Botschafter des Heils in Christo 1884

01/29/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter
des
Deiks in Hisrist».
„Der Herr ist nahe!" Phil. 4, 5.
Zwrinnddrcißigster Jahrgang.
E. ^rcekhaiir, Elberfeld.
1884.
Inhalts-Verzeichnis.
Seite
Die beiden Geheimnisse................................................... 1, 29, 57
Kain und Abel.......................................................................................16
Wirklichkeit........................................ 21
Herr Jesu, ich bin Dein! (Gedicht) ...............................................28
Eli und seine Söhne . ......................................................................40
„Milch ohne Geld."............................................................................47
Friede........................................................................................................ 53
Blicke auf Jesum! (Gedicht! ..... 56
Die Gegenwart des Herrn in der Versammlung .... 72
Bruchstücke............................................................................... . 79
Loblied........................................................................................................ 83
Das Priestertum des Christen.......................................................... 85
Was ist wahre Bekehrung?................................................................ 97
„Wahrhaftige Anbeter."............................................. - - 104
So wie ich bin............................................. 110
Gedanken über 2. Kor. 4. 16—5, 10 .......................113
Ewiges Leben — ein gegenwärtiger Besitz................................. 125
Die Gabe des Heiligen Geistes........................................................ 131
Das Blut des Lammes....................................................................137
Die Berufung der Brant............................................. 141, 169, 197
„Bleibet in meiner Liebe!"..............................................................154
Leben durch den Tod................................................... 163
Bruchstücke.......................................................................................... 167
Ter Thron Gottes und seine Wirkungen..................................182
Die Liebe Gottes...............................................................................194
Errettet und bewahrt....................... 213
Hat Christus die „Sünden" der Welt getragen? .... 219
Die Freundschaft der Welt.............................................................. 222
Ein Gesandter aus Tausenden........................................................ 225
Rechtfertigung durch Glauben n. Rechtfertigung durch Werke 243
lieber das Verhalten des Gläubigen in den Tagen des
Verfalls.................................................................... 253, 281, 309
Ist der Gläubige ein Kind Gottes oder ein armer Sünder? 268
„Mein Herr verzieht zn kommen.".................................................. 274
Der Bräutigam kommt! (Gedicht) ................................................... 280
Kommende Gerichte......................................................................... 300
Der Grund unsers Vertrauens vor Gott..................................306
Gedanken................................................................................................308
Der Weg Gottes, und wie ist derselbe zn finden? . . . 322
Errettet oder verloren?.................................................................... 334
Gedruckt bei '?l. Fastenrarh m (Merfeld.
Die beiden Geheimnisse.
Die beiden großen Gegensätze: Licht und Finsternis, Gutes und Böses, haben, eben weil sie Gegensätze sind, ein jeder seinen eignen, von dem andern
völlig getrennten Kreis der Entwicklung und Offenbarung.
Und da die Geschichte eines jeden Menschen ohne Ausnahme entweder mit dem einen oder mit dem andern
dieser beiden Kreise verflochten ist, so ist die Unkenntnis
oder Nichtbeachtung jener Thatsache um so verhängnisvoller
für ihn, als es sich dabei um sein ewiges Wohl oder
Wehe handelt. Wie überhaupt in göttlichen Dingen, so
kommt auch hier die Weisheit des Menschen zu kurz;
dennoch läßt ihn das Wort Gottes ohne alle Entschuldigung, und nichts rächt sich schrecklicher an ihm, als
Gleichgültigkeit gegen dieses Wort. Der Augenblick naht
mit raschen Schritten heran, wo das, was jetzt noch in
den Schleier des Geheimnisses eingehüllt ist, vor aller
Augen offenbar sein wird, aber dann leider für Viele zn
spät. Nicht umsonst finden wir daher zu so wiederholten
Malen die eindringliche Ermahnung in der Schrift: „Wer
Ohren hat zu hören, der höre."
Das Wort Gottes faßt gleichsam die beiden Kreise
oder Sphären des Lichtes und der Finsternis in den
beiden Geheimnissen, demjenigen der „Gottseligkeit" und
dem „der Gesetzlosigkeit," (1. Tim. 3, 16; 2. Thess. 2^ 7.1
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oder vielmehr in den beiden Personen, welche jene beiden
Gegensätze darstellen, in „dem Menschen Christus Jesus"
und „dem Menschen der Sunde, dem Sohne des Verderbens," (I^Tim. 2, 5; 2. Thess. 2, 3.) zusammen.
In ersterem haben wir den Mittelpunkt und den vollkommenen Ausdruck des Lichtes, in letzterem den der Finsternis. In genauer und untrüglicher Weise bezeichnet uns
das Wort Gottes in den beiden Personen die Grenzen,
welche Licht und Finsternis, sowie das, was in ihren
beiderseitigen Bereich gehört, von einander trennen, und
sichert uns auf diese Weise gegen jede Täuschung. Wir
bedürfen im Dienste des Herrn, wie auch zu unsrer eignen
Sicherheit und Förderung, vor allem ein klares Unterscheidungsvermögen zwischen Licht und Finsternis, zwischen
Gutem und Bösem. Die Schrift bezeichnet diejenigen,
welchen dieses Vermögen mangelt, als „Unmündige." Wie
kann ein Soldat auf Vorposten seine Pflichten erfüllen,
wenn er den Feind nicht kennt? Wie kann man sich
von dem Bösen trennen, wenn man es nicht zu unterscheiden versteht? Oder wie das richtige Ziel erreichen,
wenn man des Weges unkundig ist? Der Priester des
alten Bundes hätte nicht ein Priester nach den Gedanken
Gottes, noch ein Lehrer des Volkes sein können, wenn er
nicht fähig gewesen wäre, „zu unterscheiden zwischen dem
Heiligen und Unheiligen und zwischen dem Reinen und
Unreinen." (3. Mos. 10, 10. 11.) Und der Prophet
sollte nur dann wie „der Mund Gottes" sein, wenn er
verstand, „das Köstliche von dem Schlechten abzusondern."
(Jer. 15, 19.) Gott hat nun in Seinem kostbaren
Worte, wie schon bemerkt, das Köstliche wie das Schlechte
so klar und bestimmt bezeichnet, daß man sich nicht
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täuschen kann, es sei denn, daß man „unerfahren ist
im Worte der Gerechtigkeit." Ein Priester konnte ganz
unzweifelhaft wissen, was heilig und unheilig war, wenn
er nur auf die Vorschriften des Wortes achtete. Aber
wenn dieses Achten auf das Wort unter der Leitung des
Geistes uns nicht zur Gewohnheit wird, so kann es nicht
ausbleiben, daß es uns an „geübten Sinnen zur Unterscheidung des Guten und des Bösen" mangelt, und daß
wir als „Unmündige hin und her geworfen und umher
getrieben werden von jeglichem Winde der Lehre, die da
kommt durch die Betrügerei der Menschen, durch die Verschlagenheit zur listigen Kunst der Verführung." (Hebr. 5,
13. 14; Eph. 4, 14.) Die geistliche Unterscheidung geht
immer der praktischen Trennung vom Bösen und dem
Festhalten am Guten voraus.
Die Charakterzüge, welche uns die Schrift von dem
Herrn Jesu und dem Menschen der Sünde mitteilt, zeigen
uns klar und deutlich die beiden in dem Guten und dem
Bösen wirkenden Grundsätze: den Gehorsam oder die
Uebereinstimmung mit dem Willen Gottes in dem einen,
und den Ungehorsam oder die Wirksamkeit des Willens
des Menschen in dem andern Falle. Durch diese beiden
Grundsätze wird die Grenzlinie zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gutem und Bösem scharf und klar bezeichnet.
Vor dem Sündenfall konnte die Frage zwischen
Gut und Böse nicht erhoben werden, weil alles mit dem
Willen Gottes in Uebereinstimmung war. „Und Gott
sah alles, was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr
gut." (1. Mos. 1, 3l.) Sobald jedoch der Mensch, das
Haupt der Schöpfung, den Platz der Abhängigkeit von
Gott verließ, indem er seinem eignen Willen folgte,
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war die zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf bestehende Harmonie gestört und die Schöpfung in Unordnung gebracht. Der Mensch befand sich im Widerspruch
oder besser gesagt in Auflehnung gegen Gott. Die Autorität Gottes war in Frage gestellt; und dies ist der
wahre Charakter des Bösen und der Natur des gefallenen
Menschen — sie ist Feindschaft wider Gott. „Weil die
Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn
sie ist dem Gesetz Gottes nicht Unterthan, denn sie vermag es auch nicht." (Röm. 8, 7.) Wir reden hier nicht
von der Form, in welcher das Böse auftritt, sondern
von dem darin wirkenden Grundsätze. Und dieser in der
Sünde Adams im Garten Eden hervortretende Grundsatz
wird auch später den „Gesetzlosen" kennzeichnen, nur mit
dem Unterschiede, daß in dem letzteren die Wirksamkeit
dieses Grundsatzes in seiner vollendeten Form erscheinen
wird. Der Mensch hat seit seinem Fall einen verderbten
Willen, und alles, was aus demselben hervorgeht, ist
grundsätzlich böse und umso schlimmer, jemehr es den
Schein des Guten annimmt. Da, wo dieser Wille
wirksam ist, ist moralisch die Sphäre des Bösen, in welch
verschiedenen Formen er sich auch kundgeben mag.
Der dem Menschen als einem Geschöpf angewiesene
Platz war der des Gehorsams gegen seinen Schöpfer,
welcher als solcher diesen Gehorsam verlangen konnte und
mußte, wenn anders die bestehenden Beziehungen zwischen
Gott und dem Menschen, und die Ordnung in der
Schöpfung, über welche dieser als Haupt gesetzt war,
aufrecht erhalten bleiben sollten. Dies ist ein Grundsatz,
der sich in allen Verhältnissen selbst des menschlichen
Lebens wiederholt, und ohne welchen keine Ordnung bestehen
kann. Und da Gott die alleinige Quelle des Guten, des
Lichtes und der Liebe ist, so konnte folglich der Eigenwille des Menschen nur böse, uud die Folgen seines Ungehorsams konnten nur verderblich sein. Indem der
Mensch seinen eignen Willen that, raubte er gleichsam
Gott Seinen Platz und setzte sich an dessen Stelle.
Man spricht oft von einem freien Willen des
Menschen. Aber wenn der Mensch einst frei war, zu
wählen zwischen dem Guten und Bösen, so hat er durch
seine Wahl bewiesen, was dieser freie Wille ist — er
hat das Böse gewählt, als er im Besitz und Genuß des
Guten war. Was soll man jetzt von ihm erwarten,
nachdem er gezeigt hat, daß sein Wille böse ist? Im
Blick auf den gefallenen Menschen von einem freien Willen
zu reden, ist nur Anmaßung und Thorheit; denn alle
die Proben, in welche Gott ihn auf jede erdenkliche Weise
geführt und worin Er ihm die Wahl zwischen dem Guten
und Bösen gelassen hat, haben zur Genüge die Unverbesserlichkeit seiner aufrührerischen Natur gezeigt; uud der
Gesetzlose am Ende der Tage wird dies in der vollendetsten Weise thun. In ihm wird der Grundsatz des
Bösen und der wahre Zustand des natürlichen Menschen
in seiner nackten Wirklichkeit erscheinen.
Hören wir, wie das Wort Gottes ihn schildert:
„Und der König wird thun nach seinem Wohlgefallen und
wird sich erheben und groß machen über allen Gott und
wird Wunderliches reden wider den Gott der Götter." —
„Welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was
Gott heißt, oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so
daß er sich in den Tempel Gottes setzt und stellt sich
selbst dar, daß er Gott sei." — „Und du, du sprachst
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in deinem Herzen: Zum Himmel will ich hinauf steigen,
über die Sterne Gottes meinen Thron erhöhen und mich
setzen auf den Berg der Zusammenkunft an der Seite
gegen Norden. Ich will über die Höhen der Wolken
steigen, will gleich werden dem Höchsten." (Dan. 11, 36;
2. Thess. 2, 4; Jes. 14, 13. 14.)
Der Wille des Menschen, das, was ihn zu allen
seinen Handlungen seit dem Falle Adams geleitet hat,
bezweckt nichts anders, als Gott beiseite und sich selbst
an dessen Stelle zn setzen. Daß Gott in Seiner göttlichen Langmut und Gednld durch verschiedene Mittel
und Wege bis jetzt diesen Willen in Schranken gehalten
hat, ist eine andere Sache; doch ist derselbe wirksam
und wartet nur auf die Entfernung dieser Schranken,
um sich alsdann in seinem wahren. Charakter zu offenbaren.
Ein Blick auf die Geschichte des Menschen, vom
Paradiese bis zum gegenwärtigen Augenblicke bestätigt
dieses. Kaum hat er das Paradies durch seinen Ungehorsam verloren, so sehen wir ihn mit reißender Schnelligkeit auf der Bahn des Bösen fortschreiten und die Erde
mit Gewaltthat erfüllen, so daß Gott mit dem Gericht
der Sündflut dazwischen treten muß. Und kaum ist die Erde
wiederhergestellt, so zeigt sich der Grundsatz des Eigenwillens und der Gewaltthätigkeit von neuem in Nimrod,
dem Gründer Babels, und gleich darauf in dem Streben
des Menschen, sich durch die Erbauung des Turmes zu
Babel einen Namen zu machen. Späterhin unter dem
Gesetz suchte Gott durch Verheißungen den Menschen zum
Gehorsam zu bewegen, aber dieser übertrat das Gesetz.
Zuletzt sandte Er Seinen eingeborenen Sohn. Doch was
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war die Sprache des Menschen diesem gegenüber? „Kommt,
laßt uns Ihn töten und Sein Erbe in Besitz nehmen I"
„Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche."
Das war der letzte Versuch Gottes, die letzte Probe, ans
welche der Mensch gestellt wurde. Da er auch diese nicht
bestand, so blieb für die Welt nichts anders übrig als
Gericht. „Jetzt ist das Gericht der Welt," sagt der
Herr. Nichtsdestoweniger wandte sich Gottin Seiner
unendlichen Langmut noch nicht von dem Menschen ab.
Vielmehr ließ Er ihm in dem Christentum unumschränkte
Gnade sowie die reichsten Segnungen anbieten. Aber wieder
war dieses kaum eingeführt, als sich auch schon von neuem der
Grundsatz deS Bösen, der Wille des Menschen wirksam erwies.
Wenn noch irgend ein Heilmittel für den Zustand
des gefallenen Menschen dagewesen wäre, so hätte es das
Christentum sein müssen. Aber die Geschichte der Kirche
lehrt nnS, daß auch diese Offenbarung der vollkommenen
Liebe und unumschränkten Gnade Gottes den feindseligen
Willen des Menschen nicht zu besiegen vermochte. Denn
schon gleich im Anfang hören wir den Apostel sagen:
„Schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam."
(2. Thess. 2, 7.) Dies war in gewissem Sinne immer
der Fall von Adam an. Aber die unvollkommene Weise, 
in welcher Gott sich im alten Bunde offenbarte, ließ das
Böse nicht so sehr in diesem Charakter erscheinen. Derselbe
zeigte sich aber immer mehr, je mehr das Licht der Offenbarung znnahm.
Das Christentum nun ist die vollkommene Offenbarung Gottes selbst, herabgekommen in der Person Christi
in unumschränkter Gnade und Liebe für den verlornen
Sünder. Gott ist gleichsam aus dem Dunkel Seiner
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Verborgenheit hervorgetreten und zeigt sich, wie Er ist,
in der ganzen Herrlichkeit Seiner Natur und Seines Wesens, als Licht und Liebe. Nichts andres bleibt jetzt übrig
für den Menschen, als sich ebenfalls zu zeigen, wie er ist.
Er wird so zu sagen durch die Offenbarung der Herrliche
leit Gottes genötigt, sich in seiner wahren Gestalt darzustellen, als „der Gesetzlose, der Mensch der Sünde, der
Sohn des Verderbens," dessen Wille nichts anders ist,
als der unverbesserliche Grundsatz des Bösen: die „Gesetzlosigkeit." Das Kreuz ist der moralische Beweis von
dieser Thatsache; der thatsächliche Beweis davon wird
erst dann gesehen werden, wenn die Schranke beseitigt
ist, welche Gott bis zur Erfüllung Seiner anderweitigen
Absichten aufrecht hält. Sicherlich ist der Zustand des
Menschen und seine Feindschaft gegen Gott am Kreuzvollstündig erwiesen worden, und die ganze Welt ist des
Todes des Herrn schuldig. Aber erst bei der Offenbarung
des Gesetzlosen finden wir die ganze Welt thatsächlich in
offenbarer Empörung gegen den Herrn begriffen. Bis
dahin trägt die Gesetzlosigkeit den'Charakter des „Geheimnisses," und zwar deshalb, weil sie sich in das Gewand
der Gottseligkeit eingehüllt hat. Das Böse hat den Schein
des Guten angenommen, und das ist seine schlimmste und
bei weitem gefährlichste Form, weil eS so am leichtesten
täuschen kann. Was wir in der bekennenden Kirche sehen,
ist nicht der offenbare Widerstand gegen das Gute, sondern
vielmehr eine Nachahmung desselben. Wohl hat sie von
Zeit zu Zeit einen solchen Widerstand in der Verfolgung
der wahren Christen an den Tag gelegt, wenn diese es
wagten, den Schleier des Geheimnisses zu lüften und den
wahren Charakter der bekennenden Kirche ans Licht zu
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stellen; aber auch selbst diesem Widerstand wußten sie den
Schein der Gerechtigkeit zu geben.
Die bekennenden Massen werden durch diesen Schein
der Gottseligkeit getäuscht, aber nicht nur sie, sondern auch
leider viele wahre Gläubige, welche das Böse nur nach
seiner äußern Form und nicht nach seinem Grundsatz
beurteilen. Wenn einmal der Gesetzlose geoffenbart sein
wird, dann ist die Gesetzlosigkeit kein Geheimnis mehr;
trotzdem aber ist sie bis dahin immer die Gesetzlosigkeit,
selbst wenn sie die Form der Gottseligkeit trägt. Sie
täuscht nur umsomehr, jemehr sie sich der Wahrheit nähert.
Der Mensch kann alle Formen des Christentums nachahmen, und er hat es gethan; aber indem er dabei nach
seinem eignen Willen handelte, hat er dasselbe nur verderbt und seines wahren Charakters beraubt, und er befindet sich im Widerstand gegen die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Kirche. Das ist
das Geheimnis der Gesetzlosigkeit. Am Ende richtet sich
dieser Widerstand gegen Christum selbst bei Seiner Erscheinung in Herrlichkeit und nimmt dann den Charakter
der offenbaren Empörung an. Jetzt hat er noch einen
geistigen Charakter, da er sich gegen die Wirksamkeit des
Heiligen Geistes richtet, wodurch dessen Gegenwart thatsächlich geleugnet und Seine Person verachtet wird. Dieser
Sünde der Gesetzlosigkeit macht sich ein jeder teilhaftig,
der sich anmaßt, die Kirche und ihre Angelegenheiten nach
seinem eignen Willen zn regeln und zu leiten, entgegen
den Anordnungen des Wortes Gottes und unabhängig
von der Leitung des Heiligen Geistes. Und ach! in welch
ausgedehntem Maße geschieht dieses nicht allein in den
großen Staatskirchen, sondern auch mehr oder weniger in
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allen Parteien, und zwar nicht selten von feiten der
wahren Gläubigen. Schon das Vorhandensein dieser
vielen Kirchen und Parteien ist der traurige Beleg dafür.
Die Kirche ist nach der Schrift „der Leib Christi,"
„das Haus Gottes, die Versammlung des lebendigen
Gottes," die also nur aus lebendigen Gliedern besteht
und wozu alle wahre Gläubige auf der Erde gehören.
(1. Kor. 12, 27; 1. Tim. 3, 15.) Alle sind durch einen
Geist zu einem Leibe getauft. (1. Kor 12, 13.) „Ein
Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid in einer
Hoffnung eurer Berufung. Ein Herr, ein Glaube, eine
Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über alle
und durch alle, und in uns allen." (Ephes. 4, 4—6.)
Das ist der ebenso kurze, als einfache und klare Begriff
der Kirche. Hier giebt es nur eine Autorität, diejenige
Christi, ihres alleinigen Hauptes; und nur eine Leitung,
diejenige des Heiligen Geistes. Der Begriff einer allgemeinen, aus Gläubigen und Ungläubigen zusammengesetzten
Kirche ist der Schrift ebenso fremd, als die vielen von
einander unabhängigen Kirchen oder Parteien unter verschiedenen Häuptern und Leitern; alles das ist nur die
Frucht der Gesetzlosigkeit des Menschen, der da handelt
nach seinem Willen, nach dem Grundsätze der Unabhängigkeit und des Bösen. Man hat die der Aufrechthaltung der Einheit als erste Bedingung zu Grunde
liegende Ermahnung, zu wandeln „mit aller Demut ec. ec."
außer Acht gelassen. Dieser Grundsatz des Bösen, des
Hochmuts, des eignen Willens leitet einen jeden, der eine
Partei aufrichtet oder sich wissentlich einer solchen anschließt, unter welcher Form dies auch geschehen mag.
Ein solcher mag ein wahrer Christ sein — man findet
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deren, Gott sei Dank! in allen Parteien — aber er steht
in thatsächlichem Widerstand gegen die Wirksamkeit des
Heiligen Geistes, und er wird dadurch ein Werkzeug in
der Hand Satans, des großen Widersachers Christi und
der Seinige», und arbeitet ihm, ohne es zu wollen und
zu wissen, in die Hände. Anstatt „die Einheit des Geistes"
zu bewahren und mitzuwirken an der „Auferbauung des
Leibes des Christus," legt er an das große Zerstörungswerk des Feindes, an die Zersplitterung der Kirche, mit
Hand an. Mit einem Worte, er wandelt grundsätzlich
in den Fußstapfen des Gesetzlosen, „welcher widersteht
und sich selbst erhöht." Man wird vielleicht sagen: Das
heißt die Sache doch übertreiben! Aber nein; es heißt
vielmehr die Sache im Lichte Gottes betrachten und nach
dem Grundsatz beurteilen, der jene Person leitet. Die
Frage ist: Handle ich nach dem Willen Gottes oder nach
meinem eignen, wenn ich mich irgend einer Partei anschließe? Suche ich die Ehre und die Interessen Christi
oder meine eignen? Ich gebe zu, daß viele Christen in
Unwissenheit handeln; aber ich bin auch überzeugt, daß,
wenn es ihnen aufrichtig um den Willen Gottes und die
Ehre und Interessen Christi zu thun wäre, sie sich der
Leitung des Heiligen Geistes und dem Worte Gottes
unterwerfen und in diesem Falle nicht in Unwissenheit bleiben würden. Gott kann Geduld mit unsrer
Unwissenheit haben, und Er allein kann uns durch Seinen
Geist erleuchten, aber Er weiß auch, ob wir erleuchtet
werden wollen, und ob Sein Wille allein maßgebend
für uns ist. Die Lehre von der Versammlung Gottes
und der Stellung des Gläubigen nach dem Worte ist so
klar und einfach, daß alle Schwierigkeiten bald verschwin­
12
den für den, der aufrichtig der Wahrheit zu gehorchen
wünscht. „Wenn jemand will Seinen (Gottes) Willen
thun, der wird von der Lehre wissen, ob sie aus Gott
ist, oder ob ich von mir selbst rede." (Joh. 7, 17.) Es
giebt Verführer und Verführte, und offenbar trifft erstere
eine größere Verantwortlichkeit, aber die Grenzlinie zwischen
Licht und Finsternis, zwischen Gutem und Bösem, ist so
scharf bezeichnet, daß niemand irgend welche Entschuldigung
hat. Ich verweile hier nicht länger bei der Lehre von
der Kirche und der Stellung, welche der Gläubige einzunehmen hat, sondern wiederhole nur, daß ein jeder Christ,
der in der Wahl seiner Stellung nach seinem eignen
Willen handelt, sich im Widerstand gegen die Wirksamkeit
des Heiligen Geistes befindet und sich somit dem Grundsätze nach der Sünde der Gesetzlosigkeit teilhaftig macht.
Es giebt in dieser Beziehung einen positiven und einen
negativen Ungehorsam. Im ersten Falle weiß man den
Willen Gottes und widersteht ihm, indem man sich in
der Wahl seiner Stellung durch allerlei selbstsüchtige und
menschliche Erwägungen bestimmen läßt. Im zweiten
Falle prüft man nicht, was dec Wille Gottes ist, und
verharrt gleichgültig in einer falschen Stellung. Dessenungeachtet ist man gleichfalls strafbar, weil man das Wort
Gottes, den Ausdruck Seines Willens, besitzt. Warum
nicht prüfen, wenn Gott Seinen Willen so klar und bestimmt mitgeteilt hat, daß man ihn wissen kann? Einfach darum nicht, weil man ungehorsam ist (denn Gott
fordert uns auf, zu prüfen), oder auch, weil man der
Verantwortlichkeit entgehen will. Aber der im bürgerlichen
Leben geltende Grundsatz: „Unkenntnis der Gesetze schützt
nicht," trifft auch hier zu. Man wandelt im Ungehorsam
13
in dem einen, wie in dem andern Falle. Und „wie Sünde
der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und Eigenwille wie
Abgötterei und Götzendienst." (1. Sam. 15, 23.) Eine
neutrale Stellung des Gläubigen inmitten des gegenwärtigen Zustandes der Kirche giebt es nicht, sie ist gleichfalls
nur eine Wahl nach eigenem Willen. Im eigentlichen
Sinne hat man gar keine Wahl, wenn Gott Seinen
Willen bereits deutlich kund gethan hat.
Lieber Leser, der du bekennst, durch das kostbare
Blut Christi erkauft, aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf errettet und ein lebendiges Glied am Leibe Christi
zu sein, der du aber eine Stellung einnimmst nach deinem
eigenen Willen, bedenke doch, daß du dich dadurch der
Wirksamkeit des Heiligen Geistes widersetzest und dich der
Gesetzlosigkeit teilhaftig machst, welche in der bekennenden
Kirche wirksam ist und diese dem verhängnisvollen Augenblick entgegenführt, wo sie aus dem Munde des Herrn
ausgespieen werden wird! Betrachte die unendliche Zersplitterung der Kirche Christi, die Verunstaltung ihrer
Einrichtungen sowie der Lehre und des innern Wesens des
Christentums. Betrachte die Kirche des Mittelalters mit
ihrem finstern Aberglauben, ihrer Abgötterei und ihren
schrecklichen Mißbräuchen. Siehe, wie auf der andern
Seite durch die fortgesetzte Verfälschung der Wahrheit die
bekennenden Massen dem offenbaren Unglauben in die
Arme getrieben werden. Siehe, wie die bekennende
Christenheit gleich Sodom und Gomorra der Schauplatz
einer immer mächtiger anwachsenden Sittenlosigkeit und aller
Arten von Verbrechen ist. Siehe vor allem die schreckliche
Verunehrung des Namens Jesu. Richte ferner^deinen
Blick auf den Gipfelpunkt des Verderbens — den „Gesetz­
14
losen, den Menschen der Sünde, den Sohn des Verderbens,"
der als das Bild Satans in seinem Hasse gegen Christum
die ganze Welt mit sich fortreißen wird zur offenbaren
Empörung gegen Ihn, den Herrn der Herrlichkeit. Betrachte alle diese Resultate, denen erst das Gericht bei 
der Erscheinung des Herrn ein Ende machen wird.
Betrachte den Bereich des Bösen, der Finsternis, in
welchem du dich bewegst, indem du deinem eigenen Willen
folgst in der Wahl deiner Stellung. Ich möchte nicht
übertreiben; ich gebe gerne zu, daß du als ein wahrer
Christ das offenbare Böse verabscheust und nichts mit der
großen Masse der Ungläubigen gemein haben willst; du
hältst dich nicht nur fern von ihren weltlichen Ausschweifungen und Festgelagen, sondern machst auch in religiöser
Beziehung keinerlei Gemeinschaft mit ihnen. Aber ich
sage noch einmal, so lange du nicht deine Stellung unter
der Leitung des Heiligen Geistes nach dem
Worte Gottes einnimmst, handelst du uach deinem eigenen
Willen und somit nach dem Grundsatz der Ungläubigen.
Indessen will ich durchaus nicht mit dem oben angedeuteten traurigen Zustande der Christenheit den ganzen
Bereich des Bösen bezeichnet wissen, sondern habe nur mit
wenigen Zügen den äußeren Umriß desselben darstelleu
wollen. Auch sage ich nicht, daß man mit dem Aufgeben
einer falschen und dem Eintreten in die wahre Stellung
an und für sich die Grenze dieses Bereichs überschritten
habe. Weit entfernt davon! Ohne Zweifel hat man mit
der äußeren Trennung vom Bösen einen großen Schritt
nach dieser Richtung hin gethan; aber die Täuschung
würde nur umso gefährlicher sein, wenn man sich einbilden wollte, damit auch den letzten Schritt gethan zu
15
haben. Nicht oft genug können wir uns daran erinnern,
daß die verblendende Macht des Bösen um so gefährlicher
ist, jemehr es sich der Wahrheit nähert, und daß wir
gerade dann der größten Nüchternheit und Wachsamkeit
bedürfen. Der Betrug der Sünde ist weit mehr zu
fürchten, als die Sünde selbst, wenn diese als solche offenbar ist. (Hebr. 3, 13.) Wenn Satan die Gestalt eines
Engels des Lichts annehmen kann, so weiß er auch seine
Schlingen geschickt genug zu legen, daß selbst der treueste
Christ hineingeraten kann, wenn er nicht stets wachsam
ist. Seiner äußeren Stellung nach auf dem Boden der
Wahrheit stehen heißt noch nicht sich außerhalb des Bereiches des Bösen befinden, oder genügend gegen dasselbe
geschützt sein. Denn wann findet der praktische Uebergang aus dem Bereiche des Bösen in denjenigen des Guten
statt? Daun, wenn man in jeder Beziehung nicht
mehr nach seinem eignen, sondern nach dem Willen Gottes
wandelt, oder mit andern Worten, wenn man nicht mehr
nach dem alten, sondern nach dem neuen Menschen, nicht
mehr nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandelt,
wenn man in der Kraft des Geistes den Tod des alten
Menschen verwirklicht und das Leben Jesu offenbart. Denn
der Bereich des Lichtes ist der Bereich des Lebens, während
die Finsternis der Bereich des Todes ist. Der Gläubige
ist seiner Stellung nach aus dem Tode in das Leben
hinübergegangen, er hat das ewige Leben. (1. Joh. 5,11. 12.)
Er ist dem Fleische nach mit Christo gestorben und kann
mit dem Apostel sagen: „Und nicht mehr lebe ich, sondern
Christus lebt in mir." (Gal. 2, 20.) Insoweit wir daher
dieses Leben verwirklichen, befinden wir uns praktisch in
dem Bereich des Lichtes, wie der Apostel weiter sagt:
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„WaS ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch
Glauben, durch den an den Sohn Gottes." Die Person
Christi ist der alleinige Gegenstand und Mittelpunkt unsers
neuen Lebens, da Er selbst unser Leben ist.
Wenn wir daher das Geheimnis der Person Christi
kennen, so werden wir nicht nur verstehen, was dieses
Leben, sondern auch was das Christentum nach seinem
inneren Wesen und seiner wahren Bedeutung vor Gott
ist. Wir werden finden, daß Christus und das wahre
Christentum im schroffsten Gegensatz steht zu dem Menschen
der Sünde und dem falschen Christentum. Zugleich werden
wir den Charakter Seiner Erniedrigung und Seines Gehorsams kennen lernen. (Fortsetzung folgt.)

(Apostelgcsch. 5, 1 — 11.)
Es ist ohne Zweifel eine ebenso ernste und feierliche
wie gesegnete Sache, es mit Gott zu thun zu haben, Ihm
nahe gebracht zu sein, in dem Kindesverhältnis zu Ihm
zu stehen und der Gegenstand Seiner unveränderlichen
Gunst zu sein. Aber es ist sehr zu befürchten, daß viele
Christen sich heutigen Tages mit Freuden die Segnungen
einer solchen Stellung zueignen, während sie nur ein sehr
schwaches Gefühl von der Verantwortlichkeit haben, welche
dieselbe mit sich bringt. Sie haben nie die Wahrheit
völlig verstanden, daß Gott sich nicht spotten läßt, und
daß Er in denen, welche Ihm nahen, Wirklichkeit finden
muß. Er ist von solchen nicht gesucht worden um desscntwillen, was Er ist, sondern um das zu empfangen, was
Er geben kann, und daher haben sie kein oder doch nur
ein geringes Gefühl von der hohen Segnung Seiner Gegenwart. Sie haben nie erkannt, was es heißt, mit Gott
allein zu sein, sich in Seiner Nähe daheim zu fühlen.
Mein Leser, weißt du, was es heißt, mit Gott allein
zu sein, dich für einige Augenblicke von dem geschäftigen
Treiben um dich her und von den Umständen, in denen
22
du lebst, loszumachen, um wirklich mit Ihm allein zu
sein, und zwar nicht nur in dem Bewußtsein, daß du
nichts zu fürchten brauchst, sondern auch mit einem Herzen,
das von beseligenden Gefühlen erfüllt und befriedigt ist,
mit Gefühlen, die man nur erfahren, aber nicht in Worten
ausdrücken kann? Denn die menschliche Sprache vermag
das nicht wiederzugeben, was die von dem Geiste belehrte
Seele versteht und genießt. Dies in irgend einem Maße
zu schmecken, schließt zwei Dinge ein, die, obwohl verschieden, doch nicht von einander zu trennen sind, nämlich:
das Hervorrufen der Zuneigungen des Herzens und die
Uebung des Gewissens. Und diese beiden Dinge stehen
stets in wechselseitiger Beziehung zu einander; ist das
Eine in hohem Maße vorhanden, so ist es auch das
Andere. Giebt es in dem Herzen eines Menschen wahre,
innige Zuneigungen zu Gott, so wird auch sein Gewissen
in tiefer und gesunder Weise geübt sein. Ein gesetzlicher
Geist findet sich in einem solchen nicht; er fragt nicht:
„Was soll oder muß ich thun?" Seine Gedanken sind
stets mit dem beschäftigt, was diesem Gott, der sein
ganzes Herz eingenommen hat, wohlgefällig ist.
Leider giebt es manche Christen, welche nicht wünschen,
unserm gepriesenen Herrn so nahe zu kommen. Der Platz
des geliebten Jüngers Jesu, der sich an die Brust Seines
Herrn lehnte, behagt ihnen nicht. Und doch, wer könnte
es leugnen, daß die größte Nähe auch die höchste Segnung
bedeutet? und daß der Geber notwendigerweise noch weit
besser sein muß, als Seine Gaben? Wenn schon die Gedanken und Ratschlüsse, die Wege, Werke und Handlungen
Gottes so wunderbar und herrlich sind, was muß Er dann
erst selbst sein, wenn Er sich der Seele in der Kostbarkeit
23
Seiner Person offenbart? Wenn die Seele einmal etwas
von dem, was Er ist, erfaßt hat, so kann sie nicht
anders als wünschen, Ihm nahe zu sein. Es ist eine
überaus gesegnete Sache, etwas zu kennen von dem Herzen
Gottes, von Seinem vor Grundlegung der Welt gefaßten
und ewig unveränderlichen Beschluß, uns zu segnen —
fähig zu sein, jeden Umstand und jedes auch noch so
geringfügige Begegnis nach einer Liebe zu beurteilen, die
uns nie aufgeben, sondern, trotz unsrer Mängel und
Schwächen, alles zu unserm Besten mitwirken lassen wird.
Die Gedanken des Menschen betreffs göttlicher Segnungen beschränken sich leider nur zu oft auf irdische
Dinge, während in Wirklichkeit die wahre, vollkommene
Segnung darin besteht, Gott zu kennen, mit Ihm selbst
bekannt und vertraut zu sein. Kennst du Ihn, mein
Leser, besser als jeden irdischen Freund, so daß deine
Seele sich nirgend so wohl fühlt als in Seiner Gegenwart? Bist du in Seiner Nähe so daheim, daß dieselbe
dich mit unaussprechlicher Freude und tiefem Frieden
erfüllt? Diese köstlichen Dinge sind allen denen unbekannt,
welche sich auf einem Wege befinden, der dem Herrn
nicht wohlgefällig ist, welche meinen, daß Worte ohne
entsprechende Handlungen, daß ein Bekenntnis ohne praktische Ausübung, daß eine Fülle von Wahrheiten im
Kopfe ohne Wirklichkeit im Herzen Dem genügen könnten,
der „der Heilige und der Wahrhaftige" ist und deshalb
nichts ertragen kann, das mit der Vollkommenheit Seines
Wesens nicht in Uebereinstimmung steht; denn je mehr Seine
Gegenwart verwirklicht wird, desto mehr erfährt man,
wie unverträglich Er allem Bösen gegenüber ist, allem,
was Seiner Natur nicht entspricht.
2t
Der Schriftabschnitt, den wir an die Spitze unsers
Artikels gestellt haben, liefert uns ein ernstes Beispiel
von der heiligen Regierung Gottes Personen gegenüber,
die sich nicht einer groben äußeren Sünde schuldig gemacht
hatten, sondern einen Charakter größerer Hingebung und
Liebe zu heucheln suchten, als sie wirklich besaßen. Sie
rechneten auf die Langmut und Nachsicht Gottes und
meinten, Er würde ein unwahres Bekenntnis und einen
Mangel an Wirklichkeit, von dem ihre Genossen nichts
wußten, ebenfalls unbeachtet hingehen lassen. Sie dachten
nicht daran, daß ein solches Benehmen Dem, welchen sie
belogen — denn Er war wirklich gegenwärtig — überaus
hassenswürdig sein mußte. Sie brachten nur einen Teil
des aus dem Acker gelösten Geldes, indem sie fälschlich
behaupteten, das Ganze zu bringen. Doch ihre Sünde
wurde durch die Gegenwart Gottes sofort blosgestellt und
mit einem unmittelbaren, ernsten Gericht bestraft. Er
konnte sich nicht spotten lassen. Wenn nun auch heute
die Gegenwart Gottes in der Versammlung weniger verwirklicht und Seine Nachsicht mehr geoffenbart ist, so
thun wir doch wohl, uns daran zu erinnern, daß Seine
Natur sich nicht verändert hat; und obwohl Seine
Macht in den Wegen Seiner Regierung sich nicht mehr
in einer solch öffentlichen Weise entfalten mag,
wie bei Anamas und Sapphira, so kann Er doch nie
die Ansprüche Seiner Heiligkeit verringern, und Er wird
sicherlich früher oder später Seiner Heiligkeit entsprechend
jede unwirkliche Handlung und jedes leere Bekenntnis
mit der verdienten Strafe heimsuchen, es sei denn, daß
man aufrichtig Buße thut.
Der Mangel an Wirklichkeit kann unter Umständen
25
die Folge von Unwissenheit sein; in den meisten Fällen
aber wird er durch Gleichgültigkeit und Trägheit der
Seele hervorgerufen. Ach! überall da, wo keine Wirklichkeit vorhanden ist, fehlt die Antwort der Seele auf
die Gnadenbeweise Gottes; alle die Segnungen, welche
in so reicher Fülle über sie ausgeschüttet sind, haben
jene heilige und wahrhaftige Dankbarkeit nicht hervorzubringen vermocht, deren Dasein sich stets in der aufrichtigen
Frage kundgiebt: Wie kann ich jetzt Dem gefallen, der
mich so geliebt und so Großes für mich gethan hat?
Wenn die Wahrheit, die ich bekenne, keine entsprechenden Resultate in meiner Seele hervorbringt, wenn die
Worte, welche ich rede, nur Worte bleiben und nie in
Thaten umgesetzt werden, so wird sich bald eine schnell
fortschreitende Verhärtung in mir offenbaren; das Gewissen verliert immer mehr seine Empfindlichkeit, und die
Liebe des Herzens nimmt zusehends ab. Die äußere
Schale des Bekenntnisses mag bleiben, aber wenn andre
mich besuchen, welche vielleicht weniger Einsicht, aber mehr
geistliche Kraft haben als ich, weniger Erkenntnis besitzen,
aber mehr Gemeinschaft mit Gott pflegen, so wird die
Hohlheit und Leere in mir von ihnen in schmerzlicher
Weise gefühlt werden.
Die Unwirklichkeit, wenn wir sie so nennen dürfen,
ist eine der gefährlichsten und furchtbarsten Waffen in
der Rüstkammer Satans. Sie verunehrt den Herrn,
schwächt und erniedrigt das Zeugnis, setzt den Gläubigen
dem Spott und der Verachtung der Welt aus und erweckt
in jedem aufrichtigen Herzen das Gefühl des Schmerzes
und der Scham, während andre sich nur zu gern hinter
dem gegebenen Beispiel verstecken. Das geistliche Unter­
26
scheidungsvermögen ist bei einem solchen untreuen Christen
völlig geschwächt, das Gewissen nicht mehr in gesunder
Uebung, der ganze Mensch geistlich gelähmt und unfähig
gemacht, sich in irgend einer Frage, die sich in Verbindung
mit den Interessen des Herrn erheben mag, ein richtiges
Urteil zu bilden. — Hüte dich, mein Leser, vor jeder
Unwirklichkeit!
Wie schon oben bemerkt, giebt es manche Seelen,
deren Mangel an Wirklichkeit nicht in ihrer Untreue,
sondern in ihrer Unkenntnis und Unwissenheit seine Ursache
hat. Ein solcher Zustand ist bei weitem nicht so schlimm,
als der vorhin beschriebene. Es genügt sehr oft, solche
Seelen auf die Punkte aufmerksam zu machen, in welchen
sie fehlen, um sie zu veranlassen, fortan anders zu handeln.
Viele aber können in einer so freien und fließenden
Weise über ihre „gesegnete Hoffnung," ihr „himmlisches
Bürgerrecht" und über Christum, als den einzigen Gegenstand ihres Herzens, reden, daß es die Zuhörer höchst
verwundern muß, wie es möglich ist, daß eine so große
Verschiedenheit zwischen ihren Worten und ihren Werken
und Wegen bestehen kann. Andere wieder rühmen sich, auf
„dem einzig richtigen Boden" zu stehen, alle Parteien verlassen zu haben nnd zu Christo hinausgegangen zu sein
„außerhalb des Lagers," während in Wahrheit das, was
sie gethan haben, einzig und allein darin besteht, daß sie
Christum als das Banner bekennen, um welches sie
sich scharen und um dessentwillen sie sich von den Parteien
getrennt haben. In allen andern Beziehungen werden
Seine Ansprüche wenig oder gar nicht beachtet, und kommt
einmal eine Zeit der Prüfung, so wird Ihm auch das
verweigert, was Ihm als Haupt des Leibes gebührt.
27
In welcher Form sich indes der Mangel an Wirklichkeit in der Seele auch offenbaren mag, verschieden, wie
er sein kann im Blick auf seine Ausdehnung und unmittelbare Ursache, so wird man doch stets finden, daß seine
eigentliche Quelle darin zu suchen ist, daß es nicht die
Gewohnheit der Seele war, mit Gott zu
wandeln, alles in das Licht Seiner Gegenwart zu
bringen und auch über die geringfügigsten Dinge des täglichen Lebens Seine Gedanken zu erforschen zu suchen.
Ohne Zweifel wird derjenige, welcher dieses thut, zu leiden
haben, aber auf der andern Seite wird er mehr als entschädigt werden durch den Beifall, den seine Wege von
feiten des Herrn finden.
Wenn Gott uns in Seine Nähe bringt, so kann es
nur den Zweck haben, uns zu segnen, und zwar in einer
Weise, die Seiner selbst würdig ist; und alle, welche anerkennen, wie reichlich Er uns für die Ewigkeit gesegnet
hat, werden sicherlich nicht zu behaupten wagen, daß Er
weniger fähig und bereit sei, uns schon in dieser Zeit zu
segnen. Aber diese Segnung kann uns nur auf dem von
Ihm bestimmten Wege zu teil werden, und dieser Weg
ist immer vollkommen. Manche wünschen, daß ihnen die
Segnung auf dem von ihnen eingeschlagenen Wege zufließe, aber sie wünschen uud hoffen vergeblich. Gott aber 
wird in Seiner unergründlichen Gnade und Huld stets
Gegenstände suchen und auch finden, auf welche Er die
ganze Liebe Seines Herzens und die ganze Fülle Seines
Segens ausströmen lassen kann.
Hat Er einen solchen Gegenstand auch in dir gefunden,
mein Leser? Ist es der bestimmte Borsatz und feste Entschluß deines Herzens, mit Ihm zu wandeln und Ihm
28
allein und in allen Dingen Ihm Wohl zu gefallen? „Herrsch
wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott
nahm ihn hinweg;" und „vor seiner Entrückung hat er
das Zeugnis gehabt, daß er Gott Wohlgefallen habe."
(1. Mos. 5, 24; Hebr. 11, 5.)

Herr Jesu, ich bin Dein!
Herr Jesu, ich bin Dein!
So nimm mein Herz denn ein,
Erfüll' es ganz mit Deiner Liebe,
O, daß kein Raum drin übrig bliebe
Für Eigenheit und Eitelkeit
Und alles, was die Welt mir beut!
Erkauft bin ich durch Dich,
Du gabst Dich selbst für mich.
Mich, der ich wertlos und verloren,
Hat Deine Liebe sich erkoren!
Ja, so verwerflich ich auch sei —
Die Liebe legte Wert mir bei.
O Dank, Herr, Dank sei Dir
In Ewigkeit dafür,
Daß einst Dein unvergleichlich Lieben
Zu mir hernieder Dich getrieben,
Mich zu erkaufen durch Dein Blut,
Zu werden selbst mein ew'ges Gut!
So bin ich denn jetzt Dein,
O Glück! und Du bist mein.
Was könnte mir noch Gutes fehlen,
Da Du der Schatz bist meiner Seelen?
Ohn' Dich ist alles öd und leer,
Wer Dich besitzt, bedarf nichts mehr.
Regiere nun mein Herz,
Daß ich in Freud' und Schmerz
Nur Dir zn leben stets begehre,
Nichts suche, als nur Deine Ehre.
Halt' innig mich verbunden Dir,
Nichts stehe zwischen Dir und mir!
Die beiden Geheimnisse.
(Forschung.)
Ein Christentum ohne Christum ist wie eine Schale
ohne Kern, wie ein Körper ohne Leben. Es nützt zu nichts,
als der Welt zu einem Gewände zu dienen, mit welchem
sie sich schmücken kann, wie der Wols mit dem Schafskleide. Ein solches Form-Christentum ist der Deckmantel
des Geheimnisses der Gesetzlosigkeit. Eine wahrhaft erneuerte und aufrichtige Seele kann ihm keinen Geschmack
abgewinnen, ja es ist ihr zum Ekel, und dem Herrn
noch mehr; Er wird es samt seinen falschen Bekennen:
„ausspeien aus Seinem Munde." (Offbg. 3.) Ein Christentum ohne Christum, und deshalb ohne Leben, gewährt,
trotz aller seiner Ceremonien und kirchlichen Formen, den
Bedürfnissen eines Herzens, welches die Kostbarkeit Christi
geschmeckt hat, keine Befriedigung. Man findet keine
Spur von wahrem Christentum darin. Denn in diesem
giebt sich die Macht und Wirksamkeit des Heiligen Geistes
kund: einerseits in der Offenbarung der „Geheimnisse Gottes" — des „Geheimnisses der Gottseligkeit," des „Geheimnisses des Christus" — und andrerseits in der Verwirklichung dieser Dinge in den Gläubigen. Der Wille und
die Thätigkeit des Menschen finden hier keinen Platz, es
sei denn unter der Autorität Christi und der Leitung des
Heiligen Geistes. Derselbe ist von dem Vater und von
30
dem Sohne eigens zu dem Zwecke gesandt worden, den
Gläubigen die Herrlichkeit Christi kund zu machen und sie
in die „Tiefen Gottes" einzuführen, in die Dinge, die
„kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und in keines
Menschen Herz gekommen sind." „Wenn aber jener, der
Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird Er euch in die
ganze Wahrheit leiten; denn Er wird nicht aus sich
selbst reden, sondern alles, was irgend Er hören wird,
wird Er reden, und das Kommende wird Er euch verkündigen. Derselbe wird mich verherrlichen, denn von
dem Meinen wird Er empfangen und euch verkündigen."
(Joh. 16, 13. 14.) Das Christentum nach der Schrift
setzt bei allen seinen Bekennern die persönliche Gewißheit
einer vollkommenen Erlösung und Vergebung voraus, sowie
das Bewußtsein, daß sie den Geist der Sohnschaft empfangen
haben. Ihre Leiber sind Tempel des Heiligen Geistes,
der in ihnen wohnt und in ihnen und durch sie wirkt,
bis sie alle hingelangen zu dem Maße des vollen Wuchses
der Fülle des Christus. Das ist der kurze und wahre
Begriff des wirklichen Christentums. Weit entfernt, die 
Frucht des Willens des Menschen und das Zerrbild seiner 
verfinsterten und gottentfremdeten Gedanken zu sein, ist es
vielmehr die Sphäre der Macht und Wirksamkeit des
Heiligen Geistes in den Gläubigen, um sie durch die 
Offenbarung der Herrlichkeit Christi über sie selbst und
das Sichtbare zu erheben und zur Gleichförmigkeit dieser
Herrlichkeit zu verwandeln. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend,
werden verwandelt nach demselben Bilde, von Herrlichkeit
zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist."
(2. Kor. 3, 18.)
31
Doch bevor wir weiter gehen, möchte ich noch einmal
an die uns beständig drohende Gefahr erinnern, uns durch
unsern Ungehorsam des Widerstandes gegen die Wirksamkeit des Heiligen Geistes schuldig zu machen. Woher
kommt es, daß wir uns so wenig in diesem Bereich befinden, in welchem der Heilige Geist Seine Macht offenbart
und die Herrlichkeit Christi entfaltet, deren Anschauen uns
die sichtbaren Dinge und uns selbst vergessen und sür
nichts halten läßt und uns Christo gleichförmig macht?
Woher kommt es, daß das Fleisch in uns wirksam ist,
daß die Dinge hienieden uns beeinflussen und wir so
wenig geistliche Fortschritte machen? Die einfache Ursache
ist unser Ungehorsam, dieser Grundsatz des Bösen, der
sich der Leitung des Heiligen Geistes nicht unterwirft und Seine Gegenwart nicht beachtet. Wir haben
in uns selbst keine Kraft, aber was würde das Fleisch
in uns oder die Welt um uns her gegen die Macht des
in uns wohnenden Geistes vermögen, wenn wir in Seinem
Gehorsam wandelten und uns Seiner Leitung überließen?
Der Apostel sagt: „Ihr seid aus Gott, Kinder, und habt
sie überwunden, weil der, welcher in euch ist, größer ist,
als der, welcher in der Welt ist." (1. Joh. 4, 4.) Giebt
es wohl eine Ermahnung, die von uns mehr zu beherzigen
wäre, als die, den Heiligen Geist Gottes nicht zu betrüben?
(Ephes. 4, 30.) Und ist es nicht höchst traurig, wenn
wir bekennen, auf dem Boden der Wahrheit zu stehen, und
dabei im Ungehorsam und somit in dem Bereich der
Finsternis wandeln gleich solchen, die mit Willen in einer
falschen Stellung verharren? Ja, wir sind umso verantwortlicher und strafbarer, wenn wir die Wahrheit besitzen
und dennoch nach dem Grundsatz des Bösen wandeln.
32
Was würden wir von den Jüngern denken, die mit dem
Herrn wandelten in den Tagen Seines Fleisches, wenn
sie Seine Person und Seine Gegenwart so geringschätzend
behandelt und so wenig beachtet, sowie Seine Anleitungen
so wenig befolgt hätten, wie wir dies oft gegenüber dem
Heiligen Geiste thun, der doch nicht weniger eine göttliche
Person ist? Wie sehr wird Er betrübt durch unser Verhalten, und wie wenig haben wir noch bei alledem Leid
darüber getragen und diese Sünde im Lichte Gottes gefühlt
und bekannt! Dürfen wir uns wundern, wenn in unsern
Zusammenkünften am Tische des Herrn, in unsern Gebetstunden und bei der Betrachtung des Wortes der Heilige
Geist so wenig wirken kann, und daher so wenig Lob und
Anbetung, hingegen so viel Oberflächlichkeit und Trägheit
gefunden wird, und die Weltförmigkeit unter uns zunimmt? Täuschen wir uns nicht dadurch, daß wir
meinen, bei einer äußern Trennung vom Bösen im Lichte 
zu wandeln, während wir in tausenderlei Dingen unsern
eignen Willen thun und die Leitung des Heiligen Geistes
mißachten. Das Kennzeichen eines Wandels im Lichte
ist die Furcht Gottes und das Bewußtsein der Gegenwart des
Heiligen Geistes. „Die Furcht Jehova's ist der Kenntnis
Anfang; die Narren verachten Weisheit und Unterweisung. Die Furcht Jehova's ist zum Leben, denn
gesättigt wohnet man, wird nicht heimgesucht vom Uebel.
Glückselig der Mensch, der sich immer fürchtet, wer aber
sein Herz verhärtet, wird ins Unglück fallen." (Sprüche
1, 7; 19, 23; 28, 14.)
Der Herr wußte, daß wir in dieser Wüste der Leitung einer göttlichen Person bedurften, und hat in
Seiner unendlichen Gnade Sorge getragen, daß nach
33
Seinem Weggang ein „andrer Sachwalter" zu uns käme,
der bei und in uns sein sollte in Ewigkeit, um uns in
alle Wahrheit zu leiten. Der Heilige Geist ist jetzt für
uns das, was die Gegenwart Gottes für Israel in der
Wolken- und Feuersäule war. Dieselbe fehlte nie, und die
Kinder Israel hatten, um ihren Schutz und ihre Leitung
zu genießen, nichts zu thun, als ihr zu folgen. Andrerseits aber haben wir noch weit mehr als Israel. Der
Heilige Geist wohnt in uns als der „Geist der Kraft
und der Liebe und der Besonnenheit," (2. Tim. 1, 7.)
so daß wir in Ihm nicht nur einen sichern und unfehlbaren Führer, sondern auch die zum Nachfolgen nötige
Kraft rc. besitzen. Wenn daher der Ungehorsam für die
Kinder Israel verhängnisvoll werden mußte, wie vielmehr
für uns! Und wir haben gesehen, was unser eigner Wille
vor Gott ist; er ist nichts anders als der Grundsatz der
Gesetzlosigkeit.
Wie gesegnet hingegen die Folgen eines Gehorsams
sind, der in nichts der Wirksamkeit des Heiligen Geistes
im Wege steht, sehen wir in der Kirche zur Zeit der
Pfingsttage. Die Gläubigen befanden sich noch kurz vorher in großer Furcht, Schwachheit und Unwissenheit; aber 
sie waren gehorsam und fühlten ihre Abhängigkeit von
Gott, und dies gab sich in ihren anhaltenden gemeinschaftlichen Gebeten kund. „Diese alle hielten einmütig
an am Gebet." (Apgsch. l, 14.) Die Antwort darauf
von feiten Gottes war die Sendung des Heiligen Geistes
und dessen mächtige Wirksamkeit in ihrer Mitte. Alle
wurden erfüllt mit dem Heiligen Geiste, mit Kraft und
Energie, mit göttlicher Freude, mit Lob und Dank gegen
Gott, mit inniger Liebe zu einander und mit einer Frei­
34
mütigkeit und Weisheit gegenüber ihren Widersachern,
welche diese in Bewunderung und Erstaunen versetzten.
Alles zeugte von der alles beherrschenden Gegenwart und
Macht des Heiligen Geistes. Die Einheit der Gläubigen
war vollkommen verwirklicht nach Innen und nach Außen;
ihre Trennung von dem Bösen und von der Welt war
eine völlige, und ihr Zeugnis der Welt gegenüber überwältigend. Ihr innerer Seelenzustand zeugte von einer
wahrhaften Frömmigkeit, einem hohen Ernste und einer
göttlichen Einfalt, verbunden mit einem tiefen Gefühl ihrer
Abhängigkeit von Gott. Mit einem Worte, wir sehen in
ihnen eine herrliche Offenbarung des Lebens Jesu. Nichts
mehr stand der Wirksamkeit des Heiligen Geistes im Wege
in der Erfüllung des Zweckes Seiner Sendung, nämlich
ihnen die uuausforschlichen Reichtümer Christi zu offenbaren. Ihre tiefe Erkenntnis und Einsicht in die Gedanken, Ratschlüsse und Geheimnisse Gottes bestätigt
uns dieses.
Ach! wie öde und traurig sieht es dagegen in unsern
Tagen aus in dem, was einst einem blühenden Garten
Gottes glich! Unstreitig hat der Geist Gottes Großes in
der letzten Zeit gewirkt; und wir haben alle Ursache, den
Herrn zu preisen, daß Er Seines Werkes stets eingedenk
bleibt trotz der großen Untreue der Seinen. Viele Tausende
sind bekehrt worden, und Tausende von Gläubigen haben
angefangen, sich wieder im Namen Jesu auf Grund des
göttlichen Wortes, unter der Leitung des Heiligen Geistes
und im Bewußtsein der Einheit des Leibes Christi am 
Tische des Herrn zu versammeln und Ihn zu ihrer Aufnahme vor der bald hereinbrechenden Stunde der Versuchung zu erwarten. Aber gleichwie in den Tagen Esra's
35
die Häupter unter den Vätern der Znrückgekehrten aus
Babel „mit lauter Stimme weinten," wenn sie das wiederbergestellte Haus Gottes mit dem ersten Hause verglichen,
so können auch wir nur weinen bei dem Gedanken an
die verschwundene Herrlichkeit der Kirche nnd der glorreichen Entfaltung der Macht des Heiligen Geistes — weinen
über die Verachtung, Schmach und Betrübnis, welche Ihm
durch unsre Untreue nnd unsern Ungehorsam widerfahren
sind. Wir können das Geschehene nicht wieder gut machen
und jene glorreichen Tage nicht wieder zuruckrufen, aber 
wir können uns mit Ernst und Aufrichtigkeit vor dem
Herrn demütigen und gleich den Gläubigen zu Jerusalem
anhalten am Gebet zu Gott, damit Er uns Gnade gebe,
Seinem Geiste nicht länger zu widerstreben, sondern uns
Seiner Leitung und dem Worte Gottes rückhaltlos
zn unterwerfen.
Nicht daß wir um eine neue Ausgießung des Heiligen
Geistes zu bitten hätten, wie dies leider von so vielen Gläubigen in unsern Tagen der Verwirrung geschieht, indem
sie dadurch nur ihre große Unwissenheit betreffs Seiner
Gegenwart au den Tag legen. Denn Er ist und bleibt
bei uns nach der Verheißung des Herrn, (Joh. 14, 17.)
nnd Seine Macht ist dieselbe geblieben. Aber Er will,
daß wir in aller Demut Seine Gegenwart anerkennen
durch eine gehorsame Unterweisung unter
Seine Macht und Leitung. Das ist die wahre
nnd einzig wirtliche Umkehr zur Kraft und Erleuchtung,
zur Liebe und Einheit des Geistes und zur Verwirklichung
der Einheit des Leibes. Möchten wir eingedenk sein der
Worte des Apostels: „Alle aber seid gegen einander mit
Demut fest umhüllt; denn Gott widersteht den Hoch­
36
wütigen, den Demütigen aber giebt Er Gnade. So
demütigt euch nun unter die mächtige Hand Gottes, damit Er euch erhöhe zu Seiner Zeit." (t. Petri 5, 5. 6.)
Vergessen wir nicht, daß der Hochmut, die Triebfeder des
eignen Willens, der große Charakterzug des Gesetzlosen
und das charakteristische Kennzeichen des Bereichs des
Bösen ist.
Um jedoch wieder auf unsern Gegenstand zurückzukommen, so ist es die wahre, durch den Heiligen Geist
bewirkte Erkenntnis Christi, welche uns klein macht
in unsern Augen und uns zugleich zu Ihm erhebt, der
in Wahrheit groß und würdig ist. Sie erfüllt das Herz
mit göttlicher Freude und lebendiger Hoffnung, mit großer
Freimütigkeit und kindlichem Vertrauen zu Gott, und erzeugt einen Wandel, der Gottes würdig ist. Sie macht
uns Jesum zu einem teuren Gegenstände und bringt uns
dadurch in praktische Uebereinstimmung mit dem Herzen
Gottes, des Vaters, mit Seinen Gedanken, Gefühlen und
Zuneigungen, indem wir mit Ihm einen und denselben
Gegenstand der Freude und Wonne haben; und schließlich
verbindet sie uns mit allen Gläubigen, als den Gegenständen der Liebe Seines Herzens. Darum wird das
Geheimnis des Christus auch das Geheimnis der Gottseligkeit genannt, und mit Recht kann man das
Christentum seiner wahren Bedeutung nach den Kreis und
Bereich der Offenbarung der Liebe des Vaters, der Herrlichkeit des Sohnes und der Macht des Heiligen Geistes
nennen, sowie den Schauplatz der vollkommensten Freude
und Glückseligkeit, der ewigen Ruhe und ununterbrochenen
Anbetung Gottes im Geiste und in Wahrheit. Ein Christ
ist seiner Stellung nach ein wahrhaftiger Anbeter im
37
Geiste und in Wahrheit, weil der Heilige Geist in ihm
wohnt, und weil er Gott kennt, wie Er ist.
Aber wir haben alles in und durch Christum. Er
ist der Mittelpunkt des Geheimnisses Gottes, „in welchem
verborgen sind alle Schütze der Weisheit und der Erkenntnis." (Kol. 2, 3.) Wohl sind diese Schätze bis zur
völligen Offenbarung Christi ein Geheimnis; aber der
Christ kennt und genießt sie in dem Blaße, als er unter
der Leitung des Heiligen Geistes Christum erkennt. Alles
hängt von der Erkenntnis der Person Christi ab, in
welche uns der Heilige Geist allein einführen kann —
ohne Zweifel durch das Wort Gottes. Denn wir haben
keine neuen oder unmittelbaren Offenbarungen des Geistes
außerhalb des Wortes mehr zu erwarten; dies würde
zur Schwärmerei führen. Die ganze göttliche Offenbarung
ist im Worte enthalten und hat ihren Abschluß gefunden
in der Mitteilung des Geheimnisses des Christus durch
den inspirirten Apostel, der da sagt: „Jetzt freue ich mich
in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleische,
was noch rückständig ist an den Trübsalen des Christus
für Seinen Leib, das ist die Versammlung, deren Diener
ich geworden bin nach der Verwaltung Gottes, die mir
an euch gegeben ist, um das Wort Gottes zu vollenden: das Geheimnis, das verborgen war von den
Zeitaltern und von den Geschlechtern her, jetzt aber geoffenbart worden ist Seinen Heiligen, denen Gott kund
thun wollte, welches der Reichtum der Herrlichkeit dieses
Geheimnisses sei unter den Nationen, welches ist Christus
in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit; den wir verkündigen, indem wir jeglichen Menschen ermahnen und jeglichen Menschen lehren in aller Weisheit, auf daß wir
38
jeglichen Menschen vollkommen in Christo darstellen."
(Kol. 1, 24—28.) Alles ist geoffenbart, und das Geheimnis des Christus bildet sozusagen die Krone der
ganzen Offenbarung, indem in demselben alle Schätze der
Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind. Derselbe
Apostel konnte sagen: „Was kein Auge gesehen und kein
Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen
ist, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben. Uns
aber hat es Gott geoffenbart durch Seinen
Geist, denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die
Tiefen Gottes." Die Apostel empfingen diese Offenbarung
unmittelbar durch den Geist Gottes und teilten sie uns
im geschriebenen Worte mit, und jetzt empfangen wir das
Verständnis dieser Mitteilungen wiederum durch den Geist
Gottes. Menschliche Weisheit vermag hier weniger als
nichts. „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an,
was des Geistes GotteS ist, denn es ist ihm eine Thorheit, und er kann es nicht erkennen, denn eS
wird geistlich beurteilt." (1. Kor. 2.) Der Heilige
Geist allein konnte die Geheimnisse Gottes durch die
Apostel mitteilen, und Er allein kann auch Verständnis
über das Mitgeteilte geben. „Denn wer von den Menschen
weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen,
der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was in Gott
ist, als nur der Geist Gottes." Kein Mensch kennt meine
Gedanken oder Gefühle, wenn ich sie nicht kund gebe, aber
mein eigner Geist in mir kennt sie; so auch weiß nur
der Geist Gottes, was in Gott ist, und Er allein kann
es offenbaren.
Wie thöricht ist es daher, wenn der Mensch sich einbildet, mit seinem Verstände die Dinge Gottes erforschen
39
zu können. Er maßt sich an, das zu thun, was nur der
Geist Gottes zu thun vermag, und zeigt dadurch nur seine
Blindheit. Ein Mensch, der nicht einmal fähig ist, sich
selbst zu beurteilen, vermag trotz all seiner Gelehrsamkeit
und Weisheit und trotz aller Schärfe seines Verstandes no'ch
viel weniger in die Erkenntnis Gottes einzudringen. Sie
ist und bleibt für seinen Verstand ein Geheimnis, und
trotz all seiner Spekulationen tappt er unaufhörlich im
Finstern umher, wie ein Blinder am Hellen Mittage.
Denn die Erkenntnis Gottes beruht nicht auf den Spekulationen des menschlichen Geistes, noch läßt sie sich einstudiren auf den Hochschulen menschlicher Wissenschaft.
Solche Studien sind in dieser Beziehung völlig fruchtlos;
sie bestätigen nur das Wort des Apostels, der da sagt:
„Wo ist der Weise? Wo der Schriftgelehrte? Wo der
Schulstreiter dieses Zeitlaufs? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht?" (1. Kor. 1, 20.)
Und der Herr selbst sagt: „Ich preise Dich, Vater, Herr
des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen
und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen
geoffenbart! Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig
vor Dir." (Matth. 11, 25. 26.) Wenn der Mensch mit
seinem Verstände Gott ergründen könnte, so müßte er
sein wie Gott, aber dann wäre Gott nicht mehr Gott.
Der natürliche Mensch kennt nichts von der Weisheit Gottes, „welche keiner von den Fürsten dieses Zeitlaufs erkannt hat; denn wenn sie dieselbe erkannt hätten,
so würden sie Wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben." (1. Kor. 2.) Die Welt hat keine Ahnung
gehabt von der Größe Dessen, der in ihrer Mitte war.
Aber diejenigen, welche Augen dafür hatten, haben „Seine
40
Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingebornen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit."
(Ev. Joh. 1, 14.)
(Schluß folgt.)
Eli und seine Söhne.
(Auszug aus Vorträgen von G. R. über 1. Sam. 1. 2.)
Bei den Opfern des alten Bundes war es von Gott
festgestellt, welchen Teil der Priester von denselben erhalten sollte. Bei den Brandopfern gehörte alles Gott
allein; bei andern Opfern erhielten der Priester und der
Opfernde ihr Teil, wodurch sie mit Gott in Gemeinschaft
traten. Meistens war es die Schulter oder ein anderes
genau beschriebenes Stück. Die Söhne Elis aber nahmen
vom Opferfleisch, was sie wollten, mit Verachtung der
Gebote Gottes und mit Gewaltthat gegen die Opfernden,
und gerade dies wurde ihnen als eine schwere Sünde
angerechnet. „Und die Sünde der Jünglinge war sehr
groß vor Jehova, denn die Leute verachteten das Speisopfer Jehova's." Wenn Gott eine besondere Verordnung
gegeben hat, so muß diese aufrecht erhalten bleiben, es
sei denn, daß Gott sie selbst wieder aufhebt. Allein jene
Männer fragten nichts nach Gott und Seinem Worte,
sondern thaten, was sie wollten. Wir finden im Worte
Gottes viele Beispiele davon, wie der Mensch in allem,
was Gott ihm gegeben, sich als Uebertreter erwiesen hat.
So gingen die beiden Söhne Aarons, Nadab und Abihu
ins Heiligtum hinein mit fremdem Feuer und wurden
dafür mit augenblicklichem Tode bestraft; „denn," sagt der
41
Herr, „unter denen, die mir nahen, will ich geheiligt,
und vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden."
(3. Mos. 10, 3.)
So sehen wir auch hier, daß Gott die Söhne Elis
wegen ihrer Sünden härter strafte, als andere, weil sie
ihm als Priester näher standen. Denn je höher unsere
Stellung, desto größer ist auch unsere Verantwortlichkeit; je
näher wir Gott stehen, desto genauer wird Er es auch
mit uns nehmen. Wem viel gegeben ist, von dem
wird viel gefordert werden. „Jeglichem aber, dem viel gegeben ist, bei dem wird viel gesucht werden; und dem
man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr
fordern." (Luk. 12, 48.) Mose und Aaron durften
wegen einer Sünde das gelobte Land nicht betreten.
„Darum daß ihr nicht an mich geglaubt habt, mich zu 
heiligen vor den Augen der Kinder Israel, deswegen sollt
ihr diese Versammlung nicht bringen in das Land, das
ich ihnen gegeben habe." (4. Mos. 20, 12.) So wurde
die Sünde des Unglaubens an diesen beiden Männern
weit strenger heimgesucht, als an allen andern Israeliten.
Der Herr wird in Seiner Regierung den Ungehorsam
stets am meisten an solchen rügen, welche die größte Erkenntnis besitzen. Jeder wird beurteilt nach seiner Stellung und nach dem Lichte, das er hat. Laßt uns deshalb nicht vergessen, daß, wenn Gott uns mehr Wahrheit
gegeben hat, als andern, wir Ihm auch um soviel treuer
dienen sollten. Wenn wir es nicht thun, so wird der
Herr uns mehr richten als andere, denn es ist offenbar,
daß der Herr durch unsre Untreue und Gleichgültigkeit
weit mehr verunehrt wird, als wenn andere, die weniger
Erkenntnis besitzen als wir, dieselben verkehrten Wege
42
gehen. Unser Ungehorsam beleidigt die Majestät Gottes
weit mehr, und wir sind weit schuldiger. Infolge dessen
wird der Herr auch einen bösen Zustand bei uns in
Seiner Regierung viel schwerer rügen als bei jenen.
Der hervorragendste Charakterzug der Sünde der Söhne
Elis war Eigenwille und Gewaltthat. Der Eigenwille ist
in den Augen Gottes etwas überaus Schlechtes. In
1. Sam. 15, 23 heißt es: „Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, nnd Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst." Wir sehen deshalb auch, welch
schwere Gerichte diese Sünde über Eli und sein ganzes Haus
brachte. Mit der Zeit durfte keiu Priester mehr aus dem
Hause Elis dem Herrn dienen, nach dem Worte des zu
Eli gesandten Mannes Gottes (Kap. 2.), dessen Weissagung
unter Salomo in Erfüllung ging. Abjathar wurde, weil er
an der Empörung gegen David teilgenommen hatte, vom
Priestertum ausgeschlossen. (1. Kön. 2, 26. 27.) Wenn
trotz aller Warnungen das Herz sich nicht zu Gott wendet,
so ist das Gericht unabwendbar. (Vergl. Spr. 29, 1.)'
Eli war zwar fromm, aber schwach. In der Art und
Weise, wie er sich gegen Hanna und ihren Sohn benahm,
zeigte er Frömmigkeit, aber er hatte keine Energie, weder 
für das Gute, noch gegen das Böse. Gott sandte daher
jenen Propheten zu ihm, um ihu daran zu erinnern, wie
Er seinen Vater aus allen Stämmen Israels sich zum
Propheten erwählt habe und auch sein Haus und seines
Vaters Haus habe beständig vor Ihm wollen wandeln
lassen. So hatte Gott einst zu dem Vater Elis reden
können, aber was mußte Er ihm heute sagen lassen angesichts der Sünde seiner Söhne, welche er ungehindert hingehen
ließ? „Fern sei es von mir l denn die mich ehren, werde
43
ich ehren; die aber, die mich verachten, werden gering geachtet werden." (Kap. 2, 30.)
Gott hatte sich dereinst Aaron nnd seine Söhne zu
Priestern erwählt, und als Korah mit seinem Anhang sich
gegen das priesterliche Haus erhob, hatte Gott das Priestertum Aaron's bestätigt, indem Er dessen Stab grünen ließ.
(4. Mos. 17, 8.) Wenn Gott sich in dieser Weise znm
Hause Elis bekannt hatte, so war es dessen Pflicht, sich
dafür dankbar zu erweisen. Allein daran ließ er es gänzlich fehlen. Wie wichtig ist es, sich zu prüfen, ob man
nicht sich selbst und die Seinigen mehr liebt, als Gott!
Das priesterliche Geschlecht hätte immer denselben Eifer
für die Ehre Gottes an den Tag legen sollen, wie im
Anfang von den Leviten gesagt werden konnte: „Der zu
seinem Vater und zu seiner Mutter spricht: Ich sehe ihn
nicht, und seine Brüder erkennet er nicht, und von seinen
Söhnen weiß er nichts; denn sie beobachten Dein Wort,
und Deinen Bund bewahren sie." (5. Mos. 33, l>.)
Wenn Gott die Leviten für sich absonderte, so that Er
es deshalb, weil Er vor allem ihr Teil sein wollte.
Genau so verhält es sich mit jedem Kinde Gottes. Es
bleibt immer wahr: „Wer Vater oder Mutter oder Weib
oder Kinder mehr liebt, als mich, der ist meiner nicht
wert." Bemerkenswert ist es, daß der Mann Gottes nicht
sagt: „Warum schlagen deine Söhne aus wider mein
Schlachtopfer und mein Speisopfer?" sondern: „warum
schlaget ihr aus wider mein Schlachtopfer" u. s. w.? Und
ebenso: „Und du ehrest deine Söhne mehr denn mich,
daß ihr euch mästet von den Erstlingen aller Opfer
Israels, meines Volkes." Zwar schwieg Eli nicht ganz
still zu der Sünde seiner Söhne, doch verhielt er sich
44
viel zu gleichgültig ihrem ruchlosen Treiben gegenüber, und
deshalb wurde ihre Uebertretuug ihm ebenfalls zugerechnet.
Das ist sehr ernst. Wohl ist es wahr, daß Gott
treu ist; nichts wird uns von Seiner Liebe in Christo
Jesu, unserm Herrn, zu scheiden vermögen. In Trübsal,
Angst, Verfolgung, Blöße, Hungersnot, Gefahr oder Schwert
sind wir mehr als Ueberwinder durch Den, der uns geliebt hat. Aber es steht auch geschrieben, daß, wenn
Einer für alle gestorben ist, somit alle gestorben sind,
auf daß die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben,
sondern Dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.
Wenn wir jetzt leben, so haben wir Dem zu leben, der
uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat. Die
Seele wird keinen wahren, völligen Frieden finden, bis
sie für Ihn lebt. Wir sind erkauft, um dem Herrn zu
dienen. Die Leviten hatten kein Erbteil, weil der Herr
ihr Erbteil war, und so hat auch der Christ in dieser
Welt nichts zu suchen; er hat keine Verheißung für diese
Erde, sein Erbteil ist ebenfalls der Herr, und diesem
Herrn zu folgen und zu dienen, ist sein Beruf. Wo das
Herz nicht für den Herrn schlägt, da kann auch kein
wahrer Segen sein. „Die mich ehren, werde ich ehren,"
sagt der Herr, „die aber mich verachten, werden gering
geachtet werden." Fragen wir uns, geliebte Brüder, ob
wir immer die Ehre des Herrn gesucht, oder ob wir nicht
manches Mal Ihn und Seine Ehre vernachlässigt unb
geringgeschätzt haben!
Wir sehen, wie der Herr sich wirklich von dem Hause
Elis abwandte. Es war schon eine Demütigung für
Eli, daß der Herr sich nicht ihm, sondern dem zarten
Knaben Samuel offenbarte und ihm die Gerichte anzeigte.
45
welche Er über das Haus Elis bringen wollte. Doch
wie konnte es anders seins Der Herr hatte gesagt:
„Unter denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor
dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden," und Er
hatte dies gezeigt, indem Er Nadab und Abihu, die Söhne
Aarons, nicht verschonte. So konnte Er auch hier das
böse Treiben der Söhne Elis nicht ungestraft lassen.
Aber es ist köstlich zu sehen, wie ungern Gott richtet, und
daß Er eS nur thut, wenn Ihm kein andrer Weg übrig
bleibt. Sogar dem Gesetzlosesten gegenüber verzieht der
Herr mit dem Gericht, wenn dieser sich demütigt. Aber
Eli demütigte sich nicht, trotzdem er wußte, wie es mit
Seinen Söhnen stand, und welch ein schreckliches Gericht
ihn und sein Haus treffen sollte. Er hätte als ein treuer
Diener Gottes und als ein rechter Vater seine Söhne
ernstlich zurechtweisen und strafen sollen, aber er that es
nicht. Wie ernst hatte der von Gott gesandte Prophet
mit ihm geredet! Aber Eli scheint trotzdem kein Leid getragen zu haben. Und doch wäre es für ihn an der
Zeit gewesen, in Sack und Asche Buße zu thun. Es zeigt
dies, wie wenig Gefühl Eli vor Gott hatte. Wenn
jemand mit einem solchen Auftrage kommt, wie der Manu
Gottes, und es macht keinen Eindruck, so begreift man,
warum Gott strafen muß. Der Herr hätte so gern
anders gehandelt. Wenn das Herz sich wirklich demütigt,
so ergreift der Herr mit Freuden jeden Anlaß, um sich
die angedrohte Strafe reuen zu lassen. Sobald Ahab,
der böse, götzendienerische Ahab, Buße that, ließ Gott mit
Seinem Zorne von ihm ab. Aber so groß einerseits die 
Langmut des Herrn ist, so zeigt Er andrerseits doch auch
Seinen Ernst. Er läßt Seinem untreuen Priester durch
46
Samuel jagen: „Ich habe ihm kundgemacht, daß ich sein
Haus richten will ewiglich um der Ungerechtigkeit willen,
die er gewußt hat, daß seine Söhne sich den Fluch zugezogen, und er hat ihnen nicht gewehrt." (Kap. 3, 13.)
Wie wichtig und lehrreich sind diese Dinge für das
Leben eines jeden Einzelnen, besonders des Christen. Der
wahre Gläubige wird, Dank der Gnade Gottes, zwar
nicht verloren gehen, dennoch kann die Züchtigung gehen
bis zum Tode. Darum sollten wir ein ernstes Selbstgericht üben über unsere Gedanken, Worte und Werke.
Wie traurig, wenn Gott züchtigen muß, Er, von dem
Mose sagt, daß Er sich das Böse gereuen läßt, wenn
nur das Herz sich demütigt! Aber ach! Eli demütigte
sich, wie gesagt, nicht. Welch eine Gleichgültigkeit und
Härte deS Herzens offenbaren seine Worte: „Er ist
Jehova, Er thue, was gut ist in Seinen Augen."
