Botschafter des Heils in Christo 1858

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1858 Seite
Ein Wort über die Sicherheit und Festigkeit unseres Verhältnisses mit Gott. 1
Der hebräische Knecht                    (2.Mose 21, 1-7) 9
Kein Gewissen mehr von Sünden  (Herb. 10) 17
Das Leben ist für mich Christus (Phil. 1,21) 21
Jetzt und Dann  Zeit und Ewigkeit (Lukas 12) 48
Das köstliche Land wurde verschmäht (4. Mose 13 und 14) 69
Gesinnung des Herrn und Gesinnung des Fleisches  (Lukas 22, 1-46) 77
Worauf warte ich? 86
Über das Anlegen der Waffenrüstung 89
Fleischliches Vertrauen und Vertrauen des Glaubens 95
Trost für ein verwundetes Herz 107
Der wahre Grund des Friedens 109
Die zweite Ankunft des Herrn Jesus 113
Die Ruhe der Müden 120
Das Zeugnis des Glaubens 125
Abigail 129
Bemerkungen über den Judasbrief 140
Der Geist der Kraft 145
Züchtigung 148
Du und Dein Haus 149
Die Gnade Gottes 185
Das Leben im Geist 197
Das Werk des Hauses Gottes 213


Ein Wort über die Sicherheit und Festigkeit unseres Verhältnisses mit Gott

 Es ist bemerkenswert, daß in dem Kampf oder vielmehr in dem Sieg, wovon der Apostel am Ende des achten Kapitels des Römerbriefes spricht, die Sünd e als Fein d nicht vorkommt. In der Tat gibt es zwei ganz verschiedene Kämpfe: der Kampf zwischen Fleisch und Geist, und der Kampf, den wir als Streiter oder als die Schar Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes gegen den Feind fortsetzen, um alles, was uns verheißen ist, geistlich in Besitz zu nehmen, die Seelen zu gewinnen und die Kraft Satans in der Welt zu besiegen und sie zurückzuweisen. Der Kampf mit dem Fleische wird bis zum Ende des irdischen Lebens fortdauern; aber wir können nur dann, wenn praktischerweise das Fleisch schweigt, durch die überwindende Kraft des Geistes in uns, indem unser Leben das Leben Jesu in uns ist, den äußerlichen Kampf gegen den Feind in der rechten Weise fortsetzen. Man kann den Feind außerhalb des Lagers nicht mit gutem Mut angreifen, wenn es eine Empörung im Lager selbst gibt. 

Wenn es dem Fleisch gelingt, durch unsere Nachlässigkeit und mangelhafte Gemeinschaft mit Gott, Schwierigkeit und Ungewißheit in unserer eigenen Seele hervorzubringen, so sind wir nicht imstande mit Einfalt des Herzens den Kampf gegen den Feind in der Welt siegreich fortzusetzen. Um die Stellung eines Streiters Gottes einzunehmen und im Namen Jesu in der Welt zu kämpfen,, muß man über sein Verhältnis mit Jesu ganz und gar im klaren sein. Der innerliche Kampf der unbefreiten Seele, — und es muß und sollte immer also sein — ist, über sein eigenes Verhältnis mit Gott sicher und gewiß zu werden; und viele Seelen, die sich in einem gewissen Maße in der Gnade Gottes erfreuen und selbst die Lehre der Freiheit ziemlich klar verstehen, sind in Betreff ihres gegenwärtigen Verhältnisses mit Gott unklar und in Verwirrung, wenn es sich um den Zustand ihres Gewissens vor Gott handelt, wenn das Gewissen sich in der Gegenwart Gottes, oder des Todes, oder der Kraft Satans, oder, mit einem Wort, in Umständen befindet, in welchem sein Zustand geprüft wird. 

Sie zweifeln gerade nicht an ihrer Errettung im allgemeinen, noch zweifeln sie an der Liebe Gottes an und für sich, wenn aber ihr praktisches und wirkliches Verhältnis mit Gott untersucht wird, so sind sie in Verwirrung. Nicht allein ist dann ihre Gemeinschaft mit Gott für einen Augenblick unterbrochen, so daß sie sich wegen ihrer Nachlässigkeit demütigen müssen, — dies kommt bei allen Christen vor, sobald sie nur einen einzigen Gedanken in ihre Herzen hineinlassen, der nicht nach dem Geist ist — sondern sie können, indem sie nicht wirklich in der Gegenwart Gottes sind, über ihren Zustand nicht urteilen und sind in Betreff ihres wahren Verhältnisses mit Gott unklar. Der Gläubige aber, der klar über sein Verhältnis mit Gott ist, fühlt (wenigstens, wenn er im allgemeinen mit Gott wandelt), mit Scham bei jeder Befleckung, daß dergleichen diesem Verhältnis nicht entspricht; aber seine Seele kommt in keine Verwirrung. Er sucht mit gedemütigtem Herzen die Wiederherstellung seiner Gemeinschaft und wartet dieserhalb auf den Gott aller Gnade. Ich bin aber gewiß, daß ich das Zeugnis vieler Seelen habe, daß es in solchen Fällen, wo das Gewissen praktischerweise unrein ist, etwas Dunkles und für sie Unverständliches in ihrem eigenen Verhältnis gibt. 

Um nun diesen zweifelnden Zustand aufzuheben, ist es nicht genug, die Liebe Gottes darzustellen. Sie glauben an diese Liebe, und sie haben recht; aber es fehlt noch etwas, weil das Gewissen das Bewußtsein hat, daß die Liebe Gottes nicht im Widerspruch mit der Heiligkeit und der Gerechtigkeit Seiner Natur sein kann, und sie fühlen, daß sie im Widerspruch damit sind. Es mangelt bei ihnen an der Klarheit über die Gerechtigkeit . In der Tat ist die Gnad e die Quelle aller Hoffnung; aber die Gnad e herrscht durch die Gerechtigkeit . Im Gericht wird die Gerechtigkeit herrschen, und daher sind alle verdammt, die vor Gott ins Gericht kommen. 

Aber jetzt herrscht die Gnade , d. h. die Liebe Gottes, wirksam in der Mitte der Sünder und in Beziehung zu der Sünde. Die Gerechtigkeit aber muß vorhanden sein, damit wir ruhig vor Gott stehen können. Wo ist nun diese Gerechtigkeit zu finden, auf daß man von der Gnade ungehindert genieße? Die Antwort dieser Frage werden wir jetzt in der Heiligen Schrift aufsuchen. Diese Antwort hängt von den völlig verschiedenen Stellungen des ersten und zweiten Adams ab. Wir werden daher diese Stellungen und ihre Berührungspunkte, um die Stellung des Gläubigen recht klar und deutlich darzustellen, etwas erörtern, und zwar zuerst die des ersten Adams und die Handlungen Gottes gegen ihn. 4 Dem ersten Adam ist keine Verheißung gegeben. Als Gott Sein Gericht über die Schlange aussprach, sagte Er, daß der Same n de s Weibe s ihr den Kopf zertreten solle. Adam aber war kei n Same des Weibes. Dem ersten Adam, unserem Vater nach dem Fleische, war also keine Verheißung gegeben. 

Von Anfang an zeigt es sich ganz klar und deutlich, daß es keine Verbindung, kein Verhältnis des Lebens zwischen Gott und dem Fleische gibt. Den Beweis dieser Wahrheit hat Gott auf allerlei Weise ausgeführt; und wir sehen auch von Anfang an den ersten Adam durch den zweiten ersetzt. Dem Abraham aber, und nach ihm seinem Samen, was immer der zweite Adam ist, sind Verheißungen ohne Bedingungen gegeben, daher Verheißungen, welche die Frage der Gerechtigkeit nicht hervorgerufen haben. Gott hat unbedingt verheißen, daß alle Geschlechter der Erde in seinem Samen gesegnet werden sollten. — Doch die Frage der Gerechtigkeit mu ß hervorgerufen werden; und weil der Mensch die Anmaßung hat, gerech t zu sein , ode r Gerechtigkei t z u erwerben , so hat Gott die Frage der Gerechtigkeit zuerst auf diese n Grun d gestellt. 

Er gibt einen vollkommenen Maßstab der menschlichen Gerechtigkeit, der zugleich ein Maßstab der Vollkommenheit aller vernünftigen Kreatur als solcher ist. „Gott von ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten als sich selbst" würde die Vollkommenheit eines Menschen als Mensch sein; selbst die Engel wandeln darnach. Einen anderen Maßstab aber konnte Gott nicht geben, •wenn die Kreatur als solche glückselig sein sollte. Die Form aber, in welcher dieser Maßstab den Menschen dargestellt ist, ist der Art, daß die Erfüllung dieser Gerechtigkeit von dem Menschen selbst gefordert wird. 

Die Weisheit Gottes hat aber schon in den Ausdrücken selbst, in welchen das Gesetz mitgeteilt ist, den wirklichen Zustand derer angegeben, denen es mitgeteilt ist. Wir setzen hier Israel und die bürgerlichen Einzelheiten, die für dieses Volk im Gesetz enthalten sind, ganz und gar beiseite, und beschäftigen uns, wie anders der Apostel Paulus, mit dem ewigen Grundsatz des Verhältnisses des Menschen mit Gott auf einem gesetzlichen Grund. Das Gesetz sagt uns, und es muß also sagen: „Tue dieses, und du wirst leben!" Aber was lernt man bei diesen Worten, wenn man sie mit ernstem Gewissen erwägt? Wenn Gott sagt: „Tue dieses und du wirs t leben! " so bin ich tot. Und wenn der Mensch beansprucht, als „nich t tot" das Gesetz zu erfüllen, so wird gerade das Resultat seiner Anstrengungen das sein, diesen Zustand des Todes darzutun. 

Aber in der Tat setzt das Gesetz voraus, indem es mir, wenn ich gehorsam bin, das Leben verheißt, daß ich kein Leben 5 habe; und dieser Grundsatz ist in der Bemerkung des Apostels — daß, „wenn ein Gesetz gegeben wäre, welches lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz" — klar dargestellt. Nicht allein aber das, sondern, wenn man nicht gehorsam ist, so ist man verflucht, oder, wie der Apostel sagt: „Das Gesetz ist ein Dienst des Todes und der Verdammnis." Gerechtigkeit aber findet man nicht durch dasselbe. 

Die Geschichte des ersten Adams geht aber noch weiter voran als bis zu seiner Unterwerfung unter das Gesetz. Gott Selbst ist in der Welt erschienen, und zwar in der Person Jesu Christi. Und hierdurch ist die Fähigkeit des Menschen, seiner Verantwortlichkeit zu entsprechen und mit Gott in Verbindung zu stehen, zur schließlichen Prüfung gebracht worden. Hierbei ist wichtig zu bemerken, daß die Menschwerdung des Sohnes Gottes keine Vereinigung mit den Menschen ist. Wir haben hier die Darstellung der Vollkommenheit der Gottheit im Bilde der wirklichen Menschheit, um zu sehen, ob der erste Adam oder das Fleisch in Verbindung mit der Gottheit stehen könne, als ihm diese so nahe wie möglich kam und sozusagen mit den Menschen in Berührung trat, — in vollkommener Entwicklung der mildesten Güte und Liebe tätig in Betreff des Elends des Menschen.

 Aber mit den Menschen war Christus nicht vereinigt , noch hat Er Sich ein s mit ihnen gemacht in ihrem sündhaften Zustand. Er war ein Mensch ohne Sünde unter den Sündern, die Einheit der Sündlosigkeit mit der Sünde war nicht möglich. „Jesus aber antwortete ihnen und sagte: Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen soll verherrlicht werden. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viele Frucht" (Joh. 12, 23. 24).

 Doch fahren wir hier in unserer Geschichte des ersten Adams weiter fort. Gott sagte: „Ich habe noch einen Sohn, vielleicht werden sie den verehren." Aber diese Prüfung des Fleisches oder des ersten Adams lieferte den Beweis, daß seine Verbindung mit Gott ganz und gar unmöglich ist. Die Liebe kann diese Verbindung ebensowenig schaffen, als das Gesetz. 

Der Mensch hat Gott, der in Liebe gekommen war, völlig verworfen, und insofern er seinen Willen ausführen konnte, hat er Gott aus der Welt weggeschafft. Der Mensch will wohl einen Gott haben, der ein Diener seiner Gelüste ist, aber den heiligen und wahrhaftigen Gott will er nicht. Die Sünde hat gerade im Kreuze Christi ihre höchste Stufe und die eigentliche Wahrheit ihres Charakters erreicht. Sie ist eine vollkommene Trennung von Gott. — 

Hier aber tritt der Erlöser 6 in den Zustand des Menschen hinein. Christus, der keine Sünde gekannt hat, ist zur Sünde gemacht. Hier treffen wir durch den Glauben zusammen. Ich finde Christum durch die Gnade da, wo ich war durch die Sünde. Bin ich unter dem Tode, unter der Last und Schuld der Sünde, unter dem Zorn Gottes, unter der Kraft Dessen, der die Gewalt des Todes hatte — Christus ist auch da. Ich bin da, das ist wahr, durch Lust, Eigenwillen und Ungehorsam, durch meine sündhafte Natur — Er durch Gehorsam und durch die Liebe. 

Wenn aber mein Gewissen durch die Erleuchtung Gottes anerkannt hat, daß im Fleische nichts ist, daß ich ganz und gar verloren bin, und daß Gott mich nach Seiner Gerechtigkeit nicht in Seine Gegenwart kommen lassen kann, so finde ich Christum Selbst in diesem Zustand. Er vertritt mich darin vor Gott, und Gott ist vollkommen verherrlicht in Betreff meiner Sünde und meines sündlichen Zustandes. „Jesus spricht: Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, so wird auch Gott ihn in sich selber verherrlichen, und alsbald wird er ihn verherrlichen" (Joh. 13, 31. 32).

 Gott ist verherrlicht in Betreff meiner Sünde durch das Werk Christi; die Sünde ist weggetan. Sie hört vor Gott auf mit dem Leben, welches von Christo auf dem Kreuze, wo Er diese Sünde getragen hat, hingegeben war. Ich gehe durch den zerrissenen Vorhang Seines Leibes in die Gegenwart Gottes und erscheine vor Seinem Angesicht ohne Sünde, weil Christus sie getragen und weggetan hat; ich bin auferstanden mit Ihm, nach der Kraft des Lebens, welches Gott mir in Ihm, als dem Auferstandenen, mitgeteilt hat. Ich bin in der Gegenwart Gottes ohne Flecken, — jenseits des Kreuzes, welches mich gereinigt hat.

 Christus Selbst ist meine Gerechtigkeit nach dem Wert des Werkes, durch welches Er Gott auf dem Kreuze verherrlicht hat, und zwar so, daß die Gerechtigkeit Gottes in der göttlichen Verherrlichung Christi erwiesen ist; und ich bin die Gerechtigkeit Gottes in Ihm. Also gestorben in Christo, und mit Ihm lebendig gemacht und auferstanden, ist meine Stellung vor Gott jetzt in dem zweiten Adam und nicht mehr in dem ersten. Ich sage jetzt: „Als wir im Fleische waren " . . . und wiederum: „Ihr seid nicht mehr im Fleische, sondern im Geiste." 

Der erste Adam ist ersetzt durch den zweiten, und meine Stellung ist ausschließlich in dem zweiten. Diesseits des Kreuzes bin ich Fleisch und Sünde, ein Kind des ersten Adams, verantwortlich, verloren, und im Wesen und in der Tat von Gott getrennt. Jenseits des Kreuzes, — und wenn wir nicht durch das Kreuz zu Gott gekommen sind, so sind wir ganz und gar verloren — bin ich in dem zweiten Adam in einem ganz 7 neuen Wesen und einer ganz neuen Natur.

 Alles ist weggetan, was mich von Gott trennte; ich bin aufgenommen in die Gegenwart Gottes, vermöge einer Gerechtigkeit , nach welcher Gott Christum, und die, die durch den Glauben in Ihm sind, aufnehmen und verherrlichen mußte. Gibt es denn kein Fleisch mehr in mir? Gewiß. Ich bin zwar nicht mehr im Fleische; aber das Fleisch, der erste sündhafte Adam ist unveränderlich. Doch bin ich berufen, nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste zu wandeln. Meine Verantwortlichkeit ist jetzt nicht die Verantwortlichkeit des ersten Adams, nach welcher ich ganz und gar verloren bin, — in Betreff dieser Verantwortlichkeit ist die Frage meiner Schuld am Kreuze beantwortet, — sondern meine Verantwortlichkeit ist nach dem Geiste, um als ein Kind Gottes würdig des Herrn oder Gottes Selbst zu wandeln (Kol. 1,10; 1. Thess. 2,12).

 „Wer da sagt, daß er in ihm bleibe, der ist schuldig selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat" (1. Joh. 2, 6). Wenn wir nicht im Geiste wandeln, wenn, wie wir schon gesagt haben, nur ein leichtsinniger Gedanke in das Herz hineingelassen ist, so ist unsere Gemeinschaft mit Gott unterbrochen; denn es ist nicht möglich, daß Gott mit irgend einem leichtsinnigen Gedanken Gemeinschaft haben kann. 

Unsere Stellung bleibt unverändert; aber die Gemeinschaft ist unterbrochen, weil unser Wandel dieser Stellung nicht entspricht; und es ist auch das Bewußtsein dieser köstlichen Stellung und des großen Segens der Gemeinschaft mit Gott die Ursache des Schmerzes einer befreiten Seele. Der erste Adam hat keine Rechte mehr an uns; aber durch unsere Nachlässigkeit und Torheit geben wir seiner Stimme zu oft Gehör. Wir wandeln auch in der Mitte der Versuchungen und von alle dem, was Satan anwenden kann, unsere Gemeinschaft mit Gott zu zerstören. 

Aber in dieser Beziehung ist es, wo der fortdauernde Dienst der Liebe Christi -den Bedürfnissen unserer Seele entspricht, "um entweder unsere Gemeinschaft mit Gott aufrecht zu erhalten, oder dieselbe, wenn sie für einen Augenblick durch irgend einen Fehltritt verloren ist, wieder herzustellen. Die Tatsache, daß das Fleisch in uns ist, macht das Gewissen nicht unrein; aber sobald jenes in uns wirksam ist, ist dieses unrein, und die Gemeinschaft ist unterbrochen. Es gibt zweierlei Arten von Reinigung: die Reinigung durc h Blu t un d di e durchWasser . Aus der durchbohrten Seite Christi floß Blut und Wasser.

 „Er ist gekommen" sagt der Apostel Johannes, „nicht mit Wasser allein, sondern auch mit Blut." Von dem Blut wollen wir hier nicht weiter reden. Es reinigt uns ein für allemal von allen Sünden; besprengt mit demselben stehen wir in Kraft seines 8 ewigen Wertes vor Gott. Von der Reinigung des Wassers haben wir die Lehre Christi Selbst in dem 13. Kapitel des Evangeliums Johannes. Am Anfang des Kapitels stellt der Herr das Verhältnis dar, in welchem Er Selbst jetzt zu Gott steht. Seine Stunde war gekommen, um zu dem Vater zu gehen.

 Er kam von Gott in göttlicher Reinheit und Er ging in derselben unverändert zurück. Der Vater hatte, Selbst auch zur Ehre des Herrn Jesu, alles Seinen Händen übergeben. Aber weder diese Seine Stellung, noch die vollkommene Bosheit der Menschen, indem Judas in diesem Augenblick im Begriff stand, Ihn zu verraten — ein Beweis, daß der erste Adam völlig unter der Kraft Satans war — nichts hat Seine Liebe für Seine Jünger geschwächt. Im Gegenteil, diese Liebe treibt Ihn, Seinen Jüngern in Betreff ihres Wandels auf der Erde den notwendigen Dienst zu leisten, auf daß sie mit Ihm in dieser Seiner Stellung teilhaben möchten, wie Er Selbst sagt: „Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen Teil mit mir."

 Da es sich nun darum handelte, Teil mit Christo zu haben, so wünschte der Eifer des Petrus, daß auch sein Haupt und seine Hände gewaschen werden möchten, weil er glaubte, daß er dadurch einen um so größeren Anteil an Christo erlangen würde. Und hieran knüpft sich eine wichtige Entwicklung dieser Lehre. — Die Waschung, wie wir aus anderen Stellen wissen, ist die Anwendung des Wortes Gottes durch die Kraft des Heiligen Geistes. „Auf daß er sie heiligte, indem er sie durch die Waschung mit Wasser durch das Wort reinigte" (Eph. 5, 26). Ebenso: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, welches ich zu euch geredet habe" (Joh. 15, 3). 

Die Stelle in Johannes 14, die wir in diesem Augenblick betrachten, erinnert an die Einweihung der Priester unter den Juden, die ein für allemal den ganzen Leib mit Wasser gewaschen hatten, und welche jedesmal, wenn sie Gott nahten, die Hände und die Füße waschen mußten. 

Es ist aber hier nötig zu bemerken, daß es sich, um mit Christo, als Er zu dem Vater ging, teilzuhaben, um ein himmlisches Hinzunahen handelt. Auch sind wir durch das Wort Gottes neugeboren und dieses Leben ist, wie wir gesehen haben, das Leben des auferstandenen zweiten Adams. Unsere moralische Reinigung ist das Wesen des himmlischen Lebens, und die Entwicklung dieses Wesens ist in dem Wort vollkommen dargestellt (vergl. Eph. 4, 20); weil Christus lebt, so leben auch wir — die Reinigung ist ein für allemal durch die Mitteilung dieses Lebens geschehen. Wer in dieser Beziehung gewaschen ist, ist für immer gewaschen; er lebt in der Kraft eines reinen Lebens, weil er in Christo gestorben und auferstanden ist. — In Wirklichkeit aber wandeln wir in irde9 nen Gefäßen in einer Welt, wo alles unrein ist. Und so oft unsere Füße sich verunreinigen ist unsere Gemeinschaft mit Gott unterbrochen. Die Reinigung eines aufs neue mitgeteilten Lebens ist nicht mehr nötig; aber die Gnade ist für uns stets wirksam. Christus bittet für uns, und der Heilige Geist, Seiner Fürbitte entsprechend, wendet das Wort auf unser Gewissen an.

 Er zeigt uns, was unrein ist und was unserer himmlischen Stellung, wo Christus in dem Lichte Gottes wohnt und wir in Ihm, nicht entspricht. Er demütigt uns, setzt durch das hineingebrachte Licht das Herz und das Gewissen in Bewegung, weckt in uns eine Sehnsucht nach der Heiligkeit Gottes, welcher Er uns teilhaftig macht, um von Seiner Gegenwart und Gemeinschaft zu genießen. Das Wort offenbart uns alle unsere Vorrechte und geistlichen Segnungen in den himmlischen örtern in Christo Jesu; es richtet alles in uns nach dem Maße des in uns verwirklichten Lichtes, und leitet uns in dem Wege des Herrn nach den Fußstapfen Jesu auf der Erde, wie auch geschrieben steht: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!" (Eph. 5,14). 

Der vollkommene Grundsatz dieses Lebens ist von Paulus mit diesen Worten ausgedrückt: „Allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragend, auf daß das Leben Jesu an unserem Leibe offenbart werde" (2. Kor. 4, 10); aber hier betrachten wir die Wiederherstellung, wenn wir gefehlt haben. So haben wir also drei Punkte betrachtet: In Betreff unserer Stellung sind wir durch das Blut Christi gereinigt, und durch den zerrissenen Vorhang in die Gegenwart Gottes hineingetreten,' jenseits des Kreuzes; und wir stehen in einem auferstandenen Christus vor Gott, oder vielmehr sitzen wir in himmlischen Örtern in Christo Jesu.

 — Teilhaftig Seines Lebens auf der Erde sind wir moralischerweise gereinigt, weil wir leben von dem Leben des Auferstandenen, — unser Leib ist ein für allemal gewaschen. — Weil wir aber auf der Erde wandeln, so beschäftigt Sich Christus mit uns nach Seiner Gnade, um unsere Herzen praktischerweise in einem Zustand zu erhalten, der dieser Gnade entspricht, oder diese Gemeinschaft mit Gott wieder herzustellen, wenn wir sie verloren haben. — 

Und schließlich fügen wir noch hinzu, daß es auch unser Vorrecht ist, dieselben Mittel bei unseren Brüdern anzuwenden, insofern als unsere Schwachheit es erlaubt, weil wir Priester mit Christo, dem großen Hohenpriester sind. „Ihr heißet mich Lehre r und Herr , und ihr saget recht; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ich habe euch 10 ein Beispiel gegeben, auf daß, gleichwie ich euch getan habe, auch ihr tut" (Joh. 13, 13-15). Wie köstlich ist es, indem wir die Notwendigkeit dieser Dienstleistung Christi, unsere Füße zu waschen und unsere stete Abhängigkeit von Ihm erkennen, von Seinem Munde die Worte zu hören: „Ih r sei d gan z rein! " (Nach einem Vortrag von J V D ) 

Der hebräische Knecht

(2. Mose 21, 1-7)',Es ist gewiß eine gesegnete Sache, sich Gott ganz und gar zum Dienste hinzugeben; aber von Natur sind wir völlig untüchtig dazu. Wenn ein Gedanke in Betreff des Dienstes in unsere Herzen kommt, so ist dieser oft mehr oder weniger mit einem Gefühl von Zwang begleitet, wie der Dienst bei einem harten und strengen Herrn. Und dies gehört mit zu den Dingen, welche zeigen, wie der Mensch so ganz von Gott getrennt ist- Blicken wir auf die Engel hin, auf jene Engel, welche sich „durch Hoheit auszeichnen"; sie sind „Täter seines Wortes und gehorchen der Stimme seines Wortes" (Ps. 103, 20).

 „Sind sie nicht alle dienstbare Geister, zum Dienst gesandt um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen?" (Hebr. 1,14). Der höchste Engel ist nur in der Stellung eines Knechtes; aber es ist eine gesegnete Sache zu dienen, und deshalb preisen auch sie Gott dafür. Jedermann weiß, wie peinlich der Gedanke an den Dienst dem natürlichen Herzen ist, und es wird auch erst dann aufhören, dies zu sein, wenn wir sehen, daß der Dienst mit, Freihei t verbunden ist. Wir sehen in dem Werk der Erlösung, daß wir fre i sind, und zwar frei zum Dienen . 

Dies ist die Frucht der Erlösung; wir sind frei, und um Seinetwillen ein Diener der Heiligen. Wenn wir nicht wüßten, daß wir frei wären, so würden wir uns nur selbst zu dienen suchen. Dies wird immer der Fall sein, bis wir das Werk der Erlösung verstehen: wie Gott uns errettet hat, und wie Jesus für uns dienet in den Himmeln. Ja, dies ist es, was uns Not tut, zu erkennen —• zu sehen, wie der Herr Jesus dient. Diese Verse in 2. Mos. 21, 1-7 sind eigentlich nicht ein Teil des Bundes.

 „Dies sind die Rechte, die du ihnen vorlegen sollst" (V. 1). In Psalm 19, Vers 7-11 werden uns verschiedene Dinge vorgestellt: — das Gesetz, das Zeugnis, die 11 Befehle, das Gebot, die Rechte. Unter diesem Letzteren verstehe ich Gottes Entscheidung über gewisse Punkte: „Die Rechte Jehovas sind Wahrheit, gerecht allzumal." Die erste Sache, über welche Gott hier in 2. Mos. 1, 7 entschieden hat, ist eine ganz besondere und betrifft den Dienst. „ S o d u eine n hebräische n Knech t kaufst... " (V. 2). 

Wenn er ein Gefangener war, so stand er in der Gewalt seines Herrn; aber dies Recht hier bezieht sich auf einen Menschen, welcher unter dem Gesetz war, und wir finden auch nicht, daß diese Satzungen in das Neue Testament gebracht sind. Der Apostel gibt nur eine einfache Anweisung in Betreff der Unterwürfigkeit eines Knechtes gegen seinen Herrn, sei dieser nun ein Gläubiger oder ein Ungläubiger. Diese Satzung hier aber ist auf jene angewandt, die unter dem Gesetz sind. Der Herr Jesus Christus ist uns vorgestellt als „geboren von einem Weibe" und „geboren unter Gesetz." 

Als geboren „unter Gesetz" verherrlicht Er es, und gibt ihm sein Ansehen. Das Gesetz, der Buchstabe, welcher sonst alle tötet, war nicht ein Buchstabe, der Ihn tötete. Es brachte die Antwort aus Seinem Herzen: „Ich komme, deinen Willen, o Gott, zu tun; ja dein Gesetz ist in meinem Herzen." Die Anwendung des Gesetzes auf das menschliche Herz offenbart nur die Feindschaft, welche in diesem ist; aber es gab keine Feindschaft in dem Herrn Jesu. Der Herr Jesus wurde also geboren unter Gesetz; Er erfüllte es völlig und zeigte dadurch, daß es ganz und gar heilig und gut war. Die Übertretung oder der Fehltritt hatte seine Ursache nur in dem, welchem es gegeben war und nicht in dem Gesetz. Es war „geschwächt durch das Fleisch."

 Ehe es Gott beiseite setzen konnte, mußte Er zuvor zeigen, daß das Gesetz gut war. Durch Christum ist aber das Gesetz weggetan worden, und auf diese Weise hat Er einen freien Weg für die Liebe Gottes bereitet, um zu uns zu kommen. Andererseits finde ich den Herrn Jesum dargestellt als einen treue n Knecht : „Siehe meinen Knecht, den ich unterstütze, meinen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat! ich habe meinen Geist auf ihn gelegt; Er wird das Recht den Nationen verkündigen" (Jes. 42,1).

 Und wiederum: „Höret auf mich, ihr Inseln, und merket auf, ihr Völker in der Ferne! Jehova hat mich von Mutterleibe an gerufen, vom Schoß meiner Mutter an hat er meinen Namen genannt. Und er hat meinen Mund gemacht gleich einem scharfen Schwert; unter dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt; und er hat mich zu einem glatten Pfeil gestellt, in seinen Köcher hat er mich geborgen. 

Und er hat zu mir gesagt: Du bist mein Knecht; Israel, durch welchen ich verherrlicht werden soll" (Jes. 49, 1-3). Er ist hier vor 12 uns gestellt als der Knecht Jehovas, und also sprach Er beständig von Sich Selbst: „Ich kann nichts von mir selber tun; so wie ich höre, richte ich, und mein Gericht ist gerecht: denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat" (Joh. 5, 30). Dies ist gerade der rechte Platz des Knechtes, — der Herr Jesus sprach immer so, wie es die Worte Seines Herrn waren.

 „Welcher, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für eine Beute hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist" (Phil. 2, 6. 7). Er erniedrigte Sich Selbst, um ein Knecht zu werden, und es war gesegnet, daß Er es tat; denn wäre Er in Seiner wahren Würde gekommen, so hätte Er nie sagen können: „Ic h bi n unte r euc h als ei n Diener ; nie hätte er unsere Füße waschen können. Seine wahre Würde brach dann und wann hervor; aber das Geheimnis der Loskaufung (Erlösung) ist, daß der ewige Sohn des Vaters, der Knech t Jehova s und der Knech t unsere r Bedürfniss e geworden ist. Dies ist es, in welches die Engel hineinzuschauen begehren, und worüber die Propheten so fleißig nachgesucht und nachgeforscht haben, nämlich: „die Leiden, die auf Christum kommen sollten, und die Herrlichkeit darnach" (1. Petr. 1, 10-12). 

Er war der „hebräische Knecht" und der treue Diener, welcher seine Zeit Dem diente, Dessen Diener zu sein, Er gekommen war; und Er hätte sagen können: „Jetzt kann ich frei ausgehen; ich habe meine Zeit gedient und deshalb kann ich frei ausgehen" (2. Mos. 21,2); und in der Tat, Er sagte: „Vater, ich habe dich auf der Erde verherrlicht; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte. Und jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war" (Joh. 17,4. 5). Er hätte nach diesem Rechte handeln und für Sich Selbst ausgehen können. Und nach dem jetzigen Resultat schien Sein ganzer Dienst vergeblich zu sein, wie geschrieben steht: „Vergebens habe ich mich gemüht, umsonst und um nichts meine Kraft verzehrt; aber mein Recht ist bei Jehova und mein Lohn bei meinem Gott" (Jes. 49, 4). Aber was war Seine Antwort?

 „Und nun, spricht Jehova, der mich von Mutterleibe an gebildet hat zu seinem Knecht, um Jakob wieder zu ihm zurückzubringen, — aber Israel wird sich nicht zu ihm versammeln lassen; — dennoch bin ich verherrlicht worden in den Augen Jehovas und mein Gott wird meine Stärke sein." Weiter sagt Er: „Zu gering ist es, daß du mir ein Knecht sein sollst, um zuzurichten die Stämme Jakobs, und die Geretteten Israels zu13 rückzuführen: Ich habe dich auch gegeben zu einem Lichte der Nationen, um mein Heil zu sein, bis ans Ende der Erde" (Jes. 49, 5. 6). 

Sein ganzer Dienst schien verworfen zu sein: „Obgleich er so viele Zeichen unter ihnen tat, so glaubten sie doch nicht." Sie sagten, Er wäre Beelzebub, der Freund der Zöllner und Sünder; und zuletzt kreuzigten sie Ihn. Er kam aus Sich Selbst und Er hätte auch wieder aus Sich Selbst gehen können. Er war der einzige, welcher immer „i n da s Leben " durch das Halten der Gebote „eingehen " konnte; Er hatte ein Rech t in das Leben einzugehen. — Das Gesetz vermochte nichts, um einen Menschen zu segnen; es versprach dem Gehorsam das Leben: „Der Mensch, welcher dieses tut, wird darin leben."

 Der Herr Jesus allein hat das Leben durch Gehorsam geerntet, indem Er jedes Jota und Strichlein des Gesetzes erfüllte; und Er hätte frei ausgehen können; aber Er wollte es nicht und zwar aus dem hier angegebenen Grunde: „Wenn sein Herr ihm ein Weib gibt und sie gebäret ihm Söhne oder Töchter, so soll das Weib und ihre Kinder dem Herrn sein, und er soll ausgehen für sich. Wenn aber der Knecht spricht: Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Söhne; ich will nicht frei ausgehen! so bringe ihn sein Herr vor Gott und stelle ihn an die Tür oder an den Pfosten, und sein Herr durchbohre sein Ohr mit einem Pfriemen, daß er ihm diene auf ewig" (2. Mos. 21, 4-6).

 Als Jesus nach Seiner Verwerfung durch die Hohenpriester und Pharisäer (Joh. 12, 10-19) von dem Wunsche der Griechen, welche Ihn zu sehen begehrten, hörte, sagte Er: „Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen soll verherrlicht werden, Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viel Frucht" (Joh. 12, 23. 24). 

Und Er war das einzige Korn des wahren Weizens. Wäre Er nicht gestorben, so würde Er allein geblieben sein, zwar herrlich in Sich Selbst, aber Er würde keine Frucht gehabt haben. Er hätte „frei ausgehen" können, aber es würde nur für Ihn gewesen sein; Er hätte in das Leben eingehen können, aber Er wäre allein geblieben. Doch deshalb war Er nicht gekommen; Er war gehorsam bis zum Tode, um die „Arbeit seiner Seele zu schauen", um „viele Söhne zur Herrlichkeit zu bringen" — um Sein Weib und Seine Kinder zu haben. Dies war eine freiwillige Handlung; weil Er frei war, so war Er frei zu dienen. Er ist der Eine, welcher gekommen ist und hat Sein Ohr durchbohren lassen, um für immer zu dienen. — Laßt uns dies ein wenig näher betrachten. Der Herr Jesus Christus, zur rechten Hand der Majestät 14 in der Höhe, ist auch dort noch wie ein Diener; und wenn Er ganz und gar in Herrlichkeit kommt, so wird Er immer noch ein Knecht sein. Ich habe nicht nötig zu sagen, wie der Herr Jesus stets von Sich in einem unterwürfigen Charakter spricht, und daß dieses freiwillig ist. 

Er kam nicht in Seinem eigenen Namen, sondern im Namen Dessen, welcher Ihn gesandt hatte. Sie wollten Ihn mit Gewalt nehmen und zum König machen (Joh. 6); aber Er wollte weder in ihrem, noch in Seinem eigenen Namen König sein. Als Jehovas Knecht war Er auch Dessen König; und als sie Ihn nicht empfangen wollten, als kommend von Gott, so wollte Er gar nicht empfangen sein. Wir empfangen Ihn nicht, es sei denn, daß wir Ihn als Christ Gottes empfangen. 

Wir lesen im Vers 5: „Wenn aber der Knecht spricht: Ich liebe meinen Herrn ... " O wie einfach sprach der Herr Jesus dieses aus, als er rief: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht mein , sondern dein Wille geschehe." — Der wahre Charakter eines Knechtes offenbart sich darin, daß er nicht seinen eigenen Willen tut. Es war die Liebe, welche Jesus zu Dem hatte, von welchem Er gesandt war, die Ihn in den Tod brachte, wie Er auch sagt: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf daß ich es wiedernehme.... dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen" (Joh. 10, 17-19). Geliebte, wir sind dadurch geheiligt, daß Er den Willen Dessen getan, der Ihn gesandt hat — „durch welchen Willen wir geheiligt sind, durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi." Er sagt: „Siehe, ich komme zu tun, o Gott, deinen Willen! —

 Er will den Willen Gottes tun, mag es kosten was es will. Er war frei, in die Herrlichkeit zu gehen, welche Er „bei dem Vater hatte, ehe die Welt war"; aber Er wollte nicht frei ausgehen. „Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder"; ich will nicht frei ausgehen. Es war Liebe, welche Jesum in Seinem Werke an das Kreuz trieb. Von diesem Gesichtspunkt aus finden wir Jesum, den Willen Jehovas tuend; aber von einer anderen Seite ist Je -
hovas Schwert erweckt „gegen den Mann seinesgleichen." In dem einen Sinn ist der Tod Jesu am Kreuze das „Brandopfer", die Darbringung eines lieblichen Geruches; in einem andern das „Sündopfer", welches außerhalb des Lagers verbrannt wurde. Das Herz Jesu konnte nicht befriedigt sein, es sei denn, daß Er Sein Weib und Seine Kinder bei Sich hatte, und zwar da, wo Er war; und deshalb mußte Er Seinen Dienst in den Tiefen des Tcdes vollbringen. — „Wen n sei n Her r ih m 15 e i n Wei b gegebe n hat... " Die Braut ist Jesu gegeben, gerade so wie Gott dem Adam ein Weib gab. Wir können nie die Liebe des Vaters hierin trennen. Wir sehen in Betreff der Versammlung die Gab e des Vaters an Je -
sum, und die Lieb e Jesu für sie, indem Er Sich für sie hingab. So ist es mit den Schafen (Joh. 10); sie sind die Gabe des Vaters an Jesum; und Jesus der gute Hirte hat Sein Leben für sie gelassen. 

Wenn Er Sein Weib liebt, so muß Er für sie dienen. Jakob diente eine lang e Zei t für ein Weib; aber der Herr Jesus dient für immer. Er ist der beständige Diener in der Versammlung; — wie Er sie gewonnen hat, wie Er für sie gestorben ist, so dient Er ihr jetzt. Und so ist es mit den Kindern: — „Ic h lieb e meine Kinder... Siehe, ich und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat." Weil Er das Weib liebte, weil Er die Kinder liebte, darum dient Er für immer. In Seinem persönlichen Dienst war Jesus, als Er auf Erden war, aller Diener; Er ging immer umher und tat Gutes; aber immer in dem Namen Seines Vaters. Kurz vor Seinem Ausgang aus der Welt sehen wir, daß, „da Er die Seinigen in der Welt geliebt hatte, liebte er sie bis an das Ende. Und während des Abendessens, als der Teufel in das Herz des Judas, Sohn Simons des Ischariot, gegeben, daß er ihn überliefere, — steht Jesus, — wissend, daß der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte, und daß er von Gott ausgegangen war, und zu Gott hingehe, — von dem Abendessen auf und legte die Oberkleider ab und nahm ein Leintuch und umgürtete sich. 

Darauf gießt Er Wasser in das Waschbecken und fing an die Füße der Jünger zu waschen" (Joh. 13, 1-5). Wir finden Ihn den niedrigsten Dienst verrichten. Es war der Dienst der Liebe; und wie unterwürfig machte Ihn Seine Liebe! Wenn ich gefragt werde, ob Jesus jetzt dient, so antworte ich „ja"; Er wäscht Seinen Jüngern die Füße. „Wenn nun ich, der Herr und Lehrer, euch die Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf daß, gleichwie ich euch getan habe, auch ihr tut (V. 14, 15). — In der Fußwaschung des Herrn haben wir das Beispiel Seines eigenen willigen Dienstes in der Versammlung — in der Tat ein Beispiel für uns; aber zugleich auch eine Probe Seines Dienstes, während wir jetzt durch diese elende, schmutzige Welt wandeln. 

Es ist nötig, daß unsere Füße gewaschen werden, und Christus tut dieses kraft Seines priesterlichen Dienstes für uns. Er hält noch immer den Platz dieses Dienstes inne, zu welchem Er Sich aus Liebe für Seinen Herrn, aus Liebe für Sein Weib und aus Liebe für Seine Kinder verpflichtet 16 hat. Aber sicherlich ist Er auch unser Herr und unser Meister; wir können Ihn „Herr " nennen, als „Herrn " Ihn bekennen, als „Herrn " zu Ihm beten; und -wir sehen also, daß der Eine, welcher „alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt", derselbe ist, welcher täglich unseren Bedürfnissen dient. Er hat Sein Ohr an dem Türpfosten durchbohren lassen — Er ist ein Diene r fü r immer . Der Herr der Herrlichkeit ist fähig zu dienen. 

Er hat es nicht nötig, Selbst bedient zu werden. Man denkt immer daran, daß Gott nötig habe, bedient zu werden, anstatt die wunderbare Sache zu sehen, daß Er uns zu dienen wünscht. In Lukas Kap. 12 finden wir, daß dieser Dienst fortgesetzt wird, wenn der Herr Jesus Christus in Herrlichkeit kommt: „Es seien eure Lenden umgürtet und eure Lampen brennend. Und ihr seid gleich den Menschen, die ihren Herrn erwarten, wenn er irgend von der Hochzeit aufbrechen wird, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald aufmachen. Glückselig jene Knechte, welche der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich umgürte n und sie sich zu Tische legen lassen, und wird hinzutreten und wird sie bedie -
nen. " Niemand wird dann fähig sein, Ihn als Sohn und Ihn in Seiner Hoheit zu leugnen; aber auch dann noch ist Er der Diener . Ich denke nicht daran, zu erklären, wie dieser Dienst sein wird, sondern nur zu zeigen, daß er wirklic h stattfindet . Es ist unser gesegnetes Teil, I h m zu dienen; aber unsere Sicherheit ruht darauf, zu wissen, daß Er u n s dient; und es wird Seine Freude sein, diesen Charakter als Diener, in welchem Er freiwillig kam, auch dort noch zu bewahren. Dies gibt uns auch den Grund des Dienstes zu erkennen. Wenn in vielen Heiligen der Wunsch erwacht, zu dienen, so Hegt die Gefahr nahe, den Grund der Gnad e zu verlieren. Wir sind leicht geneigt, zwischen Dienst und Herrlichkeit eine Verbindung zu machen, anstatt zu sehen, daß die Verbindung zwischen Gnad e und Herrlichkei t ist. 

Das Blu t ist unser Rech t auf die Herrlichkeit, ebenso wie es uns gesegnet, wie es uns erlöst hat. Ich sehe in der unzähligen Menge, welche den Thron umgeben, daß sie wegen des „Blute s de s Lammes " dort sind. Der Diener verbirgt sich selbst; er setzt sich selbst immer beiseite,, damit der Herr zum Vorschein kommt. Die größte Gefahr in irgend einem Dienst, welchen wir zu erfüllen fähig sind, ist die, daß wir selbst zum Vorschein kommen. Josua war ein Knecht des Moses; er blieb in dem Zelt außerhalb des Lagers (2. Mos. 33, 11). Und wie wenig hervorragend erscheint er. Josua ist verborgen und Moses ist der Handelnde. Unsere Stellung im Dienste wird nach Gottes Weisheit immer ein Platz der Versuchung für uns sein, obgleich es auch ein Platz des Trostes ist. So war es mit dem Herrn. Er tat immer die Dinge, welche dem Vater wohlgefielen, und also wurde seine Liebe geprüft. 

Er hatte Sein Angesicht gleich „einem Kieselstein zu stellen" (Jes. 5, 7). Unser Dienst ist nicht gelegentlich , sondern beständig . Wenn wir in der Stellung des Dieners sind, so ist es darum, weil wir Söhne sind. Das Ohr ist „geöffnet von einem Morgen zum andern." Die häuslichen Pflichten sind als Dienst des Herrn aufgenommen, — Er wird darin verherrlicht. Der Dienst, worin wir am meisten fehlen, besteht in der häuslichen Gottesfurcht. Viele wünschen mehr Zeit zu haben, um dem Herrn zu dienen; aber warum machen wir nicht alles, was wir tun, zu Seinem Dienste? — „Ihr dient dem Herrn Christo." Die Quelle unseres Dienstes ist die Liebe zum Herrn. Paulus sagt: „Von allem frei seiend, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht." Ich kann frei ausgehen; aber ich „liebe meinen Herrn" und darum will ich Ihm dienen. 

Es ist der Dienst der Lieb e und nicht der Pflicht . „Wir sind", es ist wahr, „nicht unserer selbst; denn wir sind um einen Preis erkauft; darum laßt uns Gott verherrlichen an unserem Leibe" (1. Kor. 6, 20). Aber der Herr wendet Sich nicht mit diesem Recht an uns; Er sagt: „Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote." Gott liebt einen fröhlichen Geber, weil Er Selbst ein fröhlicher Geber ist. Viele sagen: Ich wünsche dem Herrn mehr dienen zu können. Wohlan, laßt eure Seelen tiefer in Seine Liebe eindringen, und dann werdet ihr Ihm dienen; aber es kann der Dienst von einer Art sein, welche wir nicht lieben, weil wir zu oft dienen, um uns selbst zu erheben. Der Herr sagt: „Daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt." „Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen; allein gebraucht die Freiheit nicht als Anlaß für das Fleisch, sondern durch die Liebe dienet einander" (Gal. 5,13). 

Sobald ich mit einer Forderung komme, lähme ich die wahre Kraft des Dienstes. Unser gegenseitiger Dienst kann nur die Liebe als Quelle haben. Ich glaube, daß dies stets mein Gefühl sein muß: ich bin in jedem Heiligen ein Schuldner, weil der Herr mich durch Seine Gnade freigemacht hat, ja in der Tat frei. Wenn die Heiligen in der Herrlichkeit sind, so werden sie noch im Dienst sein; sowohl im Dienst der Welt, als auch im Dienst des Herrn. „Seine Diener werden ihm dienen." — 18 Gerade so, wie Ihm jetzt die Engel dienen, so wird dann der sichtbare Dienst der Heiligen sein. — Wie sehr sind wir geliebt durch den Diener unserer Bedürfnisse — wie hat Gott in Seiner Liebe Seinen Sohn für uns gegeben — wie hat Je -
sus uns gedient •— wie dient Er uns noch — wie wird Er uns immer dienen!— Die wahre Quelle des Dienstes in der Versammlung kann nur Liebe sein. In Jesu haben wir das Muster eines vollkommenen Dieners. Wie gesegnet ist es, zu dienen — zu dienen, nicht dem eigenen Willen, sondern um Seinen Willen zu tun! Der Dienst in der Versammlung macht uns nie zu einem Gegenstand der Verehrung unter den Menschen — er machte auch de n vollkommene n Diener nicht dazu; — aber es steht geschrieben:

 „Er wird emporsteigen und sich erheben und sehr hoch sein" (Jes. 52,13). Und welch ein gesegneter Gedanke — welch ein Gedanke von Gnade, jemand traurig zu sehen über seinen- geringen und unnützen Dienst und ihn am Tage der Herrlichkeit mit diesen Worten angeredet zu hören: „Wohl dir, du guter und treuer Knecht, gehe ein zu deines Herrn Freude!" Möge der Herr uns befreien, Geliebte, von dem gesetzlichen Dienst und uns leiten zu diesem glücklichen und gesegneten Dienst, nach dem Recht des hebräischen Knechtes! (Words of truth) 

Kein Gewissen mehr von Sünden (Hebr. 10) 

Der Zweck der Erlösung ist, uns in die Nähe Gottes zu bringen, wie geschrieben steht: „Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf daß er uns zu Gott führe" (1. Petr. 3,18). Aber was ist unser Zustand vor Gott, wenn wir so nahegebracht sind? Es ist von großer Wichtigkeit, dies recht zu verstehen. — Wir könnten unmöglich in der Gegenwart Gottes glücklich sein, wenn wir noch irgendwie denken müßten, daß Er gege n uns wäre. Ich habe die völlige und bestimmte Versicherung nötig, daß vor Ihm keine Sünde mehr auf meinem Gewissen ist. Das Gefühl der Verantwortlichkeit macht immer einen Menschen höchst unglücklich, solange es sich um die Frage der Sünde, als gegen uns seiend, handelt. Denken wir an das Verhältnis eines Knechtes und seines Herrn, oder an das eines Kindes und seiner Eltern — sowohl das Gewissen des 19 Knechtes, als auch das des Kindes wird immer unglücklich sein bei dem Gefühl, daß etwas auf demselben liegt, was gerichtet wird. 

So muß die Gegenwart Gottes in der Tat schrecklich sein, bis das Gewissen vollkommen gut, d. h. völlig gereinigt ist. Wenn es hier wirklich Freude für mich gibt, so kann es nur in dem Gefühl Seiner Gunst und in der völligen Versicherung sein, daß der einmal gereinigte Anbeter kein Gewissen mehr hat von Sünde. Gott redet zu uns nach Seine n Gedanken über unsere Stellung, wenn diese auch nicht di e Erfahrunge n unseres Herzens sind. Es ist ein Unterschied zwischen der Wirkung des Geistes Gottes, u m mic h z u Jes u zu bringen , indem Er mir von der Liebe Gottes und dem Werk Christi Zeugnis ablegt, und Seiner Wirkung in meiner Seele, um die Liebe Gottes in mir hervorzubringen. Der Gegenstand meiner Erfahrung ist das, wa s i n meine r Seel e hervorgebracht wird; während das, was mir Frieden gibt, Sein Zeugnis vo n de m Werk e Jes u ist. 

Ein Christ, welcher an der Liebe des Vaters zu ihm zweifelt, und in dem, was in seinem eigenen Herzen vorgeht, Frieden sucht, der zweifelt an der Wahrheit Gottes. Das Evangelium ist die Offenbarung Gottes, welche Er von Sich Selbst gegeben hat; es offenbart die Liebe Gottes gegen uns, und das, was in Seine m Herzen ist. Ich darf dem Zeugnis von dem, was in dem Herzen Gottes ist, trauen und nicht dem, was ich von mir selbst denke. Der Apostel sagt: „Denn Christus, da wir noch schwach waren, ist zu seiner Zeit für Gottlose gestorben." 

Es ist fast immer wahr, daß es in unserer Seele einen schrecklichen Prozeß gibt, um das Herz zu brechen, damit wir zu der Überzeugung gebracht werden, daß wir verlorene und zugrunde gerichtete Sünder sind; und das Evangelium beruft uns in dieser Stellung, damit wir die Freude und den Frieden dessen erfahren, was für uns im Herzen Gottes ist. Man hätte denken sollen, die Vertreibung Adams aus dem Paradiese, wegen seiner Übertretung, würde eine genügende Warnung gewesen sein; allein sein Erstgeborener war ein Mörder. Wir würden vorausgesetzt haben, daß die Schrecken des Gerichts der Sündflut, welche die Gottlosen vertilgte, dem Ausbruch der Sünde wenigstens für eine Zeit Einhalt getan hätten; allein wir finden unmittelbar nachher den Noah betrunken, und sehen den Ham seinen Vater entehren. 

Das fressende Feuer auf Sinai, welches sogar den Moses mit Furcht und Zittern erfüllte, schien genügend zu sein, um die rebellischen Herzen zu unterwerfen und der Hand Gottes untertänig zu machen; allein das goldene Kalb war das traurige Zeugnis, daß das Herz des Menschen sehr 20 betrügerisch und verzweifelt böse ist. — „Ein schlechter Baum bringt schlechte Früchte hervor"

 •— war das einzige Bild, wodurch Gott das Volk Israel bezeichnen konnte. Er mochte soviel um dasselbe graben und es bedüngen als Er wollte, — es konnte doch nach all dieser Mühe nur schlechte Früchte hervorbringen. Zuletzt sagte Er: „Ich habe noch einen Sohn; vielleicht werden sie meinen Sohn scheuen"; aHein der Mensch zog vor, die Welt für sich zu haben und kreuzigte Jesum. Und im Angesicht Seines Kreuzes sagt Jesus: „Jetz t ist das Gericht dieser Welt" (Joh. 12). Bei der Kreuzigung wurde der Vorhang mitten entzweigerissen und das Heiligtum geöffnet. Das, was Gott hinter dem Vorhange war, strahlte jetzt in seiner ganzen Fülle aus. Wenn die Gnade mir dieses offenbart, so bekomme ich Vertrauen. Ich sehe, daß Gott heilig ist und daß Er Heiligkeit erwartet, das ist wahr; aber der Friede Gottes ist, zu wissen, was Er u n s ist, und nicht, was wir Ih m sind. Er kennt das ganze Übel unserer Herzen; nichts kann schlechter sein, als die Verwerfung Jesu. 

Die Feindschaft des Menschen und die Liebe Gottes haben sich am Kreuze in ihrer ganzen Fülle gezeigt. Der elende Soldat, welcher in schrecklicher Schlaffheit des Gewissens ungestraft den demütigen und niedrig gesinnten Jesus in Übermut behandeln konnte, öffnete Seine Seite mit einem Speer und ließ in dieser schändlichen Tat das Wasser und das Blut, welches fähig war, gerade einen solchen, wie er war zu reinigen, herausfließen. Hier wurde das Herz Gottes offenbart, was es für den Sünder ist; und dies ist unsere Rettung. Tod und Gericht verkünden mir meine Erlösung. Gott richtet die Sünde in der Tat in dem Opfer Seines vielgeliebten Sohnes; um die Sünde hinwegzutun, mußte sie gerichtet sein. 

Der Schlag traf Jesum; und dies zerriß den Vorhang und offenbarte, was Gott wirklich ist. Derselbe Schlag, welcher von der Heiligkeit Gottes ausging, nahm die Sünde weg, welche von Seiner Heiligkeit gerichtet wurde. Die völlige Gewißheit der Liebe Gottes und die völlige Reinigung des Gewissens ist das, was der unreine und zitternde Sünder bedarf. Durc h di e Gnad e Gotte s hat Jesus Christus den T o d geschmeckt" ; — der Tod, die Wogen der Sünde, ist in dem Kreuze Jesu, als das Ergebnis „der Gnade Gottes" gesehen worden. — 

„Speise ging aus von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken." Wenn irgend jemand von mir einen Beweis der Liebe Gottes forderte, so könnte ich ihm keinen größeren geben, als Gott Selbst gegeben dadurch, daß „er seinen eigenen Sohn nicht geschont hat." Aber es könnte gefragt werden: Wird meine Sünde dies nicht ent21 kräften? Nein, Gott kannte alle unsere Sünden, und Er hat für alle vorgesehen. — „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt von aller Sünde." Um wirkliche Gemeinschaft zu haben, muß das Gewissen gereinigt sein; es kann keine Gemeinschaft stattfinden, wenn die Seele nicht im Frieden ist. Wir lesen in Hebräer 10,14: „Durch ein Opfer hat er au f immerda r die, welche geheiligt werden, vollkomme n gemac h t." Es wird sehr oft das, was der Glaube hervorbringt , und das, worin der Glaube ruht , miteinander verwechselt. Der Glaube ruht immer auf Gottes Zeugnis von dem Blut Jesu, wie Er es in Seinem Worte geoffenbart hat; er ruht aber auf keiner Erfahrung. Jesus sagt: „Siehe , ic h komm e u m deine n Wille n z u tun ! — durc h welche n Wil -
l e n wi r geheilig t sind , durc h da s ei n fü r allema l (geschehene ) Opfe r de s Leibe s Jes u Christi. " „Wir sind geheiligt";— das ist nicht etwas, das wir zu erreichen trachten sollen; es war der gute Wille Gottes, dies zu tun; und das Werk, unsere Seelen zu Ihm zurückzubringen, ist geschehen. Jesus hat gesagt: „Es ist vollbracht!" Aber wir müssen auch Erkenntnis hiervon haben, wenn es sich für uns wirksam erweisen soll. Es könnte jemand willig sein, unsere Schulden zu bezahlen, ja, Er könnte sie schon bezahlt haben; aber solange wir dieses nicht wüßten, würden wir ebenso unglücklich sein wie vorher. Wir sind nicht berufen an eine Verheißung zu glauben, nach welcher Jesus sterben und wieder auferstehen soll; das Werk ist getan.

 „Er hat sich für immerdar zur Rechten Gottes gesetzt", „nachdem er durch sich selbst unsere Sünden gereinigt hat"; und damit ich wisse n sollte, daß das Werk getan ist, sandte Er den Heiligen Geist hernieder, um zu bezeugen, daß Gott befriedigt ist. Gott kannte vollkommen die Größe unserer Schuld, und dennoch hat Er erklärt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeit werde ich nicht mehr gedenken" ; und der Glaube ruht auf diesem Wort: „Gott ist wahrhaftig!"— „Wer sein Zeugnis angenommen hat, der hat versiegelt, daß Gott wahrhaftig ist" (Joh. 3, 33). Der Herr sagte in Betreff des Blutes des Passa-Lammes zu Israel in Ägypten: „Wenn ich das Blut sehe, so will ich vorübergehen." Hätten wir wohl dort in einem Hause, wo die Türpfosten mit diesem Blut bezeichnet waren, Bedenken haben können? Würden wir nicht überzeugt gewesen sein, daß er vorübergehen werde? Der Glaube ist immer göttliche Gewißheit. Gott hat gesagt: „Ich werde keine r Sünd e meh r gedenken." 

Dies ist der Grund, auf welchem wir in das Heilig22 tum eingehen. „Der einmal gereinigte Anbeter hat kei n Gewisse n meh r von Sünden." Gott hat Seine Ruhe in Jesu gefunden, und unser Friede und unsere Freude beruhen auf der Erkenntnis hierüber. Gott ruht in Seinem Sohne, und nicht nur in Seinem Leben, obgleich dies völlig heilig war, sondern in Seinem Werk am Kreuze; und dies könnte nicht sein, wenn noch irgend etwas in Betreff unserer Sünde nötig wäre. Gott wurde inde m Mensche n verherrlicht, wie Er i n de m Menschen , dem ersten Adam verunehrt worden war. Christus hat dieses alles beseitigt: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm." Gott hat das Werk des Sohnes anerkannt und Ihn verherrlicht.

 Er ruht in Ihm und wir ruhen dort gleicherweise durch den Glauben. Dies weiß ich durch das wahrhaftige Zeugnis Gottes. Hast Du mein lieber Leser in dieser Ruhe Gottes auch Ruhe gefunden? Wo nicht, so wisse, daß Du sie vergeblich in Deinem eigenen Herzen suchst; nimmer wirst Du sie darin finden. Sie ist nur in Jesu, und Jesus sagt: „Kommet her zu mir, und ich werde euch Ruhe geben." — O möchten doch alle die vollkommene Ruhe hier gefunden haben! (Übersetzt) Leben ist für mich Christus (Phil. 1, 21) Ehe wir daran denken können als Christ zu wandeln oder als solcher in einem gesegneten Dienst voranzugehen, ist es nötig, daß wir über unser Verhältnis mit Gott klar und gewiß sind.

 Solange uns diese völlige Gewißheit mangelt, so lange ist auch das eigene Herz nicht befriedigt und in dieser Stellung ganz unfähig, anderen zu dienen. Vielmehr laufen wir dann Gefahr, diesen Dienst als ein Mittel anzusehen, unser Verhältnis mit Gott zu schaffen oder es sicher zu machen; und ein solcher Dienst ist nicht allein ganz und gar vor Gott verwerflich, sondern wir verlieren auch den Boden der Gnade in Christo Jesu, worauf unser Verhältnis mit Gott allein gegründet sein kann. Sind wir über dies Verhältnis nicht völlig gewiß, so haben wir nötig, anstatt zu dienen, bedient zu werden, um zu der Frei -
hei t de r Kinde r Gotte s zu gelangen; denn in dieser Stellung sind wir allein fähig, als Diene r Christ i zu 23 wandeln. Gewiß ist es wahr, daß wir, wenn wir auch völlig befreit sind, auf dem ganzen Wege durch diese arme und elende Wüste des Dienstes unseres Herrn Jesu Christi bedürfen, und das Bewußtsein, daß Er unserer allezeit in dienender Liebe gedenkt, daß Er stets mit mehr als mütterlichem Herzen für uns bemüht ist — nicht nur als Hohepriester im Heiligtum vor Gott, sondern auch als Sachwalter oder Fürsprecher bei dem Vater, — ja, dies Bewußtsein macht unser Herz auf dem ganzen Wege ruhig und getrost. Ebenso bedürfen wir als Glieder des Leibes Christi des Dienstes der übrigen Glieder dieses Leibes, um „in Allem zu wachsen, zu ihm hin, der das Haupt ist — der Christus ... " (Eph. 4, 15. 16). 

Aber dies ist etwas anderes, als bedient zu werden, um über sein persönliches Verhältnis mit Gott Gewißheit zu erlangen. Wenn ich aber völlig verstanden habe, was Christus fü r mic h ist, wenn ich den Wert und die Kraft Seines Blutes vor Gott fü r mic h kennen gelernt und an meinem eigenen Herzen erfahren habe, wenn ich mich durch den Glauben mit Ihm, als dem Auferstandenen, in der Kraft des Lebens ein s weiß, und von Seinem fortwährenden Dienst für mich in allen meinen Bedürfnissen überzeugt bin — dann bin ich zubereitet, als Christ zu wandeln und Ihm zu dienen; ja dann bin ich fähig, in einem freien und glücklichen Dienst voranzugehen. Doch möchte ich noch auf einen anderen Gegenstand in Betreff des Dienstes für einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit richten. Sind wir auch fähig gemacht, dem Herrn zu dienen, so ist weiter für uns nötig, zu wissen, was Sein Will e ist, damit wir allezeit das vor Ihm Wohlgefällige tun. In vielen Stellen der Heiligen Schrift werden wir aufgefordert zu prüfen, was der wohlgefällige Wille Gottes sei, und werden zugleich darauf aufmerksam gemacht, was nötig ist, um zu einer solchen Prüfung fähig zu sein.

 „Wandelt als Kinder des Lichts... prüfend , wa s de m Herr n wohlgefälli g sei " (Eph. 5; 9. 10). Und wiederum: „Handelt nicht dieser Welt gemäß, sondern werdet durch die Erneuerung eures Sinnes verwandelt, da ß ih r prüfet , welche s de r gute , de r wohlgefällig e un d vollkommen e Gotteswill e sei " (Röm. 12, 2). — Hier sehen wir, was wir zu einer solchen Prüfung bedürfen: Nüchternheit des Herzens und ein Verwandeltwerden durch unsere in Christo Jesu erneuerte Gesinnung. In dem Maße als ein weltlicher und fleischlicher Sinn in uns wirksam ist, mangelt uns auch das Vermögen, zu prüfen, was der wohlgefällige Wille Gottes ist; wir sind nicht fähig, ihn zu erkennen. Es wird leider so wenig hieran gedacht, und deshalb gibt es auch soviel Ungewißheit und Unsicherheit in 24 dem praktischen Leben der meisten Christen; es fehlt ihnen vielfach das Bewußtsein, ob sie auch wirklich nach dem wohlgefälligen Willen Gottes einhergehen. Wenn es auch hie und da unter den Heiligen nicht an Eifer und an einem Beschäftigtsein in christlichen Dingen fehlt — obgleich man jetzt fast überall viel Schlaffheit und Trägheit, verbunden mit Weltsinn, wahrnimmt —• so ist es doch meistens ein Wirken nach eigenem Gutdünken. 

Man ist zufrieden, wenn das Tun nur als ein christliche s Wer k bezeichnet werden kann, wenn es irgendwelche Ähnlichkeit mit einer Wahrheit in der Heiligen Schrift hat und oft geht man nicht einmal so weit. Doch am allerwenigsten wird darnach gefragt, ob es vor Gott wohlgefällig ist, — eine Frage, die sich doch so ganz und gar für uns geziemt. Ach wie betrübend muß es für einen Vater sein, wenn er seine geliebten Kinder, die er mit so vieler Liebe und Mühe erzieht, stets nach eigenem Gutdünken und ohne das Gefühl der Abhängigkeit von ihm handeln sieht. Gewiß, wenn ein Christ in dieser Gesinnung vorangeht, wenn er glaubt, es sei genug, seiner christlichen Erkenntnis und Überzeugung gemäß zu handeln, so handelt er, selbst wenn er mit allem Eifer darin vorangeht, nach den Grundsätzen der Welt. Wir müssen auch wohl beachten, daß wir hier nicht aufgefordert sind, zu prüfen, ob wir ein gutes und christliches Werk tun — wie es freilich in anderen Schriftstellen der Fall ist — sondern zu prüfen, ob das, wa s wir tun und wi e wir es tun, der gute und wohlgefällige Wille Gottes sei. Wir sind leider zu sehr geneigt, uns damit zu begnügen, ja uns sogar darin zu gefallen, wenn unsere Handlungsweise unseren eigenen Beifall hat, und das ist alles andere als Abhängigkeit von Gott. Mögen wir nun aber unseren Weg zurücklegen wie wir wollen, wir sind stets als Kinde r Gottes verantwortlich, und einem Kinde geziemt Gehorsam und das stete Bewußtsein der Abhängigkeit. 

Manche Christen machen aber schon hier oft die traurige Erfahrung, daß sie in ihrer Meinung über dieses oder jenes christliche Werk, worin sie es entweder nicht der Mühe wert hielten, den wohlgefälligen Willen Gottes zu erforschen, oder worin sie glaubten, nach demselben zu handeln, sich getäuscht haben. Ihre Mühe und Arbeit war eine vergebliche, weil sie nicht das Wohlgefallen Gottes hatte; und wie groß wird die Enttäuschung erst dann sein, wenn alles in dem Lichte des Angesichtes Gottes offenbar wird! Dann wird gewiß mancher Eifer und manches Werk, was hier als ein schönes und christliches Werk gepriesen wurde, in sein Nichts dahin sinken, und mancher einfache und geringe Dienst eines Heiligen, der beflissen war, stets den wohlgefälligen Willen Gottes zu erforschen und darin mit  Ausharren zu wandeln — ein Dienst, der hier kaum einer Beachtung gewürdigt wurde, wird dann von Gott als ein köstliches Werk angenommen und belohnt werden. — Der Apostel schreibt in Betreff der Arbeiter am Werk des Herrn an die Korinther: „Wenn das Werk jemandes bleiben wird, welches er aufgebaut hat, so wird er Lohn empfangen; wenn das Werk jemandes verbrennen wird, so wird er Schaden leiden; er aber wird errettet werden, doch also wie durch's Feuer" (1. Kor. 3, 14. 15). Dies Wort wird als Grundsatz in all unserem Dienste als Christ sich bewahrheiten. 

Ein Werk, das nicht die Anerkennung Gottes hat, ist nicht nur ein vergebliches, sondern es bringt uns auch Schaden. — Der Gott aller Gnade gebe, daß unsere Herzen stets mit Eifer erfüllt sind, um Seinen wohlgefälligen Willen zu erkennen und darin zu wandeln, und lasse uns stets beachten, daß ein weltlicher und fleischlicher Sinn unmöglich fähig ist, zu prüfen und zu verstehen, was der wohlgefällige Wille Gottes ist. — Weiter lesen wir im Briefe an die Philipper (Kap. 1, 9-10): „Und um dieses bete ich, daß eure Liebe noch mehr und mehr in Erkenntnis und aller Einsicht reich werde, damit ihr prüfet, was das Vorzüglichere sei, auf daß ihr untadelig und unanstößig auf den Tag Christi seid, erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, welche durch Jesum Christum zur Herrlichkeit und zum Lobe Gottes ist."

 Dies Gebet des Apostels für die Philipper zeigt uns, welchen Wert es für ihn hatte, wenn nicht allein er, sondern alle Heiligen in einem Gott wohlgefälligen Wandel einhergingen, und wie sehr die Gleichgültigkeit so vieler Christen unserer Tage in dieser Hinsicht zu tadeln ist. Um nun aber zu prüfen, was das Vorzüglichere, d. i. Gott Wohlgefällige sei, um darin zu wandeln, muß unsere Liebe an Einsicht und Erkenntnis reich werden. Die Liebe ist die einzige, wahre Quelle und Triebkraft unseres Dienstes; die Einsicht und Erkenntnis aber macht uns fähig, das vor Gott Wohlgefällige zu unterscheiden; und wir werden dann gewiß in einem gesegneten und fruchtreichen Wandel, zum Lob und Preis unseres Gottes, durch die Wüste gehen, wenn beides in unserem Herzen vereinigt ist. 

Deshalb laßt uns, geliebte Brüder, den Inhalt dieses Gebets mit Ernst erwägen, und in demselben Geiste und in derselben Gesinnung anhaltend zu Gott flehen, auf daß wir immer mehr erfüllt werden mit Liebe, verbunden mit Erkenntnis und Einsicht, damit durch unseren ganzen Wandel Sein herrlicher Name gepriesen werde. — Noch eine andere Schriftstelle möchte ich hier erwähnen, die uns auf das klarste zeigt, in welcher Stellung des Herzens wir imstande sind, zu erwägen, was vor Gott wohlgefällig ist. Wir lesen Phil. 4, 6. 7: „Sorget um nichts; sondern in allem lasset 26 durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden; und der Friede Gottes, der jede Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne in Christo Jesu bewahren." — Dieser Friede Gottes, wovon hier die Rede ist, ist nicht das Bewußtsein, daß wir versöhnt sind, daß wir in Betreff unserer Sünden Frieden mit Gott haben; es ist also nicht der Friede oder die Ruhe des Gewissens, sondern der Friede des Herzens, jener glückselige Friede, welcher in Gott Selbst ist. Solange aber noch die Ruhe des Gewissens fehlt, solange wir nicht wirklich befreit und über unser Verhältnis zu Gott völlig gewiß und sicher sind, so lange kann auch nicht im geringsten von einem Innewohnen des Friedens Gottes in unseren Herzen die Rede sein. 

Es mag wohl ein gewisser Friede vorhanden sein — gewisse fleischliche Gefühle, die aber nur in dem Gefallen an sich selbst, oder an seinen Werken, und also in der eigenen Gerechtigkeit ihren Grund haben — das ist aber nicht der Friede Gottes, de r jed e Vernunf t übersteigt . Aber auch selbst dann, wenn wir über die Sicherheit unserer Stellung völlig gewiß sind, kann uns dieser Friede mangeln, weil er von diesen Worten: „Sorget um nichts, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden", abhängig ist. — Es kann zwar auch ein leichtfertiges Herz für eine Zeitlang keine Sorgen haben, ohne daß es sein Anliegen im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott bringt; doch in diesem Zustand ist eine Ruhe, die das Fleisch gibt -— eine Ruhe außer der Gegenwart Gottes, die aber von jenem Frieden Gottes, der jede Vernunft übersteigt, so weit entfernt ist wie das Licht von der Finsternis. 

Es gibt viele Heilige, die über den Mangel dieses Friedens klagen und sich oft vergeblich abmühen, ihn zu erlangen; doch sie bedenken zu wenig, daß er weder in einem leichtfertigen, noch in einem mit Sorge und Unruhe beschwerten Herzen seine Wohnstätte haben kann; sondern nur da, wo keine Sorge ist, wo jedes Anliegen, mag es nun innere oder äußere Bedürfnisse betreffen, mit Gebet und Flehen mit Danksagung zu Dem gebracht wird, der es übernommen hat, in allem für uns zu sorgen, und der unser Gott und Vater ist; ja nur da findet der Friede Gottes reichlichen Eingang. Ist unser Herz in diesem glücklichen Zustand, so haben wir nicht nötig, den Frieden zu suchen oder ihn zu bewahren, sondern der Friede Gottes bewahrt uns — „er wird eure Herzen und eure Sinne in Christo Jesu bewahren." — 

Und von jetzt an sind wir erst fähig, über den Willen Gottes mit ruhigem Herzen zu denken, ihn zu verstehen und darin zu wandeln, während wir vorher damit beschäf27 tigt sein mußten, das unruhige und sorgenschwere Herz zu stillen und den Frieden Gottes zu suchen. Jetzt aber sind wir imstande mit einem ruhigen und glücklichen Herzen die Dinge zu erwägen, die sich für einen Heiligen geziemen und vor Gott wohlgefällig sind. Deshalb fügt auch hier der Apostel hinzu: „Im übrigen, Brüder, alles, was wahrhaftig, was würdig, was gerecht, was keusch, was liebreich, was wohllautend ist; — ist es eine Tugend, ist es Lob, — dieses erwäget. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein" (V. 8. 9). De r Got t de s Friedens , — dies ist stets Sein Charakter — is t dannmi t un s und wir gehen auf dem Wege durch eine Wüste, die nichts als Versuchung für uns hat, in Seiner gesegneten Gemeinschaft voran. O glücklich die Seele, die den Friede n Gottes genießt und den Gott des Frieden s zum Begleiter hat! Schon habe ich gesagt, daß die Quelle und die Triebkraft allen wahren Dienstes nur di e Lieb e sein kann. Ehe der Herr Jesus dem Petrus, Seinem Jünger, den Auftrag gab, Seine Lämmer und Seine Schafe zu weiden, fragte Er ihn zuerst: „Hast du mich lieb?" — 

Der Dienst unter den Heiligen ist nur dann gesegnet, wenn, er in der Liebe zu Christo seinen Beweggrund hat; und nur die Liebe allein ist vermögend, alle die Mühen und Beschwerden des Dienstes zu ertragen und darin auszuharren — zu verleugnen, zu tragen und zu leiden; ja nur sie allein vermag zu weinen mit den Weinenden, sich zu freuen mit den sich Freuenden. Der Apostel sagt: „Die Liebe ist langmütig, ist gütig; die Liebe eifert nicht; die Liebe tut nicht groß; sie bläht sich nicht auf; sie gebärdet sich nicht unanständig; sie sucht nicht das Ihre; sie läßt sich nicht erbittern; sie denkt nichts Böses; sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freuet sich mit der Wahrheit; sie deckt alles zu; sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles" (1. Kor. 13, 4-7). Das vollkommene Maß dieser Liebe finden wir nur in Gott; „denn Gott ist Liebe"; und Seine Liebe hat sich in ihrer ganzen Fülle in Christo Jesu offenbart. Das Kreuz Christi ist der völlige Beweis dieser vollkommenen Liebe. Während Jesus für den Sünder Sein Blut vergoß, schmähte und höhnte Ihn der Sünder. Nur Lieb e war es, die Jesum vom Himmel herniederführte, nur L ie b e, die Ihn ans Kreuz brachte, und nur Liebe , die fortwährend an uns denkt, die allezeit für uns bemüht ist und für uns sorgt. 

Sie ist unausforschlich; aber das Bewußtsein, daß wir von dieser Liebe geliebt und stets umgeben sind, daß sie in Christo Jesu unser Teil ist, um für immer darin zu ruhen —• ja dies Bewußtsein, wenn wir wirklich unsere Ruhe darin gefunden haben, erfüllt 28 unser Herz mit Freude und Trost, und macht uns fähig, selbst in Liebe zu wandeln und zu dienen. Wir wissen, daß die Liebe ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist; aber je mehr wir Ihn kennen und Seine Liebe zu erfassen vermögen, desto mehr wird die Liebe in uns selbst lebendig und wirksam sein. Der Apostel bittet für die Epheser, daß sie die alle Erkenntnis übersteigende Liebe Christi kennen lernen möchten, damit sie zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt würden (Kap. 3,19). Je reichlicher die überschwengliche Erkenntnis Jesu Christi unser Herz erfüllt, desto mehr schätzen wir es als eine besondere Gnade und als ein gesegnetes Vorrecht, daß wir gewürdigt sind, unser ganzes Leben Ihm zu weihen, Ihm allezeit zu dienen. Dann ist dieser Dienst nicht mehr eine Last für uns, sondern Freude und Seligkeit; wir werden nicht nur durch ein gewisses Pflichtgefühl in demselben geleitet, sondern durch eine Liebe, die unser Herz glücklich macht. Möge deshalb, geliebte Brüder, die Gnade Gottes uns immer tiefer in den unausforschlichen Reichtum Christi und in die Fülle Seiner Liebe durch den Heiligen Geist hineindringen lassen, damit wir immer fähiger und eifriger werden, in einem glücklichen und freudigen Dienst uns Ihm völlig zu weihen, und wie der Apostel sagt: „Ihm unsere Leiber als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darzustellen." — 

Noch etwas gibt es hier, was zu beachten der Mühe wert ist. Der Apostel nennt die Gabe, welche er durch den Epaphroditus von den Philippern empfangen hatte „eine n duftende n Wohlgeruch , ei n angenehme s Opfer , Got t wohlgefällig " (Kap. 4, 18). Wir lesen Epheser 5, 1. 2: „Werdet denn Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns als Darbringung und Opfer, Gott zu einem duftende n Wohlgeruch , hingegeben hat." Wenn wir den Dienst Christi für uns auf Seinem ganzen Weg durch diese Wüste bis zu Seinem Tode an dem Kreuze mit dem eben angeführten Dienst der Philipper, der nur in einer äußeren Gabe bestand, betrachten, welch ein Unterschied! Aber der Dienst der Philipper steigt ebenso wie auch der unseres geliebten Herrn als ein „duftender Wohlgeruch" auf zu Gott, und dies gibt jedem Dienst seine wahre Weihe und seinen köstlichen Wert. Es könnte nun jemand fragen: Was habe ich eigentlich unter diesem Dienst zu verstehen? — 

Wenn dies auch gerade nicht die erste und wichtigste Frage ist, so ist sie doch wichtig genug, um sie zu erwägen, und das Wort Gottes gibt uns hinreichenden Aufschluß darüber. Doch will ich 29 hier nur einiges darüber sagen, ohne jedoch des Dienstes derer zu gedenken, die für eine bestimmte Tätigkeit im Werk des Herrn eine besondere Gabe und deshalb einen besonderen Beruf empfangen haben. Ich will hier von dem Dienst der Heiligen im allgemeinen einige Worte reden. — Zuerst spricht die Heilige Schrift von dem Dienst, de r de n Heilige n geschieh t oder dem Dienst der Glieder des Leibes Christi untereinander. 

Dieser nimmt die vornehmste Stelle ein; weil diese Glieder die Glieder Christi sind, sozusagen ein Teil von Ihm — Auserwählte, Heilige und Geliebte, ja sogar Kinde r Gottes. Wenn ich verstehe, was die Heiligen in den Augen Gottes sind — daß es nichts, weder im Himmel noch auf der Erde gibt, was zu Gott dem Vater, sowie auch zu Christo Jesu in einer so innigen und gesegneten Beziehung steht, — und wenn ich verstehe, wie Christus Selbst mit aller Treue und Liebe allezeit den Seinigen dient, dann ist dieser Dienst für mich eine selige Freude; dann erkenne ich es als eine unaussprechliche Gnade, die mich gewürdigt hat, an diesem Dienst teilzunehmen. — Mein Vorrecht als Glied am Leibe Christi macht mich auch zu einem Diener dieses Leibes. „Durch eine n Geist sind wir alle zu eine m Leibe getauft worden .. . und sind alle in eine m Geiste getränkt" (1. Kor. 12,13). 

