Botschafter des Heils in Christo 1878

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Inhaltsverzeichnis
Wo ist die Wohnung des Christen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Das Buch der Erfahrung – Teil 1/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Christus alles und in allen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Das Buch der Erfahrung – Teil 2/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Das Zusammentreffen mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
“Kommet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Das Buch der Erfahrung – Teil 3/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Der Tod ist unser – Teil 1/2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  . . . . . . . . . . . . . . . 38
Das Buch der Erfahrung – Teil 4/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Der Tod ist unser – Teil 2/2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  . . . . . . . . . . . . . . . 49
“Wir werden verwandelt nach demselben Bild“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
“Er wird in euch sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Das Buch der Erfahrung – Teil 5/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Das Gesetz – Teil 1/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Das Gesetz (Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Die Feigenblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Das Gesetz – Teil 2/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Reinigung und Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Das Gesetz – Teil 3/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
“Kommt her zu mir“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Inhaltsverzeichnis
Beantwortung einiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Das Gesetz – Teil 4/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Die Vollkommenheit – Teil 1/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Welches ist die Zukunft der Nationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Die Vollkommenheit – Teil 2/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Beantwortung einiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Die Vollkommenheit – Teil 3/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Gehorsam und Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Beantwortung einiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Die Vollkommenheit – Teil 4/4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
“Richtet euer Herz auf eure Wege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Beantwortung einiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Bibelstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

  Die Wohnung des Christen
Wo ist die Wohnung des Christen?
„Eins habe ich begehrt von Jehova, um dieses will ich bitten: zu wohnen im Haus Jehovas alle die Tage
meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas, um zu forschen in seinem Tempel. Denn er
wird mich bergen in seinem Zelt am Tag des Übels; er wird mich verbergen in dem Verborgenen
seiner Hütte; auf einen Felsen wird er mich erhöhen. Und nun wird sich erhöhen mein Haupt über
meine Feinde, die um mich her sind, – und Opfer des Posaunenschalls will ich opfern in seiner Hütte:
ich will singen und Psalmen singen Jehova“ (Ps 27,4–6).
Diese Worte sind der einfache Ausdruck des Lebens Gottes in der Seele eines Menschen. Es gibt eine
Sache, an welche wir, wie ich glaube, nicht genug denken, nämlich dass wir – so wir anders Christen
sind – einen göttlichen Grundsatz in uns umhertragen. Es ist höchst wunderbar, zu wissen, dass
wir das Leben Jesu besitzen: so wie der Apostel sagt: „Denn wir, die wir leben, werden allezeit dem
Tod überliefert um Jesu willen, auf dass auch das Leben Jesu oenbar werde an unserem sterblichen
Fleisch“ (2. Kor 4,11). Als Christ ist nicht nur mein Gewissen vor Gott zur Ruhe gebracht, so dass
mich dasselbe dort nicht mehr verurteilt, sondern ich habe auch das Leben Jesu in mir. Die wichtige
Frage für uns alle ist jetzt nur, in wie weit dieses Leben in uns wirkt und an uns wahrgenommen
wird. Überhaupt ist diese Frage von großer Bedeutung in unseren Tagen, wo so wenig Tiefe und
Wirklichkeit gefunden wird, und darum auch so wenig Gefühl von der gesegneten und herrlichen
Tatsache, ein Gefäß zu sein, in welches das „Leben Gottes“ niedergelegt ist. Man denke, da wir ja
nur mit einfachen, täglichen Dingen zu tun haben, z. B. an den heutigen Tag, und man lege sich die
Fragen vor: In wie weit hat sich dieses Leben in den Einzelheiten unserer täglichen Verrichtungen
oenbart? In wie weit verwirklichen wir das Leben in dem, was von einem Augenblick zum anderen
vorkommt? Und wie vieles kommt dabei bloß der Wirkung der Kraft Unserer eigenen Natur auf
Rechnung? Ach, oft, wenn der Ernst dieser Fragen mich trit, muss ich stillstehen und mein Haupt
vor Gott tief in den Staub niederbeugen.
Ich habe in Bezug auf diesen Gegenstand die oben angeführten Worte aus Psalm 27 gewählt, weil
dieselben das eigenartige Kennzeichen des Lebens Gottes in uns darstellen. „Eins habe ich begehrt
von Jehova usw.“ Das ist der einfache, regelrechte Zustand eines Christen – eines Menschen, der das
Leben Jesu in sich hat.
Ich setze jedoch vor allen Dingen voraus, dass die Seelen der Leser dieser Zeilen zu vollkommener
Ruhe gebracht sind und unbeweglich feststehen auf dem Boden, der die Grundlage des Christentums
bildet. Solange noch zwischen einem Gewissen und Gott unaufgelöste Fragen vorhanden sind, ist
es nicht am Platz, über andere Dinge zu sprechen; man hat dafür kein Verständnis. Und diesem
Übelstand kann man täglich begegnen. Es ist zum Erstaunen, wie gering die Zahl solcher ist, deren
Gewissen auf dem unerschütterlichen Fundament des Christentums zu einer unwandelbaren Ruhe
gekommen sind. Ich weiß wohl, dass viele die gegründete Honung haben, dass, wenn der Herr
sie durch den Tod abrufe, sie nichts zu fürchten haben würden: aber dieses allein ist nicht genug.
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  Die Wohnung des Christen
Wir hätten sicher große Ursache, Gott auch dann zu danken, wenn Er uns nichts anders als dieses
gegeben hätte; allein da dieses doch nur der Anfang von dem ist, was Gott für uns bereitet hat, so ist
es gewiss nur die List Satans, wenn er uns etwas, das zur Wahrheit gehört, vorenthält, als ob wir
nur jenes empfangen hätten. Es ist ein Haupt Kennzeichen unserer Zeit, dass man den einfachen
Ausgangspunkt, den Anfang des Christentums als den ganzen Inbegri dessen bezeichnet, was uns
durch die Gnade zu Teil geworden ist. Aus diesem Grund ist dann auch gewöhnlich das eigene Ich
zum Mittelpunkt geworden, um welchen sich Jahr aus Jahr ein die Gedanken, Erfahrungen und
Neigungen zu bewegen pegen.
Ich muss daher voraussetzen, dass meine Leser sich nicht auf dieser gefährlichen Klippe bewegen,
sondern das klare Bewusstsein haben, in der Gegenwart Gottes zu sein. Es handelt sich nicht darum,
dass uns das Eine und das Andere zuteilgeworden ist, sondern dass wir zu Gott gebracht sind und
uns zu Ihm in einem Verhältnis benden, in welches Er uns nach seinem Wohlgefallen in dem Sohn
seiner Liebe hingestellt hat. Und es war sein Wohlgefallen, uns in seine Gegenwart zu stellen, und
zwar in der Vollkommenheit und Schönheit des Herrn Jesus selbst. Von diesem Punkt aus wollen wir
unsere Betrachtung beginnen.
Was muss nun aber, wenn dieses also ist, der Ausdruck meines Lebens hienieden sein?
Zunächst nden wir dieses gleich im Anfang der oben angeführten Schriftstelle, wo vor der Seele
des Gläubigen ein Gegenstand steht, der seine Neigungen ganz einnimmt und beherrscht. „Eins habe
ich begehrt.“ Das ist der einfache Ausdruck eines Herzens, welches nur einen Beweggrund, ein Ziel
hat, worauf der Herr Jesus anspielt, wenn Er sagt: „Wenn dein Auge einfältig ist“ – d. h. nur auf
einen Gegenstand schaut. Dann habe ich nur ein Begehren, welches jedes andere Begehren in sich
aufnimmt, nämlich, dass ich möge „wohnen im Haus des Herrn alle die Tage meines Lebens.“ Es
braucht hier vielleicht kaum erwähnt zu werden, dass in unserem Psalm ein jüdisches Bild gewählt
worden und mithin hier die Rede ist von der Stiftshütte, dem Haus oder dem Tempel, wo die Zeichen
der Gegenwart Gottes gefunden wurden. Jedoch dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass das
Leben Gottes – mag es sich bei einem alt– oder neutestamentlichen Gläubigen nden – stets zu der
Quelle zurückgeht, aus welcher dasselbe entsprang: und diese Quelle ist Gott. „Eins habe ich begehrt
von Jehova, um dieses will ich bitten: zu wohnen im Haus Jehovas alle die Tage meines Lebens.“
Ist dieses das Begehren auch deines Herzens, mein Leser? In wie weit hat dieses Begehren Einuss auf
deine Neigungen? Welches ist das „Eine“, welches du suchst? Suchst du vielleicht die Gewissheit der
Vergebung, die Befreiung von dem Zorn und dem Gericht? Das ist nicht das Begehren, „zu wohnen
im Haus des Herrn allezeit.“ Dieses allein drückt den Stempel auf uns. Sei versichert dass der Platz,
wo du wohnst, dich kennzeichnet.
Gehören wir der Erde oder dem Himmel an? Nun, niemand kann „himmlisch“ sein, es sei denn,
dass er im Himmel wohnt. Leider stellen viele Gläubigen den Himmel bei Seite, bis nach dem Tod.
Sie denken an den Himmel als an die Stätte, wo Gott und wo Christus ist, und betrachten ihn als
unseren Zuuchtsort, wenn wir diese Erde verlassen. Wenn wir hienieden nicht länger „wohnen“
können, wollen wir in den Himmel. Oder wir wenden uns auch wohl zum Himmel, wenn hienieden
alles gegen unsere Wünsche geht und die Beschwerden des Lebens hienieden uns zu überwältigen
drohen, gerade so wie jemand, der vor dem Sturm einen Zuuchtsort sucht, den er wieder verlässt,
wenn der Sturm vorüber ist. Das ist die natürliche Gesinnung unserer Herzen. In diesem Fall sind
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  Die Wohnung des Christen
unsere Herzen gar nicht oder doch nur in einem geringen Gerade begierig, fortdauernd an dem
wundervollen Platze zu sein, wo Gott nicht verhindert wird, sich uns in der unendlichen Fülle seiner
Liebe zu oenbaren. Dieses kann Er nicht hienieden tun. Hienieden gewährt Er uns seine Sorgfalt,
seine Hilfe, sein Mitgefühl, seine Erquickung; hienieden leitet Er uns an seiner Hand auf jedem
Schritt unserer Reise: aber nur droben und nicht hienieden kann Er sich in der oben bezeichneten
Weise oenbaren.
Wie notwendig ist es daher, ununterbrochen im Haus des Herrn zu wohnen! Welch ganz andere
Erfahrungen würden wir machen, wenn wir dort mit unseren Herzen stets verweilten! Es genügt nicht,
dort dann und wann einen Besuch zu machen, oder dorthin zu üchten, um vor einem Sturm geschützt
zu sein, sondern wir sollten das Haus des Herrn mit all den damit verbundenen Lieblichkeiten als
unsere „Heimat“ kennen. Nicht die Not ist es, die uns in unsere Heimat zurücktreibt, sondern
das Anziehende der Heimat selbst lässt uns dort so gern verweilen. Kennst du die Vortreichkeit
dessen, der dort wohnt? Es ist nicht eine Lehre oder ein System, sondern eine lebendige, göttliche,
anbetungswürdige, erhabene Person, die auf unsere Neigungen Anspruch macht – eine Person, die
durch ihre Vortreichkeit und Schönheit mein Herz an sich zu ketten weiß. Nicht durch die Not
werde ich aus allem, was mich hier umgibt, hinweggetrieben, sondern ich werde durch die Schönheit
und Herrlichkeit jener Stätte angezogen, wo Christus vor Gott alles ist, und wo es das Wohlgefallen
Gottes ist, sich in seiner ganzen Fülle zu erkennen zu geben. Das ist der Ort, wo ich zu wohnen, zu
verweilen begehre, und den ich als meine Heimat zu kennen wünsche.
In Christus, als Er als Mensch auf dieser Erde wandelte, sehe ich diesen Grundsatz in seiner ganzen
Vollkommenheit. In Johannes 3,13 lesen wir: „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, als der
aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Man beachte es
wohl, dass es heißt: „der im Himmel ist“, und nicht: „der im Himmel war.“
Dieser vollkommene Mensch, der Zugleich der mächtige Gott, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge
war, wandelte auf seinem von Licht umstrahlten Pfade hienieden in fortdauernder Gemeinschaft
mit allem, welches jener gesegneten Stätte angehörte, von wo Er kam und wohin Er ging. Er sagte:
„Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe“ (Joh 8,14). Um dieser Honung willen
kennzeichnete sich sein Wandel durch eine völlige Zurückgezogenheit und Abgeschiedenheit, woran
es bei uns oft so sehr mangelt. Oder wandeln auch wir unsere Pfade wie Menschen, welche wissen,
woher sie kommen und wohin sie gehen? Zeigt sich dieses täglich in unseren Arbeiten, in unserem
Haus, in unserem Verkehr unter einander? Wenn das der Fall ist, dann wird auf alles der Stempel des
Himmels gedrückt sein, als ein Beweis, dass wir im Haus des Herrn wohnen, und dass wir wissen,
woher wir gekommen sind und wohin wir gehen.
Der Herr Jesus hatte hienieden die Gefühle eines Menschen und wandelte, dem Vater gegenüber, in
der völligsten Abhängigkeit und in dem vollkommensten Gehorsam; aber Zugleich nden wir bei
Ihm die vollkommenste Ruhe in den Umständen des Lebens. Man lese Matthäus 11, wo alles und ein
jeder gegen Ihn war. Johannes der Täufer wankte in seinem Glauben an Ihn; die Städte, in denen
seine meisten Wunderwerke geschehen waren, verwarfen Ihn: kein Lichtpunkt war hienieden zu
entdecken, an welchem ein menschliches Herz sich hätte emporrichten können. Und dennoch hören
wir Ihn sagen: „Ich danke dir, Vater!“ Welch eine bewundernswürdige Vollkommenheit! Während Er,
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  Die Wohnung des Christen
umgeben von allem, was gegen Ihn war, mit seinem Fuß die Erde berührte, weilte sein Herz droben
beim Vater, dessen köstliche Gedanken und Ratschlüsse es zu Lob und Dank stimmen konnten.
Geliebter Leser! Wir sind zu nichts Geringerem berufen; und wenn dieses Leben Gottes in unseren
Seelen wirksam ist, dann ist auch dieselbe Gesinnung vorhanden. Möge der Herr diese bei uns
bewirken und lebendig erhalten, damit von uns gezeugt werden kann: „Siehe, ein Volk, das sich
bewegt inmitten aller Sorge und Mühe dieser Erde, bei welchem jedoch dieses alles nur dazu dient,
jenes herrliche Leben Jesu in einem sterblichen Leib umso heller hervorstrahlen zu lassen; – wahrlich,
sie wohnen alle die Tage ihres Lebens im Haus des Herrn.“
Wiederum richte ich an dich und an mich selbst die Frage: „In wie weit haben wir dieses heute
verwirklicht?“ Wird wohl einmal gesagt: „Ich danke Gott, dass ich mich außerhalb der irdischen
Zustände bewegen darf?“ Außerhalb? Inwiefern? Allein mit dem Leib, oder auch mit dem Geist und
den Gedanken? Darauf kommt es an. Mancher bendet sich, was sein Bekenntnis betrit, außerhalb
der Welt; aber wenn mein Geist sich darin verirrt hat, meine Gedanken davon eingenommen sind,
meine Neigungen davon angezogen werden, dann wohne ich nicht im Haus des Herrn. Ich kann
dann sagen, dass ich hier und dort nicht hingehe: aber ich bin vielleicht nur dem Leib nach nicht
dort, wohl aber mit meinen Gedanken. Es gibt auch nichts, was mich von der Welt getrennt halten
kann, als wenn ich mich an der Quelle bende, aus der mein Leben entsprungen ist. Wenn das Leben
nicht durch seine Quelle unterhalten und befriedigt wird, so ist es ein kränkelndes, schwaches Leben,
d. h. es ist verhindert, sich oenbaren zu können.
Es ist ein vielbezeichnender Ausdruck, wenn wir lesen: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“
(2. Kor 4,7). Es ist etwas höchst Wunderbares, dass Gott einen Schatz in ein solch gebrechliches.
Gefäß legt. Doch wenn auch das Gefäß zerbricht, so bleibt doch der Schatz gleich wertvoll. Durch
nichts anders aber kann dieser verborgene Schatz oenbar werden, als dadurch, wenn ich wohne
im Haus des Herrn. Dort nde ich Kraft und Frische, um allen Stürmen Widerstand zu bieten. Ja,
die Stürme selbst sind das Mittel, um die Macht jener Ruhe ans Licht zu stellen, die ich in der Stätte
besitze, wo es Gott gefällt, sich mir zu erkennen zu geben. In diesem Fall kenne ich den Himmel jetzt,
und nicht erst nach meinem Tod. O geliebte Freunde! Würde es uns nicht eine Freude sein, sagen zu
können: „Ich lebe jetzt jeden Tag mit dem Herrn inmitten aller Schwierigkeiten und Prüfungen, die
zu dieser armen Erde gehören, und wodurch ich umso besser mit Ihm bekannt werde?“ Möchten
wir nicht gern ausrufen: „Ich kenne Ihn, habe Gemeinschaft mit Ihm, erfreue mich in Ihm in jener
herrlichen Stätte, wo Ihn nichts verhindert, mich zu segnen, und wo mich nichts verhindert, um
gesegnet zu werden?“ Ja, dort kann Gott mir begegnen in der Vollkommenheit seiner Liebe, und
dort kann ich eingehen in die Vollkommenheit seiner Gerechtigkeit. Dort wohnt Gott, und auch
ich wohne dort. Bedenken wir, dass Er, im Blick auf die durch Christus vollbrachte Erlösung, nichts
anders im Einklänge mit dem Ausdruck seines eignen Herzens ndet, als dass wir „wohnen im Haus
des Herrn.“ Er gebe, dass wir dieses Haus als unsere Heimat, als den Ruheplatz unserer Seelen, als
unsere herrliche Wohnung erkennen, wo wir wirkliche Gemeinschaft haben.
Doch zu welchem Zweck müssen wir dort wohnen? Etwa um dem Sturm, den Mühsalen, den
Prüfungen und den Kämpfen dieser Welt entrückt zu sein? Durchaus nicht. Der Zweck ist, „die
Lieblichkeit des Herrn anzuschauen.“ Köstliche Wahrheit! Eine Sache wird dort von meiner Seele
angeschaut; eine Sache zieht dort die Neigungen meines Herzens an, nämlich „Seine Lieblichkeit.“
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  Die Wohnung des Christen
Ich schaue Ihn an, der dort wohnt. Mein Auge ruht dort auf einer Schönheit, welche ich nicht eher
in Wahrheit kenne, als bis ich sie durch den Glauben sehe. Schon ein üchtiger Anblick dessen,
was droben ist, verscheucht alle irdischen Dinge aus meinen Augen. Ein kurzes Anschauen der
Lieblichkeit des Hochgelobten verwandelt das Herrlichste, was diese Erde darzubieten vermag, in
ein Etwas, das als arm und verwerich an unserem Herzen vorüberzieht. Gewiss, ein jeder, welcher
Christus droben anzuschauen versteht, kümmert sich wenig um die Dinge der Erde, mit denen er
sich nicht mehr im Einklänge fühlt. Er kann sagen: „Die Stätte, wo Gott selbst ist, ist auch die Stätte,
wo ich zu verweilen begehre, und wo ich meine Befriedigung nde.“
Man denke sich den Fall, dass ein Engel in diese Welt herabstiege, würde er sich nicht in einer anderen
Weise hienieden bewegen, als wir? Glaubst du nicht, geliebter Leser, dass, wenn ein Bote Gottes, einer
jener dienstbaren Geister, welche vor Gott stehen, auf die Erde käme, derselbe hier verweilen würde,
wie jemand, der den Grundsätzen, den Gewohnheiten und Reizen dieser Erde fremd ist? Ja, du glaubst
es. Wohlan, ein Engel ist nicht, was wir sind. Ein Engel ist nicht ein Glied jenes Leibes, wovon der
verherrlichte Jesus das Haupt ist. Ein Engel ist nicht ein Kind Gottes, ein Erbe Gottes und ein Miterbe
Christi. Ein Engel würde nicht sagen können: „Er liebt mich und hat sich für mich dahingegeben.“
Ein Engel gehört nicht zu denen, die Jesus betrachtet als seine Braut, welche bei Ihm sein soll, um
seine Herrlichkeit anzuschauen. Ist für unsere Herzen der Gedanke nicht anziehend, dass Gott an
den Engeln vorüberging, und dass Er auf eine nichtige Erde hinabstieg und sich dort verachteter,
elender und armer Geschöpfe annahm, um an ihnen die erhabene Herrlichkeit seiner Gnade zur
Schau zu stellen und in ihnen das Leben seines Sohnes zu oenbaren? Kann es etwas Ergreifenderes
geben, als zu denken, dass Er uns in Gnaden angenommen und uns, indem Er uns mit Christus in der
Herrlichkeit vereinigte und uns mithin von der Welt absonderte, zu wirtlichen Gliedern des Leibes
Christi gemacht hat, um uns dann in die Welt zu senden, damit wir die Grundsätze des Himmels,
dem wir angehören, darstellen sollten? Wunderbar!
Wandeln wir hienieden als solche, die einem anderen Land angehören? Teilen wir den Wohlgeruch
dieses Landes einem jeden mit, der mit uns in Berührung kommt? Ach, wie vieles, was von der
Welt ist, erlauben wir uns oft! Wie vieles zeigt sich noch jeden Tag bei uns, welches zu dem gehört,
wovon wir nach unserem Bekenntnis abgesondert sind! In welch geringem Maß oenbaren wir die
herrlichen Grundsätze des neuen Landes, der neuen Heimat, des neuen Genusses, wozu Gott uns
gebracht hat! Wie sehr werden oft die jüngeren Seelen unter uns durch die armseligsten, nichtigsten
Dinge, die in dieser Welt gefunden werden, angezogen! Hätten sie nur ein wenig die Freude, das
Glück und die Herrlichkeit droben, wo Christus ist, gekostet, so würden sie sicher, als des Betrachtens
unwürdig, an alle dem vorübergehen, was der Teufel hier und dort zur Schau stellt, um die Sinne
zu reizen und zu befriedigen. Und wir, die wir bereits zu höheren Jahren gekommen sind, welches
Beispiel geben wir ihnen? Können wir sagen: „Seht auf uns, wie ihr uns zum Vorbild habt?“ Ach, auch
wir zeigen nur zu wenig, dass unser Herz droben lebt und dass wir wissen, woher wir gekommen sind,
und wohin wir gehen. Wenn wir aber hienieden nicht wandeln als solche, die von Ihm ausgegangen
sind und Ihm angehören, so können wir weder seine Zeugen, noch seine Knechte sein. O möchte Er
durch sein Wort doch unser Gewissen treen: denn dadurch bringt Er uns in seine Gegenwart und
zieht uns zu sich.
Doch der Psalmist wünscht nicht bloß die Lieblichkeit Jehovas anzuschauen, sondern auch „zu
forschen in seinem Tempel.“ Es ist dieses sehr beachtenswert; denn ich glaube, dass es unter uns
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  Die Wohnung des Christen
wenige Forscher dieser Art gibt. Wir lesen oft viel und vielerlei, jedoch vielleicht sehr wenig in dem
Wort Gottes. Und nichts hat mehr zur Verarmung der Seelen unter den Kindern Gottes gedient, als
das Beiseitestellen dessen, was Gott geschenkt hat. Der Teufel zeigt sich in dieser Beziehung sehr
wirksam. Durch allerlei Kunstgrie sucht er die Schärfe, die Kraft des Wortes Gottes abzustumpfen,
und zwar nicht etwa dadurch, dass er uns zu einer oenbaren Verachtung des Wortes verleitet,
sondern dadurch, dass er unsere Gedanken und Neigungen mit etwas anderem beschäftigt und uns
auf diese Weise dem Einuss der Wahrheit entzieht. Und unübersehbar ist der Schaden, wenn es ihm
gelingt, uns dahin zu bringen, dass wir aufhören, in den Mitteilungen und Oenbarungen Gottes zu
forschen und darüber nachzusinnen, um die gesegnete Person dessen besser kennen zu lernen, der
der Gegenstand, das Ziel und die Wonne Gottes ist. Wenn wir nicht lernen, bei allem still zu stehen,
was Gott uns in Güte über die Person Christi in seinem Wort mitgeteilt hat, wenn wir nicht „forschen
in seinem Tempel“, dann wird sich in unseren Herzen bald eine große Dürre und Leere zeigen. O
möge der Herr uns durch seinen Geist schenken, dass wir mit Begierde in seinem Wort forschen!
Wie sehr sind diejenigen unter den Kindern Gottes zu beklagen, die von ihren Angelegenheiten so
sehr in Anspruch genommen sind, dass sie ihre Zeit in dem Gewühl und Lagen weltlicher Dinge
durchbringen müssen und ihnen fast kein freier Augenblick zum Forschen übrigbleibt! Wir fühlen in
dieser Beziehung viel zu wenig für einander. Es ist in der Tat überraschend zu bemerken, wie wenig
wir uns in Bezug auf diese Dinge um einander bekümmern, als ob ein jeder auf sich allein angewiesen
wäre, während uns doch die Schrift ermahnt: „Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf
das der Anderen.“ Wie wenig beten wir für einander! Wie wenig trägt Einer den Anderen vor Gott auf
dem Herzen! Viele Kinder Gottes benden sich in einer dienstlichen Stellung und sind so völlig an
ihren irdischen Beruf gekettet, dass wir wohltun, im Geist uns in ihre Umstände zu versetzen. Lasst
uns trachten, ihnen zu helfen, sie durch unsere Fürbitte auf ihren ungestümen Wegen zu stärken und
zu unterstützen: denn sicher leidet jede Seele Gefahr, die keine Zeit ndet, um mit Gott allein zu sein
und „in seinem Tempel zu forschen.“
Nun noch ein kurzes Wort über die folgenden Verse. Wir lesen: „Er wird mich bergen in seinem
Zelt, am Tag des Übels.“ Sicher würden wir alles Vorhergegangene mit den „Tagen des Übels“ in
Verbindung gebracht und etwa gesagt haben: „Wie herrlich ist es in dem Haus des Herrn zu wohnen,
seine Lieblichkeit anzuschauen und in seinem Tempel zu forschen, wenn wir uns in den Tagen
des Übels benden.“ Doch das ist nicht die Ordnung Gottes. Er stellt uns dieses alles als den einzig
richtigen Zustand des Lebens Gottes in uns vor Augen. Um die „Tage des Übels“ haben wir uns dann
nicht zu kümmern; denn „Er wird uns in seinem Zelt verbergen.“ Wenn es mein einziges Begehren ist,
im Haus des Herrn zu wohnen, dann kann ich in den Tagen des Übels ruhen. Er verbirgt mich. Nie
herrlich! Was könnte ich Besseres verlangen, als dass Er mich verbirgt „in dem Verborgenen seiner
Hütte?“ Beim Herannahen eines Sturmes renne ich nicht ängstlich umher, um Schutz zu suchen,
sondern ich bin bei Ihm sicher und ruhig; und Gott wirkt für mich. Er verbirgt mich, Er hält mich
aufrecht, Er nimmt alles auf sich, Er erhöht mich auf einen Felsen.
Von Befreiung in dem Sinn einer Beseitigung des Übels ist in diesem Vers durchaus nicht die Rede. Es
heißt nicht: „Am Tag des Übels wird Gott mich befreien“, sondern: „Er wird mich verbergen.“ Wenn
Gott auch unter Israel zuweilen das Meer spaltete und die Felsen zerklüftete, so ist dieses doch in
unseren Tagen seine Weise nicht. Er nimmt die Schwierigkeiten nicht hinweg: aber Er verbirgt mich
in seinem Zelt und erhöht mich auf einen Felsen. Ist nun jemand, der sich in Schwierigkeiten bendet,
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  Die Wohnung des Christen
zu beklagen, wenn Gott ihn verbirgt? Bieten die Schwierigkeiten Ihm keine Gelegenheit, uns im
Verborgenen seiner Hütte zu verbergen? Erst dann folgt die Befreiung: denn wir lesen: „Und nun wird
sich erhöhen mein Haupt über meine Feinde, die um mich her sind – und Opfer des Posaunenschalls
will ich opfern in seiner Hütte.“ Man beachte es wohl: der Gläubige verlässt nie das Haus des Herrn.
Es ist seine Wohnung, die Stätte seiner Anbetung.
Dieses alles nden wir in der vollkommensten Weise bei dem Herrn Jesus, dem vollkommenen
Menschen, der alle die Eigenschaften eines Menschen Gottes in dieser Welt oenbarte, als Er dieselbe
durchwanderte. Wenn wir die Spuren seines Lebens verfolgen, so nden – wir alles das, was wir hier
dargestellt haben, in der ausgeprägtesten Weise. Er war „der Sohn des Menschen, der im Himmel
ist.“ Inmitten der Mühsale in dieser Welt, war sein Zuuchtsort der Wille und das Wohlgefallen
seines Vaters. Er konnte sagen: „Ich danke dir, Vater, Herr des Himmels und der Erde!“ und später,
nachdem Er unter dem schrecklichen Gericht des Kreuzes gewesen war, bezeugte Er: „Inmitten der
Versammlung will ich dir lobsingen.“ Dem Grundsatz nach sind wir, wenn auch in unserem Maß, in
dieselbe Stellung berufen. Wir besitzen dasselbe Leben, dieselbe Wohnung, denselben Gott. Auf eine
wunderbare Weise vermag Gott einen Menschen zu unterstützen, der dieses herrliche Leben in sich
hat, wenn auch alles, wie dieses ein Christ in dieser argen Welt nicht anders erwarten kann, wider
ihn ist. Hienieden wirkt uns alles entgegen. Es ist ein Glück, wenn wir gelernt haben, nichts anders
zu erwarten, und dennoch nicht weniger gewiss sind, dass unsere Sicherheit im Haus des Herrn zu
nden ist.
Wenn wir in 2. Mose 16 und 17 die Geschichte des Volkes Israel lesen, so wird es uns sofort klarwerden,
dass man das Leben des Gläubigen mit zwei Worten beschreiben könnte. Bei demselben handelt es
sich um Speise und Kampf. Das aus dem Himmel kommende Manna musste die Kräfte der Pilger in
der Wüste erhalten; und ihre Kraft musste in dem Kampf geübt werden. Und wie bei Israel, so ist
dieses auch bei den Christen der Fall. Christus muss das lebendige, vom Himmel gekommene Brot
sein, um das neue Leben in uns zu unterhalten; und wir müssen bei Ihm wohnen in der Herrlichkeit,
wo Er ist, um seine Lieblichkeit anzuschauen. In diesem Fall können wir alles um uns her verstehen.
Was kümmert mich all das Schöne, was hienieden ist, wenn Er mein Herz befriedigt? Indem ich seine
Schönheit anschaue, vermag mich nichts anzuziehen, was diese Erde bietet. Und indem ich in seinem
Tempel forsche, bin ich geborgen, wenn die Tage des Nebels hereinbrechen, ja, ich werde „singen
und Psalmen singen dem Herrn.“
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  Das Buch der Erfahrung 1/5
Das Buch der Erfahrung – Teil 1/5
Kapitel 1
In dem Brief an die Epheser, sowie in derjenigen an die Kolosser zeigt uns Gott unseren Platz mit
Christus; in dem Brief an die Philipper hingegen sehen wir den Gläubigen durch diese Welt gehen, als
Christ in derselben wandeln. Es handelt sich darin nicht um Lehre, sondern wir sehen den Gläubigen
in der Kraft des Geistes Gottes dem Kampfpreis entgegeneilen: denn das wahre Kennzeichen des
Christen ist, dass er den Wettlauf ganz und gar in dieser Kraft des Geistes vollbringt. Daher wird
in diesem Brief nicht von der Sünde gesprochen – das Wort „Sünde“ kommt nicht ein einziges Mal
vor – auch nicht vom Kampf im eigentlichen Sinn des Wortes. Nicht als ob der, welcher läuft, den
Preis schon erlangt habe, aber er tut stets nur eins: er jagt in der Kraft des Geistes Gottes hin zu dem
Kampfpreis. Er hat ihn noch nicht ergrien, jedoch sein einziges Bestreben ist, ihm entgegen zu eilen.
Er ist über alles erhaben, was in ihm und was in der Welt ist, ja völlig erhaben über alle Umstände.
Der Brief an die Philipper ist der Brief der Erfahrung, aber einer Erfahrung gemäß der Kraft des
Geistes Gottes. Wir lernen in derselben, dass, obgleich wir fehlen, es dennoch möglich ist, in der
Kraft des Geistes Gottes zu wandeln – nicht als ob das Fleisch verändert sei, oder man dem Gedanken
Raum geben dürfe, das Ziel sei erreicht (denn hienieden gibt es keine Vollkommenheit); wohl
aber ist es möglich, stets in einer Weise zu handeln, die mit unserer Berufung, Christus in der
Herrlichkeit zu erreichen, übereinstimmt. Da gibt es kein Streben nach stufenweisen Fortschritten in
der Welt; der Christ wird betrachtet als erhaben über jede Art von Umständen, Widerwärtigkeiten
und Schwierigkeiten, er sieht seinen Pfad über diesem allem.
Das Vorhandensein eines Pfades für uns beweist, dass wir den Ort, wohin Gott den Menschen gestellt,
verlassen haben; der Pfad zeigt an, dass wir nicht daheim sind. Es ist gesegnet, in der Wüste einen Weg
zu haben, und dieser Weg ist selbstredend Christus. Adam bedurfte keinen Weg; er hätte ruhig in Eden
bleiben können, wenn er Gott gehorsam gewesen wäre. Wir aber sind von Ägypten ausgezogen und
noch nicht in Kanaan angelangt, wir eilen dem Ziel entgegen. Zahllose Dinge kommen auf dem Weg
zum Vorschein; das Einzige jedoch, was uns zu tun obliegt, ist zu laufen. Bei jedem Schritt gewinnen
wir mehr von Christus, so wie wir von einer Lampe, die am Ende eines langen Weges brennt, immer
mehr Licht empfangen, je näher wir kommen: die Lampe selbst haben wir nicht erreicht, wohl aber
nimmt das Licht derselben für uns mit jedem Schritt zu. Wir sind von der Herrschaft des eignen Ichs
gänzlich befreit und werden durch einen Beweggrund geleitet, der über den Umständen steht, so
dass dieselben, obgleich wir nicht unempndlich gegen sie sind, keinen Einuss auf uns ausüben.
„Ich danke meinem Gott bei aller meiner Erinnerung an euch, indem ich allezeit in jeglichem meiner
Gebete für euch alle das Gebet mit Freuden tue wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium von dem
ersten Tag an bis jetzt“ (V 3). Die Philipper hatten regen Anteil am. Evangelium genommen und ein
liebendes Herz gezeigt. Wie unaufhörlich war der Apostel im Flehen für sie alle! So oft er betete,
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erwähnte er ihrer. Er trug die Versammlung Gottes auf dem Herzen und ebenso jeden einzelnen
Heiligen. Er dachte an all das Gute unter ihnen und dankte Gott dafür. Welch ein Interesse hatte er
für die Heiligen! Stets waren seine Gedanken mit ihnen beschäftigt. Sogar zu den Korinthern sagt er:
„Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen“ (1. Kor 1,4).
Woran Christus denkt, daran sollten auch wir denken. Wenn Christus mein Leben und durch den
Geist die Quelle meiner Gedanken ist, so werde ich in allen Dingen seine Gedanken haben; denn
alsdann ist das vorhanden, was Christus angemessen ist. Ich habe mich inmitten der Umstände so zu
verhalten, wie Christus sich verhalten würde: das ist das christliche Leben. Es ist nie notwendig für
uns, irgendetwas Böses zu tun – nie notwendig, irgendwie nach dem Fleisch zu handeln; wenn auch
das Fleisch vorhanden ist, warum sollte ich meine Gedanken durch dasselbe leiten lassen? Ich werde
es nicht tun, wenn ich mit Christus erfüllt bin, denn Er ist es, der mir die Gedanken einößt.
Wenn ich in den Sinn und in die Gedanken Christi eingegangen bin, so werde ich nicht ertragen
können, in den Heiligen Böses zu erblicken; ich wünsche sie Christus ähnlich zu sehen. Christus
wirkt jetzt in den Herzen der Heiligen – „auf dass er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung
mit Wasser durch das Wort“ (Eph 5,26), – und es geziemt mir, mit Ihm in demselben Geist zu wandeln;
aber dies vermag ich nur dann, wenn bei mir selbst alles in Ordnung ist. Christus gibt sich zuerst
selbst für die Seinen hin, und dann ist Er damit beschäftigt, sie zu reinigen und so darzustellen, wie
Er sie haben will; das sollten auch unsere Herzen durch die Fürbitte zu tun begehren. Die Kraft dazu
ist reichlich vorhanden, obwohl unser Standpunkt ein höchst niedriger ist. Der Herr kann seine
Gnade jetzt ebenso sehr entfalten, wie in den herrlichsten Tagen des Apostels. Zurzeit, da man David
nachjagte „wie einem Rebhuhn auf den Bergen“, gab es viel mehr Ursache zur Freude als inmitten all
der Herrlichkeit Salomos: in den Tagen der Leiden Davids war die Macht des Glaubens vorhanden.
Wir sollen mit allen Heiligen „völlig erfassen“ (Eph 3,19). Wir schmälern unsere Segnung, wenn wir
nicht alle einschließen. Wir sind mit Christus dazu befähigt, und wenn wir mit Ihm wandeln, so
müssen wir ihretwegen in Frieden sein. Die Fürbitte für die Heiligen befähigt denjenigen, der sie
ausübt, alles Gute zu sehen, das in ihnen ist. Dies beweisen uns die Briefe, mit Ausnahme derjenigen
an die Galater, in welcher der Apostel nicht von dem spricht, was er loben konnte. Er greift hier
von vorn herein das Böse an, weil die Galater sich von der Grundlage des Christentums abwandten.
Würden wir mehr für die Heiligen beten, so würden wir mehr Freude an ihnen haben, und unser
Mut in Betre ihrer würde zunehmen. Es ist immer verwerich, wenn wir hinsichtlich der Heiligen
den Mut verlieren, wiewohl es möglich ist, dass wir in die Lage des Propheten Jeremias kommen, zu
welchem der Herr sprach: „Bitte nicht für dieses Volk“ (Kap 7,16). Der Herr ist stets gegenwärtig, und
an seiner Liebe wird es nie fehlen; wir dürfen daher mit Freude, Trost und Mut auf dieselbe rechnen.
Selbst nachdem der Apostel zu den Galatern gesagt hatte: „Ich bin euretwegen in Verlegenheit“, fügte
er, indem er sogleich seinen Blick auf Christus richtete, hinzu: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn“
(Gal 4,20; 5,10). Er sah die Heiligen unter dem sorgsamen Auge Christi, der stets bereit war, sie zu
segnen. In wie weit betrachten wir alle Heiligen mit dem Herzen Christi und sind also getröstet und
ermuntert, weil wir wissen, dass dort Gnade genug für sie vorhanden ist? „Indem ich eben dessen in
guter Zuversicht bin, dass der, welcher in euch angefangen hat ein gutes Werk, es vollführen wird
bis auf den Tag Jesu Christi“ (V 6); und wie wir weiter unten lesen: „damit ihr tadellos und lauter
seid, unbescholtene Kinder Gottes . . . “
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„Weil ihr mich im Herzen habt und sowohl in meinen Banden als in der Verantwortung und
Bestätigung des Evangeliums ihr alle meine Mitteilhaber der Gnade seid“ (V 7). Wir fühlen nur
sehr schwach, wie wirklich die Einheit des Geistes ist; wir haben die Verwirklichung derselben in
hohem Grad verloren, wiewohl wir sie als eine Wahrheit anerkennen. Es ist eine Einheit durch
eine lebendige Macht, die sich in jedem Heiligen ndet, so dass, wenn ein Glied leidet, die anderen
Glieder nicht nur mitleiden sollen, sondern notwendigerweise mitleiden. Der Leib mag in einem solch
unempndlichen Zustand sein, dass er nur sehr wenig fühlt; und doch, angenommen der Heilige
Geist wäre in Indien sehr wirksam, würden dadurch nicht die Heiligen hier in Europa belebt werden?
Ebenso verhielt es sich in Bezug auf Paulus: als die Heiligen für ihn beteten und Gott ihn stärkte,
stieg Lob und Dank aus aller Mund empor (vgl. auch 2. Kor 1,11). – Die Wirksamkeit des Heiligen
Geistes übt ihren gesegneten Einuss auf alle Hörenden aus. Als aber der Apostel sagen musste:
„Alle haben mich verlassen“, (zwar hatten sie nicht Christus verlassen, allein es fehlte ihnen der Mut,
sich der Gefahr preiszugeben) da setzte er seinen Weg allein fort. Wir wissen gar wohl, dass wenn
unser Körper einen Schmerz empndet, alle unsere Nerven darunter leiden; wir können nicht so
gut arbeiten wie sonst. Es kann sogar eine Lähmung unserer Geistesnerven eintreten, so dass wir
beinahe alles Gefühl verloren haben, aber gänzlich kann dieses nicht zerstört werden.
Im 8. Verse gelangen wir zu dem der Brief eigentümlichen Charakter. Der Apostel war nicht
vergesslich; er erinnert sich eines jeden, wenn auch noch so geringen Beweises der Liebe gegen ihn
und sieht in seinen Gebeten, dass sie alle Erkenntnis und geistliche Einsicht erlangen möchten, um
das zu tun, was sich zu tun geziemte – um zu verstehen, worin sich ein Ding vom anderen unterschied
– damit sie Kenner des christlichen Pfades würden, indem sie nicht nur nicht in Sünde elen, sondern
die nötige Einsicht hätten, um in den vorliegenden Umständen gerade das Richtige zu tun; denn
unser Maßstab ist die Befriedigung des Herzens Christi, und es geziemt uns nicht, bei dieser oder
jener Sache zu sagen: „Ich sehe nichts Böses darin.“ Der Apostel wünschte, dass die Philipper die
Dinge jetzt so unterschieden, wie sie am Tag Christi im Licht erscheinen werden. Er sagt mit anderen
Worten: „Ich wünsche, dass ihr an den Herrn Jesus denkt und wisst, was sein Herz erfreut.“ Denn
alsdann genießt man durch die wirksame Energie des Geistes Gottes die Wonne, Christus zu gefallen,
und man erfreut sich an den Dingen, die vor Ihm so wohlgefällig sind.
Beachten wir ferner, wie Paulus über den Prüfungen seiner vierjährigen Gefangenschaft (er war
zwei Jahre in Cäsarea und zwei in Rom) erhaben ist: „Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine
Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind.“ Er hätte sagen können: Wäre ich
nicht nach Jerusalem gegangen, hätte ich dort den Juden, die mich veranlassten, dieses und jenes
zu tun, nicht Gehör gegeben, so könnte ich noch frei umhergehen und das Evangelium predigen.
Doch er spricht nicht so, und ich möchte bei dieser Gelegenheit bemerken, dass nichts törichter
ist als auf Nebenursachen zu blicken. Es ist wohl möglich, dass wir nicht weise gehandelt haben;
allein derjenige, welcher über den irdischen Dingen lebt, weiß, dass alle Dinge uns zum Guten
mitwirken müssen: „Ich weiß, dass mir dies zur Seligkeit ausschlagen wird durch euer Gebet und
durch Darreichung des Geistes Jesu Christi.“ Wir lernen hieraus ferner, dass es eine wachsende
Tätigkeit und Energie des Geistes Gottes gibt, welche der Apostel „die Darreichung“ nennt, so dass,
wenn wir auch nicht eine abermalige Ausgießung des Heiligen Geistes in der Weise erwarten können,
wie sie bereits stattgefunden hat, wir dennoch auf die Darreichung des Geistes und auf seine durch
das Wort dienende Gnade rechnen dürfen und sollen (Fortsetzung folgt).
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  Christus alles und in allen
Christus alles und in allen
Zwischen den beiden Wahrheiten: „Christus ist alles“ und „Christus ist in allen“, gibt es, obwohl sie
ein harmonisches Ganzes bilden, doch einen bemerkenswerten Unterschied. Wenn der Geist Gottes
sagt, dass Christus alles sei, so setzt Er dadurch in den Dingen Gottes alles, was wir von Natur waren,
alles, was von der Welt ist, völlig bei Seite; Er schließt jede Frage über den Unterschied zwischen
Juden und Nationen aus, selbst zwischen denen, welche die Gedanken Gottes besahen und sich durch
einen Bund oder ein Gesetz über andere erhaben dünkten. Es kommt nicht in Betracht, ob jemand
weise oder unweise, gelehrt oder ungelehrt ist, ob Barbar, Skythe, Sklave oder Freier – alles, was mit
der gesellschaftlichen Stellung in dieser Welt in Verbindung steht, verliert völlig seinen Wert. Der
Heilige Geist wirft ein helles Licht auf alle die Dinge, wodurch die Menschen Grenzlinien zwischen
sich gezogen haben. Es bestehen natürliche Beziehungen, und auch mit völligem Recht, doch ist es
nicht so im Himmel. Und wir müssen uns erinnern, dass die Anbetung des Christen auf Grund dessen
geschieht, was wahr ist im Himmel. Deshalb ermahnte Paulus die Hebräischen Christen, in das
Heiligtum droben einzugehen; denn dorthin versetzt uns der Glaube. Unsere Leiber mögen an einem
Ort auf der Erde beisammen sein, die wahre Anbetung jedoch wird im Geist im Himmel dargebracht,
in „der wahrhaftigen Hütte, welche der Herr errichtet hat, nicht der Mensch.“ Wir können daher
sagen, dass der einzige, wahre Platz der Anbetung jetzt der Himmel ist, wo unser Hohepriester ist
und wo unsere Opfer des Lobes dargebracht werden. Dort stehen wir durch den Glauben in der
Gegenwart Gottes selbst; und in Folge dessen ist in dem, was nur mit Gott zu tun hat, Christus alles.
Alles, was uns in dem Fleisch angehörte, verschwindet völlig.
Betrachten wir jetzt den zweiten Teil unseres Gegenstandes: „Christus ist in allen.“ Bei einem jeden,
der den Namen Christi tragt, kommt nur das in Betracht, was Er in Ihm ist. Auf diesem Grund handelt
der Glaube; und dies ist es, was die Liebe hervorbringt, die allein des Besitzens wert ist und die
Gott anerkennt in den Dingen, welche Ihn betreen – jene Liebe, die von Gott, ja Gott selbst ist.
Es ist nicht eine bloße Sympathie, welche aus einer Übereinstimmung der Gefühle hervorkommt
und der Ursprung aller Sektiererei ist. Das einzige Mittel, solche zu vereinigen, die in natürlicher
Beziehung durchaus nichts Übereinstimmendes haben, ist, dass Christus in allen ist. Dies ruft aber
auch eine höchst ernste Verantwortlichkeit hervor. Wenn sich in einem Christen irgendetwas zeigt,
was nicht von Christus ist, so darf es nicht übersehen oder geringgeschätzt werden. Christus ist in
ihm, auf dass alles, was sich in ihm vom Fleisch oder im Widerspruch mit Christus, der unser Leben
ist, ndet, gerichtet und weggetan werde. Ist ein anderer Grundsatz in unserer Seele, wie dieser, so
kann es nur der sein: „Wir wollen Böses tun, auf dass die Gnade überströme.“ Doch es bleibt wahr
und ist sehr köstlich für uns, dass Christus alles und in allen ist. Die eine Wahrheit macht nichts aus
uns, die Andere alles. Die Eine setzt das, was von dem ersten Adam ist, völlig bei Seite, während
die Andere ebenso sehr den ganzen und besonderen Wert Christi einem jeden verleiht, der Gott
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  Christus alles und in allen
angehört, obwohl bei dem Einzelnen manches vorhanden sein kann, was nicht gut ist. Der Charakter
des zweiten Adam ist allen Heiligen beigelegt.
In unseren gegenseitigen Beziehungen haben wir die meisten Proben zu bestehen. Denken wir uns,
um dies zu erklären, einen Familienkreis. Viele Glieder desselben sind außerhalb des Hauses vielleicht
sehr freundlich und gefällig, während innerhalb gerade das Gegenteil der Fall ist. Sicher ist das eine
sehr traurige Erscheinung: aber hat es nicht darin seinen Grund, dass jene im häuslichen Kreise viel
mehr auf die Probe gestellt werden, weil der Eine an dem Anderen mancherlei Fehler und Mängel
entdeckt? Dasselbe ist der Fall in dem Haus Gottes. Wir werden durch unsere Beziehungen zu den
übrigen Heiligen auf die Probe gestellt. Verstehen wir wohl alle, diese beiden Wahrheiten – Christus
„alles“ und „in allen“ – zu vereinigen? Lieben wir Christus in allen und erheben wir zu gleicher Zeit
nichts außer Ihm? Ich spreche natürlich von den gegenseitigen Beziehungen der Heiligen in den
Dingen Gottes Ich möchte noch über eine andere Schriftstelle einige Worte hinzufügen, da sie oft mit
einer der beiden Wahrheiten, die wir eben betrachten, vermischt wird. In 1. Korinther 15 ndet sich
ein Ausdruck, mit dem wir alle genau bekannt sind: „Auf dass Gott sei alles in allem.“ Es ist das eine
Wahrheit, die völlig verschieden ist von dem, was wir soeben besprochen haben; sie bezieht sich
auf eine ganz andere Zeit. Sie hat durchaus nichts mit dem gegenwärtigen Zeitlauf zu tun, sondern
bezieht sich auf einen Zustand der Dinge, der, wie wir sagen können, noch in weiter Ferne liegt.
Diese Wahrheit, wird sich erst später erfüllen, obwohl sie für den Glauben jetzt schon wahr ist, da
der Glaube allen Wahrheiten eine gegenwärtige Existenz verleiht. Doch wann wird Gott „alles in
allem“ sein? Nicht dann, wenn wir aufgenommen werden, um bei dem Herrn zu sein, noch auch,
wenn Er Israel. Sein irdisches Volk, zurückgebracht, dessen Ungerechtigkeiten hinweggetan und es
zu dem großen Werkzeug seiner Segnungen hienieden gemacht haben wird. In jener Zeit kann man
nicht sagen, dass Gott „alles in allem“ sei. Es ist erst dann wahr, wenn der Herr das Reich seinem
Gott und Vater übergeben haben wird. Christus wird es empfangen in der bestimmten Absicht, alle
Verheißungen Gottes zu erfüllen und alles Böse, das sich gegen Gott erhebt, niederzuwerfen. Das wird
der Gegenstand des irdischen Reiches Christi sein. Wenn aber alles niedergeworfen und der letzte
Feind bezwungen sein wird – wenn es keinen Tod mehr gibt, um den Leib zu zerstören, und keinen
Teufel, die Seele zu versuchen, (ich spreche nicht von dem tausendjährigen Gebundensein Satans,
sondern von der Zeit, wenn er völlig beseitigt und in den Feuersee geworfen ist) dann, und nicht eher,
wird Gott alles in allem sein. Im tausendjährigen Reich, wo im Himmel eine völlige und auf der Erde
eine reichliche Segnung vorhanden sein wird, da wird doch noch eine Überwachung des Bösen unter
der Herrschaft Christi stattnden. Der Mensch, in der Person Christi, wird alles in allem sein. Als
Mensch wird Er das Reich an sich nehmen, und das wird seine Rechtfertigung sein, die Rechtfertigung
dessen, der gekreuzigt wurde. Als Mensch hat Er gelitten, und als Mensch wird Er in jenes Reich
eingesetzt werden, was, wenn ich so sagen soll, die Darstellung von Ihm – als einem Menschen, der
alles in allem ist – sein wird. Und wenn Er die ganze Macht und Herrlichkeit, mit der Er bekleidet ist,
dazu gebraucht haben wird, um alles zur Unterwerfung unter Gott zurückzuführen, dann wird die
ewige Szene kommen, wo Gott alles in allem ist. Dies wird die gesegnete Antwort auf das sein, was
der Mensch von Anfang an getan hat – sich selbst das anzumaßen, was Gott angehört. Wenn Jesus
in jene gesegnete Herrschaft eingesetzt sein wird, dann wird der Gegenstand und das Resultat seiner
Herrlichkeit zur Verherrlichung Gottes, des Vaters sein. Und wenn alles völlig niedergeworfen und
kein Flecken mehr auf dem ganzen Weltall zu nden ist, wenn alles Böse gerichtet und das Gute in
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  Christus alles und in allen
der völligen Herrlichkeit Gottes ans Licht gestellt ist, wenn die Schöpfung sogar herrlicher sein wird
wie damals, als sie zuerst hervorgebracht wurde, (denn die neue Schöpfung ist herrlicher als die alte)
dann wird die große Wahrheit aller Ewigkeit hervorstrahlen: „Gott alles in allem“, Gott – Vater, Sohn
und Heiliger Geist. Dies müssen wir stets festhalten; denn die Schrift sagt nie: „Gott, der Vater, wird
alles in allem sein“; sie würde dadurch die Rechte des Sohnes und des Heiligen Geistes schmälern;
sondern Er, der als Mensch das Reich an sich genommen hat, wird es übergeben, damit Gott Vater(,
Sohn und Heiliger Geist) sei alles in allem – das Lob einer jeden Kreatur, ohne dass in alle Ewigkeit
irgendetwas im Stande wäre, die Szene zu verdunkeln und zu trüben.
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  Das Buch der Erfahrung 2/5
Das Buch der Erfahrung – Teil 2/5
„Nach meiner sehnlichen Erwartung und Honung, dass ich in nichts werde zu Schanden werden,
sondern mit aller Freimütigkeit wie allezeit, so auch jetzt, Christus werde hoch erhoben werden
an meinem Leib, sei es durch Leben oder durch Tod.“ Wir sehen hieraus, dass der Gedanke an eine
Vollkommenheit im Fleisch nur Torheit ist, denn Paulus erwartete, Christus in der Herrlichkeit
ähnlich zu sein. Das Herz ist immer auf seinem rechten Platz, wenn es sagen kann: „Das Leben ist
für mich Christus.“ Paulus hatte keinen anderen Gegenstand als Christus. Tag für Tag war Christus
der Beweggrund seines Wandels; Er war der Gegenstand und der Charakter desselben. Auf seinem
ganzen Weg war Christus durch die Macht des Geistes Gottes sein Leben, so dass der Hass der
Menschen und des Satans keine Macht über ihn hatte. Das Ich war praktischerweise verschwunden.
Dachte er an sich selbst, so wusste er nicht, was er wählen sollte, ob hingehen und bei Christus ruhen,
oder bleiben und dienen. Bei Christus zu sein, war weit besser; aber dann konnte er nicht länger
für Ihn tätig sein. So war das Ich als Triebfeder verschwunden, und Paulus rechnete hinsichtlich
der Versammlung auf Christus; doch sobald er erkennt, dass das Bleiben im Fleisch nötiger ist um
ihretwillen, so sagt er: „Und in dieser Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei und mit euch
allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben.“ Er selbst entscheidet sein Unheil vor
Nero. Wenn er an sich dachte, so wusste er nicht, was er wählen sollte; wenn er aber an diejenigen
dachte, die Christus teuer waren und seiner Anwesenheit bedurften, so sagte er: „Ich weiß, dass ich
bleiben werde.“
Der Herr gebe, geliebte Brüder, dass Er unser einziger Gegenstand sei, und wir uns nie von demselben
abwenden lassen, damit wir sagen können: „Eins tue ich.“ Er schenke uns Gnade, die wahren Briefe
Christi zu sein, bis Er kommt. Welch ein glänzendes und gesegnetes Zeugnis würde alsdann die
Versammlung Gottes sein! Wenn wir weniger Kampf und Furcht haben als Paulus, so hat dies seinen
Grund darin, dass wir weniger Energie besitzen. Kapitel 2
Bevor ich in das 2. Kapitel naher eingehe, möchte ich zuerst noch einige Worte über die letzten
Verse des ersten Kapitels sagen. „Und in nichts euch erschrecken lasst von den Widersachern, was
für sie ist ein Beweis des Verderbens, aber eures Heils, und das von Gott; denn euch ist es in Bezug
auf Christus gegeben, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden.“
Der Apostel will die Philipper nicht nur vor dem Erschrecken im Blick auf die Widersacher schützen,
sondern er zeigt ihnen auch, dass der Kampf der naturgemäße Zustand des Christen sei: „da ihr
denselben Kampf habt, den ihr an mir gesehen und jetzt von mir hört.“ Die Philipper befanden sich
in einer bestimmten Prüfung; allein das ganze christliche Leben ist ein Leben des Kampfes mit Satan.
Nicht als ob dies stets ein Gegenstand unserer Gedanken sein müsse, wenn wir anders mit der ganzen
Waenrüstung Gottes bekleidet sind; wenn wir aber nicht in dem Bewusstsein des Sieges Christi
stehen, so laufen wir Gefahr, erschreckt zu werden. Obwohl wir diesen Kampf nicht wie Paulus und
die Philipper kennen, so kennen wir doch ein wenig davon. Wenn dem Satan widerstanden wird,
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so ist Christus im Kampfs; und wir wissen, dass Er ihn gebunden und vollständig überwunden hat.
Daher sagt Jakobus: „Widersteht dem Teufel, und er wird von euch iehen“ (Jak 4,7). Wenn wir mit
Christus wandeln, so ist anscheinend die Macht von Seiten Satans und der Welt viel größer, als auf
der unsrigen; doch alle diese Macht ist nichts: wir lassen uns täuschen, wenn wir durch sie erschreckt
werden.
Wenn auch die Mauern einer Stadt bis an den Himmel reichen, was hat es zu bedeuten, wenn sie
zusammenstürzen und man auf ihren Trümmern hineingehen kann? Beachten wir, geliebte Freunde,
dass die Schwierigkeiten nicht in Betracht kommen, wie wir dies bei Petrus sehen, als er auf dem See
wandelte. Er wandelte auf dem Wasser, um zu Jesu zu gelangen, als er aber den starken Wind sah,
erschrak er. Doch wenn selbst der See so ruhig gewesen wäre wie ein Mühlteich, so hätte er doch
nicht darauf wandeln können; man hat nie von einem Menschen gehört, der fähig gewesen wäre, auf
irgendwelchem Wasser zu wandeln. Petrus irrte sich gänzlich in Betre des Gegenstandes, auf den er
blickte. Woran wir zu denken haben, ist, dass Christus den Satan gebunden hat und ihn nun seiner
Güter berauben kann. Vielleicht erlaubt Er dem Satan, etliche ins Gefängnis zu werfen, auf dass sie
geprüft werden; allein Satan gewinnt nichts dadurch; wenn er einem Menschen begegnet, der mit
Christus wandelt, so hat er durchaus keine Gewalt über ihn. Wir mögen zu leiden haben; allein das
ist es eben, was Gott „gegeben“ hat, wie wir bei Mose sehen, welcher – der Apostel sagt nicht „die
Schmach“, sondern – „die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens“
(Heb 11,24–26). Es ist ganz dasselbe, ob der See stürmisch oder ruhig ist: wir sinken, wenn Christus
nicht bei uns ist, und wir wandeln auf dem Wasser, wenn Er es ist.
Doch wenden wir uns jetzt zum zweiten Kapitel. Die Gnade, welche uns mit Christus verbindet,
ist bewundernswürdig; wir sind berufen, dieselbe Gesinnung zu haben, die in Ihm war. In diesem
Kapitel wird uns die Niedriggesinntheit des christlichen Lebens vorgestellt und im Folgenden die
Energie desselben. Hier handelt es sich darum, dem Vorbild Christi nachzufolgen, es handelt sich
um eine Niedriggesinntheit, die sich kundgibt in der Achtung und völligen Rücksicht gegen andere,
sowie in dem liebevollen und sanftmütigen Verhalten in Bezug auf die Dinge des täglichen Lebens.
Deshalb sagt der Apostel zu den Philippern, dass er den Timotheus noch bei sich behalten, ihn aber
sofort zu ihnen senden wolle, wenn er wisse, wie sich seine Umstände gestalten würden; denn in
allem, was ihn betraf, rechnete er auf ihr völliges Interesse. Jedoch wollte er Epaphroditus nicht
zurückbehalten, sondern ihn zu ihnen senden; denn er war krank gewesen, und die Philipper hatten
es gehört und waren seinetwegen sehr besorgt. Er hatte die Gefühle eines Kindes, das in der Fremde
ist und denkt: Wie wird sich meine Mutter ängstigen, wenn sie hört, dass ich so krank bin! Paulus
wollte Epaphroditus hinsenden, damit die Philipper ihn sehen und sich freuen möchten. Welch eine
zarte Rücksicht und Aufmerksamkeit, welch eine völlige Sorgfalt für andere gewahrt man bei Paulus
sogar in den kleinsten Dingen! Selbst die Welt kann die Schönheit einer solchen Handlungsweise
erkennen; ihre Selbstsucht erfreut sich dann.
Die Philipper hatten durch ihre Sorge für Paulus das, wovon er im ersten Verse spricht, an den Tag
gelegt; doch waren sie nicht völlig in Christus vereinigt. Allein der Apostel will, angesichts all ihrer
Liebe zu ihm, nicht mit einem Vorwurf kommen. Er sagt: Ich sehe, wie besorgt ihr für mich seid;
wenn ihr mich aber ganz glücklich machen wollt, so seid einerlei gesinnt – „erfüllt meine Freude.“ Er
tadelt sie auf die zarteste Weise, er gibt ihnen einen leisen Wink; denn sie bedurften der Ermahnung.
Dann zeigt er ferner, auf welcher Grundlage diese Einheit der Gesinnung beruht: „in der Demut
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einer den anderen höher achtend, als sich selbst.“ In einem gewissen Sinne scheint dieses unmöglich
zu sein. Denn wenn jemand besser ist als ich, so ist es augenscheinlich, dass ich nicht besser sein
kann, als er. Ist aber das Herz wirklich demütig, wandle ich mit Christus und nde, meine Wonne
an Ihm, so betrachte ich mich als ein armes schwaches Geschöpf, das sich mit nichts anderem als
mit der Gnade Christi zu beschäftigen hat und in sich selbst nur Fehler erblickt; die ganze Fülle der
Gnade sehe ich in Christus und indem ich sie sehe und sogar von ihr Gebrauch mache, fühle ich,
welch elendes Werkzeug ich bin, indem das Fleisch das Gefäß hindert, schwächt und das Licht nicht
ausstrahlen lässt. Blicke ich aber auf meinen Bruder, so sehe ich alle die Gnade, die Christus über ihn
ausgegossen hat. Der Christ sieht Christus und alle guten Eigenschaften in seinem Bruder. Sogar
zu den Korinthern, deren Wandel so anstößig war, konnte Paulus sagen: „Ich danke meinem Gott
allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus“ (1. Kor 1,4). Er
erkennt zuerst all das Gute unter ihnen an, die Liebe erwähnte es; und auf diese Weise gewann Paulus
ihre Herzen, um auf die Zurechtweisungen zu horchen. Ich erblicke die Gnade in meinem Bruder
und nicht das Böse, das in seinem Herzen vorgeht, aber ich sehe es in meinem eignen Herzen. Als
Mose vom Berg herniederkam, wusste er nicht, dass sein Angesicht glänzte. Was demselben seinen
Glanz verlieh, war nicht, dass Mose sein eigenes Angesicht sah, (wir wissen wohl, dass er dieses nicht
vermochte) sondern dass er die Herrlichkeit Gottes anschaute; diese strahlt in dem Maß von uns aus,
als wir sie unverrückt betrachten. Bei meinem Bruder sehe ich alle Güte, alle Gnade, allen Mut, alle
Treue, und bei mir alle Fehler. Wie schon vorhin bemerkt, kann ich selbstredend nicht besser sein als
er, wenn er besser ist als ich; allein es handelt sich hier um den Geist, in welchem ein Christ wandelt.
Keine Parteisucht, keine eitle Ehre ist vorhanden, und es kann nicht anders sein, wenn das Herz auf
Christus gerichtet ist. Auf diese Weise werde ich vor einer falschen Wertschätzung meiner selbst
bewahrt, denn wenn ich auf die Gnade blicke, so sehe ich Christus. Ohne Zweifel muss ich zuweilen
auf mich selbst blicken und mich richten; am besten aber ist es, wenn ich dieses gar nicht nötig habe.
„In der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; ein jeder nicht auf das seinige sehend.“
Jetzt wendet sich der Apostel zu dem Grundsatz, auf dem dieses beruht. „Denn diese Gesinnung sei
in euch, die auch in Christus Jesus war.“ Hier wird uns der Pfad Christi von der Herrlichkeit der
Gottheit bis zum Kreuz vorgestellt: Christus tat gerade das Gegenteil von dem, was der erste Adam
tat: Er stieg fortwährend hinab. „Da Er in Gestalt Gottes war, achtete Er es nicht für einen Raub,
Gott gleich zu sein“; und nicht nur hat Er alles geduldig ertragen, sondern Er machte sich auch zu
nichts. Er verließ die Gestalt Gottes „und ward in seiner Stellung wie ein Mensch erfunden“, und als
Mensch erniedrigte Er sich selbst und nahm die Gestalt eines Knechtes an. Wiewohl Er in Gestalt
eines Menschen kam, so strahlte doch die ganze moralische Herrlichkeit von Ihm aus: im Wort, im
Werk, in der Gesinnung und in allen seinen Wegen; aber, nachdem Er sich der Herrlichkeit entäußert
hatte, stieg Er in Niedriggesinntheit immer tiefer hinab, bis es keinen niedrigeren Platz mehr gab.
„Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass Er, da Er reich war, um euretwillen
arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9).
In der Erniedrigung des Herrn gibt es zwei Stufen. Erstens, Er entäußerte sich der Gestalt Gottes;
zweitens, da Er in Gleichheit eines Menschen erfunden wurde, erniedrigte Er sich selbst und ward
gehorsam. Nichts zeigt mehr Demut, wie der Gehorsam; denn wenn wir gehorsam sind, so haben
wir durchaus keinen eigenen Willen; und Er war nicht nur gehorsam, sondern gehorsam bis zum
Tod; Er hat nicht nur den Willen, sondern sich selbst völlig aufgegeben, und nicht nur bis zum
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Tod, sondern bis zum Tod des Kreuzes – eine Art der Hinrichtung, welche zu jener Zeit nur bei
Sklaven und Missetätern angewandt wurde. Christus ging geraden Laufs von der Gestalt Gottes
hinab bis zum Tod; der ganze Weg war Gehorsam und Erniedrigung – in allem im Gegensatz zu
dem ersten Adam. Dieser war nicht in der Gestalt Gottes, aber er erhob sich, um Göttern gleich zu
sein, und war ungehorsam bis zum Tod – genau das Gegenteil von Christus in dem Geist und dem
Charakter seiner Wege. Und wie Gott gesagt hat: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“,
so ward Adam erniedrigt, weil er sich erhöht hatte. Christus aber wartete, bis Gott Ihn erhöhte; Er
erniedrigte sich selbst, und darum hat Ihn Gott auch hoch erhoben. Er hat Ihn als Mensch über alle
Werke seiner Hände gesetzt; daher lesen wir: „Ein Gott, der Vater . . . und ein Herr, Jesus Christus“
(1. Kor 8,6). Es handelt sich hier nicht um die Natur des Herrn, sondern um den Platz, zu dem Er
erhoben wurde. Gott hat alles unter seine Füße als Mensch gestellt. Alle Dinge sind durch Ihn und
für Ihn erschaen worden, aber Er wird sie alle als Mensch besitzen und als solcher sich Miterben
zugesellen. Als Mensch ist Er Erbe aller Dinge, und alle Gläubigen sind seine Miterben. Der Brief
an die Kolosser zeigt Ihn uns als Schöpfer, als Sohn Gottes, als Sohn des Menschen und als Erlöser;
dieser letztere Titel gibt Ihm ein Recht über alles. Alle Dinge werden durch Ihn versöhnt werden; ich
sage nicht gerechtfertigt, weil sie nicht gesündigt haben; aber sie sind alle verunreinigt, und wenn
Er sie alle versöhnt haben wird, setzt Er uns als seine Miterben ein. Wir sind gleich Eva, die nicht
eins der verschiedenen Tiere war, denen Adam Namen gab, noch Herr wie Adam, noch dasjenige,
worüber er Herr war, sondern eine Gehiln oder eine Gefährtin, um mit ihm über die Dinge zu
herrschen. Unter seinem vierten Titel, dem des Erlösers, wird Christus, wiewohl alle diese Titel
in seiner Person vereinigt bleiben, die Schöpfung zu einem ungetrübten Glücke führen. Dies wird
unfehlbar in Erfüllung gehen; wir aber kennen die Erlösung schon. „Er hat euch versöhnt“ (Kol 1,21).
Die Erlösung ist vollbracht, obwohl deren Ergebnisse noch nicht in die Erscheinung getreten sind,
wie gesagt ist: „Auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien“ (Jak 1,18).
Dann teilt uns der Apostel mit, dass in uns dieselbe Gesinnung sein soll, die in Christus war. Gott
hatte Ihm einen Leib zubereitet (Heb 10,5), oder wie es an einer anderen Stelle heißt, „die Ohren
bereitet“ (buchstäblich: „gegraben“) (Ps 40,6). Als Mensch nahm Er den Platz eines Dieners ein. Er, die
Fülle der Gottheit, kam in diesem Leib und oenbarte in demselben den vollkommenen Gehorsam;
und jetzt hat Ihn Gott hoch erhoben zu seiner Rechten. Er ist zuerst dort eingegangen; wir sind noch
nicht dort, wir sind auf der Erde zurückgelassen, um hienieden so zu wandeln, wie Er gewandelt hat.
Es ist gesegnet, den Platz zu sehen, den Er einnahm. Sein Pfad führte stets abwärts und oenbarte
eine Gesinnung, die auch in uns sein soll. Darum sagt Gott: „Auf dass in dem Namen Jesu jegliches
Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen.“ Selbst die höllischen Wesen
werden gezwungen sein, sein Recht auf die Herrlichkeit anzuerkennen. In diesem Charakter als
Erhöhter werden sie ihre Knie vor Ihm beugen müssen.
Der erste Adam wurde nicht eher das Haupt eines Geschlechts, bis er gesündigt hatte, und Christus
wurde nicht eher das Haupt eines neuen Geschlechts, bis Er die Erlösung vollbracht und Haupt der
Gerechtigkeit geworden war. Gleichwie Adam ins Paradies eintrat, so trat Christus in die Welt ein;
ein jeder von ihnen begann ein Geschlecht. Die Sünde erfüllte sich, und damit endete das Geschlecht
des Einen, die Gerechtigkeit erfüllte sich, und damit begann das Geschlecht des Anderen.
Wenn wir vom Erniedrigen sprechen, so meinen wir das Freiwerden von dem Stolz in uns. Und das
ist es gerade, was der Christ lernt und was dem Fleisch nicht gefällt. Durch einen Rest von Hofstolz
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  Das Buch der Erfahrung 2/5
geleitet, tötete Mose den Ägypter. Dies aber genügte Satan nicht; entweder sollte er den Platz ganz
einnehmen oder gar nicht. Die Waen dieser Welt taugen nicht für die Kämpfe Jehovas; Mose oh,
und anstatt zu kämpfen, hütete er die Schafe 40 Jahre lang, und als ihn Gott dann sandte, vermochte
er nicht zu gehen; er el von einem Extrem ins andere. In den Einzelheiten unseres Wandels ist es
stets unser Platz zu warten, bis Gott uns erhöht, wie jener Mensch, der sich unten an den Tisch setzte,
und dem gesagt ward: „Freund, rücke höher hinauf“ (Lk 14,7 ). Wenn wir mit dem untersten Platze
zufrieden sind, werden wir uns tausenderlei Kränkungen ersparen, die wir sonst erfahren müssten.
Wir kommen jetzt zu einer Stelle, welche manche Seelen beunruhigt, doch ohne Grund, wie wir sehen
werden: „Daher, meine Geliebten, gleich wie ihr allezeit gehorsam gewesen . . . bewirkt eure eigene
Seligkeit mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Wirken,
nach seinem Wohlgefallen.“ Der Irrtum, in den man fällt, besteht darin, dass man unser Wirken dem
Wirken Gottes gegenüberstellt, während hier das Wirken des Paulus und das der Philipper einander
gegenübergestellt wird. Durch den Verlust des Apostels hatten sie Gott nicht verloren, welcher
wirksam war. Paulus sagte: Jetzt, da ich abwesend bin, bewirkt ihr eure eigene Seligkeit. Bis dahin
hatte er es für sie getan; er war in apostolischer Sorge den listigen Anläufen Satans entgegengetreten;
sein Geist der Weisheit hatte ihnen mitgeteilt, wie sie sich zu verhalten hatten. Jetzt sagt er: Meine
Abwesenheit ändert nichts an der gegenwärtigen Macht der Gnade, Gott selbst wirkt in euch. „Daher,
meine Geliebten, gleich wie ihr allezeit gehorsam gewesen, nicht allein als in meiner Gegenwart,
sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern.“
Sie mussten jetzt dem Feind begegnen, ohne Paulus als ihren Anführer an der Spitze zu haben. Aber
was tut dies zur Sache, sagt der Apostel: „Bewirkt eure eigene Seligkeit.“ – Wir werden stets geringer,
wenn Gott in uns wirkt.
Das zweite Kapsel stellt uns den Charakter des demütigen Wandels Christi vor Augen; der Herr
erniedrigte sich fort und fort, bis ans Ende. Das dritte Kapitel zeigt uns die Kraft und Energie des
Lebens mit Christus und als dessen Ziel die Herrlichkeit. Der Zweck ist, genau den Charakter
Christi hervorzubringen: „Tut alles ohne Murren und Wortstreit, auf dass ihr tadellos und lauter
seid, unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter
welchem ihr scheint wie Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens.“ Diese Worte sind
eine genaue Beschreibung von Christus selbst; jeder einzelne Ausdruck dieser Stelle führt uns
Christus vor Augen; Er war alles dieses, und wir sollen genau dasselbe sein. Wie völlig wird das
Ich niedergehalten, während Gott in Gnade in uns wirkt! Es wird gerade das hervorgebracht, was
Christus war: Er erniedrigte sich beständig selbst und war also tadellos und lauter, der unbescholtene
Sohn Gottes, der Ausdruck der göttlichen Gnade, während weder eigener Wille noch menschliche
Erhebung, sondern das Gegenteil vorhanden war. Wir sehen hier die vollkommene Schönheit und
Segnung dieses göttlichen Lebens. Es ist nicht die Energie desselben, wie in dem folgenden Kapitel,
sondern der Charakter des Gehorsams. Wohin irgend der Pfad des Gehorsams führte, dahin ging
Christus. Nachdem Er die Gestalt eines Dieners angenommen hatte, bestand seine Vollkommenheit
im Gehorchen. Wie ganz anders ist das Ergebnis bei einem Geschöpf, das wie Adam seinen eigenen
Willen tut! Welch ein schrecklicher Anblick für die Engel, vor deren Augen sich die Zerstörung der
Herrlichkeit Gottes in der Welt vollzieht! Nachdem aber diese Herrlichkeit durch uns zerstört war,
kam Christus, und Gott wurde ein Schuldner des Menschen selbstredend (nicht unser Schuldner)
für seine Herrlichkeit, sowie Er dessen Schuldner für seine Verunehrung gewesen war. Denn durch
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  Das Buch der Erfahrung 2/5
das Kreuz wurde Gott in seiner wahren Natur verherrlicht. Christus kam, und wir sehen, was die
Sünde war: überlegte Feindschaft wider die Güte Gottes. Alles aber, was Gott ist, ist verherrlicht
worden. Seine Majestät ist aufrechterhalten, seine ganze Wahrheit, seine Gerechtigkeit gegen die
Sünde, seine vollkommene Liebe sind ans Licht gestellt worden. Das Hinwegtun unserer Sünden ist
nur ein kleiner Teil der Herrlichkeit des Kreuzes; es ist die Grundlage der ewigen Herrlichkeit und
Glückseligkeit.
Nicht nur nahm Christus die Gestalt eines Knechtes an, sondern Er will auch stets ein Knecht
bleiben. Gleichwie Er nie aufhören wird, Mensch zu sein, so wird Er auch nie den wahren Platz
des Menschen vor Gott verlassen. Christus nahm die Gestalt eines Menschen an und vollbrachte
nach dem Vorbild des hebräischen Knechtes in 2. Mose 21 seine Dienstjahre auf der Erde. Er hätte
als Mensch frei ausgehen, Er hätte zu seiner Befreiung zehn Legionen Engel haben können, aber
Er machte keinen Gebrauch davon. Wenn der hebräische Knecht erklärte: „Ich liebe meinen Herrn,
mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen“, so wurde sein Ohr mit einer Pfrieme an
der Tür durchbohrt, und er war Knecht auf ewig. Ebenso auch Christus. Als der Herr in Johannes 13
im Begri war, in die Herrlichkeit zu gehen, hätte man denken können, der Dienst habe jetzt ein
Ende. Doch dem ist nicht also: Er steht auf aus ihrer Mitte, wo Er als ihr Genosse saß – Er steht auf,
umgürtet sich und wäscht ihre Füße; und dieses tut Er auch jetzt. Er sagt: Ich kann nicht hienieden
bei euch bleiben, aber ich will euch nicht verlassen; ihr müht jetzt da mit mir Teil haben, wo ich
hingehe; wenn ich euch nicht rein genug mache für den Himmel, so könnt ihr dort kein Teil mit mir
haben; deshalb sorgt Er dafür, dass unsere Füße rein sind.
Aus Lukas 12 lernen wir, dass der Herr in der Herrlichkeit seinen Dienst immer noch fortsetzt: „Er
wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und hinzutreten und sie bedienen“ (V 37).
Hier haben wir seinen Dienst in der Herrlichkeit. Es ist seine Herrlichkeit in der Liebe, wiewohl in
der Form des Dienstes. Nicht nur wird der Tisch im Himmel für uns gedeckt sein, sondern Christus
selbst bedient uns an demselben; Er gibt den Dienst nie auf. Der Selbstsucht gefällt es, bedient zu
werden, der Liebe gefällt es, zu dienen. So hört denn Christus nie auf zu dienen, weil Er nie aufhört zu
lieben. Seine Liebe, welche sich im Dienst kundgibt, macht uns alles doppelt köstlich. Wenn ich „im
Geist meiner Gesinnung“ Zu Gott gebracht worden bin, so kann ich mich wie Christus erniedrigen.
Wenn der Apostel davon redet, „unsere eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken“, so hat
er weder unsere Rechtfertigung noch unsere Stellung vor Gott im Auge. Im Philipperbrief bedeutet
die Seligkeit stets das Endresultat in der Herrlichkeit. Was war die Wirkung der Erlösung für Israel?