(Kap. 3, 18.) Welch eine traurige Sprache gegenüber
all der Langmut und Geduld, welche Gott ihm und
seinem Hause erwiesen hatte! Seine Geduld war wahrlich
groß gewesen.
Wie köstlich ist es andrerseits, in diesen ernsten
Kapiteln neben der Untreue und Gleichgültigkeit Eli's die
kindliche Einfalt und Treue Samuels zu betrachten und
zu sehen, wie der Herr mit ihm in lieblichen Verkehr tritt
und ihn vor den Menschen ehrt. „Die mich ehren, werde 
ich ehren," ist ein göttlicher Grundsatz, der stets wahr
bleibt. Wenn wir uns zu verurteilen haben, so laßt es
uns doch thun, denn Gott ist größer, als unser Herz und
kennet alles. Der Herr gebe uns in allen Dingen ein 
zartes Gewissen, ein Herz, das sich durch Ihn belehren läßt!
47
„Milch ohne Geld."
„Wohlan, ihr Durstigen, kommt zu den Wassern,
und die ihr kein Geld habt, kommet, kaufet und esset; ja
kommet, kaufet ohne Geld und ohne Kaufpreis: Wein und
Milch. Warum wäget ihr Geld dar für das, was nicht
Brot ist, und eure Arbeit für das, was nicht sättigt?
Höret doch mir zu und esset das Gute, und lasset eure
Seele sich ergötzen an Fettem! Neiget euer Ohr und
kommet zu mir, höret, und eure Seele wird leben!"
(Jes. 55, 1-3.)
Diese liebliche Stelle mit ihrer gnädigen Einladung
an alle, die unbefriedigt sind und nach dem Heile ihrer
Seele dürsten, verbindet sich, so erzählt Dr. W., ein englischer Arzt, mit einem kleinen Vorfall, welchen ich vor
einigen Jahren erlebte und dessen Mitteilung vielleicht
der einen oder andern suchenden Seele von Nutzen sein
tonnte. Ich befand mich damals mit einem Freunde
im Norden von Irland auf einer Reise, die wir eigens
zu dem Zwecke der Verkündigung des Evangeliums unternommen hatten. Es war im Monat September und
das Wetter äußerst schön und warm. Wir hatten versprochen, am 14. September in L. zu sein und näherten
uns langsam dem Ziele unsrer Reise. Am Abend des
13. kehrten wir bei einem Freunde und Bruder in Christo
ein, der uns mit großer Herzlichkeit aufnahm. Wir hatten
jetzt die Wahl; entweder konnten wir die Stadt L. auf
einem weiten Umwege mit der Eisenbahn erreichen, oder 
wir mußten einen Botenwagen benutzen, der direkt über
die Berge nach L. fuhr. Auf den Rat unsers Gastwirts
wählten wir das letztere. Nachdem wir uns mit einer ge­
48
nügenden Anzahl von Traktaten und Erweckungs-Schriften
versehen hatten, traten wir am nächsten Morgen unsere
Reise an. Mein Freund saß auf der einen, ich auf der
andern Seite des Wagens, und während unsrer ganzen
Fahrt streuten wir die kostbare Saat des Evangeliums
aus. Wir ließen keinen Wandrer vorübergehen, ohne ihm
einen unsrer kleinen Friedensboten mit auf den Weg zu
geben. Zuweilen stiegen wir auch ab, wenn der Wagen
unsers Boten langsam die Hügel hinauffnhr, und benutzten
die Gelegenheit, auch den im Felde arbeitenden Landleuten
einen Traktat einzuhändigen oder ein kurzes Wort mit
ihnen zu reden. Wir freuten uns, daß die Schriftchen
überall mit Dank angenommen wurden, und ich bin überzeugt, daß an dem zukünftigen Tage noch manche Frucht
dieses stillen, aber so schönen Dienstes offenbar werden
wird. Möchten die Erkauften des Herrn überall nicht
müde werden, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes
auch in dieser Weise zu verbreiten! Schon manches Herz
ist auf diesem Wege erreicht worden, das sonst vielleicht
unzugänglich geblieben wäre.
So vergingen mehrere Stunden in eifriger Thätigkeit. Allmählich begann die Sonne sehr heiß zu scheinen,
nnd wir wurden durstig. Doch vergebens sahen wir uns
nach einem Brunnen oder Bächlein um, an dessen frischem
Wasser wir unsern Durst hätten löschen können. Als wir
deshalb an einem kleinen Bauernhause vorbeifuhren, bat
ich unsern Boten, einen Augenblick zu halten, sprang vom
Wagen herab und klopfte an die Thüre der ländlichen
Wohnung. Diese öffnete sich gleich darauf, und eine
junge Bauersfrau, ohne Zweifel die Herrin des kleinen
Anwesens, schaute mich fragend an. Nachdem ich ihr
49
„Guten Tag!" gewünscht, fragte ich sie: „Würden Sie
nicht so freundlich sein, mir etwas Milch zu verkaufen?"
Sie zögerte einen Augenblick und erwiderte dann in
bestimmtem Tone: „Nein!" fügte aber sogleich mit
freundlichem Lächeln hinzu: „Ich will Ihnen aber Milch
geben," indem sie auf das „geben" denselben Nachdruck
legte, wie vorher auf das „Nein."
Mit diesen Worten wandte sie sich um, um die versprochene Milch zu holen. Ich konnte nicht umhin, zu
meinem Freunde, der inzwischen an meine Seite getreten
war, zu sagen: „Nun, waS meinst Du dazu? Ist es nicht
gerade so mit dem Evangelium? Gott schenkt Sein Heil
dem Sünder, aber Er verkauft es nicht." Einen Augenblick später erschien die Bäuerin wieder mit einem Topfe
kalter, süßer Milch, und nachdem wir uns durch einen herzhaften Trunk gelabt hatten, setzten wir unsre Reise fort, jedoch
nicht, ohne vorher der freundlichen Geberin von Herzen
gedankt und ihr einige Traktate und Schriftchen zurückgelassen zu haben. Auch sprachen wir einiges mit ihr
über die große Errettung, welche Gott für den Sünderin Seinem Sohne zuwege gebracht hat und jetzt einer
jeden bedürftigen Seele frei und umsonst anbietet.
Seitdem habe ich manches Mal über diesen kleinen
Vorfall nachgedacht, und ich betrachte ihn als eine liebliche Darstellung der Art und Weise, in welcher Gott mit
Seelen handelt, die sich wirklich nach Errettung sehnen.
Wir wußten nichts von der Güte und Freundlichkeit jener
jungen Frau, an die wir uns wandten, und rechneten
deshalb auch nicht darauf. Gerade so ist es mit dem
Menschen. Völlig unbekannt mit Gott, weiß er nichts von
der Gnade und Liebe Seines Herzens; und obgleich der
50
Mensch bedürftig ist und auch vielleicht sein Bedürfnis
fühlt, so meint er doch, Gott etwas bringen zu müssen,
ehe er von Ihm empfangen kann, was ihm fehlt. Wenn
du, mein Leser, zu dieser Klasse von Personen gehörst,
so bitte Gott, daß Er dir die Augen öffnen möge, um
Seinen Weg der Errettung zu erkennen. Seine Gnade
hat diesen Weg bereitet; die Werke des Menschen konnten
und können nichts dazu beitragen. Es giebt zwei Gründe,
weshalb dies unmöglich ist. Zunächst ist Gott zu reich,
um Sein Heil zu verkaufen, und dann ist der Mensch zu 
arm, um es kaufen zu können. Willst du daher der Errettung teilhaftig werden, so mußt du sie als eine unverdiente Gnade aus den Händen Gottes annehmen.
Der Vers, mit welchem ich obige kleine Erzählung
eingeleitet habe, stellt diese Wahrheit in klarer uud einfacher Weise vor. Die „Durstigen" werden eiugeladen.
Befindest du dich unter der Zahl derselben? Du gehörst,
wenn du anders um Dein Seelenheil bekümmert bist, unzweifelhaft zu ihnen; alle deine eigene „Arbeit," all
dein eigenes Bemühen ist vergeblich, ist, wie unser Vers sagt,
für das gewesen, „was nicht sättigt." Dein Durst kann
nimmermehr dadurch gelöscht werden; denn eine bekümmerte
Seele dürstet thatsächlich nach Gott und nach Seinem Heil
in Christo, obwohl sie es selbst vielleicht nicht weiß, noch in
Worte einzukleiden versteht. Und ihr Durst dauert fort,
auf welcherlei Weise sie ihn auch zu löschen versuchen mag,
wie der Herr zu dem Weibe zu Samaria sagt: „Jeglichen,
der von diesem Wasser (aus den Quellen dieser Welt)
trinkt, wird wiederum dürsten, wer irgend aber 
von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde,
den wird nicht dürsten in Ewigkeit." (Joh. 4, 13. 14.)
51
Köstliche Worte! Und ferner sagt der Herr: „Wenn jemanden dürstet, der komme zu mir und trinke," (Job. 7, 37.)
indem Er zugleich die gesegnete Versicherung giebt: „Merzn niir kommt, wird nie hungern, und wer an mich glaubt,
wird nimmermehr dursten .... und wer zu mir kommt,
den werde ich nicht hinauswerfen." (Joh. 6, 35. 37.)
Nun, mein lieber Leser, bist du nicht eingeladen ? Geben
dir diese herrlichen Worte nicht den Mut, zu dem Heilande
zu eilen? Bist du durstig, verlangst du nach Errettung
und Vergebung deiner Sünden? Ei, so komme doch zu
Ihm und trinke nach Herzenslust! Höre doch: „Wohlan,
ihr Durstigen, kommet zu den Wassern!"
„Aber," sagst du vielleicht, „wie kann ich sicher sein
daß ich gemeint bin? Vielleicht bin ich nicht durstig genug,
nicht genug bekümmert um mein Seelenheil." Sehr wahrscheinlich bist du es nicht; niemals war jemand so bekümmert, wie er eS hätte sein sollen, angesichts der
schrecklichen Gefahr, in welcher jeder Mensch von Natur
schwebt, und des gerechten Hasses, welchen Gott gegen
den geringsten Flecken von Sünde hegt. Aber es handelt
sich nicht um das Maß deines Bekümmertseins, sondern
einfach um die Thatsache, daß du „durstig" oder bekümmert bist. Wenn Du es bist, so höre das Wort des
Herrn: „Ich will dem Dürstenden aus der Quelle des
Wassers des Lebens geben umsonst;" und: „Wen
da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser
des Lebens umsonst!" (Offbg. 21, 6; 22, 17.) Welch
herzerquickende Worte! „Ich will umsonst geben," das
ist es, was Gott thut. Wer da will, nehme umsonst;" das
ist es, was du thun solltest. Gott giebt; alles, was dir
zu thun übrig bleibt, ist, zu nehmen, was Er giebt.
52
„Doch was muß ich Ihm bringen?" fragst du. —
Nichts, mein lieber Freund. Komme zu Jesu, so wie du
bist. „Die, welche kein Geld haben," sind es gerade,
welche Gott einladet. Du bist nicht imstande, Gott für
das, was Er dir geben will, irgend einen Gegenwert
anzubieten; deshalb wirst du aufgefordert, zu kommen und
zu kaufen „ohne Geld und ohne Kaufpreis." Ist das
nicht ein gutes Kaufen, wenn der Verkäufer gar keinen
Kaufpreis von dir fordert, wenn du nur zu nehmen
brauchst? Ist das nicht ein glückseliges Rechten, wenn der
Richter zu dir sagt: „Komm und laß uns rechten mit
einander. Wenn deine Sünden sind wie Scharlach, wie
Schnee sollen sie weiß werden; wenn sie rot sind wie
Karmesin, wie Wolle sollen sie werden?" (Vergl. Jes. 1,18.)
Und bedenke, mit welchem Ernst Gott dich einladet!
Es ist, als wollte Er dich überreden, doch unverzüglich zu
kommen ohne Furcht und ohne Angst. Dreimal in einem
Verse wiederholt Er Seine Einladung: „Wohlan, ihr
Durstigen, kommet zu den Wassern, und die Ihr kein
Geld habt, kommet, kaufet und esset; ja kommet,
kaufet ohne Geld und ohne Kaufpreis: Wein und Milch."
Mit welcher Gewalt tönt dieses kurze, aber so bedeutungsvolle Wort an das Ohr aller, welche noch ferne von Gott
sind: „Kommet! kommet! kommet!" Wer könnte
eine solche Gnade von sich abweisen? Darum, mein Leser,
komme, wie du bist! Komme in deinen Sünden! Komme
mit deiner ganzen Schuld, mit allen deinen Bedürfnissen,
mit deinen: Kummer und deinem Weh, mit deiner Hülflosigkeit, deiner Armut, deinem Nichts, mit der Härte
deines Herzens — mit einem Worte, komme genau so,
wie du bist, komme zu Jesu, und du wirst in demselben
53
Augenblick Segnung, Vergebung, Reinigung und Errettung
empfangen.
Ja noch mehr, du wirst in den Besitz eines neuen
Lebens eingeführt, denn der Herr fügt Seiner Einladung
noch die Worte hinzu: „Neiget euer Ohr und kommt
zu mir, höret, und eure Seele wird leben." Dieses
neue Leben ist, wie alles andere, was die Seele von
Gott empfängt, eine Gabe, ein Geschenk, wie geschrieben
steht: „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christo Jesu, unserm
Herrn." (Röm. 6, 23.) Aber du kannst versichert sein,
daß du nichts empfängst, wenn du auf irgend einem
andern Wege Gott nahen willst, als auf demjenigen eines
verdammungswürdigen Sünders und eines dankbaren
Empfängers. Hast du nie gehört, daß der Herr Jesus
gesagt hat: „Geben ist seliger denn nehmen?" (Apstgsch.
2V, 35.) Wenn dies so ist, wem gebührt dann der gesegnetere Platz, dir oder Gott? Ohne Zweifel Gott. Denn
„ohne allen Widerspruch wird das Geringere von dem
Besseren gesegnet." (Hebr. 7, 7.) Darum, was willst du
thun? Was willst du sagen? O, möchtest dn mit dem
Apostel Paulus ausrufen: „Gott aber sei Dank für
Seine unaussprechliche Gabe!" (2. Kor. 9, 15.)
Friede.
Es giebt viele Christen, welche vor dem Gedanken,
wissentlich die Wirksamkeit des Blutes Christi in Frage
zn ziehen, zurückschrecken würden, die aber trotzdem keinen
wahren, gegründeten Frieden haben. Solche Gläubige
bekennen, über den Wert und die Allgenugsamkeit des
54
Blutes und Opfers Christi völlig gewiß zu sein, wenn
sie nur versichert wären, daß sie an diesem Werke das
gebührende Interesse nähmen, oder mit andern Worten, wenn
sie nur die rechten Gefühle und den rechten Glauben hätten.
In diesem unglücklichen Zustande steter Niedergeschlagenheit befinden sich weit mehr Seelen, als man
gewöhnlich denkt. Sie sind immer beschäftigt mit ihren
Gefühlen, mit ihrer Liebe und Dankbarkeit, mit ihrem
Interesse und ihrem Glauben, anstatt auf Christum und
auf Sein vergossenes Blut zu blicken und einfach dem
Worte Gottes zu vertrauen. Mit einem Worte, sie blicken
auf und in sich selbst, anstatt außer sich auf Christum.
Doch das ist nicht Glaube, und infolge dessen haben solche
Seelen auch nie wahren Frieden.
Wir sind so sehr geneigt, aus etwas, das in unS ist
oder wenigstens mit uns in Verbindung steht, zu blicken,
um uns daraus im Vereine mit dem Blute Christi eine
Grundlage für unsern Frieden zu bilden. Gerade im
Blick auf diesen wichtigen Punkt, die Vollgültigkeit des
Opfers Christi, herrscht unter den Christen unsrer Tage
ein beklagenswerter Mangel an Klarheit und Gesundheit
der Lehre, und daher kommen auch die vielen Befürchtungen und Zweifel, von welchen so mancher Christ immer
wieder angefochten wird. Anstatt das Werk Christi für
uns zu betrachten, blickt man auf die Früchte des Geistes
in uns als die Grundlage unsers Friedens. Doch nie
wird der Heilige Geist in der Schrift als Derjenige vor
unsere Augen gestellt, auf welchem unser Friede ruht.
Der Heilige Geist hat nicht Frieden gemacht, sondern
Christus. Der Heilige Geist wird nicht unser Friede
genannt, sondern „Christus ist unser Friede." (Eph. 2.)
55
Gott läßt nicht Frieden verkündigen durch den Heiligen
Geist, sondern durch Jesum Christum. Das Blut Christi
giebt Frieden, teilt eine vollkommene Rechtfertigung und
göttliche Gerechtigkeit mit, reinigt das Gewissen, bringt
uns in das Allerheiligste, rechtfertigt Gott, wenn Er den
Sünder in Gnaden aufnimmt, und giebt uns ein Anrecht
aus alle die Segnungen, die Freude und die Herrlichkeit
des Himmels.
Der Heilige Geist offenbart uns Christum und lehrt
uns Ihn mehr und mehr erkennen und genießen; Er
giebt Zeugnis von Ihm und nimmt von den Dingen
Christi und verkündigt sie uns. Er ist die Kraft der
Gemeinschaft, das Siegel, das Unterpfand des Erbes, die
Salbung. Kurz, Er ist nach jeder Seite hin in der gesegnetsten und wirklichsten Weise thätig. Ohne Ihn könnten
wir weder etwas von Christo kennen, noch hören, noch
genießen, noch auch Christum in unserm Wandel darstellen.
Alles das ist vollkommen wahr, aber trotzdem ist das
Werk des Geistes nicht der Grund unsers Friedens.
Er belehrt nie eine Seele, sich auf Sein Werk zu stützen
und auf Seiner Wirksamkeit zu ruhen. Sein Amt ist,
von Christo zu reden. Die Grundlage unsers Friedens
ist Christus allein, und zwar ein Christus, der sich ein
sür allemal geopfert hat und mit Seinem Blute in das
Allerheiligste gegangen ist — ein Christus, der Gott vollkommen verherrlicht, die Ansprüche Seiner Gerechtigkeit
in bezug auf uns vollkommen befriedigt und sich nach vollbrachtem Werke zur Rechten der Majestät in der Höhe 
gesetzt hat — ein Christus endlich, der unaufhörlich für
uns bittet und uns als „der Gerechte" allezeit bei dem
Vater vertritt. ^V.
56
Blicke auf Jesum!
Ein Blick zu dem Kreuze, im Glauben gethan,
Bringt Leben und ewiges Glück;
Drum richte zur Stunde dein Auge dorthin
Und wende dich nimmer zurück!
Warum ward der Reine zur Sünde gemacht?
Geschah's nicht dem Sünder zu gut?
Zu tilgen auch deine unzahlbare Schuld,
Vergoß Er Sein kostbares Blut.
Er kam nicht, Gerechte zu suchen, herab,
Den Sünder nur ladet Er ein;
Und wär' deine Schuld auch noch doppelt so groß,
Sein Blut macht von allem dich rein.
Nicht Thränen, nicht Buße, kein brünstiges Fleh'n
Nimmt eine der Sünden hinweg;
Es bahnte der Tod des Geliebten allein
Zum Herzen des Vaters den Weg.
Drum zweifle nicht länger, bekümmertes Herz!
O komme und fasse nur Mut!
Ja, ruhe in Jesu vollendetem Werk,
In Seinem vergossenen Blut!
O, richte zur Stunde dein Auge auf Ihn
Und wende dich nimmer zurück!
Ein Blick zu dem Kreuze, im Glauben gethan,
Bringt Leben und ewiges Glück.
Die beiden Geheimnisse.
(Schluß.)
Die Schrift zeigt uns Jesum als den „eingebornen
Sohn, der in des Vaters Schoß ist," und der zugleich
als ein wirklicher und abhängiger Mensch in vollkommenem
Gehorsam hienieden wandelte — sie zeigt uns Seinen
Platz und Seinen Pfad. Beide waren so unzertrennlich
mit einander verbunden, wie Seine Gottheit und Menschheit; denn Er ist „Gott, geoffenbart im Fleische," wahrer
Gott und wahrer Mensch. In allen Verhältnissen und
Umständen des menschlichen Lebens, durch welche Sein
Pfad Ihn hindurchführte, strahlte Seine Herrlichkeit hervor als die eines Eingebornen vom Vater, und durch
diese hindurch erglänzte die Herrlichkeit des Vaters. Denn
wer Ihn sah, sah den Vater; Er ist „der Abglanz Seiner
Herrlichkeit und der Abdruck Seines Wesens." Aber diese
Herrlichkeit wurde in Ihm als dem wirklichen Menschen
Christus Jesus gesehen, welcher in den einfachsten und
niedrigsten Verhältnissen dieses Lebens als ein gehorsamer
Diener einherging. Welch eine wunderbare, dem Verstände
des Menschen unfaßliche Sache! Ein Mensch, der als
der ewige Sohn Gottes, als eins mit dem Vater, immer
in dessen Schoß ist, verfolgt zugleich als ein Diener in
vollkommenem Gehorsam hienieden Seinen Pfad! Und
welch ein Pfad war das! In einer Welt, deren Zustand
58
den völligsten Gegensatz zu dem ewigen Wohnplah des
Sohnes bildete, und wo alles im Widerspruch stand mit
der Natur und dem Willen Gottes, konnte eS für Ihn,
der gekommen war, um den Willen Gottes zu thun, nur
ein Pfad der tiefsten Prüfungen und Leiden sein; und
dies umsomehr, je unendlicher Seine Lieb? zum Vater
war. Aber eben diese Liebe war es auch, die Ihn in
diesen Prüfungen und Leiden nur eine Gelegenheit zur
Verherrlichung Seines Vaters erblicken ließ, und diese
also wiederum zu einer Quelle unaussprechlicher Freude
für Ihn machte. Denn Er wandelte ununterbrochen in
der Klarheit des Angesichts Seines Vaters, obwohl Er
als „der Mann der Schmerzen, mit Leiden bekannt,"
durch diese Welt ging; und darum war Sein Pfad, so
dornenvoll er einerseits sein mochte, andrerseits ein glücklicher und gesegneter. Mein Leser, kennst du diesen glückseligen Pfad der Freude, des Glaubens und des Gehorsams? diesen geheimnisvollen Pfad, von dem es
heißt: „Der Raubvogel kennt ihn nicht, und das Auge
der Weihe erspähet ihn nicht?" (Hiob 28, 7.) Kennst
du diesen Pfad im Lichte des Angesichts eines unendlich
liebenden Vaters? Ja, durch die Gnade ist dieser Pfad
des Sohnes Gottes der unsere geworden, nachdem uns
in Ihm ein Platz im Herzen des Vaters geschenkt ist
durch die Erlösung. Wie wichtig ist es, Seinen Platz
und Seinen Pfad zu verstehen! Und jemehr wir den
ersteren kennen, desto fähiger werden wir sein, den letzteren
zu wandeln.
Selbstredend ist und bleibt zwischen dem Herrn und
uns ein großer Unterschied, und wir haben denselben stets
mit aller Ehrfurcht und Demut im Gedächtnis zu behalten.
59
Er besitzt als der ewige Sohn Gottes eine persönliche
Herrlichkeit und Würde, die keine Kreatur mit ihm teilen
kann. Denn alles, was wir aus Gnaden sind und besitzen, sind und besitzen wir durch Ihn und in Ihm. Er
ist „Gott, geoffenbart im Fleische;" und Seine Erniedrigung änderte nichts an der Natur und dem Wesen Seiner
ewigen Gottheit, noch an der Natur der Gemeinschaft,
welche Er ununterbrochen mit dem Vater hatte, es sei
denn, daß diese dem Vater einen neuen Anlaß gab, den
Sohn zu lieben, wie wir lesen: „Darum liebt mich der
Vater, weil ich mein Leben lasse, auf daß ich es wieder
nehme." (Joh. 10, 17.) In Seiner Erniedrigung ruhte
das Auge des Vaters allezeit mit demselben Wohlgefallen
auf Ihm, wie in den Zeitaltern der Ewigkeit vor Grundlegung der Welt. *) Nicht genug können wir daher der
persönlichen Herrlichkeit des Sohnes Gottes eingedenk sein;
und wir sehen bei verschiedenen Gelegenheiten — wie z. B.
auf dem heiligen Berge — daß der Vater ein Vergessen
jener Herrlichkeit oder auch nur die geringste, selbst
unwissentliche Herabsetzung Seines Sohnes der Liebe nimmer
zugeben kann. Petrus stellte in seiner Unwissenheit Mose
und Elias mit dem Herrn auf gleichen Boden, indem er
*) Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einen unrichtigen
Ausdruck aufmerksam machen, der von manchen Gläubigen oft
im Gebet gebraucht wird und ihre Unkenntnis betreffs des Geheimnisfes der Person Christi verrät. Sie sagen und danken dem
Herrn dafür, daß Er den Schoß des Vaters verlassen habe. Allein
Christus hat als der ewige Sohn Gottes nie den Schoß des
Vaters verlassen, selbst dann nicht, als Er am Kreuze als unser
Stellvertreter von Gott verlassen war. Wer den obigen Ausdruck gebraucht, denkt nicht daran, daß Christus wahrer Gott
und zugleich wahrer Mensch war. Sicherlich birgt Sein Ver-
60
sagte: „Laß uns hier drei Hütten machen, Dir eine und
Mose eine und Elias eine." Doch er hatte kaum ausgeredet, als die Stimme des Vaters ertönte: „Dieser ist
mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden
habe, Ihn höret;" und von dem Augenblick an sahen die
Jünger niemanden mehr, als Jesum allein. Niemand
außer Ihm konnte einen solchen Platz in dem Herzen des
Vaters haben und der Gegenstand Seines Wohlgefallens
sein. Und wenn die Gnade uns zu Gegenständen Seines
Wohlgefallens gemacht hat, so konnte dies doch nur geschehen in Ihm und durch Ihn, den Geliebten. Jemehr
wir die persönliche Majestät und Herrlichkeit des Sohnes
Gottes erkennen, desto anbetungswürdiger erscheint uns
diese Gnade, die Seinen Platz im Herzen des Vaters
und Seinen Pfad hienieden zu dem unsrigen gemacht hat.
Ohne Zweifel werden hier stets unergründliche Tiefen
für uns bleiben, sowohl hinsichtlich des Pfades, als auch
des Platzes. Denn wer könnte den Pfad Dessen ergründen,
der, als die göttliche Liebe und Heiligkeit selbst, inmitten
einer Welt der Sünde und des Elends, der Leiden und
der Schmerzen vollkommen fühlte wie ein Mensch, und
bei welchem jeder Gedanke, jedes Wort und jede That
lasscnsein von Gott ein unergründliches Geheimnis in sich, und
wir müssen dessen in tiefster Ehrfurcht stets eingedenk bleiben,
da es uns einen Blick thun läßt in die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes gegenüber unsern Sünden und unserm Zustande.
Aber mit derselben Ehrfurcht und aus demselben Grunde müssen
wir die persönliche Herrlichkeit des Sohnes Gottes aufrecht halten,
denn eben diese ist es, die Seinem Opfertode den unvergleichlichen
und unergründlichen Wert verlieh, welchen er in den Augen
Gottes hat, und die Seinem Verlassensein wegen unsrer Sünden
den Charakter des Geheimnisses aller Geheimnisse giebt.
61
der Ausdruck der Macht des Heiligen Geistes und des
Gehorsams gegen Gott war? Wer könnte die in der
menschlichen Natur geoffenbarte göttliche Vollkommenheit
ergründen? Wer die Offenbarung der göttlichen Langmut
nnd Geduld, Gnade und Liebe in einem Menschen, der,
obwohl Gott seiend, keinen Gebrauch von Seiner Macht
inmitten des Widerspruchs und der höhnischen Herausforderungen elender Sünder machte, es sei denn zu ihren
Gunsten? Wer könnte die Macht und Energie des Geistes
in einem Menschen ergründen, der aus Gehorsam gegen
Gott auf das Nötigste verzichtete, während Ihm die ganze
Schöpfung zu geböte stand und sozusagen zu Seinen Füßen
lag? Wer könnte die Heiligkeit des Wandels eines
Menschen verstehen, dessen Gemeinschaft mit Gott eine
völlig ununterbrochene war? Und wer könnte ergründen,
was der Schoß des Vaters für den Sohn war und ist,
sowie die Liebe, das Glück und die Freude, die Er dort
genoß und genießt? Wer könnte den Wertschätzen, welchen
die Person und der Pfad des Sohnes für den Vater
hatte? Wer die Wonne fassen und beschreiben, die das
Vaterherz in dem Anschauen des Sohnes Seiner Liebe
empfand und in alle Ewigkeit empfindet? Und dennoch
sind es diese Dinge, „die uns von Gott geschenkt" und
deren Tiefen uns durch die Gnade im Worte geoffenbart
sind, damit wir sie unter der Leitung des Heiligen Geistes
erforschen sollen; und dennoch ist dieser Platz und dieser
Pfad in Christo Jesu der unsrige geworden. Alles besitzen
wir durch Ihn und in Ihm — selbstredend nicht Seine
ewige Gottheit, wohl aber Seine göttliche Natur; nicht
die Macht Gottes, wie Er sie auch als Mensch besaß,
wohl aber Seine moralische Kraft; denn derselbe Geist,
62
in dessen Kraft Er hienieden gewandelt hat, wohnt
auch in uns.
Lieber Leser, kennst du diesen Platz des Sohnes
Gottes? Kannst du glauben, daß du in Ihm dem Herzen
des Vaters ebenso nahe gebracht und geliebt bist, wie Er
von Ihm geliebt ist? Höre, was Er selbst sagt: „Und
die Herrlichkeit, die Du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind.
Ich in ihnen und Du in mir, auf daß sie in eins vollendet
seien, und auf daß die Welt erkenne, daß Du mich gesandt undsie geliebt, gleichwieDu michgeliebt
hast." (Joh. 17, 22. 23.) Er teilt mit uns Seine Herrlichkeit, welche der Vater Jhni als Belohnung für Seine
freiwillige Erniedrigung gegeben, und in welcher Er mit
uns vor der Welt erscheinen wird, und zwar um dieser
den öffentlichen Beweis zu liefern, daß wir an derselben
Liebe. teil haben, womit Er geliebt ist. Wie überaus
groß wird diese Herrlichkeit sein, wenn einmal alles, was
in den Himmeln und auf der Erde ist, unter Ihm als Haupt
vereinigt und alles Seinen Füßen unterworfen sein wird,
wenn jedes Knie der Himmlischen, Irdischen und Unterirdischen vor Ihm sich beugen, und jede Zunge bekennen
wird, daß Er Herr ist zur Verherrlichung Gottes des
Vaters? Aber größer noch als alles ist Sein Platz im
Schoße des Vaters — dem Mittelpunkt aller Herrlichkeit
— und unser Platz in Ihm, dem Geliebten. Welch eine
Gnade, jetzt schon in Ihm dort unsern Platz und unser
„Teil mit Ihm" zu haben! *) Welch ein köstliches Teil!
*) Ohne Zweifel setzt der Genuß dieser Gemeinschaft nicht
nur die Erlösung und den Besitz der göttlichen Natur, sondern
auch die praktische Reinheit voraus. Denn Gott ist Licht, und
63
Der Herr beauftragte die Maria Magdalena mit der
herrlichen Botschaft an Seine Jünger: „Gehe aber hin
zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf
zu meinem Vater und zu euerm Vater, und zu meinem
Gott und zu euerm Gott." (Joh. 20, 17.) ES war die
erste Botschaft, die Er den Seinen nach Seiner Auferstehung sandte und wodurch Er sie mit ihrer neuen,
auf die Erlösung gegründeten Stellung bekannt machte.
Und in der That ist das Werk vollbracht, unsre Erlösung
eine vollendete Thatsache; in der Auferstehung Christi
haben wir ein neues Leben empfangen. Denn Er selbst
ist unser Leben. Aber nicht allein das; Er hat auch
auf Grund Seines vollbrachten Werkes den Heiligen Geist
herniedergesandt, um Wohnung in uns zu machen, und
dieser ist die Macht des neuen Lebens, kraft dessen wir
Gemeinschaft haben mit dem Vater und dem Sohne.
Darum sagt auch der Apostel: „Und das Leben ist geoffenbart worden, und wir haben gesehen und zeugen und
verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater
war und uns geoffenbart worden ist; was wir gesehen
und gehört haben, verkündigen wir euch, auf daß auch
ihr mit uns Gemeinschaft habet; und zwar ist unsre Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu
Christo. Und dies schreiben wir euch, auf daß eure
Freude völlig sei." (1. Joh. 1, 2—4.) Dasselbe sagt
der Herr in Joh. 17, wenn Er von der herrlichen Stellung
wie könnten wir mit Ihm Gemeinschaft haben, wenn wir in
irgend einer Weise verunreinigt sind? Obwohl daher der Herr
zu Seinen Jüngern sagen konnte: „Ihr seid rein," so mußte Er
doch auch zu Petrus sagen: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast
du kein Teil mit mir." (Joh. 13, 8.)
64
der Seinigen redet. Er stellt sie mit sich in dasselbe Verhältnis zum Vater, indem Er sagt: „Und dies rede ich
in der Welt, auf daß sie meine Freude völlig
in sich haben." Die Seinen sollten dies hienieden hören'
und verstehen, und dieses Verhältnis als ihr gegenwärtiges Teil kennen, und infolge dessen dieselbe
Freude genießen, welche Er in dieser Gemeinschaft auf
Seinem mühe- und leidensvollen Pfade genossen hatte.
Und nun, geliebter Leser, ehe wir weiter gehen,
fragen wir uns noch einmal: Kennen wir diesen Platz,
und befinden wir uns dort in der Kraft des Heiligen
Geistes, in dem Bewußtsein einer vollbrachten Erlösung
und der dadurch bewirkten vollkommenen Vergebung und
Reinigung, sowie in dem Genuß der Liebe des Vaters,
des Friedens und der Freude des Sohnes Gottes? Denn
das war der Platz des Christen in den Ratschlüssen Gottes
schon vor Grundlegung der Welt, und er ist und bleibt
es in die Zeitalter der Zeitalter.
Es ist wahr, wir tragen noch den Leib der Niedrigkeit und sind noch umgeben von dieser Welt der Sünde,
welche im Bunde mit Satan uns auf jegliche Weise zu
beeinflussen und zu stören sucht. Aber die Sünde an und
für sich kann unsre Gemeinschaft mit Gott nicht stören, 
denn wir besitzen eine vollbrachte Erlösung. Und obgleich
die Sünde noch in uns wohnt, so ist diese doch ebensowohl
wie unsere Sünden am Kreuze gerichtet, und wir sind
jetzt in dem zweiten Adam, dem auferstandenen und verherrlichten Christus; der Heilige Geist wohnt in uns,
und das Leben des Sohnes Gottes ist unser
Leben, Sein Gott und Vater ist unser Gott und Vater,
und Sein Pfad unser Pfad.
65
Aber woher kommt es, daß wir so wenig von dieser
Freude kennen, welche der Sohn Gottes auf diesem Pfade
in vollkommenem Maße genoß, und welche, wie Er sagt,
auch wir ebenso völlig genießen sollen? Einfach daher,
weil wir uns zu wenig in der Kraft des Heiligen Geistes
auf diesem Pfade und ebensowenig in der Gemeinschaft
mit dem Vater und. dem Sohne befinden. Beides ist
unzertrennlich mit einander verbunden; man kann nicht
praktisch in dieser Gemeinschaft sein, wenn man sich nicht
auf jenem Pfade befindet. Das, was letzteren kennzeichnet,
ist Gehorsam und Kraft. Zuerst der Gehorsam, dann die
Kraft, denn der Heilige Geist kann nur dann Seine
Macht in uns entfalten, wenn unser Wille gebrochen und
unsre Herzen Ihm unterworfen sind. Dies sehen wir
deutlich in dem Leben des Herrn Jesu, obgleich Er nie
einen bösen Willen hatte, der gebrochen werden mußte.
Sein Wille und Sein Herz waren dem Willen Gottes
völlig unterworfen, und Er nahm gleich im Beginn Seines
öffentlichen Dienstes Seinen Platz als abhängiger Mensch
ein, indem Er sich einsmachte mit dem bußfertigen Ueberrest und sich gleich diesem taufen ließ und betete. Infolge dessen wurde der Himmel aufgethan, und der Heilige
Geist kam auf Ihn hernieder. Dasselbe finden wir bei 
den Jüngern vor dem Pfingsttage; sie waren versammelt
und hielten alle einmütig an am Gebet. Die Antwort
darauf von feiten Gottes war die Ausgießung des Heiligen Geistes. Ich sage nicht, daß die Erfüllung der verheißenen Sendung des Heiligen Geistes von den Gebeten
der Jünger abhängig war, sondern spreche nur von diesem
Zustand der Abhängigkeit, der sich bei ihnen wie auch bei
dem Herrn in den Gebeten kund gab, als sie den Heiligen
66
Geist empfingen. So finden wir auch bei einer andern
Gelegenheit, daß sie alle erfüllt wurden mit dem Heiligen Geiste, nachdem sie gebetet hatten. (Apstgsch. 4,31)
Nicht daß sie Ihn aufs neue empfangen hätten — das
war ein für allemal geschehen — aber ihr Zustand war
ein solch abhängiger, daß Seine Macht sich in ihnen in
besondrer Weise offenbaren konnte. Dies war bei dem
Herrn immer in vollkommener Weise der Fall; Er war
stets vollkommen abhängig von Gott und war erfüllt mit
dem Geiste „ohne Maß." Voll Heiligen Geistes kehrte
Er vom Jordan zurück und wurde durch den Geist in die
Wüste geführt, und nachdem Er dort durch ein vollkommenes Verharren in der Abhängigkeit von Gott den
Sieg über jegliche Versuchung Satans davon getragen,
kehrte Er in der Kraft des Geistes nach Galiäa
zurück. (Luk. 4.) Wir sehen, Sein Pfad war ein Pfad
„von Kraft zu Kraft," denn es war nichts in Ihm,
was den Heiligen Geist hätte betrüben können. Seine
Sprache als Diener Gott gegenüber war: „Du bist der
Herr," und: „Dein Wohlgefallen zu thun, Jehova, ist
meine Lust." (Ps. 16, 40.) Immer war der Vater der
Gegenstand und die Wonne Seines Herzens, und dessen
Verherrlichung der Beweggrund und Zweck Seines Wandels. Er konnte sagen: „Jehova ist das Teil meines
Erbes und meines Bechers .... Ich habe Jehova stets
vor mich gestellt, denn zu meiner Rechten ist Er." (Ps. 16.)
Wie ungetrübt konnte der Heilige Geist in Ihm wohnen,
dessen Herz so völlig unterworfen und von solchen Zuneigungen erfüllt war, wo sich stets eine so vollkommene
Einheit mit den Gedanken und Absichten Gottes offenbarte! Wie vollkommen mußte die Freude eines solchen
67
Herzens sein! „Darum freuet sich mein Herz, und es
frohlockt meine Herrlichkeit." (Ps. 16.)
Geliebter Leser, wie sieht es dagegen in unsern Herzen
aus, die wir berufen sind, Seinen Fußstapfen nachzufolgen, zu wandeln, wie Er gewandelt hat? Ist Christus
der Gegenstand und die Wonne unsrer Herzen, wie es
der Vater für Ihn war? Sind wir Ihm so völlig unterworfen, daß wir zu jeder Zeit und in allen unsern Plänen
zu Ihm sagen: „Du bist der Herr?" Dürfen wir uns
wundern, wenn bei der großen Kälte und Gleichgültigkeit,
die sich unter uns gegen Christum kundgeben, bei dem
vielen Ungehorsam und Eigenwillen, in welchem so mancher
unter uns ohne Furcht Tag für Tag vorangeht, der
Heilige Geist tief betrübt ist und infolge dessen Kraft und
Freude mangeln? Was kann es nützen, daß wir die
Lehre von der Befreiung dem Verstände nach kennen und
äußerlich auf dem Boden der Wahrheit stehen, wenn der
Heilige Geist tief betrübt über unsern HerzenSzustand sein
muß? Sicherlich können wir dann nicht sagen, daß wir
uns auf dem Pfade des Sohnes Gottes befinden — auf
dem Pfade des Gehorsams uud der Kraft, des Friedens
und der Freude. Unstreitig giebt es auf diesem Pfade
viel Kampf und viel Gebet und Flehen — Gebete, die
sich zum Angstruf steigern und zum ringenden Kampfe
werden mögen, aber darin zeigt sich gerade die völlige
Abhängigkeit. Das Gefühl der eignen Schwachheit, verbunden mit der Furcht Gottes, geht immer vereint mit
einem Zustande des unaufhörlichen Gebets und des Vertrauens auf Gott, und darin besteht unsre Kraft. „Meine
Kraft wird in Schwachheit vollbracht." Der natürliche
Mensch, der im Selbstvertrauen und in der Kraft des
68
Fleisches vorangeht, betrachtet einen solchen Zustand der
Abhängigkeit als Thorheit und bespöttelt ihn als große
Schwachheit; aber er kennt die Kraft Gottes nicht und
weiß nicht, daß „das Thörichte Gottes weiser ist, als die
Menschen, und das Schwache Gottes stärker ist, als die
Menschen." (1. Kor. 1, 25.) Aber auch viele Gläubige
verstehen leider so wenig von dem „guten Kampf des
Glaubens," der, geführt in der Kraft und Energie
des Geistes, sicher zum Siege führt und aus welchem
man, anstatt geschwächt, stets mit erneuerter Kraft hervorgeht. Auch glaube ich, daß viele Gläubige ebenso
wenig von der persönlichen Gegenwart und Macht des
Heiligen Geistes ahnen, der jetzt in unsrer Mitte
ist, als einst die Menschen von der Größe und Herrlichkeit des Sohnes Gottes ahnen mochten, der unter
ihnen wandelte.
So groß wie der Unterschied zwischen dem Menschen
der Sünde und dem Herrn Jesu ist, so weit gehen auch
die Pfade des ersten und des zweiten Adam auseinander;
aber ebenso verschieden ist auch der Ausgang von beiden. 
Der Zweck des Herrn Jesu hienieden war, den Willen
Gottes zu thun, worin derselbe auch bestehen und was
dessen Erfüllung auch kosten mochte. „Denn ich bin vom
Himmel herniedergekommen, nicht auf daß ich meinen
Willen thue, sondern den Willen Dessen, der mich gesandt
hat." (Joh. 6, 38.) Er war stets der Diener, der nichts
zu sagen, sondern nur zu gehorchen hatte. Aber Er war
dies freiwillig; und dieses kennzeichnet Seinen Gehorsam
in ganz besondrer Weise. Er war wahrhaftiger Mensch,
aber auch wahrhaftiger Gott, „Gott über alles, gepriesen in
Ewigkeit." Er gehorchte wie Einer, der Macht hatte über
69
alles und dem alles zu geböte stand, der aber freiwillig,
um zu gehorchen, keinen Gebrauch davon machte, es sei
denn zu Gunsten andrer. „Welcher, da Er in Gestalt
Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich
zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen
geworden ist und, in Seiner Stellung wie ein Mensch
erfunden, sich selbst erniedrigte und gehorsam ward bis
zum Tode, ja, zum Tode des Kreuzes." (Phil. 2, 6 — 8.)
Welch eine Erniedrigung, aber auch welch eine Erhabenheit in dieser Erniedrigung! Der Ausgang einer solchen
freiwilligen Erniedrigung und der dadurch bewirkten Verherrlichung Gottes konnte kein andrer sein, als die Verherrlichung des Namens Jesu in die Zeitalter der Zeitalter
— eine Verherrlichung sonder Gleichen. „Darum hat
Ihn auch Gott hoch erhoben und Ihm einen Namen
gegeben, der über jeglichen Namen ist, aus daß in dem
Namen Jesu jegliches Knie sich beuge, der Himmlischen
und Irdischen und Unterirdischen, und jegliche Zunge bekenne, daß Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung
Gottes, des Vaters." (Phil. 2, 9—11.) Gott hat Ihn
gesetzt zu Seiner Rechten in den himmlischen Oertern,
„über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Herrschaft
und jeglichen Namen, der genannt wird, nicht allein in
diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat
alles unterworfen unter Seine Füße." (Eph. l, 21. 22.)
Wie traurig stellt sich dagegen der Gesetzlose in
seinem Hochmut dar, der sich selbst erheben will, ohne
irgend welche Macht zu besitzen — denn ein „Hauch"
von feiten des Herrn, und er ist nicht mehr. „Den der
Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines
70
Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft." (2. Thess. 2, 8.) Das Gericht des Herrn wird
entscheiden, wer Autorität hat — Gott oder der Mensch;
es wird dem Hochmut des aufrührerischen Willens des
Menschen und seinen Anmaßungen für immer ein Ende
machen. Ja wahrlich, nichts kann thörichter und erbärmlicher sein, als der Hochmut und die Einbildungen des
Menschen, dessen Leben „ist wie ein Dampf, der eine kleine
Zeit sichtbar ist, dann aber verschwindet." (Jak. 4, 14.)
Wie eitel und nichtig ist das ganze Treiben und Thun
des Menschen, der blindlings seinem eignen Willen folgt,
ohne irgend welche Rücksicht auf Gott zu nehmen, und
der, aufgeblasen durch das scheinbare Gelingen seiner hochfahrenden Pläne, keine Ahnung von der schrecklichen Enttäuschung hat, die ein plötzliches Gericht über ihn bringen
wird! Mit Schrecken wird er die Thorheit seiner eignen
Wege erkennen müssen; er wird sehen, wohin dieselben
ihn geführt haben, und leider zu spät erfahren, was in
Wirklichkeit die Sphäre ist, in welcher er sich während
seines ganzen Lebens bewegt hat, wenn er fern von Gott
in ewiger Finsternis einer hoffnungslosen Verzweiflung
preisgegeben sein wird. „Die hohen Augen des Menschen
werden erniedrigt, und die Hoheit des Mannes wird
niedergebeugt werden; und Jehova allein wird erhaben
sein an selbigem Tage. Denn der Tag Jehova's der
Heerscharen wird kommen über alles Hoffärtige und Hohe
und über alles Erhabene, und es wird gedemütigt
werden.... Und es wird gebeugt werden der Hochmut
des Menschen, und erniedrigt die Hoheit des Mannes,
und Jehova allein wird erhaben sein an selbigem Tage.
Und die Götzen werden gänzlich verschwinden. Und man
71
wird gehen in die Höhlen der Felsen und in die Klüfte
der Erde vor dem Schrecken Jehova's und vor der Herrlichkeit Seiner Majestät, wenn Er sich aufmachen wird,
zu schrecken die Erde .... Lasset nun ab von dem
Menschen, dessen Odem in seiner Nase ist! denn worin
ist er zu achten?" (Jes. 2, 12 — 22.)
Das ist der traurige Ausgang des eignen Willens
und der eignen Wege des Menschen. „Gott widersteht den
Hochmütigen, aber den Demütigen giebt Er Gnade." Wie
traurig aber, wenn solche, die den Herrn kennen, oft Tag
für Tag nach einem Grundsatz wandeln, der zu solch
schrecklichen Resultaten führt! Wenn es einerseits auch
wahr ist und bleibt, daß die Errettung des Gläubigen
eine unumstößliche Thatsache ist, so bleibt doch andrerseits
niemand, der in irgend einer Weise seine eignen Wege
geht, sei er bekehrt oder nnbekehrt, vor mehr oder weniger
schrecklichen Enttäuschungen bewahrt. Solche Wege schließen
selbstredend immer Gott aus und können daher zu keinem
andern als zu einem traurigen Ziele führen. Wie groß auch
die Langmut und Geduld Gottes sein mögen, so bleibt
es dennoch ein unwandelbarer Grundsatz: „Irret euch
nicht, Gott läßt sich nicht spotten! Denn was irgend
der Mensch säet, das wird er auch ernten. Denn
wer für sein eigenes Fleisch säet, wird von dem
Fleische Verderben ernten; wer aber für den Geist säet,
wird von dem Geiste ewiges Leben ernten." (Gal. 6, 7. 8.)
Es giebt keinen Mittelweg zwischen Geist und Fleisch,
Licht und Finsternis, Gut und Böse. Ich stehe entweder
auf der einen oder auf der andern Seite.
Möchten wir doch stets eingedenk bleiben, daß der
wahre Charakter unsers eignen Willens, unter welcher
72
Form er sich auch offenbaren mag, nichts als Auflehnung
gegen die Autorität Gottes ist! Möchten wir in der Furcht
Gottes und mit aller Demut in allen Dingen prüfen,
was der Wille des Herrn ist — mit einem Wort, möchten
wir in der Kraft des Heiligen Geistes wandeln auf dem
Pfade des Sohnes Gottes, eingedenk unsrer
gesegneten Stellung in Ihm!
Die Gegenwart des Herrn in der Versammlung.
Unser Herr und Heiland hat uns für die Zeit Seiner
Abwesenheit die köstliche Verheißung hinterlassen: „Wo
zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da
bin ich in ihrer Mitte." (Matth. 18, 20.) In diesen
Worten hat Er Seine Gegenwart ohne Vorbehalt
verheißen: und zwar ist diese Verheißung unterschieden
von den Verheißungen, die Er in Joh. 14 gegeben und
erfüllt hat: nämlich die Sendung des „andern Sachwalters,"
des Geistes der Wahrheit, um bis ans Ende bei den
Seinigen zu sein, ferner die Jnwohnung des Heiligen
Geistes und das Wohnen Christi selbst in unsern Herzen.
Die angeführte Stelle (Matth. 18, 20.) enthält eine
besondere Verheißung von unendlichem Werte und unerschütterlicher Sicherheit. In Seiner Gnade hat der Herr
jetzt viele auf Grund dieser herrlichen Verheißung zusammengeführt, um Seine Gegenwart in ihrer Mitte zu genießen,
nachdem in den verflossenen Jahrhunderten diese Verheißung fast ganz vergessen oder wenigstens ihre Verwirklichung vernachlässigt worden war. Sie bildet die
Grundlage unsers Zusammenkommens auf dem in 2. Tim. 2
göttlich gelegten Grunde: „Ein jeglicher, der den Namen
73
des Herrn nennet, stehe ab von der Ungerechtigkeit. . . .
strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden,
mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem
Herzen." Das ist die göttliche Losung für die Heiligen
während der Zeit, daß sie die Rückkehr Christi erwarten.
In einer solchen Versammlung verheißt der Herr
Seine Gegenwart. Diese Verheißung ist also geknüpft
an die Ausübung deS Gemeinschafts-Lebens Seiner
Erlösten, wodurch sie ein Zeugnis sein sollen inmitten
dieser Welt und des gegenwärtigen bösen Zeitlaufs. Wir
sehen deutlich in 1. Kor. 14, 23 — 25, daß es die Absicht des Herrn ist, daß Seine Gegenwart in der Versammlung sich offenbare; selbst ein Ungläubiger sollte
erkennen können, daß Gott unter den versammelten
Korinthern war. Wie überaus wichtig ist es daher, daß
wir keinen Augenblick aus dem Auge verlieren, worin die 
Kraft unsers Zeugnisses besteht, nämlich in der Thatsache, daß der Herr unter uns ist.
Ferner knüpft der Herr Seine Verheißung an die
Ausübung der Zucht in der Mitte der Seinigen. Wir
lesen in den Versen, welche der angeführten Stelle vorhergehen, die Worte: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend
ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein; und was irgend ihr auf der Erde lösen
werdet, wird im Himmel gelöst sein. Wiederum sage ich
euch: daß, wenn zwei von euch werden einstimmig sein
auf der Erde über irgend eine Sache, um welche sie bitten,
diese ihnen werden wird von meinem Vater, der in den
Himmeln ist. Denn wo zwei oder drei versammelt
sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte."
(Matth. 18, 18-20.)
74
Der Herr spricht hier von gemeinsamen Handlungen,
von gemeinschaftlichen Beschlüssen, wodurch die Seinigen,
wenn sie versammelt sind, etwas binden oder lösen.
Aber ich frage: Worauf beruht die Wichtigkeit
des gefaßten Beschlusses oder der gemeinschaftlichen Bittend
Beruht sie auf der großen Zahl der versammelten Heiligen?
Nein, denn der Herr geht in Seiner Bezeichnung einer
Versammlung in Seinem Namen bis auf die geringste
Zahl von Personen herab, die sich überhaupt versammeln
können. Beruht sie dann auf der Würde, den Fähigkeiten oder der Erkenntnis der Versammelten, seien ihrer
viele oder wenige? Keineswegs. Wie wir sehen, leitet sich
die ganze Wichtigkeit, die ganze Feierlichkeit der Handlung
von der Gegenwart des Herrn her. Das ist
überaus köstlich. Der Herr ist da, in all Seiner Liebe
und in all Seiner Sorge um das Wohl der Seinigen;
das macht alles sicher. Weil Er da ist, wird nicht der
Feind mit seinen Anschlägen die Oberhand haben, sondern
der Herr. Er wird immer und überall das letzte Wort
haben. Denken wir darüber nach, geliebte Brüder; laßt
uns dies im Glauben festhalten, denn darin beruht bei 
jeder gefahrdrohenden Gelegenheit unsre Sicherheit und
unsre Ruhe.
Viele der Unruhen und Trennungen in den Versammlungen der Heiligen lassen sich auf das allmähliche
Vergessen dieser kostbaren Wahrheit von der Gegenwart
des Herrn in ihrer Mitte zurückführen. Welch ein glückliches Vertrauen zu der Gegenwart des Herrn würde in
jeder Zusammenkunft herrschen, und wie ganz anders
würde das Verhalten der Einzelnen sein, sowohl der Redenden, als auch der Hörenden, wenn wir mit dem Auge
75
des Glaubens den Herrn in unsrer Mitte sehen würden,
wie Er wirklich, obwohl unsichtbar, anwesend ist!
Aber nirgend hat das Vergessen der Gegenwart des
Herrn in der Versammlung verhängnisvollere Früchte getragen, als in Fällen, wo die Versammlungen veranlaßt
waren, Beschlüsse zu fassen, wie diejenigen, wovon der
Herr in Matth. 18 spricht. Wie beschämend ist das Bild,
welches uns oft Versammlungen dargeboten haben, welche
genötigt waren, zu wichtigen Beratungen zusammen zu
kommen! Wie oft hat sich da, anstatt „der Weisheit von
Oben," der Geist der Eifersucht, des Neides, des bittern
Eifers und der Zanksucht gezeigt, welche in Jak. 3, 14.15
als eine „irdische, sinnliche, teuflische Weisheit" bezeichnet
werden! Und das in der Gegenwart des Herrn, der anwesend war! Aber das Bewußtsein Seiner Gegenwart
war da sicherlich nicht vorhanden, denn dieses Bewußtsein
bringt Gefühle der Ehrfurcht und der Demut hervor,
ohne welche es unmöglich ist, über irgend eine Frage ein 
gesundes Urteil zu fällen.
Wenn es sich nun um die Annahme solcher Beschlüsse, welche von Versammlungen des Herrn gefaßt
worden sind, seitens anderer Versammlungen handelt, so
bedarf es dazu der Anwendung desselben Grundsatzes.
Wenn wir wissen, daß der Herr in Seiner Gnade und,
als Antwort auf die Erwartung Seiner Heiligen, eine
solche Versammlung leitet, so können wir Ihm auch völlig
vertrauen hinsichtlich der Aufrechthaltung Seiner Rechte
und Seiner Wahrheit in Seiner Versammlung. Er hat
gesagt: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet,
wird im Himmel gebunden sein," das heißt gebunden
durch den Herrn. Was sollen nun die Gläubigen an
76
andern Orten thun? Sollen sie lösen, was der Herr
soeben gebunden hat? Es geziemt sich nur für sie, zu
sagen: „Amen, Herr!" und sich hinsichtlich aller Folgen
auf Ihn zu verlassen. Denn der Glaube hält fest, daß
der Herr da war, und das giebt uns ein größeres
Vertrauen auf die Richtigkeit der gefaßten Beschlüsse, als
wenn wir selbst anwesend gewesen wären, um Einwürfe
zu machen oder zu urteilen.
Die Verantwortlichkeit derjenigen Versammlung, welche
berufen war, eine Sache zn beurteilen oder zu entscheiden,
bestand darin, es mit redlichem Herzen und aufrichtig
unter dem Auge des Herrn zu thun. Unsere Verantwortlichkeit ist es, den Beschluß in Einfalt des Glaubens
anzunehmen und hinsichtlich der richtigen Beurteilung der
Sache auf die Weisheit und die Macht des Herrn zu
rechnen, der in der Mitte der Seinigen gegenwärtig war.
Vergessen wir diese köstliche Thatsache der verheißenen
Gegenwart des Herrn, so scheint es uns nötig, uns persönlich mit dem behandelten Gegenstände zu beschäftigen
und ihn auf's Neue in Frage zu stellen, und daraus entstehen dann traurige Zustände und Verwirrung in der
Versammlung. Das ist nicht mehr der Weg des Glaubens,
sondern derjenige des Vertrauens auf Menschen und der
fleischlichen Thätigkeit. Jeder Gläubige wird dann seinen
eigenen Gesichtspunkt haben und das Bedürfnis fühlen,
ihn geltend zu machen. Soviel Köpfe, soviel Sinne, und „ein
jeglicher wird thun, WaS recht ist in seinen Augen." (Richt.
21, 25.) Augenscheinlich ist dies nicht der göttliche Pfad.
Aber um die Beschlüsse einer Versammlung im Vertrauen auf die Leitung des Herrn annehmen zu können,
dürfen sie nicht im Widerspruch stehen mit dem andern
77
angeführten Grundsätze, den die Schrift als die Grundlage
des Gemeinschaftslebens bezeichnet, nämlich: „Ein jeglicher, der den Namen des Herrn nennet, stehe ab von der
Angerechtigkeit." (2. Tim. 2, 19.) Wir dürfen überzeugt
sein, daß der Herr niemals die Beschlüsse einer Versammlung von Personen durch Seine Gegenwart bestätigen
wird, in deren Mitte die Ungerechtigkeit die Oberhand
gewonnen hat, und wo die Sünde die Beratungen beherrscht. Der „Name des Herrn" kann nicht als Deckmantel der Ungerechtigkeit dienen. Wenn aber eine Anzahl
Christen so sehr unter den Einfluß eines bösen Geistes
geraten wäre, daß sie gemeinschaftlich einen der Wahrheit
entgegengesetzten (ich sage: entgegengesetzten) Beschluß
gefaßt hätten, „was ein Gräuel Jehovas ist," (Spr. 17,15.)
so würde der Herr dafür sorgen, daß dieses zu Seiner
Zeit offenbar würde. Auch darf man nicht zweifeln, daß
Er es in einer so deutlichen Weise als böse offenbaren
würde, daß ein einfältiges Auge klar erkennen könnte,
welche Stellung die treuen Gläubigen dazu zu nehmen
hätten. In einem solchen Falle müssen wir entweder
erwarten, daß die betreffende Versammlung „Buße thue,"
— denn die Geduld des Herrn ist so groß, daß, wenn
wir aus Mangel an Unterwürfigkeit gegen das Wort und
die Leitung des Heiligen Geistes geirrt haben, Er sich
noch herabläßt, uns zur Buße einzuladen, bevor Er uns
züchtigt (Offg. 2, 5.) — oder zu sehen, ob sie bei ihrem
ungerechten Beschluß verharrt, was beweisen würde, daß
der Herr sie als Versammlung verlassen hat und einen
jeden seinen eignen Weg gehen läßt. Dann würde uns
nichts anders übrig bleiben, als sie auch zu verlassen und
sie nicht mehr als eine Versammlung Gottes anzuerkennen;
78
denn der Charakter der Versammlung Gottes ist, „der
Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit" zu sein, nicht
aber die Stütze des Irrtums oder der Ungerechtigkeit.
Also nicht allein der Beschluß einer solchen Versammlung wäre zu verwerfen, sondern die Versammlung selbst,
weil sie durch die Überhandnahme der Ungerechtigkeit und
durch ihre Verhärtung den Beweis geliefert hat, daß der
Herr nicht mehr in ihrer Mitte ist.
So sind wir berufen, „abzustehen von der Ungerechtigkeit," dagegen „zu streben nach Gerechtigkeit, Glauben,
Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem
Herzen." (2. Tim. 2, 22.) Diese göttliche Hülfsguelle
wird in den allerschwierigsten Umständen für den Gläubigen vorhanden sein. Wenn die Autorität der Wahrheit
nicht mehr anerkannt oder gar verworfen wird, wenn
jede Ermahnung oder Zurechtweisung zurückgewiesen und
dadurch ein gottgemäßes Gemeinschaftsleben unmöglich gemacht wird, dann wird uns der Herr bald andere von den
Seinigen finden lassen, mit denen wir auf dem Wege des
Gehorsams Gemeinschaft machen und den in 2. Tim. 2, 22
bezeichneten gesegneten Pfad wandeln können.
So giebt uns das Wort Gottes einfache Grundsätze,
welche vermögend sind, die demütigen Gläubigen in allen
Schwierigkeiten, die auf ihrem Wege entstehen mögen,
zu leiten.
Es wird kaum nötig sein, auf den gegenseitigen Einfluß aufmerksam zu machen, den die Ausübung dieser
Wahrheiten hervorbringt. Wird eine Versammlung jn
die Lage versetzt, einen Beschluß fassen zu müssen, und
ist sie dann von der Ueberzeugung durchdrungen, daß der
Herr „binden" oder „lösen" wird, was sie „bindet" oder
79
„löst," und daß ihr Beschluß für alle Gläubige maßgebend sein wird — welch ein tiefes Gefühl der Verantwortlichkeit wird dann diese versammelten Brüder beseelen!
Sollten sie sich geirrt haben, so wird die Treue der andern Christen, die sich der Wahrheit unterwerfen, indem
sie um des Herrn willen den Beschluß annehmen, ein 
mächtiges Mittel in der Hand Gottes sein, sie ihres
Fehlers zu überführen und sie zur Buße zu leiten, und
sie werden selbst in Demütigung das rückgängig machen,
was sie aus Nachlässigkeit oder Anmaßung festgestellt
hatten.
Unsere Verantwortlichkeit, geliebte Brüder, besteht
darin, daß wir durch „den Gehorsam der Wahrheit"
gerade Bahn machen für unsre Füße und die erschlafften
Hände und die gelähmten Kniee aufrichten, „auf daß
nicht das Lahme vom Wege abgewandt, sondern vielmehr geheilt werde." (Hebr. 12, 13.)
H. B.
Bruchstücke.
WaS könnte beklagenswerter, trauriger und entmutigender sein, als solchen zu begegnen, die ein erhabenes
Bekenntnis im Munde führen, welche davon reden, mir
Christo gestorben und auferweckt zu sein und sich laut
ihrer hohen Vorrechte und himmlischen Segnungen rühmen,
während ihr Wandel und Verhalten ihre Worte Lügen straft?
Es ist sehr tröstlich für das Herz des ermüdeten
Pilgers, versichert sein zu dürfen, daß jeder Abschnitt
seiner Wüsten - Wanderung den Stempel der unendlichen
80
Liebe und unfehlbare» Weisheit Gottes trägt. Gott leitet
die Seinigen auf dem rechten Wege, und es giebt in dem.
was ihnen begegnet, keinen einzigen Umstand, in ihrem
Kelche keinen einzigen Tropfen, der nicht von Gott selbst
mit väterlicher Sorgfalt angeordnet und zubereitet wäre.
Der Glaube ist die Kraft sowohl des Dienstes, als
auch des Zeugnisses und der wahren Anbetung. Wenn
ich nicht lebe „durch den Glauben an den Sohn Gottes,
der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegebeu hat,"
so werde ich weder ein gesegneter Diener, noch ein treuer
Zeuge, noch endlich ein wahrhaftiger Anbeter sein. Ich
mag beschäftigt sein mit vielem Dienen, aber es wird kein
Dienst sein, den Christus anerkennen kann. Ich mag viel
reden, aber mein Zeugnis wird der wahren Kraft entbehren
und nicht Christum allein zum Gegenstände haben. Ich
mag endlich viel Frömmigkeit und Hingebung zur Schau
tragen, aber meine Anbetung wird keine wahre und geistliche sein.
Das, was den Charakter und den Zustand eines
Menschen thatsächlich kennzeichnet, ist seine Kenntnis oder
seine Unkenntnis von Gott.
Wie oft hört man Personen ihr Verharren in einer
Stellung, welche sie als verkehrt kennen, damit verteidigen,
daß sie vorgeben, in derselben einen weiteren Wirkungskreis zu besitzen und sich mehr nützlich machen zu können.
Ach! solche vergessen völlig, daß der wirksamste Dienst
der Welt gegenüber darin besteht, treu zu sein, sich von
ihr abzusondern und dadurch gegen sie zu zeugen. „Rühre
Unreines nicht an!" — „Weiche vom Bösen!" Das ist
81
der göttliche Grundsatz. Dann erst folgt die Ermahnung:
„Thue Gutes!"
Der wahre Glaube macht unabhängig, aber niemals
gleichgültig. Er hüllt sich nie in einen warmen Pelz ein,
während der arme Bruder vor Kälte zittert. Drei Dinge
sind es, welche der Glaube bewirkt: er „überwindet die 
Welt," er „reinigt das Herz," und er „wirkt durch
die Liebe."
Je mehr ich den Herrn Jesum liebe, in desto
innigerer Verbindung werde ich mit Ihm wandeln, und
je inniger diese Verbindung ist, desto mehr werde ich nach
Seinem Bilde verwandelt werden, und je mehr ich nach
Seinem Bilde verwandelt werde, desto mehr werde ich mit
Ihm leiden. Allein mein Auge wird dann nicht aus die
Leiden gerichtet sein, sondern auf Den, für welchen ich leide.
Seine köstliche Person wird mein ganzes Herz ausfüllen.
Es ist nicht dasselbe, ein Kind Gottes und
ein Diener Christi zu sein. Mose brachte vierzig
Jahre in der Wüste zu, bevor Gott ihn zu seinem
wichtigen Dienste berief. Ähnlich wird es allen wahren
Dienern Christi ergehen. Sie müssen zuerst erprobt
werden, und erst, nachdem sie treu erfunden sind, wird
der Herr sie in Seinen Dienst stellen. Ein jeder, der
viel im öffentlichen Dienste anftritt, bedarf jenes gereiften
Urteils, jenes unterwürfigen und sanftmütigen Geistes, jenes
gebrochenen Willens und demütigen Herzens, welche die
gesegneten Resultate der geheimen Zucht Gottes sind.
Man wird immer finden, daß Gläubige, welche einen
hervorragenden Platz einnehmen, ohne die oben genannten
82
moralischen Eigenschaften mehr oder weniger zu besitzen,
früher oder später zusammenbrechen werden.
Der Christ könnte und sollte stets voll Friede und
Freude sein, stets fähig, Gott zu danken, komme was da
wolle. Sein Friede beruht nicht auf etwas in ihm, seine
Freude fließt nicht aus den Umständen hervor, durch
welche er zu gehen hat; sein Glaube und seine Hoffnung
gründen sich vielmehr auf den lebendigen Gott, und die
Quellen seines Friedens und seiner Freude liegen weit
außer dem Bereich irdischer Einflüsse.
Sobald wir unser Auge von Gott abwenden und
unsern Blick auf uns selbst und auf unsre Umstände und
Schwierigkeiten richten, ist alles finster um uns her; wir
sind unzufrieden und murren und klagen. Aber das ist
nicht Glaube; es ist vielmehr ein finsterer, Gott entehrender und die Seele niederdrückender Unglaube. Wollen
wir glücklich sein, so müssen wir uns mit Gott und mit deu
Dingen beschäftigen, die droben sind, wo der Christus ist.
Was war eS, das Zacharias' Mund verschloß? Der Unglaube. Was war es, das die Herzen der Maria und
Elisabeth mit Freude erfüllte und ihren Mund zu Lob
und Dank öffnete? Der Glaube. Der Glaube allein giebt
Gott den Platz, der Ihm gebührt, und infolge dessen ist
auch der Glaube allein imstande, uns über die Umstände
um uns her zu erheben. Der Glaube bringt Gott in alles
hinein, und darum ist alles leicht und licht; der Unglaube
schließt Gott aus, und darum ist alles schwierig und finster.
„Wir sind mehr als Überwinder durch Den, der uns
geliebt hat." (Röm. 8, 37.) Die Gnade, in welcher wir
stehen, nimmt dem Fleische seine ganze Macht über nns.
83
Wenn das Gesetz „die Kraft der Sünde" ist, so ist die
Gnade gleichsam die Schwachheit derselben. Das erstere
giebt der Sünde Gewalt über uns, die letztere giebt uns
Gewalt über die Sünde.
Man wird nicht selten finden, daß Personen, die in
der Erkenntnis sehr rasche Fortschritte machen, im praktischen Leben nur wenig Kraft und Treue offenbaren.
Es ist bei ihnen mehr ein Werk des Verstandes, als des
Herzens und des Gewissens. Doch vergessen wir nicht,
daß das Christentum nicht in der Kenntnis einer gewissen Anzahl von Lehrsätzen und Meinungen besteht,
sondern daß es vor allen Dingen eine lebendige Wirklichkeit, eine persönliche, praktische Sache ist, die sich in allen
Lagen und Umständen des täglichen Lebens kundgiebt,
ihren heiligenden Einfluß auf Charakter und Verhalten
ausübt und einem jeden Verhältnis, in welches ich von
Gott berufen sein mag, ihren himmlischen Stempel aufdrückt.
Loblied.
„Lobet Jehova! denn es ist gut, Psalmen zu singen von unserm
Gott, denn es ist lieblich; es geziemt sich das Lob."
(Psalm 147, 1.)
Anbetung, Ehre, Preis und Ruhm
Sei Dir, o Gott, im Heiligtum
Für Deine reiche Gnade,
Die Du entgegen uns gebracht,
Als wir in tiefer Sündennacht
Im Tod gefangen lagen I
Du wolltest nicht des Sünders Tod,
Du wolltest als der Heiland Gott
Ihm Heil und Leben bringen.
84
Reich bist Du an Barmherzigkeit,
Dein Lieben übersteiget weit
All' Denken und Erkennen.
Für Sünder gabst Du hin den Sohn,
Für uns trug Er der Sünde Lohn,
Uns gabst Du ew'ges Leben.
Aus Satans Macht errettet jetzt,
Hast Du uns in das Reich versetzt
Des Sohnes Deiner Liebe.
Jn Ihm als Kinder nun vor Dir
Geliebt, wie Er, genießen wir
Nur Gunst und Huld und Güte;
O Gott der Liebe, Preis sei Dir!
Du machtest offen uns die Thür
Zu Deinem Vaterherzen.
O Abba, Vater! welch ein Glück!
Jn dem Geliebten ruht Dein Blick
Auf uns mit Wohlgefallen.
Jn Ihm zur Kindschaft auserwählt,
Hast Tu uns vor Dich hingestellt
Zum Preise Deiner Gnade.
Drum bringen wir Dir Kindesdank
Jn unserm schwachen Lobgesang
Jn des Geliebten Namen.
Bald werden wir vor Deinem Thron,
Dir, unserm Vater, und dem Sohn
Ein ew'ges Loblied singen.
Dann wird das Lob ein volles.sein,
Wir werden jubelnd stimmen ein
Jn alle Himmelschöre.
Doch sei auch schon in dieser Zeit
Dir Ehre, Lob und Dank geweiht
Jn aller Heil'gen Mitte!
Das Priestertum des Christen.
(1. Petr. 2, 1—9.)
Es giebt in dem obigen Schriftabschnitt (1. Petr.
2, 1 — 9.) drei Worte, welche von besondrer Wichtigkeit
sind — Worte von tiefer Bedeutung und Kraft, die uns
eine Thatsache vor Augen stellen, deren Tragweite wir nie
überschätzen können, nämlich daß das Christentum eine
lebendige und göttliche Wirklichkeit ist. Es ist nicht, wie
schon oft gesagt, eine Zusammenstellung von Lehrsätzen,
so wahr und gut diese sein mögen, noch ein wohlgeordnetes System von Satzungen und Regeln, sondern eine
mächtige Wirklichkeit, ein Etwas, das sich überall, im
Handeln, Reden und Denken kundgiebt, eine göttliche und
himmlische Macht, eingeführt in die Umstände dieses Lebens
und angewandt auf alles, womit wir zu thun haben
mögen. Es ist das Leben Christi, das dem Gläubigen
mitgcteilt ist, in ihm wohnt und von ihm ausfließt, das
sich in all den tausenderlei Dingen des täglichen Lebens
kundgiebt. Es trügt nichts asketisches oder mönchisches
an sich. Es ist, mit einem Worte, Christus, wohnend
in dem Gläubigen nnd dargestellt von demselben durch
die Kraft des Heiligen Geistes in allen Einzelheiten seines
praktischen Lebens. Das ist Christentum, so wie das Neue 
Testament es uns vorstellt.
Indem wir uns jetzt zu jenen drei Worten wenden,
möge der Heilige Geist uns in ihre gesegnete Bedeutung
86
einführen und sie unsern Herzen tief einprägen. Zunächst
finden wir daS Wort „lebendig." „Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine, von Menschen
zwar verworfen, aber vor Gott auserwählt, kostbar, seid
auch ihr selbst, als lebendige Steine, aufgebaut." (V. 4.5.)
In diesen Worten finden wir gleichsam die Grundlage des christlichen Priestertums. Sie erinnern uns lebhaft an jene bemerkenswerte Unterhaltung zwischen dem
Herrn Jesu und Seinen Jüngern, welche uns in Matth. 16
mitgeteilt wird, und der wir unsre Aufmerksamkeit für
einen Augenblick zuwenden wollen. Wir lesen in dem
16. Verse des genannten Kapitels: „Als aber Jesus in
die Gegend von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte
Er Seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen,
daß ich, der Sohn des Menschen, *) sei? Sie aber sagten:
Etliche: Johannes der Täufer; andre aber: Elias; andre
aber: Jeremias, oder einer der Propheten."
*) Der Leser wolle diesen Titel des Herrn wohl beachten.
Er ist von hoher Kostbarkeit. Er deutet einerseits die Verwerfung
unsers Herrn als des Messias an und lenkt andrerseits unsre
Gedanken auf jenen unermeßlichen Bereich, über welchen Er nach den
Ratschlüssen Gottes dereinst zn herrschen bestimmt ist. Er umfaßt
weit mehr, als der Titel „Sohn Davids" und ist von besondrer
Lieblichkeit für uns, da er den Herrn als den einsamen, verworfenen Fremdling vor unsre Augen stellt, und zugleich als Den,-
der sich in vollkommener Gnade mit uns in allen unsern Bedürfnissen verbindet, dessen Fußstapfen wir in dieser öden Wüste zu
erkennen vermögen. „Der Sohn des Menschen hat nicht, wo Er
das Haupt hinlege." Und doch wird Er gerade als der Sohn
des Menschen dereinst jene unumschränkte Herrschaft ausüben,
welche nach den ewigen Ratschlüssen Gottes für Ihn aufbewahrt ist.
Endlos verschieden waren die Meinungen und Ansichten des Menschen über den gepriesenen Sohn Gottes,
87
einfach, weil nicht wirklich das Herz dabei beteiligt war.
Die Einen sagten dieses, die Andern jenes, in Wirklichkeit
aber lag niemandem etwas daran, wer oder was Jesus
war, und deshalb wendet Er sich von all dieser herzlosen
Spekulation ab und richtet die bestimmte Frage an die
Seinen: „Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?" Er wünschte
zu wissen, was sie von Ihm hielten — welch eine Meinung ihre Herzen sich von Jhin gebildet hatten. „Simon
Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus,
der Sohn des lebendigen Gottes."
Dieses wahrhaftige Bekenntnis enthält das unerschütterliche Fundament des ganzen Gebäudes der Kirche
Gottes und alles wahren praktischen Christentums, und
dieses ist „Christus, der Sohn des lebendigen Gottes."
An die Stelle unbestimmter Schatten, kraftloser Formen
und lebloser Satzungen ist die göttliche Wirklichkeit getreten — alles ist durchdrungen von diesem neuen, göttlichen und himmlischen Leben, welches in diese Welt gekommen und allen mitgeteilt worden ist, die an den Namen
des Sohnes Gottes glauben.
„Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Bar Jona, denn Fleisch und Blut
haben eS dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der
in den Himmeln ist. Aber auch ich sage dir, daß du bist
Petrus; und auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen, und deS Hades Pforten werden sie nicht
überwältigen." Unzweifelhaft bezieht sich Petrus auf diese
herrlichen Worte, wenn er in seiner Epistel sagt: „Zu
welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine....
seid auch ihr, als lebendige Steine (dieselben Worte)
aufgebaut." Alle, welche an Jesum glauben, haben teil
88
an Seinem siegreichen Auferstehungsleben. Das Leben
Christi, des Sohnes des lebendigen Gottes, strömt durch
alle Seine Glieder und durch ein jedes insonderheit. So
haben wir den lebendigen Gott, den lebendigen
Stein und lebendige Steine. Alles ist Leben, und
zwar ein Leben, das herabfließt aus einer lebendigen
Quelle, durch einen lebendigen Kanal, und das sich so allen
Gläubigen mitteilt und sie zu lebendigen Steinen macht.
Dieses Leben ist nach allen Seiten hin geprüft und
versucht worden, aber aus allen Proben siegreich hervorgegangen. Es ist durch Tod und Gericht hindurchgegangen
und kann deshalb nie wieder irgend einer Probe oder
einem Gericht unterworfen werden. Alle die Wogen und
Wellen des göttlichen Zornes sind über demselben zusammengeschlagen, aber es ist gleichsam an der andern
Seite, in der Auferstehung, in göttlicher Herrlichkeit und
Macht, hervorgekommen. Es ist ein siegreiches, göttliches
und himmlisches Leben und dem Bereiche aller Mächte der
Finsternis entrückt. Keine irdische oder höllische Macht
kann dieses Leben antasten, welches jeder Stein an dem
„geistlichen Hause" Gottes, auch der kleinste und unbedeutendste, besitzt. Alle Gläubige sind aufgebaut auf den
lebendigen Stein, Christus, und sind so zu lebendigen
Steinen gemacht. Er macht sie in jeder Beziehung sich
selbst gleich, ausgenommen natürlich Seine Gottheit. Ist
Er ein lebendiger Stein, so sind auch sie lebendige Steine.
Ist Er ein kostbarer Stein, so sind auch sie kostbare
Steine. Ist Er ein verworfener Stein, so sind auch sie
verworfene Steine, verworfen von den Menschen. Sie sind
in jeder Beziehung mit Ihm eins gemacht. Welch ein 
unschätzbares Vorrecht!