Durch den Geist Gottes sind wir zu diesem Dienst eingeweiht worden, und wir können nie von unserem Vorrecht, ein Glied des Leibes Christi zu sein, reden, ohne auch zugleich an unsere Verantwortlichkeit als Diener dieses Leibes zu denken. — Wie weit aber kann und darf ich in diesem Dienst gehen? Soweit als die Liebe Christi geht. Eine andere Beschränkung kennt dieser Dienst nicht. Er umfaßt alle Bedürfnisse der Heiligen — innerliche und äußerliche — alles, was irgendwie zur Erbauung, zur Ermunterung, zum Trost, zur Förderung in allem Guten und zur Notdurft der Heiligen dient. „Und sei es, daß ein Glied leide, so leiden alle Glieder mit, sei es, daß ein Glied verherrlicht werde, so freuen sich alle Glieder mit" (1. Kor. 12, 26). „Traget einer des anderen Lasten" (Gal. 6, 2). „Ein jeglicher nicht auf das Seinige sehend, sondern auch auf das der anderen" (Phil. 2, 4). Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes (1. Petr. 4, 10). — Jedem Gliede ist an dem Leibe Christi eine besondere Stellung angewiesen, so wie den Gliedern an dem menschlichen Körper, Gott hat einem jeden seine besondere Gnadengabe mitgeteilt, um damit zum allgemeinen Nutzen zu dienen. Vergesse ich nun die mir angewiesene Stellung, oder vernachlässige ich die mir verliehene Gnadengabe, so ist das ein Schaden für den Leib 30 Christi und auch für mich; denn ich bin, wie schon gesagt, für diesen Dienst verantwortlich. Doch gesegnet ist es sowohl für mich als auch für die mit mir verbundenen Glieder, wenn ich in der Gegenwart Gottes diesen Dienst in Treue vollbringe. 

Das Wort spricht auch viel im allgemeinen von unserem Verhalten gegen die Heiligen — von Liebe gegen sie, vom Vergeben, von Unterwürfigkeit, von Milde usw. —• ohne gerade dies Verhalten immer mit unserer Stellung zu dem Leibe Christi in Verbindung zu bringen. Doch will ich hier nicht weiter darauf eingehen, und ich hoffe auch, daß dies Wenige genügen wird, uns in etwa verstehen zu lassen, was unser Dienst in dieser Beziehung ist und welchen Wert er vor Gott hat; aber auch uns fühlen zu lassen, wie traurig es ist, wenn die Heiligen in diesem Dienst so wenig Eifer und Treue beweisen, sondern vielmehr nachlässig und gleichgültig darin sind und kaum noch ein Gefühl für seinen reichen Segen haben. Weiter ermahnt uns das Wort Gottes, in unserem äußeren Beruf und in unseren irdischen Verhältnissen in dieser Welt als ein Diener Gottes oder Christi dazustehen. 

Und dies ist ein anderer Teil des Dienstes, der aber nicht weniger unsere Aufmerksamkeit verdient. Welch ein Vorrecht für uns, geliebte Brüder, daß derselbe Beruf, dieselbe Arbeit, dasselbe Beschäftigtsein, worin wir mit den Kindern dieser Welt gleichstehen, für uns ein gesegneter Dienst Gottes sein soll, während er für jene höchstens einigen Nutzen für dieses Leben haben kann. Wie groß ist doch der Unterschied in ein und demselben Dienst in Betreff seines Wertes! Die Heiligen dienen Christo; aber die Kinder der Welt nur ihrem Bauche. Wenn es nun wahr ist, daß Gott uns in den gewöhnlichsten Beschäftigungen des irdischen Lebens als Seine Diener anerkennen will, wie traurig ist es dann, wenn der Christ in dieser Beziehung gleichgültig und nachlässig vorangeht, und in seinem Dastehen in diesen irdischen Verhältnissen keinen anderen Zweck sieht und keine andere Gesinnung offenbart, wie auch die Welt.

 Doch wie gesegnet für ihn, wenn er als Diener Christi darin wandelt! Jeder Beruf, jede Tätigkeit, ja die geringste Arbeit eines Knechtes oder einer Magd hat dann einen unschätzbaren Wert, wenn es als ein Dienst Christi angesehen werden kann. O Dank der Weisheit, Gnade und Liebe unseres Gottes, der auf diese Weise einem jeglichem Christen an jedem Ort, in jedem Verhältnis und in jedem Beruf das Vorrecht gegeben hat, ein Diener Christi zu sein; und nirgends wird es an Gelegenheit fehlen, sich als solcher zu beweisen. Es kommt auch nie darauf an, welches Ansehen eine Beschäftigung in den Augen der Menschen hat, wie sie dem Fleische gefällt, sondern ob sie als ein Dienst Christi vollbracht wird. 

Ja dies allein ist es, was das tägliche Leben des Christen charakterisiert und seine Beschäftigung hienieden von der der Welt so völlig unterscheidet. In diesem Lichte betrachtet, geliebte Brüder, hat unser äußerer Beruf und jedes Verhältnis in dieser Welt einen Wert für uns, ja einen köstlichen Wert; und betrachten wir es wirklich in diesem Lichte, so werden wir freudig und getrost, selbst in den gewöhnlichsten Dingen, vorangehen und nicht im Unwillen über harte Arbeit, oder über eine schwere, verleugnungsvolle Stellung klagen, in welcher wir nur zufrieden sind, wenn der Abend kommt, an dem wir aber schon wieder mit beschwertem Herzen an den Morgen denken, oder nur zufrieden sind, wenn wir diese Stellung verlassen können.

Doch im Hinblick auf unsere Schwachheit und die mannigfachen Versuchungen haben wir nötig, unser Auge stets nach oben zu richten und in der Gegenwart Gottes zu wandeln, um von Ihm zu allem Guten Weisheit und Kraft zu empfangen. Es geschieht so leicht, daß wir in den gewöhnlichsten und kleinsten Dingen dieses Lebens, die täglich wiederkehren, am wenigsten mit ausharrender Treue vorangehen, weil sie uns zu unbedeutend scheinen und wir uns zu stark glauben, als daß wir darin des steten und innigen Umgangs mit dem Herrn bedürften, um wirklich stark zu sein in Seiner Stärke; und ach! wir verlieren viel. Wir mögen es aber auch ebensowenig unbeachtet lassen, daß, wenn wir in diesem Dienst untreu und nachlässig sind, wir es auch in dem unter den Heiligen sein werden; denn jeder Dienst ist von unserem praktischen Verhältnis zu dem Herrn abhängig und kann nur aus einem treuen Verkehr mit Ihm und aus einer innigen Liebe zu Ihm hervorfließen. Unser Dienst — mag er den Heiligen geschehen oder in unserem äußeren Beruf vollbracht werden — ist vor Ihm ganz und gar wertlos, wenn er Sein Wohlgefallen nicht hat und nicht in Beziehung zu Ihm steht. 

Die vielen ernsten Ermahnungen des Wortes Gottes in Betreff eines jeglichen Dienstes, sind uns ein Zeugnis, wie nötig es ist, mit aller Treue darauf zu achten. Ich will hier nur auf einiges in den Briefen an die Epheser und an die Kolosser aufmerksam machen. In Epheser 4 haben wir Ermahnungen über das Verhalten der Glieder Christi untereinander, und am Ende des 5. und am Anfang des 6. Kapitels über das Verhalten im täglichen Leben — Ermahnungen an die Männer und Frauen, an die Väter und Kinder, an die Herren und Bediensteten. Dasselbe finden wir in dem 3. Kapitel des Kolosser-Briefes. Aber alles ist hier in Beziehung gebracht zu dem Herrn, alles soll ein Dienst vor Ihm und um Seines Namens willen sein. Nichts 32 anderes mehr hat der Christ, und der Christ allein, in dieser Welt zu tun, als Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten (1. Thess. 1,10). Wir lesen Kol. 3, 23. 24:

 „Und alles, was ihr irgend tut, arbeitet von Herzen, a ls de m Herr n und nicht den Menschen, wissend, daß ihr vom Herrn die Vergeltung des Erbes empfangen werdet, denn ih r dien t de m Herr n Christo. " Und wiederum: „Und alles, was ihr irgend tut, in Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Je^'u, danksagend dem Gott und Vater durch ihn" (V. 17). — Der Herr aber wolle unsere Herzen weise machen, um nach Seinem Wohlgefallen in diesem für uns so gesegneten Dienst — sei es unter den Heiligen oder sei es in unserer Stellung in dieser Welt — mit ausharrender Treue und zunehmendem Eifer voranzugehen. Um nun das bisher Gesagte noch besser zu verstehen und um zu diesem Dienst nach dem wohlgefälligen Willen Gottes immer mehr ermuntert zu werden, richte ich unsere Aufmerksamkeit auf einen Mann, der seinen Dienst mit ausharrender Treue und hingebender und aufopfernder Liebe vollbrachte, und der uns aufgefordert hat, seine Nachfolger zu sein — auf einen Mann, der einst den Herrn der Herrlichkeit in Seinen Heiligen bi s zu m Tod e verfolgt e und späterhin sagen konnte: „Lebe n is t fü r mic h Christu s !" 

Und dieser Mann war der Apostel Paulus, der früher den Namen „Saul" hatte. Es gab wohl keinen Menschen auf der Erde, in welchem sich auf eine so augenscheinliche Weise die wunderbare Macht und der Reichtum der Gnade Gottes offenbarte, als in ihm. Wenn wir nur ein wenig sein Leben im Judentum, und dann sein Leben als Christ und Apostel betrachten, so tritt uns dies aufs klarste entgegen. — In seiner Stellung unter dem Gesetz war er der offenbarste Feind der Gnade Gottes in Christo Jesu. Mit dem tiefsten Haß verfolgte er die Genossen dieser Gnade, und somit Den, der durch Seinen Tod dem Strom der Gnade und Liebe Gottes einen völlig freien Weg zu unseren Herzen gebahnt hat — Jesum Christum, den Herrn der Herrlichkeit, Der mit Seinen durch Blut erkauften Heiligen auf der Erde völlig ein s ist. 

Sie sind Sein Leib. Und diese Heiligen, diesen Leib des Herrn verfolgte Saul, weshalb auch Jesus ihm zurief: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?" In Saul sehen wir den völligen Ausdruck des Hasses und der Bosheit der Juden. Der Name Jesu war ihm bis in das Innerste seiner Seele verhaßt, wie er auch selbst sagt: „Ich zwar nun meinte, dem Namen Jesu, des Nazaräers vieles zuwider tun zu müssen, was ich auch zu Jerusalem getan habe. Und viele der Heiligen habe ich in Gefängnisse eingeschlossen .. . und wenn sie getötet wurden, gab ich meine Stimme dafür. Und in allen Synagogen sie oftmals strafend, zwang ich sie zu lästern; und über die Maßen gegen sie rasend, verfolgte ich sie sogar bis in die ausländischen Städte" (Apg. 26, 9-15). Und wiederum „der ich diesen Weg bis zum Tode verfolgte, indem ich beide, Männer und Weiber, band, und in die Gefängnisse überlieferte" (Apg. 22, 4). 

In allem diesem war er ein Eiferer um Gott; aber es war der Eifer des Fleisches, der Gottesdienst des natürlichen Herzens, der nichts anderes ist als Feindschaft gegen Gott. Ja, in Saul sehen wir so deutlich, wie das Fleisch oder das natürliche Herz zu Gott steht. Wenn es am ehrbarsten ist, wenn es am meisten um Gott eifert, ist es am entschiedensten wider Gott. Deshalb ist auch jede r Dienst des Fleisches verwerflich vor Ihm; alles, was es hervorbringt, was es selbst unter den schönsten Formen und Satzungen hervorbringt, alles, wenn es auch einen noch so christlichen Schein, ein noch so gottesdienstliches Gewand trägt, und wenn es selbst die Anerkennung und den Ruhm aller hat, — bestätigt nur dies Zeugnis Gottes: „Di e Gesinnun g de s Fleische s i s t Feindschaf t wide r Gott! " — Als Paulus später bezeugte: „Das Wort ist treu und aller Annahme wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu retten" (1. Thim. 1,15), — fügt er hinzu: „von welchen ich der vornehmste bin." — Nichts steht im größeren Gegensatz zu der Gnad e Gotte s als di e Fröm -
migkei t un d de r gottesdienstlich e Eife r d e s Fleische s ode r de s natürliche n Men -
schen . Das Fleisch sucht sich stets vor Gott zu behaupten und will anerkannt sein; die Gnade aber kennt nur den verlorenen Sünder, dem alles Gute mangelt, und bietet* ihm Vergebung und Errettung umsons t an. Das Fleisch will eine menschliche Gerechtigkeit nach selbsterwähltem Maßstab; die Gnade kennt nur die Gerechtigkeit Gottes, wonach jeder an de n Gott glaubt, der die Gottlosen rechtfertigt. 

Das Fleisch entehrt Gott, indem es Ihn zu einem fleischlich gesinnten, sündhaften Menschen, gleich ihm, herabwürdigt; die Gnade aber verherrlicht Gott und offenbart Ihn als solchen. Paulus ist der vornehmste Sünder, weil er nach seinem fleischlichen, natürlichen Herzen der vornehmste Eiferer um Gott war, und zwar so sehr, daß er die Heiligen verfolgte, wie er selbst sagt: „ .. . was den Eifer betrifft, ein Verfolger der Versammlung" (Phil. 3, 6). Was bleibt nun dem natürlichen Menschen, wenn seine Frömmigkeit so verwerflich vor Gott ist, als seine Sünde? Nichts als das Gericht und die Verdammnis. Auf dem Wege nach Damaskus brach der ganze gottesdienstliche Eifer Sauls und alle seine Gerechtigkeit und 34 Frömmigkeit in nichts zusammen. Es blieben ihm nur seine Sünden — schreckliche Sünden. Der Lichtglanz der Herrlichkeit des Herrn zeigte ihm, daß sei n Licht nur Finsternis war; und ein Blick auf diese Herrlichkeit genügte, um diesen Sünder auf dem Gipfel seiner eigenen Gerechtigkeit zu Boden zu werfen und sein Herz mit Furcht und Entsetzen zu erfüllen. Finstere Nacht war es in ihm und um ihn her. Er erkannte jetzt, daß der Herr der Herrlichkeit ein s war mit denen, die er bis zum Tode verfolgt hatte. 

Er, der sich so ganz und gar in der Gunst Gottes glaubte, sah sich jetzt ausgeschlossen; denn er war ein Feind des Herrn der Herrlichkeit. — Wie groß muß einst der Schmerz und die Scham der Bewohner Jerusalems sein, die in ihrer großen Drangsal Jehova anrufen und auf Ihn warten, und wenn Jehova kommt — siehe, es ist der einst von Seinem Volk verachtete und gekreuzigte Messias! Der Herr Selbst bezeugt durch den Propheten Sacharja (Kap. 12, 10): „ . . . 

Und sie blicken hin auf mich, den sie durchbohrt haben, und beklagen ihn wie man den einzigen Sohn beklagt, und weinen bitterlich über ihn, wie man bitterlich weint über den Erstgeborenen." Und wie groß muß der Schrecken und das Entsetzen derer sein, die jetzt in Gleichgültigkeit und stolzer Sicherheit einhergehen und den Herrn und Seine Gnade verachten und schmähen, wenn sie einst diesem Herrn begegnen, und Er ihnen dann nur als ihr Richter in Macht und Herrlichkeit erscheint! Ja, wie furchtbar muß es für sie sein, wenn sie völlig enttäuscht werden, wenn sie angesichts des gerechten Richters nichts anderes haben, als ihre Sünden und Übertretungen! — Doch kehren wir zu Saul zurück. Der Herr erwählte diesen Mann, um aus ihm einen Botschafter Seiner Gnade zu machen — der Gnade, die weit überschwenglicher ist, als die überströmend gewordene Sünde. Ja, wunderbar groß ist ihr Reichtum und ihre Macht! Sie tritt dem vornehmsten Sünder in den Weg und spricht: Du sollst mein Zeuge sein! Sie offenbarte zuerst an Saul, ihrem größten Gegner, ihren ganzen Reichtum und ihre ganze göttliche Macht, und bereitete ihn also zu einem- geeigneten Werkzeug, um auch anderen Sündern ihre Fülle und ihre Kraft anzupreisen.

 „Deswegen aber habe ich Barmherzigkeit empfangen, auf daß an mir zuerst Jesus Christus die ganz e Langmut erzeige, um ein Exempel denen darzustellen, die an ihn zum ewigen Leben glauben würden" (1. Tim. 1,16). Es ist eine köstliche und ewig feste Wahrheit, geliebte Brüder, daß Christus durch Seinen Opfertod alle unsere Sünden getilgt hat; die Gerechtigkeit Gottes ist in Betreff unserer völlig befriedigt, und Sein Name verherrlicht. Jetzt kann sich die Gnade Gottes in ihrer ganzen 35 Fülle offenbaren; und unter diese Gnade sind wir, die Glaubenden, für immer gestellt. 

Sie fand uns als verlorene Sünder, und weicht auch nicht von uns, nachdem wir durch Christi Blut versöhnt sind. Wir waren als Mensc h verantwortlich, und deshalb verloren — Tod und Gericht war unser Los; Christus aber ist in unsere Stelle getreten, und in Seinem Tode und in Seiner Auferstehung sind wir frei ausgegangen, wir sind mit Ihm auferweckt und Seines Lebens teilhaftig geworden. Wir sind auch jetzt als Kin d Gotte s verantwortlich, das ist wahr; aber verantwortlich unter dieser Gnade, in welcher wir für immer stehen. Sie spricht nicht mehr vom Verlorengehen, sondern sie errettet den Verlorenen und führt ihn in die Herrlichkeit. Sie befreit ihn von allen Banden und aller Unruhe und bringt ihn in die selige Nähe Gottes, wo das Herz völlig getrost und glücklich ist; und sie umgibt ihn auf dem ganzen Wege durch diese Wüste, indem sie alle seine Bedürfnisse erfüllt. Sobald Paulus den Herrn der Herrlichkeit gesehen, und Dessen vollkommene Einheit mit der Versammlung auf der Erde verstanden hatte, sobald er die Kraft des Blutes an seinem eigenen Herzen in Vergebung seiner Sünden erfahren und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden war, hatte sein Leben nur eine n Zweck, sein Herz nur eine n Gedanken und seine Liebe nur eine n Gegenstand: Jesu s Christus , de n Gekreuzigte n un d Auferstan -
denen . Er wußte jetzt, was die Gnade in Christo war und daß durch sie allein der Mensch zur Herrlichkeit eingehen kann. Er selbst war ein lebendiges Exempel von ihrem Reichtum, und ihm wurde auch vornehmlich der liebliche Auftrag, das Evangelium von dieser freien Gnade Gottes in Christo Jesu den Nationen zu verkündigen — denen, „die ohne Christum waren, entfremdet dem Bürgerrecht Israels, und Fremdlinge in Betreff der Bündnisse der Verheißung, welche keine Hoffnung hatten und ohne Gott in der Welt waren" (Eph. 2,12). Und er ging nicht mit Fleisch und Blut zu Rate; er besprach sich nicht zuerst mit den Menschen; auch nicht mit den übrigen Aposteln, selbst nicht mit denen, die das Ansehen hatten und schon vor ihm mit der frohen Botschaft von Christo betraut waren; — er wußte, an wen er glaubte. Schon in Damaskus, wohin er sich an die Synagogen von den Hohenpriestern Briefe hatte geben lassen, daß, wenn er etliche „von dem Wege, sowohl Männer als Weiber, fände, er sie gebunden nach Jerusalem führe", verkündigte er jetzt Christum. 

„Und er predigte alsbald in den Synagogen Jesum, daß dieser der Sohn Gottes ist" (Apg. 9, 20). _ Der Apostel hatte, wie wir auch in Phil. 3, 4-6 und anderen 36 Stellen sehen, gewiß Ursache, sich seines Fleisches zu rühmen, wenn dieses von irgend welchem Wert gewesen wäre; aber er bezeugt: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten; ja wahrlich, ich halte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn, weshalb ich alles eingebüßt habe und es für Dreck halte, auf daß ich Christum gewinne" (V. 7-9). Der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Jesu Christi gegenüber war alles andere nur Schatten, ja nur Verlust und Dreck für ihn. Er hat alles eingebüßt, was dem Fleische lieb und wert sein konnte; nichts war ihm geblieben, als die Bande und die Ketten, die er als ein Zeugnis seiner Treue und zur Ehre seines Herrn trug. Und sein Herz ist nicht betrübt über diesen Verlust; sondern vielmehr voll von Freude und Glückseligkeit. Er hat Christum, der ihm alles ersetzt, und er will nur Ihn allein. Immer heißt es bei Ihm: „au f da ß i c h Christu m gewinne , un d i n ih m befunde n werde... ; u m ih n zu kennen , und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden, indem ich seinem Tode gleichgestaltet werde; o b ic h au f ir -
gen d ein e Weis e zu r Auferstehun g au s de n Tote n hingelange n möge " (V. 9—11). 

Sobald er Christum, den Herrn der Herrlichkeit gesehen hat, hat sein Leben hienieden keinen Wert mehr für ihn, es sei denn, diesen Herrn, der jetzt sei n Herr ist, zu verherrlichen, Ihn zu lieben, Ihm zu dienen und Ihn in der Herrlichkeit zu besitzen. Dies nur ist das sehnliche Verlangen seines Herzens und der köstliche Kampfpreis, der stets vor seiner Seele schwebt und der seinen ganzen Wettlauf von Anfang bis zu Ende charakterisiert. Der Weg zu diesem herrlichen Ziel ist für ihn voll von Versuchung, voll von Schwierigkeiten und Hindernissen, voll von Leiden aller Art; allein nichts kann ihn aufhalten, nichts zurückschrecken, — der Kampfpreis ist zu köstlich, und er erfüllt seine ganze Seele. Wir lesen Phil. 3, 12-14: „Nicht daß ich es schon ergriffen habe, oder schon vollendet sei; ich strebe aber darnach, ob ich es auch ergreifen möge, wozu ich auch von Christo Jesu ergriffen bin. Brüder! ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben; ein s aber tue ich: Das, was hinter mir liegt, vergessend, und nach dem, was vor mir liegt, mich ausstrekkend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampf preis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu" (V. 12-14). 

Nirgends finden wir in dem Leben des Apostels einen Halt, nirgends Verzagtheit oder Ermattung. So lange er sein herrliches Ziel noch nicht erreicht hat, geht er unermüdlich voran; ja es wächst bis zum Ende sein Eifer im Kampf und 37 seine Freude in den Trübsalen, bis er sagen kann: „...Di e Zeit meines Abseheiden s ist vorhanden. Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet... " (2. Tim. 5, 6. 7). Ach wie so ganz anders ist es unter den Christen unserer Tage! Der Apostel ruft den Philippern und somit uns allen zu: „So viele nun vollkommen sind, •— lasset uns also gesinnet sein." 

Und wiederum: „Werdet zusammen meine Nachfolger, Brüder, und seht auf die, welche so wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt" (V. 17). Doch wie wenige sind ihrer, die wirklich auf diesen so ernsten Zuruf achten! Mancher ist wacker und legt mit Mut und Eifer die erste Strecke der Laufbahn zurück; aber wie bald gibts ein Stocken, wie bald erkaltet der Eifer und mangelt das Ausharren! Die ersten Hindernisse, die sich dem Glauben entgegenstellen, werden siegreich überwunden und die ersten Schwierigkeiten mutig durchschritten, denn das Herz ist so glücklich in dem Bewußtsein, Jesum zu haben; und diese Freude gibt ihm Mut und Kraft im Kampf. 

Es ist freilich wahr, daß in dieser ernsten Zeit der Glaube noch nicht erprobt worden ist, und daß es der Liebe an Einsicht und Erkenntnis mangelt, und sie in vielfacher Beziehung der Reinigung bedarf; doch das Herz hat einen Gegenstand gefunden, in dem es sich erfreut und für den es lebt. Der Name „Jesus" ist jetzt für die Seele der köstlichste aller Namen; denn in diesem ist sie von aller Unruhe und von allem Sündendruck entledigt worden, ja in diesem hat sie einen seligen Frieden gefunden. 

Die Welt und die Sünde hat jetzt für sie ihren Reiz verloren. Christus und Seine Herrlichkeit ist zu köstlich, um noch für etwas anderes leben zu können. — Woher aber kommt es, daß so viele unter den Gläubigen diese glückselige Stellung sobald verlassen? — Das Auge des Glaubens bleibt nicht einfältig und unverrückt auf Christum und den herrlichen Kampfpreis der himmlischen Berufung Gottes gerichtet. Christus bleibt nicht der einzige Gedanke des Herzens, und Ihn zu verherrlichen nicht der einzig e Zweck des Lebens. 

Und sobald das Auge anfängt seine Richtung nach oben zu verlieren, und das Herz matter schlägt für Christum und Seine Herrlichkeit, sobald wird auch das Fleisch wieder tätig und die Dinge und das Wesen dieser Welt gewinnen wieder an Interesse. Und von jetzt an ist es nicht mehr der ununterbrochene Wandel einer glücklichen Gemeinschaft mit Gott, nicht mehr ein freudiger Dienst und ein eifriger und mutiger Kampf im Glauben; sondern Ermattung, Schlaffheit, Trägheit, Unruhe usw. oft verbunden mit einer weltlichen und fleischlichen Gesinnung, sind an die Stelle getreten; und diese Dinge bezeichnen oft 38 den ganzen Weg so vieler Christen durch die Wüste. Statt Lobgesänge hört man Klagetöne und statt Danksagung — Seufzer. Also bringt mancher Christ seine Tage und seine Jahre zu, die weder zur Verherrlichung Gottes, noch zu seinem eigenen Heil gereichen; und ein solcher Wandel erfüllt die Seele oft mit Ungewißheit, Unsicherheit und Unruhe. 

Der Christ macht in diesem Zustand wohl mancherlei Erfahrungen, aber meist sind es Erfahrungen von der Verkehrtheit und der Ohnmacht seines Fleisches, und nicht von der Liebe und Macht Gottes. Sein trauriger Wandel gibt ihm wohl Gelegenheit, die Langmut Gottes zu erproben; aber sein Wachstum in der Erkenntnis Gottes und Christi Jesu bleibt weit zurück. Wie soll man auch Den kennen lernen, mit Dem man so wenig Gemeinschaft pflegt? Wie kann das Herz mit der Erkenntnis Christi und den himmlischen Dingen erfüllt werden, wenn wir soviel an uns selbst und an die irdischen Dinge denken und uns dabei aufhalten? Wenn je, so gilt auch jetzt den Gläubigen dieses Wort: ..Wache auf, der du schläfst und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!" 

O der Gott aller Gnade gebe, geliebte Brüder, daß der ernste Zuruf des Apostels: „Lasset uns also gesinnet sein!" und: „Werdet zusammen meine Nachfolger!" tief in unsere Herzen dringe, damit wir doch den vor uns liegenden Wettlauf mit Ausharren laufen. Sehen wir auch um uns her noch soviel Schlaffheit und Ermattung, und noch so wenig Treue und Eifer; greift auch die Verwirrung je länger desto mehr um sich, —dies darf uns nicht hindern, unser Auge einfältig auf Christum und auf den herrlichen Kampfpreis der Berufung Gottes zu richten. Wir sehen ja auch, wie schon zur Zeit des Apostels der Feind beschäftigt war, um die Seelen zu verführen und von der Einfalt gegen Christum zu verrücken, und wie sehr ihm dieses schon zu jener Zeit gelang. Der Apostel bekennt selbst: „Denn viele wandeln, von denen ich euch öfters gesprochen habe, aber nun auch weinend spreche, daß sie die Feinde des Kreuzes Christi sind, deren Ende Verderben, deren Gott der Bauch, und deren Ehre in ihrer Schande ist, die nach dem Irdischen trachten" (Phil. 3, 18. 19). 

Und an mehreren anderen Stellen in den Briefen lesen wir, wie viele es schon damals gab, die in Irrtum, in Menschensatzungen usw. verstrickt waren und wie das Geheimnis der Bosheit sich schon heimlich regte. Diese Erscheinung erfüllt den Apostel mit Trauer und Schmerz; er vergießt viele Tränen über solche, „die Feinde des Kreuzes Christi sind, und die nach dem Irdischen trachten"; aber er kann sich selbst deshalb nicht aufhalten lassen. Er dringt unermüdlich vorwärts; denn der Preis seines Kampfes und seines Wettlaufes ist 39 für ihn zu köstlich und steht zu lebendig vor seiner Seele; Christus ist und bleibt der einzig e Gedanke seines Herzens. Nichts steht ihm höher, seitdem er Ihn kennt; nichts kann ihn herniederziehen, weil Der, der sein Leben ist, Sich droben in der Herrlichkeit befindet. Was hätte jetzt noch in der Welt sein können, — ich denke natürlich nicht an die Versammlung, die mit Christo ein s ist — was für ihn der Mühe wert gewesen wäre, um dafür zu leben? Was hätte sein Herz noch fesseln können, um seinen Wandel hienieden zu haben, da Jesus, die Freude und Sehnsucht seines Herzens, droben war? Vielmehr bekennt er: 

„Das , wa s hinte r mi r lieg t vergessend, und nach dem, wa s vo r m i r liegt , mich ausstreckend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu." Und wiederum: „Unser Wandel ist in den Himmeln . .." Sein Herz ist nicht mehr hier; es lebt droben, wenn auch sein Leib auf dieser armen Erde ausharren muß; aber auch für diesen ist er mit einer lebendigen Hoffnung erfüllt. Der, der seine Seele erlöst hat, ist auch der Heiland seines Leibes; deshalb fügt er hinzu: „....wohe r wir auch als Heiland den Herrn Jesum Christum erwarten, der den Leib unserer Niedrigkeit umgestalten wird, daß er dem Leib seiner Herrlichkeit gleichförmig sei, nach der Wirkung, womit er vermag, auch alle Dinge sich untertänig zu machen" (V. 20. 21). Was war nun aber die Triebkraft zu diesem ausharrenden Eifer und zu diesem ungebeugten Mut bei dem Apostel? D i e Lieb e zu Christ o Jesu, seine m Herrn . Diese Liebe hatte tiefe Wurzeln geschlagen in seinem Herzen; er hing mit seiner ganzen Seele an Christo, ja an Ihm allein. Deshalb war auch stets sein Losungswort: „Leben ist für mich Christus!" Wenn er in all seinem Tun und Leiden nur wußte, daß er das Wohlgefallen seines Herrn hatte, dann ging er eifrig und mutig voran, dann litt er geduldig und seine Seele war glücklich.

 Die Verherrlichung seines Herrn, war der einzige Zweck seines irdischen Lebens; und sah er diesen Zweck erreicht, so war sein Herz voll Lob und Dank. Führte dann auch sein Weg zu Banden und Gefängnis — er freute sich. Nichts konnte den Strom seiner Liebe fesseln, nichts den Lauf zu dem vor ihm liegenden Kampfpreis aufhalten. O wie köstlich ist es, eine solche Liebe zu seinem Herrn in diesem treuen Knecht zu sehen, und wie verherrlicht steht die Gnade Gottes in derselben da! Wenn wir das erste Kapitel des Philipper-Briefes, namentlich vom 12. Vers an, aufmerksam betrachten, welch eine Treue und Liebe zu Christo strahlt uns hier aus dem Herzen des Apostels entgegen! — Er saß im Gefängnis zu 40 Rom und hatte schon vorher zwei Jähre an anderen Orten in Gefangenschaft zugebracht. Wieviel Ursache würde hier ein Herz gefunden haben, sich über diese langwierige und traurige Lage zu beklagen, — ein Herz, das nicht mit solcher Innigkeit und treuen Liebe an Christo gehangen und nur an Seine Verherrlichung gedacht hätte! Paulus aber beklagte sich nicht. Er schreibt an die Philipper: „Ich will aber, daß ihr wisset, Brüder, daß meine Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind, so daß meine Bande in Christo an dem ganzen Prätorium und den übrigen Allen offenbar geworden sind" (V. 12 - 14). 

Da hören wir keine Klage, sondern vielmehr Freude und Dank; denn er sieht seinen Zweck erreicht — der Name seines geliebten Herrn ist verherrlicht. — Etliche sind bemüht, seine jetzige Lage noch drückender zu machen. Es sind solche, die zwar auch Christum predigen, aber nicht lauter, sondern aus Neid und Streit, indem sie seinen Banden Trübsal zuzufügen gedenken (V. 15. 17); aber dies ruft keinen Augenblick Verlegenheit oder Unruhe oder Bitterkeit in seiner Seele hervor; sondern vielmehr Freude, weil ja auch dies zur Verherrlichung seines Herrn dient, indem Sein Name immer reichlicher ausgebreitet wird. Und sich selbst ganz und gar vergessend, ruft er freudig aus: „Was denn? Wird doch auf alle Weise, sei es aus Vorwand, sei es in Wahrheit, Christus verkündigt; und darüber freue ich mich; ja ich werde mich auch freuen; denn ich weiß, daß dieses mir durch euer Gebet und Darreichung des Geistes Jesu Christi zur Seligkeit ausschlagen wird, nach meiner sehnlichen Erwartung und Hoffnung, daß ich in nichts werde zu Schanden werden, sondern mit aller Freimütigkeit, wie allezeit, so auch jetzt, Christus an meinem Leib hoch erhoben werden wird, sei es durch Leben, sei es durch Tod" (V. 18-20).

 Ja, wenn es sich um seinen praktischen Wandel hienieden handelt, so erfüllt nur e i n Gedanke seine Seele: die Verherrlichung Christi Jesu, seines Herrn; und dieser Gedanke hat so sehr das Übergewicht in ihm, daß er alles dafür opfert, auch sich selbst. Er lebt für Christum, und er leidet für Ihn. O welch eine bewunderungswürdige Liebe ist in diesem Manne für de n Herrn, den er einst bis in den tiefsten Grund seiner Seele haßte und bis zum Tode in Seinen Heiligen verfolgte. Aber noch bewunderungswürdiger ist die Gnad e Gottes , die dieses Werkzeug also bereitet und umgewandelt hatte.

 Doch, geliebte Brüder, sind wir nicht alle ein Werk derselben errettenden und überströmenden Gnade? Und ist es nicht derselb e Herr, der auch uns berufen hat? Hat Er uns nicht mit demselben Blute erkauft und mit derselben Liebe geliebt? Warum ist denn jetzt das Verhalten der Sei41 nigen gegen diesen so teuren und geliebten Herrn meist so ganz anders? Es gab, wie wir gesehen haben, leider! auch schon damals solche, wovon der Apostel nur mit Weinen reden konnte; allein dies gerade veranlaßt diesen treuen und gesegneten Knecht, sich um so dringender und mit einem Herzen voll treuer und hingebender Liebe zu seinem Herrn an alle die Aufrichtigen in Philippi zu wenden und ihnen zuzurufen: „Werdet zusammen meine Nachfolger, Brüder!

" „Leben ist für mich Christus!" Dieser ernste und ermahnende Zuruf gilt aber auch uns, meine Brüder, und gewiß wird er Scham und Ermunterung zugleich in uns erwecken, wenn er wirklich bis in das Innerste unseres Herzens dringt. Denn sein Herr, der ihm über alles wert war, und den er so innig liebte, weil er Ihn kannte, ist ja auch der unsrige? Und ist es nicht beschämend für uns, wenn die Pulsschläge unserer Herzen so matt und kraftlos für Ihn schlagen, da Er uns doch mit derselben vollkommenen Zuneigung und Treue liebt? Oder haben wir ganz und gar vergessen, daß Er zu all den Seinigen gesagt hat: „Gleichwie mich der Vater geliebt hat, hab e auc h ic h euc h ge -
liebt? " Ach! es sind ihrer so wenige, die sich bereitwillig von den weltlichen und fleischlichen Fesseln losmachen und als eifrige Nachfolger in den Fußstapfen dieses treuen Knechtes wandeln. Und worin hat dieses seinen Grund? Jesus, der Herr der Herrlichkeit, ist nicht mehr ei n und alles , nicht mehr der einzige Gedanke des Herzens; Er wird so wenig gekannt, so wenig genossen, und deshalb so wenig geliebt. Er ist nicht die einzige und höchste Freude der Seele. Und wie der Versammlung oder Kirche Christi im allgemeinen, so gilt auch fast jedem einzelnen Gliede der ernste Zuruf:

 „Eins habe ich wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast." — Viele unter den Seinigen gibt es in unseren Tagen, die sich mit dem Bewußtsein begnügen, daß sie errettet sind, und daß sie die Gewißheit ihrer Kindschaft und der Vergebung ihrer Sünden haben. Doch zufrieden sein mit dieser Gewißheit, und gleichgültig oder nachlässig sein in Betreff unseres Wandels, wenn es sich um die Verherrlichung Dessen handelt, der Sich Selbst für uns dahingegeben, als wir noch Sünder und Feinde waren, und der durch Seinen Opfertod den Reichtum der Gnade und Liebe Gottes gegen uns überströmend gemacht, und uns an Seiner Herrlichkeit so völlig hat teilnehmen lassen, — würde eine solche Gesinnung nicht großen Egoismus, nicht offenbare Selbstliebe verraten? 

Es ist gewiß köstlich, sich Seiner Gaben zu erfreuen und sich ihrer zu rühmen; denn es sind gute und vollkommene Gaben, die uns in Christo Jesu zuteil geworden sind; und wer ist imstande die Höhe und die Tiefe, die 42 Breite und die Länge zu erfassen, die in diesen beiden Worten liegt: Gnad e un d Herrlichkeit ! Aber es gibt noch etwas Köstlicheres, weit über alle Gaben Erhabeneres, etwas, das noch würdiger ist, ein Gegenstand unserer Liebe und Anbetung zu sein — Christu s Selbst , der uns alle diese Segnungen bereitet hat. Ja, Er ist vor allem würdig, gepriesen zu werden; und es kann kein größeres und gesegneteres Vorrecht hienieden für uns geben, als Ihm unseren Dienst und unser ganzes Leben in völliger Hingebung zu weihen. Nicht nur hat Er ein vollkommenes Recht, dieses von uns zu fordern, weil Er uns durch Sein eigenes Blut für Sich erkauft hat, sondern unser Herz könnte auch nie einen Gegenstand finden, der in sich selbst würdiger wäre, um von uns verherrlicht und gepriesen zu werden. 

O möchten doch unsere Herzen, geliebte Brüder, durch Seine Gnade immer mehr erfüllt werden mit der Erkenntnis Jesu Christi, und durch Seinen Geist immer völliger das unermeßliche Glück und das so reich gesegnete Vorrecht verstehen, Ihm anzugehören, Ihm zu leben, Ihm zu dienen und Ihn als dsn einzigen Gegenstand unseres Lebens hienieden zu haben. Wir sehen in der Offenbarung (Kap. 2,1-7) in dem Sendschreiben an die Versammlung der Epheser, daß der Herr viel Lobenswertes fand: „Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Ausharren, und daß du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast geprüft die, welche sagen, sie seien Apostel und es nicht sind, und hast sie als Lügner befunden; und hast Ausharren und hast um meines Namens willen getragen, und bist nicht ermüdet" (V.3.4). Hörten wir über eine Versammlung oder über einen einzelnen Heiligen ein solches Zeugnis, wir würden völlig zufrieden sein und gewiß nicht daran zweifeln, daß eine solche Stellung und ein solches Verhalten ganz und gar das Wohlgefallen Gottes habe, daß von Ihm nur Lob und kein Tadel zu erwarten sei. Doch sehen wir hier, wie sehr wir uns täuschen können. Sein Auge schaut tiefer und gewahrt einen großen Verlust: „Ich habe wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast. Gedenke nun, wovon du gefallen bist" (V. 4. 5). —

 Wo unsere Augen nur Treue und Eifer sehen, da spricht Er von einem „Gefallensein". — Ach, wir kennen zu wenig die wahre Natur dieses so zarten und innigen Verhältnisses zwischen Christo und Seiner Versammlung, deshalb sehen und fühlen wir auch nicht, was Er sieht und fühlt. Für dies Verhältnis ist der Verlust der erste n Liebe ein unersetzlicher Verlust. Die Liebe allein hat dasselbe gegründet, und nur die Liebe ist das Leben desselben. Fehlt die erst e Liebe, so fehlt auch das erste Glück und die erste Freude. Die so innige und so glückliche Zuneigung des Herzens zu 43 Christo ist dann zerstört; Er ist nicht mehr der einzig e Gegenstand dieser Liebe und Zuneigung, nicht der ein -
zig e Gedanke der Seele. Die wahre Quelle, woraus jede andere Tugend hervorströmt, ist nicht mehr rein und klar; und getrübt ist alles, was aus ihr hervorquillt, — ist die erste Liebe verlassen, so hat jedes Werk für dies Verhältnis seinen wahren Wert verloren. — 

Und — um nicht einmal zu reden von den vielen, die in Gleichgültigkeit und großer Nachlässigkeit in Betreff ihres Wandels einhergehen — wie mancher Heilige ist in Ausübung christlicher Werke beschäftigt, und denkt nicht daran, wovon er gefallen ist. Ja, es ist schmerzlich, sagen zu müssen, daß dieses „Gefallensein" nicht allein in Betreff der ganzen Versammlung auf der Erde, sondern auch der einzelnen Herzen so allgemein geworden ist und die Gläubigen sich so sehr daran gewöhnt haben, daß es sogar mit zu den oft so hoch gepriesenen, christlichen Erfahrungen gehört, die erste Liebe verlassen zu haben; und vielen älteren Christen dauert es oft zu lange, bis ihre jüngeren Mitpilger mit ihnen einstimmen können in die Klagen und Seufzer ihrer unbefreiten und oft in den Kot dieser armen Erde zurückgesunkenen Herzen. 

Und die Neigung, solche traurigen und fleischlichen Erfahrungen zu machen, und sich solche Männer, die zu ihrer Zeit mehr oder weniger gesegnete Werkzeuge in der Hand Gottes waren, aber dennoch an dem allgemeinen Abfall in der einen oder anderen Weise teilnahmen, als Vorbilder zur Nachfolge zu wählen — diese Neigung sage ich, tritt in unseren Tagen viel mehr unter den Christen hervor, als die, einfach und allein das Wort zu seiner Richtschnur zu machen, und mit Entschiedenheit und Treue des Herzens einem Mann zu folgen, der gesagt hat: „Leben ist für mich Christus!" 

Es sind vielfach die Umstände und die allgemein herrschenden christlichen Grundsätze, die den ganzen Wandel der meisten Christen charakterisieren; aber wenig ist diese den Heiligen allein geziemende Frage im Herzen lebendig: Gehe ich in allem nach Deinem wohlgefälligen Willen, o Gott, einher, und wird Dein Name durch meine Gesinnung und mein Verhalten in Deinen Wegen verherrlicht? — Wie ernst aber spricht der Herr zu der Versammlung zu Ephesus: „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße, und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, so komme ich dir bald, und ich werde, wenn du nicht Buße tust, deinen Leuchter aus seiner Stelle wegtun" (V. 5). Ja, wie so ernst ist dieses Wort und doch auch wie tröstlich, daß darin dem von der ersten Liebe Gefallenen ein Weg zur Rückkehr geöffnet wird. „Tue Buße, tue die ersten Werke!" — So lasset uns denn, geliebte Brüder, dieses ernste Wort unseres Herrn wohl beherzigen 44 und diesen ermahnenden Zuruf Seines treuen Knechtes: 

„Werdet zusammen meine Nachfolger!" mit willigem und entschiedenem Herzen aufnehmen. „Lasset uns ablegen jede Bürde und die so leicht umstrickende Sünde und den uns vorliegenden Wettlauf mit Ausharren laufen" (Hebr. 12,1). Wir haben gesehen, wie das Herz Paulus so warm für seinen Herrn schlug und mit so inniger und treuer Liebe an Ihm hing, daß er nur weinen konnte, wenn er gegen diesen so guten und geliebten Herrn in irgend einem Herzen eine andere Gesinnung vorfand. O möchte doch keiner von uns, meine Brüder, ein Gegenstand solcher Tränen sein, sondern ein jeder, getrennt von allem, Christo allein anhangen, und zwar mit der innigsten und treuesten Zuneigung und Liebe des Herzens, damit auch wir in Wahrheit mit dem Apostel sagen könnten: „Leben ist für mich Christus!" 

Dann würde unser Dienst aus einem freien und glücklichen Herzen hervorfließen; dann würden wir nicht mit Besorgnis und Unruhe auf die mannigfachen Umstände und Schwierigkeiten blicken, sondern freudig und getrost sein, wenn nur Sein Name in allem durch uns verherrlicht und gepriesen würde. Es gibt noch eine andere Seite in dem praktischen Leben des Apostels, die ebenso klar und bestimmt, den so köstlichen Grundsatz seines ganzen Wandels: „Leben ist für mich Christus!" hervorleuchten läßt. Bisher haben wir gesehen, wie sein persönliches Verhalten gegen Christu m in allen Umständen und Schwierigkeiten dieses Lebens durch diesen Grundsatz charakterisiert wurde; und dasselbe finden wir, wenn wir seine Gesinnung und sein Verhalten gegen die Versammlun g auf der Erde beobachten. 

Er hatte, wie schon bemerkt, auf seinem letzten Weg als wütender Verfolger das innige Band zwischen Christo und der Versammlung kennen gelernt; er hatte erfahren, daß der Herr der Herrlichkeit und die Versammlung auf der Erde ein s sind, daß diese ein Teil von Ihm und sozusagen Sein zweites Ich ist; und diese köstliche Wahrheit hatte seinen ganzen gesetzlichen Eifer für Gott ans Licht gestellt, daß er nichts anderes als Feindschaft wider Gott war. Jetzt wußte er nicht allein, daß der, welcher diese Versammlung verfolgt, Ihn verfolgt, sondern auch, daß der, welcher ihr dient, Ihm dient. Und wie konnte es nun anders sein, als daß er sich dieser Versammlung mit solcher hingebender und aufopfernder Liebe zum Dienst weihte, und zwar nicht nur deshalb, weil dieser Dienst ihm aufgetragen worden, sondern auch, weil „Leben für ihn Christus war?" 

Und gewiß, es ist auch rührend, seine Gesinnung und sein Verhalten, insoweit es durch den Heiligen Geist in der Apostelgeschichte und in den Briefen an die Versammlungen mitgeteilt ist, in dieser 45 Beziehung zu sehen — seine Liebe, seinen Eifer, seinen Ernst, seine Milde und Sanftmut, seine Selbstverleugnung und sein Ausharren; wie beschämend oft für uns, aber auch wie ermunternd! Es genüge hier einzelne Schriftstellen aus den vielen hervorzuheben. Als er in Milet von den Ältesten der Versammlung zu Ephesus Abschied nahm, sagte er unter anderem zu diesen: „Deshalb wachet und gedenket, daß ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, einen jeglichen von euch mit Tränen zu ermahnen" (Apg. 20, 31).

 Wieviel ausharrende Liebe und Treue tritt uns in diesen wenigen Worten entgegen! In dem langen Zeitraum von drei Jahren ist er nicht ermüdet; und seine Tränen, die er hier erwähnt, sind ein Zeugnis seines Schmerzes und seiner Mühe in dieser Arbeit. Und das ist der Mann, der einst „diesen Weg bis zum Tode verfolgte"; der „über die Maßen gegen diese Heiligen raste" und „sie zwang, zu lästern", — und welcher „Männer und Weiber den Gefängnissen überlieferte." O wunderbarer Reichtum der Gnade Gottes! Aber ach! wie sind diese Tränen im Dienste der Heiligen in unseren Tagen so selten geworden! — Weiter lesen wir in 2. Kor. 2, 4: „Denn aus vieler Drangsal und Herzensangst habe ich euch mit vielen Tränen geschrieben, nicht daß ihr traurig gemacht werden solltet, sondern, daß ihr die Liebe erkenntet, welche ich überschwenglicher zu euch habe.

" Wie besorgt war sein Herz und wie tief sein Schmerz über diesen Zustand der Versammlung der Korinther, bis er durch Titus, den er dorthin gesandt hatte, erfuhr, welche Aufnahme sein erster Brief an diese Versammlung gefunden hatte! Nirgends hatte er Ruhe (Kap. 2,12.13; 7,5), solange Titus nicht zurückgekehrt war. Aber sobald er durch ihn eine gute Botschaft von der dortigen Versammlung empfangen hatte, war er voll von Freude und vergaß alle eigene Trübsal, wie er selbst bezeugt: „Ich bin mit Trost erfüllt; ich bin von Freuden ganz überströmend bei aller unserer Trübsal" (Kap. 7, 4). — 

Dieser Eifer und diese Liebe für diese Versammlung tritt uns noch besonders in den Worten entgegen: „Denn ich eifere über euch mit Gottes Eifer; denn ich habe euch eine m Manne verlobt, um euch als keusche Jungfrau dem Christus darzustellen. Ich fürchte aber, daß, wie die Schlange Eva durch ihre List verführte, also auch euer Sinn verdorben und verrückt werde von der Einfalt gegen Christum" (2. Kor. 11, 2. 3). Und wiederum: „Ich will aber sehr gern für eure Seelen alles verwenden, und völlig verwendet werden, wenn ich auch, je mehr ich euch liebe, umso weniger geliebt werde" (Kap. 12,15). — Er ist der treue Elieser, der mit ganzer Liebe an seinem 46 Herrn hängt, und ist voll Eifer und Sorgfalt, um Ihm Seine Verlobte, die Versammlung, als keusche Jungfrau durch diese versuchungsreiche Wüste zu der himmlischen Herrlichkeit entgegen zu führen. Er ist bereit, für die Versammlung alles zum Opfer zu bringen.

 Er denkt nicht an sich, noch sucht er seine Ehre; im Gegenteil, seine Liebe für die Korinther wird gerade durch die Abnahme der ihrigen um so lebendiger und tätiger. •— Bei dem kranken Kinde tritt die Liebe und die zärtliche Sorgfalt der Mutter am meisten hervor; mag auch das kranke Kind diese Liebe dann gerade am wenigsten verstehen und anerkennen; und dieser Charakter offenbart sich ebenso hier bei dem Apostel in Seiner Liebe und Sorgfalt für die Heiligen in Korinth. In dem Brief an die Philipper lesen wir: „Wenn ich aber auch wie ein Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich, und freue mich mit euch allen" (Kap. 2, 17). 

Ebenso in dem Brief an die Kolosser: „Jetzt freue ich mich in den Leiden fü r euch... " (Kap. 1.24). Und er schreibt an den Timotheus: „ .. . in welchem (dem Evangelium) ich Trübsal bis zu Banden, wie ein Missetäter, leide; aber das Wort Gottes ist nicht gebunden. Deswegen erduld e ic h alle s u m de r Auserwählte n willen , auf daß auch sie die Seligkeit, die in Christo Jesu ist, erlangen, mit ewiger Herrlichkeit" (2. Tim. 2. 8-10). Wie gesegnet ist es, diese hingebende und aufopfernde Liebe des Apostels zu betrachten. Sein Herz ist voll von Freude, wenn es ihm vergönnt ist, für die Heiligen zu leiden und zu sterben. Für ihn sind alle diese Leiden nur Gelegenheit, seine Liebe für seinen geliebten Herrn und Seine Versammlung an den Tag zu legen und zu bezeugen: „Leben ist für mich Christus!" Schließlich will ich hier noch auf einen sehr beachtenswerten Ausspruch des Apostels aufmerksam machen, der diesen Grundsatz seines Wandels so völlig charakterisiert und auch mit demselben in genauer Verbindung steht. — „Denn Leben ist für mich Christus, und Sterben Gewinn.

 Soll es aber sein, daß ich im Fleische leben bleibe, so. ist es für mich der Mühe wert; und was ich erwählen soll, weiß ich nicht. Beides aber liegt mir hart an, indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christo zu sein; denn es ist weit besser. Das Bleiben aber im Fleische ist nötig um euretwillen; und in dieser Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben, und zu eurer Förderung und Freude des Glaubens bei und mit euch allen bleiben werde" (V. 21-25).—Es gibt hier zwei Gedanken, die für den Apostel, weil Christus sein ein und alles war, einen unermeßlichen Wert hatten und zugleich über alles köstlich für ihn waren. Es war ja hienieden seine 47 süßeste Freude, sein sehnlichster Wunsch, sogar der einzige Zweck seines ganzen Lebens, Christu m i n alle n Um -
stände n un d Schwierigkeite n verherrlich t z u sehe n — Ihm zu dienen, für Ihn nur zu leben und für Ihn zu leiden; und es war andererseits zugleich der lieblichste Gedanke seines Herzens — ein Gedanke, wofür er alles eingebüßt hatte — Christu m z u habe n un d Ih n i n de r Herrlichkei t z u besitzen ; und was sollte er nun erwählen? 

Welchem sollte er den Vorzug geben? Sollte er wünschen, „im Fleische zu bleiben" oder abzuscheiden"? „Beides liegt ihm hart an"; denn in beidem wird die süßeste Freude und der innigste Wunsch seines Herzens erfüllt. Er sagt: „Soll es aber sein, daß ich im Fleische leben bleibe, so ist es für mich der Mühe wert." Gewiß, das Leben im Fleische hatte für ihn einen köstlichen Wert, weil es in seinen mannigfachen Versuchungen und Leiden so reichlich Gelegenheit darbot, Christum zu verherrlichen; und Christus und Seine Verherrlichung war ja seine einzige Freude hienieden, wofür er alles, sogar sich selbst, gern zum Opfer brachte. Ja, „im Fleische bleiben" war für ihn der Mühe wert. Und jetzt?

 Ach! wie manche Stunde, ja, wieviele Tage und wieviel Wochen eilen dahin, und es war nicht der Mühe wert, oft sogar nur ein Schaden, im Fleische zu sein; das Herz war soviel beschäftigt mit den mannigfachen Sorgen und Umständen dieses Lebens, und so wenig mit Christo; es wandelte mehr nach der Gesinnung des Fleisches als nach dem Wohlgefallen des Herrn. Und doch, welch einen Wert hat das Leben im Fleische auch für uns, wenn jeder Tag sich durch den Dienst Christi auszeichnet, wenn an jedem derselben Er durch unsere Gesinnung wie durch unser ganzes Verhalten hoch erhoben wird. Der Apostel hatte „Lust abzuscheiden un d be i Chri -
s t o z u se i n." Seine Lust um abzuscheiden hatte keinen anderen Grund, als be i Ih m z u sein ; und wie kann dies anders sein, wenn Christus der einzige Gegenstand, die alleinige Sehnsucht des Herzens ist? Hängt das Herz völlig an Ihm, sind alle seine Wünsche und Neigungen auf Ihn gerichtet und finden sie nur in Ihm ihre Befriedigung und ihr Ziel, so gibt es gewiß keinen köstlicheren Gedanken als den, „bei Christo zu sein." 

Doch wie so ganz anders ist in unseren Tagen die Gesinnung so vieler Heiligen, die auch eine Sehnsucht haben, „abzuscheiden", um von ihren gegenwärtigen Trübsalen und Versuchungen befreit zu werden; nicht aber ist Christus, wenigstens nicht Er allein, der Gegenstand und das Ziel ihrer Sehnsucht. — Es darf uns nicht befremden, daß der Apostel hier von seinem Sterben und nicht von der herrlichen Ankunft Christi redet. Er hatte in Vers 20 48 seine sehnliche Erwartung und Hoffnung — „daß Christus an seinem Leibe hoch erhoben würde, sei es durch Leben , sei es durch Tod" , — ausgesprochen und deshalb fährt er in den folgenden Versen fort, zu zeigen, welchen Wert das Lebe n und das Sterbe n für ihn hat. Und welch eine tröstliche Wahrheit liegt auch für uns darin! Selbst in dem Sterben, wogegen sich jede Kreatur sträubt und was für die Kinder dieser Welt ein schrecklicher Gedanke ist, liegt für den Christen Trost und Freude, ist für ihn nur Gewinn; denn es ist für ihn ein Weg zur Erfüllung dieses selbigen Gedankens: 

„Bei Christo zu sein." Gibt es nun für die Seinigen noch etwas, das sie mit Furcht erfüllen könnte, wenn sogar das Schlimmste und Letzte, was sie in dieser Welt treffen kann — das Sterben, für sie nur Gewinn, ja eine Tür zu Christo ist? O Dank der Gnade und Liebe Gottes, die durch das Werk Christi in allem so völlig für uns gesorgt hat! Alles, was irgendwie Unruhe oder Sorge oder Furcht erwecken könnte, ist völlig aus dem Wege geräumt, ja sogar in Freude und Trost verwandelt. Die Person Christi und Seine Verherrlichung stand, wie wir gesehen haben, so lebendig und so völlig vor der Seele des Apostels, daß, wenn es sich darum handelte „im Fleische zu bleiben" oder „abzuscheiden", er in Verlegenheit kam, welchem von beiden er den Vorzug geben sollte, wie er selbst sagt: „Was ich erwählen soll, weiß ich nicht." 

Sobald er aber seinen Blick auf die Versammlung richtete, sagt er: „Das Bleiben aber im Fleische ist nötiger um euretwillen." Dieser Gedanke gab den Ausschlag. Er kannte die Liebe des Herrn zu Seiner Versammlung; e r kannte Seine zärtliche und herzliche Zuneigung und Fürsorge für sie und fügte deshalb schnell hinzu: „In dieser Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben und zu eurer Förderung und Freude des Glaubens bei und mit euch allen bleiben werde." Er konnte auch keine andere Gesinnung in Betreff der Versammlung haben, als Christus Selbst, und deshalb ist er ganz und gar willig und bereit, noch im Fleische zu bleiben. Wie sehr erquickt und erfreut es unser Herz, geliebte Brüder, diese innige Liebe und bereitwillige Hingebung für die Versammlung bei diesem treuen Knechte Christi zu sehen! Wie groß und vollkommen aber muß die Liebe dieses Herrn Selbst sein! Woher kommt es aber, daß in unseren Tagen die Gefühle für die Versammlung im allgemeinen so schwach und so matt in den Herzen der Heiligen sind, daß die dienende und hingebende Liebe für sie so mangelhaft ist? 

Es kommt daher, daß die Liebe zu Christo, dem Haupt der Versammlung, so schwach ist, aus welcher allein der wahre Dienst für die Heiligen hervorfließen kann. Ist Er 32 49 nicht der einzige Gedanke unseres Herzens, so nimmt auch Seine Versammlung nicht den Platz darin ein, der ihr gebührt. Sobald es dem Feind gelang, das innige Band, die so gesegnete Einheit zwischen Christo und Seiner Versammlung in den Herzen der Heiligen zu lockern, sobald er die „erste Liebe" zu Christo, dem verherrlichten Haupte, in den Heiligen zerstörte, sobald war auch das Band der Gemeinschaft untereinander, als Glied eine s Leibes, vernichtet; überall trat Zwiespalt und Verwirrung ein. Und welch einen furchtbaren Umfang hat diese Verwirrung, diese Zerrissenheit in der Versammlung bisher erreicht!

 Die oft so hochgepriesene Geschichte der Versammlung oder Kirche ist nichts anderes als die traurige Geschichte ihres Verfalls. Ja wahrlich, dies ist der beklagenswerte Zustand der Versammlung, deren Glieder wir sind! — Wenn aber nun dennoch der Apostel in dem Wort Gottes mit seinem ernsten und mahnenden Zuruf: „Werdet zusammen meine Nachfolger, Brüder!" an uns herantritt, was haben wir dann zu tun, wenn wir wirklich bereit und willig sind, diesem Ruf zu folgen? Die einfache Antwort ist: zu „de r erste n Liebe " zurückzukehren. „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke."

 Ja dies ist es, was wir bedürfen: uns vor dem Herrn zu demütigen, anzuerkennen, daß durch die List Satans und durch die Untreue der Versammlung, deren Glieder wir sind, diese Verwirrung und dieser Verfall eine solch furchtbare Höhe erreicht hat, um dann uns mit der Versammlung in diesem Zustand ein s zu machen im Gebet und Flehen zu Gott. So lange wir nicht zu der „erste n Liebe " —• zu de r Liebe, deren Charakter dem Verhältnis zwischen Christo und Seiner Versammlung völlig entspricht und welche Christum zum einzigen und teuersten Gegenstand hat, — zurückgekehrt sind, so lange können wir auch nicht in Wahrheit Nachfolger des Apostels sein. 

Diese Liebe allein ist fähig, Christum in der rechten Weise zu verherrlichen und Seiner Versammlung im Segen zu dienen; sie allein ist fähig, sich mit der Versammlung ein s zu machen in allen ihren Bedürfnissen; sie versteht ihre Einheit mit Christo; sie mißt ihren Wert nach Seinen Gedanken und nach dem Preis, womit Er sie erkauft hat, und sie ist überzeugt, daß diese Versammlung auch in ihrem schwachen und elenden Zustand stets ein Gegenstand Seiner treuesten Liebe und Fürsorge ist.

 Sie ist aber nicht zufrieden, sich mit einigen Gliedern der ganzen Versammlung vereinigt zu sehen; sie ist nicht getröstet oder gar gleichgültig, wenn sie im einzelnen in Gemeinschaft wandeln kann; denn sie steht über allem Sektengeist und erkennt, daß Christus alle die Seinigen mit derselben Liebe 50 umfaßt; und sie kann keine andere Gesinnung haben, als Er Selbst hat, weil sie aus Ihm ist; Seine Gefühle sind stets die ihrigen. Wenn es sich um den persönlichen Wandel handelt, so denkt diese Liebe nur an Sein Wohlgefallen, nur an Seine Gebote; sie wandelt in Seiner seligen Nähe und Gemeinschaft und nimmt nicht teil an der Untreue anderer. 

Diese Untreuen werden schmerzlich für sie sein; aber sie kann nicht, etwa aus Rücksicht gegen die Brüder, selbst in Gleichgültigkeit dahingehen. Denn Christus steht für sie höher als alles. Das Herz aber, das mit dieser Liebe erfüllt ist, bleibt weit und ist voll von Teilnahme, voll von Interesse für alle die Seinigen; ja für die ganze Versammlung. Deshalb, meine Brüder, glücklich die Seele, die zu der „e r -
s t e n L ie b e" zurückkehrt, die Christum zu ihrem einzigen und teuersten Gegenstand, zu ihrer höchsten Freude hat! Er aber, der Gott aller Gnade, wolle durch die Kraft Seines Geistes unsere Herzen in diese gesegnete Stellung zurückführen, damit wir in Wahrheit mit dem Apostel bekennen können: „Leben ist für mich Christus!" 

Jetzt und Dann oder Zeit und Ewigkeit (Lukas 12)

 „Indem wir nicht die Dinge anschauen, welche man sieht, sondern die Dinge, welche man nicht sieht; denn die Dinge, welche man sieht, sind zeitlich; die Dinge aber, welche man nicht sieht, ewig" (2. Kor. 4, 18). Die Grundsätze der Wahrheit, welche im 12. Kapitel des Evangeliums Lukas niedergelegt sind, haben einen sehr feierlichen, alles durchdringenden Charakter, und ihre praktische Tragweite ist gerade in einer Zeit, wie die gegenwärtige, von der größten Wichtigkeit. In dem Lichte dieser Wahrheit, wie es uns hier entgegenstrahlt, kann kein fleischlicher und weltlicher Sinn bestehen; er wird bis auf den Grund verwelken. — Wenn man uns nach dem kurzen und hauptsächlichen Inhalt dieses köstlichen Kapitels fragte, so würden wir antworten: „Es ist ein e Betrachtun g d e r Zei t im Licht e de r Ewigkeit. " — 

Der Herr hatte offenbar die Absicht, Seine Jünger durch diese Betrachtung in das Licht jener Welt, wo alles einen völligen 51 Gegensatz zu der gegenwärtigen bildet, zu versetzen, damit Er ihre Herzen unter den segensreichen Einfluß der unsichtbaren Dinge, und ihr Leben unter die Macht und Autorität der himmlischen Grundsätze brächte. Dies war die liebevolle Absicht des göttlichen Lehrers; und Er legte Seiner Belehrung hier diese warnenden und zugleich durchdringenden Worte zu Grunde: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist!" — Es darf kein unlauterer Zug in der Seele mit unterlaufen; die tiefen Quellen eines jeden Gedankens müssen bloßgelegt werden, — ja, es ist nötig, daß wir die reinen Strahlen des himmlischen Lichtes in die tiefsten Tiefen unseres moralischen Wesens eindringen lassen. Vor diesem Licht kann kein Widerspruch zwischen dem verborgenen Urteil der Seele und der äußeren Ausdrucksweise, zwischen der Richtung des Lebens und dem Bekenntnis der Lippen bestehen. Mit einem Wort, wir bedürfen der Gabe eines „aufrichtigen und guten Herzens", um aus dieser wunderbaren Zusammenstellung der praktischen Wahrheit gesegneten Nutzen zu ziehen. 

Wir sind zu sehr geneigt, bekannte Wahrheiten mit Gleichgültigkeit und kalter Beipflichtung anzuhören, und ziehen gewöhnlich unterhaltende Spekulationen über gewisse Schriftausdrücke oder Lehrpunkte oder Fragen über die Prophetie vor, weil wir diesen, in Verbindung mit jeder Art von Weltsinn, von habsüchtigen Begierden und Selbstbefriedigung, nachhängen können. Aber diese gewichtigen Grundsätze der Wahrheit, die wir in diesem Kapitel finden, fallen in ihrer ganzen Größe und tief einschneidenden Kraft auf das Gewissen nieder; und wer vermag es zu ertragen, wenn nicht jene, welche durch die Gnade sich „von dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist", zu reinigen suchen?

 Dieser Sauerteig hat dem äußeren Ansehen nach einen schönen Charakter, zeigt sich in den mannigfachsten Formen und ist deshalb um so gefährlicher. In der Tat bildet er, wo er sich vorfindet, ein wirkliches und unüberwindliches Hindernis vor der Seele, so daß sie in einer erfahrungsmäßigen Erkenntnis und praktischen Heiligung nicht voranschreiten kann. Wenn ich nicht meine ganz e Seel e der Wirkung der göttlichen Wahrheit bloßstelle, wenn ich noch irgend einen Winkel vor ihrem Licht verberge, wenn ich noch irgend etwas für mich zu behalten wünsche, wenn ich auf eine unredliche Art die Wahrheit meinem eigenen Standpunkt und Verhalten anzupassen, oder ihre Schärfe von meinem Gewissen abzuwenden suche — dann bin ich ohne Zweifel mit dem Sauerteig der Heuchelei befleckt, und mein Wachstum nach dem Bilde Christi ist eine moralische Unmöglichkeit. 

Wie notwendig ist es deshalb für jeden Jünger 52 Christi, achtzuhaben, daß sich nichts von diesem verderblichen Sauerteig in den verborgenen Winkeln seines Herzens vorfindet. Laßt uns ihn durch die Gnade Gottes von uns fern zu halten suchen, damit wir in allen Verhältnissen fähig sind, zu sagen: „Rede Herr, denn dein Knecht höret!" Es ist aber die Heuchelei nicht allein jedem geistigen Fortschritt geradezu entgegen, sondern sie verfehlt auch ganz und gar ihren Zweck, welchen sie sich vorgesetzt hat; „denn es ist nichts verdeckt, was nicht aufgedeckt und nichts verborgen, was nicht kund werden wird" (V. 2). Vor dem Richterstuhl Christi wird ein jeglicher Mensch offenbart und jeder Gedanke an das Licht gebracht werden. Was die Wahrheit jetz t tun wollte, wird dan n das Gericht tun. Jeder Grad und Schatten der Heuchelei wird durch das Licht, welches von diesem Richterstuhl Christi ausstrahlt, entlarvt werden; und nichts wird demselben entgehen können. Dan n wird alles nach der Wirklichkeit sein, obgleich es j e t z t so viele Täuschungen gibt. 

Dan n wird alles mit dem wahren Namen benannt werden, mag man es jetz t auch ausdrücken, wie man will. Weltsinn pflegt man jetz t wohl Klugheit, Habsucht und Eigennutz — Vorsicht zu nennen; Selbstbefriedigung und wachsendes Ansehen wird als Lebensweisheit und lobenswerter Geschäftsfleiß bezeichnet. Ja, so ist es jetzt ; aber dan n wird es ganz das Gegenteil sein. Alle diese Dinge werden vor dem Richterstuhl Christi in ihrem wahren Licht erscheinen und nach ihrem wahren Namen benannt werden. Deshalb ist es währe Weisheit eines Jüngers, wenn er jetzt in dem Lichte jenes Tages handelt, an welchem das Verborgene aller Herzen offenbart werden wird. Freilich ist er in dieser Beziehung auf einen vorteilhaften Grund gestellt; wenn auch der Apostel sagt: „Wir müssen all e (Heilige und Sünder — zwar nicht zu derselben Zeit noch auf demselben Grunde) offenbart werden vor dem Richterstuhl Christi." 

Sollte dieses das Gemüt des Jüngers beunruhigen? Gewiß nicht, wenn sein Herz von dem Sauerteig der Heuchelei gereinigt, und seine Seele durch die Belehrung des Heiligen Geistes in der großen Grundwahrheit, welche uns in demselben Kapitel, 2. Kor. 5, vorgestellt wird, nämlich, daß Christus sein Leben und Christus seine Gerechtigkeit ist, völlig gegründet und befestigt ist, so daß er mit dem Apostel sagen kann: „Wir sind Gott offenbart ; ich hoffe aber auch in euren Gewissen offenbar t zu sein." Wenn aber bei ihm dieser Friede des Gewissens noch mangelhaft ist und er es aufrichtig meint, so wird ohne Zweifel der Gedanke an den Richterstuhl Christi seinen Geist beunruhigen. 

Deshalb ist auch der Herr in Seiner Belehrung in Luk. 12 53 bemüht, das Gewissen Seiner Jünger jetz t schon ganz und gar in das Licht dieses Richterstuhls zu stellen. „Ich sage euch, mein e Freunde : Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und darnach nichts mehr zu tun haben. Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der nach dem Töten Macht hat, in die Hölle hineinzuwerfen; ja, ich sage euch, den fürchtet" (V. 4. 5). Menschenfurcht ist eine Schlinge, und ist genau verbunden mit dem „Sauerteig der Pharisäer"; aber die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang", und veranlaßt den Menschen, sich jetz t so zu betragen — so zu denken, zu reden, zu handeln — wie in dem vollen Glänze des Lichtes des Richterstuhles Christi. 

Und was würde die Folge einer solchen Gesinnung sein? Es würde dem Charakter eine unermeßliche Würde und Erhabenheit verleihen, während der Geist der stolzen Unabhängigkeit in seinem ersten Keime wirklich erstickt würde, und es würde die Seele unter der alles erforschenden Macht des Lichtes Gottes, welches alles offenbar macht, bewahrt bleiben. Es ist nichts so sehr geeignet, den Jünger Christi seiner wahren Würde der Jüngerschaft zu berauben, als ein Wandel vor den Augen oder nach den Gedanken der Menschen. Solange wir in dieser Weise handeln, können wir nicht freie Nachfolger unseres himmlischen Meisters sein. Ferner ist das Übel, unsere Wege vor Gott zu verbergen zu suchen, und beides hat Teil an dem „Sauerteig der Pharisäer" und beides wird vor dem Richterstuhl Christi seine eigentümliche Stellung finden. Warum sollten wir die Menschen fürchten? Warum sollten wir ihre Meinungen berücksichtigen? 

Wenn diese Meinungen in der Gegenwart Dessen, der auch Macht hat in die Hölle zu werfen, nicht bestehen können, so haben sie keinen Wert; denn Er ist es, mit dem wir zu tun haben. „Mir aber ist es das Geringste, daß ich von euch beurteilt werde, oder von einem menschlichen Gericht" (1. Kor. 4, 3). Der Mensc h mag jetzt einen Richterstuhl haben, aber dan n wird er keinen haben; er mag i n diese r Zei t zu Gericht sitzen, aber in der Ewigkeit richtet er nicht mehr. Warum sollten wir nun unsere Wege nach einem so schwachen und vergänglichen Gericht einrichten? Laßt uns ein solches Tun vielmehr gänzlich verwerfen. Gott gebe uns Gnade, jetz t allezeit in Beziehung zu der Ewigkeit zu handeln, daß in unserem Wandel hier unser Auge stets nach oben gerichtet bleibe, ja, daß wir die Zeit im Lichte der Ewigkeit betrachten.

 Das arme ungläubige Herz mag da wohl, wie immer, fragen: Wenn ich mich aber also über die menschlichen Gedanken und Meinungen erhebe, wie werde ich dann fortkommen in einer Welt, wo gerade diese Gedanken und Mei54 nungen herrschen? Das ist eine sehr natürliche Frage; aber von den Lippen des Herrn kommt uns eine völlige und befriedigende Antwort entgegen. Ja es scheint, als wollte Er in Seiner Gnade diesem aufsteigenden Element des Unglaubens zuvorkommen, indem Er, Seine Jünger über den trübenden Dunstkreis der Jetztzeit zu dem reinen, forschenden und kräftigen Lichte der Ewigkeit erhebend, hinzufügt: „Werden nicht fünf Sperlinge für zwei Pfennige gekauft? — Und nicht ein einziger von ihnen ist vor Gott vergessen. Ja, selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. So fürchtet euch nun nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge" (V. 6. 7). 

Hier wird das Herz unterrichtet, nicht allein Gott zu fürchten, sondern Ihm auch zu vertrauen; es wird nicht nur gewarnt, sondern auch beruhigt. „Fürchtet" und „fürchtet nicht" mag dem Fleisch und Blut seltsam erscheinen, aber für den Glauben liegt nichts Seltsames darin. Der Mensch, welcher Gott am meisten fürchtet, fürchtet die Umstände am wenigsten. Der im Glauben Wandelnde ist der abhängigste und zugleich unabhängigste Mensch in der Welt, — abhängig von Gott, unabhängig von den Umständen. Das Letztere ist die Folge des Ersteren; wahre Abhängigkeit bewirkt wahre Unabhängigkeit. 

Dies offenbart uns den Grund von dem Frieden des Gläubigen. Derjenige, welcher Macht hat in die Hölle zu werfen — der einzige, welcher zu fürchten ist — hat es in der Tat der Mühe wert geachtet, die Haare seines Hauptes zu zählen; und Er hat es gewiß nicht darum der Mühe wert geachtet, um ihn jetzt oder später verlorengehen zu lassen, sondern um ihn zu bewahren und zu erhalten. Diese bis in das Kleinste gehende Sorgfalt unseres Vaters sollte jeden Zweifel, der sich in unseren Herzen erheben will, zum Schweigen bringen. Nichts ist für Ihn zu gering, und es kann auch nichts zu groß für Ihn sein. Die unzählbaren Welten, welche sich in dem unendlichen Raum bewegen und ein fallender Sperling sind gleich vor Ihm. Sein unendlicher Geist kann mit derselben Leichtigkeit den Lauf der Jahrhunderte und die Haare unseres Hauptes überschauen. Dies ist das feste Fundament, worauf Christus Sein „Fürchtet euch nicht!" und „Sorget nicht!" gründet. Wir fehlen aber oft in der praktischen Anwendung dieses göttlichen Grundsatzes. Wir mögen es als einen Grundsatz bewundern, aber seine wahre Schönheit wird nur in der Anwendung gesehen und gefühlt. Wenn wir es aber nicht in Übung bringen, so malen wir gleichsam Sonnenstrahlen an die Wand und sterben doch unter der eisigen Decke unseres Unglaubens. 

Wir finden nun in diesem Schriftabschnitt vor uns, daß ein offenes und mutiges Zeugnis für Christum mit dieser 55 heiligen Erhebung über die Gedanken der Menschen und mit diesem stillen Vertrauen auf unseres Vaters zärtliche Sorgfalt — selbst in den kleinsten Dingen — auf das innigste verbunden ist. Wenn mein Herz über den Einfluß der Menschenfurcht erhoben und durch die Versicherung, daß Gott die Haare meines Hauptes alle gezählt hat, völlig beruhigt ist, dann ist meine Seele in dem rechten Zustand, um den Christus vor den Menschen zu bekennen (siehe V. 8-10). Ich bin dann auch nicht über die Folgen dieses Bekenntnisses bekümmert; denn so lange wie Gott mich hier wünscht, wird Er mich auch hier behalten. „Wenn sie euch aber vor die Synagogen und die Obrigkeiten und Gewalten führen, sorget nicht, wie oder was ihr antworten oder was ihr sagen sollt; denn der Heilige Geist wird euch in derselben Stunde lehren, was ihr sagen sollt" (V. 11. 12). 

Die allein geeignete Stellung, um für Christum ein Zeugnis abzulegen, ist die, von dem menschlichen Einfluß völlig, befreit und in einem unerschütterlichen Vertrauen zu Gott gefestigt zu sein. Insoweit ich unter dem Einfluß der Menschen stehe oder ein Knecht derselben bin, insoweit bin ich auch als Diener Christi untauglich; und ich kann nur durch einen lebendigen Glauben in Gott von dem menschlichen Einfluß wirklich befreit sein. Wenn Gott das Herz erfüllt, so ist kein Raum für die Kreatur da; und wir können auch völlig überzeugt sein, daß nie ein Mensch es der Mühe wert gehalten hat, die Haare unseres Hauptes zu zählen; wir haben es selbst nicht einmal der Mühe wert gehalten. Aber Gott hat es getan und deshalb kann ich Ihm mehr als irgend jemand vertrauen. Gott ist für jedes Bedürfnis, groß oder klein, völlig ausreichend, und, um zu erfahren, daß Er dies ist, brauchen wir Ihm nur zu vertrauen.

 Es ist wahr, daß Er Sich dazu der Menschen als Werkzeuge bedient; wenn wir uns aber auf die Menschen, anstatt auf Gott, auf die Werkzeuge, anstatt auf die Hand, welche sie gebraucht verlassen, so bringen wir einen Fluch über uns; denn es steht geschrieben: „Verflucht ist der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arme macht und dessen Herz von Jehova weichet" (Jerem. 17, 5). Jehova gebrauchte die Raben, um den Elias zu speisen; aber Elias dachte wohl nie daran, auf die Raben zu vertrauen. 

So sollte es immer sein. Der Glaube verläßt sich auf Gott, rechnet auf Ihn, klammert sich an Ihn, traut auf Ihn, harret auf Ihn. Er läßt Ihm immer einen freien Raum, um zu handeln; er versperrt Seinen herrlichen Pfad nicht durch irgend ein Vertrauen auf die Kreatur; er läßt Ihn alles das, was Er ist, offenbaren und überläßt Ihm alles. Und sollte der Glaube auch durch tiefe und reißende Wasser gehen, er wird immer auf der Spitze der höch56 sten Wellen gesehen werden und von da unverwandt und in völliger Ruhe auf Gott und Sein mächtiges Walten gerichtet bleiben. Der Glaube ist es allein in dieser Welt, der Gott und dem Menschen den gebührenden Platz gibt. Während der Herr Jesus damit beschäftigt war, diese himmlischen Grundsätze darzustellen, mengt sich ein wahres Kind der Erde mit einer Frage über Eigentum hinein. „Ein Gewisser aber aus der Volksmenge sprach zu ihm: Lehrer! Sage meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir teile" (V. 13). 

Wie unbegreiflich wenig wußte dieser von dem wahren Charakter des himmlischen Menschen, welcher vor ihm stand. Er hatte keine Ahnung von dem tiefen Geheimnis Seines Wesens, noch von dem Zweck Seiner himmlischen Sendung. Er war gewiß nicht aus dem Schöße des Vaters herniedergekommen, um Streitigkeiten über das Eigentum zu schlichten oder um Schiedsrichter zwischen zwei habsüchtigen Menschen zu sein. — Der Geist der Habsucht lag offenbar in der ganzen Sache. Beide, der Kläger wie der Angeklagte, wurden durch Habsucht geleitet; der eine wünschte zu erhaschen und der andere zu behalten. Was war dies anders als Habsucht? „Er aber sagte zu ihm: Mensch! wer hat mich zu einem Richter oder Teiler über euch gesetzt? (V. 14). 

Es handelte sich nicht darum, wer bei dieser Erbschaftsfrage recht oder unrecht hatte; nach der reinen und himmlischen Lehre Christi hatten sie beide unrecht. In dem Lichte der Ewigkeit haben einige Morgen Land sehr wenig Wert; und was Christum Selbst betraf, so lehrte Er nicht nur Grundsätze, welche jeder Frage über den irdischen Besitz direkt entgegenstehen, sondern Er gab auch in Seiner eigenen Person und Seinem ganzen Charakter ein Exempel von diesem Gegensatz. Er kam nicht, um über das Erbe einen Prozeß zu führen; Er war „der Erbe aller Dinge". Das Land Israel, der Thron Davids und die ganze Schöpfung gehörten Ihm; aber man wollte Ihn nicht anerkennen, noch Ihm Sein Eigentum geben. „Als ihn aber die Weingärtner sahen, überlegten sie bei sich selbst und sagten: Dieser ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, damit das Erbe unser sei" (Luk. 20, 14). 

Der Erbe unterwarf sich in vollkommener Geduld, aber — ewig gepriesen sei Sein herrlicher Name! — durch Seine Unterwerfung bis in den Tod vernichtete Er die Macht des Feindes und brachte „viele Söhne zur Herrlichkeit." So sehen wir in der Lehre und in dem praktischen Leben des himmlischen Menschen die wahre Darstellung der Grundsätze des Reiches Gottes. Er wollte nicht richten, sondern Er lehrte die Wahrheit, welche die Notwendigkeit des Gerichts hinwegtun sollte. Wenn die Grundsätze des Reiches Gottes herrschten, so würden die Gerichtshöfe nicht nötig sein; 57 denn wenn niemandem Unrecht geschieht, so braucht auch kein Unrecht gerichtet zu werden. Dies wird jedermann zugeben. 

