirgstales. Aber er ging und blieb. Er „lief“ den Weg der Gebote Jehovas, weil für diese Gebote „Raum“ in seinem Herzen war (Ps. 119, 32. Vergl. damit das Tun Jonas, auch eines Propheten Jehovas, und lerne!) Und was tut der Herr? O, Er leitet Seine Knechte „mit der Geschicklichkeit Seiner Hände“ (Ps. 78, 72); Er weiß, wann es an der Zeit ist, sie zu irgend einem Dienst zu benutzen, und wann es nützlich ist, sie „an einen öden Ort“, in die Stille zu führen. (Mark. 6, 81.) Alle Seine Wege sind recht, und all Sein Tun ist vollkommen. (5. Mose 32, 4). 
Welch tiefe Übungen mag wohl das „Bleiben“ am Bache Krith) unserem Propheten eingetragen haben! Wie viele Fragen und Einwände mögen in seinem Herzen aufgestiegen sein! Und da war niemand, mit dem er seine Gedanken hätte austauschen, dem er einmal sein Herz hätte ausschütten können! Ganz allein mit Gott! Die einzigen lebenden Wesen die Raben, die morgens und abends ihm Brot und Fleisch brachten. 
Und auf alle die Fragen, die auftauchen mochten, wusste der Verstand keine Antwort zu geben. Offenbar hat Elia seinen Verstand auch nicht befragt. In stillem Vertrauen auf Gottes Zusage blieb er am Bache Krith, und siehe da, die verheißene Verpflegung versagte nie. Freilich musste er von einer Mahlzeit zur anderen sein Glaubensauge auf Den richten, der gesagt hatte: „Ich  habe den Raben geboten, dich daselbst zu versorgen“. Vorratskammern, gefüllt mit allerlei Gut, wie wir sie lieben, gab’s am Bache Krith nicht; aber Er, dem „der Erdkreis und alle seine Fülle“ gehört, war da, und der Glaube stützt sich auf Ihn und kommt nie zu kurz. 
Teurer Leser! Wollen wir nicht diese Unterweisung dankbaren Herzens annehmen und aus der Geschichte Elias lernen? „Nur auf Gott vertraut still meine Seele, von Ihm kommt meine Rettung“, hat ein anderer Prophet gesagt, und zwar zu einer Zeit, als er sich selbst vorkam wie „eine überhängende Wand, wie eine angestoßene Mauer“ (Ps. 62, 1. 3). Und an einer anderen Stelle singt er frohen Mutes: „Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeIn“. Wo der Glaube wirkt, kann es ja auch nicht anders sein; ist der Vordersatz für mich wahr, ist Jehova wirklich mein Hirt, so kann und werde ich auch die Schlussfolgerung ziehen: „mir wird nichts mangeln“. 
Ist es nicht gesegnet, sich in einer solchen Stellung Gott gegenüber zu befinden wie Elia? Sein Verhalten beschämt uns tief. Er kannte nicht den Vater-Gott, auf den wir alle unsere Sorgen werfen dürfen, und von dem uns bezeugt wird: „der Vater selbst hat euch lieb“, oder: „Trachtet nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und seid nicht in Unruhe . . . euer Vater weiß, dass ihr dieses bedürfet“ (.Joh. 16, 27; Luk.12, 29. 30). Dazu zeugt der hinter uns liegende Weg mit seinen Erfahrungen laut und vernehmlich: „Ja, Er ist besorgt gewesen. Er hat Kenntnis genommen von unseren Bedürfnissen. Nie hat uns das Nötige gemangelt.“ 
„Seid nicht in Unruhe!“ Da liegt ein Kind in seinem Bettlein, während die Mutter in der Küche oder im Haushalt beschäftigt ist. Macht es sich Sorge, auch wenn es die Mutter nicht sieht? Unbekümmert schläft oder spielt es. Und die Mutter? Sie, die nicht überall sein kann wie unser himmlischer Vater, mag wohl für eine Zeit dem Kinde fern bleiben, aber ihr Herz ist bei ihm, und so oft sie kann, macht sie sich von ihrer Arbeit los, um nach ihrem Liebling zu sehen. Ihre Liebe lässt ihr keine Bemühung zu groß erscheinen, erlaubt ihr nicht, ihr Kind zu vergessen. 
„Könnte auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde deiner nicht vergessen“ (Jes. 49, 15). So hat Jehova, der Gott Israels, einst zu Zion gesprochen. Sollte Er geringer über uns denken, die Er als geliebte Kinder an Sein Herz gezogen hat und nun allezeit liebt in Christo, dem „Geliebten“? Nein, wir dürfen getrost „Seine Kinder und das Werk Seiner Hände Ihm anbefohlen sein lassen“! (Jes. 45, 11; Vergl. Joh. 17). 
Schauen wir uns noch einmal nach unserem Propheten um. Ein Tag nach dem anderen verging. Woche reihte sich an Woche, Monat an Monat. Der Himmel wölbte sich über ihm wie ein eherner Spiegel, die Erde unter ihm wurde wie Eisen (5· Mose 28, 23). Der Bach plätscherte leiser und leiser, endlich vertrocknete er völlig. Hätte unter solchen Umständen ein Mensch von Fleisch und Blut in seinem Innern ohne Übungen bleiben können? Unmöglich! Auch in Elia werden Gedanken aufgestiegen sein wie die: „Elia! nachgerade wird’s doch Zeit, dich aufzumachen! Hier ist deines Bleibens nicht länger“ Oder: „Elia, sei kein Tor! Gott erwartet nichts Unmögliches von dir. So gehst du aber zu Grunde!“ Doch Elia „beschwichtigte und stillte seine Seele“, nahm alle Vernunftschlüsse gefangen und harrte auf das Wort des Gottes, der Güte ist. Solang dieses Wort nicht kam, blieb er am Bache Krith. 
Ach, dass wir auch immer so handeln möchten! Still warten und ausharren, bis der Herr sagt: Mache dich auf! Auf die Bewegungen der Wolke schauen und nach dem Befehl des Herrn lagern und nach dem Befehl des Herrn aufbrechen (4. Mose 9, 15 — 23). Ich wiederhole: Das ist Abhängigkeit. 
Aber da nimmt einer eine Stelle an, lässt sich vielleicht irgendwo nieder in dem bestimmten Bewusstsein: Hier will der Herr mich haben! Wenn dann aber Schwierigkeiten sich einstellen, die Stelle ungemütlich wird, der Wohnort den Erwartungen nicht mehr entspricht, dann, anstatt zu bleiben und den Herrn durch Stillsein und Vertrauen zu ehren (Jes. 30, 15), beginnt man zu planen und nach Aus-wegen aus der Übung zu suchen. Wer könnte berechnen, wie viel Segen durch solches Schulentlaufen schon verloren gegangen, wie viel Schaden der eigenen Seele und anderen dadurch zugefügt worden ist? 
Elia blieb. Lasst auch uns bleiben, bis der Herr uns aufstehen und anderswohin gehen heißt. Lasst uns still auf Ihn und Sein Eingreifen harren, daran denkend, dass wir wohl in Verlegenheiten kommen können, Er aber nie. Unsere Verlegenheiten, ist schon oft mit Recht gesagt worden, sind ja Seine Gelegenheiten. Mag auch diese und jene menschliche Quelle versiegen, Er hat andere, vielleicht bessere, für uns bereit, und zur rechten Zeit wird Er sie öffnen.
Wenn die Stunden sich gefunden,
bricht die .Hilf’ mit Macht herein;
Um dein Grämen zu beschämen,
wird es unversehens fein. 
Elia blieb. Würde nicht mancher auch wohl besser bleiben, der heute hinausstrebt aus dem alten irdischen Vaterlande, um sich jenseits des Meeres, unter anderen Verhältnissen und besseren Aussichten, ein neues Heim zu gründen? Ob wohl Gott zu jedem von ihnen gesagt hat: „Mache dich auf und gehe“? Der Schreiber möchte es bezweifeln. 
Für Elia kam die Zeit. Er sollte nicht umkommen, nicht verdursten oder verhungern. Wie hätte Gott Seinen Knecht versäumen können? Als der Bach versiegte, kam das Wort: „Mache dich auf, gehe nach Zarpath, das zu Zidon gehört, und bleibe daselbst!“ Jetzt war für unseren Propheten der Augenblick gekommen, seinen Schlupfwinkel am Bache Krith zu verlassen, nicht früher und nicht später. Freilich gab’s auch jetzt wieder Übungen; Nach Zarpath sollte er gehen, in das heidnische Phönizien? Mitten durch Samaria, das Gebiet Ahabs, seines Todfeindes, sollte er wandern, den weiten, weiten Weg bis in die Nähe der Stadt Zidon? Der Krith lag ja östlich vom Jordan, Phönizien, zu dessen ältesten Städten Zidon gehörte, nordwestlich, am Ufer des Mittelländischen Meeres. Und dort angelangt, sollte eine Witwe ihn versorgen? Seltsam, mehr als seltsam!
Ja, jede neue Stellung, jeder neue Weg bringt neue Glaubensproben, neue Erfahrungen mit sich, und das ist gesund und gut. In Zarpath, auf deutsch „Schmelzhütte“, sollte der Schmelztiegel von neuem aufgestellt, das Feuer noch etwas heißer angefacht werden· Am Bache Krith mochte es unwirtlich genug gewesen sein, aber der rauschende Bach hatte doch immer noch von Leben erzählt, und die morgens und abends regelmäßig wiederkehrenden Raben hatten an Gottes wunderbare Macht und Güte erinnert. Am Tore von Zarpath aber sollten Hunger und Tod dem Propheten entgegentreten. Schon hatte der Tod vernehmlich an die Tür der armen Witwe geklopft, und das war das Haus, das ihn aufnehmen und versorgen sollte!? 
Ja, wunderseltsam sind die Wege, die Gott Seine Geliebten zuweilen gehen heißt: „als Sterbende, und siehe, wir leben, als Gezüchtigte und nicht getötet, als Traurige, aber allezeit uns freuend, als Arme, aber viele reich machend, als nichts habend und alles besitzend“ (2. Kor. 6, 9. 10). 
War der Anblick der Holz auflesenden Witwe schon wenig ermunternd, ihre Worte waren es noch weniger. Nur eine Handvoll Mehl und ein klein wenig Öl hatte sie im Hause, „und siehe“, sagt sie, „ich lese ein paar Holzstücke auf und will hineingehen und es mir und meinem Sohne bereiten, dass wir es essen und dann sterben“. Wie trost- und hoffnungslos klingen diese Worte, und doch sind sie eigentlich charakteristisch für alle Menschen in ihrem natürlichen Zustande: essen und dann sterben“ Das ist Menschenlos, solang man nicht aus dem Tode in das Leben übergegangen ist. 
Aber hatte Gott nicht gesagt: „Siehe, ich habe daselbst einer Witwe geboten, dich zu versorgen“? Ja, und das war genug. Elias Glaube urteilte: Wenn diese Witwe mich versorgen soll, dann muss sie auch miterhalten bleiben. Sich so die Verheißung Gottes zu eigen machend, verkündigt er ihr angesichts des Todes das Leben. Und gleichsam mitgerissen durch die Glaubensabhängigkeit des Propheten, lernt auch die Witwe in Abhängigkeit  und Gehorsam handeln: sie geht hin und tut nach dem Worte Elias. „Und sie aß, er und sie und ihr Haus, viele Tage. Das Mehl im Töpfe ging nicht aus, und das Öl im Kruge nahm nicht ab, nach dem Worte Jehovas.“ 
Teurer Leser! Es ist einfach, zu hören: „Geh!“ und lieblich, wenn hinzugefügt werden kann: „Er ging hin und tat nach dem Worte Jehovas“. Wäre es nicht schön, wenn in den ernsten, schweren Zeiten, durch die wir gehen, ähnliches auch von uns, von dir und mir, bezeugt werden könnte? O möchte der Herr auch bei uns mehr Gehorsam und mehr Abhängigkeit finden! Gewiss, wir würden herrliche Erfahrungen machen. Leute, in deren Herzen gebahnte Wege sind, die nicht ihrem eigenen Willen folgen wollen, gehen wohl, wie andere, durchs Tränental, aber sie machen es zu einem ,,Quellenort“, den der Frühregen mit Segnungen bedeckt. In Übungen und Nöten, in Drangsal und Druck, und dennoch in tiefem Frieden, in innerer Ruhe, weil sie von Ihm lernen, der in der schwersten Stunde rief: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“, und: „Dein Wille geschehe!“ 
Das herrlichste aller Ziele liegt vor uns. „Noch über ein gar kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.“ Ihm gehen wir entgegen, in Ihm wollen wir bleiben, Seinen Fußspuren folgen als wahre Jünger und Jüngerinnen Jesu. 
Elia durfte in einem feurigen Wagen gen Himmel fahren. Viel herrlicher noch wird es sein, wenn wir, geprüft und geläutert, aus allem Leid hinausgeführt werden zu überströmender Erquickung, und zwar durch Ihn selbst, den wir erwarten, und der uns liebt. Lasst uns darum, den Blick nach oben gerichtet, voraneilen, still ausharrend auf Gottes Pfad, auch wenn er uns Übungen über Übungen bringen sollte, „allezeit gehorsam“, „allezeit gutes Mutes“, „danksagend allezeit für alles dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“! (Phil. 2, 12; 2. Kor. 5, 6; Eph. 5, 20). Das ist der Weg, auf dem wir unseren Gott und Vater verherrlichen und Seine treue Durchhilfe allezeit erfahren können. Und wenn der Herr uns dann am Ende unseres Erdenwallen; fragen sollte: „Hat euch je etwas gemangelt?“ so werden auch wir anbetend antworten müssen: Nichts, Herr!
Gott selbst will mir den Weg bezeichnen,
Sein Licht umstrahlt die Schritte mir;
Er kann sich selber nicht verleugnen,
ich geh mit Ihm, Er geht mit mir
Sein reicher Segen fließt verborgen,
Und nimmer geh’ ich kärglich aus;
Er leitet mich zu ewgem Morgen,
Er führt mich heim ins Vaterhaus

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Christus, zur Sünde gemacht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 25ff

Am Kreuze sehen wir, welch eine Bedeutung die Sünde in Gottes Augen hat, wenn sie in Seiner Gegenwart erscheint. Der Sohn Seiner Liebe wurde behandelt, als ob die ganze Sündenmasse Seine eigene gewesen wäre. Nicht nur wurde unsere unermessliche Schuld auf Ihn gelegt, sondern Er wurde für uns vor Gott zur Sünde gemacht, als Sünde behandelt — Er, der keine Sünde kannte. Die ganze Schwere des göttlichen Zornes wider die Sünde wälzte sich auf Ihn, und Er trug diese furchtbare Bürde ganz allein, konnte allein sie tragen. Während Seines ganzen Lebens war Jesus der Mann der Schmerzen, aber Gott war auf Seiner Seite. Auf dem Kreuze aber erfuhr Er die Entfernung von Gott, und Sein Gefühl hierüber findet seinen Ausdruck in dem Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Schrei blieb ohne Antwort. Kein freundlicher Strahl des Antlitzes Gottes traf in diesem Augenblick den Sohn Seiner Liebe, der als der Gerechte für die Ungerechten litt. Der Mensch trachtet danach, die Sünde vor Gott verborgen zu halten, aber Christus hat sie unmittelbar in die Gegenwart Gottes gebracht und ihr Gericht dort getragen.
Wir können uns von den Leiden eines Geschöpfes irgend eine Vorstellung machen, wie schwer und groß sie sein mögen, aber die Größe und Tiefe der Leiden Christi auf dem Kreuze vermag kein Mensch zu ermessen. Wer könnte diese Leiden beschreiben? Wer vermöchte die Unendlichkeit des Gedankens: „Gott, geoffenbart im Fleische“, in einer solchen Lage zu ermessen? Kein Lichtstrahl durchbricht die Finsternis, die das Kreuz umhüllt. Alles zeugt von dem Zorn Gottes wider die Sünde. Und doch war Christus, der Vollkommene während Seines ganzen Lebens, nie vollkommener als gerade auf dem Kreuze, wo Er sagen konnte: „Du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels“.
Was aber mag in dem Herzen Gottes vorgegangen sein, als Er Sein Antlitz von Ihm abwenden musste, welcher der einzig Vollkommene vor Ihm war?

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Absonderung

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 27ff

Wenn der Tag des Gerichts über diese Welt hereinbricht, wen wird dann der schwerste Schlag treffen? Nicht die offenbar glaubenslose Welt, sondern Babylon, die abtrünnige Kirche, die Vermischung dessen, was von Christo ist, mit dem Bösen, der Versuch, eine Gemeinschaft zwischen Licht und Finsternis möglich zu machen. Nichts ist für Gott hassenswürdiger als gerade das. Deshalb ergeht die Mahnung an die Gläubigen: „Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen!“ (Offbg. 18, 4).
Was Gott hier so ernst verurteilt, ist also das Teilnehmen an den Sünden Babylons, die Anerkennung eines gemeinsamen Bodens für die Kirche Gottes und die Welt, während doch Gottes Absicht, das, wofür Christus starb, dahin geht, ein für Ihn abgesondertes Volk zu haben. Dieses Volk soll gerade durch seine Weihung für Gott ein Licht in dieser Welt sein, ein Brief Christi, der der Welt sagt, was Christus ist, und sie darauf hinweist, wo das Wasser des Lebens für sie zu finden ist. Da wo man die Anbetung, die von dem Volke Gottes zu Gott emporsteigt, nicht mit der Religion der Welt vermengt, findet sich auch ganz von selbst die Linie der Absonderung, das einsichtsvolle Urteil darüber, was zu verurteilen und was nicht zu verurteilen ist. Neben der eifrigen Tätigkeit im Evangelium der Welt gegenüber wird sich sorgfältige Absonderung der Gläubigen von der Welt offenbaren.

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Aus einem alten Liede

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 28ff

Ein Christ kann ohne Kreuz nicht sein.
Drum lass dich es nicht betrüben,
wenn Gott versucht mit Kreuz und Pein
die Kinder, die Ihn lieben.
Je lieber Kind,
je ernster sind
des treuen Vaters Schläge.
Schau das sind Gottes Wege!

Ein Christ kann ohne Kreuz nicht sein,
Gott will es nicht anders haben.
Auch dieses Lebens Not und Pein
sind deines Gottes Gaben.
Soll es denn so sein,
ergib dich drein!
Es kommt aus Liebeshänden,
Gott wird nicht Böses senden.

Ein Christ kann ohne Kreuz nicht sein.
Das Kreuz lehrt fleißig beten,
zieht ab von eitlem Trug und Schein
und lehrt zum Vater treten.
Drum wirf nicht hin
mit starrem Sinn;
Gott will dich unterstützen,
es soll der Seele nützen!

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Proben und Bewährung

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 29ff

Die Probe geht der Bewährung voraus. Von letzterer kann nur gesprochen werden, wenn die Erprobung stattgefunden und den Beweis für die gehegte Erwartung erbracht hat. Ein Material gilt als bewährt, wenn es bei genau festgelegten Proben den an dasselbe gestellten Anforderungen entsprochen hat. Solang es diesen Proben nicht ausgesetzt war, kann es, trotz vielleicht vorhandener Güte, nicht bewährtes Material genannt werden.
Proben scheiden das Wertvolle von dem Wertlosen. Die Art der Proben ist naturgemäß verschieden; denn einmal stellt man an den einen Stoff andere Bedingungen als an den anderen, je nach seiner Verwendungsart, und zweitens ergibt der Stoff selbst die Notwendigkeit, die Probe ihm anzupassen: man kann nicht Wasser und Gold in gleicher Weise auf Reinheit prüfen.
In dieser Zeit müssen viele der geliebten Kinder Gottes durch Proben gehen. Vielleicht dient es zur Ermunterung, den Zweck der Proben näher zu betrachten. Erinnern wir uns von vornherein daran, dass nur da Proben angestellt werden, wo ein Bestehen derselben erwartet werden kann: wertloses Material braucht nicht erprobt zu werden, es wäre unnötige und unfruchtbare Arbeit. In Hebr. 11, 37 wird auf Gläubige hingewiesen, die Mangel, Drangsal, Ungemach hatten, worauf es heißt: „deren die Welt nicht wert war“. In diesem Zusammenhang kann wohl auch an das Wort in Hebräer 12 erinnert werden, dass nur Söhne, nicht aber Bastarde, der Züchtigung des Vaters teilhaftig werden, wenngleich hier ausdrücklich von Erziehung, nicht von Erprobung und Bewährung die Rede ist.
Wenn es sich nun um Prüfungen seitens des vollkommenen Materialkenners, also um Proben handelt, die unser Gott und Vater an den Menschenkindern vornimmt, so dürfen wir zunächst uns der Tatsache versichert halten, dass Er, weil Er eben alle Verhältnisse völlig kennt, und vor allem weil Er die, an welchen Er Proben vornimmt, mit göttlicher Liebe umfängt, Seine Proben mit der durch diese Liebe bedingten Sorgfalt ausführt, indem Er sie den Verhältnissen anpasst, so dass eine übermäßige Belastung Seiner Prüflinge ausgeschlossen ist. (Im Gegensatz zu den Prüfungen, die die Menschen ausführen, bei denen in der Regel die Belastung bis zum Bruch des vorliegenden Materials erfolgt) 
In Jak. 1, 3 und in 1. Petr. 1, 7 ist von der „Bewährung unseres Glaubens“ die Rede, und das Wort richtet sich in beiden Fällen an solche, die erprobt wurden durch „mancherlei Versuchungen“. Während aber in der Jakobusstelle gesagt wird, dass „die Bewährung unseres Glaubens Ausharren bewirkt“, heißt es im Petribriefe: „Auf dass die Bewährung eures Glaubens, viel köstlicher als die des Goldes das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi“. Danach bewirkt im ersten Falle der in Proben bewährte Glaube Ausharren, also etwas, das uns hienieden in den ,,mancherlei Versuchungen« unseres   Weges zugutekommt, und dessen wir gar sehr bedürfen. Im zweiten Falle begegnen uns die Wirkungen der Bewährung des Glaubens erst bei der Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus, und ihre Wirkungen bedeuten Lob und Herrlichkeit und Ehre an dem Tage, an welchem Er kommen wird, „um verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (2. Thess. 1, 10). Aber, nicht wahr? in beiden Fällen sind die gezeigten Wirkungen derart, dass es sich der mit Proben notwendig verbundenen Mühsale verlohnt. (Die Mühsale können mancherlei Art sein: Abraham wurde hinsichtlich seines einzigen Sohnes, des Isaak, den er lieb hatte, erprobt; Josefs Weg führte durch das
Gefängnis; in der schon angeführten Stelle des Hebräerbriefes ist von Mangel, Drangsal, Ungemach und vielem anderen die Rede, was zur Erprobung der Glaubenszeugen gedient hatte.) Ja, in Wahrheit, die Wirkungen der Bewährung lassen es für der Mühe wert erscheinen, erprobt zu werden, selbst wenn wir daran denken, dass die Proben naturgemäß Not und Schmerzen verursachen. So heißt es denn auch: „Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet, da ihr wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt“ (Jak. 1, 2. 3). 
Jeder Wiedergeborene hat geglaubt. Sein Glaube und seine Hoffnung gründen sich auf Gott selbst (1.Petr. 1, 21), der Jesum aus den Toten auferweckt und durch den unverweslichen Samen Seines lebendigen Wortes im Herzen des ursprünglich toten Menschen Leben erzeugt hat. Dieses Leben ist aus Gott, hat in Ihm seine Quelle und bezieht aus Ihm die zu seiner Unterhaltung nötige Nahrung. Seine göttliche Kraft hat uns alles betreffs des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt (2. Petr. 1, 3),
so dass von Gottes Seite alles geschehen ist, um den Weg des Glaubens für uns gangbar zu machen. Unsere Sache ist es jetzt, ob wir ihn gehen. 
Es ist uns wohl allen bekannt, dass wir theoretisch ganz gut den Weg des Glaubens kennen und beschreiten können. An sonnigen Tagen ist er ja auch verhältnismäßig leicht und fordert von uns keine oder nur geringe Opfer. Wird er aber praktisch erprobt, einer Druckbelastung unterzogen, so machen wir oft beschämende Erfahrungen. Entsagung und Selbstverleugnung sind stets auf dem Wege des Glaubens vorhanden, zwei Dinge, die unsere Natur hasst. Bei einer ernsteren Erprobung wird es sich zeigen, ob und inwieweit wir die Erwartung des göttlichen Erprobers rechtfertigen, dessen Herz erquickt wird, wenn das Auge des der Belastung Ausgesetzten sich auf Ihn richtet; wenn das unter Druck gesetzte Herz Zuflucht bei Ihm sucht, um Seine göttliche Kraft in Anspruch zu nehmen, die ihm für Proben jeder Art zur Verfügung steht. Das ist der Weg, auf welchem der Glaube sich als solcher erweist: er besteht die Probe. 
Wie muss es das Herz des Vaters erfreuen, wenn das unter dem Druck der Umstände zagende und zitternde Kind durch Sein wahrhaftiges Wort dahin geleitet wird, seine Zuflucht zu Ihm zu nehmen, der gesagt hat: „Schaue nicht ängstlich umher . . · ich stärke dich, ja, ich helfe dir, ja, ich stütze dich“! (Jes. 41, 10.) Ja, wir dürfen sagen: Gott rechnet es einem Menschen hoch an, wenn er Ihm glaubt; denn es bedeutet Ehre für Ihn, wenn ein von Natur widerspenstiges Menschenherz sich der Wahrheit und Wirksamkeit Seines Wortes erschließt und ihm Vertrauen entgegenbringt. Ist das aber schon in jedem
Falle wahr, wieviel mehr wird das Vaterherz Gottes erfreut werden, wenn Sein Kind am Tage ernster Proben mit Kindeszuversicht auf Ihn sieht, — vielleicht unfähig, Grund und Zweck der Prüfung zu erkennen, aber sich auf das Wort des Vaters stützend, auch da, wo sein Verstehen nicht hinreicht, glaubend diesem Worte vertraut. 
Der Herr Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Drangsal«. Vorher hatte Er gesagt: „Dieses habe ich zu euch geredet, auf dass ihr in mir Frieden habt“ (Joh. 16, 33). Somit war der Jünger Teil Drangsal und Friede. Das gilt auch heute: Die Welt ist der Drangsal voll; wir können nicht in ihr leben, ohne an der Fülle ihrer Drangsale teilzuhaben. Aber das gesegnete Teil unseres Herzens ist Friede, Sein Friede, wenn wir glaubend verwirklichen, dass wir eins sind mit Jesu, unserem verherrlichten Herrn droben. Er hat die Welt mit ihrer Drangsal überwunden; Er selbst sagt es, und Sein Platz zur Rechten des Vaters bezeugt es. Er versichert auch den Seinigen: „Der Vater selbst hat euch lieb“, und Gottes Wort bürgt uns dafür, dass die Liebe des Vaters uns bald, mit Jesu vereint, die Ruhe und den Frieden des Vaterhauses genießen lassen wird. Das ist unsere Bestimmung, dazu hat Gott uns gesetzt (Röm. 8, 29; Eph. 1, 5; 1. Thess. 5, 9. 10). 
Heute kommt es für uns darauf an, unser Einssein mit Jesu zu verwirklichen. Wir bekennen es mit Freuden und tun gut daran, aber das Bekenntnis allein hebt uns nicht über die Drangsale der Welt hinaus, zumal wenn wir sie empfindlich verspüren müssen. Es besteht  ein Unterschied zwischen Bekenntnis und Verwirklichung, zwischen dem Bekennen und dem wirklichen Genießen der wunderbaren Verbindung unseres verherrlichten Herrn droben mit denen, die sich als Fremdlinge und
Pilgrime noch hienieden befinden. — „In mir habt ihr Frieden“ Welch kostbares Wort angesichts einer Welt voll Leid, Enttäuschungen und Tränen! In Seinem Namen dürfen wir den Vater bitten und können gewiss sein, dass der Vater nach der Liebe, mit der Er Jesum liebt, auf uns sieht und uns hört, denn wir sind in Ihm, und wir beten zum Vater in Seinem Namen. Wohl uns, dass wir in diesem gesegneten Namen den lebendigen Gott als Vater anrufen können und nach der Kostbarkeit dieses Namens teuer sind in Seinen Augen. 
In den Zeiten des Genusses unserer Verbindung mit Jesu und der daraus sich ergebenden Beziehungen zum Vater vermögen wir uns gern und freudig der Liebe und Weisheit des Vaters anzuvertrauen. Aber wir machen oft die Erfahrung, dass dieser Genuss. uns gerade dann fehlt, wenn wir ihn am nötigsten brauchen, und die Proben sind da und erfordern Kraft zur Bewährung. Wie gut ist es, dass das Wort uns verheißt: „Wie deine Tage, so deine Kraft“! (5. Mose 33, 25). Aber doch dürfen wir nicht vergessen, dass es unsere Sache ist, von der für uns bereitliegenden Kraft Gebrauch zu machen. Da ist es denn leider wahr, dass wir bei zunehmendem Druck leicht dahin kommen, mit Ängstlichkeit und Zagen die Druckzunahme zu verfolgen und, anstatt in der Treue Gottes zu ruhen und in Christo zu bleiben, im Blick auf die stetig wachsende Belastung mit Zittern an die Zukunft denken. Mit Beschämung müssen wir da vielleicht  mancher Tage gedenken, in denen unser Verhalten nicht dem Worte entsprochen hat: „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes. 28, 16). Ach, wenn wir nur immer bedenken wollten, dass solche Tage mit ihrer Last Proben zur Bewährung sind, die der Vater anstellt; Proben, die einmal zur Verherrlichung unseres Herrn gereichen sollen, wenn „Er bewundert werden wird in denen, die geglaubt haben“; Proben, die durch Bewährung des Glaubens notwendig zur Ehre Gottes gereichen und für uns daher nicht ohne Segen bleiben können. Der Vater sieht erwartungs- und hoffnungsvoll (wenn diese Ausdrucksweise am Platze ist) den Proben zu, um unser Verhalten und die Bewährung in den Proben mit Freude festzustellen. Und Er, der Gott des Ausharrens, der zugleich auch der Gott aller Gnade und der Vater der Erbarmungen heißt, vermag in jedem Falle Vertrauen, Kraft und Ausharren zu schenken, bis es Ihm gefällt, die Proben zu beenden. In solchen Zeiten lernen wir das Herz Gottes kennen; zugleich finden wir Gelegenheit, Den zu betrachten, der in vollkommener Weise sich bewährt hat. Jesus ist der einzige Mensch, der bedingungslos bewährt erfunden worden ist. Bei Ihm wurde durch die Proben erwiesen, dass Er „ohne Fehl“ war. Das Wort und der Wille Gottes waren für Ihn stets das Entscheidende, auch wenn Er sich selbst opfern musste. Er erwies sich in allen Proben als Der, der gekommen war, um den Willen Gottes zu tun. In allem versucht „in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“, hat Er sich völlig bewährt. Sein Ausharren hatte „ein vollkommenes Werk“. 
Wir, die wir an Seinen Namen geglaubt haben, sind berufen, den Weg des Glaubens in Seinen Spuren zu gehen. Dieser Weg führt durch „die große, schreckliche Wüste“, vielleicht durch „das Tal des Todesschattens“, jedenfalls durch den Bereich des Fürsten der Finsternis, wo der Tod alles beherrscht und die Sünde ihre Heimstätte hat. Trübsale, Leid und Tränen können uns auf diesem Wege nicht erspart bleiben. Noch im Leibe der Niedrigkeit, in einer Umgebung, die ebenso verderbt ist
wie unsere alte Natur, sind wir während unserer Pilgerschaft auf den Glauben angewiesen. Die Schrecken der Wüste sehen wir, und die Verderbtheit des Fleisches nehmen wir wahr, aber unser Wandel ist „durch Glauben, nicht durch Schauen“. Bald wird das Schauen dem Glauben Platz machen, aber noch ist die Zeit der Proben und der Bewährung, in welcher die Bedingungen für Proben gegeben sind: eine öde, leidvolle Wüste und wir als irdene Gefäße darin stehend, aber glaubend nach oben schauend, „erwartend die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes“. Wenn diese Erwartung in Erfüllung geht, wird auf Entsagung und Selbstverleugnung Genuss folgen in ewiger Ruhe, in ununterbrochenem Frieden, in seliger Freude am Herzen Dessen, „der uns liebt!“ 
Oft können wir sehen, dass Gläubige, die in Gottesfurcht und Treue ihren Weg gehen, aus einer schweren Probe in die andere kommen. Die Umgebung solcher geprüften, leidenden Gotteskinder wird dann mitunter infolge menschlicher Kurzsichtigkeit zu allerhand vorwitzigen und ungöttlichen Fragen und Mutmaßungen verleitet. Man vergisst eben zu leicht, dass Gott Sein Werk hat  in Seinen Kindern, und dass Er die Bewährung des Glaubens derer, die Er dem Sohne als Lohn Seiner Schmerzen und als Beute Seines Sieges zuerkannt hat, „zu Lob und Herrlichkeit und Ehre“ bei Seiner Offenbarung gereichen lassen will. Je schwerer deshalb die Proben werden, umso mehr muss bei Bewährung in denselben für den Herrn an jenem Tage herauskommen. Beachten wir: es ist Gottes Wille, Jesum zu verherrlichen. Dazu lässt Er auch die Proben dienen. O dass wir mehr an die Verherrlichung dieses kostbaren Namens denken möchten! Wir würden bei allen Proben, ob wir oder
andere sie zu bestehen haben, um Gnade und Kraft zur Bewährung flehen, damit der Zweck der Proben, die Verherrlichung unseres Herrn, erreicht und das, was an Unechtem bei uns vorhanden ist, von uns gesehen, erkannt und beseitigt werde.
Wir bekennen, dass wir hier in der Welt sind, um Jesum zu verherrlichen· Ist es nun wirklich der Wunsch unseres Herzens, diesem Zweck zu dienen, so kann uns zur Erreichung desselben jeder Weg recht sein, den Gott für richtig hält, auch wenn Entsagung und Mühsal auf ihm liegen. Gott hat ja das größte Interesse an der Verherrlichung des Namens Jesu, und Er kennt am besten den Weg, der zu diesem Ziele führt. 
Eine alte Christin lag auf schwerem Schmerzenslager. Schon viele Monate hatte die Leidenszeit gewährt, und immer heißer wurde der Tiegel, immer schwerer das Ausharren. Manch tiefer Seufzer kam über die Lippen, und der Glaube wollte wankend werden. Da trat eines Tages ihr ebenfalls gläubiger Bruder an ihr Bett. Mit tiefem Mitgefühl betrachtete er die Kranke und lauschte auf ihre Äußerungen. Endlich sagte er: „Anna, hast du noch nie gehört, dass die Bewährung unseres Glaubens einmal dienen soll zur Verherrlichung unseres teuren Herrn und Heilandes?“ 
„Nein“, erwiderte sie. Daraufhin las er ihr die wiederholt angeführte Stelle aus 1. Petr. 1 vor. 
Sinnend lag die Kranke einen Augenblick da. Dann erhellten sich plötzlich die leidenden Züge, und mit hervorbrechenden Tränen rief sie: „O wie herrlich! Das habe ich noch nie so verstanden. Dann ist es der Mühe wert zu leiden. Ich danke dir!“ 
Von Stund an kam kein Laut der Klage mehr über ihre Lippen, und bald durfte ihr Geist triumphierend die leidende Hütte verlassen und zu Dem gehen, dessen Verherrlichung ihr teuer war, und der ihr Kraft gab, bis zum letzten Augenblick auszuharren.
In Hebr. 4, 15 wird, wie wir bereits anführten, auf Jesum hingewiesen als Den, der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Zugleich wird Er uns gezeigt als unser Hoherpriester, der Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, und es heißt: „Worin Er selbst gelitten hat, als Er versucht wurde, vermag Er denen zu helfen, die versucht werden“. Also der Herr selbst, der erprobt wurde wie kein anderer Mensch, und der alle Proben, die wir je zu bestehen haben mögen, persönlich kennen gelernt hat, dieser Herr leidet mit uns, wenn wir geprüft werden. Er vermag an unseren Prüfungen teilzunehmen, weil Er sie kennen gelernt hat. Und Sein Mitleid bedeutet mehr als jedes auch noch so aufrichtige Mitgefühl unserer Angehörigen und Freunde; denn Sein Mitleid ist verbunden mit einem vollkommenen Verstehen unserer Leiden, Bedrängnisse und auch unserer Gefühle. Kein Mensch kann ein volles Verständnis für das haben, was uns in einem gegebenen Augenblick fehlt, und kein Mensch, auch der Nächststehende nicht, vermag uns beim besten Willen ein Mitgefühl entgegenzubringen, das uns praktisch nützlich sein und unsere Lage erleichtern könnte. Nur von Ihm heißt es: „Er vermag denen zu helfen, die versucht werden“. Gewiss soll der Wert der Teilnahme und des Mitgefühls redlicher Menschenherzen nicht gering geachtet werden; im Gegenteil, es ist wertvoll, sofern es in Geist und Gesinnung Dem entspricht, der in vollkommener Weise durch Seine Herablassung und priesterliche Sicheinsmachung zu helfen vermag. Aber das ist es: helfen kann nur der Herr selbst. Und Er vermag zu helfen, weil Er als wahrhaftiger Mensch selbst gelitten hat, als Er versucht wurde; weil durch Seine Erprobung Ihm Leiden zuteil geworden sind, die Ihn befähigen, an den Leiden und Prüfungen Seiner Geliebten mit wahrhaft menschlichem Empfinden teilzunehmen und ihnen in ihren Proben wirksam zu helfen. Und Seine Hilfe sichert uns den Sieg. 
Wenn nun aber die Prüfung lange Zeit anhält und in den beschwerten Herzen Fragen entstehen, wie diese: „Wird Er auch wirklich helfen? Bei mir ist von Seiner Hilfe nichts zu sehen, und bis jetzt wird die Probe täglich schwerer. Wie lange mag sie noch anhalten?“ Ja, zu solchen Zeiten wird das Aushalten schwer. Aber ich möchte fragen: Ist wirklich von Seiner Hilfe nichts zu sehen? Hat Er nicht bis heute geholfen? Gab Er nicht bis zu dieser Stunde alles, was der Augenblick erforderte? Wenn der Herr nicht bis jetzt die Kraft gegeben hätte, um die Versuchung zu ertragen, woher kam sie denn? Wenn die eigene Kraft nicht ausreichte — und sie reichte nicht aus — so kann nur der Herr dargereicht haben, und das wird Er weiter tun, bis alle Proben beendet sind. Und wenn wir uns dann auch vergegenwärtigen, wie jene alte Gläubige, dass die Proben durch die Bewährung unseres Glaubens zur Verherrlichung unseres Herrn Jesus Christus gereichen, wollen wir dann nicht auch, gleich ihr, still werden und ausharren, eingedenk des Wortes: „Das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht“?
Allen Proben bald enthoben,
werden dort wir schauen dich;
Und am Throne wird die Krone
den Bewährten dann zum Lohne,
Und sie ruhen ewiglich.

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Nikodemus oder vom Wissen zum Glauben

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 40ff

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“. 
Ja, „Denn“! — Hier liegt der Höhe- und Kernpunkt aller göttlichen Offenbarung. Hier kann’s nicht nur der dem in Seiner Rede immer höher schreitenden Herrn andächtig lauschende Meister aus Israel hören, hier kann’s jeder vernehmen, hier steht’s geschrieben: Gott hat geliebt. Haben wir schon einmal ernstlich darüber nachgedacht, was das sagen will? Ach, zu wie vielen von uns müsste es wohl auch heißen: „O ihr Unverständigen und trägen Herzens!“ Von Jugend auf haben wir davon gehört, fast selbstverständlich hat es uns geschienen im blinden Unverstand unserer ans Empfangen so gewöhnten, im Nehmen so gleichgültigen, im Danken so trägen Herzen! Als ob alles so sein müsste! Gott hat geliebt, und zwar die Welt, die böse, gottlose Welt, geliebt! Er hat einmal diesen wunderbaren Beweis Seiner Liebe gegeben, obwohl Er wusste, wie die Welt darauf antworten würde. Und der Gläubige darf hinzufügen: Gott liebt mich, und das nicht nur für eine Zeit, Er hat mich mit ewiger Liebe geliebt, vor Grundlegung der Welt, und Er wird mich lieben in Ewigkeit. Liebe ist Seine Natur. „Gott ist Liebe“, und: „Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben möchten“ (1. Joh. 4, 9). Ja, Gott ist es, der geliebt hat, nicht etwa wir! „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ Die Liebe Gottes ist geoffenbart worden, sie ist erschienen, jedem klar und offenkundig.
Wenn in unserem Spruche von „Welt“ die Rede ist, so ist damit, wie bereits angedeutet, nicht die Welt gemeint als „Schöpfung“, sondern die in der Macht des Bösen liegende, in Sünden verlorene Welt, die Menschen, die nicht nur Gott nicht lieben, sondern Ihn in ihrer Finsternis und Blindheit hassen. Das hat sich erwiesen, als Gott Jesum herabsandte. Da heißt es nicht nur von Ihm: „Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn, und die Welt kannte Ihn nicht“, oder: „und das Licht scheint in der« Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“, sondern auch: „Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an“. (Joh.1, 5. 10. 11). Wer sich da nicht wundert, wenn er bedenkt, was dazu gehört, eine solch gottfeindliche, abgefallene Sünderwelt, auch die schlimmsten und schlechtesten unter ihnen, zu lieben — der hat das Wundern überhaupt verlernt. Ja, ein Trost ist es stets für die größten und vornehmsten der Sünder gewesen, für die, die es nach dem Urteil der Ehrsamen und Selbstgerechten zu arg gemacht haben, dass diese Versicherung jedem, auch ihnen, gehört. Welch eine Ermunterung auch für unser Zeugnis! Wie herrlich, jedem bezeugen zu dürfen: „Sieh, diese Liebe ist für dich, diese Hand ist auch für dich ausgestreckt“! 
Es ist merkwürdig, wie wenig wir —— ganz abgesehen von den Menschen im allgemeinen — uns darüber Rechenschaft geben, dass Gott liebt, das Bedürfnis hat zu lieben, und dass Er uns nicht nur das Recht einräumt, Ihn wiederzulieben, sondern dass Er, der große Gott, von uns geliebt sein will, das Bedürfnis hat, von uns geliebt zu werden. „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn mein Vater ist größer als ich“ (Joh. 14, 28). Wie zart und innig ist in diesem Worte der Tadel des Herrn, aber auch Sein Anspruch an die Liebe der Jünger ausgedrückt! Die Liebe sucht für ihren Gegenstand stets das Allerbeste, Höchste, sinnt darauf, wünscht, ersehnt nur das Glück, die Freude des Geliebten. Siehe, will der Herr sagen, wie wäre dieser Wunsch doch so naheliegend, so selbstverständlich eigentlich gewesen! 
Als schwacher Maßstab diene das Beispiel: Wenn ein sehr hochstehender Mensch, sagen wir ein Fürst, ein Kaiser, uns persönlich seine Liebe schenkte und von uns nicht nur bewundert und geehrt, sondern geliebt sein möchte, wirklich geliebt — welch ein Vorzug-, welch ein Vorrecht würde das für uns sein! Aber nicht ein Fürst, nicht ein Kaiser, nein, Gott ist es, der dich und mich liebt, Anspruch macht, vollen Anspruch auf deine und meine Liebe! Könnte es einen herrlicheren Gedanken geben, als Ihn lieben zu dürfen? Ein unendliches Wonnegefühl durchströmte mich, als er zum ersten Mai in mir aufstieg. Ihn erkennen, Ihn lieben ist eins, „denn jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott“ (1. Joh. 4, 7.) Ja, diese Liebe ist es, die ein Herz weit, frei und glücklich, die das Leben lebenswert macht; Johannes nennt’s „völlige Freude. Das menschliche Herz ist so leicht für sich befriedigt. Die Selbstsucht macht es so eng, ist parteiisch, macht Unterschiede. Die göttliche Liebe sucht jeden, meint alle, ist weit, offen, frei, früh und spät, jederzeit. Welch eine herrliche Vollmacht, aber auch welch großen Auftrag, welche Verantwortlichkeit gibt uns dies an den einzelnen Menschen, an alle Menschen!
Und was tut die Liebe? Lässt sie es bei einer gnädigen Erweisung bewenden? Hört sie je auf zu lieben? O nein, die Liebe liebt stets, sie gibt ohne Aufhören, gibt das Beste, sich selbst. So gab Gott das Größte, das Herrlichste, was Er Sein eigen nennt, Seinen eingeborenen Sohn aus Seinem Schoß.
Wer könnte die Innigkeit dieser Ausdrücke nachempfinden? Wer den Maßstab ihres Wertes bemessen? Ach, wären wir kindlicher, um sie ganz in unsere Herzen aufzunehmen, sie so auf uns wirken zu lassen, wie sie gemeint sind! 
Gott gab — das Geben ist nicht nur als Senden zu verstehen, sondern, wie das Geben einer lebendigen Person im höheren Sinne stets bedeutet, als Dahingabe, als Opfer. Seinen Sohn gab Gott dahin zum Tragen der Sünde und des Fluches. Von Seinem göttlichen Gericht konnte Er Ihm nichts erlassen. Das sagt uns des Herrn ergreifender Schmerzensruf am Ende der Stunden der Finsternis: „Mein Gott, mein Gott, war- um hast du mich verlassen?“ Damit verstehen wir auch besser das Wörtchen „also“. Dass es nicht nur heißen soll: in so großem Maße, in so alles übersteigender Liebe,
sondern: auf keine andere Weise, als durch das Geben, durch die Hingabe Seines eingeborenen Sohnes. Nicht also, dass Er sandte, — auch das war Großes, Herrliches, -— sondern dass Er gab. Welch herrliche Antworten geben diese beiden „also muss“ und „also gab“ auf alle „wie’s“ des Nikodemus, auf alle „wie’s“, die der Mensch fragend sich erlaubt! Welche Gedanken und Empfindungen mögen sie in der Brust des Nikodemus geweckt haben! Ob nicht auch sein Herz in ihm „gebrannt“ hat, als diese gewaltigen, tiefeindringenden Worte nicht mehr als ein leises Säuseln, sondern mit heißer Glut ihn anwehten? Vielleicht stand in diesem Augenblick ein anderes Bild vor seiner Seele, sah er im Geiste den Opfergang des Abraham, wie die beiden, Vater und Sohn, miteinander gingen, sah den Sohn auf dem Altar der einsamen Höhe, das Messer und das Feuer in Abrahams Hand, und vernahm dann die Stimme: „Tue ihm gar nichts, denn nun weiß ich, dass du deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast“. — „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ heißt’s im Römerbrief, Kap. 8, 31· „Er, der doch Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“
„O Liebesglut, du gabst dein Blut“,
singen wir. Kommt uns da nicht der Gedanke, dass Gott auch weniger geliebt haben könnte? — — —
„Auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ — wohl eine Wiederholung des Folgesatzes von Vers 15, unzweideutig jeden Zweifel, jede Ausnahme ausschließend, und doch im Zusammenhang so ganz anders, eines das andere ergänzend. Vorhin an das „muss“ anschließend, das Glauben an den „Erhöhten“, am Fluchholz zur Rettung Dargebrachten, und hier an den Sohn, den Dahingegebenen, von Gottes Liebe Dargebrachten! Wie ist jedes Wort so bedeutsam in diesem Spruche, und welch herrliche Botschaft an die Welt, wo noch ein Empfinden übrig ist für Gottes freundliches, lockendes Liebeswerben um den armen, irrenden Menschen! Wie einfach, zu jedem Herzen redend, so, dass wir ihn als Kinder gut verstehen konnten, dass selbst die Heiden im dunkelsten  Erdteil von ihm erfasst werden! Und doch wie unausdenklich, unausspürbar in seinen Weiten und Tiefen! Wie manches zagende Herz ist von der Allgemeinheit, der allumfassenden Weitherzigkeit der darin bezeugten Liebe angezogen worden! Wie mancher hat noch zu kommen gewagt, auf die einzige Bedingung hin, nicht zu begreifen, sondern zu ergreifen, einfältig zu glauben, hat’s gewagt und hat ewiges Leben empfangen.
„Denn Gott hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, auf dass Er die Welt richte, sondern auf dass die Welt durch Ihn errettet werde.“ 
„Richten“ — ein neues Wort in diesem Kapitel, aber in Verbindung mit „nicht“, in Verbindung mit dem Sohne. Richten ist der göttlichen Liebesnatur entgegengesetzt. Richten heißt den selbstverschuldeten Verderben überliefern. Gott hätte richten können, das Verdammen, d. h. das Verurteile. nach Gerechtigkeit, wäre Gottes unbestreitbare; Recht gewesen. Er hätte statt des Retters den Richter senden können. Gottes Liebesabsicht war im Gegenteil, die Welt zu erretten. Zu diesem Zwecke sandte Er sogar Seinen Sohn selbst. Die Sendung des Sohnes sollte aber nicht nur dem auserwählten Volke gelten, sondern — für den Juden Nikodemug eine neue Offenbarung — der ganzen Welt, auch der von den Vorrechten Israels ausgeschlossenen, verworfenen, götzendienerischen Welt. Es war und ist kein Unterschied mehr; alle haben gesündigt, alle müssen und können nur auf dieselbe Weise „durch Ihn“, durch das Opfer Christi, durch Sein Kreuz, Sein Sterben errettet werden. Herrliche Sendung des Sohnes! Der Vater sendet, und der Sohn lässt sich senden, kommt nicht als Herr, nicht als Richter, kommt als Knecht, kommt zu dienen, dieser Liebesabsicht Gottes zu entsprechen.
Wie vertrauenerweckend lautet Sein: „Ich richte niemand“ — wie hoheitsvoll zugleich! Man fühlt deutlich heraus: Ich könnte es wohl, ja, ich müsste es eigentlich. Aber wird nicht an anderer Stelle deutlich bezeugt, dass der Herr die Welt richten wird, dass Ihm alles Gericht übergeben ist? Wohl wird derselbe Herr, der einst hier war als der Sanftmütige und von Herzen Demütige, einmal erscheinen zum Gericht für diese Welt, aber dann wird Er nicht „gesandt“, nein, dann wird Er „kommen“ als Herr und König in Herrlichkeit. Feierlich wiederholt der Herr hier, dass es — wie auch Matthäus 18, 11 und 14 bezeugt — Gottes Liebesabsicht war, die Welt zu erretten, jeden, ohne Ausnahme, ohne Unterschied, bedingungslos. Hüten wir uns, Bedingungen und Beschränkungen zu machen! Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend. (2. Kor. 5, 19). Gottes Absicht ist vereitelt worden, die Welt hat Jesum verworfen. Gott aber ist vollkommen gerechtfertigt, Er kann und wird zu jedem sagen, den das Gericht treffen wird: Hättest du die Sendung meines Sohnes angenommen, so wärest du errettet worden. Du selbst hast meine Liebesabsicht für dich unmöglich gemacht. 
„Nicht richten.“ — Wenn wir daran denken, dass Gott das Äußerste getan hat, um nicht richten zu müssen, so verstehen wir besser Sein Gebot an uns: „Richtet nicht!“ Unserer Natur nach sind wir zum Richten geneigt. Selbst der Charakter und das Verhalten vieler Christen  scheinen uns geeignet, unsere Kritik daran zu üben. Insbesondere Nikodemus-Naturen bieten uns hierfür einen willkommenen Anreiz. Aber der göttliche Liebesgrund ist: nicht richten, Sein Liebeszweck: glücklich machen, Gutes für Böses erweisen, alle Mittel, auch das letzte, versuchen, um die Rettung möglich zu machen. Wir haben ein so scharfes Auge für die Schwächen unserer Mitmenschen, und dem scharfen Auge dient so leicht die noch schärfere Zunge. 
„Richtet nicht!“ — Diese Mahnung ist, wie bemerkt, besonders beherzigenswert unter Kindern Gottes, unter Wiedergeborenen, und ich möchte die besondere Aufmerksamkeit auf die Gefahren richten, die uns drohen, wenn wir in dieser Beziehung nicht wachsam sind. Der richtende Geist ist der Geist der Lieblosigkeit. Er ist der ungerichteten, ungebrochenen Natur eigen und ist stets aus dem Bösen. Der Natur Gottes, die wir empfangen haben, die Liebe ist, ist er genau entgegengesetzt. Schnelles, gewohnheitsmäßiges Richten beweist, dass das uns verliehene Maß von Selbsterkenntnis uns nicht zur Demut, in das so nötige Selbstgericht führte, sondern uns vielmehr dazu verleitete, die Blößen des anderen aufzudecken. „Richten“ ist stets der Pharisäer in uns, des Herzens geheime Gefallsucht, ob es nun in lauter, schadensroher Weise oder in einem selbstgefälligen Lächeln sich äußert. Wir sind oft so schnell fertig mit unserem Urteil, der Selbstsuchtskitzel in uns kann es darin zu einer unheimlichen Gewandtheit bringen. Richten, schnelles Urteilen ist stets der Beweis von geistlichem Hochmut -— von allen Arten des Hochmuts wohl der widerlichste — von Mangel an Liebe. Hier sehen wir in uns einen Abgrund des Verderbens der menschlichen Natur, und Gott warnt uns deshalb so ernst davor, den Nächsten zu richten, Er, der jeden vor dem ewigen Gericht bewahren möchte. „Richtet vielmehr dieses, dem Bruder nicht einen Anstoß oder ein Ärgernis zu geben“, sagt das Wort in Röm. 14, 13. „Nicht richten“ —- denken wir daran auch den Unbekehrten gegenüber! Jemand aufgeben ist auch richten. „Ich richte niemand“, sagt der Herr; das möge uns davor bewahren.

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Manoahs Weib

Bibelstelle: Richter 13

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 49ff

Es mag zunächst etwas sonderbar und befremdend klingen, wenn ich sage, dass wir bei der Betrachtung der Briefe des Neuen Testaments zum Nutzen und Trost für unsere Seelen der Worte des Weibes Manoahs in Richter 13, 23 gedenken können; aber bei einer näheren Prüfung wird man mir, wie ich glaube, recht geben.
Manoah selbst war in jenem Augenblick voll Furcht und Schrecken, denn er hatte, wie er sagt, „Gott gesehen“, und folgerte daraus, dass er nun mit seinem Weibe „gewisslich sterben“ würde. „Aber sein Weib sprach zu ihm: Wenn es Jehova gefallen hätte, uns zu töten, so hätte Er nicht ein Brandopfer und Speisopfer aus unserer Hand angenommen, und Er hätte uns dies alles nicht gezeigt, noch uns zu dieser Zeit dergleichen vernehmen lassen.“
Ein sehr einfaches, schönes und nachahmungswürdiges Beispiel ruhigen, verständigen Überlegens! Der Glaube ist stets der beste Urteiler, aus dem einfachen Grunde, weil er die Beweise benutzt, die Gott selbst, wie in dem vorliegenden Falle, in die Hand gibt. Die Einfalt dieses  Weibes des Glaubens tritt in dem ganzen Verlauf der Erzählung ans Licht. Ihr Gatte war offenbar ein gottesfürchtiger, guter Mann, der den Gebetsumgang mit Gott kannte, aber sie war einfältiger und vertrauensvoller als er, eine Seele, die überhaupt nicht viel grübelte und überlegte, es sei denn, dass der Herr selbst ihr Anlass dazu gab. 
Nun habe ich gesagt, dass gerade dieses gläubige Überlegen und Schlüsse ziehen uns beim Lesen der neutestamentlichen Schriften, besonders der Briefe, zum Trost und Nutzen dienen könne. Denn in ihnen finden wir —- geradeso wie Manoahs Weib in den Worten, die der Herr zu ihr sprach — die Offenbarung solch wunderbarer Geheimnisse und die (Erweisung einer solch auserlesenen Gnade, dass wir, gleich ihr, nicht anders können als ruhen in der kostbaren Gewissheit, dass Gott nicht nur nichts gegen uns im Schilde führt, sondern dass Er für uns ist. Die Briefe bringen uns in eine so nahe Beziehung zu Gott, machen uns bekannt mit solch tiefen Geheimnissen Seines Herzens und ermuntern uns so eindringlich, nun auch unserseits Brandopfer und Speisopfer in Seinem Heiligtum darzubringen, dass Sein Vorsatz, uns Vergebung und Heil zu schenken, gar nicht mehr in Frage gezogen werden kann. Wie könnte der Herr uns in der Weise, wie die Briefe es uns mitteilen, zu Kindern, Freunden, Anbetern und Erben gemacht haben, wenn Er uns nicht an einen Platz vollkommener Sicherheit und unerschütterlichen Friedens gebracht hätte? Das Geringere ist sicher immer in dem Besseren eingeschlossen, wie das einfältige Herz des Weibes Manoahs ganz von selbst urteilte, zur Ermutigung ihres Mannes. 
In Übereinstimmung damit dürfen wir wohl sagen, dass Gott in den Briefen der Apostel die Vergebung unserer Sünden und unsere Annahme in Christo vielfach in ähnlicher Weise behandelt. Beide Dinge werden eher vorausgesetzt als gelehrt, und wenn der Geist Gottes sich doch mit ihnen beschäftigt, so geschieht es hauptsächlich deshalb, weil das Herz des Menschen so geneigt ist, zu dem Gesetz zurückzukehren, zu den armseligen Elementen der Welt, einer fleischlichen Religion von Verordnungen und Satzungen. 
Die Frage der Sündenvergebung und Rechtfertigung gehört eigentlich in die Gegenwart Gottes als Richter. Wenn Gott sich in diesem Charakter offenbart, muss sie behandelt und geordnet werden· In den Briefen aber redet Gott zu uns, Seinen Heiligen, als Vater, oder aus dem Heiligtum hervor, wie Er uns als Anbeter sehen möchte, oder Er redet mit uns, wie ein Mann mit seinem Freunde redet, oder als einer, der uns in Christo in die himmlischen Örter versetzt hat. Wahrlich, Er würde so nicht mit uns handeln, wenn Er mit der Absicht umginge, „uns zu töten“, oder uns wieder unter das Gesetz zu stellen, in Angst und Furcht vor dem kommenden Gericht.
Die Ausführungen des Apostels am Schlusse von Römer 8 tragen genau diesen Charakter. Gerade wie Manoahs Weib, urteilt er von dem aus, was Gott für uns bereitet hat, und zieht den Schluss — selbstverständlich unter der Eingebung des Heiligen Geistes — dass das Kleinere in dem Größeren eingeschlossen ist. Er macht gleichsam Anspruch auf das Geringere in dem Namen und der Autorität des Höheren, genau wie die gottesfürchtige Frau in unserer Erzählung es tut. Sie sagt: Gott wird uns nicht töten, weil Er unsere Anbetung angenommen und zu uns geredet hat. Der Apostel sagt: Der Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat, wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken? Wer kann uns irgend Etwas zur Last legen, wenn Gott uns gerechtfertigt hat? 
Auch in anderen Briefen lesen wir von unserem Platz und unsern Vorrechten in einer Weise, dass wir wohl kühn sein dürfen entsprechend dem Vorbilde in Richter 13. 
Im Galaterbrief z. B. ist unser Verhältnis zu Gott der leitende Gedanke. Wohl wird immer wieder von göttlicher Gerechtigkeit geredet, aber es geschieht, um uns in das große und kostbare Geheimnis unserer Beziehung zum Vater einzuführen, in jene Stellung von Kindern, Nachkommen der „Freien“, in welcher wir durch die Gnade uns befinden. 
Im Epheserbrief werden die persönlichen, himmlischen Würd en entwickelt, die den Gläubigen in Christo geschenkt sind. Die Vergebung der Sünden und die Versöhnung durch das Blut Christi sind Dinge, die nur im Vorbeigehen berührt werden. 
In den Briefen an die Thessalonicher werden wir ermuntert und ermahnt auf Grund der Wiederkunft und der Herrlichkeit des Herrn, aber unser Interesse an jener Herrlichkeit wird als eine gewisse und für immer festgestellte Sache behandelt.
Der Hebräerbrief redet von unserem Platz als Anbeter. Wir werden darüber belehrt, dass wir ins Heiligtum eingeführt sind, und -dass unser Dienst dort darin besteht, Opfer des Lobes und Dankes darzubringen.
So werden wir in diesen Briefen entweder als Kinder behandelt, oder als Erben, oder als Freunde, oder als Anbeter. Wir werden betrachtet als vor Gott stehend in dem Kleide göttliche: Gerechtigkeit, oder als Söhne, oder als in Christo mitversetzt in die himmlischen Örter, oder als eingeführt in das Heiligtum des Friedens und der Danksagung, oder endlich als solche, die die Herrlichkeit erwarten. Und sicherlich, jedes einzelne dieser Dinge berechtigt uns zu der Frage: Würde wohl Gott so zu uns gesprochen, uns in solche Beziehungen zu sich selbst gebracht und solche Opfer aus unserer Hand angenommen haben, wenn Er die Absicht hätte, „uns zu töten“? Oder uns unter die Donner und Blitze des Berges Sinai zu stellen und Furcht und Schrecken in unsere Herzen zu senken?
Ja, mehr noch. Gerade die in den Briefen enthaltenen Vorschriften, denen wir mit Aufmerksamkeit lauschen und die wir in Treue beobachten sollten, richten sich ausnahmslos an uns als Heilige. Gerade sie geben uns deshalb die Versicherung, dass wir „Gottes Auserwählte“ sind. Verantwortlichkeiten ruhen infolge dessen auf uns, aber auch sie deuten hin auf ein gesichertes Verhältnis, in das wir gebracht sind, nicht auf einen Zustand der Unsicherheit. Wir sind, wie gesagt, nicht berufen, auf jene Vorschriften zu horchen, als ständen wir am Fuße des brennenden Berges, dessen Rauch wie der Rauch eines Schmelzofens emporstieg, sondern als solche, die auf den Boden bedingungsloser Gnade gestellt sind. 
Ich frage: Was könnte gegen das Gesagte eingewendet werden? Hatte Manoah irgend eine Antwort auf die Frage seines Weibes? Den Tadel aus ihrem Munde stiIl anzunehmen, war seine Weisheit und gereichte ihm zum Trost; und so ist es mit uns. Das schwächere Gefäß tat auch in diesem Falle einen guten Dienst im Hause Gottes, ja, tut es heute noch. Denn wenn Del)ora den Arm Baraks zum Kampf stärkte (Richter 4), wenn Abigail durch ihren verständigen Rat den verkehrten Entschluß der erbitterten Seele Davids umlenkte (1. Samuel 25), wenn Priscilla zu ihrer Zeit ihrem Manne half, dem Apollos den Weg Gottes genauer auszulegen, so dürfen wir gewiss auch mit dankbarer Freude von diesem unbekannten und ungenannten Weibe aus dem kleinen und fern wohnenden Stamme der Daniter die liebliche und passende Ermunterung annehmen, die der Herr uns durch sie gibt. Sie ruft uns in ihrer Weise zu, was der große Apostel der Nationen in späteren Tagen durch den Heiligen Geist seinem Kinde Timotheus schrieb: ·
„Sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist!“

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Wenn wir unsere Sünden bekennen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 54ff

Der Gläubige kann mit vollem Recht singen: „Alle, alle meine Sünden hat Sein (Christi) Blut hinweggetan“ Die ganze Schuld ist auf dem Kreuze bezahlt worden, so dass jeder, der von Herzen an den Gekreuzigten glaubt, aus seiner bisherigen Stellung der Schuldbarkeit und Verdammnis in die Stellung einer vollkommenen Vergebung seiner Sünden und der Annahme bei Gott eintritt. Als mit Christo vereinigt, sieht Gott ihn nicht mehr in seinem alten, verlorenen Zustande, sondern in Christo. Er ist „ein Mensch in Christo« (2. Kor. 12, 2), „vollendet in Ihm“ (KoIosser 2, 10), sodass der Apostel Johannes schreiben kann: „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden . . ., dass, gleichwie Er (Christus) ist, auch wir sind in dieser Welt“ (1. Joh. 4, 17). 
Diese neue, durch die Gnade ihm geschenkte Stellung kann der Gläubige nie wieder verlieren. Kein einziges Glied des Leibes Christi könnte jemals wieder des Platzes beraubt werden, den es in Verbindung mit seinem gekreuzigten, auferstandenen und verherrlichte« Haupte empfangen hat. Ein Gläubiger mag, wie wir gleich sehen werden, für eine Zeit den Genuss und die Freude dieses Platzes verlieren, die Sache selbst aber niemals. Seine Stellung in Christo ist unabänderlich. Das Band, das ihn mit seinem Herrn und Heiland verknüpft, kann nimmermehr zerrissen werden. 
Aber obwohl das alles so ist, haben wir doch die Sünde noch in uns. Unsere alte, sündhafte Natur ist zwar am Kreuze gerichtet worden, aber wir tragen sie noch immer mit uns umher, und wenn wir nicht wachsam sind, so setzen wir uns der Gefahr aus, in Gedanken, Worten oder Werken zu sündigen. Darum die ernste Ermahnung: Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle! Und: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er (Gott) treu und gerecht, dass Er uns die Sünder. vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Johannes 1, 8. 9). So schreibt derselbe Apostel, der davon. spricht, dass „jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt“, und er schreibt so, damit wir nicht sündigen· Das scheint ein Widerspruch zu sein, ist es aber keineswegs, weil wir eben so lang wir noch hienieden wandeln, die alte Natur noch in uns haben, die immer wieder aufleben und sich auswirken will. Deshalb ermahnt der Apostel Paulus die Römer: „Haltet euch der Sünde für tot, Gott. Aber lebend in Christo Jesu“ (Kap. 6, 11). 
Wenn nun ein Gläubiger gesündigt hat, so hebt das nicht seine neue Stellung, sein Kindesverhältnis zu Gott, auf, aber es unterbricht notwendigerweise seine Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Er muss nicht wieder, wie er es einmal getan hat, als ein verlorener Sünder zu Gott seine Zuflucht nehmen, sondern als ein Kind, das gefehlt hat, zum Vater kommen; und wenn er das in Aufrichtigkeit tut, so ist Gott „treu und gerecht“, nicht nur „gnädig und barmherzig“, wenn Er ihm seine Sünden vergibt und ihn reinigt von aller Ungerechtigkeit. So wie Gott Seine Gerechtigkeit darin erweist, dass Er den Sünder rechtfertigt, der an Jesum gläubig wird (Römer 3, 26), so ist der Vater treu (sich selbst und Seinem Wort) und gerecht (auf Grund des vollbrachten Werkes und der Sachwalterschaft Jesu Christi, des Gerechten), wenn Er dem reumütig bekennenden Kinde seine Schuld vergibt.
Aber ein Bekenntniss ist notwendig, nicht nur ein: „Vater, vergib mir!“ — ein ehrliches Anerkennen und Bekennen dessen, was geschehen ist. Anders wird das Gewissen nicht wieder frei und das Herz nicht wieder glücklich. „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott“ (1.Johannes 3, 21). Die kleinste ungerichtete Sünde auf dem Gewissen raubt uns diese Freimütigkeit. 

