Botschafter des Heils in Christo BdH 1859

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1859 Seite
ALLES IN CHRISTUS 1
Die Rechtfertigung aus Glauben 10
Die Befreiung in Christus 12
Die zweite Ankunft des Herrn
Alles in Christus (1)
Speise in der Wüste 36
Wir rühmen uns der Trübsale 40
Verfall der Kirche 45
Alles in Christus (2) 89
Alles in Christus (3) 108
Ein ganzes Herz für Christus 109
Alles in Christus (4) 111
Dienst für die Versammlung 124
Die Würdigkeit des Lammes 129
Jesus - in unseren Umständen 138
Der Glaube triumphiert 150
Der Glaube Rahabs 152
Fußstapfen des Glaubens 153
Der Gesalbte 163
Alles in Christus (5) 173
Die Versuchung Jesu 209


Kolosser 2  Römer 5 Römer 8 Alles in Christo


„Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig; und ihr seid in ihm vollendet" (Kol. 2, 9.10).

Es ist immer eine sehr köstliche und gesegnete Sache, Christum und die in Ihm wohnende Fülle zu betrachten und zu erforschen — köstlich für unsere Herzen und gesegnet für unseren Wandel hienieden. Christus ist der Mittelpunkt aller Gedanken und Ratschlüsse Gottes und der Ausgangspunkt aller Seiner Segnungen für uns. Welch ein Reichtum und welch eine Tiefe liegt schon in den wenigen Worten, die wir in Kol. 1. 14-19 von Ihm lesen!

„In welchem wir die Erlösung haben — die Vergebung der Sünden; welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist, Erstgeborener aller Schöpfung. Denn durch ihn sind alle Dinge erschaffen, die in den Himmeln und die auf der Erde sind, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herr­schaften .oder Fürstentümer oder Gewal­ten; — alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen. Und er ist vor allen, und alle Dinge bestehen durch ihn. Und er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, wel­cher ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß er unter allen Dingen den Vorrang habe. Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm, zu wohnen."

Doch, wer ist imstande, auch nur annähernd den Reich­tum dieser Fülle zu erforschen, und wer ist fähig, ihrer Würde gemäß davon zu reden? Ach! jedes Studium, jede Mitteilung bleibt weit hinter der Wirklichkeit zurück. Doch gibt es keinen Gegenstand, der würdiger wäre, ihn zu er­forschen, noch wichtiger, um davon zu reden, als Chri­stum und die in Ihm wohnende Fülle. Und ge­wiß sind stets die Stunden unseres Lebens die nützlich­sten und gesegnetsten, die wir, geleitet durch den Heiligen Geist, der Betrachtung Seiner Person und Seiner Fülle wid­men. Wir finden in Ihm immer neue Lieblichkeiten, immer neue Züge von Gnade und Herrlichkeit. 

Und je mehr wir davon erkennen, desto gewisser werden auch unsere Her­zen, desto fester wird unser Friede, und desto reiner und tiefer unsere Freude sein, und was mehr als dies alles ist — es wächst unser Verlangen, Ihn zu erkennen, Ihm zu leben und Seinen Namen zu verherrlichen. Was uns aber hierzu fähig macht, ist die Gnade, die wir in Ihm Selbst be­sitzen. Doch wird es auch nicht ausbleiben, daß, je tiefer wir in dies Heiligtum eindringen, wir desto mehr dessen Unerforschlichkeit einsehen und den Mangel unseres Verständ­nisses fühlen werden, und daß wir stets bekennen müssen:

„All unsere Erkenntnis ist Stückwerk." Selbst Paulus, der reichbegnadete und erleuchtete Apostel und Diener Jesu Christi, mußte dies bekennen; und er konnte von dieser Fülle nur als von „dem unerforschlichen Reich­tum des Christus" reden (Eph. 3, 8). Er sprach von deren. „Breite und Länge und Tiefe und Höhe"; aber er war nicht imstande, die eigentlichen Grenzen zu bestimmen. Nirgends konnte sein Auge, so „einfältig" es auch war, einen End­punkt erblicken, noch konnte sein geistliches Verständnis die Fülle dieses unendlichen Raumes erfassen; aber sein Herz hatte einen Ruhepunkt gefunden in „der die Erkennt­nis weit übersteigenden Liebe des Christus" (Eph. 3, 18. 19). 

Diese Liebe ist sozusagen der Fels in diesem, uner­gründlichen und endlosen Meer; und sie allein kann auch nur für unsere Herzen der währe und glückselige Ruhe­punkt sein, geliebte Brüder. Und es ist ein köstliches und gesegnetes Bewußtsein, daß nicht nur das unser Teil ist, was wir von Christo und Seiner Fülle erkennen .und be­greifen, sondern das, was wir noch .nicht begreifen. Er Selbst ist uns ganz, mit aller in Ihm wohnenden Fülle vom Vater geschenkt. Ein jeder von uns kann zu Ihm sagen:

„Du selbst, o Jesu, bist mein, und auch alles, was dein ist, ist mein!"

0, Dank der unergründlichen Gnade und Liebe Gottes, die uns in Ihm so reichlich gesegnet hat! Außer Ihm. gibt es nichts mehr, was für uns noch von irgendwelchem Wert sein könnte; aber in und mit Ihm haben wir alle die unerforschlichen und kostbaren Reichtümer der Schatz­kammer Gottes. Deshalb kann auch in Christo allein jedes Bedürfnis des Herzens wirklich befriedigt werden und nur in Ihm jede Frage in Betreff der Gegenwart und der Zu­kunft eine genügende Antwort finden. — Suche ich' die Ge­rechtigkeit, die vor Gott gilt, — und es kann keine andere sein, als die Gerechtigkeit Gottes selbst — ich finde sie für

 mich in Christo. „Denn Gott hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir IN IHM DIE GERECHTIGKEIT GOTTES WÜRDEN" (2. Kor. 5, 21). Er ist unsere Gerechtigkeit und Er ist unser Friede. Ja, nur auf Ihn kann sowohl unser Friede mit Gott, als auch der Friede unseres Herzens gegründet sein (Röm. 5, l; Joh. 14, 27; Eph. 2,14). Nur dann, wenn ich verstehe, was Er für mich ist und was ich in I h m bin, ist mein Herz völlig ruhig und glücklich in der Gegenwart Gottes.

Fragt jemand: Wo finde ich das Leben? so gibt es nur diese eine Antwort: In Christo, und in Ihm allein. Er Selbst sagte zu Martha, deren Bruder Lazarus gestorben war: „Ich bin die AUFERSTEHUNG und das LEBEN; wer an mich GLAUBT, wird LEBEN, wenn er auch gestorben ist; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht ster­ben" (Joh. 11, 25. 26; Kap. 5, 21. 25; 10, 28).

Fragt ein Christ: Wo finde ich Schutz und Stärke, um in dieser feindseligen Welt wandeln zu können und wo­her nehme ich M u t und Kraft, um im Kampf wider die „geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern" zu bestehen? Wohin anders kann er gewiesen werden, als zu Jesu Christo, der als Sieger über alles zur Rechten Gottes sitzt. Der Psalmist singt: „Der Herr ist meine Gerechtigkeit und Stärke." — „Der Herr ist meines Lebens Kraft." Und Paulus ermahnt: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke" (Eph. 6, 10; vergleiche 2. Tim. 2, l; PS. 62, 7).

In Christo finde ich inmitten einer eitlen und vergäng­lichen Welt das, was gewiß und ewig bleibend ist; auf Ihn und Sein Werk ist meine Annahme bei Gott und mein Verhältnis zu Ihm unwandelbar fest gegründet; Seine Auferweckung sagt mir, daß ich gerechtfertigt bin; Sein Sitzen zur Rechten des Vaters sichert mir für immer den Gegenstand meiner Hoffnung — die himmlische Herrlichkeit und Seine baldige Ankunft führt mich aus dieser versuchungsreichen Wüste in jene unermeßliche Herrlichkeit, wo ich Ihn Selbst finden und für immer schauen werde.

So steht denn das ganze Heil unserer Gegenwart und unserer Zukunft mit der Person Christi und Seinem Werke im engsten Zusammenhang; nichts aber finde und besitze ich außer Ihm. Er ist der Mittelpunkt von allem, was wir glauben und was wir zu erwarten haben. Alle die uner­forschlichen Reichtümer, alle die unermeßlichen Segnungen

 besitzen wir nur in Ihm, durch Ihn und mit Ihm. Wäre Er nicht da, so würde es auch für uns überall leer und öde sein; was wir glaubten und was wir hofften, wäre nichts als traurige Einbildung, als ein schöner Traum, dem ein schreckliches Erwachen folgen würde. Wir würden arm und nackt, elend und verloren sein und bleiben. Es gäbe keinen Himmel für uns, und wenn es einen gäbe, so würde er uns wie ein ödes, verlassenes Haus sein. Außer Christo finden wir keine Gnade, keine Versöhnung, keine Errettung, keine Befreiung, keine Herrlichkeit. Unsere Stellung vor Gott, unser Verhältnis zu Ihm, unser Wandel mit Ihm, kurz alles steht in der engsten Verbindung mit der Person Christi und ist völlig davon abhängig. 

Deshalb kann auch nur Er der höchste und köstlichste Gegenstand aller unserer Wünsche und unserer Erwartungen und der wahre Ruhort unserer Herzen sein. In Ihm sind wir geborgen vor den listigen Anläufen Satans und sicher vor seinen Anklagen; in Ihm können wir stets ohne Furcht in der Gegenwart Gottes sein und dessen gesegnete Gemeinschaft genießen. Das Blut des Lammes Gottes hat für immer unser Gewissen von allen Sünden entlastet und gereinigt. — „Das Gesetz, des Geistes und des Lebens in Christo hat uns auch freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes", so daß wir nicht mehr in Ratlosigkeit des Herzens nötig haben zu fragen:

„Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" — sondern wir können freudig antworten: „Ich danke Gott durch Jesum C h r i s t u m." — Und weil wir Ihn zur Rechten Gottes wissen, brauchen wir nicht mehr mit Furcht und Zweifel zum Himmel aufzuschauen, sondern mit Zuversicht, mit Freude und mit lebendiger Hoffnung, Dort ist jetzt unsere Heimat und unser Vaterhaus; dort schlägt ein Herz voller Liebe für uns, ein Herz, das unsere Ankunft mit sehnlichem Verlangen erwartet und alles für unseren Empfang vorbe­reitet.

 0 welch eine Gnade, Ihn zu erkennen, Ihn zu be­sitzen und Ihn zu lieben! Verstehen wir nur ein wenig den Reichtum dieser überschwenglichen Gnade, so werden wir auch die Worte Paulus verstehen, wenn er sagt: „Ja, wahrlich, ich halte auch alles für Verlust, wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, weshalb ich alles eingebüßt habe und es für Dreck halte, auf daß ich Christum gewinne und in ihm er­funden werde" (Phil. 3, 8.9). Ja, Sein herrlicher Name sei gepriesen für immer!

Doch jetzt, meine Brüder, und so lange wir hier im Fleische wandeln, ist unsere Stellung die des Glaubens.

 Es ist wahr, wir besitzen alles in Christo; jede Segnung ist uns auch völlig sicher und gewiß, denn wir haben schon das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit — den Heiligen Geist — empfangen; aber wir können jetzt von allem nur mittels des Glaubens genießen. Der Glaube unterscheidet und charakterisiert den Christen hienieden. Unter den vielen gesegneten Namen, welche uns das Wort Gottes beilegt, haben wir auch den Namen „Gläubige" (Apg. 2, 44); und dieser ist unser Vorrecht, so lange wir in dieser Hütte sind. Paulus sagt: „Wir wandeln kraft des Glaubens und nicht des Schauen s" (2. Kor. 5, 7). Der Glaube ist das Auge, womit wir jetzt die unsicht­baren, himmlischen Dinge erkennen; er ist die Hand, womit wir sie ergreifen, und der Mund, womit wir sie genießen. Der Glaube hält sich unbedingt an den Gedanken Gottes und läßt sich nicht durch unsere Sinne leiten — nicht durch das, was wir sehen, fühlen und mit der Vernunft begreifen können, noch durch die Umstände und Schwierigkeiten um uns her (2. Kor. 4,17.18). 

Das Wort Gottes, und dieses Wort allein, ist die Richtschnur und der Leitstern des Glaubens. Und „der Glaube ist die Verwirklichung des­sen, was man hofft, und die Überzeugung dessen, was man nicht sieht" (Hebr. 11, l). — Er verwirklicht nicht das, was nicht ist, sondern das, was in der Tat ist, verwirklicht er in unserem ganzen Leben und Wandel. Er richtet unverwandt unsere Blicke auf Christum, weil Er der Mittelpunkt aller Gedanken und Ratschlüsse Gottes ist; er läßt uns in Ihm ruhen, weil Er der Gegen­stand des Wohlgefallens Gottes ist, weil in Ihm alle Verhei­ßungen Ja und Amen sind, und weil Gott alle Ehre und alle Segnungen für uns auf Ihn gelegt hat. Dies alles ist nicht nur dann wahr, wenn wir es glauben, sondern es ist völlig wahr in Gott; und darum sind wir auf­gefordert, es zu glauben und vermittels des Glaubens ebenso über Christum und Seine Fülle, ja über alle die irdischen und himmlischen Dinge zu denken und zu ur­teilen, wie Gott Selbst es tut.

Dies zu verstehen und zu verwirklichen ist für unseren Wandel von der höchsten Wichtigkeit. Wenn ein Christ durch das Gefühl seiner Ohnmacht, Schwachheit und Ar­mut niedergedrückt, oder durch die Umstände, durch die Sorgen dieses Lebens usw. beunruhigt wird, so ist der Glaube nicht wirksam in ihm. Sein Urteil wird durch das geleitet, was er fühlt und sieht, und das ist nicht der Glaube, der in Christo alle Fülle besitzt. Angenom­men, ein Hungriger würde an eine reichbesetzte Tafel ge­führt, um sich zu sättigen. Er aber, anstatt dieses zu tun,

 spräche und klagte nur über seinen Hunger. Gewiß, sein Hunger würde bleiben; aber nicht darum, weil es an Speise fehlte, sondern, weil er keinen Gebrauch davon machte. — Oder wenn ein Armer zwischen Haufen Goldes geführt würde, um sich in Fülle davon zu nehmen, — würde er nicht inmitten dieser Haufen ein armer Mann bleiben, wenn er keine Hand ausstreckte, um von den ihm geschenkten Schätzen zu nehmen und zu gebrauchen? So hat auch der Gläubige alle Fülle in Christo, und ist oft ermahnt und er­muntert, aus dieser unermeßlichen Vorratskammer reichlich zu nehmen.

 Er kann es aber nur mit Hilfe des Glaubens, und wenn er diese Hand nicht ausstreckt und nimmt und genießt, oder wenn er sich, anstatt durch das untrügliche Wort Gottes, durch seine eigenen armseligen Gedanken, die stets am Sichtbaren kleben, leiten läßt, so wird er trotz aller, ihm in Christo geschenkten Fülle sich matt, elend und arm fühlen.

Laßt uns dies, geliebte Brüder, wohl betrachten und tief in unsere Herzen einprägen: Nie stellt uns das Wort Gottes das, was von Christo und Seiner Fülle in uns verwirk­licht ist — das, was wir in uns sehen oder fühlen — als unseren Reichtum, als unsere Kraft und als den Ge­genstand unserer Freude dar; obgleich es wahr ist, daß wir jetzt von Christo und Seiner Fülle nur soviel genießen, wie wir durch den Heiligen Geist erkennen, und wie durch den­selben in uns verwirklicht ist. Der Glaube aber sieht den Gegenstand unseres Reichtums, unserer Segnung, unserer Kraft und Freude außer uns, und dieser Reichtum ist nichts Geringeres als Christus Selbst und alle in Ihm wohnende Fülle. 

Und der Glaube mißt alles nach dem Maßstab Gottes — nach Seinen Gedanken darüber; — er empfängt, was Gott darreicht und wie Er es darreicht, und deshalb täuscht er sich nie. Christus ist für den Glauben ganz und gar das, wozu Er von Gott für uns gemacht ist; was Gott von Ihm, von Seinem Werke und aller in Ihm woh­nenden Fülle sagt, ist für den Glauben unumstößliche, un­trügliche Wahrheit, wonach Er alle unsere Gedanken und all unser Tun leitet und regiert. Durch den Glauben ur­teilen wir von Christo: Was Er ist, ist Er für uns, und wir sind in Ihm; was Er lebt, lebt Er für uns und wir leben in Ihm, und was Er besitzt, besitzt Er für uns und wir besitzen es in Ihm und werden es bald m i t Ihm besitzen. Der Unglaube aber, der leitende Grundsatz in den sich selbst betrügenden Kindern dieser Welt, läßt sich durch das Sichtbare, durch das, was nur Schein hat, leiten und re­gieren; er vertraut auf das Eitle und Nichtige, und verwirft das, was unsichtbar ist — das Wahre und ewig Bleibende.

 Der Ungläubige hat stets nur sich selbst zum Mittelpunkt aller seiner Gedanken. Und traurig ist es, wenn die Kinder Gottes mehr oder weniger zu derselben Gesinnung hinab­sinken und deshalb oft viel Unruhe, Furcht und Ungewiß­heit über sich bringen.

Es ist aber das Wohlgefallen Gottes, daß wir uns allezeit in Christo erfreuen, und daß wir in unserem Wandel ver­wirklichen was Er ist, und das, was wir in Ihm sind und besitzen. Wir vermögen es nur, wenn unsere Blicke allezeit auf Ihn gerichtet bleiben und auf Ihm allein in völliger Ge­wißheit des Glaubens ruhen, — wir vermögen es nur, wenn wir Ihn mit all der Ehre und der ganzen Fülle, die auf Ihn gelegt ist, aufnehmen und im Glauben besitzen. Dann, und nur dann wird unser Wandel hienieden, ein Wandel im Frieden und in Freude, ein Wandel in göttlicher Kraft und in himmlischer Gesinnung sein; anders aber, wenn nicht allein Christus im Glauben erfaßt und angeschaut wird, ist wenigstens in unserem praktischen Leben hienieden alles verändert. Der Herr Selbst aber möge dies durch Seinen Geist unseren Herzen recht klar und tief einprägen!

Dies ist aber um so nötiger, meine Brüder, weil Satan mit aller List und Bosheit bemüht ist, unsere Herzen von Christo abzulenken und auf irgend etwas anderes hinzu­wenden. Dies war von jeher und zu jeder Zeit seine trau­rige Beschäftigung. Bald sucht er das vollkommene Werk Christi, bald Seinen unerforschlichen Reichtum und bald Seine unwandelbare Gesinnung in Gnade und Liebe gegen uns anzutasten und in unseren Herzen zu schwächen. So­bald er in der Versammlung oder Kirche Eingang gefunden hatte, war es stets sein elendes Trachten, Abfall von der gesunden Lehre des Glaubens und Abfall von Christo Selbst zu bewirken. 

Und ach! in welch einer schrecklichen Aus­dehnung ist es ihm gelungen! Wieviele Millionen gibt es, die sich nach dem Namen Christi nennen, die Seinen Namen oft im Munde führen, deren Herzen aber ganz entfremdet und fern von Ihm sind. Wie unermeßlich ist die Zahl derer, die sich nicht scheuen, auf alle Weise, entweder ihre Gleichgül­tigkeit oder ihren Haß gegen Ihn an den Tag zu legen! Und wer vermag jene zu zählen, die statt Christum, nur leere Formen und Satzungen als Gegenstand ihres Dienstes und ihrer Verehrung haben, und Seinen Namen noch dadurch entweihen, daß sie ihn gebrauchen, um ihrem vergeblichen Dienste Ansehen zu geben! „Welche die Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber ver­leugnen" (2. Tim. 3, 5).

Selbst unter den wahren Christen sieht man die Früchte der Bemühungen Satans — und sie werden oft so wenig erkannt und so wenig gefühlt. Nur selten begegnet man einem nüchternen und einfältigen Auge, welches sich vom Geiste Gottes und Seinem festen und untrüglichen Worte leiten läßt. Bei sehr vielen ist Christus nicht mehr ein und alles. Das Gefühl der Abhängigkeit ist sehr geschwächt, und des­halb mangelt auch die völlige Unterwürfigkeit in der Furcht Gottes. Man findet wenig Verlangen, wenig Eifer und Liebe, nur Ihm wohlzugefallen, nur Ihm zu dienen und zu leben. Dagegen sieht man oft einen großen Eifer für äußere kirch­liche Einrichtungen, Formen und Satzungen.

 Und dies war es, was Satan in der Versammlung zu Kolossä zu erstreben suchte. Er wollte das innige und unauflösliche Band zwi­schen Christo, dem verherrlichten Haupte im Himmel, und Seiner Versammlung auf der Erde, in den Herzen lockern und ihre Gedanken mit den Elementen der Welt, mit den elenden und dürftigen Satzungen beschäftigen. Und ach! wir haben nicht viel Licht nötig, um zu erkennen, wie sehr sein Zweck bis zu dieser Zeit hin, selbst unter den wahren Gliedern des Leibes Christi, erreicht worden ist. Es ist wahr, das Verhältnis selbst kann er nicht antasten, weil es nicht von unserem Wandel abhängig ist; aber er hat das Bewußt­sein desselben in den Herzen der Gläubigen geschwächt; und das ist Verlust und Schaden genug. Oder ist es etwas Geringes, wenn wir äußeren Formen und Satzungen einen Wert beilegen, als handle es sich um Christum Selbst, wenn wir ihretwegen Brüder ausschließen und gegen sie eifern? Paulus weinte über die Feinde des Kreuzes Christi; und es möchte jetzt nicht schwer werden, unter den wahren Christen solche zu finden, die über die Freunde des Kreuzes Christi Tränen vergießen, weil diese nicht auch Freunde der menschlichen Satzungen sind. 

Der Abfall und der Verfall der Kirche ist völlig offenbar, wenigstens für das einfältige Auge. Ihre große Untreue hat der Wirksam­keit Satans Tür und Tor geöffnet! Möchten wir dies in De­mut anerkennen, meine Brüder und von Herzen zu Dem zu­rückkehren, von Dem aller Segen und alle Hilfe kommt, und Dem unsere Schuld bekennen, Der voll Gnade und Er­barmen ist. Es ist aber völlig umsonst, mit einer Wieder­herstellung des Verfalls der Kirche beschäftigt zu sein. Der Mensch als solcher, hat in seiner ganzen Geschichte auf Er­den stets bewiesen, daß er nur fähig ist, von Gott und dem von Ihm empfangenen, gesegneten Zustand abzufallen, d. h. insofern es sich um seine Verantwortlichkeit dabei handelt. Ich will hier nur an einige sehr in die Augen fallende Tat­sachen erinnern. Betrachten wir den Menschen im Paradies, dann nach der Sündflut, dann in dem von Gott mit Israel auf dem Berge Sinai gestifteten Bunde und dann seit Jahr-

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 hunderten in der Kirche auf Erden — immer hat er gefehlt, immer verdorben; nie aber ist es seine Sache, das Verlorene oder Verdorbene wieder aufzurichten oder herzustellen. Dies ist allein Sache Gottes.

Die Leitung der Kirche ist nur dem Heiligen Geiste an­vertraut. Sie ist gefallen, weil sie in ihrer Stellung auf der Erde verantwortlich ist. Wenn nun jetzt der Mensch die ge­fallene Kirche verbessern und in ihren früheren gesegneten Zustand zurückführen will, wenn er ihre Leitung selbst in die Hand nehmen will, wovon zeugt dies anders, als von Unwissenheit oder von Anmaßung oder auch von beidem zugleich? Und was ist es anders, als dieses, wenn er die äußeren Anordnungen des Heiligen Geistes in der Kirche, oder wenn er sogar neue und nach seiner Meinung zeitge­mäßere Formen und Einrichtungen unter diesem oder je­nem Häuflein Christen eigenmächtig einzuführen sich be­müht! Er mag in seinem Eigendünkel so weit gehen, sich einer solchen Arbeit zu rühmen, allein es ist nichts anderes, als „sich des Fleisches rühmen" und hat gewiß nicht das Wohlgefallen Gottes. 

Der Christ versteht wohl, wie töricht es ist, wenn der gefallene Mensch daran arbeitet, sich zu bessern und sich in seinen ersten Zustand zurückzuführen, und doch versteht er nicht, wie töricht er selbst ist, wenn er sich bemüht, eine gefallene Kirche zu verbessern oder wieder herzustellen, ohne einmal an seine eigene Schuld daran und an seine gänzliche Ohnmacht zu denken! Dies Bemühen schon ist eine Frucht des allgemeinen Abfalls. Doch wie gesegnet wird es für ihn sein, wenn er sowohl den Verfall der Kirche, als auch sein Unvermögen, denselben zu heilen, demütig anerkennt und in gläubigem Vertrauen seine Zuflucht zu Dem nimmt, Dessen Arm nie zu kurz und Dessen Gnade und Liebe nie zu schwach ist, um helfen und segnen zu können. —

Es ist jedoch hier nicht meine Absicht, in diesen Gegen­stand noch weiter einzugehen. Ich wollte nur kurz darauf hinweisen, wie sehr es dem Feinde gelungen ist, die Person Christi ganz oder zum Teil in den Hintergrund zu drängen und das unauflösliche Band der Liebe zwischen Ihm und Seiner Versammlung in den Herzen der Seinigen zu lockern. Doch sucht er nicht nur in Betreff Seiner Person, sondern auch in Betreff Seines Werkes den Blick des Glaubens zu trüben und zu verdunkeln. Und es ist traurig zu sehen, wie wenig dieses Werk in seiner ganzen Tragweite, in sei­ner Kraft und Vollgültigkeit erkannt und verstanden wird. Die errettete Seele traut oft weit mehr auf ihre Gefühle, als auf das vollkommene Werk Christi. Die Galater und die He­bräer standen schon, wenn auch aus einem anderen Beweg-

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 grund, in Gefahr, den Blick des Glaubens von diesem Werk abzuwenden und wiederum zu den armseligen Satzungen des Fleisches zurückzukehren und auf den Schatten der zukünftigen Güter zu vertrauen. Wie sehr aber war der Apostel bemüht, sie auf diesem Wege aufzuhalten! — Und sollte es weniger nötig sein, wenn der Christ auf das schwache, elende Gefühl vertraut? Ein solches Vertrauen macht das Herz unsicher und ungewiß und entehrt das voll­kommene Werk Christi. Unser Friede und unsere Freude, unser Loben und Danken ist dann völlig von unseren Ge­fühlen abhängig.

Noch weit mehr als die Wahrheit der Rechtferti­gung ist die der Befreiung in den Herzen der Chri­sten getrübt und verdunkelt. Viele unter ihnen sind sich ihrer Errettung und ihrer Annahme bei Gott völlig bewußt und gehen doch stets mit einem unbefreiten Herzen einher. Ja, sie fürchten sogar das Wort „B e f r e i u n g", indem sie es ziemlich gleichbedeutend halten mit Leichtfertigkeit, Hochmut oder gar Zügellosigkeit. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß es oft, selbst unter Christen, eine Freiheit gab, die auf solch einem traurigen und verwerflichen Boden ge­wachsen war. Doch was kann die Wahrheit dazu, wenn unter ihrem Namen die Lüge einhergeht? Die wirkliche Be­freiung eines Christen hat nur ihren Grund in Christo und Seinem Werke und hängt auch sehr eng mit einem würdi­gen Wandel zusammen. Sie zu kennen und im Glauben darin zu stehen, ist deshalb von großer Wichtigkeit.

 Wo sie mangelt, da mangelt auch die Erkenntnis unserer Stellung vor Gott und unserer Stellung h i e n i e d e n. Wir erken­nen weder unsere völlige Einheit mit Christo — eins mit Ihm in Seinem Tod und eins mit Ihm in Seiner Auferstehung — noch vermögen wir, als mit Christo Auferweckte, in Kraft Seines Lebens hienieden zu wandeln. Wir beschäftigen uns stets mit der Ohnmacht und Verderbtheit des Fleisches; wir gehen mit einem beschwerten und klagenden Herzen ein­her und verherrlichen auf diese Weise den Namen unseres Gottes und Heilandes nicht.

Am meisten aber ist die Erwartung der herrlichen Ankunft Christi zur Aufnahme Seiner Versammlung in den Herzen der Seinigen verschwunden; und somit ist auch ihr gesegneter Einfluß auf den Wandel hienieden und der damit verbundene süße Trost in allen Versuchungen völlig vernichtet. Schon bei der Versammlung der Thessalonicher suchte Satan diese köstliche Wahrheit, die ihnen Freude, Kraft und Ausharren gewährte, aus den Herzen zu verdrän­gen und suchte an ihre Stelle Seine Erscheinung zum Ge­richt zu setzen. Und man braucht nur die Christen im all-

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 gemeinen über diesen Punkt reden zu hören, so merkt man bald, welch reichlichen Eingang dieser Irrtum gefunden hat. Man spricht von dem Kommen des Herrn Jesu, und ver­wechselt es immer mit dem „Tage des Herrn", wo Jesus in Seinem Charakter als Richter, erscheint. Doch was für ein Trost liegt in dieser Erscheinung? Wenn man nur ein wenig das Wort untersucht und von den Dingen liest, welche die­sem Tage vorangehen und welche ihn einführen und beglei­ten, so kann das Herz, selbst wenn es Seine Erscheinung lieb hat, nur mit Angst und Schrecken erfüllt werden, wenn es an dieselbe denkt. Selbst wenn man, wie einige Christen tun, die herrliche Ankunft Christi zur Aufnahme Seiner Versammlung zwar festhält, aber doch die Gerichte vor die­selbe bringt, so können wir uns weder ganz der Freude an Sein Kommen hingeben, noch haben wir Ihn heute zu er­warten.

 Die vorhergehenden Gerichte werden immer diese Freude ein wenig trüben. Das Wort spricht nun aber sehr einfach und klar über diese köstliche Wahrheit. Es unter­scheidet ganz bestimmt die Ankunft Christi zur Auf­nahme Seiner Versammlung und den „Tag des Herrn" — Seine Erscheinung zum Gericht der Welt; es redet sehr deutlich von den Umständen, welche jede dieser Tatsachen begleitet und es bezeichnet genau den Charakter derer, die an dieser Aufnahme teilhaben und derer, auf welche die Gerichte fallen werden, sowie auch den Charakter der Gläubigen, welche während dieser Gerichte ihren Aufent­halt auf dieser Erde haben. Sobald aber das Herz von Christo abgewandt ist, sobald das Verhältnis der Versamm­lung zu Ihm und ihre himmlische Berufung nicht mehr ver­standen wird, kommt alles in Verwirrung. Wir verwechseln oft die einfachsten Wahrheiten; wir unterscheiden nicht mehr das irdische und himmlische Volk — Israel und die Kirche — die irdische und himmlische Berufung; wir wen­den auf uns an, was Gott auf andere angewandt hat, und vergessen das, was uns zugehört; wir vergeistigen manche einfachen und klaren Aussprüche, um sie unserer Meinung anzupassen—kurz, wir fallen aus einem Irrtum in den an­deren.

 Sobald wir vergessen haben, was für einen beson­deren und gesegneten Platz die Versammlung in der Liebe und dem Herzen Jesu einnimmt, können wir auch nicht mehr verstehen, daß diese Versammlung in Betreff der Zu­kunft einen besonderen Platz einnehmen wird, und daß sie Erwartungen hat, die nur ihr zugehören. Man liest Schriftabschnitte wie Johannes 14, 1-3 und 1. Thessalonicher 4, 13-18 und denkt nichts dabei, oder man vergeistigt sie. Und es haben sich gar mancherlei Meinungen in Betreff der Zukunft gebildet — Meinungen, denen meist das Wichtigste

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 fehlt: die Übereinstimmung mit dem Worte Gottes — Mei­nungen, die oft von einem scharfen Verstand, aber von einer schwachen Schriftkenntnis zeugen — Meinungen, die nicht einzig und allein aus der wahren untrüglichen Quelle geschöpft sind. Man trägt oft seine Ansicht in das Wort hinein und suchte dasselbe danach zu drehen und zu wen­den und bildet nicht jene Ansichten nach diesem Worte. Und dies offenbart jedenfalls ein schwaches Gefühl von der Autorität der Heiligen Schrift und ein großes Vertrauen auf sich selbst.

Die am meisten angenommene Meinung ist nun diese, daß die Versammlung durch die Gerichte gehen und dann das tausendjährige Reich auf Erden bilden wird. Und somit ist ihre Auf­nahme in das himmlische Reich gänzlich beseitigt und ihre himmlische Berufung vernichtet. Dem Volke Israel werden aber auch seine bestimmten Verheißungen nicht erfüllt; der gläubige Überrest hofft umsonst; ein anderes Volk, die Ver­sammlung, ist an ihre Stelle getreten und Gottes Treue gegen Sein Volk ist in Frage gestellt.

Eine andere sehr verbreitete Meinung ist die, daß das Evangelium nach und nach alles durchdringen und die Welt in ein tausendjähriges Reich umschaffen werde. Diese Meinung aber schließt die schrecklichen Gerichte aus, die diesem Reiche vorangehen und welche es einführen sollen. Und glaubt man, daß diese Gerichte nur ein Mittel seien, um dem Evangelium Aufnahme zu verschaffen, so versteht man weder ihre Tragweite noch ihren Charakter. Und alles, was bei der ersten Meinung beseitigt und in Frage gestellt ist, ist es nicht weniger hier.

Nach einer dritten, von vielen angenommenen Meinung, hat das tausendjährige Reich schon sein Ende erreicht. Sein Anfang wird in das neunte Jahrhundert unter Kaiser Karl den Großen verlegt. Doch ich frage ganz einfach: „War Sa­tan von jener Zeit an bis hierher gebunden, wie es ja nach Offenbarung 20 während des tausendjährigen Reiches sein wird? War die eigentliche, im Worte Gottes klar bezeichnete Person des Antichristen vor jener Zeit schon vorhanden und wurde sie durch die Erscheinung des Herrn gerichtet? (2. Thess. 2). War Israel in sein Land zurückgekehrt und ge­noß in diesem Reiche die herrlichen Segnungen, wovon die Psalmen und alle Propheten so oft und so viel reden?" 0 ge­liebte Brüder, wie weit können wir von der einfachen und lauteren Wahrheit abirren, wenn wir uns auf unseren Ver­stand, auf unsere Weisheit und auf unsere Meinung ver­lassen und diese als Maßstab an die Gedanken und Rat­schlüsse Gottes legen oder wenn wir die Meinungen anderer

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 Christen, die sich etwa durch Gelehrsamkeit oder sonstige Dinge auszeichnen, ohne weiteres zur Richtschnur unseres Glaubens und Lebens machen und nicht allein das untrüg­liche Wort Gottes unter Leitung des Heiligen Geistes erfor­schen und nur dieses unseres Fußes Leuchte sein lassen!

Laßt uns jetzt auf die drei erwähnten Gegenstände:

unsere Rechtfertigung aus Glauben, unsere Befreiung in Christo und die herrliche An­kunft Christi zur Aufnahme Seiner Ver­sammlung — etwas näher eingehen. Der treue und gnadenreiche Herr aber wolle uns durch Seinen Geist in alle Wahrheit leiten!

I. Unsere Rechtfertigung aus Glauben

„Gerechtfertigt also aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum" (Röm. 5, 1).

Das einzig wahre und sichere Fundament in Betreff un­serer Rechtfertigung oder unseres Friedens mit Gott ist Christus und Sein für uns vollbrachtes Werk. Wer hier im Glauben ruht und völlig und allein darauf vertraut, wird auch mit freudiger Gewißheit be­kennen: „Alle meine Sünden sind für immer hinweggetan, für immer habe ich Frieden mit Gott!"

Es gibt aber wirklich bekehrte Seelen, die in dieser Be­ziehung oft in Unruhe und Ungewißheit einhergehen. Bald glauben sie, bald glauben sie nicht; bald ist ihr Herz mit Freude und Dank erfüllt, bald mit Furcht und Niederge­schlagenheit. Woher aber kommt dieser Zustand? Fehlt es der Seele etwa an der völligen Überzeugung ihres gänz­lichen Verderbens? Es kann sein, daß in dieser Hinsicht ein gewisser Mangel vorhanden ist. 

Es gibt eine natürliche Er­kenntnis der Sünde, eine Erkenntnis, die durch Gesetz, durch Erziehung, durch ein ' natürliches Gewissen hervorgebracht wird. Nachdem Adam gefallen war, konnte er Gutes und Böses unterscheiden. Doch diese Erkenntnis bringt uns nicht zu dem Bewußtsein, daß wir verloren sind. Der natür­liche Mensch befindet sich in einer Welt von Sündern; er mißt seinen Zustand mit seinen eigenliebigen Gedanken und nach dem Zustand anderer Menschen, und er findet, daß, wenn auch etliche unter ihnen besser sein mögen, doch die meisten noch schlechter sind als er; und wie kann er da

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 an ein Verlorensein denken? Er vergißt aber ganz und gar, daß er sich fern von Gott in einer schon längst verlorenen und gerichteten Welt befindet (Joh. 12, 31. PS. 14, l—3), und daß er mit dieser verloren und verurteilt ist. Er offenbart gerade darin seine schreckliche Verblendung und Vermessenheit, daß er in diesem Zustand daran denkt, in die Gegenwart Gottes zu kommen — Ihn anzubeten und Ihm zu dienen, als wenn er in einem nahen und innigen Verhältnis zu Ihm stände. Er weiß weder, was er selbst ist und wo er sich befindet, noch was Gott und die Heiligkeit Seiner Gegenwart ist. Sobald er aber seinen wahren Zu­stand erkennt, und sobald er daran denkt, daß er, so wie er ist und so wie er gelebt hat, einmal vor Gott erscheinen muß, fängt er an, unruhig und bange zu werden. Und dies wird er um so mehr, je mehr die Erkenntnis seines Zu­standes und die Heiligkeit Gottes wächst.

 Er hat bisher diesen heiligen und gerechten Gott in Seiner Majestät und in Seinem Rechte über ihn beleidigt, verachtet, verunehrt und verworfen; und dennoch muß er Ihm begegnen, um von Ihm zu empfangen, was seine Taten wert sind. Gewiß, dies Bewußtsein kann nur Furcht und Schrecken in der Seele erwecken. Und es tritt noch ein tiefer Schmerz hinzu, wenn Gott in Seiner Liebe und Gnade erkannt wird, daß Er Seinen eingeborenen Sohn für die Sünder, für die Gott­losen, für die, die seine Feinde sind, dahingegeben, und daß Er, obgleich, trotz dieser Tat Seiner unaussprechlichen Liebe, immer noch verkannt und verworfen, mit großer Ge­duld und Langmut dem Sünder nachgeht, um ihn zur Um­kehr zu bewegen.

Solange der Mensch das wirkliche Verlorensein und die völlige Unmöglichkeit seiner Selbst - Errettung noch nicht erkannt hat, solange er nicht weiß, daß er es mit einem vollkommen heiligen und gerechten Gott zu tun hat, denkt er daran, aus eigener Kraft seinen bisherigen Weg zu ver­lassen und besser zu werden und somit sein eigener Heiland zu sein. Wenn er es nun aufrichtig auf diesem Wege meint, so wird er bald seine gänzliche Ohnmacht und seine stete Neigung zum Bösen erkennen. Es ist dann wohl ein guter Schritt gemacht; wenn aber die Erkenntnis seiner selbst nicht tief geht, wenn er nicht völlig an seiner Selbsthilfe verzagt, so nimmt er zwar seine Zuflucht zu Gott, aber nicht in dem völligen Bewußtsein, daß nur Er ihn retten kann, sondern er begehrt, daß Gott ihm zur Selbst-Errettung bei­stehen und Kraft verleihen möge. In diesen vergeblichen Anstrengungen der eigenen Gerechtigkeit gehen manche oft eine lange Zeit voran; Gott aber in Seiner Güte und Gnade überzeugt sie auf diesem Wege von Seiner Heiligkeit und

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 von ihrem gänzlichen Verderben. Und sind sie überzeugt, so nehmen sie zu Ihm allein ihre Zuflucht; sie richten sich selbst und schreien in dem Bewußtsein, daß der heilige Gott zugleich die Liebe ist, um Gnade und Erbarmen. Im Lichte der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes aber kann der Mensch nichts anderes, als ein verworfener und verlorener Sünder sein. Seine Gegenwart kann Ihn nur mit Angst und Schrecken erfüllen. Und dennoch müssen wir einmal Gott begegnen; entweder sind wir jetzt als Errettete und Versöhnte in Seiner Gegenwart gesegnet und mit Friede und Freude erfüllt, oder wir werden später vor Ihm er­scheinen mit Furcht und Entsetzen. Jetzt herrscht die Gnade und dann die Gerechtigkeit; jetzt ist Gott in Christo ein Rechtfertiger der Gottlosen, die Ihn im Glauben suchen, dann aber ein erschrecklicher Richter.

Es möchte nun jemand sagen: Ich weiß wohl, daß ich ein Sünder und ganz verloren bin; aber ich fühle es nicht tief genug.— Doch ich frage: Wie tief muß es denn gefühlt werden? Und welcher Mensch hat es je in seiner ganzen Tiefe gefühlt? Solche Gedanken sind das Machwerk unserer Vernunft; sie entspringen aus der eigenen Gerechtigkeit, die noch gern etwas bringen und nicht alles umsonst emp­fangen will. Es widersteht ihr, daß die Errettung ganz aus Gnaden sein soll, damit Gott aller Ruhm allein bleibe. Jesus sagt ganz einfach und klar, daß Er zur Errettung der Ver­lorenen gekommen sei. Dies hat Er oft gesagt, aber nie dabei eine Beschreibung von der Tiefe des Gefühls über das Verlorensein gemacht; nie hat Er den, welcher seine Zu­flucht zu Ihm nahm, gefragt: Wie tief hast du deinen ver­lorenen Zustand gefühlt? 

Er stellt in dieser Beziehung keine Vorschriften. Es ist aber wahr, daß wir desto völliger an uns verzagen und auf unsere Selbsthilfe verzichten, je tiefer und gründlicher unsere Überzeugung ist, daß wir durch und durch Sünder und verderbt sind; aber nie ist unsere Annahme bei Ihm von der Tiefe des Gefühls unseres Zu­standes abhängig. Wir sind ganz und gar verloren; Er aber hat eine ewige und vollkommene Erlösung gefunden. Er ist im Fleisch gekommen und hat am Kreuz Sein unaussprech­lich schweres Werk für uns vollendet. Bist du nun von Her­zen überzeugt, daß du wirklich verloren bist, so glaube nur, daß Christus gekommen ist „zu suchen und zu er­retten, was verloren ist." Laß dich durch die Ein­wendungen der verderbten Vernunft und der eigenen Ge­rechtigkeit nicht länger zurückhalten. Glaube mit aller Zuversicht und Gewißheit, daß Er für dich gekommen ist, und daß Er alles, was Er vollbracht, für dich vollbracht hat; glaube  nur fest und gib keinem Zweifel Raum!

Nur solchen gehört dieser Trost nicht, die ihn nicht be­dürfen, die kein Verlangen nach Errettung haben, sondern vielmehr in ihrer Blindheit die betrügliche Hoffnung in sich nähren, daß sie ohne diese Errettung in den Himmel ein­gehen könnten. Ja, es sind ihrer viele, die wohl von einer Vergebung ihrer Sünden durch Christum reden, aber nicht im geringsten daran denken, daß sie wirklich verloren sind und wirklich der Errettung durch Ihn bedürfen. Was könnte auch solchen dieser Trost, daß Jesus zur Errettung der Ver­lorenen gekommen ist, nützen? Es ist sicher kein Trost für sie, sondern nur ein Ruhekissen, um fortzusündigen.

Es gibt auch Seelen, die sich in anderer Weise zurück­halten lassen, das Heil in Christo im Glauben zu ergreifen. Diese bekennen, daß sie verloren sind; auch bekennen sie, daß nur in Christo Heil für sie ist; allein sie glauben, nicht würdig genug zu sein, um dieses, nur den Verlorenen dar­gereichte Heil, im Glauben annehmen zu dürfen. Sie wollen nicht ihre Errettung selbst vollbringen — sie erkennen, daß dies unmöglich ist — aber sie glauben fähig zu sein, sich für die Annahme dieser Errettung würdig machen zu können. Traurige Täuschung! Dies gerade zeigt auf das klarste die Blindheit unserer Vernunft und die tiefgewurzelte Eigengerechtigkeit. Auf der einen Seite bekennen, daß man ganz verloren und durch und durch verderbt ist und auf der anderen Seite an eine Würdigkeit zur Annahme des Heils denken — welch ein Widerspruch! Es ist vergeblich, an einer bitteren Quelle zu sitzen und auf süßes Wasser zu warten; und es ist ganz umsonst, auf einem schlechten Baume gute Früchte zu suchen. 

All dein Dichten und Trach­ten, all dein Beten und Ringen und all dein Tun und Las­sen, um nur ein wenig würdiger zu werden, ist eitle Mühe. Kommst du heute oder morgen oder erst nach zehn Jahren, du wirst immer gleich schlecht, gleich verderbt, gleich ver­loren sein. Deshalb komm heute noch, komm in diesem Augenblick, gerade so, wie du bist; du kannst nichts anderes mitbringen, als deine Sünden, als dein gänzliches Verloren­sein nach allen Seiten hin. Und wisse, Jesus sucht gerade solche Sünder, solche Verlorene, die nichts mehr haben und nichts anderes mehr mitbringen können, als ihre Sünden und ihre Ohnmacht; ja, solche sind es, die Er erretten und an welchen Er die Gnade und Liebe Gottes in ihrer ganzen Fülle verherrlichen will. Und dies zu tun ist die, Freude Seines Herzen;; deshalb suche du nicht durch zweifelnde Überlegungen diese Freude zu verderben. Alles, was du noch zu haben wünschst, kann höchstens die Frucht deiner eigenen Gerechtigkeit sein, die dich nie zu Christo führt,

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 aber dich stets von Ihm fernzuhalten sucht. Das Heil in Christo ist vollkommen; es ist umsonst erworben und wird umsonst geschenkt. Deshalb komm nur wie du bist und glaube mit aller Zuversicht und Gewißheit, daß Er für dich gekommen ist, und daß Er alles, was Er vollbracht, für dich vollbracht hat; glaube nur fest und gib keinem Zweifel Raum! —

Andere Seelen möchten gern ein Zeichen haben, irgend einen fühlbaren und sichtbaren Beweis, um überzeugt zu werden, daß das Heil in Christo auch wirklich für sie sei und daß sie ein Recht hätten, es im Glauben zu ergreifen. — Ach, wie wenig ist doch das menschliche Herz fähig, die Liebe Gottes zu verstehen und Seinem Worte zu glauben! Es traut weit eher den schwachen und trügerischen Sinnen, als der unwandelbaren Liebe und Treue Gottes. Könnten wir denn wirklich einen größeren Beweis Seiner Liebe gegen verlorene Sünder haben, als daß Er Seinen eingebo­renen Sohn für sie hingegeben oder einen größeren Beweis der Liebe Christi, als Er Sein Leben für uns gelassen, da wir noch Feinde und Gottlose waren? (Röm. 5, 6). Ist nicht Christus am Kreuze der vollkommenste Beweis der Liebe des Vaters und des Sohnes gegen uns? Und dennoch suchen wir nach einem elenden, schwachen Beweis durch die Sinne, um gewiß zu sein, daß Er uns liebt und daß die Gnade in Christo unser ist? Ach, dies Begehren allein sollte hinrei­chend sein, uns vor der gänzlichen Blindheit und Schlechtig­keit des menschlichen Herzens zu überzeugen!

Und was das Recht zur Ergreifung des Heils in Christo betrifft, so frage ich: Was hat der verlorene, verworfene Sünder noch für ein Recht? — Aber nicht zu glauben, und das durch Christum erworbene und angebotene Heil nicht bereitwillig anzunehmen, ist nicht nur allein das größte Unrecht, sondern zeigt auch die Sünde in ihrer traurigsten Gestalt. Betrachten wir nur dieses: Der Mensch hat sich von Gott entfernt; er lebt als Sein Feind, gleichgültig und übermütig in einer gottver­gessenen Welt. Gott hat alles zu seiner Errettung, und Auf­nahme vorbereitet; Er will ihn sogar in Sein eigenes, ge­segnetes Haus aufnehmen. 

Und ach! wieviel Arbeit und Mühe, wieviel Liebe und Gnade hat es erfordert, um dies zu können! Jetzt aber, wo Er alles getan, und den Sünder freundlich und liebevoll einladen läßt, zurückzukehren, um ewig glücklich zu sein, fragt er: „Darf ich es glauben? Habe ich ein Recht zu kommen?" Sollte nicht billig jeder, in dessen Herzen solche Gedanken aufkommen, vor Scham und Schmerz niedersinken? Gott Selbst ist es ja, der alles für dich aus dem Wege geräumt hat; Er Selbst ist es, der dir, dem verlorenen Sünder, nachgeht, der dich ruft und lockt, der dir das Verlangen nach Gnade ins Herz ge­legt hat. So warte doch nun auch nicht länger auf ein sinn­liches Zeichen; denke nicht mehr daran, sondern glaube mit aller Zuversicht und Gewißheit, daß Er für dich gekommen ist, und daß Er alles, was Er vollbracht, für dich vollbracht hat; glaube nur fest, und gib keinem Zweifel Raum !

Man findet endlich auch solche Seelen, die wohl fühlen und überzeugt sind, daß sie der Gnade bedürfen; aber sie verstehen nicht, daß der Weg zur Erlangung des Heils in Christo der einfache Glaube ist — was es heißt: „Ge­rechtfertigt sein aus Glauben." Sie bekennen, daß ihre Sünden groß und sie verloren sind; aber sie mei­nen, das Werk, was außer ihnen in Christo vollbracht sei, müsse auch in ihren eigenen Herzen vollbracht werden, und dann erst dürften sie glauben. Sie denken, daß für solche, wie sie seien und wie sie sich fühlen, etwas ganz Besonderes geschehen müsse; es sei nicht genug damit, einfach zu glauben. Und Satan ist auf alle Weise beschäftigt, diese Meinung in ihren Herzen zu erhalten, und Vernunft und eigene Gerechtigkeit finden reichlich Nahrung darin.

 Diese Gedanken aber haben die traurige Folge, daß solche Seelen ihre Augen stets auf das gerichtet halten, was in ihren Herzen vorgeht, und daß sie nicht im Glauben ihre Blicke dorthin erheben, wo alles für ihre Errettung geschehen ist — zu dem Werke Christi. Sie bekennen, daß die Liebe und die Gnade Gottes für den verlorenen Sünder vorhanden und daß Christus für ihn gestorben sei; aber sie glauben es in der Tat nicht. Sie sagen: „Wir glauben wohl; aber unser Glaube ist ohne Kraft und Wirkung"; und sie denken nicht daran, daß er darum ohne Kraft und Wir­kung bleibt, weil es kein wirklicher Glaube ist. Sie aber halten es dafür, und urteilen deshalb, daß .der einfache Glaube nicht hinreichend sei. Und also zerarbeiten sie sich in der Menge ihrer eigenen Wege und mühen sich ab — vielleicht mit vielem Eiter und vielem Gebet; aber Gott antwortet nur dem Glauben. Der Glaube aber ist die völlige Überzeugung von dem, was Gott zu uns geredet und Christus für uns getan hat. — Angenommen, ich verschul­dete eine große Summe Geldes, die von mir zurückgefordert würde. Dies würde mich sicher in die größte Unruhe und Verlegenheit setzen, wenn ich nichts hätte, sie zu bezahlen. Wenn aber mein Freund, der reich wäre und mich sehr liebte, diese Schuld entrichtet hätte, und der Gläubiger versicherte mir, daß er völlig befriedigt sei und nichts mehr

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 von mir zu fordern habe, und auch mein Freund beteuerte, daß er meine ganze Schuld bezahlt habe, und auch nie et­was von mir zurückerwarte, — würde ich dann, wenn ich diesen Zeugnissen Glauben schenkte, in Betreff dieser Schuld noch in Unruhe und Verlegenheit sein? Gewiß nicht. Es hätte nun zwar nicht der Glaube an die Tilgung meiner Schuld, mich von derselben befreit — ein anderer hatte diese für mich bezahlt — aber sobald ich wirklich und sicher glaubte, was ein anderer für mich getan hatte, wurde ich von der Unruhe meines Herzens und meiner Ver­legenheit in Betreff dieser Schuld befreit. 

Das ist ein­fach und klar; nun, ebenso einfach und klar ist es in Betreff meiner Befreiung von der Schuld der Sünde. Ein anderer, nämlich Christus, trug und zahlte, wovon ich nie das Ge­ringste bezahlen konnte, und sobald ich dies wirklich und völlig glaube, bin ich von aller Unruhe und Not mei­nes Herzens darüber befreit. Es ist aber auch hierbei nicht der Glaube, der meine Sündenschuld tilgte, sondern es ist Christus; allein durch den Glauben an Sein für mich vollbrachtes Werk werde ich los vom bösen Gewissen, und werde von meiner Versöhnung mit Gott und von der Til­gung meiner ganzen Schuld völlig überzeugt.

Es ist auch nie das Werk Christi von meinem Glauben abhängig; dies Werk wurde vollbracht, ehe ich glaubte. Gott hatte schon in Seiner Gnade an mich gedacht, ehe ich an Ihn dachte. Christus hatte schon Sein Blut für meine Sün­den vergossen, als ich noch darin lebte. Es hat die Gnade Gottes in Christo Jesu alles allein vollbracht. Sie sorgte zu­erst für die Tilgung meiner Sünden, und dann suchte sie mich und brachte mich herzu, um den Reichtum dieser Gnade und Güte in Christo Jesu zu schauen und zu ge­nießen. Mein Glaube bewirkt und vollbringt nichts bei Gott; aber er empfängt alles umsonst, was Christus für mich vollbracht hat.

 „Gerechtfertigt also aus Glau­ben, haben wir Frieden mit Gott durch un­seren Herrn Jesum Christum" (Röm. 5, l). Und wohl uns, daß unser Heil außer uns in Christo voll­bracht ist! Sollte dies Werk in uns vollendet werden, dann wehe uns! Wir würden allesamt umkommen. Jesus hat es allein getan und nur Er allein vermochte es zu tun. Das schreckliche Gericht des heiligen Gottes über unsere Sün­den konnte nur an dem, „der Sünde nicht kannte", vollzogen werden. Und es ist völlig geschehen. In Ihm ist die Tür der Gnade weit für uns geöffnet; ja, Sie ist viel weiter, als alle unsere Sünden groß sind. Dies bezeugt das Wort Gottes an vielen, vielen Stellen, und wir besitzen darin das Zeugnis des Vaters und des Sohnes und des Hei-

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 ligen Geistes. Darum glaube mit aller Zuver­sicht und Gewißheit, daß Er für dich ge­kommen ist, und daß alles, was Er voll­bracht, für dich vollbracht hat; glaube nur fest und gib keinem Zweifel Raum! Denn wä­ren nicht schon alle deine Sünden ein für allemal in Christo gerichtet und hinweggetan, als Er auf Golgatha gestorben ist, so würdest du für immer verloren sein. Wir wissen aber, daß Sein Werk für uns vollendet ist, — vollendet für immer, und daß Gott Selbst es völlig anerkannt und angenommen hat. Nie wird und kann ein neues Werk für die Sünden geschehen, und nie wird es auch nötig sein.

Ich bin nun eigentlich von dem mir vorliegenden Gegen­stand ein wenig weit abgeschweift; allein ich hoffe, daß es für gewisse Leser nicht ohne Nutzen geschehen sein wird. Es ist auch dieser Teil meiner Betrachtung vornehmlich für solche Seelen bestimmt, die entweder aus allerlei Schein­gründen keinen Mut haben, zu glauben, oder doch, wenn sie glauben, nicht recht befestigt und gegründet sind, und deshalb oft durch Zweifel und Ungewißheit, in Betreff ihrer Begnadigung, beunruhigt werden, — ja, für diese zu­nächst wünsche ich hier einige Gedanken niederzuschrei­ben, die der gnadenreiche Herr an ihren Herzen segnen möge.

Es handelt sich bei solchen Seelen namentlich darum, ob durch das Werk Christi für ihre Sünden völlig genug getan ist, und ob sie zu jeder Zeit auf dieses Werk allein fest und zuversichtlich vertrauen dürfen und können.—Dies ist auch sicher eine Frage von der höchsten Wichtigkeit; mit ihr steht und fällt unser ganzes Heil. Deshalb wolle der Herr geben, sie auf eine würdige Weise zu beantworten.

Das Kreuz Christi ist die einzige Zufluchtsstätte für den verlorenen Sünder. Auf diesem Kreuze sind Gerech­tigkeit und Gnade — das, was die verlorene Seele fürchtet und das, was sie sucht, — einander begegnet. Der Strom der Gerechtigkeit traf hier den, „der Sünde nicht kannte", der aber „für uns zur Sünde ge­macht war"; und der Strom der Gnade trifft den, der nichts als Sünde ist. „Er ist unserer Übertretun­gen   wegen   dahingegeben, und   unserer Rechtfertigung wegen auferweckt" (Röm. 4, 25). „Die Strafe lag auf ihm, auf daß w i r F r i e -den hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt" (Jes. 53, 5). Und so vollkommen der Strom der Gerechtigkeit Gottes auf Ihn hernieder gekommen ist, so vollkommen strömt Seine Gnade jetzt auf uns hernieder. An Ihm verherrlichte und befriedigte sich vollkommen

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 Seine Gerechtigkeit im Gericht und an uns verherrlicht und befriedigt sich vollkommen Seine Gnade in Liebe. Er, der ohne Sünde war, nahm unseren Platz in der Welt als Sün­der vor Gott ein, damit wir im Himmel Seinen Platz, als Söhne, vor Gott einnehmen möchten. Unbegreifliche Gnade und Liebe!

Der verlorene Sünder nahet unter dem Gefühl seiner Schuld und Ungerechtigkeit in Angst und Not seines Her­zens, und siehe! — seine Sünden findet er nicht mehr. Gott hatte schon lange vorher an. ihn gedacht, ehe er kam, und Christus schon lange vorher unter der Last seiner Sünden „unter starkem Geschrei und Tränen" geseufzt und sie für immer getilgt. — Wer ist fähig, dies unergründliche Er­barmen und diese unendliche Liebe zu fassen? Der Sünder verwirft Gott in der Feindseligkeit und Verderbtheit seines Herzens, während Gott bemüht ist, alles zu tun, um ihn in Seine eigene gesegnete Gegenwart zu bringen und völlig glücklich zu machen.

 Er bahnt ihm den Weg; Er tilgt für immer seine Sündenschuld durch das Blut Seines einge­borenen und geliebten Sohnes; Er geht ihm nach in einer feindseligen Welt und läßt ihn bitten, sich versöhnen zu lassen: und wenn er endlich umkehrt, so kommt Er ihm entgegen und führt ihn in Sein eigenes Haus und überhäuft ihn mit Segnungen; ja, Er tut alles, und tut es umsonst, da­mit der verlorene Sünder glauben lerne, daß Er die Liebe sei und daß Er es für ihn sei. Und was tut der Sünder? Ach, wie lange läßt er sich nötigen? Wie oft schlägt er erst viele andere Wege zu seiner Errettung ein, ehe er zu Ihm kommt und Seine Gnade sucht! Und kann er endlich keinen anderen Weg als den, welchen Gott für ihn bereitet hat, finden, so fragt er noch wohl mit zweifelndem Herzen: „Ist es auch in der Tat also? Darf ichs glauben? Kann ich mich völlig darauf verlassen? Und ist es auch wirklich für mich?" 0, wieviel Geduld und Langmut, wieviel Liebe und Er­barmen hat Gott nötig, bis eine einzige Seele Ihm ganz ver­traut und in Seiner gesegneten Gegenwart völlig ruhig und glücklich ist!

Gott war in Christo in der Welt, und wurde nicht er­kannt; ja, nicht einmal in Seinem Eigentum fand Er Auf­nahme (Ev. J o h. 1. 10.11). In der Mitte der Sünder war nir­gends ein Ruheort für Ihn; aber Er hat dem verlorenen Sünder eine ewige und glückselige Ruhestätte bei Sich be­reitet, und hat ihm alles aus dem Wege geräumt, um dort­hin zu gelangen.

Es gibt aber keine Versöhnung, keine Errettung, außer in dem Blute des Lammes Gottes; und es gibt kein Bewußtsein eines guten Gewissens, kein Friede mit Gott, als wenn

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 wir im Glauben ruhen in dem, was Christus für uns getan hat. Wäre nicht auf dem Kreuz Christi die Gerechtigkeit Gottes völlig befriedigt und verherrlicht, so dürften wir nie an eine Begnadigung, nie an eine Vergebung unserer Sün­den denken. Gott ist und bleibt immer Gott und offenbart Sich nie anders, mag es sich um Seine Gerechtigkeit oder um Seine Gnade handeln. Und wohl uns, daß es also ist! Denn jetzt darf der verlorene Sünder, der zu Ihm nahet, vollkommene Gnade und Liebe erwarten, weil auf dem Kreuz Christi Seiner Gerechtigkeit vollkommen Genüge ge­schehen ist. Gottes Weisheit hat einen Weg gefunden und Gottes Liebe hat ihn vollbracht, auf welchem der verlorene Sünder völlig gerettet und gesegnet, und Er Selbst als Gott völlig verherrlicht ist.

 Jesus bezeugt: „Ich habe dich auf der Erde verherrlicht; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte" (Joh. 17, 4). Gott ruht jetzt in diesem Werke und läßt den Sünder einladen, an Seiner süßen Ruhe teilzunehmen und zu erfahren, wie un­aussprechlich reich Seine Gnade und Liebe ist. Aber auch nur in diesem durch Christum vollbrachten Werk kann Gott uns in Gnade begegnen. An jedem anderen Ort, wo Er uns auch treffen würde, wären wir für immer verloren. Begeg­nen wir Ihm aber im Glauben auf dem Kreuze Christi, so hat Er uns in Betreff unserer Sünden nichts mehr zu sagen. Wir sind durch dies eine Opfer Christi völlig vor Gott ge­rechtfertigt und völlig mit Ihm versöhnt. Jesus sagt:

„Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun . . . durch welchen Willen wir gehei­ligt sind, durch das ein für allemal gesche­hene Opfer des Leibes Christi" (Hebr. 10,10). — Und was für eine Gerechtigkeit haben wir in dem Werke Christi? Die Gerechtigkeit Gottes selbst. „Denn er hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm die GERECHTIGKEIT GOTTES würden" (2. Kor. 5,21). Und was für eine Gerechtigkeit würde erlangt wor­den sein, wenn es wirklich möglich gewesen wäre, alle Ge­bote des Gesetzes völlig zu halten? Nur eine mensch­liche Gerechtigkeit — eine Gerechtigkeit, die uns nie würde erlaubt haben, im Himmel in der Gegenwart Gottes zu sein. Jetzt aber haben wir in Christo Jesu und durch Sein für uns vollbrachtes Werk die Gerechtigkeit Gottes selbst, und zwar ganz umsonst; jetzt können wir weilen in Seiner Gegenwart im Himmel ohne Furcht.

Es handelt sich aber hier — o möchten wir es uns für immer tief einprägen — nicht um das, was wir waren oder

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 was wir können, sondern um das, was Christus ist und was Er für uns getan hat. Wir haben in Ihm die aus Gnaden geschenkte Gerechtigkeit Gottes selbst, die aber nur dem Glaubenden, dem, der nicht mit Werken umgeht, der nicht ans Tun denkt — völlig zugerechnet wird; ja, ver­mittelst des Glaubens ist diese Gerechtigkeit das gesegnete und bleibende Teil dessen, der nichts anderes hatte, als seine Sünden, der keine andere Frucht bringen konnte, als die des Todes, der keine andere Macht besaß, als seine Ohn­macht, und dem, mit einem Wort, nichts anderes übrig blieb, als durch Glauben das zu ergreifen und sich anzu­eignen, was Christus für ihn vollbracht hatte. Und was hat er hierzu beitragen können? Wenn er ganz und gar un­fähig war, aus eigener Kraft und Anstrengung die Ge­rechtigkeit aus dem Gesetz zu erlangen, — was vermag er zu tun, um sich die Gerechtigkeit Gottes zu er­werben? Gewiß, diese Frage bedarf keiner Antwort mehr.

„Dem aber, der nicht wirkt, aber an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Röm. 4, 5). Ruhen wir im Glauben allein in dem Werke Christi, so können wir auch mit aller Zuversicht ausrufen:

„Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein? Der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat; wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken. Wer wird wider die Auserwählten Gottes Anklage erheben? — Gott ist es, welcher rechtfertigt. Wer ist, der verdamme? — Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Got­tes ist, der auch für uns bittet. Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus?" (Röm. 8, 31-35).

Was hat nun also der Sünder zu tun, wenn er zu Gott kommen will? Was er tun konnte, hat er getan: ge­sündigt. Alles andere muß er Gott überlassen. Traurig genug für die eigene Gerechtigkeit; aber es ist so. Sie be­hält keinen Ruhm mehr, wie wir auch in Römer 3, 27. 28 lesen: „W o ist denn der Ruhm? Er ist ausge­schlossen.   Durch  welches   Gesetz?  Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Denn wir urteilen, daß ein Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzes Werk e." Der verlorene Sünder, wenn er zu Gott naht, hat also nur zu glauben, fest und zu­versichtlich zu glauben, was Gott in Christo für Ihn getan hat. Mögen auch seine Sünden groß und ihrer mehr sein als Sand am Meere — Christus hat sie alle ge­kannt und alle getragen, — und deshalb hat er nichts an-

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 deres mehr zu tun, als dies mit voller Zuversicht und voller Gewißheit zu glauben, und also ist er gerechtfertigt a u s Glauben, und hat Frieden mit Gott.

Es sind jetzt also nicht die großen und vielen Sünden, die den Verlorenen nicht zu Gott kommen lassen; sondern sein Unglaube und seine guten Vorsätze sind es, die ihn fern von Ihm halten. Wenn er Gott naht, wenn er die Er­rettung davongetragen, die Gerechtigkeit Gottes erwerben und Seine Herrlichkeit erreichen will, so muß er auf jedes Tun, auf jedes Wirken völlig verzichten. Ein anderer hat für Ihn gewirkt; Christus hat auf dem Kreuze für ihn ge­arbeitet. Durch Ihn und in Ihm ist die Errettung davonge­tragen, die Gerechtigkeit Gottes erworben und Seine Herr­lichkeit erreicht. Und dies alles ist geschehen für den ver­lorenen Sünder, und wird dem Glaubenden umsonst ge­geben. Warum will er nun noch ans Tun denken, um dies alles zu erlangen, wenn es völlig getan und völlig erlangt ist? Christus hat nicht für Sich, sondern für ihn gearbeitet und Sein Werk vollbracht.

 Denkt er etwa, daß er es besser vollbringen und noch vollkommener machen könne? Gewiß, er muß ganz und gar auf sein Tun verzichten. Gott kann nichts von ihm annehmen und anerkennen, denn Er hat ge­sagt: „Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer." Das Urteil Gottes über seine Arbeit, über sein Tun ist immer gefällt; Er hat alles geprüft und verworfen. Das Werk Christi aber, vollbracht an seiner Statt, ist von Gott völlig anerkannt und völlig angenommen. „Er ist unserer   Rechtfertigung   wegen   aufer­weckt."

Christus war das von Gott vor Grundlegung der Welt ausersehene Opferlamm, und in Ihm findet mein Glaube sein volles Genüge. Er nahm als Bürge meine Stelle ein; alle meine Sünden lagen auf Ihm; und also beladen, begeg­nete Er Gott auf dem Kreuze. Um Seinetwillen konnte das Gericht und der Tod Ihn nicht treffen, weil Er die Ge­rechtigkeit und das Leben ist. Er, der stets „im Schöße des Vaters" ist, konnte ohne Hindernis in den Himmel eingehen; die Gegenwart Gottes war auch in Seiner Niedrigkeit, als Mensch auf der Erde, stets der einzige und glückselige Ruhe­ort Seines Herzens. Doch auf Golgatha stand Er an mei­ner Stelle, trug die Last meiner Sünde, erduldete die Strafe für meine Ungerechtigkeit, und Er wollte nicht anders in den Himmel wieder eingehen und dort aufgenom­men werden, bis die Frage wegen meiner Sünden völlig entschieden und bis alle dieselben ganz und gar beseitigt seien. Ja, um meinetwillen war Er in dem schrecklichen Gericht Gottes, was mich für immer vernichtet haben würde,

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 um meinetwillen gingen über Ihn alle Wogen und Wellen, in welchen ich ganz und gar umgekommen wäre und um meinetwillen traf Ihn die ganze Zornglut Gottes, die mich für immer verzehrt haben würde. Jetzt aber, wo Er durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt und zu Seiner Rech­ten sitzet, ist das Gericht wegen meiner Sünde beendigt; diese alle sind jetzt für immer vernichtet und ich stehe völlig gerechtfertigt vor Gott da. Die Auferweckung Christi ist der vollkommenste Beweis meiner Rechtfertigung und meiner Annahme bei Ihm. Er hat mir nicht den geringsten Grund zum Zweifeln übrig gelassen; und wenn ich diesem dennoch Raum gebe, so stelle ich nicht nur Sein Wort, son­dern auch das Werk Christi — Seinen Tod am Kreuze und Seine Auferstehung — in Frage. 

Wäre für meine Sünden noch etwas zu tun übrig geblieben, so wäre es ja Sache des­sen, der vor Gott an meine Stelle getreten und der als mein Bürge angenommen ist. „Er aber, nachdem er ein Opfer für Sünden dargebracht, hat sich für immerdar zur Rechten Gottes gesetzt" (Hebr. 10, 12). E r hat in Betreff meiner Sünden nichts mehr zu tun, und Er hatte es übernommen, alles zu tun. Was habe i c h denn noch zu tun, der ich nichts zu tun ver­mag? „Durch ein Opfer hat er auf immerdar die, welche geheiligt werden, vollkommen gemacht" (V. 14). Muß ich noch mehr, als voll­kommen sein?

Ach, wie so bestimmt und klar ist das Wort Gottes, und wie so trägen Herzens ist der Mensch, Ihm zu glauben! Wie schwer wird es ihm, zu begreifen, daß glauben nichts anderes heißt, als völlig überzeugt zu sein, daß Gott die Wahrheit geredet, daß Christus „unserer Übertretungen wegen wirklich dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen wirklich auferweckt ist"; und daß nicht glauben nichts anderes heißt, als dies alles in Zweifel ziehen. Wenn z.B. einem zum Tode Verurteilten die völlige Begnadigung angekündigt würde, würde er sich nicht — falls er der Echt­heit dieser Ankündigung vollen Glauben schenkte, ganz der Freude darüber hingegeben, wenn er auch noch im Gefängnis wäre? Gewiß, er würde nicht damit warten, bis er hinaus­geführt und ganz in Freiheit gesetzt sei.

 Aber würde er sich auch dann völlig fr

euen, wenn er in die Wirklichkeit seiner Begnadigung noch irgendwie Zweifel setzte? Sicher nicht; jeder Zweifel würde seine Freude trüben. Nun, ebenso ist es mit dem verlorenen Sünder, der Gott naht. Glaubt er in völliger Überzeugung des Herzens dem Wort Seiner Gnade und dem Werke Christi, so wird Friede und Freude sein Herz erfüllen; und solange noch irgendwelche Unruhe in

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 Betreff Seiner Sünden zurückbleibt, solange sind auch noch Zweifel vorhanden, solange glaubt er nicht fest und zuver­sichtlich, daß er in Christo Jesu völlig begnadigt ist. „ D e n n durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens, und zwar nicht aus euch — Gottes Gabe ist es — nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme" (Eph. 2, 8. 9).

Die eigene Gerechtigkeit aber ist oft bemüht, aus dem Glauben etwas anderes zu machen — irgend ein Werk, das von unserer Seite erstrebt und erarbeitet werden könne — ein Werk, wodurch noch ein wenig Ruhm und Anerkennung bei Gott zu ernten sei, was Ihn etwa bewegen müsse, uns Gnade und Erbarmen zuteil werden zu lassen. Ach, wie tief steckt doch die eigene Gerechtigkeit im menschlichen Her­zen! Wie unmöglich ist es ihr, die Gnade Gottes gegen uns, eine vollkommene und freie Gnade sein zu lassen. Wenn sie fühlt, daß ihr alles von Gott abgeschnitten ist, wenn nichts als Gnade übrig bleibt, so möchte sie sich doch um diese noch ein wenig verdient machen. — Auf solche Weise strengen sich oft viele Seelen so lange vergeblich an und werden von der Einfachheit des Glaubens stets fern­gehalten. Gott aber kann und will nichts von unserer Gerechtigkeit annehmen.

 Nur das Werk Christi für uns hat Sein Wohlgefallen; und in diesem Werke ist Er in Betreff unserer Sünden und unserer Übertretungen völlig befrie­digt, völlig verherrlicht; und wir können Ihn jetzt nur da­durch verherrlichen, daß wir fest und zuversichtlich glau­ben, daß es also ist, und daß alle unsere Sünden hinweg­getan und wir völlig gerechtfertigt sind. Der Gedanke an unser Tun aber, sowie auch jeglicher Unglaube oder Zweifel verunehrt stets Gott und das Werk Christi. „Ohne Glau­ben ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen" (Hebr. 11, 6). Und wir glauben nie zu fest und vertrauen nie zu sicher und erwarten nie zuviel, wenn wir es mit Gott zu tun haben und auf Christum und Sein Werk uns gründen. Er wird uns nie beschämen, sondern allezeit unsere Erwar­tungen weit übertreffen. Ja, je fester und zuversichtlicher wir Seinem Wort und dem Werke Christi glauben, je völ­liger wir es erfassen und darauf vertrauen, desto mehr ist Er in Seiner Treue, in Seiner Gnade und Liebe an uns ver­herrlicht.

Und dennoch fehlt es nicht an solchen, die es für ge­fährlich halten, so fest und zuversichtlich zu glauben und der Vergebung aller seiner Sünden und seiner Errettung zu jeder Zeit völlig gewiß zu sein. Mancher unter ihnen denkt und sagt: „Es wird sicher gut und nötig für mich sein, mehr oder weniger in Ungewißheit zu bleiben; ich werde dadurch

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 in der Demut erhalten werden." — Du magst nun also denken und sprechen, mein lieber Leser, allein du täuschst dich sicher; Gott denkt nicht wie du, und Sein Wort hat uns nicht den geringsten Grund zum Zweifeln übrig gelassen. Und würde es wirklich ein Beweis deiner Demut sein, wenn du einem wahrheitsliebenden und treuen Freunde wenig Glauben schenktest? Wäre es nicht ein sehr verwerfliches Mißtrauen gegen ihn, wodurch du ihn stets betrüben wür­dest? Und würde ein solches Mißtrauen dich wirklich in wahrer Demut erhalten? Es ist völlig gewiß, daß Demut keine Frucht des Mißtrauens sein kann. Wir haben es mit dem Wahrhaftigen zu tun, der nicht lügt — und es ist sicher keine Demut, Ihm nicht völlig zu glauben. Nicht der Un­glaube, sondern der feste Glaube ist mit Demut gepaart. Der Hauptmann zu Kapernaum sagte: „Herr, ich bin nicht würdig, daß du unter meinem Dach eingehest; aber sprich nur ein Wort, und mein Knecht wird ge­sund werden" (Matth. 8, 8). (Siehe Kap. 15, 21-28). Hier sehen wir einen festen und zuversichtlichen Glauben in wahre Demut gehüllt. — Ach! der Unglaube erblickt Gefahr, wo keine ist, und wo sie wirklich vorhanden ist, da sieht er sie nicht.

 Die Torheit warnt immer vor der Weisheit, und die Vernunft vor dem Glauben; Gott aber ruft uns zu: „Glaube nur! Glaube mit aller Zuversicht und zweifle nicht!" Kennt Er vielleicht die Gefahr nicht, welche jene Seelen so sehr befürchten? Oder denkt Er etwa nicht daran? Ach, wie gern möchte der Mensch weiser und vorsichtiger sein, als Gott. Kann denn das völlige Bewußtsein der überströmen­den Gnade und Liebe Gottes gegen den elenden und ver­lorenen Sünder uns wirklich gleichgültig und hochmütig machen, und ist es der Zweifel oder das halbe, ungewisse Vertrauen, wodurch wir ernst und demütig erhalten wer­den? 0 gewiß nicht; aber wenn wir weder Ihn noch uns kennen, wenn wir nicht einzig und allein auf Seine Gnade in Christo Jesu vertrauen, so sind wir in Gefahr, entweder mutlos oder hochmütig zu werden. Laßt uns denn fest und zuversichtlich glauben und auf das Werk Christi vertrauen, so werden wir Ihn auch mit demütigem Herzen zu preisen vermögen.