Sie wurden nicht nach Kanaan versetzt, sondern mussten den Pfad durch die Wüste betreten. Woher
sollten sie Nahrung bekommen, wer sollte ihnen den Sieg über ihre Feinde geben? Denn es wurden
solche angetroen auf dem Weg. Ich habe meinen Lauf zu vollenden, indem ich den Namen und
Charakter Gottes aufrecht halte; Satan aber sucht mich daran zu verhindern, und deshalb ist Furcht
und Zittern vorhanden. Ein Israelit in der Wüste war nie darüber im Zweifel, ob er in Ägypten sei
oder nicht. Ein zweifelnder Christ weiß noch nicht, dass er errettet ist. Ein Israelit mochte einmal
kein Manna sammeln und in Folge dessen an jenem Tag nichts zu essen haben, aber es kam ihm nie
in den Sinn, dass er in Ägypten sei. Die Entfernung von Ägypten nach Kanaan betrug, wie wir im
Anfang des fünften Buches Mose sehen, nur elf Tagereisen, allein die Kinder Israel reisten, bevor
sie in die Ebenen Moabs kamen, 40 Jahre umher, mit Ausnahme des Jahres, das sie am Berg Sinai
zubrachten; denn sie hatten zur Besitzergreifung des Landes weder Mut noch Glauben.
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  Das Buch der Erfahrung 2/5
So sucht Satan uns auch jetzt zu verhindern. Wenn wir zur Betrachtung des Wortes Gottes irgendwo
versammelt gewesen sind, so wird er schon auf dem Heimweg versuchen, uns den empfangenen
Segen zu rauben. Er wird alles aufbieten, Stolz in uns zu erwecken und uns dadurch zu hindern, den
Charakter Christi zu oenbaren. Sind wir überzeugt, dass es uns oblag, diesen Charakter Christi
auf dem Pfad durch die Welt zu oenbaren, und dass Satan sich anstrengt, uns daran zu hindern, so
werden wir den Ernst der Sache tief fühlen. Petrus sagt: „Wenn ihr den als Vater anruft, der ohne
Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in
Furcht“ (1. Pet 1,17). Satan geht darauf aus, meine Füße zu besudeln oder mich zu veranlassen, Christus
auf die schändlichste Weise zu verunehren. Ich bin im Kampf mit Satan, mit der Welt und mit meinem
eigenen Ich; mit Gott aber bin ich in vollkommenem Frieden. Es ist durchaus falsch, das „Bewirken
unserer Seligkeit“ mit unserem Verhältnis zu Gott zu vermengen. Dieses steht unerschütterlich fest;
und mein Vertrauen zu Gott befähigt mich, voranzugehen und meine Seligkeit zu bewirken. Geliebte
Brüder, inwieweit tun wir dieses? Die Erlösung ist vollendet; aber in wie weit machen wir nichts
aus uns selbst und beeißigen uns, das zu oenbaren, was Christus hienieden war? Dieses wird
naturgemäß hervorkommen, wenn ich mit Christus erfüllt bin. Ich rede hier nicht davon, dass wir
dieses oder jenes tun sollen wie Christus, obwohl dies zuweilen auch der Fall sein kann; sondern es
handelt sich um das, was der Apostel sagt: „Ein jeglicher, der diese Honung zu Ihm hat, reinigt sich
selbst, gleich wie Er rein ist“ (1. Joh 3,3).
Ich möchte hier noch eine Bemerkung machen. Durch das ganze Kapitel hindurch zieht sich der Geist
der Gnade und der zarten Rücksicht für andere; er zeigt sich in seinen Einzelheiten in ausnehmend
schöner Weise. Es ist außerordentlich köstlich zu sehen, dass dies alles seinen Fortgang hatte zu einer
Zeit, wo die Kirche schon im Verfall war. „Denn alle suchen das Ihrige“, sagte der Apostel schon
damals. Welch eine Unkenntnis verraten wir oft, wenn von dem wahren Zustand der ersten Kirche
die Rede ist! Paulus sagte schon: „Alle suchen das Ihrige“, und später stand es noch weit schlechter.
Ich erwähne dieses, weil darin etwas Tröstliches für uns liegt; denn der Apostel ermahnt die Heiligen,
diesen Pfad der Hingebung und der Gnade zu verfolgen, trotz des sie umgebenden Zustandes. Etwas
Ähnliches sehen wir bei Elias, als er in den Himmel entrückt wurde, ohne durch den Tod zu gehen, zu
einer Zeit, da er außer sich selbst niemanden nden konnte, der nicht vor dem Baal die Knie gebeugt
hätte, wiewohl Gott deren 7 000 kannte und auch wusste, wo sie zu nden waren. Ebenso treten uns
bei David herrlichere Dinge entgegen, als jemals in den Tagen Salomos. Dieser ging nach Gideon, wo
die Bundeslade nicht war, um dort zu opfern, und niemals lehrte er die Israeliten, bei der Bundeslade
in Zion zu singen: „Seine Güte währt ewiglich“ (Ps 136,1). Sein Herz war nie in dem Zustand, dass
Gott es zu Lobgesängen über Christus stimmen konnte, wie dies bei David der Fall war.
Der Apostel ermahnt uns, nie mutlos zu werden, uns alles dessen, was gut ist, zu erfreuen. Wenn
wir sehen, dass alle das Ihrige suchen, so sollten wir umso mehr trachten, Christus ähnlich zu sein.
Welch ein Trost, dass das Haupt nie fehlen kann, wenn dies auch bei den Gliedern der Fall ist. Es ist
unmöglich, dass ich mich in einer Lage bende, in welcher Christus in all der Fülle seiner Macht
und Gnade nicht genügend ist. Was wir bedürfen, ist in Demut zu seinen Füßen zu sitzen, zu den
Füßen des Ratgebers unserer Herzen. Wenn wir mit Gott im Licht sind, so haben wir das Bewusstsein
unseres Nichts, und wenn alle das Ihrige suchen, so tritt seine Gnade und Huld nur umso mehr hervor.
– Der Herr gebe uns Gnade, auf Ihn zu blicken, der unser Leben und unsere Kraft ist! (Fortsetzung
folgt)
  24
  Das Zusammentreen mit Christus
Das Zusammentreffen mit Christus
„Noomi hatte einen Verwandten ihres Mannes, einen vermögenden Mann . . . und sein Name war
Boas“ (V 1). Boas ist ein treendes Vorbild von Christus, als Verwandter, jedoch nicht, wie etliche
meinen, in Folge der Menschwerdung Christi, sondern nur durch seinen Tod und seine Auferstehung.
Er bekleidet jetzt durch seinen Tod die Stelle eines Seligmachers, völlig bereit, das Werk eines solchen
zu tun. Ich habe in Ihm einen Verwandten aus dem Samen des Weibes, einen Menschen, welcher
starb und wieder auferstand. Er ist ein vermögender Mann.
Zwei Dinge stehen in Bezug auf Christus, als den Seligmacher, im Vordergrund. Erist die vollkommene
Oenbarung Gottes, und Erist ein vollkommener Mensch. Erist ein Mensch, der uns vom kommenden
Zorn Gottes befreien und uns in Gerechtigkeit zu Gott bringen kann; Er ist ein vermögender Mann,
und sein unvergleichlicher Name ist: Jesus. Er war reich; Er besaß alles Er war der ewige Sohn, die
Freude und Wonne seines Vaters. In der Gnade, die sein Herz erfüllte, ging Er an den Engeln vorüber,
kam in diese Welt, und – o welch ein Wunder! – Er, der Gott war, wurde Mensch, um uns erlösen
zu können. Der erste Mensch strebte in seinem Hochmut danach, wie Gott zu sein und ward ein
Sünder, während Er, welcher Gott war, Mensch wurde, um für uns zu sterben und uns von der Macht
Satans und der Sünde befreien und uns in Gerechtigkeit zu Gott bringen zu können. „Denn ihr kennt
die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, dass Er, da Er reich war, um euertwillen arm wurde, auf dass
ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9). Jetzt aber ist Er reich – ein vermögender Mann.
Möchtest du nicht gern sein Eigentum sein? Möchtest du nicht gern mit diesem „vermögenden Mann“
verbunden sein? Alles, was Gott ist, zeigt Er in seinem Leben als Mensch auf der Erde. Er nahm als der
Stellvertreter des gefallenen Menschen seinen Platz auf dem Kreuz, trug dessen Schuld und Sünde,
indem Er in den Tod ging, verließ dann das Grab und stieg als Mensch in den Himmel. Er ist Gott
und Mensch Zugleich. Er oenbarte Gott hienieden vollkommen als Mensch; und jetzt repräsentiert
Er droben in vollkommener Weise den Menschen vor Gott.
Rut geht aufs Feld, um Ähren aufzulesen, und trit, wie man sagt, zufällig das Feldstück, welches Boas
zugehörte (V 3). Es ist beachtenswert, dass Boas nicht der Pächter dieses Feldes war, sondern dass er
es als sein Eigentum besaß; es war ein Platz, welcher von Rechts wegen ihm angehörte. Freilich gab es
auch jemanden, der über die Schnitter bestellt war (V 5), und derselbe ist ein Vorbild dessen, welcher
jetzt hienieden das Werk ausführt, nämlich des Heiligen Geistes. Aber das Feld gehörte Boas; und Rut
befand sich unter seinen Schnittern. Eine herrliche Sache, unter den Schnittern Christi zu sein! Es ist
jetzt nicht die Zeit der Aussaat, es ist die Zeit der Ernte; und der Tag wird anbrechen, „wo beide, der
da sät und der da erntet, Zugleich sich freuen“ (Joh 4,36). Ihm zu dienen, ist das herrlichste unter der
Sonne; nur eins ist noch herrlicher, und das ist Christus selbst. Fragst du, ob es eine beschwerliche
Sache sei, Christus zu dienen? Im Gegenteil, es gibt keine größere Freude, es sei denn der Genuss
seiner Person selbst.
  25
  Das Zusammentreen mit Christus
Welche Vertraulichkeit besteht zwischen dem Herrn und seinen Knechten! Boas begrüßt seine
Schnitter mit den Worten: „Jehova mit euch!“ Und sie rufen ihm zu: „Jehova segne dich!“ (V 4) Wie
schön! Es besteht eine völlige Gemeinschaft zwischen dem Herrn und den Schnittern; und es ist eine
Freude zu sehen, wie er bei ihnen ein und ausgeht.
„Wessen ist diese Dirne?“ fragt Boas. Er richtet sein Auge auf die Fremde, er merkt auf sie und forscht
nach ihr; und der Knecht kann ihm alles, was sie betrit, ausführlich mitteilen. Auch Christus setzt
seine Knechte oft in Kenntnis über das, was in einer Seele vorgeht, um den Bedürfnissen dieser Seele
durch sein Wort und zwar mittelst des Knechtes entgegen zu kommen. Auch nden wir hier ein
schönes Gemälde von der Art und Weise, in welcher sich der Herr selbst mit einer Seele befasst. Mit
welcher Sanftmut und Güte beschäftigt sich Boas mit der Rut! „Hörst du, meine Tochter?“ sagt er.
Und ist das nicht die Art und Weise des Herrn Jesus? Sobald du das Feld betrittst, welches das seinige
ist, sobald du auf seinem Acker Ähren fuchst, nennt Er dich „Sohn“ oder „Tochter.“
Du sagst vielleicht, dass wir hier eine alttestamentliche Darstellung haben. Nun, dann will ich dir
eine neutestamentliche Szene vorführen. Es gab ehemals, als der Herr Jesus auf Erden war, ein armes,
krankes und schwaches Weib, die von Jesu hörte und zu Ihm zu gehen begehrte; „denn“ – sagte sie –
„wenn ich nur den Saum seines Kleides anrühre, werde ich geheilt werden.“ Die Ihn umringende Schar
drängte und drückte Ihn. Das Weib aber folgte Ihm mit der Menge in der Absicht, sich Ihm zu nähern.
Aber obwohl die Schar Ihn wie eine Mauer umschließt, so presst sie sich doch hindurch, gelangt bis
zu der Person Jesu, berührt den Saum seines Kleides und – ist von ihrer Plage geheilt. Doch bevor sie
sich zu entfernen vermag, steht Jesus vor ihr und sagt: „Wer hat meine Kleider angerührt?“ Würde
sie ohne dieses hinweggegangen sein, so würde ihr der Teufel zugeüstert haben: „Ja, du bist jetzt für
den Augenblick wohl von deiner Plage los: aber morgen wird sie wiederkehren und zwar schlimmer
als je.“ Der Herr wusste dieses; und darum suchte Er sie auf, wie sie Ihn gesucht hatte; und bevor sie
sich entfernte, bestätigte Er sein Werk in der lieblichsten Weise. Sie hört von Jesu, kommt zu Ihm,
berührt sein Kleid und ist geheilt; dann bestätigt Er ihren Glauben durch sein Wort und sendet sie
hinweg, indem Er sagt: „Tochter, dein Glaube hat dich – geheilt; gehe hin in Frieden und sei gesund
von deiner Plage“ (Mk 5,25–34). Welch herrliche Worte! – Worte, die sie nie vergessen haben wird,
und die auch, wie ich hoe, für das Ohr jedes Lesers süß und lieblich klingen werden. Er gibt ihr
die Versicherung, dass sie nicht nur geheilt ist, sondern dass sie von ihrer Plage gesund sein wird
für immer. Das Köstlichste von allem aber ist, dass Er ihren Glauben anerkennt. Vertraust auch du
Ihm, mein Leser? Dann erkennt Er auch dich an. Er erkennt dich in demselben Augenblicke an, in
welchem du Ihn anerkennst und Ihm vertraust.
Wiederum wird uns in Markus 2 von einem Gichtbrüchigen erzählt, der zu Jesu gebracht wurde. Da
man sich Ihm wegen der Volksmenge nicht nähern konnte, so deckten die Träger des Kranken das
Dach ab und liehen ihn hinab zu den Füßen Jesu. „Als Jesus aber ihren Glauben sah, spricht Er zu
dem Gichtbrüchigen: Kind, deine Sünden sind dir vergeben!“ Und danach: „Stehe auf, nimm dein
Ruhebett und gehe nach deinem Haus!“ Und sogleich stand er auf, nahm das Ruhebett und ging
hinaus vor den Augen derer, die ihn, auf dem Bett liegend, durchs Dach hatten kommen sehen.
„Und Boas sprach zu Rut: Hörst du, meine Tochter? Gehe nicht, aufzulesen auf einem anderen Felde,
gehe auch nicht weg von hinnen, sondern halte dich hier zu meinen Dirnen. Deine Augen sollen auf
dem Feld sein, wo sie schneiden, und du sollst hinter ihnen hergehen; siehe, ich habe den Knaben
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  Das Zusammentreen mit Christus
geboten, dass man dich nicht antaste. Und wenn dich dürstet, so gehe hin zu den Gefäßen und trinke
von dem, was die Knaben schöpfen“ (V 8–9). Diese unverhote Güte überwältigt sie. Sie fällt auf
ihr Angesicht und bückt sich zur Erde. Boas stellt alles zu ihrer Verfügung. Dasselbe tut Christus.
Sobald eine Seele sich Ihm anvertraut, steht alles zu ihrem Dienst bereit. Ja, mein Freund, von dem
Augenblick an, wo du dich dem Herrn übergibst, stehen alle in der Schrift angekündigten Segnungen
zu deiner Verfügung; und du hast nur zu trinken aus den Strömen dieser Quelle lebendigen Wassers,
die durch seinen Tod und durch seine Auferstehung für deine dürstende Seele geönet worden ist.
„Und sie sprach: Lass mich Gunst nden in deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet
und zum Herzen deiner Magd geredet, so ich doch nicht bin, wie eine deiner Mägde“ (V 13). Siehst
du, mein Freund? Wenn Jesus spricht, dann spricht Er zum Herzen; denn in seinen Worten liegt
solch eine Gnade, solch eine Liebe, solch ein Mitgefühl und solch eine Heilung für die Wunden
der Seele, dass dieselbe sich zu Boden gedrückt fühlt; und während seine Gnade also entdeckt und
genossen wird, wird Zugleich das eigene Ich erkannt und verurteilt. Das ist wahre Bekehrung, eine
unausbleibliche Wirksamkeit der Seele, die stets die Folge der Erkenntnis der Gnade Gottes ist. Auch
bei Rut zeigt sich in einem gewissen Gerade diese Wirksamkeit, indem sie sagt: „So ich doch nicht bin,
wie eine deiner Mägde.“ Sie fühlt gleich jeder neugeborenen Seele, dass sie einer solchen Gnade nicht
würdig ist und eine solche Liebe nicht verdient. Sie verurteilt sich selbst, und das ist Selbstgericht,
Bekehrung.
„Und Boas sprach zu ihr zurzeit des Essens: Komm hierher!“ Du siehst, lieber Leser, deine Seele soll
genährt werden; und wo soll dieses geschehen? In der Nähe Christi und durch Christus selbst. „Iss
von dem Brot!“ sagte Boas. Wer wird hier nicht erinnert an die Worte Jesu, welcher sagte: „Wer zu
mir kommt, wird nie hungern?“ Und was für Brot ist dieses? Das „Brot des Lebens“, jene „Speise,
die da bleibt ins ewige Leben.“ Und dieses Brot ist Christus selbst. „Ich bin das lebendige Brot, das
aus dem Himmel herniedergekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, so wird er leben in
Ewigkeit. Und das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das
Leben der Welt. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben“ (Joh 6,51.54).
„Tunke deinen Bissen in den Essig“, fügt Boas hinzu. Was will das heißen? Ein herrliches Vorbild! Jede
Seele, die Jesus kennt, hat völlig Teil mit Ihm in allen Dingen. „Und er reichte ihr geröstete Ähren.“ –
Ja, mein Freund, dieselbe Hand, die für uns durchnagelt wurde, nährt uns jetzt und leitet und schirmt
uns Zugleich. Der Herr Jesus wünscht, uns an seiner Seite zu haben. In der Welt werden wir nden,
dass wir den Menschen bald lästig werden; aber bei dem Herrn sind wir stets willkommene Gäste.
Er hat alles, was Er besitzt, zu unserer Verfügung gestellt, und zwar von dem Augenblick an, wo
wir unser ganzes Vertrauen Ihm schenken. Er will, dass wir alles, in Gemeinschaft mit Ihm selbst,
aus seiner Hand annehmen; und es ist seine Freude, wenn wir in seiner gesegneten Gegenwart von
den herrlichen Früchten seines Werkes genießen, welche nur durch eine Liebe, gleich der Seinen, zu
unserem Eigentum gemacht werden konnten.
„Und sie aß und wurde satt und hielt übrig“ (V 14). Welch liebliches Bild einer Seele, welche sich still
zur Seite des Herrn niederlässt und in seiner Gegenwart Gnade um Gnade empfängt! Was habe ich zu
tun, wenn Er in seiner unendlichen Gnade sich mir als das lebendige Brot darbietet? – Ich esse. Und
was wird die Folge sein? Ich werde satt. Das Gewissen ist vollkommen gereinigt, das Herz mit Freude
erfüllt, die Seele in Ruhe. Alle Bedürfnisse werden durch Christus und sein Werk befriedigt und
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  Das Zusammentreen mit Christus
gestillt; und danach, als einfache Folge, halten wir noch übrig, um auch für andere eine Erquickung
zu haben. Bevor Christus gekannt wird, fühlt sich das Herz matt und leer, denn die Welt ist zu klein,
um es auszufüllen; aber wenn Christus gekannt wird, sind die verborgensten Winkel des Herzens
bis zum Überlaufen angefüllt, und es ist noch ein Überuss vorhanden, um noch andere damit zu
erfüllen.
Doch wir müssen die Rut noch weiterverfolgen, um das liebende Herz des Herrn der Ernte noch
besser kennen zu lernen. Sobald sie aufgestanden ist, um Ähren zu lesen, hören wir das Wort: „Auch
zwischen den Garben soll sie auesen; und ihr sollt sie nicht beschämen; und auch sollt ihr zuweilen
für sie aus den Bündeln herausziehen und liegen lassen, dass sie es auese“ (V 15–16). Welch eine
herrliche Gnade! Hier ist Speise die Fülle. Die Arbeit ist nicht vergeblich; denn „sie schlug aus, was
sie aufgelesen, und es war bei einem Efa Gerste“ (V 17). Alles, was sie gefunden, konnte sie mit nach
Haus nehmen und es zu ihrem Vorteil verwenden. Welch ein Glück für eine Seele, welche das, was
Christus ihr darbietet, einzusammeln versteht. Sie sammelt kein leeres Stroh, sondern volle Ähren.
Ach, es gibt viele Sammler; aber sie lesen nicht das auf, was Christus durch die Schnitter vor ihre Füße
legen lässt. Man könnte sie Strohsammler nennen. Sie sind erfüllt mit Zweifeln und Befürchtungen,
sie sind unsicher und doppelherzig; sie sammeln sich nichts Wesentliches. Sie können nie sagen: „Ich
weiß.“ Vielleicht sind sie sehr eifrige Leser und Hörer; aber nimmer vermögen sie „auszuschlagen“,
was sie aufgelesen haben. Gehörst du zu ihrer Zahl, mein Leser? Nun, dann lass dir raten, nicht
länger ins Ungewisse zu laufen, sondern wenn du Christus als deinen Heiland gefunden hast, seinen
Schritten zu folgen und die Speise, die seine Hand dir spendet, anzunehmen und zu genießen.
Rut schlug auf dem Feld die Ähren aus, ließ das Stroh zurück und brachte nur die Gerste nach Haus.
Ach, möchten doch alle meine Leser ihr gleichen! Mancher liest irgendeine religiöse Abhandlung
oder hört einen Vortrag dieser Art; er bewundert den schönen Stiel des Schreibers oder das glänzende
Talent des Redners und geht nach Haus. Wenn aber dieses die einzige Wirkung dessen ist, was er
gehört oder gelesen hat, so hat er nur Stroh eingesammelt. Ein weiser Sammler hingegen würde
sich weniger um den schönen Stiel und um die wohlklingenden Worte kümmern, sondern würde
das goldgelbe Korn des Wortes Gottes aus dem Stroh zu scheiden verstehen und dann mit einem
wahrhaft glücklichen Herzen heimwärts kehren. So machte es Rut. Sie kehrte mit der Gerste in die
Stadt zurück; „und ihre Schwiegermutter sah, was sie aufgelesen hatte; und sie zog hervor und gab
ihr, was sie übriggelassen von ihrer Sättigung“ (V 18). d. h. von den gerösteten Ähren, die ihr Boas
dargereicht hatte. Sie war satt geworden, hatte Überuss gehabt, und diesen brachte sie nach Haus,
um damit den Hunger der Schwiegermutter zu stillen.
Das ist die Frucht des Zusammentreens einer Seele mit Jesu. Sie ndet alles, was sie bedarf:
Vergebung, Versöhnung, Rechtfertigung, Gerechtigkeit, ewiges Leben; und wenn sie mit Ihm
Gemeinschaft pegt, so wird sie völlig gesättigt und hält genug übrig, um damit andere zu erquicken.
Welch herrliche Folgen hat ein solches zusammentreen!
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  “Kommet“
“Kommet“
Welche Kraft und Süßigkeit liegt in diesem kleinen Worte: „Kommt!“ Es leitet uns in das wahre
Geheimnis des Innern Gottes und erzählt uns von dem liebenden Wunsch seines Herzens. Ach, wenn
doch ein jeder arme Sünder der Einladung folgen und kommen möchte! „Wohlan, ihr Durstigen,
kommt zu den Wassern, und die ihr kein Geld habt, kommt, kauft und esst; ja kommt, kauft ohne
Geld und ohne Kaufpreis Wein und Milch!“ (Jes 55,1)
Hier wird jeder Durstige, Bedürftige und Arme eingeladen, zu kommen. Es ist der Wunsch des
liebenden Herzens Gottes, dass er kommen möchte in diesem Augenblick, gerade so wie er ist, um
seinen Durst zu stillen an der lebendigen Quelle des Wassers, die von der Hand der erlösenden
Liebe so reichlich geönet ist. Da gibt es kein Hindernis mehr. Die Gnade hat jede Schwierigkeit
aus dem Weg geräumt. Gerade die Tatsache, dass Gott den Sünder einlädt, zukommen, beweist, dass
Er jede Schranke beseitigt hat. Er würde und könnte nicht sagen: „Kommt!“ wenn der Weg nicht
vollkommen oen und frei wäre. Und nicht nur das; wir können auch völlig versichert sein, dass,
wenn Er sagt: „Kommt!“ Er dann meint, was Er sagt. Es ist die Sprache seines Herzens. Gott wünscht
aufs sehnlichste, dass eine jede durstige, bedürftige und hilose Seele jetzt kommt und trinkt von
dem Wasser des Lebens, das einer jeden Kreatur unter dem Himmel umsonst dargeboten wird.
Wir nden in dem Propheten Jesajas noch eine andere tröstliche Stelle: „Kommt denn und lasst uns
rechten mit einander, spricht Jehova. Wenn eure Sünden sind wie Scharlach, wie Schnee sollen sie
weiß werden; wenn sie rot sind wie Karmesin, wie Wolle sollen sie werden“ (Kap 1,18). Hier handelt
es sich nicht um Durst und Armut, sondern um Sünden, die wie Scharlach und rot wie Karmesin
sind. Selbst diese brauchen kein Hindernis zu sein. Gott hat in seiner unendlichen Gnade in dem
geschlachteten Lamm ein Mittel gefunden, wodurch Er gerechter Weise die Schuld tilgen, die Sünden
auslöschen und die Seele des armen, schuldbeladenen Sünders so weiß wie Schnee waschen kann.
Auch im Neuen Testamente begegnen wir mehrmals dem Wörtchen: „Kommt!“ Wie erquickend ist
es für den Sünder, der unter der Last seiner unzähligen Sünden zusammenbricht, aus dem Mund des
Herrn selbst die köstlichen Worte zu vernehmen: „Kommt her zu mir, alle Mühselige und Beladene,
und ich werde euch Ruhe geben!“ (Mt 11,28) Ja, jedes traurige, bedrückte Herz, jeder gebrochene
und zerschlagene Geist ist eingeladen, zu Jesu zu kommen, der allein im Stande ist, ihm Ruhe zu
geben. Und wie köstlich ist die Ruhe, die Jesus gibt! Sie erquickt die Seele, wie der Regen, der nach
anhaltender Dürre auf das ausgetrocknete Erdreich herniederfällt. Bist du beunruhigt über die große
Menge deiner Sünden, mein lieber Leser, bist du niedergedrückt über den schrecklichen Zustand,
in dem du dich bendest, komme zu Jesu! Er lädt dich ein. „Kommt her zu mir alle Mühselige und
Beladene“, und „wen da bürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“
(O 22,17).
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
Das Buch der Erfahrung – Teil 3/5
Kapitel 3,1–14
In dem vorhergehenden Kapitel brachte der Apostel unsere Herzen in Verbindung mit dem Herrn
Jesus, welcher seine göttliche Herrlichkeit im Himmel verließ, die Gestalt eines Dieners annahm und
sich erniedrigte, dann aber als Mensch hoch erhoben wurde. Ebenso haben wir uns zu erniedrigen;
dieselbe Gesinnung soll auch uns leiten.
Nachdem nun der Apostel diesen Gegenstand, den Standpunkt und den Zustand der Seele, worin wir
sein sollen, beendigt hat, blickt er jetzt vorwärts zur Herrlichkeit hin. Das, was vor uns liegt, wird die
Seele bewahren, dass sie nicht aufgehalten werde, d. h. Christus steht so vor der Seele, dass Er sie ganz
in Besitz nimmt. Hier ist nicht die Rede von dem Charakter des Lebens hienieden, von der Gnade
und dem rücksichtsvollen Verhalten gegen andere, wie dies im vorhergehenden Kapitel der Fall war,
wo unsere Blicke auf Christus gerichtet wurden, als auf den, der sich der Herrlichkeit entäußerte
und sich selbst erniedrigte, sondern es handelt sich um die Energie des göttlichen Lebens, das dem
Ziel entgegeneilt. – Wir begegnen zuweilen da einem Mangel an Energie wo Liebenswürdigkeit des
Charakters vorhanden, ist; andererseits ndet sich oft viel Energie da, wo Sanftmut und Rücksicht auf
andere mangelt. In den Dingen Gottes jedoch muss man alles zusammen haben, damit jeder einzelne
Teil an seinem richtigen Platze sei. Satan mag das Eine oder andere nachahmen; niemals aber wird
man in seinen Nachahmungen das Ganze nden. Haben wir aber beides, Gnade und Energie – ist
Christus alles – dann wird die Seele von der Selbstsucht befreit, und das Leben oenbart sich, indem
man das Wohl der Anderen sucht; doch wird man nie nachgiebig sein, wenn es sich darum handelt,
Christus aufzugeben; ich meine nicht, Ihn aufzugeben in Betre der Errettung der Seele, sondern
auf unserem Pfad hienieden. In diesem Sinn sagt Petrus: „Zu der Bruderliebe fügt die Liebe“; denn
wenn wir nicht mit Gott unseren Weg gehen, so haben wir keine Kraft, um Gott gemäß in Gnade zu
wandeln. Christus ist in den Himmel hinaufgestiegen und ist alles für uns. Er ist als ein Gegenstand
vor unserer Seele, und wir dürfen Ihn nicht aufgeben, um dem Fleisch zu gefallen; wohl aber können
wir Kraft bei Ihm nden, um voranzueilen.
„Übrigens, meine Brüder, freut euch in dem Herrn!“ Dies ist der Ausgangspunkt für den Apostel:
„Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum sage ich, freut euch!“ Die Beendigung des eigenen
Ichs hat zur Folge, dass ich mich allezeit freue, und wenn ich mich allezeit freue, so ist der Herr
der Gegenstand meiner Freude. Nichts kann uns von der Liebe trennen, das wissen wir; wenn wir
aber eine Segnung genießen, so sind wir in Gefahr, uns auf die Segnung zu stützen und nicht in der
Abhängigkeit von dem zu bleiben, der uns segnet. David sagte: „Ich werde nicht wanken ewiglich.
O, Jehova, in deiner Huld hast du festgestellt meinen Berg. Du verbargst dein Antlitz – da ward
ich bestürzt!“ (Ps 30,6–7) Als sein Berg wich, gewahrte er, dass er auf den Berg und nicht auf den
Herrn vertraut hatte. Wenn er sagt: „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps 23), so wird er nicht bestürzt, denn
er stützt sich auf den Herrn selbst. Wenn das Herz von dem eigenen Ich ausgeleert ist, so ruht es
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
im Herrn; allein dasselbe ist so verräterisch, dass jemand, der als Christ große Freude erfahren hat,
hernach oft zu Fall gekommen ist, weil er den Platz der Abhängigkeit verließ. Wir wissen wohl, dass
der Herr ihn wiederherzustellen vermag, wie es auch in jenem Psalm heißt: „Er stellt meine Seele
wieder her.“
Das Leben des Apostels stand augenblicklich in großer Gefahr. Er hatte schon vier Jahre im Gefängnis
zugebracht; die beiden letzten Jahre war er mit einem heidnischen Soldaten zusammengekettet. Auch
sagte er, er wisse sowohl niedrig zu sein, als Überuss zu haben, sowohl satt zu sein, als Mangel zu
leiden (Kap 4,11–12). Kummer und Leiden, Freude und Trost – durch alles war er hindurchgegangen;
dennoch war er nicht entmutigt, wie man es von jemandem erwarten sollte, der gezwungen wurde,
mit ungebildeten und rohen Leuten zu leben, der stets an einen Soldaten gekettet war und vier
Jahre lang im Gefängnis zubrachte. Und das war nicht alles; Paulus hatte sagen können: „Ich bin im
Gefängnis und kann mich um das Werk des Herrn nicht kümmern.“ Doch nein; er wandelt mit dem
Herrn und sagt: „Alles wird mir zur Seligkeit ausschlagen.“ Selbst wenn Christus aus Neid und Streit
gepredigt wurde, konnte er ausrufen: „Darüber freue ich mich, ja ich werde mich auch freuen.“ Wenn
uns alles entzogen wird, so sind wir auf den Herrn geworfen und fähig, uns in Ihm zu erfreuen; und
dies wird der Fall sein, wenn Er uns leitet.
Welch einen herrlichen Gegenstand hatte Paulus in der Person des Herrn vor sich! Welche eine
Energie bewirkte er! Sein Blick war auf alles das gerichtet, was jenseits der Wüste liegt; er war ein
Reisender, der hindurch zog und auf dem ganzen Wege sich des Herrn erfreute. Mochte er öentlich
predigen oder in der Stille einen jeden in seiner Wohnung empfangen, der zu ihm kam, immer freute
er sich. Man setzt sein eigenes Ich in hohem Maß bei Seite, wenn man sich stets im Herrn erfreut.
Paulus hatte gehot, nach Spanien zu gehen, nachdem er die Heiligen ein wenig genossen haben
würde (Röm 15,23–24). Hier aber ist weder von Spanien die Rede, noch vom Genuss der Gemeinschaft
der Heiligen, und dennoch freute sich Paulus. Es ist unmöglich, in die Festung dessen einzudringen,
der sich stets im Herrn freut. Paulus sagt: „In diesem allem sind wir mehr als Überwinder“ (Röm 8,37–
39). Engel, Fürstentümer und Gewalten – diese alle sind Geschöpfe, in uns aber wohnt Christus. Er
ist dem Herzen nahe, und das ist das große Geheimnis. Wir haben Christus zwischen uns und den
Trübsalen, wir verstehen, welch ein Hindernis der Unglaube ist; dies aber ist das Geheimnis, durch
welches alle Dinge zum Guten mitwirken. Man rechnet auf die Liebe Gottes; seine Liebe ist in das
Herz ausgegossen. Der große Ausgangspunkt, ich wiederhole es, ist: „Übrigens meine Brüder, freut
euch in dem Herrn.“
Wie einfach ist alles für den, der auf Christus blickt. Die Religion der Väter, der Satzungen und der
Werke – diese drei Dinge, sobald sie vorhanden sind, machen, moralisch gesprochen, einen Juden
aus. Diese Religion bestand ganz aus Werken, Satzungen und Überlieferungen. Ware Christus nicht
gekommen, so könnte man sich aller dieser Dinge noch in gleicher Weise rühmen. Aber wie urteilt
der Apostel darüber? „Seht auf die Hunde“, sagt er, und bezeichnet mit diesem Namen etwas durchaus
Schlechtes und Schamloses.
Ich muss mit meinem Gewissen vor Gott sein und von Seiten Gottes Christus haben, oder ich habe
nichts. Ein Jude mochte „sein Haupt beugen wie ein Schilf“, und alles vollbringen, ohne dass seine
Seele mit Gott war; darum verachtet Gott dieses alles. Er sagt: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz“
(Spr 23,26). „Mein ist alles Getier des Feldes, das Vieh auf tausend Bergen . . . wenn mich hungerte,
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
ich würde es dir nicht sagen“ (Ps 50,10.12). Was nützt mir all das Bringen deiner Opfergaben? Dich
selbst will ich und nicht deine Gaben. Kam hatte viel mehr Mühe mit dem Bebauen des Erdbodens als
Abel mit seinem Lamm; allein das Gewissen Kains war niemals vor Gott gewesen, noch hatte er das
Verderben erkannt, das durch die Sünde hereingebrochen war. Wir sehen seine Herzenshärtigkeit
bezüglich der Sünde und seine Unwissenheit in Betre der Heiligkeit Gottes; er bringt das dar, was
ein Zeichen des Fluches war, das, was er im Schweiß seines Angesichts erworben hatte. Abel brachte
ein Lamm dar und wurde angenommen. Wenn wir die wahre Erkenntnis des Werkes der Versöhnung
und der Annahme in Christus erlangt haben, so sind wir Abel gleich. Das Zeugnis hinsichtlich der
Gerechtigkeit bezog sich auf die Person Abels, war gegründet auf sein Opfer, welches ein Vorbild
von Christus war. Gott kann mich nicht abweisen, wenn ich Christus vor Ihn bringe; ich werde
von Ihm angenommen auf Grund des Passes, den ich vorweise. Ich darf nicht daran denken, durch
irgendwelchen Prozess meine Seele verbessern zu können. Wenn ich Gott nahe, muss es auf dem
von Ihm vorgeschriebenen Wege geschehen, und dieser ist Christus und nichts anderes. Auch muss
ich mit meinem eigenen Gewissen kommen und nicht mit Satzungen, welche alle äußerlich sind.
Die Art und Weise, in welcher der Apostel diesen Gegenstand hier behandelt, ist bemerkenswert.
Er spricht nicht von einem mit Sünde beladenen Gewissen, sondern von der Nutzlosigkeit aller
Satzungen; deshalb belegt er das ganze System mit dem verächtlichen Namen: „Zerschneidung.“ Das
wahre Gebot ist: unsere Herzen beschnitten zuhaben. „Wir sind die Beschneidung, die wir durch den
Geist Gottes dienen.“ Ebenso sagt Jeremias: „Beschneidet euch, . . . tut weg die Vorhäute eures Herzens“
(Jer 4,4). Das Fleisch muss gänzlich niedergehalten werden. Es hat eben sowohl eine Religion als es
Lüste hat, aber diese Religion muss von der Art sein, dass sie das Fleisch nicht tötet. Zur Befriedigung
des Fleisches den Leib zu kasteien – ein eigenwilliger Dienst, Niedriggesinntheit, „Nichtverschonen
des Leibes“ (Kol 2,23) – das ist eine leichtere Arbeit als mit dem Fleisch völlig ein Ende gemacht zu
haben. Paulus konnte sagen: „Ich bin ein Hebräer von Hebräern . . . was die Gerechtigkeit betrit, die
im Gesetz ist, tadellos“ – und somit ein vollkommen religiöser Mensch; wer aber wurde hierdurch
geehrt? Paulus – nicht aber Gott oder Christus. Diese Gerechtigkeit hat nicht den geringsten Wert;
sie huldigt dem Ich. Es heißt immer „ich“ und nicht Christus. Diese Gerechtigkeit wird daran erkannt,
dass sie dem Fleisch Ehre zu Teil werden lässt; sie mag Anstrengung und Mühe kosten, sie mag in
Dingen bestehen, durch welche ich mir selbst Strafe auferlege, allein sie ist ganz wertlos. Gewiss
werden viele aufs höchste aufgebracht werden, wenn man ihnen sagt, dass eine solche Gerechtigkeit
nicht den geringsten Wert habe.
Es ist auallend, wie der Apostel hier von dieser Gerechtigkeit spricht. Er betrachtet sie nicht als
Sünde, sondern als etwas völlig Werthloses; es ist die gesetzliche Gerechtigkeit und eine für das
Auge des Menschen sichtbare Religion. „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für
Verlust geachtet.“ Paulus war ein Hebräer von Hebräern und lebte nach der strengsten Sekte des
Judentums als Pharisäer; das war ein Gewinn für ihn. Nachher aber sagt er: „Ich achte auch alles für
Verlust wegen der Vortreichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um – derentwillen ich
alles eingebüßt habe, und es für Dreck achte, auf dass ich Christus gewinne.“ Es handelt sich hier
nicht um Sünde. Wenn der Apostel in Vers 9 von der Gerechtigkeit redet, so stellt er sie nicht den
Sünden gegenüber, sondern bringt sie in Gegensatz zur Gerechtigkeit nach dem Gesetz; diese lässt
sich leicht erkennen: was sie auch immer tun mag, alles geschieht, um das Ich hervorzuheben. Darin
liegt das Verkehrte und Böse; denn wer möchte auch unätige Kleider tragen (denn so werden unsere
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
Gerechtigkeiten in Jesaja 64,6 genannt), wenn er Christus zu seiner Gerechtigkeit haben könnte?
Paulus hatte eins solche Vorstellung von der Vortreichkeit dessen, was Christus in den Augen
Gottes war – woran Gott seine Wonne fand – dass er sagte: „Ich mag diese elende Gerechtigkeit
nicht behalten, noch sie derjenigen beifügen, die von Gott ist.“ Die trügerischen Lüste sind schlecht
genug, dieses religiöse Fleisch aber ist noch schlechter. Jene Gerechtigkeit war keine wirkliche, es
war das aufgeblähte, nicht das gerichtete Ich; es war das gepegte und übertünchte Ich. Paulus aber
begehrt von dem Ich frei zu sein und stattdessen Christus zu haben.
Das ist der Standpunkt des Apostels, den er jetzt näher entwickelt. Beachten wir es wohl, er sagt
nicht: „Als ich bekehrt wurde, achtete ich alles für Verlust.“ Wenn ein Mensch bekehrt wird, so ist
Christus alles für ihn; die Welt ist für ihn nur Trug, Eitelkeit und Nichtigkeit; sie verschwindet aus
den Gedanken, und die unsichtbaren Dinge erfüllen das Herz. Doch später, wenn dieser Mensch
vorangeht, seinen Pichten obliegt, mit seinen Freunden verkehrt, so wird er – wenn ihm auch
Christus stets kostbar ist – nicht fortfahren, alles für Verlust zu achten; oft hat er bloß alles für Verlust
geachtet. Paulus hingegen sagt: „ich achte“ und nicht nur „ich habe geachtet.“ Es ist etwas Großes,
so sprechen zu können. Christus sollte stets den Platz einnehmen, den Er hatte, als das Heil zuerst
unseren Herzen oenbart wurde. Ich möchte hier noch etwas hinzufügen, das mir soeben in den
Sinn kommt. Ohne Zweifel ist ein Mensch, der Christus nicht im Grund seines Herzens hat, gar
kein Christ; aber selbst da, wo Christus in einem Menschen wohnt und dieser tadellos wandelt, gibt
es vielleicht, wenn man von Christus zu ihm redet, kein Echo in seinem Herzen, wiewohl gegen
sein Betragen nichts einzuwenden ist. Er mag Christus im Grund des Herzens besitzen und einen
schönen christlichen Wandel zur Schau tragen, aber zwischen beiden liegen hunderterlei Dinge, die
mit Christus gar nichts zu tun haben; sein Leben ießt in praktischer Beziehung ohne Christus dahin.
Doch das ist nicht alles. Die entsetzliche Leichtfertigkeit des Herzens geht ohne Christus voran, bis
sie zum Kanal all der unreinen Dinge wird, welche die Welt in die Seele ausschüttet. Jetzt stellt uns
Paulus die Kraft vor, die uns befähigt, alle diese Dinge für Verlust zu achten. Er begehrt Christus zu
gewinnen, und es scheint, als ob es ein schweres Opfer sei, dafür allem zu entsagen. Allein es verhält
sich damit ebenso wie mit dem Spielzeug eines Kindes. Will man es ihm aus der Hand nehmen, so
wird es dasselbe nur umso fester halten; bietet man ihm aber ein hübscheres an, so wird es das erstere
fahren lassen. Paulus achtete alles für Verlust und Dreck; alles hatte seinen Wert für ihn verloren. Ich
weiß wohl, dass wir Versuchungen haben werden, aber neun Zehntel dieser Versuchungen, die unsere
Seele locken und hindern, würden gar nicht vorhanden sein, wenn Christus seinen wahren Platz
hätte. Gold und Silber und aller Tand dieser Welt würden uns weder anziehen noch zur Versuchung
dienen, wenn „die Vortreichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ ihren Platz in unseren Herzen hätte.
Diese Art des Kampfes wäre beendigt. Wir würden dann die Listen Satans kennen und für andere
leiden; unser Kampf würde nicht in der Anstrengung bestehen, unseren eigenen Kopf über dem
Wasser zu halten, sondern darin, andere vor dem Ertrinken zu bewahren.
Wenn Christus den rechten Platz im Herzen hat, so haben die anderen Dinge ihren Wert verloren.
Das Auge ist einfältig und der ganze Leib voll von Licht. Paulus hatte alles eingebüßt, aber er fügte
hinzu: „ich achte es für Dreck.“ Er blickte auf Christus, der für ihn ein so kostbarer Gegenstand
war, dass er um seinetwillen alles aufgab. Diesen Platz bewahrte er Christus, und er eilte voran,
um Ihn zu gewinnen. Er hatte Ihn noch nicht ergrien, wohl aber war er von Christus ergrien
worden. Er streckte sich aus, um hin zu gelangen, indem er seinen Blick stets auf das Ziel der Reise
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
richtete. Es kommt nicht darauf an, wie der Weg ist – er mag rau sein, doch man blickt auf das
Ziel. Es handelt sich hier um zweierlei: Zuerst, dass ich Christus gewinne, und dann, dass ich nicht
meine Gerechtigkeit habe. Wenn jemand einen abgetragenen Rock hat und einen neuen bekommt,
so wird er sich des alten schämen. So legte Paulus auch keinen Wert mehr auf die Gerechtigkeit, die
er früher hatte. Man kann nicht zu gleicher Zeit seine eigene Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit
Gottes besitzen; wer diese letztere kennt, will jene nicht mehr, selbst wenn er sie haben könnte. Wie
schön sind die Worte, die wir in 1. Korinther 1,30–31 lesen: „Aus Ihm aber seid ihr in Christus Jesus,
der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung.“ – Was wir
in dem Leben aus Gott sind, das ist Christus von Seiten Gottes für uns. Der Apostel fährt weiter
fort: „Zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung.“ Das Erste war, Christus zu gewinnen, das
Zweite, Christus zu kennen. Darin liegt der Sieg über die ganze Macht des Bösen, über den Tod und
alles andere. Der Apostel wollte Ihn kennen – seine vollkommene Liebe und sein Leben; er wollte Ihn
als Gegenstand vor sich haben, als den, welcher seine Seele, seinen Sinn und sein Herz beschäftigte,
und also zu Ihm hinwachsen; er wollte die Kraft seiner Auferstehung kennen, denn alsdann war
die ganze Macht Satans vernichtet. Er hatte von der Gerechtigkeit gesprochen, die er in Christus,
nicht in sich selbst, noch im Gesetz suchte; und nun begehrte er die Macht des Lebens zu kennen, die
ihren Ausdruck in der Auferstehung Christi fand. Nachdem er Christus als eine Person und den Sieg
über den Tod kennen gelernt hatte, konnte er den Dienst der Liebe unternehmen, wie Christus es
tat, und „die Gemeinschaft seiner Leiden kennen.“ Wie verschieden ist dieses von den Gefühlen der
Apostel, wie sie uns in Markus 10 geschildert werden, als Jesus mit ihnen von seinem Tod sprach; sie
verstanden nichts von dem, was Er ihnen sagte; „sie entsetzten sich und, indem sie Ihm nachfolgten,
fürchteten sie sich“, anstatt sich darüber zu freuen, dass der Tod vor ihnen war. Wer aber die Kraft
der Auferstehung kennt, hat den Tod hinter sich; die ganze Macht desselben ist gebrochen. Christus
sagt nach seiner Auferstehung: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ „Geht hin in
die ganze Welt, predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung;“ „fürchtet euch nicht vor denen, die
den Leib töten;“ sie haben meinen Leib getötet.
Wenn mir die Kraft der Auferstehung zu Teil geworden ist, so kann ich in Liebe dienen. Paulus sah
dem Tod ins Angesicht und sprach nicht in leichtfertiger Weise davon. Satan sagt: „Du willst Christus
nachfolgen?“ – „Ja.“ – „Es ist aber der Tod aus deinem Pfad.“ – „Ganz gut; wenn ich durch den Tod
gehe, so werde ich Christus nur umso ähnlicher sein.“
Der Apostel hatte gesagt: „Zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung;“ jetzt fügt er hinzu:
„und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde, ob ich auf
irgendeine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten.“ Paulus ging so völlig in
diese Gesinnung ein, dass er Ausdrücke gebraucht, deren Christus sich hätte bedienen können: „Ich
erdulde alles um der Auserwählten willen“ (2. Tim 2,10). Es war alles aus Gnade; es war eine ganz
neue Stellung; jeder Anspruch auf Gerechtigkeit war verschwunden, sowie auch das, was Paulus als
Mensch war. Christus, als Gerechtigkeit für ihn, trat an dessen Stelle. Und dann wollte er Ihn – Ihn
selbst kennen. Das ist der Weg, auf dem man Fortschritte macht. Die Zuneigungen des Herzens sind
alsdann in Übung. Wenn ich die Leiden vor mir sehe, nde ich die Kraft seiner Auferstehung und
hernach das Vorrecht der Gemeinschaft seiner Leiden. Paulus hatte dabei ein großes Teil, wir ein
kleines. Er sagt: „Ob ich auf irgendeine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten“,
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
oder mit anderen Worten: „Koste es, was es wolle, mag selbst der Tod auf meinem Weg seines ist mir
ganz recht, ich werde das erreichen, was Er erreicht hat – die Auferstehung aus den Toten.“
Dieser Ausdruck „Auferstehung aus den Toten“ ist an dieser Stelle im Grundtext ein ganz besonderes
Wort, das man sehr selten, und im Neuen Testamente nur hier ndet. Diese „Auferstehung aus den
Toten“ ist eine Wahrheit von unendlicher Tragweite. Christus ist der Erstling (1. Kor 15,20–23),
selbstredend nicht von den gestorbenen Gottlosen. Gott hat Ihn aus den Toten auferweckt, weil Er in
Ihm seine ganze Wonne fand, wegen seiner vollkommenen Gerechtigkeit und weil Er Gott verherrlicht
hatte. Ebenso ist es in Bezug auf uns. Die Auferstehung ist der Ausdruck des Wohlgefallens Gottes
an denen, welche auferweckt werden; sie ist das Siegel, welches Gott auf das Werk Christi drückt.
Christus war der Sohn, an dem Gott seine Wonne hatte, und jetzt sind auch wir um seinetwillen
Gegenstände derselben Wonne Gottes. Was Christus betrit, so war seine eigene Vollkommenheit
die Ursache dieser Wonne; wir erfreuen uns ihrer um seinetwillen. Gott erscheint in Macht, um die
Seinen aus der Mitte der Toten herauszunehmen, während die Übrigen zurückgelassen werden. „Aus
den Toten“, – die ganze Kraft des Ausdrucks liegt in dem Wörtchen „aus.“ Nach der Verklärung auf
dem Berg gebot der Herr seinen Jüngern, niemandem zu erzählen, was sie gesehen, außer wenn der
Sohn des Menschen „aus den Toten“ auferstanden sei (Mk 9). „Und sie behielten das Wort für sich und
befragten sich untereinander: was ist das: auferstehen aus den Toten?“ Es war dies „Auferstehen aus
den Toten“, was die Jünger so befremdete. Als Christus im Grab war, trat Gott in Macht dazwischen,
weckte Ihn auf und setzte Ihn zu seiner Rechten, und wenn die Zeit gekommen ist, wird Er auch seine
Heiligen auferwecken. Diese Auferstehung ist ein unendlich herrlicher Akt der göttlichen Macht,
denn die göttliche Gerechtigkeit zeigt sich darin. Es ist nicht eine allgemeine Auferstehung. Das 15.
Kapitel des 1. Briefes an die Korinther bezieht sich nur auf die Heiligen; denn die Gottlosen werden
nicht in Herrlichkeit auferweckt werden. Ich kenne kaum etwas, das der Kirche mehr geschadet hätte,
als der Begri einer allgemeinen Auferstehung. Wenn alle Toten Zugleich auferstehen, so ist die Frage
der Gerechtigkeit nicht erledigt; aber die Schrift sagt uns: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus
den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird Er, der Christus aus den Toten auferweckt hat,
auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes“ (Röm 8,11).
Ihrem ganzen Charakter, ihrer Natur, ihrer Bedeutung und ihrem Zweck nach ist diese Auferstehung
eine ganz besondere Sache; es ist die Auferstehung „aus den Toten“ (vgl. Lk 20,27–36; 14,14; Joh 5,28;
O 20,4–6; 11–15). Dieses „aus“ ist der Ausdruck der göttlichen Wonne an dem, der auferweckt wird;
um ihretwillen werden wir alle auferweckt, anders hätte der Ausdruck „hingelangen“, den wir im
vorliegenden Kapitel nden, keinen Sinn. Paulus sagt: „Ob ich auf irgendeine Weise“ – selbst wenn
es mir das Leben kosten sollte – „hingelangen möge.“ „Auf dass ich Christus gewinne“, ist die erste
Sache. Ich werde Ihn gewinnen am Ende der Laufbahn; aber es gibt auch eine gegenwärtige Sache,
nämlich: „Ihn zu erkennen.“ Man hat gefragt, ob diese Worte eine gegenwärtige Wirkung ausdrücken
oder auf die zukünftige Herrlichkeit Bezug haben. Ich denke, es ist eine gegenwärtige Wirkung,
hervorgerufen durch die zukünftige Herrlichkeit.
„Brüder, ich halte mich selbst nicht dafür, es ergrien zu haben; eins aber tue ich, vergessend,
was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was da vorne ist, jage ich, das vorgesteckte Ziel
anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ Wir sehen hier
die unmittelbare Verbindung des Gegenstandes mit der gegenwärtigen Wirkung. Paulus wünschte,
Christus jetzt ähnlich zu sein, nicht nur wenn sein Leib im Grab und sein Geist im Paradies sein
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
würde. Sollte er sterben, so wusste er, dass er Ihm dann gleich sein würde; doch das, was er für jetzt
suchte, war nicht, dem Bild des Sohnes Gottes in der Herrlichkeit gleichförmig zu sein. Sicher sollte
ihm dieses zu Teil werden; aber ich werde nicht eher dahin gelangen, bis Christus kommt und die
Toten auferweckt. Darauf warte ich; ich bin mir bewusst, dass ich es hier nie erreichen werde, aber
ich warte darauf, und so werde ich Christus von Tag zu Tage ähnlicher, indem ich in der Kraft der
Liebe leide, in welcher Er dem Vater gedient hat; und dadurch, dass mein Blick auf Christus in der
Herrlichkeit gerichtet ist, werde ich innerlich immer mehr in sein Bild verwandelt (1. Kor 3,18). Die
einzige Sache, die mich beschäftigt, ist, Ihm in der Herrlichkeit gleich zu sein und bei Ihm, da wo Er
ist.
Das ganze Leben des Paulus war hierauf gegründet und völlig dadurch gebildet. Der Sohn Gottes
bildete Tag für Tag seine Seele, und Paulus eilte unaufhörlich zu Ihm hin; nie tat er etwas anderes.
Nicht nur als Apostel, sondern auch als Christ ging Paulus in die Gemeinschaft der Leiden Christi
und in die Gleichförmigkeit seines Todes ein, und jeder Christ sollte dasselbe tun. Du magst zu mir
sagen: „Ich habe Vergebung meiner Sünden.“ Allein ich frage dich: „Was leitet jetzt dein Herz? Ruht
dein Auge auf Christus in der Herrlichkeit? Steht die Vortreichkeit der Erkenntnis Christi Jesu so
vor deiner Seele, dass sie alles andere beherrscht und dich alles, was auf dem Weg ist, als Verlust
achten lässt? Bist du dahingelangt? Hat diese vortreiche Erkenntnis alles andere verbannt? Ich
frage nicht, ob du äußerlich tadellos wandelst und sagen kannst: Ich liebe Christus, sondern ob der
Gedanke an Christus in der Herrlichkeit alle anderen Dinge verbannt hat. Wenn dieses der Fall ist,
so wirst du durch die täglichen, nichtigen Dinge sicher nicht geleitet werden.“ Ein Arbeiter, der eine
Familie hat, wird über seiner Arbeit gewiss nicht die Liebe zu seinen Kindern vergessen: im Gegenteil,
wenn seine Arbeit vollendet ist, legt er sein Werkzeug bei Seite und kehrt umso freudiger heim, weil
er von den Seinen getrennt war. Seine Arbeit hat die Liebe seines Herzens weder gehindert noch
geschwächt.
Es gibt aber noch eine andere Gefahr, über die wir zu wachen haben, damit wir in unseren täglichen
Verrichtungen Christus gemäß handeln, nämlich die Zerstreuungen. Über diese haben wir ebenso
sehr zu wachen, wie über die Gegenstände, die uns zu beeinussen suchen, unser Herz muss stets von
einer eifersüchtigen Liebe für Christus erfüllt sein, sonst tritt augenblickliche Schwachheit ein, und
wir haben alsdann, wenn wir in die Gegenwart Gottes kommen, unser Gewissen zurecht zu weisen,
anstatt uns in dem Herrn erfreuen zu können. Es ist wirklich sehr traurig, wenn unser Wandel in
der Welt der Art ist, dass wir bei unserer Rückkehr zu Christus bekennen müssen: wir haben an Ihn
darin nicht gedacht. Können wir sagen, wie Paulus zu Agrippa: „Ich wollte zu Gott, dass über kurz
oder lang nicht nur du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin?“ Sind
wir glücklich genug, umso sprechen zu können? Freuen wir uns so sehr in dem Herrn und sehen wir
eine solche Vortreichkeit in seiner Erkenntnis, dass wir sagen können: „Ich wollte zu Gott, ihr wärt
alle wie ich?“ Das Bekenntnis unserer Herzen darf nicht nur sein: „Ich habe geachtet.“ sondern: „ich
achte.“ Achten unsere Herzen in diesem Augenblick wirklich alles für Verlust? Wir haben über zwei
Dinge zu wachen: dass wir außer Christus keinen anderen Gegenstand haben, und dann, dass wir
nicht, was noch weit gefährlicher ist, durch Zerstreuungen von Ihm abgewandt werden. Der Herr
möge unsere Augen mit Augensalbe salben, damit wir Ihn so sehen, dass unsere Herzen von anderen
Dingen abgezogen werden und keinen anderen Gegenstand vor sich haben, als Ihn allein. Vielleicht
müssen wir das Kreuz auf uns nehmen: doch wenn dies der Fall ist, so leiden wir nicht nur, sondern
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  Das Buch der Erfahrung 3/5
wir leiden stets mit Ihm, wenn auch nicht immer gerade für Ihn. Unser Weg führt durch eine Welt,
die sich um Christus nicht kümmert; möchte daher unser Auge so fest auf Ihn gerichtet sein, dass
wir Ihn als ein Heiligtum haben, als die Kraft und die Energie, die uns hindurchführt. Der Herr gebe
– und es ist sein Wohlgefallen, uns zu geben – dass wir sagen können: „eins tue ich;“ Er gebe uns
aufrichtige und eifrige Herzen! (Fortsetzung folgt)
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  Der Tod ist unser 1/2
Der Tod ist unser – Teil 1/2
„Alles ist euer. Es sei Paulus oder Apollos, oder Kephas, oder die Welt, oder Leben, oder Tod, oder
Gegenwärtiges, oder zukünftiges: alles ist euer, ihr aber Christi, Christus aber Gottes“ (1. Kor 3,22–23).
Ein Freund bediente sich vor kurzem mir gegenüber des folgenden Ausdrucks: „Der Tod ist ein
schreckliches Ungeheuer; ich hasse ihn.“ Ich antwortete ihm: „Was und wo wäre ich ohne dieses
schreckliche Ungeheuer, das Sie so hassen?“ Der Tod ist mein; nicht nur in dem gewöhnlichen Sinne,
dass, gleich wie es dem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, auch ich möglicherweise sterben
werde, sondern in dem erhabensten Sinn ist der Tod mein; denn der Tod selbst, in der göttlichen
Anwendung desselben – so wie Gott ihn angewendet hat – ist auf eine wunderbare Weise mein
geworden; er ist mein eigen – mein Ruhm und mein Gesang.
1. Wohin kann ich mich zunächst besser wenden, wenn ich über diesen Gegenstand spreche, als zu
dem Tod meines gesegneten Herrn? „Der Tod des Herrn“ (1. Kor 11,36), „der Tod des Sohnes Gottes“
(Röm 5,10), „der Tod des Fürsten des Lebens“ (Apg 3,15), – das sind Worte, die wohl geeignet sind, in
diese wunderbare Schatzkammer einzuführen. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sprach der
Herr. Doch Er konnte in seiner Person nicht die Auferstehung sein, ohne dass der Tod vorausging;
noch konnte Er, ohne vorher zu sterben, dem göttlichen Ratschluss gemäß öentlich die Stellung
als derjenige einnehmen, der „das Leben“, „der letzte Adam“, der „lebendigmachende Geist“ ist
(1. Kor 15,45). „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber
stirbt, so bringt es viele Frucht“ (Joh 12,24). „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse,
aus dass ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich
habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wieder zu nehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem
Vater empfangen“ (Joh 10,17–18). Und während seiner ganzen Laufbahn konnte Er sagen: „Ich habe
eine Taufe, womit ich getauft werden muss, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist“ (Lk 12,50).
Denn als Er von der göttlichen Herrlichkeit, die Er im Himmel als Sohn Gottes hatte, herniederkam,
um hier auf der Erde Sohn des Menschen zu werden, war das Ziel seiner Laufbahn der „Tod“, ja
der „Tod des Kreuzes“ (Phil 2,8). Wunder über Wunder! Unerklärlich für die menschliche Vernunft!
Der Sohn Gottes, Er, der alle Dinge schuf und alle Dinge erhält, der zuvor bestimmte Richter der
Lebendigen und der Toten, wurde als Sohn des Menschen in Schwachheit gekreuzigt (2. Kor 13,4). Und
nie hat seine göttliche Herrlichkeit so hell gestrahlt wie damals. Ein Geschöpf hat kein Recht, so hoch
es auch stehen mag, seine eigene ihm angewiesene Sphäre zu verlassen; doch der Sohn Gottes war
keiner solchen Einschränkung unterworfen. Er hatte das Recht, in den Himmeln angebetet zu werden,
und auch das Recht, wenn Er es wollte, sich als Menschensohn ans Kreuz schlagen zu lassen. Die
Herrlichkeit eines Geschöpfs besteht in der Ehre, die ihm beigelegt wird. Die göttliche Herrlichkeit
oenbarte sich bei Christus darin, dass Er sich aller äußeren Herrlichkeit, die mit der Sphäre oder
Stellung verbunden war, entkleidete, dass Er sich selbst zu nichts machte, um seins vollkommene
Übereinstimmung mit den Gedanken des Vaters zu oenbaren. Er war eines Sinnes mit Ihm, und
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  Der Tod ist unser 1/2
durch den Tod, durch den Tod des Kreuzes wollte Er dieses beweisen. Und so war der Tod, der für den
ersten Adam der Sünde Lohn ist, in Bezug auf den letzten Adam der aus freier Liebe den göttlichen
Ratschlüssen dargebrachte Tribut; er war der Ausdruck der vollkommenen Übereinstimmung des
Sohnes Gottes, als Menschensohn, mit der vom Vater behaupteten Rechtfertigung seines eigenen
Charakters gegenüber der Welt, dem Satan und der ganzen gefallenen Menschheit. Jenes Kreuz auf
Golgatha, das in der alles übertreenden Herrlichkeit des Lammes, das geschlachtet war und lebt
und zur Rechten Gottes ist, seinen Ausgang ndet – jenes Kreuz zeigt, dass der Tod, der Tod in seiner
schrecklichsten, erhabensten Gestalt, ja dein Tod, (mein Herr und mein Gott!) mein ist, mein eigen –
mein Ruhm, meine Herrlichkeit. Wenn auch kein anderer Anspruch auf ihn macht, so tue ich es, so
schrecklich er auch ist; für mich hat er keine Schrecken, für mich ist er nicht hassenswert, denn es
war dein Tod.
2. Doch ich muss ferner bemerken, dass auf diese Weise die Herrlichkeit Gottes, als des Gottes
der Auferstehung, ans Licht gebracht wurde. Der Garten Eden mit dem unschuldigen Menschen
verkündigte die ewige Kraft und Gottheit; und nach der Sintut trat in dem durch den Regenbogen
bestätigten Bunde der Beweis der langmütigen Geduld Gottes gegen eine in Ungerechtigkeit liegende
Welt ans Licht. Doch ich habe sowohl Eden als die Unschuld verloren, und die Barmherzigkeiten,
die ich als Sünder hier auf Erden erfahre, werden weder die Sündenfrage lösen, noch mich von dem
zukünftigen Zorn erretten. Der Tod des Herrn Jesus aber war die niedrige Pforte, durch welche das
Licht der Herrlichkeit Gottes, als des Gottes der Auferstehung, und zwar einer Auferstehung aus den
Toten, hervorströmte. Zuerst wurde Er, welcher starb, Herr über alles in dem weiten Weltall, und
einst wird Er auf dem Thron sitzen und zu der von Gott bestimmten Zeit alle Menschen, die bei der
allgemeinen Auferstehung auferweckt werden, richten. Diese Herrlichkeit gehört Ihm sicher als Sohn
des Menschen. „Denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme
hören werden, und es werden hervorkommen, die das Guts getan, zur Auferstehung des Lebens, die
aber das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (Joh 5,28–29). Welch ein ernster Gedanke,
durch die unwiderstehliche Gewalt des Herrn hervorgebracht zu werden, um Rechenschaft zu geben
von allen in diesem Leben, im Leib vollbrachten Werken und Gedanken! Doch zweitens wissen wir,
Gott sei Dank! wenn das Licht des großen weißen Thrones gesehen wird, dass es in Ihm, der auf
demselben sitzt und richtet, auch eine erste Auferstehung gibt. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins
Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen. Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, dass die Stunde kommt und ist jetzt, da die Toten moralisch (tot in Übertretungen und Sünden)
die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben. Denn gleich
wie der Vater das Leben hat in sich selbst, also hat Er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in
sich selbst“ (Joh 5,24–26). Es konnte niemals geschrieben werden, es sei denn als das Resultat seines
Todes: „Und ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht,
also wird auch der Christus, einmal geopfert, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne
Sünde erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit“ (Heb 9,27–28). Nach außen hin aber sind
die glorreichen Folgen dieses schmachvollen Todes „neue Himmel und eine neue Erde, in denen
Gerechtigkeit wohnt, welche wir nach seiner Verheißung erwarten“ (2. Pet 3,13).
„Gott hat Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt“ (Röm 4,24). „Durch Ihn glauben wir an
Gott, der Ihn aus den Toten auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben hat, auf dass unser Glaube
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  Der Tod ist unser 1/2
und unsere Honung auf Gott sei“ (1. Pet 1,21). Was würde ich oder wo würde ich sein, sowohl
hinsichtlich der Errettung und des Vertrauens auf gegenwärtige Befreiung als auch hinsichtlich der
Honung, wenn die Herrlichkeit Gottes, als des Gottes der Auferstehung, nicht ans Licht gebracht
worden wäre? Und in welcher Weise ist sie ans Licht gebracht worden? Nur durch die Auferstehung
des Herrn Jesus Christus aus den Toten. Wie kostbar sind doch die Früchte seines Todes!
3. Doch in seinem Tod nde ich nicht nur Licht, das Licht des Lebens, sondern dieses so gefundene
Licht ist ein Licht, in welchem alle nsteren Dinge bloßgestellt, ihr wahrer Charakter enthüllt und
ihre Macht unschädlich gemacht wird. Satan, die Welt, der Mensch – alles wird durch den Tod des
Herrn Jesus ins rechte Licht gestellt, und ihre Macht ist für den Glauben auch gebrochen. In dieser
Weise wurde dem Satan entgegengetreten, in dieser Weise wurde er zu nichts gemacht und seine
Macht beseitigt. „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, so hat Er gleicherweise
an denselben teilgenommen, auf dass Er durch den Tod zu nichts machte den, der die Macht des
Todes hat, das ist den Teufel, und alle diese befreite, die durch Furcht des Todes während des ganzen
Lebens der Knechtschaft unterworfen waren“ (Heb 2,14–15).
Auf seinen Tod wies der Herr hin, als Er sagte: „Jetzt wird der Fürst dieser Welt ausgeworfen werden“
(Joh 12,31). Und diese Welt hat in demselben Tod ihr Gericht gefunden: „Jetzt ist das Gericht dieser
Welt“, ein Gericht, das für den Gläubigen zur Segnung ausschlägt, wie Paulus sagt: „Von mir aber
sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch welchen
mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt“ (Gal 6,14). Hier wird auch dem Fleisch samt dem
Leben, das im Blut ist, der rechte Maßstab angelegt, der wahre Stempel aufgedrückt. Als Er sein
Leben zum Lösegeld für uns hingab, zeigte Er in einem und demselben Akt die Vollkommenheit und
Verderbtheit des Fleisches. In sich selbst war Christus heilig, schuldlos, unbeeckt, von der Sünde
abgesondert. Die Gerechtigkeit konnte an Ihm nichts Strafwürdiges nden; Er war der Einzige, der
um dessentwillen, was Er selbst war, gerechter Weise nicht verlassen werden konnte. In Ihm war
alles vollkommen. Er konnte unsere Sünden in seinem eigenen Leib auf dem Holz tragen. Doch in
dem, was Er auf dem Kreuz erlitt, in dem Tod nämlich, lag seitens der Menschen, die denselben
verübten, der Ausdruck ihrer Feindschaft wider Gott und ihrer Gefangenschaft unter der Macht
Satans, und Zugleich war in seinem Verlassensein von Gott die genaue Schätzung unserer Sünde
von Seiten Gottes. Der Gerechte nahm als Stellvertreter vieler Ungerechten den Kelch des Zornes
aus des Vaters Hand, und in dem Ausruf: „Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen?“
haben wir das wahre, göttlich vollkommene Maß dessen, was der gefallene Mensch nach Gottes
Schätzung ist. Wenn mein Auge auf den Herrn Jesus gerichtet ist, so kann ich nicht sagen: „Der Tod
ist ein schreckliches Ungeheuer, ich hasse ihn.“ Sein Tod, der Tod im vollsten Sinne des Wortes, der
Tod, wie Er allein ihn darstellen konnte, ist höchst kostbar und wunderbar. Gott ist ein Gott der
Wunder. Und in seiner Gegenwart Ihn zu bewundern, geziemt einem Geschöpf. Ich staune Ihn an,
ja ich bin in Bewunderung versunken, wenn ich an den Tod gedenke, den Tod des Herrn, an jene
oene Spalte, durch welche alle Herrlichkeit des Gottes der Auferstehung hindurchgedrungen und
herniedergeströmt ist auf den Menschen, auf die Welt und auf Satan, so dass ich – selbst ich – sagen
kann: „Aus dem Fresser kam Fraß und aus dem Starken kam Süßigkeit“ (Ri 14,14).
4. Wenn nun der Tod in seiner erschütterndsten Erscheinung, da wo er seine Macht am furchtbarsten
gezeigt, indem er zwischen Gott und den Sohn des Menschen, als Stellvertreter, trat, sich dennoch
dem Gläubigen nur als Segen erweist, ohne das Bewusstsein zu schwächen, dass in dem Gegenstand
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  Der Tod ist unser 1/2
eine ewige, eine göttliche Höhe und Tiefs liegt, die alle Erkenntnis übersteigt – was sollen wir denn
von den Wellen des Todes sagen, welche im Vergleich mit jener Springut nur den sanften am Ufer
sich brechenden Wogen zu vergleichen sind? Gewiss spricht der Glaube: „In diesem allem sind wir
mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 6,37). Ich bin Christi, und Christus ist
Gottes. In dem Felsen, der geschlagen ward, sicher geborgen, darf der nstere Schatten des Todes
nicht mehr auf mir, auf meinem Gewissen, auf meinen Gedanken ruhen: Christus starb! drum bin ich
rein;
Nicht ein Flecken blieb zurück;
Gott ist Gnad' und Lieb' allein;
Keine Wolke trübt den Blick. Der Geist triumphiert durch den Glauben über Sünde und Tod. Der Sohn,
der nun auf dem Thron des Vaters sitzt in der Herrlichkeit, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war – Er,
der ewig, ohne Anfang ist, machte mich durch seinen Tod so frei von aller auf mir lastenden Schuld,
wie Er selbst persönlich stets frei von Schuld war. Gott hatte nie etwas wider Ihn; und jetzt hat Er
um dieses Todes willen auch nichts wider mich. Er fand stets sein Wohlgefallen an dem Sohn seiner
Liebe. Es ist wunderbar und doch wahr, dass Er in diesem Christus auch an mir sein Wohlgefallen
jetzt schon ndet. Ich betrachte mich als sein erkauftes Eigentum, das Er zu seiner Verherrlichung
abgesondert hat. Die Folgen des Sündenfalles haben Ihm Anlass gegeben, die Barmherzigkeit, Güte
und Gnade Gottes zu oenbaren: ja, Er erwies sich inmitten des Verfalls der ersten Schöpfung fähig,
sich in Bezug auf die Frage der Sünde und des Satans, der gefallenen Welt und des Menschen mit
Gott zu beschäftigen. Sein Werk der Erniedrigung ist beendet; doch wie hat sich gerade darin seine
persönliche Befähigung, die Lösung jeglicher Frage zu übernehmen, bekundet!
Jetzt, da Er hinaufgefahren ist, benutzt Er unsere Stellung in der Wüste, die zwischen einer ägyptischen
Welt der Knechtschaft und der Herrlichkeit liegt, um uns sowohl über Ihn, als auch über uns zu
belehren. Bald aber, wenn die Herrlichkeit anbricht, wird Er selbst die letzte Hand an das Werk legen
und die Treue seiner Liebe zu dem Volk seiner Wahl an den Tag legen; und dies wird wenigstens
tausend Jahre vorher geschehen, ehe die neue Schöpfung, welche der Beweis sein wird, dass Er alles,
was Er in die Hand genommen, auch zu beendigen vermag, in die Erscheinung tritt. Wozu aber bin
ich, wozu ist jeder Einzelne von uns abgesondert, wenn nicht dazu, dass der göttlichen Weisheit
gemäß die persönliche Herrlichkeit des Sohnes, der die Auferstehung und das Leben ist, in uns ihren
Ausdruck nde? Er hat mir Leben, ewiges Leben gegeben, ein Leben, welches Er selbst ist, so wie
Er in der Herrlichkeit seiner Auferstehung und Himmelfahrt ist. Wenn Er mich Heim ruft, ehe Er
sich von seinem Platz zur Rechten des Vaters erhebt, so sterbe ich; doch ich sterbe nur dem, was
sterblich, was verweslich ist: ich höre, Gott gemäß, für immer auf, irgendwelche Verbindung mit
Sterblichkeit oder Verweslichkeit zu haben; ich bin ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei
dem Herrn, um dort mit Ihm die Zeit zu erwarten, wo Er seine Herrlichkeit als die Auferstehung
oenbaren und mein Leib Ihm dann als verherrlichter Leib entgegenkommen wird in der Luft. Wenn
Er mich nicht ruft, bis Er sich vom Thron seines Vaters erhoben hat, dann werde ich die Trennung
des Leibes von der Seele nimmer erfahren, sondern seine lebenspendende Macht, welche meiner
Seele jetzt schon das Leben gegeben hat, wird alsdann alles mit Leben erfüllen und Sterblichkeit
und Verweslichkeit aus meinem Leib entfernen, ohne dass derselbe von der Seele, die jetzt schon
das Leben besitzt, getrennt wird. Kann aber die Trennung von einem Leib der Sünde, das Verlassen
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  Der Tod ist unser 1/2
dieses Schauplatzes der Pilgerschaft, um in der Gegenwart des Herrn und daheim zu sein, der Tod
genannt werden? Der Unglaube betrachtet es oft also; er spricht in einer Weise davon, als ob die neue
Stätte, welche Christus für uns bereitet hat, und wo es weit besser ist, etwas Geringes für uns sei, als
trüge der Zwischenzustand der Seele auch jetzt, wo Licht und Unsterblichkeit durch das Evangelium
oenbart worden sind, noch immer den verhüllten Charakter, von dem Hiskia spricht (Jes 38). Für
ein durch den Glauben an einen auferstandenen und aufgefahrenen Heiland befreites Gewissen, für
ein Kind Gottes, für einen himmlisch gesinnten Menschen, der den Strom der Freude, den der nicht
betrübte Heilige Geist mitteilt, genießt – ja für einen solchen hat weder der Tod noch seine Vorboten
irgendwelche Schrecken. Was kümmert ihn das Fieber oder der kalte Schweiß des Leibes, dessen
Leben dem Erlöschen nahe ist, wenn Zugleich das ewige Leben in ihm Herz und Sinn ungeteilt auf
die Person des Herrn Jesus droben richtet?
Wir haben hier einen Sarg vor uns, und darin ruht der Leib eines bejahrten und dem Herrn gewidmeten
Christen. Er lebte unter uns glücklich in dem Herrn, voll von Liebe zu seinen Heiligen, und nun ist
er hinweggegangen. Doch wohin? Zu dem Herrn Jesus. Ist Er es nicht wert, seine Heiligen bei sich
zu haben? Denkt ihr, Er habe etwa dem Ratschluss Gottes vorgegrien, indem Er diesen heimrief
– „heim“ zu sich, der ja selbst die Heimat ist? Mit Nichten. Das Wort: „Wenn ihr mich liebtet, so
hättet ihr euch gefreut, dass ich zum Vater gehe, denn mein Vater ist größer, als ich“, kann auch auf
diesen Fall mit Wahrheit angewendet werden. Oder haben wir keine Liebe zu denen, die heimgehen?
Keine Liebe, als zu uns selbst? Keine Bereitwilligkeit, sie gesegnet zu wissen, wenn ihre Segnung
uns irgendwelche Entbehrung auegt? Elende, jämmerliche Selbstsucht, welche Gottes und Christi
Freude vergisst bei der Bewillkommnung einer Seele, die uns verlässt, in seiner Gegenwart! Diese
Selbstsucht ist es auch, die uns verhindert, an ihren großen Gewinn zu denken, indem wir uns in die
Gedanken an den eigenen Verlust versenken und verlieren. Vielmehr sollten wir entrüstet sein über
unsere Selbstsucht und engherzige Selbstliebe, die wir, von uns selbst erfüllt, keine Gedanken haben
für Gott, Christus und die Freunde, die wir zu lieben bekennen. Doch in Gott ist eine eifersüchtige
Liebe. Er will, dass unsere Herzen es erfahren, wie vollkommen Christus uns inmitten der Leiden
dieser Wüste befriedigen und genügen kann. In diesem Eifer der Liebe will Er auch, dass wir an
Christus denken, dem Er uns angetraut hat, und an seine Freude über diejenigen, welche in Ihm
entschlafen sind; ja, dass wir jener Sphäre gemäß denken und fühlen lernen, in welcher Christus
jetzt der wahre Mittelpunkt ist (Schluss folgt).
