Botschafter des Heils in Christo 1872

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger


Inhaltsverzeichnis des Jahrgangs 1872 Seite
Wie man Frieden erlangt 5
Kurze Gedanken 26
Die frohe Botschaft 27
Christus und die Versammlung 60
Auszug aus dem Briefe eines englischen Bruders
und Arbeiters im Werke des Herrn 67
Der Vater und der verlorene Sohn 69
Simon Petrus und die gesichtete Seele 84
Der goldene Leuchter 93
Hiob und seine Freunde 95
Eine weise und sichere Sache 179
Das Kennzeichen der Schafe Christi 140
Und die Tür ward verschlossen 141
Die Folgen des Unglaubens 142
Der Heilige Geist - der himmlische Gast 150
Die Alabaster-Flasche (Matthäus 26, 6-13) 175
Die abgewiesene Versuchung 183
Der Brunnen zu Bethlehem 186
Das Gericht des Christentums oder
Warum kommen die Gerichte 187
Die Entschuldigungen des Unglaubens 207
„Friede euchV' 210
Wie sollen wir unsere Sünden bekennen 222
So spricht der Herr! 227

Inhaltsverzeichnis 
Wie man Frieden erlangt 5 
Kurze Gedanken 26 Die frohe Botschaft 27 
Christus und die Versammlung 60 
Auszug aus dem Briefe eines englischen Bruders 
und Arbeiters im Werke des Herrn 67 
Der Vater und der verlorene Sohn 69 
Simon Petrus und die gesichtete Seele 84 
Der goldene Leuchter 93 
Hiob und seine Freunde 95 
Eine weise und sichere Sache 139 
Das Kennzeichen der Schafe Christi 140 
Und die Tür ward verschlossen 141 
Die Folgen des Unglaubens 142 
Der Heilige Geist — der himmlische Gast 130 
Die Alabaster-Flasche 173 
Die abgewiesene Versuchung 183 
Der Brunnen zu Bethlehem 186 
Das Gericht des Christentums oder 
Warum kommen die Gerichte 187 
Die Entschuldigungen des Unglaubens 207 
„Friede euch!" 210 
Wie sollen wir unsere Sünden bekennen 222 
So spricht der Herr! 227 
Die Schriftstellen sind nach der bekannten 
Übersetzung, der „Elberfelder Bibel", angeführt 
Wie man Frieden erlangt*) 


Wie man Frieden erlangt*)

Wie kann ich Frieden mit Gott erlangen? Er hat „Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes."

Ich leugne das nicht; ich glaube es; und dennoch habe ich keinen Frieden. Wie kann ich ihn erlangen?

„Da wir nun gerechtfertigt sind durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott."

Ich weiß, daß es so geschrieben steht, aber ich weiß auch, daß ich keinen Frieden habe. Wie gern möchte ich ihn besitzen! Zu­weilen denke ich, daß mir der Glaube ganz und gar fehlt. Ich sehe Sie glücklich, und ich frage: Wie kommt man zu diesem Glück?

Sie betrachten es also nicht als eine Vermessenheit, im Frieden mit Gott, und zwar in der vollen Gewißheit Seiner Gunst und mithin unserer eigenen Errettung, zu sein?

In bezug auf mich selbst würde ich so denken. Aber ich sehe es in der Schrift, und darum muß es die Wahrheit sein. Auch sehe ich etliche Personen, bei denen es ohne Zweifel Wirklich­keit ist, daß sie sich der göttlichen Gunst erfreuen. Aber ich weiß nicht, wie man dahin gelangt. Dieser Gedanke beunruhigt mich, obwohl ich wie andere Christen von Tag zu Tag voran­gehe. Sobald diese Frage angeregt wird, erkenne ich, daß ich weder Frieden noch die Gewißheit habe, daß die göttliche Gunst auf mir ruht, deren Sie und andere sich erfreuen. Dies ist eine ernste Sache; denn wenn — wie Sie behaupten und wie die Schrift es ausdrückt — wir durch die Rechtfertigung aus Glau­ben den Frieden mit Gott haben, den ich aber nicht persönlich besitze: wie kann ich dann gerechtfertigt sein?

Sie besitzen nicht die wahre Erkenntnis der Rechtfertigung aus Glauben. Ich will damit nicht sagen, daß Sie in den Augen Gottes nicht gerechtfertigt sind, aber Ihr Gewissen ist nicht be-

*) Es hat midi einige Überwindung gekostet, diese Wahrheiten in die Form eines Zwiegesprächs zu kleiden/ weil ich das Erdichtete in göttlichen Dingen nicht liebe. In Wirklichkeit jedoch habe ich nur verschiedene Unterhaltungen zusammengefaßt, um die Schwierigkeiten einer Seele klarer darlegen zu können.

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 ruhigt. Alle Reformatoren gingen darin weiter als ich; sie ver­traten die Auffassung, daß jemand, der nicht die Gewißheit seiner Errettung hat, überhaupt nicht gerechtfertigt sei. Jeder aber, der an den Sohn Gottes glaubt, ist in den Augen Gottes         gerechtfertigt. Doch solange er dies nicht als eine Lehre Gottes erkennt und den Wert des Werkes Christi nicht erfaßt, hat er kein Bewußtsein davon in seiner Seele und somit, falls er so       ernstlich wie Sie darauf eingeht, auch keinen Frieden. Auch      kann sein Friede erst dann fest gegründet sein, wenn er er­kennt, daß Christus nicht nur für ihn starb, sondern, daß er selbst in Christo ist. Das tagtägliche Vorangehen der Christen, wie Sie sagen, ist eine falsche und törichte Sache, welche früher oder später abgebrochen werden muß. Gerade dadurch wird am Sterbebett oft viel Unruhe verursacht. Der Charakter der christlichen Tätigkeit ist gänzlich verunstaltet und zu einer Verrichtung geworden, die, anstatt das in der Kraft des Hei­ligen Geistes vollbrachte Werk einer im Frieden ruhenden Seele zu sein, als Mittel dienen soll, glücklich zu machen. Wenn eine Seele es ernst meint und vor Gott wandelt, so kann sie unmöglich eher ruhen, als bis sie Frieden mit Gott hat, und je tiefer und gründlicher diese Herzensübungen sind, desto besser. Doch „Er hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes".

 Wie der Pflug und die Egge auf dem Acker, so för­dern solche Übungen das Unkraut zu Tage. In diesem Falle sind sie nützlich, ja notwendig; keineswegs aber sind sie die Frucht, die der Glaube an das vollbrachte Werk Christi hervor­bringt. Sein Werk ist vollendet. „Er ist einmal in der Voll­endung der Zeitalter geoffenbart worden zum Wegtun der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst" und „Er hat das Werk vollbracht, welches ihm der Vater zu tun gegeben hatte". Dieses Werk, welches unsere Sünde hinwegnimmt, ist voll­kommen und von Gott angenommen. Wenn Sie durch Ihn zu Gott kommen und Ihre Sünden durch dasselbe nicht alle, und        zwar völlig und für immer hinweggenommen sind, so kann dies nimmer geschehen; denn Er kann nicht wiederum sterben. Alles ist durch das „eine Opfer" zuwege gebracht; denn sonst „hätte er" — wie der Apostel in Hebr 9 sagt — „oftmals leiden müssen".

Ich beginne jetzt einzusehen, daß es ein vollkommenes, ein für allemal vollbrachtes Werk ist.

 Was begehren Sie nun weiter noch, um Frieden zu haben? Das ist es eben, was ich wissen möchte.

Bevor wir von Ihrem Zustand und den Hindernissen sprechen, möchte ich uns das Werk selbst klar vor die Seele stellen. Wer vollbrachte dieses Werk?

Nun, Christus.

Welchen Anteil haben Sie an dem Werk?

Keinen.

Ganz recht, keinen, wenn wir nicht etwa Ihre Sünden als Anteil bezeichnen wollen. Und auf welchen Zustand Ihrer Seele findet das Werk seine Anwendung — auf einen gottseligen oder auf einen gottlosen Zustand?

Nun, muß ich denn nicht heilig sein?

Gewiß: „ohne Heiligung wird niemand den Herrn schauen". Aber sehen Sie auch, wie schnell — und zwar mit einer in­stinktmäßigen Selbstgerechtigkeit — Sie sich von dem Werke Christi zu ihrer eigenen Heiligkeit, zu dem, was Sie sind, wenden? Ganz eigentümlich ist der Scharfsinn des Menschen bezüglich dessen, was ihn und seine Selbstgefälligkeit zunichte macht. Ihr Verlangen nach Heiligkeit ist jedoch das Verlangen des neuen Menschen. Wären Sie hierüber gleichgültig, so wür­de es nötig sein. Ihr Gewissen aufzurütteln und nicht vom Frieden zu reden, sondern vielmehr Ihren falschen Frieden zu zerstören. Doch jetzt sind wir mit der Frage beschäftigt, in welcher Weise eine bekümmerte Seele Frieden finden kann.

Ganz richtig. Ich bin öfters sehr gleichgültig, und das ist eine Ursache meiner Bekümmernis; doch ich habe keinen Frieden und möchte alles darum geben, ihn zu erlangen.

Ohne Zweifel hindert Sie in einem gewissen Sinne diese Gleichgültigkeit an der Erlangung dieses Friedens; doch wir haben in Demut zu lernen, was wir sind. Ach, der Gewinn von Geld und Gut würde manche Seele zu weit größerem Eifer an­spornen. Doch ich wiederhole meine Frage: Findet das Werk Christi auf Ihre Gottlosigkeit oder auf Ihre Frömmigkeit oder doch wenigstens auf irgendeinen veredelten Zustand Ihrer Seele seine Anwendung?

 Natürlich nur auf meine Gottlosigkeit.

Ganz sicher, und folglich nicht auf Ihre Heiligkeit, wenn eine solche vorhanden wäre, und auch nicht auf einen in etwa ver­edelten Zustand. Und dennoch — auf was warten Sie, um Frie­den zu erlangen? Warten Sie nicht auf einen verbesserten oder veredelten Seelenzustand?

Freilich.

Dann befinden Sie sich auf falschem Wege; denn das, wo­durch Christus „Frieden gemacht","findet seine Anwendung auf Ihre Gottlosigkeit. Ihr Verlangen ist ein richtiges, aber Sie spannen, wie man zu sagen pflegt, den Karren vor das Pferd. Sie trachten nach der Heiligkeit, um Christum zu erlangen, anstatt nach Christo zu trachten, um die Heiligkeit zu erlangen.

Aber ich rechne auf Seine Hilfe, um heilig zu werden.

Ich glaube es; aber Sie trachten nach Seiner Hilfe, und nicht nach Seinem Werke oder der Blutvergießung, um Frieden zu erlangen. Sie bedürfen der Gerechtigkeit, nicht der Hilfe. Wir benötigen Seine Hilfe jeden Augenblick, wenn wir gerecht­fertigt sind. Er ist der Urheber jedes guten Gedankens in uns. Doch das ist weder Frieden noch Seine Blutvergießung noch Gerechtigkeit.

 Freilich ist dieses Streben nach Heiligkeit nicht ohne Frucht; denn es führt Sie zu der Erkenntnis, daß Sie auf solche Weise das nicht finden, was Sie suchen. Sie werden auf diesem Wege weder Heiligkeit noch Frieden finden. Diese Er­fahrung Ihres Unvermögens sowie die Entdeckung, daß, wenn auch „das Wollen" bei Ihnen ist. Sie dennoch „das Wirken dessen, was recht ist", nicht finden, wird Sie, indem Sie er­kennen, daß nichts Gutes in Ihnen wohnt, zu dem führen, was den Frieden gibt, nämlich zu dem Werke Christi, nicht aber zu Ihrem Zustand oder dem Werke der Gnade in Ihnen. Dieses Werk bewirkt Gott; aber wir dürfen es nicht als ein Mittel zum Frieden betrachten, sondern müssen außer uns einfach und völlig auf das Werk Christi und auf Seine Annahme vor Gott schauen. Aber sagen Sie mir doch, wie Sie vor Gott stehen.

Ich weiß es nicht. Das ist es eben, was mich beunruhigt. Sind Sie verloren?

 Ich hoffe nicht. Natürlich sind wir alle von Natur verloren, jedoch hoffe ich, daß Gott ein Werk in mir begonnen hat, ob­wohl ich zuweilen hierüber im Zweifel bin.

Nehmen wir einmal an, Sie ständen jetzt vor Gott und Ihre Sache müßte entschieden werden. Wie würde es um Sie stehen, wenn die Entscheidung von Ihren Werken abhinge? Haben Sie Vertrauen?

Ich hoffe, daß alles in Ordnung sein würde. Ich kann mich von dem Gedanken nicht trennen, daß ein Gnadenwerk in mir begonnen hat; aber dennoch kann ich nicht ohne Furcht an das Gericht denken.

Auch ich glaube, daß ein Gnadenwerk in Ihnen begonnen hat, ja, ich hege durchaus keinen Zweifel darüber. Aber hier ist der Wendepunkt unserer Untersuchung. Es mangelt Ihnen, sich in der Gegenwart Gottes zu sehen und dort zu erkennen, daß Sie einfach verloren sind, wenn Gott mit Ihnen ins Gericht geht — wie dies in Gerechtigkeit und mit Rücksicht auf Ihren Zustand und auf Ihre Werke geschehen wird. 

Sie sind ein Sünder, und ein Sün­der kann im Gericht vor Gott nicht bestehen. In der Gegenwart Gottes bedürfen wir nicht der Hilfe, sondern der Gerechtigkeit, und die haben Sie nicht erlangt — ich meine bezüglich Ihres, Glaubens, durch welchen wir sie erlangen, und Ihres Ge­wissens, in welchem wir sie besitzen. Die Gerechtigkeit, und zwar die Gerechtigkeit Gottes, kann allein vor Gott genügen; denn wir besitzen keine, und eben diese muß gefunden werden. Auch das Werk der Gnade in uns bringt sie nicht hervor. Nur durch den Glauben, gewirkt durch das Werk Christi, und in Ihm besitzen wir sie; durch Ihn rechtfertigt Gott den Gottlosen. Das Beispiel des verlorenen Sohnes wird dies erläutern. Es war ein Werk Gottes in ihm; er „kam zu sich selbst", erkannte sich als verloren und machte sich auf zu seinem Vater. Indem er sich aufmachte, bekannte er seine Sünden mit der Beifügung:

„Mache mich zu einem deiner Tagelöhner!" Dort war Auf­richtigkeit, ein Gefühl von der Güte Gottes und ein Bewußtsein von Sünde; er zog Schlüsse auf seine Hoffnung, wenn er mit dem Vater zusammentreffen würde; und so steht es mit Ihnen. Er besaß, was die Christenwelt Demut und eine geringe Hoff­nung nennt, und machte, gleich Ihnen, Folgerungen, welche be-

 wiesen, daß er nie dem Vater begegnet war. Er hätte nicht über­legen können, welche Aufnahme er bei der Begegnung mit seinem Vater finden würde, wenn er ihm je begegnet wäre. Es ist die Stellung einer Seele, die nie mit Gott zusammengetroffen ist, obwohl Gott in ihr gewirkt hat. Als er seinem Vater be­gegnete, finden wir nicht ein Wort, daß er ihn „wie einen seiner Tagelöhner" machen möchte. Das Sündenbekenntnis war ein vollständiges, und die vorhergehende Erfahrung hatte ihn in seinen „Lumpen", in seinen Sünden zu seinem Vater gebracht — nicht als ob er die Sünden liebte, aber er befand sich in ihnen und bekannte sie. Die Wirkung des Vorhergegangenen bestand also darin, daß er mit seinem Gewissen in seinen Sünden Gott begegnete; und das war alles. Jetzt, wo ihm der Vater um den Hals fiel, herrschte die Gnade; — das beste Kleid, Christus, die Gerechtigkeit Gottes, ward sein Teil. Nicht ein Wachstum im Guten war ihm gewährt worden, sondern er empfing etwas, das er vorher nicht besessen hatte, etwas ganz Neues war ihm ver­liehen worden. In der Gegenwart Gottes haben wir Christum und nicht ein Wachstum nötig; wir bedürfen durch Ihn der Ge­rechtigkeit und der Rechtfertigung, und nicht der Hilfe oder der Veredlung.

 Natürlich hat uns Gott Seine Hilfe gewährt; denn sonst hätten wir Seine Gegenwart nicht erreicht. Auch hat ein Wachstum stattgefunden, aber der Zweck war, uns in die Gegenwart Gottes zu bringen, und zwar nicht, damit über dieses Wachstum und über die daraus entspringende Hoffnung, sondern über die Sünde vor Seinem Angesicht ein Urteil gefällt werde, und damit wir erkennen möchten, daß Er sie nicht dulden kann, während wir zugleich Christum als Den erblicken, Der an unserer Statt eine vollkommene Aufnahme bei Gott ge­funden, Der unsere Sünden getragen, und Der unsere vollkom­mene, unbedingte und ewige Gerechtigkeit ist. Das Betrachten unseres Wachstums bringt uns keinen Frieden; denn wäre dies der Fall, so müßte es heißen: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Erfahrung, so haben wir Frieden mit Gott". Doch dies sagt das Wort Gottes nirgends. Das wahre Wachstum besteht in dieser Beziehung darin, daß wir als völlig verlorene Sünder in die Gegenwart Gottes gebracht werden, indem wir unsere Sünden bekennen und zugleich das Bekenntnis ablegen, daß „in uns, das ist in unserem Fleische, nichts Gutes wohnt", und da­her muß das Bewußtsein unseres Verlorenseins eine Sache der

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 Gegenwart sein. Es handelt sich nicht darum, was wir sein wer­den, sondern um die Entdeckung dessen, was wir jetzt sind — um unsere gegenwärtigen Sünden und unsere sündige Natur, als die wahre Plage jeder aufrichtigen Seele, und um die Er­langung Christi als des „vornehmsten Kleides", wenn wir uns in unseren Sünden in der Gegenwart Gottes befinden. Wir haben Christum k gefunden und an Ihn geglaubt. „Er ist die Sicherung für unsere Sünden", indem Er sie an Seinem eigenen Leibe an dem Holze getragen hat; und besitzen wir Christum, so ist Er unsere Gerechtigkeit. Da Er ein Opfer für die Sünde geworden ist, so hat Gott die Sünde im Fleische verurteilt (Röm 8, 5), und wir sind nicht „im Fleische", sondern „in Christo". Statt Adam und seiner, d. h. unserer Sünden haben wir Chri­stum und den Wert Seines Werkes. Das hat Gültigkeit für jeden, der an Ihn glaubt und durch Ihn zu Gott kommt. Wären wir so einfältig wie die Schrift, so würden wir dies augenblick­lich erkennen.

 Aber uns mangelt diese Einfalt, und wir müssen geheilt werden von der Eigengerechtigkeit unserer Herzen und als bloße Sünder vor Gott erkennen, daß Gott in Liebe die Frage unserer Sünden und unserer bösen Natur vor dem Tage des Gerichts ausgeglichen und für einen jeden, der durch Ihn zu Gott kommt, „ein für allemal" erledigt hat. Er hat Sich für immer mit den Sünden, über welche ich am Tage des Gerichts hätte Rechenschaft geben müssen, am Kreuze beschäftigt, und zwar in der Weise, daß Er sie nach Seiner eigenen Gerechtigkeit hinweggetan hat; — unsere ausgebildetste Sündenform im Fleische, d. 1. die Feindschaft wider Gott, traf mit Gott zusam­men, Der, Sich mit der Sünde beschäftigend, sie verurteilte, uns aber begnadigte. Die Sünde und Gott begegneten einander an dem Kreuze, als Christus für uns zur Sünde gemacht wurde; und durch Seinen Tod sind wir der Sünde gestorben und sind die Frucht Seiner Arbeit vor Gott. Er trug die Sünden Vieler, er­schien, um die Sünde hinwegzutun und verherrlichte Gott in Gerechtigkeit in jener verhängnisvollen Stunde. Er nahm auf Sich, was -ich verdient hatte; und ich empfange die Frucht dessen, was Er getan hat. Ich komme, sozusagen, wie Abel zu Gott; mit diesem Opfer in meiner Hand. Gott muß den Wert desselben anerkennen; ich habe den Beweis meiner Gerechtig­keit; Gott gibt Zeugnis zu meinen Gaben; meine Annahme ist in den Augen Gottes dem Werte des Opfers Christi gemäß.

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 Indem ich hiermit komme, so bekenne ich, daß mein Ich recht­mäßig ausgeschlossen ist, ich stütze mich nicht auf eine Ver­edlung meines Zustandes. Ich komme sozusagen mit Christo, meinem geschlachteten Lamm, in meiner Hand, und Gott gibt Zeugnis zu meiner Gabe. Wenn ich mich mit dieser Gabe nahe, blickt Gott auf sie und nicht auf meinen Zustand, welcher, in­dem ich also komme, unleugbar derjenige eines Sünders ist, und zwar eines hinsichtlich seiner Ansprüche von Gott ausgeschlos­senen Sünders.

Aber muß ich denn Christum nicht annehmen?

Ach, wie durchkreuzt das „Ich" doch stets die köstlichsten Zeug­nisse von den in Gnade gegen uns handelnden Wegen Gottes! Ich sage: „Hier ist Christus von seiten Gottes für Sie das Lamm Gottes"; und Sie antworten: „Aber muß ich denn nicht"? Es überrascht mich nicht. Ich will keinen Vorwurf machen; es ist eben die menschliche Natur, meine Natur im Fleische. Beher­zigen Sie, daß in dem „Ich" nichts Gutes wohnt. Doch sagen Sie mir: Würden Sie sich nicht freuen. Ihn zu haben?

Ja, gewiß!

Dann handelt es sich in Wirklichkeit nicht darum, ob Sie Ihn annehmen wollen, sondern ob Gott Ihnen wirklich Christum und in Ihm das ewige Leben vorgestellt hat. Eine einfältige Seele würde ausrufen: „Was, annehmen! Ich bin dankbar. Ihn zu haben". — Da jedoch nicht alle einfältig sind, so will ich noch ein Wort hierüber hinzufügen. Wenn Sie jemanden schwer beleidigt hätten, und ein Freund bemühte sich, ihm eine Genug­tuung anzubieten, wer müßte sie annehmen?

Natürlich der Beleidigte.

Ohne Zweifel. Und wer ist durch Ihre Sünden beleidigt wor­den?

Gott.

Und wer muß die-Genugtuung annehmen?

Kein anderer als Gott.

Ganz sicher. Glauben Sie, daß Er Sie angenommen hat?

Ohne Zweifel glaube ich das.

 Und sollte Er zufriedengestellt sein? Jedenfalls.

Und sind Sie es denn nicht?

0, ich erkenne es jetzt! Christus hat das ganze Werk vollendet, Gott hat es angenommen, und darum kann von meiner Schuld oder Gerechtigkeit keine Rede mehr sein. Es ist meine Gerech­tigkeit vor Gott. Wunderbar, und doch so einfach! Aber warum erkannte ich es nicht? Wie töricht war ich doch!

Das ist der Glaube an das Werk Christi; nicht daß wir es freudig annehmen, sondern daß wir glauben, daß Gott es ange­nommen hat. Sie haben jetzt nicht nötig zu untersuchen, ob Sie glauben. Der Gegenstand des Glaubens ist vor Ihrer Seele und wird von ihr geschaut; was Gott geoffenbart, wird erkannt, indem es also durch den Glauben gesehen wird. Sie sind von diesem, nicht von Ihrem Zustande versichert, ebenso wie Sie die vor Ihnen stehende Lampe nicht deshalb sehen und unter­scheiden, weil Sie den Zustand Ihres Auges erkennen; Sie er­kennen den Zustand Ihres Auges, indem Sie das Licht sehen. Aber sie sagen: „Wie töricht war ich doch!" — Es ist immer so. Doch erlauben Sie mir die Frage: Was war es doch, wonach Sie verlangten? War es Christus oder war es eine Heiligkeit in Ihnen selbst und ein besserer Seelenzustand? Jedenfalls eine Heiligkeit und ein besserer Seelenzustand.

Dann ist es kein Wunder, daß Sie Christum nicht sahen. Gott bezeichnet es als eine Unterwerfung unter Seine Gerechtigkeit, indem wir eine Gerechtigkeit finden, die weder von uns noch in uns ist, nämlich Christum, während der stolze Wille, durch die Gnade gebrochen, sich unterwirft, um durch das, was weder von noch in uns ist, gerettet zu werden. Es ist Christus und nicht unser Ich und unsere Stellung im Fleische. Wenn Sie Frieden erlangt hätten auf dem Wege, auf dem Sie ihn suchten, mit wem wären Sie dann zufrieden gewesen?

Mit mir selbst.

Ganz recht. Und was wäre dies gewesen? In der Tat nichts Wirkliches; und wenn auch, so war Christus ausgeschlossen, zwar nicht als ein Hilfsmittel, wohl aber als Gerechtigkeit und Frieden. Und da eine aufrichtige, von Gott unterwiesene Seele nicht mit sich selbst zufrieden sein kann, so bleibt sie, wenn

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 sie auch in einer gewissen Vertraulichkeit mit Gott verkehrt, dennoch vielleicht viele Jahre hindurch ohne Frieden, bis sie sich der Gerechtigkeit Gottes unterwirft. Nun merken Sie sich noch einen anderen Punkt; denn die Seele im Frieden mit Gott kann jetzt zu ihrer Unterweisung Christum betrachten. Er hat nicht nur unsere Sünden getragen, ist nicht nur der Sünde ge­storben und hat nicht nur die ganze Geschichte des alten Men­schen, indem er mit Ihm gekreuzigt ist, durch Seinen Tod für alle, die da glauben, abgeschlossen, sondern Er hat auch Gott in diesem Werke verherrlicht (Joh 12, 28; 17, 4. 5) und auf diese Weise für den Menschen einen Platz in der Herrlichkeit Gottes erlangt, und zwar einen Platz einer gegenwärtigen, unbedingten Annahme nach der Natur und Gunst des durch Ihn verherrlichten Gottes; und das ist unser Platz vor Gott.

 Nicht nur, daß der alte Mensch und seine Sünden vor dem An­gesicht Gottes hinweggetan sind, sondern wir befinden uns auch in Christo vor Gott und haben das Bewußtsein dieser Stel­lung durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist (Joh 14, 20). Gott hat uns begnadigt in dem Geliebten, und das göttliche Wohlgefallen ruht auf uns wie auf Ihm. Ebenso wohnt Er auch in uns, und dies führt uns zu wahrer praktischer Heiligkeit. Wir sind geheiligt und durch Sein Blut für Gott abgesondert, indem wir Sein Leben oder Ihn als unser Leben sowie den Hei­ligen Geist besitzen; und Er Selbst wird der Maßstab unseres Wandels und unseres Verhältnisses zu Gott. Wir gehören uns nicht mehr an, sondern sind mit einem Preise erkauft, und nichts geziemt einem Christen, was mit Seinem Blute, dem teuer bezahlten Preise, und dessen Macht über unsere Herzen im Widerspruch steht. Dies ist bildlich im Alten Testament sehr schön ausgedrückt. Wenn ein Aussätziger gereinigt wurde, so mußten außer dem Opfer seine Ohren, sein Daumen und seine große Zehe mit Blut benetzt werden. Jeder Gedanke, jede Tat — alles, was in unserem Wandel die Probe dieses Blutes nicht bestehen kann, ist von den Gedanken und dem Wandel eines Christen ausgeschlossen. Und wie groß seine Freude auch sein mag, praktisch von dieser Welt und dem Leibe der Sünde be­freit zu werden und dafür jenes kostbare Blut als Beweggrund, Maß und Sicherheit zu haben, so wird er doch zugleich auch fühlen, daß alles, was irgend den Heiligen Geist, durch welchen wir als Besprengte versiegelt sind, betrübt, für einen Christen

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 ungeziemend ist, da er weiß, daß Er in ihm wohnt. Ja, dieses kostbare Blut, das Er vergoß, und die Liebe, die Christus ge­zeigt hat, sind der Beweggrund — so wie der Heilige Geist die Kraft der Widmung und der Liebe ist — der uns wandeln läßt, wie Christus gewandelt hat. Wenn wir in Christo sind, so ist Christus in uns; das wissen wir durch den Sachwalter, Der uns gegeben ist (Joh 14). Wir sind der Brief Christi in dieser Welt; das Leben Jesu muß in unserem sterblichen Leibe geoffenbart werden.

Aber Ihr Maßstab ist ein sehr hoher. Er ist einfach derjenige, den die Schrift gibt. „Wer da sagt, daß er in ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat". Gott Selbst ist als Muster vor uns ge­stellt, indem Christus der Ausdruck des Göttlichen im Men­schen ist. „Seid denn Nachahmer Gottes als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch". 

Nir­gends zeigt sich ein Grenze. „Hieran erkennen wir die Liebe, daß er für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schul­dig, für die Brüder das Leben zu lassen". „Nun seid ihr ein Licht in dem Herrn; wandelt als Kinder des Lichts". Aber mer­ken Sie sich, daß hier nichts Gesetzliches ist, nichts, wodurch wir danach trachten sollen unsere Sache bei Gott gut zu machen. Mancher mag vielleicht sagen, daß die vollkommene Gnade und Sicherheit uns Freiheit gebe zu tun, was uns beliebt, und daß infolge der vollkommenen Errettung der Beweggrund und die Notwendigkeit guter Werke für uns wegfalle. Das ist ein schrecklicher Grundsatz! Als ob wir keinen Beweggrund zum Wirken hätten als nur den, errettet zu werden, keinen, als gesetzliche Knechtschaft und Verbindlichkeiten! Haben die En­gel denn keinen Beweggrund? Es ist ein äußerst grober Irrtum, wie wir ihn in menschlichen Dingen nicht machen könnten. Was würden wir von dem Verstande eines Menschen denken, wel­cher uns sagte, die Kinder eines Mannes seien von jeder Ver­bindlichkeit befreit, weil sie gewiß und für immer seine Kinder sind? Ich würde behaupten, daß gerade, weil sie gewiß und für immer seine Kinder sind, sie auch gewiß und stets Ver­pflichtungen haben, die sie nicht hätten, wenn sie aufhörten, Kinder zu sein.

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 Das ist klar genug, obwohl ich nie daran gedacht hatte. Sie wollen aber damit doch nicht sagen, daß wir keine Verpflich­tungen hatten, bevor wir Kinder Gottes waren?

Gewiß nicht. Aber wir hatten nicht die Verpflichtung eines Kindes. Sie können nicht die Verpflichtung haben, als ein Christ zu leben, bevor Sie ein Christ sind. Wir waren verpflich­tet, als Menschen zu leben, als Menschen im Fleische vor Gott und dafür war das Gesetz der vollkommene Maßstab. Doch in diesem Verhältnis waren wir gänzlich verloren, wie wir ge­sehen haben. Wir aber als Glaubende sind vollkommen erret­tet und sind Kinder Gottes durch den Glauben an Christum Jesum. Unsere Pflichten sind die Pflichten eines Kindes Gottes. Alle Pflichten sowie auch die richtigen Neigungen fließen stets aus dem Verhältnis, in welchem man steht, und das Bewußt­sein dieses Verhältnisses ist die Quelle und der Charakter der Pflicht, obwohl unsere Vergeßlichkeit die Verpflichtung nicht aufhebt. Die Sprache der Schrift bleibt immer: „Seid Nach­ahmer Gottes als geliebte Kinder!" „Ziehet denn an als Aus­erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbannen. . ."

 Die richtigen Neigungen und Pflichten entspringen der Stellung, in welcher wir uns bereits befinden und sind nie das Mittel, um in diese Stellung zu gelangen. Wir erfreuen uns unserer Stellung, wenn wir ihr gemäß wandeln, oder vielmehr wir ge­nießen das Licht und die Gunst Gottes durch die Gemeinschaft mit Ihm in dieser Stellung. Aber merken Sie sich, daß selbst unser Mangel an Treue nicht ein Grund ist, an diesem Ver­hältnis zu zweifeln, sondern vielmehr eine Ursache, das bei uns zu richten, was mit diesem Verhältnis im Widerspruch steht. Hier findet nun die Stellvertretung Christi sowie manche Wahrheit ihren Platz, auf die ich jetzt nicht näher eingehen kann, wie köstlich sie auch sein mag. Beachten Sie aber bitte, daß die Stellvertretung nicht das Mittel ist, um die Gerechtig­keit zu erlangen, sondern daß sie auf diese Gerechtigkeit sowie darauf gegründet ist, daß Christus die Versöhnung für unsere Sünden gemacht hat. Auch nahen wir Ihm nicht, damit Er uns vertrete, sondern Er vertritt uns bei dem Vater, weil wir ge­sündigt haben. Christus hatte für Petrus gebetet, noch ehe er die Sünde begangen, und Er hatte gerade das erbeten, was ihm not tat: nicht, daß ihm die Sichtung erspart würde, deren er

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 bedurfte, sondern daß, wenn er gesichtet würde, sein Glaube nicht aufhören möge. Ach, wenn wir nur Ihm zu vertrauen ver­ständen! Sehen Sie, wie Er inmitten Seiner Feinde gerade in dem rechten Augenblick den Petrus anblickt, um ihm das Herz zu brechen!

Wie einfach erscheint doch alles, wenn wir das Wort zur Hand nehmen, und wie sehr ändert es unsere Gedanken über Gott! Man befindet sich dann überhaupt in einem ganz neuen Zu­stand.

Ganz gewiß; und das leitet uns zu zwei anderen Punkten, auf die ich gern aufmerksam machen möchte. Wir haben gesehen, wie in dem Werke Christi Gott befriedigt, ja verherrlicht wor­den ist, indem wir untersuchten, wie die Gerechtigkeit zu er­langen sei. Doch wir dürfen nicht vergessen, daß es die unum­schränkte Liebe Gottes war, welche uns Christum schenkte, und zwar dieselbe Liebe, in der Er Sich Selbst für uns hingab. Für uns herrscht die Gerechtigkeit nicht. Dies wird sich zwar einst als wahr erweisen, wenn Gott kommen wird, um die Welt zu richten. Aber für uns herrscht die Gnade, die unumschränkte Güte, ja Gott Selbst durch Gerechtigkeit, die, wie wir gesehen haben, eine göttliche Gerechtigkeit ist und welche uns der An­nahme Christi gemäß und gleich Ihm einen Platz in Herrlichkeit in der Gegenwart Gottes gibt. Es ist die unumschränkte Gnade, die einem Sünder mit dem Sohne Gottes einen Platz anweist und ihn Seinem Bilde gleichförmig macht.

 Doch dies ist gerecht; denn das Blut und das Werk erfordern notwendig eine solche Stellung, wie wir in Joh 13 und 17 sehen. Und jetzt „rühmen wir uns Gottes durch unseren Herrn Jesum Christum". Wir kennen Ihn als die Liebe und als die Quelle unserer Freude sowie unseres Segens. Wir sind gerecht in Christo; denn „Er ist für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir Gottes Gerechtig­keit würden in ihm". Gott hat Sich uns in Liebe geoffenbart und wir sind mit Ihm versöhnt. Es ist eine gesegnete Stellung, eine Stellung heiliger Neigungen und einer friedlichen Ruhe. Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesus Christus. Aber was ist Gemeinschaft?

Nun, eine Gemeinschaft offenbart sich in der Gemeinschaft der Gedanken, der Freuden und der Gefühle.

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 Erinnern Sie sich stets daran, daß es so ist mit dem Vater und Seinem Sohne Jesus Christus.

Das ist wunderbar. Ich kann es kaum fassen.

Nun, wir müssen danach trachten, daß der Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohne und wir in Liebe gewurzelt und gegründet seien, um die Breite und Länge und Tiefe und Höhe erfassen zu können. Wenn aber der Heilige Geist, Der in uns wohnt, die Quelle unserer Gedanken, unserer Freuden und Gefühle ist, so können sie, wie schwache Geschöpfe wir auch sein mögen, nicht anders als im Einklang stehen mit denen des Vaters und des Sohnes. Hat das Herz des Christen nicht seine Wonne an Christo, an Seinen Worten, an Seinem Gehorsam, an Seiner Heiligkeit, an der Hingabe Seiner Selbst in den Wil­len des Vaters? Und hat nicht auch der Vater daran Seine Wonne? — wir zwar in einer sehr schwachen und armseligen Weise, Er aber in unendlich vollkommenerem Maße; doch der Gegenstand ist derselbe. Er ist von Gott auserwählt und kost­bar, und ebenso kostbar ist Er auch den Glaubenden. Ohne hierin weiterzugehen, führe ich dies nur zur Erläuterung an. Es ist eine Sache Ihres täglichen Lebens und Ihrer fortdauern­den Herzenstätigkeit; jedoch werden Sie verstehen, daß das, was von dem Heiligen Geist kommt, mit der Gesinnung des Vaters und des* Sohnes im Einklang stehen muß.

Das ist klar; aber mir ist alles noch so neu, als wenn ich in eine andere Welt gebracht worden sei. Wenn das wahr ist, wo be­finden wir uns denn alle?

Ich überlasse es Ihnen, darüber nachzudenken und danach zu forschen, ob diese Dinge sich so verhalten und ob die Schrift, jeden Christen anders betrachtet, obwohl sie die Übungen unserer Seele völlig anerkennt, die wir durchmachen, um hinzu­gelangen als Einem, dem vergeben und der begnadigt ist in dem Geliebten, und wenn er dies anerkannt, als Einen, welcher „nicht den Geist der Knechtschaft empfangen hat wiederum zur Furcht, sondern den Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: „Abba, Vater".

Aber wenn ich dies annehme, dann begreife ich die Stelle nicht, welche uns auffordert, „uns zu prüfen, ob wir im Glauben

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 sind"; denn was Sie gesagt haben, setzt, wie mir's scheint, das beiseite.

Diese Stelle will das nicht sagen, was Sie meinen. Manche auf­richtige Seele ist mit dieser Prüfung ernstlich beschäftigt; und wir alle haben auf diesem Wege Erfahrungen gemacht.

Aber wir finden es doch in der Schrift. Die Worte bilden den Teil einer Stelle in 2. Kor 13, 5—5, deren Anfang heißt: „Weil ihr einen Beweis sucht, daß Christus in mir spreche — —". Dann folgt ein Zwischensatz, bis der Apostel zur Vollendung des Hauptsatzes fortfährt: „So prüfet euch selbst, ob ihr im Glauben seid". Es ist ein Verweis. Wie Sie in beiden Briefen wahrnehmen können, hatten die Korinther die Wirklichkeit des Apostelamtes des Paulus sowie die Tat­sache, daß Christus in ihm spreche, in Frage gestellt. Daher führt er als Schlußbeweis die Worte an: „Prüfet euch lieber selbst, wie ihr dazu gekommen seid, Christen geworden zu sein"; — denn er war das Werkzeug zu ihrer Bekehrung ge­wesen.

 Deshalb fügt er auch hinzu: „Oder erkennet ihr euch selbst nicht, daß Jesus Christus in euch ist? es sei denn, daß ihr etwa unbewährt seid". — Wie kam er dazu? Er beruft sich auf ihre Gewißheit, um zu ihrer Beschämung sein Apostelamt zu beweisen; aber dies ist keineswegs eine Aufforderung zur Prüfung, ob jemand im Glauben sei. Ganz richtig ist es, wenn wir untersuchen, ob wir unserem Glauben gemäß wandeln; aber das ist eine ganz andere Sache. Ein Kind tut recht daran, sein Betragen als das eines Kindes zu prüfen; traurig aber wäre es, wenn es untersuchen wollte, ob es überhaupt ein Kind sei. Das Bewußtsein eines Verhältnisses und das Bestehen eines solchen sind zwei verschiedene Dinge, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Der Verlust des Bewußtseins hin­sichtlich eines Verhältnisses (ein Fall, der, wenn ein wirkliches Bewußtsein vorhanden war, meines Erachtens nur als göttliche Züchtigung für Sünden eintreten kann) zerstört den Grund und Boden der Pflicht sowie die Möglichkeit entsprechender Nei­gungen. Betrachten sie einmal die Stelle.

Ich verstehe sie jetzt völlig. Es ist nichts vorhanden, um den Satz: „Weil ihr einen Beweis sucht, daß Christus in mir spreche", vollenden zu können, wenn wir ihn nicht mit den Worten: „So prüfet euch selbst usw." in Verbindung bringen.

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 In jedem Fall ist es klar, daß die Kraft der Beweisführung des Apostels darin liegt, daß er sich auf ihre Gewißheit beruft: „Er­kennt ihr nicht usw."? Dies hätte keinen Sinn, wenn er ihnen die Pflicht auferlegte, sich zu prüfen, ob sie gläubig seien. Aber wohin wären wir doch mit der Schrift gekommen?

Oder vielmehr, wohin wären wir ohne die Schrift gekommen! Sie lesen und forschen nicht, wie Sie es tun sollten. Beginnen Sie damit, und die Wahrheit wird Ihnen klar werden. Nur bedürfen wir dazu der Gnade Gottes und des Hinschauens auf Ihn, um „wie neugeborene Kindlein die unverfälschte Milch" des Wortes in uns aufzunehmen. — Jetzt möchte ich noch einen Punkt kurz berühren, um über den Gegenstand, den wir be­trachten, völlig klar zu werden. Indem wir Christum empfan­gen, sind wir des Lebens teilhaftig. „Dies ist die Botschaft", sagt Johannes, „daß Gott uns das ewige Leben gegeben hat; und dieses Leben ist in dem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben". Zwischen diesem Leben und dem Fleische besteht nichts Gemeinsames. Wenn wir die Erlösung nicht verwirk­lichen, so macht uns die Tatsache, lebendig geworden zu sein, die wir in Röm 7 finden, höchst unglückselig, indem sie uns die innewohnende Sünde aufdeckt, ohne uns von der Herrschaft des Gesetzes und dem Gefühl unserer Verantwortlichkeit zu befreien. Wenn wir die Erlösung kennen und durch den Geist versiegelt worden sind, so gelüstet zwar dennoch „das Fleisch wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch"; sie sind stets einander entgegengesetzt.

 Wenn wir aber durch den Geist ge­leitet werden, so sind wir nicht unter Gesetz. Nun haben Sie versucht, aus dem Auffinden von Lebenszeichen in Ihnen hoff­nungslose Schlüsse zu ziehen, indem Sie nur, was stets eine wahre Bekehrung begleitet, eine allgemeine, durch die Erkennt­nis des Todes Christi bestätigte Vorstellung von der Güte Gottes besaßen. Dieses Grübeln über sich selbst war jedoch keineswegs der Glaube an die Erlösung. Es blieb Ihnen, obgleich mit einer besseren Hoffnung, stets noch eine Aussicht auf das Gericht; oder wenigstens erwarteten Sie immer noch eine Bes­serung Ihres Ich, obwohl Sie beim Hinschauen auf das Kreuz erkannten, daß dort etwas ist, dessen Sie als Sünder bedürfen. Sie konnten nicht sagen, daß in dem Kreuze das Ihr Teil sei, dessen Sie bedurften, ja, daß Sie bezüglich Ihres Zustandes vor

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 Gott die Frucht des Kreuzes seien; und wenn Sie Ihre Blicke dem Gericht zuwandten, dann fühlten Sie, daß Ihr Zustand Ihnen dort keine guten Dienste leisten würde. Das Leben ist nicht die Erlösung. Beide gehören dem Gläubigen, aber es sind verschiedene Dinge. Sie suchten Beweise des Lebens und waren der Meinung, daß Sie im Gericht bestehen könnten, wenn solche vorhanden seien, während Sie Christum auf unbe­stimmte Weise nur als Zugabe anführten.

Ich glaube. Sie haben meinen Zustand ziemlich genau beschrie­ben.

Wenn jemand in Einfalt des Herzens recht nahe bei Gott bleibt, so ist das Gefühl der Güte Gottes vorherrschend und der Duft der Gottseligkeit umgibt ihn; fehlen aber dieses Gefühl und dieser Duft, dann zeigen sich Unruhe und Unbehaglichkeit; das anklagende Gewissen tritt wieder seine Herrschaft an, und wir sind unglücklich sowie vielleicht äußerst beängstigt und in Furcht versetzt. Doch in diesem Fall fehlt die wirkliche Er­kenntnis der Erlösung; man erkennt nicht, daß Christus unse­ren Platz im Gericht eingenommen und uns Seinen Platz in Herrlichkeit gegeben hat, so daß wir nur die Kindschaft, die Erlösung unseres Leibes, zu erwarten haben. Die Schrift ver­einigt diese beiden Wahrheiten in der Auferstehung Christi. Sie ist die Kraft des Lebens sowie das Siegel der Annahme Seines Werkes — Sein Erscheinen, außerhalb der Folgen unserer Sünde, in einer anderen Stellung, und also wir in Ihm.

 Wir waren tot in Sünden, dem Gericht und dem Tode verfallen; Christus kommt vom Himmel und vollbringt durch Seinen Tod das Werk der Erlösung von unseren Sünden, und wir sind mit Ihm gestorben. Dann sind Er und wir mit Ihm auferweckt, als eine Folge Seines vollbrachten Werkes und der Annahme des­selben von seiten Gottes. Gott hat uns mit Ihm auferweckt, nachdem Er uns alle Vergehungen vergeben hatte. In der Auf­erstehung wird das Leben in seiner ganzen göttlichen Kraft dargestellt; es ist nicht nur die Mitteilung des ewigen Lebens, sondern auch die Erlösung aus dem Zustand, in welchem wir uns befanden, sowie unser Eintritt in einen anderen Zustand, und zwar nicht äußerlich, sondern durch den Besitz dieses Lebens. Unter Erlösung versteht man die Errettung aufgrund eines Preises aus einem Zustande, in welchem ich war, und die

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 Einführung in einen anderen, in einen befreiten Zustand. Da­her reden wir von der Erlösung des Leibes, deren wir noch nicht teilhaftig geworden sind. Das Leben an und für sich gibt die Erlösung nicht; vielmehr empfinden wir dadurch die Bürde des alten Zustandes, in dem wir waren; aber wenn wir erkennen, daß wir erlöst sind, so wissen wir, daß wir mit dem Preise des Todes Christi aus dem alten Adamszustand herausgebracht und in Christum versetzt worden sind. Deshalb haben wir „Freimütigkeit am Tage des Gerichts, weil, wie er ist, auch wir sind in dieser Welt".

Ich vermag nicht ganz dem Gedankengang der Schrift zu folgen, den Sie mir darstellen. Ich muß diese Dinge noch lernen. Jedoch sehe ich den Unterschied zwischen Erlösung und Leben, obwohl wir beide Vorrechte jetzt in Christo besitzen. Er ist gestorben und auferstanden. Ich denke, daß ich schon vorher das Leber. besaß; aber ich habe jetzt auch einigermaßen die Erlösung be­griffen.

Ja, Sie waren jedenfalls erlöst. Und sicher hatte Gott, wie Sie sagten, in Gnade in Ihnen gewirkt; aber — wie bereits erwähnt

— Sie beschauten dies mit einem auf den Gott des Gerichts ge­hefteten Blick, wobei Sie sich zwar etlicher Lichtblicke der gött­lichen Liebe erfreuten, ohne jedoch an eine vollbrachte Erlösung zu glauben. Sehen Sie, wie die Beweisführung des Apostels hierzu paßt in Röm 5, ig: „Durch den Gehorsam des Einen sind die Vielen in die Stellung von Gerechten versetzt". „Dann"

— sagt das Fleisch — „darf ich in der Sünde leben?" Wie lautet die Antwort? Etwa: „Du sollst nicht!" — Keineswegs. Denn das hieße, jemanden wieder unter die Botmäßigkeit des Gesetzes stellen und wieder zerstören, was bezüglich des Gehorsams Christi gelehrt worden ist. Die Antwort lautet: „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?" Wir sind auf den Tod Christi getauft und sind Christen dadurch, daß wir an Seinem Tode teilhaben. Wie können wir denn, wenn wir mit Ihm der Sünde gestorben sind, in der Sünde leben? Wir sind jetzt freigemacht, um uns „als Lebende aus den Toten Gott darzustellen".

Auf diese Weise entsteht, während die alten Grundlagen blei­ben, etwas Neues aus der ganzen Sache. Es ist dies keineswegs

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 die gewöhnliche Darstellungsweise des Christentums. Ich muß noch etwas näher in diese Wahrheit einzudringen suchen; aber ich stehe schon, was den Grund meines Friedens betrifft, auf einem ganz anderen Boden oder vielmehr, ich habe jetzt Frie­den, während ich vorher keinen hatte. Ich finde Ihre Worte in der Schrift begründet und muß sie näher erforschen.

Leider gleicht die große Mehrheit aufrichtiger Christen denen, die draußen stehen in der Hoffnung, es werde alles gut gehen, wenn sie einmal hineinkommen, während sie drinnen sein und als ein Brief Christi der Welt zeigen sollen, wie es drinnen ist. Sie möchten uns wohl alle von Grund aus zu Christen machen, die, wie Sie sagen, der Welt und allem gestorben sind.

Ganz gewiß. „Ein wankelmütiger Mann ist unstet in allen seinen Wegen". Nur das einfältige Auge macht den ganzen Leib licht. Wir sind nicht unser. Der neue Mensch kann nicht hienieden seine Gegenstände haben. Er hat hienieden seinen Dienst, genau wie auch Christus, der nie Seine eigenen Zwecke verfolgte. Wir sind der Welt und die Welt ist uns gekreuzigt, und ebenso haben wir auch das Fleisch gekreuzigt mit seinen Leidenschaften und Lüsten. Nur erinnern Sie sich stets, daß das Fleisch wider den Geist gelüstet, so daß stete Wachsamkeit erforderlich ist. Der Apostel ruft mit Rücksicht auf den Weg durch die Wüste: „Bewirket eure Seligkeit mit Furcht und Zit­tern", — nicht weil unser Platz ein unsicherer ist, sondern weil Gott es ist, „der da in euch wirkt das Wollen und das Wirken"; und es ist eine ernste Sache, die Sache Gottes aufrechtzuerhal­ten, da das Fleisch in uns ist und Satan über die Welt herrscht, um uns zu hindern und zu betrügen. Lassen Sie sich aber nicht entmutigen; denn Gott wirkt in Ihnen, und größer als der, der in der Welt ist, ist Der, Der in uns lebt. Sie könnten sich nicht in den Schwierigkeiten der Wüste befinden, wenn Sie nicht aus Ägypten erlöst worden wären. „Meine Gnade ist dir genug", spricht Christus; „meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht". „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?" Das Ge­heimnis liegt in der Demut des Herzens und dem Bewußtsein der Abhängigkeit, während wir mit Vertrauen auf Christum blicken, der uns errettet und berufen hat mit einem heiligen Rufe. Sie können nie zuviel Vertrauen auf Gott setzen, wäh­rend Sie gegen sich selbst nicht mißtrauisch genug sein können.

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 Durch die Erlösung sind Sie Gott nahegebracht und befinden sich in der Stellung Seines Volkes und — wie wir jetzt sagen dürfen — Seiner Kinder und Seiner Versammlung; in diese Stellung sind Sie gesetzt, um Gott zu verherrlichen. Die wahre Erkenntnis der Erlösung bringt uns in vollkommenen Frieden, in die wirkliche und dauernde Abhängigkeit von dem Erlöser. Fehlt Ihnen jedoch diese Erkenntnis, so fehlen ihnen auch deren gesegnete Früchte; auch können Sie nicht mit Gott wan­deln, wenn Sie nicht mit Ihm versöhnt sind.

Es ist wahr. Denken Sie nur nicht, daß ich noch Schwierigkeit zu machen begehre; aber um über diese Dinge eine völlige Klarheit zu gewinnen, möchte ich noch gern eine Frage stellen. Man hat uns nämlich gelehrt, auf die Verheißung Gottes zu bauen und bezüglich unserer Errettung unser Vertrauen auf sie zu setzen. Dies ist die Sprache, die wir beständig hören, und wenn Ihre Meinung richtig ist, so weiß ich nicht, wie ich sie mit diesem Bauen auf die Verheißung in Einklang bringen soll. Sollen wir denn nicht auf die Verheißungen vertrauen?

Die Antwort ist sehr einfach; ich bin sehr froh, daß sie diese Frage gestellt haben. Gerade diese Dinge müssen wir unter­suchen. Auf Gottes Verheißungen zu vertrauen, ist sicher ganz richtig; denn wir haben köstliche Verheißungen. Doch sagen Sie mir: ist es noch eine Verheißung, daß Christus kommen, sterben und wieder auferstehen soll?

Nein; Er ist gekommen, gestorben und auferstanden; jetzt sitzt Er zur Rechten Gottes.

Dies kann also keine Verheißung sein; denn es ist eine voll­endete Tatsache. Für Abraham war es eine Verheißung, und er tat recht, daran zu glauben. Für uns ist es eine vollendete Tat­sache, und wir müssen an sie als an eine solche glauben. So spricht auch die Schrift: „Er glaubte, daß Gott, was er verhei­ßen hat, auch zu tun vermag". Wir aber glauben, daß Er erfüllt hat, was zu unserer Errettung nötig war. Es wäre Unglaube, dies noch als eine Verheißung zu betrachten; so steht es geschrie­ben: „Auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesum, unseren Herrn, aus den Toten auf erweckt hat". Sie werden diese beiden sich gerade auf diesen Punkt beziehenden Stellen am Ende des vierten

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 Kapitels des Briefes an die Römer finden. Was die Hilfe auf dem Wege betrifft, so gibt es viele köstliche Verheißungen. „Ich werde dich nicht versäumen, noch dich verlassen". „Gott wird nicht zulassen, daß ihr über euer Vermögen versucht wer­det". „Niemand wird sie aus meiner Hand rauben". „Welcher euch auch befestigen wird bis ans Ende, daß ihr an dem Tage unseres Herrn Jesu Christi tadellos seid". — Ich könnte noch viele andere Stellen anführen, die uns in unseren Schwierig­keiten auf dem Wege den größten Trost gewähren und von unendlichem Wert für uns sind. Doch das Werk, an welches ich zu glauben habe, das mich vor Gott rechtfertigt und mit Ihm versöhnt, das allein und vollkommen meine Sünden hinweg­tut und mich zu Gottes Eigentum macht, ist nicht eine Ver­heißung und kann nicht als solche betrachtet werden. Es ist eine vollendete Tatsache, ein von Gott schon angenommenes Werk.

Ich sehe es ganz klar ein; ja, es kann nichts Einfacheres und Eindeutigeres geben, sobald es in dieser Weise dargestellt wird. Was uns vor Gott rechtfertigt, ist durchaus keine Verheißung, sondern eine vollendete Tatsache. Ich hatte die Stelle in Röm 4 gar nicht bemerkt. Sie ist sehr klar. Wie oberflächlich liest man doch die Schrift! Doch die Wahrheit Ihrer Behauptungen ist offensichtlich.

Erlauben Sie mir, da wir diesen Punkt berührt haben. Ihre Auf­merksamkeit auf etwas anderes, nämlich auf die Form zu len­ken, in welcher uns das Werk und das Zeugnis der Gnade dar­gestellt werden. Sie werden bemerken, daß es in der Stelle (Röm 4) nicht heißt — obwohl es auch zutrifft: „Die wir an Christum glauben", sondern: „Die wir glauben an den, der Jesum, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat". So sagt auch Petrus: „Die durch ihn an Gott glauben, der ihn aufer­weckt hat aus den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben hat". Und ebenso sagt der Herr Selbst bezüglich Seines Kom­mens in die Welt: „Wer mich hört und glaubt dem, der mich ge­sandt hat". — Wir kennen Gott nur durch Christum. Wenn ich Ihn also erkenne, so erkenne ich Ihn als unseren Gott-Heiland, als Den, Der um meinetwillen Seines eigenen Sohnes nicht geschont hat,—als Den, Der als Christus um unserer Sünde willen gestor­ben war. Ihn aus den Toten auferweckte. Kurz, ich glaube nicht

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 nur an Christum, sondern auch an Den, Der uns Christum ge­geben und der Sein Werk anerkannt und dem Menschen in Ihm die Herrlichkeit geschenkt hat — an Den, Der gekommen ist zu erretten, und Der nicht wartet, um mich zu richten. Ich glaube an Ihn durch Christum. Nachdem die Kinder Israel das Rote Meer überschritten hatten, glaubten sie an einen Gott, Der sie errettet und zu Sich gebracht hatte, und ich glaube dasselbe. Ich kenne keinen anderen Gott als Diesen. Wenn ich an Ihn durch Christum glaube, so warte ich wohl auf eine Verheißung, nämlich auf die Erlösung des Leibes, auf die vollen Resultate Seines Werkes. So gibt uns also das Christentum für die Ge­genwart im Frieden Gesinnungen der Liebe in einem erkannten Verhältnis und zugleich die anregende Kraft der Hoffnung, — zwei Dinge, welche einem Menschen aufgrund seiner Stellung Kraft und Segen verleihen. Die Liebe aber ist die Quelle, aus der alles fließt — Liebe gegen Gott, weil Er uns zuerst geliebt, und — indem wir unsere Freude in Ihm finden — Liebe gegen an­dere, weil wir Teilnehmer Seiner Natur sind, und weil Christus in unseren Herzen wohnt, so daß Seine Liebe uns drängt.

Sie machen aus dem Christen eine wunderbare Person in der Welt; aber wir sind doch sehr schwach für eine solche Stellung. Ich könnte den Christen mit meinen Worten nicht so hoch stellen, wie Gott ihn in Seinem Wort gestellt hat. Was die Schwachheit betrifft, so ist es um so besser, je mehr wir sie fühlen; die Kraft Christi wird in der Schwachheit vollbracht.

Kurze Gedanken

Wenn Tage der Prüfung Dein Teil sind, dann verweile in der Gegenwart Dessen, Der ein Gott allen Trostes ist und Der nicht über Vermögen versuchen läßt; Du wirst erfahren, wie selbst die von Ihm gesandte Trübsal in Seiner Hand ein Mittel ist, Sein stets in Liebe tätiges, mitfühlendes Herz kennenzulernen, und wie Du ebenso Ursache hast. Ihm für die bösen wie für die guten Tage zu danken.

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 Sind aber Tage der Ruhe Dein Teil, dann verweile erst recht in der Nähe des Herrn. In solchen Tagen droht Gefahr; denn wie leicht schleicht sich dann Trägheit und Gleichgültigkeit ins Herz, und wie schnell gewinnen die Dinge dieser Welt einen Reiz für uns, wenn der Weg des Christen glatt und eben ist.

Die frohe Botschaft

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebo­renen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verlo­rengehe, sondern ewiges Leben habe" (Joh 3, 16).

l.

Es gibt etliche Stellen der Heiligen Schrift, welche in wenigen Zeilen ein ganzes Buch der kostbarsten Wahrheit zu enthalten scheinen. Zu diesen gehört auch der oben angeführte Vers. Er bildet einen Teil der beachtenswerten Unterhaltung des Herrn mit Nikodemus und gibt in gedrängter Form eine höchst voll­ständige Darstellung der evangelischen Wahrheit — eine Dar­stellung, die mit Recht als „frohe Botschaft" bezeichnet werden kann.

Sowohl die Prediger als auch ihre Zuhörer sollten stets daran denken, daß es der große Zweck des Evangeliums ist, Gott und den Sünder in einer Weise zusammenzubringen, daß da­durch die ewige Rettung des Sünders festgestellt wird. Es of­fenbart einen Gott-Heiland einem verlorenen Menschen. Es stellt mit anderen Worten Gott vor die Seele des Sünders in einem Charakter, Der dessen Bedürfnisse völlig ent­spricht. Ein Erretter ist dem Verlorenen ebenso angemessen, wie ein Rettungsboot dem Ertrinkenden oder wie ein Arzt dem Kranken bzw. wie Brot dem Hungrigen. Der eine paßt für den andern; und wenn Gott als ein Erretter und der Mensch als ein verlorener Sünder sich einander begegnen, ist die ganze Frage für immer gelöst. Der Sünder ist gerettet, weil Gott ein Erretter ist. Er ist gerettet nach der Vollkommenheit, welche

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 Gott in jedem Charakter, den Er trägt, in jeder Tat, die Er aus­führt, und in jedem Verhältnis, das Er aufrechterhält, ange­messen ist. Wenn man die vollkommene und ewige Errettung einer gläubigen Seele m Frage zieht, so leugnet man, daß Gott ein Erretter ist. Ebenso ist es in bezug auf die Rechtfertigung. Gott hat sich als ein Rechtfertiger geoffenbart, und daher ist der Gläubige gerechtfertigt nach der Vollkommenheit Gottes. Wenn noch irgendein einziger Flecken an dem Titel auch des schwächsten Gläubigen entdeckt werden könnte, — es würde für Gott, als einen Rechtfertiger, eine Unehre sein. Man räume mir aber ein, daß Gott mein Rechtfertiger oder Freisprecher ist, so liefere ich jedem Widersacher und jedem Ankläger ge­genüber den Beweis, daß ich vollkommen gerechtfertigt bin und sein muß. 

Ebenso räume man mir nach demselben Grundsatz ein, daß Gott Sich Selbst als ein Erretter geoffenbart hat, und ich werde mit ungetrübtem Vertrauen und heiliger Kühnheit den Beweis liefern, daß ich vollkommen gerettet bin und sein muß. Ich ruhe keineswegs auf etwas, was in nur ist, sondern einfach und gänzlich auf dem, wie Gott Sich Selbst geoffenbart hat. Ich weiß, daß Er in jeder Beziehung — und daher auch als mein Erretter — vollkommen ist. Ich bin also vollkommen er­rettet, insofern die Herrlichkeit Gottes in meine Rettung mit eingeschlossen ist. „Es ist sonst kein Gott außer mir, ein ge­rechter und rettender Gott ist keiner außer mir". Und was ist zu tun? „Wendet euch zu mir und werdet gerettet, alle ihr Enden der Erde; denn ich bin Gott, und keiner sonst" (Jes 45, 21. 22). Ein gläubiges Hinwenden zu einem gerechten und rettenden Gott sichert dem verlorenen Sünder eine ewige Er­rettung zu. Wie einfach! Hier heißt es nicht: „Wirket — tut — betet — fühlet —" o nein; hier heißt es nur: „Wendet euch zu mir". Und was wird folgen? Errettung — ewiges Leben. Es muß so sein, weil Gott ein Erretter ist; und die kurze Aufforderung:

„Wendet euch!" schließt dies alles in sich, soweit dadurch die Tatsache festgestellt wird, daß die Errettung, deren ich bedarf, in Ihm gefunden ist. Dem ich mich zuwende. Dort ist alles für mich zubereitet; ein einfaches Hinwenden sichert es mir für immer zu. Es ist nicht eine Sache für heute und morgen; sie ist eine ewige Wirklichkeit. Das Bollwerk der Errettung, hinter das der Gläubige sich zurückzieht, ist von Gott Selbst — von dem Gott-Heiland — auf dem unerschütterlichen Fundament

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 des Versöhnungswerkes Christi aufgerichtet worden; und keine Macht der Erde oder der Hölle kann es je erschüttern. „Denn es ist in der Schrift enthalten: Siehe, ich lege in Zion einen Eckstein, einen auserwählten, kostbaren; und wer an ihn glaubt, wird nicht beschämt werden" (Jes 28, 16; 1. Petr 2, 6).

Doch wenden wir uns zurück zu der tiefen und weitumfassen­den Stelle, die den besonderein Gegenstand dieser Zeilen bildet. Sicher vernehmen wir darin die Stimme eines Gott-Heilandes — die Stimme Dessen, Der vom Himmel herniederkam, um Gott in einer Weise zu offenbaren, wie Er vorher nie offenbart wor­den war. Es ist eine bewundernswürdige Tatsache, daß Gott in dieser Welt offenbart worden ist, so daß wir — sowohl der Schreiber als auch der Leser dieser Zeilen — Ihn in der ganzen Wirklichkeit dessen, was Er ist, mit der größten Gewißheit erkennen und uns mit Ihm beschäftigen können in all der gesegneten Vertraulichkeit der persönlichen Gemeinschaft.

Lieber Leser, denke bitte einmal über dieses staunenswerte Vorrecht nach! Du kannst für Dich selbst Gott kennen als Deinen Erretter, als Deinen Vater, als Deinen eigenen Gott, Du kannst Dich mit Ihm beschäftigen, kannst Dich auf Ihn stützen, an Ihm hangen, mit Ihm wandeln, leben und weben, kannst Seine gesegnete Gemeinschaft genießen in dem glänzenden Sonnenschein Seines freundlichen Antlitzes, unmittelbar unter Seinem Auge.

Dies ist Leben und Frieden. Es ist nicht nur eine theologische Wissenschaft. Sie mag ihren Wert haben; aber man vergesse nicht, daß ein noch so gegründeter Theologe dennoch ohne Gott leben und sterben und verlorengehen kann. Welch ein ernster, schreckenerregender Gedanke! Sicher kann jemand, der alle Dogmen der Theologie an den Fingern herzuzählen vermag, in die Finsternis und Dunkelheit einer ewigen Nacht, zur Hölle hinabfahren. Mag jemand das Amt eines Professors bekleiden, als ein großer Lehrer und als begabter Prediger anerkannt wer­den; mögen Hunderte zu seinen Füßen sitzen und lernen. Tau­sende an seinen Lippen hängen und von ihm hingerissen wer­den; — dennoch muß er letztlich hinabsteigen in die Tiefe des Verderbens und mit dem gemeinsten und unsittlichsten Ge­schöpfen ein ewiges Elend teilen.

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 Jedoch verhält es sich nicht so mit dem, der Gott kennt, wie Er im Angesicht Jesu Christi geoffenbart ist: er hat das ewige Leben erlangt. „Dieses aber" — sagt Christus — „ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen" (Joh 17, 3). Wenn jemand alle theologischen Lehrsätze kennt, so hat er darum nicht das ewige Leben. Er kann sie mit Eifer studieren, wie man Jura, Medizin, Astronomie und Chemie studiert; dennoch kann Er ohne alle Erkenntnis Gottes, d. h. ohne göttliches Leben sein und am Ende verlorengehen. Also verhält es sich mit der Reli­giosität. Es mag jemand der größte Frömmler in der Welt sein; er mag mit Eifer alle Dienstleistungen verrichten und alle Vor­schriften der systematischen Religion sorgfältig beachten; er mag fasten und beten, lange Predigten anhören und Gebete hersagen; er mag hinsichtlich der Religion das höchste Muster sein: bei all diesen Dingen weiß er am Ende nichts von Gott in Christo, lebt und stirbt ohne Gott und stürzt für ewig hinab in die Hölle.

 Man blicke auf Nikodemus. Wo hätte man ein besseres Beispiel menschlicher Natur-Religion finden können als in ihm? Er war ein Mensch aus den Pharisäern, ein Oberster der Juden, ein Lehrer in Israel, er war überdies ein Mann, der in den Wundern des Herrn die Beweise für Seine göttliche Sendung unterschied; dennoch galt ihm das Wort: „Du mußt von neuem geboren werden". Es wird nicht nötig sein, weiter­zugehen, um zu zeigen, daß jemand nicht nur religiös, sondern sogar ein Führer und Lehrer anderer sein kann, ohne einen Funken göttlichen Lebens in seiner Seele zu haben.

So aber verhält es sich nicht mit jemandem, der Gott in Christo kennt: er hat das Leben und ein Ziel. Er hat Gott Selbst als sein unschätzbares Teil. Er kennt Gott, vertraut Ihm und er­freut sich in Ihm. Dies ist eine unverkennbare Wirklichkeit, Es ist die Seele der Theologie, die Grundfeste der Frömmigkeit, das Leben der wahren Religion. Es gibt nichts in der ganzen Welt, das dem gleichkäme. Es ist die wahre Bekanntschaft mit Gott, das wahre Vertrauen zu Gott und die wahre Freude in Gott.

Vielleicht erhebt der Leser die Frage: „Wie kann ich diesen kostbaren Schatz erlangen? Wie kann ich für mich selbst Gott erkennen in dieser lebendigen, mächtigen Weise? Wenn es

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 wahr ist, daß ich ohne diese persönliche Erkenntnis auf ewig verlorengehen muß, wie kann ich sie denn erlangen? Was muß ich tun, und wie muß ich sein, um Gott zu erkennen?" — Die Antwort ist: Gott hat Sich Selbst geoffenbart. Wäre dies nicht der Fall, so könnten wir mit Bestimmtheit sagen, daß weder das, was wir tun, noch das, wie wir sein können, ja daß nichts in uns oder von uns fähig wäre, uns mit Gott in Bekanntschaft zu setzen. Wenn Gott Sich nicht Selbst geoffenbart hätte, wür­den wir über Ihn für immer in Unwissenheit geblieben und In unserer Unwissenheit verlorengegangen sein. Aber nachdem Er aus undurchdringlicher Dunkelheit ans Licht getreten ist und Sich gezeigt hat, so können wir Ihn erkennen nach der Wahrheit Seiner eigenen Offenbarung und in dieser Erkennt­nis ewiges Leben und eine Segensquelle finden, aus der unsere erlöste Seele während des goldenen Zeitalters der Ewigkeit hin­durch trinken und ihren Durst stillen wird.

Wir kennen nichts, was einen so klaren und unumstößlichen Beweis von der Unfähigkeit des Menschen, etwas zur Hervor­bringung des Lebens zu tun, liefern könnte, wie die Tatsache, daß der Besitz dieses Lebens auf die Erkenntnis Gottes gegrün­det ist und diese Erkenntnis muß auf der Offenbarung Gottes ruhen. Mit einem Wort: Gott zu kennen, bedeutet Leben; über Ihn unwissend zu sein, bedeutet Tod.

Aber wo kann Er erkannt werden? Dies ist gleicherweise eine ernste Frage. Mancher hat schon mit Hiob ausgerufen: „Ach, daß ich ihn zu finden wüßte!" Wo ist Gott zu finden? Kann ich mich in der Schöpfung nach Ihm umschauen? Ohne Zweifel ist dort Seine Hand sichtbar; aber ach! was nützt es mir? Gott als Schöpfer ist dem verlorenen Sünder nicht angemessen. Die mächtige Hand wird einem armen, schuldigen Elenden, wie ich bin. nichts nützen. Ich bedarf eines liebenden Herzens. Ja, ich bedarf eines Herzens, das mich in all meiner Schuld und in all meinem Elend lieben kann. Wo finde ich ein solches? Soll ich mich umsehen in dem weiten Gebiet der Vorsehung und in der weit ausgedehnten Sphäre der Regierung Gottes? Hat Sich Gott dort in einer Weise geoffenbart, daß Er mir, einem armen, verlorenen Sünder, begegnen kann? Wird die Vorse­hung, wird die Regierung Gottes jemandem nützen, welcher sich als ein verdammungswürdiger Sünder erkannt hat? Sicher

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 nicht. Wenn ich auf diese Dinge schaue, dann verwirrt und be­unruhigt mich alles, was ich sehe. Ich bin kurzsichtig und gänz­lich unfähig, mir das Wie und Warum eines einzigen Ereig­nisses sowohl in meinem eigenen Leben als auch in der Ge­schichte dieser Welt zu erklären. Kann ich die Tatsache fassen, daß oft ein höchst wertvolles Leben plötzlich abgeschnitten, während ein augenscheinlich nutzloses verlängert wird? Hier ist ein Gatte und der Vater einer großen Familie; er scheint für seinen häuslichen Kreis durchaus unentbehrlich zu sein; den­noch wird er plötzlich hinweggerafft, und die Seinigen sind in die größte Trauer versetzt. Dort hingegen erblickt man einen armseligen bettlägerigen Greis, der alle seine Verwandten über­lebt hat und ganz und gar von den Gaben eines Kirchspiels oder von persönlicher Wohltätigkeit abhängig ist. Jahrelang hat er vielleicht das Bett gehütet und ist eine Bürde für den einen und ohne Nutzen für den andern. Kann ich mir diese Rätsel lösen? Bin ich fähig, die Stimme der Vorsehung in ihrer wunderbaren Fügung zu erläutern? Sicher nicht. Ich habe nichts in mir, um die Irrgänge oder das Labyrinth dessen zu erfor­schen, welches Vorsehung genannt wird. Ich finde dort keinen Gott-Heiland.

Wohlan denn — soll ich mich zu dem Gesetz, zu der mosaischen Haushaltung wenden? Werde ich dort finden, was ich wünsche? Wird ein auf der Höhe eines brennenden Berges stehender Gesetzgeber, Der, gehüllt in Wolken und in dichte Finsternis, Blitze und Donner herabschleudert, wird Er, Der hinter einem Vorhang Verborgene, mir helfen können? Ach! ach! Ich kann Ihm nicht begegnen; ich kann Seine Forderungen nicht erfüllen noch Seinen Bedingungen entsprechen. Ich bin aufgefordert, Ihn zu lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und aus allen meinen Kräften — aber ich kenne Ihn nicht. Ich bin blind und kann daher nicht sehen. Ich bin entfremdet dem Leben aus Gott, ein Feind durch gottlose Werke. Die Sünde hat meinen Geist verblendet, mein Gewissen abgestumpft und mein Herz verhärtet. Der Teufel hat mein moralisches Dasein völlig ver­derbt und mich in einen Zustand bestimmter Empörung gegen Gott gebracht. Die ganze Quelle meines Wesens muß erneuert werden, bevor ich tun kann, was das Gesetz fordert. Wie kann ich also erneuert werden? Nur durch die Erkenntnis Gottes.

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 Aber Gott ist im Gesetz nicht geoffenbart. Nein, er ist verbor­gen — verborgen hinter einer undurchdringlichen Wolke, hinter einem nicht zerrissenen Vorhang. Deshalb kann ich Ihn dort nicht kennenlernen. Ich bin genötigt, mich von dem brennenden Berge, von dem nicht zerrissenen Vorhang und also von jener ganzen Haushaltung zurückzuziehen, von denen dieser Berg und dieser Vorhang die charakteristischen Züge bildeten, die gleichsam immer ausriefen: „Ach, daß ich Ihn zu finden wüß­te!" Also ist, mit einem Worte, weder in der Schöpfung noch in der Vorsehung noch in dem Gesetz „ein Gott-Heiland zu finden". In der Schöpfung erblicke ich einen Gott der Macht, in der Vorsehung einen Gott der Weisheit, in dem Gesetz einen Gott der Gerechtigkeit. Einen Gott der Liebe finde ich nur in dem Angesicht Jesu Christi. „Gott war in Christo, die Welt mit sich selber versöhnend" (2. Kor 5, 19).

Wie steht es mit Dir, geliebter Leser? Bist Du noch einer von denen, die Gott nicht kennen? Darüber klar zu sein, ist von äußerster Wichtigkeit. Gott zu erkennen, ist der erste Schritt. Es ist nicht genug, etwas über Gott zu wissen. Es ist nicht genug, daß die alte Natur sich zur Religion wendet, daß man sie zu veredeln trachtet, daß man bestrebt ist, das Gesetz zu hal­ten. Nein, lieber Leser, keines dieser Dinge kann Dir nützen. 

Nur Gott ist's, und zwar erkannt in dem Angesicht Jesu Christi. „Denn der Gott, der aus der Finsternis das Licht leuchten ließ, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi". Dies ist das tiefe und gesegnete Geheimnis der ganzen Sache. Der Leser ist, soweit es sich um seinen natürlichen Zustand handelt, in einem Zustand der Finsternis. Nicht die geringste Spur geistlichen Lichts ist vorhanden. Er befindet sich geistlich und moralisch in demselben Zustande, in dem sich die Schöp­fung physisch befand, bevor über die Lippen des allmächtigen Gottes die Worte kamen: „Es werde Licht!" — Alles ist finster und verworren, denn „der Gott dieser Welt hat den Sinn der Ungläubigen verblendet, damit der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist, nicht ausstrahle" (2. Kor 4, 4—6).

Hier gibt es zwei Dinge: der Gott dieser Welt, der den Sinn 33

 verblendet und das Hineinleuchten der kostbaren, Leben ge­benden Strahlen des Lichtes der Herrlichkeit Gottes verhindert, und andererseits Gott in Seiner wunderbaren Gnade, der in das Herz leuchtet, um das Licht der Erkenntnis Seiner Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi zu geben. So hängt also alles ab von der großen Wirklichkeit der Erkenntnis Gottes. Wo irgend Licht ist, da ist Gott wirklich erkannt. Wo Finsternis ist, fehlt diese Erkenntnis. Ohne Zweifel gibt es verschiedene Maße in der Erfahrung und Äußerung dieses Lichtes; aber das Licht ist da, wenn die Erkenntnis Gottes vorhanden ist. Ebenso hat auch die Finsternis ihre verschiedenen Formen: die eine ist häßlicher als die andere; aber die Finsternis ist da, wenn die Erkenntnis Gottes nicht vorhanden ist. Diese Erkenntnis ist Licht und Leben. Die Unkenntnis über Gott ist Finsternis und Tod. Es mag sich jemand mit allen Schätzen der Wissenschaft und der Literatur bereichern; aber wenn er Gott nicht kennt, so ist er in einer finsteren, ewigen Nacht. Andererseits mag jemand bezüglich menschlicher Wissenschaft völlig unwissend sein; dennoch kann er, wenn er Gott kennt, im hellsten Tageslicht wandeln.

2.

In der angeführten Schriftstelle (loh 3, 16) findet sich eine höchst bemerkenswerte Erläuterung des Charakters des ganzen Evangeliums nach Johannes. Es ist unmöglich, sie zu betrach­ten, ohne bei dieser interessanten Tatsache zu verweilen. In dieser Stelle werden wir zu Gott Selbst geführt, um den Cha­rakter und die Natur Dessen zu schauen. Der die Welt geliebt und Seinen Sohn hingegeben hat. Auch finden wir darin nicht nur die „Welt" als ein Ganzes, sondern auch den einzelnen Sünder, bezeichnet durch das Wörtchen: „jeder". Also Gott und der Sünder sind zusammen — Gott, als Der da -liebt und gibt, und der Sünder, als der da glaubt und empfängt. Es ist nicht Gott als Richter und Forderer, sondern Gott als die Liebe und als der Geber. Das erste war Gesetz, das letzte ist Gnade; jenes war das Judentum, dies ist das Christentum. In dem einen sehen wir Gott, Gehorsam fordernd als Bedingung des Lebens, welches niemand erlangt; in dem andern sehen wir den Men-

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 sehen, das Leben empfangend als eine freie Gabe durch Glau­ben an den Herrn Jesum Christum. Das ist der Kontrast zwi­schen den beiden Systemen — ein Kontrast, der nicht greller hervortreten könnte. „Das Gesetz war durch Moses gegeben; die Gnade und Wahrheit aber sind durch Jesum Christum ge­worden" (Joh 1. 17).

Doch merken wir uns die Art und Weise, in welcher dies in unserem Text entwickelt wird. „Also hat Gott die Welt ge­liebt". Hier haben wir eine weite Aussicht auf die Liebe Gottes. Sie beschränkt sich nicht auf eine besondere Nation, auf einen Stamm oder auf eine Kaste oder Familie. Sie umfaßt die ganze Welt. Gott ist die Liebe; und weil dies also ist, so handelt es sich nicht um die Tauglichkeit oder den Wert des Gegenstandes Seiner Liebe. Er ist, was Er ist. Er ist die Liebe und kann nicht etwas anderes sein. Dies ist die wahre Energie und Tätigkeit Seiner Natur. Das Herz mag bezüglich seines Zustandes und Verhältnisses vor Gott manche Frage und manche Übung haben; und gerade dies sollte der Fall sein; — der Heilige Geist mag solche Übungen hervorrufen und solche Fragen erheben; aber nach allem zeigt sich die große Wahrheit, daß Gott die Liebe ist, stets in ihrem vollsten Glänze.

 Ja, Gott ist die Liebe, was wir auch sein mögen, und was die Welt auch sein mag; wir wissen, daß die Wahrheit in betreff Gottes die tiefe und reich­haltige Schicht bildet, auf welcher das ganze System des Chri­stentums ruht. Die Seele mag unter dem Gefühl ihres eigenen Elends den schweren und trostlosen Kampf ihrer irdischen Bahn durchpilgern; Zweifel und Befürchtungen mögen ihr be­gegnen; finstere Wolken mögen sich über ihr zusammenhäu­fen; Wochen, Monde, Jahre mögen unter dem Gesetz zuge­bracht sein, und zwar lange nachdem der bloße Verstand zu den Grundsätzen und Lehren der evangelischen Religion seine Zustimmung gegeben hat; aber nach allem müssen wir in un­mittelbare persönliche Verbindung mit Gott Selbst gebracht worden sein — mit dem, was Er ist, mit Seiner Natur und Seinem Charakter, gerade so wie Er Sich in dem Evangelium geoffenbart hat. Wir haben uns mit Ihm bekanntzumachen; und Er ist die Liebe.

Man beachte es wohl, daß nicht nur gesagt ist: „Gott liebt", sondern: „Gott ist die Liebe". Nicht, als ob die Liebe nur eine

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 Eigenschaft Seines Charakters sei, nein, sie ist die wahre Tätig­keit Seiner Natur. Wir lesen nicht, daß Gott die Gerechtigkeit oder die Heiligkeit ist; Er ist gerecht, und Er ist heilig. Aber es würde nicht die volle und gesegnete Wahrheit ausdrücken, wenn nur gesagt würde: „Gott liebt"; — vielmehr: „Er ist die Liebe". Wenn daher der Sünder dahin gebracht ist, seinen völligen Ruin, seine hoffnungslose Armseligkeit, seine Schuld und sein Elend sowie die äußerste Nichtigkeit und Wertlosig-keit dessen, was in ihm und um ihn her ist, zu sehen, wenn er erkennt, daß nichts in der Welt sein Herz, und nichts in seinem Herzen Gott und sein eigenes Gewissen befriedigen kann — wenn sein Auge in irgendeiner Weise über diese Dinge geöff­net ist, dann hat er durch diese große wesentliche Wahrheit gefunden, daß „Gott die Liebe ist", und daß Er also die Welt geliebt hat, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab.

Hier sind Leben und Ruhe für die Seele. Hier ist für den armen schuldbeladenen, verlorenen Sünder eine vollkommene, freie und ewige Errettung — eine Errettung, die nicht auf etwas ruht, das in oder von dem Menschen ist, nicht auf etwas, das er ist, sein kann, getan hat oder tun kann, sondern einfach auf dem, was Gott ist und was Er getan hat. Gott liebt und gibt — der Mensch glaubt und empfängt. Dies steht weit über der Schöpfung, über der Regierung und über dem Gesetz. In der Schöpfung sprach Gott, und es geschah.

 Er rief Welten ins Dasein durch das Wort Seines Mundes. Aber in der ganzen Geschichte der Schöpfung finden wir nichts von Gott als Dem, Welcher liebt und gibt. Ebenso ist es bezüglich Seiner Regie­rung. Wir sehen, wie Gott inmitten der Heere des Himmels und inmitten der Kinder der Menschen Seine Herrschaft in unaus-forschlicher Weisheit ausübt, aber wir können Ihn nicht be­greifen. Endlich ist das Gesetz von Anfang bis zu Ende ein vollkommenes System von Geboten und Verboten — voll­kommen in seiner Handlung, indem es den Menschen prüft und dessen gänzliche Entfremdung von Gott offenbart. „Das Gesetz bewirkt Zorn". Und wiederum: „Durch Gesetz kommt Er­kenntnis der Sünde". Aber was konnte ein solches System in einer Welt voller Sünder tun? Konnte es das Leben geben? Unmöglich! Warum? Weil man seine heiligen Forderungen nicht zu erfüllen vermochte. „Denn wenn ein Gesetz gegeben

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 wäre, das lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Ge­rechtigkeit aus Gesetz". Aber nein; das Gesetz war ein Dienst des Todes und der Verdammnis (siehe 2. Kor 5). Die einzige Wirkung des Gesetzes ist gegenüber dem, der sich darunter befindet, der Stempel des Todes auf die Seele und der Stempel der Strafe und der Verdammnis auf das Gewissen. Es kann bei einer aufrichtigen Seele unter dem Gesetz unmöglich anders sein. Was ist daher notwendig? Nichts anderes als die Erkenntnis der Liebe Gottes und der kostbaren Gabe, welche diese Liebe verliehen hat. Dies ist das ewige Fundament von allem: die Liebe und die Gabe der Liebe. Denn wir müssen uns stets daran erinnern, daß die Liebe Gottes uns nimmer anders hätte er­reichen können als nur durch diese Gabe. Gott ist heilig, und wir sind sündige Geschöpfe. Wie könnten wir in Seine Nähe kommen? Wie könnten wir in Seiner heiligen Gegenwart ver­weilen? Wie könnten Sünde und Heiligkeit beieinander woh­nen? Unmöglich! Die Gerechtigkeit fordert die Verurteilung der Sünde; wenn die Liebe den Sünder erretten will, so bedarf sie dazu nichts weniger als die Gabe des eingeborenen Sohnes Gottes. 

Darius liebte Daniel und bemühte sich sehr, ihn von der Löwengrube zu erretten, aber seine Liebe war machtlos ge­genüber dem unbiegsamen Gesetz der Meder und Perser. Er brachte die Nacht in Traurigkeit und Fasten zu. Er konnte weinen vor der Öffnung der Grube; vermochte jedoch nicht, seinen Freund zu erretten. Seine Liebe war gänzlich ohne Macht. Wenn er sich selbst für seinen Freund den Löwen geopfert hätte, so wäre dies eine höchst ruhmvolle Tat ge­wesen; aber er tat es nicht. Seine Liebe brachte nur nutzlose Tränen und Wehklagen hervor. Das Gesetz des persischen Königreichs war mächtiger als die Liebe des persischen Königs. Das Gesetz in seiner ernsten Majestät triumphierte über eine ohnmächtige Liebe, die nichts als fruchtlose Tränen ihrem Gegenstand darzubringen vermochte.

Aber die Liebe Gottes gleicht nicht derjenigen des Perserkönigs. Ewig sei Sein herrlicher Name dafür gepriesen! Seine Liebe ist mächtig, um zu erretten. Sie herrscht durch Gerechtigkeit. Wo­durch ist dies möglich geworden? Weil „Gott die Welt also geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat". Das Gesetz hatte in Worten des schrecklichsten Ernstes erklärt:

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 „Welche Seele sündigt, soll des Todes sterben". War dieses Gesetz weniger streng, weniger kräftig, weniger majestätisch als das Gesetz der Meder und Perser? Keineswegs. Wodurch ist denn seine Macht gebrochen? Es war von Gott Selbst eingeführt und bestätigt. Kein Jota und kein Strichlein sollte vom Gesetz beiseite gestellt werden. Wie nun konnte die Schwierigkeit ge­löst werden? Drei Dinge mußten geschehen: das Recht des Ge­setzes mußte erfüllt, die Sünde verdammt und der Sünder errettet werden. Wie aber konnten diese großen Resultate erzielt werden? An dem Kreuze Jesu fand die Sünde ihre Ver­urteilung und der Sünder seine Errettung. Welch eine kostbare Wahrheit! Möge jeder bußfertige Sünder sie vernehmen und glauben! Das war die bewunderungswürdige Liebe Gottes, daß Er Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle dahingab. Seine Liebe kostete Ihn nichts geringeres, als den Sohn Seines Schoßes. Als es sich um die Erschaffung der Welten handelte, kostete Ihn das nur ein Wort Seines Mundes; aber als es sich darum handelte, eine Welt voll Sünder zu lieben, kostete Ihn dies Seinen eigenen Sohn. Die Liebe Gottes ist eine heilige Liebe, eine gerechte Liebe, eine Liebe, die in Übereinstimmung mit allen Eigenschaften Seiner Natur und den Forderungen Seines Thrones handelt. „Die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Chri­stum, unserem Herrn".

Sicher kann die Seele nicht eher in Freiheit gesetzt sein, als bis diese Wahrheit völlig vor ihr aufgeschlossen ist. Es mag eine unbestimmte Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes sowie ein gewisses Maß an Vertrauen auf das Versöhnungswerk Jesu vorhanden sein; die wahre Freiheit des Herzens aber kann unmöglich eher genossen werden, als bis erkannt und verstan­den ist, daß Gott in der Weise Seine Liebe geoffenbart hat, daß Er Seinen Sohn hingab. Das Gewissen würde nimmer beruhigt und Satan nimmer zum Schweigen gebracht werden können, wenn die Sünde nicht vollkommen gerichtet und hinweggenom­men worden wäre. Aber „also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe". Welche Tiefe und welche Kraft liegt in dem Wörtchen „also"!

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Es mag hier am Platze sein, einer Schwierigkeit zu begegnen, vor welcher ängstliche Seelen nicht selten zurückschrecken. Es ist die Frage der Zuneigung. Tausende sind auf der einen oder der anderen Station ihrer geistlichen Geschichte durch diese Frage gequält und beunruhigt worden, und es ist nicht unwahr­scheinlich, daß der eine oder andere Leser dieser Zeilen sich der wenigen Worte über diesen Gegenstand erfreuen wird. 

Man­cher möchte vielleicht fragen: „Wie kann ich erfahren, ob diese Liebe und die Gabe der Liebe für mich bestimmt sind? Welche Bürgschaft habe ich für den Glauben, daß das „ewige Leben" für mich ist? Ich kenne den Ratschluß der Erlösung; ich glaube an das Vollgenüge des Versöhnungsopfers Christi zur Sünden­vergebung und Rechtfertigung aller, welche glauben. Ich bin von der Wahrheit alles dessen überzeugt, was die Bibel lehrt. Ich glaube, daß wir alle Sünder sind und zu unserer Errettung nichts zu tun vermögen — daß wir durch das Blut Jesu abge­waschen und durch den Heiligen Geist belehrt und geleitet werden müssen, bevor wir hienieden Gott Wohlgefallen und hernach bei Ihm wohnen können. Alles das glaube ich völlig; dennoch habe ich keine Gewißheit meiner Errettung; ich be­gehre zu wissen, welcher Autorität ich zu glauben habe, daß meine Sünden vergeben sind und ich das ewige Leben habe".

Sollte dies die Sprache des Leser sein, um seiner Ungewißheit einen Ausdruck zu verleihen, so würden wir zunächst seine Aufmerksamkeit auf zwei Wörtchen lenken, die wir in unserem kostbaren Text (Joh 5, 16) finden, nämlich auf die Wörtchen „Welt" und „jeder". Wer vermöchte die Anwendung dieser beiden Wörtchen von sich abzuweisen? Für wen — möchte man fragen — gilt die Bedeutung des Ausdrucks „Welt"? Wen schließt dieser Ausdruck ein, oder vielmehr, wen schließt er nicht ein? Wenn unser Herr erklärt, daß „Gott die Welt also geliebt", aus welchem Grunde kann sich dann der Leser von dem Bereich, dem Ziel und der Anwendung dieser göttlichen Liebe ausschließen? Es gibt in der Tat für ihn dazu keinen Grund, solange er nicht beweisen kann, daß er allein nicht der Welt, sondern einer anderen Wesens-Sphäre angehört. Wenn gesagt wird, daß „die Welt" hoffnungslos verdammt ist, könn-

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 te dann jemand, der einen Teil dieser Welt ausmacht, die An­wendung dieses Urteils von sich abweisen? Könnte er sich selbst davon ausschließen? Unmöglich! Wie aber kann er und warum sollte er sich ausschließen, wenn es sich um die freie Liebe Gottes und um die Errettung durch Christum Jesum han­delt?

Und was ist, möchten wir weiter fragen, die Bedeutung und die Kraft des Wörtchens „jeder"? Ist jemand ausgeschlossen? Sicher nicht! Wenn aber jeder gemeint ist, warum dann nicht der Leser? Es ist besser, weit sicherer, weit genügender das Wörtchen „jeder" in dem Evangelium zu finden, als wenn dort mein eigener Name zu lesen wäre, da es zwar möglich sein könnte, daß tausend Personen in der Welt denselben Namen führten, während das Wörtchen „jeder" sich aber so bestimmt auf mich anwenden läßt, als wenn ich mich allein auf der Ober­fläche der Erde befände.

Wir sehen also, daß gerade die Ausdrücke, die gebraucht wer­den, um die frohe Botschaft zu verkünden, ganz und gar geeig­net sind, jede Schwierigkeit bezüglich ihrer Zuneigung zu be­seitigen. Wenn wir auf den Herrn in den Tagen Seines Flei­sches lauschen, so hören wir die Worte: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe". Und wiederum, wenn wir auf Ihn lauschen nach Seiner Auferstehung, so vernehmen wir die Worte: „Gehet hin in die ganze Welt, predigt die gute Botschaft der ganzen Schöpfung" (Mark 16). Und lauschen wir endlich auf die Stimme des von einem auferstandenen, aufgefahrenen und verherrlichten Herrn gesandten Heiligen Geistes, so hören wir die Worte: „Derselbe Herr von allen ist reich über alle, die ihn anrufen. Denn wer irgend den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden" (Röm 10, 12. 13).

Alle diese, die Botschaft des Heils verkündenden Stellen lassen für niemanden Raum übrig, deren Anwendung abzuweisen. Wenn „die ganze Welt" der Schauplatz und „die ganze Schöp­fung" der Gegenstand des kostbaren Evangeliums für Chri­stum ist, wer hätte dann irgendwie ein Recht, sich selbst auszu­schließen? Wo gibt es außerhalb der Hölle für irgendeinen Sünder eine Vollmacht zu sagen, daß die frohe Botschaft des

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 Heils nicht für ihn sei? Es existiert keine. Das Heil oder die Errettung ist eine so freie Gabe wie die Luft, die wir einatmen, wie die Regentropfen, welche die Erde erfrischen, und wie die Sonnenstrahlen, welche unseren Fußpfad beleuchten; und wenn jemand versucht, sie einzuschränken, so befindet er sich weder in Harmonie mit dem Geiste Christi, noch in Übereinstimmung mit dem Herzen Gottes.

„Aber" — möchte vielleicht jemand fragen — „wie ist denn die Frage der Auserwählung aufzufassen?" Unsere Antwort ist; „Man lasse sie dort, wohin Gott sie als einen Grenzstein in dem Erbteil des geistlichen Israels und nicht als einen Stein des Anstoßes auf dem Pfade des ängstlichen Forschers hingestellt hat". — Dieses wird nach unserer Meinung die richtige Ein­stellung zu der wichtigen Lehre der Auserwählung sein. Je tiefer wir in diesen Gegenstand eindringen, desto völliger sind wir überzeugt, daß es falsch ist, wenn der Evangelist oder der Prediger des Evangeliums seine Botschaft durch die Lehre von der Auserwählung oder Prädestination schwächt, seinen Gegen­stand verwirrt und seine Zuhörer beunruhigt. Er hat es in der Erfüllung seines Dienstes mit verlorenen Sündern zu tun.

 Er begegnet den Menschen, wo sie sich befinden, nämlich auf dem breiten Boden unseres gemeinsamen Verderbens, unserer gemeinsamen Schuld, und unserer gemeinsamen Verdammnis. Er begegnet ihnen mit der Botschaft einer vollkommenen, freien, gegenwärtigen, persönlichen und ewigen Errettung — mit einer Botschaft, die frisch und brennend aus dem Herzen Gottes hervorströmt. Sein Dienst ist, wie der Heilige Geist in 2. Kor 5 erklärt, „ein Dienst der Versöhnung", dessen herrlicher Charakter sich in den Worten ausdrückt: „Gott in Christo — die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend", und dessen wunderbares Fundament darin besteht, daß Gott „Jesum, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht hat, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm".

Beeinträchtigt dieses in etwa die gesegnete und klar festgestellte Wahrheit der Auserwählung? Keineswegs. Es läßt sie in ihrer ganzen Ausdehnung und in ihrem vollen Werte, als eine Fun-damental-Wahrheit der Heiligen Schrift, genau auf dem Platze, wohin Gott sie gestellt hat, nämlich nicht als eine dem Kommen

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 des Sünders zu Jesu vorhergehende Frage, sondern als einen höchst kostbaren Trost und als eine Ermutigung für den, der gekommen ist. Wenn ein Sünder berufen wäre, im voraus die Auserwählungsfrage entscheiden zu müssen, wie sollte er es anfangen? Wohin sollte er sich wenden, um sich zu befragen. Wo soll er eine göttliche Bürgschaft für den Glauben finden, daß er einer der Auserwählten sei? Gibt es in der Schrift eine einzige Stelle, auf der er seinen Glauben bezüglich seiner Aus-erwählung gründen könnte? Sicher ist keine vorhanden.

 Er kann eine Menge Stellen finden, die ihm erklären, daß er straf­bar, untauglich und verloren ist — ein Menge Stellen, die ihm Gewißheit geben über sein gänzliches Unvermögen, etwas in der Angelegenheit seiner eigenen Errettung tun zu können — Hunderte von Stellen, welche die freie Liebe Gottes, sowie den Wert und die Kraft des Versöhnungsopfers Christi vor seinem Auge entfalten und ihn eines herzlichen Willkommens ver­sichern, wenn Er kommt wie Er ist und die kostbaren Früchte göttlichen Heils für Sich gewinnt. Wäre es hingegen nötig für ihn, die Frage der Auswahl zuerst in Ordnung zu bringen, dann würde sein Zustand hoffnungslos sein, und nichts würde für ihn übrig bleiben als trostlose Verzweiflung.

Und befinden sich in diesem Augenblick nicht Tausende in einer solchen Lage wegen der verkehrten Anwendung der Lehre von der Auserwählung? Wir glauben dieses; und darum ist es unser Bemühen, die Sache vor den Augen unserer Leser in das rechte Licht zu stellen. Wir halten es für durchaus not­wendig, daß ängstliche Seelen es klar erkennen, daß nicht die Auserwählung, sondern das erkannte Verderben der Stand­punkt ist, von wo aus man das Kreuz Christi anschauen muß. Die Gnade Gottes begegnet dem Menschen als einem verlornen, toten, schuldigen Sünder, und nicht als einem Auserwählten. Es ist für ihn eine unaussprechliche Gnade, sich als verloren zu erkennen; aber er kann erst dann wissen, ob er ein Auserwähl­ter sei, wenn das Evangelium in Macht zu ihm gekommen ist. Der Apostel sagt zu den Thessalonichern: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung". Wie konnte er sie wis­sen? Er sagt weiter: „Denn unser Evangelium war nicht bei euch im Worte allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geiste und in großer Gewißheit" (1. Thess 1. 4. 5). Paulus

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 brachte den Thessalonichern, als verlorenen Sündern, das Evan­gelium, und als sie dasselbe als Verlorene aufgenommen hatten, wandte er sich an sie als Auserwählte.

Dies stellt die Auserwählung an den rechten Platz. Wenn der Leser für den Augenblick sein Auge auf Apg 17 richten will, so wird er dort sehen, wie Paulus unter den Thessalonichern sein Werk als Evangelist betrieb. „Nachdem sie aber durch Amphipolis und Apollonia gereist, kamen sie nach Thessa­lonich, wo die Synagoge der Juden war. Nach seiner Gewohn­heit aber ging Paulus zu ihnen hinein und redete an drei Sab­bathen mit ihnen aus den Schriften, indem er eröffnete und darlegte, daß der Christus leiden und aus den Toten aufer­stehen mußte, und daß dieser, der Jesus, den ich euch verkün­dige, der Christus ist.

 Und etliche aus ihnen glaubten und gesell­ten sich zu Paulus und Silas, und von den anbetenden Griechen eine große Menge". Ebenso lesen wir in 1. Kor 15 die beach­tenswerten Worte: „Ich tue euch aber kund, Brüder, das Evan­gelium, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch ange­nommen, in welchem ihr auch stehet, durch welches ihr auch errettet werdet, (wenn ihr an dem Worte festhaltet, das ich euch verkündigt habe), es sei denn, daß ihr vergeblich geglaubt habt. Denn ich habe euch zuerst überliefert, was ich auch emp­fangen habe: daß Christus gestorben ist für unsere Sünden, nach den Schriften, und daß er begraben und daß er auferweckt worden am dritten Tage nach den Schriften" (V. 1—4).

Aus diesen Schriftstellen, denen wir noch eine zahlreiche Menge beifügen könnten, ersehen wir, daß der Apostel nicht eine bloße Lehre, sondern eine Person verkündigte. Er predigte nicht die Auserwählung. Er belehrte die bereits Erretteten über die­sen Punkt; aber er machte denselben den Sündern gegenüber nicht zu einem Gegenstand seiner Predigt. Dieses sollte zu allen Zeiten den Evangelisten als Beispiel dienen. Wir finden nirgends, daß die Apostel die Auserwählung predigten. Sie ver­kündigten Christum; sie enthüllten die Liebe Gottes — Seine Gnade — Seine große Barmherzigkeit — Seine vergebende Liebe — Seine gnadenreiche Bereitwilligkeit, um alle aufzunehmen, die in ihrem wahren Charakter und Zustand als verlorene Sünder kommen würden. Dies war ihre Art und Weise zu predigen, oder vielmehr die Art und Weise des Heiligen Geistes

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 in ihnen, und dies war die Art und Weise des Herrn und Mei­sters Selbst. „Kommet her zu mir alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben". — „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke". — „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen".

Hier gibt es keinen Anstoß für eine ängstliche Seele; hier gibt es keine Fragen, die vorher entschieden, keine Bedingungen die erfüllt, keine theologischen Schwierigkeiten die gelöst wer­den müssen. Nein, der Sünder wird empfangen auf dem Boden, auf dem er sich befindet — empfangen, wie er ist — empfangen in demselben Augenblick. Es gibt Ruhe für den Mühseligen, Speise und Trank für den Hungernden und Dürstenden, Leben für den Toten, Vergebung für die Schuldigen, Errettung für den Verlorenen. Berührt diese freie Einladung die Lehre von der Auserwählung? Keineswegs. Mit andern Worten, ein freies Evangelium läßt die große und höchst wichtige Wahrheit der Auserwählung völlig unberührt; und die Wahrheit der Aus-erwählung auf ihrem geeigneten Platz läßt das Evangelium von der Gnade Gottes auf seiner breiten und gesegneten Grundlage und in all seiner göttlichen Länge, Breite und Fülle.

 Das Evan­gelium begegnet uns als Verlorenen und errettet uns und dann, wenn wir uns gerettet wissen, zeigt uns die kostbare Lehre von der Auserwählung die Tatsache, daß wir nie mehr verloren gehen können. Es war nie die Absicht Gottes, ängstliche Seelen durch theologische Streitfragen und Lehrpunkte zu beunruhi­gen. Vielmehr — gepriesen sei Sein Name! — ist es Sein gnaden­reicher Wunsch, daß der heilende Balsam Seiner vergebenden Liebe und die reinigende Kraft des Versöhnungsblutes Jesu auf die geistlichen Wunden einer jeden bußfertigen Seele ange­wandt werden. Und was die Lehre von der Auserwählung be­trifft, so hat Er sie in Seinem Worte enthüllt, um Seine Hei­ligen zu trösten, nicht aber, um die Sünder zurückzuschrecken. Die Auserwählung ist sicher ein kostbarer Edelstein; allein es war nie beabsichtigt, sie als einen Stein des Anstoßes auf den Weg .eines nach Leben und Frieden seufzenden Sünders zu legen. Sie ist niedergelegt in die Hände des Lehrers, um in­mitten der Familie Gottes enthüllt zu werden; aber sie ist nicht dem Evangelisten anvertraut, der den gesegneten Beruf hat, sich an die Landstraßen und Zäune einer verlornen Welt zu

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 stellen. Sie ist dazu bestimmt, die Kinder zu nähren und zu trösten, nicht aber die Sünder zu schrecken und ihnen Anstoß zu geben. Wir möchten daher allen Evangelisten mit Ernst zu­rufen: „Vermengt eure Predigten nicht mit theologischen Streit­fragen, sondern predigt Christum. Enthüllt die tiefe, ewige Liebe eines Gott-Heilandes. Trachtet danach, die in ihrem Ge­wissen beunruhigten Seelen in die unmittelbare Gegenwart einer vergebenden Liebe Gottes zu bringen. Schildert, wenn es nötig ist, mit den düstersten Farben die Schrecken vor dem weißen Thron, die Schrecken des Feuersees und des ewigen Feuers; aber laßt es euch auch angelegen sein, die in ihrem Ge­wissen Getroffenen unter der versöhnenden Kraft des Blutes Christi zur Ruhe zu bringen. Dann könnt ihr die Früchte eures Dienstes dem göttlich befähigten Lehrer übergeben, um solche in den tieferen Geheimnissen des Glaubens an Christum zu unterweisen. Ihr könnt versichert sein, daß, wenn ihr eure Pflicht als Evangelisten treu erfüllt, ihr das Gebiet theologischer Streitfragen nicht betreten werdet".

Dem ängstlichen Sucher aber möchten wir mit dem gleichen Ernst zurufen: „Laß dich durch nichts auf dem Wege zu Jesu aufhalten. Horche auf nichts anderes, als auf die Stimme Jesu, Der sagt: Kommt zu mir. Sei versichert, daß es kein Hin­dernis, keine Schwierigkeit, keine Frage, keine Bedingung gibt. Du bist ein verlorener Sünder; und Jesus ist ein vollkommener Erretter. Setze auf Ihn dein Vertrauen, und du wirst für ewig gerettet sein. Glaube an Ihn, und du wirst deinen Platz unter den „Auserwählten Gottes" erkennen, welche „zuvorbestimmt sind, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu werden". Bringe deine Sünden zu Jesu; und Er wird sie vergeben und durch Sein Blut auslöschen, und wird dich bekleiden mit einem flek­kenlosen Kleid göttlicher Gerechtigkeit. Möge der Geist Gottes dich leiten, dich einfach und ganz auf diesen kostbaren, völlig genügenden Heiland zu werfen".

Wir schließen diese Zeilen mit einer kurzen Bemerkung über zwei verschiedene Übel, die aus der falschen Anwendung der Auserwählungslehre hervorgehen:

i. Es wird dadurch eine Entmutigung bei wahrhaft ernsten Seelen hervorgerufen, die der Ermunterung bedürfen. Sind

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 solche Personen durch die Frage der Auserwählung zurückge­schreckt, so muß das Resultat ein im höchsten Grade trauriges sein. Wenn ihnen gesagt wird, daß die frohe Botschaft des Heils nur für den Auserwählten sei, daß Christus nur für einen solchen Sein Leben gegeben habe, und daher auch nur ein sol­cher gerettet werden könne; — wenn ihnen gesagt wird, daß, wenn sie nicht auserwählt sind, sie kein Recht haben, die gesegneten Wirkungen des Todes Christi auf sich anzuwen­den; — wenn sie, mit einem Wort, von Christo und dem he­benden Herzen eines vergebenden Gottes hinweg zu den kalten Streitfragen einer förmlichen Theologie getrieben werden, dann ist es unmöglich zu berechnen, wo sie auf dieser ab­schüssigen Bahn enden werden. Jedenfalls nehmen sie entweder zum Aberglauben oder zum Unglauben ihre Zuflucht. Welchem Bekenntnis sie sich auch äußerlich anschließen werden, es wird ihnen der lebendige, liebende, kostbare und völlig genügende Christus fehlen. Der die einzige wahre Speise für ängstliche Seelen ist. —

2. Andererseits wird bei leichtfertigen Seelen durch die Lehre von der Auserwählung deren Leichtfertigkeit nur noch mehr gefördert. Werden solche Menschen auf ihren Zustand und ihre Zukunft hingewiesen, ergreifen sie ihre Waffen und sagen. „Ich kann nicht glauben, wenn mir Gott nicht die Kraft dazu gibt. Wenn ich auserwählt bin, so bin ich errettet; andernfalls sind meine Anstrengungen nutzlos. Ich kann nichts tun, son­dern muß die Zeit Gottes abwarten". — Alle diese falschen und leichtfertigen Schlüsse werden einmal bloßgestellt und zerstört werden; nicht einen Augenblick werden sie im Licht des gött­lichen Richters bestehen können. Ein jeder wird dort erfahren, daß die Auserwählung keine Entschuldigung gibt, und zwar aus dem Grunde, weil Gott dieselbe nie als Hindernis, um errettet zu werden, hingestellt hat. Das Wort gilt: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst"'. Dieses Wort, das den Anstoß vor den Füßen eines ängstlich Suchenden hinwegnimmt, entreißt jeder Ausrede, die den Lippen eines leichtfertig Verwerfenden entschlüpft, die Grundlage. Niemand ist ausgeschlossen. Alle sind eingeladen. Es gibt weder einerseits ein Hindernis, noch andererseits eine Entschuldigung. Alle sind willkommen; aber auch alle sind verantwortlich. Wenn es daher jemand wagt, sich

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zu entschuldigen, indem er das Heil Gottes, das so klar wie das Licht der Sonne ist, dadurch verwirft, daß er sich auf die Rat­schlüsse Gottes, die verborgen sind stützt, so wird er sich ein­mal schrecklich getäuscht finden.

Mit einem Wort, die kostbare Lehre von der Auserwählung ist nicht da, um für den Ängstlichen ein Anstoß zu sein, aber auch nicht, um dem Leichtfertigen einen Grund zur Entschuldigung anhand zu geben. Möge daher der Heilige Geist den Leser vor beiden Klippen bewahren! —

Nachdem wir nun jede durch den Mißbrauch der kostbaren Lehre von der Auserwählung entstehende Schwierigkeit hin­weggeräumt und dem Evangelisten und Lehrer gezeigt haben, daß für die völlige und aufrichtige Annahme der freien Gabe Gottes und der Gabe Seines eingeborenen Sohnes, kein Hin­dernis besteht, bleibt uns nun noch übrig, nach allen Seiten hin die Ergebnisse zu betrachten, wie diese uns in den Worten unsers Herrn Jesu Christi vorgestellt sind. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe".

Wir haben hier also das unerschütterliche Ereignis für jeden, der einfach an Jesum glaubt. Er wird nicht verlorengehen, son­dern ewiges Leben haben. Aber wer könnte das, was in dem Wörtchen „verloren" enthalten ist, deutlich darstellen? Wel­che Zunge eines Sterblichen könnte die Schrecken jenes Sees schildern, der mit Feuer und Schwefel brennt, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlöscht? Wir glauben sicher, daß niemand außer Ihm, Der jenes Wort an Nikodemus richtete, eine richtige Erklärung über dasselbe geben kann; aber wir fühlen uns gedrungen von der ernsten Wahrheit der ewigen Verdammnis ein unzweideutiges Zeugnis abzulegen.

Es ist eine ernste und traurige Tatsache, daß der Feind der See­len und der Wahrheit Gottes Tausende sowohl in Europa als auch in Amerika verleitet hat, die höchst wichtige Frage der ewigen Verdammnis der Gottlosen in Frage zu stellen. Er tut

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 dies auf verschiedenen Gebieten und durch mannigfaltige Be­weismittel, die er den Gewohnheiten und Gedanken, dem moralischen Zustande und dem geistlichen Standpunkt der betreffenden anzupassen sucht. Vor allem sucht er die Men­schen zu überreden, daß Gott zu gütig sei, um irgend jemand an den Ort des Schreckens zu senden, und daß es Seiner Liebe und Seiner gütigen Natur ganz und gar widerspricht, über eines Seiner Geschöpfe eine solche Pein zu verhängen.

Wir möchten nun allen, die auf diesem Boden stehen oder zu stehen vorgeben, die wichtige Frage ans Herz legen: „Was wird mit den Sünden derer geschehen, welche unbußfertig und un­gläubig sterben?" Wie stark man auch betonen mag, daß Gott zu gütig sei, einen Sünder zur Hölle senden zu können, so ist sicher noch bestimmter hervorzuheben, daß Gott zu heilig ist, als daß Er die Sünde in den Himmel einführen könnte. „Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen" (Hab 1. 13). Gott und das Böse können nie beieinanderwohnen. Das ist klar. Was muß nun geschehen? Wenn Gott die Sünde nicht im Himmel dulden kann, was hat dann der Sünder zu erwarten, der in seinen Sünden stirbt? Er muß unbedingt verlorengehen. Und was will das sagen? Versteht man darunter eine Vernichtung, die völlige Vertilgung und Auslöschung der gänzlichen Existenz des Leibes und der Seele? Keineswegs.

 Ich zweifle nicht, daß viele dieses wünschen. Die Worte: „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot", passen für Tausende der Söhne und Töchter des Vergnügens, welche nur an den gegenwärtigen Augenblick denken und die Sünde als einen Leckerbissen be­trachten, nach dem ihr Gaumen lechzt. Sicher gibt es Millionen auf dem Erdboden, welche bereit wären, ihr ewiges Glück für wenige Stunden strafbaren Vergnügens zu vertauschen; und der listige Feind strengt sich an, um das Menschengeschlecht zu überreden, daß es weder solch einen Platz gebe wie die Hölle noch solch ein Ding wie der See, der mit Feuer und Schwefel brennt; und um für diese schreckliche Verlockung festen Fuß zu behalten, gründet er sie auf die scheinbare und Ehrfurcht gebietende Idee der Güte Gottes.

0 mein Leser, traue nicht dem Lügner von Anfang! Gott ist heilig. Er kann die Sünde nicht in Seiner Gegenwart dulden. Wenn du in deinen Sünden stirbst, so bist du verloren; und

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 dieses Wörtchen „verloren" faßt nach den klaren Zeugnissen der Heiligen Schrift ewiges Elend, ewige Qual in der Hölle in sich. Bedenke, was unser Herr Jesus Christus in Seiner ernsten Schilderung des Gerichts über die Nationen sagt: „Dann wird er auch sagen zu denen zu seiner Linken: Gehet hin von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln" (Mt 25, 41). Und wenn du lauschest auf diese schrecklich feierlichen Ausdrücke, dann erinnere dich, daß das Wörtchen „ewig" siebenzigmal im Neuen Testament angeführt ist. Denn es ist dort die Rede von „ewigem Feuer" — von „ewigem Leben"—von „ewiger Strafe"— von „ewiger Verdammnis"—von „ewigen Wohnungen" — von „dem ewigen Gott" — von „dem ewigen Gewicht von Herrlichkeit" — von „ewiger Zerstörung" — von „ewigem Trost" — von „ewiger Herrlichkeit" — von „ewi­ger Errettung" — von „ewigem Gericht" — von „ewigem Erb­teil" — von „ewigem Königreich" — von „ewigem Feuer".

Wir fragen jetzt jeden aufrichtigen, urteilsfähigen Leser, aus welchem Grunde man das Wort „ewig", wenn auf Gott ange­wandt, als immer fortdauernd betrachten kann, während man dasselbe, wenn auf das höllische Feuer und die Strafe der Gott­losen angewandt, als vorübergehend deutet? Wenn unter dem Worte „ewig" in dem einen Falle eine ununterbrochene Fort­dauer zu verstehen ist, warum nicht in dem anderen? Ist es recht, unter gewissen Umständen demselben eine entgegen­gesetzte Deutung zu geben? Ein solches Verfahren ist im höch­sten Grade verwerflich und eine Schmach, die man dem Worte Gottes antut. Nein, mein Leser, du kannst nicht das Wörtchen „ewig" auf einen Fall anwenden, ohne es auch in seiner vollen Bedeutung zugleich auf alle siebenzig Fälle, worin es vor­kommt, anzuwenden. Es ist ein gefährliches Ding, mit dem Worte Gottes zu spielen. 

Es ist weit besser, sich unter die heilige Autorität desselben zu beugen. Ich möchte es um keinen Preis wagen, dieses auf die unsterbliche Seele des Menschen an­gewandte Wort „verloren" in seiner vollen Bedeutung und Kraft zu schwächen. Es schließt ohne allen Zweifel die schreck­liche, namenlos schreckliche Wirklichkeit einer fortdauernden Qual in den Flammen der Hölle in sich. Das ist es, was die Schrift unter dem Wort „verloren" versteht. Der Anbeter welt­licher Vergnügungen oder der Freund des Geldes mag, um

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 dieses zu vergessen, im Glase oder durch geschäftlichen Ver­kehr mit anderen jeden Gedanken daran zu ersticken suchen. Der gefühlvolle Schwärmer mag schwatzen über das göttliche Wohlwollen; der Zweifler mag mit großen Worten die Mög­lichkeit eines ewigen Feuers in Frage stellen; aber wir wünschen von ganzem Herzen, daß diese Zeilen in dem Herzen jedes Lesers die feste und unerschütterliche Überzeugung wecken möchte, daß die Bestrafung aller derer, die in ihren Sünden sterben, ebenso eine ewige in der Hölle, wie die Segnung derer, die im Glauben an Christum sterben, eine ewige im Himmel ist. Wenn es nicht also wäre, so würde der Heilige Geist ganz gewiß hinsichtlich des ersten Punktes andere Worte gebraucht haben als es beim letzterenpunkt der Fall ist. Dieses steht außer allem Zweifel.

Doch gibt es noch einen andern Einwand, der wider die Lehre von der ewigen Verdammnis erhoben wird. Es ist oft gesagt worden: „Wie können wir voraussetzen, daß Gott eine ewige Vergeltung als Strafe für so wenige Jahre der Sünde auferlegen sollte?" Wir erwidern: Man greift die Sache an dem verkehrten Ende an, wenn man in dieser Weise streitet. Es handelt sich hier nicht um eine von menschlichem Standpunkte aus betrach­tete Zeitfrage, sondern um die von Gott gemessene Größe der Sünde. Und wie kann diese Frage erÖrter t werden? Nur im Blick auf das Kreuz. Wenn man wissen will, was die Sünde in den Augen Gottes ist, so muß man hinschauen auf das, was es Ihn gekostet hat, um sie hinwegzunehmen. Nur das unendliche Opfer Christi ist der einzige Maßstab, um die Größe der Sünde messen zu können. Die Menschen mögen ihre wenigen Jahre mit der Ewigkeit Gottes vergleichen; sie mögen die kurze Spanne ihres Lebens neben die Ewigkeit stellen, die sich jen­seits des Grabes bis ins Unendliche ausdehnt; sie mögen die wenigen Jahre der Sünde in die eine, und eine Ewigkeit der Qual und des Wehes in die andere Waagschale legen; aber dieses alles wird kein Beweis gegen die Wahrheit sein. Die Frage ist und bleibt: War eine solch unendliche Versöhnung nötig, um die Sünde wegzunehmen? War dieses der Fall, dann muß auch die Bestrafung der Sünde eine ewige sein. Wenn nur ein solches Opfer von den Folgen der Sünde zu befreien ver­mochte, dann müssen sicher diese Folgen ewig sein.

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 Mit einem Wort, wir müssen die Sünde aus einem göttlichen Gesichtspunkt beschauen und sie mit Seinem Maße messen; denn sonst erlangen wir nicht die Fähigkeit, um beurteilen zu können, was sie verdient. Es ist der höchste Grad der Torheit, wenn der Mensch den Versuch macht, die der Sünde schuldige Vergeltung nach seinem Ermessen zu bestimmen. Gott allein ist dazu fähig. Und überdies, was war es, wodurch fast sechs­tausend Jahre hindurch all das Elend und der Jammer, Krank­heit und Traurigkeit, Tod und Verwüstung erzeugt worden ist? War es nicht eine einzige Handlung des Ungehorsams — das Essen einer geringen Frucht? Kann ein Mensch dieses Rätsel lösen? Kann die menschliche Vernunft es sich erklären, daß eine einzelne Tat ein solch überschwengliches Maß von Elend er­zeugen konnte? Gewiß nicht. Und wenn sie dieses nicht ver­mag, wie kann sie es denn versuchen, das Strafmaß der Sünde bestimmen zu wollen? Wehe allen, die sich in diesem wichtigen Punkte ihrer Leitung anvertrauen?

Ach, mein Leser! Du mußt einsehen, daß Gott allein die Sünde und deren gerechte Vergeltung abschätzen und uns darüber Aufschluß geben kann. Ja, wahrlich. Er hat die Sünde gemessen an dem Kreuze Seines Sohnes, und dort hat Er auch in der unzweideutigsten Weise ins Licht gestellt, was sie verdient. Hast du die Bedeutung des furchtbaren Schreies Jesu verstan­den: „Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen?" Wenn Gott Seinen eingeborenen Sohn verließ, als er zur Sünde gemacht war, sollte dann die Sünde nicht eine endlose, ewige Strafe verdienen? Diese Folgerung kann nicht umgestoßen wer­den. Die Unendlichkeit der Versöhnung beweist unwiderlegbar die Lehre der ewigen Verdammnis: Dieses fleckenlose und kostbare Opfer ist ein für allemal das Fundament unseres ewigen Lebens und unserer Befreiung vom ewigen Tode. Es erlöst uns vom ewigen Zorn und führt uns in die ewige Herr­lichkeit; es errettet uns von der endlosen Qual der Hölle und verschafft uns die endlose Segnung des Himmels. Von welcher Seite wir daher auch das Kreuz betrachten mögen, wir sehen stets, daß die Ewigkeit ihren Stempel darauf gedrückt hat. Be­schauen wir es von den finsteren Tiefen der Hölle oder von den sonnigen Höhen des Himmels aus, stets sehen wir die unend­liche, ewige, göttliche Wirklichkeit. Ja, das Kreuz allein ist die

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 einzig richtige Meßschnur der Segnung des Himmels als auch des Elends der Hölle. Die, welche ihr Vertrauen auf Ihn setzen, Der am Kreuze starb, empfangen ewiges Leben und ewige Glückseligkeit, während alle, die Ihn verwerfen, in eine nimmer endende Verdammnis hinabsinken.

Es ist indes keineswegs unsere Absicht, diese wichtige Frage theologisch zu behandeln, oder alle diese Beweise hervorzu­suchen, deren man sich zur Verteidigung der Lehre von der ewigen Verdammnis bedient; aber es gibt eine andere Erwä­gung, die uns geeignet scheint, den Leser zu einer bestimmten Entscheidung zu leiten, und das ist die Unsterblichkeit der Seele. „Und Gott hauchte in die Nase des Menschen den Odem des Lebens, und der Mensch ward zu einer lebendigen Seele" (1. Mo 2, 7). Der Sündenfall des Menschen berührt in keinerlei Weise die Unsterblichkeit seiner Seele. Wenn aber die Seele unsterblich ist, so ist ihre Vernichtung unmöglich. — Die Seele muß für immer leben. Schrecklicher Gedanke! Für immer! Für immer! Für immer! Das ganze moralische Dasein versinkt unter der entsetzlichen Größe dieses Gedankens. Er übertrifft jede Vorstellung und macht jede geistige Berechnung zunichte. Die menschliche Rechenkunst kann sich nur mit dem, was ein Ende hat, beschäftigen. Sie hat keine Ziffern, durch welche sie eine nimmer endende Ewigkeit darstellen kann. Aber der Schreiber wie der Leser dieser Zeilen, beide werden eine Ewigkeit hin­durch leben, sei es -in der glänzenden und gesegneten Welt droben, oder an jenem finsteren Platze, wo der Rauch der Qual aufsteigen wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Möge der Geist Gottes unsere Herzen mehr und mehr erfüllen mit dem ernsten Gedanken an die Ewigkeit sowie an die Seelen, welche zur Hölle hinabfahren. Wir ermangeln in der beklagens­wertesten Weise des Gefühls in betreff dieses so wichtigen Punktes. Wir befinden uns täglich in Verbindung mit den Men­schen; wir kaufen und verkaufen und kommen in vielfacher Weise in Berührung mit solchen, welche für immer leben, und dennoch benutzen wir so selten die Gelegenheiten, um ihnen die Schrecklichkeit der Ewigkeit sowie den jammervollen Zustand aller, welche ohne persönlichen Anteil an dem Blute Christi sind, ans Herz zu legen. — Oh, möchten wir mehr wandeln in dem Lichte der Ewigkeit, dann würden wir auch andere mit

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 größtem Eifer warnen, daß sie dem zukünftigen Zorn entfliehen möchten.

5.

Es bleibt uns nun noch übrig, den letzten Ausspruch der uns vorliegenden Schriftstelle etwas näher ins Auge zu fassen. Wir finden hier das bestimmte, unausbleibliche Resultat des ein­fachen Glaubens an den Sohn Gottes, nämlich die Tatsache, daß ein jeder, der an Jesum Christum glaubt, ein Besitzer des ewigen Lebens ist. Nicht nur sind — wie gesegnet diese Wahr­heit auch ist — seine Sünden für ewig ausgelöscht und nicht nur ist er für immer von den Folgen der Sünde befreit, sondern er hat ein neues Leben, und dieses Leben ist in dem Sohne Gottes. Er ist ganz und gar auf einen neuen Boden gestellt. Er wird nicht mehr in dem Zustande des alten Adams, sondern in dem des auferstandenen Christus betrachtet.

Es gibt leider in den Herzen vieler Christen eine höchst unvoll­kommene Erkenntnis von dem, was wir durch den Glauben an Christum erlangt haben. Manche scheinen das Erlösungswerk Christi nur als ein Heilmittel für die Sünden in unserer alten Natur, oder als eine Abtragung der in unserem früheren Zu­stande gemachten Schuld zu betrachten und sicher ist dieses eine gesegnete und kostbare Wahrheit. Aber dieses Werk schließt viel mehr in sich. Nicht nur sind durch dasselbe die Sünden getilgt, sondern es ist auch der alte Mensch durch das Kreuz Christi als gestorben beiseite gesetzt, so daß der Gläu­bige aufgefordert ist, sich für „tot zu halten". Nicht nur sind die in unserem alten Zustande gemachten Schulden gelöscht, sondern der alte Zustand wird von Gott als beseitigt betrachtet und muß auch von dem Gläubigen also angesehen werden.