Nun ist aber der Christ, welcher sich schon in dem Reich Gottes befindet, verbunden, sich durch die Grundsätze dieses Reiches leiten zu lassen und sie um jeden Preis in Ausübung zu bringen; denn in demselben Maße wie er vergißt jene Grundsätze zu verwirklichen, raubt er seiner eigenen Seele den Segen und schadet seinem Zeugnis. Wenn ein Mensch zum Gericht geht, so wird er nicht, indem er dieses tut, durch die Grundsätze des Reiches Gottes geleitet, sondern durch die Grundsätze des Reiches des Satans, welcher der Fürst dieser Welt ist.

 Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob er ein Christ ist, sondern durch welche Grundsätze er in dieser Beziehung geleitet wird. Ich sage nichts von der inneren Triebkraft der göttlichen Natur, welche einen jeden sicher leiten würde, um mit aller Bestimmtheit den großen Widerspruch eines Menschen zu begreifen, welcher bekennt, daß er durch Gnad e errettet ist und dennoch mit seinem Nächsten nach der Gerechtigkei t verfahren will — eines Menschen, der, wenn er von der Hand Gottes sein Recht empfangen würde, in der Hölle brennen müßte und der dessen ungeachtet mit aller Bestimmtheit auf sein Recht gegen seinen Nächsten besteht — eines Menschen, welchem zehntausend Talente geschenkt sind und der dennoch seinen Nächsten ergreift und würgt wegen armseliger hundert Denare. Doch will ich hierbei nicht länger verweilen. 

Ich wollte nur diese Frage über das „zu Gericht gehen" im Lichte des Reiches Gottes, im Lichte der Ewigkeit betrachten. Und wenn es wahr ist, daß in diesem Reich kein solcher Gerichtshof nötig ist, so lege ich es in der Gegenwart Gottes feierlich auf das Gewissen meines Lesers, daß er, als Untertan dieses Reiches, völlig unrecht tut, zu Gericht zu gehen. Wohl mögen wir dadurch manchen Verlust und viele Leiden zu erdulden haben; allein es ist auch nur der des „Reiches Gottes würdig", welcher bereit ist, „für dasselbe zu leiden." Laßt jene, welche durch die Dinge der Jetztzei t geleitet werden, zu Gericht gehen; der Christ aber soll und darf sich nur durch die Dinge der Ewigkei t regieren lassen. Jene gehen jetz t zu Gericht, aber sie werden es dan n nicht tun können; und der Christ soll jetz t handeln, wie es dan n geschehen wird. 

Er gehört dem Reiche an, und gerade jetzt , während das Reich Gottes noch nicht offenbart, sondern der König verworfen ist, sind die Untertanen dieses Königs berufen, zu leiden. Die Gerechtigkeit „leidet" jetzt; in dem tausendjährigen Reich aber wird sie „regieren", und in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde wird sie „wohnen". 58 Will de r Christ jetz t richten, so kommt e r der Zeit des tausendjährigen Reiches un d de r seines Meisters zuvor. Er ist berufen, jed e Art von Unrecht un d Ungerechtigkeit zu leiden; sucht er diesem zu entgehen, so leugnet e r die Wahrheit des Reiches, welchem e r anzugehören bekennt. Diesen Grundsat z führe ich meinem Lese r vor die Seele und wünsche sehr, daß e r seine Kraft ausüben und ihm nicht unbedeutend erscheinen möge. Es ist nichts meh r geeignet, die Frische und die Kraft, das Wachstum un d da s Gedeihen des Reiches Gottes in dem Herzen zu verhindern , als di e Gering -
schätzung de r Grundsätz e dieses Reiches in unserem Wandel*). *) 

Es geziemt dem Christen, in allem durch diese Grundsätze geleitet zu werden. Wenn er ein Geschäft betreibt, so sollte er es als ein Kind Gottes und als Knecht Christi betreiben. Nicht sollte er am Sonntag einen christlichen und am Montag einen weltlichen Charakter offenbaren, oder von einem sogenannten „Handelsgeiste" geleitet werden. Überall sollte die Gegenwart des Herrn mich erfüllen — in der Werkstätte, im Laden, im Büro usw. Es ist mein Vorrecht, in all meinen Geschäften von Gott abhängig zu sein; um aber wirklich von Ihm abzuhängen, muß mein Geschäft von solcher Natur sein, und nach solchem Grundsatz geführt werden, daß Er es als das Seinige anerkennen kann. Wenn ich sage: Ich muß meine Geschäfte betreiben, wie auch andere es tun, sonst kann ich nicht bestehen, so verlasse ich den wahren christlichen Boden und verliere mich in dem Strom der Gedanken der Welt.

 Wenn ich z. B. zu Plakaten, zu großartigen Anzeigen in den Zeitungen und all dergleichen Mitteln der Empfehlung und der Anpreisung meine Zuflucht nehme, so befinde ich mich wirklich nicht in der einfachen Abhängigkeit von Gott, sondern ich bin nach dem Grundsatz der Welt tätig. — Nun werden etliche fragen: Wie muß ich denn mein Geschäft betreiben? Ich werde eine Gegenfrage tun.

 Zu welchem Zweck betreibst du es? Ist es, um Nahrung und Kleidung zu haben, oder um Schätze zu sammeln, um ein reicher, angesehener Mann zu werden? Ist es das Erstere, — Gott hat es verheißen, und du hast nur nötig nach Seiner Vorschrift zu wandeln und von Ihm allein abhängig zu bleiben. Der Glaube stellt uns auch in den weltlichen Geschäften, welche diese auch sein mögen, auf einen von dem Beschäftigtsein der Kinder dieser Welt ganz verschiedenen Grund. Denken wir z. B. an David im Eichgrunde, als er gegen Goliath stritt. Warum kämpfte er nicht, wie andere Männer? Weil er sich auf dem Boden des Glaubens befand. Ebenso Hiskias. Warum legte er einen Sack an, als andere Männer zu den Waffen griffen? (2. Kön. 19, 1). Weil er sich auf dem Boden der einfachen Abhängigkeit von Gott befand. Gerade so ist es in dem Falle eines Geschäftsbetreibenden; er muß es völlig als Christ betreiben, anders schwächt er das Zeugnis und beraubt seine eigene Seele des Segens. Am traurigsten aber ist es, wenn ein Christ unter einem vorgeblich guten oder gar christlichen Zwecke, seine Habsucht oder Geldgier zu verbergen sucht. 

Es könnte jemand sagen, daß die Kirche oder Versammlung von ihrer hohen Stellung hernieder gebracht würde, wenn man ihr also die Grundsätze des Reiches einzuprägen suchte. Keineswegs. Wir gehören der Versammlung an, aber wir sind in dem Reiche. Obgleich wir beide nicht miteinander verwechseln dürfen, so ist es doch völlig klar, daß der Zustand der Versammlung, ihr Leben und Wandel, nie unte r den Genossen des Reiches stehen darf. Steht es mit dem Geist und mit den Grundsätzen des Reiches im Widerspruch, meine Rechte vor dem Gesetz geltend zu machen, so ist dieses, wenn es möglich wäre, noch viel mehr im Widerspruch mit dem Geiste und den Grundsätzen der Versammlung. 

Das kann keinem Zweifel unterworfen sein. Je höher meine Stellung, desto höher und himmlischer sollte auch mein Charakter und mein ganzer Wandel sein. Ich glaube völlig, und wünsche es auch stets festzuhalten, daß die Versammlung in ihrem ganzen Leben und Wandel zu beweisen hat, daß sie der Leib und die Braut Christi ist — Erbe einer himmlischen Stellung, erwartend, kraft ihrer Einheit mit Christo, die himmlische Herrlichkeit; aber ich kann nicht begreifen, daß ich, als Glied dieses so hoch bevorzugten Leibes in meinem Wandel weniger eifrig sein sollte, als ein Glied des Reiches. Was für ein Unterschied ist im Blick auf den gegenwärtigen Wandel und Charakter zwischen dem, der dem Leibe eines verworfenen Hauptes und dem, der dem Reich eines verworfenen Königs angehört? Sicherlich kann dies bei dem Ersteren doch nicht weniger Wert und Bedeutung haben, als bei dem Letzteren. 


Je höher und inniger meine Gemeinschaft mit Ihm, dem Verworfenen ist, desto entschiedener sollte auch meine Trennung von alle dem sein, was Ihn verworfen hat, desto völliger meine Ähnlichkeit mit Seinem Charakter, und desto bestimmter und genauer mein Wandel in Seinen Fußstapfen, und zwar in der Mitte derer, die Ihn verworfen haben. — Die einfache Sache aber hierbei ist diese: Wi r bedürfe n ei n Gewissen . Ja, geliebter Leser, ein zartes, geübtes aufrichtiges Gewissen, welches treu und genau dem Ruf Gottes in Seinem reinen und heiligen Wort folgt. Dies ist es gerade, was uns in der gegenwärtigen Zeit so Not tut. Es sind nicht so sehr die Grundsätze , derer wir bedürfen, als die Gnade , die Energi e und eine heilig e Entschiedenheit , dieselben um jeden Preis auszuüben.

 Wir räumen selbst solche Wahrheiten ein, die ganz einfach da s verwerfen und richten, was wir uns im Geheimen oder offenbar erlauben. Wir können uns zu dem Grundsatz der Gnad e bekennen und in der strengen Aufrechterhaltung unsere s Recht s vorangehen. Wie oft z. B. geschieht es nicht, daß Personen 60 predigen, lehren, sich der Gnade zu erfreuen bekennen, und im nächsten Augenblick auf das bestimmteste auf ihrem Recht bestehen, wenn es sich um ihren Vorteil handelt, und oft direkt oder indirekt arme Leute wegen einigen Talern Zins gerichtlich verfolgen oder sie wegen rückständiger Miete aus ihrer Wohnung treiben und sie dem Mangel und dem Elend in einer kalten und herzlosen Welt preisgeben. 

Und gewiß, man würde oft schaudern, wenn man Zeuge der Folgen eines solchen Verfahrens wäre, wenn man die vielen Flüche und Verwünschungen hörte, und wenn man den Gram und das Elend mancher Mütter und Kinder sähe. Dies ist zwar ein sehr handgreiflicher Fall, der aber — leider! — nur zu oft vorkommt. Und sollte es vielleicht jemand befremden, daß gerade ein solcher Fall vorgestellt wird, so erwidere ich nur, daß es für viele wegen Mangel an Gefühl und Gewissenhaftigkeit nötig ist, die Sache mit dieser Deutlichkeit vorzutragen, wenn sie von ihnen verstanden werden soll. 

Es geht uns oft gleich dem David, daß wir, so lange wir in dem uns vorgeführten Bild der Sünde und der Ungerechtigkeit uns selbst nicht erkennen, unsere Mißbilligung und unseren Unwillen bis auf das Höchste steigern; und es wäre auch oft ein Nathan nötig, der uns zuriefe: „Du bist der Mann!" damit wir uns mit einem geschlagenen Gewissen und in wahrer Selbstverabscheuung demütigen lernten. Es fehlt uns heutzutage nicht an gelehrten, wortreichen Predigten, an eleganten und beredten Vorträgen und an weitläufigen Abhandlungen über die Grundsätze der Gnade; aber dabei sind die Gerichtshöfe mit Richtern, Rechtsanwälten und anderen Beamten angefüllt, die täglich alle Schlauheit und Redekunst, um nicht mehr zu sagen, anwenden, um den Leuten zu ihrem sogenannten Recht zu verhelfen. Aber möchte jemand einwenden: Ist es ungerecht , das Unsrige zu suchen und uns dabei der rechtlichen Mittel zu bedienen, welche uns zu Gebote stehen? 

Gewiß nicht. Diese Behauptung, möge sie auch noch so klar und deutlich dargestellt werden, stände in völligem Widerspruch mit dem Worte Gottes. Der Knecht in Matthäus Kap. 18 wurde ein „böser Knecht" genannt und „den Priestern überliefert", nicht weil er ungerech t gehandelt hatte, indem er auf das Zurückbezahlen einer Schuld bestand, sondern weil er nicht nach Gnad e gehandelt und die Schuld erlassen hatte. Ein Mensch, welcher nicht nach Gnad e handelt, wird das Gefühl der Gnade verlieren, und derjenige, welcher versäumt, die Grundsätze des Reiches Gottes auszuüben, wird die Freude dieser Grundsätze in seiner eigenen Seele entbehren müssen. Wie nötig war es deshalb, daß der Herr Jesus warnend zu Seinen Jüngern sagte: „Sehet zu und hütet 61 euch vor der Habsucht; denn nicht, weil jemand Überfluß hat, besteht sein Leben von seiner Habe" (V. 15). 

Wie schwer ist es, diese „Habsucht" völlig zu bezeichnen! Wie schwer, diese Wurzel allen Übels in allen ihren verschiedenen Gestalten und Schattierungen vor das Gewissen zu bringen, um sie recht zu erkennen. Man findet sie, wie jemand von dem Weltsinn sagte, „in jeder Schattierung, von weiß bis kohlschwarz"; und nur dann, wenn wir von einem himmlischen Sinn durchdrungen und von den Grundsätzen der Ewigkeit geleitet werden, sind wir fähig, die Wirkung dieses Grundübels zu entdecken. Aber nicht allein das, sondern unsere Herzen müssen auch von dem „Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist", gereinigt sein. Die Pharisäer waren geldgierig, und deshalb konnten sie nichts anderes, als über die reine, himmlische Lehre spotten (Luk. 16, 14); und so ist es mit allen denen, welche mit diesem Sauerteig verunreinigt sind. Sie suchen immer der Anwendung der Wahrheit auf ihr eigenes Herz auszuweichen, mag es sich nun um den Geiz oder um ein anderes Laster handeln.

 Sie suchen diese Wahrheit immer so auszulegen, daß ihnen selbst dadurch nicht zu nahe getreten wird; sie suchen sie zu mildern und zu schmücken und ihren eigenen Ansichten anzupassen, damit deren Schärfe ihr Gewissen nicht treffe; und auf diese Weise kommen sie immer mehr unter die Macht und den Einfluß des Feindes. Ich werde entweder durch die reine Wahrheit des Wortes oder durch die unreinen Grundsätze der Welt, welche in der Werkstatt Satans bereitet und zur Ausübung seines Willens in die Welt gebracht sind, regiert.

 In dem Gleichnis von dem reichen Manne, welches der Herr hier vorstellt, sehen wir in Betreff der Darlegung der Habsucht einen Charakerzug, welchen die Welt schätzt und gutheißt. Allein wir sehen hier, wie in allem, was in diesem ernsten Kapitel vor unsere Seele geführt wird, den Unterschied zwischen jetz t und dann , zwischen Zeit und Ewigkeit . Alles hängt von dem Lichte ab, in welchem wir die Menschen und Dinge betrachten.

 Wenn wir es nur im Lichte der Gegenwart anschauen, dann ist es nicht von geringer Bedeutung, ob wir im Handel gewinnen, ob wir in unseren Vermögensumständen vorankommen und also einen Vorrat für die Zukunft sammeln. Ein jeder, der also denkt und handelt, wird jetz t für weise gehalten; aber dan n wird er für einen Narren gelten. Schuldscheine, Obligationen, Banknoten, Versicherungsscheine aller Art usw. sind Dinge, die jetz t einen hohen Wert haben, aber dan n werden sie ohne allen Wert sein; sie sind jetz t rein, aber dann werden sie verworfen werden. So ist es, lieber Leser, 62 und deshalb ist es nötig, Gottes Dan n zu unserem Jetz t zu machen, — die Dinge der Zeit im Lichte der Ewigkeit, die Dinge der Erde im Lichte des Himmels zu betrachten. Dies ist die wahre Weisheit, welche das Herz in den Dingen, welche unter der Sonne sind, nicht gefangen hält, sondern es in das Licht führt, und unter die Macht der unsichtbaren Welt, wo die Grundsätze des Reiches Gottes regieren, leitet. 

Was werden wir nun von Gerichtshöfen, Banken, Versicherungsgesellschaften usw. denken, wenn wir sie im Lichte der Ewigkeit betrachten?*) Diese Dinge können nur von solchen geschätzt werden, welche sich durch das Jetz t regieren lassen; der Jünger Christi aber darf nur durch das Dan n geleitet werden. Und hierin liegt der ganze Unterschied, und wahrlich ein sehr ernster Unterschied. „Er sprach aber ein Gleichnis zu ihnen und sagte:

 Das Land eines reichen Menschen trug viel ein" (V. 16). — Ist es denn eine Sünde, wenn jemand seinen Ackerbau oder sein Geschäft mit Erfolg betreibt? Wenn Gott die Arbeit eines Menschen segnet, sollte er sich nicht darüber freuen? Gewiß ; allein beachte hier den moralischen Fortschritt eines habsüchtigen Herzens. „Und er dachte be i sic h selb s t." Er dachte nicht in der Gegenwart Gottes; seine Gedanken standen auch nicht unter dem mächtigen Einfluß der Ewigkeit. Nein; „er dachte be i sic h selbst " — in dem engen *) Ehe ein Kind Gottes daran denke, sich einer Feuer- oder Lebensversicherungs-Gesellschaft zu bedienen, sollte es sich zuvor diese ernste Frage vorlegen: „Zeige ich hierdurch nicht Mißtrauen gegen Gott? 

Suche ich nicht durch menschliche Mittel den göttlichen Heimsuchungen zu entgehen? Und steht es nicht auch im Widerspruch mit dem Bekenntnis des Christen, wenn er sein Leben versichern will? Er bekennt, tot zu sein, und daß Christus sein Leben ist; wie kann denn von Versicherung seines Leben s die Rede sein? Mancher wird sagen: Wir können das ' Christentum nicht in solche Dinge bringen. Ich frage: Wo können wir es denn zurücklassen? Ist das Christentum etwa ein bequemes Kleid, welches wir am Sonntag anlegen, und zum Schluß dieses Tages ausziehen, sorgfältig zusammenfalten und bis zum nächsten Sonntag in den Schrank legen kann? 

Es ist leider zu oft so. Viele haben einen doppelten Charakter; und was ist dies anders, als „der Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist?" Der Mensch dieser Welt kann nur zu solchen Versicherungen seine Zuflucht, nehmen, weil alles um ihn her unsicher ist; aber bei dem Kinde Gottes ist alles sicher. Gott hat sein Leben für immer versichert; und von jetzt an kann er die verschiedenen Versicherungs-Gesellschaften als ebenso viele Anstalten des Unglaubens betrachten. 63 Kaum seines selbstsüchtigen Herzens; und deshalb dürfen wir uns über seinen praktischen Beschluß nicht wundern. „Was soll ich tun? denn ich habe nicht, wo ich meine Früchte aufspeichere." Wie! Konnte er seinen Überfluß nicht im Blick auf die herrliche Zukunft Gottes nützlich verwenden? Ach nein! 

Der Mensch hat wohl eine Zukunft, oder er denkt vielmehr, eine zu haben; und auf diese rechnet er, und für diese arbeitet und sammelt er; allein das Ich ist der einzige Gegenstand, welcher darin figuriert —das Ich, ob in meiner eigenen Person oder in meinem Weibe oder Kind, ist im Grund dasselbe. Der große Gegenstand der Zukunft Gottes aber ist Christus ; und die wahre Weisheit wird uns leiten, unser Auge auf Ihn zu richten, und Ihn zu unserem einzigen Gegenstand für Zei t und Ewigkeit , für jetz t und dan n zu machen. Aber dies ist nach dem Urteil eines Weltmenschen nur Unsinn; ja, die himmlische Weisheit ist nach dem Urteil der Weisheit, die von unten ist, nichts als Torheit.

 Unser Gleichnis zeigt uns, was die irdische Weisheit, die Weisheit derer, die unter dem Einfluß der irdischen Grundsätze und Gewohnheiten dahinleben, ist: „Und er sprach: Dies will ich tun; ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen, und darin all mein Gewächs und meine Güter zusammenbringen" (V. 18). So haben wir nun was er „dachte", was er „sagte" und was er „tat"; und es ist eine traurige Verbindung zwischen seinen Gedanken, seinen Worten und seiner Tat. „Da" in meinem selbsterbauten Vorratshaus, „will ich alles zusammenbringen." Elendes Vorratshaus, um den ganzen Schatz einer unsterblichen Seele aufzubewahren! Gott galt nichts in diesem Plan; Er war weder seine Schatzkammer, noch sein Schatz. Das ist klar, und so ist es immer bei den Menschen dieser Welt. — „Und ich will zu meiner Seele sagen: Seele! Du hast viele Güter auf viele Jahre daliegen; ruhe aus, iß, trink, ergötze dich!"

 Hier sehen wir, daß der Reichtum eines Weltmenschen nur für „viele Jahre" ist; und im besten Falle kann er nicht über diese enge Grenze hinausgehen. Dieser Schatz kann, selbst in seinen eigenen Gedanken jene unendliche Ewigkeit nicht erreichen, die über diese kurze Spanne Zeit hinausgeht; und dennoch ist dies der Schatz, den er seiner unsterblichen Seele anbietet, damit sie „ruhig sei und sich ergötze." Traurige Verbindung! Törichtes Vornehmen! Wie so ganz verschieden hiervon ist die Anrede, die ein Gläubiger an seine Seele halten kann. Er darf zu ihr sagen: „Seele! ruhe aus, iß, trink, erfreue dich! Iß aus der Fülle der Vorratskammern Gottes; trink aus dem Strom seiner Wonne und von dem Wein seines Reiches und erfreue dich in dem vollendeten Werk seiner Erlösung; du hast 64 viele Güter, ja, unerschöpfliche Reichtümer, unaussprechlich herrliche Schätze, welche nicht nur für ,viele Jähre', sondern fü r di e Ewigkei t aufbewahrt sind. Das vollendete Werk Christi ist der Grund deines ewigen Friedens, und seine kommende Herrlichkeit der sichere und gewisse Gegenstand deiner Hoffnung." Das ist ein ganz verschiedener Charakter der Anrede, mein lieber Leser. Dies zeigt so deutlich die Verschiedenheit zwischen jetz t und dann . 

Und es ist ein sehr beklagenswerter Mißgriff, wenn wir Christum, den Gekreuzigten, Christum, den Auferstandenen, Christum, den Verherrlichten, nicht allein zum Alpha und Omega, Anfang und Ende, in allen unseren Berechnungen machen. Sich eine Zukunft ausmalen, und nicht Christum in den Vordergrund stellen, ist die törichteste Verwegenheit und Verblendung; denn sobald Gott dazwischen kommt, ist das ganze Gemälde hoffnungslos zerstört. „Gott aber sprach zu ihm: Du Narr! In dieser Nacht wird deine Seele von dir gefordert werden; — was du aber bereitet hast, für wen wird es sein?" — Und nun merke die Lehre von all diesem: „Also ist der", — der Heilige wie der Sünder — „der fü r sic h Schätz e sammelt , und ist nicht reich in Bezug auf Gott." — Wer Schätze sammelt, macht diesen Schatz auch mehr oder weniger zu seinem Gott. Sein Herz ist in Betreff der Zukunft beruhigt, wenn er an sein Vermögen denkt; aber ohne dieses würde er Unruhe haben. Es ist für den natürlichen Menschen unerträglich, in dieser Welt nichts zu haben und von Gott allein abhängig zu sein; aber gib ihm etliche alte Papiere, die ansehnliche Forderungen enthalten, um welche er zuletzt noch durch allerlei Ränke gebracht werden kann, und er wird darauf vertrauen, ja, im Frieden sterben, wenn er diese seiner Familie zurücklassen kann. 

Bringe ihn in eine Lebensversicherung, bewillige ihm. eine Pension oder eine Rente, und er wird sich darauf stützen; ja auf diese Dinge wird er sich stützen, nur nicht auf Gott. Alle s ist de m natürliche n Herzen Wirklichkeit , ausgenommen die einzig wahre Wirklichkeit . Dies beweist, was der wahre Zustand der menschlichen Natur oder des Fleisches ist. Es kann Gott nicht vertrauen; wohl kann es von Ihm reden, aber nicht auf Ihn vertrauen. Der Hauptcharakterzug der gefallenen, sündhaften Natur ist Mißtrauen gegen Gott; und eine der schönsten Früchte der Erneuerung ist die Fähigkeit, in allen Dingen auf Gott zu vertrauen. „Sie, welche deinen Namen kennen, werden auf dich trauen." Kein anderer vermag es. 

Es ist hier jedoch hauptsächlich meine Absicht, mich mit dem christlichen Gewissen zu beschäftigen. Ich frage des33 65 halb den christlichen Leser ganz einfach und bestimmt, ob es mit der Lehre Christi, wie sie uns in den Evangelien dargestellt wird, in Übereinstimmung ist, daß Seine Jünger hier auf der Erde Schätze sammeln? Würde eine solche Behauptung nicht mit diesem zwölften Kapitel des Lukas und ähnlichen Schriftstellen im grellsten Widerspruch stehen? „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, da wo Motte und Rost zerstört, und wo Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstört und wo Diebe nicht nachgraben noch stehlen" (Matth. 6, 19. 20).

 Dies ist einfach und bestimmt genug und wird auch sicherlich für ein aufrichtiges Gewissen seinen Zweck nicht verfehlen. Es steht mit den Grundsätzen des Reiches Gottes in direktem Widerspruch und ist mit der wahren Jüngerschaft ganz unvereinbar, sich, unter welcher Gestalt und Form es auch sei, „Schätze zu sammeln auf der Erde." In diesem, sowie auch in dem „zu Gericht gehen", haben wir, um zu wissen, was wir zu tun haben, uns nur daran zu erinnern, daß wir in dem Reich Gottes sind. Die Grundsätze dieses Reiches sind ewig.

 „Er aber sprach zu seinen Jüngern: Deshalb sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen, noch für den Leib, was ihr anziehen sollt. Das Leben ist mehr als die Nahrung, und der Leib mehr als die Kleidung" (V. 22, 23). Beachtet hier dies: „Sorg e t n i c h t." Es bedarf keiner weiteren Auslegung oder Erklärung. Einige könnten sagen, es seien „ängstlich e Sorgen " darunter verstanden; allein das Wörtchen „ängstlich" steht gar nicht dabei. Es ist einfach gesagt: „Sorget nicht"; und dies ist gesagt in Bezug auf alles, was der Mensch wirklich bedarf — auf „Nahrung und Kleidung". Die Raben und die Lilien werden hier als Exempel vor uns gestellt; die einen werden ernährt, die andern gekleidet, und sie sorgen doch nicht.

 Hätte der Herr Jesus „ängstliche Sorgen gemeint, so würde Er es gesagt haben. Dies gilt nun aber nicht allein für die Kinder des Reiches, sondern ebenso sehr für die Glieder der Kirche oder Versammlung. „Sorget um nichts!" sagt der Heilige Geist durch den Apostel. Und warum nicht? Weil Gott für uns sorgt. Was könnte es auch nützen, daß zwei über dieselbe Sache denken,' wenn der eine alles und der andere nichts zu tun vermag. „In allem aber lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden; und der Friede Gottes, der jede Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne in Christo Jesu bewahren" (Phil. 4, 6. 7). 

Dies ist die feste Grundlage für den inneren Frieden des Herzens, welcher so wenige wirklich erfreut. Viele haben den Frieden des Gewissens durch den Glauben an die Zulänglichkeit des Wer66 kes Christi, welche jedoch nicht den Frieden des Herzens durch den Glauben an die Zulänglichkeit der Sorge Gottes genießen. Oft bringen wir unsere Schwierigkeiten und Versuchungen im Gebet vor Gott und stehen ebenso besorgt und unruhig von unseren Knieen wieder auf, als wir auch vorher waren. Wir bekennen wohl, daß wir unsere Sorgen in die Hand Gottes legen können; aber wir verstehen es nicht, si e dor t zurückzulassen ; und folglich genießen wir nicht den Frieden des Herzens. Ebenso war es mit Jakob in 1. Mose 32. Er fleht zu Gott, daß Er ihn aus der Hand Esau's befreien möge; aber er war kaum von seinen Knieen aufgestanden, so dachte er daran, wie er sich selbst helfen könne. „Ich will ihn durch ein Geschenk versöhnen." Es ist klar, daß er viel mehr Vertrauen auf sein „Geschenk" setzte als auf Gott. Dies ist ein gewöhnlicher Irrtum unter den Kindern Gottes.

 Wir bekennen, daß wir unseren Blick zu den ewigen Quellen richten; während das Auge der Seele sich seitwärts zu irgend einer Kreatur wendet. Auf diese Weise ist Gott praktisch ausgeschlossen; unsere Seelen sind nicht befreit, und deshalb genießen wir auch nicht den Frieden des Herzens. Der Apostel fährt alsdann in Phil. 4, 8 fort, uns ein Verzeichnis jener Dinge zu geben, über welche wir denken sollen, wobei aber an uns selbst oder an unsere eigenen Angelegenheiten nicht einmal gedacht wird. „Alles, was wahrhaftig, was würdig, was gerecht, was keusch, was liebreich, was wohllautend ist; — ist es eine Tugend, ist es ein Lob, — dieses erwäget... und der Gott des Friedens wird mit euch sein." Wenn ich also weiß und glaube, daß Gott an mich denkt, so habe ich „de n Friede n Gottes"; und wenn ich an Ihn und an das, was Sein ist, denke, so habe ich „den Gott de s Friedens. "

 Dies ist auch in völliger Übereinstimmung mit der Lehre Christi in Lukas 12. Nachdem Er das Herz Seiner Jünger in Betreff der gegenwärtigen Bedürfnisse und des zukünftigen Schatzes beruhigt hat, sagt Er: „Trachtet aber nach dem Reiche Gottes, und alle diese Dinge werden euch zugegeben werden." Dies ist aber nicht so zu verstehen, als sei das Trachten nach dem Reiche Gottes ein Mittel, um die irdischen Dinge zu erlangen. Hegte ich solche Gedanken in meinem Herzen, so würde ich kein wahrer Jünger sein. Ein wahrer Jünger denkt nur an seinen Herrn und dessen Reich. Und der Herr wird sicherlich an ihn und seine Bedürfnisse denken. Dies ist das Verhältnis, mein geliebter Leser, zwischen einem treuen Diener und einem allmächtigen und allgütigen Herrn; und gewiß ist ein solcher Diener frei — vollkommen frei von allen Sorgen.

 Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb wir er67 mahnt sind, nicht zu sorgen, weil nämlich unser Sorgen ganz und gar nutzlos ist. „Wer aber von euch kann mit seinen Sorgen eine Elle seiner Größe hinzusetzen? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermöget, warum sorgt ihr für das Übrige?" (V. 25. 26). Wir gewinnen nicht s mit unseren • Sorgen. Und wenn wir ihnen nachhängen, so werden wir dadurch untüchtig nach dem Reiche Gottes zu trachten, und wir setzen durch unseren Unglauben sogar ein Hindernis in den Weg Seines Handelns für uns. Folgender Ausspruch bleibt auch in Beziehung auf uns immer wahr: „Er konnte daselbst keine Wunderwerke wirken, wegen ihres Unglaubens." 

Der Unglaube ist das große Hindernis, welches wir dem mächtigen Wirken Gottes für uns entgegenstellen. Wenn wir unsere Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, so ist es klar, daß wir Gott nicht nötig haben. Wir bleiben unter dem niederdrückenden Einfluß unserer eigenen, unruhigen Gedanken, und nehmen endlich Zuflucht zu menschlichen Hilfsquellen. Es ist wichtig zu verstehen, daß wir uns entweder auf Gott oder auf die Umstände verlassen; sich auf beide zugleich zu verlassen ist unmöglich. Es muß Gott allei n sein oder gar nicht. Was kann es uns nützen, daß wir vom Glauben sprechen, wenn sich unsere Herzen in Wirklichkeit —in welcher Gestalt oder Form es auch sei — auf die Kreatur verlassen. Wir sollten hierin unsere Wege genau prüfen und untersuchen; denn ein unbegrenztes Vertrauen auf Gott ist eines der besonderen Kennzeichen des göttlichen Lebens und einer der vornehmsten Grundsätze des Reiches. Deshalb sollten wir es recht genau damit nehmen, damit wir unseren Fortschritten in diesen himmlischen Tugenden kein Hindernis entgegenstellen. 

Für Fleisch und Blut ist es gewiß eine große Versuchung, nichts Sichtbares zur Stütze zu haben. Das Herz wird zittern, wenn wir an der Küste der Umstände stehen und in den unbekannten Ozean hinabschauen — allen unbekannt, nur nicht dem Glauben — nur dem nicht, der unverwandt seinen Blick nach oben richtet. Wir möchten wohl versucht sein, mit Lot auszurufen: „Ist sie doch klein; daß meine Seele lebendig bleibe." Das Herz sucht jeden Schatten der menschlichen Hilfe zu erhaschen, an jedem Strohhalm sich festzuhalten, um nicht mit dem Flötz der Umstände fortgeschwemmt zu werden; ja, es sucht irgend etwas, nur nicht gänzliche Abhängigkeit von Gott. 

O möchten wir doch Gott besse r kenne n lernen , um Ihm völli g z u vertrauen ; möchten wir Ihm doch völli g vertrauen , um Ihn besse r kenne n z u lernen ! Das arme Herz will immer etwas Sichtbares, etwas Fühlbares. Handelt es sich um den Unterhalt, so sehnt es sich nach einem bestimmten 68 Einkommen, nach einem gewissen Kapital auf der Bank, nach einem hinreichenden Landeigentum oder nach einem jährlichen — wenn auch mäßigen, so doch festgesetzten Gehalt; — selbst der Dienst für das Evangelium ist meist mit dieser Gesinnung begleitet. Geht jemand aus, um zu predigen oder zu lehren, so will er etwas, um sich darauf zu stützen; wenn es nicht eine geschriebene Predigt ist, so bedarf er wenigstens einiger Notizen oder irgend eine Art von Vorbereitung — irgend etwas, nur nicht unmittelbare Abhängigkeit von Gott. 

Daher kommt es auch, daß das weltliche Treiben unter den Christen eine so schreckliche Ausdehnung gewonnen hat. — Der Glaube allein vermag die Welt zu überwinden und das Herz zu reinigen. Er führt die unter dem Einfluß des Vergänglichen stehende Seele in das Licht der Ewigkeit; Er beschäftigt sie nicht mit dem „jetzt" , sondern mit dem „dann" , nicht mit dem „h i e r", sondern mit dem „dort" , nicht mit der „Erde" , sondern mit dem ..Himmel" ; und also überwindet er die Welt und reinigt das Herz. Er hört und glaubt dem Wort Christi: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben" (V. 32). Füllt die Hoffnung des Reiches Gottes meine Seele, so ist kein Raum darin für etwas anderes, und ich kann leicht den gegenwärtigen Schatten für die zukünftige Wirklichkeit hingeben. Deshalb fügt auch der Herr sogleich hinzu: 

„Verkauft, was ihr besitzt und gebt Almosen; macht euch Säckel, die nicht veralten; einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb naht und keine Motte verderbt. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein" (V. 33. 34). Wenn ich meinen Schatz auf der Erde habe— worin er auch bestehen mag — so wird auch mei n Her z da sein, und ich bin in der Tat ein weltlich gesinnter Mensch. Wie kann ich aber mein Herz von der Welt und von dem, was darinnen ist, leeren? Durch das Erfülltwerden von Christo. Er ist der wahre Schatz, den alle Vorratshäuser und Schatzkammern der Welt nicht zu fassen vermögen. Die Welt hat ihre Speicher und Magazine, worin sie ihre Reichtümer aufbewahrt; aber die Speicher werden zerfallen und die Magazine veralten, und was wird dann aus dem Schatz werden? Wahrlich sie bauen zu niedrig; denn sie bauen unter die Wolken.

 Das Dichten und Trachten vieler ist dahin gerichtet, ein Eigentum oder Vermögen zu besitzen, die Gelder gut anzulegen usw.; und wenn sie es nicht für sich tun, so geschieht es für ihre Kinder, ihr zweites Ich. Sammle ich aber für meine Kinder, so tue ich es für mich selbst; und ach! in unzähligen Fällen ist dies, anstatt zum Segen, zum Verderben und zum Fluch des Kindes geworden, indem Eitelkeit und Hoch69 mut sein Herz erfüllte und das Gefühl der Abhängigkeit von Gott ganz und gar verloren ging. Deshalb laßt uns das Wort des Apostels beachten: „ .. . vielmehr aber arbeite er, eine ehrliche Hantierung treibend — nicht damit er für sich oder sein zweites Ich einen Schatz erwerbe, sondern — da -
m i t e r de m Dürftige n etwa s mitzuteile n habe. " Dies ist die von Gott festgestellte Grundlage für jedermann; und deshalb, wenn ich für meine Kinder Schätze sammle, so verlasse ic h selbs t diese Grundlage und ich ziehe auch mei n Kin d von derselben hinweg, und das kann gewiß nur Unsegen zur Folge haben. Oder könnte ich die unaussprechliche Süßigkeit des Gehorsams und der Abhängigkeit von Gott genießen und meinem Kinde das entziehen wollen? Könnte ich einen solchen Verlust durch Nachlaß etlicher Obligationen oder Versicherungsscheine aufwiegen? Und würde ich auf diese Weise wirklich väterlich gegen mein Kind handeln? Gewiß nicht. Das wäre nichts anderes, als das „dann " für das „jetzt " dahingehen: es würde der Handlungsweise des weltlich und fleischlich gesinnten Esau gleich sein, der sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte; ja, es hieße die herrliche Zukunft Gottes mit der armseligen Gegenwart des Menschen vertauschen. Und warum ist es auch nötig, für meine Kinder Schätze zu sammeln? 

Wenn ich Gott in Betreff meiner vertrauen kann, warum nicht auch in Betreff ihrer ? Kann Der, welcher mic h ernährt und gekleidet hat, nicht auch s i e ernähren und kleiden? Sollte ich aus ihnen Müßiggänger machen, oder ihnen Geld geben, anstatt Gott? Ach, mein lieber Leser, laß es uns wohl bedenken, daß, wenn wir Gott nicht vertrauen können in Betreff unserer Kin -
der, wir Ihm auch nicht vertrauen in Betreff unserer selbst . In dem Augenblick, wo ich daran denke einen einzigen Groschen für die Zukunft zu sammeln, habe ich grundsätzlich das Leben des Glaubens verlassen. Mag mein Sammeln auch nach den herrschenden Ansichten völlig gerechtfertigt sein, mag der Weltsinn und der Unglaube es auch mit den schönsten Namen bezeichnen, — dies bleibt eine unumstößliche Wahrheit: Mei n Schat z ist mei n Gott . „Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein."

 Laßt uns diese ernste Wahrheit nicht mißverstehen oder falsch auslegen. Durch die mir auferlegte Verpflichtung des Wortes und durch das Exempel Gottes bin ich verbunden für die Meinigen zu sorgen; denn „wenn jemand für seine Angehörigen, und besonders die Hausgenossen nicht sorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist schlechter als ein Ungläubiger" (1. Tim. 5, 8). Das ist klar genug. Weiter bin ich verbunden, meine Kinder — soweit als die Grundsätze 70 Gottes es zulassen und mein Wirkungskreis sich erstreckt — mit einem Beruf zu versehen, wozu Gott Selbst sie in Seiner Güte berufen würde. Allein nirgends bin ich im Worte Gottes unterrichtet, meinen Kindern einen Schatz zu geben, anstatt einer ehrbaren Beschäftigung, verbunden mit dem Gefühl der Abhängigkeit von de m himmlische n Vater . 

Es ist auch eine Tatsache, daß nur wenige Kinder ihren Vätern für das geerbte Gut danken; während andere sich stets mit Dankbarkeit und Ehrfurcht der weisen Fürsorge ihrer Eltern erinnern, wodurch sie zu einem Gott wohlgefälligen Wirkungskreis geleitet worden sind. Ich vergesse hierbei keineswegs die Schriftstelle, welche oft von etlichen benutzt oder besser, mißbraucht, wird, um das weltliche und ungläubige Schätzesammeln zu rechtfertigen. „Siehe, dieses dritte Mal bin ich in Bereitschaft zu euch zu kommen, und will euch nicht lästig sein; denn ich suche nicht das Eure, sondern euch. Denn die Kinder sollen nicht für die Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern f üi die Kinder" (2. Kor. 12, 14). — 

Wie viele gibt es, die sich freuen, wenn sie für ihren weltlichen Sinn auch nur einen Schein von Rechtfertigung in der Heiligen Schrift zu finden meinen; und in dieser Schriftstelle ist ein solcher Schein der Rechtfertigung. Dies aber steht fest, daß der Apostel die Christen nicht lehren wollte, sich Schätze zu sammeln; — wie könnte er einen himmlischen Menschen ermahnen wollen, sich Schätze auf der Erde zu sammeln, von welcher Art diese auch sein mögen! Die Sache ist hier einfach diese: Er bedient sich einer Gewohnheit in der Welt und eines gewöhnlichen natürlichen Gefühls, um den Korinthern, welche seine Kinder im Glauben waren, seine Handlungsweise gegen sie zu erklären. Er ist ihnen nicht lästig gewesen und will es auch jetzt nicht sein, denn er war ihr Vater. Wenn nun die Heiligen Gottes hierin ein Privilegium zu finden meinen, zu der Welt und deren Gewohnheiten zurückzukehren, so mögen sie denn mit allem Fleiß Schätze sammeln und sie aufhäufen bis „z u de m letzte n Tage" ; allein sie mögen auch nicht vergessen, daran zu denken, daß die Motte und der Rost das Ende von allem sein werden. 

Ach! nur dann, wenn wir die unvergänglichen Schätze, welche der Glaube in jene himmlischen Schatzkammern einsammelt, zu würdigen verstehen, werden wir in einem reinen und heiligen Wandel durch diese Welt gehen; ja dann werden wir emporgetragen auf den Flügeln des Glaubens und werden schweben über der dunklen Atmosphäre, welche diese Welt, die Gott haßt und Christum verworfen hat, einhüllt, und welche von diesen beiden Elementen durchdrungen und beherrscht wird: Gottesha ß und Gel d liebe . 71 Ehe ich diese Zeilen schließe, will ich noch dies Eine hinzufügen, daß der Herr Jesus — der angebetete, der göttliche, der himmlische Lehrer— die Gedanken und Neigungen Seiner Jünger dadurch zu dem wahren Huhepunkt „zu erheben suchte, daß er ihnen diese zwei Stücke gebot, welche der Heilige Geist mit diesen "Worten ausgedrückt hat: ....z u diene n de m lebendige n un d wahre n Got t u n d seine n Soh n vo n de n Himmel n z u erwar -
t e n." Die Gesamtheit der Lehre in Lukas 12, 35 bis zu Ende, ist in jenen zwei Wahrheiten zusammen zu fassen und ich fordere den christlichen Leser auf, sie mit einem ernsten Gewissen zu erwägen. Wir haben niemandem zu dienen als „dem lebendigen Gott", und haben nichts zu erwarten als „seinen Sohn". — Der Heilige Geist aber möge Sein eigenes Wort mit himmlischer Kraft begleiten, damit es in das Herz und das Gewissen eindringe und das Leben eines jeden Kindes Gottes erleuchte, auf daß der Name unseres Herrn Jesu Christi verherrlicht und Seine Wahrheit durch den Wandel eines jeden, der Ihm angehört, gerechtfertigt werde. 

Die Gabe eines treuen Herzens und ein zartes, aufrichtiges und ein gutes Gewissen sei das gesegnete Teil eines jeden unter uns, damit wir unter der Hand des Meisters gleich einem gutgestimmten Instrument einen reinen Ton geben und mit Seiner himmlischen Stimme harmonieren. Sollten nun endlich diese Zeilen in die Hand eines Solchen fallen, der die Ruhe seines Gewissens in dem vollkommenen Werk des Sohnes Gottes noch nicht gefunden hat, so wird er sie gewiß beiseite legen und sagen: „Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?" Ja, du magst wohl geneigt sein, zu fragen: Was sollte aus der Welt werden, wenn solche Grundsätze zur allgemeinen Geltung kämen? Ich erwidere dir: Sie würde aufhören durch den Satan regiert zu werden und würde das Reich Gottes sein. Doch erlaube mir eine Frage, mein Freund: Zu welchem Reich gehörst du? Heißt es bei dir jetz t oder dann ? Lebst du für die Zeit oder für die Ewigkeit; für die Erde oder für den Himmel; für den Satan oder für Christum?

 Sei doch einmal aufrichtig gegen dich selbst in der Gegenwart Gottes und bedenke, „daß nichts verdeckt ist. was nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, was nicht gekannt werden wird." Der Richterstuhl Christi wird alle s ans Licht bringen. Deshalb sei einmal aufrichtig gegen dich und frage dein Herz: Wo bin ich? Wie stehe ich? Was ist der Grund meines Friedens? Was sind meine Aussichten für die Ewigkeit? Wähne nicht, daß Gott dir den Himmel schuldig ist für das Aufgeben von irgend etwas Irdischem. Nein, Er weist dich zu Christo hin, der durch Seinen Tod am Kreuze für die Sünden gebüßt 72 und dadurch dem, welcher glaubt, einen Weg geöffnet hat, um in der Kraft der Gerechtigkeit in die Gegenwart Gottes zu kommen. Nicht wird von dir verlangt, was du tun oder sein sollst, sondern das Evangelium teilt dir mit, wa s Je -
s u s ist un d wa s E r geta n hat , und „wenn du dies mit deinem Mund bekennst und mit deinem Herzen glaubst, so wirst du selig werden." Christus, der ewige Sohn Gottes — Gott geoffenbart im Fleische — ein s mit dem Vater, geboren von einer Jungfrau, bekleidet mit einem durch die Kraft des Höchsten bereiteten Körper, und also ein wirk -
liche r Mensc h — wahrer Gott und wahrer Mensch; — Er, dessen Leben ein Leben des vollkommenen Gehorsams war, starb für uns am Kreuz, indem Er zur Sünde gemacht und ein Fluch geworden war. — 

Er leerte den Kelch des Zornes Gottes bis auf den letzten Tropfen — Er empfand den Stachel des Todes — beraubte das Grab seiner Beute — — Er zerstörte den, der des Todes Gewalt hatte — den Teufel, und stieg dann auf in den Himmel und setzte Sich zur Rechten Gottes. Dies ist nun das unendliche Verdienst Seines vollkommenen Opfers, daß alle, welche glauben, von allen ihren Sünden gerechtfertigt sind; ja, angenommen in Ihm, stehen sie in Seiner Gerechtigkeit vor Gott und können nimmer in das Gericht kommen, sondern sie sind vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Dies ist das Evangelium, die frohe Botschaft der Errettung — welches der Heilige Geist, herniederkommend von Gott, jetzt aller Kreatur verkündigt. Und schließlich rufe ich dir, mein lieber Leser zu: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt! Glaub e un d lebe ! (Übersetzt) 

Das köstliche Land wurde verschmäht (4. Mose 13 und 14) 

Können unsere Herzen, Geliebte, wirklich sagen: Wir sind auf unserem Wege zu Gott ? Glauben wir, daß wir bald mit der unzähligen Schar der Erlösten den ewigen Lobgesang des Lammes singen werden? Es ist erfreulich, zu sehen, wie sehr die Einfalt des Herzens vorhanden ist, wenn wir die völlige Überzeugung in uns tragen, daß unser Weg zu Gott geht. Wenn die Seele wirklic h an Gott glaubt und Seine Liebe kennt, wenn sie versteht, 73 daß Er uns aus Ägypten herausgeführt hat, und daß wir jetzt auf dem Wege nach dem himmlischen Kanaan sind, so ist dies eine Quelle der Freude, die alles überströmt. Gewiß werden wir auf dem Wege eine Menge Gegenstände treffen, die geeignet sind, unsere Herzen und unsere Gesinnung zu üben; aber es ist köstlich, zu verstehen, daß gerade diese Gegenstände de n We g charakterisieren, und daß sie uns deshalb begegnen, weil wir auf diesem Weg sind. —

 Wenn nun aber mein Herz nur auf die gegenwärtigen Umstände und Schwierigkeiten gerichtet bleibt und auf die Hilfe Gottes darin, so wird gewiß nicht dieselbe Quelle der Freude vorhanden sein; denn alsdann mache ich Gott nur zum Diener aller meiner Bedürfnisse. Anders aber ist es, wenn das Herz i n Got t ruht , als in seiner sicheren Burg, und Gott in den Zeiten der Drangsal als eine wirkliche Hilfe hernieder kommt. Und gewiß ist es völlig wahr, daß „Gott unsere Zuflucht und Stärke ist, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen" (Ps. 46, 1); aber Ihn herunterzuziehen, um n u r diese s zu sein, verändert die ganze Anschauung der Dinge. 

Wenn unsere Herzen auf unsere gesegnete Stellung mit Christo in der Rühe und in der Herrlichkeit, und als schon dort im Vaterhause seiend, gerichtet sind, so werden unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten freilich immer noch den Charakter von Schwierigkeiten an sich tragen; aber wir vermögen uns dann über die Umstände, wie sehr sie auch immer gefühlt werden mögen, zu erheben. Unsere Gedanken von Gott sind dann nicht nur die, daß Er uns in den Umständen helfe n will , sondern unsere Herzen bleiben auch auf Ihn gerichtet, und wir leben in Freiheit, welche sich an der beständigen Gewißheit aufrecht hält, daß alles das, was Christo ist, auch unser ist. Es ist sehr gesegnet, unsere Herzen stets auf die Hoffnung der Herrlichkeit, die vor uns gestellt ist, gerichtet zu haben.

 Doch ist es eine traurige Erfahrung, daß durch den Unglauben und die Trägheit des Herzens diese Hoffnung bei so vielen mehr oder weniger aufhört, den Geist zu erfreuen und zu beleben. Vorausgesetzt, daß ich noch zwanzig Jahre zu leben hätte, so sollte doch der nächste Gedanke meiner Seele kein anderer sein, als der an die Herrlichkeit. Der Unglaube hatte bei den Kindern Israels verschiedene Formen; e i n Charakterzug desselben war der, daß sie „das köstliche Land verschmähten" (Kap. 14, 31; Ps. 106, 24). Diese Verschmähung des herrlichen Landes findet praktisch, wenn auch nicht auf eine so halsstarrige und augenscheinliche Weise, sehr oft in unseren Herzen statt. Ich rede nicht von einer vorhandenen Ungewißheit, ob das Land wirklich un -
s e r sei. Wenn mir aber irgend ein Freund einen sehr großen Schatz gegeben hätte, über dessen Vorhandensein ich völlig sicher wäre, und ich betrachtete diesen Schatz nur selten, oder es bekümmerte mich wenig, um viel daran zu denken, würde das nicht ein Beweis sein — nicht von meiner Ungewißheit über dessen Vorhandensein, — sondern von dessen Geringschätzung und von der mangelhaften Kenntnis seines Wertes? 

So ist es sehr häufig der Fall in Betreff der himmlischen Herrlichkeit, welche uns gehört. Wir bezweifeln zwar die Wahrheit der Verheißung nicht; aber wenn unsere Seelen nicht in der vor uns gestellten Herrlichkeit ruhen und sich darin erfreuen, so ist dies nichts anderes, als eine Geringschätzung des „köstlichen Landes". Ja, dies ist leider viel und oft bei den Heiligen der Fall. Und keine Beschäftigung mit den gegenwärtigen Dingen, sogar mit den gegenwärtigen Pflichte n kann der Seele den Verlust des Friedens und des Trostes ersetzen, wenn sie nicht in dem, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1. Kor. 2, 9), als i n ihre m Eigentum , ruht. 

Anstatt daß Gott inmitten der jetzigen Trübsale die Kraft und die Fülle unserer gegenwärtigen Freude ist, wie geschrieben steht: „Wir rühmen (oder erfreuen) uns Gottes" Röm. 5,11), machen wir Ihn nur zu einer Hilfe in den Zeiten der Drangsal. Und in diesem Falle wird nur große Schwachheit und Gebrechlichkeit, aber nicht jene bleibende Freude in Gott vorhanden sein. Das Herz ist herabgezogen und weilt hier unten, und es zieht ebenfalls auch Gott zu sich hernieder; und gewiß, Er ist so gnädig und barmherzig, Sich in unsere Nöte herniederziehen zu lassen. Stattdessen aber sollte das Herz sich über die gegenwärtigen Dinge zu Gott erheben und dort ruhen. Natürlich wird dieser Charakter des Unglaubens in den Herzen der Heiligen nicht so offenbar sein wie es bei den Kindern Israels der Fall war; aber im Grunde betrachtet ist es dieselbe Sache. — Die Kundschafter (4. Mos. 13. 3) wurden durch Moses nach dem Befehl des Herrn ausgesandt, um das Land zu erkunden — „welches", wie Jehova sagte, „ich den Söhnen Israels gebe", — und dessen Frucht zu bringen. 

Der Geist Gottes, welcher als ein gegenwärtiges Zeugnis persönlich in uns wohnt, nimmt von der Herrlichkeit des Herrn Jesu, von den Dingen des Landes der Verheißung (von dem himmlischen Kanaan, von welchem der Glaube sagt: mei n Land) , und zeigt uns auf diese Weise unse r Teil . — »Und sie gingen hinauf und erkundeten das Land von der Wüste Zin bis gen Rehob, da man gen Hamath geht.. . Und sie kamen bis an den Bach Eskol und schnitten daselbst eine Rebe ab mit einer Weintraube und ließen sie von zweien auf einem Stecken tragen; dazu auch Granatäpfel 75 und Feigen. Der Ort heißt Bach Eskol, um der Traube willen, welche die Kinder Israel daselbst abschnitten. Und sie kehrten um, da sie das Land erkundet hatten, nach vierzig Tagen; und sie gingen hin und kamen zu Moses und Aaron und zu der ganzen Gemeine der Kinder Israel, in die Wüste Pharan gen Kades, und sagten ihnen wieder und der ganzen Gemeine, wie es stände und ließen sie die Früchte des Landes sehen; und erzählten ihnen und sprachen: Wir sind in das Land gekommen, dahin ihr uns gesendet habt, und es fließt Milch und Honig darinnen, und dies ist sein e Fruch t (Kap. 13, 22-28). — Dem Bericht der Kundschafter wurde nicht widersprochen. Diese Trauben zeugten von der Güte des Landes; eine solche köstliche Frucht brachte dies Land hervor. — Wenn uns der Heilige Geist die Wirk -
lichkei t unserer Freude und Herrlichkeit vorstellt, wer wollte widersprechen? Wer fühlt nicht den unermeßlichen Wert, auf dem Wege zu sein, um dorthi n z u gelan -
gen ? Die Wirklichkeit ist überaus köstlich*). 

„Nu r daß" , sagen die Kundschafter, „starkes Volk darinnen wohnt, und sehr große und feste Städte sind; und wir sahen auch Enakskinder daselbst. Die Amalekiter wohnen im Lande gegen Mittag, die Hethiter und Jebusiter und Amoriter wohnen auf dem Gebirge; die Kanaaniter aber wohnen am Meer und um den Jordan" (V. 29. 30). — Als das *) Wird die Aussicht auf diese Herrlichkeit verdunkelt, so werden wir gleichgültig und sogar weltlich. Scheint sie dagegen hell in unsere Herzen, so bedürfen wir nur des Manna, des Wassers und der Geduld für die Wüste — das Verlangen nach Ruhe, verbunden mit der Unterwerfung unter den Willen Gottes in dieser Beziehung. Aber wenn unsere Seelen wirklich in der Herrlichkeit wohnen und von den Trauben von Eskol gesättigt worden sind, so werden wir tot sein gegen alles, außer dem Geschmack der Herrlichkeit und der Hoffnung.

 Was himmlisch ist, das ist uns wirklich himmlisch, weil unsere Neigungen es auch sind. Wir betrachten dann die Herrlichkeit des Herrn, und dies ist der Ort, auf welchen Gott fortwährend Seine Augen gerichtet hält, — das Land, was man nicht mit Händen bewässert, sondern das vom Tau des Himmels benetzt wird, der feste Wohnsitz des Reiches des Vaters. Der Heilige Geist, indem Er Gott in unseren Herzen offenbart, (denn Er ist Gott), läßt uns in der Fülle Gottes wohnen — eine Höhe, von wo aus wir das Erbe, unsere Gemeinschaft mit Christo, und die Herrlichkeit darin schätzen. Wir wohnen daselbst in dem süßen Wohlgeruch der göttlichen Wonne in Jesu, welcher alle Dinge erfüllt und es in der Tat tun wird; und welcher uns jetzt durch den Geist offenbart wird. (Wirk, des Geistes Gottes, II. Teil) 76 Volk hörte, daß es Schwierigkeiten gab, wurde es mit Sorge und Unruhe erfüllt. „Kaleb aber stillte das Volk gegen Mose und sprach: 

Lasset uns hinaufziehen und das Land einnehmen, denn wir sind wohl fähig, es zu überwältigen. — Aber die Männer, die mit ihm hinaufgezogen waren, sprachen: Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen das Volk; denn sie sind uns zu stark. Und machten dem Lande, das sie erkundet hatten, ein böses Geschrei unter den Kindern Israels, und sprachen: Das Land, durch welches wir gegangen sind, um es zu erkunden, frißt seine Einwohner; und alles Volk, was wir darinnen sahen, sind Leute von großer Länge. Wir sahen auch Riesen daselbst, Enakskinder von Riesen; und wir waren vor unseren Augen wie Heuschrecken, und also waren wir auch vor ihren Augen" (V. 31-33). — Das ist es, was diese Kundschafter taten: sie suchten das Volk in ihrem Unglauben zu bestärken, und sie wagten sogar alles, was sie vorher gesagt hatten, zu leugnen, sobald sie sahen, daß ihr Bericht nicht angenommen wurde. Zuerst erzählten sie dem Moses die einfache Wahrheit, daß es ein schönes Land wäre; aber dann als sie in den Herzen des Volkes den Unglauben wirksam sahen, war ihr Urteil in Betreff desselben ganz anders, und sie sagten, daß es ein schlechtes Land wäre. Das ganze Gefühl der Güte des Herrn in Betreff des Landes, welches Er ihnen gegeben hatte, war verloren, und folglich überfiel sie beim Gedanken an die Schwierigkeiten nur Mutlosigkeit. Da war nicht nur Mißtrauen in Betreff der Überwindung dieser Feinde, sondern sie verloren auch das Gefühl der Güte des Herrn; und deshalb fehlte ihnen jetzt die Aufmunterung in den Schwierigkeiten. 

Der Glaube wurde schwach. Ebenso ist es mit dem Christen. Wenn er die Freude der Herrlichkeit verliert, so sind die Schwierigkeiten, welche ihm auf dem Wege begegnen, unüberwindlich; denn sein Herz weiß nicht, wofür es zu kämpfen hat. „Da fuhr die ganze Gemeine auf und erhob ihre Stimme, und das Volk weinte die ganze Nacht" (Kap. 14, 1). — Als am Anfang ihres Auszuges aus Ägypten sich ihre Sünde offenbarte, warfen sie nicht, so sehr ihr Benehmen zu tadeln war, die Schuld auf Gott, sondern sie sagten: „Dieser Moses, der Mann, welcher uns aus Ägyptenland führte... 

" Aber von dem Augenblick an, als der Unglaube sich in ihrem Herzen befestigt hatte, wurde die Wüste unerträglich für sie, und sie sagten: „Ach, daß wir in Ägyptenland gestorben wären, oder noch stürben in der Wüste! Warum führe t uns der Her r in dies Land, daß wir durch's Schwert fallen und unsere Weiber und Kindlein zum Raub werden? Ist's nicht besser, wir ziehen wieder nach Ägyp77 ten?" (V. 2. 3). — Wir sehen hier, in welch einen jämmerlichen Zustand des Unglaubens sie gekommen waren, sodaß sie sogar dem Herrn Selbst ihre Versuchungen und Schwierigkeiten zuschrieben. Dies ist eine Schlinge, welcher auch die Christen ausgesetzt sind. Wir sind uns bewußt, daß es der Herr ist, welcher uns aus Ägypten geführt hat, und wenn uns auf dem Weg durch die Wüste Versuchungen begegnen, so sind unsere Herzen so leicht geneigt zu sagen: Die s komm t daher , wei l ic h ei n Chris t bin ; der Her r hat mich in die Schwierigkeiten gebracht usw. Hätten die Kinder Israel das Land Kanaan in ihrem Herzen gehabt, so würden sie gesagt haben: Dan k de m Herrn , d a ß wi r scho n so wei t au f de m Weg e nac h Kanaa n sind . 

Mochten auch die Schwierigkeiten sein, welche sie wollten — wenn sie gefühlt hätten: Wir sind durch das Wort des Herrn hierher gebracht worden, so würden sie dankbar gewesen sein und nicht gemurrt haben. Allein sie blieben stehen auf dem Punkte wo sie waren, anstatt daran zu denken, daß es nur noch ein kurzer Weg bis zu dem köstlichen Lande war, das vor ihnen lag. Sie wandten vor, daß ihre Besorgnis anderen gelte — ihren Weibern und Kindern; obgleich es in Wahrheit nur ihre Eigenliebe war. Josua und Kaleb sprachen von der außerordentlichen Güte des Landes (V. 7) und fügten dann hinzu: „Wenn der Herr uns gnädig ist, so wird er uns in dasselbe Land bringen und es uns geben — welches ein Land ist, darinnen Milch und Honig fließt.

 Fallet nur nicht ab vom Herrn, und fürchtet euch vor dem Volke dieses Landes nicht; denn wir wollen sie wie Brot essen. Es ist ihr Schutz von ihnen gewichen; der Herr aber ist mit uns, fürchtet euch nicht vor ihnen" (V. 8. 9). „Da sprach die ganze Gemeine, man solle sie steinigen" (V. 10). — Man sollte meinen, eine solche Sprache hätte sie erfreuen müssen; aber sie brachen in offenbare Feindseligkeit aus. In V. 13-19 sehen wir, wie die Vermittlung des Moses für das Volk eintritt, indem er dem Herrn, der das Volk vertilgen will, vorstellt, wie sehr das Zeugnis, welches Er von Sich Selbst gegeben habe (vergl. 2. Mos. 34, 6 u. 7), dadurch herabgewürdigt werden würde; er gründet sich dabei auf die Identität (Gleichheit) des Herrn mit Seinem Volke.

 Er erinnert daran, daß Seine eigene Herrlichkeit mit der Erhaltung und der Segnung Seines Volkes als unzertrennlich von demselben verbunden sei. — Und wir sehen wie der Herr nach dem Glauben des Moses handelt, wie Er auch immer nach dem Glauben handelt, der in uns ist (V. 20). Die Kinder Israel aber sendet Er in die Wüste, um dort zu blei78 ben, bis alle, die aus Ägypten ausgegangen, gestorben sind. Es gibt hier aber noch eine andere Sache zu bemerken. Wenn die Kinder Israel nicht durch den Glauben in das verheißene Land eingehen wollen, so läßt Er sie auf einem langen Wege in der Wüste umherziehen. Dann aber, wenn sie in der Wüste umherzuziehen haben, kann Er sie nicht allein lassen. Er muß mit ihnen ziehen und sie auf dem ganzen Weg durch Seine Wolke und Feuersäule leiten. Seine Gnade überströmt die Sünde. — Wir bemerken aber auch noch dieses: Kaleb und Josua müssen ebenfalls diesen langen Weg mitmachen. 

Sie hatten mit dem Volke an ihrem Bösen kein Teil gehabt; aber in Betreff der Mühen und der Versuchungen des Weges, welche der Unglaube der anderen verursacht hatte, sind sie verpflichtet, mit dem Volke zu gehen und ihr Teil davon zu tragen. Dies ist es auch, was wir zu tun haben. Wenn die Kirche oder Versammlung gefehlt hat, so müssen unsere Herzen an ihren Leiden mit teilnehmen, wenn wir auch an ihren Sünden nicht teilgenommen haben. Die Teilnahme des Kaleb und Josua zeigte die Übung der Gnade, der Geduld und der Liebe. Es war gesegnet für sie; denn Gott war treu, indem Er sie bewahrte, während der Rest in der Wüste fiel. Kaleb ist am Ende der vierziger Jahre fähig zu sagen, daß er zum Streite so stark sei wie am Anfang, „auszuziehen und einzuziehen" (Jos. 14). 

Diese Gläubigen, obgleich sie das Bewußtsein hatten, daß Gott mit ihnen war, waren verpflichtet, die Ungläubigen auf ihrem kummervollen Wege zu begleiten — eine Lage, worin diese sich selbst gebracht hatten. Dies ist auch unsere Stellung. Wir haben immer in dem Geist der Liebe, der Geduld und der Demut den Platz derer einzunehmen, welche gesündigt haben. Dasselbe finden wir bei Daniel. Obgleich er persönlich gerecht war, so bekannte er doch die Sünden seines Volkes als seine eigenen. „Ach Herr!... wi r haben gesündigt, haben unrecht getan, sind gottlos und abtrünnig geworden... un s ziemet die Beschämung usw." (Dan. 9). 

Die Sünde und das Böse derer, welche gesündigt hatten, wurde durch den Überrest bekannt, der, obgleich kein Mitgenosse der Sünde, dennoch Mitgenosse der Folgen der Sünde sein mußte, indem er mit wahrer Sympathie und Gemeinschaft in all den Trübsalen mit teilzunehmen hatte. — Woher kommt es, daß das Gefühl, den Herrn auf unserem Wege zu bedürfen, verschwindet? Dadurch, daß die Seele nicht von den Segnungen des verheißenen Landes Gebrauch macht und ihre Neigungen damit beschäftigt. — Das, was wir zu suchen haben ist, daß unsere Seelen „überströmend sein mögen in Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes." Der Heilige Geist, welcher in 79 uns wohnt, verwirklicht diese „besseren Dinge" in unseren Herzen, und offenbart uns, daß es des Herrn Land ist, — das Land, welches Er uns gegeben hat und in welches Er uns hineinbringt. Wenn wir fähig sind zu sagen: 

„Dies ist die Frucht des Landes, welches der Herr uns gegeben hat"; wenn die Neigungen unserer Herzen in dem Lande weilen, so ist all e Stärk e de r Söhn e Enak s nichts . Ja, alles ist nichts, wie groß auch die Versuchungen und Schwierigkeiten sein mögen, welche uns auf dem Wege begegnen und welche uns hindern wollen in das Land einzugehen. Aber in dem Augenblick, wo wir das Bewußtsein von dem verlieren, was unse r ist, wo wir vergessen, daß de r Her r uns das Land gegeben hat, beschäftigen die Schwierigkeiten und Versuchungen unsere Herzen, und sie werden zu groß für uns; wir sinken unter ihrer Macht zusammen. Dies ist das Ergebnis von dem Abwenden unseres Blickes von dem, was uns in Hoffnung gehört; wir sind uns alsdann nicht mehr bewußt, daß des Herrn Kraft mit uns ist. Wenn ich in den Umständen verweile, so bin ich fähig den Herrn zu tadeln, daß Er mich dahingebracht hat. Nie denkt jemand wirklich an die unaussprechliche Segnung, mit Jesu in der Herrlichkeit zu sein und dem Herrn dort gleich zu sein, nie ruht jemand dort wirklich im Geiste, es sei denn, daß er sich auch bewußt sei, daß des Herrn Kraft ihn dort hinbringt; und dann ist alles auf dem Wege ein bloßer Umstand .

 Was ich euch, meine Brüder, und mir selbst wünsche ist, daß nie von uns gesagt werden könnte, daß wir „das köstliche Land verschmäht e n." Laßt uns aber auch nicht leugnen, daß wir es verschmähen oder wenigstens geringschätzen, wenn wir nicht oft an dasselbe denken. Wenn wir nicht an Jesum denken, wo Er ist, und daß wir mit Ihm dort sein werden, so „verschmähen wir das köstliche Land." Möchten wir „die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis ans Ende standhaft festhalten!" Wir dürfen wohl voraussetzen, daß die Heilige Schrift dem neuen Menschen die Einzelheiten der Herrlichkeit, welche uns gehört, mitteilt; doch sie sind nu r de m Glaube n einzeln bekannt. Wir erfreuen uns darin und verstehen sie auch nur insoweit, als wir gegenwärtig in Gemeinschaft mit dem Herrn sind. Das Gedächtnis nützt nichts. Es ist keine Möglichkeit, das Gedächtnis in Betreff des Gegenstandes der Hoffnung zu üben; wir müssen mit dem Geiste erfüllt sein. 

Derjenige, welcher unsere Freude völlig machen will, ist Christus Selbst, welcher alle Dinge erfüllt. Wir finden einen Schatz von Einzelheiten in Betreff der Herrlichkeit, wenn wir durch die Kraft des Heiligen Geistes wissen, was Christu s für uns 80 ist — der verherrlichte Christus. Der arme Räuber am Kreuze, gelehrt durch den Heiligen Geist, konnte das ganze Leben Christi, den er nie zuvor gekannt hatte, darstellen, als wäre er sein vertrautester Freund gewesen; denn er sagte: „Dieser Mensch hat nichts Unrechtes getan"; ebenso ist es mit der Seele, welche, gelehrt durch den Heiligen Geist, Jesum als einzigen Gegenstand ihrer Neigungen hat. Denn also wird das Herz mit der Hoffnung der Herrlichkeit beschäftigt sein, und jeder Einzelne ist fähig zu sagen: „Ich weiß, an wen ich geglaubt habe, und bin überzeugt, daß Er das, was ich Ihm anvertraut habe, bis auf jenen Tag zu verwahren vermag."

 Alle Umstände welche uns begegnen, begegnen uns nur auf „de m We g e." Anstatt aber die Gedanken hienieden in den Umständen zu haben und Gott in dieselben herabzuziehen, lasset uns vielmehr völlig in der Herrlichkeit ruhen. Dies setzt uns an unsere „höheren Örter"; anders aber würde das Gefühl im Herzen sein: „Warum hat uns der Herr in dies Land gebracht, um durch das Schwert zu fallen?" Es ist die Freude des Heiligen Geistes, von allen Dingen „Christi zu nehmen und uns zu offenbaren" (Joh. 16, 13-15). Der Herr gebe, daß die Fülle Jesu sich in uns verwirkliche, daß unsere Seele in dem lieblichen Wohlgeruch der göttlichen Freude in Ihm ruhe, daß wir durch den Glauben in dem verheißenen Lande wohnen, und unsere Hoffnungen wie auch das, was der Grund unserer Hoffnung ist, erkennen. Und laßt uns immer daran denken, geliebte Brüder, daß es nicht durch irgendeine Wirkung des Gedächtnisses, sondern durch die Kraft der Gemeinschaft in dem Heiligen Geiste ist, daß wir das gegenwärtige Bewußtsein und die Freude jener Dinge haben können, „welche Gott bereitet hat denen, die ihn lieben." (Übersetzt) 

Die Gesinnung Jesu und die Gesinnung des Fleisches (Lukas 22, 1-46)

Wenn wir die Gesinnung des Herrn Jesu, als Er in dieser Welt wandelte, und die Gesinnung des natürlichen Menschen, oder des Fleisches einander gegenüberstellen, so haben wir immer den völligsten Gegensatz — Liebe und Haß, Licht und Finsternis, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Und gerade hier, wo der Herr inmitten der Welt und unter 34 81 den Sündern Seine göttliche Gesinnung, Seinen himmlischen Charakter offenbarte, tritt dieser durch den Gegensatz umso augenscheinlicher und in Seiner ganzen Lieblichkeit an das Licht, wie auch auf der anderen Seite gerade in Seine r Gegenwart die Gesinnung und das Wesen des natürlichen Menschen oder des Fleisches um so augenscheinlicher und in seiner ganzen Häßlichkeit sich offenbart. Je mehr wir diese Gegensätze im Lichte Gottes betrachten und verstehen, desto mehr werden wir fähig sein, Ihn zu verehren und das Fleisch zu verachten; und je mehr wir Ihn im Geiste anschauen, desto lieblicher wird Er für unsere Herzen sein, desto tiefer und völliger wird Sein Bild sich unseren Seelen einprägen und in uns verwirklicht werden. Der Herr Jesus kam als Heiland, um Gnade und Errettung anzubieten den verlorenen Sündern, die bisher in allem Verfahren Gottes gegen sie, auf das völligste bewiesen hatten, daß sie nur sündigen konnten, und zu jeder Selbsthilfe ganz und gar unfähig waren;

 Er kam um Versöhnung anzubieten, den Feinde n Gottes, die bisher in allen ihren Wegen nichts als Feindschaft gegen Gott an den Tag gelegt hatten. Aber Er fand hier keine Aufnahme, weder in der Welt noch in „seinem Eigentum". Er fand nur Spott, Schmach, Verachtung und Verwerfung. Und dies alles wurde gerade für Ihn eine Gelegenheit, die, ganze Fülle Seines Wesens, Seine Liebe und Gnade, Seine Güte und Treue, Seine Milde und Langmut in der ganzen Schönheit: zu entfalten; ja in Seiner Verwerfung und in Seinem Tod am Kreuze, worin der Mensch seine vollkommene Verderbtheit und Bosheit offenbarte, gab Er den völligsten Beweis Seiner Liebe und Gnade. — Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf das oben angeführte Kapitel, und wir werden bei verschiedenen Umständen und Vorfällen reichlich Gelegenheit haben, die Gesinnung des Herrn Jesu und die des Fleisches sehr klar und deutlich in ihren Gegensätzen ausgeprägt zu sehen. Die ersten Verse dieses Abschnitts (V. 1-6) zeigen uns den Charakter des Fleisches oder des natürlichen Herzens in seiner rohen und zügellosen Gestalt, erfüllt mit Bosheit und Haß gegen Gott und Seinen Gesalbten, und in der völligen Unterwürfigkeit und dem Dienste Satans.

 „Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten wie sie ihn umbrächten, denn sie fürchteten das Volk" (V. 2). Je mehr das Fleisch sich im Dienste Gottes glaubt, desto mehr offenbart es seine Feindschaft wider Gott. Statt Gnade und Erbarmen — der allein würdige Charakter eines wahren Hohenpriesters — finden wir hier Haß und Mordlust. Welch ein schrecklicher Gegensatz! Die Vertreter des Volkes Gottes 82 und die Lehrer der göttlichen Wahrheit haben sich vereinigt, den Jehova, dem sie zu dienen vorgaben, aus dem Weg zu schaffen. Sie sind gleich den Gottlosen, von welchen der Psalmist sagt: „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen"; — „denn sie fürchteten das Volk." Judas, der eine Wohnstätte Satans geworden, war ihnen ein willkommener Mann; weil er ihren gottlosen Plänen entgegen kam. Wir lesen V. 3-5: „Aber der Satan fuhr in Judas, mit dem Zunamen Ischariot, welcher aus der Zahl der Zwölfe war. Und er ging hin und besprach sich mit den Hohenpriestern und Hauptleuten, wie er ihnen denselben überliefere. Und sie freuten sich und kamen überein, ihm Geld zu geben."

 Der Heilige Geist macht hier in Betreff des Judas die Bemerkung: „welcher einer aus der Zahl der Zwölfe war", um die ganze Abscheulichkeit dieser Tat desto klarer ans Licht zu stellen, und um uns desto deutlicher zu zeigen, zu welch einem Grad von Bosheit und Schlechtigkeit der Mensch oder das Fleisch fähig ist. Es macht sich des schrecklichsten Undankes schuldig; es ist fähig, seine Wohltäter, seine Freunde, ja alles preiszugeben, — ja preiszugeben für etliche elende Silberstücke, wenn dies seinen Wünschen und Zwecken entspricht. „Der mein Brot isset, hat seine Ferse wider mich aufgehoben." Welch ein Unterschied zwischen zwei Menschen, wenn es von dem einen heißt: „eine Behausung Satans", und von dem anderen: „eine Behausung Gottes!" (Joh. 14, 23; l.Kor. 6,19; Eph. 2, 22; 3,17). Und welch eine unaussprechliche Gnade, welch ein gesegnetes Vorrecht ist es, geliebte Brüder, an der Berufung Gottes teilzuhaben und eine „Wohnung Gottes" zu sein! Dank und Anbetung unserem Gott, der uns eine solche Gnade in Christo Jesu geschenkt hat; und Preis und Anbetung dem Lamme, das für uns geschlachtet ist! Die Hohenpriester und Schriftgelehrten freuten sich über das Anerbieten des Judas, was doch nichts anderes war, als ein Anerbieten und ein Rat Satans. Hier bestätigte sich buchstäblich das Wort des Herrn: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun; jener war ein Menschenmörder von Anfang... " (Joh. 8, 44).

 Und womit belohnten sie diese Tat der Bosheit? — Mit Geld. Dies ist das elende Mittel, welches das Fleisch zu allem fähig macht, weil es ihm seine Gelüste gibt. „Die Geldgier oder Habsucht ist eine Wurzel alles Bösen" (1. Tim. 6, 10). Ehre, Ansehen, Bequemlichkeit, Anerkennung, Vergötterung — alle diese Götzen des Fleisches werden durch Geld erkauft und unterhalten. Und wie gefährlich es selbst für die Christen sein kann, weil das Fleisch noch da ist, zeigen uns die vielen ernsten Ermahnungen des Herrn und 83 Seiner Apostel. Ich will hier nur diese eine Stelle im l.Timotheusbrief anführen: „Die aber reich werden wollen, lallen in Versuchung und Fallstrick, und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen in Verderben und Untergang versenken. Denn die Habsucht ist eine Wurzel alles Bösen, welcher etliche nachtrachtend, von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben" (l.Tim. 6, 9. 10). 

Verlassen wir jetzt diese traurige Szene, wo das Fleisch seine ganze Bosheit und Schlechtigkeit entwickelt, und kehren wir da im Geiste ein, wo wir den Herrn Jesum in der Mitte Seiner Jünger finden. Hier sehen wir den vollkommenen Lehrer des Wortes Gottes, den wahrhaftigen Vertreter und Hohenpriester Seines Volkes. In Ihm findet sich nur Gnade, Liebe und Erbarmen, in Ihm wahre Furcht Gottes; denn es ist Seine Speise und Seine Lust, nicht Seinen eigenen Willen, sondern den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte. Das Passah war bereitet und Er legte Sich zu Tisch und die zwölf Apostel mit Ihm. „Und er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dies Passah mit euch zu essen, ehe daß ich leide" (V. 15).

 In dieser Sehnsucht drückt Er die tiefste und hingehendste Liebe für die Seinigen aus — eine Liebe, die sich selbst ganz und gar vergißt und nur für andere besorgt und bemüht ist. Anstatt Sich mit Seinen bevorstehenden schrecklichen Leiden, deren ganzes Gewicht Er kannte, zu beschäftigen, ist Sein Herz voll Sehnsucht, um zuerst noch mit Seinen Jüngern dies Passah zu essen. Bei diesem Mahl offenbarte Er ihnen den Wert und die Kraft Seiner Hingabe in den Tod. Für sie gab es jetzt ein anderes Passah-Lamm. Er Selbst war es; Sein eigener Leib wurde für sie gebrochen; Sein eigenes Blut für sie vergossen. Dieser Leib und dieses Blut war von jetzt an wahre Speise und wahrer Trank für sie. In diesem allein ist für den Sünder — Versöhnung, Errettung und Leben. O welch einen Gegensatz sehen wir hier zwischen Ihm und dem Sünder, zwischen Seiner Gesinnung und der des Fleisches. 

Der Sünder ist beschäftigt, Ihn zu töten , während Er bereit ist, freiwillig für den Sünder zu sterben und Sein Blut für ihn zu vergießen, damit er ewi g lebe . Mag das Fleisch auch seine ganze Bosheit und Schlechtigkeit in Seiner Verwerfung an den Tag legen, mag auch einer Seiner Jünger, der drei Jahre lang Seine Güte genossen und ein Zeuge Seiner himmlischen Gesinnung gewesen war, Ihn für einige elende Geldstücke verraten — nichts kann den Strom Seiner Liebe aufhalten und schwächen, nichts Ihn verhindern, für die Sünder Sein Leben zu lassen. Und wir dürfen gewiß sein, geliebte Brüder, daß Seine Liebe jetzt gegen die Seinen ebenso stark und völlig ist. Sie ist unter den schwierigsten Umständen erprobt worden und hat sich bewährt befunden; und es wäre höchst beschämend für uns und sehr verwerflich, wenn wir jetzt noch nach solchen bestimmten und unzweideutigen Beweisen irgendwelchen Zweifel in Seine vollkommene Liebe gegen die Seinigen setzen wollten. Diese Liebe ändert sich nie und nichts kann sie schwächen. 