  42
  Das Buch der Erfahrung 4/5
Das Buch der Erfahrung – Teil 4/5
Kapitel 3,15–21; 4,1–7
Wir haben bereits oben gesehen, geliebte Brüder, in welcher Weise Christus, wenn das Auge auf Ihn
gerichtet ist, den ernsten Vorsah wachruft, der Herrlichkeit entgegen zu eilen. Paulus war hierzu von
Christus ergrien worden; und er wollte Christus in der Herrlichkeit ergreifen. Wir haben ferner
gesehen, dass diese Brief den Christen als einen Wanderer betrachtet, der die Wüste durchschreitet
und am Ende seines Weges alles zu nden erwartet. Vergessen wir jedoch nicht, dass der Apostel, da
die Kraft der Auferstehung Christi in ihm war, schon die Macht des Lebens besaß und dieselbe in
der Herrlichkeit zu besitzen wünschte. Die praktische Folge war, dass er vorwärts eilte wie jemand,
der nur die Herrlichkeit im Auge hat. Für ihn gab es nur eine Sache, Christus zu gewinnen und
selbst zur Herrlichkeit auferweckt zu werden. Gott hat uns „zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes
gleichförmig zu sein“ (Röm 8,29); aber dieses ndet seine Erfüllung nicht dann, wenn unsere Leiber
im Grab und wir im Paradies sind, sondern „wenn Er oenbart ist, werden wir Ihm gleich sein
denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh 3,2). Jedoch ist „unser Wandel“ oder, wie andere
übersetzen, „unser Bürgerrecht“ jetzt in den Himmeln. Ich mochte hier bemerken, dass weder das
eine noch das andere Wort den Sinn des Grundtextes genau wiedergibt. Der griechische Ausdruck
bezeichnet unsere bürgerlichen Verhältnisse, wie wir von jemandem sagen: Er ist ein Deutscher oder
ein Engländer, wenn wir das hervorheben wollen, was ihn kennzeichnet. Was uns kennzeichnet, ist,
dass wir vom Himmel sind. Deshalb sagt Paulus: „Eins aber tue ich“, indem ich dem herrlichen Ziele
entgegeneile; es hat meinem ganzen Leben seine Richtung gegeben: „ich jage hin zu dem Kampfpreis
der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ Für uns gibt es keine andere Vollkommenheit
als die in der Herrlichkeit. Sobald ich Christus als den erkannt habe, der herniederkam und um
unsertwillen gehorsam war bis zum Tod, verstehe ich, dass als Antwort hierauf keine Herrlichkeit zu
groß ist; denn alles ist die Frucht der Arbeit seiner Seele.
Die Heilige Schrift weiß nichts von einem Unterpfand seiner Liebe. Dieser Ausdruck ist, wie ich
glaube, irgendeinem Lied entnommen. Das Unterpfand der Herrlichkeit besitzen wir, die „Liebe
Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen.“ Paulus empfand die Macht, welche die Herrlichkeit auf
seinen Geist ausübte, und in gleicher Weise sind wir zu laufen berufen; doch nicht alle Christen
wissen es. Ist jemand wirklich ein Christ, so muss er das Kreuz als das kennen, wodurch er erlöst
worden ist; hingegen weiß er vielleicht nicht, dass er mit Christus eins sein wird in der Herrlichkeit.
Die Kinder wissen, dass ihre Sünden vergeben sind (1. Joh 2,12). Dieses zu wissen, ist das gemeinsame
Teil aller. Die „Kindlein“ kennen den Vater (1. Joh 2,13), sie haben den Geist der Kindschaft. Die
Vollkommenen in Christus aber, wie der Apostel sie hier nennt, kennen die Verderbtheit ihres eigenen
Herzens weit besser und sehen Zugleich die vollkommene Liebe Gottes, der Christus auf dem Kreuz
für uns dahingegeben hat – eine Liebe, die herniederkam zu dem Sünder in seinen Sünden. Sie
wissen nicht nur, dass sie Vergebung ihrer Sünden haben, sondern auch, dass sie als Kinder Adams
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  Das Buch der Erfahrung 4/5
völlig beseitigt sind. „Die Kindlein“ wissen dieses nicht; sie wissen nicht, dass sie bezüglich ihrer
adamitischen Natur gänzlich bei Seite gesetzt sind. Die alte Natur ist für den Glauben tot, und „wenn
Christus, der unser Leben ist, oenbar werden wird, dann werden auch wir mit Ihm oenbar werden
in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Und diesen Platz hat der Glaube schon jetzt. „Hierin ist die Liebe mit uns
vollendet worden, . . . dass gleich wie Er ist, auch wir sind in dieser Welt“ (1. Joh 4,17). Das ist der
vollkommene Mensch, von dem der Apostel spricht, wenn er sagt: „So viele nun vollkommen sind,
lasst uns also gesinnt sein, und wenn ihr etwas anders gesinnt seid, so wird euch Gott auch dies
oenbaren.“ Es mag vielleicht jemand noch beim Anfang stehen, während du weiter fortgeschritten
bist; und wenn dies der Fall ist, so hast du jenem umso mehr Gnade zu erweisen, denn Christus
hat ihn ergrien und ihm seine Sünden vergeben; er wird noch eine andere Sache verstehen lernen,
nämlich dass er mit Christus gestorben ist – dass nicht nur seine Sünden vergeben sind, sondern
dass auch die Sünde im Fleisch gerichtet, ja dass er selbst, jenes Ich, welches ihn mehr beunruhigte,
als seine Sünden, für immer hinweggetan ist. Wir sollen alle gleichgesinnt sein, als solche, welche
wissen, dass sie mit dem zweiten Adam vereinigt sind; und wenn dieses nicht von allen verstanden
wird, so sollen doch alle in denselben Fußstapfen wandeln; und was etliche noch nicht verstehen,
wird Gott ihnen oenbaren.
„Seid zusammen meine Nachfolger . . . “, sagt der Apostel und stellt sich damit auf bemerkenswerte
Weise zum Vorbild der Heiligen hin. Er zeigt den Gegensatz zwischen denen, deren „Wandel in den
Himmeln ist“, und denen, „die auf das Irdische sinnen.“ Das Ende der Letzteren ist das Verderben –
sie sind Feinde des Christentums. Hier handelt es sich nicht um den Besitz von mehr oder weniger
Licht, sondern um solche, deren Sinn auf das Irdische gerichtet ist und nicht auf Christus in der
Herrlichkeit. Man kann seinen Sinn nicht zu gleicher Zeit auf das Irdische und auf Christus richten;
„die Freundschaft der Welt.“ sagt Jakobus, „ist Feindschaft wider Gott.“ „Alles, was in der Welt ist . . .
ist nicht von dem Vater“ (1. Joh 3,16). Die Kinder sind vom Vater. Als ich erweckt wurde, wunderte
ich mich sehr darüber, dass im Wort Gottes so viel von der Welt die Rede war; nach dem ich aber mit
anderen Christen verkehrt hatte, sah ich bald, wie sehr die Welt sie stets zurückzog und ihre Herzen
fort und fort reizte.
Die, welche auf das Irdische sinnen, sind „Feinde des Kreuzes Christi“, so sprach der Apostel mit
Weinen. Was war das Kreuz? Es hatte dieses alles verurteilt. Der Sohn Gottes ist die Quelle, die
Wurzel, die Panze, aus welcher alle Herrlichkeit hervorsprießen sollte. Er hat in dieser Welt nur
das Kreuz gefunden. Und was ist die Welt? Sie wollte Christus um keinen Preis haben, und deshalb
habe ich als Christ nichts mehr mit ihr zu schaen. „Die Welt sieht mich nicht mehr“, sagte der Herr
(Joh 14,19). Der Heilige Geist ist nicht gekommen, um gesehen zu werden; „die Welt kann Ihn nicht
empfangen, weil sie Ihn nicht sieht, noch Ihn kennt. Ihr aber kennt Ihn; denn Er bleibt bei euch und
wird in euch sein“ (Joh 14,17). Auf diese Weise kennen wir den Heiligen Geist.
Das Gute und das Böse begegneten sich auf dem Kreuz; dort wurde die Frage zwischen beiden
entschieden, und jetzt handelt es sich für einen jeden darum, ob er sich zu der Welt hält, die Christus
verworfen hat, oder zu Christus, den die Welt verworfen hat? Nichts ist dem Kreuz zu vergleichen:
es ist sowohl die Gerechtigkeit Gottes wider die Sünde, als auch seine Gerechtigkeit im Vergeben der
Sünde; es ist das Ende der Welt des Gerichts und der Anfang der Welt des Lebens, es ist das Werk, das
die Sünde hinweggenommen hat und Zugleich die größte Sünde, die je begangen worden ist. Je mehr
wir das Kreuz betrachten, desto mehr erkennen wir, dass es der große Wendepunkt von allem ist.
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  Das Buch der Erfahrung 4/5
Darum, wer sich zur Welt hält, ist ein Feind des Kreuzes Christi. Als Christen haben wir wohl darauf
zu achten, dass nicht etwa der eitle Tand dieser Welt einen Schleier über unsere Herzen wirft, der
uns zu sehen verhindert. Wenn ich die Ehre der Welt, die Christus gekreuzigt hat, annehme, so ist
meine Ehre in meiner Schande. Wo ist unsere Heimat? In unseres Vaters Haus, nicht in der traurigen
Wüste, die wir zu durchwandern haben, um dorthin zu gelangen.
Im 2. Kapitel haben wir die Sanftmut des Wandels gesehen; hier erblicken wir die Macht und Energie,
welche von der Welt befreit, die uns hindern möchte, Christus ähnlich zu sein. „Unser Wandel ist
in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren
Leib der Niedrigkeit umgestalten wird usw.“ Jetzt habe ich den Leib Adams, dann werde ich den
Leib Christi haben; alle unsere Lebens Verbindungen sind dort, wo Christus ist. Er wird als Heiland
kommen und alles erfüllen, indem Er unseren Leib der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit des Leibes
seiner Herrlichkeit umgestalten wird. Der Preis ist bezahlt worden, aber die endliche Befreiung, für
die er bezahlt worden, ist noch nicht gekommen. „Der uns aber eben hierzu bereitet hat, ist Gott“
(2. Kor 5,5); doch die Sache selbst haben wir noch nicht empfangen; wir warten, bis Christus kommt,
um uns in den Besitz derselben zu setzen.
Geliebte Brüder, wenn unsere Herzen wirklich von dem Bewusstsein durchdrungen wären, dass
Gott uns Christus gleichmachen will, wenn wir in praktischer Weise glauben würden, dass Gott uns
dahin bringen will, um als Brüder bei und gleich Christus zu sein – dann würden wir ganz andere
Gedanken über die Welt haben, wir würden vollkommen sein und nach dem vorgesteckten Ziel uns
ausstrecken. Sollte ich auf meinem Weg dem Tod begegnen, so bin ich dennoch stets voll Vertrauen.
Ich wünsche nicht, zu sterben; ich wünsche, dass „das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben“
(2. Kor 5). Sollte aber der Tod kommen, so erschüttert er mein Vertrauen nicht im Geringsten, denn
„ausheimisch von dem Leib“ ist „einheimisch bei dem Herrn sein.“
In 3. Korinther 5 spricht der Apostel zuerst von der Honung – von dem, was ich wünsche; hernach
richtet er seinen Blick auf die beiden Dinge, welche das Teil des Menschen sind, auf den Tod und das
Gericht; denn „es ist dem Menschen gesetzt einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Heb 9,27).
Handelt es sich nun um den Tod – er ist ein Gewinn für mich; denn für mich ist „ausheimisch vom
Leib, einheimisch bei dem Herrn sein.“ Handelt es sich um das Gerichtes ist eine feierliche Sache, es
ist „das Schrecken des Herrn.“ Es richtet meine Gedanken auf diejenigen, die noch nicht errettet sind,
und „ich überrede die Menschen.“ Der Richterstuhl lässt Paulus nicht an sich selbst denken, sondern
an die übrigen Menschen, obgleich er sagt: „Wir müssen alle oenbart werden vor dem Richterstuhl
des Christus.“ „Wir überreden die Menschen und sind Gott oenbar geworden.“ Der Tag des Gerichts
übte seinen Einuss auf den Apostel aus; er ließ ihn die Wirkung der Gegenwart Gottes so fühlen,
wie es am Tag des Gerichts der Fall sein wird. Der Gedanke an diesen Tag erhält das Gewissen wach
und lebendig; er ist eine Macht, die mich heiligt, aber nicht erschreckt. Die göttliche Macht wird uns
ergreifen, und so wie Eva dem Adam dargestellt wurde, so wird Christus, welcher Gott ist, sich selbst,
dem zweiten Adam, seine Eva, seine Versammlung darstellen.
Die Frage ist aufgeworfen worden, ob die Worte: „Zu kennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung“
die Gegenwart oder die Zukunft betreen. Ich antworte: Es ist die gegenwärtige Kraft, die dadurch
hervorgebracht wird, dass mein Blick auf Christus und seine Auferstehung gerichtet ist. „Ein jeglicher,
der diese Honung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist“ (1. Joh 3,3). Dies wird dadurch
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  Das Buch der Erfahrung 4/5
bewirkt, dass das Auge stets auf Ihn gerichtet bleibt und wir Ihn erwarten. Die endliche Erlösung
wird kommen und für den Leib das vollbringen, was hinsichtlich der Seele jetzt schon geschehen ist.
Er wird uns sich gleichmachen in dem Haus des Vaters und – was ich so überaus köstlich nde –
Er will uns dort haben, ohne ein Gewissen zu bedürfen. Hienieden muss mein Gewissen stets auf
der Hut sein, wenn ich nicht unversehens in eine Schlinge Satans geraten will; droben aber, wo ich
nur von Segnungen umgeben sein werde, ist dies nicht mehr notwendig. Wir werden auch dann den
Heiligen Geist haben, und seine ganze Macht wird dazu dienen, uns zum Genuss der Herrlichkeit
zu befähigen. Jetzt „ist die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist,
welcher uns gegeben ist.“ Allein ein großer Teil seiner Macht wird dazu verwendet, das Schi ott zu
erhalten.
Die meisten unter uns haben Sorgen, Prüfungen und Versuchungen, – doch Gott hat an dies alles
gedacht. Er hat selbst die Haare unseres Hauptes gezählt und uns etwas gegeben, das uns durch alles
hindurchhilft. Er denkt sogar an das Wetter für die seinen: „Betet, auf dass eure Flucht nicht geschehe
in Winter.“ Nicht einmal ein „Sperling fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters.“ Gott denkt an
alles und befähigt uns, über allem zu stehen.
Es ist gesegnet, zu sehen, wie der Apostel von den erhabensten Gedanken der Oenbarung Gottes
übergeht zu den gewöhnlichsten Dingen, die einem Heiligen auf seinem Weg begegnen. Von jenen
herrlichen Wahrheiten, die ihn soeben beschäftigt hatten, wendet er sich zu zwei Frauen, die nicht in
gutem Einverständnis mit einander waren. So ist es noch immer. Die Gnade vergisst nichts: sie erhebt
in den dritten Himmel und steigt hinab bis zu den niedrigsten Dingen; sie beschäftigt sich sogar mit
einem entlaufenen Sklaven, und zwar mit einer Zartheit, welche die Bewunderung aller Jahrhunderte
auf sich zieht. Welches war der Trost Christi auf dem Kreuz? Er konnte dem armen Räuber nicht
sagen, dass er ins Paradies gehen werde, ohne hinzuzufügen, dass Er selbst auch hingehe: „Heute
wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 33,43). So sagte auch Paulus, wenn er der Frauen gedachte, die
mit Ihm gearbeitet hatten: „Deren Namen im Buch des Lebens sind“ (Kap 4,2–3). Da, wo Gott ist,
sind göttliche Zuneigungen vorhanden, und wir sind zu Trägern derselben gemacht.
Wenn ich einen Besuch mache, so liegt mir nichts mehr am Herzen als der Wunsch, Christus möchte
so gegenwärtig sein, dass alles, was zum Vorschein kommt, das sei, was Er selbst kundgeben würde,
und nicht meine eigenen Gedanken. Wir kennen nur wenig von dem Glück, die Gedanken Christi zu
haben, und seine Gedanken waren, sich bis zum Kreuz zu erniedrigen.
„Freut euch in dem Herrn allezeit.“ Wer war fähig, so zu reden? War es der Mann, der im dritten
Himmel gewesen war? Nein, es war der Gefangene zu Rom. Das hieß sich allezeit im Herrn freuen,
wie auch der Psalmist sagt: „Jehova will ich preisen allezeit“ (Ps 34,1). Wenn ich den Herrn als den
Gegenstand meines Herzens habe, so ist im Gefängnis mehr vom Himmel zu nden als außerhalb
desselben. Nicht die grünen Auen und die Wasser der Ruhe erquicken die Seele; die Freude meines
Herzens besteht darin, dass „der Herr mein Hirte ist“, und nicht in den grünen Auen, wiewohl
dieselben sehr schön sind. Und wenn ich mich von diesen entfernt haben sollte, so „stellt Er meine
Seele wieder her.“ Ist der Tod auf meinem Weg, ich fürchte ihn nicht, denn „du bist bei mir.“ Bin ich
von schrecklichen Feinden umgeben, so ist mir angesichts derselben ein Tisch bereitet. Und jetzt
heißt es: „Mein Becher ießt über.“ Mein Hirte führt mich durch alle Schwierigkeiten und Prüfungen
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  Das Buch der Erfahrung 4/5
meiner Schwachheit hindurch und legt die Worte in meinen Mund: „Fürwahr, Güte und Huld werden
mir folgen alle die Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Haus Jehovas in Länge der Tage.“
Je größer die Trübsal desjenigen ist, der auf den Herrn vertraut, in desto reichlicherem Maß macht
er die Erfahrung, dass alles zum Guten mitwirkt. Paulus konnte sagen: Ich kenne den Herrn als ein
Freier und ich kenne Ihn als ein Gefangener. Er war ihm genügend, sowohl wenn er Mangel litt, als
auch wenn er Überuss hatte. Deshalb sagt er: „Freut euch in dem Herrn allezeit.“ Was konnte man
einem solchen Menschen zufügen? Tötete man ihn, so schickte man ihn in den Himmel; ließ man
ihn frei, so war er mit aller Hingebung bemüht, um Seelen zu Christus zu führen, dessen Namen
man auszurotten suchte.
Es ist schwieriger, sich im Wohlergehen im Herrn zu freuen als in den Trübsalen, denn die Trübsale
werfen uns auf den Herrn. Die Gefahr ist größer für uns, wenn keine Trübsale vorhanden sind. Doch
die Freude im Herrn befreit uns völlig von der Macht der gegenwärtigen Dinge. Wenn Gott uns
unserer Stützen beraubt, dann erst gewähren wir, wie sehr selbst die Geistlichsten unter uns sich
darauf verlassen haben. Freuen wir uns aber allezeit in dem Herrn, so besitzen wir eine Kraft, die
uns nie genommen werden kann.
„Lasst eure Gelindigkeit kund werden allen Menschen.“ Sollten die Menschen wohl denken, dass
unser Wandel in den Himmeln ist, wenn wir den irdischen Dingen so eifrig nachjagen? Es wird nur
dann der Fall sein, wenn sie sehen, dass das Herz nicht sein eigenes Interesse sucht. „Der Herr ist
nahe.“ Bald wird alles in Ordnung gebracht werden. Wie werden unsere Herzen und Sinne bewahrt
werden, wenn wir inmitten der Menschen unseren Weg in Milde, in Sanftmut und ohne auf unserem
Recht zu bestehen verfolgen! Die Welt wird es sehen, wenn unsere Gedanken und unser Sinn nicht
auf sie gerichtet sind. Wir sollen, wie der Apostel sagt, ein Brief Christi sein, „gekannt und gelesen
von allen Menschen“ (2. Kor 3,2).
„Seid um nichts besorgt.“ Dieses Wort ist mir zu reichem Trost gewesen, selbst inmitten großer
Trübsale. „Seid um nichts besorgt.“ Du denkst vielleicht, es handle sich hier nicht um deine
geringfügigen Umstände, sondern um Heilige, die in einem schlechten Zustand sind. Ganz recht, aber
– „seid um nichts besorgt.“ Das will nicht sagen, du sollst gleichgültig sein; allein du strengst dich an,
die Last selbst zu tragen, und ermattest und quälst dein Herz auf diese Weise. Wie oft lastet eine Bürde
auf dem Herzen eines Menschen, und wenn seine Bemühungen, sie abzuwerfen, vergeblich sind,
so fällt sie auf ihn zurück, und ihr Druck bleibt. Doch es ist uns geboten: „Seid um nichts besorgt“,
und es ist gesegnet für uns, solch ein Gebot zu haben. Was soll ich denn tun, wenn Sorgen auf mich
eindringen wollen? Gehe zu Gott: „in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure
Anliegen vor Gott kundwerden.“ Dann werdet ihr inmitten all eurer Sorgen danken können. Nur
sehen hierin die wunderbare Gnade Gottes. Wir brauchen nicht zu warten, bis wir erkannt haben,
dass unsere Wünsche wirklich nach seinem Willen sind; nein, er sagt: „Lasst eure Anliegen vor Gott
kundwerden.“ Liegt eine Last auf deinem Herzen? Gehe mit derselben zu Gott. Er sagt nicht, dass Er
deinen Wunsch erfüllen werde. Als Paulus den Herrn dreimal bat, dass Satans Engel von ihm abstehen
möge, erhielt er zur Antwort: „Meine Gnade genügt dir“ (2. Kor 12,8–9). Wohl aber wird „der Friede
Gottes eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christus Jesus;“ nicht ihr werdet diesen Frieden
bewahren. Wird Gott je beunruhigt durch die kleinen Dinge, welche uns beunruhigen? Erschüttern
sie seinen Thron? Gott denkt an uns, wir wissen es, aber Er ist nicht beunruhigt, und der Friede, der
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  Das Buch der Erfahrung 4/5
im Herzen Gottes ist, wird unsere Herzen bewahren. Mit allem, was mein Herz bedrückt, gehe ich
zu Gott und nde Ihn nicht im Geringsten darüber beunruhigt. Alles ist schon geordnet. Gott weiß
sehr wohl, was Er tun will; ich habe meine Bürde auf den Thron niedergelegt, der nie erschüttert
werden wird, und zwar mit der völligen Gewissheit, dass Gott Anteil nimmt an mir; und der Friede,
in welchem Er ist, bewahrt mein Herz, und ich kann Ihm schon danken, bevor die Schwierigkeit
beseitigt ist. Ja, Gott sei dafür gepriesen, Er nimmt Anteil an mir. Es ist sehr gesegnet, diesen Frieden
genießen zu können und also mein Anliegen – vielleicht ein sehr törichtes – vor Gott kund werden
zu lassen und, anstatt über die Widerwärtigkeiten zu brüten, mit Gott darüber verkehren zu dürfen.
Es ist überaus köstlich für uns, zu sehen, dass Gott, während Er uns in den Himmel erhebt, zu
uns herniederkommt und sich mit all unseren Angelegenheiten beschäftigt. Während unser Herz
mit himmlischen Dingen beschäftigt ist, können wir auf Gott rechnen in Betre der irdischen; Er
bekümmert sich um alles, selbst um unsere kleinsten Angelegenheiten hienieden. Paulus sagt: „. . .
von außen Kampf, von innen Furcht; der aber die Niedrigen tröstet, Gott, tröstete uns ..“ (2. Kor 7,5–6).
Es war der Mühe wert, erniedrigt zu sein, um auf solche Weise getröstet zu werden. Ist Er ein Gott
der Ferne und nicht ein Gott der Nähe? Gott erlaubt uns keine Voraussicht, weil dann das Herz nicht
geübt würde; aber wiewohl wir Gott nicht sehen, Er sieht uns und kommt zu uns hernieder, um uns
inmitten der Schwierigkeiten jegliche Art des Trostes zu Teil werden zu lassen (Schluss folgt).
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  Der Tod ist unser 2/2
Der Tod ist unser – Teil 2/2
Was vermag ich euch von der Seligkeit der Hingeschiedenen mitzuteilen? Ich kann nur mit einer
anderen Frage antworten: Was kennt ihr von der Anziehungskraft Christi, von der Seligkeit, bei dem
Herrn zu sein? Denn wenn das Ich und die Selbstsucht euch erfüllen, so kann ich nur sagen, dass
diese Dinge ihre Nahrung in dieser Welt nden. Wenn wir von unserem eigenen Ich erfüllt sind,
von dem, was uns angenehm oder unangenehm ist, von unserem Vor– oder Nachteil, so werden wir
aus der Lehre von der Seligkeit derer, welche „ausheimisch aus dem Leib und einheimisch bei dem
Herrn sind“, wenig Nutzen ziehen. Sie verträgt sich nicht mit unserer Selbstsucht, und wir lieben
es auch nicht, zur Rechenschaft gezogen zu werden, ob wir mehr Anziehendes in Christus nden,
als in allem anderen. „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“, war das gesegnete Wort des Herrn
an den bekehrten Räuber. Was wusste der arme Räuber von dem Paradies oder seiner Seligkeit?
Wahrscheinlich gar nichts. Doch hatte er soeben einen neuen Freund gefunden, desgleichen sonst
keiner zu nden ist. Der Glaube hatte ihm das oene und anziehende Herz des hochgelobten Herrn
oenbart. Durch den Glauben war das Herz des Räubers für die Heiligkeit, sowie für das Bekenntnis
geönet; es war mit Vertrauen zu seinem Richter erfüllt und wurde durch die köstliche zusage
angezogen, nie mehr von diesem Herrn getrennt zu werden: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst
du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). „Mit Ihm“, das war genug. „Ausheimisch von dem Leib und
einheimisch bei dem Herrn sein“ (2. Kor 5,8), war das „weit bessere“, welches Paulus als das Teil
eines hingeschiedenen Heiligen kannte.
Was nun die Herrlichkeit betrit, so kommt wohl keine Beschreibung jener gleich, die wir in den
Worten ausgedrückt nden: „Und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thes 4,17). Doch
gerade dieses führt uns auf die Frage bezüglich des Maßes unserer Erkenntnis und Wertschätzung
des Herrn Jesus Christus zurück. Diejenigen, welche Ihn gut kennen und Ihn über alles schätzen,
werden auch viel Trost und Freude in dem Gedanken nden, bei Ihm zu sein. Sie haben seinen Geist,
sie wandeln in demselben, und dieser Geist kennt für den Heiligen nichts, was diesem „einheimisch
bei dem Herrn sein“ gleichkäme. Wenn das Ich uns regiert, dann verlangen wir nach Umständen
und nach eingehenderen Beschreibungen, damit wir heraussuchen können, was einem Menschen
angemessen ist, der an sich und seine Umstände denkt.
Wenn ihr aber einen Heiligen liebt, der eben hinaufgegangen ist wie Stephanus, so lasst doch in
eurem Herzen und Sinne ein wenig Raum für den Gedanken an die Freude dessen, den ihr liebt,
und der die Gegenwart des Herrn und den Genuss derselben zu würdigen wusste. Wie glücklich ist
dieser jetzt in der verwirklichten Gegenwart des Herrn! Wenn ihr ihn liebhattet, so lasst doch die
gegenwärtige Seligkeit dessen, den ihr liebtet, und der nun in der Gegenwart des Herrn ist, das Gefühl
eures Verlustes und eurer Entbehrung aufwiegen. Es dauert nur noch eine kleine Weile, vielleicht
eine sehr, sehr kleine Weile, bis der Herr sich erheben wird. Wenn Er jetzt käme, so würde dieser
vor uns liegende Leib nicht in die Gruft gesenkt werden, sondern er würde auferstehen zum Leben
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  Der Tod ist unser 2/2
und zur Herrlichkeit, und wir würden verwandelt werden und Zugleich mit ihm entrückt werden
in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft und also „allezeit bei dem Herrn sein.“ Wenn wir dem
Herrn begegnen, so werden wir Ihn erkennen, obwohl wir Ihn nie zuvor gesehen haben. Kein Irrtum
kann stattnden, kein anderer in Gottes Gegenwart mit Ihm verwechselt werden. Er wird alle die
Seinen kennen, die an jenem Tag um Ihn versammelt sein werden, und diese werden sich auch unter
einander erkennen.
Eine grobe Verirrung des Unglaubens hat jetzt in manchen Gemütern Eingang gefunden, indem
man meint, dass man sich, weil irdische Bande und Verhältnisse im Himmel aufhören, droben nicht
kennen oder das gegenseitige Interesse nicht fortbestehen werde. Die törichte Verkehrtheit dieses
Gedankens liegt auf der Hand. Ich kenne und liebe und werde gekannt und geliebt von vielen, die
einst auf Erden meine Herren oder meine Knechte waren. Das Verhältnis hat aufgehört, aber Gott sei
Dank! nicht die gegenseitige Liebe und Achtung, welche in demselben in unseren Herzen entstanden.
Ein Kind Hort auf ein Kind im elterlichen Haus zu sein, wenn es sich verheiratet; er oder sie ist nach
Gottes Ordnung aus dieser Stellung herausgetreten, aber die Liebe und das Interesse dauern fort.
Oder wird etwa eine verheiratete Tochter nicht mehr geliebt, weil sie einem anderen Haus vorsteht
und nicht mehr die Picht und Verantwortlichkeit eines Kindes im elterlichen Haus hat? Das frühere
Verhältnis des Apostels zu den Thessalonichern mag aufhören, aber nicht seine Liebe zu denselben,
noch die ihrige zu ihm, wie sie sich unter ihnen gebildet hatte, als sie noch auf Erden waren. Sie
werden ihn in der Herrlichkeit umringen als seine Freude, seine Krone des Ruhmes. „Denn wer ist
unsere Honung, oder Freude, oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus
bei seiner Ankunft?“ (1. Thes 2,19) Beachtenswert ist auch der Ausdruck: „Auf dass ihr euch nicht
betrübt, wie auch die übrigen, die keine Honung haben“ (Kap 4,13). Der Zustand derer, welche
dieses nicht einsehen, ist eischlich; weil sie mit sich und den Umständen beschäftigt sind, so können
sie nicht aufwärts schauen, sich nicht zu der Freude und Gnade des Herrn erheben.
Nur noch eins möchte ich hinzufügen. Es könnte von etlichen zu mir gesagt werden: „So wäre also
der Tod, ihrer Meinung nach, gar nichts.“ Darauf möchte ich erwidern: Keineswegs; doch der Tod
mag sein, was er will, aber Christus ist mehr; Er macht das Dunkel licht, das Bittere süß. Der, welcher
in Christus ist, aber auch nur ein solcher, kann sagen: „In diesem allen sind wir mehr als Überwinder
durch den, der uns geliebt hat.“ Nur ein solcher kann sagen: „Wo ist, o Tod, dein Stachel? Wo ist, o
Hades, dein Sieg?“ Der Tod war im Menschen die Frucht der Sünde; in dem Tod des Leibes zeigte sich
auf furchtbare Weise die vernichtende Zerstörung, welche die Sünde über den Leib des Menschen
gebracht hatte; und er wies zugleich auf den zweiten Tod hin, „wo ihr Wurm nicht stirbt, und ihr Feuer
nicht verlöscht.“ Wenn auch der Sohn Gottes als Sohn des Menschen den Schwierigkeiten der Lage, in
welcher der Mensch als Sünder war, entgegengekommen ist, indem Er das dem Sünder zukommende
Gericht auf sich nahm, so konnte, so durfte Er es dennoch, weder moralisch, noch gerichtlich, mit
der Sünde leichtnehmen. Im Gegenteil, als Er auf dem Kreuz das unseren Sünden zukommende
Gericht trug, da wurde aufs klarste bewiesen, dass der Lohn der Sünde weit schrecklicher ist, als der
Mensch es je gedacht hat, als er es je zu ergründen oder auszusprechen vermag, ja, dass dieser Lohn
sich erweist in dem endlichen Verstoßen des Sünders aus der Gegenwart Gottes in „den Feuersee,
der bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ Das Kreuz Christi bewies, dass sogar zwischen dem
Sohn des Menschen, der in seinem Dienst treu war, und Gott keine Gemeinschaft stattnden konnte,
ja dass kein Lichtstrahl von Gott auf Ihn herniederfallen konnte, als Er für den Sünder den Platz
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  Der Tod ist unser 2/2
eines Stellvertreters eingenommen hatte. Er rief aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?“ Er hat überwunden, aber Er hat auf der Siegesbahn sein Leben hingeben müssen. Von dem
Gericht über die Sünde bleibt nichts übrig, was die Seele eines an Christus Jesus Glaubenden treen
könnte. Sein Gericht war unsere Befreiung; doch sind wir, obschon befreit, wie wir wohl wissen,
nicht ausheimisch von diesem Leib der Sünde und des Todes. Wenn es unser Teil ist, abzuscheiden
und diesen Leib zu verlassen, so kann der Herr sich den Seinen zeigen, wie Er sich dem Stephanus
zeigte. Und mag kommen, was da will, abzuscheiden ist weit besser; es heißt „ausheimisch von dem
Leib und einheimisch bei dem Herrn sein.“ Es ist nicht befremdend, sondern gesegnet, bezüglich der
Erfahrung, soweit es für einen erlösten Jünger möglich ist, unserem Herrn in irgendeinem Teil seiner
Laufbahn hienieden ähnlich gemacht zu werden. Wir glauben nun, dass Jesus sowohl gestorben, als
auch wieder auferstanden ist. Wenn ich seinen Tod in Verbindung mit dem Ertragen des von mir
verdienten Zornes betrachte, so weiß ich, dass er vorüber ist, und der Glaube in mir verwirft den
Gedanken, dass ich ihn je schmecken werde; in diesem Sinn werde ich nie den Tod schmecken. Wenn
ich aber seinen Tod betrachte als ein Aufhören, unter den Menschen hier auf Erden zu wohnen, in
einem Leib, der zu sterben fähig war, so war jene Stunde eine Erlösungsstunde für Ihn, und warum
dann nicht auch für mich durch Ihn?
So viel
Als einen Riegel önen ist es nicht;
Ein Schritt ins Freie ist's – aus einem Zelt,
Das schon erleuchtet ist, weil strahlend Licht
Von außen durch die dünnen Wände fällt.
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  “Wir werden verwandelt nach demselben Bild“
“Wir werden verwandelt nach demselben Bild“
Der erste Grundsatz des Christentums stellt, während er die Verantwortlichkeit des Menschen, der
für sich selbst Rechenschaft geben soll, auf die feierlichste Weise anerkennt, den Christen auf einen
anderen und ganz verschiedenen Boden. Dass es einen Mittler, eine dritte Person, zwischen Gott
und dem Menschen gibt, ist der Haupt Grundsatz und die Grundlage aller christlichen Wahrheit. Ein
anderer hat sich verantwortlich gemacht; Er hat die Sache des Menschen, der nicht zu Gott kommen
konnte, übernommen und eine Annahme für ihn bewirkt.
Als Ergebnis dieser Tatsache werden in 2. Korinther 3 zwei Dinge ins Licht gestellt. „Wo der Geist
des Herrn ist, da ist Freiheit“, die Freiheit der Gnade, und wir werden „ein Brief Christi“, nicht
(von uns selbst, denn ohne Zweifel sind wir in uns selbst ein recht besudelter Brief) eine Abschrift
Christi, „geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes.“ Dies sind wir, nicht nur sollten wir es
sein. Obwohl wir in uns selbst höchst unvollkommen und mangelhaft sind, so sagt doch der Geist
von dem Christen, dass er eine Abschrift Christi ist.
Der naturgemäße Gedanke mancher Seele ist nun dieser: „Wenn dem also ist, so weiß ich nicht, was
ich von mir denken soll; ich sehe diese Abschrift nicht in mir.“ – „Nein; du hast auch nicht nötig, sie
zu sehen. Moses sah sein eigenes Angesicht nicht strahlen; er sah Gottes Angesicht strahlen, aber in
Bezug auf sein eigenes sahen es andere.“
Die Herrlichkeit Jehovas, so wie sie in Moses Angesicht gesehen ward, erschreckte das Volk;
sie konnten jene Herrlichkeit nicht ertragen. Jetzt aber sehen wir dieselbe mit „aufgedecktem“,
unverhülltem „Angesicht“ in Christus (V 18) und sind doch nicht im Geringsten erschrocken. Wir
nden Freiheit, Trost und Freude in ihrem Anschauen; wir betrachten sie, und anstatt uns zu fürchten,
freuen wir uns. Woher kommt dieser so große Unterschied? Es ist „der Dienst des Geistes“ (V 8)
und „der Gerechtigkeit“ (V 9). Ich sehe den lebendigen Christus in der Herrlichkeit; nicht Christus
hienieden (so köstlich dies auch war), sondern Christus zur Rechten Gottes; und obwohl diese
Herrlichkeit in den Himmeln ist,so kann ich sie dennoch unverrückt anschauen. All diese Herrlichkeit
(und Er ist inmitten der Herrlichkeit und Majestät des Thrones Gottes) erschreckt mich nicht,
weil diese wundervolle Wahrheit hinzukommt, dass diese Herrlichkeit Gottes im Angesicht eines
Menschen ist, der meine Sünden getilgt und zum Beweis dieser Tatsache jenen Platz eingenommen
hat (Heb 1,3). Ich würde mich vor seiner Stimme gefürchtet und gleich den Kindern Israel gesagt
haben: „Lass Gott nicht mit mir reden“ (2. Mo 20,19), oder gleich Adam mitschuldbeladenem Gewissen
versucht haben, mich zu verbergen (1. Mo 3,8). Jetzt aber spreche ich nicht also; im Gegenteil, lasst
mich seine Stimme hören. Ich kann die Herrlichkeit Christi jetzt nicht sehen, ohne zu wissen, dass
ich errettet bin. Wie kommt es, dass Er jetzt dort zur Rechten Gottes ist? Er ist ein Mensch, der
hienieden mit Zöllnern und Sündern verkehrte – Er war der Freund von solchen Menschen, und
solche wählte Er zu seinen Gefährten. Er ist ein Mensch, welcher der Sünde wegen den Zorn Gottes
erduldet hat; Er ist ein Mensch, der meine Sünden an seinem Leib auf das Holz getragen hat; (ich rede
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  “Wir werden verwandelt nach demselben Bild“
die Sprache des Glaubens) Er ist dort, als der, welcher hienieden inmitten der Umstände war und dem
die Sünde zugerechnet wurde, und doch sehe ich gerade in seinem Angesicht die Herrlichkeit Gottes.
Ich sehe Ihn dort in Folge der Hinwegnahme meiner Sünde, weil Er meine Erlösung vollbracht hat.
Ich könnte Christus in der Herrlichkeit nicht sehen, wenn noch eine Spur oder ein Flecken von Sünde
zurückgeblieben wäre. Je mehr ich die Herrlichkeit sehe, desto mehr sehe ich die Vollkommenheit
des von Christus vollbrachten Werkes und der Gerechtigkeit, in welcher ich angenommen bin. Jeder
Strahl dieser Herrlichkeit wird im Angesicht dessen gesehen, der meine Sünden als seine eigenen
bekannt hat und für sie am Kreuz gestorben ist – im Angesicht dessen, der Gott auf Erden verherrlicht
und das Werk vollbracht hat, das Ihm vom Vater zu tun gegeben war. Die Herrlichkeit, die ich sehe,
ist die Herrlichkeit der Erlösung. Weil Er hinsichtlich der Sünde Gott auf der Erde verherrlicht hat –
„ich habe dich verherrlicht auf der Erde, das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast,
dass ich es tun sollte“ (Joh 17,4), – so hat Gott Ihn bei sich selbst droben verherrlicht.
Wenn ich Ihn in jener Herrlichkeit sehe, so sehe ich, anstatt meiner Sünden, die köstliche Tatsache,
dass sie nicht mehr vorhanden sind. Ich weiß, dass meine Sünden auf den Mittler gelegt, dass sie auf
dem Kopf des Bockes Asasel bekannt und weggetragen worden sind (3. Mo 16). Gott ist hinsichtlich
meiner Sünden in so vollkommener Weise verherrlicht worden, (d. h. durch das, was Christus für
meine Sünden getan hat) dass gerade dieses Christus das Recht verschat hat, zur Rechten Gottes zu
sein. Ich fürchte mich nicht, Christus dort anzuschauen. Wo sind meine Sünden jetzt? Wo sind sie
zu nden? Im Himmel oder auf Erden? Ich sehe Christus in der Herrlichkeit. Einst wurden sie auf
dem Haupt dieses Gesegneten gefunden; aber sie sind verschwunden und nie mehr zu nden. Würde
ich, umso zu sprechen, einen toten Christus sehen, so könnte ich befürchten, dass meine Sünden
wieder gefunden würden; da aber Christus in der Herrlichkeit lebt, so sucht man vergebens. Er, der
sie alle getragen, ist zum Thron Gottes aufgenommen worden, und dort kann keine Sünde sein; und
die praktische Folge davon ist, dass ich in sein Bild verwandelt bin. „Wir alle aber, mit aufgedecktem
Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von
Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist.“ Der Heilige Geist nimmt die Dinge
Christi und oenbart sie der Seele: das ist die Kraft der gegenwärtigen praktischen Gleichförmigkeit
mit Christus. Ich habe meine Wonne an Ihm; ich nähre mich von Ihm; ich liebe Ihn. Diese Oenbarung
Christi durch den Heiligen Geist ist für meine Seele das Muster und bildet sie Christus gemäß. Nicht
nur lerne ich die Herrlichkeit lieben, sondern ich liebe Christus selbst; Ihn bewundere ich, an Ihm
habe ich meine Wonne, sein Fleisch esse ich, sein Blut trinke ich, – hat man sich da zu wundern, dass
ich Ihm gleich bin? Auf diese Weise wird der Christ ein Brief Christi; er redet für Ihn, er erkennt Ihn
an, er handelt für Ihn. Er trachtet nicht danach, reich zu werden; er besitzt Reichtümer in Christus,
unausforschliche Reichtümer. Er hat kein Verlangen nach den Vergnügungen der Welt; er „hat
Lieblichkeiten zur Rechten Gottes immerdar.“
Sagt dein Herz noch: „Ach, ich sehe diese Abschrift nicht in mir und kann sie nicht sehen.“ Es ist wahr,
aber du siehst Christus, und ist das nicht besser? Das von Gott bestimmte Mittel meines Wachstums
zur Ähnlichkeit Christi ist nicht, dass ich auf mich selbst, sondern dass ich auf Christus blicke. Wenn
ich das Werk eines großen Künstlers nachbilden will, wird es mir gelingen, wenn meine Augen stets
auf meine Kopie gerichtet sind, und ich mich im Bedauern über den verfehlten Versuch verliere?
Gewiss nicht; wohl aber wenn ich auf mein Vorbild blicke, wenn meine Augen darauf gerichtet
bleiben, wenn ich den verschiedenen Punkten nachspüre und in den Geist der Sache eindringe. Welch
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  “Wir werden verwandelt nach demselben Bild“
ein Trost ist das! Da der Heilige Geist meiner Seele Christus in der Herrlichkeit als die Versicherung
meiner Annahme oenbart hat, so kann ich diese Herrlichkeit ohne Furcht und darum unverwandt
und unverhüllt anblicken und der Fülle ihres Glanzes mich erfreuen. Stephanus (Apg 7), der voll des
Heiligen Geistes war, konnte unverwandt gen Himmel schauen (ohne Zweifel geschah es bei ihm
mit mehr als gewöhnlicher Kraft), und die Herrlichkeit sehen und Jesus, stehend zur Rechten Gottes;
und sein Angesicht leuchtete wie das Angesicht eines Engels. Betrachten wir sein Sterben, so sehen
wir, dass er gleich seinem Meister für seine Mörder betet. Stephanus starb, indem er sagte: „Herr,
rechne ihnen diese Sünde nicht zu.“ Christus sprach sterbend: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen
nicht, was sie tun.“ Wir sehen in ihm den Ausdruck der Liebe Christi zu seinen Feinden. Durch den
Heiligen Geist war er, und zwar auf eine sehr gesegnete Weise, in dasselbe Bild verwandelt.
Die Seele, in Bezug auf Gott in völliger Freiheit, blickt voll Friede und Glück auf die Herrlichkeit
Gottes im Angesicht Jesu Christi, und weil sie diese Herrlichkeit sieht und ihren „Abdruck“ kennt
(Heb 1,3), so wandelt sie in heiligem Vertrauen vor Gott. Anstatt bei Satan und in der Welt Satans
glücklich und frei zu sein, hat der Christ einen Abscheu vor Satan, weil er sich selbst kennt. Voll von
Ruhe in der Gegenwart Gottes, wird er erfüllt mit der Gesinnung, die dieser Gegenwart entspricht,
und wird der „Brief Christi“ für die Welt, indem er allen, gegenüber kundgibt, dass er dort gewesen ist.
Welch ein Unterschied ist das! Mochten wir uns immer mehr seiner rühmen, in dessen Angesicht all
diese Herrlichkeit entfaltet ist – des Lammes, das für uns gestorben und das uns mit seinem eigenen,
kostbaren Blut von unseren Sünden gereinigt hat! J. N. D.
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  “Er wird in euch sein“
“Er wird in euch sein“
In Apostelgeschichte 7,55–56 werden zwei Tatsachen auf klare Weise ans Licht gestellt, nämlich dass
der Sohn des Menschen im Himmel verherrlicht ist, und dass der Heilige Geist in dem Gläubigen auf
der Erde wohnt. Das letztere ist von Seiten Gottes das Zeugnis und die Antwort auf das Erlösungswerk
und die Verherrlichung des Herrn Jesus Christus. Das kostbare Blut Christi hat uns von allen unseren
Sünden gereinigt und also dem Heiligen Geist Bahn gemacht, um in uns wohnen zu können. Diese
Wahrheit tritt auf sehr schöne Weise in den Handlungen Gottes mit seinem Volk ans Licht. Er wohnte
nicht bei ihnen, ehe das Lamm geschlachtet und das Blut auf sie gesprengt war; sobald aber auf
diesem Weg das Volk mit Gott versöhnt war, schlug Er sein Zelt bei ihnen auf und wohnte in ihrer
Mitte. Jetzt wohnt Er durch seinen Geist in seinem Volk, das im Blut Christi gereinigt und versöhnt
ist. Zu denen, die „abgewaschen“, „geheiligt“ und „gerechtfertigt“ sind, wird gesagt: „Wisst ihr nicht,
dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr
nicht euer selbst seid? Denn ihr seid um einen Preis erkauft; verherrlicht nun Gott an eurem Leib“
(1. Kor 6,20).
Der Umstand, dass Christus, nachdem Er die Sünden und das Gericht seines Volkes im Tod getragen
hat, jetzt im Himmel verherrlicht ist, und dass der Heilige Geist in den Seinen auf der Erde wohnt,
unterscheidet die gegenwärtige Zeitperiode von allen übrigen. Die Heiligen des Alten Testaments
hatten nicht den in dem Himmel verherrlichten Sohn des Menschen zu ihrem gesegneten Gegenstand,
noch wohnte der Heilige Geist in ihnen auf der Erde; „denn Er war nicht, weil Jesus noch nicht
verherrlicht worden war“ (Joh 7,39). „Es ist euch nützlich, dass ich hingehe; denn wenn ich nicht
hingehe, so wird der Sachwalter nicht zu euch kommen, wenn ich aber hingehe, so will ich Ihn zu
euch senden“ (Joh 16,7). In den Gedanken vieler Kinder Gottes herrscht in Bezug auf die Wahrheit
der Gegenwart des Geistes in ihnen eine große Verwirrung. Sie machen keinen Unterschied zwischen
dem, was Er der Seele mitteilt, und seiner persönlichen Gegenwart in ihnen. Was Er mitteilt, ist das
göttliche Leben; aber das ist Er nicht selbst. Was mir jemand gibt, ist etwas ganz anderes, als was er
selbst ist. Es ist sehr verschieden, ob die Person, von der ich eine Wohltat empfange, in einer gewissen
Entfernung von mir sich aufhält, oder ob sie bei mir, in meinem Haus, wohnt. Ist es nicht etwas
anderes, göttliches Leben durch den Geist zu besitzen, oder Ihn selbst in sich wohnend zu haben,
indem unsere Leiber zu seinen Tempeln gemacht und unsere Herzen auf unseren verherrlichten
Herrn in dem Himmel gerichtet sind? Der treue Überrest, der dem Herrn in Israel nachfolgte, war
geboren aus dem Geist und hatte göttliches Leben; aber an demselben Tage, wo der Herr gen Himmel
fuhr, versammelten sie sich in Jerusalem, um nach dem Befehl des Herrn die Ausgießung des Geistes
zu erwarten (Lk 24,49; Apg 1,2). Und nach dem Pngstfest war Kornelius schon geboren aus dem Geist
und besaß göttliches Leben, ehe er die Botschaft der Errettung von Petrus hörte und den Heiligen
Geist empng; und die zwölf Jünger in Apostelgeschichte 19 hatten nicht einmal gehört, ob der
Heilige Geist sei. Diese Jünger zogen die Existenz des Heiligen Geistes nicht in Frage; jeder fromme
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  “Er wird in euch sein“
Jude glaubte daran. Das Alte Testament hatte sein Kommen vorausgesagt und Johannes der Täufer
Ihn angekündigt; aber sie hatten nicht gehört, dass Er schon gekommen war. Vor und auch nach dem
Pngstfest gab es Gläubige, die aus dem Geist geboren waren und göttliches Leben besaßen, den
Geist selbst aber nicht in sich wohnend hatten. Ein aufmerksames Lesen des Wortes Gottes wird alle
Verwirrung über diese kostbare Wahrheit beseitigen. So lesen wir in Epheser 1,13–14: „Auf welchen
(Christus) auch ihr gehot, nachdem ihr gehört habt, das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures
Heils, in welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist
der Verheißung, welcher ist das Unterpfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen Besitzes,
zum Preis seiner Herrlichkeit“ (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6; 2. Kor 1,21–22).
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
Das Buch der Erfahrung – Teil 5/5
Kapitel 4,8–23
Die Ermahnungen der Brief endigen mit dem 9. Verse dieses Kapitels. – Wir haben bereits gesehen, in
welcher Weise der Christ in völliger Überlegenheit über alle Umstände wandeln soll. Dieser Charakter
der Macht des Geistes Gottes zieht sich durch den ganzen Brief hindurch. Der 8. Vers zeigt uns die
Wirkung dessen, wovon wir weiter oben gesprochen haben: „Freut euch in dem Herrn allezeit!“
„Lasst eure Gelindigkeit kund werden allen Menschen!“ „Seid um nichts besorgt, sondern in allem
lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden, und der Friede
Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christus Jesus.“
Das Herz ist freigemacht; denn der Friede Gottes, der unerschütterlich ist, bewahrt das Herz und die
Sinne. Für Gott gibt es nichts Neues oder Unbekanntes. Er ist stets in Frieden und „wirkt alles nach
dem Rat seines Willens.“ Auf diese Weise ist das Herz in Ruhe gebracht und frei, sich mit alle dem zu
beschäftigen, was liebreich und gesegnet ist.
Es ist von großer Wichtigkeit für den Christen, die Gewohnheit zu haben, in dem zu leben, was gut
ist in dieser Welt, wo wir notwendigerweise mit dem Bösen zu tun haben. Wir selbst waren ehemals
böse; nur Böses war im Herzen, in den Gedanken und in der Gesinnung; und auch jetzt gibt es noch
Böses, nicht nur in der Welt, sondern auch in unseren Herzen, und wir haben es da zu richten, wo es
sich wirksam zeigt. Aber es ist nicht gut, stets mit dem Bösen beschäftigt zu sein; es verunreinigt
uns sogar, wenn wir es richten. Wir sehen in 4. Mose 19, dass derjenige unrein war, der sich mit
der Asche der roten Kuh zu beschäftigen hatte. Er verrichtete wirklich einen Dienst, indem er die
Asche sammelte und sie außerhalb des Lagers an einen besonderen Ort trug, aber nichtsdestoweniger
war er unrein bis an den Abend; und dasselbe war der Fall bei demjenigen, der mit dem Wasser
der Reinigung besprengte. Sogar das Richten des Bösen verunreinigt unsere Gedanken. In manchen
Herzen ist die Neigung vorhanden, sich mit dem Bösen zu beschäftigen; allein es ist nicht gut, stets
darin zu beharren. Ich spreche selbstredend nicht von einem wirklichen Leben in dem Bösen, sondern
von dem Richten desselben, sei es auch nur in den Gedanken. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass
der Ton und die Stimmung des Herzens der Art sei, dass man seine Wonne in den Dingen ndet,
worin Gott sie ndet. Selbst in dem Gefühl, das Böse als Böses zu richten, ist das Herz nicht glücklich.
Wir sind berufen, jetzt so zu leben, als wären wir mit Gott im Himmel. Hat Gott im Himmel Böses zu
richten? Wir wissen, dass es nicht der Fall ist, und für unsere Seelen ist es sehr wichtig, mit dem
Herrn droben zu sein und nicht nur die Dinge zu tun, die Ihm Wohlgefallen, sondern auch in einem
Zustand zu sein, an dem Er seine Wonne haben kann. Lasst uns nur auf einen Tag zurückblicken und
uns fragen, ob unser Herz in den Dingen gelebt hat, die „liebreich und wohllautend“ sind. Das ist es,
wovon der Apostel hier spricht. Ist es die Gewohnheit unseres Herzens, bei dem zu verweilen, was
gut ist? Das Böse dringt in unseren Tagen von allen Seiten auf uns ein, aber es ist nicht gut, dabei
zu verweilen, sich viel damit zu beschäftigen. Es schwächt den Geist – der Gedanke daran gibt ihm
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
keine Kraft. Da wo ein geistlicher Zustand vorhanden ist, kann das Böse Abscheu erwecken; aber
selbst wenn wir das Böse richten, wird es nie in der rechten Weise geschehen, wenn das Herz nicht
bei dem verweilt, was gut ist. Wir möchten begehren wie die Jünger damals, Feuer vom Himmel
fallen zu lassen, während Christus nur nach einem anderen Dorf geht.
Christus wandelte in der völligen Kraft der Gemeinschaft in dem, was gut ist, inmitten des Bösen,
obgleich Er sich mit demselben zu beschäftigen hatte. Er war genötigt, zu sagen: „Wehe euch,
Schriftgelehrte und Pharisäer!“ (Mt 23,13) Auch wir haben uns mit dem Bösen zu beschäftigen; doch
wird es nie in der rechten Weise geschehen, wenn wir nicht in dem leben, was gut ist. Es würde nie
Sanftmut vorhanden sein – ich rede von der Sanftmut der Gnade und nicht von der Sanftmut gegen
das Böse, denn dieses sollen wir mit Entschiedenheit richten. Paulus musste sagen: „Ich wollte, dass
sie auch abgeschnitten würden, die euch aufwiegeln“ (Gal 5,12). Hierin liegt keine Sanftmut, und
dennoch ist auch dieses Wort in Liebe gesprochen. Kommen wir in den Fall, das Böse richten zu
müssen, so soll es in der Kraft des Guten geschehen, das in uns ist; dies ist der Pfad, auf welchem
unsere Seelen zu wandeln berufen sind: „Im Übrigen, Brüder, alles was wahrhaftig, alles was ehrbar,
alles was gerecht, alles was rein, alles was liebreich, alles was wohl lautet, wenn es irgendeine Tugend
und wenn es irgendein Lob ist, dieses erwägt.“ Der Herr gebe, geliebte Brüder, dass wir uns stets
hieran erinnern! Gott mag das Böse zu richten haben, allein Er bleibt in dem, was gut ist.
Der Apostel fügt hinzu, und wie gesegnet ist es für einen Menschen, der fähig ist, so zu sprechen:
„Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott
des Friedens wird mit euch sein.“ Beachten wir, dass dies der Weg ist, den Gott des Friedens „mit
uns“ zu haben. Wenn wir unsere Anliegen auf Gott werfen, so sagt er: „Der Friede Gottes, der allen
Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christus Jesus;“ das aber, wovon
hier die Rede ist, ist weit mehr. Paulus hatte einen ganz besonderen Platz; er war mit dem Geist Gottes
erfüllt, obgleich er der vornehmste Sünder war, wie er sagt. Allein er trug allezeit das Sterben Jesu an
seinem Leib umher, so dass er sagen konnte: „So denn wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch“
(1. Kor 4,7–12). Es war etwas Großes, so sprechen zu können. Er bedurfte eines Dorns im Fleisch, um
ihn zur Ausübung eines solchen Dienstes zu befähigen; denn von Natur war sein Fleisch durchaus
nicht besser als das unsrige. Er sagte nicht nur: „Ich bin gestorben“, sondern er trug allenthalben den
Tod im Fleisch mit sich umher, so dass es sich nicht regte. Er war, wie wir wissen, ein auserwähltes
Gefäß, und er trug den Tod im Fleisch durch die Gnade und Kraft Christi mit sich umher. Aber er
tat es wirklich, und darum wird die Sünde, wie wir schon im Anfang bemerkten, in der Brief an die
Philipper nie erwähnt, weil uns diese die eigentliche Erfahrung des christlichen Lebens darstellt; die
Lehre wird kaum darin berührt. Paulus spricht durchweg im Bewusstsein seiner Erfahrung.
Wenn ich Christus nach zu wandeln trachte, muss ich mich selbst für tot halten. Ich sage nie: Ich
muss sterben, weil das eine Wirksamkeit des Fleisches voraussetzen würde. Ohne Zweifel ist das
Fleisch da, aber ich sage: es ist tot. Ich verstehe jemanden sehr wohl, der einen Zustand durchmacht,
in welchem er lernt, was das Fleisch ist; dieser Zustand kann von längerer oder kürzerer Dauer sein.
Wenn aber eine Seele gänzlich gedemütigt ist und sagt: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt
nichts Gutes“ (Röm 7,18), dann kann Gott sagen: Halte dich der Sünde für tot und erlaube ihr nicht,
über dich zu herrschen (Siehe Röm 6,11 .). Die Quelle, aus welcher alle Macht hervorströmt, ist
diese: „Ihr seid gestorben.“ Das ist die Grundwahrheit hinsichtlich der Befreiung. Dieselbe tritt ein,
wenn wir durch die Macht des Geistes Gottes uns selbst für tot halten. Jedoch ist dieses nur der Fall
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
für den Glauben. Christus ist in Macht gegenwärtig; ich halte mich für tot und kann alsdann in Kraft
handeln.
„Dies ist das Zeugnis, dass Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem
Sohn“ (1. Joh 5,11). Ist das aber alles? Nein; denn angenommen, das Leben wäre vorhanden und die
alte Natur noch lebendig, so würde einerseits nur unaufhörlicher Kampf zwischen beiden bestehen,
und andererseits, wenn ich nicht die Macht des Geistes Gottes besäße, die erworbene Befreiung von
der Sünde nicht vorhanden sein. Falls ich aber jene Macht besäße, so würde doch der Kampf bleiben.
Nur wenn ich sage, dass ich wirklich tot bin, ist meine Befreiung von der Wirksamkeit des Fleisches
völlig verwirklicht. In der Macht und dem Besitz dieses Lebens sagt der Apostel: „Ich bin gestorben.“
und wenn er es praktisch verwirklicht, so sagt er: „Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend“
(2. Kor 4,10). Ich habe Christus als Gerechtigkeit von Gott und als Leben in mir empfangen und
behandle das alte Leben als tot. Nicht nur besitze ich das Leben, sondern ich bin auch gestorben, so
dass es sich zwischen dem alten und neuen Leben nicht um die Frage handelt, wer die Oberhand
haben wird. Dies ist freilich solange der Fall, bis ich die Entdeckung gemacht habe, dass im Fleisch
nichts Gutes wohnt, und dass ich in Christus mit gestorben bin; alsdann erkenne ich nicht nur, dass
ich Böses getan habe, sondern auch, dass der Baum selbst, der alte Mensch, schlecht ist, und dass
Christus, unser Leben, eben sowohl der Sünde als auch für die Sünden gestorben ist (Röm 4,25; 6,10);
und wenn ich den alten Menschen für tot halte, so nde ich die Freiheit.
Ich sage nicht, dass ich die Vergebung nde, sondern die Befreiung. „Das Gesetz des Geistes des
Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2).
Ohne Zweifel kann ich fehlen und für einen Augenblick unter die Macht der Sünde gebracht werden;
allein ich bin in keiner Weise deren Schuldner. Auf welche Art hat Gott die Sünde im Fleisch verurteilt:
Im Tod. Dann bin ich frei; ich habe das Leben und behandle den alten Menschen als tot. Wir sind
berufen, dieses Leben Jesu allezeit zu oenbaren. Indem ich im Glauben das Sterben Christi festhalte,
habe ich das Kreuz für das Fleisch gefunden. Der Apostel sagt: Der Tod Christi wirkt in mir, dem
alten Paulus, und so strömt nur das Leben Christi für euch hervor, und er sagt: Geht hin und tut
desgleichen. „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut,
und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ Gott selbst wird dann bei euch gegenwärtig sein.
Wie wunderbar ist dieses, geliebte Brüder! Das Leben Christi ist gegeben, das Fleisch wird für tot
gehalten, und wir wandeln demgemäß. Wird sich Gott auf diesem Pfad fern von uns halten? Nein;
„der Gott des Friedens wird mit euch sein.“
Es ist bemerkenswert, wie oft Gott „der Gott des Friedens“ genannt wird, während Er niemals der
Gott der Freude heißt. Die Freude ist veränderlich. Wir freuen uns, wenn wir eine gute Botschaft
vernehmen, und doch kann auch Traurigkeit vorhanden sein. Es ist wirklich Freude im Himmel über
einen Sünder, der Buße tut, weil dies dort eine gute Botschaft ist; aber die Freude ist nicht die Natur
Gottes wie der Friede. Sie ist eine Gemütsbewegung. Der Mensch ist ein armes, schwaches Geschöpf.
Er hört gute Nachrichten und freut sich; er hört schlechte und ist traurig. So ist die menschliche Natur
bald oben, bald unten. Gott aber ist „der Gott des Friedens.“ der Friede geht viel tiefer als die Freude.
Betrachten wir die Welt und das menschliche Herz; sehen wir dort jemals Frieden? Wir nden die
Freude selbst in der tierischen Natur, z. B. bei einem Hund, der von seiner Kette losgelassen wird.
Wir mögen in der Welt eine Art von Freude sehen, aber da ist kein Friede; das Herz des Menschen ist
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
wie ein aufgewühltes Meer, das nicht ruhig sein kann (Siehe Jes 57,20). Man rennt unaufhörlich nach
Vergnügen und nennt dies Freude. Die Welt ist eine ruhelose Welt, und wenn sie unermüdlich nach
dem hascht, was sie wünscht, so geschieht es, weil sie es nicht nden kann. Wir werden in dieser
Welt nie Frieden nden, es sei denn, dass Gott ihn gibt.
Wenn wir in der Kraft des Lebens Christi wandeln, so ist der Gott des Friedens mit uns. Wir haben
das Bewusstsein seiner Gegenwart; das Herz ist in Ruhe. Da ist kein Trachten nach etwas, das wir
noch nicht erlangt haben. Selbst unter Christen sehen wir Personen, die keinen Frieden haben, weil
sie nach dem suchen, was sie nicht besitzen, und das ist kein Friede. Genießen wir aber das, was in
Ihm ist, obgleich wir sicher danach trachten, Ihn besser kennen zu lernen, so bendet sich das Herz
in einer glückseligen Ruhe, und das ist Friede. Es ist gesegnet, solch ein Heiligtum in dieser Welt –
„den Gott des Friedens“ – mit uns zu haben.
Wir sehen, wie Paulus Wer alle Umstände erhaben ist. Er hatte Mangel gelitten, obwohl er sich in einer
gewissen freien Gefangenschaft befand, und sein Herz fühlte es. „Ich habe mich aber sehr gefreut
im Herrn, dass ihr jetzt einmal wiederaufgelebt seid, endlich an mich zu denken.“ Er sagt „endlich“,
als wenn die Philipper ihm gegenüber ein wenig nachlässig gewesen wären; aber voll schonender
Zartheit gegen sie, nimmt er das Gesagte sogleich wieder zurück, indem er hinzufügt: „wiewohl ihr
auch früher meiner gedachtet, aber keine Gelegenheit hattet.“ Die Überlegenheit des Christen ist
nie Gefühllosigkeit, anders wäre sie keine Überlegenheit. In allen Umständen ist sein Herz frei, um
der Gnade des Herrn Jesus Christus gemäß zu handeln, und Er war niemals gefühllos. Wir sträuben
uns gegen die Umstände; unsere armen, selbstsüchtigen Herzen möchten den Leiden aus dem Weg
gehen. Er aber blieb sich immer gleich in den Umständen, so dass man sagen kann: Christus war
ohne Charakter. Er war immer derselbe. In allen Umständen hatte Er vollkommenes Mitgefühl, aber
Er wurde nie durch dieselben beherrscht; Er war immer in der Kraft seiner eigenen Gnade inmitten
derselben. Wir sehen Ihn nie teilnahmslos. „Als Er die Menge sah, ward Er innerlich bewegt über sie;“
als Er die Bahre sah, auf welcher man den einzigen Sohn der Witwe hinaustrug, „ward Er innerlich
bewegt über sie“, und am Grab des Lazarus „seufzte Er tief im Geist und erschütterte sich“ – ein sehr
starker Ausdruck: Er erschütterte sich innerlich. Die Macht des Todes inmitten des Ihn umgebenden
Volkes lastete auf seinem Geist. Wo Er sich auch benden mochte – Er war nie gefühllos, sondern
blieb immer derselbe in Gnade in Bezug auf alles, was sein Mitgefühl in Anspruch nahm. Auf dem
Kreuz hatte Er das rechte Wort für den Räuber. Selbst als Er genötigt war, zu sagen: „Bis wann soll
ich bei euch sein und euch ertragen?“ (Lk 9,41) fügte Er sogleich hinzu: „Bringe deinen Sohn her.“
Sein Mitgefühl war vollkommen, das unsrige ist es nie; seine Gnade war für jeden Ruf bereit. Wir
sollten danach trachten, das zu sein, was sich in Christus oenbart, indem wir alle Umstände völlig
mitfühlen, doch so, dass sie Ihm in uns begegnen und Er oenbart werde.
Wir haben gesehen, wie Paulus das verbesserte, was er gesagt hatte: „Ihr seid jetzt einmal wieder
aufgelebt, endlich an mich zu denken“, indem er hinzufügt:„wiewohl ihr auch früher meiner gedachtet,
aber keine Gelegenheit hattet.“ Wir nden nicht, dass der Herr Jesus sich je zu verbessern hatte.
Paulus war „ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“; er konnte nicht in Troas bleiben,
wiewohl ihm eine weite Tür zur Predigt des Evangeliums geönet war; er hatte keine Ruhe in seinem
Geist, weil er Titus nicht fand. Auch in Mazedonien hatte sein Fleisch keine Ruhe; und von jenem
Brief, in welcher er uns inspirierte Anweisungen für die Versammlung gibt, ohne die wir uns in
derselben nicht zu verhalten wüssten, sagt er, er bereue nicht, sie geschrieben zu haben, wiewohl er
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
es bereut habe; und doch war er zum Schreiben derselben inspiriert worden. Als er daran gedachte,
dass sich alle Korinther gegen ihn gewendet hatten, sank sein Mut unter die Stellung hinab, in der er
sich befand.
In gewissem Sinn ist es gesegnet für uns, dass er, obwohl ein Apostel, uns so ähnlich war; bei dem
Herrn aber ist nichts Derartiges zu nden. Er war vollkommen mitfühlend; in allen Umständen
gewähren wir die Vollkommenheit seines Mitgefühls, während der Apostel zeigt, dass er ein Mensch
war, obwohl es interessant ist, zu sehen, wie sich sein Mitgefühl äußerte.
Ferner sehen wir, dass Paulus erhaben war über alle die Umstände, in welchen er sich befand. „Ich
sage das nicht des Mangels halben, denn ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen . . . alles
vermag ich in dem, der mich kräftigt.“ Für uns, geliebte Freunde, ist die Macht hineingekommen.
Man hört es oft als eine absolute Wahrheit aussprechen, dass wir durch Christus alles vermögen;
doch ich frage dich: Vermagst du alles? Du antwortest mir: Nein, ich nicht; ich sage nur: man vermag
alles. Darin hast du ganz recht; als absolute Lehre ist es völlig wahr, aber es ist nicht das, was der
Apostel meint. Er sagt, dass er alles vermöge. Er hatte es gelernt. Für ihn war dies nicht nur eine
Redeweise, sondern sein wirklicher Zustand. „Ich weiß sowohl satt zu sein als zu hungern.“ Bin ich
satt, so bewahrt der Herr mich vor der Gleichgültigkeit und der Selbstbefriedigung. Bin ich hungrig,
so bewahrt Er mich vor Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit. Bei Paulus hieß es nicht: man
vermag, sondern ich habe Christus in jeder Lage so ausreichend gefunden, dass ich durch keine
derselben beherrscht werde. Er war mit Ruten geschlagen worden; von den Juden hatte er fünfmal
vierzig Streiche weniger einen erhalten; er war gesteinigt worden und hatte alle möglichen Umstände
durchgemacht; aber in allem hatte er Christus als genügend gefunden. Du denkst vielleicht: Paulus
war ein gereifter Christ, und am Ende seines Lebens konnte er wohl so sprechen. Aber hätte er
Christus nicht von Anfang bis zu Ende völlig ausreichend gefunden, dann hätte er am Ende seiner
Laufbahn nicht so sprechen können. Der Glaube rechnet auf Christus vom Beginn des christlichen
Lebens an. Dies ist der Grundsatz, den wir im 23. Psalm nden. Nachdem der Psalmist durch alles
hindurchgegangen war, sagte er: „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle die Tage meines
Lebens, und ich werde wohnen im Haus Jehovas in Länge der Tage.“ Im Überuss oder im Mangel
werde ich jederzeit nden, dass Er genügt. Um aber im Stande zu sein, diese Erfahrung am Ende der
Laufbahn zu machen, muss man sie auf dem ganzen Weg gemacht haben.
Du magst denken: Paulus war ein Apostel; er war ein außerordentlich gesegneter Mann, hoch erhaben
über das Böse, das mich umgibt. Dem aber war nicht so. Als er schrieb, hatte er einen Dorn im Fleisch,
und obwohl dieser ihm keine Kraft gab, so wurde er doch dadurch zum Bewusstsein seines Nichts
gebracht, worin die Kraft sich erweisen konnte. Der Herr wollte den Dorn nicht wegnehmen, als
Paulus Ihn darum bat; Er antwortete ihm: „Meine Gnade genügt dir.“ Der Dorn schien für Paulus ein
Hindernis zu sein; doch wenn Paulus predigte, so oenbarte sich die Macht Christi und nicht die des
Apostels. Ich erwähne dies alles, damit man nicht denken möge, Paulus sei von den Schwierigkeiten
und den Fallstricken des Fleisches frei gewesen. Gott hatte ihn in den dritten Himmel entrückt, und
dieses außerordentliche Vorrecht brachte ihn in Gefahr, sich zu erheben, deshalb sandte ihm Gott
einen Dorn, um ihn zu nichts zu machen, und also wurde Gottes Kraft in Schwachheit vollbracht.
Die göttliche Kraft kann nicht da sein, wo die menschliche ist. Wäre es menschliche Kraft gewesen,
so würden die durch Paulus bekehrten Seelen wertlos gewesen sein; die durch Gott bekehrten aber
waren des ewigen Lebens würdig. Es ist eine wichtige Sache, zu nichts gemacht zu sein. Wenn wir
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
nicht wissen, wie wir dazu gelangen sollen, so muss Gott uns zu nichts machen. Wer demütig ist, hat
nicht nötig, gedemütigt zu werden.
Paulus war von Christus abhängig – vollständig abhängig von Ihm – und wir sehen die unfehlbare
Treue Christi gegen ihn. Aber ich wiederhole es, der Apostel hätte am Ende seiner Laufbahn nicht
sagen können: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“, wenn dieses nicht seine Erfahrung auf
dem ganzen Wege gewesen wäre. Es ist ein gesegnetes Zeugnis. Christus ist überall genug für uns,
aber Er muss uns zur Aufrichtigkeit bringen. Die Seele muss in ihrem wirklichen Zustand vor Gott
sein. Solange nicht mein Gewissen dahin gebracht ist, wo ich mich wirklich bende, solange es nicht
zum Bewusstsein meiner Entfremdung von Gott und meiner Untreue gegen Ihn gekommen ist, ist es
nicht aufrichtig. Aber ist es einmal dahingelangt, so sagt Gott: Ich habe dich jetzt an den rechten
Platz gebracht, jetzt kann ich dir helfen. Hiob sagt: „Wenn das Ohr mich hörte, pries es mich; wenn
das Auge mich sah, zeugte es von mir; denn ich befreite den Elenden, der da rief, und die Waisen
und den, der keinen Helfer hatte.“ Ich tat dieses, ich tat jenes. – Gott aber sagt: So geht es nicht; es
heißt immer: ich und mich. So übergab ihn Gott den Händen Satans, bis er den Tag seiner Geburt
veruchte und sagte: „Nun sieht dich mein Auge; darum verabscheue ich mich.“ Jetzt sagt Gott: So
geht es; jetzt kann ich dich segnen. Und Er segnete ihn. Gott will nicht nur, dass wir unser Haupt
über dem Wasser halten, sondern dass wir in der Kraft seiner Gnade wandeln.
„Ihr wisst aber auch, ihr Philipper, dass im Anfang des Evangeliums, als ich aus Mazedonien wegging,
keine Versammlung mir mitgeteilt hat in Betre des Gebens und Empfangens, als nur ihr allein.
Denn auch in Thessalonich habt ihr mir ein– und zweimal für meine Notdurft gesandt.“ Die Liebe
ist niemals vergesslich; sie zeichnet jede Dienstleistung auf. Der Apostel bewahrte mit Sorgfalt die
Erinnerung an alles das, was man ihm erwiesen hatte. Gott hat Wohlgefallen an jedem Dienst, den
man seinen Heiligen erweist; Er erfreut sich sogar an dem, was man an der Welt tut.
„Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus
Jesus.“ Beachten wir die Innigkeit, welche in dem Ausdruck „mein Gott“ liegt. Er ist sehr bezeichnend;
es ist, als ob Paulus sagen wollte: ich kenne Ihn; ich kann für Ihn antworten; ich habe alle möglichen
Umstände durchgemacht, und ich kann dafür bürgen, dass Er mich nie im Stich gelassen hat. Ich
weiß, wie Er selbst in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens handelt.
Es ist etwas Großes, Gott täglich und stündlich zu vertrauen, indem wir nicht denken, dass wir selbst
für uns sorgen und uns vor der Macht des Bösen sicheren können, sondern indem wir Gott völlig
vertrauen. Und welches ist das Maß seiner Hilfe? Nichts weniger als „Sein Reichtum in Herrlichkeit
in Christus Jesus.“ Er muss sich selbst verherrlichen, sogar durch den Fall eines Sperlings; denn bei
Gott ist nichts groß und nichts klein. Er denkt an das, worin seine Liebe sich verherrlichen muss.
„Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen.“ Wie konnte Paulus dieses sagen? Er kannte Ihn. Nicht
als ob er keinen Mangel erlitten hätte, aber er hatte die Köstlichkeit der Durchhilfe Gottes dann
erfahren. Die Umstände mögen sehr dunkel scheinen; aber wir haben immer die Erfahrung gemacht,
dass, wenn Er uns durch die wasserleere Wüste führte, Er dort Wasser für uns aus dem Felsen
hervorsprudeln ließ. Er übt stets den Glauben, aber Er kommt ihm immer entgegen. „Ich habe euch 40
Jahre in der Wüste geführt; eure Kleider sind nicht an euch veraltet, und der Schuh ist nicht veraltet
an deinen Füßen“ (5. Mo 29,5). Das ist ein gesegnetes Ergebnis.
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  Das Buch der Erfahrung 5/5
„Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen.“ Der Apostelrechnet auf die Segnung für andere. Welch ein
Trost, anstatt im Schauen zu wandeln, diese Welt im gesegneten Bewusstsein dessen zu durchschreiten,
was Er für uns ist, und fähig zu sein, auch für andere auf Ihn zu rechnen. Wir fürchten uns oft,
jemanden zu überreden, den Weg des Glaubens zu betreten, allein wir sollten uns nicht fürchten,
sondern vielmehr auf die Gnade für ihn rechnen.
Der Glaube triumphiert immer. Möge der Herr geben, dass wir allezeit auf Ihn rechnen! Dann werden
wir fähig sein, zu sagen: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“
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  Das Gesetz 1/4
Das Gesetz – Teil 1/4
Es gibt viele, die das Gesetz als die Lebensregel des Christen darstellen, ohne daran zu denken, wie
verderblich die Folgen einer solchen Lehre sind. Schon zu den Zeiten der Apostel waren jüdische
Lehrer bemüht, das Christentum zu judaisieren, d. h. jüdische Grundsätze mit den Grundwahrheiten
des Christentums zu vermengen. Eine solche Vermengung aber konnte nur dazu dienen, diese
Grundwahrheiten zu vernichten, die Gläubigen von Christus abzuziehen und in den Zustand des
Verderbens, aus dem Christus sie gerettet, zurückzuführen. Und wir sehen in der Tat in dem
gegenwärtigen, verdorbenen Zustand der Christenheit die traurigen Folgen jener Vermengung
– Folgen, die immer mehr zum Gericht reifen. Paulus sah sie voraus, und deshalb können wir leicht
begreifen, warum er der Wirksamkeit jener judaisierenden Lehrer mit einer solch schonungslosen
Schärfe, namentlich in seinem Brief an die Galater, entgegentrat, während er Zugleich den Timotheus
aufs dringendste ermahnte, festzuhalten das Bild gesunder Worte, die dieser von ihm gehört hatte
(2. Tim 1,13), und sich als einen Arbeiter darzustellen, der das Wort der Wahrheit recht teilt (Kap 2,15).
Diejenigen, welche das Gesetz zur Lebensregel des Christen machen, gründen sich vielfach auf eine
Menge von Ausdrücken, die in der Schrift nicht zu nden sind, sowie auf eine ungenaue Anwendung
von Schriftstellen. Es ist daher für den Christen höchst wichtig, durch das Wort Gottes selbst
unterwiesen zu sein. Wir hören oft Ausdrücke, wie z. B. das „moralische Gesetz“, „die Gerechtigkeit
Christi“ usw., die dem Wort ganz und gar fremd und. Und dennoch bilden diese Ausdrücke gewöhnlich
die Grundlage der Gedanken solcher, deren Anschauungen wir hier betrachten wollen. Insofern aber
diese gewohnheitsgemäßen Ausdrücke ihrem Inhalt nach schriftgemäß sind, können wir sie zulassen
und den Inhalt festhalten, obwohl wir die klarere und bessere Ausdrucksweise der Schrift vorziehen.