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Das Festmahl Belsazars

Bibelstelle: Daniel 5

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 57ff

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Während der Prophet Jeremia in Jerusalem zurückgelassen wurde, um als ein Zeuge des sittlichen Verderbens der Juden ihnen die kommenden Gerichte anzukündigen, und Hesekiel unter dem weggeführten Überrest, dem Gegenstand der Zucht Gottes, am Fluße Kebar seinen Platz fand, wurde Daniel mitten unter die Heiden nach Babylon gesandt, um dort von Gott über die Geschichte und die Wege der Nationen der Welt unterrichtet zu werden. 
Wir finden diese Geschichte in den sechs Kapiteln, welche den ersten Teil des Buches Daniel ausmachen. 
In Kapitel 1 erscheinen die Heiden oder Nationen im Gegensatz zu dem Volke Gotte; als die Gewalthaber der Erde.
Kapitel 2 zeigt uns die Welt in ihrer politischen Zusammensetzung während des Zeitabschnittes, der mit der chaldäischen Herrschaft begann und mit dem Reiche des Sohnes des Menschen zu Ende gehen wird, hier symbolisch dargestellt durch das große Bild in seinen verschiedenen Teilen, von dem Haupte von Gold bis zu den Füßen von Eisen und Ton. Dieses System wird zur Zeit des Endes gerichtet werden durch den zu einem Berge werdenden Stein, d. h. durch ein Königreich, das der Gott
des Himmels auf. der Erde aufrichtet! wird, ein Reich, das nie an andere übergehen wird, und in welchem sich die Macht und Herrlichkeit des höchsten Gottes entfalten werden. 
Die vier folgenden Kapitel geben uns in der Geschichte Nebukadnezars, Belsazars und Darius' eine Art Umriss der sittlichen Geschichte der Welt. In Nebukadnezar zeigt sich die Gewalt als Verfolgerin, im Verein mit der Religion des Menschen oder dem Götzendienst. Der König lässt ein großes Bild aufrichten und verlangt, dass die Menschen es anbeten, mit der Drohung, dass sie im Weigerungsfalle in den brennenden Feuerofen geworfen werden würden. Die Gerechten weigern sich, dem Gebot zu gehorchen, und leiden dafür. 
Belsazar stellt uns die Welt dar, die Bequemlichkeit und Vergnügen liebt und dabei die Religion verachtet. Der König macht ein großes, prächtiges Festmahl, bei welchem dem Vergnügen und der Ausgelassenheit in außergewöhnlicher Weise gefrönt wird. Die Gerechten bleiben diesem Mahle völlig fern. 
Bei Darius tritt wiederum, wie bei Nebukadnezar, d le Gewalt verfolgend auf, aber es geschieht hier in Verbindung mit der Erhebung der eigenen Person. Der König erlässt ein Verbot, welches jedermann untersagt, so und so viele Tage lang von irgend Jemand etwas zu erbitten, außer von ihm, dem König, bei der Strafe, in die Löwengrube geworfen zu werden. Wiederum weigern sich die Gerechten, das Verbot zu beachten, und Leiden sind ihr Teil. 
Das sind die Marksteine, welche hier in vorbildlicher, aber bestimmter, verständlicher Weise den Fortschritt der Gottlosigkeit der Nationen bezeichnen. Für mich selbst bin  ich überzeugt, dass der Zeitabschnitt, in dem wir gegenwärtig leben, sein Vorbild in der Zeit Belsazars findet. Die dieser vorangehende Regierung kennzeichnete sich durch Verfolgung und Götzendienst, die ihr folgende durch Verfolgung und Menschenvergötterung. Bei Belsazar aber finden wir bequeme Gleichgültigkeit, Genusssucht und Befriedigung in den Dingen, welche die Welt bietet. Des Königs Gebot und Verbot nicht zu beachten und infolge dessen zu leiden, war das Teil der Gläubigen in den Tagen des götzendienerischen Nebukadnezar sowohl wie in den Tagen des sich selbst erhebenden Darius. Beide wurden zu Verfolgern. Aber in den Tagen Belsazars ist der Platz, den die Heiligen einnehmen, der einer völligen« Absonderung. 
Die Geschichte Belsazars enthält ernste Belehrungen für uns. Daniel beteiligte sich nicht an dem Gastmahl. Noch eine andere Persönlichkeit hielt sich fern; nicht dass sie das gleiche Licht gehabt hätte wie der Prophet, aber sie handelte in gleichem Geist. Ich meine die alte Königin, die Mutter des Fürsten. Der König wusste nichts von dem Manne Gottes, der in seinem Reiche lebte. Er wusste auch nichts oder wollte nichts wissen von den Taten, die Gott zur Zeit seines Vaters gewirkt hatte. Aber die Königin kannte sie und bewahrte die Erinnerung daran auf, und auch sie ging nicht zu dem Fest.
Wer sind heute die Abgesonderten? Die, welche sich an das königliche Fest begeben, oder die, welche, im Lichte d es Herrn die Dinge beurteilend, davon fernbleiben? Unsere Zeit kennzeichnet sich durch Liebe zur Welt und Hang zur Bequemlichkeit, durch ein Trachten nach- den Genüssen und Vergnügungen des Lebens. Man rühmt auch die Erzeugnisse aus Gold, Silber, Erz, Holz und Eisen, indem man dem Tag entgegengeht, wo man ihnen Anbetung darbringen wird wie Göttern. Man ruft alles zu Hilfe, was den Glanz des Festes, an welchem man seinen Ruhm zu entfalten sucht, erhöhen kann. Zeitliches Wohlergehen und möglichste Befriedigung des Vergnügungstriebes, der Genusssucht, das sind die Ziele, welche man verfolgt, Die Werke des Menschen, die Erzeugnisse seiner Geschicklichkeit und die Reichtümer der Erde schmücken und verschönen! den Schauplatz, und ihre Zusammenstellung bildet sozusagen das glänzende Mahl, welches der Einlader für die Menschen bereitet hat. Und der Mensch sorgt dafür, dass die Freude nicht fehle in dieser ernsten Stunde der Geschichte der Welt — ernst nicht so sehr durch Gerichte und Heimsuchungen, als vielmehr hinsichtlich der sittlichen Grundsätze, durch welche die Menschen sich leiten lassen. Was kümmerte Belsazar die Gefangenschaft Zions? Er beschäftigte sich mit den heiligen Gefäßen nur, um sie zu entweihen. Die Taten Gottes galten ihm nichts. Wein und Musik machten das Fest fröhlich genug. So kommen auch heute die Menschen zusammen zu gemeinsamer Freude, vergessen, dass sie Christum verworfen haben, und bewillkommnen sich gegenseitig, weil sie alle zusammen von der gleichen, gottentfremdeten Welt und aus Fleisch und Blut geboren sind. Und wollen die Auserwählten Gottes; während dieser Zeit vergessen, wag Gott von ihnen und ihrem Zeugnis der Welt gegenüber erwartet? Wollen sie es beiseite setzen, bis das Fest zu Ende gefeiert ist? 
Wo, so frage ich wieder, befindet sich derjenige, der für Gott abgesondert ist? Wo ist Daniel? Das Mahl hat keinen Reiz und keine Anziehungskraft für ihn. Er kannte den Charakter jenes Festes, bevor Gott Sein Urteil darüber gesprochen hatte. Er wartete nicht, bis die Menschenhand an der Wand erschien, um sich dann zu trennen. Die geheimnisvolle Schrift erschreckte und beunruhigte. Ihn auch gar nicht. Er stand außer dem Bereich des Verderbens, das wie ein Dieb in der Nacht hereinbrach; denn er hielt sich im Geiste da auf, von woher diese Hand gesandt wurde, er war ein „Kind des Lichtes und ein Kind des Tages“. Das drohende Gericht brauchte ihn nicht zu erschrecken, denn er hatte das Gastmahl für sich schon verurteilt. Es war nicht etwa der Schlaf, der ihn davon getrennt hielt. „Die da schlafen, schlafen des Nachts und die da trunken sind, sind des Nachts trunken“  Nein, so wenig Daniel auf dem Feste sein Vergnügen suchte, ebenso wenig war er gleichgültig betreffs desselben. Er blieb ihm, wie gesagt, nicht deshalb fern, weil er schlief, sondern im Gegenteil, weil er wachte und nüchtern war in göttlichem Sinne (1. Thess. 5, 6). Darum kannte er auch an diesem Platze der Absonderung das Urteil Gottes über diese Dinge, lange bevor die Schrift an der Wand es der Welt verkündigte. Wie ist das alles so voll von Bedeutung für uns!
Ich behaupte nicht, dass die Form, in welchem das Böse in den Tagen Belsazars sich zeigte, die schlimmste von allen war. Vor ihm hatte Nebukadnezar einen Götzen errichtet, nach ihm machte Darius sich selbst zum Gott. Im ersten Falle lernte der Heilige den brennenden Ofen kennen, im letzten wurde er in die Löwengrube geworfen. Die Zeit Belsazars weist nichts Derartiges auf. Sie verlangte keine Anbetung des Gräuels der Ebene Dura, noch verbot sie, dass man gegen Jerusalem hin anbete. Und doch scheint sich bei Belsazar und in seiner Zeit etwas zu finden, das dem Geist des Herrn ganz besonders zuwider war. Für Nebukadnezar konnte Daniel Interesse empfinden; er wurde auch zur Reue und Demütigung gebracht, so dass Gott Sein Gericht aufschieben konnte. Und Darius erweckte ohne Zweifel die Teilnahme des Propheten, denn rührend ist die Demut und Gnade, die er nachher zeigte; wir können auch nicht anders, als ihn bemitleiden, wenn wir sehen, wie er gegen seinen Willen das Böse ausführen musste, in welches seine Eitelkeit und sein leicht zu beeinflussender Charakter ihn gebracht hatten. Belsazar aber kann uns kein Interesse abgewinnen. Er empfängt von dem Geiste Gottes nichts als Tadel, und von der Hand Gottes durch das Schwert der Meder nichts als die schnelle Ausführung des angedrohten Gerichts. „In selbiger Nacht wurde Belsazar, der König der Chaldäer, getötet.“ 
Er war der leichte, heitere Weltmensch, der ohne jede religiöse Furcht dahinlebte. Was er anbetete, waren seine Vergnügungen, waren die Götter von Gold und Silber, von Eisen und Erz, war das, was sein Fest herrlich machen und seine Lüste befriedigen konnte. Er rief die Welt nicht zusammen, um seinen Götzen oder um ihn selbst anzubeten, nein, er rief sie an seinen Tisch und zu seinem Mahle, aber Jerusalem und sein Unglück blieben dabei vergessen. Die Wunder, die der Gott der Juden gewirkt hatte, galten jenem Menschen nicht mehr als ein Traum oder eine Sage, und der König wagte es sogar, bei seinem Gelage einen entweihenden Gebrauch von den heiligen Gefäßen des Tempels Gottes zu machen.
Das ist auch heute das Wesen der Welt: fröhlich und ungebunden. Wir leben in Zeiten, wo der Mensch die Wunder Gottes vergisst und die Verwerfung und Erniedrigung Christi keines Gedankens mehr würdigt. Musik und Tanz und was irgend sonst die Sinne erfreuen kann, muss zum Reiz der Feste beitragen, aber was Gott gewirkt hat, kann der Vergessenheit anheimfallen. Bis dahin hatte man in Babylon für die Gefäße des Hauses Gottes noch irgendwie Furcht und Ehrerbietung gehegt, aber jetzt
werden sie verunreinigt und müssen den Begierden des Königs dienen. Von Gott dazu bestimmt, von einem für Ihn abgesonderten, priesterlichen Volk zu zeugen und inmitten dieses Volkes Seinem Dienste geweiht zu sein, benutzt sie der König als Gegenstände seines Vergnügens. 
Was sind, frage ich, alle die Anstrengungen, welche heute gemacht werden, um die Welt zu verschönern, sie zu genießen und sich ihrer zu rühmen, während Jesus von ihren Bewohnern verworfen ist? Ist es nicht der Geist des Festes Belsazars? Die Verwerfung Christi ist der Grund, warum das Gericht über diese Welt ausgesprochen ist; aber das ist vergessen, man spottet darüber und findet seine Herrlichkeit und seinen Ruhm gerade in der Welt, die noch immer sagt: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!“
Immer wieder feiert man die Götter von Gold und Silber, von Erz, Eisen und Holz. Man breitet in gewaltigen Veranstaltungen, Schaustellungen, Festen und dergl. alle Hilfsquellen der Welt, alles, dessen sie fähig ist, vor dem staunenden Auge aus, ohne im entferntesten daran zu denken, dass diese Welt Christum verworfen hat. Finden wir aber jemand aus dem Volke Gottes am Feste des Königs? Israel war samt den Gefäßen des Tempels Gottes weggeführt worden. Wer unter den Israeliten hätte gleichgültig oder unentschieden sein können betreffs der Frage, ob er an dem Tun des Königs, der die heiligen Gefäße dieses Hauses verachtete, teilnehmen könne oder nicht? Und wer unter den Knechten des hochgeborenen Mannes könnte sich mit den Bürgern vereinigen, die nicht wollen, dass Er über sie herrsche, und die überdies mit Seinem Blute befleckt sind? (Siehe Lukas 19). Aber, sagt man, gibt es in den Veranstaltungen der Welt nicht auch Anerkennenswertes? Haben nicht manche von ihnen den Zweck, die Völker einander näher zu bringen, das Wohlsein der Gesellschaft zu fördern, überhaupt das Glück der ganzen menschlichen Familie zu erhöhen? Demgegenüber möchte ich fragen: Liegt es in den Absichten Gottes, diese Dinge auf solche Weise herbeizuführen? Er hat die Nationen zerstreut, und es ist gar nicht Seine Absicht, sie wieder zu sammeln, bis Sein Fürst kommen und der Mittelpunkt ihrer Vereinigung werden wird (1. Mose 49, 10). Gott will, dass wir Fremdlinge hienieden seien. Er will, das; wir gegen die Welt in ihrem jetzigen Zustand zeugen und weder Schmeichelei noch Nachgiebigkeit für sie haben, auch nicht unseren Ruhm suchen in den Fortschritten, deren sie fähig ist. Christus zeigt uns die Welt in ihrer Versunkenheit und Gottentfremdung; der Mensch möchte ihren Ruhm und ihre Herrlichkeit vor unseren Augen ausbreiten. Christus will sie erschrecken und zu einem Bewusstsein des Gerichts bringen, dem sie entgegengeht; das Tun des Menschen zielt dahin, die Welt immer zufriedener mit sich selbst zu machen. 
Mit welch einer Bewunderung hat man z. B. die ersten großen Weltausstellungen betrachtet! Mir erschienen  sie wie ein Schritt auf der Bahn, deren Ziel die Schrift mit den Worten kennzeichnet: „Und die ganze Erde verwunderte sich über das Tier“. (Offbg. 13, 3.) War es nicht betrübend, selbst die evangelische Christenheit ihre Beiträge einsenden und sie unter den Ausstellern vertreten zu sehen? Wie reimt es sich miteinander, heute der Welt das ihr drohende Gericht zu verkündigen und morgen die Erzeugnisse ihres Genies mit ihr zu bewundern? 
Wenn ein Kind Gottes sich in eine Stellung begibt, in welcher es nicht die bewahrende Gewissheit hat, vom Herrn dorthin berufen zu sein, so findet der Feind leicht Gelegenheit, sich seiner zu bedienen, wie er sich einst des alten Propheten in Bethel bediente (1. Kön. 13). 
Als der Herr die Nationen zerstreute (1. Mose 11), geschah es als ein Gericht über das stolze Unterfangen der Menschen, sich einen Namen zu machen und einen Mittelpunkt der Einheit zu schaffen, um nicht über die ganze Erde hin zerstreut zu werden· Hat Gott dieses Gericht je aufgehoben? Ohne Zweifel wird ein Zeitpunkt kommen, wo es der Fall sein wird. Jerusalem wird ein Mittelpunkt der Völker werden, und die Nationen werden in Scharen nach Zion kommen, um dort den König in Seiner Schönheit zu sehen, und kein Volk wird mit leeren Händen vor Ihm erscheinen. Die Erzeugnisse aller Länder werden die Stadt des; Heiligtum Gottes zieren. Kamele aus Midian und Epha wird man zu ihr bringen, Arabiens Gold und Weihrauch, die Herden Kedars und die Widder Nebajoths, die Herrlichkeit des Libanon und die Reichtümer der Nationen werden zu ihr kommen. Von allen Seiten wird man zu ihr strömen, herbeifliegen gleich Tauben zu ihren Schlägen, und die Könige werden ihre Herrlichkeit in der Stadt ausbreiten. Gott selbst wird statt des (Erzes Gold bringen, und statt des Eisens Silber, und statt des Holzes Erz, und statt der Steine Eisen (Jes. 60). Aber diese Dinge gehören dem „zukünftigen Zeitalter“ an, der Zeit, wann aus Zion der Erlöser gekommen sein und die Gottlosigkeiten abgewendet haben wird von Jakob (Jes. 59; Römer 11).
Erst die Aufrichtung des Reiches in Macht und Herrlichkeit wird dem Gericht der Verwirrung, das über Babel kam, ein Ende machen. Der, welcher zerstreut hat, muss auch wieder sammeln. Er ist der „König der Nationen“. Es ist Sein Wille, dass die Völker noch voneinander geschieden sind, aber für Jesum, und für Ihn allein, wird Er sie einst wieder sammeln und für Ihn ein Königtum aufrichten, das die ganze Welt umfasst, wie geschrieben steht: „Seine Herrschaft wird sein von Meer zu Meer und vom Strome (Euphrat) bis an die Enden der Erde“ (Sach. 9, 10). 
Eigentlich wurde der Name Jesu am Pfingsttage dem Menschen als Mittelpunkt der Vereinigung angeboten. Verschiedene Sprachen, wie Babel sie hatte entstehen sehen, wurden den Jüngern gegeben, auf dass das wieder vereinigt würde, was einst getrennt worden war. Aber dieser Versuch der Gnade Gottes scheiterte an der Härte des ungläubigen Menschenherzens. Und nachdem nun die Menschen den göttlichen Plan, sie durch die Macht und Gegenwart des Heiligen Geistes um Jesum zu sammeln, verworfen haben, suchen sie sich ohne Gott, fern von Ihm, zu vereinigen. Der Mensch will sich erheben, jetzt wie einst zu Babel; er möchte unabhängig von Gott sein, ja, den Platz des höchsten Gottes einnehmen. Das „Tier“ wird  bei Todesstrafe verlangen, von allen angebetet zu werden, und die, welche auf der Erde wohnen, werden sein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirne nehmen und ihm huldigen. (Offbg. 13.) Das ist die zukünftige Geschichte der Welt. Man will den erhöhten Christus nicht anerkennen und kann nicht aufhören, sich selbst zu verherrlichen. 
Jesaja, durch den Geist Gottes die letzten Tage voraussehend, ermahnt das Volk Gottes, nicht vereint mit der Welt seinen Weg zu gehen, sich nicht vor dem zu fürchten, was sie fürchtet, sondern Jehova der Heerscharen zu fürchten und Seinen Namen zu verherrlichen (Jesaja 8,11 — 13). Nun möchte ich mich und alle meine Mitgläubigen fragen: Hören wir mit heiligem Ernst auf diese Warnung des Propheten? Beachten wir sie? Der Mensch ist in voller Arbeit, sich selbst zu erheben und zu diesem Zweck Bündnisse zu schließen, und zuletzt wird er sich selbst zum Mittelpunkt der Vereinigung machen. Und wenn «wir diese warnenden Mitteilungen hinsichtlich des Charakters der letzten Tage als göttlich erkennen, können wir dann mit den Kindern der Welt gemeinsame Sache machen, uns ihnen gleichstellen, als wenn wir dieselben Zwecke und Ziele verfolgten? Wie ernst mahnt der Apostel in 2. Korinther. 6: „Gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an!“ Nur so kann der Herr, der Allmächtige, uns „aufnehmen“ und uns als „Seine Söhne und Töchter“ anerkennen.

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Wer ein Ohr hat zu hören

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 68ff

Es ist etwas Großes, ein hörendes Ohr zu haben. Es unterschied zur Zeit des Herrn Jesus Seine Jüngers und wahren Nachfolger von der großen Masse des Volkes, und Offenbarung 2 und 3 mit dem immer sich wiederholenden: „Wer ein Ohr hat, höre“, zeigen uns, dass ein hörendes Ohr auch heute noch die Lebenden von den Toten unterscheidet.
Das hörende Ohr ist eine Gabe Gottes. „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu wissen“, sagte der Herr einst zu Seinen Jüngern, „jenen aber (der Volksmenge) ist es nicht gegeben“ (Matth. 13, 11). Aber es ist hiermit wie mit jeder anderen Gabe: wollen wir sie wirklich genießen, so müssen wir sie beachten und schätzen; denn denen, die hören, wird mehr gegeben werden. Satan weiß das auch sehr gut, und deshalb ist er auf alle Weise bemüht, unser Ohr von Gott abzuwenden. Er weiß sehr wohl, dass er Zugang zu unseren Herzen erlangt, sobald er unser Ohr erreichen kann, und dass, wenn wir einmal in die Versuchung gekommen sind, wir keine Kraft haben, ihr zu widerstehen.
Überdies sind wir den listigen Anläufen Satans nicht gewachsen. Eva lauschte auf seine Stimme, und sofort war es um sie geschehen. Beachten wir auch, dass nicht nur wirkliche Irrlehren oder Irrtümer verführerisch sind, nein, alles was nicht Christus ist, was uns nicht mit Ihm in Verbindung bringt, alles was man ohne Christum beginnt, ist geeignet, von Ihm abzuziehen. Wenn ich ohne Ihn irgend etwas mein Ohr leihe, so bin ich außerstande, das, was mich von Ihm ablenken will, zu erkennen und  fernzuhalten. Das Wort Gottes verliert dann seine Kraft, und ich fange an zu urteilen nach dem Sehen meiner Augen und dem Hören meiner Ohren. Sobald Eva „sah, dass der Baum gut zur Speise war“, verlor das Wort Gottes seinen Einfluss auf ihr Herz, und sie fiel dem Betrug der Sünde zur Beute.
Es ist darum göttliche Weisheit, das Ohr vor den tausenderlei eitlen Dingen zu verschließen, die es dem Herrn stehlen und uns davon abbringen wollen, als Teilhaber der himmlischen Berufung zu wandeln. Möchten das besonders die Jüngeren unter uns beherzigen! Alles, was von den Menschen ist: Wissenschaft, Politik, Literatur, Kunst, Zeitvertreib und Zerstreuung — alles wirkt ablenkend und trägt dazu bei, die Zuneigung für Christum schädlich zu beeinflussen. Nicht dass die Beschäftigung mit diesen Dingen an und für sich Sünde wäre. Aber sie kann leicht dazu werden. Vergessen wir nicht: Alles was von der Welt ist, fesselt an die Welt. Wie wachsam sollten wir deshalb sein im Blick auf das, was wir uns erlauben! Ehe wir es uns versehen, haben wir innerlich schon Schaden gelitten, und es fällt oft sehr schwer, diesen Schaden wieder gut zu rnachen. 
Überaus wichtig ist auch in dieser Beziehung unsere tägliche Beschäftigung, unser Beruf. Eine einfache, ehrliche Hantierung, in welcher man dem Herrn dienen kann, ist unendlich besser, als „Fiüle von Brot und sorglose Ruhe“, in welcher man so leicht des Elenden und Armen vergisst. (Vergl. Hesekiel. 16, 49). Das Haus kann äußerlich gereinigt und geschmückt und doch innerlich leer sein; und wenn Christus nicht drinnen ist, so mangelt die Kraft, Satan draußen zu halten. 
Hier möchte ich auch an die unaussprechliche Kostbarkeit des Wortes Gottes erinnern. Von Gott kommend, führt es zu Gott hin. Durch das Wort haben wir Leben empfangen, und durch das Wort wird das uns von Gott geschenkte Leben genährt. Nichts anderes vermag den neuen Menschen zu erhalten und wachsen zu lassen. Ja, wir leben durch jedes Wort, das aus dem Munde Gottes ausgeht. Darum, wenn das Wort, das was wir von Anfang gehört haben, in uns bleibt, so werden wir in dem Sohne und in dem Vater bleiben (1. Joh. 2, 24). Es erhält die Seele in bewusster Gemeinschaft mit Gott inmitten der Verführung und dem Betrug der Ungerechtigkeit rund um uns her. Denn in ihm finden wir Christum, das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist. Es ist der Spiegel, der Seine Herrlichkeit zurückstrahlt, und indem wir in diesem Spiegel die Herrlichkeit des Herrn anschauen, werden wir in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit. Christus wird in uns gestaltet in Wahrheit und Kraft.
Nichts kann diese persönliche Gemeinschaft mit Christo in dem Wort ersetzen. So nützlich auch das Ährenlesen sein mag, wenn andere, durch den Geist geleitet, das Wort auslegen, nichts kommt der persönlichen, bewussten Gemeinschaft mit Christo selbst vermittelst des Wortes gleich. Ach, dass unsere Herzen auch nur einen Tag ohne sie leben können! Wie lieblich ist da das Vorbild der Braut im Hohenliede! Sie kann ohne den Bräutigam nicht sein. Mag sie auch einmal nachlässig sein und ein andermal zu sicher  aber sie kennt keinen anderen Geliebten. Und wenn sie Ihn für einen Augenblick verloren oder betrübt von sich getrieben hat, so hat sie doch keine Ruhe, bis sie Ihn wiedergefunden hat. „Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lässest du lagern am Mittag?“ (Kap. 1, 7).
Diese wahren, lebendigen Zuneigungen des Herzens zu dem Herrn Jesus sind es, die wir so sehr bedürfen. Und gerade die Offenbarung Seiner Zuneigungen zu uns im Wort erzeugt die unsrigen und befriedigt sie, wenn sie vorhanden sind. Dann sind die Worte Seines Mundes kostbar für unsere Seelen, kostbarer als Gold und Silber, süßer als Honig und Honigseim. 
Wie wichtig ist also ein Ohr, das zu hören gelernt hat und nun hört! „Ruft nicht die Weisheit, und lässt
nicht die Einsicht ihre Stimme erschallen?“ (Spr. 8, 1). Ja, gewiss; aber wo sind die hörenden Ohren?
Fragen wir uns aufrichtig, teurer Leser! Die Königin von Seba kam von den äußersten Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, und fürwahr, „ein Größerer als Salomo ist hier“. Und am Schlusse des bereits angeführten 8. Kapitels der Sprüche lesen wir: „Glückselig der Mensch, der auf mich hört, indem er an meinen Türen wacht Tag für Tag, die Pfosten meiner Tore hütet! Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden und Wohlgefallen erlangt von Jehova“ (Vergl. Joh. 20, 31).
Die Erde trinkt den Regen, der vom Himmel auf sie herabfällt. Gott schenke uns, dass wir auch so nach dem Worte dürsten, damit wir es immer besser kennen lernen Und »in allem heranwachsen zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus“! (Eph. 4, 15).

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Nikodemus oder vom Wissen zum Glauben

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 72ff

X.
„Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“
„Wer an Ihn glaubt.“ An Stelle der „Welt“ im Ganzen stellt der Herr wieder das „wer“ in den Vordergrund. Jeder ist persönlich verantwortlich. Der Glaube ist für jeden Nikodemus das allein Entscheidende, nicht das „Wissen“, das er von Jesu, dem Lehrer, zu besitzen meint. Und hier unterscheidet der Herr klar und deutlich die zwei Klassen: „wer glaubt“, „wer nicht glaubt“. Zu einer dieser beiden Klassen gehört jeder Mensch, gehören auch wir, du und ich. Bezeichnend ist der Gegensatz: im ersten Falle heißt es: „an Ihn“ —- Er, der Erlöser, ist allein der Gegenstand des Glaubens, im zweiten schlechthin: »wer aber nicht glaubt« —- es gibt keinen Glauben außer an Ihn -mit dem Zusatz des verhängnisvollen „wer aber“. Hier gibt es ebenfalls keine Ausnahme, keinen Unterschied, auch kein Verschonen für den ungläubigen Juden, kein Hindernis für den gläubigen Heiden.
„Wer glaubt“ — „wer nicht glaubt“. Die Entscheidung musst du nun treffen, sie ist jetzt in deine Hände gelegt. „Wer glaubt, wird nicht gerichtet“, „kommt nicht ins Gericht“. „Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ,Ihm“, das Gericht ist an Ihm vollzogen, die Schuld wurde Ihm angerechnet. „Wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet“, weil er nicht geglaubt hat, — deshalb, dafür, dadurch, weil er nicht geglaubt hat. Mit anderen Worten: er hat anders gewählt, hat sich für den Unglauben entschieden, hat nicht glauben wollen. Die volle Schärfe des Urteils ist begründet in der eigenen Verschuldung. Gott wollte retten, der Mensch wollte das Heilmittel nicht. Indem er es zurückwies, verschmähte, hat er sich selbst ausgeschlossen, sich selbst dem Gericht überliefert. Er ist schon gerichtet. Unglaube enthält immer eine Entscheidung gegen Gott, ist, in der Verstockung verharrend, schon Verdammnis, „ein Gericht, das der Ungläubige in sich trägt und im Festhalten sich weiterhin entwickeln lässt. Bezeichnend heißt es: weil er nicht geglaubt hat „an den Namen des Sohnes Gottes“. Das ist's gerade, woran er sich stößt, an diesem Namen, dem Namen des ihm zur Rettung dargebotenen und als Menschensohn gekreuzigten Gottessohnes. In diesem Namen ist allein das Heil, „in keinem anderen“. 
Wir können’s erfahren, wie der Unglaube auch heute in Feindschaft ist gegen diesen Namen. Sein Bekennen — wie schon hervorgehoben -— gerade unter Gebildeten, in der sogenannten Gesellschaft, fällt uns so schwer. Wir fühlen, dass es uns Geringschätzung, Verachtung und Feindschaft eintragen wird. Wir wollen nicht so hart urteilen, wenn Nikodemus im Hohen Rat, mitten unter seinen Standesgenossen, wo er einen Rechtfertigungsversuch unternehmen möchte, an Stelle des Namens nur von „dem Menschen“ zu sagen weiß (Joh. 7, 50 - 52).
„Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschenhaben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (V.19). 
„Dies ist“ - klare, unzweideutige Feststellung, die keinen Widerspruch zulässt! „Dies ist“ - schon jetzt, in der Gegenwart, ist die letzte Entscheidung in ihren Anfängen, ihrer Ursache deutlich vorhanden. Dann wieder das verhängnisvolle „aber“, das immer an entscheidender Stelle steht; das entweder einen Aufstieg oder einen Abstieg bedeutet, entweder Gott einführt in Seiner rettenden, segnenden Macht und Gnade, oder den Menschen in seiner Verantwortlichkeit, in seinem hoffnungslosen Zustande, seinem traurigen Ende. 
„Gericht“ — furchtbares Wort, und zwar das Gericht, das bestimmte, die bestimmte Strafe für die bestimmte, nach eigenem Grundsatz und Willen herbeigeführte Verschuldung des Menschen. „Dies ist aber das Gericht“ 
— so ist die Ursache, Äußerung, Wirkung desselben.
„Dies aber ist das Gericht, dass -“
„Dies aber ist das ewige Leben, dass “
Merkwürdig, wie wörtlich übereinstimmend diese beiden Sätze lauten, scheinbar gleichlautend und doch diametral entgegengesetzt. Größere Gegensätze sind undenkbar, die Gegensätze aller Gegensätze! Ewiges Leben, ewiges Gericht, beides ewig, aber Himmel und Hölle, Seligkeit und Verdammnis bedeutend. „Dies aber ist das ewige Leben, dass -“ in diesem Falle bedeutet es zum Lichte kommen, das Licht in sich eindringen, sich von ihm überführen lassen und erkennen, was die wunderbare Gnade geoffenbart hat: Gott, den allein wahren Gott, und Jesum Christum als den von Ihm zu unserer Rettung Gesandten. Im ersten Falle kommt das Licht, leuchtet hinein in eine in Finsternis und Tod liegende Welt und offenbart ihren wahren Zustand, das tiefe, durch die Sünde herbeigeführte Verderben des Menschen; aber es enthüllt zugleich Gottes herrlichen Heilsratschluss.. Und die Menschen -— sehen wohl das Licht, aber sie wenden sich« weg, wünschen es nicht, weisen es ab, kommen nicht, weil sie nicht wollen.
Sollte man es für möglich- halten, dass Gott alles gibt, schenkt, offenkundig in dem gesandten, dahingegebenen, eingeborenen Sohne anbietet, und dass es Menschen gibt, die dennoch nicht annehmen, zugreifen? Sie verwerfen das Heil, scheiden sich selbst davon aus. Wie schon bemerkt -—
diese eigene Ausschließung, das Sich-selbst-Ausscheiden, ist bereits ihr Gericht, wird ihre Verdammnis. Warum kamen nicht alle Obersten suchend und forschend zu Jesu? Warum kam nur der eine, und dieser noch bei Nacht? In der Wüste, wo es das leibliche Leben galt, erhoben wohl die meisten den rettenden Glaubensblick, hier zur ewigen Errettung sind es nur wenige. Wie damals, so ist es heute. Das Licht ist gekommen, und die Finsternis hat es nicht begriffen, erfasst. Gott hat Seine Verheißung offenkundig erfüllt, aber voll und ganz bestätigt sich die Art und Natur des Menschen, stets zu verneinen, Gott zu widerstehen. Licht und Finsternis scheiden sich. Dem Lichte Gottes gegenüber enthüllt sich des Menschen innere Feindschaft, der Unglaube. Die Menschen entscheiden sich für die Finsternis. Sie „haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht“, sagt der Herr. Bemerkenswert: „mehr geliebt“! Soll wohl heißen: sie hatten Gelegenheit, das göttliche Licht kennen zu lernen, es zu prüfen; es war ihnen, wie jedes Licht, zuerst angenehm. Unwillkürlich wurden sie von seinen Strahlen angezogen, empfingen einen mehr oder minder tiefen Eindruck von Gottes Liebesabsichten. Vom Zeugnis des Johannes sagt der Herr ja bezeichnend: „Ihr aber wolltet für eine Zeit in seinem Lichte fröhlich sein“ (Joh. 5, 35). 
„Aber sie haben mehr geliebt.“ Hier liegt offenbar der .Kernpunkt. Das endgültige Ergebnis war, dass die Menschen sich innerlich zur Finsternis wandten, obwohl auch ihnen das Licht geleuchtet hatte. Wenngleich es sich als der „Gegenliebe wert“ angekündigt hatte, ziehen sie sich doch vor ihm zurück. In diesem Unterdrücken der Einwirkungen von Gottes Licht ist der wahre Charakter freiwilligen Unglaubens gekennzeichnet· Gottes werbende, erbarmende Liebe, eine Liebe ohne Gleichen, vermag nicht einmal den Menschen zu bewegen, sich in der Hinnahme dieser Liebe lieben zu lassen, geschweige seine Gegenliebe zu wecken. So bleibt nur übrig, dass die widernatürliche — obwohl dem gefallenen und verkehrten Menschen natürliche — Liebe zur Finsternis ihn von Gott abzieht. Ja, sie ist imstande, so große Licht- und Liebesabsichten Gottes in Christo abzuweisen. Solch gewaltige Wirkungen für sich zunichte zu machen, das lässt sich nicht mit Unwissenheit entschuldigen, sondern ist nur erklärlich aus der furchtbaren Verderbtheit der menschlichen Natur unter „Mitwirkung hinzukommender, satanischer .Kräfte“. Diese finden wir denn auch durch die Schrift mit den Worten gekennzeichnet: „Wenn aber auch unser Evangelium verdeckt ist, so ist es in denen verdeckt, die verloren gehen, in welchen der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen verblendet hat, damit ihnen nicht ausstrahle der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist2. (2. Kor. 4, 34). 
Erschütternd der Gedanke: sie weisen den Einzigen, der Weg, Wahrheit und Leben ist, für sich ab, wählen den eigenen Weg — ihren Weg! Sind wir nicht verantwortlich, werden wir nicht durch den Herrn selbst, durch den tiefen Ernst Seiner Worte angewiesen, diese demütig aber kühn allen klug widersprechenden, sich auf ihren Verstand, ihre Vernunft, auch auf ihr Wissen berufenden Zweiflern „ins Gewissen zu schieben“? Aber nicht nur diesen. Auch alle Ehrbaren, Tugendhaften, Selbstgerechten, die sogenannten Religiösen, gehören dazu. 
„Denn ihre Werke waren böse“. Dieses „denn“ ist schon eine Überleitung zu dem folgenden „denn“, womit der Herr beides, die Entscheidung des Unglaubens, wie die bösen Werke selbst, als Ausfluss und Betätigung des Gott feindlichen Willens schlechthin als „Tun“ bezeichnet.
„Denn jeder, der Arges tut“, d. h. der die Finsternis seiner Sünde, seiner Werke — es können auch sogenannte gute, vor den Menschen gutscheinende darunter sein — mehr lieben, durchaus daran festhalten will. Ein bezeichnender Unterschied ist in der wörtlichen Bedeutung von tun zwischen „Arges tun“ und „die Wahrheit tun“. Im ersteren Falle bedeutet es im Griechischen „etwas betreiben, verwalten“, ebenso wie „Arges“ im Grundtext „die besondere Untauglichkeit, faule, schlechte Beschaffenheit“ des der großen Gnade und Liebe Gottes vorgezogenen Werkes ausdrückt. Bei dem Beharren in einem solchen Zustande der Finsternis, im Umgehen mit den Werken der Sünde steigert sich naturgemäß der vielleicht zuerst geringe Widerstand gegen das Licht, die Abneigung gegen die göttliche Wahrheit wird zum Hassen des; Lichtes, zur wirklichen   „Lichtscheu“. Ein solcher kommt nicht zu dem Lichte, lässt auch nicht zu, dass das Licht auf ihn einwirke. Er will sich nicht von ihm beleuchten lassen, entzieht sich lieber seinem Einfluss, damit seine Werke, sein Leben nicht aufgedeckt, sein Inneres nicht bloßgelegt werde. Oft ist da besonders ein Punkt, irgend eine Begebenheit in der Vergangenheit, mit der man nicht herausrücken will, worüber man Gras hat wachsen lassen, eine geheimnisvolle Fessel, an die man gebunden ist — ja, wenn das nicht wäre, käme man vielleicht doch noch! 
Aber es gibt doch viele achtbare, in ihrem Wandel unanstößige Menschen, die viel Gutes tun. Ja wohl, aber auch die sogenannten, „guten Werke“, die vor der Welt etwas gelten, — ach! der Mensch fürchtet, dass in diesem Lichte, wenn einmal die Decke fortgezogen würde, auch solche Werke nichts gälten, vielleicht sich als „Argheiten“ enthüllten, dass seine vermeintliche, überall anerkannte Ehrenhaftigkeit ein Loch hat. Darum bleibt er lieber hübsch für sich und begnügt sich, gegen das Licht mit allgemein billigen Gründen und Zweifeln anzugehen. Den Glauben stellt er gern als eine Sache für Dumme und wenig urteilsfähige Leute hin, die in halber Blindheit und ohne viel zu denken auf die Autorität anderer hin etwas annehmen und festhalten. Für Aufgeklärte und selbständig Urteilende aber kann der Glaube als überwundener Standpunkt gelten. Dabei kann und muss des Glaubens Anfang doch nur der sein, dass man ins Licht kommt, sich von demselben erst mal ganz beleuchten lässt. Und aus dem ersten Schritt, den man fürchtet, ergibt sich dann von selbst jeder folgende. Da gibt’s dann kein Zurück mehr, keinen Stillstand, kein Sich-gehen-lassen. Da sind Kraft, Entschiedenheit, Hingabe des ganzen Menschen, seines vollen Willens erforderlich. Oft gilt’s, nicht ganz leicht hemmende Fesseln abzustreifen, liebe, teure Bande zu zerreißen. Der Glauben erweist sich so stets als ein Tun, nach dem unseren letzten Vers bildenden, einladenden, ermunternden, aber auch zur Entscheidung ernst rufenden Worte des Herrn: 
„Wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Lichte, auf dass seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind.“ 
„Wer aber.“ -— Er kommt, wagt wenigstens den ersten Schritt, sei`s auch bei Nacht, — wie bei Nikodemus, — prüft selbständig, ungeblendet durch sogenannte Autoritäten. Kann auch ruhig sein „Wissen“ — so viel oder so wenig er bis dahin von Gott gewusst und gehalten hat — mitbringen. Er mag Ihn zunächst nur als den „Lehrer“ begrüßen, wenn er nur willens ist, alles, vornehmlich sich selbst, der Probe dieses Lichtes aufrichtig auszusetzen. „Meine Lehre ist nicht mein“, sagt der Herr in Joh. 7, 16. 17, „sondern Dessen, der mich gesandt hat. Wenn jemand Seinen Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist, oder ob ich aus mir selbst rede.“ Der erste Schritt ist immer ein Wille und ein Tun. So ist der Glaube die wahre Willenstat. Hier fasst der Herr Seine gewaltige Predigt am Schlusse zusammen in die ernste Mahnung: Nun tue die Wahrheit!
Was ist doch in diesem Worte alles für Nikodemus enthalten! Er ist wohl gekommen, hat aber bis jetzt doch im Dunkeln das Licht gesucht. Auch in seinem Inneren ist noch der dem Menschen von Natur eigene Lichthass haften geblieben, — zumal bei dem, im Vorurteil seiner Stellung, in die Welt der Angesehenen mehr als andere tief verflochtenen Manne. Sein Kommen war noch kein Kommen aus ganz reinen Beweggründen. Er ist noch kein überwindet, nicht das, was sein Name bedeutet. Aber der Selbstwiderspruch seines Ganges ist ihm nun wohl selbst klar geworden. Wohl muss er sich beschämt, gestraft fühlen. Der Herr, der Licht ist, kann ihm auch dieses Gefühl nicht ersparen. Aber zugleich liegt in Seinen Worten die freundliche Zusprache, erkennt Er an, dass Nikodemus wirklich zu
Ihm, d. h. ans Licht gekommen, dass Lust zur Wahrheit ihn getrieben, ja, dass Er ihm diese volle Wahrheit hat vorstellen, offenbaren können. Und so will Er ihm „seinen nächtlichen Gang trotz allem als in Gott getan anrechnen“. Freundlich will Er ihn ermuntern, nun auch ganz zuzugreifen, will Er ihn befestigen, sich wappnen zu lassen gegen das Ärgernis des Kreuzes, das in dem Welthaß der Finsternis, dem fast allgemeinen Unglauben, — zumal in seinem Kreise, — ihm notwendig begegnen muss. Jetzt heißt’s für ihn, aus dein betretenen, durch das Licht erschlossenen Pfade weitere Schritte zu tun, heißt’s, das Tun fortzusetzen bis zum letzten Ziel des seine Tat vollendenden Glaubens. 
„Wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Lichte, auf dass seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind.“ 
Mit diesem Abschiedswort, kurz und vielsagend, eilt der Herr zum Schlusse Seiner gewaltigen Rede. Wieder mit dem gegensätzlichen, zur Entscheidung drängenden „aber“. Im vorhergehenden Verse sahen wir, dass alle Menschen von Natur als solche nur böse Werke haben. Jeder auch zu dein Lichte Kommende muss zuerst sieh und seine Werke als böse erkennen und sich strafen lassen. 
Sollte nun hier doch etwa am Schluss gesagt werden: wer aber gute Werke hat und tut? Dann wären ja die Ehrbaren, Rechtschaffenen gerechtfertigt, die durch ihre sogenannten guten Werke ein Recht vor Gott, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachten. Nein, so steht nicht da. Voran steht klar und deutlich: „Wer aber die Wahrheit tut“. Auch kann dies nicht zunächst Bezug haben auf den Wandel des Wiedergeborenen. Hier ist die Rede von dem zu diesem Wandel führenden Eintritt in das Reich der Wahrheit, zur Erfüllung der ersten hierzu führenden Bedingungen des Glaubens. Hier handelt es sich um das Kommen zum Licht aus der bisherigen Finsternis. Das ist das wahre Werk ersten entscheidenden Tuns. Es ist das große, grundlegende „Aufrichtigkeitswerk“, das einzige, das in des Menschen Macht und Willensentscheidung gelegt ist, aus dessen Grund erst durch die Gnade alle anderen guten Werke aufgebaut werden können. Der aufrichtig Kommende fühlt, gesteht damit ein, so demütigend für ihn dies sein mag, dass die Wahrheit nicht in ihm ist, dass sie ein neues Leben ist, nicht aus dem eigenen Wissen, nicht zu erlernen, sondern zu tun. Er ist bereit, wie das Licht sie ihm zeigt, und wie die Wirkung dieses Lichtes auch über sein bisheriges Tun ausfallen mag, sie zu tun. Das schließt im Grunde schon eine Entscheidung gegen sich selbst ein, und damit eine Sinnesänderung, die Buße zu Gott. „Dem Aufrichtigen lässt es Gott gelingen.“

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Bemerkenswerter Brief eines Aussätzigen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 82ff

Der Schreiber des nachstehenden Briefes war ein eifriger und erfolgreicher Missionar in Indien; aber gerade zu einer Zeit besonders gesegneter Arbeit, als viele aus den Heiden sich zum Herrn bekehrten, erkrankte er an Aussatz und musste schließlich in die Heimat zurückkehren. Hier hat er viele Jahre lang gleichsam im Sterben gelegen, fern von seinen Lieben und getrennt von dem Werk, das ihm so sehr am Herzen lag. Die furchtbare Krankheit fraß immer weiter um sich bis zum Eintritt des erbarmungswürdigen Zustandes, von welchem der arme und doch so reiche, glückliche DuIder berichtet.
Der Brief lautet:
Fünfzehn Jahre sind verflossen, seitdem ich Sie zum letzten Male sah. Ihr Brief war mir deshalb umso mehr willkommen. Ich habe in all der Zeit ein schweres Kreuz zu tragen gehabt, aber ich freue mich sagen zu können, dass die Gnade des Herrn mir für jeden Schritt des Weges genügt hat. Zuerst lehnte ich mich ein wenig auf gegen Sein Tun, denn ich hatte große Pläne für die Zukunft. Auf allen Teilen meines Arbeitsfeldes in Indien wandten sich Seelen zum Herrn, und mit Recht durfte ich die Stunde erwarten, wo ich viele würde taufen können.
Ich hatte dem Herrn gesagt: »Herr, lass mich Dein Knecht sein, erfüllt mit Deinem Geiste; hilf mir, all mein Können, meine Kraft, mein ganzes Leben Dir zu weihen!“ Und Er antwortete mir. Aber anstatt mich dienen zu lassen, so wie ich es gemeint und geplant hatte, nahm Er mich  plötzlich und für immer aus der Arbeit heraus. Als ich in England im Krankenhause lag und der erste Schrecken des wahrscheinlichen Ausgangs meines Leidens auf mir lag, meinte ich zuweilen, der Herr habe mich vergessen und versäumt. Aber es war nicht so. Je größer die Leiden wurden, desto leichter wurde es mir, sie zu ertragen, und heute freue ich mich Stunde um Stunde in meinem Heilande. Ich weiß, es kann nicht mehr lang währen, bis ich bei Ihm sein werde, aber solang ich noch im Leibe bin, kann ich nicht still sein. Ich muss Zeugnis ablegen, muss von Seiner großen Liebe zu mir reden, und ich habe etwas geschrieben über die Frage: „Wie können wir unseren Platz im Leben völlig ausfüllen?“ Es soll in Indien gelegentlich einer Missions-Konferenz vorgelesen werden.
Sie fragen, wie es mir gehe. Ich habe weder Füße noch Enkel, keine Arme, und habe nun auch noch meine Stimme und mein Augenlicht verloren. Aber mein Herz ist weit davon entfernt, tot zu sein. Ich fühle und habe Wünsche und Sympathien. Ich verlange sehnlich nach der Ausbreitung des Reiches Christi auf Erden, genauso wie früher. Lesen oder schreiben kann ich nicht, aber die freundlichen Krankenschwestern kommen und lesen mir vor, oder schreiben für mich, wenn ich es möglich machen kann, ihnen zu diktieren. Ich habe alles was ich bedarf und könnte in meinem eigenen Hause nicht besser aufgehoben sein. Solang ich noch lebe, bemühe ich mich, andere für Indien zu interessieren. Obwohl ich langsam absterbe, kann ich nicht anders, als noch ein wenig mitzuhelfen an dem Werke des Herrn, bis Er mich abruft.
Ich weiß, Sie werden meiner gedenken in Ihren Gebeten, dass ich demütig und geduldig und treu bleiben möge bis ans Ende. Zweifel kenne ich nicht; wenn ich meine Stimme noch hätte, würde ich den ganzen Tag singen. Zuweilen fühle ich mich so glücklich, dass ich nur noch den einen Wunsch habe, in meine himmlische Heimat gehen und bei „meinem Geliebten“ sein zu dürfen auf immerdar.
Möge der Gott alles Troste5 Sie trösten und Ihnen Seine Gnade vermehren, indem Er Sie mit dem Sonnenschein Seiner Gegenwart erfüllt, so das; Sie Tag für Tag verwandelt werden in Sein Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit! Das ist das Gebet Ihres Bruders in Christo
J. E. D.
So weit der Brief. Was vermag doch die Gnade in einem armen, schwachen Menschen zu bewirken! Unwillkürlich erinnern wir uns an die Worte des ebenfalls so schwer geprüften Apostels: „Und Er hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht. Daher will ich am allerliebstes: mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft des Christus über mir wohne.“ (2. Kor. 12, 9).

Je größer Kreuz, je stärker der Glaube!
Die Palme wächst bei der Last;
Die Süßigkeit fließt aus der Traube,
wenn du sie wohl gekeltert hast.
Im Kreuze wächset uns der Mut,
wie Perlen in gesalzner Flut.

Je größer Kreuz, je mehr Gebete!
Geriebne Kräuter riechen wohl.
Wenn um das Schiff kein Sturmwind wehte,
so fragte man nicht nach dem Pol.
Wo kämen Davids Psalmen her,
wenn er nicht auch versuchet wär’?

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Das Festmahl Belsazars

Bibelstelle: Daniel 5

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 85ff

II.
Es ist bekannt, mit welchem Eifer, freilich auch mit welchem Misserfolg, man seit Jahrzehnten bemüht gewesen ist, eine gegenseitige Annäherung der Völker herbeizuführen. Große Versammlungen der leitenden Männer auf geschäftlichem, wissenschaftlichem und politischem Gebiet haben stattgefunden, um diese Annäherung zu fördern. Gewaltige Schaustellungen der Erzeugnisse der einzelnen Länder sind, wie wir bereits erwähnten, zu gleichem Zweck veranstaltet worden. Damit der religiöse Einschlag nicht fehle, hat man auch Theologen zu den Versammlungen eingeladen oder bei den Ausstellungen den Missions- und Bibelgesellschaften und den Vereinen zur Ausübung christlicher Liebestätigkeit bereitwillig einen Platz eingeräumt.
Es ist der Welt darum zu tun, bei allen diesen Bestrebungen die Weihung der Religion zu haben. Und nichts passt dem Fürsten der Welt besser als dies. Es ist eine seiner schlauen Listen, um seine Zwecke zu erreichen. So hätte er es auch mit Freuden gesehen, wenn Jesus auf sein Geheiß, durch ein Wort der Schrift bestärkt, Seine eigene Ehre gesucht hätte. Viele Male würde er Christum anerkannt und Seinen Namen laut verkündigt habest, wenn der Herr es ihm erlaubt hätte; wie später der Wahrsagergeist in der Magd zu Philippi den Dienern Gottes Zeugnis geben wollte, wenn Paulus ihm nicht gewehrt hätte  (Apstgsch. 16). Das „Tier“ wird einmal seinen falschen Propheten haben, der die Religion seinen Zwecken dienstbar machen wird. Dann wird die Lüge herrschen; heute aber lässt uns die Wahrheit Gottes Gedanken und Gottes Grundsätze erkennen. 
Das Wort rät uns, von Christo Augensalbe zu kaufen, auf dass wir sehen (Offbg. 3, 18). Diese Augensalbe ist mehr als der Glaube an das Evangelium und das Bekenntnis desselben, Laodicåa schwamm mit dem Strom und rühmte sich selbst dessen, aber diese Augensalbe mangelte ihm. Und eines ist sicher: Trotz allem, was jene großen Zusammenkünfte, Schaustellungen usw. enthalten, kann doch gerade diese Augensalbe nicht dort sein. Sie würde einem sofort zeigen, was diese Dinge bedeuten. Wohl ist es wahr, dass man den Menschen noch nicht als Gott auf den Thron gesetzt hat. Dafür sind die Dinge noch nicht reif genug (Vergl. 2. Thess. 2, 4). Aber die Werke des Menschen, sein Wissen, sein Können und Streben, die Erzeugnisse seines Geistes, werden dort vor aller Augen ausgebreitet, um bewundert und angestaunt zu werden. Wie in einem mächtigen Spiegel strahlt die Welt dort unter tausend anziehenden Formen wider, und man vergisst den demütigen Jesus, der nicht von der Welt ist, und den die Erde verworfen hat. Man darf wohl Seinen Namen aussprechen, so dass es den Anschein hat, als habe Er dort auch einen Platz; aber in Wirklichkeit ist Er, d er nicht von der Welt ist, vergessen, ja, verachtet. Lasst uns die ernste Bedeutsamkeit dieser Dinge nicht unterschätzen; der Geist der letzten Tage ist mächtig wirksam darin. Alles was» man tut, um den Menschen und seine Werke zu bewundern, ist nur eine Stufe, die zu dem Tempel hinaufführt, in welchen sich der Mensch einmal als Gott setzen wird. Die Wirkung dieser Bewunderung ist schrecklich: sie hilft ein Geschlecht heranbilden, welches das „Tier“ anbeten wird. 
Die Schaustellungen, von denen wir geredet haben, zeigen dem Besucher auf ihre Weise in einem Augenblick alle Reiche der Welt. Das ist es, mag sie bezwecken und offen zu tun bekennen. Sie entfalten vor uns den Reichtum und die Pracht aller Länder, die Geschicklichkeit des Menschen und seine vielfachen Hilfsmittel. Sie zeigen dem Auge alle Herrlichkeit der Welt. Wer hat das nur früher schon einmal getan? Der Geist hatte den Sohn Gottes in die Wüste geführt, den Aufenthalt des Fremdlings und Pilgers; aber der Teufel kam und „zeigte Ihm in einem Augenblick alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit“.
Gemäß der Schrift ist die Welt verloren und gerichtet, einer Verbesserung oder Veredlung unfähig. Keine einzige Stelle der Heiligen Schrift berechtigt uns zu der Annahme, dass sie für Gott bearbeitet und fruchtbar gemacht werden könnte. Gott hat schon das Urteil über sie ausgesprochen, wenn Er auch in Gnaden noch mit dessen Ausführung wartet und Seine Langmut vielen zum Heil gereichen lässt. Aber als System hat die Welt keinerlei Hoffnung oder Aussicht; das Einzige, das ihrer wartet, ist Gericht. Gott hat die Völker über die ganze Erde hin zerstreut, und alle Bemühungen, sie zu vereinigen, alle Anstrengungen, die auf die Befestigung und den Fortschritt der Welt nach ihren gegenwärtigen Grundsätzen abzielen, sind vergeblich. Von ähnlichen Einigungs-Bestrebungen wurden ja ehemals die Bauleute zu Bube! geleitet, aber Gott fuhr hernieder und verwirrte ihre Sprache, so dass sie aufhören mussten zu bauen. 
Die gegenwärtige Tätigkeit Gottes geht dahin, die Seinigen von der Welt zu trennen. Diese Trennung ist in sich das deutlichste und vernichtendste Urteil, das über die Welt abgegeben werden könnte. Es verdammt sie vollständiger, als es die Wasser der großen Flut oder die Plagen Ägyptens oder das Schwert Josuas taten. Die Tatsache, dass Gott alles das von der Welt zu lösen sucht, was Ihm angehört, offenbart Seine endgültigen Gedanken betreffs ihrer und zeigt, dass Er nicht mehr die Absicht hat, sie von ihrer Verderbtheit zu reinigen, wie Er es bildlich durch die Flut in den Tagen Noahs tat, als es sich darum handelte, eine neue Probezeit mit ihr zu beginnen. Die Probezeit der Welt ist nach der Verwerfung des Sohnes Gottes endgültig vorüber, das Urteil ist über sie gefällt, und wenn seine Ausführung bis jetzt verzögert wurde, so war es nur um der Auserwählten willen, die gerettet werden sollten. 
Die ganze Stellung der Kirche oder Gemeinde, d. h. ihre himmlische, von der Erde völlig unabhängige Berufung, zeigt uns die Natur der Dinge um uns her. Schon durch diese Stellung und Berufung offenbart sie das Urteil der Welt. Wenn das aber so ist, könnte sie dann im Verein mit denen, die das Blut ihres Herrn vergossen haben und die Ihn jetzt noch verwerfen, nach den Reichtümern und Vorteilen des Ortes jagen, wo man nicht will, dass Er herrsche, und sich der gemeinschaftlichen Fortschritte rühmen? Wo irgend die Herzen für Den schlagen, der von der Welt gelitten hat, verworfen und getötet worden ist, da ist es sicher unmöglich. 
Der Becher des Grimmes des Allmächtigen wird die Runde unter den Nationen machen, und sie werden ihn leeren müssen. Welch einen schrecklichen Gegensatz wird das bilden zu dem Festmahl BeIsazars und dem Wein seiner Tafel, der unter seinen Gästen kreist! Ist es nicht ernst, zu sehen, wie die Völker auch heute sich belustigen und die Werke von Silber und Gold, von Erz, Eisen, Holz und Stein feiern, während eine Schrift, ähnlich derjenigen auf der Mauer des königlichen Palastes, ihr Gericht bereits ankündigt? 
Der Herr Jesus kann kein verunreinigtes Reich empfangen. Die Welt muss gerichtet werden, ehe wahrhafter Friede hienieden einkehren, die Erde muss gereinigt sein, ehe sie für Gott bereichert und geschmückt werden kann. Dieser Grundsatz tritt uns in den Regierungswegen Gottes immer wieder entgegen. Noah, der Mann Gottes, empfing die Erde, um sie für Gott zu regieren, aber erst nachdem das reinigende Gericht der Flut über sie hingegangen war. Israel erhielt als Volk und Zeuge Gottes das Land Kanaan zu seinem Besitz und Erbteil, aber erst nachdem das Schwert Josuas Gericht an seinen Bewohnern ausgeübt hatte. Und in Übereinstimmung damit muss auch die ganze Erde, ehe Jesus Seine Herrschaft über sie antreten kann, gereinigt werden von allen Ärgernissen und von denen, die das Gesetzlose tun. 
In dem „zukünftigen Zeitalter“ wird alles, was die Erde schmücken und verschönern kann, auf ihr seinen berechtigten Platz finden, denn sie wird der Schemel der Füße des Herrn sein. Das Jerusalem des Tausendjährigen Reiches wird die Herrlichkeiten aller Länder in seinen Mauern sehen (Jes. 60). Aber der gegenwärtige Zeitlauf ist nicht das Tausendjährige Reich. Das Verderben ist noch da und zeigt sich unter unzähligen Formen, und die Ärgernisse und die das Gesetzlose tun sind noch nicht weggenommen. Der Acker wartet noch auf die Engel, die ihn „zur Zeit der Ernte“ vom Unkraut reinigen werden, und die Heiligen sind den von Gott verordneten obrigkeitlichen Gewalten untertan, wissend, dass Er zu Seiner Zeit in ihrer Mitteörichten wird (Vergl. Rom. 13, 1 mit Psalm 82, 1). 
Es liegt also eigentlich eine Verachtung der Heiligkeit Gottes darin, diese Welt mit ihrem Schmuck und
ihrer Pracht, ihren Reichtümern und Hilfsquellen vor aller Augen darzustellen, wie solche Schaustellungen es tun, und ein Christ sollte sich allen Ernstes fragen, ob er an solchen Dingen teilnehmen kann und soll. Wenn er es tut, kann er wohl ein nützliches Glied der Gesellschaft sein und seinen Zeitgenossen treffliche Dienste leisten, aber ob er sich im eigentlichen Sinne des Wortes als ein .Knecht seines Herrn erweist, ist eine andere Frage. Nimmt er die Einladung der „Bürger“, die sich der Verwerfung Christi schuldig gemacht haben (Luk. 19), mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, an, so vergisst er, wag seinem Herrn zukommt,
„Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Als Daniel mit seinen Gefährten in der heidnischen Stadt ankam, nahm er sich in seinem Herzen vor, sich nicht mit der Tafelkost des Königs zu verunreinigen (Dan. 1, 8). Er wusste nicht, was dieser Vorsatz ihn möglicherweise kosten würde, aber nicht desto weniger stand er in seinem Herzen fest. Er besaß Augensalbe, ehe er sich unter denen befand, die Gott nicht kannten, und durch die Kraft des Herrn blieben er und seine Freunde treu. Der feurige Ofen und die Löwengrube waren Zeugen der Siege dieser Männer, die sie in der Kraft Christi erlangten. „Ja diesem allem aber sind wir mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat.“ Auch die Festhalle Belsazars betrat Daniel ebenso sehr als Sieger, wie später die Löwengrube. Er hatte durchaus nichts mit dem zu tun, was dort vorging, und hielt sich völlig davon abgesondert, bis er vor den König berufen wurde, der ihm dann versprach, ihn als „dritten Herrscher“ im Königreicheinzusetzen. Aber: „deine Gaben mögen dir verbleiben, und deine Geschenke gib einem anderen“, antwortete der treue Knecht des Herrn. 
Welch edle Haltung eines Mannes Gottes! Unmöglich hätte ein solcher Mann die Einladung zu diesem Feste annehmen können. Und das Licht Christi, das in ihm war, machte ihn noch zu weiteren Dingen fähig. Die Sprache der Worte auf der Mauer war an und für sich durchaus nicht unverständlicher für die Weisen Babylons als für Daniel; im Gegenteil hätte das Lesen derselben ihnen eigentlich weniger Schwierigkeit bereiten sollen als ihm, da sie als Chaldäer mit diesen Ausdrücken mehr hätten bekannt sein müssen als Daniel, der Hebräer. Und doch konnten weder die Weisen noch die Schriftgelehrten des königlichen Hofes sie deuten. Sie waren völlig unfähig dazu. 
Und was ist heutzutage das Einzige, das uns klare Einsicht und Verständnis geben kann? Ein einfältiges Auge, das auf Christum gerichtet ist. Wollen wir die Dinge an irgend etwas prüfen außer an Christo, so wird dieser Prüfstein uns gewiss betrügen. Wenn wir nur an das allgemeine Wohl oder die Vervollkommnung des Menschen denken, mag eine Sache uns gut, schön und wünschenswert  erscheinen. Sobald wir sie aber in dem Lichte eines verworfenen Jesus untersuchen, verliert sie ihren Reiz für uns. Als Daniel in jenem geräuschvollen Saale stand, betrachtete und beurteilte er die ganze Szene in ihrer Beziehung zu Gott. Die Wege Gottes mit Nebukadnezar, dem Vater Belsazars, dessen Demütigung unter Gottes Hand, dann Belsazars Herzenshärte, sein Stolz und Unglaube, die schreckliche Verachtung, welche er Dem entgegengebracht, der solche Wunder gewirkt hatte — alles das war für Daniel der Schlüssel, der ihm, natürlich unter der Eingebung des Geistes Gottes, die Bedeutung der Worte an der Wand erschloss; über die wirkliche Natur des königlichen Mahles aber hatte der Prophet sich selbst schon Rechenschaft gegeben, weil er es Gott gemäß beurteilte. Nach Daniels Gedanken konnte die Inschrift von nichts anderem reden als von Gericht, obschon scheinbar nichts weiter vorhanden war, als des Königs Geladene, eine Anzahl Männer und Weiber, die in dem Saale die Lust der Welt genossen. 
O du, der du Christo angehörst, salbe deine Augen mit Augensalbe, „auf dass du sehest“! Aber so köstlich das auch ist, so folgenschwer kann es unter Umständen sein, weil wir so geneigt sind, die Dinge nach ihren Beziehungen zu uns, und nicht nach ihren Beziehungen zu Christo zu beurteilen. Wir denken viel lieber an die Fortschritte der Welt, als an die Verwerfung Christi, sprechen viel mehr von dem Genie und der Geschicklichkeit des Menschen, als von seinem unheilbaren Abfall. Aber möchten wir es nie vergessen: Ohne jene Augensalbe können wir die eigentliche Natur des Festes nicht unterscheiden, noch die Inschrift auf der Mauer entziffern. 
Sie mangelte auch den Jüngern, als sie einst vom Ölberg aus mit Bewunderung den Tempel betrachteten. Sie sahen das schöne Gebäude mit ihren Augen, aber nicht mit den Augen Christi. Aber so herrlich und kostbar es äußerlich dastand, Er betrachtete es vom göttlichen Standpunkt aus, und so erging Sein ernster Urteilsspruch über all seine Herrlichkeit. Schon kurz vorher hatten Seine Worte von den stolzen Mauern widergehallt: „Jerusalem, Jerusalem, die da tötet usw. Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen“. So stand es gleichsam auch auf jenen Mauern geschrieben, verzeichnet mit der gleichen göttlichen Autorität wie der Urteilsspruch gegen Belsazar und sein Mahl. Und während die Jünger noch die Schönheit der Steine betrachteten, deutete Jesus den Spruch durch Seine Antwort auf ihre Frage: „Wahrlich, ich sage euch: Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird“.
Es ist betrübend zu sehen, wie wenig die Jünger in einem solchen Augenblick imstande waren, in die Gedanken des Herrn einzugehen. Aber es ist noch viel betrübender, dem gleichen Mangel an Verständnis heutzutage zu begegnen, wo der Grund dafür nur in der Verweltlichung unserer Herzen zu suchen ist. 
Die Könige der Erde, ihre Kaufleute und alle, die das Meer befahren, werden einmal wehklagen über den Fall Babylons. (Offbg. 18.) Wir können uns nicht darüber wundern, denn sie beweinen ihr eigenes Unglück. Sie hatten Nutzen aus ihr gezogen, üppig mit ihr gelebt, wie könnten sie sie denn betrachten, wie der Himmel sie betrachtet? „Gott hat ihrer Ungerechtigkeiten gedacht“, so lesen wir, aber sie gedenken ihrer als einer Stadt, „in welcher alle, die Schiffe auf dem Meere hatten, reich wurden von ihrer Kostbarkeit“. Deshalb wehklagen sie, während der Himmel frohlockt. Die Festgäste zittern, wenn der Himmel sein Urteil über das Fest kundgibt. Sollten nun Heilige „die Üppigkeit und .Kostbarkeit“, die der Himmel schon gerichtet hat, suchen und bewundern?
Teurer Leser! möchten diese Worte nicht nur an deine Ohren tönen, und die Handschrift Gottes nicht nur vor deine Augen kommen! Lass uns „Augensalbe“ kaufen, auf dass wir sehen! Bitten wir den Herrn um die geistliche Kraft, das königliche Fest, die Fortschritte der Welt, das Jubiläum BabyIons“, im Lichte des verworfenen Sohnes Gottes zu beurteilen, von dem die Welt auch jetzt noch sagt: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“! Wenn unsere Herzen noch ein wenig für Ihn schlagen, wenn nicht alle Treue gegen Ihn daraus gewichen ist, so werden wir uns unmöglich des gegenwärtigen Zeitlaufs rühmen und noch weniger teilnehmen können an seiner vergänglichen Pracht und seinen Vergnügungen.