Während wir nun hier die aufopfernde Liebe des Herrn, „der sich selbst zu nichts machte", zu bewundern Gelegenheit haben, muß uns das Benehmen der Jünger, wie es uns in dem 24. Vers entgegentritt, um so mehr befremden. Wir lesen: „Es ward aber auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen für den größten zu halten sei." Ist es möglich, in einer solchen Stunde und unter solchen Umständen sich mit seiner Größe zu beschäftigen und an sein elendes Ich zu denken? Ist es möglich, in der Gegenwart des Herrn, der in freier Liebe Seine Herrlichkeit verließ und um unsertwillen der „Allerverachtetste und Unwerteste" wurde und Sich „selbst zu nichts machte", sich um einen fleischlichen Vorzug zu streiten? Und es waren sogar Seine eigenen Jünger, die dies taten! — Nie verleugnet das Fleisch seine Natur — mag es in den Kindern der Welt oder in den Jüngern des Herrn wirksam sein und sich offenbaren. Es ist zu allem fähig, nur nicht gesinnt zu sein wie Jesus Christus es war. Die Jünger beschäftigen sich mit ihrer Größe und mit ihrem fleischlichen Vorzug, während Jesus, dem allein der höchste Platz und alle Ehre gebührte, unter ihnen die Stelle eines Dieners eingenommen hatte.

 „Ich aber bin in eurer Mitte als der Dienende" (V. 27). Sich selbst erheben oder etwas sei n wollen, ist das Grundübel des Fleisches. Dies war es auch, was den Menschen zuerst zu Falle brachte; denn er wollte sein wie Gott. Und werfen wir einen Blick auf die traurige Geschichte des Menschen in dieser Welt, so begegnen wir überall diesem Hauptcharakterzug des Fleisches — dieser elenden Selbsterhebung; und gehen wir weiter bis zum Vorabend der Gerichte Gottes über diese Welt, so sehen wir in dem Antichristen, dem Menschen der Sünde, das Fleisch auf dem Gipfel des Hochmuts — in seiner vollendeten Selbstvergötterung. Doch „Gott widersteht den Hochmütigen." Nichts ist, was so sehr der Gesinnung Christi entgegensteht, als Selbsterhebung; und deshalb ist auch nichts was den Jüngern Christi, die berufen sind, in Seinen Fußstapfen zu wandeln, weniger geziemt, als aus sich selbst etwas zu machen oder sich zu erheben.

 Deshalb, meine Brüder, laßt uns nüchtern und wachsam sein, damit wir der Gesinnung des Fleisches in dieser Beziehung keinen Raum 85 geben; und diese Wachsamkeit und Nüchternheit tut um so mehr not, da die Erhebung unserer selbst in so mannigfaltigen Formen sich kundgeben kann und sich oft in den feinsten Schattierungen in den verborgensten Winkeln unseres Herzens verbirgt. Und immer bleibt es wahr: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade." Deshalb laßt uns die ernste Ermahnung des Apostels beherzigen: „Seid stets mit Demut bekleidet"; denn diese Gesinnung allein geziemt den Jüngern des vollkommen demütigen Meisters. Doch wie benimmt sich hier der Herr gegen Seine Jünger, deren Rangstreit so deutlich zeigte, wie wenig sie Seine Gesinnung kannten und wie wenig sie den Zweck Seiner Sendung verstanden? Seine Liebe gegen sie bleibt ungeschwächt; selbst die Torheit in ihnen kann sie nicht verringern. Er liebt sie zu jeder Zeit mit vollkommener Liebe.

 Es ist aber leider wahr, daß die Seinigen sehr oft die Größe Seiner Liebe, nach ihren Gefühlen, nach ihrer Würdigkeit oder Unwürdigkeit abmessen. — Wir sehen hier, wie Er Seine Jünger zuerst in aller Sanftmut über die wahre Gesinnung eines Jüngers, im Gegensatz zu der Gesinnung der Welt, unterrichtet (V. 25-27); und wie Er ihnen dann zeigt, worin eigentlich die wahre Größe und der wahre Vorzug Seiner Jünger bestehe, indem Er ihren Blick auf die Zukunft richtet. In dieser Welt ist für die Seinigen nichts zu erwarten. Er sagt: „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben; und ich verordne euch ein Reich, gleichwie es mir mein Vater verordnet hat, damit ihr esset und trinket an meinem Tische in meinem Reiche, und auf Thronen sitzet, richtend die zwölf Stämme Israels" (V. 28-30). 

Der Herr fand hier nichts als Versuchungen. Und dies ist auch das Teil Seiner Jünger hienieden, die in Seiner Gesinnung und in Seinen Fußstapfen wandeln. In der Nachfolge Christi hat das Fleisch alle seine Ansprüche verloren; da heißt es immer: „Wer zu mir kommt und hasset nicht sein eigenes Leben, kann nicht mein Jünger sein." I n diese r Welt aber findet das Fleisc h seine Anerkennung und seine Rechte; doch der Herr ist ausgeschlossen und die Seinigen mit Ihm. Für diese aber bleibt es, selbst inmitten der mannigfachen Versuchungen, inmitten der Schmach auf dieser armen Erde, stets ein unermeßliches Glück, ja ein Glück, wogegen alle Freuden dieser Welt nichts sind, daß sie auf der Seite ihres geliebten Herrn stehen und mit Ihm vereinigt sind. „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben." 

So schwach und unvollkommen Seine Jünger auch waren, so wenig sie auch noch Seine 86 himmlische Gesinnung verstanden und in ihrem eigenen Leben verwirklichten, so hatten sie doch mit Ihm ausgeharrt, als Er unter Schmach, Verachtung und Verwerfung von Seiten der Sünder, durch diese elende Welt ging. Und es ist jetzt bei Seinem Scheiden aus dieser Welt und bei Seinem Eintritt in die Herrlichkeit des Vaters Seine Freude, ihnen bezeugen zu können: „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben." Hier strahlt uns Seine Liebe in ihrem wahren und lieblichen Charakter entgegen; sie denkt nicht an sich, „sie sucht nicht das ihre." Er Selbst war es, der Seine Jünger auserwählte, der sie auf dem ganzen Wege mit treuer Liebe und Sorgfalt leitete, der sie in ihrer Unwissenheit und in ihren Schwachheiten mit großer Langmut trug, der sie in den mannigfachen Versuchungen bewahrte und sie zum Ausharren bis ans Ende stark machte; — aber hier sagt Er kein Wort davon;

 Er spricht nur von ihre m Ausharren mit Ihm in Seinen Versuchungen. Sein Tod am Kreuze, Sein vergossenes Blut, ja Sein ganzes, vom Vater überkommenes und jetzt vollendetes Werk ist das einzige Mittel, um den Sünder, der ferne ist, in die Nähe Gottes zu bringen — das einzige Mittel, den Strom der Gnade und den Eingang zur Herrlichkeit zu öffnen —• und das einzige Mittel, uns in dieser Wüste zu bewahren und unseren Gang gewiß zu machen; — aber hier spricht Er nichts davon, als wenn das, was Er getan, nur etwas Geringes sei gegen das Ausharren Seiner unvollkommenen und schwachen Jünger. „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben." Dies war sein Zeugnis über sie; und jetzt kann Er auch von der Belohnung dieses Ausharrens mit ihnen reden. Und worin bestand diese? War ihre Schwachheit und ihre Unvollkommenheit das Maß dieser Belohnung? O nein! Er gab nach Seine r Liebe; und deshalb konnte Er ihnen nichts Geringeres geben, als was Er Selbst für Sein Ausharren in den Versuchungen und in dem vollkommenen Gehorsam empfangen hatte; Seine Liebe war nur dann zufrieden gestellt, wenn sie Ihm in der Herrlichkeit gleichgestellt waren: „Ich verordne euch ein Reich, gleichwi e e s mi r mei n Vate r verordne t hat , damit ihr esset und trinket an meinem Tische in meinem Reiche, und auf Thronen sitzet, richtend die zwölf Stämme Israels" (V. 29. 30).

 Welch eine liebliche Gemeinschaft, welch ein inniger, vertrauter Umgang wird in den Worten ausgedrückt: „damit ihr esset und trinket an meinem Tische in meinem Reiche!" Diese Gemeinschaft der Seinigen mit Ihm hat hier ihren Anfang, aber nicht ihr Ende; sie ist ewig und unzertrennlich. Hier ist nur eine verborgene, eine Gemeinschaft im Geist und in 87 Seinen Leiden, dort aber eine sichtbare, eine offenbare, eine Gemeinschaft in der Herrlichkeit. Unsere Blicke dürfen nie in der Gegenwart weilen, wenn wir diese Gemeinschaft in ihrer Vollendung sehen wollen. Bei Ihm in Seiner Herrlichkeit ist das Ziel unseres Ausharrens; aber hienieden schon haben wir das Vorrecht und die Freude, diese Gemeinschaft im Geiste völlig zu genießen; und in allen Versuchungen, ja in den Versuchungen bis zum Tode, bleibt uns dieser köstliche Trost: „Wenn wir mitgestorben sind, werden wir auch mitleben; wenn wir ausharren, werden wir auch mitherrschen" (2. Tim. 2,11). 

Gehen wir in der Betrachtung des Kapitels weiter, so begegnen wir aufs neue dem Gegensatz zwischen der Gesinnung Jesu und der des Fleisches. „Es sprach der Herr: Simon, Simon, siehe! der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten, wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht aufhöre; und bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder! — Er aber sprach zu Ihm: Herr! mit dir bin ich bereit auch in Gefängnis und Tod zu gehen! Er aber sprach: Ich sage dir, Petrus: der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennest" (V. 31-34). Hier sehen wir das Fleisch in dem Petrus wirksam, in dem Jünger, der einer von denen war, die einer besonderen Vertraulichkeit von Seiten des Herrn gewürdigt wurden. Allein dieser so gesegnete Vorzug hindert das Fleisch nicht, zum Vorschein zu kommen, und in einer solchen Stellung erscheint es gerade am traurigsten. — 

Der Satan hatte verlangt, die Jünger wie den Weizen zu sichten. Das ist immer das Begehren Satans; doch war es hier etwas Besonderes, weshalb es auch der Herr erwähnt. Und Er wußte, wie schlecht Petrus diese Probe bestehen, wie weit er fortgeschleudert werden würde. Er wußte, daß dieser, Sein vertrauter Jünger, in wenigen Stunden dreimal, und zwar mit Fluchen und Schwören leugnen würde, daß er Ihn kenne. Verringert dies aber Seine Liebe für ihn? Kann es den Wunsch, für ihn zu sterben, schwächen? Nicht im geringsten; Er weiß völlig, was Petrus tun wird und — Er bete t für ihn. „Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre." O unbegreifliche Liebe, die nicht an sich denkt, die nicht das ihre sucht! — Wie aber benimmt sich in diesem Augenblick Petrus oder vielmehr das Fleisch in ihm?

 In vollem Selbstvertrauen ruft er aus: „Herr! mit dir bin ich bereit, auch in Gefängnis und Tod zu gehen" (V. 33). Das Fleisch kennt weder sein Verderben noch seine Ohnmacht; es spricht nur von seiner Güte und von seiner Kraft. Und wie täuschend ist es, wenn es sich in solch frommen Gefühlen offenbart! Wie leicht verblendet es uns 88 in dieser Gestalt, wenn wir nicht völlig nüchtern sind! Obgleich der Herr dem Petrus das Verlangen Satans offenbarte und ihm seinen Fall zuvor bezeugte, obgleich Er ihn an die Notwendigkeit Seiner Fürbitte für ihn — die ihm sicherlich später von großem Trost gewesen sein wird — erinnerte, nichts konnte ihn von dem Vertrauen auf seine frommen Gefühle für den Herrn abbringen. Er dachte nicht daran, daß diese Liebe zum Herrn nur natürlich oder fleischlich war und daß das Fleisch nichts anderes vermag, als uns ins Verderben zu bringen. — Und ach, wie oft begegnen wir solchen Gefühlen und solchem Selbstvertrauen in den Herzen der Christen, besonders bei jüngeren Seelen, obgleich es nicht immer so augenscheinlich hervortritt.

 Wie wenig werden in diesem Zustand die Ermahnungen beachtet, bis der Fall da ist; ja manche Seelen scheitern an ihren fleischlichen Gefühlen für den Herrn, indem sie darauf ihre Sicherheit, ihre Kraft in den Versuchungen und ihre Gemeinschaft mit Ihm gründen. O der Herr wolle uns alle, geliebte Brüder, durch Seine Gnade bewahren! Doch so traurig es nun auch ist, den armen Petrus inmitten so großer Versuchung in diesem fleischlichen Selbstvertrauen zu finden, so tröstlich ist es auch, hier aus dem Munde des Herrn zu hören: „Ich habe für dich gebetet!" Ja, Seine Fürbitte ist das Mittel unserer Bewahrung, damit unser Glaube nicht aufhöre. 

Sie begleitet uns allezeit, während wir in unserer Schwachheit durch diese versuchungsreiche Wüste gehen, und sie bringt uns sicher in das himmlische Kanaan. Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die Leiden des Herrn in Gethsemane. Es ist unmöglich, diese Leiden auch nur in einem geringen Maße zu verstehen und noch weniger möglich, sie zu beschreiben. Im allgemeinen liefern uns die Evangelien nur die einfache Geschichte von den Leiden des Herrn; während wir in den prophetischen Schriften und namentlich in den Psalmen eine Beschreibung des Charakters der Größe Seiner Leiden finden. Allein so lebendig und vielseitig diese auch dort geschildert werden, so ist doch jede Sprache zu arm, um sie würdig und in ihrer ganzen Tragweite darzustellen, und jedes Herz zu schwach, sie zu erfassen. — Die Größe Seiner Leiden in Gethsemane werden in unserer Stelle auch in diesen wenigen Worten ausgedrückt:

 „Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, ihn stärkend; und als er in ringendem Kampfe war, betete er heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Tropfen Blutes, welche auf die Erde herabfielen" (V. 43, 44). Welch ein Augenblick! Der Schöpfer aller Dinge in den Himmeln und auf der Erde ist hier in einer Stellung, wo Er es bedarf, von Seinem Geschöpf gestärkt zu werden. Und Er war für Sünder darin, 89 die für Ihn nichts anderes hatten als Schmähung, Verachtung und Verwerfung. Er war für uns darin! — Zugleich sehen wir hier aber auch, was die Gerechtigkeit Gottes ist, wenn sie sich im Gericht gegen die Sünde offenbart. „All e unsere Sünden lagen auf ihm." Ihn traf jetzt diese Gerechtigkeit, damit uns nichts als Gnade entgegenströmen möge. Er leerte den Kelch des Zornes Gottes vollkommen, damit die vollkommene Liebe Gottes unser Teil würde.

 Und niemand konnte Ihm hier folgen; jeder Sünder würde durch diese Zornglut Gottes verzehrt worden sein. Ja, Er allein, der Sünde nicht kannte, war fähig, und auch vollkommen fähig, in diesem Gericht für uns zu erscheinen und unsere Schuld zu sühnen. Wenn es aber möglich gewesen wäre, daß irgendein Mensch Ihm hätte folgen können, gewiß, das Fleisch würde dies Werk wie immer verdorben haben. Jetzt aber, weil Er es allein vollbracht hat, ist es rein und vollkommen; jetzt können wir versichert sein, daß es das Wohlgefallen Gottes hat, und daß alle unsere Sünden wirklich hinweggetan sind. O Dank Seiner Gnade und Seiner aufopfernden Liebe! Wie verwerflich aber ist der Unglaube, in welcher Gestalt und Form oder in welchem Herzen er sich auch offenbaren mag, der in den Wert und in die Vollgültigkeit dieses Werkes noch irgendeinen Zweifel setzt. Wer angesichts dieses Werkes, woran er im Glauben teilzuhaben bekennt, noch an seine Sünden denkt oder ihretwegen auch nur die geringste Unruhe hat, der zweifelt an dem Worte Gottes und an der Liebe Christi und macht sich des traurigsten Undankes schuldig. — 

Wie anbetungswürdig ist aber auch der völlige Gehorsam, den wir hier in Jesu gegenüber Seinem Vater finden! Ja, Er hat als Mensch Gott vollkommen verherrlicht, selbst in Seinen Leiden bis zum Tode am Kreuz, den der Mensch oder das Fleisch so völlig verunehrt hatte! O wie glücklich hat uns Sein Werk und Seine Liebe gemacht! — Was aber machten Seine Jünger, während Jesus in diesem ringenden Kampf war, in welchem Sein Schweiß wie Blutstropfen zur Erde fiel? — Sie schliefen. Welch trauriger Anblick! Sie schliefen auf dem Berge, wo Jesus verherrlicht wurde, und sie schliefen als Er in Seiner tiefsten Erniedrigung war. Das Fleisch paßte weder in Seine Herrlichkeit noch in Seine Niedrigkeit. Doch auch dieser Zustand Seiner Jünger in diesem Augenblick schwächt Seine Liebe nicht.

 Dies alles war vielmehr ein Beweis für Ihn, wie nötig es war, daß Er Sich für sie hingab, um ihnen für immer die vollkommene Gnade und Liebe zu sichern. O wie unbeschreiblich tröstlich ist es für uns, geliebte Brüder, daß wir einen solchen Jesus haben! Aber wie nötig ist es auch, im 90 Blick auf die umfassende Verderbtheit des Fleisches und auf die mannigfachen Versuchungen, die Ermahnung des Herrn zu beherzigen: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung kommet." Wie so leicht können wir getäuscht, wie so leicht umgeworfen werden, da das Fleisch in der feinsten und in der gröbsten Weise, ja in allen Schattierungen wirksam sein kann! Wie nötig ist es da, allezeit in Wachsamkeit und im Gebet zu beharren und in dem steten Gefühl der Abhängigkeit vom Herrn zu wandeln! Wir können aber auch völlig gewiß sein, daß Seine alles überströmende Liebe allezeit und in allen Umständen für uns bemüht sein wird, ja, Ihm dürfen wir zu jeder Zeit völlig vertrauen, auf Ihn uns in allen Lagen verlassen und zu Ihm in allen Umständen unsere Zuflucht nehmen. Möchten wir aber nie diese Worte vergessen: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung kommet", und: „den Demütigen gibt Gott Gnade." 

Worauf warte ich?

 „Und nun, worauf warte ich, o Herr? Meine Hoffnung ist in dir" (Ps. 39, 7). Dies ist eine erforschende Frage für das Herz; und es ist oft eine sehr gesegnete, indem es nicht selten der Fall ist, daß wir auf Dinge warten, von welchen wir, wenn sie da sind, sagen müssen, daß sie des Erwartens nicht wert waren. Das menschliche Herz ist dem armen Lahmen an der Pforte des Tempels (in Apg. 3) sehr ähnlich. Er sah auf jeden Vorübergehenden, „in der Erwartung, etwas zu bekommen"; und ebenso sieht sich das Herz in den vorkommenden Umständen fast immer nach irgendeiner Erleichterung, nach irgendeiner Hilfeleistung oder nach irgendeinem Genuß um. Man findet es von Zeit zu Zeit an einer irdischen Quelle sitzend, indem es vergeblich hofft, irgendwelche Erquickung aus diesem Kanal zu erhalten. Ja, es ist erstaunend, an die Kleinigkeiten zu denken, auf welche die Natur zuweilen erwartungsvoll ihre Blicke richtet — auf einen Wechsel der Umstände, der Scene — auf eine Veränderung des Wetters —• auf eine Reise — auf einen Besuch — auf einen Brief — auf ein Buch, — kurz irgend etwas der Art ist hinreichend, um in einem Herzen, welches nicht seinen Ruhepunkt, seine Quelle, ja sein alle s in Christo hat, Erwartungen hervorzurufen.

 91 Deshalb möge wegen ihrer praktischen Wichtigkeit hinfort die Frage: „Auf was warte ich?" oft und ernstlich unsere Herzen beschäftigen. Ohne Zweifel würde die wahre Antwort auf diese Frage oft eine tiefe Demütigung und ein ernstes Selbstgericht vor dem Herrn, sogar in dem gefördertsten Christen, hervorrufen. In dem 6. Vers des 39. Psalms haben wir drei große Charakterzüge des menschlichen Herzens; er spricht vom „Schattenbild " — von „de r Unruhe " — und vom „ungewisse n Sammeln. " Diese Züge werden oft zusammengefunden; aber sehr oft hat ein jeder seine besondere Entwicklung. Es gibt viele, deren ganzes Leben bloß „ein Schattenbild" ist, entweder in ihrem persönlichen Charakter, oder in ihrem Geschäftsleben, oder in ihrem politischen oder religiösen Bekenntnis. Es ist nichts Festes, nichts Gewisses, nichts Wahres in ihnen; ihr Schimmer ist die möglichst schwächste Vergoldung. Da ist nichts Tiefes, nichts Gründliches, — alles ist oberflächlich — alles nur Strohfeuer und Dampf. 

Dann finden wir eine andere Klasse, deren Leben eine beständige Szene „der Unruhe" ist; wir werden sie nie stille, nie befriedigt, nie glücklich sehen. Sie erwarten immer etwas Schlimmes; und werden fortwährend durch allerlei Schreckbilder geängstigt, so daß sie sich in einem beständigen Fieber befinden. Sie sind voll Unruhe über ihr Eigentum, über ihre Freunde, über ihr Geschäft, über ihre Kinder und über ihre Dienstboten. Obgleich in Verhältnisse gestellt, die Tausende ihrer Mitmenschen sehr angenehm finden würden, so leben sie dennoch in einer beständigen Furcht. Sie beunruhigen sich über Dinge, die vielleicht nie kommen werden, über Schwierigkeiten, die nie da sind, über Leiden, die sie nie zu erdulden haben. 

Anstatt über die vergangenen Segnungen dankbar und über die Gnade der Gegenwart erfreut zu sein, beschäftigen sie sich mit den Schwierigkeiten und Sorgen, welche die Zukunft bringen könnte, — mit einem Wort: „Si e mache n sic h ver -
geblich e Unru h e." Endlich begegnen wir einer anderen Klasse, ganz verschieden von jeder der vorhergehenden; sie sind eifrig, klug, fleißig, Geld gewinnend — ja Leute, welche leben können, wo andere verhungern müßten. Bei ihnen ist vom „Schattenbild" keine Rede. Sie sind zu gesetzt und das Leben ist eine zu praktische Wirklichkeit für sie, als daß es für irgend einen Gedanken der Art Raum ließe. Man kann aber auch nicht sagen, daß irgendwelche „Unruhe" in ihnen ist. Ihre Geistesrichtung ist entweder ruhig, frei und überlegend, 92 oder tätig, unternehmend und spekulativ. „Sie sammeln und wissen nicht wer es ernten wird." Doch mein lieber Leser, denke daran, daß der Geist Gottes diese drei Charakterzüge als „E i t e 1 k e i t" gestempelt hat. 

Ja alle s „unter der Sonne", ohne irgend eine Ausnahme, ist von dem Manne, der es aus Erfährung kannte und es durch Eingebung niederschrieb, „Eitelkeit und Unruhe des Geistes" genannt worden. Man mag sich hinwenden „unte r d e r S o n n e" wohin man will, nirgends wird ein Platz gefunden, wo das Herz ruhen kann. Wir müssen uns mit den sicheren und den mächtigen Flügeln des Glaubens zu den Regionen „über der Sonne" erheben, um „eine bessere und bleibende Habe" zu finden. Der Eine, welcher zur rechten Hand Gottes sitzt, hat gesagt: „Ich wandle auf dem Wege der Gerechtigkeit, inmitten der Steige des Rechts, damit ich die mich Liebenden erben lasse, was beständig ist; und ich will ihre Schatzkammern füllen" (Sprüche 8, 20. 21). Nur Jesus kann geben, was beständig ist"; nur Er kann „erfüllen"; nur Er kann „befriedigen". Das vollkommene Werk Christi allein begegnet den tiefsten Bedürfnissen des Gewissens; und nur in Seiner glorreichen Person kann das ernsteste Sehnen des Herzens Befriedigung finden. Der, welcher Christum am Kreuze gefunden hat und Christum auf dem Thron, hat alles gefunden, was er irgendwie für Zeit und Ewigkeit bedarf. Deshalb hat der Psalmist wohl Ursache sein Herz durch die Frage zu erforschen: „Worauf warte ich?" und zu erwidern: „Meine Hoffnung ist in dir." 

Kein „Schattenbild" — keine „Unruhe" — kein „ungewisses Sammeln" für ihn. Er hat seinen Gegenstand in Gott gefunden, der wohl wert ist, um auf Ihn zu warten; und deshalb wendet er seine Augen von allem anderen und sagt: „Meine Hoffnung ist in dir." Dies, mein geliebter Leser, ist die einzig wahre und Frieden gebende Stellung. Ja der, welcher sich auf Jesum lehnt, auf Ihn schaut und auf Ihn wartet, wird nie beschämt werden. Er besitzt einen unerschöpflichen Grund der gegenwärtigen Freude in der Gemeinschaft mit Christo, während er zu derselben Zeit Teil an „der gesegneten Hoffnung" hat, daß Er, wenn die gegenwärtige Scene mit ihrem „Schattenbild", ihrer „vergeblichen Unruhe" und ihren eitlen Quellen vorüber ist, dann bei Jesu sein wird, wo Er ist, um Seine Herrlichkeit zu schauen, um sich in dem Lichte Seines Antlitzes zu sonnen und um für immer nach Seinem Bilde verwandelt zu sein. Möge es denn stets unsere Gewohnheit sein, unsere so leicht an die irdischen Dinge gefesselten und sich nach der  Kreatur umsehenden Herzen mit der Frage: „Au f wa s wart e ich? " zu erforschen. 

Warte ich auf eine Veränderung der Umstände oder „auf den Sohn vom Himmel?" Kann ich auf Jesum schauen und mit einem vollen, aufrichtigen Herzen sagen: „Herr, meine Hoffnung ist in dir?" O möchten doch unsere Herzen völliger von dieser argen Welt und von allem, was darinnen ist, durch die Kraft der Gemeinschaft der Dinge, welche unsichtbar und ewig sind, getrennt sein! (Übersetzt) Über das Anlegen der Waffenrüstung (Eph. 6, 10-18) Wenn ich meine Annahme und meine Stellung als Glied am Leibe Christi nicht praktisch erkenne, so kann ich die Belehrung dieses Teiles des Wortes Gottes nicht annehmen oder verstehen. 

Es stellt in seinem Zusamenhang sehr deutlich und klar das völlige Resultat des Werkes Christi in Beziehung zu der Kirche oder Versammlung dar, als den Gedanken und den Ratschluß Gottes vor Grundlegung der Welt. Es gibt eine solche Einheit zwischen Christo und Seinen Gliedern, daß Sein e Stellung ihr e Stellung, und Sei n Leben und Sein e Herrlichkeit die ihrig e ist. Deshalb sollte auch in dem Wandel eine Übereinstimmung mit der Stellung sein, in welche wir gesetzt sind. Mein Wandel ist in Wirklichkeit hier; aber die Quellen desselben sind alle droben. Gerade so, wie ich meine Annahme in Jesu verstehe, und meine wahre Stellung in der Welt, wie Er darin war, erkenne, so werde ich sie auch praktisch verwirklichen. 

Das Verständnis des Kampfes, wovon hier die Rede ist, hängt von der Verwirklichung der Stellung der Versammlung in Christo ab. Es ist nicht nur das Töten des Fleisches, obgleich es unmöglich ist vor dem Satan zu stehen, wenn ich meinen Leib nicht in Unterwürfigkeit halte; denn wenn ich dem Fleische nachgebe, so hat mich Satan unter sich, und insoweit in seiner Gewalt. Es ist auch nicht das Kämpfen mit den Versuchungen der Welt, obgleich wir diese natürlich zu überwinden haben. Insoweit als ein Christ ein weltlichgesinnter Mensch ist, ist er auch ein elender Mensch, und je mehr er jenes ist, desto mehr ist er auch dieses. Diese r Kampf aber nimmt einen höheren Charakter an, als die Tötung des Fleisches oder der Sieg im Geiste über 94 die Welt; aber er wird nie in Wahrheit ausgeführt werden, wenn jene Stücke fehlen. Dennoch ist er von einem ganz unterschiedenen Charakter; er ist „wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern" (V. 12). Nun ist es aber nicht die Verhöhnung dieser Feinde, die uns Kraft gibt, ihnen zu begegnen; nicht dadurch, daß wir wenig von ihnen halten, können wir sie überwinden. Satan kann bald unser Rühmen in dieser Weise zunichte machen.

 Dennoch haben wir keine Ursache uns vor ihm zu fürchten. David fürchtete Goliath nicht; aber dies hatte allein darin seinen Grund, daß er nur in der Kraft des Herrn und in Seinem Namen zu ihm kam. Laßt uns auch bemerken, daß es nicht der Mangel an geistlichen Gefühlen ist, welcher uns Kampf bereitet, obgleich dieser Mangel uns im Kampfe untüchtig macht, sondern es gibt eine Armee wirklicher, geistlicher Feinde, welchen jeder Christ und die Versammlung Gottes, in den himmlischen Örtern zu begegnen hat, wenn unsere wahre und gesegnete Stellung, als auferweck t m i t Christo , von uns genossen wird. Es sagt nun der Apostel mit Nachdruck, daß weder Raum für die Selbsterhebung oder das Rühmen, noch Raum für die Furcht vorhanden sei. 

Denn wir rächen nicht das un s zugefügte Unrecht, sondern wir streiten fü r Got t und suchen in Seiner Macht die Werke des Satans zu zerstören. Deshalb sagt er: „Seid stark in dem Herrn und in der Kraft seiner Stärke." Und wenn wir in dem praktischen Wandel droben mit Christo gefunden werden, so werden wir auch verstehen, daß die Ermahnung: „Ziehet an die Waffenrüstung Gottes" ganz nötig ist. Laßt uns nun zuerst, um den Sinn des Ausdrucks „himmlische örter" zu verstehen, die Stellung Israels betrachten. Zunächst sehen wir ihre Erlösun g au s Ägypte n durch das Blut des Lammes, nicht nur von der Schuld, sondern von dem Verderben, durch das Besprengen der Türpfosten. Dann sehen wir die Mach t (nämlich im Roten Meer), welche den Pfad des Todes der anderen zu einem Pfade des Lebens für den Gläubigen macht. Und nach all diesem kommt die Wüste. 

—Wir sind in der Wüste—o daß wir es nimmer vergäßen! Israel hatte dort dem Amalek zu begegnen (2. Mos. 17); und ihre ganze Stärke lag in der aufgehobenen Hand des Moses. Ebenso können auch wir allein durch die Kraft Gottes überwinden. Alles ist von dieser Kraft abhängig. Sie liegt außer uns; doch ist sie unser, um sie festzuhalten. — Der Kampf Israels mit Amalek stellt sozusagen den Kampf des Gläubigen mit dem Feind dar, welcher die Pilgrime Gottes in ihrem Lauf durch die Welt, als 95 einer Wüste, fortwährend zu hindern sucht. Es ist die hindernde Macht der Welt, welche Satan benutzt, um den Lauf eines Christen durch diese Welt zu der Ruhe Gottes im Himmel aufzuhalten. Seiner Macht nun müssen wir begegnen, oder wir hören auf, Fremdlinge und Pilgrime auf der Erde zu sein. „Dieses ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube" (l.Joh. 5,4). Die Welt mu ß überwunden werden oder der Charakter als Pilgrim ist verloren. — 

Ebenso finden wir auch nachher bei Israel Kampf, als der Jordan durchschritten war. Dies ist der Kampf, welcher beginnt, nachdem der Tod und die Auferweckung mit Christo in uns verwirklicht ist. Nachdem Israel über den Jordan gekommen und in Kanaan war, mußten die Kanaaniter überwunden werden. Dies ist es nun, worauf es ankommt. Wie habe ich ein himmlisches Leben zu führen? Wie habe ich meinen himmlischen Charakter darzustellen? Durch meinen Wande l im Himmel. Es ist nicht durch eine Regel oder Vorschrift, sondern durch einen Wande l im Himmel. Christus sagt: „Ich bin von oben." Deshalb sollte jede Quelle meiner Handlung vom Himmel, von Christo, hergeleitet werden. „Wenn, ihr denn mit dem Christus auferweckt seid, so suchet, was droben, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit dem Christus in Gott verborgen" (Kol. 3,1-3). Wenn die Kämpfe des Herrn erstritten und der Charakter eines Christen behauptet werden soll, so geschieht es nur durch unseren Wandel im Himmel, indem wir unser Herz daselbst haben. Wir gehören dem Himmel an. O Geliebte! nicht durch Worte kann diese Erkenntnis euch mitgeteilt werden

. Ich könnte euch immer vom Himmel reden, und ihr würdet es nie verstehen, es sei denn, daß ihr selbst dor t wäret. Aber wenn ihr dor t seid , so wisset ihr, was ich meine. Wenn also euer Wandel im Himmel ist, so wird der Gedanke wie ihr hieniede n leben sollt, weder Mühe noch Angst in euch hervorrufen. Die Kraft des Lebens, welche euch dahingebracht hat, und die Ordnung von allem, was der Glaube dort findet, wird euren Charakter hier unten bilden. Wenn ihr aber nicht im Himmel seid, so wird es euch viele Sorge machen, wie ihr euren Charakter bilden sollt, damit andere eine gute Meinung von euch haben, und auch, auf welche Weise ihr euer Gewissen und euch selbst in Ruhe erhalten könnt.— Doch hierauf kommt es an: im Lichte zu wandeln, wie Gott im Lichte ist. In dem Maße wie wir nun unsere Stellung in Christo verwirklichen, werden wir fähig sein, den listigen Anläufen 96 des Feindes zu begegnen.

 Gerade als Josua über den Jordan gekommen war, hatte er Jericho zu besiegen — floh Israel vor den Männern zu Ai, und hatte der List der Gibeoniten zu begegnen. Es handelt sich immer darum, daß wir unsere Stellung in den himmlischen örtern behaupten; denn wir sehen hier, daß der Kampf gänzlich aus der Welt hinweggenommen ist. Die weltlichen Dinge stehen damit in Verbindung; aber nur in den himmlischen örtern wird der Kampf selbst ausgeführt. Ach wie wenig verstehen wir in Wahrheit diese Mächte der Bosheit! Nicht mehr Fleisch und Blut, sondern geistliche Feinde sind es, welche sich anstrengen, unseren Genuß in den himmlischen örtern zu verhindern. Wir fangen am unrechten Ende an, wenn wir mit uns selbst anfangen. O es ist traurig für einen Christen, wenn er immer fragt und zweifelt und seiner Errettung nicht gewiß ist. Er ist nicht nur unglücklich — obgleich er dies in der Tat ist — sondern er verwirklicht nicht, was Christus ist.

 Er macht dem Werke Christi einen ausdrücklichen Vorwurf. Man könnte nun vielleicht sagen: Diese Gewißheit ist ein besonderes Vorrecht und an bestimmte Bedingungen geknüpft. O nein! aber es ist sicher keine geringe Sache, unwissend zu sein in dem, was Christum betrifft. Ich meine nicht, unwissend zu sein in Betreff Seiner Erlösung, sondern in Betreff der Fülle Seiner Person und in Betreff der Göttlichkeit, Ewigkeit und Vollkommenheit Seines Werkes. Jetzt ein Wort über die Waffenrüstung. — „Ziehet an die Waffenrüstung Gottes." Laßt uns von der ganzen Wahrheit, die in der Heiligen Schrift, und besonders von der, welche in dieser Epistel dargestellt ist, einen praktischen Gebrauch machen, und laßt sie ihre wirkliche Kraft in unseren Seelen haben. „So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit." 

Laßt uns doch die Wahrheit nicht leicht nehmen. Es gibt viele Aufnahme der Wahrheit auf eine leichte Weise. Wozu gebrauchen wir einen Gürtel? Um in den Stand gesetzt zu sein, unsere Kräfte zusammenzufassen, um für den Kampf oder für den Wettlauf gestärkt zu sein. Die Wahrhei t ist es, die ich bedarf, um mich in meinem Kampf gegen die List Satans zu stärken. Und es ist gerade in dem Maße, als mich die Wahrheit praktisch in Gott erfreut, daß ich sie als einen Gürtel benutzen kann. O, meine Geliebten, wie steht es denn um euch hier? Seid ihr träge? Pflegt ihr der Ruhe? Habt ihr eure Gewänder umgürtet? Es wäre traurig. „Umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hofft völlig auf die Gnade, welche euch in der Offenbarung Jesu Christi gebracht wird" (1. Petr. 1, 13). Wir sind berufen, 35 97 Christo zu dienen. „Und wenn jemand mir dient", sagt Er, „den wird mein Vater ehren". Ein jeder ist berufen, Christo zu dienen. Es ist ein jämmerliches Ding, wenn wir nicht jeden Tag fragen: „Was willst du, Herr, das ich tun soll?" Bald wird Er keinen Dienst, und bald werden w i r keinen Gürtel mehr bedürfen; dann werden wir ruhen. Aber hier sind wir in der Welt, wo Christus den Dienst bedarf. Wir sind berufen für Christum zu kämpfen, und der Apostel sagt: „Niemand, der Kriegsdienst tut, verwickelt sich in Beschäftigungen des Lebens, auf daß er dem, der ihn angeworben, gefalle" (2. Tim. 2, 4). „Und angetan mit dem Brustharnisch der Gerechtigkeit."

 — Es ist der Brustharnisch der Gerechtigkeit , welcher uns eine vollkommene Stellung vor Gott gibt, so daß Satan in Betreff dieses Kardinal-Punktes nie eine Frage erheben kann. „Auf daß wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden." Wozu nützt es, daß Satan zu mir kommt und mir sagt, was ich gewesen bin? Ich weiß es schon; aber ich weiß auch, was ich jetzt in Christo bin. Durch einen nachlässigen Wandel mag das Gefühl hiervon verloren gehen; ich mag den Brustharnisch der Gerechtigkeit praktisc h verlieren; ich mag vergessen, daß ich von meinen vorigen Sünden gereinigt bin; allein es gibt eine Gerechtigkeit, eine vollkommene göttliche Gerechtigkeit, in welcher der Gläubige dasteht, angenehm gemacht in dem Geliebten. Ich mag straucheln; aber nichts kann das Werk Gottes in Christo ungeschehen machen. „Und beschuhet an den Füßen mit der Zubereitung des Evangeliums des Friedens." 

Ein Wandel im Frieden o weich eine gesegnete Sache! Durch diese Schuhe fähig gemacht zu sein, in den rauhen Örtern der Welt im Frieden zu wandeln — fähig gemacht zu sein, auf dem vor uns liegenden Pfad im Frieden voranzugehen! Wenn ich in dem Frieden des Evangeliums bleibe, so werde ich ruhig und stille sein, was auch immer die Umstände in der Welt sein mögen; — ja in diesem Frieden kann ich überall gehen. Jesus ist unser Friede — jener göttliche, gesegnete Friede, welcher nicht von den Umständen abhängig ist. „Und zu alle dem den Schild des Glaubens ergreifend, durch welchen ihr alle die feurigen Pfeile des Bösen auszulöschen vermögen werdet!" — All e di e feurige n Pfeile . Es gibt keinen einzigen Pfeil, der mich durchbohren oder verwunden kann, wenn ich diesen Schild des Glaubens aufrecht halte. Der Satan verwundet, indem er unseren Glauben schwächt; und durch nichts geschieht dieses mehr, als durch Vernachlässigung des Wortes Gottes, oder durch Zulassung irgend einer praktischen Ungerechtigkeit. 

Es 98 kommt hier nicht darauf an, von welcher Art die Pfeile sind. Es mag eine Versuchung in Betreff meiner Annahme oder auch in Betreff meines nachlässigen Wandels sein. Durch den Glauben aber werde ich in die himmlischen Örter versetzt und sehe dort meine Stellung; was kann mir dann schaden? Da weiß ich, daß „alle Dinge zum Guten mitwirken." Es gibt für den Glauben keinen anderen Grund als das gewisse Wort Gottes. „Nehmet auch den Helm des Heils." Ich muß über mein Heil oder meine Errettung völlig gewiß sein, wenn ich in den Kampf gehe. 

Es ist unmöglich, gegen Satan im Kampf zu bestehen, wenn die Seele nicht in Gnade befestigt ist. Welch eine gesegnete Sache ist es, zu wissen, daß ich schon errettet bin! Nun kann ich mein Haupt emporheben, indem ich mit dem Helm des Heils bedeck t bin . Wie David sagt: „Du hast mein Haupt bedeckt am Tage des Kampfes". Ein Soldat kann ebenso wenig ohne seinen Schild als ohne seinen Helm sein; in jedem Falle wäre er unfähig, seinem Feind ins Angesicht zu sehen; — der Christ könnte in dem praktischen Kampf gegen den Satan fast ebenso gut ohne Glauben als ohne Erkenntnis der Errettung sein.

 „Und das Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes ist." Dies ist eine Waffe zum Angreifen. Es ist also nicht jede Waffe zum Schut z dienlich. Doch sind wir schon, ehe wir das Schwert ergreifen, durch den Brustharnisch usw. gegen die Ungerechtigkeit des Satans geschützt. Wir müssen dies Schwert benutzen, um dem Feinde die Stirn bieten zu können. Wir haben es zu benutzen, um andere, die in seinen Banden gehalten werden, zu befreien. Und dies geschieht nicht nur durch eine große Erkenntnis des Wortes; ich kann das Schwert des Geistes nicht mit einem fleischlichen Arme benutzen. O es tut not, den Heiligen Geist zu ehren, der mir so nahe ist wie Christus und ebenso teuer wie Er! Denn wir lesen nicht nur, daß Christus für uns gestorben ist, sondern daß Er auch den „andern Sachwalter" gesandt hat. O welch ein Wort: „Dämpfet den Geist nicht!" „Betrübt den Geist nicht!" Geliebte, wir sollten dies mit allem Ernst bedenken. Wir können das Schwert des Geistes nicht benutzen, wenn wir den Geist betrüben; und wir können uns auch nicht der Gemeinschaft mit Gott erfreuen, wenn wir den Geist betrüben. Es gibt nicht zu viel Freude über die persönliche Gegenwart des Geistes; doch müssen wir die Erfahrung und den Genuß Seiner innewohnenden Macht haben. Ach! Ach! das inwendige Leben steht der Stellung, in welche wir gebracht sind, so weit nach. 

Es fehlt sehr viel an dem persönlichen, praktischen Wandel mit Gott, nicht nur um Genuß zu haben — das wäre ein niedri99 ger Beweggrund — sondern um Gott zu verherrlichen, um jedem, der mit uns in Berührung kommt, den Eindruck zurückzulassen, daß unser Wandel mit Gott, und daß unsere Stärke in Ihm ist. Doch wird das Schwert so wenig in der Macht des Geistes geführt. Wir nehmen den Segen, aber die Kraft, ihn zu behalten und Gott darin zu verherrlichen, fehlt. „Zu jeder Zeit mit allem Gebet und Flehen in dem Geiste betend usw.". Es ist gesegnet zu finden, daß, nachdem wir völlig für den Kampf ausgerüstet sind, die völlige Abhängigkeit von Christo das Ganze krönt. Hier ist unser Ort der Stärke, und er ist für alle Heiligen. Ich verstehe den Ort, und den Grund, und die Ursache, und die Macht dieses Kampfes nur, wenn ich die Einheit der Versammlung mit Christo als auferstanden sehe, und wie der Heilige Geist die gemeinsame Stellung aller Gläubigen in Christo als Seinen Leib offenbart. Gott hat uns mit der Waffenrüstung versehen; sie ist für den Gläubigen, um sie zu nehmen und anzulegen. (Übersetzt)

Das fleischliche Vertrauen und das Vertrauen des Glaubens (4. Mose 17 bis Kap. 18, 1)

 Wir lesen 4. Mose 17, 12: „Und die Kinder Israel sprachen zu Moses: Siehe wir kommen um, wir verderben, alle verderben wir. Wer irgend der Wohnung des Herrn nahet, wird sterben. Sollen wir denn ganz und gar untergehen?" — Das Gefühl der Kinder Israel hier war nicht gerade der Schreck des erwachten Gewissens eines bis dahin gleichgültigen Sünders in der Gegenwart des gerechten Gottes, sondern dieser Schreck hier war vielmehr eine Folge des Hochmuts des Geistes, wenn das Fleisch sich in die Gegenwart Gottes gedrängt hat. Und dies ist es, was wir beständig rinden, wenn Erhebung gegen Gott da ist. Befindet sich die Seele in diesem Zustand, so wird sie in Verzweiflung dahinsinken, wenn Gott sich offenbart; und das ist eine höchst traurige Sache. Es ist aber, wie schon gesagt, ganz verschieden von der Furcht eines natürlichen Gewissens, wenn es zuerst aufwacht.

 Diese Furcht ist zwar auch sehr peinlich, aber sie ist heilsam. Wenn ein Mensch ganz und gar ohne Gott dahingeht, so ist das nicht gerade Erhebung gegen Gott zu nennen, obgleich es wohl in einem gewissen Sinne wahr ist. Es ist uns allen bekannt, wie viele Menschen Tag für Tag und Jahr 100 für Jahr sorgenlos vorangehen, ohne sich in irgend einer Weise um Gott zu bekümmern; wie sie die Freuden und Vergnügungen in der Welt suchen und in Gleichgültigkeit dahinleben; wie sie mit Sorgen aller Art beschwert, und oft unter einer Last von Geschäften niedergedrückt sind. Es gibt tausend Dinge, die das Herz eines natürlichen Menschen beschäftigen und erfüllen; aber Gott ist ausgeschlossen. Ein solcher mag das Bewußtsein haben, daß es einen Gott gibt, aber er ist weit davon entfernt, Ihn als den Gegenstand seines Lebens zu haben. „Gott ist nicht in allen ihren Gedanken." 

Oft mag das natürliche Gewissen von einer geheimen Ahnung, von einem unbestimmten Gefühl durchkreuzt werden — Gott wirkt oft auf diese Weise in den Herzen derjenigen, die Er später beruft, obgleich es zu jener Zeit noch ohne Frucht bleibt — und nachher, bei der Bekehrung der Seele, trägt die Erinnerung an dieses wiederholte aber vergebliche Anklopfen von Seiten Gottes viel dazu bei, eine tiefe Überzeugung von dem gänzlichen Verderben des menschlichen Willens zu geben. Das Gewissen eines Menschen zu erreichen, der in offenbaren und groben Sünden dahinlebte, ist eine leichte Sache, wie auch der Herr sagt: „Die Hurer und Ehebrecher gehen eher in das Reich Gottes ein, als ihr" d. i. die Frommen in den Augen der Welt. Oft ist die Berufung Gottes in einem vergleichungsweise untadeligeren Lauf des Lebens geschehen, und Gott ist in dem Reichtum Seiner Güte, Geduld und Langmut verschmäht worden. Wenn die Überzeugung von der Sünde kommt, so ist das eine andere Sache, als wenn der Geist Gottes einen Menschen mit seinem Gewissen in die Gegenwart Gottes stellt; in diesem Falle findet er beides, sowohl das, was er getan hat, als auch das, was er ist. Er findet, daß er „sich selbst den Zorn gehäuft hat auf den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes"; und noch mehr: daß der natürlich e Zustand ein Zustand der Sünde und der Empörung gegen Gott ist; und er kann sich selbst nicht helfen.

 Wenn nun aber auch dieser Zustand der Seele ein peinlicher ist und oft den Menschen beinahe zur Verzweiflung bringt, so ist er doch heilsam und gesegnet. Wo immer eine klare Überzeugung dieses Zustandes ist, da ist auch das Verlangen, z u Got t z u gehen ; obgleich es immer mit dem Bewußtsein begleitet ist, kein Recht zu haben, dort zu sein. Ebenso war es mit dem verlorenen Sohn in Luk. 15. Er sagte:

 „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater! ich habe gesündigt wider den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen" (V. 18. 19). So auch Petrus, als er sich zu 101 den Füßen Jesu hinwarf: „Gehe von mir hinaus; denn ich bin ein sündiger Mensch!" Hier sehen wir das Bewußtsein der Unwürdig'keit seiner Stellung vor Gott; denn er erkennt die Heiligkeit Gottes, und er fühlt auch, daß er schuldig ist, selbst heilig zu sein; allein, wenn er auch noch so weit hiervon entfernt ist, so hat er doch den Wunsch zu Gott zu gehen. Das ist freilich ein scheinbarer Widerspruch; aber es ist also verwirklicht vom Geist Gottes. Und es ist sehr natürlich, daß in einem Herzen, worin der Geist Gottes wirkt, das Verlangen erwacht, zu Gott zu gehen; weil wir fühlen, daß dies durchaus nötig ist, wenn auch das Gewissen noch so sehr überzeugt ist, daß wir ganz unwürdig sind. Das Herz ist z u Got t gewendet ; und wenn es erkennt, daß Gott heilig ist, und auch anerkennt, daß es schuldig ist, selbst heilig zu sein, so stimmt es Gott im Urteil wider sich selbst bei. Ein solcher Mensch hat kein Begehren, daß Gott aufhören möge, heilig zu sein, damit er sozusagen in den Himmel hineinschlüpfen könne.

 Er rechtfertigt Gott vielmehr, anstatt Ihn, um selbst gerechtfertigt dazustehen, zu verurteilen. Dies Letztere tut der Sünder zwar oft, und auch Adam tat es als er sagte: „Das Weib , das d u mir zugesellt hast, gab mir von dem Baume, und ich aß." Das erwachte Gewissen aber, wenn es vor Gott kommt, rechtfertigt sich selbst nicht mehr; es rechtfertigt Gott und richtet sich selbst. Ein solcher Mensch hat freilich die Erlösun g — das, was Gott in Christo für ihn getan hat — noch nicht kennen gelernt; aber er ist mit seinem Zustand vor Gott, als dem Gegenwärtigen, beschäftigt, und das ist heilsam. Da ist noch nicht der Friede, welchen Gott gibt; aber das Herz ist aufrichtig gemacht. Gott hatte in Gnaden ein Priestertum aufgerichtet, um dem Bedürfnis Seines Volkes zu begegnen. 

Die Israeliten aber waren der Meinung sie könnten, wei l si e Sei n Vol k seien , auf einer anderen als auf der von Gott errichteten Grundlage, ihren Platz vor Ihm einnehmen. Sie beachteten es nicht, wie sehr sie ihre überkommenen Vorrechte mißbraucht hatten: — sie murrten gegen Gott — sie machten das goldene Kalb — sie sagten, es wäre besser, nach Ägypten zurückzukehren — sie verachteten die Verheißung, — ja, es gab eine lange Reihe von Übertretungen und Empörungen, und zuletzt erhob sich die sogenannte „Rotte Koran". In diesem traurigen Zustand befanden sie sich, und dennoch maßten sie sich an, in die Gegenwart Gottes treten zu dürfen. „Und sie versammelten sich wider Moses und Aaron und sprachen zu ihnen: Ihr machet's zuviel. Denn die ganze Gemeine ist überal l heilig, und der Herr ist unte r ihnen ; warum erhebet ihr euch über di e G e -
102 mein e de s Herrn? " (Kap. 16,3). Hier war Überhebung in der Gegenwart Gottes. Das ist es, was sich so leicht in unseren Herzen versteckt, geliebte Brüder; wir sind so leicht geneigt, die Vorrechte der Kinder Gottes mit dem Fleische aufzunehmen.

 Es mag sich nicht in einer so großen Ausdehnung wie hier, offenbaren; aber zeigt sich nicht oft diese Art von Gefühl, fähig zu sein, in die Gegenwart Gottes zu kommen, weil es unser Vorrecht ist, dies zu tun! Gewiß aber is t dies unser Vorrecht , ja das Vorrecht aller Heiligen; allein es ist eine traurige Sache, wenn dies Vorrecht, Ihm zu nahen, zur Folge hat, daß wir mit Überhebung und Gleichgültigkeit in Seine Gegenwart kommen, ohne das geringste Gefühl zu haben, was diese Nähe ist. Einen anderen Beweis der Überhebung in der Gegenwart Gottes finden wir in dem Verhalten des Kain (l.Mos. 4).

 Als Gott zu Kain sagte: „Wo ist dein Bruder Abel?" — da erwiderte er: „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?" Er antwortete Gott ganz leichtfertig. Aber in diesem Augenblick zeigte sich Gott ihm als Gott und sagte: „Was hast du getan? Die Stimme von deines Bruders Blut schreit zu mir von der Erde." Jetzt trat Verzweiflung ein; und dies ist immer der Fall. Wenn irgendwie eine Überhebung des Herzens vor Gott da ist und Gott Sich als Gott offenbart, so entsteht Verzagtheit und Verzweiflung, und die Sprache des Herzens ist: „Siehe , wi r komme n um ; wi r ver -
derben , all e verderbe n wir! " Wir haben hier einen großen Grundsatz. Selbst in dem Herzen des Christen, wenn kein verwirklichter Grund des Vertrauens vorhanden ist, wird dasselbe stattfinden; das Herz wird in Verzweiflung dahinsinken.

 Ein Christ hat immer Ursache vollkommen glücklich zu sein vor Gott; er ist vollkommen gerettet. Und ich bin völlig überzeugt, Geliebte, daß dies der wahre Zustand des Christen ist. Sein Hauptcharakterzug ist das Vertrauen — nicht das Vertrauen im Fleische oder das fleischliche Vertrauen, sondern — das Vertrauen und die Freude in Gott. Ich sage nicht, daß der Christ nicht in einem Zustand gefunden werden kann, wo dies Vertrauen mangelt und wo er in Betreff seiner selbst in Ungewißheit ist; allein das ist nicht der wahre Zustand eines Christen. 

Der Heilige Geist gibt immer Gewißheit . Wo aber Ungewißhei t ist, da ist es infolge des Wirkens unseres eigenen Herzens, obgleich es auch oft in Verbindung mit dem sein kann, — oder in einem gewissen Sinne darauf gegründet, — was wirklich das Werk des Geistes ist. Ich mag glauben, daß Gott heilig ist, und, indem ich in mir Sünde sehe, anfangen, meine eigene Würdigkeit zu prüfen, ob ich zu Gott kommen kann oder nicht, 103 ob ich irgend etwas vor Ihn zu bringen habe. In dieser Stellung fehlt es nicht an dem Verlangen zu Gott zu gehen; aber ich bin ungewiß, ob Er mich annehmen wird. Das ist nicht Glaube n ; und doch ist es oft der beständige Seelenzustand, worin viele Christen gefunden werden; allein der wahre Zustand eines Christen ist es nicht. Es ist ein Betrachten der Dinge, welch e ic h durc h de n Glaub e n kenne ; welch e durc h de n Glaube n ge -
funde n werden ; aber es ist nicht der Glaub e selbst . Ich finde in dem Worte Gottes, daß das Blut des Herrn Jesu Christi uns reinigt von aller Sünde — daß Er durch das Blut des Kreuzes Frieden gemacht hat — daß Er meiner Sünden und Ungerechtigkeiten nicht mehr gedenken will; — und wenn der Glaube in Übung ist, so bin ich glücklich — ich habe Frieden! Der Glaube ist die einfache und völlige Annahme dessen, was Gott gesagt hat. Der Unglaub e ist nicht ein christliche r Zustand; er ist leider das, worin ein Christ fallen kann; aber er ist nicht sein eigentlicher Zustand. Deshalb gebe ich auch nicht zu, daß Ungewißheit die wahre Stellung einer gläubigen Seele ist, obgleich ich andererseits einräume, daß man durch einen solchen Zustand hindurchgehen kann und daß es in der Tat gewöhnlich geschieht. — Di e christlich e Ge -
wißhei t abe r ist imme r Gewißhei t i n un d nich t auße r de r Gegenwar t Gottes . Da, wo Gewißheit im Glauben an d a s ist, was Gott gesagt hat, ist immer Gewißheit i n de r Gegenwar t Gottes . Der Glaube ruht dort. 

Und alles, was mir Freiheit gibt, in der Welt zu wirken, was mich tröstet und stärkt, ist auf das gegründet, was ich in der Gegenwart Gottes bin. Das Blut ist dort auf dem Gnadenstubl vor dem Angesicht Gottes, und deshalb kann ich, da ich dieses weiß, mit voller Gewißheit sagen, daß ich von allem gerechtfertigt bin und daß Gott mir unmöglich noch eine Sünde zurechnen kann. Ich sehe das Blu t vor Seinen Augen und nicht meine Sünden. Es gibt aber einen ganz anderen Zustand der Seele, eine Art von Vertraue n auße r de r Gegenwar t Gottes , wo die Seele zwar auf dem Grund des christlichen Verhältnisses und der christlichen Vorrechte denkt und urteilt, was aber dennoch nichts anderes ist, als eine fleischliche Zuversicht. So war es bei den Israeliten, nachdem sie Gott als Sein Eigentum anerkannt hatte. Sie betrachteten das Verfahren Gottes in den besonderen Anordnungen unter Seinem Volke als allgemeine Grundsätze, als etwas, das ein jeder für sich selbst in Anspruch nehmen konnte, und gingen in fleischlicher Anmaßung voran. 

Und siehe! dies brachte sie zum Murren und zur Empörung. Sie 104 traten mit einer Zuversicht auf, als ob der Herr mit ihnen sei. Und der Herr gab Befehle in Betreff Korahs, Dathans und Abirams und stritt wider sie im Gericht wegen ihrer Ungöttlichkeit. Dann lesen wir: „Des andern Morgens aber murrte die ganze Gemeine der Kinder Israel wider Moses und Aaron, und sprachen: Ihr habt de s Herr n Vol k getötet" (Kap. 16, 41). Welches Heilmittel wendet nun jetzt der Herr an? Er richtet ein Priestertum auf; und dies ist von jetzt an der alleinige Grund, auf welchem Er mit ihnen vorangehen kann. Er sagte gleichsam: „Ich muß einen klaren und völligen Beweis von meiner Macht geben, um das Murren der Kinder Israel vor mir zum Schweigen zu bringen" (Kap. 17,10); und wenn ich diesen Beweis von meiner Macht gebe, so muß es in Gnad e sein. Wenn ich auf einem anderen Grunde als Gnade mit ihnen handeln wollte, so würde es nur zu ihrem Verderben sein." — Und dies würde immer der Fall sein, wenn der Herr einzig und allein in der Kraft Seiner mächtig wirkenden Gegenwart zu uns käme; es würde eine große Verwirrung in der Seele entstehen.

 Wir sehen dieses oft bei den Christen auf dem Sterbebette, wo, wenigstens für einen Augenblick, diese Wirkung hervorgebracht wird. Es ist aber nur ein Schatten der Macht von Dem, wo Christus hindurchging, unter welche Gott die Seele stellt, um sie in Seine Gegenwart zu bringen — ja nur ein Schatten davon. Es ist die Wahrheit, daß viele Gläubige in dem Wege, worin sie im täglichen Leben beschäftigt sind, die Gegenwart Gottes wenig verwirklichen . Ich meine nicht, daß sie keinen Frieden haben, sondern daß sie nie völlig verstehen, was das Fleisch vor Gott ist. In den Unterhaltungen mit Christen, oder in dem Umgang mit solchen, die noch nicht lange den Herrn kennen, hat man Gelegenheit genug, dieses wahrzunehmen. Sie verstehen sehr wenig was es ist, sich völlig in der Gegenwar t Gottes zu befinden. Sie mögen unter einer tiefen Überzeugung von der Sünde erweckt worden sein und den Frieden der Seele gefunden haben; sie mögen eine lange Zeit gut und in gewissen Dingen tätig vorangegangen sein, ohne jedoch die Gegenwart Gottes zu verwirklichen; ja dies alles kann sein, und dennoch würden sie mit Schrecken erfüllt werden, wenn Seine Gegenwart zu ihnen käme. — 

Es ist wahr, daß die völlig e Gewißhei t in Betreff der Errettung der eigentliche und richtige Zustand eines Christen ist. Ich wiederhole es hier um zu zeigen, daß ich bei den soeben ausgesprochenen Erfahrungen nicht im entferntesten daran denke, dies zu leugnen; allein ich bin überzeugt, wenn Gott 105 Vielen unter denen, die über ihre Errettung völlig gewiß sind — vielleicht möchten auch wohl manche unter den Lesern sein — begegnete, und zwar in Seiner herrlichen Macht, als Gott, es würde Furcht und Schrecken in ihrer Seele hervorbringen. Dies sollte aber nicht also sein; und es ist ganz sicher, daß, wenn es der Fall ist, sie nicht wirklich in Seiner Gegenwart leben und nicht den Platz eingenommen haben, welchen einzunehmen unser Vorrecht ist. Es ist eine beständige Neigung in unseren Herzen, sich mit gewissen Dingen zu begnügen, die auf das, was wirklich unsere Beziehung zu Gott ist, gegründet sind, und darin voranzugehen, ohne Seine Gegenwart zu verwirklichen. 

Wenn dies nun aber wirklich der Fall ist und zugleich Vertraue n damit zusammen geht, so ist ein verhärteter Zustand vorhanden. Ich wiederhole es, daß das Vertraue n immer das Teil des Gläubigen sein sollte; aber nur das Vertrauen des Glaubens. Dies wird uns von Gott nicht entzogen; doch können wir es verlieren. Wenn wir im Vertrauen vorangehen ohne in der Gegenwart Gottes zu wandeln oder ein reines Gewissen zu haben, so geschieht es, daß wir das wahre Fundament untergraben. Wir mögen selbst in Freud e vorangehen; wenn aber diese Freude nicht eine Freude in der Gegenwart Gottes ist, so wird es immer ein trauriger Zustand sein. Dies ist es, was ich „fleischliche s Vertrauen " nenne. 

Ich verstehe darunter nicht das Vertrauen eines unbekehrten Menschen, obgleich dies gewiß ein fleischliches ist, sondern das Vertrauen einer Seele, deren Frieden und Hoffnung wirklich gegründet ist, die aber nicht den Wandel in der Gegenwart Gottes beobachtet. Der Frieden mit Gott und eine gegründete Hoffnung — diese beiden Kennzeichen des eigentlichen Zustandes eines Christen — sind wirklich vorhanden, und dennoch ist es gewiß, daß ein fleischlicher Charakter in dem Herzen ist, wenn er ohne Gott vorangeht, d. h. wenn er mit seinem Wandel nicht in der Gegenwart Gottes bleibt. 

Die Folge wird sein, daß er, wenn der Herr ihm begegnet, selbst wenn es in Gnade ist, durch Seine Gegenwart mit Schrecken erfüllt wird. So war es mit dem Volke Israel, wie wir in dem oben angeführten Kapitel sehen. Gott erschien diesem Volke, und zwar in Gnade, denn die Rute Aarons blühte, aber sie fielen in Verzweiflung nieder und sagten: „Siehe, wir kommen um; wir verderben, alle verderben wir!" Ich sage nicht, daß es bis zu diesem Punkte in unseren Herzen kommen wird; aber ein ähnliches Verhalten wird jedoch Entmutigung, Mangel an Vertrauen und sogar Mißtrauen gegen Gott zur Folge haben. 

Vorausgesetzt, ein wahrer Christ wäre in Gleichgültigkeit und in diesem fleisch106 liehen Vertrauen vorangegangen und es erwachte endlich das Gefühl der Gegenwart Gottes in seiner Seele, so würde selbst die Erinnerung an die Vertretung und Fürbitte Christi keine Ermunterung und Stärkung für ihn sein, sondern vielmehr würde Entmutigung und Furcht seine Seele niederdrücken. Geliebte Brüder, unsere Stellung bei dem Herrn ist, mit Freuden zu wandeln; aber es ist di e Freud e im Herrn . Könnt ihr sagen, daß ihr mit Gott wandelt? Henoch wandelte mit Gott; kann dies auch von jedem unter euch gesagt werden? Ich sage nicht, daß ihr das offenbare Böse tut; aber wenn ihr mit Gott wandelt, würde dann Seine Gegenwart Furcht und Mißtrauen bei euch erwecken? Wenn dies der Fall ist, so ist unser Vertrauen, wenn es vorhanden ist, gewiß fleischlich.

 Laßt uns doch, geliebte Brüder, in einer solchen Stellung nicht ruhen; denn dies ist es nicht, wozu wir berufen sind! Es ist alles Gnade, und zwar Gnade, die unseren Bedürfnissen völlig entspricht; aber nu r be i Ih m un d i n Sei -
n e r Gegenwar t könne n wi r si e finde n un d u n s ihre r erfreuen . Moses sang: „Durch deine Barmherzigkeit hast du das Volk geleitet, das du erlöst hast; und durch deine Stärke hast du sie geführt zu deiner heiligen Wohnung" ((2. Mos. 15,13). Und dies ist es, was Er uns gegeben hat. Er hat uns heimgebrach t z u Sic h Selbst . Und dann hat Er Seinen Geist in unsere Herzen gegeben, damit dort unser e Heimat sein kann. Ihr wißt, was es heißt „daheim" zu sein; kein Ort ist gleich diesem. Wir sind „daheim", wenn der Geist Gottes in unseren Herzen wirkt. Er gibt die Freude als ein uns gehöriges Teil in der Gegenwart Gottes! — Wenn wir in die Welt .gehen mußten um zu arbeiten, um uns zu üben, um in tausend verschiedenen Dingen beschäftigt zu sein, und wir kehrten in die Stille und die Freude unseres Hauses zurück, — wie groß war der Wechsel! — Wir allein, geliebte Brüder, gehen aus und kommen wieder. Dor t sind wir „daheim". Wie tröstlich und wie sicher ist dieser Gedanke! 

Es ist aber schrecklich anstatt dessen zu sagen: „Siehe, wir kommen um, wir verderben, alle verderben wir! Wer sich zu der Wohnung des Herrn nahet, der stirbt"; ja es ist höchst traurig, wenn die Gegenwart Gottes, anstatt die glückliche Heimat unserer Herzen zu sein, mit Furcht und Schrecken uns erfüllt. Und dennoch zweifle ich nicht, daß es leicht sein würde, viele Christen, ja wahre Christen zu finden, welche anstatt sich außer der Gegenwart Gottes fern zu fühlen, sich vielmehr leicht und wohl fühlen. Aber es ist, ich wiederhole es, eine höchst traurige, ja schreckliche Sache, nicht 107 allein deshalb, weil es unrecht ist, sondern noch vielmehr deshalb, weil Gott Gnad e ist. — Wir sind berufen, bei Gott unsere Heimat, unser Vaterhaus zu haben! Als der Herr Jesus wieder zum Himmel zurückkehren wollte, sagte Er zu Maria: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott!" Wir sollten im Geiste ebensoviel dort zu Hause sein wie auch Er. 

War es nicht mit Freude und mit Vertrauen, daß Jesus sagte, Er gehe in die Gegenwart Gottes? Er kam aus der Gegenwart Gottes, um inmitten dieser verderbten Welt in Liebe zu handeln, und Er kehrte dorthin zurück als Er das Werk, welches zu tun Ihm gegeben war, vollendet hatte. Und war es nicht im gewissen Sinne mit dem Gefühl: Ich gehe nach Hause? Er sagte aber auch: „zu meine m Vater und eure m Vater, zu meine m Gott und eure m Gott." Welch gesegneter Gedanke! Dies ist die Wohnstätte der Versammlung. Wir sind berufen „zu Hause" zu sein bei unsere m Got t und unsere m Vater , zu wohnen inmitten der Segnungen Seines Hauses. 

Es bleibt sich gleich, was die Welt sein mag, — unsere Heimat, unser Vaterhaus ist dort; glückliche Heimat! gesegnetes Vaterhaus!— Dort sollen wir jetzt wirklich wohnen im Geist und als Christ dort glücklich sein. Wenn uns dies nun in Christo gegeben ist — und Gott gibt nichts Geringeres — verwirklichen unsere Seelen es auch? Es mag uns vielleicht ein geringes Maß genügen; Gott aber genügt es nicht; Er will uns völlig in Seiner Gegenwart haben, und wenn Er uns aufnimmt, so ist es um Christi willen. Unser Recht dort zu sein, ist nur auf das gegründet was Christus getan hat. 

Wir mögen durch mancherlei Erfahrungen gehen; aber Gott ruht allein in dem Werk Christi und nicht in unseren Erfahrungen. Es ist gewiß, daß Er in dieser Beziehung mit unseren Erfahrungen ganz und gar nichts zu tun hat. Wenn Er uns aufnimmt, so ist es nur um Christi willen, und deshalb nimmt Er uns auch so auf, als Ihn selbst. Ja, weil Christu s der Beweggrund und das Maß unserer Aufnahme ist, so kann nur die Gegenwart Gottes Selbst der Ort unserer Ruhe und unserer Freude sein. Laßt uns jetzt sehen, wie Gott Seinem Volke antwortet. Nach all dem Murren des Volkes, nach all der Empörung und dem Widerspruch der Rotte Korah ist dies Priestertum in Gnad e die Art und Weise, in welcher Jehova das Murren wegnimmt. „Ich muß sie", sagt Er, „durc h dieEut e Aarons , und nicht durch die Rute des Moses nach Kanaan führen. Dies Volk ist nicht nur in der Knechtschaft Ägyptens gefunden worden, sondern auch in Empörung und Sünde in der Wüste; deshalb ist das Priestertu m der einzige 108 Grund, auf welchem, ich mit ihnen verkehren kann." 

— Es bleibt keine andere Hoffnung übrig, um das Volk in das himmlische Kanaan zu bringen, als daß sie unter das Priestertum Jesu Christi gestellt werden; und deshalb ist auch gesagt, daß „Christus der Sohn über sein eigenes Haus ist." Es ist „sei n Haus"; das ist die erste Sache. Wie handelt Er in und mit demselben? Wenn ich ein Haus finde, das nicht mei n ist, und wenn sich dasselbe in einem schlechten und schmutzigen Zustand befindet, so mag ich große Geduld damit haben; aber gewiß nicht so, als wenn es mei n Haus ist. Christus ist beschäftigt in dem Hause, welches Sei n ist; und es ist sozusagen Sein eigenes Interesse es rei n zu haben. 

Wir sind unter das Priestertum Christi gestellt; Gott hat dasselbe angeordnet, und zwar zu dem Zwecke, um sich in dem „Hause" mit der Sünde zu beschäftigen. Wen n jeman d gesündig t hat" , — was denn? Er wird angeklagt und verdammt. Nichts davon; — „wen n jeman d gesündig t hat " und zwar ein Christ , — was würde das Urteil des Herzens sein, wenn fleischliches Vertrauen vorhanden wäre? Es würde voll Unruhe und Mißtrauen ausrufen: Wir kommen um, wir verderben! aber was ist die Wahrheit? — „s o habe n wi r eine n Sachwalte r b e i de m Vater , Jesu m Christum , de n Gerech -
t e n." Die Sünde setzt Christum in Tätigkeit. Er ist aber weit davon entfernt, durch diese Seine Tätigkeit Erlaubnis zur Sünde, von der wir völlig gereinigt sind, zu geben, oder Gleichgültigkeit gegen sie zu erwecken. Er verfährt gegen die Sünde nach demselben Grundsatz, nach welchem ich verfahren würde, wenn in meinem Hause sich Unreinigkeit vorfände; ich würde mein Haus nicht abbrechen, sondern es von dem Schmutz reinigen. Christus ist beim Wegschaffen der Sünde in Liebe beschäftigt. Es ist das Priestertum Christi, welches uns zu der himmlischen Stadt leitet. Was ich jetzt zunächst bemerke ist, daß wir Priester im Hause Gottes sind und daß wir deshalb die Ungerechtigkeit des Hauses zu tragen haben. „Und der Herr sprach zu Aaron: Du und dein e Söhn e und deines Vaters Haus mit dir, ihr sollt die Missetat des Heiligtums tragen; und du und dein e Söhn e mit dir, ihr sollt die Missetat des Priestertums tragen." Dies ist in allem wahr für die Kirche oder Versammlung. 

Wir sind Gottes Heiligtum — das „Haus Gottes" (1. Tim. 3,15). Dasselbe sind auch die einzelnen Heiligen. „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr von Gott habt, und daß ihr nicht eurer selbst seid?" (1. Kor. 6, 19). — Es wurde keine Ungerechtigkeit im Lager erlaubt, und noch viel weniger im Heiligtum. Wir sind in das Heiligtum Got109 tes gebracht, um dort zu weilen und im Priestertum Gottes zu dienen; und dies ist mit Verantwortlichkeit verbunden. Wir haben über die Sünde zu richten; doch nicht so, als wären wir unter dem Gesetz. — Dies ist es also, wohin uns Gott gebracht hat; dies ist die Stellung, in welcher wir vor Gott stehen; und dies ist es, was wir zu tragen haben. Es handelt sich hier nicht um die Vollkommenheit und die Reife in Christo; wir mögen erst gestern bekehrt oder schon Väter in Christo sein, und deshalb ein reiferes Verständnis hiervon haben; darauf kommt es hier gar nicht an. 

Vorausgesetzt, daß ein junger und ein alter Priester im Heiligtum waren, so hatte der erstere ebensoviel die Ungerechtigkeit des Heiligtums und des Priestertums zu tragen wie der letztere; ja ebensoviel wie Aaron selbst. Geliebte Brüder! Gott hat uns nach dem Reichtum Seiner Gnade zu Seinem Heiligtum gemacht; unsere Leiber sind Tempel des Heiligen Geistes. Wir sind Priester in Seinem Hause, und deshalb muß die Ungerechtigkeit desselben gerichtet werden.

 Wenn das Gefühl hierüber nicht Freude in unseren Herzen hervorbringt, so können wir nicht auf dem richtigen Grunde sein. Wenn wir nicht wissen, was es ist im Heiligtum zu sein, so wissen wir auch nicht, was es ist ein Christ zu sein. Und wenn wir nicht wissen was es ist, ein Priester zu sein, so haben wir noch nie unsere wahre Stellung vor Gott erkannt. Es ist auch noch dieses zu bemerken. Vorausgesetzt, daß wir durch die Gnade das Bewußtsein haben, Priester zu sein, so wird die notwendige Folge hiervon nicht das Gefühl sein: „Siehe, wir kommen um; wir verderben!" — sondern heilige s Vertrauen , — Vertraue n vo r Gott . — Gott sagt: „Ich will mit jenen, die in mein Haus kommen, nicht handeln wie ein Richter, obgleich sie unter dem Gesetz waren.

" Wenn Gott das Volk in Seinem Hause hat, so will Er sie dort als Prieste r haben. Wenn wir sagen: „Siehe, wir kommen um, wir verderben" u. dgl., so sind wir unter das Gesetz zurückgekehrt, so horchen wir auf das Urteil unseres eigenen Herzens, und das ist nicht Glaube. In dem Augenblick, wo wir also urteilen, ist der Glaube nicht in Übung, und wir befinden uns unter dem Gesetz. Dieses: „Siehe, wir kommen um, wir verderben; alle verderben wir. Wer sich zu der Wohnung des Herrn nahet, der wird sterben", ist nichts als Gesetz. Was ist des Herrn Wort oder vielmehr Sein Schweigen hierüber? 

Es wird wohl niemand zu behaupten wagen, daß es eine Prüfung für ihn sei, wenn er nicht völlig ein Priester ist. Ein solcher würde nicht wissen was Gerechtigkei t ist, wenn er in die Gegenwart Gottes kommt, noch wissen was 110 Gnad e ist; er würde weder in das Haus hineingehen noch umkommen; er wäre weder für das eine noch für das andere in dem geeigneten Zustand. — Wenn wir Gott mißtrauen, so werden wir nimmer auf dem wahren Grunde in die Gegenwart Gottes eingehen. Es gibt für uns dann anders keine Antwort, als daß wir uns völlig in einem schlechten und unwahren Zustande befinden. Gott kann uns herausbringen; aber Er kann uns nicht darin anerkennen. Erinnern wir uns, daß es fleischliche s Vertrau -
e n war, welches, wie wir gesehen haben, ähnliche Gefühle wie diese hervorbrachte; und es ist möglich., daß hier dieselbe Sache in den Herzen wirksam gewesen ist. Fleisch -
liche s Vertraue n aber nimmt uns unter dem Bewußtsein der Gnade hinweg und setzt uns für eine Zeit unter die Macht des Gesetzes. Nichts anderes kann uns da entgegen kommen und nichts anderes uns vor dem Fall bewahren, als die Fürbitte Christi. Durch die wunderbare Gnade Gottes sind wir in das Heiligtum gebracht und sind Priester Gottes; und dies ist die Stellung, in welcher wir über Gutes und Böses urteilen.

Wir urteilen aber darüber gemäß der Stellung, in welcher ein Mensch ist. Ich erwarte nicht von meinem Knecht, daß er ein Sohn sei, noch von meinem Sohne, daß er ein Knecht sei, und es ist sicher, daß wir dann, wenn wir das Gute und Böse nur nach dem natürlichen Gewissen beurteilen, nicht auf dem Grunde eines Christen vorangehen. Die Frage, die wir uns hier vorzulegen/haben ist diese: Was geziemt sich für einen Menschen, der Gottes Tempe l ist? Was geziemt sich für einen Menschen, der Gottes Prieste r ist? Erschrecken wir, meine Brüder, über unsere Stellung unter dieser Verantwortlichkeit? Wenn wir nicht sagen können, daß wir gerne dort sind, daß wir ein solches Interesse an der Herrlichkeit Gottes haben, daß wir diese Stellung wünschen; oder wenn wir uns lieber mit unserer Schwachheit entschuldigen, so beweisen wir, daß wir kein Vertrauen zu der Gnade haben und daß wir in einem gewissen Grad fähig sind zu sagen: „Siehe , wi r komme n um ; wi r verderbe n usw."

 Es ist dann dieselbe Sache im Grundsatz, wenn auch nicht im Umfang. Woher kommt es aber, daß wir uns fürchten? Allein daher, daß wir nicht stark sind in dem vollen und einfachen Vertrauen auf die Gnade, auf di e gegenwärtig e Gnade , wie gesagt ist: „Gerechtfertigt also aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum, durc h welche n w i r mittel s de s Glauben s auc h Zugan g ha -
b e n z u diese r Gnade , i n welche r wi r stehe n usw." Obgleich Christus gestorben ist und unsere Sünden 111 weggenommen hat, so haben wir doch kein volles Vertrauen auf die Gnade Gottes; wir fürchten, daß es nicht alles Gnade sei; und dies gerade ist es, was ich unter der „ge -
genwärtige n Gnade " verstehe. Gott liebt uns mit vollkommener Liebe; deshalb kann Er nicht anders als in Gnade mit uns handeln. Er liebt uns in diesem Augenblick gerade so völlig wie da, wo Er Christum dahingab, um für unsere Sünden zu sterben. Er ist Liebe und nichts anderes gegen uns; und Er ist nicht doppelherzig.

 Das, worin wir stehen, ist Gnade. Wenn meine Seele sich dessen bewußt ist, dann werde ich sagen: O laß mich diese Heiligkeit haben! Laß diese Heiligkeit des Heiligtums meine Freude sein! Wenn es alles Gnade und nichts als Gnade ist, dann werde ich nicht sagen können: „Wir kommen um; wir verderben usw."; denn wie können wir da umkommen, wo alles Gnad e ist? Was wir bedürfen ist das volle, gesegnete und klare Verständnis, daß wir i n de r Gnad e stehen . Dann werden unsere Herzen Freude und Mut haben. Das, was mich fähig macht richtig zu handeln ist nicht das, was ich fleisch -
liche s Vertraue n genannt habe — das Vorangehen in der allgemeinen über gewisse Wahrheiten — sondern die Gewißheit und die Freude der Gegenwart Gottes. — Kennen wir denn, geliebte Brüder, die Gegenwart Gottes als die praktische Heimat unserer Herzen? O welch eine Freude finden wir darin! Ist irgend etwas, wenn wir im Namen unseres Herrn Jesu Christi zu Ihm kommen, sicher, so ist es die gewisse, gesegnete und sichere Heimat unserer Herzen. — Gepriesen sei für immer Sein herrlicher Name! Er hat gesagt: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen." (Words oj truth) 

Trost für ein verwundetes Herz

Trost für ein verwundetes Herz Es ist so tröstlich, des Herrn Hand in zärtlich treuer Liebe gegen uns in allen Seinen Wegen zu sehen. Er kann nur liebe n ; das Gericht ist vorüber, Die Liebe allei n bleibt für die geliebten Kinder Seiner Gnade. Es ist nichts Strafedrohendes in den Spendungen Seiner väterlichen Hand. Er züchtigt uns; aber wenn Er es tut, so ist es nur, „damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden" (Hebr. 12,10). Und gepriesen sei Sein Name, wenn die Züchtigung eine tiefe Furche in dem verwundeten Herzen zurückläßt, so ist diese nur ein Kanal, durch welchen die zärtliche Liebe eines Vaterherzens fließen kann. 112 Diese Liebe mag sich in mannigfachen Wegen offenbaren. Zuweilen gibt Er uns einen Blick und ein Gefühl von dem Elend und dem Verderben unserer eigenen Natur, so daß wir es nicht aushalten können, auf uns selbst zu sehen. Und dann sind wir froh, uns zu Ihm wenden zu können und allein auf das zu schauen, was wir in Christo Jesu sind, der uns in die Gegenwar t des Vaters gebracht hat. Hier zu sein, ist die Erfüllung des Wunsches Seines von Liebe erfüllten Herzens. — Solche Erfahrungen machten David, Petrus, Paulus und viele andere. 