Ohne Zweifel sind schriftwidrige Ausdrücke der Weg zu einer schriftwidrigen Denkungsweise und
sind die Frucht derselben. Doch bin ich andererseits weit davon entfernt, wesentliche Wahrheiten
durch Wortstreit aufs Spiel zu setzen, und gebe gerne zu, dass man in Ermangelung geeigneter Worte
oft seine Zuucht zu gewöhnlich gebrauchten Ausdrücken nehmen muss, um das klar darzustellen,
was man aus innerster Seele glaubt, obwohl man solche Ausdrücke nicht in der Schrift ndet, wie
z. B. „Dreieinigkeit“, oder „gerechtfertigt allein durch den Glauben.“ Ich möchte, wie gesagt, um
keinen Preis an dem Glauben derer rütteln, welche die in diesen Worten ausgedrückten Wahrheiten
festhalten, oder über Worte streiten, durch welche Tausende von Heiligen vor uns diese Wahrheiten
ausgedrückt haben. Ebenso ist das auf die Gottheit angewandte Wort „Person“ nicht schriftgemäß;
aber man hat keine bessere Bezeichnung für jemand, welcher sendet, gesandt wird, kommt, weggeht,
dieses oder jenes will, austeilt und unterschiedliche Handlungen verrichtet. Ich zweie, ob man ein
passenderes Wort nden kann als dasjenige, wodurch die Heiligen ihre tiefe von Gott gegebene
Überzeugung des Glaubens seit Jahrhunderten ausgedrückt haben. Es ist sogar zu befürchten, dass
jemand, der ein zum Ausdruck einer Wahrheit allgemein gebrauchtes Wort bestreitet, ohne ein
besseres dafür zu haben, mit der in diesem Wort enthaltenen Wahrheit selbst streitet. Ich sage dieses,
  64
  Das Gesetz 1/4
um den Leser zu versichern, dass ich weit davon entfernt bin, einfache Seelen durch verfängliche
Schwierigkeiten, oder durch den Widerstand gegen die in den Schulen gebildeten Ausdrücke zu
verwirren. Wenn ein Diener Gottes bloß die Absicht hat, der Gefahr der Gesetzlosigkeit, welche die
Freiheit, zum Deckmantel der Bosheit macht – wozu das Fleisch, wie wir aus der Schrift wissen,
völlig fähig ist – entgegenzutreten, so werde ich gewiss nicht sein Gegner sein; und wenn er auf die
Gottseligkeit, als die notwendige Frucht des Glaubens dringt, selbst wenn er dieses das moralische
Gesetz nennt, so werde ich mich betres der Sache selbst von ganzem Herzen mit seiner Absicht
vereinigen können, obwohl ich seine unbestimmte, schriftwidrige Ausdrucksweise, seinen Mangel
an geistlicher Einsicht und Kraft bedaure, weil dieser ihn verhindert, Christus, nach der gesegneten
Weise der Schrift, zum Mittelpunkt seiner moralischen und belehrenden Ermahnungen zu machen.
Gewiss wird auch kein gegründeter und aufrichtiger Christ einen Augenblick sagen, dass solche
Ermahnungen nicht notwendig und an ihrem Platz seien; nie wird er leugnen, dass ein Christ schuldig
sei, sowohl nach den Vorschriften des Neuen Testaments zu wandeln, als auch nach dem Licht, das er
für seinen Wandel aus dem Alten Testament, sei es aus den zehn Geboten oder aus anderen Stellen,
sammeln kann. Wollte dies jemand bestreiten, so könnte ich ihn nicht als auf christlichem Boden
stehend anerkennen. Nicht dass ich mir anmaßen will, der Richter eines solchen zu sein; aber ich bin
verpichtet, die Grundsätze, die er bekennt, zu verurteilen und als äußerst böse und unchristlich zu
verwerfen. Überhaupt unterscheidet sich jemand, der irgendwie in der wahren göttlichen Kenntnis
voranschreitet, von einem ketzerisch gesinnten Menschen dadurch, dass er stets an dem moralischen
Fundament – der unbeweglichen und unwandelbaren Scheidewand zwischen Recht und Unrecht,
wie sie in der göttlichen Natur besteht und im Wort oenbart ist – festhält, während der letztere
diese Scheidewand gar nicht beachtet, oder sie ganz aus dem Gesicht verliert. Dieser Grundsatz wird
uns sehr deutlich in Römer 2,6–10 gezeigt, also gleich im Anfang eines Briefes, die so ausführlich, in
methodischer und gesegneter Weise, auf der Rechtfertigung aus Glauben und durch Gnade besteht. Es
handelt sich in dieser Stelle um den Grundsatz oder um das in Rede stehende moralische Fundament:
dass Gott gerecht ist und einem jeden vergelten wird nach seinen Werken: dem, der das Gute tut –
ewiges Leben, Herrlichkeit, Ehre und Frieden, und dem, der das Böse tut, der Wahrheit ungehorsam,
der Ungerechtigkeit aber gehorsam ist – Horn und Grimm, Trübsal und Angst.
Es könnte nun jemand die Frage erheben: „Kann denn der Mensch das Gute tun? Lehrt nicht dieselbe
Brief, dass ‚da nicht einer ist, der Gutes tut‘? Und wird nicht das ewige Leben, die Herrlichkeit usw.
dem Glaubenden aus Gnaden zu Teil? Steht nicht dieser Grundsatz mit den übrigen Belehrungen
dieser Brief oder der Schrift überhaupt im Widerspruch?“ – Der Apostel beschäftigt sich hier nicht
mit diesen Fragen und lässt sich mit keinerlei Erklärungen bezüglich der Übereinstimmung dieses
Fundamentalgrundsatzes mit den übrigen Lehren der Schrift ein, damit jener nicht etwa dadurch
geschwächt werde. Diese Übereinstimmung müssen wir in anderen Schriftstellen suchen, die uns,
wenn wir sie mit einander vergleichen, ohne Zweifel Licht darüber geben. Aber hier haben wir die
große Wahrheit in ihrer ganzen unbeweglichen und unerschütterlichen Festigkeit, gegründet auf
die Natur Gottes und die Verantwortlichkeit des Menschen. Ich mag einsehen, dass ich auf diesem
Grund in mir selbst, in meinem Zustand von Natur verdammt werden muss, ich mag meine Zuucht
zu der einzigen in der Gnade dargebotenen Honung nehmen und also nden, was sonst nirgends
zu nden ist: die Gerechtigkeit in Christus, sowie ein Leben, das, wie es in Römer 2 gefordert wird,
im Gutestun verharrt; aber es war die vorhandene, unwandelbare Gerechtigkeit, die das Finden
  65
  Das Gesetz 1/4
dieser Dinge notwendig machte, wie unendlich weit auch die erlangte Gnade und Herrlichkeit das
Maß der Verantwortlichkeit, die mich zum Suchen derselben zwang, überschreiten mag. Hierdurch
wird aber jener Grundsatz der unveränderlichen Gerechtigkeit weder zerstört, noch geschwächt. Ich
sage daher noch einmal, dass meine Einwendungen gegen die Art und Weise, in welcher man von
dem moralischen Gesetz spricht, um die Christen unter das Gesetz zu stellen, nicht aber gegen die
Aufrechthaltung moralischer Verpichtungen gedichtet sind; denn diese sind ganz an ihrem Platz.
Aber indem man sich des Ausdrucks: „moralisches Gesetz“, bedient, und zwar unter Anführung von
Schriftstellen, in denen der Apostel vom Gesetz spricht, verdreht man die Lehre des Apostels und
setzt sie praktischer Weise in höchst wichtigen Punkten bei Seite. Es handelt sich also um wesentliche
Wahrheiten, und nur aus diesem Grund, nicht aber um zu streiten, möchte ich etwas näher auf diesen
Gegenstand eingehen.
Wenn man von einem „moralischen Gesetz“ spricht, (was die Schrift nicht tut) so macht man durch
den Ausdruck selbst die Befreiung vom Gesetz zu einer gefährlichen Sache. Paulus erklärt aber, dass
der Christ vom Gesetz befreit ist. Mache ich nun aus dem Gesetz ein moralisches Gesetz, welches die
Vorschriften des Neuen Testaments und alle Moralität im Herzen und im Leben in sich einschließt,
so würde es Unsinn oder äußerst freche Gottlosigkeit sein. Zu sagen, dass man davon befreit sei.
Eins solche Befreiung könnte man sicher nicht als Christentum bezeichnen. Die Übereinstimmung
mit dem göttlichen Willen, die sich namentlich im Gehorsam gegen die Gebote kundgibt, ist sowohl
die Freude, als auch die Picht einer erneuerten Seele. Zwar hat das Wort: „Gehorsam gegen die
Gebote“, für viele etwas Abschreckendes, als schwäche es die Liebe und das innige Verhältnis zu
Christus, in welches wir als eine neue Kreatur gestellt sind; allein die Schrift lehrt uns das Gegenteil.
Der Gehorsam und das Halten der Gebote dessen, den wir lieben, ist der Beweis dieser Liebe und
die Wonne der neuen Natur. Wenn ich in allem recht handelte, und täte es nicht aus Gehorsam, so
würde ich in nichts recht handeln, weil das wahre Verhältnis und die wahre Beziehung des Herzens
zu Gott fehlte. „Denn dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten“ (1. Joh 5,3). Wir sind
geheiligt zum Gehorsam Christi (1. Pet 1,2), der uns ein Vorbild gelassen hat; denn Er selbst sagt:
„Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater
liebe und also tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh 14,30–31). Seine größte Tat der Liebe war
seine größte Tat des Gehorsams. Aber gerade deshalb ist es so verderblich, den Christen unter das
Gesetz zu stellen, die schriftgemäße Ausdrucksweise zu verändern und von dem moralischen Gesetz
als von einer, dem Christen gegebenen Lebensregel zu sprechen; und weil man diesen Ausdruck
nicht in der Schrift ndet, so führt man Aussprüche von Paulus an, die vom „Gesetz“ handeln, von
welchem wir, wie er sagt, befreit sind. Er besteht hierauf als einem Hauptgegenstand seiner Lehre. Er
erklärt nicht nur, dass aus Gesetzes Werken kein Fleisch gerechtfertigt wird, (was doch stattnden
müsste, wenn das moralische Gesetz gehalten würde, denn es heißt, „die Täter des Gesetzes werden
gerechtfertigt werden“) sondern dass wir vom Gesetz befreit sind. Der Christ ist von demselben
befreit, weil es in seinen Wirkungen verderblich ist, sobald es irgendwie auf den gefallenen Menschen
angewandt wird. Ich spreche hier nicht von dem Zeremonialgesetz,1 denn dieses konnte der Mensch
erfüllen, wie beschwerlich es auch immerhin für ihn sein mochte. Es ist das moralische Gesetz, das
in seinen Wirkungen für jeden gefallenen Sohn Adams verderblich ist. Ist die Moralität oder der
1 Das Zeremonialgesetz enthielt die Anordnungen bezüglich des jüdischen Kultus, der Opfer, der Einweihung, Kleidung
und Beschäftigung der Priester und Leviten, der Feste usw.
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  Das Gesetz 1/4
Gehorsam gegen die Gebote Christi verderblich? Das zu behaupten wäre eine Gotteslästerung und
ein Anstoß für jedes christliche Gemüt. Ich spreche vom Gesetz, von dem der Apostel in Römer 7
erklärt, dass es sich für ihn zum Tod erwiesen habe, obwohl es zum Leben gegeben war, und welches
er in 2. Korinther 3,7.9 als „einen Dienst des Todes und der Verdammnis“ bezeichnet. Ebenso sagt er
in Galater 3,10: „Denn so viele aus Gesetzes Werken sind, (d. h. auf dem Boden des Gesetzes stehen,
dessen Werke an und für sich nicht schlecht sind) sind unter dem Fluch.“ Nach der Belehrung des
Apostels bedeutet also das Gesetz etwas anderes als eine Richtschnur oder Verhaltensmaßregel.
Es ist ein Grundsatz, nach welchem Gott mit den Menschen verkehrte, und der sie unvermeidlich
vernichtete und verdammte. In dieser Art und Weise gebraucht der Geist Gottes das Gesetz in seinem
Gegensatz zu Christus; aber nie stellt er in der christlichen Lehre die Menschen unter das Gesetz,
sondern zeigt aufs sorgfältigste, dass sie von demselben befreit und ihm nicht mehr unterworfen
sind. Auch sagt die Schrift nirgendwo: Ihr seid nicht unter dem Gesetz in der einen Weise, aber ihr
seid es in einer anderen; ihr seid es nicht in Bezug auf eure Rechtfertigung, aber wohl in Bezug auf
euren Wandel. Sie erklärt ganz einfach und bestimmt, dass wir nicht unter Gesetz, sondern unter
Gnade sind, und dass derjenige, welcher unter Gesetz ist, verdammt und unter dem Fluch ist. Das
Gesetz musste seine besondere, ihm eigentümliche Kraft und Wirkung haben, und es wird in der
Schrift als ein der Gnade entgegengesetzter Grundsatz hingestellt.
Es möchte vielleicht jemand sagen: „Ihr tut uns Unrecht; wir sagen nicht, dass ein Christ unter
dem Gesetz ist, sondern dass die Verpichtungen des Gesetzes für ihn noch fortbestehen.“ Doch ich
frage: Kann mich ein Gesetz verpichten, wenn ich nicht unter ihm stehe, oder wenn ich von ihm
befreit bin? Gewiss nicht, der Apostel besteht mit aller Sorgfalt darauf, dass das Gesetz gut ist, und
dass es nicht dessen Schuld ist, wenn wir, sobald wir mit dem Gesetz zu tun haben, durch dasselbe
verdammt werden; aber er erklärt ebenso bestimmt, dass wir verdammt sind, sobald wir mit ihm zu
tun haben, und dass wir wirklich vom Gesetz befreit sind. Denn er sagt: „Wenn ihr aber durch den
Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz“ (Gal 5,18). Kurz er bedient sich des Gesetzes, um
einen Grundsatz, eine Verfahrungsweise von Seiten Gottes vorzustellen, im Gegensatz zur Gnade. In
dieser Weise spricht er vom Gesetz. Ich wiederhole es: Die Schrift erklärt ausdrücklich, dass wir vom
Gesetz als von einer Sache, die den Tod und den Fluch bringt, befreit – dass wir nicht mehr unter
demselben sind. Wohin muss es also führen, wenn man solchen Wahrheiten gegenüber von einem
„moralischen Gesetz“ spricht? Ebenso macht der Apostel in Galater 3 den Schluss: „Wenn ich das,
was ich abgebrochen habe, wiederum aufbaue, so stelle ich mich selbst als Übertreter dar.“ Er will
sagen: ich habe das Gesetz verlassen, um zu Christus zu kommen; wenn ich es nun wieder aufrichte,
so bekenne ich damit, dass ich Unrecht getan habe, es abzubrechen. Nun aber hat Christus mich
veranlasst, dieses zu tun, und folglich ist Er die Ursache gewesen, dass ich etwas Unrechtes getan
habe. Ich mache also dadurch, dass ich das Gesetz wieder aufrichte, Christus zum Diener der Sünde.
Überall hatte der Apostel die Wiederaufrichtung des Gesetzes, nachdem Christus in die Welt
gekommen war, zu bekämpfen. Die Christen wurden, weil sie das Gesetz überhaupt als ein System
nicht (nur, weil es nicht rechtfertigen konnte) aufgegeben hatten, der Gesetzlosigkeit beschuldigt.
Dieser Beschuldigung begegnet nun der Apostel nicht dadurch, dass er das Gesetz in einer anderen
Gestalt wiederaufrichtet, sondern durch die Erklärung, dass der Christ eine neue Natur besitze und
berufen sei, nicht dem Gesetz, sondern Christus gemäß zu wandeln, und dass er wandelnd im Geist
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  Das Gesetz 1/4
und geleitet durch denselben, nicht mehr unter dem Gesetz sei, sondern Früchte hervorbringe, wider
welche es kein Gesetz gebe.
Zur besseren Übersicht und zum Beweis, dass ich diesen Gegenstand nicht leichtfertig behandele,
noch in meiner Behauptung zu weit gehe, will ich einige Schriftstellen anführen: „So viele aus
Gesetzes Werken sind, sind unter dem Fluch“ (Gal 3,10). „Das Gesetz aber kam daneben ein, auf dass
die Übertretung überströmend sei“ (Röm 5,20). Man beachte hier den Ausdruck: „kam daneben ein.“
Es war ein Grundsatz, ein System, eine Verfahrungsweise, die eingeführt wurde. „Die Sünde wird
nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14). „Der
Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz“ (1. Kor 15,56). „Ich aber
lebte einst ohne Gesetz, als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf. Ich aber starb“ (Röm, 7,9). Spricht
der Apostel hier vom Zeremonialgesetz? Gewiss nicht; er spricht von der moralischen Natur und dem
Wesen des Gesetzes. Er sagt: „Ich hätte nichts gewusst von der Lust, wenn das Gesetz nicht gesagt
hätte: Lass dich nicht gelüsten.“ Und nachdem er in Römer 6,14 gesagt hat: „Denn die Sünde wird nicht
über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“, fügt er unmittelbar
hinzu: „Was nun? Sollten wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind?“ Das
zeigt oenbar, dass es sich hier nicht um das Zeremonialgesetz, noch um die Rechtfertigung handelt,
sondern dass einfach vom Dienen oder Nichtdienen der Sünde die Rede ist. Der Apostel behandelt
die ganze Frage des Gesetzes in einer Weise, die von der vielfach vorkommenden evangelischen
Lehre darüber ganz verschieden und ihr entgegengesetzt ist. Doch wollen wir noch einige andere
Stellen untersuchen: „Die Sünde aber, durch das Gebot Anlass nehmend, bewirkte jegliche Lust
in mir“ (Röm 7,8). „Ist nun das Gute mir zum Tod geworden? Das sei ferne! Sondern die Sünde,
auf dass sie als Sünde erschiene, indem sie durch das Gute mir den Tod wirkte, auf dass die Sünde
überaus sündig würde durch das Gebot ..“ (Röm 7,13). Hier spricht doch der Apostel sicher nicht vom
Zeremonialgesetz, sondern vielmehr von einem Grundsatz, nach welchem Gott, „vierhundert und
dreißig Jahre nach der Verheißung“, mit dem Menschen verkehrte, und welcher der Übertretungen
wegen hinzugefügt wurde, bis der Same käme, dem die Verheißung gemacht war (Gal 3,17.19). Jetzt
aber ist dieser Same gekommen, und jetzt sind wir vom Gesetz befreit. Was das Gesetz nicht tun
konnte, weil es durch das Fleisch kraftlos war, das hat Gott auf eine andere Weise getan (Röm 8,3).
Ich werde sogleich auf diesen Punkt zurückkommen, nämlich auf die Frage, wie die Befreiung vom
Gesetz bewirkt wurde, ohne dass dadurch der Sünde Vorschub geleistet wird. Für jetzt zeige ich nur
aus den angeführten Stellen, dass die Schrift die Frage bezüglich des Gesetzes in ganz anderer Weise
behandelt wie es so vielfach geschieht. „Bevor aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz
verwahrt . . . da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Zuchtmeister“
(Gal 3,23.25). „Wenn die Erbschaft aus Gesetz ist, so nicht mehr aus Verheißung; dem Abraham aber
hat sie Gott durch Verheißung geschenkt“ (Gal 3,18). Das Gesetz war eine hinzugefügte Sache. Weiter
lesen wir: „Wenn ein Gesetz gegeben wäre, das lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die
Gerechtigkeit aus Gesetz. Die Schrift aber hat alles unter die Sünde eingeschlossen ..“ (Gal 3,21–22).
„Ich bin durch es Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe“ (Gal 2,19). „Wenn ihr aber
durch den Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz“ (Gal 5,18). „Also seid auch ihr, meine
Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, dass ihr eines anderen werdet“
(Röm 7,4). Und in 2. Korinther 3,7 wird das Gesetz „der Dienst des Todes“ genannt, „eingegraben in
Steine.“ Wie wäre es möglich, wenn ein Christ durch das Gesetz, unter dem Namen „moralisches
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  Das Gesetz 1/4
Gesetz“, gebunden wäre, dass der Apostel hätte sagen können: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem
Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus?“ Würde nicht auf diese Weise, wie Paulus sagt,
Christus zum Diener der Sünde gemacht werden? Niemand möge einwenden, dass der Apostel in der
angeführten Stelle von der Rechtfertigung aus Gesetzes Werken spreche. Er sagt: „Also seid auch
ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, dass ihr eines anderen
werdet, des aus den Toten Auferweckten, auf dass wir Gott Frucht bringen.“ Es handelt sich also
hier nicht um Rechtfertigung, sondern um das Fruchtbringen – und der Weg dazu ist, dem Gesetz
gestorben zu sein. So auch in Galater 2,19: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass
ich Gott lebe.“ Man muss also in beiden Fällen, sei es um Frucht zu bringen, oder um Gott zu leben,
dem Gesetz gestorben sein. In Verbindung mit dem Gesetz können wir ebenso wenig Gott leben, als
gerechtfertigt werden. Aber es geht noch viel weiter; nicht nur kann man durch Gesetzes Werke
nicht gerechtfertigt werden, sondern es verdammt uns unbedingt, wenn wir unter demselben sind.
Es wirkt Zorn; nicht nur kann es das Leben nicht geben, sondern es bringt den Tod. Der Apostel sagt:
„Es erwies sich für mich zum Tod.“ Er nennt es den „Dienst des Todes“, und „die Kraft der Sünde.“ Die
Sünde nimmt durch das Gebot Anlass, um „jegliche Lust in uns zu bewirken – um dem Tod Frucht
zu bringen.“ Durch das Gesetz werden die sündigen Lüste aufgeweckt, und die Sünde wird durch
dasselbe „überaus sündig“ (Röm 7,13). Ich frage nun: Ist dieses alles der Schrift gemäß oder nicht?
Wenn ich sage: Ich muss sündigen, so heißt das, die Grundlagen des Christentums verleugnen. –
Wenn ich sage: Ich kann nicht sündigen, so betrüge ich mich selbst. – Wenn ich sage: Ich habe nicht
nötig zu sündigen, gebe ich dadurch ein göttliches Vorrecht kund (Fortsetzung folgt).
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  Das Gesetz (Fortsetzung)
Das Gesetz (Fortsetzung)
Es möchte nun jemand einwenden, dass dieses die Wirkung des Gesetzes außer und vor Christus
gewesen sei. Meine Antwort ist, dass der Apostel dies alles an Christen schrieb, nachdem Christus
gekommen war, um dieselben gegen die vielfältigen Anstrengungen und Bestrebungen, sie wieder
unter die Verpichtung des Gesetzes zubringen, sicher zu stellen. Und er zeigt, welche Wirkung
das Gesetz für jeden, auch für den Christen hat, wenn er dessen Verpichtungen auf sich nimmt;
während er Zugleich erklärt, dass diejenigen, welche unter dem Gesetz waren, von demselben befreit
worden sind – dass das Gesetz ein Zuchtmeister war, bis der Glaube kam, und da nun der Glaube
gekommen ist, der Mensch nicht mehr unter dem Zuchtmeister steht. Überall, wo der Apostel diesen
Gegenstand behandelt, betrachtet er das Gesetz seiner Natur2 gemäß und besonders mit Rücksicht
auf die Anstrengungen, die, wie schon gesagt, überall gemacht wurden, um die Menschen unter die
Verpichtung des Gesetzes zu bringen, nachdem sie den Glauben empfangen hatten.
Das Gesetz hat seine eigentümliche und besondere Wirkung. Dieses führt mich zu der Schriftstelle,
die beständig als Stützpunkt jenes gesetzlichen Systems angeführt wird: „Heben wir denn das Gesetz
auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir bestätigen das Gesetz“ (Röm 3,31). Und hier
möchte ich den Leser bitten, wohl zu erwägen, was ich sage. Ich erkläre in Übereinstimmung mit
der Schrift, dass das Gesetz notwendig immer seine im Wort Gottes angegebene Wirkung auf den
ausüben muss, der unter demselben steht; dass aber diese Wirkung auf ein Wesen, in welchem die
Lust oder die Sünde wohnt, nach der Schrift immer Verdammnis und Tod ist und nichts anderes
sein kann. Ferner, dass das Gesetz keine Barmherzigkeit kennt, sondern den Fluch ausspricht über
jeden, „der nicht bleibt in allem, was geschrieben ist im Buch des Gesetzes, es zu tun;“ und dass jeder,
„der aus Gesetzes Werken ist, unter dem Fluch ist“ (Gal 3,10). Nun aber wohnt in dem Christen, als
einem menschlichen Wesen, tatsächlich die Sünde, und leider fehlt er auch; ein solcher ist folglich,
wenn das Gesetz auf ihn angewandt wird, unter dem Fluch; denn es bringt einen Fluch auf jeden,
der sündigt. Schwäche ich nun, indem ich dieses sage, die Autorität des Gesetzes? Im Gegenteil,
ich halte sie aufrecht und bestätige das Gesetz in der völligsten Weise. Ich frage dich: Hast du mit
dem Gesetz zu tun? Wenn es der Fall ist, so bist du unter dem Fluch. Hier gibt es kein Entrinnen,
keinen Ausweg. Die Autorität und die Ansprüche des Gesetzes müssen aufrecht gehalten – seine
gerechten Forderungen erfüllt werden. – Hast du gefehlt? Du hast es ohne Zweifel; nun so bist du
unter dem Fluch. Du sagst vielleicht: Ich bin ein Christ; wenn ich auch dem Gesetz noch verpichtet
bin, so bin ich doch nicht unter einem Fluch. – Hat denn nicht das Gesetz den Fluch über jeden
ausgesprochen, der gefehlt hat? Gewiss, und du bist unter demselben. Du hast gefehlt und willst
2 Der Leser, welcher Griechisch versteht, wird bemerken, dass selbst in einer Menge von Beispielen, wo das Wort
„Gesetz“ mit dem Artikel vorkommt und sich auf das jüdische Gesetz zu beziehen scheint, der Apostel dennoch vom
Gesetz als einem Grundsatz spricht. In der Tat hatte Gott diesen Grundsatz nur im Judentum als Prüfstein errichtet, so
dass Judentum und Gesetz im Grund gleichbedeutend sind.
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  Das Gesetz (Fortsetzung)
trotzdem nicht verucht sein! Dies Urteil beweist, dass du die Autorität des Gesetzes nicht aufrecht
hältst; denn du bist unter demselben, und es hat dich verucht, und doch sagst du, ich bin nicht
verucht. Wenn du gesagt hättest, ich war unter dem Gesetz und habe gefehlt, aber Christus ist
gestorben und hat den Fluch für mich getragen, und jetzt stehe ich als ein Erlöster auf einem ganz
anderen Boden, nicht mehr unter Gesetz, sondern unter Gnade – dann hättest du seine Autorität
aufrecht gehalten. Neun du dich aber, nachdem Christus gestorben und auferstanden und du in
Christus bist, wieder zurück unter das Gesetz stellst und dann sagst, wenn du gefehlt hast: ich bin
dennoch nicht verucht, so vernichtest du die Autorität des Gesetzes; denn es spricht einen Fluch aus,
und du erkennst ihn nicht an. Derjenige, welcher einen Christen unter das Gesetz stellt, vernichtet
entweder die Autorität des Gesetzes, oder er bringt den Christen unter den Fluch – „denn wir alle
straucheln oft.“ Er mag sich einbilden, das Gesetz zu bestätigen, aber tatsächlich vernichtet er seine
Autorität. Nur derjenige bestätigt die völlige, unveränderliche Autorität des Gesetzes, welcher erklärt,
dass ein Christ durchaus nicht unter demselben ist und deshalb durch seinen gerechten und heiligen
Fluch nicht verucht werden kann.
Ich werde nachher durch die Schrift zeigen, welches der Maßstab des christlichen Wandels ist. Für
jetzt bemerke ich nur, dass es nicht die Richtschnur des Rechts und Unrechts ist, die wir besonders
bedürfen, obgleich (dieselbe sehr nützlich, notwendig und an ihrem Platz sein mag) sondern das,
was unserer neuen Natur Antrieb und Kraft verleiht. Das Gesetz aber gibt weder das Eine noch das
Andere, sondern ist nach der Erklärung der Schrift ein Anlass für die Sünde, um jegliche Lust in uns
zu wirken, – eine Anregung zur Sünde und die Kraft derselben. Unter dem Gesetz sein, heißt unter
der Herrschaft der Sünde sein; denn die Schrift sagt: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen,
denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ Man setze z. B. eine Schüssel umgekehrt auf
den Tisch. Sie mag kaum beachtet werden; sobald aber gesagt wird: Niemand darf erfahren, was
unter dieser Schüssel ist – wer möchte es dann nicht gerne wissen? Auf diese Weise ist das Gesetz
der Anlass zur Lust. Wenn wir darauf achten, dass der Apostel, falls er vom Gesetz spricht, nur von
dessen Wirkungen redet, die es auf einen jeden, der unter demselben ist, ausübt, und besonders auf
den Christen, der sich selbst, nachdem er Christ geworden, unter dasselbe begibt – wenn wir darauf
achten, dass er nicht bloß von der Unmöglichkeit der Rechtfertigung durch das Gesetz spricht, (was
er anders ausführlich tut) sondern von seiner eigentümlichen und notwendigen Wirkung in allen
Fällen, dann ist die Frage wenn anders die Schrift eine Autorität ist, bald entschieden.
Aber, wird mancher gewissenhafte Christ fragen, ist eine solche Lehre der Befreiung vom Gesetz nicht
eine gefährliche Sache? Wird nicht dadurch der Sünde Tür und Tor geönet? Gewiss nicht; „denn so
viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden ohne Gesetz umkommen“, so dass der, welcher das Gesetz
bei Seite setzt, um ungestraft sündigen zu können, ebenso schlimm daran ist, als auch der, welcher
sich unter dem Fluch des Gesetzes bendet. Zudem bietet auch das Gesetz keinen Schutz gegen die
Sünde; im Gegenteil wird nach der Erklärung des Apostels die Sünde nicht über uns herrschen, weil
wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind. Was aber befreit uns von der Sünde und dem
Gesetz? Das einzige Mittel, das uns befreien kann, ist der Tod und dann die Neuheit des Lebens in
der Auferstehung. Wir sind als Christen in Christus, und nicht in Adam.
Doch möchte ich hier noch einmal auf die berechtigte Wirkung des Gesetzes zurückkommen, denn das
Gesetz ist gut, wenn man es gesetzmäßig gebraucht. Es verdammt nicht nur die Sünden, sondern auch,
wo es in seiner geistlichen Kraft erkannt wird, die Sünde. Zunächst verdammt es alle Übertretungen
  71
  Das Gesetz (Fortsetzung)
seiner Gebote. Wohl mag ein Mensch, wie Paulus, wenn es sich um den äußerlichen Wandel handelt,
in seinem Gewissen dem Urteil des Gesetzes entgehen; wo es aber geistlicherweise erkannt wird, da
verdammt es die Lust – und die Lüste sind in mir. Dennoch sehe ich, dass das Gesetz gerecht ist, und
wir müssen uns selbst verurteilen. Das Gesetz verurteilt meine Natur, die in ihren Lüsten wirksam ist,
aber es gibt keine neue Natur. Es verdammt meinen Willen, indem es unbedingten Gehorsam als eine
Picht gegen Gott fordert; und selbst wenn mein Wille gut ist, so mache ich die Entdeckung, dass
ich unter dem Gesetz keine Kraft habe. „Das Wirken dessen, was recht ist, nde ich nicht“ (Röm 7).
Mein Wille, meine Lüste und Handlungen – kurz alles, was ich moralisch bin, ist verurteilt und zum
Tod verdammt; und ich habe keine Kraft, das Gute zu erfüllen. Das ist die Wirkung des Gesetzes auf
einen jeden, dessen Gewissen unter seinem Einuss steht. Es tötet mich, und ich bin unter demselben,
was mein Gewissen betrit, vor Gott in Christus gestorben. Das Gesetz ndet seine Anwendung
auf den Menschen als ein Kind Adams, lebend im Fleisch. Es hat mich, weil ich ein solcher bin, in
diesem Zustand verdammt und mir den Tod gebracht; als solcher bin ich unter demselben gestorben.
Wenn aber das, worauf das Gesetz angewandt wurde, unter ihm gestorben ist, dann ist folglich nichts
mehr vorhanden, worauf es angewandt werden kann. Wenn z. B. jemand wegen eines Diebstahls
oder Mordes ins Gefängnis geworfen wird, und er stirbt daselbst, so kann das Gesetz nichts mehr
tun, denn das Leben, womit es zu schaen hatte, ist entohen. „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz
gestorben, auf dass ich Gott lebe.“ Das Gesetz hat mich, was mein Gewissen vor Gott betrit, getötet,
und es kann weiter nichts tun. Aber weil ich ein Christ bin und durch den Glauben über dies alles,
was ich vorher nicht in dieser Weise erkennen oder beurteilen konnte, ein Verständnis erlangt habe,
so nde ich hier noch weit mehr. Ich bin dem Gesetz gestorben „durch den Leib des Christus.“ Der
Tod, zu dem mich das Gesetz in meinem Gewissen verurteilte, ist auf einen anderen gefallen. Ich
bin in Christus gestorben, und so ist die Sünde von meinem Gewissen hinweggetan worden. Wenn
dieses Gericht über die Sünde mich getroen hätte, so würde ewiges Elend mein Los gewesen sein.
Jetzt aber, da Christus sich selbst an diesen Platz gestellt hat, ist es ewiges Leben; und ich habe ein
Recht, mich für tot zu halten, weil Christus gestorben und ich Ihn in Wahrheit als mein Leben in
meinem Herzen empfangen habe. Er, der für mich starb und wieder auferstand, ist wirklich mein
Leben. Ich lebe durch das Leben dessen, der ein lebendigmachender Geist ist; und ich habe daher
das Recht und bin selbst verpichtet, mich für tot zu halten, seitdem Er, in welchem ich lebe, starb.
Hierauf gründet der Apostel alle seine Schlüsse und Ermahnungen bezüglich der Sünde und des
Gesetzes. Er betrachtet den Christen als gestorben und auferstanden, weil sein wahres Leben, das
Leben, welches er empfangen hat und in welchem er als Christ lebt, Christus, der Gestorbene und
Auferstandene, ist. Nachdem er gesagt hat: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben“, fügt
er hinzu: „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“
(Gal 2,20). So auch in Kolosser 2,20: „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid,
was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?“ . . . „Denn ihr seid gestorben,
und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). – In Römer 5 hat der Apostel, im
Anschluss an den letzten Vers des vorhergehenden Kapitels, die Auferstehung auf die Rechtfertigung
angewandt. „Christus ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung
wegen auferweckt worden.“ Es ist die Rechtfertigung des Lebens; es ist nicht nur das Hinwegtun
der Sünden, sondern unsere Versetzung in eine ganz neue Stellung vor Gott. Diese Verbindung des
Lebens, der Macht des Lebens in Christus und der Rechtfertigung in Ihm, welcher, nachdem Er für
uns gestorben, wieder auferweckt ist, ist es, (und nicht das Gesetz) wodurch nach der Lehre des
  72
  Das Gesetz (Fortsetzung)
Apostels auch die Gottseligkeit gesichert ist; denn wir lesen in Römer 6,2: „Wir, die wir der Sünde
gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?“ Wir können ihr nicht mehr leben, wenn
wir ihr gestorben sind. Und dieses ist tatsächlich unser Platz in Christus; wir sind gestorben und
auferweckt, wir besitzen ein ganz neues Leben in Ihm, der unser Leben ist. „Indem wir dieses wissen,
dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der
Sünde nicht mehr dienen; denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde“ (Röm 6,6–7).
Und nachdem der Apostel in Vers 10 gezeigt hat, dass, nachdem Christus ein für alle Mal gestorben
ist, Er das, was Er lebt, Gott lebt, fügt er hinzu: „Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber
lebend in Christus Jesus.“ Dann folgen die Ermahnungen des 12. und 13. Verses: „So herrsche denn
nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib usw.“ indem er die bereits angeführten Worte hinzufügt:
„Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter
Gnade.“ In Vers 15 macht der Apostel eine Anspielung auf den Missbrauch, den das Fleisch von der
vorhergehenden Stelle machen könnte; aber anstatt darauf zu bestehen, dass das moralische Gesetz
für die Gläubigen bindend sei, zeigt er vielmehr, dass sie von der Sünde freigemacht und Sklaven
der Gerechtigkeit und Gottes geworden sind, um „ihre Glieder zur Sklaverei der Gerechtigkeit zur
Heiligung darzustellen.“ Wir sind also dadurch von der Sünde freigemacht, dass wir gestorben sind
und in dem Leben Christi leben.
Im 7. Kapitel des Römerbriefes wendet der Apostel dieselbe Wahrheit noch ausführlicher auf das
Gesetz an. Er erklärt, dass ein Gläubiger ebenso wenig mit Christus und dem Gesetz in Verbindung
sein kann, wie ein Weib mit zwei Ehemännern, ohne eine Ehebrecherin zu sein. Wie aber wird
jemand, der unter dem Gesetz steht, von demselben befreit? Dadurch, dass er dem stirbt, in welchem
er festgehalten wird (V 6). Das Gesetz konnte nicht anders als sein Recht auf den Menschen, als
ein lebendes Kind Adams, behaupten: „ein Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt“
(V 1). Ich aber bin dem Gesetz gestorben durch den Leib des Christus; folglich hat die Verbindung
mit dem Gesetz notwendigerweise, gänzlich und unbedingt aufgehört; denn der, welcher unter
demselben stand, ist gestorben, und das Gesetz hatte nur Macht über ihn, solange er lebte. Deshalb
redet der Apostel in solch einfacher und kräftiger Sprache: „Denn als wir im Fleisch waren, wirkten
die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz waren ..“ (V 5). Das Gesetz steht in Verbindung
mit dem Menschen im Fleisch; wir aber sind gestorben und sind nicht mehr im Fleisch. Als wir
darin waren, hatte das Gesetz seine Anwendung auf uns, denn es stand in Verbindung mit dem
Fleisch; es weckte die Sünde auf und verdammte den Sünder. Dieser aber starb unter dem Gesetz;
er starb unter demselben in Christus und lebt, befreit vom Gesetz, in einem neuen Leben, in dem
auferstandenen Christus, außerhalb des Bereichs und der Sphäre des Gesetzes. Der Gläubige ist nicht
mehr an den alten Ehemann gebunden; der Tod, sein eigener Tod und seine Kreuzigung in Christus,
hat das Band gelost, indem er Zugleich das ihm als Sünder gebührende Teil empfangen hat. Er ist
jetzt eines anderen, des aus den Toten Auferweckten geworden, auf dass er Gott Frucht bringe. Er ist
nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders der Geist Christi in ihm wohnt: „denn wenn
jemand den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein“ (Röm 8,9).
Die zweite Hälfte von Römer 7 teilt uns die Erfahrungen eines Menschen mit, der die Gerechtigkeit
unter dem Gesetz erfüllen und Gott in Verbindung mit dem ersten Mann, dem Gesetz, Frucht bringen
will. Er ist von Gott erweckt und unter dem Einuss des neuen Lebens, und darum versteht er die
Geistlichkeit des Gesetzes und erkennt seine Forderungen an. Er will es erfüllen, denn ohne dieses
  73
  Das Gesetz (Fortsetzung)
kann sich sein Gewissen nicht befriedigen. Die neue Natur hat die Gerechtigkeit des Gesetzes lieb,
aber der Widerstand des Fleisches verhindert sie, dieselbe zu vollbringen. „Ich aber bin eischlich,
unter die Sünde verkauft . . . denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe
ich aus . . . das Wollen ist bei mir, aber das Wirken dessen, was recht ist, nde ich nicht.“ – Die
Kraft und die Natur des neuen Lebens in Christus, als gestorben und auferstanden, ist im Anfang
des 8. Kapitels die Antwort der Gnade Gottes auf die Schwachheit und Bosheit des Fleisches. In
diesem Kapitel nden wir den Zustand einer befreiten Seele vollkommen dargestellt; es zeigt uns die
gesegneten Früchte und Resultate eines Menschen, der durch den Tod von dem ersten Mann, dem
Gesetz und von allem, was mit diesem Zustand verknüpft war, befreit und im Leben mit Christus,
dem zweiten Mann, dem aus den Toten Auferweckten, verbunden ist. In Römer 7 ruft der Mensch
aus: „Wer wird mich befreien?“ in Römer 8: „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat
mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“; und während demgemäß in Römer 7
der Geist Gottes gar nicht erwähnt wird, ist Er in Römer 8 auf die mannigfachste Weise eingeführt.
Er ist der Charakter und die Kraft des Lebens, der persönliche Zeuge unserer Sohnschaft und unseres
Erbteils, der Vertreter in unserer Schwachheit, und der uns bezeugt, dass Gott in uns wirkt und für
uns ist, und dass von seiner Liebe, die durch den Heiligen Geist in uns wohnt, uns nichts zu trennen
vermag.
Es könnte nun jemand sagen: „Obwohl der Christ ein Recht und die Picht hat, sich selbst für tot
zu halten, so ist doch das Fleisch noch vorhanden; und deshalb bedarf er das Gesetz, nicht um die
Sünde hinwegzunehmen, sondern damit diese nicht über ihn herrsche.“ Allein wir lesen: „Die Sünde
wird nicht über euch herrschen, weil ihr nicht unter Gesetz seid.“ Gerade das Gesetz gab Anlass
zur Wirksamkeit der Sünde in meinen Gliedern, als ich im Fleisch war. Allein ich bin gestorben,
und das Gesetz kann nicht über den Tod hinausgehen. Die Gottseligkeit ist die Frucht des neuen
Lebens, in welchem man lebt durch den Glauben an den Sohn Gottes. Der schriftgemäße Weg der
Gottseligkeit – der Gerechtigkeit mit ihrer „Frucht zur Heiligung“ – ist der Tod (der mir bewusste
Tod) in Christus, sowie die Tatsache, dass ich in Ihm bin und nicht unter dem Gesetz, so dass ich nicht
mehr im Fleisch bin, sondern Christus als mein Leben habe. Als lebend in einem auserstandenen
Christas, als einer, der dem Bereich des Gesetzes durch den Tod entrückt ist – das ist das christliche
Leben. Und der Maßstab seines Wandels ist Christus und nichts anderes. „Wer da sagt, dass er in
Ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“ (1. Joh 2,6). Wenn
wir die Schrift über diesen Punkt zu Rat ziehen, so werden wir nden, dass dies die schriftgemäße
Lebensregel ist: wir sind schuldig, zu wandeln, wie Christus gewandelt hat. Weiter steht geschrieben,
dass Er uns „ein Beispiel gelassen, auf dass wir seinen Fußstapfen nachfolgen sollen“ (1. Pet 2,21). Er
ist sowohl das Leben des Gläubigen, als auch der Beweggrund und das Beispiel für seinen Wandel. Er
lebt in uns, und was wir jetzt im Fleisch leben, leben wir durch Glauben an Ihn, der den Pfad des
Glaubens vor uns betreten hat. Er ist alles und in allen. „Indem wir mit aufgedecktem Angesicht die
Herrlichkeit des Herrn anschauen, werden wir verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit
zu Herrlichkeit;“ und werden also, indem Er durch den Geist Gottes in unsere Herzen eingegraben
ist, „als ein Brief Christi oenbar“ (1. Kor 3). – Beachten wir auch, dass dieses in dem angeführten
Kapitel im Gegensatz zu dem auf steinerne Tafeln eingegrabenen Gesetz steht. Wir haben Christus,
den neuen Menschen, anzuziehen. Dieses geht soweit, dass in 1. Johannes 3,16 gesagt wird: „Hieran
haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für die
  74
  Das Gesetz (Fortsetzung)
Brüder das Leben darzulegen.“ Einen solchen Grundsatz, eine solche Verpichtung wie diese kennt
das Gesetz nicht. Ließ das Gesetz Christus kommen, dass Er sein Leben für uns darlege? Zeigt nicht
dieses Beispiel die außerordentliche Armseligkeit des Gedankens, dass das Gesetz die Regel oder
der Maßstab unseres Wandels sei? Es ist wahr, dass es in dem Leben Christi zwei Seiten gab. Zuerst
sehen wir in demselben den Gehorsam des Menschen gegen den Willen Gottes, der an und für sich
schon viel weiterging als das Gesetz; denn das Gesetz forderte nicht von dem Menschen den Pfad der
Gnade und Hingebung, auf welchem Christus wandelte. Als unter dem Gesetz, verherrlichte und
ehrte Er es. Dann aber sehen wir in seinem Leben noch etwas anderes: die Oenbarung Gottes selbst
in Gnade und Huld. Dies war weder das Gesetz, noch der Mensch unter der Verantwortlichkeit – es
war Gott in Güte. Die Vermengung dieser beiden Seiten ist höchst verderblich.
Vielleicht mag jemand sagen: „Aber wir sind nicht berufen, (und können es nicht sein) Christus in
letzterem nachzufolgen.“ Ich erwidere: Wir sind ausdrücklich berufen, dies zu tun, aber nie, Ihm unter
dem Gesetz zu folgen. Die Schrift sagt in Bezug auf diesen letzten Punkt, dass ich, wenn ich meinen
Nächsten liebe wie mich selbst, das Gesetz erfülle, ohne unter ihm stehen zu müssen. Und wiederum,
dass, wenn ich nach dem Geist wandle, das Recht des Gesetzesin mir erfüllt wird und das hervorbringt,
was das Gesetz nicht hervorbringen konnte, weil es durch das Fleisch kraftlos war. Der Geist wird
Früchte hervorbringen, wider die es kein Gesetz gibt. Es ist eine neue Natur, welche – geleitet durch
den Geist und gebildet durch das Wort, indem sie in allem zu Christus, dem Haupt, heranwächst – des
Herrn würdig wandelt. Die Gebote des Gesetzes aber vermögen dieses nicht hervorzubringen; und
indem wir durch die Gnade auf Christus blicken, werden wir in dasselbe Bild verwandelt. Christus
ist uns in jenem Pfad, auf dem Er Gott oenbarte, ausdrücklich als Vorbild hingestellt; denn es
steht geschrieben: „Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleich
wie auch der Christus uns geliebt, und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und
Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,1). Wir sind berufen, „erfüllt zu sein
mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um zu wandeln –
nicht nach dem Gesetz, sondern – würdig des Herrn zu allem Wohlgefallen“ (Kol 1,9–10). Und in
Kolosser 3,10 lesen wir: „Habt angezogen den neuen Menschen, der erneuert wird zur Erkenntnis
nach dem Bild dessen, der ihn erschaen hat“; während uns die folgenden Verse dieses Kapitels den
Charakter des neuen Menschen beschreiben: „Zieht nun an als Auserwählte Gottes, Heilige und
Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde, Langmut, einander ertragend und
einander vergebend, wenn einer Klage hat wider den Anderen; wie auch der Christus euch vergeben
hat, also auch ihr.“ Kurz, wenn jemand eine vollständige Darstellung des christlichen Lebens – des
Lebens des auferstandenen Christus in uns – zu haben wünscht, der möge Kolosser 3,1–17 lesen.
Zudem dürfen wir den Gehorsam an und für sich nicht mit dem Tun des Gesetzes verwechseln. Der
Charakter des Gehorsams Christi war ganz verschieden von einem gesetzlichen Gehorsam. Wenn z. B.
mein Kind etwas wünscht, vielleicht irgendwo hinzugehen, und ich verbiete es ihm, so spreche ich,
wenn es sofort gehorcht, von seinem bereitwilligen Gehorsam. Doch ist der Gehorsam Christi ganz
anderer Natur, Er hatte nie einen Wunsch, der durch irgendein Gesetz verboten wurde. Es war nie
nötig. Ihm etwas zu untersagen; denn Er handelte, weil sein Vater es wollte. Der Wille seines Vaters
war der Beweggrund, die einzige Ursache seines ganzen Verhaltens. Er lebte von jeglichem Wort,
das aus dem Mund Gottes kam, so dass Er nichts zu tun hatte, wenn kein Wort vorhanden war. Der
Wille Gottes, worin derselbe auch bestehen mochte, war seine alleinige Richtschnur; und ein solcher
  75
  Das Gesetz (Fortsetzung)
Gehorsam gegen einen souveränen Willen hat keine Grenzen, wie dies bei einem bestimmten Gesetz
der Fall ist. Es mag sein, dass uns keine besonderen Pichten durch eine unmittelbare Oenbarung
von Seiten Gottes aufgetragen sind; aber wir können seinen Willen in der Schrift aufgezeichnet
nden, ja alles, was Ihm wohlgefällig ist; und es geziemt sich für uns, dass wir völlig bereit sind, den
Willen Gottes zu erforschen und zu tun, worin derselbe auch bestehen möge. Und wenn uns durch
die geistliche Beurteilung des Wortes der Wille Gottes klar wird, so ist derselbe ein Gebot für uns. So
lesen wir z. B. in Bezug auf die unmittelbare Oenbarung des Willens Gottes, in Apostelgeschichte 16,
dass Paulus durch den Heiligen Geist verhindert wurde, nach Asien zu gehen; während wir in
Apostelgeschichte 13,47 ein Beispiel in Bezug auf die geistliche Beurteilung des Wortes nden, indem
der Apostel die Anwendung einer Stelle in Jesajas 49,6 als ein ihm gegebenes Gebot betrachtet. Wir
mögen nun jene bestimmte Oenbarung nicht haben, wie er sie hatte, und noch viel weniger diese
geistliche Beurteilung besitzen, aber der Grundsatz der Bereitwilligkeit, zu tun was irgend der Wille
Gottes ist, geziemt sich für uns. Wiederum sehen wir auch in den eben angeführten Beispielen,
was das Christentum im Gegensatz zu dem Gesetz charakterisiert, nämlich diese Tätigkeit, welche
Früchte erzeugt für Gott – Früchte des Geistes, und zwar die mannigfaltigsten (Gal 5,22) – welche
man unmöglich dem Gesetz zuschreiben kann. Man lese auch Römer 7,4; Johannes 15; Philipper 1,11.
Doch glaube ich genug gesagt und angeführt zu haben, um die Gedanken der Schrift über den uns
beschäftigenden Punkt zu zeigen: ihre Gedanken über dasGesetz und seine Wirksamkeit und Wirkung,
über das, was die christliche Lebensregel für den ist, der gestorben und mit dem auferstandenen
Christus vereinigt ist und durch Ihn lebt. Das Gesetz ist der Maßstab der Verantwortlichkeit des
Menschen vor Gott – als solches ist es vollkommen – und es konnte nichts anderes sein als die
Richtschnur für den Wandel des Menschen. Christus entsprach diesem Maßstab ebenso vollkommen,
wie allem anderen; aber Er ging weiter und entfaltete Gott selbst in seiner eigenen, souveränen Gnade
und Güte; und wir sind schuldig, Ihm sowohl hierin, als auch in seinem vollkommenen Gehorsam
gegen Gott nachzufolgen. Er, und Er allein ist unser Muster und Vorbild; Er, und nichts außer Ihm,
ist der Gegenstand, in dem das Herz ruhen, durch den es beherrscht und dem es gleich werden soll.
Er ist in uns sowohl der Beweggrund und die Quelle unseres Wandels, als auch das vollkommene
Muster desselben, und dies konnte das Gesetz nicht sein; denn es ist weder das Leben, noch gibt oder
ernährt es dasselbe.
Es gibt aber in Verbindung mit diesem Gegenstand noch andere Punkte, betres welcher ein großer
Teil der gewöhnlichen Auassung und der evangelischen Lehre, wie mir scheint, keinen Halt in
der Schrift hat, noch mit deren Unterweisung übereinstimmt, und zwar sind es praktisch sehr
wichtige Punkte. Zunächst möchte ich auf die Annahme „einer wesentlichen Einheit der Kirche
oder Versammlung in allen Zeitaltern und unter allen Verwaltungen“ kommen. Gewiss wird kein
Christ, auch nur für einen Augenblick, daran zweifeln, dass jeder seit dem Fall gerettete Sünder
auf eine und dieselbe Weise gerettet wurde. Aber die Errettung ist nicht die Kirche, noch ist die
Kirche die Errettung. Es kann gefragt werden: „Muss denn nicht jemand, um gerettet zu sein, jetzt
zur Kirche Gottes gehören?“ Gewiss; doch er ist nicht gerettet, weiter zur Kirche gehört, sondern
er gehört zu derselben, weil er gerettet und dies die Anordnung Gottes ist. Das, was ihn rettet, ist
Christus und nicht die Kirche. Ein Jude, wenn er gerettet wurde, wurde durch Christus gerettet; aber
er gehörte, nach der zu jener Zeit bestehenden Ordnung Gottes, zu Israel und nicht zu der Kirche; und
die „jüdische Kirche“, wovon die Menschen sprechen, ist eine äußerst schriftwidrige Idee. Insofern
  76
  Das Gesetz (Fortsetzung)
einzelne Personen gerettet wurden, wurden sie durch Christus gerettet; aber sie bildeten nicht die
Versammlung oder Kirche.
Es gab nie eine jüdische Kirche, wohl aber eine jüdische Nation; und jeder, der durch die Gnade als
Jude berufen war, gehörte dieser durch die Geburt an und war verpichtet, ihr anzuhängen. Aber
jetzt ist ein solcher nicht mehr dazu verpichtet, weil in der Kirche weder Jude noch Grieche ist.
Jemand war ein Jude durch Geburt und befand sich als ein solcher, wenn er beschnitten war, in
einer geordneten Gemeinschaft. Die Kirche steht, selbst ihrem äußeren Bekenntnis nach, durch den
Glauben; sie ist nicht aus natürlichen Zweigen zusammengesetzt. Die Juden hingegen waren die
natürlichen Zweige und standen an dem ihnen von Gott verordneten Platz, als Juden, nicht durch den
Glauben, sondern durch die Geburt. Eine so genannte „jüdische Kirche“ ist daher schriftwidrig und
falsch. Christus gab sich hin für die jüdische Nation, aber nicht für diese Nation allein, sondern „auf
dass er auch die Zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (Joh 11,52). Auf diese Weise wurde
die Kirche gebildet. So ist denn die Kirche oder Versammlung die Vereinigung „solcher, die gerettet
werden sollten“, gerettet von dem kommenden Zorn. Dies hat nie im Judentum stattgefunden; die
Einheit desselben war ausschließlich eine nationale. Das jüdische Volk war in seiner Berufung ein
heiliges Volk; als aber das Christentum gegründet wurde, tat der Herr zu der Kirche solche hinzu,
die gerettet werden sollten (Apg 2,47), was vorher nie der Fall war; und das war die Kirche, die
Versammlung Gottes in der Welt. Wenn in früherer Zeit ein Jude zum Glauben kam, so wurde er zu
nichts hinzugefügt; er gehörte zu dem, wozu er immer gehört hatte, nur mit dem Unterschied, dass er
jetzt ein frommer und nicht mehr ein gottloser Jude war; denn es gab nichts, zu dem er hinzugefügt
werden konnte. Wir sind alle durch einen Geist zu einem Leib getauft; aber die Taufe des Heiligen
Geistes sollte der bestimmten Verheißung gemäß nach der Himmelfahrt Christi geschehen, wie
sie denn auch am Pngsttag stattfand. Eine „unsichtbare“ Kirche ist kein schriftgemäßer Gedanke;
sie ist eine Erndung der Menschen, die besonders von Augustin, einem der Kirchenväter, erdacht
wurde, um dadurch die schreckliche Ungerechtigkeit der bekennenden Kirche mit der Wahrheit und
Gottseligkeit, die dem wahren Christen notwendig sind, zu vereinigen. Der Herr sagt: „Ihr seid das
Licht der Welt: eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein“ (Mt 5,14). Aber
was für einen Wert hat ein unsichtbares Licht, eine Kirche unter einem Scheel? In einer unsichtbaren
Kirche gibt es keine Gemeinschaft. Ich gebe völlig zu, dass sie unsichtbar geworden ist, aber ich
gebe es nur zu als die Frucht der Sünde des Menschen; doch dieses ndet keine Anwendung auf
das Judentum; denn das jüdische Volk – die Kinder Israel – war der öentliche, sichtbare Körper
und wurde von Gott dafürgehalten; einzelne Heilige wurden zu jener Zeit auf keine andere Weise
gesammelt. Wohl aber ist dies in der Christenheit der Fall; denn der Herr gab sich hin, um die
zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln. Dieses würde unnötig gewesen sein, wenn sie
vorher als eine Kirche – eine Versammlung – gesammelt gewesen wären. Denn was gesammelt ist,
hat nicht nötig, gesammelt zu werden. Es gab Kinder Gottes, aber sie bildeten nicht eine Kirche,
eine Versammlung. Sie waren zerstreut, und Christus kam, um einen anderen Zustand der Dinge
einzuführen. Wären sie vorher eine gesammelte Kirche gewesen, wie hätte denn Christus kommen
können, um die Zerstreuten zu sammeln? Die jüdische Nation steht in Johannes 11,52 im Gegensatz
zu den zerstreuten Kindern Gottes; und Christus kam, um diesen Zustand zu ändern – die zerstreuten
Kinder Gottes zu sammeln, d. h. die Kirche oder Versammlung zu gründen. Deshalb sagt Er: „Auf
diesen Felsen“ – auf das Bekenntnis, dass Er der Sohn des lebendigen Gottes war – „will ich meine
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  Das Gesetz (Fortsetzung)
Versammlung bauen.“ Hatte Christus schon vorher die Versammlung gebaut, ehe Ihn Petrus als
den Sohn des lebendigen Gottes bekannte oder bekennen konnte? Sowohl Christus als die Apostel
sprechen von der Kirche und dem Sammeln der Kinder Gottes als von einer ganz anderen und neu
eingeführten Sache. Alle die Vernunftschlüsse bezüglich einer jüdischen Kirche haben ihren Ursprung
in dem Bestreben, das Christentum zu judaisieren, oder sie beruhen auf der äußerst trügerischen
Idee, dass, weil die Menschen auf eine und dieselbe Weise gerettet sind, sie deshalb eine sichtbare
Gemeinschaft und zwar dieselbe Gemeinschaft bilden müssen. Aber warum urteilt man so? Konnten
nicht die Menschen gerettet sein, ohne eine Gemeinschaft zu bilden? Die Persönlichkeit eines jeden
Einzelnen ist ebenso wichtig, als die Gemeinschaft; ja, sie ist in göttlichen Dingen noch viel wichtiger.
Das Gewissen, der Glaube, die Sohnschaft, das sind alles persönliche Sachen. Die Juden bildeten
eine Gemeinschaft, aber nicht von geretteten Personen, sondern eine nationale Gemeinschaft der
Söhne Jakobs. Aber die Kirche ist nicht eine derartige Gemeinschaft, weder dem Bekenntnis, noch
der Wirklichkeit nach – sie steht durch den Glauben. Die persönliche Errettung bestätigt nicht das
Dasein einer Gemeinschaft, und andererseits kann es eine religiöse Gemeinschaft geben, (wie das
Judentum) ohne dass diese die Errettung in sich einschließt. Die ganze Theorie, auf welcher die Idee
„einer Kirche aller Zeitalter und unter allen Verwaltungen“ beruht, ist ganz und gar falsch; auch hat
man dafür keine Belege von entsprechenden Tatsachen. Bis zurzeit der jüdischen Nation gab es keine
Gemeinschaft von Personen unter irgendeinem Glaubensbekenntnis. Obwohl Abel sein Opfer im
Glauben darbrachte, so bildete doch weder er, noch Henoch oder Noah eine Gemeinschaft unter
einem Glaubensbekenntnis. Kurz, die ganze Idee einer sichtbaren Gemeinschaft vor der Sintut ist
nur ein Traum. Und wenn wir unseren Blick auf die Zeit nach der Sintut richten, so nden wir Hiob
allein, aber nichts von einer sichtbaren Gemeinschaft. Und von Abraham wird mit Sorgfalt berichtet:
„Ich rief ihn (Abraham), da er allein war, und ich segnete ihn ..“ (Jes 51,1). Der Geist Gottes hebt
hier hervor, dass er allein war, und dass es für Segnungen keiner Anzahl von Personen bedarf. Und
wenn wir zu der ersten religiösen Gemeinschaft kommen, so nden wir sie auf einem ganz anderen
Grundsatz als dem eines Glaubensbekenntnisses. Ein Jude gehörte dazu durch die Geburt, bevor
er irgendein Bekenntnis ablegen konnte; nur waren seine Eltern verpichtet, ihn am achten Tage
beschneiden zu lassen. Also der Grundsatz, auf welchem das Judentum stand, war das Geburtsrecht,
obgleich dieses die souveränen Rechte Gottes nicht aufheben konnte. Die sichtbare Kirche steht
hingegen auf dem Grundsatz des Glaubens (Röm 11,20). Wenn die Schrift wahr ist, so bestand bis zum
Pngsttag obgleich (die Errettung von jeher dieselbe war) weder die Kirche, die Gemeinschaft oder
Einheit des Leibes der Gläubigen, noch ihr Haupt unter jener Bedingung, unter welcher Christus ihr
Haupt sein konnte, d. h. als der erhöhte Mensch, der die Erlösung erfüllt hatte. Denn erst nachdem
Christus erhöht war, hat Gott „Ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib
ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,20–23). Er hat aus beiden Juden (und Nationen)
eins gemacht und sie in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaen, in welchem sie auch
zusammen auferbaut werden zu einer Behausung Gottes im Geist (Eph 2,14–22). Gott wohnte unter
dem Volk Israel in dem Tempel; und jetzt wohnt Er durch den Geist in einer Wohnung, die aus Juden
und Nationen als ein neuer Mensch durch den Glauben gebildet ist; und dieses allein ist die Kirche
oder Versammlung – ein Geheimnis, welches von den Zeitaltern her in Gott verborgen war, „auf
dass jetzt den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung
kundgetan werde die mannigfaltige Weisheit Gottes“ (Eph 3,9–10). Auf keinen Fall konnten die
himmlischen Mächte vorher etwas davon sehen, mochte die Kirche sichtbar oder unsichtbar sein.
  78
  Das Gesetz (Fortsetzung)
Sie war ein Geheimnis, das nach Römer 16,25 „in den Zeiten der Zeitalter verschwiegen“ – „vorher
den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht oder oenbart worden war“ (Eph 3,5). Die Menschen
wurden vorher nicht zusammen auferbaut zu einer Behausung Gottes im Geist. Die Kirche – ein
von den Zeitaltern und Geschlechtern her verborgenes Geheimnis – existierte in der Tat nicht; denn
ihre Existenz setzt die Beseitigung der Zwischenwand der Umzäunung voraus, indem beide, Juden
und Nationen in Christus zu einem neuen Menschen geschaen sind; während das alte System –
das Judentum – aus die genaueste Aufrechthaltung dieser Zwischenwand gegründet war, wobei
es sich nur um den alten Menschen handelte. Ich wiederhole, dass, wenn die Schrift irgendwelche
Bedeutung hat, die Kirche nicht eher bestand, als bis Christus, nachdem Er zuvor erhöht und als
Haupt über alles zur Rechten Gottes seinen Platz genommen hatte, am Pngsttag den Heiligen
Geist herniedersandte, um die Gläubigen auf dem Grund des Glaubens zu einem Leib zu vereinigen.
Unstreitig sind alle Menschen auf gleiche Weise gerettet, aber nicht alle in gleicher Weise versammelt
worden (Fortsetzung folgt).
  79
  Die Feigenblätter
Die Feigenblätter
„Wie lange kennen Sie schon den Herrn?“ fragte mein Freund einen alten Mann aus N. „Seit drei
Wochen, mein Herr; doch bin ich bereits vierzig Jahre beschäftigt gewesen, Feigenblätter zusammen
zu echten.“
Diese kurze Antwort ist sehr beachtenswert, und Tausende sind, gleich diesem alten Mann aus N.
mit derselben unnützen Anstrengung, mit derselben fruchtlosen Arbeit beschäftigt, Feigenblätter
zusammen zu echten, denn indem sie das Heil ihrer Seele von der Beobachtung gewisser Vorschriften,
Zeremonien. Sakramente oder von allerlei gottesdienstlichen Übungen abhängig machen, tun sie eben
nichts anders, als Feigenblätter zusammenechten. Dasselbe tut ein jeder, der in dieser Beziehung
sein Vertrauen auf seine Gebete, auf sein Fasten oder auf gute Werke setzt.
Alle diese Dinge mögen gut sein, und viele von ihnen sind es in der Tat, wenn sie an ihrem rechten
Platze sind. Aber sobald eine Seele sie zur Grundlage ihrer Vergebung und ihres Friedens macht,
sobald sie dieselben als ein Anrecht betrachtet, einem heiligen und gerechten Gott nahen zu können,
sobald sie dieselben zu einem Fundament macht, um darauf bezüglich der Ewigkeit bauen zu können,
tut sie nichts anders, als Feigenblätter zusammenechten; und als solche werden sie sich – aber ach,
vielleicht zu spät – für alle erweisen, die ihr Vertrauen daraufgesetzt haben.
Doch wenden wir uns für einen Augenblick zu dem dritten Kapitel des ersten Buches Mose, wo wir
zum ersten Mal in dieser Welt den Versuch nden, Feigenblätter zusammen zu echten. „Es gibt
nichts Neues unter der Sonne“, und wir können in Adams Schürze von Feigenblättern das erste Bild
sehen, welches die Schrift uns von der Gerechtigkeit des Menschen in jeder Art und Weise gibt – die
erste Darstellung und Erklärung der menschlichen Anstrengungen, welche von dem Tag an, da der
Mensch im Garten Eden el, bis auf diesen Tag gemacht werden, um die moralische und geistliche
Blöße des Sünders zu bedecken.
Kaum hatte der Mensch von der verbotenen Frucht gegessen, als auch seine Augen geönet wurden.
Aber ach, welch ein Önen war dieses! Welch eine Entdeckung! Er sah, dass er nackt war. Er erlangte
ein Gewissen zur Erkenntnis des Guten und Bösen; und dieses Gewissen machte einen Feigling
aus ihm. „Und es wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt
waren.“ Welch eine traurige Entdeckung! Sie hatten auf die Schlange gehört, und der Erfolg war:
eine oenbarte Blöße und ein feiges Gewissen. Bis dahin hatten sie in wonnevoller Unschuld und
glückseliger Unwissenheit bezüglich des Bösen gelebt, indem sie nur das Gute kannten. Jetzt aber
war alles verändert. Sie hatten die Erkenntnis ihrer eigenen Blöße erlangt, und die wahre Erkenntnis
Gottes verloren.
Und was taten sie jetzt? Wie suchten sie diesem neuen Zustand abzuhelfen? Sie hefteten gleich
jenem alten Mann aus N. Feigenblätter zusammen und machten sich Schürzen. Der Leser wolle diese
zwei Wörtchen beachten: „Sie hefteten.“ Dies war nicht das Werk Gottes, sondern ihr eigenes. Es
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  Die Feigenblätter
war, so zu sagen, nicht ein einziger Stich in der Schürze, den Gott getan hatte. Von Anfang bis zu
Ende war sie das Werk des Menschen; und alle seine Werke sind in dieser Weise charakterisiert. Es
ist unmöglich, dass ein gefallenes Geschöpf sich durch sein eigenes Werk aus dem Verderben, in
welches es sich gestürzt hat, erheben kann. Es mag sich darin abmühen, aber es kann nichts daran
ändern. Wir lesen deshalb unmittelbar darauf die Worte: „Und sie hörten die Stimme Jehovas Gottes,
wandelnd im Garten bei der Kühle des Tages. Und der Mensch und sein Weib versteckten sich vor
dem Angesicht Jehovas Gottes, in die Mitte der Bäume des Gartens.“ Sie wagten es nicht, sich auf ihre
Schürzen von Feigenblätter zu verlassen. Und wenn sie sich selbst nicht dadurch befriedigt fanden,
wie konnten diese sie schirmen vor dem erforschenden Auge eines gerechten Gottes? Sie bezeugten
nur ihre Schwachheit und ihr Elend.
„Und Jehova Gott rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: ich hörte deine
Stimme im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt, und ich versteckte mich.“ Man beachte die
Worte: „Ich bin nackt.“ Hatte er seine Schürze vergessen? Fast scheint es so; aber die Tatsache ist,
dass sie für ihn selbst ganz und gar keinen Wert hatte.
Dieses ist stets mit allen menschlichen Anstrengungen der Fall; sie erweisen sich wertlos, sobald sie
auf die Probe gestellt werden. Geschieht dieses, so kann nichts bestehen, als nur das Werk Gottes;
aber diese Schürze Adams war kein Werk Gottes, sondern nur dasjenige des Menschen. Aber wir
können versichert sein, dass uns nichts helfen und nichts Frieden geben kann, als nur das, was
von Gott ist. Es gibt bis jetzt unter dem ganzen Himmel keine Seele, die, gestützt auf menschliche
Anstrengungen, welcher Art sie auch sein mögen, wahren Frieden besitzt. Nur dadurch, dass eine
Seele einfach ruht in dem, was völlig und gänzlich von Gott ist, kann sie einen wahren, dauerhaften
und göttlichen Frieden besitzen.
Letzteres, nämlich das, was von Gott ist, wird uns in den Röcken von Fell vorgestellt, welche Jehova
Gott für Adam und sein Weib machte, und womit er sie bekleidete. Der große Unterschied zwischen
den Schürzen und den Röcken bestand darin, dass Gott nicht einen Stich in jene, und der Mensch
nicht einen Stich in diese getan hatte. Jene waren ganz und gar von dem Menschen, und deshalb
waren sie nutzlos; diese waren gänzlich von Gott, und deshalb waren sie völlig genügend, und der
Mensch hatte nichts dabei zu tun.
O möchte jede Seele diese Belehrungen, welche uns zum ersten Mal in den Schürzen und Röcken
gegeben werden, wohl erwägen! Sie enthalten eine ernste Unterweisung für uns. Wir können
versichert sein, dass sie ein ernster Mahnruf für alle Zeiten, besonders aber für die gegenwärtige
sind. Die Christenheit gleicht von einem Ende bis zum anderen einem aufgehäuften Lager von
Schürzen aus zusammengehefteten Feigenblättern. Millionen Hände sind mit dieser nutzlosen Arbeit
beschäftigt. Und diese Schürzen mögen gut genug sein bis zu dem Augenblick, da sich die Stimme
Gottes wird hören lassen und ihre Wertlosigkeit entdeckt wird, wenn es zu spät ist. „Ich hörte deine
Stimme und fürchtete mich, denn ich war nackt.“
Welche Ausdrücke! Die Stimme Gottes! Furcht! Nacktheit! Geliebter Leser, denke an diese Dinge.
Denke jetzt daran. Worauf verlässt du dich? Worauf setzest du dein Vertrauen? Auf das Werk des
Menschen oder auf das Werk Gottes? Wende dich nicht gleichgültig oder ärgerlich von diesen Fragen
ab, sondern beantworte sie dir jetzt in diesem Augenblick mit aller Aufrichtigkeit; denn lange genug
Haft du damit gezögert, schiebe nicht länger auf. Von der Beantwortung dieser großen Fragen
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  Die Feigenblätter
hängen die Folgen für Zeit und Ewigkeit ab. Vertraust du auf deine eignen Werke, oder ruhst du in
vollkommenem Vertrauen auf dem kostbaren Blut Christi, welches von aller Sünde reinigt? Prüfe
die Grundlage deines Vertrauens genau und gründlich. Betrachte deine Werke, worauf du deine
Ansprüche gründest, im Licht Gottes; denn es ist schrecklich für dich, zu spät zu der Überzeugung
zu gelangen, dass du dein Heil auf den menschlichen Schutthaufen und nicht auf den Felsen der
Zeitalter gebaut hast.
Höre die folgenden lieblichen und ernsten Worte, welche der Geist Gottes dir erklären und deiner
Seele tief einprägen möge: „Darum, so spricht der Herr, Jehova: Siehe, ich gründe einen Stein in Zion,
einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein gegründeter Gründung; wer glaubt, wird nicht
beschämt werden“ (Jes 28,16; 1. Pet 2,6).
Hier ist ein Fundament, welches Gott selbst gelegt hat. Er erwartet nicht von dir, dass du etwas
hinzufügen, sondern dass du dich einfach darauf stützen, darauf vertrauen, daran glauben sollst.
Und wenn du in Wahrheit nur an Jesus glaubst, so versichert dich das Wort dessen, der nicht lügen
kann, dass du nimmer beschämt werden wirst. „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer
aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“
(Joh 3,36).
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  Das Gesetz 2/4
Das Gesetz – Teil 2/4
Ein anderer Punkt betrit die Verwechselung des Sabbats mit dem Tag des Herrn. Auch diese hat
ihren Grund in der verderblichen Vermengung der jüdischen Grundsätze mit den Grundwahrheiten
des Christentums. Der Sabbat, welcher schon im Anfang der Schöpfung eingeführt war, wurde durch
das bestimmte Gebot auf Sinai mehr als alles übrige der absolute Beweis der Beziehung des Menschen
mit Gott. Israel stand in Beziehung mit Gott als ein von Ihm gekanntes und unter seine Autorität
gestelltes Volk – eine Autorität unter welcher alle Menschen hätten sein sollen. Gott hatte den Sabbat
nach seiner Weisheit zum Zeichen des Bundes aufgerichtet; Er hatte ihn von Anfang an als den Tag
seiner Ruhe bezeichnet, einer Ruhe, an welcher der Mensch teilnehmen sollte. Dennoch war dies die
Ruhe der ersten Schöpfung, die Ruhe nach dem Gesetz, d. h. die Segnung konnte nur erlangt werden
unter der Bedingung des Gehorsams. Sie war für ein gefallenes Wesen bestimmt, welches folglich die
Segnung auf diesem Weg nicht erlangen konnte. Der Sabbat wird von den übrigen sechs Tagen als
der siebente Tag unterschieden. Wenn man sagt, der Sabbat sei einfach einer von den sieben Tagen,
so zerstört man den Begri der Ruhe Gottes. Es konnte nur der siebente sein.
Um in etwa die hervorragende Bedeutung des Sabbats im alten Bunde erkennen zu lassen, möchte
ich unter vielen einige Hauptstellen hervorheben. Wir nden, wenn wir uns zum Gesetz wenden,
dass der Sabbat mit jeder besonderen Verordnung verbunden war; nicht allein mit den zehn Geboten,
sondern mit allem, was irgendeine Beziehung des Menschen mit Gott ausdrückte. Wenden wir uns
zunächst zum zweiten Buch Mose, so nden wir, dass sogleich nach dem Auszug aus Ägypten dem
Volk das Manna zur täglichen Nahrung gegeben wurde, wobei des Sabbattages in bestimmter Weise
Erwähnung geschieht (Kap 16). In Kapitel 20 haben wir die Gebote, mittelst welcher die Beziehung
Gottes mit Israel auf Grund des Gesetzes errichtet und das Halten des Sabbats befohlen wird. Die
Beziehung ist ausgedrückt in den Worten: „Ich bin Jehova, dein Gott“, und von dem Sabbat wird
gesagt: „Der siebente Tag ist Sabbat dem Jehova, deinem Gott;“ aber er wird in Vers 11 ausdrücklich
als die Ruhe der ersten Schöpfung bezeichnet, indem hinzugefügt wird: „darum segnete Jehova den
Sabbattag.“ Dann nden wir den Sabbat aufs Neue verordnet in Verbindung mit der Aufrichtung
der Stiftshütte nebst allen dazu gehörenden Einrichtungen (Kap 31). Er wird dort betrachtet als ein
ewiges Zeichen zwischen Jehova und den Kindern Israel (V 13), und zwar aus dem besonderen Grund,
weil er die Ruhe Jehovas war. Und als Moses zum zweiten Mal auf den Berg stieg, um einen neuen
Bund zu empfangen, wird der Sabbat ebenfalls eingeführt (Kap 34). Desgleichen wird seiner im 35.
Kapitel gedacht, ehe die Opfer zur Errichtung der Stiftshütte erwähnt werden. Im dritten Buch Mose
nimmt der Sabbat wiederum, sobald es sich um die Feste Jehovas handelt, an der Spitze derselben
einen hervorragenden Platz ein (Kap 23). Im 19. Kapitel steht die an das Volk gerichtete Ermahnung:
„heilig zu sein, weil Jehova, ihr Gott, heilig ist“, in Verbindung mit dem Gehorsam gegen die Eltern
und der Beobachtung seiner (Jehovas) Sabbate: „Er ist Jehova, ihr Gott.“ Das 26. Kapitel, welches
in ausführlicher Weise Drohungen gegen Israel ausspricht, falls es ungehorsam und widerspenstig
  83
  Das Gesetz 2/4
sein würde, beginnt mit den Worten: „Meine Sabbate sollt ihr beobachten, und mein Heiligtum
sollt ihr fürchten. Ich bin Jehova.“ Selbst das Land musste einen Sabbat feiern (Kap 25,2.4.6). Israel
sollte dadurch auf die Probe gestellt werden, ob es auf den Gott des Bundes vertraute oder nicht. In
4. Mose 15, wo Jehova inmitten des Gerichts mit seinen Verheißungen und seiner unfehlbaren Treue
dazwischenkommt (Kap 14 und 16), wird das am Tag des Sabbats ausgeübte Holzsammeln als eine
Vermessenheit mit dem Tod bestraft.
Aus den Propheten führe ich nur Hesekiel 20 an, wo bei der Aufzählung der Tatsachen, die der
Verwerfung Israels zu Grund lagen, in Vers 11 und 12 gesagt wird: „Und ich gab ihnen meine
Satzungen und tat ihnen kund meine Rechte, welche – wenn ein Mensch sie tut, er durch sie leben
wird. Und auch meine Sabbate gab ich ihnen, dass sie Zeichen seien zwischen mir und ihnen, auf
dass sie wissen, dass ich Jehova bin, der sie heiligt.“ Unstreitig wird der Leser noch viele andere
darauf bezügliche Stellen nden, aber die angeführten genügen, um den Platz zu bezeichnen, den
der Sabbat unter dem alten Bunde einnahm. Es war der Sabbat Jehovas, des Gottes Israels, und ein
Zeichen seiner Beziehung mit Israel, jedoch gegründet auf die Ruhe Elohims.3 Der Sabbat war ein
Zeichen der Ruhe in der ersten Schöpfung, ein Zeichen der Beziehung mit Gott, mit Jehova in dieser
Ruhe; immer aber war er dem Menschen im Fleisch als ein Gesetz gegeben, und die Segnung und die
Ruhe waren vom Gehorsam abhängig. Dies ist der Begri, den uns das Wort über den Sabbat gibt; er
ist die Ruhe Gottes in der ersten Schöpfung, und nachher die Ruhe, welche aus der Beziehung Gottes
mit dem Menschen im Fleisch unter der Bedingung des Gehorsams entspringt.