Noch möchte ich hier Solcher gedenken, die ihren schwa­chen und Ungewissen Glauben wohl gar mit den Worten zu entschuldigen suchen: „Der Glaube ist nicht jeder­manns Sache." — Ist es nun nicht schon etwas Törichtes und Widersinniges, den Namen eines Gläubigen zu tragen und diese Worte auf sich anzuwenden? Es wird damit doch gar deutlich gesagt: „Der Glaube ist nicht meine Sache." Ich bin aber überzeugt, daß viele diese Worte nachsprechen,

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 ohne einmal zu prüfen, was sie sagen; denn würde ein jeder Gläubige den Ausspruch des Apostels, den wir 2. Thess. 3, 2 finden, selbst prüfen, so würde es keinem mehr einfallen, ihn auf sich anzuwenden. Der Apostel wandte ihn auf die unvernünftigen und bösen Leute an, von denen er errettet zu werden wünschte. Er sagte: „Übrigens, Brüder, betet für uns,. .. daß wir von den unvernünftigen und bösen Leuten errettet werden; denn der Glaube ist nicht aller Sache." Jene unvernünftigen und bösen Leute waren fern vom Glauben; wer aber wird dies von einem Gläubigen zu be­haupten wagen? Laßt uns denn nicht durch solche leeren Einwendungen den Herrn betrüben und unseren Glauben schwächen und aufhalten. Nur der Glaube ehrt Ihn und nur durch den Glauben sind unsere Herzen sicher und gewiß.

Das Werk Christi allein ist der Ruheort unserer Seele, und kann es auch nur sein. Denn hier ruht Gott, weil Er in demselben vollkommen verherrlicht ist. Der erste Mensch— Adam und mit ihm sein ganzes Geschlecht—hat Gott völlig verunehrt; der zweite Adam aber, der Mensch Jesus Chri­stus, hat Ihn völlig geehrt und verherrlicht. Und also ist Gott durch den Menschen im ersten Adam verunehrt und durch den Menschen im zweiten Adam verherr­licht. Er ist aber in Christo Jesu für alle, die da glauben, verherrlicht, so daß diese jetzt vermittelst des Glaubens einem, in Betreff ihrer, verherrlichten Gott nahen! Und sie nahen Ihm zugleich als Geheiligte in Christo Jesu, zu Sei­ner Anbetung und zu Seinem Dienste zubereitet. 

Dies ist jetzt das gesegnete Vorrecht aller wahren Gläubigen. Das Opfer Jesu Christi hat sie für immer als gereinigte An­beter in die Nähe Gottes gebracht. Sie sind geheiligt durch den Willen Gottes, durch das ein für allemal (geschehene) Opfer des Leibes Jesu Christi. Christus hat Gott verherr­licht durch die Erfüllung Seines Willens, und dieser Wille hatte unsere Heiligkeit zum Zweck. Das Opfer des Leibes Christi war die völlig genügende Antwort auf das, was Gott wollte. Er sprach: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun; . ..durch welchen Willen wir geheiligt sind, durch das ein für allemal (geschehene) Opfer des Lei­bes Jesu Christi" (Hebr. 10,10). So liegt denn unsere Heiligkeit nicht in unserem Wollen oder Tun, sondern ganz und gar außer uns in dem Willen Gottes und dem Werke Jesu Christi. Was wir nie vermocht hätten, ist jetzt völlig geschehen, und wir empfangen und genießen es durch den Glauben. Nichts ist für uns, die wir im Glauben nahen, übrig geblieben zu fürchten; nichts kann uns in Seiner hei­ligen Gegenwart beunruhigen, nichts uns aus derselben ver-

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 drängen. Gott Selbst hat uns in Christo eine Heiligkeit be­reitet und geschenkt, worin wir stets in der Gegenwart Seiner Heiligkeit weilen können; ja, in Christo Jesu sind alle, die da glauben, Seiner eigenen Heiligkeit teilhaftig ge­worden.

Das Blut Jesu hat uns auch auf einem neuen und leben­digen Wege zum Eintritt ins Heiligtum Freimütigkeit ge­geben. Der Eingang ist weit geöffnet, denn der Vorhang ist immer zerrissen. Jetzt kann uns durch den Apostel dies köstliche Wort zugerufen werden: „Da wir den n, Brü­der, zum Eintritt in das Heiligtum Frei­mütigkeit haben, durch das Blut Jesu, auf einem neuen und lebendigen Wege, welchen er uns eingeweiht hat, durch den Vorhang, das ist sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so laßt uns hinzu­treten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewißheit des Glaubens, besprengt an den Herzen (und also gereinigt) vom bösen Gewissen, und gewaschen am Leibe mit reinem Wasser" (Hebr. 10,19-22). Das Blut Christi hat den Glaubenden für immer gereinigt und für immer sichergestellt, und dieses Blut ist stets im Heiligtum droben. „Christus ist durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte" (Hebr. 9, 12).

 Und durch dasselbe Blut geht auch der Glaubende ein und er ist vollkommen und angenehm vor Gott; ja, er ist so vollkommen und angenehm vor Ihm, als dieses Blut wert­voll und köstlich ist in Seinen Augen, als Jesus Christus Selbst. Nie aber können wir anders, als auf Grund dieses Blutes vor Gott erscheinen, und nie kann uns etwas anderes in Seiner Gegenwart sicherstellen. Das Blut Jesu, und Sein Blut allein, gibt uns für immer Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum, und läßt uns zu jeder Zeit ohne Furcht in Seiner Gegenwart sein. Wir würden aber sicher alle umkommen, wenn wir auf einem anderen Grunde Ihm nahen wollten. Beim Hinzunahen zu Gott handelt es sich weder um unseren Wandel noch um unsere Gefühle, sondern allein um das Blut Jesu, welches uns von aller Sünde reinigt und für immer im Heiligtum ist. Und wer auf diesem Grunde im Glauben ruht und hinzunaht, von dessen Sünden kann Gott nicht mehr reden; ja. Er kann sie nie mehr sehen, weil Sein Auge allezeit auf dieses kostbare Blut, wodurch Er verherrlicht ist, gerichtet bleibt.

Es ist gewiß keine geringe und gleichgültige Sache, Gott wohlgefällig zu wandeln und in Seiner Gegenwart ein

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 glückliches Herz zu haben, — dies zu behaupten hieße nichts anderes, als alle Ermahnungen des Herrn und Seiner Apo­stel geringschätzen; aber es verrät jedenfalls eine große Un­kenntnis unseres Heils, wenn wir das Werk Christi, — das, was uns allein vor Gott sicherstellt, — mit unserem Wandel und unseren Gefühlen vermengen. Handelt es sich um un­sere Rechtfertigung vor Gott, um unseren Frieden mit Ihm und um unsere Sicherheit in Seiner Gegenwart, so ist das Werk Christi von unserem Wandel völlig geschieden; und suche ich es zu vermengen, so kann nur Schwachheit, Unsicherheit und Verwirrung in meinem Herzen entstehen. Mache ich das, was Christus getan hat, oder die Freimütig­keit, dies alles im Glauben für mich zu ergreifen, nur ir­gendwie von meinem Wandel und meinen Gefühlen ab­hängig, so bin ich nie völlig sicher und gewiß, und nie völlig ruhig und glücklich in Seiner Gegenwart. Und dennoch gibt es viele Seelen, die ihre Blicke zuerst auf sich und dann auf das Werk Christi oder auf beides zugleich richten; ja, sie halten es sogar für gefährlich, es nicht also zu tun. 

Ach! wie schwer wird es doch dem menschlichen Herzen, an eine vollkommene Gnade zu glauben und völlig auf Gott zu vertrauen; wie schwer wird es ihm, Gott als Gott zu erkennen. Nichts als Sünde haben und von Gott nichts als Gnade und Liebe empfangen — dies ist es, was uns so schwer wird, völlig zu verstehen. Allein, es ist durch­aus nötig, daß wir es verstehen; denn anders wird unser Herz nie ganz sicher und ruhig sein. Gott kann für meine Errettung nichts anderes annehmen, als das Werk Christi; Er kann für meine Versöhnung nichts anderes anerkennen, als Sein Blut. Er will aber auch nichts anderes. Er ist durch dieses Werk und dieses Blut vollkommen befriedigt und vollkommen verherrlicht. Warum willst du denn noch an etwas anderes denken, da es doch nichts anderes gibt, was Gott Wohlgefallen und von Ihm angenommen werden könnte, und auch nichts anderes mehr nötig ist? Nur das Werk Christi und Sein Werk allein hat volle Gültigkeit vor Ihm; und dies Werk ist für uns vollbracht. Er hat alles völ­lig getan, was zu tun für uns nötig war. Er hat alle unsere Sünden für immer getilgt und uns ein für allemal gereinigte Anbeter in die Gegenwart Gottes gebracht. Und wir sind ermuntert, zu glauben, fest und zuversichtlich zu glauben, und vermittelst des Glaubens uns zu erfreuen und Gott zu preisen. Wollen wir aber nur nach dem Maß, als wir würdig zu wandeln oder uns glücklich fühlen, glauben, so verunehren und entwürdigen wir Gott und das Werk Christi, und schwächen auch die Kraft und die Wirkung dieses Wer­kes auf unser Gewissen. Nur der Glaube empfängt und

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 genießt, was Gott geredet und was Christus vollbracht hat; nur dem auf dem Werke Christi ruhenden Glauben begegnet und antwortet Gott. Vor Ihm gilt nur der Glaube, der nichts anderes hat und nichts anderes bringt, als das, was Christus für den verlorenen Sünder getan hat, und durch denselben allein weilen wir für immer völlig ruhig und glücklich in Seiner Gegenwart und verherrlichen Ihn ohne Furcht. Die wahre Anbetung in der Gegenwart Gottes kann nur die Frucht eines gesunden und nüchternen Glaubens sein, der allein in dem Werke Christi vor Gott ruht. Und der Glaube ist es auch, der stets aus einer unsichtbaren, nie versiegen­den Quelle, aus Christo Jesu Selbst, Gnade um Gnade, ja, alles, wessen wir bedürfen, in Fülle schöpft. Und je zuver­sichtlicher wir glauben, desto freimütiger werden wir schöp­fen, desto mehr werden wir empfangen und werden Über­fluß haben. Der Zweifler aber geht leer aus (Jak. 1. 6. 7).

Jetzt möchte ich noch einige Worte über die Auf­nahme des Sünders reden — wie er von Gott empfangen wird, wenn er im Glauben Ihm naht. Wo aber könnten wir ein getreueres Bild dieser Aufnahme finden, als in Lukas 15, in dem vom Herrn Selbst erzählten Gleichnis vom ver­lorenen Sohn? — Dieser hatte eigenwillig seinen Vater verlassen und dessen Vermögen in fernem Lande in Aus­schweifung und Sünden durchgebracht. Und wann fing er an, seine Torheit und sein trauriges Leben einzusehen? Erst dann, als er darben mußte und niemand ihm etwas gab. Und wohin gedachte er sich nun zu wenden? Zu seinem Vater. Wie wunderbar! Den, welchen er am tiefsten be­leidigt, gegen den er am meisten gesündigt hatte, traute er die meiste Liebe zu. Und dennoch hatte er ihn verlassen können! — Hier sehen wir das treue Bild eines von Gott entfremdeten und verlorenen Sünders. '—

 Was erwartete nun jener Sohn von der Liebe seines Vaters? Er wollte zu ihm sagen: „Mache mich zu einem deiner Tagelöhner." Es fehlte ihm an Brot, und dies hoffte er trotz seines schänd­lichen Betragens von ihm zu empfangen. So weit reichte seine Erkenntnis von der Liebe seines Vaters, aber weiter nicht. Er verstand nicht, was ein Vater für sein Kind fühlt, noch dachte er an den Schmerz und das Verlangen eines Vaterherzens, wenn jenes verloren ist, noch erkannte er die Kraft und das Maß dieser Liebe, deren Freude und Glück völlig vernichtet ist, solange das verlorene Kind fehlt, noch verstand er endlich, daß diese Freude und dieses Glück in voller Lieblichkeit zurückkehren, wenn der einzige Gegen­stand derselben wiedergefunden ist. Er beurteilt des Vaters Liebe nach seinen eigenen engherzigen Gedanken, und diese ließen ihn nur den Empfang eines Tagelöhners erwarten.

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 „Als er aber noch ferne war, sah ihn sein Vater und ward innerlich bewegt, und lief hin und fiel ihm um den Hals und küßte ihn viel... Und er sprach zu seinen Knech­ten: Bringet das vornehmste Kleid her und zieht es ihm an und gebt einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße und bringet das gemästete Kalb her und schlach­tet es; und lasset uns essen und fröhlich sein usw." Empfängt man auf diese Weise einen Tage­löhner? Oder nimmt man also einen Sohn wieder auf, der seinen Vater mutwillig verlassen und in einem fernen Land dessen Vermögen auf eine so traurige Weise vergeudet hat? Gott allein ist fähig, dies zu tun; nur Seine Liebe und Seine Gnade sind ohne Schranken. Jesus will uns auch hier nicht erzählen, wozu der Mensch fähig ist — davon gibt Er uns ein trauriges Bild in dem verlorenen Sohne — sondern was die Gefühle des Herzens Seines Vaters gegen einen sol­chen Sohn sind.

 Diesem, als er noch fern ist, entgegen­zulaufen, ihm ohne jeglichen Vorwurf um den Hals zu fal­len, unter Tränen ihn viel zu küssen, keinen einzigen vor­wurfsvollen Blick auf seine zerrissenen und zerlumpten Kleider zu werfen, ihn mit Geschenken und Segnungen zu überhäufen und seinetwegen sogar ein Freudenfest zu be­reiten — wahrlich, eine solche Aufnahme kann nur aus dem Herzen Seines Vaters fließen. Der Mensch kennt und be­sitzt diese Liebe nicht. Er mag wohl einen verlorenen Sohn wie einen Tagelöhner zu empfangen wissen, aber er ist un­fähig, ihn mit einem solchen Herzen und mit einer solchen Liebe, als Sohn zu empfangen.

Ein menschlicher Vater würde im besten Falle zu sich selbst gesagt haben: „Ich freue mich zwar sehr, daß mein Sohn wieder da ist, und ich nehme ihn auch gern wieder auf, doch muß ich zuerst sehen, ob seine Reue auch aufrich­tig ist, ob der Schmerz über sein Betragen auch tief genug von ihm gefühlt wird. Ich will ihm nicht entgegen eilen, sondern ihn zu mir kommen lassen, er möchte sonst, wenn er meine Freude sieht, nicht einmal daran denken, wie tief er mich gekränkt und beleidigt hat. — Dann muß ich ihn auch in der ersten Zeit mit großem Ernst bebändern, mehr wie einen Tagelöhner, damit sein Gefühl über sein schänd­liches Betragen nachhaltiger ist und er nicht so leicht wie­der denselben Weg einschlägt." Diese und ähnliche Über­legungen würden im besten Falle sicher in dem Herzen eines Menschen Raum gefunden haben; sie finden aber keinen Raum in dem Herzen Gottes bei der Aufnahme eines verlorenen Sünders, wenn dieser endlich von seinem leicht-

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 sinnigen, gottvergessenen Wege zurückkehrt. Ein mensch­licher Vater würde es vielleicht der Vorsicht gemäß geachtet haben, die zerlumpten Kleider des Sohnes zur Erinnerung an sein Betragen aufzubewahren. Dieser Vater aber, wovon Jesus redet, erwähnt sie nicht einmal, sondern befiehlt sei­nen Knechten: „Bringet das vornehmste Kleid her und zieht es ihm an!" Der verlorene Sünder, der zu Gott nahet, empfängt durch Christum das Kleid der Gerechtigkeit Gottes, und seiner Sünden wird nie mehr gedacht.

Es ist gewiß sehr erfreulich und lieblich, einen verlore­nen Sohn zurückkehren zu sehen — „es freuen sich die Engel Gottes im Himmel über einen Sünder, der Buße tut"; — aber das schönste und herrlichste ist das Glück des Va­ters und die Handlung Seiner Liebe. Das Herz des Sohnes war sicher, wenn auch niedergebeugt unter dem Gewicht einer solchen Liebe, voll von Freude und Seligkeit; aber die höchste Freude, die, welche Jesus allein würdig findet, in ihrer ganzen Lieblichkeit darzustellen, — ist die Freude des Vaters. Die Freude des verlorenen Sünders hat gewöhnlich ihren Grund in der Gewißheit seiner Errettung und seiner Annahme; wie sehr aber würde diese erhöht werden, wenn er bei seiner Aufnahme die Freude Gottes zu erfassen ver­möchte. Gott kommt ihm entgegen in der ganzen Fülle Seiner Gnade und Liebe und überhäuft ihn mit Segnungen; und indem Er ihm also begegnet, befriedigt Er Seine eigene Liebe und erfüllt Seine eigene Freude.

Es könnte nun jemand fragen: „Wie ist es aber möglich, daß Gott, der doch auch vollkommen heilig und gerecht ist, einen Sünder also empfangen kann?" — Das Kreuz Christi allein gibt eine völlig befriedigende Antwort. Dort hat Er in Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit einen anderen empfangen, und zwar den, der allein würdig war, als S o h n empfangen zu werden, und der allein auf diese Liebe des Vaters völlig Anspruch erheben konnte; denn Er hatte allezeit Seinen Namen verherrlicht. Christus aber hat um unsertwillen auf diese Freude verzichtet und ist frei­willig in unsere Stelle eingetreten. Auf Ihn waren alle un­sere Sünden gelegt, und also beladen mit denselben, be­gegnete Er Gott in Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit. Und was war Sein Empfang? Der vollkommene Gehorsam ward am Kreuz verlassen, — keine Vaterarme waren für Ihn ge­öffnet, — über den Geliebten Gottes kamen die Fluten des göttlichen Zornes, und den Gerechten traf das schreckliche Gericht der elenden und gottlosen Sünder, — ein Gericht, welches diese für immer verzehrt haben würde; ja, Er allein vermochte diesen Kelch zu trinken, und Er hat ihn bis auf

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 den letzten Tropfen geleert. Gott ist in Seiner Gerechtigkeit dem geliebten Sohne auf dem Kreuze begegnet, als einem Ungerechten, als einem gottlosen und verworfenen Sünder; und deshalb kann Er diesen jetzt empfangen als den ge­liebten Sohn. Wohl mag der Sünder im Gefühl seiner Schuld an eines Tagelöhners Empfang denken, wenn er naht; wohl mag er ausrufen: „O wenn ich nur Vergebung meiner Sün­den hätte! Wenn ich nur für immer ein Türhüter meines Gottes sein könnte!" Aber siehe! wenn er noch ferne ist, eilt ihm Gott entgegen und empfängt ihn mit der ganzen Liebe Seines Vaterherzens; Er empfängt ihn als einen lang ­ersehnten und geliebten Sohn, als Christum Jesum Selbst.

 Von seinen Sünden ist nicht mehr die Rede — auch nicht im geringsten. Um diese handelte es sich, als Christus Gott auf Golgatha begegnete; aber jetzt sind sie für immer ge­tilgt, und kein Vorwurf kann den Sünder mehr treffen, der auf Grund des Blutes Christi nahet. Jetzt kann Gott dem ganzen Strom Seiner Gnade und Liebe freien Lauf lassen; denn alles, was nur irgendwie diesen Strom hemmen könnte, hat Christus am Kreuze für immer aus dem Wege geräumt. Als Er, beladen mit unseren Sünden, der Gerechtig­keit Gottes begegnete, da „ward eine Finsternis über das ganze Land" — Trauer und Schmerz erfüllte alle Him­mel — und jetzt, wenn der Sünder der Gnade Gottes be­gegnet, so freuen sich alle Engel im Himmel und es freuen sich auch die Erlösten auf Erden und verherrlichen Gott. Die höchste und tiefste Freude aber ist, wie wir gesehen, im Herzen des Vaters, der jetzt gegen einen verlorenen, aber wiedergefundenen Sohn Seine ganze Liebe und Gnade in den reichsten Segnungen ausströmen lassen kann. Und Er ruft aus: „Lasset uns ESSEN und FRÖHLICH sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war ver­loren und ist gefunden."

Laßt uns auch dies noch bemerken, geliebte Freunde:

Wenn Gott den Ihm im Glauben nahenden Sünder auf­nimmt, als handle es sich um die Aufnahme Seines einge­borenen und geliebten Sohnes, so ehrt Er Christum; denn Christus hat deshalb auf die Ihm gebührende Ehre und auf die Freude und das Glück dieses Empfanges auf Golgatha verzichtet, damit es uns zuteil werden möchte; Er ist des­halb im Gericht völlig in unsere Stelle — „der Gerechte für die Ungerechten" — getreten, damit wir an Seiner Statt völlig als Gerechte empfangen werden möchten. Christus kann jetzt vom Vater erwarten, daß Er uns begegnet und aufnimmt, als Ihn selbst. Würden wir verschmäht, so würde Er verschmäht; wäre unser Empfang ohne Freude und ohne

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 Ehre, als handle es sich um den Empfang eines Tagelöhners, so wäre Er verunehrt. Wir könnten mit einem solchen Empfang sicher zufrieden sein, aber Er nicht; es handelt sich hier um Ihn und Seine Ehre!

Der Vater Selbst aber auch kann uns nicht anders emp­fangen, weil Er gerecht ist, und Er kann es nicht, weil Er die Liebe ist. Einen Sünder zu empfangen und zu richten kann gewiß für ein Vaterherz nichts Erfreuliches sein; aber ein verlorenes Kind wieder in seinen Armen zu haben, das ist eine tiefe und glückselige Freude für das Herz eine? Vaters. Und auf diese Freude mußte Gott verzichten, als Er Seinem eingeborenen Sohne, beladen mit unseren Sünden, auf Golgatha begegnete; sollte Er nicht Seinen Vaterge­fühlen ihren freien und ungehinderten Laut lassen, wenn diejenigen kommen, für welche Er darauf verzichtet und für welche Er sie aufbewahrt hat? Ach, wer begreift alle die unendlichen Tiefen dieser Liebe und Gnade Gottes! Und wie beschämend und verwerflich ist es, noch mit Furcht und Zweifel und allerlei Überlegungen des Herzens von fern stehen zu bleiben und zu fragen: „Darf ich kommen, wie ich bin? Darf ich zuversichtlich glauben? Wird Gott mich annehmen oder hat Er es getan?" Alle diese Zweifel und Bedenken, alle diese ungläubigen Fragen zeigen zu deutlich, wie wenig Gott in Seiner Gnade und Liebe erkannt, und wie wenig das Werk Christi in seiner ganzen Kraft und Tragweite verstanden und geschätzt wird.

 Wäre unsere Er­rettung und unsere Annahme von unserem Tun abhängig, dann hätten wir freilich alle Ursache zu zweifeln und uns zu fürchten; doch jetzt nicht mehr. Unser Heil ist zu fest gegründet und unsere Annahme in Christo zu gewiß ge­macht, als daß wir noch irgend einem Zweifel Raum geben könnten. Und wenn wir es dennoch tun, so trüben und schwächen wir den Frieden und die Freude unseres Her­zens, und was noch mehr ist, wir betrüben den Herrn in Seiner Gnade und Liebe.

Der zurückgekehrte Sohn mochte sich tief beschämt füh­len, einen solchen Vater so lange verlassen und schnöde gegen ihn gehandelt zu haben; aber sicher gab es in seinem Herzen weder Furcht noch Zweifel noch Ungewißheit über die Gnade und Liebe des Vaters und über seine Annahme bei ihm. Er vergaß ja sogar zu sagen: „Mache mich zu einem deiner Tagelöhner." Wie konnte er es in den Armen seines geliebten Vaters noch wagen, nur daran zu denken! Würde er mit solchen Worten ihn nicht auf das tiefste betrübt haben? Alles, was er hörte und sah, zeugte von einer Gnade und Liebe, die sein Herz nicht zu fassen vermochte. Und was konnte er anders, als schweigen und

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 sich lieben lassen? was anders, als fröhlich und glücklich sein in der Freude und der Liebe seines Vaters? Ach, und dennoch fehlt es nicht an Seelen, die es für gefährlich hal­ten, sich allezeit und völlig in der Gnade und der Liebe Gottes zu erfreuen. Das menschliche Herz ist immer be­müht, die klaren und reinen Strome der göttlichen Liebe und Freude zu trüben und durch allerlei Bedenken zu schwächen. Jene Seelen teilen zwar nicht die Gesinnung des anderen Sohnes, dessen eigengerechtes Herz Neid und Zorn erfüllte; der sich deshalb nicht mitfreuen konnte, weil er selbst nie verloren und nie wiedergefunden war, und der auch die Gefühle eines Vaters, welcher sein verlorenes Kind wieder findet, nicht verstand; aber sie fürchten deshalb, ihrer Freude völlig Raum. zu geben, weil es leichtfertig und stolz machen könnte. Der Vater aber sagte: „Lasset uns essen und fröhlich sein."

 Er wollte, daß die Freude ungetrübt und ungeschwächt sei, so wie sie in seinem Her­zen war. Sie sollten sich nicht nur an dem Glück des ver­lorenen Kindes erfreuen, sondern sollten Seine Freude und Sein Glück mit Ihm teilen; und also haben wir einen doppelten Grund zur Freude, wenn ein verlorener Sünder ins Vaterhaus zurückkehrt. — Mag denn von ferne stehen bleiben, wer will, und Bedenken haben, wer will, — das Wohlgefallen Gottes ist, sich völlig und allezeit in Seiner Gnade und Liebe zu erfreuen und in Seiner Gegenwart völlig glücklich zu sein.

Christus Selbst hat uns in diese Gegenwart gebracht, und Sein Werk läßt uns für immer dort sicher und im Frie­den ruhen. Es mögen viele Seelen auf ihr Gefühl vertrauen und deshalb getäuscht werden oder ungewiß bleiben, weil unser Gefühl so veränderlich ist; das Werk Christi aber täuscht nicht und läßt uns auch nicht ungewiß. Es behält für immer seinen vollgültigen Wert und seine vollkommene Kraft. Hier kann der Glaube sicher ruhen, als auf einem unerschütterlichen und felsenfesten Fundament. Dies Werk ist von Christo vollbracht, von Gott anerkannt und von dem Heiligen Geist bestätigt. Es ist für uns geschehen und kann uns nimmer trügen. — Was ist dagegen das schwache elende Gefühl, oder eine Stimme, die man gehört haben will, oder ein Traum, den man geträumt, oder ein Licht, das man gesehen zu haben meint? Ein schwacher, trügerischer Grund, worauf so viele ihre ewige Seligkeit bauen, ein Grund, der nicht Stand hält, wenn die Wasserfluten kom­men. Das ganze Gebäude, auf diesen Grund gebaut, stürzt zusammen, und die arme Seele jammert wie vorhin: „Ich bin verloren! Wer wird mich erlösen!" 0, wieviele, die jahrelang auf diesem Grunde ihrer Errettung gewiß zu sein

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 glaubten, haben noch auf ihrem Sterbebett also geseufzt und gejammert. Und ist es nicht höchst beschämend für uns, daß wir, angesichts eines solchen sicheren und festen Fun­damentes, wie Christus und Sein Werk, was uns die Gnade und Liebe Gottes bereitet und dargereicht hat, unsere ewige Seligkeit auf einen so elenden und trügerischen Grund bauen? Ich will hier nicht untersuchen, inwieweit Gott in Seiner Langmut und Gnade einem schwachen Glauben durch ein sichtbares oder fühlbares Zeichen zu Hilfe kommt; aber es ist traurig, daß ein Christ jahrelang, oft bis zur Todes­stunde hin, die Gewißheit seiner Errettung und seiner An­nahme auf diese schwachen und morschen Stützen setzt und nicht auf Christum und Sein für uns vollbrachtes und ewig vollgültiges Werk. Und solange wir solcher Stützen bedür­fen, solange hat unser Glaube keinen festen und sicheren Halt. 

Wir ruhen nicht da, wo Gott ruht, und wissen uns auch nie völlig sicher und gewiß in Seiner Gegenwart. Wir mögen uns mit anderen trösten, denen es nicht besser er­geht; wir mögen es selbst für den wahren Zustand eines Christen halten, weil so viele darin gefunden werden— das Wort Gottes tröstet und beruhigt uns nicht darin. Denn kann Gott ein Wohlgefallen daran haben, daß wir Seinem Wort so wenig glauben und auf Seine so vollkommen offen­barte Gnade und Liebe so wenig vertrauen? Kann es Ihn erfreuen, daß wir die Hingabe Seines eingeborenen Sohnes so wenig zu würdigen und dessen für uns vollbrachtes Werk so wenig zu schätzen wissen? 0 gewiß nicht, meine Brüder. Der allein wahre und gesegnete Zustand eines Christen ist nicht ein ganzes oder teilweises Vertrauen auf unsere Ge­fühle, sondern ein völliges Vertrauen auf die Liebe Gottes und das Werk Christi — ein Ruhen im festen und zuversichtlichen Glauben auf dem Grunde, wel­chen Gott Selbst für uns gelegt hat. Dann, ja dann allein werden wir die volle Wahrheit dieser Worte verstehen und besitzen: „Gerechtfertigt aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum."

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 II.

II. Die Befreiung in Christo

„Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes" (Röm. 8, 2).

Was ist wahre Befreiung in Christo und wie erlangen wir sie? Diese Fragen sollten keinem Chri­sten gleichgültig sein; denn das wahre Verständnis derselben ist für ihn von der höchsten Wichtigkeit. Unsere Recht­fertigung in Christo sichert für immer unsere Stel­lung in der Gegenwart Gottes; unsere Befreiung in Ihm läßt uns in dieser Gegenwart wandeln. Unsere Si­cherheit vor Gott gründet sich auf den Tod Christi am Kreuze, unser Wandel vor Ihm auf das Leben Christi, als dem Auferstandenen — Christus für uns, und Christus in uns.

Ehe ich auf diesen so gesegneten Gegenstand weiter ein­gehe, muß ich einige Bemerkungen vorausschicken. — Es gibt viele Seelen, die in der Tat nicht befreit sind, und viele, die es sind, ohne die wahre Befreiung zu kennen. Jenen fehlt das eigentliche Wesen der Befreiung, diesen die Erkenntnis darüber. Der Unterschied ist sehr groß, wenn auch die Resultate oder die Erfahrungen oft dieselben sind. Jene werden meist durch Schwächung und Vermi­schung der Wahrheit, die sie hören und lesen, jahrelang in wirklicher Unfreiheit und Furcht gefangen gehalten; während diese auf dieselbe Weise verhindert werden, in der Freiheit zu wandeln. In jedem Falle aber ist die geseg­nete Wirkung und Kraft der Wahrheit in diesem Teil ver­loren. Das Herz ist unruhig und beschwert, der Wandel ge­schwächt und gehindert, und der Name Gottes wird nicht verherrlicht; und also sind die vielen ernsten Ermahnungen des Wortes zu einem würdigen Wandel nutz- und wirkungs­los, und das Zeugnis in der Welt ist getrübt und verdunkelt.

Dies alles wird für den Gläubigen, dessen Herz einfältig und aufrichtig ist, von der größten Wichtigkeit sein; und er wird sich auch nicht mit der traurigen Wahrnehmung be­ruhigen können, daß diese Erfahrungen heutzutage unter den Christen so allgemein sind. Er fürchtet und liebt sei­nen Herrn und wünscht nichts sehnlicher, als die Verherrli­chung Seines Namens. Er begehrt in der Wahrheit ein unterwürfiger Knecht Dessen zu sein, der ihn mit Seinem

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 eigenen Blute erkauft, und ein gehorsames Kind Dessen, der ihn nach Seiner großen Barmherzigkeit wiedergezeugt hat. Er liebt die gesegneten Fußstapfen seines Herrn und hält es für ein großes Vorrecht, Ihm darin nachzufolgen und Seine Schmach zu tragen. Er findet aber, solange er nicht wirklich befreit ist, oder die wahre Befreiung nicht kennt, unendliche Hindernisse; das Fleisch und die darin woh­nende Sünde versperren ihm stets den Weg. Doch welche Freude wird es für ihn sein, in Wahrheit zu erkennen, daß Gott in Christo den Weg völlig bereitet und jedes Hindernis, um auf demselben zu wandeln, beseitigt hat. Deshalb wer­den auch für ihn, und für ihn allein, diese Zeilen von wirk­lichem Nutzen und Segen sein.

Es ist bei der Lehre von der Befreiung, wie überhaupt bei der Wahrheit Gottes, sehr wichtig, völlig zu erkennen, daß sie nicht durch die natürlichen Sinne erfaßt werden kann. „Das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen" (1. Kor. 1, 25). Und soviel selbst ein Christ den natürlichen Verstand und die menschliche Weisheit in das Wort Gottes hinein bringt, so­viel schwächt und verwirrt er für sich selbst die Wahrheit. Hat Gott geredet, so haben wir nichts mehr zu sagen, nichts mehr hinzuzusetzen oder zu überlegen, sondern einfach zu glauben, — fest und zuversichtlich zu glau­ben.

 Betrachten wir Sein Wort, so dürfen wir nie mit einer bestimmten Meinung, nie mit dem, was wir wissen oder was wir von anderen gelesen und gehört haben, hinein­kommen — es sei denn, daß wir durch dasselbe prüfen wol­len, ob unsere Meinung, ob das Gelesene oder Gehörte wirklich nach der Wahrheit sei. Diese Vorsicht, ja, diese göttliche Weisheit ist besonders in unseren Tagen so nötig, wo so viele falsche Lehren im Schwange sind, und selbst von Christen so manches über göttliche Dinge gelehrt und geschrieben wird, was mehr oder weniger mit Irrtum ver­mischt ist, weil sie ihre Erkenntnis, die doch stets dem Worte unterworfen sein sollte, so oft ü b e r dasselbe stellen. Ach, nicht zu berechnen sind die traurigen Folgen für so viele, viele Seelen, welche bei der Behauptung, daß Gottes Wort die einzige Richtschnur unseres Lebens und Wandels sei, sich dennoch mehr durch Worte von Menschen, durch allerlei Schriften usw. leiten lassen, als durch die einfache Wahrheit dieses Wortes, und auch von jenen viel eher reden und viel mehr zu reden wissen, als von diesem. Wenn der Gedanke: „Es ist Gottes Wort", uns bei der Betrachtung desselben stets mit Ehrfurcht erfüllte, so würde auch eine heilige Scheu in uns sein, irgend unsere eigene Meinung

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 hineinzutragen oder geltend zu machen, wodurch wir für uns selbst die Wahrheit nur schwächen und oft sogar ganz wirkungslos machen. Das Wort allein ist die Quelle, wo­raus wir die lautere Wahrheit schöpfen können, und die Salbung des Geistes wird den Einfältigen sicher darin lei­ten, und ihm das wahre Verständnis vermittelst des Glau­bens eröffnen. — Laßt uns denn im Lichte des Heiligen Gei­stes alle unsere Meinungen in Betreff des vorliegenden Ge­genstandes nach dem Worte Gottes prüfen und untersuchen; laßt uns alles, was mit demselben nicht in völliger Über­einstimmung ist, mit Entschiedenheit verwerfen — sei es auch noch so alt und noch so allgemein anerkannt, — und laßt uns die Belehrung Gottes über diesen Gegenstand, so­wie über jeden anderen, mit einfältigem Herzen und voller Gewißheit des Glaubens ergreifen und festhalten.

Wenden wir uns nun zunächst zu dem siebenten Kapitel des Römerbriefes, — zu diesem so oft erwähnten Abschnitt der Heiligen Schrift. Viele Christen werden durch mehrere Aussprüche in demselben zu ihrem eigenen Schaden irre­geleitet; nicht aber deshalb, weil dieses Kapitel vor allen anderen so schwierig zu verstehen wäre, sondern deshalb, weil es gewöhnlich oberflächlich betrachtet und weil die Meinung anderer darüber so leichtfertig angenommen wird. Es ist sehr allgemein, daß wahre Christen die letzte Hälfte desselben auf sich anwenden, und besonders durch Stellen, wie Vers 14 und 19: „Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft"; — „das Gute, was ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, was ich nicht will, das tue ic h." — ihren eigenen Zustand zu bezeichnen suchen.

 Sie machen aber deshalb eine solche Anwendung, weil sie glauben, es rede auch der Apostel hier von seinem inneren Zustande. Man würde aber sicher große Bedenken haben, dieses zu glauben, wenn man die vielen anderen Stellen, die von seinem Wandel Zeugnis geben, mit diesen vergleichen würde. Wir lesen z.B. in 1. Thess. 2, 10: „Ihr seid Zeugen und Gott, wie göttlich und gerecht und untadelig, wir gegen euch, die Glaubenden, waren." Und er konnte den Korinthern zurufen: „Seid meine Nach­ahmer, gleichwie ich Christi" (1. Kor. 11, l). Und dem Timotheus sagt er: „Du aber hast genau erkannt meine Lebensweise, meinen Vor­satz, meinen Glauben, meine Geduld, meine Liebe, mein Ausharren usw." (2. Tim. 3, 10). Wie paßt aber nun dies alles zu den Worten: „Das Gute, was ich will, übe ich nicht aus usw."? Es wird doch niemand zu behaupten wagen, daß der Apostel in den

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 oben angeführten und vielen ähnlichen Stellen nur von sei­nem guten Wollen rede, daß er aber das Gegenteil getan habe? Und wenn er den Christen so oft zuruft: „Wandelt würdiglich!" — so ist es doch auch sicher nicht seine Absicht, nur gute Vorsätze oder das Verlangen nach einem würdigen Wandel in ihnen zu erwecken und nicht diesen Wandel selbst. Wie nutzlos und töricht würde es aber auch gewesen sein, an andere solche Ermahnungen zu richten, wenn er von sich selbst bekennen mußte: „Das Gute, was ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, was ich nicht will, dieses tue ich"; oder wenn er unter dem Gesetz der Sünde gefangen lag, und das Gute nicht zu tun vermochte!

Der Herr Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „W er meine Gebote hat und sie hält, jener ist es, der mich liebet" (Joh. 14, 21). Er meint hier aber sicher nicht nur den guten Willen zum Halten Seiner Gebote, sondern die wirkliche Tat. An einer anderen Stelle sagt Er: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr alles TUT, — nicht tun wollt — was ich euch gebiete." Der Apostel Johannes bezeugt: „Und hieran wissen wir, daß wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Der, welcher sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner und in diesem ist die Wahrheit nicht. Wer aber sein Wort hält, in diesem ist wahrhaf­tig die Liebe Gottes vollendet" 1. Joh. 2, 3-5). Und an einer anderen Stelle sagt er: „Denn dieses ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten und seine Gebote sind nicht schwer" (1. Joh. 5, 3). Diese ernsten Aussprüche zeigen nun alle ganz deut­lich, daß es sich um das wirkliche Vollbringen Seiner Ge­bote und Seines Wortes handelt und nicht um das Wollen allein.

Weiter lesen wir in Hebräer 9, 14: „ ... wieviel mehr wird das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, euer Gewissen von toten Wer­ken reinigen, um dem lebendigen Gott ZU DIENEN." Und in Titus 2, 14 heißt es: „...der sich selbst für uns dahingegeben hat, auf daß er uns von aller Gesetzlosigkeit loskaufte und sich selbst ein Volk EIFRIG IN GUTEN WERKEN als Eigentum reinigte." Diese und ähnliche Aussprüche der Heiligen Schrift werden oft, so überaus köstlich und gesegnet sie auch sind, wenig beachtet und beherzigt. Die wahre aber traurige Ursache hiervon

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 ist, daß wir uns und nicht die Ehre Gottes suchen. Bei so vielen Christen ist die Gewißheit ihrer Errettung die erste und letzte, und oft die einzige Sache; Gottes Absicht, ein Volk — ein heiliges Volk zu besitzen, das Ihm willig diene, beherzigen sie nicht, und noch we­niger das Wohlgefallen des Vaters, Kinder zu haben, die durch demütigen Gehorsam Ihn ehren. Ihre Gedanken bei dem Werke Christi gehen über ihre eigene Errettung nicht hinaus. Gottes Gedanken und Got­tes Absichten aber gehen weiter. Sicher dachte Er in Sei­nem Erbarmen zunächst an unsere Errettung; Er suchte unser Glück, als Er Seinen Eingeborenen und Geliebten für uns dahingab; allein in unserem Glück erfüllt sich das S e i n i g e , in unserer Errettung und Annahme befriedigt sich Seine Liebe und Seine Freude.

Petrus ruft den Gläubigen zu: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Fin­sternis in sein wunderbares Licht berufen hat" (1. Petr. 2, 9). Ein solches Volk zu besitzen, war die Absicht Gottes. Wo aber war es zu finden? Nirgends auf dieser Erde, bis Gott es Sich Selbst in Christo Jesu bereitet hatte. Früher hatte Er zwar Israel zu Seinem Volk erwählt, doch unter der Bedingung, daß es Ihm gehorche und in Seinen Wegen wandle. Israel versprach dieses, weil es in seiner Blindheit weder sich, noch die Heiligkeit Gottes kannte; und nur zu bald zeigte sich sein Ungehorsam und sein Abfall.

 Gott erwies diesem Volke zwar so augenschein­liche Beweise Seiner besonderen Gunst,— Er leitete es mit Langmut und Liebe in Seinen wunderbaren Wegen; Er überhäufte es mit Segnungen aller Art, — allein nach allen Proben offenbarte es sich stets als ein halsstarriges Volk, unbeschnitten an Herzen und Ohren. Dies Volk entsprach also nicht der wahren Absicht Gottes, noch befriedigte es Seine Liebe und Seine Freude, weil es ein Volk war, das allezeit den Irrweg liebte und Seiner Stimme nicht ge­horchte, noch in Seinen Wegen wandelte. Deshalb mußte Er endlich sagen: „Ihr seid nicht mein Volk!"*) Er wollte ein heiliges Volk besitzen, ein Volk, das Ihm in

*) Ich rede hier natürlich nicht von den einzelnen Treuen unter ihnen, welche im Glauben auf den verheißenen Messias und Seine Erlösung warteten und deshalb gleichsam die Erst­linge des wahren Volkes waren.

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 Wahrheit diente und „eifrig wäre in guten Wer­ken"; aber Israel diente der Sünde und war eifrig in bösen Werken. Der ganze Wandel unter dem Gesetz war eine Frucht zum Tode; „sie waren fleischlich, verkauft unter die Sund e."

Jetzt aber hat Sich Gott ein Volk erwählt, dessen An­nahme und Sicherheit nicht auf den eigenen Gehorsam, sondern einzig und allein auf das Blut Jesu gegründet ist. Nach dem Bunde auf Sinai wurden jene Sein Volk, wenn sie Ihm dienten; „diese aber dienen ihm, weil sie sein Volk sind — geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken" (Eph. 2, 10). Jene hatten die Gesetze auf stei­nernen Tafeln; diesen aber sind sie ins Herz gegeben und auf ihre Sinne geschrieben. Wenn nun aber auch dieses Volk noch bekennen müßte: „Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft" oder: „Das Gute, was ich nicht will, dieses tue ich", worin bestände denn in Betreff des Wandels hienieden der Unterschied zwischen diesem und jenem Volke?" *) Etwa darin, daß jene nicht wußten, daß sie Gott nicht dienen konnten und daß diese es wissen? In der Tat, ein geringer Unter­schied! Wie wenig wäre dann auch die Absicht Gottes er­reicht, der ein Volk besitzen wollte, das „ihm wirklich diene und eifrig sei in guten Werken!" Hätte aber nicht auch das Blut Jesu in diesem Teil seinen Zweck verfehlt? Wäre nicht dessen wahre Kraft und Trag­weite in Frage gestellt? Und würde nicht auch endlich das Zeugnis des Heiligen Geistes, welches von diesem Blute be­zeugt, daß es unser Gewissen von den toten Werken reinige und uns also befähige, dem lebendigen Gott zu dienen, zur Lüge gemacht?

Laßt uns denn, meine Brüder, nicht bei unseren Mei­nungen stehen bleiben, nicht unsere Erfahrungen oder die der anderen Christen, an die Stelle des Wortes setzen. Wir vereiteln sonst, wie wir gesehen, die Absicht Gottes, schwä­chen die Kraft des Blutes Christi, verunehren das Zeugnis

*) Es ist aber hier wohl zu bemerken, daß Israel, als Volk, nur in seiner Stellung unter dem Gesetz, auf Grund des eigenen Gehorsams, verworfen ist, nicht aber als Sein Volk überhaupt, auf Grund der den Vätern gegebenen Verhei­ßungen; denn „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar." Er wird dieses Volk, für eine Zeit beseite gesetzt, auf Grund des Blutes Jesu, des neuen Bundes Mittler, — auf Grund einer unumschränkten Gnade, — wieder aufnehmen und segnen.

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 des Heiligen Geistes und berauben uns selbst des geseg­neten Vorrechts, Gott zu dienen und Seinen Na­men zu verherrlichen. Laßt uns doch nie der tö­richten Einbildung Raum geben, daß dieser Dienst und diese Verherrlichung durch den Wunsch, das Gute zu wollen, erfüllt sei. Es ist nichts widersinniger als eine solche Be­hauptung, nichts, wodurch die Gläubigen das Wort Gottes mehr verunehren und dessen Kraft für sich selbst zunichte machen können, als durch solche Gedanken.

Wenn man aber auch die so allgemein gewordene Redens­art: „Ich wollte oder möchte Gott wohl gern dienen usw." bei vielen Seelen etwas näher untersuchte, so würde man leider finden, daß es oft nichts weiter sei, als eine Redensart, womit sie ihr Gewissen zu beschwichtigen und den Ermahnungen des Heiligen Geistes auszuweichen suchen. Und man sollte es kaum glauben, daß es selbst viele unter den Christen gibt, die es für einen Mangel an Selbsterkenntnis und an Erfahrung halten, von einem würdigen Wandel, von einer lauteren Gesin­nung und vom Halten der Gebote Gottes und Christi zu reden. Sie sehen darin nur ein Umgehen mit Gesetzes Werken, eine Forderung an das Fleisch, dessen Ohnmacht sie zu oft erprobt haben. Sie er­kennen aber nicht den Charakter des Lebens, welches jede befreite Seele in dem auferstandenen Christus besitzt, noch verstehen sie die Kraft des innewohnenden Geistes. 

Sie machen aber auf diese Weise auch den Apostel Paulus zu einem Lehrer des Gesetzes; und wir sehen doch, wie dieser Apostel die Gläubigen mit so großem Ernst zu über­zeugen sucht, daß sie vom Gesetz völlig frei seien, obgleich er ihnen viele Ermahnungen zu einem würdigen Wandel gibt. Solche Seelen beurteilen aber den Geist durch das Fleisch und betrüben Ihn, und sie beugen das Wort Gottes unter ihre Erfahrungen und schwächen es. Sie schätzen zu wenig die Autorität dieses Wortes, und deswegen geschieht auch ihr Forschen darin meist auf eine leichtfertige und oberflächliche Weise, wodurch ihre Erkenntnis stets mangel­haft bleibt. Der Hauptgegenstand ihrer Unterhaltung und ihrer Erbauung sind die Erfahrungen über die Verderbt­heit und die Ohnmacht des Fleisches; und sie gebrauchen traurigerweise so oft das Wort Gottes, um ihre fleischlichen Erfahrungen durch einige, ohne Einsicht aus dem Zusam­menhang gerissene Stellen, zu begründen.

Ich wiederhole es, Gottes Absicht mit uns ist, hienieden ein Volk zu besitzen, welches, durch das Blut Jesu von den toten Werken gereinigt „ihm willig diene", — ein

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 Volk, „eifrig in guten Werken"*). 0, möchten diese Worte, dieses gesegnete Vorrecht, „Gott zu die­nen" und „eifrig zu sein in guten Werken" stets lebendig vor unserer Seele stehen!

Es gibt nun aber auch viele Gläubige, die in Aufrichtig­keit des Herzens sagen: „Ich wünsche in der Tat, Gott wohlgefällig zu wandeln; allein ich vermag es nicht. Ich liebe das Gute und wünsche es zu tun; aber es fehlt mir an Kraft. Ich bin viel darüber betrübt und beunruhigt; aber es wird nicht anders. Ich wende mich oft zum Herrn im Gebet und finde auch Erleichterung und Trost; aber es dau­ert nicht lange; ich komme bald wieder in denselben Zu­stand und fühle mich immer aufs neue ohne Kraft." — Eine solche Sprache ist aufrichtig; und der Aufrichtige hat die Verheißung. Solche Seelen werden es sicher der Mühe wert achten, das Wort Gottes über diesen so ernsten und wich­tigen Gegenstand zu untersuchen; und deshalb werden sie auch, wie ich hoffe, diese Zeilen nicht ohne Nutzen lesen.

Kehren wir jetzt zu unserer Betrachtung des 7. Kapitels des Römerbriefes zurück.— Zunächst bemerke ich, daß wir in diesem Kapitel oft das Wörtchen „Gesetz" finden; aber nicht immer, wie wir uns überzeugen werden, in Verbin­dung mit ein und derselben Sache. — Stehe ich unter einem Gesetz, so stehe ich unter einer Autorität, die mir Verpflich­tungen auferlegt, oder Forderungen an mich stellt. Ob ich dieselben erfülle oder nicht erfülle, ob ich es ver­mag oder nicht vermag, ob ich will oder nicht will, ob ich es gegen meinen Willen oder freiwillig tue — das Gesetz fordert, und nur durch Erfüllung ist es befrie­digt. 

An solche nun, welche überhaupt die wahre Bedeu­tung eines Gesetzes kennen, wendet sich im vorliegenden Kapitel zunächst der Apostel. „Ich rede mit denen, welche Gesetz kennen" (V. l). Hier ist also der Ausdruck „Gesetz ganz allgemein. „Wisset ihr nicht, Brüder, daß ein Gesetz über den Menschen herrscht, so lange Zeit er lebt?" So lange ein Gesetz besteht oder in Kraft ist, so lange ist auch der ihm Unterworfene an dessen Forderungen gebunden; nur der Tod kann diese Verbindung aufheben. Dies beweist der Apostel im 2. und 3. Vers durch das Ehegesetz: „Das

*) Es ist wohl zu bemerken, daß hier nur von unserer Stel­lung als Volk Gottes hienieden die Rede ist, und weniger von unserem Verhältnis zum Vater als Kind, noch weniger von unserer besonderen und himmlischen Stellung zu Christo als Seine Versammlung, als Sein Leib und als ein Teil von Ihm.

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 Weib, das unter dem Manne ist, ist an den lebendigen Mann gesetzlich gebunden; wenn aber der Mann gestorben ist, so ist sie von dem Gesetz des Mannes losgemacht usw." — Im 4. Vers haben wir die Anwendung auf die Gläubigen. Doch bemerke ich, daß wir in dieser Stelle unter dem Wört­chen „Gesetz", nicht nur die zehn Gebote zu verstehen ha­ben, sondern auch jegliche Anforderung, welche an das Volk Israel gestellt, und wodurch ihr Verhältnis zu Gott bedingt war, — ja selbst alles, was die Gerechtigkeit Gottes von einem jeden Menschen, als solchem, fordert. — Unter diesem Gesetz kann der Mensch nicht anders, als verloren sein. Deshalb ist es auch für alle eine ernste und wichtige Frage: Wie werde ich vom Gesetz frei? Das Wort Gottes allein gibt uns an vielen Stellen eine völlig befriedigende Antwort. Wir können uns nie — das ist wahr — auf einem unrechtmäßigen Wege der Herrschaft des von Gott gegebenen Gesetzes entledigen; denn alle seine Forderun­gen an den Menschen sind vollkommen gerecht. Gott aber hat in Christo für uns einen rechtmäßigen Weg zur völligen Befreiung vom Gesetz bereitet — einen Weg, der uns ganz und gar und für immer außer dessen Bereich stellt. 

Und dieser Weg ist — „der Tod". „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz ge­storben durch den Leib des Christus.." (V. 4). Der Tod ist auch hier, wie beim Ehegesetz, das einzige Mittel zur Befreiung, — der Tod durch den Leib des Christus. — Auf die Art und Weise dieses To­des werde ich später zurückkommen; ich will hier nur die Tatsache berühren. — Der Tod also macht uns frei, ja völlig frei vom Gesetz und seinen gerechten Forderungen; denn nur mit lebenden Personen, und nicht mit toten, hat es ein Gesetz zu tun. Der Gläubige aber ist, wie wir hier ganz klar und deutlich lesen, durch den Leib des Christus dem Gesetz gestorben; als natürlicher, dem Gesetz unterworfener Mensch, ist er in diesem Leibe mitgetötet und völlig beseitigt und steht jetzt in keiner Weise mehr unter der Herrschaft des Gesetzes. — Ich rede hier nicht von der gesegneten Tatsache, daß das Gesetz in Christo seine volle Befriedigung in Betreff unserer Sünden gefunden habe, sondern davon, daß wir selbst, d. h. alle, welche glauben, nicht mehr unter dem Gesetze sind, und also in keinerlei Beziehung mehr zu demselben stehen — weder in Betreff seiner gerechten Ansprüche, noch seiner gerechten Urteile. Es ist sozusagen für uns nicht mehr da, weil wir „durch den Leib des Christus dem­selben gestorben sind."

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 Dies ist die einfache und deutliche Lehre des Wortes Gottes über diesen Punkt, und durch den Glauben besitzen wir diese gesegnete Wahrheit und erfreuen uns mit dank­barem Herzen unserer völligen Befreiung vom Gesetz. Es liegt nun zwar der Gedanke nahe, daß das Bewußtsein einer solch völligen Befreiung vom Gesetz Gleichgültigkeit gegen die Übertretung desselben hervorrufen könnte. Be­trachten wir aber den zweiten Teil dieses Verses, so sehen wir, wie menschlich und unbegründet ein solcher Gedanke ist: „...daß ihr eines anderen, des aus den Toten Auferweckten, werdet, auf daß wir Gott Frucht tragen." In Verbindung mit dem Gesetz ist es gerade, daß wir nur dem Tode Frucht bringen (V. 5); aber völlig frei vom Gesetz und in Verbindung mit Christo, dem wahren Manne, tragen wir Gott Frucht. Dies ist für den Gläubigen das gesegnete Resultat einer wirklichen Befreiung.

Bemerkenswert ist auch in V. 5 der Ausdruck: „Denn als wir im Fleische waren...", — also nicht mehr „sind", sondern „wäre n." Ebenso lesen wir in Römer 8, 9: „Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern in dem Geist." — Es wird nun kaum nötig sein, zu be­merken, daß hier und in den vielen anderen Stellen unter dem Wörtchen „Fleisch" nicht das äußere, sichtbare Fleisch — der Körper — gemeint ist, sondern das mora­lische Fleisch — das natürliche Wesen, das ganze Dastehen oder die ganze Stellung des natürlichen Menschen vor Gott und unter Gesetz. Der in Christo erneuerte Mensch ist nicht mehr in dieser Stellung vor Gott. Er ist vom Gesetz völlig frei, denn er ist nicht mehr im Fleisch, und deshalb nicht unter Gesetz, sondern im Geist. Das Fleisch ist zwar noch vorhanden in ihm; allein er steht nicht unter dessen Herrschaft, noch stellt das Fleisch, wie früher, seine Stellung vor Gott dar. 

Ebenso ist auch unser Dienst vor Ihm jetzt von ganz anderem Charakter, wie wir in Vers 6 lesen. Als gestorben dem Gesetz, können wir weder im Fleisch, noch unter dem. Gesetz unseren Dienst haben; der Tod durch den Leib des Christus hat diese ganze Stel­lung für immer beseitigt. Wir sind erneuert in Christo, und sind im Geiste. Dies ist die Wahrheit in Bezug auf alle, die in Christo Jesu sind. Ob schwach oder stark, das ist hier nicht die Frage. Hier handelt es sich durchaus nicht um den Wandel eines Christen, sondern allein um die neue Stel­lung, die wir, d. h. alle Gläubige, in dem auferstandenen Christus ohne unser Zutun erlangt und durch den Glauben eingenommen haben. „Nun aber sind wir von dem Gesetze los, weil wir (dem) gestorben sind,

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 in welchem wir festgehalten waren, sodaß wir in dem Neuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens dienen" (V. 6).

Wenn es nun unter dem Gesetz unmöglich war, Gott zu dienen, und also nur dem Tode Frucht gebracht wurde, und wenn man sogar vom Gesetz völlig getrennt und frei sein muß, um in Christo wirklich Gott zu dienen und Ihm Frucht zu tragen — wie leicht könnte da der Gedanke Raum ge­winnen, daß das Gesetz selbst Sünde und von böser Wir­kung sei.—Einem solchen Gedanken sucht nun der Apostel in den folgenden Versen zu begegnen. Er rechtfertigt das Gesetz von jeder Anklage und stellt dessen wahren Cha­rakter, sowie auch die ganze Häßlichkeit der Sünde, völlig an's Licht.— Zuvor bemerke ich, daß hier der Apostel, um seine Belehrung über diesen Punkt einfach und klar darzustellen, sich des Wörtchens „Ich" bedient. Dennoch ist es gerade dieses Wörtchen, wodurch so viele Seelen irre­geleitet und im wahren Verständnis gehindert werden. Sie meinen nämlich, wie schon bemerkt, der Apostel rede hier von sich selbst, weil sie meistens diesen Abschnitt nur ober­flächlich lesen und selten in Verbindung mit dem vorher­gehenden und nachfolgenden Kapitel betrachten; und viele halten diese Meinung auch deshalb gern fest, weil sie darin eine Beruhigung für ihren eigenen Zustand finden. Das 6. und 8. Kapitel aber würde nicht nur voller Widersprüche, sondern auch ohne Sinn und Verstand sein, wenn der Apo­stel in der letzten Hälfte des 7. Kapitels von sich selbst, von seinem eigenen Zustand vor Gott, redete. 

Dann ist aber auch zu bemerken, daß in diesem Teil des Kapitels weder von Christo, noch von dem Heiligen Geist die Rede ist, sondern nur vom Gesetz, von der Kraft der Sünde, von der Ohnmacht und Verderbtheit des Fleisches und von den vergeblichen Anstrengungen in dieser Stellung. Chri­stus wird erst im 25. Vers eingeführt, und zwar als der ein­zige Zufluchts- und Rettungsort des unter dem Gesetz der Sünde und des Todes Gefangenen, als die allein völlig ge­nügende Antwort  auf  die Frage: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" — Mußte aber wirklich der Apo­stel selbst noch also fragen? Lag er noch gefangen unter dem Gesetz der Sünde und brachte durch seinen Wandel nur dem Tode Frucht? Stand seine Errettung und Be­freiung durch Christum noch in Frage, oder erkannte er sie nicht? Und hatte der Heilige Geist nicht Wohnung in sei­nem Herzen gemacht? Die richtige Antwort auf alle diese Fragen wird sicher niemandem schwer fallen.

Laßt uns jetzt diesen Abschnitt selbst ein wenig näher

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 untersuchen, und wir werden finden, daß hier nicht von dem Zustand des Apostels oder von dem eines befreiten Christen, sondern gerade von einem entgegengesetzten Zu­stande die Rede ist. — Zunächst ist der Apostel, wie schon bemerkt, bemüht, das Gesetz gegen jede Beschuldigung zu rechtfertigen und den wahren Charakter der Sünde an's Licht zu stellen (V. 7-13). Er bezeugt in V. 7, daß durch das Gesetz Erkenntnis der Sünde komme: „Die Sünde er­kannte ich nicht, als nur durch Gesetz. Denn auch die Lust kannte ich nicht, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: Laß dich nicht ge­lüsten." Also die Sünde und die Lust werden durch das Gesetz in ihrem wahren Wesen offenbart und erkannt. — Die Sünde ist der im Fleische wohnende und wirkende böse Grundsatz, eine dem Gesetz Gottes entgegenstrebende, feindliche Macht. Sie wirkt gerade das, was das Gesetz ver­bietet, und weil dasselbe es verbietet. Die Lust aber ist die im Fleische aufsteigende Neigung oder Begierde. Wenn das Gesetz sagt: „Laß dich nicht gelüsten", so gibt es uns dadurch zu erkennen, daß diese Begierden und Neigungen des Fleisches böse sind. 

Was tut nun die Sünde? Sie wirkt gerade diese Lust in mir, und sogar deshalb, weil das Ge­setz sie verbietet. Dies offenbart den wahren Charakter der Sünde, ihre Häßlichkeit und Feindschaft wider alles Gute. „Die Sünde aber durch das Gebot Anlaß neh­mend, wirkte jegliche Lust in mir" (V. 8). — Gesetz und Gebot sind im Grunde dasselbe, obgleich ersteres das ganze Gesetz und letzteres mehr ein ein­zelnes Gebot aus demselben bezeichnet. — Man könnte nun fragen: Wird denn nicht gerade durch das Gesetz die Sünde erweckt und hervorgerufen? Gewiß nicht. Diese war schon vorhanden, ehe das Gesetz kam; „denn bis zu dem Gesetz war die Sünde in der Welt (Kap. 5, 13); „aber ohne Gesetz ist die Sünde tot" (V. 8). Das Gesetz schafft nicht die Sünde, sondern stellt nur ihren wahren Charakter an's Licht. Sie ist immer vorhan­den; aber wo kein Gesetz ist, da ist ihre wahre Natur ver­borgen. Sobald aber das Gebot kommt, dann lebt sie auf, und zeigt sich in ihrem wahren Charakter, als Feindschaft wider das Gesetz Gottes. „Ich aber lebte einst ohne Gesetz;—als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf" (V. 9). Wann lebte der Apostel ohne Gesetz? Das ist hier nicht die Frage. Der Apostel redet hier weder von sich, noch von irgend einem Menschen; er ge­braucht diese Redeweise, um zu zeigen, daß es das Gebot sei, wodurch die Sünde zum Aufleben gebracht und also deren wahrer Charakter in ihrem Gegensatz zum Gesetz

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 an's Licht gestellt werde. Wir sehen ja schon bei einem Kinde, daß gerade dann, wenn ihm irgend eine Sache, die es bis dahin ohne Arg und ohne besondere Neigung getan hat, verboten wird, die Begierde stark hervortritt, dieselbe zu tun. Durch das Gebot lebt die Sünde, die sich bisher in dieser Sache als tot erwies, in dem Kinde auf und reizt dasselbe, gegen dies Gebot zu handeln. Ebenso ist es bei den Erwachsenen.— Den folgenden Ausdruck: „Ich aber starb", konnte der Apostel sicher auf sich anwenden, wie auch jeder befreite Christ es kann; allein darum handelt es sich hier nicht. Der Apostel will hier, wie gesagt, nur ein­fach das wahre Wesen der Sünde und deren traurige Wir­kungen an's Licht stellen. Ist jemand ohne Gesetz, so ist die Sünde zwar da, aber sie ist tot; sobald aber das Gebot eintritt, so lebt die Sünde auf; und was ist die Folge? Sie verursacht den Tod. „Ich aber starb, und das Ge­bot, dasselbe, welches zum Leben (dargestellt) war, erwies sich für mich zum Tode" (V. 10). 

Das Gesetz sagt: „Tue diese Dinge, und du wirst leben"; die Sünde aber bringt das Urteil des Todes über mich und zwar durch das Gesetz. Das Gesetz verheißt dem ihm Unterworfenen das Leben; aber es muß ihn verurteilen. Und warum das? Die Sünde, welche durch das Gebot auf­lebt, hat ihn getäuscht; sie hat gerade das in ihm erwirkt, was das Gesetz verbietet und hat ihn zum Übertreter ge­macht; und das Gesetz, weil es gerecht und heilig ist, kann jetzt nicht anders, als ihn verurteilen. „Denn die Sünde, durch das Gebot Anlaß nehmend, hat mich getäuscht und durch dasselbe getötet" (V. 11). Das Gebot hat also nicht diesen Tod herbeigeführt, sondern die Sünde. Das Gesetz hat zwar der Sünde wegen dies Urteil des Todes ausgesprochen; allein es kann nicht anders, weil „das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut ist" (V. 12). „Ist denn das Gute mir zum Tode geworden? Das sei ferne! Aber die Sünde, auf daß sie als Sünde offenbar würde, wirkte mir durch das Gute den Tod, auf daß die Sünde durch das Gebot überaus sündig würde" (V. 13). Welch eine traurige Sache ist es doch um die Sünde! Wie so überaus schlecht und verderbt steht sie da! Sie ist gerade durch das heilige Gesetz veranlaßt worden, mich unter dessen gerechtes Ur­teil zu bringen, und hat also gerade durch das Gute den Tod in mir gewirkt. Dies offenbart völlig ihren wahren Charakter.

Es liegt nun die Frage nahe: Warum tun wir denn das Böse und nicht das Gute? Die folgenden Verse geben uns

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 eine deutliche Antwort darüber. Schon in den wenigen Worten in V. 14: „Ich bin fleischlich unter die Sünde verkauft", haben wir den Schlüssel zu dem traurigen Zustand einer Seele, welche die in den nächst­folgenden Versen (V. 15-24) ausgedrückten Erfahrungen bei sich bestätigt findet. Sie muß bekennen: Ich bin fleischlich und das Gesetz geistlich; ich bin ein Sklave der Sünde und das Gesetz fordert mich auf, ein Sklave der Gerechtigkeit zu sein. Welche Gegensätze! Ist auch das Gewissen er­neuert und erkennt das Gute an, „stimmt es auch dem Gesetz bei, daß es gut sei" (V. 16); was nützt mir diese Anerkennung und diese Beistimmung des Guten, wenn ich das Gegenteil tue? Ist auch der Wille erneuert und völlig bereit, das Gute zu tun; was kann es helfen, wenn „das Wirken dessen, was recht ist, nicht gefunden wird?" (V. 18). Ich weiß, daß das Gesetz nur fordert, was gut ist, und weiß auch, daß es recht ist, dieses von mir zu fordern, noch wünsche ich, daß diese Forderungen beschränkt werden möchten; aber ich habe keine Kraft, denselben zu entsprechen. 

Wohl ist es wahr, daß, wenn ich das Gute anerkenne und bereit bin, dasselbe zu tun, „nicht mehr ich das Böse wirke, son­dern die in mir wohnende Sünde" (V. 17). Doch welch ein Trost liegt für mich darin? Ich erkenne die Häß­lichkeit der Sünde, und bin doch ihr Sklave; ich erkenne das Gute und übe es doch nicht aus; ich hasse das Böse und tue es dennoch. Stehe ich mit einem erneuerten Gewissen und Willen unter der Herrschaft und Macht der Sünde, so bin ich unglücklicher als je. Alle noch so ernsten Anstren­gungen sind vergeblich und vermehren nur meinen trost­losen Zustand; sie stellen nur immer noch greller an's Licht, wie häßlich die Sünde ist, und wie völlig ich unter der­selben verkauft bin, und sie überzeugen mich mehr, daß „in meinem Fleische nichts Gutes wohnt" (V. 18), und das ist alles. Stets muß ich bekennen: „Das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, son­dern das Böse, das ich nicht will, das tue ich" (V. 19); aber da ist keine Kraft, keine Erfüllung des Guten und deshalb auch kein wahrer Friede des Herzens.

In Vers 21-23 ist in mehrfacher Beziehung vom Gesetz die Rede, wodurch der Zustand einer unbefreiten Seele noch klarer an's Licht gestellt wird. In V. 22 haben wir das „Gesetz Gottes"; der inwendige oder der Innen-Mensch — das erneuerte Gewissen und der erneuerte Wille — hat sein Wohlgefallen an diesem Gesetz, und dieses Wohlgefallen wird in V. 23 das „Gesetz meines Sin­nes" genannt. Weiter heißt es in diesem Vers: „Ich

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 sehe ein anderes Gesetz in meinen Glie­dern." Dies Gesetz ist schon in V. 21 erwähnt: „das Ge­setz, daß das Böse bei mir ist." Dies Gesetz in meinen Gliedern ist dem „Gesetz meines Sinnes" entgegen und streitet wider dasselbe, — das bei mir woh­nende Böse steht in völligem Gegensatz zu dem Wohlge­fallen des Innen-Menschen. Doch gibt es, wie wir in V. 23 sehen, noch ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, nämlich „das Gesetz der Sünde" — der in meinem Fleische wirkende feindselige Grundsatz; und unter dessen Herr­schaft bringt mich das in mir wohnende Böse, welches gegen das Gesetz meines Sinnes streitet. So bin ich denn in diesem Zustand ganz und gar ein Gefan­gener der Sünde. Erkenne ich auch das Gute an, so kann ich es doch nicht ausüben; hasse ich auch das Böse, so muß ich es dennoch tun. Ich bin völlig der Sünde unterworfen; ich bin ihr Sklave und bin unter sie verkauft, sodaß sie mit mir machen kann, was sie will, und ich sehe auch nirgends einen Ausweg. Welch ein trauriger Zustand! Kann da wohl eine andere Frage aus dem Herzen emporsteigen, als diese in V. 24: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erretten von diesem Leibe des Todes?"

Doch frage ich jetzt noch einmal: War dies der Zustand des Paulus, oder kann es der eines befreiten Christen sein? und ist dies das gesegnete Resultat des Werkes Christi? Sind wir trotz dieses Werkes immer noch Gefangene und Sklaven der Sünde, um dem Tode Frucht zu bringen? Hat die Innewohnung des Heiligen Geistes auf unseren Wandel keine andere Wirkung, als diese traurige Erfahrung des Verderbens und der Ohnmacht des Fleisches? Ach, wie be­trübend wäre es! Und wir finden doch in der letzten Hälfte dieses Kapitels nichts anderes, als Gefangenschaft, Ohn­macht und Frucht des Todes. Der Mensch ist erneuert nach seinem Gewissen und nach seinem Willen — Innen-Mensch genannt; aber da ist keine Befreiung, keine Kraft und keine Gott wohlgefällige Frucht. Doch vor allem be­achtenswert ist die schon gemachte Bemerkung, daß in die­sem Teil des Kapitels weder von Christo, dem Grunde unserer wahren Befreiung, noch von dem Heiligen Geiste, der Quelle unserer Kraft, die Rede ist; weshalb hier auch unmöglich von dem Zustand einer Seele, in wel­cher der Heilige Geist wohnt und welche die wahre Be­freiung in dem Werke Christi kennt, die Rede sein kann.

Wir haben also in der einfachen Belehrung dieses Ka­pitels dreierlei gefunden: 1. die Befreiung vom Ge­setz durch den Tod (V. 1-6); 2. die Erkenntnis der Sünde durch das Gesetz (V. 7-13) und 3. die

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 Erneuerung des Gewissens und des Willens, aber noch im Fleische und unter der Macht der Sünde (V. 13-23). — Ich hoffe aber auch, daß jeder Gläubige, wenn er dieser Betrachtung ohne Vorurteil ge­folgt ist, überzeugt sein wird, daß der Apostel durch das Wörtchen „Ich" nicht seinen damaligen Zustand ausdrücken wollte, sondern daß er nur diese Form gebraucht, oder wenn man will, sich selbst in einen solchen Zustand versetzt hat, um diese Belehrung einfach und klar vorzustellen.

Es ist nun schon gesagt, daß viele Seelen, entweder aus wirklichem Mangel an Befreiung, oder aus Unkenntnis der­selben sich mehr oder weniger in diesem Zustand befinden. Sind sie auch nicht dem Buchstaben nach unter dem Gesetz — denn Israel war das Gesetz gegeben — so sind sie es doch dem Grundsatz nach, und die Wirkung ist dieselbe. Sie werden die in diesem Kapitel ausgesprochenen Resultate und Erfahrungen immer mehr oder weniger bei sich selbst bestätigt finden, und glauben auch deshalb, wie schon bemerkt, um so lieber, daß hier der Apostel von sich selber rede, weil sie darin eine gewisse Beruhigung über ihren eigenen Zustand finden. Gott aber in Seiner reichen Gnade und Liebe hat uns in Christo Jesu etwas Besseres bereitet, als ein Gefangensein unter der Sünde, als die Erfahrungen unserer Ohnmacht und ein, wenn auch noch gezwungenes, Wandeln in bösen Werken. — Er hat uns in Ihm Befreiung und Kraft gegeben und uns zu jedem guten Werke tüchtig gemacht.

Man könnte nun fragen: Sind denn die in diesem Ka­pitel ausgesprochenen Erfahrungen nicht von Nutzen? Ich erwidere: Sie sind nicht allein von Nutzen, sondern sogar notwendig, um auf eine Gerechtigkeit durch Werke und auf eine Heiligkeit im Fleisch völlig zu verzichten, und um in Wahrheit das wahre Wesen der Sünde und das Verderben und die Ohnmacht des Fleisches zu erkennen, damit wir unser Vertrauen völlig auf die Gnade in Christo Jesu und auf Sein Werk allein setzen. Es ist viel schwerer, völlig überzeugt zu sein, daß man keine Kraft hat, Gutes zu tun, als zu erkennen, daß man gesündigt hat. Die Erfahrungen unter dem Gesetz sind das Mittel, um eine Seele von ihrer gänzlichen Ohnmacht zu überzeugen. Gott hat aber kein Wohlgefallen, sie in diesem traurigen Zustand zu lassen. Sobald, sie denselben anerkennt, sobald sie hilflos in sich selbst dasteht und überzeugt ist, daß sie die Gerech­tigkeit Gottes nimmer erreichen kann und deshalb ausrufen muß: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" (V. 20) — so offenbart ihr auch Gott die vollkommene Befreiung in

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 Christo Jesu. Und dann erkennt sie ihre Stellung in dem auferstandenen Christus, ihrem wahrhaftigen Manne, um Gott Frucht zu bringen; und ihr Herz ist mit Lob und Dank erfüllt. Sie wird in Wahrheit ausrufen: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn" (V. 25). Sie findet nicht nur ihre Stellung in Christo, sondern auch ihre Freiheit und ihre Kraft. — Man könnte nun aber denken, das Fleisch sei nicht mehr vor­handen, oder seine Natur sei verändert; deshalb fügt der Heilige Geist den Schluß des 25. Verses hinzu: „So denn diene ich selbst mit dem Sinn Gottes Ge­setz; mit dem Fleische aber der Sünde Ge­setz." Das Fleisch ist also noch unverändert da; aber un­sere Stellung vor Gott ist nicht mehr im Fleisch, und also auch nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde und dem Urteil des Gesetzes, sondern unsere Stellung ist in dem auf­erstandenen Christus und ist im Geist.

Ehe wir nun aber zu diesem Teil unserer Betrachtung, worüber wir namentlich im 6. und 8. Kapitel des Römer­briefes so einfache und köstliche Belehrungen finden, über­gehen, wollen wir zunächst einen Augenblick bei gewissen Erfahrungen stehen bleiben, weil so viele Seelen dabei ver­weilen und nicht selten dadurch einen gesegneten Wandel für sich selbst verhindern. — Sind die Erfahrungen dem Geiste gemäß, so sind sie köstlich und gesegnet; sind sie aber dem Fleische gemäß, so haben wir keine Ursache uns ihrer zu erfreuen. Dieser wichtige Unterschied wird aber selten gemacht; und viele, ja sehr viele Gläubige rühmen und erfreuen sich solcher Erfahrungen, worüber sie in Wahrheit nur tief betrübt sein sollten. 

Manche reden auch mehr und lieber von ihren Erfahrungen, als von dem Worte Gottes, und sie kennen auch jene weit besser als dieses. Sehr oft beurteilen sie das Wort Gottes nach ihren Erfah­rungen und nicht ihre Erfahrungen nach dem Worte Gottes. Und auf diese Weise stellen sie nicht nur ihre Erfahrungen dem Worte Gottes gleich — was schon traurig genug wäre — sondern sogar über dasselbe. Sie sagen weit eher: „Ich erfahre es also", als: „Es steht also geschrieben." Die traurige Folge hiervon aber ist, daß sie ihr Vertrauen mehr auf das setzen, was sie fühlen und sehen, als auf das, was nur durch den Glauben erkannt und erfaßt werden kann; denn die Erfahrungen haben es mit Gefühl und dem Sichtbaren zu tun, das Wort Gottes aber mit dem Glauben. Und die weitere Folge hiervon ist, daß der Friede mit Gott, die Sicherheit unserer Stellung in Seiner Gegen­wart und die Gewißheit der Kindschaft in so vielen Herzen sehr schwach und getrübt und meist sehr schwankend ist.

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 Die Erfahrungen und Gefühle sind dem Wechsel unter­worfen, und darum ist auch alles unsicher, was darauf ge­baut wird; das Wort Gottes aber ist beständig 'und fest und wir sind stets sicher und gewiß, wenn wir im Glauben dar­auf ruhen.

Die Ungewißheit und Niedergeschlagenheit, die Dürre und Mattigkeit in so vielen Seelen, der Mangel an Friede und Freude, an Lob und Dank, der unlautere und fleisch­liche Wandel — kurz alles dieses hat in unseren Tagen meist seinen Grund in der Überschätzung der christlichen Erfah­rungen und in der Geringschätzung und in der mangel­haften Erkenntnis des Wortes Gottes. Ach! wir begreifen noch viel zu wenig, wie groß und mannigfach der Schaden für so viele Seelen ist, der allein aus dieser Quelle fließt. — Es geschieht sogar oft, daß man gewisse Erfahrungen ge­rade deshalb für ein Kennzeichen des wahren Zustandes eines Christen hält, weil dieselben auch von anderen Gläu­bigen gemacht werden. Und wie töricht ist doch dieses? Wird ein kränklicher und schwächlicher Mensch sich da­durch überreden lassen, daß er gesund und stark sei, weil noch viele andere sich geradeso fühlen wie er? Woher aber kommt es, daß viele Christen dieses tun und den Zustand anderer zum Maßstab ihres eigenen machen und sich damit beruhigen? Es geschieht, wie eben gesagt, fast nur aus Über­schätzung der christlichen Erfahrungen und aus Gering­schätzung — vielleicht unbewußt — der Autorität des Wor­tes Gottes. Sein Wort aber allein ist „wahrhaftig und alle seine Zeugnisse gewiß."