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Nikodemus oder vom Wissen zum Glauben

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 94ff

Xl.
Wie wichtig ist es, wenn wir das Wort Gottes lesen, zumal wenn die Person des Herrn uns wie hier entgegentritt, dass wir dieses Wort mit der ganzen Kostbarkeit Seiner Person auf uns einwirken lassen! Nicht nur um die Wahrheit darin zu erforschen, sondern Ihn selbst zu betrachten und zu genießen, den wir, obwohl wir Ihn nicht sehen -— wie Nikodemus mit seinen leiblichen Augen - lieben. Was Er für uns getan hat, Sein Kommen als Mensch, Seine Hingabe, Sein Opfer, die ewige und vollkommene Rettung, ist und bleibt ewige, wunderbare, allen Erlösten gemeinsame Tatsache. Es erhöht ihr Lob weit über das der Engel. Aber unser Teil ist noch viel höher. Er gab sich dir, Er gab sich mir. In Ihm selbst, in Seiner Person, findet ein Herz allein die volle Befriedigung, aufrichtige Freude, bleibendes Glück, wahre Freiheit, Wirklichkeit in allem. Kein wahrhaft reiner Genuss ist uns denkbar ohne Seine Gemeinschaft, und mit vollster Überzeugung wird ein Kind Gottes sagen müssen: „Was wär’ der Himmel ohne Dich und alle Herrlichkeit!“ 
Licht, Liebe, Leben — diese drei großen „,L“ treten uns in dieser Unterredung entgegen. Aus Seinem
Munde haben wir sie vernehmen dürfen. Mit unendlicher Klarheit, tiefinnerer Wärme, überzeugender Kraft strömen sie hervor, leuchten sie uns entgegen. Haben wir sie tief genug leuchten lassen? Ach, wir wissen auch so vieles, ja, kennen die Wahrheit, stellen gern jede einzelne wohlverpackt an ihren Platz, denken, es sei genug, sie dort zur Hand zu haben. Aber auf unseren Herzenszustand kommt’s an, auf unser persönliches Verhältnis zu Ihm: die drei großen „L“ gehören zusammen. Lassen wir Ihn tief bis auf den Boden schauen? Lassen wir die Sonne hereinscheinen? Oder lassen wir den Staub, „das Irdische“, sich dort langsam ansammeln, lassen lieber eine Sonderschicht daraus werden, die wir nicht gern stören? Haben wir für das Geschäftliche so ein Nebengewissen? Dulden auch wohl den einen oder anderen Flecken? — Wenn wir Ihn, die helle, warme Lebenssonne, haben und  genießen wollen, heist’s den Grund aufdecken, nicht das Geschäftliche vom Privatleben trennen, keine zweierlei Moral gelten lassen, heißt’s auch die verborgenen alten Flecken hervorsuchen, die Bodenschicht preisgeben, enthalte sie was sie wolle. 
Kommen, bekennen, sich strafen, reinigen, wiederherstellen lassen, bleibt für den Wiedergeborenen stets unerlässliche Bedingung wahrer, inniger Gemeinschaft. Das erfordern nicht nur die sogenannten offenbaren, groben Sünden, sondern auch die stillen, geheimen, feinen, den Pharisäer in uns recht wenig drückenden Herzens- oder auch offenen Gewohnheitssünden. 
Die Gewissen besprengt, die Herzen gereinigt, die Angesichter aufgedeckt! — wollen wir wahren Dienst im Heiligtum tun; und: Selbstaufgabe, Selbstübergabe, die Herzen ungeteilt! — wollen wir die Mariennähe genießen. 
Es ist etwas Großes, von Herzen zu sagen: „Komm, Herr Jesus!“ Es ist sozusagen die Generalprobe! Ich fürchte, wir sagen es nicht immer aus nur reinen Beweggründen. Ich muss mich oft fragen, ob ich es im Herzen sagen kann, und zu meiner Beschämung finde ich zuweilen ein Hindernis. Es hinwegzutun, verlangt immer ein Eingeständnis, eine Demütigung. Vor einiger Zeit fragte ich ein junges Mädchen, eine liebe Schwester, die verlobt war und deren Bräutigam im Kriege war, was sie lieber wünsche, dass der Herr käme, oder dass ihr Bräutigam zurückkehrte. Sie war so aufrichtig, mir zu sagen, dass sie das Letztere vor jenem wünsche. Wahre Liebe, Sehnsucht wie bei Ihm, wird stets auf das „Ich komme bald“ die Antwort: „Amen, komm, Herr Jesus!“ auslösen.
Und unsere guten Werke! — lieben wir Ihn, so hat Er auch den Schlüssel zu unseren Herzen, und nicht nur zu unseren Herzen, nein, auch zu unserem Geldschrank und unserer Speisekammer. Lieben wir dabei das Verborgene, die reinen Beweggründe, die Er so sehr schätzt? Legen wir nicht doch Wert darauf, dass die Werke in unserem engen Kreise bekannt werden, dass doch dieser oder jener Freund Kenntnis davon habe? Das sind erschöpfende Fragen, Aufrichtigkeitsfragen, Fragen, denen wir oft lieber ausweichen, oder die wir gern ins Allgemeine beantworten. Lasst sie uns beantworten, als gingen sie dich und mich allein an — vor Ihm, in Seiner göttlichen Gegenwart! O, ein Privatissimum bei Ihm, auch „bei Nacht“, ist für uns oft so notwendig und heilsam!
Bis hierhin sind wir dem nächtlichen Gang des Besuchers gefolgt, lauschten auf die erhabenen Worte des göttlichen Lehrers. Wir versenkten uns in Seine tiefe, überzeugende Belehrung, in Sein inniges -— wie wir bestätigt finden — erfolgreiches Bemühen, dem Fragen einer dürstenden Seele mit Seinem warmen Geisteshauch zu begegnen. Mit wachsender Spannung finden wir Ihn am „Wirken“, den zarten Glaubenskeim zum Durchbruch des im ersten schwachen Tun beginnenden und später zur Tat
werdenden Glaubens zu bringen.
Lassen wir noch einmal kurz das innere Erleben des Nikodemus vor unserem Auge vorüberziehen, folgen dem Stufengang, den der göttliche Lehrer ihn hinangeführt!
Zuerst sein Hinzunahen mit wahren Bedürfnissen, dann vom sich „nicht verwundern“, dass alles
neu werden muss: „ihr müsset von neuem geboren werden“ -—  
vom „Wehen des Geistes“, der „Stimme“ von oben, vom Hören,
vom „Annehmen des Zeugnisses“ des vom Himmel Gekommenen,
dann vom Anschauen des „Erhöhten“, und durch Ihn, Gottes freie Liebesgabe, im Glauben das Leben
empfangen, und
in Verbindung damit vom Kommen ans Licht“, um sich strafen zu lassen — das Selbstgericht, die Buße, die Anerkennung des verlorenen Zustandes.
In allem diesem das Tun der Wahrheit, des ersten großen Wahrheitswerkes, in Gott gewirkt,
endlich in diesem, als Grund und Anfang, weitere Werke, wahre Früchte, in Gott gewirkt.
Einer kostbaren Frucht, eines herrlichen Glaubenswerkes des Nikodemus geschah im Anfang dieser Aufzeichnung bereits Erwähnung. „Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde“. Nicht dass er die Tragweite des Werkes, die Größe dieser Liebe hätte überschauen können — das ist nicht die Hauptsache — ihre alles überwindende Siegesmacht erwies sie im Herzen des; Nikodemug. Diese Liebe entzündete die Flamme in seinem Innern, dass sie hell aufleuchtete. Übermächtig brach sie hindurch, alle Schran- ken der Vorurteile siegreich überwindend. In ihrer Glut schmolzen die Fesseln ängstlicher Menschenfurcht, zerfielen die Bande berechnender Selbstliebe wie Zunder. Leuchtend heben sie sich ab von dem tiefdunklen Hintergrund der Leidens- und Sterbensszene auf Golgatha. Diese beiden Lichtgestalten, des kühn auftretenden, hochherzigen Ratsherrn von Arimathia und unseres mit ihm in rührender, zartester Pietät um den Leib des geliebten Herrn bemühten Nikodemus, untrennbar sind sie in unserem Gedächtnis miteinander verbunden. Welchen Wert mag der Herr ihrem Dienste beigelegt haben! Möchten wir nicht auch gern an ihrer Stelle gewesen sein? 
Ja, das Größte, das Gewaltigste ist die Liebe — „ihre Gluten sind Feuergluten, große Wasser vermögen nicht die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht“, heißt’s im Lied der Lieder, Kap. 8, 6. 7. —- „Wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat.“ So ist und bleibt für den Christen auch in der Nachfolge Jesu sein Panier die Liebe. Der wahre Dienst in Seinem Werke, der Gehorsam gegen Sein Wort, das Halten Seiner Gebote sind durchaus eine Sache der Liebe. „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt“. Und umgekehrt: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort
Halten“ (Joh. 14, 21. 23). Kein höheres Ziel, kein stärkerer Beweggrund als Liebe. Wer liebt, der tut, wer liebt, der gehorcht. „Gleichwie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibet in meiner Liebe“, sagt der Herr zu den Seinigen. Bleibet, d. i. betrachtet sie stets, genießet sie unaufhörlich, nehmet immer mehr davon in euch auf, erfreuet euch an ihrer ganzen unaussprechlichen Tiefe und Innigkeit, gehet ganz darin auf! „Ich nenne euch nicht mehr Knechte . .ich habe euch Freunde genannt“ (Joh. 15, 15). — Wie lieblich klingt das unserem Ohr, wie menschlich vertraut, löst ein ganz besonderes Hochgefühl aus in unseren Herzen! Und: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was irgend ich euch gebiete“ (Joh. 15, 14), d. i. tut alles als Freunde und
Vertraute, tut es ganz in diesem höheren Sinne, in diesem nahen Verhältnis, mit diesem gegenseitigen Verstehen, tut es mir zu Liebe! Dann ist lieben und tun eins. 
„Wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat.“ Wir lieben nicht nur aus Dank für etwas, was Er für uns und an uns getan, für unsere ewige Errettung, ja, nicht nur für unsere herrliche Stellung, die wir in Ihm besitzen. Nein, wir lieben und lieben Ihn aus einem viel höheren Anrecht und Beweggrund, wir lieben Ihn, weil Er uns geliebt hat, liebt und immer lieben wird. Dankbarkeit ist und wird stets nur ein Teil dieser Liebe sein. Diese persönliche Liebe, dieses Aufgehen in Seiner Liebe waren es, die die Gefühle der Maria am Grabe so ganz hinnahmen, die auch das Herz des Nikodemus zu jenem schönen Liebesdienst erhoben. Die Gnade hatte gewirkt, die Liebe überwunden. So ist auch die sogenannte Befreiung des Christen ein Werk Gottes in der Seele, hervorgebracht durch die Wirkung der Gnade auf dem Grunde dieser Liebe. Geleitet durch» Sein Wort unter der Leitung des Geistes zu einem tieferen, inneren Erfassen der Größe und Tragweite des erhabenen Werkes dieser Liebe, findet dieses seinen Ausdruck in der persönlichen Hingabe an den Gegenstand unserer Herzen, an Seine kostbare Person. „So lebe nun nicht mehr ich. sondern Christus lebt in mir.“ Innerhalb der göttlichen Tatsachen und uns geschenkten Vorrechte setzt dies die fortdauernde Wirkung, den innerlichen Genuss, mit einem Wort, die Verwirklichung dieser Liebe voraus. 
Liebe allein, entzündet durch Seine Liebe, kann dich von der Gebundenheit des eigenen „Ich“, von deiner Unfreiheit befreien und heilen. Ja, in dem Maße, wie jemand mit seiner Selbstliebe fertig geworden und der Herr an ihre Stelle getreten ist, ist er auch praktisch befreit. In gewissem Sinne kann man sagen: Wer liebt, ist befreit, und umgekehrt: wer befreit ist, der liebt. Gibt nicht das Leben tausendfache Proben hiervon? „Wer mir nachfolgen will, der verleugne — sich selbst“, sagt der Herr. Kein noch so scharfes Erfassen unserer wunderbaren, vollkommenen Stellung in Christo, keine noch so erlesene Belehrung über unsere herrlichen Vorrechte kann deren praktische innere Verwirklichung, kann die fortdauernde Wirkung der Gnade in uns ersetzen. Im Gegenteil, fehlen diese, sind wir unwachsam, bleiben mir nicht in Seiner Liebe, so kann je nach unserer Veranlagung selbst die kostbare Wahrheit von der Befreiung in uns zu einem System, zu einer dogmatischen Lehre erstarren. Wie leicht sind wir in Gefahr, uns über unseren wahren Zustand durch eine falsche Sicherheit hinwegzutäuschen! Nur eins kann uns vor der Selbstbefriedigung, der Selbstbespiegelung wirklich bewahren. Das ist: Ihn anschauen. 
»Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ So sind wahre Nachfolge und Befreiung praktisch stets miteinander verbunden. wie es so schön ausgedrückt ist in dem tiefen Verlangen des Dichters:
»O Jesu, dass Dein Name bliebe
im Grunde tief gedrücket ein!
Möcht’ Deine süße Jesussliebe
in Herz und Sinn gpräget sein!
Im Wort, im Werk, in allem Wesen
sei Jesus und sonst nichts zu lesen!“ 
Das Gespräch ist aus, der Mund ist verstummt, ausdessen Lippen HoldseIigkeit ausgegossen ist, von denen Worte der Gnade ausgingen, der, aber auch mit „Gewalt redete, und nicht wie die Schriftgelehrten“. Der treue, gütige, geduldige Säemann hat gesät, der Same ist ausgestreut. In dem vorbereiteten Boden des willigen Hörers kann er nun aufsprießen, wachsen, wurzeln, Frucht bringen (Mark. 4, 26 -- 29). 
Noch eine Weile ist Nikodemus in stilles Sinnen versunken. Nun wendet er sich zum Gehen, sein stummer Händedruck umschließt die Hand, die sich eben noch überredend auf seine Schulter gelegt, sich aber auch zu ernster Warnung vor ihm erhoben hat. Jetzt ist er draußen. Das Lied des Nachtwindes ist längst verklungen, kühle Morgenluft umfängt ihn. Feierliche Stille ringsum. Beflügelte Schritte tragen ihn heimwärts. Noch stürmt’s und arbeitet's drinnen, wie Wogen überschlagen sich die Gedanken. Wieviel hat er gehört, gelernt, erlebt in dieser einzigen Nacht! Großes, Gewaltiges, Göttliches, sein Innerstes bis zum Grunde aufwühlend, erschütternd, hat er vernommen. Aber Neues, Wunderbares ist ihm aufgegangen. Licht ist in die dunkelsten Tiefen gefallen, ein Lebensstrom durchrinnt sein Empfinden, nie vorher gekannt, nie empfunden. Und während in dem erblassenden Nachthimmel Stern um Stern versinkt, die Finsternis vor dem Licht flieht, das Frührot erglänzt auf den Bergen Judäas, wird’s klar und morgenstill in seiner Seele. Wunderbar, wie nun der stille Frieden draußen zu seinem Innern stimmt, wie alle Gegensätze sich auflösen in eine einzige Harmonie! Ja, mit der Sonne, die dort sieghaft, „wie ein Held“, langsam emporsteigt, ist auch in seinem Innern ein neuer Tag aufgegangen.
Als ein anderer — als ein Neugeborener wohl kehrt Nikodemus heim. Der Heilige Geist hat es für gut gehalten, seinen weiteren Entwicklungsgang einstweilen vor unserem Fragen zu verbergen, vielleicht um die Wirkung der gewaltigen Predigt desto mehr auf alle Hörer wirken zu lassen. Sein großes Erleben ist noch scheu wie die Knospe in seinem Innern verschlossen. Leise verhallen seine Schritte in den morgenstillen Straßen. Das bekannte Haus, die stille Gelehrtenklause ist bald erreicht. Nun tritt er wieder in den alten Bekannten- und Verwandtenkreis, in die gewohnte Tages- und Berufsarbeit. Fortan ein „Jünger“ — vielleicht nur hier und da einer verwandten Seele sich vertrauend, den übrigen aber, den meisten unbekannt — ein Jünger, „der zuerst bei Nacht zu Jesu gekommen war“ — „ein verborgener“.

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Gehet zu Joseph

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 103ff

Ach, wer kann Dich würdig loben,
großer Gott von Ewigkeit!
Was auf Erden und was droben
zeugt von Deiner Gütigkeit.
Du, Du bist des Lobes wert,
selig, wer Dich preist und ehrt!

Wer kann Deine Lieb’ ergründen,
Deine Gnade Deine Huld!
Gabst den Sohn für unsre Sünden,
sprachst uns frei von aller Schuld.
Du, Du bist des Lobes wert,
selig, wer Dich preist und ehrt!
Ja, es ist selig, Gott zu preisen, wie es in unserem Liede heißt. Aber das ist nur möglich durch Jesum  d. h. nur die, welche den Sohn Gottes als ihren Heiland kennen, an Ihn glauben, können Gott, den Vater, durch Ihn loben. Unter dem Himmel —- so hat Petrus, erfüllt mit dem Heiligen Geiste, vor den Obersten und Ältesten des Volkes Israel einst bezeugt — ist kein anderer Name unter den Menschen gegeben, in welchem wir errettet werden müssen. Ja, Jesus ist, nach dein Wort in Röm.9,5, „Gottüberallem, gepriesen in Ewigkeit“! Und wer Ihn kennt, kann wahrlich loben und preisen, kann vor Freude aufspringen und in Frieden wandeln in einer Welt voll Unfriede und Unruhe. Alle Segnungen, jeder wahre Genuss ist in Jesu und durch Ihn. 
Wir haben einen Abschnitt aus Josephs Geschichte miteinander gelesen (1. Mose 41, 46 - 57). Gott hat uns im Alten Testament viele Geschichten geschenkt, schöne und eindrucksvolle Erzählungen, um uns zu zeigen, wer Er ist und was Er uns gegeben hat. Vor allem aber auch, um uns erkennen zu lassen, wer der Herr Jesus ist. Seine Absicht war und ist, dass wir Ihn kennen lernen, den zu kennen ewiges Leben ist. 
Wie viel Schönes und Herrliches enthält in dieser Beziehung auch die Geschichte, die wir heute Abend betrachten wollen! Möchte Gott uns durch Seinen Geist befähigen, diese Herrlichkeiten herauszufinden und etwas davon zu genießen! 
„Und Joseph war dreißig Jahre alt, als er vor dem Pharao, dem König von Ägypten, stand.“ 
Das war ein wichtiger, folgenschwerer Augenblick in dem Leben dieser beiden Männer, sowohl des Joseph als auch des Pharao. Im 105. Psalm wird gleichfalls von diesem Augenblick durch den Heiligen Geist Meldung gemacht. Dort wird der Pharao „der Herrscher der Völker“ genannt. Der Pharao war in jener Zeit wohl der mächtigste Fürst, die höchste Majestät auf Erden. Aber diesem Mächtigsten unter den Menschenkindern fehlte es an Weisheit. Und alle, die seinen herrlichen Thron umgaben, verfügten ebensowenig über die Weisheit, die nötig war, um die Bedeutung des Traumes zu erkennen, der ihn so beunruhigte. 
Da erinnert sich der Oberschenke des Pharao an das, was ihm zwei Jahre vorher begegnet war. Warum hatte dieser Mann in all der Zeit nicht mehr an den hebräischen Jüngling gedacht, aus dessen Munde er doch die Auslegung seines Traumes. gehört und der ihn so dringend gebeten hatte, sich seiner zu erinnern, wenn sein Traum in Erfüllung gegangen sein würde? Ja, warum? Auf diese Frage gibt uns der bereits angeführte Psalm Antwort. Wir lesen dort: „Er (Jehova) sandte einen Mann vor ihnen her. Joseph wurde zum Knechte verkauft. Man presste seine Füße in den Stock, er kam in das Eisen, bis zur Zeit, da sein Wort eintraf; das Wort Jehovas läuterte ihn“ (V. 17 —- 19). Zu der von Gott bestimmten Zeit, keinen Augenblick zu früh und keinen Augenblick zu spät, öffneten sich die Kerkertüren, und der Unschuldige wurde vor den Pharao gestellt. Gott hatte dem Pharao und der ganzen Welt etwas zu sagen; aber vorher musste derselbe Gott Seinen Knecht, der im Gefängnis schmachtete, noch etwas lernen lassen. O möchten wir, keiner von uns, es je vergessen, dass Gott alles in Seiner Hand hat, und dass Er alles ordnet nach Seiner vollkommenen Weisheit. Einmal werden alle Rätsel, alle „Warum?“ herrlich aufgelöst und beantwortet werden. 
Joseph, so war es das Vornehmen Gottes, sollte der Retter der Welt werden, und Gott führte Sein Vornehmen in vollkommener Weise aus. Alles musste zusammenwirken, um den Rat Seines Willens zur Vollendung zu bringen. In diesem Licht gesehen, ist es von großer Bedeutung, dass der Oberste der Schenken Joseph zwei Jahre lang vergaß, obwohl dies die Verantwortlichkeit des Mannes keineswegs aufhob. Aber denen, die Gott lieben, wirken alle Dinge zum Guten mit. 
Und wenn wir nun Joseph dort stehen sehen vor dem „Herrscher der Völker“, welch ein Anblick! Alles Leid ist für den Knecht Gottes vorüber; das Gefängnis liegt endgültig, für immer hinter ihm. Das ist ein erquickender Gedanke, nicht wahr? Nicht allein wenn wir uns an Joseph erinnern, wie er auf Dothans Feldern und in Potiphars Haus so unschuldig litt, sondern vor allem, wenn wir über diesen keuschen Jüngling hinaus unseren Blick auf Den richten, von dem er ein Vorbild war, auf unseren Herrn und Heiland. Für Jesum ging das Leiden viel tiefer als für Joseph. Er musste — und dieser Gedanke schneidet uns durchs Herz — für uns in Tod und Grab hinabsteigen. O wie hat Er, im Vorgefühl des Kommenden, schon in Gethsemane gelitten, und wie erst auf dem Kreuze selbst, vor allem in den drei Stunden der Finsternis! Wir sind schmerzlich bewegt, wenn Sein Leiden uns vor die Seele tritt; denn auch wir — ich und du — haben es Ihm verursacht! Aber dieses namenlose Leiden, diese tiefe Erniedrigung gehören für ewig der Vergangenheit an. Das Kreuz kehrt nie wieder für Ihn zurück. Er, der einmal unsere Sünden trug und für uns zur Sünde gemacht wurde, ist in den Himmel aufgenommen; ja, Er hat sich zur Rechten  der Majestät in der Höhe gesetzt; (Hebräer 1, 3.) Dort ist Er, in der Gegenwart des Allerhöchsten! 
Werden wir nicht unwillkürlich an dieses himmlische Schauspiel erinnert, wenn wir die Worte lesen, die uns über Joseph und den Pharao aufbewahrt sind? Joseph ist der allein Weise; alle, die bei Menschen weise waren, stehen als Toren da. Joseph gibt die Auslegung des Traumes. Joseph gibt Rat. Und so kennen wir auch unseren Heiland als Den, „der uns geworden ist Weisheit von Gott“, und dessen Name ist: „Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ (1. Kor. 1, 30; Jesaja 9, 6).
Und nun lasst uns hören, mag der Pharao auf die überraschenden Mitteilungen Josephs erwidert: 
„Werden wir einen finden wie diesen, einen Mann, in welchem der Geist Gottes ist? . . . Nachdem Gott dir dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. Du sollst über mein Haus sein, und deinem Befehl soll mein ganzes Volk sich fügen; nur um den Thron will ich größer sein als du. . . Siehe, ich habe dich über das ganze Land Ägypten gesetzt…..“ 
„Und der Pharao nahm seinen Siegelring von seiner Hand und tat ihn an die Hand Josephs, und er kleidete ihn in Kleider von Byssus und legte die goldene Kette um seinen Hals. Und er ließ ihn auf dem zweiten Wagen fahren, den er hatte, und man rief vor ihm her: Werfet euch nieder! — Und er setzte ihn über das ganze Land Ägypten.“
Ich wiederhole: welch ein Anblick! Joseph in Kleidern von feinster weißer Baumwolle, angetan mit den Zeichen der höchsten Würde und Macht! 
Schon zweimal hatte er ein Kleid verloren: den langen farbigen Leibrock, den die Hand der Liebe ihm bereitet und den die Brüder ihm geraubt hatten, und das Gewand des Hausverwalters Potiphars, das dessen lüsternes Weib in der Hand behielt, als Joseph ihren Nachstellungen entfloh. Und jetzt stand er vor aller Augen in den feinen weißen Gewändern, die nicht allein von Gottes Gnade, sondern auch von Josephs Treue zeugten. 
Erlaubt mir, im Vorübergehen darauf hinzuweisen und vor allem den jungen Leuten in unserer Mitte es ans Herz zu legen: Was wäre aus all dieser Herrlichkeit, aus all den Wegen und Absichten Gottes mit und durch Joseph geworden, wenn dieser junge Mann der Stimme der Versuchung Gehör geschenkt hätte? O fliehen wir die Sünde! Jede Sünde! Aber vor allem — ihr jungen Leute! — die Sünde der Unkeuschheit, der Unsittlichkeit! 
Das königlich-priesterliche Kleid umhüllte jetzt die Glieder Josephs. Und wenn er nun auf dem königlichen Wagen durch Ägyptenland zieht und der Herold vor ihm her ausruft: „Werfet euch nieder!«“ dann muss auch Potiphars Frau ihre Knie vor ihm beugen. Jedes Knie muss sich vor ihm beugen! Vor ihm, Zaphnath-Pahneach, dem Retter der Welt, dem Erhalter des Lebens! Denn unter diesem Namen wird man fortan in Ägypten von Joseph reden. Alle müssen mit diesem Zaphnath-Pahneach, dem Ausleger von Geheimnissen und Retter der Welt, in Verbindung treten. Jede Zunge muss seinen Namen bekennen, und er wird aller Herr, aller Besitzer und Wohltäter werden. 
Und nun, meine Lieben, was ist dieses Schauspiel, so schön und ergreifend es ist, im Vergleich mit dem, was wir in der Zukunft sehen werden? Sagt nicht Paulus, wenn er von der Erniedrigung und von dem vollkommenen Gehorsam Christi, einem Gehorsam bis in den Tod, ja, bis in den Tod am Kreuze, geredet hat: 
„Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, 
dass Jesus Christus Herr ist,
zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“?
Wie unendlich weit geht das noch über Josephs Verherrlichung hinaus! 
So wie es dem Pharao im Traume gezeigt und durch Joseph im Namen Gottes mitgeteilt worden war, also geschah es. Ägypten erlebte einen nie vorher gekannten Überfluss, aber dann, nach sieben Jahren, kam die Hungersnot über das Land und alle umherliegenden Länder. 
Aber Getreide ist da! Joseph hat alles im voraus geordnet. Seine vollen Scheunen bieten Korn und Brot in Fülle. 
Das Volk wendet sich in seiner Not an den Pharao. Aber es wendet sich, wie man sagt, an die verkehrte Adresse, geradeso wie viele Jahre später der aussätzige Naaman, als er mit einem Empfehlungsbrief seines Königs zu König Joram zog (2. Kön. 5). Der Pharao sprach zu allen Ägyptern: „Gehet zu Joseph! Tut, was er euch sagt!“ (V. 55). Joseph ist der Erhalter aller. Joseph hat Korn. Und er gibt jedem, der zu ihm kommt. Er verkauft den Ägyptern Getreide für ihr Geld, dann für ihr Vieh, und endlich für ihr Land (Kap. 47). 
Aber an seine Brüder verkauft er umsonst, für nichts. Sie kehren mit dem Geld in ihren Säcken nach Kanaan zurück. Wie erinnert uns das an ein Wort des Propheten Jesaia in späteren Tagen: „He! ihr Durstigen alle, kommet zu den Wassern; und die ihr kein Geld habt, kommet, kaufet ein und esset! ja, kommet, kaufet ohne Geld und ohne Kaufpreis Wein und Milch!“ (Jes. 55, 1). 
Oder an das andere Wort aus dem Munde des Herrn selbst, das wir am Ende des Buches der Offenbarung finden: „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ 
Ja, die Gnade ist bereit, zu geben. Der Mensch hat freilich nichts anderes als Strafe und Gericht verdient. Aber die Gnade stellt Den vor unsere Blicke, der das Gericht erduldet, die Strafe getragen hat und nun uns umsonst alle Seine Segnungen anbietet.
Reicher, anbetungswürdiger Heiland! O Fülle der Gnade in Ihm! Aus dieser Fülle nehmen auch wir Gnade um Gnade. Und wie der Pharao die Ägypter einst zu Joseph wies, so weist Gott uns heute zu Seinem Geliebten, und der Heilige Geist ruft: „Gehet zu Jesu!“
„Die Hungersnot war stark auf der ganzen Erde“. „Und Jakob sah, dass Getreide in Ägypten war, und
Jakob sprach zu seinen Söhnen: Was sehet ihr einander an?“ (Kap. 41, 57; 42, 1). 
Was sehet ihr einander an? Über dieses Wort zum Schluss noch einige kurze Bemerkungen. 
Befinden sich solche in unserer Mitte, die hungrig sind und den aufrichtigen Wunsch haben, Jesum kennen zu lernen? O, warum wollt ihr dann noch Zeit verlieren? Warum noch zögern? Mit dem Blicken auf andere, auf Eltern, Geschwister und Freunde, mit dem Einander-ansehen geht die kostbare Gnadenzeit vorbei. Ja, erwidert ihr vielleicht, aber — — —. Was aber? Drückt euch die Last eurer Sünden? Jesus will sie von euren Schultern nehmen. Habt ihr Ihm gar nichts zu bringen als euer beladenes, mühseliges Herz? Er möchte euch so gern umsonst Ruhe schenken! Alles was euch mangelt, könnt ihr bei Ihm finden. Aber auch euch gilt das Wort: „Gehet zu Jesu!“
Haben die Brüder Josephs etwas gekauft? 
Ach nein! Sie haben nur empfangen. Als Joseph seine Brüder zu sich kommen sah in der Absicht, Getreide von ihm zu kaufen, und er sie sofort erkannte (wiewohl sie ihn nicht erkannten), da wäre es so natürlich gewesen, wenn ein Gedanke an Rache in seinem Herzen aufgestiegen wäre. Aber weit davon entfernt! Gnade wollte er beweisen, durch Güte sie zur Umkehr und Buße bringen. Geradeso wie auch von Gott geschrieben steht: „Verachtest du den Reichtum Seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut, nicht wissend, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet?“ (Röm. 2, 4). Durch Gnade hat er sie klein gemacht, durch Liebe ihre Herzen zerbrochen. Ja, mit bewunderungswürdiger Weisheit hat er sie auf ihre Knie gebracht, zu einem aufrichtiger! Bekenntnis geführt, um sie dann zu erhöhen und zu segnen.
So will Gott auch mit dir, mit jedem Sünder handeln. Der Teufel, der Lügner von Anfang, flüstert dir vielleicht zu, dass du zu viel und zu schwer gesündigt habest. Aber Gottes Gnade ist auch für viele und schwere Sünden ausreichend. Wenn Er in 2. Mose 34, nach der schrecklichen Sünde des goldenen Kalbes und der Fürbitte Moses für das schuldige Volk, sich Seinem treuen Knecht unter einem neuen Namen offenbart, hören wir die Worte aus Seinem Munde: „Jehova, Jehova, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt usw.“ (V. 6. 7.)
Der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt!
Zum ersten mal wird dieser wunderbaren Tatsache im Worte Gottes Ausdruck gegeben; nicht das; Gott nicht schon früher Sünden vergeben hätte — Er hatte das getan — aber nie vorher war es ausgesprochen worden. Und heute können wir hinzufügen: der in Christo und um Christi willen noch viel weiter geht, der nicht nur vergibt, sondern auch ewiges Leben, Leben im Sohne, schenkt.
O möchte Gott geben, dass wir alle, die wir hier an einer und derselben Stätte versammelt sind, von demselben elektrischen Licht bestrahlt, von demselben Dach beschirmt und von demselben Fußboden getragen werden, auch dereinst beisammen sein mögen in den seligen Räumen des Himmels, wo dann der wahre Joseph, der erhöhte und verherrlichte Menschensohn, auf ewig uns Seine gefüllten Scheunen auftun, und wo unsere Seele sich sättigen wird in dem Anschauen Seiner Pracht und Schönheit!

Fußnote:
*) Eine der letzten Ansprachen des am 7.Januar heimgegangenen, vielen älteren Lesern des „Botschafter“ wohlbekannten Bruders J. Rot (Apeldoorn, Holland), gehalten gelegentlich der Konferenz im .Haag, Ende Dezember 1923. Nach Aufzeichnungen, die der Schwiegersohn des Entschlafenen gegen seine Gewohnheit an dem betreffenden Abend machte.

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Melchisedek

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 113ff

l.
„Und Melchisedek, König von Salem, brachte Brot und Wein heraus; und er war Priester Gottes, des Höchsten. Und er segnete ihn und sprach: Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt! Und gepriesen sei Gott, der .Höchste, der deine Feinde in deine Hand geliefert hat!“ (1.Mose 14, 18 — 20).
Wenn wir uns im Nachstehenden ein wenig mit dem Melchisedek-Priestertum Christi, seinem Bereich und seiner Segnung, beschäftigen wollen, so muss zunächst daran erinnert werden, dass es nicht das Priestertum ist, welches Christus gegenwärtig ausübt. Nicht dass Er nicht Priester nach der Weise oder Ordnung Melchisedeks wäre; wir wissen aus dem Hebräerbrief und aus Psalm 110, dass Er es ist. Im Blick auf Ihn, den zur Rechten Gottes erhöhten Herrn, wird bezeugt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks“. Aber die Ausübung Seines Priestertums entspricht heute dem vorbildlichen Charakter und den priesterlichen Verrichtungen Aarons am großen Versöhnunsgtage. Ja, die ganze gegenwärtige Ordnung der Dinge wird durch diesen Tag vorgebildet.
Gleichwie Aaron mit dem Blut des Opfertiere ins Heiligtum ging, so ist Christus mit Seinem eigenen Blute, denn Er selbst ist das Opfer, innerhalb des Vorhangs eingetreten. »Der Himmel muss Ihn aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“ (Apstgsch. 3, 21). 
Er ist also in der gegenwärtigen Zeit Priester nach der Ordnung MeIchisedeks", „nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens“, und hat auf Grund eines Eidschwurs ein bleibendes, unveränderliches Priestertum empfangen (das Priestertum Aarons war übertragbar, konnte nicht bleibend sein); aber Er übt es praktisch aus nach dem Vorbilde Aarons. Er ist innerhalb des Vorhangs, im Heiligtum, so wie Aaron am großen Versöhnungstage ins Allerheiligste ging. 
Der Schreiber des Hebräerbriefes verweilt deshalb. nachdem er die Ordnung des Priestertums Christi festgestellt hat, im einzelnen au5schließlich bei dem aaronitischem Priestertum, als charakteristisch für den Dienst, den der Herr jetzt droben als Priester ausübt; nur mit dem Unterschiede, dass das Priestertum, was seine Ansübung betrifft, jetzt einen durchaus himmlischen Charakter trägt. Unser teurer Herr ist nicht in das irdische Heiligtum, sondern in den Himmel selbst eingegangen, um jetzt in der Gegenwart Gottes für uns zu erscheinen. Das Blut ist nicht Stier- und Bocksblut, womit einst „die Abbilder der Dinge in den Himmeln gereinigt wurden“, sondern Sein eigenes Blut - jene „besseren Schlachtopfer“, durch welche allein die Dinge in den Himmeln gereinigt werden konnten. 
Ich wiederhole also: Das Priestertum unseres Herrn Jesus wird gegenwärtig wohl nach aaronitischem Vorbilde ausgeübt, aber es ist keineswegs nach der .Ordnung Aarons. Der ganze Hebräerbrief, besonders das 9. Kapitel, redet davon, um uns in den Stand zu setzen, die einzelnen Teile des priesterlichen Dienstes der ·levitischen Ordnung auf unsere gegenwärtige Lage anzuwenden. Dass uns heute vieles geoffenbart ist, was in dem Vorbilde nicht gesehen werden konnte, liegt auf der Hand; es- war eben »nur ein Schatten, nicht der Dinge Ebenbild selbst“. Wie völlig neu und überaus wichtig, um nur eins zu nennen, ist der Umstand, dass der Vorhang heute zerrissen ist und wir befähigt sind, Christo in das Innere des Heiligtums zu folgen und zu unserer einigen Freude zu sehen, wohin Er sich jetzt gesetzt hat! 
Aber es gibt noch mehr als das. Das Priestertum Christi besitzt eine Herrlichkeit, die noch nicht erfüllt, noch nicht in Erscheinung getreten ist, eine Herrlichkeit von ganz eigenartigem, persönlichem Charakter; und diese Herrlichkeit wird uns in dem Auftreten Melchisedeks, des Königs von Salein, vor Augen geführt. Beide Namen oder Titel sind charakteristisch: Melchisedek = König der Gerechtigkeit, König von Salem = König des Friedens.
Was ist denn nun das Priestertum Melchisedeks? Es ist jener königliche Bereich des Priestertums, das Gott als den höchsten Gott, der Himmel und Erde besitzt, vertritt und zugleich von seiten des Menschen zu Gott redet in Danksagungen, die zu Ihm, dem Höchsten, als Antwort emporsteigen. Christus segnet von seiten Gottes den Himmel und die äußersten Enden der Erde, die am Ende der Tage beide in Seinem Besitz stehen werden, und zwar durch und in dem Samen Gottes. Wir finden schon bei dem König Nebukadnezar, dem ersten großen Bilde irdischer und heidnischer Macht, dass „seine Größe bis an den Himmel reichte und seine Herrschaft bis an das Ende der Erde“. Er mag sich sehr verschuldet haben, und uns somit diese erste Darstellung heidnischer Macht in ihrem Abfall von Gott zeigen, immerhin war er aber der Mann, den Gott in fast unumschränkter Gewalt hingestellt hatte. (Vergl. Dan. 2, 38; 4, 22.) Er war nicht der Herr vom Himmel, sondern der Mensch der Erde, der infolge seines Hochmuts zu dem Zustand eines Tieres herabsank; er war der König von Babylon, nicht der Sohn Davids, der einst in Jerusalem in Gerechtigkeit und Frieden regieren und den allein wahren Gott bezeugen wird. Aber Herrschaft war ihm gegeben, und bildlich gesprochen hat er sie über die ganze Erde hin ausgeübt; und wenn er seinem Hochmut auch noch Götzendienst hinzufügte, dennoch hat er am Ende Gott als den „höchsten Gott“ erkannt und gepriesen. Als die „sieben Zeiten“ seiner Strafe vorüber waren, erkannte er an, „dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem Er will“ (Dan. 4, 25. 34). 
Nebukadnezars Macht reichte indes nur „bis an den Himmel“. Neben der Erde gibt es aber noch einen Bereich der Macht und Herrschaft, der ebenfalls verunreinigt und erniedrigt worden ist. Schon in Daniel 7, 22 ff. lesen mir von Heiligen der „höchsten Örter“, und in Eph. 6, 12 wird uns gesagt, dass unser Kampf wider die Fürstentümer ist, wider die Gewalten, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den „himmlischen Örtern“; das will sagen: gleichwie die Erde von einer von Gott abgefallenen Macht regiert wird, so gibt es auch in den himmlischen Örtern eine Macht, und zwar eine überaus große Macht geistlicher Bosheit, Fürstentümer und Gewalten  der Finsternis; die Erde und die himmlischen Örter befinden sich gegenwärtig noch im Besitz des Bösen. Aber es kommt die Zeit, wo die Heiligen der höchsten Örter Reich und Gericht empfangen werden, und wo dem Volke der Heiligen der höchsten Örter das Reich und die Herrschaft und die Größe der .Königreiche unter dem ganzen Himmel gegeben werden wird. (Vergl. Dan. 7, 18. 22. 27.) In Verbindung damit nimmt Gott dann Seinen Titel an als „der Höchste, der Himmel und Erde besitzt“. Unter diesem Namen werden Erde und Himmel gesegnet werden. 
Doch wir besitzen noch bestimmtere Aussprüche des Wortes über diesen Gegenstand. Am Tage der vollen Herrlichkeit des Lammes wird nur ein Herr sein, und Sein Name einer. Er wird der Gott der ganzen Erde genannt werden. An jenem Tage wird Jerusalem der Thron Jehovas genannt werden, und alle Nationen werden sich um ihn scharen. Und der in Seiner Herrlichkeit erscheinende Sohn des Menschen, Jesus von Nazareth, der König von Israel, wird nicht mehr am Kreuze hangen, sondern auf dem Throne sitzen, und nicht allein in hebräischer, griechischer und lateinischer Mundart, sondern in jeder Sprache der Mächte, die Ihn heute verachten, werden die Menschen sich vereinigen, um die Überschrift, die einst über Seinem Haupte hing, anzuerkennen: „Dieser ist Jesus, der König der Juden“. „Das Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus wird gekommen sein“ (Offbg. 11, 15), und über das hinaus wird Ihm auch alle Gewalt im Himmel gehören. Dann wird der geheime Vorsatz des Willens Gottes, „alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus“ (Eph. 1, 9. 10), in Erfüllung gegangen sein. 
Das Geheimnis, das dem Gläubigen der Gegenwart gehört, geht indes noch über die Verheißung: „Ich werde euch die gewissen Gnaden Davids geben“, hinaus. Diese Verheißung wird den Juden erfüllt werden (Apstgsch. 13, 32 — 34), unser Teil ist höher und besser. Es besteht nicht nur in Segnungen (so groß sie sein mögen), die durch die Auferstehung Christi gesichert sind, nein, wir sind auferweckt mit Ihm und in Ihm schon mitgesetzt in die himmlischen Örter. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus „hat uns gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern“, und der ganze Brief an die Epheser soll uns zeigen, dass wir, mit Ihm zu Söhnen geworden, bei Ihm sein sollen in den himmlischen Örtern, als der Leib Dessen, der als Haupt über alles der Versammlung gegeben ist. Wir besitzen nicht nur die Früchte Seiner Auferstehung, sondern die überschwängliche Größe der Kraft, die in Christo gewirkt hat, „indem Gott Ihn aus den Toten auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten setzte in den himmlischen Örtern“, wirkt jetzt an uns, den Glaubenden. (Eph. 1, 19 —— 2, 7).
Wenn Gott daher alles unter ein Haupt zusammenbringen wird in dem Christus und die Juden hienieden als Mittelpunkt des Segens und alle Völker in ihnen gesegnet erscheinen (Apstgsch. 3, 25), werden die Heiligen in den himmlischen Ottern, die dort sitzen als auferweckt mit Ihm und als solche, die durch die Gnade überwunden haben, auf Seinem Throne gesehen, geradeso wie Er überwunden und sich mit Seinem Vater gesetzt hat auf des Vaters Thron; alle miteinander die glücklichen Zeugen der umfassenden Herrschaft Dessen, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, Sohn Gottes und Sohn des Menschen in einer Person, Herr über alles und zugleich Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit.
Aber noch in einem anderen Charakter — denn welche Segnung sollte in Ihm nicht ihre Erfüllung finden? —- tritt unser hochgelobter Herr hier vor unsere Blicke. Er ist nicht nur König, sondern auch Priester, „Priester auf Seinem Throne“ (Sach. 6, 13). Damit kommen wir zu der wirklichen, vollen Ausübung des Priestertums in seinem Melchisedek-Charakter, und staunend sehen wir, wie alles das, was wir bisher besprochen haben, sich in diesem Priestertum vereinigt findet. Als Priester nach der Ordnung Melchisedeks wird der Herr am Tage Seiner Macht auf Seinem Throne sitzen. Heute sitzt Er auf Seines Vaters Thron, und das wird so lange währen, bis alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind (Ps. 110, 1). Das ist noch nicht geschehen. Sobald es aber zur Wahrheit wird und alle Dinge im Himmel und auf Erden in eins zusammengebracht sind, wird Er auf Seinem eigenen Throne sitzen, als König und Priester. 
Satan, der sich noch in den himmlischen Örtern befindet, hat die armen Bewohner der Erde verleitet, Dämonen anzubeten und viele Götter und Herren zu haben. Die irdischen Mächte sind mit diesem falschen Gottesdienst in Verbindung getreten; die Folge davon ist Jammer und Elend, verbunden mit Verfolgung und Erniedrigung der .Kinder Gottes. Während der Verderber und Mörder selbst in den himmlischen Örtern verweilt, ist Verderben das Teil seiner Untertanen, und Leiden und Tod treffen solche, die sich ihm widersetzen. In unmittelbarem Gegensatz zu dem allen steht jener Titel Gottes als „Gott, der Höchste“, den Nebukadnezar schon anerkennen musste, und den wir in der Stelle wiederfinden, die an der -Spitze unserer Betrachtung steht: „Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten!“ Bemerkenswerter Weise sagt Josua in seiner letzten Ansprache an das Volk Israel: „Eure Väter wohnten vor alters jenseits des Stroms (Euphrat) . . . und sie dienten anderen Göttern“ (Jos. 24, 2). Die Berufung Abrahams geschah also nicht nur aus Sünde und Ungerechtigkeit heraus, sondern auch aus der Mitte vieler fremder Götter, seitens des höchsten Gottes, der Himmel und Erde besitzt. Dieser Titel wird in dem Priestertum Melchisedeks bezeugt. „Er war Priester Gottes, des Höchsten“, und als solcher trat er hervor und segnete Abram, den von der Besiegung aller Feinde zurückkehrenden Befreier Lots und der übrigen Gefangenen. Dachte der Herr nicht wohl in besonderer Weise an diese wunderbare Stunde, als Er in Joh. 8 den ungläubigen Juden sagte: „Abraham, euer Vater, frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich“? (V. 56). „Mein Tag“ bedeutet hier, wie an so vielen anderen Stellen, offenbar nicht die Zeit des Weilens Christi hienieden, sondern den Tag Seiner Herrlichkeit als Sohn des Menschen, an welchem alle die Verheißungen, die Abraham einst gegeben wurden, in Erfüllung gehen werden. Abraham schaute im Glauben nach dieser Erfüllung aus und wusste, dass in Christo, dem wahren König der Gerechtigkeit und des Friedens, alle Verheißungen zur Wahrheit werden würden. Wir können aus mehreren Stellen erkennen, dass die Gläubigen des Alten Testamentes in ihrem geistlichen Verständnis zuweilen über das hinausgeführt worden sind, was ihnen unmittelbar geoffenbart war. Der Geist ließ sie wohl manches ahnen und, wenn auch unklar, empfinden, was uns heute in voller Klarheit geschenkt ist. Und was wird es sein, wenn einmal alles, was im Himmel und auf Erden ist, in Christo zusammengebracht sein wird, wenn himmlische und irdische Segnungen von Gott, dem Höchsten, nach allen Seiten hin ausströmen werden! Welch ein unaussprechlicher Segen, wenn einmal keine Furstentümer und Gewalten des Bösen die himmlischen Örter mehr verunreinigen werden, wenn auf Erden nichts mehr das verderben wird, was Gott gut geschaffen hatte, kein aufrührerischer Geist mehr, um« den Fluch der Empörung gegen den Gott des Segens auf die armen Verderber ihrer Gnade zu bringen, wenn Jehova den Himmel erhören wird, und dieser die Erde, wenn die Erde das Korn und den Most und das Öl erhören wird, und diese wiederum Jisreel erhören werden! (Vergl. Hos. 2, 21. 22.) Ja, welch ein Segen wird es sein, wenn der Höchste einmal von dem Besitz nimmt, was Ihm dem Titel nach ja immer gehörte, von Himmel und Erde, und unser Hoherpriester dann Sein Hoherpriester sein wird! 
Alle anderen Götter werden dann für immerdar hinweggetan sein; nur Einer wird bleiben. Erde und Himmel werden keinen anderen kennen, kein Geschöpf im Himmel oder auf Erden wird mehr Gott genannt werden, außer Ihm, der dann bekannt sein wird als der höchste Gott, der Himmel und Erde besitzt. Welch eine Ruhe und Sicherheit liegen in diesem Namen und Seiner Verwirklichung! Solang Satan die Macht hat und die, welche ihm untertan sind, im Besitz der Gewalt stehen, sind Leid, Uneinigkeit und Tod die unwillkommenen Reisegefährten des Menschen; zu jeder Torheit geneigt, ist er wie ein Verurteilter in dem Schiff, dessen Steuer in einer anderen Hand liegt. Wenn aber einmal der höchste Gott als der Besitzer von allem erscheint, wo wird dann der Versucher sein? Im Himmel nicht, denn der Höchste hat ihn im Besitz; auf der Erde auch nicht, denn der Höchste wird auch die Erde in Besitz genommen haben, ja, die Enden der Erde werden die herrlichen Folgen Seines alles umfassenden und alles durchdringenden Segens genießen.
Melchisedek war indes nicht nur ein Priester des höchsten Gottes, er trug auch noch andere Charaktere. Er war König der Gerechtigkeit, und wo Gerechtigkeit ist, da ist Segen. „Ein König wird regieren in Gerechtigkeit, und die Fürsten, sie werden nach Recht herrschen.“ Er war ferner König des Friedens, denn das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit ewiglich“ (Jes. 32). Das Melchisedek-Priestertum verbürgt alle diese Segnungen von seiten des höchsten Gottes: die Vereinigung von Himmel und Erde unter Seiner Herrschaft, die beiderseitige Segnung und die allgemeine Anerkennung Gottes als des Höchsten, des Besitzers von Himmel und Erde.

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Etwas zum Nachahmen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 122ff

Wie hell leuchten Taten des Glaubens und der Liebe, besonders in dunklen und schweren Zeiten! Ja der Geschichte Davids finden wir manche Beispiele rührend Hingebung und Treue, und oft waren es Fremde, die sie bewiesen. Denken wir da z. B· an Ittais Liebe. Er war ein Fremdling im Lande Israel, aber er verband sich  so fest mit dem heimgesuchten König, dass er seinen Schmerz, seine Schmach und Flucht mit ihm teilen wollte (2. Sam. 15, 19 - 23). David stellte es ihm frei, zurückzukehren: „Kehre um und führe deine Brüder zurück; Güte und Wahrheit seien mit dir!“ Ittai hätte also mit voller Zustimmung des Königs nach seinem Hause zurückkehren können. Aber sein Herz begehrte nicht nach Wohlfahrt und Ruhe, selbst wenn David ihm diese freistellte, nein, es hing an der Person des Königs, und nur in Gemeinschaft mit ihm konnte er glücklich sein. Ob diese Gemeinschaft Leben oder Tod für ihn bedeutete, „an dem Orte, wo mein Herr, der König, sein wird, daselbst wird auch dein Knecht sein“.
Diese Worte erinnern uns unwillkürlich an den bekannten Ausspruch eines treuen, hingebenden Dieners des Neuen Bundes: „Nach meiner sehnlichen Erwartung und Hoffnung, dass . . . Christus hoch erhoben werden wird an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod“. 
Lieblich ist auch das Tun der drei Männer Schobi, Makir und Barsillai. Als David nach Machanaim kam, da brachten sie „Betten und Becken und Töpfergefäße, und Weizen und Gerste und Mehl, und geröstete Körner und Bohnen und Linsen und Geröstetes davon, und Honig und geronnene Milch und Kleinvieh und Kuhkäse zu David und zu dem Volke, das bei ihm war, dass sie äßen; denn sie sprachen: Das Volk ist hungrig und matt und durstig in der Wüste“ (2. Sam. 17, 27 - 29). Diese Männer dachten nicht nur mitfühlend an die Bedürfnisse Davids und seiner Leute in der Wüste, sondern führten ihre Gedanken auch aus. Wie mancher Segen geht uns; dadurch verloren, dass wir die Gedanken, wie wir anderen Liebe und Güte erweisen könnten, so leicht wieder aufgeben, statt sie in Taten umzusetzen!
Wie ernst ist der Gegensatz zwischen diesem Ammoniter Schobi und seinem Landsmann Hanun in 2.Samel 10!
Auch Makir von Lodebar, der einst Mephiboseth, den Sohn Jonathans, aufgenommen hatte, kommt hier David und seinen Männern zu Hilfe. Barsillai, der Gileaditer, erscheint ebenfalls im rechten Augenblick, um mit seiner Habe dem hungrigen und müden Volke in der Wüste zu dienen. Wie muss es das Herz Davids erquickt haben, solcher Liebe zu begegnen, und das in einer Zeit, wo solche, die Gutes von ihm empfangen hatten, sich treulos von ihm abwandten und sein eigener Sohn eine Empörung gegen ihn machte! Sein letzter Auftrag an Salomo betreffs der Söhne Barsillais (1. Kön. 2, 7) gibt Kunde davon. 
Auch heute ist der wahre David verworfen, und wir leben in bedrängten, schwierigen Tagen. Da bieten sich uns viele Gelegenheiten, Ihm Liebe und Treue zu beweisen, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat. Wollen wir nicht Seinem Herzen diese Freude machen? Wenn Er einmal gekommen ist und uns heimgeholt hat ins Vaterhaus, gibt’s solche Gelegenheiten nicht mehr. Und Sein Kommen ist nicht fern! 
Wenn wir unsere Gemeinschaft und Teilnahme an den Dingen und der Arbeit, die mit Seinem Herzen und Seinem Namen verbunden sind, zum Ausdruck bringen, so ist das für Ihn etwas von der kostbaren Narbe, deren Wohlgeruch einst Marthas Haus in Bethanien erfüllte. Er vergisst nicht die, die Sein Herz erquicken, und will auch nicht, dass sie vergessen werden. Marias Tat ließ Er niederschreiben, wie auch die Handreichungen jener Frauen, die Ihm mit ihrer Habe dienten (Luk. 8, 2. 3). Die hingebende Liebe des Gajus, der« sein Haus denen öffnete, die „für den Namen ausgegangen waren, und nichts nahmen von denen aus den Nationen“ (3. Joh. 7. 8), hat ebenfalls gebührende Erwähnung für alle Zeiten gefunden, und der Heilige Geist nennt die dem Apostel Paulus
gesandte Gabe der Philipper ,,einen duftenden Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig“. 
Wie schön und ermunternd ist es, dass Gott alles, was die drei Männer David und seinem Volke brachten, einzeln aufzählt, von den „Betten“ bis zum „Kuhkäse“! Es ist, wie wenn Er uns sagen wollte: „Seht, das alles habe ich genau beobachtet, und habe meine Freude daran gefunden, dass diese Männer an den Bedürfnissen Davids und seiner Begleiter so innigen Anteil genommen haben“. Sollte es heute anders sein? Haben solche Dinge keine Bedeutung mehr für Ihn? O, glauben wir es, der wahre David wird nichts vergessen, und Gott wird nichts vergessen, was aus Treue für Seinen Geliebten geschehen ist. (Vergl. Matth. 25, 34 - 40; Hebr. 6, 11). Alles wird seinen Platz und seine Belohnung finden, wenn der Herr Seine Getreuen und ihre Taten einst auszahlen und jedem Dienst für Ihn die gebührende Anerkennung geben wird. Die Aufzählung der« „Helden Davids“ und der Beweise ihrer Hingebung für ihn in 2. Sam. 23 und die anerkennenden Worte des Apostels in Römer 16, 1 —- 16 sind gleich ermunternd für uns.
Möchte der Geist, der jene Männer und Weiber des Glaubens erfüllte, auch uns heute mehr durchdringen, damit wir imstande sind, ihren Glauben, ihre Liebe und Hingebung nachzuahmen!

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Als er noch ein Knabe war

Bibelstelle: 2. Chronika 34

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 126ff

Es ist lieblich, von einem Gläubigen zu lesen, dass er von früher Jugend an in den Wegen seines Gottes wandelte. Noch wirkungsvoller aber wird dieses Zeugnis, wenn der betreffende Gläubige der Sohn eines Vaters war, von dem es heißt: „Er tat was böse war in den Augen Jehovas ... und opferte allen geschnitzten Bildern, welche sein Vater Manasse gemacht hatte, und diente ihnen. Und er demütigte sich nicht vor Jehova wie sein Vater Manasse sich gedemütigt hatte, sondern er häufte die Schuld" (Kap. 33,22. 23).
Josia, der König von Juda, der schon in seinem achten Lebens» jähr den Thron seiner Väter zu Jerusalem bestieg, war ein solcher Gläubiger. Von ihm wird gesagt: „Und er tat was recht war in den Augen Jehovas; und er wandelte auf den Wegen seines Vaters David und wich nicht zur Rechten noch zur Linken" (V. 2). Ähnliches berichtet der Geist Gottes von Josias Vorfahren, Josaphat und Hiskia ( Kap. 17,3; 28,2), aber den Zusatz: „er wich nicht zur Rechten noch zur Linken" finden wir bei ihnen nicht. Noch einmal sollte die „Leuchte Davids" in herrlichem Glanz erstrahlen, um dann für immer zu erlöschen, bis sie in Christo, dem wahren Sohn Davids, im Tausendjährigen Reich in unveränderlicher, vollkommener Herrlichkeit wieder aufleuchten wird.
Was in Psalm 21 durch David zum Ausdruck gebracht wird, findet voll und ganz seine Anwendung auf den jugendlichen König Josia: „In deiner Kraft, Jehova, freut sich der König (V. 1), und durch des Höchsten Güte wird er nicht wanken" (V. 7).
Josia wich nicht zur Rechten noch zur Linken, weil er in der Kraft Jehovas sein Volk regierte und auf den Herrn vertraute, dem sein Vater, der König Amon, den Rücken gekehrt hatte. Darum, obwohl er 700 Jahre v. Chr. in Jerusalem regierte, redet sein Zeugnis heute noch laut und deutlich zu unseren Herzen.
„Im achten Jahre seiner Regierung, als er noch ein Knabe war, fing er an, den Gott seines Vaters David zu suchen" (V. 3). Sicherlich lag es in der Absicht Gottes, sich in diesem jungen 16jährigen König ein Zeugnis aufzurichten und nach den treulosen Königen nochmals Seine Güte darin zu bekunden, dass Er dem Volk einen König gab, der sich schon im Knabenalter mit solcher Entschiedenheit auf die Seite des Gottes Israels stellte. Wir erkennen daraus aber auch, dass ein Zeugnis für den Herrn nicht an ein Lebensalter gebunden ist. Der Herr allem befähigt uns, Ihm im Knaben-, Jünglings-, Mannes- oder Greisenalter zu dienen und für Ihn zu zeugen. Demzufolge gebührt auch bei jedem treuen Wandel, bei jeder Tat des Glaubens Ihm allein der Ruhm.
Können wir die Stellung Josias in seiner Eigenschaft als König auch nicht unmittelbar auf uns anwenden, so kann er doch gläubigen Jünglingen, die schon in jungen Jahren einen verantwortlichen Posten bekleiden, als leuchtendes Vorbild dienen. Glückselig sind die zu preisen, die, ohne zur Rechten oder zur Linken abzuweichen, zu aller Zeit das ihnen anvertraute Pfund getreu für ihren Herrn verwalten, so wie es Josia einst tat! Die Umstände waren damals andere als heute, aber wahrlich nicht leichter. Als Josia die Regierung antrat, fand er überall im Lande Untreue, Gesetzlosigkeit und Götzendienst vor.
„Und im zwölften Jahre seiner Regierang (mithin im Alter von 20 Jahren), fing er an, Juda und Jerusalem von den Höhen und den Ascherim und den geschnitzten und den gegossenen Bildern zu reinigen" (V. 3). Wie schmerzlich muss es für sein jugendliches, aber von oben erleuchtetes Herz gewesen sein, sein Volk in einem so traurigen Verfall zu sehen! Es war das Volk Jehovas, aber welch eine Zersetzung überall, welch eine Verachtung der Gebote Gottes! Wohin das Auge blickte, nur Dinge, die den heiligen Gott aufs höchste reizen mussten! „Und man riss die Altäre der Baalim vor ihm nieder, und die Sonnensäulen, welche oben auf denselben waren, hieb er tim, und die Ascherim und die geschnitzten und die gegossenen Bilder zerschlug und zermalmte er und streute sie auf die Gräber derer, welche ihnen geopfert hatten" (V. 4). Diese Handlungen geschahen nicht nur in seinem Auftrag, wurden nicht nur durch andere in seiner Abwesenheit ausgeführt, nein, vor seinen Augen mussten sie vollzogen werden, ja, der Wortlaut lässt darauf schließen, dass er mit eigenen Händen an der Zerstörung der heidnischen Gräuel teilgenommen hat.
Er bewies Gründlichkeit und Tatkraft, gepaart mit einem glühenden Eifer für Jehova, inmitten eines dem Götzendienst ergebenen Volkes, die unsere ungeteilte Bewunderung erwecken müssen, vor allem aber die Anerkennung Gottes fanden.
„Und die Gebeine der Priester verbrannte er auf ihren Altären. Und so reinigte er Juda und Jerusalem" (V. 5)! Auch den Altar, der zu Bethel war, die Höhe Jerobeams, des Sohnes Nebats, riss er nieder und zermalmte sie zu Staub, indem er so die Prophezeiung des „Mannes Gottes aus Juda" zur Erfüllung brachte (Vergleiche 1. Könige 13; 2. Könige 23,15-20). Ja, der gesegnete Einfluss Josias ging noch über die Grenzen seines .Reiches hinaus; weite Gebiete des einstigen Zehnstämmereichs wurden davon ergriffen: „Und in den Städten von Manasse und E p h r a i m und Simeon und bis nach N a p h t a l i hin - also bis ganz in den Norden des Landes Kanaan - in ihren Trümmern ringsum riss er die Altäre nieder ... und alle Sonnensäulen hieb er um im ganzen Lande Israel " (V. 6. 7). Das Werk seiner Treue kam selbst den Teilen des Landes zugute, die schon sechzig Jahre vorher durch Salmanassar, den König von Assyrien, erobert und unterjocht worden waren. Und als er sein Werk gründlich getan hatte, kehrte er nach Jerusalem, seinem Ausgangspunkt, zurück.
Neben den äußeren Erfolgen musste eine solche Treue und Hingebung naturgemäß eine Zunahme der inneren Kraft und Erkenntnis zur Folge haben. Denn: „Glückselig der Mensch, dessen Starke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind! ... Sie gehen von Kraft zu Kraft" (*13). Das ist immer das Ergebnis eines treuen Wandels im Lichte Gottes. Im achten Jahre seiner Regierung hatte Josia angefangen, den Gott seines Vaters David zu suchen, im zwölften Jahr nahm er die gründliche Reinigung des Landes vom Götzendienst vor, und im achtzehnten Jahre ordnete er die Ausbesserung des Hauses Jehovas, seines Gottes, an (V. 8ff). Welche gesegneten Folgen und Fortschritte auf dem Wege der Treue! Unter dem Segen Jehovas erwiesen sich alle Anordnungen Josias auch als erfolgreich. Das Volk gab willig für das Haus Gottes, und man brachte Geld zu dem Hohenpriester Hilkija, und er gab es weiter „in die Hand derer, welche das Werk betrieben", und diese händigten es wiederum denen ein, „die im Hause Jehovas arbeiteten, um das Haus herzustellen und auszubessern, ...
den Zimmerleuten und den Bauleuten". Und schließlich lesen wir in Vers 12: „Und die Männer handelten getreulich".
Segen über Segen! Aber es blieb nicht dabei. Gott hatte noch Größeres und Höheres für Seinen Knecht in Bereitschaft. Die Treue Josias und sein Eifer für das Haus Jehovas führen zur Entdeckung des „Buches des Gesetzes Jehovas durch Mose". Der Priester Hilkija findet es, und Schaphan der Schreiber, überbringt es dem König, zugleich mit der guten Botschaft: „Alles was der Hand deiner Knechte übergeben worden ist, das tun sie" (V. 14-16). Und als nun Schaphan dem König Josia aus dem von Hilkija wiedergefundenen Buch vorliest, da zerreißt der König seine Kleider. Ergriffen von alledem, was er hört, und erschüttert durch die Heiligkeit des Gesetzes Jehovas, wacht sein Gewissen auf, und tiefer als je empfindet er die Verunehrung Gottes durch den Götzendienst seiner Väter und seines Volkes. Unverweilt sendet er vier jener treuen Männer, die mit Namen genannt werden, unter Führung des Priesters Hilkijas aus, um Jehova zu befragen. „Denn groß", sagt er, „ist der Grimm Jehovas, der sich über uns ergossen hat, darum dass unsere Väter das Wort Jehovas nicht beobachtet haben, um nach allem zu tun, was in diesem Buche geschrieben steht" (V. 31).
Immer wieder sehen wir, wie der jugendliche König eine seltene Glaubensenergie entfaltet, verbunden mit dem Herzensentschluss, dem von dem Volk verworfenen Gott seiner Väter in Aufrichtigkeit zu dienen.
Die fünf Abgesandten empfangen durch den Mund der Prophetin Hulda auf ihre Frage folgende Antwort: „Saget dem Manne, der euch zu mir gesandt hat: So spricht Jehova: Siehe, ich will Unglück bringen über diesen Ort und über seine Bewohner: alle die Flüche, welche in dem Buche geschrieben sind" (V 23.24). Das Gesetz war durch die gottlosen Vorgänger des Königs, insbesondere durch Ahas, Manasse und Amon, in so schrecklicher Weise übertreten und der Götzendienst war in so anstößiger, sündhafter Gestalt gefördert worden, dass das Gericht unausbleiblich sein musste. Es heißt von diesen Königen, dass sie mitsamt den Priestern und dem Volk Jehova reizten und die Treulosigkeiten häuften, bis keine Heilung mehr war. Gott ist groß an Güte und langsam zum Zorn. Aber bei all Seiner Langmut und Seiner Bereitwilligkeit zu vergeben, bleibt Er doch der gerechte und heilige Gott, dem die Sünde ein Gräuel ist. Darum das weitere Wort durch den Mund der Prophetin: „So hat mein Grimm sich über diesen Ort ergossen, und er wird nicht erlöschen".
Es ist wohl nicht bedeutungslos, dass die Prophetin Hulda zuerst spricht: „Saget dem Manne, der euch zu mir gesandt hat". - Als Mensch stand Josia auf dem gleichen Boden wie die übrigen. Das dem Volk schon zu Hiskias Zeiten angekündigte Gericht konnte nicht aufgehalten werden. Aber als „der König von Juda" (V. 26), der den Pfad des Glaubens wandelte und sein Volk zur Gottesfurcht anhielt, wurde er ein Gegen» stand der Gnade und empfing kostbare persönliche Verheißungen. Ihm wird gesagt: „Weil dein Herz weich geworden und du dich vor Gott gedemütigt ... und deine Kleider zerrissen und vor mir geweint hast, so habe ich es auch gehört, spricht Jehova. Siehe, ich werde dich zu deinen Völkern versammeln ... in Frieden, und deine Augen sollen all das Unglück nicht ansehen usw." (V. 27,28). Wenn wir in Verbindung mit diesen Worten an den Tod Josias denken, wie er im Kampf gegen den Pharao Neko von Ägypten fiel (Kap. 35), so werden wir unwillkürlich an eine Stelle in dem Propheten Jesaja erinnert: „Der Gerechte kommt um, und niemand nimmt es zu Herzen, und die Frommen werden hinweggerafft, ohne dass jemand es beachtet, dass der Gerechte, vor dem Unglück hinweggerafft wird. Er geht ein zum Frieden; sie ruhen auf ihren Lagerstätten, ein jeder, der in Geradheit gewandelt hat" (*14).
Jesaja redet von den letzten Tagen der Geschichte Israels als schuldige, verantwortliche Nation. Noch lieblicher ist allerdings der Gedanke an die Gläubigen unserer Tage, an die Glieder des Leibes Christi. Sie stehen gerechtfertigt aus Glauben, abgesondert von dem gegenwärtigen Zeitlauf, als Priester und Könige vor Gott. Sie sind sichergestellt vor dem nahenden Gericht, das mit der „Erscheinung" unseres hochgelobten Herrn über die Welt hereinbrechen wird, so wie Josia, der wegen seiner Treue und Demut und seiner Tränen zu seinen Vätern versammelt werden sollte in Frieden. Seine Augen sollten all das Unglück nicht sehen, das über Jerusalem und seine Bewohner kommen sollte. Auch die Gläubigen der Jetztzeit werden das über die Erde hereinbrechende Gericht nicht sehen. Sie werden entweder wie Josia in Frieden entschlafen und bei der „Ankunft" des Herrn auf er weckt werden, oder sie werden übrigbleiben bis zu dieser Ankunft, und dann verwandelt werden, um mit den auf erweckten Heiligen dem Herrn entgegengerückt zu werden in die Luft und so für alle Zeit bei Ihm zu sein.
Wie kostbar, dass der Herr dem frommen König reine Demütigung und persönliche Treue so hoch anrechnete! Josia demütigte sich, obwohl er persönlich schuldlos war, wie Daniel in einer späteren Zeit (Dan 9). Beide Männer bekannten den vollständigen Verfall des Volkes, der Väter und ihrer Söhne, als Folge des allgemeinen Ungehorsams, und Gott begegnete und antwortete ihnen in erbarmender, die persönliche Treue anerkennender Liebe. Liegt darin nicht eine ernste und zugleich ermunternde Mahnung auch für uns in unseren Tagen, so verschieden die Umstände und Beziehungen zwischen uns und Israel auch sein mögen?
Das erschütternde Urteil Jehovas über Jerusalem und das Zweistämmereich hatte auf das Herz des Königs aber noch eine andere Wirkung. Er demütigte sich nicht nur mit tiefem, aufrichtigem Schmerz, antwortete auch nicht wie sein Vorfahr Hiskia in ähnlicher Lage dem Propheten Jesajas: „Das Wort Jehovas ist gut, das du geredet hast ... Nicht wahr, es wird Friede und Bestand sein in meinen Tagen?" ("'15). Nein, er „sandte hin und versammelte alle Ältesten von Juda und von Jerusalem. Und der König ging hinauf in das Haus Jehovas, und alle Männer von Juda und die Bewohner von Jerusalem und die Priester und Leviten, und alles Volk, vom Größten bis zum Kleinsten; und man las vor ihren Ohren alle Worte des Buches des Bundes, das im Hause Jehovas gefunden worden war" (V. 29-30).
Das Bewusstsein, dass Jehova das angekündigte Gericht ausüben würde, steigerte die Hingebung des Königs im Dienste Jehovas nur noch mehr. Das ganze Volk, vom Größten bis zum Kleinsten, musste vor den Herrn gestellt werden, alle, die Priester und Leviten an der Spitze, mussten dahin gebracht werden, sich vor Jehova zu demütigen. Das Mittel dazu war Gottes Wort, der Anlass die Treue eines einzelnen Menschen. Josias Entschiedenheit riss alle mit sich fort. Alle Ältesten von Juda und Jerusalem und die Bewohner von Jerusalem und alles Volk mit den Priestern und Leviten versammelten sich, und man las vor ihren Ohren alle Worte des Buches. „Und der König stand auf seinem Standort und machte den Bund vor Jehova, Jehova nachzuwandeln und Seine Gebote ... zu beobachten mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele ... Und er ließ alle in den Bund treten ... Und Josia tat alle Gräuel hinweg aus allen Ländern, welche den Kindern Israel gehörten, und er hielt alle an, ... Jehova, ihrem Gott, zu dienen. Alle seine Tage wichen sie nicht ab von der Nachfolge Jehovas, des Gottes ihrer Väter" (V. 31 - 33).
Wir wiederholen: Welche wunderbaren Ergebnisse der treuen Entschiedenheit eines einzelnen Menschen in Zeiten allgemeinen Verfalls! Wie ermuntern sie uns zu gleicher Treue und Hingebung! Mag unser Einfluss auch entfernt nicht so weit reichen wie der des Königs Josia, vielleicht nur ein ganz bescheidenes Plätzchen mit kleinstem Wirkungskreis uns beschieden sein - dennoch erwartet unser Gott Treue von uns, und diese Treue wird nicht ohne Wirkung auf unsere Umgebung Hubert. Zugleich möchte der Herr auch bei uns ein verständnisvolles, liebendes Eingehen in Seine Gedanken bezüglich der Einheit und Zusammengehörigkeit Seines ganzen Volkes sehen und einen Gehorsam finden, der sich vor allen Worten Seines Buches beugt und alle Gebote liebt. Dieser Gehorsam gegen Gottes Wort kennzeichnet alle Erweckungszeiten, nicht immer mit gleicher Kraft, aber er fehlt nie. So war es auch in dem vorliegendem Fall. Das wiedergefundene Buch belehrte den König und seine Getreuen über den Anfang der Geschichte Israels und führte sie zurück zu Gottes unveränderlichen Gedanken über Sein Volk. So untreu und wankelmütig Israel gewesen sein mochte, Gottes Gnadengaben und Seine Berufung bleiben unbereubar. Das Wort, welches Er mit ihnen eingegangen war, als sie aus Ägypten zogen, und Sein Geist bestanden noch in ihrer Mitte (Vergl. Haggai 2. 5). „Und Josia feierte dem Jehova Passah zu Jerusalem; und man schlachtete das Passah am vierzehnten Tage des ersten Monats" so wie Moses es vorgeschrieben hatte (Kap. 35). In den Tagen Hiskias musste es im zweiten Monat gefeiert werden (vergl. 4. Mose 9,9 -1 2), „weil die Priester sich nicht in hinreichender Anzahl geheiligt hatten und das Volk  noch nicht nach Jerusalem versammelt war" (Kap. 30. 3).
Wie in Vers 19 besonders betont wird, wurde dieses Passah im achtzehnten Regierungsjahre Josias gefeiert, d. h. in demselben Jahr, in dem die Ausbesserung des Hauses Jehovas begann. Beide Dinge gingen Hand in Hand. Das will sagen: Ohne die Verwirklichung der Wahrheit, dass Jehova in der Mitte Seines Volkes wohnte, wäre die Feier des Festes wohl nicht möglich gewesen, vor allem nicht in der Weise, wie sie gehalten wurde. Denn „es war kein solches Passah in Israel gefeiert worden wie dieses, seit den Tagen Samuels, des Propheten; und alle Könige von Israel hatten kein Passah gefeiert wie dasjenige, welches Josia feierte ..." (V. 18).
Zu gleicher Zeit wurde der ganze Dienst Jehovas auf alter Grundlage und „nach der Vorschrift" wieder eingerichtet; Priester, Leviten, Sänger, Torhüter - alle „standen an ihrer Stelle" und vollführten ihren Dienst den lang vergessenen Bestimmungen gemäß, die man in dem Buche Gottes vorfand. Dass dies alles „zu unserer Belehrung geschrieben ist", brauche ich kaum zu sagen. Es redet in so vernehmlicher Sprache zu uns, dass eine weitere Erklärung fast als überflüssig erscheinen möchte. Und doch, wie wenig werden diese Dinge verstanden und verwirklicht! Wo findet man im allgemeinen diese Beugung und Demütigung über den Verfall des Hauses Gottes? Wo dieses Zittern vor dem Worte Gottes? die Umkehr zu dem, „was von Anfang war"? die gemeinsame Feier des Festes der Erlösung des ganzen Volkes Gottes? die Einrichtung des „Dienstes" im Hause Gottes nach Gottes Gedanken und Vorschriften? Steht nicht überall der Mensch mit seinen guten Meinungen, Anordnungen und Einrichtungen im Vordergrund? O möchten doch alle die Geliebten Gottes in diesen Tagen des Endes mit Herzensentschluss allem entsagen, was nicht den neutestamentlichen Anordnungen entspricht über die Frage, „wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist"! Ja, Gott gebe uns Männer, die mit stets wachsender Energie und Treue Seinem Volk die Wege zeigen, die Ihm gefallen und Seinem Worte entsprechen!