89
Hierin also beruht, wir wiederholen es, die unerschütterliche Grundlage des christlichen Priestertums, des
Priestertums aller Gläubigen. Bevor irgend jemand ein
geistliches Schlachtopfer darbringen kann, muß er in einfältigem Glauben zu Christo kommen und auf Ihn aufgebaut werden, auf Ihn, das Fundament des ganzen
geistlichen Hauses. „Denn es ist in der Schrift enthalten
(Jes. 28, 16.): Siehe, ich lege in Zion einen Eckstein,
einen auserwählten, kostbaren, und wer an Ihn glaubt,
wird nicht beschämt werden." Wie köstlich sind diese
Worte! Gott selbst hat das Fundament gelegt, und dieses
Fundament ist Christus, und alle, welche einfältig an
diesen Christus glauben — alle, welche Ihm das Vertrauen ihrer Herzen geben — alle, welche in Ihm mit
völliger Sicherheit ruhen, sind zu Teilhabern Seines Auferstehungslebens und so zu lebendigen Steinen gemacht.
Wie einfach und gesegnet ist dieses! Wir werden
nicht aufgefordert, an dem Legen des Fundamentes zu 
helfen. Wir sind nicht berufen, auch nur das Geringste
dazu beizutragen. Gott hat das Fundament gelegt, und
alles, was uns zu thun übrig bleibt, ist, zu glauben und
auf diesem Fundament zu ruhen. Gott selbst verpfändet
Sein Wort, daß wir nie beschämt werden sollen. Der
schwächste Gläubige besitzt die gnädige Versicherung aus
Gottes eigenem Munde, daß er nie beschämt werden, nie
ins Gericht kommen wird. Er ist so frei von aller
Schuld und Verdammnis, wie der lebendige Felsen, aus
welchen er aufgebaut ist.
Geliebter Leser, ruhst du auf dieser unerschütterlichen Grundlage? Bist du auf Christum aufgebaut? Bist
du zu Ihm gekommen, als dem lebendigen Steine Gottes
90
und hast du Ihm das ganze Vertrauen deines Herzens
geschenkt? Bist du mit der Grundlage, welche Gott gelegt
hat, völlig zufrieden? Oder suchst du etwas von dir selbst
hinzuzufügen — deine Werke, deine Gebete, deine Satzungen, deine guten Vorsätze und Gelübde, deine religiösen
Pflichten? Wenn es so ist, wenn du das Geringste zu
dem Christus Gottes hinzufügen willst, so kannst du versichert sein, daß du beschämt werden wirst. Gott wird
nicht erlauben, daß Seinem geprüften, auserwählten, kostbaren Ecksteine eine solche Verunehrung zugefügt werde.
Meinst du, daß Er es dulden könne, daß irgend etwas
— sei es, was es sei — neben Seinen geliebten Sohn
gestellt werde, um mit Ihm die Grundlage Seines geistlichen Hauses zu bilden? Der bloße Gedanke wäre eine Entehrung Christi. Nein, nein, es muß Christus allein sein.
Er ist genug für Gott, und deshalb darf Er auch wohl
genug für uns sein. Nichts ist gewisser, als daß alle,
welche den kostbaren Eckstein Gottes verwerfen, oder sich
von der Grundlage, die Er gelegt hat, abwenden oder ihr
etwas hinzufügen wollen, ewiger Beschämung anheimfallen werden.
Doch laßt uns jetzt einen Blick auf das Gebäude
werfen, welches auf jene kostbare Grundlage errichtet ist.
Dies wird uns zu dem zweiten unsrer drei wichtigen
Worte führen. „Zu welchem kommend, als zu einem
lebendigen Steine. .. seid auch ihr selbst, als lebendige
Steine, aufgebaut, ein geistliches Haus, ein heiliges
Priestertum, um darzubringen geistliche Schlachtopfer
Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum." Alle wahre
Gläubige sind heilige Priester. Sie sind durch ihre geistliche Geburt dazu gemacht, gerade so wie die Söhne
91
Aarons kraft ihrer natürlichen Geburt Priester waren.
Der Apostel sagt nicht: Ihr solltet lebendige Steine,
und ihr solltet heilige Priester sein, sondern: ihr seid
es. Da wir nun solche sind, so sind wir auch ohne
Zweifel berufen, dementsprechend zu handeln. Aber wir
können nicht eher die Pflichten, welche mit einer Stellung
verbunden sind, erfüllen, bis wir uns in dieser Stellung
befinden: und wir können nicht eher die Gefühle und Zuneigungen, die aus einem Verhältnis hervorfließen, verstehen
und genießen, bis wir in demselben sind. Wir werden nicht
dadurch Priester, daß wir geistliche Schlachtopfer darbringen;
sondern indem wir durch die Gnade zu Priestern gemacht
sind, sind wir berufen, Schlachtopfer darzubringen. Wenn
wir auch tausend und mehr Jahre zu leben hätten und
diese ganze Zeit dazu verwenden würden, uns in die 
Stellung eines heiligen Priesters hineinzuarbeiten, so würde
es uns doch nimmermehr gelingen. Aber in demselben
Augenblick, da wir in einfältigem Glauben zu Jesu kommen,
werden wir in die Stellung von heiligen Priestern hineingeboren und haben dann das Vorrecht, Gott zu nahen
und Ihm die priesterlichen Opfer zu bringen. Wie hätte
im Alten Testament ein Mensch sich selbst zu einem Sohne
Aarons machen können? Unmöglich. Aber wenn er zu
der Familie Aarons gehörte, so war er dadurch auch ein 
Glied des priesterlichen Geschlechts. Wir reden jetzt natürlich nicht von der Fähigkeit zum Priesterdienst, sondern
einfach von der Stellung. Diese wurde nicht durch irgendwelche Anstrengung erreicht, sondern gehörte den Söhnen
Aarons infolge ihrer Geburt.
Forschen wir jetzt nach der Natur der Opfer, welche
wir als heilige Priester zu bringen das Vorrecht haben,
92
so lesen wir, daß wir berufen sind, „geistliche Schlachtopfer darzubringen, Gott wohlannehmlich durch Jesum
Christum." Ebenso heißt es in Hebr. 13, 15: „Durch
Ihn nun laßt uns Gott stets das Opfer des Lobes t>arbringen, das ist die Frucht der Lippen, welche Seinen
Namen bekennen." Das also ist die Natur, der wahre
Charakter der Schlachtopfer, welche wir als heilige Priester
darbringen sollen. Es ist das Lob Gottes, ein stetes,
unaufhörliches Lob. Welch ein gesegneter Dienst! Welch
eine himmlische Beschäftigung! Und unser Lob soll nicht
nur ein gelegentliches sein, wir sollen es nicht nur in
einem besonders begünstigten Augenblick darbringen, wenn
alles nm uns her lieblich und angenehm ist; es soll nicht
nur dann ertönen, wenn wir mit andern Gläubigen versammelt sind und unter der Leitung des Geistes und dem
Segen des Herrn alle Herzen von Lob und Dank überströmen. Nein, unser Lob soll ein stetes, ununterbrochenes sein, befinden wir uns in glücklichen oder
schwierigen Umständen, sind wir in der Versammlung, im
Familienkreise oder bei unsrer Arbeit. Ich sage nicht,
daß wir unaufhörlich auf unsern Knieen liegen oder Loblieder zum Preise Gottes singen sollten. Das ist unmöglich. Aber unsere Herzen sollten sich stets in einem Zustande des Lobes und der Anbetung Gott gegenüber befinden.
Heilige Priester sind Gott nahe gebracht in heiliger
Freiheit, in Frieden und Segnung. Sie atmen die Atmosphäre und wandeln in dem Lichte der göttlichen Gegenwart, in der neuen Schöpfung, wo es nichts giebt, was
die Seele trübe und unzufrieden stimmen könnte. Wenn
wir daher einen Christen finden, der sich in häufigen
Klagen über seine Lage und Umstände, über seine Mit­
93
brüder, seine Freunde und Nachbarn ergeht, so können
wir sicher annehmen, daß er seine Stellung als heiliger
Priester nicht verwirklicht und infolge dessen die praktischen
Früchte derselben nicht bringt. Ein heiliger Priester, der
seinen Platz wirklich versteht und einnimmt, wird stets
glücklich sein und stets Gott preisen. Er mag in tausenderlei Weise versucht und geprüft werden, aber Er bringt
Seine Prüfungen vor Gott, anstatt sie seinen Mitmenschen
zu klagen. „Halleluja!" ist der passende Ausdruck für
den Mund eines jeden Gliedes deS christlichen Priestertums.
Wir kommen jetzt zu dem dritten und letzten Teil
unsrer Betrachtung. Der Apostel fährt fort zu sagen:
„Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum
Besitztum, damit ihr die Tugenden Dessen verkündigt, der
euch berufen hat ans der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht." Diese Worte vollenden das liebliche Gemälde
des christlichen Priesterthums. *) Als heilige Priester
nahen wir uns Gott und bringen die Opfer des Lobes
dar. Als königliche Priester gehen wir unter unsere
Mitmenschen, um in allen Einzelheiten des täglichen Lebens,
*) Ich brauche den einsichtsvollen Leser wohl nicht daran
zu erinnern, daß alle Gläubige Priester sind, und daß es keinen
wahren Priester ans der Erde geben kann, es sei denn in dem
angedeutctcn Sinne des Priestertums aller Gläubigen. Der
Gedanke an eine gewisse Anzahl uud Klasse von Männern, die
sich selbst Priester nennen, im Gegensatz zu dem Volke oder den
Laien, uud die sich in Titel und Kleidung von den übrigen
Christen unterscheiden, ist nicht dem Christentum entnommen,
er ist durchaus jüdisch, um nicht mehr zu sagen. Ein jeder, der
vorurteilsfrei das Wort Gottes prüft und sich seiner Autorität
unterwirft, ist völlig klar über diese Dinge.
94
in Wort und Wandel die Tugenden, d. h. die lieblichen
moralischen Charakterzüge Christi zu verkündigen. Jeder
Schritt, jede Handlung eines königlichen Priesters sollte
von dem Wohlgeruch der Tugenden Christi umgeben sein.
Beachten wir wiederum, daß der Apostel nicht sagt:
„Ihr solltet königliche Priester sein." Er sagt: „Ihr
seid es;" und wir haben als solche die Tugenden Christi
zu verkündigen. Nichts anders als das geziemt einem
Gliede des königlichen Priestertums. Mit mir selbst beschäftigt zu sein, meine Interessen, mein Vergnügen zu
suchen und meine eignen Zwecke zu verfolgen, das ist 
durchaus nicht der Stellung eines königlichen Priesters
entsprechend. Christus that dies nie, und ich bin berufen,
Seine Tugenden zu verkündigen. Er giebt — gepriesen
sei Sein Name dafür! — den Seinigen das Vorrecht, schon
in dieser Zeit Seiner Abwesenheit im Voraus jenen Tag
darzustellen, an welchem Er als ein königlicher Priester
erscheinen und, auf Seinem Throne sitzend, den wohlthätigen, gesegneten Einfluß Seiner Herrschaft bis an die 
Enden der Erde geltend machen wird. Wir sind berufen,
der gegenwärtige Ausdruck des Reiches Christi, der Ausdruck Seiner selbst zu sein.
Niemand denke, daß die Thätigkeit eines königlichen
Priesters sich nur auf Geben und Mitteilen beschränke.
Das wäre ein grober Irrtum. Ohne Zweifel wird ein 
königlicher Priester mitteilen, und zwar freigebig mitteilen,
wenn er dazu imstande ist; aber wollte man den Bereich
seines Wirkens allein hierauf beschränken, so würde man
ihn einiger der kostbarsten Obliegenheiten seiner Stellung
berauben. Derselbe Apostel, dessen Worte wir eben jetzt
betrachten, sagte bei einer Gelegenheit, ohne sich irgendwie
95
zu schämen: „Silber und Gold habe ich nicht;" und
doch handelte er gerade in jenem Augenblick als ein königlicher Priester, indem er die kostbaren Tugenden des
Namens Jesu auf den lahmen Menschen, der an der
Pforte des Tempels saß, einwirken ließ. (Apstgsch. 3.)
Unser gepriesener Herr und Meister selbst besaß wohl nie
einen Pfennig, aber dennoch ging Er umher und that
Gutes. Dasselbe sollten wir thun, und es ist durchaus
verkehrt, wenn wir meinen, Geld dazu nötig zu haben.
Es geschieht im Gegenteil gar oft, daß wir mit unserm
Silber und Gold, statt des Guten, das wir thun wollen,
Unheil anrichten. Vielleicht entfernen wir denjenigen,
welchem wir mittheilen, von dem Boden, auf welchen Gott
ihn gestellt hat, nämlich von dem Boden des ehrlichen
Fleißes, und machen ihn von menschlichen Almosen abhängig. Zugleich ist Gefahr vorhanden, daß wir durch
unsern unweisen Gebrauch des Geldes die Empfänger zu 
Heuchlern machen.
Möge daher niemand denken, daß er ohne irdische
Reichtümer nicht als ein königlicher Priester handeln könne.
Welche Reichtümer sind nötig, um ein freundliches Wort
zu sprechen, oder eine Thräne des Mitgefühls zu vergießen?
Keine außer den Reichtümern der Gnade Gottes, den
unerschöpflichen Reichtümern Christi, welche auch dem
geringsten Gliede des christlichen Priestertums offen stehen.
Ich mag keinen Pfennig in der Welt mein eigen nennen
können und dennoch in gesegneter Weise als ein königlicher
Priester handeln, indem ich den Wohlgeruch der Tugenden
Christi um mich her verbreite.
Bevor wir diesen Gegenstand verlassen, möchte ich den
Blick des Lesers noch auf eine höchst lebendige Darstellung
96
der eben behandelten Wahrheiten richten, auf die Geschichte
zweier geliebter Knechte Christi, welche befähigt wurden,
unter den entmutigendsten Umständen als heilige und königliche Priester thätig zu sein. Ich meine die Geschichte der
Apostel Paulus und Silas im Gefängnis zu Philippi, wie
sie uns in Apostelgesch. 16, 19—34 mitgeteilt ist. Wir
finden diese beiden Männer dort im tiefsten Kerker, ihre
Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, ihre Füße im Stock,
in der Finsternis der Mitternacht. Was thun sied Kommen
Klagen und murrende Worte aus ihrem Munde hervor?
O nein! Sie hatten etwas Besseres und Schöneres zu
thun. Hier waren zwei wahrhaft „lebendige Steine," und
nichts, was die Bosheit Satans und der durch ihn geleiteten Menschen thun mochte, konnte das Leben, das in
ihnen war, verhindern, sich in der ihm eigentümlichen
Weise zu offenbaren.
Doch was thaten die beiden treuen Männer? Womit
beschäftigten sie sich? Nun, zunächst brachten sie als heilige
Priester ihrem Gott das Opfer des Lobes dar. Ja, „um
Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobsangen Gott."
Wie kostbar und wahrhaft erquickend ist dies! Was waren
Striemen und Kerkermauern für diese lebendigen Steine
und heiligen Priester? Nichts mehr als ein dunkler Hintergrund, von welchem sich die glänzenden Strahlen der lebendigen Gnade, die in ihnen wirksam war, nur um so
Heller abhoben. Was waren die Umstände für sie? Nichts.
Wir alle kennen nur wenig von solchen Umständen, die
den Glauben wirklich auf die Probe stellen. Arme Geschöpfe, wie wir sind, verlieren wir oft schon bei den
kleinen Widerwärtigkeiten des täglichen Lebens unsre Ruhe
und unser Vertrauen. Paulus und Silas befanden sich
97
wirklich in einer schwierigen, ihren Glauben erprobenden
Lage; aber sie waren darin als lebendige Steine und
heilige Priester.
Doch nicht nur als heilige, sondern auch als königliche Priester sehen wir sie thätig. In welcher Weise?
Sicherlich nicht, indem sse Silber und Gold ausstreuten.
Sehr wahrscheinlich besaßen die teuern Männer von beiden
nur wenig oder gar nichts. Aber sie hatten etwas weit
Besseres: „die Tugenden Dessen, der sie aus der Finsternis
in Sein wunderbares Licht berufen hatte." Und wie kamen
diese Tugenden zum Vorschein? In jenen rührenden Worten,
welche sie an den Kerkermeister richteten: „Thue dir
nichts Uebels." Das waren Worte eines königlichen Priesters, so wie der Lobgesang aus dem Munde
heiliger Priester hervorgekommen war. Gott sei Dank
für beides! Die Stimmen der heiligen Priester fliegen
unmittelbar zum Throne Gottes empor und thaten dort
ihr Werk, und die Worte der königlichen Priester drangen
mit Macht in das harte Herz des Kerkermeisters und
schmolzen die Eisrinde, welche sich um dasselbe gelegt
hatte. Gott wurde verherrlicht und der Kerkermeister errettet dadurch, daß diese beiden Männer die Obliegenheiten
des „christlichen Priestertums" in treuer und richtiger
Weise erfüllten.
WaS ist wahre Bekehrung?
(1. Thess. 1, 9. 10.)
Der Herr selbst muß stets den Mittelpunkt unsers
Zeugnisses bilden, so gesegnet eS auch ist, das Evangelium
von der Gnade Gottes zu verkündigen. In Thessalonich
98
waren die bekehrten Seelen dahin geführt worden, „dem
lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn
aus den Himmeln zu erwarten." Der ganze Mensch war
zu Gott gewandt worden, wodurch ein gänzlich neuer
Zustand von Anfang bis zu Ende herbeigeführt wurde.
Nicht nur war das Gewissen die Bürde seiner Sünden
los, sondern Gott selbst in Christo war der Gegenstand
der Seelen geworden. Die Bedeutung einer Bekehrung,
wie wir sie in 1. Thess. 1, 9. 10 finden, ist diese: Der
Mensch hat Buße gethan vor Gott, hat geglaubt au den
Herrn Jesum Christum, ist völlig zu Gott umgewandt.
Sobald der Mensch glaubt, empfängt er ein ganz
neues Leben und richtet das Vergangene; er bereut, weil
er glaubt. Wie der verlorne Sohn, so empfängt auch er,
sobald er zum Vaterhause kommt, ein neues Leben, eine
neue Stellung, sowie einen neuen Gegenstand und Zweck
des Lebens. „Die, welche nach dem Geiste sind, sinnen
auf das, was des Geistes ist," und „unser Wandel ist iu
den Himmeln." So lehrt das Wort. Um jedoch von
sich selbst befreit zu werden, muß man sich selbst kennen
lernen. Wenn ich in Wahrheit sagen kann: „Ich bin
tot," so vermag Satan nichts wider mich; er kann mich
nicht versuchen. Ich bin vielleicht nicht allezeit imstande,
es zu sagen, aber es ist mein Vorrecht, als einer, der
„aus Wasser und Geist geboren" ist. Das Wasser reinigt,
der Geist aber giebt eine neue Stellung und ein neues Leben.
Wir wissen, daß wir aus Gott geboren sind.
Jenes ewige Leben, das bei dem Vater war, ist unser
Leben, und dieses Leben ist Christus; Er ist unser Leben
geworden. Wenn der Herr nach Seiner Auferstehung in
die versammelten Jünger hauchte, so war dies nicht die 
99
Mitteilung des Heiligen Geistes, der vom Himmel kommen 
sollte. Erst nachdem Er aufgefahren war, empfing Er
den Heiligen Geist für uns. Er besaß ihn zuvor, aber
für uns empfing Er Ihn erst, als Er zur Rechten
Gottes war. Dadurch, daß „der zweite Mensch, Christus,"
in die Herrlichkeit einging, nachdem Er unsre Sünden
hinweggethan hatte, haben wir den Heilige/! Geist empfangen. Gott kam als Mensch herab zu uns in unsern
Sünden, und als Mensch ging Er hinauf und empfing
den Heiligen Geist für uns. Der Mensch in Christo
nimmt in der Auferstehung einen neuen Platz ein. Das
Werk Christi am Kreuze befreit das Gewissen; dann aber
wird Christus selbst unser Leben, und das ist eine gänzlich
neue Stellung — „eine neue Schöpfung." (2. Kor. 5,17.)
Zu allererst muß die Frage betreffs der Sünde geordnet werden — wir müssen wissen, daß alle unsre
Sünden durch Christum getragen und hinweggethan sind.
Wer kann mir meine Sünden vorwerfen, wenn Gott erklärt, daß das Blut Christi, das mich reinigte, allezeit
vor Seinen Augen ist? Er kann nicht mir meine Sünden zurechnen, da Er sie Christo zugerechnet hat. Was
Gott vor Augen hat, spricht mich frei. Die Thatsache,
daß das Werk Christi die Frage betreffs dec Sünde vollkommen geordnet hat, giebt mir völligen Frieden.
Wenn ich in meinem praktischen Leben als Christ
sündige, so fehle ich nicht nur in ganz trauriger Weise,
sondern ich thue auch gerade das, wofür Christus den schrecklichen Tod im Gericht sterben mußte. Dennoch aber kann
es mir, wenn Er dafür gestorben ist, nicht mehr zugerechnet
werden. In 4. Mose 19 finden wir in dem Vorbilde
der roten Kuh Belehrung über unsern praktischen Zustand.
100
Die Asche, welche die am Kreuze im Gericht verzehrte
Sünde vorstellt, wurde mit fließendem Wasser (Gottes
Wort) auf den Unreinen gesprengt. Die Asche deutete
der Seele an, daß das Ganze verzehrt, daß die Sünde
hinweggenommen war. Ohne Zweifel wird, wenn ich nur
einen thörichten Gedanken hege, der Heilige Geist schon
betrübt, aber ich kann mich nicht über die Sünde richten,
wenn ich nicht gewiß bin, daß sie mir nicht mehr zugerechnet
wird. Die Antwort auf alles ist das am Kreuze geschehene Werk. Dieses Werk bringt mich in die Gegenwart Gottes, in Sein Licht, und zwar fleckenlos, da meine
Sünde auf Christum gelegt und von Ihm getragen worden ist, nach dem Maße, wie Gott meine Sünde kennt,
d. h. vollkommen. Nichts stellt so das Herz auf die 
Probe, als die Verwirklichung der Thatsache, daß der
Anbeter, einmal gereinigt, kein Gewissen (Bewußtsein)
mehr von Sünde hat. (Hebr. 10.) Bei niemand kann
eine wahre oder wirkliche Heiligung stattfindeu, so lange
er die Frage betreffs der Sünde nicht vollständig und
göttlich geordnet sieht. So lange ich nicht meiner völligen
Annahme gewiß, so lange ich nicht der Errettung völlig versichert bin, durch das Bewußtsein, daß alle Sünde hinweggethan ist, vermenge ich stets meinen Zustand mit meiner
Stellung. Die heilige Natur ist vorhanden, aber eine
eigentliche Heiligung kann nicht eher da sein, bis ich einsehe, daß Christus nicht nur meine Sünden getragen hat
bis zu dem und dem Tage, sondern daß sie alle hinweggethan sind, und überdies, daß ich in Christo eine völlige
Annahme gefunden habe.
Für den Gläubigen giebt es drei Dinge: Friede,
was seine Sünden betrifft, Gnade für die Gegenwart
101
und Herrlichkeit in der Zukunft. (Röm. 5, 1. 2.)
Nicht nur giebt es für die, welche in Christo Jesu sind,
„keine Verdammnis mehr," da alle Sünde hinweggethan
ist, sondern sie besitzen auch eine neue Stellung; ein
neuer Platz in Christo selbst ist unser Teil. Alles, was
den ersten Adam betrifft, ist am Kreuze geordnet worden;
und ich habe in Christo meine Stellung und bin nun
berufen, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Ja, ich bin
schuldig, so zu wandeln, wie Christus gewandelt hat.
Ich kann nicht so sein, wie Er war; denn Er war
ohne Sünde; wir aber haben Sünde in uns. Nie aber
ist Sünde in meinem Wandel erlaubt.
„Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit." (2.Kor. 3,18.)
Nicht nur bin ich von meinen Sünden befreit und freigesprochen, ich sehe auch einen Menschen, der in die Herrlichkeit eingegangen ist, und nun begehre ich, nicht allein
nicht mehr zu sündigen, sondern ich trage auch das Verlangen, Christo in der Herrlichkeit gleich zu sein — „ich
jage ihm nach." (Phil. 3.) „Geliebte, jetzt sind wir Gottes
Kinder, und es ist noch nicht geoffenbart worden, was
wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn Er geoffenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden
Ihn sehen, wie Er ist." (1. Joh. 3, 2.) Jetzt sehe ich
Christum iu der Herrlichkeit durch den Glauben, weiß
aber, daß ich bald Ihm gleich sein werde, und begehre
schon iu der Gegenwart, Ihm so gleich zu sein, wie es
mir nur immer möglich ist. Es ist wie mit einem Lichte,
daS am Ausgange eines Tunnels steht; ich wandle in
diesem Lichte, und je näher ich ihm komme, desto Heller
102
wird es. Ich gewahre, wie das Fleisch in mir nie sich ändert;
es scheint mir sogar immer verderbter zu werden; wenn
aber mein Auge und mein Inneres auf Christum gerichtet,
wenn mein Geist mit Ihm beschäftigt ist und ich nur
von Ihm erfüllt bin, so werde ich Ihm von Schritt zu
Schritt ähnlicher, gleichförmiger; ich werde verwandelt von
Herrlichkeit zu Herrlichkeit in dasselbe Bild!
Nichts sollte im Herzen oder Wandel sein, das Christo
ungleich ist, alles muß Ihm hingegeben werden, und ich
soll, wie schon gesagt, so wandeln, wie Er gewandelt
hat. Vom Fleische hören wir im Worte Gottes, daß es
vor der Sündflut gesetzlos war, und daß es unter dem
Gesetz sich das goldene Kalb machte; und als Christus
in Gnade kam, verwarf und kreuzigte es Ihn, sowie es
später den Heiligen Geist in der Person des Zeugen
Stephanus verwarf; und als endlich ein Mensch in den
dritten Himmel entrückt wurde, mußte ihm, sobald er auf
die Erde zurück kam, ein Pfahl für das Fleisch gegeben
werden. (2. Kor. 12.) Das Fleisch ist unverbesserlich, es
bleibt stets dasselbe. Dennoch ist kein Grund vorhanden,
daß wir ihm erlauben müßten, sich wirksam zu zeigen.
So lange die Seele von Christo erfüllt ist, wird die 
Wirksamkeit des Fleisches nicht wahrgenommen. Ich denke
gar nicht an das Fleisch, wenn ich an Christum denke; ich
halte es für tot, wozu ich ja berechtigt bin und von Gott
aufgefordert werde. (Röm. 6.) Wenn ein Mensch tot
ist, so kann man ihm keinen bösen Willen und keine
Lüste mehr vorwerfen. Nicht nur ist Christus gekreuzigt
worden, sondern ich bin mit Ihm gekreuzigt worden.
Was ich jetzt zu thun habe, ist, allezeit diesen Kreuzestod
auf mich anzuwenden; ich besitze Christum als mein Leben.
103
„Wenn wir mit Christo gestorben sind, so werden wir
auch mit Ihm leben." Ich finde die Kraft Christi in
mir wirksam durch dieses neue Leben. Die Sünde, die
ich in meinem Fleische finde, d. h. die sündige Natur,
wurde in Christo mitgerichtet und gekreuzigt, und ich bin
damit fertig. (Röm. 6, 6; Gal. 5, 24; 1. Petri 4, 1.)
Jetzt beginnt etwas ganz Neues; Christus ist der
Gegenstand und Zweck meines Lebens geworden. „Ich
bin mit Christo gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im
Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn
Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat."
Wie viele Gläubige giebt es, die sich der Vergebung
ihrer Sünden wohl bewußt sind, die aber nicht wissen,
daß sie mit Christo gekreuzigt worden sind. Nie aber
wird man von sich selbst befreit sein, so lange man dieses
nicht weiß. Das 7. Kapitel des Römerbriefes stellt uns
eine Seele dar, die lebendig gemacht, aber noch nicht befreit ist. Sie steht noch unter dem „ersten Ehemann."
Sie ist zwar erneuert — denn sie erkennt, daß das Gesetz
heilig und gut ist — aber sie muß noch lernen, daß in
ihr keine Kraft ist. Nun ist es aber viel leichter
und schneller gelernt, daß wir gottlos, als
daß wir völlig kraftlos sind! Endlich aber ruft
jene Seele aus: „Ich danke Gott durch Jesum Christum,
unsern Herrn!" Sie wendet sich, im Bewußtsein ihrer
völligen Ohnmacht, von sich ab, giebt sich gänzlich auf
und wendet sich zu Christo, der alles für sie ist, in
welchem sie alles besitzt. Das ist Befreiung. Sobald
Christus auf den Schauplatz tritt, ist Kraft und Aube-
104
tung vorhanden. Meine Stellung ist im Geiste, nicht im
Fleische. „Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat,
der ist nicht Sein." (Röm. 8, 9.) „Ihr in mir und ich
in euch," das ist die Stellung, die mir in Christo vor
Gott zu teil geworden ist! Wenn ich aber in Ihm bin
und Er in mir, so bin ich vollendet, und was den Leib
angeht — ich habe ihn für tot zn halten.
Das Leben der Thessalonicher war ein höchst gesegnetes Zeugnis für alle die Versammlungen in Griechenland. Sie waren „Vorbilder geworden allen Gläubigen
in Macedonien und Achaja." Vergessen wir jedoch nicht,
daß es unmöglich ist, ein solches Leben und ein so gesegnetes Zeugnis dadurch darzustellen, daß man versucht,
es zu thun. Nur dann, wenn mein Herz von Christo
erfüllt ist, werde ich sowohl das Böse scheuen und meiden,
als auch, wie Paulus betet, begehren, „erfüllt zu sein
mit der Frucht der Gerechtigkeit," und ich werde,
von Gottes Geist und Gesinnung geleitet, Ihm meinen
Leib als ein lebendiges Schlachtopfer darstellen. Paulus
that nur eins; er jagte nach dem herrlichen Ziele, dem
Kampfpreis unsrer Berufung: Christus in der Herrlichkeit.
Christus alles für die Seele — das ist wahre Bekehrung.
„Wahrhaftige Anbeter."
(Joh. 4. 23.)
In der jüdischen Haushaltung gab es „ein weltliches
Heiligtum" — „ein mit Händen gemachtes Heiligtum" —
„einen Altar," viele „Opfer," ein „veränderliches Priestertum," einen „Vorhang" zwischen Gott und Seinem Volke,
105
eine „Anbetung," die an einen besondern Ort auf der
Erde geknüpft war, und endlich „Anbeter," welche kein
gereinigtes und vollkommen gemachtes Gewissen besaßen.
Jetzt aber ist alles verändert. Anstatt eines weltlichen
Heiligtums haben wir „die wahrhaftige Hütte, welche der
Herr erbaut hat, nicht der Mensch." Anstatt des mit
Händen gemachten Heiligtums, welches, wie uns gesagt
wird, „ein Gegenbild des wahrhaftigen" war, lesen wir
jetzt, daß „der Christus eingegangen ist in den Himmel
selbst, um jetzt zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für
uns." Statt eines Altars, auf welchem unaufhörlich dieselben Schlachtopfer dargebracht wurden, die niemals
Sünden hinwegnehmen können, haben wir jetzt „einen
Altar, von welchem kein Recht haben zu essen, die der
Hütte dienen;"' einen Altar, welcher davon zeugt, daß
unsre Sünden gerichtet und für immer vor den Augen
Gottes hinweggethan sind, einen Altar, der wirklich nichts
anders ist, als „der Thron der Gnade," der uns zum
Gebet, zur Danksagung und Anbetung einladet und nicht
für sichtbare und fleischliche Schlachtopfer, sondern für die
Opfer des Lobes und der Danksagung bestimmt ist. Anstatt der vielen Opfer, die alljährlich ununterbrochen
dargebracht wurden, wissen wir, daß Christus, „nachdem 
Er ein Schlachtopfer für die Sünden dargebracht, sich
für immerdar gesetzt hat zur Rechten Gottes," so daß
„kein Opfer für die Sünde mehr bleibt." Es bedarf
auch keines andern Opfers mehr wegen des ewigen Wertes
des einmaligen Opfers Christi, das ein für allemal
dargebracht worden ist, und wodurch Er eine „ewige Erlösung erfunden" hat, damit wir „die Verheißung des
ewigen Erbes empfingen."
106
Auch das Priestertum ist verändert; denn statt einer
fleischlichen und irdischen Ordnung von aufeinander folgenden und sündigen Priestern, haben wir jetzt Jesum, den
Sohn Gottes, der in den Himmel selbst eingegangen ist
mit Seinem eignen Blute und Priester geworden ist „in
Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks." Er ist Priester
für immer und ewig, voll von Liebe und Mitgefühl und
ohne Sünde, ein Priester, der immerdar lebt, nm sich
für uns zu verwenden. Er ist der Hohepriester, und alle
Gläubige sind Priester. Auch ward „der Vorhang," das
Vorbild „Seines Fleisches," zerrissen von oben an bis
unten aus, als Christus auf Golgatha Seine Seele für
uns „ausschüttete in den Tod," so daß wir mit Freimütigkeit in das Heiligtum eintreten können, „durch das
Blut Jesu, den neuen und lebendigen Weg, den Er uns
eingeweiht hat durch den Vorhang, das ist Sein Fleisch."
(Hebr. 10.)
Die Anbetung hat deshalb jetzt einen ganz neuen
Charakter angenommen. Sie muß „im Geist und in
Wahrheit" geschehen, unter der mächtigen Leitung des
Heiligen Geistes und in Übereinstimmung mit der jetzt
geoffenbarten Wahrheit. „Der Vater" ist jetzt der Gegenstand der Anbetung. Auf Ihn richten Geist und Wahrheit jetzt unsre Gedanken; denn durch Ihn (Christum)
haben wir den Zugang durch einen Geist zu dem?V ater."
(Eph. 2, 18.) Es ist daher ein sehr ernster Fehler, jetzt
von einem bestimmten Orte der Anbetung zu reden. Als
das Weib am Jakobsbrnnnen von Jerusalem sprach, als
dem Orte, wo man anbeten sollte, erwiderte der Herr
ihr alsbald: „Weib, glaube mir, es kommt die Stunde,
da ihr weder aus diesem Berge, noch zu Jerusalem den
107
Vater anbeten werdet. Ihr betet an, ihr wisset nicht
was . . . . Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da
die wahrhaftigen Anbeter den Vater im Geist
und in Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater
sucht solche als Seine Anbeter. Gott ist ein Geist, und
die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in Wahrheit anbeten." (Joh. 4, 21— 24.)
Man kann unmöglich die Belehrung, die der Herr
hier dem Weibe giebt, mißverstehen, daß es sich nämlich
jetzt nicht mehr um bestimmte Orte der Anbetung handelt, sondern einfach um Anbetung und Anbeter, und daß
der Vater wahrhaftige Anbeter sucht und im Geist und
in Wahrheit angebetet werden muß. Wahrhaftige Anbeter sind daher Kinder Gottes; anders könnten sie nicht
„den Vater" anbeten. Sie kennen den Vater. Sie
haben Seine Liebe erkannt und geglaubt — jene Liebe, die
sich darin kundgab, daß Er Seinen eingebornen Sohn in
die Welt sandte, damit wir durch Ihn leben möchten. Sie
wissen, daß Ihre Sünden vergeben sind um Seines
Namens willen. Sie glauben, daß Jesus, nachdem Er
von den Toten auferstanden, mit Seinem eignen Blut
in den Himmel selbst eingegangen ist und uns jetzt vor
dem Angesicht Gottes vertritt. Sie gehen daher kraft des
BluteS Jesu in das Allerheiligste hinein, nahen dem
Throne der Gnade mit Freimütigkeit und stehen vor dem
Altar, der von einer ewigen Vergebung der Sünden redet,
welche die Seele mit Danksagung und Anbetung erfüllt.
UeberdieS sind ihre „Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen;" sie wissen, daß das kostbare
Blut Christi in all seiner ewigen und unveränderlichen
Gültigkeit zwischen ihnen und Gott steht und ihnen ein 
108
Recht giebt, allezeit in Seiner Gegenwart zu weilen. Sie
wissen aus dem Worte Gottes, daß ihre Sünden gerichtet
und abgewaschen sind; ihre Gewissen sind daher gereinigt,
und sie selbst sind gereinigte Anbeter. Der Heilige Geist
ist ihnen gegeben, weil sie Vergebung der Sünden haben,
und durch den Geist ist die Liebe Gottes in ihre Herzen
ausgegossen, und sie werden durch Ihn in alle Wahrheit
geleitet. Auf diese Weise haben Sie Kenntnis von den
Gedanken Gottes und sind befähigt, Ihn als wahrhaftige
Anbeter anzubeten. Welche Schuldner sind wir der göttlichen Gnade gegenüber!
Wir sehen also, in welch bemerkenswerter Weise
Judentum und Christentum einander entgegengesetzt sind,
und wie gänzlich Priestertum und Anbetung sich verändert
haben. Auch dürfen wir nicht vergessen, daß in der jüdischen Haushaltung fast alles von dem Volke gesehen
wurde. Sie sahen den Altar, sie sahen, wie das
Opfertier geschlachtet, das Blut vergossen und überallhin
gesprengt wurde, sie blickten dem Priester nach, wenn er
in seinen heiligen Kleidern in das Heiligtum ging rc. rc.
Im Christentum aber ist alles Glaube. Wir glauben
an Einen, den wir nie gesehen haben, und wir dienen
und gehorchen Einem, den unser leibliches Auge nicht erblickt. Unser Heiligtum, unser Altar, Priester und Opfer —
alles ist unsichtbar. „Wir wandeln durch Glauben,
nicht durch Schauen." Israel aber, als Volk betrachtet,
wird, gleich Thomas, nicht eher glauben, bis es Den sieht,
„in welchen sie gestochen haben." Der Christ aber ist gerechtfertigt durch Glauben; er steht, lebt und wandelt
durch Glauben.
Was das Blut anbetrifft, so ist es sehr interessant
109
zu sehen, wie in den Vorbildern der ganze Weg von der
Erde bis zum Himmel durch dasselbe bezeichnet ist. Das
Blut des Opfertieres wurde an die Hörner des Brandopferaltars gethan, sowie auf den Altar selbst und an den
Boden des Altars gegossen. Gegen den Eingang des
Zeltes der Zusammenkunft wurde es siebenmal gesprengt.
Es wurde gethan auf die Hörner des Altars des wohlriechenden Rauchwerks, der in dem Zelte der Zusammenkunft stand, es wurde siebenmal gesprengt gegen den Vorhang des Heiligtums sowie vor den Gnadenstuhl, aber
nur einmal aus denselben. (Vergl. 3. Mos. 4, 6 — 34;
16, 14.) Für das Auge Gottes genügte es, wenn das
Blut einmal auf den Gnadenstuhl gesprengt wurde. Das
siebenmalige Sprengen desselben giebt uns die völlige
Versicherung, daß es eine göttlich vollkommene Gültigkeit
und Wirksamkeit besitzt.
Alle diese verschiedenen Sprengungen des Blutes waren
notwendig, um uns als Vorbilder über den unendlichen
Wert des Blutes Jesu zu belehren und uns die Freiheit
zu zeigen, mit welcher wir allezeit in der Gegenwart
Gottes verweilen dürfen. Wie wunderbar ist die Gnade,
die uns in Gerechtigkeit so nahe gebracht hat! Welch ein 
Vorrecht, daß wir dort im Allerheiligsten sein dürfen als
gereinigte Anbeter, da, wo ein vollkommener Friede herrscht
und eine vollkommene Liebe uns umgiebt I Laßt uns daher
durch Jesum, unsern Herrn, „Gott stets das Opfer des
Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, welche
Seinen Namen bekennen." Laßt uns auch nicht vergessen,
Wohlzuthun und mitzuteilen, „denn an solchen Opfern
hat Gott Wohlgefallen!" (Hebr. 13, 15. 16.)
110
So wie ich bin.
In demselben Augenblick, da ein Sünder seinen
wahren Platz einnimmt als völlig verloren, schuldig und
unpassend für die Gegenwart Gottes — als Einer, der
so schlecht ist, daß er unmöglich schlechter sein könnte — sobald er in aufrichtigem Bekenntnis seiner unzahlbaren
Schuld zu Gott eilt und sich als ein bußfertiger Sünder
vor Ihm niederwirft, ist Freude im Himmel, Freude vor
den Engeln, ja Freude im Vaterherzen Gottes selbst.
Denn dann ist der Augenblick gekommen, wo die Liebe
des Vaterherzens ungehemmt ausströmen und die Frage
der Sünde zwischen Gott und dem Sünder für ewig geordnet werden kann. Die Gnade Gottes beschäftigt sich
mit Sündern; und wenn ich erkannt habe, daß ich ein 
Sünder bin, so versichert mir das Wort, daß ich gerade
zu denen gehöre, welche zu retten Jesus aus der Herrlichkeit des Vaters herniederkam. Je klarer mir jemand beweisen kann, daß ich ein Sünder bin, desto klarer stellt
er mein Anrecht auf die Liebe Gottes und das Werk
Christi fest. „Denn freilich hat Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf daß
Er uns zu Gott führe." (1. Petr. 3, 18.) Bin ich ein
„Ungerechter," so bin ich einer von denen, für welche
Christus gestorben ist, und an Ihn glaubend, habe ich ein
Anrecht auf alle die gesegneten Folgen Seines Todes.
Dieser Tod war für mich; Christus starb, der Gerechte
für die Ungerechten, also für mich. Ist Er aber für mich
gestorben, so ist es mein glückseliges Vorrecht, in den
unmittelbaren Genuß der Früchte Seines Werkes einzutreten.
Nichts könnte einfacher und klarer sein. Von mir wird
nichts gefordert, als die Umkehr von meinen bösen Wegen
111
und der einfältige, kindliche Glaube an Jesum und an
Sein vollbrachtes Werk. Welch eine unaussprechliche Gnade!
Ich werde nicht aufgefordert, mich zu bessern, nein, gerade
so wie ich bin, darf ich kommen, mit allen meinen Sünden, in allen meinen Lumpen. Das lebendige, ewig bleibende Wort Gottes versichert mir, daß Christus für mich
starb, gerade so wie ich bin; und wenn Er für mich starb,
so bin ich jetzt so sicher vor allem Gericht, wie Christus
selbst. Nichts ist mehr da, was gegen mich sein könnte.
Christus ist allem begegnet. Er hat nicht nur gelitten
für „meine Sünden," sondern Er ist auch für mich zur
„Sünde" gemacht worden, zu dem, was ich bin. Er
hat das ganze System, in welchem ich, als Kind des ersten
Adam, stand, hinweggethan und mich, in Verbindung mit sich
selbst, in eine ganz neue Stellung eingeführt, und dort stehe
ich vor Gott, von aller Schuld und von jedem Gericht befreit.
Dieses alles besitze ich, wie gesagt, durch den einfältigen Glauben an Jesum Christum. Nichts anderes
ist nötig; nichts anders fordert Gott. Aber auch nichts
anders kann mich retten. Man erhält nicht selten, wenn
man jemanden auf die Notwendigkeit des Glaubens zur
Errettung seiner Seele aufmerksam macht, die Antwort:
„Ja, ich glaube ja auch." Aber wenn man dann weiter
fragt: „An was glauben Sie denn?" so heißt es gewöhnlich: „Nun, ich glaube an die ganze Bibel." Gott
aber sagt nicht, daß derjenige Errettung finden werde, welcher
an die Bibel glaubt, sondern der da „glaubt an den Herrn
Jesum Christum." Zuzugeben, daß die Bibel die Wahrheit ist, ist etwas ganz anderes, als sein völliges Vertrauen auf den Sohn Gottes zu setzen. Die Schrift weist
immer wieder auf den eingebornen Sohn hin, als den
112
einzigen Gegenstand des Glaubens, auf Ihn, der für
Sünder am Kreuze starb. Es ist nicht einmal gesagt,
daß diejenigen, welche Ihn als den alleinigen Heiland
anerkennen, errettet werden sollen, sondern diejenigen, welche
„durch Ihn zu Gott kommen." Die wichtige Frage ist: Glaubst
du an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes? Bist du
als ein verdammungswürdiger Sünder zu Ihm gekommen, in
dem Bewußtsein, daß nichts, gar nichts außer Ihm dich
retten kann, und daß Sein kostbares Blut allein von aller
Sünde rein zu waschen vermag? Vertraust du einzig und
allein auf Ihn, der einst für dich im Gericht gestanden
hat und jetzt verherrlicht zur Rechten Gottes sitzt?
Täusche dich nicht, mein lieber Leser! Es genügt nicht
zuzugeben, daß der Heilsweg Gottes der allein richtige
ist, sondern du mußt diesen Weg auch gehen. Es genügt
nicht zu wissen, daß Christus für Sünder gestorben ist,
sondern du mußt zu Ihm gekommen sein, als zu deinem
Heiland, du mußt Frieden und Vergebung aller deiner
Sünden gefunden haben in Seinem kostbaren Blute. Hast
du das Zeugnis Gottes über das vollendete Werk Seines
Sohnes angenommen? Hast du von Herzen geglaubt
an die Liebe, die Gott zu uns hat? Bist du durch Jesum
zu Gott gekommen, und kannst du Ihm jetzt danken
für das Große, das Er an dir gethan hat? — „Das
ist das Wort des Glaubens, daß, wenn du mit deinem
Munde Jesum Christum als Herrn bekennen und in
deinem Herzen glauben wirst, daß Gott Ihn aus
den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst. Denn
mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Munde wird bekannt zum
Heil." (Röm. 10, 8—10.)
Gedanken über 3. Korinth. 4, 16 — 5, 10.
Der Weg des Apostels, dieses treuen Dieners Christi,
war hienieden voll von Mühen und Beschwerden aller Art.
Sein Leben war ein unaufhörlicher Kampf; er ergänzte
in seinem Fleische, wie er in Kolosser 1 sagt, was noch
rückständig war an den Trübsalen des Christus für Seinen
Leib, das ist die Versammlung. Er konnte sagen: „Ich
sterbe täglich;" „wir sind gerechnet wie Schlachtschafe;"
„wir, die wir leben, werden allezeit dem Tode überliefert
um Jesu willen;" „allezeit das Sterben Jesu am Leibe
umheriragend" ec. ec.. Er wußte, daß sein Leben in dem
Tode Christi sein Ende gefunden hatte, und damit dieses
Bewußtsein in ihm stets lebendig erhalten bleibe und er
sich auch praktisch für tot halte, kam der Herr ihm mit
allerlei Schwierigkeiten und Leiden zu Hülfe. Ja der
Tod Christi hat unserm natürlichen Leben, worin wir
Sklaven der Sünde waren, ein Ende gemacht; wir sind
der Sünde gestorben, wir sind mit Christo gekreuzigt.
Wir haben jetzt das Vorrecht, uns der Sünde für tot
zu halten und Gott zu leben. Wir sind in Christo —
„eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe,
alles ist neu geworden." Zugleich bildet das Kreuz die 
Scheidewand zwischen uns, den Glaubenden, und der Welt;
wir sind auf jener, die Welt ist auf dieser Seite des
Kreuzes. Unser so wohl verdientes Gericht liegt hinter
114
uns, es ist an Christo auf dem Kreuze an unsrer Statt
vollzogen worden.
Welch eine überschwängliche Gnade, welch eine herrliche Stellung ist uns durch Christum und in Ihm zu
teil geworden! Es ist unser Vorrecht, und wir sind auch
dazu berufen, diese gesegnete Stellung durch die Kraft
des Geistes zu verwirklichen. Wir können es aber hienieden nur durch Glauben; denn alles, was in dieser
Welt gefunden wird, steht im Widerspruch mit unsrer
Stellung in Christo und wird uns stets Kampf bereiten.
Sehr viele Christen sind unbekannt mit ihrer neuen Stellung
in Christo, und bei ihnen kann natürlich von keiner Verwirklichung derselben die Rede sein. Sie sehen in dem
Kreuze Christi nur die Versöhnung, die Vergebung ihrer
Sünden, verstehen aber nicht, daß sie selbst mit Christo
gestorben und anferweckt, aus aller Sklaverei der Sünde
errettet und in Christo schon in die himmlischen Oerter
versetzt sind. Diese Befreiung, die wir durch Christum
erlangt haben, ist ihnen unbekannt. Man kann andrerseits aber auch die Lehre der Befreiung kennen, ohne das
Wesen oder die Wirklichkeit derselben im Herzen zu haben —
und das ist noch trauriger; man bekennt dann eine Wahrheit mit dem Munde, die man im Wandel verleugnet.
Paulus verwirklichte die durch Christum erlangte Befreiung in seinem ganzen Verhalten hienieden. Er hielt
sich allem gegenüber für gestorben und lebte für Christum.
Sein Blick war nicht auf das Sichtbare und Zeitliche,
sondern auf das Unsichtbare und ewig Bleibende gerichtet.
Wie viele und große Schwierigkeiten ihm auch auf seinem
Wege begegnen mochten, er ermattete nicht; er sah darin
nur Gewinn für sich. Wenn auch der äußere Mensch
115
in unausgesetzten Leiden verfiel, so wurde doch der innere
von Tag zu Tage erneuert; er wurde dadurch genährt,
gekräftigt und dem Bilde Christi gleichförmiger gemacht.
Und welch eine tröstliche Hoffnung belebte sein Herz! Er
sagt: „Das schnell vorübergehende Leichte unsrer Drangsal
bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges
Gewicht von Herrlichkeit." Unser Aufenthalt in dieser
Welt ist nur ein ganz kleiner Schritt auf dem nie endenden
Wege unsers Lebens; erwirb schnell zurückgelegt, und die
kleinen oder großen Schwierigkeiten, die uns auf demselben
begegnen, werden uns leicht gemacht durch die Kraft Gottes
nnd die reichen Tröstungen Seines Wortes. Droben aber
wartet unser eine Herrlichkeit, deren überschwängliches
Gewicht wir in diesem irdischen Leibe, in dieser schwachen,
gebrechlichen Hütte nicht zu ertragen vermöchten; es würde
uns erdrücken. Nur ein himmlischer Leib, gleichförmig
dem verherrlichten Leibe Christi, wird in dem göttlichen
Glanze jener Herrlichkeit ewige Freude und Wonne finden.
Gott aber hat in dem vollkommenen Werke Christi
auch für unsern armen, schwachen Leib Sorge getragen
und wird ihn für jene Herrlichkeit passend machen. „Denn
wir wissen, (wir, die Gläubigen) daß, wenn unser irdisches
Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau aus Gott
haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges,
iu den Himmeln." (V. 1.) Auf dem drangsalsvollen Pfade
des Apostels im Dienste des Herrn war sein Leib stets
der Zerstörung preisgegeben und dem Tode ausgesetzt;
aber auch iu bezug auf diesen armen Leib war sein Herz
von einer sichern und tröstlichen Hoffnung beseelt. Fleisch
und Blut können das Reich Gottes nicht ererben nnd
ebensowenig das Verwesliche die Unverweslichkeit. Aber
116
wir werden diesen Leib, die Hütte, worin der Geist Gottes
hienieden Wohnung gemacht hat, ablegen und an seiner
Statt einen Bau empfangen, der aus Gott ist, der nicht
von den Händen der Menschen gemacht, und darum nicht
verderblich und zerbrechlich, sondern unzerstörbar und ewig
ist — einen Leib, dessen Wohnplatz nicht auf der Erde,
sondern im Himmel zu suchen ist. Dieser Leib der Niedrigkeit wird umgestaltet werden zur Gleichförmigkeit des Leibes
Seiner Herrlichkeit; (Phil. 3, 21.) und diese Umgestaltung wird stattfinden, wenn der Herr kommt, um Seine
Versammlung aufzunehmen. Die in Christo Entschlafenen
werden auferweckt, und die zu der Zeit auf der Erde noch
lebenden Gläubigen werden verwandelt werden, und zwar
in einem Nu, in einem Augenblick, bei dem Tone der
letzten Posaune. „Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit
der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel."
(Vergl. 1. Kor. 15,51 — 65; 1. Thess. 4, 13 — 18.)
Der Apostel spricht dann weiter von den Gefühlen,
die uns während unsers Aufenthalts in diesem irdischen
Hause beherrschen. „Denn in diesem freilich seufzen wir,
uns sehnend, mit unsrer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden." (B. 2.) So lange wir
in dieser irdischen Hütte sind, sind wir fern von unsrer
Heimat, fern von dem Hause unsers Vaters, wohin Christus
vorangegangen ist, um auch für uns dort eine Stätte zu 
bereiten, auf daß wir seien, wo Er ist. Wenn nun schon
ein gottseliger Israelit in fremdem Lande Jerusalems nie
vergessen konnte und mit tiefem Verlangen nach dem
Hause Jehova's sich sehnte, um dort zu wohnen und anzubeten, so haben wir noch weit mehr Ursache, zu seufzen
117
und sehnend aufzublicken nach unsrer himmlischen Heimat,
nach der Herrlichkeit droben, die wir mit Jesu, unserm
hochgeprtesenen Heiland, für immer teilen sollen. Unsre
irdische Hütte, die wir bewohnen, hält uns noch zurück,
aber unser Seufzen wird gestillt und unser Sehnen erfüllt sein, sobald wir mit unsrer Behausung, die aus
dem Himmel ist, üb er kleidet werden. Und diese Überkleidung wird stattfinden, falls wir bei der Ankunft Christi
zu unsrer Aufnahme noch in dieser irdischen Hütte angetroffen werden. Bei den Entschlafenen in Christo kann
selbstverständlich nicht von einer Überkleidung die Rede
sein. Sie sind entkleidet worden, d. h. gestorben oder
entschlafen, und werden mit einem verherrlichten Leibe
auferweckt werden. Es ist aber nicht genug, dann, wenn
der Herr kommt, noch in diesem Leibe, oder noch bekleidet
zu sein; wer nicht das Leben aus Gott hat, wer in bezug
auf dieses wirkliche Leben nackt erfunden wird, hat kein
Teil an jener Neberkleidung, kein Teil mit Christo an
der Herrlichkeit droben. Für ihn giebt es nur ein furchtvolles Erwarten des Gerichts. Dieser ernsten Warnung
bedurfte eine Versammlung, wie die in Korinth, weil sich
solche in ihr befanden, die durch ihren Wandel wenig
oder gar kein Zeugnis gaben, daß sie wirklich das ewige
Leben besaßen; und noch ernster und eindringlicher dringt
diese Warnung in unsern Tagen in das Ohr aller, die
sie hören, in einer Zeit, wo so viel Form der Gottseligkeit gefunden, die Kraft derselben aber verleugnet wird.
Jn Vers 4 spricht der Apostel noch einmal von
unserm Seufzen während unsers Aufenthalts in dieser
Hütte. Allein dieses Seufzen trägt hier einen andern
Charakter als vorhin. Es geschieht, wie ich glaube, im
118
Blick auf das, was uns hier umgiebt, auf die schmerzlichen
Erfahrungen, die wir hienieden zu machen haben, weshalb
der Apostel auch das Wörtchen: „beschwert" hinzufügt.
„Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert." Wir befinden uns in einer Welt voller Sünde
und Elend, in einer Welt, die unsern geliebten Herrn
verworfen und gekreuzigt hat, und die auf alle Weise fortfährt, Seinen Namen zu entehren; und das kann in dem
Herzen eines wahren Jüngers nur ein stetes Seufzen hervorbringen. Zugleich haben wir in dieser Hütte mancherlei
Mühen und Beschwerden, Kummer und Schmerz, Krankheiten und Leiden durchzumachen. Und auch dieses hat
zur Folge, daß wir beschwert seufzen, so lange wir in
derselben sind. Dennoch wünscht der Apostel nicht, „entkleidet, sondern überkleidet zu werden, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben." Vor ihm lag
die Herrlichkeit, und sein irdischer Leib war für ihn ein
Hindernis, um in den vollen Genuß derselben einzutreten.
Zugleich wußte er, daß in dem Christus eine solche Macht
des Lebens vorhanden war, daß sie die Sterblichkeit seines
Leibes gleichsam verschlingen konnte, so daß er gar nicht
durch den Tod zu gehen brauchte. Die Korinther waren
mit dieser Wahrheit ebenfalls bekannt, da der Apostel sie
ihnen in seinem ersten Briefe (Kap. 15.) bereits mitgeteilt hatte. Kam nun dieser glückselige, glorreiche Augenblick der Ueberkleidung, so war Paulus mit einem Male
für immer bei seinem geliebten Herrn und mit allen Heiligen im Vollgenuß Seiner Herrlichkeit. Köstliche Hoffnung!
Diese Hoffnung hat aber auch einen sichern und
festen Grund. Gott selbst hat uns, die wir durch Christum
erlöst sind, für diese Herrlichkeit zubereitet. Er hat uns
119
eines Lebens teilhaftig gemacht, das für jene Herrlichkeit
passend ist und in derselben allein seine wahre Befriedigung finden kann. Es ist dasselbe Leben, welches bei
dem Vater war und in Christo hienieden geoffenbart und
angeschaut worden ist. Ja, alles verdanken wir Gott
selbst, und dies giebt uns die völlige Gewißheit, daß Er
uns vollkommen liebt. Er hat Christum für uns hingegeben, Er hat in Ihm uns alle Quellen des Heils und
des Lebens eröffnet, und Er hat uns für jene himmlische
Herrlichkeit zubereitet. Zugleich aber hat Er uns den
Geist gegeben als Unterpfand, um diese Herrlichkeit jetzt
schon in Hoffnung zu genießen, während wir noch in dieser
Hütte sind. Der in uns wohnende Geist ist nicht nur
die Quelle und die Kraft des Lebens, das wir empfangen
haben, sondern die Thatsache, daß Er in uns wohnt,
sichert uns auch die Herrlichkeit, zu welcher wir bereitet
sind, und füllt das Herz mit Vertrauen, wenn es auch
unser Los sein sollte, nicht verwandelt, nicht überkleidet,
sondern entkleidet zu werden. Unser Leben, das uns in
Christo geschenkt ist, kann durch nichts augetastet werden;
der Tod hat keine Macht über dasselbe. Es hat in
Christo über alle Macht des Todes und des Feindes
triumphirt; es ist unauflöslich und unantastbar. Deshalb
„sind wir allezeit gutes Mutes und wissen, daß, weil einheimisch in dem Leibe, wir von dem Herrn ausheimisch
sind; denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch
Schauen." (V. tt. 7.) Sobald wir diese Hütte verlassen,
sind wir beim Herrn; und der Apostel sagt bei einer
andern Gelegenheit: „Ich habe Lust, abzuscheiden und bei
Christo zu sein, denn es ist weit besser." Ja, es ist weit
besser, denn wir werden dann ohne Störung Ihn genießen
120
und verherrlichen; Er wird dann nie mehr, wissentlich
oder unwissentlich, von uns verunehrt werden. So lange
wir einheimisch in dem Leibe sind, sind wir ausheimisch
von dem Herrn; nur noch eine kurze Zeit, und wir werden
einheimisch bei Ihm sein. Inzwischen wandeln wir durch
Glauben; wir sehen weder die himmlische Herrlichkeit, die
droben unser wartet, noch Christum, der unser Leben ist;
aber wir sind dennoch gutes Mutes, denn wir haben das
sichere Unterpfand und kennen die Liebe Dessen, dem wir
alles verdanken. Von dieser Liebe kann uns nichts mehr
trennen, und sie hat uns für jene Herrlichkeit passend
gemacht. Auch der Glaube ist eine Gabe von Ihm —
nichts ist aus uns — und derselbe ist „eine Verwirklichung
dessen, was man hofft, eine Ueberzeugung von Dingen, die
man nicht sieht." (Hebr. 11, 1.)
Obwohl wir aber gutes Mutes sind, so möchten wir
doch „lieber ausheimisch von dem Leibe und einheimisch
bei dem Herrn sein." (V. 8.) Ein jeder, der Ihn kennt, 
liebt Ihn und sehnt sich nach Ihm. Wir haben freilich
schon jetzt das Vorrecht, durch den Glauben und im Geiste
mit Ihm zu verkehren; aber gerade dieses: „durch Glauben"
läßt uns fühlen, daß wir von Ihm getrennt sind, daß
unsre Augen Ihn nicht schauen. Verlangen wir nun
wirklich, ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei
Ihm zu sein, so beweist dies, daß wir Ihn lieben und
daß hienieden uns nichts befriedigen kann.
Zugleich hat dann, wenn unser Herz in Liebe für
Ihn schlägt und mit inniger Zuneigung zu Ihm erfüllt ist,
Sein Wohlgefallen einen hohen Wert für uns. „Deshalb
beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ansheimisch.
Ihm wohlgefällig zu sein." Wenn wir das innige und
121
unauflösliche Band kennen, durch welches wir mit Ihm
Verbünde«: sind, und im Genuß Seiner Liebe hienieden 
wandeln, so wird auch unser Herz mit der innigsten Liebe
zu Ihm erfüllt sein; und diese Liebe zu Ihm ist der wahre
Beweggrund aller Hingebung und alles Eifers für Ihn,
während wir noch iu dieser Hütte einheimisch sind. All
unser Dichten und Trachten ist dahin gerichtet, Ihm
wohlgefällig zu sein, wenn Er kommt, um uns Seiner
Herrlichkeit teilhaftig zu machen, sei eS nun, daß wir
alsdann noch im Leibe oder außer demselben gesunden
werden.
Die Sehnsucht nach Ihm lenkt das Herz von allem
hienieden ab, was das Fleisch liebt, von allem, was
sichtbar ist, und giebt unserm ganzen Wandel eine himmlische Richtung. Es giebt aber noch eine andere Wahrheit, welche, wenn sie unser Inneres beherrscht, einen
großen Einfluß auf unser ganzes Verhalten hienieden 
ausübt. „Wir müssen alle geoffenbart werden vor dem
Richterstuhl des Christus, auf daß ein jeder empfange,
was er in dem Leibe gethan, nach dem er gehandelt hat,
es sei Gnies oder Böses." (V. 10.) Ein ernster, feierlicher Gedanke! Er könnte nur Angst und Schrecken in
uns wachrufen, wenn wir nicht wüßten, daß die Frage
der Gerechtigkeit in bezug auf uns völlig entschieden ist.
Das Wort versichert uns, daß wir in dieser Welt sind,
wie Er, Christus, ist, (1. Joh. 4, 17.) vor dessen Richterstuhl wir offenbar werden müssen. Gott hat zum Beweise
Seiner Gerechtigkeit Ihn, den alle Welt in ihrer Ungerechtigkeit verworfen hatte, zu Seiner Rechten gesetzt, und
wir sind in Ihm, der für uns zur Sünde gemacht war,
die Gerechtigkeit Gottes geworden nnd sind in Ihm jetzt
122
schon in die himmlischen Oerter versetzt. (2. Kor. 5, 21;
Eph. 2,6.) Es handelt sich daher bei unserm Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi keineswegs um die 
Frage der Gerechtigkeit und um Gericht; denn sicher wird
die Gerechtigkeit Gottes, welche wir in Christo geworden
sind, ohne den geringsten Flecken sein. Der Apostel sagt
deshalb auch nicht, daß wir dort gerichtet, sondern
daß wir alle geoffenbart werden müssen. Haben wir
nun unsre Stellung erkannt, haben wir verstanden, daß
die Gnade und Liebe Gottes uns einen so sichern Platz
in Christo gegeben hat, so wird uns diese Frage beim
Gedanken an den Richterstuhl nicht im Geringsten beunruhigen. Aber andrerseits können wir nur dann mit
Ruhe und Freude an jenes Offenbarwerden denken, wenn
wir praktisch mit unserm Willen und Gewissen im Lichte
wandeln, wenn wir im Lichte jenes Richterstuhls jetzt schon
alles beurteilen und richten, so daß nichts im Herzen verborgen bleibt. Dann ist es für uns eine gesegnete Sache;
wir sind glücklich, daß vor Ihm alles offenbar ist, daß
Er alles weiß; denn Er, der Licht ist, ist auch Liebe, Er,
der heilig und gerecht ist, ist auch reich an Huld und
Gnade. „Wenn wir unsre Sünden bekennen, so ist Er
treu und gerecht, daß Er uns die Sünden vergwbt und
reinigt uns von aller Ungerechtigkeit." Ohne wahre Erkenntnis der Gnade und Liebe Gottes sürchte ich das
Licht; aber wenn ich erkannt habe, daß Gott in dem
Lichte, in welches ich gestellt bin, vollkommene Liebe ist,
so freue ich mich desselben. Es ist mir ein wirkliches
Bedürfnis, darin zu sein und zu wandeln, und Friede
und Freude erfüllen das Herz. Das Leben, das wir in
Christo empfangen haben, steht in völliger Uebereinstim-
123
mung mit dem Lichte; der neue Mensch liebt dasselbe
vermöge seiner Natur, die nicht die geringste Vermischung
mit dem Bösen ertragen kann. Wir sind schon „Licht in
dem Herrn," und darum lieben wir es, in dem Lichte zu sein.
Es handelt sich an dieser Stelle, wie schon gesagt,
nicht um Gericht, sondern um Vergeltung. Christus hat
aus dem Kreuze unsern Platz im Gericht eingenommen,
der Gerechte für die Ungerechten. Das Gericht liegt hinter
uns; für die, welche in Christo sind, giebt es keine Verdammnis mehr. Wir können daher dem Tage des Gerichts
mit Freimütigkeit entgegen gehen. „Denn wie Er ist, so
sind auch wir in dieser Welt;" allein wir werden vor
deni Richterstuhl Christi offenbar werden und empfangen,
was wir im Leibe gethan haben. Alle Dinge, auch selbst
die verborgensten Ratschläge des Herzens, werden in dem
vollkommenen Lichte des Richterstuhls erkannt und gesehen
nnd nach ihrem wahren Werte geschätzt und beurteilt
werden. Für alles Gute, das wir gethan, werden wir
Belohnung finden. Haben wir nns hienieden wirklich beeifert, um Ihm wohlgefällig zu sein, so werden wir dort
die gesegneten Früchte davon ernten. Es wird nicht das
Geringste vergessen sein, was wir für Ihn und um Seinetwillen gethan haben; es ist Seine Freude, uns reichlich
zu belohnen. Wir wissen wohl, daß wir alles Gute, welches
wir hienieden vollbringen, allein Seiner Gnade zu verdanken haben; aber am Tage der Vergeltung will Er uns
dafür belohnen, als hätten wir es durch uns selbst gethan.
Welche Gnade! Wie groß aber wird der Verlust sein,
wenn wir diese Gnade hienieden mehr oder weniger vernachlässigt, wenn wir unser Gewissen vor dem Worte
Gottes und dem Zeugnis des Heiligen Geistes verschlossen
124
und es versäumt haben, das Fleisch zu richten, welches uns
verhindert hat, die gesegneten Früchte des Geistes hervorzubringen! Beim Rückblick auf unser Leben hienieden 
werden wir die unzähligen Beweise Seiner Gnade und
Liebe, Seiner Güte und Sorgfalt, Seiner Geduld und
Langmut klar erkennen; wir werden sehen, wie Er auf
dem ganzen Wege Sein Auge nicht von uns abgewandt,
uns nie versäumt, noch vergessen hat, und sicher werden
wir im Blick auf das, was Er stets gegen uns gewesen
ist, im Blick auf alle die Wege, die Seine Liebe uns
geführt hat, mit Anbetung niedersinken und Ihn preisen.
Zugleich aber werden wir auch erkennen, wie ost wir
Seine reiche Gnade und herablassende Liebe so wenig beherzigt, Seine Treue und Sorgfalt so wenig beachtet und
die Ermahnung Seines Wortes und die Stimme Seines
Geistes so wenig befolgt haben, und daß infolge dessen
auch so wenig wahre Früchte zum Vorschein gekommen
sind. Wir werden dann jedes Hindernis klar erkennen,
welches uns zur Hervorbringung jener Früchte im Wege gestanden hat, und werden es beurteilen und richten, so wie
Gott es richtet, gemäß des vollkommenen Lichtes jenes
Richterstuhls; Gott selbst wird der Maßstab sein, nach
welchem alles Gute uud Böse gemessen werden wird. Dann
werden wir auch alle Wege Gottes mit uns verstehen und
die Liebe bewundern und anbeten, die solche Wesen, wie
wir von Natur sind, verderbt und gottlos, zum Genuß
jenes wolkenlosen Lichtes gebracht hat, um ewig glücklich
darin zu sein; wir werden die Weisheit Gottes bewundern, wenn wir sehen, daß in bezug auf einen jeden Einzelnen, was auch sein Herzenszustand hienieden gewesen
sein mochte, der Ratschluß Gottes erfüllt worden ist, und
125
daß ein jeder den Platz inne hat, der ihm vom Vater
bereitet ist. Wie anbetungswürdig ist die Weisheit und
Liebe Gottes! Möchten wir alle, die Sein sind, doch
hienieden immer mehr beide erforschen und hochschätzen!
Möchte es stets unser Streben sein, in jenem Lichte zu
wandeln, in welchem wir bald offenbar werden müssen!
Der Herr wirke es durch Seinen Geist!
Ewiges Leben — ein gegenwärtiger Besitz.
„Ewiges Leben" ist eine Gabe Gottes. Der
Mensch bedarf dieses Lebens; denn er ist „tot in Sünden
und Uebertretungen." Wie könnte jemand in der ewigen
Herrlichkeit sein, ohne ewiges Leben zu besitzen? Wir
hören deshalb in dem Worte Gottes, daß Er „Seinen
eingebornen Sohn in die Welt gesandt hat, auf daß wir
durch Ihn lebe n." (1. Joh. 4, 9.) „In Ihm war das
Leben." (Joh. 1, 4.) Er war jenes „ewige Leben,
welches bei dem Vater war und uns geoffenbart worden
ist;" (1. Joh. 1, 2.) so daß Er in Wahrheit sagen
konnte: „Ich bin das Leben," und: „Ich bin gekommen,
auf daß sie Leben haben und es in Ueberfluß haben."
(Joh. 10, 10.) Und im Blick auf viele Seiner Zuhörer
konnte Er klagen: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf
daß ihr das Leben habt." (Joh. 5, 40.) Dieselben
folgten Ihm nach, weil sie Wunder und Zeichen sehen
wollten; Er war für sie nur ein Gegenstand der Neugierde, nicht aber der Zuneigungen des Herzens. Sie
wollten essen von den Broten, um ihren Hunger zu stillen,
aber sie wollten nicht zu Ihm kommen, um das Leben zu
haben. Statt dessen schrieen sie: „Hinweg mit diesem!"
126
„Kreuzige Ihn!" Das ist der Mensch in seinem natürlichen
Zustande.
Gott ist aso der Geber des ewigen Lebens. Er ist
die Quelle desselben, und es strömt uns zu durch Seinen
Sohn. „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen
eingebornen Sohn gegeben, auf daß jeder, der an Ihn
glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben
habe." (Joh. 3, 16.) Wir bedurften nicht nur der Vergebung unsrer Sünden, sondern auch des ewigen Lebens
— und dieses hat uns Gott in Seiner unergründlichen
Gnade durch den Tod Seines Sohnes nahe gebracht.
Nachdem der Eingeborene für unsre Sünden gelitten hat
und dieselben in Seinem Kreuzestode gerichtet worden
sind, kann die göttliche Liebe sich jetzt ungehindert offenbaren in der Gabe des ewigen Lebens an einen jeden,
der da glaubt. „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die
Guadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christo
Jesu, unserm Herrn." (Röm. 6, 23.)
Das ewige Leben ist daher, wie schon gesagt, eine
Gabe Gottes. Es kann nicht durch irgend welche Werke,
Gefühle, Uebungen, Leiden oder Erfahrungen erworben
werden. Nein, es ist ganz und gar ein Geschenk von
feiten Gottes. Er selbst ist die Quelle desselben nnd der
Sohn Seiner Liebe die Person, durch welche und in welcher
es jedem zu teil wird, der an Ihn glaubt. Johannes
schrieb sein Evangelium, auf daß wir glauben möchten,
daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und daß
wir glaubend das Leben haben sollten in Seinem Namen.
(Kap. 20, 31.) Die überaus wichtige Frage für einen
jeden Menschen ist daher. Habe ich das ewige Leben
empfangen oder nicht? Bis zu dem gegenwärtigen Augen-
127
blick strömt das ewige Leben gleich einer Quelle lebendigen
Wassers von Gott zu uns herab, und immer noch ertönt
der Ruf von dem Throne der Gnade aus: „Wer da will,
nehme das Wasser des Lebens umsonst!" Ja, es wird
umsonst gegeben, ohne daß es in uns irgend welchen
Beweggrund gäbe, es sei denn unsre völlige Hülflosigkeit
und unser gänzliches Elend. Die göttliche Liebe ist es,
welche dem Sünder, der tot in Sünden und Nebertretungen
ist, ewiges Leben bringt. Gott schenkt es umsonst einem
jeden, der es haben will, und es wird unser Teil durch
den einfältigen Glauben an Jesum Christum, unsern Herrn,
ohne irgend welchen Beweggrund in uns selbst, ohne Verdienst, ohne Geld und ohne Kaufpreis.
Der Leser möge ferner beachten, daß es ewiges
Leben ist, welches Gott auf diese Weise giebt, nicht ein 
Leben für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr, sondern ein Leben für immer und ewig, denn „dieses Leben
ist in Seinem Sohne." Ist Er, der tot war, wieder
lebendig geworden, und zwar für immer und ewig? Dann
ist auch das Leben, welches Er uns giebt, für immer
und ewig, denn Christus ist unser Leben. Es ist
nicht ein Leben, getrennt von Christo, sondern „unser
Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott." Es ist
das Leben des auferstandenen Christus, welches allen
denen zu teil wird, die an Ihn glauben. Wie könnte es
daher anders als ewig sein? Der Apostel verbindet
deshalb, wenn er an Gläubige schreibt, das Leben, welches
wir empfangen haben, so völlig mit Christo selbst, daß
er sagt: „Wenn der Christus, der unser Leben ist,
offenbar werden wird, dann werdet auch ihr mit Ihm
offenbar werden in Herrlichkeit." (Kol. 3,4.)
128
Der Gläubige steht also in dem gegenwärtigen
Besitz des ewigen Lebens. „Wer an den Sohn glaubt,
hat ewiges Leben." Er hat das Wort gehört, erhat
geglaubt, und jetzt hat er das ewige Leben. Ohne
Zweifel ist dies der Weg, auf welchem wir das Leben
erlangen, und die Art und Weise, in welcher der Heilige
Geist wirkt. Jesus selbst sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich
sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt Dem, der
mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins
Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen." (Joh. 5, 24.) So hat also der Gläubige
jetzt das ewige Leben, und zwar weil er glaubt, nicht
etwa weil er es in sich fühlt oder so und so viele Erfahrungen gemacht hat; auch empfängt er es nicht erst
dann, wenn er stirbt, sondern jetzt, in dem gegenwärtigen
Augenblick, nach den Worten des Herrn: „Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges
Leben." (Joh. 6, 47.) Das Wort Gottes ist über diesen
Punkt sehr bestimmt und klar. Nicht nur entfaltet es
die köstliche Lehre, daß Gott der Geber des ewigen Lebens
ist, sondern es spricht auch wieder und wieder in den
bestimmtesten Ausdrücken davon, daß der Gläubige dasselbe in der Gegenwart besitzt. Der Apostel Johannes
schreibt: „Und dies ist das Zeugnis: daß Gott uns das
ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in Seinem
Sohne." Dann beschreibt er in der einfachsten und klarsten
Weise die Personen, welche in dem gegenwärtigen Besitz
des ewigen Lebens stehen. Es sind alle diejenigen, welche,
ob arm oder reich, alt oder jung, den Sohn Gottes als
ihren Heiland angenommen haben; niemand anders. „Wer
den Sohn hat, hat das Leben" — nicht: er hofft, es
129
einst zu empfangen — „wer den Sohn Gottes nicht hat,
hat das Leben nicht." (1. Joh. 5, 11. 12.) Die Sprache
des Apostels ist so einfach und bestimmt, daß eine jede
aufrichtige Seele zu der Ueberzeugung kommen muß, daß,
wenn sie den Sohn ausgenommen, welchen der Vater in
die Welt gesandt hat, sie dieses neue Leben, das ewige
Leben, besitzt. Es ist nicht eine Verbesserung oder Veränderung der alten Natur, sondern etwas ganz Neues —
eine Natur, die nicht mit dem ersten Adam, sondern mit
dem auferstandenen und verherrlichten Christus in Verbindung steht.
Überdies schreibt derselbe Apostel im weiteren Verlauf seines Briefes: „Dies habe ich euch geschrieben,
auf daß ihr wisset, daß ihr das ewige Leben habet,
die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes."
(Kap. 5,13.) Gott giebt uns nicht nur das ewige Leben,
sondern Er will auch, daß wir ebenso bestimmt wissen,
daß wir ewiges Leben haben, als wir uns des Besitzes
des natürlichen bewußt sind. Zugleich erwarten wir ewiges
Leben für unsern Leib; wir warten auf „die Erlösung
unsers Leibes" bei der Ankunft deS Herrn. Was aber 
unsre Seelen betrifft, so sind wir schon jetzt aus dem
Tode in das Leben hinübergegangen, wir haben ewiges
Leben; denn Gott hat es uns und allen, die an Seinen
Sohn glauben, gegeben. Wir sind von neuem geboren.
„So viele Ihn aber annahmen, denen gab Er das Recht,
Kinder Gottes zu werden, denen, die an Seinen Namen
glauben; die nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des
Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern
aus Gott geboren sind." (Joh. 1, 12. 13; vergl.
1. Petr. 1, 23; Joh. 3, 5. 6.)
130
Indes möchte gefragt werden: Ist es möglich, daß 
wir ewiges Leben in uns haben, ohne daß dasselbe seine
Wirkungen heröorbringt? Sicherlich nicht. Wenn wir
aus Gott geboren sind, so können wir nicht anders, als
lieben, so wie es die Natur Gottes ist, zu lieben. Wir
lesen deshalb: „Wir wissen, daß wir aus dem Tode
in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder
lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tode."
Und weiter: „Ein jeglicher, der da glaubt, daß Jesus
der Christus ist, ist aus Gott geboren; und ein jeglicher,
der Den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus
Ihm geboren ist." (1. Joh. 3, 14; 5, 1.) Nichts könnte
uns in einfacherer und klarerer Weise vorgestellt werden.
Gott giebt ewiges Leben, nnd dieses Leben ist in Seinem
Sohne. Wer irgend zu dem Sohne kommt, als ein
Sünder zu seinem Heilande, empfängt ewiges Leben, und
dieses Leben offenbart sich in der Liebe zu Gott und zu
Seinen Kindern. Ein Mensch mag besitzen, was er will
— er mag ehrbar, tugendhaft und religiös sein — wenn
er aber den Sohn Gottes nicht hat, so hat er das Leben
nicht und ist daher noch in seinen Sünden, tot und schuldig in den Angen Gottes.