 Die Erfahrungen unter den Gläubigen sind aber ebenso verschieden wie ihre Gesin­nungen. Vergleichen wir z. B. nur die Erfahrungen des Abraham mit denen des Jakob, so werden wir schon den größten unterschied wahrnehmen. Beide waren Gläubige, und beiden gehörte dieselbe Verheißung; allein Abraham vertraute auf Gott und wandelte mit Ihm; Jakob aber ver­traute auf die Umstände, auf das Sichtbare und wandelte viele Jahre in der Welt, wo er keinen Altar besaß. Er er­kannte erst nach einer langen Reihe trauriger Erfahrungen, was Abraham schon im Anfang erkannte — daß Gott treu und wahrhaftig ist. Wie einfach und gesegnet sind daher die Erfahrungen des Abraham, und wie mannigfach und "traurig die des Jakob. Ebenso werden wir auch bei den Er­fahrungen der jetzigen Gläubigen einen großen Unterschied "wahrnehmen; denn nur wenige wandeln in den Fußstapfen des Abraham und viele in denen des Jakob. Es fehlt sogar nicht an solchen, welche sich der Erfahrungen Jakobs rüh­men und sie für jeden Christen nützlich und notwendig halten. Sie sind freilich nützlich und notwendig; aber nur

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 für ein fleischlich und weltlich gesinntes Herz, für ein Herz, das in den Umständen lebt und sich auf das Sichtbare ver­läßt, wie Jakob; aber sie sind nicht nötig für das einfältige und nüchterne Herz, das im Glauben mit Gott wandelt, wie Abraham. Ich werde immer Erfahrungen machen; entweder Erfahrungen in meiner Untreue von dem Verderben und der Ohnmacht des Fleisches von der Unbeständigkeit alles Sichtbaren und von der züchtigenden Hand Gottes, oder Er­fahrungen von der unwandelbaren Treue, Liebe und Macht Gottes; — aber welch ein Unterschied!

Manche Gläubige berufen sich auch auf die traurigen Erfahrungen der Kinder Israel in der Wüste, und messen darnach die ihrigen. Doch was für ein Trost und was für eine Beruhigung liegt für uns darin, wenn wir jenen glei­chen? Haben wir auch Verlangen, gleich jenen, die trauri­gen Früchte der untreue zu ernten? Wenn wir verstanden haben, wie Gott über die Wanderungen dieses Volkes in der Wüste urteilt, oder wenn wir auch nur mit Aufmerksamkeit die ernsten Worte des Apostels in 1. Kor. 10 gelesen haben, so werden wir uns gewiß nicht an den Erfahrungen jenes Volkes trösten oder beruhigen können. Viele Seelen, die oft so schnell und leichtfertig die von Gott an jenes Volk ge­richteten Worte: „Sie irren immerdar mit dem Herzen", auf sich anwenden, würden sicher erschrecken, wenn sie in Wahrheit auch den Nachsatz beherzigten: „So schwur ich in meinem Zorn, daß sie nicht in meine Ruhe eingehen sollten" (PS. 95, 7-11). Diesen Nachsatz vergaß der Apostel nicht, als er die gläu­bigen Hebräer warnte, nicht in den Fußstapfen jenes Volkes zu wandeln, dessen Herz immerdar den Irrweg liebte.

Vorhin habe ich bemerkt, daß die in Röm. 7 ausgespro­chenen Erfahrungen nützlich und notwendig seien, daß sie aber einer wahren Befreiung vorausgehen müßten; allein ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, daß diese Er­fahrungen von dem Verderben und der Ohnmacht des Flei­sches bei einem jeden am Anfang seiner Bekehrung in ihrer ganzen Tiefe gemacht sein müssen oder selbst gemacht werden. Vielmehr glaube ich, daß wir alle, mehr oder we­niger, auf unserer ganzen Reise durch die Wüste prak­tisch noch daran zu lernen haben. Viele Gläubige aber bleiben fast ausschließlich bei diesen Erfahrungen über das Verderben und die Ohnmacht des Fleisches stehen, und das ist sicher zu beklagen. Sie haben zwar oft erfahren und sprechen es mit völliger Überzeugung aus, daß das Fleisch verderbt und ohnmächtig sei, und dennoch machen sie immer neue Versuche und neue Anstrengungen, um das, was sie als gut und vor Gott wohlgefällig erkennen, auf

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 demselben Wege zu vollbringen; sie lernen aber dabei nichts anderes, als daß sie immer wieder aufs neue er­fahren, wie nutzlos alle ihre Bemühungen sind. Auf diese Weise bringen manche Gläubige ihre ganze Lebenszeit da­hin. Ihr Herz ist meist beschwert und niedergedrückt, es ist voll Sorge und Unruhe, voll Mutlosigkeit und Furcht. Sie verkündigen wohl der Welt ein Glück und eine Selig­keit in Christo Jesu; aber sie selbst genießen oft sehr wenig davon. Wären wir am Ende der meisten Tage Zeuge ihrer Gebete, so würden wir viele Klagen und Beschuldigungen über sich selbst aber selten ein freudiges Loben und Dan­ken vernehmen. Wie oft müssen sie seufzen: Dieser Tag ist verloren; denn ich lebte mir und nicht dem Herrn; und wie oft bezeugen die gegenseitigen Klagen der Christen über sich selbst, wie trostlos ihr Zustand ist.

Es ist sicher eine köstliche und unschätzbare Gnade, daß unsere Annahme bei Gott und die Sicherheit unseres Heils nicht von unserem Wandel, sondern allein von dem Werke Christi abhängig ist; aber wir verlieren doch sehr viel, wenn wir nicht befreit sind, oder doch die Befreiung in Christo Jesu nicht kennen. Wir verlieren mehr oder weniger das gesegnete Vorrecht, in Seiner Gemeinschaft zu wandeln, durch einen vor Ihm wohlgefälligen Dienst Seinen Namen zu verherrlichen und mit einem glücklichen Herzen Ihn zu loben und zu preisen. Gewiß wird manche ernste Seele selbst den Verlust oft beklagen; aber sie weiß nicht, wie es anders werden soll; sie hat vielleicht schon lange auf Bes­serung gewartet, aber es ist noch immer keine gekommen; und nicht selten hört man in diesem Zustand das Bekennt­nis: „Es fehlt mir am rechten Ernst und Eifer für den Herrn; ich habe wenig wahre Liebe zu Ihm und wenig wil­lige Hingebung; und nicht einmal fühle ich tiefen Schmerz oder große Unruhe darüber." Ja, diese und ähnliche Klagen hört man in unseren Tagen nicht selten unter den Gläubi­gen, und man merkt nur zu bald, daß entweder die wahre Befreiung wirklich fehlt, oder daß sie nicht verstanden wird. Es offenbaren sich, wenn auch in anderer Form, stets die nämlichen Grundsätze, die wir in der letzten Hälfte von Röm. 7 finden: Anerkennung des Guten, Willig­keit, dasselbe zu tun, aber keine Kraft, um es tun zu könne n. Es ist ein Kampf i m Fleisch mit dem Fleisch, ein Kampf gegen die Sünde, ohne die Kraft des .Lebens in Christo zu kennen; und deshalb sind alle die Anstrengungen nutzlos, und offenbaren nichts anderes, als die Ohnmacht des Fleisches und die Kraft der Sünde. Und was würde es helfen, wenn selbst der entschiedenste Ernst und der größte Eifer vorhanden wäre? Was würde es nüt-

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 zen, wenn ich sogar eine so brennende Liebe in mir fühlte, daß ich mit dem Petrus bekennen könnte: „Herr, ich bin bereit, mit dir in den Tod zu gehen?" Würde ich Ihn nicht bald auf eine ebenso traurige Weise verleugnen, wie er, wenn ich in dieselbe Versuchung käme? Ebenso nutzlos ist aber auch alles Seufzen und Klagen über meinen trostlosen Zustand und meinen Mangel an Kraft; ja, alles ist vergeb­lich, bis ich verstanden habe, daß außer mir- in dem auf­erstandenen Christus eine Fülle vorhanden ist, die ich durch Glauben in Ihm besitze. Mancher wendet jetzt wohl ein: Ich weiß, daß genug Kraft in Christo ist, aber ich muß doch auch Glauben haben, um davon Gebrauch ma­chen zu können, und den finde ich nicht in mir. Ich er­widere: Ein solcher weiß nicht, was Glauben heißt; denn gerade die Überzeugung, daß in Christo Kraft genug für mich vorhanden ist, ist Glauben und nichts anderes; und sobald ich dieser Überzeugung gemäß handle, werde ich in allem überwinden.

Für viele Gläubige, die über Mangel an Liebe klagen, ist diese Liebe mehr oder weniger ein Gesetz. Sie erkennen die vollkommene Liebe Jesu, der am Kreuz Sein Leben für uns gelassen hat, und sie sehen in dieser Liebe einen Beweg­grund, Ihn völlig wieder zu lieben; aber sie finden, daß in ihrem Innern so wenig Liebe vorhanden ist. Sie sollen Chri­stum von ganzem Herzen lieben—eine Forderung, die völlig gerecht ist; aber sie lieben Ihn nicht also; die Sünde hindert sie daran. Und also stehen sie, wenn auch unter einer anderen Form und bekleidet mit dem Namen Christi, unter dem nämlichen Gesetz, welches sagt: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen." 

Solche Gläubige denken auch viel mehr an den Mangel ihrer Liebe zu Jesu, als an Seine vollkommene Liebe für uns; ja, sie sind oft sehr mit diesem Mangel beschäftigt, daß sie die Fülle Seiner Liebe kaum noch sehen, wenn sie gleich viel davon reden. Wie sehr aber würde ihr Herz erfreut und erquickt werden, wenn sie sich einmal bei ihren Mängeln völlig beiseite ließen und allein den Reichtum Seiner Liebe beschauten und erst verstehen lernten; denn die Erkenntnis Seiner Liebe macht die Liebe, welche durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausge­gossen ist, lebendig und wirksam. Alle eigenen Anstren­gungen aber, Ihn völliger zu lieben, sind vergeblich und machen die Seele zuletzt nur matt und mutlos. Und ist es bis dahin gekommen, dann nehmen viele Gläubige gewöhn­lich ihre Zuflucht zu den Erfahrungen anderer Christen und suchen darin ihre Beruhigung. Sie sehen, daß so viele, die doch für wahre Christen gelten und oft schon eine Reihe von Jahren auf diesem Wege sind, sich mit ihnen in dem­

 selben Zustand befinden. Ebenso trösten sie sich, wie schon bemerkt, an den Erfahrungen vieler Gläubigen des Alten Testaments, ohne einmal zu berücksichtigen, wie groß ihre Vorzüge vor jenen sind, nachdem das Werk Christi voll­bracht und der Heilige Geist hernieder gekommen ist. Sie rühmen sich jetzt sogar der Erfahrungen, die sie noch kurz vorher vor Gott richteten; sie halten ihre gerechten Klagen über ihre vielen Mängel für einen Beweis des wahren Zu­standes eines Christen, und halten für Geist, was sie sonst für eine traurige Wirkung des Fleisches hielten. Und also bringen sie das anklagende Gewissen durch allerlei Mittel zum Schweigen; sie werden gleichgültig gegen die Sünde und betrüben den Geist Gottes. — Für andere Gläubige aber, die sich nicht auf diese Weise beruhigen können, wird der glückliche und gesegnete Wandel eines Christen zu einer drückenden Pflicht oder gar zu einer unerträglichen Bürde, worunter sie seufzend und klagend einhergehen. Sie ver­stehen nicht, daß dieser Wandel das köstliche und gesegnete Vorrecht eines Gläubigen ist, und ebensowenig ver­stehen sie, daß die einzelnen Ermahnungen an die Gläu­bigen gerade die gesegnete Stellung ausdrücken, worin diese zu Gott, dem Vater, und zu Christo Jesu stehen. Ach, wie vieles verliert doch eine Seele hienieden, welche die wahre Befreiung in Christo nicht kennt!

Es fehlt auch nicht an solchen unter den Gläubigen, die sich bei ihren nutzlosen Anstrengungen damit trösten, daß der Gott wohlgefällige Wandel auf eine unsichtbare Weise von dem inwendigen Menschen, dem neuen Leben, vollbracht werde. Eine wunderbare Vorstellung vom Wan­del eines Christen! Doch wozu nimmt man nicht seine Zu­flucht, wenn das Herz in Not und Unruhe ist? Wenn man in irgend etwas nur einen Schein von Beruhigung findet, so greift man darnach. Aber ich frage ganz einfach: War der Wandel des Herrn Jesu unsichtbar? Würde Er von den Sündern um Seiner Gerechtigkeit willen gehaßt worden sein, wenn Sein Leben und Wandel unsichtbar ge­blieben wäre? Oder war es der Wandel des Apostel Paulus? War sein geistlicher Wandel unsichtbarer als sein fleischlicher im Judentum und unter dem Gesetz? Oder meint der Herr einen unsichtbaren Wandel, wenn Er uns ermahnt: „So lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie eure guten Werke sehen, und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen?" (Matth. 5,16). Und wer wollte von den vielen anderen Ermahnungen der Art behaupten, daß dadurch eine unsichtbare Erfüllung gemeint sei?

Noch andere beruhigen sich damit, daß der Herr Jesus,

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 weil Er alles für uns vollbracht auch diese Ermahnungen zu einem würdigen Wandel an unserer Statt schon erfüllt habe. Laßt uns doch nicht zu solch sinnlosen Behauptungen unsere Zuflucht nehmen, geliebte Brüder, wodurch wir uns ja nur zu unserem eigenen Schaden betrügen und die Trag­weite des Werkes Christi, welches uns, die von Natur völlig Untüchtigen, zu jedem guten Werk tüchtig gemacht hat, verringern. Wie töricht wäre ja dann der Apostel gewesen, daß er sich so viele Mühe gegeben, die Christen zu einem würdigen Wandel zu bewegen. Wie sollten wir auch die Er­mahnung des Herrn Jesu Selbst verstehen: „Seid meine Nachfolger?" Oder die des Apostels, wenn er uns, wie in Phil. 2 und vielen anderen Stellen, den vollkommenen Wandel Jesu vor die Augen malt und uns zuruft: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war?" Oder die Ermahnung: „Werdet denn Gottes Nachahmer, als geliebte Kinder?" Oder die in 1. Joh. 2, 6: „W er da sagt, daß er in ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat."

Viele denken auch, daß sie nach Gottes wohlgefälligem Willen in diesem klagenden Zustand seien, damit sie nicht hochmütig würden. Macht denn die Treue den Knecht hoch­mütig und der Gehorsam das Kind stolz? Das Vertrauen auf seine eigene Kraft und seine eigenen Anstrengungen ist immer mit Stolz und Hochmut verbunden; nicht aber das Vertrauen auf die Gnade Gottes und die Kraft Jesu Christi.—Andere suchen, jenen gleich, dadurch gerade ihre Niedrigkeit auszudrücken, daß sie sich rühmen, „arme Sünder" zu sein. — Wer war nun aber der Niedrigste — der arme Sünder oder Jesus, der Sohn Got­tes? „Er machte sich selbst zu nichts, obgleich er in Ge­stalt Gottes war" (Phil. 2, 6. 7). Man beschuldigt Ihn aber dennoch des Hochmutes, weil Er Gott Seinen Vater nannte. — Wann aber sind wir in der Wahrheit niedrig, meine Brü­der? — Wenn wir nur „arme Sünder" sein wollen, oder wenn wir mit dankbarem und demütigem Herzen in dem Verhältnis stehen und wandeln, in welches Gott uns durch Christum in Gnaden gestellt hat? Wir finden aber unter allen gesegneten Namen, welche der Heilige Geist den Gläu­bigen beilegt, nie den Namen „arme Sünde r." Wenn Er von dieser Stellung vor Gott zu den Christen redet, so redet Er immer von der Vergangenheit. Lasset uns doch unsere Demut nicht in Dingen suchen, die nicht nach der Wahrheit sind.— Und bedenken wir auch ferner, wie viele junge Seelen auf diese Weise oft von älteren Christen irre­geleitet und unter der Sünde gefangen gehalten werden,

 und wie sehr die Kraft und der Segen des Wortes in denen geschwächt wird, die doch so teuer erkauft sind. —

0, wie gesegnet würde es für die Gläubigen sein, wenn sie einmal alle ihre eigenen Erfahrungen, sowie auch die, welche sie von anderen Christen gehört oder gelesen haben, völlig beiseite setzten und ihre einzige Zuflucht zu dem Worte Gottes — und zu diesem allein—nähmen! Gewiß, sie würden, wenn sie, geleitet durch den Heiligen Geist, mit Gebet suchten und forschten, bald erfahren, daß in so man­chen Stellen, worin unbefreite Gläubige Trost und Beruhi­gung für sich zu finden meinen, in Wahrheit kein Trost — wohl aber oft das Gegenteil — zu finden sei und würden sich überzeugen, wie man von so vielen Schrittstellen eine falsche Anwendung macht. Und dann würden sie auch bald verstehen lernen, worin die wirkliche Freiheit eines Kindes Gottes besteht und also in Wahrheit beruhigt werden; denn wenn der einfältig Glaubende, durch den Heiligen Geist im Worte geleitet, in Christo und Seinem Werke die mannig­fachen Vorrechte und Segnungen erkennt, dann sieht er eine Menge Fragen, die ihn bis dahin so oft beunruhigten, auf das befriedigendste beantwortet, und viele Hindernisse zu einem würdigen Wandel ganz und gar beseitigt, und als­dann wird sein Herz frei und glücklich und mit Lob und Dank und Anbetung erfüllt sein.

Wir haben nun gesehen, wieviel höchst traurige Zu­stände es unter den Christen unserer Tage gibt, die teils in einem wirklichen Mangel an wahrer Befreiung, teils in einer großen Unkenntnis des Wortes Gottes und des Wer­kes Christi, und leider auch oft in Mangel an wahrem Ernst und wahrer Treue vor Gott ihren Grund haben. — Laßt uns denn jetzt unsere Betrachtung über diesen wichtigen Gegenstand nach dem Worte Gottes weiter fortsetzen, da­mit wir recht verstehen lernen, worin eigentlich die wahre Befreiung eines Christen besteht.

Wir kehren zunächst zu dem 6. Kapitel des Römerbriefes zurück.

In Kapitel 5, 20 sagt der Apostel: „Gesetz aber ist neben eingekommen, auf daß die Übertre­tung überströmend geworden ist, da ist die Gnade viel überschwenglicher geworden." Diese Worte könnten nun leicht zu der Frage Anlaß geben: „Sollen wir in der Sünde verharren, auf daß die Gnade überströme?" (Kap. 6, l). Wird nicht die Gnade sich. um so reichlicher an uns verherrlichen können, je mehr wir in der Sünde fortleben? Der Apostel erwidert: „Das sei ferne!" und zeigt dann ganz ein­fach und klar, daß ein solches Fortleben in der Sünde für

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 den Christen unmöglich sei, weil er nicht unter deren Herrschaft stehe.

„Die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?" (V. 2). Es ist auch hier der Tod, der uns, wie in Kap. 7 vom Gesetz, völlig vom Dienst und dem Leben in der Sünde befreit hat — In diesem Kapitel haben wir auch eine weitere Ausein­andersetzung über die Art und Weise dieses Todes, und wir werden finden, daß dies Gestorbensein mit Christo nicht nur eine Redensart ist, sondern eine Wahrheit, welche die gesegnetsten Folgen hat, besonders auch für den prak­tischen Wandel. Es ist aber, wie wir ebenso klar sehen wer­den, nie von dem Tode Christi zu trennen. Sich außer Seinem Tode dem Gesetz oder der Sünde für gestorben zu halten, wäre nur traurige Täuschung.

 Es gibt aber leider in Betreff dieser so gesegneten Wahrheit viel Verwirrung unter den Christen. Nur der befreite Christ ist fähig, dies Wort vom Gestorbensein mit Chri­sto zu verstehen; der unbefreite aber trennt es von der Person Christi. Er urteilt stets nach dem, was er in sich wahrnimmt und erfährt; er sieht, daß das Fleisch und die Sünde noch vorhanden sind, und wie kann er da anders als die Anwendung dieser Worte: „Wir sind dem Ge­setz und der Sünde gestorben", für Täuschung und Hochmut und also für bed

enklich und gefährlich hal­ten? Das Wort Gottes spricht es an mehreren Stellen sehr klar und bestimmt aus, daß wir in Christo mit ge­storben sind, und deshalb muß es wahr sein (Röm. 6, 4-8; Kol. 2,20; 3,3; l. Petri 2,24; 4, 1 usw.).

 Kann es auch der natürliche Verstand nicht fassen, so ist es darum nicht we­niger eine Wahrheit Gottes und eine köstliche Wahrheit für den Glauben. Sie ist auch ebensowenig — viele meinen — ein Vorrecht für etliche, sondern für alle Christen. Dies tritt uns besonders recht deutlich in dem Briefe an die Kolosser entgegen. Die dortigen Christen standen in Gefahr, das Ver­ständnis ihrer Einheit mit Christo und ihrer Vollendung in Ihm zu verlieren und sich zu den dürftigen Satzungen zu wenden. Was tut nun der Apostel? Er sagt nicht: „Ich sehe jetzt, daß ihr noch nicht mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, denn euer Wandel beweist es", son­dern er ruft ihnen zu: „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt abgestorben seid, — was unterwerft ihr euch den Satzungen, als wäret ihr noch am Leben in der Welt?" (Ka­pitel 2, 20). Ebenso in Kap. 3, 3: „Ihr seid gestorben und euer Leben ist mit dem Christus in Gott verborgen." In Vers 5 knüpft der Apostel an diese ge-

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 segnete Wahrheit die ernste Ermahnung: „So tötet denn eure Glieder, die auf der Erde sind:

Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft usw.". Dies sollten sie aber nicht tun, um zu sterben, sondern weil sie gestorben und auferweckt waren; dies ist vielmehr das gesegnete Resultat unserer Einpflan­zung in den Tod und die Auferstehung Christi.

Sehr oft hört man von Gläubigen die Worte Paulus aus­sprechen: „Ich sterbe täglich" (l. Kor. 15, 31), ohne einmal daran zu denken, daß diese Worte mit dem Ge­storbensein in Röm. 6 und anderen Stellen in gar keinem Zusammenhang stehen, und ohne es selbst zu wissen, was diese Worte eigentlich sagen wollen. Sobald wir dieselben in Verbindung mit dem vorhergehenden und dem nachfol­genden Vers (V. 30 und 32) lesen, so sehen wir gleich, daß hier nur von den äußeren Gefahren, von den Verfolgungen und sonstigen Mühsalen, die Paulus um des Evangeliums willen zu erdulden hatte, die Rede ist, und von nichts an­derem. Diese Leiden und Gefahren aber waren einem täg­lichen Sterben gleich, wie er es mit anderen Worten in Röm. 8, 36, wo er ebenfalls von diesen äußeren Leiden um Christi willen redet, ausdrückt: „Um deinetwillen werden wir den ganzen Tag getötet, wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden." In ähnlicher Weise sagt er in 2. Kor. 4, 10 und 11: „Alle­zeit das Sterben Jesu am Leibe umhertra­gend... denn wir, die Lebenden, werden allezeit um Jesu willen dem Tode überlie­fert . . ." Sicher würden viele Gläubige, welche diese Worte: „Ich sterbe täglich", oft im Munde führen, ein wenig Furcht haben, selbige so leichthin auf sich anzu­wenden, wenn sie ihren wahren Sinn verständen. Denkt aber jemand bei diesen Worten an ein fortwährendes Ab­sterben der verderbten Natur oder der Sünde im Fleisch, so gibt er denselben nicht allein eine falsche Auslegung, son­dern er hofft auf etwas, was sich nimmer hienieden erfüllt, und wozu er nicht den geringsten Grund im Worte Gottes hat. Die Natur oder das Wesen des Fleisches wird sich nie verändern.— Jetzt wollen wir noch ein wenig weiter in die Belehrung des vorliegenden Kapitels (Röm. 6) eingehen.

Jeder natürliche Mensch ist in den Vergehungen und in den Sünden tot (Eph. 2, l), der wahre Christ aber ist in Christo der Sünde tot oder gestorben. Jener ist sozusagen tot für Gott und. in der Sünde lebend, dieser ist der Sünde tot und Gott lebend. Der Unterschied ist groß und sehr be­achtenswert. Der Dienst oder das Leben in der Sünde ist nicht für den Gläubigen, weil er durch den Tod Christi da-

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 von getrennt worden ist. Wir finden dies m den folgenden Versen noch näher auseinandergesetzt.

„W isset ihr nicht, daß wir, so viele auf Jesum Christum getauft worden, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir denn mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, auf daß, gleichwie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, also auch wir in Neuheit des Lebens wandeln sollen" (V. 3. 4). Der Apostel sagt hier ganz einfach, daß wir, die Glaubenden, mit dem Tode Christi in Verbindung gebracht, daß wir durch die Taufe auf den Tod mit Ihm begraben worden seien. Dies ist aber die Wahrheit von allen, die Christo angehören. 

Jeder wahre Christ ist in Ihm mitge­storben und mitauferweckt worden. Wir sind also dem Zu­stande oder der Stellung nach, die wir als natürliche Men­schen vor Gott einnahmen, wo wir völlig der Sünde unter­worfen und dienstbar waren, ganz und gar beseitigt wor­den. Gott kennt niemand mehr, der in Christo Jesu ist, nach dieser ersten Stellung im Fleisch, sondern nach der neuen in dem auferstandenen Christus. Zugleich finden wir in die­sen Versen auch den Zweck unserer Beseitigung in dem Tode Christi: „auf daß, gleichwie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, also auch wir in Neuheit des Lebens wan­deln solle n." In dem ersten Zustande wandelten wir i n der Sünde und im Tode, aber jetzt, weil wir in Christo sind, in Neuheit des Lebens.

Unsere Einpflanzung in den Tod und die Auferstehung Christi wird noch deutlicher in Vers 5 ausgedrückt: „Denn wenn wir zu der Gleichheit seines Todes mitgepflanzt worden sind, so werden wir es auch freilich zu der seiner Auferstehung s e i n." Wir sind also als Sünder im Fleisch vor Gott be­seitigt, weil wir in den Tod Christi eingepflanzt und mit Ihm begraben worden sind, und stehen jetzt als Mitauferweckte in dem auferstandenen Christus vor Gott. Denselben Gedanken finden wir auch in Kol. 2, 12 ausgedrückt: „Mit ihm begraben in der Taufe; in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt ha t." Ebenso, wie wir gesehen haben, in Kol. 3, 1-3; auch in Eph. 2, 6 lesen wir:

„Und hat uns mitauferweckt." Zugleich zeigen uns alle diese Stellen ganz deutlich, daß das Gestorben- und Auferwecktsein mit Christo nicht das Vorrecht einzel-

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 ner, sondern aller wahren Christen ist. Diese sind alle, ohne Ausnahme ob schwach oder stark, ob jung oder alt, — in dem Christus mitgestorben und mitauferweckt; sie sind in Seinem Tode in ihrer alten natürlichen Stellung vor Gott beseitigt und in Seiner Auferstehung in einer neuen Stel­lung vor Ihm für immer dargestellt. Doch nur durch den Glauben sind wir fähig, diese gesegnete Wahrheit zu ver­stehen und sie in der Kraft des Geistes Gottes zu verwirk­lichen; und nur dann, wenn wir sie wirklich erkennen, sind wir befreit, und sind fähig als Befreite zu wandeln. Es ist aber wohl zu bemerken, daß hier nur von unserer Stel­lung, die wir aus Gnaden in dem auferstandenen Christus empfangen haben, und nicht von dem, was wir in unserem Wandel sind, die Rede ist.

 Unserer Stellung in Christo nach sind wir vollkommen, nicht aber in unserem Wandel. Jene wird auch immer nach dem gemessen, was wir in Christo, und nicht nach dem, was wir in unserem Wandel sind. Es bringt uns also nicht unser Wandel in unsere wahre Stellung vor Gott, sondern allein das Werk Christi. Nie­mand kann sagen: Ich muß gut wandeln, um in eine voll­kommene Stellung vor Gott zu gelangen, sondern: ich muß eine vollkommene Stellung in Christo vor Gott haben, um gut wandeln zu können.

Ferner lesen wir nun in Vers 6: „Dieses wissend, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, so daß wir der Sünde nicht mehr dienen!"—Wie gesegnet ist doch für alle, die in Christo Jesu sind, dieses Wörtchen „mit": mit gekreuzigt, mit gestorben, m i t begraben, m i t auferweckt, mit lebendig gemacht. Wir sind mit Christo völlig zu einer Pflanze geworden, sowohl in Seinem Tode als auch in Seiner Auferstehung. In Betreff des alten Menschen haben wir den Tod, als Sold der Sünde, in Seinem Tode gefunden und sind in Seiner Auferstehung zum Leben erneuert worden; als auferweckt mit Christo haben wir jetzt unsere Stellung vor Gott.

 Wir sind nicht nur durch Sein Blut versöhnt und gerechtfertigt, sondern auch in Seinem Tode getötet und in Seinem Leben lebendig gemacht. Unser Gericht ist in Christo am Kreuze vollendet worden. Dort sind wir in Ihm gerichtet, und ha­ben deshalb kein Gericht mehr zu befürchten. Durch Sein Leben, was wir in Ihm besitzen, sind wir dem kommenden Zorn, der über alle Menschen hereinbrechen wird, für immer entronnen. Also lesen wir Röm. 5, 8: „Gott aber er­weist Seine Liebe gegen uns, indem Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr denn, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt

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 sind, werden wir durch ihn von dem Zorn errettet werden." Das Gericht liegt nicht mehr vor uns, sondern hinter uns. Auf dem Kreuze hat uns in Christo dies Gericht völlig getroffen, und in der Auferstehung Christi sind wir durch Sein Leben frei ausgegangen. Alles was zu fürchten war, liegt hinter uns. Wollen wir unsere wahre Stellung vor Gott erkennen, so finden wir sie allein in dem auferstandenen Christus. Alle, welche in Ihm sind, können jetzt ausrufen: „Hierin ist die Liebe mit uns voll­endet, auf daß wir an dem Tage des Gerichts Freimütigkeit haben, daß wie er ist, auch wir in dieser Welt sind" (1. Joh. 4,17). Und Er, nachdem Er auferstanden ist, kann sagen: Die Schrecken des Kreuzes liegen hinter mir, die Versöhnung ist vollbracht, die Sünden sind getilgt, die Gerechtigkeit ist befriedigt, der Zorn gestillt und alles Ge­richt für immer beendet. Dies ist aber völlig wahr für alle, die in Christo Jesu sind; denn alles, was an Ihm ge­schehen, ist nur in Betreff ihrer geschehen und sie sind jetzt in dem Auferstandenen. Deshalb ist auch für sie kein Fluch, kein Zorn, kein Gericht, keine Verdammnis mehr; alles ist für immer in dem Tode Christi für sie beseitigt. 

0 wie tröstlich und beruhigend ist dies köstliche Bewußt­sein, daß wir in dem Auferstandenen sind, daß wir uns nicht mehr diesseits, sondern jenseits des Kreuzes in Ihm befinden, daß alles, was zu befürchten ist, für immer hinter uns liegt; „und wir wissen, daß Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt—­der Tod herrscht nicht mehr über ihn" (V. 9). Wir haben jetzt für immer unseren gesegneten Platz in dem Auferstandenen gefunden; und wie ruhig und glücklich ist unser Herz, wenn wir diesen gesegneten Platz durch den Glauben erkannt und eingenommen haben! Ist dies aber nicht der Fall, fehlt uns das Verständnis über unsere voll­kommene Stellung in dem auferstandenen Christus, kennen wir uns trotz Seines Werkes noch immer nur als arme und verlorene Sünder, als ohnmächtig und verderbt, so werden wir auch trotz dieses vollgültigen Werkes unruhig und niedergedrückt sein. Viele Gläubige setzen in eine ferne Zukunft, was der Glaube jetzt schon völlig in Christo be­sitzt und genießt; sie wollen durch eigene Anstrengungen erlangen, was wir in Ihm schon erlangt haben, und leider suchen sie oft sogar außer Ihm, was nur i n Ihm allein gefunden werden kann. Wieviele Christen gibt es, die stets mit ihrem alten Menschen vor Gott beschäftigt sind und nach Rettung „von dem Leibe dieses Todes" seufzen. Sie hoffen auf eine Veränderung oder Erneuerung des Leibes dieses Todes, d. i. des Fleisches, obgleich sie selbst genugsam

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 erfahren und oft bekennen, daß die Natur des Fleisches unverändert bleibt. Sie erwarten das, was nimmer geschieht, weil sie das, was in Christo Jesu geschehen ist, nicht er­kennen, daß nämlich der alte Mensch an dem Kreuze und im Tode Christi völlig beseitigt ist, und also vor Gott nicht mehr existiert und in keiner Beziehung mehr zu Ihm steht. Dies lesen wir auch ganz deutlich in Gal. 5, 24: „Die aber, welche dem Christus angehören, haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Lü­sten gekreuzigt." Ebenso Kol. 2, 11: „...in wel­chem, (d. i. in Christo) ihr auch beschnitten seid mit der Beschneidung, nicht mit Händen geschehen, durch die Ausziehung des Lei­bes des Fleisches, durch die Beschneidung des Christus." Ferner 1. Petri 4, l: „Da nun Chri­stus für uns im Fleische gelitten hat, so wappnet auch ihr euch mit demselben Sinn; denn wer im Fleische gelitten hat, ruhet von der Sund e." Wir sehen aus Kap. 3, 18, daß der Ausdruck „gelitten hat" hier nichts anderes bedeutet als „gestor­ben oder getötet sein."

Was ist nun das nächste Resultat unseres Gestorbenseins mit Christo und unserer Auferweckung mit Ihm? Es ist schon bemerkt worden, daß der nächste Zweck dieser Tat­sache ist, um „in Neuheit des Lebens zu wandeln." Unser Dienst ist völlig verändert und darum auch die Frucht die­ses Dienstes. Früher dienten wir der Sünde und brachten dem Tode Frucht, jetzt der Gerechtigkeit, um Gott Frucht zu bringen. Wir lesen in der zuletzt angeführten Stelle 1. Petri 4, l: „Denn wer im Fleische gelitten hat, ruhet von der Sünde", und ebenso in Röm. 6, 6: „... auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, sodaß wir der Sünde nie h t mehr diene n." Als natürliche Menschen haben wir, wie schon gesagt, un­seren Dienst ganz und gar in der Sünde, wir sind völlig ihr unterworfener Sklave.

 Dieser Dienst aber hat für uns, die wir in dem auferstandenen Christus sind, sein Ende gefun­den, weil dort der Leib der Sünde abgetan ist. Wir sind in dem Tode Christi davon befreit worden, und haben deshalb aufgehört, Sklaven der Sünde zu sein. Die Herrschaft der Sünde ist in Seinem Tode für uns gebrochen und vernichtet. Unsere völlige Befreiung von dieser Herrschaft war der Zweck des Werkes Christi. Die Verwirklichung dieser Be­freiung im praktischen Wandel aber ist eine andere Sache. Wir verwirklichen dieses „Ruhen von der Sünde" und die­ses „Leben nach dem wohlgefälligen Willen Gottes" nur durch den Glauben und in der Kraft des Heiligen Geistes.

 Wir besitzen das Leben des auferstandenen Christus; aber wir befinden uns in einem Leibe, der dieser Schöpfung angehört und der uns allen Versuchungen aussetzt; deshalb ist unser Dienen und Wandeln hienieden ein Kampf des Glaubens. Wir müssen diesen Gedanken: „Wer im Fleisch gelitten, d. 1. mit Christo gestorben ist, ruhet von der Sünde", stets als eine Waffe gegen alle Versuchungen gebrauchen. Ähnliches finden wir in der ernsten Ermahnung in Röm. 6, 11 u. f.: „Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu..." Dann aber auch be­merkt der Apostel in V. 14: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen; denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnad e." Unter dem Gesetz sind wir im Fleisch und sind dessen Verderbt­heit und Ohnmacht unterworfen; aber unter der Gnade sind wir in Christo und stehen in der Kraft des Geistes. Das Leben, das wir in dem auferstandenen Christus besitzen, ist der Sünde und ihrem Dienste nicht unterworfen, sondern der Gerechtigkeit, und deshalb lesen wir auch l. Petri 2, 24:

„...auf daß wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben." Ebenso Röm. 6, 18:

Freigemacht aber von der Sünde seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden." — Von V. 20 dieses Kapitels an bis zu Ende wird uns die Frucht des Dienstes der Sünde und des Dienstes der Ge­rechtigkeit vorgestellt, und so traurig und schlecht die Frucht jenes Dienstes ist, so köstlich und gesegnet ist die Frucht dieses Dienstes. Das Ende der ersteren ist „der Tod", aber das Ende der letzteren — „ewiges Leben." — 0 Dank der unaussprechlichen Gnade Gottes, die uns in Christo Jesu von jenem traurigen Dienste befreit und in Ihm uns befähigt hat, Gott zu dienen und Frucht zu tragen!

Das bisher Gesagte, meine Brüder, wird uns schon ge­nügend überzeugen, wie gesegnet es ist, unsere Befreiung in Christo zu kennen und die unermeßliche Tragweite Sei­nes Werkes zu verstehen. Dies allein macht unsere Herzen völlig ruhig und sicher vor Gott; wir sehen jeden Grund zur Furcht für immer beseitigt. Wir sind aber auch nicht eher fähig, über den glücklichen Dienst des Herrn nachzu­denken und darin zu wandeln, bis wir unsere wahre Be­freiung in Christo kennengelernt haben, bis wir alles, was uns bisher hinderte — Gott wohlgefällig zu wandeln — völ­lig hinweggetan sehen, und bis wir erkennen, daß wir in Ihm das Leben und eine Fülle von Kraft besitzen. Solange dieses fehlt, sind wir stets mit uns selbst vor Gott beschäf­tigt und deshalb mit Sorge und Unruhe erfüllt; auch haben

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 wir weder Zeit, noch sind wir fähig, an die Dinge Gottes zu denken. Der Befreite aber sieht und erkennt, daß Gott in Christo alles für ihn vollbracht hat, daß Er jede Furcht gestillt, jedes Hindernis beseitigt und jedes Bedürfnis völlig befriedigt hat. Nichts ist übrig geblieben, was ihn wirklich zu hindern vermöchte, wohlgefällig vor Ihm zu wandeln und in Seinem Dienste voranzugehen; ja selbst alle gegen­wärtigen Sorgen übernimmt Gott Selbst, damit wir unge­stört Ihm allein leben können. Es ist aber ein Leben im Glauben; denn nur der Glaube erkennt und verwirklicht durch die Kraft des Geistes alles das hienieden, was wir in Christo Jesu aus Gnaden besitzen.

Ehe wir diesen Teil unserer Betrachtung „die Befreiung in Christo Jesu" — schließen, wollen wir noch ein wenig bei der köstlichen Belehrung über diesen gesegneten Gegen­stand, die wir in Röm. 8 finden, stehen bleiben. — Schon in dem ersten Vers hören wir die tröstlichen Worte: „So ist denn nun keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind." Weder die Sünden oder Übertretungen, noch die im Fleisch wohnende Sünde können denen, die in Ihm sind, noch irgendwelche Ver­dammnis bereiten. Christus ist für sie gestorben und auf­erstanden, deshalb ist ihr Gericht völlig beendet und ihre Rechtfertigung für immer gesichert. Wir lesen sogar in He­bräer 10, 14: „Denn durch ein Opfer hat er auf immerdar die, welche geheiligt werden, vollkommen gemacht", und in vorliegendem Kap. Röm. 8, 30: „...welche er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht." 

Alles ist schon in Ihm für die Seinen vollendet, sodaß diese zu jeder Zeit und in allen Versuchungen sagen können: Keine Verdammnis mehr! Gott Selbst ist jetzt für uns, wer mag wider uns sein? Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der ver­damme? Nichts ist fähig, uns von der Liebe Gottes zu trennen (V. 31-39). Unsere Stellung ist in dem auferstande­nen Christus, für immer gesichert und eine vollkommen gesegnete. Jede Frage über Sünde und Verdammnis ist in Ihm völlig beseitigt worden. Er kam für unsere Sünden unter die Gewalt des Todes hernieder; Er leistete den An­forderungen und dem Fluch des Gesetze völlig Genüge und ist dann ohne die Sünden in der Kraft eines neuen Lebens auferstanden und vor Gott in eine neue Stellung einge­treten. Und durch Vereinigung mit Ihm sind wir unseren Sünden entrissen und in diese neue Stellung — in das Auf­erstehungsleben mit Christo — versetzt. Er hat sich aber an unserer Statt dem Gericht, welches die Sünde erforderte,

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 unterworfen und ist dann von dem Tode auferstanden. In Ihm sind wir mitgestorben und mitauferweckt und weil wir jetzt durch das Leben Christi leben, so kann keine Ver­dammnis mehr für uns sein. Es hat jetzt mit unserer ganzen Stellung, als im Fleische vor Gott, und mit allem, was damit zusammenhängt, für immer ein Ende. — „So ist denn nun keine Verdammnis." Diese Stelle sagt nicht nur, daß die, welche in Christo Jesu sind, nicht verdammt werden, sondern daß für sie keine Ver­dammnis mehr ist. Eine solche bestimmte und völlige Ver­sicherung hat die Seele nötig; denn je näher bei Gott, desto elender sind wir, wenn sich irgend etwas zwischen der Seele und Gott befindet. Es gibt aber ebensowenig für alle, die in Christo Jesu sind, irgendwelche Verdammnis, als für Christum Selbst. Er ist der Geliebte und Gesegnete Gottes, in welchem Gott Seine Freude und Sein Wohlgefallen hat. In Ihm ist aber unsere eigene Stellung vor Gott dargetan; denn „wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt." Wir sind in völliger Sicherheit und in vollkommenem Frieden in der Gegenwart Gottes, weil wir in Christo Jesu sind. Nichts kann uns beunruhigen; denn wir sind dort, wie Er ist.

 Hier ist keine Frage von Hoffnung mehr, sondern völlige Gewißheit. Ich hoffe nicht, daß meine Sünden getilgt, mein Gericht beendet und ich in eine neue und sichere Stel­lung vor Gott gebracht bin, sondern ich bin völlig ge­wiß darüber; denn dies alles ist allein die Wirkung des Werkes Christi, und dies Werk ist vollbracht. Wäre es auch nur in etwa von meinem Wandel abhängig gemacht, dann könnte ich sicher nicht von einer Gewißheit, ja nicht einmal von einer Hoffnung in dieser Beziehung reden. Der einfache Glaube aber gründet sich allein auf das vollbrachte und ewig gültige Werk Christi, und deshalb sind wir un­serer Errettung völlig gewiß und wir erfreuen uns unserer Stellung in Christo in der Gegenwart Gottes. Und in dieser gesegneten Gegenwart ist keine Verdammnis mehr; hier hat es ein Ende mit dem ganzen Zustande, auf welchen sie anwendbar war; denn sie hat ihre ganze Macht an Jesu ausgeübt.

In diesem 8. Kapitel finden wir, was wir in der letzten Hälfte des 7. Kapitels nicht fanden — Christum und den Heiligen Geist. Wir lesen schon im 2. Vers:

„Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Tode s." — In Röm. 7 finden wir Gefangenschaft, hier Freiheit; dort ist der nach Gewissen und Willen erneuerte Mensch ein Gefangener der Sünde, hier aber haben wir die Befreiung vom Gesetz der

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 Sünde und des Todes. Wir sind durch den zweiten Adam, der das Leben gibt, auferweckt; wir haben an Seiner Auferste­hung Teil und sind deshalb auch in Ihm jeglicher Verdamm­nis entgangen. Durch Christum versöhnt und befreit von der Sünde sind wir in das Leben eingetreten. — Es ist nun wahr, daß wir erst dann in Wahrheit unsere Zuflucht zu Jesu genommen und Ihn im Glauben ergriffen haben, als wir im Gefühl unserer Verdammungswürdigkeit und unserer gänzlichen Hilflosigkeit dastanden, und Gott kann auch erst dann als ein Gott der Kraft mit uns handeln, wenn das Gewissen rein ist. Er wird uns nicht eher Kraft besitzen lassen, bis wir uns der Verdammnis unterworfen haben und uns in dem auferstandenen Christus befinden. In Ihm finden wir lebendige Kraft, die uns von dem Gesetz der Sünde und des Todes freimacht. In Verbindung mit Christo haben wir das Leben und besitzen die Kraft.

Im 3. Vers des vorliegenden Kapitels sehen wir, daß das, was das Gesetz nicht tun konnte, Gott getan hat. „Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und (als Opfer) für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische ver­urteilte." — Die Unmöglichkeit von Seiten des Gesetzes liegt in der Kraftlosigkeit des Fleisches, und nicht im Ge­setz selbst. Es verspricht das Leben denen, die es halten, und weil es niemand hält, so gibt es auch das Leben nie. Christus allein gibt das Leben. Wenn das Gesetz an dem Fleische wirkt, so wird es dasselbe nur vernichten; aber nie bewirkt es die Gabe der Gerechtigkeit.

 In diesem Vers sehen wir ganz deutlich, was mit der Sünde im Fleisch, wodurch die unbefreite Seele stets beunruhigt wird, ge­schehen ist. Gott sandte Seinen Sohn in Gleich­heit des Fleisches der Sünde und als Opfer für die Sünde und verurteilte die Sünde im Fleisch. Auf diese Weise ist sie gerichtet und hinweg­getan. Gott hat es in dem Opfer Christi für uns vollbracht. Das ganze Gericht ist an Christo vollzogen worden. Die Sünde im Fleisch, die uns nur mit Angst und Schrecken er­füllen könnte, ist außer uns in Christo ganz und gar be­seitigt worden. Christus starb nicht nur für die Sünden, sondern auch für die Sünde. Wir haben in Ihm eine wirkliche und vollkommene Erlösung. Wenn Gott unsere Befreiung bewerkstelligt, so tut Er es vollkommen. Er be­freit uns nicht von unseren Sünden und läßt uns unter der Sünde, damit unser Gewissen sich vergeblich darin zerarbeite.

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 Es handelt sich. hier nicht um Vergebung, sondern um Befreiung, um in Freiheit vor Gott zu stehen. Der aufrichtige Gläubige bedarf Kraft über die Sünde, mit welcher er jeden Tag im Kampf steht. Ebenso bedarf er eines wirklich befreiten Gewissens in der Gegenwart Gottes; denn anders, wenn auch die vergangenen Sünden hinweggetan sind, würde die Sünde in seinen Gliedern als ein Gesetz, wodurch er der Sünde Knecht ist, wirksam sein. Zwar weiß und fühlt er, daß die Wurzel derselben noch vorhanden ist; aber Wurzel und Zweig sind durch Gottes Sendung Seines Sohnes gerichtet. Gott Selbst hat daran gedacht, — Er sandte Seinen eigenen Sohn. Welch eine Liebe! Er hat in Ihm nach Seiner Gnade und nach Seinem Vorsatz das Werk der Befreiung völlig für uns vollbracht.

In Vers 4 ist von unserem Wandel die Rede. „Auf daß das Recht des Gesetzes in uns, die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln, erfüllt würde." — Das Recht des Gesetzes wird in uns erfüllt. Früher wandte sich das Gesetz an unser Fleisch, dessen Lüste die Erfüllung desselben verweigern und sich sogar gegen seine Autorität auflehnen; jetzt aber ist ein neues Leben in Kraft vorhanden. Dieses unterscheidet die Lüste des Fleisches und bringt sie ans Licht; es bewirkt auch, daß ich nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandle. Das Fleisch ist unverändert vorhanden, und deshalb bin ich ermahnt, nicht nach demselben zu wandeln. Dies Vorhandensein des Fleisches entschuldigt uns nicht, wenn wir nach demselben wandeln, weil der Geist Christi in uns ist.

 Das Fleisch muß durch den Geist gerichtet und niedergehalten werden. Bei einem jeden Christen ist das Fleisch noch unverändert da, und dennoch ist er nicht im Fleisch. Dies Vorhandensein des Fleisches verunrei­nigt weder unser Gewissen, noch verhindert es unsere Ge­meinschaft mit Gott. Wenn wir aber in irgend einer Weise dem Fleische zu handeln erlauben, dann wird das Gewissen verunreinigt und die Gemeinschaft mit Gott ist unter­brochen. Und ist dies geschehen, so ist es nötig, daß wir unsere Sünden bekennen, auf daß wir Vergebung finden und wieder gereinigt werden.

Die vier folgenden Verse stellen uns vornehmlich den Zustand und die Stellung des natürlichen und des geistli­chen Menschen oder des Christen dar. Der natürliche Mensch ist „nach dem Fleische", der geistliche „nach dem Geist e." Jeder hat seinen Sinn auf Ge­genstände gerichtet, die seinem besonderen Wesen oder sei­ner Natur entsprechend sind. Der eine richtet seinen Sinn

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 nach dem, was des Fleisches und der andere nach dem, was des Geistes ist. »Die Gesinnung des Fleisches aber ist der To d." Der fleischliche Sinn ist ohne alle wahre Frucht und liegt unter dem Tode des alten Adams. Der Tod tritt ein, um diesen Zustand zu versiegeln. D i e Gesinnung des Geistes aber ist Leben und Frieden. Sie ist in völliger Übereinstimmung mit Gott, während die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist und sich Seinem Gesetz nicht unterwirft.

Im 9. Vers wird von uns, d. 1. von allen, die in Christo Jesu sind, ausdrücklich gesagt, daß wir unsere Stellung vor Gott nicht in dem Fleische haben — nicht in dem ersten Adam, nicht in seiner Natur und seinem Willen. „Ihr aber seid nicht in dem Fleische, son­dern in dem Geiste, wenn anders der Geist Gottes in euch wohnt" (V. 9). Wir werden vor Gott als lebend in dem Geiste betrachtet, obgleich das Fleisch und dessen Lüste vorhanden sind. Die Lebensmacht Gottes hat den neuen Menschen in Christo bereitet und wirkt in Ihm. Wir besitzen das Leben des auferstandenen Christus, und in diesem Leben haben wir unsere Stellung vor Gott, obgleich das Fleisch suchen wird, uns zu leiten. Wandeln wir in der Kraft des Geistes, so werden wir die Lüste des Fleisches nicht vollbringen.

Wir sehen also, daß Gott nicht allein für uns wirkt, sondern auch in uns. Er bringt nicht nur eine neue Natur hervor, sondern Er wohnt und wirkt auch darin. Außer der neuen Natur haben wir auch Kraft nötig. Haben wir nur eine neue Natur, so wünschen wir das Gute zu vollbringen, aber es fehlt uns die Kraft dazu, wie wir in Röm. 7 gesehen haben. Wenn aber der Geist Gottes in uns wohnt, so haben wir nicht nur neue Wünsche und Neigungen sondern auch die lebendige Kraft, um sie zu erfüllen. Deshalb heißt es auch nicht: „Ihr seid nicht in dem Fleische, sondern in dem Geiste", wenn ihr aus dem Geist geboren seid, — obgleich dies wahr ist — sondern: „...wenn anders der Geist Gottes in euch wohnet." Gott Selbst ist es, der in Kraft, als Geist Gottes, in uns wirkt.

Wir sehen ferner in Vers 10 und 11, daß auch der Leib nicht vergessen ist. Er hat ebenfalls Teil an der völligen Auferstehungskraft. Der Leib ist jetzt zwar tot der Sünde wegen, aber er wird auferweckt, wegen des in uns wohnen­den Geistes. Er wird den Leib nicht lassen, bis Er ihn dem verherrlichten Leibe Christi gleichgestaltet hat. Am Ende haben wir einen Leib, der dem Leben, welches wir durch den Geist haben, gleichförmig ist.

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 Es ist bemerkenswert, daß das Wort Gottes vom Heiligen Geiste, als unserem Leben, spricht, und auch als ge­trennt von diesem Leben und wirksam in demselben. Er ist beides: Natur und Kraft. Die neue Natur ist uns gegeben und der Heilige Geist wohnt in uns. Er ist stets in unseren Herzen wirksam; denn wir lesen Vers 27: „Der Geist selbst bittet für uns in nicht auszu­sprechenden Seufzern." Ich mag selbst mein Seuf­zen nicht verstehen, aber eins weiß ich, daß der Geist es ist, der es in mir tut. Ich mag keine Einsicht haben, um zu wissen, was die rechte Antwort darauf ist; aber Gott findet dies Wirken des Heiligen Geistes im Mitgefühl für das, was um mich her ist, gottgemäß. „Der aber, welcher die Herzen erforscht, weiß, was der Sinn des Geistes ist." Der Heilige Geist wirkt in uns, und zwar in Verbindung mit diesem Leben.

Der Heilige Geist ist nicht nur eine Quelle des Lebens in uns, sondern Er wirkt auf dieses Leben und wirkt in dem­selben. Er leitet und führt uns als Christen; Er leitet aber nicht das Fleisch, sondern den neuen Menschen.

Wir können gläubig sein, ohne den Geist zu haben, wie wir Eph. 1. 13 sehen: „nachdem ihr in ihm gläu­big geworden, seid ihr mit dem Heiligen Geist der Verheißung versiegelt worden" (vergl. Apg. 8, 15. 16. Kap. 19, 2. 3). Wir dürfen aber nicht vergessen, daß der Heilige Geist uns wirklich gegeben ist, nachdem wir gläubig geworden sind, um in uns zu wohnen. „Weil ihr aber Söhne seid, so sandte Gott den Geist seines Sohnes aus in unsere Herzen, welcher Abba, Vater! ruft" (Gal. 4, 6). Die Inwohnung des Heiligen Geistes und Seine be­lebende Kraft sind aber zwei verschiedene Dinge. Ersteres konnte nicht eher stattfinden, bis Christus verherr­licht war. Jetzt sind wir ein Tempel des Heiligen Geistes, Welcher in uns ist und Welchen wir von Gott haben. Jesus ging hinweg und der neue Sachwalter kam hernieder. Er ist bleibend, und ist nicht allein mit uns, wie es Chri­stus war, sondern auch i n uns. Er vergegenwärtigt uns die Dinge Christi und gibt uns auch die Fähigkeit, sie zu er­fassen. Ebenso sind wir durch Ihn fähig, diese Dinge zu genießen und in der Kraft derselben zu wandeln.

Es ist eine köstliche und gesegnete Wahrheit, daß wir den Heiligen Geist als eine inwohnende Kraft be­sitzen. Wir haben das Leben und den Heiligen Geist, der zugleich die Kraft dieses Lebens ist. Die Wirkung der per­sönlichen Gegenwart und Inwohnung des Heiligen Geistes finden wir selbst in den Aposteln, wenn wir sie vor und

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 nach dem Pfingsttage beobachten, augenscheinlich offenbart. Betrachten wir z. B. den Petrus. Er verleugnete vorher den Herrn auf die traurigste Weise und nachher bekannte er Ihn mit aller Freimütigkeit vor dem hohen Rate. Es war nicht die Freimütigkeit des Fleisches, sondern die Frucht der Gegenwart des Heiligen Geistes. Dieser war es, der in ihnen diese geistige Energie und Kraft wirkte, sodaß das Gewissen in der vollkommenen Freiheit vor Gott sein konnte und die Menschenfurcht verschwand.

Christus sandte den Heiligen Geist vom Vater, und Er ist in uns als Geist der Kindschaft, durch welchen wir „Abba, Vater!" rufen. Durch Ihn sind wir gemäß der Stel­lung Christi in die Gegenwart des Vaters und in direkte Gemeinschaft mit der Herrlichkeit gebracht (V. 14-17). Dies verleiht unserem Wandel seinen wahren Charakter. — Der Geist Gottes ist es, der uns auf dem Wege leitet und unsere Herzen mit Christo beschäftigt. Er richtet unser Auge rück­wärts und lehrt uns die Herrlichkeit des Kreuzes. Wir ha­ben dessen errettende Kraft kennengelernt, und können es jetzt im vollen Frieden anschauen, weil wir uns auf dem­selben an der Seite Gottes wissen.

 Gott und die Sünde sind einander auf dem Kreuze in der Person Christi begegnet; und welch eine Freude für uns, zu wissen, daß hier in dem tiefsten Leiden für unsere Errettung Beide, Gott und Chri­stus, auf das völligste verherrlicht sind! Christus erduldete im Gehorsam gegen den Willen Seines Vaters alle diese Qualen für meine Sünden, und es gab keinen Augenblick, wo nicht des Vaters Blick mit Wohlgefallen auf Ihm ruhen konnte. Sehe ich, was ich in Christo bin, und sehe ich, daß sowohl Christus als auch der Vater in Betreff meiner völlig befriedigt und verherrlicht sind, dann wird das Herz von dem Gefühl Seiner Liebe durchdrungen und niedergebeugt. Ich sehe, daß ich die Frucht der Arbeit der Seele Christi bin. Auf Ihm ruht der Strahl der Liebe Gottes, und ich bin in Ihm. „An jenem Tage — wenn ihr den Heiligen Geist empfangen habt — werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in m i r und ich in e u c h." Wir sind schon völlig eins mit Ihm, und es fehlt uns nichts weiter, als völlig bei Ihm zu sein. Deshalb erinnert uns auch der Heilige Geist stets an diese Worte:

„Also werden wir allezeit bei dem Herrn sei n." — Der Heilige Geist führt uns zu Christo und unter­hält uns auf dem ganzen Wege von Ihm. Das Kreuz ist der Anfang oder der Ausgangspunkt auf der Reise; es trennt uns von der Welt und ihrem Wesen. Wir werden auf dem Wege zwar vielen Versuchungen ausgesetzt sein; allein wir werden glücklich hindurchgehen, wenn die Gefühle und

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 Neigungen unserer Herzen allein auf Christum gerichtet sind. — Es ist aber traurig, wenn wir die Wüste zum Gegenstande unserer Herzen machen, wie Israel tat. Wir werden sicher in unseren Seelen ermatten, sobald wir nach dem Irdischen trachten. Dies tat der Apostel Paulus nicht, denn er sagte: „Eins aber tue ich: Das, was hin­ter mir liegt, vergessend, und nach dem, was vor mir liegt, mich ausstreckend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschau­end, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu" (Phil. 3, 14).

Es ist überaus köstlich, durch den Geist die unermeß­liche Fülle, die wir in Christo besitzen, und den wahren Charakter unseres Verhältnisses zu Gott zu kennen. Er hat alle meine Sünden getilgt; Er hat mich geliebt und mich zu Seinem Kinde gemacht. Dies ist jetzt das Verhältnis, in welchem ich zu Ihm stehe. Hinfort kenne ich Ihn nur als meinen geliebten Vater, und mich als Sein gesegnetes Kind. Ich bin aber auch ein Erbe, ein Erbe Gottes und Miterbe Christi Jesu. Dies ist meine Freude und meine Hoffnung durch den Geist. Ich gehe zwar durch eine Welt, wo viel Kummer ist und wo die Sünde wohnt, und finde deshalb, wenn ich durch den Geist Gottes geleitet werde, Trübsal darin, weil auch Christus als ein Leidender hindurchging; aber es ist der Pfad zu Jesu und Seiner Herrlichkeit. 

Ich weiß aber auch dies eine, „daß für die, welche Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken müssen" (V. 29). Gott ist nicht allein i n uns wirkend durch den Heiligen Geist, sondern ist auch allezeit für uns. Er hat uns zuvor erkannt, zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, und hat uns berufen, gerechtfertigt und verherrlicht. Dies ist der Ratschluß Gottes, der schon in Christo für uns vollendet ist. Es fehlt nichts mehr; wir besitzen alles in Ihm, in der Kraft des Heiligen Geistes. Niemand kann jetzt noch wider die Auserwählten Gottes Anklage erheben, denn Gott ist für uns; niemand kann uns verdammen, denn Gott recht­fertigt uns, und niemand kann uns von seiner Liebe trennen, denn Christus ist es, der für uns gestorben, ja noch mehr, der auch auf­erweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet (V. 29-39).

Hiermit will ich die Betrachtung dieses Teiles, die Be­freiung in Christo Jesu, schließen. Ich bekenne gern, daß dieser gesegnete Gegenstand durch die vorlie­gende Betrachtung bei weitem nicht erschöpft ist; doch ich

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 hoffe, daß es schon genug sein wird, um uns erkennen zu lassen, wie sicher und erhaben unsere Stellung und wie un­ermeßlich unsere Segnungen sind, die wir in Christo Jesu aus Gnaden empfangen haben. Ebenso sehr hoffe ich, daß jeder vom Geiste Gottes geleitete Leser aus dem bisher Ge­sagten verstanden haben wird, worin die wahre Be­freiung eines Christen besteht. Er wird überzeugt wor­den sein, daß wir in Christo mehr empfangen haben, als sagen zu können: „Das Gute, was ich will, tue ich nicht"; er wird überzeugt sein, daß am Kreuze durch das Opfer Seiner Selbst nicht nur unsere Sünden getilgt, son­dern, daß auch der Leib der Sünde in Seinem Tode hinweg­getan ist, auf daß wir nicht mehr der Sünde dienen, son­dern daß wir in einem neuen Leben, in dem Leben des auf­erstandenen Christus, für immer unsere gesegnete Stellung und unseren Dienst vor Gott haben. 

Wir sind versöhnt und sind auch befreit; wir haben in Ihm das Leben und haben auch, wenn anders der Geist Gottes in uns ist, die Kraft, um nach der Natur dieses Lebens zu wandeln. Und endlich werden wir verstehen, daß Gott nur dadurch verherrlicht werden kann, daß wir der Stellung und dem Verhältnis, worin wir in Christo Jesu gebracht sind, auch allezeit ent­sprechen, wenn wir durch unser ganzes Betragen im Wort und Wandel Seine Tugenden verkündigen. Hierzu sind wir hienieden berufen und in Christo Jesu zubereitet, und hierzu haben wir auch den Geist empfangen.

Der Gott aller Gnade aber gebe uns immer mehr er­leuchtete Augen, um unsere wahre Befreiung in Christo Jesu völlig zu erkennen und durch die Kraft des Heiligen Geistes zu verwirklichen.

III. Die zweite Ankunft des Herrn

Wenn es in allen Punkten, die unseren allerheiligsten Glauben betreffen, von der größten Wichtigkeit ist, „daß unser Glaube nicht in Weisheit der Menschen, sondern in der Kraft Gottes sei", so ist dies, besonders in unseren Ta­gen, um so mehr in Bezug auf die köstliche Wahrheit, die wir jetzt betrachten wollen, der Fall, weil das Zeugnis Got­tes durch die Lehre und durch das System der Menschen so sehr verdunkelt, vernachlässigt und verleugnet worden ist.

Wir werden auch deshalb in dieser Betrachtung das Wort Gottes für sich selbst reden lassen, viele der darauf bezüg­lichen Stellen wörtlich anführen und nur hier und da ein erklärendes Wort hinzufügen, um Einwürfen zu begegnen,

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 oder um die Verbindung und die Beziehung der Stellen zu­einander zu zeigen. Dies aber tun wir nicht nur deshalb, um die Belehrung auf eine göttliche Grundlage zu bauen, der nicht widersprochen werden kann, und um, insoweit uns Gott dazu befähigt, alle Schwierigkeiten zu beseitigen, und das Verständnis zu erleichtern oder sie dem Verstande klar und faßlich darzustellen, sondern um ihr in dem Her­zen und Gewissen der Gläubigen einen Platz zu ver­schaffen, den jede von Gott geoffenbarte Wahrheit bei dem Menschen beansprucht, und auch bei dem hält, der „vor dem Worte Gottes zittert" und dem es „süßer ist, wie Honig und Honigseim."

Laßt uns denn, meine geliebten Brüder in Christo, über diese göttliche Offenbarung in Betreff der gesegneten und herrlichen Ankunft Christi mit Andacht und Gebet nach­denken und alle vorgefaßten Meinungen und menschlichen Lehren darüber beiseite setzen, und laßt uns, gleich den edlen Männern zu Beröa, „das Wort mit aller Bereitwillig­keit aufnehmen und täglich die Schrift untersuchen, ob dies sich alles also verhält" (Apg. 17, 11). Und wenn wir alles im Worte bestätigt finden, so laßt uns bei dieser köstlichen Wahrheit nicht stehen bleiben, als einer bloßen Lehre für den Verstand, und nicht damit umgehen, wie mit einer gei­stigen Spekulation, oder sie nur zugeben, als einen ortho­doxen Punkt eines toten Glaubens — nein, laßt uns ihr völlig den Platz einräumen, den die Schrift ihr in dem Herzen und Gewissen gibt.

 Die darin ausgedrückte Hoff­nung möge uns reinigen, gleichwie auch Er rein ist, wie auch das Wort selbst sagt: „Jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist." Sie möge völlig für unser Herz das sein, was die Erwartung des Bräutigams für die Braut ist (Offb. 22, 17-20). — Das, was die Rückkehr des geliebten Abwesenden ist, ist sie für die­jenigen, welchen Er ein und alles ist (Joh. 14, 1-3). — Er ist es, „der uns geliebt und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen hat",— Ihn erwarten wir—nach Ihm, dem ewigen "Geliebten unserer Seele, sehnen wir uns. Und sicherlich sollte eine solche Erwartung uns in heiliger Hin­gebung des Herzens von dem Wesen und dem Geiste dieses gegenwärtigen bösen Zeitlaufes, ja von allem, was dem Geiste des Herrn zuwider ist, trennen, und in unserem Her­zen den innigen Wunsch erwecken, immer mehr und mehr in Sein Bild verklärt zu werden und in Seinem Dienste be­schäftigt zu sein „bis er kommt".

Es ist sicher wahr, was jemand gesagt hat: „Die Men­schen können die Lehre von dem Kommen des Herrn an­nehmen und dennoch mit großer Begierde die weltlichen

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 Dinge ergreifen"; aber der aufrichtige Diener Gottes—„der von den Götzenbildern zu Gott bekehrt ist, um dem leben­digen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten" — wird immer sein Auge ruhig auf des Herrn Rückkehr gerichtet haben, indem er sich Seines gesegneten Wortes erinnert: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid" (Joh. 14, 3). —

Möchte dies auch die Frucht unserer gegenwärtigen Be­trachtung dieser köstlichen Wahrheit sein, und möchten wir uns mit einem solchen Wunsch und in einem solchen Geiste dem Studium der in Gottes Wort darüber enthaltenen Schriftstellen hingeben, auf daß die, welche säen und die, welche ernten, sich zusammen freuen mögen!

Indem wir nun zur Betrachtung der verschiedenen Sei­ten des vorliegenden Gegenstandes übergehen, wollen wir folgendes zu beweisen suchen:

l. Das zweite Kommen des Herrn ist ein wirk­liches, persönliches Kommen.

Wir hoffen, ja wir halten uns überzeugt, daß die folgen­den Zeilen bei jeder aufrichtigen Seele nicht mehr den ge­ringsten Zweifel in Betreff dieser Hauptwahr­heit zurücklassen werden. Wenn aber diese Lehre auf der sicheren Grundlage des Wortes Gottes steht, dann, meine geliebten Brüder, laßt es uns ernstlich beherzigen, daß wir genötigt sind, unser Gewissen derselben zu unterwerfen, welche Schwierigkeiten auch im einzelnen den Verstand in Verlegenheit bringen mögen.

Apg. 1, 11: „Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr, hinauf gen Himmel blickend? Dieser Jesus, der von euch in den Himmel aufgenommen ist, wird also kommen, wie ihr ihn" gen Himmel habt auffahren sehen."

Diese wahren und lebendigen Aussprüche Gottes sollten schon völlig hinreichend sein, alle Zweifel für jede gläubige Seele zu beseitigen. Als die Jünger ihre Augen auf den ge­segneten Herrn, in Welchem alle ihre Hoffnungen vereinigt; waren, und Der jetzt auf der gen Himmel fahrenden Wolke immer weiter und weiter von ihnen entfernt wurde, gerich 

 tet hielten, da wären Ihm gerne ihre staunenden Blicke und ihre traurigen Herzen gefolgt; allein sie konnten nicht, der schwache, irdische Leib fesselte sie an diese Erde. Doch ein Botschafter wird vom Himmel gesandt, und zwar mit der gesegneten Versicherung, daß dieser selbe Jesus, mit dem sie drei und ein halbes Jahr auf Erden gewandelt hatten, und Dessen Entfernung sie jetzt betrauerten, so wieder kom­men werde, wie Er von ihnen hinweggenommen worden sei.

In einer Wolke ist Er empor gefahren und in einer Wolke soll Er auch zurückkommen, wie es auch die folgen­den Schriftstellen genügend bestätigen. Wir fordern aber einen jeden auf, der noch an Seinem wirklichen, persönli­chen Wiederkommen zweifelt, sich eine Sprache vorzustellen, die diese Wiederkunft einfacher und unbestreitbarer lehren könnte, wie es die soeben angeführten Aussprüche Gottes tun. Möge Gott jedem Herzen, welches dieselben in Erwä­gung zieht. Seine göttliche Gnade und Macht verleihen!

Matth. 24, 30: „Und dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen in dem Himmel erscheinen; und dann werden alle Stämme des Landes wehklagen, und sie werden den Sohn des Menschen sehen, kommend auf den Wolken des Himmels mit Macht und vieler Herrlichkeit" (vergl. Matth. 25, 31. 26, 64; Mark. 13, 26. 14, 62; Luk. 21, 27).

1. Thess. 4, 16: „Denn der Herr selbst wird mit ge­bietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen."

2. Thess. 1. 7-10. „Und euch, die ihr bedrängt werdet, — Ruhe mit uns bei der Offenbarung des Herrn Jesu vom Himmel, mit den Engeln seiner Macht, in einer Feuerflamme, um denen Vergeltung zu geben, die Gott nicht kennen, und denen, die nicht dem Evangelium unseres Herrn Jesu Christi gehorchen; welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben von dem Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke." —

Offenb. 1. 7. „Siehe! Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn schauen, auch die, welche ihn gestochen haben; und alle Stämme des Landes werden seinetwegen wehklagen. Ja, Amen!"

Sach. 14, 4. 5. „Und seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberge, der vor Jerusalem liegt gegen Morgen... da wird dann kommen der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir."

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 2. Das Kommen des Herrn wird vor dem tausend­jährigen Reiche stattfinden.

Betrachten wir zunächst Röm. 8, 19-23 in Verbindung mit 1. Joh. 3, 1. 2.

Röm. 8, 19-23. „Denn das sehnsüchtige Harren der Krea­tur wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen (nicht mit Willen, sondern um dessentwillen, der sie unter­worfen hat) auf Hoffnung, daß auch selbst die Kreatur von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes freigemacht werden wird. Denn wir wissen, daß die ganze Kreatur zusammen seufzt, und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Und nicht allein sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwar­tend die Kindschaft — die Erlösung unseres Leibes." — Diese Stelle sagt deutlich, daß es im Seufzen der Schöpfung keine Linderung geben wird, bis die Söhne Gottes offenbart sind.

l. Joh. 3, 1. 2. „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater gegeben, daß wir Gottes Kinder heißen sollen. Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Geliebte! Jetzt sind wir Gottes Kinder und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn er offenbart ist, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist."

Kol. 3, 4. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herr­lichkeit geoffenbart werden." — Diese Schrift­stellen zeigen, daß die Söhne Gottes dann offenbart wer­den, wenn der Herr erscheint. Es kann also auch das Seuf­zen der Schöpfung kein Aufhören haben, bis der Herr er­scheint, und es wird also auch bis dahin keine Zeit des tausendjährigen Segens geben.

Offenb. 19, 20 — Kap. 20, 1-6. „Und es ward das wilde Tier ergriffen, und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor' ihm getan, durch welche er d i e ver­führte, welche das Malzeichen des wilden Tieres angenom­men und die, welche sein Bild angebetet hatten; lebendig wurden die zwei in den See des Feuers geworfen, welcher mit Schwefel brennt.... Und ich sah einen Engel aus dem Himmel hernieder steigen, welcher den Schlüssel des Ab­grundes und eine große Kette in seiner Hand hatte. — Und

 er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teu­fel und Satan, und band ihn tausend Jahre, und warf ihn in den Abgrund und verschloß denselben und versiegelte über ihm, auf daß er nicht mehr die Nationen verführte, bis die tausend Jahre vollendet würden; und darnach muß er eine kurze Zeit gelöst werden. Und ich sah Throne, und sie saßen darauf und es ward ihnen Gericht gegeben; und die Seelen, welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und diejenigen, die das wilde Tier nicht angebetet, noch sein Bild und das Mal­zeichen auf ihre Stirn und auf ihre Hand angenommen hatten, und sie lebten und herrschten mit dem Christus die tausend Jahre. Die Übrigen der Toten aber wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet sind." — Dieser Abschnitt der Offenbarung sagt uns deutlich, daß der Anti­christ beim Beginn des tausendjährigen Reiches zerstört werden wird- —

2. Thess. 2, 8. „Und dann wird der Gesetzlose offenbart werden, welchen der Herr Jesus mit dem Hauch seines Mundes verzehren und durch die Erscheinung seiner Ankunft vernichten wird." —

Jes. 11, 4. „Er wird mit der Gerechtigkeit richten die Armen, und gerades Urteil fällen den Elenden im Lande; und wird mit dem Stabe seines Mundes die Erde schlagen, und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten." — Diese Aussprüche beweisen, daß der Antichrist beim Kom­men des Herrn zerstört werden soll: der Herr kommt also beim Beginn des tausendjährigen Reiches.

l. Kor. 15, 23-28. „Jeglicher aber in seiner eigenen Ord­nung. Christus — Erstling. Danach die, welche des Chri­stus sind bei seiner Ankunft. Dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater überliefert, wenn er alles Für­stentum und alle Gewalt und Macht weggetan haben wird. Denn er muß herrschen, bis daß er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod. Denn e r hat alles seinen Füßen untergeordnet" (PS. 8, 7). Wenn Er aber sagt, daß alles untergeordnet ist, so ist es klar, daß es mit Ausnahme dessen ist, welcher Ihm alles untergeordnet hat. — Diese Worte stellen also das Reich Christi zwischen die erste Auferstehung und das Ende. —

Offenb. 20, 4-14. „Und ich sah Throne, und sie saßen darauf, und es ward ihnen Gericht gegeben; und die Seelen welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und diejenigen, die das wilde Tier nicht angebetet, noch sein Bild und das Malzeichen auf ihre Stirn und auf ihre Hand angenommen hatten, und sie

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 lebten und herrschten mit dem Christus die tausend Jahre. Die Übrigen der Toten aber wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet sind. Dies ist die erste Auferste­hung. Glückselig und heilig, wer an der ersten Auferstehung Teil hat; über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, son­dern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und tausend Jahre mit ihm herrschen. Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefäng­nis losgelassen werden. Und er wird ausgehen, die Natio­nen, die an den vier Enden der Erde sind, zu verführen, den Gog und den Magog, sie zum Kriege zu versammeln, deren Zahl wie der Sand des Meeres ist. Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umzingelten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt, und Feuer kam von Gott aus dem Himmel herab und verschlang sie. Und der Teufel, der sie verrührte, ward in den See des Feuers und Schwe­fels geworfen, wo beide, das wilde Tier und der falsche Prophet sind.

Und sie werden Tag und Nacht gepeinigt werden in die Zeitalter der Zeitalter. Und ich sah einen großen, weißen Thron, und den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel; und keine Stätte ward für sie gefunden. Und ich sah die Toten, Ge­ringe und Große, vor dem Throne stehen; und Bücher wur­den aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, wel­ches das des Lebens ist. Und die Toten wurden aus dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken gerichtet. Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren: und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. Und der Tod und der Hades wurden in den See des Feuers geworfen. Dies ist der zweite Tod, — der See des Feuers." —

Dieser Abschnitt teilt uns also mit, daß Christus vor der Auferstehung; der gottlosen Toten, dem Gericht des gro­ßen, weißen Thrones und dem Erscheinen des neuen Him­mels und der neuen Erde tausend Jahre regieren soll.

Sach. 14; Jes. 11 sowie Kap. 60-65 und eine große Menge alttestamentlicher Schriftstellen  sprechen von der Regierung des Herrn über die Erde während der Zeit der tausendjährigen Glückseligkeit.

Sach. 12, 9-14. „Und zu der Zeit werde ich gedenken, zu vertilgen alle Heiden, die wider Jerusalem gezogen sind. Aber über das Haus David, und über die Einwohner Jeru­salems, will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets; und sie werden auf mich schauen, welchen sie zer­stochen haben; und werden über ihn klagen, wie man klagt

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 über ein 'einziges Kind; und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübet um einen Erstgeborenen. Zu der Zeit wird große Klage sein zu Jerusalem, wie die Klage bei Haddad-Rimmon im Felde Megiddo. Und das Land wird klagen, ein jegliches Geschlecht besonders: das Geschlecht des Hauses David besonders, und ihre Weiber besonders; das Geschlecht des Hauses Nathan besonders, und ihre Weiber besonders; das Geschlecht des Hauses Levi beson­ders, und ihre Weiber besonders; das Geschlecht des Hauses Simei besonders, und ihre Weiber besonders. Also alle üb­rigen Geschlechter, ein jegliches besonders, und ihre Weiber auch besonders." — Diese und viele andere Stellen bewei­sen, daß die Bekehrung Israels durch das persönliche Kom­men des Herrn ausgeführt wird.