Oft aber will Sein zärtliches Herz diese gesegneten Resultate durch eine schmerzliche Wunde bei uns hervorbringen. Er bricht ein Band des Herzens nach dem anderen bis Er zum letzten kommt, und auch dies muß zerrissen werden; denn Er will uns ganz für Sic h haben. Seine Liebe kann keine Nebenbuhler ertragen. Doch obgleich die Verwandtschaft auf Erden gebrochen wird, wird sie erneuert in der Auferstehung, um nie wieder gebrochen zu werden. Sie ist dann eingesetzt, befestigt und hergestellt für immer, und zwar in der reinsten und glänzendsten Herrlichkeit. Gott muß uns gan z un d ga r fü r Sic h haben. Er kann es nicht zulassen, daß die Liebe Seiner Kinder einem anderen anhängt. Doch welch ein süßer Gedanke. Das Band, welches Er auf Erden gelöst, hat Er im Himmel, im Auferstehungsleben und Herrlichkeit geknüpft. Es ist dann nur um so fester, bleibender und herrlicher, und nie , ja ni e kann es wieder gelöst werden. Früher oder später muß ein jegliches Band des Herzens mit allem, was unserem Ich und der Welt angehört, zerrissen werden; und es wird für eine glorreiche Ewigkeit wieder befestigt. Alles dies ist jetzt göttlich wahr in dem gesegneten Jesus.

 Er hat alles hinweggetan, was uns von Gott hätte scheiden können, und hat uns überall und durch alles hindurch Bahn gebrochen; und nun ist Sein Wunsch, daß wir in Betreff dieser Dinge sein sollen wie Er ist. Er hat Seinen Weg in die Gegenwart Gottes gefunden und hat Sünde, Natur, die Welt und was darinnen ist, hinter sich zurückgelassen. Und Er sagt jetzt zu uns: „Sehet, was ich euch und für euch getan habe. Gehet nun in die Wirklichkeit hinein, und kostet die Süßigkeit von allem. Alle Dinge sind euer. Hebet eure Augen auf und sehet die Fluren der Herrlichkeit; strecket hierher eure Hand und pflücket die Trauben von dem Wein Gottes. Lasset Gott eure Freude, eure Quelle, euren Gegenstand sein wie er es mir ist." — Es ist keine Ruhe, keine Quelle, als nur in dem lebendigen Gott, — kein Glück ist außer Ihm. 36 113 

Der wahre Grund des Friedens „Wenn ich das Blut sehe, will ich vorüber gehen" (2. Mos. 12,13) 

Das Blut an den Türpfosten sicherte den Friede n Israels . Es wurde nichts mehr, als die Anwendung de s Blute s de r Besprengun g gefordert, um dem Würge-Engel gegenüber den festgestellten Frieden zu genießen. Gott fügte diesem Blute nichts anderes hinzu, weil nichts mehr nötig war, um dem Schwert des Gerichts zu entgehen. Er sagte nicht: „Wenn ich das Blut un d das ungesäuerte Brot und die bitteren Kräuter sehe, so will ich vorübergehen." Keineswegs. Diese Dinge hatten ihren besonderen Platz und ihren besonderen Wert; aber sie konnten nie als Grund des Friedens in der Gegenwart Gottes angesehen werden.

 Es ist höchst notwendig, in dem, worin der wahre Grund des Friedens besteht, recht klar und gewiß zu sein. Es sind viele Dinge mit dem Werke Christi vermengt worden, und infolgedessen sind die Seelen in Betreff ihrer Annahme in Dunkelheit und Ungewißheit versunken. Sie wissen wohl, daß es keinen anderen Weg zur Errettung, als den durch das Blut Christi gibt; aber die Teufel wissen dies auch und es nützt ihnen nichts. Was nötig ist, ist zu wissen, daß w i r errette t sin d — ganz und gar, vollkommen und ewiglich errettet. 

Es ist nicht möglich, halb errettet und halb verloren, halb gerecht und halb schuldig, halb lebendig und halb tot zu sein, halb aus Gott geboren und halb nicht. Es gibt nur zwei Zustände, und wir werden uns entweder in dem einen oder in dem anderen befinden. Der Israelit war nicht zum Teil durch das Blut geschützt, und zum Teil dem Schwert des Würgengels ausgesetzt. Er wußte, daß er in Sicherheit war. Er hoffte nicht es zu sein noch bat er darum; er war vollkommen sicher. Und warum? Weil Gott gesagt hatte: „Wenn ich das Blut sehe, will ich vorüber gehen." Er ruhte einfach auf Gottes eigenem Zeugnis über das vergossene Blut. Er hatte es „versiegelt, daß Gott wahrhaftig war."

 Er glaubte, daß Gott auch meinte, was Er sagte; und das gab ihm Frieden. Er war fähig, beim Passahfest seinen Platz in Zuversicht, Ruhe und Sicherheit einzunehmen, indem er wußte, daß der Würgengel ihn nicht antasten konnte, sobald ein unbeflecktes Opfer an seiner Statt gestorben war. Wenn ein Israelit über den Genuß seines Friedens be114 fragt worden wäre, was würde er geantwortet haben? Würde er gesagt haben: Ich weiß, es gibt keinen anderen Ausweg für mich, als das Blut des Lammes, und ich weiß, daß dies ein göttlich vollkommener Weg ist; noch mehr, ich weiß, daß das Blut vergossen und an meine Türpfosten gesprengt worden ist; aber dessen ungeachtet fühle ich mich nicht ganz ruhig; ich bin nicht ganz gewiß, ob ich in Sicherheit bin. Ich fürchte, daß ich das Blut nicht so schätze wie ich sollte, noch den Gott meiner Väter liebe wie ich sollte? Würde das seine Antwort gewesen sein? Gewiß nicht. 

Und doch sprechen Hunderte von bekennenden Christen also, wenn sie gefragt werden, ob sie Frieden haben. Sie setzen ihr e Gedanke n in Betreff des Blutes an die Stelle des Blute s selbst ; und so geschieht es, daß sie die Errettung soviel von sich abhängig machen, wie wenn sie durch Werke errettet würden. Der Israelit wurde allein durch da s Blu t und nicht durch sein e Gedanke n darüber errettet. Seine Gedanken mögen tief oder flach gewesen sein — sie hatten nichts mit seiner Sicherheit zu tun. Er war weder durch seine Gedanken noch durch seine Gefühle errettet, sondern durch das Blut. Gott sagt nicht: „Wenn du das Blut siehst, so will ich vorüber gehen." Nein; sondern: „Wenn ich es sehe." Was einem Israeliten Frieden gab, war die Tatsache, daß Je -
hovas Auge auf dem Blut ruhte. 

Dies beruhigte sein Herz. Das Blut war draußen und der Israelit drinnen, so daß er jenes wahrscheinlich nicht sehen konnte; aber Gott sah es, und das war völlig genug. Die Anwendung hiervon, wenn es sich um den Frieden eines Sünders handelte, ist sehr einfach. Christus, nachdem Er Sein Blut als eine vollkommene Genugtuung für die Sünde vergossen hatte, brachte dasselbe in die Gegenwart Gottes und sprengte es dort aus; und Gottes Zeugnis versicherte dem Gläubigen, daß in Betreff seiner alles in Ordnung ist. Alle Ansprüche der Gerechtigkeit sind völlig befriedigt und die Sünde ganz und gar hinweggetan worden, so daß durch den Kanal, welchen das Opfer Christi geöffnet hat, die ganze Flut der errettenden Liebe aus dem Herzen Gottes herniederströmen kann. Von dieser Wahrheit gibt der Heilige Geist Zeugnis. Er stellt immer die Tatsache de r Wertschätzun g de s Blute s Christ i vo n Seite n Gotte s vor. Er richtet des Sünders Auge auf das am Kreuze vollbrachte Werk. Er versicherte, daß alles geschehen ist, daß die Sünde weit hinweggetan und die Gerechtigkeit nahegebracht ist —• so nahe, daß sie „alle, welche glauben, erreichen." Aber wa s 115 denn glauben? Glauben, wa s Got t sagt , weil E r es sagt, und nicht weil si e e s fühlen . 

Wir sind stets geneigt auf etwas in uns selbst zu schauen, als notwendig, um den Grund des Friedens zu bilden. Wir blicken lieber auf das Werk des Geistes i n uns, als auf das Werk Christi fü r uns; und das ist ein Irrtum. Wir wissen, daß die Wirkungen des Geistes Gottes ihren besonderen Platz im Christentum haben; aber dies Werk ist uns nie als das vorgestellt, wovon unser Friede abhängt. Der Heilig e Geis t machte den Frieden nicht, sondern Christu s hat ihn gemacht. Es ist auch nicht gesagt, daß der Heilig e Geis t unser Friede sei, sondern Christus . Gott ließ nicht durch den Heiligen Geist den Frieden verkündigen, sondern durch „Jesum Christum" (Vergl. Apg. 10, 36; Eph. 2, 14. 17; Kol. 1, 20).

 Der Heilige Geist offenbart Christum. Er läßt uns Ihn erkennen; Er macht, daß wir uns in Ihm erfreuen und von Ihm genährt werden. Er zeugt von Christo; Er „nimmt von dem Seinen und verkündigt es uns." Er ist die Kraft der Gemeinschaft, das Siegel, das Zeugnis, das Unterpfand, die Salbung; — kurz, alle Seine Wirkungen sind wesentlich. Ohne Ihn können wir weder sehen, hören, erkennen, fühlen, erfahren, genießen, noch irgendwie Christum verehren. Das ist ganz einfach und wird von jedem wahren und recht unterwiesenen Christen verstanden und anerkannt. — Dessen ungeachtet ist das Werk des Geistes nicht der Grund des Friedens, obgleich Er uns fähig macht, uns dessen zu erfreuen. Wir haben unseren Namen nicht von Ihm; aber Er offenbart uns denselben und macht uns fähig, ihn zu genießen. Der Heilige Geist setzt immer noch Sein Werk in der Seele des Gläubigen fort. 

Er „bittet für uns mit nicht auszusprechenden Seufzern." Er ist beschäftigt, uns immer mehr dem Bilde unseres Herrn Jesu Christi gleichförmiger zu machen; und Sein Zweck ist, einen „jeden vollkommen in Christo darzustellen." Er ist der Urheber jedes guten Wunsches, jedes heiligen Strebens, jeder reinen und himmlischen Neigung, jeder göttlichen Erfahrung; aber Sein Werk in und mit uns wird nicht eher vollkommen sein, bis wir den gegenwärtigen Schauplatz verlassen und unseren Platz mit Christo in der Herrlichkeit eingenommen haben. Gerade wie in dem Falle des Knechtes Abrahams, dessen Werk nicht eher vollkommen war, bis er die Rebekka dem Isaak zugeführt hatte. Es ist aber nicht so mit dem Werk Christi für uns. Dies ist ganz und gar und für immer vollkommen. Er konnte sagen: „Das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte" (Joh. 17, 4). Und wiederum: 116 „Es ist vollendet."

 Der Heilige Geist kann aber noch nicht sagen, daß Er das Werk vollendet habe. Er hat während den letzten achtzehnhundert Jahren als der wahrhaftige, der göttliche Vertreter Christi auf Erden gewirkt. Er wirkt noch immer unter den mannigfachen, feindlichen Einflüssen, die Seinen Wirkungskreis umgeben. Er wirkt noch immer in den Herzen des Volkes Gottes, um es praktisch und erfahrungsgemäß zu der göttlich verordneten Standarte zu führen. Nie aber lehrt Er eine Seele, sich in Betreff des Friedens in der Gegenwart der göttlichen Heiligkeit auf Sein Werk zu stützen. Sein Dienst ist, von Jesu zu reden. 

Er spricht nicht von Sich Selbst. Jesus sagt: „Von dem Meinen wird er nehmen und euch verkündigen." Er kann nur das Werk Christi als den festen Grund, worauf die Seele für immer ruhen muß, darstellen. Und es ist allein auf dem Grund der vollkommenen Genugtuung Christi, daß Er hier Seinen Platz einnahm und Sein Werk in dem Gläubigen fortsetzt: „In welchem auch ihr, nachdem ihr in ihm gläubig geworden, mit dem Heiligen Geist der Verheißung versiegelt worden seid." Keine Macht oder Energie des Heiligen Geistes konnte die Sünde tilgen. Das Blut hat es getan. „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde." Es ist von der höchsten Wichtigkeit, das Werk des Geistes i n uns von dem Werke Christi fü r uns zu unterscheiden.

 Wo beides miteinander vermengt wird, findet man in Betreff der Frage der Sünde selten einen beständigen Frieden. Das Vorbild des Passah stellt diese Unterscheidung sehr deutlich dar. Der Friede des Israeliten war nicht auf die ungesäuerten Brote oder auf die bitteren Kräuter, sondern auf das Blut gegründet. Auch war keineswegs davon die Rede, was e r, sondern was Got t davon dachte. Dies zu verstehen gibt dem Herzen unaussprechliche Erleichterung und Trost. Gott hat ein Lösegeld gefunden, und Er offenbart dieses Lösegeld den Sündern, damit wir darin ruhen mögen, kraft der Autorität Seines Wortes und durch die Gnade Seines Geistes. Und wenn auch unsere Gedanken und Gefühle in Betreff der unendlichen Köstlichkeit dieses Lösegeldes immer weit zurückbleiben müssen, so können, insofern uns Gott sagt, daß Er in Betreff unserer Sünden vollkommen befriedigt sei, auch wir befriedigt sein. Unser Gewissen kann wohl da Ruhe finden, wo Gottes Heiligkeit sie findet.

 Geliebter Leser, wenn Du noch keinen Frieden in Jesu gefunden hast, so bitten wir Dich, dies ernstlich zu erwägen. Siehe hier die Einfachheit des Grundes, auf welchem Dein Friede ruhen soll. Gott ist in dem vollendeten Werke Christi ganz befriedigt — ganz befriedigt in Betreff Seiner 117 Gerechtigkeit und Heiligkeit. Und diese Befriedigung ist nicht auf Deine Gefühle oder Erfahrung gegründet, sondern auf das vergossene Blut des Lammes Gottes; und folglich ist Dein Friede nicht von Deinen Gefühlen oder Deiner Erfahrung abhängig, sondern von demselben kostbaren Blut, welches von unwandelbarer Wirkung und von unveränderlichem Wert in dem Gericht Gottes ist. Was bleibt nun für den Gläubigen noch übrig? Wozu ist er berufen? 

Das Fest der ungesäuerten Brote zu feiern, indem er alles, was der Reinheit seiner erhabenen Stellung zuwider ist, hinwegtut. Es ist sein Vorrecht, sich von dem köstlichen Christus, Dessen Blut seine ganze Schuld getilgt hat, zu nähren. Er darf sicher sein, daß das Schwert des Würgengels ihn nicht antasten kann, weil es, anstatt auf ihn, auf Christum gefallen ist. Es ist seine Sache, in heiliger Ruhe innerhalb der mit Blut bestrichenen Tür Festfeier zu halten, und zwar unter dem vollkommenen Schutz, welchen Gottes Liebe in dem Blut am Kreuze bereitet hat. Möge Gott, der Heilige Geist, jedes zweifelnde und verzagte Herz leiten, Ruhe zu finden in dem göttlichen Zeugnis, welches in diesen Worten: „Wen n ic h da s Blu t sehe , wil l ic h vorübergehen" , enthalten ist. 

GEDANKEN über die doppelte Erscheinung der zweiten Ankunft Christi (1. Thess. 4, 15 bis Kap. 5, 11)

 In der hier angeführten Versen haben wir einen sehr bezeichnenden Abschnitt dieser belehrenden und schätzbaren Epistel. Der Apostel setzt darin die beiden großen Erscheinungen der zweiten Ankunft unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi klar auseinander. — Zuerst haben wir die Erscheinung Seiner Ankunft, welche einer leiden -
d e n Versammlun g o d er Kirch e gilt, und dann die, welche über eine sich freuend e Wel t hereinbricht. Der Heilige Geist gebraucht dieselbe große Wahrheit — einerseits, um das Herz eines weinenden Gläubigen zu trösten, und andererseits, um das Herz eines sich überhebenden Weitlings zu warnen. Sowohl den Tränen des Ersteren als auch dem Großtun des Letzteren begegnet Er durch dieselbe so überaus wichtige und einflußreiche Lehre. 118 Es wird nun gewöhnlich dem Tode zugeschrieben, was der Apostel hier dem Kommen des Herrn zuschreibt. Wir hören oft, wenn ein christlicher Freund hingeschieden ist, von den Zurückgebliebenen sagen: „Wir werden ihm bald folgen." 

Das ist es aber nicht, was der Apostel sagt, sondern ist gerade das Entgegengesetzte. „Wir wollen aber nicht, Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unwissend seid, auf daß ihr euch nicht betrübt, wie auch die Übrigen, welche kein Hoffnung haben" (V. 13). Und warum sollten sie sich nicht betrüben? Etwa darum nicht, weil sie ihnen bald folgen sollten? Keineswegs. Das würde den Tod an die Stelle eines wiederkehrenden Christus setzen. 

Der Trost, welchen der Heilige Geist dem beraubten Herzen eines Heiligen anzubieten hat, ruht auf einem ganz anderen Grunde. „Denn, wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesum mit ihm bringen" (V. 14). Das Kommen des Herrn war dem Herzen des Apostels so nahe und stand so lebendig und so natürlich vor seiner Seele, daß er sagen konnte: „W i r, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übri g bleiben. " Das weltliche Herz würde sagen: „Mein Herr verzieht zu kommen"; aber die wahre Stellung eines Heiligen in Betreff der Ankunft Christi ist in diesen Worten ausgedrückt: „Wir, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben." 

Die beiden großen Grenzen der Existenz der Versammlung hienieden sind das Kreuz und die Ankunft Christi. In dem Kreuze sind in Betreff ihrer der Tod und das Gericht für immer beiseite gesetzt, und an deren Statt ist der ganze Schauplatz mit Herrlichkeit erfüllt. „Und gleichwie es dem Menschen obliegt, einma l zu sterben, darnach aber das Gericht, also wird auch der Christus, einma l geopfert, um Vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde denen, die ihn erwarten, zur Seligkeit erscheinen" (Hebr. 9, 27. 28). Die Ankunft Christi in Herrlichkeit, ohne irgendwelche Beziehung zu der Sünde, ohne irgendwelche Verbindung mit derselben, ist die bezeichnende Hoffnung der Versammlung. „Nun aber ist er in der Vollendung der Zeitalter einmal offenbart zum Wegtun der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst" (Hebr. 9, 26). 

Jetzt hat Er in Betreff der Sünde nichts mehr zu sagen, sondern wenn Er wiederkommt, wird es zur Seligkeit sein. Es ist nun sehr wichtig, die doppelte Erscheinung der zweiten Ankunft des Herrn recht deutlich zu erfassen. Sie wird in den Briefen an die Thessalonicher durch die beiden Ausdrücke bezeichnet: „Da s Komme n des Herrn"; und „der Ta g des Herrn." Ersteres hat eine bestimmte Bezie119 hung zu der Versammlung, letzteres zu der Welt; ersteres hat nichts zu tun mit Zeit und Zeiten, letzteres wohl; ersteres steht in keiner Verbindung mit den Ereignissen unter den Nationen, letzteres doch. Die „große Last" des Propheten ist die moralische Regierung Gottes unter den Nationen der Erde — mit Einschluß Seiner Handlungsweise gegen die besondere Nation, d. i. Israel — ein Gegenstand von unermeßlichem Interesse für einen Heiligen; nicht weil er persönlich mit demselben in Verbindung steht, sondern weil jener die Ratschlüsse Gottes mit dem Menschen auf Erden kund tut.

 Jedoch werden wir uns auf allen Seiten der Prophetie, des Alten Testaments vergeblich nach irgend einer Mitteilung von der Lehre über die Stellung der Versammlung, über ihre Berufung oder Hoffnung umsehen. Der Apostel sagt: „..welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht worden, wie es jetzt seinen heiligen Aposteln und Propheten offenbart worden ist" (Eph. 3, 5). Da nun dies wirklich der Fall ist, so ist es augenscheinlich, daß die Hoffnung der Versammlung durch jene Ereignisse, welche den Gegenstand der alttestamentlichen Prophetie bilden, nicht berührt werden kann. Diese gesegnete Hoffnung strahlt ihren besonderen Glanz aus, ohne daß sie auch nur durch eine einzige Wolke getrübt werden kann. „Der helle und glänzende Morgenstern" strahlt an dem Horizont der Versammlung; und die sehnlichst genährte Hoffnung, Ihn zu sehen, erfreut ihr Herz und belebt ihren Geist während den trüben Wachen dieser dunklen Nacht. „Ic h werd e ih m de n Morgenster n geben. " 

Dies ist die eigene Verheißung Christi; und Er Selbst ist jener Stern. Der Heilige Geist stellt durch den Propheten Maleachi den Hoffnungen und Erwartungen des treuen Überrestes Israel Christum, als „Sonne der Gerechtigkeit" dar, welche „mit Heilung unter ihren Fittichen" (Kap. 4, 2) kommen soll; aber „der glänzende Morgenstern" erweckt einen ganz verschiedenen Gedankengang in der Seele. Die Versammlung wird schon in dem Genuß ihres „Morgensterns" sein, ehe die Strahlen „der Sonne der Gerechtigkeit" das mit Kummer erfüllte Herz des Überrestes Israels erfreuen. Es sind nur diejenigen, welche während der Nacht auf der Wache stehen, die mit dem Erscheinen des Morgensterns erfreut werden. Wenn beim Anblick des tausendjährigen Morgens die Sonne auf die Erde scheint, dann wird der Gott fürchtende Überrest ihre ersten Strahlen aufnehmen; und wenn sie ihren Höhepunkt erreicht hat, so wird jedes Auge sie sehen. In dem Augenblick, wenn Christus Sich vom Thron des Vaters erhebt, wird sich auch die Versammlung von der 120 Erde erheben, um Ihm zu begegnen. Auf diesen Augenblick wartet sie. Bis dahin wirkt der Heilige Geist in Verbindung mit dem Evangelium Christi, um die Übrigen der Erwählten Gottes zusammen zu bringen, und „um jeden Menschen vollkommen in Christo darzustellen." 

Wenn aber die in dem göttlichen Ratschluß verordnete Zeit völlig herbeigekommen ist, dann wird „der Herr selbst mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen" (V. 16). Dies ist die besondere oder spezielle Hoffnung der Versammlung und zwar in völliger Übereinstimmung der gnädigen Verheißung Christi in Johannes 14: „Ich will wiederkommen und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid." Besonders bemerkenswert ist die Gnade der Worte: „Ich will wiederkommen." Der Herr Selbs t will herniederkommen. Er will keinen Engel senden, noch eine Legion Engel; nein, Er Selbs t will kommen. Dies ist Seine Gnade; einer solchen Würde hält Er Seine Braut wert. Und dies alles ist auf die Wahrheit gegründet, daß „Jesus gestorben und wieder auferstanden ist."

 „Denn", sagt der Apostel durch den Heiligen Geist, „wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesum mit ihm bringen" (V. 14). Der Herr Jesus wurde von den Toten auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters; und alle, welche in Jesu entschlafen und einen Teil Seines Leibes ausmachen, sollen auferweckt und mit Ihm in Seiner zukünftigen Herrlichkeit dargestellt werden. Gott hat Jesum von den Toten auf er weckt; und wenn wir dieses glauben, so können wir in gleicher Weise glauben, daß alle, welche in Jesu entschlafen sind, auferweckt und bei Seiner herrlichen Erscheinung mit Ihm gebracht werden. „Wenn aber der Geist dessen, der Jesum von den Toten auferweckte, in euch wohnt, so wird der, welcher den Christus aus den Toten auferweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes" (Röm. 8,11). Alles ist auf unsere Verbindung mit Christo gegründet.

 Das Haupt und der Leib, welche eins sind, sollen zusammen in Herrlichkeit erscheinen. „Denn dies sagen wir euch im Worte des Herrn, daß wir, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben, den Entschlafenen nicht zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen; und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen. Darnach werden wir, die übriggebliebenen Lebenden, zugleich mit ihnen in den Wolken dem Herrn entgegen gerückt werden in die Luft, und also allezeit bei 121 dem Herrn sein. — So ermuntert nun einander mit diesen Worten" (V. 15-18).

 Ähnlich ist die Belehrung in 1. Kor. 15, 51, 52: „Siehe! ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune. Denn posaunen wird es, und die Toten werden unverweslich auferweckt werden, und wir werden verwandelt werden." Hier haben wir die Hoffnung der Versammlung sehr klar und einfach vorgestellt; und es ist höchst notwendig, daß die Heiligen sie ebenso klar und einfach, wie sie hier niedergelegt ist, aufnehmen. 

Denn wir sehen, daß der Feind gesucht hat, sie mit einer Menge anderer Dinge zu vermengen, welche, was sie auch für interessante Gegenstände des Studiums enthalten mögen, doch in keiner Weise anziehende Gegenstände der Hoffnung sind. Wenn z. B. irgend jemand die Heiligen lehren wollte, daß sie „unter den Füßen des wilden Tieres" zertreten werden müßten, ehe ihre Herzen durch den Anblick des Morgensterns erfreut werden könnten, —'Wäre das wirklich eine Freudenbotschaft? Und wo finden wir dieses in 1. Kor. 15 oder 1. Thess. 4? Diese Schriftstellen aber gerade sind es, wie wir gezeigt haben, welche die Hoffnung der Versammlung auf das klarste darstellen. Wir lesen in 1. Thess. 1, 9, 10: „ .. . wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten" — was? „Das wilde Tier?" Nein. „Den Menschen der Sünde?" Nein. „Den falschen Propheten?"

 Nein. „Die völlige Entwicklung und die endliche Zerstörung des Nebukadnezars?" Nein. Was denn? „Zu erwarten seine n Soh n vom Himmel." Dies ist für ein Herz, das den Wunsch hat, der Autorität der Heiligen Schrift unterwürfig zu sein, einfach und umfassend genug. Die Versammlung ist nicht belehrt worden, irgend eine Bewegung unter den Nationen, die Wiederherstellung der Juden, die Entwicklung der Zehen des Bildes Nebukadnezars, die Wiederherstellung des Römischen Reiches, das Austrocknen des Stromes Euphrat, um den Königen von Osten den Weg zu bereiten, noch irgend etwas der Art zu erwarten. Nichts Irdisches, was es auch sein mag, ist ihr als Gegenstand ihrer Erwartung vorgestellt, sondern einfach die Erscheinung des Sohnes Gottes vom Himmel — „der glänzende Morgenstern."

 Jene Dinge aber sind der direkte Gegenstand der prophetischen Zeugnisse und sind als solche von hohem Interesse für den geistlichen Schriftforscher, gerade so wie das Schicksal Sodoms für Abraham von Interesse war, obgleich er persönlich durchaus nichts damit zu tun hatte. Jeder Christ, was auch immer das Maß seiner propheti122 sehen Erkenntnis sein mag, sollte an dem Studium der Prophetie Interesse haben, nicht um ein System aufzubauen oder eine Theorie zu verteidigen, sondern einfach um mehr oder weniger mit den Ratschlüssen Gottes, mit den Schicksalen dieser niedrigen Welt bekannt zu werden. Seine spezielle Hoffnung aber ist eine ganz andere Sache, die er in den Blättern der alttestamentlichen Prophetie nicht rinden wird. In diesen ist weder etwas von dem Haupt und dem Leibe, noch von dem Bräutigam und der Braut, welche sich in der Luft begegnen werden, erwähnt worden. Er wird dort über Ägypten, Assyrien, Babylon, Tyrus, Gog und Magog, und wie dies alles in Verbindung mit der Stadt Jerusalem und dem Lande Israel steht, lesen; allein alle diese Dinge haben nichts mit dem Hervorbrechen des „glänzenden Morgensterns" zu tun. 

Dieser Stern ist das Zeichen einer himmlischen Herrlichkeit, und weit entfernt von dieser finsteren und stürmischen Welt — einer Herrlichkeit, welche der Versammlung erscheinen soll, während eine Welt, die Christum verwirft, noch im tiefen Schlummer liegt, oder von ihren stolzen und gottlosen Plänen trunken ist. Wenn wir uns nun zu der anderen Erscheinung der Ankunft wenden, wie sie uns in 1. Thessalonicher 5, 1-11 dargestellt ist, so finden wir etwas ganz Verschiedenes. Es handelt sich hier um „Zeit und Zeiten", in Betreff deren der Apostel fühlte, daß er nicht nötig gehabt hätte, der Versammlung davon zu schreiben.

 Diese gehört dem Tage und dem Licht an, und hat deshalb nicht nötig, durch „Zeit und Zeiten" oder durch die „Zeichen der Zeit" geleitet zu werden. Solche Dinge beziehen sich nur auf diejenigen, welche in die Schrecken „des Tage s des Herrn" verwickelt werden, und keineswegs auf diejenigen, welche es mit dem „Morgenstern" zu tun haben — auf diejenigen, welche vor der Offenbarung dieses „Tages" Christo, als ihrem Bräutigam in der Luft begegnen werden. Es muß jedem nachdenkenden Christen augenscheinlich sein, daß die Erscheinung des Morgensterns und die Offenbarung des vollen Glanzes der Sonne nicht ein und dieselbe Sache sein können. Der Unterschied zwischen dem Kommen eines Bräutigams zu einer ihn erwartenden Braut und dem Hereinbrechen eines Diebes in ein Haus, deren Bewohner berauscht oder schlafend sind, ist gewiß sehr auffallend. Und ebenso sehr sind die zwei Erscheinungen der Ankunft Christi voneinander verschieden. „Denn ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Herrn also kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen werden: Friede und Sicherheit! — dann kommt ein plötzliches Verderben auf sie, wie die Geburtswehe auf die Schwangere, und sie werden nicht ent123 fliehen" (V. 2. 3). 

Es heißt: „Wenn sie " und nicht ihr , „auf s i e" und nicht auf euch . Diese Verse sind besonders feierlich und sind ganz und gar dazu berechnet, in einem weltlichen Herzen Furcht zu erwecken. Und in der Tat ist das Erscheinen eines Diebes ebenso furchterweckend als das Kommen eines Bräutigams anziehend und lieblich ist. Diese zwei Dinge sind so bezeichnend wie sie nur sein können; und sie können nicht vermengt werden, ohne daß das Herz eines Heiligen großen Schaden leidet. Es scheint nun, als wenn die Thessalonicher durch Vermengung beider Wahrheiten ein wenig gelitten hätten.

 Ihre erste Furcht war, daß ihre dahingeschiedenen Brüder keinen Anteil an der Freude der Wiederkehr Christi haben möchten; und als sie über diesen Punkt belehrt worden waren, so lag die Gefahr nahe, in einen anderen Irrtum zu fallen, daß sie nämlich am Ende doch noch in die Schrecken, welche „den Tag des Herrn" begleiten sollten, mit hineingezogen würden. Dieser letztere Gedanke ist in der zweiten Epistel ausführlich behandelt und klar auseinandergesetzt; und in der Art und Weise der Auseinandersetzung tritt uns, womöglich eine noch völligere und deutlichere Darstellung der doppelten Erscheinung der Ankunft entgegen. Er sagt: „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunf t unseres Herrn Jesu Christi willen und unserer Versammlung zu ihm, daß ihr nicht schnell in eurer Gesinnung erschüttert noch bestürzt werdet, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief als von uns, als ob d e r Tag de s Herr n da sei" (Kap. 2, 1. 2). Hier sind die beiden Dinge in einen direkten Gegensatz gestellt, und die Heiligen werden auf Grund ihres Anteils an den Freuden Seine r herrli -
che n Ankunf t ermahnt, nicht zu befürchten, daß sie in d i e Schrecke n de s Tage s verwickelt würden. Dies ist sehr entscheidend. Das Komme n des Herrn ist die Hoffnung der Versammlung; den Tag des Herrn aber hat die Welt zu fürchten. Ersteres wird die Vollendung der Freude des Heiligen sein; Letzteres aber die Totenglocke des Glückes des Weitlings. „Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht." Es ist nie gesagt, daß der Morgenstern wie ein Dieb in der Nacht kommen wird. Wohl ist es wahr, daß der Herr zu dem Engel der Versammlung zu Sardes sagt: „Wenn du nun nicht wachen wirst, werde ich wie ein Dieb über dich kommen; und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde" (Offb. 3, 3); aber diese Stelle ist weit entfernt, irgend eine Schwierigkeit darzubieten. Sie gibt uns im Gegenteil eine starke Bestätigung der Wahrheit, welche wir hervorgehoben haben. Die Versammlung 124 zu Sardes hatte den Namen, daß sie lebte, und war tot. Sie war tief gesunken und der Welt gleichförmig geworden und deshalb vergegenwärtigt ihnen der Herr auch jene Erscheinung Seiner Ankunft, welche eigentlich der Welt angehörte. Wenn sich die Versammlung mit der Welt eins macht, so muß sie auch erwarten, mit dem Teil der Welt bedroht zu werden. Wenn Lot nach Sodom hinabgeht, so muß er auch an dem Wehe Sodoms teilnehmen. Jedoch wissen wir sehr wohl, daß die Versammlung Christum, nicht als einen Dieb zu erwarten hat. „Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife" (V. 4).

 Wir gehören dem Tage an; wenn wir aber durch Unwissenheit oder Untreue unsere eigentliche Stellung verlassen, so können wir nicht vom Geist erwarten, daß Er uns mit der wahren Hoffnung beleben sollte. Wenn wir zur Gleichförmigkeit der Welt hinabsinken, so werden wir auch von dem Aussichtspunkt der Welt die Zukunft betrachten*). „Denn ihr seid alle Söhne des Lichts und Söhne des Tages; wir sind nicht von der Nacht, noch von der Finsternis. So laßt uns denn nicht schlafen wie auch die Übrigen, sondern wachen und nüchtern sein. Denn die, welche schlafen, schlafen des Nachts, und die, welche trunken sind, sind des Nachts trunken. Wir aber, die von dem Tage sind, laßt uns nüchtern sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung der Seligkeit. Denn Gott hat uns nicht zum Zorn gestellt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unseren Herrn Jesum Christum" (V. 5-9). 

Dies ist unsere wahre Stellung und unsere wahre Hoffnung. Auch laßt uns daran denken, daß unser Zusammenleben mit Christo nicht von unserem Wachen abhängig gemacht ist — wäre es so, dann würden wir sicherlich fallen — sondern es ist auf die Tatsache gegründet, daß Christus für uns gestorben ist. Sein Sterben für uns sichert unser Leben mit Ihm — sogar wenn wir in unserer Wachsamkeit fehlen sollten. Es ist gesegnet, dieses zu wissen. Es offenbart uns auf eine köstliche Weise die Gnade Dessen, mit Dem wir es zu tun haben, Dessen Opfertod unsere Vereinigung mit Ihm in der ewigen Herrlichkeit, auf welche Er und Seine Heiligen jetzt warten, für immer sicherstellt. Und durch diese gna -
denreich e Versicherung , und nicht durch irgend ein Gefühl von Furcht oder Ungewißheit wollte der geseg-
*) Es ist auch wohl zu beachten, daß hier in der Offenbarung Johannes die Versammlung nicht als der Leib Christi dargestellt wird; wir haben dort die bekennende Kirche auf der Erde, die unter Verantwortlichkeit steht. 125 nete Geist eine wachsame Stellung in der Seele hervorrufen. Und es ist gewiß, daß ein Herz, welches eine solche Wahrheit benutzen könnte um nicht wachsam zu sein, in der Tat nur sehr wenig von der wahren Gnade und Herrlichkeit versteht. Ein solcher würde sagen: „Lasset uns sündigen, damit die Gnade um so überströmender werde." Zum Schluß will ich noch daran erinnern, daß der Apostel seine Aussicht auf diese zweifache Erscheinung der Ankunft Christi mit ein und derselben köstlichen Ermahnung schließt: „S o ermunter t euc h mi t diese n Worten. 

Die Ruhe der Müden (Matth. 11)

 Die Sünde gegen Gott kann unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachtet werden. Zuerst sehen wir den Un -
gehorsa m Adams im Garten Eden, indem er das erst e und vornehmst e Gebot übertrat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen." Dann sehen wir den Brudermord des Kain, indem er das ander e Gebot übertrat: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Die Sünde erscheint aber noch in einem anderen Charakter, wenn wir sie gegenüber der Mühe, welche Gott Sich gegeben hat, um den Sünder wieder zurückzubringen, betrachten. Kain ging vor dem Angesicht Jehovas hinweg, und fern von Gott fing er an, sein Leben so bequem wie möglich einzurichten. — Setzen wir nun den Fall, Gott habe Boten zu ihm gesandt, um ihn zurückzubringen — würde dies, wenn er zu kommen sich weigerte, nicht seine Schuld vergrößern? — Und noch viel größer würde seine Sünde, als jene erste, ihn verlassen zu haben, sein, wenn Gott Selbst käme und ihn vergeblich zum Zurückkommen ermahnte. 

Ein Mensch mag durch Leichtfertigkeit und Nachlässigkeit geleitet sich von Gott entfernen; aber es ist offenbar H a ß gegen Gott, wenn er zur Rückkehr aufgefordert wird, und sich dennoch weigert zu kommen. So sieht also der Sünder nicht nur keine Schönheit in Christo, sondern er macht sich auch doppelt verantwortlich, weil er Gott auf dem Grund seiner geoffenbarten Liebe nicht begegnen will. Die Sünde zeigt sich jetzt in einer neuen und schwärzeren Gestalt und gibt sich durch eine bestimmte und offenbare Abneigung gegen die Liebe Gottes zu erkennen. 126 Die Juden empfingen das Gesetz , und sie bewiesen, daß der Mensch dasselbe nicht zu halten vermag. Die Verwerfung de s Christu s aber zeigt auf das klarste, was das Herz des Menschen ist, was es in der Gegenwart Gottes ist. —

 Es ist für uns sehr wichtig, zu verstehen, daß Gott uns die Geschichte der Juden nicht deshalb gegeben hat, um zu lernen was sie waren, sondern um zu lernen, was wi r sind. Diese einfachen klaren Zeugnisse über uns selbst zeigen uns, daß wir auf nichts anderes als auf die unverdiente Gnade rechnen dürfen; denn auch wir waren von Natur Kinder des Zornes, wie die anderen. Deshalb bleibt auch uns nichts anderes übrig, als zu Gott, Der reich an Barmherzigkeit ist, zurückzukehren. Dies ist es auch, was der Apostel Eph. 2, 4 zeigt, wo er das, wa s de r Mensc h und das wa s Got t ist , einander gegenüberstellt. Nachdem er am Anfang dieses Kapitels von den Sünden der Heiden und auch der Juden gesprochen hatte, sagt er V. 3: „ . . . und waren von Natur, wie auch die Übrigen, Kinder des Zorns"; und dann auf Gott und Seine Natur hinblickend fügt er hinzu: „Gott aber, weil er reich an Barmherzigkeit ist, hat wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, uns mit dem Christus lebendig gemacht, — durch die Gnade seid ihr errettet usw." Gott hat es völlig aufgegeben, bei den Menschen als solche, Früchte zu suchen. Er sucht aber Früchte bei den Heiligen — die Früchte des neuen Menschen. — Christus kam, um bei den Juden Früchte zu suchen; aber Er fand keine. Jetzt aber „will er seine Tenne ganz und gar reinigen." — Wir lesen in dem oben angeführten Kapitel V. 20. 21: „Zu der Zeit fing er an die Städte zu schelten, in welchen seine meisten Wunderwerke geschehen waren, weil sie nicht Buße taten. Wehe dir Chorazin, wehe dir Bethsaida! Denn, wenn zu Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch geschehen sind, längst hätten sie in Sack und Asche Buße getan." Warum? Weil bei diesen das natürliche Gewissen noch nicht durch ein leeres Religionsbekenntnis verhärtet war. „Und du, Kapernaum, die du bis an den Himmel erhöht bist, bis zum Hades wirst du hinabgestoßen werden usw." (V. 23).

 Je mehr sie durch äußeren Gottesdienst Gott näher zu kommen suchten, desto mehr entfernten sich ihre Herzen von der Wahrheit, desto stumpfer wurden ihre Gewissen. Sie sagten von Christo: „Er ist unsinnig und hat einen Teufel." Und so ist es jetzt noch, wenn sich die Leute deshalb Christen nennen, weil sie die äußere Form mitmachen. Ihr Herz wird verhärtet und ihr Gewissen zum Schweigen gebracht; sie vermögen nicht 127 mehr die Wahrheit von dem Irrtum zu unterscheiden. Das besondere Kennzeichen der Heiligen ist dieses: S i e höre n di e Stimm e de s Hirten . „Meine Schafe hören meine Stimme." Sie haben das Zeugnis Christi empfangen. (Christus ist zugleich Sein eigenes Zeugnis in der Seele.) — Die Samariter sprachen zu dem Weibe: „Nicht mehr um deines Redens willen glauben wir, denn w i r habe n gehör t un d wissen , daß dieser ist wahrhaftig der Heiland der Welt, der Christus." Ein jeder, der nun von Christo zeugt, muß auch das Zeugnis Christi in seiner eigenen Seele haben. 

Johannes zeugte von Christo; aber er bedurfte auch des Zeugnisses, welches Christus von Sich Selbst gegeben hatte. Er hatte den Glauben; er erkannte gewisse Wahrheiten und wußte, daß ein anderer nach ihm kommen sollte; aber dies ist nicht alles. Es handelte sich darum, daß er das Zeugnis, welches Christus von Sich Selbst gab, in seinem eigenen Herzen erkannte und festhielt. Manche können überzeugt sein, daß sie nichts zu reinigen vermag, als das Blut Jesu, und daß Christus der einzige Heiland der Seele ist; und dennoch können ihre Herzen, wie das des Johannes, nicht befestigt sein, weil sie Sein Zeugnis von Ihm Selbst, daß Er wirklich der Christus sei, noch nicht empfangen haben. Die Schafe aber, die die Stimme des Hirten gehört haben, können nicht mehr ungewiß sein. Er ruft auch Seine Schafe bei ihrem Namen. — 

Sobald Er Maria bei ihrem Namen nannte, antwortete sie: „Rabbuni", und zwar ohne Zaudern, ohne Ungewißheit. Sie hatte das Zeugnis Jesu in sich selbst empfangen. Seine Stimme war zu ihrem Herzen gedrungen; sie wußte, daß Er es war, der sie liebte; und sie wurde wieder froh. — Als Jesus in das Haus des Zachäus trat, sagte Er: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren." Und dies sagt Er, weil Sein Zeugnis daselbst aufgenommen worden war. Das Zeugnis des Heiligen Geistes hat dieselbe Wirkung, wie wir in Apostelgeschichte 11, 13. 14 lesen: „Sende Männer nach Joppe und laß Simon holen, der den Zunamen Petrus hat, der wird zu dir Worte reden, durch welche du errettet werden wirst, du und dein ganzes Haus." — Das Zeugnis der Seele, welche Christum aufgenommen hat, ist dieses: „Ich weiß an wen ich glaube." Wir haben dann das Bewußtsein, daß wir mit Christo in einer innigen Verbindung stehen — in einer Verbindung, welche Satan nicht anzutasten vermag.

Johannes sandte zu Jesu, um gewiß überzeugt zu werden, daß Er Der sei, welcher kommen sollte; und danach hören wir den Herrn von Seinem Diener zeugen. Er gab Zeugnis von dem Charakter des Johannes: „Was seid ihr hinausge128 gangen, zu sehen? Einen Propheten? Ja, ich sage euch, auch viel mehr als einen Propheten." Das Herz Jesu strömt in dem Zeugnis des Johannes über von Freude. Und wenn Johannes einen Augenblick zweifelte, damit auch andere auf die Notwendigkeit eines persönlichen Zeugnisses aufmerksam gemacht werden möchten, so tritt jetzt das Zeugnis des Herrn über ihn um so klarer und vortrefflicher hervor. Die Menschen wurden auf eine zweifache Weise auf die Probe gestellt. „Wir haben euch gepfiffen und ihr habt nicht getanzt; wir haben euch Klagelieder gesungen und ihr habt nicht gewehklagt. Denn es ist Johannes gekommen, weder essend noch trinkend, und sie sagen: Er hat einen Teufel" (V. 17-19). 

Warum? Weil er es nicht trieb wie andere Leute. Menschen, die in die Hände des Teufels gefallen sind, meinen, es käme von diesem, -wenn sie irgendwo dem Zeugnis Gottes begegnen, und sie meinen deshalb, weil es nicht nach der gewöhnlichen Denk- und Handlungsweise der Menschen ist. Johannes kam auf dem Wege der Gesetzeserfüllung, und deshalb konnte er nichts mit den Menschen gemein haben. Er konnte nicht mit ihnen essen und trinken, — er ging hinaus in die Wüste. Er mußte von der Sünde zeugen und sagen: „Die Axt ist an die Wurzel der Bäume gelegt... Ich freilich taufe euch mit Wasser zur Buße; der hinter mir Kommende aber ist mächtiger als ich.. . Er wird euch mit dem Heiligen Geist und Feuer taufen; dessen Wurfschaufel in seiner Hand ist; und er wird seine Tenne ganz und gar reinigen usw." Auf diese Weise wendete sich Johannes an ihr Gewissen. — Jesus kam und aß und trank mit „Zöllnern und Sündern". — Und wie sie von Johannes sagten: „Er hat einen Teufel", weil er nicht nach der gewöhnlichen Weise der Welt lebte, so sagten sie von Jesu: „Er ist ein Fresser und Weinsäufer; ein Freund der Zöllner und Sünder", weil er sich nicht absonderte, sondern mit ihnen aß und trank. Und sie verwarfen das Zeugnis Gottes, in welcher Weise es ihnen auch angeboten werden mochte. „Sie taten keine Buße." Johannes konnte die Sünden nicht vergeben; deshalb trennte er sich von den Sündern und ging in die Wüste.

Jesus aber konnte die Sünden vergeben; und deshalb verkehrte Er mit ihnen, indem Er mit ihnen aß und trank. Hierin ist Sein Wille im vollsten Einklang mit dem Willen Seines Vaters. Er sagte: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du diese Dinge vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast sie Unmündigen offenbart" (V. 25). Weil Er in allem dem Willen Gottes unterworfen war, deshalb strömte auch die ganze Herrlichkeit Gottes auf Ihn nieder. „Alle Dinge sind mir von meinem Vater übergeben" (V. 27). Als der Verworfen e empfing Jesus die Herrlichkeit des Himmels und der Erde. „Niemand erkennt den Sohn, es sei denn der Vater; und niemand erkennt den Vater, es sei denn der Sohn, und wem (ihn) der Sohn offenbaren will." 

Um den Menschen von dem ewigen Tod zu erlösen, muß der Sohn den Vater offenbaren. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß gesessen ist, der hat (ihn) kundgemacht" Ev. Joh. 1, 18). Die Gnade in Jesu allein vermag die Liebe des Vaters zu offenbaren. „Kommt her zu mir, alle Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch erquicken" (V. 28). Jesus heilte die Lahmen, Er gab den Blinden das Gesicht, Er vergab die Sünden usw. Und was hat Er mit allen diesen Werken erreicht? Glaubten sie an Ihn? Nein; sie verwarfen Ihn; sie erkannten Ihn nicht. Aber „zu jener Zeit frohlockte Jesus im Geist" und sagte: „Kommet her zu mir und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen." Er wußte, wo allein Ruhe und Frieden zu finden war. Er hatte auf Seiner ganzen Pilgerfahrt die Bitterkeit der Prüfungen und der Leiden erfahren, deshalb wußte Er, wie den Mühseligen und Beladenen zu helfen war. Und Er sagte: „Kommet her zu mir, und ich will euch Ruhe geben." Wie so manches Herz ist müde, ohne gerade der Sünde wegen traurig zu sein. Wohlan! ist da ein Müder? „Komm' zu mir", sagt Jesus, „und ich will dir Ruhe geben." — Und wo fand Er Selbst Ruhe? In der vollkommenen Liebe des Vaters und in der Weisheit Seiner Führungen.

 Jesus kam, um den Vater zu offenbaren, und Er offenbarte Ihn, wie Er Selbst Ihn kannte. „Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat (ihn) kundgemacht". Und was wußte Jesus von ihm? Etwas, das Ihn der Leiden hienieden überheben konnte? O nein; aber wenn Er uns den Vater offenbart hat, so haben wir nichts mehr zu suchen. Hier haben wir die völlige Ruhe für unsere Seele — eine Ruhe, deren Vollkommenheit nichts zu zerstören vermag. Und nur Er, der verworfene Christus, konnte allein in dieser trostreichen Weise zu uns reden; denn Er hat durch Sein Blut unsere Sünden getilgt; Er hat alles vernichtet, was gegen uns war, so daß Gott nicht s mehr damit zu schaffen hat. Bei Ihm finden wir Ruhe für unsere Seelen; und sind wir zu Jesu gekommen, so kann auch keine Widerwärtigkeit diese Ruhe uns stören. 

Es ist keine Ungewißheit mehr vorhanden; die geängstigte Seele hat aufgehört sich zu fürchten. „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir" (V. 29). Er hatte sich fortwährend unterworfen, und dies ist auch das Joch, welches Seine Nachfolger zu tragen haben. Er gibt uns Ruhe; aber Er legt uns auch dieses Joch auf. Er sagt zu 130 einem jede n vo n uns : „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen"; ja, eine vollkommene Ruhe. Dies ist der Weg Gottes und Seine weise Anordnung. Und das Joch ist immer dem Zustand der Seele angemessen, und auf diese Weise wird sie praktisch mit den Segnungen bekannt, die auf diesem Pfade der Nachfolge Christi gefunden werden. — Seid ihr mühselig und beladen, so geht zu Ihm; — Er will euch Ruhe geben. Vielleicht betrübt ihr euch eurer Sünde wegen, und seid traurig, daß ihr deren Größe nicht genug fühlt. Beruhigt euch; Er kannte sie alle, als Er deren Strafe am Kreuze auf Sich nahm. Und Er Selbst ist es, der jetzt den Mühseligen und Beladenen zuruft: „Kommet her zu mir, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen!" 

Das Zeugnis des Glaubens

„Gehe hin und bitte um Gefäße draußen von allen deinen Nachbarn, leere Gefäße, und begehre derselben nicht wenige" (2. Könige 4, 3). 

Diese Worte wurden durch den Propheten Elisa zu einer betrübten Witwe geredet, welche zu ihm gekommen war und ihm ihren Kummer mitgeteilt hatte. Und in der Tat, die Worte des göttlichen Propheten zeugten von der Gnade des Propheten Gott. Er wußte wohl, an wessen Statt er redete, auf wessen Gnade er rechnete, aus wessen Schatzkammer er spendete. Er sagte nicht: „Hüte dich, daß du zuviel begehrst." Er wußte, daß dies unmöglich war. Der Glaube stellt seine Rechnung auf die Bank Gottes nie zu hoch. Er hat einen Kredit von „unerschöpflichen Reichtümern." Der Glaube brachte nie ein leeres Gefäß zu Gott, welches zu füllen, Er nicht „öl" genug hatte. In dem Fall der Witwe hörte das Öl erst dann zu fließen auf, als diese kein leeres Gefäß mehr hatte, um es aufzunehmen. 

Die Quelle war unerschöpflich; das Gebiet des Glaubens hielt diesen Kanal offen. Es ist das Geschäft des Glaubens, den „Mund weit aufzutun." Gottes Sache ist es, „ihn zu füllen." Wir können nicht zuviel von Gott erwarten. Geliebte Freunde! laßt die Erinnerung an diese kleine Geschichte eine gesegnete Wirkung haben, um eure Herzen in dem Leben des Glaubens zu ermutigen. Denkt an diese 131 köstlichen Worte: „Begehre nicht wenige." Sie kommen voll zärtlicher Liebe direkt aus dem Herzen eures Vaters zu euch. Er wünscht, daß ihr viel aus Seinen unendlichen Quellen schöpfen möget. 

Ihr könnt unmöglich zuviel von der Hand und dem Herzen Jesu erwarten. Ist euer Herz durch das Gefühl, durch das peinliche und demütigendste Gefühl der innewohnenden Sünde niedergedrückt? „Gehe, bitte um Gefäße, ja, um leer e Gefäße", welche den reichen Vorrat der Gnade, welche von einem gekreuzigten und auferstandenen Jesus, eurem Bürgen, eurem Stellvertreter, eurem großen Hohenpriester herniederströmt, zu empfangen vermögen. „Begehret nicht wenige." Jesus hat alle eure Sünden auf dem Kreuze getragen und sie für immer hinweggetan. Das Auge Gottes kann eure Sünden nie mehr ansehen. Er hat sie alle hinter sich geworfen. Er hat jetzt schon Ruhm geerntet durch Hinwegtun derselben. Die göttliche Gnad e hat inmitten einer Welt von Sündern eine reichere Ernte gehalten, als sie je in dem Heer nicht gefallener Engel hätte halten können. „Gehe deshalb, bitte um Gefäße — leere Gefäße und begehre nicht wenige." Oder ist euer armes Herz von dem Gewicht des Kummers niedergedrückt? Hat die kalte Hand des Todes den Liebling eures Herzens ergriffen? Ist in eurem Herzen oder in eurem Hause eine tief empfundene Leere entstanden — eine Leere, welche kein irdischer Gegenstand auszufüllen vermag? Dann denkt daran, daß das Herz Jesu von zärtlichem Mitgefühl überströmt. Er hat euren Schmerz gefühlt. „Er zählt eure Seufzer und sammelt eure Tränen in seinem Schlauch." Wenn Er hier wäre, so könnte Er über euren Kummer nicht schelten.

 Er würde Sich neben euch setzen und Seine Tränen mit den eurigen vereinigen. Ihr aber sagt: „Er ist nicht hier." Es ist wahr; aber Er ist zu der Rechten der Majestät in den Himmeln. Ein vollkommen menschliches Herz schlägt an dem Thron Gottes; und ihr könnt mit Gewißheit auf das vollkommene Mitgefühl dieses Herzens rechnen. „Gehe" denn, du Beraubter und Trauriger, „und bitte um Gefäße, ja, um leere Gefäße", welche den reichen Trost aufzunehmen vermögen, der von dem Herzen Christi herniederfließt, Dessen ermutigendes Wort an dich ist: „Begehre nicht wenige." Es mag aber auch sein, daß der Leser weder über seine Sünden beunruhigt, noch von dem Gewicht des Kummers niedergedrückt ist. Sein Herz ist befestigt durch Gnade; und der teure Kreis, in welchem die Gefühle seiner Liebe sich zu erfreuen pflegen, blieb unverletzt; aber vielleicht drücken Familien- oder Geschäfts - Angelegenheiten seinen Geist nieder. Seine Kinder gehen nicht voran, wie er es wünscht, 132 oder seine Geschäftsaussichten sind trübe. Wenn dies nun der Fall bei meinem Leser ist, so kann auch er eine süße und nützliche Unterweisung von Elisa's Worten empfangen.

 Er kann hingehen und um leere Gefäße bitten, denn es ist „Öl" genug für ihn da; ja „das Öl der Freude" für seinen niedergebeugten Geist. Einem solchen gilt das Wort: „Wirf deine Sorge auf den Herrn"; Er wird sicher helfen. „Wirf all e deine Sorgen auf Ihn und wisse, daß er für dich sorgt." „Sorget um nichts; sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden" (Phil. 4, 6). Trage selbst bis zur nächsten Stunde deine Bürde nicht umher. Wirf sie gleich und wirf sie ganz auf Den, welcher sowohl fähig als willig, und sowohl willig als fähig ist, sie zu tragen. Mit einem Wort: „Gehe, bitte um Gefäße, um leere Gefäße", in welche der überfließende Strom des göttlichen Friedens für deinen geplagten und geängstigten Geist sich ergießen kann, und erinnere dich an den gnädigen Auftrag: „Begehre nicht wenige.

" Aber diese Zeilen möchten vielleicht einem Auge begegnen, dessen Fall sie noch nicht berührt haben. Seine Unruhe entspringt weder aus einem geängstigten Gewissen, noch aus einem beraubten Herzen, noch aus einem wegen häuslicher oder geschäftlicher Verhältnisse geplagten Geist. Er hat sich vielleicht durch das, was ihn umgab, zurückgestoßen oder irre machen lassen; und zwar nicht so sehr von Seiten der Welt — denn kein wahrer Christ würde oder sollte etwas von ihr erwarten — sondern inmitten seiner christlichen Freunde wurden alle seine Hoffnungen vernichtet.

 Er hatte diese Christen aus einer gewissen Entfernung betrachtet, und es schien ihm, als hätten sie alles Liebliche und Anziehende in sich vereinigt, als wären sie so abgesondert, so himmlisch, so voll von Liebe gewesen, aber ach! als er unter sie kam, so fand er diese so zuversichtlich genährte Hoffnung nicht verwirklicht, und sein Herz, ehemals voll von Erwartungen, ist jetzt durch traurige Täuschungen verwundet worden. Dies ist kein ungewöhnlicher Fall. Es gibt gar manches verwundete Herz dieser Art in dem Bereich der Versammlung Gottes. Aber gepriesen sei Gott! Diese tiefen Furchen des Herzens sind nur so viele „Gefäße, leere Gefäße", um die Ströme des Trostes und der Erquickung aufzunehmen, welche von Jesu Christo, „derselbe gestern und heute und für immer" —• herniederströmen; und das Herz, welches viele tiefe Furchen hat, ist mit nicht wenigen leeren Gefäßen schon versehen. Gott wird sicherlich diese Gefäße füllen; und dann kommt man zurück, um ein Kanal von Segnungen für die zu sein, an welchen man irre wurde.

 Mit einem Wort: Was auch immer die Lage oder der Zustand einer Seele sein mag, ob es sich um die Sünde oder den Kummer oder die Schwierigkeiten oder die Täuschung handeln mag — die Botschaft von Gott ist immer ein und dieselbe: „Gehe hin, bitte um Gefäße, und — beachte wohl  um „leere Gefäße", und  „begehre derselben nicht wenige." Welch bewunderungswürdige Gnade liegt in den Worten „leere " und „nich t wenige! " Unsere Gefäße müssen lee r sein. Gott will nicht ein Gefäß füllen, welches noch halb mit irdischem Vorrat versehen ist. In jedem Falle muß das Gefäß durchaus lee r sein; denn nur dann ist es völlig offenbar, daß das „öl" direkt von Gott Selbst kommt. Das Wort „leer" schließt jede Kreatur aus. Die Worte „nich t wenige " lassen dem Herrn Raum. Teure Freunde! Dies sind einfache Wahrheiten; aber so einfach sie auch sind, so stehen sie doch in Verbindung mit dem wesentlichen Element des göttlichen Lebens in der Seele. O, daß sie durch die ewige Feder Gottes, des Heiligen Geistes, tiefer in unsere Herzen eingegraben werden möchten!

Abigail, das Weib Nabais des Karmeliten (1. Samuel 25)

Um hienieden während des Kampfes zwischen Fleisch und Geist praktische Gemeinschaft mit Gott zu haben, ist es nötig, daß die Seele in der Gnade befestigt werde. Satan sucht allezeit die Einfachheit dieser Gnade zu verbergen; aber es ist einfache Gnade gegen diejenigen, die in Sünden und Übertretungen tot waren, welche uns zuteil geworden ist. So wie die Schlange in der Wüste aufgerichtet worden ist, so ist auch Jesus am Kreuze erhöht, und uns von Gott als Gegenstand unseres Glaubens dargestellt worden. Wenn wir Ihn anschauen, so sagt Gott: Lebe! Allein Satan sucht uns stets Gottes fortdauernde Gnade zu verbergen und uns in seine mannigfachen lügenhaften Erfindungen hineinzuziehen. 

Gott aber bewahrt uns durch etwas, das im Himmel verborgen ist. Es ist möglich, daß wir beim Gedanken an unsere Bewahrung den Blick auf unsere Erfahrungen, auf äußere Formen und Einrichtungen in Betreff des Gottesdienstes, oder auf gewisse Personen richten, — allein, ist es nicht das im Himmel Verborgene, verbunden mit dem kostbaren Blut Jesu und Seines Priestertums, worauf wir uns 134 stützen und gründen, so kann dies nur von dem sein, welcher der Vater der Lüge ist. Alle diese genannten und andere dergleichen Dinge, welche dahin gerichtet sind, der Seele Bewahrung zu versprechen, leiten irre. 

Es gibt für alle Gläubigen in dem kostbaren Blute Jesu, welches für sie vergossen ist, eine sichere und ewig dauernde Annahme. „Christus aber — gekommen als Hoherpriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der größeren und vollkommeneren Hütte, die nicht mit Händen gemacht, das heißt, nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht durch Blut von Böcken und Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut, ist ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung gefunden hatte" (Hebr. 9, 11.12). Dies sichert unsere Segnung und unseren Frieden für immer. Nichts kann den Frieden, welcher zwischen dem Vater und dem Sohne besteht, erschüttern noch verändern; nichts von dem, was unseren Pfad hienieden durchkreuzt, nicht irgend ein Umstand auf der Erde ist vermögend, den Frieden des Heiligtums zu stören. Er ist für immer zwischen dem Vater und Jesu festgestellt.

 Zu jeder Zeit, wenn irgend ein Gläubiger ihn sucht — was auch der Zustand der Seele, in welchem er sich zu Gott wendet, sein mag — der Friede des Heiligtums ist vorhanden — unveränderlic h vorhanden. Wie köstlich ist diese Zuversicht! Ein jeder, welcher etwas von Gott und Seiner Heiligkeit gelernt hat, weiß, daß oft in einer einzigen Stunde viele Dinge den Pfad hienieden durchkreuzen, welche geeignet sind, den Frieden unserer Herzen zu stören. Doch wie köstlich ist das Bewußtsein, daß der Friede im Heiligtum unveränderlic h ist. Wir kennen aber auch noch andere Segnungen. Gott wollte, daß die Heiligen Ihn und Seine Wege hienieden, Seine Handlungen auf einer unheiligen Erde, wo der Sitz Satans ist, verstehen und lieben lernen und mit Ihm und Seinen Gedanken Gemeinschaft haben sollten.

 In kurzer Zeit wird die Versammlung mit dem Herrn in der Ausübung Seiner Macht gegen die Erde teilnehmen. Wir werden Seine Herrlichkeit mit Ihm besitzen; denn wir sind „Miterben Christi." Unsere jetzige Stellung aber ist die des D i e n e n s, und zwar mit einem demütigen Herzen. Jesus diente Gott inmitten der Umstände des Bösen und des Widersprechens der Sünder. Der Apostel Paulus sagte: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin; und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; — nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war" (l.Kor. 15,10). Die Stelle: „durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin", wird häufig als eine solche betrach135 tet, die es nur mit unserer Annahme bei Gott zu tun habe, und dies geschieht deshalb, weil wir so sehr geneigt sind, bei dieser Sache ausschließlich stehen zu bleiben. 

Der Herr aber wünscht, daß wir Ihm in der Mitte der Welt Satans völlig dienen, daß wir nicht nur gegen das Böse in uns selbst, sondern auch gegen das in anderen kämpfen; und Seine Gnade allei n kann uns fähig machen, dieses zu tun. Es ist die „Gnade Gottes" allein, die uns in diesem Dienst kräftigt, wie es auch die „Gnade Gottes" allein war, die uns am Anfang errettete. Als „Christus in die Höhe hinaufgestiegen", „hat er den Menschen Gaben gegeben .. . Und er hat die einen als Apostel gegeben, die anderen als Propheten, die anderen als Evangelisten, die anderen als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen; — für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus" (Eph. 4). Laßt es uns wohl beachten, daß die Gnade Gottes uns de n Weg gehen läßt, auf welchem wir für den Dienst gekräftigt und fähig gemacht werden. Wenn dich also jemand lehrt, so geschieht es nicht nur, damit du gesegnet sein möchtest, sondern so gesegnet, daß du ein Diene r de s andere n sein kannst. Das Leben in dir soll zum Leben in ihnen dienen; wir sollen stärken, was der Stärkung bedarf. Wenn ich dieses aber nicht verstehe, wenn ich es nicht als mein Vorrecht erkenne, so mag ich sehr dankbar sein, wenn mich jemand lehrt, aber mein Glaube wird schwach und meine Gebete verhindert sein; denn ich habe den rechten Gegenstand nicht vor mir.

 Der eigentliche Zweck des Lehrens unter den Heiligen ist nicht der, ihnen einfach die Wahrheit zu erklären, ihnen zu erzählen was Errettung ist, oder ihnen Trost zu bringen, sondern ihre Seelen also zuzubereiten, daß jene Dinge, die Gott Wohlgefallen, ein Gegenstand ihres Dienstes im Glauben werden möchten, wie geschrieben steht: „ . . . eures Werks des Glaubens, eurer Bemühung der Liebe, und eures Ausharrens der Hoffnung unseres Herrn Jesu Christi vor unserem Gott und Vater. Ich habe nicht nötig, geliebte Brüder, daran zu erinnern, wie oft wir dieses vergessen und an unseren eigenen, persönlichen Segen denken. Wenn aber die Seele einmal die wahre Absicht Gottes in dieser Beziehung kennt, daß Er uns deshalb stärkt, damit wir Ihm im Dienst unter anderen dienen möchten, so findet sie einen ganz neuen Beweggrund, um sich diesem Dienst völlig zu widmen. Ich kenne nichts Wichtigeres und Gesegneteres, als fähig zu sein, de n Diens t Christ i i n de r Wel t z u unterscheiden . Nichts zeigt mehr die Verschiedenheit zwischen einer Seele, gelehrt von dem Heiligen Geist, 136 und einer solchen, die es nicht ist. 

Es war sehr gesegnet und zugleich ein großer Probierstein des Glaubens, fähig zu sein, den Herrn Jesum, als Er auf dieser Erde wandelte, als Den zu unterscheiden und zu bekennen, der Er wirklich war, a ls Sohn , gesand t vo n Gott . Und also geht die Leitung des Heiligen Geistes in der gegenwärtigen Zeit dahin, das anzuerkennen, was von Gott in der Welt ist. Dieses aber wird, bis der Herr kommt, nur an unscheinbaren Orten gefunden werden, zu welchen das Fleisch sich nicht hingezogen fühlt, welche aber der Heilige Geist erkennt. Er bringt die erleuchtete Seele zu dem Bekenntnis: Dort will ich meine Wohnung aufschlagen; dort ist Segen für mich! Ein Abschnitt der Heiligen Schrift, wie der unserer Betrachtung vorliegende, bringt uns in die Gemeinschaft mit den Dienern Gottes der Familie des Glaubens in den vergangenen Zeitaltern. Er zeigt uns, daß ihr e Prüfungen und Kämpfe auch unsere Prüfungen und Kämpfe sind, und wir sehen uns auf das innigste mit ihnen vereinigt. David nahm deshalb die Stellung ein, in welcher wir ihn hier finden, weil er des Glaubens war und weil Saul es nicht war. Er repräsentiert die Person, mit welcher die Wahrheit und die Berufung Gottes ist. Schon im zarten Jünglingsalter hatte David auf Gott, den Gott Israels, vertrauen gelernt. Als der Löwe und der Bär kamen, hatte er sie im Glauben überfallen und besiegt.

 Dies war eine Sache zwischen David und Gott i m Verborgenen . Aber sehr bald nachher machte sein Glaube ihn fähig hervorzutreten, nicht für seine eigene Befreiung, sondern für die des Gottes Israels. Der Glaube leitete ihn, den Lauf der Ratschlüsse Gottes aufzunehmen. Geht ein Christ auf seinem Lebensweg, selbst wenn die Schwierigkeiten, denen er zu begegnen hat, immer größer werden, stets vorwärts, so geht er nur in dem Lauf der Ratschlüsse Gottes voran; wie auch Paulus sagt, daß er allezeit im Triumphzug in Christo umhergeführt werde. Nehmen auch seine Prüfungen einen immer ernsteren Charakter an, so scheinen sie doch leichter zu sein, weil er mehr der Kraft Gottes vertraut. Doch muß dieser Pfad im Verborgene n beginnen, und dann werden wir von Gott weiter geleitet. Kehren wir jetzt zu dem vorliegenden Kapitel zurück. Gott hatte David zum König gesalbt; Saul war noch in Macht und Amt, welches doch niemand anders zukam, als dem, der des Glaubens war. David aber streckte nicht seine Hand gegen Saul aus, um Rache auszuüben. 

Er verwar f alles, was mit dem Fleisch in Verbindung war, und er nahm seinen Platz wie ein Verworfener, einfach und abgesondert in der Wüste . Dort freute er sich über jede Unterstüt137 zung und jede Versorgung. Gerade so ist es in der gegenwärtigen Stunde mit den Dienern Christi, welche in der Wahrheit zu wandeln suchen •— mit denen, welche im gewissen Sinne mit David auf einer Linie stehen. Je völliger sie in der Wahrheit wandeln und ihren Platz als Diener einnehmen, desto dankbarer werden sie jegliche Liebe und Güte, welche ihnen auf dem Weg begegnet, um ihre müden und matten Herzen zu erquicken, entgegennehmen. Ich glaube, daß es nichts Erfreulicheres für eine Seele gibt, die das Glück der anderen und die Ehre Gottes wünscht, als sich mit de r Wahrhei t irgendwie vereinigt zu sehen.

Das „Glas kalten Wassers" — jeder kleine Beweis von Güte verbindet einen solchen mit de r Wahrhei t Gottes . In diesen Dingen gibt es einen ausgezeichneten köstlichen Dienst: „Wahrlich, ich sage euch: Insofern ihr dieses einem der Geringsten dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan" (Matth. 25, 40). Gott sieht allein das Herz an; und wo es jemand gibt, welcher von Herzen sagt: Ich nehme solche Personen, die in der Wahrheit wandeln und um der Gerechtigkeit willen leiden, auf und unterstütze sie, und wünsche ein gleiches Los mit ihnen zu haben, da wird Segen sein. David hatte Mangel; wir sehen hier aber einen anderen, welcher keinen Mangel hatte. Es war Nabal, ein Mann, reich auf dieser Erde, umgeben von Gütern dieser Welt, lebend im Überfluß (V. 2). David beneidete ihn wegen seines Glückes nicht; er würde gewiß nicht die Stellung des Nabal mit der seinigen vertauscht haben. Es war keine harte Botschaft, welche er ihm sandte, denn wir lesen: „Da nun David in der Wüste hörte, daß Nabal seine Schafe schor, da sandte er zehn Jünglinge, und sprach zu ihnen: Ziehet hinauf gen Karmel, und wenn ihr zu Nabal kommt, so grüßt ihn von meinetwegen freundlich, und sprecht so: Glück zu! 

Friede sei mit dir und Friede mit deinem Hause und Friede mit allem, was dir angehört. Ich habe jetzt gehört, daß du Schafscherer hast. Nun sind deine Hirten mit uns gewesen; wir haben sie nicht gekränkt und nie ist irgend etwas von ihnen vermißt worden, solange sie zu Karmel waren — frage deine Jünglinge darum, sie werden dir's berichten —; und so mögen die Jünglinge Gnade finden in deinen Augen; denn zu einem festlichen Tag sind wir gekommen. Gib doch, was dir vor die Hand kommt, deinen Knechten und deinem Sohn David" (V. 4-8). Das Herz Davids war weit genug, um sich an alledem zu erfreuen, wodurch Nabal seine Einheit mit ihm hätte offenbaren können. Und immer, wenn das Herz eines Heiligen in einem guten Zustand ist, wird er niemand um sich her beneiden, noch wird er daran denken, zu sagen: Seht was 138 ich bin und was ihr nicht seid. Nein, ein solches Herz wird vielmehr suchen, das mit sich zu verbinden, was sich verbinden läßt. Gott handelte in Gnade. — Er wußte, was das Ende Nabais sein würde; doch war dies der schönste Prüfstein, welchen er ihm stellte. Und wenn irgendein Funken von Gnade in Nabais Herzen gewesen wäre, oder irgendeine Harmonie mit Gott, so würde er auf dieses Zeichen geantwortet haben; aber es war nichts vorhanden. Sein Auge war auf die äußeren Umstände gerichtet.

 Wir sehen, wie fleischlich er über Davids Lage dachte. Er sagte: Wer ist David, und wer der Sohn Isais? Heutzutage gibt es der Knechte viel, die ihren Herren entlaufen (V. 10). Wir müssen uns daran erinnern, teure Brüder, daß wir alle von Natur die Gesinnung Nabais in uns tragen, und daß wir deshalb als Gläubige nötig haben, stets über uns zu wachen und uns zu richten. Wir haben uns zu fragen, wenn wir Gott zu dienen wünschen, ob wir in völliger Freiheit des Herzens ganz bereitwillig sind, alles herzugeben, womit wir anderen, — sei es durch Unterstützung oder durch Trost oder durch Gemeinschaft, sei es durch zeitliche oder durch ewige Dinge — dienen können.

 Die Liebe wird mancherlei Wege ausfindig machen. In den gegenwärtigen Tagen gibt es nicht wenige, die, wie es einigen von uns scheinen könnte, vor den Umständen, worin sie sich versetzt finden, zurückschrecken. Doch hüten wir uns, solche falsch zu beurteilen und in ähnlicher Weise wie Nabal zu sprechen, indem wir wenig an die innere Not und Angst denken, die sie durchzumachen hatten. David hatte vieles aufgegeben; manches Band war zerrissen und manche Angst ausgestanden, ehe er diese Stellung einnahm. Zwar war es in einem Sinne wahr, daß er seinen Herrn verlassen hatte. Doch wie ganz anders war diese Tat in den Auge n Gottes , als in dene n de r Menschen . Das Äußere zieht bald das Auge an, während es nötiger wäre, mit Ausharren und Fleiß zu forschen, um die Wahrhei t zu erkennen. Wenn die Seele mit Gott und Seinen Wegen Gemeinschaft begehrt, so darf dieser Fleiß nicht fehlen, anders wird sie bald ihre Nüchternheit und somit den Genuß der Gemeinschaft verlieren.

 Doch können wir aus dem, was hier von Davids Herzen vorgestellt ist, eine tiefe und praktische Wahrheit lernen. David war noch im Fleische, und (wie wir es oft erfahren werden, wenn irgend eine Sache uns unerwartet traf) er war unvorbereitet, um in Festigkei t de r Gnad e dem zu begegnen, was Gott auf seinem Pfade zu sein erlaubte. Ohne Zweifel erwägte er, daß durch Nabal Geringschätzung und Unehre über ihn gebracht würde, weil jener so 139 unberufen, ungerecht und lieblos über ihn geurteilt hatte. Deshalb ward er entrüstet; aber diese Entrüstung war hier nicht am rechten Platze. Und dennoch ist dies leider so oft der Fall bei den Heiligen Gottes. Sie bleiben bei den Umständen stehen, anstatt sich von diesen ab, zu Gott hinzuwenden und in Gemeinschaft mit Ihm darin zu handeln. Sie sagen vielleicht: Wie lieblos! Wie ungerecht! Habe ich eine solche Behandlung verdient?

 Ist es nicht ganz recht, daß ich ärgerlich bin? Dann aber ist die Stellung der Gnade verlassen. Tagtäglich wirken tausend Dinge auf diesem oder jenem Wege auf unseren Geist, welche geeignet sind, drükkende und schmerzliche Einwirkungen hervorzubringen. Wenn diese uns nun in Gemeinschaft mit Gott antreffen, so bringen sie für uns gesegnete Früchte hervor; wenn aber nicht, so werden sie uns selbst verunreinigen und wir werden Sünde zu bekennen haben; und Satan, anstatt in jedem Kampf zu zittern und zu fliehen, wird uns oft überlegen sein. Es ist eine gesegnete Sache Gott zu preisen, der uns tüchtig macht, praktisch zu triumphieren und zu überwinden. Und dieses sollten wir zu erreichen suchen. 

Der Apostel Paulus konnte sagen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt usw.". Wir können stets Gott preisen für das, was Er Selbst ist, und für das, was Er uns in Christo gegeben hat; aber wir können Ihn auch rühmen wegen unseres praktischen Sieges über Satan. Wie schwach sind wir unter den mächtigen Feinden, und dennoch müssen diese in jedem Kampfe zittern und fliehen, weil Gott unser Schild und unsere Waffe, und weil Sein der Kampf ist. Durch Ihn sind die schwächsten Heiligen mehr als Überwinder. Sehr oft, geliebte Brüder, wird der Zustand, worin wir uns befinden, uns verhindern, Gott zu preisen. Ich erwähne dies gar nicht, um uns mutlos zu machen, sondern vielmehr deshalb, daß wir fähig sein möchten, den Unterschied zwischen dem, was wir in Christo sind und unserem praktischen Zustand als Überwinder recht verstehen zu lernen. Sehen wir auf David. Er war in Gefahr, nicht zu überwinden und in eine tiefe Sünde zu fallen.

Wie handelt er? — Trug er als Diener Gottes Nabais Spott und Schmähung mit Sanftmut? Nahm er es im Namen Gottes auf? Nein, er gab sich dem Gefühl seines verwundeten Stolzes hin. Doch war jemand in dem Hause Nabais, verbunden mit ihm durch ein Band, welches nur Gott brechen konnte, von ganz und gar anderem Charakter als Nabal, — jemand, welcher dem Herrn angehörte, — ein Weib des Glaubens. Abigail war fähig, in David, obgleich er jetzt ein verstoßener und elender Wanderer war, den Gesalbten 140 Gottes zu erkennen, welchen Gott auch gewiß zur Größe, als auserwähltes Haupt über sein Volk, bringen würde. „Den n schaffe n wir d Jehov a meine m Herr n ei n be -

ständige s Haus , wei l mei n Her r di e Streit e Jehova s streite t (V. 28). Abigail war fähig, dem Pfad Davids mit dem Auge des Glaubens zu folgen und sich in die Zeit seines Ruhmes zu versetzen. Dies zeigt, daß ihre Seele recht tief in die Gedanken Gottes eingeweiht war. Und gewiß hatte ihre drückende Lage im Hause Nabais und ihre eheliche Verbindung mit ihm, sie viel zum Herrn hingezogen. Sie fand in den Dingen Gottes bei ihm nur Hindernisse und Schwierigkeiten, aber keine Gemeinschaft, und wurde sicherlich täglich durch ihn ermüdet. Sie erkennt die Torheit Nabais und seinen traurigen Zustand. Sie sieht den großen Kontrast zwischen ihm und dem Manne des Glaubens; und vielleicht mag es sie oft befremdet haben, daß sie in einer solchen Stellung verharren mußte. 

Doch wurde hier ihr Herz für einen Dienst zubereitet, von welchem sie vorher nichts wußte. Manche Seelen mögen oft fragen: Warum muß ich in dieser Lage verharren? Wäre ich doch in anderen Verhältnissen! Wie gesegnet und glücklich würde ich mich fühlen, wenn ich den Arbeitern des Herrn dienen könnte; aber hier bin ich verhindert! So befindet sich mancher — und gewiß nicht immer durch selbsterwählte Wege — in einer versuchungsreichen und mühevollen Lage; aber das aufrichtige Verlangen, Gott zu dienen, wird nie vergeblich sein. Kr wird unsere Herzen zubereiten und uns gewiß auch Gelegenheit geben, Ihm unter den Heiligen zu dienen. Ist unser Nacken, unter ein Joch gebracht, so kann dies gewiß nicht ohne Nutzen und Erfahrung für uns bleiben. 