Aber obgleich wir ewiges Leben haben, so sind wir
doch abhängigvon unserm Herrn, als dem Erhalter
dieses Lebens; wie Er selbst sagt: „Gleichwie mich der
lebendige Vater gesandt hat und ich lebe des Vaters
wegen, so auch, wer mich isset, der wird auch leben meinetwegen." (Joh. 6, 57.) Wir haben zn lernen, daß alle
unsre Quellen in Ihm sind, und daß unsre Seelen dadurch allein genährt und gekräftigt werden können, daß
wir durch den Glauben das Wort in unsre Herzen auf­
131
nehmen, welches von Ihm zeugt. „Unser innerer Mensch
wird erneuert von Tag zu Tage." — „Der Mensch lebt
nicht von Brot allein, sondern von jedem Worte, das ans
dem Munde Gottes ausgeht." Bleiben wir in Christo,
d. h. wandeln wir in steter Gemeinschaft und Abhängigkeit von Ihm unter Gebet und Flehen, so bringen wir
Frucht. Ohne Ihn können wir nichts thun. Das Leben
des Gläubigen sollte daher ein Leben des gläubigen Festhaltens an Christo sein, ein Leben des Glaubens an den
Sohn Gottes, der uns geliebt und sich selbst für uns
dahingegeben hat.
Wie köstlich ist es für den Gläubigen, die göttliche
Gewißheit zu haben, daß er in der Gegenwart schon das
ewige Leben besitzt, und zwar auf Grund des unfehlbaren
Wortes Gottes und vermittelst des vollbrachten Werkes
Seines Sohnes! Wie gesegnet ist es für ihn, in seiner
eignen Seele zu erfahren, daß er von dem Tode in das
Leben hinübergegangen ist, weil er die Brüder liebt! Wer
diese Gewißheit hat und diese gesegnete Erfahrung macht,
kann sich in Wahrheit in Christo Jesu erfreuen, Ihm
mit dankbarem Herzen dienen und mit Freuden Seine
Ankunft erwarten.

Die Gabe des Heiligen Geistes.
„Warum bitten Sie nicht um die Gabe des Heiligen
Geistes?" so fragte eines Abends eine christliche Dame
nach einer Versammlung zur Betrachtung des Wortes.
„Weil wir, nachdem wir an den Herrn Jesum
Christum gläubig geworden sind, den Heiligen Geist
empfangen haben. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in
132
unsre Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben
ist."" (Vergl. Eph. 1, 13; Röm. 5, 5.)
„Aber belehrt uns der Herr selbst nicht ganz deutlich, daß wir um den Heiligen Geist bitten sollen? Hat
Er nicht gesagt: „Wie viel mehr wird der Vater, der
vom Himmel ist, den Heiligen Geist geben denen, die Ihn
bitten?«" (Luk. 11, 13.)
„Allerdings; und diese Bitte war damals, als der
Heilige Geist noch nicht gegeben war, durchaus am Platze.
Unser Herr und Heiland mußte sterben und wieder auferstehen nnd sich setzen zur Rechten des Vaters, bevor
Er den Heiligen Geist hernieder senden konnte, wie wir
in Joh. 7, 39 lesen: „Der Geist war noch nicht, weil
Jesus noch nicht verherrlicht worden war." Aber wo
hören wir, nach Seiner Herniederkunft am Tage der
Pfingsten, einen der Apostel oder der Gläubigen um den
Heiligen Geist bitten? Nirgendwo. Im Gegenteil reden
sie stets von dem Geiste, als wohnend in den Gläubigen und in der Kirche. Allerdings glaubt die Welt
nicht, daß Er hienieden ist, weil sie Ihn nicht sieht, noch
Ihn kennt; aber der Gläubige weiß, daß Er gegenwärtig
ist uud in Ihm wohnt — nicht, weil er Ihn sieht, sondern weil die Schrift es sagt — und er erfährt Seine
gnädige Wirksamkeit in sich in mancherlei Weise, besonders
aber darin, daß Er von dem, was des Vaters und des
Sohnes ist, nimmt und es ihm verkündigt, daß Er die
Liebe Gottes in sein Herz ausgießt und in ihm den Ruf:
„Abba, Vater!" erweckt, sowie das Bekenntnis, daß „Jesus
Herr ist." (Vergl. Joh. 16, 15; Röm. 5, 5; 8, 15;
1. Kor. 12, 3.)
133
„Aber Sie bitten doch um ein höheres Maß des
Geistes, nicht wahr?"
„Wie könnte ich, da der Heilige Geist selbst Wohnung
in mir gemacht hat? Wenn der Heilige Geist nur in mir
wirksam wäre, oder wenn ich nur einen gewissen Einfluß des Geistes empfangen hätte, so könnte ich vielleicht
um mehr bitten. Aber während dieses in gewissem Sinne
Wahr sein mochte im Blick auf die Gläubigen, welche auf
dieser Erde lebten, bevor der Herr das VersöhnungSwcrk
vollbracht hatte und verherrlicht worden war, so kann doch
nichts klarer sein, als daß der Heilige Geist eine göttliche
Person ist, ebenso wie der Vater und der Sohn. Der
Vater sandte den Sohn, der Sohn kam, nahm Fleisch
und Blut an und starb für uns; und nachdem Jesus mit
Seinem eignen Blute in den Himmel eingegangen ist, kam
der Heilige Geist hernieder und machte Wohnung in denen,
welche durch das Blut ihres Heilandes von allen ihren
Sünden gereinigt waren. Der Heilige Geist ist eine bestimmte Person, verschieden von derjenigen des Sohnes,
welcher für uns litt und starb, sowie verschieden von der
des Vaters, welcher den Sohn sandte, und doch ist Er in
Seiner Gottheit eins mit dem Vater und dem Sohne.
Der Heilige Geist wird „Gott" genannt, Er hat göttliche
Eigenschaften und ist es auch, durch den wir versiegelt
sind auf den Tag der Erlösung. Wie konnte ich daher
um ein größeres Maß bitten, wenn die Person selbst in
mir wohnt? Wohl bitte ich darum, durch den Geist mit
Kraft gestärkt zu werden an dem innern Menschen, durch
die Macht des Heiligen Geistes in Hoffnung überströmend
zu sein und dergleichen; aber wo findet sich in den Schriften
der Apostel eine Spur von dem Gedanken, den Sie aus­
134
sprechen, daß ein Gläubiger um ein größeres Maß des
Geistes bitten sollte?"
„Aber erwarten Sie nicht eine weitere Ausgießung
des Geistes?"
„Ganz gewiß; denn Gott selbst hat erklärt: „Und
darnach wird es geschehen, daß ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch." Dieses wird ohne
Zweifel im tausendjährigen Reiche stattfinden, weil die
Prophezeiung sich auf eine zukünftige „Errettung auf dem
Berge Zion und zu Jerusalem" bezieht. Die nämliche
Prophezeiung wurde teilweise von Petrus am Tage der
Pfingsten angeführt, um durch die Zeichen, welche geschahen, zu beweisen, daß der Heilige Geist wirklich herniedergekommen war, und daß es sich nicht um eine
fleischliche Aufregung handelte, wie einige meinten." (Vergl.
Joel. 2, 28-32.)
„Aber wird denn nicht eine größere Ausgießung des
Geistes in der Kirche stattfinden?"
„Wie wäre dies möglich, wenn der Heilige Geist
infolge der Vollendung des Versöhnungswerkes und der
Verherrlichung Christi, als des Sohnes des Menschen
zur Rechten Gottes, hienieden ist ? Wo wird eine solche
Erwartung von den Aposteln erwähnt? Giebt uns Paulus
nicht vielmehr eine erschreckende Beschreibung von dem
Charakter der „letzten Tage?" Warnt er die Gläubigen
nicht vor verderblichen Wölfen, welche der Herde nicht
schonen würden? Sagt er ihnen nicht, daß die Zahl
der Verführer immer mehr zunehmen und viele durch sie
verführt werden würden? Sagt Petrus nicht vorher,
daß „falsche Lehrer" unter den Gläubigen ausstehen würden,
„welche Sekten des Verderbens neben einführen und den
135
Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat?" „Und viele,"
fährt er dann fort, „werden ihren Ausschweifungen nachfolgen, um welcher willen der Weg der Wahrheit verlästert
werden wird." (2. Petr. 2, 1. 2.) Schreibt nicht auch
Johannes: „Kindlein, es ist die letzte Stunde, und wie
ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind auch
jetzt viele Antichristen geworden; daher wissen wir, daß
es die letzte Stunde ist?" Aus alledem geht klar hervor,
daß die Apostel nichts weniger als eine sogenannte größere
Ausgießung des Heiligen Geistes erwarteten; sie konnten
es auch nicht, weil sie ja wußten, daß der Heilige Geist
selbst, der andere Sachwalter, hienieden war und für
immer bei uns bleiben wird. Gerade diese Wahrheit verleiht der ganzen Frage eine solch ernste Wichtigkeit."
„Dann würden Sie es auch Wohl für verkehrt halten,
wenn jemand um eine neue Taufe mit dem Heiligen
Geiste bitten würde, nicht wahr?"
„Wenn Sie die Schrift erforschen, so werden Sie
finden, daß der Herr im Blick auf die Gabe des Heiligen
Geistes zu Semen Jüngern sagte: „Siehe, ich sende die
Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber, bleibet
in der Stadt, bis ihr angethan werdet mit Kraft aus
der Höhe." (Luk. 24, 49.) Und derselbe Schreiber, Lukas,
teilt uus in der Apostelgeschichte mit, daß der Herr bei
jener Gelegenheit noch die Worte hinzufügte: „Denn Johannes taufte wohl mit Wasser, ihr aber werdet mit dem
Heiligen Geiste getauft werden nach nicht vielen Tagen.
Ihr werdet Kraft empfangen, indem der Heilige Geist
auf euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein bis
an das Ende der Erde." (Kap. 1, 5. 8.) Und im nächsten
Kapitel hören wir, daß der Heilige Geist am Pfingsttage
136
wirklich herniederkam, und sehen zugleich die geistliche
Kraft, welche Seine Ankunft begleitete. Wenn Siesich
jetzt zu 1. Kor. 12, 13 wenden wollen, so werden Sie
sehen, was die Taufe mit dem Heiligen Geiste bedeutet.
Es heißt dort: „In einem Geiste sind wir alle zu einem
Leibe getauft." Die Taufe mit dem Heiligen Geiste ist
also die Vereinigung aller Gläubigen zu „einem Leibe,"
dadurch daß Er sie alle mit Christo, dem Haupte im
Himmel und unter einander als Glieder verbindet. Wir
werden deshalb „Glieder Seines Leibes, von Seinem
Fleische und von Seinen Gebeinen," genannt. Der Gedanke an eine neue, wiederholte Taufe des Heiligen Geistes
ist der Schrift völlig fremd.
„Vielmehr belehrt die Schrift uns, die wir an den
Herrn Jesum Christum geglaubt haben, daß Gott in uns
wohnt durch den Geist, welchen Er uns gegeben hat, daß
unsre Leiber zu Tempeln des Heiligen Geistes gemacht
sind, und daß Er in unsre Herzen gesandt ist, um uns
in alle Wahrheit zu leiten und uns über alles zu belehren.
Wir sind durch den Geist gesalbt, mit Christo vereinigt
nnd versiegelt, und Er ist zugleich das Unterpfand unsers
Erbes bis zur Erlösung des erworbenen Besitzes. (Vergl.
1. Joh. 3, 24; 1. Kor. 6, 19; Gal. 4, 6; 2. Kor. 1,
21. 22; Eph. 1, 13. 14.) Der Heilige Geist wohnt
ferner in der Kirche auf der Erde. (1. Kor. 3, 16.)
Alles, was in Wirklichkeit ein Werk Gottes in den Seelen
genannt werden kann, ist durch Seine Kraft und Wirksamkeit hervorgebracht. Durch den Geist vermittelst des
Wortes Gottes werden Sünder dahin gebracht, an den
Herrn Jesum Christum zn glauben und so ewiges Leben
zu haben. Alle, die wahrhaft an Jesum gläubig geworden
137
sind, sind „aus dem Geiste geboren," und deshalb auch
„aus Gott geboren," und der Geist ist in ihre Herzen
gesandt, um dort zu wohnen. „Weil ihr Söhne seid, so
hat Gott den Geist Seines Sohnes in unsre Herzen gesandt, der da ruft: „Abba, Vater!"" Wirsmd berufen,
diesen Geist, der in uns wohnt, nicht zu „betrüben," und
da durch Seine Kraft „Gaben" in dem Dienste der Wahrheit gebraucht werden, so sind wir auch ermahnt, den Geist
nicht „auszulöschen."
„So viele durch den Geist Gottes geleitet werden,
diese sind Söhne Gottes."
Das Blut des Lammes.
Jeder Mensch ist von Natur ein verlorener und verderbter Sünder und befindet sich in einer verlorenen und
verderbten Welt. Aber was ist das gegenwärtige Zeugnis
Gottes dem sündigen und verlorenen Menschen gegenüber
anders, als ein Zeugnis von Seiner Gnade und von
Seiner Bereitwilligkeit und Fähigkeit, dem Menschen in
diesem hoffnungslosen Zustande zu begegnen, und zwar
auf einem Wege, den nur Seine Gnade erdenken und
bereiten konnte? Doch was ist es, das Gott in den Stand
setzt, in Gnade und Erbarmen dem verlorenen Sünder zn
begegnen? „Das Blut des Lammes." Dieses Blut
allein erlaubt dem heiligen Gott, mit dem unheiligen
Sünder in Gnade zu handeln und ihn auf seinen eignen,
bösen Wegen aufzusuchen. Es füllt die unermeßliche
Kluft zwischen dem Throne Gottes uud dem Sünder in
seinem Elende aus. „Also hat Gott die Welt geliebt,
daß Er Seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf daß jeder,
138
der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges
Leben habe." (Joh. 3, 16.)
Das Evangelium verkündigt dem Menschen nicht nur
den Wert der Person Christi, sondern auch des Blutes,
das für ihn vergossen worden ist. Die Frage, welche
Gott gleichsam an einen jeden Menschen richtet, lautet
daher: „Was dünkt dich von meinem Sohne, und was
ist Sein auf Golgatha vergossenes Blut für dich?" Hier
giebt es keinen sogenannten neutralen Boden. Wenn es
sich um das Elend und das Bedürfnis des Menschen
handelt, so ist Gottes Gedanke, daß es dafür nichts Kostbareres und Passenderes giebt, als das Blut Seines Eingeborenen. Die Frage ist nun: Was denkst du darüber?
Das Blut Christi, geliebter Leser, bringt nicht nur
Gott in Gnade zu uns herab, sondern es bringt uns zu
Gott hinauf. „Denn freilich hat Christus einmal für
Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf
daß Er uns zu Gott führe." (1. Petr. 3,18.) Die
Gnade begegnet dem Sünder gerade da, wo er sich befindet, in all seinem Elend und seinem Verderben; dort
kommt ihm die Liebe Gottes entgegen. Alle, welche Christum angenommen haben, dürfen in Wahrheit sagen: „Gott
aber erweiset Seine Liebe gegen uns, indem Christus, da
wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist." (Röm.
5, 8.) Durch ein und dasselbe Blut wird ein Sünder,
der an Jesum glaubt, von allen seinen Sünden gewaschen,
gerechtfertigt und zu Gott geführt! Ja, mein lieber, niibekehrter Leser, mögen deine Gedanken über deinen Zustand auch sein, welche sie wollen, Gott weiß, daß derselbe ein hoffnungslos verlorener ist, und deshalb
fließt der Strom Seiner unermeßlichen Gnade gerade dir
139
zu; und diese Gnade allein kann dein Gewissen von jeder
Befleckung reinigen und dir die Versicherung geben, daß
du untadelig und unsträflich vor Gott hingestellt bist und
in Seiner Gegenwart weilen kannst mit überströmender
Freude. „So sei es euch nun kund, Brüder, daß durch
diesen (Jesus) euch die Vergebung der Sünden
verkündigt wird; und von allem, wovon ihr in dem Gesetz
Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, ist in diesem
jeder Glaubende gerechtfertigt." (Apstgsch.
13, 38. 39.)
Er, der einst um der Sünde willen, die Er trug,
von Gott geschlagen wurde, dessen Blut am Stamme des
Kreuzes zwischen den beiden Missethätern floß, ist jetzt
auf den Thron der Herrlichkeit erhoben. Dort wartet Er,
bis Gott alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße
legen wird. Doch bis zu dem Augenblick, da das Gericht
über diese schuldige Welt hereinbrechen und Er sich erheben wird, um in flammendem Feuer vor aller Augen
geoffenbart zu werden, ist Er in Gnade mit dem verlorenen Sünder beschäftigt und redet von den Himmeln
herab zu ihm. „Sehet zu, daß ihr Den nicht abweiset, der da redet!" Er sagt uns, daß Er bereit
steht, uns zu dienen und allen unsern Bedürfnissen als
verlorene und verderbte Sünder zu begegnen. Und ums o n st will Er uns geben, was wir bedürfen. Das ewige
Leben ist eine Gabe Gottes. Gott weiß, daß wir von
Natur nichts anders als Sünder sind, und Er bietet uns
daher in der Person des ein für allemal geopferten und
jetzt wieder auferstandenen und verherrlichten Jesus sowohl
das vollkommene Heilmittel für alle unsre Sünden, als auch den unumstößlichen Rechtstitel auf
140
die Herrlichkeit an. Wer das Zeugnis Gottes über Seinen
Sohn mit einfältigem, bußfertigem Herzen annimmt, dessen
Freude ist eS, zu wissen, daß Er in Ihm mehr besitzt,
als sein Herz je wünschen konnte: er hat nicht nur die
Vergebung aller seiner Sünden, sondern ist auch fähig
gemacht zu dem Anteil des Erbes der Heiligen in dem
Lichte und Dem übergeben, der ihn ohne Anstoß zu bewahren und tadellos darzustellen vermag vor Seiner Herrlichkeit mit Frohlocken. (Kol. 1, 12; Jud. 24.)
Welch einen unermeßlichen Wert hat das Blut Christi,
des Lammes ohne Fehl und Flecken, in den Augen Gottes!
Nicht nur reinigt eS den Gläubigen von aller Schuld,
sondern es verbindet ihn auch mit Christo und mit Gott, dem
Vater, und deshalb wird in der Herrlichkeit „das Blut
des Lammes" den Gegenstand aller Loblieder der Erlösten, ja der Anbetung des ganzen Weltalls bilden. „Dem,
der uns liebt und uns von unsern Sünden gewaschen hat
in Seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern Seinem Gott und Vater — Ihm sei
die Herrlichkeit und die Macht in die Zeitalter der Zeitalter! Amen." — „Und die vier lebendigen Wesen und
die vier und zwanzig Aeltesten fielen nieder vor dem
Lamme, und diese hatten jeder eine Harfe und goldene
Schalen voll Rauchwerk, welches die Gebete der Heiligen
sind. Und sie singen ein neues Lied und sagen: Du bist
würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen;
denn Du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch Dein Blut, aus jedem Geschlecht und
Sprache und Volk und Nation." (Offbg. 1, 5. 6; 5, 8.9.)
Die Berufung der Braut.
(1. Mos. 22—24.)
1.
Die Offenbarungen der Liebe Gottes gegen uns haben
den Zweck und sind geeignet, unsre Herzen näher und näher
zu Ihm zu ziehen. Und wo könnten wir eine Scene, voll
der köstlichsten Belehrungen und Ermunterungen finden,
wie in 1. Mos. 24 und den damit in Verbindung stehenden Kapiteln S Hier werden uns die Ratschlüsse der Liebe
des Vaters im Blick auf Seinen Sohn, den Erben aller
Dinge, die Beiseitsetzung Israels, die Berufung der Braut
und die himmlische Heimat derselben in treffenden Vorbildern vor Augen gestellt. Doch bevor wir das genannte
Kapitel unsrer näheren Betrachtung unterziehen, werden
wir wohl thun, einen kurzen Blick auf die beiden vorhergehenden Kapitel zu werfen. Dieselben sind, in dem Lichte
betrachtet, welches das Neue Testament über ihren Inhalt
verbreitet, voll der bemerkenswertesten Unterweisungen über
Christum, das Volk Israel und die Kirche. Wenden wir
uns zunächst zu dem 22. Kapitel, das uns die Opferung,
sowie die vorbildliche Auferweckung Isaaks mitteilt.
Nachdem das Haus Abrahams von Hagar und Ismael,
von der „Magd und ihrem Sohne," gereinigt und der
moralische Zustand Abrahams vor Gott völlig gerichtet war,
wurde er berufen, durch eine große Glaubensprobe zu gehen,
142
indem Gott seinen Sohn Isaak von ihm forderte. Doch
es ist sehr bemerkenswert und belehrend, die Wege zu
betrachten, welche Gott im Stillen mit Abraham ging,
bevor Er ihn zu jener herrlichen Bewährung seines Glaubens
und zu dem Beweise seiner Einsicht in die göttlichen Gedanken und Ratschlüsse berief. Obgleich Abraham ein Manu
des Glaubens und ein Mann Gottes war, so hatte er
doch lange Zeit hindurch einen Rest von Unglauben in
seinem Herzen bewahrt, der sich darin kundgab, daß er
sein Weib beredete, sich für seine Schwester auszugeben.
„Und es geschah," so sagt er selbst zu Abimelech, dem
Könige von Gerar, „als Gott mich umherwandern hieß 
aus meines Vaters Hause, da sprach ich zu ihr: Dies sei
deine Güte, die du an mir thun mögest: an allen Orten,
wohin wir kommen werden, sage von mir: Er ist mein
Bruder." (Kap. 20, 13.) Dies war sehr verkehrt und
von Satan; es war ein Weg, den der einfältige Glaube
nimmer eingeschlagen haben würde, und er erwies sich
immer von neuem als die Ursache der Schwäche und des
Fehlens Abrahams. Doch jetzt ist die Wahrheit gesagt,
der Götze aus dem Herzen entfernt, die Sünde bekannt
und die Seele Abrahams gestärkt, so daß er nicht wieder
in denselben Fehler zurückfällt.
Wie gefährlich ist es, einem Götzen einen Platz im
Herzen einzuräumen, einen geheimen Rückhalt dort zu haben,
der den Herrn verunehrt und für das Leben des Glaubens
verderblich ist! Wie gefährlich, unter irgend einer verkehrten
Uebereinkunft mit einem Andern zu handeln, obgleich dieselbe einen Schein von Wahrheit an sich tragen mag,
während aber das Gewissen weiß, daß sie vor Gott nicht
vollkommen richtig ist. Es kann unmöglich eher wahre
143
Segnungen und Triumphe des Glaubens geben, bis das
Böse, in welche Form es sich auch kleiden mag, in seinen
Wurzeln gerichtet, öffentlich bekannt und aufgegebeu ist.
Dies mag demütigend sein, aber es muß unbedingt geschehen. Halbe Maßregeln werden nie vor Gott genügen,
nie Ihn befriedigen; Er muß Wirklichkeit haben, „Wahrheit im Innern." Es war in der That demütigend und
erniedrigend für Abraham, vor den Augen und Ohren
der Welt jenes Bekenntnis abzulegen. Aber er wurde
gezwungen, seinen Betrug vor Abimelech zu bekennen und
dessen gerechten Tadel zu vernehmen. O, möchte doch
Christus allein stets unsre Herzen befriedigen und ausfüllen! Möchten keine Götzen, keine Rückhalte je eine
Stätte darin finden!
Doch der Herr, der voll von zärtlichem Mitgefühl
und Erbarmen ist, ehrte nach allem diesem Seinen Knecht
sehr in den Augen AbimelechS und seines ganzen Volkes
und zeigt vorbildlich in ihm die Erhöhung der Juden über
die Nationen in den letzten Tagen, zur Verherrlichung
Iehova's, des ewigen Gottes. (Kap. 21, 22. 33.)
Im 22. Kapitel tritt eine neue Scene vor unser
Auge, und es folgt eine Reihe von Ereignissen, die von
noch tieferer Belehrung sind. Das Kapitel beginnt mit
den Worten: „Und es geschah nach diesen Dingen." Dies
ist bezeichnend für den Zustand der Seele Abrahams. Es
war ein herrlicher und bedeutungsvoller Abschnitt in seiner
Geschichte. Der Heide kommt und sucht Schutz bei dem
Juden, bittet um den Segen Abrahams für seine Familie
und seine Nachkommen und schließt einen Bund mit ihm.
Der Gott der Herrlichkeit steht jetzt vor dem Geiste Abrahams. Er ist stark im Glauben und giebt Gott, dem
144
Herrn des Himmels und der Erde, Ehre. „Und Abraham
pflanzte eine Tamariske zu Bersaba und rief daselbst an
den Namen Jehova's, des ewigen Gottes." Hier sehen
wir drei Dinge: den Altar, die Tamariske und den
Brunnen, alles ausdrucksvolle Vorbilder der tausendjährigen Tage, wenn Jude und Heide in Frieden und Segnung
vereinigt sein werden. Alles redet von Freude und glückseliger Gemeinschaft mit Gott. Ismael ist entlassen, das
Götzenbild verbannt und das Haus Abrahams in dem
Sohne der Verheißung aufgerichtet. Er befand sich jetzt
in einem passenden Seelenzustande, um die schwerste Prüfung durchzumachen, welche je ein Gläubiger erfahren hat.
Beachten wir wohl diese unmittelbare Verbindung zwischen
Gebet und Dienst, zwischen geheimer Gemeinschaft mit
Gott und Kraft im öffentlichen Zeugnis, mit einem Worte:
zwischen dem Abraham, der zu Bersaba den Namen Jehova's anrief, und demjenigen, welcher bereit war, dem
Rufe Gottes zu folgen, wenn dieser ihn zur Opferung
seines Sohnes Isaak aufforderte. Mangel an Brot lenkte
ihn ab von dem Pfade des Glaubens, als er auf die
Umstände blickte und der Stimme der Natur Gehör schenkte,
aber nichts vermag ihn jetzt mehr abzuziehen oder auch
nur zu einem vorübergehenden Zögern zu bewegen. Sein
Auge ist auf Jehova, den ewigen Gott, den Gott der
Auferstehung, gerichtet.
„Und es geschah nach diesen Dingen, daß Gott den
Abraham versuchte; und Er sprach zu ihm: Abraham!
Und er sprach: Hier bin ich. Und Er sprach: Nimm doch
deinen Sohn, deinen einigen, den du lieb hast, den Isaak,
und ziehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst
zum Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir sagen
145
werde. Und Abraham stand des Morgens frühe auf und
sattelte seinen Esel und nahm mit sich zwei von seinen
Knaben und Isaak, seinen Sohn; und er spaltete Holz
zuni Brandopfer und machte sich auf und zog hin an den
Ort, den ihm Gott gesagt hatte." (V. 1 — 3.) Nie ist
der Glaube eines Menschen so auf die Probe gestellt
worden wie hier; aber Abraham war durch seine Gemeinschaft mit Gott der Prüfung gewachsen. Er kannte Gott,
rechnete und vertraute auf Ihn und war bereit, um Seinetwillen alles aufzugeben, selbst seinen eingebornen Sohn,
den Isaak, den Erben der Verheißung, durch welchen alle
Segnungen sowohl den Juden als auch den Heiden zuströmen sollten. Er stand des Morgens frühe auf — er
beeilte sich, dem Gebote des Herrn Folge zu leisten, indem
er darauf rechnete, daß Gott fähig war, Isaak selbst aus
den Toten wieder aufzuerwecken, „von woher er ihn auch
im Gleichnis empfing." (Hebr. 11, 19.) Er hatte Isaak
schon einmal gleichsam aus den Toten empfangen, und
jetzt legte er ihn, aus das Wort Gottes hin, gebunden
auf den Altar, in der gewissen Hoffnung, daß Gott ihn
wieder auferwecken werde. Die Verheißung, welche Abraham empfangen hatte, war von Gott, und das war dem
Glauben genug, wenn es auch leider dem Gläubigen oft
nicht genügt. Wo nicht ein einfältiger Glaube an Gott
und ein unbedingter Gehorsam Seinem Worte gegenüber
vorhanden ist, da sind allerlei Fehler und Verirrungen
unausbleiblich.
Doch der Gipfelpunkt der Prüfung Abrahams war
noch nicht erreicht. Zwei Tage lang zieht er mit seinem
Eingebornen dem Orte zu, wo er nach dem Gebote des
Herrn den teuersten Schatz seines Herzens mit eigner Hand
146
hinschlachten sollte. WaS muß während dieser Zeit in ihm
vorgegangen sein! Ja wahrlich, es wird uns in dem
ganzen Worte Gottes keine Glaubensprobe mitgeteilt, die
mit dieser verglichen werden könnte. Erst am dritten Tage
erblickt Abraham den Ort, von welchem ihm der Herr
gesagt hatte, und während er seine Knechte zurückläßt,
setzt er mit Isaak allein seinen Weg fort; und auf diesem
Wege sollte sein Glaube die härteste Probe bestehen, aber
auch den größten Sieg erringen. „Und Isaak sprach zu
Abraham, seinem Vater, und sagte: Mein Vater! Und er
sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe,
das Feuer und das Holz, wo aber ist das Schaf zum
Brandopfer?" Stehe hier einen Augenblick stille, mein Leser,
und erwäge diese Scene in deinem Herzen. Welch einen
Sturm von Gefühlen müssen diese Worte des Knaben in
dem armen, gequälten Vaterherzen wachgerufen haben!
Wie leicht verständlich wäre es gewesen, wenn Abraham
noch im letzten Augenblicke das Messer von sich geworfen
und ausgerufen Hütte: „O Gott, fordere alles von mir;
nur dieses nicht!" — Allein wie lautet die ruhige Antwort des Glaubens? „Und Abraham sprach: Gott wird
sich ersehen das Schaf zum Brandopfer, mein Sohn."
Sein Auge ruhte auf Gott und nicht auf seinem geliebten
Sohne. Er vertraute auf Gott, alle seine Quellen waren
in Ihm — das war das Geheimnis seiner Kraft und
seines Sieges.
„Und sie kamen an den Ort, den ihm Gott gesagt
hatte; nnd Abraham baute daselbst einen Altar und schichtete
das Holz, und er band Isaak, seinen Sohn, und legte
ihn auf den Altar oben auf das Holz. Und Abraham
streckte seine Hand aus uud nahm das Messer, um seinen
147
Sohn zu schlachten. Und der Engel Jehovas rief ihm
vom Himmel und sprach: Abraham, Abraham! Und er
sprach: Hier bin ich. Und er sprach: Strecke deine Hand
nicht aus nach dem Knaben und thue ihm nichts; denn
nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deinen
Sohn, deinen einigen, mir nicht vorenthalten. Und Abraham hob seine Augen auf und sah, und siehe, ein Widder
war dahinten im Dickicht verwickelt mit seinen Hörnern;
und Abraham ging hin und nahm den Widder und opferte
ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt." (V.9—13.)
Der Glaube Abrahams war jetzt völlig erprobt. Er
setzte sein Vertrauen auf Gott trotz eines geopferten Isaak,
indem er wußte, daß er alles, was er im Tode aufgegeben, in der Auferstehung wieder empfangen würde.
Auf diese Weise wurde Gott verherrlicht und Abraham
gerechtfertigt. Doch worauf ich in dieser wunderbaren
Begebenheit hauptsächlich aufmerksam machen wollte, ist
nicht so sehr der Glaube des Vaters, als der Tod und
die Auferstehung des Sohnes. Denn obwohl dem Isaak
der thatsächliche Tod, zu welchem ihu Abraham freiwillig dahingab, erspart blieb, so ist dennoch das Vorbild des Opfertodes völlig in dem Widder, der an
seiner Statt von Abraham geschlachtet wurde, ausgeführt.
So sehen wir die tiefen Geheimnisse des Kreuzes in diesem
treffenden Vorbilde in bemerkenswerter Weise entfaltet.
Zunächst sehen wir die Liebe Gottes in der Dahingabe
Seines Sohnes, für welchen kein Widder im Dickicht als
Stellvertreter gefunden wurde. Gott verschonte Seines
eignen Sohnes nicht, sondern gab Ihn für uns alle
dahin. Und dann sehen wir Christum, der in wunderbarem, geheimnisvollem Glauben den Tod durch die Hand
148
derer erduldete, welche Er selbst mit einem Worte Seines
Mundes erschaffen hatte. Er starb im Glauben und
übergab sich selbst und alles, was Ihm teuer war, in die
Hände des Vaters, um es in der Auferstehung wieder
zu erlangen. Und jetzt besitzen wir in Ihm, dem auferslandenen Menschen, das Auferstehungsleben mit allen seinen
unzähligen, ewigen Segnungen. Gott hat die Welt also
geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn dahingab, und
Christus hat die Versammlung so geliebt, daß Er sich
selbst freiwillig für sie opferte, so daß der Glaube sich
jetzt einerseits in der Fülle der göttlichen Liebe erfreuen
und andrerseits, im Blick auf den auferstandenen Menschen in der Herrlichkeit, persönlich ausrufen kaun: Er
hat mich geliebt und sich selbst für mich dahiugegeben.
Das Kreuz auf Golgatha und der Altar auf Morija können
jetzt betrachtet und genossen werden in dem Lichte eines
auferstandenen und verherrlichten Christus.
2.
Die Verheißungen, welche zuerst dem Abraham in
Kapitel 12 gemacht worden waren, werden jetzt dem Isaak,
dem gestorbenen und wieder auferstandenen Erben, bestätigt, und neue Verheißungen werden hinzugefügt. Die
Seele empfängt in jedem neuen Opfer, das sie Gott
bringt, stets erhöhte Segnungen. Abraham lernt Gott
jetzt kennen als Jehova-jireh, d. i. Jehova wird ersehen — und wird so auf einen neuen Boden des Verhältnisses zu Gott in Gnade gestellt; und Isaak empfängt
die Verheißung eines Samens, der zahllos ist wie die
Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer
des Meeres ist. Dann verläßt Abraham den heiligen
Berg und kehrt nach Bersaba zurück, und damit sind wir
149
an dem zweiten Vorbilde, „dem Verschwinden Israels"
von dem Schauplatz, angelangt.
Im Beginn des 23. Kapitels begegnen wir wieder
Prüfungen des Glaubens Abrahams, aber diese tragen
einen ganz neuen Charakter. Sarah, die Repräsentantin des
neuen Bundes der Gnade, (während Hagar den alten Bund
des Gesetzes vorstellt) stirbt, und Abraham erscheint vor uns
als ein Leidtragender. „Und Sarah starb zu KiriathArba, das ist Hebron im Lande Kanaan. Und Abraham
kam herbei, zu klagen um Sarah und sie zu beweinen."
(V. 2.) Doch das Begräbnis Sarahs, sowie der Kauf
der Höhle Machpela mit allen den schmerzlichen Umständen, die sie begleiteten, offenbaren uns nur neue Siege
des Glaubens, der in dem treuen Knechte Gottes wirksam war. Abraham nimmt in Gegenwart der Söhne
Heths den Platz eines „Pilgrims nnd Fremdlings" ein,
obgleich er zu gleicher Zeit sehr Wohl wußte, daß das
ganze Land infolge der göttlichen Verheißung sein Eigentum war. Doch er war ein freiwilliger Fremdling in
dem Lande, da er sich nach einem andern Vaterlande,
d. i. dem himmlischen, sehnte. Er wußte, daß sein Same
das Land dereinst als ein ewiges Erbteil von Jehova
empfangen würde, und so kaufte er mit der größten Sorgfalt
die Höhle von Machpela, um sie als einen Begräbnisplatz
eigentümlich zu besitzen. Hier begrub er sein geliebtes
Weib, so wie er seinen eingeborneu Sohn auf den Altar
gelegt hatte, in dem unerschütterlichen Glauben, daß Gott
imstande sei, den teuren Staub zu seiner Zeit wieder aufzuerwecken. Er glaubte an eine Auferstehung und an Gott,
als den Gott der Auferstehung. Das war die geheime
Quelle der Kraft seines Glaubens als eines himmlischen
150
Fremdlings, sowie seiner erhabenen Würde vor den Kindern
dieser Welt.
Kennen wir, geliebter Leser, in unsrer eignen Erfahrung und in der Macht der göttlichen Gnade, etwas
von diesem Glauben, der mit solch ruhiger Würde den
stets wechselnden Umständen des Lebens in dieser Wüste
begegnet? Diese Frage verdient sicher unsre höchste Beachtung. „Dieses ist der Sieg, der die Welt überwunden
hat: unser Glaube." Der Glaube kann nie besiegt werden — er ist stets der Sieger, und zwar einfach deshalb, weil er auf Gott rechnet und Seinem Worte, das
nimmer trügen kann, vertraut. Der Glaube wird stets
durch das Wort Gottes geleitet und regiert; aber leider
lassen wir uns oft nicht durch dieses Wort leiten, und
deshalb werden wir auch so manches Mal durch die Umstände überwunden, statt daß wir sie überwinden sollten.
Als Abraham auf Sarah und Abimelech blickte und seinen
Befürchtungen Raum gab, oder besser gesagt, den Einflüsterungen Satans Gehör lieh, fehlte er in trauriger
und schmerzlicher Weise. Aber sobald sich sein Auge auf
Gott richtete und sein Herz vertrauensvoll auf Seinem
unfehlbaren Worte ruhte, überwand er ruhig eine Schwierigkeit nach der andern, so hoch dieselben sich auch vor ihm
auftürmen mochten. So ist es stets. Das kleine Ai war
zu mächtig für Josua und die Heere Israels ohne Gott;
aber was war Jericho mit seinen hohen Mauern und verriegelten Thoren für den Glauben? Petrus konnte
ohne Glauben nicht besser auf ruhigem Wasser wandeln,
als auf der erregten See. Hätte der Herr auch in einem
Augenblicke die Wellen geglättet, so würde Petrus dennoch
gesunken sein. Hätte aber Petrus sein Auge fest auf
151
den Herrn gerichtet gehalten und Sein Wort: „Komm!"
in seinem Herzen treu bewahrt, so würde er ebenso gut
auf den ungestümen Wellen haben wandeln können, als
auf trocknem Lande.
Wir sind, als himmlische Fremdlinge hienieden, nie
auf dem rechten Platze, noch auch in Sicherheit, wenn wir
uns nicht auf dem Boden des Glaubens befinden. Wir
pilgern durch ein trocknes, dürres Land, wo es kein Wasser
giebt, und müssen deshalb stets im Gedächtnis behalten,
daß alle unsre Quellen in dem lebendigen Gott sind. Der
Sohn des Menschen, der Herr vom Himmel, machte diese
Erfahrung hienieden und wandelte in jener vollkommenen
Abhängigkeit von Seinem himmlischen Vater, und wir sind
berufen, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Gott wird
durch unser einfältiges Vertrauen geehrt, wenn jede Hülfsquelle abgeschnitten und jeder Ausweg verschlossen zu sein
scheint. Er kann neue Hülfsguellen und Segenskanäle öffnen,
voller und tiefer, als wir sie je gekannt haben. Möchte deshalb Gott selbst unser Vertrauen sein, so wie Er sich uns in
Christo Jesu geoffenbart hat, und möchte Sein Wort alle
unsre Gedanken, Gefühle und Handlungen regieren! „Die
mich ehren, werde ich ehren," sagt der Herr, und: „Glückselig alle, die auf Ihn trauen!" (1. Sam. 2, 30; Psalm 2,12.)
Aber, möchte man fragen, sind nicht alle Christen
wohlbekannt mit der Natur uud der Kraft des Glaubens ?
War cs nicht der Glaube, der uns unsre Zuflucht zu
Jesu nehmen ließ, als wir unsern völlig verlorenen Zustand als verderbte uud verdammungswürdige Sünder in
dem Lichte SeinesWortes erkannten? Mit einem Worte,
war es nicht der Glaube, womit wir unsern Lauf als
Christen begonnen haben? Ganz gewiß, und wir können
152
auf unserm ganzen Wege durch diese Welt keinen größeren
Sieg erringen, als wir ihn damals errungen haben. Wir
sind gleichsam eingetreten in den vollkommenen Sieg Christi
und haben mit Ihm die Beute der Erlösung geteilt. Und
würden wir stets dieser größten aller Befreiungen eingegedenk bleiben,, so würden wir nie durch die Schwierigkeiten des Weges überwältigt werden. Aber giebt es nicht
viele, welche wohl an Christum glauben im Blick auf die
Vergebung ihrer Sünden und die Errettung ihrer Seelen,
die aber wenig oder gar nichts von dem Pfade des
Glaubens kennen? Leider ist es so; aber solche Seelen
haben noch niemals die Vollkommenheit und Fülle der
Segnungen der Gnade erkannt. Sie sind bekehrt und errettet, aber sie verstehen nichts von ihrer Stellung in
Christo, dem auferstandenen Menschen in der Herrlichkeit,
noch von dem Pfade des Glaubens, welchen sie zu wandeln
berufen sind. Wir werden in dem Worte Gottes belehrt,
daß wir durch das Werk Christi von der Sünde und allen
ihren schrecklichen Folgen befreit und iu dem auferstandenen
Jesus in eine völlig neue Stellung eingeführt sind und
infolge dessen außer dem Bereich des Todes und deS
Gerichts stehen; wir wissen, daß wir Frieden mit Gott
haben und annehmlich gemacht sind in dem Geliebten.
Das sind sicher die gewaltigsten Errungenschaften, welche
uns durch die Gnade Gottes vermittelst des Glaubens zu
teil geworden sind; und mit diesen sollte ein jeder Christ
vertraut sein und im Genuß derselben wandeln. „Der
Glaube," sagt ein andrer Schreiber, „vollbringt mit seinem
ersten Werke auch sein größtes Werk. „Denn wenn wir,
da wir Feinde waren, Gott versöhnt wurden durch den
Tod Seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt
153
sind, durch Sein Leben errettet werden." (Röm. 5, 10.)
Es ist die Kraft des Lebens, das über den Tod triumphirt
hat, welche der Glaube benutzt. Diese Kraft besaß Abraham
durch den Glauben. Das Erstorbensein seines eignen
Leibes, der Altar seines geliebten Isaak, das Grab seines
Weibes wurden von ihm nicht anders betrachtet, als in
dem Lichte des Glaubens an Den, „der die Toten lebendig
macht und das nicht Seiende ruft als seiend."" (Röm.4,17.)
Kehren wir jetzt zu unserm Kapitel zurück. Der Tod
Sarahs stellt also vorbildlich das Verschwinden Israels,
als Volk, von dem Schauplatze dar, welches nach der
Predigt des Petrus am Tage der Pfingsten stattfand.
Er trat auf vor den Männern von Israel, den Kindern
des Bundes, welchen Gott mit ihren Vätern gemacht hatte,
und legte kühn Zeugnis ab von dem Tode und der Auferstehung Christi, des wahrhaftigen Isaak; aber sie wollten
nicht auf seine Worte hören, sie verwarfen sein Zeugnis
sowie dasjenige des Stephanus, eines Mannes „voll des
Heiligen Geistes," und daniit war ihr Unglaube vollständig, und Israel verschwindet infolge dieses hartnäckigen
Unglaubens für eine Zeit von dem Schauplatze. In den
letzten Tagen jedoch, wenn die Kirche, die himmlische
Braut Christi, in das Haus des Vaters ausgenommen
sein wird und Gott wieder von neuem in den Herzen
Seines irdischen Volkes zu wirken beginnt, wird der neue
Bund in die Erscheinung treten, der auf das Blut Christi
und auf die Gnade Gottes, anstatt auf die Verantwortlichkeit des Menschen, gegründet ist. Er wird für ewig
errichtet werden, und alle die Verheißungen, welche Gott
dem Volke Israel gemacht hat, werden für den treuen
lleberrest in Erfüllung gehen. So macht der Tod
154
Sarahs, der Mutter, das Verschwinden Israels, Raum
für Rebekka, die Braut des Sohnes, die Kirche oder die
Versammlung Gottes.
(Fortsetzung folgt.)
„Bleibet in meiner Liebe!"
(Joh. 15, 9—15.)
So oft sich das gläubige Herz mit den Unterhaltungen des Herrn beschäftigt, die Er am letzten Abende
Seiner Laufbahn hienieden mit den Seinigen hatte, wird
es sich angetrieben fühlen, Ihn zu preisen und anzubeten.
Das Kreuz mit allen seinen Aengsten und Schrecken stand
noch vor Ihm, und Er wußte bestimmt, daß Er am
nächsten Tage, verlassen von Allen und sogar, weil Er
sür uns zur Sünde gemacht war, verlassen von Gott,
Seine teure Seele auf demselben aushauchen sollte. Dennoch betrachtete Er an diesem feierlichen Abend dasselbe
als schon hinter sich liegend, denn Er sagt in Kapitel 17, 4:
„Ich habe Dich verherrlicht auf der Erde, das Werk
habe ich vollbracht, welches Du mir gegeben haft,
daß ich es thun sollte." Die Liebe zu den Seinigen war
der alleinige Beweggrund, wenn Er in dieser letzten Stunde,
die Er mit ihnen in dieser Welt zubrachte und nach welcher
Er so sehnlichst verlangt hatte, an der andern Seite des
Kreuzes Seinen Platz nahm. In Seiner Liebe zu ihnen
dachte Er nur an sie und nicht an sich selbst. Sie sollten
wissen, was Er nachher für sie sein würde, wenn Er hienieden nicht mehr bei ihnen war — daß Seine Liebe zu
ihnen nie aufhören und Sein Dienst und Seine Sorge
für alle ihre Bedürfnisse nie enden würden. Unvergleichliche Liebe! Sie allein vermag ein Herz, das sie erkennt
155
und in ihr ruht, inmitten der mannigfachen Prüfungen
der Wüste, inmitten der vielfachen Versuchungen in einer
feindseligen und gottlosen Welt, mit Freude und Wonne
zu erfüllen. Das köstliche Bewußtsein, von Ihm geliebt
zu werden, Seinem Herzen teuer zu sein, übersteigt alles
andere und macht jede Entbehrung und Schwierigkeit hienieden erträglich und leicht. Und Er versichert uns:
„Gleichwie mich der Vater geliebt hat, habe auch ich euch
geliebt; bleibet iu meiner Liebe." (V. 9.)
Es wird uns nicht schwer zu glauben, daß der Vater
Ihn, während Er Seinen Lauf hienieden vollendete, mit
einer vollkommenen Liebe liebte, daß Sein Auge unverrückt und mit Freude und Wonne auf Ihn, den Eingebornen und Geliebten, gerichtet blieb. Als Er getauft
wurde, öffneten sich die Himmel über Ihm, und eine
Stimme rief: „Du bist mein geliebter Sohn, an Dir
habe ich Wohlgefallen gesunden." (Luk. 3, 22.) Ja Er,
der allezeit den Vater verherrlichte und in einem stets
bereitwilligen und völligen Gehorsam den Willen des Vaters
erfüllte, war sicher würdig, der Gegenstand Seiner vollkommenen Liebe zu sein. Und Er versichert nun die
Seinigen, daß Er sie, während sie in dieser Welt seien,
liebe, gleichwie der Vater Ihn geliebt habe. Wir mögen
öerwundert fragen: Wie kann dies möglich sein? Allein
Sein Mund hat es gesagt, und Sein Wort ist untrüglich.
Wir dürfen freilich dabei nicht auf uns blicken, auf unsere
Mängel und Gebrechen, auf unsere Schwachheit und Ohnmacht — wir sind in uns selbst wahrlich nicht wert, von
Ihm geliebt zu werden — sondern unser Auge darf nur
auf Ihn, auf Sein Herz gerichtet sein, das trotz allem
uns liebt, und zwar so innig und vollkommen, wie der
156 —
Vater Ihn geliebt hat. In Seinem Tode, den Er für
uns erduldete, als wir noch gottlose Sünder und Feinde
waren, hat Er uns den höchsten und vollkommensten Beweis Seiner Liebe zu uns gegeben, und diese Liebe wird
gewiß nicht schwächer und geringer sein zu denjenigen,
welche Er um einen so teuren Preis erkauft, versöhnt und
errettet hat. Er liebt sie allezeit mit derselben Liebe,
womit der Vater Ihn geliebt hat. Sein Auge wendet
sich nie von ihnen ab; Er ist allezeit für sie und mit
ihnen beschäftigt, und sie sind und bleiben stets die teuren
Gegenstände der Fürsorge Seines liebenden Herzens. Und
Er ermahnt sie, in Seiner Liebe zu bleiben, sich allezeit
ihres köstlichen Genusses zu erfreuen. Und wahrlich,
nichts kommt dieser Liebe gleich, nichts kann das Herz
so befriedigen und so völlig glücklich machen als sie.
Möchten wir doch allezeit in ihr bleiben, ununterbrochen
in ihr ruhen!
Indes möchte gefragt werden: Wie können wir in
dem Genuß dieser Liebe bleiben? Der Herr selbst giebt
uns den Weg an, auf welchem dies allein möglich ist.
Er sagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet
ihr in meiner Liebe bleiben; gleichwie ich die Gebote
meines Vaters gehalten habe und in Seiner Liebe bleibe."
(V. 10.) Seine Gebote sind der Ausdruck dessen, was
Er war, der Ausdruck des Lebens, das Er hienieden 
offenbarte, und dieses Lebens hat Er uns durch Sein auf
dem Kreuze vollbrachtes Werk teilhaftig gemacht. Es
erwies sich bei Ihm in einer steten Abhängigkeit nnd in
einem völligen Gehorsam. Die Gebote des Vaters drückten
das aus, was der Vater war, und Er bewahrte sie allezeit; nichts vermochte Ihn davon zurückzuhalten. Es war
157
Seine „Speise, den Willen Dessen zu thun, der Ihn gesandt hatte, und Sein Werk zu vollbringen." (Joh. 4, 34.)
Das Halten der Gebote des Vaters war auch für Ihn
hienieden der göttliche Pfad, auf welchem Er in der Gemeinschaft der Liebe des Vaters, in der Gemeinschaft mit
Ihm selbst blieb; und diese Liebe war die stete Erquickung
und Freude Seines Herzens auf Seinem schweren und
leidensvollen Pfade durch eine feindselige Welt, die Ihn
nicht kannte. Ja, hienieden, wo nichts als Sünde und
Elend Ihn umgab, wo Er überall verkannt und mit Verachtung und Spott zurückgestoßen wurde, war die Liebe
des Vaters Sein einziger und glücklicher Ruheplatz. Und
so will Seine göttliche Liebe es für uns sein, während
wir als Fremdlinge durch diese Welt gehen, die Ihn verworfen und gekreuzigt hat. Aber auch wir können nur
dann in der Gemeinschaft und dem Genuß Seiner Liebe
sein, können nur dann mit einem glücklichen Herzen dort
weilen, wo die wahre Freude sich findet, wenn wir Seine
Gebote halten, wenn wir in der Kraft des Geistes und
des Lebens, das wir durch Ihn empfangen haben, Sein
Wort bewahren.
Der neue Mensch wird auf dem Pfade durch diese
versuchungsreiche Welt nie fragen, ob dieses oder jenes
Sünde sei oder nicht, sondern allein darnach, ob etwas dem Herrn wohlgefällig und Seinen Geboten
gemäß ist. Das Leben aus Gott, das uns in Christo
geschenkt ist, kann auch bei uns nur in der Abhängigkeit
und im Gehorsam seine wahre Befriedigung finden. Durch
den Besitz dieses Lebens sind wir zu dem Gehorsam Christi
fähig gemacht, d. h. wir sind befähigt und berufen, in
derselben Gesinnung und in demselben Geiste zn gehorchen.
158 ' —
in welchem Er gehorsam war; denn dasselbe Leben, in
welchem Er hienieden wandelte, ist unser Leben. Und Er
ckannte aus Erfahrung den Pfad, auf dem allein die
Seinigen wahrhaft glücklich sein können. Welch eine
Gnade und welch eine Liebe, die uns, solch widerspenstige
und feindselige Kreaturen von Natur, zu Seinem Gehorsam
fähig gemacht hat und uns hienieden schon in dem Genuß
und der Freude dieser Liebe wandeln läßt! „Dies habe
ich euch gesagt, auf daß meine Freude in euch sei und
eure Freude erfüllt werde." (V. 11.) Es ist Sein Wohlgefallen, alles mit den Seinigen zu teilen. Er fand in
dieser Welt keine wahre Erquickung für Sein Herz, und
auch wir können sie nicht darin finden. Seine Freude
war die Liebe des Vaters, und diese Liebe soll auch unsre
Freude sein. Wenn wir dieselbe erkennen und wirklich
genießen, so wird unser Herz von Freude erfüllt sein;
und dies ist es, was Er für alle die Seinigen wünscht,
während sie durch diese versuchungsreiche Welt gehen.
Im Anschluß an das Vorhergehende kommt nun der
Herr zu einer andern Seite dieses Gegenstandes. Er hatte
von der Liebe des Vaters zu Ihm und von der Gemeinschaft dieser Liebe gesprochen, sowie von Seiner Liebe zu
den Seinigen; Er hatte den Jüngern zugleich den göttlichen Pfad gezeigt, auf welchem sie stets in dem Genuß
Seiner Liebe bleiben würden. Jetzt wendet Er sich zu
ihren Beziehungen untereinander, indem Er sagt: „Dies
ist mein Gebot, daß ihr einander liebet, gleichwie ich euch
geliebt habe." (V. 12.) Dieses Gebot, einander zu lieben,
wiederholt der Herr in Vers 17; und in Kapitel 13, 34
nennt Er es ein „neues Gebot," das Er den Seinigen
giebt. Dies zeigt uns, welch einen Wert Er auf die Aus-
159
Übung dieser Liebe untereinander legt. So werden wir
auch in den Briefen der Apostel öfters durch den Heiligen
Geist zur Bethätigung gegenseitiger Liebe ermahnt. Ich
führe hier nur einige Stellen an: „In der Bruderliebe
seid herzlich gegen einander." „Alles bei euch geschehe in
Liebe." „Liebet einander mit Inbrunst aus reinem Herzen."
Die Liebe ist der wahre Beweis, daß jemand aus Gott
geboren und dadurch der göttlichen Natur teilhaftig geworden ist. „Geliebte, lasset uns einander lieben, denn
die Liebe ist aus Gott, und ein jeder, der liebt, ist aus
Gott geboren und kennet Gott. Wer nicht liebt, hat Gott
nicht gekannt, denn Gott ist Liebe." (1. Joh. 4, 7. 8.)
Zudem hat uns die Liebe Gottes, geoffenbart in der
Hingabe Seines Sohnes, durch welchen wir das Leben
und die Versöhnung empfangen haben, zu Schuldnern in
der Liebe zu einander gemacht. Im Blick hierauf sagt
der Apostel: „Geliebte, wenn Gott uns also geliebt hat, so
sind auch wir schuldig, einander zu lieben." (1. Joh. 4,11.)
Möchten wir dies nie vergessen! Das Bewußtsein und der
Genuß der Liebe Gottes zu uns wird uns stets antreiben,
auch Andern Liebe zu beweisen, und uns verhindern, sie
von Andern für uns zu fordern, wie dies leider so oft
der Fall ist; wenn jemand stets Liebe fordert, aber nie
giebt, so gleicht er einem Menschen, der fortwährend geneigt ist, Schulden zu machen, aber nie daran denkt, sie
zu bezahlen. Die Liebe, von welcher hier die Rede ist,
macht uns zum Diener Anderer; sie ist stets auf deren
Wohl bedacht und läßt sich durch keine Schwachheit derselben verhindern, ihr Bestes zu suchen; ja, sie steht über
den Schwachheiten der Andern. In 1. Korinth. 13 wirb
uns der wahre Charakter und das Verhalten dieser Liebe
160
klar vor Augen gestellt: „Die Liebe ist langmütig, ist
gütig, die Liebe eifert nicht, die Liebe thut nicht groß,
sie blähet sich nicht auf, sie geberdet sich nicht unanständig,
sie sucht nicht das Ihrige, sie läßt sich nicht erbittern, sie
denkt nichts Böses, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit,
sondern sie freut sich mit der Wahrheit, sie erträgt alles, sie
glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles." (V. 4 — 7.)
Wie bestimmt und klar zeigt uns diese Darstellung der
Liebe, was unsre Gesinnung und unser Verhalten gegen
einander sein sollte!
Der Herr selbst war hienieden ein Gefährte der
Seinen und ein Diener in dieser Liebe. Er war stets
für sie besorgt, war ihr Schutz und Schirm in allen Gefahren und trug sie in ihren vielen Schwachheiten mit
vollkommener Geduld und Langmut. Er belehrte sie unermüdlich in ihrer großen Unwissenheit, wachte über sie
in all ihrem Thun und Lassen, ermutigte sie, wenn sie
furchtsam waren, tröstete sie in ihrer Traurigkeit und erquickte ihre Herzen durch die Mitteilung dessen, was Er
von Seinem Vater gehört hatte, und dies alles that Er
mit einer Liebe, die nie verletzt, nie schwach wurde, die
uie an sich selbst, sondern nur an sie dachte. Und jetzt
fordert Er uns auf, mit derselben Hingebung und Aufopferung uns untereinander zu lieben. Wie gesegnet und
ermunternd würde es für uns sein, wenn das Beispiel
Seiner Liebe, in welcher Er den Seinigen hienieden diente,
stets lebendig vor unsern Augen stände! Es würde uns
immer mehr weise und fähig machen, durch die Kraft des
Heiligen Geistes in Seinen Fußstapfen zu wandeln.
Dann zeigt uns der Herr die äußerste Grenze dieser
gegenseitigen Liebe. „Größere Liebe hat niemand als diese,
161
daß jemand sein Leben läßt für seine Freunde." (V. 13.)
Das Leben ist das Höchste und Letzte, das wir für unsere
Freunde hingeben können. Freilich ist der Herr selbst noch
über diese Grenze hinausgegangen. Er hat Sein Leben
für uns hingegeben, als wir noch Feinde waren. Welch
eine Liebe! Und durch diese Liebe hat Er uns zu Schuldnern gemacht, „das Leben für die Brüder darzulegen."
(1. Joh. 3, 16.) Möchten wir nie vergessen, auf welch
einen gesegneten Platz Er uns auch im Blick auf den
Dienst der Liebe gestellt hat! In ihrer Ausübung erfreuen
sich unsre Herzen in dem Bewußtsein, daß der Herr Sein
Wohlgefallen daran hat, und sind zugleich glücklich in dem
Genuß Seiner Liebe zu uns.
Wir sind Seine Freunde, wenn wir alles thun, was
Er uns gebietet. (V. 11.) Er war unser Freund, als
Er Sein teures Leben dahin gab, da wir noch Sünder
waren, und setzt sind wir Seine Freunde, wenn wir
Sein Wort bewahren und in Seinen Geboten wandeln.
Es geziemt sich für uns der Gehorsam, und zwar nicht
ein Gehorsam nach unserm eigenen Gutdünken, sondern
ein Gehorsam, der sich in allem, was es auch kosten möge,
bereitwillig und völlig Seinem Worte unterwirft und allezeit das thut, was vor Ihm wohlgefällig ist. Nur dann
beweisen wir uns in Wahrheit als Seine Freunde, wenn
wir in allem, mag es auch Andern klein und unwichtig
erscheinen, Seinem Willen, wie Er uns denselben in Seinem
Worte geoffenbart hat, unterworfen sind.
Der Herr selbst will uns nach Seiner vollkommenen
Liebe als Freunde behandeln, indem Er uns zu Seinen
Vertrauten macht. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte,
denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr thut, sondern
162
ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von
meinem Vater gehört, euch kund gethan habe." (V. 15.)
Einem Freunde offenbart man seine Geheimnisse und teilt
ihm alles mit, was Interesse sür ihn hat. So wurde
Abraham vor Alters „Freund Gottes" genannt; denn
Gott sprach mit ihm nicht nur von dem, was ihn persönlich betraf, sondern teilte ihm auch das mit, was Er
inbezug auf Sodom zu thun vorhatte, indem Er sagte: „Soll
ich vor Abraham verbergen, was ich thue?" (t. Mos. 18,17.)
So hat auch der Herr den Seinigen alles mitgeteilt, was
Er von Seinem Vater gehört hat, alles, was für sic von
Interesse ist und was ihre Herzen erfreuen und erquicken
kann. Wo ist eine Liebe wie Seine Liebe? Nicht nur
hat Er Sein teures Lebeu für uns hingegeben, als wir
noch Gottlose und Feinde waren, sondern Er nennt auch
jetzt solch schwache und wertlose Geschöpfe, wie wir in
uns selbst sind, Seine Freunde und macht uns zu-Mitwissern Seiner Geheimnisse, zu Bewahrern Seiner Gedanken. Er hat sowohl von dem zu uns gesprochen, was
uns persönlich angeht, als uns auch Seine Gedanken bezüglich Seiner Wege mit dieser Erde mitgeteilt, und uns
ini Voraus mit unsrer himmlischen und herrlichen Berufung, mit den Gedanken und Ratschlüssen Gottes, die vor
Grundlegung der Welt in Gott verborgen waren, durch
den Geist bekannt gemacht. Wie groß ist Seine Gnade,
Seine Herablassung und Seine Liebe zu uns! Möchten
wir doch stets mit einem dankbaren und anbetenden Herzen
daran gedenken nnd allezeit ihrer würdig zu wandeln suchen!
163
Leben durch den Tod.
Da Gott heilig und der Mensch schuldig ist, so muß
die Sünde gerichtet werden. Einst bestand eine ungehinderte
Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen, als dieser
uoch in dem Stande seiner Unschuld einherging. Aber
sobald die Sünde kam, zerriß sie dieses Band, und dasselbe kann durch nichts wiederhergestellt werden, es sei
denn durch die völlige Ausübung des Gerichts eines heiligen, gerechten Gottes über die Sünde. Wir können nicht
anders Leben haben, als „durch den Tod." Gott kann
infolge Seiner Heiligkeit nicht anders, als die Sünde
richten. Er errettet den Sünder, aber Er verurteilt und
richtet die Sünde. Das Kreuz Christi ist der vollkommene
Ausdruck dieser ernsten und zugleich so gesegneten Thatsache.
Vorbildlich kam diese wichtige Frage am Abende „des
vierzehnten Tages des ersten Monats" zum Aststrag, als
Gott im Begriff stand, Sein Gericht an allen Erstgebornen im Lande Aegypten zur Ausführung zu bringen;
die Frage nämlich: Wie kann Gott diejenigen, welche
Seine Heiligkeit wegen ihres sündigen Zustandes verdammen muß, von allem Gericht befreien und sie zu
Gegenständen Seiner Huld machen ? Auf diese ernste Frage
gab es nur eine Antwort, welche die Forderungen der
Heiligkeit Gottes zu befriedigen vermochte, und diese bestand
in dem Blute des Lammes, das Gott sich selbst vorgesehen
hatte. „Wenn ich das Blut sehe, so werde ich an euch
vorübergehen." Dies ordnete alles. Es handelte sich nm
Leben oder Tod, um Befreiung oder Gericht. Die blutbestricheneu Thürpfosten waren eine vollkommene Antwort
auf alle Anforderungen der göttlichen Heiligkeit, sowie
164
auf alle Bedürfnisse des Volkes. Alles war jetzt in
Ordnung gebracht. Durch das Blut des Lammes war
Gott verherrlicht, die Sünde gerichtet und hinweggethan
und Israel errettet.
Gesegnete, köstliche Wahrheit! Israel hatte jetzt Frieden mit Gott, es konnte sich in glücklicher Zurückgezogenheit
seiner Errettung freuen, obwohl es sich noch in Aegypten,
dem Lande des Todes und des Gerichts, befand. Gott
war jetzt verpflichtet, Israel zu befreien — ein schönes
Vorbild von der vollkommenen Sicherheit aller derer, welche
ihr Vertrauen auf das Blut Christi, des Lammes Gottes,
setzen! Sie konnten sich in Frieden und völliger Sicherheit
von dem gebratenen Lamme nähren, während „Jehova
um Mitternacht alle Erstgeburt im Laude Aegypten schlug,
von dem Erstgebornen Pharaos, der auf seinem Throne
saß, bis zum Erstgebornen des Gefangenen, der im Hanse
der Veste war, und alle Erstgeburt des Viehes. UndPharao stand auf in der Nacht, er und alle seine Knechte
und alle Aegypter, und es war ein großes Geschrei in
Aegypten, denn es war kein Haus, in welchem nicht ein 
Toter war." (2. Mose 12, 29. 30.) Aber in der Mitte
des Volkes Israel herrschte vollkommene Ruhe und ungetrübter Friede, nach den Worten des Herrn: „Aber
gegen alle Kinder Israel wird nicht ein Hund seine Zunge
spitzen, vom Menschen bis zum Vieh, auf daß ihr wisset,
daß Jehova einen Unterschied macht zwischen den Aegyptern
und den Israeliten." (Kap. 11, 7.)
Aber wie konnte Gott, möchte man fragen, diesen
Unterschied machen? Die Israeliten waren doch ebensowohl Sünder wie die Aegypter. Allerdings; auf diesem
Boden und nach dieser Seite hin gab es „keinen Unter­
165
schied." Aber vorbildlich hatte das Gericht Gottes über
die Sünde Seines Volkes in dem Tode des fleckenlosen
Lammes seinen Ausdruck gefunden. Das Blut an den 
„beiden Pfosten und an der Oberschwelle" war der Beweis dafür. Es erklärte mit vernehmlicher Stimme, daß
das Lamm geschlachtet, das Lösegeld bezahlt, der Gefangene befreit, die göttliche Gerechtigkeit befriedigt und
die Stunde der Befreiung Israels gekommen war. Es
war das Blut, das den Unterschied machte, und nichts
anders als das Blut. „Denn alle haben gesündigt
und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes." (Röm. 3, 23.)
Aber welch ein Unterschied war dies! Der eine in
göttlicher Weise vor dem Schwerte des Gerichts geschützt,
der andere von dem vernichtenden Schlage desselben getroffen. Der eine, sich nährend von den reichen Schätzen,
welche die Gnade vorgesehen und bereitet hatte, der andere
gezwungen, die Bitterkeit des Kelches des Zornes zu
schmecken. Der Würgengel trat in jedes Haus im ganzen
Lande Aegypten ein, das nicht das Zeichen des BlnteS
trug. Der Erstgeborne Pharaos, der auf seinem Throne
saß, und der Erstgeborne des Gefangenen im Hause der
Veste wurden zugleich hinweggerafft. Kein Rang, kein
Alter konnte vor dem Zorne Jehova's und vor dem
furchtbarem Schwerte seines Engels schützen. Die Zeit
der Langmut und Geduld Gottes war vorüber uud die
Stunde Seines Gerichts gekommen. Nur eins leitete den
Engel des Todes in jener finstern, schrecklichen Nacht, und
das war: Wo kein Blut ist, da giebt es keine
Rettung, keine Schonung.
Mein lieber unbekehrter Leser, bedenke wohl, daß eS
heute noch eben so ist! Wo kein Blut ist, da ist auch
166
keine Vergebung, keine Rettung möglich. „Ohne Blutvergießen ist keine Vergebung." Könnte es eine Frage geben,
die von höherer Wichtigkeit für dich wäre, als diese: Bin
ich in Sicherheit gebracht durch das Blut Jesus O, laß
dich fragen: Hast du deine Zuflucht genommen zu dem
Blute, das auf Golgatha vergossen worden ist? Dort ist
„Christus, unser Passahlamm," für uns geschlachtet worden.
Sein kostbares Blut ist von Ihm selbst in das himmlische
Heiligtum getragen und auf den Gnadenstuhl droben gesprengt worden. Dort sieht Gott allezeit das Blut unsers
wahren Passahlammes. Glaubst du an dieses kostbare
Blut? Kannst du im tiefen Bewußtsein deiner unzahlbaren
Sündenschuld sagen: Dieses Blut ist mein einziger Bergungsort? Ich stütze mich auf das Blut des reinen und
fleckenlosen Lammes Gottes? Wenn du es sagen kannst,
so darfst du auch versichert sein, daß du in volkommener Sicherheit, daß du für ewig erettet bist.
Du hast die eignen Worte Gottes als den unumstößlichen Beleg dafür: „Sehe ich das Blut, so werde
ich vorübergehen." Der Gläubige besitzt die „Erlösung
durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen,
nach dem Reichtum Seiner Gnade." „Jetzt aber, in
Christo Jesu, seid ihr, die einst ferne waren, durch das
Blut des Christus nahe geworden." „Welchen Gott dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an
Sein Blut." (Eph. 1, 7; 2, 13; Röm. 3, 2ö.i
Aber auf der andern Seite kann es da, wo das
Blut Jesu gering geachtet oder gar verworfen wird, keine
Sicherheit, keinen Frieden, keine Errettung geben. „Wie
werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung
vernachlässigen?" (Hebr. 2, 3.) Entweder sieht der Würg­
167
engel das Blut, oder er tritt ein als der Richter und
Rächer der Sünde. Jede Sünde muß gerichtet werden,
sei es nun in der Person des Sünders oder in derjenigen
seines Stellvertreters. Dies ist eine Wahrheit von tiefenr
Ernst. Doch wie gesegnet ist es, zu wissen, „daß Christus
einmal für Sünden gelitten hat, der Gerechte für die Ungerechten, auf daß Er uns zu Gott führe." (1. Petr. 3,18.)
„Jhu, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns zur
Sünde gemacht, auf daß wir würden Gottes Gerechtigkeit
in Ihm." (2. Kor. 5, 21.) Diesen göttlichen Stellvertreter und diesen Bergungsort, welchen Gott selbst bereitet hat, verachten, heißt, die Seele dem erbarmungslosen,
gerechten Gericht Gottes preisgeben. Keine Sünde, so klein
und geringfügig sie scheinen mag, kann dem Gericht entfliehen. Entweder muß sie auf dem Kreuze Christi vor
mehr als achtzehnhundert Jahren ihr Gericht gefunden
haben, oder sie wird es finden in dem See, der mit Feuer
und Schwefel brennt. O, wie unschätzbar ist der Wert
des Blutes, das da von aller Sünde reinigt und unS
passend macht für den Himmel selbst, für das Vaterhaus droben!
Bruchstücke.
Es ist sehr köstlich für das Herz des Christen, den
großen Unterschied zu sehen zwischen Mose „auf dem
Gipfel des Hügels," als Israel mit den Amalekitern
stritt, (2. Mos. 17, 8 — 16.) und Christo auf dem Throne
Gottes zur Rechten des Vaters. Die Hände unsers großen
Sachwalters können nie schwer werden und niedersinken.
Seine Verwendung bei dem Vater für uns hört nimmer
auf und verändert sich keinen Augenblick. „Daher vermag
168
Er auch völlig zu erretten, die durch Ihn zu Gott kommen,
indem Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden."
(Hebr, 7, 25.) Nachdem Er, der göttlichen Gerechtigkeit
entsprechend, Seinen Platz droben in der Herrlichkeit eingenommen hat, ist Er stets für uns thätig, und zwar
gemäß der Vollkommenheit Seines Werkes und Seiner
eignen gesegneten Person. Seine Hände sind stets für
uns gehoben; sie können nie schlaff werden, noch bedürfen
sie irgend einer Unterstützung, wie diejenigen Mose's.
Es ist nie Demut, wenn wir einen Platz verlassen,
der uns von Gott angewiesen ist, obwohl es äußerlich
vielleicht so scheinen mag. Im Gegenteil offenbaren wir
gerade dadurch wahre Demut, daß wir in einfältigem
Vertrauen auf Gott da ansharren, wo Er uns hingestellt
hat. Es zeugt nur von unserm Beschäftigtsein mit unserm
eignen, armen Ich, wenn wir auf Grund unsrer Unfähigkeit einen Dienst nicht ausführen wollen, den Gott uns
anweist. Gott beruft uns nicht zum Dienst auf Grund
unsrer Fähigkeiten zu demselben, sondern auf Grund
Seiner Weisheit und Macht. Und wenn wir im Blick
auf unsre Schwachheit vor der Verantwortlichkeit zurückschrecken, die mit jedem Dienste verbunden ist, so stehen
wir in großer Gefahr, die Fülle und Genügsamkeit der
Hülfsquellen Gottes in Frage zu ziehen. Wo Gott durch
Seinen Geist wirkt, da ist ein Werkzeug so gut und genügend als siebenzig, und wo Er nicht wirkt, da haben
siebenzig nicht mehr Wert als eins. Alles hängt von der
Macht Gottes und der Wirksamkeit Seines Geistes ab. Ai i t
Ihm kann e i n Mann alles thun, alles erdulden und bis ans
Ende ansharren. Ohne Ihn vermögen siebenzig nichts.
Die Berufung der Braut.
(1. Mos. 22—24.1
(Fortsetzung.)
3.
Im 24. Kapitel befinden wir uns auf einem ganz
neuen Boden. Segnungen und Ratschlüsse, die mit dem
Bunde zwischen Gott und Seinem irdischen Volke in Verbindung stehen, werden für einen Augenblick beiseite gesetzt,
und eine Person erscheint vor unsern Blicken, von der
bisher noch nicht die Rede war. Die Berufung und
Erhöhung Rebekkas sind die Hauptgegenstände in diesem
Kapitel, und wiederum sind alle Umstände und Ereignisse
voll des tiefsten Interesses und werfen ein Helles Licht
auf unsre gegenwärtige Stellung in und mit Christo, sowie auf die Gnadenwege Gottes, „der uns berufen hat zu
Seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu." (1. Petr. 5,10.)
Neue Vorsätze des Vaterherzens werden uns mitgeteilt, und Elieser, der treue Knecht Abrahams, muß hinabziehen nach Mesopotamien, um dort, unter der ernsten
Verpflichtung eines Eides, eine Braut für den Sohn seines
Herrn zu suchen. Dies ist sehr bedeutungsvoll, da es der
Opferung Isaaks und dem Begräbnis Sarahs unmittelbar folgt. Vorbildlich erblicken wir in diesen drei aufeinander folgenden Ereignissen: l.den Tod Christi, 2. das
Verschwinden Israels und 3. die Berufung der Braut durch
170
den Heiligen Geist, um in die neue und erhabene Stellung
der Braut des Lammes eingeführt zu werden.
Unter den schönen Vorbildern des 24. Kapitels sind esbesonders vier, welche unsre sorgfältige Beachtung verdienen: 1. der Vorsatz Abrahams; 2. die Stellung Isaaks;
3. die Sendung Eliesers und 4. die Berufung und der
Charakter Rebekkas.
1. Der Vorsatz Abrahams.
Abraham erscheint in diesem Kapitel als ein Mann
Gottes, der seinen Platz und Charakter nicht nur völlig
kennt, sondern auch diesen Platz einnimmt und diesen Charakter offenbart. Alles, was er sagt und thut, beweist
dieses. Er war vertraut mit den Gedanken Gottes. Wie
köstlich ist es, einen bejahrten Pilgrim, wie Abraham es
jetzt war, gleichsam in der Frische der ersten Liebe handeln
zu sehen l Ein solcher Anblick fesselt daS Herz und erweckt
den Wunsch, sich einen Augenblick damit zu beschäftigen.
Abraham hatte sein Land, seine Verwandtschaft und
seines Vaters Haus verlassen; er war nach Kanaan gekommen, aber die Kananiter wohnten noch im Lande.
Rund um ihn her gab es nichts als Feinde; er war mit
seinem Zelte und seinem Altar ein Pilgrim und Fremdling in dem Lande der Verheißung. Nichtsdestoweniger
war das Land sein Eigentum, die Berufung und Verheißung Gottes gehörten ihm; und diese göttlichen Wirklichkeiten, welche durch den Glauben in seinem Herzen
wohnten, leiteten und befähigten ihn, sein Haus nach den 
Gedanken Gottes einzurichten und vor den Bewohnern des
Landes in wahrer moralischer Würde und geziemender
Unabhängigkeit zu wandeln. Dies ist, auch von einem
171
-christlichen Gesichtspunkte aus betrachtet, ein Gegenstand 
von der höchsten Wichtigkeit. Ich meine, die Berufung
Gottes und die Antwort, welche unser Herz und unser
Leben auf diese Berufung geben. Nur in dem Maße,
als wir unter der Macht und dem Einfluß dieser Berufung stehen, können wir unsern Platz als Pilgrime und
Fremdlinge in dieser Welt einnehmen und mit der Verheißung Gottes zufrieden sein, wenn auch alles um uns
her gegen uns ist. Nur so vermögen wir in einer Gott
wohlgefälligen Weise, getrennt von der Welt, hienieden zu
wandeln, bis unser Herr und Heiland kommt, um uns in
die Wohnungen des Vaterhauses einzuführen. Wir wissen,
daß wir alles in Christo besitzen, aber nur die Berufung
Gottes kann uns von dem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf
trennen, so wie Christus von demselben getrennt ist. „Sie
lind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt
bin." „Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in
Ihm ist das Ja und in Ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns." (Joh. 17, 16; 2. Kor. 1, 20.)
Leider wird im allgemeinen so wenig von den Christen
Hieran gedacht. Alan vergißt so gern, daß wir unter
einer solchen Berufung stehen und verpflichtet sind, ihr zu
gehorchen, weil ein solcher Gehorsam schwierig und für die 
Natur schmerzlich ist. „Gehe aus deinem Lande und aus
deiner Verwandtschaft!" so lautete das Gebot Gottes an
unsern Vater Abraham, als er in Mesopotamien wohnte.
Dieses Gebot forderte Trennung, und die Berufung
Gottes ist heute noch eben so bestimmt und unbedingt, wie
sie es damals war; Sein Wort bleibt immer dasselbe. Es
wendet sich mit unerbittlicher Schärfe und Gründlichkeit
Hegen alles, was unsrer Natur lieb und weit ist. Alte
172
und liebgewordene Verbindungen müssen abgebrochen^
Freunde und Verwandte zurückgelassen, das eigene Ich
verleugnet und die Stimme Gottes befolgt werden. Undwenn dies in aller Treue geschieht, so werden wir finden,
daß viele unsrer alten Freunde in der Welt, ja selbst in
der bekennenden Kirche, mehr als bereit sind, sich von
uns zu trennen, und zwar nicht selten mit vieler Bitterkeit und Feindschaft. Wir werden vielleicht auch manchen
Kampf zu bestehen haben, bis wir in bezug auf alle diese
Dinge zur Ruhe gebracht sind, oder bis die Autorität des
Wortes Gottes völlig in unsern Herzen aufgerichtet ist.
Indes Gott wartet auf uns. Er mußte eine lange Zeit
warten, ehe Abraham in den rechten Herzenszustand gelangt war, aber Er wartete; und so wartet Er auf uns.
Er muß uns früher oder später dahin bringen. Eher
kann Gott nicht befriedigt sein.
„Also nun ein jeglicher von euch," sagt unser gepriesener Herr, „der nicht allem entsagt, was er hat, kann
nicht mein Jünger sein;" und: „Wenn jemand zu mir
kommt und haßt nicht seinen Vater und Mutter und Weib
und Kinder und Brüder und Schwestern, dazu aber auch
sein eignes Leben, der kann nicht mein Jünger sein."