 Vergleiche dieselben mit Röm. 11, 12-15: „Wenn aber ihr Fall der Reichtum der Welt ist, und ihre Verminderung der Reichtum der Nationen, wieviel mehr ihre Fülle! Denn euch aus den Nationen sage ich: Da ich nun der Nationen Apostel bin, ehre ich meinen Dienst; ob ich auf irgendeine Weise mein Fleisch zur Eifer­sucht reize, und etliche aus ihnen errette. Denn wenn ihre Verstoßung die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre An­nahme anders sein, als Leben aus den Toten." — Diese und viele Zeugnisse der Schrift lehren uns, daß die Segnung der Welt mit der Segnung der Juden verbunden ist, und diese wiederhergestellt sein müssen, ehe die allgemeine Segnung kommen kann.

Matth. 13 und mehrere andere Gleichnisse beweisen, daß der jetzige, gemischte Zustand bis zum Kommen des Men­schensohnes bleiben wird. Der Herr muß also kommen, be­vor Weissagungen, wie die folgenden, erfüllt werden können.

Jes. 11, 9: „Man wird nicht schaden noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn die Erde ist voll Er­kenntnis des Herrn wie Wasser das Meer bedeckt" (siehe Hab. 2, 14).

4. Mos. 14, 21. „Aber so wahr ich lebe, soll alle Welt der Herrlichkeit des Herrn voll werden." Der Zustand der Welt wird bei Seinem Kommen sein, wie wir in Matth. 24, 37 lesen: „Aber gleich wie die Tage Noahs, also wird auch die Ankunft des Sohnes des Menschen sein."

Lukas 17, 26-30. „Und gleichwie es in den Tagen Noahs geschah, also wird es auch in den Tagen des Sohnes des Menschen sein: sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie wur­den verheiratet, bis zu dem Tage, wo Noah in die Arche hineinging und die Sündflut kam und alle umbrachte. Des­gleichen auch, wie es in den Tagen Lots geschah; sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten. An demselben Tage aber, wo Lot aus Sodom her-

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 ausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um."— Diese und viele andere Aussprüche beweisen unwidersprechlich, daß die Ankunft des Herrn nicht am Ende, sondern vor dem Beginn einer Zeit der all­gemeinen Glückseligkeit stattfinden wird.

3. Der Unterschied zwischen dem Kommen des Herrn für Seine Heiligen, um sie zu Sich zu nehmen, und Sein Kommen m i t ihnen, um das Gericht zu vollziehen.

Es ist oft gedacht und behauptet worden, daß noch ein zweimaliges Kommen des Herrn zu erwarten sei; allein im Worte Gottes sehen wir deutlich, daß es nur zwei Zeit­abschnitte in ein und demselben gesegneten Ereignis gibt.

Es ist klar, daß die Heiligen, wenn sie bei Seiner Er­scheinung zur Vollziehung des Gerichts mit Ihm vom Him­mel kommen, dann erst im Himmel um Ihn versammelt sein müssen; wir hoffen, daß die folgenden Schrittstellen dies genügend beweisen werden. Zum Zeugnis, daß das Kommen des Herrn zur Aufnahme Seiner Heiligen stattfinden wird, siehe zunächst:

Joh. 14, 23. „Ich gehe hin für euch eine Stätte zu be­reiten. Und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid." — Hier finden wir kein Wort über das kommende Gericht; es ist nur von unserer himmlischen Verbindung mit Ihm die Rede — wo Er ist, werden auch wir sein. Dies ist unser besonderes Teil, unsere bestimmte Hoffnung, die gesegnete Antwort auf jedes Verlangen unseres Herzens.

Beachten wir es wohl: Er sendet nicht, sondern Er kommt Selbst, um uns zu Sich zu nehmen, so wie auch Er es ist, der mit Seiner eigenen Hand die Stätte für uns be­reitet. — „Gnädiger und treuer Herr und Meister! Möchten doch unsere Herzen durch eine solche Liebe entzündet wer­den und in ernstlicher Erwartung nach dir ausschauen!"

l. Thess. 4, 13-18. „Wir wollen aber nicht, Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unwissend seid, auf daß ihr euch nicht betrübt, wie auch die Übrigen, welche keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, daß Jesus ge­storben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Ent-

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 schlafenen durch Jesum. mit ihm bringen. Denn dies sagen wir euch im Worte des Herrn, daß wir, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben, den Entschlafenen nicht zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen; und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen. Damach wer­den wir, die übriggebliebenen Lebenden, zugleich mit ihnen in den Wolken dem Herrn entgegen gerückt werden in die Luft, und also allezeit bei dem Herrn sein. — So ermuntert nun einander mit diesen Worten."

Wir führen diese Stelle ganz an, da sie so genau unsere Entfernung von der Erde, um Ihm in der Luft ent­gegengerückt zu werden und unsere Wiederkehr zur Erde mit Ihm voneinander unterscheidet Wir müssen aber zu ihrem vollen Verständnis ein wenig den wirklichen Zustand der Heiligen zu Thessalonich, welche die Offenba­rung empfingen, betrachten. Sie scheinen gefürchtet zu haben, daß ihre Brüder, die entschlafen waren, nicht die Herrlichkeit teilen würden, auf welche sie warteten. Der Apostel nun beseitigt diese Furcht mit der Versicherung, daß, wenn Er erscheint, Er alle die Seinigen mit Sich brin­gen werde, sowohl die, welche entschlafen, als auch die, welche bei Seiner Ankunft noch lebend sind.

 Nachdem er ihre Seelen, in Bezug auf diese Sache, welche sie beunru­higte, völlig sicher gemacht hat, spricht er von mehreren Einzelheiten, die das Kommen des Herrn und die Art und Weise, auf welche dies Versammeln um Ihn geschehen wird, betreffen — Einzelheiten, welche vorher noch nicht offen­bart waren. Zuerst zeigt er, daß die Lebenden keinen Vorzug haben vor den Entschlafenen. Seine erste Handlung wird sein, Seine Entschlafenen aus ihren Gräbern hervor­zurufen; durch die Posaune Gottes werden sie auferweckt. Sie werden auferstehen und die Lebenden verwandelt wer­den, und dann werden die Auferstandenen und die Ver­wandelten Ihm zugleich in der Luft entgegengerückt wer­den, um für immer bei Ihm zu sein. Gesegnete Erfüllung aller ihrer Hoffnungen!

Es wird besonders zum Verständnis dieser köstlichen Schriftstelle dienen, wenn wir beachten, daß Kap. 4, 15-18 einen Zwischensatz bildet und Kap. 5, 1 und Kap. 4, 14 in unmittelbarer Verbindung steht.

Was nun den letzten Teil unseres Gegenstandes betrifft, daß nämlich der Herr mit Seinen Heiligen kom­men wird, um das Gericht zu vollziehen, siehe Sach.

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 14, 5: „Da wird dann kommen der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir."

Judas 14: „Es hat aber auch von diesen der Siebente von Adam, Henoch, geweissagt, sagend: Siehe, der Herr kommt mit seinen heiligen Tausenden, Gericht wider alle auszuführen, und alle ihre Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, in welchen sie gottlos getan haben, und von all den harten Worten, welche gottlose Sün­der wider ihn geredet haben, völlig zu überführen." —

2. Thess. 1. 7-10. „ ... und euch, die ihr bedrängt werdet, — Ruhe mit uns in der Offenbarung des Herrn Jesu vom Himmel, mit den Engeln seiner Macht, in einer Feuer­flamme, um denen Vergeltung zu geben, die Gott nicht ken­nen, und denen, die nicht dem Evangelium unseres Herrn Jesu Christi gehorchen; welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben von dem Angesicht des Herrn und von der Herr­lichkeit seiner Stärke; wenn er kommen wird, verherrlicht zu werden in seinen Heiligen, und bewundert in allen denen, die geglaubt haben... an je­nem Tage."

Offenb. 19, 11-21. „Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und der, welcher auf dem­selben saß, genannt Treu und Wahrhaftig; und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit. Seine Augen aber sind wie eine Feuerflamme und auf seinem Haupte viele Dia­deme, und er hat einen Namen geschrieben, welchen nie­mand kennt, als er selbst. Und er ist mit einem in Blut eingetauchten Gewände angetan, und sein Name heißt: das Wort Gottes. Und die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, folgten ihm auf weißen Pfer­den nach, angetan mit weißer, reiner Lein­wand. Und aus seinem Munde geht ein scharfes Schwert, auf daß er damit die Nationen schlage, und er wird sie mit eiserner Rute weiden; und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen.

 Und er hat auf seinem Gewände und auf seiner Hüfte den Namen geschrieben: König der Könige, und Herr der Herren. Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, und er riet mit großer Stimme zu allen Vögeln, die inmitten des Himmels fliegen, sagend: Kommt, versammelt euch zu dem großen Mahle Gottes! auf daß ihr fresset das Fleisch der Könige und das Fleisch der Obersten und das Fleisch der Starken und das Fleisch der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller — Freien und Sklaven, und Geringen und Großen! — Und ich sah das wilde Tier und die Könige der Erde und ihre Kriegsheere versammelt, Krieg mit dem

 zu führen, der auf dem Pferde saß, und mit seinem Kriegs­heere. Und es ward das wilde Tier ergriffen und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm getan, durch welche er die verführte, welche das Malzeichen des wilden Tieres angenommen und die, welche sein Bild ange­betet hatten; lebendig wurden die zwei in den See des Feuers geworfen, welcher mit Schwefel brennt. Und die Übrigen wurden durch das Schwert dessen getötet, welcher auf dem Pferde saß, welches Schwert aus seinem Munde ging und alle Vogel wurden von ihrem Fleisch gesättigt."

4. Das Erscheinen des Herrn Jesu Christi ist im Worte Gottes als die unmittelbare Hoffnung der Heiligen, besonders der Versammlung, dar­gestellt.

Luk. 12, 35. 36. „Es seien eure Lenden umgürtet und eure Lampen brennend. Und ihr, seid gleich den Menschen, die ihren Herrn erwarten, wenn er irgend von der Hochzeit aufbrechen wird, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald aufmachen."

Joh. 14, 3. „Und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid."

Joh. 21, 22. „Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, daß er bleibe bis ich komme, was geht es dich an! Folge du mir nach!"

Vergleiche Röm. 8, 23 mit Phil. 3, 20. 21.

Röm. 8, 23. „Und nicht allein sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Kindschaft, die Erlösung unseres Leibes." —

Phil. 3, 20. 21. „Denn unser Wandel ist in den Himmeln, woher wir auch als Heiland den Herrn Jesum Christum erwarten, der den Leib un­serer Niedrigkeit umgestalten wird, daß er dem Leibe seiner Herrlichkeit gleichför­mig sei, nach der Wirkung, womit er vermag, auch alle Dinge sich untertänig zu machen."

Röm. 8, 30 vergleiche mit Kol. 3, 4.

 Röm. 8, 30. „Welche er aber zuvor bestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht." —

Kol. 3, 4. „Wenn Christus, unser Leben, of­fenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herrlichkeit offenbart werden."

Röm. 13, 11. 12 vergleiche mit Hebr. 9, 28.

Röm. 13, 11. 12. „Und dieses noch:—die Zeit erkennend, daß die Stunde da ist, daß wir schon von dem Schlaf auf­wachen sollen; (denn unsere Seligkeit ist jetzt näher, als da, wo wir geglaubt haben.) Die Nacht ist weit vor­gerückt, der Tag aber ist nahe; lasset uns denn die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen."

Hebr. 9, 28. „Also wird auch der Christus, einmal ge­opfert, um Vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde denen, die ihn erwarten, zur Seligkeit erscheine n."

Röm. 16, 20 vergleiche mit Offenb. 19, 11-21. Röm. 16,20. „Der Gott des Friedens aber wird in kurzem den Satan unter eure Füße zertreten." Offb. 19, 11: (Siehe den Inhalt dieses Abschnitts Seite 89. 1. Kor. 1. 7. „ ... so daß ihr in keiner Gnadengabe zu­rück seid, die Offenbarung unsers Herrn Jesu Christi erwartend."

l. Kor. 11, 26. „Denn so oft ihr dieses Brot esset und diesen Kelch trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

l. Kor. 15, 23. 58. „Jeglicher aber in seiner eigenen Ord­nung. Christus — Erstling. Darnach die, welche des Chri­stus sind bei seiner Ankunft. ... So denn, meine geliebte Brüder, werdet fest, unbeweglich, allezeit überreich fleißig in dem Werke des Herrn, wissend, daß eure Mühe in dem Herrn nicht vergeblich ist."

Phil. 1. 10. „Damit ihr prüfet, was das Vorzüglichere sei, auf daß ihr untadelig und unanstößig auf den Tag Christi seid."

Kap. 4, 5. „Eure Gelindigkeit laßt allen Menschen kund werden; der Herr ist nahe!"

l. Thess. 5, 10. ... „der für uns gestorben ist, auf daß wir, sei es, daß wir wachen oder schlafen, zusammen mit ihm leben." — Auch in Kap. 1. 3. ...„unaufhörlich

 gedenkend eures Ausharrens der Hoffnung un­seres Herrn Jesu Christi." —

l. Thess. 3, 13. „Um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, in der An­kunft unseres Herrn Jesu Christi mit allen seinen Heiligen."

1. Thess. 5, 4-6: „Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finster­nis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife, denn ihr seid alle Söhne des Lichts und Söhne des Tages; wir sind nicht von der Nacht, noch von der Finsternis. So laßt uns denn nicht schlafen, wie auch die Übrigen, sondern wachen und nüchtern sein."

2. Thess. 1. 7. „Und euch, die ihr bedrängt werdet, — Ruhe mit uns in der Offenbarung des Herrn Jesu vom Himmel mit den Engeln seiner Macht."

Kap. 2, 1. „Wir bitten euch aber, Brüder, um der An­kunft unseres Herrn Jesu Christi willen, und unserer Versammlung zu ihm."

Kap. 3, 5. „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Chri­stus !"

l. Tim. 6, 14. „Daß du das Gebot unbefleckt, unsträflich bewahrest, bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesu Christi."

Tit. 2, 13. „...erwartend die glückselige Hoffnung, und Erscheinung der Herrlich­keit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi."

Hebr. 10, 37. „Denn noch um ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verzögern."

Jak. 5, 7-9. „So habt denn Geduld, Brüder, bis zu der Ankunft des Herrn! Siehe, der Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde, und hat Geduld über der­selben, bis sie den Frühregen und den Spätregen empfange. Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen; denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen! Seufzet nicht widereinander, Brüder, auf daß ihr nicht ge­richtet werdet!"

l. Petr. 1. 5.13. „Die ihr durch Gottes Macht durch Glau­ben bewahret werdet zum Heile, welches bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden... Deshalb umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüch­tern, und hoffet völlig auf die Gnade, welche euch in

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 der  Offenbarung Jesu Christi gebracht wird."

l. Joh. 3, 2. 3. „Geliebte! Jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein wer­den; wir wissen aber, daß, wenn er offenbart ist, wir ihm gleich sein werden, denn wir wer­den ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoff­nung zu ihm hat, der reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist."

Offenb. 22, 16. 17. 20. „Ich, Jesus, habe meinen Engel ge­sandt, euch von diesen Dingen in den Versammlungen zu zeugen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen:

Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen da dürstet, komme; und wer da will, nehme das Wasser des Le­bens umsonst... Der dieses zeugt, sagt: Ja, ich komme bald! Amen. Komm Herr Jesu."

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Anmerkung. Dan. 7, 25. „Er (der Antichrist) wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten verstören; und wird sich unterstehen Zeit und Gesetz zu ändern. Sie werden aber in seine Hand gegeben werden eine Zeit, und zwei Zeiten und eine halbe Zeit." — Offb. 7, 14. „Und er sagte zu mir: Diese sind es, die aus der großen Drangsal kommen; und sie haben ihre Gewänder gewaschen, und haben sie in dem Blute des Lammes weiß gemacht. — Offbg. 13, 7. S. „Und es ward ihm ge­geben Krieg mit den Heiligen zu fuhren und sie zu überwin­den; und es ward ihm über jedes Geschlecht und Volk und Sprache und Nation Gewalt gegeben. Und vor ihm werden alle anbeten, die auf der Erde wohnen, deren Name vor Grund­legung der Welt in dem Buche des Lebens des geschlachteten Lammes nicht geschrieben ist." — Offbg. 15, 2. „Und ich sah wie ein gläsernes mit Feuer vermengtes Meer; und die Über­winder über das wilde Tier und über sein Bild und über die Zahl seines Namens stehend an dem gläsernen Meere, und sie hatten Harfen Gottes." — Offbg. 20, 4. „Und ich sah Throne, und sie saßen darauf, und es ward ihnen Gericht gegeben; und die Seelen, welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und diejenigen, die das wilde Tier nicht angebetet, flach sein Bild und das Malzeichen auf ihre Stirn und auf ihre Hand angenommen hatten, und sie leb­ten und herrschten mit dem Christus die tausend Jahre."

Alle diese Stellen reden von Heiligen, die unter dem Druck des Antichristen leiden oder gelitten haben, und scheinen sol­chen Stellen zu widersprechen, welche die Wiederkunft des Herrn, als die unmittelbare Hoffnung der Kirche oder Ver­sammlung darstellen. Es ist aber wohl zu beachten, daß noch nach der Aufnahme der Versammlung Gläubige (beides, aus den Juden und den Nationen) auf der Erde sein werden, welche sich weigern werden, das Tier anzubeten. Einige von diesen

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 werden getötet und einen himmlischen Platz erhalten, in dem Reiche und andere werden für die Segnungen auf der Erde aufbewahrt.

Über die Getöteten siehe die obigen Stellen; über die Auf­bewahrten siehe Offenb. 14, 1-5. „Und ich sah und siehe! das Lamm auf dem Berge Zion stehend, und mit ihm hundertvierundvierzig Tausend, welche Seinen Namen und den Namen seines Vaters auf ihren Stirnen geschrieben hatten. Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel, wie eine Stimme vieler Wasser und wie eine Stimme eines großen Donners; und die Stimme, welche ich hörte, war wie von Harfensängern, welche auf ihren Harfen spielen. Und sie singen ein neues Lied vor dem Throne und vor den vier Tieren und den Ältesten; und niemand konnte das Lied lernen, als nur die hundertvierundvierzig Tausend, die von der Erde Erkauften.

 Diese sind es, die sich mit Weibern nicht befleckt haben, denn sie sind Jung­frauen; diese sind es, welche dem Lamme folgen, wo es auch hingeht; diese sind aus den Menschen, als Erstlinge Gott und dem Lamme, erkauft worden. Und in ihrem Munde war kein Falsch gefunden, denn sie sind tadellos." — Über die unter den Nationen Bewahrten siehe Matth. 25, 31-46: „Wenn aber der Sohn des Menschen kommt in seiner Herrlichkeit und alle hei­ligen Engel mit ihm, dann wird er auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen; und alle die Nationen werden vor ihm ver­sammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, gleich­wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen; die Böcke aber zu seiner Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen:

Kommet her. Gesegnete meines Vaters; ererbet das Reich, das euch von Gründung der Welt an bereitet ist!... Dann wird er auch denen zu seiner Linken sagen: Gehet von mir. Verfluchte! in das ewige Feuer, bereitet dem Teufel und seinen Engeln .. . usw." — eine Stelle, welche nichts mit der Auferstehung zu tun hat, sondern welche das Gericht der lebenden Nationen auf der Erde bei der Wiederkunft des Menschensohnes be­schreibt. Die hier erwähnten „Brüder" sind der gläubige Über­rest der Juden, welche den Nationen das Evangelium vom Reich" gepredigt haben — (Siehe Matth. 24, 14.

 „Und dieses Evangelium des Reiches wird auf dem ganzen Erdkreis ge­predigt werden, allen Nationen zu einem Zeugnisse; — und dann wird das Ende kommen." Offb. 14, 6. „Und ich sah einen anderen Engel inmitten des Himmels fliegen, der das ewige Evangelium hatte, um es denen zu verkündigen, die auf der Erde ansässig sind, und an jede Nation und jedes Geschlecht und jede Sprache und jedes Volk") — und welche durch alle Schrecken dieser Zeit der Prüfungen ohnegleichen bewahrt worden sind. — 2. Thess. 2 bietet für viele einige Schwierig­keiten, welche aber bei sorgfältiger Betrachtung der ganzen Stelle beseitigt werden. Die Trübsale, durch welche die Thessalonicher gingen, scheinen den Gedanken erweckt zu haben, daß der Tag des Herrn mit allen seinen Schrecken wirklich schon da sei. Paulus begegnet nun diesem Mißverständnis am Anfang des Kapitels 2. Thess. 2, 1. „Wir bitten euch aber Brüder

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 um der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi willen und unserer Versammlung zu ihm, daß ihr nicht schnell in eurer Gesinnung erschüttert noch bestürzt werdet." — Die Tatsache, daß der Herr noch nicht gekommen war, und daß sie noch nicht zu Ihm versammelt waren, sollte sie versichern, daß der Tag des Schreckens noch nicht vorhanden sein könne. (Die Hinwegnahme der Versammlung scheint die Wegnahme des Hinder­nisses in V. 7 zu sein).

5. Die Versammlung wird weggenommen sein, ehe der Thron der Gnade in einen Thron des Ge­richts verwandelt werden wird, oder, mit an­deren Worten, vor dem Anfang der Gerichte der Offenbarung.

Diese Lehre ist eigentlich schon völlig in dem vorhin Ge­sagten mit eingeschlossen und würde in diesem Teil keinen Platz gefunden haben, wenn nicht die Auslegungen und Systeme der Menschen diese gesegnete Hoffnung, mit wel­cher in den Tagen der Apostel, wie wir gesehen haben, die Herzen der Christen ganz vertraut waren, verdunkelt und vernichtet hätten — eine Hoffnung, welche jene tröstete, ermunterte und reinigte, die sich durch einen großen Kampf der Leiden von den toten Götzen abgewendet hatten, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn vom Himmel zu erwarten. —

Zunächst möge die Wichtigkeit dieses Gegenstandes zu unserer Entschuldigung dienen, wenn wir ihn hier ein­führen, dann aber auch die traurige Verwirrung, die der Feind in einfachen Seelen hervorgebracht hat, sodaß sie den Antichristen statt des Christus — die Erfüllung der prophetischen Ereignisse, statt der Rückkehr des Sohnes Gottes vom Himmel erwarten. Da nun eine solche Ausle­gung den vielen, im letzten Abschnitt angeführten Schrift­stellen, die das Kommen des Herrn als die unmittelbare Hoffnung der Kirche oder Versammlung darstellen, wider­spricht, — denn gewiß, eine solche Hoffnung kann keine un­mittelbare sein, wenn die Zerstörung des Antichristen oder irgend eine andere Erfüllung prophetischer Ereignisse not­wendig dazwischen kommen muß — so wird feierlich von denen, welche also lehren, verlangt, Schriftstellen aufzu­weisen, welche einfach und unwidersprechlich bestätigen, daß die Versammlung während dieser Gerichte noch auf

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 Erden sein wird; und so lange diese nicht aufgewiesen wor­den sind, so lange dürfen auch einfache Herzen sich unge­stört einer Hoffnung erfreuen, welche auf die Grundlage so vieler Schriftstellen gestützt ist. — Wir behaupten vertrau­ensvoll, daß solche Schriftstellen bis jetzt noch nicht auf­gewiesen worden sind; denn die in der Anmerkung über den letzten Abschnitt angeführten Schriftstellen, die von Heiligen reden, welche durch die zerstörende Regierung des Antichristen bedrängt werden, sind kein Beweis dafür. Es wird zu jener Zeit treue Juden und Heiden geben, wie wir gezeigt haben, die seinem Zorne ausgesetzt sein werden, aber gerade der Umstand, daß ein Unterschied unter ihnen, als Heiden und Juden, gemacht wird, zeigt deutlich an, daß sie nicht die Versammlung sein können; denn in dieser hört jeder Unterschied zwischen Juden und Heiden für immer auf (siehe Eph. 2, 3). 

Wir wiederholen denn und legen es unseren geliebten Brüdern dringend ans Herz, vor­nehmlich den einfachen Seelen, deren Gemüt durch solche Auslegung erschüttert oder beunruhigt worden ist, daß es angesichts so vieler einfacher Schriftstellen, die in ihren Herzen die unmittelbare Hoffnung auf ihres Herrn Wieder­kunft erweckt haben, nicht mit Recht von ihnen verlangt werden kann, zu beweisen, daß Gottes Wort die Offenba­rung des Antichristen, oder irgend etwas anderes, nicht zwischen ihre Seelen und die gesegnete Hoffnung Seines Kommens setze, oder daß während der Gerichte der Offen­barung die Versammlung nicht auf Erden sein werde, — sondern es kommt denen zu, welche eine Hoffnung, die auf eine solche Grundlage gestützt ist, erschüttern wollen, den unumstößlichen Beweis zu liefern, daß Gottes Wort wirk­lich solche Ereignisse zwischen die Seele und diese ge­segnete Hoffnung bringe, daß die Versammlung wirk­lich noch auf der Erde, während der vorhergesagten Zeit dieser unvergleichlichen Trübsal, zurückgelassen sei.

 Aber um derer willen, welche auf diese Weise beraubt und be­trogen worden sind, wollen wir zwei oder drei Gedanken erwähnen, durch die, mit Gottes Hilfe, die Steine des An­stoßes, welche sich auf ihrem Pfade finden mögen, entfernt werden könnten. —

Zunächst wollen wir an das Versprechen erinnern, wel­ches wir in Offenb. 3, 10 finden: „Weil du das Wort meines Ausharrens gehalten hast, werde auch ich dich vor der Stunde der Versuchung bewahren, welche über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die, welche auf der Erde woh­nen, zu versuchen." Die Versammlung wird also vor der Versuchung, die über die ganze Welt kommen wird, um die zu prüfen, welche auf der Erde wohnen, bewahrt bleiben,

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 und nicht nur in der Versuchung, wie es dem treugebliebenen Überrest versprochen ist. Jes. 43,2: „So du durchs Was­ser gehst, will ich mit dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen, und so du ins Feuer gehst, sollst du dich nicht versengen, und die Flamme soll dich nicht brennen."

Beachten wir weiter die Sphäre, in welcher die Ver­sammlung während des ganzen Laufes der Gerichte der Offenbarung gesehen wird. Von Offb. 4-19 wird sie immer unter dem Sinnbild der vierundzwanzig Ältesten darge­stellt — als im Himmel und dort zu Hause — in aller Ruhe des himmlischen Thrones — in völliger Inbrunst himmli­scher Anbetung — in der Sphäre, von welcher die Gerichte ausgehen, und nicht an dem Ort, auf welchen sie fallen. Und müssen wir hier nicht innehalten, geliebte Brüder, und anbeten und lobsingen und die Gnade bewundern, welche uns eine solche Tür im Himmel geöffnet hat, und welche uns dort unseren Platz anweist, ehe sie ein Wort über jene Gerichte, welche über die ganze Erde hereinbrechen sollen, sagt, obgleich dieselben, wie wir wissen, den Zweck haben, das Erbteil für Ihn zu reinigen, und folglich auch für uns, die wir es mit Ihm teilen sollen?

Zuletzt wollen wir noch einen Gedanken erwähnen, der uns noch wichtiger erscheint, als irgend eine vereinzelte Stelle der Schrift. Er ist auf die Analogie der Handlungs­weise Gottes mit Seinem Volk, vom Anfang her, gegründet. Es haben nacheinander verschiedene Perioden, in welchen sich Gott den Menschen offenbarte, stattgefunden, welche sich durch den besonderen Charakter der Offenbarung Got­tes voneinander unterscheiden und deren Übergänge klar bezeichnet sind. Nie aber hat diese Offenbarung zu der­selben Zeit einen doppelten Charakter angenommen. So ist nun die Versammlung oder.

 Kirche eine ganz besondere Offenbarung der Gnade Gottes. Sie bezeugt: „Jetzt ist die wohlangenehme Zeit — jetzt ist der Tag des Heils." Der Thron, zu welchem hinzuzunahen sie eingeladen ist, wird nachdrücklich der Thron der Gnade genannt; und wir glauben nicht zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, daß dies Zeugnis der Gnade Gottes notwendig weggenommen sein muß, ehe der Tag des Heils dem Tage der Rache, ehe der Thron der Gnade dem Thron des Gerichts Platz machen kann, und ehe der Schrei: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" (Apg. 7, 60) in den Schrei: „Bis wann, Herrscher, Heiliger und Wahrhaftiger, richtest und rächest du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?" — ver­wandelt werden kann. —

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     6. Die tägliche Hoffnung der Wiederkunft des Herrn und unserer Vereinigung mit Ihm wird als wirksam zur Heiligung, Kraft, Gewißheit und Freude wiederholt dargestellt.

l. Thess. 2, 12. 19. „Daß ihr würdig wandelt des Gottes, der euch zu seinem eigenen Reich und Herrlichkeit beruft.. Denn wer ist unsere Hoffnung, oder Freude, oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesu Christo bei seiner Ankunft?"

1. Thess. 3, 13. „Um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu festigen vor unserem Gott und Vater, in der Ankunft un­seres Herrn Jesu Christi mit allen seinen Heiligen."

Kap. 4, 13-18. „Wir wollen aber nicht, Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unwissend seid, auf daß ihr euch nicht betrübt, wie auch die Übrigen, welche keine Hoffnung haben... So ermuntert nun einander mit diesen Worten."

Jak. 5, 7-9. „So habt denn Geduld, Brüder, bis zu der Ankunft des Herrn! Siehe, der Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde, und hat Geduld über derselben, bis sie den Frühregen und den Spätregen empfange. Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen; denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen! Seufzet nicht widereinander Brüder, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!"

2. Tim. 2, 6.11.12. „Der Ackerbauer muß, um die Früchte zu genießen, zuerst arbeiten . . . Denn wenn wir mitge­storben sind, so werden wir auch mitleben; wenn wir aus­harren, werden wir auch mitherrschen; wenn wir verleug­nen, wird auch er uns verleugnen."

Kap. 4, 7. 8. „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage zur Ver­geltung geben wird; nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben."

Tit. 2, 12. 13. „Und unterweiset uns, daß wir, die Gott­losigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, nüchtern und gerecht und gottselig in dem jetzigen Zeitlauf leben,

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 erwartend die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi."--

Luk. 12, 35. 36. „Es seien eure Lenden umgürtet und eure Lampen brennend. Und ihr seid gleich den Menschen, die ihren Herrn erwarten, wenn er irgend von der Hochzeit aufbrechen wird, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald aufmachen."

Phil. 1. 9-11. „Und um dieses bete ich: daß eure Liebe noch mehr und mehr in Erkenntnis und aller Einsicht reich werde, damit ihr prüfet, was das Vorzüglichere sei, auf daß ihr untadelig und unanstößig auf den Tag Christi seid, er­füllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, welche durch Jesum Christum zur Herrlichkeit und zum Lobe Gottes ist."

Kol. 3, 4.5. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herrlichkeit geoffenbart werden. So tötet denn eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust und den Geiz, welcher Götzendienst ist."

l. Joh. 2, 28. „Und nun Kinder, bleibet in ihm, auf daß wir, wenn er offenbart ist, Freimütigkeit haben und nicht von ihm bei seiner Ankunft beschämt werden."

Kap. 3, 3. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, der reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist."

7. Die Auferstehung, welche vor der Wiederkunft des Menschensohnes zum Gericht der Lebendi­gen stattfinden wird, ist eine Auferstehung aus den Toten und ganz verschieden von der Auf­erstehung der Toten nach dem tausendjährigen Reiche.

Luk. 14, 14. „Und glückselig wirst du sein, weil sie nicht haben, dir zu vergelten; denn es wird dir In der Auferstehung der Gerechten vergolten werden."

Luk. 20, 35. 36. „Die aber für würdig gehalten sein wer­den, jenes Zeitlaufs und der Auferstehung aus den Toten teilhaftig zu sein, werden weder heiraten, noch verheiratet werden. Denn sie können auch nicht mehr ster-

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 ben; denn sie sind Engeln gleich, und sind Söhne Gottes, weil sie Söhne der Auferstehung sind."

Phil. 3, 11. „...ob ich auf irgend eine Weise zur Auf­erstehung aus den Toten hingelangen möge." —

Hebr. 11, 35. „Weiber empfingen ihre Toten durch Auf­erstehung; andere aber wurden mißhandelt und nahmen die Erlösung nicht an, auf daß sie eine bessere Aufer­stehung erlangten." —

Ev. Joh. 11, 25. „Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Aufer­stehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, Wenn er auch gestorben ist." —

l. Thess. 4, 16. 17. „Denn der Herr selbst wird mit ge­bietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen; und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die übriggebliebenen Lebenden, zu­gleich mit ihnen in den Wolken dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft, und also allezeit bei dem Herrn sein."

Offb. 20, 5. 6. „Die Übrigen der Toten aber wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet sind. Dies ist die erste Auferstehung. Glückselig und heilig, wer an der ersten Auferstehung Teil hat; über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und tausend Jahre mit ihm herrschen."

l. Kor. 15,20-23. „Nun aber ist Christus, als Erstling der Entschlafenen, aus den Toten auferweckt worden, denn weil durch den Menschen der Tod gekommen ist, so auch durch den Menschen die Auferstehung der Toten. Denn gleichwie in dem Adam alle sterben, also werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht werden."— Dieses Kapitel bezieht sich ganz und gar auf die Toten in Christo." —

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* Anmerkung. Joh. 5, 22-29. „Denn auch der Vater richtet niemanden, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohne ge­geben, auf daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubet dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, daß die Stunde kommt und ist jetzt, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben. Denn gleichwie der Vater das Leben in sich selbst hat, also hat er auch dem Sohne gegeben, das Leben in sich seihst zu haben. Und er hat ihm Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist. Wundert

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 euch darüber nicht; denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden hervorkommen die, welche Gutes getan haben, zur Auf­erstehung des Lebens; die aber, welche Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts." — Diese Stelle scheint gegen die Lehre zu streiten; aber aufmerksam betrachtet wird man fin­den, daß sie dieselbe auf das entschiedenste bestätigt. Der 25. Vers bezieht sich, wie alle zugeben, auf die Belebung der Seelen, die in Vergehungen und Sünden tot sind. Das Wort „Stunde" in diesem Vers bezeichnet also einen Zeitabschnitt von mehr als 1800 Jahren. Warum kann denn nicht dasselbe Wort in V. 28 einen Zeitraum von tausend Jahren einschließen, bei dessen Anfang eine Auferstehung zum Leben und bei des­sen Ende eine Auferstehung zum Gericht stattfinden wird? Und dies ist in Übereinstimmung mit der göttlichen, schon ange­führten Weissagung in Offenb. 20, 5. 6.

8. Der Herr wird auf dem Thron Seines Vaters David sitzen, um nicht nur in Israel, sondern auch über die ganze Erde König zu sein.

Luk. 1. 32. 33. „Dieser wird groß sein und Sohn des Höch­sten genannt werden, und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird über das Haus Jakobs in die Zeitalter herrschen und seines Rei­ches wird kein Ende sein."

Apg. 2, 30. „Da er nun ein Prophet war und wußte, daß Gott ihm mit einem Eide geschworen, aus der Frucht seiner Lenden, was Fleisch betrifft, den Christus zu erwecken, u m ihn auf seinen Thron zu setzen..."

2. Sam. 7, 11-13. „...Und ich will dir Ruhe geben von allen deinen Feinden. Und der Herr verkündigt dir, daß der Herr dir ein Haus machen will. Wenn nun deine Zeit voll ist, daß du mit deinen Vätern schlafen liegest, so will ich deinen Samen nach dir erwecken, der von deinem Leibe kommen soll, dem will ich sein Reich bestäti­gen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will den Stuhl seines Königreiches bestä­tigen ewiglich."

Jes. 16, 5. „Es wird aber ein Stuhl bereitet werden in Gnaden, daß einer darauf sitze in der Wahrheit, in der Hütte Davids, und richte und trachte nach Recht und Ge­rechtigkeit."

 Jes. 9, 6. 7. „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist Uns gegeben, der die Herrschaft hat auf seiner Schulter, und er heißt Wunderbar-Rat, Kraft-Held, Ewig-Vater, Friede­fürst. Seiner Herrschaft Mehrung und des Friedens ist kein Ende, auf dem Stuhl Davids und in seinem Königreich; daß er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth."

Jes. 11, 1-5. 10. „Und es wird ein Reis aufgehen von dem abgehauenen Stamm Isai, und ein Zweig aus seinen Wur­zeln Frucht bringen; auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Und sein Atmen wird sein in der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten, nach dem seine Augen sehen, noch Urteil fällen, nach dem seine Ohren hören; sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen, und gerades Urteil fällen den Elenden im Lande; und wird mit dem Stabe seines Mundes die Erde schlagen, und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtig­keit wird der Gurt seiner Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Hütten... Und wird geschehen zu der Zeit, daß die Wurzel Isai, die da steht zum Panier den Völkern, nach der werden die Heiligen fragen; und seine Ruhe wird Ehre sein."

Jes. 32, 1. 2. „Siehe, es wird ein König regieren, Ge­rechtigkeit anzurichten, und die Fürsten werden herrschen, das Recht zu handhaben. Daß jeder sein wird als eine Zu­flucht vor dem Winde und ein Versteck vor dem Platzregen; wie die Wasserbäche am dürren Ort, wie der Schatten eines mächtigen Felsens im schmachtenden Lande."

PS. 2, 6-9. „Habe ich doch meinen König gesalbt auf Zion, dem Berge meiner Heiligkeit. Vom Beschluß will ich erzählen: Jehova sprach zu mir: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget. Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen, und zum Besitztum die En­den der Erde. Mit einem eisernen Zepter wirst du sie zer­schmettern, wie Töpfergefäße sie zerschmeißen."

PS. 21; 24; 22, 27-32. „Es werden eingedenk werden und sich zu Jehova umkehren alle Enden der Erde; und vor deinem Antlitz werden niederfallen alle Stämme der Na­tionen. Denn Jehovas ist das Reich und unter den Nationen herrscht er. Es werden essen und niederfallen alle die Fet­ten der Erde; vor seinem Antlitz sich beugen alle, die in den Staub hinabfahren und der seine Seele nicht am Leben er­hält. Ein Same wird ihm dienen; er wird dem Herrn als ein Geschlecht zugerechnet werden. Sie werden kommen

 und verkündigen seine Gerechtigkeit dem Volke, welches geboren wird, daß er es getan hat."

Siehe PS. 45; 82; 68, 24-36. „Gesehen haben sie deinen Zug, o Gott — den Zug meines Gottes, meines Königs im Heiligtum. Voran gingen die Sänger, danach die Saiten­spieler, inmitten der tambourinschlagenden Jungfrauen. .Preiset Gott in den Versammlungen, den Herrn, die ihr aus der Quelle Israels seid!' Da sind Benjamin der Kleine, ihr Herrscher; die Fürsten Juda's, ihr Haufen; die Fürsten Sebulons; die Fürsten Naphthalis. Geboten hat dein Gott deine Stärke. Erweise dich stark, o Gott, in dem, was du für uns getan hast! Um deines Tempels willen zu Jerusalem werden die Könige dir Geschenke bringen. Schilt das Tier des Schilfs, die Versammlung der Stiere mit den Kälbern der Völker — jeder unterwirft sich mit Silberstücken. Zer­streue die Völker, die Lust haben am Kriege. Es werden kommen die Großen aus Ägypten; Äthiopien wird eilen, auszustrecken seine Hand zu Gott. Ihr Königreiche der Erde singet Gott, singet Psalmen von dem Herrn! Sela. Dem, der da reitet, in den Himmeln der Himmel, die von altersher sind; — siehe! Er gibt seine Stimme, eine Stimme der Stärke. Gebt Stärke dem Gott, dessen Hoheit über Israel, dessen Macht in den Wolken! Furchtbar bist du; o Gott, aus deinem Heiligtum; der Gott Israels; — er ist's, der Stärke und Macht gibt dem Volke. Gepriesen sei Gott!"

PS. 89, 19-37. „Da redetest du im Gesicht von deinem Gütigen, und sagtest: Hilfe habe ich gelegt auf einen Mäch­tigen, ich habe erhöhet einen Auserwählten aus dem Volke. Ich habe gefunden David, meinen Knecht, mit dem öl mei­ner Heiligkeit habe ich ihn gesalbt. Mit ihm soll fest bleiben meine Hand und mein Arm soll ihn stärken. Nicht drängen soll ihn der Feind, und der Sohn der Ungerechtigkeit ihn nicht unterdrücken, sondern ich will zermalmen vor ihm seine Widersacher, seine Hasser will ich zerschlagen.

 Und meine Treue und meine Güte soll mit ihm sein, und in meinem Namen soll erhöhet werden sein Horn. Und ich will in das Meer setzen seine Hand und seine Rechte in die Ströme. Er wird mir rufen: Mein Vater, du mein Gott, und der Fels meiner Rettung!" Ja, zum Erstgeborenen will ich ihn machen, zum Höchsten über die Könige der Erde. Ewig will ich ihm bewahren meine Güte; und mein Bund soll ihm fest bleiben. Und will seinen Samen feststellen für immer und sein Stuhl wie die Tage der Himmel. Wenn seine Söhne mein Gesetz verlassen und nicht wandeln in meinen Rechten; wenn sie meine Satzungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so will ich mit der Rute heim­suchen ihre Übertretungen, und mit Plagen ihre Ungerech-

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 tigkeit; aber meine Güte werde ich nicht wegnehmen von ihm und nicht leugnen meine Treue. Nicht entweihen werde ich meinen Bund, und nicht ändern, was hervorgekommen aus meinen Lippen. Einmal habe ich geschworen bei meiner Heiligkeit; nie werde ich dem David lügen. Sein Same wird ewiglich währen, und sein Thron wie die Sonne von mir; ewiglich wird er befestigt sein wie der Mond, und wie der Zeuge in den Wolken fest bleiben."

Siehe PS. 93; 96; 99; 100; 102, 12-23. „Aber du, o Jehova, wirst bleiben auf ewig, und dein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht. Du wirst aufstehen, wirst dich erbarmen  über Zion; denn es ist Zeit, sie zu begnadigen, denn ge­kommen ist die bestimmte Zeit, — denn deine Knechte ha­ben Gefallen an seinen Steinen, und haben Mitleiden mit seinem Schutt, — und es werden die Nationen fürchten den Namen Jehovas, und alle Könige der Erde deine Herrlich­keit. Wenn Jehova Zion aufbaut, so erscheint er in seiner Herrlichkeit. Er wird sich wenden zum Gebet des Entblöß­ten und ihr Gebet wird er nicht verachten. 

Dies wird ge­schrieben werden für das künftige Geschlecht; und ein Volk, das geschaffen werden soll, wird loben den Jäh. Denn er blickte nieder von den Höhen seines Heiligtums; Jehova schaute hernieder vom Himmel auf die Erde, um zu hören das Seufzen des Gefangenen, um zu befreien die Söhne des Todes; um den Namen Jehovas zu verkündigen in Zion, und in Jerusalem sein Lob, wenn versammelt sind die Völker allzumal, und die Königreiche, um Jehova zu dienen."

PS. 132, 11: „Jehova hat Wahrheit geschworen dem Da­vid, wovon er nicht abweichen wird: Von der Frucht deines Leibes will ich setzen auf deinen Thron."

PS. 118, 22-26: „Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist geworden zum Haupt der Ecke. Von Jehova ist dies ge­schehen; wunderbar ist's in unseren Augen. Dies ist der Tag, den Jehova gemacht; frohlocken und freuen wir uns in ihm! Bitte, o Jehova, rette doch! Bitte, o Jehova, gib doch Wohlfahrt! Gesegnet sei, der da kommt im Namen Jeho­vas!"— Vergleiche diese Stelle mit Matth. 21, 5-9: „Sprechet zu der Tochter Zion: Siehe! Dein König kommt zu dir, sanftmütig, und sitzend auf einer Eselin und auf einem Fül­len, des Lasttiers Jungen. — Als aber die Jünger hingegan­gen waren und getan hatten, wie es ihnen Jesus aufgetragen, brachten sie die Eselin und das Füllen, und legten ihre Kleider auf dieselben, und er setzte sich darauf. Und eine sehr große Volksmenge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere aber schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Volksmenge aber, welche vorging und nachfolgte, rief sagend: Hosianna, dem Sohne Davids!

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 Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!"

Hes. 34, 23, 24. „Und ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein. Und ich der Herr, will ihr Gott sein, aber mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der Herr."

Hes. 37, 22. 25. „Und ich will ein einiges Volk aus ihnen machen im Lande auf den Bergen Israels, und sie sollen allesamt einen einigen König haben; und sollen nicht mehr in zwei Völker, noch in zwei Königreiche mehr zerteilt sein; und sie sollen im Lande wohnen, das ich meinem Knechte Jakob gegeben habe, darinnen eure Väter gewohnt haben. Sie und eure Kindeskinder sollen darinnen wohnen ewig­lich; und mein Knecht David soll ihr Fürst sein ewiglich."

Jer. 23, 5. 6. „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will; und soll ein König regieren, der es weislich ausführen wird, und Recht und Gerechtigkeit anrichten auf Erden. Zu der­selben Zeit soll Juda geholfen werden, und Israel sicher wohnen. Und dies ist sein Name, dabei man ihn nennen wird: Herr, der unsere Gerechtigkeit ist."

Jer. 33, 14. 17. „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß ich das gnädige Wort erwecken will, welches ich dem Hause Israel und dem Hause Juda geredet habe . . . Denn so spricht der Herr: Es soll David nicht gebrechen an einem Manne, der da sitze auf dem Stuhl des Hauses Israel."

Dan. 7, 13. 14. „Ich sah in diesem Gesicht der Nacht, und siehe, es kam einer in des Himmels Wolken, wie eines Men­schen Sohn, hin bis zu dem Alten der Tage und ward vor denselbigen gebracht. Und ihm ward gegeben Gewalt, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist eine ewige Gewalt, die nicht ver­gehet, und sein Königreich hat kein Ende."

Mich. 5, 1. 3. „Und du Bethlehem Ephrata, die du zu klein bist, zu sein unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei, des Ausgang von Antang und von Ewigkeit her gewesen ist... Er aber wird stehen und weiden in Kraft des Herrn, und in der Hoheit des Na­mens des Herrn seines Gottes. Und sie werden wohnen; denn er wird nunmehr herrlich werden, so weit die Welt ist."

Sach. 6, 12. 13. „Und sprich zu ihm: So spricht der Herr Zebaoth: Siehe, es ist ein Mann, der heißt Sproß; denn er wird aus seinem Boden aufsprießen, und wird bauen . des Herrn Tempel. Ja, den Tempel des Herrn wird er bauen, und wird den Schmuck tragen und wird sitzen und herr­schen auf seinem Thron; und wird auch Priester sein auf

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 seinem Thron; und wird Friedensrat sein zwischen den beiden."

Sach. 9, 9. 10. „Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze; siehe, dein König, kommt zu dir, gerecht und ein Retter ist er, demütig und reitet auf einem Esel, auf einem jungen Füllen der Eselin. Und ich will die Wagen abtun von Ephraim, und die Rosse von Je­rusalem, und der Streitbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Friede lehren unter den Nationen, und seine Herr­schaft wird sein von einem Meer bis ans andere, und von dem Strom bis an die Enden der Erde."

Sach. 14, 9. „Und der Herr wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein, und sein Name nur eine r."

9. Jerusalem oder Zion der Mittelpunkt oder die Hauptstadt des Reiches Christi auf Erden.

PS. 87; 2, 6. „Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, dem Berge meiner Heiligkeit!"

PS. 48; 102, 13. 16. 21. 22. „Du wirst aufstehen, wirst dich erbarmen über Zion; denn es ist die Zeit, sie zu begna­digen; denn gekommen ist die bestimmte Zeit. —Wenn Jehova Zion aufbauet, so erscheint er in seiner Herrlichkeit... um den Namen Jehovas zu verkündigen in Zion, und in Jerusalem sein Lob, wenn versammelt sind die Völker allzumal, und die Königreiche, um Jehova zu dienen."

PS. 110, 2. „Den Stab deiner Macht wird Jehova senden aus Zion; herrsche inmitten deiner Feinde!"

PS. 132, 13. 14. 16. 18. „Denn Jehova hat Zion erwählt, hat zu seiner Wohnstätte es begehrt: Dies ist meine Ruhe immerdar; hier will ich wohnen, denn begehrt habe ich's. Und seine Priester will ich kleiden mit Errettung, und seine Frommen werden laut jubeln. Seine Feinde will ich beklei­den mit Scham; aber auf ihm wird seine Krone blühen."

Jes. 12, 6. „Jauchze und rühme, du Einwohnerin zu Zion; denn der Heilige Israels ist groß in dir."

Jes. 1. 26. 27. „Und will dir wieder Richter geben, wie zuvor waren, und Ratsherren, wie am Anfang. Darnach wirst du eine Stadt der Gerechtigkeit, und eine treue Stadt heißen. Zion muß durch Recht erlöst werden und ihre Wiederkehrenden durch Gerechtigkeit."

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 Jes. 2, 3. „Und werden viele Völker hingehen und sagen:

Kommt, lasset uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakob, daß er uns lehre seine Wege, und wir wandeln auf seinen Steigen. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem."

Mich. 4, 7. 8. „Und ich will das Lahme machen, daß es überbleiben soll und das weit Vertriebene zum großen Volk; und der Herr wird König über sie sein auf dem Berge Zion, von nun an bis in Ewigkeit. Und du Herdenturm, du Hügel der Tochter Zion, zu dir wird gelangen und zu dir wird kommen die frühere Herrschaft, das Königtum der Tochter Jerusalem."

Jes. 24, 23. „Und der Mond wird sich schämen, und die Sonne mit Schande bestehen, wenn der Herr Zebaoth König  sein wird auf dem Berge Zion und zu Jerusalem, und vor seinen Ältesten in Herrlichkeit."

Jes. 27, 13. „Zu der Zeit wird geblasen werden mit einer großen Posaune: so werden kommen die Verirrten im Lande Assur, und die Verstoßenen im Lande Ägypten und werden den Herrn anbeten auf dem heiligen Berge zu Jerusalem."

Jes. 33, 20. 21. „Schaue Zion, die Stadt unseres Stifts; deine Augen werden Jerusalem sehen, eine sichere Wohnung, eine Hütte, die nicht wandert, welcher Nägel sollen nimmermehr ausgezogen, und ihrer Seile keines ab­gerissen werden; sondern der Herr wird mächtig daselbst bei uns sein, gleich als wären da weite Ströme und Flüsse; daß darüber kein Ruderschiff fahren, noch mächtige Fahr­zeuge dadurch schiffen werden."

Jer. 3, 17. „Zur selbigen Zeit wird man Jerusalem heißen:

des Herrn Thron; und werden sich dahin sammeln alle Na­tionen um Jehovas Namen willen zu Jerusalem, und werden nicht mehr wandeln nach den Gedanken ihres bösen Herzens."

Jer. 33, 10. 11. „So spricht der Herr: An diesem Orte, davon ihr saget, er ist wüste, daß weder Leute noch Vieh mehr da ist; in den Städten Juda, und auf den Gassen zu Jerusalem, die so verwüstet sind, daß weder Leute, noch Einwohner, noch Vieh. darinnen sind, wird man den­noch wiederum hören die Stimme der Freude und Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut und die Stimme derer, die da Dankopfer bringen zum Hause des Herrn. Denn ich will des Landes Gefängnis wenden, wie von An­fang, spricht der Herr."

Hes. 43, 7. „Und er sprach zu mir: du Menschenkind, das ist der Ort meines Thrones, und die Stätte meiner Fuß­sohlen, darinnen ich will ewiglich wohnen unter den Kin­dern Israel. Und das Haus Israel soll nicht mehr meinen

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 heiligen Namen verunreinigen, weder sie noch ihre Könige, durch ihre Hurerei und durch die Leichen ihrer Könige in ihren Höhen."

Zeph. 3, 14-17. „Jauchze, du Tochter Z i o n ; frohlocke, Israel; freue dich und sei fröhlich von ganzem Herzen, du Tochter Jerusalem! Der Herr hat deine Gerichte weg­genommen, und deinen Feind weggeräumt. Der Herr, der König Israels, ist bei dir, daß du dich vor keinem Unglück mehr fürchten darfst. Zur selbigen Zeit wird man sprechen zu Jerusalem: Fürchte dich nicht; und zu Zion: Laß deine Hände nicht sinken; denn der Herr, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland. Er wird sich über dir freuen mit Lust; er wird stille sein in seiner Liebe und wird über dir mit Schalle fröhlich sein."

Sach. 2, 10 -12. „Jauchze und sei fröhlich, du Tochter Zion; denn siehe, ich komme und will in dir wohnen, spricht der Herr. Und sollen zu der Zeit viele Nationen dem Herrn anhangen und sollen mein Volk sein; und ich will in dir wohnen; und sollst erfahren, daß mich der Herr Zebaoth zu dir gesandt hat. Und der Herr wird Juda erben, als sein Teil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen.

Sach. 8, 2-8 und 20-22: „So spricht der Herr Zebaoth:

Ich habe für Zion geeifert mit großem Eifer und habe mit großem Zorn über sie geeifert. So spricht der Herr: Ich kehre mich wieder zu Zion und will in Jerusalem wohnen, daß Jerusalem soll eine Stadt der Wahrheit heißen, und der Berg des Herrn Zebaoth ein Berg der Heiligkeit. So spricht der Herr Zebaoth: Es sollen noch ferner wohnen in den Gassen zu Jerusalem alte Männer und alte Weiber, die alle an Stecken gehen vor großem Alter; und der Stadt Gassen sollen sein voll Knäblein und Mägdlein, die auf ihren Gassen spielen. So spricht der Herr Zebaoth: Dünket solches unmöglich zu sein vor den Augen dieses übrigen Volkes zu dieser Zeit; sollte es darum auch unmöglich sein vor meinen Augen? spricht der Herr Zebaoth. So spricht der Herr Zebaoth: Siehe, ich will mein Volk erlösen vom Lande gegen Aufgang und vom Lande gegen Niedergang der Sonne; und will sie herzu bringen, daß sie in Jeru­salem wohnen; und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein, in Wahrheit und Gerechtigkeit... So spricht der Herr Zebaoth: Weiter werden noch kommen viele Völ­ker und vieler Städte Einwohner; und werden die Einwoh­ner einer Stadt gehen zur anderen, und sagen: Lasset uns gehen zu bitten vor dem Herrn und zu suchen den Herrn Zebaoth; auch ich will mit euch gehen. Also werden viele

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 Völker und Nationen mit Haufen kommen, zu suchen den Herrn Zebaoth zu Jerusalem, und zu bitten vor dem Herrn."

Sach. 14, 16-21. „Und alle Übrigen unter allen Nationen, die wider Jerusalem zogen, werden jahraus jahrein herauf­kommen, anzubeten den König, den Herrn Zebaoth und zu halten das Laubhüttenfest. Welches Geschlecht aber auf Erden nicht heraufkommen wird gen Jerusalem, anzu­beten den König, den Herrn Zebaoth, über die wird es nicht regnen. Und wo das Geschlecht der Ägypter nicht herauf­zöge und käme, so wird's über sie auch nicht kommen. Das wird die Plage sein, womit der Herr plagen wird die Natio­nen, die nicht heraufkommen zu halten das Laubhüttenfest. Denn das wird eine Sünde sein der Ägypter und aller Na­tionen, die nicht heraufkommen, zu halten das Laubhütten­fest. Zu der Zeit wird auf den Schellen der Rosse stehen:

Heilig dem Herrn; und werden die Kessel im Hause des Herrn gleich sein, wie die Becken vor dem Altar. Ja, es werden alle Kessel, beides in Jerusalem und Juda, dem Herrn Zebaoth heilig sein, also daß alle, die da opfern wol­len, werden kommen, und dieselbigen nehmen, und darin­nen kochen. Und wird kein Kanaaniter mehr sein im Hause des Herrn Zebaoth."

10. In dem Königreich werden die Nationen Israel unterworfen sein.

Jes. 14, 1. 2. „Denn der Herr wird sich über Jakob er­barmen, und Israel noch weiter erwählen, und wird sie in ihr Land setzen. Und Fremdlinge werden sich zu ihnen tun und dem Hause Jakob anhangen. Und die Völker werden sie nehmen und bringen an ihren Ort; und das Haus Israel wird sie für sich besitzen im Lande des Herrn, zu Knechten und Mägden; und es werden gefangen gehalten die, von welchen sie gefangen waren, und werden herrschen über ihre Treiber."

Jes. 49, 22. 23. „So spricht der Herr: Siehe, ich will meine Hand zu den Nationen aufheben, und zu den Völkern mein Panier aufwerten; so werden sie deine Söhne In den Armen herzubringen und deine Töchter auf den Armen hertragen. Und Könige sollen deine Pfleger und ihre Fürstinnen deine Säugammen sein. Sie werden vor dir niederfallen zur Erde auf das Angesicht, und deiner Füße Staub lecken. Da wirst du erfahren, daß ich der Herr bin, an welchem nicht zu Schanden werden, die auf mich harren."

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 Jes. 60, 3-16. „Und die Nationen werden zu deinem Licht wandeln, und die Könige zum Glanz, in dem du aufgehest. Hebe deine Augen auf, und siehe umher: diese Alle ver­sammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter an der Seite getragen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird erschrecken und sich ausbreiten, wenn sich die Menge des Meeres zu dir kehrt, und die Macht der Natio­nen zu dir kommt. Die Schar der Kamele wird dich be­decken, die Dromedare aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen, und des Herrn Lob verkündigen. Alle Herden Kedars sollen zu dir versammelt werden, die Widder Nebajoths sollen dir dienen. Sie sollen mir zum Wohlgefallen auf meinen Altar kommen, denn ich will das Haus meiner Herrlichkeit herr­lich machen. Wer sind die, welche fliegen wie die Wolken, und wie die Tauben zu ihren Fenstern? Denn auf mich harren die Inseln und die Meerschiffe schon vorlängst, daß sie deine Kinder von ferne herzu bringen, samt ihrem Silber und Gold, dem Namen des Herrn, deines Gottes, und dem Heiligen in Israel, der dich herrlich gemacht hat. Fremde werden deine Mauern bauen und ihre Könige werden dir dienen.

 Denn in meinem Zorn habe ich dich geschlagen, und in meiner Gnade erbarme ich mich über dich. Und deine Tore sollen stets offen stehen, weder Tag noch Nacht zuge­schlossen werden; daß der Nationen Macht zu dir gebracht, und ihre Könige herzugeführt werden. Denn welche Natio­nen oder Königreiche dir nicht dienen wollen, die sollen umkommen und die Heiden dürre werden. Die Herrlichkeit Libanons soll an dich kommen, Tannen, Eichen und Buchen miteinander, zu schmücken die Stätte meines Heiligtums; denn ich will die Stätte meiner Füße herrlich machen. Es werden auch gebückt zu dir kommen die Kinder deiner Unterdrücker; und alle, die dich gelästert haben, werden anbeten zu deinen Füßen; und werden dich nennen: Stadt des Herrn, Zion des Heiligen in Israel. Dafür, daß du bist die Verlassene und Gehaßte gewesen, da niemand hindurch ging, will ich dich zur Pracht ewiglich machen, und zur Freude für und für.— Daß du sollst Milch von den Natio­nen saugen, ja, der Könige Brust sollst du saugen; auf daß du erfährst, daß ich, der Herr, bin dein Heiland, und ich, der Mächtige in Jakob, bin dein Erlöser."

Jes. 61, 5-9. „Fremde werden stehen und eure Herde weiden; und Ausländer werden eure Ackersleute und Wein­gärtner sein. Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen, und man wird euch Diener unseres Gottes nennen; und werdet der Nationen Güter essen und in ihrer Herrlichkeit Stelle

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 treten. Für eure zwiefältige Schmach und für die Schande, da jene jauchzten in ihrem Teil: dafür sollen sie Zwiefältiges erben in ihrem Lande, sie sollen ewige Freude haben. Denn ich bin der Herr, der das Recht liebt und ich hasse Raub mit Frevel; ich will ihnen treulich Lohn geben, und einen ewigen Bund will ich mit ihnen machen. Und man soll ihren Samen kennen unter den Nationen, und ihre Nachkommen unter den Völkern; wer sie sehen wird, soll sie erkennen, daß sie der Same sind, den der Herr gesegnet."

Jes. 66, 12. „Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus den Frieden zu ihr, wie einen Strom, und die Herrlich­keit der Nationen, wie einen ergossenen Bach; da werdet ihr saugen. Ihr sollt an der Seite getragen werden und auf den Knieen freundlich gehalten."

Mich. 5, 7. 8. „Ja, die Übrigen aus Jakob werden unter den Nationen, in der Mitte vieler Völker sein, wie ein Löwe unter den Tieren im Walde, wie ein junger Löwe unter den Schafherden, welchem niemand wehren kann, wenn er hin­durch gehet, zertritt und zerreißt. Denn deine Hand wird siegen über deine Widerwärtigen, daß alle deine Feinde müssen ausgerottet werden."

Sach. 8, 22-23. „Also werden viele Völker und Nationen mit Haufen kommen, zu suchen den Herrn Zebaoth zu Je­rusalem, und zu bitten vor dem Herrn. So spricht der Herr Zebaoth: Zu der Zeit wird's geschehen, daß zehn Männer aus allerlei Sprachen der Nationen einen jüdischen Mann bei dem Zipfel ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, daß Gott mit euch ist."

Dan. 7, 27. „Aber das Reich, die Gewalt und Hoheit der Königreiche unter dem ganzen Himmel, wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ein ewiges Reich ist; und alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen." „Alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen", d. 1. „dem Volk der Heiligen an den himmlischen Örtem" — dem Volk, dem „das Reich die Gewalt und Hoheit unter dem ganzen Himmel" gegeben werden wird.

11. Die Folgen der Regierung Christi werden Ge­rechtigkeit, Friede und Freude sein.

Jes. 11, 5-9 . „Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Hüften. Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen, und die Pardel bei den Böcklein ruhen. Kälber und junge Löwen und Mastvieh werden mit-

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 einander sein und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Kühe und Bären werden an der Weide gehen, daß ihre Jungen beieinander liegen; und der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein Entwöhnter wird die Hand stecken in die Höhle der Basilisken. Man wird nicht schaden und verderben auf mei­nem ganzen heiligen Berge; denn die Erde ist voll Erkennt­nis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt."

Jes. 32,1-4 und 15-18: „Siehe, es wird ein König regieren, Gerechtigkeit anzurichten, und die Fürsten werden herr­schen, das Recht zu handhaben; daß jeder sein wird eine Zuflucht vor dem Winde und ein Versteck vor dem Platz­regen; wie die Wasserbäche am dürren Ort, wie der Schat­ten eines Felsens im schmachtenden Lande. Und der Sehen­den Augen werden nicht verklebt sein, und die Ohren der Hörenden werden aufmerken; und der Unvorsichtigen Herz wird Klugheit lernen, und der Stammelnden Zunge wird fertig sein und reinlich reden... Bis daß über uns ausge­gossen werde der Geist aus der Höhe. So wird dann die Wüste zum Fruchtfeld werden und das Fruchtfeld für einen Wald gerechnet werden. — Und das Recht wird in der Wüste wohnen, und Gerechtigkeit auf dem Fruchtfeld hausen. Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Gerech­tigkeit Ertrag wird ewige Stille und Sicherheit sein. Daß mein Volk in Häusern des Friedens wohnen wird, in siche­ren Wohnungen und in stillen Ruhestätten." —

Micha 4, 1-5. „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des Herrn Haus stehet, festgestellt werden auf die Gipfel der Berge, und über die Hügel erhaben sein; und es werden die Völker zu ihm strömen und viele Nationen hingehen und sagen: Kommt, lasset uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakob, daß er uns lehre seine Wege, und wir wandeln auf seinen Steigen: denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten zwischen vielen Völkern, und zurechtweisen mächtige Nationen bis in die Feme. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern schmieden. Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. — Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, daß niemand sie schrecke; denn der Mund des Herrn Zebaoth hat's geredet. Denn ein jegliches Volk wird wandeln im Namen des Herrn unseres Gottes, immer und ewiglich."

Zeph. 3, 9. 10. „Alsdann will ich den Völkern anders predigen lassen mit reinen Lippen, daß sie alle sollen des

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 Herrn Namen anrufen und ihm dienen einträchtiglich. Man wird mir meine Anbeter, die Töchter meiner Zerstreu­ten, von jenseits der Flüsse des Mohrenlandes herbringen zum Geschenke."

Sach. 14, 9. 20. 21. „Und der Herr wird König sein übel alle Lande. Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein und sein Name nur einer.. Zu der Zeit wird auf den Schellen der Rosse stehen: Heilig dem Herrn; und werden die Kessel im Hause des Herrn gleich sein, wie die Becken vor dem Altar. Ja, es werden alle Kessel, beides in Jerusalem und Juda, dem Herrn Zebaoth heilig sein, also daß alle, die da opfern wollen, werden kommen und dieselbigen nehmen und darinnen kochen. Und wird kein Kanaaniter mehr sein im Hause des Herrn Zebaoth zu der Zeit."

4. Mose 14, 21. „Aber so wahr als ich lebe, so soll alle Welt der Herrlichkeit des Herrn voll werden."

PS. 67; 72; Jes. 2, 2. 4: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, festgestellet sein auf die Gipfel der Berge, und über die Hügel erhaben; und werden alle Natio­nen zu ihm strömen... Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern schmieden. Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen."

Jes. 25, 6. 7. „Und der Herr Zebaoth wird allen Völkern machen auf diesem Berge ein fettes Mahl, ein Mahl von starkem Wein, von Fett und Mark, von Wein, darinnen keine Hefen sind. Und er wird auf diesem Berge das An­gesicht der Hülle wegtun, damit alle Völker verhüllet sind, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist."

Jes. 59, 19. „Daß der Name des Herrn gefürchtet werde vom Niedergang, und seine Herrlichkeit vom Aufgang der Sonne; wenn der Widersacher kommen wird wie ein Strom, wird der Geist des Herrn Panier aufrichten wider ihn."

Jes. 60; 61, 3. 4. 11. „...zu schaffen den Traurigen zu Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Trau­rigkeit, und Feierkleider für einen betrübten Geist ge­geben werden; daß sie genannt werden Bäume der Gerech­tigkeit, Pflanzen des Herrn, zu seinem Preise. Sie werden die alten Wüstungen bauen, und was vor Zeiten zerstört ist, aufrichten, sie werden die verwüsteten Städte, was für und für zerstört gelegen, erneuern... Denn gleichwie die Erde ihr Gewächs hervorbringt und der Garten sein Gesätes wachsen läßt: also wird der Herr Gerechtigkeit und Lob wachsen lassen vor allen Nationen."

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 Jes. 65, 18-25. „Freuet euch und seid fröhlich für und für über dem, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jeru­salem schaffen zur Wonne, und ihr Volk zur Freude. Und ich will fröhlich sein über Jerusalem, und mich freuen über mein Volk; und soll nicht mehr darinnen gehört werden die Stimme des Weinens, noch die Stimme des Klagens. Es sollen von da nicht mehr sein Kinder, die ihre Tage nicht erreichen, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen; sondern ein Knabe wird sterben hundert Jahre alt, und der Sünder von hundert Jahren verflucht sein. Sie werden Häuser bauen und bewohnen; sie werden Weinberge pflanzen und derselben Frucht essen.

 Sie werden nicht bauen, daß ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, daß ein anderer esse. Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes; und das Werk ihrer Hände wird alt werden bei meinen Auserwählten. Sie werden nicht umsonst ar­beiten, noch mit Schrecken gebären; denn sie sind der Same des gesegneten Herrn und ihre Nachkommen mit ihnen. Und soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und junges Lamm sol­len weiden zusammen, und der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind, .aber die Schlange soll Staub essen. Man wird nicht schaden noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr." —

Hos. 2, 21. 22. „Zur selbigen Zeit will ich erhören, spricht der Herr: ich will den Himmel erhören, und derselbige soll die Erde erhören. Und die Erde soll Korn, Most und öl er­hören, und dieselbigen sollen Israel erhören."

Röm. 8, 19-21. „Denn das sehnsüchtige Harren der Krea­tur wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen (nicht mit Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat) auf Hoff­nung; daß auch selbst die Kreatur von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes freigemacht werden wird."

PS. 96; 97; 98; 100; 144,12-15: „...daß unsere Söhne seien gleich Pflanzen, groß geworden in ihrer Jugend, unsere Töchter gleich gehauenen Ecksäulen, nach der Bauart eines Palastes; daß unsere Speicher voll seien, darreichend von jeglicher Art; daß unsere Schafe sich mehren bei Tausenden und Zehntausenden auf unseren Triften; daß unsere Ochsen belastet seien; daß kein Bruch, kein Herausgehen und kein Geschrei auf unseren Straßen sei. Glückselig das Volk, dem also ist! Wohl glückselig das Volk, dessen Gott Jehova ist." Ebenso Psalm 145 und 150.

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 12. Die Versammlung wird während dieser Segens­zeit mit Ihm regieren; sie ist die Teilnehmerin Seiner Herrlichkeit und die Spenderin der Seg­nungen.

Offb. 1. 6. „Und hat uns zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater ge­macht, ihm sei die Herrlichkeit und die Stärke in die Zeitalter der Zeitalter! Amen."

Offb. 2, 26-28. „Und wer überwindet und meine Werke bis ans Ende hält, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit einer eisernen Rute, — wie Töpfergefäße zerschmettert werden; wie auch ich von meinem Vater empfangen habe."

Offb. 3, 21. „Wer überwindet, dem werde ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron." —

Offb. 20, 4. 6. „Und ich sah Throne, und sie saßen dar­auf, und es ward ihnen Gericht gegeben... Glückselig und heilig, wer an der ersten Auferstehung Teil hat; über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Prie­ster Gottes und des Christus sein und tausend Jahre mit ihm herrschen."

Offb. 21, 9-27. „Und es kam einer von den sieben Engeln, welche die sieben Schalen, voll der sieben letzten Plagen, hatten, und redete 'mit mir, sagend: Komm' her, ich will dir die Braut des Lammes, das Weib zeigen! Und er führte mich im Geiste hinweg auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, herniederkommend aus dem Himmel von Gott, die Herrlich­keit Gottes habend. Ihre Leuchte ist gleich dem köstlichsten Edelstein, wie einem kristallhellen Jaspisstein. Und sie hat eine große und hohe Mauer; und sie hat zwölf Tore und an den Toren zwölf Engel und Namen eingeschrieben, welche die der zwölf Stämme der Söhne Israels sind. Nach dem Aufgang drei Tore; nach Norden drei Tore; nach Süden drei Tore und nach Niedergang drei Tore. Und die Mauer der Stadt hat zwölf Grundlagen und darauf zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes. Und der, welcher mit mir redete, hatte ein Maß, ein goldenes Rohr, damit er die Stadt und ihre Tore und ihre Mauern messe. Und die Stadt liegt viereckig, und die Länge ist so groß, wie auch die Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr auf zwölftausend Sta­dien; und ihre Länge und ihre Breite und Höhe sind gleich.

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 Und er maß ihre Mauern, hundertvierzig Ellen, nach dem Maß eines Menschen, welches das eines Engels ist. Und das Gebäude ihrer Mauer war Jaspis, und die Stadt reines Gold gleich reinem Glase. Und die Grundlagen der Mauer der Stadt waren mit jedem Edelstein geschmückt. Die erste Grundlage, Jaspis; die zweite, Saphir; die dritte, Chalcadon; die vierte, Smaragd; die fünfte Sardonyx; die sechste, Sar-dis; die siebente, Chrysolith; die achte, Beryll; die neunte, Topas; die zehnte, Chrysopas; die elfte, Hyazinth; die zwölfte, Amethyst. Und die zwölf Tore sind Perlen; und ein jegliches der Tore war aus einer Perle; und die Straßen der Stadt reines Gold wie durchsichtiges Glas. Und ich sah keinen Tempel darin, denn der Herr, Gott der Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm.

 Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, auf daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet, und das Lamm ist ihre Lampe. Und die Nationen werden in ihrem Lichte wandeln, und die Könige der Erde werden ihre Herrlichkeit und ihre Ehre zu ihr bringen. Und ihre Tore sollen des Ta­ges nicht geschlossen werden, denn Nacht wird daselbst nicht sein. Und sie werden die Herrlichkeit und Ehre der Natio­nen zu ihr bringen. Und nichts Gemeines wird in sie ein­gehen, noch was Greuel und Lüge tut: nur die, welche in dem Buch des Lebens des Lammes geschrieben sind."

Offb. 22, 1-5. „Und er zeigte mir einen Strom des Was­sers des Lebens, glänzend wie Kristall, welches aus dem Throne Gottes und des Lammes ging. In der Mitte ihrer Straße und des Stromes — jenseits und diesseits, — war der Baum des Lebens, zwölf Früchte tragend, und jeden Monat seine Frucht gebend; und die Blätter dieses Baumes sind zur Heilung der Nationen. Und es wird kein Fluch mehr dort sein, und der Thron Gottes und des Lammes wird dar­innen sein, und seine Knechte werden ihm dienen. Und sie werden sein Angesicht sehen und sein Name wird auf ihren Stirnen sein. Und keine Nacht wird mehr sein, und sie bedürfen keiner Lampe."

Röm. 5, 17. „Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod durch den Einen geherrscht hat; vielmehr werden die, welche die Überschwenglichkeit der Gnade und der freien Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den Einen, Jesum Chri­stum."

Röm. 8, 17. 18: „Wenn aber Kinder, so auch Erben, — Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir anders mit ihm leiden, auf daß wir auch mit ihm

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 verherrlicht werden. Denn ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, welche an uns offen­bart werden wird." —

2. Tim. 2, 12. „Wenn wir ausharren, werden wir auch mitherrschen."

2. Tim. 4, 8. „Fortan ist mir beigelegt die Krone der Ge­rechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage zur Vergeltung geben wird; nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erschei­nung lieben."

l. Petr. 5, 4. „Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfange n."

Kol. 3, 4. „Wenn der Christus, unser Leben, offenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herr­lichkeit offenbart werden."

Joh. 17, 22. „Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, welche du mir gegeben hast, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind."

l. Thess. 2, 12. „Daß ihr würdig wandelt des Gottes, der euch zu seinem eigenen Reich und Herrlich­keit beruft."

l. Kor. 6, 2. 3. „Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? ..."

l. Kor. 4, 8. „Schon seid ihr satt geworden, schon seid ihr reich geworden; ohne uns habt ihr geherrscht; und ich wollte wohl, daß ihr herrschtet, auf daß auch wir mit euch herrschen möchte n." Der letzte Teil dieses Verses schließt die Regierung der Versammlung ein. Wenn die Korinther wirklich regierten, so würde der Apostel auch regierend und nicht leidend gewesen sein, wie er es damals gewesen war.

Sach. 14, 5.9. „ ... Da wird denn kommen der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir."

Siehe ferner die unter 4. angeführten Schriftstellen.

Hiermit wollen wir diese Betrachtung schließen. Der Gott aller Gnaden möge sie mit Seinem Segen begleiten, und jeden gläubigen Leser durch Seinen Geist unterweisen, damit die so nahe und glückselige Ankunft unseres gelieb­ten Herrn Jesu Christi zu Seines Namens Ehre die Herzen der Seinigen belebe, erfreue und zum Ausharren in allem Guten ermuntere!

„Und der Geist und die Braut sagen: Komm!"

„Ja, ich komme bald! Amen."

„Komm Herr Jesu!" (Offb. 22,17. 20).

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BDH 02016 2 Mose 16 1859 Speise in der Wüste für das Volk Gottes

Als der Herr Sein Volk Israel besuchte und erlöste, und . sie in die Wüste führte, hatte Er gewiß nicht die Absicht, sie dort umkommen zu lassen. Es war Sein gnadenreicher Zweck, sie auf ihrer ganzen Reise zu versorgen; und wir haben in dem 16. Kapitel des 2. Buches Mose einen deutli­chen Beweis Seiner wunderbaren Fürsorge.

Da sprach der Herr zu Mose: „Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen" (V. 4). Sie hatten soeben gesagt: „Ach, daß wir durch des Herrn Hand in Ägypten gestorben wären, da wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot zu essen in Fülle" (V. 3);— und jetzt heißt es: „Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen." Gesegnete Antwort! Wie groß ist der Unterschied zwischen den Fleischtöpfen, den Zwiebeln und dem Knob­lauch Ägyptens und diesem himmlischen Manna. Jenes ge­hörte der Erde an, dieses aber dem. Himmel.

Weiter aber finden wir, daß diese himmlische Speise ein Prüfstein für den moralischen Zustand Israels war, wie wir am Ende des 4. Verses lesen: „...auf daß ich es versuche, ob es in meinem Gesetz wandle oder nicht" (V. 4). — Es ist nötig, daß ein Herz von den Einnüssen Ägyptens völlig be­freit ist und daß es sich an dem „Brot vom Himmel" sättigt und erfreut. In dem vorliegenden Falle war das Volk nicht zufrieden mit diesem Brot, sondern es verach­tete dasselbe und erklärte es für „lose Speise" und gelüstete nach Fleisch. Auf diese Weise zeigten sie, wie wenig ihre Herzen von Ägypten befreit, und auch wie wenig sie ge­schickt waren, in dem Gesetz Gottes zu wandeln. In ihren Herzen hatten sie sich wieder nach Ägypten zurückgewandt. — Es erfordert einen himmlischen Geschmack, um sich an dem Brot vom Himmel zu sättigen. Die Natur findet an solcher Nahrung kein Genüge; diese wird stets nach den Dingen dieser Welt Verlangen haben, und muß deshalb niedergehalten werden.