Wir werden, wenn wir anders geduldig ausharren, mehr zur Unterwürfigkeit Gottes gebracht werden. — Moses war nicht an Pharaos Haus gebunden, und deshalb gab er alles im Glauben um des Herrn willen hin. So war es mit Abraham und seines Vaters Haus. Aber es gibt Umstände, wie bei Abigail, worin man ausharren muß, wo die Seele berufen ist, das Joch zu tragen und auf Gott zu warten. Doch dies wird, wie schon bemerkt, den reichsten Segen für uns haben. In solchen Fällen wird der Wille im Verborgenen gebrochen und das Fleisch in Knechtschaft gebracht, und dies wird gewiß von großem Nutzen für den späteren Dienst Gottes sein. Abigail, in ihrer stillen Zurückgezogenheit, stand in den Umständen, wovon dieses Kapitel handelt, viel mehr in Gemeinschaft mit der Wahrheit, als David tat. Sie war fähig, das unrichtige Gefühl des Mannes des Glaubens zu bezähmen. Während David sich in dem Nebel seiner eigenen Gedanken verlor, brachte Abigail das klare Licht der Wahrheit 141 hinein, um seine Handlung zu offenbaren. Und David erkannte es und dankte Gott für ihren Rat. „Gepriese n s e i Jehova , de r Got t Israels , de r dic h a n die -
s e m Tag e mi r entgegengesand t hat ! Un d ge -
segne t se i dei n Verstan d un d gesegne t seis t d u , da ß d u mic h heut e gehinder t hast , i n Blutschul d z u komme n un d mi r mi t meine r Han d Hilf e z u schaffen " (V. 32.33). Dies waren die Worte Davids, als er eben mit der Sünde beschäftigt war, in die sein Stolz ihn gebracht hätte. Wer würde, geliebte Brüder, gedacht haben, daß Abigail je der Ratgeber Davids geworden wäre, des Mannes, der so vieles zu erdulden hatte, der von Gott so geliebt, in seinem Dienst so ausgezeichnet, auf dem Weg des Glaubens so hochbegnadigt war, und der so weit über Abigail stand. Allein sie war erprobt, so lange sie allein war, und war aufbewahrt bis für sie die Zeit kam, wo sie Davids treuer Ermahner und Nabais Fürsprecher sein konnte. Sie war in der Schule Gottes erzogen und nahm jetzt die gesegnete Stellung eines Fürsprechers ein. David stand in seinem Zorn eben bereit, Blut zu vergießen und sich mit seiner eigenen Hand zu rächen, anstatt die Sache in die Hand Gottes zu legen. Diese Tat aber würde einen der gesegnetsten Züge in dem Charakter Davids weggenommen haben, nämlich all e Ding e i n di e Han d Gotte s z u legen . In Abigails Worten sehen wir die starke Kraft des Glaubens. Sie sagt: „Und ist jemand aufgestanden, dich zu verfolgen und nach deiner Seele zu stehen: so wird das Leben meines Herrn gebunden sein in das Bündel der Lebendigen bei Jehova, deinem Gott, und das Leben deiner Feinde wird er wegschleudern in der Schleuderschale. 

Un d wen n Je -
hov a meine m Herr n alle s da s Gut e tu n wird , so wi e e r di r verheißen , un d dic h ordne t zu m Fürste n übe r Israel : so wird dies nicht zum Anstoß und zum Herzensvorwurf meinem Herrn sein, daß du Blut vergossen ohne Ursache und daß sich mein Herr selbst Hilfe geschafft. Wen n abe r Jehov a meine m Herr n wohltut , so gedenk e deine r Magd! " (V. 29—31). Wenn sich David in die Zeit seines Ruhmes versetzt hätte, so würde er nicht daran gedacht haben, seine Hände aufzuheben und Blut zu vergießen, und sogar unschuldiges Blut, indem seine Hand ja auch gegen de,n Jüngling gerichtet war, der so liebreich von ihm zu Abigail redete (V. 14-17). Hätte er gedacht: Wie werde ich in der Zeit meiner Erhöhung diese Tat beurteilen? so würde er sich geschämt haben. Die Stellung des Glaubens ist immer die, von den gegenwärtigen Umständen hinweg zu sehen und auf das Ende zu schauen; dann werden wir anfangen, alle Dinge mit den Gedanken Gottes zu sehen und zu beurteilen. Also war es mit Abigail. Und wenn wir unsere Gemeinschaft mit Gott verwirklichen und unseren Blick auf die himmlische Herrlichkeit gerichtet halten, so werden wir ebenso handeln. Genießen wir in den größten Versuchungen durch den Glauben die Gemeinschaft Gottes, sind wir völlig überzeugt, daß Er unser Freund ist und daß Er gesagt hat:

 „Die Rache ist mein, ich will vergelten", so werden wir nicht daran denken, uns selbst zu rächen, sondern vielmehr „die segnen, welche uns fluchen, und für die bitten, welche uns lästern." Gott handelt gegenwärtig in Gnade und Erbarmen; und nichts ist geziemender für uns, als auch diese Stellung einzunehmen. Wir sind in Übereinstimmung mit Gott, wenn jegliche Handlung diesen Charakter trägt und alles in uns der Gnade unterworfen ist. „La ß dic h nich t da s Bös e überwinden , sonder n überwind e da s Bös e mi t Gutem " (Röm. 12, 21). Wie hochgeehrt war diese arme, geprüfte und zurückgezogene Zeugin Gottes in Nabais Hause! Die Stunde wird kommen, wo die Hand des Herrn den letzten Schlag geben wird. Nabal wurde von David verschont; aber Gott war da, um seinem Wege ein Ende zu machen. Er lebte nur in den Dingen, die um ihn her waren, und verstand deren Nichtigkeit nicht; es war für ihn Fürsprache geschehen, aber er blieb sorglos, nach wie vor. Die Zeit der Gnade ging vorüber und er beachtete sie nicht. U n d als Abigai l zu Naba l kam , siehe , d a hatt e e r ei n Mah l i n seine m Hause , gleic h eine m Königsmahl , un d da s Her z Nabai s wa r fröh -
lic h dabei , un d wa r trunke n übe r di e Maßen . U n d si e berichtet e ih m nichts , wede r Klei -
n e s noc h Großes , bi s zu m Anbruc h de s Mor -
gens " (V. 36). Als aber dieses vorüber war, erzählte ihm sein Weib ganz einfach, was sich zugetragen hatte — eine Sprache der Gnade und Erbarmung. Allein, obgleich sie es in der Einfachheit der Wahrheit erzählte, es waren Worte des Todes für Nabal", „da erstarb sein Herz in seinem Leib, und er ward zu Stein" (V. 37, 38). Die Hand Gottes war gegen ihn. Dies ist geeignet, einen sehr feierlichen Schatten über dies Kapitel zu werfen. Dies ist das Ende aller derer, die nicht des Glaubens sind. Dieselben Dinge, welche zum Segen bestimmt sind, verwandeln sich in Macht des Todes. Dies wird vollkommen gefühlt werden, wenn Personen fähig sind, auf empfangene Gnade zurück zu schauen, und wenn sie sich dann von allen Segnungen, und selbst von Gott, der sie ge143 geben hat, getrennt sehen. Dies ist eine große Qual. Gewiß, es gibt nichts Schrecklicheres als das Gefühl, die Gnade verscherzt zu haben, und für ewig von derselben, sowie auch von Gott Selbst getrennt zu sein. Nabais Weg war „töricht" und sein Ende war das eines „Toren". 

Aber also wird es mit allem um uns her sein, was seine Gemeinschaft mit den Wegen und der niedrigen Stellung Davids verleugnet. Nabal sagt: „Und soll ich mei n Brot und mei n Wasser nehmen, und mei n Fleisch, das ich geschlachtet für mein e Scherer und es Männern geben, d i e ic h nich t kenne , w o si e he r sind ? — Wenn wir auch nicht diesem Nabal gleichen, geliebte Brüder, so haben wir doch über seine Neigungen, die auch in unserem Fleische wohnen, zu wachen. Wie schnell sind wir oft bereit, zu sagen: mei n Brot, mein e Güter, mein e Ehre, mei n Stand! und immer durchkreuzt das Wörtchen „mein" das gesegnete Vorrecht unseres Einsseins mit Christo in der Niedrigkeit. Kein Herz kann unglücklicher sein als das, worin der Geist des Richtens wohnt; und doch muß der Geist Gottes uns richten und wider uns sein, wenn wir das unsrige, und nicht das, was Christi Jesu ist, suchen. Sehr oft werden wir in den Heiligen, welche Gott zu dienen gesucht haben, auf ihrem Sterbebett nicht dieselbe Freude finden, wie wir sie bei Neubekehrten sehen. 

Betrachten wir den Mörder, welcher erst an Christum glaubte, als er schon am Kreuze hing; und jemand, der etwa schon zwanzig Jahre Gott gedient hat. Beide sind völlig angenommen und in Christo vollkommen gemacht; es sollte aber der letztere, den Worten des armen Mörders gegenüber, fähig sein, zu sagen: „Ic h hab e Glaube n gehalten. " In dem Augenblick, wo das Sehnen des Geistes erfüllt werden soll, kommt der praktische Friede und die Freude der Heiligen sehr ins Gedränge. Dies sage ich nicht, um die Freude selbst des schwächsten Heiligen, zu stören oder wegzunehmen, wenn es aber zur Demütigung nötig ist, so mag es sein. Doch, sei es, daß wir zum Gebet oder zum Lob oder zur Demütigung geleitet werden, so laßt es in dem Charakter de r Wahr -
haftigkei t vo r Got t sein . Wir haben das Ende Nabais gesehen; aber so traurig dies Ende auch war, so befreite es doch Abigail von ihrer schweren Lage und sie verband sich mit dem, von welchem sie wußte, daß die Segnungen Gottes auf ihm bleiben würden (V. 39-42). Sie gab ihr Haus, ihre Reichtümer und alles auf, und teilte das Los dessen, der doch nur ein Wanderer war, und der um seines Lebens willen wie ein Wild in den Bergen verfolgt wurde. Aber bald änderte sich die Scene. Abigail wurde ge144 fangen genommen und wie es schien, für immer von David getrennt (Kap. 30). Sie war in schrecklichere Umstände versetzt als zuvor, und die gehofften Segnungen schienen ihr ferner als je. 

Doch eröffnete diese Lage nur eine neue Gelegenheit für den Glauben . Vorausgesetzt, es wäre irgend ein Gefühl von Stolz oder ein sich selbst erhebender Gedanke in Abigails Herzen gewesen, wie sehr müßte sie es in dieser harten Prüfung als eine Züchtigung von der Hand Gottes gefühlt haben, und war dies nicht der Fall, so wird sie in einem entschiedenen und heiligen Glauben gehandelt haben, wenn sie die Segnung direkt von Gott erwartete. Die Segnungen müssen stets auf dem einen oder anderen dieser Wege erwartet werden. Wäre sie stolz gewesen und hätte nach dem Fleische gewandelt, so würde sie diesen harten Schlag nicht nur als Züchtigung schmerzlich gefühlt, und sich zu demütigen und ihre Wege zu richten gelernt haben, sondern sie würde auch Gelegenheit gehabt haben, die Ruhe in der Kreatur von der Ruhe in Gott zu unterscheiden. 

Setzen wir voraus, daß sie ihre Lage in der Kraft des Glaubens aulgenommen und erduldet habe, so wird auch diese Prüfung nur zur Stärkung ihres Glaubens und zur Verherrlichung Gottes gewesen sein, und sie wird zugleich die Schwachheit der Natur, und die Gefahr, in der Kreatur anstatt in Gott zu ruhen, gelernt haben. Früher oder später muß die Zeit kommen, wo wir von der Nichtigkeit der Kreatur überzeugt werden. Wenn alle Hilfe fehlt, kann nur Gott unsere Kraft sein. Es ist unser Vorrecht, nicht nur zu wissen, daß wir Frieden mit Gott haben, sondern auch, daß Er über uns wacht und uns auf dem Pfade des Dienstes leitet. Möchten wir fähig sein, immer mehr zu lernen, daß wir unter Seiner Hand stehen. Ist es unser Wunsch, mit Ihm auf Seinen Wegen in praktische Gemeinschaft gebracht zu werden, so laßt es uns durch Gebet und Flehen suchen. 

Bemerkungen über die Epistel des Judas 

Es gibt zwei verschiedene Begriffe, in welchen der Ausdruck „letzt e Tage " im Neuen Testament angewandt ist. Am Anfang der Epistel an die Hebräer werden diese „letzten Tage" in der Absicht erwähnt, um diesen gegenwär -
tige n Zeitlauf zu bezeichnen. Wir finden aber diesen Ausdruck auch auf de n Schlu ß de r Tag e des gegenwärtigen Zeitlaufs angewandt. In dieser Beziehung ist er in 38 145 2. Tim. 3 gebraucht: „I n de n letzte n Tage n werden schwere Zeiten entstehen"; — das ist am Ende der Tage des Christentums. Auf diese Zeit bezieht sich auch Judas, wenn er sagt, „daß zu r letzte n Zei t Spötter kommen würden" (V. 18). Es ist nun wichtig für uns, die Züge zu kennen, welche der Geist Gottes in Betreff dieser „letzten Tage" bezeichnet. In den Briefen finden wir zwei bemerkenswerte Züge oder Kennzeichen, in welchen der Heilige Geist die Schlußstunde des jetzigen Zeitlaufs beschrieben hat: 1. der Geist des Rationalismus, des Freidenkens, der die Geheimnisse Gottes verwirft; 2. die Macht der moralischen Schlaffheit. In 2. Petri 3, 3 wird uns gesagt, „daß am End e de r Tage " Spötter kommen werden mit Spötterei, nach ihren eigenen Lüsten wandelnd und sagend: 

„Wo ist die Verheißung seiner Ankunft?" Hier werden „di e letzte n Tage " durch einen Geist des Spottes, dessen Gegenstand die Geheimnisse der Wahrheit — die zweite Ankunft, oder das Kommen des Herrn — sind, bemerkbar gemacht. Wenn wir uns zu der ersten Epistel des Johannes wenden, so finden wir dasselbe vom Geist des Antichristen gesagt, der schon wirksam war, und über die Geheimnisse der Wahrheit spottete. „Kindlein", sagt der Apostel, „es ist die letzte Stunde" (Kap. 2, 18); und dann beschreibt er, wodurch diese letzte Stunde charakterisiert wird, — durch das Leugnen, daß Jesus der Christ ist, — durch das Leugnen des Vaters und des Sohnes. So erhalten wir also durch diese beiden Zeugnisse (von dem des Petrus und dem des Johannes) einen sehr bestimmten Charakter „der letzten Zeiten". Sie werden an einem leichtfertigen und ungläubigen Geiste erkannt, welcher über das Kommen des Herrn spottet und welcher das große Geheimnis der Person der Gottheit leugnet.

 Wenn wir nun zu der Epistel des Judas zurückkehren, so werden wir finden, daß es hier nicht die eben genannten Züge sind, wodurch diese letzten Tage bezeichnet werden, sondern, daß es ein schrecklicher Zustand der moralischen Schlaffheit ist, ähnlich wie Paulus in 2. Tim. 3 angibt, wo wir V. 3 - 5 lesen: „Die Menschen werden sein eigenliebig, geldgierig, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, gefühllos, unversöhnlich, verleumderisch, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, verräterisch, verwegen, aufgeblasen, mehr Freunde der Wollust als Gottes, welche die Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen." Das ist ein trauriges Bild. Und erinnern wir uns, daß hier das Christentum beschrieben wird, und daß es nicht die heidnische Welt ist, wovon Paulus spricht. Sowohl in dem Zeugnis des Petrus und des Johan146 nes, als auch in dem des Paulus und des Judas handelt es sich um das Christentum. Sie belehren uns im voraus, daß die letzten Tage des Christentums sich sowohl durch einen furchtbaren, entsittlichten Zustand, als auch durch Freigeisterei und Spott, welcher die Geheimnisse der Wahrheit verwirft, bemerkbar machen. Es könnte nun gefragt werden: „Was haben wir mit diesen Dingen zu tun?"

 Ach, geliebte Freunde, wir habe n damit zu tun. Wir sollten die Feinde kennen, gegen welche wir zu kämpfen haben — die mannigfachen Formen der List und der Gewalt Satans, gegen welche wir zu wachen haben: denn es wird nichts nützen, wenn wir einer Schlinge entgehen, und fallen in eine andere. Es wird nicht genug sein, daß wir über die Geheimnisse der Wahrheit wachen, sondern wir müssen über unseren ganzen Wandel wachen, damit wir nicht auf irgend eine Weise in den allgemeinen Zustand „de r letzte n Tage " hineingeraten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die beiden beschriebenen Züge sich nicht auf eine und dieselbe Person beziehen werden. Der freidenkende Vernunftmensch kann moralisch und liebenswürdig, und der ungöttlich wandelnde Mensch der Bekenner eines orthodoxen Glaubens sein. Judas richtet sein Augenmerk nicht auf das, wovon Johannes spricht.

 Jetzt wünsche ich, praktischerweise, unsere Aufmerksamkeit auf eine n Punkt hinzulenken. Es ist die eigentliche Sache des Heiligen Geistes, von Christo zu reden — von der allgemeinen Errettung. Sein Amt ist „von dem Seinen zu nehmen und uns zu verkündigen." In der Versammlung aber nimmt Er einen dienenden Platz ein, und deshalb, wenn ihr Unheil droht, wendet Er es ab und ermahnt sie „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen" (Judas 3). Die Heiligen werden nicht ermahnt, für die Orthodoxie zu kämpfen, sondern für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben, und zwar gegen „die Gottlosen", die als solche beschrieben sind, „welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verwandeln", gegen „die Gottlosen", welche leugnen — nicht den Vater und den Sohn, sondern den Herr n Jesum Christum. Bemerke: welche Jesu m Christu m leugnen — nicht als Hei -
land , sondern Jesum Christum als Herrn . Diese sind es, welche praktisch Seine Autorität angreifen, „welch e un -
sere n alleinige n Herrsche r un d Herrn , Jesu m Christum , verleugne n und jede Beschränkung verwerfen. Judas spricht nicht von Jesu als Hei -
land , sondern als Herrn . Es handelt sich hier um seine Regierung. In der Tat, wir sollten dies als ein gesundes und ernstes Wort begrüßen. Ist es nicht traurig, wenn ein Hei147 liger seine Gedanken, seine Zunge und seinen Wandel nicht beständig im Zaume hält? Wir dürfen nicht sagen, unsere Gedanken, unsere Lippen, unsere Hände, unsere Füße gehören uns selbst; sondern wir haben sie immer als unter der Herrschaft des Herrn zu betrachten. Die Epistel des Judas versetzt einen jeden von uns auf einen heiligen Wachtturm — nicht um gegen einen Geist zu wachen, welcher den köstlichen Geheimnissen Gottes widerspricht (wie bei Petrus und Johannes), sondern um zu wachen gegen die Tendenzen des natürlichen Herzens, welches sich immer selbst zu befriedigen sucht. 

Der Geist Gottes ist wirksam — der Geist ist Leben — die Cherubims waren voller Augen, und die Heiligen sollten von lebendiger, heiliger Tätigkeit sein. Wenn uns Petrus nach der einen Seite hinweist, um gegen die Formen und Handlungen des ungläubigen Geistes zu wachen, so zeigt uns Judas einen anderen Wachtturm, von welchem wir hinausschauen sollen, um gegen die genußsüchtigen und unreinen Wege zu wachen, welche dem ganzen moralischen Menschen Schaden tun — um zu wachen gegen den Geist, welcher die Herrschaft Jesu über die Glieder, die Gedanken, die Worte, die Taten und die Wege Seines Volkes verwirft. 

Weiter fährt der Apostel fort zu sagen: „Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen, und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams überliefert und sind in dem Widerspruch Korahs umgekommen" (V. 11). Dann bemerken wir, wie wunderbar reich das Buch Gottes an Unterweisung ist. Wir empfangen Belehrung über Tatsachen, die der himmlischen Geschichte entnommen sind. Der Geist in Judas gibt sie uns (V. 6). Er leitet den Strom der göttlichen Geschichte vom Anfang hernieder; und Er sammelt diese verschiedenen Beispiele, um sie uns einzuprägen, um uns vor dem Zustand der moralischen Schlaffheit zu warnen.

 Und laßt uns dann beachten, wie Er die gottlosen Verächter der Herrschaft beschreibt. „Diese sind Flecken bei euren Liebesmahlen, mit euch Festessen haltend, sich selbst ohne Furcht weidend" (V. 12). Der Mangel dieser Furcht läßt uns diesen Zustand der moralischen Schlaffheit, von welcher ich spreche, erkennen. O Geliebte! Ich wünsche, daß dieses kleine, einfache Wort, welches wir hier betrachten, uns ermuntern möge, „die Lenden unseres Gemüts zu umgürten." Ist es möglich, zu denken, daß wir ein Recht haben, in irgend einer Sache unsere eigenen Wege einzuschlagen? Wir haben ein solches Recht nicht, wie auch irgend jemand gesagt hat: In dem Augenblick, wo du eine Sache tust, weil es dein eigener Wille ist, hast du gesündigt. Unseren eigenen Willen zu tun, 148 weil es unser eigener Wille ist, ist das wahre Wesen der Empörung gegen Gott. Hier, Geliebte, zeigt uns Judas die Gefahr, mit dem Gürtel, der um unsere Lenden sein sollte, es zu leicht zu nehmen. Wir werden aber sehr glücklich sein und nie etwas verlieren, wenn wir unseren eigenen Willen dem Herrn Jesu übergeben. Ich habe kein Recht, zu tun, was mir gefällt, ja, ich habe nicht einmal das Recht, einen Ausgang zu machen, weil es mir also gefällt. 

Der Herr möge mir Einsicht geben und den Weg meiner Füße mit tausendfachen Gnaden bestreuen. In dem Augenblick aber, wo ich meinen eigenen Willen als Grun d meine r Handlunge n aufrichte, habe ich die Herrschaft verachtet, — die Herrschaft Jesu. Dies ist die Kraft des Wortes in Juda. Jetzt geht der Apostel zu der Prophezeiung des Henoch zurück. Was ist sie? Ist sie eine Prophezeiung von dem Herrn, welcher kommen wird, um jene heimzusuchen, die unter der Macht des ungläubigen Geistes stehen? Nein, sondern um „Gericht wider alle auszuführen^ und alle ihre Gottlosen, von all ihren Werken der Gottlosigkeit, in welchen sie gottlos getan haben, völlig zu überführen" (V. 15). 

Der Ungöttlichkeit wegen wird also das Gericht bald hereinbrechen. Und sehen wir nicht, wenn wir unseren Blick auf das Christentum umherwerfen, ein Überhandnehmen der Ungöttlichkeit, welche groß und verwegen genug ist, das Gericht des Herrn herauszufordern? Doch laßt uns das Wort für uns selbst nehmen, ja, der Geist Gottes möge es in voller Kraft auf unser Gewissen anwenden. Ich bin versichert, daß, wen n ic h meine n eigene n Wille n a ls Rege l meine r Handlunge n nehme , un d als o „di e Herrschaf t verachte" , ic h (in dem Grundsatz meines Geistes) au f de m Weg e de s Ge -
richt s bin , vo n welche m Henoc h prophezeit . O Geliebte, möchten wir diese Ermahnungen beherzigen! Wünscht ihr, daß die Versammlung Gottes in ihrem Betragen und in ihren moralischen Wegen erschlafft? Sollten wir uns nicht vor dem Kreuz — vor dem Zepter Jesu beugen? Ist Er der Heiland , so ist Er auch der Herr . „Ihr aber, geliebte Brüder, erbaut euch auf euren allerheiligsten Glauben" (V. 20). 

Hier finden wir denselben Gegenstand der Ermahnung. Die Heiligen werden ermahnt, „sic h au f ihre n allerheili g ste n Glaube n z u erbauen. " Erhalte dich in der Liebe Gottes (V. 21). Und was für eine Liebe meint diese Stelle? Es ist dieselbe Liebe, wovon in Johannes, Kap. 15, die Rede ist: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe, und in seiner 149 Liebe bleibe" (V. 10). Es ist die wohlgefällige Liebe Christi. —• Macht sie den Pfad eines Gläubigen gesetzlich? Gewiß nicht; sie allein bindet die Herzen an Jesum mit einem neuen Band; sie ist die frische und reine Quelle unserer Zuneigungen, deren Wünsche in Ihm allein befriedigt werden. Dann heißt es weiter:

 „Die anderen rettet mit Furcht, sie aus dem Feuer reißend, sogar das von dem Fleische befleckte Kleid hassend" (V. 23). Spricht er hier von dem ungläubigen Geiste? Nein, sondern er ermahnt uns, daß wir uns ernstlich hüten möchten, damit das vom „Fleisch e befleckte Kleid" uns nicht umgebe. „Dem aber, der euch zu bewahren vermag ohne Anstoß", — nicht in der Wahrheit, sondern in der Heilig -
kei t de r Wahrheit , denn er fügt hinzu: „und euch vor seiner Herrlichkeit tadellos mit Frohlocken darzustellen vermag, dem alleinigen Gott, unserem Heiland, durch Jesum Christum, unserem Herrn, sei Ehre und Majestät, Kraft und Gewalt, vor aller Zeit und jetzt, und in alle Zeitalter. Amen." Schließlich, ich wiederhole es, laßt uns dieses Wort der Warnung willkommen heißen; ja, der Herr gebe, daß es in den Ohren des ganzen Volkes Gottes wiederklinge! Laßt es uns wohl beherzigen, daß wir in einer Zeit der Leichtfertigkeit und des Sich-selbst-suchens leben. Das Christentum sucht sich mit tausendfachen Annehmlichkeiten zu befriedigen. Jede Stunde vervielfältigt die Gelegenheiten, um der selbstsüchtigen Natur Genüge zu leisten. Die „Gelüste des Geistes" werden sehr genährt. Jegliche Art von Kunst und Arbeit ist berechnet, zu dieser Selbstbefriedigung beizutragen.

 Und „die Gelüste des Fleisches" sind alle hiermit verwandt." O möchten wir in der Mitte von diesem allem die Herrschaft unseres Herrn Jesu lieben! Laßt uns vor Seinem Zepter uns beugen und dasselbe mehr und mehr küssen. Und anstatt zu sagen: Dies gefällt mir, und das ist mein Wille; laßt uns bitten, daß Jesus in unseren Herzen herrsche. Möge Er der Herr einer jeden innerlichen Regung sein. Doch noch einmal laßt mich daran erinnern, daß es Jesus ist, der unser Her r sein soll — Er, welcher uns geliebt und Sich Selbst für uns gegeben, Er, der Sein Volk errettet hat. Und Ihm sollen wir dienen — nicht im Geiste der Knechtschaft oder durch bloße Beobachtung der religiösen Gebräuche und Satzungen, sondern — in dem Geiste der Freiheit und der Liebe, in einem Geiste, welcher Ihm zu jeder Zeit traut, und welcher alle Mängel und Fehltritte mit glücklicher Kühnheit durch Ihn an den Thron der Gnade 150 bringen kann. 

O Geliebte, es würde für Seine Liebe und Errettung ein armseliges Zurückkehren sein, wenn wir auf irgend eine Weise gege n Ih n und nicht ganz fü r Ih n sein würden; denn Er hat uns nicht gegeben „den Geist der Furcht, sondern der Liebe." Laßt uns deshalb wachen, damit Er durch einen freien und glücklichen Dienst während Seiner Abwesenheit in uns verherrlicht werde, und damit w i r, wenn Er kommen wird, uns zu Sich zu nehmen, in I h m verherrlicht sein möchten. 

Der Geist, nicht der Furcht, sondern der Kraft (2. Tim. 1, 3—8) 

Solche Ermahnungen, wie diese hier, sind nur dann gegeben worden, wenn Umstände vorhanden waren, die sie nötig machten. Sie sind bestimmt, irgend einer Richtung im Fleische zu begegnen, damit wir im Geiste vor derselben bewahrt werden mögen. Es ist gut, uns daran zu erinnern, wie der Herr mit uns handelt: gerade so, wie wir sind, — Er berücksichtigt in allen Seinen Wegen die Umstände, in welchen wir uns befinden. Was unsere Sorgen und unsere Versuchungen in dieser Welt betrifft, so ist Christus nicht bemüht, uns daraus zu befreien. Wir lesen Joh. 17, 15: „Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt wegnehmest." So lange Er uns in dieser Welt läßt, bleiben wir alle den gewöhnlichen Verhältnissen der Menschen unterworfen; aber Er lehrt uns, unser Vertrauen in allem auf Gott zu setzen. Es könnte leicht der Gedanke bei uns entstehen, daß wir, weil wir Christen sind, von diesen Versuchungen frei bleiben, oder doch, wenn wir in dieselben kämen, kein Gefühl von ihnen haben möchten. Dies sind aber nicht die Gedanken Gottes über uns.

Der theoretische Christ mag sanft und ruhig sein, viele schöne Bücher und liebliche Sprüche kennen; allein, wenn Gott anfängt an seiner Sanftmut zu rütteln, so wird er anfangen, sich der Schwierigkeiten, die in der Welt sind, mehr bewußt zu werden, und wird erfahren, daß der Christ bestimmt ist, durch diese Schwierigkeiten hindurch zu gehen. Je näher ein Christ durch die Gnade, bei Gott wandelt, desto zarter wird auch seine Rücksicht gegen die Fehler anderer werden; je länger er als Heiliger lebt, desto mehr wird er sich der 151 Treue und Zärtlichkeit Gottes, welche ihm fortwährend zuteil geworden ist, bewußt sein. Betrachten wir das Leben des Herrn Jesu z. B. in Gethsemane. 

Was sehen wir dort? Eine ununterbrochene Gelassenheit; nicht ein e Wolke lagert auf Seiner Seele. Er ist immer derselbe; nie verliert Er Seinen Ruhepunkt. Aber finden wir nichts in den Psalmen, um diese Gelassenheit zu brechen? Die Psalmen stellen an's Licht, was in Seinem Innern vorgegangen ist. In den Evangelien ist Er den Menschen dargestellt, als das Zeugnis der Macht Gottes, und zwar in jenen Umständen, welche den Menschen mit Angst und Schrecken erfüllt haben würden. Er wandelte mit Gott darin; wir finden Ihn in einem vollkommenen Frieden, und hören Ihn mit aller Ruhe sagen: „Wen suchet ihr?" — „Ich bin es!" Wie friedvoll! Wie gebietend! (denn der Friede herrscht inmitten der Schwierigkeiten). Als Er in Seiner Todesangst war, fiel „sein Schweiß auf die Erde, wie Tropfen Blutes." Er war also nicht deshalb so gelassen, weil Er das Gewicht der Versuchung nicht empfand; er fühlt hier im Geiste die volle Versuchung; aber Gott war mit Ihm in den Umständen; deshalb war Er stets ruhig vor den Menschen. Wir haben nicht zu erwarten, daß wir ohne Gefühl bleiben, wenn wir hier geübt oder versucht, oder niedergebeugt werden. 

Jesus sagt; „Sie geben mir Galle für Speise, und für meinen Durst tränken sie mich mit Essig" (Ps. 69, 22). Er fühlte alles vollkommen. Das Eisen drang in Seine Seele. „Der Hohn", sagt Er, „bricht mir das Herz". Es gibt aber einen Unterschied zwischen Christo in Seinen Leiden und Schmerzen und uns. Bei Ihm gab es zwischen der Versuchung und der Gemeinschaft mit Gott auch nicht eine augenblickliche Unterbrechung. Dies ist aber nicht so bei uns der Fall. Wir haben zuerst zu lernen, daß wir schwach sind und uns selbst nicht helfen können; und dann wenden wir uns zu Gott und schauen auf Ihn. Wo war Paulus, als er sagt: „Sie haben mich alle verlassen.

" Sein Vertrauen zu Gott war ungeschwächt, aber sein Herz war am Ende seines Dienstes gebrochen, wenn er um sich her schaute. Er sah die Flut des Bösen hereinbrechen (Kap. 3,4); er erkannte die Gefahr des Timotheus, welcher allein stand; und im Blick auf das hereinbrechende Böse und im Gefühl seiner eigenen Schwäche sagt er zu ihm, damit er nicht von dem Geiste der Furcht befallen werden möchte: „Um welcher Ursache willen ich dich erinnere, daß du die Gnadengabe Gottes anfachst, welche durch die Auflegung meiner Hände in dir ist. Denn Gott hat uns nicht eine n Geis t de r Furcht , sonder n 152 d e r Kraf t un d de r Lieb e un d de r Besonnen -
hei t gegeben . Schäme dich denn nicht des Zeugnisses unseres Herrn, noch meiner, seines Gebundenen, sondern leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes" (V. 6-8). Wenn wir den Geist der Furch t haben, so ist es nicht von Gott, denn Gott hat uns den Geist der Kraf t gegeben. Er ist in Christo der ganzen Macht des Feindes in der Schwachheit des Menschen begegnet, und Christus sitzt zur rechten Hand der Majestät in der Höhe. „Leide Trübsal mit dem Evangelium nac h de r Kraf t G o 11 e s." Er soll also mit dem Evangelium leiden, und nicht ohne Gefühl davon bleiben; aber er soll leiden nach der Kraft Gottes. Wir sind also nicht gesetzt, um den Druck der Leiden und der Schwachheit nicht zu fühlen. Paulus hatte „einen Dorn im Fleisch" (2. Kor. 12); und fühlte er ihn nicht? Gewiß, er fühlte ihn täglich und zugleich schlug ihn ein Engel des Satans mit Fäusten. Und was sagte er? „Ich will mich denn vielmehr am allerliebsten meiner Schwach -
heite n rühmen (in jenen Dingen, in welchen ich meine Schwachheit fühle), au f da ß di e Kraf t de s Chri -
stu s mi r innewohne. " Die Kraft Gottes, welche mit uns ist, vermindert das Gefühl in der Versuchung nicht; aber wir „werfen alle unsere Sorgen auf den Herrn, denn er sorgt für uns. Doch nicht so, als ob wir in demselben Augenblick, wo wir uns Ihm übergeben oder Ihn anrufen, auch Antwort bekämen. Daniel mußte drei volle Wochen warten, ehe er eine Antwort erhielt; aber von dem ersten Tage an, da er sein Herz gerichtet, um Verständnis zu erhalten, und sich vor seinem Gott kasteite, waren seine Worte erhört worden" (Dan. 10). Es ist bei uns oft der Fall, daß wir zuerst selbs t über eine Sache denken und nach unserem eigenen Sinn darin wirken, ehe wir uns zu Gott wenden. Nicht so war es bei Christo. „Zu jener Zeit antwortete Jesus und sprach: „Ich preise dich, Vater... " Wir ermüden uns selbst oft in unseren Wegen. „Sorget um nichts!" (Phil. 4, 6). 

Das ist leicht gesagt; aber sollen wir denn keine Sorge wegen des Zustandes der Versammlung oder wegen des Druckes einer Familie usw. haben? „S o r g e t u m nichts! " Alles, was irgendeine Sorge in uns erwecken könnte, erweckt auch Gottes Sorge für uns. Deshalb: „Sorget um nichts, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden", und also wird „der Friede Gottes, der jede Vernunft übersteigt, eure Herzen und eure Sinne in Christo Jesu bewahren." Nicht bewahren eure Herzen den Frieden 153 Gottes, sondern der Friede, welcher in Gott Selbst ist, Sein Friede, die unerschütterliche Festigkeit aller Gedanken Gottes — bewahrt eure Herzen. Ferner, wenn wir nicht sorgen, wenn das Gemüt frei ist, und der Friede Gottes das Herz bewahrt, dann ist die Seele fähig gemacht, an glückliche Dinge zu denken. „Alles, was wahrhaftig, was würdig, was gerecht, was keusch, was liebreich, was wohllautend ist; — ist es eine Tugend, ist es ein Lob, — dieses erwäget. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein" (V. 8 u. 9). 

Gott Selbst ist der Gefährte der Seele — nicht nur der „Friede Gottes", sondern der „Gott des Friedens." Wenn die Seele auf Gott geworfen ist, so ist der Herr in den Versuchungen mit der Seele, und das Gemüt bleibt vollkommen ruhig. Es ist der Geist der Liebe, der Geist Christi da. Wenn ich aber an mich selbst denke, so ist der Geist der Selbstsucht vorhanden. Züchtigung Wenn ich hochmütig bin in meinem Geiste, wenn ich die Stellung der Demut vor Gott verliere und es kommt irgend eine Sünde zum Ausbruch, so mag wohl der Herr diesen besonderen Fehltritt benutzen, um mich für diese Wurzel des Hochmuts oder des Eigenwillens, welche gar keine Verbindung mit jenem Fehltritt zu haben scheinen, zu züchtigen. So war es mit Petrus. 

Er hatte Vertrauen zu sich selbst und dies brachte ihn zum Falle. Der Herr in Seiner Gnade hatte schon im voraus gesorgt; er blickt auf Petrus und bricht sein Herz. Darnach aber erwähnt er auch nicht ein einziges Wort über diesen besonderen Fall, sondern Er handelt mit ihm auf die innigste Weise, um ihm dieses Selbstvertrauen aufzudecken und auszurotten. „Simon Jona", sagt Er, „liebst du mich meh r als diese? " Zum zweiten und dritten Male sagte Er: „Liebst du mich?" sodaß zuletzt Petrus seine Zuflucht zu des Herrn Allwissenheit nehmen muß. Er, der alle Dinge wußte, vermochte die Liebe, die in dem Herzen des Petrus war, zu sehen, obgleich es möglich war, daß es sonst niemand konnte.

 Du und Dein Haus oder Der Christ in seinem Hause

 Es gibt zwei Häuser, welche einen wichtigen Platz im Worte Gottes einnehmen, nämlich da s Hau s Gotte s und da s Hau s de s Diener s Gotte s oder des Christen. Gott legt eine unermeßliche Wichtigkeit auf Sein Haus, und zwar mit gutem Recht, weil es das S e i n i g e ist. Seine Wahrheit, Seine Ehre, Sein Charakter, Seine Herrlichkeit sind mit dem Charakter Seines Hauses verbunden, so wie es auch Sein Wunsch ist, daß der Ausdruck dessen, was Er ist, in hervorstechender Weise auf alles scheine, was Ihm gehört. Hat Gott ein Haus, so soll es gewiß ein solches sein, wo die Gottesfurcht herrscht; es soll ein heiliges, ein geistliches, reines und himmlisches Haus sein, und soll alle diese Eigenschaften nicht nur in abstrakter Weise und als Grundsatz besitzen, sondern auch in der Praxis. Die Stellung des Hauses ist eine solche, wie Gott sie gemacht hat; aber sein praktischer Charakter ist das Resultat des praktischen Wandels derer, welche einen Teil davon ausmachen.

 Viele Seelen können geneigt sein, die Wahrheit und die Wichtigkeit der auf das Haus Gotte s bezüglichen Grundsätze zu verstehen; aber vergleichungsweise gibt es wenige, welche ein angemessenes Maß von Aufmerksamkeit de n Grundsätzen widmen, welche das Haus des Diener s Gottes beherrschen sollen. Wenn jedoch jemand die Frage stellen würde: „Welches Haus ist nach demjenigen Gottes das wichtigste?" — so würde man ihm unvermeidlich antworten: „Es ist das Haus des Diener s Gottes!" Da auf das Gewissen nichts mächtiger wirkt, als die heilige Autorität des Wortes Gottes, so wünsche ich einige Stellen der Heiligen Schrift anzuführen, welche mit Kraft und Klarheit zu zeigen trachten, welches die Gedanken Gottes in Betreff dessen sind, was das Haus Seiner Kinder sein soll. Als die Gottlosigkeit der vorsündflutlichen Welt bis zu ihrem höchsten Grad gestiegen und das Ende allen Fleisches vor einen gerechten Gott gekommen war, welcher die Flu155 ten Seines Gerichts über diesen ganzen Schauplatz der Verderbtheit emporschwellen zu lassen im Begriff war, da erklangen in das Ohr Noah's die süßen Worte:

 „Geh e d u u n d dei n ganze s Hau s i n de n Kasten ; den n dic h hab e ic h gerech t ersehe n vo r mi r z u diese r Zeit " (1. Mos. 7, 1). Man wird freilich und zwar mit Recht sagen, daß Noah hier ein Vorbild Christi, als des wahren Hauptes der ganzen Familie derer war, welche kraft ihrer Vereinigung mit Ihm errettet sind. Jedoch sehe ich in der Geschichte Noah's noch etwas anderes, als nur einen vorbildlichen Charakter; ich sehe hier in anderen ähnlichen Stellen einen Grundsatz, den ich gleich zu Anfang dieser Zeilen klar ausdrücken werde; er heißt: Da s Hau s jede s Diener s Gotte s ist , kraf t seine r Verbindun g mi t Ihm , i n ein e .Stellun g de s Vorrecht s un d folglic h d e r Verantwortlichkei t gesetzt*) .

 Dieser Grundsatz hat unermeßlich praktische Folgen; und dieses durch das Wort Gottes zu beweisen, ist unsere Absicht. Wenn wir genötigt wären durch eine Vergleichung zu urteilen, so würde unsere Behauptung leicht begründet sein; denn welche Person, die den Charakter und die Wege Gottes kennt, würde glauben können, daß Gott ein außerordentliches Gewicht auf Sein Haus lege, und nur ein geringes auf das Seines Dieners? Eine Gleichgültigkeit gegen eines Seiner Kinder würde gegen das Wesen Gottes sein; und Gott ist stets derselbe. Jedoch sind wir nicht auf eine solche Vergleichung beschränkt, um die so ernste und so praktische Frage zu erörtern. Die von uns angeführte Stelle ist nicht nur der Anfang einer Reihe anderer Worte, welche bestimmte Beweise von dem sind, was ich verständlich zu machen wünsche. In 1. Mos. 7, 1 finden wir die bedeutungsvollen Worte: „d u u n d dei n Haus " unzertrennlich vereinigt. Gott offen-
*) Der Leser wird nicht, wie ich hoffe, meinen, daß ich durch diese Worte die Notwendigkeit des Werkes des Heiligen Geistes, betreffs der Wiedergeburt der Kinder christlicher Eltern, leugnen oder schwächen wollte. „Es se i denn, daß jemand von neuem geboren worden sei, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." 

Dieses ist aber ebenso wahr von dem Kinde eines Christen, als von allen anderen. Die Gnade ist nicht erblich. Was ich sagen wollte ist nur, daß die Heilige Schrift den Menschen nicht als getrennt von seinem Hause betrachtet, daß der christliche Vater in Betreff seiner Kinder auf Gott zählen kann, und daß er verantwortlich ist, sie für Gott zu erziehen. Wie könnte man ohne dieses die Stelle in Epheser 6, 4 verstehen? 156 bart darin für Noah nicht ein Heil ohne Nutzen für dessen Haus. Nimmer hat Er dieses getan. Dieselbe Arche, welche für Noah geöffnet ist, ist es auch für die Seinigen. Warum? Etwa deshalb, weil sie treu waren? —• Nein, sondern weil Noah es war und sie mit ihm vereinigt waren. Gott gibt ihm sozusagen einen Geleitbrief für sich und seine Familie. Ich wiederhole es, dieses schwächt keineswegs den vorbildlichen Charakter Noah's. Ich sehe in ihm diesen Charakter; aber ich sehe auch darin den Grundsatz, daß man, welches auch die Umstände sein mögen, nicht einen Menschen von seinem Hause trennen darf; denn dieses würde mit einem Male die wildeste Konfusion und die tiefste Sittenverderbnis hervorrufen. 

Das Haus Gottes ist in eine Stellung der Segnung und der Verantwortlichkeit gesetzt; weil es mit Ihm vereinigt ist; und mit gleichem Recht ist das Haus des Dieners Gottes in derselben Stellung. Dieses ist unsere Behauptung. Die zweite Stelle, welche ich anführen werde, bezieht sich auf das Leben Abrahams. „Un d Jehov a sprach : W i e kan n ic h Abraha m verbergen , wa s ic h t u n will? — —• — Den n ic h kenn e ihn , un d e r wir d befehle n seine n Kinder n un d seine m ganze n Haus e nac h ihm , da ß si e di e Weg e J e -
hova s halten , un d tun , wa s rech t un d gu t ist ; dami t Jehov a au f Abraha m komme n lasse , alles , wa s e r ih m verheiße n hat " (1. Mos. 18, 17—19). Hier finden wir nicht eine Heilsfrage, sondern eine Frage der Gemeinschaft mit den Gedanken und den Ratschlüssen Gottes. Möge es der christliche Vater merken und erwägen, daß, da Gott einen Menschen suchte, dem Er Seine geheimen Ratschlüsse offenbarte, Er denjenigen auserwählte, welcher „seinen Kindern und seinem Hause befahl, die Wege des Herrn zu halten." Dieses kann nicht verfehlen, einen lebhaften Eindruck auf ein zartes Gewissen zu machen; denn wenn es eine Sache gibt, in Betreff welcher die Christen mehr als in anderen Dingen gefehlt haben, so ist es in der Pflicht, ihren Kindern und ihrem Hause zu befehlen, daß sie dem Herrn dienen. Sie haben gewiß bei diesem Gegenstand Gott nicht vor ihren Augen gehabt; denn hätten sie auf die Wege Gottes, betreffs Seines Hauses, geschaut, so würden sie dieselben beständig durch die Macht auf dem Grundsatz der Gerechtigkeit bezeichnet gesehen haben. 

Er hat Seine heilige Autorität fest gegründet und unveränderlich aufrecht erhalten. „Dein e Zeugniss e sin d seh r gewiß . Di e 157 Heiligkei t zier t dei n Haus , o Jehova ! fü r d i e ganz e Daue r de r Ta g e." — Nun soll der Diener stets seinen Herrn zum Muster nehmen; und wenn Gott Sein Haus mit einer in Gerechtigkeit ausgeübten Macht regiert, so soll auch ich das meinige also beherrschen; denn wenn ich in irgendeiner Einzelheit von Gott in meinem Betragen abweiche, so habe ich in dieser Einzelheit offenbar Unrecht; dieses ist klar. Jedoch regier t nicht nur Gott, wie schon gesagt, Sein Haus, sondern Er lieb t es auch; Er lobt, Er beehrt mit Seinem Vertrauen diejenigen, welche es nachahmen. In der angeführten Stelle hören wir Ihn sagen: „Ich kann meine Absichten dem Abraham nicht verbergen." Warum dieses? Einfach, weil „er seinen Kindern und seinem Hause befehlen wird, dem Herrn zu dienen." — Ein Mensch, welcher solches seinen Kindern zu befehlen versteht, ist des Vertrauens Gottes würdig. Dieses ist eine wunderbare Wahrheit, deren Schärfe, wie ich hoffe, das Gewissen von mehr als einem christlichen Elternpaar treffen wird. Ach, viele unter uns werden, indem sie 1. Mos. 18, 19 erwägen, wohl tun, sich vor Dem zu demütigen, der diese Worte hat verkündigen und niederschreiben lassen, um vor Ihm ihre Nachlässigkeit und Untreue in dieser Beziehung zu bekennen. Warum befinden wir uns in diesem Falle? Warum haben wir gefehlt in dieser feierlichen Verantwortlichkeit, welche uns bezüglich der Regierung unseres Hauses zuteil geworden ist? Die einzige Antwort, welche man meines Erachtens auf diese Frage geben kann, ist, daß wir das Vorrecht, welches in diesem Hause kraft seiner Verbindung mit uns verliehen ist, nicht durch den Glauben zu verwirklichen verstanden haben. 

Es ist bemerkenswert, daß unsere zwei ersten Beweise uns auf eine sehr genaue Art die beiden großen Abteilungen unseres Gegenstandes darstellen, nämlich das Vorrecht und die Verantwortlichkeit. In dem Fall Noah's finden wir das Wort: „D u un d dei n Haus" , und zwar in Beziehung zu dem Heile ; in dem Falle Abrahams finden wir dasselbe Wort in Beziehung zu der Regierung . Die Verbindung ist zugleich bemerkenswert und schön; und dem Menschen, welchem Glauben mangelt, um sich das Vorrecht anzueignen, wird auch die moralische Macht fehlen, um gegenüber der Verantwortlichkeit treu zu sein. Gott betrachtet das Haus eines Menschen als einen Teil desselben, und dieser kann auf keiner Stufe, weder im Grundsatz, noch in der Praxis diese Verbindung vernachlässigen, ohne einen ernsten Schaden zu erleiden und ohne das Zeugnis aufs Spiel zu setzen. Nun entsteht für das Gewissen christlicher Eltern die 158 Frage: „Rechn e ic h den n au f Got t fü r mei n Haus? " und „Regier e ic h mei n Hau s für Gott? " — Dieses ist in Wahrheit eine feierliche Frage; allein zu fürchten ist, daß sehr wenige die Wichtigkeit und den Ernst derselben fühlen. 

Vielleicht fühlt sich mein Leser geneigt, in Betreff unseres Rechts, auf Gott für unsere Häuser zu rechnen, noch andere schriftgemäße Beweise zu verlangen. Ich werde daher fortfahren, einige Schriftstellen anzuführen. Zunächst hebe ich einen Zug aus der Geschichte Jakobs hervor. „Un d Got t sprac h zu Jakob : Zieh e ge n B e t h e 1." — Dieses Wort scheint nur persönlich an Jakob gerichtet worden zu sein; allein er denkt davon nicht also; denn nie, selbst nicht für einen einzigen Moment, hatte er — weder in Betreff des Vorrechtes, noch in Betreff der Verantwortlichkeit — den Gedanken, sich von seiner Familie abzusondern, weshalb auch unmittelbar hinzugefügt wird: „Da sprac h Jako b z u seine m Haus e un d z u allen , d i e mi t ih m waren : Entfern t di e fremde n Götter , s o unte r euc h sind , un d reinig t euch , un d wechsel t eur e Kleider ; un d wi r wolle n un s aufmache n un d ge n Bethe l zie -
hen " (1. Mos. 35, 1-4). — Wir sehen daraus daß ein an Ja -
kob gerichteter Ruf das ganze Haus desselben unter eine Verantwortlichkeit stellt. Jakob war berufen in das Haus Gottes zu gehen, und alsbald entsteht in seinem Gewissen die Frage: „Is t mei n Hau s auc h i n eine m pas -
sende n Zustand , u m eine m solche n Ruf e z u entsprechen? " Wir kommen jetzt zu den ersten Kapiteln des zweiten Buches Moses, wo wir finden, daß eine der vier Einwendungen Pharaos, bei Weigerung des Auszuges Israels, sich speziell auf die kleinen Kinder bezieht (2. Mos. 10, 8. 9): „Un d m a n bracht e Mose s un d Aaro n zurüc k z u Pharao , un d e r sprac h z u ihnen : Ziehe t hin , diene t Jehova , eure m Gott ! We r all e sin d e s, di e ziehe n wollen ? — Un d Mose s antwor -
tete : Mi t unsere n Junge n un d Alte n wolle n w i r ziehen , mi t unsere n Söhne n un d Töch -
tern , mi t unsere n Schafe n un d mi t unsere n Rindern ; den n wi r habe n ei n Fes t Jehovas. " — Die Ursache, um welcher willen sie die Kleinen und die Alten mit sich nehmen mußten, war, daß sie ein Fest Jehovas zu feiern hatten. 

Die Vernunft würde sagen: „Wie aber können diese kleinen Geschöpfe ein solches Fest begreifen? Fürchtet ihr nicht, Förmlichkeitsmenschen aus ihnen zu 159 machen?" — Die Antwort Moses ist einfach und entscheidend: „Wir werde n ziehe n mi t unsere n Junge n usw. — — — den n wi r habe n ei n Fes t Jehovas! " Die israelitischen Eltern hatten nicht den Gedanken, daß sie für sich selbst eine Sache suchen sollten, und für ihre Kinder eine andere. Sie sehnten sich etwa nicht um ihrer selbst willen nach Kanaan, und um ihrer Kinder willen nach Ägypten. Wie hätten sie sich ernähren können von dem Manna der Wüste und dem Weizen des Landes der Verheißung, während ihre Kinder ernährt worden waren von den Zwiebeln und dem Knoblauch Ägyptens? Unmöglich. Weder Moses noch Aaron hätten in solcher Weise zu handeln verstanden. 

Sie fühlten, daß ein von Gott an sie gerichteter Ruf auch ihren Kindern galt; und überdies würden sie, wenn sie nicht völlig davon überzeugt gewesen wären, nicht sobald von Ägypten auf dem einen Wege ausgezogen sein als auch schon ihre Kinder sie wieder auf einem anderen Wege dahin zurückgezogen haben würden. Daß solches der Fall gewesen wäre, wußte Satan nur zu gut; er legte deshalb in den Mund Pharaos die Einwendung: „Nicht also, sondern i h r Männe r ziehet hin." — Dieses ist es, was mehrere bekennende Christen tun, oder vielmehr zu tun versuchen in unseren Tagen. Sie bekennen von Ägypten auszugehen, um dem Herrn zu dienen, und lassen ihre Kinder dort zurück; sie bekennen, „dre i Tagereise n i n di e W üs t e " gemacht, oder — mit anderen Worten — die Welt verlassen zu haben, der Welt gestorben und mit Christo auferstanden zu sein, als solche, die ein himmlisches Leben besitzen und die Erben einer himmlischen Herrlichkeit sind; aber ihre Kinder lassen sie zurück in den Händen Pharaos, in den Händen Satans. Sie haben auf die Welt verzichtet für sich selbst, und vermögen es nicht für ihre Kinder. Am Tage des Herrn hüllen sie sich in das Bekenntnis der Fremdlinge und der Pilger; sie singen geistliche Loblieder, sprechen Gebete aus, erbauen, belehren und scheinen zu denen zu gehören, welche in dem himmlischen Leben weit vorgerückt sind und welche nach ihrer Erfahrung den Grenzen Kanaans (im Geist sind sie schon da) nahe sind; aber ach! von dem Montagmorgen an, widerspricht jede ihrer Handlungen, jede ihrer wieder angenommenen Gewohnheiten ihrem Bekenntnis des vorigen Tages. 

Ihre Kinder werden für die Welt erzogen. Der Zweck, die Leitung und die Art der Erziehung, welche man ihnen gibt, die Wahl ihres künftigen Berufes, — alles dieses ist weltlich im wahrsten und strengsten Sinne des Wortes. Moses und Aaron würden eine solche Handlungsweise ebensowenig gestattet haben, wie 160 ein moralisch gerechtes und wahrhaft rechtschaffenes Herz sie nicht begreifen kann. Ich soll für meine Kinder keinen anderen Grundsatz, keinen anderen Gegenstand verfolgen, keine andere Aussicht haben, als die, welche ich für mich selbst habe, und soll ihnen sogar nicht einmal gestatten, eine andere Meinung davon in ihrem Herzen zu unterhalten. Wenn Christus und die Herrlichkeit für mich hinreichend sind, so sind sie es auch für sie; aber es wird nötig sein, daß der Beweis, daß sie für mich hinreichend sind, nicht zweideutig sei. Der Charakter christlicher Eltern wird ein solcher sein müssen, daß in Hinsicht ihrer weltlichen Absicht und des ganz bestimmten Zweckes ihrer Seelen, nicht der geringste Zweifel obwaltet. Was wird mein Kind denken, wenn ich ihm meinen sehnlichen Wunsch ausdrücke, daß es Christi und des Himmels teilhaftig werden möge, und wenn ich es zu gleicher Zeit für die Welt erziehe? 

Was wird es glauben? Was wird den mächtigsten Einfluß auf sein Herz und auf sein Leben ausüben? Sind es meine Worte oder meine Handlungen? Möge das Gewissen antworten, und möge diese Antwort gerecht und aufrichtig sein; möge sie aus den geheimsten Tiefen der Seele entspringen und ohne Einrede zeigen, daß die Frage in dem, was sie Ernstes und Durchdringendes hat, verstanden worden ist. Es muß jedem ernsten Menschen, der mit Sorgfalt den jetzigen Zustand des Christentums beobachtet, einleuchtend sein, daß derselbe sehr krank erscheint, daß sein Ton schrecklich tief herabgesunken ist und daß er, mit einem Wort, etwas durchaus Schlechtes in sich verbergen muß. Ach, wie wenig denkt man an das Zeugnis in Betreff des Sohnes Gottes! Die persönliche Seligkeit scheint bei neunundneunzig bekennenden Christen unter hundert, das ganze zu bilden was sie interessiert; als ob wir nur hienieden zurückgelassen seien, um errettet zu werden, und nicht als Errettete, Christum verherrlichen sollen. Nun aber möchte ich in Liebe und gleichwohl mit Wahrhaftigkeit meine Leser fragen, ob nicht größtenteils der Verfall, betreffs des Zeugnisses für Christum der Vernachlässigung des Grundsatzes beizumessen sei, welchen wir bezeichnet finden in den Worten: „D u un d dei n Haus. " Ich bin überzeugt, daß diese Vernachlässigung einen großen Anteil daran hat. Es ist gewiß, daß sich viel Weltlichkeit, viel Verwirrung, viel sittlich Böses in unsere Mitte eingeschlichen hat, weil unsere Kinder in Ägypten zurückgelassen sind.

 Mehrere nahmen vor zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren eine vorzügliche Stellung, in Betreff des Zeugnisses und des Dienstes in der Kirche ein, und schienen ihr ganzes Herz in dem Werke des Herrn zu 39 161 haben; aber auf eine klägliche Weise sind sie zurückgekehrt und besitzen nicht die Kraft, um ihre Häupter über dem Wasser zu halten, und noch viel weniger die Kraft, um anderen zu helfen sich aufrecht zu erhalten. Ruft nicht all dieses ganz laut den christlichen Eltern zu: „Hüte t euch , eur e Kinde r i n Ägypte n z u lassen? " — Mehr als ein Vaterherz ist gebrochen wegen Untreue in der Regierung seines Hauses. Er hat seine Kinder in Ägypten, in einer kläglichen Zeit grober Täuschungen zurückgelassen; und jetzt, wo er — vielleicht mit einer wirklichen Treue und einem liebevollen Ernst — es versucht, sie vor der Gefahr zu warnen, begegnet er mit seinen Warnungen nur verführten und unempfindlichen Herzen, welche entschieden und mit Stärke gebunden sind an dasjenige Ägypten, in welchem seine Unentschiedenheit und Schwäche sie zurückgelassen hat. Dieses ist eine ernste Tatsache, deren bloße Erwähnung mehr als ein Herz wird ängstigen können; allein die Wahrheit muß gesagt werden. Ist sie für einige verwundend, sie kann für andere eine heilsame Warnung sein *).

 Ich komme zu den schriftgemäßen Beweisen zurück, welche ich zu liefern habe. Auch in dem 4. B. Mose sind uns die „kleinen Kinder" vorgeführt. Wir haben schon gesehen, daß ein Gläubiger in Gemeinschaft mit Gott nie mit gutem Bedacht die Absicht haben kann, seine Kinder in Ägypten zurückzulassen. Sie müssen davon ausgehen, es koste, was es wolle; allein weder der Glaube, noch die Treue christlicher *) Es ist, ich muß sagen, ein großer Unterschied in dem Betragen christlicher Eltern, welche die Erziehung ihrer Kinder unbekehrten Personen oder selbst solchen anvertrauen, die, obwohl sie Christen zu sein bekennen, doch nicht den Mut haben, sich von der Welt zu trennen. Es ist natürlich, daß das Kind auf den sieht, der es erzieht, und daß es geneigt ist, ihm nachzuahmen. Was für einen Antrieb kann nun aber derjenige dem Kinde geben, der beauftragt ist, es zu leiten und zu unterweisen? Er strebt dahin, daß das Kind ihm folge und ihm nachahme, und daß aus ihm werde, was er selbst ist. 

Welche Grundsätze kann er einflößen, außer denen, welche seinen eigenen Geist beherrschen und welche die Grundlage seines eigenen Charakters bilden? Wenn es denn also ist, darf ich dann einer unbekehrten, durch weltliche Grundsätze geleiteten Person die Sorge über meine Kinder, deren Erziehung und die Bildung ihres Charakters anvertrauen? Dieses hieße der Torheit und der Unentschiedenheit die Krone aufsetzen. Dieselben Betrachtungen beziehen sich auf die Bücher, welche die Eltern ihre Kinder lesen lassen. Ein Buch ist unstreitig ein Lehrer, der, wenn auch schweigend, nicht weniger seinen Einfluß auf den Geist, auf das Herz und auf den Charakter des Kindes ausübt. — 162 Eltern begnügen sich damit. Wir sollen nicht nur auf Gott rechnen bei ihrem Ausgang aus Ägypten, sondern auch bei ihrer Einführung in Kanaan. In dieser Beziehung fehlte Israel in auffallender Weise; denn als die Kundschafter aus Ägypten zurückkehrten, ließ das Volk, als es die niederschlagenden Berichte derselben hörte, die traurigen Worte entschlüpfen: „Waru m führ t un s Jehov a i n diese s Land , da ß wi r durch' s Schwer t fallen , un -
ser e Weibe r un d unser e Kinde r zu r Beut e werden ? Is t e s nich t besse r fü r uns, zurück -
zukehre n ge n Ägypten? " (4. Mos. 14). Welch ein schrecklicher Zustand der Seele, welche, soviel an ihr war, jene listige und böswillige Drohung Pharaos verwirklichte: „...al s ic h euc h entlass e mi t eure n Kindern ! Sehet , da ß ih r Böse s vorhabt! " (2. Mos. 10, 10). Der Unglaube rechtfertigt stets Satan und macht Gott zum Lügner, während im Gegenteil der Glaube immer Gott rechtfertigt und Satan zum Lügner macht; und da es unveränderlich wahr ist, daß uns nach unserem Glauben geschieht, so ist es auch immer wahr, daß der Unglaube erntet, was er sät. Daher war Israel unglücklich, weil es ungläubig war. „S o wah r ic h lebe , sprich t Jehova , sowi e i h r gerede t vo r meine n Ohren , als o wil l ic h euc h tun .

 I n diese r Wüst e solle n eur e Leibe r fallen , alle , di e ih r gemuster t sei d nac h eure r Zahl.. . Un d eur e Kinder , vo n dene n i h r sprächet : si e werde n zu r Beut e werden , d i e bring e ic h hi n un d si e solle n da s Lan d kennen , da s ih r verschmähet . Abe r eur e Leibe r solle n falle n i n de r Wüste " (4. Mos. 14, 28-32). In Betreff ihrer Kinder schränkten sie den Heiligen Israels ein. Dieses war eine ernste Sünde, und uns ist es zu unserer Belehrung mitgeteilt. Geschieht es nicht auch beständig, daß das Herz christlicher Eltern über die Weise nachdenkt, wie mit den Kindern zu verfahren sei, anstatt sie einfach auf das Terrain Gottes zu stellen? Man wird vielleicht sagen: „Wir vermögen keine Christen aus unseren Kindern zu machen"; — aber dieses ist hier nicht die Frage. Wir sind nicht berufen, etwas aus ihnen zu machen ; das ist Gottes Werk und nur Sein Werk allein.

 Aber wenn Er uns sagt: „Führet eure Kinder mit euch her", — wollen wir Ihm denn nicht gehorchen? — Oder man könnte sagen: Ic h m a g von meinem Kinde keinen Frömmigkeitsmenschen, und kann keinen wahren Christen aus ihm machen." — Wenn aber Gott in Seiner unendlichen Gnade mir sagt: „Ich betrachte dein Haus als einen Teil von dir selbst, und ich segne es, indem ich dich segne", — soll ich dann aus Unglau163 ben meines Herzens diese Segnung abweisen unter dem Vorwand der Furcht, des Formalismus oder vor meinem Unvermögen, die Wahrheit mitzuteilen? Gott bewahre uns vor solch einem Irrtum! Freuen wir uns vielmehr mit lebhaften Danksagungen, daß Gott mit einer so überaus reichen Segnung gesegnet hat, die sich nicht nur auf uns, sondern auch auf alle unsere Angehörigen erstreckt. Und da die Gnade uns diese Segnung bewilligt hat, so muß der Glaube sie ergreifen und sie unserer Familie aneignen *). Erinnern wir uns, daß der Weg, um zu beweisen, daß wir eine Segnung zu genießen wissen, derjenige ist, daß wir treu in der Verantwortlichkeit sind, welche dieselbe auferlegt. Behaupten, daß ich, um meine Kinder nach Kanaan geleiten zu können, auf Gott rechne, und sie zugleich für Ägypten erziehe, ist eine verderbliche Täuschung. Mein Betragen verrät, daß mein Bekenntnis eine Lüge ist, und ich darf mich nicht wundern, wenn Gott in Seinen gerechten Ausspendungen erlaubt, daß ich die bitteren Früchte meiner Wege ernte. Unser Betragen ist der beste Beweis von der Wirklichkeit unserer Überzeugungen, und in dieser wie in jeder Sache ist das Wort des Herrn ernst und wahr: „Wen n jeman d wil l seine n Wille n tun , de r wir d vo n d e r Lehr e wissen , o b si e au s Got t ist , ode r o b i c h vo n mi r selbe r re d e." 

Aber oft wollen wir die Lehre wissen, ehe wir den Willen tun, und die Folge ist, daß wir in der tiefsten Unwissenheit zurückbleiben. Den Willen Gottes in Betreff unserer Kinder tun, heißt, — wie Er es tut, — sie als einen Teil von uns selbst betrachten, und sie *) Viele trösten sich mit der Gewißheit, daß ihre Kinder einmal noch bekehrt werden würden. Allein dieses heißt nicht, sie sogleich auf das Terrain Gottes zu setzen. Wenn wir die Gewißheit haben, daß sie Kinder Gottes werden, warum handeln wir nicht demgemäß? Wenn wir gewisse Beweise von Bekehrung in ihnen zu sehen erwarten, so ist es klar, daß wir auf andere Dinge schauen, als auf die Verheißung Gottes. Der Christ muß von jetzt an sein Kind als Eigentum Christi betrachten; und er ist gehalten, es demgemäß zu erziehen, während er mit einer völligen Gewißheit von Gott das Resultat erwartet. Wenn ich, bevor ich also handle, Früchte zu sehen erwarte, so ist dieses nicht Glauben; und während dieser Zeit werden meine Kinder umherschweifen können, um sozusagen fern von den Pfaden des Herrn Seinem Namen und Seinem Evangelium Schande zu bringen. Mir wird es vielleicht genügen, mir zu sagen: „Sie werden später bekehrt werden!" Nein, meine Kinder sollten von jetzt an ein Zeugnis für Gott sein; und sie können es nur insoweit sein, daß ich sie von jetzt an auf das Terrain Gottes stelle, und daß ich in dem, was sie betrifft, mit Ihm wandle. — 164 demgemäß erziehen.

 Wir sollen nicht nur hoffen, daß sie später als Kinder Gottes geoffenbart sein werden, sondern sollen sie betrachten als solche, die schon unter der Segnung sind, und in allen Fällen mit ihnen nach diesem Grundsatz handeln. Man würde aus den Gedanken und Handlungen mehrerer Christen schließen können, daß ihre Kinder in ihren Augen nur Heiden seien, welche für die Gegenwart kein Interesse an Christo, und gar keine Verbindung mit Gott haben. Dieses heißt sicherlich sehr wenig Wert auf das göttliche Siegel legen. Es handelt sich hier keineswegs um die oft bestrittene Frage über die Taufe der Kinder oder der Erwachsenen. Es ist einfach und allein eine Glaubensfrage in der Macht und Ausdehnung des so ganz erbarmungsreichen Wortes: „D u un d dei n Haus; " —• eines Wortes, dessen Stärke und Schönheit uns immer besser einleuchten wird, je weiter wir in dieser kleinen Schrift vorwärtsschreiten. 

Auch in 4. Mose 16, 26. 27 finden wir die Kinder betrachtet als unzertrennlich, mit ihren Eltern vereinigt, und zwar in einem traurig feierlichen Augenblick. Un d Mose s redet e z u de r Versammlun g un d sprach : „W eiche t vo n de n Zelte n diese r Frevler , un d rühre t nicht s an , wa s ihne n gehört , da ß ih r nich t weggeraff t werde t durc h al l ihr e Sünden . Un d si e entfernte n sic h vo n de r Wohnun g Korahs , Dathan s un d Abiram s ringsum . Un d Datha n un d Abira m ginge n heraus , un d trate n i n di e Tü r ihre s Zeltes , u n d ihr e Söhn e un d ihr e KIND E R." — Alle diese Kinder sanken lebendig in den Abgrund und wurden dort verschlungen, nicht, weil sie persönlich an der Empörung teilgenommen hatten, sondern wegen ihrer Identität (Gleichheit) mit ihren Eltern. Stets behandelt Gott, sei es in Segnung, sei es in Gericht, die Kinder als verbunden mit ihren Eltern. Man könnte fragen, warum dieses? Gott antwortet in 2. Mose 34, 6. 7: Un d d a de r Her r vo r seine m An -
gesich t vorüberging , rie f er : Jehova , Je -
hov a ist ei n Gott , ba r mh erzi g un d gnädi g u n d geduldig , un d vo n große r Gnad e un d Treue , de r d a bewahre t Gnad e Tausenden , u n d vergib t Misseta t un d Übertretun g un d Sünde , un d vo r welche m nieman d unschul -
d i g ist ; de r di e Misseta t de r Väte r heim -
such t au f Kinde r un d Kindeskinder , bi s in s dritt e un d viert e Gli e d." Einige Personen können es schwer finden, diese Stelle 165 mit derjenigen in Hes. 18, 20 zu vereinigen, wo es heißt-. „Di e Seele , welch e sündigt , selbig e sol l sterben . Ei n Soh n sol l nich t trage n di e Mis -
seta t de s Vaters , un d ei n Vate r nich t trage n d i e Misseta t de s Sohnes ; di e Gerechtigkei t d e s Gerechte n sol l au f de n Gerechten , un d d e r Freve l de s Frevler s sol l au f de n Frevle r komm e n." — In dieser Stelle sind der Vater und der Sohn in ihrer eigenen individuellen Fähigkeit betrachtet, und werden folglich einzeln gerichtet nach dem moralischen Zustand eines jeden von ihnen. Hier ist es also eine durchaus persönliche Frage. In dem 5. Buch Moses von einem Ende bis zum anderen sind die Kinder Israels von Gott unterwiesen, die Gebote, die Satzungen, die Gerichte und die Vorschriften des Gesetzes vor ihre Kinder zu stellen; und diese sind als solche dargestellt, die sich in mehreren Umständen nach der Natur und dem Zweck der verschiedenen Anordnungen und Einrichtungen erkundigen. Ich komme jetzt zu der schönen Darstellung Josua: „Er -
wähle t euc h heute , we m ih r diene n woll t . . . I c h abe r un d mei n Hau s wolle n de m Herr n dienen " (Josua 24,15). Merken wir uns, daß er nicht nur sagt: „Ich" , — sondern: „Ic h un d mei n Haus. " Er verstand, daß es nicht hinreichend sei, daß er für sich von jeglicher Berührung mit dem Schmutze und den Greueln der Abgötterei vollkommen rein wäre; und er fühlte daher, daß er über den moralischen Charakter und über die Handlungen seines ganzen Hauses zu wachen habe. Wenn auch Josua nicht selber die Götzen anbetete, wäre er darum nicht strafbar gewesen, wenn seine Kinder denselben gedient hätten? 

Ohne Zweifel wäre das Zeugnis für die Wahrheit durch die Abgötterei des Hauses Josua ebenso beschmutzt worden, als durch diejenige, seiner eigenen Person, und das Gericht würde nicht ermangelt haben, zu folgen. Diese Wahrheit ist uns sehr ernst und feierlich am Anfang des ersten Buches Samuels vor Augen gestellt durch die Worte: „Un d de r Her r sprac h z u Samuel : Siehe , ic h tu e ei n Din g i n Israel , daß , we r e s höre n wird , de m werde n sein e beide n Ohre n gellen . A n de m Tag e wil l ic h übe r El i erwecke n alles , wa s i c h wide r sei n Hau s gerede t habe ; ic h will' s anfange n un d vollenden . Den n ic h hab e e s i h m angesagt , da ß ic h richte n wil l sei n Hau s ewiglic h u m de r Misseta t willen , da ß e r wußte , wi e sein e Kinde r sic h schändlic h 166 hielten , un d ha t nich t einma l saue r daz u ge -
sehen " (1. Sam. 3, 11-13). An diesem Beispiel sehen wir, daß, welches auch der persönliche Charakter des Dieners Gottes sei, der Herr ihn nicht für unschuldig halten wird, wenn er nicht geziemend in seinem Hause die Ordnung aufrecht erhält.

 Eli hätte seinen Söhnen entgegentreten sollen. Es war sein Vorrecht, wie es auch das unsere ist, darauf rechnen zu können, daß die Macht Gottes mit ihm wirken würde, um jedes Element zu unterwerfen, welches sich von Natur in seinem Hause vorfand, um das Gott schuldende Zeugnis aufs Spiel zu setzen. Allein er handelte nicht in diesem Sinne, und wußte diese Macht nicht zu benutzen, um das Böse in den Seinigen zu überwinden. Daher war das Ende Eli's ein schreckliches Gericht. Weil sein Herz nicht gebrochen war wegen seine s Hauses, wurde sein Genick gebrochen wegen des Hauses Gottes . Hätte er auf Gott gerechnet und treu mit Ihm gewirkt, um seinen strafbaren Söhnen entgegen zu treten, nach der heiligen Verantwortlichkeit, welche er besaß, um dieses zu tun, so würde das Haus Gottes nicht verunreinigt, und die Bundeslade Gottes nicht hinweggenommen worden sein. Mit einem Wort, wenn Eli seine Familie als einen Teil von sich betrachtet und sie als einen solchen behandelt hätte, dann würde er gewiß nicht das schreckliche Gericht Dessen auf sich herabgezogen haben, welcher grundsätzlich nie die Worte trennt: „D u u n d dei n Ha u s." 

Ach, wieviele Eltern haben seit dieser Begebenheit in den Fußstapfen Eli's gewandelt! Wieviele, indem sie sich eine total falsche Idee von dem Charakter ihres Verhältnisses zu ihren Kindern machen, handeln mit ihnen nach dem Grundsatz einer schrankenlosen Nachsicht, und lassen sie, von Kindheit an, nach ihrem eigenen Willen gehen. Weil sie sie nicht durch den Glauben auf das göttliche Terrain stellen, so haben diese Eltern nicht einmal die moralische Stärke, sich auf das menschliche Terrain zu stellen, um ihren Kindern Ehrfurcht und Gehorsam gegen sich einzuflößen. Und das Resultat von all diesem ist das traurigste Schauspiel von Zügellosigkeit, Ausschweifung und Verwirrung. Der erste Zweck, den sich in der Regierung seines Hauses der Diener Gottes vorsetzen soll, ist, daß er im Hause ein Zeugnis habe, von der Herrlichkeit Dessen abgelegt, dem er selbst angehört; und dieser wahre Grundsatz soll besonders in dem Herzen und in dem Betragen eines christlichen Vaters wirken. 

Er soll seine Kinder nicht darum in Ordnung halten, damit sie ihm weniger Mühe und mehr Ruhe verschaffen, sondern weil es sich um die Herrlichkeit Gottes bei 167 der guten Ordnung der Häuser aller derer handelt, welche am Hause Gottes Teil haben. Indes wird man vielleicht einwenden, daß alles dieses, was wir bisher über diesen Punkt, sei es als Grundsätze, sei es als Beweise, gesagt haben, nur die Atmosphäre des Alten Testamentes atme, dem wir es entlehnt haben. „Jetzt", — wird man hinzufügen, — „handelt im Gegenteil Gott gegen uns nach dem Grundsatz der Wahl und der Gnade, welcher zu der besonderen Berufung leitet, ohne Rücksicht auf irgend ein Band, oder auf irgend eine häusliche Verbindung, so daß ein sehr gottseliger, ergebener und den Dingen von oben sehr zugeneigter Christ sich dennoch an der Spitze einer gottlosen, in Unordnung geratenen und weltlichen Familie befinden kann." — Im Widerspruch mit diesem Einwurf behaupte ich, daß die Grundsätze der moralischen Regierung Gottes ewig sind, und daß sie folglich dieselben sein, und ihre Anwendung in allen Zeitaltern finden müssen. Gott kann in einer Zeit nicht lehren, daß ein Mensch und sein Haus ein s seien, und daß der Leiter es in angemessener Weise regieren soll, und zu einer anderen Zeit, daß der Vater und seine Familie nicht ein s seien, und daß Jener die Freiheit habe, dieselbe nach seinem Gutdünken zu leiten. Dieses ist unmöglich.

 Die Billigung oder Mißbilligung Gottes in Betreff dieser oder jener Sache entspringt aus dem, was Er Selbst ist; und da Gott Sein Haus nach dem, was Er Selbst ist, beherrscht, so gebietet Er Seinen Dienern ihre Häuser nach demselben Grundsatz zu leiten. Hat die Ausspendung der Gnade oder des Christentums diese schöne moralische Ordnung aufgehoben? O nein, ganz im Gegenteil; sie hat vielmehr, wenn möglich, noch neue Schönheitszüge hinzugefügt. Wenn das Haus eines Juden als ein Teil von ihm betrachtet wurde, wird es denn dasjenige eines Christen weniger sein? Wahrlich nicht. Dieses hieße einen traurigen Mißbrauch und eine falsche Anwendung von dem himmlischen Wort „Gnade " machen; und dieses hieße sich darauf berufen, um die Unordnung und die Entsittlichung zu rechtfertigen, welche in unseren Tagen in den Häusern einer großen Zahl von Christen herrschen. Ist es wirklich die Gnade, welche macht, daß ein Vater dem Willen seiner Kinder die Zügel schießen läßt? 

Ist es die Gnade, sie allen Launen, allen Begierden, allen Leidenschaften einer verdorbenen Natur preiszugeben? Ach, hütet euch, solches auf den Namen der Gnad e zu setzen, damit ihr nicht vollends das Verständnis der wahren Bedeutung dieses Wortes verliert und endlich gar denkt, daß die Gnade der Grundsatz vieles Bösen sei! Setzt vielmehr diese Erscheinung auf euren eige168 nen Namen; — das Gegenteil wäre ein entsetzlicher Mißbrauch der Gnade, eine Verneinung Gottes, nicht nur als Regierer Seines eigenen Hauses, sondern auch als moralischer Verwalter des Weltalls, —• und ein greller Widerspruch gegen alle, über diesen wichtigen Gegenstand gegebenen Vorschriften. 

Verlassen wir daher das Alte Testament und sehen wir, ob wir nicht zum Belege unserer Behauptung zahlreiche Beweise in dem Neuen finden werden. Trennt der Heilige Geist in dieser großen Abteilung Seines Buches die Familie eines Menschen von den Vorrechten und der Verantwortlichkeit, welche das Alte Testament daran knüpft? Wir werden uns leicht überzeugen, daß dieses nicht der Fall ist. Hier sind die Beweise. Als der Herr Jesus Seine Jünger aussendet, sagt Er ihnen: „I n welch e Stad t aber , ode r i n welche s Dor f ih r irgendwi e kommt , so forschet , we r dari n würdi g ist ; un d da -
selbs t bleibet , bi s ih r weggehet .

 Wen n ih r abe r i n da s Hau s eintretet , so grüße t es. Un d wen n da s Hau s würdi g ist , so komm e eue r Fried e au f dasselbe , wen n e s abe r nich t würdi g ist , so wend e sic h eue r Fried e au f euc h zurück " (Matth. 10, 11-13).  An einer anderen Stelle heißt es: „Jesu s sprac h z u ihm : Heut e ist diese m Haus e Hei l widerfahren , sintema l auc h e r ei n Soh n Abraham s ist . Den n de r Soh n de s Mensche n is t gekommen , z u suche n u n d z u erretten , wa s verlore n ist " (Luk. 19, 9-10). — Selbst in dem Falle mit Cornelius lesen wir: „Send e Männe r nac h Joppe , un d la ß Simo n holen , de r de n Zuname n Petru s hat , de r wir d z u di r Wort e reden , durc h welch e d u er -
rette t werde n wirs t un d dei n ganze s Haus " (Apg. 11, 13-14). — Auch ward dem Kerkermeister zu Philippi gesagt: „Glaub e a n de n Herr n Jesu m Chri -
stum , un d d u wirs t errette t werden , d u un d dei n Haus " (Apg. 16, 31); — und wir finden dann davon das praktische Resultat: „Un d e r führt e si e i n sei n Hau s un d setzt e ihne n eine n Tisc h vor ; un d a n Got t glaubend , frohlockt e e r mi t seine m ganze n Hause " (V. 34). — In demselben Kapitel, nachdem Lydia und ih r Haus getauft ist, sagt sie: „Wen n ih r mic h fü r tre u de m Herr n haltet , so kehr t i n mei n Hau s ei n un d bleibet " (V. 15). —„De r Her r geb e de m Haus e Onesiphoru s Barmherzig -
keit! " — und warum? Etwa wegen der guten Dienstlei169 stungen diese s Hause s gegen den Apostel? Nein; sondern, sagt Paulus, weil „er, Onesiphorus , mic h oft erquick t un d sic h meine r Kette n nich t ge -
schäm t hat " (2. Tim. 1, 16). — „De r Aufsehe r mu ß untadeli g sein,.. . de r seine m EIGENE N Haus e woh l vorstehet , de r sein e Kinde r mi t alle m würdige n Erns t i n Unterwürfigkei t hält . (Wen n abe r jeman d seine m eigene n Haus e nich t vorzustehe n weiß , wi e wir d e r Gotte s Versammlun g besorgen?) " (Tim. 3, 4-5).

