Botschafter des Heils in Christo 1886

01/29/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter des Heils in Christo 1886                 Seite
Inhaltsverzeichnis
David und Salomo 1, 29
Nicht aus Werken 12
Das Kreuz Christi 13
Mephiboseth 16
Bruchstücke 26, 139, 280, 335
David und Salomo – Teil 2/2  19
Jesus am Schatzkasten 26
Der Freund des Sünders 30
Die Welt vor der Flut  57, 85, 113
Hebräer 6,4–10  41
Die Welt vor der Flut 45
Der Tag des Herrn 53
Lukas 23,31  57
Die Welt vor der Flut – Teil 3/3 59
Ein Wort über Philadelphia und Laodizea 64
Bruchstücke  71
Noah 141, 183, 197, 239
“Er erhob seine Hände und segnete sie“ 77
“Jetzt ist der Tag des Heils“ 82
Der erste Sonntag  85
Noah – Teil 91
“Gott ist offenbart worden im Fleisch“ 95
Noah – Teil 3/4  98
Die zehn Jungfrauen  105
Geliebte  111
Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“ 112
Noah – Teil 4/4 119
“Gott sagt, dass ich errettet bin“  124
Die Furcht des Herrn  127
Was ist Glück?  135
Geheimnisse unter der Sonne  138
Unerschütterlicher Friede 140
Bruchstücke 141
Der Erstgeborene  142
“Geht zu Joseph!“ 145
“Habt Glauben an Gott!“  153
Gibt es einen Gnadenstuhl für den Gläubigen?  155
Lobt den Herrn! 157
Hat Gott zur Verdammnis und die anderen zur Herrlichkeit bestimmt?. 158
Jethro, oder “nun weiß ich“ 164
Wie kann ich den Willen Gottes kennen? 169
Bruchstücke  171
Bibelstellenverzeichnis 172


David und Salomo.....................................................................1. 29
„Nicht aus Werken"............................................................................... 12
Das Kreuz Christi...............................................................................18
Metzhiboseth................................................................................................23
-Bruchstücke...............................................................26. 139. 280. 335
Jesus am Schaukasten......................................................................... 43
Per Freund des Sünders................................................................... 51
„Siehe, ich komme bald!" (Gedicht)...................................................55
Die Welt vor der Flut ..................................................57. 85. 113
Hebräer 6, 4^-10............................................................................... 77
Der Tag des Herrn.............................................................................101
.Lukas 23, 31........................................................................................ 109
"Anbetung Dir, dem Lamme(Gedicht)............................................. 112
Ein Wort über Philadelphia undLaodiciia................................123
„Du bist iMrdig" (Gedicht)..................................................................140
Moah .'............................................................... 141. 183. 197. 239
„Er hob Seine Hände auf unv segnetesie"................................. 152
„Jetzt ist der Tag des Heils"......................................................... 164
. Der erste Sonntag.............................................................................169
„GottDst geoffenbart worden imFleische"....................................... 191
Die zchn Jungfrauen....................................................................... 211
Geliebte................................................... 223
„Ich habe abe,r wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast" 225
„Gott sagt, daß ich errettet -sei"...................................................... 248
Die'Furcht des Herrn....................................................................... 253
Was ist Glück?.................................................................................. 271
Geheimnisse unter der Sonne................................... 276
Unerschütterlicher Friede.......................................................................279
Der Erstgeborne.................................................................................. 281
„Gehet zu Joseph!".............................................................................288
„Habet Glauben an Gott!"............................................................302
Giebt es einen Gnadenstuhl für den Gläubigen? .... 306
Lobet den Herrn!.................................................................................. 308
Hat Gott die Einen zur Verdammnis, und die Andern zur
Herrlichkeit bestimmt?........................................ 309
, Jethro, oder „Nun weiß ich" ............................................................322
Wie kann ich den Willen Gottes kennen?.....................................333
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David und Salomo.
„Und sie machten Salomo, den Sohn Davids, zum andern Male zum Könige, und
salbten ihn Jehova zum Fürsten, und Zadol
zum Priester. Und Salomo saß auf dem Thron
Jehovas, als König an seines Vaters David
Statt, und hatte Gedeihen, und ganz Israel
hörte auf ihn." (l. Chron. 29, 22. 23.)
Alle Ratschlüsse Gottes sind auf Christum gegründet;
sie haben Ihn gleichsam zum Ausgangs- und Mittelpunkt.
Es ist gut, diese Wahrheit immer wieder zu betonen, da
die Kenntnis derselben nicht nur zum Ruhme des Herrn,
sondern auch zum Wohle der Seele des Gläubigen beiträgt. Christus ist, wenn wir uns so ausdrücken dürfen,
der erste Gedanke in dem Geiste Gottes, das Alpha, der
Anfang der Wege Jehovas. (Spr. 8, 22.) Freilich wurde
Er zu Seiner Zeit für die Kirche oder Versammlung dahingegeben, aber diese selbst ist Ihm von Ewigkeit her
geschenkt. Wir lesen auch von einem „Vorsatz der Zeitalter," den Gott „gefaßt hat in Christo Jesu, unserm
Herrn," (Eph. 3, 11.) sowie von einem „Vorsatz und
einer Gnade, die uns in Christo Jesu gegeben worden
sind vor den Zeiten der Zeitalter." (2. Tim. 1, 9.)
ES giebt noch viele andere Stellen dieser Art, allein wir
müssen es dem Leser überlassen, dieselben aufzusuchen.
Was ferner die Leiden und die Herrlichkeit des Herrn
betrifft, so sind auch diese von Ewigkeit her bereitet.
Seine Leiden stehen beschrieben „in der Rolle des Buches,"
(Ps. 40, 7; Hebr. 10, 7.) und Seine Herrlichkeit ist durch
„einen ewigen Bund" (Hebr. 13, 20.) gesichert. Nach
der Kraft des Blutes dieses ewigen Bundes ist Jesus,
als der große Hirte der Schafe, aus den Toten wiedergebracht worden.
Diese Leiden und Herrlichkeiten des Herrn nun waren
nicht nur im voraus so geordnet und bestimmt, sondern
wurden auch, sobald die Zeitalter und Perioden ihren
Lauf begonnen hatten, dem Glauben der Auserwählten in
Vorbildern und Schatten dargeftellt, und zwar in demselben
Maße, wie jene Perioden sich entwickelten. So waren seit
dem Falle des Menschen die Opfer, welche gebracht wurden,
fortwährend der Ausdruck Seiner Leiden. Auch die Stiftshütte und der Tempel mit ihren Gefäßen, ihren Zierraten
und ihrem Dienst stellten dieselben mehr oder weniger dar.
Sie gaben zwar keinen Laut von sich, aber dennoch vernahm der Glaube fortwährend die Erzählung der wunderbaren Dinge von Jesu. „Eines habe ich begehrt von
Jehova," sagt David, „um dieses will ich bitten: zu
wohnen im Hause Jehovas alle die Tage meines Lebens,
um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas, um nach Ihm
zu forschen in Seinem Tempel." (Ps. 27, 4.) In dem
Tempel suchte und fand der Glaube jener treuen Seelen
Jesum.
Aber nicht nur waren es Dinge, in welchen Gott
uns Christum und Sein Werk darstellte, sondern auch
Personen waren von Zeit zu Zeit dazu bestimmt, Ihn
bald von dem einen, bald von dem andern Gesichtspunkte
aus vorbildlich zu zeigen. In Eden stellte Ihn Adam
von verschiedenen Seiten dar. Zunächst als Mensch, ge­
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schaffen nach dem Bilde Gottes, dann als Herr der
Schöpfung, und endlich als entschlafen und als Mann
des Weibes. Nach dem Falle und der Vertreibung des
ersten Menschenpaares aus Eden bezeichnete die Verheißung
bezüglich des Samens des Weibes Jesum im allgemeinen
als den Gegenstand der Hoffnung und des Glaubens.
Auch die Herrlichkeit, welche Ihm als Dem, der den Kopf
der Schlange zertreten sollte, bereitet war, wurde nach und
nach in verschiedenen Personen enthüllt.
Ehe wir jedoch unsern Gegenstand weiter verfolgen,
möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Thatsache
richten, daß wir das Zeugnis von Jesu auf die mannigfaltigste Weise in der Schrift finden, in Uebereinstimmung
mit den Worten, welche der Herr einst an die Juden
richtete: „Ihr erforschet die Schriften, denn ihr meinet,
in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die
von mir zeugen." (Joh. 5, 39.) „Der Geist der
Weissagung ist das Zeugnis Jesu." (Offenb. 19, 10.)
„Jener hat von mir geschrieben," (Joh. 5, 46.) sagte der
Herr im Blick auf Moses; und als Er am Tage Seiner
Auferstehung zwei Seiner Jünger nach Emmaus geleitete,
„erklärte Er ihnen, von Moses und von allen Propheten
anfangend, in allen Schriften daS, was Ihn betraf."
(Luk. 24, 27.) Die Juden dachten, daß sie in den
Schriften das ewige Leben haben könnten, und darin
hatten sie Recht, denn sie zeugen von Jesu. Aber anstatt
Ihn darin zu finden, waren ihre Gedanken nur auf das
Gesetz gerichtet. Sie suchten das Leben im Gesetz, weil
geschrieben steht, daß „der, welcher eS thut, durch dasselbe
leben wird." (3. Mos. 18, 5.)
Vielleicht möchte nun jemand fragen: „Wo können
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wir denn Jesum in den Schriften finden, und wie können
wir Ihn unterscheiden?" Meine Antwort ist, daß Einige
in dieser Beziehung eine besondere Gabe empfangen haben,
die sie zum gemeinsamen Nutzen Aller anwenden sollen.
(1. Kor. 12, 8.) Jedoch sind die Schriften zur Unterweisung aller Heiligen gegeben, und diejenigen, welche die
geistlich Geübtesten sind, werden auch am meisten fähig
sein, sie zu erforschen und Jesum darin zu finden. Vor
allen Dingen ist es wichtig zu wissen, daß es der Geist
Gottes, das Zeugnis Jesu ist, dem wir Gehör geben und
bei unsern Nachforschungen folgen müssen. Seine Leitung
ist unbedingt notwendig, um in den Schriften die großen
und herrlichen Dinge, welche Jesum betreffen, zu entdecken.
Zugleich ist ein einfältiges Auge die sicherste Bürgschaft
für einen Erfolg dieser Nachforschungen, (Matth. 6, 22. 23;
1. Kor. 3, 1—3; 1. Petr. 2, 1. 2.) und: „Das Geheimnis Gottes ist für die, welche Ihn fürchten."
Wenn wir nun mit der Aufsuchung der Vorbilder von
Christo fortfahren, so finden wir zunächst in bezug auf
Noah die Verheißung: „Dieser wird uns trösten über
unser Thun und über die Mühsal unsrer Hände wegen
des Erdbodens, den Jehova verflucht hat." (1. Mos. 5, 29.)
Diese Worte kündigen den Herrn an als Den, der den Fluch
von einer verdorbenen Welt wegnehmen und infolge dessen
die Ruhe derer sein wird, die dazu verurteilt sind, diese
Erde zu bebauen und die Früchte derselben mit Mühe
und im Schweiße ihres Angesichts zu genießen. Welch 
ein schönes Bild sehen wir hier von einer heute noch verborgenen Seite der Herrlichkeit Christi! Wir erblicken Ihn
als den Erben der neuen Erde, auf welcher kein Fluch mehr
sein, und wo alles Seinen Füßen unterworfen sein wird.
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Dann gefiel es Gott, eine andre Seiner Herrlichkeiten
in der Person des Patriarchen Abraham zu erkennen zu
geben. In ihm haben wir Christum vor uns als Vater
der Familie Gottes, wie geschrieben steht: „Siehe, mein
Bund ist mit dir, und du sollst zum Vater einer Menge
Nationen werden. Und nicht soll hinfort dein Name
Abram genannt werden, sondern Abraham soll dein Name
sein, denn zum Vater einer Menge Nationen habe ich dich
gemacht." (1. Mos. 17, 4. 5.) Diese Verheißung nun
wurde dem Samen Abrahams, d. h. Christo, gegeben,
wie uns der Brief an die Galater lehrt. Der Herr Jesus
ist wirklich der Vater vieler Nationen, und die Zeit kommt,
wo Er in diesem Charakter geoffenbart sein und die 
Seinen wie eine Herde Schafe um sich versammeln wird.
Dann wird Er „Vater von Ewigkeit" (Jes. 9, 6.) genannt werden, und die, für welche Er Sein Leben gegeben, werden bei Ihm sein, und Er wird in Wahrheit
sagen können: „Siehe, ich und die Kinder, die mir Jehova
gegeben hat." (Jes. 8, 18; Hebr. 2, 13.)
So sehen wir Jesum in Noah als Heiland und
Erben der Erde und ihrer ganzen Fülle, und in Abraham
als Haupt und Vater der ganzen Familie Gottes: zwei
schöne Seiten Seiner zukünftigen Herrlichkeit. Ferner
finden wir in Melchisedek die Herrlichkeit Seiner Person
in der vereinigten Würde eines Königs und Hohenpriesters
— zwei Stellungen, die genugsam in den Schriften erwähnt werden und die wir späterhin in den Personen
und der Stellung von Moses und Aaron wiederum vorgebildet finden, und schließlich, nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft, obgleich in weniger hervortretenden
Zügen, weil das Bild Christi in dem Maße verdunkelt
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wurde, als das Böse zunahm, in Josua und Zorobabel.
In besonderer Weise fand auch das Hohepriestertum
Christi in der Person des Pinehas, und Sein Königtum
in der Person Salomos Ausdruck.
Pinehas lebte in bösen Tagen; Israel hatte sich
an Baal Peor gehängt, nnd die Fürsten mußten gestraft
werden, um den Zorn Jehovas, der entbrannt war, zu
beschwichtigen. Pinehas erhob sich in der Mitte der Versammlung, übte das Gericht aus und bewirkte so die Versöhnung für das Volk. „Und Jehova redete zu Mose
und sprach: Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohnes
Aarons, des Priesters, hat meinen Grimm abgewendet von
den Kindern Israel, indem er in meinem Eifer geeifert
hat in ihrer Mitte, daß ich nicht die Kinder Israel vertilgt habe in meinem Eifer. Darum sprich: Siehe, ich
gebe ihm meinen Bund des Friedens! Und es wird ihm
und seinem Samen nach ihm der Bund eines ewigen
Priestertums sein, darum, daß er für seinen Gott geeifert und für die Kinder Israel Versöhnung gethan hat."
(4. Mos. 25, 10—13.) In gleicher Weise ist Christus,
um Hoherpriester zu sein, durch Den verherrlicht worden,
der zu Ihm gesagt hat: „Du bist mein Sohn, heute habe
ich Dich gezeugt." (Ps. 2, 7.) Er hat sich diese Ehre
nicht selbst gegeben, sondern ist von Gott genannt worden
„ein Priester in Ewigkeit, nach der Weise Melchisedeks."
(Ps. 110, 4.) Er hat, wie Pinehas, den Zorn abgewandt ; Er ist der Priester Gottes, des Höchsten, der einzige Vermittler zwischen Gott und den Menschen; in Seinen Händen allein befindet sich die Segnung, durch Ihn
allein wird sie ausgeteilt.
Aber indem Er Hoherpriester ist, ist Er zugleich auch
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König, „ein Priester auf seinem Throne," (Sach. 6, 13.)
der wahre Melchisedek, und Salomo revräsentirt Ihn, wie
schon bemerkt, in Seinen königlichen Ehren. Lon der
ganzen Erde brachte man Salomo Geschenke, und in noch
weit höherem Maße wird die ganze Erde sich vor Jesu
beugen, wenn Er die Herrschaft über alles, was unter
dem Himmel ist, angenommen und Sein Königreich aufgerichtet hat. Um jedoch in Salomo den Charakter Jesu als
König zu unterscheiden, müssen wir vorher David, seinen
Vater, betrachten, und David und Salomo werden uns,
in dieser Weise vereinigt, ein vollständiges Bild von dem
geben, mit dem wir uns hier beschäftigen.
Es giebt in dem Charakter Davids einen Zug, der
ihn in allen Lagen, in denen er sich befand, kennzeichnete,
von der Zeit an, da wir ihm als Hirten zu Bethlehem
begegnen, bis zu dem Augenblick, wo er den Thron
Israels seinem Sohne Salomo übergab: er war zu
jeder Zeit und an jedem Ort der Diener; das war
stets sein Charakter. Im Anfang seiner Geschichte finden
wir ihn verachtet und vergessen; selbst sein Vater that seiner keine Erwähnung. Er war der jüngste der Söhne
seines Vaters, und dieser sagt zu Samuel, indem er ihn
kaum unter die Zahl seiner Kinder rechnet: „Siehe, er
hütet die Schafe." (1. Sam. 16, 11.) Von diesem Platz
der Verachtung wurde er indes durch die Gnade Gottes
hinweggenommen und zum Könige Israels gesalbt. Allein
die Wirkung dieser Salbung war, daß er stets in der
Stellung eines Dieners erhalten wurde. Alles, was in seinen
Handlungen nicht diesen Charakter trägt, ist nicht ihm selbst
eigen. Was ihn charakterisirt, ist, daß er nicht seinen eigenen
Willen that, sondern die Verherrlichung Gottes suchte.
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Schon gleich nach seiner Salbung zum Könige zeigt sich
diese Gnade in ihm. Er wird zu Saul gerufen, um dessen
Waffen zu tragen und vor ihm zu spielen, damit der böse Geist
von ihm weiche. (I.Sam. 16, 21—23.) Später finden wir
ihn noch einmal die Schafe seines Vaters zu Bethlehem
hütend, (1. Sam. 17, 15.) und überall, wohin er gerufen
wird, geschieht es, um Andern zu dienen. Er war nicht
aus Stolz oder Bosheit des Herzens herabgekommen zur
Schlacht, wie ihn sein Bruder Eliab ungerechter Weise
beschuldigte, (1. Sam. 17, 28.) sondern auf Befehl seines
Vaters, um seinen Brüdern Nahrungsmittel zu bringen
und Nachricht von ihnen zu holen; aber als er auf dem
Schlachtfelde ankam und die Gelegenheit sich darbot, erklärte er sich sofort bereit, Israel zu Hülse zu kommen und
zur Ehre Gottes zu kämpfen. Das Volk Gottes war
herausgefordert und der Herr verhöhnt worden, und das
gab ihm Veranlassung und Mut, sich Saul anzubieten
und zu ihm zu sagen: „Dein Knecht will gehen und mit
diesem Philister streiten." (1. Sam. 17, 32.) Die Ehre
und die Schätze, die dem, der Goliath töten würde, versprochen waren, trieben ihn nicht; denn nicht nur forderte
er sie nicht nach dem Siege, sondern, als man sie ihm
anbot, antwortete er: „Wer bin ich, und was ist mein
Leben und das Geschlecht meines Vaters in Israel, daß
ich der Eidam des Königs werden soll?" (1. Sam. 18, 18.)
Anstatt seine eigene Ehre zu suchen, blieb er nach wie
vor der Diener des Königs, um den bösen Geist desselben
zu beschwören. (1. Sam. 18, 10.)
Auch in allem, was er von Saul zu leiden hatte,
sehen wir denselben Geist der Unterwürfigkeit, der niemals
seinen eignen Vorteil sucht, und sich niemals wegen des
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Unrechts rächt, das ihm geschehen ist. Er vergilt nicht
den Haß und die Feindschaft des Königs mit Gleichem,
sondern zieht sich freiwillig vom Hofe zurück und lebt in
den Höhlen der Erde. Er vergißt sich immer, so lange er
als Kriegsmann dient, und überläßt dem Volke und dem
Könige die ganze Ehre seines Dienstes. Weit entfernt,
seine Hand an den Gesalbten Jehovas zu legen, ist er
Zufrieden, viele Tage lang wie „ein Rebhuhn in den
Bergen" zu sein. (1. Sam. 26, 20.) Obgleich er wußte,
daß er auf den Thron Israels berufen war, gab er doch
alle Versprechungen, die Saul ihm abnötigte, und fügte
sich bereitwillig allen Anordnungen, die dem Hause seines
feindlichen Nebenbuhlers gefielen, ohne sich darüber zu beunruhigen, daß er dadurch dazu beitrug, dieses Haus zu
erhöhen und sich selbst zu erniedrigen. (1. Sam. 20, 17;
23, 18; 24, 22.) Und als sein Feind fiel und dadurch
alle seine Leiden ein Ende hatten, und der Weg zum
Throne ihm offen stand, hatte er nicht den Mut, sich
über diese Vorteile zu freuen; im Gegenteil rief er schmerzerfüllt aus: „Berichtet's nicht zu Gath, machet's nicht
kund in den Straßen Asklons, daß sich nicht freuen die
Töchter der Philister, nicht frohlocken die Töchter der
Unbeschnittenen." (2. Sam. 1, 20.) Keine Veränderung
der Umstünde vermochte diese Gnade des Geistes in ihm
zu verändern; sie dienten im Gegenteil nur dazu, dieselbe
in um so höherem Glanze hervorstrahlen zu lassen. Er
war immer und überall der wahrhaftige Diener; und nur
der wirkliche Dienst wird später belohnt werden, wie geschrieben steht: „Wer irgend unter euch groß werden will,
sei euer Diener; und wer irgend unter euch der erste
fein will, sei euer Knecht," (Matth. 20, 26. 27.) und:
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„Wenn mir jemand dient, den wird mein Vater ehren."
(Joh. 12, 26.)
Wir finden nun David auf dem Throne, und zwar
hat er denselben nicht nach seinem eignen Willen, sondern
auf den Ruf Gottes selbst bestiegen. Und wie ist jetzt
sein Betragen? Genau so wie damals, als seine Hand
den Schäferstab hielt, die Harfe spielte, oder die Schleuder
führte. Das, was ihn charakterisirte, als er in der Wüste
umherirrte, kennzeichnet ihn auch, während er auf dem
Throne Israels sitzt; er ist zu jeder Zeit und ausschließlich der Diener, der nur den Willen Gottes zu thun sucht
und nur für die Ehre Gottes arbeitet. Die Zeit des
Friedens sowohl, wie die des Krieges ist für den König
David dem Dienste geweiht. Er ist derselbe zu Hause
wie draußen. Er verfolgt nicht nur den Feind aus dem
Schlachtfelde, sondern ruft auch in der Stadt aus: „Ich
werde nicht hineingehen in das Zelt meines Hauses,
noch steigen auf das Lager meines Bettes; nicht werde ich
Schlaf geben meinen Augen, noch meinen Augenlidern
Schlummer, bis ich eine Stätte finde für Jehova, Wohnungen für den Mächtigen Jakobs." (Ps. 132, 3—5.)
Infolge dessen sucht er die Lade Jehovas auf, die zu den
Zeiten Sauls vergessen war, (1. Chron. 13, 3.) und
stellt sie in der Mitte des Zeltes auf, das er für sie errichtet hatte. Hier betet er an, hier bringt er seine Brandopfer und Dankopfer dar, hier segnet er das Volk im
Namen Jehovas der Heerscharen, und, wie ein Diener, läßt
er daß Volk sich setzen und speist es. (2. Sam. 6,17 — 19.)
Er tanzt vor der Lade einher mit der Freude eines
Mannes, der sich nur zum Preise eines Andern freut;
und wenn sein Weib ihn verachtet und ihn wie einen
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„Leichtfertigen" behandelt, antwortet er: „Vor dem Angesicht Jehovas habe ich gespielt, und ich will noch geringer werden denn also und niedrig sein in meinen Augen." (2. Sam. 6, 20 — 22.) Und am Ende seines Lebens,
ebensowenig ermüdet in seinem Dienste wie im Anfang,
nimmt er sich vor, ein Haus für die Lade Jehovas zu
bauen. „Siehe doch," sagt er zu Nathan, „ich wohne
in einem Hause von Cedern, und die Lade Gottes wohnt
inmitten der Teppiche." (2. Sam 7, 2.) Sein Eifer
war in dieser Sache ein wenig voreilig und ohne Kenntnis der Gedanken Gottes; aber es war der Eifer eines
Mannes, der sich vollständig dem Dienste zu widmen
wünscht. Und als er verhindert wird, den Tempel zu
bauen, und so für sich selbst auf die Erfüllung seines
Wunsches verzichten muß, bereitet er nichtsdestoweniger
Gold, Silber, Erz, Eisen, Holz und Steine vor und versammelt Künstler aller Art, die für den Bau des Hauses
Gottes geschickt waren. Und nicht allein das, sondern er giebt
auch seinem Sohne Salomo Modelle von allen Dingen;
er zählt die Leviten und teilt sie in Klassen ein zum
Dienste des Hauses Jehovas, er setzt Vorsänger ein, die
in den Psalmen und Gesängen unterrichtet waren, er stellt
Thürhüter an, Oberste des Heeres, Richter und Hauptleute der Stämme. Und als dieser ganze Dienst beendet
ist und nichts mehr übrig bleibt, als die Frucht desselben,
die Herrlichkeit des Königreichs, für welche alle diese
Dinge vorbereitet waren, zu genießen, zieht er sich zurück;
er verschwindet von dem Schauplatz, sobald es keine Gelegenheit zum Dienen mehr giebt. Der Thron zu Jerusalem galt ihm nicht mehr, als seine Schäferhütte zu
Bethlehem. Sein alleiniger Wunsch war, sein Tagewerk
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als Diener Gottes zu vollenden. Sobald daher der Abend
dieses Tages gekommen ist, geht er weg; er will sich selbst
nicht verherrlichen. „Nehmet mit euch," sagt er zu seinen
Hauptleuten, „die Knechte euers Herrn und setzet Salomo,
meinen Sohn, auf die Mauleselin, die mein ist, und führet
ihn hinab gen Gihon, und Zadok, der Priester, und
Nathan, der Prophet, salbe ihn daselbst zum Könige über
Israel; und ihr sollt in die Posaune stoßen, und sagen:
Es lebe der König Salomo! Und ziehet heraus hinter
ihm her, und er soll kommen und auf meinem Throne
sitzen, und er soll an meiner Statt König sein; und ihm
habe ich geboten, Fürst zu sein über Israel und über
Juda/' (1. Kön. 1, 33-35.)
(Schluß folgt.)
„Nicht ans Werken."
Wenn man aus der Reise oder auf einem Gange
über Land Gelegenheit nimmt, mit den Mitreisenden oder den
desselben Weges Wandernden ein Wort über das Heil ihrer
unsterblichen Seele zu reden, so macht man mancherlei
Erfahrungen. Da giebt es viele, die durchaus nichts hören wollen von solch ernsten Dingen und die den unliebsamen Warner mehr oder weniger schroff abweisen; da
giebt es andere, die auf die Frage nach ihrem Seelenheil
gleich mit der Antwort bei der Hand sind: „Ich gehe
fleißig zur Kirche, erfülle meine religiösen Pflichten nach
jeder Seite hin und denke, daß ich damit genug gethan
habe;" mit diesen Worten wenden sie sich gleichgültig ab
und glauben wirklich, in ihrem völligen Recht zu sein.
Menüleisten Menschen gehören zu diesen beiden Klassen
von Personen — sie sind entweder feindselig gegen die Wahr­
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hüt Gottes, oder sie sind gleichgültig und zufrieden mit sich
selbst und mit ihrer äußeren religiösen Form. Eine dritte
Klasse, die schon weniger zahlreich ist, aber immerhin noch
viele Hunderttausende umschließt, trägt eiu ernsteres Aeußere. In ihr befinden sich solche Personen, die den Sprecher ruhig anhören und ein offenbares Interesse an dem
angeregten Gegenstände bekunden. Ihre Antwort auf die
Frage nach dem Heile ihrer Seele lautet: „Ich wünsche
sehr, in den Himmel zu kommen, und ich thue, waS in
meinen Kräften steht, um mir einen Platz dort zu sichern.
Ich hoffe auch, noch immer mehr thun zu können und dem
Ziel meines Strebens allmählich näher zu kommen."
Eine solche Sprache ist dem menschlichen Herzen nur
zu natürlich. Das Herz des Menschen ist ein stolzes,
trotziges Ding; es beugt sich nicht gern und bäumt sich auf
gegen das Urteil Gottes, daß „da keiner ist, der Gutes thue, auch nicht einer." Die Personen, die zu
der letzten Klasse gehören, geben gewöhnlich gern zu, daß
viele ihrer Worte und Handlungen unrein und böse waren,
aber sie denken zu gleicher Zeit, so viel Gutes gethan zu
haben oder noch zu thun, daß, wenn Gott einst beide auf
die Wagschale lege, die guten Werke die bösen überwiegen
oder ihnen doch wenigstens die Wage halten würden. Auf
diese Weise hoffen sie, errettet zu werden. Sie beurteilen
ihr Leben nach ihren eignen Gedanken und nach dem Maßstabe ihres eignen Gerechtigkeitsgefühls. Sie selbst entscheiden darüber, was in ihrem Verhalten recht und was
nicht recht war. Auch vergleichen sie sich gern mit Andern,
mit ihren Freunden und Bekannten, und urteilen, daß sie
doch nicht schlechter seien, als die meisten, und gewiß besser,
als viele von ihnen. Deshalb glauben sie, gegründete
14
Aussicht auf ein gutes Ende und auf ein gnädiges Urteil
von feiten Gottes zu haben, und meinen, daß kein Grund
zur Furcht für sie vorhanden sei.
Zu dieser letzten Klasse von Personen dürfen wir
auch noch solche rechnen, die sich beeifern, ein religiöses
Leben zu führen, die mit vielem Ernst und großer Pünktlichkeit den öffentlichen Gottesdiensten beiwohnen und daheim im eignen Hause strenge darauf halten, daß die
Bibel oder das Gebetbuch regelmäßig gelesen und vor
und nach den Mahlzeiten dem Geber aller Gaben gedankt
werde; deren Name in dem Mitglieder-Verzeichnis mancher
christlichen Vereine zu finden ist, und die stets eine offene
Hand bei Sammlungen für mildthätige oder religiöse Zwecke
haben, die treu an ihrer Kirche und an ihrem Glaubensbekenntnis sesthalten und die, auf Grund aller dieser Dinge,
denken, daß ihr Christentum alle die Eigenschaften habe,
welche Gott zufriedenstellen und ihnen den Himmel sichern
müßten.
Doch wie thöricht und eitel sind alle solche Gedanken
und Meinungen! Ein einziges Wort der Heiligen
Schrift stößt sie alle über den Haufen, und dieses Wort heißt:
„nicht aus Werken, auf daß nicht jemand sich
rühme." (Eph. 2, 9.) Wenn ein Mensch durch sein eignes
Thun errettet werden könnte, so ist es klar, daß er Grund
hätte, sich denen gegenüber zu rühmen, die noch nicht die
nötige Anzahl guter Werke gethan und die erforderliche Stufe
in dem christlichen Leben noch nicht erreicht haben. Doch
was sagt das Wort: „Wo ist denn der Ruhm? Er ist
ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Denn
wir urteilen, daß ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt
15
wird, ohne Gesetzes Werke." (Röm. 3, 27. 28.)
Es ist daher ein trauriger, verhängnisvoller Irrtum, wenn
jemand auf Grund seiner Werke errettet zu werden hofft.
Die Möglichkeit, durch sein eignes Thun Gott befriedigen
zu können und auf diesem Wege in den Himmel einzugehen, ist völlig ausgeschlossen und wird von dem Worte
Gottes in der klarsten und unzweideutigsten Weise verneint.
Es ist bei Menschen unmöglich.
Außerdem ist es offenbar, daß, wenn ein Mensch
etwas thun könnte, was Gott aus seinen Händen anzunehmen vermöchte, er auch mehr zu thun imstande
wäre, und hieraus würde dann unmittelbar folgen, daß
Christus nicht hätte in diese Welt zu kommen brauchen,
um zu suchen und zu erretten, was verloren ist, und am 
Kreuzesstamm für den Sünder zu sterben. Deshalb lesen
wir auch in dem Briese an die Galater: „Wenn die Gerechtigkeit durch's Gesetz kommt, so ist Christus umsonst
gestorben." (Kap. 2, 21.)
Soll hierdurch die Notwendigkeit guter Werke geleugnet
werden? Keineswegs! Das Wort Gottes ermuntert vielmehr an vielen Stellen dazu, allezeit überströmend zu sein
in dem Dienste Gottes und in dem Werke des Herrn. Aber
fordert Gott gute Werke, ja, ein einziges, noch so geringes
Werk, von einem verlorenen, sündigen Menschen?
Nein, vielmehr ergeht an einen solchen die dringende Aufforderung: „Thue Buße und bekehre dich! Kehre um von
deinem bisherigen Wege und laß dich versöhnen mit Gott!
Eile mit einem bußfertigen, zerknirschten Herzen zu Jesu
und glaube an Ihn, der für den Sünder litt und starb
und die Strafe für seine Sündenschuld trug!" — „Ohne
Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen."
16
(Hebr. 11.) — Bon wem erwartet und fordert Gott denn
gute Werke und ein Ihm geweihtes Leben? Von den
Gläubigen, von denen, die errettet, gereinigt und geheiligt sind, und in deren Herzen die Liebe Gottes ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der in ihnen Wohnung gemacht hat. Sie sind „geschaffen in Christo Jesu
zu guten Werken." (Eph. 2.)
Der große, schreckliche Irrtum des eigengerechten
Menschen besteht also darin, daß er, ohne zu glauben,
durch sein eignes Thun Gott Wohlgefallen und Ihn gleichsam zwingen will, ihm auf Grund seiner vermeintlich
guten Werke einen Platz in der Herrlichkeit Zu geben. Ich
sage noch einmal: Wie thöricht und eitel, ja, wie verderblich sind alle solche Gedanken und Meinungen! Der Mensch
hat eS mit Gott zu thun, und zwar mit einem Gott, der
zu rein von Augen ist, um das Böse zu sehen, um einen
Flecken von Sünde in Seiner heiligen Gegenwart zu dulden, und der in Seinem Worte wieder und wieder erklärt
hat, daß da keiner ist, der Gutes thue, auch nicht
einer. „Sie sind alle abgewichen, sie sind allesamt
untauglich geworden." — „Darum, aus Gesetzes Werken
wird kein Fleisch vor Ihm gerechtfertigt werden." —
„Die ganze Welt ist dem Gericht Gottes verfallen." —
„Denn eS ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes."
Gott ist Richter, und Er urteilt nach dem Maßstabe
Seiner vollkommenen, göttlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit, und nicht nach den Gedanken des armen, kurzsichtigen, sündigen Menschen. Ja, Er hat schon Sein Urteil
über den Zustand eines jeden Menschen von Natur ausgesprochen. Wie thöricht ist daher ein jeder, der, anstatt
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dieses Urteil und seine ernsten Folgen zu erwägen und
mit Aufrichtigkeit zu sagen: „Was muß ich thun, daß ich
errettet werde?" eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachtet, die doch am Ende nichts anders ist, als „ein unflätiges
Kleid," das den Sünder nimmer in den Stand setzt, vor
dem Gott bestehen zu können, dessen Augen wie Feuerslammen und vor dem selbst die Himmel nicht rein sind,
der „Seinen Engeln Thorheit zur Last legt!"
Und doch ach! wie viele giebt es, die in dem thörichten Wahne dahinleben, ohne Glauben, d. h. ohne in
Wahrheit als verlorene, verdammungswürdige Sünder zu
Jesu gekommen zu sein und in dem Glauben an Sein
vollbrachtes Werk Frieden und Vergebung gefunden zu
haben, Gott Wohlgefallen zu können! Wie vielen kann
man täglich begegnen, die, in: Vertrauen auf ihre „guten
Werke," ihr Ohr vor den ernsten Ermahnungen des Wortes
Gottes verschließen und sich selbstgefällig in das Gewand
ihrer eignen Gerechtigkeit hüllen! Wie wahr ist das Wort
eines alten Christen: „Die guten Werke des Menschen
sind nichts als glänzende Sünden!" Das Wort Gottes
nennt sie „tote" Werke. Es ist eine unumstößliche Thatsache, daß ein fauler Baum niemals gute Früchte hervorbringen kann. Darum ist es unumgänglich notwendig, daß
der ganze alte Baum hinweggethan und zu einem neuen,
guten Baume gemacht werde. Das steht allerdings nicht
in der Macht des Menschen, aber „was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott."
Darum noch einmal: der Mensch muß von neuem geboren sein und Frieden mit Gott haben, um Gott in
einer Ihm wohlgefälligen Weise dienen zu können. Er
muß ewiges Leben besitzen durch unsern Herrn Jesum
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Christum, ehe er seine Glieder Gott zu Werkzeugen der
Gerechtigkeit darzustellen vermag. Er muß in Christo Jesu
zu einer neuen Schöpfung geworden sein, um wahrhaft
„gute" Werke thun und mit glücklichem, friedeerfülltem
Herzen der Ewigkeit entgegengehen zu können.
Und nun, mein Leser, erlaube mir die Frage: Bist
du wiedergeboren? Hast du Frieden mit Gott? Besitzest
du ewiges Leben in Christo Jesu, und bist du in Ihm zu
einer neuen Schöpfung geworden? Oder gehörst du noch
zu einer der drei oben erwähnten Klassen? — Bedenke:
„Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber
dem Sohne nicht glaubt, wird das Leben nicht
sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf
ihm!" (Joh. 3, 36.) und: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen."
Das Kreuz Christi.
Wenn wir zum Kreuze Christi kommen, so müssen wir
durch unsre Bedürfnisse und Sünden dorthin gezogen worden
sein. Niemand kommt in Wahrheit zu demselben, er komme
denn als ein Sünder, dessen Sünden ihn hierher gebracht
haben. Aber wenn wir in vollkommenem Frieden, auf
Grund der Vollgültigkeit des Werkes, das Er dort vollbrachte, durch den zerrissenen Vorhang in die Gegenwart
Gottes eingetreten sind und nun auf das Kreuz zurückschauen, durch welches wir in diese Stellung gelangt sind,
so finden wir in demselben, von seiner göttlichen Seite
aus betrachtet, eine ihm allein eigene Herrlichkeit und Vortrefflichkeit ; und auf diesen gesegneten Eigenschaften beruhen
alle Wege Gottes, selbst die Schöpfung des neuen Himmels
19
und der neuen Erde. Gott wurde durch das Kreuz vollkommen verherrlicht.
Am Kreuze sehen wir den Höhepunkt des Guten sowohl,
als auch des Bösen; allem wurde hier entsprochen. Um
das Gute des Kreuzes zu entdecken und zu erlangen, muß
ich als Sünder zu ihm kommen. Wenn wir aber Frieden
durch das Kreuz gefunden haben, indem wir, durch dasselbe versöhnt, in die Gegenwart Gottes gestellt worden sind,
so umschließt es alles, was wir je sehen werden: Wir
werden nie das Lamm vergessen, das geschlachtet worden ist.
Am Kreuze erblicken wir die Vollendung der Sünden
des Menschen: positive Feindschaft gegen den Gott, der in
Güte ihm nahe gekommen war. Mit nichts Geringerem,
als mit der Wegschaffung des SohneS Gottes, wollte der
Mensch sich zufrieden geben. Petrus mußte den Juden
zurusen: „Ihn habt ihr durch die Hand der Gesetzlosen
angeheftet und umgebracht," (Apostelgesch. 2, 23.) und der
Herr selbst sagte: „Wenn ich nicht die Werke gethan hätte,
die kein anderer gethan hat, so hätten sie keine Sünde,
(so wären sie darin gerechtfertigt gewesen, Ihn zu verwerfen) jetzt aber haben sie gesehen und gehaßt sowohl mich, als auch meinen Vater." (Joh. 15, 24.)
Im Kreuze zeigt sich am völligsten die Bosheit des Menschen. Gott wurde dem Menschen in Güte dargestellt;
aber diese Darstellung brachte nur den Haß des Menschen
an den Tag. Die Kraft war in Christo gegenwärtig
und begegnete durch Sein Wort den traurigen Folgen der
Sünde; aber gerade die Entfaltung dieser Kraft brachte
die Feindschaft des menschlichen Herzens gegen Gott völlig
zum Vorschein, und — sie kreuzigten Ihn. Im Kreuze
Christi hat sich völlig erwiesen, was der Mensch in sich
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vor Gott ist. Der Mensch hatte das Gesetz gebrochen;
nun war Gott in Christo dazwischen getreten in einer
vollkommenen Gnade und in einer Kraft, die sein ganzes
Elend wegnehmen konnte; aber eben darum, weil es
Gottes Kraft war, wollte der Mensch nichts davon
wissen: er kreuzigte Ihn.
Zugleich erblicken wir in dem Kreuze die ganze Biacht
Satans. Der Herr sagte deshalb: „Jetzt ist das Gericht
dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt ausgeworsen
werden." (Joh. 12, 31.) Er war der Anführer der
Menschen gegen Christum, nach den Worten des Herrn:
„Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis."
(Luk. 22, 53.) Der Herr hatte den Feind in der Wüste
in der Versuchung überwunden, und in Lukas lesen wir:
„Er wich für eine Zeit von Ihm." Jetzt sagt der Herr:
„Der Fürst dieser Welt kommt, und hat nichts in mir."
(Joh. 14, 30.) Es gelang ihm, der die Gewalt über die
Welt hatte, den ganzen Haß des menschlichen Herzens gegen
Christum zu erregen.
Welch einen gewaltigen Gegensatz zu diesem allem
bietet die absolute Vollkommenheit des zweiten Menschen,
Christus Jesus! Er sagt: „Aber auf daß die Welt erkenne,
daß ich den Vater liebe und also thue, wie mir
der Vater geboten hat." (Joh. 14, 31.) In Ihm
finden wir vollkommene Liebe zum Vater und vollkommenen Gehorsam; und als Er den schrecklichen Kelch zu
trinken hatte, (wie ernst ist der Gedanke, daß dies für
uns unumgänglich nötig war!) erwies sich Seine vollkommene Liebe zum Vater, Sein vollkommener Gehorsam gerade an dem Orte, wo Er (für uns) zur Sünde gemacht war.
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Ferner sehen wir am Kreuze, wie die unendliche
Liebe und Gnade Gottes überstömeuder geworden ist, als
die Sünde. Wir erblicken Seine vollkommene Liebe, in
welcher Er uns Seinen Sohn gegeben hat, und gleichzeitig
Seine vollkommene Gerechtigkeit in ihrem Gericht über die
Sünde, und endlich die Befriedigung der Forderungen der
Majestät Gottes. „Es geziemte Ihm, um deswillen
alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem Er
viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Anführer
ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen."
(Hebr. 2, 10.)
So sehen wir, wie sich alles dieses: das vollkommen
Böse im Menschen und in Satan, und andrerseits das
vollkommen Gute im Menschen (doch Er war Gott) und
die vollkommene Liebe Gottes und Seine Gerechtigkeit im
Gericht über die Sünde — am Kreuze völlig erwiesen hat;
das Böse und das Gute trasen hier zusammen. Und
hier am Kreuze wurde in Gerechtigkeit der feste, nie wankende Grund gelegt zu allem, was im neuen Himmel und
auf der neuen Erde an Güte und Segnungen gefunden
werden wird, welche Segnungen nicht auf dem Grunde
der Verantwortlichkeit beruhen, sondern auf der Vollgültigkeit des vollbrachten Werkes, dessen Wert nimmer ganz
erkannt werden wird.
Je länger wir über das Kreuz nachsinnen — zu dem
wir als Sünder kamen, um errettet zu werden, das wir
aber nun als Christen, versöhnt mit Gott, anschauen und betrachten können — desto völliger erkennen wir, daß eS in der
Geschichte der Ewigkeit ganz einzig dasteht. Göttliche Herrlichkeit, die Sünde des Menschen und eines Menschen
Vollkommenheit, die Bosheit Satans und Gottes Macht,
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Liebe und Gerechtigkeit wurden hier zu gleicher Zeit völlig
geoffenbart, und es ward ihnen gottgemäß entsprochen. Demzufolge ist das Kreuz die unwandelbare Grundlage aller Segnungen des Menschen und alles Guten im Himmel und
auf Erden. Und jetzt, nachdem unsre Seelen die Versöhnung empfangen haben, schauen wir auf Ihn und lernen
von Ihm. Er sagt: „Nehmet auf euch mein Joch und
lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen
demütig, und ihr werdet Ruhe finden." Die Welt hatte
Ihn verworfen, es gab keine Ruhe für Ihn hienieden.
Mit wunderbarer Geduld hatte Er nach einem Ort der
Ruhe gesucht, aber nichts der Art war zu finden. Der
Sohn des Menschen hatte nicht, und zwar nicht nur
äußerlich, wo Er Sein Haupt hinlegeu konnte; Er fand
nichts, worin Sein Herz Hütte ausruheu können, wie auch
Noahs Taube „keinen Ruheplatz fand für ihren Fuß."
„Ich habe," so mußte Er klagen, „auf Mitleiden gewartet,
aber da war keines, und auf Tröster, aber ich habe sie
nicht gefunden." (Ps. 69, 20.) Und gerade inmitten dieser
Gefühle ruft Er aus: „Kommet her zu mir, alle ihr Blühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben.
Nehmet auf euch mein Joch ..... und ihr werdet Ruhe
finden für eure Seelen." (Matth. 11, 28 — 30.)
Möchte doch unser Inneres, während wir in dem gesegneten Ergebnisse Seines vollgültigen Opfers ruhen, mehr
und mehr durch Ihn, den Hochgelobten, gebildet werdens
Das ist das praktische Geheimnis für unsern Wandel durch
diese Welt. Er sagt: „Wer mich isset, wird auch leben
meinetwegen." (Joh. 6, 57.) Wahrlich, unser Geschmack
an Ihm und für Ihn sollte beständig wachsen. Im Kreuze
giebt es zwei Seiten für das christliche Leben. Soll es
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mir Mut und den Sieg über die Welt verleihen, so schaue
ich auf Seine Herrlichkeit, wie der Apostel Paulus in
Philipper 3 es thut. Dort haben wir die Energie, welche
sich ausstreckt und läuft, um Christum zu gewinnen, und
welche alles außer Ihm für Schaden und Dreck achtet.
Die andere Seite finden wir im 2. Kapitel des Philipperbriefes; hier ist es nicht die vor uns liegende Herrlichkeit,
sondern die Gesinnung, die in Christo war, die Demut
und Hingebung des Herrn, „der sich selbst erniedrigte und
gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode des Kreuzes."
Mephiboseth.
(2. Sam. 9.)
Wie lieblich ist die Gnade Gottes, die uns in Christo
Jesu geschenkt worden ist, in der kurzen Geschichte Mephiboseths vorbildlich dargestellt! In seiner Abkunft von dem
gefallenen, ungehorsamen und verworfenen Könige Saul
sehen wir unsre Verbindung mit dem ersten Menschen,
der da fiel und durch seinen Ungehorsam sein ganzes Geschlecht in Verderben und Verdammnis stürzte. Wie Mephiboseth lahm war an seinen beiden Füßen, so sind auch
wir thatsächlich hülflos in unserm moralischen, verlorenen
Zustande, in welchen wir durch die Sünde gekommen sind.
Er wohnte weit weg von Jerusalem, dem Mittelpunkte
irdischer Segnungen; und so sind auch wir von Natur,
nach Herz und Geist, von Gott, dem einzigen Quell und
Mittelpunkte alles Guten, entfremdet.
In diese Finsternis, so groß sie ist, scheint nun das
Licht der Gnade. David, jetzt in Ruhe auf seinem Throne
sitzend, ein unumschränkter Herr in allem, ist ein treffendes
Vorbild des hochgelobten Gottes, dessen Thron des Ge­
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richts nunmehr ein Thron der Gnade ist, von wo aus
alles Erbarmen und aller Segen sich ergießt. David
läßt fragen: „Ist noch jemand, der übrig geblieben ist
vom Hause Sauls, daß ich Güte an ihm erweise um
Jonathans willen?" Nicht an den Haß und das Böse
Sauls denkt David, sondern „um Jonathans willen,"
welcher der Vielgeliebte war, will er Güte erweisen. Es
wird uns nicht schwer, dies zu verstehen, wenn wir an
uns denken. Christus, der vielgeliebte Sohn, ist die
Grundlage und Ursache alles dessen, was Gott jetzt an
uns, den Gläubigen, thut. Wenn wir dies erst begriffen
haben, so genießen wir einen dauernden Frieden, und wir
sind dann fähig, die Entfaltung der wunderbaren Gedanken
und Ratschlüsse Gottes über uns zu verstehen.
Fernher, von dem Wohnort der Verbannung in
Lodabar (d. h. ohne Weide), wird Mephiboseth geholt
und gerade so, wie er ist, zu David gebracht. Alles
nämlich, was ihm an Güte erwiesen wird,, gründet
sich nicht auf das, was e r ist, sondern auf das, was der
Geliebte ist; und wenn Mephiboseth gesegnet wird, so muß
seine Segnung dem königlichen Wohlgefallen an Jonathan
entsprechen. Was hätte dieser nun, in seiner Verwunderung und Bestürzung darüber, daß er sich in des Königs
Gegenwart sah, passender ausrufen können, als: „Was
ist dein Knecht, daß du dich zu einem toten Hunde wendest, wie ich bin?" Es ist allerdings ein niedriger Platz,
den Mephiboseth hier für sich in Anspruch nimmt, aber
es ist der einzig richtige. David wußte, was Mephiboseth war,
vielleicht besser, als dieser selbst; trotzdem aber und trotz
allem muß David nach seiner Gesinnung und nach dem
Willen seines Herzens mit ihm handeln; denn er ist
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König und handelt in seinen königlichen Vorrechten»
Aehnlich handelte der Vater des verlorenen Sohnes in
Lukas 15. Wohl war es ganz richtig, daß der Sohn
alles sagte, was er gethan hatte, und es tief fühlte; aber
es war ebenso richtig, daß es dem Vater erlaubt war,
seinen eigenen Gefühlen zu folgen in der Erweisung seiner
Gunst und seines Segens, obwohl der Gesegnete „nicht
mehr wert war, sein Sohn zu heißen."
Alles dieses redet lauter zu uns, als Worte es vermöchten, welcher Art die Liebe Gottes zu uns ist und wie
wunderbar sie segnet.
Die ersten Worte, die David an Mephiboseth richtete,
lauten: „Fürchte dich nicht!" Also lautete nachmals
häufig die erste Begrüßung, womit der Herr die Seelen
empfing; denn „die Furcht hat Pein," und so lange die 
Furcht nicht verbannt ist, ist die Seele nicht fähig, aufzumerken und zu hören. Darauf teilt David ihm den
Vorsatz seines Herzens mit: „Ich will gewißlich Güte an
dir erweisen um Jonathans, deines Vaters, willen, und
will dir alles Feld deines Vaters Saul zurückgeben, und du
sollst beständig das Brot essen an meinem Tische." Hier
finden sich drei Dinge: Güte, ein Erbteil und Gemeinschaft.
Diese drei Gäben haben in unsrer Zeit ihre gesegneten
Gegenstücke: Wir stehen in göttlicher Gunst, (Röm. 5, 2;
Ephes. 1, 6.) wir haben ein Erbteil, (Ephes. 1 und 2.)
und wir haben Gemeinschaft mit Gott. (1. Joh. 1, 3.)
O, welch eine Stellung und welch ein Teil ist denen
verliehen, die in diesen Tagen der Gnade sich der Gerechtigkeit Gottes unterworfen haben!
Nicht nur genoß Mephiboseth königliche Huld, sondern
er ist aus der Ferne dem König so nahe gebracht, daß
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er beständig mit ihm das Brot essen darf an seinem Tische
„wie einer von den Königssöhnen." Wie unendlich schön
ist dies und wie weit köstlicher, als der Gedanke an den
Besitz des Erbteils! Auch wir haben „in Christo" ein
Erbteil; auch wir stehen in Ihm in der Gunst Gottes;
was aber könnte höher sein hienieden, als die Erfahrung
des Vorrechts: „unsre Gemeinschaft ist mit dem Vater
und mit Seinem Sohne Jesu Christo?" Gleichwie bei Mephiboseth nun dieses Vorrecht kein vorübergehendes war, sondern
sein beständiges Teil, so können auch wir in unserm
ganzen Leben, in seinen großen und kleinen Einzelheiten, durch
den Heiligen Geist so nahe der Gegenwart Gottes leben,
daß wir diese Gemeinschaft genießen.
Von nicht geringerem Interesse für uns sind
die späteren Mitteilungen, welche Mephiboseth betreffen.
(2. Sam. 16 und 19.) Sie zeigen uns die Wirkung der
Gnade auf sein Herz, die sich darin erwies, daß er Liebe
offenbarte und sich selbst völlig vergaß. ES ist der Mühe
wert, darüber nachzusinnen, und gesegnet, ihm hierin nachzufolgen.
Bruchstücke.
Die Gnade errettet nicht nur den Sünder vom ewigen
Verderben, sondern teilt ihm auch eine Natur mit, welche
ihre Wonne findet an allem, was mit Gott in Verbindung steht.