Diese große Wahrheit ist in 2. Kor 5 schriftgemäß entwickelt; denn hier lesen wir: „So denn, wenn jemand in Christo ist — eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden" (V. 17). Der Apostel sagt nicht: „Wenn jemand in Christo ist, so sind seine Sünden vergeben, seine Schulden getilgt". Alles dieses ist göttlich wahr. Aber das Resultat geht viel weiter. Der Mensch in Christo ist ganz und gar eine neue Schöpfung. Die alte Natur fand keine Vergebung, sondern ist,

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 und zwar mit allem, was damit zusammenhängt, so völlig beiseite gesetzt worden, daß auch nicht eine Spur von dem alten Zustande zurückgeblieben ist. „Das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden".

Das ist unendlich tröstlich für das Herz. Unmöglich kann eine Seele in die volle Freiheit des Evangeliums eintreten, solange sie nicht in irgendeinem Grade die Wahrheit der „neuen Schöp­fung" begriffen hat. Man mag in Christo die Vergebung er­blicken, mit einer unbestimmten Hoffnung, durch Ihn in den Himmel zu kommen, und mit einem gewissen Maße von Ver­trauen auf die Güte und Barmherzigkeit Gottes, und dennoch mangelt es vielleicht an der richtigen Erkenntnis in betreff des „ewigen Lebens" sowie an dem glücklichen Bewußtsein, eine „neue Schöpfung" zu sein, und an dem wahren Verständnis der großen Tatsache, daß die Natur des alten Adams gänzlich bei­seite gesetzt und der Gläubige von seinem früheren Zustande völlig befreit ist.

Es ist sogar möglich, daß manche unserer Leser über die Bedeu­tung der Ausdrücke, wie: „die alte Natur Adams" — „der alte Zustand" — „das Fleisch" — „der alte Mensch" — in Ungewiß­heit sind. Und in der Tat werden diese Ausdrücke dem Ohr solcher Leser, an welche wir hauptsächlich diese Zeilen richten, höchst seltsam klingen; und dennoch sind es Ausdrücke, deren sich das Wort Gottes bedient. So lesen wir z. B. in Röm 6, 6:

„Indem wir dieses wissen, daß unser alter Mensch mitgekreu­zigt ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, daß wir der Sünde nicht mehr dienen". Was versteht nun der Apostel unter dem „alten Menschen"? Augenscheinlich versteht er darunter die alte Natur Adams — jene Natur, die wir von unseren ersten Eltern erbten. Und was versteht er unter dem „Leibe der Sünde"? Jedenfalls den ganzen Zustand, in welchem wir uns als unwiedergeborene, unerneuerte Menschen befanden. Die alte Adamsnatur wird uns nun als gekreuzigt dargestellt, und der ganze Zustand der Sünde durch den Tod Christi als zerstört betrachtet. Daher hat jede Seele, die an den Herrn Jesum Chri­stum glaubt, das Vorrecht zu wissen, daß ihre alte Natur, ihr sündliches, schuldiges „Ich" von Gott vollständig als tot und beseitigt betrachtet wird. Der „alte Mensch" hat in den Augen Gottes keine Existenz mehr; er ist gestorben und begraben.

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 Ja, es kann nicht stark genug betont werden, daß nicht nur unsere Sünden vergeben sind, sondern daß auch der Zustand, in welchem wir diese Sünden begingen, für immer beseitigt ist Es ist nicht die Art und Weise Gottes, unsere Sünden zu ver­geben und uns zugleich in der sündigen Natur zu lassen, m der wir die Sünden begangen haben. Nein, Er hat in Seiner wun­derbaren Gnade und nach Seinem unermeßlichen Ratschluß die alte Adamsnatur mit allem, was damit zusammenhängt, für den Gläubigen auf ewig gerichtet und vertilgt, so daß sie fer­nerhin in keiner Weise mehr anerkannt wird. „Wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde". Die Stimme der Hei­ligen Schrift bezeichnet uns als gekreuzigt, als gestorben, als begraben und als mit Christo auferweckt. Gott Selbst fordert uns in Seinem Worte auf, uns für tot zu halten. Es ist dieses nicht eine Sache des Gefühls, sondern eine Sache des Glaubens. Wenn ich mich von meinem Gesichtspunkte aus betrachte oder mich nach meinen Gefühlen beurteile, so werde ich diese Wahr­heit nimmer verstehen können. Und warum? Weil ich nach meinem Gefühl eine ebenso sündliche Kreatur bin wie früher. Ich fühle, daß die Sünde in mir ist, daß in meinem Fleische nichts Gutes wohnt, daß meine alte Natur in keinerlei Weise verändert oder veredelt ist, daß sie wie früher noch immer die­selben Neigungen hat, und daß sie sich, wenn nicht durch die Kraft des Heiligen Geistes unterdrückt und niedergehalten, stets in ihrem wahren Charakter zeigen würde.

Und dieses ist gerade der Punkt, über den so viele aufrichtige Seelen in Unklarheit und darum beunruhigt sind. Sie blicken auf sich selbst und beurteilen alles nach dem, was sie sehen und fühlen, anstatt in der Wahrheit Gottes zu ruhen und sich für das zu halten, was sie nach dem Ausspruche Gottes sind. Sie finden es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, das, was sie in sich fühlen, mit dem, was sie im Worte Gottes lesen, in Ein­klang zu bringen. Aber wir müssen uns erinnern, daß der Glaube Gott in Seinem Wort ergreift und mit Ihm in allen Punkten übereinstimmt. Der Glaube nimmt das an, was Er gesagt, und zwar weil Er es gesagt hat. Wenn daher Gott mir sagt, daß mein alter Mensch gekreuzigt ist, meine alte Natur vor Seinen Augen beseitigt ist, so daß Er mich nicht mehr sieht in dem alten Zustande Adams, sondern in dem auferstandenen

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 Christus, so habe ich, gleich einem kleinen Kinde, zu glauben, was Er mir sagt und nach diesem Glauben Tag für Tag zu wandeln. Wenn ich in mir selbst den Beweis der Wahrheit dessen suche, was Gott gesagt, so ist das keineswegs der Glaube. „Abraham sah nicht an seinen eigenen, erstorbenen Leib, weil er fast hundert Jahre alt war, und nicht den erstorbenen Mutterleib der Sarah, und zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend" (Röm 4, 19. 20).

Dieses ist der erhabene Grundsatz, auf den das ganze christliche System sich stützt. „Abraham glaubte Gott". Das ist der wahre Glaube; wir besitzen denselben, wenn wir die Gedanken Gottes anstatt unserer eigenen annehmen. Wenn wir dieses dem vor uns liegenden Gegenstande anpassen, so ist die Sache sehr ein­fach. „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das 'ewige Leben". Hier ist — man bemerke es wohl — nicht von jemandem die Rede, der etwas in betreff Jesu glaubt, sondern von jemandem, der an Ihn glaubt. Es ist eine Frage des einfachen Glaubens an die Person Christi; und ein jeder, welcher diesen Glauben hat, ist der Besitzer des ewigen Lebens. Dieses ist das direkte und bestimmte Zeugnis unseres Herrn in dem Evangelium, ein Zeugnis, das oftmals wiederholt wird. Und nicht nur besitzt der Gläubige in dieser Weise das ewige Leben, sondern ist auch in den Stand gesetzt, in dem Licht, das die Episteln auf diese große Frage werfen, zu sehen, daß sein altes Leben, welches der Apostel als „das Fleisch" oder als „den alten Menschen" bezeichnet, von Gott als gestorben und begraben betrachtet wird. Dieses mag schwer zu begreifen sein; aber möge der Leser sich erinnern, daß er nicht das, was er begreift, sondern das, was im Worte Gottes geschrieben steht, zu glauben hat. Wir lesen nicht: „Abraham begriff Gott", sondern „er glaubte Gott". Wenn das Herz glaubt, wird das Verständnis erleuchtet. Suche ich dieses Verständnis vorher, dann begehre ich dasselbe als eine Stütze, anstatt mich in kindlichem Glauben dem Worte Gottes zu unterwerfen.

Mein teurer Leser! Erwäge dieses in deinem Herzen. Du magst es nicht begreifen können, wie deine sündige Natur, deren Vor­handensein du beständig fühlst, als tot und beseitigt zu be­trachten sei; aber dennoch erklärt das ewige Wort Gottes/daß,

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 wenn dein Herz an Jesum glaubt, dieses alles in betreff deiner wahr ist; denn dann hast du das ewige Leben, bist von allem gerechtfertigt, und bist eine neue Schöpfung; das Alte ist ver­gangen; alles ist neu geworden; und alles ist von Gott. Mit einem Worte: du bist „in Christo"; und „wie er ist, bist auch du in dieser Welt" (1. Joh 4, 17).

Und ist dieses nicht weit mehr als Vergebung deiner Sünden, als Tilgung deiner Schuld, oder als Rettung deiner Seele von der Hölle? Ganz gewiß. Nun sage mir, auf welche Autorität du dich stützest, indem du an die Vergebung deiner Sünden glaubst? Ist es, weil du fühlst, oder verwirklichst, oder be­greifst? Nein, sondern weil geschrieben steht: „Diesem geben alle die Propheten Zeugnis, daß ein jeglicher, der an ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfangen wird durch seinen Namen" (Apg 10, 43), und wiederum: „Das Blut Jesu Christi, des Soh­nes Gottes, reinigt von allen Sünden" (1. Joh 1. 7). Und siehe, auf eben dieselbe Autorität hin kannst du glauben, daß dein alter Mensch gekreuzigt ist, daß du nicht mehr im Fleisch, nicht in der alten Schöpfung, nicht in dem Zustande des alten Adams bist, sondern im Gegenteil, daß du von Gott wirklich in dem auferstandenen und verherrlichten Christus geschaut wirst, und daß Er dich wie Christum anblickt,

Leider ist es wahr, daß das Fleisch in dir ist und daß du dich tatsächlich in dieser alten Welt befindest, welche unter dem Gericht steht. Aber höre, was der Herr bezüglich deiner zum Vater sagt: „Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin"; und wiederum: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe ich sie in die Welt gesandt". Wirst du 'dich nun unter das Wort Gottes beugen? Wirst du nicht urteilen nach dem, was du in dir siehst oder fühlst, oder über dich denkst, sondern einfach glauben, was Gott sagt, so wirst du auch ein­treten in den gesegneten Frieden und in die heilige Freiheit, hervorfließend aus der Tatsache, daß du dich nicht im Fleisch. sondern im Geist, nicht in der alten, sondern in der neuen Schöpfung, nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade befindest. Du hast den alten Platz, den du als ein Kind der Natur und als ein Glied des ersten Adams bewohntest, verlassen und hast, als ein Kind Gottes und als ein Glied des Leibes Christi eine durchaus neue Wohnstätte bezogen.

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 Wir finden bezüglich dieser Wahrheit in der Sündflut und der Arche ein treffendes Vorbild (siehe 1. Mo 6—8). „Und Gott sah die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden. Und Gott sprach zu Noah: Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Gewalttat durch sie, und siehe, ich will sie verderben mit der Erde". — Hier war also vorbildlich das Ende der alten Schöpfung. Alles ward den Fluten des Gerichts preisgegeben. Was war daher nötig? „Mache dir eine Arche von Gopherholz". Hier wird uns eine neue Sache vorgestellt. Die Arche, friedlich schwimmend über die finsteren Wasserschlünde, war ein Vor­bild Christi, in welchem der Gläubige sich befindet. Die alte Welt fand samt den Menschen in den Wogen des Gerichts ihr Grab. Der einzig überbleibende Gegenstand war die Arche — jenes sicher und im Triumph über die Wellen dahingleitende Rettungsboot. Also ist es jetzt in Wahrheit und Wirklichkeit. Vor dem Auge Gottes steht ein auferstandener, siegreicher und verherrlichter Christus und Sein mit Ihm verbundenes Volk. Das Ende alles Fleisches ist vor Gott gekommen. Das ist das feierlichst ausgesprochene göttliche Urteil. Und was folgt dann? Ein auferstandener Christus. Nichts anderes. Gott schaut alle in Ihm an, wie Er Ihn Selbst anschaut. Alle außer Ihm sind unter dem Gericht. Alles dreht sich um die eine Frage: „Bin ich in oder außer Christo"?

Ja, mein Leser! Bist du in Christo? Glaubst du an Seinen Na­men? Hast du Ihm das Vertrauen deines Herzens geschenkt? Nun, dann hast du auch „das ewige Leben", bist eine „neue Schöpfung", und das „Alte ist vergangen". Das alles durchdrin­gende Auge Gottes sieht an dir keine Spur mehr von dem alten. „Alles ist neu geworden, und alles von Gott". Magst du auch, wie du einwendest, dieses alles nicht fühlen, so sollte es dir dennoch genug sein, daß Gott gesagt hat: „Das Alte ist vergangen"; ja, es ist dein glückseliges Vorrecht, zu glauben, was Er sagt und dich für das zu „halten", wofür Er dich hält. Er sieht dich nicht im Fleische, sondern in Christo. Es ist außer Christo absolut nichts vor dem Auge Gottes; und selbst der schwächste Gläubige wird ebensowohl als ein Teil Christi be­trachtet, wie deine Hand ein Teil deines Körpers ist. Getrennt von Christo hast du keine Existenz, kein Leben, keine Gerech-

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 tigkeit, keine Heiligkeit, keine Weisheit, keine Macht. Von ihm getrennt bist du nichts und kannst du nichts tun. In Ihm hast du alles und vermagst du alles; du bist ganz und gar eins mit Christo. Welch ein tiefes Geheimnis! welch eine kostbare Wahr­heit! Es handelt sich hier nicht um eine Vervollkommnung oder um ein Fortschreiten, sondern um den festgestellten Stand­punkt selbst des schwächsten Gliedes der Kirche Gottes. Frei­lich gibt es verschiedene Grade in betreff der Erkenntnis, der Erfahrung und der Widmung; aber es gibt nur ein Leben, einen Standpunkt, eine Stellung vor Gott, und zwar in Christo Jesu. Es existiert kein höheres oder niedrigeres christliches Leben. Christus ist das Leben des Gläubigen, und es kann von keinem höheren oder niedrigeren Christus die Rede sein. „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das ewige Leben".

Dies ist eine erhabene Wahrheit; und wir flehen ernstlich zu Gott, daß Sein Geist das Herz des Lesers für dieselbe öffnen möge. Wir sind überzeugt, daß ein klareres Verständnis der­selben Tausende von düsteren Wolken zerstreuen. Tausende von Fragen beantworten und Tausende von Schwierigkeiten auflösen würde. Wenn Christus mein Leben ist — wenn ich in Ihm und eins mit Ihm bin, dann habe ich nicht nur Teil an Seiner Annahme bei Gott, sondern auch an Seiner Verwerfung durch die gegenwärtige Welt. Diese beiden Dinge gehen zusam­men. Sie bilden die zwei Seiten der einen großen Frage. Wenn ich in Christo und wie Christus vor Gott bin, so ist dieses auch meine Stellung vor der Welt; und ich werde nicht einerseits das Resultat dieser Vereinigung vor Gott annehmen, und anderseits dieses Resultat angesichts der Welt ausschlagen. Wenn wir das eine haben, muß auch das andere selbstredend unser Teil sein.

Alles dieses ist in Joh 17 vollständig entwickelt. Dort lesen wir einerseits: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, auf daß sie in eins vollendet seien, und auf daß die Welt erkenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt" (V. 22, 25). Anderer­seits aber lesen wir: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben; und die Welt hat sie gehaßet, weil sie nicht von der Welt sind, gleichwie ich nicht von der Welt bin" (V. 14). Wir sehen also,

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 daß alle, welche an Jesum glauben, sowohl droben Seine An­nahme als auch hienieden Seine Verwerfung teilen. Diese bei­den Dinge sind unzertrennlich. Das Haupt und die Glieder haben gemeinschaftlichen Anteil an der Annahme im Himmel und gemeinschaftlichen Anteil an der Verwerfung auf Erden. Möchte doch das Volk des Herrn mehr in diese Wahrheit ein­treten und sie verwirklichen! Möchten wir doch alle mehr Ge­meinschaft machen mit dem im Himmel angenommenen und auf Erden verworfenen Christus!

Christus und die Versammlung

(Ein Auszug aus einer Betrachtung über Epheser 5)

Wenn Gott im Herzen Eingang gefunden hat, so ist es nicht zu verwundern, daß die Beurteilung des Guten und Bösen sich für uns verändert, wie es in der Tat der Fall ist: „Denn einst waret ihr Finsternis, jetzt aber Licht in dem Herrn" (Eph 5, 8). Nicht nur waren wir in der Finsternis, sondern wir waren selbst Finsternis; nun aber sind wir „Licht". Aus Finsternis sind wir Licht geworden; das ist die Veränderung, die mit demjenigen vor sich geht, der zu Gott bekehrt wird. Ich bin von Natur ein schlechter Baum, und darum ist es auch ganz natürlich, daß ich schlechte Früchte trage. Das natürliche Herz ist zum Bösen ge­neigt; es ist die Sünde oder der Baum, der die Sünden als Früchte hervorbringt. Sobald aber eine neue Natur in uns ist, richten wir das, was von uns ist, und wir unterscheiden das Gute vom Bösen.

Wir können mit Paulus sagen: Ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt (Röm 7, 18). Ehe wir des Lebens Christi teilhaftig wurden, war schon etwas in uns, und zwar die Sünde; selbst das natürliche Gewissen erkannte zu­weilen die Sünden, aber wir „waren noch Finsternis". Es ist gut, sich zu erinnern, wovon wir ausgegangen sind.

Es ist klar, daß sich alles gänzlich ändert, wenn Gott Sich offen­bart; denn das Licht offenbart alles, und man sieht die Dinge

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 ganz anders, als man sie ehedem sah, ja alles bildet sogar einen Gegensatz zur früheren Anschauungsweise.

Das Maß dessen, was wir sein sollten, findet sich in diesen Worten: „Seid nun Nachahmer Gottes" (Eph 5, i). Weil Er liebt, sollen auch wir lieben; weil Er vergibt, sollen auch wir vergeben, damit man in uns den Charakter unseres Vaters sehe. Wir sollen den Charakter der Familie tragen: was Gott ist, sollen wir sein; Er ist das Muster, das wir nachzuahmen haben. Als Jude war Christus unter dem Gesetz, weil Er unter dem Gesetz geboren wurde. 

Er, Der Gott ist, wurde Mensch und hat Sich als Solcher als Muster hingestellt. Gott hat Sich im Fleische geoffenbart, und das ganze Leben Jesu war nicht nur die Be­obachtung des Gesetzes, sondern auch die vollkommene Dar­stellung dieser Offenbarung Gottes im Fleische. Darum, nach­dem der Apostel gesagt hatte: „Seid nun Nachahmer Gottes", fügt er hinzu, „und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Chri­stus uns geliebt hat" (Eph 5, 1. 2). Welch ein Glück für uns, daß diese Dinge nicht nur in abstrakter Weise, d. h. in Gott, sondern auch in dem Menschen Jesu dargestellt worden sind. Das Mittel dafür, Gottes Nachahmer zu sein, ist: mit „dem Geiste erfüllt" zu sein. (Ich spreche jetzt nicht von den Gaben des Geistes). „Und berauscht euch nicht mit Wein, in welchem Ausschweifung ist, sondern seid mit dem Geiste erfüllt" (Eph 5, 18).

Es ist klar, daß eine mit dem Geist erfüllte Seele Beweggründe hat, die mit den Beweggründen Gottes übereinstimmen, und daß in einer solchen Seele in praktischer Hinsicht alles gänzlich erneuert ist. So ist denn Gott das Maß unseres Wandels; das Mittel, dies zu verwirklichen, ist die Kraft des Heiligen Geistes, und Christus, Der in Seiner Menschheit das Muster hiervon ist, wirkt in dieser der Seele verständlichen Verbindung, indem Er uns alles, was Er Selbst hat, mitteilt.

Will man Heiligkeit oder ein gewisses Betragen erzwingen, so erreicht man nichts. Nie hätte ich unter dem Gesetz etwas zu­stande bringen können; denn das Gesetz stellt wohl die Grund­sätze dessen, was der Mensch sein sollte, auf, aber es teilt die Liebe nicht mit, die dazu befähigt, das zu erfüllen, was es

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 verlangt. Durch die Liebe ergreifen wir das, was die Triebfeder unseres Handelns ist: wenn Jesus diese Triebfeder ist, so haben wir den gleichen Gegenstand, den Gott Selbst hat; indem wir Ihn durch die Liebe erfassen, trachten wir danach. Ihm ähnlich zu sein. — Gott sei gepriesen, daß Er uns berufen hat, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein! — Wenn ich alles das, was Er gefühlt und getan hat, betrachte, bringt es dann nichts in meinem Herzen hervor?

„Und ein Jeglicher, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist" (1. Joh 5, 5). Auf Ihn blicken, bewirkt Liebe — und die Folge davon ist, daß man das, was man in Christo sieht, zu verwirklichen wünscht. Es ist unmög­lich, daß ich sehe, was Jesus hienieden war, ohne daß der Wunsch in mir erweckt werde, daß auch ich so sein möchte. Vor allem aber müssen wir diese Gnade wohl verstehen, welche uns an den Platz gebracht hat, wo Gott uns haben will. Das ist die Grundlage. — Um den Genuß der Stellung zu haben, die Gott für uns erwirkt hat, bedarf es für uns des Bewußtseins, daß wir darin sind: ich muß das Bewußtsein haben, Kind zu sein, um meinen Vater als solchen zu lieben.

 Diese Gnade muß ver­standen sein, um die Liebe in uns zu bewirken; — wir lieben Gott, sobald wir wissen, daß Er uns zuerst geliebt hat. Ist mein Gewissen nicht gereinigt, ist die Frage bezüglich meiner Sün­den nicht erledigt, so ist die Liebe nicht da. Es kann sich nicht um Liebe handeln, solange das Gewissen nicht gereinigt ist und solange um Gottes willen, unter Androhung der Ver­dammnis, die Erfüllung gewisser Bedingungen von uns gefor­dert wird. Aber indem Jesus uns von unseren Sünden ge­waschen und zu uns gesagt hat „Ihr seid rein", hat Er uns in Gottes Gegenwart gestellt, und zwar ohne irgendeinen Ge­danken, als nur den Seiner Liebe. — Er hat alles getan, was nötig war. Wenn ich auf das vertraue, was Gott, um mich zu zu reinigen, getan hat, so sage ich: die richtige Beurteilung fehlt Ihm nicht. Der die Sünde aller vollkommen kennt. Er hat Sich damit beschäftigt und sie in Christo nach den Anforde­rungen Seiner Heiligkeit gerichtet. Ich selbst kenne nicht alle meine Sünden, denn je mehr man in die Gegenwart Gottes kommt, desto mehr lernt man die Dinge ganz anders beur­teilen, und man sieht Böses da, wo man es früher nicht sah.

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 Wenn mein Gewissen durch den Glauben an das Werk Christi in völlige Ruhe gebracht ist, so versteht mein Herz, daß Gott mich geliebt hat, damit ich Ihn liebe, und daß zwischen meiner Seele und Ihm nichts mehr ist als die Freude Seiner Liebe. Wenn man dahin gekommen ist, fängt man auch an zu ver­stehen, was Gott in anderer Hinsicht für uns tun will, und man lernt dies in Christo. Das Ende dieses Kapitels beschäftigt sich speziell mit der Offenbarung dessen, was Christus für die Kirche ist, und nicht mit dem, was sie sein sollte. „Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben" (V. 25). Es ist hier nicht die Rede von der Versöhnung, die Er für die Sünden der Kirche zustandegebracht hat, sondern von jener Energie des Herzens, durch welche Sich Christus Selbst für sie hingegeben hat. „Er hat sich selbst hingegeben". Es ist in seinem Herzen kein einziger Gedanke, kein einziges Gefühl, das nicht für die Kirche in Bewegung gesetzt worden wäre, wie es auch im Ratschluß und in den Absichten Christi nichts gibt, wovon sie nicht der Gegenstand ist. Er ist voll Güte gegen alle armen Sünder; aber wenn es sich um die Versammlung han­delt, so hat Er nach dem Vorsatz Seiner Hingabe Sich Selbst für sie hingegeben.

Man kann damit rechnen, daß jeder Gläubige, welches auch sein Zustand sei, gesegnet wird: man kann auf die Macht der Gnade vertrauen, daß sie ihn aufrichten wird, wenn er gefallen ist, weil man weiß, daß Christus Sich vorgesetzt hat, die Ver­sammlung Sich Selbst ohne Flecken und tadellos darzustellen (V. 27). Der Glaube rechnet auf diese Macht Christi und ver­hindert die Entmutigung, die sich unser bemächtigen könnte, wenn wir eine schwache und kranke Seele sehen. Ist eine schwache Seele durch ihren eigenen Zustand oder den der an­deren entmutigt, so soll sie an diese Macht denken, welche die ermatteten Hände und die entkräfteten Kniee wieder aufzu­richten vermag (Hebr 12, 12). Nachdem der Apostel Paulus gesagt hatte: „Ich bin eurethalben in Verlegenheit" (Gal 4, 20), fügt er, sobald sich sein Geist bis zu Christus erhoben hat, hinzu: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn" (Gal 5, 10). Welch ein Glück ist es für ein Herz, das die Christen liebt, daran festhalten zu dürfen, daß, weil sie Christo angehören, sie gesegnet werden.

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 In V. 26 heißt es: „Auf daß er sie heiligte". Ich finde auch hier­in eine Quelle des Glückes. Jesus will, daß unsere Herzen vom Bösen getrennt werden und daß sie nach dem Verständnis, das Er ihnen gibt, erfassen, was Er in Seiner Gnade und Herrlich­keit ist. Dann zeigt Er, welches das Mittel zu dieser Heiligung ist, nämlich „die Waschung mit Wasser, durch das Wort" (V. 26). In Kol 1. 28 heißt es: „Den (Christum) wir verkün­digen, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Men­schen lehren in aller Weisheit, auf daß wir jeden Menschen voll­kommen darstellen in Christo" — d. h., damit Christus unseren Herzen nach Seiner Fülle geoffenbart werde und sie gemäß dieser völligen Offenbarung alles dessen, was Er ist, geistlich gebildet werden.

Ich verstehe Euch, wenn Ihr sagt: Ich habe mit dieser Sünde, mit jener Lust zu tun; aber Christus ist stärker als alles. Er wirkt durch den Geist und stellt Sich vor Euch: findet Ihr Ihn nicht liebendswürdiger als alles, was die Lust Euch darbieten kann? — Wenn ich geizig bin und meinen Blick auf das Geld richte mit der Absicht, es zurückzustoßen, so würde meine Hand es doch alsbald wieder ergreifen; wenn es aber Christus ist, den ich anschaue, dann liebe ich Ihn und vergesse das Geld ohne Mühe. Ich habe dann nicht mehr nötig, es zurückzustoßen/­denn mein Herz ist anderswo. — Um die Versammlung zu heiligen, hat Jesus sie geliebt; „Er hat sich selbst für sie hin­gegeben" (V. 25), und Er bemüht Sich, ihre Zuneigungen auf Sich zu richten und sie durch die Offenbarung Seiner Selbst zu bilden. Und welch ein Glück, daß wir berufen sind, unsere Wonne zu finden, wo Gott mit Wonne ruht! Welch ein Glück, mit Gott denselben Gegenstand zu besitzen und dieselben Neigungen zu teilen! — Das macht das Herz glücklich.

Je mehr ich verstehe, was Christus ist, desto mehr nimmt auch mein geistliches Leben zu; dann beurteile ich die Dinge ganz anders als früher. Es heißt nicht: „Auf daß die Versammlung ohne Flecken sei!" sondern „auf daß er sich selbst die Ver­sammlung verherrlicht darstellte" (V. 27). Er will sie für Sich haben, und das ist die Quelle unseres Glücks. Sein Herz will uns also haben, für Sich Selbst, Er, Der für uns das verborgene Manna sein wird, welches dem Überwinder verheißen ist. Es

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 ist der erniedrigte und in dieser Erniedrigung gekannte Chri­stus, Der aufbewahrt ist, damit ich Ihn genieße. In 1. Thess 4, 16 steht geschrieben: „Denn der Herr selbst wird mit ge­bietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft, und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein". Das Glück wird darin be­stehen, nicht nur mit Ihm zu herrschen, mit Ihm zu richten (obwohl diese Dinge wahr sind), sondern darin, „allezeit bei dem Herrn zu sein". Ist diese Verheißung die Freude Eurer Herzen? Beglückt Euch der Gedanke, immer bei Ihm zu sein? Habt Ihr geschmeckt, daß Er gütig ist, habt Ihr Seine Liebe genug empfunden, um sagen zu können: alles, was ich wünsche, ist, immer bei dem Herrn zu sein. Ist dieser oder jener Gegen­stand, welcher Eure Herzen beschäftigt und gefangennimmt, würdig, sie aufzuhalten? Blickt auf Jesum, und Ihr werdet alles Übrige fahren lassen können. Wenn ihr seht, wie liebens­würdig Er ist, so werdet ihr lernen, daß nur ein Gegenstand Eurer Liebe würdig ist.

 Von seiten Christi fehlt das Verlangen nicht, uns bei Sich zu haben. Nicht nur wünscht Er es, sondern Er will auch, daß wir bei Ihm seien, wie es in Joh 17 ausge­sprochen ist. Er will uns bei Sich haben, und man sieht in diesem zuletzt angeführten Kapitel, daß die Freude, die wir dann mit Ihm genießen sollen, sich jetzt in unserer Liebe ver­wirklicht, und zwar mit einer geistlichen Einsicht, welche unsere Herzen nach der Ähnlichkeit dessen, was geoffenbart ist, bildet und sich so auf unseren gegenwärtigen Zustand an­wendet. Es ist klar, daß Christus uns jetzt schon Sich ohne Flecken darstellen will. Dieser Wille Christi sollte der unsrige sein, und wir sollten jetzt schon danach trachten, ohne Flecken zu sein, indem wir diese Vollkommenheit durch den Glauben im Herzen verwirklichen. Nicht, als ob das Fleisch nicht mehr da sei; es ist noch da und wird beim Fortschreiten im christ­lichen Leben gleichsam noch schlechter sein, weil es angesichts eines größeren Lichtes wirkt. Wenn aber der Geist in uns ist, so wird es trotz der Kämpfe den Sieg nicht davon tragen. Das Herz wird die Sünde nicht mehr lieben. — Man kann nicht aus der Abhängigkeit Gottes heraustreten, ohne einen Fall zu tun,

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 und eben deshalb sündigt man so oft, obwohl man die Sünde nicht mehr liebt.

„Niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern er nährt und pflegt es, gleichwie auch der Christus die Versamm­lung" (V. 29). Er tut also zwei Dinge, Er nährt sie, und Er pflegt sie. Die Kirche (Versammlung) ist in einem so elenden Zustand, daß man sich fragen möchte, ob Er sie noch nährt und pflegt. — Wenn man das betrachtet, was durch die langen Jahr­hunderte hindurch aus ihr geworden ist, so sieht man hierin einen Beweis der unveränderlichen Liebe Jesu.

(Was mich betrifft, so habe ich in bestimmter Weise gesehen, daß, welches auch das Unvermögen der Kirche sei, die Glieder Christi zu pflegen. Er Selbst die schwächste Seele durch alles hindurch nährt und pflegt und Sich selbst des Bösen bedient, um ihr Gutes zu tun). Es ist unmöglich, daß Er nicht dafür sorge, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mit­wirken, und damit Er sie Sich ohne Flecken und tadellos dar­stelle (Eph 5, 27). Glaubt Euer Herz, daß Jesus Sich in dieser Weise mit Euch beschäftigt, daß Er unaufhörlich Euer Wohl im Auge hat? ... Ich fordere Euch auf, daran zu denken. Glaubt Ihr, daß in Seinem Herzen keine einzige Bewegung ist, die nicht Euer Glück zum Zwecke hat? Wenn Ihr Ihn zu verherrlichen wünscht, so bleibt ruhig, friedlich, glücklich, was auch ge­schehen möge! Vertraut auf Ihn, weil Ihr wißt, daß Güte und Huld Euch folgen werden alle Tage Eures Lebens und Ihr im Hause Jehovas wohnen werdet auf immerdar (PS 25, 6). 

Rechnet auf eine Macht, auf eine Liebe, welche diejenigen nährt und pflegt, die sie zum Gegenstand hat. Ruhet in dieser Zu­versicht in Ihm, in diesem Vertrauen auf Ihn. Erinnert Euch daran, daß das Ziel, das Er Euch zeigt, dasselbe ist, das Er Sich Selbst vorgesetzt hat, nämlich Euch „ohne Flecken und tadellos vor sich hinzustellen", damit Eure Liebe an Ihn sich fessele und in Ihm eine überreiche Quelle der Freude finde. Er will daß, Ihr schon hienieden Seine lebendige Braut seid. Wünscht Ihr, daß es so sei, dann wird die Verwirklichung für Euch nicht schwer sein, wenn Ihr auf Jesu blickt. Moses strengte sich nicht an, um die Herrlichkeit Gottes wieder von sich ausstrahlen zu lassen, es geschah, ohne daß er daran dachte, weil er die Herr­lichkeit Gottes angeschaut hatte. Seid versichert, daß wir nichts

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 anderes zu tun haben, als Jesum zu betrachten und uns nahe zu Ihm zu halten. — Achtet auf die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens, von welchen uns die nachfolgenden Verse sprechen:

Wenn ich Knecht bin und einen bösen Herrn habe, so ist es nicht dieser Herr, den ich anschauen soll, sondern Christus; Ihm soll ich dienen. Auf diese Weise wird mir alles leicht wer­den.

Befleißiget Euch, Christum zu kennen als Den, der Er ist, damit die Gnade Euch Ihm ähnlich mache. Die Freude und das Glück bestehen darin, unter Seinen Augen und im Genuß der Fülle Seiner Liebe zu wandeln.                     (Nach J.N.D.)

Auszug aus dem Briefe

eines englischen Bruders und Arbeiters

im Werke des Herrn*)

Mein lieber Bruder im Herrn!

Ich bin tief bewegt worden durch Erlebnisse, durch die ich soeben gegangen bin. Unser Gott und Vater will, daß das Zeugnis über Seinen Sohn überall auf der Erde verkündigt werde. — Ich habe mehrere Inseln der Antillen besucht, die Hol­land, Frankreich, Spanien, Portugal und England angehören. Auch befindet sich dort eine gewisse Anzahl Deutscher und Schweizer. Aber ich frage mich, ob wohl das Evangelium von Christo in Einfachheit auf diesen Inseln verkündigt worden ist? Es scheint nicht so, obwohl auf einigen von ihnen achtens­werte Christen aus den Herrnhutern und ebenso etliche von den Wesleyanern sind.

Was ist zu tun? Ich fühle mich ermutigt durch den Glauben an Gott und Seine Gnade, Ihn zu bitten, daß Er Arbeiter für dieses Werk senden möge, und indem ich mich erinnere, wie Er seinerzeit die Gebete der Seinigen für Frankreich, die Schweiz,

*) Um diesen Brief vielen Geschwistern schnell zur Kenntnis zu geben, ver­öffentlichen wir ihn im „Botschafter" und schließen uns dem Wunsch des Schrei­bers an, daß der Inhalt uns alle zur gemeinsamen Fürbitte für die Ausbreitung des Evangeliums in der Nähe und Ferne anspornen möge.

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 Preußen, Schottland, Irland, England und Amerika beantwortet hat, sage ich mit Vertrauen: man wird nicht vergebens für diese Inseln beten.

Ich wünsche, alle diejenigen anzuregen, denen es am Herzen liegt, daß das Zeugnis Gottes verbreitet werde — alt oder jung, Männer oder Frauen, Engländer, Franzosen oder Deutsche, — daß sie sich vereinigen, für diese Sache zu beten.

Die genannten Inseln sowie Australien, Neu-Seeland, Italien, Spanien, Portugal und Ostindien liegen mir am Herzen. Weder Sie noch ich können jemanden senden, selbst wenn Brüder bereit wären abzureisen; aber wir kennen den Herrn der Ernte, und wir können uns auf Ihn verlassen, wenn wir diejenigen ermutigen, die sich berufen fühlen sollten, sich diesem Dienst hinzugeben.

Wie wenige gibt es in unseren Tagen, die sich dem Dienst der Heiligen widmen (1. Kor 16, -L?) ! Wie wenige findet man, die mit der Schrift sprechen: „Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet", siehe 2. Kor 4. 15, und „Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Wort" (Apg 8, 4).

Wenn Gott — wie ich hoffe — es ist, der mir diese Wünsche ins Herz gegeben hat, so darf ich auch auf Ihn warten und mit Seinem Segen rechnen. Es ist Sein Wille, daß der Sohn 'überall gepredigt werde, damit der Geist wirken kann (Offb 22, 14). Hat der Herr nicht eine junge Schwester, die Ihm auf diese Weise dienen möchte? Es steht geschrieben: „Und der Geist und die Braut sagen: komm! Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst".

Keine Seele, welche beten kann, kann sagen: „Von meiner Seite kann ich nichts für diese Sache tun". Es ist wahr, daß dieser Dienst „Männer in Christo" erfordert, und nicht kleine Kinder. Aber es gibt Evangelisten, die Proben von ihren Gaben abge­legt haben. Mögen sie darüber nachdenken, was sie darin tun könnten.

Wenn der Herr mir gestattet, nach London zurückzukehren, würde es mir Freude machen, unseren Brüdern so viel wie mög­lich Auskunft zu erteilen. Es ist Glauben nötig, die Reise zu unternehmen, und man muß bereit sein, im Notfall, allein zu

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 wandeln mit Gott, aber: „Ich bin mit Euch", sagt der Herr, und das ist genug für den „Mann des Glaubens".

Ihr Sie liebender Bruder (gez.) G. V. Wigram

Nur in Jamaica, Barbados und Demerara gibt es Brüder, welche die Arbeiter des Herrn aufnehmen könnten.

Der Vater und der verlorene Sohn

(Nach einem Vortrag über Lukas 15)

Es ist köstlich, jemanden zu kennen, der Gott nicht nur in Seinen Worten, sondern auch in Seinen Werken und Wegen so treffend zu offenbaren vermochte, wie der Herr Jesus.

Wir mögen — und sicher ist dies von höchster Wichtigkeit — die Sünde des Menschen wie auch unsere Sünden als eine Frage betrachten, die in dem Licht der Gerechtigkeit vor Gott gerich­tet werden muß; aber dennoch bewegt sich Gott in gewissem Sinne über allem Bösen und behauptet Sein Recht, indem Er zeigt, was Er ist. Es ist gesegnet für uns, daß Gott trotz der Sünde Gott sein will. Gott ist die Liebe; und wenn Er Gott sein will, so muß Er die Liebe sein, und zwar trotz aller wider Ihn erhobener Bedenken und Einwendungen des menschlichen Her­zens. Gott will, wenn ich so sagen darf, nach den Gefühlen Seines Herzens handeln, indem Er sie ihren Weg im das Herz der Menschen finden läßt. Das ist der Grund, daß uns in ge­wissen Stellen des Wortes Gottes, wie oft wir sie auch betrachten mögen, stets eine solche Frische anweht, weil Sich Gott darin besonders offenbart. Gott ist unfehlbar; sobald Er spricht und Sich offenbart, haben wir stets die ganze Segensfülle Dessen, was Er ist. Er Selbst, der hochgelobte Gott, ist es. Der mit Macht an unsere Herzen herangetreten ist. Er will in keiner Weise den Charakter des Menschen an Sich tragen. Er hat mit der Sünde zu handeln und zu zeigen, was sie ist und wie Er sie hinweg­getan hat; dennoch will Er über allem und durch alles Sich Selbst offenbaren. Darin nur finden unsere Herzen Ruhe. Wir

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 haben das Vorrecht, in dem Hause und an dem Herzen Gottes mit uns selbst abgeschlossen zu haben.

Der Mensch hätte die Offenbarung Gottes in dem Glanz Seiner Herrlichkeit nicht ertragen können; darum hüllte Er Sich in die Person des Sohnes des Menschen. Er kleidete Sich in Fleisch; aber die bösen und herzlosen Schlüsse des verdorbenen Urteils des Menschen hatten den Erfolg, daß Er Sich genötigt sah. Sich als das, was Er war, als Gott, zu offenbaren. In Seiner Er scheinung als Messias, als der Sohn des Menschen, als der Er­füller des Gesetzes etc. offenbarte Er nicht die ganze Fülle Gottes. Der Mensch verwarf, tadelte und mißbilligte beständig diese und jene Dinge, mit denen er nicht übereinstimmen konn­te; aber durch sein Drängen und Treiben zwang er Christum, sich um so völliger als Den zu offenbaren, der Er wirklich war.

In den Kapiteln, die dieses darstellen, fühlt sich die Seele ge­fesselt und befindet sich mit rückhaltloser Sicherheit in der Gegenwart Gottes selbst — in der Gegenwart der Liebe. Dort erlangen wir Ruhe und Frieden.

Dasselbe finden wir in dem vorliegenden Kapitel. Er war ge­zwungen, die ganze Wahrheit zu sagen, nämlich daß Gott — Gott sein wollte. Wenn Gott — wie es in diesem Gleichnis aus­gedrückt ist — das fand, was ihn „fröhlich" machen konnte, dann genoß Er trotz aller Einwendungen der Menschen Seine eigene Freude — eine Freude, die bei der Begrüßung des ver­lorenen Sohnes so deutlich zutage tritt. Das ist es aber, was die Menschen in Frage stellen. Sie leugnen nicht (ich rede hier natürlich nicht von offenbaren Ungläubigen), daß Er die Men­schen richten werde; auch stellen sie im allgemeinen nicht in Abrede, daß Gott gerecht sei, weil ihr Stolz sie glauben läßt, daß sie Ihm auf diesem Boden begegnen können; aber sobald Er Sich in Seiner Ihm eigenen, vollen Freude zeigt und offenbart was die Freude des Himmels ist, beginnt der Mensch mit seinen Einwendungen. Nein, nicht alles darf aus Gnaden sein; in solcher Weise darf Gott nicht mit Zöllnern und Sündern handeln! Und warum nicht? Nun, was sollte dann aus der Gerechtigkeit des Menschen werden? Die Gnade macht nichts aus der Gerechtig­keit des Menschen; „es ist kein Unterschied; denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes". Christus

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 bezeugte dies durch die Offenbarung des Lichtes, das der Mensch haßte. Unmöglich kann der Mensch das ertragen, was seinen moralischen Zustand so tief erniedrigt. Es ist das, was Gott erhöht und den Menschen erniedrigt.

Es ist das stete Trachten des Menschen, einen Unterschied zwi­schen der Gerechtigkeit des einen und des andern Menschen zu machen, damit seine Würde ungeschmälert aufrecht erhalten bleibe. Man brachte, wie wir in Joh 8 lesen, eine Sünderin zu Jesu, die nach dem Gesetz gesteinigt werden mußte und schuldig war. Man hoffte, daß Er entweder Seine Barmherzigkeit oder Seine Gerechtigkeit verleugnet. Man dachte. Ihn auf diese Weise in eine unlösbare Schwierigkeit versetzt zu haben; denn sprach Er die Schuldige frei, so übertrat Er das Gesetz Moses; gebot Er hingegen ihre Steinigung, so tat Er nichts anderes, als was auch Moses getan hatte. Wie aber handelte Er? Er ließ dem Gesetz und der Gerechtigkeit vollen Lauf, rief aber den An­klägern zu: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe zuerst den Stein auf sie". Jetzt begann das Gewissen in Tätigkeit zu treten; ja, das Gewissen — wenn auch nicht, da sie nur um ihren guten Namen besorgt waren, in angemessener Weise — erhob seine Stimme, und sie entfernten sich aus der Gegenwart des Lichtes, weil das Licht offenbar machte, was sie waren, und sie als Sünder erwies. Alle — vom Ältesten bis zum Jüngsten — gingen hinaus. Derjenige, dessen Ansehen es gestattete, am längsten standzuhalten, war froh, der Erste sein zu können, um jenem Auge auszuweichen. Dessen Blick alles durchdrang und das Verborgenste entdeckte. Alle entfernten sich und ließen Jesum mit der Sünderin allein. Er will das Gesetz nicht voll­strecken; denn Er ist nicht gekommen um zu richten, sondern sagt: „So verurteile auch ich dich nicht; gehe hin und sündige nicht mehr". Das, was hier sichtbar wird, ist nur Liebe.

„Es nahten aber zu ihm alle Zöllner und Sünder, ihn zu hören; und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isset mit ihnen". — Es mag in der Tat vielen seltsam erscheinen, daß Christus als Gott ge­offenbart im Fleische durchaus keine Notiz von der Gerechtig­keit des Menschen nahm, sondern die Gesellschaft der Zöllner und Sünder aufsuchte, wodurch alle sittlich gerechten Begriffe der Menschen über den Haufen gestoßen wurden. Aber eben

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 hierzu ist Gott gezwungen, weil diese Begriffe der richtigen Grundlage entbehren.

Diese Gleichnisse werden zeigen, in welcher Gesinnung die Gnade verworfen ist. Wir finden in ihnen den großen Gedan­ken, daß Gott Sich geoffenbart hat. Es ist als wollte Er sagen. „Stellt euch nach Belieben einen Menschen in dem schlech­testen und lasterhaftesten Zustande vor, einen, der sich durch sein Betragen bis zum Schweinehirten heruntergebracht hat. Doch hinter all' diesem gibt es ein etwas, das Ich in's Licht zu stellen beabsichtige — ein etwas, das eure natürlichen Herzen anerkennen sollten, nämlich die Wonne des Vaters bei der Rück­kehr eines Kindes. Das Herz des Vaters wird, mag der Zustand des Kindes sein, wie er will. Sich Selbst durch Seine eigene Güte rechtfertigen".

Der Herr Jesus durchschritt die Welt, die sich ihrer Moral rühmte, aber fand keine Stätte, wo ein ermüdetes und ge­brochenes Herz Mitgefühl und Ruhe finden konnte, um auf­geschlossen und belebt zu werden. Da kam Er, um zu zeigen, daß das, was die Welt dem müden Herzen nicht zu geben ver­mochte, in Gott gefunden werden konnte. Wie gesegnet ist es, daß endlich das arme, seiner eigenen Wege und der Welt über­drüssige Herz in der Glückseligkeit des Vaters Ruhe findet. Jetzt kann es, was ihm bisher an jedem anderen Platze versagt war, nachdem es Gott gefunden, in voller Aufrichtigkeit mit dem Psalmisten sagen: „Glückselig der, dessen Übertretung ver­geben, dessen Sünde zugedeckt ist! Glückselig der Mensch, dem Jehova die Ungerechtigkeit nicht zurechnet, und in dessen Geist kein Trug ist" (PS 32,1.2)! Solange ich noch fürchte, getadelt zu werden, ist Trug im Herzen; sobald ich aber weiß, daß alles vergeben und daß mir nichts als Liebe entgegenströmt, kann ich vor Gott mein ganzes Herz ausschütten. Das einzige, was die Wahrheit im „Innern" hervorbringt, ist die Gnade, die nichts zurechnet. In den Worten: „Bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest", liegt das Geheimnis der Macht Gottes, die Herzen mit Sich in Einklang zu bringen. Es ist ein großer Unter­schied zwischen einem Menschen, den man seines Gewissens wegen fliehen sieht, und einem, der in Gott das findet, was in Wahrheit ein völlig überführtes Gewissen erleichtert und heilt. Wir können, wenn wir unter dem Gesetz sind, und seine Ge-

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 rechtigkeit anerkennen, es in unserm natürlichen Zustande nicht gebrauchen. Wenn ich das Gesetz nehme, um dich damit zu schlagen, so töte ich mich selbst; es ist zu scharf, um es zu handhaben. Der Mensch, der die Ehebrecherin hätte steinigen wollen, wäre selbst gesteinigt worden. „Ich elender Mensch!" So bin ich verloren.

Wir haben in unserm Kapitel drei Gleichnisse. Die Quelle, die uns darin gezeigt wird, ist die Liebe. Wir finden dort:

1. Den Hirten, der das verlorene Schaf suchte.

2. Das Weib, das die verlorene Drachme suchte.

5. Der Vater, der den verlorenen Sohn wieder zurückempfing.

In dem letzten Gleichnis handelt es sich nicht um das Suchen, sondern um die Art und Weise, wie der zurückkehrende Sohn empfangen wurde. Manches Herz sehnt sich, zurückzukehren, aber es weiß nicht, wie es empfangen wird. Der Herr Jesus zeigt uns die Gnade Gottes zuerst im Suchen und dann im Auf­nehmen. In den beiden ersten Gleichnissen haben wir das Suchen, in dem letzten die Aufnahme durch den Vater. Ein erhabener Grundsatz zieht sich durch alle drei hindurch: es ist die Freude Gottes, den Sünder zu suchen und aufzunehmen. Er handelt Seinem eigenen Charakter gemäß. Ohne Zweifel ist es Freude für den Sünder, aufgenommen zu werden; aber hier ist es die Freude Gottes, ihn aufzunehmen. Nicht bloß sollte das Kind sich freuen, im Hause des Vaters zu sein, sondern Er sagt: „Lasset uns essen und fröhlich sein!"

Geliebte Freunde! Das ist eine trostreiche Wahrheit. Es ist der Ton, den Gott angestimmt hat und der im Himmel in jedem Herzen nachklingt. Die von Gott berührte Seite ruft das Echo des Himmels wach; und so sollte es hienieden in jedem Herzen sein, das durch die Gnade gestimmt worden ist. Welch' einen Mißklang muß daher die Selbstgerechtigkeit hervorbringen! Jesus verkündigte die in dieser Weise handelnde Freude und Gnade Gottes und stellt dieses in den Gegensatz zu den Gefüh­len des älteren Bruders oder — obschon derselbe eigentlich die Juden repräsentiert — eines jeden selbstgerechten Menschen.

Das ist der Ton, der in Liebe vom Himmel herabklingt und den wir hienieden im Herzen Jesu entdecken; doch wie süß diese

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 Klänge auch sein mögen, so sind sie doch in einem gewissen Sinne hier unten noch lieblicher, als dort oben. Hier unten ist diese Liebe Gottes (und sie muß es sein, wenn der Mensch erreicht werden soll) anbetungswürdig; im Himmel ist sie natürlich. Hier auf Erden hat Gott uns geoffenbart, was Er ist und daß es Seine Wonne ist, verlorene Sünder zu retten, worin die Engel hineinzuschauen begehren.

Der Hirte legt das Schaf auf seine Schultern und trägt es heim mit Freuden. — Hat Gott nicht das Recht, verlorene Sünder zu suchen und Sich Zöllnern und Sündern zu nahen? Dieses mag einem „ehrbaren" Menschen nicht gefallen; aber es ist Gott angenehm; es ist Sein Vorrecht inmitten der Sünde zu wandeln und den verlorenen Sündern zu nahen, weil Er sie aus ihrem Zustande befreien kann. Der Hirte hat das Schaf auf den Schul­tern und freut sich; er nimmt dasselbe auf und scheut keine Mühe. Es ist gleichsam sein eigenes Interesse, so zu handeln, weil das Schaf ihm wert und teuer ist; es ist sein und er bringt es heim. Das ist die Darstellung des Hirten. — Und also ist es mit „dem großen Hirten der Schafe". Er stellt es als Sein Inter­esse dar, „zu suchen und zu erretten, was verloren ist". 

Ja, Sein Interesse steigert sich zu dem Gefühl der innigsten Liebe; denn Er bringt das Schaf heim mit Freuden. (Dies ist die Stärke und Macht der Errettung). Aber wie fängt Er dies an? Wir fordern zuweilen die Menschen auf, Christum zu suchen. Nun, in einem gewissen Sinne ist das auch richtig; denn es ist wahr, daß „wer sucht, der findet". Aber Er hat nicht gesagt: „Kommet zu mir"! bevor Er zuerst zu ihnen gekommen war, und zwar um „zu suchen und zu erretten, was verloren ist". Er hat dieses Wort nicht vom Himmel her gesprochen; denn dorthin konnte der Sünder nicht gelangen. Aber eben weil der verlorene Sünder nicht zum Himmel gehen konnte, um Christum zu suchen, ist Christus auf die Erde gekommen, um ihn zu suchen. Er rief nicht dem armen Aussätzigen zu: „Komm herauf in den Him­mel", sondern Er kam Selbst hernieder und sagte: „Sei gerei­nigt". Hätte ein anderer die Hand dem Aussätzigen aufgelegt, so würde derselbe ebenso verunreinigt worden sein, wie er selbst; aber Christus konnte die Macht des Bösen in dem Aus­sätzigen berühren, und anstatt von demselben befleckt zu wer­den, beseitigt Er es. Er sagt: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen und ich werde euch Ruhe geben"!

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 Man findet hier ebensowenig Ruhe, wie die Taube Noahs, die inmitten der Sintflut keinen Platz fand, um ihren Fuß darauf setzen zu können. „Ich habe die Welt nach allen Seiten hin geprüft; sie ist ein Meer voll des größten Übels; kommt zu mir, und ihr werdet Ruhe finden". Wer außer Jesum hätte dieses sagen können?

Dann finden wir in dem zweiten Gleichnis noch eine andere Sache, nämlich die Beharrlichkeit, mit der diese Liebe das Ver­lorene sucht. Hier ist nicht ein Schaf, sondern ein Geldstück der verlorene Gegenstand. Alles wird angewandt, um das Verlo­rene wiederzuerlangen. Das Weib zündet ein Licht an; sie kehrt das Haus; unmöglich kann sie in der Arbeit ihrer emsigen und tätigen Liebe innehalten, bevor die ver­lorene Drachme wiedergefunden ist. Wiederum handelt es sich um ihre Angelegenheit und um ihr Interesse. Und dann sehen wir ihre Freude, nachdem ihr Eigentum wiedergefunden ist; sie gibt gleichsam allen in ihrer Umgebung den Ton an, und andere werden herzugerufen, um Anteil an ihrer Freude zu nehmen: „Freuet euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte". Und das ist die Art und Weise des Herrn. So haben wir also in diesem, wie in dem vorigen Gleichnis denselben großen Grundsatz. In beiden Gleichnissen zeigt sich die ausharrende Tätigkeit der Liebe, bis das Resultat erreicht ist. Hier war es die Freude des Weibes, dort die des Hirten. Als erster hervorragender Punkt zeigt sich hier sowohl die energische Macht und Tätigkeit dieser Gnade, als auch der gute Wille. Bei dem Schaf, wie bei der Drachme herrschte volle Untätigkeit. Der Hirte und das Weib verrich­teten alles. Zwar zeigt sich zu gleicher Zeit ein höchst wichtiges Werk — eine Wirkung, die in dem Herzen dessen hervortritt, der von seinem falschen Weg zurückgeführt ist. Darum hören wir das dritte Gleichnis, das uns sowohl die Gefühle des Ver­irrten, als auch seine Aufnahme zeigt. Wir haben hier mit einem Wort nicht nur die Art und Weise des inneren Wirkens, sondern auch eine Kundgebung des Herzens des Vaters. Nicht der Wert, den der Wiedergefundene auf diese Liebe legt, son­dern die Kundgebung des Vaterherzens Selbst befriedigt alle Seine Gedanken. Hier gilt die einfache Tatsache, daß der Vater ihm um den Hals fiel und ihn sehr küßte; und dieses zeigte ihm, was in Diesem Herzen ist.

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 Der Herr führt hier einen Fall an, durch den Er den Einwürfen der Pharisäer gegen Seine Aufnahme der Zöllner und Sünder begegnet. Er sagt gleichsam: Ich will den Fall setzen, ein Mensch sei bis (man muß sich erinnern, was das Schwein für den Juden war) zum Schweine hüten heruntergekommen. Stel­len wir ihn so schlecht, so unwürdig als nur möglich uns vor, und dann will Ich euch zeigen, was Gnade — was Gott ist. Doch merkt euch, daß, ob wir dem Laster fröhnen oder nicht, wir alle Gott den Rücken gewandt haben. Der verlorene Sohn war damals, als er noch im Besitze seines Vermögens, die Tür­schwelle seines Vaters überschritt, ein ebenso großer Sünder als hernach, da er sich wie die Schweine im fernen Lande nährte; er wollte unabhängig von Gott handeln, und das ist Sünde. Er erntete ohne Zweifel die Früchte seiner Tat; aber darum handelt es sich nicht. In gewissem Sinne waren die Folgen seiner Sünde Wohltaten für ihn; denn sie zeigten ihm, was Sünde war.

Aber der Mensch macht Unterschiede zwischen Sündern und Sündern. Darum wählt der Herr einen Fall, bei dem der Sünder nach menschlichem Urteil den höchsten Grad des Bösen erreicht hat, indem Er zugleich zeigt, daß trotzdem dieses Böse nicht über die Gnade Gottes hinausreicht. Dieser Fall stellt in wun­derbarer Weise die Wahrheit ans Licht, daß da, „wo die Sünde überströmend geworden, die Gnade noch überschwenglicher geworden ist". Dieser junge Mann ging weg (V. 13), um seinen eigenen Willen zu tun; das ist der Ursprung aller unserer Sünden. Unser Kind sündigt wider uns, und wir fühlen es; wir sündigen wider Gott und fühlen es nicht. Wir sind alle große Kinder.

„Und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er aus­schweifend lebte". So wie jemand, der über seine Verhältnisse lebt, den Schein des Reichtums zur Schau trägt, so scheint auch der seiner Seele schadende Sünder glücklich zu sein. „Als er aber alles verzehrt hatte, ward eine große Hungersnot in jenem Lande; und er selbst fing an, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes, und er schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Trabern, welche die Schweine fraßen; 76

 und niemand gab ihm" (V. 14—16). In fernem Lande ist das „Geben" nicht üblich. Satan verkaufte alles, und zwar sehr teuer; — unsere Seelen sind der Preis, Wenn ihr euch dem Teu­fel verkauft, so werden Traber eure Speise sein; er wird euch nie irgend etwas anderes geben. Wünscht ihr einen Geber zu finden, dann müßt ihr zu Gott kommen. Die Herzen finden es nicht leicht in der Welt; man überlasse einen Menschen nur etliche Stunden sich selbst, und er wird bald darben. „Und er fing an Mangel zu leiden"; aber sein Wille war noch nicht getroffen. Es gibt wenige Herzen, die, nachdem sie eine gewisse Lebensstufe erreicht, nicht „anfingen, Mangel zu leiden". Sie suchen in den Vergnügungen oder im Laster etwas zu ihrer Befriedigung. Das Letzte, woran der Mensch denkt, ist Gott; und zwar erst dann, wenn er überzeugt ist, daß nichts anderes helfen wird. Er denkt nicht an das Haus des Vaters, denn er kennt es nicht. Wenn er je an Gott denkt, so ist es Gott im Gericht, nicht aber in Gnade. So war es bei dem verlorenen Sohne.

„Als er aber zu sich selbst kam, sprach er: Wie viele Tage­löhner meines Vaters haben Oberfluß an Brot; ich aber komme hier um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und ich will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesün­digt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner" (V. 17—19). Er hatte noch nicht verstanden, wie seine Auf­nahme sein würde, wohl aber, daß Liebe in diesem Hause zu finden war. Der geringste Tagelöhner hatte Überfluß an Brot; und in betreff seiner selbst erkannte er nicht bloß, daß er hungrig war, sondern auch, daß er vor Hunger umkam. Dort herrschte völliges Glück; sogar die Tagelöhner waren glücklich, während da, wo er sich befand, alles zur Neige gegangen war. Die Not seiner Lage — alles drängt ihn zur Rückkehr. „Ich will mich aufmachen". Jede Seele, die zu Gott zurückkehrt, rechnet auf diesem Wege mit der Güte Gottes.

Bei Petrus finde ich dasselbe. Er geht hin und fällt zu den Füßen Jesu und sagt: „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr". Welch' ein Widerspruch! Er liegt zu Jesu Füßen und heißt Ihn dennoch hinauszugehen. Und dieser scheinbare Widerspruch zeigt sich stets, wenn die Gnade in dem

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 Gewissen und Herzen zu wirken beginnt. Wir fühlen, daß wir Gott nötig haben; und doch sagt das Gewissen: „Ich bin zu sündig"! Petrus fühlte seine Unwürdigkeit; er fühlte, daß Jesus zu heilig, zu gerecht sei, um bei einem solchen, wie er war, verweilen zu können; und dennoch konnte er nicht anders als zu Ihm zu gehen.

Der verlorene Sohn kehrt zurück und sagt: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen". Er verstand nicht, was sein Vater — was ein Vaterherz war. Es zog ihn zu dem Hause des Vaters; aber sein Gedanke blieb stets: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner". Im Bewußtsein dessen, was er gewesen, und des Bösen, in welches er sich verstrickt hatte, setzte er nur ein geringes Maß von Liebe beim Vater voraus; er hoffte, die Stellung eines Tagelöhners einnehmen zu können. Es gibt in diesem Zustand eine Menge von Seelen, die (ich rede nicht von ausgeprägter Selbstgerechtigkeit) das, was der Vater zu tun. hat, nach ihrer eigenen Tauglichkeit abmessen; sie haben stets noch Überreste von Gesetzlichkeit, die ihnen einen Platz als Tagelöhner im Hause anweist.

„Mache mich wie einen deiner Tagelöhner". Allein das genügt dem Vater nicht, wenn es auch dem Sohne genügen würde; es würde das Herz des Vaters beständig mit Betrübnis erfüllen, wenn er einen Sohn als Tagelöhner im Hause hätte. Und wo wäre für den Tagelöhner im Hause der Beweis für die Liebe des Vaters? Nein, der Vater kann nicht Söhne als Tagelöhner im Hause haben. Wenn Seine grenzenlose Liebe sie hinein­bringt, so muß der Empfang Seiner Vaterliebe würdig sein. Der verlorene Sohn war noch nicht zu völliger Demut geführt, um zu fühlen, daß, wenn ihm nicht unumschränkte Gnade zuteil werde, er nichts zu erwarten habe.

Doch der Vater läßt ihm nicht einmal Zeit, um zu sagen:

„Mache mich wie einen deiner Tagelöhner". Er läßt ihn sagen:

„Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen"; — aber weiter nichts; denn Er hängt an seinem Halse und küßt ihn. Wie hätte der Sohn noch sagen können: „Mache mich wie einen deiner Tage­löhner", nachdem die Umarmung des Vaters das Bewußtsein geweckt hat, daß er Sohn war?

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 Das Urteil des verlorenen Sohnes über den Vater wird jetzt aus dem, was dieser wirklich ist, und nicht aus der .selbst ge­bildeten Vorstellung geschöpft. Der eine war Vater, wenn der andere sich auch nicht als Sohn fühlte. Und auf diesem Wege empfangen wir das Evangelium der Gnade Gottes. Es ist nicht das Wirken des menschlichen Verstandes betreffs dessen, was ich vor Gott bin, sondern .eine durch den Heiligen Geist be­wirkte Offenbarung betreffs dessen, was der Vater für mich ist. Wenn Er aber Vater ist, so bin ich Sohn.

Ich verweile hierbei, weil ich weiß, daß es viele Seelen gibt, die sozusagen nicht völlig den Geist der Kindschaft empfangen haben, indem sie weder wissen, daß sie als Söhne im Hause des Vaters sind, 'noch ihre Ruhe in der .ihres Vaters finden. Man betrachte noch einmal die Art der Aufnahme des verlorenen Sohnes. Sein Sinn war erneuert und er sagte: „Ich will mich auf­aufmachen etc.". Aber „als er noch fern war", und bevor er das väterliche Haus erreicht hatte und die sich vorgesetzten Worte sagen konnte, erblickte ihn der Vater und ist innerlich bewegt. Der Pfad des Sohnes endet jetzt in der Liebe des Vaters; der Vater eilt ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und -küßt ihn. Dem Sohn bleibt nichts übrig als das Bekenntnis seiner Unwürdigkeit. Nachdem er wieder aufgenommen, ist es gewissermaßen uns überlassen, im Blick auf das Tun des Vaters zu erkennen, welches Seine Gedanken und Gefühle sein mochten.

Hier zeigt sich völlig der Wert der Errettung. Es bleibt uns anheimgestellt zu erforschen, was wir in der Liebe des Vaters sind. Der Vater hängt an dem Halse des Sohnes, wahrend dieser noch in die Lumpen des fernen Landes gehüllt ist. Der Vater hält sich nicht damit auf, ihn um irgend etwas zu fragen, er wußte und die ganze Erscheinung des Sohnes bezeugte alles. Aber hier handelte es sich nicht um die Würdigkeit des Sohnes. Der Vater handelt für Sich Selbst, wie es Seiner als eines Vaters würdig ist. Er hängt an dem Halse Seines Sohnes, weil es Ihm gefällt, dieses zu tun.

Doch er tut noch etwas anderes. Die Knechte werden herbei­gerufen, um den Sohn in würdiger Weise in das Haus einzu­führen, wo alles bereitet wird, um „zu essen und fröhlich zu

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 sein". Es ist die Erkenntnis der Liebe des Vaters, die mich fühlen läßt, was ich bin. Aber wenn ich weiß, daß meine Sün­den vergeben sind, und daß ich mich in den Armen meines Vaters befinde, dann bin ich, je mehr ich meine Sünden erkenne und zugleich die Liebe des Vaters genieße, um so glücklicher. Vorausgesetzt, ein Kaufmann hätte Verbindlichkeiten, die er, wie er selbst weiß, nicht erfüllen kann — würde er nicht mit Furcht seine Bücher durchblättern? Aber wenn irgendein Freund die Schuld bezahlt hätte, und er, nachdem alles bezahlt ist, noch ein großes Vermögen übrig bleibt, würde er sich auch dann noch scheuen, die Aufstellung seiner frühem Schulden anzu­schauen? Keineswegs; vielmehr würde die Erinnerung an die Größe seiner alten Verpflichtungen nur das Bewußtsein der Liebe seines Freundes erhöhen. Wenn er fände, daß seine Schuld statt 1000 Mark 10 ooo Mark betragen habe, würde er sicher sagen: „Da bin ich ja aus einer schlimmeren Lage befreit, als ich dachte".

 Und wenn sich endlich nach weiterer Prüfung die bezahlte Schuld auf 100 ooo Mark erhöhte, so würde er sicher ausrufen: „Wahrlich, es gibt keinen Freund gleich diesem Freunde". Die Gnade hat alles getilgt; und die Erkenntnis der Sünde dient, wenn wir die Vergebung kennen, nur dazu, die Liebe zu erhöhen und die Freude zu mehren. Wenn der Vater mich küßt, so beweist gerade das Bewußtsein, daß Er dieses tut, während ich noch in den Lumpen bin, welch' einer Ver­gebung ich mich erfreue. Jeder in der ganzen Welt, sieht, bevor der Vater an meinem Halse hing, nur meine Lumpen.

„Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an, und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße, und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasset uns essen und fröhlich sein" (V. 22. 25). Gott erweist Seine Liebe gegen uns als arme Sünder; aber dann bekleidet Er uns mit Christo. Er bringt uns in das Haus, wo die Knechte sind, mit nichts Geringerem als all' der Ehre, mit der Er uns überhäufen kann. Seine Liebe heißt uns willkommen, während wir noch in Lumpen sind. Aber hier handelt dieselbe Liebe in anderer Weise. Er führt uns in Sein Haus, um uns dort zu haben im Blick auf den Wert, den der Sohn für den Vater hat. Wir finden hier das gemästete Kalb, das beste Kleid, den Ring und das Festmahl. Die Mei-

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 nung des Vaters war, daß Sein Sohn dieser Dinge würdig ist, und daß es Seiner Selbst würdig sei, sie ihm zu geben. Wie wenig hätte es sich eines in Gnaden handelnden Vaters ge­ziemt, den Sohn als Knecht im Hause zu behalten! Manche mögen den Wunsch, Knecht im Hause zu sein, für Demut halten. Aber dies verrät nur ihre Unkenntnis von der Gesin­nung des Vaters. Ich lese die Worte: . t . auf daß er den über­schwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns er­wiese in Christo Jesu" (Eph 2, 7). Wenn man nun von diesem Wort aus die Gesinnung und Gnade des Vaters anschaut, würde es dann Seiner würdig gewesen sein, uns mit einer be­ständigen Erinnerung an unsere Sünde und Schande, an unsere frühere Unehre und Erniedrigung in das Haus des Vaters ge­führt zu haben? Und würde es des Vaters würdig gewesen sein, wenn ein Gefühl der Scham — die geringste Spur aus dem „fernen Lande" zurückgeblieben wäre? Sicher nicht. „Die den Gottesdienst Übenden haben einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden". Der Zustand dessen, der einen Platz im Hause Gottes findet, muß Gottes würdig sein. Vielleicht mögen unsere elenden, ungläubigen Herzen sagen: „Ach, das wird ganz wahr werden, wenn wir einmal dort — wirklich droben im Vaterhause sind". 

Doch fragen wir uns: „Was sagt der Glaube"? Der Glaube urteilt, wie Gott urteilt. Ich sehe die Sünde im Licht der Heiligkeit Gottes. Ich richte sie gerade, wenn ich ihre Feindschaft gegen Gott erkenne, und auch wie sehr ich mich gegen Ihn schuldig gemacht habe. Auch lerne ich die Gnade in dem Herzen meines Vaters kennen. „Wer da glaubt, versiegelt, daß Gott wahrhaftig sei". Der Glaube allein gibt Sicherheit, nicht die Vernunft. Diese mag für die Dinge dieser Welt ihren Wert haben; aber wenn Gott spricht, nimmt es der Glaube an. Der Glaube hält das, was Gott sagt, nicht etwa nur für möglich, sondern drückt sein Siegel darauf, daß Gott wahr­haftig ist. Im Besitz dieses Glaubens bin ich von der Wahrheit Seiner Worte und Werke so völlig überzeugt, als ob ich bereits im Himmel wäre. „Abraham glaubte Gott"; (nicht an Gott, obwohl auch das der Fall war) er glaubte, daß das, was Gott sagte, wahr ist. Und das sollten wir stets tun. Gott glauben, nimmt den ersten Platz ein. Was sagt Er mir, wenn ich an Seinen Sohn glaube? — Daß meiner Sünden und meiner Ge­setzlosigkeiten nicht mehr gedacht werde; ich glaube es und

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 glaube, daß ich das ewige Leben habe; es ist Sünde, daran zu zweifeln. Wenn ich nicht glaube, was Gott mir versichert, be­gehe ich ein Unrecht gegen Ihn. Es ist Sünde, wenn ich mich nicht als Sohn betrachte, und wenn ich nicht glaube, daß ich, durch das Blut des Lammes von jedem Flecken der Sünde ge­reinigt, vor Gott stehe. Der Glaube ergreift es. Wenn es sich um meine eigene Gerechtigkeit handelte, so könnte sie nie be­stehen; aber es handelt sich um das Blut des Lammes. Und was hat dieses Blut getan? Hat es mich nur zur Hälfte von meinen Sünden gereinigt? Die Frage ist: Welchen Wert hat dieses Blut vor Gott? Glaubt ihr, daß Gott die Wirkung des Blutes in irgendeiner Weise beschränke? Sicher nicht; vielmehr versichert Er uns in Seinem Worte: „Das Blut Jesu Christi reinigt von aller Sünde". Und ferner: „Welcher selbst unsere Sünden an seinem Leibe auf das Holz getragen hat". Ist hier nur von etlichen unserer Sünden die Rede? Nein, es heißt:

„Unsere Sünden". Wenn nun meine Seele einerseits den Wert des Blutes des Lammes vor Gott kennt, so weiß ich anderer­seits, daß ich die Quelle von allem in der Liebe des Vaters zu suchen habe. An dieser Liebe zu zweifeln, wäre höchst tadelns­wert, wie es auch dem verlorenen Sohne, während der Vater ihn küßte, übel angestanden hätte, zu sagen: „Ich trage aber noch die Lumpen aus fernem Lande an mir". Dachte er wohl in diesem Augenblicke an seine Lumpen, als das, was die im Herzen seines Vaters wohnende Liebe nicht zum Ausdruck bringen könnte? Wenn ich das Zeugnis höre, das Christus, ge­zwungen durch die Selbstgerechtigkeit der Pharisäer, ablegt, nämlich, was Gott mir gegenüber als Sünder ist, dann müssen angesichts einer solchen Gnade alle Zweifel des menschlichen Herzens zum Schweigen gebracht sein.

Aber sollte jemand unter uns wohl zu behaupten wagen, daß die göttliche Gnade die Sünde erlaube? Nun ein solcher möge sein Urteil in der Gesinnung des altern Bruders lesen, aber zugleich auch sehen, wie die Gnade zu ihm redet. „Sein Vater aber ging hinaus und drang in ihn" (V. 28) — der nicht nur verloren, sondern auch elend war, indem er die allgemeine Freude nicht teilte. Die Knechte verkündigten in freudigem Ton: „Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das ge­mästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder erhalten

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 hat" (V. 27). Alle nahmen Teil an der Freude, nur einer nicht; — und wer ist dieser eine? Der Mensch, der mit seinem „Ich" und seiner eigenen Gerechtigkeit beschäftigt war; deshalb „ging der Vater hinaus und drang in ihn".

Habt acht, daß eure Herzen beim Anblick der einem Sünder erwiesenen Liebe und Gnade Gottes nicht mit Bitterkeit erfüllt werden. Der ältere Bruder „wollte nicht hineingehen", wiewohl der Vater ihm die Erklärung gibt: „Es geziemte sich aber fröh­lich zu sein und sich zu freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und ist wieder lebendig geworden, und war verloren, und ist gefunden worden" (V. 52). Er blieb draußen; er teilte weder das Glück, noch die Freude, sondern zeigte ein Wider­streben des Herzens gegen die Reichtümer der Gnade des Vaters.

Kennt ihr Gott in dieser Weise? Ihr wünscht auch euch selbst zu kennen. Nun, dies ist in der Tat gut; aber stellt deshalb nicht das Herz Gottes in Frage. Wie kann ich dieses Herz kennen lernen? Etwa dadurch, daß ich in mein eigenes Herz schaue? Keineswegs. Nur die Gabe Seines Sohnes gewährt mir diese Kenntnis. Der Gott, mit dem wir zu tun haben, ist der Gott, der Seinen Sohn für Sünder hingab; und wenn wir dies nicht erkennen, dann erkennen wir ihn ganz und gar nicht. Laßt uns nicht zu Gott sagen: „Mache uns, wie einen deiner Tage­löhner". Der Dienst muß aus der Erkenntnis Seiner Selbst her­vorgehen. Messet nicht die Güte Gottes nach euren eigenen Herzen. Unsere Herzen zeigen stets eine starke Neigung, zur Gesetzlichkeit zurückzukehren und dieses als Demut zu be­trachten. Die einzige, wahre Demut, die einzige Kraft und Segnung besteht darin, daß wir unser Ich in der Gegenwart und Segnung Gottes zur Seite stellen. Die Demut besteht nicht darin, daß wir schlecht von uns denken, wozu uns ein demü­tigender Vorfall gebracht haben mag, sondern wir haben das Vorrecht, uns selbst zu vergessen in der Offenbarung der Liebe unseres Gottes und Vaters, Der für uns die Liebe ist.

Der Herr gebe euch, daß ihr als Sünder durch Jesum Gott er­kennen möget, der sich also in Liebe geoffenbart hat! —

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 Simon Petrus oder die gesichtete Seele

Geliebte Freunde! Es ist ein kostliches Vorrecht, auf den Herrn blicken zu können; denn müßten wir die Augen stets auf uns selbst richten, so würden wir nicht nur keine Fortschritte ma­chen, sondern auch bald wegen des in uns wohnenden Bösen ganz entmutigt sein, indem es gerade die Beschäftigung mit dem Bösen in uns ist, die uns zur Überwindung desselben jeglicher Kraft beraubt.

Es ist wichtig, die Natur des Fleisches und die Verblendung des menschlichen Herzens zu erkennen sowie den Lauf der Ge­danken zu verfolgen, welche, selbst in der Nähe des Herrn, in uns das Bewußtsein der Dinge rauben, die unsere Herzen in Anspruch nehmen sollten, und deren Wirkungen um uns her fühlbar sind. Dieses sehen wir in der vor uns liegenden Be­trachtung.

Der Herr Jesus war im Begriff, Sein unvergleichliches Werk zu vollbringen und den letzten Schritt zu tun, um den Zorn Gottes für uns arme Sünder auf Sich zu nehmen. Er befand sich in Umständen, die geeignet waren, die Herzen Seiner Jünger zu erschüttern. Soeben hatten sie noch bei Gelegenheit des Passahmahles die rührendsten Worte aus Seinem Munde vernommen; und dort war ihnen sogar angekündigt worden, daß einer von ihnen Ihn überliefern würde. Das alles hätte vor ihren Augen sein und ihre Herzen erfüllen sollen; aber statt dessen streiten sie miteinander, wer von ihnen für den größten zu halten sei. Für uns, die wir diese Geschichte lesen, ist der Schleier gelüftet; und weil wir wissen, um welche ernste Sache es sich in jenem Augenblicke handelte, so können wir es kaum begreifen, wie die Jünger sich damals mit solchen Dingen be­schäftigen konnten. Und dennoch, wie viele Dinge können auch uns, obwohl wir uns eines größeren Maßes von Lacht erfreuen, von dem ablenken, was das Herz Jesu beschäftigte! Ja, so ist das menschliche Herz angesichts der ernstesten und feierlich­sten Ereignisse. Ach! der Tod Jesu übt auf uns oft eine ebenso geringe Macht aus wie auf die Jünger.

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 Der Herr ist unter uns, wenn wir zu zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind, aber wir wissen alle, welch eine Kette von Gedanken dann unseren Geist durchzieht. Die Jünger geben hierfür einen Beleg, und zwar unter Umständein, die ganz und gar geeignet waren, das Herz zu bewegen. Er teilt ihnen mit, daß Er auf dem Punkte stehe. Sein Blut für sie zu vergießen; und Seine Worte: „Die Hand dessen, der mich über­liefert, ist mit mir über Tische; und des Menschen Sohn geht zwar dahin, wie es beschlossen ist; wehe aber jenem Men­schen, durch den er überliefert wird" (Lk 22, 21. 22), wecken bei ihnen die Frage, wer unter ihnen diese Tat wohl begehen möchte. Man hätte voraussetzen müssen, daß sie sich jetzt aus­schließlich mit dem Tode ihres guten Herrn beschäftigen wür­den; aber statt dessen „ward ein Streit unter ihnen, wer von ihnen für den größten zu halten sei" (V. 24). Ach! geliebte Freunde, wenn wir unser eigenes Herz erforschen, so finden wir gar oft zwei nebeneinanderstehende Dinge, nämlich in diesem Augenblicke solche Gefühle, die in der Tat von unserer Liebe zu Jesu zeugen, und dann vielleicht wieder in der näch­sten halben Stunde solche Neigungen, die nicht besser als jene Streitigkeiten der Jünger sind. Dieses zeigt uns die Torheit und Eitelkeit des menschlichen Herzens, ähnlich dem Staube, der sich an die Waage hängt.

Der Herr, stets voll Langmut und Milde, vergißt sich selbst, um Sich mit Seinen Jüngern zu beschäftigen, indem Er sagt: „Der Größte unter euch sei wie der Jüngste, und der Leiter wie der Dienende" (V. 26). Auch benutzt Er diese Gelegenheit, um ihnen durch Sein eigenes Beispiel die Größe der Liebe, Gnade und Treue Gottes verständlich zu machen. Was hatten sie nötig, sich zu erhöhen, da doch Sein Vater ihre Erhöhung in die Hand genommen hatte. „Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen; und ich verordne euch ein Reich, gleich wie es mir mein Vater verordnet hat, damit ihr esset und trin­ket an meinem Tische in meinem Reiche und auf Thronen sitzet, richtend die zwölf Stämme Israels" (V. 28—50). Anstatt dieses scheußliche Benehmen der Jünger mit harten Worten zu rügen, zeigt Er ihnen, daß, wenn sich bei den Menschen keine Gnade findet, doch in einem Menschen, und zwar in Ihm, diese Gnade zu finden sei. In Jesu offenbart sich dieselbe voll-

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 kommen; und sie ist der Grund, auf welchen Er die Jünger trotz ihres traurigen Benehmens stellt und dadurch die Torheit des unter ihnen wirkenden Fleisches ins Licht setzt. Es ist, als hätte Er gesagt: „Ich habe nur Gefühle der Gnade für euch und vertraue euch das Reich". —

Geliebte Freunde! Auch wir sind unter die Gnade gestellt; und sie versichert uns, daß wir trotz unserer Schwachheit mit Jesu ausgeharrt haben; und Jesus gibt uns das Reich, wie es Ihm der Vater gegeben hat. Allein ebenso nötig ist eis, daß der, welcher sich dieses Genusses erfreuen soll, geübt werde. Der Mensch muß sehen, was das Fleisch ist; und dieses macht die vielen Prüfungen, die wir durchzumachen haben, notwendig. Aber Jesus, weil wir Ihm angehören, bewirkt unser Aus­harren. Wenn Er zu Seinen Jungem sagt: „Ich verordne euch ein Reich; und ihr werdet, richtend die zwölf Stämme Israels, auf Thronen sitzen", so zeigt Er ihnen auch andererseits, was das Fleisch ist.

„Simon, Simon! Siehe, der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht aufhöre" (V. 31). Der Herr sagt nicht zu dem Jünger: „Du wirst nicht versucht werden; denn ich werde Satan verhindern, dich zu sichten". 0 nein, vielmehr sieht man hier, daß Gott oft Seinen Kindern gegenüber den Feind wir­ken läßt, ohne ihn zu vernichten; aber er wacht angesichts dieses Feindes über die Seinigen. Dieses finden wir deutlich in Offb 2, 10, wo wir die Worte lesen: „Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf daß ihr geprüft werdet . . . Sei getreu bis zum Tode, und ich will dir die Krone des Lebens geben".

Petrus hätte wohl zu Jesu sagen können: „Du wirst schon Sorge tragen, daß mir dieses nicht widerfährt". Ebenso dachten auch Martha und Maria, daß Jesus den Tod des Lazarus hätte verhindern können. Und sicher liegt es außer jedem Zweifel, daß Er, Der die Krone des Lebens geben kann, uns auch vor jeder Versuchung zu bewahren vermag; allein Er tut es nicht, damit wir geprüft werden. So hatte Satan auch den Hiob zu sichten begehrt, und Gott erlaubte es ihm. — In gleicher Weise

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 geschieht es auch mit uns. Oft fragen wir: „Warum hat mich Gott dieser oder jener Trübsal ausgesetzt? Warum muß ich in diesen oder jenen Schmelztiegel?" — Antwort: Satan hat es be­gehrt, und Gott hat es ihm erlaubt. Sicher geschehen oft Dinge, von denen wir uns keine Rechenschaft zu geben vermögen; aber jedenfalls ist es ihre Bestimmung, uns aufzudecken, was das Fleisch ist.

Wenn Gott Sich eines Christen für Sein Werk bedienen will, so nimmt er den, welcher in der Prüfung am weitesten vorgerückt ist. Dieses ist hier der Fall. Obwohl Er durch die Worte: „Satan hat euer begehrt, euch zu sichten", allen die Gefahr vorgestellt, so wendet Er Sich doch nur an Petrus, indem er sagt: „Ich habe für dich gebetet". Er unterscheidet ihn von allen anderen, weil er weiter vorgerückt und deshalb auch, obwohl beim Tode Jesu alle gesichtet wurden, am meisten der Versuchung ausgesetzt war. Ja, keinem der Jünger sollte die Sichtung erspart werden; aber die an Petrus gerichteten Worte: „Und bist du einst zu­rückgekehrt, so stärke deine Brüder" (V. 52), zeigen deutlich, daß dieser Jünger am meisten der Prüfung ausgesetzt werden sollte und darum auch am fähigsten sein würde, seine Brüder zu stärken. Wie wenig kannte er vor der Versuchung sein Fleisch! Dieses zeigt uns sein Selbstvertrauen, welches ihn die Worte sagen läßt: „Herr, mit dir bin ich bereit, auch in Gefäng­nis und Tod zu gehen". Er aber sprach: „Ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennest" (V. 55, 54).

In dem Augenblick, wo das Fleisch in Petrus wirksam war, hatte es nur Kraft, ihn bis zur Prüfung zu bringen; aber kaum beginnt diese Prüfung, so verleugnet Petrus den Herrn in Sei­ner nächsten Nähe. Wäre das Herz des armen Jüngers nicht von seinem Heilande abgewandt gewesen, so hätte er Ihn sehen können. Jesus sah ihn; aber dennoch verleugnet Petrus seinen Herrn mit den Worten: „Ich kenne ihn nicht". Er war gewarnt worden, aber der Herr erlaubte nicht, daß die göttliche Macht ihn bis zu jenem Augenblicke bewahre, weil er erfahren sollte, was er in sich selbst war.

Wenn man auf alles, was Christus getan hat, seinen Blick rich­tet, so wird man bald finden, daß Er während der ganzen

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 Dauer dieser Prüfung in Gnaden und mit großer Sorgfalt über den Jünger wachte. Ja, Seine Gnade ging demselben voraus; denn noch ehe die Versuchung kam, hörten wir die Worte: „Ich habe für dich gebetet". — Es war nicht die Reue Petri, die zur Fürbitte Jesu Veranlassung gab, sondern vielmehr war es die Fürbitte Jesu, welche die Reue in dem Herzen des Jüngers her­vorrief. Er hatte für ihn gebetet und „Jesus blickte den Petrus an". Judas hatte den Herrn überliefert und als sein Gewissen berührt wurde, machte er seinem Leben durch Selbstmord ein Ende. Bei Petrus aber offenbart sich die Wirkung des Gebets darin, daß er im Grunde seines Herzens den Glauben bewahrte, und, sobald Christus ihn anblickte, Tränen der Reue vergoß. „Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an ... Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich" (V. 61, 62). Also handelt der Herr auch mit uns. Er betet für uns und läßt uns der Versuchung entgegengehen. Wenn Er uns zu derselben führt, so fordert Er uns zwar zur Wachsamkeit und zum Gebet auf, „damit wir nicht in die Versuchung hineingehen", aber Gott erlaubt alles dieses und hat Seine weisen Absichten dabei.

Hätte Petrus das Gefühl seiner Schwachheit gehabt, so würde er sich sicher nicht in die Nähe der Priester gewagt haben. Er kam in diese Trübsal, weil sein Fleisch wirksam war; aber Gott wollte ihn gebrauchen und ihn in Seinem Werke an die Spitze stellen. Sein Selbstvertrauen, eine Wirkung seines Fleisches, gab die Veranlassung zu seinem Fall; aber nach der Weisheit Gottes lernte er die Macht der Sichtung Satans erkennen. Die übrigen Jünger, welche nicht wie Petrus dieses starke Selbstver­trauen, diese Kraft des Fleisches besaßen, flohen augenblicklich; aber Gott überläßt den sich selbstvertrauenden Jünger dem Satan, und Jesus bittet für ihn, selbst während des Falles, damit sein Glaube nicht aufhöre. Nachdem Petrus gefallen ist, richtet Jesus Seinen Blick auf ihn, und die Folge davon ist nicht, dem Petrus den Frieden zu schenken, wohl aber eine tiefe Beschä­mung in ihm hervorzurufen. Er „geht hinaus und weint bitter­lich", und alles ist in Ordnung. Er hat sein Fleisch kennenge­lernt; er hat gefehlt, seine Sünde ist begangen, unmöglich ist es, sie ungeschehen zu machen. Es war jetzt die Sache des Herrn, sie zu vergeben, sie auszulöschen. Petrus konnte nicht vergessen, daß er den Herrn verleugnet hatte; aber Jesus be-

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 diente sich dieses Falles, um ihn von seiner Vermessenheit zu heilen. Ebenso verhält es sich mit uns. Es geschieht nicht selten, daß wir im Vertrauen auf uns selbst Fehler begehen, die unmöglich wiedergutgemacht werden können. Aber was ist zu tun, wenn diese Unmöglichkeit erwiesen ist? Wir müssen uns der Gnade Gottes überlassen — das ist alles, was wir tun kön­nen. Wenn das Fleisch zu stark ist, so läßt Gott es zu, daß Fehl­tritte geschehen, weil wir uns nicht in jener Abhängigkeit be­finden, in der wir allein bewahrt bleiben können. Jakob hatte sich zu sehr an Esau versündigt, um nicht seinen Zorn fürchten zu müssen; jedoch läßt ihn Gott nicht in den Händen seines Bruders; Er gibt ihm den Glauben, welcher genügt, um aus diesem Kampfe siegreich hervorgehen zu können. Gott kämpft mit Jakob, und dieser trägt den Sieg davon. Aber er hat vorher in seinem Herzen fühlen müssen, was es heißt, mit dem Bösen zu schaffen gehabt zu haben; und dann erlaubte Gott nicht, daß er der Bosheit Esaus überliefert wurde, und Jakob kannte am Ende seiner Laufbahn sagen: „Der Gott, der mich geweidet hat, seitdem ich bin bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöset hat von allem Übel . . ." (1. Mo 48,15. 16).

Wenn Gott auf diese Weise die Herzen übt und sie sozusagen den Schlägen Satans preisgibt, so läßt Er doch nie die Gewis­sen Seiner Kinder in den Händen dieses Widersachers. Das Ge­wissen des Judas war in den Händen Satans; darum fiel er der Verzweiflung anheim. Das Herz Petri war für einen Augenblick unter der Macht Satans, sein Gewissen aber nie. Darum, anstatt wie Judas ein Opfer der Verzweiflung zu werden, genügte ein Blick voll Liebe von seiten des Herrn, um sein Herz zu rühren.

Sobald die Gnade im Herzen wirkt, gibt sie das Gefühl der Sünde; aber zugleich ist auch das Gewissen von dem Gefühl der Liebe Christi erfaßt; und je tiefer das letztere der Fall ist, desto tiefer ist auch das Gefühl der Sünde.

Petrus konnte seine Sünde nimmer vergessen, wiewohl er voll­kommene Vergebung hatte. Und noch mehr: Sein Gewissen war in den Händen Jesu, als ihm der Heilige Geist später die Fülle des Herzens Jesu offenbarte. Sein Gewissen wurde vollkom­men gereinigt, so daß er die Juden der Sünde anklagen konnte, die er selbst unter den ernsten Umständen begangen hatte,

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 indem er ihnen sagte: „Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet" (Apg 5, 14). Das Blut Christi hatte sein Gewissen völlig gereinigt; wenn es sich aber um die Kraft seines Fleisches handelte, 'so mußte er stets von sich sagen: „Ich habe den Herrn verleugnet, und ohne Seine unendliche Gnade dürfte ich meinen Mund nicht öffnen". In keiner der Unterredungen, die Jesus mit Petrus hatte, wirft Er ihm je seine Sünde vor; Er fragt nie:

„Warum hast du mich verleugnet?" Nein, nicht ein einziges Mal erinnert Er ihn an seinen Fehltritt; Er handelt im Gegenteil gemäß der Worte der Liebe des Heiligen Geistes: „Ich werde ihrer Sünden nicht mehr gedenken". Aber dennoch hatte Er dem armen Petrus noch etwas zu sagen. Er mußte ihm zeigen, Welches die Wurzel seines Fehltritts war. Die Versuchung Sa­tans und der Mangel an Liebe in dem Herzen Petri hatten seinen Fall bewirkt und sein Selbstvertrauen erschüttert. Jetzt aber, nachdem sein Gewissen erreicht war, mußte sich das geist­liche Verständnis bilden. Petrus hatte sich gerühmt, den Herrn mehr zu lieben als alle andern Jünger, und er war tiefer gefal­len als sie alle. Darum richtet der Herr die Frage an ihn: „Liebst du mich mehr als diese?" Wo war jetzt das frühere Selbstver­trauen Petri? Ohne ihn direkt an seine Geschichte zu erinnern, richtet Jesus dreimal die Frage an ihn: „Liebst du mich?" — und Petrus antwortet: „Du weißt alles — du erkennst, daß ich dich lieb habe". Er beruft sich auf die göttliche Kenntnis Jesu, der ihn gewarnt und seinen Fall vorausgesagt hatte. Was hatte auch Petrus auf die Frage: „Liebst du mich mehr als diese?" anders sagen können, als daß er, seine Schwachheit bekennend, im Grunde weniger Liebe gezeigt habe als alle die andern Jünger. Sicher, die Verbindung zwischen Jesu und Seinem Jünger ruht nur auf einer vollkommenen Gnade. Es gibt für Petrus keinen anderen Ausweg, als sich Jesu anzuvertrauen; er hat die Macht des Blickes Jesu erfahren und kann nun Sein Zeuge sein.

Es ist gerade, als wollte Petrus sagen: „Ich lasse es auf dich ankommen; du weißt, daß ich dich verleugnet habe; aber du weißt auch, daß ich dich liebe; mache mit mir, was du willst!" ~- Und Jesus unterstützt nun das Herz Seines Jüngers, damit Satan ihn nicht seiner Zuversicht beraube. Petrus war zurück­gekehrt und fähig gemacht, seine Brüder zu stärken. Infolge seiner Verleugnung hatte er das, was das Fleisch ist, so völlig

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 kennengelernt, daß er nichts verspricht, sondern der Überzeu­gung Raum gibt, daß er nichts anderes tun kann, als sich Gott zu überlassen. Wie groß auch seine Unfähigkeit im Wider­stande gegen Satan sein mochte, so konnte er doch seine Zu­flucht zu der Gnade Dessen nehmen. Der alles wußte. Was ihn stark machen konnte, war das Bewußtsein, daß er auf Jesum rechnen durfte. Erst nachdem der Herr ihn an die Ohnmacht seines Fleisches erinnert hatte, vertraut Er ihm mit den Wor­ten: „Weide meine Lämmer"! die Seinigen an; denn nun erst war er fähig, seine Brüder zu stärken. Das Fleisch setzt ein gewisses Vertrauen auf das Fleisch; und dieses ist eine Torheit, in der wir uns oft befinden. Es ist daher nötig, daß wir im Kampfe mit Satan uns selbst kennenlernen. Es gibt sicher nicht einen Christen, der nicht durch die Umstände, in denen er sich befand, wenigstens in einem gewissen Maße das Bewußtsein dessen, was er ist, erlangt hätte. Um unsere eigenen Herzen kennenzulernen, läßt Gott es zu, daß wir von Satan gesichtet werden. Wäre genug Treue und Demut bei uns vorhanden, um von Herzen zu sagen: „Ich kann nichts ohne den Herrn", so würde Er sicher nicht nötig haben, uns die traurige Erfahrung unserer Schwachheit machen zu lassen.

In der Tat, wenn der Christ nicht in dem beständigen Gefühle seiner Schwachheit wandelt, so wird Gott es dem Satan erlau­ben müssen, als Werkzeug zur Selbsterkenntnis desselben zu dienen. Dann folgen Fehltritte, die oft nicht wiedergutzumachen sind. Jakob mußte während des Restes seines Lebens hinken, weil er in moralischer Beziehung 21 Jahre lang gehinkt hatte. Er 'mußte einen peinlichen Kampf bestehen, wo er, wiewohl Gott ihn nicht den Händen Esaus überlieferte, die Erfahrung machen konnte, daß er nur ein schwaches Wesen im Fleische

Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn der Herr uns viel­fachen Schwierigkeiten preisgibt, denn dieses geschieht, weil etwas in uns ist, was niedergehalten werden muß und uns auf diesem Wege zum Bewußtsein gebracht wird. Doch bei allem ist die Gnade tätig. Christus handelt nur in Gnade; und wenn Er auch oft, damit wir uns selbst kennenlernen, uns preiszu­geben scheint, so ist Sein Tun uns gegenüber doch stets Gnade,

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 ja vollkommene Gnade. Nicht erst dann, nachdem Petrus vor­her sein Auge auf Jesu gerichtet hatte, blickte dieser ihn an; denn schon vor seinem Falle hatte der arme Jünger die Worte seines Herrn vernommen: „Ich habe für dich gebetet". Die Gnade geht stets voran. Jesus weiß, was Satan begehrt, und Er gibt uns diesem Begehren preis; aber zugleich trägt Er Sorge, daß wir bewahrt bleiben. Petrus weinte nicht, indem er auf den Herrn blickte sondern er weinte bitterlich, nachdem der Herr ihn angeblickt hatte. Die Liebe Jesu kommt den Seinigen stets zuvor. Er geht unseren Schwierigkeiten voraus und begleitet uns durch alle Hindernisse hindurch. Während Er uns den Händen Satans überläßt, damit wir erfahren, was wir sind, stellt Er Sich stets für uns in den Riß und weiß uns vor der List des Feindes zu bewahren. Dieses zeigt uns die vollkommene Güte und Gnade Dessen, Der uns nicht nur, wenn unsere Her­zen auf uns gerichtet sind, völlig liebt, sondern Der Sich auch aller Fehler unseres Charakters annimmt, damit wir nach den Ratschlüssen Gottes völlig und ganz gesegnet seien. Alles dieses sollte uns lehren, uns „unter die mächtige Hand Gottes zu demütigen", um zur rechten Zeit getröstet und gestärkt wer­den zu können.

Wenn ich nach einem Fehltritt im Blick auf mich selbst nieder­gebeugt bin, so sollte ich nicht, wie natürlich dieses auch ist, sofort Trost, sondern zu allererst Christum suchen; denn ich habe eine Lektion zu lernen, in der mich Gott unterweisen will. Wenn ihr sagt, daß ihr Gott in den schwierigen Verhältnissen, worin ihr euch befindet, nicht verstehen könnt, so kennt doch Er den Zweck dieser Schwierigkeiten und läßt euch in denselben, damit ihr gesichtet und durch dieses Mittel zu einer tieferen Erkenntnis sowohl betreff Seiner als auch eurer selbst geführt werdet. Er will euch alles zeigen, was Er in euch gesehen hat; und man muß daher, anstatt sich zu bemühen, dieser Sichtung auszuweichen, vielmehr danach trachten, die uns durch dieses Mittel bereitete Unterweisung des Herrn uns zunutze zu ma­chen; und sicher wird man dann eine weit tiefere Erkenntnis dessen erlangen, was Er für uns ist.

Wir müssen — mit einem Wort — lernen, unter Seiner mäch­tigen Hand zu bleiben, bis Er uns wieder aufrichtet. Gott

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 schenke uns die Gnade, Ihn kennenzulernen! Würde es sich nur darum handeln, uns selbst kennenzulernen, so würden wir bald gänzlich entmutigt sein. Aber durch die Erkenntnis, die Er uns zugleich von Seiner Gnade gibt, wird Er uns zum Ziele führen, so daß wir sagen können: „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle die Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Hause Jehovas in Länge der Tage" (PS 25, 6).

Nach J.N.D.

Der goldene Leuchter

(4. Mose 8, 1—4)

„Und Jehova redete zu Mose und sprach: Rede zu Aaron und sprich zu ihm: Wenn du die Lampen anzündest, so sollen die sieben Lampen dem Leuchter vorn gegenüberwärts scheinen. Und Aaron tat also: Dem Leuchter vorn gegenüberwärts zün­dete er die Lampen an, so wie Jehova dem Mose geboten hatte. Und dies war die Arbeit des Leuchters: getriebene Arbeit von Gold; bis zu seinem Fuß, bis zu seinen Blumen war es getrie­bene Arbeit; nach der Gestalt, die Jehova dem Mose gezeigt, also hatte man den Leuchter gemacht".

Hier haben wir ein liebliches Vorbild des Werkes und Zeug­nisses des Heiligen Geistes, gegründet auf das Versöhnungs­werk Christi. Die „sieben Lampen" bezeichnen in bildlicher Sprache die Vollkommenheit des Lichtes des Geistes. Der ge­triebene Fuß, auf welchem die sieben Lampen miteinander ver­bunden waren, zeigt in derselben Weise Christum als den Grund aller Wirkung des Geistes. Aber nicht nur waren die „sieben Lampen" mit dem „getriebenen Fuß" in einer unzer­trennlichen Verbindung, sondern werfen auch ihr Licht un­mittelbar darauf, um vorbildlich darzustellen, daß der große Zweck des Heiligen Geistes in all seinen Wirkungen in dem Zeugnisse und der Verherrlichung der Person Christi besteht. „Die sieben Lampen sollen dem Leuchter vorn gegenüberwärts scheinen". Sie warfen nicht ihr Licht auf sich selbst, sondern auf den getriebenein Fuß, welcher sie unterstützte.

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 Das ist das Vorbild; und wenn der Leser für einen Augenblick sein Auge auf Apg 3 richten will, so wird er hier das treffende Beispiel einer Anwendung dieses Vorbildes finden. Christus, das große Gegenbild des goldenen Fußes, hat diese Welt ver­lassen und Seinen Platz in den Himmeln eingenommen; und der Heilige Geist, das große Gegenbild der sieben goldenen Lampen ist vom Himmel herniedergekommen, um das glän­zende Licht des Zeugnisses in dieser Welt ausströmen zu lassen. Wem aber gilt das Zeugnis des Geistes? Nur Jesu allein. Wen sucht er zu erheben? Nur den Namen Jesu. Wie im Vorbilde, so auch im Gegenbilde geben die sieben Lampen ihr Licht dem Leuchter. Wenn Buße und Vergebung der Sünden gepredigt wird, so geschieht es im Namen Jesu. Wenn die Seelen gerettet sind, so verdanken sie diese Rettung dem Namen Jesu. Wenn ein Krüppel Heilung sucht, so kann er sie nur finden im Namen Jesu. Die „sieben Lampen" können nur „dem Leuchter vorn gegenüberwärts scheinen".

Wie deutlich zeigt sich dieses in Apg 3. Petrus, erfüllt mit dem Licht und der Kraft des Heiligen Geistes, kann nur von Christo zeugen, und alle seine Handlungen nur mit Ihm in unmittelbare Verbindung bringen. Der Lahme erwartete von dem Wohlwollen des Vorübergehenden nur ein Almosen; aber Petrus tritt gleich­sam zurück und erhebt den Namen Jesu in den bemerkenswer­ten Worten: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: In dem Namen Jesu Christi, des Naza-räers, stehe auf und wandle"! Hier werfen, wie wir sehen, die sieben Lampen ihr Licht auf den Leuchter. Die Wohltat, die dem armen Krüppel gewährt werden konnte, mußte unmittelbar von dem auferstandenen Heiland ausgehen. Nicht ein wohlwollen­der Mann verteilt hier sein Silber und Gold, sondern ein mit dem Heiligen Geiste erfülltes Gefäß legt Zeugnis ab von dem Namen Jesu, oder — um die Sprache unseres Vorbildes zu ge­brauchen — „die sieben Lampen lassen ihr Licht auf den Leuch­ter scheinen". „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie eure guten Werke sehen und euern Vater preisen, der in den Himmeln ist".

Das ist ein erhabener Grundsatz, dessen wir in unseren Tagen der Tätigkeit und Anstrengung so sehr bedürfen. Möchten auch

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 wir den Sinn der „sieben Lampen" besser verstehen und uns stets erinnern, daß unser Dienst nur dann in den Augen Gottes irgendeinen Wert hat, wenn Christus die Quelle und das Ziel ist. Alle unsere Anstrengungen, wie glänzend auch ihre Erfolge sein mögen, sind nach Gottes Schätzung wertlos, wenn Christus nicht Anfang, Mitte und Ende derselben ist. Denn „die sieben Lampen sollen dem Leuchter vorn gegenüberwärts scheinen".

Eine weise und sichere Sache

„In meinem Herzen habe ich dein Wort bewahrt, auf daß ich nicht wider dich sündige" (PS 119, n).

Dieses ist in der Tat eine weise und sichere Sache, die wir nachahmen sollten. Es ist gewiß der Mühe wert, sie zu erwägen und zu Herzen zu nehmen. Sie drängt uns zu drei Fragen:

i. Was muß ich bewahren?   2. Wo muß ich es bewahren? 5. Warum muß ich es bewahren?

1. Was muß ich bewahren7 Antwort: „Dein Wort". Es ist nicht das Wort eines Menschen; es ist das Wort des lebendigen und ewigen Gottes. Es ist ein Schatz, der Wert genug hat, um ihn zu bewahren. Kein Dieb kann ihn stehlen, keine Motte ihn verderben. Wir können sicher das Wort Gottes nicht hoch genug schätzen. Das waren die Gedanken des Psalmisten dar­über, als er es bewahrte. Dieser Ausdruck zeigt deutlich, welch einen hohen Wert es in seinen Augen hatte. Er brachte es außer den Bereich eines jeglichen, der es ihm hätte rauben können. ^

2. Wo muß ich es bewahren? Antwort: „In meinem Herzen". Der Psalmist hatte es nicht in seinem Kopf oder in seinem Verstande verborgen, sondern in seinem Herzen, dem Sitz seinen Neigungen, dem Sitz seines Daseins, der Quelle von allem, was er tat. Das ist der wahre Platz, um das Wort Gottes zu verbergen. Dort kann es auf alle meine Pläne und Gedan­ken, auf alle meine Taten und Wege einen Einfluß ausüben.

5. Warum muß ich es bewahren7 Antwort: „Auf daß ich nicht wider dich sündige". Das ist in der Tat ein wichtiger, ein höchst

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 beachtenswerter Grund. Er bewahrte nicht das Wort, auf daß er reichen Stoff für neue Gedanken habe, auch nicht, auf daß er Beweise erlange, um damit alle Gegner aus dem Felde zu schlagen. 0 nein, das war nicht der Grund, um dessentwillen er das Wort Gottes in seinem Herzen bewahrte. Aber er hatte einen Abscheu gegen die Sünde; und er wußte, daß Gottes Wort das einzige Schutzmittel gegen die Sünde war; und dar­um verbarg er es in seinem Herzen. Mögen wir dieses alles ernstlich erwägen und zu Herzen nehmen!

Das Kennzeichen der Schafe Christi

(Johannes 10, 4—6)

Das Kennzeichen der Schafe, die dem Hirten folgen, ist nicht nur, daß sie Seine Stimme hören, sondern auch, daß sie Seine Stimme kennen. Sie kennen den Klang dieser Stimme. Man denke nur an Maria Magdalena. Um dieser Ursache willen wer­den sie einem Fremden nicht folgen: sie kennen die Stimme des Fremden nicht, sie fliehen, sobald sie dieselbe hören. Man muß nicht stehenbleiben, um auf die Dinge zu lauschen, welche die Stimme des Fremden ausspricht, selbst nicht, um sie zu beur­teilen, sondern man muß fliehen. Unsere Sicherheit liegt in dem Entfliehen vor der Gefahr. Das Lauschen auf die Stimme des Fremden ist höchst gefährlich für uns. Erinnern wir uns dessen, was mit Eva geschehen ist (1. Mo 5).

Wenn wir dem Hirten folgen, der vor uns hergeht, dann er­blicken wir Seine Person stets zwischen uns und den Umstän­den. Er beschäftigt Sich mit meiner Lage und meinen Umstän­den. Ich sehe den Weg nicht voraus, aber ich sehe den Hirten; und meine Sache ist es. Ihm zu folgen, ohne mich zu beun­ruhigen über das, was auf dem Wege vorfällt. „Wer mir folgt, wird nicht in Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben" (Joh 8, iz).

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 „Und die Tür ward verschlossen"

Welch ein ernstes Wort für euch, die ihr Christum verwerft, für euch, ihr kalten, eitlen Bekenner Seines Namens, für euch, ihr törichten Jungfrauen! „Und die Tür ward verschlossen". Was werden dann Worte und Tränen nützen? Was wird dann die Welt für euch sein? Welchen Wert werden dann die Reich­tümer dieser Welt für euch haben? Welcher Genuß wird dann in der Sünde zu finden sein? 0 bedenke es, mein teurer Leser! Erinnere dich dieser herannahenden ernsten und entscheidenden Stunde! Schaue diesem Tage ins Gesicht, blicke in den weiten Kreis deiner Gedanken und Ratschläge und sage mir, ob dort etwas vorhanden ist, was, verglichen mit Christo, Wert hätte! Wenn die Welt Satans hienieden der Gegenstand deiner Wahl ist, so wird auch die Hölle Satans dereinst dein Teil sein. Und bedenke, die Zeit ist kurz; die Tür wird bald geschlossen sein, geschlossen für immer!

Eilet daher, ihr gedanken- und sorglosen Sünder! Täuschet euch nicht! Versäumt die Stunde der Gnade nicht, sondern flieht noch heute in die geöffneten Arme Jesu. Er wartet auf euch. Er ist bereit zu vergeben, und willig, euch zu retten. Er Selbst lädt euch ein zu kommen — o gehorcht doch der Stimme Seiner Liebe. — „Höret, und eure Seele wird leben" (Jes 55, i-5)!

Er steht vor deiner Tür, Er klopft — o tu Ihm auf! Bald schließt Er Seine Tür -Du klopfst — Er tut nicht auf.

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 Die Folgen des Unglaubens

(4. Mose 14)

„Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zur Er­mahnung für uns" (1. Kor 10, ii).

Bevor wir unsere Betrachtung beginnen, bitten wir den Leser dringend, seine Bibel zur Hand zu nehmen und das genannte Kapitel aufmerksam durchzulesen. Wir rinden dort das Volk Israel an den Grenzen Kanaans. Es hat die versuchungsreiche Wüste durchschritten und viele Erfahrungen bezüglich der Macht und Treue Jehovas gemacht. Ein Rückblick auf solch gesegnete Erfahrungen hätte die Pilger mit freudigem Mute erfüllen können und würde sie befähigt haben, in zuversicht­lichem Vertrauen auf die Treue Gottes ihren Fuß auf den Boden des verheißenen Landes zu setzen. Aber wie schnell ver­gißt der Mensch sowohl das, was Gott ist, als auch die Tatsache, daß Er stets mit Seinem Volke geht und es in keinerlei Um­ständen versäumt! Anstatt zurückzuschallen auf die Beweise der Macht und Treue Gottes, sah Israel auf die Riesen des Landes; und wie immer, wenn der Unglaube tätig ist und das Auge die Schwierigkeiten betrachtet, stellten auch sie die Rie­sen Kanaans über den ewigen Gott, Der sie bis dahin so treu geleitet hatte. Die zehn Stimmen der mit Unglauben erfüllten Kundschafter galten ihnen mehr, als die Stimme des leben­digen Gottes. Würde sich Israel seines Schreiens (2. Mo 14, lo) und der wunderbaren Hilfe Gottes erinnert haben, so hätte sich ihrer bei dieser Gelegenheit nicht eine so trostlose Stim­mung bemächtigen können, daß sie während der ganzen Nacht weinten und in der Wüste zu sterben begehrten. Allein, so ist der Mensch in seinem Unglauben; er sieht nichts von Gott und setzt Ihn völlig beiseite; er sieht die Schwierigkeiten zwischen sich und Gott; sie verhüllen ihm die Gegenwart und Nähe Gottes, so daß das Herz mit Furcht und Sorge erfüllt ist, wäh­rend der Glaube stets den starken Gott zwischen sich und den Schwierigkeiten schaut und dem Herzen Ruhe gibt.

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 Unter solchen Umständen vermochte Israel wegen seines Un­glaubens nicht von dem gesegneten Platze, den Jehova ihm bereitet, Besitz zu nehmen; und auch für uns, die wir unsere himmlische Stellung einzunehmen berufen sind, gibt es nur einen Weg zur Erreichung dieses Zieles, und das ist der Weg des Glaubens. Wenn wir beschäftigt sind, unsere Kraft mit derjenigen des Feindes zu messen, mit welchem wir zu kämp­fen haben, so ist das einfach der Unglaube, dem das Unter­liegen auf dem Fuße folgt; wenn wir hingegen Gott einführen, auf Sein Wort vertrauen. Seine Kraft, Seine Treue, Seine Ehre stets vor uns sehen, so wird unsere Erfahrung auch derjenigen gleichen, die Israel am Roten Meere machte, bei welcher Ge­legenheit wir die Worte hörten: „Jehova wird für euch strei­ten, und ihr werdet stille sein" (2. Mo 14, 14), und in diesem stillen, seligen Vertrauen sollten wir stets unsern Weg gehen zur Verherrlichung Seines Namens.

Der Weg nach Kanaan ist leicht und ist schwer; leicht, weil man nichts zu tun hat, weil ein anderer für uns streitet und der Herr alle Sorge übernimmt, aber schwer, ja unmöglich, wenn wir selbst auf dem Plane sind, wenn wir Gott in Seiner Macht und Treue vergessen, das Auge nur auf die Riesein ge­richtet ist und das elende Ich in den Kampf mitgehen will. Aber ach, wie oft ist es der Fall, daß wir uns in letzterem Zustande befinden! Wie leicht vergessen wir, daß der Gerechte nur aus Glauben lebt, und wie schnell sind unsere Augen auf die Schwierigkeiten gerichtet und unsere Herzen bereit, sich mit denselben zu beschäftigen, obwohl wir die warnenden Vor­bilder Israels kennen und die Treue Gottes auch in unserem eigenen Leben so oft erfahren haben! Der Herr aber erwartet von uns, daß-wir stets den Platz des Glaubens einnehmen; und wie sehr wäre es zu wünschen, daß dieser gesegnete Boden allezeit unter unseren Füßen sei, damit Er Sich mehr an uns verherrlichen könnte!

Wenn wir durch Glauben wandeln, so ist es immer der Herr, zu dem wir aufschauen und von dem wir alles erwarten, wah­rend sich der Unglaube stets nach dem Sichtbaren umschaut. Am Horeb machte sich Israel ein Kalb; und in dem vierten Verse unseres Kapitels ist man damit beschäftigt, sich einen Führer

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 zu wählen, um wieder nach Ägypten zurückzukehren. Wenn die Israeliten glaubten, daß ein Kalb sie von Ägypten aus­geführt habe, so war es auch nicht schwer zu glauben, daß ein Häuptling sie wieder dorthin zurückzubringen vermöge. Welch ein schmerzlicher Gedanke, ein solches Volk wieder auf dem Rückwege nach Ägypten zu sehen! Ach! Es ist der Charakter des Unglaubens, immer wieder zurückzugehen. Er läßt uns nicht auf dem Platze, den wir innehaben; er führt uns zurück. Welch eine ernste Wahrheit für uns und besonders für eine Seele, deren sich der Unglaube bemächtigt hat, und die daher im Rückzuge, im Abweichen begriffen ist! Sie befindet sich auf dem Rückwege nach Ägypten; dorthin richtet sie ihre Schritte, und für diese Reise begehrt sie einen Führer, ein Haupt. Es ist nicht die Hand Jesu, woran sie sich auf ihrem Wege klam­mert. Er führt nimmer eine Seele wieder nach Ägypten zurück; dazu bedarf man eines andern Hauptes. 0 möchten diese Ge­danken doch die Weichenden zu ihrem eigenen Heile zurück­schrecken und sie bewegen, die Hand Jesu zu suchen und zu ergreifen, um Ägypten für immer den Rücken kehren zu kön­nen!

Welch ein kraftvolles Bild stellten dagegen Josua und Kaleb diesem Volke gegenüber dar! In ihren Herzen fand sich keine Furcht; im Gegenteil besaßen sie Kraft genug, um angesichts eines so großen Volkes ein Zeugnis für den Herrn zu sein. Wenn man sich vor dem Feinde fürchtet, so verkleinert man Gott, indem man Ihn nicht für groß genug erachtet, um den Feind überwinden zu können. So schließt also der Unglaube die Geringschätzung Gottes in sich, und das sollten wir stets mit Ernst bedenken. Unmöglich können der Glaube und der Unglaube miteinander zusammen gehen; nein, sie sind völlig einander entgegengesetzt, und der eine schließt den anderen aus. Als sich in dem Zeugnisse Josuas und Kalebs der Glaube offenbarte, wollte das Volk sie steinigen; und dennoch hatten diese beiden Zeugen die Wahrheit geredet. Wie groß ist doch die Macht des Unglaubens über das menschliche Herz! Die Wahrheit findet keine Stätte; so war es damals, und so ist es heute. Dagegen sind Lüge und Irrtum stets willkommene Gäste. Josua und Kaleb mußten den Widerstand des ganzen Volkes erfahren; sechshunderttausend Stimmen erhoben sich

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 wider diese beiden Männer, weil sie der Wahrheit Ausdruck gaben und Gott glaubten. So war es, so ist es, und so wird es immer sein, bis zu dem Augenblicke, wo es heißt: „Man wird nicht übeltun noch verderbt handeln auf meinem ganzen hei­ligen Berge; denn die Erde wird voll sein der Erkenntnis Je­hovas, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken" (Jes 11, 9).

Wie wichtig war es in einem solchen Augenblicke, die Wahr­heit so vielen Stimmen gegenüber aufrechtzuerhalten! Aber Josua und Kaleb hielten unverrückt an der Wahrheit fest, daß das Land ihr Eigentum sei und man es in Besitz nehmen werde. Und wie bewahrheitete sich ihr Zeugnis! Jene sechs­hunderttausend Menschen kamen um in der Wüste; nur sie blieben am Leben und empfingen den Lohn ihres Glaubens. Glückliche Männer! Welch ein Kontrast zwischen ihnen und dem zagenden Volke! Und ach, wie viele Kinder Gottes findet man in unseren Tagen, die sich nicht bis zu der Höhe der gött­lichen Offenbarungen erheben können, um ihren Platz als Heilige und Geliebte einzunehmen! Stets umgeben von den finsteren Wolken der Zweifel, und stets sich selbst und die Schwierigkeit beschauend, haben sie nimmer den Mut und die Zuversicht, wodurch Gott verherrlicht wird. Der Christ sollte stets glücklich und stets fähig sein, Gott zu loben; seine Freude ist nicht bedingt und nicht beeinflußt durch die Dinge der Erde, sondern hat ihren Ursprung, ihre Quelle im Himmel, den das Auge des Glaubens immer offen findet. Leider fehlen wir in dieser Beziehung nur zu oft; und das ist der Unglaube, der Gott verunehrt und das Herz niederbeugt. Der Geist erhebt die Seele über die dumpfe, kalte Atmosphäre dieser Welt in die erwärmende Sonne der Gnade; und dort kann das Herz nicht mehr gefesselt sein von dem Nebel des Unglaubens.

In diesem kritischen Augenblicke erschien die Herrlichkeit Je­hovas, und zwar zu dem Zwecke, um Gericht zu üben und um Moses zu einem großen Volke zu machen. Welch herrliche Aussichten eröffneten sich dabei für diesen Mann Gottes! Das Haupt einer großen und mächtigen Nation zu werden, ward ihm von Jehova Selbst angeboten; aber von der Annahme die­ses Anerbietens hing die Vernichtung des ganzen Volkes ab Was tat Moses in diesem Augenblick? Dachte er an sich? Wünschte er etwas für sich? Überlegte er etwa, was da zu tun

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 sei? Nichts von diesem allem. Durchdrungen von dem Geiste Christi und geleitet von der Liebe zu andern, gab er, sein eigenes Interesse völlig beiseite setzend, jene beachtenswerte Antwort, die wir in den Versen 15—16 aufgezeichnet finden. Ei erinnert Jehova daran, daß es die Ägypter hören und das Ui-teil aussprechen würden, als habe Jehova das Volk nicht ins Land zu bringen vermocht. Das Her^> dieses treuen Dieners suchte nur den Ruhm und die Verherrlichung Gottes, und zum andern die Erhaltung des Volkes. Dieses erfüllte so sehr sein Herz, daß er nicht einen Augenblick an die herrlichen Eröff­nungen dachte, die Gott seiner Person gemacht hatte. Den unbeschnittenen Völkern gegenüber tritt er für die Ehre Je­hovas ein, und zugleich stellt er sich in den Riß für das Volk Gottes. Er offenbarte in dieser Angelegenheit die Gesinnung des Herrn Jesu, der allezeit, und zwar in der vollkommensten Weise, die beiden Ziele vor Augen hatte: die Verherrlichung des Vaters und die Errettung des Sünders. Moses hatte die­selbe Gesinnung bei jener Gelegenheit zur Schau getragen, als Israel das Goldene Kalb gemacht hatte, und jetzt sprach er ebenso entschieden für den Ruhm Gottes. Der Glanz dieses Ruhmes mußte um jeden Preis aufrechterhalten bleiben. 0 möchte dieses doch in allen Lagen der Grundsatz unserer Her­zen sein! Und nicht nur verherrlichte Sich Jehova dadurch, daß Er das Volk nach Kanaan brachte, sondern auch dadurch, daß Er vergab (V. 17—20). Seine Gnade, Seine Geduld, Seine Lang­mut erhöhten Seinen Ruhm. Ja, unser Gott ist bewunderns- und anbetungswürdig in allen Seinen Wegen. Wie sehr wird Er Sich noch verherrlichen an Israel und Selbst in reichem Maße an den Völkern, wenn Er vergeben und die Erde voll werden wird der Herrlichkeit Jehovas (V. 21)!

Es ist indes höchst beachtenswert, daß es neben der Gnade auch eine Regierung Gottes gibt. Beide gehen zusammen, wie wir dieses in den Versen 22—25 wahrnehmen. Die Vergebung war in V. 20 ausgesprochen; dann aber folgt Seine .Regierung. Er gibt Seine Rechte bezüglich Seines Volkes nicht auf, und Seine Wege sind ernst. Welche Tragweite hat oft eine einzige unse­rer Handlungen! Und obwohl der Herr uns vergibt, so tragen wir doch in manchen Fällen die Früchte unserer Torheit. Die Aussprüche Jehovas in den Versen 26—55 sind ein Zeugnis davon.

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 Wie treffend ist das Vorbild dieses Volkes für uns, und auf welch herrliche, liebliche und zugleich ernste Weise offenbart sich Gott unter ihnen! Wir sehen Seine Macht wie Seine Gnade, Seine Langmut wie Seine Zucht, Seine Barmherzigkeit Wie Seinen Ernst, Seine Heiligkeit und Seine Gerechtigkeit her­vorstrahlen; und es ist gesegnet, die anbetungswürdige Geduld Gottes zu sehen, die nimmer aufhörte, so daß Er trotz aller für Ihn so schmerzlichen Vorkommnisse dennoch nicht von Seinem Volke ließ. Welch trostreiche, aber auch welch ernste Lehre bietet uns die Geschichte Israels. Sind unsere Herzen anders als die der Israeliten? Haben wir weniger Gefahr, dem Unglauben Raum zu geben? Haben wir es nicht mit demselben Gott zu tun, mit welchem Israel es zu tun hatte? Und ist die Sünde nicht noch häßlicher bei einem so geliebten, himm­lischen Volke, als sie es bei dem irdischen Volke war?

Israel war berufen, das Land seiner Verheißung in Besitz zu nehmen; und auch wir sollen durch den Glauben Besitz neh­men von unseren himmlischen Gütern, von unserer Stellung, indem wir den Jordan überschreiten. Das Blut des Lammes hat uns in Ägypten von dem Gericht befreit sowie das Rote Meer von der Macht des Feindes; aber beim Eintritt in Kanaan müs­sen wir jeden Zoll des Bodens erkämpfen. Unser Kampf ist mit Satan, der seinen Platz noch in den himmlischen Örtern hat. Wir, als der Welt gestorben, und als Besitz nehmend von unseren himmlischen Gütern, erfahren, daß Satan uns alles streitig machen möchte. Hier handelt es sich nicht um den Kampf mit der Sünde, obwohl es sich von selbst versteht, daß wir über das Fleisch zu wachen haben. Ein Kampf, um unsere himmlische Stellung zu behaupten, ist ganz anderer Art. Daß die Sünde nicht in der Mitte Israels sein durfte, war eine an­dere Sache als der Einzug dieses Volkes in Kanaan. Ebenso sind auch wir berufen, sowohl in Neuheit des Lebens zu wan­deln als auch im Glauben unsere gesegneten himmlischen Güter in Besitz zu nehmen. Wie es in der Wüste nur Manna gab, aber das Volk in Kanaan von den Früchten des Landes zu essen hatte, so gibt es auch für uns in dieser Welt nur Speise von oben; aber ebenso genießen wir bereits durch den Glauben die Güter des himmlischen Kanaans; und sie bieten eine Fülle, eine reiche Fülle aller Art von Genuß für die Seele. Zu schauen,

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 was wir in Jesu sind, welchen Platz wir im Herzen des Vaters haben, welche Liebe gegen uns ausströmt, welches Erbe unser Teil ist, und welche Güter im Himmel unsere Schätze sind — dieses alles ist etwas ganz anderes als das, was wir in dieser Wüste haben. Wie viele unserer Brüder sind zufrieden mit dem, was sie in dieser Wüste besitzen! Ihr Herz erhebt sich nicht, um ihre himmlischen Güter zu beschauen und sich der­selben zu erfreuen; sie fühlen sich immer in einer gewissen Entfernung von Gott; sie begnügen sich damit, von hier aus nach oben zu schauen und haben keineswegs das Verlangen, ihren Platz droben im Glauben einzunehmen und von dort aus auf eine böse, dem Urteil verfallene Welt herabzuschauen. Ihr Herz ist in praktischer Weise nicht von dieser Welt ausgegan­gen, und darum genießen sie auch nicht die Nähe und Gemein­schaft Gottes in dem Maße, wie sie es tun würden, wenn sie an dem Vaterherzen Gottes ruhten.