 In allen diesen angeführten Stellen finden wir dieselbe große Wahrheit aufrecht erhalten, nämlich, daß, wenn Gott einen Menschen besucht, und ihm Segnung und Verantwortlichkeit zuteil werden läßt, Er in derselben Weise auch da s Hau s desselben besucht. Wenn wir alle kanonischen Bücher der ganzen Heiligen Schrift durchforschen, so werden wir überall diesen praktischen Grundsatz sorgfältig eingeführt und aufbewahrt finden. Es ist Gottes würdig, uns damit bekanntzumachen. Aber ach! Brüder, Vielgeliebte des Herrn! wie untreu sind wir darin gewesen, und welchen Nachteil hat das Zeugnis für den Sohn Gottes durch unsere Mängel in dieser und anderer Hinsicht erlitten. Es ist wahr, das Böse hat sich in verschiedenen Formen geoffenbart. 

Da gibt es Hochmut, Eitelkeit, Weltlichkeit, fleischliche Gesinnung, traurig vermengte Motive; hier entfaltet sich auf gottlose Weise eine gänzlich fleischliche oder vernünftige Kraft, dort gebraucht man das köstliche Wort Gottes als Mittel unserer Selbsterhebung; hier zeigt sich ein elendes Hervortun in einer Stellung, in der Kirche oder in der Welt, und die Sucht nach Gaben, dort die treulose Darstellung solcher Grundsätze, deren Einfluß unsere Gewissen nie erfahren haben; bald bieten wir anderen eine Waage, in welcher wir uns selbst in der Gegenwart Gottes gewogen haben, und bald offenbaren wir den jämmerlichen Zustand eines Gewissens, das, wenn es in guter Ordnung gewesen wäre, uns geleitet haben würde, die offenbare Unbeständigkeit zu sehen, welche in den Grundsätzen, die wir bekennen, und in unserer Handlungsweise ans Licht treten. In allen diesen und noch in vielen anderen Dingen hat sich die tiefste und auffallendste Versunkenheit gezeigt, eine Versunkenheit, die den Heiligen Geist Gottes, durch welchen wir versiegelt zu sein bekennen, betrübt, und den heiligen Namen entehrt hat, welchen wir über uns erflehen. Der Gedanke an die Versunkenheit sollte uns antreiben, den Sack und die Asche zu nehmen, sollte unser Angesicht mit Scham und Schande bedecken und uns zur Demut und zum Geständnis führen, 170 — nicht etwa für einen Augenblick, öder für einen Tag, odei für eine Woche, sondern für solange, bis Gott Selbst uns wieder aufrichtet.

 Wir haben oft Gebetsversammlungen; aber ach, Brüder, kaum sind wir außerhalb derselben, als wir auch schon durch die verabscheuungswürdige Leichtfertigkeit unserer Gesinnung und unseres Wandels beweisen, wie wenig wir in Wahrheit unseren Zustand vor Gott gerichtet haben. Wie könnte auf diese Weise die so tiefe und ausgebreitete Wurzel der Krankheit unserer Herzen erreicht werden! Unser Gewissen muß sehr tief gepflügt werden, damit der Samen der göttlichen Wahrheit nicht umsonst gesät sei. Das Werkzeug, dessen sich Gott bedient, um zu pflügen und zugleich zu säen, ist die Wahrheit . Denn wir müssen uns unter die Wirkung dieser Wahrheit stellen; und unter ihren Einfluß müssen wir ein wahrhaftiges Herz, ein zartes Gewissen und eine aufrichtige Gesinnung bringen. 

Was wird nun aber die Wahrheit, wenn sie in dieser Weise auf unser Gewissen wirkt, uns offenbaren? Was ist unser Zustand? Was sind wir inmitten dieser Sphäre, in welcher der Herr uns geboten hat, „die Dinge zu verrichten, bis daß Er komme?" Woher kommt es, daß unsere Versammlungen so oft ohne Macht und Wirkung sind? Die Verheißung Christi: „W o zwe i o d er dre i versammel t sin d i n meine m Namen , d a bi n ic h mitte n unte r ihnen" , — ist und bleibt stets wahr. Wo aber Seine Gegenwart verwirklicht ist, da muß Er auch in Macht und Segnung wirken; allein Er läßt Seine Gegenwart nur insoweit fühlen, als unsere Herzen wahrhaftig und treu Ihn suchen, als den besonderen Gegenstand unserer Versammlung. Haben wir einen anderen Gegenstand im Auge, so können wir nicht mehr sagen, daß wir in Seinem Namen versammelt sind; und folglich wird dann Seine Gegenwart nicht verwirklicht sein. Wieviele Christen gibt es nicht, welche den Versammlungen beiwohnen, ohne Christum als ihren ersten und unmittelbaren Gegenstand zu haben? Etliche gehen hin, um Reden zu ihrer Erbauung zu hören; es ist die Erbauung und nicht Christus, der sie versammelt. Sie können dort fromme Regungen, heilige Bestrebungen, viel religiöses Gefühl und ein lebhaftes, einsichtsvolles Interesse haben, indem sie sich mit dem Buchstaben der Heiligen Schriften, oder mit gewissen Punkten der Wahrheit beschäftigen; aber all dieses kann stattfinden ohne die mindeste Verwirklichung der heiligen und heiligenden Gegenwart Christi nach der Verheißung in Matth. 18, 20. 171 Andere kommen in die Versammlung mit einem Herzen, das voll ist von dem, was sie zu sagen oder zu tun im Begriff sind. 

Sie haben ein Kapitel zu lesen, ein Lied vorzusagen, einige Bemerkungen zu machen, oder sie haben die Absicht zu beten, und lauern den günstigen Moment ab, um sich also vorzudrängen. Es ist leider nur zu sichtbar, daß nicht Christus der Hauptgegenstand dieser Christen ist, sondern einzig und allein das Ic h und seine armseligen Handlungen und elende Worte. Diese Personen tragen dazu bei, die Versammlung ihres Charakters der Heiligkeit, der Macht und der wahren Erhebung zu berauben; denn ihretwegen ist es nicht Christus, der den Vorsitz führt, sondern das Fleisch, welches, und zwar in den ernstesten Umständen, den Platz einnimmt. 

Das Fleisch kann auf einem Theater oder auf einer politischen Tribüne seine Rolle spielen; aber in einer Versammlung von Heiligen sollte es als nicht existierend sein. Ich bin durchaus nicht berechtigt, mich in einer Versammlung von Kindern Gottes vor dem Herrn darzustellen mit dem Vorsatz, dieses oder jenes Kapitel zu lesen, oder dieses oder jenes Lied vorzusagen, oder gar mit einer vorbereiteten Rede. Ich soll in die Mitte meiner Brüder kommen, um mich dort in die Gegenwart Gottes zu setzen, und mich Seiner unumschränkten Leitung zu überlassen. Mit einem Wort, wenn ich im Namen Jesu hingehe, wird Er allein mein Gegenstand sein, und ich werde alles andere vergessen. Dieses will nicht sagen, daß, wenn ich Ihn zum Gegenstand habe, ich nicht erbaut werden kann, oder selbst zur Erbauung beitragen könne. Im Gegenteil; denn nur insoweit der Herr gleichsam vor mich gestellt ist, bin ich fähig, andere zu erbauen, oder selbst erbaut zu werden. Das Geringste ist immer im Größten enthalten. Wenn ich Christum habe, so kann mir die Erbauung nicht fehlen; aber wenn ich diese statt Christum suche, und als mein Ziel verfolge, so verliere ich beides. — Wieviele Christen gibt es außerdem noch, die in der Versammlung erscheinen, ohne das Gewissen gereinigt, das Herz gerichtet und das Fleisch gekreuzigt zu haben! Sie nehmen ihre Plätze ein auf den Bänken; aber sie sind kalt und dürr, ohne Gebet, ohne Glauben und ohne wirklichen Zweck. Sie kommen maschinenmäßig, weil es ihre Gewohnheit ist zu kommen; aber sie sind nicht beherrscht durch den Wunsch, dem Herrn zu begegnen. Sich zu versammeln, ist für sie nur eine religiöse Förmlichkeit, und für andere sind sie nur ein Hindernis der Segnung. Wir sehen also, daß mehrere verschiedenartige Ursachen mitwirken, um die Quelle des Lebens und der Kraft in den 172 Versammlungen zu verunreinigen, und deshalb ist auch im allgemeinen das Zeugnis so arm und so matt in unserer Mitte. Diese kläglichen Ursachen bis auf den Grund zu untersuchen, ist eine gründliche Arbeit des Gewissens.

 Ach! möchten doch viele Herzen die Frage erheben: „Herr , bi n i c h' s ? " Es ist völlig unnütz, irgendwie eine bleibende Segnung oder eine wahre Stärkung zu erwarten, insoweit wir nicht ernstlich zu wahrhafter Demut und zu aufrichtigem Gericht über uns selbst geleitet sein werden. Wenn wir berufen sind, Zeugnis für Christum abzulegen, so ist es nötig, daß wir uns in der Stellung Jesu befinden, um erfahren zu haben, was wir sind und wieviel uns noch mangelt. Niemand hat das Recht, auf den anderen den Stein zu werfen. Wir alle haben gesündigt; wir alle sind dem Zeugnis des Sohnes Gottes untreu gewesen; wir alle haben in irgendeiner Weise zu der demütigenden Lage beigetragen, welche uns umgibt. 

Es handelt sich hier nicht nur um eine einfache Kirchenfrage, nicht nur um eine einfache Urteilsverschiedenheit über etliche Punkte der Wahrheit, so wichtig diese auch an und für sich sein mögen. Nein, meine Brüder; die Welt, das Fleisch und der Teufel befinden sich im Grunde unseres gegenwärtigen traurigen Zustandes; und alle Belege, die uns die Liebe Christi an die Hand gibt, vereinigen sich, um uns zu gründlichem Selbstgericht in der Gegenwart Gottes einzuladen. Nun aber bin ich überzeugt, daß, wenn dieses Gericht stattfindet, und alles ins Licht setzt, sich herausstellen wird, wie eine, der größten Ursachen von so vielem Bösen, von so vieler Schwachheit und von einem so großen Verfall, in der Vernachlässigung dessen besteht, was der Ausdruck bezeichnet: „D u un d dei n Haus! " Für Beobachter sind die Kinder der Prüfstein von dem, was die Eltern sind; und das Haus offenbart den moralischen Zustand des Familienhauptes.

 Ich kann mir nie eine klare Vorstellung von einem Menschen nach de m machen, was ich von ihm in einer Versammlung sehe oder höre. Dort kann er sehr geistlich erscheinen und sehr schöne und sehr wahre Dinge lehren; aber um über seine Person ein richtiges Urteil fällen zu können, — lasset mich in sein Haus eintreten, und ich werde erkennen können, wie es mit ihm steht. Mag er auch reden können wie ein Engel Gottes, so ist er dennoch kein treuer Zeuge Christi, wenn sein Haus nicht Gott gemäß regiert wird. Unter dem Ausdruck „Haus" sind dreierlei Dinge verstanden: 

Das Haus selbst, die Kinder und die Gehilfen. Diese drei Dinge, insgesamt oder einzeln betrachtet, sollen das Siegel von dem tragen, was Gott angehört. Das Haus eines Mannes Gottes soll für Gott, für Seine Herrlichkeit 173 und in Seinem Namen regiert werden. Das christliche Familienhaupt soll in seinem Hause der Stellvertreter Gottes sein. Er ist, sei es als Vater oder als Herr, für alle, die unter seinem Hause sind, der Verweser der Autorität Gottes, und darum verpflichtet, nach dem Verständnis und der praktischen Ausdehnung dieser Tatsachen zu handeln. Auf diesem Grundsatz soll er sein Haus leiten und für dasselbe Sorge tragen. Auch steht geschrieben: „Wen n abe r jeman d f ü r sein e Angehörigen , un d besonder s fü r sein e Hausgenosse n nich t sorgt , de r ha t de n Glaube n verleugnet , un d ist schlechte r als e i n Ungläubiger. " Indem er den Kreis vernachlässigt, in welchen ihn Gott gesetzt hat, so. beweist er, daß er wenig denjenigen kennt, den zu repräsentieren er berufen ist, und daß er folglich Ihm wenig gleicht. Dieses ist sehr einfach. Wenn ich zu wissen wünsche, welche Sorge ich für die, welche unter meiner Verantwortlichkeit stehen, habe, und wie ich mein Haus regieren soll, so habe ich nur sorgfältig zu untersuchen, in welcher Weise Gott für die Seinigen Sorge trägt und wie Er Sein Haus regiert. 

Es ist nicht die Rede davon, zu wissen, ob die Personen, welche das Haus ausmachen, bekehrt sind oder nicht. Das, was ich mit Nachdruck auf das Gewissen aller Christen, aller Familienhäupter legen möchte, ist, daß alles, was sie während ihrer Pilgerschaft hienieden tun, sehr deutlich das Gepräge der Gegenwart und der Autorität Gottes tragen sollte. Der Einfluß des Familienvaters sollte ein solcher sein, daß, wo er sich zeigt, man denken möchte: „Got t is t da" ; und zwar nicht, damit er wegen dieses seines moralischen Einflusses und seiner verständigen Verwaltung gepriesen, sondern einfach, damit Gott verherrlicht werde. Nur was diesen Zweck im Auge hat, sollte uns genügen. 

Das Haus eines jeden Christen sollte, was die moralische Ordnung und die gottselige Gesinnung betrifft, im kleinen eine Darstellung des Hauses Gottes sein. Wohl mögen etliche den Kopf schütteln und sagen: „All dieses ist sehr schön; aber wo findet man es?" Ich begnüge mich zu fragen: „Lehrt das Wort Gottes und schreibt es dem Christen vor, sein Haus auf solche Weise zu regieren? — Wenn es aber also ist, dann wehe mir, wenn ich mich zu gehorchen weigere, oder wenn es mir an der Treue im Gehorsam mangelt. Jede Person, deren Gewissen aufrichtig ist, wird anerkennen, daß sich Schäden und Mängel der ernstesten Art in der Leitung unseres Hauses gezeigt haben; aber nichts ist schamloser, als zu sehen, wenn ein Mensch ruhig für die Unordnung und Zuchtlosigkeit, welche in seinem Hause herrscht, Partei nimmt, und sich durch den Gedanken beruhigt, daß es ihm unmöglich sei, die vollkommene Vorschrift zu erreichen, die Gott ihm vorgelegt hat. 

Der Leitung der Heiligen Schrift zu folgen, ist alles, was wir zu tun haben; und früh oder spät wird die Segnung folgen; denn Gott kann Sich Selbst nicht verleugnen. Aber wenn aus Unglauben des Herzens ich mir einbilde, daß die Segnung zu erreichen mir unmöglich sei, so ist es sicher, daß ich sie verfehlen werde. Jedes Vorrecht oder jede Segnung, welche Gott vor uns hinstellt, fordert eine Glaubenskraft, um sie zu ergreifen. Es verhält sich damit, wie mit Kanaan für die Kinder Israels. Dieses Land war vor ihnen; aber sie mußten hineintreten; denn Gott hatte gesagt: „Ic h hab e ihne n jede n Or t gegeben , wohi n si e di e Sohl e ihre s Fuße s gesetz t haben. " Es ist immer dasselbe; es ist der Glaube, welcher von dem, was Gott gibt, Besitz nimmt. 

Den, der alles für uns gemacht hat, zu verherrlichen, sollte in jeder Sache unser einziger Zweck sein; und was ist mehr diesem Zwecke entgegen, als wenn man sieht, daß das Haus eines Dieners Gottes gerade das Gegenteil von dem ist, wie Er wünscht, daß es sei? Wie muß das Auge Gottes diese oder jene Sache betrachten, wenn schon unser menschliches Auge davon geärgert wird. Nach dem, was man hier oder dort in den Häusern sieht, müßte man schließen, daß die Christen es sich nicht vorzustellen vermögen, daß zwischen der Führung ihres Hauses und ihrem Zeugnis nicht die geringste Übereinstimmung sei. 

Viele reden von einer Absonderung von der Welt; allein ihre Häuser bieten die traurigste Weltlichkeit dar. Sie behaupten, daß ihnen die Welt gekreuzigt ist und sie der Welt gekreuzigt sind; und dennoch findet sich überall das Gepräge der Welt bei ihnen wieder. Jedes Ding scheint dort bestimmt, der Lust ihrer Augen, der Lust des Fleisches und dem Hochmut des Lebens gewidmet zu sein. Man findet dort kostbare Spiegel, um das Fleisch zu beschauen, man findet Möbel, die wesentlich zur Befriedigung des Fleisches bestimmt sind und andere Dinge zu demselben Zwecke. 

Man wird vielleicht sagen, daß es höchst kindisch und gemein sei, dergleichen Einzelheiten zu erwähnen. Ich antworte darauf, daß die Töchter Zions ebensoviel auf die Worte hätten sagen können, welche Jehova an sie richtet in Jes. 3, 18-26: „An selbige m Tag e entrück t de r Her r de n Schmuc k de r Fußspangen , un d di e Netz e un d di e kleine n Monde , un d di e Ohrgehäng e un d di e Armkettche n un d di e Schleier , di e Kopfbund e u n d di e Fußkettche n un d di e Gürtel und die Riechflaschen, und die Amulette , di e Fingerring e un d di e Nasenringe , di e Feierkleide r un d di e Böck e un d di e Mänte l un d d i e Taschen , di e Spiege l un d di e Hemdche n usw." War dieses nicht ein Herabsteigen bis in die kleinsten Einzelheiten?" Handelt nicht von demselben auch die Stelle Arnos 6, 1-6: „Weh e de n Sorglose n z u Zion.. . d i e d a schlafe n au f Lager n vo n Elfenbei n u n d sic h strecke n au f ihre n Ruhebetten , un d esse n Lämme r vo n de r Herd e un d Kälbe r au s d e n Ställen ; di e d a spiele n au f de r Harf e u n d Liede r dichte n wi e David! " Ja, der Christ Gottes kann herabsteigen bis in die kleinsten Einzelheiten, wenn es notwendig ist. „Aber" — werden etliche sagen — „unsere Häuser müssen mit dem Range, den wir in der Gesellschaft einnehmen, in Harmonie stehen und demgemäß möbliert sein." Ein solcher Einwurf zeigt nur ganz deutlich die Weltlichkeit derer, welche ihn zu erheben wagen. „Ih r Ran g i n de r Gesellschaft! " 

Dieses Terrain ist ohne Widerspruch die Welt. Was aber haben solche Menschen mit derselben zu tun, die das Bekenntnis ablegen, der Welt gestorbe n zu sein. Von unserem Range in der Gesellschaft zu reden, heißt die Elemente des Christentums verleugnen. Wenn wir einen Rang gemäß der Welt haben, so folgt daraus, daß wir leben müssen als Menschen im Fleisch oder als natürliche Menschen, und dann hat das Gesetz seine volle Herrschaft über uns; „denn das Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt." Dieser Rang im Leben wird daher eine ernste Angelegenheit. Wie können wir ihn erlangen? oder in welchem Leben befindet er sich? Wenn in diesem Leben, so sind wir Lügner, wenn wir sagen, daß wir „mi t Christ o ge -
kreuzigt , gestorben , begrabe n un d aufer -
standen " sind, daß wir mit Ihm „außerhal b de s Lagers " hinausgegangen, daß wir „nich t im Fleisch " und „nich t vo n diese r Welt " sind. Alle diese Worte sind ebenso viele glänzende Lügen in dem Munde derer, welche vorgeben, einen Rang hienieden bewahren zu müssen. Das ist die Wahrheit über diesen Gegenstand. Möge sie unser Gewissen erreichen, damit sie auch über unser praktisches Leben ihren Einfluß ausübe! Welches ist das einzige Leben, in dem wir einen Rang zu bewahren haben? Es ist das Auferstehungsleben Christi. Es ist das Leben, in welchem die Liebe des Erlösers uns einen Rang gegeben hat. Und gewiß, wir wissen wohl, daß weltliche Möbilierungen, kostbare Gewänder, die Großtuerei und der Luxus, nichts 176 mit dem Range in diesem Leben zu schaffen haben. 

Ach nein. Die Heiligkeit des Charakters, die Reinheit des Wandels, die geistliche Macht, eine tiefe Demut, die Liebe, die Trennung von allem, was mit der Welt und dem Fleische in Verbindung steht; diese Dinge allein sind es, die im Einklang stehen mit dem Leben, was Jesus uns erworben und mitgeteilt hat; diese allein sind die wahren Zierden, welche mit unserem himmlischen Rang zu harmonieren vermögen. Diejenigen, welche von ihrem Rang in dieser Welt reden, sind in ihren Herzen schon nach Ägypten zurückgekehrt. Ach! es ist sehr zu befürchten, daß der große Mühlstein in Offb. Joh. 18 uns ein zu treues Gemälde von dem Ende so vieler Elemente des hohlen und falschen Christentums unserer Tage liefern wird. Wenn man annimmt, daß das Christentum doch die Unordnung und Unreinlichkeit der Häuser nicht billigt, so werde ich sagen, daß das vollkommen wahr ist. 

Ich kenne sogar wenige Dinge, welche unleidlicher und entehrender sind, als der Schmutz und die Unordnung in dem Hause eines Christen. Solche Dinge werden sich nie bei einer wahrhaft geistlichen Gesinnung antreffen lassen; denn wenn sie sich irgendwo finden, so kann man versichert sein, daß sie die Folgen irgendeines moralischen Übels sind. Auch hier ist uns das Haus Gottes besonders als Muster vorgestellt. Sehen wir über der Pforte dieses Hauses nicht den köstlichen Wahlspruch geschrieben: „Lasse t abe r alle s an -
ständi g un d i n Ordnun g geschehen " (1. Kor. 14, 40)? Folglich werden alle, welche Gott und Sein Haus lieben, diesen Grundsatz in ihrer eigenen Wohnung angewandt zu sehen wünschen. Das, was ich in den Ausdruck „D u un d dei n Haus " eingeschlossen sehe, ist die Erziehung unserer Kinder. Ach! hier ist eine der größten und demütigendsten Wunden für viele, weil sie einen entsetzlichen Verfall anzeigen. Der Zustand der Kinder vermag mehr, als jede andere Sache, den moralischen Zustand der Eltern zu offenbaren. Das wirkliche Maß der Entsagung meiner selbst und der Welt wird sich stets zeigen in der Weise, in der ich gegen meine Kinder handle und in welcher ich sie leite. 

Ich bekenne, daß ich, was mich persönlich betrifft, der Welt entsagt habe; aber habe ich derselben auch für meine Kinder entsagt? „Aber", — werden etliche rufen, — „wie würde ich dieses können, da meine Kinder nicht bekehrt, mithin von der Welt sind?" —Auch hier offenbart sich der wahre moralische Zustand des Herzens dessen, der also redet. Ist es nicht wahr, daß oft ein solcher nicht selbst wirklich der Welt entsagt hat, und daß ihm die Kinder zum Vorwand dienen, um da40 177 von wieder etwas zu ergreifen? Wenn seine Kinder, wie dieses in der Tat wirklieh der Fall ist, ein Teil von ihm sind, und wenn er die Welt für sich selbst zurückgelassen zu haben bekennt, wiewohl er sie sucht für seine Kinder, würde er dann nicht einem Menschen gleichen, der sich zur Hälfte in Ägypten und zur Hälfte in Kanaan befindet? Der alleinige Wunsch, daß es sich damit also verhalten möchte, würde nur beweisen, daß ein solcher Mensch der Tat und dem Herzen nach in Ägypten ist. Jetzt, meine Brüder, beurteilen wir uns selbst. Die Leitung unserer Kinder zeugt gegen uns; sie ist nicht die, welche der Heilige Geist wählen würde, um sie zu Christo zu führen, und sie vereinigt sich keineswegs mit dem heiligen Stande eines Nasiräers, zu welchem wir berufen sind. Wenn ich sie lieber für die Welt, als für das Zeugnis Christi erziehe, so beweist dieses, daß letzteres nicht der Teil ist, den meine Seele als völlig genügend für mich gewählt hat, und den ich über alles andere hochschätze. 

Denn was ich für mich genügend halte, das halte ich auch für meine Kinder genügend, welche eins mit mir sind; und könnte ich so töricht sein, sie für diese Welt zu erziehen, ja für Satan, der der Fürst darin ist? Würde ich die Neigung des Fleisches in ihnen zu wecken streben, die ich in mir zu kreuzigen bekenne? Ach, welch eine gefährliche Verirrung des Verstandes würde dieses sein! Nein, wenn ich freiwillig meine Kinder in Ägypten zurücklasse, so beweise ich, daß ich selbst dort bin; wenn ich sie freiwillig in dem Genüsse Babelons zurücklasse, so beweise ich, daß ich dort noch selbst die unechten Süßigkeiten liebe; wenn meine Kinder mit meinem völligen Willen einem verderbten, verweltlichten System angehören, so zeigt dieses nichts anderes, als daß im Grundsatz ich noch selbst dorthin gehöre. „D u un d dei n Haus " seid eins ; Gott hat ein Ganzes daraus gemacht, welches man nicht trennen kann; und was Er vereinigt hat, das möge der Mensch nicht trennen. 

Dieses ist eine feierliche und durchdringende Wahrheit, in deren Licht wir klar das Übel sehen können, wenn wir unsere Kinder einen Weg verfolgen lassen, dem wir, in dem festen Glauben, daß er bis zum Feuer der Hölle sich erstreckt, den Rücken gewendet zu haben behaupten. Wir bekennen, die Ehre, die Reichtümer, die Vorzüge und Vergnügungen dieser Welt als Schaden und Dreck zu achten, und dennoch empfehlen wir alle diese Dinge, welche wir für Hindernisse unseres christlichen Wandels erklärt, und welche wir sozusagen für uns selbst verworfen haben, unseren Kindern als durchaus notwendig für ihr Fortkommen. In dieser Weise handelnd, vergessen wir gänzlich, daß dasjenige, was für uns hinderlich ist, durchaus nicht nützlich 178 sein kann für unsere Kinder, wenn wir anders wünschen, daß sie wie wir dasselbe Ziel erreichen sollten. Es würde aufrichtiger sein, die Maske unserer eigenen Weltlichkeit fallen zu lassen und frei zu bekennen, daß wir keineswegs die Welt verlassen haben, wovon unsere Kinder der beste Beweis sind. Durch den Zustand der Familien der Brüder zeigt, wie ich glaube, das gerechte Gericht des Herrn den wirklichen Zustand des Zeugnisses unter uns. Es ist wohlbekannt, daß leider in zu vielen Fällen die Kinder von Christen die ungezogensten und ruchlosesten in ihrer Umgebung sind. Sollte es sich also damit verhalten? Konnte Gott das Zeugnis der Eltern solcher Kinder gutheißen? Würden diese Kinder solche sein, wenn die Eltern betreffs ihrer Häuser treu vor Gott gewandelt hätten? — 

Auf alle diese Fragen muß man notwendig mit „Nein" anworten. Ach! wenn nur die christlichen Väter den Grundsatz „D u un d dei n Haus " festgehalten hätten, so würden sie verstanden haben, daß sie, sowohl wegen des Zeugnisses ihres Hauses als auch wegen ihres eigenen, auf Gott rechnen und zu Ihm schreien konnten; denn unmöglich können sie von ihren Häusern getrennt werden, was man auch dagegen tun oder sagen möchte. Tut es nicht weh, sagen zu hören: „Dieser oder jener ist ein guter, ein sehr gottseliger, ein sehr ergebener Bruder; nur schade, daß seine Kinder so unverschämt und so ungezogen sind, und daß sein Haus ein so trauriges Gemisch von Unordnung und Verwirrung ist!" — Ich frage, welch einen Wert das Zeugnis eines solchen Mannes vor Gott hat? Leider enthält es nur wenig Wahrheit. Er kann gerettet sein; aber ist die Seligkeit alles, was wir zu wünschen haben? Gibt es kein Zeugnis abzulegen? Und wenn es eins gibt, was für ein Zeugnis ist es, und wo soll es abgelegt werden? Soll es sich beschränken auf die Bänke eines Versammlungssaales, oder soll es auch in unserem Hause wahrgenommen werden? Möge das Herz antworten! Man wird vielleicht sagen: „Unsere Kinder bedürfen etlicher Genüsse der Welt, und wir können sie ihnen nicht verweigern; man kann alte Köpfe nicht auf junge Achseln setzen." — Auf dieses antworte ich, daß unsere Herzen auch oft weltliche Dinge verlangen; — bewilligen wir sie ihnen? Ich hoffe, nein; — nun, so laßt sie uns auch unseren Kindern nicht darbieten. 

Wenn ich sehe, daß meine Kinder nach der Welt trachten, so muß ich unmittelbar mich richten und mich demütigen vor Gott, muß zu Ihm flehen, daß Er diese weltlichen Gedanken von ihnen wegnehme, auf daß das Zeugnis dadurch nicht leide. Es ist mir unmöglich, nicht zu glauben, daß, wenn das Herz der Eltern vom Zentrum bis 179 zum Umfang, von der Welt, von ihren Grundsätzen und Begierden gereinigt ist, dieses auf ihr ganzes Haus einen mächtigen Einfluß ausüben wird. Dieses ist es, was jene Frage so wichtig und so praktisch macht. Ist mein Haus ein genauer Prüfstein meines wahren moralischen Zustandes? Ich glaube, daß die Belehrung der Heiligen Schriften — und dieses macht unseren Gegenstand besonders wichtig, — zu Gunsten der Bejahung spricht. 

Wie wandle ich als Familienhaupt? Tritt es durch mein Betragen in allem ins Licht, daß Christus mein höchster und einzigster Gegenstand ist, und daß ich ebensowenig geneigt bin, meine Kinder für die Welt zu erziehen, oder die Welt für sie zu wünschen, als vor ihnen die Pforte der Hölle zu öffnen? — Ich scheine vielleicht die Prüfung eines in unseren Tagen so häufigen Übels zu weit auszudehnen; allein, was mich betrifft, denke ich, daß es unsere Pflicht ist, diese Untersuchung bis zu ihren äußersten Grenzen zu verfolgen. Woher kommt in vielen Fällen diese entsetzliche Entweihung, dieser Widerwille an den christlichen Schriften und Zusammenkünften, diese Neigung, die heiligsten Dinge lächerlich zu machen, und diese so erbärmlich hervortretende untreue und zweifelsüchtige Gesinnung bei den Kindern von Bekenntnischristen? Wird jemand es zu sagen wagen, daß nicht die Eltern die Schuld davon tragen? Kann man im Gegenteil nicht zu großem Teil jene traurigen Erscheinungen dem augenscheinlichen Widerspruch zuschreiben, der zwischen den laut bekannten Grundsätzen und dem sie begleitenden Wandel der Eltern besteht? Ja, ich glaube es.

 Die Kinder sind scharfsichtige Beobachter, und sie entdecken bald das, was ihre Eltern wirklich sind. Sie beurteilen dieselben nicht nach ihren vielen Gebeten und Worten, sondern nach ihren Handlungen, deren Grundsätze, und Motive sie schnell zu unterscheiden wissen. Deshalb sind alle Unterweisungen der Eltern, daß die Welt und die Wege der Welt böse sind, und alle ihre Bitten, daß jedes Glied der Familie den Herrn kenne und Ihm diene, gänzlich wirkungslos, wenn sie ihre Kinder für die Welt erziehen, indem sie sorgfältig sie dort zu versorgen trachten und sich Glück wünschen, dieses gelingen zu sehen.

 „Ach", —werden die Kinder denken, — „die Welt ist vor allen Dingen ein guter Platz; denn meine Eltern danken Gott für mein Fortkommen in dieser Welt, welches sie als eine ausgezeichnete Gunst der Vorsehung ansehen. Alles, was sie daher sagen, wenn sie vorgeben, mit Christo gestorben und auferstanden zu sein, oder wenn sie behaupten, daß die Welt gerichtet sei, und daß sie Fremdlinge und Pilger seien, — alles dieses muß entweder als Unsinn oder die sogenannten Christen müssen 180 als Betrüger betrachtet werden." — Wer kann zweifeln, daß solche Gedanken nicht oft Anlaß gehabt haben, in den Herzen der Kinder bekennender Eltern aufzusteigen! Die Gnade Gottes ist freilich unumschränkt und vermag über alle unsere Widersprüche und über alle unsere Treulosigkeiten zu triumphieren. Aber ach! laßt uns an das Zeugnis denken, und laßt uns wachen, damit unsere Häuser wirklich für Gott geleitet werden und nicht für Satan. Vielleicht wird man fragen; was werden denn unsere Kinder machen? Wie werden sie sich heraushelfen? Muß man sie nicht in den Stand setzen, ihr Brot verdienen zu können?" — Ohne Zweifel.

 Gott hat uns zur Arbeit bestimmt. Selbst die Tatsache, daß Er uns zwei Hände gegeben hat, beweist, daß wir keine Faulenzer sein sollen. Aber ich sehe nicht die Notwendigkeit, meinen Sohn, in der Absicht ihm Mittel zur Arbeit zu geben, in eine Welt hineinzutreiben, von der ich mich getrennt habe. Der höchste Gott, der Besitzer der Himmel und der Erde, hatte einen Sohn, Seinen Eingeborenen Sohn, den Erben aller Dinge, durch welchen Er auch die Welten gemacht hat; und als Er diesen Sohn in die Welt sandte, übergab Er Ihn nicht dem Gelehrtenstande, sondern Er war bekannt als der „Zimmermann". — Sagt uns dieses nichts, lehrt es uns nichts? Jetzt ist Christus aufgestiegen zur Höhe und hat Seinen Platz genommen zur Rechten Gottes.

 In dieser Weise auferweckt, ist Er unser Haupt, unser Fürsprecher, unser Vorbild; aber Er hat uns ein Beispiel zurückgelassen, daß wir sollen nachfolgen Seinen Fußstapfen. Folgen wir ihnen nach, wenn wir trachten, unsere Kinder glänzen zu lassen, in einer Welt, die Jesum gekreuzigt hat? Ach, sicher nicht! Wir tun vielmehr das Gegenteil, und das Resultat wird unserem Tun entsprechen; denn es steht geschrieben: „Irre t euc h nicht , Got t läß t sic h nich t spotten ; den n wa s irgen d ei n Mensc h sät , da s wir d e r auc h ernten. " •—• Wenn wir in Beziehung auf unsere Kinder für das Fleisch und für die Welt säen, so wissen wir auch, was wir ernten werden. Wir haben indessen bezüglich des Gegenstandes der Erziehung unserer Kinder nicht nur das Zeugnis verfehlt und beschmutzt, sondern wir haben auch viel gesündigt, indem wir sie im allgemeinen nicht in der Unterwürfigkeit unter der väterlichen Autorität hielten. In dieser Beziehung finden sich große Fehler bei christlichen Eltern. 

Der Geist des jetzigen Jahrhunderts ist ein Geist der Unabhängigkeit und der Widerspenstigkeit. „De n Elter n ungehorsam " — das ist einer der Züge des Abfalls vom Glauben in den letzten Tagen (2. Tim. 3, 2); und wir haben persönlich zu seiner Entwicklung durch eine komplett falsche Anwendung des Grundsatzes der Gnade, sowie auch dadurch beigetragen, daß wir nicht sahen, daß das Vater- und Mutter-Verhältnis einen in Gerechtigkeit ausgeübten Grundsatz von Autorität in sich faßt, ohne welchen unsere Häuser den traurigen Anblick der Verwirrung, der Unordnung, der Zuchtlosigkeit darstellen müssen. Es ist nicht Gnade, einen nicht geheiligten Willen zu schonen.

 Es betrübt uns, einen nicht gebrochenen und unterworfenen Willen zu haben, und zu gleicher Zeit tragen wir dazu bei, den eigenen Willen unserer Kinder zu stärken. Es ist in meinen Augen immer ein Beweis der Schwäche in der Ausübung der väterlichen Autorität, sowie der Unkenntnis in der Art und Weise, in welcher ein Diener Gottes sein Haus regieren soll, wenn ihr die nämliche Sache hervorruft oder derselben dient, die ihr durch alle Mittel in eurer Macht zu unterwerfen trachten müßt, nämlich den eigenen Willen eures Kindes. Sagt ihm daher, was es tun soll, und gestattet ihm nie, eure Autorität in Frage zu stellen. Der Wille des Vaters muß von seinem Kinde als der höchste betrachtet werden; denn der Vater erhält für das Kind den Platz von Gott. 

Alle Macht ist Gottes; und Er hat Seinem Diener, sei es als dem Vater, sei es als dem Herrn, davon gegeben. Wenn daher das Kind oder der Dienstbote dieser Macht widerstrebt, so widerstrebt er Gott *). „Alle , welch e Knecht e unte r de m Joch e .sind , solle n ihr e Herre n alle r Ehr e würdi g achten , au f da ß nich t de r Nam e Gotte s un d d i e Lehr e verläster t wer d e." — Bemerket, was *) „Und ihr Väter reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung des Herrn" (Eph. 6, 4). Es gibt eine große Gefahr, unsere Kinder zu reizen, oder ihren Zorn zu erregen durch eine übertriebene Härte und eine willkürliche Behandlung. Wir sind beständig geneigt, unsere Kinder nach unserem eigenen Geschmack und nach unserer besonderen Ansicht zu bilden und zu gestalten, und zwar weit eher, als sie zu erziehen „in der Zucht und Ermahnung des Herr n", d. h. gemäß der Weise, in welcher der Herr seine Kinder erzieht und ermahnt. Dieses ist ein grober Irrtum, der nur Verwirrung und Verstöße herbeiführen kann. 

Wir haben betreffs des Zeugnisses Christi keine Aussicht, etwas zu erreichen, wenn wir die Natur zu den künstlichen Gestalten modeln und formen. Außerdem fordert die Ausbildung und Unterweisung der Natur keinen Glauben; aber um Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn zu erziehen, bedarf man des Glaubens. Man wird vielleicht einwenden, daß der Apostel an dieser Stelle von bekehrten Kindern redet. Ich antworte darauf, daß dort nichts von Bekehrung gesagt ist. Es steht nicht geschrie182 ben: „Ziehet eure bekehrten Kinder" usw.; sonst würde die Frage aufgehoben sein; sondern wir lesen einfach „eure Kinder", worunter sicher alle verstanden sind. Wenn ich nun aber alle meine Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn erziehen soll, wann muß ich es zu tun beginnen? Muß ich warten bis sie. beinahe Männer oder Frauen geworden sind, oder muß ich beginnen wie alle vernünftigen heute ihre Arbeit beginnen, d. h. am Anfang? 

Werde ich sie während der wichtigsten Periode ihrer Laufbahn, ihrer natürlichen Torheit überliefern, ohne, betreffs ihrer ernsten Verantwortlichkeit zu versuchen, ihr Gewissen in die Gegenwart Gottes zu stellen? Werde ich sie in einer totalen Sorglosigkeit diese Zeit ihres Lebens verschleudern lassen, während welcher sich die Elemente ihres künftigen Charakters bilden? Dieses würde als Übermaß von Grausamkeit sein. Was würdet Ihr von einem Gärtner sagen, der die Zweige seiner Obstbäume jede Art von krummer und wunderlicher Form annehmen ließe, bevor er den Gedanken gehabt, sich geeigneter Mittel zu bedienen, um sie gerade zu ziehen? Ihr würdet sagen, da/S er sehr töricht sei. Nun! er würde weise sein im Vergleich mit Eltern, welche die Zucht und Ermahnung des Herrn bis in die Zeit verschieben, wo ihre Kinder bereits offenbare Fortschritte in der Zucht und Ermahnung des Feindes gemacht haben werden. „Aber", — wird man vielleicht sagen, — „wir müssen Bekehrungsbeweise erwarten." — Ich erwidere, daß der Glaube nie auf die Beweise wartet, sondern daß er nach dem Worte Gottes handelt, und daß die Beweise unfehlbar folgen. 

Es ist stets offenbarer Unglaube, auf Zeichen zu warten, wenn Gott einen Befehl gegeben hat. Wenn die Kinder Israels ein Zeichen erwartet hätten als Gott sagte: „Sie sollen ausgehen", so wäre dieses ein augenscheinlicher Ungehorsam gewesen. Wenn der Mann mit der verdorrten Hand erwartet hätte, daß irgendeine Kraft sich in ihm offenbarte, als Jesus ihm die Hand auszustrecken befahl, so würde er seine verdorrte Hand bis ins Grab getragen haben. Ebenso verhält es sich mit den Eltern. 

Wenn sie Zeichen und Beweise erwarten, ehe sie dem Wort Gottes in Eph. 6, 4 gehorchen, so wandeln sie sicher nicht kraft des Glaubens, sondern des Schauens. Wenn wir überdies beginnen sollen, von Anfang an unsere Kinder zu erziehen, so folgt daraus, daß wir beginnen müssen, bevor sie imstande sind, Beweise von Bekehrung geben zu können. In diesen, wie in allen Hingen, ist unsere Aufgabe, zu gehorchen und Gott die Resultate zu- überlassen. Der moralische Zustand der Seele kann durch den Befehl auf die Probe gesetzt werden; aber wenn die Neigung zu gehorchen vorhanden ist, so wird die Macht, uro es anführen zu können, ohne Zweifel den Befehl begleiten, und die Früchte des Gehorsams werden nachfolgen „zu seiner Zeit, wenn wir nicht ermatten." gesagt ist: „Got t un d dieLehre. " — Warum? — Weil es sich hie r u m eine Macht handelt. Der Name Christi un d Seine Lehr e würde n den Herrn, wi e den Diener, als Glieder desselben Leibes, auf gleiche Höhe stellen (in Christo Jesu 183 gibt es keinen Unterschied); allein wenn ich mich zu den Verhältnissen hienieden wende, so begegne ich der Regierung Gottes, welcher den einen zum Herrn und den anderen zum Diener macht; und jede Übertretung in der durch diese Regierung festgestellten Ordnung würde ein unfehlbares Gericht herbeiziehen. Es ist von unermeßlicher Wichtigkeit, ein klares Verständnis von der Lehre der moralischen Regierung Gottes zu haben; es ist das Mittel, viele Schwierigkeiten zu heben und viele Fragen aufzulösen. Diese Regierung wird mit einer Entschiedenheit und einer besonders feierlichen Gerechtigkeit in Ausübung gebracht. 

Wenn wir die Heilige Schrift in Bezug auf diesen Gegenstand untersuchen, so werden wir finden, daß in jedem Falle, wo Irrtum und Sünde sich zeigen, unvermeidlich die Früchte davon hervorgebracht werden. Adam war ungehorsam und wurde augenblicklich aus dem Garten in eine Welt geworfen, wo er unter der Schwere des durch seine Sünde verursachten Fluches seufzte und nie ward er wieder in das Paradies zurückversetzt. Freilich trat die Gnade dazwischen und gab ihm die Verheißung eines Befreiers; auch bedeckte sie seine Blöße; aber nichtsdestoweniger erzeugte die Sünde ihre Folgen; auch erlangte Adam nie wieder, was er durch seine Schuld verloren hatte. Moses redete an den Wasser zu Meriba leichtsinnig mit seinen Lippen, und die Folge davon war, daß Gott, welcher gerecht ist, ihm den Eintritt in Kanaan untersagte. Auch in diesem Falle brachte die Gnade etwas Besseres, als eingebüßt worden war; denn es ist besser, von dem Gipfel des Pisga aus in der Gesellschaft Jehovas die Ebenen Palästinas zu beschauen, als dieselben zu bewohnen mit Israel (5. Mos. 34, 1-5). Auch in dem Falle mit David sehen wir alsbald die Folge des Bösen. David begeht einen Ehebruch und alsbald wurde dieses feierliche Urteil gefällt: „Da s Schwer t soll dei -
n e m Haus e nich t weiche n ewiglich. " Doch auch hier war die Gnade überströmend. David erfreute sich, als er mit nackten Füßen und bedecktem Haupte die Stufen des Ölberges emporstieg, ihres Genusses mit einem weit tieferen Gefühl, als er davon genossen hatte inmitten des Glanzes des Thrones. 

Nichtsdestoweniger erzeugte die Sünde ihre Folgen. Doch nicht allein im Alten Testament sehen wir die Sünde ihre Früchte tragen. In dem Neuen Testament sehen wir, wie Barnabas (Apg. 15, 37-41) den, dem Anschein nach geziemenden Wunsch ausdrückt, seinen Vetter Markus in seiner Gesellschaft zu haben. Von diesem Augenblick an 184 verliert er den ehrenhaften Platz, welchen er in den Mitteilungen des Heiligen Geistes einnahm; denn es wird seiner fernerhin nicht mehr erwähnt. Von da an war sein Platz durch ein Herz eingenommen, welches weit ergebener und von rein natürlicheren Gefühlen mehr befreit war, als dasjenige des Barnabas. In diesem war es die Natur, welche ihn trieb, die Begleitung dessen zu verlangen, der sich von Paulus und ihm von Pamphilien aus getrennt hatte und nicht mit ihnen für dieses Werk ausgegangen war. Es war eine liebenswürdige Natur; aber es war eben die Natur, und sie siegte in Barnabas, weil er Markus mit sich nahm und weil sie sich zusammen nach der Insel Cypern, dem Geburtsort des Barnabas einschifften, wo dieser in der Zeit seiner ersten Liebe sein Eigentum verkauft hatte, um ungehinderter Dem folgen zu können, der nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte (Apg. 4, 36. 37).

Ach, es ist nicht selten, daß das natürliche Herz wieder zu Dem zurückkehrt, das es verlassen hat. Die Blüten des Baumes der christlichen Erkenntnis sind im Frühling schön und reich und verbreiten einen süßen Duft; aber wie wenige schmackhafte Früchte findet man oft im Herbst! Es wehen die Einflüsse der Natur und der Welt, um die Seele zu entblättern, welche Früchte verspricht; und anstatt dieser Früchte findet man oft nur Unfruchtbarkeit und Irrtümer. Dieses ist etwas Betrübendes und die traurigste moralische Wirkung auf das Zeugnis. Das Heil der Person, welche später solch getäuschte Hoffnungen gezeigt hat, steht hier durchaus nicht in Zweifel. Barnabas war gerettet; auch der Einfluß, den Markus und die Liebe zu seinem Vaterland ausübten, vermochten nicht seinen Namen aus dem Lebensbuche des Lammes zu verwischen, wohl aber aus dem Register des Zeugnisses und des Dienstes hienieden.

 Und war dieses nicht beklagenswert genug? Haben wir außer dem Verlust unseres Heiles nichts zu befürchten oder zu beklagen? Ach! dieses würde uns sehr selbstsüchtig und gegen die Herrlichkeit Gottes sehr gleichgültig erscheinen lassen! Zu welchem Zweck macht sich dieser gesegnete Gott soviele Mühe, Seine Kirche hienieden zu erhalten? Deshalb, damit die Gläubigen gerettet und für die Herrlichkeit vorbereitet werden? Keineswegs; denn gerettet sind sie durch die vollkommene Erlösung Christi und mithin zubereitet für die Herrlichkeit. Zwischen der Rechtfertigung und der Herrlichkeit besteht eine unzertrennliche Verbindung: „Welch e e r abe r gerechtfertig t hat , di e ha t e r auc h verherrlicht. " — Warum läßt uns denn Gott auf der Erde? 

Deshalb, damit wir ein Zeugnis für Christum sein sollen; denn ohne dieses hätte Er uns gleich nach unserer Bekehrung in den Himmel aufnehmen können. Möge es 185 uns geschenkt werden, diese Wahrheit in ihrer ganzen Fülle und in ihrer praktischen Kraft zu verstehen! Die moralische Regierung Gottes ist eine Wahrheit von ganzer Wichtigkeit; •— wer Böses tut, wird unfehlbar die Früchte davon ernten; ob er ein Gläubiger oder Ungläubiger oder ein Heiliger oder Sünder ist, das ändert die Sache nicht. Die Gnade Gottes kann dem Sünder verzeihen; und sie verzeiht jedesmal, wenn die Sünde gerichtet und bekannt ist; aber da die Sünde einen Eingriff in die moralische Regierung Gottes getan hat, so ist es nötig, daß der Schuldige dahin gebracht wird, seinen Fehler zu fühlen. Er hat gefehlt und er muß notwendig die Folgen davon erfahren. Dieses ist eine sehr feierliche, aber ganz besonders heilsame Wahrheit, deren Wirkung durch falsche Begriffe über die Gnade jämmerlich gehemmt worden ist. Nie erlaubt Gott in Seiner Gnade, Seine moralische Regierung zu schwächen; denn dieses würde nur Unordnung hervorrufen; und Gott ist nicht ein Gott der Unordnung. Wir haben vergessen, daß uns Gott in der Ausübung einer gerechten Erziehung ein Beispiel gegeben hat. — Man muß den Grundsatz der Regierung Gottes nicht mit Seinem Charakter verwechseln *).

 Im ersteren zeigt sich die Gerechtigkeit , im anderen die Gnade . Das, was ich jetzt hervorzuheben suche, ist die Tatsache, daß das Verhältnis als Vater und Herr einen Grundsatz von Gerechtigkeit in sich faßt, und daß, wenn dieser Grundsatz keine geziemende Anwendung in der Regierung der Familie findet, *) Die Episteln Petri entwickeln die Lehre der moralischen Regierung Gottes. Dort finden wir die Frage: „W er ist der, welcher euch Böses tun wird, wenn ihr Nachahmer des Guten seid?" — Etliche finden es schwer, die Frage zu vereinigen mit der Erklärung Paulus: „Alle, die gottselig in Christo Jesu leben wollen, werden verfolgt werde n." Es scheint überflüssig, zu sagen, daß diese beiden Ideen in vollkommener Harmonie sind. Der Herr Jesus Selbst, welcher der einzige vollkommene und beständige Nachahmer des Guten war, Er, der während Seiner ganzen Laufbahn hienieden „umherging und Gutes tat", fand am Ende das Kreuz, den Spieß, das Grab und dergleichen.

 Der Apostel Paulus hielt sich mehr als jeder andere Mensch fest an dem großen Vorbild, welches beständig vor Ihm war, berufen, einen außergewöhnlichen Kelch von Entsagung und Verfolgung zu trinken. Und je mehr in unseren Tagen ein Heitiger Christo gleichförmig sein wird, desto mehr wird auch er zu leiden haben. Wenn jemand, getrieben durch wahre Hingabe an Christum und durch Liebe für die Seelen, sich öffentlich in römischkatholischen Gegenden niederlassen würde, um dort Christum zu predigen, gewiß, sein Leben würde in einer drohenden Ge186 sich dort bald die größte Unordnung zeigen muß. Wenn ich ein mir fremdes Kind böse handeln sehe, so bin ich nicht mit irgend einer göttlichen Autorität bekleidet, um in Betreff desselben eine Zucht auszuüben; allein sobald als ich mein eigenes Kind Böses verrichten sehe, muß ich es züchtigen, weil ich sein Vater bin. „Aber", — wird man vielleicht sagen — "das Vater-Verhältnis zum Sohne ist ein Verhältnis der Liebe". 

Das ist die Wahrheit; denn es steht geschrieben: „Sehet , welc h ein e Lieb e ha t un s de r Vate r gegeben , da ß w i r Gotte s Kinde r heiße n sollen! " (1. Joh. 3, 1). Aber obwohl dieses Verhältnis auf die Liebe gegründet ist, so wird es doch ausgeübt in Gerechtigkeit; denn es steht auch geschrieben: „Den n e s is t di e Zeit , da ß da s Gerich t a m Haus e Gotte s anfange " (1. Petri 4,17). Ebenso werden wir in Hebr. 12 unterwiesen, daß unsere Eigenschaft als rechtmäßiger Sohn uns unter die gerechte Zucht des Vaters der Geister stellt. Und in Ev. Joh. 17 wird die Kirche der Sorge des Heiligen Vaters übergeben, damit Er sie bewahre in Seinem Namen. fahr sein. — Aber sind alle diese Tatsachen im Widerspruch mit der Frage Petri? Keineswegs. 

Das direkte Streben der moralischen Regierung Gottes ist, alle diejenigen vor dem Bösen zu bewahren, welche Nachahmer des Guten sind, und allen denen Züchtigungen aufzuerlegen, welche das Gegenteil tun; aber dieses hat nichts mit dem erhabenen Weg der Stellung eines Jüngers zu tun, und es beraubt ihn nicht des Vorrechtes und der Ehre, Christo so gleichförmig zu sein, als er es wünscht: „Denn euch ist es in Bezug auf Christum gegeben, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden, da ihr denselben Kampf habt, welchen ihr an mir gesehen, und jetzt in Betreff meiner höret" (Phil. 1, 29. 30). Hier lernen wir, daß es eine uns verliehene Gnade ist, wenn wir berufen sind, um Christi willen zu leiden, und zwar inmitten einer Scene, in welcher Er, auf dem Boden der moralischen Regierung Gottes, vielleicht sagt: „W er ist der, welcher euch Böses tun wird, wenn ihr Nachahmer des Guten seid?" Die Regierung Gottes anerkennen, und sich ihr unterwerfen, ist etwas ganz anderes, als Nachahmer eines verworfenen und gekreuzigten Christus zu sein. Selbst in dieser Epistel Petri, die, wie wir bemerkt haben, die Lehre der Regierung Gottes speziell zum Gegenstand hat, lesen wir: „Wenn ihr aber Gutes tut, und leidet, und es aushaltet, dieses ist wohlgefällig vor Gott.

 Denn hierzu seid ihr berufen, weil auch Christus für uns gelitten hat, euch ein Exempel hinterlassend, auf daß ihr seinen Fußstapfen nachfolgt." und anderswo: „Wenn jemand leidet als Christ (oder weil er moralisch Christi gleichförmig ist), so schäme er sich nicht sondern verherrliche Gott in dieser Beziehung."

 So oft nun die christlichen Kitern diese große Wahrheit aus dem Gesichte verlieren, sind ihre Häuser der Unordnung preisgegeben. Sie regieren nicht ihre Kinder; und mit der Zeit wird das Resultat sein, daß sie von ihren Kindern regiert werden, denn das Regiment muß irgendwo sein. Wenn diejenigen, denen Gott die Zügel anvertraut hat, dieselben nicht halten, wie sie es sollen, so werden diese Zügel bald in schlechte Hände fallen. Welch ein trauriges und schändliches Ding, Eltern zu sehen, die von ihren Kindern regiert werden! Ich zweifle nicht daß dieses in den Augen Gottes ein Flecken, eine Unordnung ist, die früher oder später Sein Gericht herbeiführen wird. Ein Vater, der die Zügel der Regierung aus seinen Händen fallen läßt, oder sie nicht festhält, fehlt ernstlich in seiner heiligen Verantwortlichkeit, weil er für seine Familie der Stellvertreter Gottes und der Verwalter Seiner Macht ist.

 Ich denke nicht, daß ein solcher Mann je seine völlige Stellung einnehmen und inmitten der Seinigen ein treuer Zeuge Gottes sein kann. Er mag ein Gegenstand der Gnade sein, was etwas anderes ist, als ein Zeuge für Gott sein. Dieses ist es, was den bejammernswerten Zustand so vieler Brüder erklärt. Sie haben in ihrer Pflicht, Gott gemäß ihre Häuser zu regieren, gänzlich gefehlt, wodurch sie ihre wahre Stellung und ihren moralischen Einfluß verloren haben; — und daher kommt es, daß ihre Energie geschwächt, daß ihr Mund geschlossen und ihr Zeugnis vernichtet ist. — Nicht alle haben die rechten Gedanken über diesen Gegenstand und vermögen nicht zur Quelle eines so ernsten Zustandes sittlicher Entartung zurückzukehren. 

Ach, leider nehmen es viele Christen gar leicht, ihre Kinder in den Ungehorsam und die Weltlichkeit hineinwachsen zu sehen; es scheint ihnen dieses natürlich und unvermeidlich; und oft hört man sie unter anderem sagen: „Während eure Kinder jung sind, tut ihr damit, was ihr wollt; aber wartet bis sie älter sind, und ihr werdet sehen, daß ihr gezwungen seid, sie in die Welt gehen zu lassen." — Nie werde ich glauben können, daß es nach den Gedanken Gottes ist, daß die Kinder Seiner Diener notwendig in die Weltlichkeit und Zuchtlosigkeit hineinwachsen. Nun, wenn dieses nicht Seine Gedanken sind, •— wenn Er in Seinem Erbarmen den Kindern Seiner Heiligen dieselben Pfade geöffnet hat, wie den Letzteren selbst, — wenn Er die christlichen Eltern autorisiert, für ihre Familien denselben Anteil zu wählen, den sie durch Seine Gnade für sich selbst gewählt haben, — muß man, wenn nach all diesem ihre Kinder eigenwillig und weltlich sind, dann nicht schließen, daß sich die Eltern ernstlich versündigt haben an der Ausübung ihres Verhältnisses und ihrer Verantwortlichkeit? Haben sie ihren Kindern nicht Unrecht getan und den Herrn entehrt? 

Und dürfen sie aus dem Resultat ihrer Untreue einen allgemeinen Grundsatz machen, indem sie aussprechen, daß alle Kinder der Christen heranwachsend den ihrigen gleichen werden? Tun sie wohl, junge Eltern, welche bezüglich ihrer Kinder das Terrain Gottes wählen möchten, abzuleiten, indem sie ihnen ihr eigenes Fehlschlagen vorstellen, anstatt sie zu ermutigen und sie hinzuweisen auf die unfehlbare Treue Gottes gegen alle, welche den Weg Seiner Gebote suchen? Auf diese Weise würden sie dem alten Propheten zu Bethel gleichen, der, weil er selbst im Bösen war, seinen Bruder hineinzuziehen suchte, und .dazu beitrug, ihn für seinen Ungehorsam gegen das Wort Jehovas von einem Löwen zerreißen zu lassen. Im ganzen genommen, offenbart der eigene Wille meiner Kinder den eigenen Willen meines eigenen Herzens; und ein gerechter Gott bedient Sich dessen, um mich zu züchtigen, weil ich mich nicht selbst gerichtet habe. 

Um mir Mühe zu ersparen, habe ich dem Bösen in meiner Familie seinen Lauf gelassen; und jetzt sind meine herangewachsenen Kinder gleich Dornen an meiner Seite, weil ich sie nicht für Gott erzogen habe. Dieses ist die Geschichte Tausender von Familien. Wir müssen nie aus den Augen verlieren, daß unsere Kinder, sowie wir selbst der „Verteidigung und der Bestätigung des Evangeliums" dienen sollen. Ich bin gewiß, daß, wenn wir dahin geführt werden, unsere Häuser als ein Zeugnis für Gott zu betrachten, dieses eine unermeßliche Reformation in der Weise, sie zu regieren, hervorrufen würde. Wir würden dann eine erhabenere, moralische Ordnung darin einzurichten trachten, nicht, um uns Mühe und Kummer zu ersparen, sondern vielmehr, damit das Zeugnis nicht durch die Unordnung unserer Häuser zu leiden habe. Jedoch vergessen wir nicht, daß wir, um die Natur unserer Kinder zu bezähmen, zunächst die unsrige bezähmen müssen. 

Wir können nie das Fleisch durch das Fleisch besiegen; und nur insoweit wir es in uns überwunden haben, sind wir im Stande, es auch in unseren Kindern zu überwinden. Ferner bedarf es dazu einer völligen Eintracht und einer vollständigen Harmonie zwischen dem Vater und der Mutter. Ihre Sprache, ihr Wille, ihre Autorität, ihr Einfluß, — kurz alles muß ein s sein in dem strengsten Sinne des Wortes. Indem sie „ein Fleisch" sind, sollten sie stets in ihren Häusern die Schönheit und die Macht dieser Einheit darstellen. Zu diesem Zweck sollen sie Gott gemeinschaftlich dienen, sollen Ihn erwarten, sollen in Seiner Gegenwart wandeln, sollen Ihm ihr Herz öffnen und alle ihre Sorgen Ihm anheimstellen. 

Wie oft fehlen die Männer und Frauen in dieser 189 Hinsicht. Bisweilen trifft es sich, daß der eine von Beiden wirklich der Welt zu entsagen und das Fleisch bis zu einem gewissen Grad zu zähmen wünscht, zu welchem der andere nicht gelangt ist; und dieses erzeugt traurige Resultate. Es führt oft zu allerlei Umwegen und zu bestimmten Gegenwirkungen in den Wegen und in den Grundsätzen des Mannes, und der Frau, so daß man nicht von ihnen sagen kann, daß sie ein s sind in dem Herrn. Die Wirkung von all diesem auf die heranwachsenden Kinder kann nicht schädlicher sein, und dessen Einfluß auf das ganze Haus ist unberechenbar. Was der Vater befiehlt, hebt die Mutter auf; was er verbietet, erlaubt sie; was er aufbaut, zerstört sie. 

Der Vater wird als hart und streng bezeichnet. Der. mütterliche Einfluß handelt unabhängig von dem des Vaters und setzt bisweilen gar dessen Einfluß gänzlich bei Seite, so daß die Stellung des Vaters eine der beschwerlichsten wird, und die ganze Familie einen Anblick von Verwirrung und gottloser Zügellosigkeit darbietet*). Dieses ist aber ein greuliches Ding. Unter solchen Umständen können Kinder nie gut erzogen werden; und in Bezug auf das Zeugnis für Christum ist schon der Gedanke daran entsetzlich. Wo ein solcher Zustand herrscht, da sollte man die tiefste Zerknirschung des Herzens über diesen Gegenstand vor dem Herrn wahrnehmen. Sein Erbarmen ist unerschöpflich und Sein zärtliches Mitleiden läßt uns nie fehl gehen, und wir dürfen gewißlich hoffen, daß, wenn wahrer Schmerz und aufrichtige Reue *) Nichts ist betrübender, als eine Mutter zu ihren Kindern sagen zu hören: „Es ist nicht nötig, daß dein Vater dieses oder jenes weiß." 

Wo dieses Verfahren der Gleißnerei und der Doppelzüngigkeit herrscht, steckt darunter etwas gründlich und entsetzlich Schlechtes; und es ist dann moralisch unmöglich, an die Ausübung einer wahren Zucht zu denken. Es ist dann unvermeidlich, daß entweder der Vater durch eine unmäßige Härte oder durch eine übertriebene Strenge „die Kinder zum Zorn reizt", oder daß die Mutter den eigenen Willen des Kindes begünstigt auf Kosten des Charakters und der Autorität des Vaters. In beiden Fällen ist dem Zeugnisse eine Fessel angelegt, welches in den Kindern viel Böses anrichtet. Christliche Eltern sollten daher sorgfältig wachen, vor ihren Kindern und ihren Dienstboten stets in der Macht derjenigen Einheit zu erscheinen, die aus ihrer vollkommenen Einigkeit in dem Herrn entspringt. 

Und wenn unglücklicher Weise ihr Urteil in diesem oder jenem Punkte häuslicher Regierung nicht übereinstimmt, so mögen sie dieses zu einem Gegenstand freundlicher Beratung in der Gegenwart Gottes machen, aber nie ihre Meinungsverschiedenheit vor denen im Hause kund werden zu lassen; denn dieses würde eine moralische Schwäche offenbaren, welche eine Geringschätzung gegen ihre Regierung hervorriefe.

 0 vorhanden ist, Gott in Gnade dazwischen treten wird, um zu heilen und wieder aufzurichten. Gewiß ist es, daß wir nicht an dergleichen Dingen teilnehmen sollen; mögen daher alle, die in ihrem Herzen darüber betrübt sind, Tag und Nacht zum Herrn schreien, indem sie sich gründen auf Seine Wahrheit und auf Seinen Namen, welche durch solche Sünden verlästert sind; — und gewiß, Gott wird hören und retten! Jedoch muß dies e Frag e i n ihre r Füll e im Licht e de s Zeugnisse s fü r de n Soh n Gotte s betrachte t werden ; denn um dieses Zeugnisses willen sind wir auf der Erde gelassen worden. In der Tat ist es uns nicht freigestellt, unsere Kinder nach Belieben zu erziehen, sondern wir sollen sie erziehen für Gott, mit Gott, durch Gott und vor Gott. Um einen so erhabenen Zweck zu erreichen, müssen wir uns viel in der Gegenwart Gottes befinden. Ein christlicher Vater kann seine Kinder nicht schlagen und ausschelten, wie es die Männer der Welt nach ihren Grillen und Launen des Augenblicks tun. 

Der Christ soll inmitten seiner Familie den Herrn repräsentieren; dieses wohlverstanden, wird er alles in seinem Hause regeln. Er ist der Verwalter Gottes; er wird daher, um dieses Amt recht zu verstehen und treu zu verwalten, in einem häufigen, oder vielmehr ununterbrochenen Verkehr mit seinem Herrn stehen müssen. Er muß sich nahe zu den Füßen dieses Herrn setzen, um zu erfahren, was und wie er es tun soll; denn nur dann wird alles in seiner Verwaltung einfach und leicht. — Oft möchte das Herz eine allgemeine Regel für jedes der verschiedenen Einzelheiten der häuslichen Verwaltung haben. Man fragt z. B. welche Art Strafen, welche Art Belohnungen und welche Art Unterhaltungen sollen christliche Eltern annehmen. 

Was die Strafen betrifft, so denke ich, daß sie selten notwendig sein werden, wenn die göttlichen Grundsätze der Erziehung des Kindes von der zartesten Jugend an in Ausübung gebracht sind. Was die Belohnungen betrifft, so scheint mir, daß sie wesentlich bestehen sollten in Ausdrücken von Liebe und Beifall. Ein Kind soll gehorsam sein, — gehorsam in allen Beziehungen und unaufhörlich, — nicht um eine Belohnung zu erhalten, welche geeignet ist, den Wetteifer, diese Frucht des Fleisches, zu nähren und zu entwickeln, sondern weil Gott es also will. — Die Unterhaltungen endlich, die ihr euren Kindern zu verschaffen wünscht, mögen stets, wenn möglich, den Charakter irgendeiner nützlichen Beschäftigung haben. Dieses ist dem Geiste ersprießlich. Es ist eine schlechte Sache, in den Kindern den Gedanken zu unterhalten, daß glänzende Spielzeuge und Tändeleien Vergnügen verschaffen. 

Ich habe oft sehr junge Kinder an Papier, an einem Bleistift oder an 191 dergleichen Sachen, welche sie sich selbst verschafften, ein weit wahrhafteres und gewiß viel einfacheres Vergnügen finden sehen, als an den teuersten Spielsachen. Endlich laßt uns bei allen Sachen, bei Strafen, Belohnungen und Spielen das Auge auf Jesum gerichtet haben, und laßt uns ernstlich trachten, das Fleisch zu unterwerfen, unter welchem Schein und unter welcher Gestalt es sich auch zeigen möge. Dann werden unsere Häuser ein Zeugnis für Gott sein; und alle, die hineintreten, werden gezwungen sein, zu sagen: „Got t i s t hier. " Ich muß schließen. Ich habe nicht, — Gott weiß es, — die Feder genommen, um irgend jemand zu kränken. Ich fühle in aller Stärke die Wahrheit, die Wichtigkeit, den feierlichen Ernst des Gegenstandes, den ich behandelt habe, und zu gleicher Zeit meine Unfähigkeit, denselben mit der nötigen Klarheit und Kraft ins Licht zu stellen. Dennoch hoffe ich zu Gott, daß Er diese Zeilen wirken lassen werde und wenn Er wirkt, so kann das schwächste Werkzeug Seinem Zweck entsprechen. Ihm empfehle ich jetzt diese Zeilen, von denen ich mit Zuversicht sagen kann, daß ich sie in Seiner heiligen Gegenwart begonnen, fortgesetzt und beendigt habe. 

Ein Gedanke hat mich außerordentlich gestärkt, nämlich, daß in dem Augenblick, wo ich auf meinem Gewissen die Notwendigkeit, diese Broschüre zu schreiben, fühlte, eine gewisse Anzahl vielgeliebter Brüder versammelt waren, um sich zu demütigen, um zu bekennen und namentlich das Zeugnis für den Sohn Gottes in den letzten Tagen zum Gegenstand ihrer Gebete zu machen. Ich zweifle nicht, daß ein sehr wichtiger Punkt ihres Bekenntnisses der Verfall bezüglich der Regierung der Familie gewesen sein werde; und wenn diese Zeilen durch den Geist Gottes benutzt würden, in einem einzigen Gewissen ein recht tiefes Gefühl über diesen Verfall, und in einem einzigen Herzen ein wahrhaft aufrichtiges Verlangen zu wecken, diesen Riß nach den Gedanken Gottes wieder herzustellen, so würde dieser Beweis, nicht vergeblich geschrieben zu haben, eine nicht geringe Freude für mich sein. Möge der allmächtige Gott nach dem Reichtum Seiner Gnade durch den Heiligen Geist in den Herzen aller Seiner vielgeliebten Heiligen ein brennendes Verlangen hervorrufen, in dieser letzten Stunde ein vollständigeres, helleres, entschiedeneres und kräftigeres Zeugnis für Christum aufzurichten, damit, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes in der Luft ertönen, Er hienieden ein Volk finde, wohl zubereitet, um dem himmlischen Bräutigam entgegenzugehen.

Die Gnade Gottes 

Es gibt vielleicht keinen Abschnitt in der Heiligen Schrift, worin die Gnade anziehender dargestellt wäre, als in dem 15. Kap. des Lukas. Hier wird auf die schlagendste und einfachste Weise die Freude Gottes über die Errettung des Sünders an's Licht gestellt. Ach! wie träge ist das menschliche Herz, diese lieblichen Darstellungen des Charakters und der Handlungen Gottes aufzunehmen und sie zu genießen! Wohl sind die Menschen bereit, zuzugeben, daß Gott heilig ist, und daß Er den Menschen wegen der Sünde richten wird. Ebenso geben sie sich der Einbildung hin, daß die Gerechtigkeit Gottes die moralischen Verdienste des Menschen belohnend anerkennen werde, und denken in ihrem Stolz, daß sie Ihm auf diesem Grunde begegnen könnten. Wenn aber Gott in dem Evangelium die Menschen als Sünder bezeichnet, als solche Sünder, die auch nicht das Geringste haben, was sie vor Ihm empfehlen könnte — und wenn Er ihnen die Vergebung der Sünden und Seine Willigkeit, den Sünder auf dem Grunde der freien Gnade zu empfangen, verkündigen läßt, dann fängt der Mensch an, Einwendungen zu machen. 

Er wirft vor, daß auf diese Weise, moralische, ehrbare Leute mit „Zöllnern und Sündern" in eine Klasse gebracht würden. Und warum? Weil er von seiner eingebildeten Gerechtigkeit nicht lassen kann, und weil Gott, indem Er die Menschen als Sünder behandelt, und sie nur auf dem Grundsatz de r Gnad e empfängt, als die Unterscheidungen, welche das stolze Herz des Menschen zwischen dem einen und dem anderen macht, hinweg nimmt. Das Wort Gottes stellt den ehrbaren und selbstgerechten Menschen, der liebreich, angenehm und gütig in den Augen der Welt ist, der nie irgend jemand Unrecht getan, und, gleich dem Kain, Gott Seine Ehrerbietung bewiesen und Ihm einen Teil seiner Gabe dargebracht hat, ja, einen solchen stellt es mit dem elendesten Sünder auf ei n un d denselbe n Grund . 

Vor den Augen Gottes ist, wie wir Röm. 3, 22 lesen: „kein Unterschied; denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes." Deshalb „murrten" die Pharisäer und Schriftgelehrten (gleich den Selbstgerechten und Gesetzlichen unserer Tage) wider den gesegneten Jesus: „Dieser", sagten sie, „nimmt die Sünder auf und ißt mit ihnen." Und gerade dies beweist, daß Gott alle die moralischen Unter41 193 Scheidungen, welche der Mensch macht, völlig beiseite setzt, weil sie auf einem falschen Grunde beruhen. 

Sie übersehen die unendliche Heiligkeit Gottes und den vollkommenen Haß der Sünde vor Seinen Augen. Gott kann dem Menschen nur als Sünde r begegnen. Wenn irgendwie der Mensch sich anmaßt, gerech t zu sein, so stellt er sich dadurch selbst außer den Bereich der Einladung des Evangeliums; denn „Christus ist nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder zur Buße." Das 15. Kapitel des Lukas enthüllt diese Gnade in ihrer ganzen Lieblichkeit vor unseren Augen. Die drei Gleichnisse, welche dasselbe enthält, lehren uns diese gesegnete Wahrheit, da ß e s di e Freud e Gotte s ist , de n Sünde r z u suche n un d aufzunehmen . Ohne Zweifel ist es eine Freude für den Sünder, aufgenommen zu werden; aber das, worüber wir hier belehrt werden, ist die noch größere Freude Gottes, ihn aufzunehmen. O, welch eine glückliche und wunderbare Wahrheit! — Der Himmel erfreut sich über den zurückkehrenden Sünder. Das erste Gleichnis ist das des Hirten, welcher dem verlorenen Schaf nachgeht, bis er es findet. „Und wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Schultern und trägt es heim mit Freuden. Er unterzieht sich all der Mühen und Beschwerden des Suchens, weil er es für so wertvoll hält. Dies ist der Weg Christi, des guten Hirten, welcher Sein Leben läßt für die Schafe. Er kam, „zu suchen und zu erretten, was verloren war." Das zweite Gleichnis zeigt uns die Bemühung der göttlichen Liebe, um das Verlorene wieder zu erlangen. Alles ist geschehen, um die Drachme zu finden: die Lampe ist angezündet, das Haus ist gefegt, es ist fleißig gesucht worden, bis der Schatz gefunden war; und wenn er gefunden ist, so ist große Freude im Hause, und selbst wurden andere hinzugerufen, um daran teilzunehmen: — „Freuet euch mit mir; denn ich habe die Drachme gefunden, welche ich verloren hatte."

— In dem dritten Gleichnis finden wir, daß die Gnade Gottes in der Aufnahme der Sünder auf eine spezielle Weise offenbart ist. Der Herr Jesus stellt uns hier einen Menschen vor, der dem Hause seines Vaters den Rücken gekehrt hat, und welcher vorzieht, seinen eigenen Willen zu tun, bis er in das tiefste Verderben und in den traurigsten Zustand herabgesunken ist. Der Herr wählt einen Fall, worin sogar nach menschlichem Urteil das Böse völlig enthüllt und offenbar ist, damit Er die überschwengliche Gnade um so klarer an den Tag legen kann. Laßt uns hier bemerken, daß der Lauf der Gottlosigkeit 194 gerade die Folge der ersten Handlung der Unabhängigkeit war. Der Verschwender wendet seinem Vater den Rücken und erwählt, seinen eigenen Willen zu tun. Dies war seine große Sünde, und alle anderen flössen daraus hervor. Fragen wir in dieser Beziehung uns selbst, ob wir nicht, ehe die Gnade Gottes uns ergriffen hatte, gleich schuldig gewesen sind? Ob wir nicht, sei es im Offenbaren, sei es im Geheimen, Gott unseren Rücken gekehrt hatten? Ob wir nicht vorzogen, unseren eigenen Willen zu tun und unsere Gelüste mehr als das Wohlgefallen Gottes zu suchen? 

Gewiß, im Grundsatz sind wir alle Verschwender gewesen; wir haben unsere eigenen Wege geliebt; haben unabhängig \on Gott gehandelt, und waren also ebenso schuldig, wenn auch äußerlich nicht so unrein, wie jener. Der Verschwender war der Verlorenen einer, weit entfernt von dem Hause seines Vaters, — mag seine Laufbahn eine öffentlich gerichtete und verworfene gewesen sein, oder nicht. Er war ebenso gewiß ein Sünder, wenn er auf der Türschwelle seines Vaters einherging, als wenn er in fernem Lande die Schweine hütete. Er hatte erwählt, sich selbst zu gefallen und unabhängig zu handeln, und dies ist das Wesen der Sünde. Aber, was war sein Lauf und wie endigte er? Er suchte sein Glück in dem Trachten nach den Vergnügungen dieser Welt. Was er sich in seinem Herzen vorsetzte und wovon er dachte, daß es zu seinem Genuß beitragen könnte, das tat Er. Sich in der Freude zu sättigen, war der große Gegenstand seines Herzens. Gelang ihm dieses?

 Ach, in diesem eitlen Trachten verschwendete er alles, was er hatte, und dann trat die „Hungersnot" ein — und so geht es gewöhnlich. Der Mensch gibt sich dem eitlen V/ahn hin, seine Befriedigung in dem zu finden, was diese Welt darbietet. Er ersinnt Vergnügungen; vorher denkt er darüber nach, und nachher verweilt er bei denselben; er vollbringt in der Hoffnung für morgen die Leere des heutigen Tages. Und nach diesem allem — er kann sich nicht glücklich machen. Am Ende findet er sich immer wieder getäuscht. Früher oder später hören die Ergötzlichkeiten auf, und dann tritt das Gefühl des „Mangels" ein — ein Mangel, den jeder Weitling fühlt — ein Mangel, der durch nichts Irdisches befriedigt werden kann. In dem fernen Land ist kein Balsam für ein schuldbeladenes Gewissen — kein Trost für die Schmerzen eines gebrochenen Herzens. In seinem elenden Zustand sucht der Verschwender Erleichterung bei einem Bürger jenes Landes; und dieser schickte ihn auf seine Äcker, um „di e Schwein e z u hüten . Und er begehrte, seinen Bauch mit den Trebern zu füllen, welche die Schweine fraßen; und niemand gab 195 ihm" (V. 16). Das ist der elende Zustand der Sklaven Satans; das ist das Ende der Freuden dieser armen Erde.

 Die Einbildungen der verheißenen Glückseligkeit sind dahin. Die Quellen sind erschöpft; im Innern sind die Vorwürfe eines nagenden Gewissens, und in der Welt ist kein Trost mehr zu finden. Ach, das Teil des Weltlings ist höchst bejammernswert und traurig! In dieser äußersten Not kam der Verschwender „ z u sic h selbst. " Der Gedanke an des Vaters Haus tauchte mit einem Schimmer von Hoffnung in seiner Seele auf. Er sagt: „Wieviel Tagelöhner meines Vaters haben Überfluß an Brot; ich aber komme hier vor Hunger um" (V. 17). Also gedrängt durch seine große Not und ermutigt durch die Gedanken an die Gnade seines beleidigten Vaters (obgleich seine Gedanken über dessen Herz höchst unwürdig waren) sagt er: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater! ich habe gesündigt wider den Himmel und vor Dir; ich bin nicht würdig, dein Sohn zu heißen! mache mich wie einen deiner Tagelöhner" (V. 18. 19). Dies war der Wendepunkt in seiner Geschichte. Er war von seiner Sünde überzeugt — tief überzeugt, und sein Herz war bereit, sie zu bekennen. Er war überzeugt, da ß e r sic h selbs t z u Grund e gerichte t hatte ; aber er hatte auch Mut zu hoffen, daß er von Dem, gegen welchen er gesündigt hatte, Vergebung erlangen würde. Ist dies auch deine Erfahrung, mein lieber Leser? Bist du auch auf diese Weise z u di r selbs t gekommen ? Ist es dir offenbar geworden, da ß d u selbs t dic h z u Grund e gerichte t un d vo n Got t entfern t has t un d d a ß nu r i n Got t Hilf e fü r dic h ist ? Bist du auf diese Weise unter dem Gefühl der Sünde niedergebeugt gewesen? 

Hast du je zu dir gesagt (es sind schreckliche Worte): „ICH BIN VERLOREN!" „Meine Ungerechtigkeiten haben mich und meinen Gott voneinander geschieden?" (Hes. 59, 2). Wenn diese Überzeugungen durch den Heiligen Geist in deiner Seele erweckt worden sind, dann lasse diese göttlich mitgeteilte Ermutigung auch dich zur Umkehr bewegen. Gott Selbst ladet dich ein. Doch kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Der Verschwender richtet seine Schritte zu dem Hause seines Vaters. Erlangt er schon Frieden, während er noch auf dem Wege ist? Nein; je weiter er vorangeht, desto mehr wächst das Gefühl der Unwürdigkeit in seiner Seele. Sein Herz schlägt; seine Lumpen werden offenbarer — seine Schlechtigkeit drückender. Wohl möchte er sagen: „Ich bin gewiß, er ist der gütigste der Väter; aber, wird er-—kann er einen 196 solchen, wie i c h bin, aufnehmen?" So ist es mit dem Sünder, wenn er durch den Heiligen Geist von seiner Schuld überführt ist.