Nun aber überzeugt uns das Christentum aufs klarste, dass jene Ruhe eine Sache der Unmöglichkeit
ist. Die Sünde ist eingetreten, und der erste Adam ist in Folge seines Ungehorsams mit seinem ganzen
Geschlecht verloren. Das Fleisch will und kann sich dem Gesetz Gottes nicht unterwerfen; und
deshalb war derjenige, der uns erkauft hat, und der ohne Sünde und in Gnade, aber in der Gleichheit
des Fleisches der Sünde, unter die Menschen herabgekommen war, am Tag des Sabbats im Grab. Der
Tod ist für uns die einzige Ruhe von der Sünde, und das Grab Christi war Zugleich das Grab des
Bundes, auf Grund dessen dem Menschen im Fleisch die Teilnahme an der Ruhe Gottes angeboten
wurde, sowie auch das Grab des Sabbats, der das Zeichen dieses Bundes war. Nicht dass das Gesetz
für die, welche unter ihm waren, abgeschat worden sei, es hat vielmehr die höchste Bestätigung,
die ihm gegeben werden konnte, empfangen, indem Christus dasselbe vollkommen verherrlicht und
seinen Fluch völlig getragen hat. Zugleich sind diejenigen, welche unter dem Gesetz waren, von
demselben befreit worden, indem sie ihm gestorben sind. Die Gegenwart Christi im Grab lieferte den
entscheidenden und absoluten Beweis, dass keine Beziehung zwischen Gott und dem Menschen im
Fleisch stattnden konnte. Der Feigenbaum war verucht und sollte nimmermehr Frucht tragen.
Doch lasst uns sehen, was das Neue Testament in direkter Beziehung über den Sabbat sagt; und ob
da irgendwelche Andeutung bezüglich seines geweihten Charakters gefunden wird. In Matthäus 12
einem (Kapitel, das in dieser Beziehung augenscheinlich von großer Wichtigkeit ist) wird uns gesagt,
dass sich die Pharisäer über die Jünger beklagten, weil diese am Sabbat Ähren abpückten. Der Herr
gibt eine bemerkenswerte Antwort. Er tadelt die Pharisäer nicht in der Weise, wie Er dies anderswo
3 Elohim ist der allgemeine Name Gottes. Der „Allmächtige“ war der Name, den Er als besonderer Beschützer Abrahams
annahm. „Jehova“ ist sein Name Israel gegenüber; er wird eingeführt, sobald Er sich in irgendwelche Beziehung zu
seinen Geschöpfen setzt. Als „Vater“ ist Gott in Verbindung mit den Christen. Der „Höchste“ ist der Name Gottes im
tausendjährigen Reich.
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  Das Gesetz 2/4
tut; aber Er zeigt, dass der Sabbat und andere zeremonielle Vorschriften aus genügenden Gründen
bei Seite gestellt worden seien, und dass jemand gegenwärtig war, der größer war als irgendwelche
Verpichtung gegen den Sabbat. Hätte Gott sagen können: „Ich bin größer als ein moralisches Gebot?“
Würde der Herr seine Jünger auf eine göttliche Weise haben rechtfertigen können, wenn es sich
um den Hass gegen einen Bruder, oder um das Begehren nach des Nächsten Weib gehandelt hätte?
Unstreitig würde ein solcher Gedanke jedes christliche Gemüt empören. Und dennoch tat Er dieses
in Bezug auf den Sabbat. Er rechtfertigte die Jünger und setzte den Sabbat bei Seite; denn die Juden
hatten dies schon getan, indem sie durch die Verwerfung des Messias jedes Band mit Gott, wovon
der Sabbat das Zeichen war, gebrochen hatten. Und der Herr erklärt den Pharisäern, dass, wenn um
Davids willen, als er verworfen war, ein bestimmtes Gebot bei Seite gesetzt werden konnte, (denn
er aß, als ihn und seine Gefährten hungerte, von den Schaubroden, was nach dem Gesetz nur den
Priestern erlaubt war) hier ein Größerer als David war. Zudem war Christus Herr des Sabbats und
hatte wogen der Würde seiner Person und seines Dienstes ein Recht, über ihn zu verfügen. Er stellte
aber nie ein Gebot bei Seite, wo es sich um die Moralität handelte.
Andere Stellen, wie Markus 3,2; Lukas 6,7; 14,1–5; 13,10–16 zeigen uns, wie der Herr am Tag des
Sabbats Heilungen vollbringt und dadurch absichtlich die Aufmerksamkeit der Juden darauf lenkt,
um ihre Vorurteile zu treen (um nicht mehr zu sagen) und den Beweis zu liefern, dass ihr Eifer für
diesen Tag nur Heuchelei war; während Er nicht mit einer Silbe die gesetzmäßige Kraft des Sabbats
aufrecht hält. Ist es nicht sonderbar, dass der Heilige Geist nur den Vorwurf bezeichnet, womit der
Herr ihrer strengen Beobachtung des Sabbats begegnet? Kann man im Neuen Testament in Bezug
auf diesen Tag irgendein anderes Zeugnis nden? Wir haben gesehen, dass das Alte Testament bei
jeder Gelegenheit die Wichtigkeit desselben hervorhebt, während das Neue Testament nichts als
Erklärungen enthält, welche das Recht des Herrn über ihn bestätigen, oder die darüber bestehende
gesetzliche Vorschrift aufheben.
Ich möchte noch einen üchtigen Blick auf Johannes 5 werfen. Wir sehen in dem Fall des Kranken
am Teich Bethesda die Unfähigkeit des Menschen, sich jener Mittel der Segnung zu bedienen, welche
in ihm eine Kraft und Fähigkeit zur Benutzung derselben voraussetzen. Dies ist der charakteristische
Zug des gesetzlichen, mit dem Sabbat verbundenen Systems. Wenn die Sache in einer Weise geordnet
ist, dass das Resultat der Segnung von uns abhängt, dann ndet sich, dass uns die Sünde dergestalt
unfähig gemacht hat, dass wir uns nicht einmal des Heilmittels gegen die Sünde bedienen können,
selbst wenn wir den guten Willen dazu haben. Das ist der in Römer 7 beschriebene Zustand: „Das
Wollen ist bei mir, aber das Wirken dessen, was recht ist, nde ich nicht.“ Christus hingegen bringt die
Kraft, anstatt sie zu fordern; Er heilt mit einem Wort den Kranken. Aber jener Zustand charakterisiert
den Sabbat; er ist die Ruhe des Fleisches, allein diese gehört der Sünde wegen in das Bereich der
Unmöglichkeit. Deshalb antwortete auch Jesus den Juden deren (Aufmerksamkeit Er auf diesen Punkt
gelenkt hatte, indem Er den Kranken sein Bett forttragen hieß): „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich
wirke.“ Er konnte nicht Sabbat halten, denn Er konnte nicht ruhen inmitten der Sünde. Er oenbarte
die Macht, welche in Gnade in die Mitte des Bösen gekommen war, und nicht die Ruhe im Bösen.
Wo aber ndet sich für uns die Ruhe? Sie ndet sich in der neuen Schöpfung, in der Auferstehung –
zunächst für das Gewissen und das Herz, und zuletzt in ganz vollkommener Weise. Christus, als der
Auferstandene, hat den Menschen in eine neue Stellung, auf einen ganz neuen Boden gesetzt. Er hat
ihn nicht in die Stellung des unschuldigen Adam zurückgeführt, sondern hat ihn aus der Stellung des
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  Das Gesetz 2/4
schuldigen Adam und dieser gegenwärtigen bösen Welt befreit. Nachdem Er das Werk der Erlösung
vollbracht, die Macht des Todes zerstört und durch das Blut des Kreuzes Frieden gemacht hat, hat Er
als Mensch eine ganz neue Stellung eingenommen; und sein Werk gibt dem Menschen nicht bloß ein
Anrecht auf diese neue Stellung, sondern führt ihn auch durch die Wirksamkeit der Auferstehung in
dieselbe ein. Wir sind vor Gott als Auferweckte in Christus, obgleich wir diesen Schatz in irdenen
Gefäßen haben und die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes erwarten. Wir benden uns in
Christus in der neuen Schöpfung; und unsere Ruhe ist nicht der Sabbat im Fleisch, diejenige der alten
Schöpfung, sondern vielmehr diejenige des Glaubens durch die Auferstehung Christi. Sie ist uns
nicht auferlegt durch das Gesetz, denn wir sind nicht unter demselben, sondern sind gestorben und
außerhalb des Bereichs und der Natur der Sünde – sind auferweckt mit Christus. Also der Tag des
Herrn, der Tag der Auferstehung Christi, ist, insofern ein Tag dieses sein kann, das glückliche Zeugnis
einer besseren und vollkommenen Ruhe. Ich bin mit Christus der alten Schöpfung, dem Fleisch und
dem Gesetz gestorben; das Grab Christi ist die Antwort auf meine Ruhe als Mensch im Fleisch.
Ich habe die wahre Ruhe in dem göttlichen Wohlgefallen gefunden, welches Gott in Christus, dem
Auferstandenen, hat. Sein Werk ist erfüllt, und Gott kann jetzt ruhen in Gerechtigkeit und Wonne,
in welcher wir ebenfalls unsere Ruhe nden. Wir ruhen von der vergeblichen Anstrengung, die
Gerechtigkeit zu erlangen; wir erfreuen uns des Guten in dem Anderen; wir ruhen in der Liebe Gottes,
die ohne Hindernis auf uns ruht in Christus Jesus, und die durch den Heiligen Geist Zugleich das
Pfand der vollkommenen Ruhe ist, welche die Auferstehung des Leibes geben wird. Man vergleiche in
Bezug auf den Tag des Herrn Johannes 20; Apostelgeschichte 20,7; 1. Korinther 16,2; Oenbarung 1,10.
Der Sabbat ist, wie schon bemerkt, der siebente Tag, die Ruhe Gottes, die Ruhe Jehovas. Es handelt
sich aber jetzt nicht um den siebenten Tag, um die Ruhe der alten Schöpfung, (denn diese ist für den
einsichtsvollen Christen unmöglich) sondern um den ersten Tag der Woche als Gegensatz zu dem
siebenten; denn Christus war unstreitig am siebenten Tag im Grab und ist am ersten und nicht am
siebenten Tag der Woche auferstanden. Die Annahme, dass der Sabbat ursprünglich der erste Tag
gewesen sei, trägt nicht den Tatsachen Rechnung und verkennt die Tragweite und die Bedeutung,
welche der Veränderung dieses Tages zu Grund liegt. Es handelt sich weder um einen jüdischen,
noch um einen gesetzlichen Sabbat, sondern um den christlichen Tag des Herrn. Der einzige Anteil,
welchen das Fleisch jetzt daran haben kann, ist die Barmherzigkeit gegen den Menschen im Fleisch;
und dies ist eine neue Oenbarung der Barmherzigkeit Christi. Als der Sabbat ursprünglich im
Paradies eingerichtet war, war die Arbeit noch nicht das Los des Menschen; er hätte daher die Ruhe
Gottes als Anbeter genießen können, aber er hat es nie getan. Jetzt, da die Sünde eingetreten ist,
kann der Herr uns sagen, dass der Sabbat um des Menschen willen gemacht ist (Mk 2,27). Insoweit
also der Tag des Herrn zu einem Ruhetag für alle gemacht werden kann, wird die Gnade es tun. Ich
sage nicht, dass man ihn als ein religiöses Gesetz den unbekehrten Menschen auegen soll. Konnte
die ursprüngliche Kirche ihn den Heiden auslegen? Aber dennoch glaube ich, dass es selbst für die
Welt eine große Gnade ist, wenn durch bürgerliche Gesetze oder gesellschaftliche Gewohnheiten
die Beobachtung dieses Tages gesichert ist, obgleich die Gefahr naheliegt, dass dadurch die eigene
Gerechtigkeit genährt wird. Als Christ freue ich mich, einen Tag (den Tag des Herrn) zu haben, der
für mich ein Zeugnis des Sieges über die Welt und die alte Schöpfung ist. Und ich glaube, und habe
auch die Erfahrung gemacht, dass wir danach streben können, am Tag des Herrn im Geist zu sein;
nicht um Gesicht zu haben wie Johannes, sondern um die Segnung und die Freude im Herrn zu
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  Das Gesetz 2/4
genießen. Das ist kein Gesetz. Ich bin durchaus nicht mit denen einverstanden, die den Tag des Herrn
für sich aufheben oder bei Seite setzen; obwohl ich zugebe, dass es Verhältnisse gibt, die unsere
Arbeit an einem solchen Tage unumgänglich nötig machen. Wäre ich z. B. an Bord eines Schies
so würde ich es für eine positive Sünde halten, wenn ich meinen Dienst am Tag des Herrn nicht
mit derselben Sorgfalt ausführen und für die Sicherheit aller wachen würde, wie an jedem anderen
Tage. Andererseits aber glaube ich, dass der Christ am Tag des Herrn sich womöglich von aller
irdischen Beschäftigung zurückziehen sollte. Zudem gibt es eine einfache Regel, um uns in solchen
Fällen zu leiten; wir haben uns in allem, was wir tun, die Frage vorzulegen, ob wir es im Namen des
Herrn Jesus tun können. Ist dies der Fall, so mag es geschehen, wenn nicht, so sollte es unterlassen
bleiben. Ich bin nicht dafür, den Christen bezüglich ihrer häuslichen Einrichtungen Schwierigkeiten
zu machen, doch sollten diese ihren Untergebenen am Tag des Herrn reichlich Ruhe gönnen. Ebenso
möchte ich als Familienvater meine Kinder, anstatt sie in Bezug auf diesen Tag unter ein Gesetz
zu stellen, so viel als möglich zu erfreuen suchen; ich wünsche, dass sich für sie an diesen Tag der
Gedanke des Glücks knüpfen möchte, aber eines Glücks in Verbindung mit Gott und nicht mit eitlen
Vergnügungen. Ich glaube, dass der Tag des Herrn eine Ruhe des Glücks, des Glücks mit Gott, und
nicht eine durch Ihn auferlegte gesetzliche Knechtschaft ist. Indessen erwarte ich nicht, dass die
Kinder dieser Welt mir bezüglich dieser Darstellungen ihr Ohr leihen; doch ich handle in Betre der
Beobachtung dieses Tages für mich selbst. Ernste Christen werden diesen Tag zu schätzen wissen,
und ihre moralische Zurückhaltung, wie die Gottseligkeit sie immer ausübt, wird ihre Wirkung auf
andere nicht verfehlen.
Ich gehe hier nicht weiter in diese Frage ein; aber es ist sicher, dass die ersten Christen nie den Tag
des Herrn mit dem Sabbat verwechselt haben. Mein Zweck war, die Schrift über diesen Gegenstand
in Verbindung mit dem Gesetz zu prüfen, denn dies ist der wirklich wichtige Punkt, insoweit es sich
um die wahre Natur des Christentums handelt.
Ich wende mich jetzt zu der Meinung vieler, dass eine gemeinsame – Rechtfertigung auch einen
gemeinsamen Platz bei Christus gebe. Man stützt sich dabei auf Römer 3,35 und behauptet, dass die
Gerechtigkeit Christi der einzige Grund unserer Rechtfertigung sei. Allein dieses ist ungenau. Der
Apostel hat als eine Tatsache bewiesen, dass alle, sowohl Juden als Nationen, von Natur unter der
Sünde sind, und dass kein Fleisch aus Gesetzes Werken gerechtfertigt wird. Er spricht aber durchaus
nicht von der Gerechtigkeit Christi, sondern sagt, dass „Gott Ihn (Christus) dargestellt habe zu einem
Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner (Gottes) Gerechtigkeit wegen
des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung
seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er (Gott) gerecht sei und den rechtfertige, der des
Glaubens an Jesus ist.“ In Vers 21 und 23 wird ausdrücklich erklärt, dass es die Gerechtigkeit Gottes
und nicht diejenige Christi ist, welche sich erweist in der Rechtfertigung dessen, der an Jesus glaubt.
„Die Gerechtigkeit Gottes ist oenbart – die Gerechtigkeit Gottes aber durch Glauben an Jesus
Christus gegen alle und auf alle, die da glauben.“ Ebenso ist durch den aufgerichteten Gnadenstuhl
erwiesen, dass Gott gerecht war, wenn Er den alttestamentlichen Heiligen, deren Sünden Er unter
seiner Nachsicht hingehen ließ, vergab; und diese Gerechtigkeit ist jetzt unseren Seelen oenbart,
um darauf zu bauen. Wir sind Gottes Gerechtigkeit in Christus geworden. Es ist gewiss schriftgemäß,
wenn man sagt, dass alle Heiligen von dem Fall Adams an auf ein und demselben Wege gerechtfertigt
worden sind; will man aber daraus folgern, dass deshalb auch alle zur Kirche gehören, so ist das
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  Das Gesetz 2/4
schriftwidrig. Gott hatte Nachsicht mit den alttestamentlichen Gläubigen, da Er wusste, was Er
tun wollte; aber die Gerechtigkeit war nicht oenbart. Jetzt aber ist sie oenbart – Gott ist gerecht
und der Rechtfertiger dessen, der an Jesus glaubt. Dieser durch die Oenbarung der Gerechtigkeit
hervorgebrachte Unterschied in der Stellung der jetzigen und der alttestamentlichen Gläubigen ist
für unseren praktischen Zustand sehr ernst (Fortsetzung folgt).
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  Reinigung und Gemeinschaft
Reinigung und Gemeinschaft
Ein jeder, der den Zustand des Volkes Gottes in unseren Tagen aufmerksam beobachtet, wird ohne
Zweifel bemerken, dass die wahre Ruhe der Seele nur selten bei den Gläubigen gefunden wird. Man
kann ernst, eifrig, erfahren und wohl unterwiesen sein und dennoch diese Ruhe wenig genießen.
Woher kommt dieses? Ich hoe, in der vorliegenden Betrachtung die Antwort auf diese Frage zu
liefern.
Es wirken gewöhnlich zwei Grundsätze unter denen, die den Namen Christi tragen, durch welche die
Seelen zur Ruhe zu kommen suchen: 1. Die Werktätigkeit, ein ernstes, unaufhörliches Beschäftigtsein,
wobei das Herz von Dingen eingenommen ist, welche in sich selbst oft gut und recht sind, die aber
weder Ruhe geben, noch geben können. Im Gegenteil werden wir oft nden, dass sich diese Tätigkeit
in dem Maß steigert, wie der Mangel an Ruhe der Seele sich fühlbar macht, da jene, die unruhig
sind, sich oft eifrig zeigen, um vor allem nicht mit sich selbst beschäftigt zu sein. 2. Die Verbesserung
des natürlichen Menschen, eine Lehre, die durch Christen, durch wahre Kinder Gottes verkündigt
und nur allzu viel angenommen wird, und wodurch sie zu verstehen geben, dass die Unterwerfung
unseres eignen Willens durch diesen Willen uns die wahre Ruhe schenken muss. Die Ungereimtheit
einer solchen Behauptung ist in die Augen springend; und dennoch hält man daran fest, dass man
die Ruhe in dem Augenblick erhalte, in welchem der Wille sich übergebe oder, mit anderen Worten,
sich selbst töte. Ich wünsche daher an der Hand der Schrift zu zeigen, was die Seele verhindert, um
die vollkommene Ruhe zu genießen, von der uns Johannes in dem 13. Kapitel seines Evangeliums
ein Vorbild gibt, und dann darauf aufmerksam zu machen, worin die Ruhe besteht und welches ihre
Folgen sind.
Ich glaube, dass die Ruhe bei vielen Gläubigen deshalb nicht vorhanden ist, weil ihre Füße nicht
gewaschen sind; denn, beachten wir es wohl, diese große Wahrheit ist es, die uns in Johannes 13 vor
Augen gestellt wird: ohne die Fußwaschung sind wir nicht passend, um Teil zu haben mit Jesu dort,
wo Er ist. Der Herr reinigt uns nicht allein von den Flecken, die uns in unserem täglichen Wandel
beschmutzen, sondern das Herz wird passend gemacht, um bei Christus zu sein, dort, wo Er ist; es
wird gereinigt, um Gemeinschaft und Teil mit Ihm zu haben in der Herrlichkeit.
„Während des Abendessens“ hebt der Herr die Gemeinschaft auf, in der Er bisher mit den Seinen
auf dieser Erde gewesen war, indem Er aus ihrer Mitte aufsteht und ihnen zeigt, wie Er sie passend
machen kann, um in eine andere und viel bessere Beziehung zu Ihm zu treten. Es ist, als wollte Er
hierdurch sagen: Bis hierher stellte ich mich auf euren Standpunkt, um Gemeinschaft mit euch zu
haben; jetzt aber will ich euch zeigen, wie ich euch passend machen kann, um mit mir auf meinem
Standpunkt, in der Umgebung und dem Platz, wohin ich jetzt gehe, Gemeinschaft zu haben. Hierauf
nimmt Er das Becken, das Wasser und ein leinenes Tuch; und in dem vollen Bewusstsein, „dass Er
von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“, erniedrigt Er sich, um diesen Dienst an denen zu
verrichten, die Er liebte.
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  Reinigung und Gemeinschaft
Und was ist die Quelle und die Triebfeder von dem, was Er an ihnen tat? „Da er die Seinen, die in der
Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende.“ Welch eine anbetungswürdige Liebe! Welch eine
wunderbare Gnade! Mochten sich die Zeiten und Umstände auch anderen, seine Liebe und Sorgfalt
für die Seinen änderten sich nicht. Ach, wie wenig verstehen wir noch, dass der Beweggrund seines
Handelns in Ihm selbst liegt. Das, was seine Gnade in Bewegung setzt, ndet seinen Ursprung nur in
seinem eignen Herzen. Seine Liebe zu den Seinen ist der Beweggrund, sie passend zu machen für
seine Gegenwart und für die Gemeinschaft mit Ihm an jenem Platz, wohin Er gegangen ist. Das allein
konnte das Herz Christi befriedigen. Es war das Begehren seines Herzens, arme, elende Geschöpfe,
wie wir von Natur sind, fähig zu machen, um Gemeinschaft mit Ihm zu haben an dem neuen Platz, den
Er eingenommen hat. Es sind nicht allem unsere Bedürfnisse und unser Elend, die Ihn dazu bewegen,
uns für sich passend zu machen, nein, es ist das Bea gehren seines eigenen Herzens. Deshalb nimmt
Er das Becken und das Wasser, wäscht die Füße seiner Jünger und trocknet sie mit dem leinenen
Tuch, womit Er sich umgürtet hatte.
Wissen wir, was Christus bezweckt, wenn Er in dieser Weise mit uns beschäftigt ist? Ich spreche über
ganz einfache Dinge, die wohl vielen von uns sehr gut bekannt sind; aber das Alte muss in unseren
Herzen oft von neuem aufgefrischt werden; denn es verliert häug gerade dadurch seine Kraft, dass
es bereits seit langer Zeit bekannt ist, und zwar umso mehr, je größer der Einuss ist, den unsere
Umgebung auf uns ausübt. Wissen und fühlen wir in diesem Augenblick, dass der Herr Jesus um
uns beschäftigt ist? Wissen wir, was es heißt, Gegenstände seiner Tätigkeit zu sein – einer Tätigkeit,
die jedes Fleckchen zu entfernen vermag, das uns unpassend machen könnte, um Gemeinschaft mit
Ihm zu haben? Haben wir es verstanden, dass sein Herz eine größere Freude in der Gemeinschaft
mit uns genießt, als unser Herz in der Gemeinschaft mit Ihm? Sind wir damit einverstanden, dass Er
sich umgürtet und dadurch, dass Er unsere Füße wäscht, alles entfernt, was uns unpassend macht
sowohl für Ihn selbst als auch für seine Gemeinschaft? Ich stelle diese Fragen, weil Christus in diesem
Liebesdienst nichts übersieht. Dies ist sehr ernst. Ich glaube nicht (ich bekenne es oen), dass wir
im Allgemeinen der durchdringenden und heiligenden Kraft des Wortes Gottes, wodurch selbst das
Geringste in uns, das nicht mit Christus übereinstimmt, verurteilt und entfernt wird, unterworfen
sind. Wir kennen alle eine Stelle der Schrift, die deutlich lehrt, was in dieser Hinsicht in das Herz
eines jeden von uns eingegraben sein sollte: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und
schärfer denn jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des
Geistes, der Gelenke und des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens;
und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen,
mit dem wir zu tun haben“ (Heb 4,12–13).
Hier nden wir die göttliche Erklärung von der Art und Weise, in welcher der Herr alles wegnimmt,
was für uns ein Hindernis ist, um Gemeinschaft mit Ihm zu haben. Er benutzt dazu Gottes Wort. Das
Wort Gottesist das Wasser; dieses Bild nden wirfast überall in der Schrift. Das Wort ist die reinigende
Kraft, die alles wegnimmt, was für die Gegenwart des Herrn nicht passt. Wenn das lebendige Wort
das Gewissen und die Seele erreicht und durchdringt, so bringt es uns in die Gegenwart Gottes; und
durch dasselbe wird das Urteil Gottes auf alles in Anwendung gebracht, was sich in unserem Innern
bendet. Auch sehen wir in dieser Stelle des Briefes an die Hebräer, wie völlig das eischgewordene
und das geschriebene Wort mit einander eins sind. „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam usw. . . .
und kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen,
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  Reinigung und Gemeinschaft
mit dem wir zu tun haben.“ Vor wessen Augen? Vor den Augen Gottes. Das, was von Gott wahr ist, ist
auch wahr von seinem Wort, und die Vollkommenheiten Gottes, die durchdringende und lebendige
Kraft des gesegneten Gottes, der die Herzen und die Neigungen des Herzens prüft, werden auch
seinem Wort zuerkannt. Ich weise mit umso mehr Nachdruck darauf hin, da ich fürchte, dass wir
nicht genügsam von dem so großen Gewicht des Wortes überzeugt sind, noch von der Weise, in
welcher es auf unser Gewissen wirken würde, wenn wir uns mehr seiner Wirksamkeit überließen.
Nimmt das Wort Gottes in Wirklichkeit den Platz in unseren Seelen ein, den es bei den Heiligen
früherer Zeiten besaß? Ich erkenne an, dass man gegenwärtig eine Vermehrung der Erkenntnis, selbst
bis zu einer merkwürdigen Höhe, bei den Christen antrit, aber ich frage, ob die Macht, die Gottes
Wort vor etwa zwanzig Jahren auf die Seelen ausübte, noch in demselben Maße auf diejenigen wirkt,
welche ernten, was andere gesät haben. Ich zweie sehr daran, dass wir alle fühlen, wie herrlich es
ist, jeden Gedanken, jeden Beweggrund, jede Tat der durchdringenden Kraft des lebendigen Wortes
zu unterwerfen.
Wenn dieses nun also ist, kann es uns dann noch befremden, dassso viele Seelen keine Ruhe genießen?
Es ist wohl zu begreifen, dass die Ruhe da fehlt, wo das Wasser nicht von allem reinigt, was mit der
Gegenwart des Herrn unvereinbar ist; und es ist nur die Güte Gottes, dass Er uns keine Ruhe nden
lässt, solange wir nicht im Stande sind, die Ruhe in seiner Gegenwart zu genießen.
Da ich hier von der Fußwaschung spreche, so will ich noch bemerken, dass wir die tiefe Bedeutung
dieser Handlung nicht völlig verstehen, wenn wir den Herrn nur mit den Dingen beschäftigt sehen,
welche geradezu mit seiner Gegenwart unvereinbar sind; denn unser teurer Heiland kommt vielen
Dingen zuvor, die, wenn sie fortwirken und geduldet würden, die Gemeinschaft vernichteten.
Wir nehmen die Tatsache an, dass der Herr in Gnade aufrichtet, dass Er die Füße wäscht, die
verunreinigt sind; allein es gibt in unserem täglichen Leben Vorkommnisse, die wir aus einem
anderen Gesichtspunkt betrachten würden, wenn unsere Herzen unter dem Eindruck wären, dass
der Herr auch der Wirkung von Grundsätzen zuvorkommt, die ohne seine Dazwischenkunft eine
Entfernung zwischen Ihm und uns hervorrufen würden.
Er kommt sowohl zuvor, als Er wegnimmt. Sagt Paulus uns nicht in 2. Korinther 12,7: „Und auf dass
ich mich nicht durch die Überschwänglichkeit der Oenbarungen überhebe, ward mir ein Dorn für
das Fleisch gegeben, ein Engel des Satans, dass er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht
überhebe?“ Nichts hatte zu einer Entfernung zwischen Paulus und Christus Anlass gegeben. Das
Fleisch hatte in Paulus nicht gewirkt, aber es war in ihm und bereit zu handeln. Die Quelle, woraus
eine Scheidung zwischen Christus und ihm entstehen konnte, war vorhanden. Für den Menschen
gibt es, selbst wenn er bis zum dritten Himmel entrückt worden ist, allezeit Veranlassungen, dass das
Fleisch wirksam werde. Deshalb sagt der Apostel: „Auf dass ich mich nicht überhebe, ward mir ein
Dorn für das Fleisch gegeben.“
Ich fürchte, dass dieser Gedanke nicht mit aller der Kraft auf unsere Herzen wirkt, die er ausüben
sollte. Wir beschränken uns auf das Verlangen, dass die Trennung, nachdem sie bereits durch die
Wirksamkeit des Fleisches hervorgebracht ist, wieder weggetan werde; und wir begehren so wenig,
dass der Herr Mittel und Wege gebrauche, um der Scheidung zuvorzukommen. Wenn wir mehr
davon erfüllt wären, welch ein Licht würde uns aufgehen über so viele Umstände unseres Lebens,
über so viele Wege, die wir gegangen sind, über so viele Schwierigkeiten, Nöte, Verdrießlichkeiten,
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  Reinigung und Gemeinschaft
Betrübnisse und traurige Ereignisse, die wir so gerne anders gesehen hätten! Wir würden viel Heller
sehen, wenn wir mehr von dem göttlichen Gefühl durchdrungen wären, dass Er, der zum Himmel
hinaufgefahren ist, uns mit einer ewigen Liebe liebt, dass Er an uns denkt, dass Er weiß, dass in
uns eine Natur ist, die in Versuchung kommen und in Tätigkeit gesetzt werden kann, um uns von
Ihm zu entfernen, und dass Er genau den richtigen Augenblick kennt, wann Er dazwischentreten
muss. Wie viel Licht würde uns das über so manchen dunklen Tag geben! Welch eine Liebe, die nicht
allein herabsteigt, um uns von jedem schon vorhandenen Flecken zu reinigen, sondern die auch
der Wirksamkeit der bösen Natur in uns zuvorkommt, welche uns von Ihm entfernen würde! Er
verhindert dieses und schenkt uns das Vorrecht, in der Gemeinschaft Gottes zu lernen, was das Fleisch
ist, so dass wir nicht genötigt sind, in der Gemeinschaft des Teufels diese Kenntnis zu erlangen; denn
auf einem dieser beiden Wege müssen wir das Fleisch kennen lernen. Wenn du nicht, wie Paulus, mit
Gott erfährst, was du bist, so wirst du es, wie Petrus, mit dem Teufel lernen. Wie ernst ist das! Doch
für Paulus war es die vorsorgende Liebe des Herrn: „Ein Dorn für das Fleisch ist mir gegeben.“
Weißt du jetzt, was es heißt, passend zu sein für die Gemeinschaft mit dem Herrn? Wenn jemand
sagt: „Ich bin allezeit glücklich“, so kann dies wahr sein; aber das ist es nicht, was Johannes 13 uns
zeigt; denn hier handelt es sich um die Waschung der Füße, um passend zu sein für die Gegenwart
Gottes, so dass alles, was nicht in diese Gegenwart gehört und uns beunruhigen könnte, völlig
entfernt wird. Sobald meine Füße gewaschen sind, gibt es kein Hindernis mehr, um in völliger
Gemeinschaft mit Ihm zu sein, dort wo Er jetzt ist, und um die Ruhe zu genießen, welche die Folge
davon ist. Ich glaube, dass der Mangel an Ruhe bei den Gläubigen daherkommt, dass ihre Füße
nicht gewaschen sind, um mit Christus Teil haben zu können. Es ist ein Abstand, eine Entfernung
zwischen ihnen und Christus vorhanden. Ist dies auch mit dir der Fall? Es ist nur sehr wenig nötig,
um eine Entfernung hervorzurufen. Auch können wir – und das ist eine sehr ernste Sache – unsere
Füße aus den gesegneten Händen des Herrn zurückziehen und Ihn eine Zeitlang verhindern, sie zu
waschen und das Wort auf uns in Anwendung zu bringen; wir können der Wirksamkeit seiner Liebe
widerstreben, so dass der Abstand zwischen uns und Ihm bestehen bleibt. Dann muss Er uns auf
andere Weise belehren. Doch welch eine wunderbare Tätigkeit zu Gunsten solch armer Geschöpfe!
Welch eine Gnade, die sich herablässt, unsere Füße von allem, selbst von den kleinsten Flecken, zu
reinigen! Seine vollkommene Liebe zeigt sich auch darin, dass Er nichts vorbeischlüpfen lässt. Unsere
Eigenliebe oenbart sich oft darin, dass wir vieles gar nicht beachten. Aber seine Liebe hält nichts für
zu gering. Die Eigenliebe bewegt sich um sich selbst; die Liebe beschäftigt sich mit einem Gegenstand
außer sich und opfert sich für denselben auf. Sie sinnt auf das Beste desselben und erlaubt nicht,
dass das Geringste an ihm hafte, das nicht ihrer Zuneigung entspricht. Und warum? Um die Freude
zu genießen, den Gegenstand so zu besitzen, wie sie ihn wünscht. Wer kann über die Freude des
Herzens Jesu reden? Wer kennt auch nur in geringem Maß diese Freude – seine Freude, uns dort bei
sich zu haben, und zwar so, dass wir mit Ihm in Gemeinschaft sein können? Haben wir verstanden,
dass die Freude des Herrn, uns dorthin versetzen zu können, wo Er mit uns Gemeinschaft zu haben
vermag, größer und inniger ist, als die unsrige sein kann, dort bei Ihm zu weilen? Das ist die tiefe
Bedeutung der so einfachen Handlung in Johannes 13.
Ich komme mit Nachdruck hierauf zurück, weil man in unseren Tagen der äußerlichen Tätigkeit
Gefahr läuft, das zu vergessen, was wir dem Herrn Jesus schuldig sind. Ich halte mich für überzeugt,
dass das, was Christus in diesen Tagen von den Seinen wünscht, nicht ist, sich durch große Dinge zu
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  Reinigung und Gemeinschaft
unterscheiden und Heldentaten zu verrichten,sondern Zeugnis abzulegen von seiner Allgenügsamkeit
und Kraft, alles für sie zu tun, und auch andere ermüdete und beladene Seelen zu ermuntern, auf
diese Gnade und Kraft in Christus völlig zu vertrauen. Ja, Er allein vermag unsere Herzen ganz zu
erfüllen und passend zu machen, um von Ihm zu genießen an dem Platz der Herrlichkeit, wo Er ihre
ewige Freude und Ruhe ist. Möchten wir uns stets vor Ihm benden mit seinem teuren Wort, um
durch dasselbe die geheimen Triebfedern unserer Herzen zu untersuchen und so die vollkommene
Ruhe zu genießen, welche die Folge davon ist! Fürchten wir uns nicht, jeden Gedanken unseres
Herzens, jede Bewegung unserer Seele dem Wort zu unterwerfen; fürchten wir uns aber vor allem,
was uns von demselben entfernt halt und im Stande ist, uns seiner reinigenden Kraft zu entziehen!
Fürchten wir uns nimmer vor der Liebe, die sich mit dem beschäftigt, was für uns das Beste ist! Und
das tut die Liebe Jesu. Der Wunsch seines Herzens ist, uns zu segnen. Wir sind die Gegenstände
seiner Liebe, und Er wünscht uns so zu bilden, dass seine Freude in uns bleiben kann, auf dass unsere
Freude völlig sei. Wir werden erfahren, dass wir auf diesem Weg Ruhe nden werden; denn alles,
was diese Ruhe verhinderte, wird entfernt sein. Johannes lag an der Brust Jesu. Haben wir unser
Haupt jemals an seine Brust gelegt, um dort zu ruhen? Haben wir das Bewusstsein, dass Er unsere
Füße gewaschen hat, um dazu fähig zu sein? Das Eine muss dem Anderen notwendig vorangehen.
Welch ein gesegneter Platz für eine ermüdete Seele!
Ohne Zweifel sind diese Dinge bildlich; allein, wenn ich mich an der einfachen Erzählung der Schrift
halte, dann verstehe ich unter dem Legen unseres Hauptes an die Brust Jesu unsere Gemeinschaft
und unsere Vertraulichkeit mit Ihm, in der Weise, dass Er die vollkommene Ruhe unseres Herzens
ist. Nicht das, was wir von Ihm empfangen, sondern Er selbst ist unsere Ruhe. Bendet sich etwas
zwischen uns und Christus, so können wir, solange dieses nicht hinweggeräumt ist, keine Ruhe
haben; denn in einem solchen Zustand fürchtet unser Herz die Gegenwart des Herrn, durch welche
das, was uns von. Ihm trennt, ans Licht gebracht wird. Darum sehen wir leider nur so wenige, die im
Stande sind, mit Jesu und mit Gott allein zu sein. Um nicht das Alleinsein mit Gott zu fürchten, muss
alles zwischen uns und Ihm in Ordnung sein. Als Jakob allein gelassen wurde, rang ein Mann mit
ihm bis zum Anbruch des Tages. Als Josephe nachdem er alle hatte hinausgehen heißen, mit seinen
Brüdern allein zurückgeblieben war, gab er sich ihnen zu erkennen; niemand war gegenwärtig. Ich
kenne den Grund, warum so viele Seelen in allem, was sie umringt, Ableitung suchen, sehr wohl: sie
wollen vermeiden, mit Christus oder mit Gott allein zu sein. Wenn nichts zwischen uns und Christus
ist, so können wir allein mit Ihm sein uni in seiner Gemeinschaft Ruhe nden. Seine Gegenwart ist
dann die Ruhe unseres Herzens.
In Lukas 7 nden wir zwei Dinge, an denen wir eine aufrichtige Seele erkennen können: 1. Ich muss
Ihn nden und nahe bei Ihm sein, und 2. Er muss mein alles sein. Wenn ich von unserem Nahesein
bei Christus spreche so meine ich damit, dort bei Ihm zu sein, wo Er ist. Wenn unser Herz den Segen
der Gemeinschaft mit Christus dort, wo Er ist, genießt, dann können wir den Blick rückwärtsrichten
und sagen: „Ich bin unabhängig von den Dingen der Erde.“ Wenn wir besitzen, was droben ist, so
wenden wir uns von allem ab, was uns umringt und nur ein Schatten der bleibenden Güter ist. Die
Menschen beschäftigen sich mit irdischen Gütern, weil sie das wahre Gut nicht besitzen. Wenn sie es
besäßen, so würden sie auch wissen, was mit demselben im Widerspruch steht, und jene Dinge nicht
begehren.
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  Reinigung und Gemeinschaft
Wenn Christi Teil das unsrige ist, so bleiben wir in seiner Nähe; dann ist seine Gegenwart die Ruhe
unserer Seele, dann kennt unser Herz die Ruhe, die dort herrscht. Von dieser Ruhe spricht der 23.
Psalm. Er meint nicht die irdischen Triften, denn hienieden gibt es keine „grünen Auen.“ Diese nden
wir nur im Himmel, und auch „die Wasser der Ruhe“ ießen hienieden nicht. Nein, inmitten der
Wirbel und Stürme der irdischen Dinge gibt es keine Ruhe. Aber von dem Augenblick an, dass mein
Herz die Gemeinschaft mit Jesu kennt und nichts mich verhindert, dieselbe zu genießen, kann ich
mich von allen Dingen der Erde, selbst von den besten, abwenden und sehe Zugleich die Listen und
Fallstricke des Teufels vor mir bloßgelegt. Und weshalb? Weil ich das beste Gut besitze, welches mein
Herz gegen alles stärkt, was nicht in Übereinstimmung mit demselben ist, und nur dies allein kann
mir genügen.
Und überdies benden wir uns, wenn wir nahe bei Christus sind und seine Gemeinschaft genießen,
an dem rechten Platze, um seine Gedanken zu kennen. Wir lesen in Vers 21–25: „Als Jesus dies
gesagt hatte, wurde er im Geist erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, dass einer von euch mich überliefern wird. Da blickten die Jünger sich einander an, zweifelnd,
von wem er rede. Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch in dem Schoß Jesu.
Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er forschen möchte, wer es wohl wäre, von welchem er rede.
Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: ‚Herr, wer ist es?‘“ Dort war Vertrauen
und Ruhe, um die vertrauliche Antwort zu empfangen. Was kann einfacher, was glücklicher sein?
Demjenigen, der sich am nächsten bei Jesu bendet, erkennen die Übrigen das Recht zu, die innige
Vertraulichkeit eines Freundes zu besitzen. Petrus bedient sich aus einiger Entfernung der Nähe, in
der sich Johannes bendet, um nicht allein die Zweifel seines Herzens und die der übrigen Jünger
zu beschwichtigen, sondern auch um die Geheimnisse des Herzens Jesu kennen zu lernen. Petrus
wusste, dass derjenige, welcher in dem Schoß Jesu lag, im Stande war, die Geheimnisse jenes Herzens
kennen zu lernen und die Mitteilung derselben zu empfangen. Geliebte Freunde! Dies ist von der
höchsten Wichtigkeit. Der Herr gibt uns keine Mitteilungen aus einer gewissen Entfernung. Wenn
wir von Christus entfernt sind, so können wir weder seine Geheimnisse, noch seine Wünsche kennen.
Ich sage nicht, dass Er uns nicht liebhat; allein was sein Herz in Bezug auf uns beschäftigt, wenn
wir von Ihm uns entfernt haben, ist, uns wirklich so nahe zu sich zu bringen, dass Er die Freude
genießen kann, uns Mitteilungen zu machen; denn darin hat Er seine Wonne. Die übrigen Jünger
waren nicht nahe genug bei Christus, um seine Geheimnisse kennen zu lernen. Johannes aber war es,
und er hatte außerdem Vertrauen genug, um zu fragen: „Herr, wer ist es?“ Er war ruhig genug, um die
Antwort Jesu hören zu können. Da war Nähe, Vertrauen und Ruhe. Kennen wir diese auch? Ich weiß
durch mein eigenes Herz, dass wir dem Herrn oft etwas mitzuteilen haben; aber sehr selten genießen
wir genügenden Frieden und benden uns so nahe bei Ihm, dass Er uns Mitteilungen machen kann.
Ja, wie selten ist das der Fall, und ach, wie wenig scheinen wir zu wissen, dass Er danach verlangt,
uns nahe bei sich zu haben, damit sein Herz die Freude genieße, uns zu zeigen, welch eine Liebe es
für uns fühlt und wie es nichts von derselben zurückhält. Möchte der Herr uns diesen Frieden der
Seele, diese Ruhe des Herzens und dieses geönete Ohr schenken, um die Mitteilungen empfangen
zu können, welche sein Herz allen, die in seiner Nähe sind, zu machen wünscht!
Ich möchte zum Schluss die Aufmerksamkeit des Lesers noch kurz auf eine Stelle im 21.
Kapitel desselben Evangeliums richten. Wir lesen dort im 7. Verse: „Da sagt jener Jünger, den
Jesus liebte, zu Petrus: ‚Es ist der Herr.‘“ Wir sehen daraus, dass das Nahesein bei dem Herrn noch
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  Reinigung und Gemeinschaft
eine andere Folge hat: man kann seine Handlungen verstehen, da man die Person kennt, welche
handelt; die Kenntnis von Ihm, der die Handlung ausführt, verbindet dieselbe mit seiner Person.
Der Zweck, weshalb wir die Gemeinschaft mit Jesu suchen, sollte jedoch nicht sein, um Mitteilungen
von Ihm zu empfangen, noch um sagen zu können: „Es ist der Herr.“ Es sollte uns um seine Person
zu tun sein, ohne jeden anderen Beweggrund; wir sollten unser Haupt an die Brust dessen legen,
der uns dort zu sehen wünscht, und zwar nur aus Liebe zu seiner Person. Geben wir auch nicht
dem Gedanken Raum, dass unter Gottes Hausgenossen ein Kind dem Anderen vorgezogen wird,
dass es dort Bevorrechtete gibt. Der Platz der Vertraulichkeit ist für alle oen, und für alle ist Raum
vorhanden. Das Herz und die Zuneigungen Christi sind für alle die Seinen; alle werden eingeladen,
dort zu ruhen. Möge der Herr in diesen Tagen des eberhaften Jagens und Treibens, worin der Geist
des Menschen sich mehr mit der Vielheit als mit der Beschaenheit beschäftigt, uns tief fühlen
lassen, was dem Herzen Christi, was seiner Liebe entspricht. Möge Er uns verstehen lassen, was
mit der Höhe unserer Berufung übereinstimmt! Möge Er uns auf unserem vielleicht einsamen und
unscheinbaren Pfad immer mehr zubereiten für die Zuneigungen, das Mitgefühl und das Begehren
des Herzens dessen, der sich selbst für uns dahingegeben hat!
  95
  Gedanken
Gedanken
Es gibt nur wenige Dinge, die köstlicher sind als ein Zartes Gewissen. Ich verstehe darunter kein
ängstliches Gewissen, das ganz und gar von seinen Gefühlen abhängig ist, oder ein krankes Gewissen,
das durch seine Zweifel tyrannisiert wird; ich meine ein zartes Gewissen, das sich in allem durch
Gottes Wort leiten lässt, das sich zu aller Zeit und in allen Umständen diesem Wort völlig unterwirft.
  96
  Das Gesetz 3/4
Das Gesetz – Teil 3/4
Man behauptet ferner, „dass den Menschen in Bezug auf ihr Verhalten für alle Zeiten ein und dieselbe
Regel oder Richtschnur von Gott gegeben sein müsse.“ Ich muss sagen, eine solche Annahme ist
nur eine Theorie, die wiederum auf eine andere Theorie gegründet ist. Ohne Zweifel ist die Natur
Gottes unveränderlich, sowie auch gewisse Grundsatz in demjenigen, der ein Teilhaber der göttlichen
Natur ist, unveränderlich wahr sind. Aber zu sagen, dass dies das Gesetz sei, oder dass wir die
nämliche Richtschnur unseres Verhaltens empfangen haben, ist falsch. Solche Ideen sind das Ergebnis
eines schriftwidrigen Gebrauchs des Ausdrucks: „moralisches Gesetz.“ Gott gab seinen Geschöpfen
in vergangenen Zeiten eine andere Richtschnur für ihren Gehorsam, als Er uns gegeben hat. Er
gab ihnen das Gesetz Moses, und zwar war dieses das einzige Gesetz, was Er je gegeben hat (mit
Ausnahme des Verbots im Paradies, von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen)
Wir aber haben eine ganz andere Richtschnur für unseren Wandel empfangen. Den Juden waren
wegen ihrer Herzenshärtigkeit Gebote gegeben worden, die Christus abschate. Und in Hebräer 7,18–
19 lesen wir: „Denn es ist eine Abschaung des vorhergehenden Gebots, seiner Schwachheit und
Nutzlosigkeit wegen; denn das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht.“ Desgleichen hören wir
den Herrn in seiner Bergpredigt mehrmals wiederholen: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist . . . ich
aber sage euch . . . “ Diese Stellen zeigen schon zur Genüge, dass die Behauptung: es sei unmöglich,
dass ein heiliger, gerechter, guter und vollkommener Gott den Menschen verschiedene Lebensregeln
geben könne, mit den oenbaren Tatsachen und Erklärungen der Schrift im Widerspruch steht.
Gott gab ein Gesetz und hob es wieder auf, weil es nichts zur Vollendung brachte. Er führte eine
bessere Honung ein, durch welche wir Ihm nahen können. Wohl wusste Christus die beiden großen
Grundsätze jenes Gesetzes ans Licht zu ziehen: „Gott zu lieben über alles und seinen Nächsten wie
sich selbst“ – Grundsätze, an welchen „das ganze Gesetz und die Propheten hängen“, und welche
die Vollkommenheit des Geschöpfs darstellen. Aber selbst diese Grundsätze sind in keiner Weise
der Abdruck des göttlichen Charakters; und es ist nur Betrug, in abstrakter Weise von der Liebe,
als geboten im Gesetz, zu sprechen. Ich stelle es völlig in Abrede, dass das Gesetz, der Abdruck
des göttlichen Charakters sei. Es ist vielmehr der absolute, vollkommene Ausdruck dessen, was
das Geschöpf sein sollte, und was demselben als ein Gesetz gegeben werden musste. Auch glaube
ich, dass die Engel im Himmel es erfüllen und in der Erfüllung desselben gesegnet und glücklich
sind. Aber weil es eben die Vollkommenheit eines Geschöpfs ausdrückt, so ist es nicht der Abdruck
des göttlichen Charakters. Kann Gott – ich spreche mit aller Ehrfurcht – seinen Nächsten lieben
wie sich selbst? Oder kann Er gar (in dem Sinn, wie es das Gesetz von einem Geschöpf in Bezug
auf Gott rechtlich verlangt) sich selbst lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen
seinen Kräften? Ich sage nochmals, dass diese beiden Gebote die Vollkommenheit eines glückseligen
Geschöpfs ausdrücken und nicht der Abdruck des Charakters Gottes sind. Ein solcher Gedanke ist
grundfalsch.
  97
  Das Gesetz 3/4
Zudem wird uns in den beiden Geboten nicht die Vollkommenheit oder die Natur der göttlichen
Liebe dargestellt, wie sie gegen uns in ihrer eigenen Vortreichkeit erwiesen ist. Die von dem
Gesetz geforderte und gebotene Liebe ist eine Picht, die den Beziehungen entspringt, in welchen
die Gegenstände der Liebe zu uns stehen, und kraft welcher dieselben ein Anrecht auf unsere Liebe
haben. Gott kann folglich beanspruchen, dass wir Ihn über alles lieben und unseren Nächsten wie
uns selbst. Diese Liebe ist das passende Maß der Erfüllung einer Picht, die vollkommen glücklich
macht, indem Gott selbst der entsprechende Beweggrund derselben ist. Die Vortreichkeit der Liebe
Gottes hingegen, die in besonderer Weise von uns erkannt und gegen uns erwiesen ist, besteht darin,
dass sie in uns keinen Beweggrund, keinen Anlass, keinen würdigen, sondern im Gegenteil einen
äußerst unwürdigen Gegenstand fand. Gott liebte den Sünder; Er sandte seinen Sohn, als wir tot in
Sünden waren, auf dass wir durch Ihn leben sollten. „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt
haben, – dies ist es, was das Gesetz verlangte – sondern dass Er uns geliebt und seinen Sohn gesandt
hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh 4,10). Mit einem Wort: „Gott erweist seine Liebe
gegen uns, indem Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Röm 5,8). Die vom
Gesetz gebotene Liebe setzt voraus, wie dies nach dem Gesetz nicht anders sein kann, dass Ansprüche
darauf vorhanden sind; hingegen besteht das Wesen der göttlichen Liebe, wie sie sich gegen uns
oenbart hat, darin, dass wir gar keine Ansprüche darauf zu machen haben. Die einzig mögliche
Ähnlichkeit mit einer solchen Liebe, die ein Anrecht voraussetzt, (doch es geziemt sich nicht, das
hier einzuführen) ndet man indem Ausdruck: „der Vater liebt den Sohn“, oder: „deshalb liebt mich
mein Vater.“ Aber dies geht unendlich weit über unseren Standpunkt und unsere Begrie hinaus,
und wenn uns da in irgendeiner Weise Zutritt gewährt wird, wie es, Gott sei Dank, der Fall ist, so
ist es nur durch die unumschränkte Gnade, die uns einen Platz in Ihm und mit Ihm gegeben hat.
Das Gesetz ist nicht der Ausdruck des göttlichen Charakters, sondern die vollkommene Richtschnur
für ein Geschöpf und kann deshalb der Natur der Sache nach nicht auf Gott angewandt werden,
weil Er nicht in dem Verhältnis eines Geschöpfs steht; denn das Gesetz ist nur der Ausdruck für das,
was solchen Verhältnissen angemessen ist. Es ist der Ausdruck dessen, was wir Gott schuldig sind,
und kann also nicht der Ausdruck des Charakters Gottes sein. Adam war unter ein Gesetz gestellt,
welches von ihm keine Kenntnis des Guten und Bösen, oder des Rechts und Unrechts in sich selbst
forderte. In dem Essen der verbotenen Frucht gab es an und für sich nichts Böses, ausgenommen
insofern es untersagt war. Die Frucht war in sich selbst weder gut noch böse, aber indem der Mensch
sie aß, erlangte er die Kenntnis des Guten und Bösen; und somit wurde die Sünde und das Gewissen
zusammen eingeführt. Gott gestattete dem Menschen nicht, als Sünder aus dem Paradies zu gehen
und diese Welt zu beginnen, ohne ein Gewissen mit sich zu nehmen. Der Mensch mag es verdorben
und verhärtet haben; aber es war da, um verdorben und verhärtet zu werden. Deshalb macht der
Apostel in Bezug auf die Nationen, wenn er in Römer 2,14–15 von ihrer Verantwortlichkeit spricht,
seinen Schluss auf Grund ihres Gewissens, wenn auch nicht auf dieses allein; aber er spricht nicht,
wie nach dieser Stelle oft angenommen wird, von einem auf die Herzen der Nationen geschriebenen
Gesetz. Denn wenn es wäre, so würden sie unter dem neuen Bunde sein. Nicht das Gesetz, sondern
das eigentümliche Werk desselben, welches ihr natürliches Gewissen überführt oder verurteilt, ist
auf ihre Herzen geschrieben, – dasselbe Werk, das auch im Gesetz gefunden wird.
Es wird oft gesagt, dass Adam in Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaen sei. Dies ist aber ganz
irrig. Er war in Unschuld geschaen. Der neue Mensch hingegen, den wir anzuziehen berufen sind,
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  Das Gesetz 3/4
ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaen worden – Christus und nicht Adam
(Eph 4,34). Es ist eine ganz neue Schöpfung; und auch wir sind, wenigstens nach der Erklärung der
Schrift, aufs Neue geschaen in Christus Jesus. Ebenso lesen wir in Kolosser 3,10, dass wir „den
neuen Menschen angezogen haben, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn
erschaen hat.“ Die gewöhnlichen Darstellungen dieses Gegenstandes verwechseln Christus und
Adam – die neue und die alte Schöpfung. Adam war unschuldig und hatte keine Erkenntnis des
Guten und Bösen; das ist das bestimmte Zeugnis der Schrift, der wesentliche Teil in der Geschichte
des Falles Er konnte deshalb nicht Gerechtigkeit oder Heiligkeit besitzen, da diese die Erkenntnis
des Guten und Bösen voraussetzen. Wenn Gott erklärt: „Der Mensch ist geworden wie unser einer,
zu erkennen Gutes und Böses“, so ist es augenscheinlich, dass er beides vorher nicht kannte. Daher
ist die gewöhnliche Behauptung, dass Adam gerecht und heilig, dass er nach dem Bild Gottes in
Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaen sei, ganz irrig. Durch den Fall erlangte der Mensch eine
Erkenntnis des Guten und Bösen – eine Erkenntnis, welche ihm den verschiedenen Verhältnissen, in
welche er gestellt ist, entsprechende Pichten auferlegt; oder besser gesagt, wodurch er von Recht und
Unrecht ein Verständnis hat, das seinem Zustand angemessen ist. Diese Pichten hält das mosaische
Gesetz im Grund aufrecht, wenn auch nicht in all ihren Einzelheiten nach der ursprünglichen
Anordnung Gottes. So schuf z. B. Gott von Anfang der Schöpfung Mann und Weib, damit sie ein
Fleisch seien, unzertrennlich; aber wegen der Herzenshärtigkeit des Menschen wurde durch Moses
die Ehescheidung eingeführt. Von Adam bis auf Moses waren die Menschen nicht unter Gesetz
gestellt, aber sie hatten die Erkenntnis des Guten und Bösen und waren folglich verantwortlich – sie
waren sich selbst ein Gesetz. Aber wir dürfen dies nicht mit einem oenbarten oder gegebenen Gesetz
verwechseln, weil ein von Gott oenbartes oder gegebenes Gesetz die ausdrückliche Autorität des
Gesetzgebers enthält; und der unter demselben stattndende Ungehorsam macht sich der bestimmten
Verletzung der Autorität des Gesetzgebers schuldig. Wenn also auch von Adam bis auf Moses die
Sünde in der Welt war, so gab es doch keine Übertretung, denn wo kein Gesetz ist, da ist keine
Übertretung. Deshalb sagt der Apostel in Römer 5,14 indem (er auf Hosea 6,7 anspielt, wo von Israel
gesagt wird: „Sie haben den Bund übertreten wie Adam“): „Der Tod herrschte von Adam bis auf
Moses, selbst über die, welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams.“
Israel hatte wie Adam das Gesetz gebrochen; es hatte nicht nur gesündigt – nicht nur getan, was das
Gewissen verurteilte, sondern die im Auegen des Gesetzes ausgeübte Autorität Gottes verletzt.
Es ist der größte Missgri, wenn man (in Bezug auf die Unterweisung des Apostels über die Stellung
des Christen zum Gesetz) zwischen dem moralischen und dem Zeremonialgesetz den Unterschied
macht, den man zu machen versucht. Sicherlich gibt es einen Unterschied; denn es ist augenscheinlich,
dass durch die Übertretung oder völlige Beiseitesetzung des Zeremonialgesetzes kein Mensch schuldig
wird, während er durch alles schuldig wird, was sein natürliches Gewissen als unrecht verurteilt,
selbst wenn er es ohne ein Gesetz getan hat. Denn in diesem Fall ist der Mensch sich selbst ein
Gesetz, allein man darf dieses nicht unter dem Ausdruck „moralisches Gesetz“ mit einem gegebenen
Gesetz verwechseln. Doch der Apostel geht viel tiefer in die Frage ein und zeigt, was die Wirkung
eines jeden Gesetzes (als eines Grundsatzes der Beziehungen) ist, sobald ein Sünder damit zu tun
hat. Deshalb wirft er beide, das moralische und zeremonielle Gesetz zusammen; nicht aber, weil
er sich um den Unterschied nicht kümmert, sondern weil er eine andere Frage behandelt. Denn er
gebraucht das Gesetz, um den Menschen von der Sünde zu überführen und ihn zu töten, sobald
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  Das Gesetz 3/4
es als recht und gut betrachtet und als geistlich erkannt wird; und er zeigt, dass der Gläubige, der
es also erkennt, durch den Tod und die Auferstehung von demselben befreit ist, dass er sich aber,
wenn er es von neuem auf sich anwendet, unter eine verhängnisvolle Verantwortlichkeit begibt. Das
Gesetz, als ein Ganzes betrachtet, ist ein System, in welches man durch die Beschneidung eingeführt
wurde, und nach dessen Ausspruch der Mensch, wenn er nicht alles tat, was darin geschrieben stand,
verucht war. Nach der Beweisführung des Apostels war das Gesetz eine abgesonderte, bestimmte
Anordnung Gottes, nach welcher das Leben in Folge des Gehorsams verheißen war. Dieser Grundsatz
charakterisierte seine ganze Natur und die darauf gegründete Gerechtigkeit – zuerst Gehorsam, dann
in Folge dessen Leben und Gerechtigkeit.
Das Evangelium ruht auf einem ganz entgegengesetzten Grundsatz. Es gibt weder das Leben als
eine Folge des Gehorsams, noch wird auf diesem Weg oder nach diesem Grundsatz die Gerechtigkeit
erlangt. Führt man also das Gesetz ein, nachdem man die göttliche Gerechtigkeit durch den Glauben
zu der seinigen gemacht hat, so wirft man dadurch diese über den Haufen und vernichtet sie.
Deshalb setzt der Apostel nicht bloß die Zeremonien bei Seite, sondern widersteht überhaupt, wie
wir gesehen haben, der Einführung des Gesetzes, nachdem Christus gekommen ist. Ohne Zweifel
verschwanden die Zeremonien als die Schatten der zukünftigen Güter, deren Körper Christi ist
(Kol 2,17); aber der Apostel erörtert die für den Christen so verderbliche Anwendung desso genannten
moralischen Gesetzes – die Anwendung der zehn Gebote oder der steinernen Tafeln, indem er deren
gesetzmäßigen Gebrauch: den Menschen dadurch zu überführen und zu verurteilen, bezeichnet. Er
setzt die Haushaltung des Gesetzes bei Seite, wobei er zwar zunächst an die zehn Gebote denkt;
dennoch aber verbindet er das ganze System mit denselben. Sie sind unzertrennlich, Teile eines großen
Ganzen, dessen Ende Israel nicht anschauen konnte, und was abgeschat werden sollte. Das Gesetz
war gegeben, damit man durch dasselbe das Leben habe, allein es erwies sich in Folge des sündigen
Zustandes des Menschen zum Tod. Stellt man nun den Menschen, nachdem die Erlösung vollbracht ist,
wieder unter das Gesetz, so zerstört man dadurch zwar nicht den Menschen, aber die Erlösung selbst,
und führt endliches Verderben ein. Hören wir, was der Apostel in 2. Korinther 3 sagt: „Wenn aber der
Dienst des Todes in Buchstaben, in Steine eingegraben, in Herrlichkeit ward, so dass die Kinder Israel
das Angesicht Moses nicht unverrückt ansehen konnten wegen der Herrlichkeitseines Angesichts, die
hinweggetan wird; wie wird nicht vielmehr der Dienst des Geistes in Herrlichkeit sein? . . . Denn wenn
das, was hinweggetan wird mit Herrlichkeit war, wie vielmehr wird das Bleibende in Herrlichkeit
bestehen! Weil wir nun eine solche Honung haben, so gebrauchen wir große Freimütigkeit und tun
nicht gleich wie Moses, der eine Decke über sein Angesicht legte, auf dass die Kinder Israel nicht
anschauen möchten das Ende dessen, was hinweggetan wird.“ Außer dem Gegensatz von Gesetz und
Evangelium haben wir hier zwei miteinander in Vergleich gestellte Dinge. Man wird bei sorgfältiger
Prüfung dieses Kapitels nden, dass dasselbe keine Trennung der steinernen Tafeln oder der zehn
Gebote, betrachtet als eine Handlung von Seiten Gottes, von allem übrigen, was Moses gegeben hat,
zulässt. Der Apostel spricht von den steinernen Tafeln, dem Dienst des Todes, und von dem ganzen
System, das Moses empng und das die Herrlichkeit seines Angesichts begleitete, als einem Ganzen.
Jeder Unterschied, den man irgendwie zwischen den ersten zerbrochenen und den zweiten in die Lade
niedergelegten Tafeln macht, ist nichtig. Als Moses zum ersten Mal vom Berg hinabstieg, leuchtete
sein Angesicht nicht, wohl aber, als es zum zweiten Mal geschah. Israel hat nie die ersten Tafeln
empfangen; denn Moses hatte sie bei seinem Hinabsteigen unten am Berg zerbrochen. Folglich sind
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  Das Gesetz 3/4
gerade diejenigen, welche in die Lade gelegt wurden – das, was nach 2. Korinther 3 den Tod brachte
– abgeschat worden. Wir dürfen die Wichtigkeit dieser Tatsache nicht unterschätzen; denn obwohl
der Apostel in bestimmter Weise vom Gesetz redet, so hilft doch der Dienst der Gnade nicht aus dem
Zustand des Fluches heraus, wenn man sich nach empfangener Gnade von neuem unter das Gesetz
stellt. Wohl hatte Gott Gnade (ich sage nicht Erlösung) oenbart, als Moses zum zweiten Mal auf
den Berg stieg, dennoch aber stellte Er Israel wieder unter das Gesetz, weil Moses keine Versöhnung
tun konnte (Siehe 2. Mo 32–33). Und eben dieses, dass der Mensch nach Oenbarung der Gnade, als
das Gesetz in die Lade gelegt war, von neuem unter das Gesetz gestellt wurde, nennt der Apostel
Verdammnis und Tod. Denn nur Israel ist in dieser bestimmten Weise unter das Gesetz gestellt worden
(wiewohl unter der gnädigen Nachsicht der souveränen Barmherzigkeit) und hatte also entweder
das Leben in Folge des Gehorsams, oder das Austilgen aus dem Buch Gottes zu erwarten – aber
dieses war Verdammnis und Tod. Israel hat die ersten Tafeln nie empfangen, sie sind nie ins Lager
gekommen. Nachdem Gott zu ihnen aus der Mitte des Feuers geredet hatte, machten sie das goldene
Kalb; und das Angesicht Moses leuchtete, wie gesagt, nicht im Geringsten, als er zum ersten Mal
vom Berg hinabstieg. Und die zweiten Tafeln, oder das der empfangenen Gnade und einstweiligen
Vergebung folgende Gesetz war nichts anders als Tod und Verdammnis.
Bezüglich der Erlangung des Lebens durch das Gesetz, wie es durch Moses dargestellt wird, sagt
der Apostel: „Denn Moses beschreibt die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz ist: ‚Der Mensch, der
diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.‘“ (Röm 10,5) Das will sagen: Moses stellt die Erlangung
der Gerechtigkeit und des Lebens durch das Gesetz vor, während Paulus dies der Gerechtigkeit aus
Glauben entgegenstellt. Deshalb sagt der Apostel in Römer 7 gemäß seiner Erfahrung: „Das Gebot,
das zum Leben gegeben, dasselbe erwies sich mir zum Tod.“ Der Leser möge auch das 7. und 8.
Kapitel des Hebräerbriefes zu Rat ziehen, wo der Apostel auf der Abschaung des vorhergehenden
Gebots wegen seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit, weil es „nichts zur Vollendung brachte“, besteht,
und wo er sagt, dass der erste Bund (denn ein Bund war es immerhin) von Sinai mangelhaft war,
und folglich ein neuer mit Israel gemacht werden mühte. Kein Christ wird voraussetzen, dass er
die Freiheit habe, zu töten oder zu stehlen; dies bedarf keiner Erwähnung. Aber enthält er sich des
Mordes oder des Diebstahls, weil es im Gesetz verboten ist? Ich bin überzeugt, dass jeder wahre
Christ mit „nein“ antworten wird, obgleich er das Verbot als völlig richtig anerkennt. Derjenige,
der nur deshalb keinen Mord begeht, weil es im Gesetz verboten ist, würde damit beweisen, dass er
kein. Christ sei. Zudem möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass die Apostel das Gesetz
nirgendwo als die große Standarte des Christen bezeichnen, noch dass alle die von ihnen auferlegten
Pichten auch nur den geringsten Teil des Gesetzes ausmachen; denn diese Pichten ießen aus
der Gnade, und Gnade ist nicht Gesetz. Wir dürfen daher das Gesetz nicht mit den Pichten (die im
Gesetz unvollkommen und im Christentum vollkommen dargestellt sind) gegen Gott und unseren
Nächsten verwechseln – mit den Pichten, welche die Erkenntnis der Liebe Gottes in Christus den
übrigen hinzufügt, die selbst soweit gehen, dass wir berufen sind, Nachahmer Gottes zu sein, sowie
Er sich in Gnade in Christus oenbart hat. Als ich unter dem Gesetz war, herrschte die Sünde über
mich; aber die Gnade Gottes – nicht das Gesetz – ist erschienen und unterweist mich, nüchtern,
gerecht und gottselig in dem jetzigen Zeitlauf zu leben (Tit 2,11–12). Und gerade deshalb, weil ich
durch die Gnade besser unterwiesen bin, und sie mir sowohl die Kraft als auch die Richtschnur für
den Wandel darreicht, bedarf ich kein Gesetz. Unter der Gnade sind wir von Gott gelehrt, einander
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  Das Gesetz 3/4
zu lieben nach der Natur, die wir als Gläubige besitzen, und in dem Geist, der uns gegeben ist. Indem
ich daher meinen Nächsten liebe, wie mich selbst, erfülle ich das Gesetz – nicht dadurch, dass ich das
Gesetz, sondern die durch die Gnade gewirkte Liebe habe und nicht mehr unter dem Gesetz bin.
Dass das geschriebene Wort von Anfang bis zu Ende der Führer dieser neuen Natur ist und sie im
Gehorsam leitet, ist eine segensreiche Wahrheit; dass ferner, wenn ich aus Gott geboren bin, (und
dies geschieht nicht durch das Gesetz, weil das Gesetz kein Leben geben kann) das Leben gebildet,
geleitet, unterwiesen, ja sogar beherrscht wird durch jedes Wort, das aus dem Mund Gottes geht, und
besonders durch die Worte Christi, welche der tatsächliche Ausdruck dieses Lebens in seiner eigenen
Vollkommenheit in dem Menschen sind, das erkenne ich von ganzem Herzen an. Aber dies ist nicht
das Gesetz. Das Wort sagt mir, dass ich mit Christus auferstanden bin und zu suchen habe, was
droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes; dass ich ein Brief Christi bin, der durch
den Geist des lebendigen Gottes in mein Herz eingegraben ist, im Gegensatz zu dem in steinerne
Tafeln eingegrabenen Gesetz.
Nun aber beruft man sich, um die Christen unter das Gesetz zu stellen, auf die Bergpredigt und führt
namentlich die Stelle in Matthäus 5,17 als Beweis an, dass der Herr das Gesetz aufgerichtet habe.
Allein ich halte dafür, dass die Worte des Herrn hier völlig missverstanden werden. Ich glaube nicht,
dass das Gesetz oder die Autorität desselben vernichtet ist; vielmehr glaube ich, dass jene, die unter
dem Gesetz gesündigt haben, durch dasselbe gerichtet werden. Ich glaube ferner, dass es später unter
dem neuen Bunde (von dem wir das Wesentlichste im Geist, nicht dem Buchstaben nach besitzen) in
das Herz der Kinder Judas und Israels geschrieben sein wird. Es wird nicht vergehen, bis es seine
Erfüllung gefunden hat. Ich denke nicht im Entferntesten daran, dass Christus das Gesetz bei Seite
gesetzt habe, denn das hieße die Autorität Gottes bei Seite setzen. Christus kam, um das Gesetz zu
erfüllen, und Er hat in seinem Tod die Autorität desselben besiegelt; aber Zugleich hat Er auch durch
seinen Tod mit seiner Stellung unter dem Gesetz ein Ende gemacht; denn es hat Autorität über den
Menschen, solange er lebt. Christus ist des Gesetzes Ende – die Erfüllung und das Ende desselben
für einen jeden, der glaubt. Wir sind nicht unter dem Gesetz, weil wir mit Christus gestorben und
auferweckt sind. Es ndet seine Anwendung auf den Menschen im Fleisch; aber wir sind nicht im
Fleisch, sondern im Geist, in dem auferstandenen Christus. Der Apostel sagt; „Wenn ihr mit Christus
den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in
der Welt?“ (Kol 2,20) Im Fleisch muss ein Mensch entweder unter dem Gesetz (und dies ist tatsächlich
der Tod und der Fluch, weil das Fleisch sündig ist) oder gesetzlos sein, was sicher nicht besser ist;
aber in Christus ist er weder das Eine, noch das Andere. Er wird durch den Geist in den Gehorsam
Christi geleitet.
Wir müssen uns indessen erinnern, dass das Reich der Himmel zurzeit, wo der Herr die Bergpredigt
hielt, noch nicht gekommen war. Die Erlösung wird darin nicht er wähnt. Das Reich der Himmel war
nahegekommen, und der Herr bezeichnet die Charaktere derer, die hineingehen würden; aber Er
oenbart nichts von dem, was einem Christen, als zur Kirche gehörend, mitgeteilt ist. Dass dies nicht
bloß meine eigenen Gedanken sind, wird dem Leser sofort klarwerden, wenn er die Verse prüft, die
der oben angeführten Stelle folgen, wo der Herr die Anwendung von dem gibt, was Er vorhergesagt
hat: „Denn ich sage euch: wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist denn die der Schriftgelehrten
und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen.“ Das Reich der Himmel sollte
aufgerichtet werden, doch war es weder für Gesetzlose, noch für Pharisäer, sondern für die Armen
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  Das Gesetz 3/4
Am Geist und ähnliche Personen. Diese Stelle aber enthält keine Beschreibung des Zustandes und
der Verantwortlichkeiten derer, die mit Christus gestorben und auferweckt sind. Es ist nicht die
Sprache des Evangeliums, zu Sündern zu sagen: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit Vorzüglicher ist . . .
so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen“, obwohl dies dem Grundsatz nach immer wahr
bleibt. Es handelt sich hier um den demütigen, gottesfürchtigen, bekehrten Überrest; dieser, und
nicht der Gesetzlose, noch der Stolz wird ins Reich eingehen. Wohl wird bei der Aufrichtung des
Reiches den Sündern unumschränkte Gnade verkündigt werden; aber dennoch ist es sicher, dass
derjenige, welcher wirklich in dasselbe eingeht, eine praktische Gottseligkeit haben wird, die dem
hier beschriebenen Charakter entspricht, weil er eine neue Natur empfangen hat. Auch dienen
die hier gegebenen Vorschriften unstreitig zu seiner Leitung und sind ihm angemessen, weil sie
Christus angemessen sind und seiner Gesinnung entsprechen, aber sie stellen ihn nicht unter Gesetz.
Deshalb ist die Annahme, dass die Worte des Herrn: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern
zu erfüllen“, eine an die Christen gerichtete Auorderung zur Erfüllung des Gesetzes seien, ein
falscher Schluss. Die Christen sind mit Christus da vereinigt, wo Er jetzt ist; und der Apostel erklärt
ausdrücklich in Römer 10,4: „Christus ist des Gesetzes Ende, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit.“
Nicht als ob das Gesetz selbst abgeschat sei, aber wir sind nicht unter demselben. Das Gesetz ist
gut, wenn es jemand gesetzmäßig gebraucht; aber es ist nicht für Gerechte, sondern für Gottlose
und Sünder gegeben, also keinesfalls für den Christen (1. Tim 1,9). Man kann es benutzen, um den
Sünder von der Sünde zu überführen, ihn unter das Urteil des Todes und der Verdammnis zu bringen,
die Übertretung überströmend und die Sünde überaus sündig zu machen; aber für den Gläubigen ist
Christus alles, während jedes Wort Gottes gut ist, wenn es nur richtig angewandt wird.
Sollte jemand fragen: „Hat denn Paulus selbst in 1. Korinther 9,21 nicht gesagt: Ich bin in oder unter
dem Gesetz Christi?“ so antworte ich: „Nein, im Griechischen steht nicht: unter dem Gesetz Christi,
wie einige übersetzen, sondern Christus gesetzmäßig unterworfen.“ Die Worte in Galater 6,2: „und
also erfüllt das Gesetz des Christus“ sind ein klares Zeugnis gegen die Einführung des Gesetzes in
Bezug auf die Christen. Die Galater wollten sich dem Gesetz unterwerfen, nachdem sie Christus
erkannt hatten; der Apostel aber war entschieden dagegen und wusste kaum, ob er sie noch als
Christen anerkennen sollte. Er grüßt sie weder im Anfang noch am Ende des Briefes und behandelt
ihren Zustand schärfer als alle die Gräuel in der Versammlung zu Korinth. Wie es scheint, war dieser
gesetzliche Zustand der Galater die Ursache, dass sie einander bissen und fraßen (Gal 5,15); und
der Apostel ruft ihnen zu: „Einer trage des anderen Last.“ Er sagt gleichsam: Wenn ihr ein Gesetz
wünscht, so erfüllt das Gesetz des Christus – tut, was Er tat; das wird euch besser anstehen. Er wollte
sie nicht unter das Gesetz zurückführen, sondern gerade das Gegenteil.
Es verrät auch in der Tat eine unvollkommene, eine sehr unvollkommene Einsicht in Bezug auf
Christus, wenn man in seinem Wandel nur die Erfüllung des Gesetzes sieht. Gottes Gnade und des
Menschen Verpichtungen, als solche, sind nicht dasselbe; auch beschränkte sich der Gehorsam
Christi nicht auf die Erfüllung des Gesetzes, wie ich schon früher bewiesen habe. Letzteres verbot
die Sünde; aber es konnte dem Sohn Gottes nicht gebieten, sich für Sünder hinzugeben. Diese ganze
Anschauung in Bezug auf das Leben Christi scheint mir eine äußerst oberächliche zu sein. Wohl ist
es wahr, was Jakobus 4,17 steht: „Wer nun Gutes zu tun weiß, und tut es nicht, dem ist es Sünde;“
aber in dem Leben Christi, der für die Seinen starb, sowie in dem Leben dessen, der Ihm nachfolgt –
  103
  Das Gesetz 3/4
der das Leben für die Brüder lässt – nur die Erfüllung des moralischen Gesetzes zu sehen, ist eine
schriftwidrige und traurige Verwirrung der Ausdrücke.
Vielleicht möchte sich jemand auf die Psalmen, wie z. B. auf den 19. und den 119. Psalm berufen, um
durch die Art und Weise, in welcher diese vom Gesetz, sowie von der Wonne der Heiligen am Gesetz
sprechen, den Ausdruck „moralisches Gesetz“ zu rechtfertigen. Allein die hier beschriebene „Wonne
der Heiligen am Gesetz“ scheint mir den stärksten Beweis vom Gegenteil zu liefern. Nach meiner
Auassung will dies viel mehr sagen, als dass das moralische Gesetz eine Lebensregel sei. Im 19.
Psalm wird die ganze Kraft des Wortes Gottes hervorgehoben als das Mittel zur Wiederherstellung
der Seele und zur Belehrung der Unkundigen. Einige Stellen verweisen auf die Zeit, wo das Gesetz in
die Herzen der Kinder Israel eingeschrieben sein wird – das wahre Verlangen eines gottesfürchtigen
Israeliten; andere sprechen von dem Vertrauen auf die Verheißungen und von den Drohungen des
Wortes Gottes, von seinen Gerichten in der Welt. Vers 8 ist die rechtfertigende Antwort auf den
gegen das Wort gerichteten Tadel der Menschen: „Die Befehle Jehovas sind richtig, erfreuend das
Herz.“ Kurz, wir haben hier das Wort Gottes als die Zuversicht und den Leiter des Heiligen in Israel,
nicht aber als die Lebensregel eines Christen. Das, worauf ich bestehe, ist nicht die Meinung, dass
Gott sein Wort jetzt nicht benutzt, um in jeder Weise auf die Seelen zu wirken, sondern dass Er es
nicht als Gesetz benutzt. Im 19. Psalm ist nicht von dem Gesetz als Lebensregel die Rede, sondern das
Wort Gottes wird dort „Gesetz“ genannt: „Das Gesetz Jehovas ist vollkommen, wiederherstellend die
Seele.“ Augenscheinlich spricht diese Stelle von dem damals unter dem Namen „Gesetz“ bekannten
Worte Gottes in einem viel weiteren Sinne, als von einer bloßen Lebensregel. Ebenso sagt Christus,
indem Er eine Stelle aus den Psalmen anführt (Joh 10,34): „Ist es nicht in eurem Gesetz geschrieben?“
Dieser Ausdruck war die hauptsächliche und charakteristische Bezeichnung, unter welcher das Wort
Gottes damals bekannt war (Fortsetzung folgt).