In den Versen 56—58 sehen wir, wie Jehova die Botschafter, die das Volk zum Murren gereizt haben, durch den Tod hin­wegnimmt. Sie tragen sofort die Früchte des Unglaubens, wäh­rend Josua und Kaleb am Leben bleiben. Das Volk hatte ge­sagt, daß sie sterben würden in der Wüste; und Jehova tat an ihnen nach ihren Worten (V. 29). Die Folgen eines Wortes des Unglaubens waren, daß sechshunderttausend Mann m der Wüste ihr Grab fanden, indem der Herr mit den zehn Kund­schaftern, die das Volk murren gemacht hatten, den Anfang machte. An dem einen Tage hatte das Volk noch die köstlichste Verheißung, daß die Hand Jehovas dasselbe in das Land brin­gen werde; und an dem anderen Tage blieb nichts als die traurige Aussicht übrig, daß sich sechshunderttausend Grabes­hügel erheben würden, so daß jede Hoffnung, die verheißenen Segnungen zu empfangen, für die Heimgesuchten für immer abgeschnitten war. Den Tod in der dürren Wüste hatten sie ein­getauscht gegen die von Milch und Honig triefenden Fluren Kanaans. Was sagen uns diese Tausende von Gräbern in der Wüste? Sind sie nicht ein redendes Zeugnis von dem Mißfallen Gottes gegenüber dem Unglauben? Sagen sie uns nicht, wie sehr wir Ihn betrüben, wenn kein Vertrauen zu Ihm in unseren Seelen ist? Zeigen sie uns nicht, was das Murren unserer elen­den Herzen vor Seinen Ohren auf uns herabrufen kann und

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 wie Er niederzuschmettern vermag alles, was sich wider Ihn erhebt?

Am Schlüsse unseres Kapitels sehen wir, wiie das Volk ent­schlossen ist, nach Kanaan einzuziehen und den Kampf auf­zunehmen; aber es kommt, geleitet durch seinen eigenen Wil­len. Jehova hatte es nicht dazu berufen. Die Unglücklichen folgten ihrem eigenen Willen, und trotz ernster Warnungen Moses gingen sie in den Streit. Der Ausgang konnte nicht zweifelhaft sein; der Kampf endete mit der gänzlichen Nieder­lage des Volkes. In dieser Geschichte ist ein wichtiger Grund­satz Gottes enthalten; und dieser ist, daß, wenn wir Ihm nicht vertrauen wollen im Glauben, Er auch nicht mit uns geht in unserem Unglauben.

Wie leicht ist es der Fall, daß, wenn der Herr ruft, wir Ihm nicht folgen wollen, und daß, wenn wir unsere Torheit er­kannt, wir dann gehen wollen, wenn der Herr uns nicht ge­rufen hat. Er kann keinen Eigenwillen gestatten. Wir müssen stets stille sein, stets nur gehen, wenn der Herr vorangeht, und selbst dann auf Seine ferneren Wege warten, wenn wir den rechten Augenblick haben vorübergehen lassen, ohne zu folgen. Gott allein kennt die rechte Stunde für uns, und ge­segnet ist es. Ihm stets zu folgen und uns nicht vor den Folgen zu fürchten. Er, Der uns führt, wird uns sicher leiten; und alles, was uns begegnen könnte, begegnet zunächst Ihm, Der vorangeht. Ihm, unserem treuen und mächtigen Gott. Sollte das, was uns begegnet, uns auch unbekannt sein, so haben wir dennoch keine Ursache zur Furcht, denn Er, Der vorangeht, kennt schon zum voraus alles, was uns auf dem Weg zu­stoßen mag; und wir sind es nicht, die da auf dem Plane stehen, sondern es ist der Herr, Der alles in Ordnung bringen kann und wird. Wäre Israel, als die Wolke voranzog, im Glauben gefolgt, so würden gerade die Riesen ihnen eine Gelegenheit geboten haben, die Macht Gottes zu sehen; denn je größer und mächtiger sie sich erwiesen, desto größer war für Gott der Triumph, eine solche Macht zu überwinden. Die Schwie­rigkeiten auf unserem Wege dienen eigentlich nur zur Ver­herrlichung Gottes, solange unsere Herzen im Glauben wan­deln. Wenn wir hingegen unserem Unglauben Raum geben, so dient unsere Schwachheit in den Schwierigkeiten zur Verun-ehrung Gottes.

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 Der Herr gebe uns die Gnade, durch Glauben unseren Pfad fortzusetzen, stets bedenkend, daß wir uns durch Unglauben von unserem Gott trennen und Er nicht mit uns gehen kann, und daß wir stets auf Seinen Ruf warten müssen und nicht nach eigenem Willen unsere Pfade betreten dürfen, bevor Er uns gerufen hat.

Der Heilige Geist — der himmlische Gast

„Ein gottesfürchtiger Freund verweilte etliche Tage bei mir, und ich kann Ihnen versichern, daß seine Anwesenheit einen gesegneten Einfluß auf mein ganzes Haus ausübte".

Diese Worte eines Christen erinnerten mich an jene göttliche Person, den Heiligen Geist, Der in den Gläubigen Seine Wohn­stätte aufgeschlagen hat. Der Gläubige, dachte ich, ist ein Haus, in welchem der Heilige Geist Sich als himmlischer Gast befindet. Welch ein köstlicher Gedanke, daß Gott bei dem Menschen wohnt, ja, nicht nur bei, sondern in ihm! Wie nötig ist es daher, wohl zu erwägen, in welcher Weise W]ir diesen himmlischen Gast behandeln.

Ich kann in meinem Hause einen Gast haben, mit welchem ich wenig Gemeinschaft pflege, ja, dessen Gegenwart ich zuzeiten ganz und gar vergesse. Dagegen kann ein Gast bei mir sein, mit welchem ich täglich Umgang habe, den Ach in allem zu Rate ziehen kann, und durch dessen Weisheit ich mich leiten lasse. Welch eine Verschiedenheit in diesen beiden Fällen! Ebenso kann es sich mit dem Gläubigen verhalten. Die Inne-wohnung des Heiligen Geistes kann ziemlich wenig Einfluß auf ihn ausüben; ja, es ist sogar möglich, daß der Christ kaum an die Gegenwart dieses hohen Gastes denkt, während er ande­rerseits auch jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick unter Seiner Leitung und Führung stehen kann.

Doch fassen wir diesen höchst wichtigen Gegenstand etwas näher ins Auge, und beantworten wir uns zunächst die Fragen, ob der Heilige Geist eine in uns wohnende göttliche Person, oder bloß ein in uns wirkender göttlicher Einfluß ist.

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 Der Herr sagt: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen sein wird, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selber reden, sondern alles, was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen" (Joh 16, 15). Es ist deutlich, daß hier von einer Person die Rede ist, denn sie hört, redet und leitet. Durch einen Einfluß können wir geleitet werden, aber er kann weder hören noch reden; dieses vermag nur eine Per­son.

In betreff der Innewohnung des Heiligen Geistes in den Gläu­bigen sagt der Herr: „Und ich werde den Vater bitten, und er wtird euch einen anderen Sachwalter geben, daß er 'bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht kann empfangen, weil sie ihn nicht sieht, noch ihn kennt. Ihr aber kennet ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein" (Joh 14, i6. 17). Der Herr sagt hier: „wird in euch sein"; „denn damals war der Geist noch nicht, weil Jesus noch nicht verherr­licht worden war" (Joh 7, 39). Seine Verherrlichung geschah nach Seiner Himmelfahrt; und darum sandte Er am Tage der Pfingsten den Hailigen Geist als eine Person, Die jetzt in dem Christen wohnt. „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel ist des Heiligen Geistes, der in euch ist" (1. Kor 6, ig).

Die angerührte Stelle in Joh 7 ist von großer Wichtigkeit, da sie den Beweis liefert, daß der Heilige Geist auf eine andere Weise gegeben werden sollte, als dieses bis dahin der Fall ge­wesen war. Er war ohne Zweifel zu jeder Zeit die Quelle des neuen Lebens in Denen, welche bekehrt wurden; auch üble Er auf die, welche lebendiggemacht waren, auf verschieden­artige Weise Seinen Einfluß aus; aber alles dieses tat oder war Er, ohne als eine Person in ihnen zu wohnen. Der Herr sagt ausdrücklich, daß der Heilige Geist nicht eher zu uns kommen würde, bis Er Selbst würde hingegangen sein (Joh 16, 7), und, wie bereits bemerkt, lesen wir in Kap. 7, 50 die unzweideutigen Worte: „Der Geist war noch nicht", ob­wohl Er sicher in jener Zeit auf viele Seinen Einfluß ausübte, wfie Er dieses stets getan hat. Dieses erklärt uns die verschie­denen Arten von Ausdrücken im Alten Testament, die wir im Neuen nicht finden, und welche — wir dürfen es bestimmt be­haupten — auf den Christen nicht direkt angewandt werden

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 können. In die Reihe derselben gehört jedenfalls die Stelle:

„ . . . den Geist deiner Heiligkeit nimm nicht von mir" (PS 51, n). Da Er nun in uns wohnt und „bei uns sein wird ,in Ewig­keit" (Joh 14, 16), so kann Sein Geist auch nicht von uns ge­nommen werden; und folglich ist jene Stelle nicht auf uns an­zuwenden.

Dieses bringt uns auf den Punkt zurück, von welchem wir aus­gingen, nämlich daß die Christen ein Haus oder ein Tempel sind, in dem der Heilige Geist als eine göttliche Person wohnt. Welch ein ernster Gedanke! Habe ich wirklich ein Bewußtsein davon? Wie behandle ich diesen himmlischen Gast? Unter­werfe ich mich Seiner heiligen Wirksamkeit, und ist es mein Trachten, mich durch Ihn in allen Dingen leiten zu lassen? Wenn ein König bei irgend jemandem von uns auf etliche Tage verweilen müßte, mit welch einer Sorgfalt würden wir darüber wachen, damit nichts seinem Auge oder Ohr begegne, was auch nur das feinste Gefühl beleidigen könnte? Wieviel mehr soll­ten wir aber darüber wachen, daß dieser heilige, himmlische Gast in unserem Geiste, in unserem Herzen, in unseren Ge­danken oder in unseren Neigungen nicht in irgendeiner Weise betrübt würde. Welch ein feines Gefühl wird Er haben! Wie jemand, der an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt ist, durch etwas, was der Nachlässige kaum merkt, verletzt und gekränkt wird, so muß auch sicher der in uns wohnende göttliche Gast durch alles betrübt werden, was mit der Reinheit Gottes nicht im Einklange ist. Darum werden wir stets ermahnt, den Hei­ligen Geist nicht zu betrüben, „durch welchen wir versiegelt sind für den Tag der Erlösung" (Eph 4, 30). Wie wichtig ist es daher zu wissen, wie wir uns bezüglich dieses unseres Ein­wohners zu verhalten haben und zu verstehen, in wpichem Charakter Er uns besucht und zu welchem Zwecke Er in uns wohnt! Und wir müssen es wissen und verstehen, nicht nur als einen bloßen Lehrsatz, sondern als eine heiligende Wahrheit.

Ich setze voraus, daß alle Christen an die Persönlichkeit des Heiligen Geistes, an Seine Gottheit und an Sein Hernieder-fahren an dem Pfingstfeste glauben; aber sicher ist es, daß nicht alle Seine persönliche Innewohnung so verwirklichen, wie jemand es in bezug auf einen menschlichen Gast tun würde, der

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in seinem Hause eingekehrt wäre. — Man könnte nun die Frage erheben: „Kann denn eine Person in einer anderen wohnen?" Ohne Zweifel, wenn der Innewohnende ein Geist ist. Als unser Herr auf Erden war, gab es gewisse Personen, die durch böse Geister besessen oder bewohnt waren. Diese bösen Geister kannten den Herrn Jesus und sprachen zu Ihm; sie wurden aus ihren Wohnungen ausgetrieben, und in einem Falle sogar baten sie um die Erlaubnis, einen bestimmten Weg zu gehen (Mk 5, 12). Daß es Personen waren, kann nicht bestritten werden; sie erkannten Ihn, redeten mit Ihm, sie wohnten in den Menschen, und sie wurden ausgetrieben. Ebenso kann der Heilige Geist als Person in den Gläubigen wohnen. Wenn wir diese Wahrheit verwirklichen, würden wir dann denken, spre­chen und handeln, wie wir oft tun? Die Jünger konnten sich untereinander darüber streiten, wer unter ihnen der Größte sein sollte; aber in der Gegenwart Jesu schämten sie sich zu sagen, worüber sie sich gestritten hatten (Mk 9, 55. 54). So verrichten auch wir oft viele Dinge, die wir nicht tun würden, wenn wir an unseren himmlischen Gast dächten.

Doch dieses ist nicht alles. Als der Herr Jesus auf Erden war, kamen Seine Jünger zu Ihm mit ihren Bitten, ihren Wünschen und Schwierigkeiten; und Er bestrafte ihre Fehltritte und trö­stete ihre Herzen. Nun haben wir „einen anderen Sachwalter" bei und in uns. Achten wir auf Seine Unterweisung, auf Seine Führung und auf Seine Tröstungen? Ach, nein! Wir haben es nicht völlig verwirklicht, daß dieses alles Wahrheit und Wirk­lichkeit für uns ist. Es ist von Wichtigkeit zu wissen, daß die Innewohnung des Heiligen Geistes eine Tatsache ist, abge­sehen davon, ob wir sie verwirklichen oder nicht. Der Heilige Geist ist hier auf Erden als eine Person bei und in uns; Er ist unser Tröster, unser Schirmherr, unser Berater, unser Für­sprecher und unser Sachwalter. Dieses alles ist Er für uns. Auf welche Weise machen wir uns dieses Vorrecht zunutze? Neh­men wir an, wir seien in eine schwierige Sache verwickelt, und ein berühmter Advokat zeige sich bereit, uns mit Ratschlägen an die Hand zu gehen — würden wir diesem nicht sofort die ganze Sache übergeben und ihn für uns handeln lassen? Nun, wir haben mehr; wir haben einen göttlichen Berater, der stets bereit ist uns zu helfen und uns zu leiten.

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 Haben wir Zweifel in bezug auf unsere Seligkeit und verlan­gen wir nach Gewißheit in betreff dieses Punktes? Der Geist selbst ist es, „der mit unserem Geiste zeugt, daß wir Gottes Kinder sind" (Röm 8, 16). Etliche kommen durch irgendeine Schriftstelle zu der Erkenntnis des Erlösungswerkes Christi, indem sie finden, daß, wer an Ihn glaubt, das ewige Leben hat; sie erlangen dadurch Frieden und Sicherheit; und dieses ist sicher das Werk des Heiligen Geistes. Doch andere können nicht bestimmt sagen, wann sie bekehrt worden sind, oder sie können keine besondere Schriftstelle angeben, deren sich Gott als eines Mittels zu ihrer Bekehrung bedient habe; und dennoch sind sie ihrer Errettung gewiß; sie haben das Zeugnis in sich selber; „der Geist Gottes zeugt mit .ihrem Geist, daß sie Kinder Gottes sind".

In betreff des Gebets wissen wir nicht, was wir beten sollen, es sei denn, daß der Heilige Geist uns unterweist; und Er wirkt in unseren Herzen, indem „er in unaussprechlichen Seufzern bittet" (Röm 8, 26). — Ebenso verhält es sich mit dem Gottes­dienst. Wir können Gott nur eine Ihm wohlgefällige Anbetung darbringen unter der Leitung des Heiligen Geistes. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in Wahrheit anbeten" (Joh 4, 24). „Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen" (Phil 3, 5). Welch ein Vorrecht! Doch ich erkenne darin auch zugleich, daß vieles von dem, was ich als Anbetung betrachtete, nur Förmlichkeit war. Möge Gott uns zu einer wahren Anbetung in dem Heiligen Geiste leiten!

Begehren wir göttliche Erkenntnis7 Wir erlangen sie nur aus dem Worte Gottes durch die Unterweisung des Heiligen Gei­stes. Ein natürlicher Mensch kann mit den Worten der Schrift und mit ihren Lehrsätzen bekannt sein; aber er kann keine göttliche Erkenntnis besitzen. Denn wer von den Menschen weiß, was des Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in .ihm ist"? Ein Tier kann nicht wissen, was in dem Geiste des Menschen vorgeht, denn es hat nicht denselben Geist; „also weiß auch niemand, was Gottes ist, als nur der Geist Gottes . . . Wir aber haben empfangen den Geist, der aus Gott ist, auf daß wir die Dinge wissen, die uns von Gott geschenkt sind" (1. Kor 2, 11—12). Als aus Gott geboren (und auch dieses ist ein Werk des Heiligen Geistes), besitzen wir eine

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 Natur, welcher der Heilige Geist Seine Gedanken mitteilen, die Er leiten und durch welche Er 'handeln kann. Wir sind — ein jeder nach seinem Maße — fähig gemacht, die göttliche Wahr­heit zu verstehen. Kurz, wenn wir alles, was zum Leben und Wandel eines wahren Christen gehört, ins Auge fassen, so werden wir finden, daß alles durch die Innewohnung und Wirkung dieses himmlischen Gastes zuwegegebracht wird. „Wenn wir durch den Geist leben, so lasset uns auch durch den Geist wandeln" (Gal 5, 25). Doch laßt uns jetzt unter­suchen, wie und wodurch Er verhindert wird, in uns zu wirken.

Viele Christen meinen, daß unsere alte Natur in eine neue umgewandelt würde, oder daß wenigstens mit dieser Verän­derung ein Anfang gemacht sei und dieselbe stufenweise ihren Fortgang habe, bis schließlich nichts mehr von der .alten Natur übrigbleibe und sie für den Himmel geschickt sei. Aber ach! Nach vielen Jahren voll bitterer Erfahrungen erkennen sie, daß die alte Natur nicht nur immer noch vorhanden, sondern auch ebenso verkehrt und mächtig ist wie früher. Die Schrift nun belehrt uns, daß die alte Natur durchaus nicht verändert wird. „Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch" (Joh 5, 6) und wird nimmer Geist. Aber wir treten in einen ganzen neuen Zustand, der in Joh 5 und in 1. Petr 2, 2 eine neue Geburt sowie in 2. Kor 5, 17 und in Gal 6, 15 .eine neue Schöpfung genannt wird. Die alte Natur aber ist stets noch anwesend, und von ihr kommen die Schwierigkeiten und der Streit. Mein Fleisch — die „alte Natur" — hat Begierden nach Dingen, die im Streit sind mit meinem Geiste, vom „neuen Menschen", der durch den Heiligen Geist geleitet wird; und der Geist hat Begierden, die dem Fleische gänzlich zuwider sind (Gal 5, ly).

Der Christ ist also ein neuer Mensch, aber er trägt die alte Natur noch stets mit sich herum. Es ist daher die Frage, wie er diese Natur betrachten und behandeln muß. Die Schrift gibt uns die Antwort. Sie erklärt, daß, da der Gläubige mit Christo gestorben und auferstanden (Eph 2, 5), er nicht mehr „Schuld­ner dem Fleische ist, um nach dem Fleische zu leben" (Röm 8, 12). Darum werden wir ermahnt, uns 'selbst für gestorben, für tot zu halten (Röm 6, n; 2. Kor 5, 14) und „unsere Glieder, die auf Erden sind, zu töten" (Kol 5, 5). Wir sollen, mit ande-

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 ren Worten, in dem Bewußtsein, daß wir mit Christo gestor­ben sind, die Lüste des Fleisches nicht länger pflegen, son­dern das Fleisch, die böse Natur sozusagen, verhungern lassen, es unter die Füße treten und es verhindern, seine Stimme zu erheben. Dieses kann natürlich nur durch die Kraft des Hei­ligen Geistes bewirkt werden; und es ist einer der Zwecke, wozu Er uns gegeben .ist, daß wir das nicht tun, wozu uns unsere alte Natur verlocken will.

Der Leib muß natürlich von dem Fleische unterschieden wer­den. Der Leib des Christen ist für den Herrn (1. Kor 6, 15); er ist ein Glied Christi (V. 15), das wir, wie wir ermahnt sind, darstellen sollen „als ein lebendiges Schlachtopfer, heilig, Gott Wohlgefällig, als unseren vernünftigen Dienst" (Röm 12, i). Der Leib wird aus den Toten auferweckt werden durch Seinen Geist, der in uns wohnt (Röm 8, 11). Solche Dinge werden nirgends vom Fleische — dem verdorbenen Willen und der verdorbenen Natur des gefallenen Menschen — gesagt, denn dieses ist gänzlich verurteilt. „Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten" (Gal 5, 24), so daß der Wiedergeborene selbstredend dem Fleische nicht länger einen Platz einräumen kann. Und dieses gilt nicht bloß im Hinblick auf grobe Sünden, sondern wir müssen uns in allem durch den Heiligen Geist und nicht durch das Fleisch leiten lassen. Man ist geneigt, in dem Worte „Fleisch" gewöhnlich nur das offenbar Böse zu verstehen; aber ebensogut wie ein natürlicher Mensch sittlich und aufrichtig, angenehm und liebenswürdig sein kann, so kann auch ein Christ diese Tugenden haben, ohne durch den Heiligen Geist geleitet zu werden, denn es gibt auch ein liebenswürdiges „Fleisch" (siehe Mk 10,17—22).

Auch ist es von Wichtigkeit zu beobachten, daß etliche Schrift­stellen von dem Heiligen Geiste reden, als unterschieden von unserem Geiste, wie z. B. in der Stelle: „Der Geist zeugt mit unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind" (Röm 8, i6). In anderen Stellen hingegen können die Handlungen meines Geistes — des „neuen Menschen" — nicht getrennt werden von denen des bei mir und in mir wohnenden Heiligen Geistes, z. B. wenn wir aufgefordert sind, zu „beten im Geiste", zu „dienen durch den Geist" und zu „wandeln durch den Geist".

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Das Wort „wandeln" schließt alle meine sichtbaren Wege in sich, so .daß alles, was ich im Widerspruch mit dem Heiligen Geist verrichte, notwendig vom „Fleische" ist, denn der „neue Mensch" verlangt stets und ausschließlich durch den Heiligen Geist geleitet zu werden. Aber nicht nur meine offenbaren Werke/sondern selbst meine Gedanken sind mit eingeschlossen/­denn wir müssen „jeden Gedanken gefangennehmen unter den Gehorsam des Christus" (2. Kor 10, 5). Und wenn wir die unzähligen Eitelkeiten kennen, womit unsere Gedanken sich so leicht beschäftigen, wie groß muß dann die Macht sein, die selbst diese Gedanken unter den Gehorsam des Christus gefan­gennimmt? Aber der Heilige Geist ist Gott, und niemand kann die Grenze Seiner Macht bestimmen.

Man könnte mir vielleicht den Einwand machen, daß, wenn dieses alles sich wirklich also verhielte, auch alle Werke und Taten des Christen von dem Heiligen Geiste eingegeben sein müßten, während wir doch sehen, daß derselbe eine Menge Fehltritte begeht. Leider ist letzteres der Fall, und sicher ist die Ursache davon, daß er in seinen Fehltritten nicht durch den Heiligen Geist, sondern durch das Fleisch geleitet worden ist. Wenn wir indes durch den Heiligen Geist geleitet werden, so bezeichnet das die Schrift noch keineswegs als eine Eingebung. Wir lesen, daß „alle Schrift von Gott eingegeben ist" (2. Tim 5,16), und dieses zeigt uns, daß Gott heilige Männer als Werk­zeuge gebrauchte, um das niederzuschreiben, was Er den Men­schen offenbaren wollte) und obwohl Er Sich der Fähigkeiten, der Kenntnisse und der Umstände dieser Männer bediente, so war es dennoch die Botschaft Gottes, das Wort Gottes; und Gott konnte Seine Botschaft so ans Licht stellen und hat sie auch so ans Licht gestellt, wie Er es wollte. — Ohne Zweifel leitet auch jetzt der Heilige Geist die Gläubigen, jedoch unter­wirft Er sie nicht so ganz Seinem Einfluß, daß sie verhindert sind, Fehltritte tun zu können. Beim Schreiben der Heiligen Schrift tat Er dieses; aber nun ist es mehr der Mensch, der durch den Heiligen Geist handelt, und der Mensch ist ein „irdenes Gefäß" und darum imstande, das zu verderben, wo­mit er in Berührung kommt. Darum werden alle ermahnt, „durch den Geist zu wandeln". Doch wir sind es, die wandeln müssen, und wir sind Menschen; und wenn unsere Unterwür-

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 figkeit unter den Heiligen Geist 'eine mangelhafte ist, so ist unser Wandel unsicher. Hat man Gaben empfangen, dann heißt es: „Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Got­tes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht" (1. Petr 4, 11). Welch ernste Worte! Sind wir nicht dem Geiste Gottes unterworfen, dann ist unser Straucheln im Reden und Dienen unausbleiblich. Uns wird gesagt, wie wir reden und dienen sollen. In Eph 4, 8—15 finden wir, daß Gaben verliehen worden sind, und Timotheus wird ermahnt:

„Vernachlässige nicht die Gnadengabe in dir ... Bedenke die­ses sorgfältig; darin lebe, auf daß deine Fortschritte offenbar seien unter allen" (1. Tim 4, 14—15). In betreff der Eingebung der Schrift aber war Gott es, welcher sprach. Es verhält sich hiermit daher ganz anders, als mit den dem Menschen ver­liehenen Gaben oder der Erweckung dieser Gaben. Gott konnte den Apostel Paulus und dessen Umstände gebrauchen, oder sich sogar des Bileam bedienen, wie sehr dessen Wille und dessen Wünsche dagegen streiten mochten. Darum, obwohl der Heilige Geist in allen Christen, mögen sie besondere Gaben haben oder nicht. Seine Wohnung hat, so bleibt es dennoch der Mensch, welcher handelt; und der Mensch ist ein „irdenes Gefäß" und zu den traurigsten Vierirrungen fähig. Seine Hand­lungen sind in keinem Falle „eingegeben".

Seitdem die Sammlung der Bücher der Heiligen Schrift voll­endet ist, hat Gott unleugbar durch den Heiligen Geist diesem und jenem Klarheit über die einzelnen Teile dieser Schrift ge­geben und mit Gaben ausgerüstet, um auch andere mit dem Inhalt und dessen Bedeutung bekanntzumachen. Aber es waren Menschen, und sie können darum in ihrer Mitteilung mehr oder weniger geirrt haben. Man kann sich nie auf die Erklärung selbst des geistlichsten Christen, als auf einen Prüf­stein der Wahrheit, in der Weise berufen, wie man sich auf die Schrift selbst berufen kann.

Ferner lesen wir: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit" (Gal 5, 22—25). Woher kommt es, daß so viele von Gott geliebte Kinder diese Früchte nicht tragen? Das größ­te Hindernis ist in dieser Beziehung, daß sie das Fleisch nicht

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 als einen Feind behandelten, sondern, gleich den Kindern Israel im Lande Kanaan, die alten Einwohner am Leben ließen. Aber noch schlimmer ist es, daß man einer Menge Christen begegnet, die stets eine Entschuldigung bei der Hand hat. „Ich habe von Natur ein aufgeregtes Gemüt", sagt der eine; — „ich kann meinen Rang in der menschlichen Gesellschaft nicht so ganz aufgeben", läßt sich ein anderer vernehmen; und ein dritter sagt dieses, ein vierter jenes. Die geheime Ursache aber von allem ist, daß, da das Fleisch nicht unter den Füßen gehalten wird, es eine Fülle von schlechten Früchten zum Vorschein bringt; und dieses erstickt und hindert die Früchte des Heiligen Geistes, zur Reife zu kommen. 0 möchten wir doch nie ver­gessen, daß das große Hindernis stets in uns selber ist!

Was nun die Freude und den Frieden betrifft, so gibt es viele, die unter einem „verdüsterten" Evangelium erzogen worden sind; und dieses hat natürlich seine Früchte getragen. Bevor aber der Heilige Geist Seine Früchte von „Frieden" und „Freu­de" hervorbringen kann, muß jenes alles ausgerottet sein. Etliche haben die Schriften gelesen, ohne einen anderen Lehrer gehabt zu halben als den Heiligen Geist; sie haben das „herr­liche Evangelium", die herrliche „frohe Botschaft" geglaubt und haben angenommen, was Gott in betreff der ewigen Si­cherheit aller sagt, die an Christum glauben, und sie genießen ,/Friede" und „Freude", während andere das Evangelium von Jugend auf gehört, auch wohl geglaubt haben, aber, wiewohl sie vieles von der Schrift wissen, dennoch keinen Frieden und keine Freude genießen. Ach, wie sehr verdirbt der Mensch alles, was unter seine Hände gerät! Wohlan denn, „Frieden" und „Freude" sind die Früchte des Heiligen Geistes; und Er will dieselben in allen hervorbringen, die aus Gott geboren sind, wenn sie nur auf die Schriften achten und sich durch Ihn unter­weisen lassen wollen. „Das Reich Gottes ist — Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geiste" (Röm 14, 17).

Jedoch zeigt sich noch eine andere Schwierigkeit. Man hat gegen die Behauptung, daß alle Christein den Heiligen Geist haben, den Einwand erhoben, daß dieses mit einzelnen, in der Apostelgeschichte gemeldeten Fällen im Widerspruch stehe, indem dort von Gläubigen die Rede sei, die den Heiligen Geist

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 nicht empfangen hatten, und die Ihn erst durch Handaufle­gung der Apostel empfingen. Und noch andere haben dem Ge­danken Raum gegeben, als ob die Gabe des Heiligen Geistes, wovon in dem Evangelium des Johannes die Rede ist, nur auf die Zeit der Apostel zu beschränken sei.

Betrachten wir die Vorfälle in der Apostelgeschichte ein wenig näher und erinnern wir uns zu gleicher Zeit an die großen Grundsätze in betreff des Mitteilens des Heiligen Geistes, die wir in 1. Kor 12, 15 finden. Hier lesen wir: „Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt". Merken wir uns die Worte: „zu einem Leibe getauft". Obwohl der Heilige Geist in jedem Gläu­bigen insbesondere wohnt, so empfangen wir Ihn doch nicht, um persönlich getrennte Christen zu bleiben, sondern das Emp­fangen des Heiligen Geistes bildet uns zu einem Leibe, so daß jeder Gläubige einen zwiefachen Standpunkt einnimmt: er ist bezüglich seiner Person ein Heiliger, in welchem der Heilige Geist wohnt, und er ist durch den Heiligen Geist zu einem Gliede des neuen Leibes getauft.

In dem Falle der Samariter (Apg 8,15) war es der Wille Gottes, daß sie, welche bekehrt waren, den Heiligen Geist nicht ohne die Mitwirkung der Apostel in Jerusalem empfangen sollten, und zwar aus dem Grunde, um in diesen frühesten Zeiten einem möglichen Risse in der Kirche vorzubeugen. Der Heilige Geist wurde mittels der Handauflegung der Apostel gegeben; und auf diese Weise trat es klar ins Licht, daß es die Taufe des Heiligen Geistes zu einem Leibe war.

Dann haben wir den Fall mit Paulus (Apg 9, 17). Da er das von Gott gebrauchte Werkzeug sein sollte, um die Offenba­rung der Versammlung, welche bis dahin ein Geheimnis ge­wesen war, ans Licht zu bringen (Röm 16, 25—26), so war es von Wichtigkeit, ihn in eine Stellung zu bringen, die seiner — mit der unmittelbaren Autorität Gottes bekleideten — Lehre, Kraft verleihen konnte (siehe Gal i). Daher mußte auch er zu einem Leibe getauft werden; und wir sehen, daß auch er den Heiligen Geist durch Handlauflegung empfängt, jedoch nicht von seiten der Apostel.

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 Mit den Nationen (Apg 10, 44) war es noch anders. Das jüdi­sche Volk hatte, nachdem ies Christus von sich gestoßen, auch den Heiligen Geist verworfen (siehe Apg 7, 51), und nun waren die Tage gekommen, daß etliche aus allen Völkern zum Herrn versammelt werden sollten. Und hier ist es bemerkens­wert, daß der Heilige Geist in diesem Falle nicht durch Hand­auflegung gegeben wurde, sondern daß dieses geschah, wäh­rend Petrus redete. Es kann sein, daß Cornelius und sein Haus bereits lebendiggemachte Personen waren, aber sie glaubten nicht an Christum; . . . und dazu hatte er seine Freunde und Bekannten eingeladen, von denen wir nicht wissen, ob sie Gläubige waren. Aber durch die Predigt des Petrus wurden sie bekehrt und empfingen alsbald den Heiligen Geist. Dieses zeigt uns den gewöhnlichen Weg, den Gott bezüglich der Nati­onen einzuschlagen gedachte; denn der Apostel fragt die Bekehr­ten aus den Nationen von Galatien, ob sie den Heiligen Geist nicht empfangen hätten „durch die Predigt des Glaubens" (Gal 5, 2). Aber auch hier ist es klar, daß die Taufe des Heiligen Geistes sie dem einen Leibe beifügte; denn Petrus empfing eine beson­der Offenbarung, um zu den Nationen zu gehen. Er war es auch, der der Versammlung über diesen Vorfall Bericht gab, und die Apostel und Brüder verherrlichten den Herrn.

Der Fall mit den Jüngern des Johannes (Apg 19, 2—6) ist noch von einer ganz anderen Art; aber auch diese mußten zu einew Leibe getauft werden. Paulus legt ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist.

Dieses sind die Fälle, die uns nach dem Pfingstfeste in der Apostelgeschichte verzeichnet sind; 'aber es ist von Wichtigkeit, zu sehen, daß in jedem derselben ein Kette ist, die sie mit der bereits bestehenden Versammlung verbindet; es war deutlich die Taufe des Heiligen Geistes „zu einem Leibe". Wir dürfen indes nicht aus dem Auge verlieren, daß die Zeit der Apostel einen Übergang bildet, der nimmer wieder zurückkehren kann. Die Versammlung trat freilich an dem Pfingsttage ins Leben; aber ihr Standpunkt und ihre eigentümlichen Segnungen wurden durch viele erst nach und nach verstanden und genossen. Man findet auf der einen Seite die Apostel zu Jerusalem, und zwar in Verbindung mit jüdischen Gebräuchen und Satzungen, und

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 auf der anderen Seite findet man die aus den Nationen bekehr­ten Christen; jedoch bilden sie einen Leib und eine Versamm­lung. Der erste Zustand mußte schnell, aber regelrecht vom Schauplatz verschwinden, bis alle in das volle Licht der Stel­lung der Versammlung gekommen waren, in welcher sich weder Jude noch Grieche, weder Knecht noch Freier befindet, sondern Christus alles in allen; und so sind wir denn zu der ursprünglichen Andeutung zurückgekehrt, nämlich daß alle, die da glauben, den Heiligen Geist empfangen sollen (Joh 7, 57—59)- Überall in den Briefen wird hiervon gesprochen, wie von einer erkannten allgemeinen Segnung. „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?" — „Hieran erkennen wir, daß er in uns bleibt, an dem Geiste, den er uns gegeben hat" (1. Kor 6, 19; 1. Joh 5, 24). „Nachdem*) ihr geglaubt habt, seid ihr versiegelt mit dem Heiligen Geist der Verheißung" (Eph 1. 15, siehe auch Röm 8, g, Gal 4. 6, Eph 2. i8, Phil 5, 5). Diese Stellen beantworten auch zugleich den Einwand, als ob die Innewohnung des Heiligen Geistes nur auf die Zeit der Apostel zu beschränken sei, indem sie den Beweis liefern, daß Er in allen Gläubigen und in der ganzen Versammlung Seine Wohnung hat.

Aber vergessen wir unter allen Umständen nicht, daß die Taufe des Heiligen Geistes die Bildung des einen Leibes zum Zwecke hatte, und „daß wir alle mit einem Geiste getränkt sind". Wir sehen freilich jetzt die Christen in Hunderte von Sekten ver­teilt; aber dieses ist das Werk des Menschen, und nicht das Werk Gottes. Er bildet zu einem Leibe; und wir sind ermahnt, ,,'uns zu befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren" (Eph 4, 5). Es bestehen leider viele andere Vereinigungen, aber hier ist die Einheit, die Gott dargestellt hat. „Wir sind alle mit einem Geiste getränkt". „Ein Leib und ein Geist" (Eph 4, 4). Darum darf sich ein Christ nicht als alleinstehend betrach­ten. Ich bin eins mit Christo als meinem Haupte; und ich bin eins mit jedem Gliede Seines Leibes, sowohl mit dem Armen als mit dem Reichen, sowohl dem Unwissenden als mit dem Gelehrten, sowohl mit dem Ungebildeten als mit dem Gebil-

*) Zu den Glaubigen in Ephesus konnte im allgemeinen nidit gesagt wer­den „Nachdem ihr geglaubt habt, seid ihr versiegelt worden"; denn gerade hier ereignete sich der Vorfall mit den Jungern des Johannes, wovon in Apg 19 die Rede ist

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 deten. Ich mag den einen verleugnen, dem andern aus dem Wege gehen, den dritten links liegen lassen; aber dieses hebt meine Einheit mit jedem derselben keineswegs auf. Wehe mir, wenn ich also handle! Nur mit dem Bösen soll ich keine Ge­meinschaft haben, soll ihn weder grüßen (2. Joh 11) noch mit ihmessen (1. Kor 5/11). Aberamein Benehmen hebt dieSache selbst nicht auf. „Wir sind alle zu einem Leibe getauft — wir sind alle mit einem Geiste getränkt". Dieses können wir, selbst wenn wir es wollten, durchaus nicht ändern. Doch wir werden ermahnt, uns zu „befleißigen", die Einheit des Geistes zu „bewahren". Etliche Christen reden stets von der Einheit der unsichtbaren Kirche und trösten sich mit dem Gedanken, daß die Christen wirklich eins seien, wiewohl die Einheit nicht sichtbar hervor­trete; aber es war das Gebet unseres Herrn, daß die Einheit sichtbar sein möge. „Auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir, und ich in dir, auf daß sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, daß du mich gesandt hast" (Joh 17, 2l).

Wenn verschiedene Kinder derselben Familie, die einander weder je sahen, noch irgendwelche Gemeinschaft miteinander hatten, sondern die sich im Gegenteil einander absichtlich Hin­dernisse in den Weg legten, von ihrer Einheit redeten, würden wir ein solches Betragen nicht als Hohn oder noch schlimmer bezeichnen? Wie ist es nun möglich, daß die Christen Einheit nennen, was bloß eine Verwandtschaft ist? Einheit bringt Ge­meinschaft hervor. Johannes schrieb seinen ersten Brief an die Christen im allgemeinen, indem er mitteilte, was er gesehen und gehört hatte, „auf daß auch ihr mit uns Gemeinschaft habet, und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesu Christo" (1. Joh 1. 5); und „wenn wir in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander" (1. Joh 1. 7). Die Christen mögen nun von verborgener Einheit reden, aber „Gemeinschaft" kann nicht verborgen und unsichtbar sein; und Gemeinschaft müs­sen wir miteinander pflegen. Auch erklärt die Schrift, daß, wenn wir in dem Licht wandeln, wie Er in dem Lichte ist, wir Gemeinschaft miteinander haben.

„Ja, aber wir haben Gemeinschaft mit den Christen unserer Kirche", werden vielleicht einige sagen. — Ohne Zweifel; aber

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 ist das die Einheit des Geistes? Er macht alle Christen zu^ einem Körper; aber auch nur zu einem; und wir werden auf­gefordert uns zu befleißigen. Seine Einheit zu bewahren. Und ich frage euch. Geliebte, die ihr euch nach Seinem Namen nennt, wenn ihr verschiedene Körper bildet, ist dies dann nicht die praktische Vernachlässigung des einen Körpers, zu wel­chem Er euch gemacht hat? Ist es nicht gerade das Entgegen­gesetzte des Gebets des Herrn: „auf daß sie alle eins seien . . . auf daß die Welt glaube". Möchten die Christen doch einsehen, wie sehr ihre Uneinigkeit unseren gesegneten Herrn entehrt! Wenn ihre Einheit ein Zeugnis für die Welt sein soll, daß Gott Seinen Sohn gesandt hat (wie das Gebet des Herrn sagt), dann muß die Welt ohne Zweifel aus ihrer Uneinigkeit schließen, daß Jesus nicht der Herr aus dem Himmel .ist; denn jeder Gläubige scheint ihnen das zu tun, was in seinen eigenen Au­gen recht ist. 0 laßt uns nicht vergessen, daß es eine Einheit des Heiligen Geistes gibt, und daß wir aufgefordert werden, uns zu befleißigen, diese Einheit aufrechtzuerhalten! Wenn wir dieses nicht tun, so betrüben wir den Herrn sehr.

Vielleicht wird eine wichtige Frage bei denen aufsteigen, welche bis jetzt wenig hierüber nachgedacht haben, nämlich: „Wie erlangen wir die Leitung des Heiligen Geistes? Durch die Gna­de Gottes bin ich ein Christ, und jetzt sagen Sie, .daß ich daher die Innewohnung des Heiligen Geistes habe, und Sie ermahnen mich, daß ich mich durch diese göttliche Person leiten lasse; aber wie erlange ich nun diese Leitung? Muß ich den Heiligen Geist bitten, daß Er mich leite und führe, oder was muß ich sonst tun?"

Es wird dem Gläubigen nirgends gesagt, daß er den Heiligen Geist um Seine Leitung bitten soll, auch gibt es kein Beispiel für ein solches Gebet im Neuen Testament; ebensowenig wird uns gesagt, Gott zu bitten, daß er die Welt lieben möchte, oder Christum zu bitten, die Gemeinde zu lieben. Vergessen wir nicht, daß der Heilige Geist gekommen ist mit dem bestimmten Zweck, den Gläubigen zu trösten und zu leiten. Außerdem beweisen die vielen Ermahnungen, die uns gegeben sind, deut­lich, daß Unterwerfung unter Seine Leitung unsererseits nötig ist. Der Heilige Geist ist Gott, aber es gibt im Neuen Testament

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 kein Beispiel von einem Gebet zu dem Heiligen Geiste, als einer besonderen Person. Durch Ihn beten wir zu Gott (und in .die­sem Sinne beten wir auch zu dem Heiligen Geiste) zum Vater und zum Sohne. Daher sind die Gebete, die wir in den Briefen finden, entweder an Gott, an den Vater, oder an den Herrn Jesus gerichtet, damit diese durch den Heiligen Geist wirken möchten (siehe Röm 15, 15; Eph 1. 17; 3, 16). Ebensowenig ist es richtig um die Ausgießung des Heiligen Geistes zu beten, weil Er ja bereits am Pfingsttage herniedergekommen ist und bei uns bleibt (siehe Joh 14, i6).

Dennoch soll das Gebet unsere fortwährende Beschäftigung sein. „Haltet an am Gebet" ist die Ermahnung; und keine Fortschritte im christlichen Leben können uns je diese unbe­dingte Abhängigkeit von Gott ersparen. Der Herr Jesus Selbst brachte ganze Nächte im Gebet zu (Lk 6, 12). Wie selten ver­harren wir eine Stunde im Gebet! Wenn es nun dem Herrn ein Bedürfnis war, anhaltend zu beten, sollten wir .dieses Bedürf­nis für uns nicht viel tiefer fühlen? Möchte daher das erste, was wir lernen, die Abhängigkeit sein, die sich im Gebet offenbart!

Danach folgt Selbstverleugnung. Der Herr sagt „Ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auf daß ich meinen Willen tue, sondern denWillen dessen, der mich gesandt hat" (Joh 6, 38). Ebenso müssen auch wir unseren eigenen Willen verleug­nen, wenn wir wirklich wünschen, uns unter die Leitung des Heiligen Geistes zu stellen. Der erste Schritt, den wir tun müs­sen, mag vielleicht die Trennung von etwas sein, was wir sehr lieben, oder die Ausführung einer Sache, vor der wir zurück­schrecken. Laßt uns daran denken, daß wir nicht durch das Fleisch und gleichzeitig durch den Geist geleitet werden kön­nen; wir können uns nur zu einem entschließen. „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten! denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten. Denn wer für sein eigenes Fleisch sät, wird von dem Fleisch Verderben ernten; wer aber für den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten" (Gal 6,7.8). Wenn wir das Fleisch zu befriedigen wünschen/ver­zichten wir auf die Leitung des Heiligen Geistes; wenn wir aber wünschen durch den Heiligen Geist geleitet zu werden, dürfen wir auf die Stimme des Fleisches nicht hören. Dieses sehen wir bei der Bekehrung des Apostels Paulus, als er ausgesandt

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 wurde, den Nationen das Evangelium zu verkündigen; er sagt:

„Ich ging alsbald nicht mit Fleisch und Blut zu Rate" (Gal i,

16); denn dieses würde ihn sicher veranlaßt haben, seinen Brüdern, den Juden, das Evangelium zu bringen. Ebenso sollte es auch bei uns sein; denn welchen Nutzen würde es haben, wenn ich um die Leitung des Heiligen Geistes bäte, und kei­neswegs die Absicht hätte, ihr Folge zu leisten? Möchten wir daher keinen andern Willen und kein anderes Verlangen haben, als Gott in bezug auf uns hat, und immer mehr lernen, uns selbst zu verleugnen! Unser geliebter Herr kam, um den Willen Seines Vaters zu tun. In der Tat, auch wir sollten Seinen Wil­len zu tun suchen und keinen eigenen Willen haben. Möchten wir in Wahrheit sagen können: „Es ist meine Lust, o Gott, deinen Willen zu tun".

Gehorsam ist in allen Dingen das „erste Erfordernis". Unser Herr hat einmal gesagt: „Wenn jemand seinen Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist" (Joh 7,

17). Die meisten Christen wünschen ohne Zweifel die Lehre des Wortes Gottes zu kennen; aber der einzige Weg dazu ist, den Willen Gottes zu tun. Wir müssen die Wahrheit nicht nur kennen, sondern sie auch tun (siehe Joh 15, 17. und 1. Joh 1. 6). Gott gibt mir ein wenig Licht und sagt: „Tue dieses, oder lasse jenes; die Schrift wird dir die Beweise liefern". Ich aber zögere. Das Opfer, das Er von mir fordert, scheint mir vielleicht zu groß, oder ich will wissen, was später von mir verlangt werden wird. Vielleicht wünsche ich auch alle Folgen meines Schrittes vorhersehen zu können. Doch ohne den ersten Schritt ist alles für mich undurchdringliche Finsternis. Und weshalb? Weil ich Seinen Willen tun muß. Ein Schritt folgt dem andern, wenn ich durch Ihn geleitet werden will. Die Weise Gottes ist, eine Regel nach der andern und eine Vorschrift nach der andern folgen zu lassen. Wir können daher nicht erwarten, daß Er uns die zweite Regel oder Vorschrift offenbaren wird, wenn wir nicht die erste gelernt und getan haben. Erst dann und nicht früher werden wir für die folgende Regel und Richtschnur Verständnis haben. Obwohl wir nun ohne Zweifel dabei zu kurz kommen werden, wird Gott uns, wenn wir wirklich das Verlangen haben. Seinen Willen zu tun, helfen und leiten. Dies verursacht auch keine Ungewißheit oder Unruhe im Her-166

 zen, sondern gerade das Gegenteil; auf Ihn gestützt, gehen wir einfach voran. Ungewißheit findet sich nur bei denen, die zwar etwas Licht haben, aber nicht folgen wollen. Die Heilige Schrift sagt ausdrücklich, daß „wer seinen Willen tut, von dieser Lehre wissen wird, ob sie aus Gott ist". Und in Mt 6, 22 steht geschrieben: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein gan­zer Leib Licht sein". Hier haben wir das Geheimnis unserer Fehler, unserer Trägheit, unserer wenigen Fortschritte. Oft ist unser Auge nicht einfältig, oft wollen wir nicht Seinen Wil­len sondern den unseren tun. Laßt uns, was den Ausgang betrifft, uns selbst nicht täuschen. Die Schrift ist in dieser Hin­sicht sehr deutlich. Tun wir den Willen Gottes, so bleiben wir, wenn auch die Welt und ihre Lust vergeht; denn „wer den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit" (1. Joh 2,17). Wenn wir aber Seinen Willen nicht tun, so kann man die Worte auf uns anwenden: „wer da weiß. Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde" (Jak 4,17).

Aber der gehorsame Christ wird ermahnt, „zu wachsen in der Gnade und Erkenntnis unsers Herrn und Heilandes Jesu Chri­sti" (2. Petr 5, i8). Auch dieses geschieht durch den Heiligen Geist; denn Christus hat gesagt: ,/Er wird mich verherrlichen, denn von dem meinen wird er empfangen und euch verkün­digen"; und „er wird euch in die ganze Wahrheit leiten". Diese Offenbarung findet man in Gottes Wort; und wir sehen da­durch, wie wichtig es ist, die heiligen Schriften sorgfältig und unter Gebet und Flehen zu untersuchen. Das Wort Gottes ist jetzt vollständig; so daß wir nicht erwarten müssen, daß der Heilige Geist uns etwas lehren wird, was in demselben nicht geoffenbart ist. Der Herr sagt: „Das Kommende wird er euch verkündigen" (Joh 16, 15); aber dies wurde gesagt, bevor das Neue Testament vollständig war, bevor die Briefe und die Offenbarung des Johannes geschrieben waren*). Alles ist jetzt ein Ganzes; wenn wir sogar einen Engel aus dem Himmel her­niederkommen sähen, der uns ein anderes Evangelium ver­kündigen wollte, so müßten wir nicht auf ihn hören, sondern ausrufen: „Er sei verflucht" (Gal 1. 8). Wir werden ermahnt

*) Der Heilige Geist verkündigt uns jetzt das Kommende dadurch, daß Er uns letzt die zukunftigen Ereignisse, die in der Heiligen SArift geoffenbart werden, erklart.

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 „die Geister zu prüfen" (1. Joh' 4, i); denn viele falsche Pro­pheten sind ausgegangen in die Welt, welche sich durch Un­glauben, Zweifelsucht, Rationalismus, usw. offenbaren. Unser einziger Prüfstein für all' dieses ist das Wort Gottes durch die Unterweisung des Heiligen Geistes.

Die Wichtigkeit dieser Dinge wird desto größer, je mehr die letzten Tage herannahen; denn „der Geist sagt ausdrücklich, daß in den letzten Zeiten etliche von dem Glauben abfallen werden, achtend auf betrügerische Geister und Lehren der Teufel" (1. Tim 4, i). Nichts kann die Seele gegen diese Dinge schützen, als nur das Wort Gottes durch die Unterweisung des Heiligen Geistes. Ich sage „durch die Unterweisung des Hei­ligen Geistes" nicht, weil Gott keine menschlichen Lehrer als Werkzeuge gebrauchen könnte, um uns die Wahrheit zu ver­kündigen, denn solche gibt es in Eph 4, n; sondern weil es immer durch die Kraft des Heiligen Geistes geschehen muß. „Sie werden alle von Gott gelehrt sein" (Joh 6, 45).

Die Wahrheit wankt nicht, sie steht unerschütterlich fest. „Keine Weissagung der Schrift ist von eigener Auslegung" (2. Petr 1. 20). Der Heilige Geist wird nie einem eine andere Auslegung einer Schriftstelle geben, als einem anderen. Natür­lich können wir die Schrift unter der Leitung des Heiligen Geistes auf verschiedene Weise anwenden, wie z. B. bei der Verkündigung des Evangeliums; aber es gibt nur eine Aus­legung der Schrift. Wenn ich einen Brief schreibe, knüpfe ich eine bestimmte Bedeutung an die geschriebenen Worte. Ebenso schickte Gott den Menschen eine bestimmte Botschaft in Sei­nem Wort, und es ist jetzt an uns zu untersuchen, wie diese Botschaft lautet. Dies vermögen wir nur mittels der Unter­weisung des Heiligen Geistes — durch denselben Geist, der den Menschen eingab zu schreiben, was Er wünschte. Aber es ist auch von großer Wichtigkeit zu verstehen, daß Er sowohl dem einen, als auch dem andern dieselbe Auslegung dieser Botschaft gibt; deshalb werden wir ermahnt, dieselben Ge­danken zu haben und dieselben Worte zu sprechen (1. Kor 1. 10; Phil 1. 27). Wenn ich also sehe, daß andere Christen, von denen ich weiß, daß sie im Worte Gottes viel Erkenntnis haben, irgendeiner Bibelstelle eine andere Erklärung geben als

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 ich, so ist es meine Pflicht, mein eigenes Urteil vor Gott genau zu prüfen. Derselbe Geist wohnt in ihnen und in mir, so daß entweder in meiner, oder in ihrer Auslegung etwas von der alten Natur sein muß; wäre dies nicht der Fall, so würde auch kein Unterschied da sein. Wie vorsichtig muß ich deshalb sein, damit ich mich nicht täusche! Wie genau muß ich das Wort Gottes untersuchen und seine verschiedenen Teile miteinander vergleichen! Wie groß sollte mein Streben sein, keinen eigenen Willen, Wunsch oder Gedanken zu haben; und wie sehr sollte ich wünschen, die Gedanken Gottes zu verstehen, wenn sie auch mein ganzes System umstoßen würden! Es sollte mein stetes Gebet sein, daß ich mehr Licht empfange, auf daß ich und meine Mitgläubigen dieselben Gedanken haben. Wenn ich aber lange gebetet und untersucht habe, muß ich das, was ich glaube, daß es von Gott ist, festhalten; jedoch immer in Demut, wenn andere, die viel Erkenntnis haben, anderer Meinung sind. Gebe Gott, daß wir uns alle durch Sein heiliges Wort mehr unterweisen lassen! „Der Geäst ist die Wahrheit" (1. Joh 5, 6).

Es gibt noch etwas, was den Wert des Wortes Gottes erhöht. Wir besiegen nämlich durch das Wort den Feind, und zwar ebenfalls durch die Kraft des Heiligen Geistes. Der Apostel Paulus ermahnt uns, „den Helm des Heils zu nehmen, und das Schwert des Geistes, welches Gottes Wort ist" (Eph 6,17). Mit dieser Waffe besiegte der Herr den Teufel. „Es steht ge­schrieben", ertönt es zu wiederholten Malen von Seinen Lip­pen. Ebenso müssen auch wir in unserem Kampf „das Schwert des Geistes, welches Gottes Wort ist", als unsere Waffe ge­brauchen. Möge die Heilige Schrift stets köstlicher in unsern Augen werden, und mögen wir alle dahin streben, „ein Brief Christi" zu sein, „geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes" (2. Kor 5, 3).

Auch die Leitung des Heiligen Geistes in unserem täglichen Leben ist von sehr großer Wichtigkeit. Viele Christen beachten die Leitung Gottes nur sehr wenig. Sie erwarten zwar, daß Er sie leiten wird, aber in einem allgemeinen Sinn, nicht in den kleinsten Angelegenheiten des täglichen Lebens. Einige Stellen aus der Heiligen Schrift anzuführen, wird hier am Platze sein. „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, in dem

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 du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend will ich dir raten. Seid nicht wie ein Roß, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat; mit Zaum und Zügel, ihrem Schmucke, mußt du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht" (PS 32, 8. g). „Von Jehova werden befestigt des Mannes Schritte, und an seinem Wege hat er Wohlgefallen" (PS 57, 25). „Die Entwürfe des Herzens sind des Menschen, aber die Antwort der Zunge ist Jehovas" (Spr 16, l). „Die Schritte des Mannes sind von Jehova, und wie sollte ein Mensch seinen Weg verstehen" (Spr 20, 24)? „Erkenne ihn in allen deinen Wegen, und er wird gerade machen deine Pfade" (Spr 5, 6). Diese Stellen sind alle, wie der Leser sieht, aus dem Alten Testament. Wenn es nun in jenen Tagen, als der Heilige Geist noch nicht als eine Person in den Heiligen wohnte, für den Menschen nötig war, sich in allen seinen Wegen von Gott leiten zu lassen, so ist es jetzt, wo der Heilige Geist in uns wohnt, gewiß um so mehr der Fall.

Daß der Heilige Geist uns in den Verhältnissen des tagtäg­lichen Lebens leiten muß, will ich durch einige Schriftstellen zu beweisen suchen. „Wohlan denn, 'die ihr saget: Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt gehen und daselbst ein Jahr zubringen und Handel treiben und Gewinn machen; (die ihr nicht wisset, was der morgende Tag bringt. Denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist es ja, der für eine kleine Zeit sichtbar ist und dann verschwindet); statt daß ihr sagt: Wenn der Herr will und wir leben, so werden wir dieses oder jenes tun" (Jak 4,15—15). Hier sehen wir deutlich, daß wir in unsern gewöhnlichen Beschäftigungen der Führung Gottes bedürfen. Wir können uns auch der Ermahnungen erinnern, die an Her­ren und Knechte, an Eltern und Kinder, an Reiche und Arme gerichtet sind, ebenso der Einzelheiten, die dabei angeführt werden; und wir lernen erkennen, daß vor Gott nichts zu gering ist. Uns wird auch die Ermahnung gegeben: „Ob ihr nun esset oder trinket oder irgend etwas tut, tut' alles zur Ehre Gottes" (1. Kor 10, 51). Zu diesem Zweck haben wir das Wort Gottes und die Leitung des Heiligen Geistes. „Wandelt im Geiste und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen". Aber inwieweit sind wir uns dieser Leitung bewußt? Erwarten wir sie wirklich als Antwort auf unser Gebet? Beachten wir wohl ernstlich alles, was nur Zufall zu sein scheint? Nehmen

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 wir ein Beispiel als Erklärung. Ich wünsche einen christlichen Freund zu besuchen und leiste diesem Wunsch ohne zu zögern Folge. Unglücklicherweise treffe ich ihn nicht zu Hause an und kehre enttäuscht zurück. Muß ich dies nun als einen Zufall ansehen und nicht weiter mehr darüber nachdenken? Vielleicht tun dies die meisten Christen; doch können wir kühn behaup­ten, daß eine solche Einstellung nicht gut ist. Ein Christ muß sich nie enttäuscht fühlen. Dies ist, was wir in Psalm 52 lesen:

„Es ist Zaum und Zügel zur Bändigung". Und obwohl es ein Segen ist, vom Bösen zurückgehalten zu Werden, so ist sich von Gott leiten zu lassen doch noch etwas ganz anderes — nämlich gerade das Gegenteil. Gott wird mich nicht dazu bewegen, jemanden zu besuchen, wenn 'dieser nicht zu Hause ist, oder Er will mich vielleicht in einer Sache unterweisen, die ich auf eine andere Weise nicht lernen konnte. Es ist möglich, daß ich meine Zeit zu etwas anderem hätte benutzen müssen, z. B. zum Gebet oder zu dem Lesen des Wortes Gottes. Das Wich­tige hierbei ist aber, daß wir erkennen, daß Gott eine Stimme hat in solchen Enttäuschungen. Wir müssen dies nicht unbeach­tet lassen, sondern untersuchen, weshalb dies so geschah und in welcher Hinsicht ich gefehlt habe. Gott irrt sich nie.

Ein Blick auf den Wandel unsers Herrn auf Erden wird uns zeigen, was es heißt, von Gott geleitet zu werden. Jesus setzte Sich an einen Brunnen mit der Absicht, zu 'einer Frau zu spre­chen, welche dorthin kommen mußte, um Wasser zu schöp­fen, und für die Er eine frohe Botschaft der Gnade hatte. Er wurde nicht getäuscht, die Frau kam. Bei einer andern Gele­genheit schickte Er einen Seiner Jünger nach dem Meere, um dort einen Fisch zu fangen, in dessen Mund er ein Geldstück finden würde. Der Jünger ging, der Fisch ward gefangen, und das Geldstück lag in seinem Munde. Wir sehen also, daß der Herr nie von Gott getäuscht wurde. „Aber", wird man sagen, „das ist selbstverständlich, denn er war sowohl Gott als auch Mensch". Allerdings, dies ist wahr; aber wir sprechen gerade von der Leitung Gottes für uns. Gott kann auch uns so leiten, daß wir nicht enttäuscht werden. Wenn wir fehlen, werden unsere Pläne zu unserm eigenen Nutzen verhindert — zu unserem eigenen Nutzen, sage ich, denn es ist gewiß, daß Er uns dann immer etwas zu sagen hat, und wir

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 etwas daraus lernen können. Welch' ein Vorrecht, von Gott geleitet zu werden! Welch' eine Gnade, zu wissen, daß Gott bei jedem Schritt, den ich tue, Teilnahme zeigt, und daß Einer in mir wohnt. Der mir jedesmal den richtigen Weg zeigt! — Laßt uns jetzt zum Schluß noch kurz zusammenfassen, zu welchem Zweck der Heilige Geist uns gegeben ist:

i. Was meine Stellung vor Gott betrifft, so lesen wir in Röm 8, 9 sehr bestimmt: „Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt". Beachten wir die Worte „nicht im Fleische". Dies heißt nicht, daß das Fleisch nicht in uns ist; denn, wie wir schon gesehen, wird unsere alte Natur bei der Bekehrung keineswegs in die neue verwandelt. Das Fleisch ist noch da; aber unsere Stellung und unsere Beziehung zu Gott ist ganz und gar verändert. Anstatt daß Gott auf uns herabsieht als Kinder des ersten Adam, sieht Er uns jetzt an als Seine Kinder m Christo. Er erblickt uns in unserem neuen Zustande, und der Geist Gottes wohnt in uns. „Ihr seid nicht im Fleische". „Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm" (1. Kor 6, 17). „Ihr seid versiegelt worden mit dem Heiligen Geiste der Verheißung" (Eph 1. 15; siehe auch Eph 4, 50; 2. Kor 1. 22). Gott hat uns versiegelt und kann dieses Siegel nie brechen.

2. Was den Genuß dieser Beziehung zu Gott betrifft, so lesen wir: „Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, die Gesinnung des Geistes aber ist Leben und Frieden" (Röm 8, 6). „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2. Kor 5, 17). „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater" (Gal 4, 6)! Diese Stellen beweisen sehr deutlich, daß wir uns was unser Ge­wissen betrifft eines vollkommenen Friedens und der herrlichen Freiheit von Kindern erfreuen sollen. „Wir haben Frieden mit Gott" (Röm 5, l). „Wir rühmen uns Gottes" (V. 11). „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu mei­nem Gott und zu eurem Gott" (Joh 20, 17).

5. Was mein Wachsen in der Gnade angeht, so ist der Herr Jesus der Gegenstand, der dem Christen vor Augen gestellt wird. Unser Wachstum wird in der Erkenntnis von Ihm und in

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 der Gleichförmigkeit mit Ihm stattfinden; -aber auch dies ist das Werk des Heiligen Geistes, „Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkün­digen" (Joh 16, 14). Christus ist also der Gegenstand für die Seele, und der Heilige Geist ist die Kraft, durch die wir in Ihm wachsen. Kein einziges Wort in dieser Betrachtung hat aber zum Zweck, das Auge von Christo abzuwenden. 0 nein! Die Verherrlichung Christi ist gerade das Werk des Heiligen Gei­stes, und je mehr ich mich durch den Heiligen Geist leiten lasse, desto mehr werde ich mit Christo beschäftigt sein. Christus ist der Gegenstand, der Heilige Geist die Kraft.

4. Was mein Erbteil betrifft, so hat Gott uns „das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben" (2. Kor 1. 22). Und dieser Geist ist „das Unterpfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit". „Der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruht auf euch" (1. Petr 4, 14). Das Leben mag voll Mühe und Schmerz sein, wir können vorwärts schauen, das Unterpfand ist in unseren Herzen, und der Geist Gottes ruht auf uns. Unser Verlangen kann nicht mehr sein, hier unten uns noch länger aufzuhalten.

5. In betreff unsers Wandels lesen wir: „Wenn wir durch den Geist leben, so laßt uns auch durch den Geist wandeln" (Gal 5, 25). „Wir werden durch den Heiligen Geist geheiligt" (Röm 15, i6; 2. Thess 2,15; 1. Petr 1. 2). Die Früchte des Geistes werden in Gal 5 aufgezählt, und wir werden ermahnt, „als Kinder des Lichts zu wandeln (denn die Frucht des Lichts besteht in aller Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit), indem ihr prüfet, was dem Herrn wohlgefällig ist" (Eph 5, 8—10). Welch ein köstliches Leitwort für unseren Wandel: „in aller Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit"! Möchten wir doch mehr Frucht hervorbringen zum Wohlgefallen unseres Herrn!

6. Bezüglich unseres Dienstes hören wir: „Es sind Verschie­denheiten von Gnadengaben, aber derselbe Geist". „Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben". Der Heilige Geist „teilt jedem insbesondere aus, wie er will" (1. Kor 12). Die Gaben sind nicht nur zu unserem eigenen Nutzen, sondern zum Nutzen des ganzen Leibes Christi ge-

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 geben; und daran knüpft sich die Ermahnung, die Gabe Gottes, welche in uns ist, anzufachen; „denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit" (2. Tim 1. 6. 7). In solcher Weise gerüstet, müssen wir jeden kleinen Dienst, den der Herr uns auferlegt, mit Dankbarkeit dafür erfüllen, daß Er uns einer solchen Arbeit würdig achtet. Laßt uns daran denken, daß ein Becher kalten Wassers von Ihm nicht vergessen wird.

7. In betreff unseresV'erhältnisses zu anderen Christen schließ­lich lesen wir: „Wir sind alle in einem Geiste zu einem Leibe getauft, . . . und sind alle mit einem Geiste getränkt" (1. Kor 12, 15). „Euch befleißigend die Einheit des Geistes zu bewah­ren in dem Bande des Friedens" (Eph 4, 3). Wir bilden einen Leib — von einem Geiste bewohnt. Deshalb befleißigt euch. die von Gott gewirkte Einheit zu bewahren und zu offenbaren. Keine Einheit kann Gott befriedigen, als nur die Einheit des Geistes; und die Einheit des Geistes ist die Einheit des ganzen Leibes, denn es ist gerade der Heilige Geist, der uns zu diesem einen Leib gebildet hat. Unsere Liebe zu den Heiligen muß eine „Liebe im Geiste" sein (Kol 1. 8; Röm 15, 50).

Kehren wir jetzt zum Schluß noch einmal zurück zum Evan­gelium des Johannes. „Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt" (Joh 4, 14). „Wer an mich glaubt, gleichwie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Was­sers fließen. Dies aber sagte er von dem Geiste, welchem die an ihn Glaubenden empfangen sollten" (Joh 7, 38. 39). Der Heilige Geist ist also eine Quelle des Wassers für mich selbst und läßt Ströme hervorkommen, die zu anderen fließen. 0, wie wenig werden wir dies gewahr! Wie dürftig quillt das Wasser! Wie träge fließt die Quelle! Der Apostel Paulus sagt:

„Seid mit dem Geiste erfüllt" (Eph 5, 18). Gebe der Herr, daß dies bei uns mehr der Fall werde, als es bis jetzt gewesen ist; es wird zu Seiner Verherrlichung und zu unserem Segen die­nen. Möchten wir stets unseres großen und heiligen Vorrechtes eingedenk sein und unsere Verantwortlichkeit fühlen, die da­durch besteht, daß dieser göttliche und himmlische Gast, der Heilige Geist, in uns wohnt! —

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Die abgewiesene Versuchung

In 1. Mo 14 wird uns am Schluß ein schöner Abschnitt aus dem Leben Abrahams gezeigt — ein lEreignis, das uns die treue Fürsorge Gottes für die Seinigen ebenso deutlich als herrlich vor Augen stellt. Abraham hatte einen großen Sieg errungen. Mit einem kleinen Heer hatte er fünf kanaanitische Könige überwunden. Es war ihm geglückt, Lot und dessen Hausgesinde aus der Hand dieser Könige zu befreien. Im Triumph kehrte er mit einer großen Zahl von Gefangenen und mit beträcht­licher Beute aus dem Kampf zurück. Der König von Sodom, dessen Volk ebenfalls befreit worden war, kam ihm voll Dank­barkeit und Freude entgegen. Sicher, das war ein glücklicher Tag im Leben Abrahams. Der Herr hatte ihm geholfen; der Herr hatte die Feinde in seine Hand gegeben; und das Herz des Patriarchen hatte allen Grund, sich zu freuen.

In solchen Umständen vergißt die Seele oft so leicht ihre Ab­hängigkeit von Gott. In der Freude der Befreiung und des da­vongetragenen Sieges beachtet man oft so wenig die eigene Schwachheit und die Notwendigkeit einer fortdauernden Be­wahrung Gottes. Man räumt zwar diese Notwendigkeit ein; aber man vergißt sie, weil man zu sehr von dem Siege erfüllt ist, den man über den Feind errungen hat. Und der Teufel, der dieses sehr gut weiß, bedient sich gerade solcher Umstände und solcher Gemütsverfassungen, um mit seinen Versuchungen die Seele zu überfallen.

Wir sehen dies bei Abraham. Kaum ist der eine Kampf vor­über, so 'steht schon der andere vor der Tür. Zwar bestand zwischen beiden ein großer Unterschied; aber beide kamen vom Teufel; und sicher war unter diesen Umständen der zweite Kampf gefährlicher, als der erste. Nachdem Abraham den Sieg über die fünf Könige davongetragen hatte, näherte sich der König von Sodom, um ihm die Beute anzubieten. Der Teufel dachte: „Kann ich dich auf dem einen Wege nicht überwinden, so werde lieh dich auf dem zweiten zu Boden werfein". Und in der Tat, der Faden dieser Versuchung war fein gesponnen.

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 Wem gehörte die Beute von rechtswegen? Natürlich dem Über­winder. Und es würde daher nach menschlichem Urteil ganz in der Ordnung gewesen sein, wenn Abraham die Beute für sich genommen hätte. Doch die Gedanken Gottes unterscheiden sich von den Gedanken des Menschen. Nicht von Sodom aus durf­ten Abraham Reichtümer zufließen, sondern von Jehova, Sei­nem Gott. Die Schätze Sodom's waren für ihn unrein; und mochte auch Lot in Sodom wohnen, so wollte Abraham sich doch fern halten von der gottlosen Stadt und von allem, was ihr angehörte. Um dies jedoch in einem solchen Augenblicke zu erkennen, war Gnade und göttliches Licht nötig. Doch Abra­ham wandelte mit Jehova, und darum gab Er ihm auch Licht und stärkte ihn in der Versuchung, die über ihn hereinbrach.

Melchisedek, ein Priester Gottes des Höchsten, kam Abraham entgegen, brachte Brot und Wein und segnete Abraham, indem er sagte: „Gesegnet sei Abraham von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt"! Es war Jehova, der Melchisedek sandte, um den Patriarchen mit diesen herrlichen Worten an­zureden. Bis zu diesem Augenblick kannte Abraham Gott als den Allmächtigen; aber als der Höchste, Der Himmel und Erde besitzt, war Er ihm noch nicht geoffenbart worden. Aber hier offenbart Sich Gott Seinem Knechte in dieser Weise, um ihn zu stärken gegen die Versuchung, die über ihn kommen sollte.

 Der Höchste, Der Himmel und Erde besitzt, konnte sicher den Patriarchen reich machen, ohne der Schätze Sodoms zu bedür­fen. Und Abraham verstand die Stimme des Herrn. Denn als der König von Sodom etliche Augeinblicke später sich näherte, um ihm die Beute anzubieten, antwortete er: „Ich hebe meine Hand auf zu Jehova, zu Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt: Wenn ich vom Faden bis zum Schuhriemen, ja, wenn ich von allem, was dein ist, etwas nehme . . .! auf daß du nicht sagest: Ich habe Abraham reich gemacht". — Wie beachtenswert ist dies! Melchisedek hatte ihn hingewiesen zu dem Höchsten, Der Himmel und Erde besitzt; und Abraham verstand so gut die Absicht des Herrn, daß er, als die Versu­chung des Königs von Sodom kam, augenblicklich Gebrauch machte von der ihm gegebenen Unterweisung und im Vertrau­en des Glaubens das verführerische Angebot ausschlug. „Ich hebe meine Hände auf zu Jehova, dem Höchsten, Der Himmel

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 und Erde besitzt; und darum nehme ich von dir, du König von Sodom, nichts an; ich will nicht durch dich, sondern durch die­sen Gott reich gemacht werden. Er besitzt alles; Er hat alles unter Seiner Verwaltung; und darum erwarte ich von Ihm, und nur von Ihm jegliche Art von Segnung". — Beschämt mußte der Teufel weichen. Der Überwinder von fünf Königen hatte auch hier den Sieg davon getragen. Der Herr war Seinem Knechte entgegengekommen und hatte Sich ihm in einer Weise geoffen­bart, die Abraham fähig machte, der Versuchung zu wider­stehen.

Und also handelt der Herr noch immer. Er ist und bleibt treu bis in alle Ewigkeit. Er weiß, was wir bedürfen. Er kennt unsern Kampf und unsere Versuchungen. Wie zu Abraham, so kommt Er auch zu uns, um uns zu stärken. Möchten wir doch allezeit Seine Stimme verstehen, sicher, dann würden wir nicht so oft straucheln und den Versuchungen unterliegen! Wir denken oft, daß uns dies oder jenes der Herr geschickt habe, während vielleicht der Teufel der Ursprung ist. Die Umstände sind nicht immer der richtige Maßstab. Dies sehen wir bei Abraham. Die Beute kam ihm von rechtswegen zu, und die Dankbarkeit des Königs von Sodom bot sie ihm an. Dennoch verweigerte er die Annahme, weil er nicht auf die Umstände, sondern auf den Herrn sah und seine Hand zu dem Höchsten erhob. 0 möchten wir doch mehr mit dem Herrn in Gemein­schaft wandeln und uns an den Klang Seiner Stimme gewöh­nen, — sicher, dann werden wir auch den Willen Gottes zu unterscheiden wissen und uns nicht durch den Teufel gefangen­nehmen lassen. Wenn unser Auge einfältig ist, dann wird unser ganzer Leib Licht sein. Der Herr gebe uns das richtige Verständnis!

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 Der Brunnen zu Bethlehem 2. Samuel 25, 15-^-17

„Und David hatte ein Gelüste und sprach: Wer wird mich mit Wasser tränken aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore ist"? — Dieses Verlangen Davids wurde durch drei Helden aus jener tapferen Schar gestillt, die ihn in der Höhle Adullam umringte. „Da brachen die drei Helden durch das Lager der Philister und schöpften Wasser aus dem Brunnen zu Bethle­hem, der am Tore ist, und trugen und brachten es zu David". — David hatte keinen Befehl dazu gegeben; er hatte nur einen Wunsch ausgesprochen. Jedoch hierdurch wird den drei Män­nern eine Gelegenheit geboten, ihre Zuneigung und Liebe zu ihm zu zeigen. Wäre ein Befehl gegeben worden, so hätte nur blinder Gehorsam ans Licht treten können; weil aber ein bloßer Wunsch ausgesprochen war, so konnte sich die Liebe für den verworfenen König offenbaren.

Die drei Helden werden jedoch sicher nicht daran gedacht haben, daß die Handlung ihrer Anhänglichkeit und Liebe in das ewige Buch Gottes aufgezeichnet und von Tausenden ge­lesen werden würde. 0 nein; ihre Herzen waren mit David beschäftigt; sie setzten ihr Leben aufs Spiel, um ihn zu er­freuen und seinen Geist zu erquicken. Hätten sie gehandelt, um sich einen Namen oder Platz zu erwerben, dann würde ihre Handlung aller Schönheit beraubt gewesen sein. Aber nein, die Liebe zu David war.'ihr einziger Beweggrund; und sie lieferten den Beweis, daß er ihrem Herzen teurer war, als ihr eigenes Leben. Sie vegaßen alles über dem Dienst, den sie dem Könige erwiesen; der duftende Wohlgeruch dieses ihres Op­fers stieg zu dem Throne Glottes empor, und ihr Liebeswerk fand einen Platz im Worte Gottes und wird, darin so lange glänzen, wie dieses Wort besteht.

0 wie sehr sollten wir nach einer ähnlichen Gesinnung gegen­über dem wahren David trachten! Wahrlich, wir bedürfen der vollen Hingebung als eine Frucht der Liebe Christi. Wir dürfen nicht im Blick auf eine Belohnung, auf eine Krone, oder auf einen Ehrenplatz unsern Dienst verrichten, obwohl wir völlig

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 überzeugt sein dürfen, daß der Herr unsere Mühe nicht ver­gessen wird. Ist das Auge auf die Belohnung gerichtet, dann stehen wir nicht auf dem rechten Platz. Ein solcher Dienst ist mangelhaft. Wir müssen uns mit dem Herrn und Seiner Liebe beschäftigen, dann wird die Liebe uns drängen. Ihm zu dienen und für Ihn zu leben. Jesus muß den ersten und vornehmsten Platz in unserm Herzen einnehmen, dann werden die guten Werke von selbst folgen. Sie sind dann eine Frucht der Liebe Gottes, die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen aus­gegossen ist. — 0 möchten wir uns doch gänzlich dem Dienste des Herrn weihen und uns ganz und gar mit allem, was wir sind und haben. Ihm übergeben! —

Wie hats die Seele doch 'so gut,

die sich dem Herrn ergibt,

die nichts mehr will und nichts mehr tut,

als daß sie Jesum liebt!

Still wandelt sie an Seiner Hand, ein selig Kind des Lichts; das Antlitz hin zu Ihm gewandt, und scheut und fürchtet nichts.

Sie ziehet mutig ihre Bahn, mit Ihm wird nichts zu schwer; durch Kampf und Leid gehts himmelan, sie weiß. Er liebt so sehr.

Das Gericht des Christentums oder Warum kommen die Gerichte?

In der Tat eine ernste Frage, wichtig genug, um das Gewissen desjenigen, der sie erwägt, zu ernstem Nachdenken zu er­wecken. Der Herr befähige uns, die in Seinem Worte deutlich gegebene Antwort richtig zu erkennen.

Kommen die Gerichte nicht, weil es nicht Gottes Wesen ist zu richten? „Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner".

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 — „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jehova, ich habe keine Lust am Tode des Gesetzlosen, .sondern daß der Gesetzlose umkehre von seinem Wege und lebe! Kehret um, kehret um von euren bösen Wegen! denn warum wollt ihr sterben, Haus Israel" (Hes 55, n)? Wenn Gott so zu Israel sprach, dann können wir versichert sein, daß Er ebensowenig jetzt geneigt ist, das Gericht über das Christentum auszuführen. In bezug auf unsere Tage, in denen Er zögert, das schon längst ange­drohte Gericht auszuüben, findet die Langmut Gottes ihre Erklärung in den Worten: „Der Herr verzieht nicht die Ver­heißung, wie es etliche für einen Verzug achten, sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht will, daß irgendwelche ver­lorengehen, sondern daß alle zur Buße kommen". — Nein, sicher hat Gott keine Freude an dem Gericht, sondern wird dazu gedrängt, weil die Menschen den „Reichtum seiner Gütig­keit, Geduld und Langmut verachten und sich selbst nach ihrer Störrigkeit und ihrem unbußfertigen Herzen Zorn aufhäufen auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes".

Aber das Gericht wird unausbleiblich kommen, und zwar nach drei verschiedenen Richtungen hin. Es gibt ein Gericht über Israel, ein Gericht über 'di'e Nationen und ein Gericht über die Christenheit. Für uns ist das Letztere besonders wichtig; und der Herr schenke uns das aufrichtige Verlangen, die ganze Wahrheit zu erkennen und uns unter Seine gewaltige Hand zu demütigen. Der Apostel Paulus bringt diesen Gegenstand in nachdrücklicher Weise vor unser Auge, wenn er sagt: „Siehe denn die Güte und die Strenge Gottes; gegen die, die gefallen sind, Strenge, gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten werden" (Röm 11, 22). Schenken wir diesen Worten unsere volle Auf­merksamkeit.

„Gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten werden". An wen richtet der Herr diese Worte? Es muß entweder ein einzelner Beken­ner, oder eine Menschenmasse in ihrer Gesamtheit sein, und zwar personifiziert und angeredet durch den Apostel wie eine einzelne Person. Der Zusammenhang läßt uns auf das Letztere schließen. Der Hauptgegenstand des Kapitels ist die teil- und

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 zeitweise Beiseitesetzung Israels, sowie die Einführung der gegenwärtigen Gesamtheit des größtenteils aus Nationen be­stehenden, bekennenden Christentums, das in die Stellung und Verantwortlichkeit des Volkes Gottes auf Erden eingetreten ist. Gott, Der hinter dem Vorhang im weltlichen Heiligtum wohnte und die jüdische Nation durch das Gesetz regierte/ offenbarte Sich als der Gott der Juden; Gott, Der Seinen Sohn aus den Toten auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten im Himmel erhöhte, und Der den Heiligen Geist zur Verkündi­gung der frohen Botschaft an verlorene Sünder hernieder­sandte, ist auch der Gott der Nationen. Der Apostel sagt in dieser Beziehung: „Ist er der Gott der Juden allein? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen, sintemal es ein einiger Gott ist, der die Beschneidung aus Glauben und die Vorhaut durch Glauben rechtfertigen wird". Für die Masse der jüdi­schen Nation war dies „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses". Sie verwarfen die Gnade und wurden dem­zufolge verworfen. Das Christentum, als ein bekennender Kör­per, hat deren Platz eingenommen und wird hier als eine Ge­samtheit angeredet. Aber warum wird hier nicht von Israel als einer Gesamtheit gesprochen? Warum sagt der Apostel:

„Gegen die, die gefallen sind, Strenge?" Weil Israel nicht als eine Gesamtheit gefallen und beiseitegesetzt ist. Es gab unter ihnen einen Überrest nach Wahl der Gnade, und dieser Über­rest wurde mit denen aus den Nationen zusammengefügt, die von damals bis heute die Gesamtheit des bekennenden Chri­stentums gebildet haben. In Übereinstimmung hiermit wird uns unter dem Bilde eines ölbaumes vorgestellt, daß etliche der Zweige ausgeschnitten und andere von einem wilden ölbaume an ihrer Statt eingepfropft worden sind. In bezug auf den wilden Ölbaum sagt der Apostel: „Du wirst nun sagen: Die Zweige sind ausgebrochen worden, auf daß ich (das Christen­tum, die bekennende Masse) eingepfropft würde. Recht; sie (die natürlichen Zweige, die ungläubigen Juden) sind ausge­brochen worden durch den Unglauben; du (das Christentum) aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich; denn wenn Gott der natürlichen Zweige (der ungläubigen Juden) nicht geschont hat, daß Er auch deiner (Christentum) etwa nicht schonen werde. Siehe denn die Güte und die Strenge Gottes; gegen die (ungläubigen Juden), die

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 gefallen sind, Strenge, gegen dich (Christentum) aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du aus­geschnitten werden". Erkennen wir hier nicht deutlich in allen Einzelheiten den Vergleich zwischen der Gesamtheit der wegen ihres Unglaubens ausgeschnittenen und beiseitegesetzten jü­dischen Nation und dem Christentum, das an deren Stelle gesetzt wurde und alle damit verbundenen Verantwortlich­keiten übernahm?

Drei Dinge erfordern hier unsere Aufmerksamkeit.

1. Was würden für das Christentum die Folgen gewesen sein, wenn es an der Güte geblieben wäre?

2. Ist es an der Güte geblieben?

5. Und wenn nicht, welches ist das Urteil, das über dasselbe ausgesprochen ist?

Um die Folgen des Bleibens an der Güte zu prüfen, ist es nicht nötig, an die besondere Berufung der Kirche oder an irgend­eines der höchsten Vorrechte und Würden derselben zu er­innern. Allerdings, wo diese erkannt werden, wird auch die Erkenntnis nicht mangeln, daß die gefallene Kirche eine große Schuld hat. Aber die Beweise des Apostels in diesem Kapitel ruhen auf niedrigerem Grunde. Der sich unterscheidende Cha­rakter des Christentums im Blick auf das, was die Kirche sein sollte, ist im allgemeinen zur Genüge von den bekennenden Christen anerkannt, um einzusehen, welches die gesegneten Folgen des Bleibens an der Güte gewesen sein würden.

Was ist das Christentum? Es ist das Resultat der Wirksamkeit der Liebe Gottes in einer Welt voller Sünder, die in sich selbst verderbt und hoffnungslos verloren waren. Die ganze Welt war dem gerechten Gericht Gottes verfallen, bevor der Tag der Pfingsten mit seinen neuen Wundern göttlicher Segnungen und göttlicher Gnade anbrach. „Jetzt ist das Gericht dieser Welt", — das waren die Worte Jesu, als das Kreuz vor Seinen Blicken auftauchte. Juden und Heiden befanden sich zusammen unter der Macht Satans, des Fürsten und Gottes dieser Welt, und erhoben sich vereint gegen den Erben aller Dinge, den Sohn Gottes, den Herrn der Herrlichkeit, um Ihn zu verwerfen, zu kreuzigen und zu töten. Konnte die Gottlosigkeit des Men­schen einen höheren Grad erreichen? Konnte sie noch greller in

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 das Licht treten? Nicht nur hatten die Juden gänzlich das Ge­setz gebrochen und die Nationen, indem sie sich den im ersten Kapitel des Römerbriefes geschilderten Greueln hingaben, die ihnen von Gott verliehene Macht mißbraucht, sondern beide führten vereint den Herrn zum Tode, als Er kam, um der Mes­sias der Juden und ein Licht der Nationen zu sein. Bei beiden wurde es daher offenbar, daß „dies das Gericht ist, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen die Finster­nis mehr geliebt haben, als das Licht, denn ihre Werke waren böse". Warum aber wurde dieses Urteil nicht sofort vollzogen? Es waren die im Herzen Gottes verborgenen Tiefen des Erbar­mens und der Gnade, die am Pfingsttage enthüllt wurden, und die darin bestanden, daß Gott Seinen Sohn auferweckt und zu Seiner Rechten verherrlicht hat, so daß alle Menschen, die an Jesum glauben, Vergebung der Sünden empfangen. Das Blut Christi, durch Menschen auf der Erde vergossen, hat im Him­mel für Menschen gewirkt; und durch dasselbe offenbart Sich Gott als der barmherzige, aber dennoch gerechte Rechtfertiger des Schuldigsten, wenn derselbe an Jesum glaubt.

Das ist das Christentum. Im Blick auf den Tod, die Auferste­hung und die Himmelf ahrt Jesu Christi verkündet dasselbe daß, weil er den Sohn Gottes ermordet hat, der Mensch gottlos und verdammt und die Welt dem Gericht verfallen ist; aber es offenbart auch zugleich, daß Gott die Sünden vergibt, anstatt sie zu rächen, und daß Er den an Jesum Glaubenden recht­fertigt, anstatt ihn zu richten. Wir erblicken hier eine über­strömende Ginade, eine vergebende Barmherzigkeit, eine un­endliche, unermeßliche Liebe — alles gegründet auf Gerechtig­keit und Heiligkeit kraft des Opfers Jesu in der vollkommenen, freien, ewigen Rechtfertigung aller, die an Ihn glauben. Alle haben gesündigt, alle sind verloren, alle erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes; aber allen verkündigt das Evangelium die freie Gabe der Gerechtigkeit durch das Blut Jesu. Das ist das Christentum.

Gerade hier war es, wo die Juden strauchelten. Wegen der Ver­werfung des Evangeliums eines aufgefahrenen Christus kam der Zorn Gottes über sie; dieserhalb wurden so viele der natür­lichen Zweige ausgeschnitten. Welch ein Reichtum göttlicher Güte, dieses Licht, durch dessen Verwerfung die Juden sich im

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 allgemeinen von der Hoffnung des ewigen Lebens ausschlös­sen, dem Christentum anzuvertrauen! Es war nicht allein das Licht der vollkommenen Heiligkeit und göttlichen Liebe in der Person und dem Wandel Christi, als Er auf Erden unter den Menschen einherging, sondern das Licht göttlicher Heiligkeit und Liebe, wie es sich in dem Kreuz Christi offenbarte. Es war eine Heiligkeit, die unbedingt das forderte, was Er als Opfer für die Sünde am Kreuze litt, und eine Liebe, die dem äußersten Haß und der vollkommensten Bosheit des Menschen begegnete und darüber triumphierte in der Darbringung und Annahme eines solchen Opfers, das eine völlige Versöhnung, eine voll­kommene Gerechtigkeit und das ewige Leben allen denen mit­teilt, die einfältig an Christum glauben. Das ist das Licht, das reine, herrliche Licht der Güte Gottes, das dem Christentum geschenkt wurde.

Ist das Christentum an dieser Güte geblieben? Kann man dieses selbst in bezug auf die Lehre bejahen? Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich frage nicht, ob das Licht immer noch scheine. Dem Herrn sei Dank, dafür ist gesorgt. Ich frage mich, ob es seit dem Pfingsttage zu allen Zeiten etliche gegeben habe, die sich dieses Lichtes erfreuten und bereit waren, eher den Tod in seiner schreck­lichsten Form zu erleiden, als dasselbe zu verleugnen, oder unter den Scheffel zu stellen. Gott sei Dank, solche Zeugen waren stets vorhanden. Aber ist das Christentum an der Güte Gottes geblieben? Ach! dies muß entschieden verneint werden Der Galaterbrief zeigt uns, daß schon in den Zeiten der Apostel der Sauerteig einer falschen Lehre unter die Christen aus den Nationen gebracht wurde, und daß derselbe so mächtig um sich griff, daß er den ganzen Teig zu durchsäuern drohte. 

Die „Kunde des Glaubens" war es, wodurch der Geist unter ihnen gewirkt hatte und wodurch sie völlig frei gemacht worden waren. Die eingedrungenen Irrlehrer dagegen suchten die Be­schneidung einzuführen und die Erfüllung des Gesetzes Moses als eine notwendige Bedingung zur Errettung zu bezeichnen. Der durch die Liebe wirkende Glaube war nicht genügend. Man mußte Tage, Monate, Zeiten und Jahre beobachten. Eine neue Schöpfung in Christo Jesu war nicht ausreichend; die Beschnei­dung mußte hinzugefügt werden. Das war die Lehre jener Irr-

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 lehrer. Sehen wir nicht in all diesem den Keim dessen, was später weitergewachsen und volle reife Früchte hervorgebracht hat, die seit Jahrhunderten das ganze Christentum, und bis auf den heutigen Tag der größte Teil desselben zur Schau trägt. Und was anders ist dies, als eine Verleugnung der Güte Gottes, in der das Christentum seinen Ursprung hat und wovon es der klare Ausdruck sein sollte? Hat nicht Jahrhunderte hindurch das ganze Christentum, und bis zu diesem Augenblick hin der größere Teil desselben, die Bekenner dieser Güte als Ketzer verflucht und verfolgt, weil sie es ablehnten, ein gutes, recht­gläubiges Glied der angeblich einzig wahren Kirche Christi zu sein? Ist das Christentum an der Güte Gottes geblieben? Sind etwa die Verfolgungen derer, die an der Gnade festhalten und dieselbe öffentlich bekennen. Beweise, daß dasselbe an der Güte geblieben ist? Der größte Teil des Christentums hat von Jahrhundert zu Jahrhundert die verflucht, welche sich an der Güte Gottes festklammerten, die groß genug ist, um einen armen Sünder zu rechtfertigen und auf ewig zu erretten — einen Sünder, der sich keiner eigenen Werke rühmen kann und keine Satzungen zur Stütze hat, sondern einfältig an Christum glaubt und in bezug auf die Errettung einzig und allein auf Sein kostbares Blut vertraut. Und dieses Verfluchen hat nicht nur in kurzen Augenblicken stattgefunden, wo vorübergehende böse Einflüsse herrschten; sondern ist als festgestellte Lehre Bestand eines Teiles des Christentums, beurkundet in vielen Glaubens-Artikeln und ausgeführt mit einer Hartnäckigkeit, die 'nicht ihres Gleichen hat.

„Aber" — könnte man vielleicht einwenden — „das ist Papst­tum und nicht Christentum; letzteres finden wir in der Mitte der Märtyrer und der wahren Bekenner, mit deren Blut die Hände und Kleider des ersteren besudelt sind". — Ist denn das Papsttum nicht die Religion eines großen Teiles der beken­nenden Christenheit? Und wenn die Christenheit nicht 'im Papst­tum, sondern unter den Opfern seiner Grausamkeit und Wut zu finden ist, haben wir dann nicht den klarsten Beweis dafür in Händen, daß das Christentum, wovon die sogenannte rö­mische Kirche einen großen Teil bildet, nicht an der Güte Gottes geblieben ist? Was ist das Bekenntnis und der Ruhm des Papsttums? Betrachtet es sich nicht als die sichtbare, histo­rische Fortsetzung dessen, was mit dem Wirken und dem

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 Dienst Christi und Seiner Apostel seinen Anfang nahm7 Auch ich räume dies ein. Aber wo ist die Übereinstimmung zwischen dem Christentum in seinen Anfängen und dem Papsttum der späteren Jahrhunderte? Muß nicht vielmehr die ernste Tatsache zugestanden werden, daß das Blut der Märtyrer Jesu weniger durch heidnische Herrscher, als vielmehr durch jene Menschen vergossen worden ist, die sich anmaßten, die Nachfolger der Apostel zu sein, und deren Würde von einer großen Zahl derer anerkannt wird, die sich Christen nennen? Nein, das Christen­tum ist nicht an der Güte Gottes geblieben.

Es ist eine gesegnete Wahrheit, daß Gott zu allen Zeiten, selbst in den dunkelsten Perioden, Zeugen Seiner Gnade erweckt hat, und ebenso wahr ist es, daß der Geist Gottes zu verschiedenen Zeiten mit besonderer Energie wirksam war, wie z. B. zur Reformationszeit, deren gesegnetes Licht bis in unsere Tage hinein scheint. Aber obwohl das Wort Gottes, sozusagen aus dem Grabe hervorgeholt, das herrliche Evangelium der Gnade Gottes allen Nationen verkündigt, manche Seele dadurch leben­dig und freigemacht, und überhaupt ein Licht angefacht wurde, dessen Glanz uns noch heute umstrahlt, so ist doch weder damals noch seitdem etwas geschehen, wodurch der Zustand und die Mas&e des Christentums verändert worden wäre. Eine Wiederherstellung hätte das über die bekennende Christenheit verhängte Gericht abwenden können; doch sie hat nie statt­gefunden. 

Das Papsttum erhielt durch die Reformation einen ernsten Schlag; es ist zwar hierdurch für einige Zeit zum Schwanken gebracht worden, doch hat es nur höchstens ein Drittel seiner Anhänger verloren und ist bis heute bemüht, an seinen Menschensatzungen festzuhalten und um jeden Preis die alte Macht zurückzugewinnen. Auch müssen wir bedenken, daß, wenn die Reformation wirklich den Charakter des Chri­stentums geändert hätte, dasselbe dennoch nicht das Wort von dem „Bleiben an der Güte" erfüllt haben würde. Es ist in der Schrift nicht von einer Wiederherstellung, sondern von einem „Bleiben an der Güte" die Rede; es heißt: „Wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten werden". Nichts kann daher das Gericht abwenden.

Bisher haben wir unsere Aufmerksamkeit darauf beschränkt zu prüfen, ob das Christentum in bezug auf die Lehre an der

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 Güte geblieben ist oder nicht, und wir haben es verneinen müs­sen. Doch wir gehen weiter. Das Christentum sollte nach zwei Seiten hin ein lebendiges Beispiel und Zeugnis der Güte Gottes sein, indem es einerseits allen Nationen die Gnade Gottes gegen verlorene Sünder verkündigen und andererseits die Früchte dieser Gnade in denen, die sich als Teilhaber derselben bekennen, zur Schau stellen sollte. Ist das Christentum in diesen Punkten an der Güte Gottes geblieben?

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Judentum und dem Christentum besteht darin, daß ersteres sich auf ein Volk be­schränkte, letzteres aber die Berufung hat, sich auszubreiten. Das Judentum bekannte sich zu dem Gottesdienst eines Vol­kes, das äußerlich Gott nahegebracht war und das, um Gott nahen zu können, eines Priestertums bedurfte. Das Christen­tum geht von der Voraussetzung aus, daß alle Menschen ohne Unterschied wirklich verloren — tot in Sünden sind; und es verkündigt, daß der ganze Reichtum der Gnade Gottes und die ganze Kraft des Werkes Christi das Teil jedes armen Sünders ist, der durch Gnade an Christum glaubt. Hieraus geht klar hervor, daß, wenn alle von Natur gleich unter der Sünde und alle Glaubenden durch das Blut Christi gleich nahe zu Gott gebracht sind, alle im Judentum zwischen Priester und Volk bestandenen Unterschiede dem Christentum unbekannt sind, es sei denn, daß es sich um unseren Hohenpriester, den Herrn Jesum Christum Selbst handelt.

 Durch Ihn nahen wir Gott; und da dieses das Recht und Vorrecht aller Gläubigen ist, so sind auch alle Gläubige ohne Unterschied Priester; denn alle sind „ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation", und alle sind berufen, „die Tugenden dessen zu verkünden, der sie berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht". Eine besondere Klasse von Priestern, die Gott näher standen als ihre Brüder, bestand im Judentum, ist aber dem Christentum gänzlich fremd. Christus allein hat ein solch' hervorragendes Priestertum.

Dagegen hat das Christentum etwas, das dem Judentum gänz­lich fremd war, nämlich einen seinem Charakter entsprechen­den Dienst der Liebe als die Frucht der geoffenbarten Liebe Gottes gegen Seine Kinder. Ich meine hier nicht den Dienst innerhalb der Versammlung der Kinder Gottes, in der der

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 Heilige Geist durch verschiedene Gaben wirkt, die Er gibt und deren Er Sich bedient, sondern jenen tätigen Dienst der Liebe, der die ganze Welt zu seinem Wirkungskreise hat und der uns das Wort des Apostels verstehen läßt: „So sind wir nun Ge­sandte für Christum, als ob Gott durch uns ermahnte. Wir bitten an Christi statt: Lasset euch versöhnen mit Gott" (2. Kor 5, 20). Zur Erfüllung dieses Dienstes waren die Apostel und andere mit dem Heiligen Geist ausgestattet gemäß der Worte Christi: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde". Und wiederum: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung". Das war der Befehl eines auferstandenen Erlösers, ein Befehl, dem eine kurze Zeit Folge geleistet wurde. So ging z. B. Paulus, indem er sich als Schuldner der Griechen und der Barbaren, der Weisen und der Unweisen bezeichnete, gedrungen durch die Liebe Christi, mit ungebeugtem Mut in seiner Missionstätig­keit vorwärts, um überall, wo ihm sein Meister die Türen öffnete, das Evangelium zu verkündigen. Wie manche Gegen­den durchschritt sein Fuß! Wie viele Meere durchkreuzte er! Welchen Gefahren bot er die Stirn! Wie viele Mißhandlungen erduldete er! Und welch ein Werk brachte Gott durch ihn zu­stande! War dies nicht der wahre Geist des Christentums? Wer könnte es leugnen?

Und nun fragen wir uns in allem Ernst: Ist das Christentum an der Güte Gottes geblieben? Wo sind jetzt so treue Arbeiter, wie Paulus und Timotheus? Ach! als man anfing, kirchliche Verordnungen an die Stelle von Christum, menschliche Ver­dienste an die Stelle der Gnade, tote Werke an die Stelle eines lebendigen Glaubens zu setzen, als endlich die Lehre von der Gnade Gottes, die allein das wahre Christentum kennzeichnete, immer mehr verdunkelt wurde, da wurden auch die unausbleib­lichen und natürlichen Folgen bald sichtbar. Der Eifer, das Evangelium der ganzen Schöpfung zu predigen, erkaltete. Und als der Dienst der Liebe für die Seelen abnahm, wurde das Verlangen nach einer besonderen Priesterklasse laut. Dies paßte zu dem Zustande solcher Seelen, die kaum dem Götzen­dienste entrissen waren und keine Erkenntnis von der Gnade und der Freiheit des Evangeliums besaßen. Der Rückgang voll-

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 zog sich in überraschender Schnelle, und die Christenheit — eine Mischung von Judentum und Heidentum und einigen christlichen Lehren und Zeremonien — trat an die Stelle des wahren Christentums, indem man, um den Schein zu retten, die Form jenes heiligen und himmlischen Systems, dessen Kraft und Leben gänzlich entflohen war, zu erhalten suchte. Die einzigen Missionen, die Jahrhunderte hindurch von dem Chri­stentum ausgingen, waren geleitet durch selbstsüchtige, ehr­geizige Priester, die falsche Wunderwerke und politische Kunstgriffe anwandten, um unwissende Menschen zu verlei­ten, das auf solche Weise ihnen dargebrachte entstellte Chri­stentum anzunehmen.

„Aber" — wird der Leser einwenden — „das ist wieder das Papsttum. Hat denn seit der Reformation keine Veränderung stattgefunden"? — Qott sei Dank, eine Veränderung hat statt­gefunden. Von dem Augenblick an, als das Evangelium der Gnade Gottes wieder verkündigt wurde, erwachte auch der Geist der Mission. Anfangs wandte sich die Missionstätigkeit der Reformation fast ausschließlich solchen Gegenden zu, wo die Bevölkerung unter dem Joch Roms seufzte; und erst nach der großen Erweckung im letzten Jahrhundert nahm sie eine andere Richtung und wählte sich unter den Heiden ihr Arbeits­feld. Es war eine Zeit großen Segens. Obwohl man hinsicht­lich der Triebfedern und der Mittel, die mit diesem Werke in Verbindung standen, manche Bedenken haben könnte, so zollte doch jeder, der Christum liebt, der Tatsache dieses Wirkens, wodurch das Evangelium zu den finstersten Teilen der Erde gebracht wird, seine vollste Anerkennung. Aber der Protestan­tismus rühmt sich seiner Missionen, und viele erwarten als deren Resultat die allgemeine Verbreitung des Evangeliums und die Herbeiführung der tausendjährigen Segnung. Die uns durch die Heilige Schrift enthüllte Tatsache, daß vorhergehende Ge­richte den Weg zum tausendjährigen Reiche bahnen müssen, stößt im allgemeinen auf große Zweifel. Wer es anders be­hauptet, erweckt den Eindruck, als ob man die Kraft des Evan­geliums und die Kraft des Heiligen Geistes, die ganze Welt erretten zu können, in Frage stelle. Sollte dieses auch das Ge­fühl irgendeines unserer Leser sein, so erlauben wir uns, seiner aufmerksamen Prüfung einige Fragen vorzulegen, die er viel­leicht noch nicht in Erwägung gezogen hat.

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 Glaubst du, mein Leser, denn wirklich, daß das Evangelium die Aufgabe hat, die ganze Welt zu bekehren, und daß die Kirche es in der Kraft des Heiligen Geistes zur Ausführung bringt? Was sagst du denn zu dem Verhalten der Christenheit während der letzten achtzehnhundert Jahre, in denen so wenig für die Ausbreitung des Evangeliums getan, und in denen so wenige Fortschritte einem solchen Ziele entgegen gemacht wor­den sind? Du wirst ohne Zweifel zustimmen, daß dieses höchst beklagenswert und daß das Verhalten der Kirche unverant­wortlich ist. Aber dann hoffst du, daß sie doch noch zum Ge­fühl ihrer Pflicht erwachen und mit Macht sich erheben werde, um die Nationen der Erde zu bekehren. Allein ich frage dich:

Hat Gott nicht mit uns zu rechten wegen der achtzehnhundert­jährigen Nachlässigkeit, Untreue und Sünde? Ohne nun wie du zu sagen, daß die Kirche beauftragt sei, die ganze Welt zu bekehren, darf ich doch zwei Dinge vorstellen: 1. daß die Kir­che berufen war, eine treue Zeugin und Dienerin Christi zu sein, um auch nicht einen einzigen der menschlichen Familie ohne die Botschaft von der Erlösung durch Seinen Namen zu lassen; 2. daß jeder Hörer dieser Botschaft verantwortlich ist, sie anzunehmen. Und was anders als Unempfindlichkeit, Welt­lichkeit und die Liebe zu fleischlicher Trägheit und Ruhe haben es verhindert, daß zu jedem Menschen auf dem Erdball das Evangelium gedrungen ist? Die Entdeckung von Goldminen lockt jährlich fast 50 ooo Menschen nach entfernten Ländern und Inseln; und diese Goldsucher sind — wenigstens dem Namen nach — Christen. Wenn aber, meine Brüder, Christus unseren Herzen so teuer wäre, wie das Gold dem natürlichen Herzen, warum sollten nicht 50 ooo Missionare im Laufe eines einzigen Jahres ausgehen, um die unerforschlichen Reichtümer Christi zu verkündigen? Ja, wenn auch nur der hundertste Teil der Energie, welche dem Streben nach Reichtum gewidmet wird, angewandt werden würde in dem Bestreben, das Evan­gelium zu verbreiten, so würde in kurzer Zeit 'keine Gegend, keine Stadt, keine Ansiedlung mehr gefunden werden, in der nicht der Schall desselben hingedrungen wäre. Und, meine Brüder, werden wir nicht wegen der Untreue in dieser Hinsicht zur Verantwortung gezogen? Hat Gott in dieser Beziehung nicht mit der Christenheit zu rechten? Ist das Christentum im Blick auf diese Dinge an der Güte Gottes geblieben? Es ist eine

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 unumstößliche Wahrheit, daß das wiederhergestellte Israel „blühen und sprossen und die ganze Erde mit Früchten erfüllen wird". Wenn das Christentum, der wilde Ölzweig, wegen sei­nes Nichtbleibens an der Güte Gottes ausgeschnitten sein wird, so werden die natürlichen Zweige wiederum eingepfropft werden in ihren eigenen Ölbaum. Soweit Menschen als Werk­zeuge in dieser Welt angestellt sind, sollen sie dazu dienen, die ganze Welt unter das Szepter Christi zu bringen. Die Chri­sten haben das Vorrecht und die Verantwortlichkeit, Zeugnis von der vollkommenen Gnade abzulegen, in der Gott durch das Opfer Christi einen Weg gefunden hat, in Heiligkeit und Ge­rechtigkeit den Gottlosen zu rechtfertigen, der durch Gnade an Christum glaubt. Aber ach, wie ist dieses Vorrecht vernach­lässigt, wie ist die Verantwortlichkeit vergessen worden! Wie wenig ist das Christentum an der Güte Gottes geblieben! Wie gewiß und unvermeidlich daher die Folge: — „auch du wirst ausgeschnitten werden"! —

Ein anderer Punkt verdient nicht weniger unsere Aufmerksam­keit. Nicht allein sollte es durch die tätige Verbreitung des Evangeliums erkennbar sein, daß das Christentum eine leben­dige Offenbarung der Güte Gottes zu sein bestimmt war, son­dern die Wirkung in den Christen selbst sollte demselben Zwecke dienen. Andere das zu lehren, was sie selbst praktisch verleugneten, war die Sünde der natürlichen Zweige (siehe Röm 2). Es konnte nicht der Zweck Gottes sein, daß die Chri­sten, nachdem sie statt der herausgeschnittenen Zweige ein­gepfropft waren, die Offenbarung der Güte Gottes der Lehre nach verkündigen sollten, während sie in ihrem Wandel und in ihren Werken diese Offenbarung verleugneten. Daher finden wir auch, daß der Herr, sowie die Apostel das größte Gewicht auf die Offenbarung der Gnade Gottes durch einen lebendigen, praktischen Wandel legen. „Ihr seid das Licht der Welt". „Eine Stadt, die auf dem Berge liegt, kann nicht ver­borgen sein. Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in dem Himmel ist, verherrlichen". „Hierin wird mein Vater verherr­licht, daß ihr viel Frucht bringt". „Wandelt iror würdig des Evan­geliums des Christus"! „Auf daß ihr tadellos und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes, inmitten eines verdrehten und

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 verkehrten Geschlechtes, unter welchem ihr scheinet als Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens". — Es würde leicht sein, noch viele solcher Schriftstellen anzuführen und dadurch zugleich dem Leser die Frage auf das Gewissen zu legen, ob wir (d. h. das bekennende Christentum im allgemei­nen) in dieser Beziehung Gott verherrlichen und als Lichter in der Welt scheinen. Wir wollen jedoch diese Frage noch verein­fachen, um leichter eine bestimmte Antwort geben zu können. Es war das Wohlgefallen unseres hochgepriesenen Herrn, uns in der ausgedehntesten Art verstehen zu lassen, in welcher Weise wir die Welt hätten davon überzeugen können, daß der Vater Ihn gesandt habe. Er hatte vorher zu Seinen Jüngern gesagt: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt". Aber in der Schrift-steile, auf die ich mich hier besonders beziehe, ist es der Vater Selbst, zu Dem der Herr spricht. Auch ist es nicht allein für die Apostel, oder für die damals lebenden Jüngern, wofür Er bittet, denn Er sagt: „Ich bitte nicht für diese allein, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben, auf daß sie alle eins seien, gleichwie du Vater in mir, und ich in dir, auf daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, daß du mich gesandt hast" (Joh 17, 20. 21). Sicher sollte die Einheit unter den Jüngern des Herrn, für die Er bittet, eine sichtbare Einheit sein. Wie würde sie sonst einen Einfluß auf die Welt ausüben und dieselbe veranlassen können zu glauben, daß der Vater Ihn gesandt habe?

Nun denn, eine solche Einheit bestand in der ersten Zeit des Christentums. „Die Gläubigen waren alle an einem Ort bei­sammen". — „Die Menge derer aber, die gläubig geworden, war ein Herz und eine Seele" (Apg 2, 44; 4, 32). In jenen Tagen gewahrte man, wenn auch nur für eine kurze Zeit, so­wohl im Wandel, als auch in der Lehre die Offenbarung jener Güte Gottes, die das Christentum verkündigen sollte. Ist nun das Christentum in dieser Hinsicht an der Güte Gottes ge­blieben? Ich spreche jetzt nicht von der sogenannten römischen Kirche. Sie macht auf Erden Anspruch auf sichtbare Einheit. Was der Charakter und Wert dieser Einheit ist, werden wir später zu beantworten suchen. Wer aber vermag in der großen Wiederbelebung des Lichts des Evangeliums in der Reforma­tionszeit (einer Gnade, für die wir Gott nicht genug danken

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 können) irgendeine Zurückführung zu dem ursprünglichen Standpunkte der Kirche hinsichtlich der sichtbaren Einheit zu finden? Ach, meine Brüder! es ist, — wie demütigend auch die Anerkennung sein mag — unmöglich zu leugnen, daß, wohin auch das Licht hell geschienen, eine Spaltung nach der anderen entstanden ist. Ich sage nicht, daß die Spaltungen das Resultat des Lichts waren, das zur Zeit der Reformation hell zu scheinen begann. Das sei ferne; aber daß diese Spaltungen dem an­brechenden Lichte auf dem Fuße folgten, wer würde es zu leugnen wagen? Wenden wir bei der Frage, ob wir an der Güte Gottes geblieben sind, einmal unsere Blicke von der römi­schen Kirche ab, und betrachten wir nur jenen Teil der Chri­stenheit, wohin das Licht der Reformation seine Strahlen ge­worfen hat — würde gesagt werden können, daß die Gläubigen inmitten dieser Grenze so ersichtlich eins sind, daß die Welt zu der Anerkennung, der Vater habe den Sohn gesandt, ge­zwungen ist? Ach! ist es nicht im Gegenteil unleugbar, daß unsere offenbaren und unzähligen Spaltungen von Anfang an die Schmähungen der römischen Kirche und die Einwendungen der Gottesleugner unserer Zeit hervorgerufen haben, indem man von uns verlangt, untereinander einig zu sein, bevor wir eine Unterwürfigkeit des Herzens und eine Erkenntnis der Offenbarung des Wortes Gottes beanspruchen können.

 Frei­lich vermögen weder die Schmähungen der römischen Kirche, noch die Entschuldigungen des Unglaubens die Verantwortung, auf die Stimme Gottes zu hören, vom Menschen hinwegzu­nehmen; aber sind wir deshalb weniger schuldlos? Wir hätten durch unsere Einheit ein Licht sein sollen, um die Menschen zu Christo zu ziehen. Statt dessen sind wir wegen unserer Spal­tungen ein Stein des Anstoßes auf ihrem Wege. Wohl ist es wahr, daß nur der strauchelt, welcher, um Christum zu ver­werfen, einen Vorwand sucht. Aber sind wir deshalb weniger zu verurteilen, indem wir denen, die einen Vorwand suchen, einen solchen bieten? Ich spreche nicht über die Ursachen unserer Spaltungen, auch nicht über ein Heilmittel dagegen; ich spreche über eine unleugbare Tatsache, auf die ich die ernste Aufmerksamkeit meiner Brüder unter Gebet hinlenken möchte. Es ist nutzlos, die Schuld von sich ab und auf andere zu schie­ben. Wir alle sind verantwortlich dafür; es ist unsere gemein­schaftliche Sünde, unsere gemeinschaftliche Schande. Zugleich

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 aber ist es unzertrennlich verbunden mit dem ernsten, un­widerruflichen Ausspruch: „Gegen dich die Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst; sonst (dies ist auf uns anwendbar)

wirst auch du ausgehauen werden".

Die römische Kirche macht in der Tat Anspruch auf Einheit und rühmt sich derselben als einer ihrer Hauptansprüche zu allgemeiner Anerkennung und Würdigung. Was aber ist die Einheit, worauf sie stolz ist? Ist es die Einheit des Geistes, jene heilige Einheit, für die der Erlöser Seine Fürbitte erhebt! Diejenigen, um derentwillen der Herr eine wirkliche und offen­bare Einheit erbittet, sind vorher von Ihm beschrieben worden. Hören wir Sein Wort: „Ich habe deinen Namen geoffenbart den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast". Sie waren Ihm also aus der Welt gegeben. Und weiter: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt weil sie nicht von der Welt sind, gleich wie ich nicht von der Welt bin". „Gerechter Vater! und die Welt hat dich nicht erkannt . . . und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast". Sie, um deren Einheit Jesus den Vater bittet, sind, inmitten einer Welt, die weder den Vater noch den Sohn kennt, von dieser Welt abge­sondert durch die lebendige Erkenntnis des Vaters und des Sohnes. Sie sind so wenig von der Welt, wie Jesus es war, und überdies Gegenstände des Hasses der Welt, wie es auch ihr Meister war. Jenen, die den Herrn aufforderten, sich der Welt zu zeigen, hatte Er geantwortet: „Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit aber ist stets bereit. Die Welt kann euch nicht hassen, mich aber haßt sie, weil ich von ihr zeuge, daß ihre Werke böse sind" (Joh 7, 6. 7). Und in diesem Seinem Charakter er­blickt Er die Seinen, um deren Einheit Er bittet. Wie wenig entspricht die Kirche in unseren Tagen dieser Bitte! Wie ganz anders war der Zustand, wenn wir lesen: „Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volke; und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salo-mons. Von den Übrigen aber wagte es keiner, sich ihnen anzu­schließen, sondern das Volk erhob sie. Aber immer mehr Gläu­bige wurden dem Herrn hinzugetan, eine Menge, sowohl Männer als Weiber". Da war eine Anziehungskraft, der nie­mand zu widerstehen vermochte, — das Volk erhob sie. Zu­gleich aber offenbarte sich unter den Gläubigen so augen-

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scheinlich die Gegenwart Gottes, daß sich von den Übrigen niemand anzuschließen wagte. Nur Gläubige, die dem Herrn hinzugefügt wurden, schlössen sich der Versammlung an, und alle bildeten eine Einheit. Kann sich die römische Kirche einer solchen Einheit rühmen? Ist es nicht vielmehr eine Einheit, die dadurch gewirkt und unterhalten ist, daß, indem ganze Natio­nen im Namen Christi getauft werden, um sie der Kirche ein­zuverleiben, die Welt selbst als die Kirche betrachtet wird. Statt eine Einheit der Gläubigen mit dem Vater und dem Sohne, ist es eine Einheit der Welt unter einer christlichen Form, eine Einheit derer, die anstatt wie Christus gehaßt zu werden, selbst die Welt bilden und die Hasser und Verfolger derer sind, die in Wahrheit den Namen Christi bekennen.

Aber fragen wir uns ernstlich: Ist die römische Kirche die einzige Form des Christentums, die die Grundsätze der Vereini­gung mit der Welt zur Schau trägt? Der Christus, mit dem die ersten Christen eins waren, war ein von Menschen verworfener Christus. „Wer nun irgendein Freund der Welt sein will,' stellt sich als Feind Gottes dar" (Jak 4, 4). Liegt die Sünde nicht vor der Tür überall im Christentum? Ach! wer von uns ist in dieser Beziehung rein? Ist es nicht Vereinigung mit der Welt, anstatt Trennung von ihr, was die Masse des Christentums kennzeich­net? Und was wird das Ende dieser Dinge sein? Unsere Schrift­stelle antwortet: „Gegen dich die Güte, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten werden".

Und nun, mein Leser, richte ich die Frage an dich: Kann noch ein Zweifel bestehen in bezug auf die drei Punkte, die wir betrachtet haben? Wäre die Kirche geblieben, was sie früher wiar, nämlich die herrliche Zeugin der freien Liebe Gottes gegen verlorene Sünder — hätte sie in der Tätigkeit der Liebe und der Kraft des Heiligen Geistes ihre Mission ausgeführt, die Liebe Gjottes jedem Geschöpf zu verkündigen — hätte sie fortge­fahren, durch ihre geoffenbarte Einheit der lebendige Aus­druck dieser Liebe zu sein, und hätte sie endlich ihre heilige Absonderung von der Welt bewahrt, wie Christus es während Seines Dienstes und Zeugnisses auf Erden tat, — dann würden sie an der Güte Gottes geblieben sein. Wir haben aber gesehen, daß während vieler Jahrhunderte die große Masse derer, die den Namen Christi tragen, selbst hinsichtlich der Lehre die

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 Güte Gottes leugnen. Anstatt alle Menschen mit dieser Güte bekanntzumachen, sind wir mit anderen Dingen beschäftigt, so daß der Mammon in einem Jahre mehr Pilger im Suchen nach Gold aufweisen kann, als der christliche Eifer im Suchen der Seelen während vieler J ahrhunderte. Anstatt durch unsere Ein­heit Seelen zu Christo zu führen, schrecken unsere Spaltungen sie zurück und geben Veranlassung zum Straucheln und zum Wi­derstreben. Die Folgen sind daher unabwendbar. Das Urteil ist ausgesprochen und kann nicht widerrufen werden. Das Aus­schneiden wird stattfinden müssen. „Auch du wirst ausge­schnitten werden". Welch ein Urteil! Wie sehr unterscheidet es sich von den Hoffnungen auf zunehmendes Licht, auf Fort­schritt und Segen, mit denen so viele Christen schmeicheln! Wie schrecklich wird die Überraschung sein, wenn einmal die traurige Wirklichkeit die Stelle der Träume einnehmen wird! „Darum, ja darum, daß sie mein Volk irreführen und sprechen:

Friede! obwohl kein Friede da ist und baut dieses eine Wand, siehe, sie bestreichen sie mit Tünche, sprich zu den Übertün­chern, sie soll fallen; es kommt ein überschwemmender Regen . . . Und siehe, ich will abbrechen die Mauer, die ihr mit Tünche bestrichen habt . . . und sie soll fallen, und ihr werdet in ihrer Mitte umkommen, und ihr werdet wissen, daß ich Jehova bin" (Hes 15, lo. 14). Freilich waren diese Worte über die Pro­pheten Israels ausgesprochen, welche über Jerusalem prophe­zeiten und Gesichte des Friedens bezüglich der Stadt sahen, wenn kein Friede in ihren Mauern war. Doch gilt nicht auch uns die Warnung? Wenn Gott sagt, daß das Christentum aus­geschnitten werden soll, der Mensch hingegen, daß es immer mehr blühen wird, bis die ganze Welt bekehrt und das tausend­jährige Reich eingeführt ist, ist dann diese dem Christentum vorgespiegelte, falsche Hoffnung weniger vor Gott verwerflich, als die Handlung der falschen Propheten? Wird eine mit Tünche überstrichene Wand in unseren Tagen haltbarer sein, als damals? Sagt nicht der Herr über den Tag des kommenden Gerichts, daß er kommen werde wie ein Dieb über alle, die auf der Erde wohnen? Und sagt uns nicht Paulus: „Wenn sie sagen werden: Friede und Sicherheit! so wird ein plötzliches Ver­derben über sie kommen, wie die Geburtswehen über die Schwangere, und sie werden nicht entfliehen"? Traf nicht der Zusammensturz Babylons gerade in dem Augenblick der stol-

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zesten Höhe seiner eingebildeten Sicherheit ein? „Sie sagt in ihrem Herzen: Ich sitze als eine Königin und Witwe bin ich nicht und werde Trübsal nicht sehen. Deshalb werden ihre Plagen kommen an einem Tage, Tod und Traurigkeit und Hun­gersnot, und sie wird verbrannt werden mit Feuer, denn stark ist der Herr, Gott, der sie richtet". Und ist das an Sardes (Offb 5) gerichtete Wort nicht ebenso ernst: „Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde"! „Wer ein Ohr hat, der höre"!

Wir dürfen jedoch die Erwartungen der wahren Kirche Christi nicht mit dem bevorstehenden Gericht des Christentums ver­mischen. Bevor die Sündflut über die schuldigen Bewohner der alten Welt kam, wurde Henoch gen Himmel aufgenommen, während Noah durch die mächtigen Fluten hindurch kam, um die Erde wieder zu bevölkern und herzustellen. Bevor Sodom durch Feuer zerstört wurde, befand sich Abraham fürbittend in Gemeinschaft mit Gott, während Lot aus dem Verderben errettet wurde. Nachdem die meisten der natürlichen Zweige in Folge ihres Unglaubens ausgeschnitten waren, blieb ein Überrest nach Wahl der Gnade, die zusammen mit den Gläu­bigen aus den Heiden zu einem Leibe vereinigt wurden — zu dem auserwählten Leib, auf dessen Vollständigkeit Gott war­tet, bevor Er aufs Neue beginnt, im Gericht mit dieser Welt zu handeln. Sicher werden die schwersten aller Gerichte das Chri­stentum treffen wegen seines Nichtbleibens an der Güte Got­tes. „Jener Knecht, der den Willen seines Herrn weiß und sich nicht bereitet, noch seinen Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden". Bevor jedoch das Gericht über das Christentum hereinbricht, wird die wahre Kirche, wie Henoch, zum Himmel aufgenommen sein. Die natürlichen Zweige — ein Überrest aus den Juden — werden, wie Noah und Lot, durch alle kommenden Gerichte hindurch bewahrt und in ihren eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden. Diese mit vielen übriggebliebenen Heiden werden die Bevölkerung des tausendjährigen Reiches bilden, ^iber die Christus und Seine verherrlichten Heiligen regieren werden.

Am Pfingsttage und während einer kurzen Zeit nachher waren die wahre Kirche und das Christentum gleichbedeutend. Doch

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 der Feind hat Unkraut unter den Weizen gesät; reißende Wölfe sind eingedrungen und haben der Herde nicht geschont. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit, schon zur Zeit der Apostel wirksam, hat fortgewirkt, und die Folge davon ist, daß das Christentum nicht an der Güte Gottes geblieben ist. Trolzdem hat jedoch die wahre Kirche nicht aufgehört zu bestehen. Alle, die durch Gnade lebendig gemacht und gläubig geworden sind an Christum Jesum, bilden den Leib Christi, in dem der Heilige Geist wohnt. Das Ausschneiden des Christentums kann daher nimmer das Leben auch nur eines der Glieder dieses auser­wählten Leibes, der Braut Christi, berühren. „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht ver­loren und niemand wird sie aus meiner Hand rauben". — „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben". — Wie aber sollen wir diese köstliche Gewißheit des ewigen Lebens anwenden? Gewiß nicht, um uns gegen jene Übel zu entschuldigen, oder Nachsicht mit denselben zu haben, die die schwersten Gerichte Gottes nach sich ziehen werden. Nein, wir sollen uns der unumstöß­lichen Gewißheit erfreuen, daß wir mit unserm Haupte und Bräutigam in der Herrlichkeit sein werden, die der Vater Ihm gegeben hat. Laßt uns dafür um so dankbarer sein, da wir das Ende der Welt, — einer christlichen Welt, wie sie sich selbst nennt — kennen; laßt uns aber auch nicht vergessen, daß „jeder der diese Hoffnung zu ihm (zu Christo) hat, reinigt sich selbst, gleich wie er rein ist". Der Herr schenke uns die volle, heili­gende Kraft der himmlischen Hoffnung, die uns durch Seine freie Gnade zuteil geworden ist!

Wir sind 'in gewisser Hinsicht einsgemacht mit dem Christen­tum durch ein gemeinsames Bekenntnis der christlichen Lehre, jedoch um das kommende Gericht zu sehen und uns deswegen vor Gott zu demütigen. Als Josia vernahm, daß das über Israel und Juda verhängte Gericht nicht abgewandt werden konnte, so demütigte er sich vor dem Herrn, obwohl ihm persönlicher Schutz zugesichert war. Die Gerichte konnten nicht abgewandt werden, aber die Bußfertigkeit Josias ward von Gott völlig anerkannt. „Weil dein Herz weich geworden und du dich ge­demütigt hast vor Gott . . . siehe ich will dich sammeln zu deinen Vätern . . . und deine Augen sollen all das Unglück

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 nicht ansehen, das ich über diesen Ort und über seine Bewoh­ner bringen werde" (2. Chr 54, 27. 28). Unsere Hoffnung ist nun nicht, durch den Tod, sondern durch die Aufnahme der Gläubigen von der Stätte des Gerichts entrückt zu werden. Sicher aber kann die Wirkung einer solchen Hoffnung das Herz nicht gleichgültig machen gegenüber der Schmach, die dem Namen des Herrn durch die Sünden derer zugefügt wird, die — sei es in Wirklichkeit oder der Form nach — diesen Namen tragen. Wir gehören jenem Christentum an, dem Christus — während Seiner Abwesenheit — Seinen Namen anvertraut hat. Können wir uns weigern, unsere Häupter mit Scham zu beugen, uns zu demütigen und Ihn zu rechtfertigen. Der bald als Rich­ter erscheinen wird, um die Ehre Seines Namens wiederherzu­stellen? Das Christentum mag Seine Herrlichkeit aus den Au­gen verloren haben. Er aber wird sie an das Licht stellen zur Verherrlichung Seines Vaters, zur Freude Seiner Heiligen, zur Verwirrung Seiner Widersacher und zur Erlösung Seiner ge­drückten, seufzenden Schöpfung. — Preis und Anbetung und Herrlichkeit Seinem Namen in Ewigkeit!