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Ein einfaches Wort zur Jugendfrage

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 137ff

In den letzten Jahren ist die Frage oft aufgeworfen worden: „Was tun wir für unsere christliche Jugend?“ Man hat viel darüber geredet und geschrieben. Manches Gute ist auch bereits in dieser Beziehung getan worden. Dass die Frage ernst und wichtig ist, wird kein einsichtsvoller Christ bestreiten. Wenn ich nun im Nachstehenden auch einige kurze Gedanken darüber äußere, so geschieht es nicht in der Meinung, etwas Neues, bisher noch nicht Ausgesprochenes zu bringen. Im Gegenteil, ich möchte auf ein altes, uns allen wohlbekanntes Wort der Schrift aufmerksam machen, das vielleicht gerade deshalb, weil es so alt und wohlbekannt ist, nicht mehr die ihm gebührende Beachtung findet.
Das Wort Gottes ist, wie in allem anderen, so auch in dieser Frage der allein maßgebende Führer, und es lässt uns nicht im Stich. Ja Psalm 119, 9 wird von seiten des Geistes Gottes selbst die Frage erhoben: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln?“ Die Frage ist einfach und bestimmt, und ebenso einfach und bestimmt lautet die Antwort: „Indem er sich bewahrt (eig. auf der Hut ist) nach Deinem Wort“. Damit wird uns das alte, bewährte, ja, ich möchte sagen, das allein richtige Mittel in die Hand gegeben, um den jüngeren Seelen in unserer Mitte in der rechten Weise zu dienen. Und im Anschluss daran möchte ich an jeden einzelnen der älteren Brüder und Schwestern die freundliche Frage richten: Hast du wirklich Interesse an den jungen Seelen um dich her? Beschäftigst du dich mit ihnen und gedenkst du ihrer in deinen Gebeten? Suchst du ihnen näher zu kommen und mit dein Worte Gottes zu dienen? 
Wie dankbar sind im allgemeinen solch junge Leute für ein freundliches Wort der Ermunterung und selbst der Ermahnung! Wie empfinden sie es wohltuend, wenn das Auge der Liebe (nicht der Strenge oder gar des Argwohns) über sie macht! Freilich bedarf es der Weisheit von oben, um jede einzelne Seele nach ihrer Eigentümlichkeit und besonderen Veranlagung behandeln zu können; zugleich ist eine nähere Bekanntschaft dazu. nötig, und um diese zu erlangen, müssen wir unsere Herzen wiederum mit der Liebe Christi füllen lassen. Aber kein Bruder, keine Schwester kann sich der Verantwortlichkeit in dieser Hinsicht entziehen. Manche entschuldigen sich mit der Ausrede: „Ich habe keine Gabe, mich mit jungen Leuten zu beschäftigen“. Dass es besondere Gaben auf diesem, wie auf
jedem anderen Gebiet gibt, wird niemand bestreiten; aber so wichtig und wertvoll sie sind, handelt es sich doch hier weniger um Gabe, als um ein Herz voll Liebe und Interesse. Und wo wahre Liebe, göttliche Liebe, wohnt, kommen Interesse und Befähigung von selbst. 
Gewöhnlich beschäftigt man sich mit den jungen Seelen erst dann eingehend, wenn sie sich zur Teilnahme am Tische des Herrn melden, und dann entstehen oft gerade dadurch Schwierigkeiten, dass man den persönlichen Zustand, die innere Entwicklung der betreffenden Seele gar wenig kennt. Die augenblicklichen Eindrücke bei den stattfindenden Unterredungen trügen leicht. Es gibt junge Gläubige, die mit gutem Verständnis alle an sie gerichteten Fragen einwandfrei beantworten können, deren ganzes Wesen auch Vertrauen erweckt, und doch fehlt ihrem praktischen Leben die Entschiedenheit, ihrem Zeugnis die Einfalt, ihrem Wandel die Treue. Andere, zum Reden wenig begabte, von Natur schüchterne Seelen bleiben manche Antwort schuldig, gehen nicht aus sich heraus und erwecken dadurch vielleicht einen weniger günstigen Eindruck, während sie in ihrem Verhalten im täglichen Leben ein gutes Zeugnis haben und wahre Liebe zum Herrn beweisen. 
An vielen Orten finden erfreulicher Weise regelmäßige Zusammenkünfte der jungen Brüder und Schwestern statt, woran sich vielfach auch einzelne ältere Geschwister beteiligen, die ein besonderes Interesse für die Sache haben. Es wäre wünschen5wert, wenn man möglichst überall diesem Beispiel folgen und die Zusammenkünfte, neben der Pflege der geschwisterlichen Gemeinschaft und Geselligkeit, vor allem zur Besprechung des Wortes und zu gemeinsamem Gebet benutzen würde. Wo man in solcher Weise im Ausblick zu Gott zusammenkommt, wird der Segen nicht ausbleiben. Immer wieder aber sei auf die Wichtigkeit des Wortes Gottes aufmerksam gemacht, als des einzigen
Heil- und Bewahrungsmittel für jung und alt. Gott sei ewig Dank für diese Seine kostbare Gabe! Auf dieses Wort zu hören ist „das gute Teil“, das Eine, was not ist. (Luk. 10, 42.) O möchten unsere jungen Geschwister viel den Platz einnehmen, den Maria in Bethanien einst einnahm! Dann werden sie reiche Fortschritte machen, dann gibt`s Kraft zu einem gottseligen Wandel· Die jugendlichen Lüste verlieren an Einfluss, die weltlichen Dinge an Reiz, und der Herr wird immer wertvoller für das Herz. 
Die Älteren unter uns, die schon seit vielen Jahren auf dem Wege des Glaubens sind, haben dieselben Gefahren kennen gelernt, die heute den Jünglingen und Jungfrauen drohen, und wir haben in denselben stets erfahren dürfen, dass das Wort Gottes unseres Weges helles Licht war, und dass unsere Füße vor Straucheln bewahrt geblieben sind, wenn wir auf feine treuen Weisungen und Mahnungen achteten. 
Vielfach muss man heute die Erfahrung machen, dass die jüngeren Gläubigen in unserer Mitte wenig zu schätzen missen, welch kostbare Segnungen uns der Herr geschenkt hat, indem Er uns zu dem zurückführte, »was von Anfang war«. Sie haben die Wahrheiten vielfach nicht zu „kaufen“ brauchen, ich meine, es hat sie nichts oder nicht viel gekostet, sie anzunehmen, sie sind im Gegenteil von Jugend auf darin unterwiesen worden; darum sind sie auch leicht geneigt, sie wieder um einen geringen Preis zu „verkaufen“. Und während man früher nicht genug die guten Schriften, die wir besitzen lesen konnte, werden sie heute vielfach vernachlässigt.
Zum Schluss möchte ich alle Geschwister herzlich bitten, mit Ernst und unter Gebet die Frage zu erwägen: Was kann ich an meinem Teile tun, um an Hand des Wortes Gottes zu einer befriedigenden Lösung der Jugendfrage beizutragen?
„Weide meine Lämmlein!“
„Hüte meine Schafe!“

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Melchisedek

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 141ff

II.
„Gesegnet sei Abram von Gott, dem .Höchsten, der Himmel und Erde besitzt!“ (1.Mose 14, 19).
Nachdem wir uns im bisher mit dem Melchisedek-Priestertum Christi vornehmlich in seiner Beziehung
zu Gott beschäftigt haben, bleibt uns noch übrig zu betrachten, was es dem Menschen gegenüber ist.
Der Gegenstand des Segen:-, von dem unsere Stelle redet, ist Abraham. — Melchisedek segnet ihn von „Gott, dem Höchsten, aus, der Himmel und Erde besitzt“. In natürlichem Sinne betrachtet, ist Abraham der Vater des Volkes Israel. „Ich weiß, dass ihr Abrahams Same seid“, sagt der Herr zu den Juden. (Joh. 8, 37.) So steht er denn hier vor unseren Blicken als der Vater Israels, und in Israel des Segens vieler Nationen; und es ist der König der Gerechtigkeit und des Friedens, der ihn von seiten des höchsten Gottes segnet. Mit anderen Worten: der Vertreter des natürlichen Samens Israels empfängt von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt, die ganze Fülle irdischer Segnungen. Sie fließen von oben auf ihn herab.“
Aber Abraham war, wie wir wissen, auch der Vertreter des Samens, der die himmlischen Örter besitzen soll, der Vertreter von Christo und von uns. „Wenn ihr aber Christi seid“, lesen wir in Gal. 3, 29, „so seid ihr denn Abrahams Same und nach Verheißung Erben“, und im 9. Verse desselben Kapitels: „Also werden die, welche aus Glauben sind, mit dem gläubigen Abraham gesegnet“. So stand er denn auch da als unser Vertreter (obgleich damals alles noch verborgen war und seiner zukünftigen Entwicklung harrte), und der Segen des Höchsten, der ja Besitzer des Himmels ist, fand auch seinen heutigen Bereich oder Umfang: die, welche in Jesu sind, waren geradeso gut vergegenwärtigt wie die, welche von der Erde sind, alle waren gleichsam in Ihm in eins zusammengebracht. Der Titel, den Gott hier annimmt, der Priester selbst, wie auch der Gegenstand der Segnung — alles trägt den Charakter umfassender Allgemeinheit, entsprechend dem „Geheimnis Seines Willens nach Seinem Wohlgefallen, das Er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus« (Eph. 1, 9. 10), die Juden als Gegenstände und Kanäle irdischen Segens, und uns als solche, die in die himmlischen Segnungen versetzt sind, Priester mit Ihm, Diener und Vermittler dieser Segnungen und obendrein Könige. 
So unterscheidet sich das in unserer Stelle zur Ausübung kommende Priestertum in der deutlichsten Weise von dem Priestertum Aarons. Das letztere war ein Priestertum der Vermittlung oder Verwendung: „Er lebt immerdar, um sich für uns zu verwenden“, für uns, die Heiligen Gottes, in ihrer Schwachheit; wir sind der fortwährende Gegenstand Seiner nie fehlenden und wankenden Fürsorge und Verwendung. In der Gegenwart Gottes für uns erschienen, vertritt Er uns allezeit; und auch das irdische Volk Gottes, obschon es unter der Wolke Seiner Verwerfung steht und darauf wartet, dass sein großer Hoherpriester aus dem Heiligtum heraustrete, zum Zeugnis dafür, dass das ins Heiligtum getragene Sühnungsblut Annahme gefunden hat, wird (trotz seiner gerichtlichen Verblendung) äußerlich noch als Gottes Volk aufrecht gehalten durch den vermittelnden Dienst Christi, und zwar so lang, bis Er wieder hervortreten und es segnen wird im Namen Jehovas 
Wir wissen, dass Er sich zur Rechten der Majestät droben gesetzt hat. Israel weiß es nicht. Wir schauen schon durch den zerrissenen Vorhang in das Allerheiligste und sehen unseren Jesus dort sitzen, und obwohl wir sehnend die Stunde Seiner Wiederkehr erwarten, sind wir doch glücklich und zufrieden, weil wir wissen, dass Jesus dort verherrlicht ist und nun darauf wartet, Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt zu sehen. Wir wissen ferner, dass die Langmut unseres Gottes Errettung ist, und dass Er mit dem Gericht nur deshalb zögert, weil Er gnädig ist und noch viele Sünder erretten möchte. Ja, noch über ein gar Kleiner-, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“. 
Ich wiederhole also: die priesterliche Tätigkeit Melchisedeks bestand nicht in Verwendung, sondern in
Segnung — Segnung von seiten des höchsten Gottes und Segnung oder Verherrlichung des höchsten Gottes von seiten des Menschen. Das sind die beiden Seiten des Priesterturns in seinem Melchisedek-Charakter: der König der Gerechtigkeit und des Friedens segnet den für das Auge und Herz Gottes annehmlichen Samen, und zugleich steigt von ihm Lob und Dank zu Gott empor. Ein kostbarer, erquickender Gedanke, nicht wahr? Das Böse ist entfernt, und der Segen kann ungehindert fließen durch den großen Hohenpriester, den Priester Gottes, des Höchsten, der Himmel und Erde besitzt. Wie verlangen unsere Herzen nach jenem Tage, nach dem Hervortreten Dessen, nach dem wir uns heute noch sehnen, nach der allgemeinen Segnung des Himmels und der Erde von seiten des höchsten Gottes! 
Welche Freudenbotschaften werden an jenem Tage verkündigt und umhergetragen werden! Wie werden Himmel und Erde wiederklingen von dem willkommenen Zeugnis der Segnung der „Himmlischen“, wenn dann der irdische Same Abrahams seinem Lobe ungehindert Ausdruck geben und „die Knechtschaft des Verderbnisses“ von der Schöpfung weggenommen sein wird! Denn obwohl Gott immer freundlich ist und der Schöpfung Seine Güte erwiesen hat und erweist, liegen doch Schranken und Hemmnisse auf ihr, und sie seufzt so lang, bis die seligen Empfänger der Erbschaft Gottes, die Miterben Christi, als Kinder Gottes in „Freiheit der Herrlichkeit“ geoffenbart werden. (Römer 8, 21). Denn da die Erben Gottes, „die Versammlung der Erstgeborenen“, Schuld tragen an dem Sklavenzustand der Schöpfung, kann diese nicht ohne die Offenbarung der Freiheit jener glücklich werden; und andererseits würde doch eine Wolke auf der Stirn der Erben Gottes lagern, wenn die Schöpfung nicht an ihrer Befreiung teilnehmen würde. Denn nicht der weithin ausgebreitete Same Abrahams ist die einzige Sache, um die es sich hier handelt; nein, wir sagten es schon, Dank und Preis steigen auch nach oben, zu Gott empor: „Gepriesen sei Gott, der Höchste, der deine Feinde in deine Hand geliefert hat!“
Diese letzte Segnung kommt erst nach der völligen Vernichtung der Feinde des Volkes Gottes, nach dem Siege über die versammelten Könige und Großen der Erde, „die Heerschar der Höhe in der Höhe und die Könige der Erde auf der Erde“ (Jes. 24, 21). Denn da ist ein höchster Gott, der beide, Himmel und Erde, besitzt, und ein König Melchisedek, König von Salem, wo der Lobgesang schweigend des Gottes der ganzen Erde harrt. So wird denn in der Höhe und in der Tiefe, im Himmel und auf Erden, in dem Mittelpunkt beider das Lob seinen Widerhall finden, in Ihm, der eins ist mit dem Vater, dem höchsten Gott, und der zugleich die Sache des Samens Abrahams auf sich genommen hat und bald hervortreten wird in Seiner königlichen Herrlichkeit, um uns von seiten Gottes zu segnen und Gott zu preisen von uns aus — Er, der Mensch des Segens, der segnende Mensch und zugleich Jehova, der Höchste, selbst. 
Doch lasst mich noch einmal betonen, in Verbindung mit dem bisher Gesagten, dass Segen und Erquickung erst kommen werden nach und infolge der Vernichtung aller Feinde derer, die durchs Abraham vergegenwärtigt werden, der Niederwerfung aller derer, welche die Erde verderben, und ihrer Zerstörung durch des; Herrn Macht. Denn jeder Sieg ist in gewissem Sinne auch eine Ermüdung, ein Druck; er bringt neben der Siegesfreude Abspannung und eine Art von Unbefriedigtsein mit sich.. Würden wir niemand haben, dem wir nach dem Siege begegneten, so bliebe uns das schmerzliche Bewußtsein der durch den Sieg verursachten Zerstörung; denn wenn diese auch zu unserer Befreiung notwendig sein mag, bleibt sie doch immer Zerstörung, Gericht, Gottes „befremdendes Werk“. So ist es aber nicht im vorliegenden Falle. mit den Befreiten, weder mit uns noch mit dem Überrest aus Israel am Ende der Tage, betreffs dessen wir lesen: „Jeder Streich der verhängten Rute, die Jehova auf ihn herabfahren lässt, ergeht unter Tamburin- und Lautenspiel“ (Jes. 30, 32), d. h. also mit dem lauten, jubelnden Ausdruck der Freude der Befreiung. 
Wird dann denn auch jemand da sein, um Sein Volk zu erquicken? Ja, Christus, der wahre König der Gerechtigkeit und des Friedens, wird hervortreten, um zu segnen. Er wird Brot und Wein herausbringen, das Brot Salems, wo Er, der König, wohnt, der aber jetzt als der Diener der Sieger erscheint, um ihnen die Freude der Befreiung und die Erquickung der Liebe darzureichen: den neuen Wein des Reiches für ihre ausgedörrten Lippen, damit sie sie aufzutun vermögen zum Preise Dessen, der, so groß und erhaben Er sein mag, ihn selbst zu ihnen herausbringt — ihr Melchisedek, der das Joch von ihrem Nacken nimmt und sie sich lagern lässt an reichgedeckter Tafel. O welch eine wunderbare Person ist Er! Wie verbindet sich in Ihm selbstverleugnende Liebe und wahrhaftige Demut mit unendlicher Größe und Erhabenheit! Denn wenn Er auch einerseits als Diener des Segens erscheint, wird doch andererseits ohne allen Widerspruch das Geringere von dem Besseren gesegnet. (Hebr. 7, 7). 
Indem wir hiermit schließen, drängt sich wohl dem Leser wie dem Schreiber unwillkürlich der Wunsch auf: O möchte der Segen Melchisedeks, Christi, unseres Herrn, des Königs des Friedens, mehr in unserem Geist und Inneren wohnen! Möchten wir ihn besser erkennen und im Vorbilde schon jetzt als unser freudevolles Teil genießen, während Er noch im Heiligtum droben weilt und uns allezeit dort vertritt! Er, das Haupt, der treue Zeuge Gottes, ist auch der Anführer all unseres Lobes, sowohl in dem Zeitalter der Fülle des Segens (ja, selbst dann noch, wenn Gott einmal „alles in allem“ sein wird), wie auch jetzt bei den armen und schwachen Zusammenkünften Seiner Heiligen. 
Wir wissen aus Erfahrung, wie unvollkommen unser Erkennen und Genießen all dieser Dinge ist. Sollte aber die mit ungeschickter Hand berührte Saite Gedanken und Gefühle des Lobes in den Herzen der Leser geweckt haben, o möchte dann der Geist unseres Gottes den angeschlagenen Ton zu einem herrlichen Liede sich ausgestalten lassen! Freilich werden unsere besten Lieder und schönsten Melodien immer nur armselige und schnell verhallende Anklänge an jenes neue Lied bedeuten, das wir bald droben in herrlichen, nie endenden Weisen singen werden. Wie herrlich die Melodie des Himmels, das ewige Lob des Lammes, sein wird, davon haben wir heute keine Ahnung. Aber je mehr wir uns mit der Hoffnung und der Herrlichkeit des Segens beschäftigen, der nicht nur auf dem Haupte Christi ruht, sondern auch in Seinem Herzen ist gegen die Erlösten Gottes, desto mehr werden wir schon hienieden davon genießen.
Es ist uns allen bekannt, dass wir einmal mit Christo herrschen sollen. Aber fürwahr, es gibt noch ein besseres Teil, als Herrschen! Wir sind berufen, Segen zu ererben, ja, bei Ihm zu sein und Seine Herrlichkeit zu schauen. Dennoch wird auch Sein Herrschen eine Quelle reicher und lieblicher Segnungen für die dann befreite Erde werden, und wir werden daran teilnehmen. Wenn in Offenbarung 11, 15 laute Stimmen in dem Himmel sprechen: „Das Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus ist gekommen, und Er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“, so fallen die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen, auf ihre Angesichter und beten Gott an. Sie haben mit den lebendigen Wesen ein besonderes Verständnis für das, was geschehen ist.

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Überwinder

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 148ff

„In diesem allem sind wir mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat“ (Römer 8, 37).
Wir alle möchten gern „Überwinder“ sein. Aber wie können wir es werden? Sicher nicht durch eigene Kraft. Es ist nur möglich in der Kraft eines Anderen, und ehe uns diese zuteil wird, müssen wir unsere eigene gänzliche Kraftlosigkeit erkannt haben.
Aus der Geschichte Jakobs lernen wir, wie Gott ihn erst zerbrechen musste, ehe Er von ihm als einem Überwindet reden konnte. Jakob schätzte die Verheißungen Gottes; er war kein Gottloser wie Esau. Aber er schätzte den Segen Gottes, weil er ihm etwas einbrachte, nicht, weil es Gottes Segen war.
Abraham wurde herausgerufen aus Familie und Heimat, um sich von Gott segnen zu lassen: „Ich will dich segnen“. Das Vertrauen auf Gottes Segen bewahrte ihn davor, seine Augen wie Lot nach der Ebene Sodoms zu richten, und machte ihn zum Überwinder, indem er sich weigerte, einen Faden oder Schuhriemen von dem König Sodoms anzunehmen. Er wollte nicht von diesem heidnischen König, sondern von Gott gesegnet sein. Seine Augen blickten nach der Stadt, die Grundlagen hat, deren
Baumeister und Schöpfer Gott ist (Hebr. 11, 10). 
Jakob war immer beschäftigt, Pläne für sich selbst zu machen. Infolge seines Betrugs musste er aus dem Lande fliehen, in welchem einst Abraham und jetzt Isaak als Fremdlinge weilten. Nur mit einem Stabe überschritt er den Jordan. Durch Mühe und Arbeit, mit Geschick und List kam er schließlich in den Besitz zweier Herden. Aber wie im Anfang, so erfüllt auch jetzt Furcht sein Herz; denn Esau zieht ihm entgegen. In seiner Not schreit er zu Gott um Errettung. Obgleich ihm zu Machanaim das Heerlager Gottes erscheint — die Engel, die er auch in Bethel gesehen hatte — fehlt ihm doch das Vertrauen auf Gottes Kraft. Seine Wege sind deshalb dieselben wie früher; er ist wieder dabei, Pläne zu machen. Er überlegt, wie er den am besten besänftigen und versöhnen kann, den er einst betrogen hatte, und den er nun „seinen Herrn Esau“ nennt. Herde auf Herde von Vieh, Kamelen und Eseln sendet er als Geschenk Esau entgegen, und zuletzt führt er seine Weiber und Kinder über die Furt des Jabbok. Endlich bleibt er, der Mann, um den er am meisten sorgte, allein zurück. 
Jakob meint wenigstens allein zu sein. Aber Einer wacht über ihm und sieht alle seine Wege. Und dieser Eine hatte gehört, was Jakob gebetet hatte, dass er zu gering sei all der Gütigkeiten und Treue, die ihm auf seinen Wegen begegnet waren, und dieser Eine beobachtete auch alle seine gegenwärtigen Wege. Gott konnte diese Wege nicht unterstützen. Er ringt mit Jakob bis zum Anbruch des Morgens. Wie wunderbar! Gott ringt mit Jakob! Wir hören nie, dass Er mit Abraham gerungen  habe. Es gab keinen anderen Weg für Gott, wenn Er Jakob segnen wollte; aber Jakob gibt nicht nach. Das war eine schwere Nacht! Jakob verteidigt sich mit aller Macht. Die ungebrochene Natur, das Fleisch, will sich nicht überwinden lassen. Beachten wir jedoch: Gott ringt nicht mit ihm, weil Er wider ihn ist, sondern weil Er das in ihm niederringen will, was Ihn hinderte, ihn zu segnen, und was Jakob hinderte, im Glauben an Gottes Segen und Kraft und in Gottes Gemeinschaft zu wandeln. Von beidem hatte Jakob kein klares Bewusstsein, weder von seiner ungebrochenen Natur und seiner bisherigen Untreue, noch von Gottes Kraft und dem Segen Seiner Gemeinschaft. Aber voll Erbarmen ringt Gott mit ihm, nicht „in der Größe Seiner Macht“, sondern wie „ein Mann“. 
Ein seltsamer Kampf, aber ein Kampf, den auch wir kennen, und der vielen von uns schon viel Schmerz bereitet hat. Zuletzt berührt Gott das Gelenk der Hüfte Jakobs, den Sitz der menschlichen Kraft, und verrenkt es, sodass das widerstreitende Fleisch lahmgelegt wird. Zusammengebrochen kann Jakob nun nichts anderes mehr tun, als sich an die Kraft klammern, die ihn zerbrochen hat. Hier
liegt das Geheimnis des Sieges. Jetzt ringt Gott nicht mehr mit Jakob, sondern, aller eigenen Kraft beraubt, erwartet Jakob jetzt alles von Gott. Er ist auch nicht mehr der für sein eigenes Wohl plänemachende Überlister, sondern der ernste Ruf dringt aus seinem Herzen zu Gott empor, dass Er ihn segnen möge: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet“. 
Wie entspricht nun Gott der Bitte Jakobs? In einer sehr einfachen Weise. Er macht ihn los von sich selbst. 
Es ist wohl schwer zu sagen, inwieweit Jakob das alles erfasst hat. Aber auch wir erfassen nicht immer voll und ganz das, wag Gott uns lehren will, aber wir erleben Augenblicke, in welchen wir es so unmittelbar mit Gott zu tun haben, dass sie uns unvergesslich bleiben, und in denen wir anfangen zu lernen, dass das Geheimnis des Segens nicht in uns, sondern in Ihm liegt. 
Gott tat das, was nur Er allein tun kann. Er stellte Jakob auf eine ganz neue Grundlage, indem Er ihn hinwegführte von dem alten Boden der Natur, dem in der Vergangenheit schon so viel Untreue, so manche Frucht des Unglaubens entsprossen war. Und wie geschah das? Gott fragt: „Was ist dein Name?“ — Jakob, d. i. der Fersenhalter, der Überlister. Sein Name offenbarte sein Wesen, das, was er von Natur war. Gott gibt ihm einen neuen Namen in Verbindung mit sich selbst: „Nicht Jakob soll hinfort dein Name heißen, sondern Israel“. Der niedergebrochene, in seiner eigenen Kraft völlig gelähmte Mann ist ein „Kämpfer Gottes“; „denn“, so sagt Gott, „du hast mit Gott und mit Menschen gerungen und hast obgesiegt“. Jakob besitzt jetzt das Geheimnis des Sieges, denn er hat gelernt, dass seine Kraft in der Kraft eines Anderen besteht. 
Aber obwohl unser Patriarch in dieser Stunde einen neuen Namen von Gott empfing, kannte er selbst doch noch nicht den Namen Dessen, der mit ihm rang. Er erhielt auf seine Bitte: „Tue mir doch deinen Namen kund!“ eine ablehnende Antwort. Die ungetrübte Gemeinschaft mit Gott, die Abraham genoss, war nicht sein Teil. Wohl wusste er, dass der Mann, der mit ihm rang, Gott war, denn er sagt: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht  gesehen, und meine Seele ist gerettet worden“. Aber die Offenbarung des Namens Gottes empfing er hier nicht. Er wusste, wie gesagt, dass der „Mann“, der ihn in seiner natürlichen Kraft zerbrochen hatte, der Gott war, der allein ihn segnen konnte; aber Gottes Namen kennen heißt Ihn selbst kennen in Seinem Wesen, als das, was Er ist. 
Ehe Gott Seinen Namen mit Jakob verbinden konnte, gab es noch viel bei ihm und in seinem Hause zu ordnen. Es ist auch wohl nicht bedeutungslos, dass Gott während der Lebenszeit Jakobs niemals der Gott Jakobs genannt wird· Jakob stieg nicht hinauf zu der Höhe der Gedanken Gottes. Deshalb konnte er auch bei Sichem (Kap. 33,17 —- 20) für sich ein Haus bauen und seinem Volke Hütten errichten, sowie das Feldstück, auf welchem er sein Zelt aufgeschlagen hatte, durch Kauf zu seinem Eigentum machen. Wohl zeigt der Name, den er dem von ihm erbauten Altar beilegt: „Gott, der Gott Israels“, dass er das Bewusstsein seines neuen Namens besaß und wertschätzte; aber zu dem neuen Namen gehört auch ein neuer Platz, und da war Jakob noch nicht angelangt. Sichem ist nicht Bethel. Sichem mochte gekauft und zum Hause Israels gemacht werden, Bethel aber war das Haus Gottes und die Pforte des Himmels. 
Ohne Zweifel erblicken wir hier einen Fortschritt in Jakobs Zustand, aber immer noch sind seine Gedanken mehr mit seiner eigenen Person als mit Gott verbunden: es ist der Gott Israels, dem er den Altar baut. Von der wahren Anbetung Gottes in der Freude des Herzens über das, was Er ist, nicht was Er für uns getan hat, finden wir eigentlich noch nichts. Aber Jakob sollte dabei nicht stehen bleiben. Gott wollte ihn in Seiner Gnade weiter führen. 
Gottes Weg ist für uns sehr einfach, wenn wir bereit sind, ihn zu gehen. Er sprach zu Jakob: „Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel und wohne daselbst, und mache daselbst einen Altar dem Gott, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau fIohest“ (1. Mose 35, 1). Jakob muss aus der Verbindung mit Sichem heraus. Ach! wieviel verborgener Götzendienst war dort getrieben worden! Aber BetheI ist Gottes, und nicht Jakobs Platz. Die Befleckungen der Welt können dorthin nicht mitgenommen werden. Dort erst kann Gott, der Bitte Jakobs am Jabbok entsprechend, ihm Seinen Namen offenbaren: „Ich bin Gott, der Allmächtige“ (Kap. 35, 9 — 11). Mit diesem Namen war die Erfüllung aller dem Abraham gegebenen Verheißungen verbunden. Und in diesem Namen fand der Glaube seinen Ruhepunkt. Jetzt konnte Gott Seinem Knechte „wiederum erscheinen“ und ihn „segnen“. 
Nach diesem fängt Gott an, Jakob immer mehr von allem zu lösen. Debora, Rebekkas Amme, war, wie es scheint, gleich bei der Ankunft in Bethel gestorben (V. 8). Damit war schon ein Band seiner alten Geschichte gelöst. Es geschah nicht ohne Tränen. Debora wurde begraben unterhalb Bethel, „unter der Eiche des Weinens“.. Ähnlich erging es in späteren Tagen den Jüngern, als sie eine Offenbarung des Namens des Herrn Jesus empfingen. Nachdem Er sie gefragt hatte: „Wer saget ihr, dass ich sei?“ und Petrus geantwortet hatte: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Matth. 16, 15), fing Jesus an, ihnen zu sagen, dass der Weg für Ihn  und sie durch Leiden und Tod gehe, und das Leben in dieser Welt verloren werden müsse, um ein besseres zu finden· Aber Sterben ist keine leichte Sache. Das erfuhr auch Jakob: auf dem Wege von Bethel nach Ephrath (Bethlehem) starb seine geliebte Rahel bei der Geburt ihres jüngsten Sohnes Benoni, beziehungsweise Benjamin (V. 16 — 20). Dann wurde sein Lieblingssohn Joseph nach Ägypten verkauft. Jahre später kam die Hungersnot, und Jakobs Söhne mussten nach Ägypten ziehen, um Brot zu kaufen. Simeon kehrte nicht wieder von dort zurück, und schließlich muss der bejahrte Mann auch noch Benjamin ziehen lassen! „Ihr habt mich der Kinder beraubt“, so lautet seine Klage, „Joseph ist nicht mehr, und Simeon ist nicht mehr, und Benjamin wollt ihr nehmen! Dies alles kommt über mich!“ (Kap. 42, 36). Alle Stützen brechen, nichts bleibt ihm mehr. 
Aber, Gott sei Dank! damit schließt seine Geschichte nicht ab. Die Schlus szene in Jakobs Leben ist von ergreifender Schönheit. In all den Jahren seiner langen Pilgerfahrt gibt es nichts, was sich mit seinem Sterbebett vergleichen ließe. In der Stunde seiner größten leiblichen Schwachheit bringt er die köstlichste Frucht: seine Seele ist beschäftigt mit den Plänen Gottes, und seine geistliche Einsicht geht selbst über diejenige Josephs hinaus. Er segnet sterbend einen jeden der Söhne Josephs, indem
er seine Hände kreuzweise auf ihre Häupter legt. Entleert von allem, anbetend über der Spitze des Stabes, mit dem er einst über den Jordan gezogen, redet er zu Joseph von dem Segen, den Gott, der Allmächtige, ihm zu Bethel gegeben hatte, und beansprucht die Söhne Josephs als seine eigenen. Sein Name (Israel) soll auch ihnen gehören. Kurz vor Ephrath (die Fruchtbare) hatte er Rahel begraben. Er hatte nicht mehr daran gedacht, Rahels Sohn wiederzusehen. Jetzt legt er seine rechte Hand auf Ephraim (doppelte Fruchtbarkeit) und schaut die Erfüllung des Segens Gottes von Bethel her vollendet in dem, auf welchem seine Rechte ruht. 
Aus Jakobs Geschichte können wir also lernen, was es heißt, ein Überwindet zu sein. Nichts aus uns und unserer eigenen Kraft befähigt uns, in Gottes Gedanken einzugehen. Alles das muss erst lahmgelegt werden, wenn wir überwindet werden wollen. Der kleinen Kraft öffnet der Herr die Tür, die zu immer innigem Gemeinschaft mit Ihm führt. Und ein neuer Name kennzeichnet unsere Verbindung mit Ihm. — Simon, Sohn Jonas, war der Name, unter welchem die Welt den ersten in der Reihe der Jünger kannte. Petrus war der Name, den der Herr ihm gab, und unter welchem Er ihn kannte. Was die Überwinder in Philadelphia kennzeichnet, ist, dass sie eine kleine Kraft haben und „Seinen Namen nicht verleugnen“. Das hatte Petrus getan, als er sich in seiner eigenen Kraft gürtete, trotzdem der Herr ihm feierlich bezeugt hatte: „Ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, das; du mich kennst“ (Luk. 22, 34; vergl. V. 22). Wie tief musste es Petrus daher durch die Seele gehen, wenn der Herr ihn später dreimal mit seinem alten Namen nannte! (Joh.
21, 15 -— 18.) Wenn das nötig ist, dann stimmt etwas nicht bei uns.
Gepriesen sei die Gnade, die sich unermüdlich mit uns beschäftigt, um uns dahin zu bringen, dass wir uns selbst aufgeben und uns an die Kraft eines Anderen klammern! Er, der uns durch und durch kennt, schließt uns das Geheimnis der Verbindung mit Ihm selbst auf. „Wir sind mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat.“ Auf dem Wege nach Ephrath finden wir das Grab Rahels. Mit anderen Worten: da, wo die Natur das Liebste verliert, wird das Kostbarste gefunden.

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Weide meine Lämmlein

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 156ff

Unser Los ist in eine Zeit gefallen, welche die Schrift „schwere“ oder „gefahrvolle Zeiten“ nennt. (2.Tim. 3). Die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit haben eine solche Höhe erreicht, dass für ein sehendes Auge das Ende der Gnadenzeit ganz nahe herangerückt erscheint. Und nicht nur auf gesellschaftlichem und sittlichem Gebiet, sondern auch in religiöser Beziehung zeigt sich überall ein erschreckender Niedergang, eine stets wachsende, hoffnungslose Verwirrung. Dabei werden die bösesten, verderblichsten Lehren verbreitet und finden willige Annahme.
Diese Erscheinungen sollten alle Gläubigen traurig
stimmen und sie mit heiligen: Ernst erfüllen, ihrer himmlischen Berufung mehr zu entsprechen und die Worte des Herrn in Matth. 5, 13 und 14: „Ihr seid das Salz der Erde. . . ihr seid das Licht der Welt“, inmitten ihrer Umgebung mehr zu einer praktischen Wahrheit werden zu lassen. Wie ist es dabei so wunderbar, dass Gott in Seiner Gnade bei all dem Betrübenden um uns her solch große Dinge tut! Vor Tausenden kann die gute Botschaft ungehindert verkündigt werden, und überall zeigen sich ernste Bedürfnisse nach Wahrheit, nach einem festen Halt in dieser haltlosen Zeit. Durch bittere Enttäuschungen aller Art kommt manches Herz zum Nachdenken, und das Verlangen nach besseren, bleibenden Gütern wird wach. Auch hat der Herr manche eifrige Evangelisten erweckt, so dass das teure Evangelium weit und breit Verkündigt wird. Immer wieder darf man vernehmen, wie Einzelne und oft ganze Scharen „Frieden mit Gott“ finden und Sein Erbarmen preisen. 
Damit erhebt sich dann ganz von selbst die Frage: Wie steht es mit der Pflege dieser Neugeborenen? Manches für das Wohl der Herde Christi besorgte Herz fragt sich: Was geschieht, was wird getan, um das Wachstum der jungen Pflänzlein zu fördern und sie, wie einst Apollos es tat (1. Kor. 3, 6), zu „begießen“? 
Wenn ein Evangelist seine Arbeit an einem Orte vollendet hat, so muss er weiterziehen, um auch» an anderen Orten die großen Taten Gottes zu verkündigen. Wohl mag er den Jungbekehrten noch das eine und andere nützliche, belehrende Wort mit auf den Weg geben, aber der Ruf, den er vom Herrn empfangen hat, treibt ihn weiter. Da ist es denn die Aufgabe der am Orte wohnenden Gläubigen, solchen „Lämmlein“, wie der Herr sie nennt, liebend nachzugehen und sie auf grüne Weide zu führen. Als Lazarus aus den Toten auferweckt wurde, kam er aus dem Grabe heraus, „an Füßen und Händen mit Grabtüchern gebunden“, und der Herr gab den Seinigen den schönen Auftrag: „Löset ihn auf und lasst ihn gehen“. Und als Er das Töchterlein des Jairus auferweckt hatte, befahl Er, „ihr zu essen zu geben“. (Joh. 11; Luk. 8). Der Herr allein kann Leben geben, aber die  Pflege Seiner Erlösten und die Fürsorge für sie vertraut Er solchen an, die schon länger auf dem Pfade des Glaubens sind und gelernt haben, gewisse Tritte zu tun. 
Wie lieblich sind in dieser Beziehung die Worte des Herrn an Petrus: „Weide meine Lämmlein!“ 
Unter den Neubekehrten befinden sich oft viele Kinder gläubiger Eltern. Es scheint so, als ob der Herrin der letzten Zeit ganz besonders die Gebete der Eltern erhöre. Wie vielen solcher Lämmlein begegnet man in den Häusern der Gläubigen! Selbst ganz junge Kinder bekennen mit glückstrahlendem Antlitz, errettet zu sein und freuen sich ihres Heilandes. 
Wird nun solchen jungen Schäflein daheim auch die nötige Weide geboten? Beschäftigen sich in erster Linie die Eltern in geeigneter Weise mit ihnen? Suchen sie das ihnen vom Herrn gegebene Geschenk mit dankbarem Herzen zu pflegen, indem sie solchen Kindern gegenüber ganz besonders ihre Verantwortlichkeit fühlen? Das sind gewiss ernste Fragen, und die Erfahrung lehrt, dass in dieser Hinsicht gar viel gefehlt wird. 
Der Schreiber dieser Zeilen ist mehr als einmal in Häuser gekommen, wo die Eltern fast gar keinen Wert auf die Bekehrung ihrer Kinder gelegt und selbstverständlich dann auch die zarten Pflanzen sehr vernachlässigt hatten. Ist es unter solchen Umständen ein Wunder, wenn manches Kind allmählich den kostbaren Genuss der Liebe des Heilandes wieder verliert, oder gar anfängt, an seiner Bekehrung zu zweifeln? Manche Mutter —- und bekanntlich ist den Müttern die Hauptaufgabe bei der inneren Pflege der Kinder übertragen — ist fleißig vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Jede Minute muss ausgenutzt werden, um neben der Sorge um die tägliche Nahrung usw. die Strümpfe, die Hemdchen und Höschen in Ordnung zu halten, zu flicken, zu stopfen, zu stricken und zu nähen. Alles, alles liegt ja der sorgsamen Mutter des Hauses ob, und dass dieser eifrige Dienst nötig und ein Segen für die Familie ist, wer wollte es leugnen? Aber es ist nicht gut, wenn sie bei ihrer vielen Arbeit keine Zeit findet, mit ihrer kleinen Herde von Jesu zu reden, ein halbes oder ein viertel Stündchen am Tage sich mit ihnen über das zu unterhalten, was ihre jungen Seelen nährt und fördert. 
Wie hören die Kinder im allgemeinen doch so gern von dem Heiland erzählen! Wie freudig stimmen sie ein, wenn ein Lied von der Liebe und Treue des großen Kinderfreundes gesungen wird! Darum, du liebe, fleißige Mutter, bedenke: Zerrissene KIeidchen und löcherige Höschen können nach Umständen für einige Stunden oder Tage zurückgelegt werden, ohne dass dadurch Schaden angerichtet oder etwas versäumt würde; aber wie oft schon hat die Unterlassung eines lieben Wortes, einer Ermahnung zur rechten Zeit unberechenbaren Schaden angerichtet! Meist kann das Versäumte nie wieder nachgeholt werden. Die liebende Unterweisung im rechten Augenblick hätte deinem Kinde vielleicht unschätzbaren Segen gebracht. Aber du hattest ja keine Zeit! 
Man macht in unseren Tagen auch häufig die Beobachtung, dass gläubige Eltern einen außerordentlichen Wert auf eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung ihrer Kin- der legen. Man sagt: „Der Junge (oder das Mädchen) ist so begabt, und die Mittel zur Ausbildung sind vorhanden, warum sollten wir da unser Kind nicht etwas  Tüchtiges lernen lassen und so für sein gutes Fortkommen in der Welt sorgen?“ Das scheint so verständlich und verständig zu sein, dass kaum ein Einspruch dagegen erhobenwerden könnte. Und doch: christliche Eltern sollten zunächst und vor allem anderen an die christliche Erziehung ihrer Kinder denken und ihr geistliches Wohl im Auge behalten. Sind wir nicht aus der Welt ausgegangen und haben alles Zeitliche, Sichtbare als eitel erkannt? Sollten wir nun unsere teuren, vom Herrn uns geschenkten Kinder der Welt wieder näher bringen, sie Gefahren aussetzen, denen wir selbst nicht begegnen möchten? Man wird vielleicht antworten, dass« das doch nicht unbedingt mit einer solchen Ausbildung verbunden sei. Zugegeben! Wahr bleibt es aber, das; die Gefahren, je weiter man die Grenzen steckt, zunehmen und wachsen. Welch ein Gift des Unglaubens wird z. B. in den Schulen den jungen Leuten geboten! Wie viele Gefahren aller Art bringt erst das Studium an den Hochschulen mit sich! Darum, ihr Eltern, seid vorsichtig und verliert bei euren Entschlüssen nicht das aus dem Auge, was dem Herrn gefällt und zum ewigen Wohl eures Kindes dient! Er selbst schenke euch geöffnete Augen und nüchterne Herzen! 
Bei Besuchen in den Häusern von Gläubigen findet man nicht selten, dass die Eltern kaum eine Ahnung davon haben:, wie weit ihre Kinder bereits unter den Kämpfen gelitten haben, die ihnen auf dem Wege ihrer ,,Ausbildung«« erwachsen sind. Ja, mancher Knabe, manches junge Mädchen ist schon sehr früh dem offenbaren Unglauben verfallen, der ihnen in den Schulen eingeimpft wurde. Weil die Eltern keine Zeit oder keine Neigung hatten, sich mit ihren Kindern über die „Wahrheit“ zu unterhalten und „nach ihrer Seele zu fragen“ (Ps. 142, 4), haben diese, sich selbst überlassen, Schiffbruch am Glauben gelitten und die Lüge ins Herz aufgenommen. Die Eltern klagen dann: Unser Junge hat gar kein Interesse mehr an Gottes Wort, in die Versammlungen will er nicht gehen, alles Zureden hilft nicht. Aber sie denken nicht daran, ernstlich Umschau und Einkehr bei sich selbst zu halten, und sich zu fragen, worin die Veränderung ihren Grund haben mag, oder danach zu fragen, ob der Herr und Sein teures Wort wirklich den rechten Platz in Herz und Haus haben. Spitta hat recht, wenn er in seinem bekannten Lied singt:
O selig Haus, wo man dich aufgenommen,
Du wahrer Seelenfreund, Herr Jesus Christ!
Wo unter allen Gästen, die da kommen,
Du der gefeiertste und liebste bist.
Wo aller Herzen dir entgegenschlagen,
wo aller Augen freudig auf dich sehn,
wo aller Lippen dein Gebot erfragen,
und alle deines Winks gewärtig stehn! 
Er hat recht, wenn er weiter das Haus selig preist, wo man die Kinder dem großen Kinderfreund in anhaltendem Gebet ans Herz legt und sie um Ihn zu sammeln sich müht. Ein solches Haus war das Elternhaus des Timotheus. Welch ein schönes Zeugnis konnte der Apostel der Großmutter Lois und der Mutter Eunike ausstellen! (2. Tim. 1, 5). Da hätte ich gern Augen- und Ohrenzeuge sein mögen, wenn diese beiden heiligen Frauen in ihrem „ungeheuchelten Glauben“ sich mit dem aufmerksam lauschenden Knaben beschäftigten und sorgfältig den guten Samen des Wortes in sein junges Herz ausstreuten. Wie mögen ihre eigenen Herzen bei dieser Beschäftigung mit Friede und Freude erfüllt gewesen sein, und zu welch herrlichen Ergebnissen hat ihr Fleiß geführt! 
O ihr lieben gläubigen Väter und Mütter, ihr habt es in der Hand, unter Gottes Leitung und gnädigem Beistand aus euren gläubigen Kindern brauchbare Christen heranzuziehen, und auch eure Namen werden dadurch unvergänglich werden.
Gottes Wort nennt nicht von ungefähr die Namen der Mütter jener Männer (Könige Israels, Propheten usw.), die sich durch besondere Treue oder auch Untreue hervorgetan haben. Der mütterliche Einfluss ist stets von ganz besonderer Bedeutung gewesen, sei es zum Guten oder zum Bösen. Darum, ihr lieben Mütter! wenn Gott euch teure Kinder anvertraut und durch Seine Gnade früh errettet hat, so ruft Er auch euch bestimmt zu: „Weide meine Lämmlein!“ Die Zeit, die ihr darauf verwendet, trägt goldene, unvergängliche Früchte.
Der heute so oft gehörte Ausspruch: „In der Jugend liegt die Zukunft“, enthält Wahres auch im Blick auf die uns beschäftigende Frage. Der Herr schenke allen Eltern unter uns deshalb viel Gnade, sich mit heiligem Ernst und unter viel Gebet die Erziehung ihrer Kinder angelegen sein zu lassen! Wenn irgendwo, so gilt hier das Wort: „Es gibt Lohn für euer Tun“. Dass gerade auf diesem Gebiet viel verfehlt worden ist und wir alle viel verfehlt haben, sollte uns nicht mutlos machen. Es steht geschrieben: „Wenn jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft“ (Jak. 1, 5). Es ist ja eine ernste Erscheinung der allerletzten Zeit, dass manche Söhne und Töchter, die einst glücklichen Herzens auf dem guten Pfade wandelten, abgeirrt sind und sich zuweilen weit in die Welt hinein verloren haben. Es ist nicht unsere Sache, zu beurteilen, wie weit die Eltern in den einzelnen Fällen daran Schuld tragen; aber doch sollten solche Eltern sich ernstlich fragen: Haben wir etwas versäumt? und was? Vor allem sollte eine tiefe Betrübnis in ihren Herzen sein darüber, dass die ihrer Hut anvertrauten Lämmlein so weit abirren konnten. Der Herr hat ein Ohr für ein aufrichtiges Bekenntnis und Selbstgericht, und Ihm stehen noch Mittel und Wege zu Gebote, wenn wir keinen Ausweg, keine Hoffnung mehr sehen.
Zum Schluss noch ein kurzes Wort an alle, welche sich an dem lieblichen Dienst der Sonntagschule beteiligen. 
Man darf wohl annehmen, dass in jeder örtlichen Sonntagschule Kinder sind, die ein Eigentum des Herrn zu sein bekennen. Da ist es nun eine besonders dankbare Aufgabe für die lieben Sonntagschulhalter und -halterinnen, diese jungen Lämmlein des guten Hirten zu weiden, d. h. von Zeit zu Zeit auch ganz besonders zu ihnen zu reden und sie zu ermuntern, nun auch- ihrem Bekenntnis gemäß sich in Schule, Haus usw. zu verhalten, das Gebet nicht zu versäumen, Gottes Wort zu lesen, sie auch, wenn nötig, in Liebe zu ermahnen. Kann man mit dem einen und anderen persönlich reden, so ist das auch von großem Nutzen.
Man kann da schöne Erfahrungen machen, Manches in dieser Weise gesprochene Wort bleibt in den Herzen sitzen und bringt so bleibenden Segen.
So gilt denn auch euch, ihr lieben Kinderfreunde, die freundliche Aufforderung des Herrn: „Weide meine Lämmlein!“

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Gottesfurcht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 164ff

Der natürliche Mensch ist ohne Gottesfurcht. „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen“ (Röm. 3, 18). Das ist das Urteil Gottes über jeden Menschen in seinem unwiedergeborenen Zustand. Ob ein solcher im Gewande der Gottlosigkeit oder der Ehrbarkeit einhergeht, macht keinen Unterschied. „Jehova hat vom Himmel herniedergeschaut auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob ein Verständiger da sei, einer, der Gott suche.“ Und was ist das Ergebnis Seiner Untersuchung? „Alle sind abgewichen, sie sind allesamt verderbt“ (Ps. 14, 2. 3).
Sobald nun das Licht Gottes in eine Seele leuchtet, tritt eine Änderung ein. Das ist der feierliche Augenblick des Erwachens des Sünders. Er erkennt, dass er es mit dem lebendigen Gott zu tun hat, und dass dieser Gott heilig ist, und er ein Sünder, „ein Mann unreiner Lippen“, mit einem unreinen Herzen und belasteten Gewissen. (Jes. 6, 5; Matth. 15, 18. 19.) Mit dieser Erkenntnis zieht Gottesfurcht in sein Herz ein. Er fängt an, das Böse zu „hassen“ und „von ihm zu weichen“ (Spr. 8, 13; 16, 6). Die Furcht Jehovas ist der Erkenntnis oder Weisheit Anfang. (Spr. 1, 7; 9, 10.) Wo sie einkehrt,
da flieht man zum Heiland. Die Frage des Räubers am Kreuze an seinen Genossen: „Auch du fürchtest Gott nicht?“ und die unmittelbar darauf folgende Bitte: „Gedenke meiner, Herr, wenn du in deinem Reiche kommst!“ (Luk. 23, 40 42) sind ein Beispiel hierfür. Er fürchtete Gott, verurteilte sich selbst, nahm Zuflucht zu dem Herrn und ging dann glaubend vom Kreuze ins Paradies. 
Wenn wir die Erlösung im Blute Christi gefunden haben, hört Gottesfurcht nicht auf. Nun beginnt sie erst recht. Es ist jetzt nicht die Furcht der Knechtschaft, noch auch der Ungewissheit unserer Erlösung. Nach dieser Seite sind wir ohne Furcht, selbst im Blick auf den Tag des Gerichts. (1. Joh. 4, 18). Gottesfurcht ist die heilige Kindesfurcht, die mit dem glücklichen Bewusstsein Seiner Liebe zusammengeht. Es ist Furcht, nicht weil wir nicht wissen, sondern „weil wir wissen, dass wir mit dem kostbaren Blute Christi erlöst worden sind«. Wir kennen den Preis, der bezahlt wurde, um uns zu erlösen; und wir wissen zugleich, dass der Gott, den wir als Vater anrufen, heilig ist und auch uns berufen hat, „heilig zu sein in allem Wandel“. Deshalb gehen wir mit Furcht durch die Welt der Sünde und des Schmutzes, um uns nicht zu beflecken. Indem wir wissen, dass Sein Auge allezeit auf uns ruht, dass Er uns beobachtet, wie wir uns als Seine Kinder bewegen, und dass Er ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk (Spr. 14, 26. 27; Ps. 130,4; 1. Petr.1I, 15 -— 20), bewirken wir unsere eigene Seligkeit „mit Furcht und Zittern“ (Phil. 2, 12). 
Gottesfurcht berührt aber nicht nur unseren Wandel in der Welt, sondern auch unsere Stellung zu Seinem Wort. Wie leicht verlieren wir die Furcht Gottes aus unserem Herzen — das Bewusstsein, dass Er der lebendige Gott, und dass es Sein Wort ist, mit dem wir zu tun haben! Wenn wir mit Seinem Worte umgehen ohne diese Furcht, so ist das eine schlimme Sache, die uns sicher unter die züchtigende Hand Gottes bringen wird. „Er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2. Tim. 2, 13). Gott bleibt unveränderlich derselbe. Er ist Licht und gar keine Finsternis in Ihm. Wie vor alters, so gilt es auch heute noch: „In denen, die mir nahen, will ich geheiligt werden“ (3. Mose 10, 3). Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, gingen nicht mit den heiligen Dingen um, wie Gott es „geboten“ hatte. Sie hielten sich nicht gebunden an Sein Wort, und beide starben unter der Hand Gottes. Und wie erging es Mose und Aaron, diesen beiden großen Führern des irdischen Volkes Gottes? Das Gebot war klar und deutlich, aber Unglaube und fleischliche Erregung ließen die beiden Männer abirren, und sie mussten das ernste Wort hören: „Weil ihr mir nicht geglaubt habt, mich vor den Augen der Kinder Israel zu heiligen, deswegen sollt ihr diese Versammlung nicht in das Land bringen, das ich ihnen gegeben habe“ (4. Mose 20, 12). 
O dass unsere Herzen allezeit von heiliger Furcht erfüllt sein möchten dem Worte Gottes gegenüber! Dann wird auch unser Fuß laufen den Weg Seiner Gebote.
Gott sagt: „Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte“ (Jes.66,2). Denken wir allezeit daran, wenn wir die Schrift zur Hand nehmen? Sind wir uns immer bewusst, dass es unseres Gottes Wort ist? Haben wir stets die Gnade, „wohlgefällig“, „mit Frömmigkeit (oder Ehrfurcht) und Furcht“ vor Ihm zu stehen, der da zu uns redet? (Hebr. 12, 25 — 29). Oder vergessen wir das und treten gewohnheitsmäßig, oberflächlich an dieses Wort heran? Haben wir es gar zuweilen dazu benutzt, um mit unserer Erkenntnis oder Rede zu glänzen? O dass wir dann unser Herz dem Herrn aufdecken möchten! Demütigung, Bekenntnis und Umkehr würden dann nicht ausbleiben. 
Wie viel Ursache haben wir auch, zu trauern über die vielen Menschensatzungen und verkehrten Lehren, die um sich fressen wie ein Krebs! über die mannigfaltige „Ungerechtigkeit“ (Dinge, die vor Gott nicht recht sind), von welcher alle, die den Namen des Herrn nennen, abstehen sollten! Dinge, die nur Eingang gefunden haben, weil es an der Furcht Gottes mangelte! (Vergl. 2. Tim. 2,17 — 19). Wie viele sind zufrieden, wenn nur ihr Weg tadellos und ihr Wandel in der Welt ehrbar ist! Doch ein Leben in Gottesfurcht ist etwas anderes. Da ist die Heiligkeit Gottes, die Verherrlichung Seines Namens Maßstab für alles und jedes, und die Autorität Seines Wortes entscheidet jede Frage. 
„Ach, dass wir alle Gnade haben und „rechtschaffen nüchtern2 werden möchten! Das Wort: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten!“ (Eph. 5, 14) gilt auch uns. Die Furcht des Herrn wird sich immer erweisen als der Weisheit Anfang, wenn nur die Pfade der Torheit, des eigenen Willens und der Überlegungen des Herzens verlassen werden. Füllt die Furcht Gottes wieder das Herz, so wird Sein Wort auch wieder der einfache und untrügliche Wegweiser. Ein äußerlich anständiger Wandel genügt dann nicht mehr, man tritt ab von allem, was nicht recht ist vor Gott. „Gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab“ (2. Kor. 6) sind dann ebenso verständliche Worte, wie einst für Abraham der Ruf: „Gehe aus deinem Lande und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause“. Dann redet man nicht mehr von „Lehrfragen“. Die beiden Gebote: „Gehe aus“ und: „Opfere deinen Sohn“ waren keine Lehrfragen für Abraham; es waren die Worte seines Gottes, und er dachte nicht daran, sie umzudeuten, mochten sie auch die Gefühle seines Herzens bis auf den Grund aufwühlen.
Gottesfurcht gibt auch klare Augen, um Wahrheit und Irrtum unterscheiden zu können. Gott und Sein teures Wort sind dann solche Wirklichkeiten für die Seele, dass alles andere zu nichts wird.

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Sei nur still!

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 168

Autor: H. H.

Still, nur still,
Herz, wenn dunkle Leidenstage
Dir beschieden. Schweigend trage
Deine Last durchs Weggewühl —-
Still, nur still!

Still, nur still!
Auch wenn unter Weh und Weinen
Dich der Sonne freundlich Scheinen
Lange nicht erquicken will —
Still, nur still!

Still, nur still!
All Sein Tun ist Huld und Liebe.
In Geduld dich darum übe,
Gläubig sprechend: Wie Gott will!
Still, nur still!

Still, nur still!
Hat im Stillesein und Hoffen
Mancher doch den Himmel offen
Schon geseh’n — o herrlich Ziel!
Still, nur still! 