In Ansehung Israels — als „getauft auf Moses in der Wolke und in dem Meere" und als „die geistliche Speise essend und den geistlichen Trank trinkend" — müssen wir uns daran erinnern, daß sie „unser Vorbild" waren. Alle wahren Gläubigen sind „auf den Tod Christi getauft", und

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 mit Ihm auferweckt „durch den Glauben an die Wirkung Gottes." Als solche werden sie ernährt „vom Brot des Le­bens, welches vom Himmel hernieder kam". Ihre Speise in der Wüste ist Christus — bedient durch den Heiligen Geist, durch das geschriebene Wort; denn der Heilige Geist ist zu ihrer Erquickung hernieder gekommen, als die Frucht von dem geschlagenen Felsen — Christus, geschlagen d. 1. ge­tötet für sie.

Es ist aber ganz augenscheinlich, daß unsere Herzen, um sich an einer solchen Speise und an einem solchen Trank zu erfreuen, von allem, worin der natürliche Mensch sich ver­gnügt und ergötzt, entwöhnt sein müssen. Ein weltliches Herz wird weder Christum in dem Worte finden, noch sich in Ihm erfreuen, wenn Er gefunden ist. — Das Manna war von so reiner und zarter Natur, daß es keine Berührung mit der Erde ertragen konnte. Es fiel auf die Tautropfen (4. Mos. 11, 9) und mußte vor Sonnenaufgang gesammelt werden. Deshalb mußte auch ein jeder frühe aufstehen und seine tägliche Portion suchen. Ebenso ist es mit dem Volke Got­tes jetzt. Das himmlische Manna muß jeden Morgen frisch gesammelt werden. Das gestrige Manna reicht nicht für den heutigen und noch weniger für den morgigen Tag hin. Wir müssen jeden Tag von Christo mit frischer Energie des Gei­stes ernährt werden, sonst werden wir aufhören zu wachsen.

Noch mehr; wir müssen Christum zu unserem ersten Gegenstand haben; wir müssen Ihn frühe suchen, ehe andere Dinge Zeit haben, in unseren Herzen Platz zu neh­men. Viele von uns fehlen hierin. Wir räumen Christo oft einen zweiten Platz ein, und die Folge davon ist, daß wir schwach und matt sind. Der Feind sucht seinen Vorteil in unserer geistlichen Nachlässigkeit und sucht uns der Seg­nung und der Kraft, welche aus der gewöhnlichen Ernäh­rung von Christo fließen, zu berauben.— Es kann aber nur das neue Leben in dem Gläubigen von Christo ernährt wer­den. „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen; so wird auch, wer mich isset, leben meinetwegen" (Joh. 6, 57).

Die Gnade des Herrn Jesu Christi, welcher zur Speise Seines Volkes vom Himmel hernieder gekommen, ist für die erneuerte Seele unaussprechlich köstlich; aber um Ihn als solchen zu genießen, ist es nötig, daß wir unsere wahre Stellung in der Wüste verwirklichen — abgesondert für Gott, in der Kraft einer vollbrachten Erlösung. Wenn wir mit Gott durch die Wüste wandeln, so sind wir mit der Speise, welche Er für uns verordnet, völlig zufrieden, und diese ist Christus, hernieder gekommen vom Himmel.

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 Die Stellung der Kinder Israel in der Wüste ist sehr be­merkenswert. Ägypten war hinter ihnen, Kanaan vor ihnen und die Wüste rings um sie her; und sie waren berufen, für alle ihre Bedürfnisse zum Himmel aufzuschauen. Die Wüste brachte nicht das Geringste für sie hervor. In Gott allein war ihr Teil. Welch ein liebliches und rührendes Vorbild •des pilgernden Volkes Gottes .in dieser öden Welt! Auch diese haben hier nichts. Ihr Leben, welches himmlisch ist, kann nur durch himmlische Dinge ernährt und erhalten werden. Obgleich in der Welt, so sind sie doch nicht von der Welt; denn Christus hat sie von derselben auserwählt. Als ein himmlisch-geborenes Volk sind sie auf dem Wege zu ihrem Geburtsort und werden durch Speise, vom Himmel gesandt, erhalten. Ihr Laut geht aufwärts und vorwärts.

 In dieser Weise nur leitet die Herrlichkeit. Es ist aber ver­geblich, sein Auge rückwärts zu der Leitung Ägyptens zu wenden; kein Strahl der Herrlichkeit kann dort offenbart werden. „Sie schauten nach der Wüste, und siehe die Herrlichkeit des Herrn erschien in der Wolke." Jehovas Wagen war in der Wüste; und alle, welche in Seiner Be­gleitung zu sein wünschten, mußten auch dort sein; und wenn sie dort waren, so konnte nur das himmlische Manna ihre Speise sein. Wahrlich, es war eine wunderbare Erhal­tung, — eine Erhaltung, welche ein Ägypter weder ver­stehen, noch würdigen, noch genießen konnte; aber jene, welche „in dem Meere und in der Wolke getauft" waren, konnten, wenn sie in glücklicher Übereinstimmung mit dieser Taufe wandelten, sich dieser Speise erfreuen und durch dieselbe erhalten werden. So ist es jetzt in Betreff eines wahren Gläubigen. 

Der Weltling kann nicht ver­stehen, wie dieser lebt. Sowohl sein Leben, als auch das, wodurch es erhalten wird, liegt weit außer seinem Gesichts­kreise. Christus ist sein Leben, und von Christo wird er er­nährt. Seine Speise ist die unvergleichliche Gnade dessen, „welcher sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm und in Seiner Stellung wie ein Mensch befunden wurde." Er folgt Ihm aus dem Schoß des Vaters — dem ewigen Wohnort des Lichtes und der Liebe — hinab zum Kreuze — dem Ort der Schmach und der Schande, und vom Kreuze hinauf zum Throne — dem Ort der Majestät, des Sieges und der Herrlichkeit, und findet Ihn auf jeder Stufe seiner wunderbaren Reise als die köstliche Nahrung für seine Seele. "Rund um sich her aber findet er nichts, woran sein erneuerter Geist sich laben kann; alles, was er da findet, kann ihn nur schwächen und matt machen, aber nicht stärken und beleben.

Es ist höchst traurig, Christen zu finden, Welche nach den 120

 Dingen dieser Welt trachten. Es zeigt sehr klar, daß sie an dem himmlischen Manna Ekel haben und es für „lose Speise" achten. Sie bedienen sich der Dinge, welche zu töten sie berufen sind. Wenn das neue Leben in dem Gläu­bigen in Tätigkeit ist, so wird es auch stets beschäftigt sein, „den alten Menschen und seine Handlungen" niederzu­halten; und je mehr dies erfüllt wird, desto mehr werden wir Verlangen haben, zu essen „von dem Brot, welches das Herz des Menschen stärkt." So wie es im Natürlichen ist, — je mehr wir arbeiten, desto größer der Appetit — so ist es auch im Geistlichen. Je mehr die erneuerten Kräfte in Tä­tigkeit sind, desto mehr werden wir das Bedürfnis fühlen, 'ms täglich von Christo zu ernähren.

Es ist eine köstliche Sache, zu wissen, daß wir das Leben in Christo besitzen und völlige Vergebung und Annahme bei Gott gefunden haben; aber es ist eine ganz andere Sache, stete Gemeinschaft mit Ihm zu haben — von Ihm durch Glauben ernährt zu werden — Ihn zur ausschließlichen Nahrung seiner Seele zu haben —„sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken." Sehr viele Christen haben in Jesu Frieden gefunden, und suchen sich durch allerlei Dinge, die nicht mit Ihm in Verbindung stehen, zu nähren, und des­halb klagen sie auch fortwährend über Dürre und Mattig­keit in ihrer Seele.

 Wenn der Israelit nicht in früher Mor­genstunde sein tägliches Teil von der von Gott verordneten Speise sammelte, so konnte er seine Reise nicht mit Kraft fortsetzen. Ebenso ist es mit dem Christen. Er muß Chri­stum zum vornehmsten Gegenstand seines Trachtens ma­chen, sonst wird seine geistliche Kraft sich unvermeidlich vermindern. 

Er kann nicht einmal durch die Gefühle und Erfahrungen, welche mit Christo in Verbindung stehen, er­nährt werden; denn diese sind dem Wechsel unterworfen und können deshalb nicht die geistliche Nahrung der Seele ausmachen. Es war Christus gestern, und es muß Christus heute und für immer sein.

0, daß wir alle in die Wahrheit und in die Kraft dieser Dinge völliger eintreten möchten! Möge der Heilige Geist in unseren Seelen größeres Verlangen nach der Person Christi erwecken, so würde auch unser Wandel durch dieses Leben entschiedener und glücklicher sein.

 Wir rühmen uns der Trübsale

(Röm. 5, 3)

Nichts bildet hienieden einen so vollkommenen Gegen­satz als der Weltmensch und der Christ. Was jener sucht, das flieht dieser; worin jener sich ergötzt, darin ist dieser traurig; was jener fürchtet, dessen rühmt und erfreut sich dieser; was jener Leben nennt, ist für diesen nur Tod —• kurz alles ist sich völlig entgegengesetzt. Und warum ist es also? Der Christ ist in Christo eines neuen Lebens teilhaftig geworden, der himmlischen und göttlichen Natur. Christus Selbst ist sein Leben und dieses Leben hat keine Gemeinschaft mit dem Leben dieser Welt, welches Tod ist; alle des­sen Neigungen und Begierden sind himmlisch und göttlich. Aber hienieden ist es fremd und ungekannt, und es kann auch durch nichts, was von dieser Welt ist, erfreut und er­quickt werden. Jesus sagt von den Seinigen: „Sie sind nicht von dieser Welt, gleichwie auch ich nicht von dieser Welt bin."

Gott will nun, daß dieses himmlische Leben sich stets in seinem wahren Charakter, in seiner wirklichen Natur bei den Seinigen hienieden offenbare, daß deren Wandel zu jeder Zeit bezeuge, daß dieses Leben göttlich und himm­lisch ist. Doch leider ist hierin ein großer Mangel. Die mei­sten Christen begreifen sehr wenig den völligen Gegensatz des Lebens, dessen sie teilhaftig geworden sind, mit dem . Leben oder dem Tode dieser Welt und sind deshalb auch nicht eifrig bemüht, diese Gegensätze überall geltend zu machen und zu verwirklichen. Ihr Wandel hienieden ist oft halb christlich und halb weltlich, und deshalb ist auch der Friede und die Freude des Herzens sehr geschwächt und getrübt. Dies ist der Zustand vieler Christen; aber es war nicht der Zustand Christi, dessen Leben wir teilhaftig ge­worden und dessen Nachfolger zu sein wir berufen sind. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war." Der ernste und aufrichtige Christ, der seinen Herrn wirklich liebt, wird sich nie mit dem traurigen Zustande anderer Christen begnügen und trösten können, sondern wird stets bemüht sein, in den Fußstapfen seines geliebten Herrn zu wandeln. Ist dies nun auch unser Verlangen, meine

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 Brüder, so laßt uns stets auf Christum, unser Leben, schau­en, Seinen Wandel hienieden eifrig betrachten und erfor­schen und Seinen Fußstapfen nachfolgen. Wir werden dann immer besser verstehen lernen, wie Er in jeder Beziehung einen vollkommenen Gegensatz zu dieser Welt bildete, und durch Seine Gnade und Macht immer fähiger werden, in unserem ganzen Wandel zu offenbaren, daß wir Seines Le­bens teilhaftig geworden sind, und werden es verwirklichen.

Richten wir nun zunächst unsere Aufmerksamkeit auf die oben angeführten Worte: „Wir rühmen uns der Trüb­sale." Es sind nur wenige Worte; aber es vergeht beinahe kein Tag hienieden, wo sie nicht in Betreff unseres Wandels von der größten Wichtigkeit für uns sind. Ich möchte beim Betrachten derselben besonders zwei Gedanken unseren Herzen tief einprägen: Die Ursache, welche wir zu diesem Rühmen haben, und das Rühmen selbst.

Es gibt nichts, was die Kinder dieser Welt so sehr fürch­ten, als Trübsale. Wenn nun aber auch die Christen die­selben fürchten, wo bleibt dann der Gegensatz? Und leider finden wir so viele unter diesen, die sie in der Tat mehr fürchten, als sich ihrer rühmen. Und was ist die Ursache hiervon? Unkenntnis ihrer Stellung hienieden und ihres Verhältnisses zu Gott, Mangel an Haß wider die Sünde und das Fleisch, und Mangel an Liebe zu Gott und Seiner Hei­ligkeit. Traurig genug, meine Brüder, aber so ist es. Möge deshalb der Herr in Seiner Gnade unser Auge ganz einfäl­tig und unser Herz recht nüchtern machen, um dies recht klar und deutlich zu erkennen!

Der Mangel des Rühmens der Trübsale hat auch bei vielen seinen Grund darin, daß sie den reichen Segen, der in denselben für sie liegt, nicht verstehen. — Gott hat in Seiner Liebe und Gnade so völlig und treu für uns gesorgt, daß selbst alle Dinge zum Guten mitwirken müssen. Er will nicht erlauben, daß uns hienieden etwas treffe oder be­gegne, worin nicht ein Segen für uns liege. Dies ist nun auch völlig wahr in Betreff der Trübsale, die uns begegnen. Die Gnade Gottes bereitet sie für uns zu einem reichlichen Segen. „Wir rühmen uns der Trübsale, wissend, daß die Trübsal Ausharren wirkt!" Und der Apostel Jakobus ermahnt: „Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mannigfache Versuchungen geratet, wis­send, daß die Bewährung eures Glaubens Ausharren wirkt" (Kap. 1. 2, 3). Also die Trübsale oder die Versuchun­gen, die uns auf dem Wege begegnen, wirken Aus­harren. Das Ausharren aber ist für uns von der größten Wichtigkeit, weil die Erlangung der Verheißung damit zu-

 sammenhängt. „Denn ihr bedürft des Ausharrens, auf daß ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung erlangt" (Hebr. 10, 36). „Wer aber bis an's Ende ausharrt, — dieser wird errettet werden" (Matth. 24, 13). „Glückselig der Mann, welcher in der Versuchung a u s h ä 11 ! Denn wenn er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche der Herr denen, die ihn lieben, verheißen hat" (Jak. 1. 12).

Der natürliche Mensch muß es sicher höchst auffallend finden, daß Trübsale dies Ausharren bewirken sollen. Er wird gerade das Gegenteil davon erwarten; er wird sagen:

„Auf einem Wege, wo keine Trübsale sind, kann ich wohl bis an das Ende vorangehen; aber wenn mir stets neue Schwierigkeiten begegnen, so werde ich bald ermatten." Und das weltlich gesinnte Herz eines Christen wird ihm mehr oder weniger beipflichten. Gott aber sagt: „Trübsal wirket Ausharren". Sein Urteil ist im vollsten Gegensatz mit dem des Menschen. Dieser kennt nur den Weg, worauf das Fleisch wandelt. 

Der Christ aber befindet sich auf dem Wege Gottes, auf dem Weg, den Christus Jesus Selbst wan­delte, und worauf das Fleisch nicht vorangehen kann. Selbst wenn es keine Schwierigkeiten auf diesem Wege gäbe, so würde doch das Fleisch oder der natürliche Mensch nicht fähig sein, auf demselben zu wandeln. Das Fleisch ist nur fähig, uns am Vorangehen oder Ausharren auf dem Wege Gottes zu hindern.

Was tut nun Gott, der uns zum Ausharren und zur Er­langung der Verheißung berufen hat? Er weiß, daß das Fleisch in uns ist. Er kennt dessen Neigungen und Kraft, und gerade deshalb erlaubt Er, daß uns Versuchungen und Trübsale auf dem Wege begegnen, um diese Neigung und Kraft des Fleisches zu brechen. Würde Er aber keine so treue Fürsorge gegen uns ausüben, würde Er keine Trübsale uns begegnen lassen, so würden wir bald, gereizt und über­wunden durch das Fleisch, Seinen Weg verlassen und die Verheißung nicht davontragen. Wie gesegnet sind deshalb die Trübsale, die uns stets aufs neue begegnen! Und wie traurig ist es, sie zu fürchten und ihnen zu entgehen suchen!

Und weiter noch: Mancher Christ mag in seiner Un­wissenheit meinen, es sei alles so zufällig, was ihn hier treffe, die Verhältnisse und Umstände, worin er sich befinde, brächten es so mit sich, es sei das Los aller Menschen und besonders auch das seinige, durch mancherlei Schwierig­keiten und Hindernisse zu gehen u. dergl. m. Ich gebe zu, meine Brüder, daß die meisten Christen sich mit anderen Menschen oft in denselben Umständen und Schwierigkeiten befinden, und ich gebe völlig zu, daß sich viele — traurig

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 genug!—ihrer Untreue wegen, darin befinden; aber ich bin auch ebenso fest überzeugt, daß der Zweck dieser Umstände und Schwierigkeiten, worin sich ein Christ befindet, ein ganz anderer ist, als der bei den Kindern dieser Welt. Es mag sogar sein, daß sich ein .Christ in vielen und anhaltenden Schwierigkeiten befindet, die nichts als ernste Züchtigungen für ihn sind; aber Gott, voll Gnade und Liebe, ist nur be­müht, ihn durch dieselben zu segnen. Er will die Kraft des Fleisches, welches ihn in seinem täglichen Wandel zu so vieler Untreue verleitet hat, brechen; Er will ihn von aller Unreinigkeit völlig absondern und Seiner Heiligkeit teil­haftig machen. Trotz aller Untreue der Christen, hat doch Gott nie Wohlgefallen daran, sie zu plagen. Sie sind teuer erkauft, und Er wird nie erlauben, daß mehr Versuchungen ihnen begegnen als nötig sind, um die Kraft des Fleisches in ihnen zu brechen und das Ausharren zu bewirken.

Es könnte uns zwar etwas befremden, wenn wir sehen, daß Gott vornehmlich nach der Seite am meisten Versu­chungen über uns zu kommen erlaubt, wo wir am schwäch­sten sind. Allein, da gerade sind sie am nötigsten; denn wo der Christ am schwächsten ist, da ist das Fleisch in ihm am stärksten, und diesem begegnet Gott. Er ist ja auch allein weise und gut! Offenbart sich das Fleisch im Besorgtsein für's Durchkommen, in Habsucht, in Eigenliebe, in Ehrgeiz, in unreiner Luft, in Eitelkeit oder in jeder anderen Gestalt, — Er weiß ihm immer auf die rechte Weise zu begegnen. Gepriesen sei Sein heiliger Name!

Wie steht es nun aber mit dem Rühmen der Trübsale unter uns, meine Brüder? Es ist gewiß eine traurige Er­scheinung, das Herz eines Christen, eines Geliebten Gottes, in der Trübsal mit Sorge und Unruhe erfüllt zu sehen. Wo bleibt da der Gegensatz zu der Gesinnung der Kinder dieser Welt? Diese können nicht anders, als unruhig und besorgt sein, wenn Trübsale und Schwierigkeiten da sind; denn auf das Leben hienieden setzen sie ihre ganze Hoffnung, und die segnende Hand Gottes erkennen sie nicht. Und diese Ge­sinnung teilt der Christ, wenn er in den Trübsalen mit Sor­gen und Unruhe erfüllt ist.

 Er offenbart dadurch, daß er nicht völlig mit diesem Leben gebrochen hat, und daß sein Auge nicht einfältig genug ist, um die treue Fürsorge Gottes in Seinen Wegen zu erkennen. Und es gibt (leider!) nicht wenige unter den Christen, die mehr oder weniger bemüht sind, den mannigfachen Versuchungen zu entgehen, und die stets sorgen und sich bemühen, in bessere Verhältnisse zu kommen. Bei solchen Seelen werden freilich die mannig­fachen Versuchungen kein Ausharren bewirken, wohl aber Mißtrauen gegen die Liebe und Gnade Gottes. Möchte es

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 unter uns nicht also gefunden werden, geliebte Brüder! Wir berauben uns sonst eines großen Segens, und verherrlichen auch den Namen unseres Gottes nicht.

Das Rühmen der Trübsale geht sogar noch weiter als das geduldige Ausharren in denselben. Es ist gewiß eine große Gnade, wo dieses gefunden wird, und die gesegnete Frucht wird nicht ausbleiben. Allein sich der Trübsale rühmen und die mannigfachen Versuchungen für ganze Freude achten ist noch mehr und setzt noch reichlichere Gnade in einer Seele voraus. Wir haben gesehen, daß wir alle Ur­sache hierzu haben; doch diese zu bekennen und sich wirk­lich zu rühmen, sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt viele Christen, die wohl verstehen, daß zu diesem Rühmen Grund genug vorhanden ist und es dennoch nicht tun. Und weiter hört man oft die Worte: „Der Apostel" sagt, oder: „Es steht geschrieben": Wir rühmen uns der Trüb­sale." Allein ich frage: Sagst auch du—steht auch in dei­nem Herzen geschrieben: „Ich rühme mich der Trübsale — ich halte die mannigfachen Ver­suchungen, für ganze Freude?" — Wenn das nicht ist, so kann es dir wenig nützen, was der Apostel sagt und was geschrieben steht!

Nach den Trübsalen werden wir oft erkennen, wie ge­segnet sie für uns gewesen sind. Unser Gemüt ist dann freier, um mit Ruhe zurückblicken zu können. Es wird uns alsdann nicht schwer, uns ihrer zu rühmen und den Herrn für Seine Weisheit, Gnade und Liebe zu preisen. Ja, wir werden dann auch erkennen, wieviel Ursache wir haben, uns zu schämen, wenn wir etwa mit Kleinmut und Unruhe in denselben erfüllt waren.

 Doch soll uns dies nicht genug sein. Die gemachte Erfahrung soll uns Mut und Vertrauen geben, uns auch der gegenwärtigen Trübsal zu rüh­men. Es ist derselbe Gott der Liebe um uns bemüht, die­selbe segnende Hand für uns wirksam, wie auch vorher, und wir werden später auf die gegenwärtigen Versuchungen sicher ebenso dankbar zurückblicken können, wie wir es jetzt auf die vergangenen tun. Deshalb, meine Brüder, laßt uns stets unseren Blick aufwärts richten zu dem, der uns nie versäumen kann, weil Er uns so völlig liebt, und nicht mit unruhigem Herzen bei den Trübsalen selbst verweilen. 0, der Herr gebe durch Seinen Geist, daß Sein Wort in uns immer mehr zur Kraft und Tat werde; denn „sein Wort ist Geist und Leben!"

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BDH 67000 1859 Verfall der Kirche Psalm 119

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege" (PS. 119, 105).

Wenn wir ermahnt sind, meine Brüder, alle Dinge zur Ehre Gottes und im Namen Jesu Christi zu tun, so gilt dies vor allem in den Dingen Gottes. Und nichts geziemt einem Christen mehr, als das völlige Bewußtsein der Abhängig­keit von Gott, das treue Erforschen Seines wohlgefälligen Willens und das demütige und kindliche Wandeln in Seiner Gegenwart.

 Je mehr diese Gesinnung in seinem Herzen vorhanden ist, desto weniger wird er daran denken, nach eigenem Gutdünken voran zu gehen, und am wenigsten, wenn es sich um die Dinge Gottes handelt; sondern wird in allem dem Worte Gottes völlig unterworfen sein, geleitet durch den Heiligen Geist. — Es ist gewiß zu jeder Zeit von großer Wichtigkeit,, die Tage unserer Fremdlingschaft hienieden In der Furcht Gottes und zur Verherrlichung Seines Namens zuzubringen; allein es würde noch weit trauriger erscheinen, wenn wir diese letzten Tage, wo die herrliche Ankunft unseres geliebten Herrn so nahegerückt ist, mit eitlen oder nutzlosen Dingen vollenden würden.

Es ist nun zwar viel köstlicher und gesegneter, die reiche und überströmende Fülle in Christo Jesu zu betrachten, als sich mit dem vorliegenden Gegenstand zu beschäftigen; allein Umstände machen es oft nötig, auch von Dingen zu reden, die von einem geringeren Wert sind. Selbst das Wort Gottes, wie wir besonders in den Briefen an die Korinther sehen, beschäftigt sich damit, wenn der schwache Zustand der Christen es erfordert. Und Dank Seiner herablassenden Liebe und Gnade, durch- welche wir auf diese Weise so mannigfache und gesegnete Belehrungen empfangen haben. Es ist aber nicht von Segen, wenn die Christen sich bei untergeordneten Dingen lange aufhalten, oder gar darüber streiten und die wichtigen vernachlässigen. Leider aber hat es die Erfahrung oft gelehrt, daß die untergeordnetsten Dinge den größten Streit und Zwiespalt in der Kirche Got­tes hervorgerufen haben, und es noch tun. — Das einfachste

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 und gesegnetste ist stets, jede fragliche Sache nach dem Worte Gottes im Lichte des Heiligen Geistes zu untersuchen und danach zu urteilen und zu wandeln. Und wir werden auf diesem Wege um so eher und völliger zur Gewißheit und Klarheit in allem gelangen, je mehr wir bereit sind, jede Meinung, sei sie auch noch so alt, noch so allgemein und anerkannt, fahren zu lassen, wenn sie nicht in diesem Worte selbst ihren Grund hat, wenn sie nicht aus dieser allein wahren Quelle geschöpft ist. Und nie wird Gott ein aufrichtiges und demütiges Herz, das Seinen wohlgefälligen Willen zu erkennen begehrt, in irgend einer Sache in Unge­wißheit und Unruhe lassen.

Indem ich nun zu der Betrachtung des obenerwähnten Gegenstandes selbst übergehe, bemerke ich noch, daß ich nicht daran denke, denselben nach allen Seiten hin gründ­lich und würdig erörtern zu können. Ich will nur versuchen, dasjenige hier niederzuschreiben, was mich selbst zur Zeit, als der nämliche Gegenstand allerlei Fragen in mir er­weckte, völlig beruhigte, und jeder Leser möge diese Zeilen ruhig und ohne Vorurteil nach dem Worte Gottes prüfen. Der Geist Gottes aber wolle uns alle leiten und ihn in jedem Wort und Wandel völlig sicher und gewiß machen.

Es handelt sich nun zunächst darum, daß wir recht ver­stehen, was die Kirche oder (was dasselbe sagen will) die Gemeine oder Versammlung ist. Wir finden sie in dem Worte Gottes unter einem doppelten Gesichtspunkte dargestellt: Die Kirche nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes, als den Leib Christi, und dann die Kirche auf der Erde unter Ver­antwortlichkeit und im Verfall. — Zunächst möchte ich einige Worte sagen über

Die Kirche nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes

Unter allen Briefen des Neuen Testamentes ist es vorzugs­weise der Brief an die Epheser, der uns so einfach und klar die Berufung, den Charakter, die Stellung und die Erwar­tung der Kirche oder Versammlung Gottes darstellt. Sie ist auserwählt vor Grundlegung der Welt, begnadigt in Christo Jesu, für immer sichergestellt durch Sein kostbares Blut, mit Ihm lebendig gemacht und mit auferweckt und in Ihm schon in die himmlischen Örter  versetzt. Und also ist sie unzertrennlich .eins mit Christo, ihrem verherrlichten Haupt im Himmel, — Sein Leib, ein Teil von Ihm Selbst. Dies Letztere tritt uns besonders in dem angeführten Brief Ka-

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 pitel 5, 22-32 entgegen. Wir sehen hier, welch einen geseg­neten Platz die Kirche oder Versammlung in den Gedanken Gottes einnimmt und welch ein unendlich kostbarer Gegen­stand sie für die Liebe Christi und für Seine Sorgen ist. „Er hat die Versammlung geliebt, und sich selbst für sichingegeben, auf daß er sie hei­ligte, indem er sie durch das Wort reinigte, auf daß er sich selbst die Versammlung ver­herrlicht darstellte, die weder Flecken noch Runzeln, noch etwas dergleichen habe, sondern daß sie heilig und tadellos war e." — Welch ein gesegnetes Vorrecht ist es, ihr anzugehören!

Weiter gebraucht der Apostel in diesem Abschnitt das Verhältnis eines Mannes zu seinem geliebten Weibe, um die ganze Innigkeit des Bandes zwischen Christo und Seiner Kirche auszudrücken. Wir sind Glieder Seines Leibes, Fleisch von Seinem Fleisch und Bein von Seinem Bein. Für Ihn ist die Kirche, was Eva für Adam, welcher ein Vorbild des Zukünftigen ist, war; sie genießt und besitzt mit Ihm alles, was Ihm vom Vater gegeben ist, und sie ist Seine Fülle — die „Fülle dessen, der alles in allem erfüllt." Sie ist nicht das Erbe, sondern die geliebte Miterbin Christi; und wenn sie auch alle die anderen gesegneten Be­ziehungen in sich vereinigt, so können wir im Blick auf dieses Band mit Christo dennoch sagen: Sie ist mehr als Diener, mehr als Volk Gottes, ja selbst mehr als Kind, so teuer dies auch dem Herzen seines Vaters sein mag; denn es gibt nichts, was man inniger und fester mit sich verbunden denken könnte, als sein Weib und sei­nen Leib.

Christus hat Sein Leben für die Versammlung hinge­geben, — Er hat sie mit Seinem eigenen kostbaren Blut er­kauft; und jetzt nährt und pflegt Er sie, und wird Sich Selber herrlich darstellen, und zwar in derselben Herrlich­keit, wie Er Selbst auferstanden und verherrlicht ist. Die Existenz der Kirche ist auf die Tatsache gegründet, daß Christus sie geliebt und Sich Selbst für sie hingegeben hat. Auf diesem unbeweglichen Grunde ruht ihre Erlösung, ihre Erhaltung und ihre Verherrlichung.— Sie steht außerhalb der Gerichte, welche die Ankunft des Herrn über diese Welt bringen wird, und außerhalb der prophetischen Ereignisse, welche auf dieser Erde, die ihr Wohnplatz nicht ist, stattfinden werden. Der treue Überrest Israels wird nach vollendeten Gerichten seine Segnungen auf die­ser Erde finden; allein die Stellung der Kirche ist himmlisch. Sie ist „mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örter n in Christo gesegnet" (Eph. 1. 3). Sie erwartet den

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 glückseligen Augenblick, wo der Herr sie abrufen wird, um sie zu Sich in die himmlische Herrlichkeit aufzunehmen.

Dies ist die gesegnete Stellung der Kirche, eine Stellung, welche ihr allein angehört, und welche im Alten Testa­ment nicht geoffenbart worden ist. Es waren wohl Gläubige dort; aber die Kirche als solche bestand noch nicht. Chri­stus Selbst war der erste, der ihren Aufbau ankündigte:

„Auf diesen Felsen will ich bauen meine Kirche oder Versammlung." In Apg. 2 sehen wir, daß diese Versammlung zuerst zu Jerusalem gebildet wurde. Es wurden an einem Tage bei dreitausend Seelen hinzuge­tan, und der vom Himmel hernieder gekommene Heilige Geist vereinigte sie zu einem Leibe. Sie waren an ein und demselben Ort, und bildeten eine Versammlung, zu wel­cher der Herr täglich hinzutat, welche gerettet werden soll­ten (V. 47). Wenn sie auch in verschiedenen Häusern das Brot brachen, so waren sie in Wirklichkeit doch nur eine Versammlung, nur e i n Leib, ein auf der Erde sicht­barer Leib, der von Gott anerkannt und von dem Heiligen Geiste bewohnt wurde. Sie bestand zwar am Anfang nur aus Gläubigen aus den Juden; allein ihre Einheit wurde nicht unterbrochen, als auch Gläubige aus den Nationen hinzugetan wurden. Es entstanden zwar an verschiedenen Orten Versammlungen, aber diese waren innerlich und äußerlich vereinigt.

 An jedem Ort war auch nur eine Ver­sammlung, welche, in ihrer Vereinigung als Körper, die Ein­heit der ganzen Kirche oder Versammlung darstellte. Die Idee, dieser oder jener Kirche anzugehören, kannte man da­mals nicht und ist überhaupt dem Worte Gottes ganz und gar fremd. Ein jeder wahrer Gläubige, der des Lebens in Christo teilhaftig geworden und mit dem Heiligen Geiste versiegelt ist, gehört zu dem Leibe Christi; und nichts an­deres ist die Kirche nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes. Wer ein Glied dieses Leibes ist, ist auch an jedem Ort, wo dieser Leib dargestellt und vereinigt ist, ein Glied desselben. Ein jeder Christ gehört ebenso völlig der Ver­sammlung zu Korinth, als auch der zu Ephesus oder Thes­salonich an. Die wiederholten Bezeichnungen der Personen, an welche die verschiedenen Briefe der Apostel gerichtet waren, beweisen schon deutlich deren Gleichheit an Cha­rakter und Stellung. Es waren „die Geliebten Gottes" — „die berufenen Heiligen" — „die Geheiligten in Christo Jesu" —„die heiligen und treuen Brüder in Christo". Die Vorrechte und Segnungen der einen waren die der anderen. Kein Unterschied fand statt. Es war nur ein Leib, der durch den einen Geist gebildet und in dieser Einheit auf der Erde dargestellt wurde. Der Geist Gottes wohnt sowohl

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 in dem einzelnen, als auch in allen wahren Gläubigen zu­sammen, als in Seinem Tempel. Diese sind das Haus Gottes, ,. auf erbaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten, wo Jesus Christus Selbst der Eckstein ist" (Eph. 2, 20). Statt des Tempels zu Jerusalem, in welchem Jehova wohnte, fin­den wir jetzt diese Vereinigung der Gläubigen in einem Leibe, die Wohnung Gottes auf der Erde. Der Geist Gottes aber, obgleich Er Einer ist, offenbart Seine Gegenwart auf mannigfache Weise, und zwar in einem Leibe.

 Es sind die verschiedenen Gaben, die der eine Geist zum gemeinsa­men Nutzen wirkt und welche Er einem jeglichen nach Sei­nem Wohlgefallen austeilt. In der Ausübung dieser Gaben besteht die Tätigkeit eines jeden Gliedes des Leibes — tätig im Dienste des Herrn für den ganzen Leib. — So nützlich und interessant dieser Gegenstand nun auch ist, so will ich doch hier nicht weiter darauf eingehen, weil es nur meine Absicht ist, einige Worte über die Kirche nach den Ge­danken und Ratschlüssen Gottes zu sagen, wonach sie e i n Leib, der Leib Christi ist, — eins mit ihrem verherrlichten Haupte im Himmel, gebildet und dargestellt auf der Erde durch den einen Geist, der in ihr wohnt und durch Seine verschiedenen Gaben in ihr wirkt.

Die Kirche auf der Erde unter Verantwortlichkeit und im Verfall

Es ist durchaus nötig, die Kirche von diesem Gesichts­punkte aus zu betrachten, wenn man an ihre Wiederher­stellung denkt. Und ach, wir können, im Hinblick auf die Stellung der Kirche nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes, nichts Traurigeres sehen, als diese Kirche auf der Erde in ihrem Verfall. Unendlich weit ist sie von ihrem ersten Zustande abgewichen; ihr himmlischer Charakter und ihre wahre Gestalt als Kirche sind beinahe völlig ver­nichtet und verloren. Sie hat nicht nur ihre erste Liebe ver­lassen, sondern sie ist auch auf eine schreckliche Weise un­treu und abtrünnig geworden. Sie hat die Liebe dessen, der Sein Leben für die Versammlung dahingegeben, ganz und gar verachtet und von sich gestoßen; sie hat ihren himmli­schen Bräutigam verleugnet und verworfen, und hat sich zur Welt gewandt und ist selbst zur Welt geworden. Ver­gebens suchen wir in dieser Kirche auf der Erde den einen Leib, welcher der Leib Christi und sozusagen Sein zweites

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 Ich ist — die Kirche nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes. Es ist wahr, wir finden Gläubige inmitten dieser verfallenen Kirche, die zu jeder Zeit zusammen den wah­ren Leib Christi hienieden ausmachen; aber leider sind auch diese größtenteils in Zertrennung und Verwirrung.

Je mehr wir den Abfall der Kirche in seiner wahren Größe erkennen, desto mehr werden wir auch das Gewicht der Frage in Betreff ihrer Wiederherstellung fühlen. Es handelt sich dabei um nichts weniger, als um den traurigen Zustand der ganzen sogenannten Christenheit — um alles das, was den Namen Kirche trägt. Dies allein stellt die ganze Tragweite des Abfalls, wenn wir ihn zu übersehen vermöchten, vor unsere Augen.

Die ganze Kirche auf der Erde besteht nur noch in ein­zelnen Parteien, die sich äußerlich durch besondere Be­nennungen voneinander unterscheiden. Wenn aber nun schon das Bestehen dieser Parteien an und für sich ein trau­riger Beweis von dem Verfall der Kirche ist, wieviel mehr offenbart sich dieser in dem Zustande der meisten Parteien selbst?

Eine jede Partei, wenn sie auch nur aus wahren Gläubi­gen bestehen sollte, gibt schon durch ihre Existenz zu ver­stehen, daß sie den wahren Charakter der Kirche wenig kennt, und auch, daß es ihr an der rechten Einsicht des Wortes, und oft sogar an der wirklichen Demut des Herzens fehlt. Alle eingeführten Ordnungen und Einrichtungen einer solchen Partei, um ihr das Gepräge der Kirche in ihrem An­fange aufzudrücken, zeigen deutlich, daß die persönliche Gegenwart und die Autorität des Heiligen Geistes in der Kirche, so sehr auch beides noch zugestanden werden mag, doch tatsächlich keine wahre Würdigung findet. —

 In an­deren Parteien, wo das wahre Leben oder die gesunde Lehre mehr oder weniger mangelt, — in Parteien, die sich äußer­lich oft durch Ansehen, Macht und Größe auszeichnen, ist dieser Abfall noch viel offenbarer. Das Bild und der Cha­rakter der wahren Kirche Christi sind in diesen fast ganz und gar verloren und die persönliche Gegenwart des Hei­ligen Geistes völlig beiseite gesetzt. Man greift in dessen Rechte durch eigenmächtiges Verleihen von Ämtern; man teilt dieselben aus auf dem Wege menschlicher Einrichtun­gen und oft nach Gunst und äußerem Ansehen, ja, man hat selbst eine Menge Ämter gemacht, wovon in dem Worte Gottes nicht die geringste Spur zu finden ist. Noch mehr; es gibt kirchliche Parteien, wo Christus, wenn auch nicht immer in Seiner Person, so doch in Seinem Charakter als das alleinige Oberhaupt der Kirche, völlig verleugnet wird, indem man einem oder mehreren Menschen diesen Platz

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 einräumt, — Parteien, wo Irrtum und Sünde, deren Größe und Mannigfaltigkeit nicht auszusprechen sind, jeden Damm durchbrochen und alles durchsäuert haben. Gewiß, es gibt nichts Traurigeres, als den Verfall der Kirche, wenn wir ihn in seiner wahren Gestalt erkennen.

Schon zu der Zeit der Apostel war der Feind auf alle Weise beschäftigt, die Kirche von ihrem wahren und ge­segneten Standpunkt zu entfernen. Paulus, der treue Diener und Apostel Jesu Christi schreibt an die Korinther: „Ich eifere über euch mit Gottes Eiter; denn ich habe euch einem Manne verlobt, um euch als keusche Jungfrau dem Christus darzu­stellen. — Ich fürchte aber, daß wie die Schlange Eva durch ihre List verführte, also auch euer Sinn verdorben und verrückt werde von der Einfalt gegen Christum" (2. Kor. 11, 2. 3). In dieser Versammlung nahmen die Spal­tungen oder Parteiungen schon ihren Anfang. Wir lesen

1. Kor. 1. 12: „Ich sage aber dieses, daß ein jeg­licher von euch sagt: Ich bin des Paulus, und ich des Apollos, und ich des Kephas, und ich Christi." Und wenn wir die traurige Beschreibung der Apostel von dem zunehmenden Verderben in der Kirche in der Epistel des Judas, in 2. Petri 2, in 1. Timoth. 4, 1-3, in

2. Timoth. 3, 1-7 usw. lesen, so sehen wir, zu welch einer schrecklichen Ausdehnung dieses Verderben in unseren Tagen schon gekommen ist.

Es könnte nun die Frage aufgeworfen werden, ob das Wort Gottes den Begriff Kirche soweit ausdehne, daß sie nicht nur die wahren Gläubigen, sondern auch die ganze so­genannte Christenheit umfasse. Ich antworte: Ja, wenn von der Kirche in ihrer Verantwortlichkeit auf der Erde, nicht aber, wenn von der Kirche, als dem wahren Leibe Christi die Rede ist.

Die sieben Versammlungen in Offb. Joh. 2, 3 stellen die Kirche in ihrem Zustande dar, solange sie auf der Erde exi­stiert. Wir sehen daselbst ihre Verantwortlichkeit, und Christum in ihrer Mitte — nicht als Haupt, sondern als Richter. Er erforscht, Er offenbart und Er richtet da­selbst die Bösen und ihre Werke. — Zugleich ist zu be­merken, daß die Gläubigen, obgleich sie zusammen immer die wahre Kirche, den Leib Christi ausmachen, doch nicht von der Kirche auf der Erde in ihrer Verantwortlichkeit — wenn auch verantwortlich unter der Gnade — ausgeschlos­sen sind. Wenn sie aber ausharren bis ans Ende, so ist für sie dieses Ende hienieden nicht das Gericht, wie für die anderen, sondern die Aufnahme bei der Ankunft Christi in

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 die himmlische Herrlichkeit vor diesem Gericht, wie wir klar und deutlich aus dem Sendschreiben an die Versamm­lung zu Philadelphia Kap. 3, 10 sehen. Der Name „Kirche oder Versammlung" aber wird hier auf der Erde durch das Wort Gottes nicht allein den Gläubigen, als einen Körper betrachtet, beigelegt, sondern der ganzen Christenheit bis zum Gericht. So lesen wir z. B. in dem Sendschreiben an die Kirche zu Sardes: „Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest und du bist tot" (Kap. 3, l). Hier kann doch unmöglich von der Kirche, als dem Leibe Christi, die Rede sein; denn selbst das schwächste Glied an dem Leibe Christi hat nicht nur den Namen, daß es lebt, sondern es besitzt das Leben wirk­lich. Weiter lesen wir V. 3: „Wenn du nicht wachen wirst, so werde ich wie ein Dieb über dich komme n." In dem Brief an die Thessalonicher sehen wir aber ganz deutlich, daß diese Drohung nicht für die Ver­sammlung, als Leib Christi betrachtet, sondern für die Welt ist.— 

„Ihr aber, Brüder, seid nicht in Fin­sternis, daß euch der Tag wie ein Dieb' er­greife, denn ihr seid alle Söhne des Lichts und Söhne des Tages" (1. Thess. 5, 4. Diese werden (1. Thess. 4) mit der Ankunft des Herrn getröstet ; denn bei Seinem Kommen werden sie Ihm entgegenrücken und für immer bei Ihm sein. Da ist keine Drohung, kein Grund zur Furcht, sondern nur Freude und Frohlocken. Jene aber, „wenn sie sagen werden Friede und Sicher­heit! — dann kommt ein plötzliches Ver­derben auf sie, wie die Geburtswehe auf die Schwangere, und sie werden nicht ent­fliehen" (1. Thess. 5, 2). Dies zeigt uns klar, in welchem Zustand die Versammlung zu Sardes war und was für eine Stellung sie auf der Erde eingenommen hatte.

Doch gehen wir weiter. In dem Sendschreiben an die Versammlung zu Laodicäa heißt es: „Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt bist, noch warm. So nun, weil du lau bist, und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde" (V. 15. 16). Kann der Herr zu Seiner Versamm­lung, welche Sein Leib ist, sagen, daß Er sie aus Seinem Munde ausspeien wolle? Kann Er Sich Selbst Seinen eige­nen Leib, wegwerfen? — Wir lesen in diesem Sendschreiben weiter: „Weil du sagst: Ich bin reich und habe reichlich und bedarf nichts; — und weißt nicht, daß du der Elende und Jämmerliche und arm und blind und bloß bist" (V. 17). Kann Er von Seiner Versammlung, die in Ihm alle Fülle Gottes

  

besitzt, deren Licht und Leben Er Selbst ist, und die Er mit der Gerechtigkeit Gottes bekleidet hat, sagen, daß sie arm, blind und bloß sei? Der Versammlung zu Laodicäa aber muß Er zurufen: „Ich rate dir, Gold in Feuer ge­läutert, von mir zu kaufen, auf daß du reich werdest, und weiße Kleider, auf daß du be­kleidet werdest, und nicht die Schande dei­ner Blöße offenbar werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf daß du sehest."— Es ist ganz augenscheinlich, daß hier nur von dem Zustande der Versammlung oder Kirche auf der Erde, — von der so­genannten Christenheit — die Rede ist, die durch das Aus­speien aus Seinem Munde ihre Existenz verliert, und nicht von der Kirche, als dem Leibe Christi, von den ausharren­den Gläubigen, deren Ende hier die glückselige Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit sein wird.

Noch aus einer anderen Stelle sehen wir ganz deutlich, daß die Heilige Schritt das Wort Kirche oder Versammlung, als auf der Erde betrachtet, so weit ausdehnt. Wenn wir die Briefe an Timotheus mit einiger Aufmerksamkeit lesen, so finden wir, daß schon zu jener Zeit das Böse in die Kirche sehr eingedrungen war und viele verunreinigt hatte. Und in dem zweiten Briet Kap. 2, 20 lesen wir: „In einem gro­ßen Hause sind nicht allein goldene und sil­berne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene; und zwar die einen zur Ehre, andere aber zur Unehre." Es ist klar, daß der Apostel hier nicht von den Heiden spricht, die von Christo noch nichts gehört hatten, sondern von der Kirche in ihrer Stellung auf der Erde. 

Sie ist hienieden das große Haus mit den ver­schiedenen Gefäßen; und sie behält, wie wir gesehen haben, ihren Namen bis zum Ende bei und wird auch im Gericht nicht nur als Welt, sondern nach einer viel höheren Ver­antwortlichkeit — nach ihrer Verantwortlichkeit als Kirche behandelt werden. — Jetzt wollen wir unsere Aufmerksam­keit auf einige andere Fragen richten und sie nach dem Worte Gottes untersuchen.

l. Läßt uns das Wort Gottes eine Wiederherstel­lung- der Kirche in ihren ersten Zustand hoffen?

Diese Frage ist sehr wichtig; allein, wenn sie auch be­jahend beantwortet werden könnte, so würde sie doch nicht die Anmaßung des Menschen rechtfertigen, der von seinen eigenen Anstrengungen eine Wiederherstellung erwartet. Der Mensch kann einen gesegneten Zustand, wenn er darin verantwortlich ist, verlassen, aber nie aus eigener Kraft

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 dahin zurückkehren. Er kann sündigen und von Gott ab­fallen; aber nicht heilen und wieder herstellen. Es könnte nun jemand sagen: Das ist wahr, wenn von dem Menschen als solchem die Rede ist; aber eine ganz andere Sache ist's, wenn wahre Gläubige in dieser Beziehung bemüht sind. Ich erwidere: Es waren wirklich Gläubige, von denen die Schrift sagt, daß sie „das gute Gewissen von sich gestoßen, und am Glauben Schiffbruch gelitten" haben; (1. Tim. 1. 19); es wa­ren Gläubige, von denen wir 1. Tim. 1. 6; 4, l; 2. Tim. 4, 9; 2. Petri 2, 18-22 und an vielen anderen Stellen lesen, und wenn es Gläubige .sind, die von ihren Anstrengungen in Betreff der Wiederherstellung der Kirche etwas hoffen,. so ist es gerade um so trauriger, indem man von ihnen er­warten sollte, daß sie mehr Einsicht in den wahren Cha­rakter dieses Verfalls der Kirche und mehr Erkenntnis im Worte Gottes in Betreff ihrer Wiederherstellung hätten.

Läßt uns denn wirklich das Wort Gottes keine Wie­derherstellung der Kirche in ihren ersten Zustand hoffen? Wir finden nicht eine einzige Stelle, die uns in dieser Be­ziehung irgendwelche Hoffnung übrig ließe. Das Wort spricht zwar wiederholt von einem traurigen Verfall der Kirche, von einem Umsichgreifen des Verderbens, von einem zunehmenden Abfall bis zum Ende, aber nirgends von einer Wiederherstellung des ersten Zustandes. — In 2. Thess. 2, belehrt uns der Apostel über den Fortschritt des Verderbens. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit war schon wirksam; aber das Böse sollte zunehmen bis zum völligen Abfall und bis zur Offenbarwerdung des Menschen der Sünde, des Sohnes des Verderbens.

 Was ist nun das Ende? Wir sehen es in demselben Kapitel Vers 8-12, — keine Wie­derherstellung, sondern das Gericht. Der Herr Jesus wird den Antichristen mit dem Hauch sei­nes Mundes durch die Erscheinung seiner Zukunft verzehren, und alle, welche der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlge­fallen an der Ungerechtigkeit gefunden haben, werden gerichtet werden." Dasselbe finden wir in der Epistel des Judas, worin ebenfalls von dem schrecklichen Abfall die Rede ist, in Vers 14. 15. Und ebenso sagt uns, wie schon bemerkt, der Herr in Offenb. Joh. 3, 14 u. f. ganz deutlich, daß die Kirche auf der Erde keine Wiederherstellung, sondern ein Ausspeien aus Seinem Munde zu erwarten habe. Ihr Ende ist also das Gericht; — dies und nichts anderes offenbart uns in dieser Beziehung das Zeugnis der ganzen Heiligen Schrift.

Weiter finden wir, daß Gott nie einen Zustand, der ver­lassen ist, in derselben Weise wieder herstellt. Ich erinnere

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 zunächst an den Zustand Adams im Paradiese. Gott wird nie den Menschen in denselben zurückführen. Dieser findet als Sünder entweder das Gericht, oder, errettet und er­neuert in Christo, einen weit köstlicheren und gesegneteren Zustand.— Ebenso Israel. Durch die Sünde hat dieses Volk seinen ersten Zustand in dem auf Sinai errichteten Bunde und unter dem Gesetz verlassen und ist infolgedessen unter alle Nationen zerstreut worden. Gott aber wird Seinen Ver­heißungen gemäß dieses Volk wieder herstellen, — doch nicht in dem Bunde auf Sinai, sondern in dem neuen Bunde, in dem Bunde, der auf bessere Verheißungen gegründet und dessen Mittler Jesus ist — auf dem Grunde einer unum­schränkten Gnade. 

— Dieselbe Handlungsweise Gottes fin­den wir auch in dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen — Matth. 13, 24-30 und Vers 36-42 ausgedrückt, wo nach eingedrungenem Bösen von keiner Wiederherstellung, sondern nur vom Gericht die Rede ist. — Ebenso in Röm. 11, wo der Apostel den Nationen, die als ein wilder Ölbaum in den guten eingepfropft sind, sagt, daß sie, wenn sie nicht an der Güte Gottes blieben, abgehauen, nicht aber, daß sie wieder hergestellt würden .—

Dies alles zeigt uns ganz deutlich, daß für die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Kirche in ihren ersten Zu­stand in dem Wort Gottes kein Grund vorhanden ist. Würden aber auch die bisher gemachten traurigen Erfahrungen vor einem neuen Abfall bewahren, falls dieser Zustand wirklich wieder hergestellt wäre? 0 gewiß nicht; und des­halb hat Gott für die Seinigen etwas Besseres aufbewahrt, als die Erneuerung der Kirche auf der Erde — die Auf­nahme in die himmlische Herrlichkeit. Dort wird die wahre Kirche oder Versammlung für immer mit ihrem verherrlichten Haupte vereinigt sein und keine Ver­antwortlichkeit und kein Abfall wird mehr stattfinden.

Wenn es nun aber nicht einmal in der Absicht Gottes liegt, die Kirche auf der Erde wieder herzustellen, ist es denn nicht eine um so größere Torheit und Anmaßung, wenn der Mensch daran denkt oder davon redet, und sogar Anstrengungen macht, um dieses zu tun? Die Predigt des Evangeliums soll sicher nicht, wie so viele meinen, zum Zweck haben, den ersten Zustand der Kirche wieder herzu­stellen, die Masse zu durchdringen und ihr ein christliches Gepräge aufzudrücken — ach! solche Gedanken haben ihren Ursprung in dem menschlichen Herzen, aber nicht im Worte Gottes — sondern durch die Predigt des Evangeliums sollen die Ungläubigen zum Glauben bewegt und also die wahre Kirche, der Leib Christi, deren Wohnstätte droben ist, ge­sammelt werden. Wenn Stellen der Heiligen Schritt, beson-

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 ders aus dem Alten Testament auf eine Wiederherstellung der Kirche, auf einen zu erwartenden glücklichen Zustand derselben auf der Erde angewendet werden, so ist dies ein Beweis, daß der wahre Charakter der Kirche Christi und ihre Hoffnung, sowie auch der wahre Charakter des Volkes Israel und dessen Verheißungen nicht erkannt wer­den. Doch kann ich hier nicht weiter auf diesen Gegenstand eingehen, und wende mich deshalb zu einer anderen Frage.

2. Wie haben sich die wahren Gläubigen inmitten dieses Verfalls nach dem wohlgefälligen Willen Gottes zu verhalten?

Ich denke bei dieser Frage weniger an den moralischen Wandel eines jeden einzelnen, so wichtig dieser auch ist, sondern vielmehr an das gemeinschaftliche Ver­halten als Glieder eines Leibes, inmitten des Verfalls der Kirche. Die treue Fürsorge Gottes aber hat uns auch hierüber nicht in Ungewißheit lassen können. Er belehrt uns in Seinem Worte nicht nur über diesen trau­rigen Verfall, sondern auch über unser Verhalten in dem­selben. Seine Gnade und Liebe gegen die Seinigen ist un­wandelbar. Er kann diese nie vergessen, noch versäumen, wenn auch das Verderben auf der Erde noch so sehr um sich greift. Zu keiner Zeit stehen sie verwaist da, weil der Geist Gottes immer in und bei ihnen ist. Sind auch manche Segnungen hienieden durch den Verfall geschwächt und ge­trübt, so reicht Er doch den einzelnen Treuen immer Licht und Gnade genug dar, um gesegnet und in Frieden wandeln zu können.

 Hat auch die Kirche auf der Erde ihre wahre Stellung verlassen und die Verheißung der geistlichen Seg­nung in den himmlischen Örtern von sich gestoßen, so bleiben diese doch den einzelnen Gläubigen, den berufenen Heiligen und Geliebten Gottes unverkürzt. Dies tritt uns besonders deutlich in den schon erwähnten sieben Send­schreiben entgegen, wo uns, wie wir gesehen haben, die Versammlung nicht mehr als eins mit Christo, ihrem ver­herrlichten Haupte im Himmel, als Sein Leib, vorgestellt wird, sondern als verantwortlich auf der Erde und unter den Folgen dieser Verantwortlichkeit, wo aber dessen unge­achtet alle der wahren Versammlung, dem Leibe Christi verheißenen Segnungen ungeschwächt dem blei­ben, der überwindet. Dieses finden wir am Ende eines jeden dieser Sendschreiben deutlich ausgedrückt. Laßt uns deshalb die Belehrungen, welche das Wort den Gläubi­gen über ihr Verhalten inmitten des Verfalls gibt, ein wenig näher ins Auge fassen. — Zuvor bemerke ich, daß es immer

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 eine traurige Erscheinung ist, wenn Christen mit einer ge­wissen Bitterkeit oder Verachtung, oder einem richtenden Geiste, auf den Verfall — etwa auf die sogenannten Landes­kirchen, oder auf andere Parteien—hinblicken. Dies verrät meist nur den traurigen Zustand des eigenen Herzens und ist sicher nicht der Geist Christi. Der Herr vergoß Tränen über Jerusalem, weil es im Unglauben beharrte; und Daniel, der Prophet, machte sich in seinen Gebeten (Kap. 9) vor Gott eins mit den Sünden seines Volkes. Wir lesen auch in dieser Beziehung eine ernste und köstliche Ermahnung des Apostels in Titus 3, 2-7.

 Für ein demütiges Herz wird die Erinnerung an den Verfall der Kirche stets etwas sein, wo­durch es vor Gott betrübt und niedergebeugt wird. Der Geist Christi in uns wird auch in dieser Beziehung stets solche Gefühle in unseren Herzen erwecken, so daß wir uns im Bekenntnis vor Gott mit den Sünden der Kirche auf der Erde eins machen, und uns demütigen wie Daniel. Eine solche Gesinnung bewahrt uns vor Überhebung, vor einem Zustand, in welchem Gott nicht mit uns sein und uns segnen kann.

Dann aber finden wir an vielen Stellen des Wortes Got­tes die ernste Ermahnung, uns von dem Übel, von den un­fruchtbaren Werken der Finsternis, und von allen denen, die darin wandeln, zu trennen und fern zu halten. — Wir lesen Römer 16, 17: „Ich ermahne euch aber, Brüder, daß ihr auf die acht habt, welche Zwiespalt und Ärgernisse, entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, anrichten; und wendet euch von ihnen ab." Ferner 1. Kor. 5, 11:

„Nun aber habe ich euch geschrieben: kei­nen Verkehr zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hure r, oder Gei­ziger, oder Götzendiener, oder Lästerer, oder Trunkenbold, oder Räuber ist, — mit einem solchen selbst nicht zu esse n." — Brüder aber wurden von ihnen alle diejenigen genannt, mit denen sie in kirchlicher Gemeinschaft waren. — Wir lesen weiter in 2. Kor. 6, 14. 15: „Seid nicht in einem unglei­chen Joch mit den Ungläubigen! Denn v/ei­che Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Und welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis? Und welche Über­einstimmung hat Christus mit Belial? Oder welches Teil hat der Gläubige mit dem Un­gläubigen?" Wenn es sich bei dieser Ermahnung zur Absonderung auch zunächst nur um die Gläubigen inmitten der Heiden handelte, so bleiben doch die darin ausgespro-

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 dienen Grundsätze überall, wo Gläubige und Ungläubige, Gerechte und Ungerechte usw. sind, völlig gültig und an­wendbar. Es war ja auch die daselbst in Vers 16 ausgespro­chene Verheißung zunächst dem Volke Israel gegeben; aber der Apostel wendet sie hier auf die Kirche auf der Erde an.

—Wir lesen ferner 2. Thess. 3, 14: „Wenn aber jemand unserem Worte durch den Brief nicht ge­horcht, diesen zeiget an und habt keinen Umgang mit ihm, auf daß er beschämt werde."

— In 1. Tim. 6, 3-6 werden wir aufgefordert, uns von je­dem zu trennen, dessen Lehre nicht nach der Gott­seligkeit ist, und auch von allen, die aus der Gottseligkeit ein Mittel zum Gewinn machen. Ferner gehört hierher die schon erwähnte Stelle in 2. Tim. 2, 20, 21: „In einem großen Hause aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch höl­zerne und irdene; und zwar die einen zur Ehre, andere aber zur Unehre.

 Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, der wird ein Ge­fäß zur Ehre sein, geheiligt und nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk be­reite t." Wir sind also nur dann ein Gefäß zur Ehre, ge­heiligt und für den Hausherrn nützlich, wenn wir uns von den Gefäßen der Unehre reinigen, d. h. trennen. In 2. Tim. 3, 1-5 redet der Apostel von dem Zustande der Menschen in den letzten Tagen, und schließt mit folgenden Worten:

„. ... welche die Form der Gottseligkeit ha­ben, ihre Kraft aber verleugnen. Und von diesen halte dich fern." Und in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Sardes (Offb. Joh. 3, 1-6) lobt der Herr die Einzelnen, welche ihre Kleider nicht besudelt hat­ten, und fügt hinzu, daß sie es wert seien, mit weißen Klei­dern angetan zu werden (V. 4).

Diese und andere Stellen werden uns völlig überzeugen, daß eine Trennung von dem Bösen und von allen, die darin wandeln, ganz und gar nach dem wohlgefälligen Willen Gottes ist. Viele Gläubige aber, die den wahren Charakter der Sünde wenig kennen, sind weder ganz entschieden für Gott, noch ganz entschieden gegen die Sünde. Sie trennen sich in mancher Beziehung von dem Bösen und bleiben mehr oder weniger in Gemeinschaft mit denen, die darin wandeln. Das Wort Gottes aber, wie wir aus den angeführ­ten Stellen ersehen haben, macht einen solchen Unterschied nicht. Es fordert uns vielmehr entschieden auf, keine Ge­meinschaft zu haben, weder mit dem Bösen, noch mit denen, die darin wandeln. Beides wird auch ganz deutlich in Eph. 5, 6-11 ausgedrückt. Es ist selbstredend, daß diese Ermah-

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 nung, „keine Gemeinschaft zu haben", den notwendi­gen Verkehr in äußeren Dingen und Verhältnissen aus­schließt. — Es ist nun aber auch nicht zu leugnen, daß eine Trennung, wie sie uns das Wort Gottes vorschreibt, eine ernste Sache ist. Sie berührt oft die zartesten Familien­bande, stellt bei manchem seine Existenz in Frage und ver­nichtet Ehre und Ansehen in dieser Welt. Und dennoch, wie gesegnet! Denn von da an nimmt der Christ seine wahre Stellung in dieser Welt ein. Er ist zwar hienieden ein Fremdling, aber er wandelt im Glauben mit Gott als dessen Hausgenosse. Er wird aber dann auch verstehen, was Paulus im Gefängnis zu Born mit vieler Freude bekannte: „Was mir ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten; ja wahrlich, ich halte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit  der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, weshalb ich alles ein­gebüßt habe, und es für Dreck halte, auf daß ich Christum gewinne." Und ebenso wird er die Wahrheit der trostreichen Verheißung, welche der Herr in 2. Kor. 6, 18 denen gibt, die sich von allem Bösen absondern, reichlich an sich bestätigt finden: „...und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der All­mächtig e." —

 Doch wie unwürdig und undankbar ist das Verhalten eines Gläubigen, der aus Furcht vor dem Kreuz Christi, oder aus Mangel an Vertrauen zu Gott, oder aus Liebe zu der Ehre dieser Welt, oder aus Rücksicht gegen irgend einen Menschen mit Dingen verbunden bleibt, die das Wohlgefallen Gottes nicht haben und aus welchen das kostbare Blut Christi ihn erkauft hat, oder wenn er gar einen solchen Zustand aus dem Worte Gottes zu rechtferti­gen sucht. Viele Gläubige denken und sprechen es, dem Befehl Gottes zuwider, offen aus, daß es weiser sei, mit irgend einer in der Welt anerkannten Kirche verbunden zu bleiben, weil man dadurch einen freien Zugang zu vielen Christen behalte, die sich darin befänden. Sie sagen auch wohl zu ihrer Rechtfertigung, daß ja selbst Paulus allen alles geworden sei. Hierin liegt eine große Täuschung. Wenn ich selbst fleischlich bleibe, welch ein Segen kann ich für die sein, die fleischlich sind? Paulus hat nicht also getan. Seine Füße wandelten nahe beim Herrn, getrennt von allem, was dem Herrn nicht wohlgefiel; aber sein Herz blieb weit an Liebe für alle, selbst für den Schwächsten. Wenn aber viele Christen in unseren Tagen ihr Bleiben in Systemen prüften, so würden sie bekennen müssen, daß es nicht die Liebe zu

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 den Brüdern, sondern vielmehr Mangel an Liebe zu Gott und zu dem Kreuze Christi sei.

Welche fernere Unterweisung finden nun diejenigen in der Heiligen Schrift, welche der von Gott gebotenen Tren­nung willig nachgekommen sind, um als solche dazustehen, die auf Seinen Segen und Beistand sicher rechnen dürfen?

— Es ist nicht zu leugnen, daß der Verfall der Kirche alles in Unordnung gebracht hat; aber die Gesinnung des Herrn gegen die Seinigen, Seine Liebe und Seine Sorgen für sie, sind ungeschwächt geblieben,, und Sein Arm zum Segnen ist auch nie zu kurz. Und Er hat gesagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte " (Matth. 18, 20). Diese köst­liche Verheißung bleibt immer in Kraft, solange Gläubige auf der Erde sind. Und ist Seine Gegenwart nicht genug,

wenn wir versammelt sind? Wird sie uns nicht alles dar­reichen, was wir bedürfen? Kommen wir einfach als Gläu­bige in Seinem Namen zusammen und vertrauen auf Seine Gegenwart — gewiß, wir werden an keinem Segen Mangel haben. Eine Versammlung, die Ihn in ihrer Mitte hat, hat die Quelle aller Segnungen, die Fülle aller Freuden und aller Kraft. Wie gesegnet ist diese Verheißung für die Gläu­bigen aller Zeiten, und wie ausreichend, wenn der Abfall so viele andere Vorrechte hienieden getrübt und geschwächt hat! Doch auch wie betrübend, wenn Gläubige versammelt sind und auf andere Dinge ihr Vertrauen setzen, und ihre Bewahrung, ihre Kraft und ihre Segnung von anderen Din­gen abhängig machen! Auch der Apostel ermahnt in dieser Beziehung: „Lasset uns unser Zusammenkom­men nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist" (Hebr. 10, 25).

Im 2. Kapitel der Apostelgeschichte ermahnt Petrus die­jenigen, welchen seine Predigt ins Herz gedrungen war, unter anderem mit den Worten: „Rettet euch von diesem verkehrten Geschlecht" (V. 40). Was aber war nun das Verhalten derer, die sich von diesem Ge­schlecht, mit welchem sie bis dahin einen Körper bildeten, abgesondert hatten? Wir finden es gleich nachher: „Sie verharrten in der Lehre der Apostel, und in der Gemeinschaft, und in dem Brechen des Brotes, und in den Gebeten" (V. 42). Diese vier Stücke bleiben stets das gesegnete Vorrecht der Gläubigen auf der Erde, bis der Herr kommt. Sie bedürfen zu jeder Zeit des Wortes zu ihrer Unterweisung — der Gemein­schaft zur gegenseitigen Bedienung — des Tisches des Herrn zu ihrer Ernährung — und der Gebete zu ihrer Stärkung. Und diese Segnungen wird der Herr nie

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 Seiner geliebten Versammlung entziehen, und nie kann der Verfall der Kirche dieselben für die wahren Gläubigen auf­heben, wohl aber können diese für sich selbst ihre geseg­neten Vorrechte vernachlässigen oder geringschätzen, und deshalb in ihren Seelen ermatten oder gar verweltlichen.

Endlich möchte ich noch an die ernste Ermahnung des Judas erinnern, welche dieser nach einer traurigen Schilde­rung des Abfalls mit so großem Ernst an die Gläubigen richtet: „Ihr aber, Geliebte, euch erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend in dem Heiligem Geiste, erhaltet euch in der Liebe Gottes, erwartend das Erbarmen un­seres Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben" (V. 20, 21).

Wir haben nun in diesen wenigen Stellen über zwei Dinge eine klare und bestimmte Unterweisung für die Gläubigen zu jeder Zeit bis zur Ankunft des Herrn. Zuerst sind wir ermahnt, uns von den Bösen und von ihren gott­losen Werken zu trennen, und dann, uns im Namen Jesu zu versammeln, und also zu beharren in der Lehre der Apo­stel, und in der Gemeinschaft, und in dem Brechen des Brotes und in den Gebeten. — 0 Dank der Gnade Gottes, die im voraus an uns gedacht und inmitten des Abfalls so treu für uns gesorgt hat!

Es gibt aber auch viele unter den Gläubigen, die sagen, daß die wahre Kirche eine unsichtbare sei — ein Ausdruck, der dem Worte Gottes ganz und gar fremd ist. Es ist aber höchst traurig, wenn sie diesen Titel „un­sichtbare" Kirche wirklich verdient. Gott hat sie nicht berufen, auf der Erde unsichtbar zu sein, sondern ihr Licht leuchten zu lassen und durch Wort und Wandel Zeug­nis abzulegen von der Gnade und Liebe dessen, der Sich Selbst für sie dahingegeben hat. Das Haupt war nicht un­sichtbar auf der Erde; wie kann es denn der Leib sein, der dasselbe Leben in Ihm empfangen und worin derselbe Geist wohnt und wirkt? Es war aber auch die Kirche in ihrer ersten Liebe und Freude nicht unsichtbar hienieden, und ist sie es geworden, so hat sie ihren wahren Charakter verleugnet und sich verloren in der Welt, und das ist eine traurige Sache. Der Titel „unsichtbar" ist also nichts weiter, als eine Bezeichnung für die Untreue der Kirche. Das entgegengesetzte Zeugnis aber gibt der Heilige Geist der Versammlung zu Rom (Röm. 1. 8), und der zu Thessalonich <1. Thess. 1. 7. 8).

Andere Gläubige aber erkennen und beherzigen wohl, daß eine Trennung von dem Bösen und von allen denen, die darin wandeln, der ausdrückliche Befehl und wohlgefällige

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 Wille Gottes sei, aber sie begnügen sich nicht damit, sich einfach als Christen im Namen Jesu zu versammeln und von Seiner Gegenwart allein alles zu erwarten. Ein solches Zusammenkommen erscheint ihnen zu einfach und zu locker. Sie wollen ein festeres Band, einen sichereren Bo­den, und glauben beides darin zu finden, daß sie Kirchen oder Gemeinen bilden, die sich unter einem besonderen Namen und Bekenntnis, und auf Grund gewisser Anord­nungen versammeln und ihren gemeinschaftlichen Dienst ausüben. Wir aber haben auch in dieser Beziehung zu fragen:

3. Was sagt das Wort Gottes zu dem Errichten oder zu dem Bestehen von Kirchen oder Ge­meinen, auf Grund eines besonderen Namens, Bekenntnisses und gewissen äußeren Anord­nungen?

Es ist schon gesagt, daß die wahre Kirche, der Leib Christi, nur eine ist und sein kann. „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch in einer Hoffnung eurer Berufung berufen seid; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater Aller, der über alle und durch alle und in uns allen ist" (Eph. 4, 4. 5). „Denn durch einen Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft worden... und sind alle in einem Geist ge­tränkt" (1. Kor. 12, 13). Die Einheit der ganzen Kirche oder Versammlung aber wurde, wie ebenfalls schon be­merkt, durch die als Körper vereinigten Gläubigen eines Ortes verwirklicht. Es gab aber an jedem Ort, wo Gläubige waren, nur einen solchen Körper, nur eine Versammlung. Man war entweder „drinnen oder draußen" (1. Kor. 5, 12). Gehörte man nicht der Versammlung des Ortes an, in welchem man sich befand, so gehörte man überhaupt nicht der Versammlung, d. 1. dem. Leibe Christi an; denn überall war ein und dieselbe Versammlung, und diese war der Leib Christi. Lassen wir diese Einheit der Kirche außer acht, so verlieren wir den wahren Charakter derselben; wir erkennen sie nicht mehr nach den Gedanken und Rat­schlüssen Gottes, als den Leib Christi, als die eine Ver­sammlung, worin ein und derselbe Geist wohnt und wirkt; wir haben alsdann die Kirche auf der Erde in ihrem Verfall. — Von diesem allein wahren Gesichtspunkte aus, daß näm-

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 lieh die Kirche, der Leib Christi, nur eine ist und sein kann, werden alle Fragen, in Betreff der Kirche auf der Erde, und alle Bemühungen und Bestrebungen in derselben, eine richtige Beurteilung finden. Verlieren wir aber diesen Gesichtspunkt, so sind auch alle unsere Ge­danken in dieser Beziehung auf einem unsicheren Boden und leiten uns nach allen Seiten hin irre.

Es ist auch sehr beachtenswert, daß es der Feind war, der schon die Versammlung zu Korinth in Parteien aufzu­lösen suchte, daß ein jeglicher von ihnen sagte: „Ich bin des Paulus, und ich des Apollos, und ich des Kephas, und ich Christ i." Und der Apostel fügt die ernste Frage hinzu: „Ist denn Christus zerteilt?" (1. Kor. 1. 12. 13). — Sobald es dem Feinde gelungen wäre, solche Parteien aufzurichten, sobald wäre auch die Einheit der Kirche, ihr Charakter, verloren und ihr Verfall vor­handen gewesen. Deshalb tadelt auch der Apostel jene Gläu­bigen auf das entschiedenste und nennt sie Fleischliche „Wenn einer sagt: Ich bin des Paulus; der andere aber: Ich des Apollos; — seid ihr nicht fleischlich?" (1. Kor. 3, 4).

Ist es aber etwas anderes, wenn in unseren Tagen etliche Gläubige an einem Ort sich unter diesem oder jenem Na­men oder Bekenntnis vereinigen, und sich auf diese Weise als eine besondere Gemeine, zur Unterscheidung von den übrigen Gläubigen, hinstellen? Gewiß nicht; sie tun, was die Korinther zu tun gedachten — sich durch Beilegung eines besonderen Namens von ihren Mitbrüdern abzuson­dern. Gott aber hat Seine Gedanken in Betreff der Kirche nicht geändert; und der Heilige Geist kann jetzt nicht loben, was Er damals tadelte; Er kann hier nicht geistlich nennen, was er dort fleischlich nannte. 

Der Herr hatte, wie schon er­wähnt, an jedem Ort nur eine Versammlung, zu welcher alle die dort befindlichen Gläubigen gehörten. Jetzt aber finden wir an einem Ort oft fünf bis zehn und noch mehr sogenannte Kirchen oder Gemeinen, worin die Gläubigen verteilt sind. Es genügt nicht mehr, ein einfacher Christ zu sein, dem Leibe Christi anzugehören und aller Gnaden und Vorrechte in Christo teilhaftig geworden zu sein — nein, jede Parteikirche, klein oder groß, fordert noch etwas mehr, um in ihrer Mitte, falls sie Gläubige sind, die in Christo empfangenen Segnungen und Vorrechte zu genießen und die Einheit des Leibes zu verwirklichen. Man muß einen besonderen Namen annehmen, einem besonderen Bekennt­nis in allen Punkten beistimmen und gewisse äußere For­men und Einrichtungen gutheißen und annehmen. Und sind wir in einer solchen Gemeine, so sind wir kirchlich, d. h.

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 gerade in dem, wodurch wir auf der Erde mit allen wahren Gliedern des Leibes Christi unsere Einheit ausdrücken und bekennen sollen, von vielen, ja von den meisten derselben getrennt. 0, möchten doch die Gläubigen, welche vielleicht mit vielem Fleiß und Ernst bemüht sind, irgendeine solche Gemeine oder Parteikirche — anders kann sie ja doch nicht genannt werden — aufzurichten, erkennen, daß ihre An­strengungen das Wohlgefallen Gottes nicht haben und des­halb auch mit Seinem Segen nicht gekrönt werden können. Mag es auch am Anfang bei solchen Vereinigungen oft den Anschein haben, als erkenne Gott das Werk an und fördere es, — es ist sicher nur Täuschung. Er kann nicht segnen, was Er fleischlich nennt. 

Er kann wohl die Unwissenheit Seiner Kinder mit großer Langmut tragen; aber Er kann nicht fördern helfen, was Er tadelt. Er wird sicher die Sei­nigen nie vergessen, selbst wenn sie sich in irgend einem System befinden; und sie werden sogar um so reichlicher von Ihm gesegnet sein, je mehr sie, wenn auch als eine Partei, von ihren Vorrechten als Gläubige Gebrauch ma­chen; aber den Grund ihrer Vereinigung kann Er nicht an­erkennen. Und gerade deshalb werden wir, wenn wir in Wahrheit Gott unterworfen sind, daran nicht teilnehmen. Es wird jede Anstrengung, um eine besondere Kirche oder Gemeine aufzurichten, für uns nichts anderes sein, als den Verfall fördern, und das Bleiben in einer solchen Kirche oder Gemeine nichts anderes, als den Verfall gutheißen.

Sind wir des Lebens Christi und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, so sind wir ein Glied des Leibes Christi und haben an allen Gnaden und Vorrechten, die in Ihm sind, gleichen Anteil, und stehen zu jeder Segnung mit allen anderen Gliedern Seines Leibes gleich nahe. Weder in Ephesus, noch in Philippi, noch in Thessalonich, noch an irgend einem anderen Ort, bedurfte es etwas mehr, um mit den dort befindlichen Gläubigen alle Vorrechte und Seg­nungen in Christo Jesu gemeinschaftlich zu genießen, als einfach ein Glied Christi zu sein; nur der Böse mußte ent­fernt werden (1. Kor. 5, 13). Bin ich ein Glied am Leibe Christi, so habe ich durch die Gnade einen freien Zugang zu der ganzen Fülle, zu jeder Segnung, die in Christo Jesu ist; und finde ich eine Versammlung von Gläubigen, die mich auf diesem Grunde, und auf diesem Grunde allein, nicht empfangen kann, um mit ihnen alle Vorrechte in Chri­sto Jesu zu genießen, so sind sie eine Partei und sie sind fleischlich; und Gott will nicht, daß ich mich daran beteilige. Kommen z. B. an irgend einem Ort Christen zum Brot­brechen zusammen, und sie stellen an mich, der ich daran teilzunehmen wünsche, noch irgend eine andere Forderung

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 als die, welche das Wort Gottes stellt, nämlich Christo an­zugehören und als Christ zu wandern, so ist der Tisch unter ihnen nicht der Tisch des Herrn, welcher das Vorrecht aller wahren Gläubigen ist, sondern der Tisch einer Par­tei; und Gott will nicht, daß ich einer Partei, sondern nur Christo allein, angehören soll.