In den Tagen der Trübsal und der Schwierigkeiten
erfährt die Seele etwas davon, wie unaussprechlich gesegnet es ist, fähig zu sein, auf Gott rechnen zu können.
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Nicht dann, wenn unser Lebensschifflein auf ruhigen, friedlichen Wogen dahiugleitet, wird die Gegenwart unsers
Herrn und Meisters besonders gefühlt, sondern dann, wenn
der Sturm tobt und die empörten Wellen über dem Schiffe
zusammenschlagen und es zu verschlingen drohen.
Gott giebt nie Anleitung für zwei Schritte auf
einmal. Wir müssen einen Schritt thun, und dann giebt
Er Licht für den zweiten.
Wenn alles um uns her ruhig und angenehm ist,
wenn unser Geschäft blüht,'unsre Kinder sich gut betragen,
unsre Wohnung bequem ist, unsre Gesundheit nichts zu
wünschen übrig läßt, mit einem Worte, wenn uns alles
nach Wunsch geht, wie sehr sind wir dann geneigt, den
Frieden, welcher auf solchen Umständen ruht, mit jenem
Frieden zu verwechseln, der aus der verwirklichten Gegenwart Christi und aus der Gemeinschaft mit Ihm hervorfließt!
Der Pfad des- Gehorsams mag für Fleisch und Blut
oft rauh und schmerzlich sein. Aber es ist weit besser, in
dem Pfade Gottes zu leiden, als in den Wegen Satans
sich wohl zu befinden. Es ist weit besser, mit Christo
arm zu sein, als reich ohne Ihn.
Wie traurig ist es, einen Christen sagen zu hören:
„Ich bedarf einer Erholung. Womit soll ich den Tag
ausfüllen? Ich kann nicht immer an Jesum denken."
Wir möchten einen jeden, der so redet, fragen: Wie willst
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du die Ewigkeit ausfüllen? Wird Christus nicht genügend
sein, um alle die endlosen Zeitalter der Ewigkeit auszufüllen? Wirst du dort einer Erholung bedürfen?
Wenn das Herz wirklich der Autorität Christi unterworfen ist, so ist es bereit für alles und jedes, wozu Er
uns beruft — sei es stille zu stehen, oder vorwärts zu gehen,
sei es viel oder wenig zu thun, thätig oder unthätig zu sein.
Für ein wahrhaft unterwürfiges und gehorsames Herz
ist die Frage nicht: „Was thue ich?" oder: „wohin gehe
ich?" sondern einfach: „thue ich den Willen meines Herrn?"
Es giebt nichts in der ganzen Welt, was gesegneter
wäre, als ein Leben steter Abhängigkeit von Gott zu führen.
Gott gebraucht oft ein Geschöpf, um uns zu segnen;
aber das ist etwas ganz anderes, als wenn wir uns auf
ein Geschöpf stützen und verlassen und so Ihn ausschließen.
Im ersten Falle werden wir gesegnet, und Gott wird
verherrlicht; im zweiten werden wir enttäuscht, und Gott
wird verunehrt.
Ist Gott von uns gekannt und geliebt, und vertrauen
wir Ihm? Wenn es der Fall ist, so wird es auch die
Freude unsrer Herzen sein, in völliger Abhängigkeit von
Ihm zu leben.
David und Lalomo.
(Schluß.)
Wir haben also in David das Bild eines treuen,
sich selbst vergessenden und nur die Ehre Gottes suchenden
Dieners gesehen. In Salomo finden wir etwas ganz
anderes. Das, was den Later wahrend seines ganzen
Lebens gekennzeichnet hatte, tritt bei dem Sohne völlig in
den Hintergrund. Salomo ist nicht der Diener, sondern
derjenige, welcher alle die Güter und Ehren als Erb leit
empfängt, die David durch seinen hingebenden Dienst
erworben und durch seine Waffen erobert hatte. Gott
erhob Salomo über die Maßen, angesichts des ganzen
Volkes Israel, und bekleidete ihn mit einer königlichen
Majestät, wie sie niemals einer seiner Vorfahren besessen
hatte. Er übertraf selbst alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit; alle suchten seine Gunst, und Gott
machte seinen Namen noch größer, als den Namen Davids,
und erhob seinen Thron noch höher, als denjenigen seines
Vaters. Gott nannte David Seinen Knecht, aber Salomo Seinen Sohn, indem Er sagte: „Er wird mir zum
Sohne sein, und ich ihm zum Vater?' (1. Chron. 22,10.)
Als Erbe der Mühen Davids erscheint uns Salomo voll
Frieden und Glück, als die Freude und der Ruhm seines
Volkes und als der Mittelpunkt der ganzen Welt.
Doch außerdem, daß sein Name größer war, als
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derjenige Davids, hatte ihm Gott auch die Ehre Vorbehalten, Sein Haus zu bauen; denn dieses Werk war mehr
eine Ehre, als ein Dienst, eine Ehre, die für David, den
Diener, zu groß war und für Salomo, den Sohn,
aufbewahrt wurde, wie Gott zu David gesagt hatte:
„Salomo, dein Sohn, der soll mein Haus und meine 
Höfe bauen, denn ich habe ihn mir zum Sohne erwählt,
und ich will ihm zum Vater sein." (1. Chron. 28, 6.)
So war auch vorher zu Nathan gesagt worden: „Gehe
hin und sprich zu David, meinem Knechte: So spricht
Jehova: Du sollst mir nicht ein Haus bauen zur Wohnung.
Und es soll geschehen, wenn deine Tage voll sind, daß
du zu deinen Vätern hingehst, so will ich deinen Samen
nach dir aufrichten, der von deinen Söhnen sein soll, und
will sein Königreich befestigen. Der wird mir ein Haus
bauen, und ich werde seinen Thron befestigen auf ewig.
Ich will ihm zum Vater sein, und er soll mir zum
Sohne sein." (1. Chron. 17, 4. 11 — 13.)
Es gab allerdings noch andere Gründe, welche Gott
verhinderten, Sein Haus durch David aufbauen zu lassen,
und zwar sind einige derselben von lieblicher Schönheit.
So waren z. B. zur Zeit Davids die Kinder Israel noch
nicht zur Ruhe gekommen, das Königreich war noch nicht
befestigt, das Volk noch zum Kriege gerüstet, und der
Herr weigerte sich, in Sein Haus eiuzutreten, so lange
Sein Volk nicht auch in sicherer Ruhe wohnte und, befreit
von allen seinen Feinden ringsum, die Segnungen des
Friedens genoß. In allen ihren Trübsalen litt Er mit
ihnen, bei allen ihren Wanderungen wohnte Er in ihrer
Mitte unter einem Zelte, und so lange sie keinen festen
und ruhigen Wohnsitz hatten, wollte auch Er nicht ein
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Cedernhaus bewohnen. „Ich habe in keinem Hause gewohnt," ließ Er David sagen, „von dem Tage an, da
ich Israel heraufgesührt habe, bis auf diesen Tag; und
ich bin gezogen von Zelt zu Zelt, und von Wohnung zu
Wohnung. Bei all meinem Umherwandeln unter ganz
Israel — habe ich wohl ein Wort geredet zu einem der
Richter Israels, dem ich gebot, mein Volk zu weiden, und
gesagt: Warum bauet ihr mir nicht ein Haus von Ledern?" — Welch eine Güte, welch eine Herablassung und
Liebe zu Seinem oft so widerspenstigen und hartnäckigen
Volke giebt sich in diesen Worten kund! Welch eine bewunderungswürdige Gnade strahlt aus ihnen hervor!
Doch wir dürfen noch einen andern Grund nicht
unerwähnt lassen, weshalb David nicht der passende Mann
für den Bau des Tempels Jehovas war.
David hatte zu viel Blut vergossen; er war ein
Mann des Krieges gewesen, während Salomo ein Mann
des Friedens sein und über seine Feinde herrschen sollte,
indem Gott selbst ihm Ruhe gab ringsumher; auch sollte
sich das Volk während seiner Regierung einer ungestörten
Ruhe und einer Wohlfahrt erfreuen, wie es dieselbe nie
vorher gekannt hatte. (1. Kön. 5, 3; 1. Chron. 22,
8—10.)
Doch vor allen Dingen war, wie bereits bemerkt,
die Ehre, den Tempel zu bauen, besonders deshalb für
Salomo aufbewahrt, weil er Sohn war. Der Tempel
war das Zeichen der Dauer, wie geschrieben steht: „Der
Knecht bleibt nicht für immer in dem Hause; der Sohn
bleibt für immer." (Joh. 8, 35.)
Die Regierung Salomos war also eine Zeit der
Ruhe; alle Feinde waren besiegt, alle Vorbereitungen
getrosten; er brauchte sich nur auf den Thron seines
Vaters David zu setzen und Frieden und Ehre zu genießen.
Zugleich war seine Regierung eine Zeit der Freude, und
damals ertönten zum erstenmale Lob- und Dankgesünge in
der Mitte der Gemeinde Israels. Mose hatte Opfer angeordnet, aber kein Gesang wurde in der Stiftshütte gehört. David hatte Sänger eingesetzt und ihnen Gesänge
gegeben; aber diese ganze Freude war für Salomo vorbereitet. In dem Tempel, den er erbaute, besangen die
Priester und die Sänger, Asaph, Heman, Jeduthun und
ihre Brüder, zum erstenmale in Israel das Lob Jehovas.
Das war ein Tag der Freude, wie keiner vorher gewesen
war, „als die Trompeter und Sänger waren wie einer,
um eine Stimme ertönen zu lassen, Jehova zu preisen
und zu lobsingen, und als sie die Stimme erhoben mit
Trompeten und Cymbeln und mit Musikinstrumenten und
mit Preisen Jehovas, daß Er gütig ist, und daß Seine
Güte währet ewiglich." Und herrlich über alles war die
Wolke, die dann den Tempel erfüllte, „daß die Priester
nicht zu stehen vermochten, um den Dienst zu verrichten,
vor der Wolke; denn die Herrlichkeit Jehovas hatte das
Haus Gottes erfüllt." (2. Chron. 5, 13. 14.) An jenem 
herrlichen Tage hörte man nur Danksagungen, Gesänge
der Freude und der Fröhlichkeit und den Schall der Instrumente ; und daran fand Gott Sein Wohlgefallen, darin
Seine Ruhe. Er, der inmitten der Lobgesänge Israels
wohnt, erfüllte den Tempel mit Seiner Gegenwart und
Seiner Herrlichkeit.
Doch alle diese gesegneten Tinge, wovon wir in David
und Salomo Spuren gesehen haben, sind nur Schatten
besserer Tinge, denn „der Körper ist Christi." (Kol. 2, 17.)
Christus ist der Hauptgedanke Gottes. Die dem Abraham
gegebenen Verheißungen wurden in Wirklichkeit seinem
Samen, d. h. Christo, gegeben, und die Darstellung der
Gnade in David und der Herrlichkeit in Salomo bezieht
sich in Wirklichkeit ans Christum. (Hebr. 1, 5.) Von einem
Ende des Alten Testaments bis zum andern sind jene besonders hervortretenden Männer Gottes und ihre Geschichte
nur Vorbilder von Jesu und von den Dingen, die sich in
Ihm erfüllen sollten; und es war die Freude dieser gläubigen Männer, Ihn zu erwarten.
Wir haben also David verfolgt vom Felde des Hirten
bis zu der Wahlstatt im Terebinthenthal, (1. Sam. 17.)
vom Hofe Sauls bis zu den Höhlen der Wüste, und von
dorr wieder bis auf den Thron Israels, und wir haben
in feiner Geschichte überall die Darstellung des Charakters
eines Dieners bemerkt. Denselben Charakter, und zwar
in vollkommener Weise, finden wir in Jesu, dem wahren
David. Vor Grundlegung der Welt schon weihte Er sich
dem Dienste, und in der Rolle des Buches steht von Ihm
geschrieben: „Ich komme, um Deinen Willen, o Gott, zu
thun." (Ps. 10, 7. 8.) Er kam nicht, um sich bedienen zu
lassen, sondern um zu dienen und Sein Leben als Lösegeld zu geben für viele. (Mark. 10, 45.) Er stieg vom
Himmel herab, nicht um Seinen Willen zu thun, sondern
den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte; (Joh. 6, 38.)
Er suchte nicht Seine eigene Ehre; (Joh. 8, 50.) Er
unterwarf sich allem, und die Stellung, die Er einnahm,
war stets diejenige eines Dieners. Er verbarg sich
immer, es sei denn, daß das Zeugnis, für welches Er
aus die Erde gekommen war, Ihn veranlaßte, Seine himmlische Herrlichkeit zu enthüllen. Von Seiner Mutter auf
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der Hochzeit zu Kana gebeten, Seine Macht zu enfalten,
antwortet Er: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Weib?
meine Stunde ist noch nicht gekommen." (Joh. 2, 4.)
Von Seinen Brüdern aufgefordert, sich der Welt zu zeigen,
antwortet Er auch ihnen: „Meine Zeit ist noch nicht da."
(Joh. 7, 6.) Als Er durch Seine Wunder die Menge angezogen hatte und Seine Jünger, in dem leicht erklärlichen
Wunsche, Ihn vor den Augen des Volkes verherrlicht zu
sehen, zu Ihm sagten: „Alle suchen Dich," ist Seine Antwort wiederum nur die eines Dieners: „Lasset uns
anderswohin in die nächsten Flecken gehen, auf daß ich
auch daselbst predige; denn dazu bin ich ausgegangen."
(Markus 1, 38.) Ein Leib war Ihm zubereitet worden,
und wie David, so hatte auch Er nichts anderes zu
thun, als das Werk zu vollbringen, das Ihm der Vater
gegeben hatte.
Er war vollkommen in allen Einzelheiten dieses Werkes.
Als Kind war Er Seinen Eltern unterworfen, und nachdem
Er, wie David, von Gott gesalbt war, fuhr Er nichtsdestoweniger fort, zu dienen, sei es zur Ehre Seines Vaters,
sei es zur Befriedigung unsrer Bedürfnisse und zur Heilung unsrer Gebrechen; stets konnte Sein Vater von Ihm
sagen: „Siehe, mein Knecht, den ich erwählt habe."
(Matth. 12, 18.) Er vollendete Sein Tagewerk, indem
Er stets an dem Werke Dessen arbeitete, der Ihn gesandt
hatte; Er ruhte nicht eher, bis Er ausrufen konnte: „Es
ist vollbracht!" (Joh. 19, 30.) „Er war gehorsam bis
zum Tode, ja zum Tode des Kreuzes." (Phil. 2, 8.)
Und was unsre Gebrechen betrifft, so „ging Er umher,
wohlthuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren." (Apstgsch. 10, 38.) Jede Stadt, jedes
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Torf des Landes lernte Ihn so kennen, jedes Elend fand
bei Ihm Erleichterung; niemand ging je vergebens zu Ihm.
Hier möchte ich einen Augenblick verweilen, um die
Notwendigkeit dieser Erniedrigung des Sohnes Gottes
einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Gott war durch
den Menschen in dieser Welt in jeder Beziehung völlig
verunehrt worden. Christus kam, um Gott in allem, und
zwar gerade da, wo diese Berunehrung stattgefunden hatte,
vollkommen zu verherrlichen. Adam, das Geschöpf, hatte
seine eigne Herrlichkeit gesucht; der Sohn Gottes legte die
Seinige ab; Er entäußerte sich selbst, machte sich zu nichts
und nahm freiwillig Knechtsgestalt an. Zu sein wie Gott,
obgleich er ein Geschöpf war, war das Ziel des hochmütigen Ehrgeizes des ersten Menschen; sich bis zur Gestalt
eines Knechtes zu erniedrigen, obgleich Er „in Gestalt
Gottes war," (Phil. 2, 6.) war die freiwillige Erniedrigung des letzten Adam. Und so wurde die Unehre, die
der erste Adam der Ehre Gottes zuzufügen suchte, überreichlich durch den letzten Adam wieder gutgemacht.
Aber diese Erniedrigung des Sohnes Gottes erstreckte
sich nicht nur auf Sein Leben und Seinen Dienst, sondern
auch auf die Gestalt, die Er angenommen hatte, indem
Er in den Augen der Menschen nur „der Zimmermann,
der Sohn der Maria," (Mark. 6, 3.) war; sie erstreckte
sich vor allen Dingen auf Seinen Tod mit den verschiedenen Umständen, die denselben begleiteten. Die Herausforderungen, welche, voll des bittersten Spottes, an Ihn
gerichtet wurden, hatten nur zum Zweck, Ihn zu bewegen,
das zu thun, was Adam gethan hatte, und was das gefallene Geschöpf in seinem Stolz gethan haben würde:
nämlich, das Vertrauen auf Gott wegzuwerfen, in Unab-
— 36 —
hängigkeit von Ihm zu handeln und Seinen eignen Willen
zu thun. „Die Vorübergehenden aber lästerten Ihn,
schüttelten ihre Köpfe und sagten: der Du den Tempel
abbrichst und in drei Tagen aufbauest, rette Dich selbst.
Wenn Du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuze.
Gleicherweise aber verspotteten Ihn auch die Hohenpriester
samt den Schriftgelehrten und Aeltesten, und sprachen:
Andere hat Er gerettet, sich selbst kann Er nicht retten.
Wenn Er Israels König ist, so steige Er jetzt herab vom
Kreuze, und wir wollen Ihm glauben." (Matth. 27,39 — 42.)
Aber Jesus widerstand in der Vollkommenheit Seiner
Unterwerfung und Seines Dienstes allen diesen schmachvollen und kränkenden Herausforderungen. Er war vorher
denselben Versuchungen von seiten Satans ausgesetzt gewesen. Satan hatte gewollt, daß Er sich selbst verherrlichte, (Matth. 4, 6.) und die Menschen, getrieben von
ihrem Stolz, der die Ursache ihres Falles im Paradiese
gewesen war, wollten jetzt dasselbe. Aber Jesus triumphirte über diese Versuchungen; sowohl Satan, wie die
Menschen hatten „nichts in Ihm." Er nahm das Kreuz
und die Schande auf sich, setzte sich der ganzen Feindschaft und Verachtung des aufrührerischen Menschen aus,
und konnte zu Gott sagen: „Die Schmähungen derer, die
Dich schmähen, sind auf mich gefallen." (Ps. 69, 9.) So
wurde Er in Schwachheit gekreuzigt, aber jetzt „lebt Er
durch die Kraft Gottes." (2. Kor. 13, 4.) Weil Er den
Platz der Erniedrigung eingenommen hat, wird Er die
Ehre der Herrschaft empfangen, und Er wird sie ausüben
in Gerechtigkeit; ja, bald werden alle Reiche der Welt
Ihm angehören. Sollte uns das nicht ermuntern, hier
denselben Platz einzunehmen und mit der Verachtung der
37
Welt zufrieden zu sein, um bald auch in Herrlichkeit mit
Ihm zu regieren, der für uns verachtet war, und eS heute
noch ist?
Jedoch war Er nicht nur auf der Erde der vollkommene Diener Gottes, sondern auch im Himmel fährt Er
fort, für uns Sorge zu tragen; denn als Er von den
Seinigen Abschied nahm, sagte Er zu ihnen: „Siehe, ich
bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters." (Matth. 28, 20.) Er ist beständig der Diener
der Seinigen, indem Er ihnen die Füße wäscht, bis Er
sie ohne Flecken und jubelnd in Seine Herrlichkeit einführen kann. Und selbst dann, wenn Er aus Seinem
himmlischen Heiligtum herausgehen wird, um über alle
Seine Feinde Gericht zu halten, wird Er dies thun als
der Diener der Herrlichkeit Gottes, und Er wird nicht
eher aufhören, bis Er das Recht auf Erden bestellt haben
wird. (Jes. 42, 1 — 4.) Und, was noch wunderbarer ist,
Er wird, wenn Er so den Sieg über alle Seine Feinde
davongetragen hat, sich dennoch denjenigen Seiner Heiligen,
die Er wachend und Ihn erwartend gefunden hat, widmen: „Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen
lassen und hinzutreten und sie bedienen;" (Luk. 12, 37.)
ja, Er wird „sie weiden und sie leiten zu Brunnen der
Wasser des Lebens, und Gott wird jede Thräne abwischen
von ihren Augen." (Offbg. 7, 17.)
So ist also Jesus der wahre David; denn keine
Veränderung der Stellung oder der Umstände verändert
Seinen Charakter als Diener Gottes, zu Seiner Ehre
und zur Freude Seines Volkes. Er verherrlichte sich selbst
niemals; Seine Sprache war stets: „Nicht mein Wille,
sondern der Deine geschehe!" (Luk. 22, 42.) Und „darum

hat Ihn Gott auch hoch erhoben und Ihm einen Namen
gegeben, der über jeden Namen ist, auf daß in dem
Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen undJrdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, daß
Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des
Vaters." (Phil. 2, 9 — 11.) Zu Ihm, als zu dem
wahren Salomo, sagt Gott: „Du bist mein Sohn, heute
habe ich dich gezeugt," (Ps. 2, 7.) und von Ihm sagt
Er in Wahrheit: „Ich will Ihm zum Vater, und Er soll
mir zum Sohne sein." (2. Sam. 7, 14.) Ihn hat
Er jetzt mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt und Ihn über
die Werke Seiner Hände gesetzt, und Ihm wird Er bald
alle Dinge unterwerfen. (Ps. 8, 5. 6.) „Er hat auf
Seinem Gewände und aus Seiner Hüfte einen Namen
geschrieben: König der Könige und Herr der Herren."
(Osfbg. 19, 16.) Alle Nationen, die Könige und Fürsten,
werden sich vor Dem beugen, den die Menschen verachtet 
und verworfen haben. „Sein Thron wird sein wie die
Sonne;" (Ps. 89, 36.) Er wird „gesalbt sein mit Freudenöl" (Ps. 45, 7.) und wird genannt werden: „der Gott
der ganzen Erde." Daun wird der König in Seiner
ganzen Schönheit gesehen werden; Er wird, wie Salomo,
das Volk segnen und in allem für sie ins Mittel treten,
(2. Chron. 6.) indem Er die Namen all der Seinen fortwährend auf Seiner Brust und Seinen Schultern trägt.
Und wie Salomo Städte baute und sie befestigte, damit
„Juda und Israel in Sicherheit wohnten, ein jeglicher
unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum von Dan
bis Berseba, alle die Tage Salomos," (2. Chron. 8, 4 - 6;
1. Kön. 4, 25.) so sagt auch der wahre Salomo durch
den Mund Seines Propheten: „Mein Volk wird wohnen
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in einer Wohnstätte des Friedens und in ganz sichern
Wohnungen und in stillen Ruhestätten." (Jes. 32, 18.)
Salomo hatte Kenntnis, Weisheit und Verstand, um
Gerechtigkeit zu üben und sein Volk zu regieren, und
ebenso heißt es von Dem, der größer ist als Salomo:
„Aus Ihm wird ruhen der Geist Jehovas, der Geist der
Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und
der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht
Jehovas. Und Er wird die Armen richten mit Gerechtigkeit, und den Gebeugten des Landes Recht sprechen in
Geradheit." (Jes. 11, 2. 4.)
Dann wird auch Zion in seiner ganzen Schönheit
erglänzen. „Der König Salomo machte das Silber in
Jerusalem gleich den Steinen, und die Cedern machte er
gleich den Sykomoren." (1. Kön. 10, 27.) Aber wenn
die Herrlichkeit des Herrn auf Zion zurückstrahlen wird,
so wird es leuchten in seinem ganzen Glanze. „Die Söhne
der Fremde werden deine Mauern bauen, und ihre Könige werden dir dienen. Und sich bückend werden zu dir
kommen die Kinder deiner Unterdrücker, und alle, die dich
gelästert haben, werden niederfallen zu den Sohlen deiner
Füße und werden dich nennen: Stadt Jehovas, Zion
des Heiligen Israels. Statt des Erzes will ich Gold
bringen, und statt des Eisens Silber bringen, und statt
des Holzes Erz, und statt der Steine Eisen." (Jes. 60,
10. 14. 17.) Und im Blick auf die Bewohner lesen wir:
„sie allesamt werden Gerechte sein, sie werden das Land
erben auf ewig;" (Jes. 60, 21.) dann wird man in
Wahrheit sagen können: „Glückselig das Volk, deß Gott
Jehova ist!" (Ps. 144, 15.) — So geben uns die Zeiten Davids und Salomos einigermaßen eine Vorstellung
40 —
von dem Dienste unsers vielgeliebten Herrn, so lange Er
hienieden in der Mitte der Seinigen war, und auch während Er jetzt droben weilt, sowie von dem Glanze und
der Herrlichkeit Seines Reiches am Ende der Tage.
Doch bevor wir unsre Betrachtungen schließen, möchte
ich noch einige Bemerkungen über diese Zeit der Regierung
des Herrn auf der Erde hinzufügen.
Zunächst muß dieses Reich das Reich des Sohnes
sein. Der Sohn, und nicht der Diener, wird es erben
und aufrichten, so wie wir gesehen haben, daß der Tempel durch Salomo, und nicht durch David, erbaut wurde.
Infolge dessen wird es den Wert und die Wichtigkeit des
Sohnes haben, und das wird ihm seine Beständigkeit
und seine Freude verleihen. Seine Beständigkeit,
weil es nicht auf die Schwäche und Unbeständigkeit eines
Knechtes gegründet ist — wie geschrieben steht: „Der
Knecht bleibt nicht für immer in dem Hause" — sondern
auf die Kraft und die Treue des Sohnes; denn „der
Sohn bleibt für immer." (Joh. 8, 35.) „Himmel und
Erde werden erbeben," (Joel 3, 16.) aber dieses Reich
ist „unerschütterlich." (Hebr. 12, 28.) Seine Freude,
weil das unaussprechliche Wohlgefallen des Vaters auf
dem Sohne und auf Seinem Reiche ruhen wird. Zum
Zeugnis dieser Freude sagt Gott von dem Tempel, den
Salomo erbaut hatte: „Meine Augen und mein Herz
sollen daselbst sein alle Tage." (2. Chron. 7, 16.) Und
wie groß und herrlich wird erst die Ruhe und das Glück der
Schöpfung sein, wenn sie sich dereinst der Gunst des Vaters
erfreuen, wenn das ganze Wohlgefallen, das Er an dem
Sohne Seiner Liebe hat, sich auf alle Dinge ausdehnen wird!
Ferner wird das Reich uns überall und immer an
41
den „Mann der Schmerzen" erinnern, so wie in dem
Tempel alle Dinge von David redeten, der sie während
der Zeit seiner Arbeit und seines Dienstes aufgehäuft
halte. Der 132. Psalm ist von Anfang bis zu Ende ein 
Gebet, welches sich im Blick auf die Arbeit und die Leiden
Davids an Gott richtet. „Gedenke, Jehova," so sagt der
Psalmist, „an David, an alle seine Mühsale!" und weiterhin
ruft er aus: „Stehe auf, Jehova, zu Deiner Ruhe, Du und
die Lade Deiner Stärke! Laß Deine Priester bekleidet sein
mit Gerechtigkeit und Deine Frommen jubeln! Um Davids,
Deines Knechtes, willen weise nicht ab das Angesicht
Deines Gesalbten!" fPs. 132, 1. 8 — 10.) Die Mühsale Davids fanden so inmitten der Herrlichkeit Salomos
Erwähnung, und ebenso wird Christus als das geschlachtete Lamm inmitten des Thrones stehen. Ihm, dem
geschlachteten Lamme, das durch Sein Blut aus allen
Völkern und Sprachen solche erkauft hat, die Ihn als
Könige und Priester ewiglich umgeben werden, wird das
neue Lied, das Lied der Erlösung, ertönen. Wie unsre
verfluchte Erde überall die Spuren der Schlange trägt, so
wird die neue Erde überall die Spuren des Blutes Jesu
tragen. Die Engel, welche die vier lebendigen Wesen und die
Aeltesten umgeben, werden rufen: „Würdig ist das Lamm,
das geschlachtet ist, zu empfangen die Macht und
Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung. Und alle Kreatur, die in dem Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dein
Meere ist, und alles, was in ihnen ist, hörte ich sagen: Dem,
der aus dem Throne sitzt, und dem Lamme die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht
in die Zeitalter der Zeitalter!" (Ofsbg. 5, 12. 13.)
42
Endlich wird das Reich auch den Mittelpunkt der
Danksagung und des Lobes Gottes bilden, der diese Anbetung annehmen und für immer Sein Wohlgefallen daran
haben wird. Damals, als der Tempel vollendet, die Bundeslade unter die Flügel der Cherubim gestellt und jedes
Ding an seinen Platz gebracht war, als die Priester, die
Leviten und die Sänger sich versammelt hatten, da „geschah es, als die Trompeter und Sanger waren wie einer,
um eine Stimme ertönen zu lassen, Jehova zu preisen
und zu lobsingen .... da ward das Haus erfüllt mit
einer Wolke; das Haus Jehovas; und die Priester vermochten nicht zu stehen, um den Dienst zu verrichten, vor
der Wolke, denn die Herrlichkeit Jehovas hatte das Haus
Gottes erfüllt." f2. Chron. 5, 13. 14.) Ebenso wird in
dem Reiche alles der Ehre Gottes Platz machen, alles
wird zum Schweigen gebracht werden; nur die ewigen Gesänge der Freude und des Lobes werden ertönen. Jetzt
wird das Lob gar ost durch unsre eigenen thörichten Gedanken, durch unsre Schwachheit und unsern Unglauben gestört.
Dann aber wird nichts mehr das Lob hindern können;
unsre eigenen Gedanken werden für immer zum Schweigen gebracht sein, und nichts anderes wird gehört werden
als Lob und Dank. Der Glaube aber kann diese Dinge
heute schon genießen; darum laßt uns den Glauben festhalten und jetzt schon Gott für alles danken und im
Geiste das Lob in der Freude des Reiches beginnen!
Bald, ja bald wird das Lob der Himmel, das Lob der
Erde, das Lob der Engel und ihrer Heere, das Lob der
Könige der Erde, das Lob aller Völker, das Lob der
ganzen Schöpfung sich erheben und das Herz Dessen erfreuen, deß Name allein des Lobes würdig ist; und
43
Seine Heiligen, die Ihn lieben, Seine Völker, die Ihm
dienen, werden für immer glücklich und voll von Freude sein.
Nicht mehr lange wird es währen,
Und die'Nacht ist ganz vorbei;
Dann wird alles Dich verehren,
Und die Schöpfung selbst wird frei.
Jesus um Schutzkusten.
(Mark. 12, 41—44.)
Es ist ein sehr ernster und für uns alle beherzigenswerter Gedanke, daß Gott all unser Thun von einem
Standpunkte aus beurteilt und nach einem Maßstabe
mißt. Er würdigt alles nur, insoweit es mit Seinem geliebten Sohne in Verbindung steht. Was für Christum und
um Seinetwillen gethan wird, das allein ist köstlich vor Gott.
Alles andere, mag es einen noch so schönen Schein haben
und von den Menschen anerkannt und gelobt werden, ist ohne
Wert für Ihn. Wenn unsre Handlungen dereinst in dem
Lichte des Richterstuhls geoffenbart werden, so wird eS
sich allein um die Frage handeln, ob sie für Christum
geschehen sind, und ob die Liebe zu Ihm unser Beweggrund war. Der Maßstab, der dort angelegt wird, ist 
ein ganz anderer, wie derjenige, dessen wir uns hier gewöhnlich bedienen. Wie manches Werk, das hier groß geschienen hat, wird dort nur geringe oder vielleicht gar keine
Belohnung finden, weil wir uns selbst darin gesucht haben!
Und wie manche unscheinbare Arbeit, wie mancher geringe
Dienst, der hier unbeachtet geblieben ist, wird dort von
dem Herrn anerkannt und belohnt werden, weil die Liebe
zu Ihm der einzige Beweggrund dabei war! Diese ernste
Erwägung sollte uns sicher antreiben, unser Thun stets in
44
Seinem Lichte zu prüfen, und daran zu gedenken, daß
Er allezeit unsre Gedanken und die Beweggründe unsrer
Herzen sieht.
In welcher Weise der Herr unsern Dienst beurteilt,
wird uns in der oben angeführten Stelle (Mark. 12,41—44.)
in überaus schöner Weise gezeigt. Der Herr Jesus sitzt am
Eingänge des Tempels und sieht, wie die Eintretenden ihre
Gaben in den Schatzkasten werfen. Diese Gaben waren
hauptsächlich für die Unterhaltung des Tempels bestimmt
und gaben daher einen Maßstab dafür ab, was ein jeder
für Gott und für Sein Haus übrig hatte. „Viele Reiche warfen viel hinein," und sie sowohl wie auch alle, die es
sahen, haben sicher geglaubt, daß dem Herrn damit ein
großer Dienst geschehen sei, den Er anerkennen und reichlich
belohnen werde. Doch der Herr urteilt nicht wie der Mensch;
Er sieht tiefer. Jeder Einzelne ist vor Ihm, dem Herzenskündiger, völlig offenbar, und Sein Urteil richtet
sich nicht nach der Größe der Gabe, sondern nach der
Bereitwilligkeit des Herzens und nach der Liebe, womit
sie gegeben wird.
Unter den vielen Reichen nun kommt auch eine arme
Witwe und wirft zwei Scherflein in den Schatzkasten.
Was waren zwei Scherflein für die Unterhaltung des
Tempels? Was waren sie gegenüber den großen Gaben
der Reichen? Rach dem Urteil der Menschen so gut wie
nichts. Aber für den Herrn war diese kleine Gabe so wertvoll, ja so köstlich für Sein Herz, daß Er Seine Jünger
herbeiruft, um sie darauf aufmerksam zu machen. „Diese
arme Witwe," so sagt Er, „Hal mehr hineiugeworfen, als
alle; denn alle haben von ihrem Ueberfluß hineingeworfen;
diese aber hat von ihrem Mangel, alles, was sie hatte.
45
hineingeworfen, ihren ganzen Lebensunterhalt." Der Herr
kannte ihre Umstände; Er wußte, daß es ihr ganzer Lebensunterhalt war. Sie besaß nichts anderes, und doch
gab sie alles hin für den Herrn. Wer würde es ihr haben
verargen können, wenn sie gedacht hätte: „Ich kann nichts
für den Herrn und Seinen Tempel thun; ich habe nur diese
zwei Scherflein, die ich nicht entbehren kann; wovon soll
ich morgen leben, wenn ich heute alles hingebe? Ich möchte
ja gewiß gern etwas in den Schatzkasten werfen, aber ich muß
doch warten, bis Er mich dazu iu den Stand setzt?" Ja,
wer Hütte es ihr verargen können, wenn solche Gedanken
in ihrem Herzen gewesen wären? Aber, geliebter Leser,
sie waren nicht da. Die Liebe zu ihrem Herrn ließ solche
Ueberlegungen gar nicht aufkommeu. Sie machte die arme
Witwe bereit, rückhaltlos alles dem Herrn zu opfern, was
sie besaß. Auch ist es nicht ohne Bedeutung, daß uns gesagt wird, daß sie zwei Scherflein besaß. Wie natürlich
und erklärlich wäre es gewesen, wenn sie gedacht hätte:
„Ich will eines davon dem Herrn geben und eines für
meinen Unterhalt behalten." Und wenn sie es so gemacht
hätte, so würde selbst dann ihre Gabe wohl noch weit größer
gewesen sein, als diejenigen der Reichen. Aber nein; sie
gab sie beide; sie hatte ein ganzes Herz sür den Herrn
und für Sein Haus. Wie schön ist dieses, und wie erquickend muß es für das Herz des Herrn Jesu gewesen
sein, in dieser selbstsüchtigen Welt eine so völlige Hingebung zu sehen! Möchten auch wir mehr.dieser Witwe
gleichen und bei unsern Gaben für den Herrn und für
Sein Werk ein weites Herz haben, und nicht vergessen,
daß wir vor Seinem Auge völlig offenbar sind!
Der Grund, weshalb wir mit unsern Gaben oft so
46
karg sind, liegt darin, daß unsre Herzen den Herrn so
wenig kennen, daß wir so wenig Seine innige Gemeinschaft
suchen und unsre Herzen an der Liebe des Seinigen erwärmen. Aus demselben Grunde vermögen wir auch so
wenig, unser Leben Ihm völlig zu weihen. Aber der Herr
ist nicht mit einer halben Hingebung zufrieden; Er will
unser ganzes Herz haben. Er ist nicht zufrieden damit,
wenn in unserm äußern Leben alles in Ordnung ist, und
keiner unsrer Mitmenschen uns tadeln kann. Er läßt in
dem ersten Sendschreiben in der Offenbarung der Versammlung in EphesuS schreiben, daß Er ihre Werke, ihre
Arbeit und ihr Ausharren kenne, daß Er wisse, daß sie
um Seines Namens willen gelitten hätte. Aber obgleich
so in dieser Versammlung äußerlich alles in schönster Ordnung war, und wir sicherlich nichts zu tadeln gefunden
hätten, sah der Herr doch, daß die Herzen der Gläubigen
nicht mehr so warm für Ihn schlugen, wie im Anfang,
und darum sagte Er tadelnd: „Aber ich habe wider dich,
daß du deine erste Liebe verlassen hast. Gedenke nun,
wovon du gefallen bist, und thue Buße!" Der Herr kann
nur dann zufrieden sein, wenn Er unsre ganze Liebe
besitzt. Und in der That, Er hat Anspruch darauf. Er
hat Sein Leben für uns hingegeben, ja, alles, was Er
hatte; Er dachte nicht daran, etwas für sich zu behalten.
Wir hatten einen solchen Wert für Sein Herz, daß Er um
der vor Ihm liegenden Freude willen das Kreuz erduldete
und der Schande nicht achtete. Der Herr selbst teilt uns
dies in den Gleichnissen von dem Schatz im Acker und
von der kostbaren Perle mit. In beiden heißt es, nachdem
Er das, was Er suchte, gefunden hatte: „Er ging vor
Freude darüber hin und verkaufte alles, was
47
irgend Er hatte," nm jenen Acker oder jene kostbare 
Perle zu kaufen. Ja, der Herr gab alles hin, um uns
zu besitzen. Welch ein wunderbarer Gedanke! Er, der
Sohn Gottes, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge,
Er, der bei Gott und Gott selbst war, entäußert sich Seiner
ganzen Herrlichkeit und geht auf dieser Erde umher als
der Diener aller, um schließlich das schreckliche Gericht
Gottes über die Sünde auf sich zu nehmen und Sein
Leben zu lassen. Und sür wen that Er dies? Für wen
bezahlte Er einen so überaus hohen Preis? Nicht für
solche, die Ihn liebten und ehrten, sondern für arme, feindselige Sünder, sür den Schreiber und Leser dieser Zeilen.
Ja, Er hat in Wahrheit Anspruch darauf, daß wir uns
Ihm völlig hingeben, unser Leben Ihm völlig weihen.
Aber ach! wie wenig erfüllen die Seinigen oft diese Seine
gerechten Ansprüche! Es mag sein, daß unser Wandel ein
ordentlicher ist, daß wir unser Zusammenkommen nicht
versäumen, daß wir in unserm häuslichen und geschäftlichen Leben vor den Menschen ein gutes Zeugnis haben,
ja, daß wir bereit sind, gelegentlich auch etwas für den
Herrn zu thun — aber wie wenig ist Er der einzige
köstliche Gegenstand für unser Herz! Wie wenig können
wir mit dem Psalmisten sagen: „Wen habe ich im Himmel?
Und neben Dir habe ich an nichts Lust aus der Erde!"
Ich habe vorhin gesagt, daß die Ursache dieses Mangels
an'völliger Hingebung darin liegt, daß wir den Herrn so
wenig kennen. Der Apostel Paulus kannte Ihn so, daß
er alles sür Schaden und Dreck achtete, wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn. Es
gab nichts Köstlicheres, nichts Höheres mehr sür ihn, als
Christum mehr und mehr zu erkennen und in Ihm erfun­
48
den zu werden; und deshalb finden wir auch in ihm eine
Gesinnung, welche derjenigen des Herrn Jesu selbst entspricht. Er schreibt an die Philipper: „Wenn ich aber auch
wie ein Trankopfer gesprengt werde über das
Opfer und den Dienst eures Glaubens, so freue ich mich
und freue mich mit euch allen. Gleicherweise aber freuet
auch ihr euch und freuet euch mit mir!" (Phil. 2,17.18.)
und an die Korinther: „Ich will aber sehr gern alles
verwenden und vbllig verwendet werden für
eure Seelen, wenn ich auch, je überschwenglicher ich
euch liebe, um so weniger geliebt werde." Er suchte in
Wahrheit nichts mehr für sich selbst, sondern dachte nur
an die Verherrlichung des Herrn und an das Wohl der
Seinigen. Er war bereit, sein Leben hinzugeben, selbst für
die, deren Liebe gegen ihn erkaltet war. Welch ein Herz für
Christum, welch eine völlige Hingebung! Möchten auch wir
den Herrn so kennen, wie er Ihn kannte, damit eine solche
Gesinnung auch in uns gefunden würde! Wie viel mehr würde
der Herr verherrlicht werden, wie viel glücklicher würde auch
unser gegenseitiger Verkehr sein, und wie viel gesegneter unser
Zusammenkommen, und namentlich das Zusammenkommen
am Tische des Herrn, wenn unsre Herzen mehr mit Liebe
zu Dem erfüllt wären, der uns zuerst geliebt hat!
An Seinem Tische werden wir in besonderer Weise
an Seine Liebe zu uns und an Seine Hingabe erinnert;
dort ist daher auch vor allem der Platz, wo wir Ihm
unsre geistlichen Gaben, die Opfer des Lobes, darbringen.
Doch wie oft sind unsre Herzen selbst da mit gleichgültigen, irdischen Gedanken beschäftigt, wie oft werden unsre
Loblieder nicht von Herzen gesungen, und wie wenig
Teilnahme findet sich im allgemeinen! Kanu der Herr
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daran Seine Freude finden, kann es Sein Herz befriedigen,
wenn wir das Gedächtnismahl Seiner Liebe und Seines
Todes in der richtigen äußern Form feiern? Sicherlich
nicht. Laßt uns nicht vergessen, daß der Herr selbst nach
Seiner Verheißung gegenwärtig ist, und wie Er damals
am Schatzkasten jede Gabe kannte und beurteilte, so ist
auch jetzt an Seinem Tische jedes Herz vor Ihm völlig
offenbar. Er sieht jeden Gedanken und weiß, ob unsre
Tankgebete von Herzen kommen, und ob unsre Loblieder
der wahre Ausdruck unsrer Gefühle für Ihn sind. Wie
ernst ist dieser Gedanke! Wie manche Gabe mag da nicht
völlig erfunden werden, weil der Herr nicht der einzige
köstliche Gegenstand für das Herz ist! Wie sehr sollte
dies uns demütigen und uns autreiben, in Seiner Gegenwart unsre Herzen zu prüfen, so oft wir an Seinen
Tisch kommen!
Doch ist es nötig, daß auch im täglichen Leben ein
inniger Umgang mit dem Herrn vorhanden, und daß Er
auch da unsern Herzen köstlich sei. Denn wenn dies nicht
der Fall ist, wenn unsre Herzen im Laufe der Woche
Ihn vergessen und mit weltlichen Gedanken erfüllt sind,
so ist es unmöglich, daß wir am Tage des Herrn Ihm
wahres Lob und wahre Anbetung darbringen. Wir können
nicht am Sonntag Morgen den Zustand unsrer Herzen ändern, wie wir für unsern Leib die Alltags- mit den Sonntagskleidern vertauschen. Dem Volke Israel gebot Gott bei
der Einsetzung des Passahfestes, daß sie sieben Tagelang
nichts Gesäuertes essen sollten, und selbst in ihren Häusern durfte während dieser Zeit kein Sauerteig gefunden
werden. Dies ist auch für uns sehr beachtenswert in bezug auf das Abendmahl. Wir sollten nicht nur aus un­
50
fern Herzen, sondern auch aus unsern Häusern alles Böse
entfernen und eine innige Gemeinschaft mit dem Herrn
pflegen. Dann würde am Sonntag Morgen der Herr mit
Freude in unsrer Mitte weilen können, und unsre Gaben,
die wir Ihm an Seinem Tische darbringen, würden für
Sein Herz so köstlich sein, wie damals die Gabe der
armen Witwe.
Und sicher, wenn unsre Herzen so in inniger Gemeinschaft mit dem Herrn stehen und in Liebe für Ihn
schlagen, wird auch Sein Werk und das Wohl der Seinigen
uns nicht gleichgültig sein. Wir werden es als ein großes
Vorrecht betrachten, die Not unsrer Brüder und Schwestern,
der Hausgenossen Gottes, nach Kräften zu lindern und
den Fortgang Seines Werkes, die Ausbreitung Seiner
Wahrheit, fördern zu helfen. So wie unser Mund überfließen wird von Lob und Dank und Anbetung, wird auch
unsre Hand sich gerne öffnen, um sowohl dem Dürftigen
darzureichen, als auch das Werk des Herrn zu unterstützen.
Wir werden fröhliche Geber sein, und einen fröhlichen
Geber hat Gott lieb. Wir werden in der Ermahnung
deS Apostels: „Durch Ihn nun lasset uns Gott stets das
Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen,
die Seinen Namen bekennen. Des Wohlthuns aber und
des Mitteilens vergesset nicht, denn an solchen Opfern hat
Gott Wohlgefallen," (Hebr. 13, 15. 16.) — nicht eine
drückende, schwer zu erfüllende Vorschrift finden, sondern
mit Dank gegen Gott jede Gelegenheit benutzen, die Er
uns giebt, um Ihm solche wohlgefällige Opfer darzubringen.
Der Herr hat uns in der Geschichte von der armen Witwe
am Schatzkasten ein Beispiel vor Augen gestellt, wie auch
der ärmste Bruder, die ärmste Schwester Sein Herz erfreuen
51
kann. Er fordert nicht große Summen von dem Armen.
Er weiß, was ein jeder besitzt, und „wenn die Geneigtheit
da ist, so ist einer annehmlich, nach dem er hat, und nicht,
nach dem er nicht hat." (2. Kor. 8,12.) Die Gabe wird sich
unter allen Umständen nach der Liebe meines Herzens richten; und der Herr sieht das Herz an. Er beurteilt uns
nach Seiner vollkommenen Weisheit und Einsicht.
Der Herr gebe in Seiner Gnade, daß die ernste Und
doch so liebliche Geschichte von der armen Witwe und ihren
beiden Scherflein zu unserm Herzen rede! Möchten auch
wir ein ganzes, ungeteiltes Herz für Ihn haben und der
Worte des Apostels eingedenk bleiben: „Wer sparsam säet,
wird auch sparsam ernten, und wer segensreich säet, wird
auch segensreich ernten!" (2. Kor. 9, 6.)
Der Freund des Sünders.
Die Schrift sagt uns, daß Christus starb, „der
Gerechte für die Ungerechten." (1. Petr. 3, 18.) Gesegnete
Thatsache! Sie wird alle die endlosen Zeitalter der Ewigkeit mit Preis und Dank, mit dem Jubel der Erlösten
erfüllen. Sie ist die Grundlage aller Segnung und aller
wahren Freude. Sie allein giebt dem bangen, zagenden
Herzen Ruhe und bringt die Anklagen eines erwachten
Gewissens zum Schweigen. Sie allein erfüllt die Seele
des Gläubigen mit unerschütterlichem Frieden und giebt
ihm Kraft, hinfort ein Leben zur Ehre Gottes zu führen,
zu wandeln, wie Christus gewandelt hat.
Die Liebe Christi ist unergründlich und unermeßlich.
Da nichts anderes imstande war, die Gerechtigkeit Gottes
52
zu befriedigen, da Stier- und Bocksblut die Forderungeu
eines heiligen Gottes nicht befriedigen und deshalb auch
Sein Wohlgefallen nicht finden konnten, so sagte Er: „Siehe,
ich komme, um Deinen Willen, o Gott, zu thun!" Da
nichts anderes den Sünder zu retten vermochte, da Sein
Tod, ja. Sein Tod am Stamme des Kreuzes, nötig war,
um den Sünder seinem Verderben zu entreißen und aus
der Macht Satans loszukaufen, so ging Er, stumm wie
ein Lamm vor seinen Scherern, hin nach Golgatha und
„schüttete Seine Seele aus in den Tod." (Jes. 53.).Welch 
eine unvergleichliche Liebe und Güte! Der Vater sandte den
Sohn als Heiland der Welt, und der Sohn kam freiwillig,
um den Vater vollkommen zu verherrlichen und uns von
aller Ungerechtigkeit und Sünde zu erlösen.
In Joh. 10, 17 lesen wir die Worte: „Darum liebt
mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf
daß ich es wiedernehme." Wie vollkommen ist die Liebe
Gottes, die Liebe Christi Jesu, unsers Heilandes, nach
jeder Seite hin! Wir mögen sie betrachten, von welchem
Gesichtspunkt wir wollen — sie ist immer gleich schön und
herrlich. Gottes Liebe offenbarte sich darin, daß Er Seines
eingebornen Sohnes nicht schonte, sondern Ihn für uns
alle dahingab; und die Liebe Christi, des guten Hirten,
zeigte sich in Seiner freiwilligen Opferung. Er konnte sagen:
„Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte läßt sein Leben
für die Schafe." Ja, Er starb für uns, als wir noch
gottlose Sünder und Feinde Gottes waren. Der Fürst
des Lebens schmeckte die Bitterkeit des Todes; Er, der
sich selbst „das Leben" nennen konnte, stieg ins Grab hinab.
Seine Seele wurde zum Schuldopfer gestellt. (Joh. 53,10.)
Er trug unsre Sünden an Seinem eignen Leibe auf das
53
Holz. Er liebte uns und gab sich selbst für uns dahin,
als ein Opfer lieblichen Wohlgeruchs vor Gott.
Ist das nicht eine wunderbare Gnade, mein Leser?
Hast du jemals über die tiefe Bedeutung der Worte nachgedacht: „Jehova gefiel's, Ihn zu zerschlagen, Er hat
ihn gekränkt?" oder auch jener Stelle: „Ihn, der Sünde
nicht kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht, aus
daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm?" Hat jemals eine Ahnung deine Seele durchzogen, welche Schrecken
das Herz des Geliebten erfüllt haben müssen,.als Erdort
am Kreuze ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast
Du mich verlassen?" Wenn nicht, so stehe heute still
und versenke dich in diese kostbaren Geheimnisse einer erlösenden Liebe! Bedenke, daß der Zweck des ganzen Heilsplanes Gottes und des Werkes Seiner Liebe nichts anderes war, als die Errettung des Sünders! Gott haßt die 
Sünde, aber Er liebt den Sünder. Er ist ein Feind
alles Bösen, aber ein Freund des Sünders.
Nichts wird in der Schrift klarer gelehrt, als die 
Notwendigkeit des Todes Christi, ja, Seines Todes am
Kreuze zu unsrer Erlösung. Ein jeder, der die Gnade
Gottes schon an seinem eignen Herzen erfahren und durch
den Glauben an Christum Frieden und Vergebung gefunden hat, weiß dieses. Unser gepriesener Herr sagte zu
Nikodemus: „Gleichwie Mose in der Wüste die Schlange
erhöhte, also muß der Sohn des Menschen erhöht werden."
Es gab keinen andern Weg zur Befriedigung der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit und zur Errettung des
Sünders. Auch hören wir aus dem Munde des Herrn bei 
einer andern Gelegenheit die Worte: „Das Brot aber,
das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben
54
werde für das Leben der Welt;" und: „Wenn nicht das
Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein;
wenn es aber stirbt, so bringt es viele Frucht." (Joh. 3,
14; 6, 51; 12, 24.) Ein lebender Christus konnte unmöglich den Sünder retten und aus den Banden der Sünde
und des Todes befreien. Um die Sklavenketten Satans
zu brechen und die Pforten des Hades zu sprengen, mußte
Er sterben und wieder auferstehen.
Wie gesegnet ist daher die göttliche Thatsache, daß
Christus für die Ungerechten, für Gottlose und Sünder
gestorben ist! Er ist der Freund des Sünders und ladet
alle Mühseligen und Beladenen ein, zu Ihm zu kommen
und bei Ihm Ruhe zu finden für ihre Seelen. Er, der
als der Träger unsrer Sünden sterben mußte, konnte
unmöglich von dem Tode behalten werden. Sein Fleisch
hat die Verwesung nicht gesehen. Nachdem das Werk der
Erlösung vollbracht und Gott vollkommen verherrlicht war,
ist Er „durch die Herrlichkeit des Vaters" aus den
Toten auferweckt worden, und Er sitzt jetzt zur Rechten
Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Und das ist
der glorreiche Beweis, daß die Gerechtigkeit Gottes vollkommen befriedigt ist, daß alle die Forderungen Seiner
Heiligkeit erfüllt und alle Ihm willkommen sind, dte in
einfältigem Vertrauen auf das Blut Jesu Seinem Throne
nahen.
Und nun, mein Leser, was ist dieser Jesus für dich?