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Hüte meine Schafe

Bibelstelle: Johannes 21,16

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 169ff

Im vorigen Monat haben wir uns mit dem Dienst und der Arbeit an den „Lämmlein“ beschäftigt und gesehen, dass es sich bei der Aufforderung: „Weide meine Lämmlein!“ um junge, unerfahrene Seelen handelt. Bei dem zweiten Auftrag an Petrus: „Hüte meine Schafe!“ denkt der Herr offenbar an solche Gläubige, die schon länger auf dem Pfade des Glaubens wandeln.
Ein alter Schäfer erzählte mir einst, dass junge Lämmer selten die Herde verließen, während ältere Schafe infolge ihres Eigensinns sich viel leichter von der Herde entfernten und deshalb steter Hut bedürften. Wenn das aber so ist, wie verständlich« wird dann das Wort des Herrn, und wie ernst und eindrucksvoll die Aufforderung zur Wachsamkeit!
Beim dritten mal sagt der Herr zu Petrus: „Weide meine Schafe!“ Der Hirtendienst hat also eine zwiefache Bedeutung: Hut und Weide. Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersten.
Der Herr hat an unserer Stelle zunächst wohl die Gläubigen aus Israel, den „Überrest“ der damaligen Zeit, im Auge. Aber der Auftrag gilt im weiteren Sinne selbstverständlich allen denen, die zu irgend einer Zeit vom Herrn eine Gabe für den Hirtendienst empfangen haben, und es ist von größter Wichtigkeit, dass dieser schöne Dienst in jeder örtlichen Versammlung treu und gewissenhaft ausgeübt werde. Ein reicher Segen ist für alle damit verbunden, und gerade in unseren Tagen ist die Sorge für die einzelnen Seelen von ganz besonderer Bedeutung. Die vorliegenden Zeilen richten sich daher an alle Gläubigen, die ihre Geschwister um des Herrn willen lieben und ihr Wohl auf dem Herzen tragen. 
Je weiter die Zeit vorrückt und je mehr die verflachenden und verwirrenden Einflüsse der Tage des Endes sich geltend machen, umso dringender bedürfen wir treuer gottesfürchtiger Männer, die in hingebender, selbstverleugnender Liebe den Seelen nachgehen. Und von wo sollen sie uns werden? Wir müssen und wollen sie uns von dem großen Erzhirten der Herde Gottes erbitten, nicht einmal und nicht zweimal, sondern anhaltend.
Der Hirtendienst erfordert viel persönlichen Umgang mit dem Herrn, und im eigentlichen Sinne können für ihn wohl nur ältere Brüder in Frage kommen, die sich auf dem Wege bewährt und durch Erfahrungen gelernt haben und so das Vertrauen der übrigen besitzen. Wir würden freilich kaum daran gedacht haben, Petrus zu diesem Dienst zu berufen, einen Mann, der seinen Herrn verlassen und dreimal geleugnet hatte, dass er Ihn kenne. Aber gerade die demütigenden Erfahrungen, die Petrus gemacht, hatten ihn einerseits von seinem törichten Selbstvertrauen befreit und ihn andererseits fähig gemacht, mit anderen Irrenden und Fehlenden Mitgefühl und Erbarmen zu haben. Sich selbst kennen zu lernen und danach die wiederherstellende Gnade des Herrn erfahren zu dürfen,
das sind zwei Dinge, die zu einem gesegneten Hirtendienst geradezu unerIässlich sind. 
Dass die Liebe, die Liebe zum Herrn und zu den Seinigen, die Grundbedingung jedes wahren Dienstes ist, braucht kaum gesagt zu werden. Der Herr fragt den Sohn Jonas' dreimal, ob er Ihn lieb habe; nicht etwa nur deshalb, um ihn an sein dreimaliges Verleugnen zu erinnern, sondern auch um ihm zu zeigen, das; nur die Liebe ihn zur Ausführung des empfangenen Auftrags befähigen könne. Zugleich ist es, wie wenn Er sagen wollte: „Petrus! wenn dir daran liegt, mir deine Liebe zu beweisen, so kannst du es nicht besser tun, als wenn du dein ganzes Interesse meiner teuer erkauften Herde zuwendest“. 
Die augenblicklichen Zeitverhältnisse bringen es mit sich, dass mancher Bruder, der gern mehr Zeit für die Heiligen Gottes verwenden möchte, sich kaum loszureißen weiß von den täglichen Pflichten seines Berufs. Dennoch möchte ich jedem einzelnen solcher Brüder empfehlen, im Lichte Gottes zu prüfen, ob nicht doch mit etwas mehr Selbstverleugnung und etwas weniger Drang, vorwärts zu kommen und Geld zu verdienen, manches getan werden könnte, was jetzt unterbleibt. Der oft angeführte Spruch: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, mag hier öfter am Platze sein, als man sich selbst eingestehen möchte. Der Herr lasse uns alle mehr unsere Verantwortlichkeit fühlen! 
Wie viel Segen aus einer treuen Ausübung des Hirtendienstes fließt, davon kann manche Versammlung Zeugnis geben. Oft ist der gute praktische Zustand an einem Orte hauptsächlich der Treue zu verdanken, mit welcher einige wenige gottesfürchtige Männer in Abhängigkeit vom Herrn über die Herde wachen, während an einem anderen Ort allerlei Böses aufgesprosst ist, das bei geziemender Wachsamkeit leicht im Keime hätte erstickt werden können, während es jetzt das ganze Zeugnis verdirbt. 
Wenden wir uns für einen Augenblick zu jener Zeit, da die von Gott dazu bestimmten Apostel ihren Dienst inmitten der Gläubigen ausübten und der Geist Gottes noch ungetrübt im Hause Gottes wirkte. Kostbar sind die Ermunterungen, die sie den vom Heiligen Geist gesetzten „Aufsehern“ zuteil werden lassen. Einer der lieblichsten Briefe, die der Apostel Paulus geschrieben hat, ist wohl der an die Philipper. Wie zeigt er uns das innige Verhältnis, das zwischen dem Schreiber und den Empfängern des Briefes bestand, indem er zugleich Zeugnis gibt von dem guten Zustand der Herde in Philippi! Statt sie ermahnen und zurechtweisen zu müssen, konnte der Apostel sie immer wieder zur „Freude im Herrn“ auffordern, und wenn er im Eingang seines Briefes die „Aufseher und Diener“ besonders erwähnt, so dürfen wir wohl annehmen, dass diese Männer mit treuer Sorge ihren Dienst in Philippi ausgeübt und so zu dem guten Zustande der ganzen Versammlung beigetragen hatten. War nicht wohl auch Epaphroditus, der „Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter“ des Apostels, ihr „Abgesandter und Diener seiner Notdurft“, einer von diesen Männern? Und welch ein herrliches Denkmal hat der Apostel der Liebe und Treue dieses Mannes gesetzt! (Phil. 2, 25 — 30).
Teure Brüder! Verlangt es uns nach einer ähnlichen Anerkennung? Nun, die Möglichkeit, sie zu erlangen, ist uns gegeben. 
In Apostelgeschichte 20, 28 ermahnt Paulus die Ältesten von Ephesus, die er nach Milet hatte herüberkommen lassen, mit den Worten: „Habet acht auf euch selbst und auf die Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten, welche Er sich erworben hat durch das Blut Seines Eigenen“. Ach, dass wir mehr verstehen möchten, was die Gläubigen in Gottes Augen sind, wie Er die Versammlung (Gemeinde) betrachtet, die Er sich um einen so teuren Preis erkauft hat! Sicher, der segensreiche Hirtendienst, von dem wir reden, würde dann mehr in unserer Mitte gefunden werden. 
Ich möchte an dieser Stelle einige Sätze einfügen, die aus der Feder eines anderen Schreibers geflossen sind. Er sagt: „Gott hat keinen größeren Schatz auf Erden, als Sein Volk, Seine ,,Herde“. Sie ist zugleich die Herde Christi. Wie treu hat der gute Hirte sie bewahrt, solang Er hienieden war, um sie dann dem Vater anzuvertrauen mit den Worten: „Heiliger Vater! bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast“; und dann hinzuzufügen: „Ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren“ (Johannes 17, 11. 12). Wie muss uns diese Liebe zu Herzen gehen! Sie lässt uns erkennen, wie wertvoll wir alle sind in den Augen des Herrn und für das Herz unseres Gottes und Vaters. In späteren Tagen hat der Heilige Geist besondere Hirten und Führer gegeben, von denen es heißt: „Sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft geben sollen“. (Hebr. 13, 17.) Aber die Zahl dieser treuen Hirten ist gering geworden. Wie viele teure Schäflein Christi leiden darunter, haben Mangel, sind verwundet, versprengt, lahm! Lasst uns darum aufeinander acht haben als Brüder und Schwestern in Christo! Der Herr wird es uns lohnen. Wie wertvoll erweist sich manchmal schon ein kurzer Besuch, der in der Liebe Christi gemacht wird! Vielleicht fehlt  dir an den Wochentagen die Zeit dazu. Aber am Tage des Herrn gibt’s Zeit und Gelegenheit. Versäume sie nicht!“ 
In der eben angeführten Rede des Apostels an die Ältesten von Ephesus ist besonders ein Punkt von hervorragender Wichtigkeit in Verbindung mit unserem Gegenstand. Es sind die wenigen Worte: „Habet acht auf euch selbst!“ Diese Ermahnung geht der anderen, die Herde zu hüten, voran, und jeder, der sich irgendwie um die Schäflein Christi bemühen will, kann nicht an ihr vorbei. Jeder Dienst ist kraftlos, der nicht mit treuer, ernster Selbstzucht gepaart geht, ja, aus ihr hervorfließt. Wer nicht selbst gewissenhaft auf den Wegen des Herrn wandelt, kann nicht anderen Wegweiser und Berater sein. Es hat sich im Laufe der Zeit immer wieder schmerzlich gezeigt, dass reichbegabte, vom Herrn im Segen gebrauchte Männer durch Oberflächlichkeit sich unfähig machen können für jeden Dienst im Hause Gottes. Unberechenbar ist aber der Verlust, der aus einer einzigen Untreue eines an hervorragender Stelle stehenden Knechtes des Herrn hervorgeht. Erst der Richterstuhl Christi wird den ganzen Schaden offenbar machen. 
Demgegenüber gibt es auch Gläubige, die weniger begabt, aber von der Liebe Christi erfüllt sind, und nun, still und treu ihren Weg gehend, für ihre ganze Umgebung einen reichen Segen bedeuten. Den Wohlgeruch Christi mit sich umhertragend, üben sie einen Einfluss aus, der oft geradezu erstaunlich ist. Auch ihre Arbeit wird dereinst sich wiederfinden, und schon auf Erden „erwerben sich die, welche wohl gedient haben, eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben“ (1.Tim..3,13). 
Der Apostel selbst hatte in Ephesus „drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört, einen jeden mit Tränen zu ermahnen“ (Apstgsch. 20, 31.) Mit aufopfernder, nie erlahmender Liebe (vergl. V. 33 — 35) hatte dieser große Mann sich um jedes einzelne Glied der Herde Christi bemüht, und welch einen Erfolg sein Fleiß gehabt hatte, das beweist sowohl sein eigener Brief an die (Epheser, als auch das Sendschreiben an Ephesus im 2. Kapitel der Offenbarung. O wie laut und eindringlich redet sein Vorbild zu uns in den Tagen des Eigennutzes, der Bequemlichkeit und der Geldliebe, in denen wir leben! Mit welch einem Wohlgefallen wird damals Gottes Auge auf den treuen Knecht herabgeschaut haben, und wie sucht Sein Auge auch heute nach solchen, die sich in Uneigennützigkeit und aufrichtiger Liebe mit Seinen Kindern beschäftigen! Diesem Auge entging nichts und entgeht heute nichts von der Bemühung der Liebe des Einzelnen, und schon in dieser Zeit wird dem Treuen reicher Lohn zuteil an innerer Freude und geistlichem Segen. „Gott ist nicht ungerecht, eures Werkes zu vergessen und der Liebe, die ihr gegen Seinen Namen bewiesen habt, da ihr den Heiligen gedient habt und dienet“ (Hebr. 6, 10). 
Gott macht andererseits auch einen jeden von uns verantwortlich, je nach der ihm verliehenen Gabe und seinen Fähigkeiten, mitzuwirken an dem ,,Wachstum des Leibes zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph. 4, 16).. Da ist kein „Glied“, kein „Gelenk“ umsonst; und nur in dem Maße, wie ein jedes seinen Platz einnimmt und seiner Bestimmung entspricht, gedeiht das Ganze. Sicher ist der Hirtendienst, von dem wir reden, in besonderer Weise den vom Herrn dazu erwählten und vom Heiligen Geiste gesetzten (nicht den von Menschen verordneten) Hirten anvertraut, aber ein jeder Einzelne kann in seinem Maße an dieser schönen Arbeit mithelfen. 
Gottes Wort gibt uns auch reichlich Belehrung dar- über, wie wir uns den „Führern“ und „Aufsehern“, die Er gibt, gegenüber verhalten sollen; wir können ihren Dienst erleichtern und erschweren. Wir sind berufen, unseren Führern zu gehorchen und unterwürfig zu sein, damit sie ihren Dienst »mit Freuden tun und nicht mit Seufzen, denn dies wäre uns nicht nützlich“ (Hebr. 13, 17.) Wenn diese Ermahnung je am Platze war, dann ist sie es gewiss in unseren Tagen der Unabhängigkeit und allgemeinen Auflehnung gegen jede Autorität; denn dieser Geist macht nicht Halt vor den Häusern und Versammlungen der Gläubigen. Wie ein giftiger Hauch sucht er überall einzudringen und sich lähmend und verderbend auf alle Herzen zu legen. Das Wort der Ermahnung wird nicht mehr „ertragen“, man weiß es besser, das Alte hat sich überlebt, die Jugend muss zu ihrem Recht kommen usw. usw. Gott sei Dank! es ist nicht überall so. Es gibt auch viel Anlass zum Danken, aber doch steigt manches „Seufzen“ dieser halb zu Gott empor, und viel Schaden ist bereits geschehen. Möchte Gott „Augensalbe“ geben! 
Ein treuer Diener beansprucht keine Anerkennung für sich. Ihm liegt dass Wohl der Schafe am Herzen, und in selbstloser Liebe hilft er, wo er kann. Der Herr hat es auch an Ermunterungen für solche Diener in Seinem Worte nicht fehlen lassen, und ein reicher Lohn wird ihnen in Aussicht gestellt. Wenn Er, der Erzhirte, offenbar werden wird, sollen die, welche die Herde Gottes ,,bereitwillig“ gehütet und die Aufsicht „freiwillig“ geführt haben, nicht „herrschend, sondern als Vorbilder der Herde“, die „unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen“ (1. Petr. 5, 1 - 3). Welch eine Aussicht! Darum, geliebter Bruder, der du einen solchen Auftrag vom Herrn empfangen hast, ermatte nicht, harre treu ans! Es gibt Lohn für dein Tun. 
Andererseits wollen wir aber  dem Herrn danken, wenn Er gottesfürchtige, einsichtsvolle Brüder in unserer Mitte erweckt, Männer, die mit Sanftmut und Liebe dem Verirrten nachgehen, das Verwundete verbinden, das Versprengte zurückführen und das Kranke stärken, und wollen ihnen die Achtung entgegenbringen, die sie verdienen. Welch reichen Segen hat Gott uns schon durch solche Männer geschenkt! Welch einen Verlust hätten die Versammlungen hin und her erlitten, wenn dieser Dienst gefehlt hätte! Und wie gut, dass der Herr immer wieder die entstehenden Lüken ausfällt und Werkzeuge ausrüstet und aussendet, die auch über die Grenzen ihrer örtlichen Versammlungen hinaus den Gläubigen zu dienen suchen! Ich brauche nicht zu sagen, dass diese Männer den Hirtendienst in den Versammlungen hin und her nicht ersetzen können und sollen, aber so wie einst Paulus zu Barnabas sprach: „Lass uns zurückkehren und die Brüder in jeder Stadt besuchen, in welcher wir das Wort des Herrn verkündigt haben und sehen, wie es ihnen geht“ (Apstgsch.15, 36), so ist es auch heute dankbar zu begrüßen, wenn Brüder, denen vom Herrn Gabe und Auftrag dazu gegeben worden ist, einander ermuntern, nach dem Ergehen der einzelnen (Geschwister zu sehen und ihnen je nach Bedürfnis zu dienen. Wie oft kann man bei dem „Dienst in den Häusern“ hören: „Wie gut, dass einmal jemand nach uns sieht! wir werden so selten besucht«, und wie dankbarwird in den meisten Fällen die Bemühung der Liebe an alt und jung begrüßt! Wie wertvoll dieser Dienst auch
im Blick auf die Bewahrung der Einheit ist, bedarf nur eines Hinweises. 
In späteren Tagen, zur Zeit der Abfassung der Briefe des Johannes, als die übrigen Apostel schon alle von dem Schauplatz ihrer Tätigkeit abgetreten waren, hören wir wieder von Brüdern, die „für den Namen ausgegangen waren und nichts von denen aus den Nationen nahmen“ (3. Joh. 7). Und Gajus, der Geliebte, empfing von dem Apostel eine herzliche Anerkennung dessen, was er an diesen Brüdern, „und zwar an Fremden“. Getan hatte. „Du wirst wohltun“, sagt Johannes, „wenn du sie auf eine gotteswürdige Weise geleitest“, und: „Wir sind schuldig, solche aufzunehmen, auf dass wir Mitarbeiter der Wahrheit werden“. Der Zusatz: „und zwar an Fremden“ weist uns wohl darauf hin, dass diese Brüder aus anderen Orten bzw. Versammlungen kamen und nun umherzogen, um den Heiligen allerwärts zu dienen. Gasus hat gewiss selbst treu den Gläubigen an seinem Wohnort gedient, aber das durfte ihn nicht hindern und hat ihn nicht gehindert, das was Gott anderen gegeben hatte, neidlos anzuerkennen und der Allgemeinheit nutzbar zu machen. „Eifersucht und eitler Ruhm“ waren nicht die Beweggründe, die ihn leiteten. Die Liebe Christi drängte ihn und ließ ihn sich selbst völlig vergessen. Das war ein „Begleiter“ für die umherreisenden Brüder! Gott schenke uns auch heute solche Männer! Wie ganz anders sah es mit Diotrephes aus· Ohne Frage nahm auch dieser Mann einen hervorragenden Platz in der Versammlung ein, aber er benutzte ihn nur zur Förderung eigener Interessen und zum Schaden für das Zeugnis. Hören wir, was Johannes von ihm berichten muss: Ich schrieb etwas an die Versammlung, aber Diotrephes, der gern unter ihnen der erste sein will, nimmt uns nicht an . . · indem er mit bösen Worten wider uns schwatzt; und sich hiermit nicht begnügend, nimmt er selbst die Brüder nicht an und wehrt auch denen, die es wollen, und stößt sie aus der Versammlung“ (V.9.10). Welch ein schmerzlicher Gegensatz zu Gajus und seinem Tun! Gewiss, auch solch böses Wirken wird einst ins Gedächtnis kommen. Schon Johannes wollte, wenn er kommen würde, seiner Werke gedenken. Gott bewahre Seine Versammlung vor solch treulosen Männern, die „der Herde nicht schonen“ und kein Herz haben für die Bewahrung der Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens! Anstatt das gesegnete Werk der Liebe zu fördern, wehren sie denen, die es tun wollen, und werden Werkzeuge Satans, indem sie „die Weide der Schafe mit ihren Füßen zertreten und ihre Wasser trüben“ (Vergl. Hes. 34, 18. 19). 
Die Absichten des „Diebes“ sind uns ja nicht unbekannt. Er möchte „stehlen, schlachten und verderben“; und er hat seine Helfer und Helferinnen, zuweilen sogar unter wahren Gläubigen. Diese Tatsache sollte uns alle sehr vorsichtig machen, besonders in der Beurteilung des Dienstes, der in unserer Mitte, sei es durch- am Orte wohnende, sei es durch auswärtige Brüder geschieht. Dass eine Beurteilung notwendig und gesund ist, zeigen uns verschiedene Stellen des Wortes Gottes. (Vergl. 1.Korinther 14, 29; 1. Tim. 5, 17— 21; Gal. 2, 11ff.). Aber es kommt immer darauf an, welcher Quelle die Beurteilung entspringt und welcher Geist sie beseelt. Wir haben Ursache, für jeden in Liebe erwiesenen Dienst dankbar zu sein, selbst wenn er nicht in jeder Beziehung unseren Wünschen entspricht. Wie viel hat der Herr uns im Laufe der Jahre durch Seine Diener geschenkt! Denken wir nur an die „Pioniere der Wahrheit“, wenn ich sie so nennen darf, von denen die meisten schon lange von ihrer Arbeit ausruhen! Wie reich hat der Herr ihre Arbeit gesegnet! Große, zahlreiche Versammlungen sind hin und her entstanden, und immer neue entstehen durch des Herrn Gnade und werden durch andere Hirten und Lehrer, die Er gibt, gehütet und geweidet! Sollten wir das nicht dankbar anerkennen und die Arbeit dieser Männer auf betendem Herzen tragen? Ganz gewiss, und Er, der einst Petrus zurief: „Hüte meine Schafe!“ wird bis ans Ende hin der Bedürfnisse Seiner Herde gedenken und alles Nötige darreichen. Mit Recht singen wir:
Keine Macht auf dieser Erde
raubt uns Deine Liebe jetzt;
sichtet Satan auch die Herde,
nichts ist da, was uns verletzt.
Keine Macht kann Deinen Händen,
keine Macht des Vaters Hand
uns entreißen- uns entwenden,
ew’ge Gnade knüpft’ das Band. 
Zum Schluss unserer Betrachtung einige einfache Beispiele aus dem täglichen Leben, wie der Hirtendienst von uns allen ausgeübt oder doch wirksam unterstützt werden kann. Ihre Zahl ließe sich leicht vervielfältigen. 
Bruder N. hat schon mehrmals in der Versammlung gefehlt; auch heute Abend war er nicht da. Ein Bruder, der gewöhnlich in seiner Nähe sitzt, hat es mit Sorge bemerkt, denn krank ist N. nicht, das weiß er. Was mag die Ursache sein? ,,Ich muss nach ihm sehen«, denkt er, und schon am nächsten Tage begibt er sich auf den Weg zu N.s ziemlich weit entfernte: Wohnung. Er findet den Gesuchten auch zu Hause, und siehe da, wenige Worte genügen, um den durch einige Vorkommnisse „Verstimmten2 ins richtige Fahrwasser zurückzubringen. 
Schwester S. ist eine fleißige Besucherin der Versammlungen; auch in ihrer Familie läst sie sich nichts zu Schulden kommen, sie ist eine gute Gattin und treue Mutter. Aber leider ist sie geneigt, mehr zu reden als gut ist und naturgemäß besonders andere zum Gegenstand ihrer Bemerkungen zu machen. Dadurch hat sie schon manchen Schaden angerichtet. Zwei andere Schwestern haben sich schon Mühe mit ihr gegeben, aber es ist ohne Erfolg geblieben. Da bleibt denn nichts anderes übrig, als einen älteren Bruder zu bitten, sich der Schwester in Liebe anzunehmen· Während er mit ihr redet, vereinigen sich die beiden anderen im Gebet für sie. Der Herr hört und erhört. Die Ermahnung wird angenommen und beherzigt. 
Bruder D. ist ein tätigen: Mann und hat allgemein ein gutes Zeugnis. Sein Geschäft hat sich vergrößert. Er hat’s nicht gerade gewollt, aber die Vergrößerung auch nicht unangenehm empfunden. Dabei genießt er den Ruf eines unbedingt redlichen Geschäftsmannes. Aber- leider hat sein früheres reges Interesse für die Sache des Herrn abgenommen. Als sein Betrieb noch kleiner war, tat er manches Nützliche im Kreise der Geschwister und der Versammlung, und seine Bemühungen fanden dankbare Anerkennung. Aber mit der Zeit ist’s anders geworden. Muss es so bleiben? Oder soll es gar noch schlimmer werden? Sollte es liebevoller, einsichtiger Einwirkung nicht vielleicht gelingen, sein Herz zu erreichen und ihn zur Einsicht und Umkehr zu bringen? Hier tut Hirtendienst not. 
Auch die „Mode“ macht vielen Gläubigen mehr zu schaffen als gut ist, vornehmlich naturgemäß den Schwestern, aber nicht nur ihnen. Die arme Welt ist eine Sklavin der Mode und leidet sehr darunter, ohne dass sie es weiß. Gottes Wort gibt uns nun klare Unterweisungen darüber, wie gläubige Frauen und Jungfrauen sich im Blick hierauf zu verhalten haben 1. Petr. 3, 3 und 1. Tim. 2, 9 geben sogar Anweisungen über die Behandlung des Haares, über Putz, Kleider usw. Als in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Gnade Gottes manche Gläubige zu dem zurückgeführt wurden, „was von Anfang war“, kehrte man auch in der Kleidung zu möglichster Einfachheit zurück. Mancher kostbare Ring, manches schöne Zierstück wurde veräußert, um den Erlös für das Werk des Herrn zu verwenden. Leider, leider hat die liebliche Einfachheit, die man an unseren älteren Schwestern gewohnt war, im Laufe der Jahre einer Neigung zur Eitelkeit Platz gemacht, die an manchen Orten verhängnisvoll zu werden droht und sogar schon die Welt zu einem demütigenden Zeugnis veranlasst hat. 
Schwester L» die allerdings in sehr guten äußeren Verhältnissen lebt, trotzdem aber vor wenigen Jahren noch recht einfach gekleidet einherging, hat sich seit einiger Zeit (vielleicht gar von ihrer eigenen Mutter oder von ihrem jungen Manne dazu veranlasst) völlig verändert. Ihr Kleid würde einem Weltkinde vielleicht Ehre machen, aber für eine Jüngerin Jesu, die sich« zu den „Fremdlingen und Pilgrimen zählt, passt es nicht. Halskette, Spangen usw. erhöhen den üblen Eindruck; selbst Armbänder und kostbare Zierringe fehlen nicht. Ist denn keine andere Schwester da, die Schwester L. in Liebe und Treue auf die betrübende Veränderung aufmerksam macht, die mit ihr vorgegangen ist? Vielleicht wäre sie dankbar dafür. Aber niemand kommt ihr zu Hilfe. Man redet wohl über sie, aber nicht mit ihr; aber damit wird niemand gedient, am wenigsten Schwester L.
O Herr, bewahre uns in Gnaden davor, dass nicht Eitelkeit und Weltförmigkeit immer mehr Eingang finden in Familie und Versammlung! Hilf uns allen, persönlich wachsamer und treuer, entschiedener gegen uns selbst zu sein, und vermehre die Zahl derer, die in treuer Liebe deinen Auftrag ausführen:
Hüte meine Schafe!

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Dieses erwäget

Bibelstelle: Philipper 4,8

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 183ff

Dass alles, was die Seele eingehend beschäftigt, ihr ein Gepräge gibt und dann auch nach außen hin zum Ausdruck kommt, ist eine feststehende Tatsache. Ist der betreffende Gegenstand Christus, so gibt Er uns dieses Gepräge und wird an uns gesehen. Ist es etwas anderes. so wird auch dies sichtbar werden, und wenn das Herz noch nicht verhärtet ist, werden wir sehr wohl wissen, dass der Herr nicht mehr unser Inneres erfüllt, sondern dass wir durch jene anderen Dinge verunreinigt sind.
„Dieses erwäget!“ Was sollen wir erwägen? Das was wir so gern tun: die Fehler unserer Geschwister? Die Lieblosigkeit, die Zwietracht, das Böse, das wir überall um uns her sehen? Nein, wahrlich nicht! Sind unsere Gedanken auf diese Dinge gerichtet, so werden wir bald von ihnen angesteckt werden. Ehe wir es ahnen, geht der zarte, heilige Ton verloren, der bei denen gefunden wird, die sich »von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigen und die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“. (2. Kor. 7, 1). Dinge, über die man nur „mit Weinen“ und mit blutendem Herzen reden sollte (Phil. 3, 18; 2. Kor. 2, 4), können dann ohne Scheu zum Gegenstand des Gesprächs gemacht werden. Ist es aber so weit gekommen, dann sollten wir still stehen und erschrecken. Böses ist leicht gefunden. Man braucht nicht lang danach zu suchen. Wir alle straucheln oft, wie Jakobus sagt, und es ist meist nicht schwer, bei dem Bruder oder der Schwester etwas zu finden, das anders sein sollte. Die Stelle, welcher die Überschrift unserer kurzen Betrachtung entnommen ist, lautet: „Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget2. Dass der Geist Gottes uns mit diesen Worten zunächst ermuntern will, über das zu sinnen und für uns selbst alledem nachzustreben, was rein, Iieblich und wohllautend ist, und auf diesem Wege dann den Gott des Friedens zu unserem Geleitsmann zu haben, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung. Aber vielleicht lässt sich die Stelle auch noch in einem anderen Sinne auffassen, oder« noch ein zweiter Gedanke lässt sich aus ihr herleiten, ein Gedanke, der mit dem oben Gesagten in Verbindung steht. Bei der verhängnisvollen Neigung unserer natürlichen Herzen, an unseren Geschwister« immer zuerst das Böse und Verkehrte zu sehen, bedürfen wir dringend der Mahnung, umgekehrt nach dem zu forschen, was von Gott in ihnen gewirkt ist. Und sollte die Liebe selbst in dem Schwächsten und Ärmsten nicht noch irgend etwas zu finden vermögen, das wohllautet, nicht irgend etwas, das zu loben ist? Ach, dass wir stets die Augen des Barnabas hätten (Apstgsch. 11, 23), welcher, als er nach Antiochien gekommen war und die Gnade Gottes sah, sich freute! Zweifellos sah er bei den jungen Gläubigen manches, das der Zurechtweisung bedurfte, aber er war „ein guter Mann, voll Heiligen Geistes und Glaubens«, und es war seine Freude, sich mit dem Guten zu beschäftigen. Das ist eines der Geheimnisse des Friedens. Da findet sich ganz von selbst das Herz zum Herzen. Da ist dann kein
Raum für Überhebung oder Nichtgeist, sondern beim Anblick der in den anderen wirkenden Gnade Gottes wird das Herz mit Freude erfüllt. 
Leider ist es ja manchmal nötig, sich mit dem Bösen zu beschäftigen. Wir haben heute vielleicht mit solchen zutun, die „von einem Fehltritt übereilt“ wurden (Gal. 6, 1); und morgen sind wir verpflichtet, betrübende Fragen der Zucht zu behandeln (1. Kor. 5, 13) .Es gilt „zu überführen, zu strafen, zu ermahnen mit aller Langmut und Lehre“ (2. Tim. 4, 2). Aber vergessen wir dabei nie, dass es uns unmöglich ist, — so verderbt ist unsere Natur — uns mit der Sünde zu beschäftigen, ohne uns selbst zu verunreinigen. Je geistlicher wir sind und je näher wir mit Gott wandeln, desto mehr werden wir das fühlen. In 4. Mose 19 waren nur die Asche und das Wasser rein, alles andere wurde unrein. Selbst der reine Mann, der das Reinigungswasser auf den Unreinen sprengen musste, wurde unrein. Das zeigt uns, wie es die Natur, das Wesen der Sünde ist, zu beflecken. 
Wie ist doch in unseren Herzen die Neigung so tief und groß, Böses bei anderen zu vermuten, ihm nachzuforschen und es, vielleicht noch ehe es wirklich festgestellt ist, bekannt zu geben! Teure Geschwister! was leitet uns in unserem Tun und Verhalten anderen gegenüber? Was beschäftigt unsere Gedanken? Welche Beweggründe leiten uns? Gewiss, die Treue zum Herrn verpflichtet uns, der Sünde ernst zu begegnen und, wenn nötig, mit dem Bösen zu handeln. Die Treue zueinander erfordert die Zurechtbringung des Fehlenden und Irrenden. Zeiten kommen, wo wir diese mühsame und Selbstverleugnung fordernde Arbeit tun müssen. Aber wenn sie getan ist, sind wir dann glücklich, frei davon zu sein? Sind wir wirklich fertig mit dem Bösen und berühren es nicht mehr? Meiden wir es persönlich und im Blick auf andere?
Lasst uns denn das kostbare Wort: „Dieses erwäget auch einmal in diesem Sinne in unseren Herzen bewegen! Es ist ein einfaches Wort, aber vernachlässige es, und du wirst hart, tadelsüchtig, fehlerfindend und unglücklich; beachte es, und du wirst viel Freude und Frieden genießen, und Auferbauung und Segen werden sich auf deinen Wegen finden. Darum: „Alles was wahr, alles was würdig, alles wag gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwägt!“

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Ein und derselbe Geist

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 187ff

„Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie Er will“ (1.Kor. 12, 11).
1. Gottes Gegenwart in der Versammlung.
Die Gläubigen sind, wie der Apostel Paulus an die Korinther schreibt, alle in einem Geiste zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie· Alle sind Glieder eines Leibes, des Leibes Christi, und jedes einzelne Glied ist an diesem Leibe gesetzt, so wie es Gott gefallen hat· Keins kann sich selbst einen Platz aussuchen oder seinen Platz beliebig verändern, und nur da, wo Gott es hingestellt hat, kann es nützlich sein und dem ganzen Leib zur Förderung dienen.
Diese Wahrheit ist uns seit Jahren wieder bekannt geworden und, fast möchte ich sagen, vielen von uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ebenso die andere, das; ein Geist diesen einen Leib beseelt, dass ein Band alle seine Glieder umschlingt, und das; wir berufen sind, diese Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens.
Aber zwischen Lehre und praktischer Ausführung besteht ein Unterschied, ja, es zeigt sich nicht selten zwischen beiden ein auffallender Gegensatz. Wir sind eben alle irrende und fehlende Menschen und bedürfen immer wieder der Erinnerung und Zurechtweisung, wenn wir anders in unserem gemeinsamen Wandel und Zeugnis glücklich und gesegnet sein wollen und Den zu verherrlichen wünschen, zu dessen Namen hin wir versammelt sind.
Es gibt im Blick auf die praktische Leitung des Heiligen Geistes Dinge, die nur durch: Übung erlernt werden können. Die Erfahrung macht uns erst Bedürfnisse fühlbar, die nur göttliche Belehrung zu stillen vermag. Die bereits berührte Wahrheit von dem Wohnen des Heiligen Geistes in „dem Leibe“, der Versammlung oder Gemeinde, sowie von Seiner Gegenwart und Leitung in den Zusammenkünften der Gläubigen ist, wenn nicht die wichtigste, so doch eine der wichtigsten Wahrheiten, welche das Christentum kennzeichnen. Die Leugnung dieser Wahrheit in Lehre oder Praxis ist daher ein sicheres und ernstes Kennzeichen des Verfalls. Sobald eine christliche Körperschaft, mag sie auch aus lauter wahren Gläubigen bestehen, an- statt der Leitung des Heiligen Geistes irgendwelche menschliche Leitung durch „Geistlichkeit“, Vorstand, Konferenzen oder etwas dergl. anerkennt, oder irgend einer festgesetzten kirchlichen Form und Einrichtung folgt, steht sie nicht mehr auf dem Boden der göttlichen Wahrheit und macht es allen, die nur dem Worte und Willen Gottes folgen möchten, unmöglich, mit ihr in Gemeinschaft zu sein. Eine von diesem Übel abgesonderte Stellung einzunehmen mag Schwierigkeiten aller Art im Gefolge haben, aber ein treues, der Wahrheit unterwürfiges Herz wird dadurch nicht in seiner Überzeugung erschüttert werden können, wird auch kein Verlangen spüren, zu irgend einer menschlichen Autorität zurückzukehren, durch deren Aufrichtung die christliche Kirche so ernst gefehlt und gesündigt hat. 
Man kann indes die Wahrheit und Wichtigkeit der Gegenwart des Heiligen Geistes durchaus anerkennen und doch vergessen, dass sie eine Tatsache ist. Der Glaube, der zur Verwirklichung dieser Tatsache für uns nötig ist, kann nicht einfältig genug sein. Wir verlieren sie nur zu leicht aus dem Auge. Würden wir uns stets in dem tiefen Bewusstsein zusammenfinden, dass Gott selbst in unserer Mitte gegenwärtig ist, und würde dieses Bewusstsein während unseres Versammeltseins in uns allen lebendig bleiben, welch gesegnete Wirkungen würden sich offenbaren, weIch ein heiliger Ernst würde auf der ganzer. Versammlung ruhen! Und es ist doch eine unleugbare Tatsache, dass, so wirklich einst Christus bei Seinen Jüngern auf der Erde war, der Heilige Geist jetzt in den Gläubigen wohnt und da, wo sie sich einfältig um Jesum scharen, in ihrer Mitte gegenwärtig ist. 
Allerdings wird diese Gegenwart nicht durch unsere äußeren Sinne wahrgenommen, unser Auge schaut den Heiligen Geist nicht, so wie einst die Jünger Jesum sahen. Wäre es der Fall, welch ernste Gefühle würden dann unsere Herzen beherrschen! Welch heilige Stille, welch ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit, welch demütiges Warten auf Ihn würde die Folge sein! Wahrlich, alles voreilige Wesen, jede Ruhelosigkeit und eitle Neigung, sich hervorzutun und etwas sein zu wollen, würden verschwinden. Nun aber frage ich: Sollte die Tatsache der Gegenwart des Heiligen Geistes weniger Einfluss auf uns haben, weil sie eine Sache des Glaubens und nicht des Schauens ist? Ist Er, weil unsichtbar, weniger wirklich gegenwärtig? Die arme Welt kann Ihn nicht empfangen, „weil sie Ihn nicht sieht noch Ihn kennt“; aber wollen wir den Platz der Welt einnehmen und unser Vorrecht aufgeben? Der Herr Jesus sagt: „Ich werde den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass Er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie Ihn nicht sieht noch Ihn kennt. Ihr aber kennet Ihn, denn Er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh. 14, 16. 17). 
„Ihr aber kennet Ihn.“ Ach! möchte das mehr bei uns allen Wirklichkeit werden! Was uns in unseren Tagen so besonders mangelt, ist gerade der Glaube an Seine persönliche Gegenwart. Wir haben gewiss alle schon Zeiten erlebt, in denen Seine Gegenwart in unserer Mitte verwirklicht wurde. Und wie gesegnet waren solche Stunden! Gab es stille Pausen, so wurden sie in ernstem Warten auf Gott zugebracht — nicht in unruhiger Erwartung, welcher Bruder wohl nun beten oder reden würde, nicht mit dem Blättern in Bibel oder Liederbuch, um etwas zum Vorlesen oder Singen Passendes zu finden; ebenso wenig mit ängstlichen Überlegungen, was wohl manche der Anwesenden von dem längeren Schweigen denken möchten. Gott war da, und die Herzen waren mit Ihm beschäftigt. Hätte jemand in einem solchen Augenblick den Mund geöffnet, nur um das Schweigen zu brechen, so würde man es als eine wirkliche Störung empfunden haben. 
Wie ganz anders aber war der Eindruck, wenn die Stille unterbrochen wurde durch ein Gebet, das den Gefühlen und Wünschen der Versammelten Ausdruck verlieh, oder durch Vorschlagen eines Liedes, in welches alle mit ganzer Seele einstimmen konnten, oder durch ein Wort, das sich mit Kraft und Salbung an die Herzen und Gewissen wandte! Und obwohl beim Vorschlagen der Lieder, beim Beten und Reden verschiedene Personen tätig gewesen waren, hatte doch die ganze Versammlung das Ge-
fühl, dass „ein und derselbe Geist“ alles so geleitet hatte, wie wenn jene Personen sich vorher darüber verständigt und jedem einzelnen seinen Platz und Dienst angewiesen hätten. Der Heilige Geist war durch· die verschiedenen Glieder des Leibes, je nach dem ihnen verliehenen Platze, tätig gewesen, um den Bedürfnissen der Versammlung zu begegnen oder ihre Anbetung zum Ausdruck zu bringen. Und nun möchte ich wieder fragen: Warum sollte es nicht immer so sein? Ich wiederhole: Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist eine Tatsache, nicht bloß eine Lehre. Und sicher gibt es im Blick auf unsere Zusammenkünfte kaum eine Tatsachse, die von größerer Wichtigkeit wäre, als gerade diese. Die Gegenwart des Heiligen Geistes bedeutet nicht nur, dass die Versammlung nicht nach einer menschlichen, zum voraus bestimmten Ordnung geleitet werden darf; wenn Er gegenwärtig ist, so soll niemand in derselben einen Platz einnehmen, den Er ihm nicht angewiesen, und für welchen Er ihn nicht befähigt hat. Jst Er gegenwärtig, so will Er auch die Versammlung leiten. Und darin besteht gerade die so oft besprochene Freiheit des Dienstes, dass der Heilige Geist frei wirken kann, durch wen Er will. Diese Freiheit wird nicht nur dadurch vernichtet, dass eine einzige Person alles leitet, sondern auch dadurch, dass sich mehrere Personen zusammentun, um die Leitung der Versammlung zu übernehmen. In beiden Fällen handeln Menschen, vielleicht in bester Absicht, weil sie die Freiheit dafür zu haben meinen; anstatt jene Leitung dem Heiligen Geist zu überlassen und sich Seinem Willen zu unterwerfen, treten sie an Seinen Platz und folgen ihren Gedanken. 
Ein wirklicher, einfältiger Glaube an die Gegenwart des Heiligen Geistes bringt alle diese Dinge in Ordnung. Er wird, wie wir aus vielfacher Erfahrung wissen, niemals beschämt. Er leitet« auch dahin, nicht etwa deshalb schweigen und sich der Tätigkeit enthalten zu wollen, weil dieser oder jener Bruder gegenwärtig ist. Dass ein jeder nicht nur auf das Seinige, sondern auch auf das der anderen sehen soll (Phil. 2, 4), ist wahr, aber es darf nicht dahin führen, dass man einer Person oder Gabe eine übermäßige Bedeutung beilegt. Besser wäre es, wenn selbst Unordnungen aller Art zum Vorschein kämen, damit der wahre Zustand der Versammlung ans Licht träte, als dass infolge der Anwesenheit jener einen Person dieser Zustand verborgen bliebe. Möchten wir doch jederzeit die Gegenwart des Heiligen Geistes so verwirklichen, dass niemand den Mund öffnen würde, es sei denn unter Seiner Leitung und Einwirkung, und dass alles fernbliebe, was Seiner und des Namens Jesu, der uns versammelt, unwürdig ist! 
In Verbindung mit dem letzten Gedanken sei noch an eine Stelle im Alten Testament erinnert. Sie ist bekannt und schon oft angeführt worden, und wird doch so leicht wieder vergessen· Sie lautet: „Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst; und nahen, um zu hören, ist besser, als wenn die Toren Schlachtopfer geben: denn sie haben keine Erkenntnis, so dass sie Böses tun. Sei nicht vorschnell mit deinem Munde, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: darum seien deiner Worte wenige“ (Pred. 5, 1. 2). Die Gnade, in welcher wir stehen, hat uns einen freien Zugang zu Gott gegeben, aber dennoch dürfen wir nie vergessen, dass Der, welchen wir als Vater anrufen, der dreimal heilige Gott ist. Die Erinnerung daran wird uns vor jeder Unehrerbietigkeit und Voreiligkeit bewahren. Wir werden uns sorgfältig davor hüten, unsere Freiheit zu missbrauchen, sei es im Verkehr mit Gott oder in Seinem Dienst anderen gegenüber. Ja, wenn der Gläubige im Alten Bunde sich daran erinnern sollte, dass Gott im Himmel und er auf der Erde war, so ist für uns das Bewusstsein, einerseits Gott, den Heiligen Geist, in unserer Mitte zu haben und andererseits in das Heiligtum droben eintreten zu dürfen, wahrlich ein noch viel wichtigerer Beweggrund zu einer heiligen Scheu und gottseligen Furcht.

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An wen ist der Brief des Jakobus gerichtet?

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 193ff

Der Brief des Jakobus, des „Bruders des Herrn“ (Gal. 1, 19), wie man gewöhnlich annimmt (andere halten ihn für den Sohn des Alphäus oder Kleopas), richtet sich, wie aus den Eingangsworten hervorgeht, an die „zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind«, d. h. also nicht nur an die „auserwählten Fremdlinge von der Zerstreuung2, die fern von ihrer irdischen Heimat lebenden Gläubigen aus Israel, wie die Briefe des Apostels Petrus, sondern an die Masse des alten Volkes Jehovas, an Israel als Nation. So wie im Alten Testament ein Buch sich mit der großen heidnischen Hauptstadt der alten Zeit, mit Ninive, beschäftigt, so wendet sich im Neuen Testament ein Brief an das jüdische Volk als solches. Wenngleich Gottes Langmut erschöpft war und Er im Begriff stand, Seine Beziehungen zu Seinem allezeit widerstrebenden Volk abzubrechen, war dieser Abbruch doch noch nicht endgültig vollzogen, und in den Herzen der aus Israel stammenden Zeugen des Herrn waren die Gefühle für das irdische Volk Gottes noch warm und lebendig. So spricht auch Paulus vor dem König Agrippa und dem Landpfleger Festus von „unserem zwölfstämmigen Volke2, das, Tag und Nacht Gott dienend, zu der zu den Vätern ·geschehenen Verheißung hinzugelangen hofft (Apstgsch. 26).
Wir können deshalb verstehen, dass Jakobus in seinem Briefe zuweilen sich an solche unter dem Volke wendet, die völlig ungläubig und unbekehrt waren, so z. B. in Kap. 5, 1—6, dann wieder in einer Weise redet, die auf Gläubige und Nichtgläubige anwendbar ist (wie z. B. in Kap. 4, 1 - 10), und schließlich an die „Brüder“ („meine Brüder“ — „meine geliebten Brüder“) Ermahnungen und Ermunterungen richtet, die nur für Gläubige bestimmt sein können. Andererseits gehen diese Ermahnungen usw. kaum über den Boden hinaus, auf welchen der Messias einst Seine Jünger gestellt hatte. Die Wahrheiten, die mit den neuen Beziehungen in Verbindung stehen, in welche wir als „Menschen in Christo“ gebracht sind, suchen wir in dem Briefe des Jakobus vergeblich, ebenso die Stellung und Hoffnung der Versammlung (Gemeinde). Für den Glauben des Jakobus stand Israel noch in demselben Verhältnis zu Gott, in welches es einst gesetzt worden war, und darum blieb er mit den übrigen Gläubigen in Verbindung mit diesem System. 
Es ist ja auch bekannt, dass Jakobus Jerusalem nie verlassen hat. Wir finden ihn in der Apostelgeschichte immer wieder als den Leiter der dortigen Versammlung, die ja nur aus gläubigen Juden bestand und, obwohl man anderswo zur Anbetung und zum Brotbrechen zusammenkam, die Verbindung mit dem Tempel und der Synagoge nicht löste. So seltsam es uns auch vorkommen mag, besonders im Blick auf den Hebräerbrief, in welchem der Geist Gottes die Gläubigen anweist, !außerhalb des Lagers“ zu gehen, dennoch ist mit aller Klarheit aus der Schrift zu ersehen, dass die Gläubigen in Jerusalem sich- äußerlich nicht nur nicht von der Masse und dem Gottesdienst des Volkes trennten, sondern auch nach wie vor die vorgeschriebenen Opfer darbrachten und alle „Eiferer für das Gesetz“ waren. Es gab sogar viele „Priester“ in ihrer Mitte, die ihr Amt und ihre amtlichen Verrichtungen nie aufgegeben hatten, und als Paulus nach Jerusalem kam, wurde er von Jakobus und den in dessen Hause versammelten Ältesten überredet, so zu tun, als wenn auch er selbst in der Beobachtung des Gesetzes wandle (Apstgsch. 21). Alles das erscheint uns heute fast unglaublich, aber es steht einwandfrei fest, dass Gott in Seiner Geduld und Langmut diesen Zustand bestehen ließ, bis die Zerstörung Jerusalems durch die Römer ihm ein gewaltsames Ende bereitete.
Jakobus war gleichsam die Verkörperung dieses Zustandes. Die Beachtung dieser Tatsache erleichtert das Verständnis des Briefes sehr. Ich wiederhole daher: obwohl die Gläubigen von Jakobus immer wieder zu einem gottseligen Wandel, zu Reinheit und Geduld, zu Demut und Liebe, also zu einer ernsten inneren Absonderung von der Welt und ihrem Wesen ermahnt werden, lässt der Geist Gottes, unter dessen Leitung und Eingebung Jakobus genauso gut geschrieben hat, wie Paulus und andere, doch die vorhandenen eigentümlichen Zustände bestehen, um uns auch von dieser ersten jüdischen Form, welche das Christentum angenommen hat, eine Darstellung zu geben. 
Naturgemäß redet der Brief des Jakobus nicht von den Ratschlüssen Gottes, die in Verbindung stehen mit Christo und der Versammlung, nicht von dem „Geheimniss“, das von den ZeitaItern her in Gott verborgen war, nicht einmal von der Erlösung, so wie wir sie in den Briefen des Paulus und Petrus entwickelt finden; dennoch ist er von überaus großer Bedeutung in praktischer Beziehung. Er ist mit Recht „der Gurt unserer Lenden“ genannt worden und ist in besonderer Weise auf das Namenchristentum anwendbar, von welchem heute die wahren Christen umgeben sind, indem er darauf dringt, dass die Wahrhaftigkeit des Bekenntnisses sich durch Werke erprobe. Die Behauptung, Glauben zu haben, ist wertlos, wenn der Glaube sich nicht durch einen Wandel in Liebe und Heiligkeit erweist.

Fußnote:
*) Antwort auf eine Anfange aus dem Leserkreise.

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Außer mir könnt ihr nichts tun

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 196

Sich an Kreaturen lehnen
will das Menschenherz so gern,
statt vor allem sich zu sehnen
nach Gemeinschaft mit dem Herrn.
Nimmer zieht aus andern Reben
doch die Rebe ihren Saft,
in dem Weinstock ist das Leben
aus dem Weinstock kommt die Kraft.

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Weide meine Schafe

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 197ff

Der Hirtendienst hat, wie wir uns schon früher sagten, einen doppelten Bereich: „Hüten“ und „Weiden“. Das eine ist freilich ohne das andere kaum denkbar. Dennoch hat in geistlicher Beziehung der eine Hirte mehr den Ruf und die Befähigung zum Hüten, der andere mehr zum Weiden der Schafe des Herrn. Beides zur rechten Zeit und in richtigem Sinne ausgeübt, bringt reichen Segen.
Der Dienst eines „Ältesten“ oder „Aufsehers“ (vergl. 1. Tim. 3, 1 —- 7; 5, 17 -— 20; Tit. 1, 5  — 11; 1.Petr. 5, 1 — 4 u. and. St.) war mehr außerhalb der Versammlung, in den Häusern und an den einzelnen Seelen, je nachdem das tägliche Leben in dieser Welt und die von allen Seiten drohenden Gefahren es erforderten. Die Ältesten waren berufen, ,,acht zu haben« aus die Herde, und wenn wir auch heute keine Ältesten mehr haben, weil niemand da ist, der sie „den Versammlungen wählen“ (Apstgsch. 14, 23) oder sie „in jeder Stadt anstellen“ (Tit. , 5) könnte, *) hat doch der Heilige Geist nicht aufgehört, uns Männer zu geben, die Er beruft und befähigt, „die Versammlung Gottes zu hüten“. (Apstgsch. 20, 28.)
Mit dieser Seite des Hirtendienstes haben wir uns im vorigen Monat eingehend beschäftigt; wir kommen jetzt zu der anderen. Das „Weiden“ der Schafe geschieht wohl meist innerhalb der Versammlung durch den Dienst am  Wort gelegentlich der Zusammenkünfte der Gläubigen. Dass es bei der Beschäftigung mit den einzelnen nicht ausgeschlossen ist, bedarf kaum der Erwähnung. Ein „Aufseher“ musste deshalb auch „lehrfähig“ sein und „fähig, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen“ (1. Tim. 3, 2; Tit. 1, 9). 
Welch eine Gnade und welch ein Vorrecht ist es, inmitten einer gottlosen Welt Zeiten zu haben, wo wir
uns gleich einer Herde auf grünen Auen niederlassen dürfen, um aus der Fülle des Wortes Nahrung zu empfangen und, wie einst Maria von Bethanien zu den Füßen des „Erzhirten“ sitzend, Seinen kostbaren Unterweisungen zu lauschen! 
Selbstverständlich sollte das persönliche Erforschen des Wortes Gottes, das „Sinnen darüber bei Tag und Nacht“, stets den ersten Platz einnehmen und von jedem Gläubigen daheim eifrig gepflegt werden. Aber daneben ist die gemeinsame Erbauung von überaus großer Wichtigkeit. Eine reiche Ermunterung liegt schon in der Tatsache selbst, mit so vielen anderen teuren Gliedern der Herde Christi vor Seinem Auge und in Seinem Namen versammelt zu sein. Aber die Gefahr ist groß, sich an solche Segnungen allmählich zu gewöhnen und sie schließlich nicht mehr so zu schätzen, wie sie es verdienen. Gewohnheitsmäßig meinen Platz auszufüllen, oder nur um mein Gewissen zu befriedigen oder einer gefürchteten Ermahnung zu entgehen, ist wertlos, ja, weniger als wertlos. Der Vorwurf, den der Apostel Paulus einst den Korinthern machen musste: „Schon seid ihr gesättigt, schon seid ihr reich geworden« (1. Kor. 4, 8), möchte heute auch wohl bei manchen Gläubigen zutreffen. Sie besuchen zwar noch die Zusammenkünfte zur Betrachtung des Wortes, aber der Hunger fehlt; vielfach ist auch ein Geist des Kritisierens eingetreten, so dass man selbst dann, wenn Speise und Trank reichlich dargereicht werden, unbefriedigt von dannen geht. Es ist eine bekannte Sache: „Eine satte Seele zertritt Honigseim“, während der hungernden Seele selbst das Bittere süß ist (Spr. 27, 7). Wir wollen auch nicht vergessen, dass der gute Hirte über Seine kleine, schwache Herde stets „innerlich bewegt“ ist, und dass es Ihm am Herzen liegt, „Seine Schafe auf guter Weide zu weiden“. Er ruft auch heute Seinen Jüngern zu: „Machet, dass sie sich lagern“, und wenn sie der Mahnung folgen, dürfen sie für alles übrige auf Ihn rechnen. Er teilt auch heute noch Seinen Knechten das Brot des Lebens aus, damit sie es weitergehen, und damit „alle gesättigt werden“ (Joh. 6). Jeder Knecht des Herrn, dem das Wohl der Herde am Herzen liegt, wird deshalb auch stets begehren, vom Herrn selbst das rechte Wort zu empfangen. Er weiß sehr wohl, dass er nichts geben kann, was er nicht zuvor empfangen hat, und als ein „guter und treuer Verwalter“ wird er fleißig die Gegenwart seines Herrn suchen, um imstande zu sein, „die zugemessene Speise zu geben zur rechten Zeit“. Wohl mag es ihm dabei zuweilen ergehen wie einst den Jüngern, die auf den „kleinen Knaben mit den fünf Gerstenbroten und zwei Fischen« sahen und sorgenvoll fragten: „Was ist dies unter so viele?“ Aber wenn er sich dann daran erinnert, dass der Herr da ist mit Seinem Herzen voll Gnade und Liebe, so wird er glaubend auf Ihn schauen und erfahren, dass Er heute noch Derselbe ist wie damals. Wie oft durften wir es erleben, dass Er unseren Kleinglauben so beschämte, dass nicht nur alle Versammelten reichlich gesättigt wurden, sondern auch von den übriggebliebenen Brocken noch anderen mitteilen konnten! 
Bei dieser Gelegenheit sei noch auf eine andere Gefahr aufmerksam gemacht, an die man, so gut sie uns allen bekannt ist, doch nicht oft genug erinnern kann. So sehr wir Ursache haben, die Gaben, die der Herr gibt, dankbar anzuerkennen, sollten wir uns doch hüten, auf Menschen zu blicken und von ihnen etwas zu erwarten. Ist es nicht so, dass wir oft mit Sorge erfüllt sind, wenn dieser oder jener Bruder fehlt? Oder uns mit einem Gefühl der Beruhigung niedersetzen, wenn ein „begabter“ Bruder oder gar mehrere solcher da sind? O möchten wir doch mehr im Glauben verwirklichen, dass der Herr
gegenwärtig ist, und dass wir von Ihm alles erwarten dürfen, wag not ist! Wir singen:
Herr, wenn um dich allein
die Herzen sich bewegen,
dann fließt wie .Himmelstau
herab dein reicher Segen.
Wir singen’s, aber glauben wir’s auch? Der Glaube ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, und nie werden wir zu schanden werden, wenn wir auf den Herrn vertrauen. Er benutzt sehr oft „kleine Knaben“ zum Nutzen für viele. Welch ein Segen würde auch hervorkommen, für uns und andere, wenn wir es uns zur Gewohnheit machten, ehe wir zur Versammlung gehen, unsere Knie vor dem Herrn zu beugen oder, wenn die Gelegenheit dazu fehlen sollte, in der Stille unserer Herzen zu Ihm um Segen zu flehen! Die dienenden Brüder merken es sehr wohl, wenn eine Versammlung betend hinter ihnen steht. 
Weiter ist es von der allergrößten Wichtigkeit für Redende und Hörende, auf die Leitung des Heiligen Geistes zu merken und auf Sein Wirken zu achten. Dass dies vor allem bedeutungsvoll ist für den, der am Worte dient, liegt auf der Hand; aber nicht nur solche sind verantwortlich. Wie wichtig ist z. B. schon das Vorschlagen eines Liedes zu Anfang einer Versammlung! Es kann und wird oft dem Zusammensein seinen Stempel aufdrücken, auf den ganzen Gang der Wortbetrachtung bestimmend einwirken· Wie nun, wenn schon das erste Lied falsch gewählt wäre und der Absicht des Geistes für die betreffende Stunde nicht entspräche? Würde es nicht, wenn auch an und für sich noch so schön und wahr, zum Unsegen dienen? Es liegt nur zu nahe, nachher einen dem Inhalt des Liedes entsprechenden Abschnitt zur Betrachtung zu wählen, und was zu anderen Zeiten vielleicht sehr gut und passend wäre, macht möglicherweise jetzt wenig oder gar keinen Eindruck. Es ist eben nicht das, was die Herde für den Augenblick zur Weide bedarf. Welch ein Verlust ist das aber für alle! Man hört in unseren Tagen vielfach die Klage, dass die Zusammenkünfte am Sonntagnachmittag oder an den Wochenabenden so schwach besucht werden, und wohl nicht mit Unrecht. Manche Gläubige scheinen es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, nicht zu kommen. Die Entschuldigungen, die sie vorbringen, wenn man sie darüber zur Rede stellt, sind ja genügend bekannt. Sie meinen auch, dadurch gerechtfertigt zu sein. Aber ist es nicht eine eigenartige Erscheinung, dass sehr oft gerade solche Gläubige bei besonderen Gelegenheiten, wie z. B· bei der Verkündigung des Evangeliums in großen, öffentlichen Sälen, jeden Abend, und wenn es zwei Wochen dauern sollte, im Saale zu finden sind? Ja, wenn nötig, schon eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung, nur um einen passenden Platz zu bekommen? Entfernungen, unangenehme Wege und dergl. spielen gar keine Rolle mehr. Die Schwierigkeiten werden spielend überwunden. 
Sagen wir das, um das Interesse an der Verkündigung des Evangeliums zu schwächen oder den bekundeten Eifer zu tadeln? Weit entfernt davon! Möchten Interesse und Eifer sich nur noch verdoppeln oder verdreifachen! Aber wir zweifeln daran, dass in diesem Falle beide auf der Waagschale Gottes die Probe aushalten. Wir fürchten vielmehr, dass die Probe für viele ein beschämendes Ergebnis haben würde. Wäre der Gedanke, dass der Herr in der Mitte der Seinen weilt, wo immer sie zu Seinem Namen hin versammelt sind, in den Herzen lebendiger, und die Liebe zu Ihm wahrer und tiefer, so würden die Plätze nicht so oft leer bleiben, wie es heute der Fall ist**) 
Wir wollen dabei auch nicht vergessen, dass der Segen des Herrn nicht von der Zahl der Versammelten abhängt. Es ist gewiss ermunternd, viele versammelt zu sehen, aber der Segen fließt deshalb nicht reicher, sondern im Gegenteil manchmal ärmer.
Wir sagten bereits, dass das Weiden der Schafe keineswegs  auf die gemeinsamen Zusammenkünfte der Gläubigen beschränkt sei, wenn es da auch vornehmlich geschieht. Wie oft sind wir überströmend gesegnet worden, wenn wir im kleineren Kreise in irgend einem Hause uns zusammenfanden, gewollt oder ungewollt, und nun die Gelegenheit benutzten, unsere Gedanken über den einen oder anderen Abschnitt des Wortes oder über irgend einen Teil der Wahrheit auszutauschen! Und wenn dann vielleicht ein älterer, mit dem Worte gut bekannter Bruder, sei’s Hirte oder Lehrer, zugegen war, wie manche Frage fand dann ihre Beantwortung, wie manche Schwierigkeit ihre befriedigende Erledigung! Ach, dass diese ,,SeIbstauferbauung des Leibes«, dieses „Reden zueinander“ in Liebe und Treue mehr unter uns gefunden würde! Gibt es auch besondere „Gelenke der Darreichung“, so bleibt doch jedes einzelne Glied des Leibes mitverantwortlich für das Wohl des Ganzen. 
Da sitzen aber manchmal Geschwister geraume Zeit beisammen; freundschaftliche und selbst brüderliche Gefühle haben sie zusammengeführt, alles Mögliche wird auch besprochen, nur nicht das, was die Herzen erquicken und den inneren Menschen stärken würde. Der Herr hat nicht den ersten Platz, und Sein Wort wird nicht begehrt. Vielleicht macht der eine oder andere den Versuch, einen nützlichen Gegenstand ins Gespräch zu bringen, aber es gelingt ihm nicht. Da ist kein Verständnis, kein Entgegenkommen, und wenn man auseinandergeht, muss man bei einiger Ehrlichkeit bekennen: Für den Herrn und Seine Herde ist heute wenig oder nichts herausgekommen. 
Das ist dann tief beschämend. Mit welch anderen Gefühlen trennt man sich, wenn die Liebe des Herrn, Seine herrliche Person, Sein Werk oder Seine Führungen mit uns der Gegenstand der Unterredung waren, wenn Sein Geist uns tiefer einführen konnte in „die Dinge, die uns von Gott geschenkt sind“! Dankgebete und Loblieder schließen dann gewöhnlich das Zusammensein, und man geht heim mit dem Bewusstsein, eine Stunde für die Ewigkeit gewonnen zu haben. Psalm 133 ist wieder einmal verwirklicht worden: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! . . . Denn dort hat Jehova den Segen verordnet, Leben bis in Ewigkeit“. Ich brauche kaum darauf aufmerksam zu machen, dass der persönliche Umgang mit dem Herrn zu allen Zeiten das erste und vornehmliche Mittel für die Schafe Christi bleibt, um alles das zu empfangen, was sie auf dem Wege durch diese Welt bedürfen. „Der Herr ist mein Hirte“ muss, wenn es anders gut stehen soll, die Sprache jedes einzelnen Gläubigen sein. Persönliche Gemeinschaft mit
dem Hirten ist die Grundlage aller anderen Segnungen. Ohne sie muss es abwärts gehen. Und welches Kind Gottes hätte nicht schon gesegnete Erfahrungen von dem kostbaren Wert des stillen, verborgenen Verkehrs mit Jesu, dem Erzhirten, gemacht! Besonders in der gegenwärtigen  Zeit der Verwirrung und allgemeinen Ratlosigkeit! Aber das ändert nichts an den besonderen Segnungen, die den Zusammenkünften und dem Gemeinschaftsleben der Gläubigen verheißen sind. Selbst der große Apostel verlangte sehnlichst danach, nähere Gemeinschaft mit der Herde in Rom machen zu können, um, wie er an sie schreibt, „mit euch getröstet zu werden in eurer Mitte, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen“ (Röm. 1, 12.) Das ist der Weg, auf welchem der ganze Leib, indem jedes einzelne Glied das Haupt festhält, „durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend und zusammengefügt, das Wachstum Gottes wächst“.
Wie ernst und beachtenswert ist in dieser Beziehung auch die Ermahnung des Apostels Petrus, dem der Herr einst die Hut und Weide Seiner Herde anvertraute: „Wie neugeborene Kindlein seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch (dem Worte Gottes), auf dass ihr durch dieselbe wachset zur Errettung“! (1. Petr. 2, 2). Petrus war ein guter und erfahrener Hirte, der wohl wusste, dass es nicht genügt, die Schafe auf grüne Weiden zu führen. Sie selbst müssen begierig sein nach der Speise, durch die das neue Leben in ihnen allen wachsen und gedeihen kann. Man muss sich oft darüber wundern, dass selbst an Orten, wo es nicht fehlt an gesunder Unterweisung und einsichtsvoller Belehrung, doch so wenig wahre Fortschritte gefunden werden, besonders bei jüngeren Gläubigen. Ja, man erschrickt zuweilen über den großen Mangel an geistlichem Verständnis. Wo liegt da die Ursache? Man sieht, dass die gute Weide allein nicht hilft. Was nutzt sie, wenn kein Hunger und Durst da ist, wenn so viele andere Dinge die Herzen beschäftigen und ausfüllen? 
Der gute Hirte sagt: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir“ (Joh. 10, 27.) Aber wie nun, wenn die Schafe im Hören träge geworden sind, wenn sie nur mit den Ohren hören, aber nicht mit dem Herzen? Wer die Stimme des guten Hirten wirklich hört, der wird Ihm auch folgen, und in dieser Nachfolge wird ihm dann ganz von selbst immer neue Kraft und Frische zufließen. Hören und folgen gehören immer zusammen. Das Bäumlein, dessen Wurzeln aus dem „Bache“ trinken, wird grünen und gedeihen, der Christ, der in Christum hinein „sich wurzelt“, wird in Ihm „auferbaut“ werden (Kol. 2, 7), das Schäflein, das hört und folgt, wird „wachsen zur Errettung“, zur Freude des Hirten. Aber ein Hören, das ohne Beherzigen und Folgen bleibt, verhärtet nur Herz und Gewissen.
Darum, ihr jungen und alten Hörer und Leser, nehmt das Wort, das euch verkündigt wird, zu Herzen! Ist es euch nicht schon oft so vorgekommen, als ob der verlesene Abschnitt und die daran geknüpfte Auslegung ganz besonders für euch bestimmt gewesen wären? Es war der Herr, Er, der ein jedes Seiner Schäflein kennt und über seinen Zustand und seine Bedürfnisse genau unterrichtet ist, der so unmittelbar zu euch redete. Ihr habt das auch gefühlt, seid ergriffen gewesen, und trotzdem hat es keine Änderung gegeben? 
Zum Schluss noch ein kurzes Wort an unsere lieben Brüder, die einen besonderen Auftrag empfangen zu haben glauben, die Herde Christi zu hüten und zu weiden. Der Herr stärke und ermuntere euch in eurem Dienst, um nicht müde zu werden! Fahrt fort, ihn auszuüben in Einfalt und Treue! Vergesst nicht, die Gläubigen von oben her zu betrachten, als das, was sie für Jesum sind! Lasst euch immer wieder auf „den Gipfel der Felsen« führen, um »von den Höhen herab« Gottes Herde zu schauen! (4.Mose 28, 9.) Nur so werdet ihr vor Entmutigung bewahrt bleiben und immer wieder Kraft finden zu verleugnungsvoller Arbeit. Bald ist das Ziel erreicht, das Tagewerk vollbracht. Und wenn dann die Erlösten alle glücklich daheim sind und es keiner Hirten und Lehrer mehr bedarf, werdet ihr die Frucht eurer Mühe sehen und die Anerkennung des Erzhirten empfangen, dem dann von uns allen ewiges Lob zuteil werden wird im Rückblick auf den ganzen zurückgelegten Weg.

Fußnote:
*) Nirgendwo in der Schrift findet sich eine Anweisung oder Ermächtigung für eine Versammlung, sich selbst Älteste zu wählen.
**) Bei Besuchen ist es dem Schreiber wiederholt begegnet, dass ältere Geschwister, die infolge körperlicher Schwäche oder Erkrankung die Versammlungen nicht mehr besuchen konnten, ihr Bedauern über den Verlust, den sie dadurch erlitten, ganz verschiedenartig zum Ausdruck brachten. Hier nur zwei Beispiele: Eine alte Schwester sagte: »Als ich noch gehen konnte, habe ich fast nie in der Versammlung gefehlt. Nur dann, wenn ein bestimmtes Hindernis vorlag, blieb mein Platz leer. Es ist mir in meiner jetzigen Lage oft zum Trost gewesen, dass ich mir in dieser Beziehung keine Vorwürfe zu machen brauche.“
Ein alter Bruder musste dagegen bekennen: „Ich habe leider manchmal in der Versammlung gefehlt, wenn ich gut hätte da sein können. Jetzt möchte ich gern gehen und kann nicht. Welch ein betrübendes Gefühl für mein Herz! Ich möchte jedem Bruder und jeder Schwester zurufen: Versäume nie diese gesegneten Stunden, damit du dir in späteren Tagen nicht denselben schmerzlichen Vorwurf machen musst wie ich!“
Vergessen wir auch nicht, dass wir durch unser Verhalten andere beeinflussen, sei es lähmend oder ermunternd. Wir sind entweder eine Hilfe oder ein Hindernis.

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Ein und derselbe Geist

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 207ff

2. Die Auferbauung der Versammlung durch die Gaben
Ehe ich selbst einige Worte über die Auferbauung der Versammlung durch die von Gott verliehenen Gaben sage, möchte ich einen Auszug aus einem Zwiegespräch bringen, das vor einiger Zeit im Druck erschien und diesen Gegenstand behandelt:
A.: Ich habe gehört, dass Sie behaupten, jeder Bruder habe die Berechtigung, in den Versammlungen der Gläubigen zu lehren.
B.: Da sind Sie falsch berichtet; durch eine solche Behauptung würde ich gerade das leugnen, was mir so außerordentlich wichtig erscheint, nämlich die Gegenwart und Leitung des Heiligen Geistes. Niemand hat die Berechtigung zu lehren, es sei denn, dass Gott ihm eine Gabe dazu verliehen habe.
A.: Gut; aber Sie sind doch der Meinung, dass jeder Bruder, wenn er anders die Fähigkeit dazu besitzt, das Recht hat, in der Versammlung zu reden?
B.: Keineswegs! Kein Mensch hat ein solches Recht. Nur der Heilige Geist hat das Recht, zu wirken, und zwar durch wen Er will. Ein Mensch mag eine natürliche Redegabe besitzen, aber wenn er „dem Nächsten nicht zum Guten, zur Erbauung gefallen“ (Röm. 15, 2) kann, wenn er nicht irgend eine Gnadengabe empfangen hat „zur Erbauung der Versammlung“ (1. Kor. 14), so ist er nicht berufen, in der Versammlung zu reden. Wenn er es dennoch tut, so offenbart er nur seinen Eigenwillen und betrübt den Heiligen Geist. Sein Dienst wird auch ganz unfruchtbar sein. 
A.: Wollen Sie nicht so freundlich sein, mir Ihre besonderen Ansichten über diesen Punkt näher zu entwickeln? 
B.: Meine besonderen Ansichten? Halten Sie es für eine besondere Ansicht meinerseits, wenn ich glaube, dass, weil die Gemeinde Christo angehört, Er ihr auch Gaben gegeben hat, durch welche sie allein auferbaut und richtig geleitet werden kann? 
A.: Nein, ich räume ein, dass das richtig ist, ja, ich möchte wünschen, dass man in der Kirche Christi mehr nach diesen Gaben streben möchte. 
B.: Das Wort Gottes belehrt uns in 1. Kor. 12, 11: „Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie Er will“. Daraus folgt, dass den kleinsten Gaben die Tür zu ihrer Ausübung ebenso geöffnet sein sollte wie den größten, und ferner, dass die Gabe eines Bruders die Ausübung der Gabe eines anderen keineswegs hindern sollte. 
A.: Das ist selbstverständlich.
B.: Sie sagen: Das ist selbstverständlich. Aber wird in den Landeskirchen oder in einer der kleineren christlichen Körperschaften das zur Ausübung gebracht, was 1. Kor. 14 uns lehrt? Lassen Sie mich in Verbindung damit noch sagen, dass keine Gabe auf die Anerkennung oder gar feierliche Bestätigung seitens der Versammlung warten muss, bevor sie ausgeübt werden darf. Ist sie von Gott, so wird Er sie auch empfehlen und bestätigen, und der Versammlung bleibt nur übrig, sie dankbar anzuerkennen. 
A.: Wollen Sie damit sagen, dass es überhaupt kein geordnetes Amt gebe?
B.: Wenn Sie damit meinen, dass die, welche Gaben zur Erbauung oder Belehrung von Gott empfangen haben, sich in jeder Versammlung in beschränkter Zahl vorfinden und von den Gläubigen anerkannt werden, so räume ich das ein. Wenn Sie aber ein ausschließliches Amt darunter verstehen, zu dessen Ausübung oder Verwaltung nur einzelne Personen berechtigt sind, die den Platz von Lehren: so ausschließlich einnehmen, dass die Ausübung irgend einer anderen Gabe ordnungswidrig erscheinen würde, so muss ich Ihre Frage entschieden verneinen. 
A.: Worauf gründen Sie diese Unterscheidung? 
B.: Unter anderem auf Apostelgeschichte 13, 1. Wir ersehen aus dieser Stelle, dass in Antiochien nur fünf Personen waren, die der Heilige Geist als Propheten und Lehrer anerkannte: Barnabas, Simeon, Lucius, Manaen und Saulus. Ohne Zweifel waren diese fünf Männer die Leute, von welchen man in den Zusammenkünften der Gläubigen ein Reden und Lehren erwartete. Ihr Dienst war als solcher anerkannt, aber es war kein ausschließlicher Dienst; denn als Judas und ·Silas nach Antiochien kamen, konnten sie ohne Schwierigkeit ihren Platz unter den anderen einnehmen (Kap. 15, 32), so dass» die Zahl der anerkannten Lehrer ohne weiteres vermehrt wurde.
A·: Aber wie denken Sie über das Vorschlagen eines Liedes, das Sprechen eines Gebets oder das Vorlesen eines Schriftabschnittes? Dabei kommt es doch nicht auf eine besondere Gabe an.
B.: Nein; aber auch diese Dinge sollten, wie alles übrige, unter der Leitung des Geistes geschehen. Es ist tief zu beklagen und kann nicht ohne schädliche Folgen bleiben, wenn jemand, weil ihm gerade dieses oder jenes Lied oder die eine und andere Schriftstelle einfällt, dieses Lied vorschlägt oder den Abschnitt liest, oder auch wenn er eigenwillig ein Gebet spricht. Jede einzelne dieser Handlungen sollte stets unter dem Bewusstsein der Abhängigkeit von der Leitung des Geistes geschehen, und wer die eine oder andere vollzieht, ohne diese Leitung zu beachten, handelt vermessen. Wer nur ein wenig versteht, was wahre Gemeinschaft ist, der wird auch wissen, wie ernst und schwierig es ist, eine Versammlung in Gesang, Gebet usw. zu leiten. Im Namen der Versammlung sich an Gott wenden oder ein Lied vorschlagen, um durch dasselbe ihre augenblicklichen Gefühle und ihre Herzensstellung vor Gott zum Ausdruck zu bringen, sind Handlungen, die sicherlich der unmittelbaren Leitung von Seiner Seite bedürfen.
Wenn wir uns jetzt weiter mit der Frage beschäftigen, ob Gott alle Gläubigen dazu berufen habe, an der öffentlichen Bedienung des Wortes teilzunehmen, wünsche ich zunächst die Aufmerksamkeit des Lesers auf 1. Kor. 12, 29. 30 zu richten, wo wir lesen: „Sind etwa alle Apostel? alle Propheten? alle Lehrer? haben alle Wunderkräfte? haben alle Gnadengaben der Heilungen? reden alle in Sprachen? legen alle aus?“ Diese Fragen würden keinen Sinn haben, wenn nicht durch sie ausgedrückt werden sollte, dass die genannten Dienste in der Versammlung nur durch einzelne ausgeübt werden sollen? Der Apostel- hat im vorhergehenden Verse gesagt: „Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, sodann Wunderkräfte, sodann Gaben der Heilungen usw.“ Dann fragt er: „Sind etwa alle Apostel usw.?“ Also gerade in jenem Teile der Heiligen
Schrift, der bis in die Einzelheiten hinein die Oberhoheit des Heiligen Geistes hinsichtlich der Austeilung und Ausübung von Gnadengaben in dem Leibe, der Versammlung des lebendigen Gottes, behandelt, in dem Teil, auf welchen man sich, und zwar mit Recht, beruft, um die von Gott selbst geordnete Freiheit des Dienstes zu beweisen, gerade in diesem Teile wird uns gesagt, dass Gott nur „etliche in der Versammlung“ zum Dienen bestimmt hat.
Nun hat man demgegenüber den Einwurf erhoben: Weil einige der in 1. Kor. 12 und 14 aufgezählten Gaben heute nicht mehr vorhanden sind, ist es zweifelhaft, ob man überhaupt die dort niedergelegten Grundsätze in der gegenwärtigen Zeit noch in Anwendung bringen kann. Man versteht die Schwierigkeit. Aber zunächst möchte ich an die, welche den Einwurf erheben, die Frage richten: Gibt es in der Schrift andere Grundsätze an die Hand, nach denen wir handeln könnten? Wenn das aber nicht der Fall ist, wer sind wir, dass wir nach unserem Gutdünken andere Richtlinien aufstellen dürften? Es ist aber au.ch gar nicht nötig, wie wir uns bald aus Eph. 4, 8 — 13 überzeugen werden. Nachdem der Apostel dort, in Anlehnung an Psalm 68, 18, im Blick auf Christum gesagt hat: „Hinaufgestiegen in die Höhe, hat Er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben“, fügt er hinzu: „Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen usw.“ Im zweiten Kapitel desselben Briefes wird uns gesagt, dass die Apostel und Propheten des Neuen Testaments die Grundlage der Behausung Gottes bilden; auf sie sind die übrigen lebendigen Steine des „heiligen Tempels im Herrn« aufgebaut. Es bleiben also nur noch Evangelisten, Hirten und Lehrer übrig, und so lang Christus einen Leib auf dieser Erde hat, der des Dienstes solcher Männer benötigt, wird Er nicht verfehlen, sie zu geben und durch sie alles das darzureichen, was dieser Leib, Seine geliebte Braut, zu seiner Nahrung und Pflege (vergl. Kap. 5, 29) bedarf. Er wird es so lang tun, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. 
Also durch den Dienst von Menschen, deren Bestimmung und Berufung es ist, zu dienen, sorgt Christus für  Seine Herde und ernährt sie, genauso wie der Heilige Geist durch diesen Dienst in dem von Ihm bewohnten Leibe, der Versammlung oder Gemeinde, wirkt. Vielleicht betreiben diese Diener ein Gewerbe (gleich Paulus, der Zeltmacher war), vielleicht auch nicht; jedenfalls sind sie, wenn sie anders ihren Platz verstehen, weit davon entfernt, Anspruch auf eine amtliche kirchliche Stellung zu machen. Sie werden von Christo gebraucht und durch den Geist dahin geleitet, als Evangelisten die Verlorenen aus der Welt zu rufen, oder als Hirten und Lehrer den Heiligen zu dienen zu ihrer Auferbauung und Vollendung; und die wahre Weisheit der Gläubigen besteht darin, die Gaben da, wo Christus sie hingestellt hat, zu unterscheiden, und sie an dem Platz anzuerkennen, den Gott ihnen am Leibe Christi angewiesen hat. Denn „Gott hat die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leibe, wie es Ihm gefallen hat. . . Das Auge kann nicht zu der Hand sagen: „Ich bedarf deiner nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich bedarf euer nicht“ (1. Kor. 12, 18 — 21). Alle Glieder füllen einen Platz an dem Leibe aus, wenn auch nicht alle in derselben Weise wie die, denen der Heilige Geist eine Gnadengabe „ausgeteilt“ hat. Diese anerkennen oder verwerfen, heißt deshalb Den anerkennen oder verwerfen, der sie gegeben hat.
Erinnern wir uns aber auch daran, dass der Herr Seine Gaben nicht einer örtlichen Versammlung, nicht nur einem Teile Seines Leibes, sondern dem ganzen Leibe gegeben hat und gibt; und niemals kann heute ein Kreis von Gläubigen, wenn er auch noch so groß wäre, sich die
Versammlung Gottes in — — nennen, noch weniger macht   er den ganzen Leib Christi aus. Gesetzt selbst, die Kirche stellte heute noch, wie zur Zeit der Apostel, eine sichtbare Einheit dar, so könnte doch der Fall eintreten, dass an dem einen Orte kein Evangelist und an dem anderen kein Hirte oder Lehrer zu finden wäre; wieviel mehr muss das so sein bei der allgemeinen Zersplitterung, die heute herrscht! 
Aber wird der Herr nicht Sorge tragen für die Häuflein, die sich da und dort zu Seinem Namen hin versammeln? Hat Er sich von Seiner Kirche abgewandt, weil sie in einem solchen Zustand ist? Versagt Er ihr die so nützlichen, ja, notwendigen Gaben? Ganz gewiss nicht. Er nährt und pflegt Seinen Leib mit unermüdlicher Liebe. Aber wir müssen uns stets daran erinnern, dass wir diese Gaben in der Einheit des ganzen Leibes besitzen. Alle Gläubigen an irgend einem Ort bilden die Versammlung oder Gemeinde Gottes an diesem Ort, ganz gleich, ob alle es verstehen und verwirklichen. Nun findet man vielleicht wahre Evangelisten, Hirten und Lehrer unter jenen Gliedern des Leibes, welche sich noch äußerlich zu einer der Landeskirchen bekennen oder sich irgend einer anderen religiösen Benennung angeschlossen haben. Welchen Vorteil haben nun die anderen Gläubigen, die zu keiner der genannten kirchlichen Parteien gehören, von jenen Gaben? Und umgekehrt, welchen Vorteil haben die Gläubigen in diesen Parteien von den Gaben, die der Geist in der Mitte der außer ihnen stehenden Gläubigen austeilt? —- Es ist gut, alles nach Gottes Gedanken und nicht nach unserem durch die Entwicklung der Dinge um uns her getrübten Urteil zu betrachten. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass ein Gläubiger, den Christus selbst nicht zu einem Evangelisten, Hirten oder Lehrer bestimmt hat, es auch nicht dadurch wird, dass er sich von allem durch Menschen Gemachten und Errichteten trennt und sich mit denen versammelt, welche nur von einem Namen wissen wollen (dem Namen Jesus) und die Gegenwart und Leitung des Heiligen Geistes in der Versammlung und damit die Freiheit des Dienstes anerkennen. Ob innerhalb einer religiösen Partei oder da, wo die menschlichen Satzungen und Einschränkungen beseitigt sind — nirgendwo kann es zur Auferbauung dienen, wenn solche, die der Herr nicht in Seinen Dienst gestellt hat, als Evangelisten, Hirten oder Lehrer auftreten. Ihr Tun kann nur Unordnung hervorbringen. Aber „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Versammlungen der Heiligen“ (1. Kor. 14, 33). 
Was sollen wir aber tun, wenn jene so nötigen Gaben in unserer Mitte fehlen? Lasst uns demütig unsere Armut bekennen und den Herrn, das Haupt Seines Leibes, um Gaben bitten. Hat der Herr uns ein oder zwei Gaben gegeben, so lasst sie uns dankbar anerkennen in der Stellung, die Gott ihnen gegeben hat, und um mehr bitten. Aber Gott bewahre uns vor allem eigenen Tun, vor jeder Selbsthilfe! Die eifrigste und bestgemeinte Tätigkeit eines nicht vom Herrn dazu Berufenen kann niemals den Mangel solcher Gaben ersetzen. Im Gegenteil, der Geist wird durch eine solche Tätigkeit nur gedämpft; sie betrübt und verhindert Ihn, durch diejenigen zu wirken, welche Er sonst zum Segen der Heiligen gebrauchen würde. Andererseits lasst uns die Gaben, die der Herr schenkt, „nicht verachten“! Auch das ist eine Gefahr. Wir betrüben, ja, verachten im Grunde damit den Gebet selbst.
Gott ist treu. Er wird uns in den Schwierigkeiten, in welche der allgemeine Verfall uns gebracht hat, nicht versäumen. Wenn wir diesen nur in Demut und Schmerz anerkennen und klein bleiben in unseren eigenen Augen, so wird Er in der Stellung der Absonderung, in welche Sein Geist und Sein Wort uns gebracht haben, mit uns sein. Lasst uns nur einfältig Sein Angesicht suchen und al1f nichts Anspruch machen, das wir nicht besitzen, uns nichts zu tun anmaßen, wozu Er uns nicht berufen und befähigt hat! 