Anstatt daß das Gewissen abgestumpft wird, wird es vielmehr tätig. Das Gefühl der Sünde, wenn der Sünder sich in der Gegenwart Gottes beschaut, beugt ihn tief darnieder. „Wie kann ich dem Herrn nahen, dessen Augen zu rein sind, als daß e r Ungerechtigkeit anschauen könnte? O, ich elender Mensch, der ich bin." Wenn aber das Werk des Geistes fortgesetzt wird, dann wird in der Tat das Evangelium eine Botschaft großer Freude — dann wird die Lieblichkeit Jesu, als Heiland, empfunden. Der gnadenreiche Charakter Gottes entfaltet sich; die Lieblichkeit des Gedankens, daß Gott ein Vater ist, wird gefühlt. — So geht der Verschwender voran, obgleich er noch in seinen Lumpen ist. Wie wird sein Empfang sein? Ach! welch ein tiefergreifendes Bild von der Gnade Gottes wird in dieser Erzählung vorgestellt. Süßere Klänge dringen nie in das Ohr eines zurückkehrenden Sünders, als wir hier im 20. Vers unseres Kapitels finden: „Al s e r abe r noc h fern e war, sa h ih n sei n Vater , un d war d innerlic h bewegt , un d lie f hi n un d fie l ih m u m de n Hal s un d küßt e ih n viel. " — 

Glaubst du, mein geliebter Leser, in deinem Herzen, daß dies eine wahre Darstellung der Gnade Gottes gegen verlorene Sünder ist? Gewiß, wenn du es tust, so muß sich dein Herz in Liebe gegen Ihn öffnen. Gott sei Dank! Wir haben hier das getreue Bild der überschwenglichen Gnade Gottes — ein Bild, gezeichnet durch die Hand des Herrn Jesu Selbst. Ja, die Gedanken der Menschen würden nie gewagt haben, an eine solche Gnade zu denken. Der Verschwender war, als der Vater an seinem Halse hing, noch in dieselben Lumpen gehüllt, welche ihn auch im fernen Lande bedeckt hatten. Sei n Empfan g wa r vo n de m abhängig , wa s d e r Vater , un d nich t vo n dem , wa s e r war . Ebenso hängt die Aufnahme des Sünders nicht von dem ab, was der Sünder ist, sondern von dem, was Gott ist. Ach, mit welch einem Gott haben wir es zu tun! Möge doch der Geist einem jeden von uns, einen tieferen und bleibenderen Eindruck von dieser Liebe Gottes geben, die allein fähig ist, uns in unseren Lumpen zu umarmen! Doch nur der Heilige Geist kann uns eine wahre Überzeugung von dem geben, was wir sind; nur Er kann uns diese Erkenntnis Gottes mitteilen, welche Friede, Freude und ewiges Leben ist. 

Der Verschwender, als er noch unterwegs war, hatte keine Idee von dem Reichtum der Gnade seines Vaters; sein höchster Gedanke erfaßte nicht den geringsten Grad derselben. „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner", war 197 seine beabsichtigte Bitte. Er kannte den Vater nicht, und er wußte nicht, was Gnad e ist. Er tröstete sich damit, daß er nicht würde verworfen werden; doch seine Gedanken waren mehr Gedanken des Gesetzes , — etwas zu geben und etwas wieder zu empfangen. In der Umarmung seines Vaters ließ er seinem Bekenntnis freien Lauf; aber die letzten Worte: „Mach e mic h w i e eine n deine r Tagelöhner" , konnte er nicht über seine Lippen bringen. Nein; denn des Vaters Küsse erstickten diesen Gedanken. Er konnte die Liebe, welche ihn als K i n d umarmt hatte, nicht durch solche Worte beleidigen, noch konnte er durch solch eine kindliche" Bitte das Herz des Vaters kränken, welcher, auf seine Buße und auf das Vertrauen an Seine Gnade die ganze Vergangenheit für immer ausgetilgt hatte. Er konnte, nachdem er die Küsse empfangen und als Kind aufgenommen worden war, nicht mehr daran denken, zum Tagelöhner gemacht zu werden. Der Verschwender würde zufrieden gewesen sein, als Knech t aufgenommen zu werden; allein das Herz des Vaters konnte sich nicht damit befriedigen. — 

„O Gott, — gepriesen sei dein Name! — Du bist die Liebe! Dein Herz kann nicht befriedigt werden durch die schuldigen Dienstleistungen eines Knechtes. Dein Haus muß durch den Freudenruf: Abba, Vater! erfüllt werden." Es gibt aber noch andere Züge in dieser lieblichen Scene. Gott wollte, daß der bußfertige und gläubige Sünder in Seinem Hause mit der ganzen Freiheit und dem völligen Vertrauen eines Kindes wohne; Er wollte, daß er bekleidet sei mit Kleidern, die sich für einen aufgenommenen Sohn geziemen. — Er hat für eine dauernde Segnung Sorge getragen. Deshalb mußten die Lumpen, in welchen der Verlorene empfangen worden war, ausgezogen -werden — es sollte nicht die geringste Spur der Sünde zurückbleiben, und dieser Wechsel der Kleider mußte vorher in Ordnung gebracht werden. Aber konnte der Verschwender dies selbst in Ordnung bringen? Gewiß nicht; und deshalb fordert ihn auch der Vater nicht auf, hinzugehen und sich Kleider zu suchen, welche der Stellung, worin er sich erfreuen sollte, gemäß seien. Ach! und dennoch sind ihrer so viele, welche dies zu tun versuchen und sich so lange vergeblich abmühen.

 In ihrem Stolz sind sie bestrebt, sich selbst für den Himmel fähig zu machen, indem sie suchen, sich einen Reichtum von ihrem Eigenen zu gründen — ein Reichtum, d e r durc h si e selbs t ode r i n ihne n he r vorge -
brach t is t — anstatt in ihrer wahren Leere zu kommen und sich mit dem Reichtum Gottes füllen zu lassen — mit einem Reichtum, welcher gan z un d ga r außer ihnen ist, 198 und welchen allen zugerechnet wird, die da glauben. „Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringt das vornehmste Kleid her und zieht es ihm. an, und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße" (V. 22). So hat Gott für den Sünder ein Kleid der Gerechtigkeit bereitliegen, in welchem derselbe in Seiner Gegenwart stehen kann. Laßt uns an dieses kostbare Kleid denken. Es ist die freie Gnade Gottes durch den Tod Christi. Der Mensch ist mit Sünde bedeckt und kann als solcher nicht im Hause des Vaters wohnen; denn Gott ist sowohl heilig, als auch gütig. — Wie wird nun aber die Sünde hinweggetan? 

Kann der Sünder sich selbst reinigen? Kann der Äthiopier sich weiß waschen? Nimmermehr. Die Sünde ist eine tiefere und schrecklichere Sache, als der Mensch sich vorstellt. Alle Mittel des Menschen, sie hinwegzuschaffen, sind ganz und gar eitel und nichtig. Die Sünde ist in den Augen Gottes überall häßlich, und nach Seinern unabänderlichen Richterspruch endet sie im Tode. So ist denn dein Teil, mein lieber Leser, als Sünder ein ewiger Tod. — Müssen wir denn ewiglich sterben? Furchtbar schrecklicher Gedanke! Gott 'wolle es verhüten! — Ja, Er will es; Er, sowohl vollkommen in Liebe als auch in Heiligkeit, hat einen Ausweg für uns bereitet. Die Liebe hat gesiegt. Der ewige Sohn Gottes hat den hoffnungslosen Zustand des Menschen auf Sich genommen. Er wurde Mensch; Er nahm unsere Sünde auf Sich und am Kreuze trug Er, als Stellvertreter des Sünders, die schreckliche Strafe des Gerichts Gottes, welches die Sünde verurteilte. Er starb, „der Gerechte für die Ungerechten." Denn Er hat Den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in Ihm die Gerechtigkeit Gottes würden (2. Kor. 5, 21). Gottes Gesetz ist also verherrlicht, Seine Heiligkeit offenbart und Seine Gerechtigkeit befriedigt worden. Zur vollkommenen Freisprechung ist dem Sünder jetzt ein Weg bereitet, und ewiglich bleibt er für die freie und völlige Errettung ein Schuldner Gottes.

 Jeder Forderung an den Sünder ist auf diese Weise begegnet — völlig begegnet worden durch Christum;— Gottes Gerechtigkeit ist jetzt, nach den Worten Paulus' „zu allen hin und auf alle, welche glauben." Dies ist das Kleid, das Gott dem Sünder darreicht, welcher — jeden Gedanken an seine eigene Gerechtigkeit, die im besten Falle nur schmutzige Lumpen sind, aufgebend, — mit einem bußfertigen und gläubigen Herzen kommt, um die „Gerechtigkeit Gottes" zu empfangen. 199 Möge diese Wahrheit, lieber Leser, einen tiefen Eindruck auf dein Herz machen. Gott wollte, daß Seine Kinder in vollkommener Ruhe in Seiner Gegenwart wandeln möchten, und zwar im Bewußtsein, daß Christus, als ihr Stellvertreter, jede Forderung für sie bezahlt und aus dem Weg geräumt hat. Er wollte nicht, daß sie noch irgendein Zeichen ihrer früheren Sünde und Schande an sich trügen, sondern wollte ihnen den überschwenglichen Reichtum Seiner Gnade kundtun — einer Gnade, in welcher jede Spur von Sünde, jeder Zug des „fernen Landes" hinweggetan ist. Und in dieser Quelle, welche Gott für alle Sünde und Unreinigkeit geöffnet hat, gewaschen zu sein, und dennoch sich einzubilden, daß irgendein Flecken von Sünde zurückgeblieben sei, heißt nichts anderes, als das versöhnende Blut Christi, das Gott zur Tilgun g de r Sünd e verordnet hat, herabzuwürdigen. 

Das Blut reinigt nicht nur von einigen, sondern von „alle n Sünden. " Deshalb, wenn die, welche glauben, wegen ihrer vergangenen Sünden Unruhe haben, als ob sie ihnen noch zugerechnet würden, schätzen sie das vollkommen beendigte Werk Christi gering und zweifeln an der Wahrhaftigkeit Gottes; es heißt in der Tat sagen: „Ich kann nicht völlig auf das vertrauen, was Gott sagt; ich kann nicht glauben, daß Christus meine Schuld vollkommen hinweggetan hat; der Preis für meine Erlösung ist, fürchte ich, nicht hinreichend." Ach, wie träge sind sogar die Christen, zu glauben alledem, was der Herr geredet hat! Wie schwer wird es dem armen Herzen, die wahren Worte Gottes völlig anzunehmen, weil sie in der Tat so unaussprechlich gütig und gnädig, und unseres Gottes so würdig sind. Der geringste Unglaube aber entehrt Gott und raubt Seinem geliebten Volk viel Freude. 

Wie glücklich ist im Gegenteil das einfache Kind des Glaubens! Es verwirft seine eigenen Gedanken und empfängt in seiner Seele, als unumstößliche Wahrheit, die geoffenbarten Gedanken Gottes. Gott sagt ihm, daß Er völlig zufrieden sei mit dem kostbaren Blute Christi — „dem Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt" — als eine vollkommene Genugtuung für die Sünde. Und es wird in der Einfalt und im Vertrauen eines gläubigen Herzens ausrufen: „Was Gott mir sagt, muß wahr sein. 

Christus, mein Bürge , nahm meine Schuld und bezahlte sie. Christus, mein Stellvertreter , nahm meine Sünde und trug deren Fluch; Er litt die Strafe des Todes, welche ich verdient hatte — Er starb an meiner Statt. Dies ist Gottes Wort an mich — Gott Selbst ist es, der es gesagt hat. Wie, darf ich Ih m mißtrauen? Was E r sagt, muß wahr sein. Christus hat meine Sünden an Seinem eigenen Leibe an dem Holz getragen (l.Petri 2, 24); und er hat sie für 200 imme r hinwe g getragen. " Die Frage , zwischen Gott als einem Richte r un d mir als einem Sünder , ist nu n völlig erledigt, — ich hab e Frieden*). Möge de r Herr durch den Geist auch dein Her z öffnen, geliebter Leser, u m diese köstliche Wahrheit mit vieler Ge -
wißheit des Glaubens aufzunehmen. Denk e daran, daß die wunderbar e Offenbarung Gottes Seiner Selbst un d Seine r Wege die gehorsame Unterwerfun g deiner Seele fordert. U n d diese Unterwerfun g besteht zunächst darin, daß d u völli g un d zuversichtlic h glaubst . Gott kan n Sich nicht nach deinen unwürdigen , beschränkten un d armseligen Gedanke n richten. Er handelt nach de r Vollkommen -
heit Seine r Liebe un d deshalb bekleide t Er den Sünder, de r ihm im Glauben naht, mit bestem Kleide. Er ist nicht mit einem gute n Kleid zufrieden, es mu ß das best e sein. Dies ist, wa s Gott tut. Er bekleide t ihn mit Christum, *) Es gibt ohne Zweifel Personen, deren Umkehr zu Gott deutlich wahrzunehmen ist, und welche dennoch nicht diesen bleibenden Frieden haben. Sie glauben an den Herrn Jesum Christum — Er ist ihr alleiniger Grund der Zuversicht vor Gott; aber sie glauben nicht — und vielleicht sind sie auch nicht darin unterwiesen worden — das ganze göttliche Zeugnis über Ihn. Sie haben sehr unvollkommene und oft unwürdige Vorstellungen von der Größe und der Herrlichkeit dieses Heilandes, an welchen sie glauben. Die Seele aber, welche sich der Belehrung des Heiligen Geistes anvertraut, wird in die Erkenntnis der völligen und vollkommenen Errettung, welche in Christo Jesu ist, geleitet werden und deshalb einen sicheren, bleibenden und ununterbrochenen Frieden haben. 

Denn unter der göttlichen Belehrung wird der Sünder nicht nur dahin gebracht, seinen verderbten Zustand zu sehen und zu -fühlen, und. in dem Opfer Christi eine Genugtuung zu erblicken, sondern er wird auch weiter geführt, um zu verstehen, daß derselbe göttliche Heiland, welcher für seine Sünden gestorben und auferstanden ist, jetzt zur Rechten Gottes sitzt, um für Sein erlöstes Volk zu bitten. Aaron bereitete nicht nur ein S ühn o pf e r für die Kinder Israel, sondern er war auch beauftragt, für ihre Reinigung vo n jeder Art Befleckung — ein schönes und vollkommenes Vorbild unseres großen Hohenpriesters — Sorge zu tragen. Das völlige Ergreifen des Priestertums und der Stellvertretung Christi erfüllt die Seele des Gläubigen mit unaussprechlichem Trost. 

Weiter ist Christus „der gute Hirte". Er liebt Seine Schafe: denn Er hat Sein Leben für sie hingegeben; o gewiß, sie haben alle Ursache, Ihm zu vertrauen. Sie sind unter Seine allmächtige und segnende Bewahrung gestellt; Er wird in Seiner Fürsorge für sie nimmer fehlen. Seine liebliche Zusage ist: „Sie werden nimmermehr verloren gehen — niemand soll sie aus meiner Hand reißen." 201 schmückt ihn mit der Annehmlichkeit Christi, welcher Gottes unaussprechliche Wonne ist, und deshalb ist kein Engel im Himmel in Seinem Glänze dem gleich, der „im Blute des Lammes gewaschen ist." Die Engel sind nicht mit dem Kleid, welches Gott ihm gegeben hat, bekleidet. Es sind Sünder — das gefallene Geschlecht Adams — welches Gott erwählt hat, um Sich in ihnen zu verherrlichen. Es ist Seine Freude, um nach den ewigen Ratschlüssen vor den anbetenden und staunenden Heerscharen des Himmels an ihne n den überschwenglichen Reichtum Seiner Gnade durch Seine Güte in Christo zu erweisen (Eph. 2, 7). Die Sünde des Menschen ist also eine Gelegenheit geworden, die herrlichen Vollkommenheiten Gottes zu enthüllen.

 Es gibt aber noch eine andere Seite in dem Gleichnis, worauf wir noch kurz unseren Blick werfen müssen: — die Art und Weise, in welcher die Rückkehr des Verschwenders gefeiert wird. „Es ist Freude vor den Engeln Gottes, über eine n Sünder, der Buße tut." „Denn dieser, mein Sohn, war tot, und ist wieder lebendig geworden, und war verloren, und ist gefunden" (V. 24). Laßt uns hier bemerken, daß zwei verschiedene Ausdrücke gebraucht sind, um die Stellung des Sünders bei seiner Aufnahme zu beschreiben. Er war einer, der „in den Vergehungen und Sünden tot war", aber Christus hat ihn lebendig gemacht und „mit auferweckt." — Und es wird auch von ihm gesprochen, als von einem, der „verloren" war, — aber Christus hat ihn gefunden und heimgebracht, — und mit welch einem Willkommen wurde seine Rückkehr im Hause des Vaters gefeiert! Nichts fehlte, um das Herz des Sohnes vollkommen glücklich zu machen. Alles trug dazu bei; denn wenn das Herz des Sohnes nicht glücklich war, so konnte auch die Freude des Vaters nicht vollkommen sein. 

Die Befriedigung der Liebe ist die Quelle der reichsten Freude in dem Herzen des Vaters; — dann aber auch erfüllte diese Freudenbotschaft das ganze Haus. Also ist die Rückkehr des Sünders zu Gott hier als eine Gelegenheit zu einem festlichen Tage dargestellt. Die lieblichsten Bilder sind gebraucht, um die Freude dieser Scene an den Tag zu legen. Das gemästete Kalb ist geschlachtet — das Gastmahl bereitet — die Musik und der Reigen wurden sogar außerhalb der Mauern gehört — alles ist fröhlich und mit Freude erfüllt; denn der, welcher „tot war, ist wieder lebendig geworden", und der, welcher „verloren, ist gefunden" (V. 24). Gibt es wohl, mein geliebter Leser, eine augenscheinlichere Darstellung von der Gnade Gottes, Dessen Liebe sich in der Aufnahme des Kindes verherrlichen will, mag dessen Zustand auch noch so schlecht sein? Welch ein Trost ist dies 202 für den elendesten Sünder auf der Erde? 

Mag auch kein Mensch an ihn denken und für ihn Sorge tragen; mag auch alles um ihn her gegen ihn sein und mag ein schuldbeladenes Gewissen ihn verurteilen, — das Evangelium Christi ladet ihn ein, zu Gott zurückzukehren, zu dem Gott, gegen welchen er gesündigt hat. Dies Evangelium erzählt ihm, daß viel Vergebung bei Gott ist, und daß er in der Glückseligkeit der alles vergebenden Liebe Gottes für sein armes Herz Ruhe finden kann. Erlaube mir nun diese Frage, mein lieber Leser: Hast du dich selbst und hast du Gott also kennen gelernt? Bist du aufgewacht, um zu sehen, daß du von Natur in einem „fernen Lande" bist — ausgeschlossen von dem Hause des Vaters und umkommend vor Hunger? Hast du mit dem verlorenen Sohne die Überzeugung erlangt, daß, wenn du in deinem jetzigen Zustand bleibst, du unrettbar verloren bist? Hast du dein Herz vor dem Herrn ausgeschüttet und in der Angst deiner Seele ausgerufen: „Was muß ich tun, daß ich errettet werde?" 

Hast du mit einem gläubigen Ohr auf die Antwort Gottes gelauscht: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, und du wirst errettet werden." Und hast du dann durch Glauben die Vergebung deiner Sünden empfangen und deinen Nacken gebeugt, um das Kleid der Gerechtigkeit, welches dich für immer in der Gegenwart Gottes sicher stellt, entgegen zu nehmen? O, geliebter Leser, wenn du diese Erfahrung nicht in deiner Seele gemacht hast, so — was auch deine Gedanken über dich selbst sein mögen und welch eitlen Hoffnungen du dich auch hingeben magst — kennst du weder dich selbst noch Gott. Du bist noch in Finsternis und unter dem. Fluch der Sünde; und wenn du in diesem unbußfertigen, ungläubigen und nicht versöhnten Zustand stirbst, so erklärt dir Gottes Wort, daß du nie in das Haus des Vaters eintreten wirst. 

Die Tür wird verschlossen sein und du wirst draußen stehen bleiben müssen — verloren — ach! verlore n fü r immer ! Gott wolle verhüten, daß dies dein Los sei. O, möchte doch diese kleine Schrift durch die Macht des Heiligen Geistes eine Weckstimme für dein Herz sein, möchte sie sich als Warnung und als Ermunterung in dir wirksam erweisen. Ja, ich bitte dich, verachte sie nicht, und schlage diese so ernste Sache nicht gering an. Verschiebe deine Umkehr nicht auf eine „gelegenere Zeit". Diese Zeit möchte nie kommen. „Siehe, jetz t ist die wohlangenehme Zeit — jetz t ist der Tag des Heils!" 203 

Das Leben im Geiste; der Heilige Geist in uns, und Gott für uns (Römer 8) 

Es gibt in diesem wohlbekannten und bemerkenswerten Kapitel drei besondere Teile. Wir haben 1. Befreiung in der Kraft des Lebens von Gott — die Kraft Gottes in der Auferstehung, welche Leben gibt in dem Geiste, als unser Teil durch das Werk Christi; 2. Die Gegenwart des Heiligen Geistes Selbst — nicht nur die Frucht Seiner persönlichen Gegenwart; und 3. Die äußerliche Sicherheit — was Gott für uns ist; — nicht irgend etwas in uns, sondern das, worin wir auf Ihn rechnen können. Nichts ist fähig, uns von der Liebe Gottes zu trennen; denn nur die Kreatur kann sich anmaßen, dieses tun zu wollen; und dennoch kann keine Kreatur uns von Ihm scheiden, als wäre sie mächtiger, als Er.

 „Wenn Gott für uns ist , we r ma g d a wide r u n s sein? " (V. 41). Wir finden deshalb am Ende dieses Kapitels nichts von dem inwendigen Werke, weil der Apostel schon vorher völlig darüber gesprochen hat; deshalb übergeht er es ganz und gar. Wenn er sagt: „Welch e e r gerechtfertig t hat" , so fügt er nicht hinzu: „Dies e heilig t e r auch" , obgleich das wahr ist, sondern: „Dies e verherrlich t e r auch. " Ich wiederhole es, wir haben zuerst die innere Wirkung und das inwendige Werk — da s Leben , in seinem vollen Resultat, sogar bis zur Auferstehung des Leibes (V. 1-14); dann die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns (V. 15-29) und endlich die ganze Sicherheit gebende Kraft von dem, was Gott äußerlich in Seinen Ratschlüssen usw. fü r uns ist, indem Er nicht auf Sein Werk in der Seele schaut, welches Er aufrecht erhält. Ehe ich aber auf dieses Kapitel weiter eingehe, möchte ich einige Worte über den Schluß des vorigen sagen. Ein Christ, welcher zu der Freiheit in Christo Jesu, wovon am Anfang des letzten Verses des 7. Kapitels geredet wird, gekommen ist, könnte nun meinen, er wäre am Ende des Kampfes; aber dem ist nicht so, wie wir aus der Belehrung des letzten Teiles desselben Verses entnehmen. Erst dann, wenn die Seele die Befreiung durch Jesum Christum kennengelernt hat, tritt dieser große Grundsatz hervor: „S o den n dien e ic h selbs t mi t de m Sinn e Gotte s 204 G e s e t z." So lange die Befreiung nicht erkannt ist, kann dieses nicht verwirklicht werden, sondern das nach der Befreiung in uns bleibende Fleisch bewirkt Kämpfe, nachdem wir befreit sind, weil es streitende Grundsätze in uns gibt, die gegeneinander kämpfen.

 In Röm. 7 sind das Geset z und das Fleisc h einander entgegen; aber in Gal. 5, wo wir die wahre Gestalt von beidem, von dem Kampf und von der Befreiung finden, haben wir den Gegensatz des Fleische s und des Geistes . Im Brief an die Galater finden wir, daß sie den Geist, und darum die wahre Kraft nach der Befreiung empfangen haben. Dies finden wir aber nicht im 7. Kapitel an die Römer, weil der Geist dort fehlt. Denn in diesem Kapitel haben wir nicht das Fleisch und den Geist, sondern den Menschen unter dem Gesetz; und deshalb sagt der Apostel nicht: „Da s Fleisc h ge -
lüste t wide r de n Geist" , (Gal. 5,17), sondern: „Ic h elende r Mensch ! We r wir d mic h rette n vo n diese m Leib e de s Todes? " (Röm. 7, 24). Er hat Wohlgefallen am Gesetz Gottes, das ist wahr, und es ist ganz natürlich, daß er es hat; denn wenn der neue Mensch gezeugt ist, so hat er Wohlgefallen am Gesetz Gottes, er mag darunter sein, oder nicht. Das Gesetz aber hat keine Kraft, den Geist zu geben, und deshalb, wer unter demselben ist, kann nicht durch den Geist geleitet werden, sondern er wird durch das Fleisch geleitet. „Wi r aber" , welche glauben, „sin d nich t i n de m Fleische , sonder n i n de m Geiste , wen n ander s de r Geis t Gotte s i n un s wohnt. " „Den n so viel e v o n de m Geis t Gotte s geleite t werden , dies e sin d Söhn e Gottes " (Kap. 8, 9. 14). Deshalb sind sie auch in dem Brief an die Galater, wo sie den Geist haben, ermahnt, „im Geiste zu wandeln."

 Aber, könnte man fragen, wenn sie den Heiligen Geist haben, warum denn noch diese Ermahnung, „i m Geist e z u wandeln? " Weil das Fleisch noch vorhanden ist und „wide r de n Geis t ge -
lüstet" , und deshalb immer die Gefahr da ist, dem Fleische gemäß zu wandeln. Ebenso gelüstet auf der andern Seite „de r Geis t wide r da s Fleisch" ; und Er ist zu dem Zwecke gegeben, daß wir überwinden möchten, „au f da ß wir , wa s wi r auc h wolle n mögen , nich t tun. " Dies ist die Kraft der Stelle in Gal. 5, 17. Wenn ich im Geiste wandle, so werde ich die Lust des Fleisches nicht vollbringen. Jetzt will ich zu der Lehre unseres Kapitels zurückkehren. — In den ersten drei Versen des 8. Kapitels haben wir die Resultate der Frage, die in Kap. 5, 6 und 7 behandelt worden ist. In dem 1. Vers haben wir das Resultat des 205 5. Kapitels: — „Di e Rechtfertigun g de s Lebens " in dem zweiten Adam. In dem 2. Vers sind wir „de r Sünd e tot" , wie in Kap. 6; und im 3. sind wir dem „Ge -
set z gestorben" , wie in Kapitel 7. Unter dem ersten Adam, welcher Sünde und Tod einführte, war nichts, als nur das, was niederdrückte, während in dem zweiten Adam, dem Herrn vom Himmel, nichts als Aufrichtung, nichts als vollkommene Freiheit ist. Gott ist hineingekommen in Befreiungskraft. Aber du fragst vielleicht: Wie geht das zu? Der Sohn Gottes kam für unsere Sünden hernieder unter die Gewalt des Todes, und Er ist ohne dieselben in der Kraft eines neuen Lebens auferstanden. 

Er ließ sie mit dem Leben, in welchem Er sie getragen, und mit welchem Er den Anforderungen und dem Fluch des Gesetzes Genüge geleistet hatte, hinter sich zurück, und trat in eine neue Stellung vor Gott ein. Und durch Vereinigung mit Ihm sind wir unseren Sünden entrissen, und in diese neue Stellung, in das Auferstehungs-Leben mit Christo versetzt. „S o ist den n nu n kein e Verdammni s mehr. " Christus hat sich dem Gericht, welches die Sünde erforderte, unterworfen, und ist dann von dem Tode auferstanden. In Ihm sind auch wir mitgestorben und in Ihm mit auf erweckt; und weil wir, nachde m da s Gerich t fü r di e Sünd e a n ihm , welche r fü r si e gestorben , voll -
zoge n ist, durch das Leben Christi leben, so kann nun keine Verdammnis mehr für die sein, die in Ihm sind. Hinfort „ist e s Gott , welche r rechtferti g t." Gott ist mit Macht hineingekommen, und versetzte sie durch ein Werk des Todes und der Auferstehung in Christo, und somit hat es mit ihrer ganzen Stellung, als im Fleische vor Gott und mit allem, was damit zusammenhängt, ein Ende. So ist dies nun da, wo einfacher Glaube ist, keine Frage der Hoffnun g mehr. Ich hoff e nicht etwas, wenn ich von der Wirkung des Kreuzes spreche. Ich hoff e nicht, daß das Werk Christi meine Sünden hinweggenommen hat; es h a t sie hinweggenommen; es ist eine vergangene Sache, die ausgeführt und geschehen ist. Er „ha t di e Sünd e hinweggenomme n durc h da s Schlachtopfe r seine r selbst " (Hebr. 9, 25). Noch mehr; unser Friede ruht jetzt nicht auf Verheißungen, sondern auf einer Tatsache, auf einer erfüllten Verheißung. Natürlich vertrauen wir in Betreff unserer täglichen Bedürfnisse und unserer Befreiung auf die Verheißungen; aber dies ist eine ganz andere Sache. Was unsere Errettun g betrifft, so ruhen wir in dem, was schon geschehen ist. Durch di e Gerech -
tigkei t de s eine n ist die freie Gnadengabe aus vielen Übertretungen zur Rechtfertigun g de s Leben s 206 gekommen. Wir sind in der Auferstehung in lebendiger Kraft in die Gegenwart Gottes gebracht. Wir sind in Christo Jesu, welcher nicht allein gestorben, sondern auch, weil Er durch den Tod gegangen, über alles ist, in einer gänzlich neuen Stellung. Und diese unsere Stellung ist also in Christo Jesu, in der Gegenwart Gottes. Dort ist keine Verdammnis mehr; dort hat es ein Ende mit dem ganzen Zustand, auf welche sie anwendbar war; denn sie hat ihre ganze Macht an Jesus ausgeübt. ,,Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes" (V. 2).

 Jetzt finden wir das, wovon am Ende des vorigen Kapitels nichts zu finden war — Christum und den Geist. In der Tat ist hier mehr vom Geiste als von Christo und Seinem Werk die Rede; denn der Geist redet von dem Resultat dessen, was Jesus getan hat. Ich finde hier lebendige Kraft des Geistes in Christo Jesu, welche uns, als vereint mit Ihm, in eine Stellung versetzt, wo wir uns außer dem Bereich der Verdammnis befinden — freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Laßt uns nochmals die Verbindung der drei ersten Verse dieses Kapitels mit dem Hauptinhalt der drei vorhergehenden Kapitel bemerken. 

Der erste Vers bezieht sich auf das fünfte Kapitel, und bestätigt, daß Christus gestorben und auferstanden, und daß keine Verdammnis ist, wenn wir in Christo Jesu sind. Der zweite bezieht sich auf das sechste Kapitel und beantwortet die Frage: Ist diese freie Rechtfertigung ein Grund zu sündigen? Nein; denn wie sind wir in Christum gekommen? Durch den Tod und die Auferstehung. Denn wir haben das Leben Christi, und das ist der wahre Grund der Heiligkeit. Das Gesetz des Geistes des Lebens hat uns freigemacht. Der dritte Vers entspricht dem 7. Kapitel und zeigt, daß das, was das Gesetz nicht tun konnte, Gott „getan hat". Er verurteilte die Sünde im Fleische, welche uns beunruhigt und umstrickt, indem Er Seinen eigenen Sohn „i n de r Gleichhei t de s Flei -
sche s de r Sünd e un d (als Opfer) fü r di e Sünd e sandte" , und uns also unter deren Herrschaft wegnahm. Das Recht des Gesetzes ist jetzt in uns erfüllt; der Grundsatz desselben ist in uns gepflanzt, denn die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Auf diese Weise erlangen wir das praktische Resultat; und zugleich haben wir „kein e Ver -
dammnis " und eine Stellung in Christo. Nie hätte das Gesetz uns dies geben können. Ich wünsche eure Aufmerksamkeit wieder auf den ersten Vers zu lenken, weil darin eine außerordentliche Kraft und Stärke liegt. „S o is t den n nu n kein e Verdamm -
207 n i s." Diese Stelle sagt nicht nur, daß sie, die in Christo Jesu sind, nicht verdammt werden, sondern sie geht viel weiter —: „da ist kein e Verdammnis." Und die Seele bedarf dieser völligen Versicherung; denn je näher wir zu Gott stehen, desto wacher ist das Gewissen. Und je näher bei Gott, desto elender sind wir, wenn sich irgend etwas zwischen der Seele und Gott befindet. „So ist denn nun keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind." Gibt es irgendwelche Verdammnis für Christum? Unmöglich! 

Er ist der Gesegnete Gottes, der wahre Gegenstand und der Grund und die Vollendung dessen, worin Gott Sein Wohlgefallen hat. Wie kann nun für die, welche in Ihm sind, noch irgendwelche Verdammnis sein? In Ihm ist uns unsere eigene Stellung dargetan; in Ihm ist unser Friede. Alle unsere Sünden sind hinweggetan, und es ist ein vollkommener Friede und völlige Sicherheit in der Gegenwart Gottes; denn wir sind dort, „wie e r ist". Vers 2: „Den n da s Geset z de s Geiste s de s Leben s i n Christ o Jes u ha t mic h freige -
mach t vo n de m Geset z de r Sünd e un d de s Todes. " Im siebenten Kapitel sehen wir die Kraft des Fleisches, welches den Menschen, dessen Wille verändert ist, beständig unterjocht. Es ist ein Gesetz in seinen Gliedern. Der Geist hat auch ein Gesetz — der beständige, gleichförmige Grundsatz des Handelns — ebensowohl, wie auch das Fleisch. Auch da ist Kraft — aber lebendige Kraft — in Christo. Man nimmt nicht einen Menschen und sagt zu ihm: Hier ist das Gesetz, halte es! Dies wollte der Mensch zuerst tun und dadurch der Verdammnis entgehen. Wir sind jetzt auferweckt durch den das Leben gebenden, zweiten Adam, und haben, wie wir gesehen, an Seiner Auferstehung Teil, um für immer aller Verdammnis zu entgehen. Christus hat zuerst die Versöhnung bewirkt, und wir treten, befreit von Sünde, in das Leben ein. 

Der Mensch aber möchte gern durch sein Tun und Lassen sein Gewissen reinigen, um das Bewußtsein der Reinigung auf sich selbst gründen zu können; allein dies kann nicht sein. Man muß sich der Verdammnis unterwerfen und das Gefühl der Hilflosigkeit muß vorhanden sein, damit Christus unsere Hoffnung werden kann, — mit anderen Worten: es muß die Unterwürfigkeit unter die Gerechtigkeit Gottes da sein. Bevor das Gewissen rein ist, kann Gott nicht mit uns handeln, als ein Gott der Kraft. Gott wird uns nicht eher Kraft besitzen lassen, bis wir uns der Verdammnis unterworfen haben und uns in Christo befinden. Allein haben wir uns der Gerechtigkeit Gottes unterworfen, so finden wir lebendige Kraft in Christo, welche den Menschen vom Gesetz der Sünde und des 208 Todes freimacht. In Römer 7 haben wir die Wünsche des neuen Lebens, aber wirksam in Beziehung zu dem Gesetz und haben daner keine Kraft; jedoch hier ist es das Leben, welches sich unter Christum beugt. Vers 3: „Den n da s de m Geset z Unmögliche , wei l e s durc h da s Fleisc h kraftlo s war... " 

Das Gesetz hatte keine Schuld; es mangelte nur durch die Kraftlosigkeit des Fleisches. Wir können aus schlechtem Material nichts Vollkommenes machen. Ein Mensch mag ein sehr geschickter Arbeiter sein, doch wenn wir ihm schlechtes Material zur Bearbeitung übergeben, so wird ihm alle seine Geschicklichkeit nichts nützen. Wenn z. B. jemand aus Holz eine Figur schnitzte, und darin den ausgezeichnetsten Geschmack und die größte Geschicklichkeit entfaltete, sodaß jedermann seine Arbeit bewundern müßte, so würde ihm doch seine Geschicklichkeit nichts helfen, wenn er versuchen wollte, dieselbe Sache anstatt in Holz, in Lehm zu machen: es würde unter seiner Hand in Stücke zerbröckeln. Ebenso wird das Gesetz, wenn es an dem Fleische zu wirken versucht, dasselbe nur vernichten; das Material zerbricht unter demselben. Das Gesetz bewirkt nie die Gabe der Gerechtigkeit. 

Es verspricht das Leben denen, die es halten; aber es gib t das Leben nie. Christus allein gibt das Leben. Was der Mensch nicht tun konnte, hat Gott getan, und das ist das Geheimnis des ganzen Kapitels. „Den n da s d e m Geset z Unmögliche , wei l e s durc h da s Fleisc h kraftlo s war , ta t Gott , inde m e r sei -
n e n eigene n Soh n i n de r Gleichhei t de s Fleische s de r Sünd e un d (al s Opfer ) fü r di e Sünd e sendend , di e Sünd e i m Fleisch e ver -
urteilte. " Die Frage ist: wie kann die Sünde im Fleische verdammt werden? —• nicht nur unsere Sünden, sondern diese schreckliche Sache: di e Sünd e im Fleische . Nun, Gott ist beschäftigt damit; Er verurteilt sie. Ich erkenne, daß Er sie verurteilen muß, und dies erschreckt mich. Wie hat Er es denn nun getan? Durch die Sendung „seines eigenen Sohnes in der Gleichheit des Fleisches der Sünde". Auf diese Weise verurteilte Er die Sünde in dem Fleische, und hat sie durch das Opfer Christi hinweggetan. Er vollbrachte es in dem Tode Christi für uns. Das ganze Gericht ist an Christo vollzogen worden. Diese schreckliche Sache, von der ich nicht wußte, was damit zu tun war, hat Gott außer uns in Christo ganz und gar hinweggetan. Christus starb nicht nur für die Sünden , sondern auch für die Sünde .

 Es ist eine wirkliche, vollkommene Erlösung. Wenn Gott die Befreiung vornimmt, so tut Er es vollkommen. Er würde dich nicht von deinen Sünde n befreien und dich 42 209 unter deiner Sünd e lassen, um dein Gewissen sich darin zerarbeiten zu lassen. Die große Sache, um welche es sich hier handelt, ist nicht nur Vergebung, sondern Befreiung, um in Freiheit vor Gott zu stehen. Darum, was das aufrichtige Herz bedarf, ist Kraft über die Sünde, mit welcher es jeden Tag im Kampf steht, und ein wirklich befreites Gewissen in der Gegenwart Gottes, damit, wenn die vergangenen Sünden hinweggetan, sie nicht als ein Gesetz in seinen Gliedern, durch welches er der Sünde Knecht ist, in Kraft in ihm wirken. Zwar weiß und fühlt er, daß die Wurzel derselben noch vorhanden ist; aber Wurzel und Zweig sind durch Gottes Sendung Seines eigenen Sohnes verurteilt. Er war es, der daran dachte; — Er sandte Seine n eige -
n e n Sohn ! Hier sehen wir die Tragweite Seiner Gnade und Seinen festen Vorsatz, das Werk der Befreiung für uns zu erfüllen. — Vers 4: „Au f da ß da s Rech t de s Gesetze s i n uns , di e nich t nac h Fleisch , sonder n nac h Geis t wandeln , erfüll t würde. " Hier spricht er von dem Wandel. Das Recht des Gesetzes ist in uns erfüllt. Es ist aber nicht ein Gesetz, welches äußerlich gegeben ist, ein Gesetz, welches durch ein Fleisch zu wirken hat, dessen Lüste die Erfüllung desselben verweigern und dessen Wille sich gegen die Autorität desselben auflehnt, sondern es ist ein neues Leben in Kraft, welches in der Tat die Lüste des Fleisches unterscheidet und an's Licht bringt, und welches bewirkt, daß ich nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandle. Das Fleisch ist nicht verändert, deshalb bin ich aufgefordert, nicht danach zu wandeln. Das Fleisch ist vorhanden; aber dies ist keine Entschuldigung für einen Wandel nach demselben; denn der Geist Christi ist in uns.

 Und mehr noch: Gott wird nicht zulassen, daß wir über unser Vermögen versucht werden. Das Fleisch ist noch gegenwärtig, und es muß gerichtet und niedergehalten werden. Wir alle, als Gläubige, haben das Fleisch in uns, obgleich wir nicht i n de m Fleisch e sind ; aber dies macht nicht notwendigerweise das Gewissen schlecht, noch hindert es meine Gemeinschaft mit Gott, wenn ich ihm in keiner Weise zu handeln erlaube. Ich wende mich hierin zu Gott; ich bin mit Ihm darüber in Gemeinschaft. Ich sage zu Ihm: Vater hilf, oder es wird mir nicht gelingen!" Wenn ich dem Fleische in irgendeiner Weise zu handeln erlaube, so wird mein Gewissen verunreinigt und die Gemeinschaft ist unterbrochen, und ich habe nötig, meine Sünden zu bekennen, bevor die Gemeinschaft wieder hergestellt ist. Also ist die bloße Tatsache der inwohnenden Sünde, wenn wir anders mit Gott wandeln, eine Gelegenheit zur Gemein210 schaft mit Ihm (ich sage nicht, die Ursachen derselben); denn insofern ich dem Fleische zu handeln erlaube — obgleich die Gnade hineinkommt und wiederherstellt, ist es ein Hindernis. — Vers 5: „Den n die , welch e nac h de m Fleisch e sind , richte n ihre n Sin n nac h dem , wa s de s Fleische s ist ; abe r die , welch e nac h de m Geist e sind , nac h dem , wa s de s Geiste s is t." „Nach dem Geiste" zeigt den Zustand und die Stellung des Menschen, der als ein geistlicher Mensch betrachtet wird. Jede Natur ist mit gewissen Gegenständen übereinstimmend. 

Die schlechte Natur hat ihre Gegenstände; und die, welche den Geist haben, erfreuen sich der Dinge, welche nach der Natur des Geistes sind. Diejenigen, welche nach dem Geiste sind, haben einen Sinn, welcher Gegenstände hat, worauf er ruht und deren Wünsche er pflegt. — „Denn fleischlich gesinnt sein, ist Tod." Der fleischliche Sinn, fruchtlos in seiner Natur, liegt unter dem Tode des alten Adams, — der Tod tritt ein, um diesen Zustand zu versiegeln; „aber geistlich gesinnt sein, ist Leben und Frieden." Hier erlangen wir das Inwendige in der Kraft des Heiligen Geistes — Leben und Frieden. — Es gibt einen zweifachen Frieden: Frieden in dem Ge -
wisse n und Frieden im Herzen . Der erstere ist durch das Blut Jesu erlangt und wird uns durch dasselbe mitgeteilt. Der letztere, von welchem dieser Vers spricht, ist eine weit höhere Sache; es ist der Friede im Herzen und im Gemüt. Es ist der Friede im Herzen, wenn die Neigungen in Ruhe, in der bleibenden Freude stille sind und einen Gegenstand verfolgen, der vollkommen befriedigt; denn über ein solches Bestreben wird uns das Gewissen nie Vorwürfe machen. Wenn wir uns in dem Herrn erfreuen, so wird Friede da sein.

 Sind wir irgendwie beunruhigt, so ist es, weil wir mit uns selbst beschäftigt sind; aber, wenn der Geist wirksam ist, so richtet er uns von uns selbst hinweg zu Gott hin. Und hierin liegt der Unterschied zwischen dem Prediger Salomon und dem Hohenlied. Im Prediger ist Salomon mit sich beschäftigt; es heißt: „Ich, Salomon, der König." Er hatte Sänger und Sängerinnen, allerlei Lustgärten, Weisheit — kurz alles, was das Herz nur wünschen kann. „Denn wer hat fröhlicher gegessen und sich ergötzt, als ich?" (Kap. 2,25). Aber die Dinge des Fleisches können das Herz nicht erfüllen. Alles ist Eitelkeit und Plage des Geistes; denn laßt ihn alles, was die Welt darbieten kann, erschöpfen; so ist doch das Herz nie befriedigt. Je größer die Energie, um alles, was die Welt darbietet, ausfindig, zu machen, desto mehr findet sie, daß nichts befriedigen kann. Aber 211 wenn wir Christen empfangen, wie in dem Hohenliede, so bedürfen wir im Gegenteil der Fähigkeit, um alles zu erfassen. Welcher Friede und welche Freude wird in der Gemeinschaft mit Ihm gefunden! Doch sobald das „Ich" hineinkommt, ist die Ruhe unterbrochen. Vers 7: „Wei l di e Gesinnun g de s Fleische s Feindschaf t gege n Got t ist.

" Hier haben wir eine noch tiefere Sache. Wir finden, daß das Fleisch eine n Wille n hat, der Gott nicht unterworfen sein will; denn wenn dies der Fall wäre, so würde es nicht ein Will e sein. Das Fleisch hat nicht nur Wünsche, welche Gott entgegen sind, sondern einen Willen, der Seinem Gesetz nicht unterworfen ist. Das Gesetz offenbart nicht nur das Rechte , sondern auch die Autoritä t de s Gesetzgebers ; und wenn die Autorität Gottes hineinkommt, so zeigt sich die Empörung des Fleisches; denn das Fleisch sagt unaufhörlich: „Ich will, und ich will nicht." — „Wenn du nun ei n Gebot übertrittst", so bist du in allem schuldig; weil sowohl im Brechen des einen, wie auch aller Gebote sich Ungeneigtheit der Unterwürfigkeit zeigt.

Wenn ich meinem Kinde drei Dinge zu tun befehle, und es tut nur zwei derselben, welche es liebt, und folgt im dritten seinem eigenen Willen, so hat sich die Ununterwürfigkeit sowohl in dem Ungehorsam gegen das eine Gebot gezeigt, als wenn es gegen alle ungehorsam gewesen wäre. „Di e aber , welch e i n de m Fleisch e sind , könne n Got t nich t gefallen. " Die Lüste des Fleisches sind Seiner Natur entgegen. — Das Fleisch ist wider Seinen Willen und Seine Autorität. Dieser Wille des Fleisches ist schon durch sein Vorhandensein im Gegensatz zu Gott; denn unsere Stellung vor Ihm ist die des Gehorchens. Einen eigenen Willen zu haben, heißt nicht gehorchen. „Ih r abe r sei d nich t i n de m Fleische , son -
der n i n de m Geis t e." Unsere Stellung vor Gott ist nicht in dem Fleische — nicht in dem ersten Adam und in seiner Natur und in seinem Willen. Wir werden vor Gott als lebend in dem Geiste betrachtet. Das Fleisch und dessen Lüste sind vorhanden; aber wir, als Christen, sind in dem Geiste. Die lebendige Macht Gottes ist gekommen und hat den neuen Menschen bereitet und wirkt in ihm. So ist nun durch Seine Kraft Freiheit — heilige Freiheit. Alles, was der Geist wünscht und worin er sich freut, charakterisiert den Menschen vor Gott; denn das Wesen eines Menschen offenbart sich durch den Gegenstand, den Gedanken und das Gefühl seines Geistes. „Ih r sei d nich t i n de m Fleische" ; — Er sagt nicht: „Das Fleisch ist nicht in euch." Ein anderes Leben — das des auferstandenen Chri212 stus — ist in euch, und in diesem Leben habt ihr eure Stellung vor Gott; obgleich euch das Fleisch zu leiten suchen mag. Ist es nicht also mit uns, so wandeln wir nicht in der Macht des Geistes. „W en n ander s de r Geis t Got -
t e s i n euc h wohnt. " Gott wirkt nicht nur fü r uns, sondern auch i n uns; Er bringt nicht nur eine neue Natur hervor, sondern Er wohnt und wirkt darin; denn außer der neuen Natur haben wir Kraf t nötig. — Wenn wir nur die neue Natur haben, so haben wir gute Wünsche; aber wir erfüllen sie nicht, wie wir aus dem siebenten Kapitel ersehen. Wenn aber der Geist Gottes in uns wohnt, so haben wir nicht nur neue Wünsche und Neigungen, sondern auch die lebendige Kraft, um sie zu erfüllen.

 Es ist sehr köstlich, zu sehen, wie Gott als die wirkliche, praktische Befreiung des Menschen, der zuvor in dem Fleische war, hineingebracht wird; denn Er sagt nicht: „Ihr seid nicht in dem Fleische, sondern in dem Geiste", wen n i h r au s de m Geist e gebore n sei d — obgleich dies wahr ist — sondern „wen n ander s de r Geis t Got -
t e s i n euc h wohnt" , indem er zeigt, daß es Gott Selbst ist, der in Kraft, als Geist Gottes, wirkt. Dies ist Seine Form und Sein Charakter, als wirkend in dem Menschen mit Kraft, im Gegensatz zu dem Fleische und dem Menschen. — In Betreff des praktischen Charakters wird Er der Geist Christi im Menschen genannt; denn in Ihm war der Geist vollkommen dargestellt. Vers 10, 11. In dieser Stelle sind wir der gänzlichen und vollkommenen Erfüllung der Befreiung von dem Leibe der Sünde und des Todes völlig versichert. „Wen n abe r de r Geis t dessen , de r Jesu m au s de n Tote n auf -
erweckte , i n euc h wohnt , s o wir d der, wel -
che r de n Christu s au s de n Tote n aufer -
weckte , auc h eur e sterbliche n Leibe r le -
bendi g mache n wege n seine s i n euc h woh -
n e n de n Geistes. " Der Leib ist nicht vergessen; er hat auch Teil an der völligen Auferstehungskraft. Bis jetzt ist dies in der Kraft des Geistes und dem neuen Leben verwirklicht. Ich halte den Leib für tot; denn wenn dessen Wille als lebend wirkt, so sind seine Regungen und Früchte nichts anderes als Sünde. Ich halte den Geist für mein alleiniges Leben, denn seine Früchte sind Gerechtigkeit. Und so völlig dies Zeugnis von der Auferweckung der Heiligen vermittelst des Geistes in uns wohnt, so völlig sind wir von der ganzen Stellung der Welt getrennt. Die Welt wird nicht deshalb auferweckt werden, weil der Geist Christi in ihnen ist, denn sie haben ihn nicht. Wir aber werden durch Seinen Geist, welcher in uns wohnt, auferweckt. 213 Hier haben wir das Band. Die Heiligen werden auferweckt, weil sie mit Christo im Leben vereinigt sind. „Wer dem Herrn anhanget, ist eine s Geistes mit ihm" (1. Kor. 6, 17). Dies zeigt uns, in was für eine Stellung wir versetzt sind. So haben wir nun drei Charaktere des Geistes: Er ist d e r Geis t Gottes , im Gegensatz zu dem Fleische; Er ist de r Geis t Christi , welcher unseren Wandel in der Welt charakterisiert; und Er ist der Geis t de s Leben s in Verbindung mit unserer Auferweckung.

So erhalten wir nun am Ende dieses 11. Verses die Antwort auf den 2. Vers des 7. Kapitels: „Ic h elende r Mensch ! we r wir d mic h errette n vo n diese m Leib e de s Todes? " Denn hier haben wir die völlige Befreiung, nicht nur für den Geist allein, sondern auch für den Leib. Der Heilige Geist, in der Wirkung Seiner Macht in den Heiligen läßt den Leib nicht, bis er ihn dem verherrlichten Leibe Christi gleichgestaltet hat. Die Neigungen sind jetzt der neuen Natur gemäß — Freiheit und Kraft; sie sind alle in und durch die Wirkung des Geistes, durch wahrhaftes Leben mitgeteilt, und am Ende — die Herrlichkeit. Das Wesen des neuen Menschen ist — Kraft, während das Fleisch vorhanden ist, und dem Wirken des Geistes widerstrebt. Am Ende haben wir einen Leib, der dem Leben, welches wir durch den Geist haben, gleichförmig ist. 

Diese Mitteilung des Lebens, so daß sie unsere Natur geworden ist, und die Gegenwart des Heiligen Geistes verursacht die Wirksamkeit dieser Gegenwart, von der wir in zweifacher Weise gesprochen haben; denn die Schrift spricht von Ihm als unserem Leben , und als getrenn t von diesem Leben und wirksam in demselben. So hat Er hinfort beides — Natur und Kraft. Die neue Natur ist uns gegeben; und der Heilige Geist wohnt in uns. Und als Frucht Seiner Wirksamkeit lesen wir: „De r Geis t selbs t bitte t fü r u n s i n nich t auszusprechende n Seufzern. " Ein Seufzen kommt hervor. Ich mag mein Seufzen nicht verstehen; aber der Geist ist es, der es in mir tut. Ich mag keine Einsicht haben, zu wissen, was die rechte Antwort darauf ist; aber Gott findet dies Wirken des Heiligen Geistes im Mitgefühl für das, was um mich her ist, gottgemäß. „Der aber, welcher die Herzen erforscht, weiß, was der Sinn des Geistes ist." Es ist mein Herz, aber es ist auch der Heilige Geist, welcher es als ein wirkliches Gefühl in meinem Herzen hervorgebracht hat. Ich bin es — denn es ist in mir geschehen — und doch bin ich es nicht, wenn ich auf dessen Kraft sehe. So haben wir denn nun das Wirken des Heiligen Geistes in uns, und den Trost, zu wissen, daß w i r es sind und der Heilig e Geist . Dann haben wir von dem 214 14. Vers an die andere Seite dieser Wahrheit, d. i. der Heilige Geist wirkt persönlich in uns — als Selbst gegenwärtig in Kraft und Sympathie.

Nicht nur ist Er eine Quelle des Lebens in uns, sondern Er wirkt auf dieses Leben und in demselben — Er leitet und führt uns als Christen. Er Selbst wirkt in uns, obgleich hier in Verbindung mit diesem Leben. „De r Geis t Selbs t zeuge t mi t unsere m Geist e usw." Wenn Er nötig hat, die Quelle der Kraft in unserem geistlichen Leben zu zeigen, so zeigt Er auf den Heiligen Geist. „De r Geis t is t Leben " — und dieses ist Er. Wir können glauben, ohne den Geist zu haben; „nachde m ih r i n ih m gläubi g geworden , sei d i h r mi t de m Heilige n Geist e de r Verheißun g versiegel t worden " (Eph. 1, 13). Doch ist es sehr wichtig, uns daran zu erinnern, daß, nachdem wir geglaubt haben, der Heilige Geist gegeben ist, um in uns zu wohnen. „W ei l ih r abe r Söhn e seid , so sandt e Got t de n Geis t seine s Sohne s aus , i n unser e Herzen , welche r Abba , Vater , ruft " (Gal. 4, 6). Die Innewohnung des Heiligen Geistes ist aber wohl zu unterscheiden von der belebenden Kraft des Geistes. Die Heiligen des Alten Testamentes hatten die belebende Kraft des Geistes; aber die Innewohnung des Heiligen Geistes konnte nicht eher stattfinden, bis Christus verherrlicht war (Joh. 7). Es sind uns in der Apostelgeschichte Beispiele gegeben, wo diese beiden Tatsachen durch einen Zwischenraum getrennt sind, um uns den Unterschied zwischen beiden recht fühlbar zu machen. — Wir lesen: „W a s au s de m Geis t ge -
bore n ist , da s is t Geist " — d. i. die neue Natur. Diese neue Natur aber bedarf der Kraft; sie hat weder Stärke noch Kraft. Die wahren Charaktere der neuen Natur sind Abhängigkei t und Gehorsam . Aber es muß Kraf t vorhanden sein; und dies ist der Heilige Geist, der kraft der Erlösung unser ist und uns mit Christo vereinigt; und dann haben wir auch die Leitun g des Geistes. Denn es ist gesagt, daß wir „vo n de m Geist e Gotte s ge -
leite t werden. " Der Geist leitet aber nicht das Fleisch, sondern den neuen Menschen. Er lehrt mich vielmehr „durc h de n Geis t di e Handlunge n de s Lei -
b e s z u töten. " Wenn der Geist Dessen, Der Jesum aus den Toten auferweckte, in euch wohnt, so seid ihr Tempel des Heiligen Geistes, welchen wir von Gott haben. Ein Tempel ist das, wo Gott wohnt, und unsere Leiber sind der Tempel des Heiligen Geistes. Welch ein feierlicher Beweggrund für einen heiligen Wandel! Und wiederum ist in Johannes 14 gesagt: Er wird in euch sein als der andere Sachwalter. 

Er war vorher nicht in ihnen. Jesus ging hinweg 215 und es wurde dieser neue Sachwalter gesandt, welcher nicht nur mi t uns ist, wie Christus es war, sondern auch i n uns; und Kr ist auch bleibend. Er geht nicht hinweg, wie Christus es tat. Es ist keine Kraft in uns, die Wahrheit zu erfassen oder in der Kraft derselben zu wandeln; aber der Heilige Geist vergegenwärtigt uns nicht allein die Dinge Christi, sondern Er gibt uns auch die Fähigkeit, sie zu erfassen; und wir sind auch nur durch Ihn fähig, sie zu genießen und in der Kraft derselben zu wandeln. In 1. Kor. 2, 12-15 finden wir diese drei Dinge in Betreff des Geistes erwähnt: 1. Die göttliche Belehrung empfangen wir durch den Geist. Vers 12: „W i r abe r habe n nich t de n Geis t d e r Wel t empfangen , sonder n de n Geist , de r a u s Got t ist , au f da ß wi r di e Ding e wissen , d i e un s vo n Got t au s Gnade n gegebe n sind. " 2. Wir reden zu anderen durch den Geist. Vers 13: „wel -
c h e Ding e wi r auc h rede n mi t Worten , di e d e r Heilig e Geis t lehrt. " Und 3. die geistliche Fähigkeit zu unterscheiden, indem wir über jene Dinge durch die lebendige Macht in der Seele unterwiesen sind, Vers 14 und 15: „De r Geistlich e beurteil t (oder unterscheidet) all e Din g e." Es ist eine gesegnete Wahrheit, daß der Heilige Geist uns wirklich als eine innewohnende Kraft gegeben ist. „S o den n Brüder , sin d wi r Schuldne r nich t de m Fleische , u m nac h de m Fleisch e z u leben" ; denn außer dem Leben ist auch diese innewohnende Kraft des Heiligen Geistes vorhanden. Der Heilige Geist konnte nicht eher auf diese Weise gegeben werden, bis Christus weggegangen war und die Erlösung gänzlich vollbracht hatte; denn durch das Kommen des Heiligen Geistes am Pflngsttage wurde das Siegel auf den Wert des Werkes gesetzt, weiches Christus zu vollenden, gekommen war. Das Siegel wurde nicht auf das gesetzt, was w i r getan, sondern auf das, was Christu s getan hat. Die Salbung des Herrn, als Er getauft wurde, war ein Siegel Seiner persönlichen Vollkommenheit. Ihn hat Gott, der Vater, versiegelt; aber konnte Gott das Siegel nicht auf mic h setzen; in welchem Sünde gefunden wurde? Nein; ich bin in I h m versiegelt worden, nachdem ich geglaubt habe. — 

Der Heilige Geist wurde auch gegeben, um die Herrlichkeit Christi, als Auferstandener, zu bezeugen. Jesus wurde nicht für Sich Selbst empfangen, als Er in die Höhe hinaufgestiegen ist, sondern Er war dort gegenwärtig für uns, als das Haupt des Leibes; und Er empfing von dem Vater den Heiligen Geist. Das Kommen des Heiligen Geistes ist von dem von Christi vollendeten Werk und von der Besitznahme Seines Platzes in 216 der Höhe als Mensch — als das Haupt des Leibes — abhängig gemacht; und Er gibt auch Zeugnis von der persönlichen Herrlichkeit Christi. Die Wirkung hiervon finden wir in den Aposteln selbst offenbart, wenn wir sie vor und nach dem Pfingsttage, •— vor und nach der Mitteilung des Geistes —• beobachten. Petrus war wiedergeboren; aber wir finden Unwissenheit und Furcht in ihm.

 Wie zeigte er sich nachher? Wir sehen, daß derselbe Petrus, welcher Christum, ärger als die Juden (denn er war in Gemeinschaft mit Ihm), verleugnet hatte, gerade diese Sünde an den Juden mit Ernst straft. Fürchtete er sich? Nein; sein Gewissen war gereinigt, denn Christus war inzwischen gestorben; und außerdem finden wir, daß er mit dem Heiligen Geiste erfüllt war. „Al s si e abe r di e Freimütigkei t de s Petru s u n d Johanne s sahe n . . ." Ich spreche hier nicht von den Wunderwerken, von den mächtigen Taten und Wundern, welche durch die Kraft des Heiligen Geistes bewirkt wurden, sondern von der Freimütigkeit, mit welcher die Apostel sprachen, nachdem sie den Geist empfangen hatten, wie wir auch durch die ganze Apostelgeschichte sehen. Es war nicht die Freimütigkeit des Fleisches, sondern die Frucht der Gegenwart des Heiligen Geistes, welche in ihnen diese geistige Energie und Kraft wirkte, so daß das Gewissen in der vollkommenen Freiheit vor Gott sein konnte, und daß die Menschenfurcht, durch die Wirkung einer Macht, welche Gott in der Seele in Liebe vergegenwärtigte, verschwand. Wir haben ein schönes Vorbild hiervon in Aaron. Nachdem er gewaschen war,wurde er ohn e Blu t gesalbt; aber seine Söhne wurden nicht gesalbt, bis sie mit dem Blute besprengt waren. So wurde Jesus hienieden mit dem Heiligen Geiste und mit Kraft, als Siegel Seiner persönlichen Vollkommenheit, gesalbt, eh e das Blut vergossen war; aber wir werden gesalbt und versiegelt, nachdem wir durch das Blut vollkommen gemacht sind (2. Kor. 1). Christus sendet den Heiligen Geist, und Er ist in uns als der Geist der Kindschaft; der Zweck ist, uns in die direkte Gemeinschaft mit der Herrlichkeit und in der Stellung Christi in die Gegenwart des Vaters zu bringen. 

Dies gibt unserem Wandel seinen Charakter. Es ist unsere Sache, auf das zu sinnen, was des Geistes ist. Beschäftigen sich diejenigen, welche des Geistes sind, mit dem Gesetz? Nein; sie halten es, weil sie sich nicht damit beschäftigen, noch unter demselben sind; sie beschäftigen sich mit dem, was des Geistes ist. Und was ist dieses? Ist es etwas in der Welt? Nein. „ E r wir d vo n de m Meine n empfange n un d euc h verkündig e n." Es gibt uns die Erkenntnis von der geschehene n Erlösung, von dem Frieden und der 217 Freude in der Gegenwar t und von der zukünfti -
g e n Herrlichkeit. Er beschäftigt die Seele mit Christo. Der Geist richtet unser Auge rückwärts und lehrt uns die Herrlichkeit des Kreuzes, nachdem wir dessen errettende Kraft kennengelernt haben; und wir können dieses jetzt im vollen Frieden anschauen, weil wir auf demselben an der Seite | Gottes sind. Was irgendwie moralisch gut ist, sehen wir auf | dem Kreuze: die Liebe, den Gehorsam, die Heiligkeit, die Gerechtigkeit und das Gesetz; aber wir finden dort auch das, was moralisch schlecht ist: die Verdammnis, die Sünde und den Tod. Gott und die Sünde begegnen einander in der Person Christi auf dem Kreuze.

 Wenn ich Frieden gefunden habe, so kann ich sagen: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht"; nicht: ich bin jetzt errettet — obgleich das wahr ist — sondern: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm." Und sicher, es ist keine Freude gleich dieser Freude, zu wissen, daß in dem tiefsten Leiden für unsere Errettung Beide, Gott und Christus, auf das höchste verherrlicht sind. Christus hat alle diese Qualen für meine Sünden im Gehorsam gegen den Willen des Vaters erduldet; und da war kein Moment, wo Sein Blick nicht mit dem Wohlgefallen auf Ihm ruhen konnte; und ich genieße jetzt alle die Wirkungen hiervon. Wenn ich jetzt anschaue, was ich in Christo bin, wenn ich sehe, daß sowohl Christus als auch der Vater in mir befriedigt ist, dann wird das Herz von dem Gefühl Seiner Liebe durchdrungen und niedergebeugt. Ich bin die Frucht der Arbeit der Seele Christi. Der Strahl der Liebe Gottes ruht auf Christum Selbst und wir sind in Ihm . „A n jene m Tage " — wenn ihr den Heiligen Geist empfangen habt — „werde t ih r erkennen , da ß ic h i n mei -
n e m Vate r bin , un d ih r i n mir , un d ic h i n e u c h." Wir sind schon völlig eins mit Ihm, und es fehlt uns nichts weiter, als völlig b e i Ihm zu sein. Der Tröster, der Heilige Geist, erinnert uns stets an diese Worte: „Als o werde n wi r allezei t be i de m Herr n sein. " Die Versammlung oder Kirche wird zu Christo geführt, wie Elieser die Rebekka dem Isaak zuführte. Auf dem ganzen Wege erzählte er ihr von dem Einen, zu welchem sie ging. Ebenso führt uns der Heilige Geist hinauf zu Christo; das Kreuz ist der Ausgangspunkt auf der Reise, und der ganze Charakter des Weges ist überall durch dasselbe bezeichnet. Zu gleicher Zeit erzählt Er uns von all der Herrlichkeit Christi und von dem Hause des Vaters. Wir werden auf dem Wege manchen Versuchungen ausgesetzt sein; aber was sind diese alle für ein Herz, dessen Gefühle und Neigungen auf Christum gerichtet sind! Arme Rebekka! wenn 218 sie in der Wüste — ungewiß in Betreff der Zukunft — an ihres Vaters Haus gedacht hätte; aber wenn sie an das dachte, was vor ihr war, dann war ihr Herz mit Freude und in Betreff der Zukunft mit Gewißheit erfüllt. Das Kreuz ist der Anfang dieser Reise — es trennt uns von der Welt — und wenn wir die Kraft des Geistes in unserer Seele kennen, so müssen wir diesen schmalen Pfad (ich meine im Herzen) während der ganzen Reise behaupten. Geliebte, wir haben durch die Welt zu gehen — laßt uns doch nicht die Wüste zum Gegenstand unserer Herzen machen.

 Also tat Israel. Wir mögen ein irdisches Gut wünschen und es empfangen; aber es wird Mattigkeit in unsere Seele bringen. Laßt uns vielmehr wie Paulus gesinnt sein, welcher sagt: „Eins aber tue ich: Das, was hinter mir liegt, vergessend, und nach dem, was vor mir liegt, mich ausstreckend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu." (Phil. 3, 14). Ich füge hier noch einige Worte über den Rest des Kapitels hinzu. „S o Viel e vo n de m Geist e Gotte s geleite t werden , dies e sin d Söhn e Gottes. " Der Geist gibt uns die Gewißheit, daß wir Söhne sind; wir haben nicht mehr in irgendeiner Weise den Geist der Knechtschaft zur Furcht. „Di e Furch t ha t Pein. " Unser Verhältnis zu Gott ist von einem ganz anderen Charakter. Er hat mich geliebt — Er hat meine Sünde ausgetilgt — Er hat mich zum Kinde gemacht, und ich stehe jetzt in diesem Verhältnis zu Ihm. 

Ich kenne Ihn hinfort nur als einen geliebten Vater, und mich als einen gesegneten Sohn. Dann aber auch bin ich ein Erbe, ein Erbe Gottes und Miterbe Christi Jesu. Dies ist meine Freude und meine Hoffnung durch den Geist. Aber in dieser Welt des Kummers und des Bösen war Christus ein Leidender; und wenn ich durch den Heiligen Geist geleitet werde, so muß ich es auch sein — gleich Ihm und mit Ihm; aber es ist der Pfad zur Herrlichkeit. Aber dies Ergreifen der Herrlichkeit durch den Heiligen Geist macht uns Gott gemäß empfindsam für die Seufzer und die Leiden der ganzen Kreatur, welche auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet; und nicht nur sehe n wir auf das Seufzen der Kreatur um uns her, sondern wir sind durch unseren Leib mit derselben verbunden und seufzen in uns selbst und sind beschwert — nicht weil wir in Betreff der Liebe Gottes ungewiß sind, sondern, weil wir unsere Teilnahme an der Herrlichkeit kennen, fühlen wir den Kontrast des Zustandes, in welchem wir uns — durch den Leib mit der ersten Schöpfung verbunden — gegenwärtig befinden. Aber auch der Geist tritt in alle diese 219 Leiden ein — nicht in der Eigenliebe, die für sich selbst fürchtet, sondern — in der Sympathie, welche gottgemäß ist, und wie sie sich in Christo offenbarte. Wir mögen das Mittel nicht kennen, aber das Seufzen des Herzens ist die Regung des Geistes, welcher den Kummer und die Leiden um uns her mitfühlt. Außerdem, wenn „wir nich t wissen , w a s wir , wi e sich' s gebührt , bete n sollen" , so wissen wir doch, „da ß fürdie , welch e Got t lie -
ben , all e Ding e zu m Gute n mitwirke n müs -
s e n." Dies leitet uns zu einem anderen sehr wichtigen Punkte, nämlich, was Gott ist — nicht als i n uns wirkend durch den Geist, sondern was Er fü r un s ist. Es handelt sich hier nicht um die Heiligung. Er hat uns zuvor gekannt, zuvor bestimmt, berufen, gerechtfertigt und verherrlicht. Nichts vermag uns von Seiner Liebe zu trennen. Also haben wir nach den drei ersten Versen 1. den Geist als Leben. Dann 2. den Heiligen Geist persönlich wirkend, als gegenwärtig in uns. In diesem haben wir den doppelten Charakter: Er gibt uns das Bewußtsein der Kindschaft und die Freude des Erbes, und Er nimmt an unseren Leiden und an unseren Gebrechen, solange wir uns in dieser Welt befinden, Teil. Und 3. haben wir Gott fü r uns, so daß niemand wider die Auserwählten Gottes Anklage erheben, noch irgend etwas von Seiner Liebe sie trennen kann. Wie gesegnet ist dieser Gedanke: Wi r habe n dasLebe n im Geist ; de n Heilige n Geis t i n un s un d Got t a u f imme r fü r uns. 

Das Werk des Hauses Gottes und die Arbeiter darin (Esra 3)

 Die Bücher Esra, Nehemia, Haggai und Sacharja stehen in Verbindung. In Esra finden wir den Tempel gebaut und den Gottesdienst wieder hergestellt; in Nehemia die Wiederherstellung der Stadt; in Haggai das Geheimnis in Betreff der Hindernisse dieses Werkes; und in Sacharja ist die Wahrheit dargestellt, durch welche der Herr die Herzen des Überrestes stärkte. Die Wahrheit trifft heutzutage nicht wenige Christen an, die viel mit äußerlichen Dingen beschäftigt sind. Beim Betrachten der Heiligen Schriften fällt ihnen die Tatsache auf, wie dort die Dinge, im Vergleich zu denen, welche sie um 220 sich her wahrnehmen, so ganz anders dargestellt sind, und sie sind oft eifrig bemüht, eine größere Ordnung wieder herzustellen; allein Gott verfolgt einen anderen Weg. Er fängt mit ihnen selbst an, und sucht die Unordnung, die in ihren Herzen liegt, zu heilen. — 

Wir haben „das Wort des Herrn." Bringen wir unser Gewissen hinein, und sind wir bereit, in aufrichtigem und heiligem Gehorsam in all unserer Schwachheit gerade das zu tun, was uns Gott als das Richtige hat erkennen lassen, ohne zu warten, bis wir noch meh r Licht und meh r Kraft haben? Wir lesen Phil. 2, 13: „Den n Got t ist es , de r i n euc h wirk t beides , d a s Wolle n un d da s Wirken , nac h seine m Wohlgefallen. " Wenn ich auf mehr Kraft warte, ehe ich das tue, was ich als Seinen wohlgefälligen Willen erkenne, so leugne ich, daß Er das Wollen und das Vollbringen in mir wirkt, um durch Seine Kraft Seinen Willen zu erfüllen. Wir haben Schritt für Schritt nach dem Lichte zu wandeln, welches Er uns gibt. Einige möchten sagen: „Ja, wenn die Tür geöffnet und die Kraft wirksam ist, wie es hier bei den Juden der Fall war, dann wollen wir vorangehen; — allein sie sehen nicht, daß Gott, wenn die Juden im Ungehorsam wandelten, äußere Feinde gegen sie erweckte, und sie in deren Gefangenschaft kommen ließ. — Der Jude konnte sagen: 

„Wir müssen in Knechtschaft sein, bis die Gefangenschaft vorüber ist." Nicht so der Christ; Gott hat ihn in Christo von aller Gefangenschaft befreit. Wenn er sich durch die Lust des Fleisches, durch die Lust der Augen und dem Hochmut des Lebens in Knechtschaft befindet, so ist Gott bereit, ihm in demselben Augenblick Licht zu geben, um zu sehen, wo er ist; es gilt ihm dann das Wort: „Steh e a b vo n de m Böse n un d lern e Gute s tun! " — In der Zeit der Reformation (sowie auch jetzt) war die Frage: „Haben wir dem Worte Gottes zu gehorchen oder nicht?" Der Herr hat gesprochen, und sollten wir nicht gehorchen? Gott schaut auf unseren Gehorsam gegen Sein Wort, insoweit wir es erkennen, und es wird mehr Erkenntnis gegeben werden, — „dem , welche r hat , wir d meh r gegebe n werden. "

 Es ist aber für uns nötig, zu bedenken, daß wir übe r d e n Glaube n hinausgehe n können ; und wenn dieses geschieht, so werden wir fallen. Das rechte Verhalten wird seinen Zweck verfehlen, wenn es aus einem unrichtigen Beweggrund hervorgeht. In Esra Kap. 3 finden wir die Juden für Gott wirksam, und zwar dem geschriebenen Wort gemäß. — Denn was Moses befohlen hatte, beobachteten sie (V. 2). Dennoch fehlten sie. Die Widersacher von Juda ka221 men und hinderten das Werk (Kap. 4). Hätten wir die Sache nach ihrer äußeren Erscheinung betrachtet, so würden wir gesagt haben: „Hier ist ja Gehorsam." Gottes Auge aber schaute durch alles hindurch auf den Grund. Die Eigenliebe war auf dem Plane, das verdorbene Herz war da. Der Prophet Haggai reicht uns den Schlüssel dazu her. Das Herz war nicht gereinigt. Was waren diese Widersacher? — Der Überrest war entronnen, er war in das Land gekommen, er hatte angefangen zu bauen, — und warum gingen sie nicht weiter voran? Gott gebrauchte die Widersacher von Juda als eine Gelegenheit, um ihnen die Ursache dieser Verhinderung aufzudecken. 

Die Umstände werden benutzt, um uns unseren Fehler zu offenbaren. Die Ursache, daß sie nicht weitergehen konnten, ist nicht in den Widersachern zu suchen, sondern in dem Herzen des Volkes. Sie waren auf ihre eigenen Dinge und nicht auf die Dinge Gottes gerichtet; sie unterschieden nicht das Haus des Herrn. Die Gelegenheit, welche Gott benutzt, darf nie mit der Ursache der Verhinderung verwechselt werden. Wir finden im ganzen Worte Gottes diese beiden Dinge immer getrennt. — Das, was nicht dem Herrn getan ist, ist nicht im Glauben getan. Haben wir einen bestimmten Vorsatz in unserer Seele, geliebte Brüder? Bei Jesu finden wir denselben und Er hielt unverrückt daran fest. Aber ach! wie ist dieser aufrichtige und entschiedene Vorsatz für den Herrn in unserer Seele oft so mangelhaft! Die Juden hatten eine Fülle von Gedan -
ken ; aber wenn Schwierigkeiten entstanden, so fehlte dieser wahre Vorsatz . Gott war deshalb bemüht, denselben in ihnen zu erwecken, sie zu unterweisen, ob sie in Seiner Kraft oder in ihrer eigenen wandelten, und um sie dahin zu bringen, auf Ihn allein zu vertrauen. Gott erwartet von uns, daß wir in der Zeit der Schwierigkeit handeln, und zwar als solche, die die Kraft, welche wir in Ihm haben, kennen und in derselben zu handeln verstehen — daß wir vorwärts; gehen in dem Vorsatz Gottes — der Kanal, in welchen Seine Energie ausströmt — um zu zeigen, daß in Ihm Kraft und Energie ist, welche weit über alle hindernde Umstände, die da kommen mögen, um unseren Vorsatz zu erproben, hinausgehen. 

Die göttliche Energie in uns wird niemals ihren Vorsatz für Gott verlieren; die menschliche Energie aber wird sagen: „Di e Zei t ist noc h nich t gekomme n — di e Zeit , w o de s Herr n Hau s sol l gebau t werden " (Hag. 1, 2), und wird sich mit den Weinstöcken und Feldern und Häusern unterhalten, und also die Zeit verschwenden, anstatt unter all den Schwierigkeiten und Gefahren, welche uns drohen, oder entgegenstehen, mit unerschütterlicher 222 Energie den entschiedenen Vorsatz verfolgen. In Haggai sehen wir Gott wirksam; und dort finden wir eine Aufgabe für uns; denn wir haben es mit Gott zu tun. Wir sehen die Heuchelei des Menschen, welche das Richtige tut, aber es nicht dem Herrn tut; es kommt aus einem unrichtigen Beweggrund hervor. Was wir nicht im Glauben dem Herrn tun, wird seinen Zweck verfehlen. 

Sobald aber das wahre Bekenntnis da ist, „daß wir de n Herr n fürchten" , folgt auch die gnadenreiche Antwort: „IC H BIN MI T DIR , spricht der Herr. " Wir haben also drei große Punkte vorgestellt: 1. Wandeln wir nach der Erkenntnis und nach dem Lichte, was wir haben? 2. Das Fleisch kann nicht wandeln in den Wegen Gottes, sondern die Energie des Glaubens allein; und endlich 3. Was für einen Zusammenhang die Umstände der Vorsehung mit den Dingen Gottes auch haben mögen, so geben sie doch keine Kraft in dem Werke Gottes. Die Vorsehung Gottes mag die Tür des Gefängnisses öffnen, mag das Volk hinausführen, und einen Cyrus, einen Zerubabel usw. erwecken; wenn sie aber Kraft zum Handeln begehren, so finden wir, daß der Geist der Prophezeiung ihnen die Augen öffnet, um sie ihre Entfremdung von Gott sehen zu lassen, — und um ihnen zu sagen, was in ihren eigenen Herzen ist, — dann aber auch, um ihnen die Gnade, die in dem Herzen Gottes für sie ist und die Herrlichkeit, welche sie erwartet, zu offenbaren. Durch die Gnade Gottes ist die Regierung in diesem Lande günstig. Wir erfreuen uns der Ruhe; wir genießen jetzt das Vorrecht, uns ohne Furcht vor Gewalttätigkeit zu versammeln. Dies stellt uns unter eine große Verantwortlichkeit; aber hierin liegt für uns keine wahre Kraft zum Dienste, sondern ein: „Als o sag t de r Herr. "

 Es liegt auch keine Kraft für uns in dem Buchstabe n des Wortes, sondern es muß die Wahrheit Gottes in unseren Seelen sein. Die Wahrheit Gottes muß als Gotte s Wahrheit von uns erkannt werden, und unser ganzes Handeln nur ein Handel n fü r Got t sein. Betrachten wir das Wort Gottes, um Gott Selbst darin zu finden? Welch einen geringen Wert hat es, alle die vergangenen und zukünftigen Scenen, die uns im Worte Gottes mitgeteilt sind, zu sehen, wenn wir Gott Selbst nicht darin finden. Bist du bemüht, wenn du irgend einen Teil der Schrift gelesen hast, um zu sehen, wie Gott Sich in diesen oder jenen Umständen geoffenbart hat? Bist du Ihm dort begegnet? War es der Fall, so wirst du gedemütigt worden sein, und bist du gedemütigt worden, so hast du Ruhe gefunden. Eine geistliche Aufnahme der Schrift wird immer eine entsprechende Handlung hervor223 bringen, ein Vorangehen, ein: „Hier bin ich!" Du magst auch oft sagen: „Ich kann diese Stelle nicht verstehen." 

Es ist möglich; wenn aber der Geist lehrt, so lehrt Er uns, was wir verstehen können. Die Kraft für den Dienst wird in der Gegenwart Gottes gelernt und dort allein; denn in der Gegenwart Gottes werden wir erniedrigt und ruhen in Seiner Gnade. O, möchte unser Forschen in der Schrift dazu dienen, um  immer besser zu lernen, was Gott ist und was wir sind.