Hast du Ihn als deinen Freund kennen gelernt? Hast
du an deinem eigenen Herzen erfahren, was Sein Tod
und Seine Auferstehung für den verdammungswürdigen
Sünder bedeuten? Haft du deine Zuflucht zu Ihm genommen, der als der Auferstandene und Verherrlichte jetzt als
20
der einzige Grund deiner Hoffnung dir vor Augen gestellt
wird s Hast du Frieden gefunden in dem Glauben an Sein
kostbares Blut? Bedenke, daß niemand zum Vater kommt,
als nur durch Ihn, daß Er die einzige Thür zur
ewigen Errettung ist. Und vergiß nicht, daß der Augenblick nahe ist, wo Er nicht mehr als der Freund des
Sünders Seine liebliche Einladung ergehen lassen wird,
sondern wo Er als der gerechte Richter einem jeden
gegenüberstehen wird, der die Zeit der Gnade versäumt
hat. Der Richter steht vor der Thür! Wie willst du dem
kommenden Zorn entfliehen, wenn du eine so große Errettung vernachlässigst? Darum verhärte dein Herz nicht
länger, sondern eile heute noch zu Jesu! Denn heute
ist der Tag des Heils, heute ist die Zeit der Annehmung.
Es ist Freude im Himmel, Freude vor den Engeln, ja,
Freude in dem Vaterherzen Gottes, wenn ein Sünder
Buße thut. Gott will nicht den Tod des Sünders,
sondern daß er sich bekehre und lebe.

„Liehe, ich komme bald!"
(Lffbg. 22.)
Die finstre Nacht ist bald entfloh'n;
Der Morgen graut, es dämmert schon.
Wohl manches Ohr den Ruf vernahm:
Steht auf! es naht der Bräutigam !
Wacht auf! wacht auf! Er ist nicht fern,
Bald leuchtet auf der Morgenstern.
Dein Jesus ist's; Sein süßer Mund
Thut dir die frohe Botschaft kund:
„Ich komme bald! — Glückselig ist,
56
Wer's hört und nimmermehr vergißt!"
Wacht auf! wacht auf! rc.
Es ruft der Geist, es ruft die Braut,
Und wer es hört, der rufe laut:
„Herr Jesu, komm! wir warten Dein,
O komm und führ' uns bei Dir ein!"
Wacht auf! wacht auf! re.
Und wen da dürstet, komme doch,
Und wer da will, der nehme noch
Das Lebenswasser, hell und klar!
Umsonst reicht es die Liebe dar.
Wacht auf! wacht auf! w.
Jetzt ruft Er noch: „Kommt her zu mir!"
Weit offen steht die Gnadenthür'.
Bedenk', o Seele, wer es ist:
Der gute Hirte, Jesus Christ!
Wacht auf! wacht auf! w.
O, hört's doch, Sünder, groß und klein!
Warum wollt ihr verloren sein? —
Daß nicht der Richter zu euch spricht:
„Geht hin von mir, ich kenn' euch nicht!"
Wacht auf! wacht auf! w.
O, Jesu, Dir sei Preis und Dank!
Du liebst so treu, Du harrst so lang,
Bis Deine Glieder allzumal
Gerettet sind, bis voll die Zahl!
Und dann erscheinst Du uns zur Freud'
Und führst uns ein zur Herrlichkeit.
Die Welt vor der Flut.
Das erste Buch Mose hat stets eine große Anziehungskraft auf seine Leser ausgeübt, und dies hat wohl hauptsächlich seinen Grund in der Einfachheit der Erzählungen
desselben. Das menschliche Leben wird hier in seiner Kindheit und in noch völlig ungekünstelter Form dargestellt;
die Scenen sind familiär, die Sitten einfach und die Zustände so, wie sie durch die Familienpflichten und Neigungen
gebildet wurden. Und gerade das ist es, was dieses Buch
zu einer so reichen Quelle der Freude für das Herz macht.
Wir fühlen uns von den einfachen, ja, oft rührenden Bildern mächtig angezogen. Die Frau eines reichen Mannes,
der seine Knechte nach Hunderten, und seine Herden nach
Tausenden zählte, knetet Kuchen für den Wanderer; und
die Tochter eines andern, ebenfalls reichen Mannes wird
von Fremden beim Tränken der Herden ihres Vaters
angetroffen, ohne daß sie sich irgendwie veranlaßt fühlte,
ein Wort zu ihrer Entschuldigung zu sagen.
Doch fehlte es bei allem diesem durchaus nicht an
wahrem Anstande; die Ehrerbietung, welche man allen
Menschen und vor allem dem Alter schuldig ist, wurde
ebensowohl verstanden, wie die Liebe zu Freunden und
Verwandten.. Obgleich einfach und kunstlos, war es doch
kein rohes Leben, sondern durch einen Einfluß gekennzeichnet und bestimmt, der das Leben in Wahrheit bilden und
58
zieren kann; und dieser Einfluß war die Kenntnis Gottes.
Obwohl jenen ersten Zeiten der Fortschritt und die sogenannten Verfeinerungen und Verbesserungen der Zivilisation völlig unbekannt waren, so waren die Zustände
doch nicht roh, und dies, wie schon gesagt, deshalb, weil
die Kenntnis von Gott vorhanden war. Die Hand Gottes
wurde gefühlt, während die Begriffe des verfeinerten Lebens weder Zeit noch Gelegenheit gehabt hatten, das Bild
zu zieren oder zu beschmutzen.
Die Sitten jener frühesten Tage der menschlichen
Geschichte mögen daher wohl hie und da etwas eigentümlich erscheinen, aber sie sind äußerst anziehend für einen
einfachen Sinn. Es mag vielleicht heutzutage manchem
sonderbar vorkommen, wenn er von einer vertrauten
Freundschaft zwischen einem Herrn und seinem Knechte
liest. Aber obwohl eine solche Freundschaft z. B. zwischen
Abraham und Elieser bestand, so wurden trotzdem die 
Rechte und Pflichten des gegenseitigen Verhältnisses gewissenhaft beobachtet. Ferner mag man es heute für geradezu unverantwortlich halten, wenn der zukünftige Mann
einer der Töchter des Hauses, oder gar der Schwiegersohn selbst, wie bei Laban und Jakob, die Herden der
Familie gegen Lohn hüten sollte. Dennoch lag in diesem
allem nichts, was die gute Sitte irgendwie verletzen könnte.
Was jedoch diesem Buche noch mehr Anziehungskraft
und Interesse für uns giebt, ist dieses, daß der Herr
selbst darin gesehen wird, und zwar in einer Weise, wie
sie jenen einfachen und ursprünglichen Zuständen angemessen
war. So wie die Erzählungen des Buches einfach und
schmucklos sind, so ist auch die Handlungsweise Gottes. Er
benutzt keine Propheten, sondern thut persönlich Seinen
59
Willen kund; und selbst wenn Er Engel gebraucht, so
sind diese mehr Seine Begleiter, als Seine Boten. Bei der
Kühle des Tages wandelt Er im Garten Eden; auf dem
Felde unterhält Er sich persönlich mit Kain; Er kommt
herab auf das Geschrei von Babel und Sodom, um sich
zu überzeugen, ob die Zustände wirklich so schlecht und
böse sind, wie Ihm berichtet worden ist. Immer wieder
erscheint Er in vollkommener und persönlicher Vertraulichkeit dem Abraham, Isaak und Jakob, indem Er ihr Vertrauen erweckt, Seinem Mißfallen über dieses oder jenes
Ausdruck giebt und ihnen Seine Pläne und Gedanken
offenbart. Und obgleich in dem weitern Verlaus des Buches
diese Handlungsweise ein wenig nachläßt, so wird sie doch
in gewissem Sinne bis zum Ende hin beibehalten, selbst
da, wo wir es am wenigsten erwarten sollten; denn auch
Königen, die nicht aus dem Stamme Abrahams waren,
erschien Jehova-Gott in den Träumen der Nacht, und
erinnerte sie an ihre Pflichten, oder stellte ihnen ihre Gefahren vor.
Der Dienst der Propheten fand also zu jener Zeit
noch keinen Raum; derselbe würde zu fernbleibend, zu
zurückhaltend gewesen sein. Auch geschah die Mitteilung
des göttlichen Willens nicht durch den Heiligen Geist, oder
durch Eingebung, wie es später gewöhnlich geschah, sondern durch die persönliche Dazwischenkunft Gottes, sei es
in einem Gesicht, oder in einem Traume, oder auf dem
noch näheren Wege der Annahme menschlicher Gestalt und
Eigenschaften von feiten Gottes; und zwar stellte sich Gott
nicht in einer sinnbildlichen Kleidung dar, wie später bei
Jesaja , Daniel oder Johannes, sondern wie einer, der
einen Menschen an seinem Wohnort und in seinen Um­
60
ständen besucht. Wie ein Wanderer, der Gastfreundschaft
bedarf, ißt Er mit Abraham Fleisch und Kuchen in der
Thür seines Zeltes; wie ein Mensch mit seinem Genossen
eine Streitsache ausficht, so kämpft und ringt Er mit
Jakob.
Dieselbe Handlungsweise Gottes sehen wir auch bei
Noah. Gerade wie es bei uns der Fall sein würde, wird
Sein Herz bewegt durch das, was Er sieht, und gerade
wie wir es thun würden, geht Er mit sich zu Rate, wie
Er sich verhalten soll. Er sah, „daß des Menschen Bosheit groß war auf Erden, und es schmerzte Ihn in Sein
Herz hinein," und dann spricht Er: „Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde."
Und nachdem Er Seinen Entschluß gefaßt hat, teilt Er
ihn dem Ohr, dem Herzen und dem Mitgefühl eines Andern mit. So ging der Herr mit Noah um, wie ein 
Mensch mit seinem Freunde. Er handelte gerade, wie wir
handeln würden; denn auch wir lieben eine solche vertraute
Freundschaft. „Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen," sagte Er zu Noah, indem Er ihm erzählte,
was in Seinem eignen Herzen vorgegangen war, und
später, in den Tagen der Wasserflut als die Arche anfing,
über der Stätte des Gerichts zu schwimmen, schloß der
Herr in derselben gnädigen und freundschaftlichen Weise
eigenhändig hinter ihm zu.
Das war innige Vertraulichkeit, das war lebendige,
fühlbare Nähe Gottes Seinem Geschöpf gegenüber; und
alles das steht in völliger Uebereinstimmung mit Seinen
gewöhnlichen Handlungen und Mitteilungen in diesem
Buche. Die Herrlichkeit hatte ihren Platz noch nicht hinter
dem Vorhang genommen und sich noch nicht zwischen den
61
Cherubim niedergelassen. In dieser Verbergung offenbarte
sich Majestät und Größe, sowie die unnahbare Heiligkeit
Gottes, wie dies einer geordneten Haushaltung angemessen
war; aber in den Zeiten, mit welchen wir jetzt beschäftigt
sind, waren die Dinge noch ungeregelt und ohne eine bestimmte Ordnung, und dementsprechend war der Herr in
Person da, wann und wo die Gelegenheit es erforderte.
Auf solche Art also offenbart sich Gott in diesem
herrlichen Buche, das eben so göttlich ist, wie jeder andre
Teil des Wortes, und wir haben viel Ursache, den Herrn
zu preisen, daß Er unsern Herzen ein solches Buch geschenkt hat. Wir sind nicht immer für die höheren Dinge
empfänglich; wir können sie nicht zu jeder Zeit erreichen,
oder der Aufforderung, in die himmlischen Oerter hinaufzusteigen, Folge leisten. Aber der Heilige Geist ist unsrer
Schwachheit zu Hülfe gekommen und hat für dieselbe Vorsorge getroffen. Die Schrift bietet unsern Seelen reiche
Abwechslung dar; was wir bedürfen, ist nur Geschmack
und Appetit, sowie eine heilige Freude an den Dingen
Gottes, seien es nun die Dinge der „Kinder" oder der
„Väter," sei es Milch oder feste Speise.
Ich möchte indessen noch auf eine andere Sache in
diesem Buche aufmerksam machen. In jenen Zeiten, oder,
wie der Apostel sagt: „von Adam bis auf Moses," gab 
nicht das Gesetz dem Zustande des Volkes Gottes ein 
bestimmtes Gepräge. Adam stand in Eden unter einem
Gebot, und die Kinder Israel besaßen das Gesetz, nachdem
sie am Berge Sinai gewesen waren. Anders verhielt es
sich mit den Geschlechtern von Adam bis auf Moses; die
Sünde war in der Welt, aber kein Gesetz. (Röm. 5,13.14.)
Es fehlte sogar beinahe jede moralische Vorschrift und Un­
62
terweisung. Wohl gab es manche Offenbarungen des Willens
und der Pläne Gottes, und unter der Leitung des Geistes
wirkten diese Offenbarungen aus den Charakter und das
Betragen der Gläubigen und regelten ihren Willen und
ihre Wege — das Böse wurde von ihnen gefühlt und
durch Gott verurteilt; aber es war keine geschriebene Richtschnur über Recht und Unrecht vorhanden. Ohne daß ein
Gesetz gegen den Mörder gegeben gewesen wäre, wird
Kain vertrieben; ohne ein fünftes Gebot wird Ham gestraft wegen der Schmach, die er seinem Vater angethan
hatte. Ebenso wird Jakobs Betrug, sowie die schlechte
Handlungsweise der Brüder Josephs, von dem Herrn heimgesucht und geahndet. Und ohne das Licht irgendwelcher
Vorschrift kann die Seele eines Heiligen der Versuchung
mit den Worten begegnen: „Wie sollte ich dieses große
Uebel thun und wider Gott sündigen?"
Alles das fand statt, obgleich, wie gesagt, weder ein 
Gesetz noch eine moralische Unterweisung gegeben war. Die
Art und Weise, in welcher Gott sich dem Glauben offenbarte, bildete unter der Leitung des Geistes den Charakter
der Patriarchen. Abraham besaß keine Anweisung betreffs
seines Altars und seines Zeltes, aber seine Berufung von
feiten Gottes durch den Geist leitete ihn im Blick auf
beides. Keine Vorschrift forderte seine hohe und edelmütige Behandlung Lots, aber sein Glaube und seine
Hoffnung auf Gott gaben sie ihm ein und verlangten sie.
Ohne eine Richtschnur für den betreffenden Fall leitete
ihn seine Kenntnis Gottes und die Gesinnung Christi, die
in ihm war, sich von dem Streit der Könige fern zu halten, aber dann, sobald sein Verwandter ein Gefangener
war, zu seiner Befreiung aufzubrechen. Kein Wort, kein
63
Ausspruch Gottes unterschied für ihn zwischen dem Könige
von Salem und dem Könige von Sodom, aber das Licht,
das er besaß, leitete ihn in seinem Verhalten. Wir könnten noch manche andre Begebenheit, die uns das 1. Buch
Mose erzählt, durchgehen und würden überall dieselben
Dinge finden. Das heilige Urteil der Gesinnung, die in
jenen Männern war, gab ihnen unter der Leitung des
Geistes ihr Verhalten ein, und zwar vermittelst der Offenbarung, Verheißung und Berufung Gottes. Dies ist stets
schön, so oft wir wahre Beispiele oder Beweise davon
finden.
Das also sind die besonderen Kennzeichen dieser
frühesten Tage, des Kindes-Alters unsrer Geschichte, sowie
des kostbaren Buches, in welchem sie für uns ausgezeichnet
stehen; und diese früheste Methode in den Wegen des
Herrn wird auch die letzte und bleibende sein. So wie
Gott in jener Zeit, wie wir gesehen haben, in menschlicher
Gestalt wirksam war, indem Er persönlich auf den Schauplatz trat und die innigsten Beziehungen zu Seinen Geschöpfen suchte, so wird es auch später sein, wenn die
Zeitalter ihren Lauf vollendet haben: Gott, geoffenbart
im Fleische, wird für immer gegenwärtig sein. Und so
wie in jenen Tagen die Gegenwart Gottes nicht als etwas
Fremdes betrachtet wurde, oder als etwas, das nicht zu
der Erde paßte oder nicht zu den Menschen gehörte —
die göttliche Gnade wurde so zu sagen frei gegeben und
arglos empfangen — so wird auch am Ende in den
Tagen der tausendjährigen Herrlichkeit Jehova-Gott wieder
persönlich auf dem Schauplatz erscheinen; der Himmel
wird geöffnet sein, und die Engel GotteS werden auf- und
niedersteigen auf den Sohn des Menschen.
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Gehen wir jetzt zu einer etwas näheren Betrachtung
der fünf ersten Kapitel des 1. Buches Mose über, welche
uns eine Schilderung geben von den vorsündflutlichen
Zeiten, oder von der „Welt vor der Flut," wie man sie
auch nennt.
Das Ganze beginnt selbstverständlich mit dem Werk
der Schöpfung. Ich gehe hier nicht näher auf dasselbe
ein, aber durch den Apostel belehrt, können wir sagen, daß
nur der Glaube dieses große Werk von dem richtigen
Gesichtspunkt aus betrachtet. Der Glaube stellt Gott über
alles, was geschaffen ist, oder gesehen wird. „Durch
Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort
bereitet worden, so daß das, was man sieht, nicht aus
Erscheinendem geworden ist." (Hebr. 11, 3.) Der Glaube
ist der einzige Grundsatz in der Seele, der Gott auf eine
würdige Weise behandelt. Gott bewohnt „ein unzugängliches Licht." Der Glaube erkennt dies an; die Weisheit
der Menschen aber möchte in dieses unzugängliche Licht
eindringen, um Gott zu sehen und zu prüfen. Gott hat
große Dinge von sich gezeigt, aber der Glaube weiß,
daß „keiner der Menschen Ihn gesehen hat, noch sehen
kann;" (1. Tim. 6, 16.) er freut sich über alle Seine
Offenbarungen, aber er maßt sich niemals an, Seinen
Wohnplatz im Licht prüfen zu wollen.
Das zweite Kapitel stellt uns den Menschen, der in
dem Bilde Gottes geschaffen ist, in seinem Zustande im
Garten Eden vor Augen. Alles war ihm dort unterworfen, alles war für ihn da. Er besaß Nahrung für
alle die Bedürfnisse und Wünsche seiner Natur, und alles,
was er nur begehren konnte, war in Fülle vorhanden.
Indes war der Mensch nicht allein zum Empfangen, son­
65
dern auch zum Mitteilen geschaffen, und das ist immer
ein notwendiger Zug in dem Glück einer Seele, die sich
in einem guten Zustande befindet. Adam war ebenso
wichtig für den Garten, wie der Garten für ihn; er hatte
ihn „zu bauen und zu bewahren." Er sah in seinem
Wohnplatz die Quelle eines fruchtbaren Stromes, der
Leben und Erfrischung über die ganze Erde verbreitete.
Zugleich hörte er die Stimme eines Herrn, aus dessen
Munde das Gebot kam: „Von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen." Aber
dies war kein Eingriff in die Rechte Adams, kein Mißklang für sein Ohr. Gott will und kann Seine Ehre
keinem andern geben, und ein richtig denkendes Geschöpf
muß sich darüber freuen, daß es so ist. Alles stand in
Eden in vollkommner, schöner Harmonie, und das Teil
des Menschen war eine beständige Glückseligkeit.
Um jedoch seine Lage noch zu vervollkommnen, bereitete Gott für ihn einen Tag der Krönung und einen
Tag der Vermählung. In allen diesen Dingen können
wir eine bestimmte Ordnung erkennen. Zuerst geht der
Herr mit sich selbst zu Rate betreffs der Vermählung
Adams. Dann führt Er ihn auf den Schauplatz seiner
Herrschaft; Er bringt „alles Getier des Feldes und alles
Gevögel des Himmels zu dem Menschen, um zu sehen,
wie er sie nennen würde; und so wie der Mensch jede
lebendige Seele nennen würde, das sollte ihr Name sein."
So bekleidet ihn Gott mit Herrschaft, indem Er ihn zum
Herrn der Erde und ihrer Geschöpfe macht. Zuletzt bereitet Er
eine Hülfe für ihn und stellt ihm Eva vor. Das ist die Reihenfolge dieser Ereignisse — eine Reihenfolge, die einen
heiligen und wichtigen Sinn in sich schließt. Es ist nicht
66
die einfache Aufeinanderfolge von unter sich unabhängigen,
in keiner Verbindung stehenden Thatsachen. Es ist, so zu
sagen, der Entwurf eines großen Meisters. Denn es
giebt, wie wir wissen, ein Geheimnis, welches „verborgen
war in Gott," einen „Vorsatz, den Er gefaßt hat" vor
Grundlegung der Welt, Sein Geheimnis; (Eph. 3.) und
hiervon ist diese Vermählung im Garten Eden das Vorbild. (Eph. 5.) Demgemäß bereitet der Herr in den
Gedanken Seines Herzens die Hülfe für Adam, bevor
Er ihn in seine Herrschaft einführt. Der Vorsatz, der das
höchste Maß der Freude für Adam enthält, wird zuerst
gefaßt. Die Hülfe an seiner Seite, die Eine, welche
„seines Gleichen" war, seine Gefährtin, sollte für ihn
mehr sein, als alles andere; und daher bildete ihre Darstellung den ersten Gedanken in dem Herzen des Herrn.
Er erwog es und sprach darüber mit sich selbst. Die
Verleihung der Herrschaft wurde zu gleicher Zeit beschlossen und ausgeführt, aber über das Verschaffen einer
Hülfe für Adam wurde vorher beratschlagt und gesprochen.
Das ist der Weg, den die Liebe einschlägt. Wir
wissen es aus eigner Erfahrung, wie wir gern über das
nachsinnen, was das Glück von jemand, den wir lieben,
ausmacht. Aber wie köstlich und bedeutungsvoll ist alles
das für unsre Herzen! Müssen wir nicht bewundernd ausrufen: „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben
hat?" Auch Adam erkannte dies an. „Dieses Mal ist es
Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem
Fleische," sagte er, als er das Weib aus der Hand Gottes
empfing, indem er so bekannte, daß jetzt alles vollständig
war. Die Schlange mochte ihm nachher zuflüstern, daß
es sich anders verhalte, aber sie log. In jenem ganzen
— 67 -
Zustande gab es nicht einen Fehler, nicht einen Flecken,
nichts, was nicht an seinem Teil beigetragen hätte, Adam
zu segnen; nichts fehlte ihm, was für ein Geschöpf von
Segen sein kann.
Aber wegen all dieser Segnungen beneidete ihn sofort der große Widersacher Gottes und des Menschen,
dessen Lust es ist, die Werke Gottes, soweit es in seiner
Macht steht, zu zerstören und den Menschen ins Verderben
zu stürzen. Gott erlaubte ihm, in den Garten einzutreten; denn das Geschöpf sollte auf die Probe gestellt
und seine Stärke versucht werden. Und ach! wir wissen,
was das Resultat war; alles um uns her verkündet laut
den Sieg des Versuchers, der Schlange, die „listiger war
als alles Getier des Feldes." Wir brauchen nicht zu
sagen, wer diese Schlange war; es war der Teufel, der
Satanas. (Vergl. Offbg. 12, 9; 20, 2.)
In dem dritten Kapitel unsers Buches, in welchem
uns der Fall des Menschen mitgeteilt wird, finden wir
„die gegenwärtige, böse Welt," sowohl in ihrem moralischen Zustande, als auch in ihren Umständen. Die Welt,
wie sie jetzt ist, ist aus dem Abfall Adams hervorgegangen;
ihr Charakter und ihre Lage haben sich durch jene große
That der Empörung so gestaltet, wie wir sie heute um uns
her erblicken. Es ist sehr bemerkenswert, zu sehen, wie die
drei Hauptgrundsätze der Welt — „die Lust des Fleisches,
die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens" — in
dem Herzen des Weibes zu wirken beginnen, sobald sie
auf die Worte des Teufels lauscht. Die Seele, die Gott
aufgiebt, muß einen andern Herrn und andere Hülfsquellen haben; und diese findet sie dann in der Welt.
Die Welt hat kein Vertrauen auf Gott, sie hat nichts,
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was sie mit Ihm verbindet, nichts, was ihr Ruhe in
Ihm giebt, sie hat keinen Sinn für Seine Liebe und
Wahrheit. So ist sie gewesen seit jener Stunde, in welcher
der Mensch dem Ankläger Gottes sein Ohr lieh, und deshalb hat sie andere Gegenstände des Genusses ausfindig
gemacht.
Zugleich trat infolge der Sünde das Gewissen ins
Dasein. „Und es wurden ihrer beider Augen aufgethan, und
sie wurden gewahr, daß sie nackt waren." Und dieses
Gewissen war damals, wie es bis zur heutigen Stunde
ist, ein unruhiges Gewissen, ein Gewissen, welches aus
allen, die es besitzen, Feiglinge macht. „Ich fürchtete
mich," sagt Adam, unfähig, Gott anzusehen, „denn ich
bin nackt." Das Gewissen im Menschen muß diese Eigenschaft haben, denn es verdankt sein Dasein der Sünde.
Adam besaß keine Erkenntnis des Guten und Bösen, bis
er sündigte, und die auf diese Weise erlangte Erkenntnis
mußte ihn in der Gegenwart des heiligen und gerechten
Gottes zu einem Feigling machen.
Unwillkürlich machten sich Adam und Eva Schürzen;
und so macht es der Mensch heute noch. Unser schuldiger
Zustand läßt uns selbst unsre Mitmenschen meiden; wir
können selbst vor ihnen keine Prüfung aushalten. Wer
Augen hat, zu sehen, kann täglich und stündlich dieses unausgesetzte Streben des Menschen wahrnehmen, einer völligen Beobachtung zu entgehen. Die Schürzen werden
immer noch ersonnen, und sowohl die Religion in ihrer
heutigen Richtung, wie auch die Regeln und Grundsätze
der menschlichen Gesellschaft erlauben und unterstützen dies.
Aber die Gegenwart Gottes ist etwas ganz anderes, als
die Gegenwart unsrer Mitmenschen. Keine Ceremonien
69
und guten Sitten, keine Regeln, welche die gesellschaftliche
Ordnung aufrecht zu halten bestimmt sind, werden jene
Gegenwart auch nur für einen Augenblick erträglich machen;
alles das wird sich als Eitelkeit erweisen. Denn „alle
sind abgewichen und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes."
Sobald nur das Gewissen den Tritt Seiner Füße oder
den Klang Seiner Stimme im Garten hört, werden alle
jene Dinge, selbst alle religiösen Erdichtungen, vergehen
wie Dunst, und nichts als Furcht und Schrecken wird zurückbleiben. Jene Dinge können weder Zutrauen zu Gott
geben, noch den Zustand des Herzens ändern. Trotz seiner
Schürze verbirgt sich Adam unter den Bäumen des Gartens. Verstehst du, mein Leser, die überaus wichtige und
ernste Lehre, die hierin für einen jeden liegt?
Aber bei aller Furchtsamkeit ist doch auch noch Trotz
vorhanden. „Das Weib, das Du mir beigegeben hast, die
gab mir von dem Baume." Der Mensch legt das Unheil
Gott zur Last; er sagt gleichsam: Möge Gott zusehen! 
das Weib ist Sein Geschöpf, und Er ist es, der sie mir
gegeben hat. — Welch eine seltsame und schreckliche Verbindung: ein trotziges Herz, das Gott die Schuld giebt,
und dabei ein feiges Gewissen, das unfähig ist, Ihm zu
begegnen! Der Sünder mag prahlen und großthun, er
mag über Gott und seine eigne Lage streiten, oder Worte
und Beweisgründe ersinnen, so gut wie Schürzen; aber trotz
allem, womit er sich umgeben mag, wird er, wie Adam, sich
vor sich selbst schämen und vor Gott fürchten. Der Mensch hat
Gott beleidigt und flieht Ihn; er beschuldigt Ihn, und doch,
während er dieses thut, fürchtet er sich, Ihm ins Angesicht zu schauen. Alles dieses zeugt wider seinen Willen
gegen ihn. „Aus deinem Munde werde ich dich richten,"
70
braucht der Herr nur zu sagen, und der Mensch wird,
wie der böse Knecht in dem Gleichnis, verstummen.
Das also war der moralische Zustand Adams, und
so ist die menschliche Natur auch heute noch. Aber wie
sah es mit seinen äußeren Umständen aus? Genau so
wie es bei dem Menschen bis auf diese Stunde aussieht.
Im Schweiße seines Angesichts mußte er da, wo Dornen und Disteln wuchsen, sein Brot gewinnen und im
Kummer seines Herzens davon essen. Und das Weib sollte
ebenfalls mit Schmerzen Kinder gebären, und das alles
so lange, bis sie beide wider zur Erde zurückkehrten, von
der sie genommen waren. Auf diese Weise lebt der Mensch
heute noch, außerhalb des Gartens, in Kummer und Beschwerde. Ein angenehmes, ruhiges Leben und ein fruchtbarer Erdboden sind nicht sein Los; er muß vielmehr mit
Dornen und Disteln, einem unfreundlichen, widerstrebenden
Boden, und mit einem Leben voller Kampf und Mühseligkeit zufrieden sein.
Gott allein steht über dieser Flut des Elends, welche
über den Menschen hereingebrochen ist, und zwar mit
einer Macht, die imstande ist, selbst hieraus Gutes hervorgehen zu lassen; denn die Erlösung ist weit mehr, als
die Heilung des durch die Sünde verursachten Schadens,
oder die Befreiung einer befleckten und ruinirten Schöpfung.
Als die Sünde kam, war Gott, menschlich gesprochen, schon
darauf vorbereitet, ihr durch Anordnungen zu begegnen,
die vor Grundlegung der Welt festgesetzt waren. Dies zeigt
uns Sein erstes Wort zu der Schlange: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem
Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihm die Ferse zermalmen."
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Hier zeigt sich der große Heilsplan Gottes in bezug
auf uns. Der verheißene Same des WeibeS ist die gesegnete Vorsorge, welche Gott für den dem Tode und
Verderben verfallenen Menschen getroffen hat, gegenüber
aller Bosheit und Wut des Feindes. Allerdings konnten
die Ratschlüsse der erlösenden Liebe nur ausgeführt werden auf Kosten des Lebens des Sohnes Gottes — denn
die Schlange sollte Seine Ferse zermalmen; aber trotzdem
sollte Er einen herrlichen Sieg erringen, Er sollte der
Schlange den Kopf zertreten.
Dieselbe frohe Botschaft, welche in jener ersten Verheißung angesichts des Teufels selbst angekündigt wurde, ist
in den letzten Tagen durch den Apostel angesichts der Menschen und der Engel gepredigt worden. (Gal. 1, 8.) Dieses herrliche Evangelium ist immer dasselbe; es ist „das
Zeugnis Gottes, das Er gezeugt hat über Seinen Sohn."
(1. Joh. 5, 9.) Es ist das Evangelium von dem zermalmten und doch siegreichen Samen des Weibes, an dessen
herrlichem und vollkommenem Plane der Mensch keinen
Anteil hat. Adam hatte nur zu hören, zu glauben
und zu leben. Abraham glaubte Gott, und es wurde
ihm zur Gerechtigkeit gerechnet; Israel stand und sah
die Rettung Jehovas. Dasselbe finden wir bei dem Hohenpriester Josua in Sacharja 3 und bei dem verlorenen
Sohne. Zu handeln, ein Opfer zu bringen und die Gerechtigkeit für uns zu erwerben, ist Gottes Sache; diese
Gerechtigkeit schweigend anzunehmen, ist die unsrige. Angesichts eines solchen Geheimnisses mögen wir Wohl mit
dem Apostel ausrufen: „O Tiefe des Reichtums, beides
der Weisheit und Erkenntnis Gottes!" — Wie einfach
ist alles für unS! Aber was hat es Ihn gekostet!
72
Es giebt nichts in dem Herzen des Menschen, das
dem Glauben an dieses Evangelium gleichkäme. Der Glaube
eines armen Sünders an die erlösende Gnade Gottes ist
der schönste Zustand, in welchem eine Seele sich befinden
kann. Als Heilige und Geliebte mögen wir in betreff unsrer
Bedürfnisse auf Gott vertrauen und um Rat und Fürsorge
zu Ihm aufblicken; wir mögen bei Ihm Schutz suchen für
unsern Weg, Trost im Schmerz und Kraft in den Schwierigkeiten; aber der Glaube eines Sünders an die rechtfertigende Gnade und das Werk seines göttlichen Heilandes
übersteigt das alles bei weitem. Nichts ist so köstlich, denn
nichts erfaßt Gott in einem so glorreichen Charakter, und
nichts schenkt Ihn der Seele in einer so wunderbaren Beziehung. Der Glaube ist es, der die reichsten Hülfsquellen
in Gott benutzt und der aus Grund der gesegnetsten
Offenbarungen von Ihm handelt. Wohl strahlt die Herrlichkeit Gottes überall hervor — in Seiner Macht, in
Seinem Trost und Seiner Weisheit für Seine hülfsbedürftigen Heiligen; doch daß bei Ihm Gnade und Heil
für Sünder zu finden ist, das übertrifft alles andere.
Der Geist GotteS teilt uns aus jenen ersten Zeiten
einige schöne Beispiele dieses kostbaren Glaubens mit. Es
ist, als ob Gott Seine Freude daran fände, uns gleich
bei der ersten Gelegenheit ein herrliches Bild davon zu
zeigen. Obgleich sich Adam nach dem Fall auf einem
Schauplatz des Todes befand und alles um ihn her von
dem Fluch und Tod zeugte, der durch seine Schuld hervorgerufen und deshalb ein beständiges Zeugnis gegen ihn
war, so redete er doch in kraft jenes Glaubens nur von
Leben. Er war verurteilt, als ein Verbannter inmitten
deS Verderbens zu leben, welches seine eigne Sünde ver­
73
ursacht hatte — und er wußte dies und erkannte es völlig
an — aber er hatte nicht umsonst auf die Geschichte des
Kampfes zwischen fernem Verderber und dem Samen des
Weibes gelauscht. Gerade auf der Stätte des Gerichts,
inmitten der Bäume, wohin sein böses Gewissen ihn getrieben, hatte sein Ohr den Klang des süßen Evangeliums
der Gnade sowohl, als auch der Versöhnung und des
Sieges gehört, und er ging hinaus und redete von Leben.
Er nannte sein Weib „Heva," die Mutter aller Lebendigen.
Bei der Schöpfung war er als das Haupt des Lebens
eingesetzt worden; Gott hatte zu ihm gesagt: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde." Aber das war
jetzt verwirkt und vorbei. Er war das Haupt eines gefallenen und dem Tode geweihten Geschlechts geworden^
und er wußte, daß jetzt alles wahre Leben in dem verheißenen Nachkommen, dem Erlöser, war und von Ihm
allein ausgehen konnte.
Zugleich wurde auch die moralische Herrlichkeit in
wunderbarer Weise wiederhergestellt. Adam hatte sich
der Majestät Gottes nicht unterworfen, sondern darnach
getrachtet, zu sein wie Gott. Aber jetzt unterwirft er sich
der Gerechtigkeit Gottes; er beugt sich nieder, um
für seine Nacktheit die Decke zu empfangen, welche Gottes
eigne Hand für ihn bereitet hatte. (Vergl. Röm. 10, 3.)
Er ehrt jetzt den Gott-Heiland, obgleich er kurz vorher
alles gethan hatte, um den Gott-Schöpfer zu verunehren.
In solch einfacher Weise wurde er durch den Geist geleitet, die göttliche Vorsorge, welche in dem Evangelium
von dem zermalmten, aber siegreichen Nachkommen des
Weibes für den Sünder getroffen ist, zu verstehen und
zu schätzen.
74
Gerade so war es mit Eva. Sie hatte dieselbe
Verheißung gehört, und deshalb legt sie, sobald sie ihren
ersten Sohn geboren hat, Zeugnis davon ab, daß diese
Verheißung in den Gedanken ihres Herzens lebte. „Ich
habe einen Mann erhalten mit Jehova," sagt sie. Sie
übersah ihre eigne Person ebensosehr, wie Adam es that,
und rühmte sich nur in ihrem Samen. Sie hatte mit
-einem zu aufmerksamen Ohr auf die Verheißung gelauscht,
um sich selbst mit ihrem Samen zu verwechseln. Allerdings
befand sie sich im Irrtum, aber sie gab Zeugnis davon,
daß der Gegenstand des Glaubens ihre Gedanken erfüllte,
und daß die Erwartungen des Glaubens in ihrem Herzen
lebten. Und als schreckliche Ereignisse ihren Irrtum offenbarten und ihr zeigten, daß dieser Erstgeborne etwas ganz
anderes war, als der verheißene Same — daß er, anstatt
der Zermalmer des Kopfes der Schlange zu sein, sich als
der Mörder seines Bruders erwies — sehen wir sie dennoch
auf dem Felsen stehen, auf welchen der Glaube ihre Seele
gestellt hatte. Ueber Seth ruft sie aus: „Gott hat mir
einen andern Samen gesetzt anstatt Habel, weil ihn Kain
erschlagen hat." Der eine Sohn war ein Mörder gewesen
und der andere sein Opfer; aber dennoch zweifelt sie nicht
an der Erfüllung der Verheißung.
Kostbarer Glaube! dürfen wir Wohl sagen, gleich
kostbar bei Adam wie bei uns. Denselben Glauben finden
wir auch in Abel. Der Glaube in ihm bezog sich auf
dieselbe Verheißung, auf dasselbe Evangelium. Das Wort
hatte von einem zermalmten Befreier gesprochen, und
demgemäß legt er ein Schlachtopfer, ein zermalmtes oder
blutiges Opfer, auf den Altar Gottes. Aber nicht allein
-das; er bringt auch das Fett des Schlachtopfers dar. Er
75
scheint die Wonne, die Gott selbst an den Vorkehrungen
Seiner Gnade zur Errettung des Sünders hat, zu kennen,
und zu wissen, daß Er in der Erlösung wie in der Schöpfung
sich an dem Werke Seiner Hand erfreut; und deshalb legt
er das köstlichste Teil des Schlachtopfers, das Fett des
Tieres, auf den Altar, indem er es so zu dem Anteile
des Herrn bei diesem Fest der Liebe und Freude macht.
Ein herrliches Beispiel von dem Glauben eines Sünders!
Da giebt es kein Zweifeln an der Gnade GotteS, keine
unruhige Erwägung der Wertlosigkeit des Geschöpfes, obgleich Ursache genug dazu vorhanden war. Die Kraft der
Verheißung lebte in den Seelen jener Gläubigen, und ihr
Glaube triumphirte auf Grund derselben.
Ich möchte hinzufügen, daß auch wohl das Bekenntnis
Lamechs die Aeußerung eines überführten und glaubenden
Sünders genannt werden kann und ein Ausdruck desselben
kostbaren Glaubens ist, den wir in Adam, Eva und Abel
gefunden haben. Gottes Wort an Kain hatte die wichtige
Wahrheit enthüllt, daß Er und Er allein es mit dem
Sünder zu thun. hat. Andere mögen, wie Abel, durch die
Sünde zu leiden haben, aber jede Sünde wird direkt gegen
Gott begangen, und Er behauptet Sein Recht, allein sich
mit ihr zu beschäftigen. „Wer Kain schlägt," sagt der
Herr deshalb, „siebenfältig soll es gerächt werden." Diese
große Wahrheit, so unaussprechlich kostbar für den Glauben,
scheint Lamech verstanden zu haben; er bekennt seine Sünde
und rechnet auf Bewahrung vor den Menschen von feiten
Gottes. „Höret meine Stimme, Weiber Lamechs," sagt
er, „nehmet zu Ohren meine Rede! Fürwahr, einen Mann
erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für
meine Beule. Denn Kain soll siebenfältig gerächt werden^
76
aberLamech siebenundsiebenzigfältig." Er scheint etwas davon
verstanden zu haben, daß da, „wo die Sünde überströmend
geworden, die Gnade noch überschwänglicher geworden ist."
Diese Wirkungen des Geistes durch die Verheißung
in den Seelen von Sündern sind wahrhaft schön. Die
Schürze von Feigenblättern wird weggeworfen, sobald diese
Wirksamkeit beginnt; sie wird jetzt als unnötig erkannt,
wie vorher als ungenügend. So geht es mit allen
Erfindungen des Menschen: sie sind nichts anderes, als die
Kunstgriffe des Bösen selbst, die Anstrengungen des Geschöpfes, und deshalb können sie nichts ausrichten. Sie
sind ebenso unnötig, wie ungenügend; der Rock von Fellen, oder mit andern Worten, das Werk Gottes selbst,
hat sie dazu gemacht.
Es giebt jedoch etwas, was durch diese herrliche,
für den Sünder bereitete Erlösung nicht beseitigt wird.
Die Dornen und Disteln des verfluchten Erdbodens bleiben, und mit ihnen der Schweiß des Angesichts, der Kummer des Herzens und die Rückkehr des Staubes zum
Staube bis zu dieser Stunde. Wir sind bekleidet mit
dem Kleide der „Gerechtigkeit Gottes," geschmückt und
passend gemacht für Seine Gegenwart durch Seine eigne
Hand; aber nichtsdestoweniger haben wir Plage, Hindernisse und viele Beschwerden bei dem Bebauen des Erdbodens zu erwarten. Schmerzen bringen uns in die Welt
hinein, Schmerzen begleiten uns, bis wir zum Staube
zurückkehren, woher wir genommen sind. Ebensowenig
entfernt diese Vorsorge der Gnade die Cherubim. Sie
sind an den östlichen Eingang des Gartens gestellt, um
mit ihrem flammenden Schwerte den Weg zum Baume
des Lebens zu bewachen, und weder die Verheißung, noch
77
die Bekleidung, welche Adam empfing, vermochten etwas
hieran zu ändern. Des Menschen Fähigkeit, jenen Baum
und seine Frucht wieder zu erlangen, ist dahin, und zwar
für immer und ewig. Nie wird er etwas anderes sein, als ein
erretteter Sünder, mag er auch den Pfad der Herrlichkeit vom Paradiese bis zum Königtum, und vom Königtum bis zu den neuen Himmeln und der neuen Erde verfolgen. Nur durch die Erfüllung der ersten Verheißung Gottes,
nur durch die Gabe Jesu, des Samens des Weibes, ist 
für den Menschen der Weg gebahnt worden, um von
den Früchten des Baumes des Lebens essen zu können.
(Vergl. Offbg. 2, 7.)
(Fortsetzung folgt.)
Hebräer 6, 4—10.
Der Anfang des 6. Kapitels der Epistel an die
Hebräer hat schon zu mancher Frage, auch wohl schon zu
manchem Streit Anlaß gegeben, und nicht selten sind aufrichtige, aber in der Wahrheit nicht völlig befestigte Seelen
durch jenen Abschnitt beunruhigt und verwirrt worden. Indem sie denselben auf wahrhaft bekehrte Personen, auf lebendige Gläubige anwandten, sind sie an der Gewißheit ihrer Errettung und an der ewigen, unveränderlichen Vollgültigkeit des Werkes Christi irre geworden und dadurch in
große Unruhe und Not geraten. Solchen Seelen zu Hülfe
zu kommen, ist der Zweck dieser Zeilen.
Zu einem richtigen Verständnis jenes Abschnittes ist
es vor allen Dingen notwendig, den Zweck und Charakter
des Hebräerbriefes zu kennen, und deshalb möchte ich Zunächst, so gut ich es vermag, diesen in kurzen Umrissen
zeichnen.
78
Der Hebräerbrief ist, wie sein Name besagt, an
Christen aus den Hebräern, dem irdischen Volke Gottes,
gerichtet und zu einer Zeit geschrieben, da dieses Volk,
obwohl noch im Lande Kanaan, doch nicht mehr als Gottes
Volk anerkannt wurde. Nachdem es den eingeborenen Sohn
und auch das letzte Zeugnis Gottes, das Zeugnis des
Heiligen Geistes durch den Mund des Stephanus, (vergl.
Apostelgsch. 7, 51.) verworfen hatte, brach Gott Seine
bisherigen Beziehungen zu Seinem irdischen Volke, als Volk,
ab, (den endgültigen Abbruch dieser Beziehungen, auch
äußerlich, sehen wir in der Zerstörung Jerusalems) und
wird sie nicht eher wieder anknüpfen, bis Israel durch den 
Ofen der Trübsal geläutert und zubereitet ist, Seinen in
Herrlichkeit und Macht wiederkehrenden Messias aufzunehmen. Wohl werden die Gläubigen in diesem Briefe
als von jeher mit Gott in Verbindung und zu Ihm in
Beziehung stehend betrachtet — und das unterscheidet ihn
wesentlich von dem Römerbrief, in welchem bewiesen wird,
daß alle, ob Sünder ohne Gesetz oder Uebertreter des
Gesetzes, ohne Unterschied „Kinder des Zornes" sind,
welche „die Herrlichkeit Gottes nicht erreichen" — aber
jede Verbindung mit Israel alsNationist abgebrochen.
Die Verwerfung Christi machte zugleich dem religiösen
System der mosaischen Haushaltung ein Ende. Dasselbe
hatte wegen der Schwachheit und Nutzlosigkeit des Gesetzes
(Hebr. 7, 18. 19.) nichts zur Vollendung bringen können.
Obwohl dieses System von Gott selbst angeordnet war,
so bestand es doch thatsächlich nur aus Schatten und Vorbildern auf Christum hin. Diese Schatten nun, so kostbar
und wertvoll sie an und für sich waren, mußten ihren
Wert verlieren, sobald die Wirklichkeit, d. h. Christus,
79
erschien. Alles, was mit der mosaischen Haushaltung in
Verbindung stand, war irdischer Natur. Alles aber, waS
mit Christo und den Gläubigen der gegenwärtigen Zeit in
Verbindung steht, ist himmlisch, entsprechend der himmlischen Stellung, welche Christus nach Seinem Tode und
Seiner Auferstehung eingenommen hat.
Der Schreiber des Hebräerbriefes stellt nun in der
ganzen Epistel diese beiden religiösen Systeme einander
gegenüber: das gesetzliche System und die mit demselben
in Verbindung stehenden irdischen Dinge, und das neue
System der Segnung und Gnade und den durchaus himmlischen Charakter der auf den Tod und die Auferstehung
Christi gegründeten neuen Beziehungen zwischen Gott und
den Gläubigen. Er ist bemüht, die gläubigen Juden zu
veranlassen, ihre jüdischen Beziehungen aufzugeben und, als
Genossen der himmlischen Berufung, ihren hienieden
verworfenen, aber jetzt zur Rechten Gottes verherrlichten
Messias nach den verschiedenen Seiten Seiner Stellung
und Seines Dienstes zu betrachten. Gott stand im Begriff,
das alte religiöse System völlig zu zerstören, und deshalb
überredet die Epistel die Gläubigen, aus diesem System,
mit dem sie immer noch in Verbindung standen, (vergl.
Apostelgsch. 21, 20.) herauszugehen und des Herrn Schmach 
zu tragen, indem sie ihnen zugleich die neue Grundlage
ihrer Beziehungen zu Gott in der Person eines Hohenpriesters, der in den Himmeln ist, vorstellt.
Diese Gegenüberstellung der beiden religiösen Systeme
finden wir besonders auch im Anfang des 6. Kapitels.
Der Schreiber des Briefes ist bemüht, zu zeigen, wie verderblich es wäre, zu den vorigen Dingen, den Elementen
und Anfangsgründen, (V. 1. 2.) welche einem Zustande
80
der Kindheit, aber nicht dem vollen Manneswuchse entsprachen, znrückzukehren und Christum und die himmlischen
Dinge, d. h. die christlichen, aus die herrliche Stellung
Christi im Himmel gegründeten Vorrechte, wissentlich
und vorsätzlich aufzugeben. Wenn jemand daS that,
so gab es keine Hoffnung mehr für ihn; denn es gab kein
Mittel mehr, um seine Seele wieder herzuftellen und sie
zur Buße zu erneuern. Denn ein solcher hatte dadurch,
daß er mit dem Christentum in Verbindung trat, das
Judentum als völlig nutzlos aufgegeben. Wenn er nun,
nachdem er einmal erleuchtet war und die himmlische Gabe
geschmeckt hatte ec., auch das Christentum, die neuen, himmlischen Dinge, wieder ausgab, so blieb nichts mehr für
ihn übrig. Alle Mittel zu seiner Errettung waren erschöpft.
Ja, er kreuzigte den Sohn Gottes sich selbst und gab ihn
öffentlich der Schmach preis. Er kehrte wissentlich zu 
dem Volke und zu dem System zurück, das den Sohu
Gottes verworfen und gekreuzigt hatte. Ich sage wissentlich; denn er hatte durch die Annahme der christlichere
Lehre anerkannt, daß sein Volk jene Sünde begangeu
hatte. Die Juden hatten es unwissentlich gethan, wie das
Gebet des Herrn für sie am Kreuze bezeugt. Er aber 
that es jetzt wissentlich und vorsätzlich. Und darum
blieb für ihn nichts mehr übrig. Das Feld trug nur
Dornen und Disteln.
Es handelt sich in dieser Stelle also nicht um die
Frage der persönlichen Errettung und des Besitzens oder
Nichtbesitzens des ewigen Lebens, sondern einzig und allein
um eine Vergleichung des Zustandes und der Vorrechte
der Bekenner des Judentums und derjenigen des Christentums, obwohl aus dem Bilde, das der inspirirte Schreiber
81
nachher gebraucht, zur Genüge hervorgeht, daß er gar
nicht an wirklich bekehrte und errettete Seelen denkt.
Das Feld in Vers 8 trägt nicht eine Zeitlang
Frucht und dann keine mehr, sondern es bringt ausschließlich Dornen und Disteln hervor. Zudem sagt
der Apostel im Blick auf die Gläubigen, an die er schreibt:
„Wir aber sind in bezug auf euch, Geliebte, von besseren
und mit der Seligkeit verbundenen Dingen
überzeugt, wenn wir auch also reden." Mochte der Zustand der gläubigen Hebräer noch so schwach sein, so
waren doch Früchte vorhanden gewesen. Sie hatten
durch ihre Liebe zu den Brüdern den Beweis geliefert,
daß sie Leben besaßen. (Vergl. 1. Joh. 3, 14.)
Betrachten wir jetzt in Kürze die einzelnen Ausdrücke
in V. 4 und 5. Dieselben bezeichnen, wie schon bemerkt,
die Vorrechte, welche die christlichen Bekenner der damaligen Zeit besaßen, und die zum Teil (wenn auch in einem
weit geringeren Maße) auch heute noch ein Namenchrist
genießen kann, ohne wirklich das Leben zu haben.
1) „Die einmal erleuchtet waren," d. h. die erkannt
hatten, daß in dem Christentum und in der Lehre
von Christo allein Heil und Errettung zu finden war.
„Erleuchtet" (wenn auch nicht in bezug auf die Dinge, um
welche es sich hier handelt) war z. B. auch Bileam. Seine
Weissagungen sind ebenso wahr wie diejenigen eines Jesaja, und dennoch wird niemand ihn für einen Gläubigen
halten.
2) „Geschmeckt haben die himmlische Gabe." Im
Gegensatz zu den früheren irdischen Dingen und einer
fleischlichen Religion waren sie jetzt mit den himmlischen
Dingen bekannt geworden und hatten sich an deren Schön­
82
heit und Kostbarkeit erfreut. Aehnliches finden wir bei
Simon dem Zauberer, (vergl. Apstgsch. 8, 13.) und doch
hatte er „weder Teil noch Los in der Sache."
3) „Teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes."
Dieser Ausdruck macht gewöhnlich die meisten Schwierigkeiten, und doch ganz unnötig. Beachten wir wohl, daß
es nicht heißt: „aus dem Geiste geboren," oder gar:
„versiegelt mit dem Heiligen Geiste." — Der Geist
Gottes war auf der Erde und in jener ersten Zeit der
Kirche in ganz besondrer Weise inmitten der Gläubigen
wirksam. Seine Macht gab sich kund in den Wundern
des zukünftigen Zeitalters, in Gaben, Sprachen, Heilungen
ec. Diese Macht des Heiligen Geistes machte sich nun
unbedingt einem jeden fühlbar, der unter die Christen eingeführt wurde, und übte ihren Einfluß selbst auf solche
aus, die kein geistliches Leben hatten. Diese allen sichtbare, machtvolle Wirksamkeit des Heiligen Geistes ist
heute nicht mehr vorhanden, aber dennoch wirkt auch heute
noch der Heilige Geist an den Herzen, ohne deshalb persönlich in ihnen zu wohnen, was von den wahren Gläubigen gesagt wird. Daß der Heilige Geist in einem Menschen wirken kann, ohne Wohnung in ihm gemacht zu
haben, beweist die Stellung aller Gläubigen des Alten
Testaments. Vor dem Pfingstfeste (Apstgsch. 2.) wohnte
der Heilige Geist überhaupt nicht persönlich auf Erden.