Die Entschuldigungen des Unglaubens

Das natürliche Herz strengt, wie seltsam dies auch scheinen mag, stets seinen Scharf sinn an, um Wege ausfindig zu machen, auf denen es der Annahme der größten Gabe, die ihm je ange­boten wurde, ausweichen kann. Sicher hat Satan seine Hand in diesen Entschuldigungen; denn „der Gott dieser Welt hat den Sinn 'der Ungläubigen verblendet, damit ihnen nicht aus­strahle der Lichtglanz des Evangeliums" (2. Kor 4, 4).

Der eine hält es für Anmaßung, eine solche Gabe, wie Christus, — eine Gabe, in deren Annahme die Vergebung und die Gunst Gottes, sowie unendliche Segnungen eingeschlossen sind, un­mittelbar und umsonst anzunehmen. Nach seinem eigenen, beschränkten Verstand beurteilt er die Liebe Gottes und be­denkt nicht, daß seine Entschuldigung nur Schein, Hochmut und gänzliche Unkenntnis betreffs seines verlorenen Zustandes

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 ist. — Ein anderer sagt: Mein Zustand ist von ganz außerge­wöhnlicher Art. Wenn Christus einen Menschen, wie ich bin, annähme, so würde das ein unvergleichlicher Akt von Gnade sein. — Aber war der Zustand, in dem sich die vor dem Roten Meer stehenden Israeliten befanden, nicht von ganz außer­gewöhnlicher Art, und mußte nicht ein unvergleichliches Er­eignis zu ihrer Rettung stattfinden? Aber auf die Gültigkeit des Zeugnisses des Herrn hin. Der in Seinen Hilfsmitteln un­erschöpflich ist, erwarteten sie Seine Rettung. Sie glaubten den Worten des Herrn, und ihre Rettung war da. Sie hatten richtige Gedanken von der Liebe Gottes. — Ein Dritter spricht von den Schwierigkeiten auf dem Wege. Er glaubt, gleich den Kund­schaftern und dem Volke in 4. Mos 15, die „Söhne Enaks" und die „Städte mit himmelhohen Mauern" zu erblicken, gegen die er wie eine „Heuschrecke" ist. Aber er vergißt, daß der Herr stärker ist als alles, und die Städte nicht so hoch sind, wie der Himmel, daß Gott es übernimmt, die Schwierigkeiten hinwegzuräumen, und daß für den Glauben sich Gott zwischen ihm und den Umständen befindet. Man schaue auf das kana-näische Weib! Auch sie hatte Schwierigkeiten; aber sie über­wand sie alle bei dem Gedanken an die Person und an die Hilfsmittel des Herrn. Sie erprobte die Tiefe des Erbarmens im Herzen Jesu, und sie erwarb ihrer Tochter Rettung aus schrecklichem Übel, indem sie alle ihre Schwierigkeiten in die Tiefen Seiner Vollkommenheiten versenkte. — Ein Vierter sagt:

„Wie aber könnte Gott einem so großen Sünder, wie ich bin, vergeben"? Es ist die Sprache des armen Fischers Petrus: „Gehe von mir hinaus Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch". Aber ist das nicht der Weg, auf dem die Worte des Herrn ange­zweifelt und die Tiefe der Quelle göttlichen Erbarmens geleug­net werden, indem man sich dem Verderben in die Arme stürzt? Der Apostel Paulus gibt uns für diese Frage eine deut­liche Antwort, wenn er sagt: „Er kam, um Sünder zu erretten, von denen ich der Vornehmste bin". — Ein Fünfter deutet auf die Gefahr einer falschen Sicherheit, eines trügerischen Selbst­vertrauens und einer verwerflichen Übereilung und Selbst­täuschung hin. Es ist wahr, Täuschungen sind vorgekommen, wie z. B. bei Simon dem Zauberer. Aber solche Fälle sollten nur die Wirkung haben, uns vorsichtig zu machen. Ebenso war der Tod Ussa's (2. Sam 6) nicht bestimmt zu hindern, daß die

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 Bundeslade auf dem rechten Weg hinaufgebracht wurde, son­dern nur um diejenigen zu bewahren, die Teil nahmen an dem rechten Weg. Darum, mein Freund, fasse die Bundeslade an; aber fasse sie an mit Ehrfurcht. Sich zu weigern, Christum zu erfassen, ist der höchste Grad von Geringschätzung und der gröbste Irrtum; denn es heißt, sich trennen von der unaus­sprechlichen Gabe Gottes. — Ein Sechster endlich macht die Ein­wendung, daß der Weg der Erlösung unmöglich so einfach und glatt sein könne. Aber welche Worte sind wohl so tief und erhaben, als die Worte Christi? Und dennoch wie einfach und schlicht sind sie! Welch eine Kraft liegt in dem Ausspruch:

„Durch ein Opfer hat er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden"! Der Glaubende ist im Besitz alles dessen, was die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes befriedigt. Das ist ein einfacher, aber auch der einzig richtige Weg. — Wenn man das Wort Entschuldigung überhaupt betrachtet, so sieht man schon etwas Böses darin, obwohl es im bürgerlichen Leben Entschul­digungen gibt, die ihre Berechtigung haben. Nicht so ist es, wenn der Mensch Gott gegenüber Entschuldigungen macht, sie sind alle grundlos und pharisäisch. Betrachten wir nur das Wort „Entschuldigung" — man will sich ohne Schuld hinstellen und von der Schuld los, also schuldlos machen — und bei genauer Prüfung findet man, daß der sich Entschuldigende die Schuld auf einen andern, das ist auf Gott Selbst schiebt. Ich meine nicht die Sündenschuld, um verstanden zu werden, son­dern die Ursache, warum man die Gnade Gottes nicht sucht, erfaßt oder annimmt. Gott ist vollkommen rein; der Mensch aber, wenn er Entschuldigungen macht, sucht sich rein zu machen, weil er unrein und unaufrichtig ist; das ist Pharisäer­tum. Würde man jeden, der sich entschuldigt, klar durchschau­en können, man würde bei manchem Sünden erblicken, die er nicht aufgeben will. Möchte jeder, der bis jetzt die eine oder andere Entschuldigung vorbrachte, sich vor Gott stellen und prüfen, woran die Schuld liegt; er wird bald finden, daß er unaufrichtig war und wegen dieser oder jener Sache nicht wahr­haftig sein wollte. Der Herr Jesus sucht die Verlorenen und wenn ein Verlorener den Herrn sucht, so werden beide bald zusammentreffen.

Laß daher alle Entschuldigungen fahren, mein Leser. Komm zu Jesu; Er ruft dich! Komm, wie Petrus auf dem Wasser kam als

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 er die Stimme seines Meisters hörte. Komm; denn Jesus hat nicht nur die Macht, sondern auch den Willen dich zu retten. Er sagt: „Kommet her zu mir, ich will euch Ruhe geben". —

„Friede euch"!

Lukas 2.4, 56—55

Welch eine große und gesegnete Sache, wenn jemand kommen und mit göttlicher Autorität sagen kann: „Friede euch"! Nur Christus hat ein Recht dazu. Aber es ist bemerkenswert, daß Er diese Worte erst dann sagte, nachdem Er gestorben und auferstanden war; denn vor dem Tode und der Auferstehung war kein Friede gemacht.

Das Wort Frieden ist von weit größerer Tragweite als das Wort Freude. Ich kann Freude haben, und dennoch können viele Dinge eintreffen, die mich zu gleicher Zeit beunruhigen; aber wenn ich Frieden mit Gott habe, so schließt dieses jede Unter­brechung aus. Der Herr sagte zu Seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Drangsal", und sie befanden sich in großer Traurig­keit, als sie Ihn verlieren sollten. Der zu ithnen sprach: „Euer Herz sei nicht bestürzt, auch nicht furchtsam"! Er war voll von Gnade, Güte und Barmherzigkeit; aber Er konnte nicht eher von Frieden sprechen, als bis die Stunde der Trennung an­gebrochen war. Dann aber bei Seinem Weggange hören wir die Worte: „Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch" !*) Und nach Seiner Auferstehung aus den Toten kommt Er und verkündigt Frieden mit Gott und Frieden von Gott als eine gegenwärtige Sache. Er war weder unbekannt mit der Forderung Gottes noch täuschte Er Sich betreffs des Zustandes des Menschen. Er konnte sagen: „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, denn der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist" (Joh 5, 15). Er konnte ebensowohl verkündigen, was die Natur Gottes for­derte als auch dasjenige, was im Menschen war; und in dieser vollkommenen Kenntnis von allem konnte Er den armen, un­wissenden Jüngern nahen mit den Worten: „Friede euch"!

*) In dem 13. bis zum 17. Kapitel des Evangeliums Johannes blickt der Herr über das Kreuz hinaus.

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 Es ist eine große Sache, nicht nur Gnade und eine zärtliche Güte, sondern auch Frieden unmittelbar vom Herrn Selbst zu empfangen. Viele Seelen haben die Freundlichkeit Christi ge­kostet und sind dadurch angezogen worden; und dennoch wagen sie nicht zu sagen: „Ich habe Frieden mit Gott". Gott sieht, was wir sind; Er kennt alle Ratschläge unserer Herzen. Er durchschaut uns ganz und vollkommen; und dennoch sollen wir uns in Seiner Gegenwart ohne Vorhang befinden. Unter dem Gesetz war dieses nicht der Fall; dort war ein Vorhang, der Gott dem Menschen verbarg. Selbst die Priester durften nicht die Stätte der Gegenwart Gottes betreten, „wodurch der Heilige Geist dieses anzeigt, daß der Weg zum Heiligtum noch nicht geoffenbart sei" (Hebr 9, 8). Nur der Hohepriester ging jährlich einmal ins Allerheiligste.

Es gab ein von Gbtt ausgegangenes Gesetz, das von dem Men­schen das forderte, was er hätte sein sollen; aber Gott war hinter dem Vorhange verborgen. Das ist jetzt die Stellung eines Unbekehrten. Aber mancher bekehrte Mensch meint, daß er auf den Zustand, worin er sich befindet, zu blicken habe, und daß eine Zeit anbreche, wo er vor Gott stehen und er dann erfahren werde, was sein Los sei. Das aber ist Gericht und nicht gegenwärtiger Friede. Gott schreibt dem Menschen keinen Wandel vor, der beurteilt werden wird, wenn er zu Ihm kommt, sondern offenbart eine gegenwärtige Glückseligkeit, um durch das Werk Christi die Seelen in Seine Gegenwart zu bringen.

Wenn mein Gewissen sich in der Gegenwart Gottes, wo alles vor Ihm bloß und aufgedeckt ist, befindet, 50 kommt nur das in Betracht, was ich vor Gott bin und wie ich vor Ihm bestehen kann. Ist das Gewissen in der Gegenwart Gottes, so tritt es in ganzer Klarheit vor die Seele, daß wir alle Sünder sind und den Forderungen Gottes nicht entsprochen haben. Gott durch­schaut dich durch und durch, mein Leser — willst du gefühllos in deinen Sünden vorangehen7 Du hast das Gesetz nicht ge­halten; es ist für „Gesetzlose" und „Zügellose" gegeben und verurteilt jeden bösen Gedanken in deinem Herzen. Liebst du deinen Nächsten wie dich selbst? Du weißt es, daß du es nicht tust; du fühlst z. B. den Verlust des Vermögens deines Näch­sten nicht so tief wie deine eigenen Verluste. Wohlan, das

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 Gesetz sagt daß du unter dem Fluche bist/ denn du liebst deinen Nächsten nicht wie dich selbst? Niemand tut es. Die Welt würde eine Art von Paradies sein, wenn die Menschen ihre Nächsten liebten wie sich selbst; aber sie tun es nicht.

Das Gesetz fordert dich auf, Gott von ganzem Herzen zu lieben; aber niemand liebt Gott von ganzem Herzen. Dieses von sich zu glauben, ist eitle Täuschung. Wir haben Begierden in unserem Herzen. Das Gesetz sagt: „Verflucht ist, wer nicht hält alles, was geschrieben ist im Buche des Gesetzes, und es tut". Muß ich nicht meinen Nächsten lieben wie mich selbst? Allerdings. Das Gewissen kann das Gesetz Gottes nicht ver­werfen; aber das Gesetz läßt erkennen, daß ich verwerflich bin, weil ich es nicht gehalten habe.        \

Jemehr wir diese Dinge und uns selbst betrachten, desto mehr erkennen wir, daß es in der menschlichen natürlichen Regung keinen Gegenstand gibt, den es nicht Christo vorzöge, weil es Seiner nicht begehrt, selbst wenn er dem Herzen dargestellt würde. Natürlich rede ich hier vom Herzenszustande derer, die sich Christen nennen, und nicht von denen, die Christum äu­ßerlich verwerfen.

Wählen wir noch ein anderes Beispiel: lassen wir einen Men­schen, dessen Gewissen nicht erwacht ist, einige Stunden allein, und er wird sich mit seinen Sorgen oder mit seinen Vergnü­gungen beschäftigen; aber nimmer wird er an Christum den­ken. Christus hat durchaus keinen Platz in seinem Herzen.

Sobald Gott Sich offenbart, erkennt der Sünder, daß es ein kommendes Gericht gibt, und er fragt: „Wie werde ich ent­rinnen"? Er wird arbeiten und sich abmühen, um besser zu werden; aber bei all seiner Arbeit und Mühe findet er, daß böse Lüste und Begierden in seinem Herzen sind. Er muß be­kennen: „Das Wollen ist bei mir, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, finde ich nicht" (Röm 7, i8). Wenn er Sünde hat und keine Kraft, ihr zu widerstehen, so ist das eine schlechte Aussicht für das Gericht. Die Frage ist dann nicht nur, was er ist, sondern was Gott ist. In die Gegenwart Gottes gebracht, sieht er, daß das Auge Gottes auf ihm ruht; und er hat das Bewußtsein, daß er etwas haben muß, was ihn reinigt und für Gott passend macht.

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 Es ist nutzlos, wenn ich zu Gott komme, mich nach einer Hilfe umzusehen; ich bedarf der Rechtfertigung und nicht einer Hilfe. Die Menge meiner Sünden ist zu groß, als daß irgend­eine Hilfe mir nützen könnte. Das ist der Platz, auf den Gott einen Menschen bringt. Meine Sache muß mit Gott in Ordnung gebracht sein; ich bedarf einer vollkommenen Gerechtigkeit.

Der Sünder sieht, daß das Auge Gottes auf ihm ruht; und wenn er gelernt hat, was er in sich selbst ist, so ist es ihm klar, daß er etwas nötig hat, das ihn vor Gott reinigt und ihm Frieden in Dessen Gegenwart verleiht, und zwar ohne daß dadurch die Heiligkeit Gottes in etwa verringert wird. Unmög­lich könnte er sagen: „Ich wünsche, daß Gott weniger heilig sei, um mich in den Himmel einlassen zu können". 0 nein. Er hat es mit Gott zu tun; darum muß er für die Gegenwart des Heiligen Gottes passend sein. Diese Erfahrungen und Her­zensübungen werden die Wirkung haben, ihn als einen Sünder in die Gegenwart Gottes zu bringen und ihn als einen Sünder Frieden mit Gott — mit Ihm, Der Sünde nicht dulden kann — finden zu lassen.

Du mußt daher, mein Leser, zu Gott nahen geradeso, wie du bist. Gott sieht in deinem Herzen jede Befleckung, von welcher Art sie auch sein mag. Ebenso war es mit dem verlorenen Sohn. Als er seine Reise antrat, fühlte er sich unwürdig, als ein Sohn betrachtet zu werden; und was war die Folge? In seinen Lum­pen trat er in die Gegenwart des Vaters. Er sah sich nicht nach irgendeiner Hilfe um; erwacht aus seinem Sündenschlafe, eilte er zum Vater geradeso, wie er war — in seinen Lumpen.

Das ist der Weg, den jeder Sünder einschlagen muß. Jetzt handelt es sich einfach um die Frage: Wie konnte er im Vater­hause sein, nachdem er sein Vermögen in Ausschweifung ver­geudet hatte? Antwort: Weil der Vater ihn mit dem besten Kleide bekleidete. Bist du passend für die Gegenwart Gottes? Mußt du diese Frage verneinen, mein Leser, so hast du keinen Frieden. Die Sünde ist zwischen dir und Gott. Aber verlangst du nach Befreiung von der Sünde und nach Frieden, dann nahe zu Gott, wie du bist, und Gott wird dich für Seine Gegenwart fähig machen.

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 Der Herr Jesus kannte und verstand die ganze Frage, um die es sich handelte; und Er konnte in die Mitte der Jünger treten und ihnen Frieden geben; denn Er hatte Frieden gemacht. Sie hatten Ihn als Seine Genossen auf Seinem Wege begleitet, „Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Ver­suchungen" (Lk 22, 28). Petrus hatte Ihn bekannt als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes; und der Herr hatte zu 'ihm gesagt: „Das hat dir Fleisch und Blut nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist". Aber dennoch hatten die Jünger keinen Frieden. 

Bei Seinem Scheiden ver­kündigte Er den Frieden; aber derselbe drang nicht in ihr Herz. Hätten sie Ihn nicht beim Worte fassen und sagen sollen: „Ja, nun haben wir Frieden"? Doch jetzt laßt uns sehen, wie Er ihre Herzen für diese Segnung öffnete. Ein schrecklicher Mo­ment war an ihnen vorübergezogen. Sie hatten Sein Kreuz nicht verstanden, und alle ihre jüdischen Hoffnungen waren ins Grab gesunken. Wie ergreifend mußte es daher für ihre Herzen sein, als sie ihren Herrn und Meister kurz nach Seiner Auferstehung plötzlich vor sich stehen sahen, und zwar ebenso gnadenreich, liebevoll und nahe, wie ehemals, als Er diese Welt durchschritt. Das Werk der Erlösung war vollbracht:

Gott war verherrlicht, der Teufel besiegt, der Sold der Sünde getragen und eine vollkommene Versöhnung zuwegegebracht. Der Herr Jesus konnte sagen: „Friede euch"! Nach vollbrach­tem Werke war es klar, daß Er in die Welt gekommen war, um verlorenen Sündern die Liebe Gottes anzukündigen. Er hatte Sein Kommen nicht verzögert bis zum Tage des Gerichts; Er hatte Sich nicht durch den Zustand des Menschen zurück­schrecken lassen, sondern war gerade dieses Zustandes iwegen zur Rettung vom Himmel gekommen. Der Mensch war aus dem Paradies, wohin Gott ihn gesetzt, vertrieben und hatte durch die Sünde jedes Band der Gemeinschaft mit Gott zer­rissen. Daher war Christus erschienen, um den Menschen dazu zu suchen, wohin die Sünde ihn gebracht hatte. Er kam zu suchen und zu erretten, was verloren war. Diesen Charakter verleugnete Er nimmer; und ebendeshalb setzte Er Sich der Anklage Seiner Feinde aus, welche sagten: „Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen", und denen Er die Antwort gibt: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Buße zu rufen".

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 In Lk 1'?, wo man diese Anklage gegen Ihn erhebt, verweilt Er .triumphierend bei dem Gedanken, daß Gott Selbst wider den Willen des Menschen in Gnaden handeln will, und in drei Gleichnissen stellt Er die Wahrheit ins Licht, daß es die Freude Gottes ist, den Sünder zurückkehren zu sehen. Wir sehen hier die Freude des Hirten über das Wiederfinden des Schafes, die Freude des Weibes über das Wiederfinden der Drachme, und die Freude des Vaters über die Rückkehr des Sohnes. Mag der ältere Bruder sich daran ärgern, der Vater handelt nach Seinem eigenen Willen.

So gewiß die Stunde des Gerichts heranrücken wird, ebenso gewiß handelt jetzt Gott am Tage des Heils in unumschränk­ter Gnade gegen den. Sünder. Er handelt nach Seinem Willen, mag der Mensch sein, was er will. Dieses tritt uns stets vor das Auge, so oft wir das Leben Christi hienieden betrachten. Das arme Weib in Joh 4 hatte in der Welt nichts als Mühe und Elend gefunden. Sie kommt allein, um Wasser zu schöpfen; sie ist zu Boden gedrückt durch Sünde, Elend und Sorge; aber am Brunnen findet sie jemanden. Der in der Welt noch ein­samer ist als sie selbst. Niemand stand so allein, niemand so ohne alle Sympathie wie der Herr Jesus; nirgends gab es ein Herz, das mit Ihm in Übereinstimmung war, selbst nicht ein­mal unter Seinen Jüngern. Dennoch waren Seine Gedanken stets mit dem Heil der Sünder beschäftigt, weil Seine Liebe immer bereit war, mitzufühlen und mitzuleiden. Darum sagt Er zu dem armen Weibe: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest, und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so wür­dest du ihn gebeten haben, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben". Wunderbare Gnade! Er, Der die Quelle geschaffen, erniedrigt Sich bis zu einer solchen Tiefe, um Sich von der Hand dieses elenden Weibes einen Trunk Wasser geben zu lassen. Dann öffnete Er, wie Er es immer tut, ihr Herz und Gewissen; und nachdem ihr Gewissen erreicht war und sie über alles dieses nachzudenken begann, hört sie das liebliche Wort:

„Ich bin es, der mit dir redet". Glückliches Weib! Sie läuft davon und ruft ihren Nachbarn zu: „Kommet, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe". So begegnet Er dem Zustande des Sünders; Er bietet Sich in Gnaden an, sobald ein Herz mit Aufrichtigkeit bereit ist. Ihn aufzunehmen.

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 Als Er nach Seiner Aurerstehung in die Mitte der Jünger trat und ihnen Sein „Friede euch!" zurief, waren sie anfangs „er­schrocken und in Furcht gesetzt"; aber Er spricht zu ihnen:

„Was seid ihr bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Sehet meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin; betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und als er dieses sagte, zeigte er ihnen die Hände und die Füße". Ja, Er war noch derselbe Heiland, Den sie einst gesehen — ebenso gnadenreich, wie Er es stets gewesen war. Wenn ich Christum in dieser Welt mit meinen Gedanken verfolge und Seine Güte sehe, mit der Er die Verlorenen suchte, um sie zu erretten, dann weiß ich, daß Er noch jetzt derselbe Jesus ist. Der dem zerknirsch­ten Sünder sagen läßt: „Sieh meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin". In Seiner Person ist Er ganz derselbe; und da Sein Werk vollbracht ist, kann Er dem Sünder Ruhe und Frieden geben. Er sucht das Vertrauen unserer Herzen zu wecken; Er will den Menschen für Gott wiedergewinnen, gegen Den derselbe gesündigt hat. Es ist schwer, mit Frei­mütigkeit vor das Auge Dessen zu treten. Den wir durch unsere Sünden verunehrt haben; daruni ist der gnadenreiche Herr so unablässig bemüht, um die Freimütigkeit wachzurufen.

Wie steht es mit dir, mein Leser? Wagst du es, zu Gott mit voller Freimütigkeit zu nahen? Kann dein Herz sagen: „Ich habe gesündigt und den Herrn verunehrt; aber ich habe Seine Gnade und Liebe erkannt und kann Ihm alles sagen, alles bekennen". Kannst du im Bewußtsein deiner Sünde und Unge­rechtigkeit mit einem Herzen voll Vertrauen zu Seiner Liebe vor Ihn hintreten?

Das Weib, wovon wir in Lk 7 lesen, wußte nicht, als sie sich zu den Füßen Jesu warf, daß sie Vergebung gefunden habe; aber sie liebte viel. Simon, der Pharisäer, hatte den Herrn zum Abendessen in sein Haus geladen; aber er gab Ihm weder Wasser für Seine Füße noch einen Kuß, während das Weib Seine Füße mit Tränen benetzte. Der Herr allein war der Ge­genstand, worauf ihr Auge ruhte; alles Übrige in der Welt hatte für sie in diesem Augenblicke keinen Reiz. Sie wußte nicht, daß ihre Sünde vergeben war; aber die Gnade Christi

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 hatte das Vertrauen ihres Herzens gewonnen, und das brachte ihre Gefühle in Tätigkeit. Sie konnte nicht in das Antlitz irgendeines ehrbaren Menschen schauen; aber sie konnte in das Antlitz des Sünderheilandes schauen und sich Seiner Liebe anvertrauen. Wenn das Licht Gottes 'das Gewissen eines Sün­ders erreicht, so sollte er sich über sich selbst schämen, wie dieses arme Weib es tat; aber er sollte auch gleich ihr mit dem­selben Vertrauen zu Ihm, dem Heiland der Sünder, eilen, der niemanden hinausstößt, der zu Ihm kommt, und Der so gern durch das süße Wort: „Deine Sünden sind dir vergeben" und „Gehe hin in Frieden" die Tränen der Buße trocknet.

Ist auch dein Herz bis zu diesem Punkte gebracht, mein Leser? Hast auch du je einmal gesagt: „Ich bin ein schuldbeladener Sünder; aber ich kann zu Ihm, dem auferstandenen Christus, gehen, wie das Weib einst zu dem auf Erden pilgernden Chri­stus ging". Wie Er einst zu den erschrockenen Jüngern sagte, so spricht Er auch jetzt: „Sehet, daß ich es selbst bin". Ich darf in Seine Gegenwart kommen und Ihm völlig vertrauen. Das ist die Wirkung, wenn Er einmal in Gnade erkannt ist.

Jetzt kommen wir zu einer anderen Wahrheit. Er starb auf dem Kreuze; Er ist für uns zur Sünde gemacht, bevor Er Frieden verkündigte; Er starb, um Frieden zu machen. Er lebte und offenbarte Gott den Sündern; Er starb vor Gott für Sün­der. Wenn Er kommt, um das Vertrauen unserer Herzen zu gewinnen, so geschieht es, weil Er zuerst unsere Sünden von uns genommen und Gerechtigkeit erworben hat.

Nirgends tritt uns der Haß Gottes gegen die Sünde in solcher Größe und solchem Ernst vor das Auge als auf dem Kreuze. Selbst nicht in dem gerechten Gericht der Gottlosen wird sich derselbe in einer solchen Fülle zeigen wie in dem Augenblicke, wo Christus den Kelch des Zornes trank und ihn so völlig leerte, daß wir nimmer einen Tropfen davon kosten können. Am Kreuz wurden alle Dinge mit Gott in Ordnung gebracht. „Er ist einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zum Wegtun der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst" (Hebr 9, 2.6}. Er trug die Sünde am Kreuz; jetzt trägt Er sie nimmermehr. An diese Wahrheit muß das Herz des Gläubigen sich klammern. Kein Christ kann sagen, daß Chri-

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 stus jetzt noch mit der Wegnahme der Sünde zu tun habe; Er hat „Frieden gemacht durch das Blut seines Kreuzes"; kein Wunder daher, daß der Gläubige Frieden hat. Ein jeder, der durch den Glauben mit Christo vereinigt ist, hat nicht nötig, seine Sünde zu verbergen, zu verdecken oder zu verheim­lichen, sondern steht vor Gott kraft des vollbrachten Werkes Christi und ist so weiß wie Schnee.

Der Gläubige hat nicht den Tag des Gerichts abzuwarten, um sein Los zu erfahren; denn in diesem Falle würde er rufen müssen: „Herr, gehe nicht mit mir ins Gericht"! Er hat die Schrecken des Gerichts zum voraus kennengelernt und die Liebe Christi, wovon das Kreuz den Beweis geliefert, gesehen und erkannt. Die höchste Handlung der Gnade Gottes, nämlich die Hingabe Seines Sohnes, hat den Grund zu einer ganz neuen Stellung gelegt. War nicht das Gericht Gottes gegen die Sünde das glänzendste Zeugnis, daß Gott die Sünde nicht dulden kann? Er hat gehandelt in betreff der Sünde und sie hinweg­getan. Am Kreuze zeigte sich kein Hingehenlassen, kein Ver­bergen der Sünde, im Gegenteil ist das Gericht Gottes gegen die Sünde geoffenbart worden. Gott verbarg die Sünde nicht, sondern richtete sie am Kreuze. Die ganze Frage in betreff der Sünde ist dort zwischen Christus und Gott erledigt worden, und zwar gemäß der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes.

 Nun kann Christus allen heilsbegierigen Seelen zurufen: „Friede euch"! Er hat Frieden gemacht, denn Er hat die Sünde getragen und sie hinweggetan. Gott hat Ihn aus den Toten auf erweckt; und das ist das Zeugnis und Siegel, daß Er das Werk Christi angenommen hat. Jetzt kann Christus sagen: „Ich war tot; aber siehe ich lebe"! und: „Sehet meine Hände und Füße, daß ich es selbst bin". Er aß und trank nach Seiner Auferstehung mit Seinen Jüngern in der gnadenreichen Absicht, um ihnen zu zeigen, daß Er Derselbe Jesu sei, nur mit dem Unterschiede, daß Er Frieden mit Gott gemacht hatte, seitdem sie Ihn ver­loren hatten. „Da öffnete er ihnen das Verständnis, daß sie die Schriften verstanden, und sprach zu ihnen: Also ist ge­schrieben, und also mußte der Christus leiden und am dritten Tage auferstehen aus den Toten, und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem" (V. 45. 46). — Er sandte sie zur Verkündigung des Evangeliums aus, weil Frieden gemacht war.

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 Wenn ich von meiner Sünde überzeugt bin, dann sehe ich, welch ein böses Herz ich habe, und daß in meinem Fleische nichts Gutes wohnt. Wohl mir aber, wenn ich dann durch die Gnade erkenne, daß das Blut Christi für mich geflossen ist und Er Frieden gemacht hat. Würde diese Ruhe in meiner Seele fehlen, so wäre das ein Beweis, daß ich Zweifel setzte in die Wirksamkeit des Werkes Christi. Wie aber könnte ich es wagen zu sagen, daß Gott dieses vollkommene Opfer nicht angenommen habe, und daß meine Sünden größer seien als der Wert des Blutes Christi?

Vielleicht könnte jemand sagen: „Ich zweifle nicht daran, daß das Werk Christi ein höchst gesegnetes ist; aber ich bin nicht gewiß, ob ich es angenommen habe". Es ist doch klar, daß eine Seele, die eine solche Sprache führt, das Werk angenommen hat; aber ihr Mißverständnis hindert sie am Genuß des Frie­dens. Die Liebe Gottes, die Christum gab, gewinnt das Herz; die Gerechtigkeit Gottes, die das Werk Christi angenommen hat, gibt den Frieden. Wählen wir 'ein Beispiel. Vorausgesetzt, ich hätte jemanden beleidigt. Später fühle ich Reue darüber, und um ein gutes Verhältnis wiederherzustellen, suche ich dem Beleidigten irgendeine Genugtuung zu verschaffen. Nimmt er diese an, so ist das ein Beweis, daß er zufriedengestellt ist. Wohlan denn — hat Gott die von Christo dargebotene Genug­tuung angenommen? Ich frage nicht: Hast du sie angenom­men? Gott war der beleidigte, verunehrte Teil; aber das Opfer Christi für unsere Sünden genügte Ihm völlig, um die heil­bringende Gnade allen Menschen anzubieten. Der Grund, auf dem der Friede ruht, ist der, daß Gott das Opfer Christi als eine gänzlich zufriedenstellende Genugtuung angenommen hat; und der Beweis dieser Annahme ist, daß Er Christum zu Seiner Rechten erhöht hat. Ist das nicht genug? Eine einfältige Seele ergreift diese köstliche Wahrheit mit dankbarem Herzen.

Der Apostel macht in Hebr 10 darauf aufmerksam, daß unter dem Gesetz der Hohepriester das Opfer für die Sünde stehend dargebracht und, weil die Sünde immer noch da war, alle Jahre diesen Dienst wiederholte, während Christus, „nachdem er ein Schlachtopfer für die Sünde dargebracht, sich für immerdar gesetzt hat zur Rechten Gottes". Also „für immerdar", be-

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 ständig, ununterbrochen hat Er, weil die Versöhnung eine voll­kommene ist, diesen Platz eingenommen, um dort allezeit für uns zu erscheinen und beständig unsere Gerechtigkeit in der Gegenwart Gottes zu sein, so daß wir kein Gewissen von Sünden mehr haben. Ich sehe also jede Frage in betreff der Sünde, die auf mir lag, gelöst/ wenn ich zu Gott emporblicke und Christum zu Seiner Rechten sitzen sehe. Ich kann nicht zu Gott gehen, ohne Christum dort zu sehen; ich kann Christo nicht begegnen, ohne zu erkennen, daß ich von Sünden ge­reinigt und „in ihm die Gerechtigkeit Gottes" geworden bin. Ich sage: „Ich bin von Natur ein schrecklicher Sünder, ein Feind Gottes". Gott sagt: „Das Blut Christi reinigt von aller Sünde". Du bist weiß wie Schnee. Gesegnete Wahrheit! Was wird die Wirkung sein? Mein Herz voll Frieden und Freude wird sich dankbar zu Seinen Füßen werfen; und Ihn durch einen gottseligen Wandel zu verherrlichen, wird meine Lust und Wonne sein. Sind wir im Lichte, so laßt uns wandeln nach dem Lichte, in das wir durch die Gnade gebracht sind. Möge die Welt Christum in uns erblicken! Wir sind nicht berufen, ein Brief des unschuldigen Adams oder des verlorenen Adams zu sein; nein, wir sind „ein Brief Christi". Christus ist sowohl unser Leben als auch die Richtschnur für unseren täglichen Wandel.

Betrachten wir nun noch zum Schluß, wo und wie Er uns zu­rückgelassen hat, nachdem Er gen Himmel gefahren ist. Er hatte nach Seiner Auferstehung Seinen Jüngern gezeigt, daß Er Derselbe gnadenreiche Heiland war wie vorher; dann hatte Er ihnen berichtet, daß „in seinem Namen Buße und Verge­bung der Sünden verkündigt werden sollte allen Nationen, anfangend von Jerusalem"; und endlich schloß Er mit den Worten: „Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber bleibet in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe" (V. 49).

Diese Verheißung ist erfüllt. Der Heilige Geist ist gekommen und hat in uns, die wir an den Namen Jesu glauben, Wohnung gemacht. Unsere Leiber sind die Tempel des Heiligen Geistes; wir sind Söhne Gottes. Die Gegenwart des Heiligen Geistes gibt Kraft und Weisheit. Er ist gekommen, nachdem Christus

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 gen Himmel gefahren war. Früher hatte Er Seine Wohnung nicht auf der Erde. „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit".

„Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, indem er sie seg­nete, schied er von ihnen und ward hinaufgetragen in den Himmel" (V. 50. 51). Welch eine innige Verbindung der Gläu­bigen mit Christo! Der erhabene Mensch, Dessen Hände und Füße die Jünger betastet haben, ist zum Himmel gegangen. Wie, ein Mensch im Himmel? Sicher, Er ist Gott über alles, hochgelobt in Ewigkeit. Aber auch als Mensch hat Er Seinen Platz im Himmel eingenommen. Ich schaue zu Jesu empor, und was sehe ich? Seiine Hände sind segnend über mich aus­gebreitet. Ja, ich sehe durch den Glauben jemanden im Himmel, der Frieden gemacht hat — eine göttliche Person; aber auch ein Mensch, der mich mit Seinen Segnungen überschüttet. Noch bin ich ein Pilger auf Erden; Er hat mich dort zurückgelassen, wo Er 'einst war. Ich freue mich, daß Er zum Vater gegangen ist; aber ich sehne mich. Ihn zu schauen. Der sterbende Heiland hat Frieden gemacht; der lebende Heiland betet für mich und segnet mich. Geprie&en sei Sein herrlicher Name!

Nun, mein Leser, glaubst auch du, daß Er Frieden gemacht hat? Vertraut dein Herz Seiner Liebe? Schaust du Ihn durch den Glauben, wie Er droben ist und dich segnet? Sehnst du dich gleich Ihm dem herrlichen Augenblick entgegen, wo Er wieder­kommen und dich in Seine Herrlichkeit einrühren will? —

Der Herr möge dein Auge leiten, um Ihn zu schauen und dein Verständnis mehren, um Seine Wege in Segnung und Gnade zu verstehen!

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 Wie sollen wir unsere Sünden bekennen?

1. Johannes l

Es ist nicht der Wille Gottes, daß Seine Kinder in Ungewißheit über irgend etwas bleiben, das mit ihrem geistlichen Leben in Verbindung steht. In deutlichen und einfachen Zügen hat Er uns den Zustand eines natürlichen Menschen vor Augen ge­stellt, nämlich als den eines Kindes des Zornes, tot in Sünden und Übertretungen; aber auch ebenso deutlich und einfach sind Seine Worte, wenn Er in Seiner Gnade von dem Wege der Errettung spricht. Dann wird uns gesagt: „Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen; daß ist das Wort des Glaubens, welches wir predigen, daß, wenn du mit deinem Munde Jesum als Herrn bekennen und in deinem Her­zen glauben wirst, daß Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst" (Röm 10, 8. 9). Und diese Errettung ist eine vollkommene, unmittelbare; denn „wer mein Wort hört", sagt der Herr Jesus, „und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, son­dern er ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen" (Joh 5, 24). Aus jener Atmosphäre, wo der Tod herrscht und wo das Gericht in Ausführung gebracht werden wird, ist der Glau­bende hinausgebracht, um für ewig sich seiner Errettung freuen zu können.

Aber die Erkenntnis unserer Errettung soll nicht das einzige sein, was wir zu besitzen wünschen; denn Gott will, daß Sein erlöstes Volk auch Gemeinschaft mit Ihm habe. Um aber in Gemeinschaft mit Gott zu stehen, sind zwei Dinge für die gefallenen Kinder Adams notwendig: die Grundlage, auf der   ^ diese Gemeinschaft ruhen sollte, mußte gelegt, und die Fähig­keit, wodurch sie genossen werden konnte, mußte erteilt wer­den. Für beides hat Gott in Seiner Weisheit gesorgt. Durch das Sündopfer ist jene Grundlage gelegt, und durch die Wiederge­burt ist uns jene Fähigkeit erteilt worden. Und jetzt kann nie­mand diese Grundlage hinwegnehmen; niemand vermag uns der neuen Natur, wenn sie einmal unser Teil geworden ist, zu berauben. Dennoch steht nicht jeder Heilige in beständiger

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Gemeinschaft mit Gott. Die Verbindung mit Gott, die Stel­lung als Kind bleibt zwar unverändert, aber der Genuß dieser Vorrechte ist bei dem einen Gläubigen größer als bei dem anderen. Durch das Fehlen in dem Wandel auf dieser Welt kann unsere Gemeinschaft mit Gott unterbrochen werden; denn Er, mit Dem wir diesen Umgang haben, ist ein Heiliger Gott; Er ist Licht und kann mit dem Bösen keine Gemeinschaft pflegen. „In ihm ist gar keine Finsternis". Bei Johannes war diese Gemeinschaft mit dem Herrn eine wirklich innige; er konnte sagen: „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesu Christo". Ja, er war von der Herrlich­keit dieser Gemeinschaft so erfüllt, daß er allen Heiligen wünscht, daß auch sie dieses Vorrechtes teilhaftig werden möchten. „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf daß auch ihr mit uns Gemeinschaft habet . . . und dieses schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei" (1. Joh 1. 3. 4). Aber um dieses Vorrecht zu genießen, muß unser Wandel in völliger Übereinstimmung mit Gott sein (V. 5). Mögen wir auch den Schein der Gemeinschaft annehmen, mögen wir andere vielleicht in betreff unseres Wandels täu­schen, es wird uns nichts nützen — Gott sieht alles und richtet alles. „Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben und wandern in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde".

Bei diesen Worten steigt eine andere Frage in uns auf. Was sollen wir tun, wenn wir gesündigt haben? Wie kann unsere Gemeinschaft wiederhergestellt werden? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, müssen wir unsere Blicke wieder auf die Heilige Schrift richten; sie allein kann uns darüber Auf­schluß geben. — Welche Gnade begegnet uns da! „Meine Kin­der, ich schreibe euch dieses, damit ihr nicht sündigt". Das sind die Worte Gottes zu einem erlösten Sünder, dessen neue Natur nicht mehr sündigen kann, weil er aus Gott geboren ist, und in dem jetzt der Heilige Geist wohnt. Aber dennoch sündigen wir. Trotz unserer Kindschaft mit dem Vater, trotz unserer göttlichen Natur lassen wir der Sünde und dem Teufel doch nur zu oft freien Lauf. Hat Gott auch dafür gesorgt, kommt

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 Er uns auch darin entgegen? 0 ja! Gott hat es vorhergesehen und uns in Seiner unvergleichlichen und unversiegbaren Liebe einen Sachwalter, Jesum Christum, den Gerechten, gegeben, Der eine Sühnung ist für unsere Sünden (1. Joh 2, 1. 2 und 1. 9). Durch das Blut Christi wird uns Vergebung von allen Sünden zuteil, und, nach dem wir diese Vergebung erlangt, haben wir in Christo einen Sachwalter bei dem Vater, Der uns wieder in Seine Gemeinschaft zurückführen will, sobald wir gefehlt haben. Wir aber — Seine Kinder — müssen unsere Fehler an­erkennen und sie Ihm bekennen, denn Gott kann die Ungerech­tigkeit nicht dulden. Wie einfach sind doch Gottes Wege; und wie staunenerregend sind dennoch Seine Anordnungen betreffs des Bekenntnisses verfälscht! Wie haben die Menschen durch ihren Unverstand und durch den Mißbrauch Seiner einfachen Bestimmungen die Wahrheit verdunkelt, bis man den Weg zur Errettung durch den Glauben an Christum vergaß und Sein Werk ganz und gar beseitigte und leugnete!

Es ist völlig klar, daß das Bekenntnis eine von Gott anerkannte Verordnung ist. Dieses sehen wir schon aus dem Befehl, den Er Seinem auserwählten Volke Israel gab (5. Mo 5, 5 und 4. Mo 5, /). Ebenso sind die Gläubigen dazu berufen, ihre Sünden zu bekennen. Aber aus welchem Grunde sollen wir bekennen? Was und wem sollen wir bekennen? Auch diese Fragen werden wir am besten mit der Heiligen Schrift in Händen beantworten können; denn nur angesichts des Wortes Gottes wird uns alles klar vor Augen treten und uns zu der Überzeugung der Nichtigkeit aller menschlichen Verordnungen und Bestimmungen bringen.

i. Das Bekenntnis dient nicht zur Erlösung, sondern ist für diejenigen da, die schon durch das Blut Jesu Christi erlöst sind. Dieses wird uns sofort deutlich, wenn wir darauf achten, daß der Apostel durch die Worte: „wenn wir bekennen" — sich selbst zu denen zählt, welche es vielleicht bedürfen. Er redet hier zu den gefallenen Gläubigen, nicht aber zu den noch Unbekehrten Sündern; denn in Kap. 2,12 sagt er, daß er ihnen schreibe, weil ihnen die Sünden um des Herrn Namens willen vergeben seien. Auch in Kap. 2, 15 und 14 sehen wir deutlich, daß er an solche schreibt, die das ewige Leben in sich haben,

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 und daß Er sie also nicht zur Bekehrung, sondern zur Wieder­herstellung der Gemeinschaft mit Gott auffordert, wenn sie vom rechten Wege abgewichen sind. Wußte auch David etwas von diesem Unterschiede, als er, nachdem er die Folge des Be­kenntnisses seiner Sünden und Übertretungen beschrieben, hinzufügte: „Deshalb wird jeder Fromme zu dir beten zur Zeit, wo du zu finden bist"?

2. Was sollen wir bekennen? Ohne Zweifel unsere Sünden. Zwar sollten wir als neue Geschöpfe in Christo nicht mehr sandigen; denn obwohl wir von unserer alten Natur nicht eher beFreit sein werden, als bis der Tod oder die Ankunft unseres Herrn für Seine Heiligen uns von dieser Erde wegnimmt, so ist doch „unser alter Mensch mitgekreuzigt, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, daß wir der Sünde nicht mehr dienen". Das Nachgeben an diese Natur müssen wir bekennen. Von sich. selbst als einem in Sünden und Übertretungen toten Ge­schöpfe zu sprechen, oder seine sündigen Taten zu bekennen, nachdem die Kraft des Blutes Jesu Christi anerkannt ist, nach­dem man ein neue Natur erlangt hat und ein Tempel des Hailigen Geistes geworden ist, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Wenn ich bekenne, daß ich ein Sünder bin, so spreche ich von etwas, was ich nicht ändern kann; bekenne ich aber meine Sünden, so räume ich etwas ein, was ich nicht hätte tun sollen, und was meiner göttlichen Natur nicht gemäß ist.

5. Wem .sollen wir unsere Fehler bekennen? Obwohl diese Fra'ge nicht ausdrücklich beantwortet wird, so ist es doch sehr deutlich, daß wir unserem Gott alles zu bekennen haben; denn allein gegen Ihn haben wir uns vergangen. Sobald wir etwas Seiner reinen Natur zuwider getan haben, muß Er uns fühlen lassen, daß das Band der Gemeinschaft unterbrochen ist, und daß Er dieses nur dann wiederherstellen kann, wenn wir unsere Fehler Seinem Worte gemäß vollständig gerichtet und bekannt haben. Trotzdem bleibt unsere Stellung vor Ihm vollkommen; diese kann sich nicht im geringsten durch unsere Abweichung vom rechten Weg ändern. Vor dem Fall sind wir geradesogut Seine Kinder wie nach dem Fall; denn die durch das Blut Christi teuer Erkauften „wird niemand aus seiner Hand rau­ben". Auch bedürfen wir keines irdischen Priesters, der ge-

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 wissermaßen eine Mittelstufe zwischen uns und Gott ein­nimmt; denn dieses ließe uns auf eine Unvollkommenheit unserer Stellung schließen und würde beweisen, daß dieser Priester vor Gott einen näheren Platz einnähme als wir. Bei Israel war dieses allerdings der Fall; dort hatte der Priester einen ganz anderen Platz als das Volk; dort durfte keiner den Dienst am Altar verrichten oder das Heiligtum betreten, als nur die von Gott geweihten Priester. Aber unsere Verwandt­schaft mit Gott ist eine ganz andere, sie ist viel inniger, viel köstlicher — wir sind Kinder Gottes, begnadigt in dem Gelieb­ten. Wenn wir also einem von Menschen angestellten Priester unsere Sünden bekennen, so kehren wir zu der Stellung Israels vor dem Tode des Herrn zurück, wir befinden uns dann auf jüdischem und nicht auf christlichem Standpunkt.

Jedoch soll keineswegs damit gesagt werden, daß wir vor unseren Mitmenschen, wenn wir uns gegen sie versündigten, kein Bekenntnis ablegen sollen. 0 nein! Dies wäre ganz und gar gegen die Heilige Schrift; denn dort wird uns gesagt, daß wir einander die Vergehungen bekennen und füreinander beten sollen, damit wir geheilt werden (Jak 5, i6).

Wenn wir nun unsere Sünden bekannt haben, so wird auch die Vergebung derselben nicht ausbleiben: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sunden vergibt". Brauchen wir jetzt noch von irgend jemand die Versicherung dessen, was Gott uns in Seiner Gnade so bestimmt versprochen hat? Wird irgendein Wort des Men­schen dem Worte Gottes noch mehr Sicherheit verleihen kön­nen? Kann die Versicherung eines Menschen dem Herzen eines Gläubigen größeres Vertrauen einflößen? Nein, dies ist nicht möglich; denn Er ist treu. Er kann Sich Selbst nicht verleugnen und wird Sich keine Ungerechtigkeit zuschulden kommen lassen. Auf Seine Worte können wir uns völlig verlassen und dürfen deshalb das vollkommene Vertrauen hegen, daß Er Selbst — und kein anderer, kein Priester — uns die Sünden vergeben wird, wenn wir sie bekennen. Zu dieser Vergebung kommt aber noch etwas hinzu: Er reinigt uns auch von aller Ungerechtigkeit, damit unsere Freude in der Gemeinschaft mit Ihm wiederhergestellt werde, und wir vor Ihm wieder als glückliche, freie und gereinigte Kinder stehen.

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 Wie köstlich sind doch die Wege Gottes! Wir bekennen — Er vergibt und reinigt; ja. Er tut dieses, wie oft wir auch zu Ihm kommen, wie bald wir auch wieder vom rechten Wege abirren mögen. Von einem Priester, einer Zwischenperson zwischen Gott und uns, ist hier auch nicht die leiseste Andeutung. Wohl ist der Kirche des Herrn die Macht gegeben, eine Person, welche in schwere Sünden gefallen, aus ihrer Mitte zu ent­fernen, oder dieselbe wiederaufzunehmen, wenn die Versamm­lung von ihrer Reue überzeugt ist; aber der Platz der Aus­übung dieser Zucht ist die Erde, und es ist eine Demütigung für sämtliche Glieder einer Versammlung, wenn die Zucht ausgeübt werden muß (vgl. 1. Kor 5, 1—5 mit 2. Kor 2, 6. 7). In unserem Kapitel aber spricht Johannes nicht von der Zucht auf dieser Erde, welche die Kirche des Herrn auszuüben hat, sondern von der Wiederherstellung der Gemeinschaft eines Gläubigen mit Gott. Wie oft wir auch fehlen, immer können wir wieder Vergebung und Reinigung erlangen, wenn wir Ihm nur alles mit einem demütigen und gebeugten Herzen beken­nen. Wie unfehlbar und untrüglich ist doch Seine Gnade! Wie unerschöpflich Seine Liebe!

So spricht der Herr! oder In welcher Weise sollen sich nach dem Worte Gottes die Gläubigen versammeln?

Das Wort Gottes ist ein Beurteiler der Überlegungen und Ge­sinnungen des Herzens (Hebr 4, 12).

Es ist fähig, den Menschen Gottes vollkommen und zu jedem guten Werk völlig geschickt zu machen (2. Tim 5, 17). Darum kann es uns auch nicht über die Art und Weise des Versammeins der Kinder Gottes in Ungewißheit lassen. Das Wort Gottes muß in allem den Ausschlag geben (Jes 8, 20; Mt 4, 4; Joh 17, 19; 1. Petr 2, 2).

Es muß mit Ernst untersucht (Joh 5, 59; Apg 17, n), verstan­den (Mt 13, 23; Lk 24, 45; Apg 8, 30; Kol •}, 16).

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 und befolgt werden (Es 9, 4; Jes 66, 2. 5; 1. Thess 2,15; Jak 1. 21. 25); denn sonst gehen wir Wege des Irrtums (Mt 15, g; 22, 29; Mk 7, 7. 9; Offb 22, 18. 19).

1. Als der Herr Jesus hier auf Erden unter Seinen Jungem wandelte, die der Vater Ihm gegeben hatte (Joh 6, 57), und die zu Ihm gezogen waren (Joh 6, 44. 65) durch .die Wirksamkeit Seines Geistes (Joh 5, 5. 8) und Seines Wortes (Joh 4, 41; 8, 47; Jak 1. 18), um ewiges Leben von Ihm zu empfangen (Joh 5, 24; 17, 2), versammelten sich dieselben um Seine Person (Mt 10, 58; i9/ 27) und merkten auf Seine Gebote (Lk 10, 1; Joh 10, 4), als auch auf Seine Lehren (Mt 5, 1. 2; Lk 11, 1). Und als Er von ihnen ging, verhieß Er ihnen Seine ununter­brochene Gemeinschaft (Mt 28, 20; Joh 14, i8); und dieses sollte in einer ganz besonderen Weise der Fall sein, wenn zwei oder mehrere Gläubige in Seinem Namen versam­melt waren (Mt 18, 2o).

2. Nachdem Er durch Sich Selbst die Reinigung unserer Sunden geniacht (Hebr 1. 5; 1. Petr 2, 24), hat Er Sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe (Röm 8, 54; Hebr 10,12. 15; i2, 2), über alle Fürstentümer und Gewalt und Macht und Herrschaft und jeglichen Namen (Eph 1. 20. 21; 1. Petr 5, 22), und zwar als das auferstandene Haupt Seines Leibes, der Ver­sammlung [Kirche] (Kol 1. 18), die mit Ihm der Sünde und der Welt gestorben (Röm 6, 2. n; Kol 2, 2o), mit Ihm auferweckt aus den Toten (Kol 5, i—5) und in Ihm mitversetzt ist in die himmlischen Örter (Eph 2, 5.6), wo Er, unser Leben (Kol 5, 4) und unser Friede (Eph 2, 14), sich befindet; während wir in Ihm, dem Geliebten, begnadigt (Eph 1. 6) vollendet- (Kol 2, lo) und mit aller geistlichen Segnung in himmlischen Örtern ge­segnet sind (Eph 1. 5), als Erben Gottes, Seine Miterben, Sein Leib —, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt' (Eph 1. 25).

5. Bevor Er gen Himmel fuhr (Lk 24, 51), verhieß Er Seinen Jüngern, sie nicht als Waisen zurücklassen zu wollen (Joh 14, i8), sondern den Vater zu bitten, ihnen nach Seiner Himmelfahrt (Joh 16, 7) und Seinem Eingang in die Herrlichkeit (Lk 24, 26; Joh 7, 57— 59; Apg 2, 55) an Seiner Statt einen anderen Sachwalter zu senden, der für immer bei ihnen bleibe — den Heiligen Geist (Lk 14, i6. 26), den Geist der Verheißung (Lk 24, 49; Apg 2, 55), welcher Ihn unter Seinen Jüngern verherrlichen (Joh 16, 15. 14; 1. Kor 12, 5)

und sie in den fortdauernden Genuß Seiner und des Vaters

Gegenwart setzen sollte (Joh 15, 26; i6, 14. 15; Eph 2, i8; 5, i6. 17; 1. Joh 1. 5; 2, 24. 27; 4, l?).

4. Die Welt kann den Heiligen Geist nicht empfangen, son­dern nur die, welche durch Ihn geleitet worden sind, zu glauben an den Herrn Jesum (Joh 6, 57. 59; 2. Kor 1. 22; Gal 5, 2—5-14; 4' 6; Eph 1. 15).

5. Solches war die Verheißung unseres gnädigen Herrn! und an die Seinigen erging die Aufforderung, auf die herrliche Erfüllung derselben nach Seiner Himmelfahrt zu warten (Lk 24, 49), welches auch geschah (Apg 1. 15); und wir finden die Gabe des Heiligen Geistes zuerst den Gläu-bingen aus den Juden (Apg 2, 1—4. 55. 57. 58), und später den Gläubigen aus den Nationen zuteil werden (Apg 10, 44-46).

6. In dem vom Himmel herniedergesandten Heiligen Geiste wurden die gläubigen Juden und Heiden zu einem Leibe ge­tauft (1. Kor 12, 15; Kol 1. 18—25; 5, 15).

229

 Dieses ist der Leib Christi (Röm 12, 5; 1. Kor 12, 27), oder die Versammlung, die da ist von Seinem Fleische und von Seinem Gebein (Eph 5, 29—32)

— der Tempel Gottes (2. Kor 6,16; Eph 2, 20—22); indem alle Gläubige, ein Geist mit dem Herrn (1. Kor 6, 17), Christum, die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol 1. 27), in sich haben und Teilhaber der göttlichen Natur sind (2. Petr 1/4).

Dieser Leib Christi, dieser aus Juden und Nationen zusammen­gefügte Tempel des Geistes Gottes war das große Geheimnis, das von den Zeitaltern und von den Geschlechtern her ver­borgen gewesen (Kol 1. 24—28),

jetzt aber geoffenbart ist Seinen Heiligen durch den Geist (Eph 5, i-n; 5, 29-32).

7. Wir finden femer, daß der Heilige Geist den Gläubigen nicht nur von ihrer Kindschaft in Beziehung zu Gott Zeugnis gibt (Röm 8, 15—17; Gal 4, 6), sondern auch ein dauerndes Vertrauen verleiht (2. Kor 5, 5. 6).

Er ist das Pfand ihres Erbes (Eph 1. 15. 14), wirkt in ihnen die Frucht des Geistes: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthalt­samkeit (Gal 5, 22),

teilt ihnen den Sinn Christi mit und macht sie fähig, selbst die Tiefen der Gottheit zu erforschen (Joh 16, 13—15; 1. Kor 2, 9-i6) und alle Dinge wissen zu können (1. Joh 2, 20).

Nachdem Er sie zu Gliedern eines Leibes in Christo gemacht hat (Röm 12, 5),

verleiht Er Gaben (Röm 12, 5—8; Eph 4, 7; 1. Petr 4, lo),

und zwar einem jeglichen insbesondere, wie Er will (1. Kor 12, ii; Hebr 2, 4); und diese Gaben sind bestimmt, um zur Auferbauung des Leibes zu dienen, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens, zu der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem er­wachsenen Manne usw. (Eph 4, n—i6), weshalb wir ermahnt sind, nach denselben zu streben (1. Kor 12, 51),

230

 sie zu üben und Gebrauch von ihnen zu machen (Röm 12, <,— 8; 1. Kor 12,14; 1. Tim 4,15—16; 2. Tim 1. 7; 1. Petr 4, lo. 11). 8. Doch nicht nur ist die ganze Kirche Christi durch den Glau­ben an Seinen Namen ins Dasein gerufen und durch den Geist bewohnt und auferbaut, sondern wir finden auch die Gläu­bigen an verschiedenen Orten ermahnt, das Zusammenkom­men nicht zu versäumen (Hebr 10, 25), und zwar ein Zusam­menkommen in Seinem Namen (Mt 18, 20; 1. Kor 5, 4).

Sein Name, oder der Glaube an Seinen Namen war die allein bezeichnete Tür zum Eingange; die Gläubigen waren sowohl ermahnt, die Schwachen im Glauben aufzunehmen (Röm 14, i), als auch beauftragt, die Geister zu prüfen (1. Joh 4, i; Offb 2, 2; Apg 9, 26. 27); und ebenso war ihnen auch verboten, Gemeinschaft mit Un­gläubigen zu haben (2. Kor 6, 14—18). Und ob auch falsche Brüder heimlich sich einschleichen mochten (Gal 2, 4),

so waren sie doch ermahnt, die Unordentlichen zu warnen (1. Thess 5, 14),

sowie keinen Umgang mit denen zu haben, die unordentlich und dem Worte Gottes zuwider wandelten (Röm 16, 17. i8; 2. Thess 5, 6—14), und sowohl den Bösen aus ihrer Mitte zu tun (1. Kor 5, 9—15), als auch die Kleinmütigen zu trösten (1. Thess 5, 14), die Irrenden im Geiste der Sanftmut zurückzubringen (Gal 6, l) und den Bußfertigen zu vergeben (2. Kor 2, 2—7).

Die Gläubigen dürfen nie vergessen, daß sie, obgleich Viele seiend, ein Leib sind (1. Kor 10, i6. 17), und daß ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert

(1. Kor 5, 6—8; Gal 5, g; Hebr 12, 15. i6); und darum sind sie ermahnt, sowohl ihre Mißbilligung gegen das Böse zu erkennen zu geben, als auch dasselbe zu bestrafen und göttliche Traurigkeit darüber zu haben (2. Kor 7, n. 12).

Auf solche Weise versammelt, hatten sie sich einander zu ermahnen (Hebr 10, 25),

im Geiste und unter Gebet sich untereinander zu erbauen und zu trösten (Röm 15, 14; Jud 20. 21; 1. Thess 5, 11), sowie dem Geiste des Herrn den größten Spielraum zu lassen und volle Freiheit zu gestatten (2. Kor 5, 17); 231

 um solche Gaben, welche Er passend findet, in Ausübung zu bringen und dieselben unter ihnen zu entwickeln nach Seinem Wohlgefallen (1. Kor 14, •?o. 31; 1. Thess 5, ig. 20).

Gleicherweise fanden wir die Gläubigen versammelt, um ge­meinschaftlich das Brot zu brechen zum Gedächtnis und zur Feier des Todes des Herrn, und in der Erwartung Seiner Wie­derkehr (1. Kor 11, 25. 26); und dieses pflegten sie am ersten Tage der Woche zu tun (Apg 20, 7).

9. Die, welche sich irgendeinen Namen beilegten, also eine Sekte bildeten, und nicht an dem einfachen Namen „Christen" (Apg 11, 26; 1. Petr 4, i6),

[auch wohl als die „Sekte der Nazaräer" beschimpft] (Apg 24, 5).

festhielten, werden getadelt (1. Kor 1. 12. l?; 3, 3—9); wie auch solche getadelt worden wären, die — anstatt die Ein­heit des Geistes im Bande des Friedens zu bewahren (Eph 4, 3), um zur Einheit des Glaubens zu gelangen (Eph 4, 13)

— sich absondern zur Errichtung von Gemeinschaften, die nicht mit dem Heiligen Geist in Übereinstimmung und Ihm nicht unterwürfig sind.

10. Im übrigen finden wir, daß da, wo die Gegenwart des Herrn Jesu durch den Heiligen Geist in einer aus Gliedern Christi bestehenden Versammlung praktisch und vollständig, und zwar nicht nur als eine Lehre, sondern als eine lebendige Wahrheit anerkannt und gewürdigt wird, auch die Kraft Gottes verheißen (Mt 18, 15—19)

und entfaltet ist, um zu leiten, zu richten, zu führen, zu segnen, zu lehren und zu ermahnen (Apg 5, 1—14; 13, i—4; i. Kor 5, 4—i3; n, 20—32; 14, 24. 25; 2. Kor 2, 6. 7).

11. Aber wo sind denn die auf Universitäten ausgebildeten und nach menschlichen Vorschriftein ordinierten und besoldeten Prediger und andere kirchlichen Würdenträger? Freilich spricht das Wort Gottes von Unterweisung und Beredsamkeit (Mt 11, 25-27; 13, 10-16. 5l. 52; Lk 24, 25. 27. 44-48; Apg 4, i?-20; i8, 24—28; 1. Kor 1. 17; 2, i6; 2. Kor 10,10; Gal 1. 21. 23),

von Besoldung (Apg 18, 3; 20, 33-35; 1. Kor 4, "• 12; g. 7-18 2. Kor 12, 7-9; 12, 13-18; Phil 4, 10-18; 1. Thess 2, 9; 2. Thess 3, 7. 8; i- Petr 5, 1-5), und ebenso von ordinierten (eingesetzten) Ältesten (auch Bischöfe und Vorsteher genannt) (Apg 20, 17. 28).

und Diakonen (Dienern) in etlichen der Versammlungen des NT, aber nur durch die Apostel (Apg 14, 23), oder solche, die wie Timotheus und Titus mit einer besonderen Gabe des Heiligen Geistes (2 Tim 1. 6),

oder mit besonderer Autorität von einem der Apostel (Ti 1. 5) ausgerüstet waren, durften Älteste erwählen (1. Tim 3, 1—13; 5, 17-22; Tit 1. 5—9; Apg 6, 3. 6).

Ebenso lesen wir, daß in jenen Tagen der Geist und dessen Gabe durch Auflegen der Hände mitgeteilt wurde (Apg 8,15— 19; 9/ i7; i9/ 6; 1. Tim 4, 14; 2. Tim 1. 6),

eine Tatsache, deren Anwendung heutzutage, weil die sie be­gleitende Kraft mangelt, ebensowohl zu einer bloßen Form geworden ist, wie es das Salben eines Kranken mit öl (Jak 5, 14) sein würde.

Doch nirgends lesen wir, daß die verschiedenen Versammlun­gen sich selbst ihre Vorsteher erwählen oder Gaben mitteilen konnten,

und noch weniger, daß Gaben und Ämter durch Geld oder durch staatliche Gewalten erlangt wurden. Nur der Herr der Ernte, der Erz-Hirte (Mt 9, 37. 58; Eph 4, 7.8),

oder jemand, der von Ihm — und nicht von der Herde oder gar von der Welt — mit wirklicher Autorität und Kraft bekleidet war, konnte Gaben mitteilen und Ämter errichten.

Könnte jemand den Beweis liefern, daß er die Autorität habe, um Vorsterher zu ernennen,

und die Kraft, um geistliche Gaben mitzuteilen, so würde er auch jetzt noch diesen Dienst den Versammlungen zu erweisen haben; 233

 wenn aber niemand in genügender Weise eine solche Autorität und Kraft nachweisen kann, so würde ein jeder, der sich der­gleichen anmaßt, in die jetzt einzig und allein dem Heiligen Geist angehörenden Rechte eingreifen.

12. Obwohl indes die Apostel in den einzelnen Versamm­lungen Aufseher usw. anstellten und geistliche Gaben mit­teilten, so verhinderte doch dieses den Heiligen Geist nicht, selbst in jener Zeit, ohne irgendwelche Vermittlung seitens der Apostel, Gaben zu erwecken und Seelen zum Dienste zu befähigen (Apg 18, 24—28 mit 1. Kor 5, 6; 1. Kor 16, 15),

denen unterwürfig in der Furcht Christi (Eph 5, 2l) und im Lichte Seines Wortes (Apg 17, 11) zu sein, die Gläubigen ermahnt wurden (1. Kor 16, 16; 1. Thess 5, 12; Hebr 15, 19).

Sollte es jetzt, wo alle apostolische Kraft augenscheinlich zu existieren aufgehört hat, anders sein? Nein; bei dem gegen­wärtigen Verfall bleibt uns nichts anderes übrig, als hinzu­schauen auf den gesegneten Sachwalter, welcher bei uns bleibt in Ewigkeit (Joh 14,16; 1. Joh 2, 27), und Dessen Gegenwart in der Kirche nimmer aufhören wird.

Wir müssen dankbar anerkennen und annehmen solche Gaben, die zu erwecken Ihm wohlgefällig ist, indem „Er einem jeg­lichen insbesondere austeilt, wie er will" (1. Kor 12, n); und da wir wissen, daß in den letzten Zeiten etliche Schwätzer, falsche Lehrer (2. Kor 11, 15—15),

ungöttliche Menschen kommen werden, welche der Wahrheit widerstehen und verkehrte Wege, Lehren, Zänkereien und alt­weibischen Fabeln einführen (Apg 20, 29. 50; 1. Tim 5, i—9; 4, 5. 4; Tit 1. 12-16; 2. Petr 2; J, 5—7; 1. Joh 2, i8. 19; 4, i; Jud 25),

so müssen wir Ihm gehorchen, indem wir uns von allem diesen absondern und reinigen (Mt 7, 15—20; i8, 17; Joh 10, 5; Eph 5, ii; 1. Tim 4, 7. 12. 16; 6, 5—n; 2. Tim 2, 14; 5/ 1?; Tit 2, 7. 8; 5, o—11; Hebr 15,15; 2. Joh 8—n; Offb 2,14. 15-20; i8, 4),

234

 und nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe und Frieden streben mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen (2. Tim 2, 22; Jud 20. 2i). Und nun — Gott sagt: „Höret und gehorcht"! (1. Sam 15, 22) „Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner" (Röm 5,4).

„Prüfet aber alles, haltet fest das Gute" (1. Thess 5, 21); denn „wer nun weiß Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde" (Jak 4, 17).

„Ein jeglicher, der den Namen des Herrn anruft, stehe ab von der Ungerechtigkeit" (2. Tim 2,19).

„Hasset das Böse, haltet fest am Guten" (Röm 12, 9).

„Wenn ihr dieses wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut" (Joh 15,17).

„Betrübet nicht den Heiligen Geist" (Eph 4, 50). „Löschet den Geist nicht aus" (1. Thess 5, 19). So spricht der Herr. Und wenn ich auf eine andere Weise Gottesdienst halte, so beweise ich dadurch meine Unwissen­heit, oder meinen Eigenwillen und Ungehorsam und bilde oder sanktioniere durch meine Gegenwart irgendeine Sekte, Ge­meinschaft oder Lehre, die mit den Grundsätzen Gottes in Widerspruch steht; und diese Grundsätze sind die Einheit des Glaubens und die Einheit des Geistes. — „Ich rede als zu Ver­ständigen; beurteilt ihr, was ich sage" (1. Kor 10, 15); „denn es ist uns unmöglich, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden" (Apg 4, 2o).

Botschafter des Heils in Christo 1873

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

  Botschafter des Heils 1873Seite
Jeremias als Beispiel zur Nachahmung5
Das Ende des eigenen Wirkens13
Die Stellung und der Zustand des Christen25
Gedanken über Philipper 363
Der Gläubige - ein Brief Christi72
Bosheit und Verblendung76
Der treue Arbeiter78
Jona99
Reif für den Himmel111
Über christliche Erfahrung115
Die Liebe und Herrlichkeit Jesu127
Gedanken über die Leiden Christi134
Gedanken über Psalm 23151
Über die Bedienung des Wortes in der Welt und in der Versammlung153
Unsere Stellung und Verantwortlichkeit168
Licht - Liebe170
Abwesenheit und Wiederkunft Christi und die Gegenwart des Geistes172
Zwei wichtige Tatsachen181
Stephanus187
Wie bewirken wir unsere eigene Seligkeit?191
Leben und Freiheit196
Leben und Freiheit196
Die Errettung201
Hilfeleistungen207
Gedanken über 2 u. 3  Kapitel des Briefes an die Philipper210
Der Herr in der Mitte Seiner Jünger223
Der Magnet226
Die zwei Häuser227


Jeremias als Beispiel zur Nachahmung 5 
Das Ende des eigenen Wirkens i 3 
Die Stellung und der Zustand des Christen 25 
Gedanken über Philipper 3 05 
Der Gläubige — ein Brief Christi 72 
Bosheit und Verblendung 76 
Der treue Arbeiter 78 
Jona 
Reif für den Himmel lix 
Über christliche Erfahrung 115 
Die Liebe und Herrlichkeit Jesu 127 
Gedanken über die Leiden Christi 134 
Gedanken über Psalm 23 151 
Über die Bedienung des Wortes 
in der Welt und in der Versammlung 153 
Unsere Stellung und Verantwortlichkeit 168 
Licht — Liebe 170 
Die Abwesenheit und Wiederkunft Christi 
und die Gegenwart des Heiligen Geistes 172 
Zwei wichtige Tatsachen 182 
Stephanus 1S7 
Wie bewirken wir unsere eigene Seligkeit? 19a 
Leben und Freiheit 196 
Die Errettung 201 
Hilfeleistungen 207 
Gedanken über das zweite und dritte Kapitel 
des Briefes an die Philipper 210 
Der Herr in der Mitte Seiner Jünger 223 
Der Magnet 226 
Die zwei Häuser 223 
Die Schriftstellen sind nach der bekannten 
Übersetzung, der „Elberfelder Bibel", angeführt 
Jeremias als Beispiel zur Nachahmung 
Es ist für uns wichtig, die Werkzeuge zu betrachten, deren 
Gott Sich bedient, um Seine Ratschlüsse zur Ausführung zu 
bringen. Diese Werkzeuge sind meist so beschaffen, daß der 
durch die Sünde verdorbene Mensch sie sicher als ungeeignet 
ablehnen würde, während sie, wenn Gott sie für Seine Zwecke 
zubereitet hat, Seine Macht bezeugen und Seinen Namen ver= 
herrlichen. 
Hierfür liefert Jeremias ein treffendes Beispiel. Wie ängstlich 
und zurückhaltend er auch von Natur sein mochte, der Herr 
verlieh ihm einen unerschrockenen Mut und befähigte ihn eine 
Aufgabe auszuführen, vor welcher normalerweise selbst das 
mutigste Herz zurückgeschreckt wäre. 
Es ist in der Tat stets ein mühevolles Unternehmen gegen das 
Böse zu zeugen, um damit die Bosheit unserer Umgebung bloßzustellen und die Sünde eines Volkes zu bekämpfen. Schon 
der Gedanke an eine solche Arbeit macht uns zittern. Das aber 
ist ganz natürlich; denn welche Kraft hat das irdene Gefäß in 
sich selbst? Doch wenn der Herr mit einem schwachen Gefäß ist 
und es zu Seinem Gebrauch zurichtet, dann wird es in Seiner 
Hand „zu einer festen Stadt und zu einer ehernen Mauer" 
(Jer 1, 18). Seine Leitung und Zurichtung der Gläubigen gegen 
den Strom der Gedanken und Meinungen der Welt zu schwimmen, gegen die Regeln und Gewohnheiten derer anzugehen, 
die, was ihr öffentliches Bekenntnis auch sein mag, sich wider 
Gott erhoben und unter der Macht und Autorität des größten 
Feindes Gottes stehen. „Die Freundschaft der Welt ist Feind= 
schaft wider Gott". Dazu gehört Glauben, und dieses Werk 
des Glaubens zeugt von der Ohnmacht des Geschöpfes und 
von der Macht Gottes. Wenn wir auf unsere eigene Macht vertrauen und den Sieg von unserer Stärke erwarten, dann suchen 
wir nach keiner anderen Hilfe; wenn wir hingegen fühlen, daß 
die Aufgaben zu welchen wir berufen sind, unsere Kräfte übersteigen, dann können wir nur in der Kraft eines Anderen unseren Weg fortsetzen. Wendet sich dann das Geschöpf von allen 
irdischen Stützen ab, und sieht nur auf Gott hin, so wandelt 
es durch den Glauben. Der Wandel im Glauben ist geradezu 

das Gegenteil von dem, was der natürliche Mensch zeigt, — 
ein Wandel, der gerade das tut, was weltliche Klugheit vermeiden würde. 
Jeremias gleicht, als ihn der göttliche Befehl erreicht einem 
schwachen und schüchternen Kind. „Ach Herr, Jehova! siehe, 
ich weiß nicht zu reden, denn ich bin jung" (V. 6). So 
lauten die ersten Worte des künftigen Propheten. Er, der „den 
Völkern zum Propheten gestellt" war, erschrickt über den ihm 
aufgetragenen Dienst und sagt: „Ich bin zu jung". Wußte denn 
der Herr das nicht? Sicher, denn Er hatte bereits gesagt: „Ehe 
ich dich bildete im Mutterleibe, habe ich dich erkannt, und ehe 
du hervorkamst aus der Mutter, habe ich dich geheiligt, habe 
dich den Völkern zum Propheten bestellt". Der Auftrag entsprang also nicht dem eigenen Gedanken, sondern dem Willen 
Dessen, Der ihn zu den Völkern sandte und ihn schon vor 
seiner Geburt für dieses Werk gebildet und abgesondert hatte. 
Bevor Jeremias die Laufbahn seines prophetischen Dienstes 
betrat, hatte der Herr ihn geheiligt und den Völkern zum Propheten gestellt. 
Wie trostreich und ermutigend eine solche Ankündigung für 
den auch sein mag, der gelernt hat, sein Vertrauen auf den 
lebendigen Gott zu setzen, bei Jeremias blieb sie wirkungslos. 
Er war nur mit seiner Schwachheit beschäftigt; allein diese sah 
und fühlte er, und darum entgingen ihm die Worte: „Ich habe 
dich gekannt; ich habe dich geheiligt". Daraus erklärt sich sein 
Einwurf: „Ich bin jung". Seine Jugend und sein Mangel an 
Beredsamkeit sind in seinen Augen wesentliche Hindernisse 
für eine göttliche Sendung. 
Wie oft begegnen wir bei Kindern Gottes ähnlichen Bedenken, 
haben vielleicht bei uns selbst schon solche Erfahrungen gemacht. Wir tun oft so, als gäbe es Schwierigkeiten, die Gott 
übersehen habe, und die uns in der Tat verhindern, dem Willen Gottes Gehör zu geben. Gott ruft, und wir machen allerlei 
Einwendungen: unsere Jugend, unseren Mangel an Beredsamkeit, wie Jeremias und Moses. Hat Gott Sich etwa getäuscht? 
Wie wäre das möglich? Er kennt unsere Unfähigkeit und es ist 
gut, wenn auch wir von der eigenen Schwachheit überzeugt 

sind und fühlen, daß wir aus uns selber nichts vermögen. „Bin 
ich schwach, so bin ich stark". Aber ist es nie gut, unsere 
Schwachheit zum Vorwand für unseren Ungehorsam gegen 
Gott zu gebrauchen? Wir können sicher nicht tief genug von 
unserer Nichtigkeit überzeugt sein, aber wir bedürfen ebenso= 
sehr des Bewußtseins, daß Gott allmächtig ist. Gehorsam gegen 
den Herrn geziemt sich allezeit. Gott hatte den Propheten zu 
einem Dienst berufen, wie unfähig sich dieser auch dazu fühlen 
mochte, und menschlich gesprochen eignete er sich dafür nicht. 
Deshalb hätten Menschen auch eine andere Wahl getroffen. 
Isai beispielsweise dachte nicht daran, den kleinen David vor 
Samuel zu bringen, und selbst Samuel hielt den Eliab für den 
Auserwählten Gottes. Aber erst als David kam, stand der Gesalbte des Herrn vor ihnen. 
Jeremia beging einen Irrtum, als er dem bestimmten Befehl 
Gottes widersprach. Er konnte damit die Absicht Gottes nicht 
vereiteln, sondern mußte früher oder später doch gehorchen. 
Was nützte Jonas der Versuch sich dem Auftrag Gottes durch 
die Flucht nach Tarsis zu entziehen? Durch seinen Ungehorsam 
konnte er das Werk nur verzögern, jedoch nicht den Rat Gottes verändern. Er mußte gehen, und er ging später auch. Israel 
in der Wüste schrak vor dem Kampfe mit den Kanaartitern 
zurück. Ja es verschob diesen Kampf vierzig Jahre lang; aber er 
mußte dennoch ausgeführt werden. Dieselben Feinde, vor denen 
die Väter sich gefürchtet hatten, mußten von den Kindern überwältigt werden. — Vergeblich bemühte sich Jeremias, den Sinn 
des Herrn zu ändern (Jer 14). „Der Herr der Heerscharen hat es 
in seinem Rat beschlossen, wer wird es brechen"? Die Schwachheit des Propheten offenbart nur die Gnade des Herrn, Der 
durch die Zusage Seiner Hilfe und Beschirmung den ängst= 
liehen Diener zu ermutigen sucht. „Sprich nicht: Ich bin jung; 
denn zu allen, wohin ich dich senden werde, sollst du gehen, 
und alles was ich dir gebieten werde, sollst du reden. Fürchte 
dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu erretten, 
spricht Jehova" (V. 7. 8). Weder seine Jugend, noch der Mangel 
an Beredsamkeit waren in den Augen des Herrn triftige Gründe zur Ablehnung des Prophetenamtes. „Und Jehova streckte 
seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und Jehova 
sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 

Siehe, ich bestelle dich an diesem Tage über die Nationen und 
über die Königreiche, um auszurotten und abzubrechen und zu 
verderben und zu zerstören, um zu bauen und zu pflanzen" 
(V. 9, 10). Welch ein Befehl! Entsetzlich für die Natur des 
Menschen! Aber der Glaube erkannte hier den Willen Gottes, 
und das genügt. 
Doch hiermit endigte das Werk des Propheten nicht. Er hätte 
seine Prophezeiungen an die in Betracht kommenden Völker 
durch Beten kund tun können, wie er es in anderen Fällen auch 
getan hat (siehe Kap 27, 3; 51, 59—64). Doch das ward ihm 
hier versagt; er mußte persönlich zu den Betroffenen gehen, 
über Juda weissagen und über Jerusalem Gerichte ankündigen. 
„Du aber umgürte deine Lenden und mache dich auf und 
rede zu ihnen alles, was ich dir gebieten werde; sei nicht verzagt vor ihnen, damit ich dich nicht vor ihnen verzagt mache. 
Und ich, siehe, ich mache dich heute zu einer festen Stadt und 
zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das 
ganze Land, wider die Könige von Juda, ihre Fürsten, ihre Priester und das ganze Land, wider die Könige von Juda, ihre 
Fürsten, ihre Priester und das ganze Volk des Landes. Und sie 
werden wider dich streiten und nichts wider dich vermögen; 
denn ich bin mit dir, spricht Jehova, um dich zu erretten" (V. 
37—19). Hier war also kein Ausweichen möglich. Trat er zurück, dann wollte der Herr ihn in ihren Augen beschämen, 
schritt er vorwärts, so begegnete er ihrem Widerstand und 
ihrem Haß. Ein Stillstehen war also unmöglich, ein Zurückkehren nicht in Erwägung zu ziehen. Es blieb ihm nur übrig 
voranzuschreiten und auf die Zusage zu vertrauen, denn diese 
Zusage war das Wort seines Gottes. 
Seine Botschaft war Ankündigung von Strafe und Gericht. Ankündigung des zukünftigen Zorns, allerdings vermischt mit 
einzelnen besonderen Verheißungen. Es gibt Menschen, die ein 
Vergnügen daran finden, das Böse unter ihren Mitmenschen 
herauszustellen und die über ihrem Haupte schwebenden Gerichte anzukündigen. Hätte Jeremia dazu gehört, so würde ihn 
die Voraussicht der Verwirrung und des Elends seiner Wider= 
sacher für seine Mühsale entschädigt haben. Aber er war nicht 
ein Mann dieser Art. Zwar konnte er — das entsprach dem 
Charakter der jüdischen Haushaltung — um die Bestrafung 

seiner Feinde bitten (s. Kap 15, 15), aber sein Herz ist betrübt 
über das Übel, das er ankündigen muß (Kap 4, 19—26; 8, 18— 
22; 9, 1; 13,17). Sein prophetischer Dienst stand daher keineswegs in Übereinstimmung mit seinen natürlichen Gefühlen. 
Von Natur schüchtern, sträubte er sich gegen den Streit mit 
den Missetätern und die Prophezeiung des Elends und der Gerichte über sein Volk bewegten sein zartes Gemüt so stark, daß 
nur der bestimmte Befehl seines Herrn die aus der Tiefe seiner 
Seele aufsteigende Fürbitte zurückzuhalten vermochte (Kap 7, 
16; 11, 14. 15; 14, 11; 15, 1). 
Vom Anfang bis zum Ende seines Dienstes mußte er sich mit 
dem gottlosen Teil seines Volkes befassen, ja mußte selbst das 
Haus des Königs betreten, um den kommenden Jammer zu verkündigen. Der Herr stellte ihn beständig in den Vordergrund 
und bedachte ihn mit einem in die Augen fallenden Platz in 
der Geschichte seines Landes. Und wie verhält sich Jeremias in 
dieser nicht von ihm gewünschten Stellung? 
Er beginnt seine öffentliche Laufbahn damit, daß er zu dem 
Gewissen redet und die Volksmenge von der Größe ihrer 
Schuld zu überzeugen trachtet. Vom zweiten bis zum zwölften 
Kapitel stellt er ihnen ihre Ungerechtigkeit vor Augen, die in 
drei Punkten zusammengefaßt werden; er zeigt ihnen ihr allgemeines Verderben, ihre Abgötterei und ihre Bundbrüchigkeit. 
In den Kapiteln 2—6 entfaltet er ihre allgemeine Verdorbenheit, indem er Jerusalem an alles Gute erinnert, das Gott dem 
Volke von Anfang an erwiesen hat, aber das es stets mit Undank belohnt hat. Hatten doch die Kinder Israel Ihn, „die 
Quelle des lebendigen Wassers, verlassen, um sich selbst Gruben auszuhauen, geborstene Gruben, die kein Wasser halten". 
Hatten sie sich doch von dem Herrn abgewandt und zu den 
Assyrern hingewandt und schließlich, da diese sich als gewalttätig erwiesen, die Hilfe der Ägypter gesucht. In ihrer Mitte 
hatte die Abgötterei samt den damit verbundenen Untugenden 
eine feste Stätte gefunden (Kap 2, 27; 3, 9; 5, 7—9), während 
das Wort des Herrn keinen Glauben fand. Dazu erwiesen sie sich 
als Ausführer, so daß die Handlungen Gottes in Seiner Vorsehung wirkungslos blieben (Kap 3, 3). „Gleichwie ein Brunnen 
sein Wasser quellen läßt, so läßt sie ihre Bosheit quellen. Sie 
schämen sich gar nicht; ja, sich zu schämen, kennen sie nicht. . . 