(Luk. 14, 33. 26.) Diese Bedingungen der Jüngerschaft
Christi hat man oft sehr hart und unverständlich genannt.
Die Stelle meint natürlich nicht, daß wir unsre Verwandten hassen sollen, so wie ein natürliches Herz haßt;
wir werden sie als Gläubige im Gegenteil inniger und
zärtlicher lieben, als je vorher. „Ohne natürliche Liebe"
ist ein Charakterzug des Abfalls der letzten Tage. Der
Herr will uns vielmehr belehren, daß wir uns so völlig
selbst verleugnen, unser Kreuz auf uns nehmen und Ihm
173
nachfolgen müssen, daß es Andern scheinen könnte, als
wenn wir die nächsten und stärksten Bande der natürlichen
Zuneigung und verwandtschaftlichen Liebe gering achteten.
Dies ist sicher für den, der Christo nachfolgt, in allen
Fällen eine weit größere Prüfung, als für diejenigen,
welche er zu vernachlässigen scheint. Die Bande, welche
dazu angethan sind, uns an der Nachfolge Christi zu 
hindern, müssen zerrissen werden. Wenn Tarah Abraham
daran hinderte, in das verheißene Land zu ziehen, so
mußte er zu Haran sterben. (1. Mos. 11, 32.) Wir
haben anzuerkennen, daß die Gnade stärker ist, als alle
Bande der Natur. „Kommet her zu mir!" — „Folge
mir nach!" und: „Bleibet in mir!" Das sind die eignen
Worte des Herrn, und sie belehren uns klar und deutlich,
daß es nicht genug ist, zu Ihm zu kommen, sondern
daß wir Ihm dann Tag für Tag nachzufolgen und
in Ihm, als unserm verherrlichten Haupte in den Himmeln,
zu bleiben haben. Er ist der Maßstab unsrer Trennung von der Welt durch den Glauben, vermittelst der
Macht des Heiligen Geistes.
Doch ehe wir diesen Gegenstand von so hoher praktischer Bedeutung verlassen, möchte ich den christlichen
Leser ermuntern, weniger auf das zu blicken, was er
aufgegeben, als auf das, was er anstatt dessen gewonnen hat. Laßt uns alles das, was wir dahinten
gelassen haben, als unsers Bedauerns unwürdig betrachten!
(Phil. 3, 4—10.) In seinem Briefe an die Epheser bittet
der Apostel Paulus, daß die Gläubigen zu Ephesus, erleuchtet an den Augen ihres Herzens, wissen möchten,
welches „die Hoffnung Seiner Berufung" sei, und
welches „der Reichtum der Herrlichkeit Seines Erbes in
174
den Heiligen." Wir sind zu nichts Geringerem berufen,
als zu dem Reichtum der Herrlichkeit Seines Erbes; nichts
weniger als das würde dieser Berufung angemessen sein.
Jn diesem Reichtum giebt es sicherlich genug, um das
Auge und Herz zu dem Himmel empor zu richten und sie
von den Dingen hienieden abzuziehen. Ueberdies dürfen wir
nicht vergessen, daß die moralische Ehre und Würde, die
Erben eines solch reichen Erbes zu sein, uns anspornen
sollte, in unbedingter Trennung von den erniedrigenden
und verunreinigenden Dingen dieser Erde zu wandeln.
Wir sind berufen mit „heiligem Ruf;" eine „himmlische Berufung" und „die Berufung Gottes nach oben
in Christo Jesu" ist unser Teil. (2. Tim. 1,9; Hebr. 3,1;
Phil. 3, 14.)
Wir kehren jetzt zu unserm Patriarchen zurück. Die
Verpflichtungen, welche Abraham seinem Knechte Elieser
auferlegt, zeigen uns, wie völlig er in dem Geiste und
entsprechend der Stellung eines himmlischen Fremdlings in
dem Lande handelt, und wie ernst sein Begehren ist,
daß Isaak in demselben Platz der Trennung erhalten bleiben möchte, den er selbst eingenommen hatte. Alle seine
Gedanken und Pläne haben jetzt nur seinen Eingeborenen
zum Mittelpunkt. Eine Braut muß für den Erben gesucht werden. Aber unter keiner Bedingung kann Abraham seine Zustimmung dazu geben, daß Isaak nach Mesopotamien hinabziehe oder mit den Töchtern Kanaans
eine Verbindung eiugehe. Dies ist sehr belehrend für
uns. „Lege doch," so sagt er zu seinem Knechte, „deine
Hand unter meine Hüfte, und ich werde dich schwören lassen
bei Jehova, dem Gott des Himmels und dem Gott der
Erde, daß du meinem Sohne nicht ein Weib nehmest von den
175
Töchtern der Kananiter, in deren Mitte ich wohne; sondern in mein Land und in meine Verwandtschaft sollst
du ziehen und ein Weib nehmen meinem Sohne, dem
Isaak." (V. 2—4.) Das war eine neue und völlig
ungewohnte Arbeit für einen Knecht, und deshalb macht
Elieser naturgemäß den Einwurf, daß sich ihm Schwierigkeiten in den Weg stellen könnten. Er hatte ohne
Zweifel schon oft die Wünsche seines Herrn ausgeführt,
aber dies war für ihn ein ganz neuer Dienst. „Vielleicht,"
sagt Elieser, „willigt das Weib nicht ein, mir zu folgen
in dieses Land; soll ich dann deinen Sohn jedenfalls zurückbringen in das Land, aus welchem du weggezogen bist?"
(V. 5.) Abrahams Antwort lautet so entschlossen und
bestimmt wie möglich; sein Vorsatz steht fest, mögen sich
auch noch so große Schwierigkeiten der Ausführung desselben entgegenstellen. „Und Abraham sprach zu ihm: Hüte
dich, daß du nicht meinen Sohn dahin zurückbringest!" (V. 6.)
In allem diesem erkennen wir ein treffendes Vorbild
von den ewigen Ratschlüssen und Vorsätzen Gottes, bestätigt durch Sein Wort und Seinen Eid, nämlich Seinen
Sohn als den in den Himmel versetzten Menschen zu 
verherrlichen und zugleich die Kirche, als verbunden mit
Ihm, zu segnen und zu verherrlichen. Der Glaube ruht
nicht allein auf dem in der Zeit vollbrachten Werke Christi,
sondern er geht zurück zu den Gedanken und Ratschlüssen
des Herzens Gottes, wie Er sie sich vorgesetzt hat in sich
selbst nach dem Wohlgefallen Seines Willens, bevor die
Grundlagen der Welt gelegt wurden. Rebekka wußte
nichts von den Gedanken und Ratschlüssen der Familie
Abrahams, so lange sie in Mesopotamien war; nichtsdestoweniger waren ihre Berufung und zukünftige Erhö­
176
hung auf dieselben gegründet. Ebenso ist es mit dem
Christen und mit der Kirche im allgemeinen. Deshalb
können wir mit dem Apostel ausrufen: „Gepriesen sei der
Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Oertern in Christo, wie Er unS auSerwählt hat in
Ihm vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und
tadellos seien vor Ihm in Liebe!" (Eph. 1, 3. 4.)
2. Die Stellung Isaaks.
Der Charakter der Uebereinkunft zwischen Abraham
und Elieser zeigt uns deutlich die Stellung, welche Isaak
zu jener Zeit einnahm. Er war bei seinem Vater im
Lande Kanaan, und dort mußte er bleiben, bis eine Braut
für ihn gefunden wurde. Mochte kommen, was da wollte
— das Eine stand fest, daß Isaak nicht nach Mesopotamien hinabgehen durfte. Das ist sehr bezeichnend und
redet zu unsern Herzen. Es erinnert uns lebhaft an den
wahren Isaak. Er weilt bei dem Vater in den Himmeln,
während die Kirche aus Juden und Heiden gesammelt
wird, um die himmlische Braut, das Weib des Lammes
zu bilden. Christus stieg hinauf in den Himmel, ehe der
Tag der Pfingsten gekommen war, und Er verläßt Ihn
nicht wieder, bis Er die Gläubigen zu sich nimmt. Isaak
ist von dem Augenblick an, da er Morija verläßt, als
tot und auferstanden, vor unsern Blicken verborgen, bis
er erscheint, um Rebekka entgegen zu gehen. Wie bei der
Opferung auf dem Berge Morija, so handelt er auch hier
in völliger Uebereinstimmung mit den Gedanken des Vaters,
sowie mit seinem vorbildlichen Charakter, und erscheint
177
Nicht eher wieder auf dem Schauplatze, bis ihm die Braut
von Elieser zugeführt wird.
Doch was lehrt dich diese Wahrheit, mein lieber
Leser? Gehe nicht gleichgültig darüber hinweg, ich bitte
dich. Was sie dich lehrt, ist einfach genug zu verstehen;
aber die Trennung, welche sie von dir fordert, ist zu bestimmt und entschieden, um ebenso leicht und gern verstanden zu werden. Viele Christen sind gewohnheitsmäßig
so sehr mit der Welt vermischt, daß sie keine praktische
Bekanntschaft mit dieser überaus wichtigen Wahrheit haben.
Doch ich will mich genauer ausdrücken. Alle wahren
Christen geben zu, daß Christus der einzige wahre und
allein passende Gegenstand für ein Christenherz ist. Dies
lehrt das Wort zu deutlich in Aussprüchen, wie die folgenden: „Eins thue ich, vergessend, was dahinten und
mich ausstreckend nach dem, was davorne ist ... ." —
„Zu leben für mich ist Christus." — „Suchet, was droben
ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.
Sinnet auf das, was droben ist, nicht aus das, was auf
der Erde ist."
Wenn ich nun sehe, daß Christus hinaufgestiegen
ist in die Höhe und sich gesetzt hat zur Rechten Gottes,
so muß ich mein Herz auf das richten, was droben ist,
und hienieden einen Pfad verfolgen, der mit Seinen Gedanken in Uebereinstimmung steht, wenn ich anders mit
meinem verherrlichten Haupte in den Himmeln in Gemeinschaft zu leben und zu wandeln wünsche. Es ist vollkommen klar, daß ich jetzt, wo Christus keinerlei Verbindung mit der Welt hat, nicht in Seiner Gemeinschaft
wandeln kann, wenn ich in einer weltlichen Gesinnung
«inhergehe oder mich in einer Stellung befinde, die Seinen
178 —
Gedanken nicht entspricht. DaS ist eine ebenso einfache^
wie praktisch wichtige Wahrheit. Sie verdient unsre
ernsteste Beachtung und übt, wenn sie verstanden und beherzigt wird, einen unermeßlichen Einfluß auf das ganze 
Verhalten eines Gläubigen aus. Alle Fragen, alle Beschäftigungen, alle Verbindungen müssen in dem Lichte
der Herrlichkeit Christi und in dem Bewußtsein unsers
EinSseinS mit Ihm untersucht, geordnet und eingerichtet
werden. Es giebt nur einen Maßstab, nur eine Richtschnur für den Christen, und das ist Christus in der
Herrlichkeit. Wir arbeiten für Ihn, unser verherrlichtes
Haupt; aller unser Dienst gilt Ihm allein. Die einzige
Frage für uns ist: Wie gefällt dieses, wie gefällt jenes 
meinem Herrn? Auf diese Weise wird Christus, je mehr
wir in der Erkenntnis Seiner Person wachsen und in
Treue Ihm zu dienen suchen, unser Beweggrund, unser
Gegenstand, unser Teil und unsre Kraft zum Dienst.
Gerade der unausforschliche Reichtum, den ich in
Christo finde, macht mich praktisch zu einem Fremdling
hienieden. Die Gemeinschaft mit Ihm, der zur Rechten
des Vaters ist, erweckt in mir eine himmlische Gesinnung
und zugleich das Gefühl, daß ich in dieser Welt ein Pilgrim und Fremdling bin. Nur die Reichtümer Seiner
Liebe vermögen das Herz von den gegenwärtigen Dingen
abzuziehen und eS auf das hinzulenken, was droben ist.
Du magst, wie es viele vor dir gethan haben, dich anstrengen, durch vieles Beten, durch eine unausgesetzte Beschäftigung mit religiösen Pflichten, oder durch große
Wachsamkeit über deinen Geist, deinen Gedanken und Gefühlen eine himmlische Richtung und einen himmlischen
Charakter zu geben; aber du wirst erfahren müssen, daß
179
alles das wenig nützt, so lange du nicht dein Verhältnis
zu Ihm, der zur Rechten Gottes sitzt, kennst und genießest.
So richtig alle jene Pflichten auch sein mögen und
so wenig sie vernachlässigt werden sollten, so wirst du
tzoch finden, daß eine noch so genaue Ausübung derselben
dich weder zu einem Fremdling hienieden machen, noch
das Bewußtsein in dir erwecken kann, daß du in dem
Himmel daheim bist. Sich zurückzuziehen von der Welt
vermittelst einer genauen Beobachtung religiöser Pflichten,
oder sich von ihr zu trennen durch den Glauben, sind
zwei unendlich verschiedene Dinge, obwohl sie ost mit
einander vermengt werden mögen. Der Einsiedler und
der Mönch nehmen die Welt mit sich in die einsamste
Klause und in die engste Zelle.
Das große Geheimnis und die praktische Kraft des
wahren Christentums, einer himmlischen Gesinnung, einer
wahren Fremdlingschaft in dieser Welt, ist daher die glückselige Gemeinschaft mit einem himmlischen Christus. Er
bleibt von der Welt getrennt, so lange die Berufung und
Sammlung der Kirche vor sich geht, und deshalb sollten
auch alle Christen, im Blick auf ihre Gesinnung und ihre
Wege, von der Welt getrennt bleiben. Sie sind berufen,
mit Ihm in den Himmeln eins zu sein und als Zeugen
für Ihn durch diese Welt zu wandeln. Aber ach! wie
viele Christen schenken dieser Wahrheit von unsrer innigen
Verbindung mit Christo wenig oder gar keine Beachtung!
Wie viele entziehen sich der ernsten Bedeutung der Worte
des Apostels: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt seid, so suchet, was droben ist, wo der Christus ist,
sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das, was droben
ist, nichftauf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid
180
gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus
in Gott." (Kol. 3, 1—3.) Und indem jene Christen
mit Willen diese ernsten Wahrheiten vernachlässigen, kommen sie mehr und mehr in eine falsche Stellung hinein,
werden weltlich und sind untreue, falsche Zeugen für
Christum, sowohl in der Welt, als in der Kirche. Nichts
vermag den Gläubigen vor aller Art von Weltförmigkeit
zu bewahren, als allein die durch den Glauben genossene
Kraft eines auserstandenen Christus. Wenn nun das
Maß unsers Genusses eines himmlischen Christus auch
das Maß unsrer Trennung von der Welt ist, so können
wir leicht ermessen, worin die erschreckende Weltförmigkeit,
welche sich bei so vielen Christen unsrer Tage findet, ihren
Grund hat.
Doch man möchte hierauf erwidern: „Wie ist es
aber möglich, stets auf das zu sinnen, was droben ist,
wenn man den ganzen Tag hindurch mit den Beschäftigungen dieses Lebens überladen ist?" — ES ist unmöglich, so lange das Herz nicht allein für Christum schlägt.
Dazu bedarf es eines ungeteilten Herzens. Der Herr
selbst sagt: „Kein Hausknecht kann zwei Herren dienen;
denn entweder wird er den einen hassen und den andern
lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern
verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon." (Luk. 16, 13.) Das ist ein ernstes Wort, das
die Seele auf die Probe stellt; aber seine Bedeutung ist
klar: kein Herz kann wahr und aufrichtig sein, wenn seine
Zuneigungen geteilt sind. Christus beansprucht ein ungeteiltes Herz. „Gieb mir, mein Sohn, dein Herz."
Die einzig richtige Frage ist daher: Wer und was ist
mein Gegenstand, der Zweck meines Lebens ? Es handelt
181
sich nicht darum, welcher Art meine Beschäftigung ist, noch
was ich thue, sondern darum, was der leitende Gegenstand ist, der vor meiner Seele steht. Der Christ hat unaufhörlich die göttliche Kunst zu studiren, durch alle seine
irdischen Wichen mit einfältigem, abhängigem Herzen
hindurchzugehen und sie zu ebensovielen Gelegenheiten des
Dienstes für seinen Herrn zu machen. Was er nicht von
ganzem Herzen als einen Dienst für seinen Herrn thun
kann, sollte er beiseite lassen. Sicher ist in allem diesem
göttliche Gnade und Weisheit nötig, aber Gott ist bereit,
einem jeden Weisheit zu geben, der Ihn darum bittet.
Der Pfad ist schmal, und nur ein einfältiges Auge kann
ihn stets erkennen. Aber die Seele, welche ihn mit Treue
und Einfalt wandelt, wird reichen Segen auf ihm ernten.
Der Pfad des Christen durch diese Welt ist auf
allen Seiten von so vielen Gefahren umgeben, daß ein 
richtiges Bewußtsein von seiner eignen Schwachheit und
großen Verantwortlichkeit Furcht und Zittern in dem
Gläubigen Hervorrufen wird. Und zwar mit Recht. Aber
diese Furcht wird ihn nicht zur Verzweiflung treiben,
sondern ihn dahin führen, sein Vertrauen auf den lebendigen Gott zu setzen. Wo das Bewußtsein der eignen
Schwäche und Verantwortlichkeit wenig vorhanden ist, da
kann man auch wenig auf Beständigkeit und Festigkeit
im Zeugnis und Wandel rechnen. Begehrlichkeit, Stolz,
eigne Ehre, Selbstbefriedigung und die Sucht nach fleischlicher Bequemlichkeit sind einige von den Schlingen,
welche den Pfad weltlichen Wohlergehens umgeben. Und
der Feind, der unsre Neigungen kennt, weiß diese Schlingen sehr wohl zu erhalten und zu befestigen. Man findet
daher nicht selten Personen, welche eifrige Gegner eitler
182
Prunksucht und der Befriedigung der Begehrlichkeiten des
Fleisches sind, die aber in der Schlinge der Habsucht
gefangen liegen und dies noch unter dem Vorwande der
Genügsamkeit oder gar der Demut zu verbergen suchen.
Auch äußere Not und Schwierigkeiten haben ihre Schlingen. Sehr oft findet man bei Christen, denen es äußerlich nicht gut geht, Murren, Unzufriedenheit, Neid und
Bitterkeit. Doch wir verweilen nicht länger bei diesen
traurigen Erscheinungen. Lieber wollen wir uns mit dem
Heilmittel beschäftigen, durch welches wir vor allen Liften
des Feindes bewahrt werden können. Und dieses Heilmittel
besteht, wie wir schon oben angedeutet haben, in der persönlichen Gemeinschaft mit Christo Jesu, unserm Herrn.
Diese Gemeinschaft mit dem Sohne, der zur Rechten des
Vaters sitzt, vermag allein die Seele in den mannigfaltigen
Gefahren des äußeren Wohlergehens oder der äußeren
Not zu bewahren und sie über sich selbst, über die Welt
und über alle die anziehenden Dinge dieser Erde zu erheben.
Der Herr wolle uns in Seiner großen Gnade alle
diese Lektionen des Glaubens lehren und uns befähigen,
die gesegnete Wirkung des Genusses Seiner Gegenwart
inmitten der Prüfungen und Beschwerden dieser Welt
zu offenbaren i
(Schluß folgt.)

Der Thron Gottes und seine Wirkungen.
(Jes. 6; Offbg. 20, 11—15.)
In den beiden oben angeführten Schriftabschnitten,
Jes. 6 und Offbg. 20, 11—15, finden wir den Thron
Gottes, aber in Verbindung mit demselben völlig verschiedene begleitende Nebenumstände, und die Frage, welche ich
183
an den Leser dieser Zeilen richten möchte, ist diese: Mit
welchen der den Thron Gottes in beiden Fällen begleitenden Umstände glaubst du es zu thun zu haben? Ein jeder
Mensch muß einmal vor diesem Throne erscheinen, er mag
wollen oder nicht.
Jn Jesaia 6 wird die moralische Wirkung, welche
der Thron Gottes auf die Seele des Menschen in der
Gegenwart ausübt, vor unsre Augen gestellt, während es
sich in Offbg. 20 nicht um diese gegenwärtige, moralische
Wirkung, sondern um die ewige Wirkung dieses Thrones
in Gericht und Verdammnis handelt. Der Gegensatz
zwischen beiden Schriftstellen könnte nicht auffallender sein.
Zwar ist es in beiden Fällen derselbe Thron, und dieselbe
Person sitzt auf dem Throne. Auch finden wir beide Male
Feuer, und das Feuer ist, wie wir wissen, stets der Ausdruck des Gerichts; aber in Jesaia brennt das Feuer auf
dem Altar, ein schönes Vorbild von dem Herrn Jesu auf
dem Kreuze, während es in der Offenbarung keinen Altar
Hiebt; vielmehr ist es hier der See, der mit Feuer und
Schwefel brennt, der schreckliche Aufenthaltsort aller derer,
die in ihrem unbußfertigen Zustande gestorben sind.
Wie schon gesagt, muß ein jeder Mensch einmal
vor diesem Throne Gottes erscheinen, und zwar entweder 
in der Gegenwart, oder dereinst an dem großen Tage des
letzten Gerichts. Entweder wird er jetzt durch die Heiligkeit, welche den Thron umgiebt, zu dem Altar getrieben
und findet dort, daßdas Feuer bereits eineu Andern,
und zwar ein reineL Lrckenloses Opfer, an,ffeiiiLr..Statt
verzehrtH^oder er wird einst aus dem Munde Dessen,
der auf dem Throne sitzt, das niederschmetternde Urteil
vernehmen müssen: „Gehe hin in das Feuer, das bereitet
184
ist dem Teufel und seinen Engeln" — in die ewige Pein,
„wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt."
Entweder nehme ich jetzt als ein schuldiger, bußfertiger
Sünder zu dem Kreuze meine Zuflucht, oder ich werde
dereinst als ein unbußfertiger Sünder meinen Platz finden
in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt. In
Jesaia 6 wird der Sünder durch die Heiligkeit Gottes
dahin gebracht, zu erkennen, was er als ein Sünder jetzt
ist, während er noch Heil und Rettung finden kann; in
Offenbg. 20 wird ihm gezeigt, was er ist, wenn es zu
spät ist, um durch das Blut Christi gerettet und durch
den Arm Gottes vor allem Gericht in Sicherheit gebracht
zu werden.
Offenbg. 20 ist gleichsam der dunkle Hintergrund
vM. Hestua .6, und so findet auch die frohe Botschaft von
der Liebe und Gnade Gottes ihren dunklen Hintergrund
in dem ewigen und gerechten Gerichte Gottes. Kein
Evangelist darf diesen ernsten Teil seiner Predigt auslassen. Wir wissen, wer den Thron in Jesaia 6 einnahm: es war der Herr Jesus selbst, wie uns Joh. 12,
41 lehrt: „Dies sprach Jesaias, als Er Seine Herrlichkeit sah und von Ihm redete." Und wer ist es, der auf
dem"Thröne"m Offbg. 20 sitzt? Es ist ebenfalls der L>err
Jesus. In dem letzteren Kapitel werden wir durch den
Geist Gottes zu dem Ende der Zeiten, zu dem Augenblick geleitet, wo Gott endgültig das Los des Menschen
entscheidet. Nur die gestorbenen Gottlosen stehen vor
dem Throne. Die Gläubigen, das Volk deS Herrn, sind
ausgenommen in die Herrlichkeit, um für alle Zeit bet
Christo zu sein. Von dem ersten Menschen 'an, welcher
der göttlichen Errettung teilhaftig geworden ist, bis zu
185
dem letzten, der vor dem großen Endgericht .bekehrt werden wird, sind alle ausgenommen in die Herrlichkeit, um
mit ihrem Herrn und Heiland in Ewigkeit zu leben. Das
Gericht der Lebendigen finden wir in Matth. 25, 31 — 46
bei der Erscheinung des Sohnes des Menschen, um sein
Reich auf dieser Erde in Herrlichkeit aufzurichten. Vor
dem „großen, weißen Throne" stehen nur die Toten, von
Kain an bis zu dem letzten, der in seinen Sünden sterben wird.
Doch vielleicht wird einer oder der andere meiner
Leser fragen: Ist es nicht Gott, der das Gericht ausführen wird? Allerdings, aber Jesus ist Gott. „Der
Vater richtet niemanden, sondern das ganze Gericht hat
Er dem Sohne gegeben." (Joh. 5, 22.) Der Mensch
hat Christum verworfen und Ihm den niedrigsten Platz
zwischen Räubern und Mördern gegeben; Gott hat Ihn
hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über
jeden Namen ist. Der Mensch verachtet den Herrn Jesum;
Gott hat Ihn mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Derselbe Jesus, den der Mensch gekreuzigt hat, ist „von Gotr
verordnet zum Richter der Lebendigen und der Toten."
(Phil. 2; Hebr. 2; Apstgsch. 10.) Die Gläubigen werden auf den mächtigen Ruf des Herrn ihre Gräber verlassen und hervorkommen zur „Auferstehung des Lebens,"
die Ungläubigen werden auferweckt werden zur „Auferstehung des Gerichts." (Joh. 5, 29.) Wenn ein Gläubiger entschläft, so wird der Herr, wenn Er kommt, ihn
auferwecken und ihn in die Wohnungen des Vaterhauses
einführen; aber wenn du in deinen Sünden stirbst, sowirst du in deinem Grabe zurückbleiben, bis die tausend
Jahre irdischer Segnung und Herrlichkeit vorüber sind
und der große, weiße Thron aufgerichtet wird; und dann
186
wirst du dieselbe Stimme, welche du hienieden so oft gehört, aber immer wieder verworfen hast, hören müssen,
und diese Stimme wird dich aus deinem Grabe Hervorrufen, und du wirst mit allen deinen Sünden stehen vor
dem Gott, dessen Augen sind wie Feuerflammen, der
Herzen und Nieren prüft. Dann wirst du Ihn ansehen
und anhören müssen, denn du kannst nicht entfliehen;
kein Zufluchtsort ist da, um dich zu verbergen vor dem
Angesicht Dessen, der auf dem Throne sitzt. Jetzt magst
du vielleicht vor Ihm fliehen und deine Ohren vor Seiner
ernsten, warnenden Stimme verstopfen— dann wirst du
gezwungen sein, Ihn anzuschauen und Seine Worte zu
hören. Und wenn dann die Bücher aufgethan werden
und auch das Buch deiner Geschichte geöffnet wird, so
wirst du alles das wiederfinden, waS du so gern vergessen möchtest und auch vielleicht vergessen hast — alle
die unzähligen dunklen Punkte in deinem Leben, die unnützen Worte, die unreinen Gedanken, die bösen Werke.
Du möchtest nicht, daß heute dein ganzes Leben vor Aller
Augen blos daliegen möchte, dann aber wird es blos und
aufgedeckt sein vor den Augen eines heiligen Gottes, angesichts der ernsten Wirklichkeiten der Ewigkeit.
Hervorgerufen aus dem Grabe, str—welchem- du- geschlummert. hast, mußt du Gott begegnen, als ein unbekehrter Sünder in deinen Sünden. Was könntest, was
dürftest du Ihm sagen? Die Bücher werden aufgethan
und die Toten gerichtet nach dem, was in den Büchern
geschrieben steht. Meinst du, Gott dann sagen zu können:
„Ich hatte eine böse, verderbte Natur; ich konnte den
Versuchungen, die von Innen und Außen an mich herantraten, nicht widerstehen; ich hatte keine Zeit und Gele­
187
genheit, mich zu Dir zu wenden?" O nein, mein Freunds
du wirst nicht wagen, deinen Mund aufzuthun; du
wirst aus taufend nicht eins antworten können; jede
Zunge wird dann verstummen, und du wirst dich allein
anklagen müssen.
Das Buch des Lebens wird vergeblich nach deinem
Namen durchsucht werden. Der Name des schwächsten
Gläubigen ist in dieses Buch eingeschrieben; der Name
eines jeden, der zu Christo gekommen ist, findet sich sorgfältig in dasselbe eingetragen, aber der deinige wird nicht
darin gefunden werden, weil du nie zu Christo gekommen
bist, nie in Wahrheit an Ihn geglaubt hast, nie zu Ihm
deine Zuflucht genommen, noch vor dem Throne Gottes
gezittert hast. Du bist vorangegangen in Unglauben und
Sorglosigkeit, und deine Geschichte findet sich ausgezeichnet
in den Büchern des Gerichts, die Geschichte eines sorglosen, gleichgültigen Sünders, der ohne Christum bis
zu seinem Ende dahiugegangen ist. Vielleicht reden die
Bücher auch von augenblicklichen Eindrücken; doch von
welchem Nutzen sind diese, wenn du nicht zu Christo deine
Zuflucht genommen hast? Ach! was werden deine Gefühle
sein, mein lieber unbekehrter Leser, wenn die Bücher geöffnet werden und es von dir heißen wird: „Gelebt für
sich selbst und gestorben ohne Christum?"
In jenem Augenblick giebt das Meer die Toten wieder, die in ihm sind, und der Tod — der Zustand, in
welchem sich dein Körper befand — sowie der Hades —
der Zustand oder der Ort, wo dein von dem Körper getrennter Geist weilte — geben ihre Toten zurück, sie entleeren sich und bringen ihren Inhalt in die Gegenwart
Gottes. Der Tod ist zu nichte gemacht, indem alle die
188
gottlosen Toten wieder ins Leben gerufen werden, um
Gott zu begegnen.
Und jetzt frage ich dich: Möchtest du nicht lieber
heute Gott begegnen, so lange die Zeit der Gnade noch
währt? Du weißt wohl, daß es keine Verbindung zwischen
dir und Gott giebt, wenn es Ihm heute gefiele, deine
Seele von dir zu fordern. Vielleicht hast du nicht schlechter
gelebt, als viele andere, vielleicht ist dein Wandel ein
äußerlich ehrbarer gewesen, aber noch nie haben dich deine
Sünden wirklich beunruhigt, noch nie haben sie dich zu
Christo getrieben. Und deshalb, wenn du so vorangehst,
so wird das Ende sein, daß deine Sünden für ewig auf
dir lasten und du mit denselben deinen Platz in dem
Feuersee finden wirst. Zitterst du nicht bei dem Gedanken an die Möglichkeit, zu der Zahl derer zu gehören,
welche vor dem großen, weißen Throne stehen werden?
Bedenke wohl, daß es nicht nur eine Möglichkeit oder
Wahrscheinlichkeit, sondern daß es eine unumstößliche Gewißheit ist, daß du dort stehen mußt, wenn du dich nicht
bekehrst und zu Gott kommst. Die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes können nicht anders, als dich dahin
senden, wo alle die Verächter Seiner Gnade ihr Teil
finden werden.
Doch Gott sei Dank! wir find noch nicht zu dem
Augenblick gekommen, von welchem Offenbg. 20 redet.
In Jesaia 6 finden wir, wenn ich so sagen darf, die
Zeit der Gnade und des Evangeliums. Dieses Kapitel
sagt uns, was Gott für eine bekümmerte Seele ist, für
einen Menschen, der, in die Gegenwart Gottes gebracht,
seinen verlornen Zustand erkennt. Ein jeder wahre
Gläubige weiß von einem Augenblick in seinem Leben zu
189
erzählen, wo seine Augen gleichsam den Herrn gesehen haben.
Weißt du von einem solchen Augenblick, mein Leser? Ich
frage nicht, ob du von einem Augenblick weißt, wo du die
frohe Botschaft von der Liebe Gottes gehört hast, oder wo
dich Seine Gnade gerührt und bewegt hat. Ohne Zweifel
wirft du von einem, vielleicht auch von vielen solcher
Augenblicke reden können; aber ich frage dich: Hat es
einmal eine Zeit gegeben, wo du den Herrn und dich
selbst in Seiner heiligen Gegenwart gesehen hast ?
Der Prophet Jesaia kam in die Gegenwart Gottes.
O, möchtest du auch heute noch dahin kommen! Vielleicht
sagst du: Ich erzittere bei dem Gedanken, vor einen gerechten und heiligen Gott hinzutreten. Du hast alle Ursache dazu, und doch wirst du nicht mehr zittern, wenn
du kennen lernst, was diese Herrlichkeit und dieses Licht
dir zu zeigen vermögen; denn bevor ich in die Gegenwart
Gottes komme, weiß ich nicht, was der Altar in der
Nähe des Thrones bedeutet und lehrt. Jesaia war gerade
so unrein und verderbt, bevor er in die Gegenwart Gottes
kam, als nachher, aber er erblickte sich selbst in dieser
Gegenwart, er sah, was er war, zugleich aber auch, mit
welch einem liebevollen und gnädigen Heiland er eS zu
thun hatte.
Die Seraphim rufen: „Heilig! heilig! heilig!" und
bedecken ihre Angesichter, als wenn sie sagen wollten: Wir
dürfen Gott nicht anschauen. Auch bedecken sie ihre Füße,
wahrscheinlich um dadurch auszudrücken: Wir dürfen Ihn
unsern Wandel nicht sehen lassen, so heilig ist Er. Sie
lehren uns: Gott ist heilig, Er blickt bis in das Herz
hinein und deckt das Innerste der Seele auf. Welch eine
Sprache für einen unheiligen Sünder! Welch ein Augen­
190
blick der Verzweiflung für einen unreinen, sündenbedeckten
Menschen, wenn er die Bedeutung der Worte jener wunderbaren, herrlichen Wesen verstehen lernt und sich in die
Gegenwart des dreimal heiligen Gottes gestellt sieht!
Nichts läßt sich mit diesem Augenblick vergleichen. Nur
der kennt den Ernst desselben, welcher sich wirklich einmal
in der Gegenwart Gottes gesehen und entdeckt hat, daß
Gott heilig, er selbst aber unheilig, unrein, voll von Sünden
und Uebertretungen ist.
Welch eine Wirkung übte diese Gegenwart auf den
Propheten, diesen treuen Mann Gottes, aus? „Wehe mir!"
ruft er aus, „denn ich vergehe." Das ist der einzig
passende Ausruf für einen Sünder, der in das Licht
Gottes kommt. Hast du auch schon einmal so gerufen,
mein Leser? Du bist in der That heute so unpassend für
die Gegenwart Gottes, als du es sein würdest, wenn du,
was Gott verhüten wolle, dereinst vor dem großen, weißen
Throne stehen müßtest. Was würdest du dort sein? Ein
Sünder in seinen Sünden! Was bist du heute? Nichts
anders als das: ein Sünder in seinen.Sünden! Der einzige
Unterschied ist, daß dann jede Hoffnung verschwunden wäre,
je etwas anders sein zu können, während du jetzt noch
die Gelegenheit hast, zu Christo zu kommen und durch Ihn
errettet zu werden. Ist je dieses WortAber deine Lippen
gekommen: „Wehe mir!"? Ist es nicht'weit besser zu sagen:
„Wehe mir!" als aus dem Munde des Herrn ein: „Wehe
dir!" zu vernehmen? Ist eS nicht besser, das Wehe gleichsam aus dem Munde des Herrn wegzunehmen?
Doch was hören wir weiter in unserin Kapitel? Nachdem der Thron Gottes seine Wirkung auf die Seele des
Propheten ausgeübt und er in der tiefsten Not ausgerufen
191
hat: „Wehe mir, denn ich vergehe, denn ich bin ein Mann
unreiner Lippen, und inmitten eines Volkes unreiner
Lippen wohne ich!" lesen wir: „Und einer der Seraphim
flog zu mir und hatte in seiner Hand eine glühende Kohle."
Sobald der Prophet sich erkannt hat in dem Lichte der
Herrlichkeit Gottes, sind es gerade jene heiligen Wesen,
deren Ruf ihn zittern machte, die bemüht sind, ihm mit
Eile die Gnade des Herrn zu zeigen. Einer der Seraphim
fliegt zu ihm hin. Gott ist langsam zum Zorn, aber
schnell bereit, zu erretten und Seine Gnade zu beweisen.
Sobald das Licht des Thrones seine Wirkung gethan hat,
lenkt Gott die Blicke des Propheten auf den Altar. Der
Thron Gottes kann einen Sünder nur zittern machen, aber
das Kreuz Jesu kann ihn erretten. Der Thron kann ihn
nur beunruhigen, der Altar aber beruhigt ihn, denn er
sagt ihm, daß ein Opfer gebracht ist, um den Forderungen
der göttlichen Heiligkeit zu begegnen. Derselbe, der einst
auf dem großen, weißen Throne sitzen wird, um ein gerechtes Gericht auszuüben, ist ein Opfer für mich geworden
und ist am Stamme des Kreuzes für mich und für meine 
Sünden gestorben.
Ein Blick auf den Thron muß mich zittern machen,
aber ein Blick auf das Kreuz giebt mir vollkommene,
selige Ruhe. „Komme her zu mir!" ruft der Heiland
einem jeden zu, der unter der Last seiner Sünden seufzt,
„i ch will dir Ruhe geben." Glaubst du, daß noch etwas
für dich zu thun übrig geblieben ist, nachdem der Herr
selbst auf dem Kreuze ausgerufen hat: „Es ist vollbracht!"?
Er hat das Gericht für unsre Sünden getragen, damit
wir in und mit Ihm für ewig gesegnet sein sollten.
Die gerechten Forderungen des Thrones Gottes sind von
192
Christo aus dem Kreuze in vollkommener Gnade erfüllt
worden, das Feuer auf dem Altar hat das Opfer verzehrt, und jetzt, nachdem die Frage meiner Sünde geordnet ist, empfange ich von Gott selbst die Versicherung,
daß Er meiner Sünden und Uebertretungen nie mehr gedenken will. „Und er berührte damit (mit der Kohle)
meinen Mund und sprach: Siehe, diese hat deine Lippen
berührt, also ist deine Ungerechtigkeit gewichen und deine
Sünde versöhnt." So sprach der Seraph einst zu dem
zitternden Propheten, und so sagr mir das Wort Gottes
heute, daß durch den Tod und das Opfer eines Andern,
durch das Versöhnungswerk meines gepriesenen Herrn und
Heilandes, meine Ungerechtigkeit gewichen und meine Sünde
versöhnt ist.
Blicke deshalb, bekümmerte Seele, im Vertrauen zu
Gott empor und schaue Seinen Thron an. Du wirst
auf demselben den Sohn des Menschen erblicken, der für
den Sünder am Kreuze starb; und weil Er sich heute
auf dem Throne befindet, so kannst du die Gewißheit erhalten, daß deine Sünden hinweggethan sind ; und was
ist das Resultat? Du bist frei gemacht, hinzugeheu und
dem Herrn zu dienen. „Wen soll ich senden, und wer
wird für uns hingehen?" so fragt der Herr, und die
Antwort des Propheten lautet: „Hier bin ich, sende mich."
Welch eine schöne Zukunft erwartet den, der sich
dem Herrn übergeben und Vergebung seiner Sünden empfangen hat. Seine Ungerechtigkeit ist getilgt und seine
Sünde versöhnt durch das Blut Jesu, und jetzt antwortet
sein Herz auf die Frage Gottes: „Wer wird für uns
hingehend" mit Dankbarkeit und Freude: „Hier bin ich,
sende mich!" Von der Herrschaft der Sünde und der
193
Macht Satans befreit, ist er imstande, in den Wegen des
Herrn zu wandeln und Seinen wohlgefälligen Willen zu
thun. Er hat das große Vorrecht, seine Glieder, die er
bis dahin im Dienste der Sünde gebraucht hat, Gott
darzustellen zu Werkzeugen der Gerechtigkeit. Sein Ohr
ist geöffnet, um die Stimme des Herrn zu vernehmen,
und seine Zunge ist fähig gemacht, die großen Thaten des
Herrn zu verkündigen und Sein Lob zu besingen. Und
nachdem er seinen Dienst hienieden erfüllt hat, kehrt er
heim in das Haus des Vaters und geht ein in die Freude
seines Herrn. Ja, er kann jeden Tag seinen geliebten
Herrn aus den Himmeln erwarten; denn Er hat verheißen, wiederzukommen und alle die Seinen zu sich zu
nehmen, damit sie für ewig da seien, wo Er ist, in der
Herrlichkeit des Vaters. Er wird ihren Leib der Niedrigkeit umgestalten zu der Gleichförmigkeit des Leibes
Seiner Herrlichkeit, damit sie fähig seien, mit Ihm alles
zu besitzen und zu genießen, was Er für sie erworben hat.
Nicht wahr, das ist eine gesegnete Zukunft? Möchtest
du, wenn du noch nicht daran teil hast, nicht heute noch
zu Jesu eilen? Der Thron Gottes ist dir heute mit seinen
doppelten Wirkungen vorgestellt worden; entweder muß er
dich jetzt zu Christo treiben zu deinem ewigen Heil und
Frieden, oder er muß dich dereinst in den Feuersee senden
zu ewiger Verdammnis und nie endender Pein. Welches
von beiden: willst du erwählen? Wünschest du, daß das
Erstere mit dir der Fall sein möge, so entscheide dich heute
noch für Christum, gieb dich Ihm in diesem Augenblick
zu eigen und gehe hin und diene Ihm mit einem glücklichen, dankbaren Herzen, bis Er kommt!
Und du, mein lieber Leser, der du den Herrn schon.
194
kennst und Seine errettende und erlösende Gnade an deinem
Herzen erfahren hast, vergiß nie, welch große Dinge der
Herr an dir gethan hat! Möchtest auch du mit dem Apostel
Paulus sagen können: „Das Leben für mich ist Christus!"
O, es ist der Mühe wert, hienieden gelassen zu sein, um
die Tage, die uns der Herr giebt, in Seinem Dienste
und zur Verherrlichung Seines Namens zu verbringen.
Jeder Tag, für Ihn gelebt, ist für die Ewigkeit gewonnen ; er wird sich droben wiederfinden und seinen Lohn
nicht verlieren. Jede Stunde aber, im Dienste der Natur
oder gar der Sünde verbracht, ist für ewig verloren und dient
zur Verunehrung unsers geliebten Herrn und Heilandes
und zur Hinderung Seines Werkes auf dieser Erde.
Welch ein ernster Gedanke! Möchte der Heilige Geist ihn
sowohl dem Leser, wie dem Schreiber dieser Zeilen tief
ins Herz einprägen, damit wir die Zeit unsers Lebens
hienieden mit aller Treue und allem Fleiße auSkaufen!
Der Herr gebe es in Seiner reichen Gnade!
Die Liebe Gottes.
(1. Joh. 4, 7-19.)
Gott ist „Licht" und „Liebe." Das sind die beiden
Seiten Seiner Natur. Es sind nicht bloße Eigenschaften
Gottes, sondern sie machen Sein Wesen, Seine Natur
aus. Deshalb, wer aus Ihm geboren ist, muß derselben
Natur teilhaftig geworden sein. Er ist „ein Licht im
Herrn," und er „liebt." „Ein jeglicher, der liebt, ist
nus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, hat
Gott nicht gekannt." (V. 7. 8.)
Der Apostel Johannes stellt uns die Liebe Gottes,
wie sie sich in Verbindung mit uns entfaltet hat, von
drei verschiedenen Gesichtspunkten aus vor. Zunächst redet
er von der Offenbarung dieser Liebe „zu uns," (V. 9.10.)
dann von ihrer Vollendung „in uns," (V. 12.) und
endlich von ihrer Vollendung „mit uns." (V. 17.)
195
Wann hat sich diese Liebe Gottes zu oder gegen
uns geoffenbart? — Als wir noch Sünder und Feinde
waren. Und wie hat sie sich geoffenbart? — Indem sie
den eingebornen Sohn für uns dahingab. Das ist in
der That wahre, göttliche Liebe, die das Teuerste für
ihre Feinde aufopfert. Und zwar hatte diese Dahingabe
des Eingebornen einen doppelten Zweck. Zunächst hat
Gott Ihn in die Welt gesandt, auf daß wir durch Ihn
leben möchten. Wir waren im Tode, und um mit Gott
in Verbindung zu kommen, mußten wir Leben haben.
Doch das war noch nicht alles. Wir waren auch bedeckt
mit unzähligen Sünden und Uebertretungen, und diese
mußten hinweggethan werden, sollten wir anders in der
Gegenwart eines heiligen Gottes glücklich sein. Und so
hat Gott Seine Liebe zu uns darin erwiesen, daß Er
Seinen Sohn in die Welt sandte, „als eine Sühnung
für unsre Sünden."
So hat die Liebe Gottes an uns gedacht und uns
besucht, als wir noch Feinde und verdammungswürdige
Sünder waren. Aber sie hat auch für uns gesorgt,
während wir durch eine feindselige Welt gehen. Sie ist
„ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist,
welcher uns gegeben ist;" (Röm. 5, 5.) sie ist uns in
ihrer ganzen Fülle und Vollkommenheit geschenkt, so daß
wir sie genießen und, weil sie in unsre Herzen gesenkt
ist, auch ausstrahlen lassen können inmitten der Versuchungen und Schwierigkeiten dieser armen Wüste. Und
gerade diese Thatsache, daß wir fähig gemacht sind, zu 
lieben, wird von dem Apostel als Beweis angeführt, daß
sie „in uns vollendet" ist. Je mehr wir die Liebe
Gottes genießen, desto mehr werden wir sie gegen unsre
Brüder offenbaren, und wiederum, je mehr wir einander
in Wahrheit lieben, desto mehr beweisen wir, daß die 
Liebe Gottes in uns vollendet ist. Zugleich sind wir
als solche, in deren Herzen die Liebe Gottes ausgegossen
ist, berufen, Gott selbst in dieser Welt zu offenbaren.
196
«Einst war eS der Sohn, der den Vater hienieden kund
machte; jetzt haben wir die hohe Berufung, den Gott,
den niemand jemals gesehen hat, in unsrer Gesinnung,
in Wort und Wandel zu offenbaren. Wir sind berufen,
„die Tugenden Dessen zu verkündigen, der uns aus der
Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht berufen hat."
(1. Petr. 2, 9.) Welch eine Berufung!
Richten wir jetzt unsern Blick auf das Ende unsers
Pfades, so entdecken wir wiederum die Liebe Gottes.
Sie ist mit uns, oder in bezug auf uns vollendet worden, so daß wir Freimütigkeit haben am Tage des Gerichts, indem sie uns Ihm, unserm Herrn und Heilande,
völlig gleich gemacht hat. Wenn es wahr ist — und Gott
selbst versichert es mir — daß ich jetzt schon, in dieser
Welt, Ihm gleich bin, — „wie Er ist," — dann habe ich
keine Ursache mehr, irgendwie besorgt zu sein bei dem Gedanken an den Augenblick meines Offenbarwerdens vor dem
Richterstuhl Christi. Wie könnte mich der Richter verurteilen, wenn ich Ihm gleich bin? Wahrlich, das Bewußtsein,
so vollkommen von Gott geliebt zu sein, daß Er mich Seinem
Geliebten gleich macht, verbannt jede Furcht aus meinem
Herzen. „Die vollkommene Liebe" — d. h. nicht meine
Liebe zu Gott, denn diese ist nie vollkommen, sondern
die Liebe Gottes zu mir — „treibt die Furcht aus,
denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist 
nicht vollendet in der Liebe," (V. 18.) d. h. er erkennt
und genießt nicht völlig diese Liebe.
O wie anbetungswürdig ist die Liebe Gottes! Wie
hat sie an uns gedacht und für uns gesorgt in der Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft!
Möchten wir alle sie mehr genießen und mit dankbarem
Herzen Ihn wiederlieben, der uns zuerst geliebt Hal!

Die Berufung der Braut.
(1. Mos. 22—24.)
(Schluß.)
3. Die Sendung Eliesers.
Nachdem Elieser, der Verwalter des Hauses Abrahams,
seinem Herrn den verlangten Schwur geleistet hatte, machte
er sich auf und zog nach Mesopotamien, zu der Stadt Nahors. (V. 9.10.) Isaak verbleibt in seiner bisherigen Stellung der Absonderung; der Vater sendet den Knecht aus,
und dieser zieht hin, um eine Braut für den gleichsam
aus den Toten auferstandenen Erben zu suchen. Elieser
denkt nur an diese eine Sache; alle seine Gedanken sind
auf die Erfüllung seiner Sendung gerichtet, und nichts
vermag ihn von diesem einen Gegenstände abzulenken. Seine
Worte drehen sich nur um Abraham, seinen Sohn und
den Zweck seiner Reise. Und er sprach: „Ich bin Abrahams Knecht; und Jehova hat meinen Herrn sehr gesegnet, daß er groß geworden ist; und Er hat ihm gegeben
Schafe und Rinder und Silber und Gold und Knechte und
Mägde und Kameele und Esel. Und Sarah, das Weib
meines Herrn, hat meinem Herrn einen Sohn geboren in
ihrem Alter; und er hat ihm alles gegeben, was er hat."
(V. 34-36.)
Jn diesem allen haben wir ein schönes und treffendes Vorbild von der Sendung des Heiligen Geistes. Derselbe wurde auf diese Erde herabgesandt als Erfüllung
der Verheißung des Vaters, nachdem Christus gestorben,
wieder auferstanden und in die Herrlichkeit zurückgekehrt
war. Der Herr selbst sagte kurz vor Seinem Weggang
198
aus dieser Welt zu Seinen Jüngern: „Wenn aber der
Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater
senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater
ausgeht, so wird Er von mir zeugen." (Joh. 15, 26.)
Elieser suchte, wie wir in dem ganzen 24. Kapitel sehen,
das Herz Rebekkas dadurch zu gewinnen, daß er ihr von
dem Reichtum und dem Ansehen Abrahams, sowie von
Isaak, seinem Sohne, dem Erben all seines Besitzes erzählte ; und so sucht heute der Heilige Geist — sei es unmittelbar durch das Wort, sei es mittelbar durch die Boten,
die Er aussendet — Seelen für Christum zu gewinnen,
indem Er von den Dingen Christi nimmt und sie in ihrer
ganzen Schönheit und Köstlichkeit der Seele vor Augen
stellt. Er zeugt von Christo, als dem Heiland, dem Herrn,
dem Sohne Gottes und dem Erben aller Dinge, nach den 
Worten des Herrn: „Derselbe (der Heilige Geist) wird
mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird Er empfangen und euch verkündigen. Alles, was der Vater
hat, ist mein; darum sagte ich, daß Er es von
dem Meinen empfängt und euch verkündigen wird."
(Joh. 16, 14. 15.) Er entfaltet die Reichtümer Seiner
Liebe, versichert unsre Herzen, daß wir Seine Miterben
sind, und bildet so die Braut für den himmlischen Bräutigam nach den Ratschlüssen Gottes, des Vaters.
Wer jedoch von dem Herrn gebraucht zu werden
wünscht, als ein Bote Seiner Gnade Sünderherzen Ihm
zuzuführen, wird wohl thun, mit allem Fleiße das Verhalten des Knechtes Abrahams zu studiren und seinem
Beispiel zu folgen. Er ist in der That das getreue Bild
eines von dem Geiste erwählten und zubereiteten Werkzeuges,
eines Gefäßes, „geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu allem
199
guten Werke bereitet." (2. Tim. 2, 21.) Seine Sendung
ist bezeichnet durch ein unaufhörliches Erheben des Herzens
zu Gott in ernstem Gebet und Flehen mit Danksagung.
In dieser lieblichen Weise geht er Schritt für Schritt
voran, bis er von der Güte Gottes eine Antwort auf
sein Gebet empfängt, so wie Abraham es ihm vorhergesagt
hatte: „Jehova, der Gott des Himmels, der mich aus
dem Hause meines Vaters und aus dem Lande meiner
Verwandtschaft genommen, und der zu mir geredet und der
mir geschworen hat und gesagt: Deinem Samen will ich dieses
Land geben; der wird Seinen Engel senden vor
dir her, daß du meinem Sohne von dannen ein Weib
nehmest." (V. 7.) Wie schön und erhebend ist das völlige
Vertrauen Eliesers auf Gott, sowie die Art und Weise, 
wie er sich dem Werke, das ihm zu thun obliegt, widmet!
Und sobald der Zweck seiner Sendung erfüllt und das
Herz Rebekkas für Isaak gewonnen ist, erfüllt der Geist
des Lobes und der Anbetung das Herz des treuen Mannes.
Er weigert sich, mit der Familie Rebekkas zu essen oder
zu trinken, bis er ihre Gedanken in bezug auf den Zweck
seiner Reise kennt. Er denkt nicht an Ruhe und Bequemlichkeit, bis er eine entschiedene Antwort empfangen hat.
„Und es antworteten Laban und Bethuel und sprachen:
Von Jehova ist die Sache ausgegangen; wir können dir
nichts sagen, weder Böses noch Gutes. Siehe, Rebekka
ist vor dir, nimm sie und ziehe hin, und sie sei ein Weib
dem Sohne deines Herrn, wie Jehova geredet hat. Und
es geschah, als Abrahams Knecht ihre Worte hörte, da
bückte er sich zur Erde vor Jehova. Und der Knecht zog
hervor silberne Geräte und goldene Geräte und Kleider,
und er gab sie Rebekka; und Kostbarkeiten gab er ihrem
200
Bruder und ihrer Mutter. Und sie aßen und tranken, er
und die Männer, die bei ihm waren, und übernachteten.
Und des Morgens standen sie aus, und er sprach: Entlasset mich zu meinem Herrn!" (V. 50—54.)
Gleich seinem Herrn stand Elieser des Morgens frühe
auf, um seinen Auftrag so rasch wie möglich zu erfüllen.
Rebekka hatte sich willig gezeigt, das Weib Isaaks zu
werden, und so gab es für Elieser keinen Grund mehr,
noch einen Augenblick zu zögern. Sein ganzes Herz worauf die pünktliche Ausführung des ihm gewordenen Auftrages gerichtet. Auch schien demselben nichts mehr im
Wege zu stehen. Doch der Feind lag, wenn wir so sagen
dürfen, im Hinterhalt. Er sah, wie die Dinge sich entwickelten, und er bringt eine seiner wirksamsten Listen in
Anwendung, um den Knecht Abrahams zu täuschen und
die Braut in dem Lande ihrer Geburt zurückzuhalten. „Und
es sprach ihr Bruder und ihre Mutter: Laß doch die Dirne
einige Tage oder zehn bei uns bleiben, darnach magst du
ziehen." (V. 55.) Dieser Einwurf mochte sehr natürlich
und verständlich erscheinen, aber er war sicherlich nicht
durch den Geist Gottes hervorgerufen. Der vorgeschlagene
Aufschub war nicht nach den Gedanken Gottes, wie er es
in solchen Fällen nie ist. Ein bereitwilliger, gehorsamer
Geist ist eine von den köstlichen Früchten, welche stets
durch den Geist Gottes in der Seele hervorgebracht werden.
Eine unmittelbare, bedingungslose Uebergabe des Herzens
an Christum, nachdem man der frohen Botschaft von Ihm,
als dem Heilande der Sünder, geglaubt hat, läßt dem
Feinde keinen Raum zu wirken. „Jehova schelte dich,
Satan! Ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer
gerettet ist?" (Sach. 3, 2.) Das ist die Sprache Gottes
201
dem Feinde gegenüber, der auf den Gegenstand der göttlichen Gnade und Liebe noch Ansprüche erheben will. Satan
verschwindet vom Schauplatze, und die Seele ist mit Jesu
allein gelassen. Das Auge ruht auf Ihm, das Herz fließt
über von Seinem Lobe, und die Lippen wiederholen, vielleicht unter Freudenthränen, ein über das andere Mal:
„Ich weiß, daß Er für mich starb; ich weiß, daß Sein
kostbares Blut mich von allen meinen Sünden rein gewaschen hat. Ich kann mich Ihm jetzt völlig anvertrauen."
Ein solches Bekenntnis Christi ist der Triumph über jeden
Feind. „Denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Munde wird bekannt zum Heil."
(Röm. 10, 10.) Beides ist notwendig, beides ist von
Gott.
Eine solche Seele mag wenig Erkenntnis besitzen,
wie man zu sagen pflegt, aber sie hat etwas weit Besseres
gefunden, als bloße Erkenntnis; sie hat Jesum gefunden
— den Heiland selbst. Ein kalter, berechnender Unglaube mag
einwenden und sagen: „Aber steht nicht zu befürchten, daß
eine solche Seele wieder zurückgehe, wenn die erste Aufregung
vorüber ist, und Unehre auf den Namen des Herrn bringe ?"
So lange das Auge auf Christum gerichtet bleibt und
das Herz von Seinem Lobe überfließt, ist keine Gefahr
eines Rückganges vorhanden. Das Auge muß sich von
seinem himmlischen Gegenstand abgewandt haben und das
Herz kalt und träge geworden sein, ehe die Füße auf
einem verkehrten Wege wandeln können. Wo das Auge
einfältig ist, da wird der richtige Pfad erkannt und verfolgt.
Aber wenn anderseits der Feind eine Seele zagen
und zögern sieht, obwohl sie tiefe Eindrücke empfangen
202
haben und wirklich wünschen mag, mit Entschiedenheit für
Christum zu sein, so tritt er mit allerlei bösen Einflüsterungen
und Gedanken an sie heran und erfüllt sie mit Zweifeln und
Befürchtungen. Die Seele ist dann nicht geschützt durch
den Schild des Glaubens und den feurigen Pfeilen Satans
schutzlos preisgegeben. Nichts ist verderblicher für die 
Seelen oder entmutigender für den Evangelisten, als die 
Entschuldigungen und das Zögern und Aufschieben des
Unglaubens. Diese Entschuldigungen mögen durch die List
des Feindes zu Zeiten den Schein der Klugheit oder selbst
der Demut an sich tragen, aber sie sollten stets als die 
verderblichsten Schlingen Satans betrachtet und behandelt
werden. Wie oft hört man sagen, und nicht selten von
solchen, die sehr wohl wissen, daß sie unrecht thun: „Ich
möchte erst anders, besser werden, ehe ich mich völlig für
Christum entscheide und ein Bekenntnis ablege, da ich
sonst vielleicht später nicht standhaft bleiben und den Herrn
verunehren möchte, was viel schlimmer wäre, als wenn ich
mich nie zu Christo bekannt hätte." So reden Tausende
nnd bleiben da stehen, wo sie sind.
Solche Seelen sind vielleicht nicht gerade gleichgültig
in bezug auf die Ehre des Herrn, aber es fehlt ihnen
die Bereitwilligkeit, mit der Welt zu brechen in den mancherlei Beziehungen, in welchen sie mit ihr verbunden sind.
Sie erkennen die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Errettung der Seele an, der Gedanke an die Hölle erschreckt
sie, und sie geben zu, daß es höchst verkehrt und gefährlich
ist, eine Minute aufzuschieben; aber wenn sie dann dringend gebeten werden, sich in diesem Augenblick mit
allem Ernst zu Jesu zu wenden, sich jetzt für Christum
zu entscheiden und zu Ihm zu eilen mit einem aufrichtigen
203
Bekenntnis, so ist sogleich wieder eine andere Entschuldigung
gesunden. Nie sehlt es ihnen an Gründen, für den Augenblick noch zu bleiben, wo sie sind, und die Entscheidung
aus eine spätere, passendere Zeit hinauszuschieben. „Laß
doch die Dirne einige Tage oder zehn bei uns bleiben,
darnach magst du ziehen." Beachten wir wohl, daß der
Bruder und die Mutter Rebekkas diese nicht ganz und
gar zurückhalten wollen, zu Isaak zu gehen, sondern nur
für eine Zeit. Und gerade das ist die feine Schlinge,
welche Satan vor die Füße aller zu legen bemüht ist, die 
das Evangelium hören. Er flüstert der Seele zu: „Gewiß,
du mußt einmal zu Jesu gehen; aber nur heute noch
nicht. Warte noch einige Monate, noch einige Jahre, und
dann wende dich zu Ihm." Das Herz blutet bei dem
Gedanken au die vielen Tausende, welche hoffnungslos
verloren gegangen sind, dadurch, daß sie diesen listigen
Einflüsterungen Satans Gehör schenkten. Verhältnismäßig
klein ist die Zahl derer, welchen es durch die Gnade Gottes
gelingt, ihre Füße aus dieser Schlinge des Feindes wieder
zu befreien. Das Herz wird härter und härter und das
Ohr tauber und tauber, bis es endlich nichts mehr von
der warnenden Stimme Gottes vernimmt. Nicht umsonst
ruft der Herr denen zu, die Ihm zuhörten: „Gedenket
an Lots Weib!" Auch sie blieb auf halbem Wege stehen,
ihr Herz hing an den Dingen, die sie in Sodom zurückgelassen hatte; sie wandte sich dahin zurück, und — ward
zur Salzsäule. Welch ein ernstes, aber auch welch
ein treffendes Bild! Darum, mein lieber unbekehrter
Leser, wer du auch sein magst — schiebe die Errettung
deiner Seele nicht länger auf! Bleibe nicht auf halbem
Wege stehen! Bedenke wohl, daß die Zeit nicht stille steht, und
204
daß der Tod dir mit jedem Tage einen Schritt näher kommt!
Wie bald kann es auch für dich auf ewig zu spät sein!
Doch wir müssen diesen Gegenstand für jetzt verlassen und zu dem schönen Beispiel eines bestimmten und
entschlossenen Gehorsams zurückkehren, welches uns Elieser
giebt. Und er sprach zu ihnen: „Haltet mich nicht auf,
da Jehova Glück gegeben hat zu meinem Wege; entlasset
mich, und ich werde zu meinem Herrn ziehen." (V. 56.)
Er wollte keinen Augenblick länger aufschieben, nicht eine
Minute ein so wichtiges Werk verzögern. Da muß eine
Entschiedenheit des Herzens für Isaak vorhanden sein;
Isaak muß eine bestimmte Antwort haben: Ja oder nein.
Die List des Feindes zeigt sich jetzt darin, daß Laban
und Bethuel die Verantwortlichkeit von sich auf Rebekka
schieben. Vielleicht mochte ihre natürliche Furchtsamkeit,
die Liebe zu ihrer Heimat und die entmutigende Aussicht
aus eine lange, beschwerliche Wüstenreise sie zu einem 
Zögern veranlassen; wahrscheinlich würde sie wenigstens
einen kurzen Aufschub erbitten, um von ihren Verwandten
und Freundinnen Abschied nehmen zu können. So mögen
Laban und Bethuel gedacht haben. Aber nein; die Gnade
war durch den Glauben wirksam in dem Herzen Rebekkas;
sie brachte den Worten Eliesers volles Vertrauen entgegen,
ihre Gedanken waren mit Isaak beschäftigt, und so war
sie völlig bereit, eine bestimmte Antwort zu geben. Und
sie sprachen: „Lasset uns die Dirne rufen und ihren
Mund befragen. Und sie riefen Rebekka und sprachen zu
ihr: Willst du mit diesem Manne ziehen? Und sie antwortete: Ich will ziehen." (V. 57. 58.) Das schnitt
alle weitere Erörterungen und Fragen ab. Jede Schlinge
deS Feindes war jetzt durchbrochen und alle seine List
205
vereitelt. Der Glaube triumphirte. Der Entschluß des
Herzens war gefaßt; sie mußte zu Isaak hin und war
bereit, das Haus ihres Vaters zu verlassen und mit Elieser
durch die öde Wüste zu ziehen, um die Besitzungen Abrahams mit seinem Sohne Isaak zu teilen.
Stehen wir hier einen Augenblick still; denn es giebt
eine Unterweisung von höchstem Werte für uns zu lernen.
Wünschen wir, Erfolg zu haben in dem Gewinne verlorner Seelen für Christum? Ist dies wirklich das Begehren unsrer Herzen? Wundern wir uns über das unmittelbare Resultat der Sendung Eliesers? — Wir brauchen
uns nicht zu wundern. Folgen wir mit aller Treue und
Entschiedenheit seinem Beispiel, so werden wir sicherlich
auch in der einen oder andern Weise die gesegneten Erfolge unsrer Sendung sehen dürfen. Aber beachten wir
wohl den Geist des Gebets und der Danksagung, der ihn
beseelte! Vergessen wir auch nicht, welche Beweggründe
ihn leiteten! Er suchte nicht nur eine Braut für Isaak,
sondern er that auch den Willen seines Herrn. Nichts
konnte ihn veranlassen, einen Zollbreit von dem Worte
Abrahams abzuweichen. Das ist der beste aller Dienste —
mit aller Einfalt und Treue den Willen des Herrn zu thun.
Möchte doch auch unser Pfad mehr durch jenen Geist
des Gebets und der Danksagung gekennzeichnet sein, und
Möchten wir nie vergessen, was der Vorsatz des Vaters,
die Stellung des Sohnes, die Sendung des Geistes und
die Berufung der Braut ist!
4. Die Berufung und die Reise Rebekkas.
„Ich will ziehen" — das war, wie schon gesagt,
die entschlossene Antwort des Glaubens, die Antwort eines 
206
Herzens, das sich bereits unter dem mächtigen Eindruck
der Berufung Gottes befand. Obwohl Rebekka Weden
Isaak gesehen, noch auch die Reichtümer angeschaut hatte,
welche der Gott der Herrlichkeit dem Abraham in Kanaan
hatte zu teil werden lassen, so glaubte sie doch völlig dem
Bericht Eliesers und nahm die kostbaren Geräte und Kleider
als Unterpfänder des zu erwartenden Besitzes aus seinen
Händen entgegen. Laban mochte wohl auch ein Auge für
die goldnen und silbernen Kleinodien haben, die vor seinen
Blicken ausgebreitet wurden, aber Rebekka hatte ein Herz
für das ferne Land, in welchem ihr Verlobter weilte, unv
vor allem für diesen selbst, und dies machte sie willig,
ihr Vaterland, ihre Verwandten und das Haus ihres
Vaters zu verlassen. Nichts anders hätte sie befähigen
können, die Bande, welche der Natur sonst so teuer sind,
zu zerreißen. Und beachten wir wohl, daß es sich für sie
nicht nur um die Frage handelte: Willst du Isaaks Weib
werden und die Reichtümer Abrahams mit dem Sohne
der Verheißung teilen? sondern sie mußte sich auch entscheiden, ob sie das Erbe, das der Herr im Lande Kanaan
für sie bereitet hatte, demjenigen der Natur in Mesopotamien vorzog. Doch sie war keinen Augenblick im Zweifel.
Waren auch Elieser, Isaak und alle die Leute, unter
welchen sie fortan wohnen sollte, Fremde für sie, so ruhte
dennoch ihr Auge auf der Segnung Gottes und auf einem
Teile im Lande der Verheißung. Kostbarer Glaubet
Heimat, Verwandte und Umstände waren von keiner Bedeutung für sie, sobald sie den Worten Eliesers Glauben
geschenkt hatte.
So handelt der Glaube zu allen Zeiten und unter
allen Umständen; er gehorcht mit aller Einfalt und Bereit­
207
Willigkeit der Berufung Gottes. „Und Rebekka machte sich
auf und ihre Dirnen, und sie ritten auf den Kameelen
und folgten dem Manne; und der Knecht nahm Rebekka
und zog hin." (V. 61.) Ihre Reise durch die einsame
Wüste unter dem Geleit eines Mannes, der ihr alles über
Abraham und Isaak gesagt hatte und ihr während der
Reise ohne Zweifel vieles von ihrer zukünftigen Stellung
und Würde, als dem Weibe des Sohnes in dem Lande
der Verheißung, erzählt haben wird, ist ein schönes Vorbild von unserm Pfade der Trennung durch diese Welt,
unter der Belehrung und Leitung des Heiligen Geistes.
Sie zog ihres Weges, um ihrem Isaak zu begegnen; wir
pilgern vorwärts, um unserm himmlischen Bräutigam entgegen zu gehen. Sie hatte alles verlassen, und nichts
anders als die Person Isaaks stand vor ihren Augen.
Aber mit ihm beschäftigt, fühlte sie nichts von den
Mühen und Beschwerden der Reise; alles um sie her war
mit den lieblichsten Hoffnungen erfüllt. Hätte sie jedoch
für einen Augenblick die Person ihres Bräutigams aus
den Augen verloren, so wäre ihre Stellung diejenige eines
heimatlosen, trostlosen Pilgrims inmitten einer öden, nackten
Wüste geworden. Ebenso ist es mit der Kirche, ja mit
jedem einzelnen Christen, sobald das Auge sich von Christo
abwendet und das Herz mit andern Gegenständen beschäftigt ist.
Isaak wartet inzwischen geduldig im Hause seines
Vaters auf die Rückkehr Eliesers und die Frucht seiner
Sendung. Er geht gegen Anbruch des Abends hinaus,
um allein zu sinnen auf dem Felde. Aber zu seiner
unaussprechlichen Freude kehrt er nicht allein zurück. Er
begegnet der ihm aus der Wüste entgegen ziehenden Braut,
208
die sich in ehrerbietiger Liebe und Demut mit ihrem
Schleier verhüllt hat. „Und Isaak führte Rebekka in das
Zelt Sarahs, seiner Mutter, und nahm Rebekka; und sie
ward sein Weib, und er hatte sie lieb. Und Isaak ward
getröstet nach dem Tode seiner Mutter." (V. 67.) Welch
ein schönes Bild von dem liebenden Vertrauen der Braut
zu ihrem Bräutigam, den sie nicht gesehen hat, von ihrem
Ausgehen, dem Bräutigam entgegen, sowie von dem herrlichen Hochzeitsmahle des Lammes im Hause des Vaters
mit seinen vielen Wohnungen! Ruft nicht das Herz bei
der Erinnerung an diese Dinge mit Sehnsucht: „Komm,
Herr Jesu!"? — Ja, Herr, komme bald und bewahre
uns inzwischen vor allen Hindernissen, die uns auf unserm
Wege aufhalten wollen, vor allem, was Natur und Welt
uns Anziehendes darbieten mögen, und erhalte unsre
Seelen in ununterbrochener Gemeinschaft mit Dir selbst
und den Dingen, die droben sind!
ES giebt jedoch noch einen andern Gesichtspunkt, von
welchem aus wir das Verhalten Rebekkas betrachten können.
Sie hätte nicht nötig gehabt, ihr Vaterland und ihr Volk
zu verlassen, wenn nur die Güter dieses Lebens Wert
für sie gehabt hätten. Ohne Zweifel gab es in Mesopotamien Reichtümer und Schätze genug, ja alles, was
für die Natur anziehend war. Warum hätte Rebekka
nicht auch in Padan-Aram einen Bräutigam und ein Haus
finden können, das mit allen Bequemlichkeiten versehen
war? Späterhin hören wir, daß die Söhne Esaus Fürsten
waren, während die Söhne Jakobs einfache Hirten blieben.
Allerdings war Abraham reich, und Isaak war sein Erbe,
aber dennoch mußte Rebekka ihre Stellung in der Welt
ausgeben, wenn sie Isaaks Weib werden wollte. Abraham
209
besaß nicht einen Fußbreit Landes in Kanaan, und so
glaube ich, nicht zu weit zu gehen, wenn ich sage, daß
nicht nur der Blick auf die zeitlichen Segnungen Abrahams sie in ihrem Entschluß beeinflußte, sondern daß
auch die Worte Eliesers einen tiefen Eindruck auf ihr
Herz machten, daß nämlich der Gott des Himmels
mit Abraham nnd Isaak in Verbindung stehe. Die Aussicht, in einem fremden Lande das Weib eines Fremdlings und Pilgrims zu werden, eines Mannes, der nirgendwo einen festen Wohnsitz hatte, sondern mit seinem Zelte
und seinem Altar von einem Ort zum andern zog, hätte
sie wohl kaum bewegen können, das, was sie in dieser
Welt besaß, aufzugeben. Der Gedanke aber, mit dem
Volke Gottes vereinigt zu sein und mit ihm die göttlichen
Segnungen und die zukünftige Herrlichkeit zu teilen, ließ
sie alles andere für nichts achten. Die Zukunft war für
sie weit mehr wert, als die Gegenwart. Das war Glaube
— Glaube an Gottes Wort. „Dies ist der Sieg, der
die Welt überwunden hat: unser Glaube." Möchte Gott
in Seiner Gnade uns allen diesen einfältigen, unerschütterlichen Glauben geben!
Ach! es giebt Tausende von Gläubigen, ja, von
wahren Gläubigen an Christum, welche nicht, gleich Rebekka, ihre Stellung in dieser Welt um Seinetwillen
aufzugeben vermögen. Sie glauben an Ihn, der für sie
gestorben ist, und manche von ihnen sind selbst sehr fromm;
aber sie haben nie verstanden, was es heißt, sein Kreuz
aufzunehmen und Ihm, als dem von dieser Welt Verworfenen, nachzufolgen. Viele selbst beugen sich vor diesem
Götzen, weltliche Stellung genannt, willig zu Boden,
welche gegen die gröberen Formen der Weltlichkeit einen
210
entschiedenen Widerspruch erheben. Sie geben gern und
reichlich von ihrem Gelde, um den Hungrigen zu speisen
und den Nackten zu kleiden, um die Zwecke der inneren
oder äußeren Mission zu fördern, um den äußeren Zustand
der Welt zu verbessern und menschenfreundliche Werke
zu unterstützen; ja, sie lieben es, in diesen Dingen einen
hervorragenden Platz einzunehmen. Aber sobald man zu
ihnen redet von unsrer Fremdlingschaft hienieden und von
der Nachfolge Christi, als des von der Welt verworfenen
und in den Himmel aufgenommenen Menschensohnes, wird
man nicht verstanden. Ja, nur wenige wünschen das zu 
verstehen, da es ihre über alles geliebte und wertgeschätzte
Stellung, sowohl in der Welt als in der bekennenden
Kirche, unmöglich machen würde. Sie sagen, ein solcher
Pfad der Trennung sei nicht notwendig zur Errettung,
und indem sie in der That viel Gutes in einer bösen
Welt thun, ohne ihre gesellschaftliche oder kirchliche Stellung zu gefährden, suchen sie sich zu überreden, daß sie
ganz recht daran thun, in dieser zu verharren. Aber heißt
das nicht, in Padan-Aram zurückbleiben? Heißt das nicht,
die Berufung Gottes, hinauszugehen und, die Ankunft des
Herrn erwartend, als ein Fremdling durch die Wüste zu
pilgern, verwerfen? Isaak war der gestorbene und wieder
auferstandene Erbe in dem Lande Kanaan; Rebekka mußte
zu Ihm gehen, wenn sie anders eine Miterbin des väterlichen Erbes werden wollte. Doch zwischen den beiden
Ländern lag die öde, dürre Wüste, und diese mußte durchschritten werden. ES gab keinen andern Weg.
Ein Wandel, entsprechend den Gedanken eines himmlischen Christus, macht uns sicherlich zu Pilgrimen und
Fremdlingen hienieden, und ist ein solcher Wandel bei
211
uns vorhanden, so werden wir uns freuen, in dieser Welt
Fremdlinge zu sein. Eine wahre Gemeinschaft mit unserm
gepriesenen Herrn im Himmel zerstört alle Neigungen zu
der Welt; wir finden keinen Geschmack mehr an ihren
Vergnügungen. Sie wird für uns zu einem Schauplatze,
auf welchem wir uns nicht zu Hause fühlen. Bald werden
dann auch die Fragen: Gefällt dieses meinem Herrn ? Ist
dieses ein Dienst für Ihn? unser einziger Prüfstein, unsre
einzige und untrügliche Richtschnur. So wie Rebekka
alles in ihrem Vaterlande verließ, um als ein Fremdling
mit Isaak durch Kanaan zu pilgern, so ist der Christ von
Gott berufen, durch den Glauben das Land der Natur
zu verlassen und im Geiste mit Christo in den Himmeln
zu wandeln. Der Christ mag, gleich Rebekka, sich vergessen und einen Fehltritt thun, aber davon reden wir
hier nicht. Warum es sich hier handelt und was wir
für einen jeden Christen wünschen, ist die treue Befolgung
des Beispiels Rebekkas in dem Verlassen Padan-Arams
und dem Betreten des Pfades des Glaubens.
Doch bevor ich schließe, möchte ich noch einmal dem
unbekehrten Leser dieser Zeilen ein kurzes Mahnwort zurufen, da es vielleicht die letzte Gelegenheit ist. — Was
hast du auf die gesegnete Einladung des Evangeliums:
„Willst du mit diesem Manne ziehen?" erwidert? Hast
du ebenso entschieden wie Rebekka geantwortet: „Ich will
ziehen?" Nicht wahr, du hast es noch nicht gethan.
Möchte der Herr in Seiner Gnade geben, daß du es
bald, ja heute noch thust. Von der Beantwortung jener
Frage hängt für dich eine Ewigkeit, voll der höchsten
Freude oder voll des tiefsten Wehs, ab. Das Werk der
Erlösung ist vollbracht, Jesus starb auf dem Kreuze für
212
Seine Feinde, für verlorne, verdammungswürdige Sünder,
Er verherrlichte Gott vollkommen in Seinem Tode, Er
stand wieder auf aus den Toten, stieg hinauf in die Höhe
und fetzte sich zur Rechten deS Vaters; und dort wartet
Er auf dein: „Ja, ich will mit Ihm ziehen," sowie auf
die Rückkehr des Heiligen Geistes mit den vollen Früchten
Seiner Sendung. Willst du Ihn vergeblich warten lassen
und dein Ohr vor Seiner freundlichen Stimme verschließen? O, bald, bald wird der glückliche Augenblick
kommen, wo die selige Braut ihrem geliebten Bräutigam
entgegengeführt und die Hochzeit des Lammes im Himmel
gefeiert werden wird. Alle die Erlösten schauen aus nach
diesem lange ersehnten Tage, wo sie Jesum, ihren Herrn,
sehen werden, wie Er i st. Sie haben Seine Liebe, wie
sie sich auf dem Kreuze geoffenbart hat, lange gekannt;
dann werden sie sie in ihrer Entfaltung in der Herrlichkeit des Vaterhauses kennen lernen und ewig genießen.
Welch ein Tag wird dies selbst für den Himmel sein!
Die einst in Schwachheit auf der Erde pilgernde Braut —
anerkannt und verherrlicht in dem Hause des Vaters als
das Weib des Lammes für immer und ewig! Das zeitliche Verhältnis der Braut hat sich dann verwandelt in
das unveränderliche des Weibes. Doch die jugendliche
Schönheit ihrer Brauttage wird nie vor den Augen ihres
Herrn und Heilandes verschwinden; die Frische ihrer ersten
Liebe wird keinen Wechsel mehr kennen. Wer möchte sich
nicht darnach sehnen, zu der Zahl derer zu gehören, welche
die Braut, das Weib des Lammes ausmachen werden?
Wer wollte noch einen Augenblick zögern, von ganzem
Herzen zu rufen: „Ja, ich will ziehen!"
213

Errettet und bewahrt.