„Er war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht
war." (Joh. 7, 39; vergl. auch Apstgsch. 19, 2.) Wohl
wirkte Er in den Gläubigen, aber Er wohnte nicht
in ihnen. Von den Propheten des Alten Testaments sagt
Petrus: „Heilige Männer Gottes redeten, getrieben vom
Heiligen Geiste." (2. Petr. 1, 21.) Und von Saul lesen
83
wir in l. Sam. 16, 17: „Der Geist Jehovas wich von
ihm;" und in Kap. 19, 23: „Der Geist Gottes kam auf
ihn." Bei alledem aber war er kein Mann nach dem
Herzen Gottes.
4) „Geschmeckt haben das gute Wort Gottes." Damit
ist nicht gesagt, daß jene Personen vermittelst des Wortes
lebendig gemacht waren. Wohl war das Wort auf das
Feld gefallen, und der Regen hatte es bewässert; aber
es hatte keinen geeigneten Boden gefunden und deshalb
auch keine Frucht zur Reife gebracht. Sie glichen
vielmehr jener Klasse von Personen in Matth. 13, die
das Wort mit Freuden ausnehmen, aber keine Wurzel in
sich haben. Sie hatten verstanden und geschmeckt, wie
köstlich dieses Wort ist, aber es hatte keinen durchgreifenden Einstuß auf ihre Herzen und Gewissen ausgeübt.
5) „Und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters."
Das zukünftige Zeitalter ist das 1000jährige Reich. Zu
Anfang desselben wird Christus in Macht und Herrlichkeit
erscheinen und alle Macht des Feindes zerstören. Wir
lesen in den Propheten viel von den wunderbaren Dingen,
die dann geschehen werden. (Vergl z. B. Jes. 11; 35; 65;
Joel 2, 21 — 32; Offg. 11, 5. 6.) Satan wird in dem
Abgrund gebunden sein und nicht mehr wirken können.
Aehnliche Wunder waren nun teilweise schon iw der
Apostelzeit geschehen. Die Kräfte des kommenden Zeitalters waren zum voraus wirksam, und die Hebräer hatten
die Wunder und Zeichen gesehen, die durch die Hände der
Apostel und der ersten Christen geschehen waren. Nun
aber konnte jemand Zeuge dieser Wunder gewesen sein,
ja, mehr noch, er konnte selbst in jener ersten Zeit Wunder verrichtet haben, ohne wirklich Leben aus Gott zu
84
besitzen. Auch Judas, der Verräter, trieb Teufel aus.
Der Herr sagt deshalb zu Seinen Jünger: „Freuet euch
nicht, daß euch die Geister Unterthan sind; freuet euch
aber, daß eure Namen geschrieben sind in den Himmeln."
(Luk. 10, 19. 20.) In Matth. 7, 22. 23 lesen wir
sogar: „Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr,
Herr! haben wir nicht durch Deinen Namen gewekssagt
und durch Deinen Namen Teufel ausgetrieben und durch
Deinen Namen viele Wunderwerke gethan? Und dann
werde ich ihnen bekennnen: Ich habe euch niemals
gekannt; weichet von mir, ihr Uebelthäter!"
Es handelt sich also, ich wiederhole es, in dieser
Stelle durchaus nicht um die Frage der persönlichen Errettung; und deshalb ist es völlig verkehrt, aus derselben
folgern zu wollen, daß ein Erretteter, ein Kind Gottes,
wieder verloren gehen könnte. Kann ich jemals aufhören,
der Sohn meines leiblichen Vaters zu sein? Wie könnte
ich denn, wenn ich wirklich ein Kind Gottes bin, von Ihm
selbst gezeugt durch das Wort der Wahrheit, jemals aufhören, ein solches zu sein? Vergl. von vielen Stellen,
welche die ewige Sicherheit und die Bewahrung des Gläubigen durch Gott verbürgen, nur Joh. 10, 27—30;
Röm. 8, 38. 39; 1. Petr. 1, 4. 5.
Möge der Herr in Seiner Gnade diese Zeilen zur
Beruhigung wirklich aufrichtiger Seelen dienen lassen!
Gottes Werk kann nimmermehr zerstört werden. Doch
sollte diese gesegnete Thatsache uns je erlauben, in Gleichgültigkeit und Leichtfertigkeit zu wandeln? Gott bewahre
uns vor einem solchen Gedanken! Stets ruht die ernsteste
Verantwortlichkeit auf uns. Der, welcher uns berufen hat,
ist heilig, und so sollten auch wir heilig sein in allem
Wandel. Nicht umsonst ermahnt daher der Apostel: „Wenn
ihr Den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person
richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer
Fremdlingschaft in Furcht." (1. Petr. 1, 14—19.)
Die Welt vor der Flut.
(Fortsetzung.)
Wir haben uns in dem Vorhergehenden mit den
Geheimnissen Gottes und mit Seinen Ratschlüssen, so wie
sie uns in dem wundervollen 3. Kapitel des 1. Buches
Biosemitgeteilt werden, beschäftigt; doch es ist nötig, daß
wir nicht allein diese kennen lernen, sondern auch den
Menschen und seine Wege.
Von Kain wird durch den Geist Gottes in 1. Joh. 3,12
gesagt, daß er „aus dem Bösen" war. Das erste, was
wir bei ihm sehen, ist seine Religion. Er brachte Gott
die Früchte des verfluchten Erdbodens, die Produkte seiner
eignen Arbeit, als Opfer dar; und das war Unglaube.
Er leugnete dadurch alles das, was seit der Schöpfung
geschehen war, und zwar können wir es die religiöse
Leugnung desselben nennen. Sein Thun stand in direktem
Gegensatz zu der Handlungsweise des Glaubens. Abel
betrat den Weg der Verheißung Gottes, des blutigen
Sieges des Samens des Weibes, des Todes und der
Auferstehung Christi, und opferte ein Lamm von seiner
Herde; aber Kain weigerte sich, das Verderben des Menschen
und den Heilsweg Gottes zu sehen, indem er Gott die
Früchte der sündigen, verfluchten Erde darbrachte. Trotz
seines feierlichen Opferdienstes leugnete er die ganze Wahrheit. Sein Herz war weit von Gott entfernt.
86
Seine nächste Handlung stand in schrecklicher Uebereinstimmung hiermit. Kain haßte seinen Bruder, weil er
aus dem Bösen war, aus Dem, der ein Mörder von Anfang ist; (Joh. 8, 44.) und im Laufe der Zeit erschlug
er ihn.
Schreckliche Frucht der abtrünnigen und abgewichenen
Natur! Er war der erste jener Klasse von Menschen, die 
Jesum überlieferten, auf daß Er gekreuzigt würde —
selbstgerecht und mörderisch. Die Juden überlieferten
Jesum aus Neid, und Kain erschlug Abel, weil seine
eignen Werke böse, diejenigen seines Bruders aber gerecht
waren. „Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt
haßt. Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben
hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; werden Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tode. Jeder, der
seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder, und ihr
wisset, daß kein Menschenmörder ewiges Leben in sich
bleibend hat." (1. Joh. 3, 13-15.)
Der Herr ließ sich in Seiner unendlichen Gnade
mit Kain in eine Unterredung ein; doch Kain verachtete
diese Gnade, die sich noch in der letzten Stunde warnend
an ihn wandte. „Dies ist das Gericht, daß das Licht in
die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren
böse." (Joh. 3, 19.) Das Licht, welches der Herr Jesus
brachte, war das Licht des Lebens oder des Heils;
(Joh. 8, 12; Jes. 49, 6.) aber die Menschen liebten
die Finsternis mehr als das Licht. So auch Kain. Er
haßte dieses Licht und stieß es von sich.
Als Jehova-Gott in Gerechtigkeit und Heiligkeit in den Garten trat und rief: „Adam, wo bist duN"
87
da vermochte Adam nicht in diesem Lichte zu stehen;
er hatte gesündigt, und deshalb war ihm das Licht unerträglich. Er erreichte jene Herrlichkeit nicht, sondern floh
vor ihr. Dann aber offenbarte sich Gott in einem andern
Licht. Er gab die Verheißung, und damit veränderte sich
der Charakter der Herrlichkeit. Gott stellte sich in ein 
Licht, welches der Sünder erreichen kann; und wir sehen
dann auch, daß der glaubende Adam jetzt aus seinem
Versteck hervorkommt. Dieses Licht, das Licht des Heils
und der Verheißung, das Licht, in welchem Gott sich dem
Menschen außerhalb des Gartens zeigt, verachtete Kain,
und deshalb wurde er verflucht, was mit Adam nicht
geschehen war.
Das ist die ernste Geschichte dieses ersten Ungläubigen.
Aber die verderbte Natur, die in ihm war, blieb nicht
bei jener ersten schrecklichen That, der Ermordung des
Bruders, stehen; sie zeigte sich in weiterer Bosheit. In
Kain befand sich jene Quelle, welche ein „Uebermaß von
Schlechtigkeit" hervorsprudelt. Er log und rechtfertigte
sich selbst. Auf die Frage GotteS: „Wo ist Habel, dein
Bruder?" antwortete er: „Ich weiß es nicht; bin ich
meines Bruders Hüter?" Kain wollte die Begierden
seines Vaters thun, und wenn der Teufel „die Lüge
redet, so redet er aus seinem Eignen, denn er ist ein
Lügner und der Vater derselben." (Joh. 8, 44.)
Doch alles das finden wir nicht nur in Kain, sondern
auch in jedem Menschen von Natur. Es war das verderbte
Herz des Menschen, das sich in dem Verhalten Kains
offenbarte, und weil es das war, weil es die allgemeine
Natur war, die in dieser Weise ans Licht trat, so entzog
Gott das Gericht derselben dem Menschen. „Jeglicher,
88
der Kain erschlagt," sagt Er, „siebenfältig soll es gerächt
werden;" denn niemand ist ohne Sünde. „Du bist nicht
zu entschuldigen, o Mensch — jeder, der da richtet — denn
worin du den Andern richtest, verdammest du dich selbst."
(Röm. 2, 1.) Alle sind gleich verdammungswürdig; keiner
kann den Stein aufheben und ihn auf den Andern werfen.
Und um diesen wichtigen Grundsatz auszudrücken und zu
zeigen, daß Gott allein das Recht und die Befugnis hat,
mit der Sünde zu handeln, ließ der Herr es nicht zu,
daß der Brudermörder von seinen Mitmenschen angetastet
wurde.
Als später die Regierung auf der Erde der Zweck
der Offenbarung Gottes war, wurde gesagt: „Wer eines
Menschen Blut vergießt, durch Menschen soll sein Blut
vergossen werden." (Kap. 9, 6.) Aber bis dahin war
dies nicht so; und um die allgemeine Verderbtheit des
Menschen zu lehren, wird keinem Gliede der ganzen menschlichen Familie erlaubt, den gottlosen Kain anzutasten.
Und auch in der gegenwärtigen Zeit, wo es eine von
Gott eingesetzte Regierung giebt, ist es nicht die Sünde
als solche, mit welcher dieselbe sich zu beschäftigen hat.
Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, oder an einzelnen Personen begangenes Unrecht
mögen durch den Menschen gerichtet werden; aber Rache
für Sünde, als solche, nehmen zu wollen, würde heißen, 
sich eine persönliche Schuldlosigkeit anzumaßen. „Wer von
euch ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie."
(Joh. 8, 7.) Gott allein hat mit der Sünde zu handeln.
Doch gehen wir in dieser schrecklichen Geschichte weiter.
Der Mensch offenbart sich nicht immer in dieser abschrekkcnden Gestalt; er erscheint nicht stets als ein Lügner
89
und Mörder. Es giebt da gewisse Schranken, wie z. B.
die Zügelung und Veredlung mittelst der Erziehung, die
zurückhaltende Hand Gottes und die Furcht vor Seiner
Vorsehung und Seinem Gericht, die allgemeine Meinung
und das Urteil der menschlichen Gesellschaft. Diese und
ähnliche Einflüsse bringen eine gewisse Ordnung hervor,
wodurch der Schauplatz des menschlichen Lebens und
Wirkens nicht nur erträglich, sondern sogar bequem und
angenehm wird. Der Schauplatz ist auf diese Weise
erneuert worden, nicht aber ist eine neue Schöpfung
hervorgerufen. Der Mensch ist Mensch geblieben, dasselbe
Geschöpf nach dem Urteil Gottes, obgleich er in dem Charakter eines "achtbaren Weltbürgers und nicht mehr als
der Mörder seines Bruders erscheinen mag. Kain baut
eine Stadt; seine Familie wächst und gedeiht, und durch
ihre Geschicklichkeit und Betriebsamkeit bekommt die Welt
ein blühendes und gefälliges Aussehen. Der Mörder ist 
vergessen; der Mensch hört nicht das Schreien des BruderbluteS, sondern den Ton der Laute und Pfeife; seine Erfindungen haben sein Schuldbewußtsein unterdrückt. Kain
ist ein ehrbarer Mann geworden, aber von der Gegenwart
Gottes ist er noch ebenso weit entfernt, wie damals, als
seine Hand sich mit dem Blute seines Bruders befleckte.
Wie ernst ist der Gedanke, daß der Mensch als achtbarer Weltbürger ebenso weit von Gott entfernt ist, wie
als Mörder! Die Ruhe und Gleichgültigkeit, mit welcher
Kain dem Herrn den Rücken kehren und seines Bruders
Blut vergessen konnte, ist schrecklich. Er erhielt die Zusicherung des Schutzes von feiten Gottes, und das war
alles, was er begehrte. Schnell füllt sich die Erde unter
seiner Hand mit aller Art von Bequemlichkeit und Ver­
90
gnügungen. Wie entsetzlich, nicht wahr? Und doch ist es
nichts anderes als der Lauf der Welt. War es nicht der
Mensch, der Jesum tötete? Und doch geht er mit der
Ruhe und Gleichgültigkeit Kains in diesem höchsten Zustande der Schuld einher. Die Erde hat das Kreuz Christi
getragen; und der Mensch beschäftigt sich damit, sie zu
schmücken und zu zieren und daS Leben auf ihr bequem
und angenehm zu machen. Das ist genau das Verhalten
Kains, wenn wir es in dem vollen göttlichen Lichte
betrachten. Kain wurde ein achtbarer Bürger der Welt,
aber er vergaß in herzloser Weise die Leiden Abels. Seine
Ruhe und Achtbarkeit bilden, wenn wir so sagen dürfen,
das schwärzeste Blatt in seiner Geschichte. Er ging weg,
sobald er die Zusicherung des göttlichen Schutzes erhalten
hatte; und anstatt durch dieses Versprechen erweicht und
durch das Bewußtsein alles dessen, was sich ereignet hatte,
zu Boden gedrückt zu werden, betrachtet er die Zusicherung
Gottes als eine gute Gelegenheit, sich selbst zu befriedigen
und zu verherrlichen.
Wir lesen in dem Neuen Testament von dem „Wege
Kains," und der Apostel Judas sagt uns, daß er auch
von Andern betreten wird. Doch welch ein schrecklicher
Weg ist es! Kain war ein Ungläubiger oder ein Mann
seiner eignen Religion; er war nicht im Glauben der
Offenbarung Gottes gehorsam. Er that die Werke des
Lügners und Mörders von Anfang, und haßte das Licht.
Er widerstand der gnädigen und warnenden Stimme
Gottes. Er kümmerte sich nicht um die Gegenwart Gottes,
die er durch seine Sünde verloren, noch um die Leiden
seines Bruders, den seine Hand erschlagen hatte; und bei
alledem konnte er sich da, wo alles gegen ihn zeugte.
91
wo das Blut seines Bruders gegen ihn schrie, noch Mühe
geben, sich selbst glücklich und geachtet zu machen. Das
ist „der Weg Kains," und der Mensch ist, wie gesagt,
heute noch ebenso; er hat sich nicht verändert. Die Natur
bleibt dieselbe trotz aller Schranken und Veredlungen;
denn gerade am Ende der Geschichte der Christenheit wird
von einer Generation gesagt: „Sie sind den Weg Kains
gegangen." Das ist sehr ernst, geliebter Leser! Möchten,
unsre Herzen es tief fühlen!
Doch es giebt auch ein errettetes, abgesondertes Volk.
Die Familie Seths ist von einer ganz andern Art, als
Kain und sein Geschlecht. Sie wird nicht in Städten
gesehen, die mit Bequemlichkeiten und Vergnügungen geschmückt sind, fern von der Gegenwart des Herrn, sondern
erscheint vor unsern Augen als die Familie Gottes, getrennt
von der Welt, die in dem Bösen liegt, und zur Verherrlichung Seines Namens.
Die Stellung und das Zeugnis der Familie Seths
enthält, wie ich glaube, manche Unterweisungen für unsre
Seelen. Wie bei allem übrigen in diesen Kapiteln, finden
wir allerdings nur kurze Notizen über sie. Aber diese
sind inhaltsreich, und man kann im allgemeinen über diese
Familie sagen: Sie bildet das gerade Gegenteil von dem
Wege Kains und versteht den Weg Gottes. Ihr Glaube
ist derselbe, dem wir.in Adam, Eva und Abel begegnet
sind; wir haben uns bereits mit demselben beschäftigt.
Ich möchte jetzt ihre Stellung und ihr Zeugnis in der
Welt etwas näher betrachten. Wie wir gesehen haben,
hatte Gott ein Zeichen an Kain gemacht, „auf daß ihn
niemand erschlüge, wer ihn fände." Die Familie Seths
beachtete dieses, und kein Versuch wurde von den Gliedern
92
derselben gemacht, das Schreien des unschuldigen Blutes
zu beantworten. Die Rache war nicht ihre Sache; im
Gehorsam gegen das Wort des Herrn hörten sie nicht das
Schreien des Blutes, sondern die Stimme Jehovas, der
die Rache verboten hatte. Sie ertrugen das an ihrem
Bruder geschehene Unrecht und waren so angenehm vor Gott.
Das unschuldige Blut sollte also nicht gerächt werden,
wenigstens damals nicht. Das war genug, um jenen
Gläubigen ihre Fremdlingschaft hienieden und ihre himmlische Berufung zu zeigen. Denn so lange die Erde nicht
von Unrecht und Gewaltthat gereinigt werden soll, müssen
die Auserwählten auf ihr Fremdlinge sein mit einer himmlischen Berufung. Das ist der Weg Gottes, der von jenen
Heiligen vielleicht besser begriffen wurde, als von vielen
unter uns, die wir bei den völligeren Offenbarungen
Gottes in der gegewärtigen Zeit doch so viel belehrt und
unterrichtet worden sind. Aber es handelt sich nicht darum,
ob wir den meisten Unterricht empfangen haben, sondern
ob wir die Fähigkeit besitzen, ruhig zu lernen. David
bedurfte derselben Fähigkeit, als er daran dachte, ein 
Haus von Cedern, eine feste Wohnung für Jehova zu
bauen, während das Land noch mit Blut befleckt war.
Der Herr wollte, wenn ich so sagen darf, gleich den vorfündflutlichen Heiligen, ein Fremdling auf Erden sein, ein
Zeltbewohner, so lange Blut sie befleckte, und deshalb
wies Er das Vorhaben des Königs von Israel zurück.
(1. Chron. 17.)
Wir können bei einiger Aufmerksamkeit manche Darstellungen dieses Weges Gottes unter verschiedenen Formen
finden. So wollte der Herr zum Beispiel keinen Altar
in Aegypten, dem unbeschniUenen Lande, haben, und ebenso
93
wenig ein Haus in Israel bis zu den Tagen Salomos,
wo alles für Seine königliche Gegenwart geheiligt war.
Später wurde die Herrlichkeit durch die Greuel, die in
dem Tempel geschahen, verscheucht. In demselben Geiste
hingen die gefangenen Juden ihre Harfen an die Weiden
des Euphrat; denn wie konnten sie singen in einem fremden
Lande, oder die Gesänge Zions in Babylon erschallen
lassen? Absonderung war das Verhalten, welches ein
göttlich belehrter Sinn vorschrieb, und Absonderung ist
Heiligkeit. Hiermit befand sich die Familie Seths, die
Haushaltung Gottes in den frühesten Tagen, in völliger
Uebereinstimmung.
Wir haben stets zu unterscheiden zwischen Gottes
Behauptung Seiner Rechte auf die Erde, und Seiner
Berufung eines Volkes von der Erde. Diese beiden Dinge
sind im Laufe der Zeiten immer wieder dargestellt worden,
und zwar, wie ich glaube, in abwechselnder Reihenfolge.
So begann der Herr bei Adam damit, Seine Rechte auf die
Erde darzulegen und geltend zu machen. Der Mensch im
Garten hatte die Oberherrschaft Gottes anzuerkennen, und
die Erde war der Ruheplatz und die Freude des Herrn
und der Schauplatz Seiner Herrlichkeit. Als dann die
Sünde kam und alles verunreinigte und diese Verunreinigung nicht beseitigt wurde, berief Gott in Seth ein
Volk von der Erde zur Erbschaft im Himmel.
In Noah behauptet Gott dann wieder Seine Rechte
an die Erde und benutzt dieselbe als den Platz, auf
welchem Seine Auserwählten ihre Heimat finden, und wo
Seine Gegenwart gekannt ist. Abraham dagegen wird
von seiner Verwandtschaft, von seinem Lande und von
feines Vaters Hause abgesondert, um ein himmlischer
94
Fremdling auf der Erde zu sein, mit einem Altar und
einem Zelt, und in der Erwartung einer Stadt stehend,
deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Sodann wird
Israel im Lande Kanaan von neuem der Zeuge von
Gottes Oberherrschaft; die Bundeslade überschreitet den
Jordan als „die Lade des Bundes des Gottes der ganzen
Erde." Und heute endlich steht die Kirche wieder da als
die Zeugin der himmlischen Geheimnisse, und Fremdlingschaft hienieden ist der einzig göttliche Gedanke bis zu 
unsrer Aufnahme, um dem Herrn in der Luft zu begegnen.
Diese wunderbare Darstellung, diese Zeiteinteilungen
Gottes, die wie Tag und Nacht miteinander abwechselten,
haben auf diese Weise von Anfang an geredet und reden
noch. Und bald wird in dem tausendjährigen Reiche die
herrliche Wirklichkeit all dieser Schatten und Vorbilder
ans Licht treten. Indes ist es beachtenswert, daß, so
oft Gott in diesem Fortschreiten Seiner Pläne aufsteht,
um Seine Rechte an die Erde geltend zu machen,
Er damit beginnt, sie zu richten und zu reinigen. Bei
einigem Nachdenken aber werden wir verstehen, daß dies
nicht anders sein kann. Denn da der Schauplatz, aus
welchem Er Seine Herrlichkeit und Gegenwart zu offenbaren im Begriff steht, sich verderbt hat, so muß Er
zuerst das Aergernis wegnehmen, weil Seine Gegenwart
keine Befleckung ertragen kann. Der Herrschaft Noahs
über die Erde ging dementsprechend die Flut voraus,
welche die Welt der Gottlosen beseitigte. Israels Besitz
von Kanaan unter Jehova, als dem Gott der ganzen
Erde, wurde durch das Gericht der Amoriter und das
Schwert JosuaS vorbereitet. Und das zukünftige tausendjährige Königreich, während dessen die Erde wiederum den
95
Schauplatz der göttlichen Herrlichkeit bilden wird, muß,
wie die ganze Schrift uns lehrt, durch große, schreckliche
Gerichte und durch die Erscheinung des Herrn in Seiner
richterlichen Majestät eingeleitet werden, d. h. durch eine
Säuberung der Erde von allem, was Uebels thut und
Ungerechtigkeit ausübt.
Die Berufung Gottes hat dagegen einen ganz
andern Charakter. Abraham war der Gegenstand dieser
Berufung, und dementsprechend finden die Kananiter keinen
Nebenbuhler in ihm. Er macht ihnen den Besitz des
Landes nicht streitig; er findet sie als Herren desselben,
und er läßt sie so. Er begehrt nur für eine Zeitlang
in dem verheißenen Lande sein Zelt aufzuschlagen und
seinen Altar zu errichten, und später seine Gebeine darin
niederzulegen.
Ebenso ist es mit der Kirche in der jetzigen Zeit.
Sie ist gleichfalls ein Gegenstand der Berufung Gottes,
und deshalb werden die Ungläubigen in ihrer Macht durch
sie nicht im Geringsten beeinträchtigt. „Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten." (Röm. 13, 1.)
Die Heiligen haben ohne Widerrede zu gehorchen, oder 
geduldig zu leiden, je nachdem die an sie gestellten Forderungen mit ihrer Unterwerfung unter Christum und die
Berufung Gottes vereinbar sind, oder nicht. Sie haben nicht
zu streiten; Petrus mußte sein Schwert einstecken, und Pilatus mußte lernen, daß das Reich Jesu nicht von dieser Welt
war und deshalb auch Seine Diener nicht dafür kämpften.
Ihr Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut; in demselben
"Augenblick, da sie diesen Kampf beginnen, find sie verloren.
Die Berufung Gottes hat Seine Scharen den Fürstentümern und Gewalten in der Höhe gegenüber gestellt,
96
und der Kampf ist dort; sie verbindet uns nicht mit der
Erde. Wir bedürfen der Frucht jdes Bodens und der
Arbeit der Hände, um das für unsern Leib Nötige zu 
beschaffen; unsre Bedürfnisse verbinden uns also mit der
Erde, aber unsre Berufung trennt uns von ihr. Josua
betrat das Besitztum der Heiden, um es durch sein Schwert
zum Besitztum des Herrn zu machen; Paulus dagegen
ging zu den Heiden, um aus ihnen ein Volk für Gott zu 
sammeln, ein Volk, das verbunden ist mit dem verworfenen
„Steine," verachtet und verworfen von den Menschen.
Die Familie Seths stand gleichfalls unter dieser
Berufung Gottes. Dies wurde ihnen durch den Befehl,
das Blut Abels ungerächt zu lassen, zu verstehen gegeben,
und sie verstanden diese Andeutung. Wenn die Erde in
ihrer Befleckung gelassen wird, so ist das der Beweis,
daß Gott sie nicht für sich begehrt; und deshalb begehrte
jene Familie des Glaubens sie auch nicht. Kains Geschlecht
war im Besitz der Erde, und Seths Familie ließ sie darin,
ohne sie zu bekämpfen. Der Sinn Gottes in ihnen teilte
ihnen diese Kenntnis des Weges Gottes mit. Obwohl
sie, wie wir schon früher bemerkten, keine Vorschriften
besaßen, so waren sie doch im Licht, wie Gott im Licht
ist. Und so wie dem Abraham später nicht gesagt zu
werden brauchte, daß er einen Altar und ein Zelt haben
müsse, so wie er keine Vorschrift des Herrn darüber nötig
hatte, in welcher Weise er die Heirat seines Sohnes ordnen, oder wie er dem Könige von Sodom antworten sollte,
so verstanden auch diese Gläubigen in weit früheren
Zeiten die Heiligkeit der Berufung Gottes und traten
bei der Ankündigung der Befleckung der Erde ihre Reise
nach einem himmlischen Lande an.
97
Wie bewunderungswürdig ist die Wirksamkeit des
Geistes Gottes in Seinen auserwählten Gefäßen! Sie hörten
im Geiste das Wort, bevor die Stimme des Geistes es
aussprach: „Machet euch auf und ziehet hin, denn dieses
Land ist der Ruhort nicht!" (Micha 2, 10.) — „Sie
riefen den Namen Jehovas an." Der Name des Herrn
ist die Offenbarung, die Er über sich giebt, und den
Namen Jehovas anrufen, deutet die Stellung des Heiligen und seinen geistlichen Dienst oder seine Anbetung
Gottes an. „Und es wird geschehen, ein jeglicher, der
den Namen Jehovas anrufen wird, wird errettet werden."
(Joel 2, 32; Röm. 10,13.) „Dir will ich opfern Opfer
des Dankes und anrufen den Namen Jehovas." (Ps.
116, 17.) Das war der Dienst jener ersten Gläubigen,
ein Dienst in Glaube und Hoffnung, eine Anbetung im
Geiste; sie verehrten Gott, getrennt von der Welt, und
warteten in Hoffnung. Kein Tempel, kein prunkvoller,
fleischlicher Dienst, keine menschlichen Einrichtungen und
Verordnungen waren vorhanden. In ihren Wegen und
Gewohnheiten erscheinen sie als ein Volk, welches auf der
Erde wandelt, bis ihre Leiber entweder in dieselbe gelegt,
oder, wie bei Henoch, verwandelt und zum Himmel ausgenommen werden. Sie suchen keine Besitzungen und
Städte; nichts wird uns gesagt von ihren Wohnorten
und Beschäftigungen. Sie waren ohne Ort und Namen,
die Erde kannte sie nicht. Sie sind die frühesten Zeugen
einer himmlischen Fremdlingschaft.
Später ist ein solches Leben in andern Heiligen,
und zwar mehr in seinen schönen Einzelheiten, dargestellt
worden, wie zum Beispiel in Isaak. Obwohl die Welt
gegen ihn war, so stritt er doch nicht mit ihr, weder in
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der That, noch mit Worten; er antwortete nichts und
setzte sich nicht zur Wehr. Die Philister fordern ihn auf,
von ihnen zu gehen, und er geht auf ihr Geheiß. Sie
verderben seine Arbeiten, und er läßt sie gewähren und
trägt es in Geduld. (1. Mos. 26.) So auch sein Vater
Abraham. Nur ist es sehr betrübend zu sehen, daß es
in diesem Falle ein Bruder ist, der den Platz der Welt
einnimmt. Lot wählte, wie die Welt es gethan haben
würde, die wasserreiche Ebene. . Abraham erträgt es
geduldig, obgleich die undankbare und selbstsüchtige Handlungsweise eines Mannes, der mehr Einsicht hätte haben
sollen und der Abraham alles verdankte, weit kränkender
und verletzender war, als das Unrecht von feiten eines
Philisters. (1. Mos. 13.)
Auch Israel nimmt in späteren Tagen die Beleidigung Edoms in demselben Geiste hin. Sie beanspruchen
den Durchzug durch das Land Edoms auf Grund ihrer
Verwandtschaft, sie stellen ihnen ihre mannigfachen Beschwerden und Leiden vor, sowie ihre gegenwärtige Slot
als müde Pilgrime in einem wüsten Lande. Aber Edom
verachtet sie und droht ihnen. Sie bitten von neuem,
aber wieder werden sie beleidigt, und sie erdulden es und
schlagen einen andern Weg ein. (4. Mose 20.) Und gerade
so machte es der Herr in den Tagen Seiner Pilgrimschaft;
Er ging nach einem andern Dorfe, als die Samariter
sich weigerten, Ihn aufzunehmen. (Luk. 9.) Wie köstlich
ist es, den Herrn immer an der Spitze von allem Vortrefflichen zu sehen! Isaak leidet Unrecht von der Welt,
Abraham von einem, der ihm alles verdankte;
Israel leidet gleicherweise von seinen Verwandten,
aber Jesus von solchen, denen Er diente, und die
99
Er segnete, obgleich es Ihn alles kostete, von
der Welt, die Er geschaffen, und von dem Volke, das Er
erwählt hatte; und bei alledem setzt Er Seine Pilgerreise in Liebe und unermüdlichem Dienste fort.
In demselben Geiste verfolgte die Familie Seths in
den Tagen vor der Flut ihren Pilgerpfad. Sie überließen
die Welt Kain. Wir finden nicht das mindeste Anzeichen
eines Streites, noch hören wir irgend welchen Laut der
Klage. In ihren Lebensgewohnheiten und den Grundsätzen ihrer Handlungsweise sind sie so verschieden von
ihrem ungerechten Bruder, als ob sie von einem andern
Stamme oder in einer andern Welt wären. Kains Familie
macht gleichsam die ganze Weltgeschichte: sie bauen Städte,
sie befördern die Künste, sie treiben Handel, sie erfinden
Vergnügungen und Zeitvertreib. Aber in diesem allen
wird die Familie Seths nicht gesehen. Die Einen nennen 
ihre Städte nach ihren eignen Namen, die Andern nennen
sich selbst nach dem Namen Gottes. Die Einen thun alles
Mögliche, die Welt zu ihrem und nicht zu des Herrn
Eigentum zu machen, die Andern geben sich selbst dem
Herrn hin. Kain schreibt seinen eignen Namen auf die
Erde, Seth schreibt des Herrn Namen auf sich selbst.
Wir haben alle Ursache, dem Herrn dankbar zu sein
für diese Schilderung einer himmlischen Fremdlingschaft
hienieden und Ihn um die Gnade zu bitten, etwas von
ihrer lebendigen Kraft in unsern Seelen zu verspüren.
Wohl unS, wenn die Triebe unsers erneuerten Sinnes
uns auf demselben himmlischen Pfade mit der gleichen
Sicherheit und Klarheit leiten! Die Berufung Gottes stellt
uns auf diesen Pfad, und alle Seine Unterweisungen fordern ihn von unS. Die Zersteuungen und Vergnügungen
100
der Kinder Kains waren nichts für solche Pilgrime;
die Erde gewährte ihnen keine Befriedigung. Sie begehrten das sie umgebende Land nicht, sondern suchten ein
besseres, das ist ein himmlisches. *) Es kann deshalb mit
allem Recht von ihnen gesagt werden, daß sie das gerade
Gegenteil von dem Wege Kains bildeten, und daß sie den
Weg Gottes verstanden.
*) Ich betrachte hier die Familie Seths nur nach dem, was
wir in 1. Mose 5 von ihr hören. Ohne Zweifel haben sich auch
hier, wie bei jeder andern Probe des Menschen, Mängel und
Verderben gezeigt; aber ich rede nur von ihrer Stellung und
ihrem Zeugnis, wie wir es hier finden. Söhne und Töchter wurden ihnen geboren, ein Geschlecht folgte dem andern, und ich
zweifle nicht, daß auch unter ihnen der Same des Abfalls gesäek
wurde und Früchte hervorbrachte; aber dies beeinträchtigt keineswegs die Unterweisung,» die uns dieses Kapitel giebt.
So möchte der Herr auch uns haben, Geliebte —
i n der Welt, aber nicht von ihr; vom Himmel, obgleich 
bis jetzt noch nicht in ihm. Paulus wünschte die Gläubigen als solche zu sehen, „deren Wandel in den Himmeln ist," Petrus als „Fremdlinge und ohne Bürgerschaft,
sich enthaltend von den fleischlichen Lüsten, die wider die
Seele streiten;" Jakobus sagt uns, daß „die Freundschaft
der Welt Feindschaft ist gegen Gott," und Johannes, daß
„wir aus Gott sind und die ganze Welt in dem Bösen
liegt."
Sicher geziemt es sich für die Kirche, in dieser Absonderung zu wandeln. Nichts anders als das entspricht
der Berufung Gottes, und ist den himmlischen Hoffnungen
angemessen. Wir atmen allerdings nur schwach und leuchten nur matt im Vergleich mit jenen treuen Zeugen.
Welch einem Zustand der Seele begegnen wir z. B. in
101
einem Kapitel, wie Phil. 4! Welche Tiefe, welch eine
innige, feurige Hingebung! Welch eine außerordentliche
Erhabenheit in allen Lagen und inmitten aller Umstände
und Schwierigkeiten! Ach! leider sind die Worte des
Apostels für uns fast dasselbe, als wenn wir die Sprache
eines andern Landes hörten, oder als wenn Reisende uns
von der Glut und Pracht eines andern Himmels und
Klimas erzählten.
Möge der Herr uns mehr und mehr trennen von
der Welt und von allein, was in ihr ist, und uns Gnade
schenken, als solche dazustehen, deren Wandel in den
Himmeln ist! Möchten wir in Wahrheit singen können:
Dank Dir, o Herr, daß Gold und Schätze
Und Pracht und Schönheit dieser Welt,
Daß kein Ding je mich kann ergötzen,
Das mir die Welt vor Augen stellt!
Mein Jesus, Du bist meine Freude,
Mein Gold, mein Schatz, mein schönstes Bild;
Ngx Du bist meine Lust und Weide,
Und was mein Herz für ewig stillt.
(Schluß folgt.)

Der Tag des Herrn.
„Denn ihr selbst wisset genau, daß der Tag des
Herrn also kommt wie ein Dieb in der Nacht."
(1. Thess. 5, 2.)
„Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie
ein Dieb, an welchem die Himmel vergehen werden mit gewaltigem Geräusch, die Elemente aber
im Brande aufgelöst und die Erde und die Werke
auf ihr verbrannt werden." (2. Petr, ö, 10.)
Der Mensch sowie die ganze Schöpfung muß notwendigerweise in einer von Gott gewollten und von Ihm
102
unerkannten Beziehung zu Ihm selbst stehen; anders ist 
alles in Unordnung. Dieser Zustand der Unordnung kennzeichnet den gegenwärtigen Zeitkauf seit dem Augenblick, da
die ursprüngliche Beziehung des Menschen zu Gott durch die
Sünde unterbrochen wurde. Der Tag des Herrn wird
diesem Zustande ein Ende machen und alles zu seiner
wahren Beziehung zu Gott zurückführen. Das ist der
Zweck dieses Tages. Christus, der zweite Mensch, der
letzte Adam, wird herrschen; und die ganze Zeitdauer Seiner
Herrschaft trägt die Bezeichnung: „Tag des Herrn."
Sehr häufig wird nun die Frage aufgeworfen:
„Wann fängt dieser Tag an, und wann endigt er?"
Diese Frage in Kürze zu beantworten, ist der Zweck dieser
Zeilen.
Wenn die Herrschaft Christi diesen Tag kennzeichnet,
und wenn diese Herrschaft den Zweck hat, alle Dinge in
den Himmeln und auf der Erde zu ihrer wahren Beziehung
zu Gott zurückzuführen, so ist damit der Anfang und das
Ende dieses Tages klar bezeichnet. Es steht zunächst
außer allem Zweifel, daß Christus Seine Herrschaft nicht
eher antreten wird, als bis die Heiligen mit Ihm in
Herrlichkeit vereinigt sind; denn diese sollen mit Ihm
herrschen. „Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt
richten werden? . . . Wisset ihr nicht, daß wir Engel
richten werden?" (1. Kor. 6, 2. 3.) „Wenn wir ausharren, so werden wir auch mitherrschen." (2. Tim. 2,12.)
„Glückselig und heilig, wer teil hat an der ersten Auferstehung! Ueber diese hat der zweite Tod keine Gewalt,
sondern sie werden Priester GotteS und des Christus sein
und mit Ihm herrschen tausend Jahre." (Offbg. 20,4—6.)
Außerdem ist es klar, daß der Tag des Herrn wie«
103
ein Dieb in der Nacht nur über diejenigen kommt, welche
sagen: „Friede und Sicherheit!" nicht aber über die Heiligen, denn diese sind Söhne des Lichtes und Söhne
des Tages. „Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis,
daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle
seid Söhne des Lichtes und Söhne des Tages." (1. Thess.
5, 2—5.) Die Heiligen werden also vor Anbruch dieses
Tages ausgenommen und mit Christo vereinigt werden.
Weiterhin lesen wir, daß der Tag des Herrn nicht
kommt, „es sei denn, daß zuerst der Abfall komme und
geoffenbart sei der Mensch der Sünde, der Sohn des
Verderbens." Dieser Abfall der Christenheit wird der
Aufnahme der wahren Christen sehr bald folgen. Denn
wenn diese aus der Mitte jener hinweggenommen sind,
steht der Vollendung des Abfalls und der Offenbarung
des Gesetzlosen, aber auch der Ankunft des Tages des
Herrn nichts mehr im Wege.
Wir können daher sagen, daß die Aufnahme der
Heiligen, oder mit andern Worten, das Kommen Christi
als Morgenstern zur Aufnahme der Kirche, Seiner Braut,
das erste Anzeichen der unmittelbaren Nähe oder gleichsam daS Grauen dieses Tages ist.
Viele beschränken diesen Tag auf die Erscheinung
Christi oder „Sein Kommen auf den Wolken des Himmels
mit Macht und großer Herrlichkeit." (Matth. 24, 30.)
Solche verwechseln das persönliche Erscheinen des Herrn
mit dem Tage des Herrn. Denn dieser Tag umfaßt,
wie schon bemerkt, die ganze Zeitdauer der Herrschaft
Christi, deren Zweck ist, alles zu seiner wahren Beziehung
zu Gott zurückzuführen; und dies ist erst dann erfüllt,
wenn Gott „alles in allem" sein wird. Alsdann, wenn
104
alle Feinde unterworfen sind, wenn der letzte Feind, der
Tod, hinweggethan und alles Böse beseitigt ist, bedarf
es keiner Herrschaft mehr in diesem Sinne, wie geschrieben
steht: „Denn Er muß herrschen, bis Er alle Feinde
gelegt hat unter Seine Füße. Der letzte Feind, der weggethan wird, ist der Tod. „Denn alles hat Er Seinen
Füßen unterworfen." Wenn Er aber sagt, daß alles
unterworfen sei, so ist's offenbar, daß Der ausgenommen
ist, der Ihm alles unterworfen hat. Wenn Ihm aber
alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn
selbst Dem unterworfen sein, der Ihm alles unterworfen
hat, auf daß Gott alles in allem sei." (1. Kor. 15,25—28.)
Der Tag des Herrn beginnt also mit dem Gericht
der Lebendigen und dauert fort bis zum Beginn des neuen
Himmels und der neuen Erde. Dies geht auch klar aus
dem letzten Kapitel des 2. Briefes Petri hervor, indem
der Apostel dort Ereignisse auf den Tag des Herrn bezieht,
die erst am Schluffe des tausendjährigen Reiches eintreten
werden: „Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie
ein Dieb, an welchem die Himmel vergehen werden mit
gewaltigem Geräusch, die Elemente aber im Brande aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr verbrannt
werden." (2 Petr. 3, 10.)
Dieser Tag wird eingeleitet durch die vorlaufenden
Gerichte der Vorsehung, wie sie uns in dem 6. —19. Kapitel der Offenbarung beschrieben werden, d. h. durch die
Ereignisse, welche bestimmt sind, alles für die Erscheinung
Jesu Christi borzubereiten. Dann folgt das Gericht der
Lebendigen bei der Erscheinung des Herrn auf den Wolken
mit Macht und großer Herrlichkeit; dann die Einführung
der Segnungen des tausendjährigen Reiches; dann endlich
105
das Gericht der Toten, die Auflösung dieser gegenwärtigen
Schöpfung, um einem neuen Himmel und einer neuen
Erde Platz zu machen, und das Hinwegthun des letzten
Feindes, des Todes. „Der Tod und der Hades wurden
geworfen in den Feucrsee." (Offbg. 20, 14.) Damit ist 
„das Ende" gekommen, wo der Sohn „das Reich dem
Gott und Vater übergeben wird." Alsdann wird in seiner
ganzen Tragweite erfüllt sein, was die Menge der himmlischen Heerscharen schon bei dem ersten Kommen des
Herrn in Niedrigkeit verkündigte: „Herrlichkeit Gott in
der Höhe, und Friede auf Erden, an den Menschen ein
Wohlgefallen!"
Diesen ewig glückseligen Zustand einzuführen, war der
Zweck des Kommens Jesu, der Zweck der durch Ihn vollbrachten Erlösung, und ist auch der Zweck des glorreichen
Tages Seiner Regierung in Gerechtigkeit und Gericht.
Nichts Geringeres konnte dem Herzen eines Gottes, dessen
Natur Licht und Liebe ist, entsprechen und genügen, als
ein solch glückseliger Zustand inniger Beziehungen zwischen
Gott und dem Menschen. Wir finden in Offenbarung 21
einen kurzen, aber erhabenen und zugleich rührenden Bericht von diesem Zustande ewiger, unveränderlicher Glückseligkeit: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine
neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde
waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich
sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, herniederkommen aus dem Himmel von Gott, bereitet wie eine
für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine
starke Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe, die Hütte
Gottes bei den Menschen! Und Er wird bei ihnen
wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Gott selbst
106
wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und Er wird abwischen jede Thräne von ihren Augen, und der Tod wird
nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz
wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der
auf dem Thronesaß, sprach: Siehe, ich mache alles neu."
Der Ausdruck: „der Tag des Herrn kommt wie
ein Dieb," zeigt an, daß er plötzlich und unerwartet
hereinbrechen wird. So plötzlich wie die Aufnahme der
Heiligen stattfindet, in einem Nu, in einem Augenblick,
ebenso plötzlich wird auch der Tag des Herrn kommen.
Viele machen das Kommen des Herrn zur Aufnahme der
Seinigen abhängig von vorhergehenden Ereignissen, indem
sie dieses Kommen mit Seinem Erscheinen zum Gericht
verwechseln. Allerdings gehen dem letzteren große Ereignisse
voraus, denn dies hat der Herr selbst zur Genüge angedeutet. Kriege und Kriegsgerüchte, Hungersnot, Seuchen
und Erdbeben werden sein; die Juden werden in ihr
Land zurückgekehrt sein; der Antichrist wird da sein, und
unter seiner Herrschaft wird der jüdische Ueberrest durch
große Drangsale gehen; falsche Christi und falsche Propheten werden aufstehen; es werden Zeichen geschehen an
Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde große Revolutionen — „Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit
bei brausendem Meer und Wasserwogen" — und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Erwartung der
Tinge, die über den Erdkreis kommen; und „dann werden sie sehen den Sohn des Menschen, kommend in einer
Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit." (Matth. 24;
Luk. 21.) Aber wenn diese Dinge geschehen, ist die Kirche
bereits ausgenommen. Es sind dies die vorlaufenden Gerichte, die „Wehen," die Vorboten von der Erscheinung
107
des Herrn; und der gläubige Ueberrest der Juden in jener
Zeit soll merken auf diese Zeichen und daraus lernen,
daß ihre Erlösung, die Erscheinung ihres Erretters, naht.
(Luk. 21,28.) Aber uns, den Gläubigen der Jetztzeit, ist
kein Zeichen gegeben, woran wir die Nähe des Kommens
des Herrn zu unsrer Aufnahme oder auch das Herannahen
des Tages des Herrn merken sollen, *) es sei denn an dem
überhand nehmenden Unglauben. Vielmehr wird bis zu
jenem Augenblick alles seinen gewöhnlichen Lauf verfolgen,
wie der Herr sagt: „Gleicherweise auch, wie eS geschah
in den Tagen Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften,
sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage
aber, da Lot aus Sodom herausging, regnete es Feuer
und Schwefel vom Himmel und brachte alle um. Auf
diese Weise wird es sein an dem Tage, da der Sohn des
Menschen geoffenbart wird." „Denn wie ein Fallstrick
wird er (dieser Tag) kommen über alle, die ansässig sind
auf dem ganzen Erdboden." (Luk. 17, 26 —30; 21, 35.)
*) Wohl mag es Kriege, Seuchen und allerlei große Ereignisse geben, wie'dies im Laufe der Zeiten schon oft stattgefunden hat, aber dies hat mit der Ankunft des Herrn für die
Seinigen nichts zu thun.
Beachten wir das Wort: „An dem Tage aber, da
Lot aus Sodom herausging" — wie verhängnisvoll war
dieses Ausgehen Lots für Sodom! Und von ebenso verhängnisvoller Bedeutung für die Welt wird die Aufnahme
der Kirche sein. Wir können nicht wissen, wie nahe die
Stunde dieser Aufnahme ist; aber wir wissen, daß der
Herr nicht mehr verziehen wird, sobald das letzte Glied
Seiner Kirche hiuzugefügt ist; von dieser Thatsache hängt
alles ab. Gleichwie der Engel zu Lot sagte: „Eile, rette
108
dich dahin, denn ich kann nichts thun, bis du dahin gekommen bist," so unternimmt auch der Herr nichts, bevor
Seine Kirche in Sicherheit ist; denn Er sagt in betreff
ihrer: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt
hast, so will auch ich dich bewahren vor der Stunde
der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen
wird, zu versuchen, die auf der Erde wohnen." (Off. 3,10.)
Wir sehen, daß der Herr die Seinen mit Eile sammelt. Tausende und aber Tausende werden bekehrt in
unsern Tagen, und jeden Augenblick kann das letzte Glied
eingesammelt werden und somit jenes Ereignis hereinbrechen, welches für die Welt so verhängnisvolle Folgen
hat. Wie feierlich und ernst ist dieser Gedanke in bezug
auf die letztere! Wie ermunternd hingegen für diejenigen,
welche den Herrn erwarten! Wie bald können sich die
Leiden, Schmerzen und Prüfungen der Gläubigen in
ewiges Frohlocken und unaussprechliche Freude verwandeln!
Und ebenso bald kaun die anscheinend friedliche Scene um
uns her zu einem Schauplatz des Schreckens, des Entsetzens und der Verzweiflung für die Welt werden.
Wir dürfen überzeugt sein, daß die große Thätigkeit
des Herrn zur Errettung verlorner Sünder in unsern
Tagen ein letzter, ernster Biahnruf an die Christenheit ist,
der sie ohne Entschuldigung läßt für das über sie kommende Gericht der Verstockung und Verblendung, in welchem alle der Wirkung des Irrtums hingegeben werden,
welche die Liebe zur Wahrheit nicht annehmen wollen.
(2. Thess. 2, 10—12.)
Wenn der Herr ein furchtbares -Wehe aussprechen
mußte über die Städte, welche trotz Seiner Zeichen und
Wunder nicht Buße gethan hatten, wie furchtbar wird
109
das Wehe sein für alle, welche die mächtigen Wirkungen
des Geistes Gottes in unsern Tagen gesehen und gehört
und sich doch nicht in aufrichtiger Buße zum Herrn gewandt haben! Sicherlich wird das Gericht der Sodomer
Lande erträglicher sein, nicht nur im Vergleich zu Chorazin
und Bethsaida, sondern vielmehr noch im Vergleich zu
der heutigen Christenheit. (Matth. 11, 20—24.)
Möchten wir daher wachend erfunden werden und
nicht in falscher Sicherheit dahingehen wie die Welt, welche
keine Ahnung hat von der ihr bevorstehenden feierlich ernsten
Stunde, die jeden Augenblick über sie hereinbrechen kann!
Möchten wir eingedenk sein des Zurufs unsers geliebten
Herrn: „Ich komme bald; halte fest, was du hast, auf daß
niemand deine Krone nehme!" (Offbg. 3, 11.) „Die Nacht
ist weit vorgerückt, der Tag aber ist nahe." (Röm. 13, 12.)
Luk. 23, 31.
„Denn wenn man dies thut an dem grünen Holz,
was wird an dem dürren geschehen?" — Welch ernste
Worte aus dem Munde unsers gepriesenen Herrn! Er,
der aus dem Himmel herabkam als der Heiland der Welt,
der freiwillig Mensch wurde, um zu suchen und zu erretten,
was verloren ist, wurde verworfen und befand sich, als
Er jene Worte aussprach, auf dem Wege nach Golgatha,
um gekreuzigt zu werden. Umgeben von dem grausamen
Haß des Menschen, nur von einigen Weibern bemitleidet,
und im Begriff stehend, Sein Leben für uns zu lassen,
öffnet Er Seine Lippen zu jener ernsten Warnung und
weist hin auf das kommende Gericht: „Wenn man dies thut
an dem grünen Holz, was wird an dem dürren
geschehens"
110
Er selbst war offenbar das „grüne Holz," das herabgekommen war in diese frnchtleere, öde und dürre Welt,
erfüllt mit der Frische und dem Lebenssaft der göttlichen
Liebe, und Frucht tragend zur Verherrlichung Gottes.
Sein ganzer Weg von der Krippe bis zum Kreuze war
ein lieblicher Wohlgeruch und eine Ursache steter Wonne
für das Herz des Vaters. Aber der Mensch sah in diesem
„grünen Holz" keine Schönheit; er fand nichts Begehrenswertes in Ihm. Seine Güte rief nur den Haß des Menschen wach, und geschlagen, verspeit und mit Dornen gekrönt, ward Er jetzt zur Kreuzigung geführt. So handelte
der Mensch mit dem geliebten Sohne Gottes; und „wenn
man dies am grünen Holze thut, was wird an dem
dürren geschehen?"
Doch es möchte gefragt werden: Was ist denn das
dürre Holz, von welchem der Herr redet? Ohne Zweifel
dachte Er zunächst an das von Gott entfremdete Judentum, dessen Vertreter Ihn umgaben. Aber, mein Leser,
wir dürfen diesen Vers auch auf uns anwenden. Wir alle
gehören von Natur jener Welt an, die den Herrn der
Herrlichkeit kreuzigte; wir alle sind schuldig vor Gott und
besitzen keine Gerechtigkeit; ja, wir sind gerade das, was
der Ausdruck „dürres Holz" besagen will. Das Urteil
Gottes über uns lautet: Verderbt, ohne Leben, ohne Frucht,
tot in Sünden und Uebertretungen! Wie ernst ist deshalb für
uns alle die Frage: „Was wird an dem dürren geschehen?"
— Trockne, erstorbene Bäume sind zu nichts anderm mehr
tauglich, als abgehauen und ins Feuer geworfen zu werden.
Denke hierüber einen Augenblick nach, mein Leser. 