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Er wusste nicht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite ff

„Und es geschah, als Mose von dem Berge Sinai herabstieg — und die zwei Tafeln des Zeugnisses- waren in der Hand Moses . . . da wusste Mose nicht, dass die Haut seines Angesichts strahlte, weil er mit ihm geredet hatte“ (2. Mose 34, 29).
„Und sie (Delila) sprach: Philister über dir, Simson! Da wachte er auf von seinem Schlafe und dachte: Ich werde davonkommen wie die anderen Male und mich herausschütteln. Er wusste aber nicht, dass Jehova von ihm gewichen war“ (Richt. 16, 20).
Beide Männer, Mose wie Simson, gehörten dem Volke Gottes an, und beide waren Werkzeuge in Gottes Hand, wenn auch von verschiedener Art. Beide mussten nicht, der eine, dass sein Angesicht strahlte, der andere, dass Jehova von ihm gewichen war. Welch ein Unterschied!
Mose war in Jehovas Gegenwart gewesen, um zum zweiten mal die Gesetzestafeln zu empfangen, nachdem das  erste Paar infolge der Sünde des Volkes am Fuße des Berges zerbrochen worden war (2. Mose 32, 19). Gott hatte auf die Fürbitte Seines Knechtes gehört, war umgekehrt von der Glut Seines Zornes und hatte sich ihm unter einem neuen Namen geoffenbart: „Jehova, Jehova, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt usw.“ (.Kap. 34, 6. 7.) Auf dem Boden des Gesetzes war für Israel alles dahin; nur auf Grund eines unumschränkten Erbarmens (Kap. 33, 19), indem Gnade mit Gesetz verbunden wurde, konnte Gott Sein Volk weiter tragen und in seiner Mitte wohnen. Diese Offenbarung der göttlichen Gnade und Güte war es, die das Angesicht Moses erglänzen ließ, freilich nicht in bleiben dem Glanze, aber doch mit solcher Kraft, dass die Kinder Israel es nicht zu ertragen vermochten. Man sah in ihm den Widerschein der göttlichen Herrlichkeit — Gott hatte mit ihm geredet und er mit Gott. Aber Mose selbst wusste nichts davon; andere sahen es.
Wie ganz anders war es bei Simson! Er hatte sein Herz einem heidnischen Weibe gegeben, und während Mose allein war mit Gott, in dem Lichte Seiner Gegenwart, und Seine Worte hörte, schlief Simson auf den Knien der Delila. War Moses Herz mit Anbetung erfüllt, Simsons Seele „wurde ungeduldig zum Sterben“. Mose empfängt in dem verborgenen Umgang mit Gott wunderbare Mitteilungen; Simson, der steten Plage von Seiten seines Weibes müde, gibt sein Geheimnis preis, ergibt sich schlafend dem Betrug der Sünde und verliert seine Kraft·  
Das, womit mein Herz beschäftigt ist, worin meine Seele lebt, wird nach außen hin sichtbar werden. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2· Kor. 3, 18). Je mehr Unser Herz sich von Ihm sättigt, desto mehr wird Sein Bild in uns gesehen werden. Ganz von selbst, uns unbewusst, findet die Umwandlung statt „als durch den Herrn, den Geist“. Wir sehen sie nicht, aber andere sehen sie. Geradeso kommt es auch in unserem Wort und Wandel zum Ausdruck, wenn das, was in der Welt ist, unser Herz fesselt. 
Ohne dass wir es wissen (wie bei Mose und Simson), wird offenbar, wo unser Herz lebt, oder wo unser Schatz ist; denn da, wo unser Schatz ist, ist naturgemäß auch unser Herz. Simson wusste nicht, dass Jehova von ihm gewichen war, und meinte, so tun zu können, wie er früher getan hatte; aber seine Feindin wusste, dass er ihr sein ganzes Herz kundgetan hatte, und „sie ließ ihn auf ihren Knien einschlafen und . . . fing an ihn zu bezwingen“, und die Philister kamen und stachen ihm die Augen aus! 
Die beiden Männer reden zu unseren Herzen und Gewissen. Was Gott uns in ihrer Geschichte zeigt, tritt uns heute bei einzelnen und bei ganzen Versammlungen entgegen. Das, wovon die Herzen angezogen und hingenommen werden, prägt sich in dem äußeren Verhalten aus. Ist es die Welt, so werden wir weltlich. Ist es unser Ich, so werden wir eigenliebig, hart, herrschsüchtig, rechthaberisch. Ist es Christus, so wird das Bild des Sanftmütigen und von Herzen Demütigen in uns gesehen werden, wir werden Ihm ähnlich. Genießen wir Seine Liebe, so wird Liebe von uns ausgehen. Trinken wir aus der Quelle des Wassers des Lebens, so werden Ströme lebendigen Wassers von uns ausfließen.

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Notizen aus einer Betrachtung über Josua 1 - 5

Bibelstelle: Josua 1 - 5

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 219ff

Wir finden das Volk Israel in drei verschiedenen Stellungen: in Ägypten, in der Wüste und im Lande Kanaan. In allen diesen Stellungen ist es vorbildlich. In Ägypten wurden die Kinder Israel durch das Blut des Passahlammes vor dem Gericht sichergestellt.
Der Durchzug durch das Rote Meer befreite sie von ihrer harten Dienstarbeit und von der Macht des Feindes.
Der Durchzug durch den Jordan führte sie in das Land und machte sie zu Kämpfern.
Wir befinden uns in allen drei Stellungen zugleich: in der Welt, in der Wüste und im Lande. Israel konnte sich selbstverständlich immer nur in einer derselben befinden.
Durch den Tod Christi, wie er im Passah vorgebildet ist, sind wir vor dem Gericht sichergestellt, unsere Sünden sind vergeben.
Durch denselben Tod, versinnbildlicht im Roten Meere, sind wir von der Macht Satans befreit und herausgeführt aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf. Die Welt hat ihren Charakter für uns, die Erlösten, verändert, sie ist eine Wüste für uns geworden.
Zugleich befinden wir uns im Lande; wir sind mit Christo gestorben, mit Ihm begraben und auferstanden (vorgebildet in dem Durchzug durch den Jordan), und sind in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter. 
Das Rote Meer ist ein Vorbild vom Tode Christi in seiner Anwendung auf unsere geistlichen Feinde: Welt, Sünde und Satan; sie sind besiegt, und wir sind aus ihrer Macht befreit. Der Jordan ist ein Vorbild vom Tode Christi in seiner Anwendung aus uns selbst: das Ende des Menschen im Fleische. Der Jordan wurde abgeschnitten, als er am gewaltigsten erschien, als er voll war über alle seine Ufer. So ist Jesus dem Tode in seiner schrecklichsten Gestalt begegnet. 
Beim Durchzug durch das Rote Meer handelt es sich gleichsam um das Aufgeben, beim Durchschreiten durch den Jordan um das Ergreifen einer Sache. Beim Roten Meer fand das Volk alles für sich vorbereitet, sie sahen die Rettung Jehovas. Beim Jordan mussten die Priester erst in das Wasser treten, bevor es sich teilte. So findet ein Mensch, wenn es sich um seine Erlösung oder Errettung handelt, alles bereit. Im Blick auf die Befreiung aber gibt es praktische Übungen und Erfahrungen. In der Erlösung ergreife ich im Glauben ein außer mir vollbrachtes Werk, in der Befreiung wende ich dieses Werk auf meinen persönlichen Zustand an, ich sehe mich in Christo. 
Der Apostel Paulus behandelt im Briefe an die Römer ausführlich die Wahrheiten, welche uns vorbildlich im Passah und im Roten Meere vorgestellt werden. Dieser Brief führt uns durch das Meer, durch die Wüste, bis an den Jordan. — Im Kolosser-Brief dagegen werden die Wahrheiten behandelt, die uns in dem Durchschreiten des Jordan versinnbildlicht werden. Wir werden durch den Jordan bis nach Gilgal gebracht. -— Der Brief an die Epheser führt uns in das verheißene Land. 
Mose, der Vertreter des Gesetzes, konnte das Volk nur bis an den Jordan führen. „Das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott usw. (Röm. 8, 3). Josua führte das Volk in das Land; aber auch er brachte sie nicht in die Ruhe. Dafür musste ein Größerer kommen als Josua: Jesus. 
Josua war der Diener Moses. Um Führer zu werden, muss man erst selbst gedient haben. „Die, welche wohl gedient haben, erwerben sich eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben“ (1.Tim. 3, 13). 
Das ganze Land war dem Volke von Gott verheißen und geschenkt; aber jeder Fußbreit Boden musste erkämpft werden. Mächtige Feinde waren im Lande. So geht es auch mit den Verheißungen und Segnungen, die Gott heute den Christen gegeben hat. Wir sind gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern, aber wir genießen sie nur insoweit, wie wir sie im Glauben in Besitz nehmen, „unseren Fuß darauf setzen“. 
Zweiundeinhalb Stämme blieben diesseit des Jordan. Obschon die ihnen zugeteilten Gebiete auch zu Kanaan gehörten, waren sie doch nicht mit dem Schwerte Josuas erkämpft worden, und wenn auch die waffenfähigen Männer mit ihren Brüdern in das eigentliche Land hinüberzogen, sind die Stämme als solche doch nie durch den Jordan gegangen. Ihr Besitz fiel denn auch später zuerst den Feinden in die Hand. So gibt es auch heute Christen, die sich stets diesseits des Todes und des Grabes Christi
bewegen und vielfach, gleich den zweiundeinhalb Stämmen, die wasserreichen Gegenden der Welt wählen. Die Welt ist allerdings unser (1. Kor. 3, 22), aber wir werden sie erst besitzen (heute sind wir berufen, sie zu überwinden), wenn die Ergebnisse des Werkes Christi auf die ganze Schöpfung angewandt werden. 
Beim Durchschreiten des Jordan musste eine Entfernung von zweitausend Ellen zwischen dem Volke und der Bundeslade beobachtet werden. Bis dahin war noch niemand diesen Weg gegangen, und hätte es jemand gewagt, so wäre er von den gewaltigen Fluten verschlungen worden. Petrus meinte, er brauche die geheimnisvolle Entfernung von zweitausend Ellen nicht zu beachten; er war „bereit, mit dem Herrn ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“. Kaum aber vernahm er das ferne Rauschen der Todesfluten, da wich er voll Furcht zurück. 
Gott nimmt hier den Titel „Herr der ganzen Erde“ an. Er steht im Begriff, Seine Rechte an die Erde geltend zu machen. Wenn Gott in späteren Tagen von der Erde Besitz nehmen wird, so wird Er wieder unter diesem Titel erscheinen. Aber auch der Feind wird dann wieder seine ganze Macht gegen Gottes Volk ins Feld führen. Er wird seinen Besitz nicht freiwillig hergeben. Doch Gott wird Seinem Volke einen Weg bahnen und die Macht des Feindes vernichten.
Gott hatte das Land Kanaan für Israel bestimmt (5. Mose 32, 8), Bis dahin bewohnten es die Nachkommen Hams. „Gepriesen sei Jehova, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht!“ so hatte Noah schon prophezeit. Diese Prophezeiung mit der anderen: „Verflucht sei Kanaan!“ sollte sich jetzt erfüllen. Bis dahin waren die Bewohner Kanaans gleichsam die Herren der Welt gewesen. 
Zwölf Männer, je ein Mann aus einem Stamme, mussten zwölf Steine, je ein Mann einen Stein, nehmen von dem Standort, wo die Füße der Priester, die die Lade Jehovas trugen, festgestanden hatten, und sie mit hinübernehmen ins Land, damit sie dort „ein Zeichen“ seien. Alle sollten so in eine persönliche, lebendige Verbindung mit der Tatsache kommen, dass die Wasser des Jordan „abgeschnitten“ worden waren. Die zwölf Steine mussten an der anderen Seite des Jordan von Josua als Denkmal errichtet werden, „zum Gedächtnis für die Kinder Israel“. So soll auch unser Leben in Verbindung mit dem Herrn ein fortwährendes Zeugnis davon sein, dass, wir mit Ihm im Tode und in der Auferstehung eins gemacht worden sind.
„Und zwölf Steine richtete Josua auf in der Mitte des Jordan . . . und sie sind daselbst bis auf diesen
Tag · . . Und jene zwölf Steine, die sie aus dem Jordan genommen hatten, richtete Josua zu Gilgal auf“ (Kap. 4, 9. 20). Eine doppelte Handlung voll tiefer, vorbildlicher Bedeutung! Die Steine im Jordan sind ein Zeugnis dafür, dass das Urteil vollzogen, das Gericht ein für allemal ausgeführt ist, indem es über Christum und in Ihm über mich ergangen ist und so mit mir in meinem alten Zustande für immerdar ein Ende gemacht hat; die Steine am Eingang des Landes erinnern in bleibender Weise an die Tatsache, dass Der, der für mich im Tode war, nun als der verherrlichte Mensch in den Himmel gegangen ist, indem Er alle die Seinigen als Siegesbeute mit sich dort einführte. 
So hat sich der Herr durch Seinen Tod gleichsam ein doppeltes Gedächtnis errichtet; und immer wieder lenkt Er die Herzen Seiner Erlösten dorthin, wo Er für sie im Gericht gestanden hat. 
Das Volk war in der Wüste nicht beschnitten worden. Die Wüste ist nicht der Ort der Beschneidung, sondern GilgaI; hier wurde die Schande Ägyptens von dem Volke abgewälzt. Jedes Merkmal der Welt, das ein Christ an sich trägt, ob in religiöser oder sittlicher Beziehung, ist eine Schande für ihn. Auf alle diese Dinge muss das Todesurteil geschrieben werden. 
Israel steht im Begriff, das Schwert über die Kanaaniter zu bringen. Vorher aber müssen die Steinmesser auf sie angewandt werden. Gott kann das Fleisch nicht anerkennen; es darf sich niemals in die Dinge Gottes mischen. Niemand hat das wohl so verstanden, wie der Apostel Paulus. Er sagt: „Wir sind die Beschneidung“ (Phil. 3, 3), und dann gibt er drei Kennzeichen der wahren Beschneidung an:
1. „die wir durch den Geist Gottes dienen und 2. Uns Christi Jesu rühmen und 3. nicht auf Fleisch vertrauen“.
„Und die Kinder Israel lagerten in Gilgal, und sie feierten das Passah , und am Tage nach dem Passah
aßen sie von dem Erzeugnis des Landes. Das Man hörte auf. Ein eindrucksvolles Bild von unserer ganzen christlichen Stellung. Wenn wir die Glieder, die auf der Erde sind, getötet haben, indem wir so unser Gestorbensein mit Christo verwirklichen, lagern oder ruhen wir „da, wo Gott mit Wonne ruhet“.. Wir feiern das Fest unserer Errettung und begehen diese Feier mit einem himmlisch en Christus in unserer Mitte.

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Willst du gesund werden?

Bibelstelle: Johannes 5,6

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 225ff

In dem Evangelium Johannes begegnen wir dem Herrn bei verschiedenen Gelegenheiten in Jerusalem; nicht so in den anderen Evangelien. Aber während Er in Galiläa oft von Tausenden umgeben ist, erscheint Er in Jerusalem stets als ein einsamer Mann. (Vergl. die Kapitel 2. 3. 5. 6. 7. 9. 10). 
Bei Seiner letzten Reise durch Jericho nach Bethanien und über den Ölberg nach Jerusalem, die von allen Evangelisten berichtet wird, folgte Ihm allerdings eine große Volksmenge, aber auch diese Gelegenheit macht kaum eine Ausnahme von der Regel, denn auch da war Er ein einsamer Fremdling.
Die Feste werden gleichfalls von Johannes behandelt, als wenn sie der Vergangenheit angehörten. Er redet von ihnen in ganz ähnlicher Weise, wie der Apostel Paulus in seinen Briefen von dem Berge Sinai oder von den gesetzlichen Verordnungen spricht. Sie werden in den Kapiteln 2, 5, 6 und 7 „Feste der Juden“ genannt. Nur im 13. Kapitel wird das damalige Passah von unserem Evangelisten als ein von Gott angeordnetes Fest anerkannt, wohl aus dem Grunde, weil der Herr im Begriff stand,
als das wahre Passahlamm die Erfüllung dieses Festes herbeizuführen.
Das Evangelium Johannes weist noch andere Besonderheiten auf und ist vor allein darin charakteristisch, dass der Herr von vornherein als von Israel verworfen betrachtet wird. Sein Verhältnis zu den Juden ist von Anfang an wie gelöst; Er steht unter lauter Sündern, nicht gekannt von der Welt, die Er doch erschaffen hatte, und nicht angenommen von Seinem alten Volke, in dessen
Mitte Er getreten war (Vergl. Kap. 1, 10. 11).
In vollkommener Übereinstimmung damit sagt uns Johannes auch nicht, welches Fest es war, das im Beginn des fünften Kapitels den Herrn nach Jerusalem geführt hatte. Es machte nichts aus, welches Fest es war, denn der Herr wollte sich in der Stadt der Juden, dein Orte der Feste und feierlichen Veranstaltungen Seines Volkes, als Der zeigen, welcher diese Feste und alles, was mit ihnen in Verbindung stand, abzuschaffen im Begriff war. Wir hören deshalb an dieser Stelle auch nicht nur von einem Fest, sondern wir begegnen dem Sabbattag, den religiösen Leiter» des Volkes, dem Tempel und jener eigenartigen und wunderbaren Einrichtung des Teiches Bethesda. 
Dieser Teich bei dem Schaftor in Jerusalem, der den hebräischen Beinamen Bethesda trug, war eine gnädige Vorsorge Gottes für die Bewohner Jerusalems. Dem religiösen jüdischen System, dem Gesetz, verdankte er sein Dasein nicht. Es war etwas Außerordentliches, gleichsam etwas Gelegentliches, ähnlich wie in früheren Tagen das Auftreten eines Richters oder die Sendung eines Propheten, oder die Erscheinung eines Engels (Vergl. die Geschichte Gideons und Manoahs). „Zu gewissen Zeiten stieg ein Engel in den Teich herab und bewegte das Wasser. Wer nun nach der Bewegung des Wassers zuerst hineinstieg, ward gesund, mit welcher Krankheit irgend er behaftet war“ (Vers 4). Diese gelegentlichen Engelbesuche waren ein Zeugnis von der Tatsache, dass es Hilfsquellen des Erbarmens und der Macht in dem Gott Israels gab, die über das, was dem Volke für gewöhnlich gewährt war, hinausgingen. Schon der Beiname des Teiches wies darauf hin. Bethesda bedeutet „Haus der Barmherzigkeit“. Als solches war der Teich eine Art Unterpfand für Israel im Blick auf den kommenden Messias, das zum Voraus von Ihm redete, wie die gesetzlichen Verordnungen und Propheten es früher getan hatten. 
Und nun steht Jesus an diesem Teiche! Welch ein Anblick! Er mag uns, wie einst der brennende und doch nicht verzehrte Dornbusch zu Moses Zeiten, wohl veranlassen, „hinzuzutreten und dieses große Gesicht zu sehen“ (1. Muse 3.) Könnte es einen größeren Gegensatz geben, als den zwischen Ihm und dem Wasser, das Er gleichsam auszutrocknen gekommen war! 
Der Anblick erinnert unwillkürlich an den Brief an die Hebräer. Der Apostel stellt in diesem Briefe den Herrn Jesus neben die gesetzlichen Verordnungen, wie der Herr sich hier neben den Teich am Schaftor stellt, und siehe da, Joh. 5 gibt uns dieselbe Unterweisung wie der Brief an die gläubigen Hebräer. Genauso wie die gesetzlichen Einrichtungen in der einen oder anderen Weise ein Zeugnis auf Christum hin enthielten, genauso ist es mit dem Teiche Bethesda. Aber mag Jesus neben dem Teiche stehen oder mit den Einrichtungen des Gesetzes verglichen werden, immer finden wir, dass der Gegensatz mindestens ebenso stark ist wie die Ähnlichkeit. Wir brauchen nur auf den Herrn hier und auf den Apostel dort zu lauschen, um das klar und deutlich zu erkennen. 
„Willst du gesund werden?“ Das war das einzige Wort, welches der Herr an den Kranken am Teiche richtete. War dieser Mann bereit, sich ganz so, wie er war, Seinen Händen zu übergeben? War er gewillt, ein Schuldner des Herrn zu werden? Vermochte er sich mit all seiner Not und Schwachheit Ihm allein anzuvertrauen? Das war die einzige Frage. Und wahrlich, sie stand in ihrer Einfachheit in unmittelbarstem, völligstem Gegensatz zu der schwerfälligen Maschinerie des Teiches von Bethesda. Hier gab es kein Ringen um den Vorrang, keine Ungewissheit, keine Enttäuschungen wie dort; hier wurde keine Mithilfe von anderen begehrt oder gewährt. Wenn Jesus erscheint, so heißt es einfach: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“. Oder: „Was zögerst du? Siehe auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen.« Ach! solche oder auch nur ähnliche Worte klangen den Kranken aus den durch den Engel bewegten Wassern des Teiches nicht entgegen. Wie oft auch der himmlische Bote herabsteigen mochte, derartiges wurde nicht vernommen. 
„Willst du gesund werden?“ Wie einfach und doch zugleich wie gewaltig, ergreifend und voll Trost! 
Der Herr befand sich damals in Jerusalem, dem großen Mittelpunkt menschlicher Religiosität, und zwar zu einer Zeit, wo sich deren prunkvolle Vorkehrungen in ihrer reichsten Mannigfaltigkeit dem Auge darboten. Es war Sabbat. Es war ein Fest der Juden. Die Stadt religiöser Feierlichkeiten erlebte eine ihrer glänzendsten Stunden. Dazu war der Tempel in der Nähe, die Pharisäer standen umher, und eine große Menge erwartungsvoll auf das Wasser schauender Israeliten und Anbeter aus nah und fern hatte sich bei dem Schaftor, an der Stätte des geheimnisvollen Engeldienstes, versammelt. Und in der Mitte von allem steht Er, der sich weder um das Fest, noch um den Sabbat, noch um den Tempel kümmert! Ja, Seine Frage lautet, als wolle sie den Untergang aller dieser Dinge ankündigen. Das „Willst du gesund werden?“ ist gleichsam das Grabgeläute des ganzen jüdischen Systems. 
Der arme Krüppel, an den die Frage gerichtet wurde, sah sich mit einem Schlage von allen seinen Nebenbuhlern, aber auch von allen seinen Freunden getrennt. Mochten die einen ihn zurückstoßen, die anderen ihm zu helfen suchen, er konnte jetzt getrost von allen abblicken. Er brauchte auch keine Minute mehr zu warten. An die Stelle von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Enttäuschungen und Hoffnungen sollte ein gegenwärtiger Genuss, eine unmittelbare Heilung treten. Gesetzliche Verordnungen und Engeldienst, Helfer und Nebenbuhler, Ungewißheit und schmerzlicher Aufschub — alles und jedes sollte verschwinden und in Jesu zu seinen Gunsten eine herrliche Antwort finden. Als der Sohn Gottes an den Teich trat, war die einzige Frage die: Willst du alles für Ihn aufgeben und einfach dastehen »und die Rettung Gottes sehen, die Er dir heute schaffen will“?
„Willst du gesund werden?“ Das Wort, in dieser Umgebung und in diesem Augenblick, stellt die ganze Dürftigkeit des Teiches Bethesda ans Licht. Auch er erweist sich als ein „schwaches und armseliges Element“ (Gal. 4, 9). Seine Herrlichkeit verblasst und verschwindet vor der „überschwänglichen Herrlichkeit“ in Christo. (Vergl. 2. Korinther 3, 10), 
In ähnlicher Weise zeigt der Heilige Geist in dem bereits angeführten Brief an die Hebräer, was das „weltliche Heiligtum« mit all seinen Diensten und Vorkehrungen war. Der Schreiber des Briefes, geleitet durch den Heiligen Geist, stellt Jesum noch einmal neben den Teich Bethesda, neben das gesetzliche System mit all seinen Satzungen, und zeigt dann deren Ar1nseligkeit und völlige Kraftlosigkeit. In den Zeremonien des Tempels gab es ja, geradeso wie in dem Teich am Schaftor, einen schwachen Widerschein von der Herrlichkeit Christi; aber ein Wider- schein hat keinen Körper, er ist nur ein „Schatten“, ein Bild, und muss verschwinden, sobald das wahrhaftige Licht kommt. Jesu allein gebührt alle Herrlichkeit, und in Ihm allein ist sie. Darum, wenn der Geist Ihn in jenen Brief einführt, so lässt Er Ihn nicht wieder los, bis Er in die Worte ausbricht: „Jesus Christus ist derselbe ge-stern und heute und in Ewigkeit“. 
Auch in unserer Stelle redet der Herr zu dem Kranken von nichts anderem, als von Seiner heilenden Kraft. Er macht ihn gesund und sagt dann zu ihm: „Stehe auf, nimm dein Bett auf und wandle!“ So musste der Geheilte selbst das hinwegtragen, was den auf Heilung Wartenden bis dahin getragen hatte. Nachdem der Sohn Gottes ihn geheilt hatte, war er frei das zu tun, und mehr bedurfte er nicht. Wenigstens hätte es so mit ihm sein können. Er ist das Bild einer völligen Befreiung. Wahrscheinlich aber war er nur ein unbewusstes Vorbild des Weges des Sohnes Gottes mit dem Sünder. Persönlich scheint er außer seiner äußeren Heilung keinen Nutzen aus der Begegnung mit Jesu gezogen zu haben. Anstatt von dem Herrn ganz gefesselt zu werden, anstatt auf die an ihn gerichtete Frage hin mit Bewunderung und Freude zu dem Antlitz des Fremdlings aufzuschauen und sich, wie er war, mit all seiner Not und seinem Schmerz, unverweilt Seinen Händen anzuvertrauen, redet er von seiner
schwierigen Lage. Ich weiß wohl, dass das nur zu natürlich war, und dass das Gleiche alle Tage wieder geschieht; es ist eben die gewöhnliche Weise des Menschen. Wenn wir daran denken, kann es uns auch kaum befremden, den Mann hernach im Tempel wiederzufinden, statt, gleich dem aussätzigen Samariter von Luk. 17, zu den Füßen seines Befreiers. Ach! so sind stets die Wege und Äußerungen einer gesetzIichen, religiösen Gesinnung, sei es im Judentum oder in der Christenheit; sie hat kein Ohr, kein Verständnis für das, was die Gnade bringt. 
Auch noch aus einem anderen Grunde brauchen wir uns nicht zu sehr über den Kranken zu wundern. Wenn wir eine solche „Menge kranker, Blinder, Lahmer, Dürrer“ an jenem unsicheren, die Heilungssuchenden immer wieder täuschenden Teiche versammelt sehen, obwohl der Sohn Gottes durchs Land schritt, um allen, die Hilfe begehrten, Heilung zu bringen „ohne Geld und ohne Kaufpreis“ unzweideutig und unabhängig von jeder menschlichen Beihilfe, so erscheint das Tun jenes einzelnen Mannes, so beklagenswert es sein mochte, nicht mehr so seltsam.
Doch Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die ganze Szene! Sie enthält ernste Unterweisungen für uns. Der Teich ist von Hilfesuchenden umlagert, Jesus geht unbeachtet vorüber! Der Teich wird eifrig aufgesucht, während Jesus suchen und sich selbst anbieten muss! Welch ein Bild ist das von der Religion des armen menschlichen Herzens! Satzungen, so zahlreich und beschwerlich sie sein mögen, werden gern und eifrig beobachtet, die heilbringende Gnade Gottes wird vernachlässigt und verachtet! Die Gnade muss immer wieder gepredigt und angeboten werden, Satzungen und Zeremonien werden, gleich jenem Teiche, Tag für Tag umlagert von willigen Verehrern!
Doch mehr noch. Jener Teich hatte auch noch seine Umgebung, die Szene ihre Begleiterscheinungen, alles zu unserer Belehrung. Wir lesen in Vers 9: „Es war aber an jenem Tage Sabbat“.
Wenn der Herr in den anderen Evangelien wegen Seines Wirkens an einem solchen Tage zur Rede gestellt wird, antwortet Er unter Bezugnahme auf David, der von den Schaubroten aß, oder auf die Priester, die am Sabbattage im Tempel ihren Dienst verrichteten, oder Er beruft sich auf ein Wort aus den Propheten: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“, oder auch auf die Tatsache, dass Seine Ankläger selbst ihren Ochsen oder Esel am Sabbattage zur Tränke führten. Hier aber, im Evangelium Johannes, gelegentlich der Heilung des Kranken von Bethesda, beantwortet Er die Feindschaft der Juden mit den Worten: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“.
Wunderbares Wort! Doch lasst mich zuerst darauf aufmerksam machen, wie charakteristisch es für Johannes ist. Der Herr stellt sich hier nicht, wie bei ähnlichen Gelegenheiten in den anderen Evangelien, neben David oder die Priester, Er führt nicht ein Wort eines der Propheten an oder beruft sich auf ein allgemein gutgeheißenes Tun der Menschen, sondern Er tritt in Verbindung mit Gott. Es handelt sich nicht um das, wag David einst getan, oder was Priester und Menschen im allgemeinen in jenen Tagen taten, sondern um das, was der Vater allezeit in dieser gefallenen, von Not und Jammer erfüllten Welt getan hat und tut; das nennt und nimmt der Herr als Muster und Richtschnur Seines Handelns. Hatte Er nicht gerade in der eben vollbrachten Heilung des armen Krüppels ein Beispiel davon gegeben? 
Das ist sicherlich voll von Bedeutung: kennzeichnend für das Evangelium Johannes und zugleich von wunderbarer Schönheit. „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke!“
Der Mensch hat im Anfang seiner Geschichte den Sabbat verwirkt. Durch sein Sündigen brach er die liebliche Ruhe der Schöpfung. Er verlor den Garten Eden und wurde ein mühseliges Geschöpf auf Erden, das im Schweiße seines Angesichts seinen Lebensunterhalt erwerben muss.. Aber wunderbar! als der Mensch so seine Ruhe verlor, verlor Gott die Seinige auch. Er begann sofort wieder zu wirken. Gott hatte zum Gedächtnis an die Vollendung Seines Schöpfungswerkes den siebenten Tag geheiligt. Er ruhte an diesem Tage und genoss Seine Ruhe, indem Er mit dem „in Seinem Bilde, nach Seinem Gleichnis“ geschaffenen Menschen in dem Garten wandelte, den Er ihm gegeben und für ihn so reich ausgestattet hatte. Aber als dann die Sünde kam und die Schöpfungsruhe dahin war, begann Gott nicht nur sogleich zu wirken, sondern zu wirken für Sein durch eigene Schuld ruiniertes Geschöpf. Wir lesen in 1. Mose 3, 21: „Und Jehova Gott machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und bekleidete sie“, bekleidete Mann und Weib, d. h. schuldige, dem Gericht verfallene Sünder.
Stehen wir hier nochmals einen Augenblick still, um dieses neue, wunderbare Gesicht zu betrachten! Der glorreiche Bildner des Himmels und der Erde, der allmächtige und allweise Schöpfer, dessen Finger den Himmel über uns gerade in so wunderbar Weise geschmückt hatte, und dessen Geschöpfe die Erde bevölkerten, auf der wir wandeln, wendet sich einer anderen Tätigkeit zu: Er bereitet gleichsam mit eigener Hand -— ewig sei Sein Name dafür gepriesen! — eine Bekleidung für den Sünder! So begann der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus in Gnaden zu wirken. Und so ist Er, all die alttestamentlichen Zeiten hindurch, in Liebe und Erbarmen wirksam gewesen. Wie hätte Er auch inmitten einer gefallenen Welt, einer verunreinigten Schöpfung ruhen können? Er wirkte, wirkte in Gnade, inmitten von Ruinen, auf Grundsätzen, die einer neuen Schöpfung angehören. Patriarchen und Propheten, das Volk Israel selbst, die Verordnungen des Gesetzes und schließlich auch der Teich Bethesda — alle hatten in ihrer Weise und zu ihren Zeiten davon gezeugt. Und jetzt war Christus, der Sohn Gottes, gekommen, um nach dem gleichen Muster zu wirken — der geheilte Kranke war ein Beweis davon — und gleichsam noch am Rande des Teiches stehend, mit dem Geheilten vor sich, sprach Er: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“. 
Teurer Leser! was sollen wir hierzu sagen? Nachdem die Ruhe unterbrochen worden ist, hat Gott die Arbeit von neuem aufgenommen! Schon die Feuersäule in der Wüste hatte dies; bildlich dargestellt. Israel, mit starker Hand aus Ägypten geführt, verwirkte die ihm in Kanaan verheißene Ruhe, und musste nun, vierzig Jahre lang, fern von jener Ruhe, in der Wüste umherwandern. Aber wenn Israel wanderte, so sollte die Wolken- und Feuersäule, oder richtiger die Herrlichkeit Gottes, die in ihr wohnte, auch ein Wanderer sein. Hatte Israel, wie einst Adam, seine Ruhe verscherzt, so wollte der Gott Israels gleichfalls auf die Seinige verzichten. Und so wanderte die Wolke mit dem Lager umher als ein neues Zeugnis von der göttlichen Gnade, die Jehova Gott im Anfang geoffenbart hatte. Der Gott Israels war, wie der Gott der Schöpfung gewesen war; denn Er ist „Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“. 
Das Evangelium ist wie ein großes, gemeinsames Wirken seitens des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Auf Grund dessen, was Gott selbst in dem für Sünder vollbrachten Sühnungswerke getan hat, wendet sich Jesus an den schuldigen, hilflosen Menschen und fragt: „Willst du gesund werden?“ — fragt immer noch, fragt jeden, fragt alle!
Und während das Hervorleuchten der göttlichen Gnade in den Zeiten des Gesetzes (wie hier im Teiche Bethesda) nur gelegentlich war, ist heute, im Zeitalter des Evangeliums, die Gnade oder das Heil Gottes eine bleibende Einrichtung, eine Sache, die unaufhörlich dem Sünder angeboten wird. Heute ist „der Tag des Heils“, die „wohllangenehme Zeit“. Dennoch gibt es auch in unseren Tagen besondere Segenszeiten oder Gelegenheiten, wo der Heilige Geist in hervorragender Weise wirkt und einen Ort oder eine ganze Gegend heimsucht. Gott schenkt auch heute noch, wie vor alters, „Zeiten der Heimsuchung“, wenngleich es wahr bleibt, das; wir in dem Haushalt der Gnade leben, was früher nicht der Fall war. Der Stadt .Korinth wurde eine solche Zeit gewährt, wie früher der Stadt Jerusalem. (Vergl. Luk. I9, 44; Apstgsch. 18, 10.) Und wenn Bethesda zu seiner Zeit diese heimsuchende Gnade Gottes in Jerusalem bezeugte, so haben sogenannte Erweckungszeiten das Gleiche immer wieder bezeugt, solang das Christentum währt, und werden es bezeugen, bis Jesus kommt und dann eine andere Zeit der Heimsuchung hereinbricht, jene furchtbare „Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“.

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Ein und derselbe Geist

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 236ff

3. Woran ist die Leitung des Geistes zu erkennen?
Es gibt verschiedene Merkmale, an denen man erkennen kann, ob der Geist Gottes leitet oder nicht, verneinende und bejahende. Beschäftigen wir uns zunächst mit den verneinenden. Doch bevor wir das tun, möchte ich auf zwei Punkte aufmerksam machen, und zwar als ersten auf den Unterschied zwischen Dienst und Gottesdienst. 
Gottesdienst im eigentlich en Sinne ist Anbetung, Danksagung und Lob. Der wesentliche Unterschied zwischen Gottesdienst und Dienst besteht darin, dass in dem ersten der Mensch zu Gott redet, in dem zweiten Gott durch Seine Diener zu den Menschen spricht. Unser einziges, allerdings auch völlig genügendes Anrecht auf den Gottesdienst ist jene überströmende Gnade, die uns durch das Blut Jesu Gott nahe gebracht hat — so nah, das; wir Ihn als unseren Vater kennen und anbeten, so nah, dass wir zu Königen und Priestern geworden sind. Hierin stehen sich alle Heiligen gleich, der schwächste wie der stärkste, der erfahrenste Christ wie das Kindlein in Christo. Der begabteste Diener des Herrn hat kein größeres Anrecht, Gott zu nahen, als der schwächste Gläubige in den Reihen derer, die er bedient. Das Aufgeben dieser Tatsache würde zudem führen, wozu man in der Christenheit in solch ausgedehntem Maße gekommen ist, nämlich zu der Errichtung eines Priesterstandes zwischen der Kirche und Gott. Wir haben einen großen Hohenpriester, und das einzige Priestertum, das gegenwärtig neben dem Seinigen besteht, ist das, an welchem alle Gläubigen, und zwar alle in gleicher Weise, teilhaben. Es ist deshalb unmöglich, anzunehmen, dass in einer Versammlung von Christen nur diejenigen, welche Gott zum Lehren, Ermahnen oder zur Verkündigung des Evangeliums befähigt hat, befugt seien, Lieder vorzuschlagen, zu beten, zu danken und zu loben. Gott, der Heilige Geist, kann sich auch anderer Brüder bedienen, um entweder durch das Vorschlagen eines Liedes die Anbetung der Versammelten zu entsprechendem Ausdruck zu bringen, oder durch ein Gebet deren Gefühle und Bedürfnisse kundwerden zu lassen. Und wenn es Gott gefällt, so zu handeln, wer und was sind wir, dass wir „Nein“ dazu sagen könnten? So wenig aber diese gottesdienstlichen Handlungen das ausschließliche Vorrecht derer sind, welche Gaben besitzen, so gewiss sollten sie stets der Leitung des Heiligen Geistes unterstellt sein und von den in 1. Kor. 14 niedergelegten, für alle Zeiten gültigen Grundsätzen beherrscht werden, damit „alles anständig und in Ordnung geschehe“. 
Der Dienst, d. h· der Dienst am Wort, der Dienst, in welchem Gott durch Seine Diener zu den. Menschen redet, ist das Ergebnis der Verleihung einer oder mehrerer Gaben an Einzelne, für deren Benutzung die Empfänger Christo verantwortlich sind. Ich wiederhole also: Im Blick auf das Anrecht, Gottesdienst zu üben, stehen wir alle gleich, die Verantwortlichkeit aber, zu dienen, ergibt sich gerade aus dem, worin wir uns unter- scheiden. Wir „haben verschiedene Gnadengaben empfangen, nach der uns verliehenen Gnade“ (Röm. 12, 6.) Diese eine Stelle schon zeigt deutlich den Unterschied zwischen Dienst und Gottesdienst, der leider oft so wenig beachtet wird. 
Der zweite Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist die Freiheit des Dienstes. Der wahre, schriftgemäße Gedanke dieser Freiheit schließt nicht nur die Freiheit zur Ausübung der Gaben in sich, sondern auch die der Entfaltung derselben. Diesem Gedanken entsprechend sollten wir uns stets in einer derartigen Anerkennung der Leitung und Oberhoheit des Geistes versammeln, dass wir Seinem Wirken, „durch wen Er will“, kein Hindernis in den Weg legen; und es ist völlig klar, dass die erste Entfaltung einer Gabe das Werk des Geistes sein muss, indem Er eben durch Werkzeuge zu wirken beginnt, deren Er sich bis dahin nicht bedient hatte.
Jeder andere Grundsatz läuft. den Vorrechten der Versammlung und den Rechten des Heiligen Geistes unmittelbar zuwider. 
Andererseits gibt es für die Gläubigen, die sich auf diesem Boden versammeln, eine große Gefahr. „Indem sie dem Heiligen Geiste Raum lassen wollen, einen Bruder  zum Vorschlagen eines Liedes, einen anderen zum Beten, einen dritten zum Reden eines Wortes der Erbauung oder Ermahnung zu gebrauchen, indem sie ferner auf den Geist rechnen möchten hinsichtlich der Darreichung und Benutzung von Gaben zur Erbauung der Versammlung, wird die Gelegenheit geschaffen zu voreiligem, selbstgefälligem Handeln; und wenn irgendwo, so wird es hier wichtig, zu unterscheiden zwischen dem, was aus dem Fleische, und dem, was aus dem Geiste ist. In jedem Gläubigen gibt es zwei Quellen von Gedanken, Gefühlen, Beweggründen, Worten und Werken; sie werden in der Schrift als „Fleisch“ und „Geist“ bezeichnet. Unser tätiges Teilnehmen an den Versammlungen der Heiligen kann nun aus der einen oder aus der anderen dieser beiden Quellen hervorfließen, und es ist von großer Wichtigkeit, zwischen beiden richtig zu unterscheiden. Ob wir gewöhnlich oder nur gelegentlich am öffentlichen Dienst uns beteiligen, wir sollten uns stets ernstlich in dieser Beziehung prüfen. Ja, niemand von uns kann sich dieser Verantwortlichkeit ganz entziehen, weil wir alle berufen sind, „die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind“ (1. Joh. 4, 1), also alle die Verantwortung mittragen, das anzuerkennen, was von Gott ist, oder das abzuweisen, was aus irgend einer anderen Quelle stammt. Wenden wir uns jetzt zu den großen, grundsätzlichen Merkmalen, mit deren Hilfe wir die Leitung des Geistes von der Anmaßung und Nachahmung des Fleisches zu unterscheiden vermögen· Zunächst ein, Wort über das, was uns nicht ermächtigt, an der Leitung oder Auferbauung einer Versammlung teilzunehmen. 
Wir sind selbstverständlich nicht befugt zu handeln bloß aus dem Grunde, weil Freiheit da ist. Man sollte das gar nicht zu sagen brauchen, und doch ist es so nötig, daran zu erinnern. Die Fähigkeit, lesen und vielleicht gut und deutlich lesen zu können, gibt noch niemand das Recht, Kapitel nach Kapitel vorzulesen. Ein Kapitel vorlesen ist nicht schwer, — ein Kind könnte es tun; aber das richtige Kapitel auswählen und es zur rechten Zeit vorlesen, ist eine ganz andere Sache. Ebenso ist es leicht, ein Lied vorzuschlagen; aber das Lied zu wählen, welches im gegebenen Augenblick die Gefühle der Versammelten zum Ausdruck bringt oder richtig leitet, ist ohne die Leitung des Heiligen Geistes eine Unmöglichkeit. Ich sage darum noch einmal: die Freiheit, sich am Dienst in der Versammlung beteiligen zu dürfen, berechtigt noch niemand eine sich dazu bietende Gelegenheit zu benutzen. 
Auch die Tatsache, dass eine Pause entsteht, weil kein Bruder „etwas tut“, ist keine genügende Bürgschaft dafür, nun tätig eingreifen zu müssen. Stillschweigen kann zwar, genau so gut wie alles andere, zur Form werden, aber Schweigen ist im allgemeinen besser, als irgend Etwas sagen oder tun, nur um die Stille zu unterbrechen. Ich weiß wohl, was es ist, wenn zahlreiche Personen zugegen sind, die sich sonst nicht mit uns versammeln oder wohl gar nicht bekehrt sind; wie dann bei einer längeren Stille ein unbehagliches Gefühl sich unser bemächtigen will. Wo dies oft oder gar gewöhnlich der Fall ist, sollte man vielleicht besondere Zusammenkünfte einrichten, um den Unbekehrten zu dienen; aber niemals kann die Gegenwart Fremder dazu ermächtigen, zu reden, zu beten oder ein Lied vorzuschlagen, nur damit „etwas getan“ werde.
Ferner sind weder unsere Erfahrungen noch unser persönlicher Zustand sichere Führer in dieser Beziehung. Vielleicht ist mir ein Lied gelegentlich sehr köstlich geworden, oder ich hörte es einmal mit Inbrunst und sichtlich großer Freude von einer Versammlung singen; aber ich darf daraus nicht den Schluss ziehen, dass ich es nun in der nächsten Versammlung, der ich beiwohne, vorschlagen sollte. Denn vielleicht passt es gar nicht zu dem augenblicklichen Zustand der .Versammelten, oder es ist gar nicht die Absicht des Geistes, dass überhaupt ein Lied gesungen werde. Wenn ein Lied nicht die Gefühle der Versammlung zum Ausdruck bringt, ist die Teilnahme an dem Gesang nicht aufrichtig. Genauso verhält es sich mit dem Gebet. Wer in der Versammlung betet, ist gleichsam der Mund aller, um die gemeinsamen Gefühle, sei's in Gebet und Flehen, sei’s in Danksagung oder Anbetung, zum Ausdruck zu bringen. Nun kann es sein, dass ich persönliche Anliegen, Sorgen und Bürden habe, die ich daheim mit Recht vor den Herrn bringe, deren Erwähnung in der Versammlung aber durchaus unpassend wäre und wahrscheinlich meine Geschwister nur auf den Boden herabziehen würde, auf dem ich stehe. Andererseits kann meine Seele sehr glücklich im Herrn sein; wenn aber der allgemeine Zustand der Versammlung ein anderer ist, so vermag ich ihre Bedürfnisse nur dann vor Gott zu bringen, wenn ich mich mit ihr eins mache. Das will sagen: wenn ich durch den Geist geleitet werde, in der Versammlung zu beten, so ist das etwas ganz anderes, als wenn ich im Kämmerlein bete, wo niemand zugegen ist als nur der Herr und ich, und wo nur meine eigenen Bedürfnisse oder meine eigenen geistlichen Genüsse  die Gegenstände meines Betens oder Dankens bilden. In der Versammlung werde ich dahin geleitet werden, so zu beten, solche Bekenntnisse zu machen oder Danksagungen darzubringen, wie sie dem tatsächlichen Zustand derer entsprechen, als deren Mund ich zu Gott rede. Nichts könnte irriger sein, als die Annahme, dass meine Person und meine Umstände in der Versammlung meine Führer sein könnten. 
So ist es z. B. möglich, dass das Lesen eines Schriftabschnittes mich besonders interessiert und erquickt hast; aber daraus folgt noch keineswegs, dass ich diesen Abschnitt am nächsten Tage des Herrn oder in einer anderen Zusammenkunft der Gläubigen vorlesen soll. Auch mag in der Versammlung oder vorher irgend ein besonderer Gegenstand meine Aufmerksamkeit fesseln und meiner Seele Nutzen bringen, und doch ist es vielleicht durchaus nicht der Gegenstand, auf welchen Gott die Aufmerksamkeit der Gläubigen im allgemeinen richten möchte. Damit will ich selbstverständlich nicht leugnen, dass wir uns mit Gegenständen beschäftigt haben und durch sie geübt sein können, die Gott auch vor die Versammlung gebracht sehen will. Ich möchte selbst behaupten, dass dies bei Knechten Gottes oft so sein wird; aber an und für sich ist es keine genügende Leitung. Es tut uns persönlich oft etwas not, was nicht für die Allgemeinheit passt, und umgekehrt. 
Lasst mich noch hinzufügen, dass der Geist Gottes mich auch niemals anleiten wird, Lieder vorzuschlagen, weil diese meine besonderen Ansichten zum Ausdruck bringen, oder im Gebet diese Ansichten zu betonen, trotzdem ich weiß, dass nicht alle Versammelten sie teilen. Die Folge würde sein, dass nicht Übereinstimmung, sondern ein Gefühl der Uneinigkeit das Singen und Beten beeinflusste, und das Ergebnis wäre statt Segen Unsegen. Das Gesagte gilt ganz besonders für die Anbetung oder den Gottesdienst im eigentlichen Sinne. 
Lasst uns denn jederzeit, aber vornehmlich in der Versammlung, „uns befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“! Und lasst uns nie vergessen, dass der Weg dahin ist, zu wandeln „mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe“! (Eph. 4, 1 — 3). 
Wir dürfen nie außer acht lassen, dass beim Gesang, Gebet oder bei der Anbetung stets die Versammlung es ist, die zu Gott redet, wer auch immer das Organ oder der Mund der Versammelten sein mag. Demzufolge kann der Gottesdienst nur dann wahr und aufrichtig sein, wenn er nicht über den Zustand der Versammlung hinausgeht. Wahr ist es, und Gott sei Dank! geschieht’s nicht selten, dass Gott selbst durch Seinen Geist gleichsam eine höhere Note anstimmt, auf welche dann die Herzen eingehen, und dass dadurch der Ton der gemeinsamen Anbetung sich hebt. Aber wenn eine Versammlung nicht in dem Zustande ist, auf jene höhere Note zu antworten, dann kann es kaum etwas Schmerzlicheres geben, als wenn ein einzelner Bruder fortfährt, in hohen Worten Danksagung und Anbetung darzubringen, während die übrigen Herzen kalt, leer und abgelenkt bleiben. Der, welcher die Anbetung der Versammlung ausspricht, sollte die Herzen der Anwesenden mit sich haben, sonst gibt es in dem, was geschieht, keine Wirklichkeit.
Anders ist es im Blick auf den Dienst. Hier redet Gott zu uns; darum darf das Gebotene weit über unseren Zustand hinausgehen· Ein einzelner redet zu uns als Gottes Mund, und wenn das wirklich so ist, wird uns oft eine Wahrheit gebracht werden, die wir bis dahin noch nicht empfangen hatten, oder wir werden an andere Wahrheiten erinnert, die aufgehört haben, mit Macht auf unsere Seelen zu wirken. — Wie klar ist es aber, dass in dem einen wie in dem anderen Falle, ja, in jedem Falle, der Geist Gottes es sein muss, der alles lenkt und leitet!

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Eigenwille

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 244ff

Die Kinder der Welt werden „Söhne des Ungehorsams“ genannt, die Kinder Gottes „Kinder des Gehorsams“, und während die einen „den Willen des Fleisches und der Gedanken tun“, sind die anderen gebracht „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ und haben „ihre Seelen gereinigt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit“, „um die im Fleische noch übrige Zeit nicht mehr den Lüsten der Menschen, sondern dem Willen Gottes zu leben“. (Eph. 2, 2. 3; 1. Petr. 1, 2. 22; 4, 2). I
Zu den .Kennzeichen der letzten Tage gehört deshalb auch ganz besonders „Ungehorsam“ und ein „Abkehren der Ohren von der Wahrheit“ (2. Tim. 3 u. 4). Wir leben in diesen „schweren Zeiten“ und sollten uns; hüten vor ihren verderblichen Einflüssen. „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist“, wurde einst dem Timotheus zugerufen; mit wieviel größerer Kraft wendet dieses Wort sich heute an uns! 
Sünden, wie Unkeuschheit, Trunksucht und dergl. werden ohne weiteres als böse anerkannt, Ungehorsam aber und Eigenwille, Dinge, von denen die Schrift als von ernsten Sünden redet, werden vielfach nicht als so besonders böse angesehen; und doch sind gerade diese Dinge in den Augen Gottes so böse und strafbar, dass; Er im Gesetz Moses anordnete, dass ein widerspenstig« Sohn, der
der Stimme seiner Eltern nicht gehorchte, von den Männern seiner Stadt gesteinigt werden sollte. (5.Mose 21, 18 - 21) Und Samuel sagt zu Saul: „Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst“ (1. Samuel 15, 23).
Widerspenstigkeit ist das Handeln nach eigenem Sinn und Willen, auch wenn es scheinbar in guter Absicht geschieht. Weichen wir also den Worten Gottes aus, und folgen wir den von Gott gegebenen Vorschriften und Ordnungen nicht, so sind wir widerspenstig und handeln böse. 
Die Worte Samuels an Saul sind sehr ernst, und wir sollten unser eigenes Tun oft daran prüfen. Gott hatte „Krieg wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht“ (2. Mose 17, 16), und die Hand Sauls sollte jetzt Gericht an diesem bösen Volk üben, indem er alles tötete „vom Manne bis zum Weibe . . . vom Kamel bis zum Esel“ (1. Sam. 15, 3.) Der Auftrag war klar und nicht mißzuverstehen; aber Saul war widerspenstig. Unter dem Vorwande, Jehova Opfer zu bringen, war er ungehorsam und verschonte das Beste vom Klein- und Rindvieh. Je einleuchtender solch menschliche Einwände sind, je mehr scheinbar Gutes damit verbunden ist, desto böser sind sie. — Welch ein Gedanke, dem heiligen  Gott unreine, verbannte Dinge opfern zu wollen! Und doch liegt er auch uns näher, als wir oft meinen. Den ersten Schritt auf dem Wege des Eigenwillens tat Saul, als er sich den Priesterdienst anmaßte. (1.Sam. 13, 12 — 14). Damals schon sagte Samuel zu ihm: „Du hast töricht gehandelt“. Das Abweichen vom Worte Gottes geschieht allmählich. Ähnliche Anmaßungen gehen oft der offenen Widerspenstigkeit vorauf. 
Gott hat uns klare Anweisungen in Seinem Wort gegeben. Habe ich nun Licht über irgend eine Sache und versuche dennoch, im Widerspruch mit dem Worte Gottes zu handeln, indem ich meinem Willen folge, so bin ich widerspenstig und werde zu einem Götzendiener. Denn „Eigenwille ist wie Abgötterei und Götzendienst“. Mein eigener Wille nimmt den Platz ein, der Gott allein gebührt, und wird zu einem Götzen für mich. 
Gott urteilt nicht nach dem, wag vor Augen ist. Als Petrus den Herrn tadelte, tat er es gewiss. in bester Meinung und mit liebevollen Gefühlen für seinen Herrn. Aber er befand sich im Widerspruch mit den Ratschlüssen Gottes, und der Herr ließ nichts von seinen guten Absichten und Gefühlen gelten, sondern nannte ihn „Satan“. (Matth. 16, 21 — 23). Fleisch bleibt Fleisch, auch in seiner schönsten Form, und kann Gott nicht gefallen. Ja, die gefährlichsten Werkzeuge Satans sind solche, die die Wahrheit mit Fleisch und mit menschlichen, das Fleisch befriedigenden Dingen verbinden.
Es ist schon eine ernste Sache, die nicht ohne Folgen bleiben kann, wenn wir für unser Tun nicht klar und bestimmt den Boden des Wortes unter den Füßen haben. Ussa hatte die beste Absicht, als er die Hand nach der Bundeslade ausstreckte. (2. Sam. 6, 6. 7.) Sollte er die Lade Gottes zur Erde fallen lassen, da er doch an ihrer Seite ging und sie mit einer kleinen Berührung stützen und halten konnte? Aber er handelte wider die Anordnung des Herrn, und — er starb, von Gott geschlagen. Nicht unsere guten Gedanken und Absichten sind Gott angenehm, sondern Gehorsam. „Siehe, Gehorchen ist besser als Opfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder“ (1. Sam. 15, 22). Es war nur ein kleines Abweichen vom Worte, dem ein anderes vorangegangen war: man hatte die Lade auf einen Wagen gestellt, statt dass geheiligte Priester sie trugen (Vergl. 4. Mose 4, 15.) Die Folge des ersten Abweichens war, wie gewöhnlich, eine weitere Torheit: Ussa vermaß sich, die Lade Gottes mit seiner Hand stützen zu wollen. David und seine „dreißigtausend Auserlesenen“ hatten große Freude, die Lade Gottes herauszubringen, aber Gott hatte kein Wohlgefallen an ihrem „neuen Wagen“; sie mussten ihr Tun aufgeben und die Lade auf dem göttlichen Wege herausbringen. So hat Gott auch heute kein Wohlgefallen an den mancherlei Einrichtungen, die der Mensch vielleicht in bester Absicht mit Seinem Dienst verbindet, um Sein Werk zu fördern. Ussa starb „wegen seines Vergehens“. 
Welch schmerzliche Erfahrung musste auch Abraham machen! Die Verheißung eines Sohnes und Erben war ihm von Gott gegeben. Abraham wartete, aber der Sohn kam nicht. Da gab ihm sein Weib Sarah den gutgemeinten Rat, durch Hagar Gottes Verheißung zur Erfüllung zu bringen. Abraham erlag der Versuchung und fiel in den Fallstrick, durch fleischliche Mittel Gott zu  Hilfe kommen zu wollen. Ein Sohn wurde geboren, aber es war nicht der Sohn der Verheißung. Gott hatte kein Wohlgefallen an dem Tun Abraham5, an der Vermischung von Fleisch und Geist. Und was war das Ende? Statt Segen brachte die unheilige Verbindung nichts als Verwirrung, Leid und Schmerz über sein Haus. Auch blieb ihm die schmerzliche Stunde nicht erspart, wo es zu ihm hieß: „Treibe diese Magd und ihren Sohn hinaus!“ (1. Mose 16, 1 — 6; 21, 9 — 13). So ist es, wenn wir uns nicht unbedingt an das halten, was Gott sagt. Dann müssen auch wir, wie Abraham, auf schmerzlichem Wege lernen, dass der Sohn des Fleisches nicht mit dem Sohne der Verheißung erben kann, mit anderen Worten, dass eine Vereinigung von Fleisch und Geist unmöglich ist. 
Hätte David auf das Wort Gottes geachtet, so wäre der „Bruch“ nicht geschehen, und hätte Abraham den Rat Sarahs zurückgewiesen, so hätte er all die Entzweiung, das Leid und den Kummer von seinem Zelte fern gehalten. Beide Fälle stellen uns vor die ernste Frage, ob das Wort Gottes uns allezeit genug ist, oder ob auch wir geneigt sind, menschliche Hilfsmittel zu gebrauchen zur Hinausführung der Gedanken Gottes. 
Wie leicht geht man doch oft über das Abweichen vom Worte oder über das Hinzufügen zu demselben hinweg! Wie schnell ist man bei der Hand, das Werk des Herrn durch eine Hagar fördern zu wollen! Die Hagar mag heißen, wie sie will, ein unserem Verstand einleuchtender Grund genügt zuweilen schon, uns über Gottes Wort oder über die ewig bleibenden göttlichen Grundsätze hin- wegzusetzen. Wie leicht meinen wir z. B. uns in der einen oder anderen Weise den Zeitverhältnissen anpassen zu müssen, und erkennen gar nicht, dass wir damit von dem Wort der Wahrheit abweichen! Offenkundige Sünden und Fehler werden verurteilt, aber das Gehen eigener Wege und das Handeln nach eigenen Gedanken und Meinungen werden in ihrem wahren Wesen nicht erkannt. Weil die Dinge so gut gemeint sind und anscheinend so manches Gute bringen, sieht man sie als erlaubt an. 
Lernen wir doch, dass wir als Kinder Gottes nicht tun können, was wir wollen, auch dann nicht, wenn es mit den besten Absichten verbunden ist. Wir sind Knechte, Leibeigene unseres Herrn Jesus Christus, und berufen, zu gehorchen, wie Er gehorcht hat. Als ,,Kinder Gottes« gehören wir der Familie und dem Hause Gottes an in welchem wir uns recht zu verhalten wissen sollen (1. Tim. 3, 15). Wir müssen in jeder Hinsicht den Ordnungen Seines Hauses unterstellt bleiben. Jedes Abweichen davon ist Unordnung, und „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung“(1. Kor. 14, 33). Er zieht Seinen Namen von allem, was Unordnung ist, zurück. Die Schrift lässt keinen Raum für alle Art Eigenwille, Ungehorsam und Widerspenstigkeit.
Aber auch heute kann das geistliche Empfinden bei Gläubigen so abgestumpft werden, dass ein Abweichen von der Schrift und von den Grundsätzen Gottes gern entschuldigt wird, wenn nur der Wandel keine groben Anstöße aufweist. Dass dadurch das Wort Gottes ungültig gemacht wird, vergisst man ganz. Der Herr schenke uns, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen! Möchte unser Gewissen in je der Beziehung zart und empfindsam sein!

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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 250ff

Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Gebrauch, welchen Gott von dem Geschöpf macht, um uns zu dienen, oder dem Gebrauch, den ich von ihm machen kann, um Gott auszuschließen. Sicher sollten wir das Vorhandene nicht verachten. Elisa sagt zu der Witwe in 2. Kön. 4: „Sage mir, was du im Hause hast“, und der Herr Jesus selbst fordert Seine Jünger auf, die übriggebliebenen Brocken zu sammeln, damit nichts umkomme. Aber wenn ich das Mittel an die Stelle des Helfers setze, das Geschöpf an die Stelle des Schöpfers, so ist es schlimm. Gott bediente sich der Raben, um Seinen Knecht Elia zu ernähren; aber Elia bediente sich ihrer nicht, um Gott auszuschließen. Wenn das Herz wirklich sein Vertrauen auf Gott setzt, so ist es nicht um die Mittel besorgt, sondern wartet auf Ihn in der Gewissheit, dass Er, welcher Mittel Er sich auch bedienen mag, stets segnen, helfen und sorgen wird. Der Glaube ist von dem, was ihn umgibt, von Menschen und Dingen, völlig unabhängig. Er harrt auf Gott und wird nicht beschämt; und wenn die Hilfe kommt, so dankt er dem Helfer.
Wir müssen lernen, dass wir ganz kraftlos sind, um dann nach einem Befreier auszuschauen; gleich dem Menschen in Röm. 7, der, am Ende all seiner vergeblichen Anstrengungen angelangt, verzweifelt ruft: „Ich elender Mensch! wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ Was wir bedürfen, ist nicht, besser zu werden, wie wir oft meinen und so gern möchten, sondern von unserem Ich befreit zu werden; und diese Befreiung schenkt uns Gott. Vielleicht kommen wir erst früher oder später zur Erkenntnis derselben — je nach Umständen oder Veranlagung — aber wenn wir einmal die Hoffnungslosigkeit alles eigenen Tuns erkannt haben, begegnet uns die Gnade, und wir sagen glücklichen Herzens: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn“. Kraft fließt uns zu, wenn wir erkannt haben, dass in uns keine ist, und wir lernen dann durch die Gnade, dass wir in Christo sind, wo es keine Verdammnis mehr für uns gibt, und dass der Geist des Lebens in Christo Jesu uns freigemacht hat non dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Am Schlusse des Alten Testaments fragt der Herr: „Wo ist meine Furcht?“ (Mal. 1, 6.) Der lebendige Gott hatte längst aufgehört, eine lebendige Wirklichkeit für die noch im Lande weilenden Juden zu sein. Aber in der Mitte des Volkes gab es etliche, die den Herrn fürchteten. Diese kamen zusammen und »unterredeten sich miteinander, und Jehova merkte auf und hörte; und ein Gedenkbuch ward vor Ihm geschrieben für die, welche Jehova fürchten und welche Seinen Namen achten“. Als Gott Sein Volk aus Ägypten führte, da machte Er in Seiner bedingungslosen Gnade einen „Unterschied“ zwischen Seinem Volke und dem Volke des Pharao. (2. Mose 8, 23; 11, 7). Mit starker Hand führte Er es aus dem Knechtshause, damit es fortan als Sein Volk Ihm diene. Aber wer erkannte damals noch den Unterschied? Sie sprachen: „Vergeblich ist es, Gott zu dienen, und was für Gewinn, dass wir Seiner Hut warteten?2 Sie priesen die Übermütigen glücklich und beneideten die Gesetzlosen. Nur in einigen wenigen, in einem kleinen, schwachen Überrest, war noch Gottesfurcht vorhanden. Schonungsloses Gericht sollte deshalb die gottlose Nation treffen; aber jener wenigen wollte Gott schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient (Mal. 3, 13 — 18).
Sollte uns das nicht zum Nachdenken veranlassen? Auch wir leben am Ende eines Zeitabschnittes. Es ist die letzte Stunde! O lasst uns darum „Gnade haben, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Ehrfurcht und Furcht! Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebr. 12, 28. 29).

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Bitten – Suchen – Anklopfen

Bibelstelle: Lukas 11,1-13

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 252

Autor: R. B.

O Vater lehr mich beten
einfältig, wahr und schlicht,
und vor dein Antlitz treten
mit Kindeszuversicht!
Du gibst mir keine Schlange
Für den erbetnen Fisch,
legst, wenn um Brot ich bange,
nicht Steine auf den Tisch!

Und öffnet sich zu Zeiten
vor mir ein finstres Tal,
ich muss das Tal durchschreiten,
es bleibt mir keine Wahl,
dann lass mich suchend blicken
zu Dir mein Gott empor!
Du wirst mir Antwort schicken,
lässt finden mich Dein Ohr.

Ja, sollt ich gar verschlossen
die Türe vor mir sehen,
dann lass mich unverdrossen
anklopfend vor Dir stehen!
Wer bittet, wird empfangen,
wer sucht, der findet auch,
wer anklopft, wird erlangen,
so ist`s des Vater Brauch!