Daß Seelen durch die Gnade Gottes errettet worden
sind und immer noch errettet werden, ist eine gesegnete
Wahrheit. Unser Herr und Heiland selbst hat in den
Tagen Seines Fleisches oft von dieser gegenwärtigen
Errettung gesprochen. Als die große Sünderin weinend
zu Seinen Füßen lag, wandte Er sich zu ihr mit den
Worten: „Dein Glaube hat dich errettet; gehe hin in
Frieden!" Auch der Apostel schreibt, wenn er von dem
Evangelium spricht: „Denn das Wort vom Kreuze ist
denen, die verloren gehen, Thorheit; uns aber, die wir
errettet werden, ist es Gottes Kraft;" und: „durch
Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens."
(1. Kor. 1, 18; Eph. 2, 5. 8.) An einer andern Stelle
erklärt er nicht nur, „daß Christus Jesus in die Welt
gekommen ist, Sünder zu erretten," sondern er sagt
auch: ,>Jch leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der
Kraft Gottes, der uns errettet und berufen hat mit
heiligem Rufe." (1. Tim. 1, 15; 2. Tim. 1, 9.) Auch
wird uns in der Apostelgeschichte erzählt, daß einem 
Manne, der in der größten Seelenangst ausrief: „Ihr
Herren, was muß ich thun, daß ich errettet werde?"
die unmittelbare Antwort zu teil wurde: „Glaube an den
Herrn Jesum, und du wirst errettet werden, du
und dein Haus." Die Errettung, die dem Glaubenden
zu teil wird, ist daher eine gegenwärtige Errettung, gegründet auf den ewigen Wert des vollbrachten Werkes
des Sohnes Gottes, und wird einem jeden umsonst, geschenkt, der an Ihn glaubt.
214
Wenn ein Ertrinkender aus dem Wasser gezogen und
lebendig ans Ufer gebracht worden ist, so sagt man von
ihm: „Er ist gerettet worden." Man sagt dasselbe, wenn
jemand aus einem brennenden Hause, aus welchem es
für ihn kein Entrinnen mehr gab, unversehrt herausgeholt wird. Und ebenso sind Sünder, welche an den Herrn
Jesum von Herzen geglaubt haben, nicht nur von allen
ihren Sünden in Seinem Blute abgewaschen, sondern auch
von der Welt, die unter dem Gericht steht, befreit; sie
sind nicht mehr tot in ihren Sünden, sondern sie leben
Gott — mit einem Worte, sie sind errettet. Die
Schrift nennt sie Errettete, und Gott will auch, daß sie
selbst das völlige Bewußtsein ihrer Errettung haben. „Denn
durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht auS euch, Gottes Gabe ist es."
(Eph. 2, 8.) „Der uns errettet und berufen hat mit
heiligem Rufe." (2. Tim. 1, 9; vergl. auch Apstg. 16, 31;
1. Kor. 1, 18; TU. 3, 5.)
Der Apostel Petrus spricht in seinem ersten Briefe
jedoch noch von einer andern Errettung, „welche bereit sei,
in der letzten Zeit geoffenbart zu werden;" (Kap. 1, 5.)
und Paulus schreibt an die Gläubigen in Rom: „Jetzt
ist unsre Errettung näher, als da wir geglaubt haben.
Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe."
<Röm. 13, 11. 12.) Obgleich wir, die Gläubigen, uns
der Errettung unsrer Seelen schon in der Gegenwart
erfreuen dürfen, so warten wir doch noch auf die Errettung
unsrer Leiber, welche, wie wir wissen, bei der Ankunft
des Herrn stattfinden wird. Daher lesen wir denn auch:
„Unser Wandel ist in den Himmeln, von woher wir
auch den Herrn Jesum Christum als Heiland er­
215
warten, der unsern Leib der Niedrigkeit umgestalten
wird zur Gleichförmigkeit des Leibes Seiner Herrlichkeit, nach der Wirksamkeit, mit der Er vermag, auch
alle Dinge sich zu unterwerfen." (Phil. 3, 20. 21.)
Und an die Korinther schreibt derselbe Apostel, ebenfalls
im Blick auf unsre Leiber: „Siehe, ich sage euch ein
Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir
werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in
einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen
wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies
Verwesliche muß Unverweslichkeit anziehen und dies Sterbliche Unsterblichkeit anziehen." (1. Kor. 15, 51—53.)
Obwohl wir daher im gegenwärtigen Augenblick die Errettung unsrer Seelen besitzen, so warten wir doch noch
auf die Errettung unsrer Leiber, und diese wird ans Licht
treten, wenn wir ausgenommen werden, nm dem Herrn
in der Luft zu begegnen und für allezeit bei Ihm zu sein.
Von dem ewigen Leben wird in derselben doppelten Beziehung gesprochen. Auch die Erlösung wird uns in diesem
zwiefachen Sinne vorgestellt. Wir besitzen, was unsre
Seelen betrifft, die Erlösung schon in der Gegenwart —
„in welchem wir die Erlösung haben durch Sein Blut,
die Vergebung der Vergehungen," (Eph. 1, 7.) — aber wir
warten noch auf die Erlösung unsrer Leiber, wie der Apostel
sagt: „Nicht allein aber sie (die ganze Schöpfung), sondern auch
wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir
selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft:
die Erlösung unsers Leibes." (Röm.8,23.) Es
ist der Vorsatz des Vaterherzens Gottes, daß wir „dem
Bilde Seines Sohnes gleichförmig" sein sollen, „damit
216
Er der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern." Welch
eine Gnade!
Zwischen diesen beiden Arten oder, wenn man will,
Zwischen dem Anfangs- und dem Endpunkte der Errettung
liegt jedoch noch etwas, das mit unsrer Errettung oder unsrer
Seligkeit in Verbindung steht. Wir sind ermahnt, „mit
Furcht und Zittern unsre eigne Seligkeit zu suchen."
(Phil. 2, 12.) Indes könnte gefragt werden: Was für
Personen sind es, an welche sich diese Ermahnung richtet?
Und in der That, diese Frage muß zunächst entschieden
sein, wenn man anders eine Stelle des Wortes Gottes
richtig verstehen will. In dem vorliegenden Falle ist die
Frage nicht schwer zu beantworten. Die Personen, an
welche sich die Ermahnung richtet, werden in demselben
Verse die „Geliebten" des Apostels genannt, sie hatten
sich allezeit durch einen freudigen Gehorsam ausgezeichnet,
und nachher redet sie Paulus als seine „geliebten und
ersehnten Brüder, seine Freude und Krone," an. Hieraus
können wir mit unzweifelhafter Gewißheit entnehmen, daß
sie nicht nur Errettete, sondern auch hingebende, treue
Christen waren. Sie werden deshalb auch im Eingänge
des Briefes „Heilige in Christo Jesu" genannt, und
der Apostel erinnert sie unmittelbar nach seiner Ermahnung
daran, daß Gott es sei, der in ihnen wirke sowohl das
Wollen, als auch das Wirken, nach Seinem Wohlgefallen.
Es ist daher klar, daß die in Rede stehenden Personen
die Errettung ihrer Seelen besaßen, daß sie „in Christo
Jesu" waren und auf die Errettung ihrer Leiber warteten,
(Kap. 3, 20. 21.) und dennoch werden sie ermahnt, ihre
eigne Seligkeit mit Furcht und Zittern zu suchen. Wie
ist das zu verstehen?
— 217 —
Der bejahrte Apostel, der früher mit aller Hingebung
und Treue unter den Philippern gearbeitet und für sie
gekämpft und gewirkt hatte, befand sich jetzt, weit von
ihnen entfernt, im Gefängnis, bereit, als Märtyrer sein
Leben zu lassen, wenn es der Wille Gottes sein sollte.
Und jetzt war es sein sehnlichster Wunsch, daß sie sich selbst
Tag für Tag vor den vielen Versuchungen und Fallstricken der Welt, des Fleisches und des Teufels, denen
sie ausgesetzt waren, bewahren möchten. Es handelt sich
hier selbstverständlich nicht um die ewige Errettung, denn
diese besaßen sie schon; überdies ist die ewige Errettung
einzig und allein eine Gabe Gottes in Gnade, zu welcher
man weder etwas ab- noch zuthun kann. Das Bewirken
unsrer eignen Seligkeit ist mit andern Worten der Wandel
auf dem Pfade der Trennung von der Welt und dem
Bösen, auf dem Pfade, welchen ein jeder, der wirklich von
Gott geboren ist, betreten hat und naturgemäß zu wandeln wünscht. Und diesen Wandel sollen wir führen mit
Furcht und Zittern, angesichts unsrer eignen Ohnmacht
und der Macht des Feindes, sowie in dem Bewußtsein
der Heiligkeit des Gottes und Vaters, der uns in Seine
Gemeinschaft berufen hat. Stets sollten wir uns fürchten,
den heiligen Gott, mit welchem wir es zu thun haben,
Zu betrüben und zu verunehren. Zugleich aber werden
wir durch die kostbare Thatsache ermutigt, daß Gott durch
Seinen Geist in uns wohnt und in uns die Kraft zu allem
Guten ist. „Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das
Wollen, als auch das Wirken, nach Seinem Wohlgefallen."
Es giebt zwei Dinge, welche für den Gläubigen auf
seinem Wege durch diese versuchungsreiche Welt von unermeßlichem Troste sind, und diese sind: die Macht Gottes,
218
uns zu bewahren, und die Errettung, welche wir in Christo
besitzen, der für uns gestorben ist und zur Rechten Gottes
lebt, um sich allezeit für uns zu verwenden. Wenn Petrus
von der Errettung redet, auf welche die Kinder Gottes
warten, so sagt er: „Die ihr durch Gottes Macht
durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit geoffenbart zu
werden." (1. Petr. 1, 5.) Welch ein kostbarer Trostl Es
ist die Macht Gottes, die uns bewahrt, und der Weg,
aus welchem Er es thut, ist der Glaube. Und wie lange
will Er uns bewahren? Bis zur Errettung, die bei der
Wiederkunft unsers Herrn und Heilandes geoffenbart werden soll. Wie kommt es, daß ich heute noch auf dem
Pfade des Glaubens stehe und mich aller der Segnungen,
die es in Seiner Person für mich giebt, erfreuen kann?
Weil die Macht Gottes mich durch Glauben bis heute
bewahrt hat. Welch ein Bewahrer! Ewig sei Ihm Dank
und Anbetung dafür!
Und wenn wir dann unsern Blick über die gegenwärtige Zeit der Prüfungen und Schwierigkeiten hinauswandern lassen, so wissen wir, die wir mit Gott versöhnt
sind durch den Tod Seines Sohnes, daß wir „durch Sein
Leben" werden errettet werden. Denn Er vermag „völlig,"
d. h. bis zu dem Ende unsrer Reise hin, „zu erretten,
die durch Ihn zu Gott kommen, indem Er immerdar lebt,
um sich für sie zu verwenden." (Hebr. 7, 25.) Er bringt
uns durch alle Schwierigkeiten und Versuchungen hindurch,
bis wir in dem Hause des Vaters anlangen und dort
mit allen den Seinigen in alle Ewigkeit Seinen Ruhm
erhöhen werden.
219
Hat Christus die „Sünden" der Welt getragen?
Die Schrift lehrt nirgendwo, daß Christus die „Sünden" der Welt getragen habe. Hätte Er es gethan, so
würde kein Mensch je verloren gehen können. ES ist 
völlig unmöglich, daß Christus die Sünden aller getragen haben könnte, und daß trotzdem ein Einziger nicht
errettet werden würde. Wir lesen deshalb auch in Joh. 1, 29
nicht: „Siehe das Lamm Gottes, welches die Sünden"
— sondern: „welches die Sünde der Welt wegnimmt."
Ebenso heißt es in 1. Joh. 2, 2 nicht: „Und Er ist die
Sühnung für unsre Sünden (d. h. für die Sünden aller
Glaubenden), nicht allein aber für die unsern, sondern
auch für diejenigen der ganzen Welt" — sondern
einfach: „für die ganze Welt." Wäre Christus
die Sühnung für die Sünden der ganzen Welt, so
müßte jedermann errettet werden, unbeachtet der Ratschlüsse
Gottes und des Werkes des Heiligen Geistes, der in der
Seele Buße und Glauben hervorruft.
Wir haben kein Recht, jedem unbekehrten Menschen,
der uns auf der Straße begegnen mag, zu sagen, daß
Christus seine Sünden auf das Fluchholz getragen habe.
Wir können ihm sagen, daß Er die Sünde hinweggethan
hat durch das Schlachtopfer Seiner selbst, daß der Vorhang zerrissen und Gott im Blick auf die Sünde durch
den Versöhnungstod Christi vollkommen verherrlicht ist;
wir können ihm ferner die frohe Botschaft bringen, daß 
die Gnade Gottes, „heilbringend allen Menschen," erschienen
ist, und daß ein jeder, der da will, das Wasser des Lebens
umsonst nehmen darf, daß keiner ausgeschlossen ist, sondern
daß Gott die Welt also geliebt hat, daß Er Seinen
220
eingebornen Sohn dahingab, auf daß jeder, der an
Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.
Alles das können wir einem jeden Menschen mit
aller Freimütigkeit und Gewißheit sagen; aber erst dann,
wenn ein Mensch wirklich durch die Macht des Heiligen
Geistes dahin geleitet wird, sich zu beugen unter das Zeugnis Gottes, wenn er in Wahrheit seinen verlornen Zustand
erkennt und mit Aufrichtigkeit Buße thut, erst daun dürfen
wir ihm weiter sagen, daß Christus seine Sünden
auf dem Kreuze getragen hat; ja wir dürfen dann noch
mehr thun: wir dürfen ihn belehren, daß unser Herr und
Heiland nicht nur die Frage seiner Sünden auf Golgatha
in Ordnung gebracht hat, sondern daß auch sein sündiger
Zustand auf dem Kreuze zu seinem Ende gekommen ist;
wir dürfen ihn aufmerksam machen auf die Unterweisungen des Heiligen Geistes in bezug auf das Gestorbensein
des Gläubigen mit Christo, sowie auf das Hinwegthun
der Herrschaft der Sünde und ihrer Macht für den Glauben.
Doch es möchte gefragt werden: Was ist denn die
wahre Bedeutung der Worte in Joh. 1, 29: „Siehe das
Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt?" —
Um die volle Kraft und Tragweite dieser köstlichen Worte
verstehen zu können, müssen wir vorwärts blicken auf jene
herrliche Zeit, wann jede Spur der Sünde aus der Schöpfung
Gottes ausgetilgt sein wird. Und wenn es sich um die
gegenwärtige Anwendung der Stelle handelt, so frohlocken
wir in dem Bewußtsein, daß Christus durch Sein Opfer
die gerechte Grundlage gelegt hat, auf welcher Gott in
Gnade und Güte, in Erbarmen und geduldiger Langmut
gegen die Welt, als Ganzes, wie gegen jeden Einzelnen
handeln kann, der je auf dem Erdboden gelebt hat und
221
bis zu dem Ende der Zeiten leben wird. Kraft deS
vollbrachten Werkes auf Golgatha vermag der gerechte und
heilige Gott Seine Liebe und Geduld dem größten Sünder gegenüber zu offenbaren. Im Blick auf das Kreuz
läßt Er Seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und
läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Infolge des
Kreuzes vermag der Ungläubige und Gottesleugner zu
leben und selbst für eine Zeit ungestraft Den zu lüstern,
der ihm Leben und Odem und alles giebt. Und schließlich kann auf Grund des Versöhnungswerkes Christi das
Evangelium der ganzen Welt gebracht und aller Schöpfung,
die unter dem Himmel ist, verkündigt werden.
Nichts könnte genauer und zu gleicher Zeit umfassender fein, als das Zeugnis der Heiligen Schrift über
diese wichtige Frage. Wir finden immer wieder, daß die
Schrift überall genau unterscheidet zwischen „Sünde" und
„Sünden." So oft der letztere Ausdruck gebraucht wird,
steht er stets mit dem Volke Gottes in Verbindung. Ich
führe hier nur einige Stellen an: „Also wird auch der
Christus, einmal geopfert, um vieler — nicht aller —
Sünden zu tragen, zum zweiten Male ohne Sünde erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit." (Hebr. 9,28.)
„Welcher selbst unsere Sünden — d. h. die Sünden der Deinigen, aller wahren Gläubigen — an Seinem Leibe auf das Holz getragen hat." (1. Petr. 2, 24.)
„Denn dies ist mein Blut, das des neuen Bundes, welches für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden." (Matth. 26, 28.) „Denn ich habe euch zuerst
überliefert, was ich auch empfangen habe: daß Christus
gestorben ist für unsre Sünden, nach den Schriften."
(1. Kor. 15, 3.) „Der sich selbst hingegeben hat für
222
unsre Sünden, damit Er uns herausnehme aus der
gegenwärtigen bösen Welt." (Gal. 1, 4.)
Das Wort Gottes zeugt mit aller Entschiedenheit
gegen die ketzerische Lehre von einer allgemeinen Versöhnung, während sie zugleich so klar wie möglich die
Wahrheit einer allgemeinen Erkaufung, wenn wir
so sagen dürfen, lehrt. Unser Herr Jesus Christus hat
ein erkauftes Recht auf das ganze Weltall und auf alle
Menschen auf dem Erdboden. Deshalb lesen wir auch
in 2. Petri 2, 1 von „falschen Lehrern, welche Sekten
des Verderbens neben einführen werden und den Gebieter
verleugnen, der sie erkauft hat." Der Apostel sagt
nicht: „der sie erlöst hat." Der Mensch Christus Jesus
hat durch Seinen Gehorsam bis in den Tod des Kreuzes
und durch die Vollbringung des Ihm von dem Vater
aufgetragenen Werkes alles erkauft. Er erlöst aber 
nach den Ratschlüssen Gottes. „Gleichwie Du Ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf daß alles, was
Du Ihm gegeben, Er ihnen ewiges Leben gebe."
(Joh. 17, 2.)
Die Freundschaft der Welt.
„Wisset ihr nicht, daß die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt
sein will, stellt sich als Feind Gottes dar." (Jak. 4, 4.)
Welch ein überwältigendes Zeugnis! Es richtet den
Wandel nnd prüft das Herz. Der wahre Charakter der
Welt ist jetzt geoffenbart, weil sie den Sohn Gottes verworfen nnd gekreuzigt hat. Der Mensch war schon vorher ohne Gesetz und unter Gesetz geprüft worden;
aber nachdem er sich ohne Gesetz als durchaus böse und
verderbt erwiesen und das Gesetz, sobald er es empfangen,
gebrochen hatte, kam Gott selbst in Gnade zu ihm herab.
Er wurde Mensch, nm dem Herzen des Menschen die
Liebe Gottes nahe zu bringen. Es war dies die letzte
Prüfung für das Herz des Menschen. Er kam nicht.
223
um den Menschen ihre Übertretungen zuzurechnen, sondern um die Welt mit sich selbst zu versöhnen. (2. Kor. 5,19.)
Doch die Welt wollte Ihn nicht aufnehmen, und sie hat
gezeigt, daß sie völlig unter der Macht Satans und der
Gewalt der Finsternis liegt. Sie hat gesehen und gehaßt
beide, den Sohn und den Vater.
Die Welt bleibt stets unverändert dieselbe: Satan
ist ihr Fürst, und alles, was in ihr ist, die Lust des
Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern von der Welt.
(1. Joh. 2, 16.) DaS Herz des Menschen, das Fleisch,
ist seit dem Sündenfall stets Feindschaft wider Gott gewesen. Man hat oft gedacht und gesagt, daß seit dem
Tode Christi Satan nicht mehr der Fürst dieser Welt sei;
aber gerade damals offenbarte er sich in diesem Charakter,
als ihr Fürst, indem er alle Menschen, sowohl Juden
als Heiden, anleitete, den Heiland zu kreuzigen. Und obwohl der Mensch jetzt den Namen Christi trägt, so ist
doch der Widerstand der Welt gegen Seine Autorität
bis heute derselbe geblieben.
Untersuchen wir nur, ob der Name Christi nicht heute
noch gerade so, wie immer, verunehrt wird. Der Mensch
mag allerdings belehrt werden, diesen Namen zu ehren
und hochzuhalten; aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr,
daß er da, wo er seine Vergnügungen findet, wo sein
Wille frei ist, stets Christum ausschließt, aus Furcht, in
seinen Freuden und Vergnügungen gestört zu werden.
Wenn er allein ist, so denkt er nicht an Ihn; er hat es
nicht gern, wenn man von dem Heilande mit ihm redet,
er entdeckt keine Schönheit in Ihm, um ein Begehren nach
Ihm zu fühlen. Er liebt es, seinem eignen Willen zu
folgen, und er wünscht nicht, daß der Herr komme und
der Ausführung desselben in den Weg trete. Er zieht die
Eitelkeit und die Vergnügungen der Welt Christo weit vor.
In Kain finden wir die wahrheitsgetreue Geschichte
der Welt und ihre praktischen Grundsätze. Nachdem Kain
seinen Bruder erschlagen hatte, wurde er, an der Gnade
224
verzweifelnd und nicht bereit zur Buße, aus der Gegenwart Gottes ausgestoßen. Durch den Mund Gottes wurde
er zu einem unstäten Wanderleben auf der Erde verurteilt.
Doch ein solcher Zustand gefiel ihm nicht; er ließ sich da
nieder, wo Gott ihn zu einem Flüchtling erklärt hatte,
baute eine Stadt und nannte sie nach dem Namen seines
Sohnes, um das Gedächtnis und die Größe seiner Familie
zu erhalten. Diese Stadt von all den Annehmlichkeiten
des Lebens beraubt zu sehen, war ihm unerträglich, und
so häufte er Reichtümer auf für seinen Sohn. Eins
seiner Kindeskinder erfand die Musikinstrumente, Laute
und Pfeife; ein anderes Glied seiner Familie ward ein
geschickter Arbeiter in allerlei Werkzeug aus Erz und Eisen.
Die Welt aus der Gegenwart Gottes verstoßen, suchte
sich ihre Lage ohne Gott so angenehm wie möglich zu
machen und in Entfernung von Ihm ein vergnügtes Leben
zu führen. Durch das Kommen des Herrn Jesu in diese
Welt wurde der Zustand des menschlichen Herzens völlig
geoffenbart; eS zeigte sich nicht nur, daß es den Vergnügungen des Fleisches nachjagt, sondern auch daß es
in der That nichts anders ist, als Feindschaft wider Gott.
So herrlich Seine Güte sich auch offenbaren mochte, so
wollte es doch nicht in dem Genuß der weltlichen Freuden
gestört werden, noch sich der Autorität eines Andern unterwerfen. Es wollte die Welt für sich selbst behalten und
kämpfte mit aller Macht nm den Besitz derselben.
Ist es nun nicht offenbar, daß die Freundschaft der
Welt Feindschaft wider Gott ist? So weit es an den
Menschen jener Tage lag, warfen sie Gott aus der Welt
hinaus und trieben Ihn fort. Der Mensch wünscht groß
zu sein in dieser Welt. Wir aber wissen, daß die Welt
den Sohn Gottes gekreuzigt hat, daß sie keine Schönheit
in Ihm entdeckte, in welchem Gott alle Seine Wonne
findet. — Sollte unser Wandel, unser ganzes Verhalten nicht
beweisen, daß wir nicht von der Welt sind?

Ein Gesandter aus Tausenden.
„Ist nun bei ihm ein Gesandter, ein Ausleger, einer
uns Tausenden, um dem Menschen seine Geradheit kundzuthun, so wird Er ihm gnädig sein und sprechen: Erlöse
ihn, daß er nicht in die Grube hinabsahre; ich habe Versöhnung gefunden." (Hiob 33, 23. 24.)
In dem 33. Kapitel des Buches Hiob führt uns
der Heilige Geist ein treues Gemälde von dem Zustande
des Menschen von Natur, von seiner stolzen Gesinnung,
von seiner Widerspenstigkeit gegen Gott, sowie anderseits
von den Wegen der Liebe, Barmherzigkeit und Langmut
Gottes mit ihm vor Augen. Elihu, der Sohn Baracheels,
redet, vom Geiste Gottes erfüllt, zu Hiob, dem schwergeprüften Manne, der aus dem Kampfe mit Satan siegreich
hervorgegangen war, mit dem aber Gott selbst noch ein
Wort zu reden hatte. Satan nahm ihm alles, was er
besaß, Söhne und Töchter, Knechte und Mägde, Ochsen,
Esel und Kameele, aber die herrliche Antwort Hiobs
lautete: „Jehova hat gegeben, Jehova hat genommen, der
Name Jehova's sei gelobt!" Und als Satan ihn unter
Zulassung des Herrn mit bösen Schwären schlug von
seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel und sein Weib zu 
ihm sandte mit den Worten: „Hältst du immer noch fest
un deiner Vollkommenheit? Lästere Gott und stirb!" —
226
da hören wir aus seinem Munde die erhabenen Worte:
„Du redest, wie eine der Thörinnen redet. Das Gute
haben wir von Gott angenommen, und das Böse wollten
wir nicht annehmen?" (Kap. 1. 2.) In diesem allen
sündigte Hiob nicht. Die Anstrengungen Satans waren
völlig mißglückt; er mußte besiegt und beschämt von dannen
gehen. Aber dann hatte, wie gesagt, Gott selbst noch
ein Wort mit Hiob zu reden. Er sah in dem tiefsten
Grunde des Herzens Hiobs einen Rest von Eigengerechtigkeit und Selbstvertrauen, der ihn verhinderte, ihn so zu
segnen, wie es in Seinem Herzen war. Aber ach! wie
schwer ist eS, den Menschen, selbst einen solch frommen,
gottesfürchtigen Mann, wie Hiob war, von seiner Selbstgerechtigkeit zu überzeugen und zu heilen. Himmel und
Erde müssen gleichsam in Bewegung gesetzt werden, um
das stolze Herz zu brechen und Hiob dahin zu bringen,
daß er ausruft: „Mit dem Gehör des Ohres habe ich
von Dir gehört, aber nun sieht Dich mein Auge. Darum
verabscheue ich mich und bereue in Sack und Asche."
(Kap. 42, 5. 6.)
Elihu erinnert Hiob zunächst daran, was der Mensch
vor Gott ist. „Siehe, ich bin Gottes, wie du; vom Thon
abgekniffen bin auch ich." (V. 6.) Ja, was ist der Mensch,
der stolze, hochmütige Mensch, der sich so großer Dinge
rühmt, vor Gott? Ein Stück Thon, gebildet von der
Hand des Schöpfers, wie der Töpfer ein Stück Lehm
nimmt und daraus ein Gefäß formt, wie es ihm beliebt.
Ein armes, schwaches Geschöpf, das nur von der Gnade
Gottes lebt, und das seinen Geist aushauchen würde,
sobald es dem Schöpfer gefiele, seinen Odem zu sich zurückzuzieheu. „Wer hat Ihm die Erde anvertraut? und
227
wer hat den ganzen Erdkreis geordnet? Wenn Er Sein
Herz wider ihn richtete, Seinen Geist und Seinen Odem
zu sich zurückzöge, so würde alles Fleisch insgesamt den
Geist aufgeben, und der Mensch wieder zum Staube
kehren." (Kap. 34, 13—15.) Es ist sehr heilsam, auch
für uns, von Zeit zu Zeit daran erinnert zu werden,
wer wir sind und woher wir gekommen sind. Wir vergessen es so leicht. Obwohl wir wissen, daß wir nichts
sind und nichts vermögen, so sind wir doch so gern geneigt, etwas von uns zu halten, und besonders dann,
wenn Gott uns in der einen oder andern Sache als Seine
Werkzeuge gebraucht hat, als hätten wir aus unsrer Kraft
und Weisheit etwas vermocht. Möchten wir nie vergessen,
daß „Gott im Himmel ist, und wir auf der Erde sind,"
(Pred. 5, 1.) d. h. daß Gott der Allmächtige, Allweise
und Allwissende ist, der über den Himmeln thront, während
wir als schwache, allzeit irrende, thörichte und ohnmächtige
Geschöpfe auf dieser armen Erde pilgern.
„Gewiß," fährt Elihu fort, „du hast gesprochen vor
meinen Ohren, und ich habe gehört die Stimme der
Worte: Ich bin rein, ohne Uebertretung, lauter, und ist
keine Ungerechtigkeit an mir." (V. 8. 9.) Welch eine
stolze Sprache! Und doch ist es nichts anders, als die
Sprache eines jeden eigengerechten Herzens, ehe es in das
Licht Gottes gekommen ist, ja selbst nicht selten die geheime Sprache unsrer Herzen, obwohl wir sie vor Andern
nicht mögen laut werden lassen. Nichts gleicht dem Stolz
und dem Hochmut des menschlichen Herzens. Glaubt man ihn
in dem einen Punkte unterdrückt und gerichtet zu haben
— gleich kommt er in einem andern wieder zum Vorschein. Nichts anders als ein steter Wandel im Lichte
228
Gottes, eine unaufhörliche Wachsamkeit unter Gebet und
Flehen vermag das Herz in Demut zu erhalten und die 
Gesinnung hervorzubringen, welche in Christo Jesu war.
Hiob hatte mehr als Tausende und Millionen ein
Recht, eine solche Sprache zu führen. Denn Gott selbst
hatte ihm, Satan gegenüber, das Zeugnis gegeben: „Niemand auf der Erde ist wie er, ein Mann, vollkommen
und aufrichtig, gottesfürchtig und sich fernhaltend vom
Bösen." (Kap. 1, 8; vergleiche auch die Kapitel 29 u. 31.)
Und doch hatte er nicht Recht. So lange ein Mensch sich
mit seinem eignen Maßstabe mißt und sich mit Andern
vergleicht, mag er vieles aufzuzählen haben, worin er sich
von Andern vorteilhaft unterscheidet. Aber sobald er ins
Licht Gottes kommt und den göttlichen Maßstab an all
sein Thun und Lassen, sein Reden und Denken legt,
sobald sein Auge „Ihn" sieht, so muß er nicht nur verstummen, sondern er wird auch in seinen eignen Augen
ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung. Doch
so lange dies nicht der Fall ist, brüstet er sich mit seinen
guten Werken, seiner Gerechtigkeit und Lauterkeit. Nimm
den schlechtesten und verworfensten Menschen und siehe zu, 
ob er dir nicht noch viel Gutes aus seinem Leben erzählen und das Schlechte, das er verübt hat, auf alle
Weise zu beschönigen und zu entschuldigen suchen wird.
Andere sind an seinen bösen Wegen Schuld, die Umstände haben ihn verleitet, das Böse zu thun; wäre
nicht dieses und jenes gewesen, hätte nicht dieser und jener
ihn verleitet, so würde er gewiß nicht in die Sünde gefallen sein. Ach I so ist der Mensch, und zwar von seinen
ersten Anfängen an. „Das Weib, das du mir beigegeben, die gab mir von dem Baume, und ich aß," so
229
lautete die Antwort Adams auf die Frage Gottes: „Hast
du von dem Baume gegessen, von dem ich dir geboten,
nicht zu essen?" Gott war schuldig, nicht der Mensch.
Warum hatte Er ihm das Weib gegeben?
„Siehe, Er findet Feindschaft wider mich," sagt selbst
ein Hiob; „Er hält mich für Seinen Widersacher. Er
legt meine Füße in den Stock, Er bewacht alle meine
Wege." (V. 10. 11.) Warum, o Gott, so ruft so mancher
auch heute aus, führst du mich gerade solch schwere Wege?
Warum muß ich so viele Leiden und Schmerzen erdulden?
Warum mußt du gerade mir so Schweres auferlegen und
alle meine Bemühungen und Pläne vereiteln? Andern
gelingt alles; andere gehen so leicht und schmerzlos durch
diese Welt; und ich sehe doch nicht, daß sie treuer und
frommer sind, daß sie besser gelebt haben, als ich auch!
— Ach! wie oft kann man solche Ausrufe aus dem Munde
Bekehrter und Unbekehrter vernehmen! Murren und Unzufriedenheit erfüllen ihre Herzen. Ja, selbst wie manche bittere
Verwünschung steigt zu dem Gott empor, der alles in Seiner
Liebe und nach Seiner vollkommenen Weisheit leitet!
Doch hören wir, was Elihu auf diese Anklage Hiobs
zu sagen hat: „Siehe, darin hast du nicht Recht, antworte ich dir, denn Gott ist mehr als ein Mensch. Warum
haderst du wider Ihn? denn über all Sein Thun giebt
Er nicht Antwort." (V. 12. 13.) „Ja, o Mensch, wer
bist du, der du das Wort nimmst wider Gott?" Welch
ein Beweis von dem stolzen, ungebrochenen Sinn des
Menschen ist es, daß er es wagt, seine Stimme zu erheben wider den Gott des Himmels und der Erde! Er
murrt wider Ihn und klagt Ihn der Lieblosigkeit, ja selbst
der Ungerechtigkeit an. Er, dessen Leben wie ein Dampf
230
ist, der ohne den Willen Gottes nicht einen Finger Zu
krümmen, nicht einen Schritt zu gehen vermag, lehnt sich
auf gegen seinen Schöpfer und sitzt zu Gericht über die
Wege und Handlungen Gottes. Er maßt sich an, zu beurteilen, was Gottes würdig und was Seiner unwürdig
ist, was Er thun und was Er nicht thun sollte. Aber
Gott ist größer als der Mensch, und über all Sein Thun
giebt Er keine Antwort. Er handelt nach den Grundsätzen Seiner ewigen Gerechtigkeit, nach Seiner vollkommenen Weisheit und Einsicht, unbekümmert um die stolzen
und doch so eitlen Anmaßungen des Menschen, um seine
hohen und doch so ohnmächtigen Worte. Wie thöricht
ist doch ein jeder, der es unternimmt, die Wege Gottes
nach seinen eignen verkehrten Gedanken und Meinungen
zu beurteilen, anstatt sich demütig unter die Hand des
Allmächtigen zu beugen und mit jener aufrichtigen Unterwürfigkeit, welche sich allein für den Menschen Gott gegenüber geziemt, nach dem Willen Gottes und dem Zweck
Seiner Wege und Führungen zu forschen! Denn unausspürbar sind die Wege Gottes und unausforschlich Seine
Gerichte. „Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder
wer ist Sein Mitberater gewesen?" (Röm. 11, 33—35.)
Möchten wir nie vergessen, daß derselbe Gott, den wir
als Vater anrufen, der große, allmächtige, gerechte und
heilige Gott ist, der alles erschaffen hat, was im Himmel
und auf Erden ist, dem wir Leben und Odem und alles
zu verdanken haben, und der alles in Seiner starken Hand hat
und es leitet nach dem Wohlgefallen Seines weisen Willens!
Ist dieses Bewußtsein in unserm Herzen lebendig, so wird es
uns vor Murren und Unzufriedenheit bewahren und zugleich eine tiefe Erfnrcht gegen Gott in uns wachrufen.
231
Das bisher Gesagte bildet jedoch nur den ersten,
und wenn ich so sagen darf, den erhabenen Teil der
Antwort Elihu's auf das Murren Hiobs. Es giebt noch
einen zweiten Teil, den ich den lieblichen nennen
möchte. Während der erste die Ehrfurcht unsrer Herzen
erweckt, fordert uns der zweite zur Bewunderung und
Anbetung Gottes auf und zeigt uns den Gott der Liebe,
der in Gnade, Langmut und Erbarmen mit dem feindseligen, widerspenstigen Sünder beschäftigt ist. Wir lesen:
„Denn einmal redet Gott und zweimal — und man achtet
nicht darauf — im Traume, im Gesicht des Nachts, wenn
tiefer Schlaf die Menfchen befällt, im Schlummer auf
dem Lager. Dann öffnet Er das Ohr der Menschen und
versiegelt ihre Unterweisung, um den Menschen von seinem
Werke abzuwenden und Uebermut vom Manne zu verbergen; 'Er hält seine Seele ab von der Grube und sein
Leben vom Rennen ins Geschoß." (V. 14—18.)
Was ist der Zweck der Thätigkeit Gottes? Warum
beschäftigt Er sich mit dem Menschen? Warum „wirkt"
der Vater bis jetzt und der Sohn gleicherweise? Um
den Menschen abzuhalten vom Rennen ins
Geschoß! O welch ein wunderbarer, anbetungswürdiger
Gott! Anstatt den Menschen, der sich in Haß und Feindschaft von Ihm abgewandt hat und dahingeht in der
Bosheit und Verkehrtheit seines Herzens, seinem Schicksal
anheimzugebeu, ist Er Tag und Nacht mit ihm beschäftigt.
Er arbeitet an seiner Seele auf die mannigfaltigste
Weise. Er redet zu ihm durch Sein Wort, durch Seine
Boten, durch die Umstände, durch die stille, geheime Sprache
zu seinem Herzen und Gewissen. Ja, wir dürfen sagen,
Gott läßt kein Mittel unversucht, um den Menschen zur
232
Erkenntnis seines Zustandes und zur aufrichtigen Buße
zu führen. Er „redet einmal und zweimal," Er redet
unermüdlich, Er klopft immer wieder an, und — der
Mensch „achtet nicht darauf." Er ist blind und
taub gegenüber den Beweisen der Liebe und Güte Gottes,
gegenüber Seinen Ermahnungen und Warnungen. Aber
Gott will nicht den Tod des Sünders. Er knüpft immer
wieder an, um den Menschen von seinem Werke abzuwenden, um ihn zu einem Stillestehen auf seinem Wege
zu bewegen und ihm seine Thorheit und seinen Uebermut zu zeigen. Unser Gott ist sehr langmütig und
von großer Gnade und Güte. Immer noch trägt Er den
Menschen in seiner Bosheit, immer noch zögert Er mit
dem Gericht über diese schuldige Welt, immer noch ist Er
thätig, um zu retten, was zu retten ist. Und was thut
der Mensch angesichts dieser Liebesthätigkeit Gottes? Er
geht dahin, ' gleichgültig, gefühllos, übermütig, widerspenstig wie immer, dem sichern Verderben entgegen.
Läßt ihn der Gott aller Gnade nun gehen? Giebt
Er ihn seinem Verderben preis? Wird Er müde, ihn zur
Buße zu rufen? — O nein. Er fährt fort, sich mit
dem Menschen zu beschäftigen. Will sich derselbe nicht
durch die Güte und Freundlichkeit Gottes zur Buße leiten
lassen, so muß er die Strenge Gottes erfahren. Gott
will und muß Seinen Zweck erreichen. Er muß Sein
Haus und Seinen Tisch voll Gäste haben. Was thut
Er? Er wirft den Menschen auf's Krankenlager. „Auch
wird er gezüchtigt mit Schmerzen auf seinem Lager und
mit beständigem Kampf in seinen Gebeinen. Und sein
Leben verabscheut das Brot, und seine Seele die liebliche
Speise; das Fleisch zehrt ab, daß man es nicht mehr
233
sieht, und entblößt sind seine Knochen, die nicht gesehen
wurden, und seine Seele nähert sich der Grube, und sein
Leben den Würgern." (V. 19—21.)
O wie wenig bedenkt der Mensch, ja wir alle, daß Gott
es ist, der alle Dinge leitet, daß Er hinter allem steht, daß
Er alle Umstände in Seiner Hand hat und durch dieselben
zu unsern Herzen redet! Nichts geschieht ohne Seinen
Willen; nicht ein Sperling fällt vom Dache, nicht ein
Haar von unserm Haupte, ohne daß Gott es weiß und
beachtet. „Siehe, alles dieses wirkt Gott zwei-, dreimal
mit dem Menschen, um seine Seele zurückzuführen von
der Grube, und daß er erleuchtet werde mit dem
Lichte der Lebendigen." (V. 29. 30.) Das ist
der Zweck aller Wege Gottes, sei es mit dem Bekehrten
oder mit dem Unbekehrten. Wie ernst und eindringlich
richtet sich deshalb die Ermahnung des Apostels an unsre
Herzen, die Züchtigungen des Herrn nicht zu verachten,
noch zu ermatten, wenn wir gestraft werden. Beides
ist möglich, zu beidem sind wir so sehr geneigt. Entweder
schätzen wir die Wege und Führungen des Herrn gering
und beachten nicht, was Er uns durch dieselben sagen
will, oder wir vergessen, daß Seine Liebe und Weisheit
es sind, die uns die Züchtigungen zusenden, und lassen,
unter der Schwere derselben zusammenbrechend, unsre
Hände mutlos in den Schoß sinken. Wir beschäftigen
uns mit den Umständen, anstatt unsern Blick auf Gott
zu richten, verlieren auf diese Weise das Bewußtsein
Seiner Gegenwart und Liebe und werden ungeduldig,
ärgerlich und mutlos. Doch beides ist gerade das Gegenteil von dem, was Gott bezweckt. Er will uns durch
die Züchtigungen läutern, uns bewahren vor Fehltritten,
234
uns erleuchten mit dem Lichte der Lebendigen und uns
mehr segnen, wie Er es bisher unsers Zustandes wegen
vermochte. Das ist „daS Ende des Herrn" — wahrlich,
ein herrliches, gesegnetes Ende! Möchte es Gott gelingen, dasselbe stets bei uns zu erreichen!
Denselben gnädigen Endzweck verfolgt der Herr aber
auch bei seinen Wegen mit dem natürlichen Menschen.
Er hat keinen Gefallen daran, ihn zu plagen; „Er
plagt und betrübt nicht von Herzen die Menschenkinder;
sondern wenn Er betrübt hat, wird Er sich erbarmen nach
der Größe Seiner Gütigkeiten." (Klag. 3.) Nur die Liebe
ist es, die Gott den Menschen solch schwere Wege führen
läßt. Er nimmt erst dann die Rute zur Hand, wenn es
keine andere Möglichkeit mehr giebt, den Menschen zur
Besinnung zu bringen. Er will seine Seele zurückführen
von der Grube und ihn erleuchten mit dem Lichte der
Lebendigen, und zu diesem Zwecke geht Er mit ihm, wenn
es nötig ist, bis zum Aeußersten. Er führt ihn bis an
den Rand des Todes, bis an die Schwelle der Ewigkeit.
„Seine Seele nähert sich der Grube, und sein Leben den
Würgern."
Wir thun wohl, hier einen Augenblick stille zu stehen
und die Langmut und Liebe unsers anbetungswürdigen
Gottes zu betrachten. Wie unermeßlich ist Seine Gnade,
wie unergründlich Sein Erbarmen! Wie ganz anders handelt Er, als ein Mensch! Wie bald ist unsre Geduld
erschöpft, wie bald sind wir bereit, unsre Bemühungen
als nutzlos aufzugeben, wenn unsre ein- oder zweimaligen
Bitten und Ermahnungen keinen Erfolg gehabt haben!
Ach! wenn Gott so mit uns handeln wollte, so würde
kein Mensch errettet werden; keiner von uns würde das
235
Ziel seines Weges erreichen. Wie vielen Verkehrtheiten
muß Er begegnen, welch einem Hochmut, einer Gleichgültigkeit und Vergeßlichkeit, ja welch einer Härte des
Herzens und Gefühllosigkeit des Gewissens! Es ist wahrlich ein „Reichtum von Barmherzigkeit" und „viele
Liebe" dazu nötig, um sich mit solchen Geschöpfen, wie
wir sind, zu beschäftigen. Mit welchen Gefühlen der
Bewunderung und Anbetung werden wir einst in dem Lichte
Gottes, wenn einmal das Vollkommene gekommen sein
wird und wir erkennen werden, wie wir erkannt sind, auf
unsern Weg durch diese Welt zurückblicken! Wie wird es
unsre Herzen vor unserm Gott und Vater in den Staub
niederbeugen, wenn wir sehen werden, mit welch einer
Langmut und Geduld Er uns in allen unsern Schwachheiten und Thorheiten getragen, wie Er alle unsre Wege
nach Seiner vollkommenen Weisheit und Liebe geordnet
hat, mit welcher Zärtlichkeit Er uns begegnet ist, wie
väterlich Er uns, wenn es nötig war, gezüchtigt und wie
liebevoll Er uns, wenn wir es bedurften, getröstet und
aufgerichtet hat. Vieles, was uns heute unverständlich
ist, ja zuweilen selbst hart erscheinen will, wird dann von
uns als durchaus notwendig, weise und gut erkannt werden. Wir werden sehen, daß Gott selbst nach der Liebe
Seines Vaterherzens unsern Leidensbecher gemischt und
uns nicht einen Tropfen mehr oder weniger davon zu
trinken gegeben hat, als nötig und heilsam für uns war.
Es wird sicher einen nicht unwesentlichen Teil unsrer
himmlischen und ewigen Freude ausmachen, diese Wege
und Führungen Gottes während unsers Pilgerlaufs durch
diese Wüste zu betrachten. ES wird uns immer von neuem
antreiben, Ihn zu preisen und anzubeten.
236
Doch kehren wir zu unserm Kapitel zurück. Wir
haben gesehen, wie der Herr den Menschen bis zum Rande
des Grabes geführt hat. Haben nun endlich die Leiden
des Körpers sein Herz erweicht, und hat der Gedanke an
den Tod und die ernsten Wirklichkeiten der Ewigkeit ihn
geneigt gemacht, auf die Stimme Gottes zu lauschen, was
läßt ihm Gott dann sagen? Macht er dem Menschen
Vorwürfe über seine bisherige Hartnäckigkeit und Störrigkeit? Sagt er ihm: Du hast bisher trotz aller Ermahnungen nicht hören wollen, und jetzt gehe hin und siehe
zu, was das Ende deines Weges ist; ernte, was du gesäet hast. Nichts von alledem! Nein, unser Gott ist ein
Gott, „der allen willig giebt und nichts vorwirft."
(Jak. 1.) Wie köstlich ist es, selbst den größten Sünder
in seiner letzten Stunde noch Hinweisen zu dürfen auf die
Liebe Gottes, die den Eingebornen für den Gottlosen
und Sünder dahingab! So lange die Seele ihrer sterblichen Hülle nicht entflohen ist, giebt es noch Hoffnung
für den Menschen. Ich brauche wohl nicht zu bemerken,
daß ich dieses nicht sage, um irgend jemanden zu veranlassen oder in seinem Vorhaben zu bestärken, seine Errettung
bis zu seiner Sterbestunde aufzuschieben — Gott wolle
einen jeden vor einem solch verwerflichen und im höchsten
Grade gefährlichen Beginnen in Gnaden bewahren! —
sondern ich sage eS, um die ganze wunderbare Größe der
Gnade und Langmut Gottes zu zeigen, die den Sünder
selbst dann noch anzunehmen bereit ist, wenn er sich mit
seiner letzten Kraft in aufrichtiger Buße zu Jesu wendet.
„Ist nun bei ihm ein Gesandter, ein Ausleger, einer
aus Tausenden, um dem Menschen seine Geradheit kund
zu thun, so wird Er ihm gnädig sein und sprechen: Er­
237
löse ihn, daß er nicht in die Grube hinabfahre! Ich
habe Versöhnung gefunden." (V. 23. 24.) Was
ist „die Geradheit des Menschen?" Ohne Zweifel sein
wirklicher, wahrer Zustand vor Gott. Ist es da ein
Wunder, daß es eines Gesandten Gottes, eines Auslegers,
eines aus Tausenden bedarf, um dem Menschen seine
Geradheit kundzuthun? Wer sagt dem Menschen unumwunden, was er vor Gotl ist? Wer kann es ihm sagen?
Nur ein solcher, der an sich selbst erfahren hat, was es
heißt, in das Licht Gottes gestellt zu werden, und der
sich dort gesehen hat in seinem ganzen moralischen Verderben, in seinen schmutzigen, unflätigen Kleidern. Es ist
wahrlich keine angenehme und liebliche Entdeckung, die ein
Mensch dort macht; sie ruft vielmehr Schrecken, Entsetzen
und Abscheu in der Seele hervor. Aber sie ist notwendig und
heilsam. Das Uebel muß zuerst aufgedeckt werden, ehe
an eine Heilung zu denken ist. Und je völliger es aufgedeckt, je gründlicher es ans Licht gestellt wird, desto
besser ist es.
Doch wie köstlich ist es, zu sehen, wie Gott wiederum hinter allem steht. Er war es, der in Güte zu dem
Menschen redete; Er war es, der, um ihn zur Besinnung
zu bringen, schwere Züchtigungen auf ihn legte, und Er
ist es auch, der den Gesandten, den Ausleger aus Taufenden, zu ihm sendet. Gott ist es von Anfang bis zu
Ende. Ihm gebührt aller Ruhm und alle Ehre, und Er
wird Seine Ehre auch keinem Andern geben. „Wo ist denn
der Ruhm?" fragt der Apostel in Röm. 3, 27, nachdem
er von der Rechtfertigung des Sünders aus freier, unverdienter Gnade, durch den Glauben an den von Gott
aufgerichteten Gnadenstuhl, gesprochen hat? Ja, da ist
238
jeder Ruhm für den Menschen ausgeschlossen. Gott thut
alles, für den Menschen bleibt nichts zu thun übrig. Es
geht ihm, wie dem Aussätzigen am Tage seiner Reinigung.
(3. Mos. 14.) Er steht und sieht zu, was der Priester
thut. Der Priester geht zu ihm hinaus außerhalb des
Lagers, der Priester gebietet, zwei lebendige, reine Vögel
zu nehmen, der Priester schlachtet den Einen und läßt
den Andern, mit dem Blute des Ersten auf seinen Schwingen, ins freie Feld hinausfliegen, der Priester endlich
sprengt das Blut siebenmal auf den, der zu reinigen ist,
und der Priester erklärt ihn für rein. Alles ist das Werk
des Priesters, des Stellvertreters Gottes; und so ist in
der Reinigung des Sünders, von welcher jene ein so
treffendes Vorbild ist, alles das Werk Gottes.
Indessen muß dem Menschen zunächst seine Geradheit
kundgethan werden; die Wahrheit muß ihren Platz
haben, ehe die Gnade zur Anwendung kommen kann.
Gnade und Wahrheit gehen stets zusammen in den Wegen
Gottes. „Da ich schwieg, verzehrten sich meine Gebeine
durch mein Stöhnen den ganzen Tag. Denn Tag und
Nacht lastete auf mir Deine Hand, verwandelt ward mein
Saft wie in Sommerdürre. — Ich werde Dir kund thun
meine Sünde und meine Ungerechtigkeit nicht bedecken. Ich
sagte: Ich will Jehova bekennen meine Uebertretungen, und Du wirst mir vergeben die Ungerechtigkeit meiner Sünden." (Ps. 32, 3 — 5.) Das ist die
göttliche Ordnung: zuerst Bekenntnis, dann Vergebung.
Ohne eine wahre Buße, ohne ein aufrichtiges Bekenntnis
giebt es keine Vergebung. Dasselbe finden wir hier. Erst
dann, wenn der Mensch sich beugt unter das Urteil Gottes,
erst dann, wenn er beginnt, „zu Gott zu flehen," d. h.
239
wenn er den Platz eines schuldigen, heilsbedürftigen Sünders vor Gott einnimmt, kann Gott ihm gnädig sein und
ihn wohlgefällig annehmen. (V. 26.) Aber so wie Gott
nicht eher segnen kann, bis der Sünder mit einem zerknirschten Herzen sich Ihm naht, so ist Er andrerseits auch
bereit, zu vergeben und zu heilen, sobald er kommt.
Gott ist langsam zum Zorn, aber schnell bereit, zu 
vergeben und zu vergessen. Sobald der Räuber am Kreuze
ruft: „Herr gedenke meiner, wenn du in deinem Reiche
kommst!" empfängt er die Antwort: „Wahrlich, ich sage
dir, heute wirft du mit mir im Paradiese sein."
Jn unserm Kapitel finden wir ebenfalls diese unmittelbare Verbindung zwischen Wahrheit und Gnade. Ist dem
Menschen seine Geradheit kundgethan und hat er sich gebeugt unter das Urteil Gottes, so „wird Er ihm gnädig
sein und sprechen: Erlöse ihn, daß er nicht in die Grube
hinabfahre; ich habe Versöhnung gefunden." — Da haben
wir in kurzen Worten den ganzen gesegneten Inhalt des
Evangeliums der Wahrheit, der frohen Botschaft Gottes
an den Menschen. Gott hat Versöhnung gefunden, eine
Versöhnung für den Sünder, für den verlornen, hassenswürdigen Feind Gottes, und zwar in dem kostbaren Blute
Seines eingebornen, geliebten Sohnes. Jn dem auf Golgatha geschehenen Werke ist die Gerechtigkeit Gottes vollkommen befriedigt und für den Sünder der Weg zn dem
Vaterherzen Gottes gebahnt worden. Ja, alle die Ansprüche der Heiligkeit Gottes sind in Christo so völlig beantwortet worden, daß Gott jetzt Seine Gerechtigkeit darin
erweist, daß Er den rechtfertigt, der des Glaubens an
Jesum ist. „Erlöse ihn, daß er nicht in die Grube hinabfahre," das ist die herrliche, erquickende Sprache der
240
Gnade. Gott sei gepriesen, daß sie heute noch vernommen
wird, daß die Zeit der Gnade, der Tag des Heils immer
noch währt! O, wie süß und lieblich tönt diese Sprache
in die Ohren des bekümmerten Sünders! Welch ein
Augenblick, wenn das Licht der Gnade Gottes in seine
umnachtete, geängstigte Seele fällt, wenn der, der aus der
Finsternis das Licht leuchten hieß, in das Herz hineinleuchtet zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit
Gottes in dem Angesicht Jesu Christi! (2. Kor. 4.)
„Er wird Sein Angesicht schauen mit Jauchzen."
(V. 26.) Dasselbe Antlitz, das er bis dahin geflohen
hat, erfüllt jetzt sein Herz mit Freude und Jubel. Alles
ist plötzlich, wie mit einem Schlage, verändert. Derselbe
Kerkermeister, der am Abende seinem Haß gegen Gott
darin Ausdruck gab, daß er Seine blutig geschlagenen
Knechte ins innerste Gefängnis warf und ihre Füße in
den Stock legte, derselbe Mann wusch um Mitternacht ihre
Striemen ab, setzte ihnen einen Tisch vor und frohlockte,
an Gott glaubend, mit seinem ganzen Hause. Dasselbe
Weib, das, zu Boden gedrückt von der Schwere ihrer
Schuld, weinend zu den Füßen des Herrn niedersank, verließ wenige Augenblicke später mit friede- und freudeerfülltem
Herzen das Haus des Pharisäers. Derselbe Mensch, der
in dieser Minute noch mit Angst und Schrecken daran
denkt, vor dem Angesicht Gottes erscheinen zu müssen,
preist und rühmt in der nächsten, an Jesum glaubend,
denselben Gott mit überströmendem Herzen. Unter Thränen
jubelnd, erhebt er die Liebe Gottes, die sich an ihm, dem
verderbten und schuldigen Sünder, so mächtig, erwiesen hat.
Ja, die Freude ist zu groß, als daß man sie für sich behalten könnte. Das Herz muß sich auch Andern gegenüber
241
Luft machen. „Er wird vor den Menschen singen und
sagen: Ich habe gesündigt und die Geradheit
verkehrt, und es ward mir nicht vergolten. Er
hat meine Seele erlöst, daß sie nicht in die Grube fahre,
und mein Leben erfreut sich des Lichts."
(V. 27. 28.) Welch ein schönes, welch ein glückseliges
Zeugnis! Die Seele ist erlöst und erfreut sich des Lichts
des Vaterantlitzes Gottes. Von allen Sünden gereinigt,
ist für den Gläubigen dieses einst so sehr gefürchtete und
gehaßte Licht zu dem liebsten und gesegnetsten Aufenthaltsort geworden. Nirgendwo fühlt er sich so wohl, als
in der Gemeinschaft Seines Gottes und Vaters und Seines
Sohnes, unsers geliebten Herrn und Heilandes. Und überwältigt von der Liebe, die es erfahren, geht das Herz
aus, um vor den Menschen zu singen und zu sagen,
welch große Dinge Gott an ihm gethan hat. Es wünscht,
daß auch Andere diese Liebe und Huld kennen lernen
möchten.
Geliebte Brüder! ist eS so mit uns? Fließt dieses
gesegnete Zeugnis auch von unsern Lippen? Rühmen wir
uns in Wahrheit unsers Gottes und dessen, was Er an
uns gethan hat? Oder müssen wir bekennen: Es war
einst so? Eine Zeitlang war ich so glücklich und so erfüllt von Freude und Lob und Dank. Aber mein Herz
ist träge und mein Mund müde geworden, das Lob meines
Herrn zu besingen. Die Dinge dieser Welt, die Beschäftigungen und Sorgen dieses Lebens haben mein Herz so
hingenommen, daß mir wenig Zeit bleibt, an das zu
denken, was Gott an mir gethan hat, und Seinen Namen
dafür zu preisen. O, wie beschämend und demütigend ist
ein solches Bekenntnis! Sollte nicht vielmehr unsre Freude
242
mit jedem Tage zunehmen, jemehr der glückselige Augenblick herannaht, da wir unsern geliebten Herrn sehen
werden, wie Er ist? Sollten wir nicht wachsen in der
Erkenntnis Gottes und in dem Genuß Seiner Liebe? —
Der Herr gebe uns Gnade, daß wir uns vor Ihm demütigen und mit Aufrichtigkeit die Trägheit und Gleichgültigkeit unsrer Herzen bekennen und richten! Und Er wirke
durch Seinen Geist mächtig in uns, daß wir von neuem
beginnen, mit dankerfülltem Herzen Ihm zu dienen, Seinen
Namen zu erheben und, wo wir Gelegenheit haben, von
der Gnade, die uns widerfahren ist, Zeugnis zu geben!
Und wenn diese Zeilen einem Leser in die Hände
fallen sollten, der noch nicht der Vergebung seiner Sünden
gewiß ist, der bis heute noch dahingeht auf dem breiten
Wege, der zum Verderben führt — möchte dann die wunderbare Liebe Gottes ihn antreiben, zu Jesu zu eilen, so lange
es noch heute heißt! Ja, mein Freund, widerstehe nicht länger
der mahnenden und warnenden Stimme Gottes! Verschließe nicht länger dein Ohr vor Seiner freundlichen
Einladung: „Gieb mir, mein Sohn, dein Herz!" Bedenke
wohl, daß Gott schon oft bei dir angeklopft hat, und daß,
wenn du dein Herz verhärtest, ein schreckliches Gericht dich
treffen muß. Du hast die Liebe und Güte, vielleicht auch
die Strenge Gottes schon reichlich an dir erfahren. Gott
hat zu dir geredet in mancherlei Weise. Was muß dein
Ende sein, wenn du in der Störrigkeit und Unbußfertigkeit deines Herzens dahingehst! Darum laß dich warnen!
Eile zu Jesu, der bereit steht, dich zu erretten und dein
Herz mit unaussprechlicher Freude zu erfüllen! Komme
heute! Denn heute ist die Zeit der Annehmung, heute
ist der Tag des Heils.
243

Rechtfertigung durch Glauben und Rechtfertigung
durch Werke.
„Denn wir urteilen, daß ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzes Werke." (Röm. 3, 28.)
„Da wir nun sind gerechtfertigt worden aus Glauben,
so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum
Christum." (Röm. 5, 1.)
„Ist nicht Abraham, unser Bater, durch Werke gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf dem Altar
opferte? .... So sehet ihr, daß ein Mensch aus Werken
gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein. Ist aber
gleicherweise nicht auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem
andern Wege hinausließ?" (Jak. 2, 21. 24. 25.)
Auf den ersten Blick scheinen diese Verse einander
schnurstracks zu widersprechen; allein wir wissen, daß sich
in dem von dem Heiligen Geiste eingegebenen Worte
Gottes kein Schatten von Widerspruch vorfinden kann.
Alle die vermeintlichen Widersprüche finden sich, wie einmal ein alter Schriftforscher bemerkte, in unserm Kopfe,
nicht aber im Worte Gottes. Unser Verständnis ist oft
zu schwach und unser Auge zu kurzsichtig, um in die Tiefen
der göttlichen Wahrheit einzudringen. Gott selbst spricht
in Seinem Worte zu uns, und deshalb ist hier alles
Wahrheit. Indessen ist es klar, daß es von großer Wichtigkeit ist, das Wort Gottes „recht zu teilen," d. h. den
Zweck und die Tragweite eines jeden Teiles oder Buches der
Heiligen Schriften zu verstehen. Wir werden finden, daß
dann nicht nur alle Widersprüche schwinden, sondern daß
alles unter einander in dem lieblichsten Einklänge steht.
Betrachten wir denn zunächst den Gegenstand der Rechtfertigung aus, oder durch Glauben. Die gesegnete Er­
244
klärung des Evangeliums lautet: „So sei eS euch nun
kund, Brüder, daß durch diesen (Jesus) euch die Vergebung
der Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr in
dem Gesetz Moses' nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in
diesem jeder Glaubende gerechtfertigt." (Apstgsch.13,38. 39.)
Das ist eine bestimmte, unumstößliche Thatsache; alle, die 
au Jesum und an die Vergebung glauben, welche durch
Ihn verkündigt wird, sind gerechtfertigt. Der Brief an
die Römer erkennt den Gläubigen ebenfalls bestimmt, als
in diesem gerechtfertigten Zustande stehend, an: er ist gerechtfertigt durch Glauben und hat auf diese Weise Frieden
mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Jeder
wahre Gläubige ist gerechtfertigt und hat Frieden mit
Gott. Diese Thatsache ist von dem Worte Gottes aufs
Klarste festgestellt.
So wie nun aber von ein und demselben Hause zwei
Ansichten ausgenommen werden können, eine Vorder- und
eine Rückansicht, und wie diese, obwohl beide vollkommen
genau sind, einen völligen Gegensatz zu einander bilden
können, so giebt es auch in dem wichtigen Gegenstand,
der unsre Aufmerksamkeit beschäftigt, zwei verschiedene
Seiten oder Ansichten, und zwar, wenn wir so sagen dürfen,
ebenfalls eine Vorder- und eine Rückansicht. Die eine ist 
die Seite, welche Gott sieht — Rechtfertigung aus Glauben — die andere diejenige, welche der Mensch sieht —
Rechtfertigung aus Werken. Der Brief an die Römer
stellt uns die erste, der Brief des Jakobus die zweite
vor Augen.
Was ist der Mensch von Natur, wenn er in den Vordergrund gestellt wird und der volle Schein des göttlichen
Lichtes auf ihn fällt? Betrachten wir ihn zunächst in seinem
245
heidnischen Zustande. Welch ein schwarzes Gemälde!
Welch eine Beschreibung: „Erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit, voll von Neid,
Mord, Streit, List, Tücke, Ohrenbläser, Verläumder,
Gottverhaßte, Schmäher, Hochmütige, Prahler, Erfinder
böser Dinge, Eltern Ungehorsame, Unverständige, Treulose rc." (Vergl. Röm. l, 21 — 32.) Das ist das wahrheitsgetreue Bild des Heiden auf der höchsten Stufe der
Bildung. Alle Geschichtschreiber bezeugen die schreckliche
Wahrheit eines jeden Wortes in diesem Kapitel. — Betrachten wir jetzt den Juden, so wie Gott ihn in Seinem
Lichte sieht. Er besaß fünfzehn Jahrhunderte hindurch
große Vorzüge vor dem Heiden. Er hatte das Gesetz, die 
Psalmen und die Propheten. Haben nun die Strahlen
des göttlichen Lichtes, das er besaß,' eine Aenderung in
feinem natürlichen, verderbten Zustande hervorzubringen
vermocht? Trägt das Bild, welches der inspirirte Apostel
uns von ihm giebt, hellere Farben? Keineswegs; er sagt:
„Haben wir einen Vorzug? Durchaus nicht; denn wir
haben zuvor bewiesen, daß beide, Juden und Griechen,
alle unter der Sünde sind, wie geschrieben steht: „Da ist 
nicht ein Gerechter, auch nicht einer; da ist nicht, der
verständig sei; da ist nicht, der Gott suche. Sie sind alle
abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist
nicht, der Gutes thue, es ist auch nicht einer." „Ihr
Schlund ist ein offnes Grab rc."" (Röm. 3, 9—19.)
Untersuchen wir das Gemälde in allen seinen Einzelheiten;
es unterscheidet sich in nichts von dem vorigen. Alle sind
abgewichen, alle sind schuldig. Das ist die göttliche Wahrheit in bezug auf einen jeden Menschen, ob Jude oder 
Heide, ob religiös oder ganz und gar ungläubig — alle
246
erscheinen als schuldige -Sünder, sobald sie in das überwältigende Licht der Gegenwart Gottes gebracht werden.
Da der Zustand des Menschen ein solcher ist, so ist
es offenbar, daß das Gesetz ihm unmöglich eine wirkliche
Hülfe bringen konnte; es kann über einen solch verderbten
Zustand und über den, der sich in demselben befindet, nur
ein gerechtes Urteil bringen. Das Gesetz kann die Sünde
nicht rechtfertigen. Und doch ist alles, was von dem
Menschen gesagt werden kann, wenn es sich um die Frage
der Gerechtigkeit handelt, dies, daß er schuldig ist und
unter Gericht steht. Für das Auge des Menschen mag
es viele und große Unterschiede geben. Aber wir betrachten 
jetzt den Menschen vor Gott, und das Zeugnis des Wortes
Gottes in diesem Punkte lautet: „Es ist kein Unterschied,
denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes;" und: „darum aus Gesetzes Werken wird
kein Fleisch vor Ihm gerechtfertigt werden, denn durch
Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde."
Es handelt sich also nicht mehr um die Gerechtigkeit
des Menschen, denn in den Augen Gottes, „vor Ihm," hat
er keine. Vielmehr ist es die Gerechtigkeit Gottes, die
jetzt, ohne Gesetz, geoffenbart worden ist, „Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesum Christum." —
„Sie werden aus freier Gabe gerechtfertigt" — nicht durch
Werke, sondern — „durch Seine Gnade, durch die Erlösung,
die in Christo Jesu ist." Nachdem sich also die Schuld
des Menschen, ob Jude oder Heide, völlig erwiesen hat,
ist die Gerechtigkeit jetzt einzig und allein von Gott. Gott
hat Jesum dargestellt zu einem Gnadenstuhl durch den
Glauben an Sein Blut. Zwei Dinge sind es, die Gott
gethan hat: Er hat Seinen geliebten Sohn dahingegeben,
247
AM unsre Sünden zu tragen — „welcher unsrer Uebertretungen wegen dahingegeben und- unsrer Rechtfertigung
wegen auferweckt worden ist" — und Er hat uns, indem
wir geglaubt haben, gerechtfertigt. Und dies giebt der
Seele vollkommenen Frieden mit Gott.
Der Leser wolle beachten, daß Abraham als Beweis
für die beiden Seiten der Gerechtigkeit angeführt wird;
seine Rechtfertigung aus Werken wird an dem passenden
Orte durchaus nicht vergessen, wie wir hernach sehen werden. Im Römerbriefe handelt es sich aber stets um die
Rechtfertigung aus Glauben, und dementsprechend lesen
wir: „Denn wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden, so hat er Ruhm, aber nicht vor Gott. Denn
was sagt die Schrift? „Abraham aber glaubte Gott, und
es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet."" (Kap. 4, 2. 3.)
So war es also der Glaube, der, getrennt von allep
Werken, ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde. Dies wird
uns noch klarer werden, wenn wir uns zum 1. Buche
Mose wenden und die betreffende Stelle aufmerksam lesen.
Im 4. Verse des 15. Kapitels heißt es: „Und siehe,
das Wort Jehova's geschah zu ihm und sprach: Nicht
dieser (Ismael) wird dich beerben, sondern der aus deinem
Leibe kommen wird, der wird dich beerben .... Und
er glaubte Jehova; und Er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit." Er sah nicht an seinen eignen, schon erstorbenen
Leib, noch den erstorbenen Mutterleib der Sarah, sondern
glaubte — wider Hoffnung auf Hoffnung — dem einfachen und klaren Ausspruch Gottes. Und dieser Glaube,
hier getrennt von allen Werken, wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Genau so ist es mit dem Gläubigen.
So lange er sich selbst betrachtet, kann er keinen Frieden
248
haben, denn da ist nichts in seinem sündigen Ich, worauf
der Glaube ruhen könnte. „Dem aber, der nicht wirkt,
sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt,
wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet." (V. 5.) Nachher führt der Apostel die Worte Davids an, mit welchen er
die Glückseligkeit eines Menschen beschreibt, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet: „Glückselig, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind! Glückselig
der Mann, dem der Herr die Sünde gar nicht zurechnet!"
So wunderbar dies auch erscheinen mag, so kann es
doch nicht anders sein, denn Gott selbst verpfändet Sein
Wort dafür. Infolge des Versöhnungstodes Christi (nicht
infolge unsrer Werke) kann Gott jetzt Seine Gerechtigkeit
darin beweisen, daß Er unsre Sünden vergiebt, und indem zugleich die Sünde, die Wurzel und Quelle von allem
Bösen, in dem Opfer Christi gerichtet worden ist, ist
Gott gerecht, wenn Er die Sünde uns, den Glaubenden,
nicht mehr zurechnet. Nachdem er sie einmal auf Jesum gelegt hat, würde Er nicht gerecht sein, wenn Er
sie dem Glaubenden noch zurechnete. Welch eine gesegnete Wahrheit ist das! Unsre Sünden sind vergeben,
und die Sünde wird uns nicht mehr zugerechnet. Vielmehr wird uns unser Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.
Denn „es ist nicht allein Abrahams wegen geschrieben,
daß cs ihm zugerechnet worden, sondern auch unsertwegen,
denen es zugerechnet werden soll, die wir an Den glauben,
der Jesum, unsern Herrn, aus den Toten auferweckt hat."
Jedoch besteht zwischen Abraham und uns der Unterschied,
daß er der Verheißung glaubte, während uns die vollendete Thatsache als Gegenstand des Glaubens vorgestellt
wird. DaS Erlösungswerk, der Tod Christi, ist eine
249
vollendete Thatsache. Seine Auferstehung aus den Toten
zu unsrer Rechtfertigung und Seine Erhöhung zur Rechten
des Vaters, um dort unsre gegenwärtige Gerechtigkeit zu
sein, sind vollendete Thatsachen. Aber alles ist von Gott,
nichts von uns. Unsre Werke konnten und können hierzu
nicht das Geringste beitragen. Wir sind aus Seiner Gnade
gerechtfertigt, aus Glauben, ohne Werke. Wir sind gerechtfertigt „vor Ihm." Infolge des vollendeten Werkes
Christi ist Gott gerecht, wenn Er den rechtfertigt, der des
Glaubens an Jesum ist.
Alles dieses hat die Liebe für uns bereitet, als wir
noch Feinde und kraftlos waren; da starb Christus für
uns. Und jetzt, an Gott glaubend, sind wir vor Ihm
gerechtfertigt und haben Frieden mit Gott. Alles aber
durch Jesum Christum. So sind alle Werke des Menschen
völlig ausgeschlossen, sobald es sich um die Rechtfertigung
„vor Ihm," um Frieden mit Gott handelt. Käme
diese Gerechtigkeit aus dem Gesetz oder aus Werken, so wäre
Christus umsonst gestorben. Wer sich zum Gesetz oder
zu den Werken wendet, um Gerechtigkeit zu erlangen, für
den ist Christus ohne Nutzen. (Vergl. Gal. 2, 21; 5,1—4.)
Diese Wahrheiten werden in den ersten 8 Kapiteln des
Römerbriefes und in dem Briefe an die Galater so klar
und deutlich wie möglich entwickelt.
Ebenso klar aber stellt uns Jakobus in seinem Briefe
die höchst wichtige Wahrheit von der Gerechtigkeit aus
Werken vor Augen, während die Gerechtigkeit Gottes durch
das mittelst des Blutes Jesu Christi vollbrachten Erlösungswerkes keinen Platz in seinen Unterweisungen findet. Der
Geist Gottes behandelt in der Epistel des Jakobus einen
ganz andern Gegenstand — das praktische Leben des
250
"Christen ist das Thema dieses Briefes. Es handelt sich
darin weder um die Rechtfertigung vor Gott, noch um
den Frieden mit Gott, obwohl die unumschränkte göttliche Gnade völlig anerkannt wird, sondern vielmehr um
die Rechtfertigung aus Werken vor den Augen des Menschen. „Zeige mir deinen Glauben ohne Werke, und
ich werde d i r meinen Glauben zeigen aus meinen Werken ... . Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke
gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf dem
Altar opferte? Du siehst, daß der Glaube mitwirkte
zu seinen Werken.... So sehet ihr, daß ein Mensch
aus Werken gerechtfertigt wird, und nicht aus Glauben
allein." Die Worte „zeigen" und „sehen" kennzeichnen
zur Genüge den Charakter der Belehrung des Jakobus.
So wie es sich also im Römerbrief um die Rechtfertigung
vor Gott handelt und der Mensch dort keine Gerechtigkeit, sondern nur die traurigsten Sünden aufzuweisen hat
und infolge dessen die Gerechtigkeit einzig und allein von
Gott kommt und der Mensch durch den Glauben an Jesum,
ohne Gesctzeswerke, gerechtfertigt wird — so stehen im
Briefe des Jakobus die Früchte im Vordergründe, welche
durch den lebendigen Glauben an Christum vor den
Augen der Menschen hervorgebracht werden; und
wenn der Glaube diese Früchte des Gehorsams gegen
Gott und der Unterwerfung des eignen Willens nicht
hervorbringt, so ist es kein wahrer Glaube, sondern nur
ein Fürwahrhalten des Wortes Gottes — ein Glaube,
wie ihn die Teufel haben. Es handelt sich hier also
einfach um den Beweis des Vorhandenseins des wahren
Glaubens durch die Werke, und das nicht vor Gott, sondern vor den Menschen.
251
Zur Erläuterung des Gesagten möchte ich ein Bild
anführen. Nehmen wir an, wir gingen im Frühjahr über
ein Ackerstück. Der Eigentümer desselben sagt uns:
„Dies ist ein Gerstenstück." — „Ein Gerstenstück?" fragen
wir; „aber wir sehen ja nicht einen einzigen Halm." Der
Landmann kennt die Qualität des gesäten Samens; wir
kennen sie nicht. Es mag alles toter, wertloser Staub
sein, oder jedes Korn mag den Keim des Lebens in sich
tragen. Wenn wir nun den Landmann aufforderten:
„Beweise uns, daß das Feld ein Gerstenstück ist," was
würde er antworten? Er würde sagen: „Kommt in einiger
Zeit wieder, und Ihr werdet sehen, daß ich die Wahrheit
gesprochen habe." Wir kommen einige Monate später
zurück. Gott hat dem Lande inzwischen Seinen Regen
gegeben und es erwärmt mit den Strahlen Seiner Sonne.
Jetzt sehen wir, daß der Landmann uns nicht belogen
hat. Das ganze Feld ist bedeckt mit goldenen Aehren,
die der Ernte entgegenreifen. Der Land mann kannte
die Güte seines Samens, bevor er aufging, wir konnten
uns erst von derselben überzeugen, nachdem er Frucht gebracht hatte. Gerade so ist es mit dem Glauben. Gott
braucht nicht die Werke zu sehen, um den wahren Glauben zu erkennen, Er selbst hat ihn gewirkt. Wir aber
müssen sehen, um urteilen zu können. Und beachten
wir wohl, daß der Landmann nie so thöricht sein wird,
eine Ernte zu erwarten, wenn er nicht vorher gesäet hat.
Nur in geistlichen Dingen ist der Mensch so blind, daß
er eine Frucht erwartet, bevor die Aussaat geschehen ist.
So bezieht sich auch der Geist Gottes im Römerbrief
und in der Epistel des Jakobus in dieser doppelten
Weise auf Abraham. Paulus redet von der Rechtfertigung
252
Abrahams in den Augen Gottes und richtet deshalb unsre
Aufmerksamkeit auf 1. Mose 15. Dort glaubte Abraham
dem einfachen Worte Gottes, und sein Glaube ward ihm
zur Gerechtigkeit gerechnet. Gott sprach, und Abraham
glaubte. Wir hören kein Wort von Werken. Aber der
wahre Glaube ist eine mächtige Kraft in der Seele. Jahre
gingen dahin. Ismael war schon vierzehn Jahre alt, als
Isaak geboren wurde. Der Glaube Abrahams erprobte
sich und zeigte endlich seine volle Frucht in der Opferung
des Sohnes der Verheißung. „Du siehst, daß der
Glaube mitwirkte zu seinen Werken, und daß der Glaube
durch die Werke vollendet worden ist." Ohne Glauben
wären die Thaten Abrahams und RahabS keine guten
Werke gewesen; aber vor den Augen der Menschen hätte
nichts die Macht des in ihnen wirkenden Glaubens deutlicher beweisen können.
Es giebt in der That ebenso wenig einen Widerspruch
zwischen der Rechtfertigung vor Gott aus Glauben,
ohne Werke, und der Rechtfertigung vor den Menschen
durch die Werke des Glaubens, als ein Widerspruch bestehen würde zwischen der Beschreibung eines Feldes, wenn
soeben erst der Same aus dasselbe gesäet worden ist, und
der Beschreibung desselben Feldes, wenn der Same aufgegangen ist und die vollen Aehren im Abendwinde hinund herwogen. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." Die inspirirte Epistel des JakobuS ist daher
für jedes Kind Gottes, das nicht nur ein Hörer, sondern
auch ein Thäter des Wortes sein will, von hervorragender Wichtigkeit. Ja, wir sind überzeugt, daß sie für die
heutige Zeit in besondern: Maße notwendig ist. Sie wurde
an die zwölf Stämme in der Zerstreuung gerichtet. Große
Scharen bekannten, Christen zu sein, obwohl sie noch der
Synagoge anhingen. Bei vielen war es, wie heutiges
Tages, ein totes, leeres Bekenntnis des Glaubens — die 
Lampe ohne Oel. Und daher war es so überaus wichtig,
auf die Notwendigkeit eines praktischen christlichen Wandels
zu dringen. ___________
Ueber das Verhalten des Gläubigen in den Tagen
des Verfalls.
1. Die Trennung vom Bösen.
Es ist eine sehr verbreitete und tief eingewurzelte, aber 
mit dem Worte Gottes in völligem Widerspruch stehende
Meinung, daß die von dem Staate oder den weltlichen
Herrschern anerkannten religiösen Systeme die wahre Kirche
bildeten, und daß ein jeder, der sich von diesen trenne,
sich damit auch von der Kirche, als solcher, getrennt habe.
Das Wort Gottes kennt nur eine Kirche oder Versammlung, mögen wir dieselbe nun betrachten in ihrem Charakter
als der verantwortliche Körper auf der Erde, welcher alle
einschließt, die sich Christen nennen, mit einem Wort, als
die bekennende Kirche — oder in ihrem Charakter als der
Leib Christi, als das Haus des lebendigen Gottes, das
von Ihm selbst gebaut wird, und zu dem alle Erlösten,
alle wahren Gläubigen gehören. Das Wort Gottes spricht
zwar von lokalen Kirchen oder Versammlungen; diese bildeten aber nur ebensoviele Teile des Ganzen und waren
unzertrennlich mit einander verbunden. Unabhängige
Versammlungen, die in sich selbst eine Einheit bilden, die
durch Lehre, Bekenntnis oder Namen ihre Vereinigung mit
einem Teile der Christenheit kundgeben, während sie sich
eben dadurch zu gleicher Zeit von allen andern Christen
trennen, sind ein deutlicher Beweis des Verfalls und in
254
sich selbst nichts anders als Parteien oder Sekten, mögen 
sie nun groß oder klein, alt oder jung, von dem Staate
anerkannt sein oder nicht. Ihr Bestehen ist ein Beweis
des Abirrens von der Wahrheit, welche lehrt, daß die
Kirche nur eine ist.