Paulus schreibt an die Korinther: „Es müssen Parteiungen unter euch sei n." — Warum? Etwa des­halb, weil es für sie besser und vor Gott wohlgefälliger war, in einzelnen Parteien Ihm zu dienen, wenn sie nicht mehr zusammengehen konnten? Oder, wie man heutzutage sagt, damit durch die verschiedenen Parteien auch die verschie­denen Seiten der Wahrheit um so mehr ans Licht treten möchten! Gewiß nicht; der Apostel fügt hinzu: „. . . auf daß die Bewährten unter euch offenbar wer­den" (1. Kor. 11, 19). Und diese konnten doch nur dadurch als Bewährte offenbar werden, daß sie an diesen Parteiungen keinen Anteil haben.

Der Herr gebe auch uns, meine Brüder, viel Gnade, da­mit wir in diesen letzten Tagen in jeder Beziehung in Lau­terkeit wandeln, und angesichts Seiner nahen Ankunft uns von allem trennen und fernhalten, was vor Ihm nicht wohl­gefällig ist. Auch laßt uns Vertrauen zu Ihm haben und uns einfach als Gläubige in Seinem Namen versammeln, so können wir Seines Segens völlig gewiß sein; laßt uns ge­meinschaftlich die von Ihm in Gnaden geschenkten Vor­rechte mit Dank genießen und auf Seine glückselige An­kunft harren.

Weiter bedürfen wir nichts, und durch ein solches Ver­halten trennen wir uns von keinem Glied Seines Leibes, was nichts anderes als dieses sein will, und als solches sich mit allen Gliedern desselben Leibes im Namen Jesu zu ver­sammeln und die von ihm geschenkten Vorrechte gemein­schaftlich zu genießen wünscht. Die Gläubigen haben nicht nötig, durch äußere Formen und Verbindungen eine Ein­heit unter sich zu schaffen, sondern nur die durch Christum erworbene und durch den Heiligen Geist vollendete Einheit anzuerkennen und hienieden zu verwirklichen. Diese allein wahre und gesegnete Einheit aber ist völlig verkannt und beiseite gesetzt, sobald wir sie in der Vereinigung unter einem besonderen Namen, Bekenntnis und gewissen Formen suchen.

Laßt uns jetzt unsere Aufmerksamkeit auf eine andere Frage richten:

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 4. Was finden wir im Worte Gottes über die Äm­ter in der Kirche, und was soll unser Verhalten in dieser Beziehung sein?

Bei Untersuchung dieser Frage ist es vor allen Dingen nötig, die Gegenwart und Autorität des Heiligen Geistes in der Kirche in Wahrheit anzuerkennen. Er, und Er allein, hat das Recht, jede Anordnung in derselben zu treffen, Diener oder Beamte darin anzustellen und jegliche Gabe nach Seinem Wohlgefallen auszuteilen. Jeder Eingriff in dieses Recht von Seiten des Menschen ist Anmaßung, wenn es selbst von den begabtesten Christen geschehen würde. Nie können und dürfen wir nach eigener Meinung oder eigenem Gutdünken in der Kirche handeln, selbst nicht in den kleinsten Dingen. Uns geziemt allein völlige Unterwür­figkeit und Abhängigkeit in allem; und je mehr wahre Furcht Gottes in unseren Herzen ist, desto vorsichtiger wer­den wir auch in den Dingen Gottes handeln, und sicher nicht zufrieden sein, wenn wir bei unserem Tun nur einen Schein von Rechtfertigung im Worte Gottes finden. Wir werden aber auch stets daran denken, daß wir Gott in allem verantwortlich sind, und werden das ganze Gewicht einer solchen Verantwortlichkeit fühlen. Diese Gesinnung möge uns nun auch bei Betrachtung der vorliegenden Frage leiten.

Am Anfang finden wir zweierlei Ämter in der Versamm­lung: Aufseher oder Älteste und Diakonen oder Diener. Wir wollen zunächst bei den ersten stehen bleiben. Der Apostel schreibt an Timotheus: „W e n n je­mand nach einem Aufs eh er dienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk" (1. Tim. 3, l). Viele sind der Meinung, der Apostel lobe hier das Trachten nach einem Aufseherdienst, was aber in diesen Worten durchaus nicht liegt. Dieses Trachten kann aus einem ehr­geizigen, eigenliebigen und herrschsüchtigen Herzen hervor­gehen, was besonders in unseren Tagen, wo die wahre Schönheit und der eigentliche Charakter dieses Werkes kaum noch gekannt sind, nicht selten der Fall sein wird; und das ist sicher nicht zu loben. Dieses Werk selbst aber, das jemand begehrt, bleibt immer ein schönes, und nur dieses lobt der Apostel hier. — In Apostelgeschichte 20, 28 finden wir die Verantwortlichkeit dieses Dienstes — eine Verantwortlichkeit, die, wenn sie in ihrer wahren Größe ge­fühlt würde, sicher einem jeden, der nach einem solchen Dienste trachtet, schwer aufs Herz fallen würde: „So habt

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 denn acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welche euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten, welche er sich erworben hat durch das Blut seines eigene n."

Die Ältesten waren also die Aufseher in der Versamm­lung Gottes. Sie besaßen jedoch, wie wir aus 1. Tim. 5, 17 sehen, nicht immer Gaben. Wenn aber solche bei ihnen vor­handen waren, so waren sie, wie alle anderen Diener und Gläubigen, für dieselben verantwortlich und hatten sie in Ausübung zu bringen.

Jetzt laßt uns sehen, auf welchem Wege die Äl­testen oder Aufseher zu diesem Amt oder Dienst bestellt wurden. Wir haben schon in der vorhin angeführten Stelle in Apostelgesch. 20 vernommen, daß es der Heilige Geist selbst war, der sie in diesen Dienst einführte. Er bediente sich dazu, wie wir aus anderen Stellen des Wortes ersehen, der Apostel und einiger, von diesen dazu besonders autori­sierten Diener der Kirche. Wir lesen in Apg. 14, 23 von Paulus und Barnabas: „Als sie ihnen aber in jeder Versammlung Älteste gewählt hatten, be­teten sie mit Fasten und befahlen sie dem Herrn, an welchen sie geglaubt hatten." — Dann finden wir in den Briefen an Timotheus und Titus, daß diese beiden Diener der Versammlung von dem Apostel bevollmächtigt waren. Älteste oder Aufseher in den Ver­sammlungen einzusetzen. Timotheus wurde zwar nicht di­rekt zu diesem Dienst aufgefordert. Er war eigentlich von dem Apostel in Ephesus zurückgelassen, um über die Lehre zu wachen; allein er wurde doch durch denselben mit den nötigen Eigenschaften eines Aufsehers bekannt gemacht. Titus aber wurde gerade zu dem Zwecke in Kreta zurück­gelassen, „um in jeder Stadt Älteste anzustellen" (Kap. 1. 5). — Weiter finden wir über die Einsetzung von Ältesten nichts im Worte.

Wir sehen also, wie schon bemerkt, ganz deutlich, daß es ausschließlich Sache der Apostel und der von ihnen bevoll­mächtigten Abgeordneten war, Älteste oder Aufseher anzu­stellen. Nirgends aber finden wir im Worte Gottes, daß die Apostel mit irgend einer Versammlung über diesen Gegen­stand verhandelt haben. Die erwähnten Briefe an Timo­theus und Titus, waren nur für diese beiden Diener und nicht für irgend eine Versammlung. Sie enthalten zwar für jeden Gläubigen viele ernste Ermahnungen und sehr köst­liche und gesegnete Belehrungen; allein die Aufträge darin, die sich auf den besonderen Dienst des Timotheus oder des Titus beziehen, sind nur für diese und nicht für irgend eine

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 Versammlung. Die Versammlungen sollten bedient werden, aber nicht den Dienst vollziehen. Wie unnatürlich ist es des­halb, wenn jetzt eine Versammlung von Christen, und sogar ohne irgendwelchen Auftrag, sich in die Stellung des Timotheus oder des Titus setzt, und ihre eigene Dienerin wird, und wenn sie die, jenen näher bezeichneten, passenden Eigenschaften eines Aufsehers, als für sie gegeben betrach­tet, und auf diesem Grunde sich selbst Älteste anstellt! Nicht einmal kann irgend ein anderer Diener der Kirche sagen: Was dem Timotheus und dem Titus aufgetragen ist, „ist auch mir aufgetragen." Würde nicht ein Herr zu seinem Diener sagen, daß er ein anmaßender Mensch sei, wenn dieser jeden Auftrag, womit er irgend einen anderen seiner Diener beehrt hätte, auch für sich in Anspruch nehmen wollte? Das ist einleuchtend; sollte es sich aber nicht ebenso mit den Dienern Gottes verhalten? Wir werden aber auch immer finden, daß der einzelne Gläubige, wenn er aufrichtig ist, die Frage, ob er von Gott beauftragt sei, Älteste anzu­stellen, nie bejahen wird.

 Er verrichtet aber dennoch diese Handlung in Gemeinschaft mit anderen, die einzeln eben­falls bekennen werden, daß sie keinen Auftrag dazu haben. Wir aber sind Gott für alles, was wir tun, verantwortlich. Wird aber diese Verantwortlichkeit für den Einzelnen in dieser Sache aufhören, wenn er sie in Gemeinschaft mit mehreren ausübt? Darf er in Gemeinschaft mit anderen etwas ausführen, wozu Gott weder ihn noch jene beauftragt hat? Kann er etwas zur Ehre Gottes und im Namen Jesu tun, was Gott ihm zu tun nicht geboten hat? — Es mögen zwar viele denken, daß gerade eine Versammlung, weil de­ren Glieder sich durch persönlichen Umgang genau kennen würden, am meisten geeignet sei, die würdigsten Männer herauszufinden und als Älteste anzustellen; der Heilige Geist aber hat nicht also gedacht. Er übertrug diese An­stellung besonderen Dienern der Kirche. Diese allein waren mit jedem Dienst beauftragt, und sie wußten gewiß, daß dieser Auftrag von Gott war, und sie seinen Namen ehrten, wenn sie ihn würdig ausführten.

Beherzigen wir aber auch noch dieses: Der Herr kannte im voraus den traurigen Verfall der Kirche auf der Erde, und hat uns in Seiner treuen Fürsorge mit demselben, selbst bis zu seinem Ende hin, auf das genaueste bekannt gemacht. Dazu aber auch sind wir sicher überzeugt, daß Er die Sei­nigen zu jeder Zeit völlig liebt und sie nie versäumen noch vergessen kann; — würde Er nun, wenn es Sein wohlge­fälliger Wille gewesen wäre, daß nach dem Heimgange der Apostel und ihrer Abgeordneten, die Versammlungen oder die Gläubigen sich selbst Älteste ernennen und einsetzen

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 sollten, dieses nicht durch irgend ein Wort in der Heiligen Schrift an sie kundgemacht haben? Ganz gewiß. Er hat aber nichts darüber gesagt, und deshalb werden auch wir, wenn anders unsere Herzen demütig und dem Herrn unter­worfen sind, nichts darin tun. Wir dürfen nicht weiter­gehen, als Er uns zu gehen erlaubt und anweist, anders hören wir auf, abhängig und unterwürfig zu sein. Selbst wenn wir meinen, daß auf der einen Seite ein großer Ver­lust und auf der anderen ein großer Vorteil für uns läge — uns geziemt nur demütige Ergebung und völlige Unter­würfigkeit. Eins aber ist vollkommen gewiß, und wohl uns, daß es also ist: Gott ist, wenn Er uns segnen will, an nichts gebunden, an keine Anordnung, an keine Person, auch nicht an irgend ein Amt in der Versammlung, Er ist in Seiner Gnade und Liebe gegen die Seinigen zu jeder Zeit völlig ungehindert und unumschränkt.

Der Aufseherdienst oder das Ältestenamt, als solches, ist also jetzt in der Versammlung nicht mehr vorhanden, weil niemand von Gott autorisiert ist, dieses Amt zu be­setzen oder auch wieder herzustellen. Und wenn man nach­zuweisen sucht, daß nach der apostolischen Zeit immer Äl­teste in der Kirche oder Gemeine vorhanden gewesen sind, so kann noch viel klarer nachgewiesen werden, daß der Ab­fall schon während der Lebzeit der Apostel vorhanden war und bald nachher sehr um sich griff, und daß in den Ver­sammlungen noch viel traurigere Dinge geschahen, als ohne göttliche Autorisation Älteste einzusetzen. Übrigens ist aber auch nur das Wort Gottes unsere Richtschnur in allen Din­gen, und nicht die Geschichte der Kirche — diese traurige Geschichte ihres Verfalls.

Wenn nun in einem Orte durch Namen, Bekenntnis und andere Dinge unterschiedene Kirchen oder Gemeinen sind, die sich selbst Älteste erwählt oder ernannt haben, welche unter diesen sollen wir als durch den Heiligen Geist eingesetzt, anerkennen? Keine, weil Gott keine anerkennt! Und Gott kann sie deshalb nicht, als solche, an­erkennen, weil Er, wie schon erwähnt, niemand zu ihrer Einsetzung autorisiert hat. Dann haben wir, was ebenso be­achtenswert ist, vorhin aus dem Worte Gottes deutlich ge­sehen, daß Gott sich zu keiner Parteikirche oder Gemeine bekennt, sondern alle, welche daran teilnehmen, tadelt und als Fleischliche bezeichnet; und Er kann also auch deshalb Sich zu nichts bekennen, was auf diesen Grund gebaut wird. Ferner sehen wir in der Heiligen Schrift, daß die durch den Geist Gottes eingesetzten Aufseher oder Älteste nie diesen Dienst für etliche, sondern für alle Christen eines Ortes hatten. Und alle die dort befindlichen Gläubigen waren

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 ernstlich ermahnt, jene, als solche, auf eine würdige Weise anzuerkennen und sie in Ehren zu halten. Wenn also irgend eine Kirche oder Gemeine von ihren Ältesten behauptet, daß sie durch den Heiligen Geist in ihrem Amte seien, so erklärt sie dadurch, daß alle Christen jenes Ortes verpflich­tet seien, diesen Ältesten zu gehorchen. Behauptet sie aber, daß diese Ältesten nur für ihre Gemeine seien, so sind sie nicht durch den Heiligen Geist in ihrem Amte, und folglich hat sie alsodann auch niemand anzuerkennen und ihnen unterwürfig zu sein. — Was aber auch sollte man jetzt tun, falls die Gläubigen zur Einsetzung von Ältesten beauftragt wären, wenn an einem Ort mehrere und oft sogar sehr ver­schiedene Gemeinen mit ihren Ältesten sind? Würde nicht ein jeder von diesen glauben, völlig berechtigt zu sein, uns aufzufordern, in seine Partei einzutreten! Gott aber will, daß wir in keiner sein sollen.

Ich möchte hier nun noch eines anderen Grundes ge­denken, worauf so viele Christen das Recht, selbst Älteste anzustellen, gründen. Sie sagen: Wir haben alle das Bedürf­nis gefühlt, bestimmte Älteste zu haben, damit die Un­ordentlichen in unserer Mitte zurechtgewiesen und alle Dinge unter uns treu besorgt würden. Dann aber auch ha­ben wir uns bei dieser Angelegenheit nicht auf uns selbst verlassen, sondern haben uns gemeinschaftlich im Gebet zu Gott gewandt, der ja auch in der ersten Zeit die Versamm­lungen mit Ältesten bestellte, und erst darnach haben wir gläubige Männer, welche wir — vielleicht einstimmig — für die würdigsten unter uns hielten, zu diesem Amt gewählt und eingesetzt, oder ihnen öffentlich unsere Anerkennung kundgegeben.— Solche Äußerungen mögen viele, sogar auf­richtige Seelen völlig beruhigen; aber diese Beruhigung ist nicht von Gott. — Das Bedürfnis, Älteste zu haben, kommt oft aus einem verwerflichen Grunde hervor.

 Man sucht so gern der persönlichen und gemeinschaftlichen Verantwort­lichkeit für den Zustand der Versammlung zu entgehen, um sie in die Hände etlicher zu legen; Gott aber entläßt uns nicht. — Es ist sicher wahr, daß Gott in der ersten Zeit den Versammlungen Älteste gegeben hat; aber ist Er nun des­halb stets an diesen Weg gebunden, wenn Er uns segnen will? Sind nicht solche Gebete um Älteste oft nur ein Be­weis des Mangels an Vertrauen zu Gott? Weiter haben wir aus der Heiligen Schrift deutlich gesehen, daß Gott eine Versammlung als Partei nicht anerkennen kann, und sie fleischlich nennt. Sollte Er nun aus Rücksicht gegen die gegenwärtige Unwissenheit Seiner Kinder Seinen Charakter verleugnen und Seinem Wort zuwider einer solchen Partei­gemeine Älteste geben und sie dadurch aus diesem Grund

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 anerkennen? — Der Apostel Johannes sagt: „Und dies ist die Zuversicht, welche wir zu ihm haben, daß, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns höret" (1. Joh. 5,14). Aber können wir auch Seiner Erhörung gewiß sein, wenn. wir nicht nach Sei­nem Willen bitten, wie es in Betreff der vorliegenden Sache geschieht? Gewiß nicht; und dennoch geht man darin voran, als sei man erhört, und beruhigt sich, weil man gebetet hat.

Ich gebe nun zwar gern zu, daß manche dieser Gemeinen würdige Männer als Älteste unter sich. angestellt haben, die für viele zum Segen sind; allein sie sind sicher nicht des­halb gesegnet, weil sie etwa von Gott in dieser Stellung, als vom Heiligen Geist eingesetzt anerkannt werden, son­dern Er segnet sie, weil sie treu. sind und willig dienen; denn solche segnet Gott überall und zu jeder Zeit. Dieses Amt aber, als solches, ist vielmehr ein Hindernis für sie, weil gerade dadurch ihr Dienst auf eine gewisse Partei be­schränkt ist, und weniger die übrigen Gläubigen erreichen kann.

Viele Christen sind auch der Meinung, es könne nur da eine teste Ordnung sein, wo man Älteste angestellt habe, und wo diese fehlten, da würde sich bald alles in Un­ordnung auflösen. Es sind aber nur menschliche Gedanken, meine Brüder; der Herr ist gewiß nicht an ein Amt oder an irgend einen Diener gebunden, um in Seiner Versammlung . die Ordnung aufrecht zu erhalten. Und gab es keine Un­ordnung, als der Heilige Geist Älteste angestellt hatte? Wir sehen es ja deutlich aus der Heiligen Schrift, daß selbst die Apostel, samt allen Ältesten und Dienern der Kirche, nicht fähig waren, die völlige Ordnung aufrecht zu erhalten. Das hochmütige und ungebrochene Herz unterwirft sich nicht, auch selbst nicht den von Gott verordneten und von allen Gläubigen anerkannten Dienern der Versammlung; der de­mütige Christ aber unterwirft sich stets dem Worte der Er­mahnung, woher e's auch kommen möge.

—Johannes sagt in seinem dritten Brief: „Ich schrieb der Versamm­lung; aber Diotrephes, der unter ihnen der Erste sein will, nimmt uns nicht auf" (V. 9). Er war ein Apostel Jesu Christi, aber bei diesem Diotrephes fand er dennoch keine Anerkennung und Aufnahme. In Korinth, wo der Apostel Paulus selbst ein Jahr und sechs Mo­nate das Wort Gottes gelehrt hatte, finden wir bald nachher eine große Unordnung (2. Kor. 2, 4). Beinahe in jedem Ka­pitel des ersten Briefes rügt der Apostel etwas anderes. Im ersten und dritten Kapitel redet er von den Spaltungen; im vierten von der Verleugnung ihrer Stellung, als Fremdlinge in dieser Welt; im fünften von der schrecklichen Hurerei

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 unter ihnen; im sechsten vom Rechten der Brüder, sogar vor ungläubigen Richtern; im achten und zehnten von der Teilnahme am Götzenopfer; im elften von der traurigen Un­ordnung beim Abendmahl und im vierzehnten von verschie­denen Unordnungen beim Zusammenkommen zur Erbau­ung. — Dieser traurige Zustand der Versammlung hat et­liche zu der Meinung gebracht, daß dort keine Ältesten ge­wesen seien, indem ja auch der Apostel mit keinem Wort ihrer erwähne. Vorausgesetzt nun, daß diese Meinung be­gründet sei, — warum stellt nun der Apostel, dem der Zu­stand jener Versammlung so sehr am Herzen lag, nicht so­fort etliche Älteste an, wenn diese doch zur Herstellung der Ordnung von so großem Nutzen gewesen wären? Oder, wenn dort wirklich Älteste waren, — warum wendet sich der Apostel nicht vornehmlich an diese, wenn die Aufrecht­erhaltung der Ordnung in ihren Händen lag? Sicher, viele Christen unserer Tage würden diese Unordnung entweder dem Mangel an Ältesten oder der Untreue derselben zugeschrieben haben.

 Der Apostel aber tut weder das eine noch das andere. Er wirkt durch das Wort auf das Gewissen eines jeden Einzelnen und sucht in allen das Gefühl der Verantwortlichkeit hervorzurufen. Wir aber schaden den Gläubigen nur, wenn wir unsere eigenen Gedanken von Ordnung unter den Christen aufrichten, indem wir dadurch jenes Gefühl der Verantwortlichkeit in ihnen schwächen. Es mögen uns vielleicht manche, wenn wir ihre Ordnungen nicht anerkennen und nicht daran teilnehmen wollen, die Worte des Apostels zurufen: „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung !" Aber sie würden sicher erschrecken, wenn sie erkennten, welch eine traurige Unordnung ihre vermeintliche Ordnung in den Augen Gottes ist.

Es sind nun weiter viele der Meinung, daß die Voll­ziehung der Taufe und die Bedienung beim Abendmahl oder Brotbrechen Sache der Ältesten sei. Im Wort Gottes aber finden wir nichts davon. Zunächst möchte ich hier in Betreff der Taufe bemerken, daß es in der Heiligen Schrift nicht den geringsten Grund hat, durch die Taufe in eine besondere Gemeine oder Vereinigung von Christen aufgenommen zu werden; sondern die Taufe führte in die Kirche ein. Das Wort kennt keinen solchen Unter­schied von Kirchen, wie ihn der Mensch macht. Es spricht nur, wie wir gesehen haben, von der Kirche nach den Ge­danken und Ratschlüssen Gottes, und von der Kirche in ihrer Verantwortlichkeit auf der Erde, und macht nie solche besonderen Abteilungen. — Dann finden wir, daß es zu­nächst die Apostel waren, welche im Auftrag des Herrn die Taufe vollzogen. Philippus aber, einer der sieben Männer,

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 welcher nach Apg. 6, zum äußeren Dienst der Kirche ge­wählt war, taufte auch (Apg. 8). Weiter finden wir, daß Petrus einigen Brüdern, die mit ihm von Joppe nach Cäsaräa gekommen waren, befahl, den Kornelius und sein Haus zu taufen (Apg. 10, 48). Nirgends aber lesen wir, daß die Ältesten mit dieser Verrichtung bevollmächtigt waren, oder daß es überhaupt einer Bevollmächtigung dazu be­durft hätte. Denn Paulus war, wie er selbst sagt, „nicht zu taufen gesandt, sondern das Evangelium zu verkündigen" (1. Kor. 1. 17) und dennoch hatte er etliche getauft.

Ebenso ist es mit der Bedienung beim Abend­mahl oder Brotbrechen. Wir lesen von den ersten Christen, daß sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen (Apg. 2, 46); aber es wird nichts von irgend einer Bedienung von Seiten der Apostel oder anderer beamteten Personen erwähnt, noch finden wir dieses in Apg. 20, 7, wo ebenfalls vom Brotbrechen die Rede ist. Viele machen sich auch eine sonderbare Idee vom Segnen beim Brotbrechen, und sie denken, daß dieses nur den anerkannten Dienern, — so­genannten geweihten Personen — zustehe. 

Wir sehen aber aus 1. Kor. 14,16, daß dieses Segnen beim Brotbrechen nichts anderes ist, als Danksagung; auch der Herr dankte, ehe Er das Brot brach (Matth. 26, 16). — Würde beim Brotbrechen die Gegenwart der Ältesten zur Bedienung nötig sein, so müßte man auch behaupten, daß in den Städten, die Titus mit Ältesten besetzen sollte, entweder keine Versammlun­gen waren, oder daß diese, falls sie vorhanden waren, so lange den köstlichen Segen des Brotbrechens entbehren mußten, bis Älteste unter ihnen angestellt waren. Dann aber auch würde der Apostel, wenn die Bedienung und die damit verbundene Ordnung am Tische des Herrn in den Händen der Ältesten lag, sich jedenfalls zunächst an diese gewendet haben, als er die Unordnung beim Abendmahl in Korinth so entschieden rügte. Es ist möglich, daß die Älte­sten oder überhaupt die in der Versammlung anerkannten Personen beim Brotbrechen die Danksagung sprachen und das Brot darreichten; aber die Schrift gibt keine bestimmte Verordnung darüber.

Mancher könnte nun sagen: Wenn das Ältestenamt nicht mehr vorhanden ist, so steht für uns umsonst in der Schrift:

„Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk." Keineswegs. Das Amt, als solches, ist freilich nicht mehr vorhanden, und niemand ist von Gott autorisiert, es wieder herzustellen und mit diesem Titel Personen, wie am An-

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 fang, öffentlich in dasselbe einzusetzen; aber das Werk selbst, gerade das, was der Apostel lobt, kann in Betreff sei­ner gesegneten Vorrechte zu jeder Zeit von treuen Christen ohne amtliche Einsetzung gepflegt und ausgeübt werden. Und dies ist die Hauptsache. Gott wird nie den Dienst der freiwilligen Liebe für die Seinigen geringschätzen oder ver­achten.— Der Apostel schreibt den Hebräern: „Gott ist nicht ungerecht, eures Werks und der Liebe zu vergessen, die ihr, da ihr den Heiligen gedient habt, und dienet, für seinen Namen bezeugt habt" (Kap. 6, 10). Der Heilige Geist läßt alle Gläubige durch die Apostel zu einem Dienst aufmuntern, womit sonst vornehmlich die Ältesten betraut waren. 

Wir lesen z.B. 1. Thess. 5, 14 und 15: „Wir ermahnen euch aber, Brüder: Warnet die Unordentlichen, tröstet die Kleinmüti­gen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegen alle. Sehet zu, daß niemand Böses mit Bösem jemandem vergelte, sondern strebet allezeit füreinander und für alle dem Guten nach." Ebenso Hebr. 10, 24 und 25: „Und lasset uns aufeinander Acht haben zur Reizung der Liebe und guter Werke und unser Zusammenkommen nicht versäu­men, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermah­nen, und das um so mehr, je mehr ihr den Tag herannahen sehet." —

Ähnliche Ermahnungen finden wir an vielen anderen Stellen des Wortes Gottes. Das Feld ist weit genug für alle, um zu arbeiten, und es fehlt ihnen nicht an Bedürfnissen unter den Heiligen, um seine Liebe an ihnen zu betätigen und mit den von Gott verliehenen Gaben zu dienen. Wir haben sicher nicht nötig, uns deshalb in den engen Raum einer Partei einzuschließen, wo das Herz so leicht verengt und kalt und gleichgültig gegen die Geliebten Gottes wird, die sich nicht in diesem Kreise befinden.

 Ach, meine Brü­der! laßt es uns wohl erkennen, daß es überhaupt einer großen und steten Gnade bedarf, um inmitten der Parteien aller Art in jeder Beziehung, nicht allein äußerlich, sondern auch innerlich, von dem Parteigeist bewahrt zu bleiben; und wie so oft geschieht es, daß solche, die einer Partei an­gehören, in dem Wohlbehagen ihres selbsterbauten Häus­chens die Mängel und Gebrechen des Hauses Gottes ver­gessen. — Mögen auch viele unseren Dienst in Liebe ver­achten und die uns von Gott verliehenen Gaben nicht an­erkennen — es ist nur ein Schaden für sie; aber für uns handelt es sich nur um diese eine Frage, ob Gott uns an­erkennt, ob wir in Seinem Namen und zu Seiner Ehre die von Ihm empfangenen Gaben treu anwenden. Unser Dienst gehört dem Herrn, und Ihm. allein sind wir verantwortlich.

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 Wieviele liebliche Zeugnisse finden wir aber auch im Worte Gottes von Heiligen, deren treue Dienste, ohne in ein öffent­liches Amt gestellt zu sein, für die Versammlungen so ge­segnet waren. Ich erinnere besonders an das 16. Kapitel des Briefes an die Römer, wo wir mit den Grüßen des Apostels an einzelne Personen so viele köstliche Zeugnisse für diese in Betreff ihres Dienstes verbunden finden — Ferner lesen wir in 1. Kor. 16, 15. 16: „Ich er mahne euch aber, Brüder: Ihr kennet das Haus des Stephanas, daß es die Erstlinge von Achaja sind, und daß sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben: auf daß auch ihr solchen und jedem, der mitwirkt und sich bemühet, Untertan seid." Wer hatte diese zum Dienst für die Heiligen verordnet? Sie hatten es selbst getan. Wer er­kannte sie an? Gott, — und das war genug. Doch auch die Gläubigen werden durch den Apostel aufgefordert: „Sol­chem und jedem, der mitwirkt, und sich be­mühet, Untertan zu sein."

 Der treue Dienst im Namen Jesu ist unsere wahre Legitimation an alle Gläubige; und Gott belohnt unsere Treue und nicht unsere Anerken­nung und Anstellung durch Menschen. Es sind aber ver­lorene Stunden, meine Brüder, und vergebliche Anstren­gungen, die wir der Aufrichtung einer Partei widmen, weil das Wohlgefallen Gottes nicht damit verbunden ist und wir deshalb Sein Zeugnis nicht erlangen können; und wie oft finden wir auch, daß das Herz eines Gläubigen, wenn es mit Parteizwecken erfüllt ist, mit Sorge und Unruhe einher­geht, wenn diese Zwecke vereitelt werden, oder gar über Brüder lieblos richtet, wenn diese aus Furcht Gottes nicht Teil daran nehmen.

Jetzt möchte ich in Betreff der vorliegenden Frage über die Ältesten nur noch eine Bemerkung machen. — Unter den Christen aus den Heiden finden wir ganz deutlich, daß die Ältesten von den Aposteln oder ihren Bevollmächtigten erwählt und in den Versammlungen angestellt wurden. Diese waren also mit einem bestimmten Amt betraut. Man findet aber keine Spur von einer Anstellung der Ältesten auf diese bestimmte Weise unter den Christen aus Juden. Wenn wir z. B. die Ermahnung in 1. Petri 5, 5 lesen: „Ihr Jüngeren seid den Ältesten Untertan", so geht daraus deutlich hervor, daß die hier erwähnten Äl­testen solche Personen in den Versammlungen waren, die sich etwa durch Alter, oder durch Erfahrung, oder Einsicht, oder ein ernstes und festes Verhalten auszeichneten. Wir wissen, daß alle Gläubigen einer Versammlung ihren Äl­testen Untertan sein sollten, und diese alle wurden in der

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 hier erwähnten. Ermahnung, jenen gegenüber, denen sie Untertan sein sollten, als die Jüngeren bezeichnet, wodurch also die Stellung jener charakterisiert wird. Durch den Na­men „Älteste" wird demnach hier weniger ein bestimm­tes Amt ausgedrückt, sondern vielmehr der Gegen­satz zu den Jüngeren, wie wir ja auch unter den Juden die Klasse oder den Stand der Ältesten oft erwähnt finden. — In diesem Sinne waren auch Johannes und Petrus Älteste, welchen Namen sie sich selbst beilegten. Und in derselben Weise finden wir auch in dem Brief des Jakobus die Ältesten erwähnt: „Ist jemand krank unter euch? — er rufe die Ältesten der Versamm­lung zu sich. . . Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten" (Kap. 5, 14. 15). Dieses Gebet des Glaubens zur Rettung aber ist sicher nicht an das Amt eines Ältesten gebunden. — Soweit über die Frage in Betreff des Aufseherdienstes oder des Ältestenamtes. —

Jetzt will ich noch einige Worte über das zweite öffent­liche Amt oder Dienst in der Kirche hinzufügen: über die Diener oder Diakonen. Wir finden von diesen nicht viel in der Heiligen Schrift erwähnt. Die Diakonen bedien­ten die Versammlungen und hatten als angestellte Diener derselben, besonders deren äußere Bedürfnisse und Angele­genheiten zu besorgen. — Es gab auch Dienerinnen mit demselben Titel (Röm. 16, l). Zuerst ist von diesem Dienste in Apg. 6 die Rede. Hier wurden auf Befehl der Apostel, welche es nicht länger für gut fanden, selbst den Tischen zu dienen, von der Menge der Gläubigen sieben Männer er­wählt und von den Aposteln zu dieser Sache aufgestellt. Wenn diese hier auch nicht Diakonen genannt werden, so ver­richteten sie doch die Pflicht derselben.

 Dann finden wir, daß der Apostel, wie er es vorher im Betreff der Ältesten getan, so auch hier den Timotheus über die nötigen Eigen­schaften eines Diakonen oder Dieners unterrichtet, und ihm zugleich bemerkt, daß er einen solchen erst nach vorher­gegangener Prüfung dienen lassen sollte. Hatten die Dia­konen Gaben, so hatten sie dieselben zur Ehre des Herrn in Ausübung zu bringen; und dieses finden wir besonders bei Stephanus und Philippus verwirklicht, und wir sehen auch, wie sehr sich der Herr dazu bekannte (Apg. 7. 8). Der Apo­stel bezeugt auch, daß das Amt der Diakonen, falls .es mit treuer Sorgfalt verwaltet wurde, mit vielem Segen gekrönt werde: „Denn die, welche wohl dienen, er­werben sich eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben, der in Christo J e s u ist" (1. Tim. 3. 13).

Wir sehen nun aber, daß die Anstellung der Diakonen,

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 ebenso wie die der Ältesten, durch die Apostel oder deren Abgeordneten geschah. Wenn auch nach Apg. 6 einmal durch die Versammlung diese Diener erwählt wurden, so geschah es doch nur auf ausdrücklichen Befehl der Apostel, welche auch selbst jene Erwählten einsetzten. Jetzt aber sind weder die Apostel noch sonst von Gott bevollmächtigte Personen zur Bestellung dieses Dienstes vorhanden, und deshalb müs­sen wir bekennen, daß auch dieses Amt, als solches, in der Kirche aufgehört hat. Doch das Dienen in der Ver­sammlung hat kein Ende, und je treuer und eifriger wir den Heiligen in Liebe dienen, desto gesegneter wird es für sie und uns sein.

Endlich wollen wir noch einiges über die Frage hinzu­fügen:

5. Was sagt das Wort Gottes über die Gaben?

Dieser Gegenstand ist in einer anderen Schrift sehr ein­fach und klar dargestellt worden, und ich will deshalb hier nur einiges aus derselben wörtlich wiedergeben.

„Man kann die Gaben entweder als Gaben Christi oder als die Einwirkung des Heiligen Geistes, gegenwärtig auf der Erde, betrachten. Die Heilige Schrift tut beides. Im Epheserbrief, Kap. 4, spricht sie von den Gaben Christi. Im 1. Korintherbrief, Kap. 14, spricht sie von der Einheit des Leibes und von den Gaben, als der Wirkung des Geistes in den verschiedenen Gliedern. Jedenfalls sind die Gaben in Verbindung mit der Einheit des Leibes, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man das 4. Kap. des Epheserbriefes liest. Ehe wir weiter gehen, laßt uns bemerken, daß die Gaben zweierlei sind. Die Gaben, die zur Erweckung der Seelen und zur Versammlung der Kirche dienen, und diejenigen, welche Zeichen vor der Welt sind, Zeichen der Gegenwart Gottes in der Person des Geistes in der Kirche. Der Epheserbrief spricht von den ersten allein; der Ko­rintherbrief von beiden. Diesen Unterschied macht das Wort Gottes selbst, da wo es uns sagt, daß die Sprachen Zeichen den Ungläubigen, die Weissagung aber den Gläubigen sind (1. Kor. 14, 22). Dieser Unterschied ist wichtig, indem es nicht möglich ist, daß etwas von dem fehle, was zur Bekeh­rung der Seelen und zur Erbauung der Kirche nötig ist, und indem es ganz begreiflich ist, daß Gott dasjenige, was eine Zierde der Kirche und ein Zeugnis ihrer Genehmigung ist, zurückzieht, wenn die Kirche untreu ist und Gott nicht ver­ehrt, sondern den Geist betrübt. Zu gleicher Zeit blieb nach

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 der Weisheit Gottes dieses äußerliche Zeugnis so lange in der Kirche, als es nötig war, um die Verkündigung der christlichen Wahrheiten zu befestigen.

Alle Gaben kommen unmittelbar von Christo dem Haupte herab und haben ihr Dasein in den Gläubigen durch die Einwirkung des Heiligen Geistes. Diese zwei wichtigen Wahrheiten sind ganz klar und deutlich vorgestellt, und selbst ihr Grund und ihre Entwicklung auseinandergesetzt in Eph. 4 und 1. Kor. 12. Eph. 4 spricht ausschließlich von den Gaben, welche zur Versammlung und Erbauung der Kirche dienen. Christus ist in die Höhe hinaufgestiegen und hat für die Menschen Gaben empfangen. Diese, durch das Erlösungswerk Christi, wovon sie durch den Glauben ge­nießen, vollkommen von der Macht Satans, welchem sie früher unterworfen waren, befreit, und Gefäße der Gnade und der Kraft, welche von oben, von Christo, dem Haupte herabfließt, geworden, werden durch die Gaben, die ihnen mitgeteilt sind, die Werkzeuge eines abwesenden Christus. 

Durch die Apostel und Propheten hat der Herr die Funda­mente gelegt. Sie sind, sagt der Apostel Paulus in Eph. 2, 20, die Grundlage, indem Jesus Christus Selbst der Eck­stein ist. Es bleiben noch Evangelisten, Hirten und Lehrer, und solange wie Christus die Kirche liebt und die einzige Quelle der Gnade ist, solange Er die Glieder Seines eigenen Leibes ernähren will, so lange werden diese Gaben für die Erbauung der Kirche bleiben. Weil sie durch die Gegen­wart und die Kraft des Heiligen Geistes wirksam, die Chri­sten aber leider oft untreu sind und seine Ermahnungen vernachlässigen, so ist die Entwicklung der Gaben und ihre öffentliche Wirksamkeit unklar und ihre Tätigkeit ge­hemmt, welches auch überhaupt wahr ist, sowohl in Betreff des christlichen Lebens, als auch des praktischen Zustandes der Kirche. Es ist aber nichtsdestoweniger wahr, daß Chri­stus Seinen Leib stets und unfehlbar besorgt; darauf kön­nen wir immer rechnen, obgleich wir in Einzelheiten durch unsere eigene Untreue gedemütigt werden können. Auch hat der Herr uns gesagt, daß die Ernte groß ist und der Ar­beiter wenige sind, und daß wir den Herrn der Ernte um die Sendung der Arbeiter in Seine Ernte bitten sollen.

Jeder, der eine Gabe empfangen, ist dadurch Diener dessen geworden, der sie ihm mitgeteilt hat. Jedenfalls sind wir Diener Christi, des einzigen Herrn unserer Seelen; aber insbesondere ist jeder Christ Sein Diener in Betreff der Gabe, die Er ihm mitgeteilt hat; und weil Er sie ihm mitgeteilt hat, ist er verantwortlich, sie zu gebrauchen und damit zu handeln, und gerade für d e n Zweck, wofür Chri­stus sie ihm gegeben hat, damit zu handeln. Ohne Zweifel

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 ist jeder Christ der allgemeinen Zucht der Kirche oder Ver­sammlung unterworfen, sowohl in seinem ganzen Leben, als auch in seinem Dienst. Er dient aber Christo und nicht den Menschen. Er ist fruchtbar für die Versammlung, weil er Christo dient. Er leistet Dienst den Christen, weil er Diener Christi, des Herrn, ist. Auch ist er zu dienen verpflichtet, weil er Christi Diener ist, und dazu von dem Eigentum seines Herrn empfangen hat. Dieses ist die Lehre des Gleichnisses von den drei Knechten, deren Herr außer Landes ging und ihnen von seinen Gütern über­lieferte; dem einen mehr, dem anderen weniger. Warum? Damit sie faul und untätig blieben? Nein! Er hatte ihnen die Talente deshalb anvertraut, auf daß sie damit handel­ten. Man gibt den Menschen nicht Stoff und Werkzeuge, damit sie nichts tun. Es wäre dies überhaupt nicht allein sinnlos, sondern, wenn die Liebe Christi und Seine Liebe für die Seelen im Herzen tätig ist, so ist Faulheit und Nichtstun ganz unmöglich.

Die Gegenwart und Wirksamkeit dieser Liebe ist es auch gerade, die dadurch geprüft wird. Wenn die Liebe Christi in meinem Herzen wirksam ist und ich einer von Ihm ge­liebten Seele nützlich sein könnte, wäre es möglich, noch untätig zu bleiben? Gewiß nicht. Die Kraft, dieses zu tun, die nötige Weisheit, um es wohlgefällig zu tun, kommt stets und augenblicklich von Ihm, während die Liebe im Her­zen es ist, die das Herz tätig werden läßt. Um Mut zu haben, dies zu tun, muß ich Vertrauen zu Christo haben, anders wird das Herz sagen: Vielleicht wird Er mein Werk nicht genehmigen; vielleicht wird Er nicht zufrieden mit mir sein; vielleicht wird es zu tollkühn, zu übereilt sein; vielleicht ist es Stolz, dies in Anspruch zu nehmen. Der faule Mensch sagt: Es ist ein Löwe auf dem Wege; aber die Liebe ist nicht untätig, sondern verständig, weil sie zu Christo Vertrauen hat. Die Liebe versteht das, was die Liebe will und folgt dem Willen Christi und dem Beispiel Christi, ihres Führers, nach. 

Dies ist die Wirkung derselben Liebe, die in Christo' ist, welche wahrhaftige, demütige Weisheit ausübt. Sie ist gehorsam und verständig und be­greift ihre Pflicht durch die Gnade, indem sie durch die Liebe Christi auch Mut schöpft, sie zu erfüllen. Und wessen Verfahren hat Christus genehmigt und anerkannt? Dessen, der durch dieses herzliche Vertrauen ohne weiteren Befehl gearbeitet hat, oder jenes, — der es nicht wagte? Wir alle wissen es. Die Genehmigung Christi genügt dem Herzen des Christen und genügt zu seiner Rechtfertigung. Brüder, wenn wir Seine geoffenbarte, ausgesprochene Genehmigung haben, so können wir alles andere außer acht lassen. Das

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 ist es gerade: Christen treu zu werden. Laßt uns Geduld haben, Er wird später alles richten. Indessen müssen wir durch den Glauben wandeln. Sein Wort genügt uns. Zu rechter Zeit will Er uns rechtfertigen vor der Welt, und Sein Wort und den Glauben ehren.

Also hat der Herr Jesus diese Gaben in Seiner Mensch­heit empfangen und sie den Menschen gegeben, um das Werk des Evangeliums und der Kirche Gottes zu vollbrin­gen; und diejenigen, welche diese Gaben empfangen, sind verpflichtet, Gott gemäß damit zu handeln, die Seelen zu gewinnen, die Christen zu erbauen, den Herrn und ihren himmlischen Meister zu verehren. Im 4. Kap. des Epheserbriefes haben wir die Erbauungsgaben als von Christo Selbst, in die Hohe hinaufgestiegen, hier abgegeben, darge­stellt gesehen, indem Sein Leib auf der Erde durch diese Gaben zusammengefügt ist, und durch ihre gegenseitige Wirkung wächst und gleichzeitig bewahrt bleibt vor jeg­lichem Wind der Lehre, auf daß er zunehme bis zur Statur Christi.

Im 12. Kapitel des Korintherbriefes sind die Gaben mehr als die Wirkung des Heiligen Geistes auf der Erde betrach­tet. Dieser teilt sie einem jeglichen aus, wie Er will. Auch haben wir hier nicht allein die Erbauungsgaben, sondern alle die, welche Kraft des Geistes und Zeichen Seiner Ge­genwart sind. Dies Kapitel betrachtet alles, was als geist­liche Erscheinung angesehen werden kann, und indem es von der Wirkung der dämonischen Kräfte spricht, zeigt es die Mittel an, diese von den göttlichen Gaben zu unterscheiden. Es .stellt die Lehre des Leibes und der Glieder Christi am klarsten dar und läßt uns aufmerksam werden, daß es einen einigen Herrn gibt, durch dessen Autorität diejenigen, welche die Gaben haben, arbeiten, sei es in der Welt, sei es in der Versammlung, um das Werk Gottes durch die Ein­wirkung des Heiligen Geistes zu vollbringen. Jedes Glied ist von der Wirkung eines anderen abhängig, indem alle durch ein und denselben Geist zu einem Leibe getauft worden sind.

In Römer 12 und 1. Petri 4, 10 sind die Gaben in der Kürze erwähnt. In Römer 12 noch als Glieder des Leibes Christi*) und im allgemeinen zu dem Zwecke, die Besitzer

*) Die Gäbe ist hier mit dem Begabten als ein und dasselbe dargestellt, weil die Gabe, als solche, nur, als mit dem Leibe Christi in Verbindung stehend, gedacht werden kann.

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 der Gaben zu ermahnen, die empfangenen Gaben nicht zu überschreiten, sondern sich auf das Maß dessen, was ihnen gegeben worden ist, zu beschränken. In 1. Petri 4 ermahnt der Heilige Geist die Christen, sich der mitgeteilten Gaben . zu bedienen, als unmittelbare und treue Verwalter Gottes; zu reden, als Aussprüche Gottes, zu dienen, als durch eine von Gott dargereichte Fähigkeit. In dieser ganzen Lehre finden wir nichts von Ämtern, sondern es ist allein von den Gliedern des Leibes Christi die Rede, die alle ihr Teil an der Erbauung des Leibes nehmen, und zu erfüllen ver­pflichtet sind. Nicht alle reden, nicht alle predigen das Evangelium, nicht alle lehren, weil nicht alle diese Ga­ben haben; aber alle sind nach der Schrift, das zu tun, verpflichtet (gemäß der schriftlichen Ordnung des Hauses Gottes), was Gott ihnen zu tun anvertraut hat. Sobald man versteht, daß alle Christen Glieder Christi sind, und daß jedes Glied seine eigene Arbeit, seine eigene Pflicht am Leibe hat, ist alles einfach und klar. Alle haben eine Pflicht zu erfüllen, und zwar durch die Kraft Gottes; und die ver­borgenste ist vielleicht die köstlichste, welche vor Gott und nicht vor Menschen verrichtet wird. — Alle aber haben etwas zu erfüllen. Zu sagen, daß alle Ämter haben, heißt alle Ämter verleugnen. Wenn wir die Geschichte und die Lehre der Schrift über diesen Punkt untersuchen, so ist dieser immer klar. Wir sehen, daß das, was entweder die Predigt des Evangeliums in der Welt oder die Erbauung der Christen in den Versammlungen anbetrifft, kerne Frage von Ämtern ist, sondern alles von den Gaben abhängt.

Wir werden einige Stellen anführen, um dies zu beweisen.

Schon haben wir den Leser auf Matth. 25 aufmerksam gemacht. In dem Gleichnis von den Talenten, die den drei Knechten anvertraut waren, stellt der Herr diesen Grund­satz dar, daß die zwei Knechte lobenswürdig sind, weil sie gehandelt hatten, ohne weiter bevollmächtigt worden zu sein, als durch die Tatsache, daß ihr Herr ihnen sein Geld anvertraut hatte, während der dritte getadelt und gestraft wird, weil er eine Bevollmächtigung erwartet, weil er kein Vertrauen zu seinem Herrn gehabt und ohne weitere Ver­sicherung nicht gewagt hatte, zu arbeiten. Das heißt: die Gaben selbst sind eine vollkommene Bevollmächtigung für den Arbeiter, damit zu arbeiten, wenn die Liebe Christi in seinem Herzen wirksam ist; wenn diese Liebe aber nicht vorhanden, so ist er schuldig, und der Beweis, daß sie nicht wirksam in ihm ist, ist der, daß er mit seiner Gabe nicht diente; — er ist ein böser und fauler Knecht. Christus gibt keine Gaben, damit wir sie nicht benutzen; Er gibt sie viel-

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 mehr, damit wir mit ihnen tätig seien. Und in der Tat fin­den wir, daß dieses unter den ersten Christen stattgefunden hat. Als die Verfolgung, welche auf den Tod des Stephanus folgte, die Christen zerstreut hatte, gingen sie überall um­her und predigten das Evangelium. In Apg. 8, 4 und Kap. 11, 21 lesen wir, daß die Hand des Herrn mit ihnen war. Es ist aber möglich, daß ich das Mittel, wodurch eine Seele selig werden kann, kenne, und dieses Mittel nicht verkün­dige, wenngleich mich Gott dazu fähig gemacht hat. Ein jeder kann etwas verborgenerweise tun, die Fähigkeit für die öffentliche Verkündigung aber ist gerade die Gabe Gottes. —

Als Paulus sich im Gefängnis zu Rom befand, wurden mehrere der Brüder im Herrn, indem sie durch seine Bande Vertrauen gewonnen hatten, viel kühner, das Wort ohne Furcht zu verkündigen (Phil. 1. 13. 14).

Nachdem die falschen Lehrer ausgegangen sind, um die Christen zu verführen, hängt es gar nicht von Amt oder nicht Amt ab, ob man diese aufnehme oder nicht, — selbst einer Frau wird dies gesagt (2. Joh.).—Dem Apostel kommt nicht einen Augenblick der Gedanke, solch ein Mittel zu gebrauchen, um eine Frau vor der Zeit zu vergewissern; er schreibt ihr einfach, jedermann nach seiner Lehre zu be­urteilen. Es kommt ihm nicht einmal in den Sinn, der Frau zu raten, den als Prediger sich Darstellenden zu fragen, ob er ein Amt habe und ob er geweiht oder ordiniert sei. Im Gegenteil-, er lobt den geliebten Gajus, weil er die Brüder, welche für den Namen Christi ausgegangen waren, aufge­nommen hatte, und ermuntert ihn, sie auf eine gotteswür­dige Weise weiter zu geleiten; und auf diese Weise wurde er ein Mitarbeiter der Wahrheit (3. Joh. 8).

Was also die Predigt des Evangeliums betrifft, so be­stätigt das Wort Gottes die Lehre, daß ein jeder nach seiner Fähigkeit und den Gelegenheiten, welche Gott in Seiner Gnade verschafft, dasselbe zu verkündigen verpflichtet ist.

In Beziehung auf die Erbauung der Gläubigen ist die Heilige Schrift ebenso klar. Nicht allein stellen uns Epheser 4 und 1. Kor. 12 die allgemeine Wahrheit dar, daß Christus die Gaben gegeben hat und der Heilige Geist darin wirkt, auf daß man das Werk Gottes in allerlei Weise vollbringe, sondern sie spricht auch genau und klar gerade über die Pflicht derjenigen, welche diese Gaben besitzen. Der Hei­lige Geist sagt durch den Mund Petri: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mannigfachen Gnade Gottes. Wenn je­mand redet, so rede er Aussprüche Gottes usw.". In 1. Kor. 14 finden wir die Ordnung, wonach die Ausübung der Ga-

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 ben stattfinden soll. „Propheten aber lasset zu zweien oder dreien reden und die anderen urteilen... Denn ihr könnet alle einzeln weissagen, auf daß alle lernen und alle ge­tröstet werden", und Jakobus zeigt uns ganz klar die wahr­haften Grenzen dieses Dienstes, ohne Rücksicht auf die Ämter. Er sagt nämlich, daß die Gläubigen nicht viele Lehrer werden sollten, weil also die Verantwortlichkeit desto größer sein würde, und sie (da wir alle mannigfaltig straucheln) ein umso schwereres Urteil empfangen würden. Es ist also vollkommen gewiß, daß die Gaben und der durch die Gaben von den Gläubigen geleistete Dienst nach der Heiligen Schrift von den Ämtern vollkommen unabhängig sind, und daß diejenigen, denen Gott diese Gaben mitge­teilt hat, verpflichtet sind, sie für die Erbauung der Heiligen zu benutzen. Die Schrift gibt die Regel, wonach die Aus­übung dieser Gaben stattfinden soll und bemerkt, daß die Geister der Propheten den Propheten unterworfen seien, und daß alles zur Erbauung getan werde, so daß keine Ver­wirrung in der Versammlung stattfinde. Von den Ämtern aber spricht die Schrift in dieser Beziehung nicht ein ein­ziges Wort. Und hier dürfen wir darauf aufmerksam ma­chen, daß zwischen Gabe und Amt ein großer Unterschied vorhanden ist, der von der Natur beider abhängig ist. Die Gabe ist überall gültig. 

Wenn ich ein Evangelist bin, so pre­dige ich das Evangelium überall, wo Gott mich hinruft. Bin ich Lehrer, so lehre ich die Gläubigen meiner Kraft gemäß, wo immer ich mich auch befinde. Apollo lehrte in Ephesus und war auch den Gläubigen in Korinth behilflich. Wenn jemand ein Amt empfangen hat, so erfüllt er die Pflicht, welche damit verbunden, in dem bestimmten Ort, wo er dazu ernannt ist. Ist er Ältester oder Diakon in Ephesus, so hat er seine Pflicht in Ephesus zu vollbringen, seine amtliche Autorität ist in Ephesus gültig. In Korinth hat er keine. Die Ämter sind nicht als Ämter Glieder des Leibes Christi, — die damit Betrauten sind Seine unterworfenen Beamten. Die Gaben als Gaben sind die verschiedenen Glieder Seines Leibes*), die ihren Dienst nach dem Willen Gottes leisten sollen, wo immer sie sich auch befinden. Die Schrift sagt niemals, daß ein Evangelist der Evangelist einer Versamm­lung oder einer Gemeine sei, noch ein Lehrer oder Pastor der einer Gemeine, sondern Gott hat in der Kirche in dem „allgemeinen Leibe Christi" solche Gaben gesetzt. „Christus hat Gaben für die Menschen empfangen und sie ihnen ge­geben, zur Vollendung der Heiligen; für das Werk des

*) Siehe Anmerkung S. 162.

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 Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen werden zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes, zu einem vollkommenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf daß wir nicht mehr Unmündige seien, hin und hergeworfen, und umhergetrieben von jeglichem Wind der Lehre, durch das Würfelspiel der Menschen in Verschlagen­heit zur List der Verführung; aber wahrhaftig in Liebe lasset uns wachsen in allem, zu ihm hin, der das Haupt ist — der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und zusammenbefestigt, durch jedes Gelenk der Darreichung nach der Wirksamkeit in dem Maße eines jeglichen Teiles, das Wachstum des Leibes zu seiner selbst Auferbauung in Liebe schafft" ...

Der Christ kann seine eigene Verantwortlichkeit nie be­seitigen. Die Zucht der Versammlung erheischt einen dieser Verantwortlichkeit entsprechenden Wandel, wenn der Christ ihn vergessen hat. Also sind die Brüder, welche durch die Gnade des Herrn zu arbeiten berufen sind, wirksam, um den christlichen Wandel aufrecht zu erhalten, die Schwachen zu stärken, die Unwissenden zu unterweisen, alle zu er­mahnen und zu ermuntern, mit dem Worte zu ernähren, und sie durch diese göttliche Nahrung fähig zu machen, Gott und die Lehre des Heilandes zu zieren, — kurz, auf allerlei Weise, in Betreff der gemeinschaftlichen Verant­wortlichkeit, behilflich zu sein.

Alles gehört dem Christen: Die Wirksamkeit des Arbei­ters Gottes, und seine Anstrengungen, jedes Übel auszu­rotten. Es sei Paulus, oder Apollos, oder Kephas; es sei Welt oder Leben, oder Tod, oder Gegenwärtiges, oder Zu­künftiges; — alles gehört dem Christen; der Christ aber Christo, Christus aber Gott (1. Kor. 3, 22. 23). Der Apostel sagt: „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Christum Jesum, dem Herrn; uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen" (2. Kor. 4, 5). ...

„Christus ist seinem Leibe unfehlbar treu, und der Hei­lige Geist ist immer in der Versammlung auf der Erde, des­halb bleiben die Gaben, welche für die Erbauung der Ver­sammlung Gottes nötig sind, immer da. Die Schwachheit der Versammlung Gottes offenbart sich freilich in dieser, wie in jeder anderen Beziehung; aber Christus bleibt immer treu und kann nicht anders, als seine Glieder ernähren."

Die Lehre der Schrift über die Gaben hat man beinahe vergessen, oder man widersetzt sich denselben sogar ganz, indem man das Recht, die Menschen zu erbauen, denen zu­schreibt, welche durch Menschen in ihre Stellungen einge-

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 führt sind, — Stellungen, welche man meistens für sich selbst erfunden hat. Selbst wenn man zugibt, daß Gott die Gaben darreicht, so erlaubt man doch nicht, daß man sie ohne die Bestätigung von Menschen ausübe.

Diese Verwirrung, die von der Vermischung der Gaben und der Ämter, welche die Menschen erfunden haben, her­stammt, nennt man gewöhnlich die Geistlichkeit und selbst Gottesdienst; ja, man behauptet, daß, wenn man diese nicht annehme und anerkenne, man den Gottes­dienst verleugne. Der wahrhaftige Gottesdienst ist aber da, wo jedes Glied Christi mit der Gabe, welche ihm Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes mitgeteilt hat, auch Gott dient, sowohl in der Welt, als auch zur Erbauung der, Brüder, und also des ganzen Leibes Christi.

Wenn die öffentliche Wiederherstellung der Ämter, wel­che die Schrift anerkennt, in dem gegenwärtigen Zustand der Kirche nicht möglich ist, so hat doch Gott für diesen Zu­stand (so traurig er ist) alles, was nötig, alles was gut ist, zuvor verordnet, wie Er auch alles, was nützlich ist, un­fehlbar denen geben wird, die Ihn darum bitten.

Von der Auflegung der Hände, um die Ausübung der Gaben zu berechtigen oder in Ansehen zu setzen, weiß die Heilige Schrift gar nichts. Der ein­zige Fall, wo etwas ähnliches geschehen ist, fand bei den Aposteln Paulus und Barnabas statt, die für das Werk, das sie hernach vollbrachten, dem Segen des Herrn empfohlen waren. Diese beiden aber hatten schon lange Zeit ihre Ga­ben ausgeübt, und dies war also nichts anderes, als, von Seiten der Propheten in Antiochien, eine Empfehlung an die Gnade des Herrn für ein besonderes Werk. Die zwölf Apo­stel legten die Hände auf die sieben, welche gewöhnlich Dia­konen genannt werden; und, obgleich es nirgendwo gesagt ist, so ist es wahrscheinlich durch Analogie (Schlußfolge), daß der Apostel Paulus oder seine Abgeordneten auf die Ältesten Hände gelegt haben. Von der Ausübung der Gaben aber ist überall erzählt, nicht nur ohne diese Zeremonie zu erwähnen, sondern auf eine solche Weise, daß, wenn es not­wendig wäre, sich alle Christen müßten die Hände auflegen lassen. Es ist so klar wie das Licht der Sonne, daß, weil alle weissagen konnten (1. Kor. 14,31), alle in der Tat gepredigt haben, und viele in fremden Sprachen redeten, die Auf­legung der Hände für die Ausübung der Gaben ganz und gar unmöglich war."

Ich füge nichts weiter hinzu, als den herzlichen Wunsch, daß diese Schrift durch die Gnade für viele zum Segen und

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 zugleich zur Aufmunterung dienen möge, auch in den vor­liegenden Dingen nach dem wohlgefälligen Willen Gottes mit völligem Vertrauen und wahrer Unterwürfigkeit des Herzens zu wandeln.

BDH 67000 1859 Ein ganzes Herz für Christum

Es war vielleicht eines der rührendsten Zeichen von Judson's gänzlicher Hingebung für Christum — dem Kern und Stern seines ganzen Lebens — welches er in seinem Vaterland gab, als er es nach einer Abwesenheit von dreißig Jahren in zerstörter  Gesundheit wiedersah. „Auf die An­zeige, daß er in einer Versammlung in einer Provinzialstadt sprechen würde, war eine große Menge Menschen von nah und fern zusammengekommen, um ihn zu hören. Nach Be­endigung des gewöhnlichen Gottesdienstes stand er auf; und indem aller Augen und Ohren auf ihn gerichtet waren, sprach er ungefähr fünfzehn Minuten lang mit großer Wärme von dem teuren Heiland, was er für uns getan habe und wieviel wir Ihm verdanken, und dann setzte er sich wieder, sichtbar gerührt."

„Die Leute sehen sich sehr getäuscht", sagte auf dem Rückwege ein Freund zu ihm; „sie wundern sich, daß Sie nicht von etwas anderem gesprochen haben." „Nun, was wünschten sie denn?" erwiderte er; „ich habe ihnen nach meinem besten Vermögen den interessantesten Gegen­stand von der Welt vor die Augen gestellt." „Aber sie wünschten etwas anderes; eine Geschichte." — „Nun, ich bin gewiß, ich habe ihnen eine Geschichte erzählt, die an­ziehendste, welche man sich denken kann." — „Aber sie hatten schon davon gehört; sie wünschten von einem Manne, der eben von den Antipoden gekommen ist, etwas Neues zu hören." „Dann freut es mich, daß Sie werden sagen müssen, daß ein Mensch, der von den Antipoden kommt, nichts Bes­seres zu sagen weiß, als die wunderbare Geschichte von der aufopfernden Liebe Jesu. Meine Arbeit ist, das Evangelium von Christo zu predigen; und wenn ich überhaupt sprechen kann, so darf ich diesen meinen Auftrag nicht hintansetzen. Als ich heute auf diese Leute sah und daran dachte, wo ich das nächste Mal mit ihnen zusammentreffen würde, — wie konnte Ich da aufstehen und der eitlen Neugierde Nahrung geben, ihre Phantasie mit amüsanten Geschichten kitzeln,

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 mögen sie auch noch so hübsch mit dem Christentum oder gewissen Wahrheiten verwebt sein? Das ist es nicht, was Christus unter der Predigt des Evangeliums verstand. Und dann, wie könnte ich nachher der furchtbaren Anklage be­gegnen: ,Ich gab dir eine Gelegenheit, um ihnen von mir zu erzählen, du aber gebrauchtest sie, um deine eigenen Abenteuer mitzuteilen."

BDH 67000 1859 Über den Dienst der Heiligen für die Versammlung

Es ist in der Tat eine liebliche und gesegnete Sache, ein Diener Christi zu sein. Wenn wir den Wert dieses Dienstes erkennen, so werden wir es für eine köstliche Gnade und ein großes Vorrecht schätzen, daran Teil zu ha­ben; und es ist kein Glied des Leibes Christi von dieser Segnung ausgeschlossen. Der Herr Selbst hat uns in Seinen Dienst berufen und uns auch dazu tüchtig gemacht. Wir wa­ren Sklaven der Sünde; allein Er hat uns durch Sein eigenes Blut für Sich erkauft, hat uns gewaschen und gereinigt und durch die Salbung Seines Geistes zu Seinem Dienste ge­weiht. Wir sind jetzt nur noch für Ihn da; unser ganzes Le­ben gehört Ihm allein. In jedem Verhältnis hienieden sind wir Seine Diener und haben in allem nach Seinem Wohl­gefallen zu fragen. Sobald wir uns selbst leben, sobald wir unsere eigenen Diener sind, haben wir unsere Stellung als Diener Christi vergessen. Dies ist aber in der Tat ein großer Verlust; denn wenn wir uns daran erinnern, wie oft und wieviel wir in der Heiligen Schrift zu Seinem Dienste er­muntert und ermahnt sind, so sehen wir, wie wertvoll der­selbe in den Augen Gottes ist. Noch mehr aber werden wir dies erkennen, wenn wir an die Verheißung der Belohnung denken, wobei selbst der geringste Dienst nicht vergessen ist.

Manche Gläubige mögen es für Hochmut halten, an eine solche Belohnung zu denken, und dies würde es auch in der Tat sein, wenn der Herr Selbst nicht daran gedacht hätte. Jetzt aber ist es eine Geringschätzung gegen Seine Beloh­nung, wenn wir nicht allen Eifer beweisen, um dieselbe zu erlangen. Viele glauben demütig zu sein, wenn sie auf die­sen Lohn verzichten, während sie oft für den nichtigen Lohn, den die arme Welt dem Fleische darbietet, eifrig die­nen und sich bemühen. Für solche aber wird es auch sicher keine Freude sein, aus dem Munde des Herrn zu hören:

„Siehe! ich komme bald und mein Lohn mit mir, um jedem zu vergelten, wie sein Werk sein wird" (Offb. 22,12). Der Apostel Johannes war sehr bemüht, um nicht zu verlieren, was er erarbeitet hatte; denn es lag ihm viel daran, vollen Lohn zu empfangen (siehe 2. Joh. V. 8).

Es könnte aber jemand sagen: „Ich habe volles Genüge, nachdem ich weiß, daß ich errettet bin und daß ich als Kind Gottes auch Erbe Gottes und Miterbe Christi sein werde." Das ist sicher wahr; aber deshalb als Diener auf die Be­lohnung zu verzichten, weil ich als Kind überschwenglich gesegnet bin, zeigt immer eine Geringschätzung gegen diese Belohnung, welche eine Belohnung des Herrn ist, an. Und sicher würde auch mancher nicht so gleichgültig da­gegen sein, wenn seine Erlangung nicht von unserem Dienst abhängig und nicht das Bewußtsein der Untreue vorhanden wäre. Sind wir aber gleichgültig gegen den Dienst für den Herrn, so sind wir auch gleichgültig gegen Ihn Selbst, mö­gen wir uns auch noch so sehr über unsere Errettung durch Ihn erfreuen. Die Errettung ist für mich, der Dienst für den Herrn; in der Errettung offenbart sich Seine Liebe gegen mich, in diesem Dienste aber meine Liebe gegen Ihn; und endlich wird gerade durch diesen Dienst vor den Augen der Menschen Sein Name verherrlicht. Deshalb wird auch ein Herz, das Ihn liebt, sicher mit Eifer bemüht sein, in Seinem Dienste mit aller Treue voranzugehen.

Zunächst möchte ich nun mit einigen Worten die Frage beantworten: Wann sind. wir zu dem Dienste Christi fähig? Im Worte Gottes selbst finden wir die einfachste Antwort. Der Herr fragte den Petrus: „Hast du mich lieb?" Und Petrus antwortete: „Ja Her r, du weißt, daß ich dich lieb habe." Danach gab Er ihm den köstlichen Auftrag: „Weide meine Lämmer." Petrus war nur dann fähig, diesen Dienst zu vollbringen, die Schafe Jesu Christi zu weiden, wenn er Ihn, den Herrn der Schafe, liebte. Ebenso ist es mit allem Dienste für Ihn; die Liebe zu Jesu kann allein die Quelle und der Beweggrund zu die­sem gesegneten Dienste sein. Fehlt diese Liebe, so ist der Dienst ohne Wert vor Gott. Wir wissen aber, daß Seine Liebe in unsere Herzen ist ausgegossen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Ist diese Liebe nun in der Kraft des Geistes wirksam, so werden wir zu Seinem Dienste auch völlig willig und fähig sein. Und je mehr wir Seine Liebe gegen uns erkennen und uns dabei erfreuen, desto mehr werden auch unsere Herzen mit Liebe für Ihn erfüllt sein und alles tun, was vor Ihm wohlgefällig ist.

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 Noch etwas anderes ist nötig, um ungehindert im Dienste Christi vorangehen zu können: ein b e f r e i t e s Gewis­sen und ein ruhiges Herz in der Gegenwart Gottes. Ist dies nicht vorhanden, so sind wir für uns selbst beschäf­tigt, und sind nicht fähig, für andere tätig zu sein. Ver­stehen wir aber, daß in dem Werke Christi unsere Sünden getilgt sind und die Sünde im Fleisch gerichtet ist; befindet sich nichts zwischen der Seele und Gott, was die Gemein­schaft stört, so haben wir ein befreites Gewissen vor Ihm; und lassen wir all unser Anliegen mit Bitten und Flehen und Danksagung vor Gott kund werden und be­schweren uns selbst mit keiner Sorge, so ist unser Herz ruhig und glücklich. Dies ist der wahre Zustand eines Die­ners Christi. Er ist in der Gegenwart Gottes und ist mit Freuden dort.

 Jetzt kann er in Ruhe über das nachdenken, was dem Herrn wohlgefällig ist, und mit glücklichem Her­zen darin wandeln. Dies sehen wir besonders in Phil. 4, 6-8. Bin ich aber mit Sorge erfüllt oder ist mein Gewissen durch irgend eine Sünde befleckt, so bin ich voll Unruhe, die prak­tische Gemeinschaft mit Gott ist unterbrochen, und ich bin alsdann ganz und gar unfähig, mich mit dem köstlichen Dienste des Herrn zu beschäftigen. Wir nehmen dann den gesegneten Platz nicht ein, der uns in Christo Jesu gegeben ist. Anstatt an die glücklichen Dinge des Herrn zu denken, und in Seinem Dienste voranzugehen, denke ich an mich und bin in Betreff meiner beschäftigt. Der Herr aber will mir dienen und für alles, was mich betrifft, die treueste Sorge tragen, damit ich fähig bin, mich völlig und unge­hindert Seinem Dienste zu widmen. Dies wird oft wenig von uns verstanden, und es gibt viele unter den Gläubigen, die weit mehr für sich vor Gott beschäftigt sind, als in dem gesegneten Dienste des Herrn für andere, und deshalb sind auch ihre Herzen, anstatt glücklich und frei, meist be­schwert und niedergedrückt.

Andere Gläubige sind der Meinung, es handle sich bei dem Christen hienieden einzig und allein darum, in der Ge­genwart Gottes ein glückliches Herz zu haben. Und es ist wahr, wie wir vorhin gesehen haben, daß hierin der währe Zustand eines Christen besteht; allein dies ist nicht der Zweck Gottes, warum Er ihn in diese Welt gestellt hat. Er soll hienieden in den Fußstapfen des Herrn Jesu wandeln und Sein Zeugnis in dieser Welt fortsetzen und in allem sich als ein Diener Gottes erweisen. Es ist das, was viele Gläubige für den Höhepunkt des christlichen Lebens hie­nieden halten, eigentlich nur der Anfang dieses Lebens. Der Gott wohlgefällige Wandel und der gesegnete Dienst des Christen beginnt, wenn er diesen glücklichen Platz in der

 Gegenwart Gottes eingenommen hat. Bin ich aber nur be­schäftigt, um diesen gesegneten Platz zu erlangen oder zu behaupten, dann vergesse ich ebenfalls meine Stellung als Diener. Ich bin bemüht, meinen Frieden im Herzen zu be­wahren; und er wird mir oft um so eher geraubt werden, je mehr ich Anstrengungen mache, ihn zu bewahren. Es mischt sich sehr leicht meine eigene Gerechtigkeit und der Hoch­mut des Fleisches hinein, und die kleinste Versuchung ist oft hinreichend, meinen Frieden zu stören. Wenn wir aber jede Sorge dem Herrn überlassen und in Seiner Gemein­schaft wandeln, so bewahrt der Friede Gottes uns, und wir sind fähig, an die wohlgefälligen Dinge Gottes zu denken und mit glücklichem Herzen in Seinem Dienste voranzu­gehen.

Worin besteht nun dieser Dienst? Wir wissen, daß der Apostel den gläubigen Knechten, die dem leiblichen Herrn dienen, zuruft: „Ihr dienet dem Herrn Christo." Der gnadenreiche Herr will in all unserem Tun uns als Seine Diener betrachten. Dies ist in der Tat ein großes Vor­recht. Was das Kind dieser Welt für seinen Bauch tut, kann der Gläubige zur Ehre des Herrn und als Diener Christi tun. Es ist aber eine höchst traurige Erscheinung, wenn der Christ anstatt seinem Herrn zu dienen, der ihn um einen so teuren Preis erkauft hat, sich selbst dient und um seinet­willen für die Dinge dieser Welt besorgt ist.

Es ist nicht meine Absicht, in diesen Dienst, so gesegnet er auch ist, hier noch weiter einzugehen; auch will ich mich weniger mit dem Dienst solcher beschäftigen, die auf eine besondere Art, infolge einer besonderen geistlichen Gabe, Diener für Seine Versammlung sind. Hier denke ich viel­mehr an den Dienst für die Versammlung Christi, welche Sein Leib ist, im allgemeinen. Dieser Dienst ist das Vor­recht aller, weil alle Glieder an Seinem Leibe sind; „denn durch einen Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, und sind alle mit einem Geist getränkt" (1. Kor. 12, 13). Dieser Leib ist also zusammengefügt, daß ein Glied dem anderen Hand­reichung tue und auf diese Weise das Wachstum des Leibes zu seiner Selbst-Auferbauung geschafft werde.

Dieser Dienst für die Versammlung ist sehr hochge­schätzt in den Augen Gottes. Sein Wort ist reich an Ermun­terungen und Ermahnungen zu demselben und auch reich an Verheißungen Seiner Belohnung bei Seiner Ankunft. Wir finden auch eine Menge Zeugnisse in Betreff dieses Dien­stes in der Heiligen Schrift, welche einerseits zu unserer Nachahmung aufgezeichnet sind und andererseits für die betreffenden Heiligen selbst zu einem ewigen Gedenken

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 aufbewahrt werden. Vielen dieser köstlichen Zeugnisse be­gegnen wir in Röm. 16, wo der Apostel bei den Grüßen, die er einzelnen Christen sendet, auch des Dienstes und der Bemühung im Herrn, sowohl der Brüder als der Schwestern, für die Heiligen gedenkt. Diese Dienste werden auch sicher nicht vergessen sein, wenn der Herr kommt und Sein Lohn mit Ihm, um jedem zu vergelten, wie sein Werk sein wird; denn der Apostel schreibt ausdrücklich an die gläubigen Hebräer: „Gott ist nicht ungerecht, eures Werkes und der Liebe zu vergessen, die ihr, da ihr den Heiligen gedient habt und dienet, für seinen Namen bezeugt habt."

Der hohe Wert dieses Dienstes wird noch mehr von uns gefühlt werden, wenn wir die große Liebe des Herrn für Seine Versammlung kennen. Sie ist Sein Leib; Er hat Sich Selbst für sie dahingegeben, und jetzt noch ist es stets die Freude Seines Herzens, Sich für dieselbe zu bemühen. An dieser Liebe und Freude sollen wir durch unseren Dienst und unsere Bemühung für die Versammlung teilnehmen. Es ist eine süße Freude für eine Mutter, wenn sie hört, daß ihr geliebtes Kind in der Fremde teilnehmende Herzen ge­funden hat, die ihm in allem beistehen; ja, der geringste ihm erwiesene Dienst der Liebe, der von anderen kaum be­achtet wird, ist für sie von großem Wert. Ebenso ist es mit Christo in Betreff der Versammlung. Er liebt sie mit voll­kommener Liebe, und Sein eigenes Herz wird durch die Liebe und Teilnahme, welche sie von anderen in der Wüste hienieden findet, erfreut und erquickt. 

Welch ein gesegnetes Vorrecht, dieser Versammlung anzugehören; aber auch welch ein gesegnetes Vorrecht, Seine Gefühle und Liebe, Seine Sorge und Mühe für sie zu teilen! Und dieses Vor­recht gehört, wie gesagt, allen Heiligen. Es ist ein unermeß­lich reiches Arbeitsfeld, worin jedes Glied des Leibes Christi, selbst das geringste und schwächste, seine volle Ar­beit findet; es umfaßt alles, selbst die kleinsten Dinge, wo­durch wir, sei es geistlich oder leiblich, irgend einem Gläu­bigen behilflich und nützlich sein können, ja, der unschein­barste und niedrigste Dienst ist oft der gesegnetste. Nichts ist von diesem Dienste ausgeschlossen, selbst nicht das Glas Wasser, das wir irgend einem der Seinigen um Seines Na­mens willen darreichen (Mark. 9, 41). Es ist aber auch des­halb um so trauriger, wenn so wenig an diesen Dienst ge­dacht wird, und so manche Gelegenheit, ihn auszuüben, nutz­los vorübergeht. Viele Gläubige dienen nur, weil sie gerade dazu aufgefordert werden und sie nicht gut daran vorbei­kommen können; und gewiß, für solche ist er nur eine drückende Pflicht. Das Herz und die Liebe Jesu fehlen

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 darin, und somit fehlt die rechte Quelle und der wahre Segen. Es gibt in der Tat nur wenige unter den Christen, welche diesen Dienst als eine köstliche Gnade und als ein gesegnetes Vorrecht erkennen und darin wandeln.