Man nennt sie verworfenes Silber; denn Jehova hat sie verworfen" (Kap 6, 7. 15. 30). Inmitten eines solchen Zustandes 
war Jeremias als „Warte und Feste" gesetzt. 
In den Kapiteln 7—10 wird der Prophet zu den Männern von 
Juda in das Haus des Herrn gesandt, um ihre scheußlichen Sünden kundzutun — Sünden, die sie unter dem Rufe begingen: 
„Jehovas Tempel, Jehovas Tempel ist dies"! Sie waren Scheinheilige, konnten stehlen, morden, Hurerei treiben, auf den Al= 
tären Baals räuchern und dennoch das Haus des Herrn unter 
dem Vorgeben betreten, daß sie erlöst seien, um all diese Dinge 
zu tun. Sie trieben Abgötterei wie die Nationen, zu denen 
durch ihn, der „den Völkern zum Propheten gestellt war", die 
Botschaft gesandt wurde: „Die Götter, die den Himmel und 
die Erde nicht gemacht haben, werden vertilgt werden von der 
Erde und unter diesem Himmel hinweg" (Kap xo, 11). Aber 
der Herr, Gott, wird diesen Abgöttern gegenübergestellt (V. 
14—16) und Sein Grimm über die Nationen herabgerufen. Denn 
sie haben Jakob aufgezehrt, ja, sie haben ihn aufgezehrt, ihn 
vernichtet und seine Wohnung verwüstet" (V. 25). 
Doch neben der mit den Nationen gemeinsamen Abgötterei 
und den damit verbundenen Verfehlungen gab es eine ganz 
spezielle Sünde der Kinder Israel: sie hatten den Bund gebrochen. Diese Sünde wird ihnen im elften und zwölften Kapitel vorgehalten. Darum hatte Gott Sein Haus verlassen und 
Sein Erbe verworfen (Kap 12, 7). Doch danach verheißt Er, 
Sich ihrer zu erbarmen. Das Volk sollte wieder hergestellt werden, während alle, die Seinen Zorn erweckt hatten, ausgerottet 
werden sollten. 
Nach diesen drei Anklagen wird dem Propheten unter verschiedenen Bildern die Gewißheit der Verwerfung des Volkes 
angedeutet. Der verdorbene Gürtel am Ufer des Euphrat (Kap 
13) bezeichnet die erniedrigte Hoffart. „Ich werde sie zerschmettern einen gegen den anderen, Väter und Kinder zu= 
gleich, spricht Jehova". Der Herr wird niemanden verschonen 
und sich ihrer nicht erbarmen. Im Zusammenhang mit einer 
Dürre muß der Prophet wiederholt erfahren, daß der Herr 
keine Fürbitte annehmen will. Schwert, Hunger, Tod und Gefängnis sollten das Los der Gesetzlosen sein; von diesen aber 
10 
hatten sich die Treuen zu trennen (Kap 14, 15). Die beiden 
folgenden Kapitel zeigen, wie weit diese Absonderung gehen 
muß; nicht nur mit dem Herzen, sondern auch durch die Tat 
müssen sie sich von ihnen scheiden (Kap 16, 1—8). Ein solcher 
Pfad ist immer mühevoll, aber der Herr reicht Stärkung dar. 
Die Treuen erhalten die Zusicherung des Segens, der auf jedem 
ruhen wird, dessen „Vertrauen Jehova ist", während der Fluch 
denen folgt, welche sich auf Menschen stützen (Kap 17, 5—8). 
Das Gefäß, das unter der Hand des Töpfers verdorben, sowie 
der Krug, der von dem Propheten vor den Augen der Ältesten 
des Volkes und der Ältesten der Priester zerbrochen wird, bezeichnen die Macht Gottes und Sein Recht, mit Seinem Volk 
zu machen, was Er will (Kap 18,1—6; ig, 1). 
Die Kapitel 21—24 beschäftigen sich mit dem königlichen 
Hause Davids, mit dessen Züchtigung und der zukünftigen 
Herrlichkeit, die sich an dieses Haus knüpft. Sallum, der Sohn 
Josias, soll nicht mehr zurückkehren, soll sein Vaterland nicht 
wiedersehen (Kap 22,11). Jojakim soll „mit eines Esels Begräbnis begraben werden" (V. 19). Konja, ein verachtetes, zerbrochenes Gefäß (V. 19) soll in Babel kinderlos sterben. Dennoch sollte das Haus Davids nicht für immer beiseitegesetzt 
werden. „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich dem 
David einen gerechten Sproß erwecken werde, und er wird als 
König regieren und verständig handeln, und Recht und Gerechtigkeit üben im Lande. In seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen; und dies wird sein Name 
sein, mit dem man ihn nennen wird: Jehov a unser e 
Gerechtigkeit " (Kap 23, 5. 6). Aber diese Verheißung 
gehört der Zukunft an. In den Tagen Jeremias erschien sie als 
Lichtblick inmitten der Ungerechtigkeit der Könige, der Propheten und der Priester. Bevor sie jedoch verwirklicht werden 
und die Herrschaft der Gerechtigkeit beginnen konnte, mußte 
ein allgemeines Gericht über die Völker ausbrechen. Der Becher, 
der zunächst von Juda getrunken wurde, mußte später von 
allen Völkern und selbst von Babel — dieser Rute, deren Gott 
Sich zur Ausführung Seiner Ratschläge bediente — geleert werden (Kap 25). 
In dem folgenden Teil des Buches geht es darum, daß die Herrschaft, die von Juda gewichen war, den Händen der Nationen 
überliefert werden mußte, und alle hatten sich zu unterwerfen, 
11 
weil Gott es so wollte. Dem Propheten erwuchs hieraus eine 
schwierige Aufgabe; er mußte seine Landsleute — soweit sie 
sich noch in Judäa befanden, aber auch soweit sie bereits gefangen weggeführt waren — und die umwohnenden Nationen 
ermahnen, sich der Herrschaft Nebukadnezars zu unterwerfen. 
Diese Herrschaft sollte sich jedoch auf eine bestimmte Zeit beschränken. Später sollte Israel wieder hergestellt werden, seine 
eigenen Herrscher haben und David, der König Israels, wieder 
in seiner Mitte sein. Das ist der Inhalt der Kap 26—33. In den 
Kapiteln 35—45 ist das unterschiedliche Los derer aufgezeichnet, 
die nur zum Schein, und derer, die in Wirklichkeit gehorsam 
sind. Jene werden vertilgt; diese retten ihr Leben. Die letzten 
Kapitel des Buches beschäftigen sich mit Weissagungen über 
verschiedene Völkerschaften. 
Jeremias mußte nach alledem während seines ganzen Dienstes 
eine in die Augen fallende Stellung bekleiden, die zugleich 
schwerwiegende Folgen mit sich brachte. Viermal war sein 
Leben in Gefahr (s. Kap 11, 19—21; 26, 11; 36, 26; 38, 4). Einmal finden wir ihn im Gefängnis (Kap 20). Zweimal wird er in 
das Haus der Grube und in die Zellen, dann in die Grube Mal= 
chijas und schließlich in den Hof des Gewahrsams gebracht 
„bis auf den Tag, da Jerusalem eingenommen ward" (Kap 37, 
16; 38, 6. 13; 39, 14). Das Buch endet mit der Wegführung des 
Propheten nach Ägypten durch Jochanan mit dem Überrest des 
Volkes. In der Tat, Jeremias war ein Mann der Schmerzen. 
„Wehe mir, meine Mutter, daß du mich geboren hast, einen 
Mann des Haders und einen Mann des Zanks für das ganze 
Land! Ich habe nicht ausgeliehen und man hat mir nichts geliehen; doch alle fluchen mir" (Kap 15, 10). 
Welch eine Stellung hatte Jeremias einzunehmen! Vom 13. 
Jahre des Königs Josia an bis zur Flucht Jochanans nach Ägypten, also während eines Zeitraums von vierzig Jahren, strafte 
Jeremias sein Volk und warnte es vor den kommenden Gerichten. Bei verschiedenen Gelegenheiten brach die Wut seiner 
Landsleute in hellen Flammen gegen ihn aus; aber dennoch 
blieb er standhaft. In Kapitel 26 Vers 14 wird uns ein herrliches Beispiel von seiner Unerschrockenheit und Treue gezeigt. 
Die Priester, sowie die Propheten und ihre Anhänger bringen 
ihn in die größte Gefahr, aber nirgends zeigt sich bei ihm ein 
Zurückweichen, feige Unterwürfigkeit, oder ein Nachgeben. 
12 
„Aber ich, ich bin in euren Händen, tut mir, wie es gut und wie 
es recht ist in euren Augen"! Er will lieber in den Tod gehen, 
als seine Worte zurücknehmen, als sich weigern, das auszusprechen, was Gott befohlen hat. Wie sehr unterscheidet sich 
jetzt seine Sprache von früher (Kap i). Damals fürchtete er sich 
vor den Menschen; jetzt fürchtet er Gott allein. Er spricht ohne 
Scheu alles aus, was ihm zu sagen aufgetragen ist, und überläßt die Folgen dem Herrn. Er hatte vielfältig zu leiden. Er litt 
unter der Voraussicht der Leiden, die über sein Land kommen 
sollten, durch das Hinweisen auf diese Leiden; er litt unter der 
Hand seiner Landsleute, die ihm das Gute mit Bösem, die Liebe 
mit Haß vergalten. Während ihm der heidnische Monarch, dem 
er die Verwüstung seines Reiches und die Einnahme seiner 
Hauptstadt vorhergesagt hatte, mit Güte behandelte (Kap 39, 
11. 12; 40, 4), begegneten ihm seine eigenen Mitbürger — mit 
Ausnahme einiger ausgezeichneter Personen, wie Ahikan und 
Ebed-Melech — nur mit Bitterkeit, Feindschaft und Verfolgung. 
So wird uns also in Jeremias die Schwachheit des Geschöpfes 
und die Kraft, die Gott schenken kann, vor Augen gestellt. 
Zuweilen strauchelte er. Nur Einer lebte auf Erden, der Seinen 
Pfad ohne Straucheln wandeln konnte. Wenn wir aber auf die 
Schwachheiten des Propheten hinweisen, so geschieht es nicht, 
um ein Urteil über ihn zu fällen oder um menschliche Gebrechen hervorzukehren. Seine Fehler, seine Schwachheit und seine 
natürliche Schüchternheit gereichten vielmehr dazu, die Kraft 
Gottes überzeugend zu veranschaulichen. Wir sehen wie Gott 
ein Werkzeug, das in den Augen der Menschen höchst untauglich erscheint, zu größten Taten zu befähigen vermag, und wie 
Er eine dem Ansehen nach gänzlich ungeeignete Person für ein 
großes Werk tatkräftig zubereiten kann. 
Was aber war das Geheimnis der Kraft, die wir bei dem Propheten entdecken? Er gehorchte Gott ohne Säumen und trug 
Ihm alle seine Schwierigkeiten mit kindlicher Einfalt vor. Anfangs freilich, als er berufen wurde, brachte er seine Zweifel 
zur Sprache, bevor er gehorchte; später aber gehorchte er sofort 
und berichtete hernach über seine Schwierigkeiten. Den Weg 
des Gehorsams hatte er also beim Beginn seiner Laufbahn gelernt. Sind auch wir im Gehorsam geübt? Oft verwundeten die 
Aufträge, die er zu überbringen hatte, sein Herz; dennoch 
13 
überbrachte er sie, wie sie ihm aufgetragen waren. Das war das 
Geheimnis seiner Standhaftigkeit. Überzeugt, daß er das Wort 
Gottes besaß, trat er dem Widerstände der Priester, der Propheten, der Könige und des Volkes entgegen. Wer ihm auch 
widerstehen, wer ihn auch bedrohen mochte — gleichviel, Jeremias mußte sprechen, und er sprach. Bezeichnend in dieser Beziehung ist sein Auftreten, nachdem er die Verwüstung der 
Stadt geweissagt hatte und deswegen von Paschchur, dem 
Oberaufseher des Hauses des Herrn in das Gefängnis geworfen 
worden war (Kap 20). Er hatte also wegen seiner Treue zu 
Gott bereits die Macht der Menschen erfahren. Aber kaum 
hatte man ihn am folgenden Tage aus dem Gefängnis entlassen, so wiederholte er jene unangenehme Wahrheit, beschuldigt den Paschchur, mit Lügen geweissagt zu haben, und nennt 
ihn deshalb „Mager=Missabib" (Schrecken ringsum). 
Gott gegenüber findet der Prophet hiergegen ganz andere 
Worte: „Jehova, du hast mich ergriffen und überwältigt. Ich 
bin zum Gelächter geworden den ganzen Tag; jeder spottet 
meiner. Denn so oft ich rede, muß ich schreien, Gewalttat und 
Zerstörung rufen; denn das Wort Jehovas ist mir zur Schmach 
und zum Spott den ganzen Tag. Und spreche ich: Ich will ihn 
nicht mehr erwähnen, noch in seinem Namen reden, so ist es in 
meinem Herzen wie brennendes Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen; und ich werde müde, es auszuhalten, und vermag es nicht" (V. 7—9). Während er also mutig wie ein Löwe, 
gleich einer ehernen Mauer und einer eisernen Säule vor den 
Menschen steht, entfaltet er seine Gedanken und seine Furcht 
vor dem Herrn. Vor Ihm schüttet er seine Klagen aus, bekennt 
sein Säumen und nennt seine Beschwerden. Dem Herrn öffnet 
er sein Herz, und das bewirkt Vertrauen; denn der Herr, vor 
Dem und zu Dem er redet, war mit Jeremias „wie ein gewaltiger 
Held"; darum konnte er ausrufen: „Meine Verfolger werden 
straucheln und nichts vermögen; sie werden sehr beschämt 
werden, weil sie nicht verständig gehandelt haben: eine ewige 
Schande, die nicht vergessen werden wird" (V. 11). 
In diesem Vertrauen kann er den Herrn preisen und andere 
ermahnen, dasselbe zu tun, und zwar auf Grund einer beschlossenen Befreiung. „Singet Jehova, preiset Jehova! denn er hat 
die Seele des Armen errettet aus der Hand der Übeltäter" 
14 
(V. 13). Für Jeremias ist der Pfad des Gehorsams der einzig 
sichere und im Glauben wandelt er auf diesem Pfad. DerGehor= 
sam treibt Ihn vorwärts; der Glaube hält ihn aufrecht. Aber der 
Weg des Gehorsams bringt nicht Ruhe und Gemächlichkeit. 
Er räumt Schwierigkeiten nicht hinweg; sondern scheint sie 
erst recht hervorzurufen. Es ist der Glaube, der den Weg eröffnet diese Schwierigkeiten zu überwinden; er stützt sich auf 
den berufenden Gott, und überläßt sich selbst und alles Seiner 
weisen und gütigen Hand. 
In früheren Tagen als die Kinder Israel vom Roten Meer und 
von den Feinden auf allen Seiten eingeschlossen waren, erhielten sie den Befehl weiterzumaschieren. Ihr Gehorsam wurde 
damit auf die Probe gestellt, es war die Frage, ob sie dem Herrn 
vertrauten, daß Er ihnen den Weg öffnen werde. Ebenso war 
es mit Jeremias und ist es mit dem ganzen Volk Gottes. Der ein= 
zig fundierte Grundsatz ist der auf dem Glauben gegründete 
Gehorsam. Jeremias hatte vielen Schwierigkeiten Trotz zu 
bieten. Sein Gehorsam führte ihn ins Gefängnis, wo 
seine Füße gefesselt wurden, er mußte einige Zeit 
in einer Grube zubringen, wo er tief in den Morast hineinsank 
und das alles und noch mehr hatte er wegen seines Gehorsams 
gegen Gott durchzumachen. Aber er konnte dem Herrn vertrauen, daher jeder Schwierigkeit ins Auge sehen und seinen 
Weg unbeirrt fortsetzen. Das schloß nicht aus, daß sein Glaube 
mitunter schwach war — dieses Kapitel liefert ein Beispiel von 
dieser Schwäche (V. 14—18). Doch der Grundsatz seines Wirkens war Gehorsam, und dieser Grundsatz ließ ihn erfahren, 
daß Kraft genug vorhanden war, jede Probe zu bestehen, der 
er unterworfen wurde. Das zeigt sich, als er den Auftrag erhielt, von Hannamel, dem Sohne seines Oheims Schallum ein 
Feld zu kaufen (Kap 32). Jeremias begreift den Auftrag nicht; 
aber er kauft den Acker nach dem Worte des Herrn und befragt den Herrn dieserhalb erst, nachdem der Kauf vollzogen 
ist. Und der Herr, Gott, Der allezeit dem Glauben Seiner Kinder begegnet, antwortet ihm mit Worten des Trostes, indem 
Er ihm die Segnungen vorstellt, die für das Volk und für das 
dem Propheten so teure Land vorgesehen waren. 
Das ist sehr lehrreich für uns. Ist der Prophet gehorsam, so 
begegnet er stets der Treue Gottes. Der Herr hatte ihm ver15 
heißen, daß seine Feinde nicht die Oberhand über ihn haben 
sollten und das erfüllte sich immer wieder. Sie konnten ihn 
bedrängen, ihm Schmerzen bereiten, ihn bedrohen und gefangennehmen; sie konnten ihm nach dem Leben trachten; aber 
sie vermochten ihm das Leben nicht zu nehmen. Paschchur 
sollte in Babel sterben. Hananja sollte in demselben Jahr, in 
welchem er fälschlich geweissagt hatte, aus dem Leben scheiden; tatsächlich starb er zwei Monate nach seiner Prophezeiung, 
weil er Aufruhr gegen den Herrn gepredigt hatte (Kap 28, 
1—17). Schemaja, der Nechlamiter, sollte das Gut nicht schau= 
en, welches der Herr den Kindern Israel verheißen hatte, und 
niemand aus seinem Samen sollte in der Mitte des Volkes wohnen (Kap 29, 32). Doch unserem Propheten hatte Gott Selbst 
zugesagt: „Ich bin mit dir, dich zu erretten, spricht Jehova". Es 
sind nur wenige, aber bedeutungsvolle Worte; denn sie versichern ihm die Gegenwart Gottes und erfüllten sich vollständig. Er mußte in ein fremdes Land gehen und mit dem Überrest seines Volkes die Leiden der jüdischen Nation teilen. Der 
Herr machte ihn zu einer ehernen Mauer, und wer konnte „das 
Eisen des Nordens und das Erz zerbrechen" (Kap 15, 12)? 
In der Tat. Jeremia war ein Mann der Schmerzen. Und dennoch genoß er die Freude — trotz der Umstände und selbst inmitten seiner schwersten Prüfungen. Diese Freude hatte ihre 
Quelle in dem Worte seines Gottes. Was dem äußeren Auge 
die Ursache seiner Beschwerden zu sein schien, das eben brachte ihm Linderung in den Leiden. „Waren deine Worte vorhanden, ich habe sie gegessen und dein Wort ist mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens gewesen; denn ich bin nach 
deinem Namen genannt, Jehova, Gott der Heerscharen" (Kap 
15,16). War nun einerseits das von ihm in seinem Herzen aufgenommene Wort Gottes eine Quelle an Freude, so war es 
andererseits auch das Mittel, wodurch er sich von dem ihn umringenden Bösen trennen mußte: „Ich saß nicht im Kreise der 
Scherzenden und frohlockte; deiner Hand wegen saß ich allein, 
weil du mich mit deinem Grimm erfüllt hast" (V. 17). Als Repräsentant des treuen Überrestes drückt er hier seine Leiden 
aus. Doch welchen Kummer er auch in seiner Stellung durchzumachen hatte, so war diese Stellung doch der Platz des Zeugnisses. Das ergibt sich aus den Worten: „Wenn du das Köst16 
liehe vom Gemeinen ausscheidest, so sollst du wie mein Mund 
sein. Jene sollen zu dir umkehren; du aber sollst nicht zu ihnen 
umkehren. Und ich werde dich diesem Volke zu einer festen 
ehernen Mauer machen, und sie werden wider dich streiten, 
aber dich nicht überwältigen; denn ich bin mit dir, um dich zu 
retten und dich zu befreien, spricht Jehova. Und ich werde dich 
befreien aus der Hand des Bösen und dich erlösen aus der 
Faust der Gewalttätigen" (V. 19—21). 
Wir sehen also, was das Wort des Herrn für Jeremias war. 
Nach diesem Wort wandelte er in Gehorsam; aus diesem Worte empfing er Trost und Freude, und mittels dieses Wortes 
schied er sich von der Sünde, die ihn umringte. Und was das 
Wort des Herrn für den Propheten war, das ist es zu allen 
Zeiten für das Volk Gottes. Begreifen wir es so? Jeremias wandelte nicht nach seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen. Er wandelte nach dem geoffenbarten Worte, sobald er versichert sein konnte, daß es Gottes Wort war. Nichts 
anderes wird von uns gefordert. Wir haben auf das Wort und 
die Lehre zu achten, auf die Lehre, die nach der Gottseligkeit 
ist, auf das Wort der Gnade Gottes. Das Wort bewirkte die 
Trennung zwischen dem Propheten und dem Bösen, das ihn 
umgab. Übt es auch bei uns diese Kraft aus? Es sollte so sein. 
Dann wollen wir in Gehorsam gegen das Wort Gottes wandeln 
und uns von allem trennen, was mit diesem Worte im Widerspruch steht. Das Wort wird immer eine Quelle des Trostes 
sein, und zwar durch die Versicherung der Nähe des Herrn und 
durch die Freude, die das Herz genießt und womit die Seele 
genährt wird. Doch es muß auch eine Trennung von jeder Art 
des Bösen stattfinden. Wie ernst sind die Worte: „Wenn du 
das Köstliche vom Gemeinen ausscheidest, so sollst du wie 
mein Mund sein" (V. 19). „Wenn nun jemand sich von diesen 
reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich 
dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet" (2. Tim 2, 21). 
Doch das vermag nur, wer sich von allem fern hält, was gegen 
den Willen Gottes ist. Gehorsam gegen Gott ist der einzige 
Schirm in bösen Tagen und führt zur Trennung von vielen 
Dingen. Ein solcher Pfad ist beschwerlich. Doch inmitten der 
Schwierigkeiten wird eine Freude aus dem Worte Gottes hervorstrahlen, die das Herz vordem nicht kannte. Sicher, wir kön17 
nen nur dann glücklich und stark sein, nur dann einen gesegneten Einfluß haben, wenn wir in kindlichem Gehorsam gegen 
den geoffenbarten Willen des Herrn unseren Pfad wandeln. 
Das Ende des eigenen Wirkens 
Schon von frühester Kindheit an wurde ich belehrt, daß ich 
und alle Menschen Sünder seien, und daß Jesus Christus, der 
Sohn Gottes, in die Welt gekommen und ans Kreuz geheftet 
worden sei, damit Sünder errettet würden, so daß sie, wenn sie 
fleißig beteten und ein gottseliges Leben führten, der ewigen 
Verdammnis entrinnen und in den Himmel gelangen könnten. 
Diese meine erste Unterweisung ließ einen tiefen Eindruck in 
meiner Seele zurück, und das war wohl die Ursache, daß ich 
schon in früher Jugend begann, mir durch eigenes Wirken einen 
Weg in den Himmel und zu Gott zu bahnen. Ich war belehrt 
worden, daß ich nach dem Tode vor Gott ins Gericht treten und 
wegen jeder begangenen Sünde Rechenschaft ablegen müsse 
und daß ich, falls ich unvorbereitet die Erde verlasse, in die 
Hölle kommen werde. Natürlich erfüllten diese Aussichten 
meine Seele mit Furcht und Schrecken. 
Jahre reihten sich an Jahre und ich fand, daß sich auch Sünde 
an Sünde reihte. Die Vergehungen in meinen Jünglingsjahren 
fügten sich zu denen in meiner Kindheit; und das war zuviel 
für mich. Bei alledem war mir die Tatsache entgangen, daß 
mein ganze Natur Sünde ist und daß in mir, das ist in meinem 
Fleische, nicht s Gute s wohnt . Weil ich das nicht erkannt hatte, ging mein Streben stets dahin, das, was einfach 
die Frucht der verderbten Natur war, zu überwinden und zu 
unterwerfen. Gott sei gepriesen! Ich habe später gelernt, daß 
in dem vollkommenen Opfer Christi am Kreuze diese verderbte 
Natur für den Glaubenden gerichtet, beiseitegesetzt und von 
dem Angesicht Gottes entfernt worden ist. 
Ich muß hier bemerken, daß die Christen, mit denen ich zu jener 
Zeit verbunden war, lehrten, man müsse bei der Bekehrung 
einen mächtigen und überwältigenden Wechsel erfahren, in18 
dem die alte, sündenbefleckte und gottlose Natur plötzlich beseitigt werde und ein neues reines Herz an ihre Stelle trete. Da 
ich diesen grundlegenden Wandel als unumstößliche Wahrheit 
betrachtete, prüfte und untersuchte ich mich täglich, ob eine 
solche Veränderung auch bei mir eingetreten sei. Das führte 
zwangsläufig dazu, nach innen auf mich selbst zu schauen. 
Aber was für schreckliche Regungen sah ich da! Ich schrack 
vor meinen bisherigen Anstrengungen zurück, wagte aber dennoch nicht, sie aufzugeben. Jemehr ich nach innen blickte, desto 
mehr erkannte ich meinen gefallenen Zustand als Kind Adams, 
und es wurde mir jetzt wirklich klar, daß ich ein verlorener 
Sünder war. Ich sah mich in meinen Sünden und die Sünde in 
mir, und diese Sicht brachte mir das Bewußtsein, daß, wenn 
ich mich nicht meiner Sünden entledigen konnte, ich eines 
Tages für ewig in den Feuersee gestürzt werden würde. Während ich der Wahrheit in dieser Weise ins Auge schaute, begann 
ein anderer Kampf! Mein stolzes Herz wollte sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterwerfen. Ich war während dieser Zeit 
damit beschäftigt, meine eigene Gerechtigkeit hervorzukehren 
und da ich nichts als ein „unflätiges Kleid" sei und daß mein 
bisheriges Wirken in religiösen Dingen durchaus nutzlos war, 
fühlte ich einen Schlag, der für meinen Stolz zu stark war. Ich 
widersetzte mich dem Zeugnis des Geistes Gottes über meinen 
wahren Zustand vor Ihm und setzte meine Anstrengungen in 
der Hoffnung fort, daß ich nach und nach errettet werde oder 
doch wenigstens in eine Stellung gelange, die sich für die 
Errettung eigne. Ich hatte zwar das Evangelium oft verkündigen hören, und es war mir bekannt, daß Christus als das 
Heilmittel Gottes für die Sünde dargestellt war; aber Satan 
hatte mein Herz so sehr mit meinen eigenen Wegen und mit 
meinem eigenen Tun und Handeln erfüllt, daß mein Auge für 
das einzig wahre Heilmittel zu sehr verblendet war. 
So verging ein Jahr nach dem anderen in dem Gefühl, daß die 
große Frage zwischen meiner Seele und Gott notwendig bald 
in Ordnung gebracht werden müsse. 
Ich befand mich damals in einer großen Stadt und sah mich als 
Fremdling ihren Fallstricken und Gefahren preisgegeben. Ich 
fand keine Ruhe, sondern suchte den Frieden, nach dem meine 
Seele so sehr dürstete. Ich fühlte, daß nur die Befreiung von den 
19 
Banden der Sünde diesen Frieden bringen könne. Ach! nur 
e i n Blick im Glauben auf das Kreuz Christi würde die ganze 
Frage in Ordnung gebracht haben — nur ein Blick im Glauben. 
Wunderbar, höchst wunderbar! Aber ich war zu sehr eingenommen von dem , was ich war, und zu sehr mit meinen Sünden beschäftigt, als daß mir der naheliegende Gedanke gekommen wäre, einfach auf Jesum, das Lamm Gottes, zu blikken — auf jenes von Gott angenommene Opfer für die Sünde 
— auf Ihn, den gepriesenen Herrn, Der bereits alles getan hatte, 
was ich mich zu tun vergeblich bemühte. 
Da ich nun fand, daß alle meine Anstrengungen mir nicht die 
gewünschte Ruhe brachten, sondern vielmehr immer neue Bürden auf mich wälzten, begann ich mehr und mehr zu ermatten 
und versank schließlich in einen Zustand der Gleichgültigkeit. 
Da empfing ich eines Morgens den Besuch eines jungen Mannes, der im gleichen Haus mit mir wohnte. Mit heiteren Blicken 
stürzte er auf mich zu, und mit einem von Freude überströmenden Herzen teilte er mir mit, daß er Frieden gefunden habe 
durch den Glauben an das Blut Christi, das ihn für immer von 
allen Sünden gereinigt habe. In freudiger Erregung lobte und 
pries er die unvergleichliche Liebe Gottes in Christo Jesu — 
jene Liebe, die seiner Seele einen Genuß bereitet hatte, wie sie 
dergleichen nie erfahren hatte. — 
Dieses Erlebnis gab mir einen neuen Anstoß eine alte Frage 
endlich in Ordnung zu bringen und ich beschloß, meine Anstrengungen von neuem zu beginnen, wiewohl ich nicht wußte, 
wie ich die Sache angreifen sollte. Ich überschaute die Sünden 
meines ganzen Lebens, so vieler ich mich' entsinnen konnte, 
wohl wissend, daß Tausende meinem Gedächtnis entwischt und 
Tausende mir gänzlich unbekannt geblieben waren, wobei ich 
völlig übersah, daß meine ganze Natur Sünde war. Das Resultat meiner Prüfung war noch tieferes Elend. Ich erkannte 
mit einem durch die Gnade Gottes erleuchteten Gewissen meinen wirklichen Zustand ganz und gar und da ich den Weg der 
Befreiung von der Sünde nicht kannte und darum ohne Ruhe 
und Frieden war, war ich höchst traurig und so niedergeschlagen, daß nur der sich meinen Zustand vorstellen kann, der eine 
ähnliche Erfahrung gemacht hat. Sünde und Tod, Himmel und 
20 
Hölle standen in ihrer schauerlichen Wirklichkeit vor meinen 
Blicken. Selbstredend war diese Unruhe hauptsächlich eine 
Folge der Predigten und Belehrungen, denen ich beigewohnt 
hatte und in denen der Sünder immer wieder zu eigenem Wir= 
ken angetrieben wurde, anstatt ihm Christum vorzustellen, wie 
Er jedes notwendige Werk in göttlicher Weise vollbracht hat, 
so daß die Seele, die sich verloren und unfähig fühlt, etwas für 
ihre eigene Errettung zu tun, im Glauben an den gekreuzigten 
und auferstandenen Herrn und Heiland Vergebung und Frieden finden kann. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß 
er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, auf daß alle, die an 
ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben" (Joh 3, 16). 
Sicher war die Belehrung nicht verkehrt, daß ich ein Sünder 
sei — ich preise den Herrn vielmehr für diese Unterweisung — 
aber es ist verkehrt, den Sünder zu dem Bestreben anzuspornen, sich durch eigenes Wirken einen Weg zu Gott zu bahnen. 
Wenn doch jene Christen, die sich als Prediger des Evangeliums berufen glauben ihren Eifer darin zeigen würden, Jesum 
vor die Seele des Sünders zu stellen, statt dessen Blicke immer 
wieder auf sich selbst und seine Sünden zu lenken. 
Damit soll nicht etwa das Gefühl für die Häßlichkeit der Sünde 
abgeschwächt werden. Die Sünde kostete dem Herrn Jesus 
alles, was Er hatte, um Seine armen und geliebten Schafe zu 
erretten und sie für immer aus der Macht der Sünde zu befreien. Um der Kirche willen gab Er alles hin, was Er besaß, 
um jenen Acker zu erwerben, in dem die kostbare Perle verborgen war. Die Sünde war die Ursache, um deretwillen der 
Herr Jesus Sein Leben hingab; und nichts würde daher verwerflicher sein, als das Gefühl eines aufrichtigen Herzens für 
die Häßlichkeit der Sünde schwächen zu wollen. Wie beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Worte: „Denn 
die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, auf daß wir die Gottlosigkeit und 
die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und 
gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die 
glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres 
großen Gottes und Heilandes Jesus Christus, der sich selbst 
21 
für uns gegeben hat, auf daß er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und reinigte sich selbst ein Eigentumsvolk, eifrig in 
guten Werken" (Tit 2,11—14). 
Doch kehren wir zu unserer Schilderung zurück. In diesem 
meinem unglücklichen Zustande wurde meine Aufmerksamkeit auf einen Prediger des Evangeliums gelenkt, der, wie man 
mir sagte, durch seine ernsten und gediegenen Predigten viele 
Menschen anzog. Fest entschlossen, meine Neugierde zu befriedigen, ging ich eines Tages hin, um ihn zu hören. Der Raum 
war voll von Zuhörern; aber durch die offene Tür konnte ich 
fast jedes seiner Worte verstehen. In seinem Vortrag verkündigte er der horchenden Menge den Heilsweg Gottes, sowie 
Sein für die Sünde dargebotenes Heilmittel. Ich lauschte mit 
größter Spannung und vernahm plötzlich die Worte: „Was der 
Sünder nötig hat, ist Jesus; ja Jesus und nur Jesus." Wie durch 
göttliche Gewalt drängten sich die Worte in mein unruhig klopfendes Herz. In eindringlichster Art schob der Prediger alles 
andere beiseite, bezeichnete jedes andere Hilfsmittel, worauf 
die Menschen ihr Vertrauen setzen, als die größte Lüge des 
Feindes Gottes und der Menschen und stellte Christum, als die 
einzige von Gott bereitete Zufluchtsstätte dar, eine Zufluchtsstätte, die nicht mehr beseitigt werden könne. Wußte ich dies 
denn nicht schon lange? Gewiß. Und dennoch war es mir, als 
hätte ich heute die köstliche Wahrheit zum ersten Male vernommen, daß der Herr Jesus der Einzige ist, Der zu retten und 
auch meine Seele mit Frieden und Freude zu erfüllen vermag. 
Ja, Er ist der Einzige, und Sein kostbarer Name fiel wie ein 
vortrefflicher Balsam auf mein sündenbeladenes, unruhiges 
Herz, so daß ich alles andere überhörte, was der Prediger sagte. 
Obgleich ich aus Unkenntnis über das vollkommene Werk Jesu 
Christi damals noch nicht jenen Frieden erlangte, dessen sich 
jeder wahrhaft Glaubende an Jesum zu erfreuen das Vorrecht 
hat, so fand ich doch Ihn, Der mir diesen Frieden geben konnte 
und wollte, und in Ihm den Frieden. Ja, nur Christus ist der 
Friede der Gläubigen. Ermüdet und niedergebeugt unter der 
Last meines eigenen Wirkens, gab ich jetzt hocherfreut meine 
hoffnungslose Arbeit auf — eine Arbeit, die nur zu eigenem 
Verderben gereichen kann. Ich ruhte nun in dem vollendeten 
Werke Christi, Der für mich Sein kostbares Blut vergossen hat, 
22 
für mic h in den Tod gegangen, auferstanden und in den 
Himmel aufgefahren ist, wo Er — nachdem Er die Frage der 
Sünde, sowohl hinsichtlich ihrer Wurzel als auch ihrer Zweige 
für immer zur vollkommenen Befriedigung Gottes und zu meiner vollkommenen Freude beantwortet hat — zur Rechten Gottes sitzt, um für mich ein barmherziger Hoherpriester und mein 
Sachwalter zu sein. Ja, dort ist jetzt Sein gesegneter Platz, und 
dorthin werde auch ich Ihm, mit allen, die Seine Erscheinung 
lieben, bald folgen, um Seine Herrlichkeit zu teilen, „wenn er 
kommen wird, verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und 
bewundert in allen denen, die geglaubt haben" (2. Thess 1,10). 
Hat einer meiner Leser erkannt, daß er ein verlorener Sünder 
ist? Wenn ja, dann laß dir sagen, daß auch du es nur mit Jesu 
zu tun hast. Er kam in die Welt, um „Sünder zu erretten" und 
nicht Gerechte, und je früher du mit Ihm in Berührung kommst, 
desto gesegneter wird der Erfolg sein. Vielleicht hast du dich 
nicht wie ich durch eigenes fruchtloses Wirken abgemüht, das 
ja, fern von dem Blute Christi, nur im Gericht enden kann; 
gleichviel — auch für dich gilt das Wort jenes Predigers: „Was 
der Sünder nötig hat, ist Jesus, ja Jesus und nur Jesus"! Dort 
hat meine Arbeit ihr Ende gefunden, und dort muß jedes andere Mühen sein Ende finden, mögen es tote , religiöse , 
oder gottlos e Werke sein. Das Kreuz zeigt uns das göttliche Urteil über all diese Dinge. 
Die Stellung und der Zustand 
des Christen 
(Epheser 1, 15—23; 3, 14—20) 
Es gibt zwei wichtige Begriffe, die jeder, der an Christum 
glaubt, erfaßt haben sollte: die Stellung und den Zustand des 
Christen — seine Stellung vor Gott in Christo und seinen Zu= 
stand, der dieser hohen und heiligen Stellung entspricht. 
Der Heilige Geist allein kann die Person und die Stellung 
Christi offenbaren und uns ihren Platz in Ihm bewahren. Vertrauen wir in aller Einfalt darauf, daß Er es tun wird. „Da wir 
23 
nun gerechtfertigt worden, sind aus Glauben, so haben wir 
Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch 
welchen wir mittels des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher wir stehen, und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes" (Röm 5, 1. 2). In Christo besit= 
zen wir alles. Das verdeutlicht diese Stelle. Wir sind gerechtfertigt, haben Frieden und Zugang zu der Gnade und rühmen 
uns in Hoffnung der Herrlichkeit, ja der Herrlichkeit Gottes. 
Mit diesen Dingen sind wir jetzt in der gesegnetsten Weise 
verbunden, indem wir Christum, die Hoffnung der Herrlichkeit im Herzen haben, „Denen Gott kundtun wollte, welches 
der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses sei unter 
den Nationen, welches ist Christus in euch, die Hoffnung der 
Herrlichkeit" (Kol i, 27). 
Die Person und das Werk Christi rücken damit in den Mittelpunkt unseres Nachsinnens. Die Erniedrigung und die Herrlichkeit des vom Vater geliebten Sohnes erfüllen das Herz ganz 
und gar, und man freut sich der Gemeinschaft mit dem Vater 
und dem Sohne. Die Betrachtung Seiner Liebe weckt auch in 
unserem Herzen Liebe. Geht es um die Stellung und den Zustand des Gläubigen, so muß Christus Selbst der Mittelpunkt 
unserer Gedanken und unserer Anbetung sein; das Herz muß 
durch innige Gemeinschaft mit Ihm von dankbarem Lob überfließen. Wenn wir in Seiner Gnade stehen, müssen wir auch 
Seine Stellung kennen, um unsere eigene zu beachten, und wenn 
wir in Ihm geliebt sind, müssen wir auch die Liebe des Vaters 
zu dem Sohne kennen, um Seine Liebe zu uns zu verstehen. 
Und in dem Maße, wie wir in diese gesegneten Wahrheiten 
eindringen und uns mit Christo beschäftigen, wird auch unser 
Zustan d hier unten der Abdruck unserer Stellun g 
dort oben sein. 
Die zwei Gebete des Apostels Paulus in seinem Brief an die 
Epheser stellen uns den Gegenstand unserer Betrachtung ganz 
deutlich und klar vor Augen. Gebe der Herr, daß wir die wun= 
derbare Tiefe und Höhe Seiner Wege und Seiner Herrlichkeit, 
die des einst leidenden, jetzt aber verherrlichten Jesus ergrün= 
den, sowie auch die Lieblichkeit Seiner Liebe und die innere 
Kraft des Heiligen Geistes kennenlernen. 
24 
Zunächst betet der Apostel (Kap l, 15—23), daß die Heiligen 
ihren Platz oder ihre Stellung in dem auferstandenen und verherrlichten Haupte, Jesu Christo, kennen und einen tiefen und 
richtigen Begriff ihres Platzes vor Gott in Ihm, Der alles Seinen Füßen unterworfen hat, bekommen möchten. Im Zusammenhang hiermit werden die Heiligen im letzten Kapitel aufgefordert, ihre Stellung gegen jeden Feind zu behaupten. „So 
stehet nun", sagt der Apostel — er sagt nicht: „machet Fortschritte" — denn es gibt keinen höhern und bessern Platz. Wiederum betet Paulus (Kap 3, 14—21) und drückt nun den 
Wunsch aus, daß ihr Zustand ihrer Stellung entsprechen möge. 
Er bittet, daß sie mit Macht durch Seinen Geist an dem inneren 
Menschen gekräftigt würden, daß Christus durch den Glauben 
in ihren Herzen wohnen und sie in Liebe gewurzelt und gegründet seien. 
Höchst bedeutsam — auch für ein besseres Verständnis des ganzen Briefes — ist die Unterscheidung der beiden Beziehungen, 
in welchen Gott zu Christo, und folglich in Ihm auch zu uns 
steht. 
Diese zweifache Beziehung kommt schon bei Beginn des Briefes 
zum Ausdruck: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres 
Herrn Jesus Christus". Sie durchstrahlt den ganzen Brief. Er ist 
unser Gott und Vater in Christo. Sobald unser Herr auferstanden war, machte Er diese köstliche (auf die vollbrachte Erlösung 
gegründete) Wahrheit bekannt. „Gehe hin zu meinen Brüdern 
und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu 
eurem Vater und zu meinem Gott und zu eurem Gott" (Joh 20, 
17). Welch eine gesegnete Frucht des Todes und der Auferstehung unseres Heilandes! 
Das erste Gebet ist zu „dem Gott unseres Herrn Jesus Christus" gerichtet, das zweite dagegen „zu dem Vater unseres 
Herrn Jesus Christus". In jedem Gebet entspricht auch der 
Hauptgedanke den beiden verschiedenen Titeln. In jenem 
drückt sich die Macht und Herrlichkeit aus, welche sich in Dem 
auferstandenen Christus entfalten, in diesem die Verwandtschaft 
und die Liebe. Der Vater liebt den Sohn, und als Solcher hat 
der Herr Seine besondere Stellung, die in keiner Beziehung zu 
Seiner Erhöhung steht. Als Mensch hingegen, Der einst 
unserer Sünden wegen erniedrigt wurde und Gott dadurch verherrlichte; daß Er diese hin wegnahm, ist Er erhöht worden und 
25 
folglich auch wir in Ihm. Lieb e und Herrlichkei t stellen sich damit den sehenden Augen dar — Liebe zu dem Sohne, 
Herrlichkeit für Christum — und also sind auch wir geliebt und 
verherrlicht in Ihm. Gesegnete Wahrheit! Wie köstlich für 
unsere Seelen! Welche Gnade! Welche Liebe! Welche Herrlich= 
keit! Wir werden Ihn ewig dafür loben und preisen. 
Aber bei näherer Betrachtung der beiden Gebete treten die 
Fülle und der Reichtum dieser wunderbaren Wahrheiten noch 
deutlicher hervor. 
„Weshalb auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben 
an den Herrn Jesus, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr 
zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre, für euch zu danken, euer 
erwähnend in meinen Gebeten" (Vers 15 und 16). Von welcher 
Versammlung der Gläubigen würde der Apostel jetzt wohl 
dasselbe sagen können? Bei den Ephesern nahm Christus den 
rechten Platz in ihren Herzen ein, und folglich standen die Heiligen auf dem richtigen Boden. — Der Glaube an Christum 
und die Liebe zu den Heiligen gehören zusammen; 
eins ist sozusagen die Frucht des anderen. Wenn Christus nicht 
den gebührenden Platz in unseren Herzen hat, so werden auch 
die Gläubigen nur einen unangemessenen Platz darin einnehmen. Die Epheser liebten nicht nur die Heiligen, deren Charakter und deren Gewohnheiten ihnen angenehm waren; nein, sie 
besaßen „Liebe zu alle n Heiligen". Hieraus ist nicht zu 
schließen, daß wir alle Gläubigen in gleichem Maße lieben 
müssen; dies wäre unmöglich. Wir sollen sie aber alle als Kinder Gottes lieben; von Seinem und nicht von unserem Gesichtspunkt aus müssen wir sie betrachten. Wohl können wir unter 
Gottes Kindern unsere besonderen Freunde haben; dies kann 
sogar oft nützlich für uns sein aber wir müssen darauf bedacht 
sein anderen Christen durch unsere speziellen Zuneigungen 
keinen Anstoß zu geben. 
Wie aber können wir diese Liebe zu allen Heiligen verwirklichen? Ist es nicht unmöglich, allen Heiligen ohne Ausnahme 
Liebe zu erweisen? O, nein! wir können es, wenn wir sie in 
dem Lichte des Herrn betrachten, wenn wir Seine Gedanken 
über sie kennenlernen. Das allein wird uns über alles das hinwegsehen lassen, was nicht liebenswürdig ist und uns bewah= 
ren vor Eigenliebe und Selbstsucht, die unserer Liebe zu ande26 
ren immer so sehr im Wege stehen. „Wenn wir aber in dem 
Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist, so haben wir Gemein= 
schaft miteinander" (i. Joh 1, 7). Gott muß den ersten Platz 
einnehmen, wenn wir einander lieben wollen. 
Als Paulus, der große Apostel der Heiden, Gefangener in Rom 
war, alt und schwach, getrennt von seinen Freunden, gehindert 
am Besuche der Versammlungen und an seiner Arbeit für das 
Evangelium, als etliche sogar „seinen Banden Trübsal zuzufügen gedachten", indem sie „Christum nicht lauter verkündigten", ließ er sich durch diese Umstände nicht beunruhigen; denn 
die Ehre Christi und die Bekehrung von Seelen war ihm mehr 
wert, als seine persönliche Freiheit und sein Anteil an dem 
Werke. Deshalb konnte er sagen: „Was ist es denn? Wird 
doch auf alle Weise, sei es aus Vorwand oder in Wahrheit, 
Christus gepredigt, und darüber freue ich mich, ja ich werde 
mich auch freuen". Mochte man Christum als Vorwand — damit seinen Banden noch Trübsale zugefügt würden — oder 
in Wahrheit und Lauterkeit verkündigen, stets floß das Herz 
des Apostels von Freude über. Seine Freude in Gott und seine 
Liebe zu den Heiligen waren unerschütterlich. „Ich danke meinem Gott", schrieb er „hei aller meiner Erinnerung an euch, indem ich allezeit in jedem meiner Gebete für euch alle das 
Gebet mit Freuden tue". Ein Strom von Liebe ergoß sich aus 
jenem Kerker zur Erquickung aller Versammlungen — aller 
Heiligen, und noch immer erquickt diese unvergleichliche Liebe 
viele Gläubigen. Er ließ sich von seinen Feinden nicht erschrekken oder entmutigen, denn er hatte seine Augen auf Christum 
gerichtet und war von Freude über seine Brüder in Christo 
erfüllt. Die innige Gemeinschaft mit dem Herrn verlieh ihm 
einen so herrlichen Sieg. Der Feind konnte ihm wohl die Frei= 
heit nehmen und ihm einen gemeinen Verbrecher zugesellen; 
aber Christum konnte er ihm nicht nehmen, noch seine Liebe 
zu den Heiligen. Kostbares Vorbild! Gesegnete Lehre für 
unsere Herzen! Möchten wir sie zu verstehen und ihm in treuer 
Weise nachzufolgen suchen! 
„Auf daß der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der 
Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst" (V. 17). Der Apostel 
ist hier Lehrer und Fürsprecher; sein Gebet steht in vollkom27 
menem Einklang mit den eben erwähnten Wahrheiten. Oft 
wird im Gebet das zerstört, was durch Belehrung aufgebaut 
wurde. Paulus hingegen greift seine Belehrung auch im Gebet 
auf. Nachdem er die Heiligen in Ephesus als Kinder Gottes und 
„gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen 
Ortern in Christo" angeredet hatte, konnte er unmöglich beten, 
daß sie die Liebe Gottes und die Vergebung ihrer Sünden erkennen möchten. Er hatte sie zuvor über diese gesegneten 
Wahrheiten belehrt, ihnen die Versicherung gegeben, — ja, er 
gibt sie den ganzen Brief hindurch allen Heiligen — daß sie 
Kinder Gottes sind, nach dem Wohlgefallen Seines Willens, 
die Freude Seines Herzens., daß sie begnadigt sind in dem Geliebten, daß der Heilige Geist in ihnen wohnt, und zwar als 
Siegel ihrer Errettung und als Pfand ihrer zukünftigen Herrlichkeit. „In welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, 
versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geiste derVerheißung, 
welcher das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des 
erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit". In schöner Übereinstimmung mit diesen und anderen großen Wahrheiten bittet er, daß Gott ihnen den Geist der Weisheit geben 
möge, um diese wunderbaren Offenbarungen Seiner Gnade zu 
verstehen, und daß sie im Glauben wachsen möchten hinsichtlich Seiner wundervollen Gedanken und Ratschläge über sie. 
Müssen wir als Christen nicht aber unsere Sünden und Fehler 
bekennen? Ohne Zweifel; wir sollten es beständig tun, weil 
wir sonst nicht mit Gott wandeln können. Andererseits sollen 
wir den Boden, auf welchem wir vor Gott stehen, nicht untergraben. Unsere Stellung in der Gegenwart Gottes ist in Christo 
nach dem Reichtum der Gnade Gottes, und da insofern Fehlgehen nicht in Betracht kommt, können wir auch den uns gegebenen Platz nicht verlieren. Wir stehen hier „zum Preise der 
Herrlichkeit seiner Gnade". Obwohl wir uns als Gläubige unserer Fehler tief bewußt sein sollen, dürfen wir dennoch nicht die 
Ebene armer, verlorener Sünder einnehmen. Dies würde unserer 
Stellung ganz und gar widersprechen; denn nach der Aussage 
des Heiligen Geistes sind wir Kinder Gottes und begnadigt in 
dem Geliebten. Aber wie sollen wir dann unsere Sünden, unsere 
bösen Gedanken bekennen? Die Antwort ist sehr einfach: als 
Kinder des Vaters, nicht aber als Sünder vor Gott. Unsere Feh28 
ler und Übertretungen wiegen deshalb nicht weniger schwer — 
im Gegenteil, sie sind für Gott viel schmerzlicher; denn wir 
sündigen als Kinder trotz unserer Erkenntnis der Liebe und 
Gnade. Wir können gewiß sein, daß, je besser wir unseren 
Standpunkt vor Gott verstehen, desto tiefer auch unsere Demütigung wegen eines Vergehens sein wird. Des Christen 
Wandel sollte eigentlich seiner Stellung vollkommen entsprechen, wie geschrieben steht: „Seid heilig, den ich bin heilig". 
Aber leider ist dies oft nicht so, und dann ist es unsere Pflicht, 
uns zu demütigen und unsere Fehler vor Gott zu bekennen. 
Die Frage ist daher nicht, ob der Christ besser ist als je zuvor, 
sondern ob sein Standpunkt verändert ist. Seine Stellung vor 
Gott ist nicht mehr in dem alten Adam, sondern in dem zweiten Adam — dem auferstandenen Christus. Nachdem man gläubig geworden ist, wird ein Gott wohlgefälliger Wandel gefordert. „Wer da sagt, daß er in ihm bleibe, ist schuldig selbst 
auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat" (1. Joh 2, 6). Dennoch ist ein Christ nicht ohne Sünde: „Wenn jemand gesündigt 
hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum 
Christum, den Gerechten" (V. 1). In solcher Weise spricht die 
Heilige Schrift von den Geliebten Gottes. Wenn hingegen von 
der alten Natur die Rede ist, so wird gesagt, daß in uns nichts 
Gutes wohne. Durch unseren Sachwalter — durch Sein Blut — 
werden alle unsere Fehler ausgetilgt und kommen nicht vor 
den Thron Gottes. Welch eine Gnade, daß Christus alle unsere 
Angelegenheiten wahrnimmt. Seinem Namen sei Lob und 
Dank! 
Der Apostel wendet sich in seinem ersten Gebet also an den 
„Gott unseres Herrn Jesus Christus, den Vater der Herrlichkeit". Die Macht Gottes, welche in der Erhöhung Christi und 
des Christen in Ihm dargestellt wird, ist der Hauptgedanke in 
diesem Gebet. Die durch den Ausdruck „Vater der Herrlichkeit" hervorgebrachte Empfindung ist für das Herz eines Kindes sehr köstlich; denn mit dem Namen „Vater" ist der Begriff 
„Liebe" unzertrennlich verbunden, wie mit dem Titel „Gott" 
der Begriff „Macht". Diese Liebe des Vaters ist die Quelle 
jener Herrlichkeit, aller jener vollkommenen Segnungen. Er ist 
der „Vater der Herrlichkeit". 
29 
Groß und wunderbar entfaltet sich hier in der Tat die Macht 
Gottes dem Glaubensauge: „Die überschwengliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der 
Macht seiner Stärke, in welcher er gewirkt hat in dem Christus, 
indem er ihn aus den Toten auferweckte und ihn setzte zu 
seiner Rechten in den himmlischen Örtern". Aber stehen Liebe 
und Herrlichkeit nicht in Verbindung miteinander? Ohne Zweifel! Nur ist die Liebe größer und schöner als die Herrlichkeit; 
denn letztlich ist selbst die glänzendste Herrlichkeit bloß die 
äußere Offenbarung der Liebe. Beide werden im Tausendjährigen Reiche gesehen werden. Dann wird der Himmel, im 
übertragenen Sinne, der Erde näher gerückt sein, so wie Jakob 
die Erde durch eine Leiter mit dem Himmel verbunden sah; 
dann aber wird auch die Kirche mit Christo vereinigt sein, 
wovon der Herr Selbst in Joh 17 spricht: „Die Herrlichkeit, 
die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, auf daß sie 
eins seien, gleich wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, 
auf daß sie in eins vollendet seien, und auf daß die Welt erkenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, gleichwie du 
mich geliebt hast". 
Wunderbare, gesegnete Wahrheit! Die Herrlichkeit, welche der 
Vater dem Sohne gibt, wird uns von dem Sohne gegeben, damit die Welt einsehe, daß Gott Seinen eigenen Sohn gesandt 
und der Vater uns geliebt hat, wie Er den Sohn liebt. Welche 
Liebe, welche Gnade! Die Welt wird uns also mit Christo in 
derselben Herrlichkeit sehen und wird dann erkennen, daß wir 
auch mit derselben Liebe geliebt sind. Wird sie auch unsere 
Freude im Hause des Vaters erkennen? O nein! Dies ist allein 
der Ort für Seine Kinder, die Heimat, wo alle, die hier unten 
an Christum geglaubt haben, einst ausruhen werden. Dies ist 
deine gesegnete Hoffnung. Es ist besser, alles einzubüßen, als 
diese Heimat der Liebe, diese ewige Herrlichkeit zu verlieren. 
„Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben. 
Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben, wer aber dem 
Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der 
Zorn Gottes bleibt auf ihm" (Joh 3, 35. 36). Gebe der Herr, 
daß alle Leser dieser Zeilen einst für ewig in jene glückselige 
Heimat einziehen! 
30 
„Damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens wisset, welches die Hoffnung seiner Berufung ist und welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen, und welches 
die überschwengliche Größe seiner Kraft ist an uns, den Glaubenden" (V. 18. 19). Der erste Gedanke, welcher beim Lesen 
dieser Verse in uns aufsteigt, ist gewiß, daß Gott die Quelle 
aller Segnungen ist. Wie schön und köstlich ist dieser Gedanke 
für das Herz! 
Wenn der Apostel im Anfang seines Briefes an die Römer von 
dem Evangelium spricht, nennt er es „das Evangelium Gottes 
über seinen Sohn Jesum Christum, unseren Herrn". Dort ist die 
Quelle und Christus der Gegenstand des Evangeliums. Hier, 
in den himmlischen örtern aber ist es die herrliche Darstellung Seiner Gnade und Liebe, welche Er denjenigen erweist, 
die durch das Evangelium zu Ihm geführt worden sind. Ob es 
nun Gnade und Liebe zu Sündern auf der Erde, oder zu Heiligen im Himmel ist, die Quelle ist stets dieselbe. Wunderbar 
und anbetungswürdig, wenn wir daran denken, welche Geschöpfe wir sind! 
Was könnte auch kostbarer und ermutigender für uns sein, 
als sich mit den Gedanken und Ratschlägen Gottes, der Quelle 
aller unsrer Segnungen, zu beschäftigen? Diese Grundlagen 
sind bleibend und unveränderlich. Schon vor Grundlegung der 
Welt gedachte Gott an unsere Erlösung, und jetzt sind der auferstandene Christus und die Kinder Gottes als Auferstandene 
in Ihm die vollkommene Antwort auf die ewigen Ratschlüsse 
der Liebe. „In welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, 
die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner 
Gnade" (V. 7). 
Aber laßt es uns wohl beachten, die Quelle ist nicht nur der 
Ursprung der Freude für uns selbst, sondern auch die Triebfeder reicher Segnungen für andere. Wenn wir in richtiger 
Verbindung mit der Quelle stehen, so werden wir ein Kanal 
des lebendigen Wassers für andere werden; wir werden dann 
das Vorrecht haben, die Herde des Herrn zu tränken, wo sie 
sich versammelt hat. Möchten wir doch nahe bei dem geliebten 
Herrn — der Quelle aller geistlichen Segnungen — bleiben, damit wir auch anderen Heiligen von dem lebendigen Wasser 
mitteilen können! 
31 
Befassen wir uns nun etwas näher mit der Berufung des Christen (V. 18). Wozu hat der Herr den Christen nach dem Reichtum Seiner Liebe berufen? Dies ist eine sehr wichtige Frage. 
Ist es eine Berufung zu der Hoffnung auf Errettung d. h. mit 
einem gewissen Grad von Ungewißheit? Keineswegs — unsere 
Erlösung ist eine sichere Tatsache: „Durch Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens" (Kap 2, 8). Die Hoffnung Seiner 
Berufung ist das, wozu wir in Christo Jesu, als Kinder Gottes, 
berufen sind. Wir sollen uns freuen in dem auferstandenen 
Christus, Der, über alle Feinde triumphierend gen Himmel ge= 
fahren ist und jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Das ist unsere 
Berufung durch den Glauben. 
In diesem Teil seines Gebets denkt der Apostel ohne Zweifel 
an die Worte, welche er am Anfang des Briefes gebraucht hat: 
„Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den 
himmlischen örtern in Christo, wie er uns auserwählt hat in 
ihm vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos 
seien vor ihm in Liebe und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens" (V. 3—5). Alles ist hier Gnade — vollkommene, aus der Liebe Gottes hervorgegangene Gnade. Gott 
wird hier allein als der Segenspender vorgestellt; in Seinem 
Herzen befindet sich die Quelle aller Segnungen — aber Christus ist die Grundlage von allem. In Ihm sind wir gesegnet, 
durch Ihn ward uns Vergebung aller Sünden. 
Das Herz des Apostels ist von diesem köstlichen Gedanken 
so erfüllt, daß er lobend und anbetend ausruft: „Gepriesen sei 
der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen 
örtern in Christo". Alle unsere Segnungen gehen von dieser 
zweifachen Beziehung — Gott und Vater — aus. In den ersten 
Worten, welche der Herr nach Seiner Auferstehung Seinen 
Jüngern sagen ließ, entfaltete Er diese gesegnete Wahrheit. 
„Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: ich fahre 
auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott 
und eurem Gott". Seine Jünger konnte Er Brüder nennen. Er 
32 
konnte sie auf denselben Platz stellen, auf dem Er stand. Wun= 
derbare Wahrheit! Zu der Erkenntnis und dem Glauben dieser 
Wahrheit — zu deren praktischen Offenbarung bist du, christlicher Leser, berufen. Laß es nicht unbeachtet, sondern betrachte 
es als Gottes Wahrheit; denn es ist nicht nur eine Meinung, 
ein Gefühl, sondern echte Wirklichkeit. 
„Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, 
daß wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe" (V. 4). 
Dieser Vers stellt uns die Segnungen der Berufung Gottes in 
Verbindung mit der göttlichen Natur dar, während uns dagegen im fünften Vers die herrliche Verwandschaft zwischen 
dem Vater und uns — Seinen Kindern — offenbart wird. „Heilig und tadellos in Liebe" —nur in einem solchen Zustand passen wir in die Gegenwart Gottes; als ein heiliger und gerechter Gott kann Er nur diejenigen in Seiner Gegenwart dulden, 
welche gleich Ihm, heilig und ohne Sünden sind. Als Vater aber 
erinnert Er uns durch den Heiligen Geist an die gesegneten 
Vorrechte einer innigen Verwandtschaft. Er, der Schöpfer des 
Himmels und der Erde, nennt uns Seine Kinder. Welche Gnade! 
Welch reiche Segnungen! Möchte doch jeder Gläubige einsehen, 
daß diese zwei Hauptsegnungen — die göttliche Natur und die 
Sohnschaft — in Ihm vereinigt sind; möchte er doch wünschen, 
eine vollkommene Kenntnis von dem zu erhalten, wozu Seine 
Gnade uns erwählt hat! 
Gott Selbst ist es, Der uns in Christo zu dieser segensreichen 
Berufung erwählt hat. Der Vorsatz, die Auserwählung, die 
Liebe — alles ist von Ihm. Er ist die Quelle und der Ursprung 
all' dieser Segnungen; ja sogar vor Grundlegung der Welt 
dachte Er schon an uns — an uns, die von Gott abgefallen und 
in die Sünde gefallen waren. Mit unseren Sünden können wir 
aber nicht vor Seinem Angesicht bestehen; denn Gott kann 
keine Gemeinschaft mit dem Bösen haben. Deshalb mußten 
wir Ihm gleichgemacht und unsere Sünden weit von uns ent= 
fernt werden; wir mußten Seiner Natur teilhaftig werden, da= 
mit wir vor Seinem Antlitz als Heilige und Tadellose in Liebe 
bestehen können. 
33 
O! Möchte doch der Ungläubige und noch ungereinigte Sünder 
daran denken, daß Gott die Ungerechtigkeit unmöglich dulden 
kann, daß Er das Böse einmal richten und alle Gottlosen in 
den See werfen wird, der mit Feuer und Schwefel brennt (Offb 
2i;
 8). Jetzt ist noch die Zeit der Gnade; vielleicht wird es bald 
für ewig zu spät sein. Jetzt fließt die Quelle des Wassers noch 
für jeden, der mit dem Wunsche naht, von seinen Sünden abgewaschen zu werden. „Ich will dem, der dürstet, aus der 
Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst". Geliebter 
Leser, wenn du dieses lebendige Wasser noch nicht hast, beachte dann doch diese Worte. Aus freier Gnade — umsonst — 
bietet Gott dir völlige Vergebung deiner Sünden an; aber wenn 
du Seine einladende Stimme nicht beachtest, so wird dein Teil 
in dem See sein, der mit Feuer und Schwefel brennt. Ernste 
Warnung für jeden, der sich der freien Gnade noch nicht ergeben hat. 
Der Gedanke an eine völlige Trennung von Gott an diesem 
Ort der Qual ist furchtbar, überwältigend. Abgeschieden von 
Gott und Christo, von allen Guten und Heiligen, von allen 
Reinen und Glücklichen; verurteilt, für ewig seinen Platz bei 
den Bösen einnehmen zu müssen ist schlimmer als wir jetzt 
verstehen können. Wer könnte es ergründen? Wer ist fähig, 
das Furchtbare der Worte Jesu am Kreuze zu begreifen: „Mein 
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Dieses „Verlassensein" werden einst alle verstehen, die hier auf Erden die 
einladenden Worte Jesu nicht beachtet haben. Verlassen von 
Gott und all Seiner Güte, verlassen von Jesu und Seiner versöhnenden Liebe, verlassen von dem Heiligen Geist und all 
Seinen Bemühungen, verlassen von aller Liebe und Freude, 
werden ihre armen, verlorenen Seelen in die äußerste Verzweiflung geraten. Darum, unbekehrter Leser, geh zu dem liebreichen Heiland, der dich so freundlich einladet: „Kommet her zu 
mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch 
Ruhe geben." — 
Nach dieser kurzen Abschweifung kehren wir zum Gegenstand 
unserer Betrachtung zurück. 
Dies Verweilen in der Nähe Gottes setzt also voraus, daß wir 
Ihm gleich sind, d. h. wir müssen „heilig und tadellos in Liebe" 
34 
sein. Steht damit aber nicht vieles in uns völlig in Widerspruch? 
Die Antwort auf diese Frage ist einfach und dennoch sehr bedeutsam. Der Apostel spricht hier nämlich von dem, was wir 
in Christo sind, nicht von unserer eigenen Natur, welche noch 
immer dieselbe geblieben ist und sich immer wieder mit neuen 
Sünden beflecken kann. Wir sind auserwählt und berufen in 
Christo — Er ist unser Leben und in Ihm stehen wir, abgewaschen von allen Sünden, vor Gott. Christus ist heilig und 
tadellos in Liebe, und da Gott uns in Seinem Sohne sieht, so 
kann Er mit Wohlgefallen Seine Augen auf uns ruhen lassen. 
Welches unaussprechliche Vorrecht! Schon jetzt stehen wir rein 
und heilig in dem auferstandenen und verherrlichten Christus 
vor Gott, während wir einmal „ihm gleich sein werden; denn 
wir werden ihn sehen wie er ist". 
Aber inwiefern entsprechen wir dieser herrlichen Stellung in 
Christo? Unser praktischer Wandel stimmt doch häufig mit 
diesen köstlichen Segnungen und Vorrechten nicht überein. Nur 
zu oft entsprechen wir dem nicht, was uns als Kindern Gottes 
geziemt. Wir erlauben uns viele Dinge, die unserer göttlichen 
Natur zuwider sind. Woher kommen Stolz, Eitelkeit und Weltsinn? Gewiß nicht aus unserer göttlichen, sondern aus unserer 
alten Natur, in der nichts Gutes wohnt. Mit dieser Überzeugung, daß nämlich in unserem Fleische nichts Gutes zu finden 
ist, sollen wir uns aber nicht abfinden, sondern das Fleisch vielmehr zu unterdrücken suchen und gegen alle seine Bemühungen 
angehen. Möge der Herr es uns in Seiner Gnade geben, daß wir 
uns tagtäglich von Ihm unterweisen lassen, damit wir immer 
mehr gekräftigt werden, Seinen Willen auszuführen. 
Haben wir wohl schon einmal bedacht, welch ein wunderbarer 
Tausch es sein wird, wenn wir unserer heiligen, göttlichen 
Natur in Wirklichkeit teilhaftig, wenn wir Christo vollkommen 
gleich sein werden und kein Gedanke, kein Wunsch mehr im 
Widerspruch zu Gott stehen wird? Dann ist kein Wort, keine 
Tat länger Seiner heiligen Gegenwart unwürdig, und unsere 
Freude wird kein Ende haben. O, welch ein wunderbarer Gedanke, welch eine vollkommene Segnung! Laßt uns doch daran 
denken, was für ein herrliches Los uns noch bevorsteht, wie 
vollkommen wir uns der Liebe und Gnade des Herrn erfreuen 
werden! 
35 
Wenn wir nun richtig verstehen wollen, „was die Hoffnung 
seiner Berufung ist", so müssen wir von unserer Verwandtschaft 
mit Gott, wie von unserer Natur völlig überzeugt sein; denn 
man kann heilig und tadellos in Liebe und doch nur Diener 
sein. Die hervorragendsten Engel nehmen keine höhere Stellung ein. Aber wir, die wir durch Seine Gnade vom niedrigsten 
zum höchsten Platz erhoben sind, werden Söhne genannt. 
„Also bist du", sagt Paulus, „nicht mehr Knecht, sondern Sohn, 
wenn aber Sohn, so auch Erbe Gottes durch Christum". Und 
am Schluß der Heiligen Schrift wird diese für unsere Herzen so 
unaussprechlich köstliche Wahrheit noch einmal wiederholt: 
„Wer überwindet, wird dieses ererben, und ich werde ihm 
Gott sein, und er wird mir Sohn sein". Dieses herrliche Vorrecht — unsere Kindschaft — ist der zweite Teil der Berufung 
eines Christen. 
„Der uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens" 
(V. 5). Während die Juden im Alten Testament „das Volk 
Gottes" genannt wurden, nennt der Herr uns Kinder. Ohne 
Zweifel waren die alttestamentlichen Heiligen wiedergeboren, 
und in dem Sinne waren sie Kinder Gottes; aber wenn Er von 
ihnen spricht, so sagt Er „mein Volk" und nicht „meine Kinder". Sie hatten auch das ewige Leben; dennoch wird im Alten 
Testament nie davon gesprochen; erst Christus offenbarte dies. 
Auch hören wir erst nach der Auferstehung Christi, daß Er 
Seine Jünger als Seine Brüder bezeichnet (Joh 20, 17), und von 
diesem Augenblick an nehmen wir den Platz als 
Söhne Gottes ein. Christus ist zwar der Sohn des 
Vaters von Ewigkeit her, und in dieser Beziehung kann Ihm 
niemand an Herrlichkeit gleichkommen; aber wir sind mit Ihm 
als mit dem auferstandenen und verherrlichten Sohne Gottes 
einsgemacht, eins mit Ihm durch Sein Werk am Kreuz und nach 
dem wohlgefälligen Willen des Vaters. 
Zu aller Zeit segnete Gott den Gläubigen nach der Offenbarung, welche Er ihm von Sich Selbst gab. Dem Abraham offenbarte Gott Sich als Allmächtiger und überschüttete ihn als den 
Bewahrer der Verheißung mit Segnungen. Von Gott gerufen, 
verließ er sein eigenes Volk und Land, um in ein ihm völlig 
unbekanntes und fremdes Land zu gehen. Obwohl er nicht 
36 
wußte, wohin der Herr ihn führen würde, gehorchte er Ihm 
dennoch in dem vollen Vertrauen, daß alles, was der Herr ihm 
befahl, zu seinem Besten gereichen würde. Und dieses Vertrauen sollte nicht beschämt werden, denn in jenem fremden 
Land, in der Gegenwart des Königs von Sodom, wurde sein 
Herz näher zu Gott geführt; dort bekannte und ehrte er den 
Herrn als „den höchsten Gott, der Himmel und Erde besitzt". 
Die Verheißung Gottes war für sein Herz völlig genug, an sie 
glaubte er. Außer dieser Verheißung hatte er nichts; denn Gott 
gab ihm kein Erbteil in jenem fremden Lande, „auch nicht einen 
Fuß breit, und er verhieß, daß er es ihm zum Besitztum geben 
würde und seinem Samen nach ihm, als er kein Kind hatte" 
(Apg 7, 5). Abraham glaubte, und Gott Ließ seinen Glauben 
nicht zuschanden werden. Von welchem Gläubigen könnte der 
Heilige Geist jetzt wohl sagen, daß alle seine Werke durch 
Glauben geschehen, wie uns von Abraham mitgeteilt wird 
(Hebrn) ? 
Die Verwandtschaft zwischen dem Volke Israel, den Nachkommen Abrahams, und ihrem Gott, war durch einen Bund festgesetzt, der ihnen zeitliche Segnungen in einem bevorzugten 
Land zusicherte, aber durch ihre Empörung wider ihren Herrn 
sind sie jetzt Seiner züchtigenden Hand unterworfen. Dennoch 
bleiben sie Sein auserwähltes Volk, das einst, wenn die Zeit 
Seiner Trübsal vorüber ist, in alle seine Rechte wieder eingesetzt und sich Seiner Segnungen reichlich erfreuen wird. Der 
Christ dagegen hat weit herrlichere als jene irdischen Segnungen; er kennt Gott nicht nur als einen allmächtigen Gott, als 
den Jehova, sondern auch als einen Vater. „Ich werde euch zum 
Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, 
spricht der Herr, der Allmächtige" (2. Kor 6,18). Die Israeliten 
konnten sich auf die Verheißungen ihres treuen Gottes stützen, 
aber wir ruhen in einer vollbrachten Erlösung. Nichts kann der 
Segnung nach Vers 5 noch hinzugefügt werden — ein größeres 
Vorrecht kann man sich nicht denken. Er hat uns nicht allein 
auserwählt, um Ihm gleich zu sein, sondern auch bei Ihm, in 
Seiner Nähe zu wohnen. Wie zärtlich, wie wunderbar drückt 
der Herr uns dadurch Seine innige Liebe aus! Ja, für Sich 
Selbst hat Gott uns auserwählt, damit wir in Seiner unmittelbaren Nähe, dort wo Christus Seinen Platz hat, verweilen. Das, 
37 
geliebter Leser, ruft Gott dir und jedem Christen zu, wie 
schwach er auch sein mag. Du bist berufen, Ihm gleich zu sein 
und für ewig in Seiner Nähe zu verweilen, und zwar — beachten wir es wohl — „nach dem Wohlgefallen Seines Willens". 
„Zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, worin er uns begnadigt hat in dem Geliebten" (V. 6). Dieser Vers stellt uns 
die Fülle der göttlichen Liebe zu Seinen Kindern deutlich vor 
Augen. Wir sind gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in 
Christo — wir sind auserwählt in Christo — wir sind Kinder 
durch Jesum Christum; aber begnadigt sind wir in dem Geliebten. Weshalb dieser Wechsel im Ausdruck? Weil der Heilige Geist hier andeuten will, daß uns die zärtlichste Liebe 
Gottes gilt. Christus ist der vielgeliebte Sohn Gottes. Niemandem konnte Gott größere Liebe erzeigen als Ihm, und dennoch 
sind wir begnadigt, geliebt und gesegnet in Ihm, dem Geliebten. Größere, herrlichere Liebe kann uns nicht erwiesen werden; wir können uns nur beugen und angesichts einer solchen, 
unaufhörlichen, unermeßlichen Liebe anbeten. 
Dir wir Ruhm und Ehre bringen, 
Dank, Anbetung allezeit; 
Ewig werden wir besingen, 
Gott, dein Lob in Herrlichkeit. 
„Damit ihr wisset, welches der Reichtum der Herrlichkeit seines 
Erbes ist" (V. 18). Diese Worte enthalten den zweiten Teil des 
Gebetes, das der Apostel für seine geliebten Epheser zum 
Thron der Gnade emporsendet. Den ersten Teil, daß die Gläubigen die Art ihrer Berufung verstehen möchten, haben wir 
bereits betrachtet und gesehen, wie alle unsere Segnungen in 
Christo Jesu sind, wie innig unsere Verwandtschaft mit Gott ist 
und welch eine köstliche Stellung wir einnehmen. Der dritte 
Teil schließlich befaßt sich mit der Kraft, welche sie in den 
Besitz alles dessen setzt, was die Gnade verliehen hat. Doch 
betrachten wir zunächst den reichen Inhalt des zweiten Teiles. 
Die Segnung, die uns in diesen wenigen Worten mitgeteilt 
wird, war bis zur Zeit des Apostels verborgen; deshalb wird 
uns im neunten Verse gesagt, daß „Gott das Geheimnis seines 
38 
Willens uns kundgetan hat". Welche Gnade, daß Er es uns 
geoffenbart hat! Er hat uns zu Seinen Erben, zu Miterben 
Seines vielgeliebten Sohnes gemacht. Mit Christo werden wir 
alles, „was in den Himmeln und was auf der Erde ist", erben. 
Welche Zukunft! Aber das Erhabenste wird sein, daß 
wir in Gottes unmittelbarer Nähe verweilen und den 
Mittelpunkt bilden werden, weil dies der Platz unseres 
Heilandes ist. Über uns, neben uns, bei uns wird 
die Gegenwart des Vaters sein. Aber was ist außerhalb dieses 
Kreises — außerhalb des Hauses unseres Vaters? Da ist Seine 
Ehre und Herrlichkeit. Von dem niedrigen Grabe Josephs von 
Arimathia, wo der Herr einst lag, bis zu dem Throne Gottes, 
wo Er jetzt sitzt, wird alles mit Seinem Ruhm erfüllt sein. Der 
verachtete Nazaräer und Seine einst verachteten Nachfolger 
stehen verherrlicht inmitten göttlicher Herrlichkeit da! Welch 
ein wunderbares Gemälde für das Auge des Gläubigen! Möchte 
er es doch mehr in Erinnerung behalten und danach wandeln! 
Im Alten Testament finden wir etwas, das diesem Erbteil der 
Heiligen sehr ähnlich ist. Dort lesen wir, daß Kanaan das Erbe 
Gottes in Israel war. Er gab es dem Abraham und seinen Nachkommen zu einem ewigen Besitztum. Aber unter dem Gesetz 
konnte es nicht verkauft werden, denn Gott nahm es für Sich 
in Anspruch. „Und das Land soll nicht für immer verkauft 
werden, denn mein ist das Land" (3. Mo 25, 23). Deshalb wird 
es das „Land Immanuels" genannt (Jes 8, 8). Jehova ergreift 
von dem Lande nicht durch einen direkten Akt Seiner Macht 
Besitz, sondern in Seinem Volke, so daß es Sein Erbe in Seinem 
Volke ist. Wie lieblich ist eine solche Handlung! O, hätten 
Seine Auserwählten doch Seine Liebe und Fürsorge erkannt 
und zu würdigen gewußt! 
Aber einmal kommt die Zeit, wo Gott nicht nur das Land 
Kanaan, sondern das ganze Weltall unter Sein Szepter bringen 
wird, und zwar mittels der Heiligen — der Miterben Christi. 
In dem Gebet des Apostels wird hierauf nur hingedeutet; die 
Ratschlüsse Gottes hierüber finden wir in den vorhergehenden 
Versen. „Er hat uns kundgetan das Geheimnis, das er sich vorgesetzt in sich seihst, für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: 
alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, 
das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist, in ihm, 
39 
in welchem xvir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir zuvorbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach 
dem Rate seines Willens". Diese Worte sind einfach, können 
aber — wie das Kommen des Herrn, das Verlassen alles Irdischen und die zukünftige Herrlichkeit der Heiligen — nur von 
denen verstanden werden, die erlöst sind. 
„In welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade" 
(V. 7). Im zweiten Kapitel wird der Zustand des Menschen 
unter der Sünde vollkommen dargestellt, während hier nur so 
im Vorbeigehen darauf hingewiesen wird. Dort wird uns das 
Urteil Gottes ganz klar vor Augen gestellt. Der Mensch ist tot 
— tot in Vergehungen und Sünden. Er ist nicht nur krank, wie 
manche gern glauben möchten, sondern tot — moralisch und 
geistlich tot. Nichts kann hoffnungsloser sein. Beim Bösen gibt 
es verschiedene Grade, aber der Tod kennt keine Grade. In 
einem solchen Zustand waren die Epheser, auch wir sind es und 
alle Menschen von Natur. Wenn wir bedenken, daß dies der 
Ausgangspunkt der Epheser war, brauchen wir uns dann über 
die Worte „nach dem Reichtum seiner Gnade" zu wundern? 
Gewiß nicht. Unserer tiefen Armut kam der Reichtum Seiner 
Gnade entgegen. Wenn von Gläubigen die Rede ist, so gebraucht der Heilige Geist die Worte „Herrlichkeit seiner Gnade", wenn Er aber von verlorenen Sündern spricht, wählt Er 
die Worte „Reichtum seiner Gnade". Er zeigt Sich herrlich in 
Gnade und reich an Gnade. Welche Liebe, welches Erbarmen 
können wir darin sehen! Gehen wir jetzt noch etwas näher auf 
die Einzelheiten ein. 
1. „Die Erlösung des erworbenen Besitzes" (V. 14) und die 
Erlösung des Leibes werden uns erst zuteil werden, wenn 
Christus kommt; aber die Erlösung der Seele, welche für uns 
viel wichtiger ist, ist uns jetzt schon völlig zugesichert. Sie ist 
jetzt unser Teil; „wir haben die Erlösung durch sein Blut" 
(V. 7). Wir werden sie nicht erst später erlangen, sondern wir 
haben sie jetzt schon, und zwar in Ihm. Alles findet sich in 
Christo; Sein Name sei dafür gepriesen! 
2. Wir bedurften der Vergebung, der völligen Vergebung aller 
unserer Sünden, und, Gott sei gelobt, durch das Blut Christi ist 
40 
uns vollkommene Vergebung geworden; es ist nicht etwa nur 
teilweise geschehen — denn dadurch würde das Blut Christi 
seinen vollen Wert verlieren — noch ist uns irgendeine Bedingung auferlegt, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter 
der Gnade sind. Unsere Sünden sind weder beschränkt noch 
bedingt sondern vollkommen und unbedingt vergeben, nach der 
Würdigung, die Gott dem Blute Christi beilegt. Konnte mehr 
getan werden? Bedürfen wir noch mehr? Gott hat Seinen Sohn 
gegeben, und Dieser hat für uns Sein Blut vergossen, so daß 
wir von allen Sünden befreit sind. Größeres kann nicht geschehen, um uns von Sünden zu reinigen. Welch ein unaussprechlicher Trost — welch ein fester Grund des Friedens und 
der Ruhe für unsere Herzen! Ihm allein gebührt aller Ruhm 
und alle Ehre! 
3. Nicht nach unseren Gedanken und Gefühlen, sondern nach 
den Gedanken und Ratschlüssen Gottes hatten wir Erlösung 
und Vergebung nötig, und durch Seine Gnade haben wir sie 
jetzt, und zwar in Verbindung mit der Person Christi. Aber 
wie kommt es dann, daß die Sünde noch immer in meinem 
Herzen wirkt, nachdem sie vollkommen vergeben ist, wenn ich 
so reichlich gesegnet bin? Ohne Zweifel wohnt die Sünde noch 
in meinem Herzen; aber hat Gott uns je gesagt, daß Er die 
Sünde aus dem Herzen des Gläubigen wegnehmen würde? 
Gewiß nicht. Aus unserem Herzen ist sie nicht entfernt, wohl 
aber auf dem Kreuze hinweggetan worden, und gerade deshalb 
ist allen Gläubigen völlige Vergebung geworden. Gottes Auge 
ruht mit Wohlgefallen auf dem vollbrachten Werke am Kreuze,, 
und auch wir sollten dort alle unsere Befriedigung finden. Für 
eine verlorene Seele gibt es keine andere Grundlage des Friedens 
als nur den Glauben an das Kreuz; was sich nicht darauf gründet, kann Gott nicht gutheißen, es wird zuschanden werden. 
Laßt uns deshalb damit zufrieden sein, daß Gott mit unseren 
Sünden in der Person des Stellvertreters auf dem Kreuze abgerechnet und sie hinweggenommen hat durch Sein kostbares 
Blut. 
Eine unruhige Seele wird vielleicht einwenden: „Ich bin gewiß, 
daß ich täglich sündige, immer wieder sündige, wie sehr ich 
auch wache und dagegen angehe; was soll ich davon halten?" 
41 
Nichts anderes, als daß deine Vergehungen von Gott in der 
Person Seines Sohnes auf dem Kreuze gerichtet sind. „Er selbst 
hat unsere Sünden an seinem Leibe auf dem Holz getragen" 
(i. Petr 2, 24). Wer das einsieht, wird — in einem größeren 
Maße von Seiner Liebe erfüllt — alle seine Fehler in Seiner 
heiligen Gegenwart offen bekennen und sorgfältig richten. Das 
Selbstgericht müssen wir ausüben, solange wir in dieser Welt 
sind, denn so lange wird auch die Sünde in uns wohnen; aber 
das göttliche Gericht ist schon ausgeführt und auf dem Kreuze 
vollendet. Wer in der Gegenwart Gottes wirklich glücklich sein 
will, muß beides — das Selbstgericht und das göttliche Gericht 
der Sünde und der Sünden auf dem Kreuze — wohl verstehen. 
Das ist Voraussetzung, wenn du die Schrift im Blick auf die 
Ankunft des Herrn oder Seine tausendjährige Herrlichkeit verstehen willst. Wie könnte auch eine Seele, die sich ihrer Errettung nicht völlig gewiß ist, in die Ratschlüsse Gottes über die 
Zukunft eindringen? Deshalb machte Paulus den Ephesern 
auch diese Zusammenhänge völlig klar, bevor er ihnen die Geheimnisse des göttlichen Willens über die zukünftige Herrlichkeit mitteilte. Der Herr gebe auch uns Klarheit darüber, daß 
unsere Sünden auf dem Kreuze, nicht aber aus unseren Herzen 
hinweggetan sind, und daß das Selbstgericht über alle unsere 
Sünden und Fehler nötig ist, nicht nur wegen der Abscheulichkeit der Sünde an und für sich, sondern auch weil Gott sie ein 
für allemal auf dem Kreuze Seines geliebten Sohnes gerichtet 
hat! 
Nachdem nun der Apostel die Wahrheit der Erlösung durch das 
Blut Christi und der Vergebung unserer Sünden den Ephesern 
noch einmal klar vor Augen gestellt hat, kann er nun die Ratschlüsse Gottes über Seinen Sohn entfalten. Das Ziel dieser 
Ratschlüsse ist die Herrlichkeit und Ehre Seines geliebten Sohnes, die Ihm sogar auf dem Schauplatz Seiner früheren Erniedrigung dargebracht werden sollen. Aber haben wir schon einmal ernstlich darüber nachgedacht, daß die Kirche, weil sie eins 
mit Christo ist, auch zusammen mit Ihm verherrlicht werden 
wird? Paulus sagt in demselben Brief: „Dieses Geheimnis ist 
groß, ich aber sage es in bezug auf Christum und auf die Versammlung". Dieses Geheimnis gilt nicht Christo allein, sondern 
Christo und der Versammlung. Diese wird teilhaben 
42 
an der Ehre und Herrlichkeit Christi, nicht weil sie etwas getan 
hat, sondern weil sie Sein Eigentum ist. Ja, sie ist Sein Eigentum, — kostbare Worte! Was für eine unaussprechliche Liebe 
hat unser gesegneter Herr uns bewiesen! Wer möchte wohl 
nicht danach streben, ein Glied Seines Leibes zu werden? Und 
dennoch lassen viele diese himmlischen Segnungen unbeachtet, 
um den vorübergehenden Vergnügungen dieser Welt nachzujagen! Möchte der Herr in Seiner Gnade noch viele der Hand 
des Teufels entreißen, damit sie Seine Stimme hören und Ihm 
folgen! Die Tür steht — gelobt sei Sein Name — noch immer 
offen — jene Tür, die zu Seiner Heimat, zu Seinem Herzen und 
zu der Herrlichkeit führt. 
Dieses Wort „Geheimnis" kann aber nicht als Entschuldigung 
für Unwissenheit in dem Sinne gedeutet werden, daß es gar 
nicht oder nur schwer zu verstehen wäre, sondern es besagt 
nur, daß es bis dahin, bis zu dem Augenblick, wo der Apostel 
spricht, noch nicht offenbar war. So wird im Alten Testament 
zum Beispiel viel über das tausendjährige Reich und über die 
Segnungen Israels in einem von Milch und Honig fließenden 
Lande gesprochen; aber von der Stellung der Kirche, als eins 
mit Christo in den himmlischen örtern, oder von ihrer zukünftigen Herrlichkeit und Regierung mit Christo wird uns nichts 
gesagt. Dies war eine verborgene Sache — ein Geheimnis bis zu 
den Tagen des Apostels Paulus. Da deckte Gott das ganze 
Geheimnis auf und zeigte Seinen Kindern die herrlichen und 
gesegneten Offenbarungen. Nach dem Wohlgefallen Seines Willens tat Er uns das Geheimnis kund, „das er sich vorgesetzt hat in sich selbst, für die Verwaltung der Fülle der 
Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem 
Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde 
ist, in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben". 
Damit wird deutlich, daß es Gottes Absicht ist, einmal alles 
unter die Herrschaft Christi zu bringen, und zwar alles, war, 
im Himmel und auf Erden ist. Dann wird zwischen dem Himmel und der Erde eine stete Verbindung sein, wie sie einst 
durch die Leiter Jakobs vorgebildet war und aufgezeigt wird 
durch die Worte des Herrn Selbst zu Nathanael: „Ihr werdet 
den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf- und 
niedersteigen auf den Sohn des Menschen". 
43 
Und in dieser gesegneten Zeit des tausendjährigen Reiches 
werden wir mit unserem geliebten Herrn vereinigt sein und 
werden mit Ihm die Herrlichkeit und Regierung teilen, die Ihm 
als „Sohn des Menschen" von dem Vater gegeben worden ist. 
Wunderbarer Gedanke! Als „Sohn des Menschen" wird Er 
während der tausendjährigen Herrlichkeit, vereinigt mit Seinen 
Auserwählten, herrschen. Die ausgedehnte, grenzenlose Herrschaft im Himmel und auf Erden wird unter dem Szepter eines 
Menschen — des zweiten Adam — stehen. Und wir — die Gläubigen, die Braut des Herrn — werden gesehen und anerkannt 
werden als die zweite Eva, das Weib des himmlischen Adam. 
Die Himmel und die Erde gehören zwar dem Vater, aber Er 
besitzt sie in Seinen himmlischen Heiligen. Welch ein Reichtum 
von Gnade und Liebe! Ja wahrlich, unser Erbteil ist groß! Aber 
in diesem Charakter wird Christus nur während des tausendjährigen Reiches mit uns regieren. Am Ende dieses Friedensreiches, wenn Er jedes Fürstentum und alle Gewalt und Macht 
weggetan haben wird, wird Er das Reich dem Gott und Vater 
übergeben, auf daß Gott alles in Allem sei (1. Kor 15, 24—28). 
Aber dennoch werden wir in einem anderen Sinne ewig mit 
Ihm herrschen — „im Leben herrschen durch den Einen, Jesum 
Christum" (Röm 5, 17). 
Bevor wir nun zum dritten Teil des Gebets des Apostels übergehen, wollen wir die Worte „für die Verwaltung der Fülle der 
Zeiten" etwas näher betrachten. Das Wort „Verwaltung" bezieht sich auf jene Zeit, wo alles unter der Herrschaft Christi 
sein wird: auf das tausendjährige Reich. Wie anders wird dann 
alles in der Welt sein! Der Teufel, dem es jetzt erlaubt ist, als 
der Gott und der Fürst dieser Welt zu herrschen, wird dann in 
den Abgrund geworfen sein (Offb 20,1—3),
 ur>d Christus wird 
an seiner Statt als der Fürst des Friedens regieren. In der Tat, 
dann wird die Erde das wahre Freudenfest feiern können. Vor 
dieser Zeit kann sie weder frohlocken noch freudig sein. Satan 
muß zuerst aus dieser Welt entfernt sein und Christus die 
Zügel der Regierung in Händen haben, ehe die Bewohner der 
Erde sich des Friedens und der Ruhe erfreuen können. Dann 
aber wird Ruhe und Sicherheit sein. Das ist keine leere Behauptung; es ist die Wahrheit. Die Bibel selbst sagt es: „Siehe, ein 
König wird regieren in Gerechtigkeit und die Fürsten werden 
44 
nach Recht herrschen. Und das Werk der Gerechtigkeit wird 
Friede sein und das Ergebnis der Gerechtigkeit Ruhe und 
Sicherheit ewiglich. Und mein Volk wird wohnen in einer 
Wohnstätte des Friedens und in ganz sicheren Wohnungen und 
in stillen Ruhestätten" (Jes 32, 1. 17. 18). Und welche Stellung 
werden die Heiligen während dieser Zeit einnehmen? „Sie werden leben und herrschen mit dem Christus tausend Jahre" 
(Offb 20, 4). Diese Regierung Christi liegt zwischen der Aufnahme der Heiligen und der ewigen Herrlichkeit. Erst nachdem 
die Kirche aufgenommen und die Erde von ihren Verderbern 
gereinigt sein wird, kann diese segensreiche Änderung aller 
irdischen Verhältnisse eintreten. Aber welch kostbares Bewußtsein ist es für unsere Herzen, daß Er jeden Augenblick kommen 
kann, um uns von dieser Erde hinwegzunehmen und in Seine 
Nähe zu bringen. Es gibt kein Ereignis, das noch geschehen 
müßte, bevor Er kommt. Seine letzten Worte an uns waren: 
„Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald"! Wenn 
wir diese Worte richtig verstehen, werden wir mit wahrer Liebe 
im Herzen ausrufen: „Amen, komm, Herr Jesu"! 
Den Ausdruck „die Fülle der Zeiten" beziehen manche Ausleger 
— wie „die Fülle der Zeit" in Galater 4, 4 —. Offenbar ist dies 
aber ein Irrtum. Die „Fülle der Zeit" und „die Fülle der Zeiten" 
unterscheiden sich in ihrer Bedeutung völlig. Das eine bezieht 
sich auf die Vergangenheit, das andere auf die Zukunft. Im 
Brief an die Galater spricht der Apostel von der Zeit, wo die 
Ratschlüsse Gottes insoweit in Erfüllung gegangen sind als „er 
seinen Sohn sandte", den Ephesern aber schreibt er über eine 
noch zukünftige Zeit, wenn alle Zeiten oder Perioden in der 
Herrschaft ihr Ende finden werden. Vieles, das jetzt noch besteht oder sich entwickelt, wird dann ein Ende haben, und zwar 
für immer. So wird z. B. die Schöpfung dann dem Tode nicht 
mehr unterworfen sein. „Denn das sehnsüchtige Harren der 
Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes" 
(Röm 8, 19). Achten wir darauf, daß hier von der Offenbarung 
der Söhne und nicht des Sohnes Gottes die Rede ist. Der Sohn 
Gottes ist schon geoffenbart, wir sind es noch nicht. Erst wenn 
wir in Herrlichkeit geoffenbart sind, wird „die ganze Schöpfung, 
welche zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt 
bis jetzt", freigemacht werden. Dann wird die Stunde ihrer 
45 
Befreiung anbrechen. Sie wird von der Knechtschaft des „Verderbnisses" befreit und der Tod, der seit Adam in dieser Welt 
geherrscht hat, beseitigt sein. Die wilden Tiere werden zahm 
sein; die Erde wird den vollen Ertrag hervorbringen, denn die 
Wüsten werden fruchtbaren Gegenden gleichen. Und die Bewohner der Erde? „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern 
schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht wird 
Nation wider Nation das Schwert erheben, und sie werden den 
Krieg nicht mehr lernen" (Jes 2, 4). Gebe der Herr, daß diese 
Zeit bald anbrechen möge! Die Zeit der Verblendung Israels 
und der Herrschaft der Heiden wird dann vorbei sein. Dann 
wird die Ordnung allenthalben hergestellt sein; Satans Macht 
wird zerbrochen und die Schwachheit und das Leiden der Kirche 
wird verschwunden sein. — 
Doch nun zum dritten Teil des apostolischen Gebets! Damit 
ihr wisset, welches die überschwengliche Größe seiner Kraft an 
uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner 
Stärke, in welcher er geivirkt hat in dem Christus, indem er ihn 
aus den Toten auf erweckte; und er setzte ihn zu seiner Rechten 
in den himmlischen Cirtern . . ." (V. ig. 20). Das Kreuz Christi 
ist uns Ausdruck der vollkommensten Liebe; in der 
Auferstehung aber entfaltet sich absolute Macht. Das 
Kreuz zeugt von Liebe; dort unterwarf Christus Sich 
dem Leiden und dem Tode um unsertwillen und zur 
Verherrlichung Seines Vaters. Den Weisen und Verständigen 
dieser Welt mag das Kreuz Christi eine Torheit sein, den 
Selbstgerechten mag es ein Stein des Anstoßes sein, dem anbetenden Gläubigen aber ist es der höchste Ausdruck völligster 
Liebe. Aus Liebe litt Christus am Kreuz, aus Liebe ertrug Er 
alles, denn „die Liebe hofft alles, sie erduldet alles". Eine so 
vollkommene Liebe, eine Liebe, die nie gefehlt hat, kann nur 
göttlich sein. Die innigste, die trauteste Liebe in dieser Welt 
kann fehlen; aber Seine Liebe bleibt und ändert sich nie. Nach 
dem Kreuze müssen wir blicken, weil dort die Tiefe und Kraft 
Seiner Liebe offenbart wurde, und einmal wird es als der 
Mittelpunkt im Himmel und die Grundlage aller Herrlichkeit 
und Segnungen anerkannt werden. Welchen Schrecken bot Jesu 
das Kreuz! Wie groß war Sein Schmerz, Sein Kummer! Von 
allen verlassen, selbst von Seinem Gott, erduldete Er dennoch 
46 
alle Schmerzen. „Der Schande nicht achtend, erduldete er für die 
vor ihm liegende Freude das Kreuz, und hat sich gesetzt zur 
Rechten des Thrones Gottes" (Hebr 12, 2). 
Aber wie lieblich für Gott und den Menschen das Kreuz auch 
ist, es bekundet nicht die Macht, wie wir sie in der Auferstehung finden. Da sah man keine Schwachheit mehr, da zeigte 
sich Gottes Macht gewaltig genug, Christum aus den Toten 
aufzuerwecken und zur Rechten Gottes in den himmlischen 
örtern zu setzen. Nur der Glaube vermag in die wunderbaren 
Weiten einzudringen, welche die Tiefe des Grabes und die 
Höhe des Thrones umfassen. Mancher lehnt diese Wahrheit 
als unwirklich ab; aber er gleicht nur dem, der vor der Tür 
stehen bleibt, um die Wohnung zu besehen. Nein, hier geht es 
nicht um eine Frage der Verwirklichung, sondern des Glaubens. 
Wir müssen die Wahrheit glauben, bevor wir sie fühlen können; 
wir müssen einen Ort besuchen, ehe er uns bekannt sein kann. 
Das Alte Testament zeigt uns das in einem Bilde: „Jeglichen 
Ort, worauf eure Fußsohle treten wird, habe ich euch gegeben, 
wie ich zu Mose geredet habe" (Jos 1, 3). Bist du bereit, diese 
vor uns liegende Wahrheit zu glauben, kannst du sie verstehen 
oder nicht? Das ist die Frage. Wir achten das Wort Gottes 
gering, wenn wir es deshalb nicht annehmen, weil wir es nicht 
verstehen. 
Dieselbe Macht Gottes nun, die in Christo wirkte, als Er Ihn 
aus den Toten auferweckt und Ihn zu Seiner Rechten im Himmel setzte über jeglichen Namen, der genannt wird, hat auch 
in uns gewirkt zur Einführung in dieselbe Stellung und Herrlichkeit. Die überschwengliche Größe Seiner Macht ist nicht nur 
in Christo, sondern auch an „uns, den Glaubenden geoffenbart". Aber wie ist das möglich, da wir doch so schwach und 
kraftlos sind und so leicht von Schwierigkeiten überwältigt 
werden? Ohne Zweifel ist das wahr; aber woher kommt diese 
Schwachheit? Sie erklärt sich daraus, daß wir die Macht, mit 
der wir verbunden sind, nicht genug anerkennen und ehren. 
Wäre unser Glaube an das Wort Gottes kräftiger, so würden 
uns auch die schwierigsten Umstände nicht so sehr beeindrucken. 
Das Herz des Apostels Paulus war nicht nur auf Christus 
im Himmel, sondern auch auf Seinen Wandel auf dieser Erde 
47 
gerichtet. Er wünschte, in alle Seine Fußstapfen zu treten, sei 
es hier unten oder dort oben. Aber laßt uns zum besseren Verständnis dieser Frage das zweite Kapitel des vor uns liegenden 
Briefes beachten. Dort finden wir, daß dieselbe Kraft, die in 
Christo wirkte, uns aus einem elenden Zustande — wir waren 
tot in Vergehungen und Sünden — befreit, aus den 
Händen Satans gerissen und als Erlöste in die Gegenwart Gottes versetzt hat. Ja, wir sind mitauferweckt 
und befinden uns in den himmlischen örtern in Christo 
Jesu. Für den Glauben ist diese Wahrheit leicht zu begreifen, 
aber nicht oder nur sehr schwer für die Vernunft zu verstehen. 
Wenn wir mit unserem Verstände zu Werke gehen, wird uns 
alles unglaublich erscheinen. Sind unsere Augen, Herzen und 
Gedanken aber auf den Herrn gerichtet und findet sich all 
unsere Freude in Ihm, so werden uns die Worte Gottes leicht 
verständlich sein. Dann bedürfen wir der menschlichen Unterweisung nicht; denn der Heilige Geist ist unser Lehrer. 
Darum sollte unser Herz allein auf Ihn gerichtet sein! Unter 
dem furchtbaren Gewicht unserer Sünden starb Jesus und 
wurde ins Grab gelegt. Da schien der Feind gesiegt zu haben; 
denn der Fürst des Lebens lag in den Fesseln des Todes. Aber 
welche Wirkung hatte dieser Tod! Durch Sein Blutvergießen 
war das mächtige Werk vollbracht, wodurch Er jede Bürde 
unserer Sünden von unseren Schultern wälzte. Durch jenes 
Blut wurde Gott befriedigt, die Hölle besiegt und der Mensch 
durch den Glauben an dieses Blut für ewig gerettet. Doch Christus blieb nicht im Grabe. „Der Gott des Friedens" — „der 
Vater der Herrlichkeit" — erweckte unseren Herrn Jesus aus 
den Toten und setzte Ihn zu Seiner Rechten in den himmlischen 
Örtern. Und mit dem Haupte wurden auch die Glieder auferweckt; Er hat uns mit auferweckt und auf denselben gesegneten Platz gestellt. Dort nahm etwas Neues seinen Anfang — 
eine neue Schöpfung, von welcher Jesus Christus, der auferweckte Mensch, das Haupt und der Mittelpunkt wurde. „Das 
Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden". Die Welt.. 
Sünde, Satan, Tod, das Grab — alles ist zurückgeblieben und 
liegt für den Glauben ebenso weit dahinten wie für Christum 
Selbst. Alle, die jenen gesegneten Namen lieben, sind in Ihm 
und da, wo Er ist. Gott hat Ihn erhöht „über jedes Fürstentun48 
und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeglichen 
Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, 
sondern auch in dem zukünftigen und hat alles seinen Füßen 
unterworfen und ihn als Haupt über alles der Versammlung 
gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles ir, 
allem erfüllt" (Eph i, 21. 22). 
Wir sehen also, daß Gott alle Dinge Seinem Sohn unterworfen 
hat und daher an uns die Aufforderung ergehen läßt, Ihn zu 
ehren. Wer von einer Art Vorsehung spricht, mag zwar dennoch ein religiöser Mann sein und sich gern mit religiösen Fragen beschäftigen, aber mit dem Herzen Christi ist er nicht 
bekannt, mit diesem gesegneten Heiland pflegt er keine Gemeinschaft, er achtet und liebt ihn nicht. Ach, welch eine Torheit! Denn das, was ihn am meisten beschäftigt, ist für unsere 
Augen mehr oder weniger in Finsternis gehüllt, während Christus völlig geoffenbart ist. 
Beachten wir schließlich, daß Christus als Mensch erhöht und 
verherrlicht wurde. Als Gott war eine Verherrlichung nicht 
möglich; denn die Herrlichkeit Gottes ändert sich nicht. Als 
Mensch kam Er auf diese Erde, als Mensch starb Er, und als 
Mensch wurde Er zur Rechten des Vaters im Himmel erhöht! 
Und dort in den himmlischen örtern — zur Rechten des Vaters 
— ist Seine Versammlung mit Ihm, dem Haupte, vereinigt. Sie 
ist eins mit Ihm, Der über alles gesetzt ist; sie ist die Fülle 
Dessen, Der alles in allem erfüllt. Obwohl Christus allein 
dieses Platzes würdig war, so ist doch Seine Braut — 
Sein Leib — mit Ihm verbunden. Welch eine wunderbare, gesegnete Stellung! Welch ein herrliches Teil für 
die Kirche! Ja, das Herz der Gläubigen sollte davon 
erfüllt sein. Es war von aller Ewigkeit her so von Gott 
bestimmt. Der Herr Selbst spricht davon in Seinem Gebet zum 
Vater. „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe 
ich ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins 
sind; ich in ihnen und du in mir, auf daß sie in eins vollendet 
seien und auf daß die Welt erkenne, daß du mich gesandt und 
sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast" (Joh 17, 22. 23). 
Bevor wir nun diese Betrachtung beenden, frage ich meine 
Leser, ob der Herr wirklich für ihre Herzen so köstlich ist, daß 
49 
sie nicht ohne Ihn leben können, daß sie Ihn täglich nötig haben 
zu ihrem Frieden und Glück! Denkt doch daran, daß ihr, sobald 
ihr an Ihn glaubt, mit Ihm vereinigt seid und der Heilige Geist 
in euch wohnt. Verstehen wir das, so sind wir fähig, außerhalb 
der Welt zu leben, obwohl es dennoch unsere Pflicht ist, unsere 
Geschäfte in Treue zu besorgen. „Wir sind nicht von der Welt" 
— wie Christus nicht von der Welt war — sondern wir sind 
durch den Glauben mit Ihm im Himmel vereinigt. Dies ist 
wahres Christentum und erfüllt das Herz mit himmlischem 
Frieden und himmlischer Freude. Steht es so bei dir, geliebter 
Leser? Oder besitzst du den Herrn noch gar nicht? Das wäre 
schrecklich! Es ist fürwahr traurig, Christum durch die Schrecknisse und Dunkelheit der menschlichen Theologie zu sehen; 
aber Ihn gar nicht zu haben, sich gar nicht um Ihn zu kümmern, 
ist in der Tat ein nicht zu beschreibender Zustand — ein Zustand, der an den Rand des Sees führt, der mit Feuer und Schwefel brennt. O, wenn du wirklich noch in diesem Zustande bist, 
so gehe doch zu Ihm, glaube an Ihn, Der auf Golgatha für 
Sünder, ja für den schlechtesten Sünder starb! Denk nicht, daß 
menschliche Religion dir etwas nützen wird. Das Werk Christi 
allein kann dich erretten. Wenn du nur zu Ihm kommst, so 
wird Er dich sicher in Seine Arme nehmen und dir einen 
Platz, ja einen Thron in Seiner Herrlichkeit geben. Welche 
Gnade, welche Liebe! Ach! was muß die Hölle für diejenigen 
sein, die eine solche Liebe und Herrlichkeit verworfen haben? 
Der Gedanke, Christum von sich gestoßen und die Errettung 
verachtet zu haben, muß ein Wurm sein, der nicht stirbt, und 
ein Feuer, das nicht erlöscht. Aber noch ist die Zeit der Gnade; 
noch kannst du diesem allem entfliehen. Mit offenen Armen 
will Jesus dich aufnehmen. Gehe darum zu Ihm, und verachte 
die Gnade Gottes nicht. Hör doch auf die Worte: „Das Blut 
Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde", 
und „glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden". 
Beug deine Kniee vor Ihm — bekenne deine Sünden, und Er 
wird dir völlige Vergebung von allen Deinen Sünden geben 
und himmlischen Frieden in dein Herz gießen. 
Wenden wir uns nun dem zweiten Gebet des Apostels zu-
„Dieserhalb beuge ich meine Kniee vor dem Vater unseres 
Herrn Jesus Christus, von welchem jede Familie in den Hirn50 
mein und auf Erden benannt wird, auf daß er euch gebe, nach 
dem Reichtum seiner Herrlichkeit mit Kraft gestärkt zu werden 
durch seinen Geist an dem inneren Menschen" (Kap 3, 14—16). 
Gegenstand und Charakter dieses Gebets unterscheiden sich 
im allgemeinen sehr von denen des ersten Gebets; dennoch ist 
ihnen beiden auch wesentliches gemeinsam. In beiden ist Christus der Mittelpunkt und der Gläubige mit Ihm, als solchem, 
verbunden. Der Unterschied liegt darin, daß das erste Gebet 
das Reich Christi und unsere Vereinigung mit Ihm in Herrlichkeit behandelt, während im zweiten von dem Hause der vielen 
Wohnungen gesprochen wird, wo wir vom Vater geliebt werden, wie Christus Selbst geliebt ist. Wir sind also — o wunderbarer Gedanke! — eins mit Ihm als dem verherrlichten Menschen in Liebe und Herrlichkeit, in einem innigen, vertrauten 
Umgang und in all den äußeren Segnungen Seines Reiches. 
Aber, geliebter Leser, die Frage ist, ob du diese so gesegneten 
Wahrheiten verstanden hast und dich ihrer schon fetzt erfreust? Ich bitte dich, betrübe nicht den Heiligen Geist, Der 
in dir wohnt und Der dich lehren und unterweisen will. Seine 
gnadenreichen Wirkungen werden gestört, wenn sich Unglaube 
in deinem Herzen befindet oder du weltlich gesinnt bist. Alles, 
was Seiner Wahrheit und Heiligkeit nicht entspricht, muß Ihn 
betrüben, und das ist der Grund, weshalb viele einen so unklaren Begriff von Christo und eine so schwache Vorstellung 
von der himmlischen Wahrheit haben. Viele Christen sind — 
wenn man nach ihren Worten urteilen soll — mehr mit dem 
Gesetz als mit der Person Christi beschäftigt, und dies ist fürwahr ein großer Fehler, der das Glück des Herzens sehr beeinträchtigt. Es ist unmöglich, daß eine so gesinnte Seele sich in 
wahrhaft glückseliger Freiheit befinden kann; denn das Gesetz 
bewirkt Knechtschaft. Es wurde für die menschliche Natur, der 
Heilige Geist dagegen für die göttliche Natur gegeben: auch 
weiß der Glaube, daß wir der alten Natur nach gestorben sind 
und daß das Gesetz auf einen Gestorbenen unmöglich Anwendung finden kann, „indem wir dieses wissen, daß unser alter 
Mensch mitgekreuzigt ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan 
sei, daß wir der Sünde nicht mehr dienen" (Röm 6, 6). Daher 
wird uns die Ermahnung gegeben, den Heiligen Geist nicht zu 
betrüben, mit welchem wir versiegelt worden sind auf den Tag 
51 
der Erlösung. „Wisset ihr nicht", sagt der Apostel, „daß ihr 
Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt"? Ach, 
leider ist die Religion vieler die des alten Bundes — man findet 
in ihr das Wesen des Gesetzes und der menschlichen Natur 
statt der Wirkung des Heiligen Geistes und des ewigen Lebens 
in einem auferstandenen Christus. Wenn auch an Christo dem 
Gekreuzigten festgehalten wird, so findet sich in jenen Herzen 
doch solch eine Mischung von Gesetz und Gnade, von der alten 
und der neuen Schöpfung, daß der Heilige Geist betrübt wird 
und die Folge traurige Verwirrung ist. 
Aber inwiefern sind wir mit Christo während unseres Daseins 
in dieser Welt verbunden? Wenn der Apostel sagt, daß wir in 
Christo Jesu in den himmlischen örtern sind, bezieht sich das 
nicht auf die Zukunft, wo wir in Wirklichkeit bei Ihm im 
Himmel sein werden? — O nein, mein geliebter Leser, es kann 
sich nicht auf die Zukunft beziehen; denn der Apostel spricht 
von solchen, die durch den Glauben lebendig gemacht waren 
und jetzt schon in Christo Jesu mitsitzen in den himmlischen 
örtern. Später werden wir mit Christo im Himmel sein; jetzt 
sind wir in Ihm dort. Sobald wir an Ihn glauben, sind wir 
Kinder Gottes — begnadigt in dem Geliebten und haben das 
köstliche Vorrecht, uns in den himmlischen örtern aufzuhalten 
— „Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an 
Jesum Christum" (Gal 3, 26). Aber laßt uns auf diese Wahrheit, die manchen so viele Schwierigkeiten bereitet, etwas näher 
eingehen. 
In Eph 2 wird uns deutlich vor Augen gestellt, daß Gott uns, 
als wir tot in Sünden und Übertretungen waren, mit dem Christus lebendig gemacht hat. Von diesem Punkte — von unserem 
toten Zustand müssen wir bei unserer Betrachtung ausgehen. 
Wir waren tot in den Vergehungen und Sünden, wir hatten 
keine Regung von geistlichem Leben in uns. Da starb der gesegnete Heiland für die Sünde auf dem Kreuze und wurde ins 
Grab gelegt. Er erlitt den Tod für die Sünde, während wir in 
Sünden tot waren und für den Augenblick alle Hoffnung entschwunden zu sein schien. Es war gleichsam, als ob das Schiff 
für immer untergegangen sei. Aber in diesem feierlichen Augenblick, wo der Tod alle umschlungen hatte, trat Gott hervor, 
52 
und zwar als ein Gott der Auferstehung. „Er hat uns, weil 
er reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot 
waren, mit dem Christus lebendig gemacht". Wundervolle Gnade! Christus, der Heilige, das fleckenlose 
Lamm Gottes, starb für uns, ging für uns in das 
schreckliche Gericht und versöhnte uns mit Gott. Aber 
blieb Er im Grabe? O nein! Gott hat Ihn auferweckt, und mit 
Ihm sind auch wir auferweckt. So sind wir denn auf die innigste, 
gesegnetste Weise durch die lebendigmachende Kraft Gottes 
mit dem Auferstandenen Christus vereinigt. Wir haben das 
Vorrecht, mit Ihm, Der die Wonne und Freude Gottes ist, in 
Gemeinschaft zu leben und Seine Segnungen zu teilen. Könnte 
man sich etwas Herrlicheres denken? Kann Liebe noch größer 
sein? Uns wird gesagt, daß wir nicht nur lebendig gemacht und 
auferweckt sind, sondern auch mitsitzen in den himmlischen 
örtern in Christo Jesu. 
Wenn wir diese wunderbare und segensreiche Wahrheit wirklich verstehen, werden wir auch den wahren Grund des Friedens besitzen; denn dann wissen wir, daß alles, was zu unserer 
alten Natur gehörte, auf dem Kreuze gerichtet und für immer 
beseitigt ist und daß wir ohne unsere Sünden in die Gegenwart 
Gottes gebracht sind — in einen Zustand göttlicher Gerechtigkeit. Diese göttliche Gerechtigkeit aber haben wir nicht in uns 
selbst, sondern in Christo. Er ist unsere Gerechtigkeit; in Ihm 
stehen wir ohne Flecken vor einem heiligen und gerechten Gott. 
Wer diese Wahrheit mit dem Einwand zu verdunkeln sucht, der 
Gläubige könne sein ewiges Leben verlieren, steht im offenbaren Widerspruch zur Heiligen Schrift, die sagt, daß wir durch 
Gnade errettet sind, daß wir eins mit Christo sind, und zwar 
von dem Augenblick an, wo wir durch den Glauben an Ihn 
lebendig gemacht wurden. Nicht durch eigenes Verdienst, sondern durch Gnade — gelobt sei Sein Name! — haben wir das 
ewige Leben, sobald wir glauben, und diese Verheißung kann 
nie gebrochen werden. Gott hat es gesagt. Gott hat uns mit 
Christo verbunden, „damit er in den kommenden Zeitaltern 
den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen 
uns erwiese in Christo Jesu". Ja, Ihm sei dafür Lob und Dank 
53 
dargebracht! Unsere Errettung ist so sicher, wie sie es überhaupt sein kann. Wohl fehlen wir in mancher Beziehung noch 
oft; aber Er ist treu. Das Leben, das Er uns gegeben hat, ist 
wie Er — ewig. „Seine Güte gegen uns in Christo Jesu" dauert 
ewig fort. Er wird sie zeigen „in den kommenden Zeitaltern". 
Ach! daß doch jeder Leser diese herrlichen Segnungen besitzen 
möchte! Oder hast du dieses ewige Leben noch nicht? Bist du 
noch nicht durch den Glauben an Ihn errettet? Dann wirf dich 
doch zu Seinen Füßen; höre auf Seine Stimme, auf Seine herzliche Einladung: Komm, komm zu mir! Sie kommt aus einem 
Herzen, das von Liebe überfließt, von Lippen, die jetzt nur 
Gnade kennen. Wie schrecklich wäre es, wenn von denselben 
Lippen einst das Gericht und die Verdammnis über dich ausgesprochen würden! Höre deshalb jetzt auf Seine Stimme; 
wenn du es tust, bist du eines der Schafe Jesu. „Meine Schafe", 
sagt der Herr, „hören meine Stimme, und ich kenne sie, und 
sie folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen 
nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand 
rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als 
alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters 
rauben" (Joh 10, 27—29). 
Indem wir zum Gegenstand unserer Betrachtung zurückkehren 
wiederholen wir, daß uns in dem ersten Gebet die Herrlichkeit 
der Person Christi entgegentritt, in dem zweiten hingegen die 
unendliche Liebe, welche der Vater zu Christo und folglich zu 
uns in Ihm hat. Möchten wir doch diese überströmende Liebe 
mehr verstehen! Laßt uns doch immer daran denken, daß Gott 
unsere Sünden in der Person Christi auf dem Kreuze völlig 
gerichtet und für immer beseitigt hat, ja, daß wir uns jetzt als 