Wer sich nun von einer solchen Partei trennt, trennt
sich dadurch noch keineswegs von der Kirche. Um dieses
zu thun, müßte man das Christentum überhaupt verlassen
und Jude, Heide oder Mohamedaner werden. Daß dieses
böse und höchst verwerflich wäre und ein schreckliches Gericht
zur Folge haben müßte, braucht kaum erwähnt zu werden.
Das Ausrichten einer Partei aber, oder das Teilnehmen
an einer solchen, nennt das Wort Gottes fleischlich und:
nach Menschenweise wandeln. (Vergl. I.Kor. 1,12; 3, 3. 4.)
Schon hieraus geht hervor, daß eine Trennung von jeder
Partei, wenn sie anders in der Furcht Gottes und aus
Unterwürfigkeit unter Sein Wort geschieht, eine Gott wohlgefällige Handlung des Gehorsams ist. Doch Gott hat
noch deutlicher geredet. Seitdem die Kirche auf der Erde
zu einem großen Hause geworden ist, hat sich viel Böses
in dieselbe eingeschlichen. Gott aber hat in Seiner großen
Gnade die Aufrichtigen und Treuen im voraus darauf
aufmerksam gemacht und das Ihm wohlgefällige Verhalten
klar bezeichnet. Wir lesen in 2. Timoth. 2, 20-22:
„Jn einem großen Hause aber sind nicht allein goldene
und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene,
und die einen zur Ehre, die andern aber zur Unehre.
Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, der
wird ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem
Hausherrn, zu allem guten Werke bereitet. Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit,
255
Glaube, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn
anrufen aus reinem Herzen."
Christus wandelte hienieden stets und in allem in Abhängigkeit und im Gehorsam. Sind wir nun aus Gott
geboren und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, so
besitzen wir dasselbe Leben, das in Christo hienieden geoffenbart worden ist, und denselben Geist, durch welchen Er
alles auf Erden vollbracht hat. Wir sind dadurch zu dem
„Gehorsam Christi," (1. Petr. 1, 2.) d. h. zu demselben
Charakter des Gehorsams fähig gemacht worden; und deshalb
ermahnt uns das Wort, gesinnt zu sein, wie Er es war, und
zu wandeln, wie Er gewandelt hat. (Phil. 2, 5; 1. Joh. 2, 6.)
Nur durch Gehorsam beweisen wir unsre Liebe zu Gott:
„denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer." 
(1. Joh. 5, 3.)
Was Gott nun zunächst von uns erwartet, ist die
Trennung von dem Bösen, worin dieses auch bestehen
möge. Sein Wort ermahnt uns: „Von aller Art des
Bösen haltet euch fern." (1. Thess. 5, 22.) „Hasset das
Böse, haltet fest am Guten." (Röm. 12, 9.) Die Trennung vom Bösen ist der erste Schritt auf dem Wege zum
Guten. DaS Wort Gottes zeigt uns beides, das Böse
wie das Gute, und sagt uns deutlich, wie wir uns zu
beidem zu verhalten haben. Nimmt nun die Verherrlichung Gottes wirklich den ersten Platz in unserm Herzen
ein, so werden wir stets in Seinem Worte forschen und
in allem uns Seinem guten und wohlgefälligen Willen
unterwerfen.
Wir wissen durch die Botschaft des Herrn selbst,
„daß Gott Licht ist und gar keine Finsternis in Ihm ist."
256
(1. Joh. 1, 5.) Wandeln wir nun in wahrer Furcht, indem wir uns bewußt sind, daß wir Den als Vater anrufen, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines
jeglichen Werk, und daß wir durch das kostbare Blut
Christi von allem eitlen Wandel erlöst worden sind,
(1. Petr. 1, 17—19.) so werden wir alles verurteilen,
was nicht jenem Lichte gemäß, was nicht in Uebereinstimmung mit dem untrüglichen Worte Gottes ist. Wir
werden nicht nur das Böse richten und verwerfen, welches,
wie Johannes schreibt, „von der Welt" ist: die Lust der
Augen, die Lust des Fleisches und den Hochmut des Lebens,
d. h. das, was moralisch böse ist und wobei stets die
Ehre des Menschen mehr oder weniger in Frage kommt,
sondern auch ebenso sehr das Böse, bei welchem es sich
zunächst nur um die Ehre und Autorität Gottes handelt.
Und hierzu gehört alles, was der Mensch auf religiösem
oder kirchlichem Gebiet sich angemaßt hat, alle seine eigenwilligen Anordnungen und Einrichtungen auf demselben,
das Bestehen einer jeden kirchlichen Partei, mag sie in den
Augen der Menschen noch so ehrwürdig und angesehen
und von den Herrschern dieser Welt noch so völlig anerkannt sein — ja alles, wodurch der Herr entehrt, der
Heilige Geist betrübt und das Wort Gottes beiseite gesetzt
wird. Wohl mögen die Menschen sich ihres Thuns rühmen und erfreuen und mit Stolz auf ihre Partei Hinblicken, wohl mögen sie zu deren Verherrlichung glänzende
Feste feiern — Gott aber erkennt sie nicht an, und der
Heilige Geist wird durch sie betrübt und verunehrt. Es ist
nur ein Werk des Feindes, der schon in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Kirche auf der Erde bemüht
war, dieselbe zu zersplittern und sie in menschliche Par­
257
teien aufzulösen, wie uns dies die erste Epistel an die 
Korinther so deutlich zeigt. (Vergl. auch Apstg. 15.) Und
ach! wie sehr ist es ihm gelungen!
Ein einsichtsvoller Christ, der die Ehre seines Herrn
wirklich liebt und Sein Wort hochschätzt, wird nur mit
tiefem Schmerz auf diese Zersplitterung Hinblicken; aber
unmöglich kann er irgend eine kirchliche Partei anerkennen
oder mit ihr in Gemeinschaft sein, obwohl die wahren
Gläubigen, die sich darin befinden mögen, seinem Herzen
teuer sind. Er kann nie gleichgültig sein in einer Sache,
bei welcher die Ehre Gottes in Frage kommt; er wird
mit Fleiß Seinen Willen in Seinem Worte zu erforschen
suchen, und sich demselben, sobald er ihn erkannt hat,
willig unterwerfen, was es auch kosten möge. Er wird
sich sicher von allem fernhalten, von allem trennen, wovon
er weiß, daß es Gott mißfällig und Seinem Worte entgegen ist, ohne sich irgendwie um das Urteil der Menschen
zu kümmern; und hat er einmal diesen ersten Schritt auf dem
Wege des Gehorsams gethan, so wird Gott in Seiner
Gnade ihn weiter führen. Er wird durch Sein Wort
ihm Seinen wohlgefälligen Willen mehr und mehr kund
thun und durch Seinen Geist ihn leiten.
Es giebt nun viele Gläubige, die sich einfach deshalb
von einer kirchlichen Partei oder von einer der sogenannten
Konfessionen trennen, weil sie in denselben das eine oder 
andere finden, das sie nicht in Uebereinstimmung mit dem
Worte Gottes halten, wie, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, die Zulassung der Ungläubigen zum Tische des
Herrn. Solche Christen haben aber noch nicht erkannt,
daß eine Partei schon deshalb dem Worte Gottes entgegen
und verwerflich ist, weil sie eine Partei oder Sekte ist.
258
wenn auch noch so viel Gutes in ihr gefunden werden
mag, und sie sind deshalb stets in Gefahr, eine neue
Partei aufzurichten. Es mag in der ihrigen nun viel
mehr Wahrheit gefunden werden, als in derjenigen, welche
sie verlassen haben, aber bei all ihrer Treue und ihrer
guten Meinung haben sie doch nur die Trennung in der
Kirche vergrößert und die Parteien oder Sekten um eine
neue vermehrt, und haben dadurch das Werk des Feindes
gefördert. Sie haben sich nicht völlig vom Bösen getrennt. Ihre Partei kann und wird Gott deshalb nicht
anerkennen, obwohl Er in Seiner großen Geduld und
Langmut ihre Unwissenheit übersehen und die ihnen durch
den Geist verliehenen Gaben für Sein Werk, sowohl zur
Errettung von Sündern, als auch zur Erbauung der
Gläubigen, benutzen mag. Solche Gläubige aber, die
wissentlich und aus Untreue in einer Gemeinschaft oder
Sache verharren, wodurch der Herr verunehrt und der
Heilige Geist betrübt wird, dürfen sich sicher nicht der
Geduld und Langmut Gottes getrösten; für sie steht das
ernste Wort geschrieben: „Jener Knecht aber, der den Willen
seines Herrn wußte und sich nicht bereitet, noch nach
Seinem Willen gethan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden." (Luk. 12, 47.)
Haben wir erkannt, daß das Errichten und Bestehen
einer Partei, wie viel Wahrheit in ihr auch gefunden
werden mag, eine Unehre für Gott und Seinem Worte zuwider
ist, so werden wir schon aus diesem einzigen Grunde nicht
teil daran nehmen und ebensowenig bemüht sein können,
eine andere aufzurichten. Gewiß ist es Gott wohlgefällig,
daß wir mit jedem Gläubigen, der treu wandelt und von
falscher Lehre sich fern hält, einen herzlichen nnd brüder­
259
lichen Verkehr haben in Wahrheit und Liebe, aber die 
Partei, zu der er sich bekennt, und alles, was mit
derselben in Verbindung steht, können und dürfen wir
nicht anerkennen, wenn wir anders Gott und Seinem
Worte unterworfen sein wollen. Viele mögen dies engherzig und einen Mangel an brüderlicher Liebe nennen;
das Wort aber sagt: „Hieran wissen wir, daß wir die
Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und
Seine Gebote halten." (1. Joh. 5, 2.) Die Liebe
zu den Brüdern kann nie von dem Gehorsam gegen Gott
getrennt werden; wo dieser Gehorsam fehlt, da ist die
brüderliche Liebe nur eine menschliche und dient nicht zur
Verherrlichung Gottes.
2. Die Bewahrung der Einheit des Geistes.
Betrachten wir die Kirche oder Versammlung Gottes
als die „Behausung Gottes im Geiste," von Gott selbst
erbaut, (Eph. 2, 22.) oder als den „einen Leib," dessen
Haupt Christus ist, (Eph. 1, 22. 23; Kol. 1, 18.) so
gehören, wie schon gesagt, nur diejenigen dazu, welche durch
den Glauben an Christum erlöst und des Heiligen Geistes
teilhaftig geworden sind. Diese alle, die auf dem ganzen
Erdboden zerstreut gefunden werden, sind, wie wir in
1. Kor. 12, 13 lesen, durch einen Geist zu einem Leibe
getauft. Sie sind völlig eins; sie sind nicht nur eine
Gesamtheit von Personen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, bilden nicht nur ein Geschlecht oder eine Familie, sondern sie sind ein Leib, dessen Haupt oder Kopf
Christus ist. Er ist der Mensch der Ratschlüsse Gottes,
das Haupt über alle Dinge, die in den Himmeln und die 
auf der Erde sind, und als solcher ist Er der Versamm-
260
lurig gegeben. Und nach denselben Ratschlüssen, die von
den Zeiten vor Grundlegung der Welt an bis zu den
Tagen der Apostel und Propheten des Neuen Testaments
in Gott verborgen waren, ist die Versammlung unzertrennlich mit Christo verbunden; sie gehört zu Ihm, wie
der Leib zum Kopfe gehört; sie ist ein Teil von Ihm selbst,
Seine Fülle, „die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt." (Kol. 1, 16; Eph. 1, 22. 23; 5, 30-32;
Apstg. 9, 4. 5.)
Es giebt also nur einen Leib, wie es auch nur
einen Geist giebt, durch welchen alle zu einem Leibe
getauft sind. Diese Einheit ist die Einheit des Geistes,
und diese allein wird vor Gott anerkannt, und wir werden
ermahnt, uns „zu befleißigen, die Einheit des Geistes zu
bewahren in dem Bande des Friedens." (Eph. 4, 3.)
Jede andere Vereinigung, auf welchem Grunde und unter
welcher Form sie auch errichtet werden mag, ist eine Einheit des Menschen, wodurch das Werk des Geistes zerstört und dessen Autorität verworfen wird; und deshalb
kann Gott sie nie anerkennen. Anstatt in dem großen
Verfall um uns her die Unfähigkeit, Ohnmacht und Untreue des Menschen zu erblicken und sich darüber zu demütigen, maßen Viele sich an, durch neue Vereinigungen
nach menschlicher Weisheit und auf menschlichem Boden
den großen Schaden zu heilen. Wahrlich, solche Anstrengungen verraten nicht nur eine hohe Anmaßung und eine
große Unkenntnis über den armseligen Zustand des Menschen, sondern zeigen zugleich auch einen großen Mangel
an wahrem Verständnis des Wortes Gottes und an Ehrfurcht vor demselben. Es giebt, ich wiederhole es, nur
eine wahre und von Gott anerkannte Vereinigung aller
261
Gläubigen, und das ist die Einheit des Geistes, und diese
Einheit bleibt vor Gott bestehen, trotz aller menschlichen
Parteien, und jeder Christ ist für ihre Anerkennung und
Aufrechthaltung verantwortlich.
Obwohl nun das Wort Gottes stets nur von einem
Leibe redet, so spricht es doch von mehreren Versammlungen. Der Leib Christi, obwohl er nur einer ist, kann
sich an vielen Orten versammeln; und so kann eine örtliche Versammlung die „Versammlung Gottes" genannt
werden, wenn sie als solche ihren wahren Platz einnimmt.
Der Apostel richtete z. B. zwei Briefe an die „Versammlung Gottes" zu Korinth, einen andern an die Versammlungen von Galatien rc. Jede Versammlung ist
an ihrem Orte der Ausdruck und die Offenbarung der
ganzen Kirche oder Versammlung, des Leibes Christi,
wenn sie anders der Wahrheit gemäß wandelt. „Ihr
seid der Leib Christi und Glieder insonderheit," schreibt
der Apostel an die Korinther. (1. Kor. 12, 27.) Es
war ihre Verantwortlichkeit, alle Erfordernisse dieser gesegneten Stellung aufrecht zu halten. Ebenso sind wir,
trotz des großen kirchlichen Verfalls um uns her, verantwortlich, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem
Bande des Friedens, mag es sich nun um eine örtliche,
oder um die Versammlung in ihrer Gesamtheit handeln.
Dieses Band des Friedens soll alle umschlingen als einen
Leib; der Friede des Christus soll in jedem Herzen wohnen
und bei allem Verkehr unter einander zum wahren Ausdruck kommen. Alle sind ermahnt, würdig zu wandeln
der Berufung, womit sie von Gott berufen sind, mit aller
Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend
in Liebe. (Eph. 4, 1. 2.) Das allein ist die wahre Ge­
262
sinnung, die uns befähigt, den Gliedern des Leibes Christi
zu dienen und die Einheit des Geistes zu bewahren.
Wir sind also nicht berufen, eine Einheit oder Vereinigung nach eignem Gutdünken zu machen, sondern
werden vielmehr ermahnt, diejenige aufrecht zu halten,
welche der Heilige Geist gemacht hat, und alles zu
vermeiden, wodurch diese Einheit verdunkelt oder gar zerstört wird. In welcher Weise haben sich nun die Gläubigen zu diesem Zwecke zu versammeln? Sie haben sich,
in Anerkennung und auf Grund dieser Einheit des Geistes,
einfach im Namen Jesu zu versammeln und Seinen Tod
zu verkündigen; und ebenso ist es ihr Vorrecht, zum gemeinschaftlichen Gebet und zu gegenseitiger Erbauung und
Belehrung zusammen zu kommen, um ihre Bedürfnisse
vor Gott kund zu thun und getröstet, ermahnt und in
allem Guten unterwiesen zu werden. Wenn der Name
Jesu allein der Beweggrund, der Mittelpunkt, der Zweck
und das Ziel ihres Zusammenkommens ist, so haben sie
die bestimmte Zusage vom Herrn, daß Er persönlich in
ihrer Mitte sein will; denn Er sagt: „Wo zwei oder 
drei versammelt sind in meinem Namen, (eigentlich:
zu meinem Namen hin) da bin ich in ihrer Mitte."
(Matth. 18, 20.) Welch ein Vorrecht und welch eine
Gnade! Zweimal lesen wir in Joh. 20, daß am ersten
Wochentage, als Seine Jünger, deren Herzen erfüllt waren
von Ihm und von dem, was sich mit Ihm ereignet hatte,
bei verschlossenen Thüren versammelt waren, der Herr in
ihrer Mitte stand und sprach: Friede euch! „Es freuten
sich nun die Jünger, als sie den Herrn sahen." (V. 20.)
Und sollten wir uns nicht eben so sehr freuen, wenn wir
in Seinem Namen versammelt sind, und Er in unsrer
263
Mitte ist, obwohl unsre Augen Ihn nicht sehen? Und
wenn wir also versammelt sind, können wir dann als
eine Partei oder Sekte betrachtet werden? In den Augen
der Menschen vielleicht, aber sicher nicht in den Augen Gottes;
und wenn Er mit Wohlgefallen auf uns blickt, so hat
das Urteil der Menschen keinen Wert für unS. Giebt es
ober noch irgend etwas, das uns, wenn wir im Namen
Jesu versammelt sind, so völlig befriedigen und glücklich
wachen könnte, noch irgend etwas, das so fähig wäre,
unsre Herzen mit Dank und Anbetung zu erfüllen, als
die persönliche Gegenwart unsers geliebten Herrn, der
Sein teures Leben für uns hingegeben hat? Gewiß nicht.
Wenn Sein anbetungswürdiger Name uns über alles teuer
und köstlich ist, so wird das Bewußtsein Seiner Gegenwart unsre Herzen mit Freude und Wonne erfüllen und
uns willig und bereit machen, alles zu verurteilen und
Hinwegzuthun, was dieser heiligen Gegenwart nicht entspricht. Wir werden es auch stets als eine große Huld
rmd Gnade anerkennen, daß der Herr für uns in dieser
Zeit der traurigsten Verwirrung einen Weg vorgesehen hat,
auf dem wir Ihn verherrlichen und die Einheit des Geistes
bewahren können, indem wir uns, und wären unser auch
nur zwei oder drei, in Seinem Namen versammeln können,
in dem glücklichen Bewußtsein, daß Er selbst in unsrer
Mitte ist.
Wir dürfen aber keineswegs übersehen, daß diese
trostreiche Verheißung nur denen gegeben ist, die sich im
Namen Jesu versammeln, und nicht einer Partei, die
schon durch ihr Dasein die Einheit des Geistes leugnet,
weil sie eine andere Vereinigung nach menschlichen Grundsätzen ist und sich durch ein besonderes Bekenntnis oder
264
einen besonderen Namen von den übrigen Christen trennt.
Jn ihrer Mitte mag sich viel Eifer für Christum und
Liebe zu den Seelen finden, und das wird der Herr gewiß anerkennen und die Bemühungen segnen; unmöglich
aber kann und wird es Ihm gleichgültig sein, ob die Seinigen den Heiligen Geist betrüben, indem sie die durch
Ihn gewirkte Einheit nicht beachten und nach eignem Gutdünken handeln, oder ob sie sich befleißigen, die Einheit
des Geistes zu bewahren, indem sie Seinem Worte unterworfen sind. Unmöglich kann Er, der Heilige und Wahrhaftige, die den Seinigen gegebene Verheißung, in ihrer
Mitte zu sein, in gleicher Weise erfüllen, wenn eine Anzahl von Gläubigen als eine abgesonderte Partei versammelt ist. Möchte doch jeder gläubige Leser dieser
Zeilen diese so ernste und wichtige Sache mit aller Aufrichtigkeit vor dem Herrn erwägen!
Wie schon oben erwähnt, bilden sämtliche Gläubige,
die an irgend einem Orte wohnen, daselbst die Versammlung Gottes; allein nur diejenigen offenbaren dieselbe und
geben ihr als solcher ihren wahren Ausdruck, so daß sie
dem Grundsatz nach als die Versammlung Gottes an jenem Orte erkannt werden können, welche sich auf Grund
der von dem Geiste gemachten Einheit im Namen
Jesu versammeln. Befindet sich nun irgendwo eine Versammlung, die auf diesem göttlichen Grunde zusammenkommt und den Tod des Herrn verkündigt, und ein an
demselben Orte wohnender Christ weigert sich, sie anzuerkennen und sich ihr anzuschließen, so ist er dem Worte
Gottes nicht gehorsam; er ist nicht bemüht, die Einheit
des Geistes zu bewahren. Er mag sich weigern, weil
er unrichtig belehrt ist und die Wahrheit in diesen
265
Beziehung nicht kennt; aber immerhin wird es für ihn
selbst ein großer Schaden sein. Doch weit größer ist
seine Verantwortlichkeit, wenn er nicht aus Unwissenheit,
sondern aus menschlichen Rücksichten, aus Mangel an
Gottesfurcht, oder aus irgend einem andern verwerflichen
Grunde sich weigert, seinen Platz in jener Versammlung
einzunehmen.
Es geschieht in unsern Tagen auch nicht selten, daß
Christen an einem Orte, wo sich schon Gläubige im Namen Jesu versammeln und Seinen Tod verkündigen, einen
zweiten Tisch aufrichten und, getrennt von jenen, anfangen,
das Brot zu brechen, ohne irgendwie zu untersuchen, ob
der vorhandene Tisch dem Worte Gottes gemäß ist und
von dem Herrn anerkannt wird oder nicht. Sicher ist in
den meisten Fällen ein von dem Herrn selbst gewecktes
Bedürfnis vorhanden, wenn Gläubige zur Feier des
Abendmahls oder zum Gebet und zur Erbauung zusammenkommen; aber es ist völlig verwerflich vor Ihm, wenn
dies geschieht, um dadurch den Anschluß an eine bereits
bestehende Versammlung, die in Seinem Namen aus dem
Boden der Wahrheit zusammenkommt, zu verhindern.
Oft liegt diesen Bestrebungen von feiten der Leiter jener
Gläubigen Unwissenheit zu gründe, nicht selten aber auch
Neid und Eifersucht. Gewiß ist die Verantwortlichkeit
in beiden Fällen nicht dieselbe; aber niemals wird der
Herr auf solche Anstrengungen, die Ihn verunehren und
die Einheit des Geistes verdunkeln und zerstören, mit
Wohlgefallen herabblicken. Und mag eine derartige Versammlung noch so sehr die äußere Form der Versammlung
Gottes zur Schau tragen, so bildet sie doch in Wahrheit
nur eine Partei oder eine Sekte, die errichtet worden ist,
266
um von andern Gläubigen und namentlich von denen getrennt zu sein, die sich auf dem wahren göttlichen Boden
versammeln.
Oft sucht man solche Aufrichtungen eines zweiten, oder
gar dritten und vierten Tisches damit zu entschuldigen, daß
man sagt, in den ersten Tagen des Bestehens der Kirche
haben die Gläubigen in Jerusalem in verschiedenen Häusern
das Brot gebrochen. Die fragliche Stelle in der Apostelgeschichte lautet: „Und indem sie täglich einmütig im
Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen, nahmen sie rc." (Kap. 2, 46.) Man sieht auf den ersten
Blick, daß der Ausdruck: „zu Hause" hier dem: „im Tempel"
gegenüber steht. Die ersten Christen in Jerusalem, Tausende an der Zahl, kamen einmütig in den geräumigen
Hallen des Tempels zusammen, um dort mit einander
Gemeinschaft zu pflegen. Aber da sie an dieser Stätte
jüdischer Anbetung unmöglich den christlichen Kultus feiern
konnten, so versammelten sie sich daheim zum Brechen des
Brotes. Ohne Zweifel geschah dies zu ein und derselben
Zeit in verschiedenen Häusern, da die Zahl der Neubekehrten
eine gar große war; denn täglich that der Herr zu der
Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten. Aber
beachten wir wohl, daß die Versammlung, obwohl durch
die Umstände gezwungen, an verschiedenen Orten zusammen
zu kommen, doch nur eine war und in einem Geiste
und in einer Gesinnung einherging. So kann auch heute
die Zahl der Gläubigen an einem Orte so groß werden,
daß es für sie nötig wird, sich in verschiedenen Räumlichkeiten zu versammeln; oder die Entfernungen sind (wie
z. B. in so großen Städten wie Berlin, Paris oder London)
so beträchtliche, daß die Gläubigen unmöglich in ein und
267
demselben Lokale regelmäßig zusammenkommen können.
Aberdas ist nur ein örtliches Getrenntsein, während die
selbständige Aufrichtung eines zweiten oder dritten Parteitisches einer wirklichen i n n e r e n Trennung oder Spaltung
Ausdruck giebt und der uns im Worte Gottes gegebenen
Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, schnurstracks zuwiderläuft.
Diese Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, bezieht sich jedoch nicht nur auf die Versammlung
des Ortes, in welchem wir wohnen, sondern auch auf jede
Versammlung auf der ganzen Erde, die sich in demselben
Geiste, der Wahrheit gemäß, versammelt. So lange eine
solche als der Ausdruck der Versammlung Gottes an dem
Orte, wo sie besteht, anerkannt werden kann, haben wir
auch die Ausübung der ihr anvertrauten Verwaltung und
Zucht, die sich in dem Zulassen zum Tische des Herrn
und in dem Ausschließen von demselben kundgiebt, ebenso
anzuerkennen, als sei das von ihr Gethane in unsrer Mitte
geschehen. Würden wir uns dessen weigern, so würden
wir die Einheit des Geistes nicht bewahren, sondern dem
Geiste der Unabhängigkeit huldigen und auf diese Weise
leugnen, daß da ein Geist und ein Leib ist.
Nicht allein aber dadurch wird der Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, Genüge geleistet, daß wir
uns einer Versammlung, die sich im Namen Jesu versammelt und Seinen Tod verkündigt, anschließen, sondern
wir haben auch iu unserm Verkehr untereinander alles zu
vermeiden, wodurch diese Einheit irgendwie gestört werden
könnte. Wenn wir vergessen, über unS selbst zu Wachen,
wenn wir dem Neide, der Eifersucht und Selbstsucht in
unserm Herzen Raum geben und in einem richtenden Geiste
268
über unsre Mitbrüder urteilen, so ist die innere Trennung
schon vorhanden und damit auch der äußeren die Thür geöffnet. Sind wir aber niedriggesinnt und achten wir den
Andern höher als uns selbst, wandeln wir in der Gesinnung
Christi, der sanftmütig und von Herzen demütig war, haben
wir unter einander eine inbrünstige Liebe, die alles erträgt
und alles erduldet, so werden wir sicher dazu beitragen, daß
die Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens bewahrt bleibt. Zugleich wird der Herr durch uns verherrlicht,
und wir selbst werden mit einem glücklichen Herzen unsrer
Berufung gemäß wandeln und zum Nutzen und Segen
für Andere sein.
(Fortsetzung folgt.)

Ist der Gläubige ein Kind Gottes oder
ein armer Sünder?
Die Frage, welche die Ueberschrift dieser Zeilen bildet,
sollte eigentlich lauten: Redet das Wort Gottes von jemandem, der mit seinem Herzen an Jesum Christum, den
Sohn Gottes, geglaubt hat, als von einem Sünder,
oder als von einem Kinde Gottes? Die Schrift sagt:
„Gott aber erweist Seine Liebe gegen uns, indem Christus,
da wir noch Sünder waren, für uns^gestorben ist."
(Röm. 5, 8.) Weiterhin hören wir in derselben Epistel:
„Der Geist selbst zeugt mit unserm Geiste, daß wir
Kinder Gottes sind." (Röm. 8, 16.) Nichts könnte
klarer und deutlicher sein: wir waren einsffSünder, aber
jetzt sind wir Kinder Gottes. Wir waren einst völlig
schlecht und verderbt vor Gott, mit einer Natur, in welcher 
„nichts Gutes" wohnt, und die nur sähig ist zu sündigen;
wir waren ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt
269
und ohne jede Kraft, um unsern Zustand zu verändern.
Mit einem Wort, wir waren Sünder, tot in Sünden
und Uebertretungen. Aber Gott sei gepriesen! gerade um
solche zu suchen und zu erretten, kam Christus aus dem
Schoße des Vaters in diese verderbte Welt herab.
Und jetzt sind wir, so viele von uns in Wahrheit
den Sohn Gottes als ihren Heiland angenommen haben,
aus Gott geboren; wir sind Kinder Gottes infolge
einer neuen Geburt. Denn „so viele Ihn annahmen,
denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen,
die an Seinen Namen glauben, die nicht aus Geblüt, noch
aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des
Mannes, sondern aus Gott geboren sind." (Joh. 1,12.13.)
Ueberdies haben wir „Vergebung der Sünden," sind „gerechtfertigt von allem" — indem Gott selbst es ist, welcher
rechtfertigt — und haben den Heiligen Geist empfangen,
damit Er in uns als das Siegel Gottes und das Unterpfand des Erbes wohne; alles dieses sicherlich nur infolge
der Gnade Gottes und zum Preise der Herrlichkeit dieser
Gnade. Nichts ist aus uns; selbst der Glaube, vermittelst
dessen wir aller dieser herrlichen Dinge teilhaftig geworden
sind, ist eine Gabe Gottes. (Vergl. Apstgsch. 10, 43;
13, 38. 39; Röm. 3, 24; 5, 5; Eph. 1, 13. 14.)
Gerade dieses gesegnete und köstliche Kindesverhältnis,
in welchem der Gläubige zu unserm Gott und Vater steht,
wird aber in der bekennenden Christenheit im allgemeinen
wenig gekannt, ja nicht selten geleugnet. Man sündigt
gegen diese Wahrheit in zweierlei Weise, und zwar erstens
dadurch, daß Tausende und Millionen Anspruch darauf
machen, Kinder Gottes zu sein, und Gott als Vater anreden, ohne daß sie wirklich aus Gott geboren sind, und
270
Zweitens dadurch, daß viele derer, welche in Wahrheit
Kinder Gottes sind, dieses Verhältnis nicht als eine gegenwärtige Wirklichkeit kennen und genießen, sondern sich selbst
fortwährend „arme Sünder" nennen. Ja, sie sagen
sogar, daß dies der einzig richtige Zustand eines Christen
sei, wenn er unter dem steten Druck seiner Sünden einhergehe. Sie denken gar nicht daran, daß Gott dadurch
verunehrt, Sein Wort verdreht und der Boden der neuen
Schöpfung, auf welchen Er uns in Seiner wunderbaren
Gnade gestellt hat, verlassen wird. Statt daß ein unaufhörliches Lob und ein steter Dank als die Frucht ihrer
Lippen zu Gott emporsteigen sollte für das, was Er in
Christo Jesu für sie gethan hat, halten sie es für Demut,
jeden Tag von neuem zu rufen: „O Gott, sei mir, dem
Sünder, gnädig!"
Wie gesegnet ist es, sich von diesen menschlichen Lehren
zu dem reinen Worte Gottes hinwenden zu können! Die
Neubekehrten in Kolossä ermahnt der Heilige Geist durch
den Apostel, „des Herrn würdig zu wandeln.... danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu
dem Anteil des Erbes der Heiligen in dem
Lichte, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe,
in welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der
Sünden." (Kol. 1, 10—14.)
Vielleicht wird man einwenden: Ist denn ein Kind
Gottes kein Sünder mehr? — Ohne Zweifel ist ein Kind
Gottes fähig, zu sündigen, und thatsächlich fehlen wir
alle mannigfaltig; allein kein Gläubiger ist gezwungen,
Zu sündigen. Er ist im Gegenteil aus der Macht Satans
und von der Herrschaft der Sünde befreit und wird ein­
271
dringlich ermahnt, nicht zu sündigen. Wie könnte diese
Ermahnung an ihn gerichtet werden, wenn er sich noch in
der Stellung eines armen, kraftlosen „Sünders," eines
Sklaven der Sünde, befände? Wenn Paulus davon redet,
daß Christus Jesus in die Welt. gekommen ist, Sünder
zu erretten, und dann hinzufügt: „von welchen ich der
erste bin," so war das ohne Zweifel von ihm wahr; allein schon die nächsten Worte beweisen deutlich, daß er von
seinem Zustande vor seiner Bekehrung redet. Ich möchte
fragen: Sind die Briefe der Apostel an Sünder gerichtet, 
oder an Gläubige? Werfen wir einen Blick auf den ersten
Brief des Johannes. Macht uns der Apostel nicht mit
aller Sorgfalt darauf aufmerksam, daß er an „Kindlein,"
an „Jünglinge" und an „Väter" im Glauben schreibt?
Selbst die „Kindlein" in Christo kennen den Vater, d. h.
sie wissen, daß sie Kinder Gottes sind und Vergebung
ihrer Sünden haben. (Kap. 2, 12—14.) Nennt Johannes
sie etwa „Sünder," oder gar „arme Sünder?" Nein, er
sagt im Gegenteil: „Ich schreibe euch, Kinder, weil euch
die Sünden vergeben sind um Seines Namens willen;"
und: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf daß ihr
nicht sündigt." Doch da er weiß, daß eS möglich ist,
daß ein Kind Gottes sündigt und auf diese Weise den
Genuß der Gemeinschaft mit seinem Vater verliert, so fügt
er sogleich hinzu: „Wenn jemand gesündigt hat — wir
(beachten wir, daß der Apostel nicht sagt, „so hat er,"
d. h. der Betreffende, welcher gesündigt hat, sondern w i r)
haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum,
den Gerechten."
So sehen wir, daß der gerechte, fleckenlose Mensch
zur Rechten der Majestät droben, welcher auf dem Kreuze
272
gerade für die Sünde, welche wir begangen haben, Versöhnung gethan hat und vor Gott ist nach dem ganzen
Werte des auf Golgatha vollbrachten Werkes, unsre Sache
übernimmt als „unser Sachwalter," und zwar als unser
Sachwalter „bei dem Vater," weil es sich eben darum
handelt, daß wir als Kinder durch unsre Sünde den
Vater verunehrt und so die Gemeinschaft mit Ihm
praktisch verloren haben. Infolge dieser gnädigen und
unaufhörlichen Fürsprache Christi wirkt der Heilige Geist
in uns, erweckt das Bewußtsein, daß wir gesündigt haben,
und ruft ein aufrichtiges Selbstgericht in uns hervor, so
daß wir „unsre Sünden bekennen" und auf Grund dieses
Bekenntnisses die Gewißheit erlangen, daß der Vater
uns vergeben hat. Dann ist die Gemeinschaft mit dem
Vater wiederhergestellt. (Vergl. 1. Joh. I, 8—10; 2,1. 2.)
Ich frage nun: Handelt eS sich hier um einen Sünder in
seinen Sünden? Offenbar nicht; sondern vielmehr um ein
Kind Gottes, das gesündigt hat, und um den göttlichen
Weg, auf welchem seine Gemeinschaft mit dem Vater,
die durch die Sünde unterbrochen ist, wiederhergestellt
werden kann.
So lange ein Mensch nicht zu Gott kommt vermittelst
des Opfers Christi, wird er in der Schrift betrachtet als
ein Sünder in seinen Sünden, der fern von Gott und
bereits verurteilt ist. Aber so einfach und zugleich so gesegnet ist der gegenwärtige Heilsweg Gottes, daß der
schuldige und verderbte Sünder, der in einfältigem Glauben an das ein für allemal geschehene Opfer
des Leibes Jesu Christi zu Ihm kommt, berechtigt 
ist, zu wissen, daß er Vergebung der Sünden und ein gereinigtes Gewissen besitzt, daß er geheiligt ist durch das
273
Blut und für immer vollkommen gemacht durch jenes eine
Opfer, ja, daß er den Heiligen Geist empfangen hat und
befähigt ist, mit Freimütigkeit in das Allerheiligste einzutreten durch das Blut Jesu. (Hebr. 10, 2—20.) Wenn
ich nun diese kostbaren Zeugnisse der göttlichen Wahrheit
betreffs meiner gegenwärtigen gesegneten Stellung im
Glauben annehme, wie kann ich dann noch sagen, daß ich
«in armer Sünder bin? Wohl werde ich stets sagen müssen,
daß ich ein schwaches, oft irrendes und in mannigfacher
Weise sündigendes Kind Gottes bin, aber das ist doch
etwas ganz anderes, als ein Sünder in seinen Sünden.
Schließlich möchte ich noch darauf Hinweisen, daß
jedes wahre Kind Gottes die Sünde haßt. Alle, die von
dem Geiste geboren sind, wissen und erfahren, daß sie
zwei Naturen besitzen. Die alte Natur — „das Fleisch"
— ist und bleibt in dem Kinde Gottes, so lange es in
dieser Hütte pilgert; aber das braucht nicht seine Gemeinschaft mit dem Vater zu hindern. Denn Gott versichert
uns in Seinem Worte nicht nur, daß unsre Sünden für
ewig vergeben sind, sondern daß Er auch uns selbst nach
unserm alten Zustande mit Christo auf dem Kreuze gerichtet und vor Seinen Augen hinweggethan hat. „Unser
alter Mensch ist mit Ihm gekreuzigt," und wir
besitzen jetzt ein neues Leben in Christo. Deshalb wird
von dem Gläubigen in den Briefen als „in Christo Jesu,"
als „begnadigt in dem Geliebten" und „vollendet in Ihm"
^?c. gesprochen. Wie könnte ich nun diese Wahrheiten im
Glauben genießen und zugleich sagen: „Ich bin ein armer
Sünder?" Die Wahrheit ist, daß ein Kind Gottes, wenn
es sündigt — so traurig und demütigend diese Thatsache
auch sein mag — dennoch nicht zu verzweifeln braucht;
274
denn derselbe Jesus, der unsre Sünden auf dem Kreuze
getragen hat, ist jetzt unser Sachwalter bei dem Vater.
Und Er vermag „völlig zu erretten, die durch Ihn zu
Gott kommen, indem Er immerdar lebt, um sich für sie
zu verwenden." (Hebr. 7, 25.) Er war einst für uns auf
dem Kreuze, und Er ist jetzt für uns bei dem Vater, und
Er ist unaufhörlich für uns und mit uns beschäftigt, bis
Er kommen und uns in die Wohnungen des Vaterhauses einführen wird. Welch eine gesegnete, herzerquickende Wahrheit!
„Mein Herr verzieht zu kommen."
(Matth. 24, 48.)
Satan, der Menschenmörder von Anfang, sucht stets
zu zerstören, oder, wenn er dies nicht vermag, wenigstens zu verderben, mögen die Gegenstände seiner bösen
Absichten nun die Gläubigen sein, oder eine besondere
Wahrheit, die ihre Seelen erfüllt und gesegnet hat. Die
Wahrheit von der Ankunft des Herrn, als der gesegneten
Hoffnung des Gläubigen, macht hiervon keine Ausnahme.
Seitdem der Herr in Seiner Gnade diese Wahrheit in
den letzten Tagen wieder belebt hat, hat sie — gepriesen
sei Sein Namen dafür! — in den Herzen der Gläubigen
überall einen Platz gefunden, wie nie vorher seit den
Tagen der Apostel. Auch ist sie seit jenen Zeiten nie so
allgemein angenommen worden, wie gerade jetzt, und wir
finden keinen Grund in der Schrift für die Annahme,
daß sie wieder in Vergessenheit geraten wird, wie dies
in den nachapostolischen Zeiten bis zum Anfang dieses
Jahrhunderts geschehen ist. Im Anfang gingen die
Jungfrauen alle aus, um dem Bräutigam zu begegnen.
275
aber bald „wurden sie alle schläfrig und schliefen ein."
Das wahre christliche Zeugnis verstummte ganz und gar.
Doch um Mitternacht erhob sich ein Geschrei:
1. „Siehe der Bräutigam kommt!" und 2.: „Gehet aus,
Ihm entgegen!" In welch vollkommener Weise sich dies
erfüllt hat, und wie innig diese beiden Dinge — die
Wiederbelebung der Wahrheit, daß der Bräntigam kommt,
und das Ausgehen, Ihm entgegen, in geistlicher Kraft und
im lauten Zeugnis — sich in den ersten Jahrzehnten
dieses Jahrhunderts verbunden haben, ist Vielen bekannt.
Und wir haben alle Ursache, Gott zu danken, daß die
Kraft des Heiligen Geistes dieses Zeugnis so begleitet
hat, daß alle Anstrengungen Satans es nicht vermocht
haben und auch nicht vermögen werden, diese gesegnete
Wahrheit den Gläubigen wieder zu rauben. Aber es ist
Gefahr vorhanden, daß gerade unsre Gewißheit in bezug
auf diesen Punkt uns die weit listigere Schlinge des
Feindes übersehen läßt, der wir, obwohl wir in der
Lehre selbst gesund sein mögen, stets ausgesetzt sind.
Der schönste Charakterzug, welchen jene Hoffnung in praktischer Beziehung besitzt, ist ihr unbestimmtes und doch so
gewisses nahes Bevorstehen; und Satan weiß wohl, daß,
wenn es ihm gelänge, ihr diesen besonderen Charakter zu 
rauben, er ihr alle Kraft so völlig nehmen würde, daß
nur die äußere Schale der Lehre unversehrt in den Händen ihrer Bekenner bliebe, während der Kern verloren
ginge und die Wahrheit auf diese Weise ihren Wert völlig
einbüßte, da sie nicht mehr als eine „gesegnete Hoffnung"
und als eine stets wirksame Kraft vor der Seele stände.
Das ist also die besondere Gefahr für die gegenwärtige Zeit; und der Herr, welcher dieselbe voraussah,
276
hat uns ein Gleichnis hinterlassen, in welchem Er unS
ausdrücklich vor dieser Schlinge des Feindes warnt.
(Matth. 24, 45—51.) Satan ist auf alle Weise bemüht, die Herzen der Gläubigen weltförmig und leichtfertig zu machen, während ihr Mund die Wahrheit von
der Ankunft Christi ausspricht und die Hoffnung, Ihn zu 
sehen, bekennt. Gelingt es Satan, ein Herz mit den
Dingen dieser Welt zu erfüllen, so mag es jene Hoffnung
wohl noch kennen und bekennen, aber sie hat ihre gegenwärtige Wirklichkeit für dasselbe verloren. Ein solches
Herz erwartet den Herrn nicht heute; es sagt mit jenem
bösen Knecht: „Mein Herr verzieht zu kommen," und die
Folge ist, daß es „ißt und trinkt mit den Trunkenen,"
d. h., daß es dem Fleische die Zügel schießen läßt und
seine Lüste und Begierden erfüllt.
Wie ernst ist dieses! Möchten Schreiber und Leser
dieser Zeilen tief fühlen, wie wichtig und nötig es ist,
gegen diese Gefahr und gegen diese letzte Schlinge unsers
listigen Feindes zu wachen! Können wir, nachdem wir
schon so lange auf unsern Herrn gewartet haben, alle
sagen, daß wir eben deshalb mehr als je überzeugt sind,
daß der Herr nahe ist? Sind unser Wunsch, Ihn zu
sehen, und die Erwartung Seiner Ankunft mit jedem
Tage stärker und sehnlicher in unsern Herzen gewordene
Wird unser Ruf: „Komm Herr Jesu!" eben deshalb,
weil schon eine so lange Zeit vergangen ist, jeden Tag
lauter und dringlicher? Eins ist gewiß: entweder hat
jeder verflossene Tag unser Sehnen nach dem Herrn vermehrt, und unsre Erwartung ist mehr und mehr zu der
bestimmten Gewißheit geworden, daß Er nahe, sehr nahe
ist, oder unser Glaube hat abgenommen, unser Begehren'
277
ist schwächer und unsre Erwartung geringer geworden.
Welches von beiden trifft bei uns zu? Ist die Sprache
unsrer Herzen diese: „Wir haben unsern Herrn jetzt schon
so manches Jahr erwartet, und Er ist nicht gekommen;
auch wissen wir gar nicht, wann Er kommen wird?"
Und ist so die „gesegnete Hoffnung," anstatt mit jedem
Tage lebendiger zu werden, mehr und mehr aus unsern
Herzen geschwunden? Ach! wenn es so ist, dann ist es
kein Wunder, wenn das arme leere Herz sich zu der Welt
wendet, welcher es schon lange zugeneigt war, und dort
seine Befriedigung sucht. Aber, welch ein Verlust und
welch eine Unehre für unsern geliebten Herrn!
Wie ganz anders sieht es in einem Herzen aus, in
welchem der Glaube wirksam ist! Mögen die Umstände
noch so schwierig sein, da ist keine Finsternis so dicht,
daß sie die Hellen Strahlen des „glänzenden Morgensterns"
nicht zu durchdringen vermöchten. Statt durch die Länge
der Prüfungszeit mutlos zu werden, wird ein solches
Herz immer mehr mit dem Sehnen erfüllt, das Antlitz
des geliebten Herrn zu schauen, und es wartet, so lange es
Ihm gefällt, mit Ausharren. Selbst die Nähe des Todes
vermag es in seiner Erwartung nicht irre zu machen.
Keine Zeit ist zu kurz, um nicht die Ankunft des Herrn
einfchließen zu können. Bliebe nur noch ein Augenblick
übrig, so wäre es doch genügend für Ihn, zu kommen.
Andrerseits übt selbst eine Zeit äußern Wohlergehens
auf ein solches Herz keinen bösen Einstuß aus; scheint
das Licht der göttlichen Gnade auch noch so hell, und
nehmen die äußern Umstände eine noch so schöne Gestalt
an, so wird dennoch die Ankunft Christi stets den ersten
Platz behalten und über alles hochgeschätzt werden.
278
Steht es so in unsern Herzen? Laßt uns diese
Frage mit aller Aufrichtigkeit erwägen! Wenn es nicht
so steht, dann haben wir alle Ursache, uns zu prüfen, ob
die anbetungswürdige Person Christi und die Verheißung
Seiner Ankunft jemals den Platz in unsern Herzen gehabt haben, welcher ihnen gebührt und den sie sicher haben
würden, wenn Christus das für uns wäre, was Er zu
sein wünscht. Es giebt nichts, was hienieden mehr geeignet ist, von Zeit zu Zeit die kostbare Wahrheit von
der nahen Ankunft Christi in den Herzen der Gläubigen
mächtig zu beleben, als die Feier des Abendmahls. Ja,
der Tisch des Herrn und Seine Wiederkehr sind so innig
mit einander verbunden, daß Gläubige, in deren Mitte
der erste in der rechten Weise aufgerichtet ist, in bezug
auf die zweite selten in einer verkehrten Stellung sind.
Das Abendmahl besitzt in der That diese wunderbare
Eigenschaft, Seinen Tod und Seine Ankunft gleichsam
in einen Brennpunkt zu vereinigen, indem es uns Seinen
Tod als unser einziges „Gestern" und Seine Wiederkehr
als unser einziges „Morgen" vor Augen stellt, während
der Tisch selbst unser einziges „Heute" ist, in welchem
wir Gemeinschaft haben mit dem Vater und dem Sohne
und mit einander, „bis Er kommt." Im Blick auf die
Vergangenheit erinnern wir uns eines gestorbenen Christus,
in der Gegenwart erblicken wir einen verherrlichten Christus,
mit welchem wir unauflöslich verbunden sind, und in
der Zukunft einen kommenden Christus, nach welchem
wir uns sehnen und der als der Helle und glänzende
Morgenstern Seine milden, belebenden Strahlen auf uns
scheinen läßt, während wir in der langen und thränenreichen Nacht Seiner Abwesenheit auf Ihn warten.
279
Möchte der Heilige Geist diese „gesegnete Hoffnung"
stets in lebendiger Frische vor unsern Seelen erhalten
und sie vor den erniedrigenden und schwächenden Einflüssen
dieser Welt bewahren! Möchten wir nie vergessen, daß
wir in jenen „bösen Tagen" leben, die so reich an Versuchungen und so sehr geeignet sind, unser geistliches Leben
kalt und schlaff zu machen! Sicher gab es in den Zeiten
der Verfolgung, in welchen die Well sich als Feindin
Gottes offenbarte, viele Leiden und Drangsale für den
äußeren Menschen, weit mehr als in der gegenwärtigen
Zeit; aber diese offenbare Feindschaft bewahrte die Gläubigen vor aller Vermengung mit der Welt und gab stets
Anlaß, im innigen Verkehr mit dem Herrn zu bleiben
und im Gebet zu verharren. Jetzt aber zieht und lockt
die Welt uns an und sucht uns, anstatt uns abzustoßen
und zum Herrn zu treiben, mit ihren Bestrebungen und
Interessen zu vermengen. Wir sind täglich in Gefahr, von
ihr mit fortgerisseu zu werden; und in demselben Maße
als wir ihrem Geiste in uns Raum geben, werden wir
kalt und gleichgültig gegen unsern geliebten Herrn. Nur
der stete Verkehr mit Ihm und das ungeschwächte Erwarten Seiner Ankunft vermag uns in diesen letzten,
versuchungsreichen Tagen in Seiner Nähe und getrennt
von der Welt zu erhalten. Möchten wir daher in unsrer
Wachsamkeit nicht ermüden und niemals in irgend einer
Weise mit laodicäischer Leichtfertigkeit und Weltförmigkeit
sagen: „Mein Herr verzieht zu kommen!"
280
Der Bräutigam kommt!
(Matth. 25, 1—13.)
Der Bräut'gam kommt! — Geht freudig Ihm entgegen!
Steht auf, die Lampen schmückt! die Nacht ist bald vorbei.
Schon naht Er selbst, mit Ihm der reichste Segen,
Erhoben hat sich längst der mitternächt'ge Schrei.
Der Bräut'gam kommt! — Schon dämmert lichter
Morgen;
Wacht auf! der Tag bricht an mit Hellem Freudenschein.
Nicht lange mehr, so schwinden alle Sorgen,
Im Vaterhause kennt man weder Schmerz noch Pein.
Der Bräut'gam kommt! — O stärkt die lassen Hände!
Ein wenig noch harrt aus auf rauhem, schmalem Pfad!
Der Kampf ist kurz — die Ruhe ohne Ende;
Hebt Herz und Haupt empor, denn der Geliebte naht.
Der Bräut'gam kommt! — Mit lautem Jubelschalle
Holt heim Er Seine Braut — die Hochzeit ist bereit;
O sel'ges Glück! wenn die Erlösten alle
Ihn schauen, wie Er ist, in Seiner Herrlichkeit.
Der Bräut'gam kommt! — Nicht länger darfst du
säumen,
Wach' auf, glücksel'ge Braut! es naht der Morgenstern.
Wach' auf, wach' auf! nicht länger darfst du träumen,
Zieh' frohen Mutes aus, entgegen deinem Herrn!
Der Bräut'gam kommt! — Welch himmlisch frohe
Kunde!
Wer's höret, spreche: „Komm!" — Stimmt, Brüder,
jubelnd ein!
Und laut erschall' der Rus aus jedem Munde:
„O komme, teurer Herr! Wir alle warten Dein!"
Ueber das Verhalten des Gläubigen in den Tagen
des Verfalls.
(Fortsetzung.)
3. Das Abendmahl, oder der Tisch des Herrn.
Wenn der gesegnete Name unsers geliebten Herrn
der wirkliche Beweggrund zu unserm Zusammenkommen ist,
so wird es sicher ein wahres Bedürfnis für uns sein und
Zugleich die höchste Freude und den köstlichsten Genuß für
unsre Herzen bilden, Seinen Tod zu verkündigen und Ihm
die Opfer des Lobes, des Dankes und der Anbetung darzubringen. Sein Opfertod ist die Grundlage aller unsrer
Segnungen; der Wert, die Kostbarkeit und die Tragweite
desselben sind unergründlich. Das Leben, das uns zu teil
geworden ist, die Erlösung, die Versöhnung, die ewige
Herrlichkeit, alles hat seinen Ausgangspunkt in dem Tode
Christi. Unsre Erinnerung aber umfaßt, wenn wir versammelt sind, nicht nur den Wert Seines Opfers, sondern auch Ihn selbst, der in unsrer Mitte ist. Wir verkündigen Seinen Tod, feiern Sein Gedächtnis, gedenken
Seiner Liebe, bis Er kommt. Das Auge ist auf Ihn
als das geschlachtete Lamm gerichtet, das Herz von Ihm
und Seiner Liebe erfüllt. Wir sind vor Gott als die
Frucht Seiner Leiden, Seines Todes und des großen und
schweren Kampfes Seiner Seele. Jn dem auf Golgatha
282
vollbrachten Werke, in welchem Gott in bezug auf uns für
immer ruht, weil Er und alles, was in Ihm ist, durch
dasselbe vollkommen verherrlicht worden ist, haben auch
wir eine ewige Ruhe gefunden. Wie gesegnet ist dieses Werk,
und wie herrlich der Name Dessen, der es vollbracht hat!
Alle nun, die sich an dem Tische des Herrn versammeln und Seinen Tod verkündigen, alle, die des
einen Brotes teilhaftig sind, geben dadurch, daß sie dieses
Brot unter sich teilen, ihrer Einheit, der Einheit des
Leibes Christi, einen klaren und bestimmten Ausdruck, wie
dies der Apostel besonders hervorhebt, wenn er sagt: „Denn
ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen; denn wir alle
sind des einen Brotes teilhaftig." (1. Kor. 10, 17.)
Durch ihr Zusammenkommen zum Gebet oder zur Erbauung
geben die Gläubigen ihrer Gemeinschaft Ausdruck;
ihre Einheit aber als ein Leib bekennen sie nur dann,
wenn sie am Tische des Herrn im Namen Jesu versammelt sind. Wir brauchen kaum hinzuzufügen, daß dieses
Bekenntnis oder dieser Ausdruck der Einheit da völlig
fehlt, wo Gläubige als eine Partei, auf dem Grunde
einer menschlichen Vereinigung und im Geiste der Unabhängigkeit, zusammenkommen und das Abendmahl feiern.
Indes ist das Zusammenkommen der Gläubigen am
Tische des Herrn nicht allein eine sehr köstliche und gesegnete
Sache, sondern es ist auch eine Verantwortlichkeit damit
verbunden, deren Nichtbeachtung höchst ernste Folgen nach
sich zieht. Das Wort zeigt uns in 1. Kor. 11, 27—29,
daß wir den Tod des Herrn in einer unwürdigen Weise
verkündigen können; und wenn dies geschieht, so machen
wir uns dadurch des Leibes und Blutes des Herrn schuldig und bringen ein Gericht über uns, wie dies in der
283
Versammlung zu Korinth der Fall war. (V. 30.) Wenn
wir nur aus Gewohnheit an jedem ersten Wochentage
unsern Platz am Tische des Herrn einnehmen, wenn unsre
Lippen beten und singen, aber unsre Herzen mit ganz
anderen Dingen beschäftigt sind, wenn wir endlich, ohne
uns selbst geprüft, (V. 28.) d. h. ohne uns vor dem
Herrn aufrichtig untersucht und gerichtet zu haben, an
Seinem Tische mit einem unreinen oder unversöhnten
Herzen uns niedersetzen und essen und trinken, so essen
und trinken wir sicher auf eine unwürdige Weise, und die
ernsten Folgen werden nicht ausbleiben. Der Herr ist sehr
langmütig und gnädig, aber Seine Regierung in bezug
auf die Seinigen bleibt zu aller Zeit dieselbe; und nicht
nur Seinem Hause, sondern auch Seinem Tische geziemt
Heiligkeit. Deshalb ermahnt der Apostel: „Der Mensch
aber prüfe sich selbst, und also esse er von dem Brote
und trinke von dem Kelche." (V. 28.) Wenn wir vorher
uns selbst richten, so hat der Herr nicht nötig, es nachher
zu thun. (V. 31.) Er hat in Seiner Gnade uns einen
Weg geöffnet, um allezeit auf eine würdige Weise an
Seinem Tische teilnehmen zu können. Wenn wir uns
sernhalten, weil wir nicht in dem passenden Zustande sind,
so ist das sicher keine wahre Demut, sondern ein deutlicher
Beweis, welch einen geringen Wert der Tisch des Herrn
für uns hat. Wir ziehen vor, denselben zu meiden, anstatt das Böse bei uns zu richten und also von dem Brote
zu essen und von dem Kelche zu trinken.
Jede Versammlung, die an einem Orte den wirklichen
Platz der Versammlung Gottes einnimmt und deren wahren
Charakter zum Ausdruck bringt, ist mit einer Verwaltung
betraut, die vor allem mit dem Tische des Herrn in Ver-
284
biiidung steht. Wenn in einer Versammlung diese Verwaltung aus Mangel an wahrer Gottesfurcht und an
Gehorsam gegen Sein Wort vernachlässigt wird, so wird
der Tisch des Herrn bald verunehrt werden, und der Herr
wird, wenn dieser Zustand fortdauert, zuletzt genötigt sein,
den Leuchter von seiner Stätte wegzunehmeu. Deshalb
mögen die Gläubigen, die an irgend einem Orte sich im
Namen Jesu zu versammeln und Seinen Tod zu verkündigen gedenken, wohl zusehen, ob auch die nötige Fähigkeit
vorhanden ist, um die mit dem Tische des Herrn verbundene Verwaltung auszuüben, damit nicht der Herr
durch ihr Zusammenkommen verunehrt werde. Die Versammlung hat über alles zu wachen, alles aufrecht zu
halten, was ihr von dem Herrn anvertraut ist. Und
diese Verwaltung, für welche sie in bezug auf den
Tisch des Herrn verantwortlich ist, besteht vor allen
Dingen in der Ausübung der Zucht, d. h. in der Zulassung zu diesem Tische, sowie in dem Ausschluß von
demselben; beides sollte stets unter der Leitung des Geistes
und in Uebereinstimmung mit dem Herrn geschehen, der
in ihrer Mitte ist. Jn der That, eine ernste Verantwortlichkeit, welche für alle, die ihr unterworfen sind, entweder reichen Segen oder großen Unsegen zur Folge hatt
Aber ach! wie oft wird sie so wenig verstanden und beherzigt! — Es ist immer erfreulich, wenn ein Gläubiger,
der zur Ehre des Herrn wandelt, zu Seinem Tische zugelassen werden kann; aber ebenso schmerzlich ist es, wenn
die Versammlung genötigt ist, jemanden der Sünde wegen
von demselben auszuschließen und jede Gemeinschaft mit
ihm zu brechen. Und jene Freude und dieser Schmerz
werden in den Herzen vorhanden sein, so lange eine Ver­
285
sammlung in einem geistlichen Zustande ist. Sobald aber
die Ausübung der Zucht zu einer kalten Pflichterfüllung
herabsinkt, hat sie ihren wahren Wert verloren und kann
unmöglich gesegnete Früchte hervorbringen. Eine Versammlung, in welcher die Zucht in solcher Weise ausgeübt
wird, ist zu einem bloßen Gerichtshof geworden. Sicher
würde auch mancher Ausschluß nicht nötig werden, wenn
mehr gegenseitige Wachsamkeit, mehr Ermunterung und
Ermahnung in Liebe, mehr Eifer und Ausharren im Besuchen und Nachgehcn der Einzelnen, mehr Geduld und
Mitgefühl vorhanden wären. In allen Fällen ist ein 
Ausschluß eine große Demütigung für die ganze Versammlung.
Ich möchte hier noch bemerken, daß im Worte Gottes
von zwei Arten von Zucht die Rede ist, und wenn auch
die Ausübung beider Arten schmerzlich ist, so ist doch die
eine gelinder, als die andere. Erstere wird erwähnt in
2. Thess. 3, 11—15, und letztere in 1. Kor. 5, 9 —13.
In 2. Thess. 3 schreibt der Apostel: „Wir hören, daß
etliche unter euch unordentlich wandeln, indem sie nicht
arbeiten, sondern fremde Dinge treiben. Solchen aber
gebieten wir und ermahnen in dem Herrn Jesu Christo,
daß sie, in der Stille arbeitend, ihr eigenes Brot essen . .
Wenn aber jemand unserm Worte durch den Brief nicht
gehorcht, den bezeichnet und habt keinen Umgang mit ihm,
auf daß er beschämt werde, und haltet ihn nicht als
Feind, sondern weiset ihn zurecht als einen Bruder."
Diese letzten Worte beweisen, daß ein solcher sich noch
innerhalb der Versammlung befindet. Diese soll ihn nicht
für einen Feind halten; er soll ihr nicht, wie anderswo
gesagt wird, wie der Heide und der Zöllner sein, wie
286
einer, der sich außerhalb befindet und für sie ganz und gar
ein Fremder geworden ist, sondern sie soll unermüdlich fortsahren, ihn als einen Bruder zurechtzuweisen. Aber, obwohl der Betreffende noch innerhalb der Versammlung
oder des Hauses Gottes steht, so soll die Versammlung
ihn dennoch als einen Unordentlichen bezeichnen oder bekannt machen, damit niemand, der drinnen ist, Umgang
mit ihm habe, auf daß er beschämt werde und seine Gesinnung und sein Verhalten ändere.
So könnte ein Vater in seiner Familie handeln,
wenn er allen Gliedern derselben verböte, mit einem unordentlichen Sohne irgend welchen Umgang zu haben.
Dies würde für den Sohn gewiß eine ernste Züchtigung
sein; und würde er durch dieselbe beschämt und zur Einsicht
und Umkehr gebracht werden, so wäre der Zweck des Vaters
bei ihm erreicht. Aber unstreitig würde es ein weit höherer
Grad von Zucht sein, wenn der Sohn infolge seines
traurigen Zustandes und Verhaltens aus dem elterlichen
Hause entfernt werden müßte.
Jn ähnlicher Weise unterscheidet sich die in 2. Tessal. 3
erwähnte Zucht von derjenigen in 1. Korinth. 5. Letztere
ist von weit ernsterem Charakter und von viel größerer
Tragweite. Es heißt da einfach: „Thut den Bösen von
euch selbst hinaus," ohne daß irgend etwas anderes hinzugefügt wird, und ohne daß von irgend einer ferneren Zurechtweisung oder Ermahnung die Rede ist. Ein Gläubiger,
bei welchem diese letztere Art von Zucht angewandt worden
ist, steht außer dem Hause, und sein Platz ist ein Beweis,
oder sollte es wenigstens sein, daß jede Ermahnung und
Zurechtweisung im Hause, in der Versammlung, vergeblich
gewesen ist. Er hat gesündigt und will sich nicht de-
287
mutigen; er hat den Herrn des Hauses verunehrt und
will nicht Buße thun. Sein Herz ist hart, sein Wille
ungebrochen, und da bleibt der Versammlung kein andrer
Weg mehr, als die schmerzliche Pflicht an ihm anszuüben,
ihn als einen Bösen aus ihrer Mitte hinauszuthnn. Jeder Verkehr hört auf, jede Ermahnung oder Zurechtweisung
hat ein Ende; er ist draußen, und es bleibt nur noch
übrig, über ihn, wie über alle, die sich draußen befinden,
das Erbarmen Gottes herabzuflehen. Der Apostel schreibt
an die Versammlung zu Korinth: „Nun aber habe ich
euch geschrieben, keinen Verkehr zu haben, wenn jemand,
der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder Habsüchtiger w., mit einem solchen selbst nicht zu essen." (V. 11.)
Er hat an alledem keinen Teil mehr, worin die brüderliche Gemeinschaft ihren Ausdruck findet. Manche beweisen in ihrem Verhalten gegen solche, die als Unordentliche bezeichnet, oder die ausgeschlossen worden sind, ein
falsches Mitgefühl, indem sie, sei es öffentlich oder im
Verborgenen, mehr oder weniger Umgang mit ihnen pflegen. Ein solches falsches Mitgefühl aber beweist, daß
ihre menschlichen Gefühle und Meinungen einen größeren
Einfluß auf ihre Herzen ausüben, als der Eifer für die
Ehre Gottes, und ist sicher verwerflich; ja, es trägt oft
nicht wenig dazu bei, daß jene, die unter der Zucht stehen,
in ihrem traurigen Zustande bestärkt werden und darin
beharren. Ein Verhalten, das dem Worte Gottes entgegen ist, kann für Andere sicher nicht zum Nutzen, sondern
nur zum Schaden sein, während wir andrerseits überzeugt
sein dürfen, daß ein einmütiges, ernstes Verhalten gegen
den Bösen, eine entschiedene Trennung von ihm um des
Herrn und Seiner Ehre willen, in vielen Fällen dazu
288
dienen wird, denselben zur Erkenntnis seines traurigen
Zustandes und znr aufrichtigen Buße zu leiten, was ja
der eigentliche Zweck aller Zucht ist. Selbstverständlich
dürfen Härte oder Lieblosigkeit nie den Beweggrund bilden, der nnS in unserm Verhalten beherrscht und uns jeden
Umgang mit einem solchen meiden läßt. Denn wenn wir in
einer solchen Gesinnung stehen und beharren, so werden
wir demjenigen, an welchem Zucht ausgeübt werden mußte,
nicht nur nicht nützen, sondern es wird auch für uns
selbst die Zucht nicht ausbleiben.
Ehe wir diesen ernsten Gegenstand verlassen, möchte ich
noch auf ein Verhalten Hinweisen, das eines jeden biblischen
Grundes entbehrt und darum sicher verwerflich ist. Es
ist nämlich hie und da in Versammlungen vorgekommeu,
daß mau jemandem aus irgend welchem Grunde den Rat
gegeben hat, sich für eine Zeit vom Brotbrechen fern zu
halten. Allein ich glaube, daß dies nur ein menschliches Hülfsmittel ist, zu dem man gegriffen hat, weil
man in einem vorliegenden Falle nicht zu handeln wußte.
Es verrät aber sicher keinen geistlichen Zustand, wenn
eine Versammlung, oder auch Einzelne in derselben, zu
einem solchen Mittel ihre Zuflucht nehmen. Es kommen
allerdings Fälle vor, wo geübte Sinne nötig sind, um
das richtige, Gott wohlgefällige Verhalten zu unterscheiden;
und wenn eine Versammlung in einem solch schwierigen
Falle nicht zu einer klaren Ueberzeugung und zu einem
bestimmten Beschluß kommen kann, so giebt es nur den einen
Weg für sie, gemeinschaftlich ihre Zuflucht zu dem Herrn
zu nehmen, aufrichtig die eigene Schwachheit zu bekennen
und inbrünstig um Seine Gnade und um die Weisheit
von Oben zu flehen. Der Herr wird ein solches Flehen
289
sicher erhören. Er wird sich der Versammlung annehmen 
und sie durch Seinen Geist leiten, um nach Seinem wohlgefälligen Willen zu handeln.
Doch was hat eine Versammlung zu thun, wenn sich
jemand eigenwillig aus irgend welchen Gründen von dem
Tische des Herrn zurückzieht und sich längere Zeit hindurch
des Brotbrechens enthält? — Sie hat zunächst zu untersuchen, welcher Art diese Gründe sind. Findet sie, daß
bei dem Betreffenden ein böser Zustand vorhanden ist und
Dinge vorliegen, die einen Ausschluß nötig machen, so
hat sie ohne alle Frage zu handeln und den Bösen in
Zucht zu nehmen. Aber vielleicht möchte man fragen:
„Ist in einem solchen Falle noch ein Ausschluß nötig?
Hat sich der Wegbleibende nicht selbst schon ausgeschlossen?"
Eine solche Frage würde indes nur beweisen, daß man
den wahren Charakter und die Tragweite des Ausschlusses
nicht versteht. Wie kann überhaupt jemand sich selbst
ausschließen? Ist das nicht einzig und allein Sache der
Versammlung? Ebensogut könnte jemand sich selbst zu dem
Tische des Herrn zulassen. Die Versammlung ist eS,
welche zuläßt und ausschließt, und was sie unter der Leitung des Herrn bindet, wird im Himmel gebunden, und
was sie löst, wird im Himmel gelöst sein. Und deshalb
hat eine Versammlung in einem solchen Falle die ernste
Verantwortlichkeit, nicht die Sache auf sich beruhen zu
lassen, sondern, wenn es nötig ist, Zucht auszuüben und
den Ausschluß zu vollziehen. Sie hat die Ehre des Herrn
und die Reinheit Seines Tisches mit aller Entschiedenheit
zu wahren.
Zeigt es sich jedoch, daß die Gründe des Wegbleibens
nicht so ernster Natur sind, daß der Betreffende vielleicht
290
aus Mangel an Kenntnis der Wahrheit, oder infolge
eines schwachen oder kranken Gewissens, oder endlich infolge verletzter Eitelkeit oder persönlicher Dinge, die er
gegen den Einen oderAndern hat, oder aus irgend einem andern
ähnlichen Anlaß sich zurückgezogen hat, so hat die Versammlung einen solchen zu belehren und zu ermahnen.
Und wenn dies in dem Geiste der Sanftmut und Liebe
und mit der nötigen Weisheit geschieht, so wird in den
meisten Fällen der irrende Bruder zurecht gebracht werden.
Sind jedoch alle Bitten und Ermahnungen umsonst, so
hat die Versammlung ihn als einen solchen zu bezeichnen,
der sich von dem Tische des Herrn zurückgezogen hat, und
wir haben ihn in ähnlicher Weise zu behandeln, wie andre
Gläubige, welche ihren Platz am Tische des Herrn und
in der Versammlung Gottes nicht einnehmen.
Wenn nun ein solcher nach einiger Zeit zurückkommt,
so kann er sich nicht so ohne Weiteres wieder an den
Tisch des Herrn setzen. Jedes gottesfürchtige Herz wird
fühlen, wie unpassend dies wäre. Denn der Tisch des
Herrn ist nicht ein Platz, an welchem man sich nach Belieben niederlassen, und von dem man nach Belieben sortbleiben kann. Wünscht der Betreffende an dem Abendmahl
wieder teilzunehmen, so wird er, vorausgesetzt daß er wirklich zur Einsicht gekommen ist, schon von selbst das Bedürfnis fühlen, der Versammlung seine verkehrte Handlungsweise zu bekennen, und es steht dann seiner Wiederzulassung nichts mehr im Wege.
Sicher bedarf eine Versammlung auch in solchen Fällen
vieler Weisheit. Sie hat stets mit Sanftmut und Liebe,
mit Geduld und Langmut zu handeln, aber auch mit aller
Entschiedenheit, sobald die Ehre des Herrn und Seines
291
Tisches in Frage steht. Und der Herr ist stets da, nm
Seiner Versammlung zn Hülfe zu kommen und sie den
rechten Weg zu leiten.
4. Die Gaben zur Sammlung und Auferbauung der Kirche, und die Aemter in derselben.
Christus hat uns, d. h. alle, die an Ihn glauben,
durch Sein vollbrachtes Werk erlöst. Wir waren Sklaven
der Sünde und des SatanS; aber jetzt sind wir aus diesem schrecklichen Zustande völlig befreit und sind Gefäße
der Gnade und der Kraft geworden, die von Christo, dem
himmlischen Haupte, auf uns herabfließt. Nachdem Er
in die untern Oerter der Erde, in Tod und Grab, hinabgestiegen war und durch Seinen Tod alle geistlichen Feinde
überwunden, unsre Erlösung vollbracht und uns aus aller
Sklaverei befreit hatte, stieg Er, über alle Macht des
Bösen triumphirend, wieder hinauf und empfing, als
Haupt der Versammlung, von dem Vater den Heiligen
Geist derVerheißung für uns, Seine Glieder. (Eph. 4,8— 10;
Apstg. 2, 33.) Durch diesen Geist versiegelt, sind wir für
immer mit Christo vereinigt, sind ein Geist mit Ihm.
Infolge des vollbrachten Erlösungswerkes und des Sitzens
Christi zur Rechten Gottes ist der Heilige Geist jetzt auf
der Erde, und Er wohnt in uns, den Glaubenden, kraft
des Blutes Christi, womit wir besprengt und wodurch wir von
allen unsern Sünden gereinigt sind. Er wohnt in uns als
Geist der Freiheit und der Sohnschaft, sowie als das
Siegel und Unterpfand des verheißenen Erbes. Zugleich
über ist Er in uns, den Gliedern des Leibes Christi, als
Geist der Kraft und Weisheit, nm dem Herrn zu dienen
und Sein Werk auf der Erde zu vollbringen. Er wirkt
292
durch das Evangelium, um den Menschen den Reichtum
der Gnade und Liebe Gottes kund zu thun, die Auserwählten zu sammeln, sie zu einem Leibe zu vereinigen
und dem Haupte gemäß zu bilden. „Denn durch einen
Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft." (1. Kor. 12,13.)
Jede wiedergeborene Seele, die mit dem Heiligen Geiste
versiegelt worden ist, ist ein Glied Christi, des himmlischen
Hauptes, ein Glied Seines Leibes.
Die Gaben sind also zu dem Zwecke gegeben, um 
zunächst die Gegenstände der Gnade Gottes aus der Welt zu
sammeln und mit dem verherrlichten Christus zu vereinigen,
und dann, um sie aufzuerbauen und zu vollenden „bis
zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus."
(Eph. 4, 13.) Diese Gaben kommen von Oben, von
Christo, und sind, wie alle geistlichen Segnungen, ein Geschenk Seiner freien Gnade, nicht aber menschlische Fähigkeiten, oder etwas, das der Mensch sich selbst aneignen
könnte. Christus allein ist ihre Quelle, und Er hat
uns zu Gesäßen derselben zubereitet; deshalb können wir
sie auch nur als solche empfangen, die mit Ihm in Gemeinschaft sind.
Das Wort Gottes redet entweder von den Gaben
als Gaben Christi, wie in Ephes. 4, oder als Wirkungen
des Heiligen Geistes, der auf der Erde wohnt, wie in
1. Korinth. 12; aber immer stehen sie in Verbindung mit
der Einheit des Leibes Christi. In Ephes. 4 werden nur
diejenigen Gaben erwähnt, die zur Sammlung und Auferbauung der Kirche oder Versammlung dienen: „Und Er
hat etliche gegeben als Apostel, und etliche als Propheten,
und etliche als Evangelisten, und etliche als Hirten und
Lehrer, zur Vollendung der Heiligen." (V. 11.) Die
293
Apostel und Propheten des Neuen Testaments bilden die
Grundlage der Versammlung oder des Hauses Gottes, von
dem Jesus Christus selbst der Eckstein ist. (Eph. 2, 20. 21.)
Das Fundament ist gelegt; aber die Sammlung und Anferbauung dauert so lange sort, bis der ganze Bau zur
Vollendung gebracht ist; und Christus, der Seine Versammlung liebt, sie nährt und pflegt und auf alle Weise
für sie sorgt, wird bis zu diesem herrlichen Endziel Evangelisten, Hirten und Lehrer geben.
Diese von Ihm verliehenen Gaben aber sind keine
Aemter, wozu sie von feiten der Menschen im allgemeinen
gemacht worden sind; sie sind auch nicht einer Kirche
oder Versammlung gegeben, sondern der Kirche, dem
ganzen Leibe Christi. Ein Evangelist ist nicht nur für
einen Ort bestimmt, sondern er verkündigt das Evangelium überall, wohin der Herr ihn sendet und wo Er ihm
eine Thür öffnet. So ist auch der Lehrer oder Hirte nicht
Lehrer oder Hirte einer Kirche oder Versammlung, sondern er dient an allen Orten, wo er Gelegenheit findet,
den Gläubigen mit seiner Gabe nützlich zu sein. Ebenso
fremd ist der Schrift der Gedanke an eine Zubereitung,
Erwählung und Einsetzung von Evangelisten, Lehrern oder
Hirten durch Menschen, und nicht weniger schriftwidrig ist es,
diese als eine besonders bevorzugte Klasse oder Kaste zu
betrachten, die gleichsam als ein geweihtes Priestertum
zwischen Gott und Seinem Volke steht. Im Judentum
gab es einst ein besonderes Priestertum. Der Israelit
konnte nur durch den Priester Gott nahen. Seit dem
Opfertode Christi aber, und durch diesen Tod, ist der Zugang zu Gott für einen jeden, auch den schwächsten Gläubigen geöffnet. Der Vorhang ist zerrissen, und wir alle
294 —
sind ermahnt, mit aller Freimütigkeit, in voller Gewißheit
des Glaubens, in das Heiligtum droben einzutreten. Darum
muß einem jeden, der die Schrift nur eiu wenig kennt,
die Schranke, welche der Mensch zwischen dem Priesterund dem sogenannten Laienstande gezogen hat, als eine
Anmaßung erscheinen, und zugleich wird er darin ein
offenbares Zeichen von dem großen Verfall der Kirche erblicken. Durch das Einsetzen von Hirten und Lehrern seitens
der Menschen wird Christus gänzlich beiseite gesetzt, wie jemand, der machtlos geworden ist und dessen Hilfsquellen
erschöpft sind, und die Gegenwart und Wirksamkeit des
Heiligen Geistes in der Kirche wird völlig außer acht gelassen. Das, was Gottes Wort über die Gaben lehrt, ist 
heute fast ganz in Vergessenheit geraten; und wenn man
auch zugiebt, daß die Gaben von Gott kommen, so räumt
man das Recht zu ihrer Ausübung doch in wunderbarem
Widerspruch meist denen ein, die von Menschen dazu berusen
und bestätigt worden sind.
Die Gaben sind, wie die Schrift sagt, gegeben worden „zur Vollendung der Heiligen: für das Werk
des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis
wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und
der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen
Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des
Christus, auf daß wir nicht mehr Unmündige seien . . . .
sondern, der Wahrheit beflissen in Liebe, (wovon Christus
der vollkommene Ausdruck ist) lasset uns heranwachsen in
allem, zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus
welchem der ganze Leib, wohl zusammengesügt und zusammenbefestigt durch jedes Gelenk der Darreichung,
nach der Wirksamkeit in dem Maße eines je­
295
den Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt
zu seiner Selbstauferbauung in Liebe." (Eph. 4, 12—16.)
Alle Glieder des Leibes Christi nehmen Anteil an
der Anferbauung dieses Leibes, und sie sind auch dazu
verpflichtet, und zwar „ein jeder nach dem Maße der Gabe
des Christus." (Eph. 4, 7.) Nicht alle verkündigen das
Evangelium, nicht alle lehren, nicht alle ermahnen, weil
nicht alle diese Gaben haben; aber alle sind für das verantwortlich, was ihnen vom Herrn anvertrant ist. Alle
haben etwas zu erfüllen, und zwar nach der Kraft und
Weisheit, die Gott ihnen darreicht. Jn 1. Pet. 4 werden
die Gläubigen ermahnt: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes. Wenn jemand
redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand
dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht,
auf daß in allem Gott verherrlicht werde durch Jesum
Christum." (V. 10. 11.) Jeder wahre Christ ist, wie gesagt,
ein Glied des Leibes Christi; und so wie am menschlichen
Körper ein jedes Glied seine besondere Verrichtung zum
Nutzen des ganzen Körpers hat, so hat auch ein jedes
Glied des Leibes Christi, als solches, zur Auferbauung dieses
Leibes seine eigene Thätigkeit, seine besondere Pflicht; und
nicht selten sind gerade die verborgensten und am wenigsten
auffälligen Dienste die gesegnetsten und notwendigsten, und
sicher werden sie von dem Herrn anerkannt werden.