Schließlich erinnere ich noch einmal an die große Be­lohnung, welche uns droben für diesen gesegneten Dienst aufbewahrt wird. Kein Dienst für Seine Versammlung um Seinetwillen wird unbelohnt bleiben, selbst nicht der ge­ringste. Wer denkt daran, die Darreichung eines Trunkes Wassers zu belohnen? Jesus, und sonst niemand. Er sagt:

„Wahrlich, es soll nicht unbelohnt bleiben." Welch eine Er­munterung für uns, in diesem Dienste eifrig und treu zu sein, und jede Gelegenheit zu benutzen, ihn zu erfüllen! Aber auch welch ein großer Verlust, wenn wir diesen Dienst vernachlässigen und versäumen; wenn wir, anstatt für die Versammlung, für uns oder für die eitlen und nichtigen Dinge dieser Welt leben und bemüht sind. — Endlich be­merke ich noch, wie so überaus tröstend und erquickend es ist, wenn wir in jedem Dienst eines Heiligen für uns Seine unaussprechliche Liebe und Fürsorge für uns erkennen; wenn wir sehen, wie Er Selbst durch die geringsten Hilfs­leistungen bemüht ist, uns den Gang durch diese Wüste auf alle Weise zu erleichtern.

Der Herr erleuchte unsere Augen, damit wir allezeit Seine Liebe sehen und mit dankbarem Herzen anerkennen, und Er gebe uns auch viel Gnade zum eifrigen und aus­harrenden Dienst in Liebe und Demut für Seine geliebte Versammlung.

BDH 43005 Johannes 5 1859 Die Würdigkeit des Lammes

„Und ich sah und ich hörte eine Stimme vieler Engel im Umkreise des Thrones und der Tiere und der Älte­sten; und ihre Zahl war zehntausend mal zehntausend, und tausend mal tausend, mit großer Stimme sagend:

Das geschlachtete Lamm ist würdig. Macht und Reich­tum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung zu empfangen" (Offb. 5, 11. 12).

So reich und gesegnet auch die Gedanken in der Seele eines jeden Heiligen Gottes in Bezug auf Christum als das „Lamm", sein mögen, so ist doch zu bezweifeln, daß das, was Ihn im Sinne des Himmels mit Seiner eigentümlichen Bedeutsamkeit stempelt — Sein Platz und Sein Verhalten— so völlig wie es sein sollte, in der Seele vorhanden sei. Der

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 ergreifende Ausruf des Täufers Johannes: „Siehe, das Lamm Gottes!" stellt uns die Gnade und Schönheit, sowie auch die lieblichen Tugenden dessen dar, der diesen Namen trägt, und beweist zugleich Seinen Anspruch auf die verehrende Anbetung unserer Herzen. Dieser Titel „Lamm Gottes" aber, als in der Höhe von Ihm getragen und in dem Buch der Offenbarung enthüllt, stellt unseren Seelen andere Herrlichkeiten und andere Szenen dar als diese hier, welche sich vor den Blicken des Johannes enthüllten, da er Jesus am Ufer des Jordans wandeln sah und sagte:

„Siehe, das Lamm Gottes !"

Dieser Titel, welcher unseren Herzen so vertraut ist, ist beinahe ausschließlich mit dem Buch der Offenbarung ver­bunden, und ist unstreitig bestimmt, die besondere Eigen­schaft anzuzeigen, in welcher der Träger desselben darin dargestellt wird. Diese Beobachtung liefert uns einen nütz­lichen Schlüssel zum Verständnis dieses wunderbaren Bu­ches, welches das Buch der „Rechte des Lammes" genannt werde könnte; denn alle Einzelheiten und Grund­sätze des prophetischen Teiles dieses Buches sind mit die­sem Titel verbunden. Durch seine erste Erwähnung in dem­selben sehen wir den Himmel, die Erde und alle erlöste Schöpfung angeregt, demjenigen, welcher ihn trägt, diese siebenfache Zuschreibung des Lobes in Freude darzubrin­gen :„...mit lauter Stimme  sagend: Das ge­schlachtete Lamm ist würdig, Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung zu empfan­gen." Er allein ist würdig erklärt, den ganzen Tribut des Weltalls zu empfangen und der Mittelpunkt des allgemeinen Lobes zu werden.

Es ist ohne Zweifel ein bemerkenswerter Unterschied in der Darstellung des „geschlachteten Lammes" in diesem Buch und der Darstellung unter demselben Titel in Ev. Jo­hannes 1. 29. 36 — die einzige andere Schriftstelle, in wel­cher dieser Name als ein Titel vorkommt.

In diesem Ausdruck des Johannes: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt!" sehen wir die Person des Herrn Jesu, als Gottes Lamm, als die Verwirklichung oder Verkörpe­rung alles dessen, was in Betreff der Versöhnung vorge­bildet wurde, dem Auge des Glaubens dargestellt. Er wird hier als die volle und vollkommene Fürsorge Gottes, für das Bedürfnis des Menschen als Sünder, bezeichnet, und als die einzige Grundlage, auf welcher die Barmherzigkeit des heiligen Gottes den Schuldigen und Befleckten in Seine Ge­genwart zurückführen kann. Dies charakterisierte ohne

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 Zweifel die Hinweisung des Johannes auf Jesum, als das „Lamm Gottes". Was aber den ganzen Umfang der Worte:

„welches die Sünde der Welt wegnimmt", be­trifft, so scheint der Geist uns über die Eigentümlichkeit der persönlichen Erlösung hinaus zu leiten. Er führt uns zu dem Endziel der Offenbarung des Sohnes Gottes, zu der Zerstörung der Werke des Teufels und zu jenem Punkte der Ratschlüsse Gottes hin, in welchem der gesegnete Strom der Erlösung seine Grenze erreicht, und wo die Schöpfung aus dem Unterworfensein „der Eitelkeit" zurückgeführt, wieder fähig ist, die Strahlen der Güte und der Herrlich­keit ihres Schöpfers zu empfangen und wieder zurückzu­werfen, und sich in der „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes" zu erfreuen.

Das als Opfer geschlachtete Lamm hatte seit Abels Zeiten von Seiten der Heiligkeit Gottes bezeugt, daß „ohne Blutvergießen keine Vergebung ist" (Hebr. 9,22); und von Seiten der Liebe Gottes hatte es die Fleckenlosigkeit des Schlachtopfers, und daß es als Brandopfer „dem Herrn zu einem süßen Geruch war", be­wiesen. Gott bezeugte ebenso völlig Seine Freude in der Vollkommenheit Jesu, dem „Lamme ohne Fehl und ohne Flecken" als auch Seine Zufriedenheit in Seinem wunder­vollen, vollkommenen und versöhnenden Werk. „Chri­stus hat uns geliebt, und sich selbst für uns als Darbringung, und Opfer, Gott zu einem duftenden  Geruch  hingegeben" (Eph. 5, l).

 „Du bist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe" (Matth. 3,17). Aber in der Offenbarung des Johannes ist das „geschlach­tete Lamm" weniger als die Fürsorge der Liebe Gottes, um die Not des Sünders zu befriedigen und auch weniger als der vollkommene Erfüller des Willens Seines Vaters vorge­stellt, sondern vielmehr als solcher erwiesen, der durch Seine Verwerfung und Sein Leiden auf der Erde, im Him­mel einen Anspruch auf die Huldigung aller und den Be­sitz unumschränkter Gewalt erworben hat. In der Offen­barung, welche Gott hier Seiner Versammlung gibt, gehen die Umstände in Beziehung auf Jesum über die Grenzen der Gnade und Versöhnung hinaus, und wir werden aufge­fordert, die rechtmäßigen Ansprüche dieses leidenden und verworfenen Opfers, als anerkannt in der Höhe, zu betrachten. Es ist aber auch wahr, daß das Herz eines Hei­ligen Ihn auch als „den Eingeborenen von seinem Vater, voller Gnade und Wahrheit" kennt. Das Kreuz in seiner erstaunenswerten und geheimnisvollen Liebe bleibt stets der Anziehungspunkt der Gnade, um des Sünders Herz zu

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 befriedigen. Der Pfingsttag als Pfand und Siegel der Auf­erstehung und der Himmelfahrtsverherrlichung des Haup­tes der Kirche, zeugt durch die Gegenwart des bleibenden „Trösters", von der gegenwärtigen Vereinigung und der künftigen Herrlichkeit, als dem Anteil der Kirche. Aber weiter als das, was die Evangelien von der Fleischwerdung und dem Leiden offenbaren, — weiter als das, was die Episteln von der unaussprechlichen Gnade, die, als das gegenwärtige Teil der Kirche, von ihrem Haupte in der Herrlichkeit auf sie herabströmt, und von dem Glanzpunkt ihrer Hoffnung, nämlich „allezeit bei dem Herrn zu sein — enthüllen, haben wir in diesem Buch der Offenbarung das Zurückziehen eines Vorhangs, und das Offenbaren von Dingen, welche über das direkte Zeugnis des Heiligen Geistes in der Kirche hinausgehen. Zuerst wird Jesus als Der vorgestellt, welcher überführt und züch­tigt (Kap. 2. 3). Dies ist während der Zeit des Verfalls der Kirche, Sein Zeugnis in der Welt, bis Er jene, welche Sei­ner Sorge völlig unwürdig waren, verwirft. 

Dann haben wir den prophetischen Teil; doch wird uns nicht so sehr der Geist, als hienieden von Christo zeugend, vorgeführt, sondern als in der Höhe und in genauester Verbindung mit „dem Lamme, welches inmitten des Thrones steht", ebenso als der Geist der Weissagung, der von dem Fortschritt irdi­scher Ereignisse spricht. Dies geschieht aber nicht so sehr in Betreff der Ereignisse selbst, wieviel mehr mit Rücksicht auf die himmlischen Ratschlüsse, welche in der Rechtferti­gung der Ansprüche „des Lammes" ihr Ziel finden. Der Fortschritt des Übels wird zwar bemerkt, aber er wird nur insofern bemerkt, als er zu Einführung der mächtigen Hand, wodurch „das Geheimnis Gottes" vollendet wird, Veranlas­sung gibt. Die Öffnung der Siegel, das Blasen der Posau­nen und das Ausgießen der Schalen — was immerhin ihre Erfolge auf Erden sein mögen — haben zu ihrem einzigen Mittelpunkt: die Ansprüche des Lammes durch die Hand der göttlichen Macht zu offenbaren oder zu bestätigen. Es ist, mit einem Wort, die gesegnete Vollendung d a r c h Macht—die Erfüllung dieses Wortes in Philipper 2, 8-11:

„Er hat sich selbst erniedrigt, und ward ge­horsam bis zum Tode am Kreuz. Deswegen hat ihn Gott auch hoch erhoben, und ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf daß vor dem Namen Jesu sich jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen beuge, und auf daß jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus „Herr" ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters."

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 Es ist aber in Betreff der Darstellung des Resultats der Demütigung und des Todes des Herrn dieser Unterschied zu bemerken: Hier ist die Belohnung des vollkommenen Gehorsams Christi gegen den Willen Seines Vaters; in der Offenbarung dagegen ist es von Seiten Gottes die Recht­fertigung der Ansprüche dessen, welcher vor den Menschen nur ein leidendes Opfer gewesen wäre — „wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer und seinen Mund nicht auf­tut." Deshalb fällt in dieser Rechtfertigung notwendiger­weise das Gericht auf die Welt, welche Ihm diese Leiden zugefügt hat und immer noch Seinen Ansprüchen wider­steht.

 Die flüchtigste Betrachtung des Buches der Offenba­rung muß uns schon überzeugen, daß sein Inhalt nicht so sehr die Enthüllung des Charakters und der Früchte der Versöhnung in Bezug auf die glücklichen Teilhaber der­selben beabsichtigt, als vielmehr die Darstellung der Vor­rechte und Ansprüche dessen, durch welchen „in der Arbeit seiner Seele" die Versöhnung vollendet wurde, nämlich Sein Recht, durch die Versöhnung „alles zu erben". Und deshalb ist es auch, daß Christus, als „das Lamm" inmitten des Thrones, so wie auch die Wirkungen des Thrones selbst hier viel mehr in Verbindung mit der Erde und der Schöp­fung stehen, als direkt mit der Kirche.

Das fünfte Kapitel, in welchem diese Würdigkeit des Lammes verkündigt wird, scheint den ganzen Inhalt des prophetischen Teiles des Buches in Kürze darzustellen. Alles sehen wir hier vollendet. Himmel "und Erde und die ganze erlöste Schöpfung erkennen in diesem vorgreifenden Lied die vollen Ansprüche der Mittler-Herrlichkeit Christi, „des geschlachteten Lammes" an. Wir sind dadurch bis zur Vollendung gebracht, „wo er alles Fürstentum und alle Ge­walt und Macht weggetan haben wird" und „wo er das Reich dem Gott und Vater überliefert." Und alle Kreatur, die in dem Himmel, und auf der Erde, und was auf dem Meere ist, und alle Dinge, die in ihnen sind, hörte ich sagen:

Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme, der Segen und die Ehre, und die Herrlichkeit, und die Kraft in die Zeitalter der Zeitalter!" (Kap. 5, 13).

In der Herausforderung, die das Lamm auf die Szene bringt, wie symbolisch die Handlung auch sein mag, ist es gar nicht schwer, die einfache Wahrheit, welche sie enthält, zu erforschen. Die Frage: Wer ist würdig, das Buch zu öff­nen und seine Siegel zu brechen? zeigt uns einerseits die gänzliche Hoffnungslosigkeit im Hinblick auf alles um uns her, und stellt uns andererseits mit starker Bezeichnung die Würdigkeit und die Macht Christi dar: in das ganze

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 Geheimnis Gottes, sowohl in Betreff des Fortgangs des Übels in der Welt, als auch ihrer endlichen Erlösung von dessen Macht, hineinzuschauen und es zu offenbaren. Und weiter noch zeigt uns diese Frage, weshalb und um wessen Würdigkeit es ist, daß die Schöpfung von der Macht Satans befreit, und daß ihre Lobesbezeugung Dem zurückgegeben wird, welchem sie rechtmäßig zukommt.

„Niemand im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erde vermochte das Buch zu öffnen, noch es anzu­blicken" (Kap. 5, 3). Die Erlösung des Erbteiles Gottes von der Macht Satans ist kein Menschenwerk. Auch liegt es nicht in der Macht der Kreatur, um zu erklären, durch welche Anwendung der Kraft und Weisheit, die ganze List und die ganze Macht Satans vernichtet werden sollte. Es wird aber Einer, ja ein Einziger gefunden, um diese Herausforderung anzunehmen; und also wird die drückende Sorge, die auf dem Herzen des Propheten lag, erleichtert. „Ich weinte sehr, weil niemand würdig befunden ward, das Buch zu öffnen, noch es anzublicken. Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamme Juda ist, die Wurzel Davids, das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen" (Vers 5).

„Und ich sah inmitten des Thrones und der vier Tiere, und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen, wie ge­schlachtet, welches sieben Homer und sieben Augen hatte, welche die sieben Geister Gottes sind, gesandt auf die ganze Erde. Und es kam und nahm das Buch aus der Rech­ten dessen, der auf dem Throne saß" (V. 6. 7). Hier wird das Geheimnis aufgelöst. In der Versöhnung hat Chri­stus ein Anrecht bekommen, sowohl der Herr der ganzen Schöpfung, als auch das gesegnete Haupt der Kirche zu sein. Als das leidende, sanftmütige, nicht widerstrebende Opfer erkennt der Himmel Sein Anrecht auf die allgemeine Macht und das Lob Aller an.

Obgleich inmitten des Thrones verborgen, wird Er dem Auge des Glaubens als derjenige offenbart, welcher im Be­sitz der Vollkommenheit der Macht ist — „welches sieben Homer hatte" — und ebenso im Besitz der allwaltenden, alles durchdringenden Tatkraft von Gottes allumfassendem Geiste — „welches sieben Augen hatte, welche die sieben Geister Gottes sind, gesandt auf die ganze Erde." Hier ist also Einer, der fähig ist, dieses Problem aufzulösen, — un­auflösbar für alle Übrigen — und eine Herausforderung aufzunehmen, die von allen Übrigen abgeschlagen werden muß. Denn wer kann unternehmen, die Rechte des ewigen Gottes zu retten und ein sündenbeflecktes Weltall zu Seiner

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 Gunst zurückzuführen? Und wer kann die Macht des Übels austreiben, wodurch die Verwirrung der Schöpfung und die Trennung derselben bewerkstelligt wurde? Ehe dieses ge­schehen kann, muß die Sünde versöhnt, der Tod vernichtet und Satan gefesselt werden. — Aber alle diese Macht und Würdigkeit finden wir in Dem, welcher Davids Sohn und Davids Herr war. „Es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamme Juda ist, die Wurzel Davids, das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen" (V. 5). In dem Tode wurde dieser Titel des Erlösers, als „Lamm" besiegelt; und in der Erlösungsmacht ist alle Herrlichkeit Gottes in Ver­bindung mit der Kreatur gegründet. Der Tribut des Welt­alls muß Dem allein gezollt werden, welcher in einer ver­derbten Welt die Herrlichkeit Gottes bis zum Tode vertei­digte, und welcher, in der Verwaltung der Fülle Seiner Macht und Herrlichkeit jeden Strom der Wohlfahrt zu der Kreatur zum Lobe des Schöpfers zurückleiten wird.

Selig ist es für den Heiligen, wenn er auf diese Weise von der Absicht des Himmels unterrichtet, in der Liebe und Gnade Dessen ruht, welcher inmitten des Thrones ist; aber noch seliger, wenn er, indem er die Ehre Seines Namens aufrecht zu erhalten sucht, allein auf die Macht Dessen rechnet, welcher „die sieben Hörner und die sieben Augen hat." Denn wie völlig ist Seine Macht und Gnade darauf gerichtet, um ein Herz zu unterstützen, welches, indem es Seinen Willen in einer verderbten Welt zu erfüllen sucht, auf Seine Güte allein rechnet. Bald wird diese Macht, die jetzt inmitten der Verwirrung der Macht Satans, im ge­heimen unterstützt, treibt und obsiegt, öffentlich erklärt werden.

 Und wie wird die Freude des Herzens durch den Gedanken vermehrt, daß dann die Würdigkeit des Lammes kein Geheimnis mehr sein wird, welches im Busen des Hei­ligen schwach getragen und welches außerdem von allen Seiten widersprochen und geleugnet wird; sondern dann wird, da das Übel durch die Hand der Macht entfernt ist, jedes Auge auf Seine Schönheit blicken, und jedes Herz Seine Vorrechte anerkennen, und jede Stimme Sein würdi­ges Lob widerschallen lassen. Und ach, wie bald wird diese glänzende Szene der Herrlichkeit auf unsere undeutlichen Vorahnungen einbrechen! „Nicht künstlich erdichteten Fa­beln sind wir nachgefolgt, als wir euch die Macht und die Ankunft unseres Herrn Jesu Christi kund taten" (2. Petri 1. 16). „Der dieses bezeugt, sagt: Ja, ich komme bald!"

Dieses Bild hat aber zwei Seiten. Die Ratschlüsse des Himmels in Betreff des Lammes sind schrecklich für das große Babylon in seiner schwelgerischen Herrlichkeit, und für die gedankenlosen Bewohner der Erde. Wenn die gött-

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 liehe Macht in Anwendung, gebracht wird, um die An­sprüche des verworfenen Opfers der Erde zu rechtfertigen, so kann nur Unheil und Verwirrung über die kommen, die Seinen Namen verachten, und welche zuletzt gegen Ihn, um Seinen Ansprüchen zu widerstehen, in Schlachtordnung ge­funden werden. — „Diese werden mit dem Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden; denn er ist Herr der Herren, und König der Könige!" (Kap. 17,14). Ehe aber diese Stunde erscheint, welch ein Bild des Schreckens in Betreff der Welt, wird uns bei Eröffnung des sechsten Siegels, welches das Lamm vollführt, dargestellt! „Und ich sah, als es das sechste Siegel öffnete; und es entstand ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der ganze Mond ward wie Blut. Und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Fei­genbaum seine unreifen Feigen abwirft, wenn er von einem starken Wind geschüttelt wird. Und der Himmel entwich wie ein eingewickeltes Buch und jeder Berg und jede Insel wurden aus ihren Stellen gerückt.

 Und die Könige der Erde, und die Großen und die Obersten, und die Reichen und die Starken, und jeder Knecht und jeder Freie ver­bargen sich in die Höhlen und in die Felsen der Berge. Und sie sagen zu den Bergen und zu den Felsen: Fallet auf uns und verberget uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Throne sitzt, und vor dem Zorne des Lammes. Denn der große Tag Seines Zornes ist gekommen; und wer kann be­stehen?" (Kap. 6, 12-17).

Es würde uns ein zu weites Feld eröffnen, wenn wir der Reihe nach auf jede Stelle in diesem Buch aufmerksam machen wollten, in welcher wir mit dem Titel des Lam­mes nach den verschiedenen Gesichtspunkten und Verbin­dungen, in Berührung gebracht werden. Wenn wir das ganze Buch vom 5. Kapitel bis zum Ende durchgehen, so finden wir „das Lamm" immer vorherrschend.

Das Lied des Himmels ist: „Würdig, ist das geschlachtete Lamm" (V. 12). — Vor dem Angesicht Dessen, der auf dem Throne sitzt, und vor dem Zorne des Lammes suchen die Menschen dieser Welt sich aus Furcht zu verbergen (Kap. 6, 15. 16). Die Palmen tragende Volksmenge vor dem Throne hat ihre Gewänder gewaschen und sie im Blute des Lam­mes weiß gemacht" (Kap. 7, 9-14). Es ist das Lamm, welches sie weidet, und sie (als ein Hirte) zu Brunnen des Wassers des Lebens leitet (Kap. 7,17). — Es ist das Blut des Lammes, welches gegen alle Anklagen Satans, als dem Verkläger der Brüder Tag und Nacht, in der Höhe vertei­digt (Kap. 12, 10. 11). — In dem Buch des Lebens des ge­schlachteten Lammes werden die Namen der Ge-

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 treuen mitten unter den Verderbnissen des wilden Tieres geschrieben gefunden (Kap. 13,8). Es ist auch das Lamm, welches mit den Versiegelten auf dem Berge Zion steht, deren Ehre und Vorrecht es ist, „dem Lamme zu folgen, wo es auch hingeht" (Kap. 14, 1-4). Wer „das wilde Tier und sein Bild anbetet, und ein Malzeichen auf seine Stirn oder auf seine Hand nimmt, wird vor den heiligen Engeln und vor dem. Lamme gequält werden" (Kap. 14, 9. 10). — Es ist das Lied Moses und das Lied des L a m m e s , welches mit den „Harfen Gottes", von denen, welche als Überwinder über das wilde Tier „an dem gläsernen Meere stehen", gesungen wird (Kap. 15, 2-4). — Mit dem Lamme führen das wilde Tier und die zehn Könige Krieg; und das Lamm wird sie überwinden, denn Er ist „Herr der Herren und König der Könige" (Kap. 17,12-14). — Es ist die Hochzeit des Lammes, welche den Ton der Freude im Himmel anschlägt; und „zum Hochzeitsmahle des Lammes geladen zu sein" ist dann das Zeichen der Ehre und Glückseligkeit (Kap. 19, 7-9). — 

Und nachdem die Siegel auf­gelöst, die Trompeten geblasen und die sieben Schalen aus­gegossen worden, wenn Satan gebunden, und das Tosen des Gerichts auf der Erde gestillt ist, dann ist es „die Braut — das Weib des Lammes, — welche die wundervolle herrliche Schau ist, welche zu erblicken, der Apostel ein­geladen wird (Kap. 21, 9). — Es sind die zwölf Apostel des Lammes", deren Namen auf den zwölf Grundlagen des heiligen Jerusalems „aus dem Himmel von Gott hernieder­kommend", sind (Kap. 21, 14). — In dieser Stadt ist der Herr, Gott, der Allmächtige, und das „Lamm der Tempel, und „das Lamm ist ihre Lampe" (Kap. 21, 22. 23). — Es darf kein Einwohner in dieser herrlichen Stadt sein, dessen Name nicht „in dem Buche des Lebens des Lammes ge­schrieben" ist" (Kap. 21, 27). — Und weiter, der „Strom des Wassers des Lebens" geht aus dem Throne Gottes und des Lammes" (Kap. 22, l). — Und endlich wird es keinen Fluch mehr geben, weil der Thron Gottes und des Lammes dort sein wird (Kap. 22, 2. 4. 5).

Dies sind nur kurze und flüchtige Bemerkungen über den wunderbaren Charakter und die wunderbaren An­sprüche Dessen, welcher im Himmel als „das Lamm" empfangen wird, — ein leidendes Opfer hier auf Erden. Jetzt ist er eine Zeit lang im Himmel verborgen; aber Er ist im Begriff, in vollem Glänze der Herrlichkeit des Him­mels dargestellt zu werden. Und dann wird zur Rechtferti­gung Seiner Ansprüche demjenigen keinen Platz gewährt werden können, welcher sich weigert, „vor seinem Namen sich mit Verehrung zu beugen." „Und ich sah, und ich

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 hörte, eine Stimme vieler Engel im Umkreise dies Thrones und der Tiere und der Ältesten; und ihre Zahl war zehn­tausende mal zehntausende, und tausende mal tausende, mit großer Stimme sagend: Das geschlachtete Lamm ist würdig, Macht und Reichtum und Weisheit, und Stärke und Ehre, und Herrlichkeit und Segnung zu empfangen. Und alle Kreatur, die in dem Himmel und auf der Erde und unter der Erde, und was auf dem Meere ist, und alle Dinge, die in ihnen sind, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Throne sitzt und dem Lamme der Segen und die Ehre und die Herrlichkeit und die Kraft in die Zeitalter der Zeit­alter!"

Die Unordnung und die Verwirrung, der Kummer und der Tod, welches alles die Sünde in die Schöpfung Gottes gebracht hat, lassen kein Heilmittel zu, es sei denn durch die Erlösung. Und folglich ist der Anspruch des Lammes auf die Herrlichkeit und das Ihm dargebrachte Lob der wiederhergestellten Schöpfung auf diese Erlösung gegrün­det. „Sie singen ein neues Lied, sagend: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet, und 'hast uns durch dein Blut Gott erkauft ! " Diese Wertschätzung des Himmels in Betreff der Würdigkeit des Lammes, und die Vorbereitungen in der Höhe, um Seine Ansprüche geltend zu machen, werfen einen schrecklichen Schatten über die Gemächlichkeit und Herrlichkeit, und über die Macht und Sicherheit der Welt. „Erlösung" — ach! die Welt versteht nicht den Inhalt dieses Wortes. Und was das Lamm betrifft, so ruht ihr gan­zer Friede allein auf der Anwartschaft Seiner Ansprüche.

Während der Hauptgegenstand dieses Buches die Dar­stellung und Geltendmachung der Ansprüche Christi, als das leidende Lamm, auf die allgemeine Huldigung ist, so gibt es doch etwas, was inmitten der Rechtfertigung Seiner Herrlichkeit sozusagen zufällig hervorstrahlt. Weit ent­fernt von der Szene des Streites, und von dem Auftreten des Lammes auf dem „weißen Pferde" als „König der Kö­nige und Herr der Herren", um in Gerechtigkeit zu richten und Krieg zu führen, sieht man in den friedlichen Höhen des Himmels „die Hochzeit des Lammes", und es wird hinzugefügt, Sein Weib hat sich bereitet. Denn Seine Herrlichkeit kann nicht offenbart werden, ohne daß eine andere mit Ihm auf dem Schauplatz erscheine. „Auf daß wir auch mit ihm verherrlicht werden", ist das wun­derbare Wort der Schrift. Die Freude muß in der Höhe an­fangen, ehe die Herrlichkeit hienieden enthüllt wird. Vom Himmel kommt das Lamm hernieder „zur Erlösung des erworbenen Besitzes", und zur Übernahme Seiner Herrlich-

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 keit; — und „wenn der Christus, unser Leben, offenbart sein wird, dann werden wir auch mit ihm in Herrlichkeit offenbart werden."

Hierzu wird das Herz dessen, der die Verlobung der Kirche mit Christo kennt, deutlich belehrt, wie wenig es mit allen geschäftigen Zwecken der Menschen zu tun hat, und wie wenig Grund vorhanden ist, die Weisheit, Macht und Herrlichkeit der Welt zu begehren, welches nur die an sich gerissenen Rechte Christi sind, während ein anderer als Herr und Fürst anerkannt wird. Bis jetzt ist die Erde noch nicht unter der Macht der Erlösung, in welcher sie ihre freiwillige Huldigung dem Lamme darbringt, sondern es ist die Welt, welche das Lamm zum leidenden Opfer .machte, und welche ihren Widerstand Seiner Ansprüche noch beibehält.

BDH 42003 Lukas 3 1859 Jesus inmitten unserer Umstände hienieden

(Lukas 3, 1 — 23)

Es ist ein sehr großer Segen und Trost für uns, fähig zu sein, den Herrn Jesum hienieden, als Er Seinen Platz unter uns genommen hatte, zu betrachten. Sobald wir Ihn in dieser Stellung wahrhaft erkannt und darin Ge­meinschaft mit Ihm haben, so wird unser Herz mit dem reichsten Trost erfüllt werden, besonders wenn wir Seine Ehre und Majestät oder die des Vaters, von welchem Er kam, betrachten, oder wenn wir Seinen Wandel, als Mensch hienieden, beschauen, oder wenn wir sehen, wie Er in alle die Verhältnisse und Umstände kam, in welchen wir selbst sind, oder wenn wir den Pfad sehen, welchen Er betrat und in welchem Er mit dem Vater wandelte. Dann verstehen wir nicht nur, daß unsere armen Leiber durch den Hei­ligen Geist Gefäße des Zeugnisses und der Macht Gottes geworden, „wie er uns ein Exempel hinterlassen, auf daß wir seinen Fußstapfen nachfolgen", sondern wir verstehen auch, daß eine wirkliche Einheit mit Ihm, der jetzt von oben auf uns herniederschaut, vorhanden ist, — wie auch geschrieben steht: „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, welcher nicht mit unseren Schwachheiten Mitleiden haben kann, son­dern der in allem, gleichwie wir versucht worden ist, ausgenommen die Sünde" (Hebr.

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 4, 15).— In Jesu ist Fähigkeit zu helfen — nicht allein aus Macht, sondern auch aus Erfahrung. Diese Erfahrung ist jedoch nicht die einer äußeren Erkenntnis, wie sie ein Arzt in diesem oder jenem Falle haben mag, sondern die Er­fahrung dessen, welcher diesen Weg in all seinen Versu­chungen völlig kennengelernt und gefühlt und verstanden hat, und zwar mit Gefühlen, in welchen Er Selbst durch diese Welt und ihre Umstände ging, und welche Er als ein Mensch hienieden in Gemeinschaft mit dem Vater empfand. Diese Tatsache stellt zugleich unsere Einverleibung mit Ihm auf das völligste dar. Er leitet uns auf dem Pfade der Voll­kommenheit, auf welchem Er Selbst einherging.

Es ist besonders das Evangelium des Lukas, welches Christum als „Sohn des Menschen" darstellt. Er kam her­nieder, um ein Mensch unter Menschen zu sein. In Seinem Charakter als Sohn des Menschen finden wir Ihn durch das ganze Evangelium. Wir haben in dem zweiten Kapitel Seine Geburt, Seine Kindheit, Seine Jugend; und hier beginnt auch Sein öffentliches Leben. Es ist das einzige Kapitel, das uns Jesum als ein Kind von zwölf Jahren zeigt. Überall offenbart sich die Herrlichkeit Seiner Person, auch darin, daß Er in den gewöhnlichsten Verrichtungen dieses Lebens gehorsam war, wie z. B. hier gegen Josef und Seine Mutter. Es ist oft für uns eine sehr schwierige Frage, wie wir zwi­schen den Anforderungen der Berufung Gottes und der Autorität der Eltern entscheiden sollen. Nun, in diese Lage kam auch Jesus. Er wußte, daß Er Sohn Gottes war und sagte, als Seine Mutter Ihn im Tempel suchte: „Was ist es, daß ihr mich gesucht habt? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem, was meines Vaters ist, sein muß? Und zu derselben Zeit, sobald die Autorität der Eltern in Frage kam (die Zeit Seines öffentlichen Dien­stes war noch nicht vorhanden) ging Er sogleich mit ihnen hinab und ward ihnen Untertan." Als Seine Mutter zu Ihm sagte: „Kind, warum hast du uns also getan? Siehe! Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht", da hatte Er zwischen der Berufung Gottes und der Autorität der Eltern zu entscheiden. Beides wurde an seinen Platz ge­stellt. Einerseits zeigte Er, daß Er vor Seinem öffentlichen Beruf der Sohn des Vaters war, andererseits, daß Er, ge­boren von einem Weibe und unter das Gesetz getan, der Mutter, welche Ihn gebar, und dem Josef Untertan war.

Er ist durch dieselben Umstände gegangen, Er stand in derselben Verantwortlichkeit und blieb tadellos. Er "kam, um Seinen Vater zu verherrlichen, um mit Aufopfe­rung Seiner Selbst, den Willen des Vaters zu tun; und ob­gleich Er das Bild und den Charakter Gottes darstellte, so

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 war es doch in der Stellung des Gehorsams und der Pflicht. — Die Liebe unseres teuren Herrn zu Seiner Mutter war vollkommen. Dies tritt uns besonders in Seinem Andenken und Seiner Fürsorge für sie, und zwar in dem schrecklich­sten Augenblick an dem Kreuze, entgegen, wo Er sagen konnte: „Weib, siehe, dein Sohn!" und „Sohn, siehe, deine Mutter!" Er vertraute sie dem an, der sozusagen Sein Freund war, und der an Seiner Brust gelegen hatte; gleicherweise aber konnte Er, sobald Er in den öffentlichen Dienst be­rufen war, zu ihr sagen: „Weib, was haben wir mit­einander?"

Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Dingen zu unter­scheiden, ist ein bezeichnender Fortschritt im geistlichen Urteil. Wenn wir den Willen Gottes, als Seine Kinder, auf­richtig zu tun wünschen, wenn unser Auge einfältig ist, so werden wir auch in allen vorliegenden Umständen, in wel­chen wir uns täglich befinden, wünschen zu wissen, was der Wille Gottes ist. Das Wort ist immer treu: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib voll von Licht sein." Und wir können fest überzeugt sein, daß, wenn unser Urteil nicht völlig klar, auch unser Auge nicht ganz einfältig ist. Es ist das eine oder andere Hindernis vorhanden. Vielleicht kenne ich dies Hindernis nicht, und Gott gebraucht oft die nämlichen Um­stände, um es mir zu zeigen. Befinde ich mich aber in irgend einer Lage, wo ich den Willen Gottes nicht weiß, so bin ich dadurch verhindert, Seinen Willen zu tun.

 Es ist als­dann nötig, die Beweggründe meines Handelns zu unter­suchen; geschieht dies mit aufrichtigem Ernst, so werde ich auch bald meinen Zustand und die Stellung der Seele, welche bei meinem Urteil über irgend eine Sache auf mich einwirken, entdecken. — Ich werde in meinem Urteil nie irren, wenn in meinen Gefühlen und Neigungen die wahre Nüchternheit herrscht. — Gott benutzt, wie gesagt, oft die Umstände, durch welche wir gehen, um das, was in unseren Herzen ist, aufzudecken und bloßzustellen; und also macht das christliche Leben unvermerkt Fortschritte. Während wir oft glauben, die Umstände beurteilen zu müssen, benutzt Gott dieselben, um unser Herz zu erproben. Der Herr er­laubt uns nur insofern als Heilige über Recht und Unrecht zu urteilen, als wir ein geistliches Verständnis haben. Wenn ich stets nur einer bestimmten Vorschrift zu folgen hätte, so würde ich kein wirkliches Verständnis über den Willen Gottes erlangen. Wir lesen in Kol. 1. 9. 10: „...daß ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis er­füllt sein möget, um des Herrn würdig zu

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 allem Wohlgefallen zu wandeln, in allem guten Werke Frucht bringend und wach­send durch die Erkenntnis Gottes." Wenn wir wünschen, mit unseren Herzen in der Laufbahn, worin das Herz Christi lief, voranzugehen, so dürfen wir nicht mit den Umständen, worin wir uns befinden, beschäftigt sein, sondern mit Christo. Der Glaube sagt immer: „Das Leben i s t für mich Christus".

Und, meine Brüder, was ist als Erlöste unser Ziel? Ist es nicht, Christo gleich zu sein? Wollen wir etwas Gerin­geres vorziehen? Wir haben schon Frieden empfangen; bleibt jetzt noch der Friede unser Ziel? Nein, der Segen nimmt immer zu. Der Friede ist der nicht zu erwartende Gegenstand eines Christen — er hat Frieden—aber ach! er wird noch oft zum Gegenstand gemacht! Viele Christen suchen, was sie schon völlig in Christo besitzen und deshalb haben sie eine Menge Gegenstände vor sich, wodurch das geistliche Leben immer mehr geschwächt wird. Was der Herr erwartet, ist unser „Wachsen in allem zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus" (Eph. 4, 15)> Er erfreut sich in uns in Christo; und indem Er dieses tut, kann Er nicht an uns denken, außer in Verbindung mit Christo. 

Er erfreute sich in uns, ehe die Welt war. „Da er die Himmel bereitete, war ich daselbst; da er befestigte die Brunnen der Tiefe. Da er die Wolken droben festete, da er befestigte die Brunnen der Tiefe; da er dem Meere sein Ziel setzte, und den Was­sern, daß sie nicht übergehen seinen Befehl; da er den Grund der Erde legte; da war ich der Werkmeister bei ihm, und hatte meine Lust täglich, und spielte vor ihm allezeit; und spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern" (Sprüche 8,27-31). Gott, der Vater, erfreut sich in Christo, und Christus erfreut sich in uns. Er kommt zu uns hernieder, und dann nimmt Er uns hinweg von dem Orte, wo wir uns befinden, und bringt uns dahin, wo Er ist; und durch den Geist erfreut Er uns in dem, was Er ist.

Wenn der Geist Gottes in den Herzen gewirkt hat, so kann der Heilige an die Herrlichkeit Gottes als eine solche denken, zu welcher er gebracht ist, und kann sich ihrer in Hoffnung erfreuen. Dort hat er Christum erkannt, dort hat er Ihn gesehen, und dort kann er sich in Ihm er­freuen. Sein Herz ist gewonnen, und er ist jetzt auf dem Wege zu Christo. Wenn er den Herrn Jesum als Den ge­funden hat, welcher nicht nur in der Herrlichkeit droben ist, sondern welcher auch hier unten war und dorthin ging, so kann er sagen: „Er will mich dort haben, wo es seine Freude ist, mich zu haben; ich werde ihn sehen, wie

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 er ist und werde ihm gleich sein." Dann empfängt das Herz einen Gegenstand, der immer erfreut, — ohne Zweifel, im­mer verbunden mit dem Gefühl der Demut und mit dem Bewußtsein der Gnade, — und also geht es vorwärts. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, der reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist" (1. Joh. 3, 3). Da ist durchaus kein Gesetz, welches sagt: Du mußt dieses, oder du mußt jenes tun; ich würde auch erwidern müssen: Ich kann nichts tun, und würde in Verzweiflung kommen. Seine Freude ist es, mich dazu zu befähigen. Ich finde in Ihm den Gegenstand meiner Neigungen, und halte deshalb „alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn."

Der Herr Jesus stellt uns also vor, daß wir, wie ge­schrieben steht, „durch die Herrlichkeit und Tugend — und nicht, wie die Kinder Israel, durch ein forderndes Gesetz— berufen sind" (2. Petr. 1. 3). Der Herr Selbst ist der Gegen­stand, welcher vor uns gestellt ist; und die Gnade Gottes allein kann uns in diesem Wege erhalten. Das christliche Leben wird dadurch charakterisiert, daß es einen Gegen­stand vor sich hat. Der Apostel sagt: „Nicht daß ich es schon ergriffen habe, oder schon voll­endet sei; ich strebe aber danach, ob ich es auch ergreifen möge, wozu ich auch 'von Christo Jesu ergriffen bin. Brüder! ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben; eins aber tue ich: das, was hinter mir liegt vergessend, strebe ich, das vor­gesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu" (Phil. 3, 12-14). Wir sehen, geliebte Brüder, daß Paulus einen Gegenstand vor sich hatte: „Das vorgesteckte Ziel immer anschauend." 

Dies ist immer mit Kraft und Freude begleitet, aber wegen unserer Mängel, wie schon vorhin gesagt, auch mit Demut. Denn er fügt hinzu: „Werdet zusammen meine Nachfolger, Brüder, und sehet auf die, welche so wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt." Der einzige Gegenstand dieses ganzen Ka­pitels ist, daß Christus — und nicht ein Gesetz, welches von uns verlangt, was wir nicht haben — vor uns gestellt und die Quelle aller Freude ist.

Wie ist es nun mit uns, geliebte Brüder? Ist Christus stets vor unserem Auge? Ist Er der einzige Gegenstand, welcher unsere Neigungen und Gedanken leitet? Oder ist unsere Absicht, hier mehr zu haben als Er hatte? Und was finden wir, wenn wir einen anderen Gegenstand als Ihn haben? Wir mögen an zukünftige Pläne für diese Welt

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 denken und dergleichen; aber wenn dies der Fall ist, ist dann nicht etwas vorhanden, wodurch unser inneres Leben verzehrt wird? Der Apostel spricht von einigen, und zwar weinend, „daß sie die Feinde des Kreuzes Christi sind, die nach dem Irdischen trachten." Dies zeigt, wie weit ein christlicher Mensch hinabsinken kann. Und ach, wie oft erlauben sich die Christen, dasselbe zu tun, weil sie die Ge­meinschaft der Schmach Christi und einen Nachteil für ihr zeitliches Leben fürchten.

 Die Folge davon ist, daß wir träge und gleichgültig oder gar ruhelos werden, indem wir uns zu uns selbst zurückwenden und unsere Fehler und Er­fahrungen zum Mittelpunkt unserer Gedanken machen; — und sind wir glücklich darin? Gewiß nicht, es ist nie Frie­den darin, sondern stete Furcht und Angst. Erfüllt aber die Person Christi die Gedanken, so ist alles ruhig und still. Die Seele des Heiligen erfreut sich in dem Bewußtsein Sei­ner Liebe und gibt Zeugnis davon, und zwar mit der köst­lichen Aussicht, daß diese Liebe nimmer weggenommen werden wird. Er kennt den Weg und die Schwierigkeiten des Weges, daß er voll Versuchungen und Fallstricke ist, und er versteht, weshalb Christus hernieder kam und Sich Selbst „zu nichts machte", wie wir in Phil. 2, 5. 6 lesen:

„Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war, welcher, da er in Ge­stalt Gottes war, es nicht für eine Beute hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts macht e." Er ist in dieselben Um­stände und dieselbe Lage gekommen, worin wir sind, und immer ist Er „der Heilige" (Luk. 1. 35). Ich kann Ihn sehen als Säugling; ich kann Ihn sehen als Kind von zwölf Jahren; ich kann Ihn sehen als Zimmermann, „den Sohn der Maria von Nazareth" (Mark. 6, 3). Er lebte daselbst mit Seinen Eltern und war ihnen Untertan. Welche Furcht! Er wandelte in einfachem Gehorsam — „nahm zu an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und den Menschen." Er lebte, bis zu der Zeit, wo Er Sich unter Israel zeigte, höchst einfach und zurückgezogen in einem Dorfe, indem Er Sich Selbst zu nichts machte.

Gott hatte kurz vorher den Johannes, den Täufer, ge­sandt, aber es geschah nicht auf dieselbe Weise. Johannes war in den Wüsteneien, bekleidet mit Kamelshaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden. Er zog die Auf­merksamkeit auf sich, indem er sich von allen absonderte und außer allem menschlichen Verkehr nur seinem Berufe lebte. Bei dem Herrn finden wir gerade das Gegenteil; Er kam in der Absicht, um sich mit der von Gott abgefallenen Menschheit zu beschäftigen (Luk. 7, 34). Sein Weg führte

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 geradezu vom Stall zum. Kreuze, indem Er durch die ge­wöhnlichsten Umstände ging, durch welche wir zu gehen haben, und darin' das Licht und die Gnade Gottes offen­barte. Er war in gewöhnlicheren Umständen als irgend ein Prophet. In Betreff Seiner Gestalt und Erscheinung war „sein Antlitz mehr verfallen, als das irgend eines Menschen und seine Gestalt mehr, als die der Menschenkinder" — „ein Reis aus dür­rem Erdreich." — In dieser Stellung begegnen wir dem Herrn hienieden. Obgleich Er alle Dinge durch ein Wunder hätte vollbringen können, so machte Er Sich doch völlig mit den Menschen eins und vollbrachte alles, was immer der Vater wollte, in Sanftmut und Milde und in der Einfachheit des Sich Selbst verleugnenden Gehorsams.

„Und er selbst, Jesus, begann ungefähr dreißig Jahre alt zu werden und war, wie man glaubte, Sohn des Josef" (Luk. 3, 23). Wür­den wir zufrieden sein, so ungekannt und unbeachtet durch den schönsten Teil unseres Lebens zu gehen? Wo finden wir Ihn in dem Augenblick, als Er von Gott aus dieser Stellung in den öffentlichen Dienst gebracht wurde? — Und sehen wir Ihn am Kreuze, so sehen wir. das große Sühnopfer für die Sünde, — Er, welcher Sünde nicht kannte, ward zur Sünde gemacht; der Gerechte litt für die Ungerechten.

 Er erhielt an unserer Statt einen Platz am Kreuz, welchen wir geerntet hatten; allein Er nahm ihn für Sich. Und hienie­den, gepriesen sei Gott, sehe ich Ihn wieder, obgleich nicht in derselben Weise, indem Er kam, die Ratschlüsse Gottes zu erfüllen, so doch eins mit mir in meinen Umständen. In­dem Er den Tod schmeckte, litt Er für uns; hier aber nimmt Er Seinen Platz unter uns.

Im ersten Teil des Kapitels finden wir Johannes, den Täufer, den Zustand des Volkes vorstellend. Er kommt, um den Weg des Herrn zu bereiten. „Im fünfzehnten Jahre aber der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Landpfleger von Judäa, und Herodes Vierfürst von Galiläa, und sein Bruder Philippus Vierfürst von Ituräa in der Gegend Trachonitis, und Lisanias, Vierfürst von Abilene war, unter dem Hohenpriester Hannas und Kajaphas, —geschah das Wort des Herrn zu Johannes, dem Sohne des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend des Jordans, predigend die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden; wie in dem Buch der Worte Jesaja, des Pro­pheten, geschrieben steht, sagend: ,Stimme des Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet richtig seine Steige! Jedes Tal wird angefüllt werden, und jeder Berg und Hügel wird erniedrigt werden, und das Krumme

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 wird zum geraden Wege und die höckerichten zum ebenen Wege werden und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen" (Luk. 3,1-6). Er sagt: Hier ist, was Gott tut, und ich bin da, um den Weg zu bereiten; aber zu derselben Zeit sagt er:

„Schon ist aber auch die Axt an die Wurzeln der Bäume gelegt. Ein jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und in das Feuer geworfen" (V. 9). Wo würden wir einen Stärkeren zu finden hoffen, als dieser war, wovon Johannes sprach, welchem, die Riemen Seiner Sandalen aufzubinden, er sich nicht würdig hielt? Als diese Ankün­digung des schrecklichen Tages, der wie ein Ofen brennen sollte, kam, wo wollten wir den finden, „dessen Wurf­schaufel in seiner Hand war, welcher seine Tenne ganz und gar reinigen und den Weizen auf seinen Speicher sam­meln, die Spreu aber mit unauslöschlichem Feuer verbren­nen wollte?" — Wo aber finden wir Jesum? — „Es geschah aber, da das ganze Volk getauft wurde und auch Jesus getauft war"...?

Was war diese Taufe? „Die Taufe der Buße zur Ver­gebung der Sünden." Weshalb kam denn Jesus dorthin? Ge­wiß, Er hatte die Buße nicht nötig. Selbst Johannes wehrte es Ihm, sagend: „Ich habe nötig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir!" Aber Jesus sagt: „Laß es jetzt so sein." Er mußte dieselbe Stellung Seines Volkes einnehmen. Wenn Sein Volk mit der Taufe der Buße getauft werden mußte, so mußte auch Er dort sein. Wenn Seine „Wurf­schaufel in seiner Hand ist", und die Gnade Gottes tritt entgegen, so muß Er in ihre Stellung hernieder kommen. — „Also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen." Ich bin in derselben Absicht (sagt Er) hernieder gekommen, um meinen Platz in den Umständen und in der Lage dieser ar­men Sünder zu nehmen. Er sagt nicht nur: „Ich bin ge­kommen, zu suchen zu erretten, was verloren war", son­dern: Ich nehme meinen Platz unter Sündern, weil das Volk da ist. Ich mache in ihrer Lage und in ihren Umständen keine Ausnahme, obgleich ich ohne Sünde bin.

Was sollen wir sagen? Welch einen Beweggrund für uns Geliebte, um an dem Platz der Buße zu sein! und welch ein Trost für das Herz, Christum dort an demselben Platze mit den Sündern zu finden!— Er kam dort hin,— und wir wer­den Ihn nimmer droben finden, wenn wir Ihn nicht dort, unter den Wassern Jordans, unter der Hand des Johannes, wo das Volk war, seine Sünden bekennend, finden. Dort ist es, wo wir Ihn finden und — wie gesagt— wir werden Ihn nimmer droben finden, bis wir Ihn dort ge­funden haben, wo er Seine Wanderung begann. Hier ist unmöglich für Ihn, uns etwas von dem vorzuwerfen, was

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 wir getan haben; denn Er nahm unsere Stelle ein. Sein völliges Durchdrungensein von dem Willen Gottes richtet alles, was in jedem Herzen gefunden wird; aber dann, wenn wir Ihm hienieden begegnen, so werden wir die Gnade, und Güte eines Demütigen und Sich. Selbst Ernied­rigten finden, nämlich Jesum von Nazareth, den Freund und Heiland der Sünder, den Sohn des Menschen, den herr­lichen Sohn Gottes. Er schaut nicht von der Herrlichkeit hernieder, und ruft, daß ich dorthin kommen möge,— nein, ich finde Ihn an dem Platze, wohin mich meine Sünden ge­bracht haben, und ich höre Ihn sagen: „Ich bin in diese Stelle hernieder gekommen, um euch in euren Sünden zu begegnen"; und ich habe nicht nötig, in etwa zu ver­zweifeln.

„Es geschah aber, daß das ganze Volk getauft wurde, und auch Jesus getauft war und betete" (V. 21). Das erste, was ich finde, als Jesus in das Elend Seines Volkes eintrat, ist ein Ausdruck der Abhängigkeit von Seinem Vater. In dem Augenblick, als wir Ihn in der Taufe des Volkes finden, ist Er dort „betend." Sein ganzes Leben war das der völligen Abhängigkeit." „Siehe, das ist mein Knecht, ich er­halte ihn; mein Auserwählter,. an welchem meine Seele Wohlgefallen hat" (Jes. 42, l). Dieselbe Sache und denselben Grundsatz finden wir in Gethsemane: „Und er ging hinaus und begab sich der Gewohnheit nach an den Ölberg; Ihm folgten aber auch seine Jünger. „Und als er an den Ort ge­kommen war, sprach er zu ihnen: Betet, daß ihr nicht in Versuchung hineingeht!—Und er hatte sich ungefähr einen Steinwurf weit von ihnen zurückgezogen, und niederknieend betete er, sagend: Vater! Wenn du diesen Kelch von mir vorüberführen willst,— doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe! — Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, ihn stärkend; und als er in ringendem Kampfe war, betete er heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Tropfen Blutes, welche auf die Erde herabfielen" (Luk. 22, 39-44). Wiederum in Kap. 6 dieses Evangeliums: „Und es geschah in diesen Tagen, daß er auf den Berg hinauf ging, um zu beten; und er verharrte in der Nacht im Gebet zu Gott." Der Apostel wendet die Stelle in Hebr. 2: „Ich werde mein Vertrauen auf ihn setzen, auf Je­sum an. Ihr seht, will Er sagen, wie wahr es ist: „Weil nun die Kinder Fleisches und Blutes teilhaftig sind, hat auch er gleicherweise an denselben teilgenommen", indem Er sagt:

„Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen." Seine Vollkom­menheit als Mensch offenbarte sich in Seinem Gehorsam, und Er verließ m all Seinem Tun nie Seine Abhängigkeit.

In dieser Stellung wurde der Himmel über Ihm aufgetan

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 und der Heilige Geist kam hernieder und blieb auf Ihm. In dem Augenblick, wo Er in dieselbe Stelle mit Seinem Volke eintrat, indem Er Sich mit ihrem Elend und den Folgen ihrer Sünde eins machte, sagte Er: Meine wahre Gerechtig­keit ist hernieder gekommen. Er läßt Sich nicht ein wenig hernieder, Er kommt uns nicht einen kurzen Weg entgegen, sondern Er kommt, obgleich. Er Sich von jeder Verunreini­gung fern hielt, in unsere wirkliche Stellung. Ebenso war es bei dem Aussätzigen. Als der arme Aussätzige Ihn be­suchte, sagend: „Herr, wenn du willst, kannst du mich rei­nigen", war Macht in Ihm, um der Macht der Sünde in dem Übel zu begegnen und es hinwegzutreiben; allein die Gnade brachte eine Hand zwischen Ihn und den Mann, der voll Aussatz war: „Er streckte seine Hand aus und rührte ihn an." Er allein konnte es tun und unbefleckt blei­ben, und konnte sagen: „Ich will, sei gereinigt!" Ohne Sünde nahm Er den Platz eines demütigen, sich selbst ver­leugnenden und abhängigen Menschen ein. Und in dieser Stellung der Abhängigkeit (wovon das Gebet der Ausdruck ist), ist der Himmel über Ihm geöffnet. Wenn wir unsere Stellung des Nichts und der Abhängigkeit eingenom­men haben, so dürfen wir stets auf die Antwort Gottes rechnen. Ich. muß aber zuerst meinen Platz als Sünder neh­men, ehe ich als ein Heiliger handeln kann. Zuerst muß mein Gewissen und mein Herz in der Stelle des Untergangs, als Sünder, gefunden werden, und danach muß mein Herz die Stellung der Abhängigkeit, als ein Heiliger, einnehmen; zuerst muß die Anerkennung da sein, „daß alles Fleisch Gras ist", oder ich kann nicht als ein Heiliger beten.

Wenn Gott von dem Tröste Seines Volkes redet, so sagt Er: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott; redet mit Jerusalem freundlich, und prediget ihr, daß ihr Streit ein Ende hat, daß ihre Missetat vergeben ist; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn, um alle ihre Sünde ... Es spricht eine Stimme: Predige! Und er spricht: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras und alle seine Güte ist wie eine Blume des Feldes. Das Gras ist verdorret, die Blume verwelket; denn des Herrn Geist bläst darein. Ja, das Volk ist das Gras. (Gottes Volk, wovon Er sagt: „Tröstet, tröstet mein Volk!" ja, dieses Volk ist das Gras). Das Gras ist verdorret, die Blume ver­welket; aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich" (Jes. 40,1-8). — Dies ist der Weg, auf welchem Gott Sein Volk tröstet. „Ich sage zu ihnen, daß ihre Missetat ver­geben und daß ihr Streit ein Ende hat usw."; aber jetzt, da ich gekommen bin, dieses alles zu offenbaren, wohin muß ich sie stellen? Sie sind an die Stelle der gänzlichen Wert-

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 losigkeit und des Unterganges gesetzt; sie alle, alle sind Fleisch, verdorrtes Gras. — Wenn ich nicht völlig den Platz des verdorrten Grases einnehme, so erwarte ich noch etwas von dem Menschen, ich untersuche, ob nicht nach allem doch noch etwas Gutes an dem Fleische zu finden ist. Ich muß zum Jordan gehen. Wenn des Herrn Wurfschaufel in Seiner Hand ist, wenn es sich um das Reinigen der Tenne und um das Brennen der Spreu mit unauslöschlichem Feuer handelt, wenn „alles Fleisch Gras ist und alle seine Herr­lichkeit wie die Blume des Feldes", so muß ich vorher dort gefunden werden, oder das Worfeln wird zu meinem Unter­gang sein. Alles Fleisch ist Gras; nichts Gutes ist mehr darin für Gott zu finden, wie auch der Apostel sagt: „Die aber, welche in dem Fleisch sind, können Gott nicht ge­fallen" (Röm. 8, 8). Aber es gibt einen gewissen und unfehl­baren Trost in dem, was folgt, wenn alles Fleisch Gras ist:

das Wort unseres Gottes wird ungeachtet dessen bleiben bis in Ewigkeit. Hier ist voll­kommener Grund eines gewissen und unfehlbaren Trostes. Haben wir gelernt, daß alles Fleisch Gras ist, haben wir uns der Gerechtigkeit Gottes als Sünder unterworfen, so wer­den wir zu dem Charakter der Unterwürfigkeit eines Hei­ligen gelangen. Finde ich Christum Selbst dort, so finde ich, daß Er, der ohne Sünde diesen Platz Seines Volkes in Gnade einnahm, dort anfangen kann zu beten, und daß „der Himmel geöffnet ist."

 Wenn die Gnade der Buße und der Unterwürfigkeit sozusagen von der einen Seite geöffnet ist, so ist der Himmel geöffnet von der anderen. „Es ge­schah aber, da das ganze Volk getauft wurde, und auch Je­sus getauft war und betete, daß der Himmel aufgetan wurde, und der Heilige Geist in leiblicher Gestalt, gleich wie eine Taube auf ihn herniederstieg, und eine Stimme aus dem Himmel geschah, sagend: Du bist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe" (V. 21. 22). Indem Er unseren Platz eingenommen, kommt Er zu der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Er machte Sich Selbst zu nichts und erniedrigte Sich als ein Mensch, und Gott sagt einem Menschen in dieser Stellung: Der Himmel ist geöffnet, ich habe den bußfertigen Menschen, den betenden Menschen, der sich von mir völlig abhängig zeigte, empfan­gen, und ich kann sagen: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."

Das andere, was wir hier finden, ist Sein Gesalbtsein mit dem Heiligen Geiste und Kraft. Als Petrus dem Kornelius und seinem ganzen Hause predigte, sagte er: „...be­treffend den Jesus von Nazareth, wie ihn Gott mit dem Heiligen Geist und Kraft gesalbt hat, welcher umherging,

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 wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwäl­tigt waren; — denn Gott war mit ihm" (Apg. 10, 38), Da waren nicht nur Wünsche, nicht nur Abhängigkeit, sondern die Antwort Gottes an diese Stellung des Nichts und der Abhängigkeit in Mitteilung und Kraft. Und diese Stelle nehmen wir in und mit Christo in der Wüste ein. Wir ler­nen von Ihm, wir bewundern, wir werden immer mehr zu nichts und also durch die Gnade Ihm gleichförmig, und dann kommt diese gesegnete Antwort. Du darfst dich nicht mit guten Wünschen befriedigen. Wenn Christus, welcher Sich dort befand und in allem unfehlbar wandelte, also ge­salbt war, so ist es auch unser Teil: gesalbt zu werden mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, auf daß wir durch die Inwohnung des Heiligen Geistes auch fähig sind, die Wün­sche, welche wir vermöge unseres neuen Lebens haben, zu erfüllen.

Wir sind in der Stellung des Kampfes und des Gehor­sams, als Heilige, gebracht, weil Christus in unsere Stelle der Sünde und des Todes herniedergekommen ist. Haben wir dort mit Ihm begonnen, wo Er uns ein Exempel hinter­lassen hat und wo Er uns das Bild eines Menschen, welcher Gott lebt, darstellt, so zieht Er uns Sich nach. Lernen wir Ihn also jeden Tag kennen, dann gehen wir voran von Kraft zu Kraft. Es ist nötig, daß unsere Demütigung immer erneuert werde, weil wir nicht alle die Seiten des Fleisches, welche noch ungebrochen sind, entdeckt haben; aber die Freude, die Befreiung, die Liebe, der Friede und der Geist der Sohnschaft bleibt uns. Da ist unser Platz, unser erster Platz als Christ, unser beständiger Platz, und wenn wir von Versuchung zu Versuchung in der Welt vorangehen, so hat doch Jesus diesen Platz vor uns betreten, und wir gehen in Kraft in dem Platze, in dem Er in Gemeinschaft mit Sei­nem Vater wandelte, durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Der gnadenreiche Herr gebe, daß wir Ihm stets nahe sind — verborgen i n I h m.

BDH 02002 2 Mose 2 1859 Der Glaube triumphiert über die Macht des Feindes

(2. Mose 2, 1—4)

Die ganze Sphäre der göttlichen Handlung, als in Ver­bindung mit der Erlösung, liegt jenseits der Grenzen des Gebietes des Todes. Wenn Satan seine Macht erschöpft hat, dann fängt Gott an, Sich zu zeigen. Das Grab ist die Grenze

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 der Wirksamkeit Satans; aber hier ist es, wo die Wirksam­keit Gottes beginnt. Das ist eine köstliche Wahrheit. Satan hat die Macht des Todes; aber Gott ist der Gott des Lebens. Und Er gibt Leben jenseits des Bereiches und der Macht des Todes — ein Leben, welches Satan nicht erreichen kann. In solch einer gesegneten Wahrheit, wie diese, findet das Herz, inmitten einer Szene, wo der Tod herrscht, eine süße Erleichterung. Der Glaube kann ruhig stehen und der gan­zen Entwicklung der Macht Satans zusehen, er kann sich auf die Macht Gottes vermittelst der Auferstehung ver­lassen. Er kann am Grabe, was sich vielleicht eben jetzt über einen geliebten Gegenstand geschlossen hat, stehen, und von den Lippen Dessen, der die „Auferstehung und das Leben" ist, die erhabene Versicherung einer glorreichen Unsterblichkeit vernehmen. Er weiß, daß Gott stärker ist als Satan und er kann deshalb ruhig auf die völlige Offen­barung jener höheren Kraft warten; und in diesem Warten findet er Sieg und beständigen Frieden. Wir haben in dem oben erwähnten Kapitel ein schönes Exempel von dieser Kraft des Glaubens.

„Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levi. Und das Weib ward schwanger und ge­bar einen Sohn. Und da sie sah, daß er schön war, verbarg sie ihn drei Monate. Und da sie ihn nicht länger verbergen konnte, nahm sie für ihn ein Kästlein von Rohr, und ver­klebte es mit Erdharz und Pech, und legte das Kindlein darein, und legte ihn in das Schilf am Ufer des Flusses. Aber seine Schwester stellte sich von ferne, daß sie er­fahren wollte, wie es ihm gehen würde." — Hier haben wir eine liebliche und rührende Szene, nach welcher Seite hin wir sie auch betrachten mögen. Wir sehen hier einfachen Glauben, der über die Einnüsse der Natur und des Todes triumphierte, und der dem Gott der Auferweckung Raum ließ, um nach Seiner eigenen Weisheit und Seinem eigenen Charakter zu handeln. Sicher sehen wir in diesem Um­stand, daß das Kind in eine solche Lage gebracht werden mußte, augenscheinlich die Macht des Feindes—im Grund­satz war es eine Stellung des Todes. Und gewiß mußte ein Schwert die Seele der Mutter durchdringen, indem sie ihr teueres Kind gleichsam dem Tode übergeben mußte. Doch Satan mochte handeln und die Natur weinen — Der, wel­cher die Toten auferweckt, war hinter der dunklen Wolke, um sie von des Himmels Seite mit Seinem Glanz und mit Seinen Leben gebenden Strahlen zu erhellen, und dort schaute Ihn der Glaube. „Durch den Glauben ward Moses, als er geboren war, drei Monate von seinen Eltern ver­borgen, weil sie sahen, daß das Kind schön war; und sie

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 fürchteten sich  nicht vor dem  Gebot des  Königs" (Hebr. 11, 23).

Diese geehrte Tochter Levis gibt uns also eine heilige Lehre. Ihr „Kästlein von Rohr, mit Erdharz verklebt" zeigt in Wahrheit ihr Vertrauen auf das Vorhandensein einer Macht, welche ebensowohl bei ihrem „schönen Kind", als auch bei Noah, „dem Prediger der Gerechtigkeit", ver­hüten konnte, daß die Wasser des Todes nicht hineindran­gen. Es könnte aber vielleicht jemand fragen: War nicht dies „Kästlein von Rohr" mehr eine natürliche Erfindung? Hatte nicht die Fürsorge der Natur es ersonnen, und der Scharfsinn der Natur es ausgeführt? Wurde nicht der Säug­ling auf Eingebung eines Mutterherzens, unterstützt durch die zärtliche, wenn auch vergebliche Hoffnung auf Rettung ihres Schatzes von der grausamen Hand des Todes, in das Kästlein gelegt? Wenn diese Frage bejahend beantwortet werden müßte, so würden wir die schöne Belehrung darin ganz und gar verlieren. Wie könnten wir aber je voraus­setzen, daß das Kästlein von jemand erfunden sei, der für sein Kind keine andere Aussicht als den Tod durch Er­trinken hatte? Unmöglich. 

Es war durch die Hand des Glaubens, als ein Gefäß der Gnade, bereitet, um ein „schö­nes Kind" sicher über die finsteren Wasser des Todes in den, durch den unabänderlichen Ratschluß des lebendigen Gottes bestimmten Platz zu leiten. Wenn wir diese Tochter Levis gebeugt über jenes „Kästlein von Rohr", welches ihr Glaube bereitet und wohin sie ihren Liebling gelegt hatte, erblicken, so sehen wir sie „in den Fußstapfen des Glaubens ihres Vaters Abraham wandeln", welchen Glauben er hatte, als „er von seiner Leiche (der Sarah) aufstand" und von den Kindern Heth die Höhle Machpela kaufte (1. Mos. 23). Es war in ihr nicht die natürliche Energie, mit der sie den Liebling ihres Herzens in das Kästlein legte und ihn der eisernen Hand des Todes übergab. Nein, wir finden in ihr die Energie eines Glaubens, welcher sie befähigte, als ein Sieger an den Ufern der kalten Fluten des Todes zu stehen, indem sie mit Gewißheit den auserwählten Diener Jehovas auf der anderen Seite erblickte. Ja, der Glaube kann jenen hohen und erhabenen Flug zu den Re­gionen machen, welche von diesem Land des Todes und der ausgedehnten Verwüstung sehr weit entfernt liegen. Sein Blick durchdringt die dunklen Wolken, welche sich um das Grab sammeln, und schaut den Gott der Auferweckung, und die Resultate Seiner ewigen Ratschlüsse inmitten einer Sphäre, die kein Pfeil des Todes erreichen kann.

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BDH 67000 1859 Der Glaube Rahabs

Worin offenbart sich der Glaube der Rahab, welchen der Apostel als Beispiel anführt? — Ein wunderbarer Beweis, daß die Art und Weise, wie Gott in Gnade wirkt vor und über dem Gesetz ist, daß die Gnade die Schranke durch­bricht, welche den Menschen durch das Gesetz auferlegt ist, wiewohl sie dessen Ansehen aufrecht hält, ein Ansehen jedoch, welches sich durch Verdammnis Bahn macht.

 Was ist, sage ich, dieser Glaube der Rahab? Dies ist der Glaube, welcher anerkennt, daß Gott mit Seinem Volke ist, wie schwach und klein dies Volk auch sei, nicht im Genuß sei­ner Erbschaft, ohne Vaterland auf der Erde umherirrend, aber von Gott geliebt. Wenn Abraham Gott geglaubt hat, als es noch kein Volk Gottes gab, so hat Rahab sich mit diesem Volke eins gemacht, als dasselbe nichts anderes als Gott hatte. Sie wußte wohl, daß das Erbe diesem Volk gehörte; sie begriff, daß, was auch die Macht der Feinde dieses Volkes war, ungeachtet ihrer befestigten Städte und ihrer eisernen Wagen, ihr Herz verzagt war. Dies ist immer der Fall mit den Werkzeugen des Feindes; — was übrigens auch der äußere Schein sein möge,— wenn das Volk Gottes unter der Leitung des Geistes Gottes auf dem Wege des Gehorsams ist, welchen Gott ihm vorgeschrieben hat.

So wird inmitten der Heiden diese arme Sünderin, das böse und verachtete Glied eines verfluchten und dem Ver­derben gereiften Geschlechts gerettet, und ihr Name ist ein Zeugnis zur Verherrlichung Gottes. Ihr Haus, welches an diesem versicherten Kennzeichen — dem Scharlachseil — erkannt und anerkannt wird, wird der Zufluchts- und Schutzort aller derer, welche, im Glauben an das gegebene Wort, dorthin ihre Zuflucht nehmen.

BDH 58011 Hebräer 11 1859 Der Glaube und dessen Fußstapfen

(Hebräer 11)

Wenn jemand mit Gott wandeln will, so muß er im Glauben wandeln. Er befindet sich in einer Welt, wo Gott nicht anerkannt wird und mit welcher sich Gott jetzt noch nicht beschäftigt — in einer Welt, reif für das Gericht. Deshalb kann er hier nur im Glauben wandeln und durch Glauben in dem leben, was er nicht sieht.

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 Dies war auch besonders das Teil der gläubigen Hebräer hienieden. Ihr ganzer früherer Gottesdienst war ein sicht­barer; sie hatten ein System, wonach sie wandelten—einen sichtbaren Tempel, Opfer, Priestertum und dergleichen. Den Messias erwarteten sie zu sehen. Als sie Ihn sahen, haßten sie Ihn und brachten Ihn zum Tode; und dieser Messias war jetzt in den Himmel gegangen. Wenn sie Chri­sten wurden, so verloren sie alles, was sie besaßen, und sie gewannen nichts — nichts, was das Fleisch begehrte. Es war deshalb eine beständige Versuchung für sie: einen nicht gesehenen Messias zu verleugnen und sich zu den gesehenen Dingen zurückzuwenden.

Der Apostel zählt in diesem Kapitel nun eine Menge Tatsachen auf, und zeigt durch die ganze Geschichte der Menschen, daß das Leben eines Christen nie eine Sache war, welche einen „guten Ruf" hatte. Die Menschen halten uns für Toren. In ihren Augen ist es gewiß eine große Torheit, für einen Gegenstand zu wirken, zu leben, zu leiden und alles hinzugeben, den niemand sieht und woran niemand glaubt. Die Gewährleistung für den Heiligen ist das Wort Gottes. In dem Augenblick, wo er in Verbindung mit den sichtbaren Dingen handelt, hört er auf, als Christ zu handeln. 

Christus lebte in diesem Sinne das Leben des Glaubens. Es ist das Leben des Glaub e n s, was wir in dem oben erwähnten Kapitel finden und nicht Errettung oder das Finden des Friedens auf dem Wege des Glaubens. Nur bei Abel finden wir eine einfache Ausnahme, was eigentlich so genannt werden könnte. Der Glaube wird als die Kraft betrachtet, durch welche sie wandelten.

Es gibt zwei Dinge, die wir im Glauben finden: den Frieden der Seele und die Kraft für den Wandel. Ich erlange dadurch Frieden, daß ich das Zeug­nis Gottes im Glauben aufnehme. Für die Kraft im Wandel bedarf ich Vertrauen zu Gott; aber ich darf dies Ver­trauen zu Gott nicht mit Seinem Zeugnis verwechseln. Wir finden beides in Abraham. Gott rief dem. Abraham und zeigte ihm die Sterne des Himmels und sagte: „Also wird dein Same sein, und Abraham glaubte Gott." Bei dem Opfer Isaak war nicht das Entgegennehmen eines Zeugnis­ses, sondern der Glaube in Gott.

Wie kann ich als Sünder mit dem Bewußtsein der Sünde auf Gott vertrauen? Ich weiß, daß Er ein heiliger Gott ist, der die Sünde haßt; wie kann ich auf Ihn vertrauen? Ich kann nicht mit meiner Sünde in Seiner Gegenwart sein. Was habe ich zu erwarten? Die Heiligkeit Gottes ist nicht zu leugnen, und ich kann mich auch nicht über die Sünde

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 hinwegsetzen. Jetzt aber teilt mir Gott mit, daß meine Sünden hinweggenommen sind, und ich glaube Ihm. Dies ist kein Vertrauen auf Seine Kraft. Das, was mir Frieden gibt, ist also meine Annahme Seines Zeugnisses. Mein Geist kann nicht ruhen, wenn ich im Bewußtsein der Sünde bin; ich muß erst wissen, daß sie mir nicht zuge­rechnet wird. Gott hat meine Sünde gesehen wie sie ist. Ob ich mit mir selbst zufrieden bin, ist nicht genug—Gott muß wegen meiner zufriedengestellt worden sein. Es ist ein fortwährender Kampf in einer Seele, welche sucht, mit sich selbst zufrieden zu sein. 

Glaubt sie aber dem Zeugnis Gottes, so wird der Friede da sein. Es handelt sich nicht darum, daß ich keine Sünde habe, sondern, ob ich glaube, was Gott sagt, wenn Er sagt, daß sie hinweggenommen ist. Nie kommt aber auch die Seele aus sich selbst dahin, daß sie glaubt, ein völlig wertloser Sünder zu sein. Es ist in der Tat ein Werk des Geistes Gottes — nicht um das her­vorzubringen, was mich zufrieden stellt, sondern — um mich dahin zu bringen, daß ich sage: „Es ist alles vorbei mit mir." Gott erlaubt oft, daß ich mich vergeblich an­strenge, daß ich versuche, besser zu werden. Er läßt es zu; und gleich einem Mann im Schlamm, der mit Gewalt einen Fuß herauszieht, um mit dem ändern umso tiefer hinein­zukommen, wird mein Fall immer größer. Die Antwort kommt nun in der gesegneten Wahrheit des Evangeliums von dem Werk unseres Herrn Jesu Christi, daß, „wer an ihn glaubt, von allem gerechtfertigt ist."— Ich finde Gott vollkommen in Ruhe. Er ruht in Jesu; Er ist völlig befriedigt. Christus sagt: „Ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben hast" und Gott sagt: „Setze dich zu meiner Rechten." Ich habe Ruhe für meine Seele, weil ich finde, daß Gott nicht das Geringste gegen mich hat. Ach, wieviel Kämpfe gehen oft in einer schuldbewußten Seele vor, ehe sie Frieden gefunden hat. —

Eine andere Sache ist der Wandel des Glau­bens. Kommt Versuchung, kommt Trübsal,—ja es komme, was da wolle — der Grund meines Friedens ist nimmer angetastet. Wenn dieser nicht völlig hergestellt oder vor­handen wäre, so würde es nimmer geschehen können, weil Er gesagt hat: „Ohne — nicht Besprengung, sondern — Blutvergießung ist keine Vergebung" (Hebr. 9. 22). Deshalb, wenn es nicht vollkommen geschehen wäre, so müßte Er wieder getötet werden und aufs neue Sein Blut vergießen; aber es ist geschehen. Der Geist Gottes läßt mich sehen, daß es geschehen ist, und ich nehme dies Wort von Jesu an: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; ich habe vollendet das Werk, wel-

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 ches du mir gegeben hast"; und ich sage: „Es ist vollende t."

Jetzt sehe ich den Pfad des Glaubens vor mir geöffnet. Ich bin gewiß, daß Gott mich liebt, und daß Er nichts als Liebe ist. Ich kann völlig auf Ihn vertrauen, denn ich kenne Seine Liebe. Er hat mich errettet als Sünder und ich kann Seiner Liebe vertrauen als Heiliger.

Laßt uns die Ordnung beachten, in welcher hier die Dinge dargestellt sind. Für den Glauben ist das, was nicht gesehen wird, gegenwärtig, wirklich und dem Gesichte völlig nahe (V. l). Ja, noch mehr: In den gesehenen Dingen können wir uns täuschen; es gibt aber keine Täuschung in den Dingen, welche durch den Geist Gottes dem Herzen mitgeteilt sind.

„Durch den Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet sind" (Vers 9).

Dann kommen wir (Vers 4) zu der großen Grundlage, auf welcher eine gefallene Kreatur Gott nahen kann. Laßt uns ein wenig auf den unterscheidenden Charakter des Opfers Abels hinschauen.

Kain opferte Gott. Er war nicht ein Mensch ohne alle Religion. Er opferte Gott; er verehrte Ihn und wurde doch völlig verworfen. Er war nicht ein gänzlich ungläubiger oder irreligiöser Mann, sondern ein Anbeter; aber ein ver­worfener Anbeter. Seine Anbetung wurde im Unglauben erfunden. Ein Sünder, welcher aus dem Paradies gewiesen war, wagte es, zu Gott zu gehen, als ob sich nichts zuge­tragen hätte. So ist es mit vielen. Sie denken, daß sie vorangehen und Gott verehren könnten, als ob sie Ihm ein Kompliment damit machten. Und was brachte Kain vor? Dieselben Dinge, auf welche der Stempel des Fluches ge­drückt war. Gott hatte gesagt: „Verflucht ist der Acker um deinetwillen; mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Domen und Disteln soll er dir tragen und sollst das Kraut auf dem Felde essen; im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen" (l. Mos. 3, 17-19). Das ist es, was ein Mensch bringt, welcher denkt, er könne Gott verehren. Er tut seine Pflicht, wie er es nennt; es ist aber in der Tat die Verleugnung der ganzen Wahrheit seiner Lage.