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  “Kommt her zu mir“
“Kommt her zu mir“
Wiewohl der Herr seine Verwerfung von Seiten Israels tief empfand, so unterwarf Er sich in dieser
Hinsicht doch vollkommen dem Willen und der Weisheit Gottes (Siehe Jes 49). „Ich preise dich, Vater,
Herr des Himmels und der Erde, dass du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast
es Unmündigen oenbart.“ Wie sehr Er über allem stand, wird hierdurch völlig an den Tag gelegt. „Ja
Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Notwendigerweise wendet die Kenntnis, die wir von
Gott haben, alles zu unserer Segnung; es kann nicht anders sein, denn alles kommt von Ihm. Das, was
uns zugeteilt ist, mag unserer Natur sehr zuwider sein. Für Jesus war die Verwerfung seiner Botschaft
seitens der Menschen ohne Zweifel sehr schmerzlich; allein sie hatte zur Folge, dass Er seine Zuucht
zur Unumschränktheit Gottes, seines Vaters, nahm, den Er kannte, zu einer Unumschränktheit, die
sich darin kundgab, dass sein Vater diese Dinge den Weisen dieser Welt verborgen hatte und sie
denen oenbarte, welche schwach und verachtet waren. Er erkannte den Vater in dem, was Er tat,
und in der Art und Weise, wie sein Tun der vollständigen Ordnung der Wege Gottes, in einer Welt
wie diese, entsprach. Dies war ohne Zweifel alles, was der Sohn Gottes wünschen konnte (wie auch
wir, wenn wir vom Geist unterwiesen sind); allein die Umstände waren so, dass es einer vollständigen
Unterwürgkeit des Herzens und des Wandels bedurfte.
Diese vollkommene Unterwürgkeit des Sohnes gab Ruhe und stellte die Herrlichkeit seiner Person
ans Licht. Er war ganz auf den Vater hingewiesen, denn Er war Sohn und als solcher gänzlich
verworfen. In diesem Charakter – indem Er Zugleich vollkommen war und sich als das kundgab, was
Er war – hatte Er sich nicht mit seiner Herrlichkeit bekleidet, wobei Er nur sein irdisches Reich in
Besitz genommen haben würde. Das Geheimnis lag darin, dass dies für Ihn „zu gering“ war (Jes 49,6).
„Alles war Ihm von seinem Vater übergeben“, und gerade der Herrlichkeit seiner Person wegen –
denn Er war der Sohn Gottes – kannte niemand den Sohn als nur der Vater. Sein Dienst bestand jetzt
darin, den Vater in seinem unumschränkten Rechte, Gnade zu erweisen, zu oenbaren; denn niemand
kannte den Vater als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn Ihn oenbaren wollte. „Kommt her
zu mir“, sagt Er, dieser einzige geduldige Zeuge der Liebe, „kommt her zu mir, alle Mühselige und
Beladene, und ich werde euch Ruhe geben.“
Hier bin ich, der Verworfene, dem alles von seinem Vater übergeben worden ist, dessen Herz sich aber
in der Langmut der Liebe allem unterworfen hat, der den Gehorsam gelernt, der gelernt hat, betrübt
und verstoßen zu sein und nach außen hin keine andere Zuucht zu nden als die Unterwerfung.
„Kommt her zu mir.“ Die Menschen mögen mich verworfen haben, aber ich bin der Sohn, und niemand
kennt den Vater, es sei denn, dass ich Ihn oenbare. Ich betätige meine Liebe gegen jeden, der beladen
ist und sich nicht mit dem Lauf dieser stolzen Welt verbindet, gegen jeden Mühseligen und Beladenen.
„Kommt her zu mir, und ich werde euch Ruhe geben.“ „Ich weiß mit dem Müden ein Wort zu reden
zu rechter Zeit“ (vgl. Jesaja 50 und das Ende von Römer 8 in seiner ganzen herrlichen Tragweite für
uns).
  105
  “Kommt her zu mir“
Die Unterwürgkeit des Herrn in solchen Umständen gab seiner Seele das Gefühl eines viel besseren
Teils, wie dasjenige war, welches dem Messias nach dem Gesetz und den Propheten zugehörte, und
brachte anderen die Oenbarung desselben. Der Herr war verworfen und, so zu sagen, dazu geführt
worden, und Er hatte, Gott sei dafür gepriesen! dem Volk Israel gegenüber eine Liebe kundgetan, die
voll Geduld und Gnade war; allein sie taten nicht Buße, selbst da nicht, wo Er seine Wunderwerke
gewirkt hatte. Die jüdische Haushaltung endigte, obwohl der Messias persönlich erschienen war, in
Verfall. „Und ich sprach: Vergeblich habe ich mich bemüht, unnütz und umsonst meine Kraft verzehrt“
(Jes 49,4). Er hatte seine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volk
(Röm 10,31). Als Er kam, war niemand da (Jes 63,5). Für seine Liebe widerfuhr Ihm Hass (Ps 109,5).
Die Schmach brach sein Herz. Seine Honung für das Volk, sein Recht, das Recht seiner Liebe wurde
verkannt und verworfen. Aber da waren Kinder, welche das sahen, was den Weisen verborgen war:
„Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Das war im Grund der Trost des Herrn. Mehr
bedurfte Er nicht. Was war aber die Folge seiner Verwerfung? „Alles ist mir übergeben von meinem
Vater“, – ein größerer Schauplatz und eine höhere und wirklichere Herrlichkeit. Doch obwohl Er so
herrlich war, so ruft Er doch alle Mühseligen und Geladenen zu sich und kündigt ihnen an, Er werde
ihnen Ruhe geben – die Ruhe der oenbarten Liebe des Vaters.
Es gibt sonst niemand, zu dem wir gehen könnten. Alle haben sich als trüglich erwiesen. „Kommt her
zu mir!“ Wer anders als der Sohn Gottes konnte also sprechen? Wer konnte allen, welche kamen, Ruhe
geben, wenn nicht der Sohn, Jehova selbst. Und Er, der Sohn Gottes, der Demütige und Sanftmütige,
Er gibt die Ruhe, Er gibt sie völlig und umsonst. Er gibt die höchste Ruhe, Er, welcher wusste, was
der Friede war inmitten der Bekümmernisse und der Mühen, wie kein anderer sie je erfahren hatte.
Er teilt anderen das Geheimnis dieses Friedens mit. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir,
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe nden für eure Seelen.“ Es
heißt jetzt nicht mehr: „Ich werde euch Ruhe geben.“ Dieses vermochte Er zu tun als Jehova und Gott,
der Herr, und Er wollte es tun; hier aber sagt Er: „Ihr werdet nden.“ Ich habe dieses gelernt: „Siehe
ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb 10,7). Die Ruhe ndet sich auf dem Pfad, den
Christus verfolgt hat. Er allein hat darauf gewandelt; Er allein konnte in dieser Welt vollkommen
darauf wandeln.
Es ist jedoch kein hartes, kein aufgedrungenes und mühsames Joch. In gewissem Sinn ist es leicht,
wie der Herr sagt. Unterwerft euch, sprecht: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Das
ist sein Joch. Also lernen wir von Ihm; denn Er schrieb alles dem Vater und nicht den Umständen
zu. Deshalb dankt Er dem Vater allezeit und für alles, wie wir es in seinem Namen tun können und
sollten. „Es war wohlgefällig vor dir.“ Dies genügt. Es war die vollkommene Unterwerfung, und
der Vater war darin oenbart. Ihr Wert besteht in der vollkommenen Kenntnis seines Willens und
seines Verhältnisses als Sohn. Dies alles ist unendlich kostbar und wird nur in Christus gelernt. Die
Unendlichkeit der Gottheit des Sohnes war in seiner Menschheit aufrechterhalten, und in Folge
dessen traten auch seine augenscheinliche Erniedrigung und seine gegenwärtige Zurücksetzung in
besonderer Weise ans Licht und gaben sich durch die absolute Unerforschlichkeit seines Wesens in
dieser Stellung kund. Zugleich war durch seine Fähigkeit, den Vater zu oenbaren und durch die
Freiheit seines Willens, indem Er dieses tat. Seine Einheit mit dem Vater oenbar. Auf diese Weise
werden die Person des Sohnes in der Herrlichkeit der Gemeinschaft mit seinem Vater einerseits, und
andererseits die also kundgemachte Unerforschlichkeit Gottes, indem der Vater oenbart wurde,
  106
  “Kommt her zu mir“
aufrechterhalten und erscheinen in ihrer ganzen Schönheit. Wie weise, vollkommen und einzig
göttlich ist doch die Schrift! Nichts kommt ihr gleich. Kein menschliches Wissen hat je Worte wie
diese hervorgebracht. J. N. D.
  107
  Beantwortung einiger Fragen
Beantwortung einiger Fragen
1. Was ist die Honung der, Kirche Die Honung der Kirche ist die persönliche Rückkehr unseres
Herrn, um die Seinen zu sich zu nehmen. Er wird vom Himmel herniederkommen in die Luft und „mit
gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes“ Sein Volk aus jedem
Land, aus jeder Sprache und Nation, aus den Gräbern und aus dem Meer sammeln. Nicht ein einziger,
der durch das kostbare Blut Christi versöhnt ist, wird zurückgelassen werden, möge er nun auf der Erde
leben oder im Grab ruhen. Alle werden „Zugleich entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen
in die Luft“ – zu unserem Versammlungsort mit unserem anbetungswürdigen Herrn und Meister
(1. Thes 4,17). So wird sich Christusseine Versammlung verherrlicht darstellen, „die nicht Flecken oder
Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Eph 5,25–27; Kol 3,4).
Was ist die Honung der Braut anders als die Ankunft des Bräutigams (O 22,17)? Mit Christus
verlobt, ist ihre Honung jetzt die Verwirklichung des ehelichen Verhältnisses (2. Kor 11,2; O 19,7).
Welch eine Honung! Christus wird persönlich herniederkommen, um uns zu sich aufzunehmen
und seine Versammlung in den kommenden Zeitaltern als seine Miterbin in der Regierung über die
ganze Schöpfung darzustellen (Eph 1,10–11) und ein ewiges Verwandtschaftsverhältnis aufzurichten
(O 21,2).
2. Was ist die Honung des Dieners? Die Honung des Dieners ist, die Frucht seiner Arbeit in der
Gegenwart unseres Herrn Jesus zu nden bei seiner Ankunft (1. Thes 2,19). „Und nun, Kinder, bleibt in
Ihm, auf dass, wenn Er oenbart wird, wir Freimütigkeit haben und nicht beschämt werden vor Ihm
bei seiner Ankunft“ (1. Joh 2,28). Die Krone der Herrlichkeit wird bei der Erscheinung des Erzhirten
auf das Haupt des treuen Arbeiters gesetzt werden, der jetzt die Herde Gottes weidet (1. Pet 5,1–4).
Die Krone der Gerechtigkeit wird ihm und allen, die seine Erscheinung liebhaben, als Vergeltung
beigelegt werden (2. Tim 4,7–8).
Es gibt vier Kronen, die uns als Vergeltung und Ermunterung vor Augen gestellt werden. Jeder
Christ wird eine goldene Krone empfangen (O 4,4). Der Bewährte und der getreue Zeuge erhalten
die Krone des Lebens (Jak 1,12; O 2,10). Der ergebene Diener erntet die Krone der Gerechtigkeit
(2. Tim 4,8). Die Krone der Herrlichkeit wird eine reiche Belohnung des treuen Hirten sein (1. Pet 5,4).
Möchten wir als Herolde der Gnade und Herrlichkeit unseres auferstandenen Jesus bereit sein,
„sogleich“ aufzumachen, wenn der Herr kommt und anklopft (Lk 12,36).
3. Was ist die Honung Israels? Jehova–Jesus, der Heiland, ist die alleinige Honung Israels, wie
der Prophet sagt: „O, du Erwartung Israels, sein Heiland zurzeit der Bedrängnis“ (Jer 14,7–9). „Ganz
Israel wird errettet werden“, aber wie und wann? Für Israel als Volk gibt es nicht eher eine Erlösung,
als bis sie ihre Ungerechtigkeit bekennen und sich zu ihrem lange und gänzlich verworfenen Messias
wenden (Hos 5,15), sagend: „Gesegnet, der da kommt (nicht: der da kam) im Namen des Herrn!“
(Mt 23,39) Dann und nicht eher werden sie Ihn sehen. Durch Gnade haben wir an Ihn geglaubt, den
  108
  Beantwortung einiger Fragen
wir nicht gesehen haben; Israel wird, ähnlich wie Thomas, glauben, wenn es sieht (Joh 20,29). Diese
nationale Segnung Israels, die dadurch hervorgebracht wird, dass sie den anschauen, in welchen
sie gestochen haben, ist noch zukünftig, wie uns Sacharja 13 deutlich zeigt. Wenn Israel belagert
sein wird – nicht wie früher von den Römern, sondern von den nordöstlichen Mächten der letzten
Tage – wenn die Stadt, die einst eingenommen wurde, zum zweiten Male nahe daran ist, in die
Hände der Feinde des Landes und des Volkes Jehovas zu fallen, dann ist der wichtige Augenblick
gekommen, wo der Herr ins Mittel tritt, indem Er mit seinen himmlischen Heiligen vom Himmel
herniederkommt (Sach 14,5). Seine Füße auf den Ölberg stellt und seinem Volk die Befreiung bringt
und ihre Feinde vernichtet. Israel wird dann in Gegenwart seines Messias trauern, wie einst die
Kinder Jakobs in Gegenwart Josephs trauerten, welch letzteres ein Vorbild des ersteren ist. Dann
wird die Zeit gekommen sein, wo dem Israel sein Reich wiederhergestellt werden wird (Apg 1,6–7),
wo die herrlichen Erklärungen der Propheten und die Lieder der heiligen Sänger buchstäblich in
Erfüllung gehen werden. Der 72. Psalm enthält eine wahre und treue Beschreibung dieser Zeit des
tausendjährigen Reiches. Die persönliche Rückkehr ihres Messias ist dann die Honung Israels, sei
es für die Errettung als ein Volk oder für die Herrlichkeit des tausendjährigen Reiches, „und es wird
nach Zion der Erlöser kommen und zu denen, die umkehren von der Übertretung in Jakob, spricht
Jehova“ (Jes 59,20); dann folgt im 60. Kapitel eine Beschreibung der Herrlichkeit Zions, die von
unvergleichlicher Schönheit ist. Lesen wir die Propheten; sie beschreiben, was sich wirklich ereignen
wird. Ach, dass so viele Christen die einfache und klare Bedeutung der zahlreichen Prophezeiungen
zu leugnen oder abzuschwächen suchen, die uns das Alte Testament mitteilt, um uns die herrliche
Zukunft Israels vor Augen zu führen!
4. Was ist die Honung der Schöpfung? Die Sünde Adams hat die Schöpfung verdorben, indem sie
dieselbe der Eitelkeit unterworfen, hat. Sie ist in „der Knechtschaft des Verderbnisses.“ Sechstausend
Jahre hindurch seufztsie und liegt„zusammen in Geburtswehen bisjetzt.“ Wasist denn ihre Honung?
Wann wird sie aus ihrer tausendjährigen Knechtschaft „zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder
Gottes“ erlöst werden? Wenn unsere zukünftige Herrlichkeit sich entfaltet haben wird, so wird sie
die seufzende und leidende Schöpfung oder Kreatur befreien, und auf diese Oenbarung wartet sie
ängstlich: „Denn das sehnsüchtige Harren der Kreatur (Schöpfung) wartet auf die Oenbarung der
Sohn Gottes“ (Röm 8,19–22); diese „Oenbarung“ wird stattnden, wenn Christus in Herrlichkeit
erscheint (Kol 3,4). Psalm 65 und Hosea 2,13–22 künden eine gesegnete Zukunft für diese Erde an.
5. Welches ist der Unterschied zwischen der glückseligen Honung und der Erscheinung der
Herrlichkeit in Titus 2,13? Der Herr Jesus wird in 1. Timotheus 1,1 ausdrücklich „unsere Honung“
genannt. Diese „glückselige Honung“ ist daher unabhängig von prophetischen oder anderen
Ereignissen. Der Herr Jesus wird selbst kommen. Weit erhaben über die Herrlichkeit, welche durch
ihren außerordentlichen Glanz blenden wird, indem sie die Pläne der Weisen zunichtemacht und
die stolzen und trotzigen Anmaßungen des Menschen niederwirft, ist die unendlich tiefere, weil
moralische Herrlichkeit in der Person des Herrn. Wir warten auf die Ankunft einer Person, auf
Ihn, „der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.“ Wir warten auf Jesus: Das ist unsere Honung. –
Es ist weder eine Krone, noch die Herrlichkeit, noch das Reich, sondern Er selbst. Wahrlich, eine
glückselige Honung!
„Die Erscheinung der Herrlichkeit“ bezieht sich nicht auf die Ankunft Christi für seine Heiligen,
sondern auf ein späteres Ereignis – auf sein Kommen mit ihnen. Es wird die Erscheinung der
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  Beantwortung einiger Fragen
Herrlichkeit genannt, weil die Welt, die Engel und die Versammlung Zeugen davon sein werden.
Es wird ein großes, öentliches Ereignis sein, ein Schauspiel, würdig des kommenden Christus; an
jenem Tag wird Er mit den höchsten Würden bekleidet sein (vgl. O 19,12). Als Heiliger warte ich
auf jene „glückselige Honung“, als Diener blicke ich auf „die Erscheinung der Herrlichkeit.“ Die
erstere ist gänzlich Gnade, die letztere steht in Verbindung mit meiner Verantwortlichkeit. In dem
einen Fall bin ich unmittelbar mit Ihm, als dem glänzenden Morgenstern, beschäftigt, in dem anderen
mit der Herrlichkeit, die mit dem Reich verbunden ist.
  110
  Das Gesetz 4/4
Das Gesetz – Teil 4/4
Sollte mir vielleicht jemand vorwerfen, dass ich das Wort zu einseitig nach der Form und dem
Charakter betrachte, wie es damals Israel gegeben sei, so erwidere ich ohne Bedenken, während (ich
in entschiedenster Weise, ja mit dem größten Ernst auf der göttlichen Eingebung und Autorität der
ganzen Schrift bestehe und durch den Geist geleitet zu werden suche) dass ich es allerdings als ein
solches betrachte, das Israel angepasst, weil es Israel gegeben war; und nach meiner Überzeugung ist
es sehr wichtig, dass wir es so betrachten. Man muss das Wort der Wahrheit recht teilen. Kann ich z. B.
als Christ sagen: „Und in deiner Güte vertilge meine Feinde?“ (Ps 143,12) Oder: „Glückselig der, der
deine jungen Kinder ergreift und zerschmettert sie am Felsen?“ (Ps 137,9) Oder: „Auf dass du tauchst
deinen Fuß in Blut, die Zunge deiner Hunde in das Blut deiner Feinde?“ (Ps 68,23) Und dennoch wird
dies alles in der Ausübung der irdischen Regierung Gottes an seinem Platz sein. Als Christ sehe ich
darin, als eine allgemeine Wahrheit, die Gerechtigkeit; und ich kann im Blick auf die Regierung Gottes
mich erfreuen, dass durch dieselbe – wenn Gott in seiner Geduld alles getan haben wird, was Er tun
konnte – die Gottlosigkeit beseitigt wird. Demnach ist eine solche Sprache nicht die gegenwärtige
Sprache des Christen. In Psalm 69 wird Christus dargestellt, wie Er die schrecklichste Rache und das
furchtbarste Gericht über seine Feinde herabruft (V 22–23). Drückt Er in den Evangelien, wo Er uns
gemäß seiner Gnade als ein Muster oenbart wird, je einen solchen Wunsch aus? Wir hören Ihn im
Gegenteil, gerade in der Zeit, von welcher der Psalm spricht, ausrufen: „Vater, vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34) Heißt das: „Schütte aus über sie deinen Zorn, und deines Zornes
Glut erreiche sie?“ Wir haben hier oenbare Gegensätze, und dennoch wird beides erfüllt werden.
Das Eine ist der gnadenreiche, persönliche Wunsch Christi, wie wir Ihn in den Evangelien oenbart
wissen, lind hierauf antwortet der Heilige Geist durch Petrus: „Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr
in Unwissenheit gehandelt habt, gleich wie auch eure Obersten. . . . So tut nun Buße und bekehrt
euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht
des Herrn und Er den euch zuvor verordneten Jesus Christus sende ..“ (Apg 3,19–20). Dieses wird
sicher am Ende der Tage erfüllt werden. In dem Anderen haben wir die Vereinigung Christi durch
den prophetischen Geist mit dem jüdischen Überrest und mit allen denen, welche an dem Wort
seiner Knechte festgehalten haben und festhalten werden, verbunden mit der Regierung Gottes, die
eine gerechte Rache über die Nation, die Christus verwarf, ausüben wird. Und auch dieses wird
völlig erfüllt werden, wie der Vorschmack davon schon über sie gekommen ist – „Zorn bis zum
Ende.“ Wenn wir also den jüdischen Geist der Psalmen mit dem Evangelium verwechseln und ihn
als den Ausdruck unserer Gefühle annehmen, so verfälschen wir das Christentum. Ohne Zweifel
wird man in den Psalmen ein kindliches Vertrauen zum Herrn hinsichtlich seiner Regierung über
diese Welt, sowie den Trost der Vergebung, die glückliche Zuversicht eines läutern Herzens, und
bemerkenswerte Prophezeiungen in Bezug auf Christus nden; aber wo ndet man die himmlischen
Honungen, oder die Einheit der Kirche mit einem verherrlichten Christus? Wo das Ausströmen der
göttlichen Gnade, wie sich dieses in der Person Jesu auf der Erde oenbarte, oder die gesegneten
  111
  Das Gesetz 4/4
Zuneigungen, welche den Herzen entströmen, die mit diesen Dingen bekannt sind? Wo nden wir
den gesegneten Geist der Sohnschaft? Jeder Heilige kennt die rührenden Ausdrücke der Frömmigkeit,
welche uns die Psalmen liefern; aber kein einsichtsvoller Christ kann sich von den Schriften des
Johannes zu den Psalmen wenden, ohne sich in einer ganz anderen Atmosphäre zu benden. Der
Herr pries seine Jünger glückselig, weil ihre Augen Ihn sahen, den viele Propheten und Könige
vergeblich begehrt hatten zu sehen, und dennoch sagte Er zu ihnen: „Es ist euch nützlich, dass ich
hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, so wird der Sachwalter nicht zu euch kommen.“ Es wäre
folglich widernatürlich, anzunehmen, dass der Heilige Geist, da Er nun gekommen ist, uns nicht
Freude, Frömmigkeit, Einsicht, Beweggründe, Erkenntnis Gottes, sowohl des Vaters als auch des
Sohnes, den Geist der Sohnschaft, das Bewusstsein, dass wir in Christus sind und Er in uns, sowie
die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn mitgeteilt habe – das, was die alttestamentlichen
Heiligen nicht besaßen. Der Erbe unterscheidet sich, solange er ein Kind ist, in nichts von einem
Knecht, obgleich er Herr von allem ist. Dies ist nach der sorgfältigen Belehrung des Apostels der
Unterschied der Stellung der alttestamentlichen Heiligen, während Gott für uns etwas Besseres
vorgesehen hat, damit sie nicht ohne uns vollkommen gemacht würden, so dass der Geringste im
Reich der Himmel größer ist als der Größte von denen, die zuvor von Weibern geboren worden sind.
Leben und Unverweslichkeit sind durch das Evangelium ans Licht gebracht worden. Ich sehe weder
Frömmigkeit noch Achtung vor dem Wort Gottes dann, dass man die oenbarten Gaben Gottes,
wie sie für uns im Neuen Testament entfaltet sind, leugnet oder unterschätzt. Ist es nichts, dass der
Tröster gekommen ist? Wo werden die Heiligen des Alten Testaments aufgefordert, sich selbst Gott
als Lebende aus den Toten darzustellen? Dies aber ist unsere Lebensregel. Will man dies Gesetz
nennen, so ist das nur ein bloßer Missbrauch der Worte.
Ich weiß sehr wohl, dass man gesagt hat, es sei zwar nicht richtig, die Gerechtigkeit und das Leben
durch das Gesetz erlangen zu wollen, aber es sei doch unsere Lebensregel, man dürfe beides nicht mit
einander verwechseln. Aber ich sage, dass die ganze Theorie, auf welche man diese Unterscheidung
gründet, eine Täuschung ist. Wer gibt uns das Recht, das Gesetz für den einen Zweck bei Seite
zu legen und für einen anderen anzunehmen, wenn Gott es für einen bestimmten Zweck gegeben
hat? Nach der Erklärung des Apostels verfügt das Gesetz, wenn wir mit demselben zu tun haben,
über uns, und nicht wir über das Gesetz. Es bringt uns unter den Fluch, ist für uns der Dienst der
Verdammnis und des Todes, ohne uns zu fragen, wie wir es ansehen, oder ob wir damit einverstanden
sind. Es verkündigt sein eigenes Urteil über uns. Wird es übertreten, so verucht es. Mit einem Wort,
die Wirkung des Gesetzes über alle, die sich unter demselben benden, ist der Fluch. Die Schrift
gibt nirgendwo Erlaubnis zu sagen: „Ich stelle mich in der Weise nicht unter das Gesetz.“ Aber die
Schrift stellt dich in der Weise darunter, sobald du unter dem Gesetz bist. Wenn wirklich der Glaube
gekommen ist, so sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister, und folglich nicht mehr unter seinem
Fluch. Unter dem Gesetz zu sein und nicht unter seinem Fluch, wenn es übertreten ist, ist nur eine
schriftwidrige Phantasie und Anmaßung des Menschen. Gottes Wort sagt: „Wandelt im Geist, und
ihr werdet die Lust des Fleisches gar nicht vollbringen.“ „Wenn ihr aber durch den Geist geleitet
werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz“ (Gal 5,16.18).
Doch bevor ich schließe, möchte ich noch einmal auf den köstlicheren Teil unseres Gegenstandes
zurückkommen, nämlich auf die positive Seite der Frage: Was ist die Lebensregel des Christen? Die
Antwort ist: Christus. Er ist unser Leben, unsere Richtschnur oder Regel, unser Muster, unser Beispiel,
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  Das Gesetz 4/4
ja alles. Der Geist belebt uns und ist unsere Kraft, um Christus nachzufolgen. Im Wort Gottes nden
wir Ihn oenbart und seine Gedanken im Einzelnen entfaltet. Aber während die ganze Schrift – das
eingegebene Wort Gottes – wenn richtig geteilt, unser Licht ist, wenigstens (für solche, welche die
Salbung von dem Heiligen haben) werden Christus und der Geist, im Gegensatz zu dem Gesetz, vor
uns gestellt als Muster, Leben und Führer; und Christus ist ausschließlich alles für uns. Der Christ ist
ein Brief Christi, wie geschrieben steht: „Die ihr oenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid,
angefertigt durch uns im Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen
Gottes; nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf eischerne Tafeln des Herzens. . . . Wir alle aber mit
aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben
Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor 3). Wir haben hier also
Christus im Gegensatz zum Gesetz, sowie die genaue Bezeichnung dessen, was wir sind, nämlich ein
Brief Christi; während wir im Ausblick auf Christus die Kraft haben, die das hervorbringt, was durch
das Gesetz nimmer hervorgebracht werden kann. So auch nden wir in Galater 2,20 und 5,16, dass
der Geist im Gegensatz zum Gesetz die Kraft der Gottseligkeit ist – dass wir, wenn durch Ihn geleitet,
nicht mehr unter dem Gesetz sind und Früchte hervorbringen, gegen welche es kein Gesetz gibt. Wir
sind ermahnt, im Geist zu wandeln, aber dies ist nicht das Gesetz. In Römer 13,14 heißt es: „Zieht
an den Herrn Jesus Christus, und treibt nicht Vorsorge für das Fleisch zur Erfüllung seiner Lüste.“
Christus ist ein Gegenstand, der das Herz beherrscht, der das Leben und Zugleich der Gegenstand
des Lebens ist; Er ist der, dem wir, wie uns verheißen ist, gleichförmig sein werden, und dem wir jetzt
schon, nach unserem ernstlichen Wunsch, so viel als möglich gleichförmig zu sein suchender, welcher
unsere ganze Aufmerksamkeit in einer Weise fesselt, die jeden anderen Gegenstand ausschließt. Wir
sind zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene unter
vielen Brüdern sei. Unsere Wonne in Ihm ist die Quelle unseres Handelns und der uns beherrschende
Beweggrund. Dies lasst sich von seiner Person nicht trennen; ich kann Ihn nicht als mein Beispiel
und meinen Beweggrund haben, ohne meine Wonne in Ihm zu nden. Je mehr ich Ihn liebe, und je
mehr ich die Schönheit, die in Ihm ist, erblicke, desto mehr werde ich meine Wonne darin nden, Ihm
gleich zu sein. Es ist keine niedergeschriebene Regel, sondern eine lebendige Darstellung dessen, den
ich, indem Er mein Leben ist, wieder oenbaren soll, wie Paulus sagt: „Allezeit das Sterben Jesu am
Leib umhertragend, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leib oenbar werde.“ Ohne Zweifel ist
das geschriebene Wort das Mittel, um mir die Gedanken und den Willen des Herrn kund zu tun. Aber
es ist nicht ein Gesetz als eine Richtschnur, noch ist Christus nur ein Beispiel wie man dasselbe zu
befolgen hat. Es ist das Wort, das mir die Vollkommenheit dieses herzgewinnenden Beispiel zeigt und
mir kundtut, wer der ist, mit dem ich vereinigt bin. „Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche
von Staub sind; und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen. Und wie wir das Bild dessen
von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1. Kor 15,48–49).
„Wir wissen, dass, wenn Er oenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen,
wie Er ist. Und ein jeglicher, der diese Honung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist“
(1. Joh 3,1.3).
Dann aber auch ist Christus für mich die Quelle von allem, worin ich Ihm gleich zu sein begehre. Denn
in dem ich „mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschaue, werde ich verwandelt
nach demselben Bilde.“ „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade“
(Joh 1,16). Das kann nie durch eine Lebensregel erreicht werden; sie kann uns weder verwandeln in
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  Das Gesetz 4/4
jenes Bild, noch hat sie eine Fülle mitzuteilen. Deshalb sagt Jesus: „Heilige sie durch die Wahrheit,
dein Wort ist Wahrheit . . . und ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie Geheiligte seien durch
Wahrheit“ (Joh 17,17.19). Es ist der Heilige Geist, der uns die Dinge Christi mitteilt und uns also nach
seinem Bild gestaltet. Welch eine gesegnete Wahrheit! Jede Zuneigung des Herzens verbindet sich
auf diese Weise mit der Heiligkeit, wenn ich sie sehe in dem, der mich nicht nur geliebt hat, sondern
auch überaus liebenswürdig ist. Deshalb bin ich berufen, „des Herrn würdig zu allem Wohlgefallen
zu wandeln“ – „heranzuwachsen in allem zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus.“ Paulus suchte
einen jeden vollkommen in Christus Jesus darzustellen (Kol 1,28). Christus ist für die Seinen der
einzige Gegenstand und in ihnen das wirkliche Leben, damit sie alles das oenbaren, was in Christus
ist. Auch bin ich „durch Herrlichkeit und Tugend berufen.“ Das vorgesteckte Ziel ist jetzt für mich
nicht mehr auf der Erde; es ist der auferstandene Christus. Dies verursacht, dass mein Wandel im
Himmel ist, und wir lesen deshalb in Kolosser 3,1: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt
seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt auf das, was
droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist.“ Dadurch, dass ich auf Christus droben blicke, werde
ich Ihm gleich, wie Er hier auf der Erde war, und wandle seiner würdig, indem ich wandle, wie Er
gewandelt hat. Ich stehe über den Beweggründen, die das Herz an diese Erde fesseln und bin „erfüllt
mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis.“ Dieses kann nicht
durch bloße gesetzliche Vorschriften erreicht werden; denn das Gesetz steht in keiner Beziehung
zu diesem himmlischen Leben. Wir haben zu prüfen, was das Vorzüglichere ist. Selbst Abraham
wandelte in dem vortreichsten Teil seines Lebens nicht nach bloßen Vorschriften oder Regeln. Er
erwartete die Stadt, welche Grundlagen hat und war ein Fremdling und Pilger im Land der Verheißung.
Zurückkehren zu bloßen Lebensregeln heißt die Quelle der wahren Tätigkeit verlieren. Gott will uns
nicht ein bloßer Direktor oder Aufsehersein, der durch bestimmte Vorschriften seinen Willen kundtut,
sondern Er übt uns in der Geistlichkeit, indem Er das Verständnis seines wohlgefälligen Willens
von unserem geistlichen und moralischen Zustand abhängig macht; ein geistliches Verständnis
erfordert einen geistlichen Zustand. Nicht dass man sich etwa vorsetzt, die Vollkommenheit zu
erreichen, sondern das, was wir nach dem geistlichen Verständnis unseres inneren Lebens von Gott
und seinem wohlgefälligen Willen erkennen, wird durch dieses Verständnis selbst für uns sowohl
eine Wonne, als auch eine Picht; und die Vollkommenheit Christi werden wir sehr wahrscheinlich
nicht überschreiten. Dennoch ist sie als das Ziel vor uns gestellt – das Maß des vollen Wuchses
der Fülle des Christus. Er ist der Maßstab unseres Wandels, unser Vorbild, unsere Regel, unsere
Stärke, unsere Hilfe in Gnade, der Gegenstand unserer Freude, der Beweggrund unseres Wandels,
und der, welcher einen völligen Anspruch auf unsere Herzen hat. Sicher geziemt es sich für uns, mit
aufrichtigen Seelen, die unter dem Gesetz sind, Geduld zu haben; Gott allein kann sie befreien. Doch
ist es sehr wichtig, dass wir um der Verherrlichung Christi und selbst um derer willen, die unter dem
Gesetz sind, an der klaren, schriftgemäßen Wahrheit festhalten.
  114
  Die Vollkommenheit 1/4
Die Vollkommenheit – Teil 1/4
In diesen letzten Tagen begegnet man in vielen Seelen dem ernsten Wunsch nach einer zunehmenden
Heiligkeit; und gewiss, inmitten des Verfalls um uns her und der allgemein vorherrschenden Kalte
der Herzen, müssen dieser Wunsch und dieses Streben, in der Heiligkeit zu wachsen und sich Gott
zu widmen, auf alle mögliche, gottgemäße Weise gefördert werden. Dies ist der Zweck, den ich mir
beim Niederschreiben einiger Gedanken über diesen Gegenstand vorsetze. Mögen diese Zeilen jeder
geängstigten Seele zu Hilfe kommen und für keine zu irgendwelchem Hindernis werden!
Wir begegnen zunächst einer Frage, die manches Herz niederdrückt. Wie kommt es, dass eine große
Zahl derer, welche die Heiligkeit des Herzens bekennen oder aufrichtig suchen, so schmerzlich
entmutigt und getäuscht worden sind, und dass viele von ihnen, indem sie daran verzweifelten,
jemals dahin zu gelangen, beinahe ganz aufgehört haben, ihr nachzustreben? Nicht wenige, welche
die Heiligkeit bekannt haben oder noch bekennen, hört man fragen: Woher kommt es, dass sich so
wenig Fortschritte zeigen? Man besucht Konferenzen und Versammlungen, man Hort Predigten,
welche die Heiligkeit zum Gegenstand haben, und dennoch muss man mit Schmerz erkennen, dass
man nur wenig oder gar nicht vorwärtskommt. Welches ist die Ursache? Ich hoe, dass der Herr
mich befähigen wird, diese Fragen zu beantworten. Er allem vermag es zu tun. Es ist von höchster
Wichtigkeit, dass wir alle Stellen der Schrift, die von diesem Gegenstand reden, wohl verstehen.
Der Herr Jesus hat gesagt: „Der aber auf die gute Erde gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört und
versteht, der wirklich Frucht bringt; und der Eine trägt hundert–, der Andere sechzig–, der Andere
dreißigfältig“ (Mt 13,23). Es gibt daher keine Schwierigkeit hinsichtlich der Wahrheit, dass jeder
Fortschritt und jede wirkliche Frucht die Folge einer angemessenen Annahme und einer richtigen
Erkenntnis des Wortes Gottes sind. Wird dies aber von uns genügsam beachtet? Nehmen wir z. B.
die wenigen Worte: „Lasst uns fortfahren zum vollen Wüchse.“4
(Heb 6,1) Wer sind die Personen, an
welche sie gerichtet wurden 2 Woher kamen sie, und welches ist die Vollkommenheit, nach der sie
vorwärts zu schreiten hatten? Man hat vielleicht diesen Text angewandt und angeführt, als wenn er
alle Christen angehe und bedeute, dass wir vorwärtsschreiten sollen, indem wir das Fleisch kreuzigen
oder töten – sei es nach und nach, oder sei es auf einmal durch einen Akt des Glaubens – um die
innere Reinheit zu erlangen. Auf die eine oder andere Weise ist diese vollkommene, innere Reinheit
für manche die Vollkommenheit, von welcher hier die Rede ist. Ich werde jedoch auf die Frage der
Kreuzigung oder Tötung des Fleisches für jetzt nicht weiter eingehen, sondern mich vielmehr mit
der vorhin erwähnten Schriftstelle beschäftigen.
Nehmen wir der Brief an die Hebräer zur Hand, aus welcher obige Worte entnommen sind, und
erforschen wir sorgfältig, was sie sagen wollen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die ganze Brief
an Hebräer oder Juden, die das Christentum bekannten, gerichtet war. In Apostelgeschichte 21,30
wird von den Juden zu Jerusalem, die geglaubt hatten, gesagt: „Alle sind Eiferer des Gesetzes“, und
4 oder „zur Vollkommenheit.“
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  Die Vollkommenheit 1/4
nach unserem Brief gab es solche, die „im Hören träge geworden“ waren. „Denn“, fahrt der Apostel
fort, „da ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, bedürft ihr wiederum, dass man euch lehre, welches
die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die der Milch
bedürfen und nicht der festen Speise. Denn ein jeglicher, der der Milch teilhaftig wird, ist unerfahren
im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein Unmündiger; die feste Speise aber gehört den Erwachsenen“
(den Vollkommenen) (Heb 5,11–14). Wir müssen diese Worte wohl beachten und uns stets daran
erinnern, dass die Personen, an welche sie besonders gerichtet wurden, Juden waren, die Christen zu
sein bekannten, die aber hinsichtlich der vollkommenen Lehre Christi Unmündige waren.
Die Parteiungen und Sekten verfolgen dieselbe traurige Richtung, (oder selbst eine noch schlimmere)
nämlich uns eischlich oder wie Unmündige bleiben zu lassen. So konnte Paulus zu den Korinthern
nicht als zu Vollkommenen, sondern „als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christus“ reden
(Siehe 1. Kor 2,6; 3,1–3). Wollen wir daher den Gegenstand, der uns beschäftigt, wohl verstehen,
so müssen wir uns vor jenen feierlichen Warnungen beugen und sie in unseren Herzen erwägen.
Waren sie nur an gläubige Juden, die in großer Gefahr waren, zum Judentum zurückzukehren, oder
an die Korinther, die sich von dem Parteigeist hinreißen ließen, gerichtet? Zeigt sich uns die große
Masse der Christen gegenwärtig nicht als jeder Art von Parteiung überlassen, und gibt es nicht eine
Menge, die das Christentum bekennen, die aber zum Judentum zurückkehren oder zurückgekehrt
sind, indem sie sich an Formen und Zeremonien hängen? Ach, leider ist dies nur zu wahr.
Diese Stimme: „Lasst uns fortfahren zum vollen Wuchs“, spricht daher ebenso wohl zu uns, als zu den
damals lebenden Christen. Der ganze Brief an die Hebräer beschäftigt sich vornehmlich mit diesem
Gegenstand: das zu verlassen, was nicht zur Vollkommenheit führt, und sich zu dem zu wenden, was
für immer vollkommen macht.
Die Wege Gottes sind nicht unsere Wege. Gewöhnlich blickt man in sich selbst, um die
Vollkommenheit zu nden, um zu sehen, ob man dahingelangt ist. Gott aber belehrt uns in diesem
Brief über das Vorwärtsschreiten nicht also. Ich räume ein, dass es die Absicht und der Gegenstand
des Briefes ist, zur Vollkommenheit zu führen und diejenigen, die noch Unmündige sind, dahin zu
bringen. Wodurch aber wird dies geschehen. Zunächst dadurch, dass wir den, der vollkommen ist,
vor uns stellen. Ja, der Weg Gottes ist ungemein einfach. „Das Gesetz hat nichts zur Vollendung
gebracht“, sondern alle Vollkommenheit ndet sich in Christus. Er ist vollkommen, und durch Ihn
beginnt Gott.
Das erste Kapitel enthüllt vor unseren Augen die Herrlichkeiten des Sohnes Gottes. In seiner Gnade
und zärtlichen Liebe hatte Gott mit Geduld die Versammlung zu Jerusalem getragen. Er wusste,
wie schwer es den Juden el, alles, was sichtbar war, zu verlassen. Der prächtige Tempel, wo sie
noch anbeteten, ihre Opfer und gottesdienstlichen Gebräuche, das alte Hohepriesteramt – alle diese
Dinge übten eine große Macht auf sie aus. Und dazu mussten sie die Herrschaft ihres Messias
verschoben (Apg 3,19–21) und für eine Zeit lang jede irdische Verheißung bei Seite gesetzt sehen.
Außerdem war der Gottesdienst der Kirche oder Versammlung im Anfang ein rein geistlicher. Es
gab für sie keinen besonderen Ort der Anbetung auf der Erde, keine vom Volk unterschiedlichen
Priester, überhaupt nichts, worauf das Auge des natürlichen Menschen verweilen konnte. Jesus selbst
war gen Himmel gefahren. Bald nachher kamen die römischen Heere, zerstörten den Tempel und
verwüsteten Jerusalem; nach einem schrecklichen Blutbad der verworfenen Juden zerstreute sich der
  116
  Die Vollkommenheit 1/4
Rest unter die Nationen. Dies alles war vor den Augen Gottes. Er bewies sich daher in vollkommener
Gnade gegen die gläubigen Juden, indem Er ihnen diesen Brief sandte, die bestimmt war, sie von den
Schatten hinweg zu dem Körper, welcher Christus ist, hinzuführen (Kol 2,17).
Die Zerstörung Jerusalems war nahe, sie wussten es nicht, aber Gott wusste es. Die Vernichtung
Babylons, der großen Abtrünnigen, ist gleichfalls nahe; wenn es die Menschen auch nicht wissen,
so weiß es doch Gott (1. Thes 2,3; O 17,18), und in seiner Liebe für uns will Er uns aus einer
judaisierenden Christenheit, die nichts zur Vollendung bringt, herausnehmen, um uns zu dem
hinzuführen, der vollkommen ist in seiner Person, sowie zu dem vollkommenen Werk, das Er
für immer vollbracht hat.
Es ist absichtlich und dem allgemeinen Zweck dieser Brief entsprechend, dass der Verfasser derselben
nicht genannt ist. Gott spricht, und der Schreiber stellt sich mit dem gläubigen Überrest Israels auf
ein und denselben Boden. Gott, der ehemals in den Propheten geredet, spricht jetzt oder hat zu uns
gesprochen im Sohn, den Er zum Erben, nicht nur Palästinas, sondern aller Dinge gesetzt, durch den
Er auch „die Welten gemacht“ hat. Herrlichkeit um Herrlichkeit ziehen, als dem Sohn gehörend, so
an unseren Augen vorüber. Er ist nicht gemacht worden, sondern Er ist „der Abglanz der Herrlichkeit
Gottes und der Abdruck seines Wesens“; Er erhält „alle Dinge durch das Wort seiner Macht.“
Dann folgt eine noch vortreichere Herrlichkeit des Sohnes Gottes: „Nachdem Er durch sich selbst
die Reinigung der Sünden gemacht, hat Er sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ In dem
Brief an die Epheser zeigt uns der Apostel Issum als den, welchen Gott aus den Toten auferweckt und
gesetzt hat zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern über jedes Fürstentum und jede Gewalt und
Kraft, als Haupt seines Leibes, welcher die Versammlung ist (Kap 1,30–33). Hier aber ist Er in seinem
Recht als Sohn, nachdem Er dieses glorreiche Werk – die Sühnung der Sünden – in der Herrlichkeit
seiner eigenen Person vollbracht hatte, in die Himmel eingegangen und hat sich dort gesetzt. Wie
unendlich weit überstieg dies alles, was die Juden herrliches erwarten konnten. Ihr Messias hatte
sich nicht in den Tempel gesetzt, sondern in den Himmel zur Rechten der Majestät in der Höhe.
Aber, wird man fragen, was haben alle diese Herrlichkeiten mit unserer Vollkommenheit oder mit
dem „Fortfahren zum vollen Wüchse“ zu tun? Sehr viel, antworte ich. Es ist dies zwar nicht der
Weg des Menschen; der Mensch würde beständig mit sich selbst beschäftigt sein, aber Gott entfaltet
die Herrlichkeiten des Sohnes – die Herrlichkeiten dessen, der vollkommen ist, und „wir alle, mit
aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben
Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor 3,16).
Möge Gott uns befähigen, die Herrlichkeiten seines Sohnes, die Er vor unseren Augen entfaltet,
in dieser Weise anzuschauen! Die Juden erinnerten mit Recht daran, dass ihre Vater von Engeln
besucht worden seien; sie priesen ihren Dienst und hatten vor diesen himmlischen Wesen große
Ehrfurcht. Aber welch einen erhabenen Kontrast bildet der Sohn zu allen geschaenen Wesen! Alle
Engel müssen Ihn anbeten; alle sind seine Diener. Was Ihn betrit, so ist Er wahrhaftig Gott; denn es
steht geschrieben: „Dein Thron, o Gott, ist in das Zeitalter des Zeitalters.“ Zugleich ist Er wahrhaftiger
Mensch: „Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst, darum hat dich Gott, dein Gott,
gesalbt mit Öl des Frohlockens über deine Genossen.“
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  Die Vollkommenheit 1/4
Welch wunderbare Gnade, mit dieser glorreichen Person, dem Genossen Jehovas (Sach 13,7),
in Verbindung gebracht zu sein! Er nimmt die schwache, kleine Herde in Besitz, und in seiner
Auferstehung erkennt Er diejenigen, aus denen sie besteht, als seine eigenen Genossen an (Siehe
Joh 20,17). Welch eine vollkommene Güte! Welch kostbare Gnade! Und dies ist eine so wahrhaftige
Tatsache, dass die Engel, die seine Diener sind, auch uns dienen, wie am Ende des 1. Kapitels
geschrieben steht. O, möchte dieser Gedanke unsere Herzen erfüllen! Während wir unsere mühsame
Reise verfolgen, begleiten diese heiligen Wesen, die seinen Willen tun, unsere Schritte, und sein Wille
ist, dass sie uns dienen.
Im zweiten Kapitel nden wir zunächst feierliche, an die hebräischen Christen gerichtete Warnungen,
dass sie nicht eine so große Errettung vernachlässigen mochten. Dann wird uns die Autorität der
Worte des Herrn Jesus dargestellt. Diese sind bestätigt worden durch die Apostel welche sie gehört
hatten, und Gott zeugte mit ihnen durch mancherlei Zeichen und Wunder. Hierauf wird Jesus
wiederum im Gegensatz zu den Engeln dargestellt: nicht Engeln hat Er den zukünftigen Erdkreis
unterworfen, sondern Ihm, als dem Sohn des Menschen. Wir sehen noch nicht alles unter seine
Herrschaft gestellt, „wir sehen aber Jesus.“ Betrachten wir dieses herrliche Angesicht. Derjenige,
der den Tod erduldet, der während seines Lebens hienieden gelitten hat – Ihn sehen wir dort, mit
Herrlichkeit und Ehre gekrönt, vollendet als der Anführer unserer Errettung. Und indem Er viele
Söhne zur Herrlichkeit bringt, stellt Er sie als eins mit sich selbst Gott dar. „Denn sowohl der, welcher
heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem, um welcher Ursache willen Er
sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (V 11). Welche Freude für unseren erhabenen Erlöser, zu
sagen: „Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dir
lobsingen!“ Und wiederum sagt Jesus: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.“ Und auf
diese Weise ist Er als unser barmherziger und treuer Hohepriester eingeführt. Er hat sich nicht der
Engel angenommen, um sie zu Gott zu führen, sondern des Samens Abrahams.
Alles dieses ist ohne Zweifel besonders an die Gläubigen aus der Nachkommenschaft Abrahams
gerichtet, aber es ist gewiss nicht weniger für uns in diesen letzten Tagen voll der tiefsten Belehrung.
Man wird vielleicht nochmals fragen: Aber was hat denn dies alles mit der christlichen
Vollkommenheit zu tun? Es ist völlig verschieden von dem, was ich je über diesen Gegenstand
gelesen habe. Das mag sein, aber diese Brief ist die Abhandlung Gottes über die Vollkommenheit.
In Wahrheit: „Seine Wege sind nicht unsere Wege, und seine Gedanken nicht unsere Gedanken.“
Unsere Gedanken über die Vollkommenheit würden uns unvermeidlich zu der undankbaren Aufgabe
führen, uns selbst zu betrachten. Nicht so dieser Brief, und nicht so die Gedanken Gottes. Er stellt
uns seinen Sohn in der Herrlichkeit vor und lässt uns zurufen: „Daher, heilige Brüder, Genossen der
himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und den Hohepriester unseres Bekenntnisses, Jesus.“
Blicken wir auf uns selbst, beschäftigen wir uns mit uns selbst, so werden wir unfehlbar Dürftigkeit
und geistliche Armut entdecken. Vergleichen wir uns mit anderen, so mangelt es uns an Weisheit.
Begehren wir aber, in der Gnade, in der Heiligkeit und Gleichförmigkeit mit Christus zu wachsen,
so lasst uns Jesus betrachten, wie Ihn Gott vor uns hinstellt. Das was uns nötig ist, ist ein ernsteres
Erforschen des Wortes mit vielem Gebet und einer völligen Unterwerfung unter das, was es uns sagt.
Danach folgen in der uns beschäftigenden Brief feierliche Warnungen vor dem Unglauben, und am
Ende des 4. Kapitels nochmals die Herrlichkeiten unseres großen Hohepriesters, der in die Himmel
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  Die Vollkommenheit 1/4
eingegangen ist, Jesu, des Sohnes Gottes. Dies führt den Geist Gottes dahin, zu zeigen, welches die
Stellung dieser Hebräer ist, die Christen zu sein bekannten. Sie waren nicht fortgefahren zum vollen
Wüchse. Sie waren hinsichtlich der göttlichen Wahrheit Unmündige, die Neigung hatten, zu den
Verordnungen des Gesetzes zurückzukehren. Ist ihre Stellung nicht ein trauriges Bild von der der
Christenheit unserer Tage? 2.: Die Personen, von denen im 6. Kapitel die Rede ist, sind Hebräer, die
Gläubige zu sein bekannten, und der Schreiber der Brief stellt sich mit ihnen auf ein und denselben
Boden. Er behält alle die Herrlichkeiten und die Vollkommenheit des Sohnes Gottes im Auge und
sagt: „Deshalb, das Wort von dem Anfang des Christus lassend, lasst uns fortfahren zum vollen
Wüchse.“ Dies würde man nicht zu solchen haben sagen können, die ihren vollen Wuchs erreicht
hatten, d. h. vollkommen waren. Wohin hätten diejenigen, welche das Judentum völlig verlassen
hatten oder davon ausgegangen waren, um sich zu Christus zu wenden, gehen können, wenn nicht
zu Ihn? Im Judentum wiederholte man fortwährend die nämlichen Dinge, weil in demselben nichts
zur Vollendung gebracht wurde. In Christus ist alles göttlich vollendet, und in Folge dessen kann es
nicht wiederholt werden. Deshalb lesen wir: „Und nicht wiederum einen Grund legen mit der Buße
von toten Werken und dem Glauben an Gott.“ Wenn ein ehemaliger Jude gesündigt hatte, so gab es
für ihn die Buße und dann das Blut von Stieren und Bocken; bei jeder begangenen Sünde musste
er immer wieder von neuem beginnen. „Wie viel mehr wird das Blut des Christus, der durch den
ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken,
um dem lebendigen Gott zu dienen.“ Die Buße eines Juden führte diesen nie in die Gegenwart Gottes.
Der Weg zum Allerheiligsten war nicht geönet, so dass der Israelit stets draußen bleiben musste.
Das war der Platz des Anbeters vor dem Tod Christi. Als aber Christus gekommen war, „verkündigte
Er Frieden – euch den Fernen und Frieden den Nahen. Denn durch Ihn haben wir beide den Zugang
durch einen Geist zu dem Vater“ (Eph 2,18). „Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt
in das Heiligtum durch das Blut Jesu, den neuen und lebendigen Weg, den Er uns eingeweiht hat
durch den Vorhang, das ist sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so lasst uns
hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und
also gereinigt vom bösen Gewissen, und den Leib gewaschen mit reinem Wasser“ (Heb 10,19–22). Ist
das nicht ein auallender Gegensatz?
Ebenso verhält es sich mit „dem Glauben an Gott.“ Wie lebendig auch der Glaube eines Juden an
den verheißenen Messias sein mochte, so war er doch unendlich Verschieden von dem, was jetzt der
Glaube an Gott ist, durch den wir wissen, dass Er seinen Sohn gesandt, dass wir die Erlösung durch
sein Blut und die Vergebung unserer Sünden haben! Sicher, von diesem Glauben zurückkehren zu
dem, welchen ein Jude haben konnte, ehe Christus gestorben und auferweckt war, hieße leugnen,
dass Jesus im Fleisch gekommen ist.
Wir lesen ferner von „der Lehre von Waschungen und dem Händeauegen.“ Diese Reinigungen
des Körpers im Fall des Aussatzes oder der Beeckung waren früher von Gott verordnet und sind
als Vorbilder und Schatten auch jetzt noch köstlich zu betrachten. Hatte z. B. ein Jude gesündigt,
so legte er seine Hand auf den Kopf des Opfers und bekannte seine Sünde. Dies bezeichnete die
völlige Einsmachung des Opfernden mit seinem Opfer. Die Sünde wurde dem dargebrachten Tier
zugerechnet; dieses wurde getötet, und der Jude erlangte die Vergehung. Es war dies an seinem Platz
von hohem Wert; es war das Wort von dem Anfang des Christus. Wollte man aber jetzt nach seinem
Tod, dem Tod des einzigen Opfers für die Sünden, zu jenen Opfern und zu jenem Händeauegen
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  Die Vollkommenheit 1/4
zurückkehren, so hieße das den Wert des Blutes Christi verkennen und es gleichsam mit Füßen
treten.
Wir kommen jetzt zu „der Auferstehung der Toten und dem ewigen Gericht.“ Es ist dies ein wichtiger
Punkt der Wahrheit. Nach dem Geschichtsschreiber Josephus, wie auch nach den Worten Martas
(Joh 11,24): „Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tage“, wurde von den
Juden zu jener Zeit die Lehre festgehalten, dass alle Menschen sterben müssten, dass eine allgemeine
und gleichzeitige Auferstehung aller Toten stattnden und dass alle vor den Thron Gottes gebracht
werden würden, um da nach ihren Werken gerichtet zu werden, und dass das Urteil des Gerichts
ein ewiges sei. Diese Lehre ist auch die der Mohammedaner und der römischen, griechischen und
protestantischen Kirche. Aber es ist nicht die vollständige Wahrheit, es ist nur der Anfang derselben.
Der Tod wie die Auferstehung der Toten ist eine Wirklichkeit. Dies sind Tatsachen und, mit den
Lehren der menschlichen Philosophie verglichen, große Wahrheiten. Aber die vollkommene oder
vollständige Wahrheit ist die Auferstehung aus den Toten. „Und ebenso wie es den Menschen gesetzt
ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, also wird auch der Christus, einmal geopfert, um vieler
Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit“
(Heb 9,27–28). Mehrere andere Stellen bestätigen diese Tatsache. Es werden wenigstens 1 000 Jahre
zwischen der ersten und zweiten Auferstehung verstießen (O 20). Und was das Gericht anlangt,
so ist die Grundwahrheit, die darin eingeschlossen ist, von höchster Wichtigkeit. Wenn alle ins
Gericht kommen, so werden auch alle verdammt werden, denn alle sind schuldig. Hieraus erhellt der
unermessliche Wert der klaren und vollkommenen Wahrheit in Bezug auf diesen Punkt. Wenn ich
vor Gott erscheinen muss, um gerichtet zu werden, so bin ich verloren. Aber Christus ist geopfert
worden, um meine Sünden zu tragen. Er ist auf dem Kreuz als mein Stellvertreter gerichtet worden.
Meine Sünden, alle meine Sünden sind auf Ihn gelegt worden. Das ist es gerade, was den großen
Unterschied ausmacht. Mein Stellvertreter, der meine Sünden auf sich genommen, hat das Gericht
auf dem Kreuz erduldet, und ich werde nicht ins Gericht kommen; diejenigen aber, die Christus
verwerfen, werden vor dem großen, weißen Thron gerichtet werden. Es muss notwendigerweise
ein Gericht über die Sünde erfolgen und dieses muss entweder in der Vergangenheit stattgefunden
haben oder noch in der Zukunft stattnden. Gott sei Dank, dass nicht beides Zugleich der Fall sein
kann. „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt
nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24). Das sind für
den Gläubigen die drei göttlichen Wirklichkeiten, die durch den Mund des Erlösers selbst bestätigt
worden sind.
Somit ist die Lehre, dass alle Menschen sterben müssen, und dass alle Toten auferstehen und
einem allgemeinen, zukünftigen Gericht anheimfallen, nur der erste Anfangsgrund, nicht aber die
vollkommene christliche Wahrheit. Ein Christus, der – wenigstens 1 000 Jahre vor dem Gericht vor
dem weißen Thron – für diejenigen, welche Ihn erwarten, (ohne Sünde zur Seligkeit, da Er ihre Sünden
getragen hat) kommt, ist die vollständige Wahrheit – mit anderen Worten: die Vollkommenheit. Es
ist die gesegnete Honung, an der alle Gläubigen festhielten, bevor die bekennende Kirche zum
Judentum zurückkehrte. Und in Bezug hierauf ermahnt der Apostel: „Lasst uns fortfahren zum
vollen Wüchse.“ Möge der Herr durch seinen Geist einem jeden Leser dieser Zeilen geben, seins in
folgenden Stellen enthaltenen Gedanken zu verstehen: Johannes 14,1–3; Römer 3,23; 1. Korinther 1,7–
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  Die Vollkommenheit 1/4
8; 15,21.23.51–52; Philipper 3,20–21; Kolosser 3,4; 1. Thessalonicher 1,10; 2,19; 3,13; 4,13–18; 5,23;
2. Thessalonicher 2,1; Titus 2,12–13; Oenbarung 20,5–12.
Dieses köstliche Vorrecht aber, bei der Ankunft Christi aus den Toten auferweckt, oder, wenn man in
jenem Augenblick noch lebend auf der Erde weilt, verwandelt zu werden und Ihm gleichgemacht zu
sein – im Gegensatz zu den übrigen der Menschen, die während der 1 000 Jahre in ihren Gräbern
verbleiben, und die nur zum Gericht auferstehen werden – ja, dieses Vorrecht zeigt den unendlichen
Wert der Versöhnung, die allen zu Teil wird, die an Christus glauben. Zu der Lehre einer allgemeinen
Auferstehung der Toten und einem allgemeinen Gericht zurückkehren – was, wie ich nicht zweie,
aus Unwissenheit geschieht – heißt daher nichts anders, als den Wert des Todes Christi herabwürdigen
oder verringern.
Denken wir nicht, dass die Schrift mit sich selbst im Widerspruch stehe. Niemals ist dies der Fall. „Ich
dachte“, wird vielleicht jemand sagen, „dass Matthäus 25,31–46 bestimmt die allgemeine Auferstehung
aller Toten lehre, und dass dort alle, sowohl Schafe als Böcke, zusammen vor dem Thron des Gerichts
stehen.“ Mit welcher Nachlässigkeit lesen wir nur zu oft die Schrift! Ich vermag kaum zu sagen, wie
sehr ich überrascht war, als ich bemerkte, dass diese feierliche Stelle nicht von allen Toten, als vor
diesem Gericht stehend, spricht, sondern dass überhaupt gar nicht von den Toten die Rede ist. Es
sind die Nationen, welche auf dieser Erde leben, wenn Jesus kommen wird, um zu herrschen, und
welche gerichtet werden, je nach dem sie das Zeugnis des jüdischen Überrestes aufgenommen und
gegen denselben davon Gebrauch gemacht haben. Aber werden wir nicht alle vor dem Richterstuhl
Christi oenbart und wird nicht unsere Arbeit und unser Dienst geprüft werden? Ganz gewiss,
und dies ist eine sehr köstliche Wahrheit. Aber ist es dasselbe, als unserer Sünden wegen gerichtet
zu werden? Sicher nicht. Erforschen wir die Schrift, indem wir alle Hindernisse, die uns abhalten,
zu der Vollkommenheit fortzuschreiten, bei Seite lassen. Die Christen stellen sich nicht vor, bis
zu welchem Punkt sie rückwärts geschritten oder vielmehr, wie wenig sie zur Vollkommenheit
vorwärtsgeschritten sind.
Verlieren wir nicht aus dem Auge, dass viele von denen, an welche der Brief gerichtet ist und die
das Christentum bekannten, in großer Gefahr waren, ins Judentum zurückzufallen. Die Klasse von
Personen, von welchen hier gesagt wird, dass sie „einmal erleuchtet waren und geschmeckt haben
die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das
gute Wort Gottes und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“, sind dieselben, die der Herr in
Matthäus 13,20–21 als solche beschreibt, die das Wort hören und es sogleich mit Freuden aufnehmen,
aber keine Wurzel in sich selbst haben. Betrachten wir mit Furcht und Zittern bis wie weit man gehen
und sich dennoch selbst täuschen kann. Das Licht und der Geschmack Christi, als der himmlischen
Gabe, sowie die Macht des Heiligen Geistes und die Autorität des Wortes Gottes waren der Art, und
die zukünftige Welt erschien der anfänglichen Kirche so nahe, dass es für jemanden unmöglich war,
das Judentum zu verlassen und – sei es selbst nur als bekennend – inmitten einer solchen Szene
Platz zu nehmen, ohne äußerlich eine gewaltige Veränderung zu erfahren und zu gleicher Zeit eine
große Freude zu genießen. Brach aber eine Zeit der Prüfung herein, so konnte unmöglich eine Frucht
hervorkommen, wenn keine Wurzeln vorhanden waren. Christus verlassen und zum Judentum
zurückkehren, hieß Ihn von neuem kreuzigen. Wäre jemand so abtrünnig geworden, dass er sich
wieder in die Synagoge hätte aufnehmen lassen, so hätte er Christus verleugnen und veruchen
müssen. Das ist es, was der Beweisführung des Apostels ihre Kraft verleiht. Man möge sich in dieser
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  Die Vollkommenheit 1/4
Beziehung nicht täuschen. Unter dem Gesetz gab es ehemals eine Erneuerung zur Buße, jetzt aber war
dies unmöglich. Der mosaische Ritus war bei Seite gesetzt und ging seiner vollständigen Auösung
entgegen. Ohne Zweifel hätte der abtrünnige Jude seine Gabe für die Sünde noch darbringen und
die Hände dem Opfer auegen wollen, um erneuert zu werden; dies aber war nicht mehr möglich.
Schreckliche Lage! Er setzte den Sohn Gottes der Schmach aus.
Viele sind nun in den verhängnisvollen Irrtum gefallen, dies auf einen Christen anzuwenden und
zu sagen, dass, wenn ein solcher in die Sünde siele, es für ihn unmöglich sei, zur Buße erneuert zu
werden. Dies würde daher für ihn noch schlimmer sein als für einen Juden des alten Bundes; denn für
diesen gab es Buße und Wiederherstellung. Wir wissen aber, Gott sei Dank! mit Gewissheit: „wenn
wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt
uns von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9).
Alles wird klar, sobald wir verstehen, dass es sich hier um solche handelt, die Christus verließen, um
zum Judentum zurückzukehren. Von den wahren Christen wird gesagt: „Wir aber sind in Bezug auf
euch, Geliebte, von besseren und mit der Seligkeit verbundenen Dingen überzeugt, wenn wir auch
also reden“ (V 9). (Fortsetzung folgt)
  122
  Welches ist die Zukunft der Nationen?
Welches ist die Zukunft der Nationen?
Die Heiden oder Nationen in ihrer Gesamtheit werden nicht durch die Anstrengungen der
ausgesandten Missionare und Evangelisten bekehrt werden. Das ist nicht die gegenwärtige Absicht
des Herrn; Er ist vielmehr beschäftigt „aus den Nationen ein Volk zu nehmen für seinen Namen“
(Apg 15,14). Nachdem dies geschehen, wird Er „die Nationen versammeln“ und „die Königreiche
zusammenbringen“, um über sie auszuschütten seinen Grimm, die ganze Glut seines Zornes; denn
das ganze Land wird verzehrt werden durch das Feuer seines Eifers (Zeph 3,8). Die Sammlung der
Kirche in Gnade ndet jetzt statt, die Sammlung der Nationen im Gericht ist zukünftig. Werden die
mächtigen, christlichen Reiche Europas versammelt sein, um „den Herrn der Könige der Erde“ zu
bewillkommnen? Nein, wir lesen in Oenbarung 19,19: „Und ich sah das Tier (das wieder hergestellte
römische Reich) und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit dem,
der auf dem Pferd saß, und mit seinem Heer.“ Welches ist das Resultat? Ein Engel steht in der
Sonne und lädt die Vögel des Himmels zu dem großen Mahle Gottes ein. Ach, dass Christen mit
der Bibel in ihren Händen und dem 19. Kapitel der Oenbarung vor ihren Augen träumen können
von einer allgemeinen Bekehrungsperiode durch die Predigt der Gnade. Nein, ein Wort, ein einziger,
kurzer Vers erweist alle diese Gedanken als irrig. „Wenn deine Gerichte auf Erden sind, so lernen
Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises“ (Jes 26,9). Was der Ankunft des Herrn vorhergeht, ist
nicht eine bekehrte Welt, sondern eine schlafende Kirche oder Versammlung. Das mitternächtliche
Geschrei erhebt sich nicht, um die Evangelisation der Welt zu bewirken, sondern um die Kirche
aus ihrem Schlaf aufzuwecken (Mt 25,6–7). Sind die törichten Jungfrauen – die Bekenner aber nicht
Besitzer des Lebens und des Geistes – bekehrt? Nein; wenn der Bräutigam kommt, so gehen die
wahren Christen mit Ihm hinein zur Hochzeit, während die törichten Jungfrauen ausgeschlossen sind.
Die Aufweckung der Kirche und nicht die Bekehrung der Welt ist das große Werk, das der zweiten
Ankunft Christi vorhergeht. Anstatt bekehrt zu werden, wird die Welt sich wider Ihn erheben. Deutet
nicht der Herr in bestimmter Weise auf den Mangel des Glaubens bei seinem Kommen hin, wenn Er
sagt: „Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn Er nun kommt, den Glauben nden auf der
Erde?“ (Lk 18,8) Schreckliche Gerichte werden daher über die Nationen kommen, besonders über die
so sehr bevorzugten, christlichen Völker, weil sie die Gnade und die ihnen verliehenen Vorrechte
missbraucht haben. Schwere Gerichte werden die zweite Ankunft des Herrn Jesus Christus begleiten,
wenn Er kommen wird, umgeben von allen seinen himmlischen Heiligen; darauf wird die gesegnete
Zeit kommen, von der die Propheten, die Apostel und der Herr selbst vorher geredet haben. Die
Bekehrung der Nationen, die durch den Herrn übriggelassen sind, und ihre Tätigkeit als Verkündiger
seiner Herrlichkeit unter den entfernt wohnenden Heiden (Jes 66,19), ihre gesegnete Mission, den
unter allen Nationen zerstreuten Überrest Israels zu sammeln und „zum Speisopfer für Jehova nach
Jerusalem zu bringen“ (V 30), – diese und andere Segnungen der tausendjährigen Herrschaft über die
Erde zeigen eine gesegnete Zukunft für die Nationen an. Christus wird „als König über die ganze
Erde“ herrschen und die Segnungen seiner glorreichen Regierung bis zu den entfernten Inseln der
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  Welches ist die Zukunft der Nationen?
Nationen (Jes 51,5) sowie zu den bis dahin unbekehrten Stämmen der großen arabischen Wüste
ausdehnen (Ps 72,9). Auf Ihn werden daher die Nationen hoen (Röm 15,12). „Und wiederum: Lobt
den Herrn, alle Nationen, und preist Ihn, alle Völker!“ (Röm 15,10–11) Israel wird in den kommenden
Tagender irdischen Herrlichkeit den Hauptplatz einnehmen (5. Mo 28,12–13); die Nationen sind ihm
unterworfen (vgl. Mt 12,18; Jes 60; Ps 100; Mal 1,11 usw.). Jehova wird seinen Geist auf alles Fleisch
ausgießen (Joel 2,28), und die Masse der dann lebenden Menschen wird den Herrn kennen, nachdem
die Gerichte ihren Lauf genommen haben und die Bosheit auf der Erde bestraft worden ist.
Christus muss notwendiger Weise zuerst kommen und den Willen der Nationen mit einer eisernen
Rute zerbrechen, um dann die von ihnen Übriggebliebenen und Verschonten in den vollen Genuss
seiner herrlichen Regierung einzuführen. Das scheint mir die klare und deutliche Meinung dieser
und anderer zahlreicher Erklärungen des Wortes Gottes bezüglich der Zukunft der Nationen zu sein.
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  Die Vollkommenheit 2/4
Die Vollkommenheit – Teil 2/4
3.: Meine Leser werden sagen, dass es jetzt doch bald an der Zeit sei, uns mit der Vollkommenheit zu
beschäftigen. Allein ich war der Meinung, dass wir es nicht eher tun konnten, als bis alle die oben
besprochenen Punkte erörtert waren. Wir haben vor uns der Brief über die Vollkommenheit, und ich
wusste wirklich nichts Besseres zu tun, als die Ordnung, die Gott selbst darin befolgt hat, ebenfalls
einzuhalten.
Sprechen wir also zuerst vom Hohepriestertum. – Der Grundsatz eines menschlichen Hohepriestertums ist in Israel fünfzehn Jahrhunderte hindurch auf die Probe gestellt worden. Es gab damals ein
von dem Volk getrenntes Hohepriestertum, das dem Dienst und der Verehrung Gottes geweiht war.
Die Geschichte aller Völker beweist, dass dieser Grundsatz von den Menschen geschätzt wird. In
der Tat ist es merkwürdig, dass dieser häug unter dem Namen „Klerus und Laientum“ bekannte
Grundsatz von allen heidnischen Religionen auf der Erde anerkannt ist. Die rohen Germanen wie
die seinen Griechen, die Ägypter des grauen Altertums wie die Chaldäer – alle haben ihre Priester
gehabt. Aber in Israel „nimmt nicht jemand sich selbst die Ehre, sondern als von Gott berufen, gleich
wie auch Aaron“ (Kap 5,4). Somit hatte das jüdische Priestertum nicht nur ein hohes Alter für sich,
sondern auch die göttliche Autorität. Alles dieses wird in unserem Brief völlig anerkannt. Jetzt aber
ist die Frage: Bestand denn die Vollkommenheit in diesem errichteten Hohepriestertum? Nein; denn
„wenn die Vollkommenheit durch das levitische Priestertum war, (denn in Verbindung mit demselben
hat das Volk das Gesetz empfangen) welches Bedürfnis war noch vorhanden, dass ein anderer Priester
aufstehe nach der Ordnung Melchisedeks?“ Das Hohepriestertum war daher geändert, und es mühte
notwendig auch eine Änderung des Gesetzes stattnden, „denn das Gesetz hat nichts zur Vollendung
gebracht.“
Vergegenwärtigen wir uns, von welch großartigen Veränderungen hier gesprochen wird. Der
glänzende und feierliche Dienst des Hohepriestertums, das ganze System selbst und der Dienst
des Gesetzes sind bei Seite gesetzt, weil sie nichts zur Vollendung brachten. Der Jude hatte den
Tempel, das Priestertum, das Gesetz und seinen prächtigen Ritus; was hatte der Christ? Einen
materiellen Tempel auf Erden konnte er nicht aufweisen, wenn man nicht seinen Leib oder die
Gesamtheit der Christen als solchen betrachtet; denn es steht geschrieben: „Ihr seid der Tempel.“
Hatte er ein Hohepriestertum? Durchaus nicht; selbst wenn Christus auf Erden wäre, so würde Er
doch nicht Hohepriester sein. Gab es nicht wenigstens einen rituellen Dienst? Nein; der Christ soll
sich vielmehr hüten, zu diesen armseligen Elementen zurückzukehren. Aber wenn der Jude alles hatte,
worauf das Auge des Menschen mit Wohlgefallen ruhen konnte, was hat dann der Christ? Mochten
wir es alle wahrhaft erkennen und zu schätzen wissen! Der Christ hat dieses: „Die Hauptsumme aber
dessen, was wir sagen, ist: Wir haben einen solchen Hohepriester, der sich gesetzt hat zur Rechten
des Thrones der Majestät in den Himmeln.“
  125
  Die Vollkommenheit 2/4
Ich möchte zum besseren Verständnis des Lesers hier ein sehr einfaches Beispiel anführen. Wenn
der Morgen zu tagen beginnt, so werden alle Lichter, die während der Nacht die Stadt beleuchteten,
ausgelöscht. Warum? Weil sie, wie groß auch ihr Nutzen in der Finsternis sein mochte, jetzt ganz
unnütz sind, da die Sonne am Himmel glänzt. Das levitische Priestertum war, wie die Lichter, nützlich,
solange die Nacht herrschte, aber jetzt ist das wahre Licht aufgegangen und scheint mit herrlicherem
Glänze als die Mittagssonne.
Dieser einzig große und erhabene Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks, der Priester und
der König, war in den Psalmen und allen Propheten klar und deutlich angekündigt worden. Und
dennoch – es ist traurig zu sagen, aber leider eine wirkliche Tatsache – will man jetzt, nachdem Er
erschienen ist, in der bekennenden Kirche ein besonderes Priestertum, einen Klerus haben. Die große
Masse der Christenheit, anstatt zur Vollkommenheit fortzuschreiten, ist mehr oder weniger zu der
Finsternis und den Schatten des Judentums zurückgekehrt.
Neun man bei Hellem Tag in einer Stadt die Lichter anzündet, so drückt man damit aus, dass die
Sonne nicht genügt. Richtet man auf Erden ein menschliches Priestertum auf, so leugnet man dadurch
die Allgenügsamkeit Christi, unseres einzigen großen Hohepriesters, der zur Rechten des Thrones der
Majestät in den Himmeln sitzt. Möchte Er den Ihm gebührenden Platz vor der Seele einnehmen, dann
wird sicher jedes andere Priestertum, außer dem seinen, einer leichten Wolke gleich, verschwinden.
Er hat ein unveränderliches Priestertum; Er vermag auch völlig zu erretten, die durch Ihn zu Gott
kommen. „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis ans Ende.“ Er ermangelt nie, unsere Füße zu
waschen und unsere Seelen wiederherzustellen. Als wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch
vereinigt Er eine unendliche Macht mit dem Zärtlichsten Mitgefühl. Möchte ein jeder Leser dieser
Zeilen das erhabene Hohepriestertum Christi betrachten, wie es uns in diesem Brief oenbart wird,
und also vorwärtsschreiten; denn in Ihm ndet er die Vollkommenheit.
Der zweite Punkt bezüglich der Vollkommenheit ist der Zugang zu Gott. In Hebräer 9,1–7 haben
wir die Beschreibung der ersten Hütte und des Dienstes, der darin ausgeübt wurde; dann lesen wir:
„Wodurch der Heilige Geist dies anzeigt, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht oenbart sei, solange
die erste Hütte noch Bestand habe“, und ferner, dass all dieser Dienst und die Opfer „dem Gewissen
nach nicht vollkommen machen können.“ Wir werden über das Gewissen, wenn wir im 10. Kapitel zu
diesem Gegenstand kommen, eingehender sprechen; für jetzt beschäftigen wir uns mit dem Zugang
zu Gott. Das Gesetz und das Hohepriestertum vermochte die den Gottesdienst Übenden nicht in
die Gegenwart Gottes zu bringen. Beide waren in dieser Beziehung unzulänglich, indem sie nichts
vollenden, noch vollkommen machen konnten; wir aber, d. h. die Gläubigen, haben „Freimütigkeit
zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu.“ Das ist die Vollkommenheit. Ich kann zu dem, der
bezüglich des Zutritts zu Gott wohl unterrichtet ist, nicht sagen: „Lass uns fortschreiten.“ Er ist bereits
da; er weiß, dass dies der Platz eines jeden Kindes Gottes durch das Blut Jesu ist, im Gegensatz zu dem
Juden unter dem Gesetz, der niemals hinzunahen konnte. Das Hohepriestertum war unvermögend,
ihn dort einzuführen. Aber Christus besitzt die Vollkommenheit; in Ihm haben wir sie gefunden.
In den himmlischen Örtern, wozu Er uns den Zutritt erönet hat, gibt es gar keinen Unterschied
zwischen Priestern und Volk, zwischen Klerus und Laien. Wie wäre dies möglich, da doch alle auf
gleiche Weise, als gereinigte Anbeter, eingeführt sind? Der eigentliche Grundsatz, der den Klerus
charakterisiert, ist dieser: „Ich bin drinnen und du draußen“, oder auch: „Ich bin Gott nahe, aber
du bist fern – so fern, dass ich dein Mittler bei Ihm sein muss, und sein Mittler bei dir.“ Dies ist
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  Die Vollkommenheit 2/4
ein schreckliches, in der Christenheit eingeführtes Nebel. Wenn jeder Gläubige durch das Blut Jesu
Freimütigkeit oder Freiheit hat zum Eintritt in das Heiligtum, und wenn dennoch ein von Menschen
eingesetzter Klerus und ein von ihnen errichtetes Priestertum dem Laien sagt oder zu verstehen gibt:
„Ich bin Gott näher, als du“, – was muss man daraus schließen? Dass er entweder nicht an den Wert
des Blutes Jesu glaubt, oder an etwas glaubt, das einen größeren Wert hat und ihn Gott näherbringt,
als den einfachen Gläubigen, der nur auf das Blut Christi vertraut.
Man gebraucht oft den Ausdruck „Geistliche“, um damit Männer zu bezeichnen, die gewisse religiöse
Amtsverrichtungen ausüben. Ich würde nicht viel dagegen einzuwenden haben, wenn man unter
diesem Titel einfach Diener Christi, die das Evangelium verkündigen, oder den Gläubigen das Wort
Gottes bringen, verstände. Ist es aber nicht weit besser, sich keines solchen Ausdrucks zu bedienen,
der den Gedanken eines schriftwidrigen und gefährlichen Unterschiedes zwischen Klerus und Laien
hervorbringt? Ist es nicht besser, Bezeichnungen zu gebrauchen, die in der Schrift angewandt sind,
wie Evangelisten, Hirten, Lehrer usw.?