„Söhne Gottes" und geliebt mit einer vollkommenen Liebe in 
Seiner Gegenwart befinden! „Geliebte, jetzt sind wir Kinder 
Gottes", sagt Johannes, und Paulus ergänzt: „Wenn aber Kinder, so auch Erben — Erben Gottes und Miterben Christi" 
(1. Joh 3, 2; Röm 8, 17)! Kann es eine köstlichere Wahrheit 
geben? Ist es wirklich wahr, daß Gott uns in demselben Maße 
liebt wie Seinen eigenen vielgeliebten Sohn? Es ist wahr; Jesus 
Selbst sagt es: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe 
ich ihnen gegeben". Beachten wir, daß es sich hierbei um die 
Herrlichkeit handelt, welche Christus als Sohn des Menschen 
54 
und nicht als Sohn Gottes besitzt. Und zu welchem Zweck hat 
Er den Gläubigen eine solche Herrlichkeit gegeben? „Auf daß 
die Welt erkenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, 
gleichwie du mich geliebt hast". 
Wertvollere, segensreichere Worte flössen nie von den Lippen 
Jesu. Nur Gott kann eine solche Liebe entfalten, nur Er allein 
kann da lieben, wo nichts Liebenswürdiges zu finden ist — da, 
wo sich alles gegen Ihn sträubt und Ihm nicht gehorchen will. 
Nein, eine solche Liebe können wir nicht verstehen. Vielleicht 
haben wir einen schwachen Begriff von der göttlichen Weisheit 
und Allmacht; aber wer kann begreifen, daß Gott die Gläubigen so liebt, wie Er Seinen Sohn liebt? Und welche Wirkung 
hatte diese Liebe! Gott gab Seinen eingeborenen Sohn für 
unsere Sünden in den Tod; Er hat uns lebendig gemacht mit 
Christo und gibt uns für die Zukunft die Verheißung der ewigen Herrlichkeit. Und diese Liebe ändert sich nicht: „sie vergeht nimmer" (l. Kor 13, 8). Daß doch diese Liebe das Licht 
unserer Augen und die Kraft unserer Herzen sein möchte, und 
daß wir mehr und mehr davon ergriffen werden möchten! 
Aber darf man denn dem Gedanken wirklich Raum geben, daß 
der Vater mich armen, schwachen Christen jetzt, in diesem 
Augenblick liebt wie Seinen eigenen Sohn? Ohne Zweifel darf 
man es, geliebter Leser, denn es sind Seine Worte, und Er 
wünscht, daß wir sie glauben und uns der köstlichen Wahrheit 
erfreuen. Zweifeln wir an dieser Liebe, so verunehren wir Ihn 
und fügen uns selbst Schaden zu. Freilich ist die Offenbarung 
Seiner Liebe oft sehr unterschiedlich je nach unserer Unterwürfigkeit unter Christum und unserem Gehorsam gegen Ihn 
(Joh 14, 21). Aber die Liebe selbst erleidet keine Veränderung, 
denn „Gott ist die Liebe". Und eine solche Liebe kann unseren 
Herzen nie köstlicher sein, als jetzt. Wenn inmitten der zukünftigen Herrlichkeit die Liebe das Herrlichste sein wird, wievielmehr jetzt inmitten der Sorgen und Leiden dieser Zeit. Laßt 
uns daher immer Zuflucht zu dieser Liebe nehmen, auf daß wir 
vor den Angriffen des Feindes bewahrt bleiben und unser Teil 
steter Friede sei. 
Der Apostel betet also zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, „von welchem jede Familie in den Himmeln und auf 
Erden genannt wird". Das sind bemerkenswerte Worte! Hier 
55 
ist nicht die Rede von einer Familie, sondern es sind verschiedene Familien, welche nach Ihm benannt werden. Den Juden im 
Alten Testament zum Beispiel offenbarte Sich Gott unter dem 
Namen Jehova. Unter diesem Namen führte Er Sein auserwähltes Volk aus Ägypten und brachte es in ein Land, das von 
Milch und Honig floß. In diesem Namen begegnete Er stets 
Seinen Auserwählten und kein anderes Volk konnte das Vorrecht einer solchen Verbindung und Gemeinschaft genießen. 
Später, als die Kinder Israel sich schwer gegen ihren Gott versündigt hatten und Er einem heidnischen König die Herrschaft 
über alle Nationen gegeben hatte, trat Er diesem nicht als 
Jehova, sondern als „der Gott des Himmels" entgegen (Dan 2, 
37). Jetzt aber, nachdem Er Seinen Sohn für uns hingegeben 
hat, „den Erben aller Dinge, durch den er auch die Welten 
gemacht hat", nennt Er Sich Vater, und unter diesem Namen 
steht Er mit „jeder Familie in den Himmeln und auf Erden" 
in Verbindung. Seine Segnungen werden jetzt nicht länger nur 
einem einzigen Volke zuteil: „Die Zwischenwand der Umzäunung" ist abgebrochen, und jeder kann sich dieser reichen Segnungen erfreuen. Sein Name sei gelobt und gepriesen, daß Er 
uns diese Segnung jetzt schon zuteil werden läßt — eine Segnung, die wir einst in der ewigen Herrlichkeit vollkommen 
verstehen werden! 
Und welchen Platz wird die Kirche in dieser himmlischen Herrlichkeit einnehmen? Wird sie eine bevorzugte Stellung 
bekleiden, oder die Herrlichkeit aller teilen? Sie wird 
einen hervorragenden Platz einnehmen, denn sie wird 
in Vereinigung mit Christo, als Sein Weib immerdar 
vor dem Throne Gottes weilen. Eine köstlichere Wahrheit kann nicht verkündigt werden. Hat sich die Liebe 
Gottes jemals in überzeugender Weise bewiesen als da, 
wo uns durch die inspirierten Schreiber des Neuen Testamentes 
eröffnet wurde, daß wir — die Gläubigen — Glieder des Leibes 
Christi und damit auf das Innigste mit Ihm vereint sind? Und 
diese enge Verwandtschaft wird nicht nur im Himmel unser 
Teil sein, wir besitzen sie jetzt schon durch den Glauben. „Wer 
aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm" (1. Kor 6, 17). 
Dies ist besonders in unserer Zeit bedeutsam, weil viele diese 
Wahrheit gar nicht zu kennen oder zu beachten scheinen. So56 
bald jemand an Christum glaubt, steht er mit Ihm in innigster 
Verbindung; er gehört mit allen Gläubigen auf der Erde zu 
einem Leib; denn es gibt nur einen Leib und nur einen Geist. 
Der Herr will nicht, daß Seine Kinder getrennt voneinander 
durch diese Welt pilgern; sie sollen sich vielmehr „befleißigen, 
die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens" (Kap 4, 3. 4). So wird auch in dem Brief an die Korinther 
dieselbe Wahrheit dargestellt. „Der Kelch der Segnung, den 
wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des 
Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind 
wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brote" 
(1. Kor 10, 16. 17). Diese Verse lassen keinen Zweifel an der 
Einheit der Kirche übrig. Diese ist nur ein Leib, dazu berufen 
ihre Einheit zu offenbaren, „auf daß die Welt glaube, daß der 
Vater seinen eigenen Sohn gesandt hat". Möchten doch noch 
viele diese Wahrheit einsehen und ihr gehorsam folgen! Bald 
ist die Zeit da, wo der Herr uns zu Sich nehmen wird und wir 
für ewig den köstlichsten Platz in der Herrlichkeit einnehmen 
werden. Wunderbare Gnade und Liebe! Wir — die armen, verlorenen Sünder von Natur — werden dann „ohne Flecken oder 
Runzel oder etwas dergleichen" in Seiner Nähe sein und uns 
allezeit Seiner Liebe erfreuen! Möchten wir daher Seinen 
Namen, so lange wir noch hier sind, stets zu verherrlichen 
suchen, und möchte es der stete Wunsch unseres Herzens sein: 
Komm, Herr Jesu, komme bald! 
„Auf daß er euch gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, 
mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen". In diesem Verse wird der Unterschied in den 
beiden Gebeten des Apostels besonders deutlich. In dem ersten 
bittet er, daß die Heiligen ihren Platz vor Gott in Christo und 
alle damit verbundenen Segnungen besser verstehen möchten; 
in dem zweiten aber handelt es sich um die praktische Kraft 
durch den Heiligen Geist. Dort war es eine Frage der Stellung, 
hier jedoch geht es um den Zustand, um die Bitte, „mit Kraft 
gestärkt zu werden an dem inneren Menschen". Wodurch aber können wir mehr und mehr gekräftigt werden? Diese Frage ist für ein einfältiges Herz nicht 
schwer zu beantworten. Die Liebe Christi soll in unseren Her57 
zen immer mehr Raum gewinnen. Je mehr wir von dieser Liebe 
erfüllt sind, desto leichter und erträglicher werden uns alle 
Prüfungen und Mühsale in dieser Welt vorkommen; je mehr 
wir uns dieser Liebe erfreuen, mit um so glücklicherem Herzen werden wir uns mit der zukünftigen Herrlichkeit beschäftigen können. Ja, wenn diese Liebe uns erfüllt — wenn sie wirklich in unseren Herzen wohnt, so werden wir auch alles, was 
uns in dieser Welt lieb und teuer ist, willig aufgeben. Denn 
welche Liebe ist inniger als Seine Liebe? Welcher Liebe können 
wir uns besser anvertrauen als SeinerLiebe? Laßt uns daher mehr 
auf diese Liebe trauen und unser Herz zu einer Wohnung des 
Herrn machen! Nur dann werden wir in Wahrheit gekräftigt 
werden „an dem inneren Menschen"; nur dann wird „der 
Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnen". 
Aber noch tiefer offenbart sich Seine Liebe in dem folgenden 
Wunsch des Apostels: „Daß ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, auf daß ihr völlig zu erfassen vermöget mit allen 
Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei, 
und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des 
Christus" (V. 17—19). Diese Wahrheit erfüllt unsere Seelen mit 
Bewunderung und Erstaunen. Sie umfaßt zwei Gesichtspunkte. 
Paulus betet, daß die Heiligen in Liebe gewurzelt und gegründet seien, auf daß sie erstens die Breite und Länge und Tiefe 
und Höhe völlig erfassen, und zweitens die Liebe des Christus 
erkennen möchten, welche ihre Erkenntnis weit übersteigt. Viele 
Christen sind der Meinung, wenn er hier von der Breite und 
Länge und Tiefe und Höhe spricht, daß der Apostel an die 
Liebe Christi denkt. Liest man indes den ganzen Abschnitt 
aufmerksam durch, so wird deutlich, daß er mit dem neunzehnten Vers zwar keinen neuen Gegenstand, aber doch einen 
neuen Gedanken beginnt: die Liebe des Christus, die alle Erkenntnis übersteigt. Wenn aber vordem nicht von der Liebe 
Christi die Rede ist, wovon dann? Ich glaube, daß der Apostel 
bei diesen Worten an das „Geheimnis" oder die Kirche denkt. 
Der ganze Brief befaßt sich mit diesem bis dahin verborgenen 
Geheimnis und jetzt, nachdem Paulus durch den Heiligen Geist 
geleitet, dargetan hat, daß jede Familie in den Himmeln und 
auf Erden von dem Vater unseres Herrn Jesus Christus genannt 
wird, betet er für alle Heiligen, daß sie die Breite und Länge 
58 
und Tiefe und Höhe dieser wunderbaren Wahrheit — dieses 
geoffenbarten Geheimnisses — völlig verstehen möchten. 
Dann erst bittet Paulus darum, daß wir die Liebe Christi, welche unsere Erkenntnis übersteigt, verstehen und erkennen 
möchten. Diese Bitte scheint uns auf den ersten Blick ein 
Widerspruch zu sein, denn wie kann man eine Liebe erkennen, 
die größer ist als alle Erkenntnis? Aber es ist kein Widerspruch. Der Heilige Geist will uns keineswegs sagen, daß wir 
diese Liebe je völlig erkennen werden, wohl aber, daß wir uns 
in Seine unendliche Liebe vertiefen und immer aus dieser Quelle schöpfen können, die nie versiegen wird und immer neue 
Segnungen für uns hervorsprudeln läßt. Durch die Liebe des 
Christus getrieben, in welcher wir gewurzelt und gegründet 
sind, werden wir diese Liebe immer mehr ergründen; aber wir 
werden sie niemals völlig verstehen können, denn sie übersteigt alle Erkenntnis und ist unendlich, wie Gott Selbst unendlich ist. Ach! Wie sollten unsere Herzen doch stets von Lob 
und Dank erfüllt sein für eine solche Liebe, die nie aufhören 
wird, für eine solche Gnade, die unsere Herzen schon hier mit 
den herrlichsten Wahrheiten trösten und erfreuen will! Leider 
gelingt es dem Teufel, dem Lügner von Anfang an, nur zu oft, 
unsere Herzen und Gedanken von dieser Liebe abzulenken, um 
uns mit uns selbst zu beschäftigen. Schauen wir aber auf Seine 
Liebe, so werden unsere Herzen von Frieden regiert und mit 
Lob erfüllt werden. 
Ich bete an die Macht der Liebe, 
die sich in Jesu offenbart. 
Ich geb' mich hin dem freien Triebe, 
womit ich Wurm geliebet ward. 
Ich will, anstatt an mich zu denken, 
ins Meer der Liebe mich versenken. 
Einige hervorzuhebende Worte enthält auch der neunzehnte 
Vers: „Auf daß ihr erfüllt sein möget zu der ganzen Fülle 
Gottes". Höheres konnte der Apostel nicht erflehen; weiter 
konnte er nicht gehen. Die Gläubigen sind die Fülle des Christus — „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt". Welch' ein 
Gedanke! Und Er, Der alle Dinge erfüllt, erfüllt auch unsere 
Herzen mit der Fülle Gottes, — „ein Gott und Vater aller, der da 
59 
ist über alle und durch alle und in uns allen" (Eph 4, 6). „An 
jenem Tage", an dem Tage, wo der Vater einen anderen Sachwalter, den Geist der Wahrheit gegeben hat — „werdet ihr 
erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich 
in euch" (Joh 14, 20). Welch' eine wunderbare Wahrheit! Wenn 
sich eine Segnung nach der anderen so vor unseren Blicken entfaltet, wenn wir sehen, daß wir von Ihm so geliebt sind, daß 
wir Seine Fülle genannt werden, muß unser Herz dann nicht 
von Lob und Dank erfüllt sein? Aber laßt uns auch nicht vergessen, daß wir diese Segnungen nicht genießen können, wenn 
wir der Welt oder dem Fleisch Einfluß auf uns eingeräumt 
haben. Wenn wir den Heiligen Geist betrübt, uns Seiner Leitung entzogen haben, wird unsere Erkenntnis bald so geschwächt werden, daß wir schließlich — wenn die Gnade des 
Herrn uns nicht zurückhält — in allerlei Irrtümer hineingeraten. 
Bleiben wir daher immer unter der Leitung des Heiligen Geistes 
und lassen wir uns von Ihm unterrichten, dann werden wir die 
köstlichen Segnungen genießen, die uns der Apostel in diesem 
Gebet, ja in diesem ganzen Brief vorstellt und womit er sein 
Gebet beschließt: „Dem aber, der über alles hinaus zu tun 
vermag, über die Maßen mehr, als was wir erbitten oder erdenken, nach der Kraft die in uns wirkt, ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter 
des Zeitalters der Zeitalter hin! Amen". 
Auch im Schluß dieses Gebets läßt sich deutlich der Unterschied 
zu dem Charakter des ersten Gebetes erkennen. Dort stand im 
Mittelpunkt die Macht, welche für uns wirkt; hier ist es die 
Macht, die in uns wirkt. Dort war es die Kraft, welche in Christo wirkte, indem sie Ihn und uns aus den Toten auferweckte. 
Hier ist es zwar dieselbe Kraft, aber dargestellt in praktisclier 
Weise. Gott wollte, daß auch dies unser Teil werden sollte. Sein 
Wunsch war es, daß wir — wie im zweiten Kapitel gesagt wird 
— eine „Behausung Gottes im Geiste" werden sollten und durch 
die Macht dieses Geistes in die gesegneten Offenbarungen der 
Liebe Christi und der Fülle Gottes eindringen möchten. Ist das 
nicht eine bewundernswerte, ja unbegreifliche Wahrheit? In uns 
armen, schwachen Gläubigen soll eine solche Kraft wirken? Ist 
das überhaupt möglich; können wir es glauben? Ja, wir können 
es glauben, denn das Wort Gottes versichert es uns. Die Frage 
60 
ist nur, ob wir es wirklich glauben, oder ob wir es nur verstehen und für wahr halten. Wenn wir in Wahrheit glauben, 
daß die Kraft Gottes in uns wirkt, können wir dann wohl so 
leicht entmutigt und niedergedrückt werden? Sollten wir uns 
nicht vielmehr oft mit der Liebe des Herrn und der Fülle unseres Gottes und Vaters beschäftigen? Der Herr schenke uns die 
Einsicht, diese ganze Kraft kennenzulernen und was es sagen 
will, daß Er „über alles hinaus zu tun vermag, was wir bitten 
oder erdenken". Im übrigen erscheinen aber auch die Schwierigkeiten und Gefahren dieser Wüste gering, im Blick auf unsere 
zukünftige Herrlichkeit, die „auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter" fortdauern wird. Welches Vorrecht, welche 
Unterscheidung von der Welt! Ewig in Seiner Nähe, in der 
Gegenwart unseres Vaters zu verweilen! Herrlicher Gedanke ~ 
gesegnete Zukunft! Ja Dir, o Herr, sei Preis und Ruhm, Dir 
„sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu auf 
alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter! Amen". 
Nachdem wir nun in dieser Weise der Kirche in ihrer harmonischen Verbindung mit Christo bis an die gesegnete Zeit 
ihrer ungestörten Herrlichkeit gefolgt sind, sei abschließend 
noch mit einigen Worten ihrer Stellung gedacht, welche sie 
kurz vor ihrer Aufnahme (Offenbarung 22) einnimmt. „Und 
der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, 
spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; wer da 
will, nehme das Wasser des Lebens umsonst". Ihr Auge ist 
hier auf Ihn — ihren Bräutigam — gerichtet. Sie weiß, daß Er 
„die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern" ist, und mit sehnsüchtigem Verlangen sieht sie Seiner Ankunft entgegen. Aber dabei vergißt sie nicht, daß Er 
der einzige Gegenstand ihrer Herzensfreude, auch die Quelle 
lebendigen Wassers für jeden Durstigen ist, und in Übereinstimmung mit ihrem geliebten Herrn verkündigt sie jedem die 
freie Gnade: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst". In solcher Weise wird uns die Braut des Herrn in diesem Verse vorgestellt; aber entspricht sie jetzt, wo die Ankunft 
ihres Bräutigams so nahe ist, wohl immer dieser Berufung? 
Leider im allgemeinen recht wenig; viele Christen gehen durch 
diese Welt, ohne sich um das Heil verlorener Sünder besonders 
zu kümmern und ohne sich mit der herrlichen Ankunft des 
61 
Herrn zu beschäftigen. Bewegt uns aber das Verlangen nach 
Seiner Wiederkunft zu unserer Aufnahme, so werden wir uns 
auch um die Errettung verlorener Sünder kümmern. Nie wird 
das Herz so sehr nach Bekehrung von Ungläubigen trachten, 
als wenn es unter dem lebendigen Eindruck steht, daß der Herr 
nahe ist und das Evangelium der freien, unumschränkten 
Gnade der Welt nur noch kurze Zeit verkündigt werden kann. 
Und wenn wir die eben angeführte Stelle genau betrachten, 
werden wir finden, daß auch sie eine Andeutung hierüber enthält. Der Ruf an die Welt: „Komm, nimm das Wasser des 
Lebens umsonst"! steht in unmittelbarer Verbindung mit dem 
Verlangen des Geistes und der Braut nach der Ankunft des 
geliebten Herrn. Eines folgt sozusagen aus dem anderen. Wir 
sollten nie aufhören, für die Errettung von Sündern zu beten, 
damit noch viele sich Seiner Liebe erfreuen und Den loben, 
Der sie von allen ihren Sünden befreit hat. Wir haben nicht 
mehr viel Zeit, geliebte Brüder, Sünder mit der Gnade Gottes 
bekanntzumachen. Bald wird der Tag da sein, wo Er uns in 
Seine Herrlichkeit aufnimmt. Blicken wir nur um uns her, welche ungeheuren Umwälzungen in Kirche und Staat vor sich 
gehen, was für ein revolutionärer Geist sich überall einschleicht, 
und welchen Einfluß er auf alle Stände der menschlichen Gesellschaft ausübt. Achten wir nur einmal darauf, wie sich das 
alles entwickelt. Der Schlummer von achtzehn Jahrhunderten 
ist vorbei; das neunzehnte Jahrhundert entfaltet die menschliche Größe und Herrlichkeit auf eine Weise, die jede frühere 
Entwicklung weit übertrifft. Aber bald wird alle menschliche 
Größe ihren Gipfel erreicht haben, bald wird sie dem Antichristen, dem Menschen der Sünde, ihren wahren Charakter 
zeigen. Nach diesem Ziel strebt Satan jetzt, und er bedient 
sich dabei der Methode, die Menschen ganz und gar von 
Christo abzuziehen, hin zu ihrer eigenen Vernunft und Erfahrung. In einem solchen Zustand befindet sich jetzt die Welt, 
und wie sieht es in der wahren Kirche aus? Auch sie ist aus 
ihrem Schlummer erwacht, in dem sie Jahrhunderte lang versunken lag. „Als der Bräutigam verzog, wurden die zehn Jungfrauen alle schläfrig und schliefen ein". Bis vor einigen Jahren 
waren alle Gläubigen noch in diesem moralischen Schlaf, wobei 
keineswegs das große Werk des Heiligen Geistes in den Tagen 
des Mittelalters vergessen werden darf — die gesegnete Zeit 
62 
der Reformation. Obwohl der Herr das Licht des lauteren Evangeliums über viele Länder leuchten ließ, so war doch diese 
Wahrheit — die Wiederkunft des Herrn zur Aufnahme Seiner 
Versammlung — nicht bekannt. Auch damals lag die Kirche in 
tiefem Schlaf versunken. Aber der Herr sei gelobt und gepriesen, daß Er in unseren Tagen Seine Kinder auf die Ankunft 
Christi aufmerksam gemacht hat. Die zehn Jungfrauen sind 
aufgestanden, das mitternächtliche Geschrei: „Siehe, der Bräutigam kommt!" ist ertönt und verbreitet sich durch des Herrn 
Gnade weiter und weiter unter Seinen Kindern. Hunderte von 
Verkündigern des Evangeliums sind ausgegangen, um den 
Sünder mit der unumschränkten Gnade Gottes bekanntzumachen. Sie sind dem Ruf gefolgt: „Gehet hin in die ganze 
Welt, predigt die gute Botschaft der ganzen Schöpfung"! Und 
was ist die Folge? Tausende und aber Tausende haben die 
frohe Botschaft angenommen und erfreuen sich jetzt ihrer 
Errettung. Selbst solche Gegenden, in denen früher das Evangelium nie verkündigt wurde, sind jetzt mit der freien Gnade 
bekanntgemacht, und obwohl sich auch große Feindschaft gegen 
die Diener des Herrn zeigte, sind doch viele zur Erkenntnis der 
Wahrheit gekommen. Ja, die Worte des Herrn an die Versammlung zu Philadelphia können jetzt mit Recht Anwendung finden: „Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand zu schließen vermag". Möchten wir doch 
von dieser Gelegenheit, die sich jetzt so manches Mal darbietet, 
mehr Gebrauch machen und nicht vergessen, Ihn zu bitten, daß 
Er noch viele Türen öffne; denn Er ist „der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel des David hat, der da öffnet, und 
niemand wird schließen, und schließt, und niemand wird öffnen". 
So stürzt also alles in schreckenerregender Weise seinem Verderben entgegen; bald werden auch die Schranken zerbrochen 
sein, die die Menschen j-etzt noch einigermaßen zurückhalten. 
Dann werden die Worte des Herrn in Erfüllung gehen: „Und 
es werden Zeichen sein an Sonne und Mond und Sternen, und 
auf der Erde Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit bei 
brausendem Meer und Wasserwogen; indem die Menschen 
verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über 
den Erdkreis kommen; denn die Kräfte der Himmel werden 
63 
erschüttert werden" (Lk 21, 25. 26). Den Anfang hiervon sehen 
wir jetzt schon im täglichen Leben; es wird nicht lange mehr 
dauern bis diese Worte vollkommen erfüllt werden. — Doch 
werfen wir noch einen Blick auf den Zustand der Kirche in den 
letzten Tagen. Die oben angeführte Stelle in Offb 22, 17 bezieht sich natürlich nicht auf die bekennende Kirche im ganzen, 
sondern nur auf solche, die Glieder des Leibes Christi sind und 
mit verlangendem Herzen nach Seiner Ankunft ausschauen. 
Der Geist und die Braut sagen: „Komm!" Jeder der Frieden 
im Blute Christi gefunden hat und diesen Ruf hört, wird aufgefordert, in diesen Ruf einzustimmen und auf seinem Weg 
durch die Wüste Seiner baldigen Ankunft entgegenzusehen. 
„Wer es hört, spreche: Komm". Wer aber die Gnade noch nicht 
angenommen hat, möge doch kommen; denn die Zeit ist 
kurz. „Wen da dürstet, der komme — und nehme das Wasser 
des Lebens umsonst". Wie lieblich sind diese Einladungen! 
Möchten doch noch viele auf Seine freundliche Stimme hören! 
Wer es versäumt und bei der Ankunft des Herrn Seiner Einladung noch immer nicht gefolgt ist, wird — soweit uns die Heilige Schrift hierüber belehrt — keine Hoffnung haben. Wenn 
man sich weigert die Gnade anzunehmen, was wird dann die 
Folge sein? „Wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so 
große Errettung vernachlässigen" (Hebr 2, 3)? Deshalb sollte 
jeder, der das ewige Leben noch nicht empfangen hat, die Zeit 
der Gnade nicht vorbeigehen lassen! Denn der Herr wird 
offenbart werden mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, um Vergeltung zu geben denen, die Gott nicht 
kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus 
Christus nicht gehorchen (2. Thess 1, 7. 8). Darum, geliebter 
Leser, wenn du den liebevollen Jesus noch nicht angenommen 
hast, gehe doch zu Ihm und laß die liebreiche Einladung nicht 
unbeachtet: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst". Denke nicht, daß es noch Zeit hat; denn heute schon 
kann der Herr kommen, um Seine Braut aufzunehmen, und 
was wird dann dein Los sein? 
Ja, der Herr möge es in Seiner reichen Gnade geben, daß sich 
Ihm noch viele zu Füßen werfen und daß wir, geliebte Brüder, 
mit der herrlichen Verheißung Seiner Ankunft, die allen Leiden 
64 
ein Ende machen wird, immer mehr erfüllt werden und mit 
verlangendem Herzen Seiner Erscheinung entgegensehen möchten! Ja, der Herr gebe, daß der Ruf: „Komm, Herr Jesu!" an 
allen Orten und Enden unter den Seinigen gehört werde! 
Gedanken über Philipper 3 
Es ist wichtig, den besonderen Charakter dieses Briefes zu verstehen. Er zeigt uns den Wandel eines himmlischen Menschen 
durch diese Welt; er sagt uns, wie die Gesinnung und das Betragen eines Menschen sein sollten, der dieser Welt nicht angehört und der, obschon er dem Leibe nach sich noch auf der 
Erde befindet, dem Geiste nach im Himmel ist. Der Brief an 
die Römer (Kap. 8) zeigt die Stellung des neuen Menschen, die 
Grundlage, auf die er gestellt ist; hier lernen wir den Wandel 
kennen, der einem solchen Menschen geziemt. 
Das Wort Gottes — und das ist für uns von großem Wert — 
bezeugt nicht nur, wie ein Mensch wandeln soll, sondern es 
zeigt uns diesen Wandel im Leben des Apostels Paulus auch 
praktisch verwirklicht. Es stellt uns einen Menschen dar, der 
durch die Welt geht und über allem steht, was sich in der Welt 
befindet. 
Wir sind hienieden von allerlei Hindernissen umgeben; nichts 
um uns her kann dem neuen Menschen nützlich sein. Im Gegenteil, das alles steht mit unserem alten Menschen, mit unserer alten Natur im Einklang. Es ist daher wesentlich, die 
Macht zu erkennen, die uns befähigt, inmitten einer solchen 
Welt zu wandeln und uns über alles zu stellen, was uns umgibt. Alles auf unserem Wege ist dazu angetan, uns aufzuhalten und uns abwendig zu machen, und nichts befriedigt die 
Bedürfnisse unserer Seelen; aber wenn ich ein himmlischer 
Mensch bin, so ist es der Himmel, der mich aufrechterhält; also 
muß der Himmel mein Ausgangspunkt sein. „Wie der von 
Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind, und wie 
der Himmlische, so sind auch die Himmlischen" (i. Kor 15, 48). 
65 
Wenn ich Christo angehöre, so bin ich himmlisch. Eine ganz 
andere Frage ist es, ob ich diesen Charakter verwirkliche. Aber 
wenn die Tatsache, daß wir himmlisch sind, unser Ausgangspunkt ist, so müssen wir die Welt beiseitesetzen. Ach! Die 
Christen hängen so sehr an dieser elenden Welt. Sie nehmen 
so gern die Stellung der Gläubigen des alten Bundes ein, damit 
sie die Welt nach Belieben genießen können. Die Heiligen des 
alten Bundes hatten ihr Leben in der Welt und rechneten mit 
den Hilfsquellen der Welt; aber Christus ist hienieden von 
der Welt verworfen worden und gen Himmel aufgefahren. Dadurch hat sich alles verändert. Möchte das Gewissen eines jeden 
unter uns tief davon ergriffen und durchdrungen sein! Der, 
Dem wir alles verdanken, ist von dieser Welt verworfen worden. Wie könnten daher wir, die wir Ihm alles schulden, unsere 
Ruhe, unsere Freude, unser Interesse in einem Bereich finden, 
der Ihn verworfen hat, und in dem Er Seinen Tod gefunden 
hat! Alles gehörte Ihm an; aber man hat Ihm Seinen Platz hienieden verweigert. Die Menschen haben einen Mörder dem 
Sohn Gottes vorgezogen. Sie haben Ihm eine Krippe bei Seiner 
Geburt und ein Kreuz bei Seinem Tode gegeben. 
Das 7. Kapitel der Apostelgeschichte zeigt uns die Einführung 
des Christentums. Stephanus, voll des Heiligen Geistes, schaute 
unverwandt gen Himmel und nicht mehr auf die Erde. Der 
Heilige Geist richtet stets die Blicke hinauf gen Himmel. Stephanus sah die Herrlichkeit Gottes und Jesum zur Rechten 
Gottes. Seine Heimat war da, wo sich sein Erlöser befand. Er 
schaute Jesum in dem geöffneten Himmel — Jesum, mit Dem 
er vereinigt war. Hier in dem Brief an die Philipper sehen wir 
die Wirkung aus der Tatsache, daß der Blick auf Christum gerichtet ist. Es handelte sich hier nicht einfach darum, daß Paulus Vergebung und Frieden für sein Gewissen gefunden hatte, 
sondern daß er von dem Augenblick an, wo er Jesum in der 
Herrlichkeit gesehen hatte, von allem Irdischen befreit worden 
war. Das Gegenstück ist der Räuber am Kreuze (Lk 23, 40—4-5). 
Man kann begreifen, daß es für einen, der wegen seiner Verbrechen verurteilt war, eine glückselige Veränderung war, ins 
Paradies zu gelangen, zumal wir nicht wissen, was für ein 
Mensch er geworden wäre, wenn er länger in dieser Welt gelebt hätte. Paulus hingegen war ein Mensch, welcher — im Ge66 
gensatz zu dem Räuber — alles besaß, was sein Herz nur wünschen konnte, was also geeignet war, ihn Gefallen an der Welt 
finden zu lassen; aber dennoch achtete er „alles für Verlust". 
Kein anderer hätte so viele Voraussetzungen aufweisen können, 
um auf Fleisch zu vertrauen. Er besaß alle Vorrechte der Geburt, 
war persönlich religiös und der strengste Beobachter der Überlieferungen seiner Väter; er haßte den verherrlichten Jesus und 
war ein erbitterter Verfolger Seiner Heiligen auf der Erde. Aber 
alles, was der Mensch im Fleische für einen Vorzug hielt, achtete er um Christi willen für Verlust. Wodurch war diese 
gründliche Veränderung bewirkt worden, nachdem doch die 
Bosheit des Paulus die jedes anderen übertraf? Vordem hatte 
er diejenigen, welche Jesum am meisten liebten, zwingen 
wollen, Seinen Namen zu lästern, und jetzt verkündigt derselbe Mann, daß Jesus alles ist. Er hat den Herrn Jesus in der 
Herrlichkeit gesehen, hat Seine Stimme gehört, und von da an 
war alles für ihn verändert — ja, er selbst ist verändert allem 
anderen gegenüber. Er empfängt nicht nur — wie sicher das 
auch ist — das Heil, sondern auch die Erkenntnis der überschwenglichen Vortrefflichkeiten Christi. Christus, Der ihm auf 
dem Weg begegnet ist und Der ihn, den widerspenstigen Saulus, bei seinem Namen gerufen hat, geht ihm jetzt über alles. 
Er hat Ihn in der Herrlichkeit gesehen, und Christus verdrängt 
nun jeden anderen Gegenstand aus seinem Herzen. Alles ist 
verwandelt durch Christum, Den er, als den Auferstandenen 
aus den Toten und den Verherrlichten zu sehen, das Vorrecht 
gehabt hat. Er sieht Ihn, Der die Sünde getragen und hinweggetan hat, lebendig und verherrlicht; er sieht Ihn, Der die, 
welche Saulus verfolgte, als eins mit Sich anerkennt. Er erblindet durch diesen Anblick. Auch andere haben es erfahren, 
wie der Anblick des verherrlichten Christus alles aus dem Herzen entfernt, was sie früher fesselte, und die sie umgebende 
Welt ist ihnen, im Vergleich mit Christo, wie eine armselige, 
nichtige Finsternis vorgekommen. 
Paulus sagt: „Ich achte" —nicht nur ich habe geachtet — „alles 
für Verlust wegen der Vortrefflichkeit Christi Jesu, meines 
Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für 
Dreck achte". Dies Wort tönt aus dem Gefängnis in Rom zur 
Zeit der Prüfung und der Leiden. Der Tod schaute im ins An67 
gesicht; aber die Herrlichkeit und Schönheit Christi waren 
seiner Seele so gegenwärtig wie je. „Ich achte alles für Dreck". 
Christen sollten bis ans Ende das festhalten, was sie am Anfang ihrer Laufbahn erwarben (vgl. Hebr 3, 6. 14; Kol 1, 23; 
1. Joh 2,14; 2. Petr 1, 12). Habt ihr mit dem Bewußtsein angefangen, daß Christus euch mehr als alles gilt, so haltet daran 
fest! 
Paulus zielt auf den Zustand der Auferstehung; er wollte aus 
dem Zustand nach dem ersten Adam zur Auferstehung aus 
den Toten hingelangen. Nicht daß er daran gezweifelt hätte, 
sondern es ist, als ob er sagen wollte: Ich bin bereit, durch 
alles, durch Leiden und Tod, was es auch sein möge, hindurchzugehen, um nur durch die Macht Gottes hinzugelangen zur 
Auferstehung aus den Toten. Es ist etwas Wunderbares, wenn 
die Seele dazu gelangt, die überschwengliche Vortrefflichkeit 
Christi zu erfahren, wenn Christus zum alles verzehrenden, 
die Seele allein beherrschenden Zentrum, wenn Er alles geworden ist. Christus genügt, um das Herz auszufüllen und alles 
andere zu verdrängen, uns fähig zu machen, durch diese Welt 
zu gehen „als nichts habend und doch alles besitzend". Ist 
Christus dein Genüge, mein Leser? Genügt Er dir in jeder Beziehung, um den Bedürfnissen deines Herzens zu entsprechen? 
Kannst du sagen: Ich besitze Ihn und bin unbeschreiblich 
reich (vgl. Apg 26, 29) ? In diesem Falle mußt du der Welt für 
immer den Rücken gekehrt haben. 
Die größte Wohltat, die Gott der gefallenen Schöpfung gewährt hat, besteht darin, daß die, welche Ihm angehören, durch 
den Tod aus ihrem natürlichen Zustand in Adam in den Zustand der Auferstehung übergehen. Was wird das für ein Augenblick sein, wenn wir jede Fessel, ja selbst den sterblichen 
Leib für immer hinter uns lassend, erwachen werden! Dorthin 
hatte der Apostel seinen Blick gerichtet. Auch wir sollten dieses 
Glück jetzt schon im voraus genießen. Die Tatsache, daß wir 
es noch nicht ergriffen haben, hält uns in der Demut; aber der 
Umstand, daß es sich darum handelt, Christum zu gewinnen, 
drängt uns mit Macht vorwärts. Für manche ist das Christentum nur eine Sache der Sündenvergebung. Wenn wir aber den 
Blick auf Christum gerichtet halten, so werden wir auch alles 
verwerfen, was nicht von Ihm ist; wir werden in Ihm unsere 
68 
einzige und alleinige Erfüllung haben. Wir werden laufen „das 
Ziel anschauend". Hast du diese Fülle, mein Leser? Steht der 
„Kampfpreis der himmlischen Berufung" vor deinen Augen? 
Ist es Christus, Den du suchst? Ist es der sehnlichste Wunsch 
deines Herzens, Ihn zu kennen? Bist du bereit zu leiden, um 
diese Bekanntschaft mit Ihm zu machen? Kannst du sagen: Ich 
richte mein Antlitz gegen den Jordan wegen der Pracht des 
Landes mit seinen Hügeln voller Weingärten und Olivenbäume, welche ich jenseits erblicke? Kannst du sagen: Ich 
schaue den Jordan — das Bild des Todes — nicht an, denn das 
entmutigt, sondern ich fessele meine Blicke an die Bundeslade, 
welche vor dem Volke hergetragen wird? Strebst du danach das 
vorgesteckte Ziel zu ergreifen, wozu du von Christo Jesu ergriffen bist? 
Welch ein Glück ist das Bewußtsein, daß Jesus mich um eines 
Zieles willen ergriffen hat! Aber auch welch ein Glück, wenn 
ein Christ sagen kann: Das ist das Ziel, nach welchem ich 
strebe! Wenn dieser Wunsch, das Ziel zu erreichen, wirklich 
vorhanden ist, so werden auch alle Seelenkräfte angespannt 
werden, um zu diesem Ziel zu gelangen. „Der Faule — seine 
Seele begehrt, und nichts ist da; aber die Seele der Fleißigen 
wird gesättigt" (Spr 13, 4). Unsere Tüchtigkeit besteht darin, 
das Auge einfältig auf Christum gerichtet zu halten. Wenn 
ich Christum habe, so darf ich sagen: Ich brauche sonst nichts. 
Wohl mögen sich beim Durchschreiten des Jordan allerlei Hindernisse und Schwierigkeiten einstellen; aber wenn mein Auge 
auf die Bundeslade gerichtet ist, so werde ich durch den Strom 
hindurch einen für mich zubereiteten Weg finden. 
Das Christentum besteht darin, daß der Christ über alles Macht 
hat und allem überlegen ist. Als Christ habe ich einen Herrn 
in der Herrlichkeit, Der meine Seele auf Erden bildet. Wenn 
ich Christum, so wie Er ist, vor Augen habe, so werde ich 
wandeln, wie Er gewandelt hat; wenn mein Auge auf Ihn 
gerichtet ist, so verwandelt mich der Geist Gottes in Sein Bild 
(2. Kor 3, 18). 
Es ist sehr wichtig, ein klares und bestimmtes Ziel vor sich zu 
haben; man hat es nicht, solange man noch mit sich selbst 
beschäftigt ist. Wenn wir mit uns selbst beschäftigt sind, schlie69 
ßen wir uns damit davon aus, auf Christum zu schauen. Der, 
Welcher mich auf eine so vollkommene Weise zu einem Gegenstand Seiner Sorgfalt gemacht hat, hat mich von allem befreit, 
so daß ich, wie einst Maria (Lk 10, 39), aHein mit Ihm beschäftigt sein kann. Sie wußte das Vorrecht zu schätzen, zu den 
Füßen Jesu zu sitzen; denn nur Er konnte die Bedürfnisse ihres 
Herzens stillen. „Er lagert mich auf grünen Auen" (Ps 23, 2). 
Aber bevor man auf „grünen Auen" ruhen kann, muß man 
befriedigt sein. Welch ein gesegneter Zustand, wenn jeder 
Mangel beseitigt, jedes Bedürfnis gestillt ist, wenn der Genuß 
durch nichts gestört oder unterbrochen wird, wenn jeder 
Wunsch nicht allein durch Seine Gunst und Gnade, sondern 
auch durch Seine persönliche Gegenwart erfüllt ist! Wer nichts 
anderes als Ströme von Segnungen auf Erden begehrt, wird 
stets darben; er ist nicht hinaufgestiegen zu der Quelle alles 
Guten, und wenn der Herr die Ströme Seiner Gnadengaben zurückhält, ist er überrascht und zweifelt wohl sogar an Seiner 
Güte und Sorgfalt. Wer Ihn Selbst kennt, wird Seine Gunstbezeugungen nie als Maßstab dafür betrachten, was Sein Herz 
für Ihn ist. Je mehr wir das Herz Christi kennen, um so weniger 
brauchen wir einen Beweis von dem, was Er ist. Wir werden 
dann nicht einmal daran denken, Seine Liebe nach solchen Beweisen messen zu wollen. Indem wir Sein Herz und das, was 
Er in Sich Selbst ist, kennen, werden wir Ihm für jede Seiner 
Segnungen dankbar sein; aber wir werden diese nicht abwarten, 
um von Seiner Liebe überzeugt zu werden. Es sollte unser 
Streben sein, droben zu leben und uns hienieden für gestorben 
zu halten. Die Welt bietet nichts als Enttäuschung und Tod. 
Laßt uns nicht nach den Gütern dieser Welt trachten; denn wir 
besitzen alles in Christo außerhalb der Welt. Laßt uns das 
willig hinnehmen, was uns hienieden zugeteilt ist. Inmitten der 
Dunkelheit und Finsternis der Welt tritt die Herrlichkeit des 
Himmels, wo Christus zur Rechten Gottes ist, um so leuchtender hervor. 
Was Paulus hier wünscht, ist, Anteil an den Leiden Christi zu 
haben. „Vergessend, was dahinten ist", entschwinden die zurückgelegten Wege, die zurückgelassenen Dinge, die erduldeten 
Mühen seiner Erinnerung. Manche lassen sich auf dem Wege 
aufhalten, weil sie den Weg prüfen, den sie gehen, während 
70 
der Apostel die Dinge vergißt, die dahinten sind. Selbst die 
Freuden in Christo halten ihn nicht zurück; er verfolgt seinen 
Lauf, „streckt sich nach dem aus, was vorne ist", und läuft, nur 
ein Ziel vor den Augen. 
Das war der Wandel des Apostels. Doch hören wir seine Worte: 
„Viele wandeln, von denen ich euch oft gesagt habe, nun aber 
auch mit Weinen sage, daß sie die Feinde des Kreuzes Christi 
sind; die auf das Irdische sinnen" (V. 18—19). Sinnst auch du 
auf das Irdische, mein Leser? Die Christen, die in die Dinge 
dieser Welt verstrickt sind, werden Feinde des Kreuzes Christi 
genannt. Das Kreuz ist für den Christen moralisch sowohl das 
Ende der Welt, als auch das Ende seiner Sünden. „Von mir 
aber sei es ferne, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres 
Herrn Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt 
ist und ich der Welt" (Gal 6, 14). Wenn uns die gegenwärtigen 
Dinge erfüllen, so sind wir Feinde des Kreuzes Christi (vgl. 
Jak 4, 4; Joh 21, 15—17). „Unser Wandel ist in den Himmeln" 
(V. 20). Als Fremdlinge auf Erden sollen wir unseren Herrn 
Jesus Christus als Heiland aus den Himmeln erwarten, Der uns 
von dem gegenwärtigen Zeitlauf befreien wird. Er wird Seine 
Macht an diesen Leibern entfalten, in denen die Sünde, der 
Tod und das Gericht gewirkt haben. Der Mensch in der Herrlichkeit ist durch den Heiligen Geist jetzt die Person, Die uns 
beschäftigt und wir erwarten Sein Kommen, damit Er den Leib 
der Niedrigkeit — diese Hütte aus Ton, dieses irdene, zerbrechliche Gefäß — umgestalte. Die Offenbarung Jesu hat dem 
Geiste nach alles verändert; und wenn Er kommt, wird Er Seine 
Hand auch an unsere niedrigen Leiber legen, um sie Seinem 
verherrlichten Leibe gleichförmig zu machen. Wunderbare 
Wahrheit! Auf dem Wege durch diese Welt begegnen wir überall dem Tode; die prachtvolle Macht Christi aber wird überall 
Leben verbreiten. Er entfaltet jetzt Seine Macht an unserem 
Geiste; er wird sie später an unserem Leibe entfalten. 
Der Herr wolle durch Seine Gnade und durch Seinen Geist die 
Augen dahin richten, wo Er Selbst ist, mit dem Bewußtsein, daß 
jetzt dort unsere Seele ihre Wohnung hat, wo alles vollkommen und bleibend ist! Alles, was du jetzt in der Welt besitzest, 
mußt du früher oder später aufgeben. Das, was dir das liebste 
ist, was du am höchsten schätzest, wird dir am meisten Betrüb71 
nis bereiten; denn du wirst es einmal verlieren. Was ist das 
kostbarste in der Welt? Die Liebe zu den Deinigen; aber an der 
Wurzel dieser Liebe haftet ein sehr spitzer Dorn; alles ist sterblich, nichtig, vergänglich hienieden. Der Tod herrscht überall. 
Es gibt nur ein Stätte, wohin er nicht dringen kann — eine einzige Stätte, wo das Herz Befriedigung findet. Wende deine 
Augen nach oben, dahin, wo Jesus ist. Dort wirst du Ruhe und 
Frieden finden, und im Anschauen alles dessen, was irdisch ist, 
wirst du sagen können: „Ich besitze alles in Christo; Er hat 
mich erfüllt; ich brauche nichts anderes". — Die Absicht des 
Geistes ist es, uns also mit Christo zu beschäftigen — „nach 
der Wirkung, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen". 
Der Gläubige — ein Brief Christi 
(2. Korinther 3, 2. 3) 
Ein Brief Christi zu sein, ist bedeutsam, wenngleich niemand 
die Tiefe einer solchen Berufung ganz ergründen kann. Jede 
Versammlung von Gläubigen ist ein Brief Christi, dazu bestimmt, „gekannt und gelesen zu werden von allen Menschen". 
Die Gläubigen sind ein an die Welt gerichtetes Empfehlungsschreiben Christi. Die Welt hat dieses Zeugnis des Lebens der 
Gläubigen nötig, um Christum kennenzulernen, obwohl sie 
diese Erkenntnis ohne Zweifel auch aus Seinem Worte schöpfen kann. Die Wichtigkeit dieses Zeugnisses wird aber noch 
deutlicher, wenn man es dem Zeugnis des Gesetzes, „geschrieben auf steinerne Tafeln", gegenüberstellt. So wie die zehn 
Gebote der Ausdruck des Willens Gottes unter der Haushaltung des Gesetzes waren, so ist jetzt die Versammlung das Bild 
Christi, „geschrieben nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf 
fleischerne Tafeln des Herzens" — „damit ihr die Tugenden 
dessen verkündiget, der euch berufen hat aus der Finsternis zu 
seinem wunderbaren Licht" (1. Petr 2, 9). 
Ein wesentlicher Zug aus dem Leben des Erlösers ist es, daß 
der Herr Jesus weder in Seinen Handlungen und Worten noch 
in den Regungen Seines Herzens jemals das Bestreben hatte. 
72 
Sich Selbst zu gefallen: „Denn auch der Christus hat nicht sich 
selbst gefallen" (Röm 15, 3). Also müssen auch wir uns selbst 
nicht gefallen: „denn keiner von uns lebt sich selber, und 
keiner stirbt sich selber" (Röm 14, 7). Jesus hat gesagt: „Auf 
daß die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe und also tue, wie 
mir der Vater geboten hat" (Joh 14, 31). 
Das war Gehorsam — ein Gehorsam, der Ausfluß und Offenbarung der Liebe war; nichts konnte Christum davon zurückhalten. Die Versuchung, ein gegebenes Gebot zu mißachten, 
kann sich in einer angenehm erscheinenden Form einstellen. So 
wehrt z. B. Petrus, als der Herr zu seinen Jüngern sagte, daß 
Er viel leiden und getötet werden würde ab mit den Worten: 
„Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren" (Mt 
J 6 , 22). Es war sicher Liebe für Seinen Herrn, die ihn so sprechen ließ; aber der Herr achtete nicht auf seine Worte, weil Er 
sonst gegen das Gebot Seines Vaters verstoßen hätte. Seine 
Antwort war: „Geh hinter mich, Satan! du bist mir ein Ärgernis; denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf 
das, was der Menschen ist" (V. 23). 
Ein anderer Zug aus dem Leben des Herrn ist von nicht geringerer Bedeutung. Er wandelte nicht nur als Sohn des Menschen 
auf der Erde, sondern Seiner Gesinnung nach in Wahrheit im 
Himmel. Alle Neigungen, alle Gedanken Seines Herzens waren 
himmlisch. Darum sagt der Apostel zu uns: „Wenn ihr nun 
mit dem Christus auferweckt seid, so suchet, was droben ist, 
wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das 
was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist" (Kol 3, x. 2). 
Zudem hatte die Gnade, welche Jesus offenbarte, nur den 
Zweck, dem Elend und den Schmerzen des Menschen in allen 
Umständen des gegenwärtigen Zeitlaufs zu begegnen. Wie 
mangelhaft zeigt sich das bei uns! Selbst wenn die Beweggründe unseres Handelns göttlicher Natur sind, so bringen wir doch 
so selten die Gnade zum Ausdruck. Bei Christo war das nie 
der Fall. Er war stets zur Ehre Gottes tätig; aber nie, bei keiner 
einzigen Gelegenheit, in keiner Handlung, verließ Er den Boden 
der Gnade. Oft bleiben wir nicht eng genug in Gemeinschaft 
mit Gott, weil wir Ihm nicht völlig vertrauen. Wir werden 
ungeduldig und nehmen — wie Jakob — unsere Zuflucht zu 
73 
Mitteln, die nicht aus Gott sind. Jakob hatte kein volles Vertrauen zu Gott, sonst würde er im Blick auf den Segen gewartet 
haben, bis Gott das Herz Isaaks zur Erfüllung Seines göttlichen 
Ratschlusses bewogen hatte. So geht es oft auch mit uns. Wir 
gehen häufig verkehrte Wege, weil wir nicht lange genug auf 
Gott warten, Der sicher Seinen Willen ausführen wird, auch 
wenn wir die Mittel, die Er anwendet, nicht erkennen. Saul 
wollte, als der siebte Tag anbrach, das Opfer nicht länger aufschieben, aber kaum war dieses Opfer gebracht, da kam Samuel 
am Ende des siebten Tages; Saul aber verlor das Königreich. 
So leiden auch die Kinder Gottes stets Schaden, wenn sie ihr 
Vertrauen auf Gott verlieren. Christus stützte Sich stets auf 
Gott, wartete stets auf Ihn, und darum war Er auch immer 
gegen jeden Schmerz und gegen jedes Elend gewappnet. Ausnahmslos bediente Er Sich der Hilfsmittel, die in Gott sind, und 
darum konnte Er auch jeder Not, von welcher Art sie auch 
war, gefaßt ins Auge sehen. Es ist sehr interessant, das fünfte 
Kapitel aus dem Evangelium Matthäus zu lesen. In jedem Seligsprechen findet sich Christus. Wer war so arm im Geiste, so 
ein Trauernder wie Er? Wen hungerte und dürstete gleich Ihm 
nach der Gerechtigkeit? Sein ganzes Leben war ein solches 
Hungern und Dürsten. „Das Leben war das Licht der Menschen". 
Überdies war Jesus Sieger über jeden Widerstand, ja selbst 
über den Tod. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Kraft 
und gutem Willen. Es ist leichter zu sagen: „Das Gute, das ich 
will, tue ich nicht" (Röm 7, 19), als „ein Brief Christi" zu sein; 
hierzu bedarf es der Kraft, welche jedes Hindernis, selbst den 
Tod beherrscht. Denn auch der Tod ist uns gegeben (1. Kor 3, 
22). Der Gläubige, lebend durch die Kraft des Lebens Christi, 
hat eine vollkommene Macht über den Tod. 
Doch das ist nicht alles. Der Herr Jesus verleugnete in allen 
Seinen Handlungen nie Seine Liebe. Die Liebe bedarf keines 
Beweggrundes, um sich zu offenbaren. Sie macht uns fähig, 
selbst allen Widerwärtigkeiten Trotz zu bieten. Wird man ins 
Angesicht geschlagen, so verleiht die Liebe die nötige Kraft, es 
zu ertragen, weil sie diese Kraft nicht aus den Umständen 
schöpft, sondern weil sie über allen Umständen erhaben ist. 
74 
Nichts kann einem Gläubigen begegnen, was ihn von der Liebe 
Gottes scheiden könnte. Die Liebe, deren Gegenstand Er ist, 
herrscht über alle Umstände. Wenn wir diese himmlische Gesinnung, die aus Gott ist, nicht offenbaren und unseren Weg 
nicht in einfältigem Gehorsam gehen, dann sind wir kein 
wahrer Brief Christi. Haben wir Christum nicht geoffenbart, 
so haben wir unsere Stellung verleugnet. 
Nachdem uns der Apostel gezeigt hat, daß die Gläubigen Briefe 
Christi sind, gekannt und gelesen von allen Menschen, belehrt 
er uns, daß wir nicht durch den Dienst des Buchstabens, sondern durch den Dienst des Geistes in diese Stellung kommen. 
Der Buchstabe hat nach den Anforderungen Gottes im Blick auf 
den Menschen gehandelt; deshalb war er ein Dienst des Todes. 
Das Evangelium ist die Offenbarung eines Gottes, Der nicht 
von der Höhe des Sinai Gerechtigkeit fordert, sondern Der in 
der Fülle Seiner Gnade Seine Gerechtigkeit offenbart und, um 
uns mit Ihm in Gemeinschaft zu bringen, Seinen Sohn vom 
Himmel sendet. Allen nun, die sich dieser Gerechtigkeit unterwerfen, ist der Heilige Geist als deren Unterpfand gegeben, 
und der Geist ist in ihnen ein Geist der Kraft. Weil wir diese 
Gnade kennen, können wir mit Freimütigkeit den Menschen 
sagen, daß sie gottlos, böse und ohne Hoffnung sind, daß aber 
Gott in Christo eine vollkommene Gnade geoffenbart hat. Freimütig können wir diesen Gott als den Gott der Gnade verkündigen. Die Kinder Israel konnten das Angesicht Mose nicht 
ansehen wegen der Herrlichkeit, die von seinem Angesicht, 
wenn auch in Schwachheit, ausstrahlte; wir aber können freimütig die alles übertreffende Herrlichkeit Gottes anschauen, 
weil sie uns im Angesicht Jesu Christi entgegenstrahlt. Gerade 
diese Herrlichkeit ist es, die mir die Versicherung gibt, daß alle 
meine Sünden hinweggetan sind. Ich schaue die Herrlichkeit 
Gottes nicht im Dunkeln, sondern als die Herrlichkeit Dessen, 
Der meine Stelle einnahm und zur Sünde gemacht wurde und 
Der unmöglich in dieser Herrlichkeit sein könnte, wenn Er nicht 
alle meine Sünden hinweggetan hätte; andernfalls würden 
meine Sünden diese Herrlichkeit nur verfinstern. Wie wunderbar! Gott hat also nicht nur unsere Seele in Gnaden besucht, 
sondern die Herrlichkeit hat sozusagen den Platz unserer Sünden eingenommen. Und der Geist, Der uns das mitteilt, wohnt 
75 
in uns, so daß wir die Kraft besitzen, in der uns von Gott angewiesenen Stellung wandeln zu können. „Wo aber der Geist 
des Herrn ist, da ist Freiheit"! 
Wer sich der Gerechtigkeit Gottes unterwirft, wird ein Brief 
Christi, weil er auf Christum in der Herrlichkeit schaut. Das 
aber ist nicht der Fall, wenn er nur auf Jesum in Seiner Niedrigkeit hienieden blickt; denn diese Niedrigkeit zieht uns wohl 
an, macht uns aber nicht frei. Heften wir hingegen unsere Blicke 
auf Christum in der Herrlichkeit, so werden wir „nach demselben Bilde verwandelt". Ein Herz, das in der Herrlichkeit lebt, 
achtet alle anderen irdischen Dinge für Schaden und Dreck. 
Das ist die Gleichförmigkeit mit Christo. In der Verwirklichung 
dieser Erkenntnis bemerken wir bald die Schwachheit des Fleisches; aber der Blick des Glaubens auf Christum ist die wahre 
Überwindung. Der Apostel sagt: „Ich vermag alles durch den, 
der mich kräftigt". Wir führen diese Wahrheit leider zu oft im 
Munde, ohne ihre Kraft erfahren zu haben. Wir können wohl 
sagen, daß ein Gläubiger alles durch Christum vermag; aber 
der Apostel konnte sagen: „Ich vermag alles, durch Christum"; 
denn er war durch gründliche Erfahrung und schwere Kämpfe 
hierzu gelangt. 
Der Herr schenke uns eine wachsende Erkenntnis der Kraft, die 
in Christo ist, wiewohl diese uns in den Staub beugt, auf daß 
wir in Wahrheit ein „Brief Christi" sind, gekannt und gelesen 
von allen Menschen"! 
Bosheit und Verblendung 
„Die Juden nun baten den Pilatus, damit ihre Leiber nicht am 
Sabbath am Kreuze blieben, weil es Rüsttag war (denn der Tag 
jenes Sabbaths war groß), daß ihre Beine gebrochen und daß 
sie abgenommen werden möchten" (Joh 19, 31). 
Wie verblendet ist der gefallene Mensch! Sich durch seine 
Werke vor Gott angenehm zu machen, ist sein beständiges 
Bestreben. Israel hatte das Gesetz übertreten und war schuldig 
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— was nützten nun alle seine Anstrengungen? Das Gesetz 
brachte das Todesurteil. Dennoch eiferten die Juden für das 
Gesetz, als ob es möglich sei, etwas durch das Gesetz zu erlangen, was vor Gott gilt — so wie es Tausende in unseren 
Tagen in der Meinung versuchen, daß ein strenges Beobachten 
religiöser Pflichten Wert vor Gott habe. In Wahrheit aber ist 
gerade der Mensch, der in religiösen Übungen seinen Frieden 
sucht, durch seine vermeintlichen guten Werke so verblendet, 
daß er oft einer besonders großen Gnade bedarf, um sich als 
einen verlorenen Sünder kennenzulernen, ja nicht selten lehnt 
er sich in Feindschaft gegen den wahren Christen durch blinden, gesetzlichen Eifer gegen Gott Selbst auf. So erblicken wir 
den Apostel Paulus, der „nach der Gerechtigkeit, die im Gesetz 
ist, tadellos war", als einen Verfolger Jesu. 
In der oben angeführten Schriftstelle bereiten sich die Juden 
vor, den Sabbath zu halten. Die Gekreuzigten während des 
Sabbaths am Kreuze hängen zu lassen, war wider das Gesetz; 
und in ihrem Eifer für das Gesetz wollten sie lieber die Gebeine 
Jesu als das Gesetz brechen. Ihre Feindschaft hatte Den ans 
Kreuz geheftet, Der der Herr des Sabbaths war, aber Er war 
Mensch geworden, um für Sünder zu sterben, und, nachdem 
Er das ganze Gesetz erfüllt hatte, den Fluch des Gesetzes auf 
Sich zu nehmen. Aus Feindschaft gegen Gott waren sie bereit, 
Seinen Tod zu beschleunigen, damit das Gesetz nicht gebrochen 
werde. 
Hier sehen wir den gefallenen Menschen ohne Licht von oben. 
Voll Haß tötet er Den, Der das Gesetz gegeben hat, und um 
das Gesetz nicht zu brechen, will er die Beine Dessen brechen, 
Der das Gesetz gegeben und erfüllt hat. Er stößt Den von sich, 
Der ihn retten will, und sucht Rettung in einem Werk, das nicht 
zu retten vermag. Er macht sich ein Gewissen daraus, den Gekreuzigten während des Sabbaths am Holze hängen zu lassen, 
aber ohne Scham, ohne Gewissen konnte er rufen: „kreuzige, 
kreuzige ihn!" Welche Bosheit und Verblendung! 
77 
Der treue Arbeiter 
(Matthäus 11) 
Jeder Abschnitt des Wortes Gottes ist für den andächtigen 
Leser eine Quelle bleibender Erfrischung, besonders, wenn es 
sich mit der gesegneten Person des Herrn Jesus in den Einzelheiten Seines Lebens, in Seinen unvergleichlichen Wegen, in 
Seiner Gesinnung, in Seinen Worten und Werken, ja selbst in 
Seinen Mienen und Gebärden befaßt und uns in der augenscheinlichsten Weise zeigt, was Er war, was Er tat, was Er 
sagte und wie Er handelte und sprach. In diesen Darlegungen 
liegt stets etwas, das das betrübte Herz berührt und anzieht 
und einen weit stärkeren Einfluß auf das Gemüt ausübt als die 
wichtigsten Lehren und die erhabensten Grundsätze. Deren 
Wert soll keineswegs verkannt werden: sie klären das Verständnis, belehren den Geist, bilden das Urteil, beherrschen das 
Gewissen und sind uns in dieser Beziehung von unberechenbarem Nutzen. Aber die Darstellung der Person Christi durchdringt das Herz, weckt Gefühle der Liebe, befriedigt die Seele 
und erfaßt das ganze Wesen; nichts ist imstande, die Beschäftigung des Herzens mit Christo Selbst, so wie der Heilige Geist 
Ihn im Worte und besonders in den unnachahmlichen Erzählungen des Evangeliums unseren Blicken enthüllt, zu übertreffen. Möchten wir das bei einer Betrachtung des 11. Kapitels 
aus dem Evangelium des Matthäus erfassen, in welchem Christus als der treue Arbeiter in den Hindernissen gezeigt wird, 
denen Er während Seines Dienstes begegnete, in den Hilfsquellen, die Er in Gott fand und endlich in der gnadenreichen 
Tätigkeit, die Er dem Menschen widmete. 
Betrachten wir zunächst die Hindernisse. 
Es gab nie einen Arbeiter des Herrn in dieser Welt, der nicht 
mit Hindernissen der verschiedensten Arten zu kämpfen gehabt hätte, und der einzige vollkommene Arbeiter machte keine 
Ausnahme von dieser allgemeinen Regel. Auch der Herr Jesus 
hatte Seine Hindernisse und getäuschten Erwartungen; andernfalls würde Er kein Mitleiden mit denen haben können, welche 
solchen Prüfungen auf jeder Station ihrer Laufbahn zu begeg78 
nen haben. Er war als Mensch vollkommen in alle Umstände 
eingetreten, die ein Mensch zu erfühlen vermag — jedoch mit 
Ausnahme der Sünde. „Er ist in allem in gleicher Weise versucht worden wie wir, ausgenommen die Sünde". Darum kann 
Er Mitleid haben mit unseren Schwachheiten. Darum hat Er 
Verständnis für alles, was Seine Diener in ihrer Arbeit durchzumachen haben. 
Nun hat der Heilige Geist in dem erwähnten Kapitel eine Reihe 
solcher Hindernisse und getäuschten Erwartungen zusammengestellt, denen der vollkommene Arbeiter, der treue Knecht, der 
göttliche Diener in der Ausübung Seines Dienstes zu begegnen 
hatte. Die erste Enttäuschung kommt von einer Seite, von 
welcher man es nicht hätte erwarten sollen, nämlich von Johannes dem Täufer. „Als aber Johannes im Gefängnis die 
Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger und 
sprach zu ihm: Bist du der Kommende oder sollen wir eines 
anderen warten"? 
Zweifellos war Johannes in dem Augenblick, in welchem er 
diese Botschaft zu Jesu schickte, sehr niedergebeugt. Es war ein 
finsterer Moment in seinem Leben; aber es war nichts Ungewöhnliches. Auch die besten und treuesten Diener Christi 
waren zuzeiten unter den dunklen Schatten des Unglaubens, 
des Kleinmuts und der Ungeduld trübe gestimmt. So ließ sich 
z. B. Moses, der so hochgeehrte, treue Knecht Gottes bei einer 
gewissen Gelegenheit zu den Worten hinreißen: „Warum hast 
du an deinem Knechte übel getan, und warum habe ich nicht 
Gnade gefunden in deinen Augen, daß du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? .. . Ich allein vermag nicht dieses 
Volk zu tragen; denn es ist mir zu schwer. Und wenn du also 
mit mir tust, so bringe mich doch um, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, damit ich mein Unglück nicht ansehe" (4. Mo 11, 11—15). Das war die Sprache Moses — wohl 
beeinflußt von den sich stets verschlimmernden Umständen 
und den murrenden Stimmen von sechshunderttausend Pilgern, 
aber dennoch — die Sprache des „sanftmütigsten Mannes auf 
dem Erdboden". Und doch würde es uns schlecht anstehen, 
darüber zu staunen; denn wo ist ein Sterblicher, der den übermäßigen Druck einer solchen Lage hätte ertragen können? 
Welche bloß menschliche Eindämmung hätte der Heftigkeit 
eines so gewaltigen Stromes zu widerstehen vermocht? 
79 
Ebenso stand der Prophet Elia im beängstigten Schatten einer 
finsteren Wolke, als er sich unter einen Ginsterstrauch warf 
und den Tod erflehte. „Es ist genug; nimm nun, Jehova, meine 
Seele; denn ich bin nicht besser als meine Väter" (1. Kön ig, 
4). Auch das war die Sprache eines hochgeehrten Knechtes 
Gottes — hervorgerufen freilich durch eine Verbindung der 
entmutigendsten Einflüsse — aber dennoch die Sprache Elias 
des Thisbiters, und niemand sollte ihn tadeln, der nicht selbst 
ohne ein wankendes Gefühl oder ein strauchelndes Wort ähnliche Umstände durchschritten hat. 
In ähnlicher Lage findet sich auch der Prophet Jeremias, ein 
anderer höchst begünstigter Arbeiter des Herrn, als er unter 
den Mißhandlungen Paschchurs und den Verhöhnungen der 
ihn umringenden Gottlosen seinen Gefühlen in den Worten 
Luft machte: „Jehova, du hast mich beredet, und ich habe mich 
bereden lassen; du hast mich ergriffen und überwältigt. Ich bin 
zum Gelächter geworden den ganzen Tag; jeder spottet meiner. 
Denn so oft ich rede, muß ich schreien, Gewalt und Zerstörung 
rufen; denn das Wort Jehovas ist mir zur Schmach und zum 
Spott geworden den ganzen Tag. Und spreche ich: Ich will ihn 
nicht mehr erwähnen, noch in seinem Namen reden . . ." — 
„Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, da 
meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet! Verflucht sei der 
Mann, der meinem Vater die frohe Botschaft brachte und 
sprach: ,ein männliches Kind ist dir geboren' und der ihn hoch 
erfreute! Und jener Mann werde den Städten gleich, die Jehova 
umgekehrt hat ohne sichs gereuen zu lassen, und er höre ein 
Geschrei am Morgen und Feldgeschrei zur Mittagszeit, weil 
er mich nicht tötete im Mutterleibe, so daß meine Mutter mir 
zu meinem Grabe geworden und ihr Leib ewig schwanger geblieben wäre! Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, um Mühsal und Kummer zu sehen, und daß 
meine Tage in Schande vergingen" (Jer 20, 7—9 und 14—18)? 
Das war die Sprache des weinenden Propheten, freilich veranlaßt durch schmerzhafte Hindernisse und bittere Enttäuschungen in seinem prophetischen Dienst, aber dennoch die Sprache 
Jeremias; und bevor wir ihn verurteilen, laßt uns aufmerken, 
ob wir unter ähnlichem Druck unsere Schuldigkeit besser verrichten. 
80 
Kann es nach diesen Schriftzeugnissen unsere Verwunderung 
erregen, wenn wir nun Johannes den Täufer mitten im Dunkel eines herodianischen Kerkers für einen Augenblick straucheln sehen? Kann uns die Entdeckung in Staunen setzen, daß 
er aus keinem besseren Stoffe gemacht war als die Arbeiter 
früherer Generationen? Wenn der Gesetzgeber, der Wiederhersteller, der weinende Prophet Israels — jeder in seinen 
Tagen und unter seinem Geschlecht unter dem schweren Gewicht seiner Bürde schwankte, kann es uns dann befremden, 
daß „Johannes, der Sohn des Zacharias", in den düsteren 
Schatten seiner Gefängnismauern einem zeitweiligen Gefühl 
der Ungeduld und des Unglaubens freien Lauf ließ? Sicher 
nicht, besonders wenn wir selbst unsere mangelnde Standhaftigkeit unter ähnlichen Einflüssen erprobt haben. 
Dennoch ist die Behauptung richtig, daß die Botschaft des Täufers ein Hindernis und eine Enttäuschung für den Geist seines 
Herrn und Meisters war. Die Antwort Christi beweist es: 
„Gehet hin und verkündigt Johannes, was ihr höret und sehet: 
Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden 
gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und 
Armen wird gute Botschaft verkündigt, und glückselig ist, wer 
irgend sich nicht an mir ärgern wird"! 
Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Johannes — von 
einer vorüberziehenden Wolke des Unglaubens versucht — bestätigt wissen wollte, ob Jesus wirklich der Eine war, für Welchen er in Erfüllung seines Dienstes ein so volles und lautes 
Zeugnis abgelegt hatte. Ohne Zweifel hatte er, der sich in der 
eisernen Gewalt des Herodes sah, Anstoß hieran genommen, 
als er von den Werken Christi hörte. Es lag nahe, daß sein 
armes Herz allerlei Zweifeln Raum gab, die ihm zuflüsterten: 
„Wenn dieser der glorreiche Messias wäre, auf den wir hoffen 
und dessen Königreich in Macht aufgerichtet werden soll, warum steht es dann so traurig um dich, Seinen Diener und Zeugen? Warum befinde ich mich denn noch hier im Dunkel eines 
Kerkers? Warum streckt Er die starke Hand Seiner Macht nicht 
aus, um die Türen dieses Gefängnisses zu zertrümmern und 
mich in Freiheit zu setzen"? 
81 
Wenn das die Gedanken des gefangenen Täufers waren, wie 
kraftvoll, bestimmt und scharf war dann die Antwort seines 
Herrn und Meisters! Er machte ihn auf jene großen, moralischen Beweise Seiner göttlichen Sendung aufmerksam, die 
völlig genügten, jeden zu überzeugen, der von Gott gelehrt 
war. Erwartete man nicht, daß der Gott Israels, wenn Er in 
der Mitte Seines Volkes erschiene, sich mit dem wirklichen Zustand dieses Volkes befassen würde? War das der Augenblick 
zur Entfaltung bloßer Macht? Konnte sich der Sohn Davids, 
umgeben von Krankheit und Elend auf Seinen Thron setzen? 
Waren nicht geduldige, herablassende Gnade und Barmherzigkeit inmitten der mannigfachen und zahlreichen Früchte der 
Sünde notwendig? Sicher konnte bloße Macht das Gefängnis 
des Herodes erbrechen und den Gefangenen in Freiheit setzen; 
aber was sollte aus den Lahmen, Blinden, Tauben, Aussätzigen, 
den Toten, Armen und Elenden werden? Konnte die Entfaltung 
des Königtums deren Leiden lindern und ihren Zustand verändern? War nicht ein Anliegen wichtiger, das nur von dem 
gnadenreichen, zärtlichen, sanftmütigen und demütigen Jesus 
von Nazareth erfüllt werden konnte? Ja, und Johannes hätte 
das wissen sollen. Aber es geziemt sich, mit Milde in die Gefängniszelle dieses so hochgeehrten Dieners Christi einzutreten, 
nicht nur weil die Gnade uns dazu auffordert, sondern weil 
unsere Seelen fühlen sollten, daß, wären wir in einer solchen 
Lage gewesen, unser Glaube, wenn er nicht durch die Gnade 
unterstützt wäre, sicher in einer noch weit jämmerlichen Weise 
erschüttert worden wäre. 
Es ist jedoch sehr bedeutsam, daß wir die Schwäche des gefangenen Täufers völlig verstehen und uns die passende Belehrung 
aus seiner vorübergehenden Niedergeschlagenheit mit großem 
Fleiß zunutze machen. Es fehlte dem armen Gefangenen nämlich das Verständnis dafür, daß der Tag des Mitgefühls Christi, 
aber nicht der Tag Seiner Macht angebrochen war. Am Tage 
Seiner Macht wird nirgends ein Kerker, ein Block, ein Schandpfahl zu erblicken, eine Trübsal, Bedrückung, Trauer oder sonstige Widerwärtigkeit für die Heiligen Gottes zu finden sein. 
Dann wird keine Welle die Oberfläche des Meeres kräuseln 
und keine Wolke den Himmel trüben; dann wird man keinen 
Sturm mehr zu befürchten, keine Roheit mehr zu ertragen 
82 
haben. Aber jetzt befinden wir uns in der Zeit des Mitgefühls 
Christi, und für den geprüften, verfolgten, geplagten und unterdrückten Jünger Jesu gilt darum die Frage: „Was möchtest 
du lieber haben — die dich aus der Trübsal erlösende Macht der 
Hand Christi oder das dich erquickende Mitgefühl Christi?" 
— Die Antwort eines fleischlichen Gemüts, eines nicht unterwürfigen Herzens, eines ruhelosen Geistes wird nicht ohne 
Zweifel lauten: „O möchte doch nur Seine Macht hervorbrechen und mich von dieser unerträglichen Trübsal, dieser 
unausstehlichen Bürde, dieser zermalmenden Schwierigkeit 
befreien! Ich seufze nach Befreiung; ich wünsche nichts als 
Befreiung"! 
Mancher von uns wird das verstehen können. Gleich einem 
des Joches ungewohnten Farren sträuben wir uns oft und versuchen das Joch abzuschütteln, durch diese unverständigen und 
nutzlosen Anstrengungen aber machen wir es nur noch schwerer und drückender. Ein geistliches Gemüt hingegen, ein unterwürfiges Herz, ein demütiger Geist werden ohne irgendwelchen 
Vorbehalt sagen: „Laßt mich in meiner Trübsal nur das wohltuende Mitgefühl des Herzens Jesu genießen; ich verlange 
weiter nichts. Ich begehre selbst nicht, daß mich die Macht 
Seiner Hand auch nur des geringsten Teils jenes Trostes beraube, welcher mir durch die zarte Liebe und das tiefe Mitgefühl Seines Herzens dargereicht wird. Ich weiß sicher, daß Er 
mich befreien, ja daß Er in einem Augenblick diese Ketten 
zerreißen, diese Gefängnismauern dem Boden gleichmachen, 
diese Krankheit beseitigen, diese geliebte Person, die in der 
kalten Hand des Todes vor mir liegt, wieder beleben, jene 
schwere Bürde hinwegrücken, jener Schwierigkeit begegnen, 
jene Not beseitigen kann. Aber wenn Er es nicht für gut findet, 
so zu handeln, wenn es nicht mit Seinen unausforschlichen 
Ratschlüssen und Seiner weisen und treuen Absicht übereinstimmt, also mit mir zu verfahren, so weiß ich, daß Sein Tun 
darauf berechnet ist, mich zu einer noch tieferen und reicheren 
Erfahrung Seines höchst kostbaren Mitgefühls zu leiten. Wenn 
Er es nicht für richtig ansieht, mich von dem rauhen Pfad der 
Trübsal und der Schwierigkeit wegzunehmen — von jenem 
Pfad, auf dem Er Selbst in Vollkommenheit gewandelt ist und 
alle Seine Heiligen nach dem Maße ihres Glaubens von JahrS3 
hundert zu Jahrhundert gepilgert sind, so ist es Seine gnadenreiche Absicht, diesen Pfad mit mir zu wandeln, der wohl rauh 
und dornig ist, aber zu den ewigen Wohnungen des Lichts und 
der Glückseligkeit droben führt". 
Es ist offenkundig, daß die Erkenntnis dieser Zusammenhänge 
das Herz Johannes des Täufers, inmitten seiner Erfahrungen 
im Kerker sehr beruhigt haben würde, und sicher wird sie dazu 
dienen, auch uns in den mannigfachen Übungen, die wir in der 
Wüste durchzumachen berufen sind, Ruhe und Kraft zu geben. 
Der Zeitpunkt, Seine große Macht anzunehmen und zu herrschen ist für Jesum noch nicht gekommen. Es ist der Tag Seiner 
Langmut im Blick auf die Welt und der Tag Seines Mitgefühls 
für Sein Volk. Wir müssen uns dessen stets bewußt sein. Er 
gebrauchte Seine Macht auch nicht, um Seine eigenen Leiden 
abzuwenden. Als Petrus in irrendem Eifer das Schwert zu 
Seiner Verteidigung zog, sagte Er: „Stecke dein Schwert wieder 
an seinen Ort; denn alle, die das Schwert nehmen, werden 
durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, daß ich nicht jetzt 
den Vater bitten könne und er mir mehr als zwölf Legionen 
Engel stellen werde? Wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, welche sagen, daß es also geschehen muß'"? 
Doch während wir die zeitweilige Schwachheit Johannes des 
Täufers begreifen und zu unterscheiden wissen, warum sich 
sein Glaube als mangelhaft erwies, müssen wir uns zugleich 
darauf besinnen, wie niederdrückend die Umstände waren, und 
wie schwierig sich die Lektion darstellte, die er in seinem Kerker zu lernen berufen war. Es ist sehr hart für einen Arbeiter 
des Herrn, sich beiseite gestellt zu sehen. Nichts ist für ein 
tätiges Gemüt schwerer, als zu lernen, daß man zu entbehren 
ist. Wir neigen so sehr zu der Annahme, daß die Arbeit ohne 
uns nicht vollendet werden könne. Aber wie schnell kann uns 
der Herr das Gegenteil zeigen! Die Banden des Paulus förderten die Sache Christi; das Einsperren Luthers in der Wartburg 
beschleunigte die Reformation. 
So ist es stets, und auch wir haben zu lernen, daß Gott uns entbehren und daß die Arbeit ohne uns geschehen kann. Das gilt 
in allen Fällen, wo unser Wirkungskreis auch sein mag. Es unablässig zu erwägen, gibt dem Herzen große Ruhe und ist 
geeignet, uns von allem beunruhigenden und hassenswürdigen 
84 
Eigendünkel zu heilen, so daß wir schließlich sagen können: 
„Der Herr sei gepriesen! Die Arbeit ist vollendet; ich bin glücklich und zufrieden"! 
Der bemerkenswerte Unterschied zwischen der an Johannes gerichteten Antwort und dem von Johannes abgelegten Zeugnis, 
Christi ist nicht zu übersehen. In einer nicht mißzuverstehenden Weise läßt Er Seinen Diener fühlen, daß Er die Ursache, 
warum Johannes so gefragt hatte, klar erkannt habe. Die Antwort des Herrn enthält einen scharfen Pfeil für Seinen Diener. 
— Wohl verpackt in eine sehr zarte Umschließung; dennoch ein 
Pfeil, und zwar ein sehr scharfer: „Glückselig ist, wer sich 
irgend nicht an mir ärgern wird". Johannes wird diese Worte 
verstanden haben; sie waren bestimmt, recht tief in das Innerste seiner Seele einzudringen. Der treue Diener hatte einst im 
Blick auf Jesum gesagt: „Er muß wachsen, ich aber abnehmen"; 
und er war berufen, nicht nur in seinem Dienst, sondern auch 
nach seiner Person diesen Ausspruch zu verwirklichen. Er 
mußte sich damit begnügen, seine Laufbahn unter dem Schwert 
des Henkers zu beenden, nachdem er seine letzten Tage hinter 
Kerkermauern zugebracht hatte. Wie geheimnisvoll! Wie 
schrecklich für Fleisch und Blut! Wie nötig — wie dringend 
nötig ist es, in einem so finsteren Augenblick das Wort zu 
beachten, das der Herr später an Petrus richtete: „Was ich tue, 
weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren". 
Wichtige Worte! „Jetzt" und „hernach". Wie oft geschieht es, 
daß das „Jetzt" in tiefe, undurchdringliche Dunkelheit gehüllt 
ist! Schwere Wolken hängen über unserem Pfade und die 
Handlungen unseres Vaters sind uns völlig unerklärlich. Unsere Herzen sind sehr bedrückt. Es zeigen sich Umstände, die 
wir nicht berechnen können, Prüfungen, deren Zweck wir nicht 
begreifen und nicht zu schätzen wissen. Wir sind bestürzt und 
fragen: „Warum das"? Wir sind völlig im „Jetzt" befangen und 
geben uns traurigen, glaubenslosen Einwürfen und Überlegungen hin, bis endlich unser Ohr von den kostbaren Worten berührt wird: „Was ich tue, weist du jetzt nicht: du wirst es aber 
hernach erfahren". Dann sind alle Einwände beantwortet; dann 
ist der Sturm zum Schweigen gebracht und das trostlose und 
niederbeugende „Jetzt" schwindet unter den Strahlen eines 
glänzenden und herrlichen „Hernach", so daß das unterwürfige 
85 
Herz in heiliger und verständiger Ergebung ausrufen kann: 
„Herr, wie Du willst"! O möchten wir diese Zusammenhänge 
besser erkennen! Wir bedürfen dieser Erkenntnis, was auch 
immer unser Los in dieser Welt sein mag. Wenn wir auch nicht 
berufen sein sollten, gleich dem Täufer die Leiden eines Gefängnisses kennenzulernen, so hat doch ein jeder sein „Jetzt", 
das in dem Lichte des „Hernach" seine Erklärung finden muß. 
Wir müssen das, was man „sieht" und was „zeitlich" ist, im 
Lichte dessen beschauen, was man „nicht sieht" und was 
„ewig" ist. 
Doch wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit dem Zeugnis 
Christi über Johannes den Täufer zu. „Als diese aber hingingen, fing Jesus an, zu den Volksmengen zu reden über Johannes: Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? ein 
Rohr, vom Winde hin und her bewegt? Aber was seid ihr 
hinausgegangen zu sehen? einen Menschen, mit weichen Kleidern angetan? Siehe, die die weichen Kleider tragen, sind in 
den Häusern der Könige. Aber was seid ihr hinausgegangen zu 
sehen? einen Propheten? Ja, sage ich euch, und mehr als einen 
Propheten. Denn dieser ist es, von dem geschrieben steht: 
„Siehe ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der 
deinen Weg vor dir bereiten wird". Wahrlich, ich sage euch, 
unter den von Weibern Geborenen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer; der Kleinste aber im Reiche 
der Himmel ist größer als er".*) 
*) Um die letzten Worte zu verstehen, müssen wir zwischen dem persönlichen Charakter und Wandel Johannes des Täufers und seiner Stellung unter= 
scheiden. Der Person und dem Wandel nach konnten im Blick auf seine Ab= 
sonderung und Widmung sich nur wenige, selbst im Reiche, ihm vergleichen; 
aber in seiner amtlichen Stellung, auf dem ihm in der göttlichen Haushaltung 
bestimmten Platze nahm der Geringste im Reiche eine bessere und höhere Stel= 
lung ein. Dasselbe gilt für die alttestamentlichen Heiligen. Wenn wir z. B. 
Abraham mit dem besten der Kinder Gottes in der Jetztzeit vergleichen, so steht 
der Vater der Gläubigen hinsichtlich seines persönlichen Glaubens, seiner Gottes= 
erkenntnis und seiner aufrichten Ergebenheit vielleicht weit höher als sie; den= 
noch hat das schwächste Glied der Kirche Christi im göttlichen Haushalt einen 
Vorzug, an den Abraham, weil ihm dieser Haushalt nicht geoffenbart war, nie* 
mals dachte. Viele gottselige Leute unserer Tage übersehen die Würden und 
Vorrechte der jetzigen Heiligen, weil sie diese persönlich mit den Gläubigen des 
Alten Testaments vergleichen. Aber bedenken wir, daß hierbei durchaus nicht 
davon die Rede ist, was wir in uns selbst sind, sondern von dem Platz, den Gott 
in der Anordnung Seines Königreiches und Haushalts uns zu bestimmen für 
gut befunden hat. Und sollten wir nach Seinem Wohlgefallen einen höheren 
Platz als die alttestamentlichen Gläubigen einnehmen, so dürfen wir diesen Platz 
nicht aus falscher Demut ausschlagen, sondern müssen vielmehr Gnade suchen, 
um dieser Stellung entsprechend zu wandeln. 
86 
Das war das glänzende Zeugnis, das Christus von Johannes 
dem Täufer ablegte. „Unter den von Weibern Geborenen ist 
kein Größerer aufgestanden als er". Hier zeigt sich ein wesentlicher Grundsatz, der in den Mitteilungen der Handlungen 
Gottes mit Seinem Volk immer wieder hervortritt. Wenn der 
Herr an Seinen Knecht eine Botschaft zu senden hat, so tut Er 
es klar, bestimmt und ohne Rückhalt; aber wenn Er von ihm 
redet, so geschieht das in einer ganz anderen Weise. 
So ist es immer — Gott sei dafür gepriesen! Wir haben unsere 
Wege, und Gott hat Seine Gedanken; und während Er mit uns 
hinsichtlich unserer Wege in aller Treue handelt, redet Er von 
uns nach Seinen Gedanken. Welche Erquickung bietet dies dem 
Herzen! Welch ein Trost! Welche moralische Macht! Welch ein 
fester Grund für das Selbstgericht! Gott hat uns eine Stellung 
gegeben; und gemäß dieser Stellung denkt Er an uns und 
spricht Er von uns. Wir haben unsere praktischen Wege, und 
bezüglich dieser Wege handelt er mit uns und spricht Er zu 
uns. Er will uns vor unseren Augen bloßstellen und uns unsere 
Wege fühlen und unsere Handlungen richten lassen; aber sobald Er zu anderen von uns spricht, stellt Er die Vollkommenheit Seiner eigenen Gedanken über uns klar heraus und spricht 
von uns nach der vollkommenen Stellung, welche Er uns in 
Seiner Gegenwart — als die Frucht Seiner unsertwegen gefaßten 
ewigen Ratschlüsse und Seines unsertwegen vollbrachten, vollkommenen Werkes — gegeben hat. 
So war es mit den Kindern Israel in den Ebenen Moabs. Während Gott sie ununterbrochen wegen ihrer Wege tadeln und 
in höchst deutlicher Weise wegen ihrer Störrigkeit und Hartnäckigkeit zurechtweisen mußte, stellte Er Sich, sobald der habsüchtige Prophet erschien, um Israel zu verfluchen, zwischen 
Sein Volk und den Feind, um den Fluch in Segen umzuwandeln und des Volkes in den erhabensten und wunderbarsten 
Ausdrücken zu gedenken. „Nicht ein Mensch ist Gott, daß er 
lüge, noch ein Menschensohn, daß ihn gereue. Sollte er gesprochen haben und es nicht tun, und geredet haben und es 
nicht aufrechthalten? Siehe, zu segnen habe ich empfangen und 
er hat gesegnet, und ich kann es nicht wenden. Er erblickt keine 
Ungerechtigkeit in Jakob und sieht kein Unrecht in Israel; 
87 
Jehova, sein Gott ist mit ihm, und Jubelgeschrei wie um einen 
König ist in seiner Mitte. Gott hat ihn herausgeführt aus 
Ägypten, sein ist die Stärke des Wildochsen. Denn da ist keine 
Zauberei wider Jakob, und keine Wahrsagerei wider Israel. Um 
diese Zeit wird von Jakob und von Israel gesagt werden, was 
Gott gewirkt hat. Siehe das Volk — wie eine Löwin steht es 
auf und wie ein Löwe erhebt es sich. Es legt sich nicht nieder, 
bis es den Raub verzehrt und das Blut der Erschlagenen getrunken hat" (4. Mo 23, 19—24). 
Was ist das für eine Gnade, die hier bezeugt: „Ich schaue nichts 
Böses und sehe kein Unrecht"! Was konnte der Feind dazu 
sagen? Es wird gesagt werden, „was Gott gewirkt hat", nicht: 
„was Israel gewirkt hat". Israel hatte nur zu oft töricht gehandelt; aber Gott hatte das Heil gewirkt. Er hatte für Seine eigene 
Herrlichkeit gewirkt, und diese Herrlichkeit hatte in der vollkommenen Befreiung eines verkehrten, störrischen und hartnäckigen Volkes hell aufgeleuchtet. Die Aussage des Feindes 
über das Böse und das Unrecht in Israel war nutzlos, wenn 
Jehova keine Kenntnis davon nahm. Es hat für uns keine Folgen, daß Satan uns anklagt, wenn Gott vergeben hat, daß 
Satan unsere Sünden aufzählt, wenn Gott sie alle für immer 
ausgelöscht hat, daß Satan uns verdammt, wenn Gott uns gerechtfertigt hat. 
Aber ist denn die Hervorkehrung solcher Grundsätze nicht 
gefährlich? Kann ein Christ dadurch nicht zu den finsteren 
und verhängnisvollen Regionen einer falschen Freiheit geleitet 
werden? — Doch, mein Leser, du kannst versichert sein, daß du 
von dieser mit Recht gefürchteten Region nie weiter entfernt 
bist, als wenn deine Seele von den glänzenden und gesegneten 
Strahlen der ewigen Gunst Gottes erwärmt wird und sich der 
Unwandelbarkeit Seines bedingungslosen und ewigen Heils 
erfreut. Es gibt keinen größeren Irrtum, als wenn man der Meinung Raum gibt, daß die freie Gnade und das vollkommene 
Heil je zu unheiligen Resultaten führen könnten. Die Begriffe 
des Menschen mögen eine solche Wirkung einschließen; aber 
wo die Gnade ganz erkannt und das Heil völlig genossen wird, 
werden sich sicher auch „die Früchte der Gerechtigkeit, welche 
durch Jesum Christum zur Herrlichkeit und zum Lobe Gottes" 
88 
sind finden. Aber wir wissen, daß es eine alte Gewohnheit der 
Unwissenden und sich selbst erhebenden Gesetzlichkeit ist, der 
freien Gnade Gottes eine das Gesetz verachtende Neigung zuzuschreiben. Der Einwand gegen die kostbaren Lehren der 
Gnade: „Sollten wir in der Sünde verharren, auf daß die Gnade 
überströme"? ist nicht neu. Er vermag aber diese Lehren in 
ihrer Reinheit und Kraft nicht anzutasten; sie finden ihren göttlichen Mittelpunkt in der Person Christi Selbst, Welcher, nachdem Er am Kreuze gestorben und unsere Sünden hinweggenommen hat, unser Leben und unsere Gerechtigkeit, unsere 
Heiligung und unsere Erlösung, unser alles in allem geworden 
ist. Er hat uns nicht nur von den künftigen Folgen der Sünde, 
sondern auch von deren gegenwärtigen Macht befreit. 
Das ist es, was Gott gewirkt hat, und es ist das Fundament des 
näher erläuterten großen Grundsatzes, der durch die Handlungen mit Israel in den Ebenen Moabs und durch die Handlungen 
Christi mit dem Täufer im Kerker des Herodes in unterschiedlicher Weise dargestellt wird. Jehova zwang den Propheten Bileam vor den Ohren Balaks auszurufen: „Wie schön 
sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel"! — und 
zwar zur selben Zeit, als diese Zelte und diese Wohnungen 
gerichtsreif waren. Ebenso rühmte Jesus vor den Ohren der 
Volksmenge die Größe Johannes des Täufers in dem Augenblick, als die Boten auf dem Rückweg zu ihrem gefangenen 
Meister waren und jenen Pfeil für sein Herz mit sich führten. 
Eine klare Vorstellung dieses Grundsatzes und ein beständiges 
Besinnen hierauf wird nicht nur zum Verständnis des Wortes 
Gottes beitragen, sondern auch zur Erklärung Seiner Wege von 
unberechenbarem Nutzen sein. Gott richtet Sein Volk. Er kann 
nicht das geringste in dessen Wegen übersehen. Das glänzende 
Zeugnis Bileams auf den Höhen Moabs wurde begleitet von 
dem scharfen Wurfspieß des Pinehas in den Ebenen Moabs 
(4. Mo 25, 7). „Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer". Er ist 
es jetzt. Er kann das Böse nicht dulden. Er spricht von uns, 
denkt an uns, handelt für uns nach der Vollkommenheit Seines eigenen Werkes. Was schadet es, wenn der 
Feind sich anschickt, uns zu verfluchen? Er findet nicht 
den geringsten Flecken; alles ist vollkommen, lieblich 
89 
und schön. Wie könnte es auch anders sein? Wie 
könnte das Auge Gottes noch jene Sünden sehen, welche für 
immer durch das Blut des Lammes ausgelöscht sind? Das ist 
unmöglich. Läßt das die Sünde gering schätzen? Fern sei dieser 
Gedanke! Wird dadurch der Zügellosigkeit die Tür geöffnet? 
Nein, vielmehr wird dadurch der einzige wahre Grund zur persönlichen Heiligkeit gelegt. „Der Herr wird sein Volk richten". 
Er wird auf die Wege Seiner Kinder schauen. Er wird für Seine 
Heiligkeit Sorge tragen; mehr noch, Er wird Sein Volk zu Teilhabern dieser Heiligkeit machen und sie zu diesem Zwecke mit 
der Rute treuer Zucht züchtigen. Gerade weil in den Augen 
Jehovas die Zelte Jakobs lieblich waren, sandte Er Pinehas in 
dieselben Zelte mit dem Spieß des gerechten Gerichts in seiner 
Hand. Und das gilt auch jetzt. Weil Sein Volk Ihm kostbar und 
lieblich ist, will Er nichts in ihm oder in seinen Wegen dulden, 
was gegen Seine Heiligkeit streitet. „Denn die Zeit ist gekommen, daß das Gericht anfange bei dem Hause Gottes" (1. Petr 
4, 17). Gott richtet jetzt die Welt nicht; Er richtet jetzt Sein 
Volk. Bald kommt das Gericht über die Welt. Doch vergessen 
wir nicht, daß Er Sein Volk als ein „heiliger Vater" richtet; als 
ein „gerechter Gott" wird Er die Welt richten. Der Zweck im 
ersten Fall ist praktische Heiligkeit; der Ausgang im letzten 
wird ewiges Verderben sein. Welch ein ernster Gedanke! 
Daneben gibt es noch einen anderen Gesichtspunkt, der sehr 
große praktische Bedeutung hat. Wir müssen nämlich unsere 
Stellung nicht nach unserem Zustand messen, sondern vielmehr 
unseren Zustand an unserer Stellung. Viele irren in dieser Beziehung; und dieser Irrtum führt zu traurigen Ergebnissen. Die 
Stellung des Gläubigen ist festgestellt, vollkommen, ewig, 
göttlich. Sein Zustand dagegen ist unvollkommen und schwankend. Er ist Teilhaber der göttlichen Natur, welche nicht sündigen kann; aber er trägt auch seine alte Natur mit sich herum, 
die nur sündigen kann. Seiner Stellung nach ist das Alte vergangen, und alles ist neu geworden. Gott erblickt ihn nur in 
der neuen Stellung, also nicht mehr im Fleisch, sondern im 
Geiste — nicht unterGesetz, sondern unter Gnade. DerGläubige 
ist in Christo. So sieht Gott ihn; und das ist seine vollkommene 
und ewige Stellung. Seine Sünden sind nicht mehr; er ist angenommen; alles ist vollendet. Sein pTZJCkjscher Zustand kann 
90 
seine Stellung nicht berühren. Er kann in seinem praktischen 
Wandel seine Gemeinschaft, seine Anbetung, sein Zeugnis, 
seinen Genuß, die Ruhe seines Herzens, die Verherrlichung 
Christi bedenklich stören, und das ist für ein empfindsames 
Herz sehr ernst. Aber die Stellung des Gläubigen bleibt 
ewig unangetastet und muß unverändert bleiben. Keine Macht 
der Menschen oder der Teufel kann auch nur im geringsten 
Grade das beeinträchtigen, was von Gott gegeben und vollkommen in Christo ist. Das schwächste Glied der Familie 
Gottes hat seinen Bergungsort und seinen bestimmten Ruheplatz hinter den unbezwingbaren Bollwerken des göttlichen 
Heils. Wer dies leugnet, der rüttelt an der einzigen wahren 
Grundlage des Selbstgerichts und der praktischen Heiligkeit. 
Andererseits aber laßt uns nie vergessen — und in der Tat 
kann ein aufrichtiger Christ nicht wünschen, es zu vergessen — 
daß der Zustand nach der Stellung ausgerichtet werden muß. 
Wenn wir diese heilsame Wahrheit aus den Augen verlieren, 
so werden wir bald das gute Gewissen von uns gestoßen und 
am Glauben Schiffbruch gelitten haben. Darum müssen wir das 
Glaubensauge stets auf einen auferstandenen Christus gerichtet halten und uns mit nichts Geringerem begnügen, als Ihm 
nach Geist, Seele und Leib gleichförmig zu sein. 
Es bedarf noch weniger Worte, um die in unserem Kapitel bezeichneten weiteren Hindernisse anzudeuten, mit denen der 
Herr Jesus zu kämpfen hatte. Nachdem Er die Frage des Täufers beantwortet und dessen Dienst klargestellt hat, wendet 
Er Sich an Seine Umgebung mit den Worten: „Wem aber soll 
ich dieses Geschlecht vergleichen? Es ist Kindern gleich, die auf 
den Märkten sitzen und ihren Gespielen zurufen und sagen: Wir 
haben euch gepfiffen, und ihr habt nicht getanzt; wir haben 
euch Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht gewehklagt. 
Denn Johannes ist gekommen, der weder aß noch trank, und 
sie sagen: Er hat einen Dämon. Der Sohn des Menschen ist 
gekommen, der da ißt und trinkt, ein Freund der Zöllner und 
Sünder: — und die Weisheit ist gerechtfertigt worden von ihren 
Kindern" (V. 16—19). 
Sowohl das Pfeifen als auch die Klagelieder waren durch ein 
glaubensloses Zeitalter hindurch unbeachtet geblieben. „Denn 
91 
Johannes kam zu euch im Wege der Gerechtigkeit, und ihr 
glaubet ihm nicht" (Mt 21, 32). Der Herr Jesus kam in vollkommener Gnade, und sie wollten Ihn nicht. Der strenge und 
ernste Dienst der Gerechtigkeit mit der Axt des Gerichts in der 
Hand, und andererseits der liebliche, zarte Dienst der Gnade 
mit den Worten der Sanftmut und mit Werken der Güte, — 
beide wurden durch die Menschen jenes Geschlechts verworfen. 
Aber die Kinder der Weisheit werden diese in all ihren Handlungen und Worten rechtfertigen. Der Herr sei gepriesen für 
Seine reiche Gnade! Glückselig, wer ein Auge, ein Ohr und ein 
Herz hat, um die Wege, die Werke und Worte der göttlichen 
Weisheit zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu schätzen! 
„Dann fing er an, die Städte zu schelten, in welchen seine 
meisten Wunderwerke geschehen waren, weil sie nicht Buße 
getan hatten. Wehe dir, Chorazin! wehe dir Bethsaida! denn 
wenn zu Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, 
die unter euch geschehen sind, längst hätten sie in Sack und 
Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon wird 
es erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als euch. Und du, 
Kapernaum, die du bis zum Himmel erhöht worden bist, bis 
zum Hades wirst du hinabgestoßen werden, denn wenn in 
Sodom die Wunderwerke geschehen wären, die in dir geschehen 
sind, es wäre geblieben bis auf den heutigen Tag. Doch ich sage 
euch: Dem Sodomer Lande wird es erträglicher ergehen am 
Tage des Gerichts, als dir" (V. 20—24). 
Mit welch einem tiefen und erschreckenden Ernst dringt dieses 
„Wehe" von den Lippen des Sohnes Gottes in unser Ohr! Es 
ist das Wehe, welches der verworfenen Gnade auf dem Fuße 
folgt. Es ist hier nicht bloß die Rede von einem übertretenen 
Gesetz, von entehrten und beschimpften Verordnungen, von 
göttlichen Einrichtungen, die in schändlicher Weise zerstört 
oder von Propheten und Weisen, die von Menschen verworfen 
und gesteinigt wurden. Es war bei weitem mehr geschehen. Der 
Sohn Selbst war gekommen in der reinsten, reichsten Gnade. 
Er hatte Worte zu ihnen gesprochen, wie sonst niemand. Er 
hatte die mächtigsten Wunderwerke in ihrer Mitte verrichtet, 
hatte ihre Kranken geheilt, ihre Aussätzigen gereinigt, ihre 
Toten auferweckt, ihre Hungrigen gespeist, ihren Blinden die 
92 
Augen, ihren Tauben die Ohren geöffnet. Was hatte er unterlassen zu tun? Welche Worte hatte Er ihnen vorenthalten? Wie 
eine Henne ihre Kücklein, so hatte Er sie unter Seine Flügel 
versammeln wollen; aber sie hatten es nicht gewollt. Sie zogen 
die Flügel des Erzfeindes den Flügeln Jehovas vor. Er wollte sie 
an Sein Herz legen; aber sie vertrauten Ihm nicht. Den ganzen 
Tag hindurch hatte Er Seine Arme nach ihnen ausgestreckt; 
aber sie wollten nichts mit Ihm zu schaffen haben, und jetzt 
nach so langer Nachsicht ruft Er schließlich Sein ernstes Wehe 
über sie aus und redet mit ihnen über das schreckliche Verhängnis, das ihrer unausbleiblich harrte. 
Aber will es nicht scheinen, als ob dieses Wehe sich weit über 
Chorazin, Bethsaida und Kapernaum hinaus erstrecke? Sollte 
es nicht mit weit größerem Nachdruck und mit einer die Seele 
erschütternden Kraft das Ohr des Christentums berühren? 
Wir zweifeln nicht einen Augenblick daran, wollen es uns aber 
versagen, auf die näheren Umstände einzugehen, welche sich 
vereinigen, die Schuld der bekennenden Kirche zu vermehren 
— auf die weite Verbreitung der schriftgemäßen Kenntnis und 
des evangelischen Lichts und auf die unzähligen und namenlosen Formen, in denen die geistlichen Vorrechte auf dem Pfade 
dieser Generation zerstreut umherliegen. Und was ist das 
Ergebnis? Wie sieht der praktische Zustand derer aus, die die 
höchste Stufe des christlichen Bekenntnisses einnehmen? Ach! 
wir wagen es kaum, darauf zu antworten. Wir sehen auf der 
einen Seite wie die finsteren Schatten des Aberglaubens die 
Gemüter einhüllen, und auf der anderen, wie der Unglaube 
seine freche und verwegene Stirn erhebt und sich erkühnt, 
seine gottlose Hand auf das heilige Wort Gottes zu legen. Das 
arme Herz aber, berührt von diesen beiden Zeitströmungen, 
greift mit Eifer nach allem, was ihm möglicherweise zur Ruhe 
und Selbstbefriedigung dienen könnte. Die ganze Geschichte 
der Welt kennt kein so finsteres Schauspiel, wie es die bekennende Kirche in dieser gegenwärtigen Stunde vorstellt. Man 
lege Chorazin und ihre Schwesterstädte, Sodom und Gomorra 
und die Städte der Ebene zusammen mit ihrer ganzen Schuld 
in eine Waagschale—das Christentum wird schwerer wiegen als 
sie alle miteinander. Denn wenn man in jenen Städten Gottlosigkeit und Unglauben fand, so waren sie doch nicht — wie 
93 
im Christentum — an den Namen Christi geheftet oder mit den 
trüglachen Gewändern des christlichen Bekenntnisses umhüllt. 
Das allein war dem Christentum vorbehalten, und daher möge 
das schreckliche „Wehe dir"! von allen gehört werden, welche 
Ohren haben zu hören — ein Wehe, dessen Ernst nur an dem 
ungeheuren Umfang der Vorrechte und folglich der Verantwortlichkeit des Christentums gemessen werden kann. 
Wer bis jetzt aber das Zeugnis des Evangeliums verworfen hat, 
sei dringend ermahnt, für seine Person den ernsten Worten: 
„Wehe dir"! Gehör zu schenken, weil mit dem ständigen Hören 
und Verwerfen des Evangeliums eine schreckliche Verantwortlichkeit verbunden ist. Wenn es für Kapernaum ernst war, das 
auf diese Stadt scheinende Licht abzulehnen, wieviel ernster ist 
es jetzt, wenn jemand das weit glänzendere Licht verwirft, das 
ihm aus dem Evangelium der Gnade Gottes entgegenstrahlt. 
Die Erlösung ist vollbracht, Christus als Fürst und Erlöser erhöht; der Heilige Geist ist herniedergekommen, die von Gott 
eingegebene Heilige Schrift ist vollständig — damit ist alles 
geschehen, was die Liebe nur tun konnte. Wenn daher angesichts dieses hell aufleuchtenden Lichtes und dieses großen Vorrechts ein Mensch im Unglauben bleibt, und in der Sünde ungestört fortlebt, so hat er alle Ursache zu fürchten, daß ihm am 
Ende das Gerichtswort zugerufen wird: „Wehe dir, du Verächter des Evangeliums"! Weil ich gerufen und ihr euch geweigert habt, meine Hand ausgestreckt und niemand darauf 
geachtet hat, und ihr all meinen Rat verworfen habt, so werde 
auch ich bei eurem Unglück lachen, werde spotten, wenn euer 
Schrecken kommt, wenn euer Schrecken kommt wie Unwetter 
und euer Unglück hereinbricht wie ein Sturmwind, wenn Bedrängnis und Angst über euch kommen. Dann werden sie zu 
mir rufen, und ich werde nicht antworten; sie werden mich 
eifrig suchen und nicht finden" (Spr 1, 24—28). Möge der 
Heilige Geist Sich dieser Worte bedienen, um jeden sorglosen 
Leser aufzuschrecken und ihn zu den Füßen Jesu zu führen! 
Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Hilfsmittel, 
die der treue, der vollkommene, der göttliche Arbeiter in Gott 
fand. Ganz sicher hatte unser hochgelobter Herr Seine Hindernisse und Widerwärtigkeiten in dieser gottlosen Welt. Alles war 
94 
gegen Ihn, so daß Er hätte versucht sein können zu seufzen: 
„Umsonst habe ich mich abgemüht, vergebens und für nidits 
meine Kraft verzehrt" (Jes 49, 4). Jedoch, Er hatte Seine nie 
versiegenden Quellen in Gott. — „Zu jener Zeit hob Jesus an 
und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und 
der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen 
hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn 
also war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir übergeben von 
meinem Vater, und niemand erkennt den Sohn als nur der 
Vater; noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn, und 
wem irgend der Sohn ihn offenbaren will'' (V. 25—27). 
Hier also zeigen sich die reichen und mannigfaltigen Quellen 
des treuen Arbeiters, welcher Gott für alles danken konnte. 
Inmitten aller Umstände bleibt Er standhaft. Als das Zeugnis 
verworfen worden war, als die Botschaft tauben Ohren und 
unbeschnittenen Herzen begegnete und der von Seiner liebenden Hand gestreute, kostbare Same auf den Weg gefallen und 
von den Vögeln des Himmels hinweggetragen worden war, da 
konnte Er Sein Haupt beugen und sagen: „Ich preise dich, 
Vater. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir". Er 
zeigte Sich stets als der Vollkommene. Er wandelte und wirkte 
immer auf der geraden Linie der göttlichen Ratschlüsse. Wie 
anders ist es bei uns! Wenn unser Zeugnis verworfen wird, 
unsere Arbeit hier und dort vergeblich ist, so sollten wir nach 
der Ursache fragen oder sogar uns selbst richten. Vielleicht 
waren wir nicht treu, so daß wir uns den Mangel an Früchten 
selbst zuzuschreiben haben. Vielleicht hätten wir einfältiger 
und unterwürfiger sein sollen, vielleicht hätten wir Früchte 
eingeerntet, wenn wir nicht so fleischlich oder weltlich gewesen 
wären, vielleicht zeigten wir auch Selbstbefriedigung, statt 
Selbstverleugnung, waren von Beweggründen beherrscht, die 
sich nicht geziemten. Kurz es konnten tausend Ursachen in uns 
selbst und in unseren Wegen sein, die unsere Arbeit und Mühe 
fruchtlos machten. Dann gibt es nur einen Weg: wir müssen 
uns selbst richten und vor dem Herrn demütigen. Und je ernstlicher dies geschieht, desto besser. Nur so werden wir mit 
neuem Mut und Vertrauen unsere Arbeit wieder aufnehmen 
und fortsetzen können. 
Bei dem einzigen treuen Arbeiter war es anders, bei Ihm war 
95 
alles vortrefflich und ausgezeichnet. Er konnte mit Ruhe Seine 
Blicke von den Schwierigkeiten und Hindernissen dieser Erde 
abwenden und sie hinlenken auf die unversiegbaren Quellen. 
„Ich preise dich"! Er konnte Sein Herz in den ewigen Ratschlüssen Gottes ruhen lassen. Alle Dinge waren Ihm übergeben; und Er konnte sagen: „Alles was mir der Vater gibt, 
kommt zu mir"! Alles war festgestellt, alles wohlgeordnet. Und 
in der Tat, der Rat Gottes wird bestehen, und das göttliche 
Wohlgefallen wird erfüllt werden. Welche wohltuende Ruhe 
für das Herz inmitten der Hindernisse und der getäuschten 
Erwartungen! Gott wird hinsichtlich Seiner Diener alles vollenden. Die reiche Gnade des Herrn wird selbst unsere zahlreichen Mängel und Gebrechen überströmen, wiewohl unsere 
Verirrungen sicher ihre eigenen peinlichen und demütigenden 
Resultate hervorbringen werden. Nur die Erinnerung an die 
treue Fürsorge des Herrn gibt unseren Herzen inmitten der 
sehr entmutigenden Umstände Ruhe. Wenn wir unser Auge 
von Gott abwenden, werden unsere Seelen bald ermatten. Aber 
unser Vorrecht ist, die Kraft zu haben, Gott im Blick auf alle 
Begegnisse zu danken und Seinen ewigen Ratschlüssen vertrauen zu können; denn alle Dinge müssen uns trotz des Unglaubens des Menschen und trotz der Bosheit und List Satans 
zum Guten mitwirken. 
Zum Schluß erblicken wir, wie der Herr Sich in gnadenreicher 
Tätigkeit aufs neue den Menschen widmet. „Kommet her zu 
mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch 
Ruhe geben. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, 
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr 
werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft 
und meine Last ist leicht" (V. 28—30). 
Diese Worte vervollständigen das in unserem Kapitel dargestellte liebliche Gemälde. Die neu beginnende gnadenreiche 
Wirksamkeit enthält eine bewundernswerte Belehrung für uns. 
Der Herr hat Sich von dem Schauplatz getäuschter Erwartungen 
zurückgezogen und in Gott gestärkt, dann aber wendet Er Sich 
dahin zurück, wo Er abgewiesen ist und nimmt Seine gnadenreiche Arbeit in vollkommener, untrüglicher Gnade, in unerschöpflicher Barmherzigkeit, in unermüdlicher Geduld wieder 
auf. Wohl hatte Er eine zurechtweisende Antwort an Johannes 
96 
den Täufer gesandt, die Menschen jenes Geschlechts treu geschildert und ein feierliches Wehe über die unbußfertigen 
Städte ausgesprochen; aber das hindert Ihn nicht, von neuem in 
der ganzen Frische und Fülle der Gnade, die in Ihm war, aufzutreten und allen mühseligen undbeladenenSeelen zuzurufen: 
„Kommet her zu mir"! 
Das ist wahrhaft göttlich. Es beugt unsere Herzen zur Anbetung und Danksagung. Wenn die Wahrheit im Blick auf die 
zunehmende Verstocktheit gezwungen ist, ein „Wehe dir"! 
auszurufen, so kann sich die Gnade an jedes mühselige und 
beladene Herz mit der rührenden Einladung wenden: „Kommet 
her zu mir"! Beides ist vollkommen. Der Herr Jesus fühlte die 
Hindernisse. Er wäre kein Mensch gewesen, wenn Er sie nicht 
gefühlt hätte. Er konnte sagen: „Ich habe auf Mitleiden gewartet, aber da war keins, und auf Tröster, aber ich habe keine 
gefunden". Man beachte es wohl: Sein liebendes, so oft getäuschtes Herz wartete auf Mitleiden und fand keines. Er wartete auf „Tröster" und wartete vergebens. Es gab kein Mitleiden für Jesum, es gab keine Tröster für Ihn. Er war allein 
gelassen. Einsamkeit, Betrübnis, Hunger, Durst, Schande und 
Tod waren das Teil des Sohnes Gottes und des Sohnes des 
Menschen. „Der Hohn hat mein Herz gebrochen", sagt Er. 
Es ist ein höchst verwerflicher Irrtum anzunehmen, daß der 
Herr Jesus die mannigfachen Übungen, die Er durchzumachen 
hatte nicht in jeder Beziehung in der gleichen Weise gefühlt 
habe, wie der Mensch sie empfindet. Mit Ausnahme der Sünde 
empfand Er alles so, wie es der Mensch zu fühlen imstande 
war; die Sünde aber trug und sühnte Er am Kreuz. Gepriesen 
sei Sein Name! 
Das ist nicht nur eine Hauptlehre des christlichen Glaubens, 
sondern auch eine Wahrheit von unendlicher Lieblichkeit für 
das Herz jedes wahren Gläubigen. Der Herr Jesus fühlte als 
Mensch, was es war, verachtet, getäuscht, verwundet und verhöhnt zu sein. Hochgelobter Herr Jesus! Ja, Du fühltest jeden 
Schmerz, jeden Kummer, jedes Weh inmitten einer gefühllosen 
und herzlosen Welt! Dein liebendes Herz suchte Mitleiden und 
fand keins! Während Du nach Gemeinschaft verlangtest, wurde 
Dir die Einsamkeit! Die Welt hatte kein Mitleiden, keinen 
Trost für Dich! 
97 
Und doch, welch eine Gnade strahlt uns aus den Worten entgegen: „Kommet her zu mir". Und wie beschämen sie uns! 
Wenn wir, die wir diese Gnade in unseren Wegen tagtäglich 
erfahren, auf Hindernisse und getäuschte Erwartungen stoßen, 
was ist dann oft die Folge? Findet man uns dann auch alsbald 
wieder in jener gnadenreichen Tätigkeit, die unermüdlich mühselige und beladene Seelen sucht, um sie Ihm zuzuführen, Der 
stets mit demselben Erbarmen sagt: „Kommet her zu mir"? Ist 
unser Herz nicht oft mit Kummer, Verdruß und bitteren Klagen 
erfüllt? Und warum das? Der Einwand, wir seien nicht vollkommen, ist sicher wahr. Wir sind in uns selbst durchaus unvollkommen; aber es geht hier um die Übung, sich von den 
Hindernissen der Welt oder der bekennenden Kirche zurückzuziehen und zu den Quellen in Gott Zuflucht zu nehmen, 
wenn wir fähig sein wollen, aufs neue eine gnadenreiche Tätigkeit auf dem Wirkungsfeld zu beginnen, auf welchem wir 
vorher abgewiesen worden sind. Aber wie oft waren wir, anstatt uns auf Gott zu werfen, mit uns selbst beschäftigt! Dann 
aber bleibt es nicht aus, daß wir der Bitterkeit das Herz öffnen, 
anstatt in Gnade tätig zu sein. Es ist unmöglich, Seelen zu Jesu 
zu führen, wenn wir uns nicht zuvor an den Quellen erfrischt 
haben. 
O möchten wir doch von Jesu lernen und Sein Joch auf uns 
nehmen! Möchten wir zu den Füßen Dessen sitzen, der sanftmütig und von Herzen demütig ist! Welche Worte: „Sanftmütig und von Herzen demütig". Wie unähnlich unserer 
Natur! Wie unähnlich der Welt! Wie unähnlich unserem 
Verhalten! Wieviel Stolz, Hochmut und Selbstüberhebung 
zeigen sich in uns! Möchten wir uns sehen, wie der 
Herr uns sieht, damit wir uns zu Seinen Füßen setzen 
und immer demütig vor Ihm wandeln! Möge Er uns befähigen, 
in diesen Tagen des Eigendünkels und des Hochmuts die moralische Sicherheit eines sanftmütigen Geistes und eines demütigen Herzens zu zeigen! Es ist bewunderungswürdig, zum 
Tragen desselben Joches berufen zu sein, welches Jesus trug — 
das Joch der völligen Unterwerfung unter den Willen des 
Vaters in allen Dingen. Das ist das Geheimnis wahren Friedens 
und wahrer Kraft. Wir können die wahre Ruhe des Herzens 
nur genießen, wenn der eigene Wille unterworfen ist. Diese 
98 
Ruhe wird unser sein, wenn wir jede Fügung der Hand unseres 
Vaters mit einem „Ja, Vater" annehmen. Die Tätigkeit des 
eigenen Willens schließt die Ruhe aus. Um Ruhe des Gewissens 
zu erlangen, muß man zu Jesu kommen; um Ruhe des Herzens 
zu finden, müssen wir Sein Joch auf uns nehmen und von Ihm 
lernen. O möchte unser Herz in der rastlosen Tätigkeit unserer 
Tage diese Ruhe immer mehr erkennen und genießen! 