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Christus, das Leben

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 253ff

„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (Joh. 14, 6).
Wer hat diese wunderbaren Worte gesprochen? Der Sanftmütige und von Herzen Demütige, der Mensch Jesus Christus. Wie aber kam dieser demütige Mensch zu einem solchen Ausspruch? Hat je ein Mensch, seitdem die Erde besteht, so etwas sagen können? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, niemand kann zu Gott, dem Vater, kommen, als nur durch mich? Der Weg, die Wahrheit und das Leben — also mit Ausschluss von allem anderen; außer mir gibt es keinen Weg, keine Wahrheit, kein Leben?
Und das waren nicht etwa ruhmredige Worte. Nie war es die Weise Jesu, sich zu rühmen. Wie hätte das auch sein können bei Ihm, bei dem alles gleich wirklich und vollkommen war, Seine Demut sowohl wie Seine Liebe? Dessen Leben in beständiger Selbstverleugnung und Selbstaufopferung dahinfloss?
Schon in Seiner Kindheit zeigte sich, wer und was Er war. Als zwölfjähriger Knabe sprach Er zu Seinen Eltern, die mit Ihm zum Tempel nach Jerusalem hinaufgezogen waren und Ihn verloren hatten: „Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Welch eine Sprache! Wäre Er nicht der Sohn Gottes gewesen, und zwar in des Wortes vollster Bedeutung, welch eine Anmaßung hätte in Seinen Worten gelegen! Aber nun bewahrte Seine Mutter sie in ihrem Herzen, und sie tat recht daran. Auch wir sollten es tun. 
Christus war Sohn, wie kein anderer Sohn ist. Gottes Wort redet von vielen Söhnen, aber Jesus ist der
Eingeborene vom Vater, und als solcher wurde Er „der Anführer unserer Errettung“, der große Heiland der Sünder. Wie hätte das sein können, wenn Er nicht eine göttliche Person gewesen wäre? Alle Menschen, die je in diese Welt hinein geboren wurden, sind Sünder. Denn Adam hatte kein Kind, bevor er gefallen war. Selbst Henoch war ein sündiger Mensch, wenn er auch zu seiner Zeit in den Himmel entrückt wurde, ohne den Tod gesehen zu haben. Er sowohl wie Elia wurden hinweggenommen, entrückt, aber von Jesu wird gesagt, dass Er hinauf stieg in den Himmel. Der aber hinaufstieg, musste zuerst zu uns herabsteigen. Und der, welcher herabstieg, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, um alles zu erfüllen. Von keinem anderen konnte also das Gesagte wahr sein, als nur von unserem Herrn Jesus Christus. 
In Christo ist die Wahrheit geworden. Er kam nicht, um die Herrlichkeit zu zeigen, die Er bei Gott hatte.
Das würde nicht dem Bedürfnis der Sünder entsprochen haben. Der, welcher diese Herrlichkeit besaß-, gab sie aus. Zuerst entäußerte Er sich, und dann erniedrigte Er sich. Er wurde gehorsam bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz, um auf diesem Wege Gott zu verherrlichen und die Erlösung des Menschen zu vollbringen. Er zeigte in der Welt, was es war, hier zu sein und, angesichts alles Widerstandes und aller Leiden, nur den Willen Gottes zu tun. Auf diese Weise wurde Gottes Wille in vollkommener Weise durch einen Menschen auf Erden erfüllt, und das nicht durch mächtige, kraftvolle Handlungen, obwohl Er auch solche vollbracht hat, sondern durch Gehorsam im Leiden. Adam im Garten Eden war nicht berufen zu leiden. Jesus, der einzige heilige Mensch, ist gekommen, um zu leiden, und zwar für die Sünde zu leiden. Wer diese Wahrheit leugnet, stürzt damit auch den anderen großen Pfeiler der Wahrheit um, nämlich dass Jesus Christus im Fleische gekommen ist. Er hätte ja in
strahlender göttlicher Herrlichkeit oder in der Herrlichkeit eines Engels erscheinen können; Er brauchte nicht die Gestalt eines Menschen anzunehmen und von einem Weibe geboren zu werden. Aber wie hätten dann die Schriften erfüllt werden können? Und weiter, wie wäre eine Erlösung für uns möglich gewesen? Es ist von der größten Wichtigkeit, diese Wahrheit, so einfach sie ist, unerschütterlich festzuhalten. 
Der Mensch ist ein Sünder, ist fern von Gott; das fühlt er auch in seinem Gewissen und erkennt es an, sobald er ins Licht Gottes kommt. Er ist nicht etwa deshalb ein schuldiger Sünder, weil die Bibel es sagt. Das Buch der Bücher gibt uns freilich über alles Aufschluß; in ihr finden wir für alles, auch für den Fall des Menschen, vollständige und würdige Erklärungen. Es überführt jede Seele, die willens ist, sich vor Gott zu beugen und sich retten zu lassen. Aber die Menschen wollen nicht auf die Weise Gottes errettet werden. Sie wollen ein Leben nach eigenem Belieben führen und die Welt genießen, so lange sie irgend können. Viele möchten wohl am Ende ihres Weges errettet werden, aber heute noch nicht. Auf ihrem Sterbebett, ja, dann wollen sie sich zu Gott wenden. Sie fühlen ganz gut, dass sie, wenn einmal errettet, nicht mehr ihrem eigenen Willen folgen können, sondern den Willen Gottes tun müssen, dass sie, mit anderen Worten, Sklaven Christi sind. Und das wollen sie nicht! 
Aber, mein lieber Leser, möchtest du ein Sklave Satans sein? Bedenke, dass du nicht dein eigener Herr sein kannst. Entweder musst du Gottes Knecht sein oder Satans Knecht. Der natürliche, nicht errettete Mensch meint zwar, seinen eigenen Willen zu tun, aber in Wirklichkeit tut er den Willen Satans. Du magst das nicht glauben wollen, aber es ist die Wahrheit. Und es wird eine Zeit kommen, wo dein eigenes Gewissen dich von dieser Wahrheit überführen wird, und dann wird sie dich peinigen, ja, noch mehr, sie wird, wenn die Erkenntnis zu spät kommt, der unselige Vorbote von noch größerem
Elend sein. Vielleicht kommt sie dir erst im Augenblick deines Sterbens zum Bewusstsein. Ach! und hier die Augen schließen und dort erwachen zu müssen mit dem Schreckensruf: Zu spät, zu spät! — Gott sei Dank! Noch darf der Weg verkündigt werden, den Gott in Jesu für jedermann freigemacht hat, die kostbare Wahrheit, die Gott der einfältigsten Seele kundtut. Aber wie lange noch? 
Mitten in die Geschäftigkeiten dieser Welt, und zwar zur Zeit, da das vierte Weltreich in seiner Blüte stand, stieg Jesus auf die Erde herab. Wir redeten von der Bibel. Welche Stellung nahm Jesus diesem Buche gegenüber ein? Wie kein anderer Mensch! Die Bibel war Ihm allezeit Speise und Wehr. Es war nicht das Neue Testament, denn das gab es damals noch nicht. Es war gerade der Teil des Wortes, den heutzutage hoch und niedrig am meisten angreift. Die Menschen reden von ihm als von den Erzeugnissen dieser und jener Menschen, die dann schließlich von anderen Menschen zusammengestellt worden sind. Welch eine Torheit ist das! Woher denn seine erstaunliche Übereinstimmung in Zweck und Geist? Woher seine lebendige, nie versagende Kraft, seine mehr als zweischneidige Schärfe, seine wunderbare Schönheit und Lieblichkeit, seine Erhabenheit und unerforschliche Tiefe? 
Aber, wendet man ein, warum kümmert Gott sich denn nicht um die Vorgänge auf dieser Erde? Warum lässt Er es so oft den Bösen gut gehen, und den Guten schlecht? Warum hüllt Er sich so manchen himmelschreien- den Ungerechtigkeiten gegenüber in tiefes Schweigen? Die Fragen sind alt. Schon der Psalmist Asaph stellte sie. Die erste Antwort darauf lautet: „Gott gibt über all Sein Tun keine Antwort«. (Hiob 33, 13.) Warum hadert man mit Ihm? Ist der Schöpfer Seinem Geschöpf Rechenschaft schuldig? Die zweite Antwort ist diese: Gott sieht nicht untätig dem Treiben auf Erden zu. Nein, der allmächtige Gott ist ein Gott tätiger Liebe. Die Schrift gibt uns an keiner Stelle ein Recht zu der Meinung, dass Gott sich nicht darum kümmere, was auf Erden geschieht. Freilich lässt Er in Seiner Langmut vieles geschehen, lässt Menschen und Engel fallen. Aber woran liegt die Schuld? In jedem Falle nur an dem Geschöpf. 
Gott lässt sich auch an keinem Menschen unbezeugt. Wer von uns wüsste nicht von einer Zeit in seinem Leben zu erzählen, wo der Entschluss im Herzen erwogen wurde, umzukehren und ein neues Leben zu beginnen? Was aber war das Ende? Haben wir unsere guten Vorsätze ausgeführt? Mussten wir nicht vielmehr erfahren, dass wir zu allem Guten untauglich sind? 
Wie kommt das? Wieder möchte der stolze Mensch Gott dafür verantwortlich- machen. »Warum hat Er mich so erschaffen?“ fragt er. Ist diese Frage berechtigt? Hat Gott etwa den Menschen so erschaffen? Im Gegenteil. Als Gott das Menschengeschlecht ins Dasein rief und die Erde ihm zur Wohnstätte gab, wurde nichts Böses in beiden gefunden. Gott konnte von allem, was Er machte, sagen, dass es sehr gut war. Das Böse würde auch fern geblieben sein, wenn der Mensch auf Gott gehört und Seiner Güte vertraut hätte. Aber er lauschte auf Satans Stimme, misstraute Gott und übertrat Sein Gebot. Seitdem hat „die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannt“. Die Weisheit der Welt will Gott nicht. Der Mensch will seinen eigenen Weg gehen und seinen eigenen Willen tun, während die Freude und Stärke eines Menschen, der Gott kennt, darin besteht, Gottes Willen zu tun. Aber wie kann Gottes Wille erkannt oder getan werden, wenn ich ein Sünder bin, der nichts weiß und nichts tun kann, was in Seinen Augen wohlgefällig wäre? Hierauf gibt wiederum die Bibel, im Glauben gelesen, die herrlichste Antwort. Sie erklärt nicht nur, wie das Böse in diese Schöpfung eingetreten ist und alles verderbt hat, sondern auch wie Jesus gekommen ist als „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Gnade allein konnte dem Bedürfnis des armen, gefallenen Menschen begegnen, und sie hat es getan. Jesus ist in Liebe gekommen, um den Willen Gottes zu tun, und dieser Wille war unsere Heiligung. „Durch welchen Willen wir geheiligt sind durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebr. 10, 10). In der Fülle Seiner Liebe ist Christus für uns gestorben, damit wir, mit Gott versöhnt, in voller Gewissheit des Glaubens Ihm Anbetung darbringen und Ihm dienen möchten.
Alles, was Gott gemacht hat, auch das Allergeringste, trägt den Stempel Seiner Hand, Seines Geistes und Seiner wohltätigen Güte. So hat Er auch von Anfang an den Zustand des Menschen verfolgt und ist ihm in Seiner Gnade, ungesucht und unerwartet, gnädig begegnet. Keine Anstrengung unserseits hätte uns irgendwelchen Nutzen bringen können. Da war, wie wir bereits hörten, weder Kraft noch Fähigkeit, uns von unserer Schuld freizumachen. Gott hat das ganze Werk, das nötig war, vollbracht, und nicht nur gemäß Seiner Gnade und Liebe, sondern auch unter voller Wahrung Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit. Mancher, der ein sogenanntes weites Gewissen hat, denkt vielleicht, Gott nehme es mit der Sünde nicht allzu genau. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall; und wie gut, dass es so ist! Gott hat etwas unendlich Besseres getan, als leicht über die Sünde hinwegzugehen. Er hat, um uns von Schuld und Sünde zu befreien, Seines eigenen Sohnes nicht geschont! 
Verweilen wir noch einen Augenblick bei der Art und Weise, wie dies vor sich gegangen ist. Der Sohn wurde Mensch, wurde der Gehorsame, der einzige Mensch, der niemals Seinen eigenen Willen tat. Er konnte sagen: „Meine Speise ist, dass; ich den Willen Dessen tue, der mich gesandt hat“. Bis Jesus kam, war der Gedanke an einen solchen Gehorsam jedem Herzen ebenso fern, wie der an die Liebe Gottes zu verlorenen Sündern. Aber das war nicht alles. Auf die Frage: „Wer bist du?“ konnte Jesus  antworten: „Durchaus das, was ich auch zu euch rede“ (Joh. 8, 25). Wer außer Ihm hätte je so etwas sagen können? Jesus war stets unbedingt das, was Er sagte. Er war die Wahrheit. Er hat die Wahrheit nicht etwa in lehrhafter Weise bis ins einzelne auseinandergesetzt, nein, sie war in Seiner Person verkörpert, in Ihm, dem Menschen Jesus Christus, der in allem auf die Probe gestellt und versucht worden ist wie wir, ausgenommen die Sünde. In all Seinem Reden und Tun herrschte völlige
Übereinstimmung bei größter Verschiedenheit. Dass die Evangelisten die gleichen Dinge oft in verschiedener Weise darstellen, ist bekannt, und dieser Umstand macht manchem Leser des Wortes große Schwierigkeiten. Aber es liegt gewiss nur an unserer Unwissenheit, wenn wir diese Verschiedenheiten nicht immer miteinander in Einklang zu bringen vermögen. 
Gottes einfachste Arbeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, steht weit über den Weisesten der Menschen, und die Weisesten sind gerade diejenigen, welche am ehesten bereit sind, ihre Unwissenheit anzuerkennen. Je mehr ein Mensch wirklich weiß, desto tiefer fühlt und erkennt er, wie wenig er weiß. So ist es auch hinsichtlich des Wortes Gottes. Dinge, die mir vielleicht Schwierigkeiten bereiten, sind für einen geistlicheren und mehr geförderten Christen ganz einfach; und wenn ich durch den Glauben allmählich klarer sehe, so schwinden sehr oft die Schwierigkeiten nicht nur, sondern sie verwandeln sich in ebenso viele Harmonien und gewichtige Bestätigungen der geoffenbarten Wahrheit. Eine Person stellt alles an seinen richtigen Platz, und diese Person ist Christus, wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch. Wenn Er nicht Gott wäre, so vermöchte Er niemand in Beziehung zu Gott zu bringen; wenn Er nicht Mensch wäre, so gäbe es keinerlei Berührungspunkte zwischen Ihm und uns. Beides war nötig zur Vollendung Seines Werkes. Er, Gott und Mensch in eine r Person, ist es, der das Wort spricht: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Von Adam lesen wir, dass er eine „lebendige Seele“ wurde. Christus aber ist ein „lebendig machender Geist“. „In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Das Licht der Menschen (nicht der Engel), und zwar der Menschen in ihrer Gesamtheit, denn Er war nicht nur für Israel gekommen. Der Nationalstolz der Juden wollte allerdings von dieser zu allen Menschen ausströmenden Gnade nichts wissen, konnte aber ihren Siegeslauf nicht aufhalten. 

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Ein und derselbe Geist

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 261ff

3. Woran ist die Leitung des Geistes zu erkennen?
Im Blick auf die Wirkungen des Heiligen Geistes bei der Erweckung oder Bekehrung einer Seele sagt der Herr: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh. 3, 8.) Nichtsdestoweniger ist die Heilige Schrift reich an Beispielen, die uns in den Stand setzen, wiedergeborene Seelen von solchen zu unterscheiden, die noch nicht aus dem Geiste geboren sind.
Geradeso ist es hinsichtlich des Wirkens des Geistes  in der Versammlung. Wer vermöchte genau die Art und Weise Seines Wirkens in den Seelen derer festzustellen, die Er antreibt, in Tätigkeit zu treten, sei es beim eigentlichen Gottesdienst oder bei der Ausübung irgend eines Dienstes? Dennoch lässt uns die Schrift nicht ohne hinreichende Belehrung über die Merkmale eines wahren, von Ihm gewirkten Dienstes. Einige dieser Merkmale beziehen sich auf den Inhalt oder Stoff des Dienstes, andere auf die Beweggründe, die zum Dienst oder zu irgend einer tätigen Beteiligung in den Zusammenkünften der Gläubigen anleiten. Einige geben denen, die den Dienst üben, einen Prüfstein in die Hand, woran sie sich selbst beurteilen können; andere wieder setzen die Versammlung instand, das, was aus dem Geiste ist, von dem, was nicht dieser Quelle entstammt, zu unterscheiden. Einige sind denen, die Gaben besitzen, behilflich, die wichtige Frage zu entscheiden, wann sie reden und wann sie nicht reden sollen; andere helfen uns, diejenigen zu erkennen, welche Christus Seinem Leibe für die Bedienung des Wortes gegeben hat. 
Der Heilige Geist leitet nicht durch ein blindes Antreiben oder vermittels verständnisloser Eindrücke, sondern indem Er das geistliche Verständnis mit den Gedanken Gottes erfüllt, wie sie in Seinem geschriebenen Wort enthüllt sind, und indem Er auf die Gefühle, Zuneigungen und Triebe des erneuerten Menschen wirkt. In den ersten Zeiten der Kirchengeschichte gab es freilich Gaben, deren Ausübung nicht unmittelbar mit geistlichem Verständnis verbunden war. Ich will nur an die Gabe, in fremden Sprachen zu reden, erinnern, wenn es dem Besitzer derselben nicht gegeben war, das Geredete auch auszulegen. Die .Korinther scheinen diese Gabe sehr gern   ausgeübt und damit geprunkt zu haben; sie war ja auch in den Augen der Menschen auffallender und bewunderungswürdiger, als jede andere. Der Apostel tadelt sie dieserhalb mit den Worten: „Ich danke Gott, ich rede mehr in einer Sprache, als ihr alle. Aber in der Versammlung will ich lieber fünf Worte reden mit meinem Verstande, auf dass ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer Sprache. (1. Kor. 14, 18. 19).
Das Geringste also, was man von denen erwarten muss, die sich am Dienst beteiligen, ist, dass sie die Schrift kennen und, wenigstens in einem gewissen Maße, ein Verständnis über die darin geoffenbarten Gedanken Gottes haben. (Allerdings kann ein solches Verständnis bei einem Bruder vorhanden sein, ohne dass er die Gabe besitzt, öffentlich zu reden, oder auch nur die Fähigkeit, seine
Gedanken anderen in klarer, fasslicher Form mitteilen zu können). Wenn der Herr die Seinigen um Sein Wort schart, so geschieht es nicht, damit sie menschliche, unverdaute Gedanken anhören oder eine Wiederholung dessen, was andere geredet oder geschrieben haben. Persönliche Vertrautheit mit der Schrift und Verständnis ihres Inhalts sind unentbehrliche Erfordernisse für den Dienst am Wort. In Matth. 13, 51 fragt der Herr Seine Jünger: „Habt ihr dies alles verstanden?“ und wenn sie Seine Frage
mit einem „Ja, Herr“, beantworten, so fügt Er hinzu: „Darum ist jeder Schriftgelehrte, der im Reiche der Himmel unterrichtet ist, gleich einem Hausherrn, der aus seinem Schatze Neues und Altes hervorbringt“. Er hat einen Schatz erworben, aus dem er schöpfen kann.
Als der Herr Jesus Seine Jünger aussandte, damit sie Seine Zeugen seien an alle Nationen, „öffnete Er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen«, und wie oft lesen wir, dass Paulus, wenn er den Juden predigte, sich mit ihnen über die Schriften unterhielt und ihnen aus denselben bewies, dass Jesus der Christus ist. Wie hätte er das gekonnt, wenn er nicht den eben genannten Schatz besessen hätte? Und wenn wir fragen, warum die Gläubigen in Rom fähig waren, einander zu ermahnen, so lautet die Antwort: Weil sie „erfüllt waren mit aller Erkenntnis“ (Röm. 15, 14). Ferner lesen wir in 1. .Kor.12, 8: „Einem wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geiste«; und wenn der Apostel die Dinge aufzählt, durch welche er und andere sich als Diener Gottes erwiesen, so sagt er: „in Erkenntnis . . . im Worte der Wahrheit, in der Kraft Gottes“ (2. Kor. 6, 6. 7), und nennt als Stücke der ganzen Waffenrüstung Gottes in Epheser 6 den Gurt der „Wahrheit“ und „das Schwert des Geistes, welches Gottes Wort ist“. Auch sagt er bezüglich dessen, was er den Ephesern geschrieben hatte: „Woran ihr im Lesen merken könnet mein Verständnis in dem Geheimnis des Christus“. 
Weiter: wenn Paulus die Heiligen auffordert, sich gegenseitig zu ermahnen, so spricht er zuerst vom Wort: „Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr in aller Weisheit euch gegenseitig lehret und« ermahnet mit Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern“ (Kol. 3, 16). So sagt er auch in dem ersten Brief an Timotheus: „Wenn du dieses den Brüdern vorstellst, so wirst du ein guter Diener Christi Jesu sein, auferzogen durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre, welcher du genau gefolgt bist«, und fügt dann die Ermahnung hinzu: „Bis  ich komme, halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren. Vernachlässige nicht die Gnadengabe in dir . . . Bedenke dieses sorgfältig; lebe darin, auf dass deine Fortschritte allen offenbar seien. Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Dingen, denn wenn du dieses tust, so wirst du sowohl dich selbst erretten als auch die, welche dich hören“. (Kap. 4, 6. 13. 15. 16.) In seinem zweiten Briefe ermahnt Paulus sein Kind im Glauben: „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Leuten an, welche tüchtig sein werden, auch andere zu lehren“ (2. Tim. 2, 2). Und weiter: „Befleißige dich, dich selbst Gott bewährt darzustellen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt“ (V. 15). Schließlich werden unter den Eigenschaften, die ein Bischof oder Aufseher haben sollte, folgende genannt: „anhangend dem zuverlässigen Worte nach der Lehre, auf dass er fähig sei, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen“ (Tit. 1, 9). 
Aus all dem Gesagten geht hervor, dass der Geist Gottes bei dem Weiden, Nähren und Leiten der Herde Gottes sich solcher Brüder bedienen will, deren Seelen geübt sind durch fleißige Betrachtung des Wortes, und die „vermöge der Gewohnheit geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“ (Hebr. 5, 14). Das Nächste und, wir dürfen wohl auch hinzufügen, das Geringste, das man von jemand, der in der Versammlung dienen will, erwarten muss, ist also eine Bekanntschaft mit dem Worte Gottes, wie wir sie oben beschrieben haben. Dass diese Bekanntschaft, je nach Personen und Umständen, verschieden sein wird und auch sein kann, ist selbstverständlich. *)
Indes genügt eine solche Erkenntnis des Wortes, wie groß oder klein sie sein mag, an und für sich noch nicht. Das Wort muss auch den Herzen und Gewissen der Gläubigen in einer Weise nahe gebracht werden, die ihren jeweiligen Bedürfnissen entspricht. Es ist daher nötig, entweder die Zustände der den Dienst Empfangenden zu kennen, oder aber, da dies in den meisten Fällen nicht so genau und vollständig möglich sein wird, sich von oben leiten zu lassen. Ganz besonders trifft das bei solchen Brüdern zu, die als Evangelisten, Hirten oder Lehrer eine bestimmte, augenscheinliche Gabe empfangen haben, um damit der Versammlung oder Gemeinde Christi zu dienen. Gott allein kann sie auf diejenigen Teile der Wahrheit aufmerksam machen, die im gegebenen Augenblick den Bedürfnissen der Seelen entsprechen und ihre Gewissen erreichen, und Er allein kann sie befähigen, die Wahrheit so darzustellen, dass die nötige Wirkung nicht verfehlt wird. Nicht umsonst fragt daher der Herr: „Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, welchen der Herr über sein Gesinde setzen wird, um ihm die zugemessene Speise zu geben zur rechten Zeit?“ (Luk. 12, 42). 
Gott, der Heilige Geist, kennt die Bedürfnisse einer Versammlung im allgemeinen, wie auch die jedes einzelnen Gliedes, und Er kann die Redenden anleiten, gerade über die Wahrheit zu sprechen, welche für die Zuhörer — mag deren Zustand jenen bekannt oder nicht bekannt sein —- passend und nötig ist. Wie ernstlich sollten wir daher begehren, uns allezeit aufrichtig und bedingungslos der Leitung dieses Geistes zu unterwerfen! 
Ein besonderes Kennzeichen jedes wahren, gesegneten Dienstes ist die persönliche, herzliche Liebe zu Christo und die Ehrfurcht vor Seiner anbetungswürdigen Person. Hat ein Dienst nicht diese Quellen zu seinem Ausgangspunkt, so ist er dürr und unfruchtbar. ,,Simon, Sohn Jonas, liebst du mich?“ so lautete dreimal die erforschende Frage des Herrn an Petrus, als Er ihm die Weide und Hut Seiner Herde anvertraute; und Paulus schreibt an die .Korinther: „Die Liebe des Christus drängt uns“ (2. Kor. 5, 14). Ach, das; wir uns so oft von manchen anderen Beweggründen leiten lassen! Von Beweggründen, die in unserer alten Natur ihren Ursprung haben! Wie wichtig ist es doch, bei Ausübung irgend eines Dienstes mit gutem Gewissen sagen zu können: „Nicht Eitelkeit oder Gefallsucht, nicht Brauch und Gewohnheit, oder jene Ungeduld, die nicht schweigen kann, sondern irgend Etwas tun muss, haben mich geleitet; nein, die Liebe (so schwach sie sein mag) für Christum und Seine bluterkaufte Herde war die Triebfeder meines Handelns«! Bei dem bösen Knecht, der das Talent seines Herrn in der Erde vergrub, war diese Liebe sicher nicht vorhanden. 
Ein durch den Geist gewirkter Dienst, ja, jede durch Ihn hervorgerufene Tätigkeit in der Versammlung wird sich auch stets durch ein tiefes Gefühl der Verantwortlichkeit gegen Christum kennzeichnen. Nehmen wir den Fall an, jemand würde nach einer Zusammenkunft die Fragen an uns richten: „Warum hast du gerade dieses Lied vorgeschlagen? warum dieses Kapitel gelesen und darüber gesprochen? warum gerade in der Weise gebetet, wie du es getan hast?“ — würden wir dann wohl antworten können: „Ich habe das Lied vorgeschlagen, weil ich mich innerlich dazu gedrängt fühlte?“ oder: „Ich habe über das Kapitel gesprochen, weil ich die Überzeugung hatte, der Herr wolle es so?“ oder: „Ich habe so gebetet, weil das tiefe Gefühl in mir war, der Geist Gottes leite mich, gerade diese Anliegen vor Gott zu bringen, oder in dieser Weise Ihm zu danken?“ Geliebte Brüder! handeln wir nicht manchmal, ohne dieses Gefühl unserer Verantwortlichkeit gegen Christum und unsere Geschwister zu haben? Petrus sagt: „Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht“ (1. Petr. 4, 11). Das will nicht nur sagen, dass meine Worte der Wahrheit entsprechen müssen, sondern dass sie sich als Aussprüche Gottes, als in Seinem Auftrag und in Seiner Kraft geredet erweisen. Wenn ich nicht in meinem Innern die Überzeugung habe: „Gott will, dass ich jetzt rede und das, worin Er mich unterwiesen hat, der Versammlung mitteile“, so schweige ich besser. Dass wir uns in dieser Beziehung leicht täuschen", zu eilig oder zu langsam sein können, bedarf kaum einer Erwähnung; aber der Grundsatz besteht und muss aufrecht gehalten werden, wenn anders die Versammlung Erbauung empfangen und Gottes Absichten im Blick auf sie in Erfüllung gehen sollen. Vergessen wir dabei auch nicht, dass es Sache der Versammlung ist, das Geredete an dem Worte Gottes zu prüfen und zu „urteilen“ (1. Kor. 14, 29). Andererseits mag auch manchmal eine Ermunterung am Platze sein, die empfangene Gabe nicht zu „vernachlässigen“. Es gibt Gefahren für uns nach jeder Seite hin. Jedenfalls aber sollte den, der da redet oder in irgend einer Weise tätig an den Versammlungen teilnimmt, die Überzeugung vor Gott leiten, dass Gott ihm etwas zu reden oder zu tun gegeben hat. Würden unsere Gewissen stets unter dem ernsten Gefühl dieser Verantwortlichkeit stehen, so würde gewiss mancher Fehler verhütet werden, manche Tätigkeit unterbleiben; und andererseits würde Gott Raum gelassen werden, Seine Gegenwart in einer Weise zu offenbaren, die über das gewöhnliche Maß weit hinausgeht.
Wie bestimmt und eindrucksvoll tritt dieses unmittelbare Verantwortlichkeitsgefühl bei dem Apostel Paulus hervor! „Denn wenn ich das Evangelium verkündige“, schreibt er an die Korinther, „so habe ich keinen Ruhm, denn eine Notwendigkeit liegt mir auf; denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte! Denn wenn ich dies freiwillig tue, so habe ich Lohn, wenn aber unfreiwillig, so bin ich mit einer Verwaltung betraut“ (1. Kor. 9, I6. 17). Und wie rührend sind seine Worte an dieselben Leute: „Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“! (.Kap. 2, 3). Welch ein Vorwurf gegenüber der Leichtfertigkeit des Herzens und einer gewissen Selbstgenügsamkeit, womit wir leider nur zu oft das heilige Wort Gottes behandeln! „Denn wir verfälschen nicht«, sagt er an einer anderen Stelle,“ wie die vielen, das Wort Gottes, sondern als aus Lauterkeit, sondern als aus Gott, vor Gott, reden wir in Christo“ (2. Kor. 2, 17).
Zum Schluss möchte ich noch einen anderen Punkt berühren. Paulus schreibt an Timotheus: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim. 1, 7). Einen Geist der Besonnenheit! Es ist möglich, dass jemand wenig oder gar keine menschliche Gelehrsamkeit besitzt; vielleicht vermag er weder einen fließenden Vortrag zu halten, noch sich selbst grammatisch richtig auszudrücken. Aber obwohl das alles fehlt, kann er doch
„ein guter Diener Jesu Christi“ sein. Der Geist der Besonnenheit aber darf ihm nicht fehlen. 270
Es sei mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit an eine Sache zu erinnern, die mich oft in der eigenen Versammlung wie auch an anderen Orten betrübt hat. Ich meine die Verworrenheit, die sich immer wieder in den Gebeten einzelner Brüder bezüglich der Personen in der Gottheit kundgibt. Wenn ein Bruder sich im Anfang seines Gebets an Gott den Vater wendet und Ihn dann im weiteren Verlauf desselben als Den anredet, der für uns gestorben und auferstanden ist; oder wenn er sein Gebet an Jesum richtet und Ihm dafür dankt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt habe, so muss ich bekennen, dass ich mich oft gefragt habe: „Kann es der Geist Gottes sein, der zu solchen Gebeten anleitet?“ — O wie sehr bedürfen alle, die in den Zusammenkünften der Gläubigen irgendwie tätig austreten, jenes Geistes der Besonnenheit, um solche und ähnliche Verwirrungen zu vermeiden! Keiner von uns denkt daran, dass der Vater auf Golgatha gestorben sei, oder dass Christus Seinen Sohn in die Welt gesandt habe. Fehlt es aber nicht an wahrer Sammlung und Besonnenheit des Geistes, wenn solche, die als Kanäle der Anbetung und des Dienstes der Heiligen dienen möchten, Dinge sagen, die sie selbst nicht glauben, ja, die zu glauben geradezu widersinnig wäre? Lasst uns deshalb den Herrn viel bitten, dass der Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit, den Er uns geschenkt hat, uns bei unseren Zusammenkünften mehr als bisher beseelen und regieren möge!

Fußnote:
*) Es liegt mir völlig fern, irgend einen Bruder zu entmutigen, ein Wort, und wäre es noch so kurz, vorzubringen, das zur Erbauung der übrigen dienen könnte. Aber die Brüder, welche wirklich vom Herrn benutzt werden, sind gewöhnlich die letzten, zu denken, dass ihnen der Dienst allein zukomme, oder dass den Bedürfnissen der Heiligen vomehmlich durch sie gedient werde.

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Der Kommende wird kommen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 271

Autor: R. B.

Ich komme bald!
So hast Du’s einst gelobet;
Und wird das Herz im Harren auch erprobet,
Du hältst getreulich, was Dein Mund verspricht,
Du kommst gewiss!
Du kommst gewiss!

So lass mich’s stets betrachten
und Gottes Langmut für Errettung achten,
Dich ehren durch Vertraun und Zuversicht.
Doch zögre nicht!

Ja, zögre nicht!
Die Nacht uns tief umdunkelt,
Und kaum ein Sternlein durch die Wolken funkelt.
O gehe auf, du heller Morgenstern!
Durchbrich die Nacht!

Durchbrich die Nacht
und lass den Morgen tagen,
an dem die Braut, in Wolken heimgetragen,
In Deines Anblicks Wonne sich verliert!
O komme bald! 

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Die Herrlichkeit in der Wolkensäule

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 272ff

Die Wolkensäule, die Israel durch die Wüste führte, war zugleich Dienerin und Begleiterin des Lagers, aber sie bildete auch die Decke oder Hülle der in ihr wohnenden Herrlichkeit. Gewöhnlich erschien sie den Blicken des Volkes nur als Wolke, und der Glaube allein wuste, dass die Herrlichkeit in ihr wohnte. Dennoch war diese Herrlichkeit immer da, wenn ihr Glanz auch nur ab und zu durch die Umhüllung nach außen drang.
Es war also mit diesem schönen Geheimnis so: bald war es eine verborgene, bald eine geoffenbarte Herrlichkeit. Erwies sie sich einerseits, wie gesagt, als Dienerin und Begleiterin des Lagers, so war sie andererseits, wenn ich mich so ausdrücken darf, dessen Gott *).
Schauen wir jetzt auf Jesum, dann finden wir das gleiche. Er war Gott, geoffenbart im Fleische, Gott in „Knechtsgestalt". So erschien Er gewöhnlich den Augen der Menschen. Aber wenn Er auch nur gelegentlich in Seiner göttlichen Autorität hervortrat, so besaß Er doch stets und ständig ein Anrecht auf die Ehrungen des Heiligtums Gottes.
Wir wollen jetzt in der Schrift nach Beispielen suchen, wo diese Herrlichkeit zur Darstellung kam.
Israel am Roten Meere war in großer Gefahr. Es hatte einen Helfer nötig (Vergl. 2. Mose 14). Da verändert die Wolkensäule plötzlich ihren Platz und rückt zwischen die Ägypter und das Lager. Im nächsten Augenblick durchbricht die Herrlichkeit die Wolke und trägt Verwirrung in das Lager der Ägypter, so dass diese die ganze Nacht hindurch dem Lager Israels nicht nahen können. In dieser Weise diente Gott dem Lager.
In einem ähnlichen Fall ( Johannes 18,1 - 11) handelt der Herr Jesus ebenso wie die Wolkensäule oder die Herrlichkeit in ihr am Ufer des Roten Meeres. Er stellt Sich zwischen die Jünger und ihre Verfolger. „Wenn ihr nun mich suchet, so lasst diese gehen"!. Er beschützt die Seinigen. Wie einst an den Grenzen Ägyptens, durchbricht Er die Umhüllung und bringt die Feinde in Verwirrung, und das geschieht mit der gleichen Leichtigkeit und Autorität wie am Tage des Pharao. Er schaut gleichsam wieder einmal durch die Hülle. Mit dem einfachen Worte „Ich bins", werden die Feinde zu Boden gestreckt (Vergl. 2. Mose 14,24 mit Johannes 18,6). Wer wollte nicht den Gott Israels in Jesu erkennen? „Fallet vor ihm nieder, ihr Götter alle"! Er ist der Gott von Psalm 97,7 und zugleich Jesus von Nazareth. Vor Ihm sinken die ägyptischen Götter am Roten Meer dahin, wie Jahrhunderte später die römischen Götter im Garten Gethsemane. Und wenn Er einmal als der „Erstgeborene" in den Erdkreis wieder eingeführt werden wird, wird es von Ihm heißen: „Und alle Engel Gottes sollen ihn anbeten".
Ein anderes Beispiel: Wie Israel beschützt werden musste, so musste es auch gestraft werden. Es hatte die Züchtigung so nötig wie die Errettung, und die in der Wolke verborgene Herrlichkeit verrichtet das eine göttliche Werk ebenso vollkommen wie das andere. Bei den verschiedenen Gelegenheiten, wie z. B. in Verbindung mit dem Manna, mit den Kundschaftern in der Geschichte Korahs und an den Wassern zu Meriba (2. Mose 16; 4. Mose 14,16. 20) forderte Israel die Heiligkeit des Allmächtigen heraus, und jedes mal fehlte Jehovas Züchtigung nicht. Die Herrlichkeit in der Wolke offenbarte sich in zürnendem Unwillen. Sie wurde zu einem Zeugen wider das Lager. 
Nicht anders war es mit dem Herrn Jesus in den Tagen Seines Fleisches. Wenn Er durch den Unglauben und die Herzenshärtigkeit der Kinder Seines Volkes betrübt wurde, offenbarte er Seine Herrlichkeit, Seine göttliche Person und Seine Macht inmitten Seiner Jünger oder solcher, mit denen Er zu tun hatte, und verurteilte, wie ehemals in der Wüste, deren Wege (Mk. 4,37 - 41; 5,39 - 43; 6,36 - 51; Johannes 14,8 - 11).
Immer wieder finden wir das Geheimnis der Herrlichkeit in der Wolkensäule in Jesu, „Gott, geoffenbart im Fleische", verwirklicht. Trat für gewöhnlich auch nur die Wolke in Erscheinung, während die Herrlichkeit nur gelegentlich hervorstrahlte, so war diese doch immer da, ebenso wie in der Wüste oder später im Tempel.
Ich möchte jetzt noch etwas genauer auf einen Fall eingehen, wo der Herr Jesus uns entgegentritt wie die verborgene Herrlichkeit, von der oben die Rede war. Dieser Fall findet sich in den Kapiteln 13 bis 17 des Evangeliums Johannes. Bei der Abschiedsszene, die sich in späteren Tagen am Meeresufer bei Milet abspielte (Apg. 20), erblicken wir in dem Apostel Paulus einen Mann voll brennender Liebe zu den Heiligen, der zugleich stark ist in dem Bewusstsein seines untadeligen Verhaltens. Aber von einer Herrlichkeit ist da nichts zu sehen. Paulus war ein Diener und ein Bruder, ein Gefäß im Hause Gottes. Andere waren reich gesegnet worden durch ihn, aber er war doch nur ein Genosse, ein Bruder und Mitarbeiter, ein Diener und Apostel, nicht mehr. Es gab da keine Hülle, die zerrissen werden musste, um ihn anders erscheinen zu lassen, als man ihn sah. Es gab in ihm keine verborgene Herrlichkeit. Was seine Person anging, gab es nichts zu offenbaren, das nicht schon geoffenbart gewesen wäre.
Aber da ist eine andere Abschiedsszene mit ähnlichen Begleiterscheinungen. Die oben genannten Kapitel (Johannes 13-17) machen uns, ähnlich wie Apg 20, mit Zeugnissen tiefster Zuneigung bekannt. Der Herr Jesus umgürtet Sich mit einem leinenen Tuch, gießt Wasser in ein Waschbecken und wäscht Seinen Jüngern die Füße. Aber bei dem allen fehlt bei dem Herrn nicht das Bewußtsein Seiner Autorität, das Bewußtsein von dem, was Er persönlich war. Obwohl Er die Füße Seiner Jünger wäscht, weiß Er, dass Er „der Herr und der Lehrer" ist. Er weiß, dass „Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe" (Johannes 13). 
Hier haben wir abermals die Herrlichkeit in der Wolke. Der Herr Jesus ist wieder einmal der Diener des Lagers. Ein wenig später (Johannes 14,1 - 3) dient Er den Seinigen auf eine andere Weise. Er geht hin, um ihnen eine Stätte im Himmel zu bereiten, wie Er ihnen auf Erden die Füße gewaschen hat. Auch wird Er wiederkommen, um sie zu Sich zu nehmen, dahin, wo Er ist, ins Vaterhaus. Wenn aber die Jünger, wie einst das Lager Israels, ungläubig sind, dann bricht der Glanz der Herrlichkeit durch die Wolke, um sie zu verwirren, und Jesus sagt zu ihnen: „So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen, und wie sagst du: Zeige uns den Vater"! 
So ist der Herr Jesus die von der Wolke umhüllte Herrlichkeit. Welche Genüsse enthält diese Wahrheit für die, welche Ihn liebend suchen, deren Freude es ist, dieser Herrlichkeit in ihrem ganzen Glanz nachzuspüren. Ich wiederhole: nachzuspüren, denn die Umhüllung, unter der es Ihm in Seiner unermeßlichen Gnade gefallen hat, diese Herrlichkeit zu verbergen, ist nicht leicht zu durchdringen. Immer war Er ja der Diener und Begleiter des Lagers, an welchem Punkt ihrer Reise die Seinigen auch angelangt sein mochten. Aber diese geduldige und dienende Liebe, die vor alters Israel in der Wüste begegnete und in späteren Zeiten die Jünger umgab, war die Liebe der Herrlichkeit. Vergessen wir das nicht, denn gerade hier liegt unsere Freude, wenn wir nur immer Herzen hätten, die Herrlichkeit zu fassen. Die Liebe des Apostel Paulus war auch eine geduldige, dienende Liebe, aber es war die Liebe eines Bruders, eines Jochgenossen, eines Menschen von gleichen Gemütsbewegungen wie wir. Es war der Dienst eines Mose; die Liebe Jesu aber war die Liebe der Herrlichkeit, die Liebe des Gottes der Herrlichkeit. 
Die Herrlichkeit in der Wolke war also der Gott Israels (vergl. Hesekiel 43,4 mit 44,2), und der Gott Israels war Jesus von Nazareth (Vergl. Jes. 6,1 mit Johannes 12,41). Der „Nazaräer" war gleichsam die Wolke, die ein Licht verhüllte, das der Glaube zwar entdeckt, das aber in seiner eigentlichen Fülle unzugänglich bleibt, außerhalb des Erfassungsvermögens jedes erschaffenen Auges.
Ich möchte hier noch hinzufügen, dass es Aufgabe des Glaubens ist, durch den in uns wohnenden Geist die wahre verborgene Herrlichkeit zu entdecken, aber jede falsche Herrlichkeit, wie sie sich auch zur Schau stellen mag, zurückzuweisen. Wie schnell erkannte Abraham die Herrlichkeit, die ihn besuchte (Vergl. 1. Mose 18,3 mit Apg. 7,2). In welch bewundernswürdiger Weise erkannte auch Abigail sie in David, einem Vorbilde von Christo (1. Samuel 25). Und wie erkannten die Magier sie in dem Kindlein in der Krippe, während sie an der falschen, prunkenden Herrlichkeit der Welt, die Herodes in Jerusalem umgab, achtlos vorbeizogen (Lies Mt. 2). Auch der alte Simeon entdeckte diese Herrlichkeit in demselben Kindlein im Tempel und ließ den ganzen religiösen Glanz und Pomp, die nebenher diesen Ort erfüllten, völlig unbeachtet (Lk. 2). Es war der Glaube, der so handelte, ein Glaube, der immer wieder während des ganzen Lebens Jesu die verborgene Herrlichkeit in Ihm entdeckte. Einmal erkennt er in der Gestalt des verachteten Galiläers den Sohn Gottes, ein anderes Mal den Jehova Israels, ein drittes Mal den Schöpfer der Welt, wieder ein anderes Mal den Sohn Davids oder den König Israels. Alle diese Herrlichkeiten waren derselben Person eigen, aber auch verborgen unter derselben Hülle.
Wie kostbar muss für Christum dieser Glaube gewesen sein, der die Hülle zerriss! Die Magier, Simeon und Anna zerrissen die Hülle seiner Kindheit, der sterbende Räuber die Hülle des Kreuzes. In Markus 10 spricht der Herr von Seiner tiefsten Erniedrigung, aber selbst in diesem Augenblick reden die Söhne des Zebedäus von der Herrlichkeit Seines Reiches und begehren sie (V. 34ff). Die Volksmenge nennt Jesum den Nazarener, aber der Blinde, der bettelnd am Wege sitzt, redet in demselben Augenblick von Ihm als dem „Sohne Davids" und bittet um Seine Hilfe (V. 46ff).
Wie kostbar ist doch ein solcher Glaube! Fragen wir uns, ob auch wir die Hüllen zu zerreißen vermögen mit einer ähnlichen Glaubenskraft, wie sie in jenen Gläubigen gefunden wurde. Christus ist nicht mehr auf Erden, aber erblicken wir heute noch die Herrlichkeit in Seiner Gemeinde? Ich meine nicht nur rein lehrhaft in der Person Christi, sondern in wirklicher lebendiger Weise in solchen, die Seinem Volke angehören? Wenn ich meine Freude an einem Gliede des Leibes Christi habe, das von den Menschen vernachlässigt und verachtet wird, das ich aber unter der Umhüllung dieser Herabsetzung ehre und liebe, so übe ich praktisch dieses schöne, alte Glaubenswerk aus, das darin besteht, Umhüllungen zu zerreißen.

Fußnote:
*) Die Herrlichkeit in der Wolkensäule war die gleiche, die zwischen den Cherubim im Allerheiligsten, der Wohnung Jehovas, thronte. Mit anderen Worten: die Herrlichkeit, die unter einer Umhüllung verborgen war und dem Lager diente, war die gleiche, die mit vollem Recht alle die göttlichen Ehrungen des Tempels für sich in Anspruch nahm.

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Isaak und Ismael

Bibelstelle: 1. Mose 21

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 278ff

Isaak war der Sohn der Verheißung, der Same Abrahams, das Vorbild von Christo. Ismael war der Sohn der Magd, der Sohn des Fleisches. Sobald der Erbe der Verheißung geboren und entwöhnt war, musste der Sohn des Fleisches aus dem Hause entlassen und alles nach Gottes Gedanken geordnet werden. Sarah hatte recht mit ihrer Forderung: „Der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohne, dem Isaak“ (1. Mose 21, 10; vergl. Gal.4, 30.) Jehova konnte nicht länger dulden, dass der Sohn des Fleisches bei Isaak und Sarah im Hause Abrahams blieb, wenngleich Seine Güte auch für Hagar und ihr Kind reichlich sorgte.
Unmittelbar nach der Entlassung Ismaels („es geschah zu selbiger Zeit“, V. 22) erschien der heidnische König Abimelech mit seinem Heerobersten Pikol bei Abraham, um mit demselben Manne einen Bund zu schließen, dessen Mangel an Wahrhaftigkeit ihn noch kurz vorher mit Recht überrascht und abgestoßen hatte. Er erkennt an, dass Gott mit Abraham war in allem, was er tat, beschwört ihn, seinen Nachkommen nichts Übles zu tun, und steht dann selbst wegen des Unrechts, das seine Knechte Abraham zugefügt hatten, als ein Angeklagter da. Mit einem Worte: der heidnische König sucht das Angesicht und den Schutz Abrahams, der seinerseits eine Tamariske zu Beerseba pflanzt „und daselbst den Namen Jehovas, des ewigen Gottes, anruft“ (V. 33).
In deutlichem Bilde tritt hier der Erbe der Weit vor unsere Blicke, dessen Gunst die Nationen am Ende der Tage, im Tausendjährigen Reiche, suchen werden, wenn Gott sich offenbaren wird als der Ewige, der König der Zeitalter, der den wahren Erben einführt und alle Anmaßungen des Fleisches für immer beseitigt, während alle Seine Verheißungen in Erfüllung gehen werden.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Lukas 22, 20

Botschafter des Heils in Christo 1924, S. 280

Hat Judas Iskariot an des Herrn Mahl teilgenommen?
Wenn wir nur die Erzählung des Evangelisten Lukas besäßen, würden so unglaublich es uns auch erscheinen möchte, wir kaum einen anderen Schluss ziehen können, als dass Judas am Abendmahl teilgenommen habe.
Demgegenüber  ist aber zunächst zu bemerken, dass die ernsten Aussprüche des Herrn über Judas nach den beiden ersten Evangelisten,  Matthäus und Markus, schon während der Dauer des Passahmahls gefallen sind, während der Herr erst den letzten der vier beim Passah „gewöhnlich umhergereichten Becher, „den Kelch nach dem Mahle“ (Lukas 22, 20; 1. Korinther 11, 25) zur Einsetzung des Abendmahls benutzte. Ferner berichtet Lukas fast nie der Zeitfolge nach, sondern stellt die Ereignisse so zusammen, wie sie ihrer inneren Bedeutung nach zusammengehören, beziehungsweise ein Gegensatz zueinander bilden. Das Letztere ist hier der Fall. Während Jesus den Seinigen den höchsten und rührendsten Beweis seiner sich selbst aufopfernden Liebe, Seiner Hingebung und Seines Gehorsams gegen Gott gibt, zeigt sich in Judas das ganze Verderben des menschlichen Herzens in seinem schwarzen Undank, seiner schnöden Geldliebe und seiner furchtbaren Verhärtung. Und angesichts des Kreuzes und an demselben Tische, an welchem der Herr den Seinigen gleichsam die letzten sichtbaren Zeichen seiner Liebe gibt, streiten sich die Jünger um die Frage, wer von ihnen den ersten Platz in dem nach ihrer Meinung nahe bevorstehenden Reiche haben werde. Dieser Streit hat wohl schon etwas früher stattgefunden (vergleiche Matthäus 20, 25 - 28; Markus 10, 42 - 45), aber Lukas, geleitet durch den Heiligen Geist, erzählt ihn hier, um die gewaltigen Gegensätze zwischen dem Einen, Vollkommenen, und denen, die Ihm nachgefolgt waren, ans Licht zu stellen. 
Weiter wird uns im Evangelium nach Johannes berichtet, dass Judas, nachdem er den Bissen, den der Herr ihm reichte, genommen hatte, alsbald hinausging. (Kapitel 13, 30). Das Reichen des Wissens hat naturgemäß während des Passahmahles stattgefunden. Wenn nun der Herr, wie bereits bemerkt, erst den Kelch nach dem Mahle“ zur Einsetzung des Abendmahls benutzte, so folgt daraus dass Judas nicht mehr zugegen war, trotzdem die Erzählung des Evangelisten Lukas das Gegenteil vermuten lässt. Er hatte schon vor Beendigung des Passahmahles den Obersaal verlassen.

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Christus, das Leben

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 281ff

Begeben wir uns jetzt im Geiste nach Nazareth, wo der Herr an einem Sabbattag in die Synagoge ging und, nachdem Ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht worden war, die herrlichen Worte aus dem 61. Kapitel las: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil Er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen, und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn“.
Darauf, als aller Augen erwartungsvoll auf Ihn gerichtet waren, erklärte Er Seinen Zuhörern, dass diese Schrift nunmehr erfüllt sei. Beachten wir, dass Er nur den ersten Teil des zweiten Verses in Jesaja 61 gelesen hatte, d. h. nur bis zu dem Punkt, der sich jetzt erfüllte. Die darauf folgenden Worte: „den Tag der Rache unseres Gottes“ las Er nicht, denn dieser Tag war noch nicht da. Sobald Er soweit gelesen hatte, rollte Er das Buch zu, setzte sich und sprach Worte der Gnade zu allen.
„Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“, so sprach Er, der die Wahrheit ist — ein Wort von entscheidender Bedeutung nicht nur für alle, die es damals hörten, sondern auch für alle Zeiten und für alle Menschen. Er war wirklich der durch den Geist Gottes Angekündigte, der Eine, den „der Vater versiegelt hatte“. Von Ihm hängt das Heil eines jeden Menschen ab. Aber vergessen wir nicht, dass Er, der rettende Herr, auch derjenige ist, welcher einst als aller Richter auftreten wird. Gott hat „einen Tag gesetzt, an welchem Er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den Er dazu bestimmt hat“. Und dieser Mann ist derselbe Jesus, den Gott aus den Toten auferweckt hat. Siehe da, mein Leser, den untrüglichen Prüfstein für jedermann! Entweder ist man jetzt schon in Ihm, oder man wird für immer außer Ihm sein und muss an jenem Tage vor Ihm als Richter stehen.
Wer Ihm aber dereinst als seinem Richter gegenüber stehen wird, für den gibt es keine Rettung. Jesus ist in den Tod gegangen, um das Gericht eines jeden auf sich zu nehmen, der an Ihn glaubt. War das nicht unendliche Liebe? Ja. Aber es war noch mehr als das, es war Gerechtigkeit. Denn wie hat Er das Gericht getragen, das der Sünder verdient hatte? Kraft Seiner Macht? Nein, durch Leiden. Er hat „gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf das; Er uns zu Gott führe“. Das erklärt das Einzigartige, die Sicherheit und die Vollgenugsamkeit der Errettung. Und sie würde nichts mehr und nichts weniger als eine Sage, eine fromme Lüge, sein, wenn Christus nicht zugleich Gott und Mensch wäre. Das Hauptbindeglied in der wunderbaren Kette der Wahrheiten würde fehlen, wenn Er, der Mensch Jesus, nicht Immanuel, Gott mit uns, wäre. Die Juden werden später in anderer Weise gesammelt« werden, als wir heute, aber es wird durch den Glauben an die gleiche Person geschehen. Es gibt kein Evangelium, das sich nicht auf Ihn als das Opfer, das Opfer einer göttlichen Person, gründete. „Das Wort ward Fleisch.“ Wenn das nicht geschehen wäre, hätten wir nimmer erreicht werden können. Der eingeborene Sohn ist Mensch geworden. Jesus kam und lebte als Mensch hienieden, um den Willen Gottes zu tun. Er lebte „des Vaters wegen“ (Joh. 6, 57). Dieses Leben zeigte sich in nie fehlender Unterwürfigkeit und nie wankendem Gehorsam. Kein Mensch ist wirklich imstande, gehorsam zu sein, bis er Anteil erlangt hat an jenem Leben. Ohne dieses Leben kann niemand in Gottes Gegenwart stehen oder Ihm in einem Wandel des Glaubens gefallen. Deswegen ist es eine unumgängliche Notwendigkeit, Christum, das Leben, zu besitzen. 
„Hierin ist die Liebe Gottes geoffenbart worden.“ Worin? Im Gesetz gab es keine Offenbarung der Liebe. Nein, das Gesetz hat nur Verdammnis über den schuldigen Sünder gebracht. Wenn es auch in sich heilig und gerecht und gut ist, kann es doch im besten Falle nichts anderes bei dem Menschen bewirken, als ein Gefühl über seinen Zustand. Hierin ist die Liebe, „dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben möchten“· Das bringt die Herrlichkeit Seiner Person zur Entfaltung. Er war der Sohn Gottes, der über, außerhalb und jenseits von allem anderen stand, der Fleischgewordene und der Schöpfer, das ewige Wort. Und es war der Wille des Vaters, dass das bekannt wer- den sollte. Kein Mensch hätte Gott gemäß Leben haben und gesegnet sein können, wenn dieses Zeugnis nicht verkündigt worden wäre. 
Der Endzweck, für den der eingeborene Sohn gesandt wurde, war, „dass wir durch Ihn leben möchten“. Wir alle gingen in der Irre, waren unverständig und ungehorsam, „dienten mancherlei Lüsten und Vergnügungen, führten unser Leben in Bosheit und Neid, verhasst und einander hassend“ (Tit. 3, 3). Nichts wie Sünde war da. In Sünde empfangen und geboren, geht der Mensch als Sünder seinen Weg, indem er seinen eigenen Willen tut. Und was wird das Ende von alledem sein? Gottes Herrlichkeit, oder die ewige Verdammnis, das von Ihm Ausgeschlossensein? Die Antwort ist nicht schwer. Was wir bedürfen, ist ein völlig neues Leben, und dieses finden wir nur in Christo. 
Der erste Adam pflanzte nur seine eigene gefallene Natur fort. Aber in Christo, dem letzten Adam, dem lebendig machenden Geist, in Ihm, der nur Seines Vaters Willen tat, erblicken wir das Haupt einer neuen Familie. Schauen wir denn auf zu Ihm und leben! Wer an Ihn glaubt, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht. Welche Gnade! Hier haben wir den sicheren, aber auch den einzigen Weg vor uns, der zum herrlichen Ziele führt: „Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“.
Gott hat also Seinen Sohn zu dem deutlich ausgesprochenen Zweck in die Welt gesandt, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, ewiges Leben haben möchte. Dazu musste Christus sterben. Denn selbst wenn ein Mensch mit allem Eifer Gottes Wort lesen, zu Ihm beten und Seinen Willen zu tun suchen möchte, was soll aus all dem Bösen werden, das er getan hat, und das er selbst als Gläubiger immer wieder zu tun geneigt ist? „Denn ich weiß“, sagt Paulus, „dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt.“ In unserer alten Natur steckt nach wie vor die Neigung zu Stolz, Eitelkeit, Selbstsucht, Eigenwille, Launenhaftigkeit usw. usw. Wie wird nun eine Seele davor bewahrt, diesen Dingen nachzugeben? Besitzt sie die Kraft dazu, weil sie bekehrt ist? Bekehrung bedeutet: sich zu Gott wenden in Herz, Sinn und Wegen und sich abwenden von dem eigenen Ich und den alten
Wegen. Wie nun, wenn ich nach meiner Bekehrung wieder in die genannten bösen Dinge verstrickt werde? Das neue Leben zeigt und entfaltet sich in der Abhängigkeit von Gott; es kann also für den gläubigen Menschen nichts Besseres und Geziemenderes geben, als zu Gott aufzublicken. In demselben Maße wie er das tut, wird das Leben in ihm erhalten und gefördert werden. Aber, wird der Leser vielleicht einwenden, wenn ich nun einmal ein schlechtes Gewissen habe, wie kann ich dann zu Gott aufschauen? 
Gott sei gepriesen! auch für diesen schmerzlichen Fall hat die Gnade gesorgt. Wir lesen in 1. Joh. 2, 1. 2: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget“ — das ist die Regel des christIichen Lebens, so sollte es eigentlich immer sein — ,“und wenn jemand gesündigt hat (nicht „wenn ihr gesündigt habt“, als ob das gar nicht anders sein könnte), — wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten. Und Er ist die Sühnung für unsere Sünden.“ Jesus Christus ist gekommen, um als Sühnopfer für unsere Sünden zu sterben. Er wurde Mensch, nicht nur um mir, dem geistlich Toten, Leben zu geben, sondern auch um meine Sünden hinwegzunehmen. „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4, 10). Die Sünde ist und bleibt für Gott hassenswürdig, sie wird umso unerträglicher, wenn sie sich bei einem Seiner Kinder zeigt, die nicht mehr sündigen sollten und nicht mehr zu sündigen brauchen. Sie würde den Gläubigen auch bedingungslos von dem heiligen Gott trennen, wenn nicht das kostbare Blut Christi für alle seine Sünden geflossen wäre, und nicht Christus, der Gerechte, als sein Sachwaltet bei dem Vater einträte. So aber bewirkt Seine Verwendung in ihm ein ernstes Gefühl und Bekenntnis der Sünde, und „wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er (Gott, der Vater) treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh. 1, 9). Auf Grund Seiner unwandelbaren Treue und Seiner auf Christi Blut gegründeten Gerechtigkeit kann Gott Seinem bußfertigen Kinde vergeben, und Er tut es.
Sobald ein Mensch Leben in Christo empfängt, hat er auch ein göttliches Gefühl darüber, dass die Sünde hassenswert und unerträglich vor Gott ist. Er weiß, dass sein bisheriges Tun seine Quelle in dem eigenen Ich, in der verderbten alten Natur hatte. Er weiß aber auch, dass Christus gestorben ist, nicht nur um seinen Sünden zu begegnen, sondern um ihm auch ein neues Leben, eine ganz neue Natur zu geben. Und das ist erst wahre Errettung. Eine Predigt, die nur den Tod und nicht auch das Leben Christi verkündigt, die sich darauf beschränkt, zu zeigen, wie die Sünden durch das Blut vergeben werden können, ohne ein Wort über das Leben in Ihm zu sagen, bleibt weit hinter Gottes Gedanken, hinter der „Wahrheit“ zurück. Eine solche Predigt wird eigentlich nur dem Menschen gerecht. Sie betont nur die negative Seite und vergisst die positive; das heißt, sie spricht von dem, was das Gewissen zu reinigen vermag, was die Sündenlast wegnimmt, sagt aber nichts von dem, was einen gehorsamen Wandel für und mit Gott möglich macht. Aber das genügt nicht für den Gläubigen, noch weniger für die Verherrlichung Gottes. Wir sollen nicht nur einen Teil der Segnung, sondern den ganzen Christus haben. 
Gottes Wille ist, dass jeder Gläubige in diesem neuen Leben, dem Leben einer wiedergeborenen Seele, lebe. Meine Gedanken mögen mit Vorliebe mit mir beschäftigt sein, aber Gott lenkt den Blick auf Seinen Sohn. In Ihm soll der Christ im Glauben ruhen, nicht aber auf seinen eigenen Vorstellungen oder Gedanken· Als ein Sohn Adams mit natürlichem Leben ausgestattet, besitzt der Gläubige ebenso wirklich ein neues, göttliches Leben in Christo, das ihm nie wieder verloren gehen kann. Wie wäre das möglich, da es in Christo und von Gott ihm geschenkt ist? Wohl aber ist es möglich und sogar leicht möglich, die Freude oder den Genuss an diesem Leben zu verlieren.
Der Gläubige hat stets Ursache, sich selbst zu misstrauen, aber es wäre ein Unrecht gegen Gott und Sein Wort, wenn er an Seiner Treue zweifeln oder dem Gedanken Raum geben wollte, dass das Leben Christi irgend welchem Wechsel unterworfen sein könnte. Freilich, wenn das neue Leben von uns selbst abhinge, so würden wir bald einem unaufhaltsamen Verfall preisgegeben sein. Aber Gott sei Dank! wir werden „durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt zur Errettung“. Der Gläubige klammert sich an die starke Hand, die ihn hält, und auf die er unter allen Umständen vertrauen kann. So verstehen wir, dass wir einerseits zu treuem Ausharren ermahnt werden und andererseits; hören, dass Gottes; Macht allein uns durch Glauben bewahrt. 
Der ganze praktische Wandel des Gläubigen entspringt dem Leben in Christo und gründet sich auf die
Tatsache, dass er zu Gott gebracht ist. Der Tod Christi hat seine Schuld getilgt und die Fesseln, die ihn gefangen hielten, gesprengt. Wo aber findet er Kraft zu dem neuen Leben? Man hört zuweilen von dem Sterben des alten Menschen reden, aber der alte Mensch will nicht sterben. Der wichtige Punkt, der nie genug betont werden kann, ist der: Gott erklärt, dass „unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist“, dass „wir mit Christo gestorben sind, und dass der Gläubige eine andere Natur, ein neues Leben in Christo empfangen hat. Nikodemus hatte zu lernen, dass er von neuem geboren werden musste. Es war nicht gut damit, dass er weitere Belehrungen von Jesu empfing. Wir dürfen auch versichert sein, dass Gott einer Seele, die Ihm einfältig ihre Bedürfnisse und Nöte bringt, allezeit das Nötige darreichen wird. Wenn eine Seele im Glauben bittet, so wird sie empfangen; Gott weigert sich nicht zu geben. Wie könnte die Gnade jemals einen Bittenden leer fortschicken?
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ So hat Jesus gesagt. Er ist der Weg, der einzige Weg zur Befreiung, zum Vater, und Er erlöst aus aller Gefahr, befreit von der Macht des Bösen und von der Herrschaft der Sünde. Wer Ihn hat, hat Leben in Ihm. Die Natur ist außerstande, Gott zu gefallen. Der Glaube ist das Mittel, um Leben, Vergebung, Frieden, Kraft und alles weiter Nötige zu empfangen. Der Glaube legt Beschlag auf alles, was Gott sagt, tut und gibt in Christo, und der Geist der Wahrheit ist es, der das Wort auf unsere Seelen anwendet und den Glauben an das Wort in uns hervorbringt. Aber so wichtig auch beides, das Wort und das Wirken des Geistes, sein mag, es könnte doch der Seele nichts nützen ohne Christum, der uns das Leben gibt, und ohne Seinen Tod, der unsere Sünden hinweggenommen hat.

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Achimaaz der Sohn Zadoks

Bibelstelle: 2. Samuel 18

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 289ff

Achimaaz, der Sohn Zadoks — beim Lesen des Namens dürfte der eine oder andere Leser fragen: „Welche Bedeutung ist diesem Manne beizulegen, der doch nur beiläufig und in Verbindung mit David in 2. Sam. 17 und 18 erwähnt wird?“ Zwei Hinweise werden genügen, um die Stellung und den Charakter des Mannes zu kennzeichnen. Er bewies in einem entscheidenden Abschnitt der Geschichte Davids, während der Flucht des Königs vor Absalom, eine hingebende, unverbrüchliche Treue an seinen König, und er war ein guter Läufer im Dienst desselben.
Als Sohn Zadoks, des treuen Priesters Jehovas während der Regierungen Davids und Salomos, erhielt er mit Jonathan, dem Sohne des Priesters Abjathar, den Auftrag, nachdem die Lade Gottes nach Jerusalem zurückgebracht worden war, dortselbst mit seinem Vater Abjathar zu verbleiben. (Kap· 15, 27 29.) Aus den kurzen Berichten über diesen jungen Leviten ersehen wir seinen ungeteilten Eifer und eine über alles gehende Hingabe für David. In 2. Sam. 15, 36 finden wir Jonathan und Achimaaz lauffertig auf einem der wichtigsten Posten, die im Dienste des Königs auszufüllen waren. Sie sollten die Nachrichten Husais über alles, was im Hause Absaloms vorging, an David überbringen. Die Aufgabe Husais bestand darin, den Rat des bösen Ahitophel zunichte zu machen, und die beiden jungen Läufer sollten bereitstehen, jede Sache, die das Haus des Königs betraf, weiter zu berichten. An ihren Dienst, für den sie einstehen mussten, selbst wenn es ihr Leben kostete, knüpfte sich also, menschlich gesprochen, das Wohl und Wehe des Königs David, seines Hauses und seines ganzen Volkes. Eine verspätete oder unrichtige Meldung hätte die ernstesten Folgen haben können. Wir können somit diese beiden Läufer des Königs als hingebende, tatkräftige Männer bezeichnen. Von ihnen hing es wesentlich ab, ob der Rat Ahitophels wirklich vereitelt wurde. Aber beide Männer waren ihrem Auftrag gewachsen. In Kap. 17, 17 lesen wir: ,,Jonathan aber und Achimaaz standen bei En-Nogel“, der WaIkerquelle südlich von Jerusalem. Durch eine Magd erhielten sie Bericht über die von Ahitophel dem Absalom gegebenen Ratschläge, die Husai, der Freund Davids, mittelst der Priester Zadok und Abjathar, zum Wohle Davids weiterzugeben hatte. Wie schön ist die Reihenfolge dieser Getreuen Davids! An erster Stelle stand Husai; Zadok und Abjathar nahmen als Zweite ihren Platz in Treue ein, dann kamen als drittes Bindeglied die Magd und die Frau des Mannes zu Bachurim, und schließlich vermittelten Achimaaz und Jonathan die Verbindung mit dem König selbst.
Der Weg zu David war für die beiden Läufer mit großen Gefahren verbunden. Sie durften sich nirgendwo sehen lassen. Achimaaz war bekannt als guter Läufer. In Kap. 18, 27 wird uns berichtet, dass der Wächter augenblicklich seinen Lauf als den Lauf des Achimaaz, des Sohnes Zadoks, feststellte. Wie herrlich wäre es, wenn man auch uns aus der Ferne schon als gute Läufer Jesu Christi
erkennen könnte! Schon einem Knaben, der Absalom zu- geneigt war, fielen die beiden Boten auf. Er verriet sie an Absalom (V. 18). Achimaaz vor allem war als treuer Anhänger Davids so bekannt, dass er es nicht wagen durfte, sich öffentlich zu zeigen. Aber ihn kümmern nicht persönliche Gefahren. Wenn es sich darum handelt, seinen Läuferdienst zum Wohle seines Königs auszuführen, lässt er sich durch nichts abschrecken. 
Auch wir sollten uns nicht abschrecken lassen durch äußere Umstände, wenn ein Dienst für unseren geliebten Herrn in Frage steht. Ist die Sache des Herrn Sache, so nimmt sie einen herrlichen Ausgang auch für uns. 
Absalom erhielt Kenntnis von den Handlungen der beiden Männer. Doch das konnte sie nicht beunruhigen. Jehova, ihr Gott, hatte Mittel und Wege genug, sie vor den gottlosen Anschlägen des abtrünnigen Königssohnes sicher zu stellen und trotz aller Schwierigkeiten die Sache Davids, die ja auch die Sache Jehovas war, zum guten Ende zu führen. 
Als Jonathan und Achimaaz den Verrat des Knaben erfuhren, eilten sie in das Haus eines Mannes zu Bachurim, der einen Brunnen in seinem Hofe hatte. Mochte auch die große Masse des Volkes von David abgewichen sein, die Kette der Hilfe für David und seine Getreuen blieb ohne Bruch; nicht ein einziges Glied zersprang, keines löste sich ab. Das Weib jenes Mannes zu Bachurim  wusste, was sie zu tun hatte. Kaum waren die beiden Männer in den Brunnen hinabgestiegen, so erkannte sie es als ihre Aufgabe, alle Spuren den Verfolgern gegenüber zu verwischen. Sie breitete eine Decke über den Brunnen und streute Grütze darüber aus, so dass die Männer unentdeckt blieben. Auch dieses Weib hat, gleich einer zweiten Jael (Richter 4, 22), im Glauben gehandelt und wird ihren Lohn nicht verlieren. 
Wie scharf wurden die Knechte Davids von den Feinden des Königs beobachtet! Auch wir werden von den Feinden Christi als Seine Jünger auf Schritt und Tritt belauert. Dennoch können wir unseren Pfad gehen unbekümmert um Gefahren und Hindernisse, da wir unter dem Schutze des Herrn stehen. Gott ließ es nicht zu, dass die Augen der Verfolger den Schlupfwinkel der treuen Männer entdeckten.
Nichts ist im Worte Gottes ohne Bedeutung, jede kurze Anmerkung hat ihren Zweck. So ist es z· B. wohl auch nicht ohne Grund, dass es in Kap. 17, 17 heißt: „Jonathan aber und Achimaaz standen bei Gn-Nogel“; in Vers 20 dagegen lautet die Frage der Verfolger „Wo sind Achimaaz und Jonathan?“ —Warum stehen die Namen hier in umgekehrter Reihenfolge? Ist es deshalb, weil Achimaaz der führende und entschluss- und vor allem glaubenskräftigere Mann war? Die Boten Absaloms kannten ihn jedenfalls als solchen·und brannten darauf, sich seiner zu bemächtigen, aber sie mussten unverrichteter Sache wieder abziehen. Die beiden Läufer kamen zu David und sprachen zu ihm: „Machet euch auf und gehet eilends über das Wasser, denn so hat Ahitophel wider euch geraten“. 
Lasst auch uns es so machen! Hat Ahitophel, in welchem wir Satan, den Feind Gottes, erkennen, wider uns geraten, so wollen wir ihm entweichen zur Ehre des Herrn, so wie einst Josef im Hause Potiphars. Der Herr wird die Treue Seiner Knechte reichlich belohnen. Das Ergebnis der Botschaft der Läufer, die sich an alle richtete, die mit David waren, war herrlich. „Bis der Morgen hell wurde, ward auch nicht einer vermisst, der nicht über den Jordan gegangen wäre“ Der dem Könige treu gebliebene Rest des Volkes kam völlig in Sicherheit. Keiner, der im Glauben an den wahren David seinen Weg geht, wird zuschanden werden, sei es der treue Überrest aus Israel am Ende der Tage, seien es wir, die Gläubigen der Jetztzeit. Am Ende unseres Erdenlaufes werden wir die Worte des oft gesungenen Liedes bestätigt finden:
Nicht einer fehlt, Du tiefst sie alle,
Sie singen laut mit Jubelschalle:
dem Lamme Ehr’, das uns versöhnt! 
„Bis der Morgen hell wurde, ward auch nicht einer vermisst, der nicht über den Jordan gegangen wäre.“ Wegen der Kostbarkeit dieser Worte wiederhole ich sie. Ja, nicht mehr lange, und auch wir werden an der anderen Seite des Todesflusses stehen, und nicht einer der durch das Blut des Lammes Erkauften wird vermisst werden. Mitternacht ist vorüber, das Morgenlicht, dem Glauben sichtbar, bricht herein.
Nachdem Absalom durch die Hand Joabs getötet worden war, hören wir weiteres über Achimaaz, den Sohn Zadoks. War er im 17. Kapitel ein Beauftragter, ein Läufer mit einem bestimmten Befehl, so tritt er in den Kapiteln 18 und 19 unaufgefordert als Freiwilliger auf, um seinem König Botschaft zu bringen. Ob Pflichten zu erfüllen sind, oder ob eine freiwillige Botschaft auszuführen ist, Achimaaz steht bereit. Bisher Botengänger im Verein mit Jonathan, sehen wir ihn hier als einen Boten, der sich persönlich zu einem Dienst für den König bestimmt fühlt. Jünger Jesu! du hast keinen Gefährten nötig, wenn es sich um einen persönlichen Dienst für den Herrn handelt. Treibt dich die Liebe zum Herrn zu irgend einer Tat, so vermagst du alles in Dem, der dich kräftigt. Ein Gefährte könnte dich in solchen Fällen eher aufhalten, als dir förderlich sein. 
„Ich will doch hinlaufen und dem König Botschaft bringen, dass Jehova ihm Recht verschafft hat von der Hand seiner Feinde.“ So spricht Achimaaz zu Joab, dem Feldherrn Davids. Es war innige Zuneigung zu David, die Achimaaz trieb, ihm die gute Botschaft von der Hilfe Jehovas zu überbringen. Doch bei Joab war kein Verständnis, keine wahre Liebe für David. Wie wäre das auch möglich gewesen bei einem Manne, der, entgegen den Anordnungen seines Königs, Absalom getötet und vorher schon Abner, den Heerobersten Sauls, meuchlings ermordet hatte? Ein Mann wie Joab, der nur sein Ich, seinen Ehrgeiz und eigenen Ruhm vor Augen hatte, der mit belastetem Gewissen einherging, konnte einer frohen Botschaft für David keine Freude abgewinnen. Hätte sich noch ein persönlicher Vorteil für ihn oder Achimaaz daraus herleiten lassen, —- aber so! Nein, der Sohn des Königs war ja tot, und er, Joab, hatte Gericht an ihm ausgeübt. Er hatte sich angemaßt, ein Gericht zu vollziehen, das allein David, dem Vater und König, oblag. 
Achimaaz lässt sich aber gerade deshalb nicht von seinem Vorhaben abbringen. Nicht der Gedanke an den Botenlohn, sondern die Liebe zu David treibt ihn, und so bleibt er fest, mag Joab auch alles aufbieten, um ihn von seinem Vorsatz abzubringen. „Und Joab sprach zu ihm: Du sollst nicht Bote sein an diesem Tage, sondern du magst an einem anderen Tage Botschaft bringen.“ Aber Achimaaz besteht auf seiner Bitte. Nicht morgen, nicht später, nein, heute soll David die Botschaft des Gelingens von ihm erhalten. Sein Zartgefühl sagt ihm, dass er der Bote sein muss, der auf der einen Seite den König mit Schonung auf den Tod seines Sohnes vorbereitet, und auf der anderen ihm den errungenen Sieg mitteilt. 
Joab sendet den Kuschiten, den landfremden Knecht. Der Kuschit wird beauftragt, dem König zu berichten, was er gesehen hat. Joab wusste schon, dass der Kuschit den Bericht in seinem Sinne überbringen würde. Eine blindesErgebenheit in den Willen Joab5 kennzeichnet den Kuschiten. Er beugt sich vor Joab nieder, ohne ein Wort zu sagen, während er später vor dem König selbst keinerlei
Zeichen der Unterwürfigkeit beobachtet. Achimaaz dagegen beugt sich nicht vor Joab, aber vor David, seinem König, nimmt er seine Stellung in aller Ehrerbietung ein. Noch einmal sagt er zu Joab: „Was auch geschehen möge, lass doch auch mich hinter dem Kuschiten herlaufen!“ —- Joab versucht nochmals, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, indem er ihn vertraulich: „Mein Sohn“ nennt und ihm vorstellt, dass es keine erträgliche Botschaft für ihn sei. — Wie, keine erträgliche Botschaft? Armer, eigennütziger Joab! Ist das kein Erträgnis für einen treuen Diener, mit der guten Botschaft auch die traurige mit Zartgefühl zu überbringen? Der treue Christ sucht auch kein Erträgnis im Dienste seines Herrn. Ihm genügt es, Jesu dienen zu dürfen, obschon er weiß, dass: er eine reichliche Belohnung empfangen wird. 
Können wir in den beiden Läufern nicht einerseits ein Bild des in der Rennbahn laufenden Gläubigen erkennen, der zur Ehre seines Herrn seine ganze Kraft aufbietet, um als Erster das Ziel zu erreichen, und andererseits in dem Kuschiten den Namenchristen erblicken, der scheinbar, seinem Bekenntnis nach, auf Seiten des Herrn steht, dessen Herz aber der Welt gehört? Achimaaz’ Herz schlug David entgegen, der Kuschit dagegen stand in Abhängigkeit von Joab, dem kühl berechnenden Weltmann. Und Achimaaz lief —- lief mit dem Aufgebot all seiner Kräfte den Weg des Jordankreises, um dem Kuschiten zuvorzukommen, und er kam ihm zuvor. David hatte sicherlich längst auf Bericht gewartet, denn er saß zwischen den beiden Toren. Achimaaz wußte das, und deshalb beschleunigte er seinen Lauf. Der Wächter sah einen allein laufenden Mann und berichtete es dem König. Bald darauf erkannte er einen zweiten Läufer. Es waren also zwei Boten mit zwei Botschaften im Anzuge. Aber welch ein Unterschied zwischen den Boten und ihren Botschaften! Ein freiwilliger Läufer, der aus Liebe zum König mit guter Botschaft kam, und ein fremder, dem selbstsüchtigen Joab verschriebener Knecht. 
Der Wächter erkennt den Lauf des ersten. Er bezeichnet ihn als den Lauf Achimaaz«, des Sohnes Zadoks. Auch der König kennt Achimaaz genau und ruft aus: „Das ist ein guter Mann, und er kommt mit guter Botschaft“. 
„Friede!“ rief Achimaaz bei seiner Ankunft dem König zu. „Friede! und er beugte sich vor dem König auf sein Antlitz zur Erde nieder und sprach: Gepriesen sei Jehova, dein Gott, der die Männer überliefert hat, die ihre Hand erhoben haben wider meinen Herrn, den König!“ Achimaaz spricht nicht von sich, sondern entbietet seinem Herrn Frieden, preist Jehova und empfindet tief das sündhafte Tun der Widersacher des Königs. Das ist stets die Gesinnung des treuen Gläubigen. Er sucht nicht seine Ehre, sondern die Verherrlichung seines Herrn; er wünscht, Ihn in der Ihm allein zustehenden, Himmel und Erde beherrschenden Stellung und als Sieger über alle Seine Feinde zu sehen. Auf die Frage nach Absalom gibt Achimaaz aus Liebe und Taktgefühl eine ausweichende Antwort. Zu beachten ist auch, dass er den Kuschiten den „Knecht des Königs“ nennt, während er sich selbst als „deinen Knecht“ bezeichnet. Tut er es nicht wohl deshalb, weil er sich als einen persönlichen Diener Davids fühlt, der seinem Herzen nahe steht?
Der Kuschit offenbart ein Herz ohne Gnade. Was er spricht, kennzeichnet die Gesinnung seines Vorgesetzten, des Mannes harter Handlungen. Die bange Frage Davids: „Geht es dem Jüngling, dem Absalom, wohl?“ übt auf ihn keine Wirkung aus. „Wie dem Jüngling, so  möge es den Feinden des Königs, meines Herrn, ergehen und allen, die wider dich aufgestanden sind zum Bösen!“ So lauten die Äußerungen eines unbeugsamen Menschenherzens, das keine Gnade für andere empfindet.
Wir finden den Namen des Achimaaz nicht in der Reihe der 37 auserlesenen Helden Davids in 2. Sam. 23. Er war ja kein Kriegsmann, sondern der Sohn des damaligen Hohenpriesters Zadok, also selbst Priester und später wohl Hoherpriester. (Vergl. 1. Chr. 6, 53.) Dennoch aber betrachtet ihn das Wort, und dürfen wir ihn als einen Helden betrachten. Konnte er auch nicht unter denen sein, die auf dem Schlachtfelde den Feinden Davids begegneten, so hatte er nicht desto weniger einen Dienst, der ebenso viel Hingebung und Mut erforderte, wie der der erlesenen Streiter Davids. Ihm lag es ob, und er trachtete danach, ein guter Läufer seines Königs zu sein, ähnlich wie der Apostel Paulus zu seiner Zeit »nicht wie aufs Ungewisse lief“ (1. Kor. 9, 26), sondern, allezeit das Ziel anschauend, sich ausstreckte nach dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben. (Phil. 3, 14.) Eifern wir ihm nach, auf dem Wege des Jordankreises, dem geraden Wege zum ewigen Ziele, zur Ehre unseres Herrn!