Wenn du noch ohne Christum bist, so bist du auch noch
ohne Leben, und wenn du auf deinem Wege vorangehst,
111
so wirst du sein wie das Brennholz für den Ofen, wenn
dereinst Gottes Gericht wider die Sünde über diese Welt
hereinbrechen wird. Sage mir, möchtest du nicht lieber
jetzt mit Christo in das „Bündel deS Lebens" eingebunden werden, als am Tage des Gerichts deinen Platz in
den „Unkrautbündeln" zu finden und ins höllische Feuer
geworfen zu werden? Was anders als Gericht und Zorn
kann diejenigen treffen, welche Christum verwerfen? Und
doch kannst du heute noch durch den Tod dieses Christus
ein Besitzer des ewigen Lebens werden. Das Weizenkorn
ist in die Erde gefallen und gestorben und bringt jetzt
viele Frucht. Obgleich der Haß und die Feindschaft des
Menschen Ihn ans Kreuz brachten, so ist doch gerade Sein
Tod und Sein Blutvergießen jetzt der gesegnete Weg
Gottes, aus welchem Er solche annehmen und erretten
kann, wie du und ich von Natur sind. Da wo sich der Haß
des Menschen in überströmender Weise offenbarte, legte
die Gnade Gottes den Grund zur Errettung des Sünders.
Darum noch einmal, mein Leser, erwäge diese ernsten
Worte: „Was wird an dem dürren geschehen?" und frage
dich in der Gegenwart Gottes, was dein Teil für die
Ewigkeit sein wird. Willst du jetzt, in dieser Zeit, zu Jesu
eilen? Willst du zu Ihm kommen, um Ruhe, Leben und
Vergebung bei Ihm zu finden? Wenn nicht, so erinnere
dich daran, daß du zu dem „dürren Holze" gehörst, dessen
Los das Verbrennen ist. Entweder du mußt jetzt Christo
angehören und an und mit Ihm teilhaben, oder du stehst
noch fern von Ihm, auf dem „breiten" Wege, dessen Ende
der Feuersee ist — der zweite Tod! Entweder du hast in
dem Blute Jesu Frieden und Vergebung gefunden, oder
du bist noch in deinen Sünden, fern von Gott und jeden
112
Augenblick in Gefahr, ins ewige Verderben zu stürzen.
O, mein Freund, laß dich bitten, zu Jesu zu eilen, ehe
es zu spät ist! Mache dich auf zu Ihm, ehe noch der
heutige Tag zu Ende geht. Wer kann dir die Gewißheit
geben, ob du morgen noch Gelegenheit dazu haben wirst?
Heute bietet der Herr dir Seine Gnade an; heute
will Er dich die reinigende Kraft Seines kostbaren Blutes
erfahren lassen. Darum komm! wenn nicht — „was wird
an dem dürren geschehen?"
Anbetung Dir, dem Lamme!
Mel.: Wie soll ich dich empfangen.
Anbetung Dir, dem Lamme,
Das unsre Sünden trug.
Dort an des Kreuzes Stamme,
Selbst ward für uns ein Fluch!
Preis Dir! daß Du gegeben
In heißer Liebesglut
Für uns Dein teures Leben
Und Dein Versöhnungsblut.
Wer könnte je ergründen
Die Tiefen und die Höh'n,
Und wer Verständnis finden
Von dem, was dort gescheh'»?
Du, alles Lebens Quelle,
Des ew'gen Gottes Sohn —
Du schmeckt'st an unsrer Stelle
Den Tod, der Sünde Lohn!
Preis und Anbetung bringen
Wir Dir, o Herr, dafür!
Von Deiner Liebe singen
In Schwachheit wir schon hier.
Was wird es sein, wenn droben
In Deiner Herrlichkeit
Dich jeder Mund wird loben,
O Lamm, in Ewigkeit!
Die Welt vor der Flut.
(Schluß)
Nachdem wir uns in den beiden früheren Abschnitten
mit dem Glauben und den Tugenden der Heiligen
jener ersten Tage beschäftigt haben, bleibt uns nun noch
übrig, einen Blick auf ihre Bestimmung und ihre
Segnungen zu werfen.
Die Verwandlung und Ausnahme Henochs war das
erste nachdrückliche Zeugnis von dem großen göttlichen Geheimnis, daß der Mensch einen Platz und ein Erbe in
den Himmeln haben sollte. Durch die Schöpfung war
er für die Erde gebildet worden; der Garten war seine
Wohnung und die ganze Erde sein Besitztum. Aber jetzt
tritt der weit tiefere Vorsatz Gottes ans Licht, eine Auswahl aus den Menschen zu treffen, die Er in den ewigen
Ratschlüssen Seiner überströmenden Gnade für den Himmel bestimmt hat. Bis dahin war dieser erhabene Vorsatz
Gottes nur dunkel geoffenbart worden; in der Person
Henochs aber leuchtet er auf einmal hell hervor. Die
himmlische Berufung in den Herzen jener auserwählten
und begünstigten Familie zeigt sich in ihrem vollen Glanze.
Dieses große Ereignis unter den vorsündflutlichen Patriarchen stellt die Aufnahme der Heiligen, um dem Herrn
in den Wolken zu begegnen, vorbildlich dar.
Das war die hohe Bestimmung dieses auser­
114
wählten Volkes. Die Prophezeiungen Heuochs und Lamechs
sind Beispiele ihrer Segnungen. Es waren in der
That reiche Segnungen; denn jene Prophezeiungen durch
den Heiligen Geist zeigen uns, daß ihnen herrliche Geheimnisse anvertraut waren; sie wurden wie Freunde
behandelt. „Soll ich ihnen verbergen, was ich thun will?"
sagt der Herr gleichsam zu ihnen, wie später zu Abraham.
Und wenn Abraham das Schicksal Sodoms vorher wußte,
so war Henoch das Schicksal der ganzen Welt im voraus
bekannt. (Vergl. Jud. 14 u. 15.) Seine Prophezeiung
offenbart ein wunderbares und herrliches Geheimnis, daß
nämlich die himmlischen Heiligen den Herrn an dem Tage
Seiner Macht und des Gerichts begleiten werden. Später
schildert Lamech den Schauplatz, der jenseits des Gerichts
liegt, die Tage der tausendjährigen Segnung, die Tage
des Himmels auf der Erde. (1. Mos. 5, 19.) Gott hat
die Erde nicht für immer aufgegeben; und diese Heiligen
konnten von diesem großen Geheimnis reden, noch ehe der
Bogen in den Wolken das sichtbare Zeichen davon wurde.
Zugleich wußten sie, daß das Gericht erst über die Erde
kommen mußte, und auch über dieses Geheimnis redeten
sie, bevor die Brunnen der großen Tiefe geöffnet wurden.
Reiche geistliche Segnungen verbinden sich so mit
ihrer hohen persönlichen Würde vor Gott, gerade wie jetzt
bei der Kirche. Sie waren „Verwalter der Geheimnisse
Gottes." Sie konnten „singen von Güte und Recht."
Paulus war mit den näheren Umständen der himmlischen
Berufung betraut. Er spricht von unsrer Aufnahme, um
dem Herrn in der Luft zu begegnen, und von dieser großen
Erwartung, als unserm Trost und als unsrer Errettung
vor dem Tage des Herrn und seinen Schrecken. Henoch
115
stellte dieselbe Sache lange vorher in seiner eignen Person
dar. Johannes spricht von den aufgenommenen Heiligen,
die den Herrn an dem Tage Seiner Macht begleiten und
an der Kriegführung des Reiters auf dem weißen Pferde
teilnehmen werden; (Offbg. 19.) Henoch bezeugte lange
vorher dasselbe in seiner Prophezeiung. Die Propheten
reden davon, daß die Erde einst erneuert werden soll, daß
die Wildnis jubeln, die Wüste blühen und anstatt der
Dornen die Myrte grünen wird; Lamech hatte lange vorher von demselben Trost für die Erde und von der Ruhe
des Menschen von dem Fluche des Erdbodens gesprochen.
Auch finden wir in diesen frühesten Aeußerungen des
prophetischen Geistes eine besondere Lebendigkeit. Gewöhnlich bedeckt der Nebel der Entfernung die Mitteilungen,
die wir von der Zukunft erhalten; die Ereignisse sind
nicht klar, weil sie nicht im Vordergründe stehen, sie sind
in Unbestimmtheit gekleidet; und dies, im Gegensatz zu
der näheren Landschaft, erhöht nur den Eindruck des
Ganzen. Aber wenn zu Zeiten der Hintergrund beleuchtet
wird, so können wir uns daran erfreuen, und in diesen
frühesten Aufzeichnungen werden die letzten Scenen der
göttlichen Handlungen mit außergewöhnlicher und schöner
Bestimmtheit hervorgehoben.
In Henoch sehen wir also das Ende des Weges
jener Familie Gottes; es ist ebenso himmlisch wie der
ganze Weg. Ich meine weniger die Thatsache des
Endens im Himmel, als vielmehr die Art und Weise,
wie dieser Weg endet. „Henoch wandelte mit Gott; und
er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg." Nichts
besonderes kündigte jene herrliche Stunde an; keine großen
Erwartungen oder fremdartigen Ereignisse bezeichneten ihr
116
Herannahen. Es war der naturgemäße himmlische Schluß
einer unausgesetzt himmlischen Reise.
Anders war es später mit Noah. Große Vorbereitungen wurden für seine Rettung getroffen; Jahre
gingen darüber hin, eine genau festgestellte Anzahl von
Jahren. Noah wurde durch das Gericht geführt; Henoch
dagegen wurde, bevor das Gericht kam, an den Platz
gebracht, von welchem es ausging. *) Aber wenn auch
keine Zeichen dieses große, wunderbare Ereignis ankündigten, war die Welt nicht Augenzeuge davon? War es
nicht zu herrlich und zu groß, um im Stillen und Verborgenen geschehen zu können?
*) Ich will hier nicht weiter auf die Anwendung von diesem
allen eingehen; aber es scheint mir, daß der Herr, wenn Er in
Matth. 24 von der jüdischen Auserwählung spricht, Noah zu
Seinem Borbilde nimmt, während der Apostel, der sich an die
Kirche wendet, seine Worte vielmehr der Verwandlung Henochs
entlehnt. Der jüdische Ueberrest wird, wie Noah, durch die Gerichte
geführt werden; die Heiligen dagegen, die jetzt gesammelt werden,
sehen wir an dem Platze, von wo das Gericht ausgegossen werden
soll. Wir werden wiederholt belehrt, wie ich schon bemerkte, daß
die Ausübung der Macht mit dem Herrn an jenem Tage ein
Teil der Herrlichkeit der Heiligen ist. (Vergl. Kol. 3, 4;
Ofsbg. 2, 26; 17, 14; 19, 14.)
Die kurze Beschreibung, welche wir im Hebräerbrief
von der Aufnahme Henochs finden, scheint eine Antwort
auf diese Fragen zu geben. Wir lesen dort: „Er ward
nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte." Aus diesen
Worten dürfen wir wohl schließen, daß die Menschen von
jener herrlichen Stunde keine Kenntnis gehabt haben. Die
Welt scheint Henoch gesucht und nach ihm geforscht zu
haben, wie später die Söhne der Propheten nach Elias;
117
aber es war umsonst. Hieraus geht hervor, daß die
Verwandlung vor den Menschen verborgen geblieben ist,
denn wenn sie dieselbe gesehen hätten, so würden sie nicht
nach ihm gesucht haben.
Jede ähnliche Stelle der Schrift deutet das nämliche
an. Die Herrlichkeit ist in keiner ihrer Formen und Handlungen für das Auge oder Ohr des natürlichen Menschen.
Feurige Pferde und Wagen bedeckten die Berge; aber dem
Diener des Propheten mußten die Augen geöffnet werden,
bevor er sie sehen konnte. (2. Kön. 6, 14 — 17.) Daniel
sah einen herrlichen Mann und hörte seine Stimme, wie
die Stimme einer Menge; aber die Männer, die bei ihm
standen, sahen nichts, nur ein großer Schrecken fiel auf sie.
Der Himmel öffnete sich über dem Haupte des Stephanus
inmitten einer großen Menschenmenge; aber die Herrlichkeit
wurde nur von ihm gesehen. Paulus wurde ins Paradies
entrückt, aber kein Auge nahm seinen Flug dahin wahr.
Und auch als der Herr auferstand aus einer in einen
Felsen gehauenen Gruft und inmitten wachender Kriegsknechte, bemerkte es kein Auge und kein Ohr. Es war
eine Lüge, daß die Wächter des Grabes geschlafen haben
sollten, aber es ist eine Wahrheit, daß sie nichts mehr
von der Auferstehung gesehen haben, als wenn sie auch
geschlafen hätten.
Stille und Verborgenheit kennzeichnen also alle diese
herrlichen Begebenheiten. Gesichte, Auferstehungen, Himmelfahrten, das Herniederkommen der Herrlichkeit auf diese
Erde und das Oeffnen des Himmels droben — alle diese
Dinge gehen vor sich, und der natürliche Mensch nimmt
von allem nichts wahr. Mit der Aufnahme Henochs ist es
sicherlich ebenso gewesen, und so wird auch bald eine andre
118
noch herrlichere Stunde kommen, an welcher alle, „die
des Christus sind," beteiligt sein werden.
Ich schließe hiermit die Betrachtung des fünften Kapitels. Der erste Teil des ersten Buches Mose ist hier zu
Ende, denn diese fünf Kapitel bilden gleichsam einen Band
für sich.
Das erste Kapitel eröffnet diesen Band mit dem
Werke der Schöpfung.
In dem zweiten findet der Herr als Schöpfer
Seine Wonne an der vollendeten Schöpfung und setzt in ihre
Mitte und über sie den Menschen, den Er in Seinem eignen
Bilde erschaffen hatte; Er umgiebt ihn mit allen Segnungen
und Besitzungen, um seine Stellung vollkommen zu machen.
In dem dritten Kapitel sehen wir diesen Menschen
versucht und überwunden, und dann den dadurch hervorgerufenen Ruin der Schöpfung und die von Gott vorgesehene Erlösung.
Das vierte und fünfte Kapitel endlich zeigen uns
den einen Zweig dieser gefallenen Familie, der die Trümmer dieses Verfalls erwählt, und den andern, der sich in
der Erlösung erfreut.
Wie einfach ist das alles und doch wie vollkommen!
Es ist die Erzählung der Ereignisse früherer Tage, aber 
wir leben bis zu dieser Stunde in ihren Resultaten und
Folgen. Es wird uns in diesem kleinen Bande die Darstellung einer auserwählten, gläubigen und himmlischen
Familie gegeben, welche in einer Weise auf der Erde
wandelte, wie wir wandeln sollten, und die zugleich durch
ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Bestimmung dem
Himmel gerade so nahe war, wie wir.
119
Giebt es wohl etwas, was in der Gegenwart des
Herrn mehr Demütigung hervorruft, als die Erkenntnis,
wie wenig unsre Herzen Seine verheißene Herrlichkeit
schätzen? Es ist schrecklich, diese Entdeckung bei sich zu
machen, und doch ist sie nicht schwer. Wir wissen, wie
schnell die augenblicklichen Interessen uns bewegen, wie
ein Verlust im Geschäft oder in der Familie uns niederdrückt und ein Vorteil uns erhebt; und ebenso wissen wir,
wie schwach der Glanz der Herrlichkeit für uns ist, wenn
nur eine Schwierigkeit oder eine Gefahr zwischen ihr und
uns liegt.
Ruft diese Entdeckung wahre Betrübnis in unsern
Herzen hervor, geliebter Leser s Hat sie uns je zum Seufzen
und Flehen vor unserm Gott gebracht? Wie traurig und
ernst ist es, wenn wir hienieden unser Teil suchen, wenn
die Vergnügungen der Welt unsre Herzen erfüllen, oder
wenn ihre Ehrenbezeugungen und Bestrebungen wieder die 
Gegenstände unsrer Herzen werden! Lots Weib ging aus
Sodom hinaus, und zwar in Begleitung eines Auserwählten;
aber dann zeigte es sich, daß ihr Herz noch dort geblieben
war: sie blickte zurück und kam mit der Stadt um. Israel
war schon in der Wüste Paran, und zwar in Begleitung
der Lade Gottes, als es sich offenbarte, daß ihre Herzen
und Gedanken noch bei den Fleischtöpfen Aegyptens verweilten. Welch ernste Ermahnungen für uns alle! Welch
feierliche Warnungen, daß wir nicht mit jenen Lüsten und
Genüssen spielen, gegen die wir einst wachsam waren und
die wir töteten!
„Von jenem Tage und jener Stunde weiß niemand;"
so lauten die ernsten Worte, durch welche der Herr sich
weigert, den Augenblick Seiner Rückkehr zu dem jüdischen
120
Ueberrest kund zu thun. Jener Augenblick wird plötzlich,
unerwartet für sie kommen. Gerade so verhält es sich mit
dem Tode oder auch mit unsrer Aufnahme. In keinem
Falle ist Tag oder Stunde mitgeteilt. Alles ist in ein e m
Worte von tiefer und heiliger Wichtigkeit eingeschlossen, und
dasselbe heißt: „Wachet!" Dieses eine Wort wendet sich
an alle: „was ich euch sage, das sage ich allen: Wachet!"
Wir warten auf „den Sohn vom Himmel," Israel
wird den „Tag des Sohnes des Menschen" zu erwarten
haben; aber niemand kennt die Stunde, in welcher das
Warten sein Ende erreichen wird. Insoweit befinden wir
uns also in derselben Lage wie sie; andrerseits aber giebt
eS dennoch einen Unterschied. Dem jüdischen Ueberrest sind
Zeichen gegeben, das heißt, es sind ihnen gewisse Dinge
genannt, die dem „Tage des Sohnes des Menschen" vorhergehen müssen, obgleich sie den Tag und die Stunde
Seiner Erscheinung nicht kennen. (Vergl. Matth. 24,
32—35.) Den Heiligen der Jetztzeit aber, die „den Sohn
Gottes vom Himmel" erwarten, sind weder solche Zeichen
gegeben, noch ist ihnen etwas von Begebenheiten gesagt,
die notwendigerweise vorhergehen müssen.
Der Herr teilte dem Noah Sein Vorhaben in
bezug auf das Gericht mit, und gab ihm bestimmte Andeutungen über das Eintreffen desselben. Noah wußte,
daß es nicht eher kommen konnte, bis seine Arche gebaut
war. War ihm auch nicht der Tag bekannt, an welchem
die Wasser steigen sollten, so wußte er doch, daß es nicht
eher geschehen konnte, bis er und die Seinen in Sicherheit
gebracht waren. Ebenso ist es mit Israel; verschiedene
Begebenheiten müssen stattfinden, bevor der Sohn des
Menschen wieder hier auf Erden sein kann. Anders aber 
121
war es mit Henoch; kein notwendiges Ereignis hielt seine
Aufnahme auf; sein Wandel mit Gott war alles, was
seiner Himmelfahrt voranging. Gerade so verhält es sich
mit der Kirche, die jetzt gesammelt wird; sie wartet auf
keine Umstände, keine Ereignisse bereiten ihren Weg zum
Himmel vor. Dem jüdischen Ueberrest sagt der Herr, daß
er auf bestimmte Zeichen und Ereignisse acht
haben solle, um zu wissen, daß seine Erlösung nahe sei;
vorher zu sagen: „Die Zeit ist nahe gekommen," bezeichnet Er als Verführung. (Matth. 24, 33; Luk. 21, 8.)
Uns dagegen sagt der Apostel, daß unsre Erwartung stets
nahe ist. (Phil. 4, 5; Jak. 5, 8.) Der Herr ermahnt
den Ueberrest, zu wachen, damit der Tag sie nicht wie
ein Dieb ergreife. Der Apostel ermahnt uns, als solche,
die vom Tage sind, und für welche es sich geziemt, als
Söhne des Tages zu wandeln. (Matth. 24, 43; 1. Thess.
5, 5. 6.) Hierin liegt ein großer, bedeutungsvoller Unterschied. Aber trotz dieses Unterschiedes werden alle gleichmäßig aufgefordert, zu wachen, und sicher kann der Herr
dies mit allem Recht von uns erwarten. Denn da die
angedrohten Gerichte so ernst und schrecklich sind und die
Verheißungen so unaussprechlich herrlich, so ist es nur
«ine geringe Sache, wenn von uns verlangt wird, diese
Dinge als etwas überaus Hohes und Wichtiges zu behandeln, d. h. mit andern Worten, zu wachen.
Das Bewußtsein der Nähe der Herrlichkeit sollte von
uns gepflegt werden; ich meine ihre Nähe, sowohl in betreff
des Raumes, als der Zeit. ES kann uns keine Anstrengung kosten, uns von dieser Nähe zu überzeugen; sie
wird uns sehr klar und bestimmt gelehrt. Tie Gemeinde
Israels wurde am Eingänge des Zeltes der Zusammen­
122
kunft versammelt, und sobald der bestimmte Augenblick
kam, erschien ihnen die Herrlichkeit. (Siehe 3. Mose 8
und 9.) So war es auch bei der Errichtung dieses Zeltes
und ebenso bei der Einführung der Bundeslade in den
Tempel. (2. Mose 40; 2. Chron. 5.) Dasselbe sehen
wir, wenn die Herrlichkeit (obgleich in verschiedenen Charakteren) etwas auszurichten hatte, sei es auf dem heiligen
Berge, oder bei dem sterbenden Stephanus, oder endlich
bei Saulus auf dem Wege nach Damaskus. Was sie
auch auszurichten hatte, und wozu sie auch berufen wurde,
ob zu überzeugen, zu erfreuen und zu verwandeln, oder
den Verfolger zu Boden zu werfen und den Märtyrer
triumphiren zu lassen — stets war sie in einem Augenblick, in einem Nu gegenwärtig. Es ist gleichsam nur ein 
dünner Schleier, der sie verbirgt oder von uns trennt.
Der Pfad ist kurz, und unsre Reise nähert sich eilend
ihrem Ende. Wir sollten den Gedanken daran pflegen,
geliebte Brüder; das giebt Kraft und Trost. Und bald,
wenn die Stunde der allgemeinen Verwandlung gekommen
ist, wenn die Stimme des Erzengels sie ankündigt, wird
die Herrlichkeit in einem Augenblick, in einem Nu wieder
erscheinen, um ihr Werk an uns auszurichten und uns,
angesichts der himmlischen Heerscharen, wie Henoch, zu 
dem himmlischen Kanaan emporzutragen.
Dann wird der Herr in Seinen Heiligen verherrlicht
sein, nicht wie jetzt in ihrem Gehorsam und Dienst, in
ihrer Heiligkeit und in ihren Früchten, sondern in ihrer
persönlichen Schönheit. Gekleidet in Weiß und glänzend
in all der Herrlichkeit, die uns zu teil werden wird, werden wir das wunderbare Zeugnis von dem sein, was Er
für den Sünder, der sein Vertrauen auf Ihn setzte, ge-
123
than hat. Und wie mir jüngst ein geliebter Freund schrieb,
so möchte auch ich dem christlichen Leser dieser Zeilen sagen:
„Keine Lerche stieg je an einem taufrischen Morgen so
heiter und froh empor, um ihr liebliches Lied zu singen,
wie Du und ich emporsteigen werden, um unserm Herrn
in der Luft zu begegnen." Und ebenso möchte ich der
Ermahnung, die mein Freund an diese Worte knüpfte,
auch hier einen Platz geben; sie lautete: „Stelle dies
als eine lebendige Wirklichkeit vor Deine Seele, und dann
warte geduldig auf die Erfüllung Deiner Hoffnung."
„Amen; komm, Herr Jesu!"
Ein Wort über Philadelphia und Laodicäa.
Die sieben Sendschreiben der Offenbarung stellen uns
den Zustand der Kirche auf der Erde in ihren verschiedenen Perioden, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende,
vor Augen. Aber dieser Zustand trägt das bezeichnende
Gepräge eines bis zum Ende hin immer mehr zunehmenden Verfalls, der in dem offenbaren Abfall der Kirche
und der Offenbarung des „Gesetzlosen" seinen Abschluß
findet durch das Gericht.
In dem zweiten Briefe an Timotheus finden wir
die verschiedenen auf einander folgenden Stufen dieses
Verfalls. Zunächst sind es in Kap. 2 die „ungöttlichen,
eitlen Geschwätze, welche zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten" würden. Dann sehen wir in Kap. 3, wie weit
dieser Fortschritt der Gottlosigkeit in den letzten Tagen
gediehen sein wird: „Denn die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer,
den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, ohne natür­
124
liche Liebe, unversöhnlich, Verläumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, die eine
Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen."
Die hier gegebenen Charakterzüge stellen die Christenheit
der letzten Tage mit dem in Röm. 1, 29 — 31 geschilderten Zustand des Heidentums auf gleichen Boden. Doch
hält jene dabei die Form der Gottseligkeit aufrecht, was
dem Bösen nur noch einen häßlicheren und schlimmeren
Charakter verleiht. In Kap. 4 endlich begegnen wir einem
noch weiteren Fortschritt des Bösen: „Sie werden die
Ohren von der Wahrheit abkehren und zu den Fabeln
sich hin wend en." Das ist die letzte Stufe und entspricht genau dem, was wir in 2. Thess. 2 finden, wo es
heißt, daß der „Gesetzlose" kommen wird „nach der Wirksamkeit des Satans, in aller Macht und in Zeichen und
Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit
denen, die verloren gehen, darum daß sie die Liebe zur
Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden. Und
deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrtums, daß sie der Lüge glauben, auf daß alle
gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern
Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit."
Diese letzte Stufe der Gottlosigkeit hat die bekennende
Kirche bis zu diesem Augenblick noch nicht erreicht, obwohl
bereits der größte Teil ihrer Glieder die Ohren von der
Wahrheit abgewandt hat und reif ist für die Aufnahme
des Antichristen. Offenbar macht der Unglaube, der sich
in der Verachtung und Verwerfung der Wahrheit und
alles Göttlichen kundgiebt, in unsern Tagen gewaltige
Fortschritte.
125
Auch in der Epistel Juda finden wir drei aufeinanderfolgende Stufen des Verfalls der Christenheit. Wir lesen
dort: „Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Walaams überliefert, und in dem Wider spruch Korahs
sind sie umgekommen." Gleichwie Kain, und auch die
Juden, unter Aufrechthaltung ihrer eigenen Gerechtigkeit,
sich dem Zeugnis der Gnade widersetzten und das wahre
Volk Gottes verfolgten, indem sie dadurch die Feindschaft
ihres natürlichen Herzens an den Tag legten, so hat auch
die Kirche, unter Aufrechthaltung einer fleischlichen Religion,
sich der wahren Lehre des Christentums, dem Zeugnis von
der unumschränkten Gnade, widersetzt und die wahren
Gläubigen verfolgt; sie hat gleich Balaam gewissenlos um
des Lohnes willen Irrtümer gelehrt, von denen sie wußte,
daß sie die Wahrheit verfälschten und dem Volke Gottes
zum Verderben gereichen mußten, weil sie die Verbindung
der Kirche mit der Welt bezweckten. Diese Verbindung
führt schließlich die Christenheit zu dem völligen Abfall
und der offenbaren Empörung gegen Christum, in welcher
sie gleich der Rotte Korahs umkommt.
Diesen stufenweisen Abfall finden wir auch in den
sieben Sendschreiben. Zuerst haben wir das Verlassen der
ersten Liebe — Christus hat nicht mehr den ersten Platz
inmitten der Kirche, trotz aller noch bestehenden äußeren
Ordnung. Dann begegnen wir in Smyrna Trübsalen und
Züchtigungen, die der Herr kommen ließ, um dadurch nicht
nur ein weiteres Abweichen der Kirche von Ihm zu verhüten, sondern sie auch zur Umkehr zu ihrer ersten Liebe
zu bewegen. Aber kaum hören die Züchtigungen auf, so
sehen wir in PergamuS einen weiteren Fortschritt des
126
Bösen: die Kirche verbindet sich mit der Welt, „sie wohnt
da, wo der Thron Satans ist," und duldet diejenigen in
ihrer Mitte, welche die Lehre Balaams halten. In Thyatira
geht sie dann noch weiter, indem sie sich, gleich Jesabel,
weltliche Macht anmaßt und sich zugleich als eine Prophetin
darstellt, die durch ihren verblendenden Einfluß alles verführt und beherrscht. Der Herr bricht von da an mit ihr
ab, indem Er erklärt, daß sie nicht Buße thun will,
trotzdem Er ihr Zeit dazu gegeben hatte; und Er kündigt
ihr das Gericht an. Inzwischen stellt Er durch die Reformation die Lehre der Rechtfertigung aus Glauben nochmals ans Licht; aber wir sehen in SardeS, daß der aus
der Reformation hervorgegangene Protestantismus trotz
dieser Lehre sich in einem Zustande des Todes befindet.
„Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß
du lebst, und du bist tot." Der Herr kündigt deshalb
auch diesem System das Gericht an; Er will über dasselbe kommen wie über die Welt, d. h. wie ein Dieb.
Die ganze bekennende Kirche, sei sie katholisch oder
protestantisch, bleibt also verwahrt zum Gericht; und bis
dahin beschränkt sich die Wirksamkeit des Herrn allein auf
die Sammlung der Seiuigen aus der Welt, um sie, nachdem das letzte Glied eingesammelt ist, durch die Aufnahme
dem über die Kirche und die Welt kommenden Gericht zu
entziehen. Diese Wirksamkeit des Herrn charakterisirt den
gegenwärtigen Zeitabschnitt, eine Wirksamkeit, die ohne
Gleichen dasteht seit den ersten Tagen des Christentums.
Ueberall sind die Thüren geöffnet für das Evangelium;
große Scharen Wachen auf von ihrem Sündenschlaf, und
Tausende und aber Tausende werden errettet, während
andrerseits der Unglaube erstaunliche Fortschritte macht
127
und somit die Scheidung zwischen Glaube und Unglaube
immer schärfer hervortritt.
In Philadelphia haben wir dann die klare Bezeichnung der gegenwärtigen Periode — das, was durch die
unumschränkte Wirksamkeit des Herrn hervorgerufen ist;
wir haben da die wahren Gläubigen im Gegensatz zu der
toten Masse der Bekenner. Der Vers 8 in diesem Sendschreiben teilt uns in wenigen Worten die Charakterzüge
dieser Gläubigen mit: „Denn du hast eine kleine Kraft
und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen
nicht verleugnet/' Wie groß auch die Schar der Gläubigen
in unsern Tagen sein mag, so bildet sie gegenüber der
bekennenden Blasse dennoch nur einen verschwindend kleinen
Ueberrest und nimmt in den Augen jener eine unscheinbare und verachtete Stellung ein. Und diese Verachtung
trifft sie umsomehr, je treuer sie die Wahrheit aufrecht
hält, ist aber aus diesem Grunde nur eine Bestätigung
ihrer wahren Stellung nach den Gedanken des Herrn.
„Und ich werde in deiner Mitte übrig lassen ein elendes
und armes Volk, die werden ans den Namen Jehovas
vertrauen." (Zeph. 3, 12.) Nichts ist verächtlicher in den
Augen der Bekenner, als dieser unscheinbare Ueberrest, der
in der That nichts aufzuweisen hat, was den Beifall oder
die Bewunderung erregen könnte. Man sieht hier nichts
von der großen Kraft, welche einstmals die Märtyrer
angesichts der Scheiterhaufen, Folterkammern und Gefängnisse mit Mut und Zuversicht erfüllte. Das, was die
Gläubigen Philadelphias kennzeichnet, sind auch nicht große
reformatorische Thaten, die sich in dem Umsturz mächtiger,
bestehender Systeme kundgeben, sondern es ist das einfache
und entschiedene Festhalten an der Wahrheit inmitten eines
128
bekennenden, toten Formenchristentums; es ist die Liebe
und Achtung vor dem Worte Gottes, welchem sie als
ihrer alleinigen Richtschnur zu folgen begehren, sowie endlich die Wertschätzung des Namens Jesu. Und diese Treue
ist um so anerkennenswerter für den Herrn, als sie, wenn
auch in Schwachheit, ausgeübt wird in einer Zeit, wo die 
große Masse der Bekenner angefangen hat, „die Ohren
bon der Wahrheit abzukehren und sich zu den Fabeln hinzuwenden;" wo das Wort Gottes als etwas Veraltetes
beiseite gelegt und der Name Jesu verleugnet und mit
Verachtung überschüttet wird. Die Gläubigen, welche bestrebt sind, den Charakter Philadelphias zur Schau zu
tragen, stehen daher im schroffen Gegensatz nicht allein zu
der toten Masse der Bekenner, sondern auch zu allen
Parteien, indem sie keine andere Richtschnur als das Wort
Gottes und keinen andern Mittelpunkt ihres Zusammenkommens als den Namen Jesu anerkennen. Was anders
haben sie daher zu erwarten, als die schärfste Verurteilung
von allen Seiten?
Natürlicherweise berufen sich alle Parteien auf das
Wort Gottes und behaupten, im Namen Jesu zusammenzukommen; und in gewissem Sinne thun sie dies auch.
Wie könnten sie anders Anspruch auf den Namen einer
christlichen Partei machen? Selbst die gröbsten Jrrlehrer müssen sich auf die Schrift berufen und dürfen
den Namen des Herrn nicht verwerfen, wenn sie anders
unter Christen Eingang finden wollen. So berufen sich
alle Benennungen auf die Schrift, während sie sich doch
schon durch die Annahme eines Namens zu einer Partei
stempeln und durch die Aufstellung von Statuten rc. in
offenbaren Widerspruch mit der Schrift treten. Heißt das.
129
einfach als Gläubige, als die Glieder eines Leibes im
Namen Jesu zusammenkommen?
In unsern Tagen sehen nun viele Gläubige das
Falsche einer solchen Handlungsweise eim; aber anstatt
sich entschieden auf den Boden der Wahrheit zu stellen
und sich mit denen zu versammeln, welche die Einheit des
Leibes, die Einheit aller Gläubigen, am Tische des Herrn
bekennen, richten sie, getrennt von diesen, einen neuen Tisch
ans und ahmen ihnen alles nach. Und wenn solchen Gläubigen darüber Vorstellungen gemacht werden, so entgegnen sie:
„Wir wissen nicht, was ihr wollt; wir haben ja ganz dasselbe, was auch ihr habt." Doch ist dies nur eine neue
List des Feindes, um die Gläubigen von der Wahrheit
fernzuhalten und die Verwirrung immer größer zu machen.
Aber wie betrübend für den Herrn und für den Heiligen
Geist ist ein solches Verhalten von Brüdern! Sie
verurteilen sich selbst, indem sie durch ihre Nachahmung
der Wahrheit die richtige Stellung derer anerkennen, welchen
sie nachahmen; sollten sie sich nicht umsomehr mit diesen
versammeln? Warum bleiben sie von ihnen getrennt?
Was hindert sie, sich mit Gläubigen, deren Stellung sie
als wahr und dem Worte gemäß anerkennen, auch in
einem Geiste zu versammeln? Mögen solche sich selbst
die Antwort geben vor Dem, der Herzen und Nieren prüft.
Indessen dürfen wir keinen Augenblick die Thatsache
aus dem Auge verlieren, daß alle Gläubigen der
Jetztzeit in Philadelphia einbegriffen sind. Alle sind
Glieder des einen Leibes, und der Herr erkennt sie alle
an als die Seinigen, in welcher Partei sie sich auch befinden mögen. Alle werden bewahrt werden vor der
Stunde der Versuchung, die bald über den ganzen Erdkreis
130
kommen wird. Und sicher ist es ein Zeichen der Zeit, daß
sich unter den wahren Christen immer mehr die Ueberzeugung Bahn bricht, daß sie berufen sind, sich abzusondern von der Welt, von den Ungläubigen und von allen
menschlichen Satzungen, und daß die Ankunft des Herrn
sehr nahe ist. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in
diesen letzten Tagen geht dahin, die Gläubigen immer
mehr auf den Boden von Philadelphia zu führen und
ihnen zu zeigen, daß inmitten des allgemeinen Verfalls
Absonderung von dem Bösen und ein treues, entschiedenes Festhalten an dem Worte Christi der einzige
dem Herrn wohlgefällige Weg ist, entsprechend dem
Charakter, den Er in dem Sendschreiben an Philadelphia
annimmt, als der „Heilige" und der „Wahrhaftige."
Doch während wir das stets zunehmende Erwachen
dieser Ueberzeugung mit innigem Dank gegen den Herrn
anerkennen, müssen wir es um so tiefer beklagen, daß so
viele der Gläubigen auf halbem Wege stehen bleiben, anstatt sich völlig von allem Parteiwesen zu trennen und
das Zeugnis von Philadelphia treu darzustellen. Der Herr
erkennt gewiß alles an, was in Unterwürfigkeit unter
Sein Wort geschieht, aber die Parteien als solche kann
Er nicht anerkennen; anders müßte Er sich in Widerspruch
mit Seinem eignen Worte stellen. Und das ist selbstverständlich unmöglich. Er selbst betete am Abend vor Seinem
Leiden zum Vater: „Aber nicht für diese allein bitte ich,
sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich
glauben, auf daß sie alle eins seien, gleichwie Du,
Later, in mir und ich in Dir, auf daß auch sie in uns
eins seien, auf daß die Welt glaube, daß Du mich gesandt hast." (Joh. 17, 20. 21.) Und Er ist darum ge­
131
storben, „auf daß Er die zerstreuten Kinder Gottes in
eins versammelte." (Joh. 11, 52.) Deshalb verwirft
das Wort Gottes, im Einklang mit diesen Gedanken des
Herrn, entschieden die Parteien als menschlich und fleischlich. „Denn ihr seid noch fleischlich. Denn da Neid und
Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt
nach Menschenweise? Denn wenn einer sagt: Ich bin des
Paulus; der andere aber: Ich des Apollos; seid ihr
nicht menschlich?" (1. Kor. 3, 3. 4.) Ebenso bezeichnet
der Apostel in Gal. 5, 20 die Sekten als Werke des
Fleisches, indem er sie mit Götzendienst, Zank w. auf
gleichen Boden stellt.
Aus diesem Grunde nun muß jeder Gläubige alles
Parteiwesen verwerfen, will er anders mit dem Worte
des Herrn und dem Geiste der Versammlung in Philadelphia im Einklang sein; und er wird dieses thun, wenn
er in Wahrheit Achtung vor dem Worte Gottes hat und
den Wert des Namens Jesu kennt. Ein solcher ist nie
leichtfertig in bezug auf den Willen und die Ehre seines
Herrn und das Wohl Seiner Versammlung, und er giebt
dies zunächst kund in einem tiefen Schmerz und in der
aufrichtigen Betrübnis seines Herzens beim Anblick der
großen Zerrissenheit so vieler Kinder Gottes. Dies ist
ein höchst wichtiger Punkt, ein Charakterzug, der in den
schweren Zeiten des Volkes Gottes die wahrhaft Treuen
stets gekennzeichnet hat. Denken wir z. B. an die tiefe
Betrübnis, welche treue Männer, wie Jeremias, Daniel,
Esra u. A., über den traurigen Zustand des Volkes Gottes
in ihren Tagen empfanden, während sie persönlich von
den Sünden desselben frei geblieben waren. „Mit Wasserbächen rinnet mein Auge wegen des Ruins der Tochter
132
meines Volkes. Mein Auge fließt und kann nicht ruhen,
ohne Aufhören, bis Jehova herniederschaue und es sehe."
(Klagl. Jerem. 3, 48. 49.) „Ach Herr, Du großer und
furchtbarer Gott .... Wir haben gesündigt und Unrecht gethan und gesetzlos gehandelt und uns empört . . .
Dein, o Herr, ist die Gerechtigkeit, unser aber die Beschämung des Angesichts rc." (Dan. 9.) „Und als ich diese
Worte hörte, zerriß ich mein Kleid und mein Obergewand,
und raufte die Haare meines Hauptes und meines Bartes
aus, und saß betäubt. Und zu mir versammelten sich alle,
die da zitterten vor dem Worte des Gottes Israels
wegen der Treulosigkeit der Weggeführten; und ich saß
betäubt bis zum Abendopfer. Und beim Abendopfer stand
ich auf von meiner Trauer, und mit meinem zerrissenen
Kleide und Obergewande, und beugte mich auf meine
Kniee und breitete meine Hände aus zu Jehova, meinem
Gott, und sprach: Mein Gott, ich schäme mich und erröte,
mein Angesicht zu Dir, mein Gott, zu erheben! Denn
unsre Ungerechtigkeiten sind über das Haupt gewachsen, und
unsre Schuld ist groß geworden bis an den Himmel. Von
den Tagen unsrer Väter an sind wir in großer Schuld
gewesen bis auf diesen Tag .... Und als Esra betete
und bekannte, weinend und sich niederwerfend vor dem
Hause Gottes, versammelte sich zu ihm von Israel eine
sehr große Versammlung, Männer und Weiber und Kinder;
denn das Volk weinte mit vielem Weinen." (Esra 9.10.)
Hören wir ferner, mit welchen Gefühlen Paulus den
traurigen Zuständen der damaligen Christen gegenüber stand:
„Denn aus vieler Drangsal und Herzensangst schrieb ich
euch mit vielen Thränen." „Denn ich fürchte, daß ich,
wenn ich komme, euch etwa nicht als solche finde, wie
133
ich will, und daß ich von euch als solcher erfunden werde,
wie ihr nicht wollt: daß etwa Streitigkeiten, Neid, Zorn,
Zwietracht, Verläumdungen, Ohrenbläsereien, Aufgeblasenheit, Verwirrungen da seien; daß, wenn ich wieder komme,
mein Gott mich euerthalben demütige, und ich über viele
trauern müsse, die zuvor gesündigt und nicht Buße gethan haben." (2. Kor. 2, 4; 12, 20. 21.) „Denn viele
wandeln, von denen ich euch öfters gesagt, nun aber 
auch mit Weinen sage, daß . . ." (Phil. 3, 18.)
Wenn diese treuen Männer also trauerten und weinten beim Anblick der betrübenden Zustände des Volkes
Gottes in ihren Tagen, so geziemt sich gewiß dasselbe
auch für uns beim Anblick der Zerrissenheit unter den
geliebten Kindern Gottes in unsern Tagen. Wenn Daniel
sagte: „Unser ist die Beschämung," und: „Wir haben
gesündigt," und wenn Esra bekannte: „Von den Tagen
unsrer Väter an sind wir in großer Schuld gewesen bis
auf diesen Tag," müssen wir dann nicht dasselbe sagen
angesichts des Verfalls der ganzen Kirche von Anfang an
bis heute? Müssen wir uns nicht schämen und demütigen
über alles dieses als unsre eigne Schuld, und erröten
vor dem Angesicht Gottes?
Gewiß haben wir alle Ursache, uns tief zu demütigen.
Und wir können überzeugt sein, daß alle, die es thun
und Leid tragen über den Zustand des Volkes Gottes in
unsern Tagen, in Uebereinstimmung mit den Gedanken
des Herrn und dem Geiste der Versammlung von Philadelphia sind. Sie trennen sich von dem Parteiwesen und
allem, was dem Charakter Philadelphias zuwiderläuft.
Solchen fällt es nicht schwer, den richtigen Pfad in unsern Tagen der Verwirrung zu finden, das Wahre von
134
dem Falschen, die Wirklichkeit von dem Schein zu unterscheiden. „Er leitet die Sanftmütigen im Recht, und lehrt
die Sanftmütigen Seinen Weg." (Pf. 25, 9.) Und
wiederum: „Die wegen der Versammlung Betrübten
werde ich versammeln, sie sind aus dir; die Schmach auf
ihr war ihnen eine Last." (Zeph. 3, 18.) Solche lassen
sich nicht beirren durch alle die trügerischen Nachahmungen,
deren sich der Feind in seinem Widerstand gegen die 
Wahrheit bedient, um immer neue Parteien ins Leben zu
rufen. Wohl mögen manche unter diesen in Unwissenheit
und guter Meinung handeln; aber wahr bleibt es, daß
alle, die wirklich Leid tragen über die Spaltung der
Gläubigen, nicht dazu beitragen werden, diese durch die
Bildung neuer Parteien noch immer größer zu machen;
vielmehr werden sie bald das Unrichtige durchfühlen und
den rechten Platz einnehmen. Doch müssen wir befürchten,
daß in dieser Beziehung das Wort des Apostels an die
Gläubigen zu Korinth auch auf viele Gläubigen unsrer
Tage anwendbar ist: „Und ihr seid aufgeblasen und habt
nicht vielmehr Leid getragen." (1. Kor. 5, 2.) Ich wiederhole daher nochmals^ das, was uns allen ohne Unterschied geziemt, ist eine tiefe, ernste Demütigung vor Gott,
denn wir tragen alle ohne Ausnahme Schuld an dem
traurigen Verfall, der unS umgiebt. Und wir können überzeugt sein, daß da, wo diese Schuld mit wahrem Schmerz
gefühlt wird, auch eine wahre Beugung und Unterwürfigkeit
unter das Wort Gottes vorhanden und das Zusammenkommen im Namen Jesu Wirklichkeit sein wird. Viele, ja,
alle Parteien meinen, im Namen Jesu zusammenzukommen,
(und, wie schon gesagt, in gewissem Sinne thun sie es
auch) aber sie verstehen nicht, und viele wollen es auch
135
nicht verstehen, daß ein Zusammenkommen im Namen Jesu
in des Wortes wahrer Bedeutung jede Wirksamkeit des
Menschen ausschließt und nur der Wirksamkeit und Leitung
des Heiligen Geistes Raum läßt — einer Wirksamkeit,
die in völligem Einklang mit dem Worte Gottes steht.
Eine Partei als solche ist nie im Einklang mit dem Worte
Gottes. Es ist tief schmerzlich und geradezu verletzend für
das christliche Gefühl, zu sehen, wie manche Gläubige gewissenlos über das Wort Gottes hinweggehen oder es gar
verdrehen, nur um den Standpunkt ihrer Partei zu rechtfertigen und um jeden Preis, sei es selbst auf Kosten der
Wahrheit, zu behaupten. Möge der Herr sich Seiner armen
Herde erbarmen! Möge Er den Seinen die Augen öffnen,
damit sie alle im Gefühl ihrer großen Schuld an ihre
Brust schlagen und bekennen: „Wir haben gesündigt!"
„Unser ist die Beschämung des Angesichts!"
O, möchten wir doch alle in Wahrheit „zittern
vor Seinem Wort!" (Jes. 66, 5.) Mögen wir dann
auch ein Gegenstand der Verachtung sein — der Herr erkennt
uns an, und das ist genug. Er ruft uns zu: „Weil du
das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so will auch
ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die
über den ganzen Erdkreis kommen wird, zu versuchen, die
auf der Erde wohnen. Ich komme bald; halte fest,
was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme."
(Offbg. 3, 10. 11.)
Geliebte Brüder, wir stehen vor der Stunde der Entscheidung, einer feierlich ernsten Stunde, die jeden Augenblick hereinbrechen kann. Dies ist charakteristisch bezüglich
der Stellung der Versammlung von Philadelphia. Wir
sind umgeben von einem System, welches reif ist für das
136
Gericht; aber die Gnade hat uns von demselben getrennt
und uns einen Platz gegeben „außerhalb des Lagers,"
um jeden Augenblick unsre Aufnahme zu erwarten. Bedenken wir, welch eine Stellung das ist! Laßt uns durch
die Gnade in der Macht des Heiligen Geistes diese Trennung vom Bösen und die Erwartung des Herrn mit aller
Entschiedenheit und Treue aufrecht halten! Laßt uns festhalten, daß der Herr nahe ist! Laßt uns alle Dinge um
uns her im Lichte dieser feierlichen „Stunde" betrachten,
und dieselben nach ihrem wahren Werte beurteilen!
Werfen wir schließlich noch einen Blick auf Laodicäa..
Wie schon bemerkt, haben wir in Philadelphia die Vertretung aller wahren Gläubigen der Jetztzeit. Hier hingegen haben wir die Vertretung einer Klasse von Personen,
an welche wir nur mit Wehmut und tiefem Bedauern denken
können. Wir haben es hier nicht mit dem offenbaren Unglauben zu thun, welchem sich heutzutage die große Masse
immer entschiedener in die Arme wirft, sondern mit dem,
was, entgegen diesem starren Unglauben, das Bekenntnis
des Christentums unter irgendwelcher Form noch aufrecht
hält und sich dadurch von der, alles Göttliche mit Füßen
tretenden Masse unterscheidet. Wir sehen, daß diese die
Ohren von der Wahrheit abkehrt und sich zu den Fabeln
hinwendet, um der Lüge zu glauben; daß sie das charakteristische Kennzeichen der letzten Tage, das der „Spötter,"
zur Schau trägt, indem sie mit frechem Hohn alles Heilige
verachtet, um sich der Zügellosigkeit und Ausschweifung
um so ungestörter hingeben zu können, wie geschrieben
steht: „Zuerst dieses wissend, daß in den letzten Tagen
Spötter mit Spötterei kommen werden, die nach ihren
eignen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung.
137
Seiner Ankunft?" — „Ihr aber, Geliebte, gedenket an die
Worte, welche euch zuvor gesagt sind von den Aposteln
unsers Herrn Jesu Christi, daß sie euch sagten, daß am 
Ende der Zeit Spötter sein werden, die nach ihren eignen
Lüsten der Gottlosigkeit wandeln." (2. Petr. 3, 3. 4;
Judas 17.) Je näher wir dem Ende kommen, desto schärfer
sehen wir diese Zügellosigkeit des Unglaubens der großen
Masse hervortreten, und nicht mehr fern ist der Augenblick, wo sich dieselbe in dem ganzen Umfange ihres wahren
Charakters offenbaren und gleich „den wilden Wogen des
Meeres ihre eignen Schändlichkeiten ausschäumen" wird.
(Judas 13.)
Diese Charakterzüge finden wir nicht bei der durch
Laodicäa vertretenen Klasse von Personen. Im Gegenteil
halten diese fest an den althergebrachten Ueberlieferungen
des Christentums, an dem Glauben an die Heiligen Schriften, dem Glauben an Jesum Christum, als den alleinigen
Erlöser und Seligmacher, dem Glauben an Seine Wiederkunft, dem Glauben an eine ewige Seligkeit und ewige
Verdammnis rc. Aber trotz allem diesem fehlt ihnen das
wahre Wesen des Christentums — das Leben. Der Herr
sagt: „Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch
warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest!" Sie
stehen weder auf dem Boden der ungläubigen Masse,
noch auf dem Boden der wahren Gläubigen.
Unwillkürlich werden wir hier an das Gleichnis von
den zehn Jungfrauen erinnert, von denen der Herr sagt,
daß fünf von ihnen klug und fünf thöricht waren. So
groß auch der Unterschied zwischen diesen beiden Klassen
ist — und sicherlich ist er groß genug, um eine breite
Klust zwischen ihnen zu bilden — so ist er dennoch für
138
einen bloß oberflächlichen Beobachter nicht leicht wahrnehmbar. Beide verbindet bis zu einem gewissen Punkte
ein gemeinsames Interesse: die Verwerfung des offen-,
baren Unglaubens und die Achtung vor dem Göttlichen.
Alle sind ausgegangen, dem Bräutigam entgegen; alle haben ihre Lampen geschmückt. Alle haben
sich von der offenbar gottlosen Welt abgewandt und
erwarten, das Bekenntnis des Christentums hochhaltend,
den Herrn, wie verschieden übrigens auch ihre Ansichten
über Seine Ankunft sein mögen. Aber wie ernst! Die
Hälfte von ihnen täuscht sich über sich selbst. Sie sind
eingenommen von sich selbst und ihrer eignen Gerechtigkeit;
sie haben ihren verlornen Zustand noch nie in Wirklichkeit
im Lichte der Gegenwart Gottes gesehen. Trotz des
Interesses und Eifers, welchen sie für alles Religiöse und
-Christliche, für wohlthätige Anstalten, Mission und Förderung christlicher Bestrebungen an den Tag legen, trotz
ihrer regen Beteiligung an religiösen Versammlungen und
Vereinen, trotz ihrer Bekanntschaft mit dem Worte Gottes
und ihren fleißigen Gebetsübungen — trotz aller dieser
Dinge befinden sie sich in einer gefährlichen Selbsttäuschung. Der Herr erinnert sie daran: „Weil du
sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf
nichts, und weißt nicht, daß du der Elende und
Jämmerliche und arm und blind und bloß bist. Ich rate
dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf
daß du reich werdest rc."
Obgleich indes der Herr ihnen eine besondere Aufmerksamkeit schenkt in der gegenwärtigen Zeit, um sie von
dieser Selbsttäuschung zu befreien, so ist doch ihr Zustand ein sehr unzugänglicher für die Gnade infolge ihrer
139
schrecklichen Verblendung. Es ist mehr Hoffnung vorhanden, einen offenbar Ungläubigen von seinem Zustande
zu überzeugen, als solche durch ihre eingebildete Frömmigkeit verblendete Eigengerechte. „Ach, daß du kalt oder
warm wärest!" Es giebt in Wahrheit nichts, was der
Natur Gottes mehr zuwider sein könnte, als diese eingebildete Frömmigkeit des Fleisches, womit diese Verblendeten ihre wahre Natur vor Gott zu verbergen suchen.