110 
Reif für den Himmel 
Unter den Christen wird vielfach die Meinung vertreten, der 
Gläubige werde durch die Wege, die Gott ihn führt, für den 
Himmel vorbereitet, und nicht selten hört man im Blick auf 
einen glücklich Heimgegangenen die Worte: ,Er war reif für 
den Himmel'. Dieser Ausspruch, diese ganze Auffassung aber 
steht völlig im Widerspruch zu der Heiligen Schrift. Weder 
durch die Wege, die Gott uns führt, noch durch die Erfahrungen, die wir im christlichen Leben machen, durch die Unterweisungen, die wir empfangen, und durch die Züchtigungen, 
denen wir unterworfen sind, werden wir für den Himmel vorbereitet, sondern allein durch das Werk Christi. Der Apostel 
sagt in Hebr 10 ausdrücklich, daß die Gläubigen durch den 
Willen Gottes geheiligt seien durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi — daß Christus, nachdem Er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hatte, sich 
für immerdar gesetzt habe zur Rechten Gottes als Beweis dafür, 
daß das Werk vollkommen vollbracht und von Gott im Himmel 
angenommen sei — daß Christus mit einem Opfer auf immerdar vollkommen gemacht habe, die geheiligt werden — und daß 
der in uns wohnende Heilige Geist uns Zeugnis gebe von dem 
vollbrachten und von Gott angenommenen Werke Jesu. Wer 
geheiligt und für immer vor Gott vollkommen gemacht worden 
ist, wird sicher auch vorbereitet und geschickt sein für den 
Himmel. 
Gott ist heilig, der Mensch ist unheilig; darum kann der 
Mensch in der Gegenwart Gottes nicht bestehen. Aber der 
Gläubige ist durch das einmal geschehene Opfer Jesu Christi 
geheiligt, so daß er mit Freimütigkeit in die Gegenwart Gottes 
treten kann. Er ist durch ein Opfer — für immer — vollkommen 
gemacht, so daß von einem Zunehmen oder von einem Vorbereiten der Reife für den Himmel keine Rede mehr sein kann. 
Der Begriff der Vollkommenheit schließt jeden Gedanken an 
ein Wachsen und Zunehmen aus. Was mangelhaft ist, oder 
verbessert werden kann, ist nicht vollkommen. Der Apostel 
sagt daher auch ausdrücklich, daß alle Gläubigen auf Grund 
111 
des vollbrachten Werkes Christi die Freimütigkeit haben, ins 
Heiligtum einzutreten. Das Heiligtum aber ist die Gegenwart 
Gottes. Im AT verbarg der Vorhang das Heiligtum vor den 
Augen des Volkes. Jetzt aber ist der Vorhang zerrissen und 
der Himmel geöffnet. Das vollbrachte Werk Christi hat uns 
freien Zugang in den Himmel verschafft. Es bedarf jetzt durchaus keiner Vorbereitung für den Himmel mehr, da die Gläubigen bereits — was freilich im Grundsatz dasselbe ist — durch 
den Glauben ins Heiligtum, in die Gegenwart Gottes eingegangen sind, um dort Seine gesegnete Nähe und Gegenwart 
zu genießen. 
Die Geschichte des Mörders am Kreuze bestätigt diese Wahrheit herrlich und treffend. Er hatte die Strafe, die er empfing, 
völlig verdient. Am Morgen war er noch ein Lästerer Jesu, und 
am Abend war er bereits mit Jesu im Paradies. In einem Augenblick wurde er aus einem Mörder ein Bewohner des Paradieses. Seine Sünden waren so vollkommen weggenommen, 
sein Kleid war so vollkommen rein, daß das Auge Gottes nicht 
einen einzigen Flecken zu entdecken vermochte. Er war gereinigt, abgewaschen und gerechtfertigt und ging ohne weitere 
Vorbereitung in den Himmel ein. Ebenso wird es sein, wenn 
der Herr Jesus kommt, um die Seinen in Seine Herrlichkeit 
aufzunehmen. Dann werden alle noch auf Erden lebenden 
Gläubigen in einem Augenblick, in einem Nu verwandelt werden, um dem Herrn in die Luft entgegengerückt und von Ihm in 
das Vaterhaus gebracht zu werden. Es ist ganz natürlich, daß 
der praktische Zustand dieser Gläubigen sehr verschieden sein 
wird; der eine wird weniger, der andere mehr Erkenntnis haben, 
der eine erst vor kurzem, der andere schon seit längerer Zeit bekehrt sein; ja man darf kühn behaupten, daß dann so viele 
Verschiedenheiten wie Gläubige vorhanden sein werden. Und 
dennoch macht das keinen Unterschied hinsichtlich des ihrer 
harrenden Loses. Sie werden alle zugleich in einem Nu verwandelt werden und mit Jesu in den Himmel eingehen. 
Ohne Zweifel gibt es große Unterschiede im praktischen Zustand der Christen. Der eine wandelt viel treuer, viel ernster 
und gewissenhafter als der andere; der eine hat viel mehr 
geistliche Erkenntnis und Erfahrung, weil er mehr in der Gegenwart Gottes lebt, als der andere. Aber selbst wenn alle 
112 
Gläubigen gleich treu und gewissenhaft wandelten, würden dennoch große Unterschiede vorhanden sein. Es ist selbstverständlich, daß ein Vater in Christo, d. h. jemand, der viele Jahre mit 
dem Herrn gewandelt hat, viel weiter gefördert ist als ein 
Kind in der Gnade, das erst seit Wochen oder Monaten bekehrt 
ist. Auch ist es wahr, daß der Gläubige, so lange der Herr ihn 
noch hier läßt, viel zu lernen hat. Er muß wachsen in der Erkenntnis und Gnade, sich selbst und Gott — je länger um so 
mehr kennenlernen und von mancher Unreinheit gereinigt 
werden. Das aber schließt nicht aus, daß alle Gläubigen in 
einer Beziehung vollkommen und einander gleich sind. Sie sind 
nämlich alle berufen, gerechtfertigt und verherrlicht (Röm 8, 30. 
Sie sind alle mit Christo gestorben und auferweckt und sitzen in 
Ihm bereits in den himmlischen örtern (Eph2) .Sie sind alle Könige 
und Priester, gereinigt und gewaschen in dem kostbaren Blut 
Jesu (Offb 1). In diesen Beziehungen besteht kein Unterschied, 
darin sind der Vater und das Kind in Christo einander gleich. 
Mag man dreißig Jahre oder nur eine Stunde bekehrt sein — 
man ist vor Gott rein, heilig und vollkommen. Mag man große 
oder geringere Erkenntnisse besitzen, mag man stark oder 
schwach sein — man ist in jedem Falle geschickt für den Himmel, geschickt für die Gegenwart Gottes. Das ist die Wirkung 
des vollbrachten Werkes Christi. Nur von diesem Werk und 
keineswegs von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in uns, 
ist unser Zubereitetsein für den Himmel abhängig. Alle, die an 
diesem Werke teilhaben, sind von dem Augenblick ihrer Bekehrung an passend für die Gegenwart Gottes. Das Blut Jesu 
macht uns rein von aller Sünde. Möchten wir dies recht verstehen! Möchten unsere Herzen doch auf dem vollbrachten 
Werke Christi ruhen und dort allein! 
Warum aber müssen die Gläubigen denn nach ihrer Bekehrung 
noch auf der Erde bleiben? Nicht, um für den Himmel zubereitet zu werden, sondern um hienieden ihren Gott und 
Vater zu verherrlichen. Sie sind, wie bereits gesagt, von dem 
Augenblick ihrer Bekehrung an reif für den Himmel. Aber der 
Herr Jesus sagte im Blick auf Seine Jünger zu dem Vater: 
„Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie 
in die Welt gesandt" (Joh 17, 18). Und wozu hatte der Vater 
Ihn in die Welt gesandt? Um Seinen Willen zu tun. Nun, zu 
113 
demselben Zweck sind auch wir durch den Herrn Jesum in die 
Welt gesandt. Gott will, daß die Seinigen mitten in einer bösen 
Welt in allen Beziehungen des Lebens Seinen Namen verherrlichen und großmachen. Durch das Blut Jesu geheiligt, werden 
wir berufen, als Heilige zu wandeln. Durch das Werk Jesu 
gerechtfertigt, werden wir berufen, uns als Gerechtfertigte zu 
offenbaren. Tun wir es in aller Treue, so werden wir einmal 
unseren Lohn vom Herrn empfangen. Denn neben der ewigen 
Herrlichkeit ist uns auch noch ein Lohn für unsere Arbeit verheißen. Dieser Lohn aber wird abhängen von unserer Treue, in 
der wir für den Herrn gelebt und gearbeitet haben. In einem 
der Gleichnisse bekommt einer zehn, ein anderer fünf Städte. 
Den Lohn der zwölf Apostel hat der Herr bereits festgestellt; 
sie werden sitzen auf zwölf Thronen, richtend die zwölf Stämme Israels. Hieraus geht hervor, daß der Lohn während der 
Regierung Christi im tausendjährigen Reich ausgeteilt werden 
wird. Besteht also hinsichtlich der ewigen Herrlichkeit und des 
Zubereitetseins für den Himmel kein Unterschied zwischen den 
Gläubigen, so gibt es doch einen großen Unterschied auf den 
Lohn. Der eine wird viel, der andere wenig, der dritte vielleicht 
nichts empfangen (1. Kor 3). Der Grund zu dieser Verschiedenheit liegt darin, daß der Lohn von der Treue abhängt, in der 
wir für den Herrn gelebt und Ihm gedient haben, während die 
Herrlichkeit im Himmel allein von dem vollbrachten Werke 
Christi abhängig ist. Diese Zusammenhänge recht zu verstehen, 
ist wesentlich für den Frieden unserer Seele, sowie für die Verherrlichung Gottes. Für den Frieden unserer Seele, weil wir uns 
sonst nicht ruhig und glücklich in der Gegenwart Gottes fühlen können; denn wenn wir noch für den Himmel zubereitet 
werden müssen, so sind wir auch noch nicht geschickt für die 
Gegenwart Gottes; und wenn dieses nicht der Fall ist, so kann 
unser Herz unmöglich ruhig und glücklich sein, — für die Verherrlichung Gottes aber, weil wir sonst bestrebt sein werden, 
uns für den Himmel zuzubereiten und uns nicht um den Dienst 
Gottes kümmern können; denn wie könnten wir daran denken, 
für den Herrn zu wirken, wenn wir uns noch nicht reif für den 
Himmel wissen? 
O geliebte Brüder, laßt uns mit einfältigem Herzen in einem 
gläubigen Gemüt das Zeugnis Gottes annehmen über die Allgenugsamkeit des Werkes Jesu und über den Zustand aller, 
114 
die auf dieses Werk vertrauen; denn nur dann werden wir mit 
Freuden unseren Weg wandeln können, und der Name unseres 
Gottes wird durch uns verherrlicht werden! 
Über christliche Erfahrung 
Es gibt wohl keinen Begriff, über den unter den Kindern Gottes 
ein größere Verwirrung herrscht, als über das, was man „christliche Erfahrung" nennt. Es ist z. B. durchaus nichts Ungewöhnliches, daß manche Christen ihre vielfältigen Zweifel, 
die Furcht und Ungewißheit in ihrer Seele als notwendige 
Erscheinungen betrachten und dazu neigen, diejenigen als leichtfertig zu bezeichnen, die ihre Pfade mit Freuden ziehen. Es ist 
daher unser Wunsch, unter der Leitung des Herrn die Grundsätze klarzustellen, die wir hierzu im Worte Gottes finden. 
Wir wagen es kühn zu behaupten, daß die Ursache der Zweifel, 
der Furcht und Ungewißheit teils in der mangelhaften Erkenntnis des vollkommenen Werkes Christi, teils in dem nachlässigen Wandel der Gläubigen zu suchen ist. Entweder man will 
den Willen des Herrn nicht kennenlernen, um in Unterwürfigkeit folgen zu können, oder man kennt den Willen Gottes, verspürt aber keine Neigung ihm Folge zu leisten. 
Zu dem ersten Punkt sei von folgender Frage ausgegangen: Ist 
das Evangelium der Gnade Gottes so vollkommen und vollendet, daß ein Gläubiger mit Vertrauen und Zuversicht sagen 
darf, seine Sünden seien vergeben — er sei ein Kind Gottes? — 
Gottlob, er darf es ohne Rückhalt sagen. Betrachten wir dies 
jedoch etwas näher. 
Was ist der Mensch von Natur aus? — Ein Kind des Zornes — 
ein Feind Gottes — tot in den Vergehungen und Sünden. Das 
ist nach dem Worte Gottes der Zustand aller, vom König bis 
zum Bettler herab. „Es ist keiner, der gerecht ist". — Und wie 
hat Gott dem Sünder gegenüber gehandelt? In unendlichem 
Erbarmen, indem Er Seinen eingeborenen Sohn sandte, der, 
um Seinen Willen zu tun, von einem Weibe geboren wurde, als 
ein heiliges Kind vor Gott und Menschen wandelte, und als 
115 
ein gerechter Mensch vom Anfang bis zum Ende Seines Dienstes die Anerkennung Gottes fand. Er wurde jedoch als fleckenloses Lamm zur Sünde gemacht, mit den Sünden der Menschen beladen und von Gott verlassen, der keine Gemeinschaft 
mit Sünde haben kann und „dessen Auge zu rein ist, als daß 
er die Sünde ansehen könnte". Alle Wogen und Fluten Jehovas schlugen über dem Haupte des sterbenden Erlösers zusammen; Er ertrug vollständig den gerechten Zorn Gottes über 
alle Sünden, die Ihm zugerechnet und auferlegt wurden — ein 
deutliches Vorbild hiervon ist der lebendige Bock (3. Mo 16, 
21. 22). Er hat „seine Seele ausgeschüttet in den Tod" (Jes 53, 
5. 6. 12). Er starb für Sünder (Röm 5. 8). 
Ist aber das am Kreuze vergossene Blut Jesu in Gottes Augen 
von so hohem Wert, daß es den Sünder erlösen kann? Ist dieses 
Blut zur Befriedigung der Gerechtigkeit Gottes hinreichend, so 
daß der Glaubende völlige Vergebung und Reinigung darin 
finden kann? Gottlob! die Auf erweckung Jesu liefert uns den 
Beweis für die Wertschätzung dieses Blutes von Seiten Gottes 
— ja, den sicheren Beweis, daß jede Sünde, für die Er starb, für 
immer hinweggetan ist; denn Er, „der um unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen 
auferweckt worden ist", hat sich — wie jemand, der sein Werk 
vollendet hat — erst dann „für immer zur Rechten Gottes gesetzt, nachdem er durch ein Opfer auf immerdar vollkommen 
gemacht hat, die geheiligt werden" (Röm 4, 25; 5, 21; Hebr ac, 
12—18). Ja, wäre auch nur ein Flecken auf Jesu geblieben, so 
hätte Er nicht vor Gott bestehen können. 
Der Sünder, der durch die Gnade im Glauben zu Jesu Christo 
gekommen ist, wird von Gott so betrachtet, daß sein Gericht 
am Kreuze Christi vollzogen worden und daß er Christus auch 
in der Auferstehung gleichförmig geworden ist. Er ist fleckenlos und heilig wie Christus fleckenlos und heilig ist (Gal 2, 20; 
Eph 1, 4; 2, 5. 6). Nichts vermag die Kostbarkeit des Blutes zu 
mindern, nichts das Kindesverhältnis zu zerstören. Der Geist, 
womit eine lebendiggemachte Seele versiegelt ist, ist der Geist 
der Kindschaft, in welchem sie Gott als „Abba, Vater" anruft. 
Es ist nicht der Geist der Furcht, sondern der Kraft und der 
Liebe (2. Tim 1, 7). Warum aber wandeln nun noch so viele 
Christen in Dunkelheit und Ungewißheit? — 
116 
Wie ernst tadelt der Herr Jesus die Zweifler: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?" — „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!" — Die Furcht ist die natürliche Folge der Zweifel 
und ein Hindernis für jeden gesegneten Dienst. „Furcht ist 
nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die 
Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist 
nicht vollendet in der Liebe" (1. Joh 4,18), d. h. er glaubt nicht 
an die Vollkommenheit der Liebe Gottes. Das aber ist sehr zu 
beklagen; denn „Gott ist Liebe". Meine Seele ist berufen, nicht 
in meiner Liebe, die unvollkommen ist, sondern in der vollkommenen Liebe Gottes zu mir zu ruhen. Es ist daher beachtenswert, daß die Ungewißheit in meiner Seele eine Folge meines 
Ungehorsams ist. Beides ist unzertrennlich. Wo Ungewißheit 
ist, da ist auch Ungehorsam, und nur der Ungehorsam ist es, 
der den Gläubigen hindert, sich im Herrn zu freuen. 
Das bezeugt das Wort Gottes sehr deutlich. Schon die folgenden vier Stellen, wie viele andere auch noch hinzugefügt werden könnten, geben darüber ausreichend Klarheit „Freuet euch 
allezeit" (1. Thess 5, 16). „Freuet euch in dem Herrn allezeit! 
wiederum will ich sagen: Freuet euch" (Phil 4, 4)! „Wenn ihr 
dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut" (Joh 13, 17). 
„Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und 
euch verkündigen, daß Gott Licht ist und gar keine Finsternis 
in ihm ist. Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm 
haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun 
nicht die Wahrheit. Wenn wir aber in dem Lichte wandeln, wie 
er in dem Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, 
und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller 
Sünde" (1. Joh 1, 5—7). 
Wenn ich mich nicht allezeit erfreue, so unterlasse ich etwas, 
das mir zu tun geboten ist. Beachten wir wohl die Ermahnung: 
„Freuet euch in dem Herrn"! In mir selbst ist nichts vorhanden, 
wodurch diese Freude hervorgerufen werden könnte. Viele 
Gläubige suchen in sich diese Freude, und indem sie ein zunehmendes Maß an Bösem — ich sage, ein zunehmendes Maß, 
weil, je klarer das Licht scheint, desto deutlicher die Sünde hervortritt — in sich wahrnehmen, sind sie beunruhigt. Wenn sie 
das, was Gott über das Fleisch ausgesprochen hat, völlig glaub117 
ten (Joh 6, 63), so würden sie nichts anderes erwarten, als daß 
bei der Zunahme des Lichts die verborgene Gottlosigkeit sich 
mehr und mehr zu erkennen gibt. Der Heilige Geist verbessert 
nicht die alte adamitische Natur; Er macht sie zunichte. Es ist 
die neue Natur, in der und durch die Er allein wirken kann. 
Jeder Gedanke der alten Natur muß in „Unterwürfigkeit" gebracht werden (siehe Röm 8, 13; 2. Kor io, 5). Hieraus geht 
klar hervor, daß die Aufforderung an den Christen, sich „allezeit zu freuen", nicht in ihm selbst oder in äußeren Dingen 
oder Umständen verwirklicht werden kann; es heißt vielmehr: 
„Freuet euch in dem Herrn allezeit!" Und was ist der Grund? 
— Sowohl für den Sünder, als auch für den Gläubigen ist alle 
Fülle in Jesu. Als das Lamm Gottes vergoß Er Sein Blut, damit 
die Sünden vergeben werden sollten; als der Hohepriester ist Er 
jetzt droben der Repräsentant Seines Volkes und hat Mitleiden 
mit den Schwachheiten der Seinigen. Als der Bräutigam Seiner 
Kirche wird Er bald wiederkommen, um sie — zum Beweis, wie 
teuer sie Seinem Herzen ist — zu Sich zu nehmen und Seinen 
Thron und Seine Herrlichkeit mit ihr zu teilen; als der Erstgeborene vieler Brüder wird Er die Seinigen zu ihrem Gott und 
Vater bringen und sie leiten in ihrem Lobgesang. „Freuet euch 
in dem Herrn allezeit"! 
„Aber" — wird vielleicht jemand einwenden — „den Willen 
habe ich wohl, jedoch mir fehlt die Kraft zum Vollbringen". 
Nun — möchten wir antworten — fordert denn Gott 
irgend etwas von uns, wozu Er uns nicht die nötige 
Kraft verleiht? — „Aber gerade diese Kraft mangelt 
mir!" wirft jener ein. Wie sehr sind doch unsere Herzen bestrebt, jeden Einwand aufzugreifen, der geeignet erscheint, alle Schuld auf Gott zu werfen. Es ist sehr demütigend 
— und das Fleisch sträubt sich, es anzuerkennen, daß jede Unsicherheit und Ungewißheit ihren Grund in uns selbst haben. 
Aber die göttliche Wahrheit, daß „Gott Licht ist und keine 
Finsternis in ihm ist", bleibt unverändert, wie gern sie das 
Fleisch auch leugnen möchte. „Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit Gott haben und wandeln in der Finsternis, so 
lügen wir und tun nicht die Wahrheit". Es ist wohl zu beachten, 
daß nicht gesagt wird: „Wir kennen nicht die Wahrheit", sondern daß es heißt: „Wir tun nicht die Wahrheit"! Und dies er118 
innert uns stark an das bereits angeführte Wort Jesu: „Wenn 
ihr dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut". Warum 
also fehlt es bei dem einen oder anderen so oft an der Freude 
des Herzens? Es ist nicht schwer, die richtige Antwort zu finden — er „tut nicht die Wahrheit". Man beachte wohl, von wem 
Gott begehrt, daß er etwas tun soll — gewiß nicht von dem 
Sünder. Vor diesem entfalte man das Evangelium der Gnade 
Gottes, das vollendete Werk Christi und den in der Auferstehung erwiesenen vollen Wert des Blutes Christi; aber das in 
die Familie Gottes aufgenommene Kind ermahne man zum Gehorsam, diesem einzigen Wege zur Freude; denn wenn es den 
erkannten Willen Gottes nicht tut, so kann es sich auch nicht 
freuen. 
Ach, wie oft findet man einen solchen freudelosen Zustand 
selbst bei denen, die Lehrer sein wollen! Und wenn diese der 
Herde eine Nahrung vorsetzen, die der Erzhirte für sie nicht 
bestimmt hat, ist es da ein Wunder, wenn die Schafe nur ein 
höchst kümmerliches Dasein fristen? Diese Verantwortlichkeit 
ruht auf allen. „Schändlicher Gewinn" oder ein Trachten nach 
Selbsterhöhung (1. Petr 5, 2—4) mögen die Triebfedern sein; 
Christus mag auch „aus Neid und Streit" (Phil 1, 15) verkündigt werden — in jedem Falle lädt ein Lehrer in diesem Sinne 
ein schweres Urteil auf sich, während an die Hörer die ernste 
Ermahnung ergeht: „Habt acht auf das, was und wie ihr höret; 
denn das Wort, welches — wie der Herr sagt — euch „richten 
wird am letzten Tage", soll euch jetzt zum Prüfstein alles dessen 
dienen, was gesprochen und getan wird, und wenn ihr die 
Wahrheit höret, so sehet zu, daß ihr euch dieser unterwerft; 
denn dann wird sie Früchte bringen zur Verherrlichung Gottes. 
Es kann sicher nicht stark genug betont werden, daß die Verherrlichung Gottes und die Freude des Gläubigen unzertrennlich sind; wer jene vernachlässigt, verliert auch diese. „Wenn 
dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein". 
Es ist bereits gesagt worden, daß man gleichgültig sein und 
damit in Finsternis wandeln kann, weil man nicht trachtet, 
den geoffenbarten Willen Gottes kennenzulernen, oder, wenn 
man ihn erkennt, nicht unterwürfig ist. Gott hat z. B. die Seelen 
lebendiggemacht und ihnen den Geist der Kindschaft gegeben, 
damit sie rufen können: „Abba, Vater"! In Seiner grenzenlosen Fürsorge hat Er den Gläubigen auch durchaus notwendige 
119 
Verhaltungsmaßregeln hinsichtlich ihres Zusammenkommens 
und ihrer gemeinschaftlichen Auferbauung gegeben. Wenn 
aber nun einem Kind Gottes in dieser Beziehung der Wille 
Seines Vaters gleichgültig ist, oder wenn es seine eigenen Wege 
geht, obgleich es diesen Willen kennt, wie kann es da erwarten, 
„erfüllt mit Freude" und voll Licht zu sein? Der eigene Wille 
eines Gläubigen bringt stets bittere Früchte, während die Unterwürfigkeit unter den Willen Gottes in allen Umständen der 
einzige, wahrhaft richtige Weg zur Freude und zum Glück ist 
(s. 2. Petr 1, 5—9). Abraham, der in gläubigem Gehorsam seine 
Verwandtschaft und sein väterliches Haus verließ und sich der 
Gemeinschaft Gottes erfreute, wurde „Freund Gottes" genannt und empfing, da ihm der Herr Seinen Willen offenbarte, Kenntnis von dem, was Gott zu tun beabsichtigte, — 
Lot hingegen, ebenfalls ausgegangen aus dem Vaterhause, 
suchte hernach seine Bequemlichkeit in Sodom, weilte dort 
wissentlich in der Mitte der Gottlosen, quälte täglich seine gerechte Seele unter den ihn umgebenden Werken der Finsternis 
und wußte nichts von dem herannahenden Gericht, obwohl er 
gerettet wurde, wie alle Kinder Gottes gerettet werden (Joh 10, 
28), Lot jedoch so wie durchs Feuer (1. Kor 3,15). Befinden wir 
uns nun in der glücklichen Lage Abrahams oder in dem unglücklichen Zustande Lots? Man frage — um auf das oben angeführte Beispiel zurückzukommen — die Christen, die irgendeiner größeren oder kleineren Vereinigung angehören, zu welchem Zwecke sie sich eigentlich versammeln, und wir sind gewiß, daß sie außerstande sein werden, eine schriftgemäße Antwort zu geben. Wie viele von ihnen gehen da und dorthin, 
vielleicht um diesen oder jenen Prediger zu hören! Obwohl das 
an und für sich nichts Böses ist, so ist doch weder ein „gemeinschaftliches Auferbauen in Liebe", noch Anbetung oder Gottesdienst, wo jedes Glied einen verantwortlichen Platz einnimmt, 
weil der Leib nicht aus einem Gliede, sondern aus vielen Gliedern besteht (x. Kor 12). Ach, wie wenig wird der durch die 
Schrift bezeichnete Zweck des Zusammenkommens erkannt! 
Das aber beweist nur zu deutlich, daß es einer großen Zahl von 
Christen nicht darum geht, den Willen des Herrn in dieser 
Beziehung kennenzulernen. 
Sicher betrachtet der Herr Jesus unser Zusammenkommen nicht 
als eine Angelegenheit, über die wir nach unserem Gutdünken 
120 
zu beschließen haben. „Dieses tut zu meinem Gedächtnis"! Das 
war Sein Gebot, als Er in der Nacht, da Er verraten wurde, mit 
den Seinigen das Brot brach und den Kelch teilte; das aber war 
es auch, was sie als ein Leib zu tun hatten, um, da sie alle durch 
dasselbe Blut erlöst und mit demselben Geist erfüllt waren, 
ihrer Einheit Ausdruck zu geben (x. Kor 10, 16—17). Nach 
diesem Gebot kamen die Jünger am Abend des ersten Tages 
der Woche, des Auferstehungstages — nicht am siebenten Tage, 
am jüdischen Sabbath (siehe Kol 2, 16) — zusammen, um das 
Brot zu brechen (Apg 20, 7). In einer solchen Versammlung 
sollte nach Abschluß des Mahles wohl auch Gelegenheit gegeben werden, um jene Gaben auszuüben, die der Herr, als das 
Haupt der Versammlung, zur Auferbauung des Leibes gegeben 
hat (Eph 4, 7—16; Röm 12, 4—9; 1. Kor 12, 4—7)*. Christus, 
unser Aufseher und Hirte (1. Petr 2, 25), teilt nach Seiner 
Weisheit diese Gaben aus, und er ist der einzige, der jemanden 
durch Seinen Geist zu irgendeinem Dienst berufen kann. Eine 
sogenannte Ordination, wie sie jetzt von Menschen geschieht, 
ist, gelinde gesagt, bloße Nachahmung, eine „Form ohne 
Kraft". Durch das Auflegen der Hände der Apostel wurden 
sehr wohl besondere Gaben mitgeteilt. Wenn nun aber die 
römischen Bischöfe dies nachahmen, so sind das sicher wirkungslose Handlungen, zu denen sie keineswegs berechtigt 
sind. Das Vorgeben auf diesem Wege an einer apostolischen 
Amtsfolge festhalten zu wollen, ist eine Erfindung, wodurch 
Satan in den Stand gesetzt wird, seine eigenen Diener unter 
dem Schein der Gottseligkeit zu Ämtern und Würden zu bringen (2. Kor 11, 13—15). Paulus befahl bei seinem Abschied die 
Ältesten der Versammlung zu Ephesus nicht einem seiner 
Nachfolger an, sondern sagte: „Und nun befehle ich euch Gott 
und dem Worte seiner Gnade, welches vermag aufzuerbauen" 
(Apg 20, 32; siehe auch 2. Tim 3, 16. 17). Gott, Der durch die 
*) Hier dürfte eine Bemerkung über den Wirkungskreis dessen angebracht 
sein, der das Evangelium verkündigt. Sein Wirkungskreis ist die Welt. „Gehet 
hin in alle Welt und lehret alle Völker". — Der Wirkungskreis des Hirten und 
des Lehrers hingegen ist die Versammlung. „Hütet die Herde Gottes" (1. Petr 
5, 2); Apg 20, 28). Wohl hat der Herr angeordnet, daß die, welche das Evan= 
gelium verkündigen, sich auch vom Evangelium nähren, und die, welche die 
Herde hüten, von der Versammlung nach Bedürfnis unterstützt werden sollen; 
aber ein festes Gehalt ist ebenso schriftwidrig wie die Erhebung von Zehnten 
und Kirchensteuern. Alles sollte willig und nicht mit Verdruß oder aus Zwang 
geschehen; denn Gott liebt den fröhlichen Geber (1. Kor 9, 14; 2. Kor 9). 
121 
Apostel Seine Ratschlüsse vollkommen geoffenbart und durch 
Johannes, den letzten der Apostel, Seine Offenbarungen abgeschlossen hat, hat niemanden zu deren Nachfolger bestimmt. 
War Paulus dazu autorisiert, sich einen Nachfolger zu wählen:' 
Keineswegs. Wer gibt denn jetzt einem Bischof oder einem 
Konsistorium das Recht, jemanden zu ordinieren? 
Wenn man im dritten Johannesbrief die Worte liest: „Ich 
schrieb etwas an die Versammlung, aber Diotrephes, der gern 
unter ihnen der erste sein will, nimmt uns nicht an" (V 9), so 
begegnet man einem Zustand, den wir in unseren Tagen fast 
überall antreffen. Es ist in der Tat Gnade Gottes, daß all diese 
Übel, welche sich in der letzten Zeit in so erschreckendem Ausmaß zeigen, schon in den Tagen der Apostel gefunden wurden; 
denn deren Ermahnungen können uns nun als Warnungen und 
zur Richtschnur dienen. Und welche Ermahnung gibt der Apostel? Sagt er etwa, wie so mancher in unseren Tagen: Man darf 
eine Vereinigung nicht verlassen, und zwar auch dann nicht, 
wenn viel Böses darin gestattet wird?" Im Gegenteil. Er besteht 
darauf: „Seid nicht Nachahmer des Bösen, sondern des Guten"! 
Wie ernst und entschieden klingen auch folgende Worte: „In 
den letzten Tagen werden schwere Zeiten kommen; denn die 
Menschen werden eigenwillig sein . . ., eine Form der Gottseligkeit haben, aber deren Kraft verleugnen; und von diesen 
wende dich weg" (2. Tim 3, 1—5). — „Wende dich ab vom 
Bösen und tue Gutes"! 
Wenn man nun in diesen Dingen ungehorsam ist, wie kann 
man dann freudige Erfahrungen erwarten? Wie kann man sich 
dann freuen im Heiligen Geiste, wozu uns das Wort Gottes 
auffordert? Der Heilige Geist ist die einzige Kraft der Freude. 
Betrübet Ihn, und mit eurer Freude ist es vorbei! Es ist wahr, 
die Gläubigen sind — mögen sie ihre Vorrechte erkennen oder 
nicht — für immer gerettet; sie sind Kinder Gottes, Miterben 
Christi, der Tempel des Heiligen Geistes; aber sie können unwürdig, im Ungehorsam wandeln (1. Thess 2, 12); sie können 
den Heiligen Geist betrüben (Eph 4, 30) und sich des Genusses 
einer glücklichen Gemeinschaft mit Gott berauben. 
Einer kirchlichen Partei oder Sekte anzugehören, wird von dem 
Heiligen Geiste, Der alle Gläubigen zu einem Leib getauft hat. 
122 
verurteilt; es ist ein Mittel, um der wahren Freude den Eingang 
im Herzen zu verwehren. „Dieses gebiete ich euch, daß ihr 
einander liebet" (Joh 15, 17), sagt der Herr Jesus, und der 
Heilige Geist wiederholt diese Ermahnung durch die ganze Heilige Schrift hindurch (lies mit Aufmerksamkeit 1. Kor 1,12. 13; 
3, 4. 5; Hebr 10, 24. 25; 2. Kor 6,1.4; Joh 13, 11. 12; 1. Joh 5, 
10—21; 1. Petr 1, 22. 23). Nur durch den Glauben an Christum 
Jesum, durch Den ich gerettet bin, bin ich auch zur Gemeinschaft mit den Heiligen berechtigt; wenn eine der Kirchengemeinschaften mehr oder weniger fordert, so sind das menschliche Forderungen und nicht Anordnungen Gottes. Dagegen ist 
die Zucht in der Versammlung zur Aufrechterhaltung der Wahrheit und der Heiligkeit notwendig (1. Kor 5; 1. Tim 1, 19. 20). 
Wie aber kann man freudige Erfahrungen machen in den Stunden schwerer Prüfungen? Die Prüfung des Glaubens ist nicht 
von Furcht, sondern von Freude begleitet und offenbart den 
Zustand der Seele — „als Traurige, aber allezeit uns freuend" 
(2. Kor 6, 10). „Die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, 
betrübt seid durch mancherlei Versuchungen; auf daß die Bewährung eures Glaubens viel köstlicher als die des Goldes, das 
vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob 
und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi; 
welchen ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen, liebet; an welchen 
glaubend, obgleich ihr ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlocket, indem ihr 
das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen davontraget" (1. Petr i, 6—9). „Geliebte, laßt euch das Feuer der 
Verfolgung unter euch, das euch zur Versuchung geschieht, 
nicht befremden, als begegne euch etwas Fremdes; sondern 
insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, freuet euch, 
auf daß ihr auch in der Offenbarung seiner Herrlichkeit mit 
Frohlocken euch freuet" (I. Petr 4, 12. 13). Wir sind sicher in 
Gefahr, in den Trübsalen, gleich Hiob und Jonas, zu ermatten; 
aber nichtdestoweniger leitet Gott alle Dinge für uns zum 
Guten und sollte daher von uns stets gepriesen werden, anstatt 
Ihn durch unsere Zweifel zu verunehren. 
Die Wüste, durch die wir für eine kurze Zeit pilgern, hat Dornen und rauhe Pfade, wie auch ihre reißenden Tiere; aber wir 
123 
sind von Ägypten erlöst und wandeln himmelwärts zu unserer 
ewigen Ruhe. Gott aber ist für uns und mit uns; warum sollten 
wir uns fürchten? Nur eine weltliche Gesinnung, eine Rückkehr 
des Herzens nachÄgypten, wovon wir durch den Glauben erlöst 
sind (Gal i, 4), oder Mißtrauen gegen den Herrn, der so viel 
Großes an uns getan hat, kann unsere Freude trüben. Möge Er 
doch unseren Glauben stärken. O mein christlicher Leser, betrachte doch das vollbrachte Werk, die gegenwärtige Liebe und 
die verheißene Herrlichkeit und frage dich dann, ob du der 
Welt, die Ihn kreuzigte, gleichförmig sein darfst (1. Kor 10, 6; 
Hebr 10, 37; 1. Joh 2, 15. 16; Joh 15, 18—21; Röm 12, 2; Gal 6, 
14). 
In dem Maße, wie wir treu und aufrichtig sind, wird auch 
unsere Freude in der Hoffnung der Herrlichkeit bei de'r Wiederkunft Christi zunehmen! Die Gläubigen unserer Tage sind 
meistens der Welt so sehr gleichförmig geworden, daß sie vergessen haben, auf ihren Herrn zu warten und sich in Bereitschaft zu halten, um Ihm entgegengehen zu können. Und wie 
nahe ist Seine Ankunft (siehe Mt 24, 42; 25, 13; Joh 14, 5; 
Apg 1, 11; 1. Kor 1, 7; Phil 3, 20. 21; 1. Thess 1, 9. 10; 4, 
15—18; Tit 2, 13. 14; Hebr 9, 28; Jak 5, 7. 8; 1. Petr 1, 7— 
13; 1. Joh 3, 2. 3; Röm 8, 24; Offb 1, 7; 22, 20). Die Wiederkunft Christi für Seine Heiligen und mit Seinen Heiligen sind 
zwei ganz verschiedene Geschehnisse; das letztere steht in Verbindung mit dem Gericht über die Gottlosen (2. Thess 1, 7—10; 
Jud V. 14—16). Aber ein Gläubiger kann — obwohl er, von der 
Welt getrennt, sich mit Brüdern gemeinsam zur gegenseitigen 
Auferbauung in Liebe, nach der empfangenen Gabe eines 
jeden, versammeln, oder am Tische des Herrn in der Erwartung 
Seiner baldigen Wiederkehr Seinen Tod verkündigen — alj 
einzelner den Heiligen Geist betrüben, indem er sein Gewissen 
verunreinigt. Paulus war daher stets bemüht, „allezeit ein 
Gewissen ohne Anstoß vor Gott und Menschen zu haben", und 
das sollte auch bei uns der Fall sein, weil es zudem von großer 
Bedeutung für unsere äußere Stellung und unseren äußeren 
Beruf (Eph 4,28), sowie für die Hingabe an die Fürsorge Gottes 
hinsichtlich dessen ist, was unsere äußeren Bedürfnisse betrifft 
(Phil 4, 11). 
Wenn ich gegen Gott allein gesündigt habe, so habe ich auch 
vor Gott allein zu bekennen; habe ich hingegen gegen Menschen 
124 
und Gott gesündigt, so habe ich auch vor Menschen und Gott 
mein Bekenntnis abzulegen. Die Gnade unseres Gottes und 
Vaters ist in solchen Umständen besonders köstlich und das 
Blut Jesu von unendlichem Wert: auf der Grundlage dieser 
durch das Blut der Versöhnung bewirkten Gnade kann die 
Wiederherstellung eines fehlenden, aber gebeugten Kindes zu 
seinen herrlichen Vorrechten stets geschehen (Jak 5, 16; 1. Joh 
1,9)-
Das ist in der eindringlichsten Weise im 3. Buch Mose dargestellt, wo Gott mit Israel, nachdem es unter dem Gesetz gefehlt hatte, in Gnade handelte. Das Opfer am großen Versöhnungstag befähigte das Volk, nachdem das Blut an und vor den 
Gnadenstuhl gesprengt worden war, wieder den Platz von 
Anbetern einzunehmen, d. h. seinen Gottesdienst zu halten 
und seine Brandopfer, Speisopfer und Friedensopfer darzubringen, von welchen gesagt ist, daß sie „ein lieblicher Geruch 
dem Jehova waren" (3. Mo 1, 9). Hatte sich jemand durch Ungehorsam dieses Vorrechts beraubt, so war von Seiten Gottes 
zu seiner Wiederherstellung Vorsorge getroffen. Es mußte ein 
Sündopfer dargebracht werden (3. Mo 5), und nachdem der 
Schuldige seine Sünden bekannt hatte, durfte er wieder als 
Anbeter am Gottesdienst teilnehmen. Im 4. Buch Mose ist das 
noch näher ausgeführt (Kap 19). Die „rote junge Kuh" wurde 
als ein Sündopfer „außerhalb des Lagers" verbrannt und die 
mit Wasser vermischte Asche wurde auf den verunreinigten 
Israeliten gesprengt und auf diese Weise die Reinigung von 
der Sünde bewirkt. Die Gläubigen bedürfen, daß „ihre Herzen 
besprengt" und sie „also gereinigt sind vom bösen Gewissen" 
(Hebr 10, 22); denn das vergossene Blut heiligt, und das gesprengte Blut reinigt (Hebr 13, 12; 1. Petr 1, 2). Es ist daher 
nur eine Geringschätzung der gnädigen Anordnung Gottes von 
unserer Seite, die uns aus Seiner glückseligen Gemeinschaft 
fernhält, während Er uns so gern in Seiner nächsten Nähe 
haben möchte. 
Ich füge hier nur noch einige Bemerkungen über die Psalmen 
hinzu, weil sich häufig hierauf beruft, wer seine trüben Erfahrungen zu verteidigen trachtet. Die Psalmen sind, genau 
genommen, nicht die Erfahrungen eines Christen; sie tragen 
vielmehr, mögen sie sich auf die Vergangenheit oder die Zu125 
kunft beziehen, einen durchaus jüdischen Charakter. Beachten 
wir, was der Herr Jesus nach Lukas 24, 44. 45 zu Seinen Jüngern sagte. Während die Evangelien die Urkunde alles dessen 
sind, was „Jesus begann zu tun und zu lehren", zeigen sich in 
vielen Psalmen die Erfahrungen Seiner Seele. Gekommen in 
die Welt, um den Willen Seines Vaters zu tun, hören wir Ihn 
als den Sündenträger sagen: „Denn Übel bis zur Unzahl haben 
mich umgeben; meine Ungerechtigkeiten haben mich erreicht, 
daß ich nicht sehen kann" (Ps 40, 7. 12), und wiederum: „Mein 
Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen" (Ps 22, 1; 
Mt 27, 46)? „Ihn, der Sünde nicht kannte, hat Gott für uns 
zur Sünde gemacht, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden 
in ihm" (2. Kor 5, 21). Gott wandte Sein Angesicht von Ihm ab, 
damit es niemals nötig sei, es vor uns zu verbergen. Als der 
Auferstandene sagt Er in den Psalmen: „Er streckte seine Hand 
aus von der Höhe; er nahm mich; er zog mich aus großen 
Wassern; er errettete mich von meinem starken Feinde" (Ps 18, 
16. 17). Als der Gerechte ruft Er: „Jehova vergalt mir nach 
meiner Gerechtigkeit; nach der Reinheit meiner Hände erstattete er mir" (Ps 18, 20). Als den Propheten finden wir Ihn in 
Ps 18, 37—50; 35, 9. 10; als den Priester in Ps 60, und als den 
König, der in Gerechtigkeit regiert und während Seiner Regierung die Fülle der Segnungen unter den Juden und Nationen 
ausströmen läßt, in Ps 96; 97; 98; auch in Jes 9, 7; Lk 1, 32. 33 
und anderen Stellen. 
Es ist daher sicher verkehrt, wenn sich ein Gläubiger wegen 
seiner trüben Erfahrungen auf die Psalmen zu stützen sucht. 
Gott spricht: „Wer Lob opfert, verherrlicht mich" (Ps ^o, 23), 
und im Hebräerbrief werden wir ermahnt: „Durch ihn nun laßt 
uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die 
Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen" (Hebr 13, 13). 
So hat der Gott aller Gnade vollkommene Vorsorge dafür getroffen, daß eine ungestörte Freude in unseren Herzen wohnen 
kann, und nur unser eigner Ungehorsam hindert uns daran, die 
Freude völlig zu genießen. 
„Daher, meine geliebten und ersehnten Brüder, meine Freude 
und Krone, stehet also fest im Herrn, Geliebte! Ich ermahne — 
einerlei gesinnt zu sein im Herrn . . . Freuet euch in dem Herrn 
126 
allezeit! wiederum will ich sagen: Freuet euch! Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe. Seid 
um nichts besorgt, sondern in allem laßt durch Gebet und 
Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden; 
und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure 
Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu" (Phil 4,1—7). 
Die Liebe und Herrlichkeit Jesu 
(Markus 6) 
Es ist überaus köstlich, die Handlungen Jesu zu betrachten. 
Jede Tat Seines Lebens war eine Offenbarung der Liebe Gottes. 
„Holdseligkeit war ausgegossen über seine Lippen". Die Liebe 
Seines Herzens, Seine erbarmende Güte, Seine zärtliche Sorge 
fanden in jedem Seiner Worte und in jeder Seiner Handlungen 
ihren Ausdruck. Gutes tuend durchschritt Er das Land. Er half 
in jeder Not, räumte alle Schwierigkeiten aus. Seine Geduld 
war unerschöpflich, Seine Bereitwilligkeit unveränderlich. Je 
mehr wir Ihn anschauen, desto mehr fühlt sich unser Herz von 
Ihm angezogen, so daß wir mit dem Psalmisten ausrufen möchten: „Du bist schöner als die Menschensöhne!" 
Das kommt auch überzeugend in den Begebenheiten zum Ausdruck, die in Markus 6, 30—44 geschildert werden. Die zwölf 
Apostel kommen von ihrer Reise durch das Land Israel zu 
Jesu zurück und berichten Ihm alles, was sie getan und gelehrt 
hatten. Der Herr hatte sie in die Städte Israels ausgesandt, das 
Evangelium zu verkündigen, und Er hatte ihnen Macht gegeben, Wunder zu tun. Und nun, nach Vollendung ihres Auftrages, kehrten sie zu Ihm zurück, höchst befriedigt von dem 
Werk, das sie verrichtet hatten. Dies läßt uns die Antwort Jesu 
klar erkennen. Anstatt sie zu loben und in den Ton ihrer 
Freude einzustimmen, sagt Er: „Kommt ihr selbst her an einen 
öden Ort besonders und ruhet ein wenig aus". — Welch eine 
Weisheit! welch eine Liebe! Wie gut ist es, wenn wir mit 
allem, was uns bewegt, zu Jesu kommen. Ihm können wir 
unsere Freude, unsere Mühsale und Beschwerden mitteilen. Er 
127 
ist der rechte Mann, der uns zurechtweisen und helfen kann 
wie keiner sonst. Er weiß unsere Wonne über unsere Arbeit zu 
zügeln und uns dadurch vor Hochmut und Selbstüberhebung 
zu bewahren, und Er kann uns wieder aufrichten, wenn wir in 
Gefahr sind, unter dem Gewicht der Sorgen und Schwierigkeiten zu Boden zu sinken. Darum laßt uns nur allezeit zu Ihm 
gehen! Schütten wir stets unser Herz vor Ihm aus! Halten wir 
nichts, gar nichts zurück! Es wird uns zu unaussprechlichen". 
Segen dienen. 
Welch eine Weisheit! Entzückt über ihre Arbeit umringen die 
Jünger ihren geliebten Herrn und erzählen Ihm alles, was sie 
getan und gelehrt haben. Ruhig, ohne sie zu unterbrechen, 
hört Er sie an, bis sie Ihm alles gesagt haben; aber dann, anstatt 
durch Zeichen des Beifalls ihre Freude zu vermehren, sagt Er: 
„Kommt her an einen öden Ort besonders und ruht ein wenig 
aus''. Sicher erfreut Sich der Herr des Segens unserer Arbeit; 
aber Er will nicht, daß unsere Seele durch eine zu große Freude 
Schaden nehme. Ach, wie leicht erheben wir uns, wie schnell 
sind wir von uns selber eingenommen! Wie bald wenden wir 
unser Auge von der Gnade ab, die uns zu wirken befähigte! 
Doch wenn wir zu Jesu kommen, dann sind die Folgen nie mit 
Gefahren verbunden. Er weiß unsere Freude zu mäßigen; in 
Seiner Gegenwart werden wir klein und gering in unseren 
Augen. In Seiner Nähe kann kein Hochmut, keine Selbstgefälligkeit bestehen. 
Doch auch welch eine Liebe! „Kommt her an einen öden Ort 
besonders und ruht ein wenig aus". Wie wohltuend ist die 
Ruhe nach vollbrachter Arbeit nicht allein für den Leib, sondern auch für den Geist! Man kann nicht immer ununterbrochen fortan arbeiten; auch der Geist wird müde und abgespannt. Er bedarf der Ruhe, um neue Kraft, neue Frische zu 
sammeln. Wohlan denn, Jesus gibt diese Ruhe. Er sagt nie: 
„Wirke ununterbrochen fort!" So mögen gewisse Menschen 
sprechen, die von einer geistlichen Abspannung keinen Begriff 
haben, aber Jesus sagt es nicht. Seine Aufforderung nach der 
Arbeit ist: „Ruhe ein wenig aus". O wie liebevoll! Wie genau 
kennt Er die Bedürfnisse der Seinigen,, und wie zärtlich stillt 
Er diese Bedürfnisse. In Seiner Nähe kommt alles in Ordnung. 
128 
Er ist voll Weisheit; Er ist die Liebe der Seinigen. Lassen wir 
uns nur von Ihm leiten und zurechtweisen, dann wird unsere 
Arbeit einen gesegneten Verlauf nehmen, ohne daß unsere 
Seele irgendwie Schaden leidet. 
„Kommt ihr selbst her an einen öden Ort besonders und ruht 
ein wenig aus". Das sind die zärtlichen Worte des guten Herrn, 
und der Evangelist fügt hinzu: „Denn es waren viele, die 
kamen und gingen, und sie fanden nicht einmal Zeit zu essen". 
Ruhe war an diesem Ort nicht zu finden. Hier gab es so viel 
Arbeit, daß an keine Ruhe zu denken war. Darum führte der 
Herr sie „nach einem öden Ort besonders". Aber gab es denn 
hier an diesem Ort Ruhe? Wir lesen: „Und viele sahen sie 
wegfahren, und erkannten sie und liefen zu Fuß von allen 
Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor". Wie 
trefflich! wie rührend! Für den Herrn Jesu gab es hier auf 
Erden keine Ruhe. Suchte Er Ruhe, so kamen die Menschen, 
um diese Ruhe zu stören. Aber welch eine unvergleichliche Liebe 
tritt hier vor unser Auge! Kaum erblickt Er die große Volksmenge, so wird Er innerlich bewegt über sie; „denn sie waren 
wie Schafe, die keinen Hirten haben". Und Er beginnt — und 
setzt dies bis zur späten Abendstunde fort — „sie vieles zu 
lehren". Von der anderen Seite weggefahren, weil dort sowenig 
Gelegenheit zum Ausruhen war, daß sie selbst zum Essen nicht 
einmal Zeit fanden, zeigt sich hier statt der gesuchten und ersehnten Ruhe neue Arbeit, neue Mühe. Aber weit davon entfernt, diese große Volksmenge aus Verdruß über die Störung 
wegzuschicken, fühlt Sein Herz ein tiefes Erbarmen und Mitgefühl mit diesen umherirrenden Schafen. Er fängt sofort an, 
sie zu belehren. Wie anbetungswürdig ist Er! Wo es Bedürfnisse gibt, da ist Er augenblicklich bereit, sie zu stillen; wo 
Not ist, da ist Er sofort bemüht, die helfende Hand auszustrecken. Niemals verweigert Er Seine Hilfe. Nie kommt man 
zu ungelegener Zeit zu Ihm. Geht man zu Ihm auch mitten in 
der Nacht, wie Nikodemus, oder in der Mittagshitze, wie die 
Samariterin, Er ist stets bereit, uns Sein Ohr zu schenken und 
zu helfen. Sucht man Ihn in der Wüste auf, oder weckt man Ihn 
während eines Seesturmes — Er ist stets bereit zu helfen. Trifft 
man Ihn allein oder in der Mitte einer großen Volksmenge, nie 
versagt Er Seine Hilfe. Sitzt Er an der Hochzeitstafel oder 
129 
hängt Er am Kreuz, Seine Liebe ist stets dieselbe. Überall, zu 
allen Zeiten und unter allen Umständen ist Sein wohlwollendes 
Herz unveränderlich. Welch eine Gnade! — Und ist Er etwa 
jetzt nicht mehr derselbe? O sicher; Er ist unveränderlich. Obwohl Er zur Rechten Gottes mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt 
ist, nimmt Er noch stets den innigsten Anteil an all unserem 
Leid, an unseren Sorgen und Mühsalen. Man denke nur an 
Seine Worte, die Er an den nach Damaskus reisenden Saulus 
richtete: „Saul! Saul! was verfolgst du mich"? Man erinnere 
sich nur der vertraulichen Aufforderung: „Fürchte dich nicht!" 
die Er an Johannes auf Patmos richtete. Man denke nur an die 
köstliche Versicherung des Heiligen Geistes: „Er lebt, um für 
uns zu bitten". — Ja wahrlich, auch jetzt noch ist Er allezeit 
bereit, uns anzuhören und zu segnen. Niemals kommen wir 
vergeblich, niemals zur ungelegenen Zeit. Und kämen wir auch 
hundert Mal an einem Tage, es würde Ihm doch niemals zu viel 
werden, uns zu helfen und uns zu unterweisen. Sein Name sei 
gepriesen bis in alle Ewigkeit! 
Doch die Liebe des Herrn ging noch weiter. Als es Abend zu 
werden begann, dachten die Jünger, daß es jetzt endlich Zeit 
sei, die Volksmenge zu entlassen. Sie kamen deshalb zu Jesu 
und sagten: „Der Ort ist öde, und es ist schon spät am Tage; 
entlaß sie, damit sie hingehen auf das Land und in die Dörfer 
ringsum und sich Brote kaufen; denn sie haben nichts zu essen". 
Aber wie lautet die Antwort des Herrn? „Gebt ihr ihnen zu 
essen". Als sie aber voll Verwunderung ausrufen: „Sollen wir 
hingehen und für zweihundert Denare Brote kaufen und ihnen 
zu essen geben"? erteilt Er den Befehl, daß sich die ganze 
Volksmenge niederlassen solle und sättigt sie allesamt. Welch 
ein Unterschied zwischen den Jüngern und ihrem Herrn! Sie 
wollen die Schar fortschicken, damit sie sich selber Brot kaufen 
sollten; aber Er unterweist sie nicht nur, sondern stillt auch 
ihren Hunger. Die Jünger richten ihr Auge auf die große Menge 
an Menschen und auf den geringen Vorrat an Speise und 
stehen deshalb ratlos da; Er aber richtet Seinen Blick nach 
oben, und für mehr als fünftausend Gäste ist Fülle an Brot 
vorhanden. Wie unaussprechlich gütig ist der Herr! Unermüdlich hatte Er gearbeitet, ohne ein Wort zu sagen, hatte Er die 
Störung Seiner Ruhe hingenommen; innerliches Erbarmen hatte 
130 
Sein Herz bewegt; Worte der Weisheit und Gnade waren bis 
zur späten Abendstunde zur Belehrung unkundiger Menschen 
von Seinen Lippen geflossen und jetzt, als der Tag sich geneigt 
und die Ihn umgebende Schar Hunger hat, ist es Ihm unmöglich, sie ohne Speise fortgehen zu lassen. Er speist sie auf eine 
wundertätige Weise. Welch tiefes Erbarmen! O wie glücklich sind 
wir, einen solchen Herrn zu haben! Und erinnern wir uns stets 
daran: es war eine Fülle von Speise, es war ein unversiegbarer 
Born von Segnungen vorhanden. Man sah nur fünf Brote und 
zwei Fische; aber in der Hand des Herrn vervielfältigte sich das 
Vorhandene so sehr, daß fünftausend Männer, ohne die Frauen 
und Kinder, damit gesättigt werden konnten und noch zwölf 
Körbe voll Brocken übrigblieben. Wären noch mehr Menschen 
anwesend gewesen, so würden sich auch die Speisen entsprechend vermehrt haben, bis alle gesättigt waren. Ebenso 
verhielt es sich mit dem ö l in dem Kruge der Witwe nach 
2. Kön 4. Solange noch leere Gefäße vorhanden waren, floß 
das öl ; und erst als alle im Hause vorhandenen und herbeigeholten Gefäße gefüllt waren, hörte der Quell auf zu sprudeln. 
Es gab keinen Mangel an öl, wohl an leeren Gefäßen. Wäre die 
Zahl der Gefäße noch tausendmal größer gewesen, sie wären 
alle gefüllt worden. Diese Erkenntnis ist für uns von unschätzbarer Bedeutung, weil in derselben Weise die geistliche Speise 
und das ö l des Geistes dargereicht werden. Auch hier gibt es 
eine unversiegbare Quelle. Speise ist in Überfluß da: ö l fließt 
fort und fort. Wenn nur Herzen da sind, die Hunger haben, 
und Gefäße, die leer sind, dann wird sich stets die Fülle offenbaren. Die Zahl derer, die gespeist und erquickt werden müssen, tut nichts zur Sache. Ob Tausende, Hundertausende oder 
Millionen kommen, es wird niemals Mangel, ja, es wird stets 
Überfluß sein. Zwölf Handkörbe voll Brocken blieben übrig, 
nachdem alle gesättigt waren. 
Es ist in der Tat eine herrliche Aussicht für uns, daß uns nie 
etwas mangeln wird. Das geistliche Manna ist im Überfluß 
vorhanden. Das ö l des Heiligen Geistes fließt ununterbrochen, 
so daß man, wie einst Stephanus, „voll Heiligen Geistes" 
werden kann. Empfangen wir wenig, so liegt das nicht in einem 
Mangel an Speise begründet, sondern wir selbst sind die Ursache, weil wir keine leeren Gefäße sind. Haben wir keinen 
131 
Hunger, so braucht er auch nicht gestillt zu werden. Sind wir 
von uns selbst, von der Welt oder von allerlei eitlen und nichtigen Dingen erfüllt, dann kann das ö l des Geistes nicht in 
unsere Herzen gegossen werden. Ein leeres Gefäß zu sein, ist 
das erste Erfordernis, um mit den Gütern des Heils, mit den 
geistlichen Segnungen gesegnet zu werden. Klagen wir über 
Kälte, Dürre oder Geistesträgheit, dann ist stets die Ursache 
darin zu suchen, daß wir nicht leer von uns selbst sind. Das 
ist ernst und beachtenswert. Was für einen seltsamen Eindruck 
macht es, wenn jemand, der unendlich reich ist, dennoch wie 
ein Bettler lebt, und so ist es bei uns, wenn wir kalt, dürre 
und träge sind. Die Schatzkammern Gottes stehen für uns 
offen. Gott hat uns gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in 
den himmlischen örtern in Christo. Sind wir dennoch dürre 
und kalt, so machen wir selbstredend keinen Gebrauch von 
unseren Segnungen. Wie betrübend ist das für Ihn, Dessen 
Wonne es ist, uns zu segnen, und Der gesagt hat: „Tue deinen 
Mund weit auf, und ich werde ihn füllen!" Ach, wir sind oft 
so voll von uns selbst, daß es für das himmlische Manna und 
für das ö l des Geistes keinen Raum in unseren Herzen mehr 
gibt. Möchten wir ein großes Bedürfnis nach den himmlischen 
Segnungen haben, die der Herr in so reicher Fülle über uns 
ausschütten will, damit wir mit einem glücklichen Herzen 
unsere Pilgerfahrt durch die Wüste fortsetzen und vollenden 
können! 
Und welch einen gesegneten Platz nahmen die Jünger ein! Welch 
ein herrliches Werk hatten sie zu verrichten! Sie durften die 
Gnadengaben des Herrn austeilen. Jesus brach das Brot und 
vermehrte es; jedoch gab Er es der Volksmenge nicht selbst, 
sondern bediente Sich dazu Seiner Jünger. Nur fünf Brote und 
zwei Fische waren anfangs in ihrem Besitz; mit diesem geringen Vorrat fünftausend Menschen sättigen zu wollen, schien 
Torheit zu sein, und dennoch geschah es. Der Herr machte sie 
reich. Die Speise in Seiner Hand mehrte sich zusehends, so 
daß alle gesättigt wurden, und gerade die Jünger mußten diesen 
Reichtum austeilen. So verhält es sich jetzt mit uns. Arm in 
uns selbst, will der Herr uns mit den Gütern des Heils und mit 
dem ö l Seines Geistes füllen, so daß wir nicht nur für uns 
selbst genug haben, sondern auch anderen mitteilen können. 
132 
„Wer an mich glaubt", sagt der Herr, „aus dessen Leibe werden 
Ströme lebendigen Wassers Hießen". Wie groß ist das Vorrecht, berufen zu sein, die Gnadengaben Gottes jetzt in einer 
sündigen Welt weiterzureichen, und auch bald in dem Reiche 
Christi auf Erden! In dem neuen Jerusalem, der Braut des 
Lammes, befindet sich der jeden Monat seine Frucht tragende 
Baum des Lebens, und seine Blätter sind zur Heilung der 
Nationen; das will sagen: wir sollen uns fortdauernd an den 
herrlichen Segnungen Gottes laben und erquicken und diese 
zum Teil auch den Nationen auf Erden überbringen. 
Zum Schluß noch ein Wort über den Herrn Selbst. Er steht 
hier vor uns als der Schöpfer des Himmels und der Erde. Das 
Brot vermehrt sich in Seiner Hand, so daß, nachdem alle gesättigt sind, noch mehr übrig bleibt, als vorher dagewesen 
war. Wie treffend und herrlich, wenn wir daran denken, daß 
derselbe Herr in der Wüste Hunger litt. „Sprich, daß diese 
Steine Brot werden", sagt der Teufel. Daß Er es vermocht 
hätte, haben wir soeben gesehen. Aber Er war nicht auf die 
Erde gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. 
Nicht zu Seinem Vorteil, sondern zugunsten armer Menschen 
bediente Er Sich Seiner Macht; denn um sie zu retten, war Er 
erschienen. Auch am Jakobsbrunnen sehen wir Ihn hungrig 
und durstig. Er verrichtet kein Wunder, um Sich Brot und 
Wasser zu verschaffen. Er sendet Seine Jünger nach Samaria, 
um Speise zu kaufen, und bittet eine Samariterin: „Gib mir zu 
trinken". Welch eine göttliche Vollkommenheit! Auf Erden 
erschienen, um den Willen des Vaters zu tun, unterwirft Er 
Sich jeder Erniedrigung, jeder Entbehrung; aber wo es nötig 
ist eine hungrige Volksmenge zu speisen, wo es Gelegenheit 
gibt, Seine göttliche Liebe zu offenbaren, da steht Er in Seiner 
göttlichen Größe und Allmacht vor uns und schafft Brot für 
Tausende. Ja, in der Tat, „Er ist schöner als die Menschensöhne". Ihn anschauend und in Seiner Nähe weilend, können 
wir mit Paulus sagen: „Ja wahrlich, ich achte auch alles für 
Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, 
meines Herrn". 
133 
Gedanken über die Leiden Christi 
Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen — 2. Mose 3, 5. 
Wenn es etwas gibt, was uns zur Anbetung stimmt, so sind es 
die Leiden unseres gesegneten Herrn, und das um so mehr, als 
wir wissen, daß wir diesen Leiden alles verdanken. Sie sind 
ernst und heilig, und wer von den Ergebnissen weiß, die sie 
für uns hervorgebracht haben, beugt sich in Anbetung. Sie sind 
Nahrung für die Seele. Wir genießen Christum, indem wir 
Seine Leiden betrachten; sie rufen unsere Liebe zu Ihm wach, 
befestigen unsere Herzen und halten uns durch das Bewußtsein, 
daß unsere Sünde die Ursache Seiner Leiden war, in einer 
demütigen Stellung; sie lassen uns die Sünde verabscheuen, 
ziehen uns ab von der Welt und vermitteln der Seele einen 
heiligen Ernst. Wir können nicht die Leiden Christi in Einfalt 
des Herzens betrachten, ohne daß tiefste und heiligste Gefühle 
in uns geweckt und wir mit Christo erfüllt werden, und es ist 
gesegnet, Ihn vor Augen zu haben, von Ihm erfüllt zu sein. 
Manche unserer Brüder sind mit tiefen Gefühlen der Frömmigkeit über die Leiden Christi erfüllt, haben aber wenig Licht und 
Klarheit über sie, und obwohl die Frömmigkeit wertvoller ist 
als die Klarheit, so vertieft diese doch bei treuen und aufrichtigen Herzen die Gefühle für Christum und stärkt die Liebe 
zu Ihm. Sie läßt Christum mehr in den Vordergrund treten, 
erfüllt das Herz mit Ihm und bewirkt, daß wir uns vergessen 
und uns in diese wunderbare Liebe versenken. Würden wir Ihn 
besser kennen und Seine Liebe, die Ihn drängte, einen solchen 
Pfad der Leiden zu wandeln, mehr verstehen, wieviel köstlicher 
würde Sein Name unseren Herzen werden, und wie würde 
uns das bewegen, für Ihn und nur für Ihn zu sein! 
Nie können wir tief genug fühlen, daß alle Seine Leiden für 
uns waren. Welch ein süßes Bewußtsein ist es, daß Er an unserer Stelle litt, auf daß wir Frieden hätten; aber wie ist es zugleich für uns so demütigend, zu sehen, daß es solchen Leidens, 
solcher Erniedrigung bedurfte, um uns zu helfen! So tief waren 
wir gefallen, so tief mußte der gepriesene Herr herabsteigen, 
134 
um bis zu uns elenden Sündern zu kommen. Angebetet sei 
Sein Name! Er ist so tief herabgestiegen; Er ist zu uns gekommen, hat unsere Stelle im Tod und Gericht eingenommen, 
um uns einen Platz im Vaterhaus bereiten zu können. Seine 
Menschwerdung und Seine Leiden sind der Kanal Seiner Liebe 
zu uns geworden. 
Wäre Er als Gott erschienen, so hätten wir Seine Nähe nicht 
ertragen können, Er wurde ein Mensch und war doch der 
Abglanz der Herrlichkeit Gottes, Gott von Ewigkeit her. In 
diesem menschlichen Kleid konnte Er uns und wir konnten Ihm 
nahen. Er konnte Seine Hand auf den Aussätzigen legen, ohne 
selbst verunreinigt zu werden; Er konnte dem Sünder nahen 
und in alle seine Leiden und Mühsale eingehen. Seine Liebe 
kam uns so nahe, wie es überhaupt nur möglich war, und 
gerade darin bestand die göttliche Segnung und Vollkommenheit Seines Werkes. Kein anderer als Gott konnte so in Gnade 
dem Sünder begegnen; Seine Heiligkeit, unveränderlich in 
ihrem Wesen, konnte sich mit unserem Schmutz beschäftigen, 
ohne davon berührt zu werden und je größer unser Elend war, 
um so herrlicher ist diese Liebe, die unser Elend nicht verabscheute, sondern sich damit beschäftigte. 
Der Herr als Mensch löste Gott gegenüber auch die Frage eines 
vollkommenen Wandels. Er blieb während Seines ganzen Lebens Der, an Dem der Vater Sein ganzes Wohlgefallen hatte. 
Satan und seine Engel, wie auch die Menschen hatten ihren 
ursprünglichen Zustand verlassen; aber Christus büßte trotz 
der Versuchung des Feindes als Mensch nichts von Seinem 
ursprünglichen Zustand ein. Er hielt inmitten der Mühsale und 
der Absonderung Seinen Platz der Gemeinschaft und des 
Gehorsams ununterbrochen aufrecht. Er besiegte den Starken 
und beraubte ihn, indem Er ohne Sünde in Gemeinschaft mit 
Seinem Vater wandelte. Das wahre Wesen Christi ist, daß Er 
immer blieb, was Er war — der Heilige. Abhängigkeit, Vertrauen, Gemeinschaft, Gehorsam dem Geiste der Heiligkeit gemäß, alles dieses kennzeichnete auf Erden das Leben Christi 
vor Gott. Gleichwie Er Seine Schafe kannte und Seine Schafe 
Ihn kannten, also auch kannte Er den Vater und der Vater Ihn. 
Das Wesen Seiner Stellung im Gegensatz zu dem ersten Adam 
ist, daß Er mit Gott war, daß Er Sich nie von Gott trennte und 
daß Er ohne Unterbrechung diese Verbindung mit Gott genoß. 
135 
Während der erste Adam zeigte, was die Sünde war, offenbarte 
der Herr durch die Macht eines gottgemäßen Lebens und eines 
siegreichen Wandels inmitten des Bösen, was die Gerechtigkeit 
war, indem Er alle Versuchungen überwand und in heiliger 
Abhängigkeit von Gott blieb. 
Die Leiden des Herrn nun unterscheiden sich ihrer Natur und 
ihrem Wesen nach. Er litt einerseits durch die Menschen, andererseits von Gott. 
Er wurde von den Menschen verachtet und verlassen, war ein 
Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut. Die Welt haßte 
Ihn, bevor sie Seine Jünger haßte; sie haßte Ihn, weil Er zeugte, 
daß ihre Werke böse waren. Er war das Licht, und jeder, der 
Arges tut, haßt das Licht und kommt nicht zum Licht, weil 
seine Werke böse sind. Mit einem Worte: Christus litt um der 
Gerechtigkeit willen. 
So war es von Anfang an. Die Geschichte Abels zeigt uns vorbildlich die Geschichte unseres Herrn. Kain tötete Abel, weil 
seine Werke böse, die seines Bruders aber gerecht waren. 
In bezug auf den Herrn kommt hinzu, daß Seine Liebe, die 
dem Menschen dient und von dessen Zustand zeugt, diese Leiden erntete. Seine Liebe zu dem verlorenen Sünder war — gepriesen sei Sein Name! — so groß, daß Er freiwillig diesen Platz 
einnahm, während Er wohl wußte, was der Lohn für Seine 
Liebe sein würde, nämlich der bittere Haß des Menschen, der 
aber dennoch nicht imstande war, die Liebe des Herrn bis zu 
Seinem Tode auch nur einen Augenblick lang zu mindern. 
Mochten die Menschen in ihrem Wahn ausrufen: „Ha! Ha!" — 
mochtensieunterdemKreuz spotten: „Andere hat er gerettet, sich 
selbst kann er nicht retten"! oder „Wenn du Gottes Sohn bist, 
so steige herab vom Kreuze"! — ja, hätte der Mensch in seiner 
Bosheit noch weiter gehen können: Nichts, nichts würde diese 
unergründliche Liebe, die der Herr für den armen, elenden Sünder hatte, vermindert haben. Gerade die Heiligkeit und Liebe 
des Herrn riefen diesen unbeugsamen Haß hervor, und der 
Mensch offenbarte sich demgegenüber als das, was er ist — 
ein Feind Gottes. 
Der Herr litt aber auch durch die Hand Gottes. „Jehova gefiel 
es, ihn zu zerschlagen; er hat ihn leiden lassen. Wenn seine 
136 
Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen 
sehen" (Jes 53, 10). „Den, der Sünde nicht kannte, hat er für 
uns zur Sünde gemacht" (2. Kor 5, 21). „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten 
willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem. Frieden lag auf ihm" 
(Jes 53, 5). Er, der Gerechte, litt für die Ungerechten; Er litt 
nicht, weil Er gerecht war, sondern weil wir Sünder waren und 
Er unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Kreuze trug. Wenn 
Gott Ihn verließ, konnte Er in bezug auf Sich Selbst sagen: 
„Warum hast du mich verlassen?" Denn in Ihm Selbst gab es 
keine Ursache dazu. Wir können anbetend sagen: Er litt in 
Gnade, der Gerechte für die Ungerechten; Er ist für uns zur 
Sünde gemacht worden. Also litt Er um der Gerechtigkeit willen durch die Menschen und als ein sterbender Heiland um 
der Sünde willen durch die Hand Gottes. 
Die Psalmen 20 und 21 zeigen — prophetisch betrachtet — wie 
Er auf der Erde durch die Menschen litt. Es war der Tag der 
Trübsal; Er bittet aber um Leben und empfängt — „Länge der 
Tage immer und ewiglich"! Ehre und Majestät sind auf Ihn 
gelegt, und die Folge Seiner Verherrlichung ist, daß Seine Hand 
alle Seine Feinde finden und also das Gericht über die Welt 
stattfinden wird (Ps 21, 8). „Wie einen Feuerofen wirst du sie 
machen zur Zeit deiner Gegenwart" (Vers 9), so wie Er sagte: 
Doch jene, meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie 
herrschen sollte, bringet her und erschlaget sie vor mir (Lk 19, 
27; vgl. auch Ps 69, 1—24). Die Folge Seines Leidens durch die 
Hand gottloser Menschen ist, daß diese das Gericht auf sich 
laden. 
Im 22. Psalm finden wir neben dem Leiden durch die Menschen auch Seine Leiden durch die Hand Gottes; und während 
bei jenen Gott Seine einzige Zuflucht war, sieht Er Sich bei 
diesen von Ihm verlassen. Doch was ist die Folge dieser Leiden 
von seiten Gottes? Christus trug die Sünde; Er war in dem 
Gericht und unter dem Zorn, den wir verdient hatten; aber Er 
war gekommen, um die Sünde wegzutun durch das Opfer 
Seiner Selbst. Daher ist die Folge dieser Leiden nur freie, unvermischte, vollkommene Gnade. Christus hat den Kelch des 
Vaters getrunken, auf daß — statt der Strafe— uns der Friede 
137 
zuteil würde. Gott hat Ihn auferweckt und Ihm Herrlichkeit 
gegeben, weil Er Ihn hinsichtlich der Sünde vollkommen verherrlicht hat, und alsbald nach Seiner Auferstehung verkündigte 
Er den Namen Seines Gottes und Vaters Seinen Brüdern indem 
Er sagte: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, 
und zu meinem Gott und eurem Gott". Dieses Zeugnis war nur 
Gnade. Nach Vers 22 leitet Er die Lobgesänge Seiner Erlösten, 
nach Vers 25 das Lobjehovas in der großen Versammlung, d. h. 
von ganz Israel und nach Vers 27 das Lob der Nationen. 
Alle Fetten der Erde werden sich vor Seinem Angesicht beugen", und wenn diese Zeit des Friedens gekommen sein wird, 
so wird auch das Volk, welches geboren wird, „die wunderbare 
Geschichte von dem hören, was Er getan hat (Vers 31). Es ist 
ein unvermischter Strom an Gnade und Segnung, der sich bis 
zu den Enden der Welt ausbreiten und bis zur Zeit jenes Geschlechts anhalten wird, welches geboren werden wird. Das ist 
der Erfolg des Kreuzes. Kein Wort von Gericht folgt den Leiden, die Christus Gott gegenüber erduldete. Die Sünde fand 
dort ihre Strafe; sie ist weggetan für ewig, und diese Leiden 
öffneten den Kanal der Liebe und Gnade Gottes für verlorene 
Sünder. Ja selbst wenn wir offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, so hat Der, vor Dem wir erscheinen, Selbst unsere 
Sünden hinweggetan und uns geholt, damit wir seien, wo Er 
Selbst ist. Mit einem Worte: Christus hat auf dem Kreuz von 
seiten Gottes gelitten, und das war das Leiden für die Sünde. 
Als Er in Seinem Leben von seiten der Menschen litt, war Er 
während Seines ganzen Zeugnisses unter ihnen — selbst bis 
an den Tod — nicht in der Ausübung und Offenbarung Seiner 
Liebe behindert; aber die Folge dieser Leiden ist Gericht bei 
Seiner Rückkehr. In der Zerstörung Jerusalems hat dieses Gericht seinem Anfange nach schon stattgefunden; es wird sich 
aber völlig erst bei Seiner Wiederkunft erfüllen. Insoweit der 
Herr dagegen um der Sünde willen litt, geschah dies, um uns 
für ewig von jedem Gericht zu befreien. Den Zorn, den Jesus 
trug, hat Er allein getragen, damit wir völlig frei ausgehen und 
nie auch nur einen Tropfen Seines furchtbaren, bitteren und 
uns unerträglichen Kelches schmecken sollen. Müßten wir ihn 
trinken, so könnte das nur als verdammte Sünder sein. 
An den Leiden Christi um der Gerechtigkeit willen und an den 
Leiden, die Er für das Wirken Seiner Liebe ertrug, können wir 
138 
trotz unseres armen und schwachen Glaubens teilnehmen, indem es uns gegeben ist, „nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden". Wenn wir nur um der Gerechtigkeit willen leiden, wie glückselig sind wir! Noch gesegneter 
aber ist es, wenn wir um Seines Namens willen leiden; „der 
Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruht auf euch". 
Wir können uns freuen, wenn wir Teilnehmer Seiner Leiden 
sind, weil wir uns dann mit überschwenglicher Freude freuen 
werden, wenn Seine Herrlichkeit geoffenbart werden wird. 
Es gibt aber auch noch andere Arten von Leiden unseres Herrn. 
Zunächst muß Sein liebendes Herz durch den Unglauben unglücklicher Menschen und durch die Verwerfung von selten des 
Volkes viel gelitten haben. Er seufzte, als Er des Tauben Ohr 
öffnete und das Band seiner Zunge löste (Mk 7, 34). Er seufzte 
tief, in Seinem Geiste, als die Pharisäer von Ihm ein Zeichen 
begehrten. Er weinte am Grabe des Lazarus, als Er die Macht 
des Todes über die Menschen sah und deren Unfähigkeit, sich 
selbst zu befreien (Joh 11). Er weinte auch über Jerusalem, als 
Er sah, wie die geliebte Stadt im Begriff war, Ihn zu verwerfen. 
Alles das war das Leiden einer vollkommenen Liebe. Er war zu 
diesem armen Volk gekommen, um in dessen Mitte nach der 
Macht dieser Liebe zu wirken; aber Er fand nur Verkennung, 
Verachtung und verschlossene Herzen. Obschon die Felder weiß 
zur Ernte waren, konnte Er dennoch nicht viel erreichen und 
der Zustand des Volkes bildete für Ihn eine stete Quelle an 
Kummer und Schmerz. Obwohl Er Sich sicherlich stets in Vollkommenheit dem Willen des Vaters hingegeben hat, lastete 
zudem auch während Seines Lebens auf Erden das schwere 
Gewicht des Bewußtseins auf Ihm, daß Er schließlich an das 
Kreuz gehen müsse, wenn die Zeit dafür da sein würde. Wie 
oft werden wir im voraus von unseren kleinen Kümmernissen 
beunruhigt! Auf Seinem Wege lag der Tod! Er konnte auf der 
Erde mit niemanden — mochte er Ihm noch so lieb, noch so 
teuer sein — Verbindung pflegen und niemanden in die Seligkeit einführen, ohne durch den Tod zu gehen; durch den Tod, 
als den Lohn der Sünde, mußte Er gehen, um der Hand des 
Richters zu begegnen. 
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fiel, so blieb es allein. 
Und für Ihn war der Tod die völlige Schwachheit des Men139 
sehen, die unumschränkte Kraft Satans und der gerechte Zorn 
Gottes, ohne irgendwelches Mitgefühl verlassen von denen, 
die Er gepflegt hatte, und voller Feindschaft bei allen übrigen. 
Als Messias wurde Er den Heiden übergeben — der Richter 
wusch seine Hände, als er den Unschuldigen verurteilte, und 
die Obersten waren gegen den Schuldlosen statt gegen den 
Schuldigen. Alles war dunkel, ohne einen Lichtstrahl von Gott. 
Hier war vollkommener Gehorsam nötig und, Gott sei gepriesen! diesen Gehorsam hat Er auch vollkommen erwiesen. Was 
aber muß die Aussicht auf ein solches Leiden für eine Seele 
gewesen sein, die es im voraus kannte, die es betrachtete mit 
den Gefühlen eines Menschen, und zwar eines Menschen, der 
alles nach dem himmlischen Licht, das in Ihm war, vollkommen 
verstand. 
Auch die Sünde in der Welt muß für die Seele des Herrn eine 
fortwährende Quelle des Schmerzes gewesen sein. Wenn Lot 
seine gerechte Seele durch das, was er sah und hörte, quälte, — 
obwohl er durch seinen Wandel so weit von Gott entfernt war 
—, was muß der Herr gelitten haben, als Er durch diese Welt 
ging! Immer in Gemeinschaft mit dem Vater, war diese Welt 
stets finster für Ihn und die Gefühle, die Er über diese arme 
Welt hatte, waren ganz andere, als diejenigen des Gerechten 
von Sodom. Nach Mk 3, 5 blickte Er auf sie umher mit Zorn, 
betrübt über die Verstockung ihres Herzens. Wohl war Seine 
vollkommene Liebe hier ohne Zweifel ein Trost für Ihn; dennoch fühlte Er Seinen Schmerz, wenn die Liebe ihn auch erleichterte. Wenn Er den Worten: „O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, bis wann soll ich bei euch sein und euch 
ertragen" (Lk 9, 41)? hinzufügte: „Bringe deinen Sohn her", 
so fühlte Er den Unglauben, wenn dieser Seine Liebe auch 
überstieg. Er war in einem dürren, trockenen Lande, wo kein 
Wasser war, und Er fühlte es, obgleich Seine Seele wie mit 
Mark und Fett erfüllt war. Je heiliger Er war, desto schrecklicher stand die Sünde vor Ihm — die Sünde, in der Sein geliebtes Volk wandelte, wie Schafe, die keinen Hirten hatten. 
Auch die Leiden der Menschen fühlte Er wie Seine eigenen. 
„Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen" (Jes 53, 4). Es gab unter den Men140 
sehen, die Ihm auf dem Wege begegneten, keine Leidenden, die 
Er nicht wie Seine eigenen auf Seinem Herzen trug. Alle Trübsale des Volkes berührten Ihn; Er fühlte sie wie Seinen eigenen 
Kummer. Er war nicht gleichgültig, wenn Er durch Seine Macht 
die Leiden wegnahm, sondern das Mitgefühl Seiner Liebe trieb 
Seine Macht zur Hilfe an. 
Alles was Er sah, war die Folge der Sünde im Menschen, und 
obwohl Er aus Mitleid half, so empfand Seine Seele dennoch 
diese Sünde und ihre Folgen zutiefst. Seine Liebe wird durch den 
unglücklichen Zustand des Menschen bewegt und in Tätigkeit 
gesetzt. Er fühlte für aridere, und wie oft war dieses Gefühl 
Kummer in der Welt, wo die Sünde war. Es ist sehr köstlich für 
unsere Herzen, den Herrn so in Seinem vollkommenen Mitgefühl, wie in Seiner täglichen Liebe kennenzulernen. 
Noch eine andere Quelle des Kummers — denn wo gab es in 
dieser Welt eine Bitterkeit, die der Herr nicht geschmeckt hätte? 
— war vielleicht mehr menschlicherweise, aber darum nicht 
weniger für Ihn vorhanden, nämlich die Verletzung des Zartgefühls, dessen Seine vollkommen rein gestimmte Seele fähig 
war. „Sie schauen und sehen mich an" (Ps 22, 17), Beleidigung, 
Spott, Betrug, Anstrengungen Ihn in der Rede zu fangen, Unmenschlichkeit, grausame Verhöhnung und dazu der Schmerz, 
daß Seine Jünger Ihn verließen, Petrus Ihn verleugnete und 
Judas Ihn überlieferte —alles das fiel, wie göttlich geduldig Er 
auch war, auf keinen unempfindlichen Geist. „Ich habe auf 
Mitleiden gewartet, und da war keines, und auf Tröster, und 
ich habe keine gefunden" (Ps 69, 20). Es geht hier nur darum, 
was Er nach dem zarten Gefühl Seiner Natur als Mensch empfand. Der Hohn brach Sein Herz; Er war „das Saitenspiel der 
Zecher". Ohne Zweifel nahm Gott alles das wahr, und der 
Herr konnte sagen: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen" (Ps 69, 11); aber Er mußte dieses 
alles über Sich ergehen lassen, und Er fühlte all diesen Kummer nach Seiner göttlichen Vollkommenheit. Ich glaube nicht, 
daß es ein einziges menschliches Gefühl gab — und in Ihm 
waren alle die zarten Gefühle einer vollkommenen Seele --
welches in Christo nicht verletzt und unter die Füße getreten 
war, und zweifellos war das Benehmen des Volkes Kummer 
und Schmerz für Seine Seele. 
141 
In Psalm 6g, 26 finden wir die Leiden des Herrn zur Zeit der 
Kreuzigung. Statt des Mitgefühls ging der Mensch in seinem 
Haß so weit, daß er, als der Herr von Seiten Gottes litt, nidit 
aufhörte, Ihn in Bitterkeit ihres Hasses fühlen zu lassen: „Ihn, 
Den du geschlagen hast, verfolgen sie". Der Mensch tritt in 
Seiner Bosheit hinzu und trachtet die Leiden unseres Herrn in 
einem Augenblick zu vermehren, wo Er schon die Bitterkeit 
eines Kelches schmeckte, der Ihn ausrufen ließ: „Mein Gott, 
mein Gott! warum hast du mich verlassen". Wenn sich jemals 
der Haß des Menschen in seinem widerwärtigsten, bittersten 
und schlechtesten Charakter offenbart hat, so war es unter 
dem Kreuz Christi. Wie tief muß es uns demütigen, wenn wir 
dort unser Bild, das Bild des gefallenen Menschen sehen. Daneben hat unser hochgelobter Herr sicher noch auf manche 
andere Weise gelitten; schließlich konnte Er in dieser Welt der 
Sünde nichts anderes finden, als was zu Ihm, dem heiligen, 
himmlischen Menschen im Gegensatz stand, was also auf Seine 
heilige Seele drückte. 
Allein die Tatsache, daß Seine Jünger darum stritten, wer 
unter ihnen der Größte sei in der Zeit, als Er im Begriff war, 
der Allerverachtetste zu werden, zeigt, daß alles, was Ihn umgab, 
Schmerz für Ihn war; aber — Gott sei gelobt! — Seine Vollkommenheit und Liebe hat sich im Erdulden aller Leiden vollständig erwiesen. 
Seine Leiden, die Er Gott gegenüber für unsere Sünden erdulden sollte, begannen sich dadurch vorzubereiten, daß der 
Herr in die Hände der Menschen, in die Gewalt der Finsternis 
überliefert wurde, um die Ratschlüsse und die Herrlichkeit 
Gottes zu erfüllen. Vorher lesen wir: „Niemand legte die Hand 
an ihn, weil seine Stunde noch nicht gekommen war". Der 
Herr verkündete Seinen Jüngern, daß der Sohn des Menschen 
vieles leiden und verworfen werden müsse von den Ältesten 
und Hohenpriestern und Schriftgelehrten . . . und daß Er in 
der Menschen Hände überliefert werden würde (Mk 8, 31 und 
So lange Seine Stunde nicht gekommen war, konnte dies nicht 
geschehen, wie groß die Feindschaft der Bösen auch sein mochte. 
142 
Der Herr sagte zu Seinen Jüngern: „Als ich euch ohne Börse 
und Tasche und Sandalen sandte, mangelte euch wohl etwas? 
Sie aber sagten: Nichts! Er sprach nun zu ihnen: Aber jetzt 
wer eine Börse hat . . . denn ich sage euch, daß noch dieses, was 
geschrieben steht, an mir erfüllt werden muß: Und er ist unter 
die Gesetzlosen gerechnet worden" (Lk 22, 35. 37). „Als ich 
täglich bei euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht gegen 
mich ausgestreckt; aber dies ist eure Stunde und die Gewalt 
der Finsternis" (Lk 22, 33). Vorher, als die Leute von Nazareth Ihn am Rande des Berges hinabstürzen wollten, ging Er, 
durch die Mitte hindurchgehend, weg; es war noch nicht die 
Stunde der Finsternis. 
Ohne Zweifel gab Er Sich freiwillig hin; denn Johannes berichtet, daß die ganze Schar, die gekommen war, Jesum zu 
fangen, zurückwich und zu Boden fiel. Zugleich teilt der Evangelist die für uns so köstlichen Worte mit: „Wenn ihr nun mich 
suchet, so laßt diese gehen" (Joh 18, 6—8). Bis zu diesem 
Augenblick war in der Erfüllung der Ratschlüsse Gottes eine 
Hand tätig, welche den Willen oder die Gewalt des Volkes 
zurückhielt. Jetzt aber sollte der Sohn des Menschen in die 
Hände der Menschen überliefert werden. Dies war nicht der 
Augenblick Seiner Leiden auf dem Kreuze; aber es war der 
Weg, der dahin führte; es war die Stunde des boshaften Menschen und die Gewalt der Finsternis. Es handelte sich für den 
gepriesenen Sohn Gottes noch nicht um Versöhnung, sondern 
um Leiden als Er im Begriff war, Sich den Händen der Menschen, als den Werkzeugen der Gewalt der Finsternis, zu überliefern, um den Leiden, die Er in dieser Lage unter der Gewalt 
der Finsternis finden sollte, entgegenzugehen. Christus trank 
noch nicht den Kelch; aber Er ging dieser schrecklichen Stunde 
entgegen, und Er war beengt bis alles vollbracht war (Lk ±2, 
50). Er war in der Stunde, die alles in sich barg; diese Stunde 
hatte ihre eigenen Schmerzen, und die Seele des Herrn war 
betrübt. Er betete vorher, von dieser herannahenden Stunde 
befreit zu werden; danach aber unterwirft Er Sich ihr, als der 
Stunde, für die Er in diese Welt gekommen war (Joh 12, 27), 
und wünscht mit Sehnsucht, daß es schnell geschehe. Seine 
Seele ist sehr betrübt bis zum Tode, weil Er, im Begriff, in der 
Menschen Hände überliefert zu werden, dem Unwillen und 
143 
dem Zorn entgegenging. Was in diesem Augenblick Seine 
Leiden so schwer machte, war, daß Er wußte, was Ihm bevorstand. Die Bosheit der Menschen war herzlos und gewissenlos, 
und sie führte Schritt für Schritt zum Kreuz, zu dem Kelch, den 
Er trinken sollte. Als Sohn des Menschen wurde Er in der 
Menschen Hände überliefert, um von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten, den Führern Israels verworfen 
zu werden. Die Schrecken des Kreuzes kamen schon über Ihn, 
obwohl Er den Kelch noch nicht trank. In dieser Lage erwartete 
Er Mitgefühl und forderte Seine Jünger auf, mit Ihm zu wachen. 
Er lernte den Gehorsam an dem, was Er litt und brachte mit 
starkem Geschrei und Tränen, Bitten und Flehen Dem dar, der 
Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte (Hebr 5, 7). Wie tief 
die Leiden unseres Herrn in solchen Augenblicken waren, kann 
niemand verstehen; aber Er hat sie nach dem ganzen Gewicht 
ihrer Schwere gefühlt. Uns fehlen die Worte, solche Leiden 
auszudrücken; aber wir können in etwa ahnen, was es für Ihn 
war, in eine solche Stunde der Finsternis hineinzugehen, und 
können Den bewundern und anbeten, Der einen solchen Pfad 
freiwillig für Sünder ging. 
Vor dem Herrn stand der Weg zur Herrlichkeit; aber dieser 
Weg ging durch den Tod, und der Tod in seiner ganzen Bedeutung stand vor Seiner Seele. Wir hören Ihn sagen: „Jetzt ist 
meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater rette mich 
aus dieser Stunde". Er konnte Sich unmöglich nach dem Verlassensein von Gott und nach dem Kelche des Todes sehnen, 
den Er zu trinken hatte. Um Seiner Frömmigkeit willen ist Er 
erhört worden (Hebr 5, 7). Es war wahre Frömmigkeit angesichts des vor Ihm liegenden Weges — so in Gethsemane, als 
der Tod näher und näher rückte und der Fürst dieser Welt 
kam, als Seine Seele sehr betrübt war bis zum Tode und als 
der Kelch — obschon Er ihn noch nicht genommen hatte, denn 
Er wollte ihn nur aus der Hand des Vaters nehmen — Ihm 
sozusagen gebracht wurde, da erreichte diese Betrübnis und 
Prüfung ihre tiefste Tiefe. Der Versucher kehrte jetzt zurück, 
der Ihn schon zur Zeit Seines Eintritts in den Dienst versucht 
hatte, um Ihn für diesen Dienst unfähig zu machen. In der 
Wüste hatte er Ihn verlocken wollen, indem er Ihm alles Angenehme vorstellte und die ganze Welt als Gabe anbot. Jetzt 
aber kam er, um Ihn mit allem zu versuchen, was der mensch144 
liehen Seele und für den Herrn überhaupt schrecklich war, 
wenn Er in Seinem Gehorsam in dem Werke bis zum Ende 
ausharren wollte. 
Als Messias, als Befreier Israels war der Herr gekommen, aber 
der Mensch wollte den Befreier nicht haben. Sollte ein so 
schlechtes und elendes Volk jetzt noch befreit werden, so 
konnte dies nicht durch die Macht eines Messias, sondern nur 
durch den Glauben eines sterbenden Heilandes geschehen. 
Dies war nun Sein Weg, ein Weg des Gehorsams und det 
Liebe. Der Fürst dieser Welt kam; aber der Herr konnte sagen: 
„und hat nichts in mir; aber auf daß die Welt erkenne, daß 
ich den Vater liebe, und also tue, wie mir der Vater geboten 
hat" (Joh 14, 30). Es ist beachtlich, daß in den Fällen, wo die 
Leiden des Herrn ihre Quelle in Seiner Liebe hatten, oder wo 
diese Leiden Ihn als Vorgeschmack des Kelches, den Er trinken 
sollte, trafen, wir den Herrn immer in Gemeinschaft mit 
Seinem Vater finden. Überall leuchtet der Gehorsam des Herrn 
hindurch, und dieser Gehorsam blieb bis zum Tod. In Gethsemane, wo alles sich verdunkelte und die Todesangst des Herrn 
sich in wenigen aber deutlichen Worten und in dem wie große 
Blutstropfen rinnenden Schweiß offenbarte, war der Gehorsam 
vollkommen. 
Der Versucher war gänzlich überwunden, und der Name Jesu 
genügte, um alle Seine Gegner zu Boden zu werfen. Jesus war 
frei im Blick auf die Menschen, aber auch in bezug auf Satan. 
Nur der Vater gab Ihm den Kelch, und der Herr ging freiwillig hin, um diesen Kelch zu trinken und zeigte wie immer 
dieselbe ungeschwächte Kraft, keinen von denen zu verlieren, 
die Ihm gegeben waren. Welche wunderbare Darstellung des 
Gehorsams und der Liebe! Wie groß aber auch das Leiden sein 
mochte — und wer könnte es beschreiben! — wir finden hier 
doch das freie Handeln eines Menschen einerseits in Gnade und 
andererseits in vollkommenem Gehorsam gegen Gott. Sollte 
Er den Kelch, den Ihm Sein Vater gegeben hatte, nicht trinken? 
Die unglücklichen Werkzeuge der Macht des Bösen verschwinden hier gänzlich vor dem freiwilligen Opfer Christi in Gehorsam und Liebe; durch die Macht des Todes und die des Feindes 
geht Er mit Seinem Vater, und im gesegneten und freiwilligem 
Gehorsam nimmt Er jetzt den Kelch aus der Hand Seines 
Vaters. Niemals können wir zu lange bei diesem Pfade des 
145 
Herrn verweilen. Hier sollten wir stillstehen, um Ihn zu betrachten und zu lernen, was keine andere Szene und kein anderer Augenblick lehrt — eine Vollkommenheit, die nur von Ihm 
und von Ihm allein gelernt werden kann. 
Die Leiden des Herrn waren also sehr verschieden. Er litt von 
den Menschen, und Er litt von Seiten Gottes. In jenen ist es 
unser Vorrecht mit Christo zu leiden; in diesen konnte Er nur 
ganz allein sein. Wenn es sich um das Tragen des Fluches, um 
das Trinken des Kelches handelte, so litt Er für uns, an unserer 
Statt. Er litt dort, damit wir niemals auf diese Weise leiden 
mußten. Er trug den Zorn Gottes, damit wir nichts davon verspüren sollten; aber niemand konnte Ihm darin folgen. Das 
einzige Hilfsmittel Seiner Jünger war zu entfliehen, wenn diese 
Stunde in ihrer wahren Kraft herannahte. Später sollten sie 
Ihm folgen, wie der Herr zu Petrus sagte; aber jetzt konnten 
sie es nicht. 
Er nahm den Kelch nicht aus der Hand des Menschen, noch aus 
derHandSatans, obwohl beide bestrebt waren, Ihn zu bedrücken, 
Er nahm den Kelch aus der Hand des Vaters in vollkommenen 
Frieden bezüglich des Menschen und der Macht der Finsternis. 
Er opferte Sich freiwillig; hätte Er das nicht in gesegnetem 
Gehorsam getan, so wäre Er frei gewesen und hätte durch die 
Mitte Seiner Feinde gehen oder zur Rettung aus ihren Händen 
um Legionen Engeln bitten können; aber wie wären die Schriften erfüllt worden? Auf dem Kreuze aber wird alles vollendet; 
Gott verläßt Ihn und der ganze Zorn Gottes schüttet sich über 
Den aus, Der keine Sünde kannte, Der aber zur Sünde für 
uns gemacht ward. 
Er war das unbefleckte Opfer, auf welchem kein Joch gewesen 
war, und Er, Der Sich Selbst unbefleckt Gott opferte, wurde für 
uns zur Sünde gemacht, damit wir Gerechtigkeit Gottes würden in Ihm. Wir standen unter Gericht und Verdammnis, aber 
Gott sei gepriesen! — der Tod Christi am Kreuze ist die göttliche Antwort zur Versöhnung gewesen. Alles, was Gott Seiner 
Natur nach war, das war Er gegen die Sünde, und obwohl Er 
die Liebe war, so findet doch die Liebe im Zorn gegen die 
Sünde keinen Raum, und der Verlust der Gefühle dieser Liebe, 
das Bewußtsein, von Gott verlassen zu sein, ist das furchtbarste aller dieser Leiden des Herrn. Welch ein unaussprechlicher Schauer mußte das für Den sein, Der diese Liebe kannte, 
146 
und der Herr kannte sie in ihrer ganzen Vollkommenheit. Die 
Majestät Gottes, Seine Heiligkeit, Seine Gerechtigkeit, Seine 
Wahrheit, alle diese Charakterzüge Gottes waren in ihrer 
Natur gegen den für uns zur Sünde gemachten Christus. Kein 
Trost der Liebe schwächte den Zorn. Nie war der gehorsame 
Christus so erhaben; aber Er sollte zu einem Opfer für die 
Sünde gemacht werden, um im Gericht die Sünde vor Gott zu 
tragen. Hier hat der Herr gelitten, damit kein einziger Tropfen 
dieses Kelches für uns übrigbleibe, und der wunderbare Erfolg 
dieser Leiden ist von unaufhörlicher Dauer, in der Tat eine 
Ewigkeit unvermischter Gnade für uns. Wer aber vermochte 
in die Tiefen solcher Leiden hinabzuschauen! Geschlagen, verlassen und gerichtet zu werden von Dem, Der in Ewigkeit mit 
dem Herrn im innigsten Verhältnis der Liebe und in köstlichster Gemeinschaft gestanden hatte — ein solches Leiden steht 
außer jedem Vergleich mit dem eines verdammten Sünders. 
Dieser empfängt was seine Taten wert sind, und zwar dies 
aus der Hand eines Richters, Den er niemals recht gekannt, 
noch weniger mit Ihm in Gemeinschaft gelebt hat; der Herr 
aber mußte fremde Sünden tragen und einem Richter begegnen, 
Der bis zu dem Augenblick des Gerichts in vollkommener Liebe 
mit Ihm verbunden gewesen war. 
Auf dem ganzen Wege Seines Lebens, vom Anfang bis zum 
Ende Seines Dienstes, unter Einschluß von Gethsemane, hat 
der Herr Sich nie an Gott unter Anrufung dieses Namens gewandt. Stets nannte Er Ihn „Vater". Nur auf dem Kreuze rief 
Er: „Mein Gott, mein Gott!" Während Seines Lebens würde 
diese Anrede nicht am Platze gewesen sein, gewiß nicht! Nur 
der Vatername drückte die ungetrübte Verwandtschaft und die 
bewußte Seligkeit der Sohnschaft treffend aus, in welcher unser 
treuer Herr immer stand. Wenn der Herr am Kreuze dennoch 
„Mein Gott, mein Gott"! ruft, so bezeichnet das klar und eindringlich den Unterschied der beiden Stellungen, in denen Er 
Sich befand, 
Bis zum Kreuz wandelt der Herr im Genuß des verwandtschaftlichen Verhältnisses eines Sohnes zu Seinem Vater, und zwar 
eines eingeborenen Sohnes, Der weiß, daß der Vater Ihn immer 
erhört. Auf dem Kreuz aber muß der zur Sünde gemachte 
Christus fühlen und dulden, wie Gott gegen die Sünde handelt, 
147 
Er muß eine andere Stellung, einen anderen Platz einnehmen; 
Er ruft nicht mehr: „Vater"! sondern: „Gott, mein Gott!" Aber 
nachdem die Erlösung vollbracht und Er in die volle Freude 
alles dessen eingegangen ist, was Sein Gott und Vater, war, 
bringt Er Seine Jünger in den Genuß und die Freude beider 
Namen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, 
zu meinem Gott und zu eurem Gott". 
Unser Gefühl von den Leiden des Herrn in Seinem büßenden 
Werke wird nie tief genug sein. Keine menschlichen Worte sind 
fähig das auszudrücken, was es für den Herrn war, diesen 
Kelch des göttlichen Zornes zu trinken; denn mit menschlichen 
Worten drücken wir nur unsere eigenen Gefühle aus. 
Mit diesen Leiden kann nichts verglichen oder vermischt werden. Es ist eine ganz einzigartige Tat, daß der göttliche Zorn 
gegen die Sünde wirklich und wahrhaftig in der Seele Dessen 
gefühlt wurde, Der durch Seine vollkommene Heiligkeit, durch 
Seine Liebe zu Gott und durch das Bewußtsein des unendlichen 
Wertes der Liebe Gottes wissen konnte, was der göttliche Zorn 
war und was es bedeutete, von Gott zur Sünde gemacht zu 
werden; doch nur Er allein war fähig, diesen Zorn zu tragen, 
und ich wiederhole es, diese Tat steht einzig und für sich allein 
da. 
Ohne Zweifel war der Vorgeschmack von alledem schon 
schrecklich; aber der Vorgeschmack war nicht die Erfüllung 
selbst. Der Tod, wie er an und für sich für den Fürsten des 
Lebens war, noch weniger irgendein menschliches Leiden kann 
mit dem Tragen des Zornes Gottes verglichen werden, und 
doch war dieses Tragen des Zornes Gottes beim Herrn volle 
Wirklichkeit. Kein Blick des Mitleids und kein mitfühlendes 
Herz milderte diese Schrecken. Auf dem Kreuz mußte die Ausübung Seiner Liebe dem Gehorsam im Tode Platz machen; der 
Haß und die Bosheit des Menschen wurden vergessen und 
traten in den Hintergrund, wenn es sich um das Tragen des 
Zornes Gottes handelte. Dort wurden alle Seine Verheißungen, 
die Rechte zur königlichen Herrlichkeit — die Er freilich danach 
unfehlbar wieder aus der Hand Seines Vaters empfangen 
sollte und in die Er dann als Mensch eintrat — beiseite gesetzt. 
Darum spricht der Herr Selbst auch in Psalm 22 von der Ge148 
walttätigkeit und Bosheit der Menschen, dann von Seiner 
eigenen Schwachheit, und schließlich, daß andere auf Gott 
vertrauende Gläubige gerettet wurden; nur Er — Er war verlassen. 
Was auch ein Mensch — und wäre es auch der Sünde wegen — 
bis in den Tod leiden könnte, und wenn auch die Macht, die 
ganze Macht des Todes ein menschliches Herz bedrückte, so 
wäre das doch niemals vergleichbar mit dem, was unser gepriesener Herr unter dem Zorne Gottes gelitten hat. Die Leiden 
des Menschen haben selbst in ihrer tiefsten Tiefe eine Grenze: 
Er allein konnte den Zorn Gottes tragen. 
Man kann sich indessen mit den Leiden des Herrn nicht beschäftigen, ohne auf die Ergebnisse aus diesen Leiden hingelenkt zu werden. 
Ohne Blutvergießung gibt es keine Versöhnung, und so ist Er 
in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer. Wer aber kann den 
Wert des Todes Christi hoch genug schätzen? 
Habe ich Erlösung nötig? 
Wir haben eine ewige Erlösung durch Sein Blut. 
Bedarf ich der Vergebung der Sünden? 
Diese Erlösung ist die Vergebung der Sünden. 
Muß ich Frieden haben? 
Er hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes. 
Bedarf ich der Versöhnung mit Gott? 
Er hat uns versöhnt in dem Leibe Seines Fleisches durch den 
Tod, um uns heilig und tadellos und unsträflich vor Sich hinzustellen. 
Wünsche ich der Sünde gestorben zu sein? 
Ich bin mit Christo gekreuzigt. 
Fühle ich das Bedürfnis nach dem Gnadenstuhl? 
Christus ist dargestellt als der Gnadenstuhl durch den Glauben 
an Sein Blut. 
Geht es mir um Rechtfertigung? 
Ich bin durch Sein Blut gerechtfertigt. 
Möchte ich ein Teil mit Christo haben? 
Ich werde Sein Miterbe sein. 
149 
Wodurch haben wir Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum? 
Durch das Blut Jesu. 
Worin ist der große Hirte der Schafe aus den Toten wiedergebracht worden? 
In dem Blute des ewigen Bundes. 
Auf welche Weise ist der Fluch des Gesetzes von denen weggenommen worden, die unter diesem Fluch waren? 
Indem Christus zum Fluch für sie geworden ist. 
Womit sind wir von unseren Sünden gewaschen worden? 
Er hat uns gelieht und uns von unseren Sünden in Seinern Blute 
gewaschen. 
Wer von der Welt befreit werden will, 
wird es durch das Kreuz, „durch welches mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Well". 
Wer in göttlicher Kraft zu leben wünscht, 
muß an seinem Leihe das Sterben des Herrn Jesu tragen. 
Wenn Christus ein besonderes Gedächtnis stiften wollte, damit 
wir uns Seiner erinnern, 
so war es Sein Leib und Sein Blut — ein Lamm wie geschlachtet, inmitten des Thrones. 
Wünsche ich Liebe kennenzulernen: 
„hieran haben wir die Liebe erkannt, daß er für uns sein Leber, 
dargelegt hat" (1. Joh 5, 16). 
Wir sind nun in unserer Betrachtung beim Schluß des Lebens 
unseres geliebten Herrn angelangt, und es ist nicht ohne Interesse, einen kurzen Rückblick auf Sein Erscheinen als Mensch 
in dieser Welt zu werfen. 
Bis Er ungefähr 30 Jahre alt war, ist Christus in der Verborgenheit eines geduldigen und vollkommenen Lebens geblieben, 
die Berufung von Gott erwartend. Die einzige Ausnahme bildete, daß Er in Seinem zwölften Jahr nach Jerusalem ging und 
Sich mit den Lehrern Israels unterhielt, um zu offenbaren, was 
Er in Seiner Person und in Seiner Gnade war, und um zu zeigen, 
daß Seine Verwandtschaft mit dem Vater von keiner außerordentlichen Salbung zum Dienst durch den Heiligen Geist abhing. Danach verbindet Sich Christus öffentlich mit dem Über150 
rest. Er wird von Johannes getauft, vom Vater anerkannt, vom 
Heiligen Geist gesalbt und versiegelt und geht, bevor Er in 
Seinen öffentlichen Dienst eintritt, in die Wüste, um vom Teufel versucht zu werden. Er überwindet und bindet den Starken, 
und Satan weicht für eine Zeitlang von Ihm. Dann geht Christus umher, tut Gutes und heilt alle, die vom Teufel geplagt 
sind; denn Gott ist mit Ihm, und Er weiß, daß Ihn der Vater 
allezeit erhört. 
Danach kommt Satan zurück als Fürst dieser Welt, als der, 
der die Macht des Todes hat, und zeigt dem Herrn durch diese 
Macht und die Folgen des Gerichts der Menschen, welch ein 
Pfad Ihm bevorstand, wenn Er die Sache der Menschen als die 
Seinige auf Sich nehmen wollte. Dies geschieht zur Zeit Seines 
letzten Besuches in Jerusalem. Dann trinkt Er den Kelch, den 
Er demütig und freiwillig aus der Hand des Vaters nimmt und 
erwirkt auf dem Kreuze Erlösung für alle, die an Ihn glauben. 
Wie gesegnet ist es, unseren Herrn in Seinen Wegen auf dieser 
Erde zu beobachten; was könnte das Herz stiller, demütiger 
und geduldiger machen als die Betrachtung Seiner Leiden, und 
wie schwach ist unsere Vorstellung von dem, was der Herr 
erlitten hat! Unsere Begriffe sind nur der Schatten von dem, 
was diese Leiden in Wirklichkeit waren. 
Nicht ohne Absicht hat der Herr uns das Gedächtnismahl 
Seines Todes hinterlassen; möchten wir nicht allein am Tische 
des Herrn, sondern überhaupt viel über Seine Leiden nachdenken und durch die Gnade befähigt werden, mehr davon zu 
verstehen. 
Gedanken über Psalm 23 
Es fällt dem Menschen schwer, sich an Gott genügen zu lassen. 
Selbst einem geistlichen Christen würde es große Mühe kosten, 
mit Gott auch nur drei Tage allein zu sein. Welche Leere würde 
er empfinden, welches Bedürfnis, anderen Mitgeschöpfen seine 
Gedanken mitzuteilen! Brüderlicher Verkehr, brüderliche Unterhaltungen sind an ihrem Platze gut und nützlich; aber der 
Herr will uns dahin bringen, daß wir uns begnügen lernen, 
151 
Ihn allein zu genießen und uns nur auf Ihn zu stützen. Zu 
diesem Zwecke erlaubt Er, daß wir auf unserem Wege mit allerlei Schwierigkeiten zusammentreffen, die unser Herz zerbrechen und uns die Nichtigkeit von allem zeigen sollen, was außer 
Ihm ist. Er will, daß es uns genüge, sagen zu können: „Du 
bist bei mir" (V. 4), als daß wir uns auf sonst jemanden stützen. 
Die Schwierigkeit, uns an Gott genügen zu lassen, liegt für 
uns in der Schwachheit unseres Glaubens, sowie in den mannigfaltigen Wünschen und Begierden unseres Herzens, die uns 
bewegen, nicht Gott, sondern tausend anderen Dingen nachzuhängen. Der Herr Jesus hat in Seinem Verhältnis zu dem 
Vater den Platz eingenommen, den wir nach Seinem Willen 
Ihm gegenüber einnehmen sollen. Aus diesem Grunde hat Er 
— wiewohl Er nach Joh 10 der gute Hirte ist — zuerst die Stellung eines Schafes einnehmen wollen, wie es aus diesem Psalm 
hervorgeht. Er wollte der erste auf diesen steinigen Pfaden 
sein, die wir zu durchschreiten haben, um aus Erfahrung die 
damit verbundenen Schwierigkeiten kennenzulernen. Und auf 
eben diesem mühsamen und beschwerlichen Wege lernte Er 
sagen: „Mir wird nichts mangeln. Er lagert mich auf grünen 
Auen, er führt mich zu stillen Wassern .. . er leitet mich in 
Pfaden der Gerechtigkeit" (V. 1—3). Ja, geliebte Brüder, Er 
konnte das sagen, als Er auf einem Wege wandelte, der für das 
Fleisch höchst schreckenerregend war — auf dem Wege der 
Erniedrigung bis zum Tode — weil Gott ganz allein Ihm genügte. Die Worte: „Denn du bist bei mir", ebneten Ihm den 
Weg. Für Ihn war der Tisch bereitet; der Wille Seines Gottes 
war Seine vor der Welt verborgene Speise, an welcher Er Seine 
ganze Lust fand und die „seine Seele wiederherstellte". 
Er konnte Sich an dem Vater genügen lassen, weil Er dn allen 
Umständen und Lagen zu sagen vermochte: „Ich bin nicht 
allein, denn der Vater ist bei mir". Deshalb schätzte Er Seine 
Jünger nicht etwa gering — 0 nein, Er liebte sie mit inniger 
Zärtlichkeit und wünschte als Mensch in Seinen Leiden sie um 
Sich zu haben. Als die finstere Stunde dieser Leiden hereinbrach, hören wir Ihn zu Seinen Jüngern sagen: „Meine Seele 
ist betrübt bis zum Tode, bleibet hier und wachet mit mir"! 
Aber in Seiner Angst war Er allein und rief aus: „Was beugst 
du dich nieder, meine Seele, und bist unruhig in mir? Harre auf 
152 
Gott! denn ich werde ihn noch preisen für das Heil seines Angesichts" (Ps 42, 5). „Auch wenn ich wanderte im Tale des 
Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, denn du bist bei mir". 
Es ist unmöglich, geliebte Brüder, daß ein Mensch, der sich 
allein auf Gott stützt und nur an Ihm seine Wonne hat, den 
Pfad nicht geebnet finden sollte und selbst an einem Tage der 
Prüfung und Mühsal nicht sagen könnte: „Er lagert mich auf 
grünen Auen". Denn die Seele, die sich inmitten aller schwierigen Umstände von Gott zu ernähren vermag und sich an Ihm 
genügen läßt, wird überall „grüne Auen" und „stille Wasser" 
für sich finden. 
Was für Jesum in dieser Stellung der Abhängigkeit der Vater 
auf dem Wege war, das ist Jesus für uns, die wir Seine Schafe 
sind. „Gleichwie der lebendige Vater mich gesandt hat und ich 
lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich ißt, der wird auch 
leben meinetwegen" (Joh 6, 57). 
Über die Bedienung des Wortes 
in der Welt und in der Versammlung 
Der Zweck dieser Zeilen ist, in kurzen, aber bestimmten Zügen 
darzustellen, wie schriftwidrig die Gewohnheiten und Einrichtungen sind, die man hinsichtlich dieser Bedienung eingeführt hat. Ich lege mir zwei Fragen zur Beantwortung vor: 
1. Enthält die Schrift eine Begründung für die Meinung, daß 
niemand der Welt das Evangelium verkündigen dürfe als nur 
der, welcher auf diese oder jene Weise dazu ordiniert oder 
eingesetzt ist? 
2. Wird eine solche Ordination oder Einsetzung für die verlangt, welche in der Versammlung lehren? 
Nach Beantwortung dieser Fragen werde ich zeigen, daß nach 
der Schrift nicht nur die Predigt des Evangeliums in der Welt 
und das Lehren in der Versammlung, sondern auch die Handlung des Taujens, das Brechen des Brotes am Tische des Herrn 
und das Ausüben der Zucht keineswegs Tätigkeiten sind, die 
von dazu angestellten oder eingesetzten Personen gehandhabt 
werden müssen, sondern an Ordinationen — gleich welcher 
Art — nicht gebunden sind. 
153 
l. Das Predigen des Evangeliums in der Welt 
Was die Predigt des Evangeliums betrifft, so gibt es keine 
einzige Stelle in der ganzen Heiligen Schrift, die besagt, daß 
das Auflegen der Hände oder sonst etwas dergleichen erforderlich sei, um jemandem das Recht zur Verkündigung des Evangeliums von Christo zu verleihen; es findet sich auch kein einziges Beispiel dafür, daß jemand zu diesem Zweck ordiniert 
worden wäre, außer durch Christus Selbst. Zum Beweis hierfür 
wird auf die bekanntesten Prediger des Evangeliums verwiesen, deren Geschichte uns in der Schrift mitgeteilt wird; nirgends ist hier die Rede von einer menschlichen Einsetzung in 
deren Dienst. Ich spreche von menschlicher Einsetzung, weil niemand das Evangelium durch den Geist verkündigen kann, der 
nicht von Christum gesandt und eingesetzt ist. Diese Sendung 
und Einsetzung aber genügt. Alles, was darüber hinausgeht, 
ist nichts als menschliche Überlieferung und steht ganz und 
gar im Widerspruch zur Heiligen Schrift. Es zeugt von einer 
völligen Verkennung der Befugnisse, die allein und ausschließlich Christo und dem Heiligen Geiste zukommen. Daß Christus 
Prediger des Evangeliums eingesetzt hat und daß Er das Recht 
hatte, sie einzusetzen, wird niemand in Abrede stellen. Aber 
wann und wo hat Er diese Macht einem anderen verliehen? 
Niemals und nirgendwo! Er gab den Aposteln Befehl, das 
Evangelium in der ganzen Schöpfung zu verkündigen; aber 
dieser Befehl ist keine Ermächtigung, andere dazu einzusetzen. 
Die Apostel haben das auch niemals getan. Gott hat in diesen 
Dingen eine Autorität, die Er nie einem Menschen anvertraut 
hat. 
Untersuchen wir in dieser Beziehung zunächst das Alte Testament. — Die Prediger des Alten Bundes sind Propheten. Es gab 
viele Propheten, aber keinem widerfuhr, was jetzt in der Kirche 
geschieht. Sie waren einfach von Gott berufen und gingen 
ihren Weg, ohne auf eine Einsetzung zu warten, die an keinem 
von ihnen vollzogen worden ist. Das weiß jeder, der mit der 
Bibel vertraut ist. Wer hat z. B. Henoch eingesetzt oder ordiniert, dessen Prophezeiungen wir im Brief des Judas finden? 
Wer setzte Noah, „den Prediger der Gerechtigkeit" ein? Wer 
ordinierte Moses und Samuel? Sie waren einfach von Gott berufen und mußten Seine Befehle einem oft unwilligen Volke 
154 
überbringen. Ehe Jeremia geboren wurde., bestimmte Gott ihn 
zu einem Propheten unter den Völkern. „Ehe ich dich im Mutterleibe bildete, habe ich dich erkannt, und ehe du aus dem 
Mutterschoße hervorkamst, habe ich dich geheiligt: zum Propheten an die Nationen habe ich dich bestellt" (Jer 1, 5). Wenn 
ein solcher Mann wie Jeremia in unseren Tagen aufstände, 
würde seine Ordination von der Kirche anerkannt werden? 
Und wie würde Arnos heute empfangen werden? Wir hören 
ihn selbst sagen: „Ich war kein Prophet und war kein Prophetensohn, sondern ich war ein Viehhirt und las Maulbeerfeigen. Und Jehova nahm mich hinter dem Kleinvieh weg, und 
Jehova sprach zu mir: Gehe hin, weissage meinem Volke Israel" 
(Arnos 7, 14. 15). Es ist mehr als gewiß, daß, wenn in unseren 
Tagen ein anderer Arnos von der Herde weggerufen würde, 
um zu prophezeihen oder zu predigen, ihm ein höchst kühler 
Empfang zuteil werden und man von ihm verlangen würde, 
vorher etliche Jahre eine Universität oder ein Seminar zu besuchen. Abschließend sei noch an Hesekiel erinnert; auch ihn 
hat Gott allein berufen (Hes 1 und 2). 
Wenn diese Männer bis zum Empfang einer menschlichen Ordination geschwiegen hätten, dann würde sicher ihr Mund für 
immer verschlossen geblieben sein, und wenn das „widerspenstige Volk", die Priester und die Obersten, deren Mund 
hätte stopfen können, so würden sie es sicher getan haben. 
Doch was tat Moses, als jener Jüngling zu ihm kam, um gegen 
Eldad und Medad zu zeugen, die im Lager prophezeihten? 
„Und Josua, der Sohn Nuns, der Diener Moses, einer von 
seinen Jünglingen, antwortete und sprach: Mein Herr Mose, 
wehre ihnen! Aber Mose sprach zu ihm: eiferst du für mich? 
Möchte doch das ganze Volk Jehovas Propheten sein, daß 
Jehova seinen Geist auf sie legte" (4. Mo 11, 28. zg)! Viele 
würden in unseren Tagen ganz anders sprechen. Sie würden 
sich weder über das Prophezeihen eines Eldad freuen, noch 
Männer wie Hesekiel und Arnos anerkennen. Wer nicht mit 
einer Ordination oder einer Anstellung von Seiten der Menschen kommt, wird heute in der Regel mit verächtlichem Achselzucken abgewiesen. Hat man nicht ein Zeugnis von der 
Hochschule oder ein Anstellungspatent von einer dazu bestimmten Behörde aufzuweisen, so wird man — und hätte man 
155 
auch die ausgezeichnetsten Gaben von Gott empfangen — zur 
Predigt des Evangeliums nicht zugelassen. Es ist geradezu, als 
müßte Gott Sich den Anordnungen und Regeln der Menschen 
unterwerfen und als hätte kein von Ihm gesandter Diener 
Christi das Recht, das Evangelium frei verkündigen zu dürfen. 
Doch untersuchen wir nun, was das Neue Testament in dieser 
Beziehung lehrt. Als die Jünger dem Herrn mitteilten, daß 
jemand in Seinem Namen Teufel austreibe, und daß sie ihm 
dies untersagt hätten, weil er ihnen nicht nachfolge, spricht 
Jesus: „Wehret ihm nicht, denn es ist niemand, der ein Wunderwerk in meinem Namen tun und bald übel von mir zu 
reden vermögen wird; denn wer nicht wider uns ist, ist für 
uns" (Mk 9, 38). Schon diese Antwort liefert den Beweis, daß 
der Herr ganz anders über die freie Wirksamkeit des Heiliger. 
Geistes dachte als die christliche Kirche in unseren Tagen. Die 
Handlungsweise der ersten Christen stand damit ganz in Übereinstimmung. In der Apostelgeschichte finden wir keine Spur 
von einer Ordination oder Weihe zur Predigt des Evangeliums 
durch Händeauflegen und Gebet. Im Gegenteil, jeder Gläubige, 
der Gaben empfangen hatte und durch die Liebe des Christus 
zu den Verlorenen gedrungen wurde, predigte einfach das 
Evangelium wo immer sich dazu eine Gelegenheit bot. In Apg 7 
finden wir, wie Stephanus den Juden das Evangelium verkündigt, und in Apg 8, wie Philippus in Samaria predigt. Wer 
waren Stephanus und Philippus? Waren sie angestellte Prediger? Hatten ihnen die Apostel zur Bedienung des Wortes die 
Hände aufgelegt? O nein, keineswegs; sie waren einfach Diakonen. Und was war ihre eigentliche Beschäftigung? Sie hatten 
die Tische zu bedienen — mit anderen Worten, die Armen zu 
versorgen (Apg 6. 2—4). Von einer Anstellung in ein Predigtamt war hier durchaus keine Rede. Im Gegenteil, die Apostel 
sagen: „Es ist nicht gut, daß xoir das Wort Gottes verlassen und 
die Tische bedienen. So sehet euch nun um, Brüder, nach 7 
Männern aus euch, von gutem Zeugnis, voll Heiligen Geistes 
und Weisheit, die wir über dieses Geschäft bestellen wollen; 
wir aber werden im Gebet und im Dienst des Wortes verharren". — Was also die Predigt des Evangeliums angeht, so 
befinden sich Diakone auf gleichem Boden mit allen anderen 
Christen. Und dennoch verkündigen sie nicht nur das Evan156 
gelium, sondern erbauen selbst die Versammlungen. Die Apostel hindern sie hieran nicht; sie senden vielmehr Petrus und 
Johannes nach Samaria, um das Werk des Philippus durch ihr 
Zeugnis anzuerkennen und zu bestätigen. Und nach Apg 8, 4 
verkündigten alle Gläubigen das Evangelium. „Die Zerstreuten 
nun gingen umher und verkündigten das Wort". Diese Zerstreuten aber waren alle Glieder der Versammlung zu Jerusalem. Und wie stellte Sich der Herr dazu? Erkannte Er dieses 
Werk an? Segnete Er ihre Predigt? Ja, und zwar in einer überströmenden Weise: „Die nun zerstreut waren durch die Drangsal, welche wegen Stephanus entstanden war, zogen hindurch 
bis nach Phönizien und Cypern und Antiochien und redeten 
zu niemand das Wort als allein zu Juden. Es waren aber unter 
ihnen etliche Männer von Cypern und Kyrene, welche, als sie 
nach Antiochien kamen, auch zu den Griechen redeten, indem 
sie das Evangelium von dem Herrn Jesus verkündigten. Und 
des Herrn Hand war mit ihnen, und eine große Zahl glaubte 
und bekehrte sich zu dem Herrn" (Apg 11, 19—21). Die ersten 
Prediger des Evangeliums außerhalb von Jerusalem waren also 
einfache Gläubige, Glieder der Versammlung, die man, da sie 
sich keiner Ordination, keiner Anstellung, Weihe oder Händeauflegen rühmen konnten, gegenwärtig als Laien bezeichnen 
würde. Es kam ihnen nicht in den Sinn, sich der Predigt des 
Evangeliums zu enthalten; im Gegenteil, sie dehnten ihren 
Wirkungskreis immer mehr aus, durchzogen verschiedene 
Länder, gründeten Versammlungen und richteten das Wort 
selbst an die Nationen, so daß in Antiochien sogar eine Versammlung aus den Nationen entstand. Die in Jerusalem zurückgebliebenen Apostel aber sandten Barnabas hin, um das 
Werk zu prüfen, und dieser, „als er hingekommen war und 
die Gnade Gottes sah, freute sich und ermahnte alle, mit Herzensentschluß bei dem Herrn zu verharren". Das ist die göttliche Handlungsweise. Ach, wie sehr ist die christliche Kirche 
von den einfachen Grundsätzen der Wahrheit abgewichen! 
Und daß dies nicht nur im Anfang war, zeigt die Apostelgeschichte ganz klar. Nirgends ist die Rede von einer Ordination zur Predigt des Evangeliums. Ein jeder, wer es auch 
sein mochte, predigte nach dem Maße der Gnade, die ihm von 
Gott verliehen war. So auch Apollos. „Ein gewisser Jude aber, 
157 
mit Namen Apollos, aus Alexandrien gebürtig, ein beredeter 
Mann, der mächtig war in den Schriften, kam nach Ephesus. 
Dieser war in dem Wege des Herrn unterwiesen, und brünstig 
im Geist redete und lehrte er sorgfältig die Dinge von Jesu" 
(Apg 18, 24—28). Hier findet man keine Spur von Ordination. 
Apollos kannte nur die Taufe des Johannes; Aquila und Priscilla, die ihn hörten, wußten mehr. Was taten sie? Sie nahmen 
ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch genauer aus. 
Und wurde er dann ordiniert? Keineswegs. Nachdem er eingehender unterwiesen war, setzte er seine Arbeit fort, wurde 
von den Versammlungen empfangen und war den Glaubenden 
durch die Gnade sehr behilflich. 
Ebenso war es mit Barnabas und auch mit Paulus. Dieser predigte Christum auf Grund der Sendung durch den Herrn Selbst. 
In dem Brief an die Galater beruft er sich darauf, daß er seine 
Sendung und Ordination unmittelbar vom Herrn empfangen 
habe und keineswegs durch die Apostel zu Jerusalem. Er erklärt dort ausdrücklich, daß er von den Zwölfen nichts empfangen, ja, daß er bereits vierzehn Jahre hindurch das Evangelium 
verkündigt habe, bevor er alle Apostel zu Jerusalem kennenlernte. Und was war der Grund zur Rechtfertigung seiner Verkündigung und der Wirksamkeit jener Christen, die gleich ihm 
das Evangelium allein auf Grund der Berufung des Herrn verkündigten? „Da wir aber denselben Geist des Glaubens haben 
(nach dem was geschrieben steht: „Ich habe geglaubt, darum 
habe ich geredet") so glauben auch wir, darum reden wir auch" 
(2. Kor 4, 13). 
Auch in Rom gab es Brüder, die durch die Bande des Apostels 
Vertrauen im Herrn gewonnen hatten, „das Wort Gottes zu 
reden ohne Furcht" (Phil 1, 14). Und aus dem zweiten und 
dritten Briefe des Apostels Johannes geht eindeutig hervor, 
daß die Aufnahme eines Predigers des Evangeliums ganz und 
gar von dem Evangelium abhängig war, das er brachte und 
keineswegs von einer Ordination, oder davon, daß ihm Hände 
aufgelegt worden waren. In der Tat, man wird sowohl im 
Alten wie im Neuen Testament vergeblich nach einer Ordination oder Anstellung durch einzelne Personen oder durch 
die Versammlung Christi suchen. Die Propheten im Alten 
Testament und die Prediger des Evangeliums im Neuen 
158 
Wie bewirken wir 
unsere eigene Seligkeit? 
„Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt 
vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit 
mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt 
sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen" (Phil 2, 12. 13). 
Wir müssen uns stets daran erinnern, daß das Werk Gottes in 
bezug auf Sein Volk von zwiefacher Art ist: Sein Werk für uns 
auf dem Kreuze und Sein Werk in uns durch den Geist. Die 
angeführte Stelle belehrt uns nicht, wie wir Frieden erlangen. 
Sie wendet sich vielmehr an solche, bei denen die Erkenntnis 
ihrer Annahme bei Gott durch das gesegnete Werk Jesu Christi 
vorausgesetzt wird. Andernfalls würde sie nur dazu dienen, 
gesetzliche Anstrengungen zur Erreichung eines Zieles hervorzurufen, welches wir, wenn wir aufrichtig vor Gott sind, auf 
diesem Weg niemals erreichen würden. Um Frieden zu erlangen 
und das schuldige Gewissen zu befriedigen, haben wir vor Gott 
nichts anderes nötig als „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, 
welches von aller Sünde reinigt". Auf dem Kreuze, wo Sich 
Christus ohne Flecken Gott zu einem wohlriechenden Opfer 
geopfert hat, findet unsere Sünde ihre Beantwortung, so daß 
alle ihre Folgen für immer beseitigt sind. Hier ist Gott vollkommen verherrlicht und befriedigt worden, indem Christus 
für mich starb, der ich ein Sünder und als solcher ungöttlich 
und ohne Kraft war. Ich habe also, wie der Apostel Petrus sagt, 
„die Errettung meiner Seele" (1. Petr 1, 9). Allein die Seligkeit 
ist noch nicht ganz vollständig, obwohl sie meine Sicherheit ist. 
Die Seligkeit nach den Gedanken Gottes ist, daß wir bei Christo und Ihm völlig gleich sind, „damit er der Erstgeborene sei 
unter vielen Brüdern" (Röm 8, 29). Unserer Stellung und Annahme nach ist aber jetzt schon alles vollkommen; denn „wie er 
ist, sind auch wir in dieser Welt"; wir haben daher Freimütigkeit am Tage des Gerichts (1. Joh 4, 17). Und dies ist in zweifacher Weise wahr: unsere Sünden sind für immer beseitigt, 
191 
und wir befinden uns in einem neuen Leben. Nach den Briefen 
des Paulus sind wir durch den Tod und die Auferstehung 
Christi in diese Stellung eingeführt; nach den Briefen des 
Johannes sind wir aus Gott geboren, so daß wir sagen können 
mit Paulus: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus 
lebt in mir" (Gal 2, 20), und mit Johannes: „Jeder, der aus Gott 
geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und 
er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist" (1. Joh 
3, 9). Was also unsere Stellung vollkommen macht, ist, daß 
alle mit dem Leben und dem Zustand des alten Adam verbundenen Sünden gesühnt und für immer beseitigt sind, und 
daß wir uns in einem reinen Leben befinden, welchem sich vor 
Gott keine Sünde anhaften kann, wie auch unser hochgelobter 
Herr zu Petrus gesagt hat: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig 
sich zu waschen, ausgenommen die Füße" (Joh 13, 10). Welch 
ein gesegneter Platz! Wir sind befähigt, uns der Strahlen des 
Angesichts Gottes zu erfreuen, was „besser ist als das Leben". 
Die Vernachlässigung dieser Seite der Wahrheit aber führt oft 
bei denen, die ihrer Annahme gewiß sind, zu einem sehr traurigen Wandel und darum auch zu einem Verlust des vollen Bewußtseins ihrer Annahme und des Genusses ihrer Vorrechte. 
Richten wir daher unseren Blick auf das Werk Gottes in uns. 
Gerade aus diesem Grunde zeigt uns unsere Epistel, daß wir 
völlige Sicherheit haben; denn „der, welcher ein gutes Werk 
in euch angefangen hat, wird es vollführen bis auf den Tag 
Jesu Christi" (Phil 1, 6). Aber wiewohl wir stets bedenken 
müssen, daß sowohl das Werk für uns als Sünder, als auch in 
uns als Gläubige aus Gott ist, so haben wir als Gerettete doch 
unsere Verantwortlichkeit, nicht etwas Großes zu tun, sondern 
uns Gott zu unterwerfen. In der angeführten Stelle sagt uns 
nun der Apostel, was Gott in uns wirkt; es ist „das Wollen und 
das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen". Von Natur aus 
hatten wir unseren eigenen Willen, welcher uns zu „Kindern 
des Zorns, wie auch die übrigen" machte. Der erste Adam, mit 
welchem wir verbunden waren, fiel durch Ungehorsam und 
ruinierte sein ganzes Geschlecht. Der zweite Adam, „der Herr 
vom Himmel" tat nie Seinen eigenen Willen, war nie im Gegensatz zu dem Willen Seines Vaters, sondern fand Seine 
Speise und Seinen Trank darin, daß Er den Willen Dessen tat. 
Der Ihn gesandt hatte. Aber gerade diesen Willen des ersten 
192 
Adam in uns muß Gott brechen, um uns in unseren Wegen, in 
unserem Wandel und in unserer Gesinnung Seinem Sohne 
gleichförmig zu machen, wie wir Ihm hinsichtlich unserer Stellung — mit Ausnahme Seiner Gottheit — gleichförmig sind. 
Aber wie oft vergessen wir dies und begnügen uns damit, daß 
wir uns von anerkanntem Übel fernhalten! Eine solche Haltung 
bleibt jedoch weit hinter den Gedanken Gottes über uns zurück. Wir haben gewöhnlich einen viel zu schwachen Begriff 
von dem, was Sünde ist. Die Heilige Schrift belehrt uns, daß 
der in einer Kreatur wirkende Wille Sünde ist. „Jeder, der die 
Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die 
Gesetzlosigkeit" (i. Joh 3, 4), d. h., der ganze Wille ist Sünde, 
selbst wenn seine Ausbrüche nicht die Form einer Übertretung 
des Gesetzes in offenbarer Bosheit annehmen. Kein Geschöpf 
hat ein Recht auf einen unabhängigen Willen, und daher sind 
wir geheiligt „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu 
Christi" (1. Petr i, 2). Unser Wandel mag so beschaffen sein, 
daß er unser Gewissen nicht beunruhigt; aber unser Trachten 
sollte es sein, uns nicht nur vom Bösen zu enthalten, sondern 
auch im Gehorsam zu wandeln, unseren Willen Gott zu 
unterwerfen und in der Tat keinen eigenen Willen zu haben; 
denn „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, aufmerken besser, als das Fett der Widder". Gott erwartet nicht das Vollbringen eines großen Werkes. Es mag jemand Eifer und Tätigkeit entwickeln, welche die höchste Achtung und Bewunderung 
der Menschen hervorrufen; aber gehorsam gegenüber dem zu 
sein, was Gott wohlgefällig ist, das ist es, wodurch der schwächste Heilige, auf welchen Platz ihn Gott auch gestellt haben 
mag, Seinen Namen verherrlichen kann. 
In diesen Tagen des Wollens und des Wirkens der Menschen 
bedürfen wir der gänzlichen Unterwürfigkeit unter den Willen 
Gottes, sowie des völligen Vertrauens auf Seine Macht. Wo 
aber finde ich Seinen Willen? Nur und ganz sicher in Seinem 
Worte. Wir haben es nicht nötig, den Eingebungen unserer 
Herzen blindlings zu folgen, sondern wir bilden — in dem 
Maße, wie wir aus dieser kostbaren Wahrheit schöpfen — unser 
Verständnis und unser Urteil nach den Gedanken Gottes. „Wir 
haben den Geist Christi" und wir leben „nicht vom Brot allein, 
sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes aus193 
geht". In der Tat, nur auf diesem Wege können wir in unserem 
täglichen Wandel durch diese Wüste Freude und Frieden finden. Blicken wir auf unseren gesegneten Herrn, wie Er uns in 
Mt n dargestellt wird. Sein Pfad durch diese Welt hatte Ihm 
nichts als Trauer gebracht. „Er kam in das Seinige, und die 
Seinigen nahmen ihn nicht an". Er mußte das Wehe ausrufen 
über jene Städte, in denen Er die mächtigsten Wunderwerke 
verrichtet hatte. Nach den sichtbaren Resultaten zu urteilen 
hätte Er sagen müssen: „Umsonst habe ich mich abgemüht, 
vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt" (Jes 49, 4). 
Unter dieser Sicht gab es für Ihn nichts als Trauer und Hindernisse; dennoch sagte Er gerade in dieser Stunde: „Ich preise 
dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor 
Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig 
vor dir". Und Er, Der alles völlig in Sich Selbst hatte, konnte 
auch ausrufen: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und 
Belädenen, und ich werde euch Ruhe geben", — und Er konnte 
denen, welche gekommen waren sagen: „Nehmet auf euch mein 
Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen". 
Was aber war Sein Joch? Es war die Unterwerfung unter den 
Willen Seines Vaters, welchen Er in den Schwierigkeiten auf 
der Erde stets erfüllte und in welchem Er Seine Ruhe fand. Und 
darum fügte Er hinzu: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist 
leicht"! Das wird uns in Joh 4 klar vor Augen gestellt, wo Er 
Selbst, während sich die Ströme lebendigen Wassers in eine 
arme dürstende Seele ergossen, eine solche Erquickung fand, daß 
die vorhergehende Müdigkeit gänzlich entschwindet. Als Seine 
Jünger sagen: „Rabbi, iß"! antwortete Er ihnen: „Ich habe 
eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt . . . Meine Speise ist, 
daß ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat und sein 
Werk vollbringe". Wir nun sind berufen, Ihm auf diesem Pfad 
zu folgen — einem Pfad, auf dem das Fleisch, wie sehr es sich 
dazu auch den Anschein geben mag, keinen Schritt gehen kann 
und auf dem wir nur so lange wandeln können, wie wir bereit 
sind, die Unterweisungen zu lernen, welche das Kreuz gibt, und 
unseren natürlichen Willen und die eitlen Wünsche unseres Herzens aufzugeben, um Seinen Willen zu tun. Aber unsere Kraft 
194 
wird sich nicht darin zeigen, daß wir gute Entschlüsse und Vorsätze fassen, sondern darin, daß wir Jemanden haben, Der uns 
anzieht und fesselt. Beschäftigen wir uns mit dem Ich, so wird 
uns alle Kraft fehlen, wie sehr wir unsere Mängel und Gebrechen beklagen, und unsere Gewissensbisse uns drängen 
mögen, einen neuen Anlauf zu nehmen, um das Böse zu überwinden. Ein aufrichtiges Gewissen zu haben, ist durchaus nötig; 
aber es reicht uns keine Kraft dar. Wir mögen lernen, daß wir 
keine Kraft haben und daß „in uns, das ist in unserem Fleische, 
keine Kraft ist" — wirklich eine nützliche Lektion; aber unsere 
Kraft finden wir darin, daß wir mit Jemandem beschäftigt sind, 
Der uns erfüllen und befriedigen kann. Und das ist der Grund, 
weshalb der Apostel uns in dieser Epistel Christum in zwei 
Charakteren vorstellt. Wenn meine Gedanken erfüllt sind mit 
Jemandem, Der vom Himmel herabstieg, um als Mensch den 
niedrigsten Platz einzunehmen, so wird dies auch mich in dem 
Maße demütig machen, als ich aus der Quelle moralischer 
Schönheit trinke, die der Geist Gottes mir in Christo darstellt. 
Einen anderen Weg gibt es nicht. Wenn ich an Ihn denke, Ihn 
bewundere, so werde ich unbewußt mehr und mehr in Sein 
Bild verwandelt werden. „Diese Gesinnung sei in euch" sagt 
Paulus. Aber wie? Wenn ich in mein Inneres blicke und das, 
-was ich dort entdecke zu ordnen suche, so fühle ich nur, wie 
ohnmächtig ich bin, das Böse wieder gut zu machen, wie seh; 
ich es auch verurteilen und betrauern mag. Deshalb sagt der 
Apostel, indem er die Gesinnung Christi in Seiner Erniedrigung weiter entfaltet: „Blickt auf ihn"! So wird uns der Herr 
im zweiten Kapitel unseres Briefes in Seiner Erniedrigung 
gezeigt, damit Seine Schönheit auch unser Teil werden möge. 
Im dritten Kapitel aber wird Er uns in Seiner Erhabenheit und 
Herrlichkeit vorgestellt, damit diese Herrlichkeit Seinen Heiligen 
Kraft verleihe, Ihm mit der gesegneten Gewißheit nachzueilen, 
daß am Ende Seine Wünsche gänzlich erfüllt sein werden. Denn 
Christus wird als Heiland kommen und „unseren Leib der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit 
umgestalten nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, 
auch alle Dinge sich zu unterwerfen" (Phil 3, 21). 
Möge Er uns doch mit jedem Tage mehr unterweisen, was es 
heißt, „mit Furcht und Zittern unsere Seligkeit zu bewirken", 
195 
und zwar in dem Bewußtsein, daß Gott es ist, welcher „in uns 
wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem 
Wohlgefallen"! 
Leben und Freiheit 
„Löset ihn auf und lasset ihn gehen" (Joh 11, 44)! 
Es gibt viele göttlich lebendig gemachte Seelen, welche die Kraft 
der gebietenden Worte: „Löset ihn auf und lasset ihn gehen" 
noch nicht kennen. Sie sind durch das lebendigmachende Wort 
des Sohnes Gottes dem Zustande des Todes entrissen; aber sie 
kommen heraus „an Händen und Füßen mit Grabtüchern gebunden" und ihr Gesicht „mit einem Schweißtuch umbunden". 
Sie sind, mit anderen Worten, noch nicht fähig, die Fesseln 
ihres früheren Zustandes abzuschütteln und sich auf ihrem 
Weg in der Freiheit zu bewegen, womit Christus Sein Volk 
freigemacht hat. Daß sie göttliches Leben empfangen haben, 
geht deutlich aus den Verlegenheiten, Anstrengungen und 
Kämpfen hervor, über die sie beständig klagen. Wer noch „tot 
in den Sünden und Vergehungen'' ist, weiß von dergleichen 
nichts. Solange Lazarus, von der eisigen Hand des Todes erfaßt, im Grabe lag, fühlte er keineswegs, daß die Grabtücher 
seine Bewegungen hinderten und daß das Schweißtuch den 
Blick seiner Augen hemmte. Alles an ihm und um ihn her war 
finster, kalt und leblos, und die Grabtücher waren die angemessenen Zierden eines solchen Zustandes. Ein Mensch, dessen 
Hände und Füße von den Fesseln des Todes umklammert sind, 
kann unmöglich die Grabtücher lästig und beschwerlich finden, 
und jemand, dessen geschlossene Augen durch die strenge 
Hand des Todes versiegelt sind, vermag die Beschwerlichkeit 
eines Schweißtuches niemals zu fühlen. 
Ebenso verhält es sich mit unbekehrten, nicht wiedergeborenen 
Seelen. Sie sind „tot" — moralisch, geistlich „tot". Ihre Füße 
sind von den Fesseln des Todes umklammert; aber sie wissen 
es nicht. Ihre Hände sind in die Handschellen des Todes einge196 
zwängt; aber sie fühlen es nicht. Ihre Augen sind mit dem 
Schweißtuch des Todes verhüllt; aber sie merken es nicht. Sie 
sind tot. Die Gewänder des Todes umringen sie, die Grabtücher 
bedecken sie — alles ist ihrem Zustande angemessen. 
Aber die Menschen, für welche ich diese Zeilen schreibe, sind 
auf diese oder jene Weise durch die mächtige, lebendigmachende Stimme des Sohnes Gottes — durch Ihn, Der das „Leben 
und die Auferstehung" ist — aufgeweckt und in Bewegung gesetzt worden. Durch irgendeine Schriftstelle, durch eine Predigt, 
durch einen Traktat, durch ein Lied, durch ein Gebet oder durch 
ein Ereignis ist ihr Ohr geöffnet worden, um eine lebengebende 
Stimme zu vernehmen. Diese Stimme ist in ihr Herz gedrungen und hat es in der Tiefe erfaßt. Sie sind aufgeweckt, sie 
wissen nicht wie, — sie sind erwacht und wissen nicht warum. 
„Der Wind weht wo er will, und du hörst sein Sausen, aber 
du weißt nicht woher er kommt und wohin er geht; also ist 
jeder, der aus dem Geiste geboren ist" (Joh 3, 8). Das Leben 
ist da, und alles ist Wirklichkeit. Die neue Geburt hat stattgefunden; die neue Natur ist mitgeteilt worden. Wer das beobachtet und weiß, was das Leben ist, gewahrt die Bewegungen, Kämpfe, Anstrengungen und Wirkungen des Lebens; 
er erkennt aber auch, daß „die Grabtücher und das Schweißtuch" noch da sind. Ich glaube, daß es viele lebendiggemachte, 
wiedergeborene Seelen gibt, die sich in diesem Zustande befinden und die deshalb weder die mit ihrer Geburt verknüpften 
Vorrechte, noch die Quelle und den Zweck des ihnen mitgeteilten Lebens kennen. Sie sind lebendiggema.cht, aber noch 
nicht freigemacht worden. Dieselbe Stimme, die ausrief: „Lazarus, komm heraus"! muß noch die Worte hinzufügen: „Löset 
ihn auf und lasset ihn gehen"! 
Ein Beispiel aus dem Worte Gottes soll uns das näher erläutern. 
Der verlorene Sohn war lebendiggemacht, ehe er befreit wurde. 
Sein Entschluß „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater 
gehen" war die Äußerung des neuen Lebens, der Hauch der 
neuen Natur. Als er diese Worte sprach, war er voller Zweifel 
und Ungewißheit darüber, wie ihn der Vater empfangen würde. 
Die Gesetzlichkeit erfüllte sein Herz; seine Gedanken beschäftigten sich mit der Knechtschaft und keineswegs mit der Sohn197 
schaft. Das neue Leben war vorhanden; aber es war noch verbunden mit den Zweifeln und Befürchtungen seines Innern; die 
Lumpen seines früheren Zustandes bedeckten ihn noch. Er war 
aufgerüttelt worden durch eine lebengebende Stimme; aber 
er war noch nicht in Freiheit gesetzt. Die ihm verliehene neue 
Natur bewegte sich der Quelle entgegen, welcher sie ihren Ursprung verdankte; aber ihre Bewegungen waren gleichsam 
durch die Grabtücher gehemmt, und ihr Blick war durch das 
Schweiß tuch verdunkelt. 
Wäre es nicht absurd, den verlorenen Sohn in seinen Lumper 
belassen zu wollen, so daß er in seinen Zweifeln, in seinen 
Ängsten und in seiner Ungewißheit hätte verharren müssen? 
Hätte Lazarus etwa für den Rest seiner Tage seine Grabtücher 
und sein Schweißtuch tragen sollen, um zu beweisen, daß er 
ein lebendiger Mensch sei? Es wird uns gezeigt, daß die Umarmung des Vaters alle Befürchtungen des verlorenen Sohnes 
zerstreute; denn wie hätte er sich in den Armen der väterlichen 
Liebe noch fürchten können? War es nicht der Vater Selbst, der 
gebot, die Lumpen mit dem „vornehmsten Kleide" auszutauschen? Und was Lazarus betrifft, so muß nachdrücklich hervorgehoben werden, daß Dieselbe Stimme, Die ihn belebt und auferweckt hatte, auch gebot, ihn zu lösen und gehenzulassen. 
Verhält es sich nicht ebenso bei dem, der durch den Glauben an 
den Namen des Sohnes Gottes ein neues Leben empfangen hat? 
In der Tat, ein solcher wird nicht länger die Lumpen des „fernen Landes", die Zierden des Grabes zu tragen haben. Seine 
Hände und seine Füße werden gelöst, so daß er seinem Herrn 
und Heilande dienen und in den Pfaden Seiner Gebote wandeln kann. Sein Antlitz wird enthüllt, das Schweißtuch entfernt 
werden, so daß er seine Augen auf Den heften kann, Dessen 
mächtige Stimme ihn ins Leben gerufen hat. 
Erinnern wir uns stets daran, daß es dieselbe Stimme ist, die 
lebendig macht und befreit, die das Leben und die Freiheit gibt, 
die uns von der Herrschaft des Todes erlöst und in die 
Freiheit des Lebens hineinführt. Diese Erkenntnis ist nötig. 
Das Leben und die Freiheit sind miteinander verbunden, sie 
kommen aus derselben Quelle. Das Leben, welches der Gläubige besitzt, ist nicht das verbesserte Leben des alten Adam, 
198 
sondern das mitgeteilte Leben des neuen Adam, und die 
Freiheit, in welcher der Gläubige wandelt, ist nicht eine Freiheit 
für den alten Menschen, damit dieser seine schrecklichen Lüste 
befriedigt, sondern eine Freiheit für den neuen Menschen, 
damit er in die heiligen Fußtapfen Christi treten kann und mit 
Gott wandelt. Auf welchem Wege erlangt er nun dieses Leben 
und diese Freiheit? Durch das Wort Gottes, mittels des Glaubens in der Kraft des Heiligen Geistes. Dieselbe Stimme, die 
den Lazarus lebendig machte, gibt auch der Seele das Leben. 
Und wo läßt sich diese Stimme vernehmen? — In dem Worte 
der Wahrheit des Evangeliums. Wer an den Namen des Sohnes 
Gottes glaubt, hat das neue Leben empfangen. Welches Leben? 
— Das Auferstehungsleben Christi. Das einfache Wort des 
Evangeliums ist der Samen, der dieses neue Leben hervorbringt. 
Und was besagt das Evangelium, diese frohe Botschaft? — Daß 
Jesus Christus gestorben und wieder auferstanden, daß er ein 
Opfer für die Sünde geworden und gen Himmel aufgefahren 
ist. Er hat uns durch Sein Blut von unseren Sünden gereinigt, 
ist jedem Widersacher, jeder Forderung, jedem Bedürfnis begegnet, so daß die Gerechtigkeit befriedigt ist, unser Gewissen 
beruhigt und der Feind vernichtet ist. Dies gibt Leben und Freiheit — neues Leben und göttliche Freiheit. Es führt die Seele 
aus der alten Schöpfung und allem was dazu gehört, heraus 
und führt sie in die neue Schöpfung mit all ihren Vorrechten, 
Freuden und Herrlichkeiten ein. Der Tod Christi befreit den 
Gläubigen aus dem Zustand des alten Adam, in welchen er 
hineingeboren war, und die Auferstehung Christi führt ihn ein 
in den Zustand des neuen Adam durch die Wiedergeburt. 
Dies alles ist eine Frucht des Wortes Gottes — der Stimme 
Christi — der Wirkung des Heiligen Geistes. Menschliches Mitwirken ist dabei gänzlich ausgeschlossen. Der tote Körper des 
Lazarus wurde durch die mächtige Stimme Christi belebt. Das 
eine ist von dem Menschen so unabhängig wie das andere. Die 
lebendigmachende Kraft sowohl für den Leib als auch für die 
Seele liegt in der „Stimme des Sohnes Gottes" (siehe Joh 5, 25; 
vgl. mit den Versen 28. 29). Das schließt jeden Ruhm des Menschen aus und erkennt ihn, wie es sich geziemt, allein dem 
Sohne Gottes zu. Ja, Ihm gebührt alle Ehre, gelobt sei Sein 
Name in alle Ewigkeit! 
199 
Daß doch diese Wahrheit tief in die Herzen solcher Leser eindringen möge, die über ihre Stellung in Christo noch nicht die 
notwendige Klarheit haben. Denn gerade solchen Seelen, die 
zwar lebendiggemacht, aber noch nicht befreit sind, gelten 
diese Ausführungen. Es gibt viele, die sich im Zustande des 
verlorenen Sohnes befinden, als er sich auf dem Wege zum 
Vaterhause, aber noch nicht in den Armen des Vaters befand. 
Ich wünsche von Herzen, daß sie zur vollen Freiheit gelangen 
möchten, zu dem klaren Bewußtsein, daß das ganze Werk 
vollendet, das Opfer vollbracht, das Lösegeld bezahlt ist. Sie 
haben keinen Schritt zu gehen, kein Werk zu tun, um Frieden 
zu schaffen; denn Christus hat Frieden gemacht. Gott ist völlig 
zufriedengestellt. Der Heilige Geist bezeugt es. Das Wort Gottes gibt die eindeutigen Aufschlüsse darüber. Wo gibt es da 
noch Grund für irgendeinen Zweifel? In dir selbst, mein Leser, 
nicht wahr? Aber, mein teurer Freund, vergiß nicht, daß du 
nichts mehr zu tun hast in einer Sache, die bereits für dich in 
Ordnung gebracht ist. All dein eigenes Wirken zur Erlangung 
einer Gerechtigkeit, die du bei dir suchst, ist eitel und unnütz; 
aber, „dem, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den 
Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Röm 4, 5). Wenn du etwas tun müßtest, um die 
Gerechtigkeit zu erlangen, so würde diese Schriftstelle eine 
Lüge enthalten. Aber nicht in deiner, sondern in Gottes Hand 
liegt dein Heil. Er will dein Wirken nicht; du stehst Ihm damit 
nur im Wege. Er duldet nicht, daß du das Gewicht einer Feder 
an menschlichem Wirken in die Waagschale legst, um das 
Opfer Christi für dich annehmbar zu machen. Du wirkst aus 
dir selbst nichts als Sünde und bringst dem Tode Frucht; aber 
Christus hat für deine gegenwärtige, persönliche und ewige 
Errettung alles getan. Er gibt das Leben und Er löst die Banden 
der Knechtschaft. Alles ist Sein Werk! 
Möge der Herr, der Geist, noch viele Seelen, die zwar vom 
Tode zum Leben gelangt sind, aber sich noch gebunden und in 
ihren Bewegungen gehemmt fühlen, mit der köstlichen Wahrheit einer völligen Befreiung bekanntmachen! Mögen alle, die 
auf Seinen mächtigen Ruf das Grab der Sünde verlassen haben, 
auch die alles durchdringenden Worte hören und verstehen: 
„Löset ihn auf und lasset ihn gehen"! 
200 
Die Errettung 
Man kann gegenüber der Neigung solcher Menschen, die, in 
ihren Gewissen beunruhigt, durch eigene Anstrengung Rettung 
und Frieden suchen, nicht oft genug wiederholen, daß die Bibel 
das Heil des Sünders nirgendwo von menschlichem Tun, sondern ganz allein von dem abhängig macht, was der Herr getan 
hat. Wie der Prophet Jona sich nicht selbst aus dem Bauch des 
Fisches befreien konnte, sondern ausrufen mußte: „Bei Jehova 
ist Rettung'', ebenso kann auch der Sünder nichts zu seiner 
Befreiung aus der Tiefe des Verderbens beitragen. Er ist von 
Natur, „ein Kind des Zorns" und offenbart sich in seinem 
Wandel als ein Sklave Satans und wenn er je etwas 
anderes, etwas Besseres ist, so nur deshalb, weil Gott etwa:; 
für ihn wirkt oder gewirkt hat. Und was hat Gott getan? „Also 
hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn 
gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in 
die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt 
durch ihn errettet werde" (Joh 3, 16—17). Gerade jene Kinder 
des Zorns sollen Rettung finden, nicht etwa erst, wenn sie 
wollen; denn der Mensch kann kein Verlangen nach Rettung 
haben, bevor Gott dieses Verlangen in ihm gewirkt hat. Er 
zweifelt erst dann an seiner Seligkeit, wenn er von der Tatsache 
seines Verlorenseins überzeugt ist, und diese Überzeugung vermittelt ihm weder seine eigene Natur noch der Teufel, unter 
dessen Macht er steht. Der Mensch empfindet erst dann göttliche Traurigkeit über die Sünde, wenn er lebendiggemacht ist. 
„Der Sohn macht lebendig, welche er will" (Joh 5, 21). „Gott 
aber hat uns, als auch wir in den Vergehungen tot waren, mit 
dem Christus lebendig gemacht" (Eph 2, 4. 5). Was kann ein 
toter Mensch tun? Gott ist es, Der von Anfang bis zu Ende 
„beides in uns wirkt, das Wollen und das Wirken nach seinem 
Wohlgefallen". — „Stehet fest und sehet die Rettung Jehovas", 
ruft Moses den fliehenden Kindern Israels zu, die in ihrer Ohnmacht gezwungen waren, Gott allein die Ehre zu geben. Der 
Mensch zeigt, solange er nicht von seiner Ohnmacht überzeugt 
ist, stets die Neigung, bei seiner Rettung die Hand mit ans 
201 
Werk zu legen; und nichts ist schwerer und demütigender für 
ihn, als mit gottgemäßer Überzeugung seinen Ruin und seine 
völlige Hilfslosigkeit zu bekennen. Und doch wird gerade dadurch die Gnade Gottes so klar bezeugt und verherrlicht. 
Nichts hat wohl die christliche Lehre mehr entstellt, als der 
von vielen angenommene Lehrsatz, daß man aus der Gnade 