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Ein und derselbe Geist

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 298ff

4. Gegenseitige Abhängigkeit in den Versammlungen.
Es bleiben noch einige Punkte übrig, die in Verbindung mit den bisher behandelten Gegenständen nicht gut erörtert werden konnten.
Zunächst möchte ich daran erinnern, dass alles, was in einer Versammlung zur gegenseitigen Erbauung geschieht, die Frucht der Gemeinschaft mit Gott sein muss. Das will sagen: wenn ich ein Kapitel vorlesen will, so darf ich nicht irgend eines wählen, das mir beim Aufschlagen oder Durchblättern meiner Bibel gerade auffällt; ich muss mir vielmehr von dem Geist Gottes den betreffenden Abschnitt ins Herz geben lassen. Mit dem Vorschlagen eines Liedes ist es nicht anders. Ich kann mir kaum etwas denken, das störender auf die Verwirklichung der Leitung des Heiligen Geistes einwirkt, als wenn man mehrere Brüder zugleich Liederbuch oder Bibel durchblättern sieht, um ein passendes Lied oder Kapitel zu finden. Ich mag vielleicht durch meine unvollkommene Kenntnis des Inhaltes gezwungen sein, das mir durch den Geist aufs Herz gelegte Lied oder Kapitel aufzusuchen, aber mehr als das sollte in einer Versammlung zur gegenseitigen Erbauung nicht gefunden werden. Wo bleibt sonst die Abhängigkeit von der Leitung des Geistes, von der wir reden? Aus dem Gesagten folgt notwendig als zweites, dass man weiß: wenn ein Bruder seine Bibel oder sein Liederbuch öffnet, so tut er es in der Absicht, einen Abschnitt zu lesen oder ein Lied vorzuschlagen. Das aber wird jeden anderen Bruder verhindern, in irgend einer Weise tätig zu sein, bevor jener seine Absicht ausgeführt oder vielleicht wieder aufgegeben hat. Diese Erwägung erinnert uns an die gegenseitige Rücksichtnahme, zu welcher der Apostel Paulus in 1. Kor. 11, 33 ermahnt mit den Worten: „Wartet aufeinander“. 
In der angeführten Stelle handelt es sich allerdings nicht um den Dienst am Wort, sondern um ein gemeinsames Essen, bzw. um die Feier des Abendmahls. Die Frage des Dienstes wird erst im 14. Kapitel erörtert. Aber in dem einen wie in dem anderen Falle war die- Wurzel der Unordnung dieselbe. Die Korinther unter-schieden nicht den Leib des Herrn, jeder war mit seiner eigenen Person beschäftigt. Ein jeder nahm beim Essen sein eigenes Abendmahl vorweg. (V. 21.) Das Ergebnis war: „der eine ist hungrig, der andere ist trunken“. Man erlaubte so dem armen Ich, Früchte hervorzubringen, die so handgreiflich böse waren, dass sie selbst das natürliche Gefühl verletzten. Aber wenn ich zur Versammlung gehe oder dort sitze, nur mit dem Gedanken beschäftigt, welches Kapitel ich lesen, welches Lied ich vorschlagen oder in welcher Weise ich mich betätigen soll, so ist in diesen geistlichen Dingen mein Ich genau so der Angelpunkt, um den sich alles dreht, wie in Korinth in natürlichen Dingen bei den Brüdern, die ihr reichliches Mahl herbeischafften und aßen, während ihr ärmerer Bruder, der dazu außerstande war, leer ausging. 
Immer wieder vergessen wir es, dass wir zusammenkommen als Glieder des einen Leibes Christi, lebendig gemacht, belehrt und geleitet durch den einen Geist; und sicher sollten, wenn wir so versammelt sind, die Gedanken meines Herzens nicht gerichtet sein auf das Mahl, das ich genießen, oder auf die Tätigkeit, die ich ausüben möchte, sondern auf die bewunderungswürdige Güte und Gnade Dessen, der uns der Leitung und Sorge des Heiligen Geistes anvertraut hat. Und dieser Geist wird, wenn wir demütig auf Ihn warten, einem jeden von uns Platz und Tätigkeit anweisen, ohne dass wir uns in Unruhe und Aufregung darum zu bekümmern brauchen. In dem Leibe Christi ist jeder nur ein Glied, und wenn die gläubigen .Korinther das verstanden und verwirklicht hätten, so würde sicher der reiche Bruder auf den armen gewartet haben, um sein Mahl mit ihm zu teilen. Ebenso werde ich — wenn anders meine Seele die kostbare Einheit des Leibes verwirklicht und ich in Demut den Platz eines einzelnen Gliedes einnehme —— mich in der Versammlung vor übereiltem Handeln hüten. Wenn ich auch das Gefühl 
habe, dass der Herr mir ein Wort gibt oder mich zu irgend einem Dienst beruft, so werde ich mich doch immer daran erinnern, dass andere das gleiche Gefühl haben können, und werde ihnen Raum lassen. Vor allem aber werde ich niemals einem Bruder, der die Bibel oder das Liederbuch zur Hand nimmt, zuvorzukommen suchen, sondern auf ihn warten. 
Selbst in jenen ersten Tagen der christlichen Kirche, als die Propheten noch infolge einer ihnen unmittelbar werdenden „Offenbarung“ redeten, musste nach 1..Kor. 14, 30 der erste „schweigen“, wenn einem anderen Dasitzenden eine Offenbarung gegeben wurde. Überhaupt wird die allgemeine Mahnung: ,,Daher, meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden“ (Jak. 1, 19), uns stets anleiten, auf andere die geziemende Rücksicht zu nehmen. 
Zum dritten dürfen wir nie vergessen, dass der Zweck unseres Zusammenkommens die Erbauung ist. Diese Tatsache wird in dem genannten Kapitel (1. Kor. 14) immer wieder betont. Im 12. Kapitel entwickelt der Apostel die Wahrheit von dem einen Leibe Christi, der Ihm als Herrn unterworfen und Zeuge Seiner Oberhoheit hienieden ist, kraft der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der 2einem jeden insbesondere austeilt, wie Er will“; und das Kapitel schließt mit der Aufzählung der verschiedenen Gaben, als Apostel, Propheten usw., welche Gott ,,an dem Leibe gesetzt hat« nach Seinem Wohlgefallen, um an ihrem bezüglichen Platze zu dienen und tätig zu sein. „Um die größeren Gnadengaben zu eifern“, wird anempfohlen, aber zugleich auch »ein noch vortrefflicherer Weg“ gezeigt, und dieser Weg ist die Liebe (Kap. 13), ohne welche die herrlichsten Gaben nichts sind. Denn wenn nicht Liebe die Ausübung einer Gabe leitet, kann „Erbauung“ unmöglich daraus hervorgehen. Von Erbauung handelt dann, wie bereits angedeutet, das ganze 14. Kapitel. Die Gabe, in Sprachen zu reden, erregte naturgemäß in den Augen der Menschen die meiste Bewunderung. Daher das Trachten der Korinther nach dieser Gabe. Sie waren wie Kinder, die nach. Allem Glänzenden greifen. Statt der Liebe, die die Erbauung aller sucht, leitete sie die Eitelkeit, die mit den Gaben prunkt. Das Zungenreden war tatsächlich eine Gabe, eine Gabe des Heiligen Geistes, so dass hier die ernste Erwägung sich für uns ergibt, dass Kraft des Geistes zum Dienst vorhanden sein kann ohne Seine lebendige Leitung in der Ausübung desselben. Diese Leitung wird sich nur da finden, wo das Ich gerichtet ist und Christus die Seele ausfüllt. Der Zweck des Heiligen Geistes ist nicht, die Aufmerksamkeit auf das arme irdene Gefäß zu lenken, das Seine Gaben enthält, sondern durch die demütige, selbstverleugnende Ausübung dieser Gaben Den zu verherrlichen, von welchem sie ausfließen. 
Weiter muss jeder Diener, wenn er treu sein will, nach den Weisungen seines Herrn handeln. Ich darf in der Versammlung niemals auf einem niedrigeren Boden eine Tätigkeit ausüben, als in der bestimmten Überzeugung, dass der Herr es so will. „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben worden, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern so zu denken, dass er besonnen sei, so wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat“ (Röm. 12, 3). Das Maß dessen, was ich tue, muss das Maß des Glaubens sein, das Gott mir gegeben hat; und Gott wird dafür Sorge tragen, dass Seine Diener wissen, wie sie sich verhalten sollen. Darum noch einmal: Nur die klare Überzeugung, dass es so der Wille Gottes ist, kann einen Seiner Diener ermächtigen, in der Versammlung, oder wo es sonst sei, tätig aufzutreten. 
Da wir nun alle leicht irrende Menschen sind, hat Gott einem Missbrauch des eben genannten Grundsatzes in der Versammlung eine heilsame Schranke gezogen in den Worten: „Propheten aber lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst urteilen“ (V. 29). Zunächst ist es freilich an mir, zu erkennen, ob ich dies oder das tun soll; aber wenn ich tätig gewesen bin, liegt es meinen Brüdern ob, zu „urteilen“, und in den allermeisten Fällen wird es bei ihrem Urteil verbleiben müssen. Es wird überaus selten vorkommen, dass ich mich ihrem Urteil nicht unterwerfen darf. Wenn Gott mich wirklich beruft, in der Versammlung zu reden oder zu beten, wird Er auch dieselbe Überzeugung in den Herzen meiner Brüder wachrufen. Ist Er es, der mich leitet, so wird Er auch sie anleiten, meinen Dienst anzuerkennen; denn derselbe Geist, der mich treibt, wohnt und wirkt in meinen Brüdern. Wenn ich daher wahrnehme, dass mein Dienst, anstatt die Heiligen zu erbauen, nutzlos oder gar eine Last für sie ist, so darf ich unter hundert Fällen wohl neunundneunzigmal daraus schließen, dass ich mich über mich selbst getäuscht habe und besser hätte schweigen sollen. 
Nehmen wir nun aber den seltenen Fall an, nicht der Zustand des einzelnen dienenden Bruders, sondern der der ganzen Versammlung sei die Ursache, weshalb sein Dienst nicht anerkannt wird. Nehmen wir an, der betreffende Bruder sei weit geistlicher als die Versammlung, so dass diese deshalb seinen Dienst nicht zu verstehen oder zu würdigen vermag. Würde aber selbst in einem solchen Falle ein Diener Christi sich nicht prüfen müssen, ob er nicht zu lernen hat, seinem Meister ähnlicher zu werden und, gleich Ihm, so zu lehren und „das Wort zu ihnen zu reden, wie sie es zu hören vermochten“ (Mark. 4, 33)? oder ob er es nicht an der Gesinnung des Apostels hat fehlen lassen, der da sagen konnte: „Wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine nährende Frau ihre eigenen Kinder pflegt“, und an einer anderen Stelle: „Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht Speise; denn ihr vermochtet es noch nicht, aber ihr vermöget es auch jetzt noch nicht«? (1. Thess. 2, 7; 1. Kor.. 3, 2.) Und wenn er nun, trotz vermehrter Sorge und einsichtsvolleren Dienstes, nicht die erwartete und notwendige Anerkennung finden würde, so möchte das wohl eine ernste Glaubensprüfung für ihn sein, aber in der Erkenntnis, dass Erbauung der Zweck jedes Dienstes ist, und dass Gläubige durch einen Dienst, der sich ihren Gewissen nicht empfiehlt, unmöglich erbaut werden können, würde er nicht daran denken, ihnen seinen Dienst ferner aufzuzwingen. Ein entgegengesetztes Handeln würde dem ohnehin schon traurigen Zustand der Dinge nur noch Erregung oder gar Erbitterung hinzufügen. Ein demütiger Diener des Herrn wird bei solcher Sachlage erkennen, dass es weise für ihn ist, zu schweigen oder — vorausgesetzt, dass sein Herr ihm einen deutlichen Wink in dieser Beziehung geben sollte — anderswo seinen Dienst auszuüben. 
Andererseits möchte ich ernstlich vor einer Schlinge warnen, die Satan in solchen Fällen so gern zu legen sucht, nämlich vor dem Geiste eines lieblosen Kritisierens über alles, was in den Zusammenkünften der Gläubigen vorgeht. Die Anstrengungen des Feindes gehen immer dahin, uns aus einem Extrem in das andere zu treiben: zu einer Zeit fehlen wir durch Gleichgültigkeit, indem wir für die Vorgänge in unserer Mitte kaum ein Auge haben — wir sind zufrieden, wenn nur die Stunde ausgefüllt wurde; zu einer anderen steuern wir gerade der entgegengesetzten Klippe zu und beurteilen alles mit scharfem Blick und in liebloser Gesinnung. Der Herr wolle uns in Gnaden vor beidem bewahren! Nichts zeigt deutlicher den beklagenswerten Zustand des eigenen Herzens und ist hinderlicher für jeden Segen, als ein tadelsüchtiger Geist. Sicher, wenn das Fleisch sich zeigt, so muss es gerichtet werden; aber es bleibt immer eine schmerzliche, demütigende Sache, wenn dergleichen nötig wird, statt dass wir uns unseres kostbaren Vorrechts erfreuen, gemeinsam die Fülle unseres hochgelobten Herrn und Hauptes zu genießen. Hüten wir uns denn vor jedem Geiste der Tadelsucht und .Krittelei! 
Wir alle wissen, dass es geringere und hervorragende Gaben gibt, und wir kennen Den, der den Gliedern des Leibes, die uns die mangeIhafteren zu sein scheinen, umso reichlichere Ehre verleiht. (1.Kor. 12, 24.) Nicht alles, was ein Bruder in der Versammlung tut, ist deshalb schon fleischlich, weil er vielleicht in dem einen oder anderen Punkte dem Fleische Raum gegeben hat. Wir würden gut tun, uns in dieser Beziehung oft an die Worte eines geachteten Diener; des Herrn zu erinnern, wenn er sagt: „Es ist vor allem nötig, auf zwei Dinge zu achten, zunächst auf die Natur unserer Gabe, und zweitens auf das Maß derselben. Ich glaube, dass manche Gabe mehr anerkannt werden würde, wenn der Bruder, der sie empfangen hat, nicht über das Maß derselben hinausginge. „Da wir verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maße des Glaubens“ (Röm. 12, 6). Alles, was darüber hinausgeht, ist Fleisch. Der Mensch stellt sich in den Vordergrund; das wird gefühlt, und die ganze Gabe wird verworfen, weil der Bruder es nicht verstanden hat, sich auf sie zu beschränken. Sein Fleisch wirkt, und so darf man sich nicht wundern, dass nun alles, was er sagt, dem Fleische zu- geschrieben wird. Dasselbe gilt von der Natur der Gabe. Wenn ein Bruder, der die Gabe des Ermahnens besitzt, zu lehren beginnt, so wird und kann das nicht zur Erbauung gereichen. Ich würde mich freuen, wenn jeder Bruder, der am Worte dient, der letzten Bemerkung seine ernste Beachtung schenken wollte, weil sie, aus Mangel an Treue bei seinen Zuhörern, auf einem anderen Wege sein Ohr vielleicht niemals erreichen würde. 
Zum Schluss möchte ich noch in Liebe auf einige kleine Einzelheiten aufmerksam machen. Aus verschiedenen Gründen ist es wünschenswert, dass die Bedienung des Tisches des Herrn, besonders in größeren Versammlungen, nicht ausschließlich von einer und derselben Person (oder von zweien) besorgt wird. Wir müssen sorgfältig alles vermeiden, was den Eindruck eines geistlichen Unterschiedes oder Vorrangs unter den Gläubigen erwecken könnte. Dass, wenn möglich, ein älterer Bruder, jedenfalls aber einer, der das Vertrauen der Versammlung besitzt, den Dienst vollziehen sollte, ist schon wiederholt von anderer Seite bemerkt worden; aber wenn irgendwo, so ist es hier am Platz, uns vor allem gewohnheitsmäßigen Tun zu hüten, besonders wenn der Gedanke dadurch entstehen könnte, als nähme der den Tisch bedienende Bruder einen höheren Platz ein als die übrigen. 
Weiter lesen wir in Matth. 26, 26. 27: „Während sie aber aßen, nahm Jesus Brot, segnete (oder danksagte), brach und gab es den Jüngern . . . Und Er nahm den Kelch und dankte und gab ihnen denselben«. (Vergl. Mark. 14, 22. 23.) In Luk. 22, 19 heißt es: „Und Er nahm Brot, dankte und gab es ihnen“. (Vergl. 1. Kor. 11, 24.) Alle diese Stellen sagen übereinstimmend, dass der Herr danksagte, als Er das Brot brach und den Kelch nahm, und in 1. Kor. 10 wird der Kelch als der Kelch der Segnung oder der Danksagung bezeichnet: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen . . . das Brot, das wir brechen“ (V. 16). Daraus geht also einerseits unzweideutig hervor, dass der Bruder, welcher das Brot
bricht oder den Kelch nimmt, es niemals ohne Danksagung tun sollte, und andererseits, dass nicht der einzelne Bruder, der die Handlung wirklich vollzieht, als der allein Handelnde (wie es bei dem Herrn der Fall war) betrachtet wird, sondern dass die ganze Versammlung handelt. Der den Tisch bedienende Bruder bricht das Brot und danksagt für den Kelch, aber er tut es nur im Namen und als Mund der Versammlung. Es ist eine gemeinsam e Handlung. Darum heißt es: „das Brot, das wir brechen“, und „der Kelch der Segnung, den wir segnen“. Wir verstehen aber, dass es gerade aus diesem Grunde nicht bedeutungslos ist, wer die Handlung vollzieht. 
Wenn es sich ferner um eine Leitung oder Beaufsichtigung innerhalb der Versammlung, oder um die Ausübung irgend eines wichtigen Dienstes unter den Gläubigen handelt, so ist es gut für uns alle, die Kapitel 1. Tim. 3 und Tit. 1 unter Gebet zu erforschen. Im erstgenannten .Kapitel ist besonders ein Wort beachtenswert; es lautet: „Nicht ein Neuling, auf dass er nicht, aufgebläht, ins Gericht des Teufels verfalle“ (V. 6.) Es ist möglich, dass Gott auch einen jungen Mann beruft, wie wir dies bei Timotheus und im Alten Testament bei Jeremia sehen, und die an ersteren gerichteten Worte: „Niemand verachte deine Jugend«, würden in einem solchen Falle gewiss auch heute anwendbar sein. Aber vergessen wir nicht, dass die Weisung: „nicht ein Neuling“, gerade an Timotheus ergangen ist. Die verhältnismäßige Jugend des Timotheu5 sollte deshalb keineswegs eine Ermunterung für solche sein, die weder die Gabe noch die Gnade hatten, die ihm zuteil geworden waren. Schon das natürliche Schicklichkeitsgefühl wird einen Jüngling dahin leiten, lieber den Platz der Unterwürfigkeit als den des Leitens und Regierens einzunehmen. In dieser Beziehung enthält der erste Brief Petri eine vortreffliche Ermahnung, die leider nicht immer genügend beherzigt wird: „Gleicherweise ihr Jüngeren, seid den Ältesten unterwürfig. Alle aber seid gegeneinander mit Demut fest umhüllt, denn Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade“ (Kap. 5, 5).
Ich schließe mit dem aufrichtigen Wunsche, dass der Herr uns allen diese Gnade schenken möge, in Demut vor Ihm und miteinander zu wandeln, damit den Wirkungen des Heiligen Geistes unserseits keinerlei Störung bereitet und kein Hindernis in den Weg gelegt werde.

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Zwei Wohnstätten

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 309ff

Es ist interessant, den Anfang des 1. Buches Mose mit den letzten Kapiteln des 2. Buches zu vergleichen; ich meine in folgendem Sinne: in dem ersten Abschnitt sehen wir Gott eine Wohnstätte für den Menschen bereiten, in dem zweiten baut der Mensch eine Wohnstätte für Gott.
In 1. Mose 1 erschafft Gott Himmel und Erde und schmückt sie mit Herrlichkeit und Schöne. Dann pflanzt Er in Eden, dem zu diesem Zweck auserlesenen Teil Seiner Erde, einen Garten und setzt den Menschen, den Er geschaffen hatte, darein, stellt ihn mit allem, was er enthält, zu des Menschen Verfügung, krönt und bereichert Adam und gibt ihm eine Gehilfin, sodass Adam nichts anderes übrigbleibt, als aus der Fülle seines Herzens heraus anzuerkennen, dass er überströmend befriedigt sei.
Wir wissen, wie der Mensch diesen herrlichen Zustand durch seine Schuld verlor und in gerechtem Gericht aus dem Garten vertrieben wurde, um fortan im Schweiße seines Angesichts dem Boden seinen Unterhalt abzuringen. Aber nicht nur der Mensch, auch Gott wurde gleichsam ein Fremdling inmitten Seiner Schöpfung. Ein nicht gerichteter Schauplatz der Verunreinigung und des Verderbens kann nicht eine Stätte für Ihn sein. Er konnte unmöglich länger in dem Geschaffenen ruhen und sich an seinem Anblick freuen wie einst, als die Schöpfung rein und frisch, vollkommen makellos aus Seinen Händen hervorgegangen war. Wohl mochte Er in späteren Tagen Seine Auserwählten auf ihr besuchen, mit ihnen reden und, wenn Er ausgeredet hatte, von ihnen „auffahren“ oder „hinweggehen“ (Kap. 17, 22; 18, 33); aber die Erde selbst war durch die Sünde verunreinigt und von Ihm getrennt. 
Im Laufe der Zeit berief Gott ein Volk für sich aus den Völkern der verunreinigten Erde. Er erlöste Israel durch Blut und machte es zu einem von allen anderen Nationen abgesonderten Volke, ähnlich wie Er selbst schon abgesondert war. Und dieses Volk bereitete Ihm zur passenden Zeit und in passender Weise eine Wohnstätte, eine Hütte, von welcher Seine Herrlichkeit Besitz nehmen konnte, wie wir am Schlusse des 2. Buches Mose sehen. 
So wie früher Himmel und Erde erschaffen, der Garten Eden gepflanzt, der Mensch, gekrönt und mit einer Gehilfin an seiner Seite, in jeder Beziehung von Seiten Gottes gesegnet worden war, so wurde jetzt von Seiten des Menschen die Hütte für Gott gemacht, ausgeschmückt und aufgerichtet, und die Herrlichkeit erfüllte die Wohnung, und die Wolke bedeckte das Zelt der Zusammenkunft; mit anderen Worten, Jehova freute sich Seiner neuen Wohnstätte, wie einst Adam der seinigen. 
Diese Dinge erwecken unsere Bewunderung. Da ist eine kostbare, geheimnisvolle Verbindung, oder vielmehr ein tiefer, wunderbare: Gegensatz zwischen dem Anfang des 1. Buches Mose und dem Schluss des zweiten. Sinnen wir noch ein wenig weiter darüber. 
Wenn Gott im Anfang eine Wohnstätte für den Menschen bereitete und für ihn ausschmückte, so tat Er es selbstverständlich in Seiner göttlichen Unumschränktheit, in Ausübung Seines erhabenen Willens und Wohlgefallens. Wenn aber der Mensch eine Stätte für Gott bereitet, so geschieht es in Abhängigkeit und Gehorsam. Jehova selbst hatte den Bau der Stiftshütte angeordnet und alle einzelnen Teile und Geräte derselben Seinem Knechte Mose in Mustern gezeigt (Kap. 25, 9), und in genauer Übereinstimmung mit diesen Mustern war alles gemacht worden. So wie Jehova es vorgeschrieben, hatte Israel alles hergerichtet, und gleich wie der Herr selbst einst alles angesehen, was Er nach Seinem Wohlgefallen geschaffen und gemacht hatte, »und siehe, es war sehr gut“, also konnte Mose jetzt auf alles blicken, was Israel gemacht hatte, und weil es dem Gebot und den Vorschriften Gottes entsprach, konnte auch er es in seiner Weise für gut erklären und das Volk segnen. „Und Mose sah das ganze Werk, und siehe, sie hatten es gemacht; so wie Jehova geboten hatte, also hatten sie es gemacht. Und Mose segnete sie“ (Kap. 39, 43).
Und im Beginn des ersten Monats, im zweiten Jahre des Auszugs aus Ägypten, da „richtete Mose die Wohnung aus“ (Kap. 40, 17. 18). Obwohl Gott auch jetzt noch alles in Seiner leitenden Hand behielt (vergl. V. 1ff.), war es doch Mose, der alles zusammenfügte und ihm die Form gab, die ihm auf dem Berge gezeigt worden war. Er handelte im Geiste des Gehorsams bis zum Schluss, und dann nahm Jehova Gott in den äußeren Zeichen der Wolke und der Herrlichkeit Besitz von der Hütte als Seinem Heiligtum. 
So baute denn der Herr einst für den Menschen, und dann baute der Mensch für Gott, aber immer blieb zwischen den also Bauenden eine unendliche Entfernung bestehen, indem der Herr nach Seinen unumschränkten Rechten und nach dem Vorsatz Seines Willens handelte, während der Mensch alles tat in Abhängigkeit von Ihm und im Gehorsam gegen Seine Gebote.
Doch es gibt noch anderes zu beachten. 
War dieses Aufrichten einer Wohnstätte für Gottes Herrlichkeit eine Handlung des Gehorsams, und zwar eines Glaubensgehorsams gegenüber einer empfangenen Offenbarung, so hatte im Anfang eine Handlung des Ungehorsams, der Bruch eines bestimmten Gebotes, Gott Seines Platzes in Seiner Schöpfung beraubt. Aber wer waren die, welche in diesem Geiste des Gehorsams handelten? In welchem Charakter hatte Israel die Wohnstätte der Herrlichkeit Jehovas erbaut? Diese Frage leitet uns zu einer Wahrheit, die überaus kostbar für uns ist und nie vergessen werden darf. 
Um die richtige Antwort auf unsere Frage zu finden, müssen wir mehrere Kapitel zurückwandern. Im 33. Kapitel wird sie uns in erschöpfender und zugleich tief belehrender Form zuteil. 
Israel hatte sich unter dem Gesetz, unter dem alten, von ihm selbst gewollten Bunde, völlig verderbt. Indem es das goldene Kalb machte, brach es in gröblicher Weise den ersten Artikel des Gesetzes und machte sich so des guten, ihm verheißenen Landes verlustig· „Lass mich“, sagt Gott zu Mose, „dass mein Zorn wider sie entbrenne und ich sie vernichte“ (Kap. 32, 10). Aber Mose verhindert die Ausführung des gerechten Urteils, indem er  als Mittler, in dem Geiste Jesu Christi, für das untreue
Volk eintritt. (Vergl. die Verse 30 — 34). Und indem er die Antwort Jehovas auf seine Vermittlung dem Volke überbringt, nimmt dieses einen neuen Platz ein und zeigt sich in einem neuen Charakter: sie reißen ihren Schmuck ab und suchen den Herrn an dem Platze auf, wohin Er sich außerhalb des Lagers zurückgezogen hatte. 
Das hieß, als Überführte den Platz von Sündern vor Gottes Auge einnehmen. Und das war etwas ganz Neues in der Geschichte Israels. Aber es war auch das einzige, das der Herr anerkennen konnte. Einen anderen Platz gab es für sie nicht, jede andere Stellungnahme wäre unmöglich gewesen. Sie waren Sünder, und als Sünder mussten sie vor Gott stehen. Ein Glück für sie, dass sie „trauernd“ die „Botschaft Moses anhörten und dann all ihren Schmuck ablegten! Das ist die einzig richtige Stellung eines überführten Sünders vor dem heiligen Gott. So kann ihm geholfen werden. 
Aber das ist nicht alles. Diese schuldbewussten Sünder ließen auch ihren Mittler wissen, dass sie ihm Vertrauen schenkten. Wenn Mose zu dem „Zelte der Zusammenkunft2 hinausging, „das außerhalb des Lagers war“, standen sie, ein jeder am Eingang seines Zeltes, und schauten Mose nach, bis er in das Zelt trat. Als überführte und gedemütigte Sünder verfolgten sie mit ihren Blicken ihren Mittler, und wenn dann die Wolkensäule herniederstieg, und Jehova am Eingang des Zeltes mit Mose redete, dann „erhob sich das ganze Volk, und sie warfen sich nieder, ein jeder am Eingang seines Zeltes“, in stiller Beugung und Anbetung. Welch ein schöner Anblick! Es war gleichsam der zweite Schritt auf dem  Wege eines überführten Sünders. Von allem eigenen Schmuck entblößt, arm und nackt vor Gott, begleitet Israel seinen Mittler außerhalb des Lagers und lässt ihn so wissen, dass er ihr ganzes Vertrauen besitzt. Und fürwahr, sie hatten recht! Er beschämte sie nicht. Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten des Verkehrs Moses mit Jehova eingehen, wenn der Herr mit Seinem .Knecht „von Angesicht zu Angesicht redete, wie ein Mann mit seinem Freunde redet“. Aber darauf möchte ich doch hinweisen, dass wir dessen gewiss sein dürfen, dass Mose seinen Platz und seine Vertrautheit mit Jehova ausschließlich zu Gunsten Israels benutzt hat. Der Ernst, mit welchem er bei Jehova anhielt, Israel doch als Sein Volk anzuerkennen und dem Volke die Wohltat der Gnade, in welcher er selbst stand, zuzuwenden, ist wahrhaft schön – umso schöner, wenn wir uns daran erinnern, dass er in allem
diesem einen Größeren vorstellte, als er selbst war. War er doch nur der Schatten oder der Widerschein von dem wahren und alleinigen Mittler, von Jesu, unserem Herrn. 
Und Mose hatte Erfolg bei seinem Dienst. Freilich konnte er nicht so Sühnung für Israel tun, wie er meinte und es Gott vorschlug: „Lösche mich doch aus deinem Buche, das du geschrieben hast“ -— das liegt allein in der Hand Dessen, von dem „in der Rolle des Buches geschrieben steht“, und der allein sagen konnte: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“, und dem zu diesem Zweck „ein Leib bereitet“ worden ist. Aber doch gelang es Mose, den Herrn und das Lager wenigstens in dem Sinne wieder zu vereinigen, dass die Erreichung des Landes Kanaan gesichert wurde. So enttäuschte der Mittler die Hoffnungen des Volkes nicht. Sie sahen ihn zwar  nicht — wieder war er vierzig Tage und vierzig Nächte von ihnen entfernt (V. 27. 28; vergl. 5. Mose 9, 18 ff.) — aber er diente ihnen in all der Zeit in Gottes Gegenwart in ernster, hingebender, selbstverleugnender Liebe. 
Als Mose dann endlich zu ihnen zurückkehrte, brachte er, wenn ich so sagen darf, zwei Dinge mit sich: Herrlichkeit auf seinem Angesicht und das Muster der Dinge, die er auf dem Berge gesehen hatte, in seiner Hand. Dieses Muster war ihm ja schon früher gezeigt worden (Kap. 25, 9. 40), aber er hatte es dem Volke seiner Sünde wegen nicht übermitteln können; und als er mit dem ersten Paar der Gesetzestafeln vom Berge herabstieg, da hatte auch sein Antlitz nicht gestrahlt. War das Muster gleichsam ein Schatten zukünftiger Güter, so war die Herrlichkeit auf dem Angesicht Moses ein Zeugnis von der Gnade Gottes, die sich in dem neuen Namen, den Er angenommen hatte, kundtat. Es war ja wohl nur eine vorübergehende Herrlichkeit, in Übereinstimmung mit dem Charakter des zwischen Jehova und Seinem Volke geschlossenen Bundes, der gleichfalls nicht bleiben konnte, weil er teils auf Gnade, teils auf Verantwortlichkeit gegründet war. Aber immerhin war dies für den Augenblick der einzige Segensweg für Israel, und mit dem Gehorsam des Glaubens (vorbildlich betrachtet), mit einem Gehorsam, der seitens überführter und begnadigter Sünder den Vorkehrungen der Gnade Gottes für ihren damaligen Zustand entgegengebracht wurde, führen sie das Werk aus, zu
welchem ihr Mittler sie auffordert. „Und sie kamen, ein jeder, den sein Herz trieb; und ein jeder, der willigen Geistes war, brachte das Hebopfer Jehovas für das Werk des Zeltes der Zusammenkunft“, und mit geschickten, von Gott selbst unterwiesenen Händen taten sie nach allem, was Jehova geboten hatte. Ja, sie brachten so viel, dass »dem Volke das Bringen gewehrt werden musste“ (Kap. 35 u. 36). 
Wiederum dürfen wir sagen: Alles das ist schön und nützlich für uns zu betrachten. Überführte Sünder, die Gottes Vorkehrungen für ihren verderbten Zustand im Glauben angenommen haben, sind die Erbauer des Hauses, das Gott zu beziehen im Begriff steht. Und sie arbeiten mit willigen Herzen, die durch die Gnade erwärmt sind, und mit geschickten Händen, die der Geist Gottes für die Arbeit zubereitet hat. 
Lasst uns das aufmerksam betrachten! Wenn wir davon reden, dass Menschen dem Herrn eine Wohnung bereiten, so kann ein solches Werk nur in der angedeuteten Weise und in dem hier beschriebenen Charakter geschehen. Gott kann nichts von dem Menschen annehmen, solang dieser nicht den Platz eines überführten Sünders eingenommen hat. Aber wenn er sich demütigt, so kann Gott ihn erhöhen; wenn er im Glauben von Gottes Vorkehrungen für seinen selbstverschuldeten traurigen Zustand Gebrauch macht, kann und will Gott Gaben, Dienst und Anbetung von ihm entgegennehmen, ja, wie uns in diesen Kapiteln gezeigt wird, selbst eine Wohnstätte für Seine Herrlichkeit. Salomo, von Gott inspiriert, spricht aus, was Mose und das gehorsame Volk am Schlusse des zweiten Buches Muse auch hätten sagen können: „Jehova hat gesagt, dass Er im Dunkel wohnen wolle. Ich aber habe dir ein Haus gebaut zur Wohnung, und eine Stätte zu deinem Sitze für Ewigkeiten“ (2. Chron. 6, 1. 2).
Was könnte größer und erhabener sein in den Wegen Gottes und Seiner Gnade! Gehen wir zu weit, wenn wir sagen, dass das Evangelium in seinem hellen, lieblichen Glanze uns hier entgegenstrahlt? Denn der Herr nimmt hier den Dienst überführter Sünder an, die im Glauben Seine Vorkehrung für ihren Zustand des Verderbens und der Verdammnis ergriffen haben. Und wohnt Gott nicht heute noch in Heiligtümern, die der Glaube durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes für Ihn erbaut? „Wenn jemand mich liebt“, sagt der Herr Jesus, „so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (Joh. 14, 23). Und der Apostel Paulus redet von der Versammlung der Heiligen als „einer Behausung Gottes im Geiste“, und fragt die Gläubigen in Korinth: „Wisset ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid?“ (Eph. 2, 22; 1. Kor. 3, 16). 
Ich überlasse es dem Leser, im Anschluss an das Gesagte den in dem Vorbilde enthaltenen Belehrungen noch weiter nachzuforschen, und möchte zum Schluss nur noch daran erinnern, in weIch wunderbarer Weise der Herr Jesus, der GesaIbte Gottes, selbst ein Wiederhersteller aller Dinge ist. Alles was dem Menschen im Laufe der Zeit anvertraut wurde, ist von ihm verdorben worden, aber in des Herrn Hand wird das Wohlgefallen Jehovas gedeihen. Er vermag „das Baufällige des Hauses“ auszubessern, Er, der wahre „Vermaurer der Risse“ und Wiederaufbauer der „verfallenen Hütte Davids“. 
Hat der Mensch (ich rede nach Menschenweise) die Erwartungen Gottes enttäuscht, Er wird sie alle mehr als erfüllen. Der Mensch war stets derselbe: ob Adam in Eden, der noch nicht von der Sünde befleckten Schöpfung, oder Noah auf der neuen, durch das Gericht gereinigten Erde, ob Israel in Kanaan, oder das Geschlecht Levis im Heiligtum und das Haus Davids auf dem Throne, ob der Heide, dem von Gott Schwert und Macht anvertraut wurde, oder das in den sieben Leuchtern aufgerichtete Zeugnis der Kirche — alle haben sich als untreu erwiesen. Aber alle Absichten Gottes, alle Seine Erwartungen in Verbindung mit der Gesamtheit der aufgezählten Zeugnisse oder mit jedem einzelnen derselben werden ihre Beantwortung und Verwirklichung in Christo finden. Die Erde wird wieder grünen und blühen; Israel, David und Levi, Volk, König und Priester, werden am Tage des Messias alle an ihrem Platze sein und ihren Dienst zu Seiner Ehre verrichten. Die Gerechtigkeit wird zurückkehren zum Gericht, die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben, und die himmlische Braut wird in voller, unvergänglicher Schönheit dargestellt werden, als Gottes Versammlung, verherrlicht, ohne Flecken oder RunzeI in Ewigkeit.
Ja, in der Hand des großen Wiederherstellers wird alles glücklich gedeihen. Aber mehr noch: Als Gott im Anfang den Menschen schuf, bereitete Er auch einen Sabbat, einen Tag der Ruhe. Der Mensch entweihte ihn. In späterer Zeit ordnete Gott einen anderen Sabbat an in Kanaan und in den Tagen Salomos. Israel und das Haus Davids entweihten ihn wiederum. Aber in der Jetztzeit — wie kostbar ist es, es sagen zu dürfen! — hat der zweite Mensch, Christus, einen Sabbat für Gott bereitet. „Das Werk habe ich vollbracht“, konnte Er zum Vater sagen, „Welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“, und auf Grund dieses vollbrachten Werkes ist Gott in Seine Ruhe eingegangen, ein neuer Sabbat ist Ihm bereitet worden. Er ruht jetzt in dem vollendeten Werke Seines geliebten Sohnes und wird darin ruhen ewiglich. Und „da, wo Gott mit Wonne ruhet, sind auch wir in Ruh« gesetzt“ — jetzt und in alle Ewigkeit. Darum lesen wir auch: „Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volke Gottes übrig“.
Noch einmal möchte ich fragen: Sind das nicht wunderbare, herrliche Geheimnisse? Der erste Adam entweihte den Sabbat, den Gott geheiligt hatte —— der letzte Adam bereitet einen Sabbat für den ewigen Gott auf einer Grundlage, die ewiglich nicht erschüttert werden wird. Gott wird ihn ewig genießen, und wir, teurer gläubiger Leser, mit Ihm!

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Seltsame Wege der Liebe

Bibelstelle: Hosea 2,14 - 23

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 319ff

Der erste Teil von Hosea 2 enthält ernste Worte der Anklage und Drohung gegen das schuldige Volk Israel. Ab Vers 14 kommen wir aber zu einem Abschnitt, der von unvermischter, bedingungsloser Gnade redet. Die Personen, um die es geht, sind dieselben wie vorher; aber Gott begegnet ihnen auf einer anderen Grundlage, nicht nach dem, was sie verdient haben, sondern auf dem Boden der Gnade und des Erbarmens (V. 23). Er möchte jetzt mit Seinem sündigen Volk in Liebe handeln und spricht Worte aus, die außerordentlich kostbar sind.
Beachtenswert ist zunächst die Begründung für Seine Liebeserweisung: „Darum siehe", lesen wir. Gott hat stets einen Grund für Sein Tun. Vers 13 schloss mit den Worten: „Mich aber hat sie (Israel als die untreue Ehefrau Jehovas) vergessen." Nun sollte man erwarten: „Darum will ich sie auch vergessen", ähnlich wie in Vers 6, wo auf die Worte der untreuen Frau („Ich will meinen Buhlen nachgehen"), auch ein „Darum siehe" folgt mit der Androhung ernster Vergeltung. Aber nein, gerade das Gegenteil ist hier der Fall! Gott will Israel gnädig sein, und Er findet einen Grund für die Gnade, wo eigentlich gar keiner vorhanden ist. Gott liebt, weil Er Liebe ist. Wie könnte Er sonst Israel oder einen von uns segnen? Er schafft einen Grund, der alle Gründe übertrifft. Weil Sein Volk darauf besteht, böse zu sein, will Er ihm um so mehr Liebe erweisen. Ja, um Israel von seinen Irrwegen zurückzuholen, schafft Er einen Grund wider alle Gründe. Hat Israel Ihn vergessen, so will Er es locken. 
Die große Sünde, von der in den vorhergehenden Versen die Rede ist und die an sich Grund genug zur Bestrafung ist, wird von der göttlichen Gnade in einen Beweggrund zur Barmherzigkeit verwandelt. „Ich werde ihr zum Herzen reden", sagt Gott. Warum will Er das tun?
Darum, weil das Volk, das Er sich erwählt hatte, sich so weit von Ihm entfernt hat. Die unumschränkte Gnade Gottes hat das Volk erwählt, und Seine unveränderliche Liebe ist entschlossen, es zur Besinnung zu bringen und für sich zu gewinnen, wenn das auch erst am Ende der Tage sein sollte, nach Zeiten furchtbarer Gerichte. Darum geht diese Liebe ans Werk. 
Auch Gottes Methode ist erstaunlich: „Ich werde sie locken." Das Locken der Liebe übertrifft in seiner Kraft alle anderen Mittel. Viele Methoden waren versucht worden: Gott hatte den Weg seines Volkes mit Dornen verzäunt und mit einer Mauer versperrt (V. 6); mit anderen Worten, Er hatte sie rechts und links bittere Leiden und Trübsale finden lassen, hatte sich ihnen in den Weg gestellt, so dass sie weder vorwärts noch rückwärts konnten. Heimsuchungen aller Art, ja, mit Entziehung selbst des Nötigsten (V. 9), waren über sie gekommen. Ein schonungsloses Aufdecken der Sünde, so dass sie nicht länger geleugnet werden konnte, war erfolgt (V. 10). Trübsal auf Trübsal, Schlag auf Schlag hatte sie getroffen (V. 11.12). Nachdem das alles nichts bewirkt hat, dürfte vielleicht das zärtliche Locken von Erfolg sein. Das Locken der Liebe überwindet den Willen, so dass er widerstandslos zusammenbricht. Haben nicht auch wir das oft erfahren? Wenn man uns angriff, so verteidigten wir uns. Wurden wir aber in Liebe gelockt, so schmolz der Trotz, wir kamen zur Besinnung und gaben nach. 
Die Gnade lockt mit Vergebung und Freiheit, mit Frieden hier und Herrlichkeit droben, mit Kindschaft und Erbschaft. Und da ist vor allem die Person, das Werk und die Liebe des Herrn Jesus selbst und die vielfältige Weise, wie sie sich kundgibt. 
Aber da ist auch wunderbare Gemeinschaft: „Ich werde sie locken und sie in die Wüste führen." Sie soll allein sein, allein mit Gott. Frei von jeder beunruhigenden oder auch unterstützenden Gesellschaft. Nachdem alle ihre Liebhaber sie verlassen haben und jede Hoffnung auf sie dahin ist, will Gott die Stütze, das Verlangen, das Ziel und die Liebe Seines Volkes werden. 
In der Wüste lernte Israel einst Gott kennen. Er erwies sich ihm als Erretter, Führer, Wächter, Licht, Mauer, Arzt und Herrlichkeit. Israel war mit Ihm allein zur Erziehung, zur Unterweisung, zur Erleuchtung, zum Wachstum, zur Vorbereitung auf die verheißene Ruhe. Allein, um sich selbst kennen zu lernen und die ganze Größe ihrer Verantwortlichkeit als das abgesonderte Volk Jehovas. 
O was wird es sein, wenn Israel einmal - allein mit Gott - lernen wird, was sein Weg gewesen ist, wenn der Überrest, zur Erkenntnis seiner großen Schuld gebracht, seine Kleider und sein Herz zerreißen wird in tiefem Schmerz über seine Undankbarkeit und seinen Unglauben! Vergessen wir nicht, dass die Liebe treu ist, treu sein muss. Der Weg, auf dem Joseph einst seine Brüder zur Erkenntnis ihrer Schuld und zu wahrem Selbstgericht brachte, war lang und schmerzlich, auch für ihn selbst; aber Joseph ruhte nicht, bis Juda bekannte: „Was sollen wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden" (1. Mose 44,16). Jetzt erst konnte Joseph sich ihnen zu erkennen geben, ihnen um den Hals fallen und tröstliche Worte zu ihnen reden. 
Genau so wird es einst sein zwischen dem wahren Joseph und Seinen „Brüdern". Sein Trost geht über allen Trost hinaus. Wirklichen Trost findet nur der, der mit Gott allein ist. „Ich werde ihr zum Herzen reden." O, und wie kann Er zum Herzen reden, wenn es wirklich für Ihn geöffnet ist! Ruth sagte einst zu Boas: „Möge ich Gnade finden in deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und hast zum Herzen deiner Magd geredet" (Rt. 2,13). Als der Herr Jesus hier war, „gaben ihm alle Zeugnis und verwunderten sich über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen" (Lk. 4,22). Er kann auf alle Fragen und Sorgen eines bekümmerten Herzens die rechte Antwort geben, so dass man - wenn auch in einem anderen Sinn - mit der Königin von Scheba sagen muss: „Du übertriffst an Weisheit und Gut das Gerücht, das ich gehört habe" (1. Könige 10,7). Wenn Er zum Herzen redet, wenn Sein Wort in das zerknirschte Herz dringt, dann wird dieses Wort verstanden, reicher Trost stimmt zu Freude und Dankbarkeit: „Sie wird daselbst singen wie in den Tagen ihrer Jugend und wie an dem Tag, da sie aus dem Lande Ägypten heraufzog" (V. 15). Fröhlichkeit und Freude des Heils kehren zurück, so voll und frisch wie nach der Bekehrung. 
Was Israel betrifft, so wird Gott ihm „ das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung geben", d. h. an dem Ort, wo Gottes gerechtes Gericht das untreue Volk einst treffen musste, als es in Kanaan einzog (Josua 7), gerade da wird Er ihm eine Gnade kundtun, die alle ihre Sünde überströmt. „Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden" (Römer 5,20). Und Israel wird zu Jehova nicht mehr sagen „Mein Baal" (Baal bedeutet „Herr"), sondern „Mein Mann" wird es Ihn nennen (V. 16), mit anderen Worten, das ganze Verhältnis zu Gott wird sich umgestalten. Israel wird Jehova kennen als Den, der sich ihm verlobt in Ewigkeit, zwar in Gerechtigkeit und Gericht, aber auch in Güte, Barmherzigkeit und Treue (V. 19.20). Das Volk wird dieses Verhältnis in dankbarer Liebe begrüßen und „Jehova erkennen". Und auf Grund dieses neuen, unverbrüchlichen Verhältnisses zwischen Jehova und Seinem irdischen Volk wird der Friede fließen wie ein Strom, und Segnungen des Himmels und der Erde werden in ungeahnter Fülle ausgegossen werden. Gott wird zu „Lo-Ammi sagen: Du bist mein Volk, und es wird sagen: Mein Gott" (V. 21 - 23). 
Auch wir kennen diesen gnädigen, treuen Gott. Auch uns lockt Er zuweilen in die Wüste, um zu unseren Herzen zu reden und uns von dort aus einen völligeren Besitz unserer Segnungen zu geben und die Hoffnung, die durch unsere Untreue schwach geworden war, von neuem zu beleben. Lasst uns deshalb die Wüste und das Alleinsein mit Gott nicht fürchten! Israel schaute einst nach Ägypten zurück und dachte an die Fleischtöpfe und das Brot, das sie „bis zur Sättigung gegessen" hatten. Als dann aber „Aaron zu der ganzen Gemeinde der Kinder Israel redete, da wandten sie sich gegen die Wüste; und siehe, die Herrlichkeit Jehovas erschien in der Wolke" (2. Mose 16,3.10).
O, lasst uns willig dem Locken unseres Gottes folgen - auch wenn es in die Wüste geht! Dann wird es keinen Trotz und keine Auflehnung mehr bei uns geben. Wir sind dann gern unterwürfig und von Ihm abhängig. Anstatt mit Ihm zu hadern, wenn Seine Wege uns unverständlich werden, lassen wir „unsere Augen Gefallen haben an seinen Wegen" (Sprüche 23,26), und Friede und Ruhe kehren in die Seele zurück. Er will ja doch nur zu unseren Herzen reden, um uns zu läutern und ganz für sich zu gewinnen.

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Das kananäische Weib

Bibelstelle: Matthäus 15, 21 - 28

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 326ff

Wie kostbar ist es, die Spuren des Herrn Jesus zu verfolgen, wenn Er von einem Schauplatz des Schmerzes und der Leiden zum anderen schreitet, überall Segen ausstreuend mit offener Hand, jedem Bedürfnis begegnend, jede Not stillend, jede Bitte beantwortend! Nicht ein Armer geht mit leeren Händen fort. Je kühner der Glaube um einen Segen bittet, desto mehr wird das Herz Jesu erfreut. War Er doch aus dem Bereich ewiger Segnungen herabgestiegen, um zu dienen und jene Segnungen dem Menschen zugänglich zu machen. 
Aber obwohl der Herr dem Glauben stets antwortete und nie ihn beschämte, gefiel es Ihm doch oft, ihn auf die Probe zu stellen. Auch heute will Er, dass wir Ihm völlig vertrauen und viel von Ihm erwarten. Doch Er will auch, dass wir den uns gebührenden Platz vor Ihm einnehmen als verderbte, gefallene Geschöpfe, die kein Anrecht an Seine Gnade haben. 
Die Geschichte des kananäischen Weibes erläutert das Gesagte in einem rührenden und zugleich ergreifenden Bilde. Der Herr gewährt ihr alles, um was sie bittet, aber zunächst erzieht Er sie dazu, das Erbetene empfangen zu können. Sie war keine Israelitin. Sie wohnte in einer Gegend, die als ruchlos bekannt war, und gehörte einem Geschlecht an, auf welchem der Fluch lastete. (1. Mose 9, 27.) Sie besaß also gar keine Ansprüche an den Herrn, sondern war im vollen Sinne des Wortes eine Verworfene. Aber sie ist in Not, und in ihrer Not hört sie von dem Herrn Jesus. Sie glaubt an Ihn als den verheißenen Retter und Befreier, den Sohn Davids, und als solchen ruft sie Ihn an. Sie hatte ohne Zweifel gehört, welche Taten der Barmherzigkeit Er unter den Juden vollbracht hatte, und kommt nun zu Ihm und bittet um Hilfe. Er antwortet ihr nicht, ja, schenkt anscheinend ihrem Ruf nicht die geringste Beachtung. Sein Ohr war ihrer Bitte verschlossen. 
Warum? Sie wandte sich an Ihn, als wenn sie dem begünstigten jüdischen Volke angehört hätte. Als „Sohn Davids“ konnte Er aber mit einer Kanaaniterin nichts zu tun haben; sie besaß keinerlei Anrecht an Ihn in diesem Charakter. 
Die Jünger, unwillig über die Störung — „sie schrie hinter ihnen her“ —, möchten sie gern loswerden und bitten den Herrn, ihr ihr Anliegen zu gewähren. Aber Jesus bleibt Seinem Auftrag treu. Er muss Gottes Ordnung aufrechthalten. „Ich bin nicht gesandt“, erwidert Er, „als nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Anstatt sich aber dadurch entmutigen zu lassen, tritt das Weib nur näher an den Herrn heran, fällt vor Ihm nieder und ruft: „Herr, hilf mir!“ 
Eine einfachere Bitte auf breiterer Grundlage! Aber auch jetzt erfüllt der Herr ihr Begehren nicht, sondern beantwortet es mit den Worten: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündlein hinzuwerfen“, mit anderen Worten: Ich bin zu Israel gekommen, zu den Kindern, denen Gottes Güte begegnen will, weil sie eben zu dem irdischen Haushalt Gottes gehören; aber ihr Heiden seid wie die Hunde, die keinen Anspruch auf Versorgung haben, denen man nur aus Gnade einen Bissen hinwirft. 
Soweit es sich um die damaligen Wege Gottes handelte, waren die Juden drinnen, die Heiden draußen, und das Weib war eine Heidin, ein „Hündlein“ (im Griechischen ein noch verächtlicherer Ausdruck als „Hund“).
Was für eine Hoffnung war also für sie da? Welchen Zweck konnte es haben, noch weiter zu bitten? Anscheinend keinen. Keinen? Das Weib dachte anders. War sie ein Hündlein — gut, sie nimmt den Platz ein. Sie gibt jedes Anrecht, jede Forderung, die sich auf sie selbst gründen könnte, auf und wirft sich völlig auf die Gnade und Güte in Ihm. Sie wusste, mit wem sie redete. Ihr Glaube ehrte Ihn als den Träger und Bringer einer überströmenden Gnade, die selbst den Bedürfnissen von Geschöpfen, wie sie eines war, begegnen konnte. „Ja, Herr“, sagt sie, „denn es essen ja auch die Hündlein von den Brosamen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.“ 
Ah, sie kannte den Hausherrn und wusste, dass Er unermesslich reich war. Mehr noch, sie kannte die in Jesu geoffenbarte Gnade Gottes weit besser, als die Jünger sie kannten, die doch beständig um Ihn waren. Sie wusste, dass die Ärmsten und Elendesten in dem Überfluss des Hauses des Herrn alles finden konnten, was sie bedurften, ja, dass das, was die Kinder übrigließen, für sie genügte. 
Wir lernen nie wirklich, was Gott ist, bis wir unser eigenes Nichts und unser ganzes Elend kennen gelernt haben. Israel hat niemals die Gnade Gottes so erkannt, wie sie hier dieser armen, gläubigen Kanaaniterin geoffenbart wurde. Erfüllt mit Eigengerechtigkeit und Selbstgefälligkeit, verwarfen sie diese Gnade. Das kananäische Weib dagegen wurde durch ihren Jammer und ihre Not zu Jesu getrieben, und ihr Glaube erkannte in Ihm den Gott aller Gnade, der herabgekommen war, um den Bedürfnissen des Menschen zu begegnen. Sie wusste, dass Gott in der Fülle Seiner Liebe nicht einmal einem armen, unreinen „Hündlein“ verwehren würde, an Seinem Überfluss teilzunehmen. So ehrte sie Gott in Seinem Charakter als williger Gebet, wie Er im Evangelium sich kundgetan hat, und fühlte und bekannte zugleich ihre eigene Unwürdigkeit. 
Sobald sie das tut, verschwinden alle Unterschiede. Der Herr selbst räumt sie hinweg. Wie könnte es eine Entfernung geben zwischen dem schuldbewussten Sünder und Ihm, dem Freunde und Heiland der Sünder? Die Schatzkammern Seiner Gnade tun sich mit einem Male weit vor ihr auf. Seine Macht, Seine Gnade, Seine unermesslichen Reichtümer — alles steht zu ihrer Verfügung. „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst!“ 
Auch wir haben gelernt, was wir sind und was Gott ist. Wir haben unsere Unreinigkeit und unsere ganze Entfremdung im Lichte Gottes gesehen und mussten erkennen, dass wir um nichts besser waren als jenes Weib, nicht mehr als ein „Hündlein“. Es gibt für den Menschen nur zwei Boden, auf denen er vor Gott stehen kann, den der Gnade und den der Werke, und es fragt sich, auf welchem er stehen will, ob auf dem Boden gesetzlichen Tuns, oder auf dem, auf welchem das kananäische Weib
stand, als ein Mensch, der sich- selbst nicht helfen kann und nun seine Zuflucht nimmt zu der bedingungslosen Gnade Gottes. Im ersten Falle will der Mensch Gott zu seinem Schuldner machen und sein eigener Heiland sein, im zweiten erkennt er seinen völligen Bankerott an und schaut aus nach dem Einen, der seine große Schuld bezahlt hat. Gottes Freude ist, zu geben; aber das Gefäß, das Er füllen will, muss leer sein, ganz leer. Er richtet gern auf, aber der Mensch, den Er aufrichten soll, muss am Boden liegen, fertig mit sich selbst und am Ende aller eigenen Hilfsquellen angekommen. So ist es mit dem Sünder, und so ist es grundsätzlich auch mit dem Gläubigen. Alle Gedanken an Würdigkeit, Kraft und Weisheit sind nicht angebracht zwischen Gott und dem Menschen. 
In der Person Seines geliebten Sohnes ist Gott zu dem Menschen herabgestiegen. Er hat sich uns nicht unter den Donners: des Sinai geoffenbart, auch nicht in der Wolken- und Feuersäule, oder über den Cherubim im Allerheiligsten, oder auf einem Throne königlicher Herrlichkeit, dem einzelne vielleicht zu nahen hätten wagen mögen, sondern gerade in den Umständen, in denen wir uns befanden. Er ist in unseren Zustand der Niedrigkeit herabgestiegen, indem Er den Glanz Seiner göttlichen Herrlichkeit in die Gestalt eines .Knechtes einhüllte. Wo immer Er uns so in unserer tiefsten Erniedrigung begegnete, war Er nicht nur der Gnädige, sondern Er hat auch alles getan, was die Gnade tun konnte. 
Was hätte die Gnade Höheres, Herrlicheres tun können, als den Platz mit dem Sünder vertauschen? Und das gerade ist es, was Jesus getan hat. Er hat unsere Sünde hinweggenommen, indem Er sie auf sich nahm. „Den, der Sünde nicht kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm.“ Er trug unser Gericht, um uns zu Teilhabern Seiner Herrlichkeit zu machen. Er stieg ins Grab hinab, um uns zu Seinem Throne zu erheben. Wahrlich, das ist Gnade! Nie wäre so etwas in eines Menschen Herz aufgekommen. Nur im Herzen eines Gott-Heilandes konnte es seinen Ursprung haben, und nur in der Person Seines Sohnes zum Ausdruck kommen.

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Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 331

Die schwerste Last, die ich getragen
in meines Lebens eitlen Tagen,
war meiner Sünden Last.
Mein Weg— ein Weg des Wehs, der Klagen
voll, zum Erdrücken fast.
Ich kannte nicht den sel’gen Gottesfrieden,
des Heilands Herz, den Ruh’ort für die Müden.

Mich dieser Bürde zu entziehen
und Satans Knechtschaft zu entfliehen,
den Ketten meiner Schmach,
das war mein törichtes Bemühen —
bis ich zusammenbrach.
Da rief ich laut nach andren, stärkren Händen,
den Druck und Jammer von mir abzuwenden.

Und — ich sah Ihn, der einst die Last getragen,
Ihn, der ans Fluchholz ward geschlagen,
des ew’gen Gottes Sohn!
Ihm durft’ ich meinen Jammer klagen,
Er trug den Sieg davon!
Mich Armen zu befrei’n ist Er erschienen,
ich brauch’ der Sünde nun nicht mehr zu dienen.

Sein Joch, das sanfte, durft’ ich nehmen,
zur Freude wurde all mein Grämen,
denn Seine Last ist leicht.
Nie wird sie meine Füße lähmen,
bis ich das Ziel erreicht.
Nun bin ich froh — in allen meinen Tagen
will Er ja selbst mich heben, pflegen, tragen.
H. K.
@@@@@ 332

Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1924, Seite 332

Im Oktober-Heft des „Botschafter“ Seite 263 heißt es: »Wenn der Herr die Seinigen um Sein Wort schritt, so geschieht es nicht, damit sie menschliche, unverdaute Gedanken anhören oder eine Wiederholung dessen, was andere geredet oder geschrieben halten«. — Will das sagen, dass die Gedanken und Belehrungen über Gottes Wort, die von anderen ausgesprochen oder niedergeschrieben wurden, im Dienst nicht verwandt werden dürfen? 
Keineswegs. Da ist wohl kein einziger am Worte dienender Bruder (auch der begabteste nicht), der nicht durch den mündlichen Dienst seiner Brüder mancherlei Förderung und Anregung empfangen, oder beim persönlichen Lesen und Erforschen des Wortes viel Hilfe und Segen in den Schriften anderer« gefunden hätte. Und wenn er das auf diesem Wege Gesundem oder Empfangene in seinem eignen Dienst verwertet, so kann das nur nützlich sein. Haben nicht selbst die Apostel gegenseitig von dem gelernt, was
der Herr den einzelnen anvertraut hatte? (Vergl. z. B. 2. Petrus 3, 15. 10;Apostelgsch. 15, 7 — 21;18, 26; Gal .2,14 — 21). Waren nicht sie, und sind nicht wir alle Glieder an einem Leibe, die notwendig sind für die anderen, so verschieden auch die verliehenen Gnadengaben sein mögen?
Gemeint ist an jener Stelle das kraftlose, mechanische Wiederholen von Gedanken anderer, die möglicherweise weit über das dem Redenden zugeteilte Maß des Glaubens (vergl. Röm. 12, 6) hinausgehen und deshalb nicht zur Erbauung dienen können. Die Gedanken sind nicht verdaut, nicht zum geistlichen Eigentum des Redenden geworden und wirken darum auf den Hörer wie unklare Musik oder wie abgestandenes Wasser. Es heißt deshalb auch gleich im nächsten Satz: „Persönliche Vertrautheit mit der Schrift und Verständnis ihres Inhalts sind unentbehrliche Erfordernisse für den Dienst am Wort“. Dieses persönliche Verständnis mag gering sein, und darum ist zu seiner Vertiefung gerade das Hören und Lesen dessen, was Gott anderen gegeben hat, von so großer Bedeutung; aber wenn der Redende nicht mehr bringen will, als er bat, wird sein Dienst, so einfach er sein mag, nicht ungesegnet bleiben. In kleinen Versammlungen mit wenig Gaben ist man zuweilen dazu übergegangen, aus der einen oder anderen guten Betrachtung einen Abschnitt vorzulesen. Das hat jedenfalls den Vorzug des Ursprünglichen; wenn es auch nicht immer den vorliegenden Bedürfnissen ganz entsprechen mag, bringt
es doch Segen.
Möchten also alle, die irgendwie in den Versammlungen tätig find, nur recht fleißig das Wort unter dankbarer Benutzung der uns vom Herrn geschenkten Hilfsmittel erforschen! Jeder, der es tut, weiß, welch ein Segen darauf ruht.