„Also, weil du lau bist, so werde ich dich ausspeien aus
meinem Munde." Wie nichts im Feuer des Gerichts
bestehen kann, als nur die Gerechtigkeit aus Gott
durch den Glauben an Christum, so werden auch diese
mit ihrer eignen Gerechtigkeit nicht bestehen können in der
Stunde der Versuchung. Möchten sie den Rat des Herrn
annehmen und „Gold von Ihm kaufen!" Möchten sie
ihre Armut und ihr Elend einsehen, ehe es zu spät ist!

der in der täglichen Erwartung seines
Herrn lebt, wird notwendigerweise von alledem getrennt
sein, was bei der Erscheinung Christi gerichtet und hinweggethan werden wird.
Wir sollten uns nicht so sehr beschäftigen mit der
Kürze und Unsicherheit des menschlichen Lebens, noch mit dem
vergänglichen und unbefriedigenden Charakter der zeitlichen
Dinge — obwohl beides völlig wahr ist — sondern vielmehr Wit der Thatsache: „Der Herr ist nahe!" Wenn
diese Wahrheit vor unsrer Seele steht, so wird sie einen
weit mächtigeren und gesegneteren Einfluß auf uns ausüben, als die Beschäftigung mit jenen Dingen.
140
„Du bist würdig!"
(Nach dem Englischen.)
Heiland auf dem Gottesthrone,
Vor Dir beugen wir das Knie.
Bald verklärt in Herrlichkeit,
Jauchzen wir dem Gottessöhne:
„Du bist würdig,
Durch Dein Blut sind wir befreit!"
Herr, ob Dich die Welt veracht'te,
Ob sie an das Kreuz Dich schlug —
Preis Dem, der Dich für und für
Zu dem Herrn der Schöpfung machte.
„Du bist würdig,
Durch Dein Sterben leben wir!"
Mag uns auch die Welt verkennen,
Wenn D u nur voran uns gehst! —
Solch ein Teil an Deinem Los,
Sollten wir's nicht Ehre nennen?
„Du bist würdig,
Denn du hast uns Dir erlöst!"
Möchte bald der Tag erscheinen,
Da nach dieser Leidenszeit
Der Erlösten Jubel schallt,
Und Du stillest alles Weinen!
„Du bist würdig;
Komm, Herr Jesu, komme bald!"
Noah.
(1. Mose 8—11.)
„Durch Glauben bereitete Noah, da er einen göttlichen Ausspruch über das, was noch nicht zn sehen
war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche
zur Rettung seines Hauses, durch welche er die Welt
verurteilte und Erbe der Gerechtigkeit ward, die nach
dem Glauben ist." (Hebr. 11, 7.)
Der erste Blick auf das, was uns von den Zeiten
Noahs erzählt wird, läßt uns eine vollständige Veränderung des ganzen Zustandes der Dinge seit den Tagen
der Schöpfung erkennen. Der Grund dieser außerordentlichen Umwälzung ist nicht schwer zu finden. In der
Schöpfung war Gott allein in Weisheit und Güte thätig,
und deshalb war alles gut und schön. Bei jeder Wiederkehr von Abend und Morgen ruhte das Auge Gottes mit
Wohlgefallen auf dem, was Seine Hand bereitet hatte;
Gr sah, daß alles sehr gut war, und so ruhte Er am
siebenten Tage und heiligte ihn. Aber jetzt ist nicht mehr
die Hand Gottes beschäftigt, um ein vollkommenes Werk
zu Seinem Wohlgefallen zu schaffen, sondern der gefallene
Mensch füllt den Schauplatz mit Verderben und Gewaltthat, zum Kummer und Schmerz Gottes. Darin liegt
das Geheimnis der Veränderung. Der Mensch ist an der
Arbeit gewesen, nicht der lebendige gesegnete Gott. Daher
ist die Erde voll Gewaltthat; Riesen sind da, Helden,
142
Männer von Ruhm, und das Dichten und Trachten derer,
die damals „den gegenwärtigen bösen Zeitlauf" bildeten,
war nur böse den ganzen Tag.
Die Veränderung ist eine vollständige; das Jubeln
der Morgensterne, das Jauchzen der Söhne Gottes findet
kein Echo mehr in der Schöpfung. Der Mensch hat sich
ausgebreitet, aber nicht so, wie er aus den Händen Gottes
hervorgegangen war, unschuldig und rein und als der
glückliche Herr einer sündlosen Erde, sondern als ein verderbter Sünder, als ein verworfener, böser Arbeiter.
Das ist es, was den Anfang des sechsten Kapitels
des 1. Buches Mose charakterisirt. Giebt es denn in der
ganzen Schöpfung kein Heilmittel für dieses schreckliche
Verderben? Nein, kein Heilmittel, keine Hoffnung! Selbst
die Söhne Gottes sind verderbt und mit in den Kot gezogen worden. Die Töchter der Menschen haben sie zur
Hurerei verleitet, und sie, die einst reiner waren als Schnee 
und weißer als Milch, sind schwärzer geworden als Kohle;
das Zeugnis lautet auch über sie: „er ist auch Fleisch."
(V. 3.) Wie einst Adam durch die List der Schlange,
so wurden jetzt die Söhne Gottes durch die Schönheit der
Töchter der Menschen verführt, der Lust ihrer Augen und
den Begierden ihres Herzens zu folgen. „Sie nahmen sich
Weiber aus allen, die sie erwählten." Sie vergaßen Gott,
und sobald dieses geschieht, ist es einerlei, ob die Verführung
in einem Versprechen der Schlange oder in der Schönheit
eines Weibes besteht.
Die Zunahme des Verderbens hielt gleichen Schritt
mit der Vermehrung der Menschen auf der Erde. Aehnliches finden wir in der Geschichte der Kirche; als die 
Zahl der Jünger sich vermehrte, da entstand Murren un!>
143
Streit. Ach, dem Menschen ist nie zu trauen; je köstlicher
das Gut ist, welches ihm Gott anvertraut, desto schrecklicher wird er es verderben, und je mehr er an Zahl
zunimmt, desto schlimmer stehen die Dinge. Ja, was ist der
Mensch! „Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an,
weil Er alle kannte und nicht bedurfte, daß jemand Zeugnis gebe von dem Menschen; denn Er selbst wußte, was
in dem Menschen war." (Joh. 2, 24. 25.)
Das also war der Zustand auf der Erde in den
Tagen Noahs, und über all das Verderben und die Gewaltthat, welche die Erde bedeckten, wird das Gericht
Gottes verkündigt: „Mein Geist soll nicht ewiglich
rechten mit dem Menschen." Zwar giebt Gott in Seiner
Langmut noch eine Frist, indem Er hinzufügt: „seine
Tage seien hundertundzwanzig Jahre;" — aber das Gericht wird angekündigt, der Tag der Heimsuchung wird
kommen, der Geist wird nicht ewiglich rechten.
Aber Gott sei gepriesen! Er ist nicht nur ein Gott
des Gerichts, sondern auch der Rettung. Mag auch das *
Werk Seiner Hand Ihn getäuscht haben, wenn wir so
reden dürfen, so wird Er doch Seine Freude an den
Ratschlüssen Seines Herzens finden. „Noah fand Gnade
in den Augen Jehovas." .Der Mensch als Sünder wird
jetzt der Gegenstand der auserwählenden, vergebenden und
rechtfertigenden Liebe; er setzt jetzt das Herz Gottes in
Thätigkeit, wie er einst bei der Schöpfung Seine Hand
beschäftigt hatte. Doch wollte Gott die Schöpfung nicht
einfach wiederherstellen und in ihren früheren Zustand
zurückführen; das wäre Seiner nicht würdig gewesen. Im
Blick auf den Menschen konnte es Ihn nur reuen, daß
Er ihn geschaffen hatte, und in betreff des Schauplatzes
144
um ihn her waren die Gedanken Gottes für immer verändert. Der Mensch, so wie er aus der Erdscholle gemacht
worden ist, kann nie wieder den Gegenstand der Wonne
Gottes bilden, aber die Gnade kann einen neuen Gegenstand bereiten, indem sie nicht daS verdorbene Gefäß verbessert, sondern ein neues bildet, nach dem Gutdünken
und nach den Gedanken des Töpfers. In seinem alten Zustande
war es ruinirt; aber die Gnade nimmt es genau so, wie es
ist, um ein glückliches und wohlgefälliges Gefäß, voll der reichsten Schätze und aller möglichen Schönheit daraus zu machen.
Noah fand also Gnade in den Augen Gottes und
erhielt eine göttliche Unterweisung; denn ein auserwähltes
Gefäß ist stets ein Gefäß für die Wirksamkeit des Geistes
Gottes. Der Herr teilte ihm Seine Gedanken mit; Er
sagte ihm, daß das Gericht einer bösen Welt, deren Maß
jetzt voll war, von Ihm beschlossen sei, aber daß er selbst
mit seinem Hause gerettet werden sollte. Diese Mitteilung
hatte einen ernsten, aber auch einen sehr köstlichen Charakter; sie entsprach genau dem, was Gott vorher in
Seinem eignen Herzen beschlossen hatte. So wie Er bei
Seiner geheimen Beratschlagung gesagt hatte: „Mein Geist
soll nicht ewiglich rechten mit dem Menschen," so teilte
Er jetzt Seinem AuSerwählten mit, daß das Ende alles
Fleisches vor Ihn gekommen sei; Er machte ihn mit
Seinen Gedanken und mit Seinem Urteil über den moralischen Zustand der Erde bekannt, gerade so wie Er sie
vorher im Geheimen ausgesprochen hatte; und schließlich
befahl Er ihm, eine Arche zur Rettung seines Hauses zu
bauen, entsprechend der Thatsache, daß Noah nach den
Ratschlüssen Seiner erwählenden Liebe schon lange vorher
Gnade in Seinen Augen gefunden hatte.
145
Laßt uns diesen Umstand wohl beachten! Es wird
sehr zur Befestigung unsrer Herzen beitragen. Er zeigt
uns, wie g enau und wie vollständig die Offenbarung,
welche Gott uns giebt, uns Seine Gedanken mitteilt.
„Soll ich vor Abraham verbergen, was ich thue?" sagt
Gott bei einer andern Gelegenheit, als Er, wie hier,
gleichsam mit sich selbst zu Rate gegangen war. Und der
Herr Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „Ich habe euch
Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem
Vater gehört, euch kund gethan habe." Doch giebt es
hierbei eine Ausnahme. Gott hatte 120 Jahre als
Gnadenfrist festgesetzt, und Noahs Predigt währte genau
so lange. Aber von diesem Vorsatz Gottes, von dieser
genau vorher bestimmten Frist wurde Noah nichts mitgeteilt. Der Herr erwähnte diese bestimmte Anzahl von
Jahren in Seiner Unterredung mit ihm nicht. Wohl
wußte Noah, daß die Wasser nicht überhand nehmen
konnten, bis er und die Seinen in der Arche in Sicherheit waren; aber wie lange das Bauen derselben dauern,
oder ob nach ihrer Fertigstellung noch eine Zeit vergehen
würde, das wußte er nicht. Diesen Teil des göttlichen
Ratschlusses hatte der Vater Seiner eigenen Macht Vorbehalten. Es war eine Ausnahme in der Fülle der Offenbarung. Ereignisse mußten stattfinden, und Zeichen dem
Eintreffen des Gerichts vorhergehen; wenigstens mußte
die Arche fertiggestellt und mit den Tieren, welche erhalten
bleiben sollten, angefüllt werden. Hätte jemand zu Noah
gesagt, die Wasser würden steigen, ehe die Arche fertig
sei, so würde ihn das nicht im Geringsten erschüttert oder 
beunruhigt haben. Das war unmöglich. Zu sagen: „die
Zeit ist nahe gekommen," würde damals ebensosehr ein
146
Betrug gewesen sein, wie eS bald der Fall sein wird,
wenn der Ueberrest Israels, wie Noah, auf seine Erlösung
warten wird. (Vergl. Luk. 21, 8.) Die Zeit selbst, die
Frist der göttlichen Langmut, war in des Vaters Gewalt
gestellt, und niemand wußte den Tag oder die Stunde.
So reich und vollständig ist die Uebereinstimmung zwischen
früheren und späteren Tagen, zwischen den vorbildlichen
Handlungen Gottes und der Erfüllung derselben. Noah
war zu jener Zeit ein irdischer Mann, d. h. ein Auserwählter, bestimmt für ein Erbe auf der Erde, wie
das Volk Israel es bald sein wird; und beide werden
durch göttliche Unterweisung vor dem Betrug bewahrt,
der sie beunruhigen und verführen könnte; aber Tag und
Stunde ihrer Rettung wird ihnen nicht mitgeteilt.
Die Arche in ihrer Gestalt und ihrem Material war
vollständig von Gott vorgeschrieben. Noah hatte sie nur
zu bauen, der Herr bestimmte den Plan und die Einrichtung. Ihre Herstellung war nur eine Probe und ein
Beweis des Glaubens. „Durch Glauben bereitete Noah,
von Furcht bewegt, eine Arche." Die Anfertigung des
Heiligtums von feiten Israels in späteren Tagen war
eine ebensolche Handlung des Glaubens. Sie richteten
es auf mit willigem, dienstbereitem Herzen, indem sie ihre
Armbänder, ihr Silber und Gold, ihre feine Leinwand,
Dachsfelle, Akazienholz, Oel, Rauchwerk und kostbare
Steine dazu hergaben. Aber alles das war nur der Gehorsam des Glaubens, gegenüber dem Plane der Errettung,
den Gott selbst geoffenbart hatte. Ob die Israeliten das
Heiligtum bauten, oder Noah die Arche, beides war nichts
anderes als Glauben an die Verordnungen GotteS.
Und was ist heute das Evangelium und der Glaube
147
an dasselbe anders, als eine Offenbarung der Vorkehrungen
der Gnade Gottes und der Gehorsam gegen dieselben?
Die Religion der Auserwählten ist stets dieselbe gewesen —
„es ist aus Glauben, auf daß es nach der Gnade sei."
Der Glaube an Gottes unumschränkte Verordnungen war
im Anfang die Religion Adams, dann diejenige Noahs;
später war es die Religion Abrahams und eines jeden
wahren Israeliten, und heute ist es die unsrige. Wir
alle werden, wie Adam, von der Furcht und der Unruhe
des Gewissens befreit durch die Verkündigung und Annahme des zermalmten und zermalmenden Samens des
Weibes; wir alle bereiten gleichsam, wie Noah, eine Arche
zur Rettung und werden Erben der Gerechtigkeit, die nach
dem Glauben ist; wir alle nehmen, wie Israel, unsre Zuflucht von dem feurigen Berge zu dem Gnadenstuhl im
Heiligtum — und Jesus, Jesus ist der Name, der
die ganze Linie der Patriarchen, Propheten, Apostel und
Heiligen, ob Juden oder Heiden, ob Kleine oder Große,
entlang erschallt, in der volltönenden Melodie, die in
Ewigkeit die Himmel erfreuen wird.
Doch das Evangelium enthält nicht nur Gnade, oder
eine einfache nackte Verheißung; es ist Versöhnung
und Sieg, es sind ebensowohl erworbene, als verheißene Segnungen. Werfen wir einen Blick in das
Heiligtum Gottes, so werden wir finden, daß nicht blos
Gnade da ist. Es ist Gnade auf dem Throne, Gnade
auf der Lade des Bundes, Gnade, aufrechterhalten durch
das Werk und die Person des Sohnes Gottes. Der
Glaube betrachtet ein solches Geheimnis mit Ehrfurcht,
er spricht nie von bloßer Gnade. ES kann ebensowenig
von Gnade allein in Gott die Rede sein, wie von
148
moralischer Gerechtigkeit im Menschen. Das Evangelium
kennt solche Gedanken nicht, und deshalb kann der Glaube
sie nicht annehmen. Gnade und Wahrheit sind einander begegnet. In dem Lobgesang der Engel heißt eS
zuerst: Herrlichkeit Gott in der Höhe! und dann: Friede
auf Erden und an den,Menschen ein Wohlgefallen! Tas
ist die Art und Weise des Evangeliums. Die Gnade
herrscht durch Gerechtigkeit. Der Glaube versteht
diese Wahrheit sehr wohl und hat sie zu allen Zeiten
verstanden und sich derselben erfreut. Auch Noah wandelte
in den Fußstapfen desselben Glaubens und erlangte die
Gerechtigkeit. „Dich habe ich gerecht ersehen vor meinem
Angesicht in diesem Geschlecht," sagt Gott zu ihm. „Durch
Glauben bereitete Noah, da er einen göttlichen Ausspruch über das, was noch nicht zu sehen war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche zur Rettung
seines Hauses, durch welche er die Welt verurteilte und
Erbe der Gerechtigkeit ward, die nach dem
Glauben ist."
Glaube, Liebe und Hoffnung belebten seine Seele
und waren der Ausdruck seines Lebens während jenes
feierlichen Zeitraums von 120 Jahren. In welch schöner
Weise sehen wir in Noah „das Werk des Glaubens, die
Bemühung der Liebe und das Ausharren der Hoffnung"
der Thessalonicher! Er bereitet die Arche in jenem Glauben,
der die göttliche Warnung erhalten hat; er predigt in
Liebe seinem Geschlecht Gerechtigkeit, (2. Petr. 2, 5.)
und zugleich wartet er mit Ausharren auf den Herrn.
Seine eigene Sicherheit und Errettung ist geordnet und
gewiß, das weiß er; aber er trägt auch Sorge, daß 
sein Nachbar sie mit ihm teile. Der Geist rechtete durch
149
sein Zeugnis mit dem Menschen, wie Er es heute noch
thut; aber jeder Schlag der Axt Noahs, jedes Niederfallen seines Hammers verkündeten der Welt, daß Er nicht
ewiglich rechten würde.
Als die von Gott bestimmte Frist abgelaufen war,
ging Noah mit den Seinigen in die Arche. Welch ein 
schönes Vorbild einer vollkommenen Errettung! Völlige
Rettung und Sicherheit während der Stunde des schrecklichen Gerichts war das Teil Noahs. Und gleich der
Rettung Noahs, gleich der Rettung Israels in der Nacht
des Verderbens in Aegypten, ist auch die Rettung durch
das Evangelium. In Aegypten hatte dieselbe Hand, die das
Schwert des Verderbens durch das ganze Land trug, das
schirmende Blut für die Israeliten verordnet. Konnte das
Schwert einen von ihnen treffen? Unmöglich I Und in dem
Fall Noahs hatte derselbe Gott, der in betreff des Gerichts dieser Welt mit sich zu Rate ging, Seinen Auserwählten über die Art des Entfliehens unterwiesen. Dieselbe Hand, welche die Wasser hervorbrechen ließ, schloß
hinter Noah zu. Konnten die Wasser des Gerichts etwas
gegen ihn ausrichten? Ebenso unmöglich!
Aber alles das wurde von einer feierlichen Scene
des Gerichts begleitet. „Die Sonne ging auf über der
Erde, als Lot nach Zoar kam;" und gerade diese sonnige
Stunde war die Zeit für den Feuer- und Schwefelregen.
Nichts konnte geschehen, bevor Lot in jene Stadt eingetreten war, aber dann hielt auch nichts mehr das Gericht
zurück. Der Augenblick der Heimsuchung war völlig verborgen. Die Bewohner Sodoms mögen wohl gesagt
haben: „Friede und Sicherheit!" als sie die Morgensonne
wie gewöhnlich den östlichen Horizont vergolden sahen.
150
Aber gerade dann „kam ein plötzliches Verderben über sie,"
und niemand entfloh.
Die Menschen zu Noahs Zeit „aßen und tranken,
sie heirateten und wurden verheiratet," als die Wasser
zu steigen begannen. Da war kein Vorbote, es sei denn
Noahs Eintritt in die Arche. Aber das war nach ihrer
Meinung ja Narrheit, sich selbst und- alle seine Habe auf
trocknem Lande in ein Schiff einzuschließen! Doch die
Flut kam in dem Augenblick, da Noah in Sicherheit
war, und verschlang sie alle. Das Wort Gottes, das
Zeugnis des „Predigers der Gerechtigkeit," war ihnen
„nach ihrem eigenen Willen verborgen." Ein plötzliches
und gewisses Verderben kam über alle, die außerhalb der
Arche waren, aber eine göttliche, unfehlbare Sicherheit
war daS Teil aller, die sich innerhalb derselben befanden.
Die Zufluchtsstädte in Israel waren vonGott verordnet,
und ihre Mauern gaben unbedingt Rettung. Ebenso hat
dieselbe Gerechtigkeit, die einen Fluch über jeden aussprechen mußte, der nicht alles hält, was in dem Buche
des Gesetzes geschrieben steht, auch gesagt: „Verflucht
ist jeder, der am Holze hängt!" (Gal. 3.) Könnte Gott
nun Sein eigenes Heilmittel für den von dem Gesetz
verfluchten Sünder verleugnen, wenn dieser sich im Glauben
auf den für ihn am Kreuze zum Fluch gemachten Heiland beruft? Ganz unmöglich!
„Jehova schloß hinter ihm zu." Die Hand des
Herrn verlieh der Lage Noahs Seine eigene Stärke und
Sicherheit. ES ist nicht zu kühn, zu sagen, daß alle
innerhalb der Arche so sicher waren, wie Gott selbst.
Obgleich der Herr gleichsam zu Seinen Himmeln und auf
Seinen Thron zurückkehrte, und Noah auf der Erde, dem
151
Schauplatz des Gerichts, zurückblieb, war Noah doch so
sicher wie der Herr selbst. „Wir haben Freimütigkeit an
dem Tage des Gerichts, weil, gleichwie Er ist, auch wir
sind in dieser Welt." Jesus ist in den Himmel zurückgekehrt, während wir uns noch in dieser Welt befinden,
deren Gericht von Gott beschlossen ist; aber wir haben
volle Freimütigkeit, da wir unsrer Stellung nach Ihm
gleich sind. Wie herrlich, dies aussprechen zu dürfen!
Und dieselbe geheimnisvolle, herrliche Sicherheit ist in dem
kurzen Worte eingeschlossen: „Jehova schloß hinter ihm zu."
Die Hand Gottes selbst setzte Noah und alles, was sein
war, in völlige Sicherheit.
Einige von aller Art lebender Wesen wurden mit
Noah von dem Schauplatz des Todes in die Arche der
Rettung gebracht. „Acht Seelen," wie Petrus sagt, und
mit ihnen eine Auswahl von Tieren der Erde, klein und
groß, Gevögel und kriechende Tiere, alle wurden mit
Noah unter ein Dach gebracht und gerettet. So war es
auch später in Aegypten: nicht eine Klaue durfte zurückbleiben. Die große Errettung erstreckte sich an jenem
Tage in gleicher Weise auf alle, auf Mose und die
600,000 Mann mit ihren Weibern und Kindern und auf
all ihr Vieh. Alles erfuhr die rettende Kraft Gottes.
So dachte Gott auch später in den Tagen Ninives neben
den „mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen, die
keinen Unterschied wußten zwischen ihrer Rechten und
Linken," an das viele Vieh in der Stadt. Und so wird
auch in den kommenden Tagen, wenn Christus Sein
Erbteil antreten wird, Seine Herrschaft alle Werke der
Hand Gottes umfassen, „Schafe und Rinder allesamt und
auch die Tiere des Feldes, daS Gevögel des Himmels
152
und die Fische des Meeres;" und die Gefilde und
Ströme, die Hügel und die Bäume des Waldes werden
vor Ihm jubeln.
Welch ein herrliches Geheimnis! Sind sie nicht alle
Seine Geschöpfe? Hat nicht Seine Hand sie alle gemacht,
und Sein Auge und Sein Herz sich an ihnen erfreut? Sollte
die Schöpfung für Ihn verloren sein? Darf Iona wegen
des verdorrten Wunderbaumes zürnen? Sollte der Herr
nicht vielmehr die Werke Seiner Hand zu Seiner bleibenden
Freude erhalten? Er will das Angesicht der Erde erneuern, wie geschrieben steht: „Jehovas Herrlichkeit wird
ewig sein, Jehova wird sich freuen Seiner Werke."
(Ps. 104, 31.) „Das sehnsüchtige Harren der Kreatur
wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die
Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen worden (nicht mit
Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat,) aus
Hoffnung, daß auch selbst die Kreatur sreigemacht werden
wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes." (Röm. 8,19—21.)
(Fortsetzung folgt.)
„Cr hob Seine Hände auf und segnete sie."
(Luk. 24, 50—53 u. Apstgsch. 1, 8—11.)
Der Herr hatte Sein großes Erlösungswerk vollbracht.
Verworfen von der Welt, von den Menschen, von Seinem
Volke, war Er auf dem Kreuze von Gott selbst zur Sünde
gemacht worden. Dort hatte Er die Sünden aller derer,
die an Ihn glauben, aller derer, die der Vater Ihm gegeben hat, getragen und für immer getilgt. Dort hatte
Er Frieden gemacht durch Sein Blut; Er hatte die große
Frage der Sünde aufs völligste beantwortet, sowohl Gott
158
als auch den Seinigen gegenüber. Die ganze Schwere
des göttlichen Gerichts hatte auf Ihm gelastet, alle Fluten
des göttlichen Zornes wider die Sünde waren über Ihn
ausgegossen worden. So war denn Gott und alles, was
in Ihm ist, durch Sein Werk auf dem Kreuze vollkommen
verherrlicht, und so waren wir von allen unsern Sünden
und aus aller Sklaverei der Sünde für immer befreit und
in die Gegenwart Gottes gebracht worden.
Der Herr stand jetzt im Begriff, von den Seinigen
hienieden Abschied zu nehmen. Das große Werk, welches
zu thun Er gekommen war, war erfüllt. Gott war verherrlicht, die Sünde gesühnt und der Tod zu nichte gemacht. Die Handschrift in Satzungen, die als eine unerträgliche Bürde auf den Juden lastete, war ans Kreuz
genagelt, und durch dasselbe war über alle Fürstentümer
und Gewalten ein Triumph gehalten worden; Satan, der
die Gewalt des Todes hatte, war völlig besiegt und zu
nichte gemacht. Nichts war mehr zu thun übrig geblieben; das ganze Werk war göttlich vollbracht. Christus
war jetzt aus den Toten auferstanden; denn Ihn konnte
der Tod nicht behalten. Er war auferweckt worden durch
die Herrlichkeit des Vaters, welche dies erforderte. Er
stand jetzt jenseits des Todes, und zwar mit all den gesegneten Resultaten des großen Sieges für die Seinigen.
Sie waren mit Ihm auf den unantastbaren und herrlichen
Boden der Auferstehung gestellt. Das Alte war vergangen; alles war neu geworden. Ihre Sünden waren
gesühnt; die Sünde, der Mensch im Fleische, der alte
Adam mit all seinen Früchten, war gerichtet; das Gesetz
mit seinen Forderungen und seinen Flüchen hatte auf
dem Kreuze seine Erfüllung gefunden; die Macht der
154
Welt, des Satans und des Todes war zu nichte gemacht. Dies alles lag jetzt für immer hinter ihnen,
denn Christus hatte ihren Platz im Gericht eingenommen.
Durch Glauben an Ihn waren sie mit Ihm gestorben,
begraben und mit Ihm auferweckt. Sie standen jetzt auf
einem neuen Boden vor Gott, auf einem Boden, den nichts
zu erschüttern vermochte. Christus war der Erstgeborne
aus den Toten, das Haupt einer neuen Schöpfung; Er
war der Erstgeborne vieler Brüder. Er stand auf dem
Boden eines ewigen und vollkommenen Sieges, den Er
durch Seinen Tod und Seine Auferstehung errungen hatte.
Und alle, die der Vater Ihm gegeben hatte, waren mit
Ihm auf diesen festen und sichern Boden gestellt. Er
hatte jedes Hindernis für sie aus dem Wege geräumt;
Er hatte sie aus aller Sklaverei befreit und für immer
in die Gegenwart Gottes gebracht. Sie waren jetzt unzertrennlich mit Ihm verbunden; nichts vermochte sie aus
Seiner Hand zu rauben. Er hatte ihnen das ewige
Leben gegeben und sie in Seine eigene Stellung und in
Sein eigenes Verhältnis zu Gott, dem Vater, gebracht.
Sein Gott war ihr Gott, und Sein Vater ihr Vater;
sie waren jetzt Gegenstände der Liebe und Wonne Gottes,
wie Er. Welch eine herrliche und gesegnete Stellung!
Indes war jetzt der Augenblick gekommen, daß Er
sie für eine kurze Zeit verlassen mußte. Er wollte in
die Herrlichkeit eingehen, und zwar als der Mensch, der
Gott vollkommen verherrlicht, zugleich aber auch als ihr
Erlöser, der alles für sie gut gemacht hatte. Als solcher mußte Er vorangehen, damit auch für sie im Hause
des Vaters eine Stätte bereit sei. Er trat am ersten
Wochentage in die Mitte der versammelten Jünger als
155
der Auferstandene, begrüßte sie mit dem Frieden, den Er
für sie gemacht hatte, zeigte ihnen Seine durchbohrten
Hände und Füße, die Merkmale Seiner Leiden und
Seines Todes für sie, und aß vor ihren Augen, damit
sie völlig überzeugt sein möchten, daß Er selbst eS sei,
der als der Auferstandene in ihrer Mitte weile. Er
mußte jetzt die Seinigen, die Er so unaussprechlich liebte,
für eine Zeit als Fremdlinge in einer feindseligen Welt
zurücklassen — in einer Welt, die Ihn verworfen hatte
und deshalb selbst von Gott verworfen worden war —
um während Seiner Abwesenheit in dieser dem Gericht
verfallenen Welt von Seiner Liebe und Gnade Zeugnis
abzulegen.
Doch wie ergreifend und tröstlich ist es, hier zu sehen,
wie Er von den Seinigen Abschied nimmt, mit welchen
Gefühlen Er sie zurückläßt! Er kann sie keinen Augenblick
vergessen, kann nie Seine Augen von ihnen abwenden.
Wie Er sie liebte, als Er vom Himmel herniederkam, sich
selbst zu nichts machte und Mensch wurde, um für sie
sterben zu können, so liebte Er sie jetzt, als Er Sein
Werk für sie vollbracht hatte und im Begriff stand, in
den Himmel zurückzukehren. Wie Er sie liebte angesichts
des Kreuzes, in jener Nacht, da Er überliefert ward, wo
Er sich nur mit ihnen beschäftigte, nur für sie besorgt
war und sich selbst und die schrecklichen Leiden, die vor
Ihm standen, völlig vergaß — in jener Nacht, in welcher
Er ihnen im Abendmahl das Gedächtnis Seines Todes
für die ganze Zeit ihres Pilgerlaufes hienieden zurückließ,
so liebte Er sie jetzt angesichts der Herrlichkeit. Seine
Liebe ist unveränderlich. Wie Er die Seinigen liebte,
als Er hienieden bei ihnen war, so liebt Er sie immer
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und ewig. Anbetungswürdige Liebe! Welch ein Glück, ein
Gegenstand dieser Liebe zu sein!
„Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und
hob Seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah,
indem Er sie segnete, schied Er von ihnen und ward hinaufgetragen in den Himmel." (V. 50. 51.) Unermeßlich
ist die Fülle der uns durch Ihn zu teil gewordenen
Gnade. Er tilgte alle unsre Sünden für immer und erwarb uns einen ewigen und unantastbaren Frieden. Er
wurde von Gott für uns zur Sünde gemacht, auf daß
wir die Gerechtigkeit Gottes würden in Ihm. Er nahm
den Fluch auf sich und gab uns den Segen; Er vernichtete den Tod und brachte uns das Leben. Und Er konnte
die Seinigen nicht zurücklassen, ohne sie zu segnen; ja
indem Er sie segnete, schied Er von ihnen. Seine
segnenden Hände waren über ihnen ausgebreitet, als Er
hinaufgetragen wurde gen Himmel. Und wie über die 
Jünger damals, so sind sie auch über uns ausgebreitet,
ja, über alle die Seinigen bis ans Ende. „Wie Er die 
Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, so liebte
Er sie bis ans Ende." Nichts vermag Seine Liebe zu
ihnen zu schwächen, oder irgend zu hemmen. Wie tröstlich ist dieses Bewußtsein! Wir dürfen völlig überzeugt
sein, daß inmitten einer feindseligen Welt, deren Fürst
Satan ist, in einer Welt voll Elend und Sünde, inmitten
der mannigfachen Versuchungen und Schwierigkeiten, stets
Seine segnenden Hände über uns erhoben sind. Nichts
als Segen hat Er uns zurückgelassen, nichts als Segen
begleitet uns von Tag zu Tag, und nichts als Segen,
als unaussprechlicher Segen birgt die Ewigkeit für uns
in ihrem Schoße. Auch giebt es nichts, was uns diesen
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Segen je zu rauben vermöchte. Keine feindselige Macht
konnte den Herrn verhindern, Seine Hände über die Seinigen aufzuheben und sie zu segnen, und keine feindselige
Macht ist imstande, die Seinigen unter diesen Händen
Hinwegzubringen. Sie sind und bleiben gesegnet für immer.
Er kennt auch ihre Schwachheit, ihre Versuchungen und
alle ihre Bedürfnisse; und Sein Segen reicht aus für alles.
„Meine Gnade genügt dir," sagte Er zu Paulus. Seine
Hände, die am Kreuz für uns durchbohrt wurden, und
in welche Gott, der Vater, alle Macht im Himmel und
auf Erden und alle Dinge gelegt hat, sind allezeit segnend
über die Seinigen ausgebreitet. Diese, obwohl noch in
der Welt, sind doch nicht mehr von der Welt; Sein Tod
hat sie für immer von derselben getrennt. Sie sind noch
in der Welt als Fremdlinge, um Seine Zeugen zu sein;
und die Welt haßt sie, wie sie Ihn gehaßt hat; aber sie
bleiben stets unter Seinen mächtigen Segenshänden, unter
den Händen Dessen, der alles für sie gut gemacht, alles
überwunden hat. Unter diesem ewigen und göttlichen
Segen sind wir für immer geborgen. „Er hob Seine
Hände auf und segnete sie." Geliebter Leser, welch einen
herrlichen Platz, welch eine sichere Stellung haben wir
unter Seinen erhobenen Händen! Wie tröstlich für uns
arme, schwache Geschöpfe, die in einer solch bösen Welt
so mancherlei Gefahren und Versuchungen ausgesetzt sind!
Nichts kann uns jetzt schaden; unter Seinen mächtigen
Händen sind wir in völliger Sicherheit und wissen, daß
wir die Gegenstände Seiner unvergleichlichen Liebe sind.
Sein Tod, der für die Welt das Gericht war, brachte
für uns nur Heil und Frieden, Leben und Segen.
Wir sind für immer und ewig Sein; nichts vermag uns
158
je aus Seiner Hand, nichts aus der Hand des Vaters zu
rauben.
„Und eS geschah, indem Er sie segnete, schied Er
von ihnen." Sahen die Jünger etwa, daß Seine Hände
ermüdeten, daß Er sie sinken ließ? O nein; sie waren
erhoben, segnend über ihnen erhoben. So schied Er von
ihnen, und so verschwand Er vor ihren Augen. Und sind
bis jetzt Seine Hände je ermüdet? Hat sich Seine Liebe
zu den Seinigen je verändert? Gewiß nicht. Ist auch
Seine äußere Stellung eine andere, wie damals, als Er
hienieden war, so ist doch Sein Herz, Seine Liebe zu den
Seinigen unverändert geblieben. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit." Wie Er sie
gestern liebte, als Er hienieden war und Sein Werk
vollbrachte, durch welches Er Gott verherrlichte und die
Seinigen erlöste, so liebt Er sie heute, während Er
droben zur Rechten Gottes sitzt und unaufhörlich für sie
beschäftigt ist, und so wird Er sie lieben in alle Ewigkeit. Er ist unveränderlich. Noch immer sind Seine
Hände nicht nur für die Seinigen, sondern auch über
ihnen erhoben, um sie zu segnen.
Nachdem der Herr die Bitterkeit des Todes für die 
Seinigen geschmeckt und alle Schrecken des göttlichen Gerichts für sie erduldet hatte, konnte Er Seiner Liebe zu
ihnen freien Lauf lassen, konnte Er für immer Seine
segnenden Hände über sie ausbreiten. Da war kein Hindernis mehr; durch Sein göttlich vollbrachtes Werk hatte
Er für die Seinigen alles in Frieden und Segen verwandelt, und sie stehen für immer unter Seinen mächtigen
und segnenden Händen. Möchten wir diese herrliche Thatsache doch nie aus dem Auge verlieren! Möchte sie unser
159
Herz allezeit mit Frieden und Freude erfüllen! Und dies
wird geschehen, wenn wir auf unserm Pilgerwege von Tag
zu Tage unsern geliebten Herrn erwarten und in einem
innigen und verborgenen Umgang mit Ihm leben.
Im Anfang unsers Kapitels (Luk. 24.) finden wir
die Jünger ganz traurig und niedergeschlagen. Sie hatten
an Christum geglaubt, Ihn erkannt als den Messias, als
den Sohn Davids, selbst als den Sohn des lebendigen
Gottes; aber ihr Verständnis blieb weit hinter ihrem
Glauben zurück. Mit Seinem Tode sahen sie alle ihre
jüdischen Hoffnungen vernichtet. Sie hatten gehofft, daß
Er das Reich dem Israel wiederherstellen, daß Er sich auf
den Thron Davids, Seines Vaters, setzen und in Segen
und Frieden herrschen würde. Aber statt dessen hatte Er
das Kreuz gefunden, statt des Szepters eine Dornenkrone;
Er war verworfen worden und war am Stamme des
Fluchholzes gestorben. Ihre große Traurigkeit und Niedergeschlagenheit war jedoch nur eine Folge ihrer tadelnswerten Unwissenheit. Das Wort Gottes, das Wort der
Propheten des Alten Testaments sprach von den Leiden
des Christus und von den Herrlichkeiten, die darnach kommen sollten, und das hätten sie wissen und verstehen
sollen. Deshalb tadelte auch der Herr die beiden Jünger
auf dem Wege nach Emmaus, indem Er zu ihnen sagte:
„O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben
an alles, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht
der Christus dies leiden und in Seine Herrlichkeit eingehen? Und von Moses und von allen Propheten anfangend,
erklärte Er ihnen in allen Schriften das, was Ihn betraf."
(V. 25—27.) Und in Vers 45 lesen wir: „Da öffnete Er
ihnen das Verständnis, daß sie die Schriften verstanden."
160
Doch wie so ganz anders waren jetzt, in der Stunde
des Scheidens, die Gefühle ihrer Herzen l Schon jene beiden
Jünger hatten zu einander gesagt: „War nicht unser Herz
brennend in uns, als Er zu uns redete auf dem Wege,
und als Er uns die Schriften öffnete?" (V. 32.) Und
bald nachher war Er selbst, als der aus den Toten Auferstandene, in der Mitte der Seinigen erschienen; sie hatten den Gruß des Friedens, den Er auf dem Kreuze gemacht, aus Seinem Munde gehört, hatten an Ihm die
Zeichen des Todes, Seine durchbohrten Hände und Füße,
gesehen und waren durch Ihn zum Verständnis der Schriften fähig gemacht worden. Dies alles hatte die Gefühle
ihrer Herzen völlig verändert; ihre Traurigkeit war in
Freude verwandelt worden. Sie lernten jetzt verstehen, wie
gut und nötig es für sie war, daß Er hinging, um ihnen
eine Stätte zu bereiten. Und als Er jetzt hinaufgetragen
wurde, da blieben Seine treuen und mächtigen Hände
segnend über ihnen erhoben. „Und sie huldigten Ihm und
kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und
sie waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend."
<V. 52. 53.) Sie wußten jetzt, daß Er lebte, und kannten
den Platz, wo Er war; sie wußten jetzt, daß sie mit Ihm,
der alles für sie in Ordnung gebracht, der alle ihre Sünden und Vergehungen für immer getilgt hatte, aufs völligste
verbunden waren, und daß Sein Herz mit der innigsten
und zärtlichsten Zuneigung und Liebe zu ihnen erfüllt
war. Sie alle hatten Ihn in der für Ihn so schrecklichen
Stunde verlassen, aber kein Vorwurf war über Seine
Lippen gekommen; im Gegenteil, sie hatten nichts als
Worte des Friedens und der Segnung vernommen.
Welch ein Heiland war Er für sie! Und ist Er es
161
nicht auch ebenso für uns? Ja, wir können sagen, daß
uns noch herrlichere Dinge mitgeteilt worden sind. Wir
haben den Geist der Sohnschaft empfangen und sind eingeweiht in das wunderbare Geheimnis, das alle Schätze
der Weisheit und Erkenntnis in sich birgt, in jene herrlichen Gedanken und Ratschlüsse Gottes in bezug auf
Christum und Seine Versammlung — Gedanken und
Ratschlüsse, die vor Grundlegung der Welt in Gott verborgen waren, die Er aber durch die Apostel und Propheten des Neuen Testamentes geoffenbart hat. Alles,
alles haben wir der überströmenden Gnade und Liebe
Gottes, alles Ihm zu verdanken, der sich selbst für uns
zum Opfer dargebracht hat. Und wir hören nie auf, die teuren
Gegenstände Seines Herzens, die Gegenstände Seiner Freude
und Wonne zu sein. Er hat für alle unsre Bedürfnisse als
Sünder gesorgt, als Er hienieden war, und Er sorgt für
alle unsre Bedürfnisse als Erlöste, während Er droben
weilt. Sein Geist wohnt in uns, und Sein Segen ruht
auf uns. O wie sehr geziemt es sich für uns, im Bewußtsein Seiner Liebe und Seiner steten Fürsorge, allezeit mit Freude und Frohlocken durch diese Wüste zu gehen
und inmitten einer verurteilten Welt allezeit Seinen Namen
zu loben und zu preisen. Wir sind ja für immer in
Sicherheit gebracht, durch ein unauflösliches Band mit
Dem verbunden, der uns so innig liebt, und der bald
wiederkommen und uns zu sich nehmen wird, damit wir
für immer bei Ihm seien in der Herrlichkeit.
Wir lesen in Apostelgesch. 1, 9—11: „Und als Er
dies gesagt hatte, ward Er emporgehoben, indem sie es
sahen, und eine Wolke nahm Ihn auf von ihren Augen
hinweg. Und wie sie unverwandt gen Himmel schauten,
162
als Er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in weißem
Kleide bei ihnen, welche auch sprachen: Männer von
Galiläa, was stehet ihr und sehet hinaus gen Himmel?
Dieser Jesus, der von euch in den Himmel ausgenommen
ist, wird also kommen, wie ihr Ihn gen Himmel habt
auffahren sehen." — Und wie hatten sie Ihn auffahren
sehen? Er hatte Seine Hände erhoben, um sie zu segnen,
und indem Er sie segnete, ward Er hiuaufgetragen in den
Himmel. Also wird Er wiederkommen, zum Segen für die
Seinigen. „Ebenso wie es dem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, darnach aber das Gericht, also wird auch
der Christus, nachdem Er einmal geopfert worden, um
Vieler Sünden zu tragen, zum zweitenmal ohne Sünde
erscheinen denen, die Ihn erwarten zur Seligkeit;"
(Hebr. 9, 27. 28.) das heißt, um sie all der Segnungen,
die Er für sie erworben hat, für immer teilhaftig zu 
machen.
Die Versammlung nimmt einen besonderen Platz bei 
der Wiederkunft Christi ein, wie Er uns durch Seinen
Knecht Paulus, der ein Diener der Versammlung (Kol. 1.)
war, geoffenbart hat. Sie ist aufs innigste mit Ihm verbunden, sie ist Seine Braut, die Braut des Lammes, und
Sein Leib, ein Teil von Ihm selbst. Sie wird Ihn
begleiten, wenn Er in Seiner Herrlichkeit erscheint; denn
Er wird sie vorher zu sich aufnehmen, damit sie für immer
bei Ihm sei und alles mit Ihm teile. (Vergl. 1. Thess. 4,
13 — 17 und andre Stellen.) Mag es sich aber um Sein
Kommen zu unsrer Aufnahme handeln, oder um Seine
Wiederkunft zu den Seinigen, die auf der Erde sind --
es ist nur zum Segen für sie alle. Sobald wir abwärts
blicken, ist alles dunkel vor unsern Augen; wir sehen nur
163
Elend und Sünde um uns her, alles ist in Unordnung
und Verfall; aber sobald wir aufwärts blicken, sobald wir
in Seiner Gegenwart weilen, ist alles klar, und unsre
Herzen sind ruhig und getrost. Wissen wir auch nicht,
was der morgende Tag bringen wird, so wissen wir doch,
daß der Herr uns morgen so innig liebt wie heute, daß
wir morgen denselben Jesus haben und in Ihm die uns
nötige Gnade und Kraft finden werden, wie es heute der
Fall ist. Wir sind stets unter Seinen mächtigen und segnenden Händen. Dorthin hat die Gnade des Vaters uns gebracht, und dort erhält sie uns.
Laßt uns denn allezeit auf Ihn vertrauen! Laßt uns
stets in Seiner Nähe bleiben! Alle unsre Sorgen können
wir auf Ihn werfen, denn Er sorgt für uns; ja, in allem
können wir uns völlig Seinen treuen und segnenden Händen
überlassen. Er wird uns bewahren und uns sicher leiten
bis ans Ende. Er wird nicht aufhören, unsre Herzen zu
ermuntern und zu erfreuen. Und haben wir diese Wüste
durchschritten, ist unser Lauf beendet, so werden wir Ihn
sehen, wie Er ist, und für immer bei Ihm sein. Laßt
uns denn Tag für Tag auf Ihn blicken und Ihn erwarten, und den gesegneten Platz, auf den Seine Liebe
uns gestellt hat, allezeit verwirklichen! Ja, bald werden
wir Ihn sehen von Angesicht zu Angesicht. Welch ein ergreifender Augenblick wird es sein, wenn wir Ihm begegnen
und Ihn schauen werden, Ihn, der Sein Leben für uns
hingegeben hat, und dessen Liebe, Treue und Fürsorge
wir auf dem ganzen Wege durch diese Wüste in so reichem
Maße erfahren haben! Dann werden wir Ihn allezeit loben
und preisen, und Ihm Anbetung darbringen, wie Er es würdig
ist. Möchten wir aber auch hienieden schon uns stets erfreuen
164
in Seiner unvergleichlichen und nie endenden Liebe, und in
Seinem Frieden und unter Seinen Segenshänden allezeit
ruhig und getrost sein und Seinen Namen verherrlichen!
„Jetzt ist der Tag des Heils."
„Gott gebietet den Menschen, daß sie alle allenthalben
Buße thun sollen, weil Er einen Tag gesetzt hat, an
welchem Er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit,
durch den Mann, den Er bestimmt hat." (Apstgsch. 17,30.31.)
Welch ein Tag wird es sein, wenn Gott, „der Licht ist
und gar keine Finsternis in Ihm," Gericht hält in Gerechtigkeit! Schon von der „Stunde der Versuchung, die
über den ganzen Erdkreis kommen wird," (Offbg. 3, 10.)
hören wir, daß in ihr Tage der Drangsal sein werden,
„wie sie nie gewesen sind," „daß die Menschen verschmachten
werden vor Erwartung der Dinge, die da kommen sollen,"
daß sie rusen werden: „Ihr Berge, fallet über uns, und
ihr Hügel, bedecket uns!" Ja, in selbigen Tagen werden
die Menschen den Tod suchen, und er wird vor ihnen
fliehen. Noch ernster aber und furchtbarer ist das Endgericht vor dem „großen, weißen Thron," (Offbg. 20.)
wenn diese Erde und der sichtbare Himmel vergehen, und
alle Unbußfertigen und Unwiedergebornen ihr ewiges,
endgültiges Urteil und Teil da empfangen werden," wo
der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt."
Angesichts dieser ernsten Dinge, die uns der Herr
Jesus, der Heilige und Wahrhaftige, bezeugt hat, sagt
der Apostel: „Da wir das Schrecken des Herrn kennen,
überreden wir die Menschen." (2. Kor. 5.) Und auch wir
rufen angesichts der nahenden, kommenden Gerichte jedem
165
Leser dieser Zeilen zu, der noch nicht geborgen ist in
Jesu: „Entfliehe dem kommenden Zorne!"
Ja, der allein ist klug, welcher sich warnen läßt,
wie der Herr sagt: „Wenn du mit deiner Gegenpartei
vor die Obrigkeit gehst, so gieb dir auf dem Wege Mühe,
von ihr loszukommen, damit sie dich nicht etwa zu dem
Richter Hinschleppe, und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener überliefern, und der Gerichtsdiener dich ins
Gefängnis werfen." (Luk. 12.) Der reiche Mann, von
dem der Herr im Gleichnis redet (Luk. 16.) gab sich,
wie so viele Andere, diese Mühe nicht. Er lebte sorglos
in Freuden dahin, starb und ward begraben; sein Teil
aber in Ewigkeit war in der Verdammnis. Dort gedachte
er seiner unbesorgten, unbekehrten Brüder auf Erden und
bat, daß Lazarus znrückkehren möchte in diese Welt, um
ihnen ernstlich die Dinge der Ewigkeit zu bezeugen, „auf
daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual."
Hat Gott aber die Welt ohne ernste Zeugnisse über
Seine Gerechtigkeit und kommenden Gerichte gelassen?
Bezeugt uns Sein Wort nicht, daß „der breite Weg in
die Verdammnis führt?" und liegen nicht Sodom und
Gomorra uns als ein Exempel vor, indem sie des ewigen
Feuers Strafe leiden? (Jud. 7.) Sagt uns das Wort
des Herrn nicht, daß „daS menschliche Herz böse ist von
Jugend auf," (1. Mose 8, 21.) daß „alle gesündigt
haben, daß keiner da ist, der Gutes thut, auch nicht einer,"
(Ps. 14, 1 — 3; Röm. 3.) daß wir „von Natur Kinder
des Zorns" sind? (Eph. 2, 3.) Lesen wir nicht: „Es
sei denn, daß jemand von neuem geboren worden, so
kann er das Reich Gottes nicht sehen?" (Joh. 3.) Ja, „eS
ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach
166
aber das Gericht," (Hebr. 9, 27.) und wer nicht
hienieden sich wirklich zu Gott gewandt hat," auf ihm
bleibt der Zorn GotteS;" (Joh. 3, 36.) er wird „geworfen in den Feuersee," (Offbg. 20, 15.) „wo ihr Wurm
nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt." (Mark. 9, 48.)
Könnte ein aus den Toten Auferstandener klarer
und ernster reden, und würden seine Worte mehr Glauben
finden oder verdienen? Siehe, Himmel und Erde werden
vergehen, aber das Wort GotteS wird bestehen in Ewigkeit. Kein Jota, kein Strichlein von demselben wird
vergehen. Es wird, Wort für Wort, seine Erfüllung
finden. Als Paulus vor dem Landpfleger Felix „über
Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht redete, ward dieser mit Furcht erfüllt;" aber 
er sagte: „Für jetzt gehe hin." (Apstgsch. 24, 25.) So
mag auch heute mancher Leser „mit Furcht erfüllt" werden,
wenn er an die Dinge der Ewigkeit denkt, läßt es aber
dabei bewenden, weist das Wort und den Geist Gottes
zurück und wird nicht errettet. Noah handelte anders,
klüger als Felix. Er baute, „von Furcht bewegt,
eine Arche zur Rettung seines Hauses und ward Erbe
der Gerechtigkeit." (Hebr. 11, 7.) Er hörte auf Gottes
Wort, folgte Seiner Stimme und fand Heil und Rettung.
Aber wo ist denn heute die Arche für den Menschen?
Giebt es keine Rettung, kein Heil für ihn? Hat Gott
für den armen Sünder nichts gethan, wohin er fliehen
könnte und errettet werden? O, gepriesen sei Sein Name!
Gott hat kein Wohlgefallen am Tode des Gottlosen,
sondern „will, daß alle Menschen errettet werden und
alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen." (Hesek. 18, 23;
1. Tim. 2, 3.) „Also hat Gott die Welt geliebt, daß
Er Seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf daß jeder,
der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das
ewige Leben habe." (Joh. 3, 16.) Christus, der Sohn
Gottes, litt für Sünder und Gottlose, ging für die Verlorenen in Tod und Gericht, starb als der Gerechte für
167
die Ungerechten. Auf Grund dieses heiligen, vollkommenen,
ewig vollgültigen Opfers der Liebe Jesu Christi kann Gott
nun den bußfertigen Sünder, der Heil und Rettung sucht,
bewillkommnen, reinigen, retten und auf immerdar in
Seine Nähe und Gemeinschaft bringen. Ja, jetzt ist 
nicht nur Freude im Himmel über einen Sünder, der
Buße thut, sondern Gott erweist auch Seine Gerechtigkeit darin, ist nur gerecht, wenn Er den rechtfertigt, der an
Jesum glaubt. (Röm. 3, 26.) Die Gerechtigkeit Gottes,
die durch Christum Jesum verherrlicht worden ist, ist
nunmehr für den, welcher des Glaubens an Jesum ist;
sie verlangt und verbürgt die Rechtfertigung dessen, der
als ein hülsloser, heilsbedürftiger Sünder sein Heil in
Christo Jesu sucht.