Was tut Abel? Etwas ganz anderes. Er bringt ein ge­schlachtetes Lamm. Er kommt durch den Tod (im Grund­satz durch Genugtuung Christi). Er setzte zwischen sich und Gott das Zeugnis eines vorher ersehenen Opfers; er opferte durch den Glauben. Vor dem Werk des Herrn Jesu Christi war schon die Offenbarung da, daß ein solches Werk ge-

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 schehen sollte; ebenso, wie wenn ich zu einem Schuldner im Gefängnis sage: Ich werde deine Schuld bezahlen. Wir er­freuen uns eines völlig vollendeten Werkes; für jene aber war es ein Gegenstand der Hoffnung. Es steht ge­schrieben: „... welchen Gott vorgestellt hat zu einem Gna-denstuhl, durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der früher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtig­keit in der jetzigen, Zeit, daß er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesum ist" (Röm. 3, 25. 26). Wir schauen nicht vorwärts nach einem zukünf­tigen Opfer; wir haben nicht eine Verheißung, aus dem Gefängnis herauszukommen, — wir sind heraus. Wir haben ein Zeugnis, daß das Werk vollendet ist, und der Heilige Geist ist das Siegel dieses Zeugnisses. 

Der Heilige Geist kann meiner Seele nichts anderes bezeugen, als daß das Werk vollbracht, die Schuld bezahlt, die Tür geöffnet und alles beendigt ist. Von zwei Dingen ist in dem Brief Petri (1. Petri 1. 10-12) gesprochen: „von den Leiden Christi und der Herrlichkeit danach." Wir befinden uns zwischen beiden. Der Gläubige steht auf einer geschehenen Hälfte. Die Heiligen des Alten Testaments schauten beides vor sich. Wir kommen nach den Leiden und schauen die Herr­lichkeit vor uns. Der Heilige Geist ist inzwischen gesandt, um eine geschehene Erlösung zu bezeugen. Diese Erlösung ist also nicht meine Hoffnung; ich warte nicht, daß meine Sünden hinweggenommen werden, sie sind hin w e g -genommen. Dies ist der Grund, auf welchem wir ru­hen. Gott ruht in dem angenommenen Werke Seines Soh­nes, und darauf ruhe auch ich.

Im 5. Vers kommen wir zu dem Wandel des Henoch. Hier finde ich eine andere Sache. Nicht nur kann ich Gott nahen, nicht ist es dies allein, was mir der Glaube sagt, sondern das ist hereingekommen, was den Tod ganz und gar beiseite gesetzt hat. Der Tod gehört jetzt mir; er ist nicht (wie er genannt ist) „ein König des Schreckens für mich", nein, alle Dinge sind unser: Das Leben ist unser, der Tod ist unser; denn wir sind Christi und Christus ist Gottes (1. Kor. 3, 22. 23). In Henoch finden wir einen Wandel mit Gott, eine Kraft des Lebens mit Gott, und zwar eine solche Kraft, worüber der Tod keine Macht hat. Wir haben das Leben des Sohnes Gottes, und nicht nur Seinen T öd ; wir haben nicht nur ein ge­schehenes Opfer, welches meiner Seele Frieden gibt, son­dern ein Opfer, welches zugleich alle Macht des Satans im Tode zerstört hat. Gott erlaubte dem Satan das Ärgste

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 zu tun; und alles, was der Fürst dieser Welt tun konnte, hat er dem Sohne Gottes getan. Und es ist geschehen für immer. „Ich bin mit Christo gekreuzigt; ich lebe aber, — nicht mehr ich, sondern Chri­stus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Flei­sche lebe, das lebe ich durch Glauben, nämlich durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und der sich selbst für mich hinge­geben hat" (Gal. 2,20). „Wir sind allezeit guten Mutes und wissen, daß wir, weil einhei­misch in dem Leibe, von dem Herrn abwe­send sind... Wir sind aber guten Mutes und möchten lieber ausheimisch von dem Leibe, und einheimisch bei dem Herrn sein" (2. Kor. 5, 6. 7). Was ich suche, ist nicht entkleidet, sondern über­kleidet zu werden; aber wenn ich sterbe, so bleibt das Le­ben, das ich habe, unberührt, und ich bin einheimisch bei dem Herrn.

Hier finde ich also zweierlei, was der Glaube erkennt. Zuerst das Blut der Genugtuung, durch welches die Sünde hinweggenommen ist, und dann eine Macht des Lebens, durch welches wir mit Gott wandeln,. Die Kraft des Todes ist gänzlich vernichtet. Wir sind einem lebenden Christus einverleibt, — wie wir auch durch den Tod des Christus errettet worden sind.

Wir hören hier weder in dem Falle des Abel, noch in dem des Henoch irgend etwas von der Verdammnis der Welt. Gott gibt auf der einen Seite „Zeugnis zu den Gaben" und auf der anderen haben wir „den Wandel mit Gott". Aber in Vers 7 finden wir eine andere Sache. Wir gehen durch diese Welt, und Gott hat uns ein Zeugnis ge­geben, daß über diese und über alles, was darinnen ist, ein unfehlbares Gericht kommen wird. Es ist gesagt: „Er hat einen Tag gesetzt, an welchem er den Erd­kreis in Gerechtigkeit durch den Mann richten wird, den er dazu bestimmt hat, wel­ches zu glauben er allen Menschen Grund gegeben, als er ihn aus den Toten aufer­weckt hat" (Apg. 17, 31).

„Durch den Glauben hat Noah, da er einen göttlichen Ausspruch von dem, was noch nicht zu sehen war, empfan­gen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche zur Rettung seines Hauses bereitet, durch welche er die Welt verurteilte und Erbe der Gerechtigkeit nach dem Glauben ward" (V. 7). Er verstand die Warnung in Betreff dessen, was über die Welt kommen sollte. Er erkannte die Gerichte an und schlug den von Gott geoffenbarten Weg zur Rettung ein, und er ver-

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 urteilte die Welt. Beachte dies wohl: der Glaube „ver­urteilt die Welt". Nicht nur ist es der Glaube an ein Opfer, welches rettet und zum Wandel, mit Gott Kraft gibt, sondern er ist es auch, der der Welt sagt, daß sie völlig von Gott getrennt ist, und daß sie dem Gericht entgegengeht. Wir haben das Zeugnis des Wortes Gottes, daß das, was über die Welt kommen wird, das Gericht ist. — Es gibt viele Seelen, welche als Heilige in einem heiligen Wandel mit Gott zu ruhen wünschen, die aber vor dem Brechen mit der Welt zurückschrecken. Es hat aber der Heilige in diesem Zeugnis, in Betreff des Gerichts der Welt, so zu handeln, als wenn er praktisch die Welt verurteile. Hätten wir sowohl Noahs als auch Abels und Henochs Glauben, so könnten wir nicht m i t der Welt gehen. 

Wenn die Seinen durch Ihn er­löst sind, dann kommt Er zum Gericht der Welt, und weil sie ihr Teil mit Christo und in Ihm haben, so werden sie, wenn Er kommt, bei Ihm sein. So gewiß wie Christus von dem Tode auferstanden ist, so gewiß ist Er der Mann, „durch welchen Gott verordnet hat, die Welt zu richten — den gegenwärtigen bösen Zeitlauf"; und so gewiß gibt es kein Gericht für die Seinigen, die an Ihn glauben. Das, wo­durch ich erkenne, daß ein Gericht sein wird, ist auch das, wodurch ich erkenne, daß für mich keines sein wird. Wie weiß ich, daß ein Gericht sein wird? Weil Gott Christum von den Toten auferweckt hat. Und was hat mir Gott noch mehr durch Seine Auferweckung gesagt? Daß alle meine Sünden für immer hinweggetan sind.

Der Apostel wendet sich jetzt zu einem anderen Punkte, zu der praktischen, tätigen Offenbarung der Kraft des Glaubens. Abraham vertraute sozusagen blindlings auf Gott. Gott berief ihn durch Seine Gnade, und er ging aus, nicht wissend, wohin er ging. Dies beweist Ver­trauen auf Gott. Es ist nicht nur die einfache An­nahme eines Zeugnisses, sondern blindes, unbedingtes Ver­trauen auf Gott. Es mag jemand sagen: Wenn ich es nur wüßte, was die Folge wäre, falls ich dieses oder jenes tun würde, so wollte ich es mit Gott unternehmen. Gewiß, ein solcher würde an Abrahams Stelle nie gegangen sein. Be­trachten wir Adam, wie handelte er? Er hatte die gegen­wärtigen. äußerlichen Dinge; aber er nahm die Worte des Teufels im Glauben auf. Jetzt wendet es Gott um und sagt:

Ihr habt dem Teufel geglaubt, als ihr alles Gute von mir hattet; jetzt müßt ihr mir vertrauen, obgleich ihr nichts sehet. Wir gehen aus, ohne zu wissen, wohin wir gehen, weil wir Dem vertrauen, der uns leitet. Und Gott wird uns Licht genug geben, um sagen zu können: Dies ist Gottes Wille, und ich sehe keinen anderen Weg.

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 Hienieden ist aber nichts, worin, unser Herz Ruhe finden kann. Haben wir auch einen Schritt auf dem Wege des Glaubens zurückgelegt, so finden wir doch nichts in dem­selben, was uns wirklich befriedigt. Der Herr segnet uns auf diesem Wege, aber Er gibt uns keine Befriedigung darin. Als Abraham an den Ort kam, welchen er nachher als Erbteil empfangen sollte, was empfing er? Nichts. Er war noch ein Fremdling. Mag, auch das Herz dies nicht lieben, mag es sich auch oft in seinen Erwartungen ge­täuscht sehen, — Gott denkt nur daran, uns in Seine Ruhe zu bringen.

Er bringt Abraham in das Land, und dann beginnt Er, dessen Gedanken auf einen anderen Gegenstand zu lenken* Abraham ist nahe bei Gott; er wird auf eine Höhe gestellt, von wo aus er alles sehen kann, was vor ihn gestellt ist. Der Herr offenbart Sich ihm in Gemeinschaft, Er spricht mit ihm, Er enthüllt ihm Seine Ratschlüsse, und Abraham betet an. Er hat sein Zelt und seinen Altar. — Und dies ist es, was Gott mit uns tut. Er macht uns zu Christen; Er bringt uns in das Land der Verheißung und läßt uns alles im Glauben sehen. Dies ist aber nicht die Zeit der Ruhe. Das Auge wird klar in den Wegen Gottes, und wir haben das Vorrecht, Fremdlinge und Pilgrime bei Gott zu sein; und wir werden Fremdlinge und Pilgrime sein, bis wir heimkommen in das Haus Gottes.

Geliebte Brüder, wie steht es mit uns in dieser Bezie­hung? Bekennen wir durch unseren Wandel hienieden, daß unsere Heimat in dem Hause Gottes ist, daß wir dort das Haus unserer Herzen haben und daß wir weder eine Hei­mat finden noch wünschen, bis wir dort hinkommen?

Es gibt nichts zwischen uns und Gott, — keine Sünde zwischen uns und Ihm, oder Christus ist nicht dort. Beides zusammen kann dort nicht sein. Ruhen unsere Seelen denn wirklich in dem Herrn Jesu Christi, oder sind wir beschäf­tigt, etwas in Ordnung zu bringen, was schon in Ordnung gebracht ist?

Der Herr gebe uns, Seinem Zeugnis zu glauben und auf Seine Kraft zu vertrauen.

Es ist der Charakter des Glaubens, stets auf Gott zu rechnen, nicht nur trotz der Schwierigkeiten, son­dern auch trotz der Unmöglichkeit.

Bei dem Glauben handelt es sich nicht um die Mittel; er rechnet auf die Verheißung Gottes. Dem natürlichen Men­schen mag es scheinen, als mangele es dem Gläubigen an Klugheit; allein, von dem Augenblick an, wo es eine Frage der Mittel wird, um dem Menschen die Sache leicht zu ma­chen, ist Gott nicht länger handelnd. Wo der Blick auf die

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 Mittel gerichtet ist, da kann es nicht länger Sein Werk sein. Wenn bei den Menschen eine Unmöglichkeit vorhanden ist, so muß Gott hineinkommen und es ist dann, wenn Gott Selbst eine Sache nach Seinem wohlgefälligen Willen aus­führt, umso augenscheinlicher der rechte Weg. Der Glaube richtet sich nach Seinem Willen, und nach diesem allein; er bespricht sich also weder mit den Mitteln, noch mit den Umständen — mit anderen Worten, er bespricht sich nicht mit Fleisch und Blut. Wo der Glaube schwach ist, da rech­net man mehr auf die äußeren Mittel, als auf das Tun Gottes. Laßt uns daran denken, daß, sobald irgendwelche Dinge für den Menschen möglich sind, der Glaube nicht nötig ist, weil die Energie des Geistes nicht erfordert wird. Die Christen tun viel, und in der Tat doch so wenig — warum?

Vers 13-16. Nicht nur hatten jene, wovon hier gespro­chen, den Namen „Fremdlinge und Pilgrime", sondern sie bekannten es auch. Viele wünschen wohl, etwas christlich im Herzen zu sein, aber nicht davon zu sprechen. Bei sol­chen ist keine Energie des Glaubens vorhanden. Die Welt verloren und verurteilt zu sehen, unsere Hoffnung im Him­mel zu haben — solche Tatsachen müssen notwendigerweise ein angemessenes Resultat hervorbringen, welches uns auch als „Fremdlinge und Pilgrime" denken und handeln läßt. Und dies wird sich in unserem ganzen Leben hienieden offenbaren. Das Herz ist schon hinweggegangen, und es bleibt nur noch übrig, zu beweisen, daß es nicht mehr hier ist. Dies schließt augenscheinlich ein freies und offenes Be­kenntnis in sich ein; und hierin besteht das Zeugnis für Christum. Wer würde mit dem Freund zufrieden sein, der uns in schwierigen Umständen nicht anerkennen würde? Der sich verbergende Christ ist ein sehr schlechter Christ.

 Der Glaube ist auf Jesum gerichtet; wir halten die Dinge fest, welche wir von ferne sehen und gedenken nicht des Landes, von welchem wir ausgegangen sind; wir haben das Herz in dem, was vor uns ist. Wo es Schwierigkeiten auf dem Pfade des Glaubens gibt und die Herzen nicht auf Jesum gerichtet sind, da erhebt sich bald wieder die Welt in denselben (Phil. 3, 7 - 14). Paulus hatte nicht in einem Augenblick der Aufregung gehandelt, um es nachher zu be­reuen; sein Herz war mit Christo erfüllt, „er rechnete alles für Dreck und Schaden". Das Ausharren des Herzens be­zeichnete die Neigungen des Christen, daß sie aufwärts gehen und daß seine Wünsche himmlisch sind. Und Gott schämt Sich nicht, sein Gott zu heißen.

Es ist entweder das Fleisch oder der Glaube; — man kann unmöglich auf dem halben Weg stehen bleiben. Das

 Ziel des Christen müssen himmlische Dinge sein. Die Nei­gungen, die Bedürfnisse des neuen Menschen sind himm­lisch. Mag man sich auch des Christentums bedienen, um die Welt zu verbessern, so ist dies doch die Absicht Gottes nicht. Das Trachten, uns mit der Welt zu verbinden und das Christentum zur Weltverbesserung anzuwenden, sind irdische Dinge; Gottes Absicht ist es, uns mit dem Himmel zu verbinden. Wir müssen den Himmel haben ohne die Welt, oder die Welt ohne den Himmel. Er, welcher die Stadt zubereitet, kann für uns nicht etwas zwischen beiden wünschen. Das „Begehren eines besseren Vater­landes" ist das Begehren einer Natur, welche völlig von oben ist.

Vers 17-19. Abraham hielt mehr auf die Verheißungen, als auf die natürlichen Zuneigungen. Die Stärke seiner Ver­suchung lag darin, daß Gott Sich den Isaak ausersehen hatte, als den angenommenen Samen, den einzigen, welcher mit den Verheißungen in Verbindung stand. Doch der Glaube rechnet auf Gott. Gott tritt dem Abraham in den Weg und bestätigt dem Samen Seine Verheißung. Durch Gehorsam erlangen wir eine Bekanntschaft mit den Wegen Gottes, von welchen wir auf eine andere Weise keinen Be­griff haben würden. Der Unglaube ist die Ursache, daß wir die Freude, die Kraft und das geistliche Leben verlieren; wir wissen nicht, wo wir sind.—

Vers 24 - 26. Das fleischliche Herz gebraucht die Vor­sehung Gottes für das Leben des Glaubens. Die Vorsehung bringt die Tochter Pharaos zu dem Kinde Moses; und die Vorsehung stellte ihn an den Hot Pharaos, inmitten der Weisheit der Welt, um — wie es scheinen mag — seinen Einfluß für die Gunst Israels zu benutzen. Das erste, was der Glaube ihn tun läßt, ist, alles zu verlassen. Er möchte fähig gewesen sein, Israel durch seinen Einfluß zu unter­stützen, aber Israel mußte in der Knechtschaft Ägyptens "bleiben.

 Der Glaube ist töricht, aber er besitzt die himm­lische Weisheit, welche auf Gott rechnet, und auf nichts außer Ihm. Er unterscheidet das, was aus dem Geiste ist. Das, was nicht aus dem Geiste ist, ist nicht aus Gott. In dem Wunsch, bei der Vorsehung stehen zu bleiben, liegt das Verlangen nach der „Ergötzung der Sünde" zu Grunde. — Die Welt wird geliebt, und der Wunsch ist vorhanden, sich, anstatt auf Gott, auf die Umstände zu stützen, — es ist aber keine „gute Vorsehung", wenn ein Mensch verderbt wird.

Moses scheint schwach zu sein, indem er die Schmach des Volkes Gottes vorzieht, eines Volkes, das in einem solch schlechten Zustand war; allein mochte er es in einem noch so traurigen Zustand erblicken, — der Glaube macht das

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 Volk Gottes eins mit den Verheißungen Gottes und urteilt danach. Er urteilt nicht nach dem Zustand des Volkes, son­dern nach den Gedanken Gottes über dasselbe. Entschieden gegen das' Böse, rechnet er in Betreff des Volkes auf Gott.

Vers 27. Die Welt sucht uns zu überreden, daß wir gute Christen seien, während wir wie andere Menschen handeln und wandeln. Berufen aber zur Herrlichkeit muß der Glaube notwendigerweise Ägypten, wohin Gott Seine Herrlichkeit nicht gestellt hat, verlassen. Sind wir glücklich in der Welt, so sind wir nicht glücklich im Himmel. „Alles, was in der Welt ist, ist nicht vom Vater". Die Welt zu verlassen, wenn sie uns ausgetrieben hat, ist nicht Glauben; es zeigt, daß es unser Wille war, so lange dort zu bleiben, als wir konnten. Der Glaube handelt nach den Verheißungen Gottes, und nicht deshalb, weil er von der Welt ausge­trieben ist. „Moses hielt standhaft aus, als sähe er den Un­sichtbaren"; dies läßt ihn entscheiden. Wenn wir die Ge­genwart Gottes verwirklichen, so ist Pharao nichts.

 Die Um­stände sind nicht gefährlich, wenn Gott da ist. In Seiner Gemeinschaft werden sie eine Gelegenheit zu einem ruhigen Gehorsam. Jesus trinkt den Kelch — Petrus zieht das Schwert. Das, was dem Herrn Gehorsam brachte, ist für den Petrus zu einem Anstoß. Wo Mangel an Gemeinschaft ist, da ist Schwachheit und Unentschlossenheit.

Vers 30. Bei dem Blasen der Trompeten gingen die Kin­der Israel sieben Tage um die Stadt herum; da fielen die Mauern von Jericho um. Die Dinge, welche gering und ver­ächtlich erscheinen, werden nicht also vor dem Herrn be­trachtet (2. Sam. 6). Für den Glauben sind die Mauern Jeri­chos nicht mehr, als das Rote Meer und der Fluß Jordan.

Vers 31. Wer würde an Rahab gedacht haben? Sie aber kannte Gott durch Glauben. Der Glaube macht keinen Unterschied unter den Menschen; er sagt, daß Gott reich ist an Gnade gegen alle, die Ihn anrufen, — „da ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt." In der Mitte der Schwierigkeiten hält sie es mit dem Volke Gottes.

Das Vertrauen des Glaubens ist in dem christlichen Le­ben offenbart als ein Ganzes. Christen sind oft in einem Zustand, wo sie ihre eigene Kraft mit der Versuchung mes­sen, anstatt ausschließlich in der Beziehung zu Gott zu bleiben. Sie gehen voran bis zu einem gewissen Punkte. Der eine spricht von seiner Familie, der andere von der Zu­kunft. In diesen verschiedenen Verhältnissen des Lebens aber sagen unsere Entschuldigungen nur dieses: „Ich habe nicht Glauben genug, um auf Gott zu rechnen." Der Glaube steht gänzlich und ausschließlich nur in Beziehung zu Gott. Die Pflicht leitet immer zu Schwierigkeiten; aber ich habe

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 den Trost zu sagen: Gott ist da; der Sieg Ist gewiß; anders ist in meiner Einbildung etwas da, was stärker ist als Gott. Wo aber der Glaube wirksam ist, da ist auch eine prak­tische Unterwürfigkeit des Willens.

Wenn die Kinder Gottes treu sind, so mag, Gott erlauben, daß sie in Versuchungen und Schwierigkeiten kommen, um das aus ihnen hinwegzutun, was nicht nach dem Geiste ist. Er gestattet dem Bösen, seinen Lauf zu haben und uns zu versuchen, damit wir verstehen lernen, daß das Ziel des Glaubens durchaus nicht hier ist, und daß Gott in den schwierigsten Umständen dazwischen treten kann—wie bei dem Opfer Abrahams und der Auferweckung des Lazarus.

Laßt uns deshalb, Geliebte, nicht auf die Umstände schauen, die um uns her sind; denn auf die Umstände zu schauen ist Unglauben. Traurigkeit erhebt uns nicht aus dem Staube. Satan ist hinter den Umständen und setzt uns zu; aber hinter allem ist Gott und bricht unseren Willen.

BDH 20008 Sprüche 8 1859 Der Gesalbte

Schon vor Grundlegung der Welt waren die Ratschlüsse Gottes alle in Christo Jesu niedergelegt. Durch sie wurde der Sohn in Seinem Schöße ans Licht gebracht, und alle Zwecke Gottes hatten in Ihm ihr Fundament. In Seiner Person waren dieselben zuvor verordnet, und auch die Stel­lung, die Er Selbst einnehmen sollte, war zuvor bestimmt *).

Dies alles lesen wir in den Sprüchen Salomons Kap. 8, 22-31. „Jehova besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken, ehedem. Ich war gesalbt von Ewigkeit, von Anfang, vor dem Ursprung der Erde. Da die Tiefen noch nicht waren, war ich geboren, da die Brunnen noch nicht mit Wasser quollen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln war ich geboren. Er hatte die Erde noch nicht gemacht und was darauf ist, noch die Summe der Stäublein des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich daselbst, als er den Abgrund in die Runde faßte. Da er die Wolken droben festete, da er befestigte die Brunnen der

*) Ais die Zeit erfüllt war, ward das Wort Fleisch ewiger Gott und ewiger Mensch, ohne Vermischung der Naturen und dennoch vereinigt in einer Person; und als der Christus durchlief Er die gesegnete und wundervolle Geschichte Seines Lebens und Todes, Seiner Auferstehung und Herrlichkeit.

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 Tiefe; da er dem Meer sein Ziel setzte, und den Wassern, daß sie nicht überschreiten seinen Befehl; da er den Grund der Erde legte: da war ich der Pflegling bei ihm und hatte meine Wonne täglich, und spielte auf seinem Erdboden, und meine Wonne ist bei den Söhnen der Menschen."

Welch eine liebliche Botschaft bringt uns diese Stelle der Schrift von den ewigen Zeitaltem! Sie spricht von jenen unendlichen Zeitaltern, welche vor Erschaffung der Welt waren, und zwar in einer wunderbaren und ausgezeichneten Weise. Wie genau und speziell ist die Erzählung der Weis­heit in dieser Stelle schon an und für sich! — Es war vor Grundlegung der Welt, als schon alles in Jesu Christo be­schlossen und festgesetzt war. Bis dahin hatte Gott noch kein Werk Seiner Hände zu betrachten. Kein Abend und kein Morgen gaben Ihm aufeinanderfolgende Perioden, um zu erfreuen und zu erquicken. Aber Er hatte Christum, den Grund Seiner Ratschlüsse vor Sich — Seinen ersten Gedan­ken und das Fundament aller Seiner Gedanken. Schöpfung und Erlösung, Vorsehung und Gnade, himmlische und irdi­sche Zwecke, nahe und ferne Dinge, — alle standen in Be­ziehung zu Ihm. „Jehova besaß mich", sagt die Weisheit, „in dem Anfang seines Weges".

Es gibt nun in diesem schönen und geheimnisvollen Ab­schnitt namentlich zwei Punkte, die für jetzt besonders mei­nen Geist fesseln. „Daß Christus bei ihm war als sein Pflegling", und auch: „daß er seine Wonne war", — daß Er immer da war, und immer ein Gegenstand Seiner Freude. Er war Gottes Hilfe oder Zuflucht und Gottes Zweck.

Diese zwei Dinge sind hier deutlich angegeben, und wenn wir dem Laufe der Schrift folgen, so finden wir sie auch überall bestätigt. Es komme was da wolle, Christus ist im­mer bei Gott, und immer bereit, um von Gott verwendet und mit Wonne von Ihm verwendet zu werden. Dies sehen wir bestätigt in Eden bei der Schöpfung, bei den Patriar­chen, unter dem Gesetz, in den Tagen der Könige, durch die Stimme der Propheten, sowie auch nach Seiner Offenba­rung im Fleisch — also vom Anfang bis zum Ende des Bu­ches. Mögen wir dem Menschen begegnen in seiner Un­schuld oder als verkauft unter der Sünde, als Auserwählter in einfachen Familienbanden oder unter dem geordneten System einer Nation oder in der Einheit eines mystischen Leibes, als regiert oder unterwiesen, d. 1. unter Herrschaft oder unter der Offenbarung — Christus ist überall der große Gegenstand der Anordnung Gottes. Es mag sein, daß entweder aus Unglauben oder aus Blindheit des Herzens

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 unsere Blicke oft sehr schwach auf Ihn gerichtet sind, Gott aber sieht Ihn zu aller Zeit und unter allen Umständen und Wechseln klar und deutlich. Und dies ist es, was ich hier in einigen Hauptpunkten etwas näher zu betrachten wünsche.

Wir wissen, daß bei der Schöpfung nichts ohne Ihn ge­macht ist, was gemacht ist. — Sobald die Sünde eintritt, er­scheint auch Er zu gleicher Zeit. Er ist der Gegenstand der ersten Prophezeiung, welche gleich nach dem Anfang und der Überführung der Sünde gemacht wurde. Er ist, wie wir wissen, der zertretene, aber siegreiche Same des Weibes. Der Herr, Gott, stellt Ihn sofort als Den dar, welcher schon in Seinem Ratschluß ausersehen war, oder, wie diese Stelle der Schrift sagt, „als einen, welcher von ihm erzogen" oder bei Ihm war. Die Sünde, welche die große Veranlassung für die Offenbarung Gottes — Seiner Gnade und Seiner Ge­heimnisse— wurde, war hineingetreten und Christus wurde sofort dargestellt. Der Glaube in Adam empfängt Ihn — in welchem Maße des Lichts können wir nicht sagen; aber so­bald Adam auf Befehl des ihm jetzt geoffenbarten Samens des Weibes aus seinem strafbaren Versteck glaubend her­vorkommt, wendet der Herr, Gott, den Christus mit Wonne für ihn an. Die Handlung, ihn mit den Fellen der Tiere zu bekleiden, deutet uns dies an.

 Es war Freiheit und auch Innigkeit in dieser Handlung und sie wurde ohne Vorbehalt und durch die Hand des Herrn Selbst ausgeführt. Der Rock von Fellen wurde von Ihm Selbst gemacht und dann dem entblößten Adam angezogen. Dies alles äußert Seine Wonne in Christo, welchen Er, wie unsere Schriftstelle sagt, „für die Söhne der Menschen", verwendet und Ihn mit Willigkeit des Herzens für sie verwendet. Der Herr, Gott, arbeitete jetzt in einer zerstörten Welt, wie Er kurz vorher sechs Tage lang in einer unbefleckten Schöpfung gearbeitet hatte. Und wenn es Gottes Wonne war, vor Grundlegung der Welt den Ratschluß Seiner Gnade in Christo Jesu niederzulegen, so war es auch jetzt Seine Wonne, diesen Ratschluß zu offen­baren und in Anwendung zu bringen. Diese Wonne fand jetzt in der Ausübung Seiner Ratschlüsse, als das Bedürfnis vorhanden war, ebenso völlig ihre Nahrung, wie sie die­selben gefunden hatte, als sie vor Grundlegung der Welt diese Ratschlüsse faßte und in Christo Jesu niederlegte.

Nach diesem ersten Beispiel, welches die Geschichte Adams uns darstellt, spricht Abels Altar und Lamm die­selbe Wahrheit aus. Dies Opfer war für Gott ein Bild von Christo, und deshalb antwortete Er augenblicklich auf dasselbe. Er erkannte es sofort an, und zwar mit sicht­barer Wonne. „Er blickte auf Abel und sein Opfer." Er rechtet mit Kain wegen der Berechtigung und des Wertes

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 desselben, und würde sicher gern gesehen haben, daß auch er, ein anderer Sünder wie Abel, auf demselben Altar ge­dient hätte. Alles dieses spricht von demselben Zweck und von derselben Freude, daß Sein Gesalbter bei Ihm war, und zwar als der Pflegling bei Ihm und „als seine tägliche Wonne—Seine gleiche und völlige Wonne an einem wie an dem anderen Tag, sowohl in Betreff des Abel als auch in Betreff des Adam.

Mit Noahs Arche war es ebenso. Eine andere Zerstörung war zu dieser Zeit ausgebrochen. Das Ende allen Fleisches war vor Gott gekommen—die Zerstörung alles dessen, was sich auf der Erde regte. Aber Christus war noch „bei ihm". „Mache dir eine Arche von Tannenholz" sprach der Herr zu Noah, und diese Arche war Christus. Und als Noah sich auf Christum stützte—mit anderen Worten, eine Arche zur Rettung seines Hauses bereitet hatte, „schloß der Herr hinter ihm zu" und dann „fuhr der Kasten auf dem Ge­wässer". Seine eigene Hand, welche kurz zuvor für Adam den Rock gemacht, schützte jetzt die „Söhne der Menschen" in dem Heiligtum, welches die Gnade bereitet hatte — und diese Handlung und dieses Einschließen aller Erlösten in diesen sicheren Ort durch die eigene Hand Gottes, spricht uns wieder von der Wonne, mit welcher Er Seinen Gesalb­ten für uns verwendet, und welche Er empfand, als Sünder auf Seinen Christus vertrauten und von Ihm angenommen wurden.

 Und Noahs Altar war nachher gerade das, was seine Arche vorher war. Dieser Altar und das Opfer darauf war Christus. Noah nahm jedes reine Tier und alles reine Ge­flügel und opferte Brandopfer auf dem Altar. Ich kann nicht sagen, inwieweit er den Christus Gottes in diesem allem sah, aber ich bin gewiß, daß er Ihn nach Seiner Weise darin erblickte. Der dem Adam versprochene Same des Weibes, zertreten und dennoch siegreich, war nach meiner Meinung vor seiner Seele, sowie auch Abels Lamm. Aber mag es dem Noah klar oder unklar gewesen sein, so hatte doch der Herr, Gott Selbst, den einen, „welchen er besaß im Anfang seines Weges vor seinen Werken, ehedem", sicher­lich vor Seinen Augen, und um der Vortrefflichkeit Seines Namens und der Köstlichkeit Seines Blutes willen sagte Er in Seinem Herzen: „Ich will den Erdboden nicht mehr ver­fluchen um des Menschen willen", — der Herr, Gott, sagte es „in seinem Herzen." Welche Worte! Welch ein Zeugnis von der tiefen und vollkommenen Befriedigung, welche Gott in dem Christus hat, — das beschlossene, be­siegelte Fundament aller Seiner Ratschlüsse in Betreff der „Söhne der Menschen", — die Fülle aller Seiner Reichtümer und Geheimnisse der ewig rettenden Gnade! —

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 Und der Regenbogen redet zu uns dieselbe Sprache. In dem lieblichen Glanz dieses wundervollen Zeichens scheint Gott mit Seiner ganzen Seele die Schöpfung in Sicherheit zu stellen. Aber dies alles war in Seinem Gesalbten; denn es war das Blut des Altars Noahs, welches die Wirksamkeit hatte, unter dem Auge des Herrn der Erde das Zeichen des Bundes für immer zu sichern. Jenes köstliche Blut hatte die tiefe und liebliche Äußerung Seines Herzens hervorge­rufen, wie wir sehen; und nun wird dies Zeichen stets Sein Auge nach dieser Richtung hinziehen. 

Die gerichtsschwere Wolke mag kommen, aber der Bogen soll sie überstrahlen und regieren und das bestimmte Ziel ihr setzen: — „Hier sollen sich legen deine stolzen Wellen." Das Auge Dessen, der alle Fluten überschaut, wird sich stets auf diesen Bogen richten. Und noch ein anderes Zeugnis ist gegeben, um uns gewiß zu machen, daß die Zeit keine Veränderung leiden soll: — „Solange die Erde steht, soll Saat und Ernte, Som­mer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören", weil Chri­stus stets „bei ihm" bleibt und immer Seine Wonne ist — Seine vorherbestimmte Errettung und Gnadengabe zu Gun­sten der „Söhne der Menschen". — Und wenn wir unseren Weg durch die Schrift oder auf dem Pfade Gottes verfolgen, so finden wir stets dasselbe Geheimnis: wir finden Christum stets „bei ihm" und auch stets als „seine Wonne".

In den Tagen der Berufung Abrahams war die Welt in Finsternis und Greuel des Götzendienstes versunken. Tharah diente fremden Göttern (Josua 24, 2). Es war also ein anderer, großer moralischer Ruin, der sich jetzt überall ausbreitete. Wie Ungehorsam den Garten Eden verun­reinigte und Eigenwille und Gewalt die Welt vor der Sündflut verderbt hatte, so bezeichnete jetzt dieser Götzen­dienst sogar den Fall der Familie Sems; denn Tharah war von dieser Familie. Allein Abraham wurde davon getrennt. Er fand — wie Noah — Gnade in den Augen Gottes. Er war einer der Auserwählten, ein Gefäß der Gnade.

 Große Ver­heißungen wurden ihm gemacht; aber von allen war Chri­stus der Grund und Mittelpunkt. „In dir", sagte der Gott der Herrlichkeit zu ihm, als Er ihn berief, „in dir sollen alle Nationen der Erde gesegnet werden", — und sein Segen, wie wir durch die göttliche Belehrung in Gal. 3 wissen, ist durch Glauben an Jesum Christum. In diesen Worten an Abraham wurde das Evangelium Christi, in dem alle unsere Segnung enthalten ist, gepredigt. Wie einfach ist dies! Christus, und Christus allein, ist noch vor Gottes Augen; Er ist „bei ihm", und zwar zum Nutzen der „Söhne der Men­schen", und wird ohne Verzug und ohne Vorbereitung zum

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 Vorschein gebracht und für alle ihre besonderen Bedürf­nisse dargestellt.

Und wenn der Herr, Gott, den Abraham aufforderte, zu den Sternen hinaufzuschauen, um sie zu zählen, als Christus vor ihm offenbart werden soll, so sehen wir eine Hand­lung, welche aufs deutlichste zeugt, was für eine Wonne Gott findet, wenn Er Seinen Gesalbten für ihn verwendet. Es war eine Innigkeit in der Handlung, eine Art und Weise, welche von der geheimen, inneren Freude spricht, die den Augenblick bezeichnet und begleitet, in welchem Gott Sei­nen Erwählten, nämlich Christum, dem Glauben enthüllt.

Und so erscheint zu allen Zeiten dasselbe Geheimnis. Zu der Zeit des Sündenfalls des Adam, in dem Abfall und dem Verderben der vorsündflutlichen Welt, und jetzt in der Stunde der Berufung Abrahams, inmitten der Ausbreitung der Abgötterei — immer wird Christus, in dem ewigen Rat­schluß zuvorerkannt, dem Auge des Glaubens dargestellt. Ebenso finden wir Ihn auch in den Tagen des Auszuges der Kinder Israel. Es war dies eine Zeit des Gerichts, wie die Zeit des Noah es gewesen war. Und es mußte eine andere Arche bereitet werden, und diese Arche, wie die frühere in den Tagen der Sündflut, war Christus. „Und sollen von sei- . nem Blute nehmen und beide- Türpfosten und die Ober­schwelle damit bestreichen, an den Häusern, darinnen sie essen. Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland, beide unter Menschen und Vieh. Und will Gerichte üben an allen Göttern der Ägypter, ich, der Herr. Und das Blut soll euch zum Zeichen sein an den Häusern, darin ihr seid, daß, wenn ich das Blut sehe, ich vor euch vorübergehe und euch nicht die Plage widerfahre, die euch verderbe, wenn ich Ägypten­land schlage" (2. Mos. 12, 7. 12.13). An der Oberschwelle der Tür der Kinder Israel war das Blut, und das Blut war Christus, der in den Tagen des Gerichts und des Todes das Haus beschützte.

Sein Gesalbter war nach dieser Art wieder „bei ihm", und war bei Ihm, zum Nutzen der „Söhne der Menschen" in den Tagen ihrer Bedürfnisse. Und als ein von Christo erlöstes Volk, welches seine Stellung vor Gott nach dem Werte Christi hat, nimmt Gott dasselbe mit Seinem ganzen Herzen und mit Seiner ganzen Seele auf. In der Wolken­säule Seiner Gegenwart gesellt Er Sich auf dem Wege zu ihnen, sobald sie aus der Knechtschaft befreit sind. Er hält mit Ihnen Rat über sie, und dann handelt Er für sie. Er richtet eine Scheidewand zwischen ihnen und ihren Ver­folgern auf. Er speist sie mit dem Brot des Himmels, und tränkt sie mit dem Wasser des Felsens, und führt sie in

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 Kraft und Triumph, bis Er sie an den Ort der Herrlichkeit Seines heiligen Berges gebracht hat; und dies alles, sowie auch der Lobgesang, den Er an den Ufern des Roten Meeres in ihren Mund gelegt, erzählt uns von der vollen Wonne, mit der Er Seinen Gesalbten für sie verwendet (2. Mos. 12—18).

Dies ist wirklich eine große und herrliche Szene, und alles ist unveränderlich; denn der Christus Gottes, von Ewigkeit „gesalbt", ist noch immer für uns „bei Gott"; Er ist stets vorhanden und ist zubereitet und bestimmt für die „Söhne der Menschen". Er ist zu ihrem Nutzen offenbart, und zwar mit der Wonne Gottes, wie uns diese inhalts­schweren Worte und Sprüche Salomons 8 so deutlich be­zeugen.

Laßt mich hier einen Augenblick inne halten, um es zu sagen, daß Propheten und Aussprüche uns dieses erzählt und Seine eigenen Lippen es bestätigt haben: „Siehe meinen Knecht, den ich aufrecht halte, meinen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat", sagt Jehova von Sei­nem Gesalbten in Jes. 42, 1. — „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe", wurde in den Tagen Seines Fleisches wiederholt über Ihn gehört. „Darum liebt mich mein Vater" sagt Jesus Selbst, „weil ich mein Leben lasse, um es wieder zu nehmen". Solche und ähnliche Worte sowie der ganze Verlauf der göttlichen Geschichte, sprechen uns von der Wonne, welche Gott empfindet über die Offen­barung und Werke Seines Gesalbten, zum Nutzen für „die Söhne der Menschen".

Aber jetzt, indem wir dem Laute der göttlichen Schrift weiter folgen, kommen wir zu 2. Mos. 19, und sehen hier Gott in einer Eigenschaft, in welcher wir Ihn seit der Zeit von 1. Mos. 2 nicht gesehen haben. Er ist jetzt zum zweiten Mal ein Gesetzgeber. Derjenige, welcher in dem feurigen Busche gewesen war, hat jetzt Seinen Thron auf dem feu­rigen Berge aufgeschlagen. Der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott der Gnade erscheint jetzt als der Gott der vernichtenden Gerechtigkeit und des Gerichts. Durch das Selbstvertrauen Israels ist ihr Gott jetzt eher ein Gesetzgeber, als ein Erlöser, — eine Eigen­schaft, sagen wir wieder, in welcher Er seit der Zeit Adams im Garten Eden nicht erschienen ist (siehe Röm. 5, 13. 14).

Dies war in der Tat ein Wechsel. Das Volk hatte es sich selbst zugezogen; wie zerstörend es sich auch erweisen mochte, sie hatten es alle aus ihrer eigenen Hand anzu­nehmen. Aber dessen ungeachtet lesen wir, — „daß einen Bund, der vorher von Gott auf Christum bestätigt ist, das vierhundertunddreißig Jahre danach entstandene Gesetz

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 nicht ungültig mache, um die Verheißung aufzuheben." Und ebenso konnte der ewige Vorsatz, welcher vor Grundlegung der Welt und nicht nur vierhundertdreißig Jahre vorher, beschlossen war, durch dies alles nicht zerstört werden. Gewiß nicht; den Gesalbten, welchen „Gott besaß am An­fang seines Weges, vor seinen Werken, ehedem", konnten keine nachherigen Werke wegstoßen. Dies haben wir schon zu verschiedenen aufeinanderfolgenden Zeiten von Anfang an gesehen, und wir sehen es aufs neue zu der Zeit des Selbstvertrauens der Menschen, welches den Gott der Gnade zum Berge des Gerichts leitete. Gleich ist Christus wieder „bei ihm", als „der Pflegling bei ihm", bereit, um von Ihm verwendet zu werden für die „Söhne der Menschen". — Alle diese wechselnden und vorübergehenden Szenen, welche Sünde und Gericht, Gesetz und menschliche Anmaßung hervorbringen, — sie besiegeln und bestätigen nur für immer den unveränderlichen Zweck und die Gnade Gottes in der Person, in dem Werk und in dem Wert Seines Ge­salbten.

Dieser neue Zustand, in welchen Israel sich jetzt selbst gebracht hatte, mußte aber ebenso sicher die Zerstörung hervorbringen, wie es auch die Sünde in dem Garten Eden getan hatte. Der gefallene Mensch konnte nicht mehr dem Gesetz entgegentreten, als der unschuldige Mensch der Ver­suchung widerstanden hatte. Aber der Gesalbte Gottes ist noch „bei ihm". Wir sehen dies in 2. Mos. 25, wie wir es in 1. Mos. 3 gesehen haben. „Das Bild der zukünftigen Güter", das jetzt dem Moses gezeigt wurde, sagt uns dies ebenso sehr, wie es die Verheißung, dem Adam gemacht, damals gesagt hatte. Moses ist zu einer höheren Region berufen, über und jenseits derjenigen der Dunkelheit, des Donners und des Sturmes; und hier in einem Vorbild wird ihm Chri­stus gezeigt, im Heiligtum des Friedens. Das Volk hatte jetzt noch nicht das Gesetz gebrochen, und wenn es ge­schehen war, so waren sie wenigstens noch nicht davon überführt. Das nationale und bedingende Bündnis ist in Kap, 24 besiegelt und diese Darstellung des Gesalbten ist dem Moses in Kap. 22, 30 gemacht, d. h. unmittelbar danach. Kein Verzug findet statt, denn Christus war „bei ihm". Kein Rat und keine Vorbereitung ist erforderlich, denn der Ratschluß war gefaßt, „im Anfang, vor seinen Werken, ehedem". Gerade so wie Er „gesalbt von Ewigkeit" in den Tagen, als die Sünde eintrat, Gottes Hilfe und Zu­flucht gewesen war, so war Er auch jetzt zum unmittelbaren Nutzen vorhanden, so daß Er den feurigen Berg, den Ort des Gerichts verließ und eine höhere Region — den Ort der Gnade und Seines Gesalbten — einnahm.

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 Und „Wonne" verrichtete auch diese Handlung, wie sie es, wie wir gesehen, schon in den frühesten Zeiten getan hatte. Denn als die Gemeine Israel im Gehorsam des Glau­bens die Stiftshütte bereitet hat und alles vollendet ist, da tritt die Herrlichkeit ein und nimmt dort ihren Platz, und nimmt ihn mit der augenscheinlichsten und größten Wonne. Sie will alles zu ihrem größten Eigentum haben, sodaß sogar Moses nicht folgen konnte (2. Mos. 40). Dies alles bezeugt wieder die Wonne Gottes, sich da aufzuhalten, wo Christus gesehen wird. Er hatte aber nicht auf diese Art Seinen Platz auf dem Berge Sinai genommen- Dorthin war Er mit sichtbarer Zurückhaltung gegangen, wie wir in Kapitel 19 sehen. Aber hier, da Er das Allerheiligste erfüllt, ist es nicht mit Zurückhaltung, sondern mit Bereitwilligkeit und Innigkeit und offener Wonne nimmt Er das Ganze ein, den Vorhof, das Heilige und alles. Und dies alles war nur ein Ausdruck der Wonne, welche uns unser Schriftabschnitt vorstellt. Er war bekannt im Ratschluß, ehe die Welt war. Denn diese Wonne ist eine „tägliche" Wonne — ebenso frisch nach den Zeitaltem; wie am Anfang — in der Aus­führung Seiner Ratschlüsse, wie am Anfang, da Er sie in Christo faßte.

Gewiß sind noch viele andere Zeugnisse vorhanden, die uns beweisen, daß Christus der Gesalbte in der Zeit der Bedürfnisse der „Söhne der Menschen" stets die Hilfe und die Zuflucht Gottes ist, und daß. Er immer noch für sie ver­wendet wird; aber ich will hier nur noch eine Tatsache her­vorheben. Die Israeliten waren ins Land gebracht; und dort wurden sie aufs neue versucht, wie es auch unter dem Ge­setz in der Wüste geschah. Sie brachen jetzt den ersten Befehl ihrer Verordnung, wie sie schon das erste Gebot ihres Gesetzes gebrochen hatten. Sie verbanden sich mit den Völkern des Landes, den Nationen von Kanaan, deren Vernichtung ihnen anbefohlen war, und der Engel des Bundes trauerte zu Bachim über das verletzte Bündnis (Richter l). Alles ist deshalb wieder zerstört. Adam im Gar­ten Eden, der Mensch unter dem Gesetz, die Israeliten mit ihrem Bündnisse in dem Lande — kurz alles zeugt von die­sem Untergang. Und wie Israel mit der in ihr Erbteil ein­geführten Nation angefangen hat, so fährt es fort. Diese Untreue, welche im Buch Richter, Kap. 1. mit den Stämmen anfängt, wird ebenfalls bei ihrem König Saul, dem Sohn Kis, in 1. Sam. 15 gefunden.

„Wie das Volk, so der Fürst", — wie wir im Buche der Richter und dem Buch Sam. im 1. Kap, sehen. Aber Gott ist derselbe in Gnade, obgleich der Mensch derselbe im Un­glauben und im Abfall sein mag. Denn nach diesem allen

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 lesen wir bald nachher: „Wie lange trauerst du über Saul?" So spricht der Herr zu Samuel, als er über den Fall des Königs weinte, so wie der Engel über den Fall des Volkes zu Bachim getrauert hatte: — „Wie lange trauerst du über Saul, da ich ihn doch verworfen, daß er nicht mehr König sei über Israel. Fülle dein Horn mit Öl und gehe hin, ich sende dich zu Isai, dem Bethlehemiten; denn ich habe mir unter seinen Söhnen einen König ersehen" (1. Sam. 16, l). Dieser Sohn Isai war den Menschen unbekannt; aber im Geheimen hatte Gott ihn für Sich Selbst ausersehen. David, der Geliebte, war Gott in Seinen Ratschlüssen jetzt be­kannt, und David, der Geliebte, war das Zeugnis oder Sinn­bild des Gesalbten. Bethlehem trug das Zeugnis jetzt, wie zur bestimmten Zeit Christus Selbst es trug. In dem Ohr des Glaubens erklang jetzt nach ihrer Art die „Botschaft großer Freude" in den Feldern jener Stadt Juda. „Aus dir wird mir hervorgehen, der Herrscher sein soll in Israel", war sozusagen jetzt zu ihr gesagt. David war ein Pfeil im Köcher des Herrn und er war der Pfeil des Herrn zur Befreiung Israels in dieser schrecklichen Zeit der Verderbt­heit Israels. Er war der Bethlehemite, der Gesalbte, der Ge­liebte, das Pfand Dessen, der seitdem zur Erlösung und Seligmachung erschienen ist — das Vorbild Dessen, welcher im Ratschluß der Gesalbte war — „im Anfange seines Weges, vor seinen Werken, ehedem".

In diesen verschiedenen und doch beständigen Formen wurde dieses Geheimnis wiederholt offenbart, daß nämlich Christus „für die Söhne der Menschen" in der Zeit ihrer Not vorherbestimmt war. Beim Eintritt der Sünde, — in der Zeit des Verderbnisses der Welt vor der Sündflut — in der Berufung Abrahams bei der Ausbreitung des Götzen­dienstes — in der Stunde des Gerichts über Ägyptenland — in dem Untergang Israels unter dem Gesetz — und wieder in der Zeit ihrer Zerstörung unter ihrem eigenen nationalen Bündnis, — stets ist Christus da, „gesalbt" und für die „Söhne der Menschen dargestellt" — den Einigen, welchen Gott bei Sich hat zur unmittelbaren Verwendung, und zwar zu jeder Zeit und mit „Wonne" für die „Söhne der Men­schen".

Und gehen wir mit dieser Geschichte der Gnade Gottes in Seinem Gesalbten bis zum Ende des Buches, so finden wir überall die lieblichsten Zeugnisse, die uns aber am le­bendigsten entgegentreten, wenn wir zum Neuen Testament kommen; allein ich will hier schließen. Die Verheißung, die erste Verheißung, die des Samens des Weibes, fängt an,

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 diese liebliche Geschichte zu erzählen, und nach vielen an­deren Zeugnissen darüber, als wir bis jetzt angeführt haben, wiederholt sie sich nach so langer Zeit in David, dem Hirtenknaben von Bethlehem, vom Stamme Isai.

„Jesus Christus, ist gestern und heute, und in die Zeit­alter derselbe!"

BDH 42004 Lukas 4 1859 Die Versuchung Christi oder Die Kraft im Kampfe

(Lukas 4, 1—13)

Es ist unendlich köstlich, daß der Herr Jesus in dieselbe Stellung herniedergekommen ist, in welcher auch wir sind, obgleich ohne Sünde. Nicht nur hat Er eine besondere Stel­lung, wodurch Er uns in die himmlische Herrlichkeit und Segnung gebracht hat, für uns erhalten, sondern zugleich nahm Er auch einen Platz unter uns ein. Dies Letztere war nicht der Fall am Kreuze. Dort nahm Er einen Platz an unserer Statt ein, — ohne Sünde wurde Er zur Sünde gemacht; aber außer diesem kam Er auch unter uns. Jesus war völlig von der Sünde getrennt — nicht nur in Seinem praktischen Wandel, sondern auch in Betreff Sei­ner Natur. Wir sind in Sünden geboren; Er war „ohne Sünde". Also kam Er unter uns und erhielt Seinen Platz in der Mitte der Sünde und der Versuchung. Adam blieb nicht in seinem ersten Zustand; Christus aber blieb völlig in Sei­ner Stellung. Der Apostel sagt, daß „er allenthalben sei versucht worden, doch ohne Sünde".

In gewissem Sinne kann ich von der Lust der Sünde in meinen Gliedern, als von Versuchungen sprechen, und in der Tat sagt der Apostel Jakobus: „Jeglicher aber wird ver­sucht, wenn er von seiner eigenen Lust fortgezogen und ge­lockt wird usw." (Jak. 1. 14); aber wenn Paulus von Christus (welcher Sünde nicht kannte) spricht, daß Er versucht wor­den sei, so spricht er stets von den Versuchungen Satans. Diese sind immer den Umständen, in denen wir uns be­finden, angepaßt. Satan wirkt in u n s durch das Fleisch, und wir treten seinen Versuchungen entweder im Fleisch oder in der Macht des Geistes entgegen. Wenn Satan er­kannt wird und der neue Mensch seine Lockungen mit Ent-

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 schiedenheit verwirft, so ist dies eine Versuchung und nicht eine Sünde. —

In dem vorliegenden Kapitel sehen wir, daß dem Herrn Jesu alles dargestellt wurde — alles war sozusagen be­rechnet, und zwar in einer geeigneten Zeit, um Ihn zu Fall zu bringen. Doch hatte dies nur den Erfolg, daß Seine Voll­kommenheit ans Licht gestellt wurde. Er begegnete durch das Zeugnis des Wortes der List des Feindes. Er sagt: „Das Tun der Menschen anlangend, habe ich mich durch das Wort deiner Lippen bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen" (PS. 17, 4), — nicht durch göttliche Macht, sondern dadurch, daß Er Sich auf Gott stützte.

Der Herr Jesus hatte freiwillig diesen Platz der Niedrig­keit, als ein gehorsamer Mensch, eingenommen, und Er sagt in dem schönen Ausdruck des 16. Psalms: „Du, meine Seele, hast zu Jehova gesagt: Du bist der Herr!" (V. 2). Er redet Gott als Herrn an, wie ein Mensch. Dies sehen wir hier augenscheinlich, obgleich Er Selbst der Herr von allem war. Er setzte Jehova in die Stellung der Herrschaft über Sich. Der Psalm beginnt: „Be­wahre mich, o Gott, denn ich traue auf dich!" d. h. ich bin vollkommen abhängig. Wir finden auch in dem 2. Kapitel der Epistel an die Hebräer und an vielen anderen Stellen, daß Christus in eine solche Stellung kam, wo Er Sein ganzes Vertrauen auf Gott setzte. Er, der in allem den Vorrang hat, lobsingt Gott in der Mitte der Sünde, des Elends und der Verwüstung Seines Volkes; und wir sehen, daß Er wirklich ein Mensch war, welcher sagte: „Ich will mein Ver­trauen auf ihn setzen". — Wir wissen, daß der Apostel dies auf den Herrn bezieht; denn am Ende des Psalms heißt es:

„...denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen; du wirst nicht zugeben, daß dein Frommer die Verwesung sehe" (vergl. Apg. 2, 13). „Meine Güte reicht nicht hinauf zu dir" (PS. 16, 2), d. h. ich gebe nicht vor, daß der Platz, welchen ich hienieden einnehme, bis zu Deiner göttlichen Herrlichkeit reiche. Ebenso sprach Er zu dem Jüngling:

„Warum heißest du mich gut; niemand ist gut, es sei denn Gott." Er kam hernieder und machte Sich Selbst zu nichts, Er nahm völlig die Stelle eines Knechtes ein. „Du meine Seele, hast zu Jehova gesagt, du bist der Herr!" Ich verlasse den Platz der göttlichen Herrlichkeit und nehme den Platz eines Knechtes. Ich mache mich eins mit „den Heiligen, die auf der Erde sind". — Und als Mensch geht Er zu der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war, zurück. Er sagt zu Maria Magdalena: „Gehe zu meinen Brüdern hin und sprich zu ihnen: „Ich fahre auf zu

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 meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott" (Joh. 20). Dies ist mein Platz in der Herrlich­keit. Ich höre nicht auf, ein Mensch zu sein, obgleich ich zu der Herrlichkeit gehe. Ich nehme dort meinen Platz, mit ihnen, wie ich hier meinen Platz mit ihnen genommen habe.

Wir lesen in Luk. 3, 21: „Es geschah aber, da das ganze Volk getauft wurde und auch Jesus getauft war." Hier war es, wo Er ganz den Platz des Volkes einnahm. Er tat es als Mensch, und Er war ein Mensch ohne Sünde. Er hatte sich ganz und gar mit der Stellung Seines Volkes eins gemacht. Das jüdische Volk, um hier nicht weiter zu gehen, war jetzt in einer Lage, um gerichtet zu werden. Der Herr hatte Seine Wurfschaufel in Seiner Hand; aber ehe Er den Platz als Richter einnahm, nahm Er den Platz in Einver­leibung mit dem Volke ein, um gerichtet zu werden. Gerade als Jesus den Tod schmeckte, nahm Er durch Gnade ganz und gar den Platz Seines Volkes ein. Er tat es freiwillig, denn kein Mensch konnte Sein Leben von Ihm nehmen:

„Ich habe Macht es zu lassen, und habe Macht es wieder zu nehmen; dieses Gebot habe ich von meinem Vater emp­fangen" (Ev. Joh. 10). In dieser Stellung betete Er — der Ausdruck der vollkommenen Abhängigkeit — und als Folge davon öffnete sich der Himmel. Der Himmel konnte sich bis dahin nicht öffnen; als aber Jesus diesen Platz einnahm, da öffnete er sich. Es ist ein wenig anders mit Stephanus (Apg. 7, 55. 57). Dort ist ein Mensch auf der Erde fähig, in den Himmel zu schauen. Über Jesu aber, dem sündlosen und vollkommenen Menschen, dem alleinigen Heiligen Got­tes, welcher Seinen Platz unter sündigen Menschen genom­men, öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist stieg hernieder, und Er wurde versiegelt, wie gesagt ist: „Ihn hat Gott, der Vater, versiegelt." Anerkannt als Sohn Gottes, nahm Er als Sohn des Menschen Seinen Platz unter dem Volke und begann Seinen Dienst. Also wandelte Er völlig den Pfad, welchen wir zu wandeln haben, und erfüllte voll­kommen den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte. In dem Pfade, welchen wir zu durchwandeln haben, in dem Pfade der Abhängigkeit und des Gehorsams, des Kampfes und der Versuchung, in der Gegenwart Satans, hat Er als Mensch Gott auf der Erde verherrlicht. Und dies ist, was wir zu tun haben und was wir nur in Seiner Kraft zu tun vermögen.

Das Erste nun, was der Herr tut, ist, daß Er den Platz der Versuchung einnimmt. Als Er diese Stellung des Dien­stes, als Sohn des Menschen, angetreten hatte, mußte Er, anerkannt als Sohn Gottes (Adam war in gewissem Sinne der Sohn Gottes [Kap. 3, 38]) vom Satan versucht werden

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 und denselben überwinden, und zwar in der Welt und in denselben Umständen, worin Adam gefallen war.

„Jesus aber, voll des Heiligen Geistes, kehrte vom Jor­dan zurück, und ward vom Geiste in die Wüste geführt" (V. l). (Er war als Mensch von dem Heiligen Geiste erfüllt; denn man kann nicht sagen, daß Gott vom Heiligen Geiste erfüllt ist, weil der Heilige Geist Gott ist.) Er hatte hier eine viel schwerere Stellung, als Adam. Christus war in der Wüste, in einem dürren Land, worin kein Wasser war; nichts war da. Ihn zu erfrischen; nichts war dem Paradiese gleich, wo Adam mit aller Art Trost und Segnung umgeben war. Er mußte ganz und gar in die Umstände und in die Lage des Menschen, wohin diesen die Sünde gebracht hatte, eintreten, — in all das Elend und das Verderben, in wel­chem sich der Mensch befindet, und in gewissem Sinne ge­trennt von Gott. Er konnte nicht den Platz des Adam in der Mitte dessen einnehmen, wodurch Seine Seele erhalten wurde, es war eher der Platz des Kain, der Platz der Ent­fernung von Gott in dem Nichtvorhandensein der schützen­den Macht von außen. Die Macht der Bewahrung war i n Ihm, aber nicht in der Welt.

Wir lesen hier, was wir in Matthäus nicht finden, daß Christus „vierzig Tage vom Teufel versucht ward" (V. 2). Diese ganzen vierzig Tage suchte Satan die Macht der Fin­sternis an Seiner Seele auszuüben.— Gott bewahrt uns mit tausendfachen Gnaden; aber als Christus kam, um den Starken zu binden, mußte. Er Seinen Platz in den wirk­lichen Umständen des Zustandes, worin der Mensch ist, ein­nehmen. Er mußte in die ganze Macht des Verfalls ein­treten, wenn Er gegen die ganze Kraft der Versuchung standhalten und den Satan in der Mitte des Verfalls über­winden wollte. Dies hat Er getan. Er hat ganz und gar in Seiner Seele den Zustand, in welchem der Mensch wegen der Sünde von Gott abgesondert war, empfunden. Es lag das ganze Gewicht der völligen und wirklichen Trennung von Gott in diesen vierzig Tagen der Wüste auf Seiner Seele, gerade so, wie später das ganze Gewicht des Zornes Gottes am Kreuze auf Ihm lag. Als Er wirklich in diese Lage gebracht war, und zwar so weit, als eine Seele, welche das Band mit Gott nie gebrochen hatte, gebracht werden konnte, begann Satan dem Herrn entgegen zu handeln, um Ihn von dem Pfade des Gehorsams, welchen Er betreten hatte, abzuziehen. Als Jesus den Druck des traurigen Zu­standes, in welchem der Mensch war, fühlte, fing Satan an, in Ihm das Verlangen zu wecken, durch Seine eigene Kraft und in Seinem eigenen Willen aus dieser Stellung heraus­zugehen.

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 „Und er aß in jenen Tagen nichts, und als sie vollendet waren, hungerte ihn danach. Und der Teufel sprach zu Ihm: „Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich zu diesem Stein, daß er Brot werde" (V. 2. 3). Christus, welcher fähig war, diesen Platz einzunehmen, zeigte jetzt, daß Sein wirklicher Platz die Gemeinschaft mit Gott war. Jesus redete mit dem Feinde, und dieses ist allein Seine Sache; unsere Sache aber ist es, mit Gott zu reden. Der Teufel sagt: „Wenn du Gottes Sohn bist, so suche deine Macht und handle für dich selbst; mache die Steine zu Brot und gehe aus der Stellung der Abhängigkeit." Dies war es, was der erste Adam getan hatte, und Satan wünschte, auch den zweiten Adam aus dieser Stellung der absoluten Abhängigkeit herauszubringen. Er sollte nicht sagen: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen", sondern sollte für sich selbst handeln. Des Herrn Antwort ist nun ein Exempel für uns. „Und Jesus ant­wortete ihm, sagend: Es steht geschrieben!—(durch das Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen) — nicht durch Brot allein soll der Mensch leben, sondern durch jegliches Wort Gottes!" — Ich bin abhängig von dem Wort Gottes — ich warte auf das Wort, um zu essen. Wenn wir diese Stelle im 5. Buch Mose lesen, so finden wir, daß es ein Prüfstein des Gehorsams war. 

„Und gedenkest all des Weges, welchen dich der Herr, dein Gott, geleitet hat, diese vierzig Jahre in der Wüste, auf daß er dich de­mütige und dich versuchte, daß kund würde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht. Er demütigte dich und ließ dich hungern, und speiste dich mit Manna, welches du nie gekannt hattest, und deine Väter auch nicht gekannt hatten; auf daß er dir kund täte, daß der Mensch nicht lebet vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Munde des Herrn geht" (5. Mos. 8,2. 3). Hier war Christus gerade durch die Versuchung dessen, was in der Welt war, dahin gebracht, um zu erproben, was in Sei­nem Herzen war und um zu sehen, ob Er den Platz der Un­abhängigkeit wählen würde. Er sagt aber: „Ich bin in der Stellung der Abhängigkeit; was mein Vater schickt, will ich nehmen, was er sagt, will ich tun. Mag ich der Sohn Gottes sein oder sonst etwas, ich will stets den Platz der Abhängig­keit innehalten." Sein eigener Wille" handelte nie; denn die Kreatur ist gerade dadurch, daß sie ihren eigenen Willen haben wollte, zu Fall gebracht.

Die Versuchungen Satans sind zweifacher Art. Er wendet sowohl allerlei Lockungen und Schmeicheleien an, als es auch die Umstände selbst gebraucht, um uns von dem Pfad des Gehorsams abzuziehen. Seine Schmeicheleien, die er

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 hauptsächlich in der Wüste anwendete, hatten, wie wir am Schluß sehen, ihr Ziel beim Herrn verfehlt, und deshalb begegnet er Ihm später, als solcher, der des Todes Gewalt hatte, um Seinen Gehorsam in dem Opfer Seiner Selbst zu verhindern. Christus aber sagte: „Ich will in den Tod gehen

— der Fürst der Welt kommt und hat nichts an mir, son­dern daß die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe und daß ich also tue, wie mir der Vater geboten hat" (Joh. 14,30. 31).

Ebenso ist es mit uns; Satan sucht uns durch allerlei Reizungen von dem Pfad abzulocken und sucht uns auch in dem Pfad selbst zu erschrecken. Wir werden vielen Versuchungen und Schwierigkeiten begegnen, wenn wir auf diesem Pfade sind. Es ist ein, böser Tag für uns, wo wir nötig haben, die ganze Waffenrüstung Gottes anzulegen! „Und der Teufel führte ihn auf einen hohen Berg und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche der Welt. Und der Teufel sprach zu ihm: Ich werde dir alle diese Gewalt und ihre Herrlichkeit geben, denn nur ist sie übergeben, und wem immer ich will, gebe ich sie. Wenn du nun vor mir anbeten wirst, so wird es alles dein sein" (V. 5-7). Chri­stus wollte die Herrlichkeit nur als eine Gabe Gottes ver­wirklicht haben; aber Satan sagt: Nimm sie von mir; gehe nicht durch die Drangsale und Versuchungen, um sie als Sohn Gottes zu erlangen. „Wenn du vor mir anbeten wirst, so wird es alles dein sein "

Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Gehe hinter mich, Satan! Es steht geschrieben: du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen!" (5. Mos. 6, 13).

— Es ist außerordentlich wichtig für uns, daß Jesus nicht nur durch göttliche Autorität den Fürsten der Welt zurück­trieb und Er in dieser Stellung von ihm nicht angetastet werden konnte, sondern daß Er im Gegenteil in Seiner Stellung als Mensch den Versuchungen Satans entgegentrat. Als Gott konnte Er nicht versucht werden, und Er würde dann auch kein Exempel für uns gewesen sein. Es war aber gerade in Seiner Stellung als Mensch, daß Er den Satan hinwegtrieb. Ebenso kann auch uns der Satan nicht antasten, wenn wir auf die rechte Weise den Platz, der Abhängigkeit innezuhalten wissen. Er kann uns schaden, wenn wir ihm in unserem eigenen Willen begegnen; begegnen wir ihm aber in der Stellung der Abhängigkeit und des Gehorsams, so kann er uns nicht .antasten. Würde Satan mir beistehen, daß ich den Platz des Gehorsams einnähme, so würde er nicht Satan sein, und wäre das Fleisch nicht Eigenwille, so würde es nicht Fleisch sein. Johannes sagt: „Wir wissen, daß jeder, der aus Gott geboren ist", — die neue Natur — „nicht sündigt, sondern wer aus Gott geboren, bewahrt sich

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 und der Böse wird ihn nicht antasten." Wenn ich in dieser Stellung des Gehorsams bleibe, so kann Satan mir nichts anhaben. Wenn das Wort mich leitet, so muß. er fliehen Er handelt sehr listig, er kommt und sagt, indem er mir die gegenwärtigen Annehmlichkeiten vorstellt: Dies paßt sich für dich als Mensch, bediene dich dessen; aber er sagt nicht: Ich bin Satan, und mit mir kommt das Verderben,— Wenn ich den Platz des einfachen Gehorsams behaupte, so hat er gar keine Macht über mich, nicht die geringste; er kann nicht eindringen, er muß draußen bleiben; das ist der Weg, wie wir dem Satan zu begegnen haben. Der Herr be­gegnete ihm, wie wir gesehen haben, stets dadurch, daß Er den Platz des Gehorsams einnahm und bewahrte; und dies ist es allein, was wir zu tun haben.

Wiederum lesen wir: „... und er führte ihn nach Jeru­salem ..." (V. 9). Jerusalem war die Stadt des großen Kö­nigs. Nicht war es die Wüste, wo Satan sich die natürlichen Bedürfnisse zu Nutzen machte, indem er einem Hungern­den sagte: Gebrauche deine Macht und laß die Steine zu Brot werden; noch zeigte er Dem, welcher nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte, in einem Augenblick alle Reiche der Welt und bot Ihm alle Gewalt und Herrlichkeit an, sondern es war die Stellung der Rechte und der Ver­heißung. „Und er führte ihn nach Jerusalem und stellte ihn auf die Zinne des Tempels, und sprach zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist, so wirf dich von hier hinunter! Denn es steht geschrieben: „Er wird seinen Engeln befehlen über dir, daß sie dich bewahren; und sie werden dich auf den Händen tragen, daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest" (PS. 91, 11. 12) (V. 9. 10. 11). Konnte Satan eine wahre Verheißung Gottes anführen? Gewiß, und er macht es ebenso mit uns. Er führt die Schrift an, wenn er dadurch seinen Zweck zu erreichen meint und wenn er augenschein­lich sieht, daß die Verwerfung des Wortes nichts nützen würde. Wir können in der Stellung unserer Rechte sein, in den Verheißungen, welche uns gehören, versucht werden, und dann werden die Versuchungen Satans einen viel fei­neren Charakter annehmen — einen Charakter, welcher die Treue Gottes in Frage stellt. Satan gebraucht die Verhei­ßungen, aber nicht im Wege des Gehorsams. Er führte den Herrn nach Jerusalem, auf die Zinne des Tempels und dann sagte er: „Wenn du der Sohn Gottes bist, wirf dich von hier hinunter! denn es steht geschrieben." Dies war nicht die Hilfe Gottes im Wege des Gehorsams. Er sagte: Handle im Glauben auf diese Verheißung hin; verwirkliche dei­nen Platz als Haupt über alles; versuche es, ob Gott Seine Engel senden wird, dich zu bewahren; aber Jesus, der

 

 Sich Selbst, obgleich Er Sohn war, zu einem Diener gemacht hatte, antwortete und sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen" 5. Mos. 6, 16), d. i. du sollst Gott und Sein Wort nicht zu einem Probierstein machen. Jesus sagt: Diese Verheißung ist wahr; aber ich gehe auf dem Pfade des einfachen Gehorsams einher, und habe keinen Befehl, also zu handeln.

Wir meinen oft, wenn wir Gott versuchen, eine große Tat des Glaubens zu verrichten; allein Gott versuchen heißt, an Gott zweifeln. Wir finden dies gerade im 5. Mose 6, 16, welche Stelle der Herr hier anführt. Wie versuchte das Volk den Herrn, Seinen Gott, in Massa? Sie murrten wider Moses, als kein Trinkwasser für sie vorhanden war, sagend:

„Ist Jehova unter uns oder nicht?" Sie hielten es nicht für ausgemacht, daß der Herr wirklich da war und daß Er jede Sache zu tun vermochte.

Die Antwort Christi zeigte den Grundsatz des Gehorsams im Gegensatz zu dem Grundsatz der Anmaßung der wah­ren Vorrechte — eine .sehr wichtige Wahrheit. Satan ge­brauchte die Verheißungen, welche Christo gehörten, und führte Ihn nach Jerusalem, damit Er dort in Hochmut die Verheißung an sich risse; aber der Herr nahm den Platz des Gehorsams und sagte: Nein, ich bin in der Stellung eines Knechtes und habe keinen Befehl, also zu handeln. In einfacher Demut bewahrte Er den Platz eines abhängigen und gehorsamen Menschen; Er sagt: Wenn ich mich hinab­werfe, so werden Jehovas Engel mich bewahren und mich auf den Händen tragen; aber ich tue es nicht, um zu ver­suchen, ob ich Gottes Sohn bin, — und Satan war über­wunden. Dies war der Platz des Herrn hienieden, und es ist auch der unsrige.

Gott bringt viele Söhne zur Herrlichkeit, und Er hat den Anführer ihrer Errettung durch Leiden zur Vollkommenheit gebracht: „Obgleich er Sohn war, so hat er an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Gerade dadurch, daß er in unsere Stelle als Mensch kam, sowie auch durch die Kraft seines Todes und seiner Auferstehung, hat er uns in dieselbe Be­ziehung zu Gott gebracht, in welcher er stand — als Söhne." Aber während wir durch diese Welt gehen, haben wir die Stellung eines Knechtes, die Stellung des Gehorsams. Es mag dies sehr demütigend erscheinen, allein wenn mein Wille in irgend einer Sache wirksam ist, so bringe ich mich selbst unter die Gewalt Satans. Gott kann mich wohl wieder herstellen und zurückbringen; aber mein Handeln verzichtet auf die Sorge Gottes, wenn ich auch meine Stellung als Sohn nicht verliere. Unsere Stellung ist die des demütigen Gehorsams und unsere Antwort ist das einfache Wort Gottes. Wenn wir demütig sind, wird Gott uns auf die geeignetste Weise aushelfen.

Das Wort, welches Jesus gebrauchte, war gerade das rechte; denn es war die Antwort des demütigen Gehor­sams. „Und als der Teufel jede Versuchung vollendet, wich er für eine Zeit von ihm" V. 13).

Wir mögen viele listige Angriffe Satans gegen uns fin­den, aber wir finden noch viel köstlichere Ermunterungen, um uns gegen dieselben zu schützen. Wir haben nicht nötig, vor denselben zu erschrecken, wenn wir nur stets unsere eigene Schwachheit fühlen und die Kraft Gottes erkennen. Er fühlte sie so sehr, daß Er Seine Jünger, die im Garten Gethsemane bei ihm waren, aufforderte: „Bleibet hier und wachet mit mir" (Matth. 26, 38). Er schaute aber unverrückt zu Seinem Vater und rang nicht gegen die Versuchungen; In dem Bewußtsein der Stellung, welche Er eingenommen hatte, schaute Er einfach auf Seinen Vater. Es handelte sich nicht um Judas, nicht um Pilatus und nicht an» die Hohenpriester — es war der Kelch, welchen Sein Vater Ihm gegeben hatte. Er sagte: „Vater, wenn es möglich 'ist, so laß den Kelch an mir vorüber gehen." Auch sagte Er:

„Den Kelch, welchen mein, Vater mir gegeben hat, sollte ich ihn nicht trinken?" „Angesichts dieses Kelches war er in ringendem Kampfe." „Es ward aber sein Schweiß, wie Tropfen Blutes, welche auf die Erde herabfielen." Allein es war der Kelch von Seinem Vater, und ihn trinken, war des Vaters Wille. Dies war der Platz, des einfachen. Gehorsams. „Und Jesus kehrte in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück" (V. 14). Er wurde von Seiner Taufe durch den Geist in die Wüste geführt, und Er kam nach Seiner Versuchung in der Kraft des Geistes aus der Wüste zurück. Nachdem — der Stärkere — den Starken gebunden, hatte, ging Er jetzt hin, um Seine Güter zu rauben. Es gibt keine Versu­chung, durch welche wir mit Gott hindurchgehen, worin wir nicht Kraft empfangen. — Unser eigentliches Teil als Heilige ist Freude; aber in unseren Herzen ist noch man­ches, was hart, noch manches, was nicht im einfachen Ge­horsam dem Herrn unterworfen ist, deshalb haben wir die Versuchung nötig; und wenn wir in derselben die Stellung des Gehorsams innehalten und einfach hindurchgehen, so wird das, was zu irgend einer Versuchung Anlaß gegeben hat, gebrochen. Und wenn wir in den mannigfachen Ver­suchungen den Kampfplatz behaupten wollen, so ist es nötig, daß wir die ganze Waffenrüstung Gottes anlegen. Geht ein Mensch mit einem unbedeckten Haupt in den Kampf, so ist er leicht geschlagen, und je weiter er vor­wärts dringt, desto leichter wird er überwunden. Und oft

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nachen sogar die Heiligen, welche im Zeugnis am weitesten sind, die traurigsten Fehler, wenn sie nicht einfach in der Stellung des Gehorsams beharren. Ich sage nicht, daß der Platz, wo sie sich befinden, der unrechte ist; aber sie sind in einem verkehrten Zustande darin. Der Sieg, welchen wir an dem bösen Tag gewonnen haben, gibt uns die Kraft für den wirklichen Dienst — wir kehren in der Kraft des Geistes zurück. Wenn es aber in der Zeit der Prüfung nicht dieser einfache, demütige Weg des Gehorsams ist, so kehren wir nicht in dieser Kraft des Geistes zurück, sondern Satan gewinnt einen Vorteil, über uns, obgleich uns der Herr wieder herstellen kann.

Ich habe Christum auf zweifache Weise; ich habe Ihn für meine Fehler und habe Ihn auch für meine Kraft im Wan­del — ich bin in Gemeinschaft mit Ihm. Gesegnet ist es, Christum für meine Fehler zu haben, aber es ist augen­scheinlich noch viel gesegneter, Ihn in den gegenwärtigen Versuchungen als Kraft zu haben und mit Ihm in Gemein­schaft zu sein. Er begegnet all unserer Notdurft auf das freundlichste.

Wenn wir unter dem Gesetz fehlen, so ist Verdammnis die Folge, wenn wir aber unter der Gnade fehlen, so setzen wir die Gnade in Bewegung. „Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten; und wir haben Ihn auch als unseren Gefährten im Kampf, in Ge­meinschaft der Freude. 0, wie gesegnet ist es, daß Christus in unsere Stelle in die Mitte all unserer Schwierigkeiten und Versuchungen hernieder gekommen ist und uns das Exempel eines demütigen und gehorsamen Dienstes hinter­lassen hat. Es war derselbe Pfad, den wir als Heilige zu betreten haben, der Pfad des Kampfes und des Gehorsams. Und der Herr hatte nur einen Zweck hienieden: völli­gen Gehorsam gegen den Willen Seines Va­ters. Er sagte: „Siehe, ich komme, -o Gott, zu tun deinen Willen." — 0 möchte auch dies unser einziger Zweck hie­nieden sein.

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