Ferner ist, wie bei dem menschlichen Körper, so auch
bei dem Leibe Christi ein jedes Glied von der Thätigkeit
des andern abhängig; ein jedes Glied hat das andere
nötig; keins kann zum andern sagen: ich bedarf deiner
nicht. Gott hat nach Seiner Weisheit einem jeden Gliede
296
seinen besondern Platz am Leibe gegeben, so wie Er gewollt hat. Er hat alles so geordnet, „daß keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge
sür einander haben." (1. Kor. 12, 14 — 25.) Ein jedes
Glied dient dem andern; ja, ein jedes ist des andern
Glied, wie geschrieben steht: „Denn gleichwie wir in einem
Leibe viele Glieder haben, aber alle die Glieder nicht dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die Vielen, ein Leib
in Christo, aber je einer des andern Glieder. Da wir
aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasset uns weissagen nach dem Maße des Glaubens; es sei Dienst, so
lasset uns bleiben im Dienste; es sei, der da lehrt, in
der Lehre; es sei, der da ermahnt, in der Ermahnung;
der da mitteilt, in Einfalt; der da vorsteht, mit Fleiß; der
da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit." (Röm. 12, 6—8.)
Wie klar und einfach ist dies alles, wenn wir der Unterweisung des Wortes Gottes folgen und uns der Leitung
Seines Geistes unterwerfen!
In 1. Kor. 12, 28 werden noch einige andre Gaben
erwähnt, welche nicht znr Erweckung der Seelen und zur
Auferbauung der Versammlung gegeben waren, sondern
vielmehr als Zeichen für die Welt dienen sollten, um sie
erkennen zu lassen, daß Gott in der Person des Heiligen
Geistes in der Versammlung gegenwärtig war. Außer
den Aposteln, Propheten und Lehrern gab es Wunderkräfte, Gaben der Heilungen, Hülfsleistungen, Regierungen,
verschiedene Arten von Sprachen. Diese Gaben hatten,
wie gesagt, den besondern Zweck, die Gegenwart Gottes
in der Kirche kund zu machen und die göttliche Wahrheit
der christlichen Lehre zu bestätigen. So lesen wir z. B.
297
in 1. Kor. 14, 28, daß die Sprachen zn einem Zeichen
für die Ungläubigen dienten. Jene Gaben waren mehr
eine Zierde der Versammlung nnd ein Beweis ihrer Anerkennung von feiten Gottes, als ein Mittel zu ihrer
Sammlung und Auferbauung; sie wurden deshalb weggenommen, als die Kirche durch ihre Untreue Gott verunehrte und den Heiligen Geist, der in ihrer Mitte wohnte,
betrübte. Jedoch blieben sie durch die Fürsorge Gottes so
lange erhalten, bis sie ihren Zweck erfüllt hatten.
Jeder Erlöste ist an und für sich schon ein DienerChristi, des alleinigen Herrn seiner Seele, aber er ist es
in besonderer Weise durch die Gabe, die er von Ihm
empfangen hat. Er ist verantwortlich für diese Gabe
nnd ist verpflichtet, mit derselben zu dienen und sie zu
dem Zweck zu benutzen, zu welchem sein Herr sie ihm gegeben hat. Sicher ist und bleibt feder Christ der Zucht
der Versammlung unterworfen, sowohl in bezug auf seinen
Wandel, als auch auf seinen Dienst; er steht aber nicht
im Dienste der Menschen, sondern allein im Dienste Christi,
seines Herrn, und ist Ihm allein verantwortlich. Insofern
er nun Christo wirklich dient, ist er der Versammlung
nützlich; wenn er aber seine eigene Ehre im Auge hat
und nach Anerkennung der Menschen trachtet, so ist sein
Dienst wertlos. Als treuer Diener Christi sucht er stets
die Ehre seines Herrn und dient mit aller Hingebung und
Willigkeit denen, die Christo angehören und des Dienstes
hienieden bedürfen; denn zu diesem Zwecke allein hat er
die erforderlichen Gaben von Ihm empfangen. Christus
giebt uns keine Gabe, um sie unbenutzt liegen zu lassen;
wir sollen nicht träge und unthätig sein, sondern mit dem,
was wir empfangen haben, handeln. Dies lehrt uns so
298
deutlich das Gleichnis von den drei Knechten in Matth. 25,
denen ihr Herr, als er außer Landes reiste, verschiedene
Talente austeilte, dem einen mehr, dem andern weniger,
„einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit." Bei der
Rückkehr des Herrn fanden die beiden ersten Knechte Lob
und Lohn, weil sie mit ihren Talenten gehandelt hatten.
Ihre Bevollmächtigung dazu erkannten sie in der Thatsache, daß ihr Herr ihnen jene Talente anvertraut hatte.
Der dritte Knecht aber wurde getadelt uud gestraft, weil er
kein Vertrauen zu seinem Herrn hatte und dem Auftrage
desselben, mit dem ihm übergebenen Talente zu handeln,
nicht nachkam.
Durch dieses Gleichnis belehrt uns der Herr ganz
deutlich, daß die empfangenen Gaben für den Knecht
Christi die völlig genügende Bevollmächtigung sind, um
mit denselben zu dienen, wenn anders die Liebe Christi
in seinem Herzen wirksam ist. Sind jenes Vertrauen
und diese Liebe nicht vorhanden, und er dient nicht mit
der ihm verliehenen Gabe, so ist er schuldig; er ist ein 
„böser und fauler Knecht." Durch den Dienst wird ein Knecht
auf die Probe gestellt; es offenbart sich, ob Liebe und Vertrauen zu seinem' Herrn bei ihm vorhanden sind, oder nicht.
Ist die Liebe Christi in meinem Herzen wirksam, so ist
es mir unmöglich, unthätig zu sein, wenn sich Gelegenheit
darbietet, den Heiligen zu dienen; und der Herr wird
stets die nötige Kraft zu diesem Dienste darreichen, sowie
auch die Weisheit, ihn wohlgefällig zn verrichten. Ist
ferner Vertrauen zu Christo vorhanden, so habe ich Mut,
mit den Gaben, die Er mir verliehen hat, zu dienen;
anders werden allerlei Bedenken in meinem Herzen aufsteigen. — Wird Er meinen Dienst gutheißen? Wird Er
299
zufrieden mit mir sein? Ist es nicht ein eigenwilliger,
selbsterwählter Weg, wobei Selbstsucht und Stolz mich
leiten? — Solche und ähnliche Fragen werden mein Inneres
durchkreuzen und mich zum Dienste unfähig machen. Die
Liebe aber hat Vertrauen zu Christo und ist deshalb
stets in aufopfernder Weise thätig. Sie ist gehorsam
und verständig; sie kennt ihre Pflicht und hat auch den
Mut, dieselbe zu erfüllen. Sie weiß, was sie sucht und
was sie will. Ihr Leben ist Christus, ihr Vorrecht Sein
Dienst, und ihr Verlangen Seine Verherrlichung. Wenn
deshalb die Liebe Christi in unserm Herzen wirksam ist,
und wir durch Seine Kraft und Weisheit geleitet werden,
so sind wir wahrhaft fähig, den uns anvertrauten Dienst
auszuüben. Sein Wort und Seine Genehmigung genügen
uns dann völlig; alles andere ist für uns ohne Wert.
Möchte doch diese Gesinnung allezeit bei uns gefunden
werden! Es ist sicher ein Geringes, von Menschen beurteilt zu werden; ihre Genehmigung, ihr Lob oder ihr
Tadel in bezug auf unsern Dienst im Werke des Herrn
dürfen nicht unser Beweggrund sein. Es kommt aber
ein Tag, der alles ans Licht stellen wird, nnd dann wird
der treue Diener, der den Willen seines Herrn gethan
hat, sein Lob von Ihm empfangen und auch in den
Augen der Menschen völlig gerechtfertigt dastehen.
In keinem Abschnitt des Neuen Testaments wird die
Lehre von dem Leibe und den Gliedern Christi so klar
dargestellt, wie in dem 12. Kapitel des 1. Briefes an die 
Korinther; zugleich werden hier die Gaben mehr als die
Wirkung des Heiligen Geistes betrachtet. „Dem Einen
wird durch den Geist gegeben das Wort der Weisheit,
einem Andern aber das Wort der Erkenntnis nach dem-
300
selben Geiste.... Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, jeglichem insbesondere austeilend, wie Er will."
(V. 8 — 11.) In Vers 6 lesen wir, daß es Gott ist, der
alles in allen wirkt, und in Vers 11 wird es dem Geiste
zugeschrieben. Dies zeigt uns, daß der Heilige Geist Gott
ist. Er wohnt in der Versammlung und vollbringt durch
Seine Wirksamkeit das Werk Gottes ans der Erde, sei es
in der Welt oder in der Versammlung; alles wird durch
Ihn bewirkt. Er teilt einem jeden insbesondere aus, wie
Er will, und bringt durch Seine Wirksamkeit die verliehenen Gaben in Ausübung. Alle aber, die sie empfangen
haben, sind Diener Christi und stehen unter Seiner alleinigen Autorität. (Schluß folgt.)
Kommende Gerichte.
Zwischen dem Augenblick unsrer Aufnahme, um dem
Herrn zu begegnen in der Luft, und unsrer Wiederkunft
mit Ihm werden die Gerichte der „sieben Siegel," der
„sieben Posaunen" und der „sieben Schalen" des Zornes
Gottes über diese Erde ausgegossen werden. Die Wirkung
dieser schrecklichen Gerichte wird die sein, daß die Menschen
Gott lüstern und keine Buße thun. Außer diesen besondern
Gerichten wird für die Juden die von dem Herrn angekündigte Zeit der Drangsale kommen, eine Zeit, wie sie
nie gewesen ist, noch je wieder sein wird; ferner hören
wir von einer „Stunde der Versuchung, die über den ganzen
Erdkreis kommen soll," von einer „Wirksamkeit des Irrtums," welche Gott allen denjenigen senden wird, „die
der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gesunden haben an der Ungerechtigkeit," sowie endlich
von dem Gerichte der Verderberin der Wahrheit, der
301
„großen Hure," durch die Hand der Ungläubigen. (Vergl.
Offbg. 6; 7; 8; 0; 15; 16; Matth. 24, 21; Offbg.
3, 10; 2. Thess. 2, 10-12; Offbg. 17.) Die Hartnäckigkeit und Bosheit des Menschen unter den Schlägen
des göttlichen Gerichts, die Vermehrung seiner Lästerungen
einerseits, und das ernste Flehen eines treuen Ueberrestes
in Israel, welcher ruft: „Ach! daß Du die Himmel zerrissest, daß Du herniederstiegest :c.," andrerseits, wird
den Herrn aus dem Himmel persönlich und sichtbar herniederführen. Er wird erscheinen zur Befreiung Seines
irdischen Volkes aus der Hand aller seiner Feinde und
Bedrücker und herrschen, bis Er alle Seine Feinde zum
Schemel Seiner Füße gelegt hat, „nach der Wirksamkeit,
mit der Er vermag, sich alle Dinge zu unterwerfen."
Alles Gericht ist Ihm übergeben, weil Er der Sohn des
Menschen ist. Henochs Prophezeiung wird sich dann erfüllen: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten Seiner
heiligen Tausenden, Gericht auszuführen wider alle." —
„Wisset ihr nicht," schreibt der Apostel an die Korinther,
„daß die Heiligen die Welt richten werden? . . . Wisset
ihr nicht, daß wir Engel richten werden?" (Jud. 14. 15;
1. Kor. 6, 2. 3.)
Jn 2. Tim. 4, 1 lesen wir, daß der Herr Jesus
Christus die Lebendigen und Toten richten wird bei Seiner
Erscheinung und Seinem Reiche, und in 2. Thess. l, 7. 8,
daß Er geoffenbart werden wird „vom Himmel, mit den
Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, um Vergeltung zu geben denen, die Gott nicht kennen, und denen, die
dem Evangelium unsers Herrn Jesu Christi nicht gehorchen."
Jn den ersten Stellen sehen wir die Ordnung der Gerichte;
zuerst werden „die Lebendigen," dann „die Toten" ge­
302
richtet werden. Die Gläubigen sind während dieser Gerichte bei Ihm. Er selbst wird folgendermaßen beschrieben :
„Seine Augen aber waren wie eine Feuerflamme, und ans
Seinem Haupte viele Diademe, und Er hat einen Namen
geschrieben, den niemand kennt, als nur Er selbst; und
Er war bekleidet mit einem Gewände, in Blut getaucht,
und Sein Name heißt: das Wort GotteS . . . Und aus
Seinem Munde geht hervor ein scharfes Schwert, auf
daß Er damit die Nationen schlage w.denn „Er richtet und
fuhrt Krieg in Gerechtigkeit." (Offbg. 19, 11-21.)
Und was wird geschehen, wenn Er so kommen wird, angethan mit Herrlichkeit und Macht?
1. Der Herr wird die Könige der Erde und ihre
Heere in direkter Feindschaft gegen sich versammelt finden,
und zwar unter der Leitung des aus dem Abgrunde aufsteigenden „Tieres," welches die ganze Welt bewundern
wird, sowie „des falschen Propheten," „dessen Ankunft
nach der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht und
Zeichen und Wundern der Lüge," welchen „der Herr
Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes
nnd vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft."
„Und es ward ergriffen das Tier und der falsche
Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm that,
durch welche er verführte, die das Malzeichen des Tieres
annahmen und die sein Bild anbeteten — lebendig wurden
die zwei geworfen in den Feuersee, der mit Schwefel
brennt. Und die übrigen wurden getötet mit dem Schwerte
Dessen, der auf dem Pferde saß, welches Schwert aus
Seinem Munde geht, und alle Vögel wurden gesättigt
von ihrem Fleische." — Dies ist nicht mit Unrecht ein
kriegerisches Gericht genannt worden.
303
2. Bevor der Herr vom Himmel geoffenbart werden
wird, wird ein treuer Ueberrest Seiner „Brüder" (gläubige Juden) unter die Nationen gehen, um das Evangelium des Reiches zu verkündigen, nach den Worten
des Herrn: „Und dieses Evangelium des Reiches wird
gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, zu einem
Zeugnis allen Nationen, und dann wird das Ende kommen;" (Matth. 24, 14.) und: „Wahrlich, ich sage euch:
ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein,
bis der Sohn des Menschen kommen wird." (Matth. 10, 23.)
Das Resultat des Ausgehens dieser Evangelisten wird
sein, daß einige sie und ihre Botschaft aufnehmen, während
andere sie hassen, verfolgen und ins Gefängnis werfen,
ja einige von ihnen töten; doch diese letzteren wird der Herr
richten, sobald Er sich als König auf Seinen Thron gesetzt hat. „Vor Ihm werden alle Nationen versammelt
werden, und Er wird sie von einander scheiden, gleichwie
der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Und Er
wird die Schafe zu Seiner Rechten stellen, die Böcke aber
zur Linken." (Matth. 25, 31- 46.) Wir finden bei
dieser Gelegenheit zunächst also „den König," welcher
richtet, dann „Brüder," „Schafe" und endlich „Böcke."
Die Sache, um welche es sich bei diesem Gericht handelt,
ist die Frage, wie die vor „dem Throne der Herrlichkeit"
versammelten Nationen die „Brüder" des Königs, welche
von Seinem Kommen zur Aufrichtung des Reiches Zeugnis ablegten, behandelt haben. Diejenigen, welche sie
aufnahmen, haben Ihn ausgenommen, welche sie verwarfen, haben Ihn verworfen. Das Gericht ist ein endgültiges und daher ein ewiges: „Diese werden hingehen
in die ewige Pein; die Gerechten aber ins ewige Leben."
304
Beachten wir, daß es sich bei diesem Gericht nur um
lebende Personen handelt; wir hören nicht, daß ein
Toter auferweckt wird. Wir dürfen es daher nicht mit
dem Gericht vor dem „großen, weißen Thron" verwechseln.
3. Jedes Knie muß sich beugen, und jede Zunge
bekennen, daß Jesu? Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters. Der „ohne Hände" losgerissene
„Stein" (Christus) muß auf die Nationen fallen und sie
„zermalmen," ehe er zu einem gewaltigen Berge wird
und die ganze Erde ansfüllt. (Dan. 2, 31—45.) Er
muß alle Nationen und die äußersten Enden der Erde zn
Seinem Besitztum haben. Mit eisernem Scepter wird
Er sie zerschmettern, wie Töpfergefäß sie zerschmeißen.
(Ps. 2.) Wenn der Herr sich aufmachen wird,
zu schrecken die Erde, werden viele ihre Götzen von
Silber und Gold hinwerfen, und sie werden sich verkriechen „in die Spalten der Felsen und in die Klüfte
der Steinfelsen vor dem Schrecken Jehovas und vor der
Herrlichkeit Seiner Majestät." (Jes. 2, 20. 21.) Die
Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des
Allmächtigen, muß getreten werden, ehe die Zeit der
Segnung für diese Erde kommen kann. (Offbg. 19, 15.)
Der Herr wird herrschen inmitten SeinerFeinde; Er wird Könige zerschmettern am Tage Seines
Zornes und richten unter den Nationen. (Ps. 110.) „Erwirb wegthun alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht;
denn Er muß herrschen, bis Er alle Feinde gelegt hat
unter Seine Füße." (1. Kor. 15, 24. 25.)
Es ist köstlich für das Herz, daran zu denken, daß
die Kirche während der Zeit der Herrschaft Christi in
der Herrlichkeit droben sein wird, während ganz Israel
305
den Herrn kennt und, im Gennß aller ihm verheißenen
Segnungen, das Werkzeug des Segens für alle Nationen
sein wird; ja, nachdem der Herr alle Seine Feinde
niedergeworfen hat, wird die Erkenntnis des Herrn
die Erde bedecken, wie die Wasser den Grund des Meeres.
Satan wird gebunden, der Geist auf alles Fleisch ausgegossen, die Schöpfung befreit sein, und der Herr wird
den Ihm gebührenden Platz als König der Könige und
als Herr der Herren einnehmen. Aber Er wird regieren
in Gerechtigkeit; „denn der Jüngling wird sterben, hundert Jahre alt, und der Sünder, hundert Jahre alt, verflucht werden." (Offbg. 2k, 10; Jes. kl, 0; 55, 20.)
4. Nachdem die tausendjährige Zeit der Segnung
dieser Erde vollendet sein wird, werden alle die gottlosen
Toten, Kleine und Große, zu ihrem letzten, endgültigen
Gericht vor dem „großen, weißen Throne" auferweckt 
werden. Die geschaffenen Himmel und die Erde werden
vergehen. Alle werden gerichtet werden nach ihren Werken.
Deshalb lesen wir auch nicht, daß ein einziger von ihnen
errettet werden wird; denn wie könnte ein Sünder auf
Grund seiner Werke errettet werden? Der Herr nennt
diese „zweite" Auferstehung die Auferstehung des Gerichts.
Die Bücher werden aufgethan, und ein jeder wird gerichtet werden nach dem, was in den Büchern geschrieben
steht. Ein anderes Buch, das Buch des Lebens, wird
ebenfalls geöffnet werden, aber nur um zu zeigen, daß
die Namen der Gerichteten nicht darin verzeichnet find.
„Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden ward in
dem Buche des Lebens, so ward er geworfen in den
Feuersee." (Offbg. 20, 11 — 15.)
Welch eine überwältigende Scene! — Wie köstlich ist
306
es, den Blick von diesen schrecklichen Dingen abwenden
und auf unsre ewige Ruhe hinrichten zu können! Sogleich
nach der Beschreibung jenes großen, schrecklichen Endgerichts
hören wir die herrlichen Worte: „Und ich sah einen neuen
Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und
die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht
mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,
herniederkommen aus dem Himmel, von Gott, bereitet
wie eine für ihren Mann geschmückte Braut.
Und ich hörte eine starke Stimme ans dem Himmel
sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und
Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk
sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr
Gott. Und Er wird jede Thräne abwischen von ihren
Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer,
noch Geschrei, noch Pein wird mehr sein; denn das Erste
ist vergangen." (Offbg. 21, 1 — 4.)
Der Grund unsers Vertrauens vor Gott.
Ein Christ hat stets Grund, vollkommen glücklich zu
sein vor Gott, weil er vollkommen errettet ist. Dies ist
der richtige Zustand eines Christen — derjenige des Vertrauens, nicht auf das Fleisch, sondern des Vertrauens
auf Gott und der Freude vor Ihm. Der Christ mag
in einen Zustand kommen, wo ihm das Vertrauen zu
mangeln beginnt und er in bezug auf sich und auf seine
Errettung ungewiß wird, und vielleicht mag dieser Zustand
selbst durch ein Werk des Heiligen Geistes, das in ihm
vorgeht, hervorgerufen sein, aber trotz alledem ist es nicht
der richtige, für ihn Passende Zustand. Was der Heilige
Geist giebt, ist völlige Gewißheit. Wo Ungewißheit vor-
807
Handen ist, da ist sie stets die Folge der Thätigkeit
unsrer eigenen Herzen, obwohl diese Thätigkeit, wie
gesagt, in Verbindung stehen kann mit einem wirklichen
Werke des Heiligen Geistes in der Seele. Ich bin z. B.
überzeugt, daß Gott heilig ist, und fange nun an, indem
ich Sünde in mir entdecke, darüber zu grübeln, ob ich
würdig bin, vor Gott hinzutreten, oder nicht, ob ich das
Recht habe, zu Ihm zu redeu, oder ob ich von Seiner
Gegenwart völlig ausgeschlossen bin. Vielleicht ist 
der Wunsch in mir vorhanden, zu Ihm zn gehen und
mein Herz vor Ihm auszuschütten, aber ich weiß nicht,
ob Er mich annehmen wird. In diesem Seelenzustande
befinden sich viele Christen heutzutage. Ich brauche wohl
nicht zu sagen, daß der Glaube nicht die Quelle desselben ist. Der genannte Zustand ist nicht derjenige, welcher
dem Christen eigentümlich sein sollte. Es ist ein Grübeln
und Forschen nach Dingen, die von dem Glauben erkannt
und entdeckt werden, aber es ist kein Glaube. Wir
finden in dem Worte Gottes, daß das Blut Jesu Christi,
des Sohnes Gottes, uns von aller Sünde reinigt, daß
Er durch das Blut Seines Kreuzes Frieden gemacht hat,
daß Gott unsrer Sünden und Gesetzlosigkeiten nie mehr
gedenken will. Ist nun der Glaube in bezug auf alle
diese herrlichen Wahrheiten in uns thätig, so sind wir
glücklich — wir haben Frieden. Der Glaube ist die einfältige, kindliche Annahme dessen, was Gott gesagt hat.
Und wo ein solcher Glaube vorhanden ist, da ist Friede
und Freude.
308
Gedanken.
Die Geißel und die Rute mögen gerecht sein, aber
-es ist unmöglich, das Herz eines Menschen mit denselben
zu gewinnen. Auch ist es nicht Gerechtigkeit, welche in der
Mitte der Heiligen Gottes regiert, sondern die „Gnade
herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum
Christum, unsern Herrn."
Ach! wie viele Sünden, die vielleicht hätten weggewaschen werden können, (Joh. 13, 14.) sind zurückgehalten worden! Wie viele Brüder sind sür immer entfremdet worden, die für Gott und für uns hätten zurückgewonnen werden können, und zwar weil wir nur auf
ihr Gewissen gehämmert, aber kaum den Versuch gemacht haben, ihr Herz zu gewinnen!
Wir haben das Böse nicht überwunden, weil wir es
nicht mit dem Guten überwunden haben. Wir haben uns
nur zu bereitwillig auf den Richterstuhl gesetzt und deshalb Gericht zurückempfangen, während das demütige
Werk unsers Herrn und Meisters wenig von uns gethan
worden ist. Ach! wie wenig verstehen wir noch, daß eine
blos gerechte Handlungsweise — so durchaus gerecht sie
an und für sich sein mag — eine Seele nicht wiederherstellt, daß ein Gericht, so milde und wahrheitsgemäß
es auch ist, nie ein Herz berühren, besänftigen und der
Belehrung zugänglich machen wird, welches gerade durch
das, was vorgefallen ist, bewiesen hat, daß es sich nicht
auf seinem wahren Platze vor Gott befindet.
Der Mensch ist nicht ausschließlich Gewissen;
und ein Gewissen, das aufgeweckt ist, ohne daß das Herz 
zugleich erreicht ist, wird heute dasselbe thun, was es bei
dem ersten Sünder unter den Menschenkindern gethan hat
— es wird ihn h in w e g treib e n unter die Bäume
Les Gartens, um der unwillkommenen Stimme zu entfliehen.
Ueber das Verhalten des Gläubigen in den
Tagen des Verfalls.
(Schluß.)
Wir haben also gesehen, daß die Gaben, sei es zur
Verkündigung des Evangeliums, oder zum Dienste der
Heiligen, überall ihre Geltung haben, und nicht an einen
bestimmten Ort oder an eine lokale Versammlung gebunden sind, und daß ein jeder Christ, der vom Herrn
eine Gabe empfangen hat, verpflichtet ist, sie in Seinem
Dienste und zu Seiner Verherrlichung zu gebrauchen, ohne
auf irgend welche andere Genehmigung zu ihrer Ausübung zn warten. Außer den angeführten Stellen giebt
es noch viele andere, welche die Wahrheit des Gesagten
klar und deutlich beweisen. Als nach dem Tode des
Stephanus eine große Verfolgung Wider die Versammlung
zu Jerusalem ausbrach, wurden alle Gläubige, mit Ausnahme der Apostel, in die Gegenden von Judäa und
Samaria zerstreut. „Die Zerstreuten nun gingen umher
und verkündigten das Wort." Solche, die eine besondere
Gabe dazu empfangen hatten, werden es öffentlich, und
die Andern mehr im Verborgenen gethan haben; aber alle
waren beschäftigt, die gute Botschaft auszubreiten. (Apstg.
8, 1—4.) Etliche Kapitel weiter lesen wir: „Und des
Herrn Hand war mit ihnen, und eine große Zahl glaubte
310
und bekehrte sich zu dem Herrn." (Kapitel 11, 19— 21.)
Der Herr erkannte den Dienst dieser Zerstreuten an und
krönte ihn mit einem großen Erfolge. — Als Paulus
zu Rom im Gefängnis war, wurden die meisten der
Brüder, indem sie im Herrn Vertrauen gewonnen hatten,
durch seine Bande viel kühner, „das Wort zu reden ohne
Furcht." (Phil. 1, 13. 14.) Als Glieder des Leibes
Christi machten sie von der empfangenen Gabe freimütig
Gebrauch. — In 1. Kor. 14, 31 schreibt der Apostel
an die Versammlung: „Ihr könnt einer nach dem andern
alle weissagen, auf daß alle lernen und alle getröstet
werden." Das heißt doch sicher nicht, die Erbauung der
Versammlung gewissen Personen oder einem besondern
Stande anvertrauen, oder an ein besonderes Amt knüpfen,
noch findet sich in diesen Worten eine Spur von dem
Gedanken, daß dieser Dienst der Genehmigung und Bestätigung von feiten der Menschen, von feiten irgend einerkirchlichen oder weltlichen Behörde bedürfe. Das Wort
Gottes lehrt überall, und zwar in der klarsten Weise,
daß jeder Christ einzig und allein als ein Glied des
Leibes Christi, und eben deshalb, weil er ein solches
Glied ist, mit der ihm von dem Herrn verliehenen Gabe
zu dienen verpflichtet ist; und diese Gabe ist der völlige
Beweis, daß er von dem Herrn zum Dienst berufen, erwählt nnd eingesetzt ist, daß er auf keine andere Genehmigung und am wenigsten auf eine Anstellung von
feiten der Menschen zu warten hat.
Gab es im Anfang auch sogenannte Aemter in der
Kirche oder Versammlung, so dürfen wir dieselben doch nicht
mit den Gaben verwechseln, wie es heutzutage meist geschieht. Man spricht von einem Predigtamt, Lehramt
311
und Hirtenamt, *) und mit diesen angeblichen Aemtern wird
ein besonderer Stand betraut, den man den geistlichen
Stand nennt. Diesem allein schreibt man das Recht zu,
das Evangelium zu predigen und die Menschen Zu erbauen. Im Worte Gottes aber findet man nichts der
Art. Wenn jemand kommt, um zu lehren, so haben wir
nicht zu fragen, ob er ein Amt habe, ob er geweiht oder 
ordinirt sei, sondern wir sollen allein die Lehre prüfen,
die er bringt. Der Apostel Johannes schreibt dies sogar
an eine Frau: „Wenn jemand zu euch kommt und diese
Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf
und grüßet ihn nicht." (2. Joh. V. 10.)
*) Wir bemerken hier, daß das von Luther in Apostelgesch.
6, 4; 20, 24; Röm. 12, 7; 1. Kor. 12, 5; 2. Kor. 3, 7—9!
4, 1; 5, 18; 6, 3; Eph. 4, 12 und an andern Stellen mit „Amt"
übersetzte griechische Wort (cilallonin) nicht „Amt," sondern
„Dienst" bedeutet. Auch das Wort „Apostelamt" (Apstg. 1,25;
Röm 1, 5 rc.) hat eigentlich den Sinn von „Apostelschaft" (npostoln).
Das Wort Gottes kennt eigentlich nur zwei Arten
von Aemtern, oder. richtiger von Diensten, nämlich das
Amt der Aufseher oder Aeltesten, und dasjenige der Diener
oder Diakonen. Die mit diesen Diensten betrauten Personen
wurden, obgleich auch sie ihre Befähigung allein vom Herrn
empfingen, von Menschen angestellt. Die Aeltesten wurden an
jedem Drte von den Aposteln oder ihren Abgeordneten gewählt
und in ihr Amt eingesetzt. Wir lesen in Apostelgesch.
1^, 23, daß Paulus und Barnabas auf ihrer Rückkehr
von der ersten Reise in jeder Versammlung Aelteste wählten,
und daß der Apostel später den Titus in Kreta mit dem
Auftrage zurückließ, in jeder Stadt Aelteste anzustellen.
(Titus 1, 5.) Und obgleich Timotheus nicht in Ephesus
312
gelassen wurde, um Aelteste einzusetzen, sondern um über
die Lehre zu wachen, so wurde er doch mit den nötigen
Eigenschaften eines Aufsehers bekannt gemacht, fl. Tim.
3, 1—7.) Nie aber ist eine Versammlung mit der
Anstellung von Aeltesten durch irgend einen Apostel beauftragt worden, noch finden wir irgendwo einen Anhaltspunkt dafür, daß eine Versammlung sich selbst Aelteste
gewählt habe. Heute geschieht dies allgemein, obwohl
niemand dazu irgendwie bevollmächtigt ist, noch auch bevollmächtigt werden kann, weil die Apostel nicht mehr
vorhanden sind und auch keine Anweisung zur Anstellung
von Aeltesten hinterlassen haben. Zudem macht die gegenwärtige Zersplitterung unter den Gläubigen eine solche
Anstellung unmöglich, da die Versammlung Gottes an
einem Orte aus allen daselbst wohnenden wahren Christen
besteht, während die zu dem Aeltestendienst befähigten
Männer in den verschiedenen Parteien zerstreut sind.
Auch kann nicht behauptet werden, daß in allen Versammlungen zur Zeit der Apostel Aelteste angestellt waren;
wenigstens scheint dies in Korinth nicht der Fall gewesen
zu sein, da der Apostel, obwohl dort sehr viele traurige
Dinge Vorlagen, der Aeltesten mit keinem Worte Erwähnung thut. Die Einsetzung von Aeltesten, wie sie
heutzutage geschieht, ist daher nichts anders, als ein Werk
menschlicher Anmaßung.
Die Aeltesten hatten ihre Obliegenheiten nur an dem
Orte oder in der Versammlung zu erfüllen, wo sie als
solche eingesetzt waren, und nicht anderswo. Ihre Pflichten
waren diejenigen eines Aufsehers. Der Apostel selbst
giebt ihnen an verschiedenen Stellen diesen Namen, wie
z. B. in Phil. 1, 1 ; ebenso in Apostelgesch. 2«l, 28, wo
313
er zu den Aeltesten der Versammlung in Ephesus sagt:
„So habet nun acht auf euch selbst und auf die ganze
Herde, in welcher euch der Heilige Geist als Aufseher
gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten." Es
war also ihre Pflicht, über die Herde zu wachen, acht
zu haben auf alles, wodurch dieselbe Schaden nehmen
konnte, und besonders, wachsam zu sein gegen die falschen
Lehrer. Nicht alle Aeltesten hatten Gaben; denn wir
lesen in 1. Timoth. 5, 17: „Die Aeltesten, die wohl vorstehen , laß doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiten im Wort und in der Lehre."
Den Dienern oder Diakonen lag es ob, wie schon
ihr Name besagt, die Versammlungen zu bedienen; auch
gab es Dienerinnen. Ihr Dienst beschäftigte sich mehr mit
äußern Dingen, z. B. mit der Versorgung der bedürftigen
Witwen. Wenigstens geht dies aus Apostelgesch. tt hervor, wo wir lesen, daß 7 Männer zu diesem Dienste
erwählt und eingesetzt wurden, weil die Apostel sich nicht
länger mit demselben befassen wollten, um ungehindert im
Gebet und im Dienste des Wortes verharren zu können.
Wenn nun diese Diener Gaben besaßen, so hatten sie,
wie alle Ehristen, dieselben auszuübeu. Wenn sie ihr
Amt mit Treue und Sorgfalt verwalteten, so erwarben
sie sich „eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im
Glauben, der in Christo Jesu ist." (1. Timoth. 3, 13.)
Die Bestätigung dieser Worte sehen wir in ganz hervorragender Weise bei Stephanus und Philippus, die zu
dcu oben erwähnte» sieben Diakonen in Jerusalem gehörten. (In bezug auf den ersten vergleiche das 6. und
7. Kapitel, und auf den letzten das 8. Kapitel der Apostelgeschichte.)
314
Indes kann auch von einer öffentlichen Anstellung
von Diakonen beute, der allgemeinen Zersplitterung wegen,
ebensowenig die Rede sein, als von derjenigen der Aeltesten.
Immer aber bleibt uns die nie fehlende Treue und Liebe
Gottes. Er Hal die Bedürfnisse in Seiner geliebten
Versammlung in allen Zeiten vorher gekannt und dafür
Sorge getragen. So schwach und traurig ihr gegenwärtiger
Zustand auch sein mag, so hat Er doch alles, was nützlich und nötig ist, zuvor verordnet, und wird es denen
gewiß nicht vorenthalten, die Ihn darum bitten. Und
sicher giebt es in vielen Versammlungen noch erfahrene
und treue Männer, die über die Seelen wachen, die 
Unordentlichen znrechtweisen, die Kleinmütigen trösten
und sich der Schwachen annehmen, und auch solche, die
für die Bedürfnisse der Heiligen mit Liebe und Ausharren Sorge tragen; und wenn wir diese auch nicht
Aelteste oder Diakonen nennen, so haben wir sie doch um
ihres Werkes willen anzuerkennen und zu lieben. So
ermahnt uns das Wort: „Wir bitten euch aber, Brüder,
daß ihr die erkennet, die unter euch arbeiten und euch
vorstehen im Herrn und euch znrechtweisen, und daß ihr
sie über die Blaßen in Liebe achtet, um ihres Werkes
willen?' <1. Thess. 5,12. 13.) Eine ähnliche Ermahnung
finden wir in 1. Korinth. 1«, 15: „Ich ermahne euch
aber, Brüder: ihr kennet das Haus des Stephanas . .
daß sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben,
aus daß auch ihr solchen Unterthan seid und einem
jeden, der mitwirkt und arbeitet." Der Herr
gebe, daß wir allezeit auf Seine Treue rechnen, in Abhängigkeit und Furcht vor Ihm wandeln und in allem
durch Sein Wort uns leiten lassen! Tann werden wir
315
stets die gesegnetsten Erfahrungen von Seiner Gnade und
Liebe machen.
5. Das Zusammenkommen
der Gläubigen zum gemeinschaftlichen Gebet
und zur Erbauung.
Der erste und wichtigste Gegenstand beim Zusammenkommen der Gläubigen im Namen Jesu ist und bleibt,
wie schon erwähnt, die Verkündigung des Todes des
Herrn; und ist der Zustand der Herzen der Art, daß der
Geist Gottes in ihnen wirken und die wahre Anbetung
hervorbriugen kann, so wird Christus selbst, sowie Seine
Liebe, Seine Leiden und Sein Opfertod, Aller Gefühle
in Anspruch nehmen und beschäftigen. Jedes Lied, das
gesungen, jedes Gebet, das gesprochen, und jeder Schriftabschnitt, der gelesen wird, wird zu Seinem Lobe und zu
Seiner Verherrlichung sein. In einer solchen Zusammenkunft kommen die Gaben zur Erbauung und Belehrung
eigentlich gar nicht in Betracht. Es handelt sich allein
um die Anbetung des Herrn und nicht um unsre Bedürfnisse. Sind Gaben vorhanden und die Zeit erlaubt es,
so können sie nachher, nach dem eigentlichen Kultus, in
Ausübung kommen; allein dies ist nicht der Zweck der
Zusammenkunft, sondern die Erlösten sind im Namen
Jesu, ihres geliebten Herrn, versammelt, um Seinen Tod
zu verkündigen und um Ihm die Opfer des Lobes darzubringen.
Es ist aber auch sicher dem Herrn wohlgefällig, wenn
die Gläubigen an einem Orte außerdem, sowohl zu gemeinschaftlichem Gebet, als auch zu gegenseitiger Er­
316
bauung, Ermahnung und Belehrung zusammenkommen.
Die erste Versammlung in Jerusalem beharrte nicht nur
im Brechen des Brotes, sondern auch in der Lehre der
Apostel, in der Gemeinschaft und in den Gebeten. Das
Gebet ist der Ausdruck unsrer Abhängigkeit von Gott.
Wir werden in Seinem Worte oft dazu ermahnt und ermuntert, denn in unsrer großen Schwachheit und in den
mannigfachen Versuchungen hienieden bedürfen wir stets
Seiner Gnade. Auch Jesus, unser geliebter Herr, der
als Mensch auf der Erde in vollkommener Abhängigkeit
von Gott wandelte, brachte manche Stunde — einmal lesen
wir sogar von einer ganzen Nacht — im Gebet zu. Die
Apostel legten (Apstgsch. 6.) die Versorgung der Witwen
in andere Hände, um ungehindert imGebet und im Dienste
des Wortes beharren zu können. Von der Versammlung
zu Jerusalem geschah ein anhaltendes Gebet zu Gott, als
Petrus von Herodes ins Gefängnis gesetzt worden war.
(Apstgsch. 12.)
Es hat nun wohl für die Versammlung kaum eine
Zeit auf der Erde gegeben, wo für sie mehr Ursache zu
unaufhörlichem Gebet und Flehen vorhanden gewesen
wäre, als gerade die gegenwärtige. Gewiß bleibt der Herr
immer derselbe; Seine Treue und Liebe zu den Seinigen
bleiben zu aller Zeit ebenso unveränderlich und ungeschwächt,
wie Sein für sie vollbrachtes Werk unantastbar und ewig
gültig ist; und dies ist für sie stets eine große Ursache,
allezeit Seinen Namen zu preisen und zu verherrlichen.
Doch in welch einen traurigen Zustand ist die Versammlung durch ihre eigene Untreue gekommen! Wie groß ist
ihr Verfall, und wie gering die Erkenntnis und der Genuß ihrer gesegneten Vorrechte! Wie ist alles in ihrer
317
Mitte so schwach geworden, und wie wird der Herr ans
so mannigfache Weise verunehrt, der Geist betrübt und
das Wort vernachlässigt I Gewiß werden alle, die diesen
traurigen Zustand erkennen und zu Herzen nehmen, sich
gedrungen fühlen, sich in gemeinschaftlichem Gebet vor
Ihm zu demütigen und um Seine Gnade zu flehen. Und
wenn sie die „bösen Tage" erkennen, in welchen die
Gläubigen in ihrer großen Schwachheit sich gegenwärtig
befinden — Tage, die zwar angenehm für das Fleisch, 
aber höchst gefährlich für das geistliche Leben sind, wie
schon so viele traurige Beispiele uns gezeigt haben — so
wird auch dies für sie einen mächtigen Antrieb bilden, im
gemeinschaftlichen Gebet für alle die Heiligen den Herrn
um Wachsamkeit, Nüchternheit und Kraft zu bitten. Und
wenn sie sich der großen Gnade und Barmherzigkeit des
Herrn bewußt sind, der allezeit bereit ist, für die Bedürfnisse der Seinigen Sorge zu tragen und sie nie zu versäumen, so wird es ihre Freude sein, gemeinschaftlich und
voll Vertrauen alle ihre Anliegen im Gebet und Flehen
und mit Danksagung vor Ihm kund werden zu lassen.
Zugleich werden sie die Worte des Apostels beherzigen:
„Ich ermahne nun vor allen Dingen, daß Flehen, Gebete,
Fürbitten, Danksagungen gethan werden für alle Menschen,
für Könige und für alle, die in Hoheit sind, auf daß
wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller
Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Denn dieses ist gut und
angenehm vor unserm Heiland Gott, welcher will, daß
alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen." (1. Timoth. 2, 1—4.)
Wie viel Ursache giebt uns dies alles, sowohl im
Kämmerlein, als auch gemeinschaftlich unsre Kniee vor
318
dem Herrn zu beugen, Ihn zu preisen und alle unsre Bedürfnisse in anhaltendem Gebet vor Ihn zu bringen.
Freilich wird ein Herz, das an allen diesen Dingen wenig
Anteil nimmt, auch wenig Antrieb zum Gebet fühlen, sowohl im Verborgenen, als auch im Oeffentlichen in Gemeinschaft mit Andern. Und die meist so schwach besuchten Gebetsversammlungen liefern leider den traurigen Beweis, daß es viele solcher Herzen giebt. Möchte doch der
Herr in Seiner reichen Gnade ein tieferes Bedürfnis zum
Gebet in Aller Herzen wachrufen!
Wenn wir nun zum Gebet versammelt find, so lasset
uns nicht vergessen, daß der Herr unser Innerstes erforscht
und unsre geheimsten Gedanken und Gefühle kennt. Wer
das Gebet spricht, ist gleichsam der Mund der Versammlung und hat darüber zu wachen, daß sein Gebet unter
der Leitung des Geistes stehe, der Wahrheit gemäß und
allen vernehmlich sei, damit alle ihr Ja und ihr Amen
dazu sagen können. Leere Worte gelangen nicht zum
Throne der Gnade und finden deshalb keine Erhörung;
sie sind wie Spreu vor dem Winde. Es können mit
schönen und wahren Worten die wichtigsten Gegenstände
im Gebet vorgebracht werden; aber ist dieses nicht der
Ausdruck eines wirklich gefühlten Bedürfnisses, kommt es
nicht aus einem Herzen, welches sehnlichst wünscht, daß
der Herr in Seiner Gnade und nach Seinem Willen erhören möge, so ist es ganz wertlos. Ebenso unnütz nnd
verwerflich ist es, wenn jemand betet, um die Zeit auszufülleu, oder um auch einmal von seinem Vorrechte Gebrauch zu machen, oder gar um zu zeigen, mit welch gefühlvollen Worten er sein Gebet vorzubringen vermag.
Möge uns doch der Herr, wenn wir zum Gebet versammelt
819
sind, vor allen diesen traurigen Auswüchsen bewahren
und durch Seinen Geist uns leiten, daß wir stets auf eine
würdige Weise, mit einem wahrhaftigen Herzen und aus einem
tief gefühlten Bedürfnis alle unsre Anliegen im Gebet und
Flehen und mit Danksagung vor Ihm kund werden lassen!
Zu welchem Zweck aber auch die Versammlung zusammenkommen mag, sei es zur Verkündigung des Todes
des Herrn, oder zum Gebet, oder zur Erbauung, immer
bedarf sie in ihrer Mitte der Wirksamkeit und Leitung
des Heiligen Geistes, wenn nicht all ihr Zusammenkommen
vergeblich, ungesegnet und fruchtleer bleiben soll. Ohne
diese Wirksamkeit wird weder der Herr verherrlicht, noch
die Versammlung erbaut. Man ist in unsern Tagen so
geneigt, die Erbauung und Belehrung der Versammlung
von besonders begabten Personen abhängig zu machen,
und kommt daher oft in große Verlegenheit, wenn diese
nicht gegenwärtig sind. Wir Haden nun solche Gaben gewiß mit Dank gegen den Herrn auzuerkennen und zu benutzen; aber es ist ganz verwerflich, wenn eine Versammlung auf diese blickt und die Erbauung von ihnen erwartet, und nicht vom Herrn. Auf diese Weise wird das
Bewußtsein der Gegenwart des Heiligen Geistes in der
Versammlung immer mehr geschwächt und Seine gesegnete
Wirksamkeit verhindert. Wir lesen in 1. Kor. 14, 26:
„Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder von euch
einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Sprache, hat eine
Offenbarung, hat eine Auslegung: alles geschehe zur
Erbauung." Auch das Vorschlägen eines Liedes oder das
Vorlesen eines Schriftabschnittes sollte stets in dem Gefühl der völligen Abhängigkeit von der Leitung des Geistes
geschehen, damit nicht Seine Wirksamkeit in der Versamm­
320
lung durch ein willkürliches Handeln in dieser Beziehung
gehemmt werde, wie dies leider nicht selten geschehen ist.
Gewiß wird eine Versammlung, die wahre und wirkliche Erbauung sucht, diese reichlich finden, wenn Aller
Herzen sich zum Herrn wenden. Der Geist, der in ihrer
Mitte wohnt und Aller Bedürfnisse kennt, wird in Fülle
darreichen, wenn Er es auch nicht durch eine zusammenhängende Rede oder einen längeren Vortrag geschehen läßt.
Wäre die Erbauung davon abhängig, wie viele zu meinen
scheinen, so müßte an jenen Orten, wo die meisten begabten Brüder sind, der Zustand der Versammlung am
geistlichsten sein; man findet aber nicht selten gerade das
Gegenteil. Die meiste und wirkliche Erbauung wird da
gefunden werden, wo man alles allein von dem Herrn
erwartet und dem Heiligen Geiste völlig Raum läßt, auszuteilen und zu wirken, wie Er will. Auch ist wohl zn 
beachten, daß alle zur Erbauung der Versammlung mitzuwirken berufen sind, wenn auch nicht durch die thätige
Ausübung einer Gabe, so doch durch ihre Fürbitte.
In 1. Korinth. 14 wird uns auch die Ordnung angegeben, in welcher die Ausübung der Gaben stattfinden
soll. „Propheten aber lasset zwei oder drei reden, und
die Andern lasset urteilen ..... Denn ihr könnt einer
nach dem andern alle weissagen, auf daß alle lernen und
alle getröstet werden." (V. 29. 31.) Es ist gut, in
allem dem Worte Gottes unterworfen zu sein. Findet
jemand in einer Versammlung keinen Raum mehr, noch
ein Wort zur Erbauung zu reden, so braucht ihm das
keine Sorge zu machen. Wenn er in der Furcht des
Herrn wandelt und sich der Leitung des Geistes überläßt,
so wird die Gelegenheit zur nützlichen Anwendung seiner Gabe
— 321 —
sicher nicht ausbleiben. Es ist aber nichts trauriger, als
wenn jemand durch einen schönen Vortrag gefallen oder seine
Kenntnisse an den Tag bringen will. Mag ein solcher auch
noch so sehr der Wahrheit gemäß reden, so wird doch
die Versammlung nicht erbaut werden; er ist nur ein 
Hindernis für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in
derselben; und wie groß ist seine Verantwortlichkeit!
Wenn die Thätigkeit eines Bruders in der Versammlung — und diese hat darüber zn urteilen — nicht
zur wirklichen Erbauung gereicht, so hat er sich stille zu
verhalten. Wir sind leicht in Gefahr, das uns verliehene
Maß der Gabe des Christus zu überschätzen; deshalb ermahnt der Apostel einen jeden, „nicht höher von sich zn
denken, als zu denken sich gebührt, sondern so zn denken,
daß er müßig gesinnt sei, wie Gott einem jeden das Maß
des Glaubens zugeteilt hat." (Röm. 12, 3.) Und im
Blick auf unsre Schwachheit und ans die große Verantwortlichkeit, die mit dem Dienst in der Versammlung verbunden ist, warnt der Apostel Jakobus: „Werdet nicht
viele Lehrer, meine Brüder, wissend, daß wir ein schwereres
Urteil empfangen werden;, denn wir alle straucheln oft."
(Jak. 3, l. 2.) Ja, auch in bezug auf unsern Dienst
haben wir nötig, uns immer unsrer großen Schwachheit und
unsrer völligen Abhängigkeit bewußt zu bleiben.
Der Herr gebe denn, daß wir stets und in allem ans Sein
Wort achten und durch Seinen Geist uns leiten lassen!
Tann wird unser Pfad hienieden gesegnet sein, und Sein
Name allezeit durch uns verherrlicht werden. Er gebe
auch in Seiner Gnade, daß diese Zeilen für alle die 
Deinigen, die sie lesen, von Nutzen sind!
322
Der Weg Gottes, und wie ist derselbe
zu finden?
(Hiob 28; Luk. 11, 34-36.-
„Da ist ein Pfad — der Raubvogel kennt ihn nicht,
und das Auge der Weihe erspäht ihn nicht. Die Raubtiere haben ihn nicht betreten, nicht ist darüber gegangen
der grausame Löwe." (Hiob 28, 7. 8.) Welch ein gesegnetes Bewußtsein ist es für einen jeden, der wirklich mit
Gott zu wandeln wünscht, daß Gott selbst einen Pfad für
Seine Erlösten bereitet hat, auf welchem sie mit aller
Gewißheit und Ruhe wandeln können! Es ist das Vorrecht eines jeden Kindes Gottes, eines jeden Knechtes
Christi, über die Thatsache, daß er auf dem Wege Gottes
wandelt, ebenso gewiß zu sein, als über die Errettung
seiner Seele. Diese Behauptung erscheint vielleicht gewagt,
und wohl möchte uns mancher Leser, angesichts der Verwirrung, welche heutzutage auf religiösem Gebiete herrscht,
und im Blick auf die unzählige» widersprechenden Meinungen und Ansichten der Menschen, eines hohen MaßeS
von Selbstvertrauen beschuldigen. Allein was sagt die
Schrift? Sie erklärt uns einfach und bestimmt: „Da ist 
ein Pfad!" und macht uns zugleich damit bekannt, wie
wir diesen Pfad finden nnd ihn wandeln können. Ja,
dieselbe Stimme, welche uns versichert: „Wer an den
Sohn Gottes glaubt, hat ewiges Leben," sagt uns auch,
daß es einen Weg giebt, der so einfach ist, daß ein jeder,
der darauf wandelt, „selbst Thoren nicht irren werden."
Das ist, wir wiederholen eS, ein Vorrecht von unermeßlicher Bedeutung, vor allen Dingen in einer Zeit
323
der Unordnung und Verwirrung, wie die gegenwärtige.
Es ist sehr schmerzlich, den Zustand völliger Ungewißheit
zu sehen, in welchem sich so viele teure Kinder Gottes
in diesen letzten Tagen befinden. Wir denken jetzt nicht
au die Frage der Errettung, an die Gewißheit des Heils
in Christo; was uns beschäftigt, ist vielmehr der Pfad
des Christen, oder die Frage, waS er thun und lassen,
welchen Platz er einnehmen und wie er sich Verhalten
sollte inmitten der bekennenden Christenheit. Ist es nicht
nur zu wahr, daß Hunderttausende von Christen sich in
bezug auf diese Dinge wie in einem Schiffe auf stürmischer See befinden ? Giebt es nicht viele, die — wenn sie
anders den wahren Gefühlen ihrer Herzen Ausdruck geben
wollen — bekennen müssen, daß sie sich in einem Zustande der größten Ungewißheit befinden, daß sie nicht
wissen, was sie thun, wohin sie sich wenden und was sie
glauben sollen? Nun, die Frage ist: Will Gott Seine
Kinder, will Christus Seine Knechte in einer solchen Ungewißheit und Finsternis lassen?
Darf, ja sollte nicht ein Kind den Willen seines
Vaters kennen? Sollte nicht ein Knecht über die Wünsche
seines Herrn unterrichtet sein? Wenn das wahr ist in
bezug auf unsre irdischen Verhältnisse, wie viel mehr im
Blick auf unsern Gott und Vater und auf unsern Herrn
und Meister im Himmel! Wie konnte Israel seinen Weg
kennen, als es das Rote Meer durchschritten hatte und
an dem Rande jener großen und schrecklichen Wüste stand,
die zwischen ihnen und dem Lande der Verheißung lag?
Von allen Seiten umgab sie der Sand der Wüste. Es
war vergebliche Mühe, in demselben nach Fußspuren zu
suchen. Selbst das scharfe Auge des Adlers hätte keinen
324
Weg zu erspähen vermocht. Mose fühlte dies, als er zu
Hobab sagte: „Verlaß uns doch nicht, weil du weißt,
wo wir lagern sollen in der Wüste, und du wirst unser
Auge sein." (4. Mos. 10, 31.) Wie gut vermögen unsre
armen, ungläubigen und verzagten Herzen diese Bitte zu
verstehen! Wie gerne hängt mau sich an einen menschlichen
Führer inmitten einer Scene der Unordnung und Verwirrung! Wie bereitwillig vertraut sich das Herz einem
Menschen an, den es für fähig hält, in Zeiten der
Schwierigkeit den rechten Weg anzugeben!
Und doch mögen wir mit allem Recht fragen: Wozu
brauchte Mose die Augen Hobabs? Hatte nicht Jehova in
Seiner Gnade es selbst übernommen, der Führer des
Volkes zu sein? Ganz gewiß! Denn wir lesen: „Und am 
Tage der Aufrichtung der Wohnung bedeckte die Wolke
die Wohnung des Zeltes des Zeugnisses, und des Abends
war es über der Wohnung wie der Anblick des Feuers
bis an den Morgen. .... Und so wie sich die Wolke
erhob vom Zelte, so brachen darnach die Kinder Israel
auf; und an dem Orte, wo die Wolke blieb, daselbst
lagerten die Kinder Israel . . . Und wenn die Wolke
viele Tage verweilte ans der Wohnung, so warteten die 
Kinder Israel der Hut Jehovas und brachen nicht auf.
Und geschah es, daß die Wolke wenige Tage auf der
Wohnung war — nach dem Befehle Jehovas lagerten
sie, und nach dem Befehle Jehovas brachen sie auf.''
(4. Mos. 9, 15-23.)
Tas war in der That eine göttliche Leitung, eine
Leitung, welche die Israeliten völlig unabhängig machte
von ihren eignen Augen, von den Augen Hobabs und
von den Augen irgend eines andern Sterblichen. Es ist
325
beachtenswert, daß wir im Anfang des 4. Buches Mose
der göttlichen Anordnung begegnen, daß die Bundeslade
ihren Platz in der Mitte des Volkes finden sollte, während
wir im 10. Kapitel lesen: „Und sie brachen auf vom
Berge Jehovas und zogen drei Tagereisen, und die Lade
des Bundes Jehovas zog vor ihnen her drei Tagereisen, um ihnen einen Ruheort zu erkunden." (V. 33.)
Anstatt einen Ruheort in der Mitte Seines erlösten Volkes
zu finden, zieht Jehova als Führer vor ihnen her, um
ihnen einen Ruheort zu suchen. Welch eine herablassende
Gnade, und zugleich welch eine Treue! Zu derselben Zeit,
da Mose seinen Schwager Hobab bittet, dem Volke als
Führer zu dienen, erhebt sich Jehova aus der Mitte des
Lagers und geht vor den zwölf Stämmen her, um ihnen
einen Ruheplatz auszukundschaften. .Kannte Er nicht die
Wüsted War Er nicht ein besserer Führer als zehntausend
HobabL? Durften sie Ihm nicht völlig vertrauen? Sicher
nnd gewiß. Er konnte sie nicht irreführen. Wenn Seine
Gnade sie aus der Sklaverei Aegyptens erlöst und sie mit
erhobenem Arm durch die Fluten des Roten Meeres geführt hatte, so hatten sie wahrlich alle Ursache, dieser
Gnade zu vertrauen, daß dieselbe sie durch die schreckliche
Wüste leiten und wohlbehalten in das Land der Verheißung bringen würde.
Doch wir dürfen nicht vergessen, daß, nm Nutzen
aus der göttlichen Leitung zu ziehen, unser eigner Wille
völlig aufhören und alles Vertrauen auf menschliche Meinungen und Urteile beiseite gesetzt werden muß. Wenn
ich Jehova zu meinem Führer habe, so habe ich die
Augen eines Hobab niemals nötig. Gott ist für alles
genug. Ich kann mich Ihm völlig anvertrauen. Er kennt
326
den ganzen Weg durch die Wüste; wenn ich daher mein
Ange auf Ihn gerichtet halte, so werde ich stets den
rechten Weg gehen.
Doch dies führt uns zu dem zweiten Teile unsers
Gegenstandes, zu der Frage: „Wie kann ich Gottes Weg
sinden?" Jn der That, eine äußerst wichtige Frage! Wohin
soll ich mich wenden, um den Gott wohlgefälligen Weg
zu finden? Wenn das scharfe, weitsehende Auge des Raubvogels ihn nicht erspäht — wenn der Mensch nicht den
Wert der Weisheit kennt, und sie nicht gefunden wird im
Lande der Lebendigen — wenn die Tiefe spricht: Sie ist
nicht bei mir, und das Meer: Sie ist nicht bei mir —
wenn sie nicht durch Gold und Edelsteine erkauft werden
kann — wenn die Reichtümer des ganzen Weltalls nicht
mit ihr zu vergleichen sind uud der Verstand des Menschen
sie nicht zu entdecken vermag, wohin soll ich mich dann
wenden? Wo soll ich sie sinden? Wer wird mich den
richtigen Weg lehren? Soll ich mich zu jenen großen
orthodoxen Religionssystemen wenden, zu welchen sich Millionen und abermals Millionen in der weiten Ausdehnung
der Christenheit bekennen? Ist dieser wunderbare Pfad
der Weisheit bei ihnen zu finden? Bilden sie eine Ausnahme von der allumfassenden Regel in Hiob 28? Sicherlich
nicht! Was soll ich denn thun? Ich weiß, daß eS einen
Weg giebt, der Gott wohlgefällt. Der Gott, der nicht
lügen kann, erklärt es, und ich glaube Ihm; doch wo soll
ich ihn finden? „Die Weisheit nun, woher kommt sie,
und wo ist die Stätte des Verstandes? Denn verborgen
ist sie vor den Augen aller Lebendigen, und vor den Vögeln
des Himmels ist sie verhüllt. Das Verderben und der
Tod sagen: Wir haben ihr Gerücht gehört mit unsern
327
Ohren." (V. 20 — 22.) Scheint es nicht eine völlig
hoffnungslose Aufgabe für einen armen, unwissenden
Sterblichen zu sein, diesen wunderbaren Pfad zu suchen?
Nein, Gottsei gepriesen! es ist durchaus keine hoffnungslose Aufgabe, denn „Gott versteht ihren Weg, und Er
weiß ihre Stätte. Denn Er schaut bis an die Enden
der Erde, unter alle Himmel sieht Er. Da Er dem Winde
Gewicht machte und die Wasser mit dem Maße abwog,
da Er dem Regen ein Gesetz gab und eine Bahn dem
Donnerstrahl: da sah Er sie und that sie kund, Er bestellte
sie und erforschte sie auch; und zu dem Menschen sprach Er:
Siehe, die Furcht des Herrn ist Weisheit, und
vom Bösen weichen ist Verstand." lV. 23—28.)
Hierin also beruht das göttliche Geheimnis. „Tie
Furcht des Herrn ist Weisheit." Das bringt das Gewissen
unmittelbar in die Gegenwart Gottes, welche der einzig
wahre Platz desselben ist. Satan ist unaufhörlich beschäftigt,
das Gewissen von diesem Platze fern zu halten und es
unter die Gewalt und Autorität des Menschen zu bringen.
Er sucht es den Geboten und Lehren der Menschen Unterthan zu machen und etwas zwischen dasselbe und die
einzige Autorität des Herrn Jesu Christi zu stellen. Zur
Erreichung dieses Zweckes ist ihm alles recht, sei es ein
Glaubensbekenntnis, seien es die Statuten irgend einer
religiösen Gemeinschaft, oder die Meinungen und Urteile
eines geachteten und geschätzten Predigers — mit einem
Worte, alles, was in dem Herzen den Platz einuehmen
kann, welcher allein dem Worte Gottes gebührt. Dies
ist eine der gefährlichsten Schlingen Satans, ein ernstes
Hindernis für unsre Fortschritte auf dem Wege des
Herrn. Das reine unvermischte Wort Gottes muß mich
328
leiten mid regieren, nicht aber menschliche Erklärungen
desselben. Ohne Zweifel kann Gott einen Menschen benutzen, um mir Sein Wort auszulegen, aber stets habe
ich diese Auslegung zu prüfen, ob sie mit der Wahrheit
in Uebereinstimmung ist, und dann ist es nicht die Auslegung, welche mich leitet, sondern das Wort Gottes selbst,
obwohl erklärt von einem Menschen. Das ist ein Unterschied von hoher Wichtigkeit. Nichts anders als das Wort
des lebendigen Gottes kann uns auf dem rechten Wege
erhalten und unserm Wandel als Christen Festigkeit nnd
Beständigkeit verleihen. Wir wissen alle, wie sehr wir
geneigt sind, uns durch die Meinungen und Lehren hervorragender Männer leiten zu lassen. Aber nie wird eine
Wahrheit Autorität über mein Herz und Gewissen haben,
so lange ich sie nicht als unmittelbar von Gott kommend
ausgenommen habe, obwohl sie mir vermittelst eines Menschen
mitgeteilt worden sein mag. Sie wird mich nicht in
lebendige Verbindung mit Gott selbst bringen, sondern
thatsächlich diese Verbindung verhindern, indem sie etwas
zwischen meine Seele und die heilige Autorität Gottes stellt.
Wir möchten an dieser Stelle den Leser noch auf
einige Punkte von hoher praktischer Bedeutung aufmerksam
machen, die uns in dem elften Kapitel des Lukas vor
Augen gestellt werden und, wenn wirklich verstanden, dazu
dienen, uns noch klarer zu zeigen, wie der Weg Gottes
zu sinden ist. Wir führen die ganze Stelle an: „Die
Lampe des Leibes ist dein Auge; wenn dein Auge einfältig ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es
aber böse ist, so ist auch dein Leib finster. Siehe nun
zu, daß das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei.
Wenn nun dein ganzer Leib licht ist nnd keinen finstern
329
Teil hat, so wird er ganz Licht sein, wie wenn die Lampe
mit dem Scheine dich erleuchtete." (V. 34—36?)
Diese Worte machen uns mit dem Geheimnis bekannt,
wie es möglich ist, den rechten Weg, den Pfad Gottes,
zu unterscheiden. Es mag sehr schwierig scheinen, inmitten
des bewegten Meeres der bekennenden Christenheit sein
Schifflein richtig zu steuern. So viele geradezu entgegengesetzte Ansichten nehmen unsre Aufmerksamkeit in Anspruch,
so viele Männer Gottes weichen iu ihrem Urteil von einander ab, daß es fast unmöglich erscheint, zu einem gesunden, wahrheitsgemäßen Urteil zu gelangen. Wir gehen
heute zu einem Manne, von dem wir glauben, daß er
ein einfältiges Auge besitzt, und er sagt uns: „Ihr müßt
rechts gehen;" morgen gehen wir zu einem andern, den
wir ebenfalls für einen nüchternen Christen halten, und
er giebt uns auf unsre Fragen zur Antwort: „Nein, links
ist der Weg." Was sollen wir nun thun? Wem sollen wir
glauben? — Eins ist gewiß: so lange wir in Zweifel und
Ungewißheit von einem Menschen zum andern laufen, so lange
ist unser eignes Auge nicht einfältig. Das einfältige Auge
ist allein auf Christum gerichtet, und daher ist der Leib
voll von Licht. Ein Israelit in der Wüste brauchte nicht
hierhin und dorthin zu laufen, um mit seinen Mitpilgern
Zu beraten, welches der richtige Weg sei. Ein jeder hatte
denselben göttlichen Führer: die Wolkensäule bei Tage
und die Feuersäule bei Nacht. Mit einem Wort, Jehova
selbst war der unfehlbare Führer eines jeden Einzelnen in
der ganzen großen Gemeinde. Sie hatten nicht dem Einsichtsvollsten und Erfahrensten unter ihnen zu folgen, noch
ihren eignen Weg zn suchen: ein jeder war berufen,
Jehova nachzufolgen. Die silberne Trompete verkündete
330
allen gleichmäßig die Gedanken Gottes. Das Ange und
Lhr müßte auf Gott allein gerichtet sein, und glückselig für einen jeden, bei dem dies der Fall war. Und
so wie es damals war, so ist es heute noch. So wie ein
Israelit einst in der pfadlosen Wüste hilflos umherirrte, wenn
er seinen göttlichen Führer verließ, so ist auch heute ein
Christ in der weiten moralischen Wüste, durch welche er
zu pilgern hat, der größten Ungewißheit und Verwirrung
preisgegeben, sobald sein Auge sich von dem Einzigen
abwendet, der ihn den rechten Weg zu leiten vermag.
Ter Eine sagt: „Höre auf mich!" der Andere: „Nein,
ich bringe dir die Wahrheit!" ein Dritter endlich: „Man
muß jeden seinen eigenen Weg gehen lassen!" Allein ein
gehorsames Herz sagt, im Gegensatz zu allen diesen: „Ich
muß meinem Herrn folgen!"
Das macht alles so einfach. Auch wird es in keiner
Weise einen Geist hochmütiger Unabhängigkeit wachrufen,
sondern gerade das Gegenteil in mir bewirken. Denn je
mehr ich lerne, mich auf Gott allein zu stützen und zu
Ihm um Leitung aufzublicken, desto mehr werde ich mir
selbst mißtrauen und von meiner Person und meinen
Meinungen abblicken lernen; und das ist sicherlich keine
Unabhängigkeit. Allerdings wird eS mich von jeder
knechtischen Nachfolge eines Menschen befreien, indem es
mich meine Verantwortlichkeit Christo gegenüber fühlen
läßt; aber gerade das ist es, was wir in der gegenwärtigen Zeit so sehr bedürfen. Je genauer wir die
Elemente, die uns in der bekennenden Christenheit von
allen Seiten umgeben, kennen lernen, desto mehr werden
wir fühlen, wie durchaus nötig es ist, der göttlichen
Autorität völlig unterworfen zu sein, und dies ist nur
831
ein andrer Name für „die Furcht des Herrn" oder „ein
einfältiges Auge." Die Antwort des Apostels Petrus
auf das Gebot des Synedriums, nicht mehr in dem Namen
Jesu zu reden, (Apstgsch. 4, 19.) enthält ein wirksames
Gegenmittel gegen den Eigenwillen sowohl, als auch gegen
die knechtische Furcht vor Menschen: „Ob es vor Golt
recht ist, auf euch mehr zu hören, als auf Gott, urteilet
selbst." — „Wir müssen gehorchen," das ist dasHeilmittel für den Eigenwillen; „wir müssen Gott gehorchen,"
das ist das Heilmittel für jede Neigung, sich menschlichen
Einrichtungen und Satzungen zu unterwerfen. Gehorsam
muß vorhanden sein, und zwar ein Gehorsam gegen die
Autorität Gottes allein. Auf diese Weise wird die Seele
einerseits vor den Einflüssen des Unglaubens und andrerseits vor denjenigen des Aberglaubens bewahrt. Der
Unglaube sagt: „Handle, wie es dir gefällt!" Der Aberglaube sagt: „Thue, was der Mensch dir sagt!" Der
Glaube aber spricht: „Wir müssen Gott gehorchen."
Das ist eS, was die Seele inmitten der widerstreitendsten Meinungen und verwirrendsten Einflüsse in
heiliger Ruhe und in stetem Gleichgewicht erhält. Als
ein Knecht habe ich meinem Herrn zu gehorchen, als ein
Kind den Geboten meines Vaters zu lauschen, selbst für
den Fall, daß mich meine Mitknechte und Mitbrüder nicht
verstehen sollten. Ich darf nie vergessen, daß ich es
zunächst und unmittelbar mit Gott zu thun habe. Es
ist mein Vorrecht, in bezug auf meinen Pfad ebenso
gewiß zu sein, als im Blick auf die Errettung und ewige
Sicherheit meiner Seele. Sollte ich nicht ein einfältiges Auge
haben? Sicherlich. Und wenn ich es habe, so ist mein
ganzer 1!eib, nach den Worten des Herrn selbst, „voll
832
von Licht." Wenn aber mein Leib voll von Licht ist,
könnte dann meine Seele voll von Unruhe und Ungewißheit sein? Unmöglich. Diese beiden Dinge können nicht
mit einander gehen, und wenn deshalb jemand in Ungewißheit und Zweifel ist, so ist es klar, daß seinem Auge
die Einfalt mangelt. Ein solcher mag sehr ernst sein und
aufrichtig nach dem rechten Wege verlangen; aber er darf
versichert sein, daß sein Auge nicht einfältig ist, daß er
nicht einzig und allein nach Oben blickt. Gott wird eine
gehorsame, unterwürfige Seele stets recht leiten. Aber
auf der andern Seite werden wir auch, wenn wir nicht
dem empfangenen Licht gemäß wandeln, wiederum in
Dunkel und Finsternis hineingeraten. Das empfangene
Licht wird dann zur Finsternis, und ach! „wie groß ist
diese Finsternis!" Nichts ist verhängnisvoller und gefährlicher, als mit dem Lichte, das Gott giebt, zu spielen.
Es muß früher oder später zu den traurigsten Folgen
führen. „Siehe nun zu, daß das Licht, das in dir ist,
nicht Finsternis sei!" „Höret und nehmet zu Ohren,
erhebet euch nicht! denn Jehova hat's geredet. Gebet
Jehova, euerm Gott, Ehre, bevor Er finster macht, und
bevor eure Füße sich stoßen an dem Berge der Dämmerung;
und ihr auf Licht wartet, und Er es zum Schatten des
TodeS macht und zur Dunkelheit setzt!" (Jer. 13, 15. 16.)
Wie ernst sind solche Worte! Welch ein Gegensatz
zwischen einem Menschen, dessen Auge einfältig ist, und
einem Menschen, der nicht nach dem Licht handelt, welches
Gott ihm gegeben hat! Des Einen Leib ist voll von
Licht, des Andern Leib voll von Finsternis; der Eine ist
ein Licht für Andere, der Andere ein Stein des Anstoßes
für viele. Wie ernst ist ein solches Gericht Gottes, wenn
333
Er das Licht, welches wir besitzen, in Finsternis verwandelt,weil wir uns weigern, nach diesem Lichte zu handeln l
Mein lieber christlicher Leser, hat Gott einen Strahl
Seines göttlichen Lichtes in deine Seele fallen lassen ? Hat Er
dir etwas in deinen Wegen und Verbindungen gezeigt,
das verkehrt ist? Gehst du auf einem Wege voran, von
welchem dein Gewissen dir sagt, daß er nicht in völliger
Uebereinstimmung mit dem Willen deines Herrn und
Meisters ist? Prüfe dich aufrichtig. Gieb Jehova, deinem
Gott, Ehre! Handle nach dem Licht, das du empfangen
hast. Zögere keinen Augenblick. Denke nicht an die 
Folgen, die es möglicherweise nach sich ziehen könnte.
Gehorche dem Worte des Herrn. Laß es von diesem
Augenblick an der ernste Vorsatz deines Herzens sein, von
aller Ungerechtigkeit abzustehen, wo und in welcher Form
du sie finden magst. Denke nicht daran, was die Welt
oder die Weltkirche von dir sagen wird; frage nicht, was
deine Freunde und Bekannten von dir denken werden.
Erhebe dich über alle diese Dinge und betritt den Pfad
des Lichts, jenen Pfad, welcher Heller und Heller werden
wird, bis der Tag des ewigen Lichts, der ewigen Herrlichkeit anbricht. Bedenke wohl, daß Gott nie Licht für
zwei Schritte auf einmal giebt. Hat Er dir Licht für
einen Schritt gegeben, so thue ihn in wahrer Gottesfurcht
uud aus Liebe zu Seinem heiligen Namen; und du kannst
versichert sein, daß du mehr nnd mehr Licht empfangen wirst.
Weigerst du dich aber, das zu thun, was du für
richtig erkannt hast, so wird daS Licht, das in dir ist, zu
dichter Finsternis werden; dein Fuß wird sich stoßen an
den Bergen des Irrtums, welche zu beiden Seiten des
geraden und schmalen Pfades des Gehorsams liegen, und
— 334 —
du Wirst zu einem Stein des Anstoßes sür Andere werden.
Wie schmerzlich und tranrig ist es, wenn solche, die hellscheinende Lichter in dieser Welt sein sollten, andere ausrichtige Seelen zurückhalten und durch ihr Verhalten verhindern, den Pfad Gottes zu betreten. Möchte sich keiner
durch solche aufhalten lassen! Der Weg liegt klar und
einfach vor uns. „Die Furcht des Herrn ist Weisheit,
und vom Bösen weichen ist Verstand." Möchte ein jeder
die Stimme des guten Hirten hören und ihr gehorchen!
„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie,
und sie folgen mir." Der Herr sei gepriesen für dieses
kostbare Wort! Es stellt einen jeden auf den Platz
unmittelbarer Verantwortlichkeit Christo gegenüber und
zeigt uns klar, was der Weg Gottes ist, und wie
wir ihn finden können.
Errettet oder verloren?
Wieder einmal ist das Ende eines Jahres herbeigekommen, und wir fühlen uns gedrungen, zum Schluß
noch einmal an einen jeden Leser dieser Zeilen die ernste
Frage zu richten: „Bist du vorbereitet auf das Ende
deines Lebens hienieden?" Gerade solche Zeitabschnitte
erinnern uns mit unwiderstehlicher Gewalt an die Thatsache, daß wir einer langen, nie endenden Ewigkeit entgegen eilen — einer Ewigkeit voll unvermischter Freuden
und himmlischer Segnungen, oder voll unermeßlichen Wehs
und ewiger Qualen.
Ach! daß doch alle meine Leser, die noch nicht auf
das Ende ihrer Reise vorbereitet sind, einen Augenblick
stille stehen uud ernstlich an die Zukunft denken möchten!
Das Ende ist vielleicht sehr nahe. Aber ob nahe oder 
335
fern, das Eine ist gewiß, daß uns jeder Tag dem Ziele
näher bringt, und dieses Ziel ist — die Ewigkeit. Wo und
mit wem wirst du sie zubringen? Inmitten des Lichts
und der Herrlichkeit des Himmels, oder inmitten der
Finsternis und der Qualen der Hölle? In dem Hause
deines himmlischen Vaters, an der Seite deines Heilandes
und in Gemeinschaft mit allen den Erlösten und den
Myriaden von heiligen Engeln? Oder in dem Feuersee,
der mit Feuer und Schwefel brennt, in Gemeinschaft mit
dem Teufel und seinen Engeln und mit allen den Gottlosen, die in ihrem Unglauben dahingerafft worden sind?
O, welch eine Ewigkeit voll unendlichen Wehs muß das
sein! Der bloße Gedanke daran erfüllt das Herz mit
Schrecken. Jetzt noch mag dich ein willkommener Schlaf
für Augenblicke deine Leiden und dein Elend vergessen
machen — aber dann wird sich kein Schlummer auf deine
müden Augenlider senken! Jetzt noch magst du einen einsamen Winkel finden und da in der Stille deinen Schmerz
ausweinen — aber dann wird es keine Ruhe, kein einsames Plätzchen, keine Erholung mehr geben! Alle Hoffnung auf Erlösung ist für ewig abgeschnitten; nichts als
die finsterste Verzweiflung wird'dein Herz erfüllen.
Doch genug von diesen schrecklichen Dingen! — Gott
sei gepriesen, daß die Thür der Gnade noch geöffnet ist,
ja daß sie noch weit offen steht, offen für einen jeden,
der eintreten will, offen auch für dich, mein Leser! Willst
du dich nicht jetzt zu Jesu wenden? Willst du nicht zu
Ihm fliehen, so lange dir die Möglichkeit dazu geboten
ist? O komme, wir bitten dich! Du kannst nie deinem
Heilande willkommener sein, als gerade jetzt. Du kannst
nie passender für Ihn werden, als du es jetzt bist. Die
336
Arme des Vaters sind weit geöffnet, und Seine Freude,
den verlorenen Sohn aufzunehmen, ist tausendmal größer,
als die Freude des ins Vaterhaus Zurückkehrenden je sein
kann. Welch eine Liebe, welch eine anbetungswürdige Gnade!
Hast du jemals die ernste Bedeutung der beiden
Wörtchen erwogen, welche die Ueberschrift dieser Zeilen
bilden: „Errettet oder verloren?" Eins von beiden
bezeichnet deinen Zustand, ja, den Zustand einer jeden
unsterblichen Seele. Eine dritte Klasse kennt das Wort
Gottes nicht. Daher lesen wir auch, daß der Sohn des
Menschen gekommen ist, „zu suchen und zu erretten, was
verloren ist." Alle, die an Ihn glauben, sind errettet,
alle, die nicht glauben, sind verloren. Das Urteil der
Verdammnis ist über sie ausgesprochen. Sie sind schon
gerichtet, weil sie nicht geglaubt haben an den Namen
des eingeborenen Sohnes Gottes. (Joh. 3, 18.)
Darum, mein lieber Leser, bist auch du verloren,
wenn du noch nicht an Jesum geglaubt hast. Nichts als
das Blut Jesu kann dich von allen deinen Sünden reinigen.
Der Gläubige ist errettet, weil er an dieses kostbare Blut
geglaubt hat. Errettet, ja, errettet für Zeit und
Ewigkeit. Alle Segnungen sind in dieses eine Wort
„errettet" cingeschlossen. Ewiges Leben, Vergebung,
Rechtfertigung, Heiligung, die Annahme in dem Geliebten,
die Kindschaft, die Jnwohnung des Heiligen Geistes — mit
einem Worte, alles, was Gott für Seine geliebten Kinder
in Christo Jesu bereitet hat.
Der Herr gebe in Seiner Gnade, daß dieser unerschöpfliche Reichtum göttlicher Segnungen das ewige Teil
aller Leser dieser Zeilen sein möge! Amen