Hast du, lieber Leser, dich schon im Lichte Gottes
gesehen, genug wenigstens, um zu wissen, was das menschliche Herz, also dein Herz ist? Hast du erkannt, waS
dein Leben, deine Gedanken, Worte und Werke, vor Gott
gewesen sind? Bist du es inne geworden und göttlich
davon überzeugt, daß du verderbt und verdammungswürdig bist, wie der große Reformator Luther von sich
gesagt hat: „Ich sehe immer mehr ein, daß ich (ohne
Christum), wie ich gehe und stehe, mit Haut und Haar
in den Abgrund der Hölle gehöre?" Und hast du schon
Vergebung deiner Sünden, Errettung und Gewißheit des
Heils erlangt? Vielleicht mußt du sagen: „Ersteres weiß ich,
daß ich verderbt und in mir selbst verloren bin, aber
letzteres, daß ich Vergebung habe und errettet sei, kann ich
noch nicht sagen, so gern ich auch versöhnt und errettet
wäre." Wenn dies wirklich der Fall ist, mein Leser, ist
dann nicht gerade für dich Christus gekommen? Ladet Er
nicht gerade dich ein, zu glauben und in Ihm alles zu
finden? (Vergl. Luk. 19,10; Matth. 11, 28; Offbg. 22,17.)
Wird dich Gott nicht alsbald aufnehmen und bekleiden,
wie den Hohenpriester Josua, (Sach. 3.) mit Kleidern des
Heils und wie den verlorenen Sohn (Luk. 15.) mit dem
168
besten Kleide? Wohin wird Gott dich bringen, wohin
mußt du kommen nach Gottes Wort, wenn du als
verlorener, heilsbedürftiger Sünder wirklich auf Jesum
als deinen Erlöser dein Vertrauen setzest? Ich frage nicht,
wohin du alsdann kommst nach deinen Gefühlen,
sondern nach Gottes Wort. — Du wagst nicht zu
antworten; es scheint dir zu gut und zu groß, daß du
deines Heils gewiß sein könntest. Ich will dich denn
fragen: Wo ist heute der Schächer vom Kreuze ? (Luk. 23,43.)
wo der Eunuch von Aethiopien? (Apostlg. 8.) wo der
Hauptmann Kornelius? (Apostlg. 10.) wo der Kerkermeister von Philippi? (Apostlg. 16.) Sind sie nicht beim
Herrn? — „Gewiß!" antwortest du. Aber warum? woher
weißt du das? — „Nun, weil der Herr und Sein Wort
wahr und wahrhaftig sind, und was Er zusagt, hält Er
gewiß!" Ganz richtig. Aber ist der Herr und Sein
Wort heute denn weniger wahr und gewiß als ehemals?
Spricht Er nicht auch dir und jedem, der seine Zuflucht zu
Ihm nimmt und in Seinem für Sünder vergossenen Blute
Vergebung und Heil sucht, Errettung und Seligkeit zu?
Angesichts so vieler Stellen in Seinem Worte, mußt du
zugeben: „Ja." — Gott sagt von den Glaubenden:
„Ihrer Sünden und Uebertretungen will ich nie mehr
gedenken." (Hebr. 10, 17.) Der Herr sagt: „Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und
glaubt Dem, der mich gesandt hat, hat (a) ewiges
Leben, (b) kommt nicht ins Gericht, (e) ist
aus dem Tode zum Leben hinübergegangen." (Joh. 5, 24.)
Darum laß dich nicht anfhalten, noch heute dich rückhaltlos dem Herrn zu übergeben, auf Sein Wort hin zu 
Ihm zu kommen, daß deine Sache zwischen Gott und dir
geordnet und du im Glauben an Ihn errettet werdest, dir
zu ewigem Segen, Ihm zum Preise und Ruhme! —
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Annehmung;
siehe, jetzt ist derTag desHe i ls." (2. Kor. 6, 2.)
Der erste Sonntag.
(Betrachtungen über Joh. 19, 38; 20, 2o.)
Es ist bemerkenswert, daß weder am Schluß des 19.,
noch am Anfang des 20. Kapitels des Tages Erwähnung
geschieht, der zwischen dem Tage der Kreuzigung unsers
hochgelobten Erlösers und demjenigen Seiner Auferstehung
liegt. Und doch war es der Sabbathtag, der so wichtig war
sowohl für die Juden, als auch für die Jünger und
doppelt heilig diesmal, denn er fiel mit dem Passahfest
zusammen; wie wir auch lesen: „der Tag jenes Sabbaths
war groß." (Kap. 19, 31.)
Die.Jgden hatten, als ängstliche Beobachter der
Formen, woran sie selbst bei der Ermordung des Sohnes
Gottes festhielten, in der Nacht vorher nicht das Prätorium
betreten wollen, „auf daß sie sich nicht verunreinigten,
sondern das Passah essen möchten." (Kap. 18, 28.) Dann
am Abend, nachdem sie sich Dessen entledigt hatten, der
das Licht der Welt war, und den sie in Verbindung mit
zwei Verbrechern gekreuzigt hatten, baten sie Pilatus, daß
die Leiber nicht über den Sabbath, der um 6 Uhr abends
begann, am Kreuze blieben. *) Gern hätten sie es über­
*) Die Hohenpriester und Pharisäer machten sich betreffs
dieses Tages weniger Gewissen, indem sie zusammen zu Pilatus
gingen, um ihn zu bitten, eine Wache vor das Grab zu stellen,
und indem sie selbst diese Wache hinführten und den Stein versiegelten. (S. Matth. 27, 62—66.)
170
Haupt vermieden, den Herrn während des Festes zu töten,
nicht ihres Gewissens wegen, sondern damit es keinen
Aufruhr gebe unter dem Volke; (Matth. 26, 3 —5.) denn
ohne Zweifel war aus verschiedenen Orten viel Volks zur
Passahfeier zusammengeströmt. Doch die Obersten deS
Volkes vermochten ihre Absichten nicht auszuführen, denn
sie mußten, ohne es zu wissen, Gottes Ratschlüsse vollbringen; und ach! niemand in dem Volke regte sich für
Christum. Im Gegenteil forderte die ganze Volksmenge,
geleitet durch ihre Obersten, daß Er gekreuzigt würde, und
daß man ihnen Barabbas losgebe. (Mark. 15, 11—14.)
Der Heiland verbrachte also diesen hohen Sabbathtag im Grabe, und das Wort Gottes thut des Tages in
bezug auf Ihn keine Erwähnung. Wie drückt dieser Umstand der Verwerfung der Juden, sür welche der Sabbath
das Bundeszeichen mit Gott war, das Siegel auf! Der
Tod Jesu war das Ende alles dessen, was vorhergegaugen
war, wie andrerseits Seine Auferstehung der Anfang einer
neuen Ordnung der Dinge wurde. Im Blick auf den
Augenblick, da der Herr Jesus mit einem lauten Schrei
Seinen Geist aufgab, hat jemand gesagt: „Alles war beendet;
die Versöhnung — Gott gemäß vollkommen — das Werk
der Erlösung, alle prophetischen Umstände, alles hatte in
absoluter Weise seine Erfüllung gefunden, sowohl was
den Menschen, als auch was Gott betraf. Daun übergiebt
Jesus mit einem lauten Schrei, der sowohl Seine noch
volle Kraft, als auch Sein völliges Vertrauen zu Seinem
Vater bekundete, diesem Seinen Geist gerade in dem
Augenblick, wo der Tod seine ganzen Schrecken — die
er aber hinfort, wenigstens für den Gläubigen, verlor —
in ihrer vollsten Schwere fühlbar machte. Mit diesem
171
Schrei, der (bis aufs Gericht) den Abschluß eines jeden
menschlichen Verhältnisses mit Gott verkündete, sowie das
Ende aller Mittel, die Gott anwenden konnte, um ein 
Verhältnis zwischen Ihm und den Kindern Adams wiederherzustellen, ist Jesus verschieden."
Aber die Schrift erzählt uns auch von dem Begräbnisse des Herrn Jesu. Paulus erwähnt es in 1. Kor. 15,
Z. 4, und die Evangelien teilen uns Einzelheiten über
diese Thatsache mit, die mit der Prophezeiung übereinstimmen. Die Erde sollte den Leib des Sohnes Gottes
aufnehmen, aber Sein Grab sollte bei den Reichen sein.
„Man hat Sein Grab gestellt bei Gesetzlosen, und bei einem
Reichen ist Er gewesen in Seinem Tode." (Jes. 53, 9.)
Man hätte Ihn sicher in den öffentlichen Grabstätten beerdigt, die nach der jüdischen Sitte für die Verbrecher
bestimmt waren, und in welche wahrscheinlich die Leiber
der beiden Räuber geworfen wurden. Nachdem aber der
Mensch seinen Haß' völlig an Ihm ausgelassen, sorgte
Gott für Seinen Sohn, der Ihn bis in den Tod verherrlicht hatte. In diesem feierlichen Augenblick erscheint Joseph
von Arimathia, ein ehrbarer Ratsherr und ein guter und
gerechter Mann, und er erhält von Pilatus die Erlaubnis,
den Leib des Herrn abzunehmen. Ihm schließt sich Nikodemus an, und diese beiden Männer, die einen hohen
Rang unter dem Volke bekleideten, aber bis dahin furchtsame Jünger gewesen waren, verschaffen dem Herrn ein
ehrenvolles Grab. Indessen konnte, da der Sabbath nahe
war, die Bestattung zunächst nur eine vorläufige sein.
Dies lernen wir aus Joh. 19, 42: „Dorthin nun wegen
des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesum." Auch treffen die Frauen, die den Herrn
172
liebten, Anstalten, Ihn zu salben, wenn der Sabbath
vorüber sein würde. Markus sagt uns: „Und als der
Sabbath vergangen war, (d. i. nach sechs Uhr abends)
kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des
Jakobus, und Salome wohlriechende Spezereien, auf daß
sie kämen und Ihn salbten." (Kap. 16, 1.) Dasselbe
wird uns in Lukas erzählt: „Es folgten aber Weiber
nach, die mit Ihm aus Galiläa gekommen waren; sie
besahen die Gruft und wie Sein Leib hingelegt ward.
Als sie aber zurückgekehrt, bereiteten sie Spezereien und
Salben, und den Sabbath über ruhten sie nach dem Gebot." (Kap. 23, 55. 56.)
Die Jünger hingen mit ganzem Herzen an der Person
des Herrn, hielten aber zu gleicher Zeit, als treue Juden,
nach Herz und Gewissen fest an den Ordnungen des Gesetzes. Dies hinderte sie, das Begräbnis ihres geliebten
Meisters gleich zu vollenden, was sie doch nach ihrer Liebe
für Ihn gern gethan hätten. Ein treuer Knecht des Herrn
sagt von dem Begräbnis des Herrn Jesu: „In der unsichtbaren Welt war Jesus im Paradiese; was aber diese
Welt betrifft, so hatte Er hier nichts als ein unterbrochenes Begräbnis. Sünde, Tod, Satan, das Gericht
Gottes hatten alles gethan, was ein jedes von ihnen für
sich hatte thun können: Sein irdisches Leben war vorüber
und damit jegliche Seiner Beziehungen zur Welt und
zu dem Menschen, so weit er zu dieser Welt gehört. Der
Tod herrschte äußerlich, selbst über den Sohn Gottes, und
die ernsten Seelen, die davon Kenntnis hatten, waren bestürzt. Die Welt aber ging ihren Gang ruhig weiter;
man beging das Passahfest mit seiner gewöhnlichen Feierlichkeit; Jerusalem war, was es auch vorher gewesen war.
173
Man hatte sich zweier Räuber entledigt; was aus denselben geworden war, das kümmerte die menschliche Gesellschaft wenig; sie war von denselben befreit und zugleich
von einem Dritten, der ihr unbequem gewesen war, weil
Gr sie zu viel ins Licht gestellt hatte. Der äußere Schein
entspricht jedoch nicht immer der Wirklichkeit. Einer der
Räuber war mit Christo im Paradiese, der andere für
ewig fern von aller Hoffnung, während der Dritte in
der ganzen Ruhe der vollkommnen Seligkeit, im Schoße 
der Gottheit war. Und was die Welt betrifft, so
hatte sie ihren Heiland verloren und sollte Ihn nicht
Wiedersehen."
Als die Jünger das Gebot erfüllt und den Sabbath
gehalten hatten, beeilten sie sich, wenigstens die frommen
Frauen, um beim Grauen des ersten Wochentages dem
Leichnam ihres geliebten Herrn die volle Ehre zu erweisen,
indem sie ihn salben und endgültig bestatten wollten. Sie
kamen aber Zu spät; die Macht und Gerechtigkeit, die
Herrlichkeit und Liebe deS Vaters waren ihnen zuvorgekommen und hatten Christum aus den Toten auferweckt.
Welch ein wunderbar herrlicher Morgen! Er ist für die 
Erlösten der Anfang des ewigen Zeitalters.
Was den Sabbath anbelangt, so ist er das Ende,
nicht der Anfang einer Sache. Gott hatte den siebenten
Tag geheiligt, nachdem Er das Werk der Schöpfung vollendet hatte. Er ruhte an diesem Tag von all Seinem
Werke, das Er geschaffen hatte, es zu machen. Er ist 
ein Vorbild von dem herrlichen tausendjährigen Sabbath
(Offbg. 20.) und von der ewigen Sabbathruhe des Volkes
Gottes. (Hebr. 4, 9.) Jedesmal, wenn Jehova dem Mose
174
ein neues Gebot giebt, wird auch des Sabbaths gedacht.
In 3. Mose 23 steht der Sabbath sogar oben an bei
den hohen Festen Jehovas. Bei den zehn Geboten
(2. Mos. 20.) wird seine Feier im Einzelnen geordnet, und
die Gründe dafür werden angeführt; in 2. Mos. 31,12— 17
wird er dann feierlich bestätigt. Hier und anderswo wird
er ein Zeichen genannt zwischen Jehova und den Kindern
Israel. Aber schon früh hatten die Israeliten diese heilige Satzung versäumt und verlassen, und hatten die traurigen Folgen davon tragen müssen; (vergl. Hes. 20, 12—24;
22, 8. 26; 23, 38.) und wenn man auch, als der Herr
unter Seinem Volke erschien, wieder begonnen hatte, den
Sabbath zu feiern, so lag doch nichtsdestoweniger alles
im Verfall. Die Ueberlieferung und die gesetzliche Beobachtung der Formen, die bis ins Kleinlichste getrieben
wurde, waren an die Stelle „der wichtigeren Dinge des
Gesetzes," getreten, welche sind: „das Gericht und die
Barmherzigkeit und der Glaube." (Matth. 23, 23.)
Hochmut und Heuchelei kennzeichneten die Obersten des
Volkes; sie wollten Den nicht anerkennen, der der Herr
des Sabbaths war. Aber Er vermochte auch nicht ihren
Sabbath anzuerkennen, und mußte in Gnaden mit Seinem Vater zusammen wirken, auch am Sabbathtage.
(Joh. 5, 9—18; 9, 14; vergl. auch Matth. 12, 1—15;
Luk. 13, 10-17; 14, 1—6.)
Der Leib Jesu verblieb also während des hohen
Sabbathtages im Grabe, und Er ist auferstanden „an
dem ersten Wochentage." Die Juden führten den
Herrn gegen ihren eigenen Willen am Tage des PassahfesteS zum Tode, (welches Fest dieses Jahr auf den Tag
vor dem Sabbath fiel) damit Er, im Hinblick auf
175
die für uns so kostbaren Folgen Seines Todes, am ersten
Wochentage auferstände. Diese Thatsache heiligte den
Tag zum „Tage des Herrn," zum Tage Seiner Auferstehung, zum Anfang des ewigen Zeitalters für
die Gläubigen. Daher ist er der Festtag der Christenheit
geworden, nicht als ein vom Gesetz auferlegtes Gebot,
sondern als ein Tag hoher Vorrechte, den das Gewissen
des geistlichen Christen anerkennt. Der Christ hält diesen
Tag, zwar nicht, wie schon gesagt, als ein Gebot, aber
weil er der Tag des Herrn oder des Herrn Tag ist.
(Offbg. 1, 10.) Der geistliche Christ begreift auch, daß
er über diesen Tag nicht nach seinem Gutdünken verfügen
kann, sei es für's Geschäft oder für Ausflüge oder dergleichen, weil er eben dem Herrn gehört; es ist des
Herrn Tag.
Nun war der Tag, an welchem der Herr dem Grabe
entstieg, nicht nur der erste der Woche im Gegensatz zu
demjenigen, der ihm voraufgiug; die Thatsache Seiner Auferstehung machte diesen Tag auch zu „dem ersten Sonntag." Bis zu diesem Tage hatte der Sonntag (Tag des
Herrn) nicht bestanden.
Welch ein herrlicher Tag war dieser Auferstehungstag des Herrn Jesu! Die Auferweckung des Herrn bedeutet für uns das Ende des Todes und die Einführung indasewigeLeben. Der Tod des Heilandes
war daS Ende unsers Lebens in Adam, Seine Auferstehung
das Ende des Todes. Er sagte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben," nicht etwa: das Leben und die 
Auferstehung. Zuerst mußte Er uns von unserm ersten
Leben befreien, sowie von dem Tode, der jenes frühere
Leben kennzeichnete und dessen gerichtlicher Abschluß war,
176
und dann erst konnte durch Seine Auferstehung unser
neues Leben in Verbindung mit Ihm anfangen. Christi
Auferstehung hat also für uns das Leben Adams und
den Tod hinter sich gelassen, und dieses neue Leben, welches dem Tode folgt, ist notwendiger Weise ewiges
Leben, aber ewiges Leben in der Auferstehung,
„Leben in Ueberfluß." (Joh. 10, 10.) Wir sind also
im Leben, jetzt schon auf dieser Erde und bald droben in
Herrlichkeit. Wir haben „als das Ende ewiges Leben."
So ist es leicht zu verstehen, warum die Christen
schon in den Tagen des Apostels Paulus den ersten
Wochentag, den Sonntag, den Tag der Auferstehung deS
Heilandes, auswählten, um sich an ihm zu dem bestimmten Zweck zu versammeln, das Brot zu brechen.
(Apstgsch. 20, 7.) Niemand außer den Christen versammelte sich an diesem Tage. Die Heiden kannten den
Tag nicht, und die überallhin zerstreuten Juden hatten
ihre Synagogen, wo sie sich am Tage vor dem Sonntag,
am Sabbathtage versammelten. Paulus benutzte diesen
Tag und die Lehrfreiheit in den Synagogen, (Vergl.
Apstgsch. 13, 15. 16.) um Christum dort zu verkündigen;
am folgenden Tage aber, dem Tage, den die Christen
allein kannten und feierten als den Tag der Auferstehung Christi, kam Paulus mit diesen zusammen zum
Brotbrechen.
Bei Vergleichung von Joh. 20 mit den Berichten der
andern Evangelien finden wir, daß der Herr als der
Auferstandene an jenem herrlichen Tage von Tagesanbruch
an bald diesem, bald jenem der Seinen erschien, öfters
mehreren zugleich. Johannes erzählt uns im Besondern
die so liebliche und wichtige Begegnung des Herrn mit
177
Maria Magdalena, so lieblich wegen der rührenden Art
und Weise, in welcher der Herr dem bekümmerten Weibe
ihre Angst und ihren Kummer benahm, so wichtig wegen
der Botschaft, die Er ihr an die Seinen übergab, daß
diese nämlich jetzt in derselben Stellung vor Seinem Gott
ständen, wie Er, und zugleich in demselben Verhältnis zu
Seinem Vater.
Am Abend desselben Tages haben wir indes noch
etwas ganz BesöndereS. Die Gelegenheiten, bei denen
der Herr sich im Laufe des Tages gezeigt hatte, trugen
mehr oder weniger einen persönlichen Charakter; am Abend
aber sehen wir die Jünger versammelt. Was auch
der Zweck oder der Charakter ihres Zusammenkommens
gewesen sein mag, und obwohl sie ohne Zweifel gemeinschaftlich mit dem beschäftigt waren, was sie gesehen und
gehört hatten, so ist doch wohl die wichtigste Thatsache
diese, daß sie versammelt waren. Wie vieles hatte
sich während des Tages für sie zugetragen, waS- hatten
sie alles einander zu berichten gehabt! Aber am Abend
sehen wir sie versammelt. Johannes erzählt uns: „Als
eS nun Abend war an jenem Tage, dem ersten
der Woche . . ja, an jenem Tage, dem ersten
Sonntage. Die Thüren waren aus Furcht vor den Juden
verschlossen. Es wäre an diesem Tage nicht wohl gegangen, 
sich offen auf die Seite des Gekreuzigten zu stellen. Die
Obersten unter den Juden mußten ganz außer sich sein
vor Zorn über die offene Stellungnahme ihrer Amtsgenossen Joseph von Arimathia und NikodemuS, die frei hinbegangen waren zu Pilatus und ihn um den Leib Jesu gebeten hatten. (Es ist angenehm zu denken, daß vielleicht
such diese beiden treuen und frommen Männer in jener Abend­
178
stunde mit den Jüngern versammelt, waren.) Ueberdies
hatten die Juden von der Grabwache» die für sie niederschmetternde Kunde vernommen, daß der Leib Jesu nicht
mehr im Grabe sei, und Bericht erhalten über die wunderbaren Dinge, die sich dort zugetragen hatten. (Matth.
28, 11—15.) So kann man begreifen, daß ihre Wut
keine Grenzen kannte, und daß die furchtsamen Jünger '
hinter Schloß und Riegel zusammen waren.
Während sie nun so versammelt waren, siehe, da
„kam Jesus" trotz der verschlossenen Thüren „und stand
in der Mitte." Es war diesmal nicht nur eine Kundgebung für Maria oder Simon oder für zwei Jünger
auf dem Wege; wir haben hier Seine Gegenwart in der
Mitte der Seinen. ES ist der auferstandene Heiland,
der bereit ist, aufzufahren zur Herrlichkeit, zu „der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war,"
in welche Er aber jetzt einging als Mensch. Der Herr
hatte jetzt den Auferstehungsleib, dem das sinnlich Wahrnehmbare unterworfen war, so daß das Essen von einem
Fische und einer Honigscheibe, (Luk. 24, 42.) sowie das
Gehen durch verschlossene Thüren gleicherweise Zeichen der
Macht waren. Der Herr war jetzt nicht mehr der Mann
der Schmerzen. Er war nicht mehr in Gleichheit des
Fleisches der Sünde. (Röm. 8, 3.) Die Tage Seines Fleisches waren vorüber. (Heb. 5, 7.) Er giebt diesem Wechsel
Ausdruck, wenn Er zu Seinen Jüngern sagt: „Dies sind
die Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei
euch war." (Luk. 24, 44.) Dieser auferstandene Heiland und Herr, den die Welt nicht Wiedersehen soll, noch
kann, bis sie Ihn sieht an jenem Tage, da Er wiederkommen wird in Herrlichkeit und Macht, ist es also, der
179
hier am ersten Tage der Woche in der Mitte der
versammelten Seinen steht und so durch Seine
Gegenwart die erste Versammlung der Seinen nach
Seiner Auferstehung „an jenem Tage," dem ersten
Sonntage, gut heißt und heiligt.
In ihrer Mitte spricht Er dann die Worte: „Friede
euch!" Welche Worte aus dem Munde Dessen, der vom
Kreuze kam, wo Er diesen Frieden gemacht hatte, und
der nun in der Kraft der Auferstehung dastand als der
sichere Bürge der vollen Annehmung Seines Opfers bei
Gott. Denn so lange das Werk nicht vollbracht war,
konnte von dem bewußten und ungestörten Genuß eines
vollkommenen Friedens mit Gott keine Rede sein. Dann
zeigt der Herr hin auf die Wundenmale in Seinem Auferstehungsleibe, die Male des Todes, dem Er sich unterworfen, den Er aus Gnade für sie erlitten hatte.
Hierauf lesen wir die folgenden Worte, die überaus
wichtig sind und unsre eingehende Beachtung verdienen:
„Es freuten sich nun die Jünger, als sie den
Herrn sahen." Der Anblick des auferstandenen Herrn
in ihrer Mitte war also der Gegenstand dieser Freude.
Thomas war an jenem Abend nicht bei ihnen; und als
die andern Jünger ihn wiedersahen, gaben sie ihm in fünf
Worten einen Bericht über das, was für sie bei jener
wunderbaren Zusammenkunft die Hauptsache gewesen war:
„Wir haben den Herrn gesehen." Am folgenden
Sonntage, dem zweiten Sonntag, ist der Herr wiederum in ihrer Mitte. Wir zweifeln nicht, daß der
Herr sich auch in den dazwischenliegenden Tagen auf die
eine oder andere Weise den Seinigen gezeigt hat; hier
aber lesen wir ausdrücklich, daß am Abend des zweiten
180
Sonntags Er wieder in der Mitte stand, als sie versammelt waren.
Wie viel ist für uns in diesen wenigen Worten
(Joh. 20, 19. 20.) enthalten! Welch ein schönes Muster
und Vorbild für unser heutiges Zusammenkommen im
Namen des Herrn und um Seine Person! Beherzigen wir
denn folgende vier Dinge, die sich eines nach dem andern'
aus diesen Versen ergeben: 1) Die Gegenwart des auferstandenen Herrn in der Mitte Seiner versammelten
Jünger; 2) der Friede, den Er, vom Kreuze kommend
auf dem Wege der Auferstehung ihnen verkündigt; 3) die
Zeichen an Seinem Auferstehungsleibe, auf welche Er die
Jünger hinweist, und die von der Thatsache Zeugnis ablegen, daß Er für sie in den Tod hinabgestiegen, aber auch
daß dieser Tod nun dahinten ist; (Vergl. Offbg. 1,17.18.)
4) das durch die Entfaltung dieser wunderbaren Dinge
bewirkte gesegnete Ergebnis im Herzen der Jünger, die
sich so plötzlich um den Herrn geschart sehen: „Es freuten
sich nun die Jünger, als sie den Herrn sahen."
Wir können heute noch, trotzdem das Böse so mächtig
geworden ist, trotzdem das Zeugnis der Kirche in Trümmern liegt, und trotz der großen Schwachheit, in welcher 
sich diejenigen befinden, welche sich durch die Gnade des
Herrn in Seinem Namen und auf dem Boden und dem
Grundsätze der Einheit des Leibes versammeln, *) (Matth. 18,
*) Die Wahrheit von der Einheit des Leibes findet sich
nicht in Johannes. Die Jünger hatten in der ersten Versammlung, von der wir reden, keine Vorstellung davon, selbst noch nicht
in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte. Jetzt aber, da die
Einheit des Leibes geoffenbart ist, ist es ein Grundsatz von der
größten Wichtigkeit, den wir in jeder Versammlung im Namen
Jesu aufrecht erhalten müssen.
181
15 — 20; 1. Korinth. 10, 17.) wir können, sage ich,
heute noch die gesegnete Erfahrung dieser vier Dinge
machen, die wir soeben betrachtet haben. Welche Gnade
für uns! Wenn wir des Sonntags am Tische des Herrn,
der selbstverständlich auf dem Boden der Einheit des Leibes
aufgerichtet sein muß, zum Brotbrechen versammelt sind,
so haben wir (o, daß wir's nur mehr verwirklichen möchten!) alles, was die Jünger, die an jenem ersten Sonntage versammelt waren, von seiten des Herrn hatten.
Ja, der auferstandene Jesus ist persönlich gegenwärtig in
unsrer Mitte, wenn auch in einer geistlichen Weise.
(Matth. 18, 20.) Wir genießen den Frieden, den Er
bringt und gemacht hat. (Vergl. Röm. 5,1; Eph. 2,17.)
Wir haben vor uns die rührenden Zeichen, die uns Seinen
für uns erlittenen Tod ins Gedächtnis rufen, des „Herrn
Abendmahl," welches so schön dem dritten Punkte entspricht, den wir betrachtet haben, nämlich wie Jesus Seinen
Jüngern Seine durchbohrten Hände und Seine Seite zeigt.
Und endlich wird das Ergebnis dieser Segnungen, wenn wir
sie zu schätzen wissen und wirklich genießen, unzweifelhaft
eine tiefe Freude sein. Wir freuen uns, den Herrn in
unsrer Mitte zu haben. O, wie wünschenswert wäre es
doch, wenn wir Seine Gegenwart so verwirklichten, daß 
wir etwaigen Abwesenden in Wahrheit nachher sagen
könnten: „Wir haben den Herrn gesehen!" und
nicht etwa: „Der und der Bruder hat gesprochen, und
es war schön;" was ja an seinem Platze nützlich und
köstlich ist, wenn der Herr es ist, der uns durch einen
Bruder ein Wort der Ermunterung und Erbauung giebt.
Und auch die Abwesenden würden ihrerseits fragen: „Habt
ihr die Gegenwart des Herrn genossen?" und nicht: „Wer
182
von den Brüdern, hat gesprochen?" Möge der Herr unsre
Herzen mehr zu sich hinziehen, damit unser Zusammenkommen nm Seine Person, dessen Zweck und Beweggrund
Er ja selbst ist und nicht wir, mehr und mehr das für
uns werde, was es in Wirklichkeit ist: das Kostbarste,
das wir gemeinschaftlich hienieden besitzen. Möchten wir
das große Erbarmen Gottes zu schätzen wissen, das uns
in einer Zeit des Verfalls, wie die unsrige, verstattet, eine
besondere Zusammenkunft zu haben, (wie in Apstgsch. 20,7.)
um uns gemeinsam unsers gepriesenen Erlösers zu erinnern
und Seine gesegnete Gegenwart in unsrer Mitte zu
genießen! Wie köstlich ist es für das Herz eines Christen,
der die Gedanken Gottes in dieser Hinsicht versteht! Wenn
wir hingehen in die Versammlung zum Brotbrechen, so
dürfen wir daran denken, daß wir nicht unsertwegen kommen,
sondern als solche, die der Herr zusammenberuft, um
Seiner zu gedenken, Ihn zu erwarten und durch Ihn
unsern Gott und Vater anzubeten, zu dem Er uns geführt
hat. Darum wird ein geistlicher Christ eine solche Versammlung nicht versäumen, es sei denn aus Gründen, die
vor dem Herrn selber stichhaltig sind.
Ja, der Herr Jesus selbst ist Beweggrund und Zweck
unsers Zusammenkommens am ersten Tage der Woche,
dem Tage Seiner Auferstehung. Es geschieht, um uns
mit Ihm zu beschäftigen, und nicht mit uns selbst;
und wenn unsre Gedanken auf uns gelenkt werden, so
sollte es nur in der Weise geschehen, daß wir in dieses
„uns" alle Glieder des Leibes Christi auf der Erde einschließen, jenes Leibes, dessen Einheit am Tische deS
Herrn seinen Ausdruck findet: „Ein Brot, ein Leib."
(1. Kor. 10, 17.)
183
Noah.
(1. Mos. 6—11.)
(Fortsetzung.)
Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf den Charakter
der Tage Noahs in bezug aus die Verwaltung der Zeiten.
Infolge des Abfalls Adams war die Erde nicht mehr der
Schauplatz der Wonne GotteS, noch die Heimat Seines
Volkes, und während all der Tage vor der Flut waren
die Hoffnungen und das Erbteil der Heiligen himmlisch.
Zugleich enthüllte Gott ein gewisses Maß der großen
Geheimnisse Seines Herzens und Seines Wohlgefallens,
die Er sich vorgesetzt hatte in sich selbst vor Grundlegung
der Welt. Die Himmel wurden dem Menschen geöffnet,
als Adam, der Mensch der Erde, fiel. *)
Aber obgleich der Himmel geöffnet war, hatte Gott
deshalb doch nicht mit der Erde abgeschlossen. Der Ratschluß Gottes war: „alles unter ein Haupt zusammen zu
bringen in dem Christus, das, was in den Himmeln und
das, was auf der Erde ist." Und da diese himmlische
Berufung schon in der Geschichte der Heiligen vor der
Flut geoffenbart worden war, so war jetzt die Zeit gekommen, Gottes großen Vorsatz betreffs der Erde zu enthüllen und zu zeigen, daß Er dieselbe in bezug auf die
Verwaltung der Zeiten keineswegs aufgegeben habe, obgleich Er die Himmel geöffnet hatte.
So sehen wir in Offenb. 4, nachdem die himmlischen
Heiligen, „die Vollzahl der Nationen," die geheimnisvollen
Aeltesten und die lebendigen Wesen ihre himmlischen
Plätze eingenommen haben, wie die Gedanken Dessen, der
") Vergl. die Betrachtung über „die Welt vor der Flut"
in Heft 3, 4 u. ö des „Botschafters."
184
aus dem Throne sitzt, zu der Erde zurückkehren. Der
Regenbogen wird auf einmal rings um den Thron gesehen — ein Zeichen, daß der Bund, der der Erde ihre
Sicherheit giebt, die Quelle der bevorstehenden Handlungen
im Himmel sein würde. Ebenso war es in den Tagen
Noahs. Als die himmlische Familie ihren Lauf beendet
hatte und Henoch ausgenommen worden war, kehrten die
Gedanken des Herrn zu der Erde zurück; denn das nächste
charakteristische Merkmal der Wege Gottes ist die Prophezeiung Lamechs, durch welche die Gnade Gottes der Erde
wieder zugesichert und Noah eingesührt wird: „Dieser
(Noah) wird uns trösten über unser Thun und über die
Mühsal unsrer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova
verflucht hat."
Dies alles ist so einfach, daß es kaum mißverstanden
werden kann. Die Prophezeiung Lamechs sagt uns, was
wir vorbildlich in Noah zu erwarten haben und auch finden. Wir erfahren durch dieselbe, daß die Erde wiederhergestellt werden soll, daß Gott aufs neue in ihr Seine
Ruhe und Sein Wohlgefallen finden, und daß der Mensch
auf ihr einen glücklichen und heiligen Aufenthalt haben
wird. Die völlige Verwirklichung von diesem allen wird
allerdings erst in den kommenden Zeiltaltern des wahren
Noah, in dem allein alle Verheißungen Gottes Ja und
Amen sind, ans Licht treten.
Jene Zeiten mußten indessen durch eine große Handlung eingeleitet werden. Die Berufung des himmlischen
Volkes war jetzt eine ganz andere, wie bei den vorsündflutlichen Heiligen. Diese hatten nichts mit dem sie umgebenden Schauplatz zu thun gehabt; Kains Familie war
in dem ruhigen, ungestörten Besitz ihrer Städte und Reich­
185
tümer gelassen worden. Gott war nur beschäftigt gewesen,
ein Volk abzusondern, ohne zum Ordnen und Richten der
Welt zu schreiten; Er ließ sie, wie Er sie fand. Aber
sobald Gott sich vornimmt, Seine Ansprüche an die Erde
wieder geltend zu machen, beschäftigt Er sich sorgfältig mit allem; denn nur durch Gericht kann die
Erde wieder gereinigt und für Seinen Fußschemel passend
gemacht werden.
Diese Wahrheit bezüglich der Verwaltung der Zeiten
wird uns hier vorbildlich gelehrt. Gott gedachte der Erde
und fing an, sich wieder mit ihr zu beschäftigen, aber 
durch reinigende Gerichte. Auf alles wurde das Urteil
des Todes geschrieben, damit es als etwas Neues in der
Kraft und Gnade Dessen dastehen sollte, der die Toten
wieder ins Dasein ruft. Die Erde selbst war im Wasser
oder unter dem Wasser, und der auserwählte Ueberrest
wurde — wie in den später angeordneten Zufluchtsstädten
im Lande Kanaan — vor der Hand des Rächers gerettet; und dann erscheint alles aufs neue, wie in der
Auferstehung.
Vierfüßige und kriechende Tiere und Geflügel, einige
von jeder Art, gingen mit in die Arche; dort waren die 
Erlösten geborgen vor jeder Furcht und jedem Unheil. Ja,
sie waren mehr als sicher, es wurde ihrer gedacht —
„Gott gedachte des Noah und alles Getiers und alles
Viehes, das mit ihm in der Arche war."
So wird auch bei einem andern auserwählten Ueberrest in späteren Tagen vor demselben Bundes-Gott, der
jetzt an Noah gedachte, „ein Gedenkbuch geschrieben sein
für die, so Jehova fürchten und die an Seinen Namen
gedenken." (Btal. 3, 16.) Und kraft dieses Bundes­
186
Gedächtnisses ließ Gott einen Wind über die Erde fahren;
die Wasser sanken, und die Arche ruhte auf dem Gebirge
Ararat. Dieses Gedenken Gottes war köstlich für Noah;
eS war der verborgene Trost des Glaubens. Indessen gab
es für ihn in seinem Zufluchtsort auch gesegnete Uebungen des Geistes. Die Arche besaß ein Fenster. Die Thür
wurde von dem Herrn verwahrt, aber das Fenster war
für den Gebrauch Noahs bestimmt. Der, welcher ihn eingeschlossen hatte, konnte auch allein ihn wieder hinauslassen; die passende Zeit dafür stand in Seiner Hand.
Aber obgleich die Zeit seiner Pilgrimschaft nicht abgekürzt
werden konnte, so wurde doch die Hoffnung in ihm genährt
und sein Geist auf eine gesegnete Weise geübt. Noah
konnte das Fenster öffnen, hinaussehen und seine Boten
aussenden, damit sie ihm über den Zustand der Erde
Nachricht brächten.
Welcher Schönheit und Weisheit begegnen wir in
diesem allen! Gott belehrt unS durch diese Erzählungen
aus den frühesten Zeiten in vorbildlicher und symbolischer
Weise und teilt uns so die Geheimnisse des Evangeliums,
die Erfahrungen der Seele und die persönliche Wirksamkeit
des Geistes mit. Die großen Wahrheiten werden auf
diese Weise unsern Herzen tief eingeprägt. Das ganze
erste Buch Mose ist voll von solchen Bildern. Hier drückt
die Sendung des Raben und der Taube die Erfahrung
des Heiligen auS in der entgegengesetzten Wirksamkeit des
Fleisches und des Geistes, die in ihm streiten. Der Rabe
kehrt nicht zurück; die Erde mag noch ungereinigt sein,
aber die unreine Natur kann sich da aufhalten. Die
„gegenwärtige böse Welt" wird dem gefallenen, entehrten
Menschen genügen. In der That, die Arche war für den 
187
unreinen Raben mehr ein Ort der Gefangenschaft, als der
Sicherheit; er kehrt nie wieder dahin zurück, nachdem er
einmal entschlüpft ist. Aber Noah traut ihm nicht. Der
Rabe mag draußen bleiben, aber das ist noch kein Beweis
für Noah, daß die Erde rein ist. Er sendet ihm daher
einen reinen Vogel nach, und die Nachricht, die dieser
bringt, lautet anders. Die Taube kam zurück; für sie
gab es keine Ruhe auf einem Boden, der noch unter dem
Gericht Gottes stand und ungereinigt war. Und Noah, in
dem Bewußtsein, daß er ihr trauen kann, sendet sie zum
zweiten und dritten Male aus. Er kann sich auf sie
verlassen, denn sie hat nur an den Pfändern des Friedens
und der neuen Schöpfung Gefallen; bei ihrer zweiten
Rückkehr trägt sie ein Oelblatt im Schnabel, und nach
ihrer dritten Sendung kommt sie nicht wieder zurück.
Die Erde war fetzt von dem Fluch befreit, und die
Taube konnte sich an dem neuen Zustand der Schöpfung
erfreuen. Noah versteht das Ausbleiben dieses reinen Geschöpfes; er nimmt gleich die Decke von der Arche ab und
sieht sich um, und der Gott der Herrlichkeit führt ihn
hinaus, wie vorher der Gott aller Gnade hinter ihm zugeschlossen hatte. Die ganze Handlung ist sehr bezeichnend
und ausdrucksvoll.
Noahs Herz war durch keine Zweifel beunruhigt
worden; er hatte sich nicht damit beschäftigt, die Balken
der Arche zu betrachten, ob sie auch imstande wären, die
Wasser abzuhalten — er zweifelte keineswegs daran. Und
durch ein gleiches Vertrauen wird Jesus verherrlicht in
bezug auf die Sicherheit, die Er dem Sünder giebt. Noah
traute völlig auf die Seetüchtigkeit seines Fahrzeugs, weil
Gott es angeordnet, ja, ich möchte fast sagen, weil Gott
188
es gebaut hatte. Der Glaube gab seinem Herzen Ruhe
und Sicherheit gegenüber dem Gericht; zugleich war es
erfüllt mit der Hoffnung der kommenden Herrlichkeit.
Das ist die herrliche Stellung dieses „Gefangenen
der Hoffnung." Ein Gefangener der Hoffnung ist einer
von den Titeln, die der Geist allen Heiligen Gottes giebt.
(Vergl. Sach. S, 12.) Jeremia war ein solcher; „er war
im Hofe des Gewahrsams eingesperrt, der im Hause des
Königs von Juda war," und zwar um Christi willen.
Zu ihm wurde gesagt, daß er das Feld Hanameels kaufen
solle, (Jerem. 32, 7.) und das war Nahrung für seine
Hoffnung, wie das Oelblatt in dem Schnabel der Taube;
denn es zeigte dem Propheten, daß gute Tage kommen
sollten, obgleich er in jenem Augenblick im Gefängnis saß,
das Heer der Chaldäer vor den Thoren der Stadt lag
und das ganze Land verwüstet war. Die Wasser umgaben
ihn so zu sagen überall, aber die Arche des Propheten
besaß, wie die des Patriarchen, ein Fenster.
Gerade so verhielt es sich auch mit Israel in der
Passahnacht. Die Schuhe an den Füßen, den Stab in
der Hand und die Lenden gegürtet, so warteten die 
Israeliten inmitten der Gerichte des Herrn; aber wie
unser Patriarch, so warteten auch sie nur darauf, auszuziehen in das Erbe des Herrn. Und Jesus, der in allen
Dingen den Vorrang hat, zeigt uns immer aufs neue
den vollkommenen Weg eines Gefangenen der Hoffnung,
der auf die Auferstehung seinen Blick richtet. So z. B.
in Joh. 12; als Er nach Jerusalem kam und die jüdische
Volksmenge und die heidnischen Fremden Ihn zu sehen
wünschten, als eS den Anschein hatte, als ob die ganze
Würde und Freude des Sohnes Davids Seiner warteten,
189
harrte Sein Herz doch auf die Hoffnung der Auferstehung,
auf die „vor Ihm liegende Freude;" und mit dieser Erwartung beschäftigt, sprach Er von dem Weizenkorn, das in
die Erde fällt und stirbt. Mit Ausharren und Verlangen
ruhte Sein Auge auf der Herrlichkeit, die nicht in jener
Stunde, sondern jenseits derselben lag. In völliger
Hingebung und Aufopferung übergab Er sich völlig dem
Willen des Vaters, und die Stimme aus dem Himmel
antwortete Ihm mit der Versicherung, daß für die Verherrlichung des Namens des Vaters zu seiner Zeit gesorgt
werden würde.
Unvergleichlicher Jesus! — diese Stimme aus dem
Himmel war köstliche Nahrung für den Gefangenen der
Hoffnung, ebenso wie die Verwandlung auf dem heiligen
Berge. Jesus hatte mit Seinen Jüngern über Seinen
Tod gesprochen und sie ermuntert, nicht ihr Leben in
dieser Welt zu lieben, und wenige Tage nachher strahlte
der heilige Berg plötzlich in dem Licht der Auferstehung
oder der tausendjährigen Herrlichkeit. Und was war das
Erscheinen dieser Herrlichkeit anders, als die Trauben von
Eskol, die aus Kanaan in das Lager Gottes in der
Wüste gebracht wurden, oder als die Rückkehr der Taube
zu Noah, mit dem Oelblatt in ihrem Munde?
Doch die Zeit kommt, „dem Gefangenen der Hoffnung
Zwiefältiges wiederzugeben." (Sach. 9, 12.) „Und Gott
redete zu Noah und sprach: Gehe aus der Arche, du und
dein Weib und deine Söhne und die Weiber deiner Söhne
mit dir. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleische,
an Gevögel und Vieh und an allem Gewürm, das sich
regt auf Erden, laß hinausgehen mit dir." — Und Noah
ging hinaus; er landete auf der erneuerten Erde, wo in
190
jenem Augenblick alles wieder in Uebereinstimmung mit
dem Willen Gottes war; nicht mehr verderbt, wie damals,
als er in ihrem alten Zustand auf ihr umherging, sondern
rein infolge der Reinigung durch das Gericht.
Alles, was dreizehn Monate vorher in die Arche gegangen war, kam jetzt wieder aus derselben hervor. Klein
und groß war darin gewesen, und das Kleine war so
sicher wie das Große, daS Gewürm war so frei von aller
Gefahr wie Noah selbst. Kostbare Wahrheit! Wir mögen
klein sein, und wir sind es, wie unser Herz wohl weiß,
aber der Himmel oder die kommende Herrlichkeit ist, wie
die Arche, dafür eingerichtet, die Kleinen sowohl wie die
Großen aufzunehmen. „Eine Stimme kam aus dem Throne
hervor, welche sagte: Lobet unsern Gott, alle Seine Knechte,
und die ihr Ihn fürchtet, die Kleinen und die Großen!"
(Offbg. 19, 5.) Wir können ruhig sein, obgleich wir
wissen, daß wir in jeder Hinsicht klein sind, gerade wie
das Gewürm, das mit Noah hineinging; denn dieses
Kleine war gleichfalls in den Bund eingeschlossen, der
alles und jedes in seiner Art und nach seinem Maße zu
Erben der neuen Welt machte. Das Haus des Vaters
droben ist sicher diesem Unterschied von Klein und Groß
entsprechend eingerichtet. Clemens und andere Arbeiter
waren kein Paulus, in betreff des Maßes ihrer Arbeit
oder der Energie des Geistes, aber ihre Namen waren
im Buche des Lebens, so gut wie derjenige des Paulus.
(Phil. 4, 3.) Der Vater hat Sein Haus in den Himmeln
zu dem Zweck gebaut, die Heiligen ebensowohl, wie Jesum
selbst darin aufzunehmen. Das ist ein Teil der ursprünglichen Bestimmung; vor Grundlegung der Welt war dieser
Plan festgesetzt. In den Ratschlüssen der ewigen Liebe
191
war beschlossen, daß dieses Haus ein großes, mit vielen
Wohnungen sein sollte, damit alle Kinder darin Platz
finden möchten.
Was sollen wir sagen, Geliebte? Entsprechen unsre
Gedanken hierüber der Liebe Gottes? Ebenso gut könnten
wir sagen, daß unsre Ansicht von dem höchsten Berge der
Schöpfung Gottes entspräche. Unser Blick kann nicht
den zehntausendsten Teil der Erde erfassen, wie viel
weniger „die Breite und Länge und Tiefe und Höhe —
die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus!"
(Fortsetzung folgt.)
„Gott ist geoffenbart worden im Fleische."
„Anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit:
Gott ist geoffenbart worden im Fleische, gerechtfertigt im
Geiste, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den
Nationen, geglaubt in der Welt, ausgenommen in Herrlichkeit." (1. Tim. 3, 16.)
In den Zeiten des Alten Testaments verbarg sich
Gott hinter dem Vorhang, weil die Sünde die Beziehungen
zwischen Ihm und dem Menschen abgebrochen hatte. Der
Mensch, in seinem Zustand der Sünde, konnte sich Gott
nicht nahen. Ein unmittelbarer Tod würde einen jeden
getroffen haben, der es gewagt hätte, in das Allerheiligste,
hinter den zweiten Vorhang der Stiftshütte, einzudringen.
Der Hohepriester allein hatte dort Zugang, aber auch er
durfte nur einmal des Jahres hineingehen, und dann nicht
ohne Blut, welches er für sich selbst und für die Verirrungen des Volkes darbrachte, wodurch der Heilige Geist
dies anzeigte, daß der Weg zum Heiligtum noch nicht ge-
192
offenbart war. (Vergl. 3. Mose 16; Hebr. 9.) Das Licht,
welches zu verschiedenen Zeiten und auf mancherlei Weise
vermittelst der Propheten des alten Bundes leuchtete, diente
nur dazu, um den damaligen Gläubigen die Tiefe der
Finsternis dieser Welt und die Entfernung, in welcher
Gott sich hielt, fühlbarer Zu machen. Die Propheten selbst
verstanden nur unvollkommen die göttlichen Dinge; es war
ihnen geoffenbart, daß sie nicht für sich selbst, sondern
für uns die Dinge bedienten, welche uns jetzt in dem
Evangelium völlig geoffenbart und verkündigt worden sind.
(1. Petr. 1, 10 — 12.) Selbst Jesaja, der erleuchtetste
unter ihnen, war gezwungen, auszurufen: „Fürwahr, Du
bist ein Gott, der sich verborgen hält, der Gott
Israels, der Heiland!" (Jes. 45, 15.) Gott hatte sich
genügend geoffenbart, um Ihn als Heiland zu erkennen,
aber nicht genug, daß der Prophet nicht gefühlt hätte,
daß Er sich verborgen hielt.
Als der Herr Jesus auf dem Schauplatz erschien,
war alles mit einem Schlage verändert. Gott verbarg sich
nicht mehr; Er trat gleichsam hinter dem Vorhang hervor
und zeigte sich dem Menschen in der Person Seines Sohnes,
damit ein jeder Ihn erkennen und aus der unermeßlichen
Wohlthat Seiner Gegenwart Nutzen ziehen könne. Das
Licht kam. um in der Finsternis, in welche die Welt versunken ist, zu leuchten: Gott, in der Person Seines Sohnes,
war „das wahrhaftige Licht, welches, in die Welt kommend,
jeden Menschen erleuchtet." (Joh. 1, 9.) Das war eine
ganz neue Sache auf der Erde, aber sie diente nur dazu,
den moralischen Verfall, das ganze Verderben des Menschen klar anS Licht zu stellen. Vor dem Gesetz und später
unter dem Gesetz hatten die Wege der Güte Gottes gegen­
193
über dem Menschen schon gezeigt, daß dieser unfähig war,
das zu thun, was Gott rechtmäßig von ihm erwarten
konnte. Und als am Ende der Zeiten Derjenige auf der
Erde erschien, in welchem alles Gute wohnt, und der sich
als solcher in allen Seinen Handlungen und Wegen offenbarte, da diente diese Gegenwart nur dazu, um endgültig
die Thatsache festzustellen, daß der Mensch, auch in dem
besten Zustande, in welchem er sich als Abkömmling Adams
befinden kann, unfähig ist, irgendwie die Güte Gottes zu
schätzen. Ja, er hat in der traurigsten Weise den Beweis
von dem Gegenteil geliefert, indem er den Herrn der
Herrlichkeit, den Fürsten des Lebens, haßte, verfolgte und
endlich mit ruchlosen Händen ans Kreuz schlug. Das
Kreuz Christi ist der schreckliche, untrügliche Beweis von
der Feindschaft der menschlichen Natur, unsrer Natur,
gegen Gott, wie eS zugleich die herrlichste und treffendste
Darstellung der Liebe Gottes gegen uns ist.
Ja, geliebter Leser, anerkannt groß, ewig bewunderungswürdig ist das Geheimnis der Gottseligkeit: „Gott
ist geoffenbart worden im Fleische, gerechtfertigt im Geiste,
gesehen von den Engeln" — gesehen in Seinem Wandel
auf dieser Erde, als der vollkommen abhängige, gehorsame
Mensch, gesehen in Seinem Tode am Fluchholz, als der
vollkommen Reine und Fleckenlose in sich selbst, aber zur
Sünde gemacht für uns, die feindseligen, 'verdammungswürdigen Sünder. Und nun, kraft dieses für uns vollbrachten Erlösungswerkes, in welchem Er Gott vollkommen
verherrlichte, hat der Gott aller Barmherzigkeit Jesum
aus den Toten auferweckt und Ihm einen Platz gegeben
zu Seiner Rechten, dort wo der Glaube Ihn jetzt als den
verherrlichten Menschensohn erblickt. Er ist „ausgenommen
194
in Herrlichkeit." Und kraft desselben vollbrachten Werkes
sind die Gläubigen jetzt fähig gemacht, mit Christo und
in Ihm an allen Seinen Gütern teil zu haben; in Ihm
sind sie gesegnet mit aller geistlichen Segnung in den
himmlischen Oertern; in Ihm stehen sie heilig und tadellos vor Gott in Liebe; in Ihm sind sie zu Kindern
Gottes geworden, so annehmlich vor Gott wie Christus selbst;
in Ihm sind sie zu Erben der Herrlichkeit gemacht. (Vergl.