Doch hüten wir uns wohl, indem wir von diesen Bezeichnungen Gebrauch machen, sie ohne weiteres
und eigenmächtig gewissen Männern beizulegen, die durch andere eingesetzt sind, und die somit
eine eigene getrennte Klasse bilden, einen Klerus, wie man es zu nennen pegt. Dass es gewöhnlich
also geschieht, ist ein Beweis, wie sehr diese Sache in den Geist der Christenheit eingedrungen ist.
Der dritte Punkt, den wir zu betrachten haben, ist die Vollkommenheit in Betre der Erlösung.
Der Christ kann sagen: „Wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen.“
Gesegnete Tatsache! Wer könnte den Wert derselben aussprechen? Worauf konnte sich ehemals ein
Jude in dieser Beziehung stützen? Er war erlöst von der Knechtschaft Ägyptens, das ist wahr, aber wo
war er in Betre seiner Sünden? Das Höchste, was er sagen konnte, war, dass die Sünden des Volkes
für das ganze Jahr auf dem Kopf des Bockes Asasel am Versöhnungstag bekannt wurden (3. Mo 16).
Der Bock wurde alsdann fortgeschickt und kam nicht wieder zurück. Das Blut der Versöhnung
war vergossen und auch die Besprengung des Gnadenstuhls vollzogen worden. Aber so köstlich
dies als Vorbild dessen, was hernach kommen sollte, auch war, so konnte es doch dem Juden keine
vollständige Erlösung verschaen. Er konnte sagen: Ich habe die Erlösung für ein Jahr; aber war
dieses etwas Vollkommenes? Wenn du hundert Mark gibst, um einen armen Sklaven für ein Jahr
loszukaufen, wäre dies eine vollkommene Befreiung? Gewiss nicht; es würde ihn nur umso mehr das
Elend seiner Stellung empnden lassen, wenn er in seine harte Knechtschaft zurückkehren müsste.
Um ihm eine völlige Befreiung zu Teil werden zu lassen, genügt ein unvollständiges Lösegeld nicht;
man muss eine Summe bezahlen, die ihn für immer in Freiheit setzt. Von unserem herrlichen Erlöser
aber steht geschrieben, dass Er mit seinem eignen Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen
ist, als Er eine ewige Erlösung erfunden hatte (Heb 9,13). Er hat uns nicht für eine beschränkte
Zeit erkauft; dies wäre kein vollkommenes Werk gewesen. Beachte es wohl, geliebter Leser, dass,
wenn du die Erlösung hast, es eine ewige Erlösung ist und sein muss. Wie klein ist die Zahl derer,
die diese Tatsache, die von so unendlichem Wert ist, erfassen! Wie wenige glauben sie wirklich!
Besitzest du für dich selbst diese so wertvolle und ewige Erlösung durch das Blut Jesu? Wie könnte
sie in ihrer Wirksamkeit weniger als ewig sein? Dies ist der Wert des Blutes Christi vor Gott für alle
diejenigen, welche für immer gewaschen und erkauft sind; und dieser Wert bleibt ewig derselbe. Hat
diese Erlösung für deine Seele denselben Wert, den sie in den Augen Gottes hat? Hast du ihr diesen
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  Die Vollkommenheit 2/4
Wert noch nicht beigelegt, hörst du zu der Klasse derer, die von Messen oder oft erneuerten Opfern
für die Sünde und von einer wiederholten Anwendung des Blutes Christi sprechen, so höre doch und
überzeuge dich durch das Wort Gottes, dass deine Erlösung, wenn sie dir wirklich zu Teil geworden,
eine ewige ist. Das Beispiel, dessen ich mich oben bediente, kann dir vielleicht zum Verständnis
dessen, was ich sage, behilich sein. Wenn der Loskauf eines Sklaven keine vollständige und für
immer gültige ist, wenn sie nur für 1,2 oder selbst 10 Jahre gilt, so muss sie nach Ablauf dieser Zeit
immer wieder erneuert werden. Wenn aber das Lösegeld zur völligen Loskaufung genügt, so ist
nichts mehr zu bezahlen; der Sklave ist gänzlich und für immer frei. Bist du aber in Bezug auf diesen
so überaus wichtigen Punkt noch nicht zu dem vollen Wüchse des Christus gelangt, hast du nicht
dem Wort Gottes gemäß begrien, dass das Blut Jesu einmal für alle Glaubenden zu einer ewigen
Erlösung vergossen wurde, so ist es gewiss, dass du keinen wahren Frieden hast, sondern mit einem
unruhigen Gewissen zu neuen Anwendungen des Blutes Christi deine Zuucht nehmen wirst. Die
Schrift aber spricht von nichts dergleichen.
Doch man wird vielleicht sagen, dass viele von denen, welche die Heiligkeit bekennen, von der
Notwendigkeit einer wiederholten Anwendung des Blutes Jesu sprechen. Es beweist dies einfach,
dass diese Personen in Bezug auf die Erlösung nicht zu dem vollkommenen Wüchse gelangt sind.
Denn sie sollten mit allen Kindern Gottes wissen, dass jeder Christ in Christus eine ewige Erlösung
hat; eine ewige Erlösung aber ist eine vollkommene; es gibt da nichts hinzuzufügen, nichts zu
wiederholen. Man muss vorwärtsschreiten, bis man diese Vollkommenheit in Christus ergrien hat.
Der vierte Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit des Lesersrichten möchte, ist die Vollkommenheit in
Betre des Gewissens. Wir werden sehr klar unterwiesen, dass das Gesetz diese Vollkommenheit nicht
geben konnte. „Denn da das Gesetz einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild
selbst hat, so kann es nimmer mit denselben Schlachtopfern, die sie alljährlich ununterbrochen
darbringen, die Hinzutretenden vollkommen machen. Denn würden sie sonst nicht aufgehört haben,
dargebracht zu werden?“ (Heb 10,1–2)
Lasst uns jeden Ausdruck dieses Kapitelssorgfältig erwägen. Wir hören zuerst, dass das Blut der Stiere
und Böcke durchaus keine Sünden hinwegnehmen kann. Alsdann werden wir in den Ratschlüssen
der Vergangenheit an die Worte des ewigen Sohnes erinnert, der sich anschickt zu kommen, um,
koste es, was es wolle, das große, für jeden anderen unmögliche Werk zu erfüllen. „Siehe“, sagt
Er, „ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun.“ Diese Worte werden noch einmal wiederholt.
„Er nimmt das Erste weg“, (das Gesetz, das nichts zur Vollendung brachte) „auf dass Er das Zweite
aufrichte, durch welchen Willen wir geheiligt sind, durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des
Leibes Jesu Christi.“ Welch vollkommene Widmung, welche Absonderung für Gott! Wir sind aber
nicht durch eine Handlung unserseits in dieser Weise geheiligt. Er ist es, der gesprochen: „Siehe,
ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun; Er hat es vollbracht.“ O möchte diese einzige, ein für
alle Mal dargebrachte Gabe des Leibes Jesu Christi ihren wahren Platz vor unserer Seele haben!
Beachten wir wohl, dass alle unsere Sünden – ich spreche zu denen, die gerettet sind – auf Ihn
gelegt wurden, und dass sie alle damals noch zukünftig waren. Kein Opfer hätte den Bedürfnissen
unseres Gewissens entsprechen können, weil keines der Forderung Gottes Genüge leisten konnte.
Die ehemaligen Opfer konnten die Sünde nicht wegnehmen. „Er aber, nachdem Er ein Schlachtopfer
für die Sünden dargebracht, hat sich für immerdar gesetzt zur Rechten Gottes.“ Gab es jemals eine
Herrlichkeit, die dieser ähnlich wäre? Und die Wirksamkeit des Opfers dauert für uns solange, wie
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  Die Vollkommenheit 2/4
die Herrlichkeit für Ihn. „Denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die
geheiligt werden.“ Glaubst du dieses? Können wir je darüber hinausgehen? Kann es eine größere
Vollkommenheit geben als diese: „auf immerdar vollkommen?“ Was unendlich ist, braucht nicht
wiederholt zu werden und kann es selbst nicht. Ein Akt von unendlichem Wert – die ein für alle Mal
dargebrachte Gabe des Lebens Jesu – macht auf immerdar vollkommen, die geheiligt werden.
Haben wir daher diese Vollkommenheit durch jene einzige Gabe erreicht, so haben wir, als ein für
alle Mal gereinigte Anbeter, kein Gewissen mehr von Sünden. Wir können in unserem täglichen
Wandel irgendeine Sünde oder einen Fehltritt auf unserem Gewissen haben, und dann muss gewiss
Buße und Bekenntnis vor Gott stattnden; denn das ist der Weg, um für die gegenwärtige Zeit die
unterbrochene, praktische Gemeinschaft mit Gott und der Seele wiederherzustellen. Dies ist die
Waschung mit Wasser durch das Wort. Handelt es sich aber um den Eintritt in das Heiligtum droben,
so haben wir kein Gewissen mehr von Sünden, denn alle sind von Christus auf dem Kreuz getragen
und dort gerichtet worden; sie sind somit hinweggenommen und können nicht wieder in Erinnerung
gebracht werden. „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken.“
Gott hat dies erklärt, und wir haben zwei Zeugen für diese Wahrheit: den Sohn Gottes, der sich,
nachdem Er sein Werk vollbracht, zur Rechten Gottes gesetzt hat, und den Heiligen Geist. Der
Herr gebe, dass wir diese Vollkommenheit, die wir in Ihm haben – „für immerdar Vollkommen
gemacht“ – völlig zu schätzen vermögen! Niemand, der wirklich die Tragweite dieser Worte versteht,
kann von einer wiederholten Anwendung des Blutes Christi, oder von einem für die Sünde zu
wiederholenden Opfer sprechen. Dies alles ist bei Seite gesetzt; das, was allein Bestand hat, ist
das einzige Opfer und die immer dauernde Vollkommenheit. „Wo aber eine Vergebung derselben
(Sünden und Gesetzlosigkeiten) ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde.“ Lasst uns unseren
gesegneten Platz innerhalb des Vorhangs einnehmen – dort, wo „wir Freimütigkeit haben zum Eintritt
in das Heiligtum durch das Blut Jesu.“ 4.: Es ist wohl zu beachten, dass in keiner der Stellen, die wir
bisher untersucht haben, irgendwie von etwas die Rede ist, das wir zu erwerben haben. Was uns
dargestellt wird, ist die Vollkommenheit, die das Teil eines jeden Kindes Gottes ist. Ein solches mag
ganz unmündig sein und diese Dinge nicht wissen; aber sie bestehen, sie sind eine Wirklichkeit und
gehören ihm an. Wir sehen, dass diese Lehre gerade an solche gerichtet ist, die Unmündige waren,
und dass sie ihnen mitgeteilt wurde, um sie zur Vollkommenheit zu führen. Lasst uns aber Zugleich
auch beachten, dass diese Vollkommenheit nicht in ihnen, sondern in Christus Jesus ist.
Wir haben auch gesehen, dass die Vollkommenheit in Christus in direktem Gegensatz steht zum
Gesetz, das nichts zur Vollendung gebracht hat. Das menschliche Hohepriestertum hat gleichfalls
nichts zur Vollendung gebracht 5 aber unser großer Hohepriester hat das Werk der Versöhnung
vollkommen vollbracht und jetzt, da Er vollendet ist, hat Er sich zur Rechten der Majestät in den
Himmeln gesetzt und vermag vollkommen zu erretten – und Er wird es tun – alle, die durch Ihn zu
Gott kommen.
Unter dem Gesetz verbarg der Vorhang Gott dem Menschen, jetzt ist der Vorhang Zerrissen, und
der einzig wahre Platz eines jeden Kindes Gottes ist innerhalb und nicht außerhalb desselben.
Und hinsichtlich der Erlösung war es unmöglich, dass der Tod Jesu, der von einem so hohen
Werte ist, nur eine unvollkommene Erlösung von beschränkter Dauer erwerben konnte; sie ist
und muss vollkommen und ewig sein. Köstliche und unschätzbare Gabe! Was das Gewissen betrit,
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  Die Vollkommenheit 2/4
so vermochten die Opfer des Gesetzes, wie wir gesehen haben, niemals den vollkommen zu machen,
der hinzunahte; aber das einmalige Opfer des Leibes Jesu Christi, durch welches wir geheiligt sind,
macht uns auf immerdar vollkommen. Die Gnade erhebt sich somit weit über jeden menschlichen
Gedanken. Aber diese Wahrheit vermag nur durch den Glauben, der sich mit Ergebenheit vor dem
Wort Gottes beugt, erfasst zu werden.
Vielleicht sagst du: „Das ist alles gut und wahr, aber werde ich, wenn ich in einem Augenblick der
Versuchung falle und sündige, nicht auf einmal alle diese Vollkommenheit, die ich in Christus besitze,
verlieren?“ – dasist es gerade, worin das Gesetz mangelhaft war; es war eine beständige Wiederholung
des Opfers nötig. Dies aber ist nicht der Fall bei dem ein für alle Mal geschehenen Opfer des Leibes
Jesu Christi. Von allen christlichen Wahrheiten ist diese für die Seele der untrüglichste Prüfstein, um
zu wissen, ob man auf jüdischem oder christlichem Boden steht. Denke ich an eine neue Besprengung
des Blutes, so bende ich mich auf jüdischem Terrain, nicht auf dem der Vollkommenheit, die durch
das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi auf immerdar vollbracht ist. Alle, welche
durch Messen oder durch Wiederholung der Blutbesprengung einige Erleichterung für ihre Seele
suchen, stellen den Tod des Sohnes Gottes auf gleiche Höhe mit den Opfern der Stiere und Böcke.
„Aber“, könnte man weiter fragen, „was geschieht mit den Sünden des Gläubigen?“ – alles wurde auf
dem Kreuz geordnet.
„Wie! Meine zukünftigen Sünden?“ – Ich sollte niemals so sprechen oder denken, als wenn ich in
Zukunft Sünden begehen müsste.
„Das ist wahr; aber wenn ich sündige, so ist es doch für den jetzigen Augenblick eine zukünftige
Sünde.“ – Ganz recht; aber waren in dieser Hinsicht nicht alle unsere Sünden zukünftig, als Christus
auf dem Kreuz starb, um sie zu tilgen? Ist Er nur für einige unserer Sünden oder für alle gestorben?
Vor allem war Er unser Stellvertreter in Bezug auf alle unsere Sünden, die ohne Ausnahme zukünftig
waren. Alles, was unsere Sünden betrit, ist in der glorreichen Person dessen, der unseren Platz
eingenommen hat, geordnet, und zwar so völlig geordnet, dass wir bezüglich unseres Gewissens auf
immerdar vollkommen gemacht sind. Dieses ein für alle Mal vergossene kostbare Blut reinigt uns von
aller Sünde. Und wenn wir im Licht wandeln, so wissen wir es. O, wie wenige Seelen geben diesem
Opfer den ihm gebührenden Platz! Gott sei gepriesen, dass es seinen wahren Wert vor Ihm hat! Er
sieht das Blut und sagt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken. Wo
aber eine Vergebung derselben ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde.“ Wäre es nicht so, wären
nicht alle unsere Sünden auf Ihn gelegt worden, so hätte Er oftmals leiden müssen von Grundlegung
der Welt an.
Man mag weiter fragen: „Wenn aber der Gläubige gesündigt hat, ist alsdann der Heilige Geist nicht
betrübt? Empndet der Gläubige keinen Schmerz in seiner Seele und eine Unterbrechung in seiner
Gemeinschaft mit Gott? Was muss er in diesem Fall, wenn er nicht zu einer neuen Anwendung des
Blutes Christi seine Zuucht nehmen kann, tun?“
Er hat zu Gott, zu seinem Vater, zu gehen und seine Sünden zu bekennen; dies ist das einzige Mittel,
Vergebung zu empfangen. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er
unsere Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9).
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  Die Vollkommenheit 2/4
Wenn jemand das Judentum verlassen und im Christentum seinen Platz genommen hatte, indem
er bekannte, an das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi zu glauben, und
dann freiwillig die schreckliche Sünde beging, zu den verschiedenen von dem Gesetz für die Sünde
vorgeschriebenen Opfern zurückzukehren, ein solcher fand, dass dieselben keinen Bestand mehr
hatten, und dass es auf diesem Boden keine Barmherzigkeit mehr gab, sondern ein furchtvolles,
schreckliches Erwarten des Gerichts. Wir nden deshalb am Ende des 10. Kapitels in Bezug hierauf
die feierlichsten Warnungen. Wie wichtig ist es deshalb, Glauben, unerschütterlichen Glauben an die
fortdauernde Wirksamkeit dieses einzigen, für die Sünde ein für alle Mal dargebrachten Opfers zu
haben. Es ist gewiss, dass es einmal dargebracht wurde, und nur um uns zu ermutigen, durch den
Glauben diese köstliche Wahrheit ohne Zögern zu ergreifen, führt der Heilige Geist in Kapitel 11 die
Wolke von Zeugen, die Gott geglaubt haben, vor unsere Seele.
5.: Wenden wir uns jetzt zum 12. Kapitel unseres Briefes. Dort nden wir den Wettlauf – den Wettlauf,
mit welchem die Menschen gewöhnlich ihre Bücher über die Vollkommenheit beginnen, und mit
dem Gott das seinige beendigt. Ist dies nicht beachtenswert? In allen Werken, die ich über diesen
Gegenstand gelesen, habe ich zuerst den Wettlauf gefunden, bald länger, bald kürzer, aber immer in
erster Linie. Die Vollkommenheit ist am Ende des Wettlaufs, sie ist der Zweck desselben. Welch ein
Kontrast! In diesem Brief sind zehn Kapitel dazu bestimmt, die Vollkommenheit Christi vor uns zu
enthüllen und uns erkennen zu lassen, wie wir durch sein Werk auf immerdar vollkommen gemacht
sind; dann folgt ein Kapitel, welches die große Wichtigkeit zeigt, diese Dinge durch den Glauben,
zu ergreifen, und erst dann kommen wir zu dem praktischen Wettlauf. Die Methode Gottes ist die
einzig richtige, alle anderen sind trüglich. Hast du daher bis jetzt der Heiligkeit auf einem verkehrten
Wege nachzujagen gesucht, indem du ihr den Rücken gewandt hast, so ist es kein Wunder, wenn du
dich getäuscht siehst.
Wenden wir uns indessen zu dem Wettlauf. Er soll, mit Ausharren gelaufen werden. Man kommt
nicht ans Ende desselben auf einmal, mit einem Sprung durch einen; Akt des Glaubens. Israel legte
nicht in einer Tagereise den Weg von Ägypten nach Kanaan zurück. Auch müssen wir nicht – lasst
uns wohl darauf achten! – einer auf den Anderen blicken, noch auf uns selbst, sondern allein, auf
Jesus (V 2). Wie groß war sein Ausharren! Wie viel hat Er erduldet! Betrachten wir Ihn, wenden wir
unsere Blicke von allem anderen hinweg und nur auf Ihn hin. Man sieht oft Personen, welche die
Heiligkeit bekennen, sich an menschliche Systeme aller Art hängen, in denen das Böse herrscht; sie
setzen dieselben nicht bei. Seite, sie gehen nicht von ihnen aus und trennen sich somit nicht von
der Ungerechtigkeit. Ach, dies ist nicht der Wettlauf. Denken wir mit Ernst daran. „Wer den Namen
des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit“ (2. Tim 2,19). Ohne Zweifel ist der Weg, auf
dem wir Christus zu folgen haben, schmal und mit Dornen besät, aber das Licht des Weges nimmt
immer mehr zu, bis es vollkommen Tag ist. „Denn betrachtet den, der so großen Widerspruch von
den Sündern gegen sich erduldet hat, auf dass ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen ermattet“
(V 3).
Es möchte nun jemand einwenden: „Wenn Gott uns innerhalb des Vorhangs als Anbeter empfängt,
die auf immerdar durch das ein für alle Mal geschehene Opfer Christi vollkommen gemacht sind, hat
es dann nicht den Anschein, als ob Er leicht über unsere Sünden und Vergehungen hinweggehe?
Ich weiß wohl, dass Er dieselben aus dem Kreuz völlig zugerechnet hat, aber ich meine, dass seine
gegenwärtige Handlungsweise mit uns solche Gedanken hervorrufen könnte.“
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  Die Vollkommenheit 2/4
Das 12. Kapitel beantwortet diese Frage in der bestimmtesten Weise. Zuerst möchte ich jedoch darauf
aufmerksam machen, dass Gott uns nicht mehr als Sünder, sondern als Söhne behandelt: „Denn wen
der Herr liebt, den züchtigt Er; Er geißelt aber einen jeglichen Sohn, den Er aufnimmt.“ Es ist von
Wichtigkeit, diesen Gegenstand, die väterliche Zucht, wohl zu erwägen. Sie ist hier völlig am Platz
und ndet auf jeden Sohn ihre Anwendung. Was mich betrit, so danke ich Gott, meinem Vater, für
alle die Züchtigungen, die Er an mir seit 40 Jahren ausgeübt hat. Die väterliche Zucht hat ein weites
Feld; die Erforschung desselben ist für die Kinder Gottes von großem Nutzen.
Unsere Stellung in einer ununterbrochenen Vollkommenheit in Christus mittels des einzigen Opfers,
das Er selbst dargebracht hat, darf nicht mit der praktischen Heiligkeit verwechselt werden. Ein Christ
kann sich nicht mit der Bitte an Gott wenden, auf immerdar vollkommen gemacht zu werden. Er ist es;
es ist eine geschehene Tatsache, die unmöglich wiederholt werden kann; denn eine immerwährende,
ununterbrochene Vollkommenheit kann nicht erneuert werden. Unser großer Hohepriester hat das
Werk, das uns für immer in diese Vollkommenheit eingeführt hat, vollbracht. Aber der Christ kann
der praktischen Heiligkeit nicht genug nachjagen; er kann nicht genug die Hilfe Gottes anehen, um
in derselben zu wandeln. Diese Heiligkeit ist der Zweck, den der Vater bei aller Zucht, die Er an uns
ausübt, zu erreichen sucht. Sie ist zu unserem Nutzen, „damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“,
und „hernach“ gibt sie „die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind.“
Nachdem wir erkannt, was die Vollkommenheit in Christus ist, oder nachdem wir zu derselben
fortgeschritten sind und dann gesehen haben, welchen Zweck Gott im Auge hat, wenn Er uns
züchtigt, wie passend erscheinen uns dann die folgenden Ermahnungen: „Jagt dem Frieden nach mit
allen und der Heiligkeit, ohne welche niemand den Herrn schauen wird.“ Man kann die göttliche
Ordnung nicht umstoßen. Wirsollten nicht damit anfangen, der Heiligkeit in der Absicht nachzujagen,
um durch sie zur Vollkommenheit in Christus zu gelangen. Wir müssen zuerst den gesegneten Platz,
der uns innerhalb des Vorhangs, als auf immerdar vollkommen gemacht, gegeben ist, kennen und
durch den Glauben eingenommen haben, und alsdann muss als das Maß der Heiligkeit, dem wir
eißig nachzustreben haben, Gott selbst und nichts Geringeres vor der Seele stehen.
Gott sei gepriesen für die Klarheit seines Wortes! Wenn Er so vor der Seele steht, wird man nicht
Menschen folgen, sondern mit denen, die im Licht seiner Gegenwart wandeln, seine Wege ziehen.
Was heißt der Heiligkeit nachjagen? Es heißt nicht nur siegreich über unsere Begierden sein, obwohl
dies, Gott sei Dank! auch wahr ist, sondern sich wirklich von jeder Art des Bösen trennen. Es wird
ohne Zweifel viel kosten, aber wenn wir aufrichtig sind, so wird der Herr uns beistehen und uns
von allem befreien, was einer heiligen Gemeinschaft mit Ihm hinderlich ist. Der gläubige Überrest
der Juden war berufen, aus dem Lager des Judentums auszugehen, zu Christus hin, seine Schmach
tragend. Die Person eines verworfenen Christus außerhalb der religiösen Welt war damals, wie jetzt,
der Prüfstein einer wirklichen Treue. Wenn man die sieben Sendschreiben der Oenbarung, die an
die Versammlungen gerichtet sind und die allmählige Entwicklung der Geschichte der Christenheit
beschreiben (O 2 und 3), mit Aufmerksamkeit liest, so sieht man, dass Thyatira ein genaues Gemälde
des Zustandes der römischen Kirche liefert, während Sardes seinerseits mit ebenso viel Wahrheit
den Zustand der protestantischen Kirchen schildert. Aber in Philadelphia haben wir einen kleinen,
schwachen Überrest, der außerhalb des Lagers versammelt ist und der Person des Herrn Jesus, „des
Heiligen und Wahrhaftigen“, anhängt. Kann uns dieses ohne allen Eindruck lassen? Wissen wir nicht,
dass sich die Christenheit, papistisch oder protestantisch, in diesem traurigen und beschämenden
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  Die Vollkommenheit 2/4
Zustand bendet, wo sie von der Wahrheit Gottes abgewichen ist? Inmitten dieser Verwirrung ist
Jesus, der köstliche Jesus, durch den Geist Gottes vor uns gestellt, und wenn wir der Heiligkeit
nachzujagen begehren, so müssen wir Ihm folgen. „Lasst uns zu Ihm hinausgehen, seine Schmach
tragend.“
Fern ist mir der Gedanke, ein einziges Wort zu schreiben, das dazu dienen könnte, einen aufrichtigen
und ernsten Wunsch nach Heiligkeit zu schwächen. Ich wünsche vielmehr von Grund meines
Herzens auf ihrer Notwendigkeit zu bestehen; Gott ist mein Zeuge. Aber es ist nötig, dass der wahre
Gegenstand vor uns sei, und dies ist Christus außerhalb des Lagers (Fortsetzung folgt).
  133
  Beantwortung einiger Fragen
Beantwortung einiger Fragen
1. „Gibt es einen Unterschied zwischen ‚dem Reich‘ und ‚der Kirche?‘“ Allerdings. Das Reich ist
der Schauplatz einer entfalteten Macht und Herrlichkeit (1. Kor 15,34; 2. Pet 1,16–17; Ps 145,11–13);
die Kirche dagegen ist die Versammlung der Erretteten (Apg 20,28; Eph 5,33–25). Wenn ich von
dem Reich spreche, so denke ich an Christus als König (Ps 2); rede ich aber von der Kirche, so steht
Christus als Haupt derselben vor meiner Seele (Eph 5,23; Kol 1,18). Viele benden sich jetzt in dem
Reich, die nicht in Wahrheit zu Gott bekehrt sind (Mt 13; 25,1–12), aber niemand kann der Kirche,
d. h. dem Leib Christi, angehören, der nicht durch den Heiligen Geist mit Christus vereinigt ist
(1. Kor 12,12). Das erstere begreift das Bekenntnis, die letztere die Wirklichkeit des Lebens in sich.
In dem ersteren hat man sich im gegenwärtigen Augenblick nicht mit dem Bösen zu beschäftigen
(Mt 13,23–30); aus der letzteren aber muss das Böse hinausgetan werden (1. Kor 5). 2. Welches
ist der Unterschied zwischen dem „Reiche der Himmel“ und dem „Reich Gottes?“ Das „Reich der
Himmel“ kommt allein in dem Evangelium des Matthäus vor (etwa 30 Mal) und ist ein Ausdruck,
her eine Verwaltung bezeichnet. Letzteres ist zwar auch bei dem Ausdruck: „Reich Gottes“ der Fall;
derselbe hat aber außerdem eine moralische Bedeutung. Das Reich der Himmel wurde angekündigt
als „nahegekommen“ (Mt 3,2); das Reich Gottes ebenfalls, Zugleich aber auch als „mitten unter ihnen“
in moralischer Kraft (Lk 17,31). Das Reich Gottes war „gekommen“, weil Christus in der Mitte Israels
in Macht handelte (Mt 12,28). Von dem Reich der Himmel konnte in dieser Weise nicht gesprochen
werden, weder als Geheimnis, noch als oenbart; denn um von dem Reich als Geheimnis reden
zu können, musste Christus notwendigerweise vorher sterben und sich zur Rechten Gottes setzen,
während Er zur Oenbarung des Reiches ein zweites Mal in Herrlichkeit erscheinen wird. Daher wird
von dem Reich der Himmel gesprochen als „nahegekommen“ und nicht als schon „gekommen.“ Das
Reich der Himmel ist eine Sache, die beobachtet werden kann; aber „das Reich Gottes kommt nicht,
dass man es beobachten konnte“ (Lk 17,20); d. h. es hat einen ausgeprägt moralischen Charakter (Vgl.
Röm 14,17). Ich kann nicht immer den Ausdruck „das Reich der Himmel“ da gebrauchen, wo von
„dem Reich Gottes“ gesprochen wird, weil letzteres einige Male einen ausschließlich moralischen
Charakter trägt; wohl aber könnte ich an allen Stellen, wo „das Reich der Himmel“ vorkommt, dafür
„das Reich Gottes“ setzen.
3. Was versteht man unter dem „Reiche des Sohnes“ und dem „Reiche des Vaters?“ „Der Sohn des
Menschen wird seine Engel senden, und sie werden aus seinem (des Sohnes) Reiche zusammenlesen
alle Ärgernisse und die das Gesetzlose tun; . . . Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne
im Reich ihres Vaters“ (Mt 13,41–43). Diese Verse stellen die beiden Reiche einander gegenüber.
Das erstere ist auf der Erde, und aus ihm werden die Ärgernisse und die gesetzlosen Menschen
zusammengelesen und ins Feuer geworfen; das letztere ist die Szene himmlischer Herrlichkeit. Das
tausendjährige Reich wird eine himmlische Herrlichkeit – das Reich des Vaters – und eine irdische
Herrlichkeit – das Reich des Sohnes – besitzen. Der erhabene Platz, an welchen Christus und seine
  134
  Beantwortung einiger Fragen
himmlischen Heiligen versetztsind, ist unmittelbarer mit dem Vaterin Verbindung, gebracht, während
der niedrigere Schauplatz, wo die wiederhergestellten und bekehrten Juden und die Nationen in
Segnung gesammelt werden, mit dem Sohn des Menschen in direkter Verbindung steht.
4. Hat die Belehrung, welche uns in dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen gegeben wird, einen
jüdischen oder christlichen Charakter? Ohne Zweifel einen christlichen. Der fromme, gottesfürchtige
Überrest Israels wird nicht „ausgehen“, um dem Bräutigam zu begegnen. „Geht aus, ihm entgegen!“
(Mt 25,6) ist ein geeigneter Ausdruck, um die christliche, aber nicht die jüdische Stellung zu bezeichnen.
Ein Christus, der für uns „in der Luft“ erscheint, und ein Messias, der nach Judäa kommt, um Israel
zu segnen, charakterisier in entsprechender Weise die Stellung des Christen und des Israeliten. Eine
Segnung auf der Erde und in Judäa unter der friedensreichen Regierung des Messias ist die Erwartung
des Israeliten; bei ihm gibt es daher kein Ausgehen, sondern vielmehr ein festes Anhangen an seinem
Land, bis der Messias kommt. Außerdem kann der Zustand des Schlafes, aus dem die Jungfrauen
aufgeweckt werden (V 5–6), keine Anwendung auf den zukünftigen Überrest Israels nden. Die
Juden werden in der Stunde, wenn jene wichtige Krisis in ihrer Geschichte eintritt, nicht schlafen.
Sie werden seufzen und wehklagen in jener schrecklichen, aber kurzen Mitternacht, wenn sie den
Mord ihres Messias und die Schuld des Bruches ihres Gesetzes als ihre eigene Sünde und als die der
Nation erkennen und bekennen werden (Ps 74; 79; Jes 63,15–19; Hes 9,4).
5. Wer sind die „Brüder“, die „Schafe“ und die „Böcke“ in Matthäus 25,31–46? Wenn Jesus als der
Sohn des Menschen kommt und sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzt, so wird Er mit den
Juden wieder Verbindungen anknüpfen; Er wird eben sowohl eine jüdische Braut (Ps 45) haben
wie eine christliche (O 19). Die Personen, von denen Er hier als von seinen „Brüdern“ spricht,
sind daher Juden, die am Schluss dieses Zeitalters ausgesandt worden sind, um unter den Nationen
(nach der Entrückung der Versammlung in den Himmel) „das Evangelium des Reiches“ zu predigen.
Die Behandlung, die den Boten des Königs und der Botschaft selbst zu Teil geworden ist, bildet die
Grundlage des Gerichts über die Nationen. Alles, was diesen Boten geschehen ist, betrachtet der König
als sich selbst erwiesen – hat man sie und ihre Botschaft verworfen, so hat man Ihn verworfen, hat
man sie aufgenommen, so hat man Ihn aufgenommen. Diejenigen, welche die Botschaft angenommen
und sich unter dieselbe gebeugt haben, werden als „Schafe“ bezeichnet, nehmen ihren Platz zur
Rechten des Königs ein und ererben das ewige Leben. Die Anderen aber, welche die Botschaft
verworfen und ihre Träger geschmäht und verfolgt haben, werden „Böcke“ genannt, haben ihren
Platz zur Linken des Königs und gehen hin in die ewige Pein. Die Segnung der Schafe sowohl, wie
das Gericht der Böcke ist unabänderlich und endgültig.
Um den Schwierigkeiten, die manche in Bezug auf dieses Kapitel nden, zu begegnen, möchte ich
noch auf einige Gegensätze aufmerksam machen, welche zwischen dem Gericht der Nationen und
dem der Toten bestehen und gewöhnlich zu wenig beachtet werden.
Das 20. Kapitel der Oenbarung erzählt das Gericht der Toten, das vorliegende das Gericht der
Lebendigen. Jenes wird ausgeübt an einzelnen Personen, dieses an Nationen; jenes ndet in der
Ewigkeit statt, dieses im Lauf der Zeit; jenes Kapitel spricht nur von einer Klasse, dieses von drei
Klassen von Personen; in jenem nden wir Bücher, in denen die Taten eines jeden aufgezeichnet sind,
in diesem nden wir keine; dort gibt es ein Buch des Lebens, hier nicht; jenes Kapitel spricht nicht
von einem „Kommen“, was bei diesem doch der Fall ist; jenes redet nur von Gott und Menschen,
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  Beantwortung einiger Fragen
dieses von dem Sohn, von Menschen und Engeln; in jenem sehen wir den Himmel und die Erde
„entiehen“, dieses zeigt uns das Fortbestehen derselben; jenes spricht von einem großen weißen
Thron, dieses von einem Thron der Herrlichkeit.
6. Was für ein Unterschied besteht zwischen der Ankunft Christi für die Seinen und seinem Kommen
mit ihnen? Die Rückkehr des Herrn vom Himmel, um, begleitet von allen seinen Heiligen und
den Engeln, seine Regierung über die Erde anzutreten, ist der große Gegenstand der Propheten.
Diese Ankunft wird durch göttliche Majestät und Macht gekennzeichnet. Es ist klar, dass eine
„Aufnahme“ der Heiligen zum Herrn stattgefunden haben muss, ehe von einer Begleitung derselben
bei seiner glorreichen Rückkehr auf die Erde die Rede sein kann. Die einzige Stelle, welche die
Aufnahme der Heiligen in ihren Einzelheiten, als die Rückkehr mit dem Herrn einleitend, enthüllt,
ist 1. Thessalonicher 4,15–17. Der Herr wird unbeachtet und ohne irgendwelche Entfaltung von
Herrlichkeit erscheinen. Er wird kommen in „die Luft“, um dort seinen Erlösten zu begegnen. Der
„Zuruf“, die „Stimme“ und die „Posaune“ werden nur von den Seinen gehört werden. Um andere
Personen handelt es sich hier gar nicht. Die Toten werden auferweckt, die Lebenden verwandelt und
alle „zusammen“ dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft. Er wird vom Himmel herabsteigen;
wir werden von der Erde hinaufsteigen und so dem Herrn begegnen. Dieser Versammlungsplatz, „die
Luft“, wird nur einmal in der Schrift genannt. Es ist wichtig zu wissen, wo wir uns begegnen; allein
für ein Herz, das mit Jesu innig verbunden ist, handelt es sich mehr um die Frage, wem wir begegnen.
Diese Frage zu beantworten war der schöne Auftrag des Apostels Paulus und ihm in besonderer und
bestimmter Weise oenbart. Deshalb sagt er in Vers 15: „Denn dieses sagen wir euch im Wort des
Herrn.“
Nehmen wir jetzt eine der zahlreichen Stellen, welche von der Herrlichkeit der zweiten Ankunft
Christi sprechen, und vergleichen sie mit den oben angeführten Versen, so werden wir sogleich den
Unterschied zwischen seinem persönlichen und geheimen Herniederkommen in die Luft für die
Seinen und dem späteren Ereignis, seiner glorreichen Erscheinung mit seinen Heiligen, bemerken.
Verstehen wir den Unterschied zwischen seinem Kommen in die „Luft“ für die Seinen und seinem
Stehen auf dem Ölberg mit ihnen (Sach 14,4), so ist der Schlüssel für manche Schwierigkeit gefunden.
Dies letztere Ereignis steht in Verbindung mit dem ganzen Inhalt der Prophezeiung; das erstere
ist eine persönliche Sache zwischen dem Herrn und seinem Volk und steht für sich, außerhalb der
Reihe aller prophetischen Gegenstände. Nicht eine einzige Stelle des Alten Testaments spricht von
dem Kommen für die Seinen; sie beziehen sich alle auf sein Kommen des Herrn mit ihnen, wie z. B.
Sacharja 14,5, wo es heißt: „Und es wird kommen Jehova, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“
7. Was bedeutet die Stelle: „Also wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesus mit Ihm bringen?“
(1. Thes 4,14) Die Thessalonicher waren erst kürzlich bekehrt worden und standen in der
unmittelbaren Erwartung der Rückkehr des Sohnes Gottes vom Himmel. Aber während sie warteten,
starben einige von ihnen. Der Feind suchte nun die Herzen dieser frischen und in der ersten Liebe
stehenden, aber nicht genug unterwiesenen Heiligen zu beunruhigen, indem er ihnen einüsterte,
dass ihre entschlafenen Brüder etwas von der Freude und der Herrlichkeit der kommenden Herrschaft
einbüßen würden. Doch der Apostel belehrt sie, dass dies durchaus nicht der Fall sein werde, „denn
wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Entschlafenen
mit Ihm bringen.“ Dann fährt er, indem die Verse 15–18 gleichsam eine Parenthese bilden, in Kapitel 5,1
fort: „Was aber Zeit und Zeiten betrit, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde.“
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  Beantwortung einiger Fragen
Wenn Gott Christus wieder in die Welt einführen wird, dann wird Er unsere entschlafenen Brüder
mit Ihm bringen. Die Verse 15–18 teilen uns mit, was vor diesem Ereignis stattnden wird. Die Toten
werden auferweckt und die Lebenden verwandelt werden, und alle werden Ihm entgegengehen in
die Luft. Nachdem diese Begegnung in der Luft stattgefunden hat, wird Gott Jesus und die Heiligen
wieder auf die Erde bringen.
8. Wer sind „die Toten in Christus“ in 1. Thessalonicher 4,16? Die Toten in Christus stehen in diesem
Vers im Gegensatz zu den Lebenden in Christus, und nicht sind hier, wie einige merkwürdiger Weise
angenommen haben, die gestorbenen Gerechten den gestorbenen Gottlosen gegenübergestellt. Der
Zusammenhang löst hier, wie überall, jede Schwierigkeit. Die Stelle will nichts anderes sagen, als
dass die in Christus Gestorbenen auferweckt werden, bevor die Lebenden verwandelt sind. Den
Entschlafenen ist ein Vorrecht eingeräumt; aber alles wird in einem Augenblick geschehen. Die
Ersten also, welche auf den Zuruf und die Stimme des Herrn antworten werden, sind die Toten,
„danach wir die Lebenden, die übrigbleiben.“ Das ist die göttliche Ordnung.
9. Sind die alttestamentlichen Heiligen bei dem Ausdruck „die Toten in Christus“ mit einbegrien?
Es ist durchaus kein Grund vorhanden, den Ausdruck allein auf solche zu beschränken, die von dem
Pngstfest ab gestorben sind. Die alttestamentlichen Heiligen und andere, wie Johannes der Täufer,
welche starben, bevor der Heilige Geist herniederkam, um die Kirche zu bilden (Pngstfest, Apg 2),
werden auferweckt, um die tausendjährige Herrlichkeit Christi zu teilen. Ich denke, dass sie die zu
dem Hochzeitsmahl des Lammes geladenen Gäste (O 19,9), sowie die Freunde des Bräutigams sind
(Joh 3,29). Die Braut und die Gäste sind sicher voneinander verschieden. Wenn die Stimme des Sohnes
erschallt, werden alle, welche des Christus sind bei seiner Ankunft auferweckt werden (1. Kor 15,23).
Niemand wird zu behaupten wagen, dass die alttestamentlichen Heiligen nicht des Christus sind,
dass sie Ihm nicht angehören. Alle Heiligen daher, welche von Adam an bis zu dem Augenblick des
Herniedersteigens des Herrn in die Luft gestorben sind, werden zusammen auferweckt werden, um
mit den Lebenden, die dann verwandelt werden, die himmlische Herrlichkeit Christi zu teilen. Die
Worte: „Die, welche des Christus sind, bei seiner Ankunft“, machen die Sache sehr einfach.
  137
  Die Vollkommenheit 3/4
Die Vollkommenheit – Teil 3/4
6. Nachdem wir somit in der Kürze dieses Briefes über die christliche Vollkommenheit durcheilt
sind – und ich hoe, dass diese Zeilen dem Leser eine einfache Anleitung zur weiteren Betrachtung
derselben an die Hand geben werden – wünsche ich, im zweiten Teil dieser kleinen Schrift die
Aufmerksamkeit auf andere Stellen des Wortes Gottes zu lenken, die diesen so überaus wichtigen
Gegenstand behandeln. Ich werde dabei hauptsächlich zwei Dinge ins Auge fassen: unsere Stellung
vor Gott in Christus und Christus in uns – unseren praktischen Zustand. Diese zwei Dinge gehen in
der Schrift stets zusammen; sind wir in Christus, so ist Christus in uns. Jedoch sind dieselben nie
vermengt, sondern sorgfältig voneinander unterschieden. Beschäftigen wir uns zuerst mit dem, was
der Brief an die Römer über diesen Gegenstand sagt.
In erster Linie heißt es in Bezug auf die Stellung: „Alle haben gesündigt und erreichen nicht die
Herrlichkeit Gottes“ (Kap 3,23). Dies bezieht sich sowohl auf die Heiden ohne Gesetz, als auch auf
die Juden unter demselben. Somit kann also, weil alle gesündigt haben, niemand auf dem Boden des
Gesetzes vor Gott bestehen. Der Mensch ist schuldig, und in Folge dessen können ihn Gesetzeswerke
nicht rechtfertigen.
„Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit oenbart worden.“ Die Gerechtigkeit Gottes kann
nur vollkommen sein wie alles, was von Ihm ist. Wie ist nun diese Gerechtigkeit in Bezug auf den
Menschen oenbart worden, da er doch schuldig und unter Gericht ist? DieAntwort istsehr einfach: In
der Versöhnung durch das Blut Jesu, der das Gesetz und die Propheten Zeugnis geben. Dieser köstliche
Erlöser ist somit wiederum vor uns gestellt. Betrachten wir das Kreuz unseres anbetungswürdigen
Herrn. Was sehen wir dort? Eine unendliche Person, ein Opfer von unendlichem Wert. Dieses ist
es, was die vollkommene Gerechtigkeit Gottes erweist, wenn Er die Sünden der alttestamentlichen
Heiligen unter seiner Nachsicht hingehen ließ, und was auch jetzt seine vollkommene Gerechtigkeit
zeigt, wenn Er den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist (Röm 3,25–26). Ja, auf diesem Grund
ist Gott gerecht gewesen, als Er David und Abraham Gerechtigkeit zurechnete. Sie glaubten Gott,
und es wurde ihnen zur Gerechtigkeit gerechnet (Kap 4,4.6). „Es ist aber nicht allein seinetwegen
geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet
werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, welcher
unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden
ist“ (V 24–25). Hier haben wir die beiden Tatsachen, von deren Wert unsere Stellung vor Gott in
Betre unserer Sünden abhängt. „Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben.“ War dies ein
vollkommenes oder ein unvollkommenes Opfer? Lasst es uns wohl beachten, esist nicht ein durch uns,
sondern für uns vollbrachtes Werk – ein vollkommenes Werk, vollbracht durch den, der vollkommen
ist, durch den Sohn Gottes – ein Werk, das so vollkommen sein muss, wie Gott selbst. Gott hat es
als solches anerkannt und erklärt; denn Er hat Christus aus den Toten auferweckt. Er ist „unserer
Rechtfertigung wegen auferweckt worden.“ Ist dies nicht etwas vollkommenes? Wir sind für immer
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  Die Vollkommenheit 3/4
von unseren Sünden freigesprochen, die Ihm zugerechnet und auf Ihn gelegt wurden. Jetzt sehen
wir diesen verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes sitzen. Könnte Er in einer vollkommeneren
Stellung sein? Gewiss nicht! Nun ist Er aber unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden, für
uns, die wir an den Gott glauben, der Ihn aus den Toten auferweckt hat. Gott sagt es, und ich glaube
es. Wir werden hienieden als das betrachtet, was Jesus droben ist.
„Da wir nun sind gerechtfertigt worden aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren
Herrn Jesus Christus.“ Ist dieser Friede vollkommen oder nicht? Alles ist von Gott und kann nicht
unvollkommen sein. Er hat seinen Sohn unserer Übertretungen wegen dahingegeben, Er hat Ihn
unserer Rechtfertigung wegen auferweckt; somit ist der Friede, der Ihm zugehört – Ihm, der einmal
unsere Sünden als unser heiliger Stellvertreter getragen hat – ja, dieser Friede ist und muss der
unsrige sein. Kann sein Friede vollkommener sein? Nein; ebenso wenig kann es der unsrige sein.
Ich kann von Gott nicht begehren, gerechtfertigt zu werden, ich bin es. Ebenso wenig kann ich
um Frieden mit Gott bitten; ich habe ihn. Ich kann darum bitten, dass der Friede Gottes mein Herz
bewahre; aber wenn ich um den Frieden mit Gott bitte oder wenn ich ehe, dass dieser Friede
vollkommen sein möchte, so ziehe ich dadurch das Zeugnis Gottes, welches erklärt, dass der Friede
gemacht ist, in Zweifel.
Der Wert des köstlichen Blutes Jesu ist so groß, dass zwischen den Gläubigen und Gott keine Schuld
mehr vorhanden ist. Ohne dieses Werk Christi könnten wir in der Gegenwart Gottes nicht bestehen;
eine ewige Verdammnis würde unser Los sein. Jetzt aber haben wir einen vollkommenen Frieden mit
Gott, selbst bei der vollständigsten Oenbarung dessen, was Er ist.
Der Apostel besteht in dem vorliegenden Brief auf diesem Punkt und stellt ihn auf die entschiedenste
Weise fest, bevor er mit einem einzigen Wort von der praktischen Heiligkeit spricht. Welch einen
vollkommenen Zugang nden wir auch – nicht durch menschliche Vermittler, noch durch Gefühle,
sondern durch den Glauben – zu dieser Gunst oder Gnade, in welcher wir stehen, und rühmen uns
in Honung der Herrlichkeit Gottes (V 2).
Wenn wir diese köstliche Wahrheit kennen, wenn wir sie aus Gnaden empfangen haben, so rühmen
wir unsselbst der Trübsal und sind versiegelt mit dem HeiligenGeist.„Die LiebeGottesist ausgegossen
in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (V 3–5). Stehst du, lieber Leser,
gleich einem Juden von damals, noch ferne und bittest Gott um den Besitz dieser Dinge? Oder bist
du nahegebracht und kannst für diese Segnungen, die alle von Gott sind, danken?
Die Vollkommenheit in Christus ist hier in einer solchen Fülle gezeigt, dass die Worte fehlen, sie
auszudrücken. Verschiedene Male wiederholt der Apostel von dem neunten Vers bis zu Ende des
Kapitels das Wörtchen: „vielmehr.“ Lesen wir die Verse 9 und 10. Welch eine vollkommene Liebe von
Seiten Gottes tritt uns darin entgegen! „Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt
sind, werden wir durch Ihn errettet werden vom Zorn. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, Gott
versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch
sein Leben errettet werden.“
Ist das nicht eine vollkommene Liebe? Wäre sie nicht vollkommen gewesen und hätte das Opfer
Christi uns nicht von allen unseren Sünden erlöst, wäre noch die Möglichkeit vorhanden, dass
wir verloren gehen könnten – wie traurig würde unser Los sein! Aber hier gibt es keine solche
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  Die Vollkommenheit 3/4
Unvollkommenheit. Glaubst du an diese vollkommene Liebe Gottes? Wenn du es tust, so wirst du
zu einer völligen Freude in Gott geführt werden. „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns
auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen
haben.“ So schließt der erste Teil unseres Briefes. Wir sind vollkommen gerechtfertigt von unseren
Sünden; wir haben vollkommenen Frieden mit Gott und einen freien Zugang zur Gnade; wir sind
versiegelt mit dem Heiligen Geist; die vollkommene Liebe Gottes ist uns nicht nur oenbart, sondern
sie ist ausgegossen in unsere Herzen; wir sind völlig sicher, dass derjenige, der uns errettet hat, uns
bis ans Ende erretten wird, und somit freuen wir uns in Gott.
Lasst uns wohl beachten, dass in diesem allen nicht von einem Fortschreiten gesprochen wird; es
ist die gesegnete Stellung, die das Teil eines jeden Christen ist. In Bezug auf die Sünden ist alles
vollkommen geordnet.
Doch lasst uns jetzt ein Wort über die Sünde reden.
Vielleicht wird der eine oder andere meiner Leser fragen: „Gibt es denn überhaupt einen Unterschied
zwischen der Sünde und den Sünden?“ Gewiss; es ist ein großer Unterschied zwischen den Sünden,
die wir begehen, und der sündhaften, gefallenen Natur, dem eischlichen Sinn, der die Quelle und
der Anlass zu den Sünden ist. Es ist die Sünde – nicht die Sünden – die durch einen Menschen, Adam,
in die Welt gekommen ist, und „ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, indem sie alle
gesündigt haben.“ Lesen wir das 5. Kapitel der Brief an die Römer von Vers 12–21, und wir werden
nden, dass, so viel Schlechtes auch durch den ersten Adam in die Welt gekommen ist, doch noch
viel mehr Gutes durch Christus, den zweiten Menschen, für alle, die in Ihm sind, hervorgebracht
worden ist. Durch Adam sind die Sünde und der Tod gekommen, durch Christus das ewige Leben und
eine auf immerdar bestehende Gerechtigkeit geworden. Möchten unsere Augen stets auf Christus
ruhen, aber auf Ihm, als auferweckt aus den Toten! Er, der Ewige, ist für uns durch den Tod gegangen,
um der Anfang einer neuen Schöpfung Gottes zu sein. Somit sind wir gerechtfertigt und haben das
ewige Leben, und dieses uns mitgeteilte Leben ist jenseits und außer dem Bereich des Todes, in einer
Gerechtigkeit, die für immer besteht, einer vollkommenen Gerechtigkeit. Wir begegnen hier also
aufs Neue einer göttlichen Vollkommenheit. Kann es ein vollkommeneres oder höheres christliches
Leben geben, als dieses Auferstehungsleben? Das ewige Leben in der Auferstehung ist das Teil eines
jeden wahren Christen, eines jeden, der „aus dem Tod in das Leben hinübergegangen ist.“ Richten
wir unser Auge auf den Heiligen und Hocherhobenen, auf Christus, der auferstanden ist und zur
Rechten Gottes sitzt. Das Leben, das Er besitzt, ist das unsrige. Könnte ein höheres Leben gefunden
werden? Er ist aus den Toten auferweckt worden, um unsere Gerechtigkeit zu sein; Er ist es für alle,
die da glauben; Er ist es für immer, und diese Gerechtigkeit bleibt unveränderlich dieselbe. Kann
es eine vollkommenere Gerechtigkeit geben? Könnte ein herrlicheres Kleid zu unserer Bedeckung
gefunden werden? Gibt es etwas was das Vortreichste noch übertreen könnte?
Vielleicht möchte mancher meiner Leser durch die Behauptung, dass ein einziges Opfer, weil es
vollkommen ist, unsere Sünden völlig getilgt hat, und dass wir für immer gerecht in Christus sind,
zu der besorgten Frage veranlasst werden: „Ist bei einem solchen Gedanken keine Gefahr vorhanden,
dass wir in Sorglosigkeit in Betre der Sünde fallen? Könnten wir nicht dahin gebracht werden,
zusagen“: „Lasst uns in der Sünde beharren?“
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  Die Vollkommenheit 3/4
Man lese mit Aufmerksamkeit das 6. Kapitel, und die Schwierigkeit wird verschwinden. Dieses
Kapitel zeigt uns, wie töricht es wäre, zu denken, dass die Gnade uns erlaube, in der Sünde zu
verharren. Gott bewahre uns vor einem solchen Gedanken! „Wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf
Christus Jesus getauft worden, auf seinen Tod getauft worden sind?“ (V 3) Mit Christus der Sünde
gestorben zu sein, ist die wahre Stellung aller Christen, und dies wird durch das Begraben in der
Taufe versinnbildlicht. Werden gestorbene Personen in der Sünde verharren? Das aber ist der Platz,
der uns zu Teil geworden ist; gestorben mit Christus, auferweckt mit Christus.5
In dem Tod hat das
Alte sein Ende gefunden; in dem auf erstandenen Christus ist alles neu geworden. Alle Christen
sollten wissen, „dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei,
damit wir der Sünde nicht mehr dienen“ (V 6). Oder sind es nicht alle Christen, welche sagen können:
„Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt?“ Wer aber hat den alten Menschen gekreuzigt, und wie ist
dies geschehen? Sicherlich geschieht es nicht durch einen Akt des Glaubens, sondern es ist Gott, der
so meine Sünde, meinen alten, eischlichen Menschen, in der Person des göttlichen Stellvertreters
gerichtet hat. „Er wurde für uns zur Sünde gemacht.“ Wenn wir aber an Ihn glauben, so macht uns
dieser Glaube mit Ihm eins. Das Gericht Gottes ist nicht nur über unsere Sünden, sondern auch über
uns selbst ergangen; und hiervon ist die Taufe das Sinnbild.
Hüten wir uns daher, das Kreuz bei Seite zu setzen, indem wir aus allem einen persönlichen Akt
machen. Auf dem Kreuz sehen wir das gerechte Gericht Gottes über unser stolzes und sündhaftes Ich.
Dort bin ich mit Christus gekreuzigt, und dadurch, dass wir diese Kreuzigung als unser gerechtes
Gericht anerkennen, rechtfertigen wir Gott. Und wenn mir diese Stellung: „gestorben der Sünde“, in
welche alle Christen versetzt sind, eingenommen haben, so haben wir in diesem Sinn „das Fleisch
mit seinen Leidenschaften und Lüsten gekreuzigt“ (Gal 5,24). Wie könnten wir noch darin wandeln?
Fern sei uns ein solcher Gedanke!
Ich bitte einen jeden Leser dringend, das vorliegende, köstliche Kapitel mit aller Aufmerksamkeit zu
lesen. Das Verständnis seines Inhalts ist für einen heiligen Wandel von der höchsten Wichtigkeit.
Jeder Vers, ja jeder Ausdruck ist wohl zu beherzigen. Ist darin von unserem wirklichen Zustand die
Rede? Augenscheinlich nicht, denn dann würde es nicht nötig sein, uns zu ermahnen; „So haltet euch
der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus.“ Wenn wir den Herrn sehen und Ihm in der
Herrlichkeit gleich sein werden, in einer menschlichen Natur ohne Sünde, alsdann werden wir uns
nicht der Sünde für tot zu halten haben, wir werden es wirklich sein.
Die Annahme, dass der Gläubige in sich selbst rein und in einem sündlosen Zustand sei, ist falsch.
Denn gleich nach den oben angeführten Worten lesen wir; „Die Sünde herrsche nicht in eurem
sterblichen Leib ..“ (V 12–14). Wenn der Gläubige in sich selbst rein und ohne Sünde wäre, so hätten
diese Ermahnungen durchaus keinen Sinn. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn in unseren Tagen
gelehrt wird, dass unsere alte eischliche Natur durch irgendein Mittel von der Sünde gereinigt
werden könnte; „Was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was vom Geist geboren ist, ist Geist“
(Joh 3,6). Die Lehre von den beiden Naturen ist von der größten Wichtigkeit. Die alte Natur ist nie
verändert oder verbessert worden; sie wurde vielmehr vor Gott auf dem Kreuz gerichtet und in
5 Unsere Auferweckung mit Christus ist jedoch nicht Gegenstand der Belehrung des Römerbriefes, sondern wird in den
Briefen an die Epheser und Kolosser behandelt.
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  Die Vollkommenheit 3/4
dem Grab Christi begraben. Und somit ist unsere Stellung ganz und gar die eines Auferweckten in
Christus.
Vielleicht möchte das soeben Gesagte bei manchem die Vermutung erwecken, dass ich den
verzweiungsvollen. Kampf in der zweiten Hälfte von Römer 7 für die wahre christliche Erfahrung
hielte. Ich bin weit davon entfernt, aber ebenso wenig glaube ich, dass es die Erfahrung einer nicht
wiedergeborenen Seele ist; denn das würde heißen, dass ein nicht wiedergeborener Mensch Gefallen
am Gesetz Jehovas haben könne.
Dieser Abschnitt beschreibt uns den honungslosen Kampf einer lebendig gemachten Seele, die
sich unter dem Gesetz bendet und in diesem Zustand die Verantwortlichkeit fühlt, das Gesetz zu
beobachten; auch wünscht sie es mit ganzem Ernst, hat aber nicht die Kraft dazu. Die Tatsache, dass
diese Frage in einem so vorgerückten Teil der Brief behandelt ist, hat mich oft sehr verwundert. Aber
man sieht daraus, dass jemand die Vergebung und die Rechtfertigung kennen kann, bevor er diese
feierlichen Unterweisungen gelernt hat.
Man könnte nun fragen; „Wenn dies nicht die christliche Erfahrung ist, woher kommt es denn, dass
so viele Christen sich in diesem Zustand benden?“ Die einfache Antwort ist; Sie sind unter Gesetz,
als wenn sie noch im Fleisch wären, und hoen vergeblich, fähig zu sein, das Gesetz zu beobachten.
Ist diese Erfahrung eine wirkliche und tiefe, so ist sie für die Seele sehr heilsam, wenn die Befreiung
eintritt. Wir müssen unser gänzliches Unvermögen kennen lernen.
Das 7. Kapitel enthält die Rechte und Forderungen des Gesetzes an jemanden, der gänzlich unfähig
ist, demselben Genüge zu leisten. Was ich hasse, übe ich aus; es gibt in mir elendem Menschen weder
Kraft, noch Hilfe. Wenn ich aber verstehe, dass ich durch den Leib des Christus dem Gesetz getötet
und also von ihm befreit bin (V 4), wenn ich erkenne, dass ich losgemacht bin von dem, in welchem
ich festgehalten wurde, alsdann nde ich die Befreiung und ich „danke Gott durch Jesus Christus,
unseren Herrn.“
Wenn ich nun auf diesem Weg zur vollkommenen Befreiung in Christus gelangt bin, ist dann das
Fleisch (ich will sagen das alte „Ich“, meine alte Natur) besser, als es vorher war? Nicht im Geringsten,
denn gleich nach jenem Ausruf des Dankes, mit dem die Befreiung begrüßt wird, lesen wir; „Also
nun diene ich selbst mit dem Sinn Gottes Gesetz, mit dem Fleisch aber der Sünde Gesetz.“
Warum ist dies nach der Befreiung gesagt? Damit wir nicht dem Gedanken Raum geben, dass es
irgendeine innere Reinigung der alten Natur gebe. Ich habe sie als gestorben zu betrachten und
stets in der Furcht des Herrn HU wandeln; denn wenn das Fleisch tätig ist, selbst in einem wirklich
befreiten Heiligen, so ist es Sünde, und wenn es nicht wirkt, so ist es doch vorhanden und ist immer
das Fleisch. Aber ach! Wir straucheln alle, obwohl wir es nicht sollten, und wenn wir, die wir befreit
sind, „sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in
uns“ (1. Joh 1,8).
Es würde jedoch ganz verkehrt sein, hieraus den Schluss zu ziehen, dass es dann auch irgendwelche
Verdammnis für uns geben müsse. Der erste Vers des 8. Kapitels belehrt uns, dass „für die, welche in
Christus Jesus sind, keine Verdammnis ist.“ Er zeigt die Stellung eines jeden wahren Christen. Kann
es eine vollkommenere geben?
„Wie kann dies sein“, fragst du vielleicht, „wenn die alte Natur, die immer in uns ist, Sünde ist?“
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  Die Vollkommenheit 3/4
Sie ist und bleibt es, das ist wahr. Denn wenn es nicht so wäre, wie konnte sie sich gelüsten lassen?
Sie muss Sünde sein, weil von dem Augenblick an, wo sie zu wirken beginnt, Sünden da sind.
„Aber wie kann es dann trotzdem keine Verdammnis geben?“
Unter dem Gesetz wäre dies freilich unmöglich gewesen. „Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es
durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem Er, seinen eigenen Sohn in Gleichheit des Fleisches der
Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte“ (V 3). Hieraus ersehe ich deutlich,
dass es für die, welche in Christus Jesus sind, keine Verdammnis gibt, denn über alles wurde das
Gericht auf dem Kreuz vollzogen; sowohl über die Sünde, als auch über die Sünden. Wenn aber alles
in Ihm gerichtet worden ist, so gibt es jetzt nichts mehr zu richten, das nicht schon gerichtet wäre.
Welch eine Befreiung für die Seele! Die Stellung des Menschen in Christus ist absolut vollkommen;
es gibt nichts zu richten.
„Wie? Selbst nicht meine Sünden?“
Nein; sie sind völlig gerichtet in der Person meines heiligen Stellvertreters, des Sohnes Gottes.
„Und bringt auch die Sünde im Fleisch nicht die Verdammnis aus mich?“
Nein, auch sie ist gerichtet. Gestorben mit Christus, auferweckt mit Christus, keine Verdammnis in
Christus, das ist die christliche Vollkommenheit.
Betrachten wir jetzt den Zustand des Gläubigen.
Was hat ihn zu einem heiligen Leben oder Wandel befähigt? Welche Kraft wurde ihm dazu verliehen?
Die Antwort ist; „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem
Gesetz der Sünde und des Todes.“
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass wir nicht in Christus sein können, ohne dass Christus in
uns ist. Im Fleisch haben wir keine Kraft, wohl aber in Christus; es ist Christus in uns, der alle Kraft
darreicht. Doch beachten wir es wohl, es ist nicht gesagt, dass ich von der Sünde befreit bin, sondern
von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Das Gesetz der Sünde hielt mich gefangen, ich war ohne
Kraft; aber das Gesetz des Geistes des Lebens teilt mir eine unendliche Kraft mit. Es ist das Gesetz
dieses Geistes selbst, das den Sieg gibt.
Lesen wir die Verse 8–14; ist ihr Inhalt nicht von der größten Wichtigkeit? Die Tatsache, dass der
Heilige Geist in uns wohnt, gibt uns nicht nur eine gegenwärtige Kraft, um in der Heiligkeit zu
wandeln, sondern sie sichert uns auch, obgleich der Leib der Sünde wegen noch unter dem Urteil des
Todes ist, die Auferstehung unseres Leibes. Dies ist aber nicht nur wahr für etliche Kinder Gottes,
sondern für alle. „Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein.“
„Wenn ich aber meine alte, sündige Natur noch habe, kann dann der Geist Christi in mir wohnen?
Ich dachte, der Heilige Geist könnte erst dann seine Wohnung in mir machen, wenn ich unbedingt
rein von Sünde sei.“
Wenn dem also wäre, könnte dann der Heilige Geist in irgendjemandem aus der Erde wohnen, außer
dem Heiligen Sohn Gottes, der allein ohne Sünde war? Aber essteht geschrieben; „Das Fleisch gelüstet
wider den Geist und den Geist wider das Fleisch; beide aber sind einander entgegengesetzt, auf dass
ihr nicht das tut, was ihr wollt“ (Gal 5,17). Man kann diese Worte nicht auf Christus anwenden, wohl
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  Die Vollkommenheit 3/4
aber auf die Gläubigen. Diese einander entgegengesetzten Dinge nden sich in ein und derselben
Person, in jedem Kind Gottes auf der Erde, so dass wir, hinsichtlich unseres Zustandes, Christus in
seiner eckenlosen Reinheit nicht gleichen. Wir werden Ihm gleich sein, wenn wir Ihn sehen werden;
glückselige Honung! „Jeglicher, der diese Honung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein
ist“ (1. Joh 3,3). Es wird nicht gesagt: „ist rein, wie Er rein ist, sondern: reinigt sich.“ Die ganze Heilige
Schrift ist überall mit sich selbst in Übereinstimmung; Irrtum ist völlig von ihr ausgeschlossen. An
keiner Stelle gibt sie Anlass zu dem Gedanken, dass einige Gläubige einen Zustand erreichen können,
in welchem sie so rein sind, wie Christus selbst.
„Es wird mir schwer, zu verstehen, wie der Heilige Geist bei einer sündigen Natur wohnen kann.
Ich dachte, dass diese Natur plötzlich oder stufenweise in eine heilige Natur umgewandelt werden
müsse, bevor der Heilige Geist darin Wohnung machen könne.“
So denken viele. Auch hört man es wohl in dieser Weise ausdrücken: Wir müssen von uns selbst leer
sein und alsdann wird der Heilige Geist diese Leere ausfüllen. Aber wo ndet man etwas der Art in
der Schrift?
Wenden wir uns noch einmal zu Hebräer 10,14–15 zurück. An jener Stelle bezeugt der Heilige Geist
nicht, dass unsere alte Natur gereinigt ist, wohl aber bezeugt Er den unendlichen Wert des Blutes
Christi.
Wir nden in Bezug auf die vorliegende Frage ein sehr treendes Vorbild in der Reinigung des
Aussätzigen in 3. Mose 14,12–17. Das Blut ward auf ihn gesprengt und das Öl auf das Blut. Ebenso
sind wir durch den Glauben an Christus mit seinem Blut besprengt, die Sünde und die Sünden sind
in Ihm gerichtet, und aus diesem Grund sieht Gott sie nicht mehr. Er sieht das Blut, und der Geist
Gottes, von dem das Öl im Alten Testament ein Vorbild ist, kann alsdann in uns wohnen; Er wohnt
persönlich in uns und wird in uns bleiben bis ans Ende. Dies ist eine höchst wichtige und köstliche
Wahrheit. Wenn es möglich wäre, dass wir zu gewissen Zeiten den Geist Christi nicht hätten, so
wären wir nicht sein.
Viele mögen fürchten, dass diese Lehre zu einer großen Nachlässigkeit und zu einem Mangel an
Heiligkeit führt; und doch ist gerade das Gegenteil der Fall. Die ununterbrochene Innewohnung
des Heiligen Geistes ist das einzige Mittel und die wahre Kraft zu einem heiligen Wandel. Der
Apostel bedient sich gerade dieser Wahrheit, um die Heiligen in Korinth, die in Gefahr waren, in
eine schreckliche Sünde zu fallen, zu warnen. „Wisst ihr nicht“, sagt er ihnen, „dass euer Leib ein
Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, und den ihr von Gott habt?“ (1. Kor 6,19) Dies lässt
uns ohne Entschuldigung. Niemals sind wir gezwungen, uns von der Sünde überwinden zu lassen;
denn wir verfügen über eine unendliche Kraft, über den Heiligen Geist, der ewig in uns wohnt;
„Wandelt in dem Geist, und ihr werdet die Lust des Fleisches gar nicht vollbringen“ (Gal 5,16). Alle
unsere Wünsche, Vorsätze und Anstrengungen sind eitel; wenn wir uns auf diesen Boden stellen und
auf Fleisch vertrauen, so wird früher oder später die Sünde die Oberhand gewinnen. Christus allein
gebührt der ganze Ruhm unserer Befreiung. Niemals werden wir siegen, bevor wir anerkannt haben,
dass in uns keine Kraft zum Kampf ist. Verlieren wir diese beiden Tatsachen nicht aus dem Auge; alle
unsere Sünden und die Sünde wurde auf dem Kreuz gerichtet; Gott kennt den Wert des Blutes, das
dort vergossen wurde. Und um dieses Blutes willen wohnt der Heilige Geist jetzt und zu aller Zeit in
uns.
  144
  Die Vollkommenheit 3/4
Mögen wir stets im Bewusstsein dieser köstlichen Tatsachen wandeln, indem wir sie durch den
Glauben ergreifen denn es sind Wirklichkeiten, die uns gehören, wenn wir des Herrn sind. Doch
hüten wir uns, durch unseren Wandel den Heiligen Geist zu betrüben, „durch welchen wir versiegelt
worden sind auf den Tag der Erlösung.“ Ach, wie oft ist dies der Fall in den Tagen der Weltlichkeit, in
denen wir leben. Wir verwirklichen die praktische Heiligkeit in dem Maß, als wir im Geist wandeln.
„Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes“ (Röm 8,14). Der
Heilige Geist, wird uns gewiss nicht in die Kreise der Welt einführen, die den Sohn Gottes verworfen
und gehasst hat. Alles, ja alles, was von dieser Welt ist, muss verlassen werden. O, möchte dies nicht
nur in Worten geschehen, sondern möchten wir in einfältiger Abhängigkeit von dem Heiligen Geist
einzig und allein den Willen Gottes zu tun suchen! Und wenn wir so im Geist zu wandeln bereit
sind, wird es ohne Zweifel vieles zu verlassen geben, was in dem eischlichen Willen des Menschen
seine Quelle hat. Es ist der Geist Gottes, der in unseren Herzen den Wunsch nach einer gänzlichen
Widmung für Gott wachruft, den Wunsch, „ein Mensch Gottes“ zu sein, der in der Kraft des Heiligen
Geistes wandelt. Um uns her erblicken wir kaum etwas anderes als ein eitles Bekenntnis. Das Haus
Gottes ist von denen, die da kaufen und verkaufen, besetzt; es ist eine Form der Gottseligkeit, deren
Kraft verleugnet wird. Möchten doch alle Heiligen erwachen und aus diesem Zustand ausgehen!
(Schluss folgt)
  145
  Gehorsam und Abhängigkeit
Gehorsam und Abhängigkeit
Es ist eine sehr wichtige Tatsache, dass unser Gott in seiner unendlichen Gnade sein Volk in dieser
nsteren und bösen Welt sowohl mit einer Autorität als auch mit einer Macht versehen hat – mit der
Autorität seines Wortes und der Macht seines Geistes – um den Pfad zu wandeln und das Werk zu
vollbringen, wozu es berufen ist. Wir haben einen sicheren Führer in dem Wort Gottes, und in all
den Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten, denen wir auf unserer Heimreise ins Vaterhaus droben
begegnen, können wir auf die Macht Gottes rechnen. Wir besitzen also sowohl eine Autorität als
auch eine Macht in allen Lagen und Umständen.
Doch vergessen wir nicht, dass wir, wenn Gott uns mit einer Autorität versehen hat, auch gehorsam
sein müssen, und dass, wenn Er eine Macht verliehen hat, auch eine völlige Abhängigkeit unser
Teil ist. Was nützt uns eine Autorität, wenn wir ihr nicht gehorchen? Ich kann meinem Diener die
vollständigsten und bestimmtesten Anweisungen geben, wohin er gehen, was er sagen und was er
tun soll; aber wenn er, anstatt einfach nach meinen Anweisungen zu handeln, anfängt, zu überlegen,
zu denken, Schlüsse zu ziehen, sein eigenes Urteil zu befragen und nach seinem eigenen Willen zu
handeln, was nützen dann meine Anweisungen? Gar nichts, außer dass sie zeigen, wie gänzlich er
von ihnen abgewichen ist. Es liegt klar auf der Hand, dass es einem Dient geziemt, zu gehorchen und
zu handeln nach den Anweisungen seines Herrn, und nicht nach seinem eigenen Willen und nach
seinem Urteil. Wenn er nur genau das tut, was sein Herr ihm beehlt, so ist er für die Folgen nicht
verantwortlich.
Der völlige Gehorsam ist die moralische Vollkommenheit eines Dieners. Doch ach! wie selten
wird er gefunden! In der ganzen Geschichte der Welt hat es nur einen vollkommen gehorsamen
und abhängigen Diener gegeben, und das war der Mensch Christus Jesus. Es war seine Speise, zu
gehorchen. Er fand seine Freude im Gehorsam. „An Schlacht– und Speisopfern hattest du kein
Gefallen; die Ohren hast du mir bereitet: Brand und Sündopfer hast du nicht gefordert. Da sprach
ich: „Siehe, ich komme, in der Rolle des Buches ist von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun,
Jehova, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens!“ (Ps 40,7–9)
Unser gesegneter Herr fand seinen einzigen Beweggrund zum Handeln in dem Willen Gottes. In
Ihm gab es nichts, das durch die Autorität Gottes hätte in Schranken gehalten werden müssen. Sein
Wille war vollkommen, und alles, was Er tat, war notwendigerweise – in Folge seiner vollkommenen
Natur – in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen. „Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens.“
„Dein Wohlgefallen zu tun ist meine Lust.“ „Ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auf dass
ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38).
Was konnte Satan mit einem solchen Menschen anfangen? Durchaus gar nichts. Er versuchte, Ihn
von dem Pfad des Gehorsams und von dem Platz der Abhängigkeit abzubringen, aber vergebens.
„Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Sicher wollte Gott seinem
  146
  Gehorsam und Abhängigkeit
Sohn Brot geben, darüber war kein Zweifel: aber der vollkommene Mensch weigert sich, für sich
selbst Brot zu machen. Er hatte keinen Befehl erhalten und deshalb auch keinen Beweggrund zum
Handeln. Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jeglichem
Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht“ (Mt 4,3–4). Nichts konnte den Gesegneten von dem Pfad
des einfachen Gehorsams abbringen. „Es steht geschrieben“, war seine einzige und unveränderliche
Antwort während der ganzen Versuchung. Er wollte und konnte nicht ohne einen Beweggrund
handeln, und sein einziger Beweggrund war der Wille Gottes. „Dein Wohlgefallen zu tun, Jehova, ist
meine Lust, und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens.“
Das war der Gehorsam Jesu Christi – ein vollkommener Gehorsam von Anfang bis zu Ende. Doch
Er war nicht nur vollkommen gehorsam, sondern auch vollkommen abhängig. Obgleich „Gott über
alles, gepriesen in die Zeitalter“, lebte Er doch, nachdem Er seinen Platz als ein Mensch in dieser
Welt eingenommen hatte, ein Leben der vollkommensten Abhängigkeit von Gott. Er konnte sagen:
„Ich kleide die Himmel in Schwarz und mache einen Sack zu ihrer Decke. Der Herr, Jehova, hat mir
gegeben eine Zunge der Gelehrten, dass ich wisse, mit dem Müden ein Wort zu reden zu rechter Zeit.
Er erweckt alle Morgen, Er erweckt mir das Ohr, dass ich höre gleich Lehrlingen. Der Herr, Jehova,
hat mir das Ohr geönet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, ich wich nicht zurück. Ich gab
meinen Rücken hin den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg
ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber der Herr, Jehova, wird mir helfen; darum werde ich nicht
zu Schanden, darum habe ich gemacht mein Angesicht wie einen Kieselstein, und ich weiß, dass ich
nicht werde beschämt werden“ (Jes 50,3–7). Und wiederum: „Bewahre mich, Gott, denn ich traue
auf dich“ (Ps 16,1). Und wiederum: „Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an“ (Ps 22,10). Er
war gänzlich und fortwährend auf Gott geworfen, von der Krippe zu Bethlehem an bis zum Kreuz
auf Golgatha; und als Er alles vollbracht hatte, übergab Er seinen Geist in die Hände des Vaters, und
sein Fleisch ruhte in Honung. Sein Gehorsam und seine Abhängigkeit waren durchaus göttlich
vollkommen.
Doch ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers für einen Augenblick auf zwei Beispiele lenken,
die gerade das Gegenteil von dem bisher Gesagten enthalten – auf zwei Fälle, in welchen durch den
Mangel an Gehorsam und Abhängigkeit die traurigsten Resultate ans Licht traten.
Lasst uns zuerst das 13. Kapitel des ersten Buches der Könige lesen und es in Verbindung mit unserem
gegenwärtigen Thema betrachten. Die Geschichte, die uns in diesem Kapitel erzählt wird, ist uns
ohne Zweifel allen bekannt.
„Und siehe, da kam ein Mann Gottes von Juda durch das Wort Jehovas nach Bethel, und Jerobeam
stand bei dem Altar, um zu räuchern. Und er rief wider den Altar durch das Wort Jehovas“ (V 1–2).
Soweit war alles in Ordnung. Er sprach durch das Wort Jehovas, und die Macht Jehovas begleitete
das Zeugnis – der Geist des Königs wurde für den Augenblick gedemütigt und unterwürg gemacht.
Doch mehr als das. Der Mann Gottes war fähig, die Einladung des Königs, mit ihm ins Haus zu
kommen, sich zu laben und ein Geschenk anzunehmen, entschieden zurückzuweisen. „Der Mann
Gottes sprach zum König: Wenn du mir die Hälfte deines Hauses gäbest, so würde ich nicht mit dir
hineingehen, und ich werde kein Brot essen und kein Wasser trinken an diesem Ort. Denn also ist
mir geboten durch das Wort Jehovas und gesagt: Du sollst kein Brot essen und sollst kein Wasser
trinken und nicht zurückkehren auf dem Weg, den du gegangen bist“ (V 8–9).
  147
  Gehorsam und Abhängigkeit
Dies war ein treues Zeugnis, und Jehova konnte mit Wohlgefallen auf seinen Diener blicken. Seine
Füße standen fest auf dem hellen und gesegneten Pfade des Gehorsams, und er errang einen herrlichen
Sieg. Die Ehrerbietungen des Königs schlägt er, ohne einen Augenblick zu zögern, aus. Die Hälfte des
königlichen Hauses kann den Mann Gottes nicht bewegen, den schmalen, heiligen und glücklichen
Pfad des Gehorsams zu verlassen. Da gibt es weder ein Überlegen, noch ein Fragen, noch ein Zögern.