fallen könne. Wenn allerdings ein Mensch kraft seines eigenen 
Willens ein Kind Gottes werden könnte, so könnte er auch im 
nächsten Augenblick kraft desselben Willens wieder ein Sklave 
Satans werden. Aber ebensowenig wie ein Mensch durch die 
Wirkung seines eigenen Willens ein Kind Gottes werden kann, 
so kann auch kein Mensch das Verhältnis aufheben, welches 
Gott Selbst gegründet und aufgerichtet hat. „Niemand kennt 
den Vater, als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn ihn 
offenbaren will". „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, 
daß der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe". „Niemand 
kommt zum Vater, als nur durch mich". „Welche nicht aus 
Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem 
Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind". „Was aus 
dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste 
geboren ist, ist Geist". „Gepriesen sei der Gott und Vater 
unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat" (Mt 11, 27; Joh 6, 44; 14, 6; 
1, 13; 3, 6; 1. Petr l, 3). 
Ist ein Kind geboren, weil es seine Geburt für gut fand und 
sich daher entschloß, geboren zu werden? War seine Geburt die 
Folge seines eigenen Willens? Jeder weiß die Antwort. Blicken 
wir uns daher um, damit wir erkennen, was Gott getan hat, 
um uns zu Seinen Kindern zu machen. „Größere Liebe hat 
niemand als diese, daß jemand sein Leben läßt für seine Freunde" 
(Joh 15, 13). „Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur 
bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. Denn kaum wird 
jemand für einen Gerechten sterben; denn für den Gütigen 
möchte vielleicht jemand zu sterben wagen. Gott aber erweist 
Seine Liebe gegen uns darin, daß Christus, da wir noch Sünder 
waren, für uns gestorben ist. Vielmehr nun, da wir jetzt durch 
sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn gerettet 
werden vom Zorn. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit 
202 
Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr 
werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet 
werden" (Röm 5, 6—10). 
Gepriesen sei Gott! Wenn die Liebe Gottes, als ich noch ein 
Feind, ein Sünder, ein Gottloser war, für meine Rechtfertigung 
und Versöhnung ein so sicheres Unterpfand gegeben hat, wievielmehr wird dann diese Liebe jetzt für mich, Sein Kind, eintreten, um mich für die Herrlichkeit zu bewahren. Leider werden viele Stellen der Schrift oft fälschlich auf Gläubige angewandt, obgleich sie sich, wie eine sorgfältige Prüfung deutlich 
zeigt, sich auf eine Klasse von bloßen Bekennern beziehen, die 
nie durch die lebendigmachende und erneuernde Gnade Kinder 
Gottes waren. Die stärksten Ausdrücke nach dieser Richtung 
hin finden wir inHebrö, 4—6. Wenn wir diese Ausdrücke mit anderen Schriftstellen vergleichen, entdecken wir, daß unter denen, 
die„einmal erleuchtet waren und geschmeckt haben die himmlische 
Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes" nicht 
solche zu verstehen sind, die Leben aus Gott, himmlische Gaben 
zu ihrer Nahrung und den Heiligen Geist, wohnend in ihnen 
als Seinen Tempeln, empfangen haben. Für Seine Kinder wählt 
Gott ganz andere Ausdrücke. Sie sind erwählt, berufen, lebendiggemacht, gerechtfertigt, versöhnt, angenehm gemacht, zur 
Kindschaft verordnet und in Christo vollendet. Schließlich 
findet man im 7. Vers eine Erläuterung und im achten und 
neunten Vers einen klaren Aufschluß über die wahre Bedeutung jener Stelle, daß sie nämlich eine Klasse von Menschen 
bezeichnet, die nie gerettet waren. — Auch die Stelle in Gal 5 
Vers 4: „Ihr seid aus der Gnade gefallen", berührt in keiner 
Weise die Frage der Errettung; denn die Galater waren in Gefahr, sich von der im Evangelium verkündigten Gnade abzuwenden und zum Judentum oder zum Gesetz zurückzukehren. 
— Ebenso werden die Worte in Phil 2, 12: „Bewirket eure 
eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern", oft ganz falsch angewendet und ihrer wahren Bedeutung entkleidet. Lesen wir 
den ganzen Vers: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirket 
eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern". Unmöglich würde 
der Apostel solche, die noch nicht gerettet und mithin noch 
203 
Feinde Gottes waren, als „meine Geliebten" angeredet haben. 
Er wendet sich vielmehr an Gläubige, die sich ihrer Rettung 
bewußt sind, und an sie ergeht die Aufforderung, ihre eigene 
Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken, d. h. sich mit 
äußerster Wachsamkeit von den drei großen Feinden ihrer 
Seele fernzuhalten: von der Welt, dem Fleische und dem Teufel. 
Wie aber sollte das geschehen? Die Worte: „Denn Gott ist es, 
der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken nach 
seinem Wohlgefallen", geben uns darüber völligen Aufschluß. 
Das Vermögen, uns von unseren Feinden fernzuhalten, liegt 
nicht in uns selbst, sondern wir fliehen zu Gott, Der den Willen 
und die Kraft darreicht, dem Teufel zu widerstehen, das Böse 
zu überwinden und uns in der Hoffnung der Herrlichkeit zu 
erfreuen. Die ganze Idee des freien Willens findet also im 
Wort der Wahrheit keine Stütze. 
Aus den verkehrten Anschauungen über das Wort Gottes, sowie 
überhaupt aus den Gedanken des Menschen über Gott und 
über sich selbst entspringen die größten Irrtümer. Wenn sich 
ein Mensch den Gedanken, die Gott über ihn hat, unterwirft, 
erkennt er bald, daß er nicht die Wahl hat, frei über sich selbst 
zu bestimmen; denn er ist schon gerichtet. Welche Macht oder 
Freiheit, sich selbst zu retten, besitzt ein Gefangener, der bereits verurteilt ist und dem Tage seiner Hinrichtung entgegensieht? — Aber ein Kind Gottes ist sich seiner Freiheit bewußt 
und wandelt in diesem Bewußtsein; denn „wen der Sohn frei 
macht, der ist wirklich frei". Zum Verständnis soll folgendes 
Beispiel beitragen: ein Mann von großem Vermögen nimmt 
einen armen Knaben, der weder Vater noch Mutter, noch sonst 
einen Versorger hat, in sein Haus auf und sagt ihm: „Höre, 
mein Junge, wenn du zu mir kommen und dich 15 Jahre lang 
gut führen willst, so werde ich dich zu meinem Universalerben 
einsetzen". Was für eine Einstellung wird den Knaben leiten? 
Seine Haltung während der ganzen 15 Jahre wird von Knechtschaft und Furcht geprägt werden. Um seinem Herrn nicht zu 
mißfallen, oder gar von ihm entlassen zu werden, wird er es 
nicht wagen, dieses zu tun und jenes zu unterlassen. So verfährt die herrschende Theologie unserer Tage; sie führt die 
Menschen durch die Furcht vor der Hölle in die Knechtschaft. 
Da heißt es stets: „Wenn du dies oder das tust — wenn du 
204 
dich sauber und rein hältst, wirst du selig werden, andernfalls 
ist die Verdammnis dein unausbleibliches Los". 
Aber Gott stellt uns in Seinem Evangelium auf einen ganz 
anderen Boden. Er sagt: „Höre, mein Sohn, ich erwähle dich 
zu meinem Kinde und Erben. Komm nun und betrage dich, wie 
es eines Kindes würdig ist". — Welch ein Unterschied! Während jener vermögende Mann die Erbschaft von der Führung 
des Knaben abhängig macht, tritt hier der Berufene sofort und 
ohne Vorbehalt in die Freiheit eines Sohnes und Erben ein. Er 
ist „wirklich frei". Er kann sagen: „Dies alles ist mein, und 
es ist nur eine Zeitfrage, wann ich in den vollen Besitz dieser 
Dinge kommen werde". Er kann den Willen seines Vaters mit 
fröhlichem Herzen und heiterem Gemüt erfüllen, weil er weiß, 
daß sein Erbteil gesichert ist. Der Herr sei dafür gepriesen! 
Unser Erbteil ist sicher und wird für uns im Himmel aufbewahrt. Bemerkst du nicht den großen Unterschied zwischen 
jenem Knaben, der, wenn er treu ist, auf das Erbteil hoffen 
darf, aber weil eben alles von seiner Treue abhängt, dessen nie 
völlig sicher ist, und dem bereits angenommenen Sohne, der, 
weil er sich seiner Sohnschaft bewußt ist, im Gefühl völliger 
Freiheit wandeln kann? Es handelt sich also nicht um meine 
Treue und Standhaftigkeit, sondern um das, was Gott getan 
hat und tut. Denn in mir selbst bin ich total verderbt und 
habe von Natur durchaus keine Kraft in mir, das Gute zu tun. 
„Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts 
Gutes wohnt". — „Ich bin mit Christo gekreuzigt, und nicht 
mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt 
lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn 
Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben 
hat" (Gal 2, 20). Verherrlicht sei Sein teurer Name! 
Jetzt nun, — als ein neuer Mensch, als ein angenommener 
Sohn — bewirke ich meine Seligkeit mit Furcht und Zittern. 
Das, was dieses Zittern hervorbringt, ist nicht etwa die Furcht 
davor, schließlich verlorenzugehen, sondern es ist das Gefühl 
meiner Schwachheit gegenüber den feindlichen Mächten, gegen 
welche ich zu kämpfen habe, und zwar in dem Bewußtsein, 
daß Gott es ist, welcher in Gnade mit mir handelt, um mich — 
das einstige Kind des Zornes — in Seine Herrlichkeit zu bringen. 
205 
O wie wunderbar groß ist die Güte und Gnade Gottes! „Wie 
unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine 
Wege"! Merken wir uns den großen Unterschied! Ich wirke, 
weil ich gerettet bin und nicht, weil ich auf der Grundlage eines 
treuen Wandels gerettet zu werden hoffe, denn das würde mein 
Werk dahin stellen, wo das Werk Gottes allein stehen kann. 
Handelt es sich um mein Wirken, dann bin ich selbst im besten 
Falle ein „unnützer Knecht". Daher wie lieblich ist es, den 
Herrn sagen zu hören: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, 
denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe 
euch Freunde genannt". „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr 
tut, was irgend ich euch gebiete". Wenn wir also nicht tun, was 
Er gebietet, so beweisen wir, daß wir nicht Seine Freunde sind. 
Wir sind nicht Seine Freunde, weil wir Seine Gebote halten, 
sondern wir halten Seine Gebote, weil wir Seine Freunde sind. 
Mit demselben Gesichtspunkt befaßt sich auch Jakobus. Im 
zweiten Kapitel seines Briefes finden wir eine Klasse von Menschen, die nach ihrem Bekenntnis Anspruch darauf erheben, 
gerettet und mithin Freunde Christi zu sein, während ihr ganzes Verhalten dieses Bekenntnis Lügen straft. Sie handelten 
nicht als Freunde; sie wandelten nicht als erlöste Menschen. 
Obwohl sie sehr religiös gewesen sein mögen, wie es auch in 
unseren Tagen viele sind, fehlte die natürliche Frucht der Annahme. Darum ergeht die Ermahnung an sie: „Also redet und 
also tut, als die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden 
sollen" (V. 12). — „Zeige mir deinen Glauben ohne Werke und 
ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen" 
(V. 18). Euer Mund mag den Glauben bekennen, aber eure 
Werke leugnen ihn; ich aber bekenne den Glauben, und meine 
Werke bestätigen ihn. Ihr bekennt euren Glauben ohne einen 
dazu passenden Wandel, während ich euch meinen Glauben 
aus meinen Werken zeige. Ich habe nicht Glauben, weil ich 
Werke habe, sondern ich habe Werke, weil ich Glauben habe. 
— Geliebte Brüder, merkt ihr diesen Unterschied? Der Glaube 
ist nicht die Frucht der Werke, sondern die Werke sind die 
Früchte des Glaubens. Wir wirken nicht, um gerettet zu werden, 
sondern wir sind gerettet und darum wirken wir. Möge daher 
unser Glaube aus der Stellung kommen, die Gott uns aus 
Gnaden angewiesen hat, und möge all unser Wirken es bezeu206 
das Gericht ausgeübt worden ist. Er hat mich verurteilt, gerichtet und gekreuzigt. In bezug auf die „Sünde im Fleisch" ist 
für den Gläubigen im Kreuze Christi vor Gott ein völliger Abschluß gemacht worden. Der Glaubende kann sagen: „Ich bin 
mit Christo gekreuzigt" (Gal 2, 20). Bevor er dieses erkennt, 
wird er unaufhörlich bemüht sein, das Fleisch zu veredeln und 
zu verbessern; aber das ist unmöglich. Je ernster und aufrichtiger seine Anstrengungen sind, desto klarer wird sich sein 
Elend herausstellen. „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten 
von diesem Leibe des Todes" (Röm j , 24)? — das wird das 
Ergebnis seines Ringens und, unter der Leitung der Barmherzigkeit des Herrn der Notschrei seiner Seele sein. Allein bevor 
ich erkenne, daß der alte Mensch im Gericht des Kreuzes vor 
Gott beseitigt ist, daß ich mich, hervorgegangen aus diesem. 
Gericht, nunmehr in dem zweiten Adam, Christus, befinde und 
daß das Fleisch zwar in mir ist, ich aber nicht mehr im Fleische 
bin — wird mein Ich und nicht Christus der Gegenstand meiner 
Betrachtung sein. 
Die Art und Weise, wie Gott uns von allem befreit hat, was 
sich sonst zwischen uns und Christum stellen würde, gibt 
unseren Neigungen volle Freimütigkeit, Ihm — Christus— nachzufolgen. Christus ist all meinen Bedürfnissen völlig begegnet, 
so daß ich jetzt damit beschäftigt sein kann, Ihn zu betrachten, 
Der den Bedürfnissen begegnet ist. Er hat uns geliebt und Sich 
Selbst für uns hingegeben, und jetzt rechnet Er darauf, daß 
unsere Herzen Ihm gewidmet seien. 
Hören wir Seine Worte nach Joh 14: „Euer Herz werde nicht 
bestürzt, sei auch nicht furchtsam . . . Ich gehe hin und ich 
komme zu euch" (V. 27. 28). O Geliebte! Hat Seine Abwesenheit uns je eine Träne gekostet? Nur in dem Maße, wie wir 
die Trauer Seiner Abwesenheit fühlen, vermögen wir Seine 
Anordnungen zu würdigen, die Er zu unserem Tröste getroffen 
hat, während Er hingegangen ist, um uns das Haus des Vaters 
zu öffnen. Aus Seinem Munde vernehmen wir dann die Verheißung Seiner baldigen Wiederkunft, und erfreuen uns auch 
der Gabe des Heiligen Geistes, Der uns in den wunderbaren 
Kreis göttlicher Vertraulichkeit gezogen hat, so daß wir unseren 
Herrn in einem Grade kennenlernen können, wie wir Ihn auf 
Erden niemals erkannt haben würden. 
175 
In diesem Sinne haben wir auch Sein Abendmahl (1. Kor ix, 
23—26) zu betrachten. Lauschen wir auf jene Stimme, die sich 
aus der Herrlichkeit an Paulus wendet und uns zu erkennen 
gibt, was wir selbst dort für Ihn sind. Es muß Ihn sehr betrüben, Sich von denen vergessen zu sehen, welche Er auf 
Erden bis ans Ende liebt. Wir müssen in Wahrheit bekennen, 
daß unsere Herzen wertlos sind; dennoch trägt Jesus Sorge für 
sie. Er ist gestorben, um sie für Sich zu haben, und Er rechnet 
jetzt auf unser Gedenken an Ihn, indem Er Seiner Gemeinschaft 
mit uns in der innigsten Weise Ausdruck gibt. Unser Teilhaben am Abendmahl des Herrn kann nur darin bestehen, daß 
wir dadurch ausdrücken, wie sehr wir Ihn lieben und wie sehr 
wir Ihn vermissen in einer Welt, die Ihn verworfen hat. Er 
Selbst legt ihm die gleiche Bedeutung bei. „So oft ihr dieses 
Brot esset und den Kelch trinket, verkündigt ihr den Tod des 
Herrn, bis er kommt" (V. 26). Wir erblicken hier sozusagen 
die Gewänder der trauernden Kirche an einer Stätte, die durch 
das Kreuz und das Grab des Herrn gekennzeichnet und durch 
den Tod Christi öde geworden ist; ihr Herz findet hier keine 
Ruhe. Wir erblicken Christum durch Glauben in der Herrlichkeit und haben dort in Gemeinschaft mit Ihm unsere Ruhe 
gefunden; aber das läßt uns Seine Verwerfung auf der Erde 
und das Kreuz— „durch welches mir die Welt gekreuzigt ist und 
ich der Welt" —nur um so schärfer fühlen. „Hinweg mit diesem! 
Kreuzige, kreuzige ihn!" schallt es in unsere Ohren. Es ist 
das Gericht der Welt; und jedes Band, das uns mit ihr verknüpfte, ist durchbrochen. Hinfort charakterisiert das Kreuz — 
der Tod Christi — den, der Ihn liebt. Wir wenden unsere Herzen ab von dem verderbten Ort, wir entfernen uns im Geiste so 
weit wie nur möglich davon, indem wir nach einem vollkommenen Einssein mit Ihm in Seiner Verwerfung suchen, als dem 
besten und herrlichsten Teil, den Er uns in einer solchen Welt 
geben konnte. Dies ist nicht das Vorrecht eines geförderten 
Christen, sondern das, was Christus von jedem Herzen erwartet, welches Ihn kennt. 
Wohlan — Er hat die Stätte der Sünde und des Verderbens verlassen, und die geöffneten Himmel zeigen uns Ihn, Dem die 
Erde einen Platz verweigert hat, als den Menschen, der bis zur 
höchsten Höhe himmlischer Herrlichkeit erhoben ist. Er hat 
176 
Gott bezüglich jeder Frage der Sünde auf Erden verherrlicht 
und konnte uns deshalb einen Platz in Seiner unmittelbaren 
Nähe geben. Wiewohl wir noch eine kleine Zeit die Stätte 
Seiner Verwerfung durchschreiten, sind wir doch nicht trostlos 
in der Wüste zurückgelassen. Dies führt uns zum zweiten 
Kennzeichen des christlichen Pfades auf Erden. Und wenn wir 
bisher gefragt haben, welche Wirkung die Abwesenheit Christi 
auf unsere Herzen ausübt, so fragen wir jetzt: „Wie empfinden 
wir die Gegenwart des Heiligen Geistes, dieses anderen Sachwalters?" Es geht hier nicht um das Werk des Heiligen Geistes 
in erneuerten Seelen, sondern um die Gegenwart einer göttlichen 
Person hienieden, von welcher Jesus sagt: „Den die Welt nicht 
empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht, noch ihn kennt. Ihr 
aber kennet ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein" 
(Joh 14, 17). Dies konnte nur nach der Verherrlichung des 
Sohnes des Menschen zur Rechten Gottes stattfinden; denn 
vor Seiner Himmelfahrt konnte nur gesagt werden: „Der Geist 
war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden 
war" (Joh 7, 39), und die Anwesenheit des Heiligen Geistes in 
der Welt ist seitdem das Zeugnis jener Verherrlichung. 
Von welch großer Tragweite ist diese Wahrheit im Blick auf 
unseren Pfad, Geliebte! Der Herr hat sogar gesagt: „Es ist 
euch nützlich, daß ich weggehe, denn wenn ich nicht weggehe, 
wird der Sachwalter nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden" (Joh 16, 7). Dennoch weiß 
— und wie traurig stimmt dies — der größte Teil der Christen 
nicht, daß der Heilige Geist auf der Erde da ist. Tausende von 
ernsten Leuten flehen um Sein Kommen, als ob der Herr mehr 
als achtzehnhundert Jahre hindurch Seine Verheißung vergessen, oder Ihn wieder weggenommen habe, im vollen Widerspruch zu Seinem Wort: „Er wird bei euch bleiben in Ewigkeit". 
Geliebte! Was empfinden wir im Hinblick auf die Gegenwart 
Gottes des Heiligen Geistes, Der uns mit Christo verbindet, 
und Der — in Übereinstimmung mit den Worten: „An jenem 
Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und 
ihr in mir, und ich in euch" — die Stätte der Herrlichkeit zu 
unserem trauten Daheim macht, nachdem das Kreuz die Erde 
für uns zu einer Einöde gemacht hat? Was fühlen wir im Blick 
auf Ihn, der Sich unser ganzes Interesse — unsere Freude und 
177 
Trauer — zu eigen macht, indem Er einerseits innige Gefühle 
des Herzens weckt und die Kraft der Stimme des Lobes ist, 
und andererseits Sich unserer Schwachheit annimmt und für 
uns in unaussprechlichen Seufzern bittet? Wie schätzen wir Ihn, 
Der, nachdem Er uns mit Christo in der Herrlichkeit vereinigt 
hat, uns das Siegel Gottes aufdrückt und unsere Leiber auf 
Erden zu Seinem Tempel macht? Ihn, dessen Erstlinge wir 
haben und darum, indem wir die Wüste durchschreiten, „in uns 
selbst seufzen, erwartend die Sohnschaft, die Erlösung unseres 
Leibes"? — Ihn, der Macht des Lebens aus Gott, das in Ihm zu 
seiner Quelle und Höhe emporsteigt und in uns zu einer Quelle 
Wassers wird, das in das ewige Leben quillt? 
O Geliebte! Laßt uns nicht vergessen, es ist Wirklichkeit, daß 
der Heilige Geist auf die Erde herniedergekommen ist und in 
uns wohnt! Er brachte uns die herrlichsten Nachrichten von 
unserem zum Himmel aufgefahrenen Herrn, der unsere Herzen 
für Sich gewonnen hat. Jetzt empfängt Er die Dinge Christi und 
verkündet sie uns, um uns mit jedem Augenblick noch fester 
an Ihn zu fesseln. Er ist nicht gekommen, um Christum aus 
unseren Herzen zu verdrängen oder uns einen anderen zu empfehlen, sondern um uns mit dem Einen, den wir besitzen, auf 
das Innigste zu vereinigen. Wollen wir auf einem Platz verharren, von dem der Heilige Geist uns abruft, damit wir bei 
Jesu weilen? Rebekka war augenblicklich bereit, das Vaterhaus 
zu verlassen, um sich zu Isaak führen zu lassen; wenn wir 
ihr gleichen, so werden wir uns durch keine Macht auch nur 
einen Moment an einer Stätte aufhalten lassen, an der unser 
Bräutigam nicht zu finden ist. Wir werden zu Ihm eilen, den 
wir lieben, wiewohl wir Ihn nicht sehen und obgleich die Wüste 
noch zwischen uns liegt. Auf dem Wege — mag er lang oder 
kurz sein — wird der Heilige Geist unser Begleiter sein und 
uns, wenn wir Ihn nicht hindern, ohne Unterbrechung mit 
Christo beschäftigen. 
Ach, wie oft verlieren wir dieses aus dem Auge! Aller Troät 
während der Abwesenheit Jesu fließt für uns aus der Gegenwart des Heiligen Geistes. Wie oft aber betrüben wir Ihn und 
berauben uns dadurch des Genusses der reichen Anordnungen 
der Liebe unseres Herrn. Nur zu oft wird das an uns gerichtete 
178 
Zeugnis Christi durch das zugelassene Wirken unseres Fleisches 
verhindert; der Heilige Geist ist dann gezwungen, den erwachten Neigungen entgegenzutreten, wodurch Tage und Wochen 
unwiderbringlich verlorengehen. O Geliebte! Möchte doch 
unser Auge auf Christum gerichtet und unser Ohr nur für 
Seine Stimme geöffnet sein! Möchten doch unsere äußeren 
Wege Ihn offenbaren und die Bewegungen des Herzens durch 
Sein Wort gebildet sein, damit wir den in uns wohnenden Geist 
nicht so leichtfertig betrüben und wir die ganze Kraft unseres 
gegenwärtigen Segens verlieren! 
Neben der persönlichen Segnung, welche aus der Gegenwart 
und Wirkung des Heiligen Geistes hervorgeht, richtet sich der 
Blick aber auch auf das „Haus Gottes", „in welchem auch ihr 
mit aufgebaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geiste" 
(Eph 2, 22). Insoweit der Mensch zum Bau beauftragt war (vgl. 
1. Kor 3), hat er in erschreckender Weise versagt und alle 
Arten der Verderbnis zugelassen; aber Gott harrt darin in 
Langmut durch Seinen Geist auf Erden, wenngleich ein Mensch 
sich von allem reinigen muß, was Seiner Gegenwart nicht geziemt und Seine Freude trübt. Doch — Gott sei gepriesen! — 
inmitten des äußeren Bekenntnisses und außerhalb des Bereichs 
der verderbenden Hand des Menschen zeigt sich etwas überaus 
Kostbares, und das ist der durch den Heiligen Geist gebildete 
Leib Christi. „Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem 
Leibe getauft . . . und sind alle mit einem Geiste getränkt 
worden" (1. Kor 12, 13). Das ist das Band, das alle 
Heiligen auf der Erde mit ihrem Haupte im Himmel und 
untereinander verbindet, und zwar trotz allem, wodurch Satan 
sie scheinbar für eine kleine Zeit getrennt hat. Aber, Geliebte, 
ist dieses Band nur vorhanden, als unser Vorrecht und zu 
unserer Freude? Eine solche Wahrheit hat sicher ihre praktische Verantwortlichkeit und der Apostel Paulus erinnert uns 
hieran ernstlich: „Euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu 
bewahren in dem Bande des Friedens" (Eph 4, 1—3). Inwieweit 
erkennen wir diese Verantwortlichkeit und demütigen uns 
durch die Gnade mit allem, was wir sind und haben wegen des 
mangelnden Fleißes? Auch abgesehen von denen, die in den 
verschiedenen Benennungen und Parteien diese Wahrheit verleugnen sind es wenige, die Herz und Mut haben, einen solchen 
179 
Pfad zu wandeln; aber alle, welche dieser Wahrheit folgen, 
erfahren die Kraft der Worte des Herrn: „Denn wo zwei oder 
drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer 
Mitte" (Mt 18, 20). Und was bedürfen wir zu unserer Freude 
mehr bis zu dem Augenblick, wo wir Ihn von Angesicht zu 
Angesicht sehen werden? Im übrigen hat Er uns auch während 
Seiner Abwesenheit nicht ohne die nötigen Gaben zu unserer 
Auferbauung gelassen. Mögen auch die Gaben der Sprachen 
und Wunder — diese Offenbarungen des Heiligen Geistes 
gegenüber den Ungläubigen — nicht mehr vorhanden sein, so 
ist doch das Kostbarste und Notwendige für die Heiligen geblieben; denn der Geist ist noch immer hier, „. . . . einem 
jeden insbesondere austeilend, wie er will" (1. Kor 12, 11). 
Und wiederum frage ich: erkennen wir das alles an oder begnügen wir uns noch mit dem, was der Mensch an den Platz 
des Heiligen Geistes gestellt hat? Mit dieser Frage schließe ich 
die Betrachtung über einen Gegenstand ab, der für unseren 
Wandel als Christen von so außerordentlicher Tragweite ist, 
um noch einige Augenblicke bei einer Wahrheit zu verweilen, 
auf die wir unsere Herzen stets in Hoffnung und Erwartung 
richten sollten — es ist die Wiederkunft unseres Herrn Jesus. 
Diese Hoffnung steht, wie bereits bemerkt, in Verbindung mit 
der Wirkung, die sowohl die Abwesenheit des Herrn, als auch 
die Gegenwart des Geistes Gottes auf uns ausüben. In dem 
Maße, wie wir den Herrn vermissen, werden wir uns nach 
Seiner Ankunft sehnen, und der Heilige Geist ist, indem Er 
uns Ihn offenbart, stets bemüht, uns auf dem Pfade Seiner 
Verwerfung fühlen zu lassen, wie sehr wir Seiner bedürfen, 
und überdies in uns das Bewußtsein unserer Verbindung mit 
Ihm — als Sein Leib, Seine Braut — zu beleben und die entsprechenden Zuneigungen zu Ihm in uns hervorzurufen. Hat 
nicht Christus Seine Braut geliebt und Sich Selbst für sie hingegeben? Ist sie nicht Gegenstand der Wonne Seines Herzens, 
wiewohl Er abwesend sein muß? Hat Er nicht das Königreich 
und den Besitz aller Dinge im Himmel und auf Erden zurückgewiesen, um ihr Herz zu besitzen? Hat Er sie nicht berufen, 
jetzt die Pfade Seiner Verwerfung zu betreten, nachher aber 
Seinen Thron, Seine Krone, Sein Königreich mit Ihm zu teilen? 
Wohnt nicht der Heilige Geist in unseren Herzen, um uns in 
Kraft fühlen zu lassen, daß wir Ihm wertvoll und teuer sind, 
180 
teurer, als Worte es auszudrücken, vermögen? Und da sollte 
uns Seine Abwesenheit gleichgültig sein? O Geliebte! „Der 
Geist und die Braut sagen: komm!" Während Er wartet, betet 
Er, daß unsere Herzen zu Seinem Ausharren geleitet werden. 
Aber das Buch Gottes schließt mit der Verheißung: „Ja, ich 
komme bald". Wie lieblich klingen diese letzten Worte in 
unseren Ohren, mit welchem Wohlgefühl dringen sie in unsere 
Herzen, und mit welcher Kraft beleben sie uns, während wir 
auf Ihn warten! O möchte doch unser Verlangen lebendiger, 
möchte unsere Antwort jene gesegneten Worte sein, die Er 
Selbst auf unsere Lippen legt: „Amen, komm, Herr Jesus"! 
Vermissen wir Ihn auf der Erde? Er rechnet darauf. Er hat 
gesagt: „Ich komme wieder und will euch zu mir nehmen, auf 
daß, wo ich bin, auch ihr seid". Er vermißt uns im Himmel. 
Aber es wird nicht so bleiben; denn wir haben Sein Wort, dem 
niemand zu widersprechen wagen wird, und dieses Wort heißt: 
„Vater, ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei 
mir seien, wo ich bin". Trieb Ihn die Barmherzigkeit, uns zu 
erretten, so drängt Ihn die Liebe, uns jetzt für Sich und für 
immer bei Sich zu haben. Er trägt Sorge dafür, uns in Seine 
unmittelbare Nähe zu bringen. Wer vermag das zu fassen nach 
all' der Treulosigkeit und Arglist unserer Herzen, nach dem 
beständigen Abfallen und Verleugnen Seiner Person! Wenn 
wir doch an Seine Liebe glauben und den Platz erkennen wollten, den Er uns in Seinem Herzen angewiesen hat, so würden 
wir sicher die rechte Antwort finden; denn hier ist die Quelle 
und die Kraft der Hoffnung auf Seine baldige Ankunft. Und 
wie gesegnet ist diese Hoffnung. Sie zieht unser Herz weg von 
der Erde, von ihren Dingen, Sorgen und Erwartungen, und 
erhebt unsere Blicke zu Ihm, dem Kommenden. Möchte Er stets 
vor unseren Augen sein als die einzige Hoffnung, die wir 
haben; dann würden wir diese Wahrheit nicht nur als Lehre 
kennen, sondern auch „den Menschen gleichen, die auf ihren 
Herrn warten". 
Wir würden dann unsere Hände nicht in den Schoß legen, 
sondern in Seinem Werke tätig sein, ja wir würden unsere 
Erquickung während Seiner Abwesenheit geradezu darin finden, daß wir durch eine solche Tätigkeit unserer Liebe zu Ihm 
181 
Ausdruck geben können. Wie köstlich für den Herrn, jemanden 
auf der Erde in dieser Weise tätig zu sehen! Er blickt aus der 
Herrlichkeit auf solche, die Ihn lieben, und Er kommt und 
offenbart Sich ihnen. Hören wir Ihn nicht sagen: „Dieses tut 
zu meinem Gedächtnis?" Und läßt Er uns nicht zurufen: „Ihr 
verkündigt den Tod des Herrn, bis er kommt"? Es ist, mein 
teurer Leser, als ob Er jetzt an uns die Frage richtet: „Vermißt 
ihr mich? Verlangt ihr nach meiner Wiederkunft?" — 
Welche Antwort können wir auf solche Fragen Seiner Liebe 
geben? 
Zwei wichtige Tatsachen 
„Denn jeder wird mit Teuer gesalzen werden, und jede;-
Schlachtopfer wird mit Salz gesalzen werden" (Mk 9, 49). 
Mit diesen Worten unseres Herrn werden zwei Klassen Menschen bezeichnet und zwei wichtige Tatsachen vorgestellt. Erstens wird uns gesagt, daß „ein jeder mit Feuer gesalzen" und 
zweitens, daß „jedes Schlachtopfer mit Salz gesalzen werden 
wird". Diese beiden miteinander in Verbindung gebrachten 
Aussagen öffnen ein ausgedehntes Feld von göttlicher Wahrheit vor unseren Augen. Möge der Heilige Geist uns befähigen, sie zu verstehen und auszuüben! Möge Er uns ihren 
tiefen Ernst und ihre bis in die Seele dringende Kraft fühlen 
lassen! 
1. Der erste Teil unseres Textes lehrt uns, daß den Menschen 
das Gericht erwartet. „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu 
sterben, danach aber das Gericht" (Hebr 9, 27). „Ich sage euch 
aber, daß von jedem unnützen Wort, das irgend die Menschen 
reden werden, sie von demselben Rechenschaft geben werden 
am Tage des Gerichts" (Mt 12, 36). 
Hier sehen wir also, was der Mensch zu erwarten hat — Tod 
und Gericht. Man mag dagegen mit Belieben streiten, jeden 
Gedanken daran von sich abweisen, sich dagegen auflehnen 
182 
und sagen, daß man solche Dinge nicht glaube — es ändert gar 
nichts an der Sache, sie bleibt, was sie ist: eine unumstößliche 
Wahrheit. Was würde es einem Verbrecher, über den das 
Todesurteil ausgesprochen ist, nützen, wenn er sich mit dem 
Spruch des Richters nicht einverstanden erklärte? Würde das 
seine Lage ändern? Keineswegs. Auch wenn er versicherte, daß 
er keinem Richter und keinem Urteil Glauben schenke, bleibt 
er dennoch ein schuldiger, verurteilter Verbrecher, dessen Hinrichtung vollzogen wird. Seine Meinung und seine Einsprüche 
können in keiner Weise die Tatsache seiner Verurteilung 
ändern. Meinungen sind und schaffen eben keine Tatsachen. 
Ebenso mag der Mensch die Wahrheit der Worte des Herrn, 
daß nämlich „jeder mit Feuer gesalzen werden wird", in Zweifel 
stellen. Er mag kurzweg erklären, daß er nicht an das zukünftige Gericht durch ein ewiges Feuer glaube; er mag solche Behauptungen als altweibische Fabeln betrachten, die zu glauben 
eines vernünftigen und gebildeten Menschen unwürdig sei. 
Aber was wird ihm das nützen! Welches Wort wird standhalten — das Wort Christi oder dein Wort? Willst du es wagen, 
dein Wort über das Wort von Christo zu stellen? Vielleicht 
würdest du es tun, wenn du es könntest. Wenn Jesus erklärt, 
daß jeder mit Feuer gesalzen wird, dann ist es unsere Weisheit 
und unsere Sicherheit, ja unsere Pflicht, Seinen Worten zu 
glauben, uns vor dem Gewicht und der Autorität Seines Wortes 
zu beugen und unsere unverständigen Einwendungen, unsere 
törichten Meinungen und hochmütigen Einbildungen aufzugeben. Es ist die größte Anmaßung, Gott vorschreiben zu 
wollen, was Er sagen oder tun könne. Wenn der Mensch sich 
berechtigt glaubt, Gott zu beurteilen, dann verkennt er in 
Wirklichkeit das Dasein Gottes und stellt sich an Seinen Platz, 
denn wenn es einen Gott gibt, dann muß dieser Gott auch der 
höchste und unfehlbare Richter sein, und dann muß der Mensch 
sich vor Ihm beugen. Das ist wahre Weisheit. Früh oder spät 
muß der Mensch sich Gott unterwerfen. Wieviel besser ist es, 
sich am Tage der Gnade vor Ihm zu beugen, als am Tage des 
Gerichts gezwungen zu werden, sich Ihm zu unterwerfen. 
Unser Herr Jesus erklärt in Mk 9 dreimal, daß das höllische 
Feuer ein ewiges ist. Er sagt: „Wenn deine Hand dich ärgert, so 
haue sie ab. Es ist dir besser, als Krüppel in das Leben einzu183 
gehen, als mit zwei Händen in die Hölle hinabzufahren, in das 
unauslöschliche Feuer, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer 
nicht erlischt". Diese ernste Erklärung wiederholt Er, wie gesagt, dreimal. Wenn daher alle Ungläubigen, Zweifler und 
Rationalisten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die 
Behauptung aufzustellen wagen, daß die Strafe nicht ewig sei, 
so stellen wir diesen Vernunftschlüssen, Einwendungen und 
Einbildungen das unumstößliche Wort des Herrn entgegen und 
verwerfen sie ein für allemal ganz und gar. Das betrachten 
wir als unsere wahre Weisheit, als unsere moralische Sicherheit 
und als unsere unerläßliche Pflicht. 
Es ist nach unserer Meinung nichts als Zeitverschwendung, 
wenn man sich mit Menschen in einen Wortstreit einläßt, die 
sich einbilden, Gott beurteilen zu können. Wer ein Urteil über 
seinen Schöpfer auszusprechen wagt, kann unmöglich durch 
Beweise eines Mitgeschöpfes überführt werden. In der Tat 
setzen sich alle, die zu behaupten wagen, daß es Gott unwürdig 
sei, eins Seiner Geschöpfe einer ewigen Strafe zu unterwerfen, 
selbst auf den Richterstuhl Gottes, um das Urteil zu fällen. 
Ach! früher oder später werden sie rihre Torheit beklagen. 
Jeder wahre Christ weiß und fühlt, „das Gott den ganzen 
Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird", während die Ungläubigen sich selbst zum Richter aufspielen. Wie töricht. Die 
Schrift ist gegen sie, und sie kann nicht gebrochen werden. „Ein 
jeder wird mit Feuer gesalzen werden", und das ewige Feuer 
wird niemals erlöschen. Der Stempel der Ewigkeit ist auf jede 
Woge jenes Feuersees und auf jeden Biß eines Wurmes gedrückt, welche das Teil aller sind, die in ihren Sünden sterben. 
Die Strafe ist eine ewige, sie kann nicht verkürzt werden. Der 
Zorn Gottes bleibt auf allen, die nicht an Christum glauben. 
Hast du, mein Leser, noch keinen Frieden mit Gott, so denke 
über diese Zusammenhänge nach, öffne dein Auge doch nicht 
länger dem Dunkel menschlicher Vorstellungen, sondern öffne 
es dem Lichte des Wortes Gottes. Entrinne dem zukünftigen 
Zorn! Eile und errette deine Seele! Gott Selbst zeigt dir einen 
Weg der Erbarmung. Er hat in Seiner unendlichen Liebe einen 
Weg geschenkt, auf dem du dem schrecklichen Feuer entrinnen 
kannst. Er gab Seinen eingeborenen Sohn; und Jesus, das 
schuldlose Lamm, übergab Sich dem Feuer des göttlichen Gerichts, auf daß alle, die einfältig auf Ihn vertrauen und ihre 
184 
Sache in Seine Hände legen, nicht gerichtet werden, sondern 
Vergebung und ewiges Leben finden. Glaube an den Herrn 
Jesus, der als der Gerechte für die Ungerechten starb, und du 
wirst nicht mit Feuer gesalzen werden. Niemals werden dann 
deine Augen die Pein und das Feuer sehen, weil der teure Heiland an deiner Statt das Gericht erduldet hat. Da kein Weg zum 
Entrinnen vorhanden war, kam Er in unendlicher Liebe und 
stellte Sich den Schlägen der ewigen Gerechtigkeit, und nachdem Er Sich dem Urteil unterworfen, das Lösegeld bezahlt 
hatte und ins Grab hinabgestiegen war, weckte Gott Ihn aus 
den Toten auf, setzte Ihn zu Seiner Rechten im höchsten Himmel und krönte Ihn mit Ehre und Herrlichkeit. Alle aber, die 
nun an Seinen kostbaren Namen glauben, sind völlig von 
Schuld und Gericht befreit. Alle, die ihr Vertrauen auf Ihn 
setzen, sind vor Gott so angenehm, wie Er es Selbst ist. Sie 
nehmen denselben Platz im Herzen Gottes ein, sie werden von 
Ihm mit derselben Liebe geliebt und sie werden einmal dieselbe 
Herrlichkeit wie Christus empfangen. Nichts Geringeres konnte 
das liebende Herz Gottes befriedigen, nichts Geringeres die 
würdige Frucht des vollkommenen Opfers Christi sein, nichts 
Geringeres die heilige Dreieinigkeit verherrlichen. 
Geliebter Leser! Ist es nicht besser, sicherer und weiser, auf die 
warnende Stimme Gottes zu hören, als auf die alles bezweifelnde, alles leugnende Sprache der Ungläubigen? „Jeder wird 
mit Feuer gesalzen werden". Diese Erklärung kann nicht ausgetilgt werden. Was die Menschen auch tun und sagen mögen 
— dieses Wort bleibt in Kraft. Eher werden Himmel und Erde 
vergehen, als daß das Wort des Herrn sich nicht erfüllt. Aber 
„Christus ward einmal geopfert, um die Sünden vieler zu 
tragen", und alle, die an Ihn glauben, sind für immer gereinigt, 
dem Gericht entrückt und von dem Zorn befreit. Er wurde an 
ihrer Statt mit Feuer gesalzen, so daß jenes Wort nicht mehr 
auf sie angewendet werden kann. Die finsteren Wolken des 
Todes und des Gerichtes sind über das schuldlose Haupt unseres Stellvertreters losgebrochen, damit der Gläubige niemals 
in das Gericht kommen und vom Tod als dem Sold der Sünde 
freigestellt werden sollte. 
2. Nach diesen Darlegungen sind wir imstande, die Worte zu 
verstehen, daß „jedes Opfer mit Salz gesalzen werden soll". 
185 
Sie finden Anwendung auf alle, die aus Gnaden von dem 
kommenden Zorn, von dem Salzen mit Feuer, von der Furcht 
des Gerichts erlöst worden sind. An solche richtet der Apostel 
die treffenden und kraftvollen Worte: „Ich ermahne euch nun, 
Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen 
als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, 
welches euer vernünftiger Dienst ist" (Röm 12, 1). Hierzu ist 
Salz erforderlich. „Und alle Opfergaben deines Speisopfers 
sollst du mit Salz salzen und sollst das Salz des Bundes deines 
Gottes nicht fehlen lassen bei deinem Speisopfer; bei allen 
deinen Opfergaben sollst du Salz darbringen" (3. Mo 2, 13). 
„Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt" (Kol 4, 6). 
Wir sehen hieraus, welch ein wichtiger Bestandteil im täglichen Leben des Christen das Salz ist. Es ist unentbehrlich, 
wenn wir uns selbst als ein lebendiges Opfer Gott übergeben 
wollen. „Bei allen deinen Opfergaben sollst du Salz darbringen", und „alle Opfergaben deines Speisopfers sollst du mit 
Salz salzen"! Wenn wir durch die unendliche Gnade Gottes 
und durch das Versöhnungswerk Christi für immer dem göttlichen Gericht entronnen sind, was bleibt uns dann noch zu tun 
übrig? Wir müssen dann unsere Leiber Gott zu einem lebendigen, heiligen, wohlgefälligen Schlachtopfer darstellen. Der 
Zweck unserer Erlösung ist, Gott zu dienen und Seinen Namen 
zu verherrlichen. Im Himmel werden wir es vollkommen tun; 
hier aber müssen wir schon damit beginnen. Das ist unser 
herrlichstes Vorrecht. Der Herr Jesus erkaufte uns durch Sein 
Blut, damit wir Gott unser Leben widmen. Das muß vom 
Morgen bis zum Abend, allezeit und überall unsere Beschäftigung sein, und dazu haben wir „Salz" nötig. Der Herr sagt: 
„Jedes Opfer wird mit Salz gesalzen werden". Nicht: „Jeder 
wird mit Salz gesalzen werden". Nur, wer die Gnade Gottes 
kennengelernt hat und etwas von der Liebe Jesu versteht, kann 
ein Opfer sein, und daher kann auch nur er mit Salz gesalzen 
werden. „Das Salz ist gut". Es reinigt und schützt vor Verderbnis. „Wenn aber das Salz unsalzig geworden ist, womit wollt 
ihr es würzen? Habt Salz in euch selbst und seid in Frieden 
untereinander" (Mk 9, 50). 
Man beachte wohl diese Zusammenstellung: „Salz" und 
„Frieden". Nur wenn den Forderungen der Heiligkeit ent186 
sprochen worden ist, kann Friede sein. Der Friede kann nicht 
vor dem „Salz" da sein. „Die Weisheit von oben ist aufs erste 
rein, sodann friedsam" (Jak 3, 17). Das ist die göttliche Regel, 
welche nicht umgestoßen werden kann. Alle unsere Opfer — 
mögen wir sie als heilige Priester oder als königliche Priester 
darbringen — unsere Opfer des Lobes und unsere Opfer des 
Wohltuns müssen „mit Salz gesalzen" sein. Es muß Reinheit, 
Heiligkeit und Selbstgericht vorhanden sein; denn „jedes 
Schlachtopfer wird mit Salz gesalzen werden". 
Stephanus 
(Apostelgeschichte 7, 55—60) 
Es gibt zwei Tatsachen, die das Christentum kennzeichnen und 
es von allem unterscheiden, was vorher bestand: 
1. der Mensch ist verherrlicht im Himmel, und Gott wohnt 
im Menschen auf der Erde. Wie wunderbar und herrlich. Wenn 
wir diese Wahrheiten verstehen, so werden sie sicher einen 
kräftigen Einfluß auf unsere Herzen und unser Leben ausüben. 
Diese Tatsachen setzen voraus, daß die Erlösung vollkommen 
vollbracht ist und der Erlöser Seinen Platz zur Rechten der 
Majestät in den Himmeln eingenommen hat. Nachdem dies 
geschehen ist, erblicken wir zum ersten Mal einen Menschen 
auf dem Thron Gottes. 
Die zweite Tatsache, daß der Heilige Geist im Menschen auf 
der Erde wohnt, ist eine notwendige Folge der ersten. In der 
alttestamentlichen Haushaltung war dies unbekannt. Was 
wußte Abraham von einem verherrlichten Menschen im Himmel? Keiner jener Heiligen wußte davon etwas. Und wie wäre 
dies auch möglich gewesen? Kein Mensch befand sich auf dem 
Throne Gottes im Himmel, bevor Jesus Seinen Platz dort eingenommen hatte; und solange Er nicht verherrlicht im Himmel 
war, konnte der Heilige Geist nicht im Menschen auf Erden 
Wohnung machen. „Wer an mich glaubt, gleichwie die Schrift 
sagt, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers 
187 
fließen. Dies aber sagte er von dem Geiste, welchen die an ihn 
Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht 
da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war" (Joh 7, 38. 
39). „Doch ich sage euch die Wahrheit! Es ist euch nützlich, 
daß ich weggehe; denn wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen, wenn ich aber hingehe, werde 
ich ihn zu euch senden" (Joh 16, 7). Diese Stellen verbinden 
die beiden Tatsachen ganz bestimmt miteinander. Christus ist 
verherrlicht im Himmel, und der Heilige Geist wohnt in uns 
auf der Erde. Eine Tatsache ist von der anderen abhängig, und 
beide zusammen bilden die zwei großen Kennzeichen des herrlichen Christentums, das im Evangelium Gottes geoffenbart ist. 
Der größte Teil des Kapitels befaßt sich mit der Geschichte 
Israels von der Berufung Abrahams bis zur Kreuzigung Christi. 
Am Ende seiner Rede wandte sich Stephanus an die Gewissen 
seiner Zuhörer, deren Wut sich mit jedem Augenblick gesteigert 
hatte. „Als sie aber dies hörten, wurden ihre Herzen durchbohrt 
und sie knirschten mit den Zähnen gegen ihn". Hier sehen wir 
die Wirkung einer Religiosität ohne Christum. Diese Leute 
waren die Beschirmer des Gottesdienstes und die Führer des 
Volkes. In ihrer Feindseligkeit erblicken wir das schreckliche 
Muster eines Gottesdienstes ohne Gott und ohne Christum, 
während wir in Stephanus die herrliche Entfaltung des wahren 
Christentums sehen. Sie waren mit fanatischer Feindschaft und 
Wut erfüllt, während er voll des Heiligen Geistes war; sie 
knirschten mit ihren Zähnen, während sein Antlitz dem eines 
Engels glich. Welche Gegensätze! „Als er aber, voll des Heiligen Geistes, unverwandt gen Himmel schaute, sah er die 
Herrlichkeit Gottes, und Jesum zur Rechten Gottes stehen, und 
er sprach: Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet und den Sohn 
des Menschen zur Rechten Gottes stehen"! 
Hier sehen wir also die beiden Tatsachen in einem Menscher, 
wie wir sind, verwirklicht. Stephanus war voll Heiligen Geistes 
und sein Blick war unverwandt auf den verherrlichten Menschen im Himmel gerichtet. Das ist das Christentum, das ist der 
wahre Zustand eines Christen. Es ist ein Mensch, der voll 
Heiligen Geistes, mit dem Auge des Glaubens zum Himmel 
emporschaut und sich mit einem verherrlichten Christus be188 
schäftigt. Das ist und bleibt unser Maßstab, wie wenig wir auch 
diese unsere Stellung verwirklichen mögen. In dieser Beziehung 
müssen wir uns sicher tief demütigen; aber dennoch bleibt es 
der göttliche Maßstab und jeder wahrhaft Gläubige ist mit 
nichts Geringerem zufrieden. Es ist das glückselige Vorrecht 
eines jeden Christen, voll des Heiligen Geistes zu sein und das 
Auge des Glaubens auf den verherrlichten Menschen im Himmel zu richten. Die Erlösung ist vollbracht, die Sünde zunichte 
gemacht; die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit. Es ist ein 
Mensch auf dem Thron Gottes; der Heilige Geist ist auf die 
Erde hinabgestiegen und hat in dem Gläubigen besonders und 
in der Versammlung insgesamt Seine Wohnung aufgeschlagen. 
Dies sind Wahrheiten von großem, praktischen Nutzen und 
mächtigem Einfluß, wie wir dies deutlich in der Geschichte des 
Märtyrers Stephanus wahrnehmen. 
Man kann unmöglich die letzten Verse unseres Kapitels lesen, 
ohne die mächtige und herrliche Wirkung zu sehen, die die 
Person hervorruft, auf die sein ganzes Auge gerichtet ist. Die 
schrecklichsten Gefahren umringen ihn; gleich blutdürstigen 
Tigern stürzen seine Feinde über ihn her; die Steine zerschmettern seinen Körper. Der Tod steht in der schrecklichsten Gestalt 
vor seinen Augen; doch nicht die Umstände beherrschen ihn, 
sondern die himmlischen Dinge, welche er schaut. Sein Auge 
ist unverwandt aufwärts zum Himmel gerichtet und dort sieht 
er Jesum. Die Erde verwirft ihn, wie sie vorher seinen Herrn 
verworfen hat; aber der Himmel öffnet sich ihm, und in den 
geöffneten Himmel hineinschauend, fängt er die Strahlen der 
Herrlichkeit Gottes auf und reflektiert sie. Wie herrlich! Stephanus war nicht nur über alles, was ihn umringte, erhaben, 
sondern er war auch fähig gemacht, seinen Mördern die Gnade 
und Güte Jesu zu offenbaren. Ja, wahrlich, der höchste Ausdruck des himmlischen Christentums steht hier der finstersten 
und entsetzlichsten Offenbarung der religiösen Feindschaft 
gegenüber. „Sie schrieen aber mit lauter Stimme, hielten ihre 
Ohren zu und stürzten einmütig auf ihn los. Und als sie ihn 
aus der Stadt gestoßen hatten, steinigten sie ihn . . . der anrief 
und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! — Und niederknieend rief er mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese 
Sünde nicht zu"! 
189 
Welch eine Gleichförmigkeit mit dem Bilde Christi! Wie der 
sterbende Heiland bittet auch Stephanus für seine Feinde. Anstatt an seine eigenen Leiden zu denken, denkt er an andere 
und betet für sie. Was seine Person angeht ist alles wohlgeordnet. Sein Auge ist auf die Herrlichkeit gerichtet, und der Abglanz dieser Herrlichkeit strahlt nun von ihm aus. Sein Antlitz 
glänzt von dem Lichte dieser Herrlichkeit, in die er bald eintreten soll, und er ist imstande, durch die Kraft des Heiligen 
Geistes seinem gesegneten Herrn und Meister zu folgen. Nachdem er für seine Feinde gebetet hat, kann er auf dieser Erde 
nichts weiter tun, als das Auge vor einem Platze des Elends 
und des Todes zu schließen, um es in einer Stätte ewiger Freude 
und Herrlichkeit zu öffnen. 
Teurer Leser! Bedenke wohl, daß dies das wahre Christentum 
ist. Es ist das gesegnete Vorrecht des Christen, voll Heiligen 
Geistes zu sein, von sich selbst und von allem, was ihn umgibt 
wegzusehen, seinen Blick unverwandt gen Himmel zu richten 
und mit dem verherrlichten Menschen Christus Jesus beschäftigt 
zu sein. Dem, auf Welchem das Auge ruht, gleichförmig zu 
sein, ist die unausbleibliche Folge — gleichförmig im Geiste, im 
Wandel und im ganzen Charakter. „Wir alle, mit aufgedecktem 
Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde". So war es bei Stephanus. Also 
wird es auch bei uns sein. Wenn wir begreifen, wie wichtig das 
ist und wie glücklich es macht, werden wir ernstlich begehren, 
das Bild Christi auf unseren Wegen und in allem Tun zur 
Schau zu tragen! Dazu gebe der Herr uns Gnade! 
190 
Wie bewirken wir 
unsere eigene Seligkeit? 
„Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt 
vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit 
mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt 
sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen" (Phil 2, 12. 13). 
Wir müssen uns stets daran erinnern, daß das Werk Gottes in 
bezug auf Sein Volk von zwiefacher Art ist: Sein Werk für uns 
auf dem Kreuze und Sein Werk in uns durch den Geist. Die 
angeführte Stelle belehrt uns nicht, wie wir Frieden erlangen. 
Sie wendet sich vielmehr an solche, bei denen die Erkenntnis 
ihrer Annahme bei Gott durch das gesegnete Werk Jesu Christi 
vorausgesetzt wird. Andernfalls würde sie nur dazu dienen, 
gesetzliche Anstrengungen zur Erreichung eines Zieles hervorzurufen, welches wir, wenn wir aufrichtig vor Gott sind, auf 
diesem Weg niemals erreichen würden. Um Frieden zu erlangen 
und das schuldige Gewissen zu befriedigen, haben wir vor Gott 
nichts anderes nötig als „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, 
welches von aller Sünde reinigt". Auf dem Kreuze, wo Sich 
Christus ohne Flecken Gott zu einem wohlriechenden Opfer 
geopfert hat, findet unsere Sünde ihre Beantwortung, so daß 
alle ihre Folgen für immer beseitigt sind. Hier ist Gott vollkommen verherrlicht und befriedigt worden, indem Christus 
für mich starb, der ich ein Sünder und als solcher ungöttlich 
und ohne Kraft war. Ich habe also, wie der Apostel Petrus sagt, 
„die Errettung meiner Seele" (1. Petr 1, 9). Allein die Seligkeit 
ist noch nicht ganz vollständig, obwohl sie meine Sicherheit ist. 
Die Seligkeit nach den Gedanken Gottes ist, daß wir bei Christo und Ihm völlig gleich sind, „damit er der Erstgeborene sei 
unter vielen Brüdern" (Röm 8, 29). Unserer Stellung und Annahme nach ist aber jetzt schon alles vollkommen; denn „wie er 
ist, sind auch wir in dieser Welt"; wir haben daher Freimütigkeit am Tage des Gerichts (1. Joh 4, 17). Und dies ist in zweifacher Weise wahr: unsere Sünden sind für immer beseitigt, 
191 
und wir befinden uns in einem neuen Leben. Nach den Briefen 
des Paulus sind wir durch den Tod und die Auferstehung 
Christi in diese Stellung eingeführt; nach den Briefen des 
Johannes sind wir aus Gott geboren, so daß wir sagen können 
mit Paulus: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus 
lebt in mir" (Gal 2, 20), und mit Johannes: „Jeder, der aus Gott 
geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und 
er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist" (1. Joh 
3, 9). Was also unsere Stellung vollkommen macht, ist, daß 
alle mit dem Leben und dem Zustand des alten Adam verbundenen Sünden gesühnt und für immer beseitigt sind, und 
daß wir uns in einem reinen Leben befinden, welchem sich vor 
Gott keine Sünde anhaften kann, wie auch unser hochgelobter 
Herr zu Petrus gesagt hat: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig 
sich zu waschen, ausgenommen die Füße" (Joh 13, 10). Welch 
ein gesegneter Platz! Wir sind befähigt, uns der Strahlen des 
Angesichts Gottes zu erfreuen, was „besser ist als das Leben". 
Die Vernachlässigung dieser Seite der Wahrheit aber führt oft 
bei denen, die ihrer Annahme gewiß sind, zu einem sehr traurigen Wandel und darum auch zu einem Verlust des vollen Bewußtseins ihrer Annahme und des Genusses ihrer Vorrechte. 
Richten wir daher unseren Blick auf das Werk Gottes in uns. 
Gerade aus diesem Grunde zeigt uns unsere Epistel, daß wir 
völlige Sicherheit haben; denn „der, welcher ein gutes Werk 
in euch angefangen hat, wird es vollführen bis auf den Tag 
Jesu Christi" (Phil 1, 6). Aber wiewohl wir stets bedenken 
müssen, daß sowohl das Werk für uns als Sünder, als auch in 
uns als Gläubige aus Gott ist, so haben wir als Gerettete doch 
unsere Verantwortlichkeit, nicht etwas Großes zu tun, sondern 
uns Gott zu unterwerfen. In der angeführten Stelle sagt uns 
nun der Apostel, was Gott in uns wirkt; es ist „das Wollen und 
das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen". Von Natur aus 
hatten wir unseren eigenen Willen, welcher uns zu „Kindern 
des Zorns, wie auch die übrigen" machte. Der erste Adam, mit 
welchem wir verbunden waren, fiel durch Ungehorsam und 
ruinierte sein ganzes Geschlecht. Der zweite Adam, „der Herr 
vom Himmel" tat nie Seinen eigenen Willen, war nie im Gegensatz zu dem Willen Seines Vaters, sondern fand Seine 
Speise und Seinen Trank darin, daß Er den Willen Dessen tat, 
Der Ihn gesandt hatte. Aber gerade diesen Willen des ersten 
192 
Adam in uns muß Gott brechen, um uns in unseren Wegen, in 
unserem Wandel und in unserer Gesinnung Seinem Sohne 
gleichförmig zu machen, wie wir Ihm hinsichtlich unserer Stellung — mit Ausnahme Seiner Gottheit — gleichförmig sind. 
Aber wie oft vergessen wir dies und begnügen uns damit, daß 
wir uns von anerkanntem Übel fernhalten! Eine solche Haltung 
bleibt jedoch weit hinter den Gedanken Gottes über uns zurück. Wir haben gewöhnlich einen viel zu schwachen Begriff 
von dem, was Sünde ist. Die Heilige Schrift belehrt uns, daß 
der in einer Kreatur wirkende Wille Sünde ist. „Jeder, der die 
Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die 
Gesetzlosigkeit" (i. Joh 3, 4), d. h., der ganze Wille ist Sünde, 
selbst wenn seine Ausbrüche nicht die Form einer Übertretung 
des Gesetzes in offenbarer Bosheit annehmen. Kein Geschöpf 
hat ein Recht auf einen unabhängigen Willen, und daher sind 
wir geheiligt „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu 
Christi" (1. Petr n., 2). Unser Wandel mag so beschaffen sein, 
daß er unser Gewissen nicht beunruhigt; aber unser Trachten 
sollte es sein, uns nicht nur vom Bösen zu enthalten, sondern 
auch im Gehorsam zu wandeln, unseren Willen Gott zu 
unterwerfen und in der Tat keinen eigenen Willen zu haben; 
denn „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, aufmerken besser, als das Fett der Widder". Gott erwartet nicht das Vollbringen eines großen Werkes. Es mag jemand Eifer und Tätigkeit entwickeln, welche die höchste Achtung und Bewunderung 
der Menschen hervorrufen; aber gehorsam gegenüber dem zu 
sein, was Gott wohlgefällig ist, das ist es, wodurch der schwächste Heilige, auf welchen Platz ihn Gott auch gestellt haben 
mag, Seinen Namen verherrlichen kann. 
In diesen Tagen des Wollens und des Wirkens der Menschen 
bedürfen wir der gänzlichen Unterwürfigkeit unter den Willen 
Gottes, sowie des völligen Vertrauens auf Seine Macht. Wo 
aber finde ich Seinen Willen? Nur und ganz sicher in Seinem 
Worte. Wir haben es nicht nötig, den Eingebungen unserer 
Herzen blindlings zu folgen, sondern wir bilden — in dem 
Maße, wie wir aus dieser kostbaren Wahrheit schöpfen — unser 
Verständnis und unser Urteil nach den Gedanken Gottes. „Wir 
haben den Geist Christi" und wir leben „nicht vom Brot allein, 
sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes aus193 
geht". In der Tat, nur auf diesem Wege können wir in unserem 
täglichen Wandel durch diese Wüste Freude und Frieden finden. Blicken wir auf unseren gesegneten Herrn, wie Er uns in 
Mt 11 dargestellt wird. Sein Pfad durch diese Welt hatte Ihm 
nichts als Trauer gebracht. „Er kam in das Seinige, und die 
Seinigen nahmen ihn nicht an". Er mußte das Wehe ausrufen 
über jene Städte, in denen Er die mächtigsten Wunderwerke 
verrichtet hatte. Nach den sichtbaren Resultaten zu urteilen 
hätte Er sagen müssen: „Umsonst habe ich mich abgemüht, 
vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt" (Jes 49, 4). 
Unter dieser Sicht gab es für Ihn nichts als Trauer und Hindernisse; dennoch sagte Er gerade in dieser Stunde: „Ich preise 
dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor 
Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig 
vor dir". Und Er, Der alles völlig in Sich Selbst hatte, konnte 
auch ausrufen: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und 
Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben", — und Er konnte 
denen, welche gekommen waren sagen: „Nehmet auf euch mein 
Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen". 
Was aber war Sein Joch? Es war die Unterwerfung unter den 
Willen Seines Vaters, welchen Er in den Schwierigkeiten auf 
der Erde stets erfüllte und in welchem Er Seine Ruhe fand. Und 
darum fügte Er hinzu: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist 
leicht"! Das wird uns in Joh 4 klar vor Augen gestellt, wo Er 
Selbst, während sich die Ströme lebendigen Wassers in eine 
arme dürstende Seele ergossen, eine solche Erquickung fand, daß 
die vorhergehende Müdigkeit gänzlich entschwindet. Als Seine 
Jünger sagen: „Rabbi, iß"! antwortete Er ihnen: „Ich habe 
eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt . . . Meine Speise ist, 
daß ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat und sein 
Werk vollbringe". Wir nun sind berufen, Ihm auf diesem Pfad 
zu folgen — einem Pfad, auf dem das Fleisch, wie sehr es sich 
dazu auch den Anschein geben mag, keinen Schritt gehen kann 
und auf dem wir nur so lange wandeln können, wie wir bereit 
sind, die Unterweisungen zu lernen, welche das Kreuz gibt, und 
unseren natürlichen Willen und die eitlen Wünsche unseres Herzens aufzugeben, um Seinen Willen zu tun. Aber unsere Kraft 
194 
wird sich nicht darin zeigen, daß wir gute Entschlüsse und Vorsätze fassen, sondern darin, daß wir Jemanden haben, Der uns 
anzieht und fesselt. Beschäftigen wir uns mit dem Ich, so wird 
uns alle Kraft fehlen, wie sehr wir unsere Mängel und Gebrechen beklagen, und unsere Gewissensbisse uns drängen 
mögen, einen neuen Anlauf zu nehmen, um das Böse zu überwinden. Ein aufrichtiges Gewissen zu haben, ist durchaus nötig; 
aber es reicht uns keine Kraft dar. Wir mögen lernen, daß wir 
keine Kraft haben und daß „in uns, das ist in unserem Fleische, 
keine Kraft ist" — wirklich eine nützliche Lektion; aber unsere 
Kraft finden wir darin, daß wir mit Jemandem beschäftigt sind, 
Der uns erfüllen und befriedigen kann. Und das ist der Grund, 
weshalb der Apostel uns in dieser Epistel Christum in zwei 
Charakteren vorstellt. Wenn meine Gedanken erfüllt sind mit 
Jemandem, Der vom Himmel herabstieg, um als Mensch den 
niedrigsten Platz einzunehmen, so wird dies auch mich in dem 
Maße demütig machen, als ich aus der Quelle moralischer 
Schönheit trinke, die der Geist Gottes mir in Christo darstellt. 
Einen anderen Weg gibt es nicht. Wenn ich an Ihn denke, Ihn 
bewundere, so werde ich unbewußt mehr und mehr in Sein 
Bild verwandelt werden. „Diese Gesinnung sei in euch" sagt 
Paulus. Aber wie? Wenn ich in mein Inneres blicke und das, 
was ich dort entdecke zu ordnen suche, so fühle ich nur, wie 
ohnmächtig ich bin, das Böse wieder gut zu machen, wie selv 
ich es auch verurteilen und betrauern mag. Deshalb sagt der 
Apostel, indem er die Gesinnung Christi in Seiner Erniedrigung weiter entfaltet: „Blickt auf ihn"! So wird uns der Herr 
im zweiten Kapitel unseres Briefes in Seiner Erniedrigung 
gezeigt, damit Seine Schönheit auch unser Teil werden möge. 
Im dritten Kapitel aber wird Er uns in Seiner Erhabenheit und 
Herrlichkeit vorgestellt, damit diese Herrlichkeit Seinen Heiligen 
Kraft verleihe, Ihm mit der gesegneten Gewißheit nachzueilen, 
daß am Ende Seine Wünsche gänzlich erfüllt sein werden. Denn 
Christus wird als Heiland kommen und „unseren Leib der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit 
umgestalten nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, 
auch alle Dinge sich zu unterwerfen" (Phil 3, 21). 
Möge Er uns doch mit jedem Tage mehr unterweisen, was es 
heißt, „mit Furcht und Zittern unsere Seligkeit zu bewirken", 
195 
und zwar in dem Bewußtsein, daß Gott es ist, welcher „in uns 
wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem 
Wohlgefallen"! 
Leben und Freiheit 
„Löset ihn auf und lasset ihn gehen" (Joh 11, 44)! 
Es gibt viele göttlich lebendig gemachte Seelen, welche die Kraft 
der gebietenden Worte: „Löset ihn auf und lasset ihn gehen" 
noch nicht kennen. Sie sind durch das lebendigmachende Wort 
des Sohnes Gottes dem Zustande des Todes entrissen; aber sie 
kommen heraus „an Händen und Füßen mit Grabtüchern gebunden" und ihr Gesicht „mit einem Schweißtuch umbunden". 
Sie sind, mit anderen Worten, noch nicht fähig, die Fesseln 
ihres früheren Zustandes abzuschütteln und sich auf ihrem 
Weg in der Freiheit zu bewegen, womit Christus Sein Volk 
freigemacht hat. Daß sie göttliches Leben empfangen haben, 
geht deutlich aus den Verlegenheiten, Anstrengungen und 
Kämpfen hervor, über die sie beständig klagen. Wer noch „tot 
in den Sünden und Vergehungen" ist, weiß von dergleichen 
nichts. Solange Lazarus, von der eisigen Hand des Todes erfaßt, im Grabe lag, fühlte er keineswegs, daß die Grabtücher 
seine Bewegungen hinderten und daß das Schweißtuch den 
Blick seiner Augen hemmte. Alles an ihm und um ihn her war 
finster, kalt und leblos, und die Grabtücher waren die angemessenen Zierden eines solchen Zustandes. Ein Mensch, dessen 
Hände und Füße von den Fesseln des Todes umklammert sind, 
kann unmöglich die Grabtücher lästig und beschwerlich finden, 
und jemand, dessen geschlossene Augen durch die strenge 
Hand des Todes versiegelt sind, vermag die Beschwerlichkeit 
eines Schweißtuches niemals zu fühlen. 
Ebenso verhält es sich mit unbekehrten, nicht wiedergeborenen 
Seelen. Sie sind „tot" — moralisch, geistlich „tot". Ihre Füße 
sind von den Fesseln des Todes umklammert; aber sie wissen 
es nicht. Ihre Hände sind in die Handschellen des Todes einge196 
zwängt; aber sie fühlen es nicht. Ihre Augen sind mit dem 
Schweißtuch des Todes verhüllt; aber sie merken es nicht. Sie 
sind tot. Die Gewänder des Todes umringen sie, die Grabtücher 
bedecken sie — alles ist ihrem Zustande angemessen. 
Aber die Menschen, für welche ich diese Zeilen schreibe, sind 
auf diese oder jene Weise durch die mächtige, lebendigmachende Stimme des Sohnes Gottes — durch Ihn, Der das „Leben 
und die Auferstehung" ist — aufgeweckt und in Bewegung gesetzt worden. Durch irgendeine Schriftstelle, durch eine Predigt, 
durch einen Traktat, durch ein Lied, durch ein Gebet oder durch 
ein Ereignis ist ihr Ohr geöffnet worden, um eine lebengebende 
Stimme zu vernehmen. Diese Stimme ist in ihr Herz gedrungen und hat es in der Tiefe erfaßt. Sie sind aufgeweckt, sie 
wissen nicht wie, — sie sind erwacht und wissen nicht warum. 
„Der Wind weht wo er will, und du hörst sein Sausen, aber 
du weißt nicht woher er kommt und wohin er geht; also ist 
jeder, der aus dem Geiste geboren ist" (Joh 3, 8). Das Leben 
ist da, und alles ist Wirklichkeit. Die neue Geburt hat stattgefunden; die neue Natur ist mitgeteilt worden. Wer das beobachtet und weiß, was das Leben ist, gewahrt die Bewegungen, Kämpfe, Anstrengungen und Wirkungen des Lebens; 
er erkennt aber auch, daß „die Grabtücher und das Schweißtuch" noch da sind. Ich glaube, daß es viele lebendiggemachte, 
wiedergeborene Seelen gibt, die sich in diesem Zustande befinden und die deshalb weder die mit ihrer Geburt verknüpften 
Vorrechte, noch die Quelle und den Zweck des ihnen mitgeteilten Lebens kennen. Sie sind lebendiggema.cht, aber noch 
nicht freigemacht worden. Dieselbe Stimme, die ausrief: „Lazarus, komm heraus"! muß noch die Worte hinzufügen: „Löset 
ihn auf und lasset ihn gehen"! 
Ein Beispiel aus dem Worte Gottes soll uns das näher erläutern. 
Der verlorene Sohn war lebendiggemacht, ehe er befreit wurde. 
Sein Entschluß „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater 
gehen" war die Äußerung des neuen Lebens, der Hauch der 
neuen Natur. Als er diese Worte sprach, war er voller Zweifel 
und Ungewißheit darüber, wie ihn der Vater empfangen würde. 
Die Gesetzlichkeit erfüllte sein Herz; seine Gedanken beschäftigten sich mit der Knechtschaft und keineswegs mit der Sohn197 
schaft. Das neue Leben war vorhanden; aber es war noch verbunden mit den Zweifeln und Befürchtungen seines Innern; die 
Lumpen seines früheren Zustandes bedeckten ihn noch. Er war 
aufgerüttelt worden durch eine lebengebende Stimme; aber 
er war noch nicht in Freiheit gesetzt. Die ihm verliehene neue 
Natur bewegte sich der Quelle entgegen, welcher sie ihren Ursprung verdankte; aber ihre Bewegungen waren gleichsam 
durch die Grabtücher gehemmt, und ihr Blick war durch das 
Schweiß tuch verdunkelt. 
Wäre es nicht absurd, den verlorenen Sohn in seinen Lumpen 
belassen zu wollen, so daß er in seinen Zweifeln, in seinen 
Ängsten und in seiner Ungewißheit hätte verharren müssen? 
Hätte Lazarus etwa für den Rest seiner Tage seine Grabtücher 
und sein Schweißtuch tragen sollen, um zu beweisen, daß er 
ein lebendiger Mensch sei? Es wird uns gezeigt, daß die Umarmung des Vaters alle Befürchtungen des verlorenen Sohnes 
zerstreute; denn wie hätte er sich in den Armen der väterlichen 
Liebe noch fürchten können? War es nicht der Vater Selbst, der 
gebot, die Lumpen mit dem „vornehmsten Kleide" auszutauschen? Und was Lazarus betrifft, so muß nachdrücklich hervorgehoben werden, daß Dieselbe Stimme, Die ihn belebt und auferweckt hatte, auch gebot, ihn zu lösen und gehenzulassen. 
Verhält es sich nicht ebenso bei dem, der durch den Glauben an 
den Namen des Sohnes Gottes ein neues Leben empfangen hat? 
In der Tat, ein solcher wird nicht länger die Lumpen des „fernen Landes", die Zierden des Grabes zu tragen haben. Seine 
Hände und seine Füße werden gelöst, so daß er seinem Herrn 
und Heilande dienen und in den Pfaden Seiner Gebote wandeln kann. Sein Antlitz wird enthüllt, das Schweißtuch entfernt 
werden, so daß er seine Augen auf Den heften kann, Dessen 
mächtige Stimme ihn ins Leben gerufen hat. 
Erinnern wir uns stets daran, daß es dieselbe Stimme ist, die 
lebendig macht und befreit, die das Leben und die Freiheit gibt, 
die uns von der Herrschaft des Todes erlöst und in die 
Freiheit des Lebens hineinführt. Diese Erkenntnis ist nötig. 
Das Leben und die Freiheit sind miteinander verbunden, sie 
kommen aus derselben Quelle. Das Leben, welches der Gläubige besitzt, ist nicht das verbesserte Leben des alten Adam, 
198 
sondern das mitgeteilte Leben, des neuen Adam, und die 
Freiheit, in welcher der Gläubige wandelt, ist nicht eine Freiheit 
für den alten Menschen, damit dieser seine schrecklichen Lüste 
befriedigt, sondern eine Freiheit für den neuen Menschen, 
damit er in die heiligen Fußtapfen Christi treten kann und mit 
Gott wandelt. Auf welchem Wege erlangt er nun dieses Leben 
und diese Freiheit? Durch das Wort Gottes, mittels des Glaubens in der Kraft des Heiligen Geistes. Dieselbe Stimme, die 
den Lazarus lebendig machte, gibt auch der Seele das Leben. 
Und wo läßt sich diese Stimme vernehmen? — In dem Worte 
der Wahrheit des Evangeliums. Wer an den Namen des Sohnes 
Gottes glaubt, hat das neue Leben empfangen. Welches Leben? 
— Das Auferstehungsleben Christi. Das einfache Wort des 
Evangeliums ist der Samen, der dieses neue Leben hervorbringt. 
Und was besagt das Evangelium, diese frohe Botschaft? — Daß 
Jesus Christus gestorben und wieder auferstanden, daß er ein 
Opfer für die Sünde geworden und gen Himmel aufgefahren 
ist. Er hat uns durch Sein Blut von unseren Sünden gereinigt, 
ist jedem Widersacher, jeder Forderung, jedem Bedürfnis begegnet, so daß die Gerechtigkeit befriedigt ist, unser Gewissen 
beruhigt und der Feind vernichtet ist. Dies gibt Leben und Freiheit — neues Leben und göttliche Freiheit. Es führt die Seele 
aus der alten Schöpfung und allem was dazu gehört, heraus 
und führt sie in die neue Schöpfung mit all ihren Vorrechten, 
Freuden und Herrlichkeiten ein. Der Tod Christi befreit den 
Gläubigen aus dem Zustand des alten Adam, in welchen er 
hineingeboren war, und die Auferstehung Christi führt ihn ein 
in den Zustand des neuen Adam durch die Wiedergeburt. 
Dies alles ist eine Frucht des Wortes Gottes — der Stimme 
Christi — der Wirkung des Heiligen Geistes. Menschliches Mitwirken ist dabei gänzlich ausgeschlossen. Der tote Körper des 
Lazarus wurde durch die mächtige Stimme Christi belebt. Das 
eine ist von dem Menschen so unabhängig wie das andere. Die 
lebendigmachende Kraft sowohl für den Leib als auch für die 
Seele liegt in der „Stimme des Sohnes Gottes" (siehe Joh 5, 25; 
vgl. mit den Versen 28. 29). Das schließt jeden Ruhm des Menschen aus und erkennt ihn, wie es sich geziemt, allein dem 
Sohne Gottes zu. Ja, Ihm gebührt alle Ehre, gelobt sei Sein 
Name in alle Ewigkeit! 
199 
Daß doch diese Wahrheit tief in die Herzen solcher Leser eindringen möge, die über ihre Stellung in Christo noch nicht die 
notwendige Klarheit haben. Denn gerade solchen Seelen, die 
zwar lebendiggemacht, aber noch nicht befreit sind, gelten 
diese Ausführungen. Es gibt viele, die sich im Zustande des 
verlorenen Sohnes befinden, als er sich auf dem Wege zum 
Vaterhause, aber noch nicht in den Armen des Vaters befand. 
Ich wünsche von Herzen, daß sie zur vollen Freiheit gelangen 
möchten, zu dem klaren Bewußtsein, daß das ganze Werk 
vollendet, das Opfer vollbracht, das Lösegeld bezahlt ist. Sie 
haben keinen Schritt zu gehen, kein Werk zu tun, um Frieden 
zu schaffen; denn Christus hat Frieden gemacht. Gott ist völlig 
zufriedengestellt. Der Heilige Geist bezeugt es. Das Wort Gottes gibt die eindeutigen Aufschlüsse darüber. Wo gibt es da 
noch Grund für irgendeinen Zweifel? In dir selbst, mein Leser, 
nicht wahr? Aber, mein teurer Freund, vergiß nicht, daß du 
nichts mehr zu tun hast in einer Sache, die bereits für dich in 
Ordnung gebracht ist. All dein eigenes Wirken zur Erlangung 
einer Gerechtigkeit, die du bei dir suchst, ist eitel und unnütz; 
aber, „dem, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den 
Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Röm 4, 5). Wenn du etwas tun müßtest, um die 
Gerechtigkeit zu erlangen, so würde diese Schriftstelle eine 
Lüge enthalten. Aber nicht in deiner, sondern in Gottes Hand 
liegt dein Heil. Er will dein Wirken nicht; du stehst Ihm damit 
nur im Wege. Er duldet nicht, daß du das Gewicht einer Feder 
an menschlichem Wirken in die Waagschale legst, um das 
Opfer Christi für dich annehmbar zu machen. Du wirkst aus 
dir selbst nichts als Sünde und bringst dem Tode Frucht; aber 
Christus hat für deine gegenwärtige, persönliche und ewige 
Errettung alles getan. Er gibt das Leben und Er löst die Banden 
der Knechtschaft. Alles ist Sein Werk! 
Möge der Herr, der Geist, noch viele Seelen, die zwar vom 
Tode zum Leben gelangt sind, aber sich noch gebunden und in 
ihren Bewegungen gehemmt fühlen, mit der köstlichen Wahrheit einer völligen Befreiung bekanntmachen! Mögen alle, die 
auf Seinen mächtigen Ruf das Grab der Sünde verlassen haben, 
auch die alles durchdringenden Worte hören und verstehen: 
„Löset ihn auf und lasset ihn gehen"! 
200 
Die Errettung 
Man kann gegenüber der Neigung solcher Menschen, die, in 
ihren Gewissen beunruhigt, durch eigene Anstrengung Rettung 
und Frieden suchen, nicht oft genug wiederholen, daß die Bibel 
das Heil des Sünders nirgendwo von menschlichem Tun, sondern ganz allein von dem abhängig macht, was der Herr getan 
hat. Wie der Prophet Jona sich nicht selbst aus dem Bauch des 
Fisches befreien konnte, sondern ausrufen mußte: „Bei Jehova 
ist Rettung", ebenso kann auch der Sünder nichts zu seiner 
Befreiung aus der Tiefe des Verderbens beitragen. Er ist von 
Natur, „ein Kind des Zorns" und offenbart sich in seinem 
Wandel als ein Sklave Satans und wenn er je etwas 
anderes, etwas Besseres ist, so nur deshalb, weil Gott etwas 
für ihn wirkt oder gewirkt hat. Und was hat Gott getan? „Also 
hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn 
gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in 
die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt 
durch ihn errettet werde" (Joh 3, 16—17). Gerade jene Kinder 
des Zorns sollen Rettung finden, nicht etwa erst, wenn sie 
wollen; denn der Mensch kann kein Verlangen nach Rettung 
haben, bevor Gott dieses Verlangen in ihm gewirkt hat. Er 
zweifelt erst dann an seiner Seligkeit, wenn er von der Tatsache 
seines Verlorenseins überzeugt ist, und diese Überzeugung vermittelt ihm weder seine eigene Natur noch der Teufel, unter 
dessen Macht er steht. Der Mensch empfindet erst dann göttliche Traurigkeit über die Sünde, wenn er lebendiggemacht ist. 
„Der Sohn macht lebendig, welche er will" (Joh 5, 21). „Gott 
aber hat uns, als auch wir in den Vergehungen tot waren, mit 
dem Christus lebendig gemacht" (Eph 2, 4. 5). Was kann ein 
toter Mensch tun? Gott, ist es, Der von Anfang bis zu Ende 
„beides in uns wirkt, das Wollen und das Wirken nach seinem 
Wohlgefallen". — „Stehet fest und sehet die Rettung Jehovas", 
ruft Moses den fliehenden Kindern Israels zu, die in ihrer Ohnmacht gezwungen waren, Gott allein die Ehre zu geben. Der 
Mensch zeigt, solange er nicht von seiner Ohnmacht überzeugt 
ist, stets die Neigung, bei seiner Rettung die Hand mit ans 
201 
Werk zu legen; und nichts ist schwerer und demütigender für 
ihn, als mit gottgemäßer Oberzeugung seinen Ruin und seine 
völlige Hilfslosigkeit zu bekennen. Und doch wird gerade dadurch die Gnade Gottes so klar bezeugt und verherrlicht. 
Nichts hat wohl die christliche Lehre mehr entstellt, als der 
von vielen angenommene Lehrsatz, daß man aus der Gnade 
fallen könne. Wenn allerdings ein Mensch kraft seines eigenen 
Willens ein Kind Gottes werden könnte, so könnte er auch im 
nächsten Augenblick kraft desselben Willens wieder ein Sklave 
Satans werden. Aber ebensowenig wie ein Mensch durch die 
Wirkung seines eigenen Willens ein Kind Gottes werden kann, 
so kann auch kein Mensch das Verhältnis aufheben, welches 
Gott Selbst gegründet und aufgerichtet hat. „Niemand kennt 
den Vater, als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn ihn 
offenbaren will". „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, 
daß der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe". „Niemand 
kommt zum Vater, als nur durch mich". „Welche nicht aus 
Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem 
Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind". „Was aus 
dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste 
geboren ist, ist Geist". „Gepriesen sei der Gott und Vater 
unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat" (Mt 11, 27; Joh 6, 44; 14, 6; 
1, 1.3; 3, 6; 1. Petr 1, 3). 
Ist ein Kind geboren, weil es seine Geburt für gut fand und 
sich daher entschloß, geboren zu werden? War seine Geburt die 
Folge seines eigenen Willens? Jeder weiß die Antwort. Blicken 
wir uns daher um, damit wir erkennen, was Gott getan hat, 
um uns zu Seinen Kindern zu machen. „Größere Liebe hat 
niemand als diese, daß jemand sein Leben läßt für seine Freunde" 
(Joh 13, 13). „Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur 
bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. Denn kaum wird 
jemand für einen Gerechten sterben; denn für den Gütigen 
möchte vielleicht jemand zu sterben wagen. Gott aber erweist 
Seine Liebe gegen uns darin, daß Christus, da wir noch Sünder 
waren, für uns gestorben ist. Vielmehr nun, da wir jetzt durch 
sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn gerettet 
werden vom Zorn. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit 
202 
Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr 
werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet 
werden" (Röm 5, 6—10). 
Gepriesen sei Gott! Wenn die Liebe Gottes, als ich noch ein 
Feind, ein Sünder, ein Gottloser war, für meine Rechtfertigung 
und Versöhnung ein so sicheres Unterpfand gegeben hat, wievielmehr wird dann diese Liebe jetzt für mich, Sein Kind, eintreten, um mich für die Herrlichkeit zu bewahren. Leider werden viele Stellen der Schrift oft fälschlich auf Gläubige angewandt, obgleich sie sich, wie eine sorgfältige Prüfung deutlich 
zeigt, sich auf eine Klasse von bloßen Bekennern beziehen, die 
nie durch die lebendigmachende und erneuernde Gnade Kinder 
Gottes waren. Die stärksten Ausdrücke nach dieser Richtung 
hin finden wir in Hebr 6, 4—6. Wenn wir diese Ausdrücke mit anderen Schriftstellen vergleichen, entdecken wir, daß unter denen, 
die„einmal erleuchtet waren und geschmeckt haben die himmlische 
Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes" nicht 
solche zu verstehen sind, die Leben aus Gott, himmlische Gaben 
zu ihrer Nahrung und den Heiligen Geist, wohnend in ihnen 
als Seinen Tempeln, empfangen haben. Für Seine Kinder wählt 
Gott ganz andere Ausdrücke. Sie sind erwählt, berufen, lebendiggemacht, gerechtfertigt, versöhnt, angenehm gemacht, zur 
Kindschaft verordnet und in Christo vollendet. Schließlich 
findet man im 7. Vers eine Erläuterung und im achten und 
neunten Vers einen klaren Aufschluß über die wahre Bedeutung jener Stelle, daß sie nämlich eine Klasse von Menschen 
bezeichnet, die nie gerettet waren. — Auch die Stelle in Gal 5 
Vers 4: „Ihr seid aus der Gnade gefallen", berührt in keiner 
Weise die Frage der Errettung; denn die Galater waren in Gefahr, sich von der im Evangelium verkündigten Gnade abzuwenden und zum Judentum oder zum Gesetz zurückzukehren. 
— Ebenso werden die Worte in Phil 2, 12: „Bewirket eure 
eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern", oft ganz falsch angewendet und ihrer wahren Bedeutung entkleidet. Lesen wir 
den ganzen Vers: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirket 
eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern". Unmöglich würde 
der Apostel solche, die noch nicht gerettet und mithin noch 
203 
Feinde Gottes waren, als „meine Geliebten" angeredet haben. 
Er wendet sich vielmehr an Gläubige, die sich ihrer Rettung 
bewußt sind, und an sie ergeht die Aufforderung, ihre eigene 
Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken, d. h. sich mit 
äußerster Wachsamkeit von den drei großen Feinden ihrer 
Seele fernzuhalten: von der Welt, dem Fleische und dem Teufel. 
Wie aber sollte das geschehen? Die Worte: „Denn Gott ist es, 
der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken nach 
seinem Wohlgefallen", geben uns darüber völligen Aufschluß. 
Das Vermögen, uns von unseren Feinden fernzuhalten, liegt 
nicht in uns selbst, sondern wir fliehen zu Gott, Der den Willen 
und die Kraft darreicht, dem Teufel zu widerstehen, das Böse 
zu überwinden und uns in der Hoffnung der Herrlichkeit zu 
erfreuen. Die ganze Idee des freien Willens findet also im 
Wort der Wahrheit keine Stütze. 
Aus den verkehrten Anschauungen über das Wort Gottes, sowie 
überhaupt aus den Gedanken des Menschen über Gott und 
über sich selbst entspringen die größten Irrtümer. Wenn sich 
ein Mensch den Gedanken, die Gott über ihn hat, unterwirft, 
erkennt er bald, daß er nicht die Wahl hat, frei über sich selbst 
zu bestimmen; denn er ist schon gerichtet. Welche Macht oder 
Freiheit, sich selbst zu retten, besitzt ein Gefangener, der bereits verurteilt ist und dem Tage seiner Hinrichtung entgegensieht? — Aber ein Kind Gottes ist sich seiner Freiheit bewußt 
und wandelt in diesem Bewußtsein; denn „wen der Sohn frei 
macht, der ist wirklich frei". Zum Verständnis soll folgendes 
Beispiel beitragen: ein Mann von großem Vermögen nimmt 
einen armen Knaben, der weder Vater noch Mutter, noch sonst 
einen Versorger hat, in sein Haus auf und sagt ihm: „Höre, 
mein Junge, wenn du zu mir kommen und dich 15 Jahre lang 
gut führen willst, so werde ich dich zu meinem Universalerben 
einsetzen". Was für eine Einstellung wird den Knaben leiten? 
Seine Haltung während der ganzen 15 Jahre wird von Knechtschaft und Furcht geprägt werden. Um seinem Herrn nicht zu 
mißfallen, oder gar von ihm entlassen zu werden, wird er es 
nicht wagen, dieses zu tun und jenes zu unterlassen. So verfährt die herrschende Theologie unserer Tage; sie führt die 
Menschen durch die Furcht vor der Hölle in die Knechtschaft. 
Da heißt es stets: „Wenn du dies oder das tust — wenn du 
204 
dich sauber und rein hältst, wirst du selig werden, andernfalls 
ist die Verdammnis dein unausbleibliches Los". 
Aber Gott stellt uns in Seinem Evangelium auf einen ganz 
anderen Boden. Er sagt: „Höre, mein Sohn, ich erwähle dich 
zu meinem Kinde und Erben. Komm nun und betrage dich, wie 
es eines Kindes würdig ist". — Welch ein Unterschied! Während jener vermögende Mann die Erbschaft von der Führung 
des Knaben abhängig macht, tritt hier der Berufene sofort und 
ohne Vorbehalt in die Freiheit eines Sohnes und Erben ein. Er 
ist „wirklich frei". Er kann sagen: „Dies alles ist mein, und 
es ist nur eine Zeitfrage, wann ich in den vollen Besitz dieser 
Dinge kommen werde". Er kann den Willen seines Vaters mit 
fröhlichem Herzen und heiterem Gemüt erfüllen, weil er weiß, 
daß sein Erbteil gesichert ist. Der Herr sei dafür gepriesen! 
Unser Erbteil ist sicher und wird für uns im Himmel aufbewahrt. Bemerkst du nicht den großen Unterschied zwischen 
jenem Knaben, der, wenn er treu ist, auf das Erbteil hoffen 
darf, aber weil eben alles von seiner Treue abhängt, dessen nie 
völlig sicher ist, und dem bereits angenommenen Sohne, der, 
weil er sich seiner Sohnschaft bewußt ist, im Gefühl völliger 
Freiheit wandeln kann? Es handelt sich also nicht um meine 
Treue und Standhaftigkeit, sondern um das, was Gott getan 
hat und tut. Denn in mir selbst bin ich total verderbt und 
habe von Natur durchaus keine Kraft in mir, das Gute zu tun. 
„Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts 
Gutes wohnt". — „Ich bin mit Christo gekreuzigt, und nicht 
mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt 
lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn 
Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben 
hat" (Gal 2, 20). Verherrlicht sei Sein teurer Name! 
Jetzt nun, — als ein neuer Mensch, als ein angenommener 
Sohn — bewirke ich meine Seligkeit mit Furcht und Zittern. 
Das, was dieses Zittern hervorbringt, ist nicht etwa die Furcht 
davor, schließlich verlorenzugehen, sondern es ist das Gefühl 
meiner Schwachheit gegenüber den feindlichen Mächten, gegen 
welche ich zu kämpfen habe, und zwar in dem Bewußtsein, 
daß Gott es ist, welcher in Gnade mit mir handelt, um mich — 
das einstige Kind des Zornes — in Seine Herrlichkeit zu bringen. 
205 
O wie wunderbar groß ist die Güte und Gnade Gottes! „Wie 
unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine 
Wege"! Merken wir uns den großen Unterschied! Ich wirke, 
weil ich gerettet bin und nicht, weil ich auf der Grundlage eines 
treuen Wandels gerettet zu werden hoffe, denn das würde mein 
Werk dahin stellen, wo das Werk Gottes allein stehen kann. 
Handelt es sich um mein Wirken, dann bin ich selbst im besten 
Falle ein „unnützer Knecht". Daher wie lieblich ist es, den 
Herrn sagen zu hören: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, 
denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe 
euch Freunde genannt". „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr 
tut, was irgend ich euch gebiete". Wenn wir also nicht tun, was 
Er gebietet, so beweisen wir, daß wir nicht Seine Freunde sind. 
Wir sind nicht Seine Freunde, weil wir Seine Gebote halten, 
sondern wir halten Seine Gebote, weil wir Seine Freunde sind. 
Mit demselben Gesichtspunkt befaßt sich auch Jakobus. Im 
zweiten Kapitel seines Briefes finden wir eine Klasse von Menschen, die nach ihrem Bekenntnis Anspruch darauf erheben, 
gerettet und mithin Freunde Christi zu sein, während ihr ganzes Verhalten dieses Bekenntnis Lügen straft. Sie handelten 
nicht als Freunde; sie wandelten nicht als erlöste Menschen. 
Obwohl sie sehr religiös gewesen sein mögen, wie es auch in 
unseren Tagen viele sind, fehlte die natürliche Frucht der Annahme. Darum ergeht die Ermahnung an sie: „Also redet und 
also tut, als die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden 
sollen" (V. 12). — „Zeige mir deinen Glauben ohne Werke und 
ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen" 
(V. 18). Euer Mund mag den Glauben bekennen, aber eure 
Werke leugnen ihn; ich aber bekenne den Glauben, und meine 
Werke bestätigen ihn. Ihr bekennt euren Glauben ohne einen 
dazu passenden Wandel, während ich euch meinen Glauben 
aus meinen Werken zeige. Ich habe nicht Glauben, weil ich 
Werke habe, sondern ich habe Werke, weil ich Glauben habe. 
— Geliebte Brüder, merkt ihr diesen Unterschied? Der Glaube 
ist nicht die Frucht der Werke, sondern die Werke sind die 
Früchte des Glaubens. Wir wirken nicht, um gerettet zu werden, 
sondern wir sind gerettet und darum wirken wir. Möge daher 
unser Glaube aus der Stellung kommen, die Gott uns aus 
Gnaden angewiesen hat, und möge all unser Wirken es bezeu206 
gen, daß wir uns in dieser Stellung befinden! Erst dann können 
wir in die freudigen Worte einstimmen: „Seht, welch eine 
Liebe uns der Vater gegeben hat, daß wir Kinder Gottes heißen 
sollen . . . und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir 
sein werden; wir wissen, daß, wenn er offenbar werden wird, 
wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie 
er ist" — erst dann werden wir auch die Worte verstehen: 
„Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, 
gleichwie er rein ist" (1. Joh 3, 1—3). 
Hilfeleistungen 
Dieses Wort finden wir in 1. Kor 12, 28, wo der Heilige Geist 
die verschiedenen Gaben zur Bedienung der Versammlung 
bezeichnet. Wir lesen dort: „Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens 
Lehrer, sodann Wunderkräfte, sodann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen". 
Es liegt eine tiefe und wichtige Bedeutung in dem Wort „Hilfeleistungen". Bei einigem Nachdenken wird es uns nicht schwer 
werden, zu begreifen, was unter einem Apostel, einem Propheten, einem Lehrer, unter Wunderkräften, Gaben der Heilungen, Regierungen und unter verschiedenen Arten von Sprachen zu verstehen ist. Aber der Sinn des Wortes „Hilfeleistungen" ist nicht so leicht zu erfassen. Hier öffnet sich ein weit 
ausgedehntes Feld, zeigt sich ein viel umfassenderer, bedeutungsvollerer, christlicherer Dienst, den wir vielleicht oft nicht 
gebührend einzuschätzen wissen. Es gibt in der Versammlung 
Gläubige, die keine besonderen Gaben besitzen; sie sind weder 
Evangelisten noch Lehrer; aber dennoch können sie denen, die 
im Besitze dieser Gaben sind, von großem Nutzen sein und 
ihnen in ihrer Arbeit auf eine wirksame Weise Hilfe leisten. 
Wir wollen etwas näher darauf eingehen. Vielleicht ist jemand 
in der Versammlung, der gänzlich unfähig ist, öffentlich zu 
dienen, dennoch kann er einen stärkeren und bleibenderen Einfluß ausüben, als ein hervorragend begabter Diener. Obwohl 
er weder Prediger noch Lehrer ist, zeigt er doch in seinem 
Herzen großes Interesse für das Werk des Herrn in und außer207 
halb der Versammlung. Er denkt vielleicht nie daran, ein Wort 
zur Erbauung oder zur Belehrung zu reden; aber die Art und 
Weise, wie er die geringsten Dienste verrichtet — und sei es 
auch nur, daß er jemandem die Tür öffnet oder einen Platz 
anweist, eine Bibel oder ein Liederbuch reicht — tut dem Herzen 
wohl. Man fühlte, sein Herz nimmt den innigsten Anteil an dem 
Werke des Herrn. Er zeigt sich bereit, die niedrigsten Dienste 
zu verrichten, um so zur Förderung des Werkes beizutragen. 
Sein heiteres Gemüt und seine selbstverleugnende Liebe üben 
einen bedeutenden, wenn auch unscheinbaren Einfluß auf die 
Versammlung und das Werk des Herrn aus. Er ist willig, alles 
zu tun, um allen zu dienen, die seiner Hilfe, seinen Dienst 
brauchen. Was du auch immer nötig haben magst, er ist der 
Mann, an den du dich nicht vergeblich wendest. Geh zu ihm, 
so oft du willst, teile ihm dein Anliegen mit — er steht allezeit 
zu deinem Dienst bereit. Nichts ist ihm lästig, nichts beschwerlich; er betrachtet jede Schwierigkeit als eine Gelegenheit zur 
Hilfe. Er kennt keine Beschwerden; sein Herz ist frei, sein 
Geist frisch und fröhlich. — Er liebt Christum und die Seinigen; 
er liebt die Diener Christi und ihr Werk. Er legt großen Wert 
auf die Predigt des Evangeliums, auf die Errettung der Sünder, 
auf das geistliche Wachstum der Kinder Gottes, ist nicht selbstsüchtig, und freut sich, wenn das Werk des Herrn einen guten 
Fortgang nimmt, unbekümmert darum, wer dies Werk verrichtet. Er unterstützt die Diener des Herrn mit seiner ganzen 
Kraft, mit seinem ganzen Einfluß. 
Auch wer so wirkt, erfüllt eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Sind nicht seine „Hilfeleistungen" ein gesegnetes und 
wichtiges Werk? O möchten doch mehr solche Gaben vorhanden sein! Es ist gut, daß wir den Herrn um Lehrer und Evangelisten bitten; denn wir bedürfen ihrer sehr. Doch es sollte 
auch eine Sache unseres Gebetes sein, daß Er die Willigkeit zu 
Hilfeleistungen erwecke, weil diese einen sehr gesegneten Einfluß ausüben. 
Man hört oft sagen: „Ich bin kein Evangelist, ich bin kein 
Lehrer; ich habe keine Gaben, um zu sprechen". Das mag wahr 
sein. Aber könnte dich der Herr nicht zu „Hilfeleistungen" 
befähigt haben? Bist du auch kein Evangelist und kein Lehrer, 
so kannst du doch in mancher Weise entschieden an ihrer Seite 
208 
mitwirken. Du kannst ihr Herz erquicken, ihren Geist erfrischen und ihr Werk durch unzählige kleine und unscheinbare 
Mittel fördern, die für das Herz Jesu überaus wertvoll sind, 
und die Er am Tage Seiner Ankunft reichlich belohnen wird. 
Es ist sicher ein verkehrter und verwerflicher Gedanke, daß in 
dem Werke des Herrn Ihm und den Seinen nur dienen könne, 
wer im Besitz einer besonderen Gabe ist. Jeder hat den ihm 
angewiesenen Platz einzunehmen und seine eigene Aufgabe 
zu erfüllen. Jeder Vogel singt seine eigene Weise. Wer die 
Melodie eines anderen nachpfeift, liefert keine Melodie, die ihm 
eigentümlich ist, sondern brüstet sich mit den Weisen seiner 
Mitgeschöpfe. Ach, wie viele Christen gefallen sich in solchem 
Nachäffen! Wieviel besser ist es doch, wahr und einfältig zu 
sein und sein eignes Lied — und -wäre es vergleichsweise auch 
nur die Weise eines Rotkehlchens — zu singen, als die wohllautenden Klänge einer Nachtigall nachzuahmen. Nichts ist 
unausstehlicher, als wenn ein Diener Christi daß Maß der ihm 
verliehenen Gabe zu überschreiten trachtet. 
Was wir bei jedem Wirken für den Herrn vor allem nötig 
haben, ist ein ganzes Herz für Sein Werk. Wo das fehlt, da 
fehlt alles; wo es vorhanden ist, werden wir zu jedem guten 
Werk bereit sein. Was nützt mir die ausgezeichnetste und hervorragendste Gabe, wenn ich nicht allezeit bereit bin, anderen 
zu helfen und auf jede Weise das gesegnete Werk des Herrn 
zu fördern? Wenn ich Christum lieb habe, so werde ich, mag 
ich eine Gabe haben oder nicht, stets danach trachten, Ihn in 
Seinem Werke zu verherrlichen. Kann ich das Evangelium nicht 
verkündigen, so kann ich doch die Leute einladen und mir 
Mühe geben, viele Zuhörer herbeizurufen. Ich kann sie freundlich empfangen, und ihnen kleine Dienste leisten. Ich kann in 
kleinen, unscheinbaren Dingen zeigen, daß mein Herz an dem 
Werke Gottes teilnimmt, und auf diese Weise ein kräftiges 
Zeugnis für andere sein. Ich kann durch meine Gebete, durch 
meine Anwesenheit, ja selbst durch meine Haltung nützlich 
sein. Wenn wir ein freudiges, glückliches Herz haben — einen 
Geist, frei von kleinlicher, verächtlicher Eifersucht, wenn wir 
treu und ernst sind, werden unsere „Hilfeleistungen" für das 
Werk und die Arbeiter des Herrn höchst gesegnet sein. 
209 
Geliebte Brüder! Möchte es unser ernstes Flehen sein, daß der 
Herr in unserer Mitte den höchst wichtigen und wertvollen 
Dienst erweckt und offenbart, der sich in dem einfachen Wort 
„Hilfeleistungen" ausdrückt! Möchte es aber zu gleicher Zeit 
auch unser aller Trachten und Begehren sein, alles zu tun, was 
in unseren Kräften steht, um das gesegnete Werk Gottes und 
die Ehre und Verherrlichung des Namens Dessen zu fördern, 
der Sein Leben für uns hingegeben und uns von ewigem Verderben errettet hat! Er will, daß Seine Knechte treu erfunden 
werden. Welches Werk ich tue, welchen Dienst ich verrichte, 
darauf kommt es nicht an; aber alles hängt davon ab, ob ich 
die mir aufgetragene Arbeit mit einem freudigen, treuen Herzen erfülle. 
Gedanken über Philipper 2 und 3 
Der ganze Brief an die Philipper ist insofern höchst bedeutsam, 
weil er den Christen zu der höchsten Stufe gereifter Erfahrung 
erhebt. Ich will mich hier jedoch nur mit den beiden Kapiteln 
beschäftigen. Das zweite Kapitel zeigt uns den christlichen 
Charakter oder — wie man zu sagen pflegt — die christliche 
Gnade. Wir sehen Christum, Der, auf die Erde gekommen, 
Sich Selbst erniedrigt hat. Das dritte Kapitel befaßt sich mit der 
Energie, die den Christen über die gegenwärtigen Dinge erhebt. 
Es zeigt uns Christum in der Herrlichkeit, sowie den Kampfpreis unserer Berufung nach oben. 
Eine sorgfältige Prüfung läßt uns erkennen, wie im zweiten 
Kapitel durchgängig die lieblichen Gnadenfrüchte dargestellt 
werden, welche aus der ernsten Betrachtung der Niedrigkeit 
unseres gesegneten Herrn, indem das Herz von dieser Gesinnung erfüllt wird, unausbleiblich entspringen. Das dritte Kapitel 
stellt uns ein Gemälde von jener gesegneten Energie vor Augen, 
welche die Welt für Dreck achtet, auf dem Wege überwindet 
und vorwärts auf die Zeit schaut, wo der Herr die Macht des 
Todes in uns samt all ihren Folgen beseitigt und den Leib unserer Niedrigkeit in den Leib Seiner Herrlichkeit umwandelt. 
Beide Grundsätze und die damit zusammenhängenden Beweggründe sind von tiefgreifender praktischen Bedeutung. 
210 
Die Christen sind unterschiedlich. Der eine zeichnet sich durch 
viel Energie des Glaubens aus, der andere mehr durch einen 
sympathischen Charakter. Wenn aber auf unserem Pfade das 
Fleisch oder die natürliche Willenskraft sich mit der göttlichen 
Kraft vermischt, müssen wir in unserem Wandel das beherzigen, was uns im zweiten Kapitel gesagt wird. Wir bedürfen 
einer größeren innerlichen Gemeinschaft mit Christo, mehr der 
Ernährung von dem Brote, das aus dem Himmel herniedergekommen ist. Nur dann offenbaren wir Christum in unserem 
Wandel; unsere Tätigkeit wird von tieferem Ernst geprägt sein 
und größeren Wert haben, unser Wandel wird wahrer und 
göttlicher sein. Dagegen kann der Mann von ruhigem Charakter sehr leicht den Stab über seinen Bruder brechen, weil er 
dessen Energie, die ihm selbst mangelt, für Fleisch hält, obwohl 
sie in der Tat von Gott gewirkt ist. 
O möchten wir uns doch nahe genug bei Christo halten und 
von Ihm alle Gnade und Hingebung nehmen; möchten wir 
alles in uns verurteilen, was uns auf unserem christlichen 
Pfade zum Anstoß dienen könnte! Es ist nicht zu erwarten, daß 
ein Christ alle positiven Eigenschaften zugleich besitzt. Ich 
denke nicht, daß dies in der Absicht Gottes liegt. Ein jeder hat 
vielmehr in Demut seinen Platz zu bewahren. Das Auge kann 
nicht zur Hand, die Hand nicht zum Fuße sagen: „Ich bedarf 
deiner nicht". Nur in Christo allein ist Vollkommenheit. Gegenseitige Abhängigkeit und eine Ergänzung des einen durch 
den anderen — das ist die göttliche Ordnung Seines Leibes. Für 
einen tätigen Geist scheint dieser Gedanke hart zu sein; aber es 
ist wahre Demut, nichts zu sein und zu dienen. Der praktische 
Weg zu dieser Einsicht ist, daß einer den anderen höher achtet, 
als sich selbst. Andere besitzen das, was uns fehlt. Unser Teil 
ist es zu tun, was der Herr uns zu tun heißt, zu dienen und 
alles Ihm zuzuschreiben, der in Wirklichkeit der Weisende ist, 
und uns, wenn wir Seinen Willen getan haben, zu freuen, daß 
wir nichts sind, damit Er alles sei. 
Doch beleuchten wir das zweite Kapitel unseres Briefes etwas 
näher. Augenscheinlich wird uns hier die Erniedrigung Christi 
gezeigt. Die Anwendung ist lieblich. Die Philipper, die schon 
früher Beweise echter Anteilnahme am Evangelium geliefert 
hatten, hatten an den Apostel in fernem Kerker gedacht, und 
211 
Epaphroditus hatte, ihrer Liebe Ausdruck gebend, der Bedürftigkeit des Apostels gedient und voll hingebenden Eifers zur 
Erfüllung dieses Dienstes sein Leben gewagt (V. 25—30). Paulus macht von der Liebe der Philipper einen rührenden Gebrauch. Er erblickt in diesem erneuerten Zeugnis ihrer Zuneigung eine „Ermunterung in Christo, einen Trost der Liebe, 
Gemeinschaft des Geistes, innerliche Gefühle und Erbarmung" 
(V. 1)! Sein Herz fühlt sich zu ihnen hingezogen. Wenn sie ihn 
aber vollkommen glücklich machen wollten, so konnte dies nur 
dadurch geschehen, daß sie völlig eins und glücklich untereinander waren. Mit welcher Liebe und Zärtlichkeit suchte er sie 
auf ihre Mängel und Gefahren aufmerksam zu machen! Wie 
bewußt war er dabei bemüht, die„Evodia"und die „Synthyche" 
(Kap 4, 2) zu gewinnen und sie, da die Gnade so wirksam war, wegen ihrer unterschiedlichen Gesinnung zu beschämen! Dann spricht er davon, wie es möglich ist, in dieser Gesinnung zu wandeln. Ein jeder sollte nicht auf seine eigenen 
geistlichen Gaben und Vorrechte sehen, sondern auch auf die 
seines Bruders, und das war nur möglich im Blick auf die Gesinnung, die in Christo Jesu war (V. 4. 5). Diese Entfaltung 
führt uns zu dem erhabenen Grundsatz des Kapitels. 
Christus ist uns hier in völligem Gegensatz zu dem ersten 
Adam vor Augen gestellt. Dieser erhob sich, um durch einen 
Raub Gott gleich zu sein. „Ihr werdet sein wie Gott, erkennend 
Gutes und Böses" (1. Mo 3, 5), hatte die Schlange gesagt. Und 
er wurde ungehorsam bis zum Tode. Aber Christus — gepriesen 
sei Sein Name! — Der in Gestalt Gottes war, machte Sich Selbst 
zu nichts und war in Knechtsgestalt gehorsam bis zum Tode. 
Er war wahrhaftiger Gott, wie Adam wahrhaftiger Mensch 
war; ja Er war selbst dann noch wahrhaftiger Gott, nachdem 
Er die Gestalt eines Menschen angenommen hatte, und war 
doch zugleich wahrhaftiger Mensch und Diener in Gnade. Er 
erniedrigte Sich Selbst aus Liebe und wurde als Mensch erhöht, 
während Adam sich aus Selbstsucht und Hochmut erhob und 
erniedrigt wurde. Christus ertrug nicht nur die Schmach von 
Seiten der Menschen mit Geduld, sondern Er erniedrigte Sich 
Selbst. Das war Liebe. Wir entdecken hier zwei große Stufen. Er 
war in Gestalt Gottes und nahm Knechtsgestalt an, und als 
Mensch erniedrigte Er Sich Selbst und „ward gehorsam bis zum 
212 
Tode, ja zum Tode am Kreuze" (V. 6—8). Das ist die Gesinnung, die uns erfüllen muß. Die Liebe macht sich selbst zu 
nichts, um anderen zu dienen, und hieran findet sie ihre Freude, 
während die Selbstsucht es liebt, bedient zu werden. Der 
wahre Ruhm eines göttlichen Charakters ist es, demütig zu 
sein; menschlicher Stolz ist nichts als Selbstsucht. Jene Gesinnung erzeugt nicht nur Zuneigung und Hingabe in dem Herzen, 
sondern setzt auch bei anderen diese Neigung voraus und ist 
auf diese Weise eine Quelle wahrer Freude und Segnung für 
die Versammlung. 
Nachdem der Apostel im weiteren Verlauf unseres Kapitels an 
die Erhöhung und Verherrlichung Christi als Herrn erinnert 
hat, ermahnt er die gläubigen Philipper, deren Gehorsam (vollkommen in Christo geoffenbart) er rühmt, ihre „eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken" (V. 12), und dies um 
so mehr, da sie jetzt den Angriffen des Feindes unmittelbar 
ausgesetzt waren; denn Paulus, der einst unter ihnen gewirkt 
hatte, befand sich fern von ihnen im Gefängnis und konnte sie 
mit seiner Energie nicht mehr stützen. Doch nach allem war es 
Gott — und nicht Paulus — der in ihnen wirkte „sowohl das 
Wollen als auch das Wirken nach seinem Wohlgefallen" 
(V. ii). 
Die Seligkeit oder die Errettung ist in diesem Briefe stets das 
große Resultat der endlichen Befreiung vom Bösen und des Eintritts in die Herrlichkeit. Das alles wird am Ende erwartet, obgleich die Segnungen auf unseren Pfad herabstrahlen und sich 
auswirken nach den Worten: „Auf daß ihr tadellos und lauter 
seid, unbescholtene Kinder Gottes, inmitten eines verdrehten 
und verkehrten Geschlechts, unter welchem ihr scheinet wie 
Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens . . ." 
(V. 15. 16). Welches dieser Worte könnte nicht auf Christum 
angewandt werden? Er allein war das wahre Muster, und wir, 
die wir Leben in Ihm haben, sind berufen, zu folgen. So war 
Christus, und so ist der christliche Charakter, den wir mit 
Wonne und Anbetung in Ihm erforschen und der in uns verwirklicht wird. 
Betrachten wir jetzt die Zuneigungen, die aus der Demut entspringen, wo die Selbstsucht in der Liebe verschwindet. „Wenn 
213 
ich aber auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst 
eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue 
mich mit euch allen" (V. 17). Paulus macht den Glauben der 
Philipper zur Hauptsache; denn deren Glaube war das Opfer 
für Gott. Sein Anteil daran war, wiewohl er in den Tod ging, 
nur eine Zugabe. Er betrachtet die Philipper als das Eigentum 
Christi, die Frucht der Arbeit Seiner Seele, die Krone und 
Freude des Erlösers. Deshalb waren sie auch für den Apostel 
eine Freude, und aus demselben Grunde will er, daß auch sie 
sich mit ihm freuen; denn für ihn war es in der Tat ein Ruhm, 
sich selbst für Christum aufzugeben. 
Aber noch mehr. Er dachte an ihre Glückseligkeit und war im 
Begriff, seinen geliebten Timotheus zu ihnen zu senden, um 
auf diesem Wege ihre Umstände zu erfahren. Er hatte dieses 
Vorhaben jedoch zurückgestellt, bis er ihnen zuverlässige Mitteilungen machen konnte, da er vor dem Kaiser erscheinen und 
vielleicht dem Tode entgegengehen mußte. Wie schön und herrlich ist dies alles! Hier ist das Vertrauen der Liebe; es setzt 
dieselbe Liebe auch bei anderen voraus und gibt sich ihr im 
freien Ausfluß hin. Sie wird gegenseitig gefühlt und erkannt, 
und sie war, wie wir sehen, nicht nur in dem Apostel wirksam. 
Die um sich greifende allgemeine Erkaltung der Empfindungen 
unter den Heiligen, sowie der für das Fleisch so schmachvolle 
Widerstand der Welt trugen dazu bei, die Liebe der Philipper, wie 
der Apostel in diesem Briefe andeutet, nur zu stärken. Auch die 
Liebe des Apostels ließ sich durch alles das nicht zurückschrecken. 
Sie erkaltete nicht. Nichtsdestoweniger mußte ihm das Zeugnis 
der Liebe tröstlich sein, das Gott ihm durch die so weit entfernten Brüder in Philippi zusandte, wie tröstlich ersehen wir 
aus dem Anfang unseres Kapitels. Dieselben Früchte der Liebe 
finden wir auch in Epaphroditus und seinen Beziehungen zu 
den Philippern. Paulus sendet ihn mit dem Zeugnis seiner 
innigsten Zuneigung und Anerkennung zurück, denn Epaphroditus sehnte sich nach ihnen allen. Er hatte seinen Auftrag mit 
Freuden übernommen, hatte einen Weg von beinahe zweihundert Meilen zurückgelegt und war infolge seiner Entbehrungen 
und Anstrengungen sterbenskrank geworden. Um des Werkes 
Christi willen war er bis nahe zum Tode gekommen. Hatte nun 
der Einsatz des Epaphroditus für den Apostel etwa deshalb 
214 
weniger Wert, weil er um des Werkes Christi willen geschehen 
war? Keineswegs. Wenn der Gesandte der Philipper als ein 
Opfer seines — dem Apostel gewidmeten Dienstes gefallen 
wäre, so hätte dies für Paulus einen harten, kummervollen 
Schlag bedeutet, zumal sein Leidenskelch ohnehin schon voll 
war. Doch Gott hatte sich über Epaphroditus erbarmt, und der 
Apostel betrachtete das als eine ihm selbst widerfahrene Barmherzigkeit. Hier sehen wir, wie das Herz, das sich frei in der 
Gnade bewegt, empfangene Barmherzigkeit zu schätzen weiß, 
nicht aus natürlichen Gefühlen der Verwandtschaft heraus, wie 
richtig und passend diese auch an ihrem Platze sein mögen, 
sondern gottgemäß. Epaphroditus wäre im Fall seines Ablebens 
sicher in den Himmel gegangen; aber in diesem Augenblick 
sehnt sich das Herz des Apostels nach Güte — nach der Güte 
Gottes, der „die Niedrigen tröstet" und er dankt Gott, daß der 
geliebte Epaphroditus nicht als Opfer seines Eifers in der Erfüllung seines Dienstes gefallen ist. 
Aber das ist noch nicht alles. Epaphroditus war in großer Besorgnis darüber, daß die Philipper seine Krankheit erfahren 
hatten. Er setzte ihre Liebe voraus. Er dachte: „Sie werden bekümmert sein und keine Ruhe haben, bis sie von meiner Genesung überzeugt sind; darum will ich mich aufmachen, um sie 
so schnell wie möglich aufzusuchen". — Wie ein Sohn um 
seine Mutter, deren Liebe er kennt, besorgt ist, indem er an ihre 
Unruhe wegen seiner Krankheit und an ihre Sehnsucht nach 
einer Nachricht über seine Umstände denkt, ebenso war Epaphroditus um die Philipper bekümmert, und das waren die 
Gefühle der Christen jener Zeit in der die Hingabe und die 
Liebe unter ihnen im allgemeinen bereits so geschwunden 
waren, daß alle „das ihrige suchten". Das war in der Tat „Ermunterung in Christo, Trost der Liebe, Gemeinschaft des 
Geistes"; es waren „innerliche Gefühle und Erbarmungen". 
Wie erquickend ist dies! Noch besitzen wir die gesegnete Quelle von alledem in Christo, die, wie traurig auch sonst alles sein 
mag, stets für uns sprudelt, und der Glaube kennt keine 
Schwierigkeiten, weil er nichts zwischen uns und Christo erblickt. In Christo aber ist freie Entfaltung der Gnade; nichts 
hindert uns, deren Früchte hervorzubringen. 
Im Blick auf uns selbst können wir nie von Selbsterniedrigung 
sprechen; denn wir sind an und für sich nichts. Wir müssen 
215 
praktisch in Christo sein und Seine Gesinnung muß in uns sein, 
und indem wir so mit uns selbst ein Ende gemacht haben, demütigen wir uns in Gnade, offenbaren die Gesinnung, die in 
Christo Jesu war, und üben unseren Dienst aus dieser Einstellung heraus. Nur dann werden die lieblichen Früchte der Gnade 
ausströmen, wie auch der Zustand der Christenheit um uns her 
sein mag. Wir werden in Demut unsere Seligkeit mit Furcht 
und Zittern bewirken, und zwar inmitten der geistlichen Gefahren des christlichen Lebens und inmitten der Ansprüche auf 
Größe und geistliche Auszeichnung, weil wahre Größe — wie 
zur Zeit der Gefängnishaft des Apostels — verschwunden ist. 
Das ist nicht etwa Furcht aus Ungewißheit über unsere Seligkeit; die Tatsache, daß Gott in uns wirkt, läßt uns vielmehr 
den Ernst und die Wirklichkeit des Kampfes verstehen, wozu 
wir berufen sind. 
Wenn der Gehorsam — in der Tat die niedrigste Stellung, da 
der eigene Wille aufgehört hat — unseren Pfad kennzeichnet, so 
werden wir die Gesinnung Christi suchen, um mit Seinem 
Charakter bekleidet zu sein. Gesegnetes Vorrecht! Würden wir 
diese Gesinnung mit Eifersucht bewahren, und von dem absehen, was wir in uns selbst sind und besitzen, dann würde die 
köstliche Gnade himmlischer Liebe uns beseelen und zu einer 
Liebestätigkeit vereinigen, die vor allem auf Christum und die 
Herzen der Heiligen gerichtet ist. In einem solchen Zustand ist 
es leicht, andere höher zu achten, als sich selbst. Paulus betrachtete die Philipper nach dem Wert, den sie für Christum hatten, 
und darum war er bereit als Opfer über ihren Glauben gesprengt zu werden, und wenn wir nahe bei Christo sind, erkennen auch wir den Wert, den andere für Christum und in Christo haben und zugleich auch unser eigenes Nichts, ja vielleicht 
auch unseren Mangel an Liebe. 
Nach diesen Andeutungen über den gesegneten Inhalt des 
zweiten Kapitels lenken wir jetzt die Aufmerksamkeit des 
Lesers auf das dritte Kapitel des Philipperbriefes. Wir dürfen 
dabei nicht aus dem Auge verlieren, daß in dem ganzen Brief 
die Seligkeit oder die Errettung des Gläubigen als noch vor 
ihm liegend, jedoch keineswegs als ungewiß betrachtet wird. 
Der tatsächliche Besitz der Herrlichkeit, der neue Zustand des 
Menschen in dem auferstandenen und verherrlichten Chri216 
stus, das ist es, worauf allein und ausschließlich das Auge ruht. 
Zu diesem Zweck hat Christus den Gläubigen ergriffen, während der Gläubige damit beschäftigt ist, das zu ergreifen, wozu 
er ergriffen worden ist. Christum in der Herrlichkeit zu sehen — 
und der Apostel hatte Ihn wirklich dort schon gesehen — ist 
der Punkt, um den sich alles dreht. Paulus erwartet, an jenem 
Tage im Besitz der Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben 
in Ihm erfunden zu werden. Von diesem Gedanken ist er so 
ausschließlich erfüllt, daß er alle jüdischen und menschlichen 
Vorrechte, alles was ihn sonst erheben könnte, abtut. Der 
ganze christliche Zustand wird so in Verbindung mit der Auferstehung als zukünftig betrachtet; ist man nämlich „hingelangt zur Auferstehung aus den Toten", so besitzt man alles. 
Indem wir zu Gott kommen, erlangen wir die Rechtfertigung, 
die Gerechtigkeit als die Folge unserer Annahme in Christo, 
und wir kommen in Christo zu Gott. In der Tat wartete der 
Apostel auf einen Zustand der Auferstehung der Herrlichkeit. 
Dies hatte er noch nicht ergriffen oder erreicht und war darum 
auch noch nicht vollendet. Der Zustand des Menschen, der von 
Gott nicht lebendig gemacht ist, ist der Zustand des ersten 
Adam. Was der Apostel hier von den Gläubigen erwartet, ist 
nicht allein, daß er sich einfach vom Bösen, sondern daß er sich 
von diesem Zustand fernhalte und daß er, stets im Geiste 
wandelnd, zur Herrlichkeit fortschreite und in keinerlei Weise 
mit der Sünde beschäftigt sei. Paulus sieht ihn ohne Rückhalt 
in den neuen Zustand gebracht, als eins mit Christo in der 
Herrlichkeit. 
Hätte der Apostel alle Gerechtigkeit aus dem besessen, so wäre 
es doch nur eine Gerechtigkeit des ersten Adam und nicht des 
Christus, nicht die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben, und das 
wollte er nicht. Er hatte Christum — den letzten Adam — aufgenommen in Herrlichkeit gesehen. Er war ergriffen worden, 
um Ihm gleichförmig zu sein, gleichförmig diesem ganz neuen 
Zustand und der Stellung eines Menschen, der sich in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit Gottes befand. Was er in 
Christo erblickte, das hatte in seinem Herzen alles andere ersetzt. Er konnte mit nichts Geringerem zufrieden sein. Er 
konnte nicht die Stellung des alten Menschen, selbst wenn 
dieser Gerechtigkeit besaß, und zugleich die des neuen Menschen einnehmen; beide waren unvereinbar. Er achtete alles für 
217 
Verlast und Dreck, was dem ersten Menschen, dem Paulus, 
dem Ich, Ehre und Ansehen gab. Der auferstandene, verherrlichte Mensch stand vor seinem Auge, nicht in dem Sinn, daß 
Christus uns gerechtfertigt hat, weil wir mit Ihm, Der unsere 
Versöhnung vollbracht hat, gestorben und mit Ihm nach dem 
Wert jenes Werkes auferstanden sind, kraft dessen Er in Seiner 
Person auferweckt worden und unsere Annahme als Gerechtfertigte vor Gott bezeugt ist. Auch wird die Auferstehung hier 
nicht als die Ursache unserer Rechtfertigung, sondern als ein 
neuer Zustand betrachtet, der im Ergebnis auch die Gerechtigkeit Gottes einschließt. Es ist der völlig neue Zustand der Herrlichkeit — ein Zustand, in den das Christentum uns einführt. 
Für den Glauben des Apostels existierte der alte Mensch mit 
seiner Gerechtigkeit und mit allem, was er je besaß, nicht mehr; 
sein Glaube war auf den neuen Menschen, das ist auf Christum 
Selbst gerichtet. In Ihm erblickte er seinen eigenen Platz in der 
Herrlichkeit und hatte demzufolge teil an der „Auferstehung 
aus den Toten" (V. 8—11). Dies führt uns zu dem großen 
Grundsatz unseres Kapitels — zu dem ernsten und ungeteilten 
Streben nach der Herrlichkeit, nach Christo Selbst, wobei, um 
dieses Ziel zu erreichen, alles andere für nichts geachtet, für 
wertlos gehalten wird. In dem vorhergehenden Kapitel sahen 
wir Christum in Seiner Erniedrigung, und das gereicht uns auf 
unserem Weg hier zur gleichen Offenbarung der Gnade gegen 
andere. Indem wir Christum, den zweiten, den verherrlichten 
Menschen vor Augen haben, erlangt unser Streben geistliche 
Energie, erhebt uns über die Welt, über alle ihre Beweggründe 
und über alles, was dem alten Menschen Ansehen verleiht; es 
macht, als der Gegenstand des neuen Menschen, das Herz weit 
und erfüllt es mit himmlischer und ungeteilter Gesinnung in 
unserem christlichen Lauf. 
Es ist eine der Schönheiten des Christentums, daß es durch 
unsere Versöhnung in Christo jene friedliche Zuneigung verleiht, die uns in einem bestehenden Verhältnis vollkommen 
glücklich sein läßt und uns zugleich jenen höchsten Gegenstand 
unserer Hoffnung vor Augen stellt, der uns zu einer ununterbrochenen Tätigkeit drängt. Diese beiden Elemente bilden die 
menschliche Natur für das Gute; sie werden in der höchsten, 
göttlichen Weise in Christo gefunden. 
218 
Mit dem zweiten Element befaßt sich unser Kapitel. Der hier 
entwickelte völlig befriedigende herrliche Grundsatz — der 
Kampfpreis unserer Berufung nach oben, die Auferstehung aus 
den Toten — schließt jede Selbstsucht aus. Alles, was das Ich 
mit Ehre bekleidet, ist nur Verlust; es erhebt den alten Menschen. Christus erfüllt das Blickfeld des Gläubigen. Diese Schau 
löst uns von allem anderen; sie erhöht den Menschen, aber 
nicht das Ich. Wenn der moderne Unglaube den Menschen erhebt, so erhebt er einfach das Ich, während das Christentum 
den Menschen zu himmlicher Herrlichkeit und göttlicher Hoheit 
emporhebt, aber das Ich gänzlich beiseite setzt. Der Apostel 
erklärt „was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für 
Verlust geachtet" (V. 7). Gelehrsamkeit, das Verständnis fremder Sprachen u. a. m., ist ein Gewinn für das Ich; meine eigene 
Gerechtigkeit, deren ich mich in der Welt oder vor Gott rühmen 
kann, ist Nahrung für das Ich. So bin und besitze ich etwas, 
was andere nicht sind und nicht besitzen. Solcher Beweggründe 
bedarf die Welt. Sie handelt danach; denn sie besitzt keine 
anderen. Doch welche Energie solche Bewegungen auch zu erzeugen vermögen, einen Fortschritt in moralischer Beziehung 
bewirken sie nicht. Das Ich bleibt die Quelle und der Mittelpunkt aller menschlichen Tätigkeit, auch wenn diese Tätigkeit 
große Anerkennung in der Welt findet. Selbst in religiösen 
Dingen können wir dies wahrnehmen. Herr „gib uns, daß wir 
einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen 
mögen in deiner Herrlichkeit" (Mk 10, 37). — das war die 
Sprache des Ichs; einen guten Platz mit anderen gemeinsam 
verlangten die beiden Jünger nicht. Der erhabenste Wunsch, 
wodurch das Herz von sich selbst ab und zu Christo hingezogen 
wird — die höchste Segnung, ausgedrückt in den Worten: „daß 
ich Christum gewinne", finden wir hier nicht. 
Dieser Wunsch offenbart die Zuneigungen des Herzens zu 
Dem, Der, in Sich Selbst höchst vortrefflich, stets die Wonne 
des Vaters war. Gott hat uns das Vorrecht gegeben, unsere 
Wonne dort zu finden, wo auch Er Seine völlige Wonne gefunden hat. Welch ein herrliches Zeugnis von unserer wahren Versöhnung mit Gott, die nicht nur zu unserer Rechtfertigung nötig 
war, sondern die auch unsere moralische Natur zu dem Maße 
göttlicher Wonne und Gemeinschaft erhebt, obwohl wir stets 
219 
die Empfangenden sind, die sich einer solchen Liebe erfreuen. 
Er ist immer der göttliche Geber; aber beide, sowohl der Geber, 
wie der Empfänger, finden in Christo gleicherweise ihre 
Wonne. Die Kreatur besitzt eine Natur, die ihr angepaßt ist 
und sein muß; aber der moralische Zustand einer Seele wird 
durch ihr Vorbild gebildet und charakterisiert. Wir sind hier 
zu Teilnehmern der göttlichen Natur gemacht und haben ein 
göttliches Vorbild. Aber wir befinden uns jetzt noch nicht im 
Zustand der Ruhe. Wir leben inmitten einer Welt, durch welche 
Satan uns zu verführen sucht, indem er auf den alten Menschen einwirkt. Doch wir sind von Christo ergriffen, und das 
flößt Mut und Dankbarkeit ein; zudem verleiht Er, als der 
Gegenstand unserer Hoffnung, uns die nötige Energie, und da 
Er von dem Streben nach selbstsüchtiger Rückkehr zu unserer 
eigenen Wichtigkeit befreit, ist Seine Person der mächtige Anziehungspunkt, der uns den Sieg über die Dinge dieser Welt 
gibt. Das Bewußtsein, daß wir unser Ziel noch nicht erreicht 
oder ergriffen haben, hält uns in Demut und läßt uns, weil wir 
Christum zu ergreifen haben, mit einer heiligen Zuneigung 
tätig sein. Wir sind durch die anziehende Macht einer auf den 
neuen Menschen wirkenden göttlichen Person von der Welt 
befreit. Das gibt eine unbesiegbare Kraft, indem das Selbstgericht in der Weise ausgeübt wird, daß wir alles mit Christo in 
Verbindung bringen. Dies ist das sicherste Mittel, alles richtig 
zu beurteilen und den Zuneigungen ihren wahren Platz einzuräumen; denn sonst kann in moralischen Dingen kein klares 
Urteil gefällt werden. 
Daneben offenbart sich hier noch ein anderes weniger hervorragendes Element, nämlich eine Macht, die der Macht dieser 
Welt entgegengesetzt ist. Ohne Zweifel ist diese Macht durch 
den Heiligen Geist gewirkt; aber es geht mir hier nicht um die 
Quelle, sondern um die Offenbarung dieser Macht. Man ist 
mehr als Überwinder. Das ist die Kraft des Wortes: „Auf irgendeine Weise". — Hier zeigt sich kein Schwanken. Was es 
den Apostel auch kosten mochte, welche Wege er auch einschlagen mußte — er war mit allem zufrieden, wenn er nur 
seinen Zweck erreichte. Selbst Leiden und Tod hatten keine 
Schrecken für ihn; sie bewirkten nur eine um so größere Gleichförmigkeit mit Christo, den er zu ergreifen suchte. Wie wir 
220 
hier bemerken, suchte er die Kraft der ersten Auferstehung. Er 
kannte die göttliche Energie dieses neuen Lebens, die ihn, sozusagen im Geiste, aus dem gegenwärtigen Leben herausversetzte, so daß die Leiden und der Tod — das Ende dieses Lebens 
— als Folge seiner Hingabe an Christum ihn nur Christo gleichförmig machten und ihn also auf irgendeine Weise und sei es 
auch durch den Tod — die Herrlichkeit des inneren Zusfcandes zu 
erreichen befähigte, in welche Christus durch die Auferstehung 
eingegangen war. Das soll nicht heißen, daß dieser Zustand für 
Christum persönlich neu war; aber er war neu für den Menschen, für die menschliche Natur, welche Er in Gnaden angenommen hatte und mit welcher Er in die Herrlichkeit eingegangen ist. Gerade der Blick auf den Zustand der Auferstehung aus den Toten gab dem Wandel und der täglichen Energie 
des Apostels den ausgeprägten Charakter. Er konnte nicht 
sagen, daß „er es schon ergriffen habe oder schon vollendet 
sei"; denn zu dieser Vollendung gehörte das Gleichsein mit 
Christo in der Herrlichkeit. Jedoch jagte er ihm nach, um es zu 
ergreifen, wozu er auch von Christo ergriffen war; und indem 
er dieses Ziel verfolgte, sah er kein anderes Leitbild. Er kannte 
nur dieses eine Ziel und verfolgte es nicht träge und saumselig, sondern mit Ernst und ungeteiltem Eifer, indem er nicht 
nur gewisse Dinge mißbilligte, sondern in der überwältigenden 
Macht Dessen, Der ihn von allem anderen befreit und ihn an 
den einen Gegenstand gefesselt hatte. Stets war dieser Gegenstand vor seinen Augen, aber er hatte ihn noch nicht ergriffen; 
immer glänzender wurde er vor seinem Geiste, aber er besaß 
ihn noch nicht. Dies veranlaßte ihn, stracks nach vorne zu sehen 
und sich nicht mit dem Wege zu beschäftigen, den er zurückgelegt hatte. Er vergaß, was hinter ihm war, und streckte sich 
nach dem aus, was vor ihm war. Wer in seinem Wettlauf 
stehenbleibt, um den zurückgelegten Weg zu besehen, wird das 
Ziel nicht erreichen; das Ich rückt dann in den Vordergrund, 
das Manna erzeugt Würmer, und das Herz entfernt sich von 
dem was es fesselte. 
Die Energie eines einfältigen Auges erzeugt noch eine andere 
bemerkenswerte Wirkung: man schaut ausschließlich auf das, 
was himmlisch ist. Es ist die Berufung nach oben, an die sich 
die Hoffnung und die Gedanken knüpfen, indem man, wie der 
221 
Apostel sagt, nicht „die Dinge anschaut, welche man sieht, 
sondern die, welche man nicht sieht". Das gibt dem ganzen 
Wesen und Verhalten des Menschen ein himmlisches Gepräge. 
Sein Wandel ist im Himmel, sein Verkehr ist dort oben, das 
Herz ist erhoben und mit Dank erfüllt. Es ist die Berufung 
Gottes nach oben in Christo Jesu. Das einsichtsvolle Herz erkennt die Quelle und den Weg dieser Berufung. 
Ich sehe davon ab, mich mit dem zu befassen, was der Apostel 
hier als Gegensatz zu dem Vorhergehenden aufstellt. Es ist die 
irdische Gesinnung. Sie fördert das Wachstum nicht, sondern 
zieht den Menschen nur ab von dem, was himmlisch, rein und 
göttlich ist. Ihr abträglicher Einfluß geht so weit, daß der Apostel von „Feinden des Kreuzes Christi" spricht. Das Kreuz ist 
der Tod dieser Welt. Der Heilige rühmt sich durch das Kreuz 
der Welt gestorben zu sein. Wenn jemand im Geiste dieser 
Welt lebt, so ist er ein Feind des Kreuzes. Das Ende ist Verderben. 
Uns bleibt nur eins, nämlich die Hoffnung des Christen bis zu 
ihrer Erfüllung in der Ankunft des Herrn zu verwirklichen. Wir 
haben diese Hoffnung, „diesen Schatz in irdenen Gefäßen". 
Christus wird kommen und den Leib unserer Niedrigkeit so 
umgestalten, daß er dem Leibe Seiner Herrlichkeit gleichförmig 
ist. Dann wird das, was wir jetzt in Hoffnung besitzen, was wir 
ersehnen, was unsere Herzen schon hier bildet, in Herrlichkeit 
erfüllt sein. Wir werden Christo gleich und immer bei Ihm sein. 
Dies ist das Wesen einer Energie, die uns nicht nur befreit, 
sondern uns auch über alles, was in der Welt ist, triumphieren 
läßt, indem sie unsere Neigungen den Dingen zuwendet, die 
droben und nicht auf der Erde sind, und indem sie Christum, 
Der droben ist, zur glänzenden und gesegneten Kostbarkeil 
unserer Herzen macht. J.N.D. 
Der Herr in der Mitte Seiner Jünger 
Es war am Tage der Auferstehung unseres Herrn. Die Jünger 
waren versammelt und hatten aus Furcht vor den Juden die 
Türen verschlossen. Plötzlich nun stand Jesus in ihrer Mitte. 
222 
Der auferstandene Herr erschien im Kreise der Seinen. Ja wahilich, es war Derselbe Jesus, Den ihr Auge gesehen hatte. Er hatte 
Fleisch und Bein; man konnte die Zeichen der Kreuzigung an 
Ihm sehen. Und dennoch, wie sehr war alles an Ihm verändert! 
Er war der Überwinder des Todes und des Grabes. Der Vater 
hatte Ihn aus den Toten auferweckt. Sein Leib war nicht mehr, 
den Mühsalen und Schwachheiten des menschlichen Lebens 
unterworfen: Er hatte einen verherrlichten Leib. Die verschlossenen Türen konnten Ihn nicht hindern plötzlich in die Mitte 
Seiner Jünger zu treten. Acht Tage später wiederholte sich 
dasselbe wunderbare Ereignis. Wiederum waren die Jünger am 
ersten Tage der Woche versammelt und diesmal war auch 
Thomas bei Ihnen. Wiederum, trotz der verschlossenen Türen, 
erschien Jesus in ihrer Mitte. 
Wie treffend und herrlich ist dies für uns, besonders wenn wir 
daran denken, daß, wie der Herr damals persönlich in der 
Mitte Seiner Jünger erschien, Er jetzt im Geist in unsere Mitte 
tritt, wenn wir uns in Seinem Namen versammeln. Zweimal — 
und zwar jeweils am ersten Tage der Woche — trat Er in den 
Kreis der Seinigen. Es war der Tag der Auferstehung, der Tag 
des neuen Lebens. Das alte war vergangen — siehe, alles war 
neu geworden. Hierdurch hat der Herr diesen Tag zum Tag der 
Zusammenkunft für die Seinen geweiht. Die erste Versammlung oder Gemeinde hat dies gut begriffen. Wie die Schrift 
besagt, versammelten sich die Jünger am ersten Tage der 
Woche, um das Brot zu brechen und in der Offenbarung wird 
dieser Tag der „Tag des Herrn" genannt. Wie herrlich für uns! 
Wenn wir uns am ersten Tag der Woche im Namen Jesu versammeln, so folgen wir also dem Beispiel unseres Herrn und 
der ersten Jünger. Dann kommt Jesus in unsere Mitte, um uns 
zu segnen. Freilich sehen wir den Herrn nicht, wie die Jünger 
Ihn an den zwei ersten Sonntagen sahen. Er ist jetzt verherrlicht und sitzt zur Rechten Gottes; aber dennoch ist Er ebenso 
gewiß in unserer Mitte. Das Auge des Glaubens schaut Ihn. 
Und damit wir nicht etwa meinen, unser Vorrecht sei geringer 
als das der Jünger, sagt Er: „Glückselig sind, die nicht gesehen 
und geglaubt haben"! Welch ein Glück! Sowie Thomas den 
Herrn sah und betastete, können wir Ihn mit unseren Sinnen 
nicht wahrnehmen; aber das vermindert unsere Freude nicht. 
223 
Im Gegenteil, die, welche nicht sehen und dennoch glauben, 
werden vom Herrn Selbst glückselig gepriesen. Wie wichtig ist 
es daher, am ersten Tag der Woche in der Mitte der Jünger zu 
sein! Dort begegnet man dem Herrn, und wieviel entbehrt der, 
welcher eine solch feierliche Gelegenheit versäumt! Thomas 
blieb acht Tage länger in Furcht und Zweifel, weil er am ersten 
Wochentag abwesend war. Wie gern möchte der Herr uns 
segnen, wie gern unser Herz erquicken! O möchte es doch stets 
unsere Freude sein, uns vom Herrn segnen zu lassen! 
Welch herrliche Segnungen empfingen die Jünger am ersten 
Tage der Woche! Jesus trat in ihre Mitte und sprach: „Friede 
euch"! In einer solchen Weise hatte Er noch nie zu ihnen gesprochen. Zwar lesen wir in Joh 14, 27 ähnliche Worte; aber 
wir dürfen nicht übersehen, daß sich der Herr damals im Geiste 
an das Ende des vollbrachten Werkes der Erlösung versetzte. 
Hier erscheint Er als der Versöhner der Sünden, als der Erlöser 
vom Gericht und vom ewigen Verderben und als Sieger über 
Tod, Grab und Hölle in der Mitte der Seinen und ruft ihnen zu: 
„Friede euch"! Der Friede war gemacht und Er, der Friedefürst 
Selbst, erscheint, um ihnen den Frieden zu verkündigen. Jetzt 
war nichts Trennendes mehr zwischen Gott und ihnen. Alles 
war hinweggetan; alle Dinge waren in Ordnung. Welch eine 
Freude für die Jünger! Als sie dies verstanden, als der Herr ihre 
Herzen für die herrlichen Dinge öffnete, da wurden sie voll 
Freude erfüllt. Selbst als der Herr bei der Himmelfahrt ihren 
Blicken entschwand, kehrten sie, Gott lobend und preisend, 
mit großer Freude nach Jerusalem zurück. Waren sie noch kurz 
zuvor bestürzt und beunruhigt gewesen, als der Herr nur von 
Seinem Heimgang gesprochen hatte, so freuten sie sich jetzt mit 
großer Freude, weil sie den Zweck Seines Werkes und Seines 
Hingangs zum Vater begriffen hatten. 
Und nachdem ihnen der Herr das Wort: „Friede euch" zugerufen hatte, zeigte Er ihnen Seine Hände und Seine Seite. 
Wie treffend! Er will sie verstehen lehren, daß Er ihnen darum 
jenes Wort zurufen konnte, weil Er am Kreuz gestorben war. 
Der Friede war gemacht; aber es hatte Ihn das Leben gekostet. 
Das mußten sie verstehen und in ihren Herzen erwägen. 
Und, geliebte Brüder, tut Er nicht dasselbe, wenn Er am ersten 
Wochentage in unserer Mitte erscheint? Sicher. Er hat uns 
224 
Seinen Tisch zubereitet und hier sehen wir die Sinnbilder 
Seines Leidens und Sterbens vor uns. „Das Brot, das wir 
brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? 
Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus"? Ja, so wie der Herr persönlich im Kreise Seiner Jünger erschien und ihnen die Male in 
Seinen Händen und Seiner Seite zeigte, so tritt Er jetzt in 
unsere Mitte und zeigt uns in dem Brot und dem Kelch, daß 
Er für uns Sein teures Leben hingegeben und Sein kostbares 
Blut vergossen hat. Und dabei ruft Er uns gleichsam zu: „Sehet, 
alles habe ich für euch vollbracht, ich habe eure Sünden hinweggenommen und habe euch mit Gott versöhnt — Friede 
euch"! So hat Er uns geliebt, daß Er den Tod am Kreuze für 
uns erduldete. Um uns Frieden schenken zu können, war Er im 
Gericht. Um uns für ewig in die Gemeinschaft mit Gott zu 
bringen, wurde Er von Gott verlassen. Welch eine Sicherheit 
für unsere Herzen! Er, Der das Werk vollbracht und Frieden 
gemacht hat, kommt Selbst in unsere Mitte, um uns zu versichern, daß alles in Ordnung sei. Ja, nun brauchen wir nicht 
mehr zu zweifeln. Auch wir können voll Freude sein und Gott 
loben und preisen. Der auferstandene und verherrlichte Jesus 
erscheint in unserer Mitte, um uns die kostbare Versicherung 
zu geben, daß wir für ewig erlöst sind. Sein Name sei gelobt 
bis in alle Zeitalter. 
Der Magnet 
„Ich kann durchaus nicht begreifen", sagte eines Tages ein 
Gläubiger zu seinem christlichen Freunde, „in welcher Weise 
der Herr Jesus die Seinen aufnehmen wird. Wie wird dies 
geschehen? Kannst Du es mir erklären"? 
„O ja", war die Antwort. „Hast du schon einmal beobachtet, 
wie eine Nadel von einem Magneten angezogen wird? Ebenso 
wird es bei der Ankunft des Herrn sein. Er wird vom Himmel 
herniederkommen und die Seinen zu Sich ziehen, wie der Magnet die Nadel anzieht". 
So wird es sein. Wie die Nadel zu dem Magneten aufspringt 
und sich an ihm festklammert, so werden alle, die Christo an225 
gehören — wie schwach, wie unwissend, wie gebrechlich sie auch 
sein mögen — aufspringen, um dem kommenden Herrn entgegenzugehen. Die entschlafenen Heiligen werden auferstehen, 
die noch lebenden Heiligen verwandelt werden, und alle zusammen werden dem Herrn entgegeneilen. 
Hierzu noch ein anderer Vergleich! Man fülle ein Gemisch aus 
Nadeln und Sand in ein Glas und halte einen kräftigen Magneten darüber. Dieser zieht alsbald die Nadeln an sich, während 
der Sand im Glase zurückbleibt. So wird es bei der Ankunft des 
Herrn sein. Die Seinen sind in der Welt; sie teilen mit den 
Kindern dieser Welt dasselbe Zimmer, dasselbe Pult, fahren 
mit demselben Schiff und wandeln auf derselben Straße; aber 
wenn Christus kommt, werden alle, die Ihm angehören Ihm im 
Nu entgegengerückt werden. Ihre Aufnahme wird eine Folge 
der Anziehungskraft Seiner Person, sowie der moralischen 
Übereinstimmung sein, die zwischen Ihm und ihnen besteht, 
während alle, die Ihm nicht angehören, gleich jenen Sandkörnern zurückbleiben. 
Lieber Leser! Wie würde es mit dir sein, wenn der Herr käme, 
während du diese Zeilen liest? Er kann jeden Augenblick kommen. Seine Verheißung ist sicher. Er hat gesagt: „Ich werde 
wiederkommen"! und: „Ich komme bald"! Die Seinen sind 
berufen, täglich nach Seiner Ankunft auszuschauen. Es muß 
nicht etwa vor dieser Zeit noch irgend etwas geschehen. Wir 
warten nicht auf Zeichen. Wir warten auf die Wiederkunft 
des Sohnes Gottes vom Himmel. Unsere Hoffnung wird keineswegs begrenzt durch die Erfüllung der Prophezeiungen. Die 
Propheten beschäftigten sich mit Israel und den Nationen, mit 
den Ereignissen, die auf der Erde stattfinden werden. Die Versammlung aber wartet auf die Erscheinung des „glänzenden 
Morgensterns". Sie erwartet die Ankunft des Herrn Jesus vom 
Himmel und wenn Er kommt, werden alle wahren Gläubigen 
zu Ihm aufgenommen, während alle Namenchristen zum Gericht zurückbleiben werden. 
Das ist in der Tat sehr ernst für alle, die ohne Chrisrum sind. 
Bedenke es, mein Leser! Der Herr Jesus kommt für die Seinen. 
Dieses Ereignis steht mit göttlicher Klarheit vor den Augen 
jedes Christen, der sich vor der Autorität der Heiligen Schrift 
226 
beugt. Er erwartet keineswegs die Bekehrung der Welt durch 
das Evangelium. Er weiß, daß die Welt je länger um so schlechter und die Nacht je länger, um so finsterer wird. Er glaubt, 
daß der Unglaube und der Aberglaube immer mehr zunehmen, 
daß sie wie ein Strom das Christentum überfluten werden und 
daß das Gericht das gegenwärtige Zeitalter beschließen und die 
Erde für die tausendjährige Herrlichkeit reinigen wird. Wie 
wichtig ist es daher, bereit zu sein! Bist du bereit, mein Leser? 
Bist du durch Christum gerettet und durch den Heiligen Geist 
versiegelt? Wenn es so ist, dann laß die selige Hoffnung der 
Ankunft Jesu dein Herz erfüllen! Erwarte Ihn jeden Tag! Er 
kommt bald. Darum lebe getrennt von der Welt und von dem 
was in der Welt ist! Reinige dich vom Bösen und von allem, 
was Gott nicht wohlgefällt. „Wer diese Hoffnung zu ihm hat, 
reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist". Der Herr hat uns Sein 
ganzes Herz geschenkt; schenken wir Ihm darum auch unser 
Herz! Laßt uns mit umgürteten Lenden und mit brennenden 
Lampen den Herrn erwarten, Der als Bräutigam kommt, um 
Seine geliebte Braut abzuholen und sie in das Haus des Vater? 
zu bringen, wo Er uns jetzt einen Platz bereitet. 
O wie herrlich wird es sein, Ihn zu sehen, wie Er ist, und Ihm 
gleich zu sein! Bei Ihm werden wir ruhen und unaussprechliche 
Freude genießen. Wir werden eine ununterbrochene Gemeinschaft mit Ihm haben, und zwar bis in alle Ewigkeit. O komm, 
Herr Jesu, und nimm uns auf in Deine Herrlichkeit! 
Die zwei Häuser 
Ein reicher, mir wohlbekannter Mann beschloß, sich ein großes 
und schönes Haus zu bauen. Er kaufte sich einen Platz im 
schönsten Teil der Stadt und scheute keine Kosten, seinen Plan 
in der prachtvollsten Weise auszuführen. Er ließ geräumige 
Zimmer und große Salons einrichten und trug Sorge, daß diese 
im Winter wohltuende Wärme und im Sommer erfrischende 
Kühle darboten. Nichts wurde gespart, um das Haus so schön 
und so bequem wie nur möglich zu gestalten, und sicher hoffte 
er, viele Jahre im Genuß seiner neuen und eleganten Wohnung 
zu leben. 
227 
Doch neben diesem großen Haus ließ er zugleich noch ein anderes Gebäude errichten. Wie verschieden aber waren diese beiden Häuser! Während das eine eine Menge prachtvoller Gemächer enthielt, umfaßte das zweite nur ein kleines Zimmer 
für die ganze Familie, und zwar unter der Erde. Obgleich die 
Mauer aus glänzendem Marmor aufgeführt wurde, fand sich 
doch nur eine kleine eiserne Tür und sonst keine Öffnung. 
Sonderbar! Beide Wohnungen waren für dieselben Personen 
bestimmt, jedoch das hohe geräumige und prachtvolle Gebäude 
für die Lebenden, das andere — eine kleine enge und niedrige 
Gruft — für die Toten, d. h. für die Angehörigen dieser reichen 
Familie im Falle ihres Ablebens. Lange vor der Vollendung des 
großen Hauses war bereits die Gruft fertig und der reiche Bauherr zog dort ein, noch ehe die schöne Wohnung für ihn fertig 
war. Wie seltsam! Lange bevor die geräumigen Gemächer des 
neuen Hauses wohnlich eingerichtet waren, befand sich der 
Eigentümer in dem engen, dunklen und kalten Raum, den er 
nicht eher verlassen wird, als bis die Stunde kommt, in welcher 
alle, die in den Gräbern sind, die Stimme des Sohnes Gottes 
hören werden. 
Das ist, lieber Leser, eine Begebenheit, die deine Aufmerksamkeit fesseln sollte. Viele Dinge im Leben können heiter und 
glänzend scheinen und reiche Genüsse versprechen. Wie leicht 
aber wird ihr Ende außer acht gelassen oder gar aus den Gedanken verbannt und in die Ferne gerückt! Das „Haus der 
Lebenden" ist so groß und so herrlich, daß es in deinen Augen 
das „Haus der Toten" verbirgt und überdeckt. Aber vergiß 
nicht, daß du —gleich dem Manne in unserer kleinen Erzählung, 
ins Grab gelegt werden kannst, bevor du in den Genuß der 
erwarteten Lebensfreuden gekommen bist. Der Heiland sagt: 
„Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, 
wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt 
und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit" (Joh 11, 
25. 26). Das ist wahr in jedem Sinne. Der wahre Gläubige, 
dessen Sünden vergeben sind und der in Christo angenommen 
ist, hat die Verheißung eines Hauses, welches nicht mit Händen 
gemacht ist, das ein ewiges ist, und das nicht in dieser vergänglichen Welt, sondern in den Himmeln ist. Der Übergang des 
Gläubigen aus diesem in jenes Leben ist kein Sterben, sondern 
ein Entschlafen auf der Erde, um beim Herrn zu erwachen