Das Wort Gottes hat alles geordnet, und er verfolgt genau den Pfad, den dieses Wort ihm vorgezeichnet
hat. Er hat nur zu gehorchen, unbekümmert um die Folgen. Und solange er dies tut, ist alles in der
schönsten Ordnung.
Doch lesen wir weiter. „Ein alter Prophet aber wohnte zu Bethel“ – mein lieber Leser, hüte dich
vor solchen alten Propheten! – und dieser alte Prophet folgte dem Mann Gottes und sagte zu ihm:
„Komm mit mir ins Haus und iss Brot“ (V 11–15). Dies war der Teufel in einer neuen Gestalt. Was
das Wort des Königs nicht zu tun vermocht hatte, das konnte vielleicht das Wort eines Propheten zu
Stand bringen. Es war eine List Satans, auf welche der Mann Gottes durchaus nicht vorbereitet war.
Der Anblick eines Propheten täuschte ihn und warf ihn völlig aus seiner sicheren Stellung hinaus.
Wir können dies sofort an seiner veränderten Sprache wahrnehmen. Wenn er dem König antwortet,
so spricht er in lebhafter, mutiger und entschiedener Weise: „Wenn du mir die Hälfte deines Hauses
gäbest, so würde ich nicht mit dir hineingehen“; und wenn er den Grund seiner Weigerung angibt,
so nden wir dieselbe kräftige Sprache: „Denn also ist mir geboten durch das Wort Jehovas.“ Doch in
seiner Antwort auf die Einladung des alten Propheten entdecken wir ein oenbares Abweichen von
dem Weg der Energie und der völligen Entschiedenheit. Er sagt: „Ich kann nicht mit dir umkehren
und mit dir hineinkommen“, und wenn er von der Ursache seiner Weigerung spricht, so gebraucht er
nicht, wie vorher, das Wort: „es ist mir geboten“, sondern er sagt: „ein Wort ist zu mir geschehen.“
Kurz, der ganze Ton seiner Sprache ist niedriger; sie hat die frühere Kraft fast gänzlich eingebüßt.
Das Wort Jehovas hatte begonnen, seinen wahren Platz und seine Kraft in der Seele dieses Mannes zu
verlieren. Das Wort selbst hatte sich durchaus nicht verändert. „In Ewigkeit, Jehova, steht fest dein
Wort in den Himmeln“ (Ps 119,89); wäre dieses Wort in dem Herzen des Mannes Gottes verborgen
gewesen, hätte es in seiner Seele reichlich gewohnt, seine Antwort auf die Einladung des Propheten
würde ebenso bestimmt und entschieden gelautet haben, wie vor dem Altar des Königs. „Durch das
Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen“ (Ps 17,4). Der Geist
des Gehorsams ist das große moralische Bewahrungsmittel vor jeder List und Bosheit des Feindes.
Der Feind mag seinen Standpunkt wechseln und seine Angrisweise verändern, er mag plötzlich
von einer ganz anderen Seite her seine Pfeile auf die Seele richten, der Gehorsam gegen das einfache
und klare Wort Gottes bewahrt sie vor all seinen bösen Anschlägen und seinen listigen Kunstgrien.
Der Teufel kann mit einem Menschen, der ausschließlich durch das Wort Gottes geleitet wird und
sich ohne einen göttlichen Befehl nicht um eines Haares Breite vor– oder rückwärts bewegt, nichts
anfangen.
Doch beachten wir, mit welch einer Schlauheit der Feind hier zu Werke geht. Wir lesen im 18. Vers:
„Und er sprach zu ihm: Auch ich bin ein Prophet wie du, und ein Engel hat zu mir geredet durch das
Wort Jehovas und gesagt: Bringe ihn zurück mit dir in dein Haus, dass er Brot esse und Wasser trinke.“
Welch eine Antwort hätte der Mann Gottes auf diese trügerischen Worte geben müssen? Wenn das
Wort des Herrn unverrückt in seinem Herzen geblieben wäre, so würde er ohne Zögern geantwortet
haben: „Und wenn Zehntausend Propheten und zehntausend Engel sagen würden: Bringe ihn zurück,
  148
  Gehorsam und Abhängigkeit
so würde ich sie alle für Lügner und Boten des Teufels erklären, die abgesandt wären, um mich von
dem heiligen und glücklichen Pfad des Gehorsams abzuziehen.“ Das wäre eine erhabene Antwort
gewesen und hätte denselben göttlichen Stempel der Wahrheit getragen, wie die Worte des Apostels:
„Aber wenn auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium verkündigte, außer
dem, was wir euch verkündigt haben, der sei verucht“ (Gal 1,8).
Aber ach! Ach! Der Mann Gottes verließ den Pfad des Gehorsams; und derselbe Mann, den Satan
gebraucht hatte, um ihn zu verführen, wurde der Mund Jehovas, um ihm die schrecklichen Folgen
seines Ungehorsams anzukündigen. Er log, als Satan ihn gebrauchte, aber er sprach die Wahrheit, als
Gott sich seiner bediente. Der irre geleitete Mann Gottes wurde durch einen Löwen getötet, weil er
dem Wort des Herrn ungehorsam gewesen war. Ja, er verließ den schmalen Pfad des Gehorsams und
verirrte sich in das weite Feld seines eigenen Willens und dort fand er ein trauriges Ende.
Möchten wir doch alle auf unserer Hut sein, wenn solche alte Propheten und solche Engel des Lichts
unseren Weg kreuzen! Möchten wir uns in dem wahren Geist des Gehorsams nahe, sehr nahe an
dem Wort unseres Gottes halten! Wir werden den Pfad des Gehorsams sowohl sicher, als auch heilig
und glücklich nden.
Das zweite Beispiel, für das ich die Aufmerksamkeit des Lesers in Anspruch nehmen wollte, nden
wir im 9. Kapitel des Buches Josua. Wir lesen dort, dass selbst Josua durch den Mangel an einfacher
Abhängigkeit von Gott verführt wurde. Ich will jedoch nicht näher in die Einzelheiten des Kapitels
eingehen, sondern bitte den Leser, mit Aufmerksamkeit den Abschnitt zu lesen.
Warum wurde Israel durch die List der Gibeoniter betrogen? Weil sie auf ihren eigenen Verstand
vertrauten und nach dem urteilten, was sie sahen, anstatt auf Gott zu harren, damit Er sie leiten und
beraten möchte. Er wusste alles in Betre der Gibeoniter. Sie konnten Ihn durch ihre alten Kleider
und durch ihr schimmeliges Brot nicht täuschen; und ebenso wenig würden die Israeliten getäuscht
worden sein, wenn sie nur auf Ihn geblickt hatten. Aber hierin fehlten sie. Sie harrten nicht auf Gott.
Er würde sie geleitet und ihnen gesagt haben, wer diese listigen Fremden seien. Hätten sie im Gefühl
ihrer eigenen Unwissenheit und Schwachheit einfach auf Ihn gewartet, Er würde sicher alles vor
ihnen oenbar gemacht haben. Aber nein; sie wollten für sich selbst sorgen, sie wollten urteilen nach
dem, was vor ihren Augen war, und daraus ihre Schlüsse ziehen. Alles das wollten sie tun, und daher
brachten die zerrissenen Kleider der Gibeoniter das zu Wege, was die gewaltigen Bollwerke Jerichos
nicht zu tun vermocht hatten.
Sicher hatte Israel nicht daran gedacht, mit irgendjemandem von den Kanaanitern einen Bund zu
machen. Nein, das Volk war sogar sehr erzürnt und murrte wider die Fürsten, als man entdeckte,
was geschehen war. Allein der Bund war gemacht und konnte nicht wieder gebrochen werden. Es ist
leichter, einen Fehler zu begehen, als ihn wieder gut zu machen. Die Gibeoniter blieben im Land als
eine fortwährende Erinnerung an das Böse, das sie begangen hatten, indem sie nicht auf die Leitung
und auf die Unterweisung Gottes warteten.
Möchte der Heilige Geist das, was wir betrachtet haben, dazu benutzen, die große Wichtigkeit „des
Gehorsams und der Abhängigkeit“ unseren Herzen tief einzuprägen!
  149
  Beantwortung einiger Fragen
Beantwortung einiger Fragen
1. Stehen die sieben Posaunen der Oenbarung mit der „letzten Posaune“ in 1. Korinther 15,52
in Verbindung? Nein. Die sieben Posaunen werden erst einige Zeit nach „der letzten Posaune“
ertönen. Sie können daher oenbar nicht gleichbedeutend sein. Zudem kündigen die Posaunen der
Oenbarung Gerichte über die Erde an, welche zu jener Zeit völlig von Gott abgefallen sein wird.
„Die letzte Posaune“ dagegen ist der letzte Ruf, der an die Heiligen ergeht, mögen sie nun schon
gestorben sein oder noch auf der Erde leben. Diese letzte Botschaft Gottes an sein Volk, zurzeit der
zweiten Ankunft Christi, wird hier die letzte Posaune genannt. Die Wirkung derselben ist, dass die
Toten auferweckt und die Lebenden verwandelt werden. Die Gerechten allein werden den Schall
der Posaune hören. Für sie allein wird sie ertönen. Ich bringe daher diese Stelle in Verbindung mit
1. Thessalonicher 4,16, wo wir etwas Ähnliches nden.
2. Wer sind die Heiligen, „welche Teil haben an der ersten Auferstehung?“ „Glückselig und heilig,
wer Teil hat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern
sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit Ihm herrschen tausend Jahre“ (O 20,6).
Diesen Vers müssen wir, obgleich er einem im Allgemeinen sinnbildlichen Buch entnommen ist,
nach seinem einfachen und klaren Wortlaut verstehen. Die erste Auferstehung hat Christus als die
Erstlingsfrucht der Auferstehungsernte, danach die, welche des Christus sind bei seiner Ankunft,
und endlich die Märtyrer und andere Heilige, die in dem Zeitraum, welcher zwischen der Aufnahme
der Kirche und der Einführung des irdischen Königreiches Christi liegt, sterben werden. Daher ist
jeder Heilige Gottes, der schon gestorben ist oder noch sterben wird, in die erste Auferstehung
eingeschlossen. „Die übrigen der Toten aber wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet
sind.“ Diese Worte zeigen deutlich, dass während des tausendjährigen Reiches unter den Heiligen auf
der Erde der Tod nicht herrschen wird, denn der Ausdruck „die übrigen der Toten“ bezeichnet in ganz
bestimmter Weise die Bösen. Die erste Auferstehung umfasst die Heiligen und zwar ausschließlich
die Heiligen, und ist beendigt beim Anfang des Königreichs Christi; denn alle, welche an ihr Teil
haben, werden mit dem Christus herrschen 1 000 Jahre. Die zweite Auferstehung umfasst alle die
Bösen, und zwar diese ausschließlich, und ndet am Schluss des Königreichs oder der 1 000 Jahre
statt. Wenn dieser Unterschied völlig verstanden wird, so zeigt er die gänzliche Unhaltbarkeit
der gewöhnlichen Annahme einer allgemeinen Auferstehung. Es wird eine „Auferstehung des
Lebens“ und eine „Auferstehung des Gerichts“ stattnden (Joh 5,29); beide aber sind, wie wir aus
Oenbarung 20,5 erfahren, durch einen Zeitraum von 1 000 Jahren voneinander getrennt.
3. Was bedeutet die Stelle: „Alsdann werden zwei auf dem Feld sein; einer wird genommen und einer
gelassen usw.?“ (Mt 24,40–41) Diese Worte beziehen sich auf die Scheidung von Bewohnern Judäas
bei der Ankunft des Sohnes des Menschen. Der Eine wird „genommen“ werden fürs Gericht, der
Andere „gelassen“ zur Segnung. Wenn nur daran denken, dass die jüdsche Honung eine in den
Psalmen und in den Propheten verheißene Segnung in dem Land ist, so schwindet jede Schwierigkeit
  150
  Beantwortung einiger Fragen
in Betre dieser Stelle. Bei dem Kommen des Herrn für die Kirche wird gerade das Entgegengesetzte
der Fall sein; dann wird der Eine genommen für die himmlische Segnung, und der Andere gelassen
für das Gericht (2. Thes 2,12). Die Wahrheit ist einfach, aber wichtig. Die christliche Segnung ist
himmlischer, die jüdsche irdischer Natur.
  151
  Die Vollkommenheit 4/4
Die Vollkommenheit – Teil 4/4
7. Bevor ich diese Betrachtungen schließe, möchte ich noch auf den großen Unterschied zwischen
der Stellung und dem Zustand des Christen, wie er uns in dem Brief an die Epheser dargestellt wird,
aufmerksam machen. Das erste und zweite Kapitel beschreiben die absolute Vollkommenheit der
Stellung, die der Gläubige in Christus hat. Im 3. Kapitel nden wir ein Gebet, dessen Gegenstand
der Zustand der Gläubigen ist (Siehe V 14–21). Wir können nicht um etwas bitten, das wir schon
besitzen. Das erste Kapitel zeigt uns zunächst, wie sehr wir gesegnet sind: „mit aller geistlichen
Segnung in den himmlischen Örtern in Christus.“ Auserwählt in Ihm, um heilig und tadellos vor Ihm
in Liebe zu sein, zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesus Christus, hat uns Gott begnadigt in dem
Geliebten, „in welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen.“
Welch ein Sto zu heiligen Betrachtungen! Lasst uns vorwärtsschreiten zu dem Maß des vollen
Wuchses der Fülle des Christus (Kap 4,13), der, aus den Toten auferweckt, zur Rechten Gottes, des
Vaters der Herrlichkeit, in den himmlischen Örtern sitzt. Alle die Reichtümer der Herrlichkeit seines
Erbes in den Heiligen sind unser Teil. Denn Gott „hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in
den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Kap 2,6). Wir können bezüglich unserer christlichen
Stellung nicht darüber hinausgehen; es ist die Stellung Christi, unseres Hauptes – die christliche
Vollkommenheit. Kann ihre Erreichung noch Gegenstand unseres Gebets sein? Nein, sie ist unser;
aber wir können wohl für einander beten, dass wir diese Vollkommenheit in Christus im Himmel
kennen lernen und genießen. Alles ist unser; der Herr sei dafür gepriesen!
Wir nden hier ferner, was der Apostel in Bezug auf den Zustand dieser Gläubigen ersteht: „Auf dass
er euch gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen
Geist an dem inneren Menschen, dass der Christus durch den Glauben wohne in euren Herzen usw“
(Kap 3,16–17). Ist dies nicht ein glückseliger Zustand – Christus, wohnend in unseren Herzen durch
den Glauben?
Beachten wir alsdann die große Verschiedenheit der Ermahnungen, die wir in der letzten Hälfte der
Brief nden und die alle auf unseren Zustand Bezug haben und höchst beachtenswert sind.
Der Brief an die Epheser stellt also zuerst unsere Stellung in Christus dar und alsdann Christus in
uns. „Dem aber, der über alles hinaus zu tun vermag, über die Maßen mehr, als was wir erbitten
oder erdenken, nach der Kraft, die in uns wirkt.“ Beweist dies etwa, dass die Vollkommenheit in uns
selbst ist, oder dass es irgendeine Veränderung oder Verbesserung der alten Natur gibt? Gewiss nicht.
Alle die Ermahnungen der folgenden Kapitel zeigen, wie sehr man der Wachsamkeit gegen die alte,
eischliche Natur bedarf. In dem vorliegenden Brief ist wohl von einer vollkommenen Stellung in
Christus, aber niemals von einem Zustand der Vollkommenheit oder Reinheit die Rede.
„Aber“, wird man vielleicht fragen, „wenn die alte, schlechte Natur in uns bleibt, werden wir dann
nicht immer die Sklaven ihrer Leidenschaften sein?“
  152
  Die Vollkommenheit 4/4
Keineswegs; denn die Macht, die in uns wirkt, ist unendlich; es ist die Macht Gottes, und somit
können wir der Befreiung gewiss sein. Wenn wir in einem Zustand der Reinheit waren, so würden
wir diese Vorschriften und Ermahnungen nicht bedürfen. Gott aber weiß, dass sie für einen jeden
von uns nötig sind. Wenn wir für immer in demselben Zustand der Reinheit wie unser vielgeliebter
Herr sein werden, dann wird sicher keine Veranlassung vorhanden sein, Ermahnungen an uns zu
richten, wie die folgenden: „Keine faule Rede gehe aus eurem Mund“; „berauscht euch nicht mit
Wein“ usw.; es wird gewiss nicht nötig sein, uns zu ermahnen, den Heiligen Geist Gottes nicht zu
betrüben. Können solche Worte an Christus gerichtet werden? Er ist die Reinheit selbst; wenn wir
daher hienieden rein wären, wie Er es ist, so könnten diese Ermahnungen nicht für uns sein. Wir
erwarten jedoch eine glückselige Veränderung; wenn wir Ihn sehen werden, werden wir Ihm gleich
sein, und ein jeglicher, „der diese Honung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist.“ Er
ist ohne Zweifel das Maß unserer Heiligkeit, und wir dürfen kein geringeres vor uns stellen. Aber
würden wir in unserem gegenwärtigen Zustand zu behaupten wagen, dass nichts Unreines von uns
ausgehen könnte? Würden wir es wagen, so müssten unsere eignen Lippen uns verurteilen. Lasst
uns wachsam und bemüht sein, in einer demütigen Abhängigkeit von Gott zu beharren!
Untersuchen wir noch in der Kürze, was der Brief an die Philipper über diesen Gegenstand sagt. Dort
setzt der Apostel um Christi willen alles bei Seite. Alles, was er als frommer, eifriger Jude war, achtet
er als Verlust und Dreck, um in Christus erfunden zu werden und nicht seine eigene Gerechtigkeit
zu haben. Er zeigt uns die wahre, christliche Erfahrung in den Worten: „Zu erkennen Ihn und die
Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet
werde.“ Ist dies nun eine Erfahrung, die sich mit dem „Ich“ beschäftigt? Von uns sprechen, über uns
schreiben heißt nicht, Ihn erkennen. Wenn wir den Wunsch haben, in praktischer Heiligkeit zu
wachsen, so werden wir nie durch Beschäftigung mit uns selbst dahin gelangen, sondern dadurch,
dass wir im Wort forschen, dass wir uns vergessen und uns mit Christus beschäftigen.
Bemühen wir uns, mehr und mehr als gestorbene, aber als mit Christus auferweckte Personen zu
wandeln? Kennen wir etwas von der Kraft seiner Auferstehung? Nichts von dieser Welt, weder
Stellung noch menschliche Auszeichnung, kann mit dieser wahren, christlichen Erfahrung verglichen
werden. Gewiss, wenn unser Wandel der hier beschriebenen Erfahrung gemäß wäre, so würden wir
hinsichtlich unseres Zustandes keinen Anspruch auf Vollkommenheit machen. Der Apostel, vorwärts
blickend auf jenen glückseligen Augenblick, wo er wirklich auferweckt, d. h. in der vollkommenen
Reinheit des Zustandes der Auferstehung sein würde, sagt: „Ob ich auf irgendeine Weise hingelangen
möge zur Auferstehung aus den Toten.“ Auf welche Weise es auch geschehen mochte – er suchte
nur dieses; welche Verluste oder Leiden der Weg dahin auch bringen mochte – es war sein einziger
Wunsch, sein einziger Gegenstand. Paulus hatte diesen Zustand noch nicht erreicht, noch war er
hinsichtlich dieses Zustandes der Reinheit schon vollkommen. Er sagte: „Nicht, dass ich es schon
ergrien habe, oder schon vollendet sei.“ Die ganze Kraft dieser Stelle wäre durch den Gedanken
einer gegenwärtigen Reinheit und Vollkommenheit zerstört. Beachten wir jedoch, dass der Apostel
nicht im Geringsten seine Vollkommenheit in Christus bezüglich seiner Stellung in Frage Zieht. „So
viele nun vollkommen sind“, sagt er, „lasst uns also gesinnt sein.“
Was mich in den meisten Schriften über die Heiligkeit so schmerzlich berührt, ist, dass man beinahe
gänzlich versäumt hat, auf einer absolut vollkommenen Stellung aller Gläubigen in Christus zu
bestehen. Man sucht diese Stellung durch eine Art vermeintlicher Reinheit, oder durch einen gewissen
  153
  Die Vollkommenheit 4/4
Zustand der Vollkommenheit, den man hienieden zu erreichen hot, zu ersetzen, und somit lässt
man die glückselige Honung der Ankunft des Herrn bei Seite und schwächt Zugleich den vollen
Wert des ein für alle Mal geschehenen Opfers Christi. Man nehme ein beliebiges Werk über diesen
Gegenstand zur Hand, und man wird nden, dass meine Behauptung bald mehr, bald weniger
zutrit. Es ist dies eine betrübende Tatsache, die den Seelen nur Schaden bringen kann; denn wenn
wir die Vollkommenheit unserer Stellung in Christus nicht kennen, wie können wir dann einen
fortdauernden Frieden genießen? Und wenn wir den Herrn Jesus Christus nicht von dem Himmel
als Heiland erwarten in der gesegneten Gewissheit, dass wir, wenn wir Ihn sehen, Ihm gleich sein
werden, so verlieren wir die heiligende Kraft dieser glückseligen Honung.
Esistsehr erfreulich, das Verlangen nach einer völligen Heiligkeit und einer vollständigen Ergebenheit
im Leben und im Wandel erwachen zu sehen. Möchten alle meine Leser, die dem Herrn angehören,
sich stets der Kraft erinnern, die wir in Christus haben, und der Tatsache, dass Christus in uns ist!
Paulus sagte: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“; seine Kraft war in Ihm, und es war sein
sehnliches Verlangen, dass „Christus hoch erhoben werde an seinem Leib, sei es durch Leben oder
durch Tod.“
Auch in dem Brief an die Kolosser wird die vollkommene Stellung des Gläubigen in Christus dargestellt,
und wir nden gleichfalls darin Ermahnungen zu einem heiligen Leben. Der Apostel meint alle
Kinder Gottes, wenn er sagt: „Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht zu dem Anteil des
Erbes der Heiligen in dem Licht, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in
das Reich des Sohnes seiner Liebe, in welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“
(Kol 1,12–14). Und weiter: „Ihr seid vollendet in Ihm, welcher ist das Haupt jedes Fürstentums und
jeder Gewalt.“ – das ist unsere gesegnete Stellung von dem Augenblick an, wo wir von dem Tod
zum Leben hinübergegangen sind (Joh 5,24). Jede Ermahnung zu einem heiligen Wandel, die sich
in diesem Brief ndet, ist mit dieser vollkommenen Stellung in Christus, welche die unsrige ist,
in Übereinstimmung. Dies ist in den Worten zusammengefasst: „Neun ihr nun mit dem Christus
auferweckt seid, so sucht, was droben ist.“
Nach diesen Worten lesen wir: „Wenn der Christus, der unser Leben ist, oenbar werden wird, dann
werdet auch ihr mit Ihm oenbar werden in Herrlichkeit.“ Was soll aus dieser gesegneten Wahrheit
hervorgehen? „Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind.“ Hätten wir nötig, dies zu tun, wenn das
Böse nicht mehr in uns wäre? Gewiss nicht. Wenn wir den verführerischen Gedanken nähren, dass
das Böse in uns hinweggetan sei, so wird die Folge davon sein, dass wir das Töten unserer Glieder
vernachlässigen und bald wieder in die Sünde fallen. Satan wird dann sicher einen großen Sieg über
uns davontragen.
Sollte jemand, der diese Zeilen liest, in die Sünde eingewilligt haben und zu Fall gekommen sein,
obwohl er von der Heiligkeit redet, so gehe er ohne Zögern zu seinem Vater und bekenne seine Sünde.
Hüte er sich, in der Heuchelei einen Schritt weiter zu tun. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so
ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“
Es mochte nun jemand fragen: „Können wir denn nicht die Reinheit des Herzens und eine gänzliche
Befreiung von einer sündhaften Natur begehren?“ – O ja, wir können nach dieser Befreiung, die bei
der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus stattnden wird, sehnlichst seufzen. – „Aber steht denn
nicht geschrieben: Der Gott des Friedens heilige euch völlig, Geist und Seele und Leib?“
  154
  Die Vollkommenheit 4/4
Diese Worte mögen schon häug in dieser Weise angeführt worden sein, allein die Schrift spricht
nicht so. In 1. Thessalonicher 5,23 lesen wir: „Er selbst aber, der Gott des Friedens heilige euch völlig;
und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn
Jesus Christus.“ Beachten wir, dass in dieser Stelle von einer völligen Heiligung oder Absonderung
für Gott die Rede ist, und dass wir gleichwohl nötig haben, untadelig bewahrt zu werden. Wenn
unsere Heiligung so viel hieße, als reingemacht zu sein, wie Christus rein ist, alsdann wäre es nicht
nötig, nach Geist, Seele und Leib untadelig bewahrt zu werden. Hatte Christus nötig, auf Erden in
dieser Weise bewahrt zu werden? Jene Worte wollen vielmehr sagen: der Gott des Friedens soll so
unsere Gedanken erfüllen und uns so beherrschen, dass wir selbst von jeder Form des Bösen gänzlich
getrennt und für Gott vollkommen abgesondert sind. Die böse Natur, die Sünde im Fleisch, wurde
gerichtet und nicht geheiligt, und Paulus bittet, dass der Geist, die Seele und der Leib untadelig
bewahrt werden bis zur Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Bis zu jenem gesegneten Augenblick
bedürfen wir, durch die mächtige Kraft Gottes bewahrt zu werden. Bald, ja bald wird die Reinheit in
ihrer ganzen Vollkommenheit unser Teil sein. Wenn wir jetzt nach derselben seufzen – wir werden
sie droben besitzen.
Herrlicher Augenblick, wenn wir die gesegnete Stimme Jesu vernehmen. Sein liebevolles Angesicht
schauen und die Herrlichkeit Gottes auf seinem Angesicht wiederstrahlen sehen werden, ohne uns
im Geringsten zu fürchten; denn wir werden Ihm gleich sein. „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben,
habe ich ihnen gegeben.“
Geht aus, Ihm entgegen! Wie Rebekka das götzendienerische Haus ihrer Mutter verlieh, um Isaak
entgegen zu gehen, so möge auch jeder, der den Herrn kennt, diese gottlose Welt verlassen, um Ihm
zu begegnen, der uns also geliebt hat.
  155
  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
Ein lebendiger Gott, dem aller Ruhm und alle Ehre gebührt, und ein lebendiges Volk, das Ihn preist –
so könnten die Überschriften dieser beiden Psalmen lauten. Psalm 115 spricht von dem lebendigen
Gott und Psalm 116 von dem lebendigen Volk. Der Schreiber derselben ist nicht genannt. Dass es
Ausdrücke von Seiten einer Person sind, die unter der unmittelbaren Leitung des prophetischen
Geistes steht, ist klar; denn sie beziehen sich auf zukünftige Tage und sprechen von einer Zeit der
Leiden und Trübsale, die noch nicht über die Erde hereingebrochen ist.
Psalm 115 spricht also von dem lebendigen Gott. „Nicht uns, Jehova, nicht uns, sondern deinem
Namen gib Ehre, um deiner Güte, um deiner Wahrheit willen“ (V 1). Welch eine Zusammenstellung
haben wir hier! Güte und Wahrheit sind einander begegnet. Wir können jetzt schon davon singen.
Israel wird es eines Tages auch tun; denn von diesem Volk, und nicht von der Kirche, spricht der Psalm
(wie Vers 9 zeigt). Vor Gott zum Bewusstsein seiner Schuld gebracht, nachdem es nicht vermocht hat,
auf dem Grund seiner eigenen Gerechtigkeit vor Ihm zu bestehen, wird es hiervon singen und dazu
übergehen, Ihm allen Ruhm und alle Herrlichkeit zu geben. Obwohl Jerusalem auf der Erde zu einem
Ruhm gemacht und das solange verachtete und übel behandelte Volk der Juden die Nation sein wird,
mit der sich andere zu verbinden suchen (Jes 62,7; Sach 8,33), so wird doch alles dieses, so gesegnet
es sein mag, sie nicht dazu bringen, sich selbst zu rühmen, sondern es wird für sie eine Gelegenheit
sein, alle Ehre und allen Ruhm Jehova zuzuschreiben.
Bis dahin ist jedoch ein Pfad des Glaubens ihr Teil. Die Errettung Israels ist noch nicht aus Zion
gekommen. Bevor das Land von seinem Elend befreit ist, werden sie, da weder die Nationen
gedemütigt, noch der Götzendienst aus Kanaan entfernt ist, die Verachtung der Heiden erfahren,
welche fragen: „Wo ist nun ihr Gott?“ Wo ist Er? Keiner von ihnen hatte Ihn gesehen. Wal mag sein
Volk eine Erinnerung an seine mächtigen Taten besitzen, aber diese Taten waren um ihrer Vorväter
willen geschehen. Wo ist sein Ratschluss? Wo können die Heiden Ihn sehen? Der natürliche Mensch
kann nicht den Glauben in göttlichen Dingen verstehen. Die Welt kann den Heiligen Geist nicht
empfangen, weil sie Ihn nicht sieht, noch Ihn kennt. Der unbekehrte Heide wird nicht eher an den
Gott Israels glauben, als bis Er seinen Arm fühlbar macht und seine Widersacher vernichtet. Auf
die spöttische Frage der Heiden hat der Glaube jedoch eine Antwort: „Aber unser Gott ist in den
Himmeln.“ Solchen, die nach dem Schauen wandeln, mag dies eine armselige Erwiderung scheinen.
Wenn Er Gott ist, warum erscheint Er denn nicht, um seine Diener zu befreien? Wenn Er der lebendige
Gott ist, wie kann Er erlauben, dass die seinigen bis in den Tod verfolgt werden? Wenn Er der einige
Gott ist, warum beweist Er es nicht dadurch, dass Er sich mit allen denen, die Götter genannt werden,
in Kampf einlässt? „Er ist in den Himmeln“ ist die Antwort des Glaubens. In einer Beziehung scheint
dieses nur wenig zu sagen, in einer anderen sehr viel, denn es nimmt für Jehova den Platz in Anspruch,
der Ihm eigen ist – den Himmel. Der Glaube kann, indem er dieses ausspricht, auf Ihn warten. Er
wird kommen, wie Psalm 50,3 versichert, und deshalb bitten sie nicht, dass Er kommen möge. Sie
  156
  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
warten seine Zeit ab, denn sie kennen Ihn und, obgleich Er nicht sichtbar ist, wissen sie doch, dass
Er von allem, was vorgeht, Kenntnis hat. Alles, was sie von anderen erduldet haben, nehmen sie,
als von Ihm kommend, an. „Alles, was Ihm wohl gefällt, tut Er“ (V 3). Ein Gott im Himmel, der in
unumschränktem Willen und unumschränkter Macht handelt, das ist ihr Gott. Wie schön ist ihr
einfaches Bekenntnis in Betre Jehovas. „Alles, was Ihm wohl gefällt, tut Er.“ Ihr Los ist in der Tat ein
bitteres, allein es ist der Wille Gottes. Kein Murren entschlüpft ihren Lippen. Durch Abfall würden sie
sich vielleicht eine augenblickliche Ruhe verschaen können, aber dann würden sie die einzige Hilfe
und den einzigen Schild, den lebendigen und wahren Gott, verlassen. „Alles, was Ihm wohl gefällt, tut
Er“, ist ihre Zuversicht inmitten ihrer Prüfungen. Er hält die Zügel der Regierung in seiner Hand. Da
die Segnung seines Volkes noch nicht gekommen ist, (Vers 12 spricht von ihr als zukünftig) so warten
sie darauf. Was anderes als göttliche Macht konnte diese Seelen in der Zeit der überströmenden
Ungerechtigkeit bewahren? Aber indem durch Gott ihr Auge einfältig erhalten wird, haben sie Licht,
zu sehen und zu unterscheiden, was sie umgibt. Die Heiden können dieses nicht.
Wer sind diese Heiden, welche sie verspotten? Was sind ihre Götter? Gott Jehova ist unsichtbar, doch
Er sieht alles, was vorgeht. Diese Götter können gesehen werden, aber sie selbst vermögen nichts
zu sehen. Gott ist der lebendige Gott, der im Himmel wohnt. Diese haben die Gestalt von lebenden
Kreaturen, aber sie sind leblos und benden sich auf der Erde. Er tut, was Ihm wohl gefällt. Diese
sind nicht im Stande, irgendetwas zu tun. Sie haben ihren Ursprung in der Einbildung dessen, der
sie macht, und verdanken ihre Gestalt dem Meißel des Künstlers. „Ihre Götzenbilder sind Silber und
Gold, das Werk der Menschenhände“ – wertlose Gegenstände, die keinen anderen Wert haben, als
den des Metalls, aus welchem sie gemacht sind. Was kann das Werk der Menschenhände für den
Menschen tun? Wie kann ein sterbliches Geschöpf einen lebendigen Gott machen, der ihn zu erretten
vermöchte? Welch ein Wahn, welch eine Torheit ist dies alles! Der Mensch kann das Metall zu einer
menschlichen Gestalt formen, er kann diese dem schönsten Geschöpf Gottes auf der Erde nachbilden,
aber wo ist das Leben, wo der Wille, wo die Kraft? „Einen Mund haben sie und reden nicht, Augen
haben sie und sehen nicht. Ohren haben sie und hören nicht; eine Nase haben sie und riechen nicht;
ihre Hände, und sie tasten nicht; ihre Füße, und sie gehen nicht; keinen Laut geben sie durch ihre
Kehle“ (V 5–7). Mund, Augen, Ohren, Nase. Hände, Füße. Kehle, alles ist vorhanden. Äußerlich fehlt
gar nichts. Sie entbehren jedoch eine Sache – den Odem des Lebens. Dieser kommt von Gott, und der
Mensch, mit all seinem Willen, kann ihn nicht mitteilen. Wie bei einem Leichnam sind alle Glieder
vorhanden, aber es fehlt das Leben. In einer Hinsicht unterscheiden sie sich von einem Leichnam.
Der Leichnam hat gelebt; Gott hatte ihm Leben verliehen. Diese Götzen haben niemals gelebt, denn
der Mensch ist ihr Schöpfer, nicht Gott. So sind diese Götzen. Wenn das Auge einfältig ist, so genügt
es, sie anzublicken, um zu unterscheiden, was sie sind. Doch was hören wir von den Heiden, die
sie machen? „Ihnen gleich sind die, die sie machen“ (V 8). Äußerlich mögen sie auch den Anschein
von lebenden Seelen haben, in Wirklichkeit aber sind sie tot. Doch nicht allein sie, sondern auch
„ein jeglicher, der auf sie traut“ (V 3). Das ist das Urteil des Glaubens über Gott und über die Götzen
und ihre Anbeter. Diejenigen, welche zu Gott aufblicken, mögen arm, schwach und verfolgt sein,
während die Götzenanbeter reich, mächtig und angesehen sind. Vor Gott aber sind diese letzteren
wirklich tot, so untertänig und anscheinend gut sie sein mögen. Ein Mensch, der Götzen macht und
auf Götzen vertraut, entbehrt völlig des geistlichen Lebens.
  157
  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
Auf wen sollte Israel vertrauen, wenn nicht auf Jehova? Es mag auallend erscheinen, dass solch
eine Ermahnung noch nötig sein wird. Werden sie nicht alle die Götzen sehen und ihre Nichtigkeit
erkennen können? Haben ihre Vorväter nicht wegen des Götzendienstes viele Leiden durchmachen
müssen? Haben sie selbst ihn nicht Jahrhunderte hindurch abgeschworen? Allerdings. Doch wir
lesen, dass die Mehrzahl der Nationen zu dieser Sünde zurückkehren und wieder Götzenanbeter sein
werden (Jes 2,20; 17,7–8; 30,22; 31,7; Hos 14,4). Die Ermahnung, auf Jehova zu vertrauen, wird umso
mehr nötig sein, als es in jenen Tagen denen, die abfallen, äußerlich gut gehen wird; sie werden
haben, was ihr Herz begehrt, „und Wasser in Fülle wird von ihnen geschlürft werden“ (Ps 73,3–12).
„Israel, traue auf Jehova! Ihre Hilfe und ihr Schild ist Er. Haus Aaron, traut auf Jehova! Ihre Hilfe
und ihr Schild ist Er“ (V 9–10), ist ein Wort zur rechten Zeit. Doch wenn Jehova, der wahre Gott,
die Hilfe und der Schild derer sein wird, die auf Ihn trauen, sind solche Gunstbezeugungen nicht
auf Israel beschränkt. Die Ermahnung nimmt daher einen allgemeineren Charakter an. „Ihr, die ihr
Jehova fürchtet, traut auf Jehova! Ihre Hilfe und ihr Schild ist Er“ (V 11). Es ist der Tag des Glaubens
für alle, die Gott fürchten, seien es Juden oder Heiden; und nicht die herrliche, glückliche Zeit der
Befreiung. Es ist die Zeit des Trauens auf Ihn, der Zugleich Hilfe und Schild ist.
Sicher ist die Sprache unseres Psalms den Heiligen angemessen. Aber welch ein Recht haben sie,
dieselbe zu führen? Sind sie selbst nicht Sünder? Leiden sie nicht für die Sünden ihrer Väter, die
den Messias Gottes verworfen haben? Wie können sie denn einander und die Nationen ermahnen,
auf Jehova zu trauen? Ihr Vertrauen ist auf das gegründet, was Er getan hat. „Jehova hat unser
gedacht“ (V 12). Er wird seines Bundes gedenken, den Er mit Abraham, Isaak und Jakob gemacht
hat. Er wird sich auch des Landes erinnern. Ihre Väter hatten Jehova vergessen. Er wird ihrer Kinder
gedenken. „Er wird segnen.“ Das ist ihre Honung und sichere Erwartung. „Er wird segnen das
Haus Israel, segnen das Haus Aaron“ (V 12). Doch die Segnung geht noch weiter. „Er wird segnen,
die Jehova fürchten, die Kleinen mit den Großen“ (V 13). Israel, als das irdische Volk Gottes, hat
einen besonderen Platz vor Ihm. Aarons Haus, als das irdische Priestertum, hat besondere Vorrechte
vor Ihm (Hes 40,46; 44,16). Aber die Nationen sowohl, wie die Juden werden gesegnet werden. An
jenem Tag wird keiner übersehen werden. Wie oft sind verdiente Leute von den Großen der Erde
vergessen worden! Jehova wird alle segnen, die Ihn fürchten. Dass Israel von Ihm auf der Erde
gesegnet werden soll, ist nichts Neues. Er segnete sie reichlich unter David und Salomo. Aber auch
die Nationen werden gleichfalls gesegnet werden. Simeon prophezeite die Oenbarung der Nationen
als ein Resultat der Fleischwerdung des Herrn (Lk 2,33). Wir wissen, wie sie durch die Einführung
der Kirche gesegnet worden sind. Allein später, wenn Israel wieder als Gottes Volk anerkannt sein
wird, werden sie wieder gesegnet werden. Gott wird sie zu seinem heiligen Berge bringen und sie
erfreuen in seinem Bethause, indem Er ihre Brand– und Schlachtopfer annehmen wird (Jes 56,6–7).
Hesekiel spricht auch hiervon und kündigt an, dass der Fremdling ein Erbteil haben wird inmitten
der Stämme Israels (Hes 47,23). In der Tat, jene Segnung wird eine vollkommene sein, denn „Jehova
wird“, wie der Psalmist sagt, „euch hinzufügen, euch und euren Kindern.“ Es ist ganz klar, dass wir
es hier mit einem irdischen Volk zurzeit des tausendjährigen Reiches zu tun haben. Es heißt nicht:
„euren Kindern nach euch“, sondern beiden, „euch und euren Kindern“ (V 14). Nie vollkommen muss
jene Segnung sein, die der Schöpfer des Himmels und der Erde über sie ausschüttet!
Wenn noch irgendein Zweifel darüber bestehen sollte, ob wir es in diesem Psalm mit einem irdischen
Volk oder mit der Kirche zu tun haben, so wird er völlig schwinden, sobald wir den 16. Vers lesen:
  158
  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
„Die Himmel sind die Himmel Jehovas, die Erde aber hat Er gegeben den Menschenkindern.“ Die Erde,
nicht der Himmel, ist der den Menschen angewiesene Platz und die Sphäre, in der sich diejenigen,
von welchen der Psalm redet, bewegen. Diese sprechen von den Toten, als solchen, die von ihnen
getrennt sind, und ihre Honung ist nicht die Auferstehung, sondern die Bewahrung auf der Erde.
„Die Toten werden Jehova nicht loben, noch alle, die zum Schweigen hinabfahren. Wir aber, wir
werden Jehova preisen von nun an bis in Ewigkeit! Lobt Jehova!“ (V 17–18) Welch eine Antwort
kann der gläubige Überrest den Heiden geben, die Gott nicht kennen! Jehova wird sein Volk segnen,
und die Seinen werden leben und Ihn preisen bis in Ewigkeit. Für sie gibt es keinen Tod.
Dies also ist ihr Vertrauen, doch was wird ihre Stellung sein? Hierauf gibt uns Psalm 116 eine
Antwort: „Ich liebe; denn Jehova hört meine Stimme, mein Flehen“ (V 1). Ein Vertrauen auf Ihn,
das der Kenntnis entspringt, dass Er hört, erweckt die Zuneigung des Herzens. Der Gegenstand
der Liebe des Heiligen wird nicht genannt. Es ist durchaus nicht nötig, Ihn zu nennen, denn aus
dem Zusammenhang versteht ein jeder, wer es ist. „Ich liebe; denn Jehova hört meine Stimme, mein
Flehen.“ Das Gebot, den Herrn zu lieben, erweckt, so oft es auch wiederholt werden mag, keine
Liebe zu Ihm in der Seele; aber die Oenbarung der Gnade erweckt Wünsche und ruft Zuneigungen
hervor, die nie vorher gekannt wurden. Daher sagt der Heilige: „Ich liebe“ nicht deshalb, weil es ihm
geboten worden ist, obgleich das Gebot sicher vor seinen Augen stehen wird, sondern weil Jehova
etwas für ihn getan hat. Er hört sein Flehen. Es ist hier nicht die Stimme des Lobes und des Dankes;
diese ndet sich erst im 17. Verse. Es ist die Stimme des Flehens, aus dem Mund einer Person, die
in Drangsal ist, welche Jehova hört. Aber wie kann diese versichert sein, dass Jehova hört, bevor
die völlige Antwort da ist? „Denn Er hat zu mir geneigt sein Ohr“ (V 2). Antworten, die sie früher
bekommen hat, und die Bewahrung, welche sie in der Gegenwart erfährt, sagen ihr, dass Er sein
Ohr zu ihr geneigt hat. Er ist ein Gott, welcher den Schrei des Elenden hört, und deshalb wird dieser
Ihn anrufen, solange er lebt. „Ich will Ihn anrufen in allen meinen Tagen.“ Die Not war groß. „Es
umngen mich die Wehen des Todes, und die Bedrängnisse Scheols fanden mich; ich fand Drangsal
und Traurigkeit“ (V 3). Während der Tod ihn von allen Seiten bedroht und Drangsal und Traurigkeit
ihn umgeben, setzt er sein Vertrauen allein auf Jehova. Wie verschieden ist seine Stellung von der
der Heiden! Er lernt den Wert Gottes kennen und hat eine feste Stütze in der Zeit der Drangsal.
Der Heide hat Götter genug, aber keiner von ihnen kann hören oder antworten. Welcher von ihnen
hat sein Ohr geneigt zu dem Flehen seiner Anbeter? Aber Jehova hat, obgleich ungesehen, auf die
Stimme seines Dieners gehorcht. Doch das Ende ist noch nicht gekommen; deshalb fügt er hinzu:
„Und ich rief an den Namen Jehovas: O, Jehova, errette doch meine Seele!“ (d. h. erhalte mich am
Leben, denn das ist der Wunsch seines Herzens) (V 4) Der Charakter Jehovas ermuntert ihn, dies
zu tun. „Gnädig ist Jehova und gerecht, und unser Gott ist barmherzig“ (V 5). Jehova selbst hatte
sich gnädig und barmherzig genannt, als Er an Mose vorüberging (2. Mo 34,6); gerecht ist Er in allen
seinen Handlungen. Daniel (Kap 9,7) und Nehemia (Kap 9,33) erkannten an, dass Jehova gerecht war,
indem Er sein Volk aus ihrem Land vertrieb. Esra konnte von seiner Gerechtigkeit sprechen, da Er
nach seiner Verheißung einen Überrest bewahrte (Esra 9,15). Der fromme Jude wird jedoch Ursache
haben, seine Gerechtigkeit anzuerkennen, wenn Er seiner Rechtfertigung gemäß in Hesekiel 18,27
handeln wird. Er hat erklärt: „Wenn der Gesetzlose umkehrt von seiner Gesetzlosigkeit, die er getan,
und Recht und Gerechtigkeit tut, so wird er seine Seele am Leben erhalten.“ Ist nicht der Gerechte
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  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
hiervon ein Beispiel? Gott wird gemäß seines Charakters handeln und ihn auf der Erde am Leben
erhalten.
Mehr noch, Jehova ist dadurch gekennzeichnet, dass Er den Einfältigen am Leben erhält. Welch eine
Zuucht ist es, in dem Charakter Gottes selbst Schutz und Sicherheit zu nden! Er ist treu! Er kann
sich selbst nicht verleugnen. Der Glaube hält hieran fest und erhebt das Herz inmitten der Drangsale,
die es anders wie eine Wasserut überwältigen würden. „Ich war erniedrigt“, sagt der Psalmist, „und
Er hat mich gerettet“ (V 6). Und gestärkt durch das Vertrauen, welches die Handlungen Gottes in
der Vergangenheit einößen, kann er, obwohl noch in Vers 4 der Schrei um Errettung zu Jehova
emporsteigt, in Vers 7 sagen: „Kehre wieder, meine Seele, zu deiner Ruhe! denn Jehova hat wohlgetan
an dir.“ Viel hatte Jehova schon getan, indem Er ihn errettete, wie Vers 8 erzählt, aber er ist überzeugt,
dass Er alles Nötige tun wird: „Ich werde wandeln vor Jehova in dem Land der Lebendigen“ (V 9). Das
ist es, was er erwartet. „Ich glaubte, darum redete ich“ (V 10). Völlig sicher über das, was Jehova tun
wird, spricht er ganz oen und frei darüber. Er wird wandeln vor Jehova in dem Land der Lebendigen.
Die äußeren Umstände mögen seinen Erwartungen entgegen sein, aber Gott wird nicht verfehlen,
die Befreiung seiner Heiligen zu vollenden.
Sie sind in großer Angst gewesen. In ihrer Bestürzung sprechen sie: „Alle Menschen sind Lügner.“
Doch, glaubend an Jehova, geben sie ihrem sicheren Vertrauen Ausdruck und beginnen, indem
sie sich schon in die Stellung von Befreiten versetzen, aufzuzählen, was sie für den Herrn zu tun
gedenken.
Doch was kann der Gläubige für den tun, der keiner Hilfe von Seiten seiner Geschöpfe bedarf (vgl.
Ps 50,12), für den „der Libanon nicht hinreicht zum Brennen, und sein Getier nicht hinreicht zum
Brandopfer?“ (Jes 40,16) Wie kann er Ihm vergelten? Es gibt dafür nur einen Weg – den Becher der
Errettung zu nehmen und den Namen Jehovas anzurufen (V 13). Er kann zu der Herrlichkeit Gottes
nichts hinzufügen. Er muss etwas von Ihm empfangen und dann Ihn preisen. Zu welch einer Stellung
ist er gebracht! In Vers 4 hat er seinen Namen angerufen, um seine Seele zu erretten. Nachdem er
errettet ist, vergisst er Jehova nicht. „Ich will Jehova bezahlen meine Gelübde, ja, in der Gegenwart
seines Volkes“ (V 14). Die Anbetung beginnt, sobald die Befreiung vollendet ist. Als Befreiter und
weil er befreit ist, betet er an, und nicht um befreit zu werden. Da er öentlich errettet ist, wird er
öentlich Jehova preisen. „Köstlich ist in den Augen Jehovas der Tod seiner Frommen“ (V 15). Er
weiß dieses dadurch, dass er auf der Erde am Leben erhalten worden ist, dass Gott dem Feind nicht
erlaubt hat, ihn zu töten. Denn dieser Vers redet, wie der Zusammenhang beweist, von Heiligen,
welche am Leben erhalten werden, und nicht von solchen, welche sterben. Oenbarung 14,13 wird
denen, die während der Trübsal sterben werden, zu einem großen Trost gereichen. In diesem Psalm
aber redet einer, der am Leben erhalten ist. Wir nden etwas Ähnliches in Psalm 73,14: „Von Druck
und Gewalt wird Er erlösen ihre Seelen, und teuer wird sein ihr Blut in seinen Augen.“ Gott wird
nicht erlauben, dass es vergossen wird. So blickt der Gläubige auch hier auf die Errettung vom Tod;
und deshalb betet er: „Bitte, Jehova! denn ich bin dein Knecht; ich bin dein Knecht, der Sohn deiner
Magd, gelöst hast du meine Bande“ (V 16). Alles wird erfüllt werden, und er wird vor Jehova stehen
in den Höfen seines Hauses zu Jerusalem. Die Nationen mögen den Tempel zerstören und Jerusalem
belagern; aber die Höfe des Hauses des Herrn werden wieder mit der Stimme der Freude und des
Lobes aus dem Mund eines erlösten Volkes erfüllt werden. Denn der König wird den Tempel des
Herrn bauen, wie es Salomo in seinen Tagen tat (Sach 5,13), und Jerusalem wird überall als die Stadt
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  Ein lebendiger Gott und ein lebendiges Volk
anerkannt werden, wo Jehova wohnt (Hes 48,35) – eine vollkommene Antwort auf den Spott der
Nationen, der dem göttlichen Überrest die Worte entlockte: „Unser Gott ist in den Himmeln.“
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  “Richtet euer Herz auf eure Wege“
“Richtet euer Herz auf eure Wege“
„Richtet euer Herz auf eure Wege.“ Diese Worte, die der Herr einst dem Volk Israel zurief, sind eine
ernste Mahnung für alle Jahrhunderte. Wie groß ist in unseren Tagen die Masse der bekennenden
Christen, die in großer Gleichgültigkeit auf dem breiten Wege des Verderbens dahingehen, ohne auch
nur ein einziges Mal ihr Herz auf ihren Weg zu richten, ohne einmal stille zu stehen und an das Ende
ihres Weges zu denken! Sie wünschen selbst nicht, daran erinnert zu werden, weil es sie beunruhigt
und sie weit davon entfernt sind, ihren bösen Weg zu verlassen. Sie weisen jeden Gedanken daran,
jede Mahnung ihres eigenen Gewissens und jede Warnung von anderen beharrlich zurück; sie wollen
lieber in Ungewissheit und Selbsttäuschung über sich und ihre Wege dahinleben, als mit oenem
Auge die nackte Wirklichkeit sehen. Sie gleichen einem leichtfertigen Kaufmann, der wohl merkt,
dass der Zustand seines Geschäfts ein bedenklicher ist, der es aber fortwährend aufschiebt, Bilanz, zu
machen, aus Furcht, dann die ganze Größe des über ihn hereinbrechenden Unglücks zu entdecken.
So Zögert er von Tag zu Tag, bis plötzlich der gefürchtete Schlag mit vernichtender Gewalt über ihn
kommt.
Es verdross den Landpeger Felix (Apg 24), Paulus „über Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und
das kommende Gericht“ reden zu hören; und er schickte ihn fort mit den Worten: „Für jetzt gehe
hin, wenn ich aber gelegene Zeit habe, werde ich dich rufen lassen.“ Gewiss fehlte es ihm nicht an
gelegener Zeit, allein die Worte des Apostels beunruhigten ihn. Er hatte die Sünde zu lieb, um davon
abzulassen, und an ihre Folgen und an das kommende Gericht wollte er nicht erinnert werden.
Wie steht es nun mit dir, mein lieber Leser? Verdrießt es dich auch, wie jenen Landpeger, wenn von
solch ernsten Dingen die Rede ist? Sagst du wie er: „Für jetzt gehe hin?“ Weisest du jede Ermahnung
und jede Erinnerung an deinen Zustand und deinen Weg mit einem spöttischen Lächeln oder einem
gleichgültigen Achselzucken zurück? Gott weiß, wie oft du schon gewarnt worden, wie oft du die
Mahnung deines Gewissens unterdrückt hast. Oder bist du durch den Gedanken an die Ewigkeit, an
das kommende Gericht nie beunruhigt worden? Haben nie ernste Vorfälle des Lebens, Krankheit und
Tod, Kummer und Elend dich auf die Vergänglichkeit und Eitelkeit der Welt aufmerksam gemacht?
Und ach! Dies alles ist vielleicht wie bei so vielen nutzlos an dir vorübergezogen, ohne dass du auch
nur einmal dein Herz mit Ernst auf deinen Weg und sein Ende gerichtet hättest; du bist derselbe
gleichgültige Sünder oder derselbe selbstgerechte Mensch geblieben. Doch wisse, dass einmal dein
Weg und dein ganzer Zustand ins wahre Licht gestellt wird. Du magst jetzt, gleich jenem leichtfertigen
Kaufmann, dein Auge darüber verschließen, aber plötzlich wird der gefürchtete Tag mit all seinen
Schrecken hereinbrechen und wird eine ewige Verdammnis, ein ewiges Verderben, eine ewige Qual,
einen Wurm, der nicht stirbt, und ein Feuer, das nicht verlischt, über dich bringen. Ja, das ist das
schreckliche, aber wirkliche und unausbleibliche Ende aller, welche die Ermahnung des Wortes
Gottes nicht zu Herzen genommen haben.
  162
  “Richtet euer Herz auf eure Wege“
Deshalb bitte ich dich dringend: Richte dein Herz auf deinen Weg – auf deinen eigenen und nicht
auf den deines Nächsten. Zu welchem Zweck? fragst du vielleicht. Ist es, damit ich jetzt schon
den Vorschmack jener ewigen Qual empnde? Gewiss nicht, sondern damit du sie nie empnden
möchtest, damit eine ewige Herrlichkeit dein Teil werde. Gott, der die Liebe und voll von Erbarmen
und Gnade ist, will dich vom Verderben erretten; denn „also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen
eingeborenen Sohn gab, auf dass ein jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges
Leben habe“; und wiederum: „Gott will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis
der Wahrheit kommen.“ Der Sohn Gottes kam in diese Welt, „um zu suchen und zu erretten, was
verloren ist“, Er gab sein eigenes Leben zur Errettung des Sünders und vergoss sein eigenes Blut zur
Versöhnung des Sünders. Das ist Gnade, vollkommene Gnade.
So richte denn dein Herz auf deinen Weg, und du wirst nden, dass er nicht zur Herrlichkeit, sondern
zum Verderben führt; du wirst erkennen, dass dein Herz dem Leben Gottes entfremdet ist, unrein
in Gedanken. Worten und Werken, voll Eigenwillen und Selbstsucht, gleichgültig, undankbar und
feindselig gegen Gott. Dies alles wirst du klarsehen, sobald du mit geönetem Auge auf deinen
Weg blickst und der wahre Zustand deines Herzens dir oenbar wird. Das Urteil Gottes über den
Menschen ist: „Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Da ist kein Unterschied, sie sind allzumal
Sünder und erreichen die Herrlichkeit Gottes nicht.“ „Sie lieben die Finsternis mehr als das Licht.“ Sie
sind „unverständig, ungehorsam, irrend, dienen mancherlei Lüsten und Vergnügungen, führen ihr
Leben in Bosheit und Neid, verhasst und einander hassend.“ Sie sind „tot in Sünde und Vergehungen.“
Das sind die klaren und bestimmten Zeugnisse des Gottes, der nicht lügen kann und mit dem wir
alle es zu tun haben. Dennoch geht Er uns jetzt voll Liebe und Gnade nach um uns zur Umkehr
zu bewegen. Er selbst ruft uns zu: „Richtet euer Herz auf eure Wege“, und dies tut Er, damit wir
die absolute Notwendigkeit unserer Errettung erkennen sollen. Denn nur dann werden wir unsere
Zuucht zu Jesu, dem alleinigen Heiland, nehmen, der gesagt hat: „Wer zu mir kommt, den will
ich nicht hinauswerfen“; und: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, der wird errettet
werden.“ „Kommt her zu mir, alle Mühselige und Beladene, und ich werde euch Ruhe geben.“ Welch
eine Liebe zu dem verlorenen Sünder! O weise doch diese unvergleichliche Liebe nicht kalt und
gleichgültig zurück, geliebter Leser! Richte dein Herz auf deinen Weg und eile zu Jesu, in die oenen
Arme seiner erbarmenden Liebe, ehe es zu spät ist!
  163
  Beantwortung einiger Fragen
Beantwortung einiger Fragen
1. Werden auch die Heiligen vor dem Richterstuhl Christi gerichtet werden? Aus Johannes 5,24 geht
hervor, dass der Gläubige nicht ins Gericht kommen wird. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wer
mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht,
(es heißt nicht: „Verdammnis“) sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen.“ Anstatt
gerichtet zu werden, sollen die Heiligen die Welt und Engel richten (1. Kor 6,2–3). „Wie Er ist, so
sind wir.“ Wir sind dem Richter völlig gleich. Das Gericht über Könige. Edle, Völker und Nationen
wird „allen seinen Frommen“ als eine Ehre übergeben (Ps 149). Für den Gläubigen ist daher das
Gericht vorüber; Christus hat es an seiner Statt auf dem Kreuz vollkommen ertragen, und der Wert
seines eckenlosen Opfers ist so groß und unendlich, dass wir mit Ihm jetzt und für alle Ewigkeit in
die innigste Verbindung gebracht sind. – Steht denn nicht geschrieben: „Wir müssen alle oenbart
werden vor dem Richterstuhl des Christus?“ (2. Kor 5,10) Allerdings; alle, welche irgendeine Rolle
in dem großen Drama des Lebens gespielt haben, werden vor dem Richterstuhl Christi erscheinen
müssen, aber sicherlich nicht alle zum Gericht. Viele werden, wie wir gesehen haben, dort sein, um
zu richten. Was die Stelle sagen will, ist, dass alle – Heilige und Sünder – erscheinen oder oenbart
(es ist dasselbe Wort wie in Vers 11) werden müssen vor dem Richterstuhl Christi. Es ist ein sehr
ernster Gedanke, dass wir völlig und rückhaltlos vor Christus oenbart werden müssen, und er ist
wohl geeignet, auf unser Gewissen und auf unsere Wege einen mächtigen Einuss auszuüben; allein
kein Gläubiger, der stärkste so wenig wie der schwächste, braucht dadurch beunruhigt zu werden.
Unsere Personen, unsere Handlungen, unsere Wege, unsere verborgenen Gedanken werden alle
oenbar werden an jenem Tag, aber es wird dies in Gegenwart einer unendlichen Gnade und einer
wunderbaren Herrlichkeit geschehen. Diese persönliche Oenbarwerdung umfasst natürlich das
ganze Menschengeschlecht, allein sie ndet nicht zu ein und derselben Zeit statt. Für den Gläubigen
gibt es jedoch kein Gericht; seine Person kann nimmer in Frage gezogen werden, wohl seine Werke
(1. Kor 3). Die Wirkung unserer Oenbarwerdung wird sein, dass wir unsere Kronen vor den Füßen
unseres anbetungswürdigen Herrn niederwerfen und sagen werden: „Du bist würdig, Herr Jesus; ja
du allein bist würdig.“
2. Ist die Braut in Oenbarung 19 gleichbedeutend mit derjenigen, auf welche in Psalm 45 angespielt
wird? Sicher nicht. In den zukünftigen Tagen des Reiches wird der Herr eine himmlische und eine
irdische Braut haben. Der Psalmist führt uns in eine Szene irdischer Freude ein, während der Apostel
uns in die Mitte himmlischer Freuden versetzt. Judäa ist der Schauplatz der in Psalm 45 erzählten
Ereignisse; der Himmel der Schauplatz der in der Oenbarung mitgeteilten Hochzeit. Der König
ist der Gegenstand des Psalms, während jenes Kapitel der Oenbarung das Lamm zum Gegenstand
hat. Kampf und Sieg gehen der Hochzeit der irdischen Braut vorher, während sie derjenigen der
himmlischen folgen.
  164
  Beantwortung einiger Fragen
3. Lässt sich aus Hebräer 9,28 schließen, dass gewisse Heilige bei der Ankunft des Herrn nicht in den
Himmel aufgenommen werden? Wenn Christus vor unserer Seele steht, so werden solch schwierige
Worte höchst einfach. Die Stelle lautet: „Also wird auch der Christus, einmal geopfert, um vieler
Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit.“ Alle
erwarten Christus. Die zweite Ankunft unseres Herrn bildet einen Teil des Glaubens der Auserwählten
Gottes. Wir nden sie in jeder Gemeinschaft und in jedem Bekenntnis der Christenheit eingeschlossen.
Die Schwierigkeit liegt nicht in den Worten, sondern in dem Verständnis des Fragenden. Es mag sich
nicht überall eine verständnisvolle Erwartung Christi vornden, allein das Warten auf Ihn ist die
wichtige Sache, um die es sich handelt. Die schriftwidrige Theorie, dass einige, welche Christus nicht
erwarten in dem vollen Verständnis des Wortes Gottes, deshalb zurückgelassen werden, um durch die
große Trübsal zu gehen, die der Aufnahme der Kirche folgen wird, widerstreitet völlig der Belehrung
des Wortes Gottes. Der Vers sagt nicht: „denen, die Ihn erwarten vor dem tausendjährigen Reich.“
Es wird hier weder die Zeit, noch die Art und Weise, sondern allein die Tatsache seines Kommens
festgestellt. Jeder Gläubige erwartet Christus, der Eine vor, der Andere nach dem tausendjährigen
Reiche, der Dritte am jüngsten Tage; aber alle sind in der Wahrheit einig, dass Er kommen wird, und
daher wird Er zum zweiten Male ohne Sünde allen Gläubigen zur Seligkeit erscheinen.
  165
  Gedanken
Gedanken
Wie traurig ist es, wenn ein Christ sagt: „Ich bedarf der Abwechslung; ich kann nicht immer an Jesus
denken, nicht immer mit Ihm beschäftigt sein oder nur etwas über Ihn lesen. Wie könnte ich denn
den ganzen Tag mit Ihm ausfüllen?“ – Einem solchen möchten wir antworten: Wie willst du denn
die Ewigkeit ausfüllen? Wird Christus allein nicht genug für dich sein in den endlosen Zeitaltern?
Wirst du auch dort der Abwechslung bedürfen? – Hat das Herz einmal seine Frische im göttlichen
Leben verloren, hat der Genuss an den himmlischen Dingen nachgelassen, sind die ersten Gefühle
für Christus erkaltet, hört Er auf, das herrliche und überaus köstliche Teil der Seele zu sein, hat das
Wort Gottes sowie das Gebet seine Reize verloren und wird beschwerlich, lästig und mechanisch –
dann freilich wendet sich das Auge zur Welt zurück, das Herz folgt dem Auge, und bald folgen die
Füße dem Herzen.
Man wird nicht selten nden, dass solche, welche die Freiheiten, Rechte und Vorrechte der Kinder
Gottes stets im Mund führen, in Wirklichkeit nur ihre Selbsterhebung und ihren Vorteil suchen; denn
Unabhängigkeit und Ungehorsam wachsen auf demselben Boden.
  166
  Bibelstellenverzeichnis
Bibelstellenverzeichnis
1. Mose
3,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2. Mose
16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
20,19 . . . . . . . . . . . . . . . 52
21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
32 . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
34,6 . . . . . . . . . . . . . . . 159
3. Mose
14,12 . . . . . . . . . . . . . . 144
16 . . . . . . . . . . . . . 53, 127
4. Mose
15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
5. Mose
28,12 . . . . . . . . . . . . . . 124
29,5 . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Richter
14,14 . . . . . . . . . . . . . . . 40
Esra
9,15 . . . . . . . . . . . . . . . 159
Psalm
2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
16,1 . . . . . . . . . . . . . . . 147
17,4 . . . . . . . . . . . . . . . 148
22,10 . . . . . . . . . . . . . . 147
23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
27,4 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
30,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 30
34,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 46
40,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 21
40,7–9 . . . . . . . . . . . . . 146
45 . . . . . . . . . . . . 135, 164
50,3 . . . . . . . . . . . . . . . 156
50,10.12 . . . . . . . . . . . . 32
50,12 . . . . . . . . . . . . . . 160
65 . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
68,23 . . . . . . . . . . . . . . 111
69 . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
72,9 . . . . . . . . . . . . . . . 124
73,3 . . . . . . . . . . . . . . . 158
73,14 . . . . . . . . . . . . . . 160
74 . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
79 . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
100 . . . . . . . . . . . . . . . . 124
109,5 . . . . . . . . . . . . . . 106
115 . . . . . . . . . . . . . . . 156
116 . . . . . . . . . . . 156, 159
119,89 . . . . . . . . . . . . . 148
136,1 . . . . . . . . . . . . . . . 24
137,9 . . . . . . . . . . . . . . 111
143,12 . . . . . . . . . . . . . 111
145,11 . . . . . . . . . . . . . 134
149 . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Sprüche
23,26 . . . . . . . . . . . . . . . 31
Jesaja
2,20 . . . . . . . . . . . . . . . 158
17,7 . . . . . . . . . . . . . . . 158
26,9 . . . . . . . . . . . . . . . 123
28,16 . . . . . . . . . . . . . . . 82
38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
40,16 . . . . . . . . . . . . . . 160
49 . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
49,4 . . . . . . . . . . . . . . . 106
49,6 . . . . . . . . . . . . . . . 105
50 . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
50,3 . . . . . . . . . . . . . . . 147
51,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 78
51,5 . . . . . . . . . . . . . . . 124
55,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 29
56,6 . . . . . . . . . . . . . . . 158
57,20 . . . . . . . . . . . . . . . 60
59,20 . . . . . . . . . . . . . . 109
60 . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
62,7 . . . . . . . . . . . . . . . 156
63,5 . . . . . . . . . . . . . . . 106
63,15 . . . . . . . . . . . . . . 135
64,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 33
66,19 . . . . . . . . . . . . . . 123
Jeremia
4,4 . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
14,7 . . . . . . . . . . . . . . . 108
Hesekiel
9,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 135
18,27 . . . . . . . . . . . . . . 159
20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
40,46 . . . . . . . . . . . . . . 158
44,16 . . . . . . . . . . . . . . 158
47,23 . . . . . . . . . . . . . . 158
48,35 . . . . . . . . . . . . . . 161
Hosea
2,13 . . . . . . . . . . . . . . . 109
5,15 . . . . . . . . . . . . . . . 108
6,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
14,4 . . . . . . . . . . . . . . . 158
Joel
2,28 . . . . . . . . . . . . . . . 124
Zephanja
3,8 . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Sacharja
5,13 . . . . . . . . . . . . . . . 160
8,33 . . . . . . . . . . . . . . . 156
13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
13,7 . . . . . . . . . . . . . . . 118
14,4 . . . . . . . . . . . . . . . 136
14,5 . . . . . . . . . . . 109, 136
Maleachi
  167
  Bibelstellenverzeichnis
1,11 . . . . . . . . . . . . . . . 124
Matthäus
3,2 . . . . . . . . . . . . . . . . 134
4,3 . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5,17 . . . . . . . . . . . . . . . 102
11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
11,28 . . . . . . . . . . . . . . . 29
12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
12,18 . . . . . . . . . . . . . . 124
12,28 . . . . . . . . . . . . . . 134
13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
13,20 . . . . . . . . . . . . . . 121
13,23 . . . . . . . . . . 115, 134
13,41 . . . . . . . . . . . . . . 134
23,13 . . . . . . . . . . . . . . . 58
23,39 . . . . . . . . . . . . . . 108
24,40 . . . . . . . . . . . . . . 150
25,1 . . . . . . . . . . . . . . . 134
25,6 . . . . . . . . . . . 123, 135
25,31 . . . . . . . . . . 121, 135
Markus
2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2,27 . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5,25 . . . . . . . . . . . . . . . . 26
9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Lukas
2,33 . . . . . . . . . . . . . . . 158
6,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
9,41 . . . . . . . . . . . . . . . . 60
12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
12,36 . . . . . . . . . . . . . . 108
12,50 . . . . . . . . . . . . . . . 38
14,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 85
14,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 22
17,20 . . . . . . . . . . . . . . 134
17,31 . . . . . . . . . . . . . . 134
18,8 . . . . . . . . . . . . . . . 123
20,27 . . . . . . . . . . . . . . . 35
23,34 . . . . . . . . . . . . . . 111
23,43 . . . . . . . . . . . . . . . 49
24,49 . . . . . . . . . . . . . . . 55
33,43 . . . . . . . . . . . . . . . 46
Johannes
1,16 . . . . . . . . . . . . . . . 113
3,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 141
3,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
3,29 . . . . . . . . . . . . . . . 137
3,36 . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4,36 . . . . . . . . . . . . . . . . 25
5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5,24 . . . 39, 120, 154, 164
5,28 . . . . . . . . . . . . . 35, 39
5,29 . . . . . . . . . . . . . . . 150
6,38 . . . . . . . . . . . . . . . 146
6,51.54 . . . . . . . . . . . . . 27
7,39 . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8,14 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
10,17 . . . . . . . . . . . . . . . 38
10,34 . . . . . . . . . . . . . . 104
11,24 . . . . . . . . . . . . . . 120
11,52 . . . . . . . . . . . . . . . 77
12,24 . . . . . . . . . . . . . . . 38
12,31 . . . . . . . . . . . . . . . 40
13 . . . . . . . . . . . 23, 89, 92
14,1 . . . . . . . . . . . . . . . 120
14,17 . . . . . . . . . . . . . . . 44
14,19 . . . . . . . . . . . . . . . 44
14,30 . . . . . . . . . . . . . . . 66
15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
16,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 55
17,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 53
17,17.19 . . . . . . . . . . . 114
20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
20,17 . . . . . . . . . . . . . . 118
20,29 . . . . . . . . . . . . . . 109
Apostelgeschichte
1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
1,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
2,47 . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3,15 . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3,19 . . . . . . . . . . . 111, 116
7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7,55 . . . . . . . . . . . . . . . . 55
13,47 . . . . . . . . . . . . . . . 76
15,14 . . . . . . . . . . . . . . 123
16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
20,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 86
20,28 . . . . . . . . . . . . . . 134
21,30 . . . . . . . . . . . . . . 115
24 . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Römer
2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3,23 . . . . . . . . . . . . . . . 120
3,25 . . . . . . . . . . . . . . . 138
3,31 . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3,35 . . . . . . . . . . . . . . . . 87
4,24 . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4,25 . . . . . . . . . . . . . . . . 59
5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
5,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5,20 . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
6,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
6,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 59
6,11 . . . . . . . . . . . . . . . . 58
6,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6,37 . . . . . . . . . . . . . . . . 41
7 . . 67, 72 ., 85, 101, 142
7,4 . . . . . . . . . . . . . . 68, 76
7,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
7,13 . . . . . . . . . . . . . . . 68 f.
7,18 . . . . . . . . . . . . . . . . 58
8 . . . . . . . . . . . . . . 74, 105
8,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
8,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
8,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
8,11 . . . . . . . . . . . . . . . . 35
8,14 . . . . . . . . . . . . . . . 145
8,15 . . . . . . . . . . . . . . . . 56
  168
  Bibelstellenverzeichnis
8,19 . . . . . . . . . . . . . . . 109
8,29 . . . . . . . . . . . . . . . . 43
8,37 . . . . . . . . . . . . . . . . 31
10,4 . . . . . . . . . . . . . . . 103
10,5 . . . . . . . . . . . . . . . 101
10,31 . . . . . . . . . . . . . . 106
11,20 . . . . . . . . . . . . . . . 78
13,14 . . . . . . . . . . . . . . 113
14,17 . . . . . . . . . . . . . . 134
15,10 . . . . . . . . . . . . . . 124
15,12 . . . . . . . . . . . . . . 124
15,23 . . . . . . . . . . . . . . . 31
16,25 . . . . . . . . . . . . . . . 79
1. Korinther
1,4 . . . . . . . . . . . . . . 13, 20
1,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 120
1,30 . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2,6 . . . . . . . . . . . . . . . . 116
3 . . . . . . . . . . . . . . 74, 164
3,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 116
3,18 . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3,22 . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
6,2 . . . . . . . . . . . . . . . . 164
6,19 . . . . . . . . . . . . . . . 144
6,20 . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
9,21 . . . . . . . . . . . . . . . 103
11,36 . . . . . . . . . . . . . . . 38
12,12 . . . . . . . . . . . . . . 134
15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
15,20 . . . . . . . . . . . . . . . 35
15,23 . . . . . . . . . . . . . . 137
15,34 . . . . . . . . . . . . . . 134
15,45 . . . . . . . . . . . . . . . 38
15,48 . . . . . . . . . . . . . . 113
15,52 . . . . . . . . . . . . . . 150
15,56 . . . . . . . . . . . . . . . 68
16,2 . . . . . . . . . . . . . . . . 86
2. Korinther
1,11 . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1,21 . . . . . . . . . . . . . . . . 56
3 . . . . . . . . . 52, 100 f., 113
3,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3,7.9 . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3,16 . . . . . . . . . . . . . . . 117
4,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
4,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4,11 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
5,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
5,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5,10 . . . . . . . . . . . . . . . 164
7,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
8,9 . . . . . . . . . . . . . . 20, 25
11,2 . . . . . . . . . . . . . . . 108
12,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 91
12,8 . . . . . . . . . . . . . . . . 47
13,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Galater
1,8 . . . . . . . . . . . . . . . . 149
2,19 . . . . . . . . . . . . . . . 68 f.
2,20 . . . . . . . . . . . . 72, 113
3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3,10 . . . . . . . . . . . 67 f., 70
3,17.19 . . . . . . . . . . . . . 68
3,18 . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3,21 . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3,23.25 . . . . . . . . . . . . . 68
4,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4,20 . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5,12 . . . . . . . . . . . . . . . . 58
5,15 . . . . . . . . . . . . . . . 103
5,16 . . . . . . . . . . . 113, 144
5,16.18 . . . . . . . . . . . . 112
5,17 . . . . . . . . . . . . . . . 143
5,18 . . . . . . . . . . . . . . . 67 f.
5,22 . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5,24 . . . . . . . . . . . . . . . 141
6,2 . . . . . . . . . . . . . . . . 103
6,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Epheser
1,10 . . . . . . . . . . . . . . . 108
1,13 . . . . . . . . . . . . . . . . 56
1,20 . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2,18 . . . . . . . . . . . . . . . 119
3,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3,19 . . . . . . . . . . . . . . . . 13
4,34 . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
5,23 . . . . . . . . . . . . . . . 134
5,25 . . . . . . . . . . . . . . . 108
5,26 . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5,33 . . . . . . . . . . . . . . . 134
Philipper
1,11 . . . . . . . . . . . . . . . . 76
2,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3,20 . . . . . . . . . . . . . . . 121
Kolosser
1,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
1,12 . . . . . . . . . . . . . . . 154
1,18 . . . . . . . . . . . . . . . 134
1,21 . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1,28 . . . . . . . . . . . . . . . 114
2,17 . . . . . . . . . . . 100, 117
2,20 . . . . . . . . . . . . 72, 102
2,23 . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3,1 . . . . . . . . . . . . . 75, 114
3,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3,4 . . . . . . . 44, 108 f., 121
3,10 . . . . . . . . . . . . . 75, 99
1. Thessalonicher
1,10 . . . . . . . . . . . . . . . 121
2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2,19 . . . . . . . . 50, 108, 121
3,13 . . . . . . . . . . . . . . . 121
4,13 . . . . . . . . . . . . . . . 121
4,14 . . . . . . . . . . . . . . . 136
4,15 . . . . . . . . . . . . . . . 136
4,16 . . . . . . . . . . . 137, 150
4,17 . . . . . . . . . . . . 49, 108
5,23 . . . . . . . . . . . . . . . 155
2. Thessalonicher
2,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 121
  169
  Bibelstellenverzeichnis
2,12 . . . . . . . . . . . . . . . 151
1. Timotheus
1,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 109
1,9 . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2. Timotheus
1,13 . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2,19 . . . . . . . . . . . . . . . 131
4,7 . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4,8 . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Titus
2,11 . . . . . . . . . . . . . . . 101
2,12 . . . . . . . . . . . . . . . 121
2,13 . . . . . . . . . . . . . . . 109
Hebräer
1,3 . . . . . . . . . . . . . . 52, 54
2,14 . . . . . . . . . . . . . . . . 40
4,12 . . . . . . . . . . . . . . . . 90
5,11 . . . . . . . . . . . . . . . 116
6,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 115
7,18 . . . . . . . . . . . . . . . . 97
9,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 126
9,13 . . . . . . . . . . . . . . . 127
9,27 . . . . . . . . . 39, 45, 120
9,28 . . . . . . . . . . . . . . . 165
10,1 . . . . . . . . . . . . . . . 128
10,5 . . . . . . . . . . . . . . . . 21
10,7 . . . . . . . . . . . . . . . 106
10,14 . . . . . . . . . . . . . . 144
10,19 . . . . . . . . . . . . . . 119
11,24 . . . . . . . . . . . . . . . 19
Jakobus
1,12 . . . . . . . . . . . . . . . 108
1,18 . . . . . . . . . . . . . . . . 21
4,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
4,17 . . . . . . . . . . . . . . . 103
1. Petrus
1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
1,17 . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1,21 . . . . . . . . . . . . . . . . 40
2,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
2,21 . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5,1 . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 108
2. Petrus
1,16 . . . . . . . . . . . . . . . 134
3,13 . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1. Johannes
1,8 . . . . . . . . . . . . . . . . 142
1,9 . . . . . . . . . . . . 122, 130
2,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
2,12 . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2,13 . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2,28 . . . . . . . . . . . . . . . 108
3,1.3 . . . . . . . . . . . . . . 113
3,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3,3 . . . . . . . . . . 24, 45, 144
3,16 . . . . . . . . . . . . . 44, 74
4,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4,17 . . . . . . . . . . . . . . . . 44
5,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
5,11 . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Oenbarung
1,10 . . . . . . . . . . . . . . . . 86
2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
2,10 . . . . . . . . . . . . . . . 108
3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 108
14,13 . . . . . . . . . . . . . . 160
17,18 . . . . . . . . . . . . . . 117
19 . . . . . . . . . . . . 135, 164
19,7 . . . . . . . . . . . . . . . 108
19,9 . . . . . . . . . . . . . . . 137
19,12 . . . . . . . . . . . . . . 110
19,19 . . . . . . . . . . . . . . 123
20 . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
20,4 . . . . . . . . . . . . . . . . 35
20,5 . . . . . . . . . . . 121, 150
20,6 . . . . . . . . . . . . . . . 150
21,2 . . . . . . . . . . . . . . . 108
22,17 . . . . . . . . . . . 29, 108