Eph. 1, 3—14.) Ja, die Gläubigen sind jetzt schon nicht
mehr Bürger dieser Welt, denn „unser Wandel (oder
unser Bürgerrecht) ist in den Himmeln, von woher wir
auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten
der unsern Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit des Leibes Seiner Herrlichkeit." (Phil. 3, 20.21.)
„Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit
der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes
herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo
werden zuerst auferftehen; darnach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in
Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und also werden
wir allezeit bei dem Herrn sein." (1. Thess. 4, 16. 17.)
DaS sind die herrlichen Vorrechte der Christen, daS
sind für sie die gesegneten Resultate der wunderbaren
Thatsache, daß „Gott geoffenbart worden ist im Fleische,"
daß das Wort Fleisch ward und unter uns gewohnt hat,
voller Gnade und Wahrheit. (Joh. 1, 14.) Die Gläubigen sind jetzt ein himmlisches Volk; alle ihre Segnungen
sind droben, wo der Christus ist. Da ist ihr Teil, ihre
Heimat. Dahin geht ihre Sehnsucht, dahin führt ihr
Weg. Sie bilden zusammen einen Leib, den Leib Christi,
die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Er ist das
195
verherrlichte Haupt dieses Leibes. Ein Geist wohnt in
ihnen allen, der Geist der Sohnschaft, in welchem sie alle
zu einem Leibe getauft sind. (1. Kor. 12, 13.)
Das ist eS, was das Christentum von allem Vorhergegangenen unterscheidet. Die Segnung Adams in Eden
war eine irdische, er hat sie verloren durch die Sünde;
die Segnung Israels war ebenfalls irdischer Natur: Gott
wohnte unter ihnen hienieden, als die Quelle aller Segnungen, und Er stellte sich später ihnen vor als der
„Immanuel," als der „Gott mit uns." Aber sie haben
Ihn verworfen und getötet, und Gott hat sich zu den
Nationen gewandt. Er ist „gepredigt worden unter den
Nationen." Der Mensch wollte Gott nicht bei sich haben,
um auf der Erde gesegnet zu sein, aber Gott wollte in
Seiner unendlichen Barmherzigkeit und Liebe den Menschen
bei sich haben, in Seinem eignen Hause, in Seiner himmlischen Herrlichkeit. Welch ein Wunder ist diese Barmherzigkeit Gottes! Der Mensch verschloß dem Herrn der
Herrlichkeit, als Er auf diese Erde kam, seine Thore,
soweit es in seiner Macht stand, aber Gott öffnet diesem
selben Menschen die Thore des Himmels.
Unser anbetungswürdiger Herr und Heiland sagte zu
den Seinigen, ehe Er aus dieser Welt ging: „In dem
Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es
nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich
gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, so komme
ich wieder und will euch zu mir nehmen, auf daß, wo
ich bin, auch ihr seid." (Joh. 14, 2. 3.)
Geliebter Leser! wirst du einen Platz mit Jesu in
dem Himmel haben, einen Platz in den vielen Wohnungen
196
des Vaterhauses? Hast du einen Platz für Ihn in deinem
Herzen? Liebst du Ihn, der um deinetwillen arm wurde,
der aus der himmlischen Herrlichkeit herniederkam, um dich
dahin einzuführen? der sich aller Herrlichkeit entäußerte
und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein,
sondern sich selbst zu nichts machte, ja, der an das Kreuz
ging und starb, um Gott zu verherrlichen und dich zu
Gott zu führen? O, möchtest du doch nicht dieses große
Heil verachten, das dir in Christo Jesu angeboten wird!
Siehe zu, daß nicht über dich komme, was in den Propheten geschrieben ist: „Sehet, ihr Verächter, und verwundert euch und verschwindet!" (Vergl. Apostelgesch. 13,
40. 41.) Gott wird dereinst Rechenschaft fordern von der
Welt, die Seinen Geliebten verworfen hat, ja, von einem
jeden, der Ihm gleichgültig und verächtlich den Rücken
kehrt und in den Ruf einstimmt: „Wir wollen nicht, daß
dieser über uns herrsche!" O, gehe nicht länger auf diesem
Wege voran; die Zeit fliegt dahin, und der Tag des
Zornes naht mit schnellen Schritten heran. Eile zu Jesu,
bekenne Ihm, wie dein Herz bisher nur mit den Dingen
dieser Welt, mit Stolz, Selbstsucht und Eigenliebe erfüllt
war, wie du kalt und gleichgültig auf den Wegen der
Sünde einhergegangen bist und nur die Befriedigung der
Wünsche und Begierden des Fleisches gesucht hast. Sage
Ihm alles und verbirg Ihm nichts. Er wird sich in Gnaden
zu dir neigen, wie Er sich zu so vielen Tausenden geneigt
hat. Er wird dir vergeben, dich reinigen und dir alle die 
herrlichen Dinge schenken, von denen wir oben geredet haben.
Ja, Gott gebe in Seiner Gnade, daß der Christus auch in
deinem Herzen wohne durch den Glauben! (Eph. 3,17.)
Noah.
(1. Mose 6—11.)
(Fortsetzung.)
„Und Noah baute Jehova einen Altar, und nahm
von allem reinen Vieh und von allem reinen Gevögel und
opferte Brandopfer auf dem Altar." (Kap. 8, 20.) Als
in späteren Tagen Salomo das Königreich empfing, geschah es auf Grund des Blutes Christi und im Glauben
an dasselbe. Es handelt sich hier nicht darum, wie weit
das Verständnis Salomos ging, sondern um die wahre
Grundlage, auf welcher ihm das Königtum zu teil wurde.
Er ging hinauf auf die Höhe zu Gibeon, weil dort das
Zelt war, welches Mose in der Wüste gemacht hatte, und
opferte tausend Brandopfer. So auch unser Patriarch.
Sobald er sein Erbe empfing und seinen Fuß auf die
„jetzige" Erde (wie Petrus sie nennt) setzte, bezeugte er
durch den Altar und das Opfer, daß er durch die Kraft
desselben Blutes in sein Besitztum eintrat; denn in dem
Glauben daran betete er an.
Die Antworten Gottes auf den einfältigen Glauben
Seiner Knechte übertreffen alle Beschreibung. In der
Nacht, die jenem Tage folgte, an welchem Salomo sich
vorbildlich auf das Blut Christi berufen hatte, erschien
ihm Gott und sagte: „Bitte, was ich dir geben soll."
So kostbar war das Blut in Seinen Augen, daß Er sich
198
dem Sünder, der es vor Ihn gebracht hatte, sogleich zur
Verfügung stellte! Und auf Grund desselben Blutes und
des Glaubens, der es vor Ihn bringt, dürfen auch wir
jetzt zu einem jeden sagen: Bitte den Herrn, deinen Gotr,
um was du willst; erbitte es in der Tiefe oder in der
Höhe, ja, fordere von Ihm alles, was du bedarfst, alles,
was Seine Hände bereitet haben! Er wird es dem Glaubenden nicht vorenthalten. Es verhält sich mit uns, wie
mit Salomo. War er in sich besser oder vor Gott willkommener, als wir? Nein, in keiner Hinsicht.
So war auch bei Noah nichts anderes vor Gott, als
das Opfer und der Glaube, der sich auf dasselbe stützte.
„Und Jehova roch den lieblichen Geruch, und Jehova
sprach in Seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort die
Erde verfluchen um des Menschen willen; denn das Dichten
des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an;
und nicht mehr will ich hinfort schlagen alles Lebendige,
wie ich gethan habe. Forthin, alle Tage der Erde, soll
nicht aufhören Saat und Ernte, und Frost und Hitze,
und Sommer und Winter, und Tag und Nacht." Die
Reinigung der Erde durch die Wasser des Gerichts hatte
keine Veränderung in dem Dichten und Trachten des menschlichen Herzens hervorgebracht. Es war noch böse und
nur böse; es war unverändert geblieben, denn: „was
aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch." Es gab in
dem Menschen keine Veränderung, welche Gott Gedanken
des Friedens über ihn hätte eingeben können; es war
einzig und allein das Blut, auf welches der Glaube eines
armen Sünders vor Ihm sich stützen konnte. Aber dieses
Blut erweckte trotz des Bösen Gedanken des Friedens
in Seinem Herzen. Christus stand vor .den Augen
199
Gottes, und das war genug. Gerade so wie es der Fall
war an dem großen Versöhnungstage in Israel. (3. Mos. 16.)
Das Blut der Besprengung wurde da überall gesehen.
Das war daS große Geheimnis, der Hauptgrundsatz jenes 
vorbildlichen Tages. DaS Blut des Lammes Gottes
wurde in die Gegenwart Gottes gebracht, begleitet von
der Wolke des Weihrauchs, so daß Aaron selbst verborgen
blieb, während zugleich kein Mensch in dem Zelte der Zusammenkunft sein durfte, so lange der heilige Dienst der
Sprengung des Blutes währte. Christus wurde vorbildlich gesehen, und nur Er allein; und die Folge davon war,
daß die Sünden hinweggetragen wurden in eine Wüste,
in ein ödes Land — an einen Ort des Vergessens, wo
cs keine anklagende, richtende oder verdammende Stimme
mehr gab, ja, wo nichts gehört werden konnte, als
die Stimme jenes Blutes, das Besseres redet, als das
Blut Abels.
Jenes Blut stand auch in dem Falle Noahs vor dem
Auge Jehovas und bewegte Sein Herz. „Jehova sprach
in Seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort die Erde
verfluchen." Wie der Herr selbst sagt: „Darum liebt
mich der Vater, weil ich mein Leben lasse." Das Herz
Jehovas besiegelte die Annahme des Opfers, als der
glaubende Noah sich vorbildlich auf Jesum stützte. Die
unbeschränkte Aufforderung Gottes: „Bitte, was ich dir
geben soll I" besiegelte sie später für Salomo. (2. Chron. 1.)
In diesen und ähnlichen Zeugnissen, die sich wieder und
wieder im Alten Testament in Vorbildern und Schatten
finden, erkennen wir eine gesegnete Darstellung des Wertes
des Kreuzes Christi vor Gott. Das Zerreißen des Vorhangs, das Erdbeben und die geöffneten Gräber zur Zeit,
200
als das wahre Opfer ein für allemal dargebracht wurde„
bezeugten dasselbe. In der verschiedensten Weise wirk
die Annahme deS auf Golgatha geschehenen Werkes bestätigt
und bezeugt.
Noah wird jetzt auch der Gegenstand neuer und vielfältiger Segnungen in der Herrlichkeit der neuen Erde,
wie er vorher schon gesegnet war in der Erwählung der
Gnade und in der Gerechtigkeit, die aus Glauben ist.
„Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu
ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die
Erde. Und eure Furcht und euer Schrecken sei auf allem
Getier der Erde und auf allem Gevögel des Himmels,
in allemj was sich regt auf dem Erdboden, und in allen
Fischen des Meeres; in eure Hand sind sie gegeben."
Diese Segnung brachte Noah auf der neuen Erde
Besitz und Herrschaft, sowie die freie Benutzung aller Geschöpfe, welche gut zur Speise waren. „Alles, was sich
regt, was da lebt, sei euch zur Speise." Das war ein 
großes Geschenk, so ausgedehnt, wie der Schauplatz, der
ihn umgab. Er war Herrscher über alles, was er rings
um sich her erblickte, Herr der neuen Erde, wie Adam
Herr des Gartens gewesen war. Indes wird Noah nicht
nur geehrt und bereichert, sondern auch unterrichtet; er
wird belehrt, daß daS Blut der Tiere nicht mit ihrem
Fleische gegessen werden sollte. „Das Fleisch mit seiner
Seele, seinem Blute, sollt ihr nicht essen." Dieser Grundsatz zieht dem Geschenk, welches Noah empfing, eine
Grenze, sowie einst das Geschenk, das Adam empfing, eine
Beschränkung erfahren hatte dadurch, daß der Baum in
der Mitte des Gartens davon ausgeschlossen wurde.
Das Blut war das Leben, und deshalb sollte der
201
Mensch eS nicht essen. Es würde das ein eigenwilliges
Wiederansichreißen dessen gewesen sein, was er durch die
Sünde verloren hatte. Infolge seines Falles war ihm
der Weg zum Baume des Lebens für immer versperrt
worden; wie hätte er sich einen Durchgang durch das
zuckende Schwert der Cherubim erzwingen können? Diese
Anordnung sagte dem Sünder, daß er sein Recht auf den
Baum des Lebens für immer verloren hatte und in eigner
Kraft nie wieder zu demselben gelangen konnte. Das
Leben ist gleichsam wieder zu Gott zurückgekehrt, das Blut
gehört Ihm. Und das Evangelium sagt uns, wie Er es
dazu benutzt hat, um für den verlornen, im Tode liegenden Sünder ein neues, unvergängliches und ewiges Leben
zuzubereiten. Die Handlungsweise Gottes in dem Evangelium wird uns daher in der göttlichen Verordnung an
Noah aufs neue dargestellt: „Das Fleisch mit seiner
Seele, seinem Blute, sollt ihr nicht essen." Der Altar
Noahs hatte uns schon gesagt, daß er, wie Adam, an
den Samen des Weibes glaubte, und daß jenes Geheimnis die Grundlage seiner Religion und seiner Anbetung
bildete. Und hier, wo Gott ihm alle Dinge zum Besitz
und zum Gebrauch giebt, übergeht Er diese große Ausnahme in Seinem Geschenk nicht, weil sie den Seinem
Evangelium zu Grunde liegenden Hauptgedanken ausdrückt.
Diese Ausnahme war, infolge der seit den ersten Tagen
Adams eingetretenen großen Veränderung und im Blick
auf den Unterschied zwischen einem unschuldigen Geschöpf
und einem ruinirten Sünder, ebenso passend und notwendig, wie die Ausnahme des Baumes der Erkenntnis, als
Gott, der Schöpfer, einst alles das dem Adam schenkte,
womit Er den Schauplatz geschmückt und angefüllt hatte.
202
Wir empfangen Leben von Jesn, der durch Sein
Blut Versöhnung gemacht hat, indem wir zugleich völlig
anerkennen, daß wir es sonst nirgendwo erhalten können.
Wir wissen, daß wir tot waren in Vergehungen und
Sünden, aber wir wissen auch, daß wir jetzt Leben haben
in Ihm, und in Ihm allein. Adam lernte dies durch
die Verheißung des Samens des Weibes und durch das
Schwert der Cherubim; Noah lernte und bezeugte es
durch jene Verordnung und durch seinen Altar. Ja, das
ganze Buch Gottes offenbart diese Wahrheit, und die
Ewigkeit wird sie verherrlichen.
Doch mehr noch; wir finden Noah mit dem
Schwert der Gerechtigkeit in der Hand. Sein Mitmensch
sollte beschützt und gerächt werden. Die Person des
Menschen war geheiligt, und sein Leben oder sein Blut
sollte gefordert werden von einem jeden, der es vergoß.
„Und wahrlich, euer Blut, daS Blut eurer Seelen, will
ich fordern; von der Hand alles Getiers will ich es fordern
und von der Hand des Menschen, von der Hand eines
jeglichen, seines Bruders, will ich die Seele des Menschen
fordern. Wer eines Menschen Blut vergießt, durch Menschen
soll sein Blut vergossen werden." *)
Wer wird dem nicht unwillkürlich zustimmen? Unser
ganzes Gefühl urteilt, daß eS richtig ist, die Person des
Menschen als geheiligt zu behandeln. Während jedes
andere lebende Wesen dem Gebrauch des Menschen unterworfen wurde, sollte sein Mitmensch in seinen Augen geheiligt sein, und zwar deshalb, weil er „im Bilde Gottes"
geschaffen ist. Es ist eine Würde in dem Menschen, die
In Noah wurde der Grundsatz der Regierung dargestellt, wie Adam der Repräsentant der Schöpfung war.
203
er allein besitzt; er ist das natürliche Haupt der Schöpfung.
Er ist der Besitzer und Regierer, nicht aber ein Teil des
übertragenen Erbes oder des anvertrauten Besitztums.
Wir kommen jetzt zu einem andern wichtigen Gegenstand. „Mit dir will ich meinen Bund errichten," hatte
Gott zu Noah gesagt, bevor die Arche gebaut war. Jetzt
nachdem das Gericht vorüber und die neue Erde in Besitz
genommen ist, wird jener Bund dem Auserwählten Gottes
ausführlich vorgestellt und aufs neue zugesichert. Das
Wort „Bund" wird bei Noah zuerst gebraucht. Die
Bündnisse, von denen wir in der Schrift lesen, haben
alle ihren besondern Charakter. Die Personen, zwischen
denen sie errichtet werden, sowie die Gegenstände, auf
welche sie sich beziehen, werden alle genau bezeichnet. Sie
können nicht verwechselt werden. Mag es sich handeln
um den Bund mit Noah betreffs der Erde, um den Bund
mit Abraham und seinem Samen, um den Bund mit
Pinehas betreffs des Priestertums oder mit David in bezug
auf den Thron — stets werden die Personen und Gegenstände deutlich genannt. Allein alle diese Bündnisse, ob
einzeln oder zusammengenommen, stellen nicht die besondere
Berufung der Kirche dar. Geistliche Segnungen in den
himmlischen Oertern und die Resultate des Einsseins mit
Christo werden durch dieselben weder beschrieben noch angedeutet. Das Alte Testament redet nichts von der besonderen Stellung, Berufung und Hoffnung der Kirche.
Dagegen offenbaren die Schriften deS Neuen Testamentes
in reichem Maße einen Vorsatz oder einen Ratschluß,
den Gott gefaßt hat nach dem Wohlgefallen Seines Willens,
ein Geheimnis, welches vor Grundlegung der Welt in
Gott verborgen war und das die Kirche unmittelbar
204
betrifft. (Siehe Röm. 16, 25; 1. Kor. 2, 7; Eph. 1, 9;
3, 8—11; Kol. 1, 26; 2. Tim. 1, 9.)
Es könnte hier die Frage entstehen: Nimmt denn
dieser Vorsatz oder Ratschluß nicht die Form eines Bundes
an? Hat er überhaupt nicht den Charakter eines Bundes?
Er wird nie so genannt, obwohl viele Dinge als mit ihm
in Verbindung stehend angedeutet werden, welche die Natur
eines Bundes haben. ES werden Verheißungen gegeben,
Bedingungen aufgestellt und Anordnungen getroffen, wie
es zwischen zwei Parteien geschieht. „In der Rolle
des Buches ist von mir geschrieben" — „ich war eingesetzt von Ewigkeit her" — und ähnliche Worte von
hoher und heiliger Bedeutung mögen zur richtigen Beantwortung dieser Frage beitragen. Nicht nur waren unsre
Auserwählung und Bestimmung die Gegenstände der Ratschlüsse Gottes voc Grundlegung der Welt, (Röm. 8,28.29 ;
Eph. 1, 4. 5; 1. Petr. 1, 2.) sondern wir wurden damals
auch förmlich und thatsächlich von dem Vater Christo gegeben. (Joh. 6, 37. 39; 10, 29; 17, 2—9.) Auch
hören wir, daß Gott das ewige Leben verheißen hat
vor den Zeiten der Zeitalter, (Tit. 1, 2.) ein Wort, das
gleichfalls den Charakter eines Bundes andeutet.
Wie gesagt, wird der Ratschluß Gottes in bezug auf
uns nicht ein Bund genannt, aber doch hat er manche
Eigenschaften eines Bundes. Und wie wird der Geist eines
Gläubigen erfreut durch die gesegnete Wahrheit, daß bei
jener großen Handlung die ganze Gottheit zu Gunsten
unsrer Seelen thätig war! So lesen wir z. B. in 1. Petri 1:
„Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters,
durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur
Blutbesprengung Jesu Christi." Welch unerschütterliche
205
Grundlagen sind das I Welch eine wunderbare Offenbarung
der Gnade! Gott selbst, Vater, Sohn und Heiliger Geist,
sind in Beratschlagung und in Thätigkeit für uns! In
dem Evangelium der Gnade nimmt der Mensch nur den
Platz des Sehens und Hörens ein, Gott denjenigen
des Handelns. Und diese Handlungen Gottes sind,
wie wir sehen, die Frucht köstlicher und wunderbarer Vorsätze, die Er in sich selbst faßte, bevor die Welten gegründet waren. Kann es für den Sünder Wohl etwas
geben, was die Unruhe seines Gewissens besser zu stillen
vermöchte, als diese Handlungen und Opfer Gottes für
ihn gemäß Seinen ewigen Ratschlüssen?
Noah erhielt die Verheißung, daß die Wasser nicht
wieder zu einer Flut werden sollten, die Erde zu verderben ; aber diese Verheißung ruhte auf den festen Grundlage!? des Blutes eines Bundes. Noahs Altar hatte schon
einen lieblichen Geruch, einen Geruch der Ruhe, zu Gott
emporsteigen lassen; und in der Befriedigung und Freude
darüber hatte der Herr gesagt: „Nicht mehr will ich hinfort die Erde verfluchen um des Menschen willen." Jenes
Blut war die Grundlage der Verheißung. Es giebt keine
verheißene Segnung, die nicht zugleich eine erworbene
ist — keinen Thron der Gnade, der sich nicht auf die 
Lade des Bundes stützt.
Doch dem Bunde fehlt auch sein Siegel nicht. Der
Bogen in den Wolken besiegelt ihn, wie das Blut ihn
aufrecht erhält. Wunderbare Gedanken treten in diesem
allem vor unsre Seele. Die Grundlage und das Zeugnis,
das Blut und das Siegel, der Beweggrund und die Bestätigung der großen That Gottes stehen hier vor uns.
Aber alle diese Zeichen, so schön und köstlich sie auch sein
206
mögen, verschwinden, sobald wir an das große Gegenbild
dieser Dinge denken. Der Heilige Geist selbst ist uns jetzt
gegeben als das Siegel unsrer Sohnschaft, als das Unterpfand unsers Erbes, das Zeugnis des vollendeten Werkes
Jesu und der Annahme desselben in all seiner Genügsamkeit und Kostbarkeit.
Wie köstlich ist der Gedanke, daß die Verheißung
Gottes durch das Blut des Sohnes aufrecht erhalten und
durch die Gegenwart des Geistes bezeugt wird! Wie hat
Gott sich selbst uns mitgeteilt in dieser wunderbaren That
für Sünder! Die Seele kann nichts Höheres empfangen.
Wir haben Anteil an göttlichen Handlungen, und zwar
an solchen Handlungen, die auf ewige Ratschlüsse gegründet
sind, und die uns den Namen Gottes offenbaren, als
„Vater, Sohn und Heiliger Geist."
Die Betrachtung dieses Geheimnisses sollte unsre
Herzen erheben, und wir sollten, wie Mose, „hinzutreten,
um dieses große Gesicht zu sehen." Möchten wir viel darüber nachdenken. „Das Geheimnis Jehovas ist für die,
welche Ihn fürchten, und Sein Bund — um ihnen denselben kund zu thun." (Ps. 25, 14.) Laßt uns diese
große Handlung Gottes betrachten, die, bevor die Welten
waren, angeordnet wurde; laßt uns sie betrachten, wie
sie alle Kräfte der göttlichen Liebe und Macht in dem
Vater, Sohn und Heiligen Geist in Bewegung setzt und
die tiefsten und wunderbarsten Vorsätze der Gnade und
Herrlichkeit für die Auserwählten faßt; laßt uns den Blick
darauf richten, bis wir, wie Mose, Ihn entdecken, der
der Mittelpunkt von diesem allen ist und dessen Name
alles erklärt.
Welch eine wunderbare Sache! Von Natur sind wir
207
weit entfernt und entfremdet von Gott; wir sind so in
Gefangenschaft, daß wir nicht einen Schritt vorwärts
kommen können. Aber Gott selbst hat es unternommen,
die unermeßliche Entfernung, die uns von Ihm trennte,
zu beseitigen und das Haus unsers starken Feindes anzugreifen. Und in der Fleischwerdung Jesu Christi, in
Seinen Leiden und Seinem Siege hat diese große That
der Liebe ihre Erfüllung gefunden, und wir sind umgeben
„mit Rettnngsjubel." Wäre es möglich, daß wir, während
wir dies anstaunen, noch im Geringsten fürchten könnten,
der Entfernte sei nicht nahe gebracht, oder der Gefangene
nicht befreit? „Gewiß, bei Flut großer Wasser — sie
werden ihn nicht erreichen." Wir dürfen mit aller Gewißheit sagen: „Du bist ein Bergungsort für mich; vor
Bedrängnis behütest Du mich; Du umgiebst mich mit
Rettungsjubel." (Ps. 32.)
Diesen allgemeinen Gedanken über die Bündnisse und
ihre Zeichen möchte ich noch eine Bemerkung über das
dem Noah gegebene Zeichen hinzufügen. Es hat eine schöne
Bedeutung. Der Bogen ruhte, so zu sagen, triumphirend
auf den Wolken; sein Ansehen und seine Stellung waren
die eines Siegers. Er rief der Wolke gleichsam zu: „Bis
hierher sollst du kommen und nicht weiter." Die Erde
sowohl, wie der Bund, der jene sicher stellt, leben in dem
Gedächtnis Gottes. „Der Bogen wird in den Wolken
sein; und ich will ihn ansehen, um zu gedenken des ewigen
Bundes zwischen Gott und jeglicher lebendigen Seele in
allem Fleische, das auf Erden ist." Gott gedenkt also
dieser Verheißung- für die Erde und sieht den Bogen in
den Wolken an zu aller Zeit und während all der verschiedenartigen Verwaltungen Gottes auf der Erde. Er
208-
gedachte daran, während die Herrlichkeit ihren Wohnsitz
auf der Erde aufgeschlagen und Gott selbst sich zwischen
den Cherubim in dem Tempel zu Jerusalem niedergelassen
hatte.- Und als der Thron Gottes jene Stadt verließ und
das Heiligtum wegen der Greuel des Volkes die Herrlichkeit verlor, wurden der Thron und die Herrlichkeit durch
den Regenbogen zum Himmel begleitet. (Hesek. 1 — 11.)
Und obgleich die Erde dann für eine Zeit aufhörte, der
Wohnplatz Gottes zu sein, so blieb sie doch noch vor Ihm
im Gedächtnis. Er wollte ihrer eingedenk sein als des
Gegenstandes Seiner treuen Fürsorge gemäß Seiner Verheißung. *)
*) Gerade so verhält es sich mit dem Throne Davids. Derselbe
liegt gegenwärtig in Trümmern; aber der Herr gedenkt Seiner
Verheißung in bezug auf ihn, wie derjenigen betreffs der Erde.
In Jerem. 33, 20—26 finden wir diese beiden Verheißungen
und Bündnisse miteinander verbunden. Obgleich jetzt mißachtet
und von den Bösen bespöttelt, sind diese Verheißungen doch noch
im Gedächtnis Gottes, und sie werden zu ihrer Zeit in Erfüllung
gehen.
Daher sehen wir auch, wenn der Himmel vor unsern
Blicken geöffnet wird, den treuen Bogen den Thron umringen. (Offbg. 4.) Ferner zeigt er sich, wenn der Herr
zur sofortigen und unmittelbaren Ausführung des Gerichts
erscheint. In Offbg. 10 sehen wir einen starken Engel,
den göttlichen Vollstrecker des Tages des Herrn, herniederkommen auf die Erde, bekleidet mit einer Wolke, dem
Symbol des Gerichts und dem schrecklichen Gefäß der
Rache. Aber auf Seinem Haupte glänzt der Regenbogen,
und das zeigt uns, daß Gott bis zum Ende hin Seiner
Verheißung betreffs der Erde gedenkt. Die Wolke muß
allerdings herabkommen — „sie werden sehen den Sohn
209
des Menschen, kommend auf den Wolken des Himmels."
Das Gericht muß stattfinden; die Bücher müssen aufgethan und die Schalen ausgegossen werden, aber es geschieht nur, um diejenigen aus dem Reiche zu entfernen,
welche lästern, „um diejenigen zu verderben, welche
die Erde verderben." Wenn die Wolke ihren Auftrag
ausführt, muß sie auf das Geheiß des Bogens inne
halten. Der Tag des Herrn, oder das Gericht, muß der
Gegenwart des Herrn, oder der Erquickung und Wiederherstellung, Platz machen. „Es wird keine Frist mehr
sein," mag der starke Engel rufen; der gegenwärtige Zeitkauf mag wieder unterbrochen werden, wie einst in den
Tagen Noahs, aber vor den Augen des Herrn glänzt der
Bogen so herrlich wie je zuvor, und in Seinem Herzen
lebt Seine Verheißung. Wie Israel um der Väter willen,
so ist die Erde noch geliebt um Noahs willen — jenes
wahren Noah, in dem ^und in dem allein) alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind, und von welchem
in seiner ganzen Fülle und Wahrheit gesagt werden wird:
„Dieser wird uns trösten über unser Thun und über die 
Mühsal unsrer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova
verflucht hat."
Unsre Erde wird daher das Gericht überdauern; sie
wird den Stoß des Herniederkommens des starken Engels
aushalten, obgleich derselbe mit einer Wolke bekleidet ist
und seinen rechten Fuß auf daS Meer und den linken
auf die Erde setzt und mit starker Stimme ruft, wie ein
Löwe brüllt. Und wozu wird sie aufbewahrt? Noch zu
etwas Höherem, als was der Bogen ihr verheißen hat.
Sie wird nicht nur erhalten mit Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht,
210
sondern sie wird sreigemacht werden „zu der Freiheit
der Herrlichkeit der Kinder Gottes." Das ist mehr, als
verheißen war. — So wird das Siegel anerkannt und das
Pfand eingelöst werden. Welch ein herrliches Geheimnis:
Gottes Verheißung, mit dem Opfer des Sohnes als
Grundlage und der Gegenwart des Geistes als Zeugnis!
Und nun, Geliebte, sollten wir solchen Offenbarungen
Gottes mit derselben Ruhe gegenüber stehen, mit welcher sie
uns gegeben werden? Oder was geziemt sich für uns?
Die Königin von Seba stand den Herrlichkeiten Salomos
durchaus nicht in derselben Weise gegenüber, in welcher
Salomo unter ihnen wohnte. Salomo war in ihrer
Mitte zu Hause; sie waren alle sein eigen. Es .war
seine Weisheit und sein Haus, das er gebaut hatte,
die Speise seines Tisches und das Sitzen seiner
Knechte; es war sein Aufgang, auf dem er hinaufging
zum Hause Jehovas. Die Kömgin von Seba aber kam
aus dem fernen Süden und war in dieses alles nur eingeführt. Passend war es, daß Salomo darin ruhte, und
passend, daß sie außer sich kam. So sollte es auch sein
mit dem Buche Gottes und dem Gläubigen. Alle die
tiefen und kostbaren Geheimnisse, welche der Geist darin
entfaltet, sind Sein eigen, die Gedanken und Ratschlüsse
des Herzens Gottes. Wir finden da keine Anstrengung,
um bei der Mitteilung derselben Effekt hervorzurufen;
die Erzählung der Wunder der Gnade und Herrlichkeit
ist ungekünstelt. Aber sollte die Seele, die darin eingeführt wird, ebenso unbewegt sein? Im Gegenteil! sie sollte
noch viel mehr in Entzücken geraten, als jene, die von
den äußersten Enden der Erde kam; denn „mehr als
Salomo ist hier."
211
Ach, möchten wir mehr von diesem Entzücken kennen!
Wir reden gar zu leicht von den Dingen Gottes in einer
Weise, als ob nicht mehr Kostbarkeit darin enthalten Ware,
als das, was unsre Herzen davon erfassen können. Aber
wenn vor unsern erstaunten Blicken ein Geheimnis nach
dem andern aus der Weisheit Dessen, der größer ist als
Salomo, hervorkommt, dann sollte wahrlich auch die
Sprache unsrer Herzen sein: „Glückselig sind deine Männer, glückselig diese deine Knechte, die vor dir stehen beständig, die deine Weisheit hören!"
(Schluß folgt.)
Die zehn Jungfrauen.
Als die Zeit nahte, daß der Herr von Seinem Volke
Israel dem Kreuzestode überliefert werden sollte, rief
Er über die Pharisäer, die Schriftgelehrten und Führer
des Volkes, die als die Bauleute Ihn, den „Stein."
verworfen hatten, ein siebenfaches „Wehe euch!" aus.
(Matth. 23.) Dann verließ Er den Tempel mit den
Worten: „Siehe, euer Haus wird euch wüste gelassen."
„Und Jesus trat hinaus und ging von dem Tempel hinweg." (Matth. 23, 38; 24, 1.) Der Tempel war nicht
länger Jehovas Haus und Heiligtum; er war nun der
Juden Haus, von welchem der Herr sich wegwandte, und
das der Zerstörung anheimfallen sollte. (Kap. 24, 2.) Da
traten Seine Jünger herzu mit der Frage: „Sage uns,
wann wird dieses geschehen (nämlich die völlige Zerstörung
des Tempels), und welches ist das Zeichen Deiner Ankunft
und der Vollendung des Zeitalters?" In Beantwortung
dieser Frage eröffnet der Herr Seinen Jüngern, daß über
die Stadt und das Volk schwere Gerichte ergehen, und
212
daß diese ihren Höhepunkt erreichen würden zur Zeit des
Antichristen, der sich als „Greuel der Verwüstung an heiligem Orte" erheben wird wider Gott und Seinen Gesalbten. „Alsdann wird große Drangsal sein, dergleichen
von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist."
Jedoch „um der Auserwählten willen" aus dem für eine
Zeit dahingegebenen, aber dereinst „von den vier Winden
und den äußersten Enden der Erde" wieder gesammelten
Volke des Herrn werden „jene Tage verkürzt werden."
(Matth. 24, 22.) Diese „Auserwählten" (vgl. zu dieser
Benennung des gläubigen Ueberrestes aus Israel Jes.
65, 9. 22.) werden auch in der Drangsalszeit die Boten
bilden, welche „das Evangelium des Reiches auf dem
ganzen Erdkreis allen Nationen" verkündigen.
Das Reich Seines Vaters David war dem Herrn
vielmals verheißen worden, aber Er wurde verworfen und
abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen, und hatte
nichts. (Dan. 9, 26.) Die Verheißung wird sich dereinst
noch erfüllen; und die Auserwählten in jener Zeit werden
Ihn erwarten. Jedoch werden sie ermahnt, Ihn nicht in
der Wüste, noch in den Gemächern zu suchen und nicht
zu glauben, wenn Verführer ihnen sagen werden: „Siehe,
hier der Christus, oder hier!" Denn Er, der Verworfene,
der jetzt im Himmel thront, wird von dort wiederkommen
wie „der Blitz, der vom Aufgang leuchtet bis zum Niedergang," „mit Macht und großer Herrlichkeit." Nach großer
Trauer und vieler Herzensangst werden sie Ihn sehen,
in den sie gestochen haben, und werden sprechen: „Gesegnet,
der da kommt im Namen des Herrn!" (Sach. 12,10—14;
Matth. 23, 39.)
Sie werden erkennen, daß der, den ihre Väter der-
213
worfen und getötet haben,- ihr Messias und ihr Jehova
war, und werden Ihn aufnehmen mit tiefer Zerknirschung
des Herzens und unter lauter Wehklage. (Matth. 24, 30.)
Alsdann wird der Herr „König" sein „auf Seinem
Throne der Herrlichkeit," und wird die Nationen von einander scheiden, gleichwie der Hirte die Schafe von den
Böcken scheidet, und wird die Erde richten in Gerechtigkeit.
Es wird sich dann völlig erfüllen, was Isaak einstmals
segnend dem Jakob verhieß: „Wer dich segnet, der ist
gesegnet, wer dich verflucht, der ist verflucht." (Vergl.
1. Mos. 27, 29 mit Matth. 25, 34. 41.) Sowie sich
die Völker gegenüber den Brüdern des Königs, den Auserwählten, verhalten haben werden, also wird Sein Verhalten ihnen gegenüber sein. Er wird die Einen segnen,
die Andern verfluchen. Und Er wird König sein über
Sein Volk, und alle Völker werden Ihm dienen. (Vergl.
Sach. 14, 9; Ps. 72; 97; 99; u. v. a. St.)
Unsre Zeit ist die Zeit der Verwerfung Christi und
der Zerstreuung Israels, aber auch die Zeit, da Gott
durch Seinen Heiligen Geist Seinem Sohne aus allen
Geschlechtern, Völkern und Zungen eine Braut sammelt.
Die Kirche oder Versammlung ist „das Weib, die Braut
des Lammes." (Offbg. 21, 9.) Sie ist für den Herrn,
was Eva für Adam war, Fleisch von Seinem Fleische,
Gebein von Seinen Gebeinen, (Eph. 5, 25 — 32.) „die
Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt." (Eph. 1, 23.)
Sobald die „Vollzahl der Nationen" eingegangen ist, wird
der Herr für die Seinen wiederkommen und die Braut
entrücken, wie Er Henoch vor der Sündflut entrückt hat.
(Vergl. Joh. 14, 3; 1. Kor. 15, 51. 52; Offbg. 3, 10.)
Am Tage Seiner Erscheinung aber, d. h. wenn Er
214
als König kommt, wird Er S«ine Braut mit sich bringen,
die Er in der Zeit Seiner Verwerfung fand; gleichwie
Joseph und Moses, die von ihren Brüdern verkauft oder
verworfen wurden, aber in der Zeit ihrer Verwerfung aus
fremdem Volk ein Weib gewannen und schon besaßen, als
sie nachmals nach schweren Gerichten als Retter des Volkes
erkannt und ausgenommen wurden.
In dieser Zeit der Sammlung der Braut, in welcher
Gottes freie Gnade unter allen Völkern verkündigt und
der Schuldige und Verlorene bedingungslos zum Hochzeitsfeste des Königs, des Lammes Gottes, geladen wird,
(vergl. Matth. 22, 1 — 9.) leben wir also. Alle aber,
die Gottes frohe Botschaft vernommen und, wenn auch
nur äußerlich, angenommen haben, stehen unter einer besonderen Verantwortlichkeit. Von dieser Verantwortlichkeit
spricht der Herr im Verlauf Seiner Rede in drei Gleichnissen, die Er zwischen die Ankündigung Seiner Gerichte
über Israel und die Weissagung Seiner Rückkehr als
König stellt. Es sind die Gleichnisse von dem Haushalter,
der in Abwesenheit seines Herrn das Haus bewachen und
dem Gesinde die Speise geben soll; von den zehn Jungsrauen, die dem kommenden Bräutigam entgegengehen und
zum Hochzeitsfest begleiten sollen, und endlich von den
Knechten, die mit den anvertrauten Talenten arbeiten sollen,
bis ihr Herr wiederkehrt. (Matth. 24, 42 — 25, 30.)
Es handelt sich in jedem derselben um die Verantwortlichkeit derer, die Seinen Namen bekennen, und welche
für Christum in der Zeit Seiner Abwesenheit als ein 
Zeugnis in der Welt dastehen sollen.
Wir wollen uns jetzt jedoch nur mit dem mittleren
der drei Gleichnisse, mit demjenigen von den zehn Jung­
215
fronen, näher beschäftigen. Wir finden in demselben nicht
eine Braut, sondern zehn Jungfrauen, die den Bräutigam
nach morgenländischer Sitte zur Hochzeit führen sollen;
aber es ist auch neben ihnen keine Braut genannt. Wir
haben deshalb die Kirche hier nicht vor uns nach ihrer
gesegneten Stellung und Einheit mit Christo, sondern in
ihrem dienenden, verantwortlichen Charakter, wobei die
Frage, ob die Glieder derselben der Erlösung teilhaftig
geworden sind, oder sich nur zu Seinem Namen bekennen,
zunächst nicht in Betracht kommt.
Im Anfang stand niemand auf dem Boden der
Christenheit, der nicht auch errettet und somit ein Glied
am Leibe Jesu war und zu Seiner Braut gehörte. Die
Gläubigen lebten getrennt von der Welt, und „niemand
wagte, sich ihnen anzuschließen." Die ersten Christen bestanden somit nur aus klugen Jungfrauen, und diese
werden in unserm Gleichnisse auch zuerst genannt. Sie
hatten sich „bekehrt von den Götzenbildern zu Gott, um
dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, und Seinen
Sohn aus den Himmeln zu erwarten." (1. Thess. 1, 9. 10.)
Des Herrn Rückkehr zu ihrer Aufnahme in die Herrlichkeit
war, nach Seiner Verheißung und der Belehrung durch
den Heiligen Geist, ihre Erwartung und Hoffnung. (Vergl.
Joh. 14, 3; 1. Kor. 15, 51. 52; 1. Thess. 4, 16-18;
Phil. 3, 20. 21; 2. Kor. 5, 4; u. a. St.) Sie gingen
aus, dem Bräutigam entgegen.
Als die Versammlung aber die erste Liebe verließ,
und die Absonderung von der Welt deshalb schwächer
wurde, da schlossen sich ihr bald auch Unbekehrte an, die
nach der Lampe, dem bloßen Bekenntnisse, griffen, aber
kein Oel in ihre Gefäße nahmen. Es sind dies die
216
thörichten Jungfrauen. Die Absonderung der Gläubigen
von der Welt, die der Herr so sehr erflehte, (Joh. 17.)
wurde von da ab, gemeinschaftlich wenigstens, aufgegeben
und die Verbindung mit der Welt hergestellt. Das Unerlaubte der Gemeinschaft des Lichts mit der Finsternis
wurde im Laufe der Jahrhunderte zeitweilig von gläubigen
Männern gefühlt; aber der seit Augustins Tagen gebräuchliche, unbiblische Ausdruck: „unsichtbare Kirche,"
wonach die wahren Gläubigen nicht von den Unbekehrten
zu trennen wären und in ihrer Einheit und Gemeinschaft
auf Erden nicht sichtbarlich offenbar werden könnten, beruhigte sie wieder. Schon Paulus spricht in seinem letzten
und prophetischen Briefe von solchen, die eine Form der
Gottseligkeit haben, aber ihre Kraft verleugnen, und gebietet,
sich von solchen zu trennen. (2. Tim. 3, 5.)
Die Form der Gottseligkeit ohne Kraft, oder was
dasselbe ist, die Lampe ohne Oel, fand aber im Laufe
der Jahrhunderte Anerkennung in ihrer Verbindung und
Gemeinschaft mit den Gläubigen. Es kam zu einer
christianisirten Welt, zu „einem großen Hause mit Gefäßen der Ehre und der Unehre," von welch letzteren der
Heilige Geist unsre Absonderung verlangt. (2. Tim. 2.)
Das Zusammengehen der Gläubigen mit den Ungläubigen
„in ungleichem Joche" ist indes nicht nur für die ersteren,
sondern auch für die letzteren von Unsegen. Diese werden
durch eine solche Verbindung in dem verderblichen Wahne
bestärkt, daß eS zur Errettung genug sei, der Wahrheit
äußerlich zuzustimmen, ohne die Kraft derselben an Herz
und Gewissen zur Wiedergeburt erfahren und sich in wahrem
Selbstgericht um Heil und Erlösung an Christum gewandt
zu haben. Sie haben die Taufe empfangen und sind darin.
— 217 —
wie viele meinen, der Wiedergeburt teilhaftig geworden; sie
feiern in Gemeinschaft mit den Gläubigen das Abendmahl des
Herrn, sie gehen fleißig zur Kirche, um der Predigt des Wortes
zuzuhören, und wähnen nun, alles sei in bester Ordnung.
Aber ach! sie sind trotz alledem tot, ohne Leben, ohne Gott
in der Welt; sie haben kein Oel in ihren Gefäßen.
Aber auch für die Gläubigen, für die, welche vom
Tode zum Leben gekommen sind, ist die bewußte, anerkannte Verbindung mit den Ungläubigen höchst verderblich
gewesen. Das Bewußtsein der himmlischen Berufung und
Stellung der Kirche Christi ist ihnen mehr und mehr
verloren gegangen. Auch die Hoffnung auf die Rückkehr
deS Herrn als Bräutigam verschwand. „Als aber der
Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen
ein." So finden wir in den Schriften, Predigten und
Liedern selbst gläubiger Männer des Mittelalters und noch
der letzten Jahrhunderte wohl vielfach Hinweise auf das
kommende Gericht, das als ein allgemeines Endgericht betrachtet wurde, wobei dann die Hoffnung, dem Bräutigam
Zur Rechten gestellt zu werden, ausgesprochen wird; aber
nirgend zeigt sich die freudige Hoffnung und klare Erwartung der Braut, den Herrn als glänzenden Morgenstern noch vor Anbruch des Tages der Rache und der
Gerichte zu sehen, um mit Ihm einzugehen zur Herrlichkeit des Vaterhauses.
Der Herr aber, der nicht gern vor den Seinen verbirgt, was Er im Begriff ist zu thun, griff ein, gleich
wie wir in unserm ernsten prophetischen Gleichnisse lesen:
„Um Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen!" Der Heilige Geist
hat die Verheißung des Herrn: „Ich komme bald!" in
218
diesen letzten Tagen den Herzen der Gläubigen wieder
köstlich gemacht und den Schrei: „Siehe, der Bräutigam!"
ergehen lassen. Seit mehreren Jahrzehnten schon macht
der Ruf: „Der Herr ist nahe!" die Runde auf der Erde
und hat in vielen Herzen Freude, große Freude hervorgerufen und zugleich eine heilige Absonderung von der Welt,
sowie viel Bewegung und Thätigkeit unter allen christlichen
Bekennern zuwege gebracht: „Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen."
Der Heilige Geist sucht in dieser Zeit die Gläubigen,
„die Heiligen und Geliebten," zurückzuführen zu dem, was
von Anfang ist. Er stellt ihnen die kostbare Person Jesu
Christi, in dem wir alles haben, vor Augen, und sagt:
„Siehe, der Bräutigam!" Er ist beschäftigt, sie in die
gesegnete Erkenntnis ihrer herrlichen Stellung und himmlischen Berufung in und mit Christo einzuführen. Und wo
irgend Gläubige diese Wahrheiten verstanden und erkannt
haben, daß Christus in ihnen und sie in Christo sind, da
werden sie auch begehren, vor dem Heiligen und Wahrhaftigen treu erfunden zu werden, Sein Wort zu bewahren
und Seinen Namen nicht zu verleugnen. Sie werden mit
in den Ruf einstimmen: „Amen, komm, Herr Jesu!"
Sie sind nicht von der Nacht, daß der Herr oder der
Tag des Herrn sie „wie ein Dieb ergreife." Sie gehen
aus, Ihm entgegen!
Der Heilige Geist sagte durch den Mund des Apostels
zu den Gläubigen aus den Heiden: „Gehet aus von
ihnen, und sondert euch ab!" (2. Kor. 6.) und zu
den Christen aus den Juden: „Lasset uns zu Ihm
hinausgehen außerhalb des Lagers, Seine Schmach
tragend!" (Hebr. 13, 13.) Da nun die Braut hinsichtlich
219
der Erwartung des Bräutigams in Schlaf gefallen, und
durch ihre Verbindung mit den Thörichten sogar viel
Heidnisches und Jüdisches in die Kirche Christi eingedrungen ist, so hören wir nach Mitternacht wieder den Ruf:
„Gehet aus!" Hienieden, wo Verderben und Verfall
allenthalben wahrzunehmen ist, muß der Treue ausgehen und sich absondern. Dereinst beim Herrn werden die 
Ueberwinder „nicht mehr hinausgehen." (Offbg. 3,11.12.)
Ueber die Masse der Christenheit aber, selbst über
Sardes, dem der Herr gebietet, daß es bedenken soll,
„wie es empfangen und gehört hat," (Offbg. 3, 1—6.)
wird der Herr kommen „wie ein Dieb." Die bekennende
Kirche hat sich mit der Welt verbunden und sich ihr gleichgestellt, und so wird sie auch wie die Welr gerichtet werden. Wie betrübend ist es nun, daß so manche wahre
Gläubige trotz der ernsten Ermahnung des Herrn, „auszugehen und Unreines nicht anzurühren," doch in Gemeinschaft mit den Ungläubigen bleiben, und sich dabei noch
auf die Worte des Herrn berufen: „Lasset beides (Unkraut und Weizen) zusammen wachsen bis zur Ernte."
Ach! sie wissen nicht, daß sie dadurch das schärfste Urteil
über sich selbst fällen; denn sie sagen durch ihre Berufung
auf jene Worte deutlich, daß die bekennende Kirche und
die Welt eins geworden sind. (Vergl. Matth. 13, 38.)
O, möchten doch ihre Herzen geöffnet werden, um auf
den mitternächtlichen Ruf: „Siehe, der Bräutigam! gehet
aus, Ihm entgegen!" acht zu haben! Möchten sie nicht
länger in Verbindung bleiben mit einem System, das der
Herr binnen kurzem aus Seinem Munde ausspeien wird!
Doch neben dieser absondernden Thätigkeit nehmen
wir noch eine andere Wirksamkeit des Heiligen Geistes
220
wahr, die sich auf die Unbekehrten erstreckt. Doch hören
wir, was unser Gleichnis sagt: „Da standen alle jene
Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen. Die Thörichten aber sprachen zu den Klugen: Gebet uns von euerm
Oel, denn unsre Lampen erlöschen. Die Klugen aber
antworteten und sagten: Nicht also, damit es nicht etwa
für uns und euch nicht ausreiche; gehet lieber hin zu den
Verkäufern und kaufet für euch selbst."
Die thörichten Jungfrauen, unter denen wir uns also
nicht etwa Gottlose und Gotteslästerer zu denken haben,
wachen mit auf; wir hören zwar jetzt nicht, daß sie mit
ausgehen, aber sie kommen doch in Bewegung und „schmücken
ihre Lampen." Worin dieses Schmücken auch bestehen mag
— sei es in vermehrtem Eifer, zu hören und zu lernen,
oder in erhöhter äußerer Thätigkeit — Gott wirkt das
Bewußtsein in vielen Herzen, daß die Lampe ohne Oel
nicht genügt, daß die Gläubigen etwas besitzen, was ihnen
gebricht. Jetzt erst, wo der Ruf ertönt: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen!" werden sie inne, daß
ihre Lampen erlöschen.
Bloße Kirchlichkeit mit sittlichem Lebenswandel, bloße
Rechtgläubigkeit, und wäre sie noch so orthodox, eine bloße
Form der Gottseligkeit, und wäre sie noch so schön und
anscheinend echt, ohne Leben aus Gott, sind nicht genügend; sie berechtigen nicht zum Eingang in das Vaterhaus. Welch eine Thorheit und Täuschung, mit einer
Lampe ohne Oel Christum erwarten zu wollen zur Seligkeit! Wie schrecklich muß das Erwachen sein! Wie thöricht
schon, von Menschen das Heil zu erwarten, wie jene Jungfrauen sagen: „Gebet uns von euerm Oel!" Was Menschen
geben können, mag für diese Zeit scheinbar genügen, ge­
221
nügt aber nicht für die Ewigkeit. Die Erlösung ist eine
persönliche Sache; das Heil muß ein persönliches Eigentum werden: „Kaufet für euch selbst!" Der Herr
sagt: „Kommet her zu mir!" (Matth. 13, 28.) Er rät
dem bethörten Laodicäa: „Ich rate dir, Gold von mir
zu kaufen!" (Offbg. 3, 18.)
Viele Tausende haben in der That seit dem Aufwachen der klugen Jungfrauen, seit dem Wiedererwachen
der Hoffnung auf das persönliche Kommen Jesu als
Bräutigam, Heil und Frieden bei Jesu gesucht und gefunden. Dennoch hören wir neben dem Rufen des
Geistes und der Braut nach der Ankunft des Morgensterns, auch ein Rufen: „Wen da dürstet, der komme!
wer da will, der komme und nehme das Wasser des Lebens
umsonst!" (Offbg. 22, 17.) Viele, viele sind in den
letzten Jahrzehnten in der Nähe und Ferne bekehrt worden.
Manche, vielleicht viele, aber sind auch noch zurück, die
zum Herrn kommen werden; und gewiß eine große Anzahl wird das traurige Los der thörichten Jungfrauen
teilen. (Vgl. Luk. 13, 22.25.) „Als diese aber hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam, und die
bereit waren, gingen mit Ihm ein zur Hochzeit,
und die Thür ward verschlossen." Welch ein
düsteres Bild von den Tausenden, die hienieden eine Form
der Gottseligkeit, ich wiederhole, eine vielleicht sehr schöne
Form besaßen, aber ohne Leben aus Gott waren und deshalb nicht mit eingehen zur Hochzeit! Sie begehren das
Oel und zuletzt noch den Einlaß in die Herrlichkeit. Aber
zu spät! Sie stehen mit erloschenen Lampen, also in
tiefer Dunkelheit, vor verschlossener, auf immer verschlossener Thüre.
222
Geliebter Leser! die Wirklichkeit wird dieses düstre
Bild an Schrecklichkeit noch weit übertreffen! Darum laß
mich dich fragen: Bist du errettet? Hast du dich je im
Lichte Gottes gesehen? Hast du erkannt, daß du von
Natur blind, nackt und bloß bist, und hast du bei Gott
selbst dir Gold gekauft, göttliche Gerechtigkeit, im Feuer
geläutert? Sind deine Sünden, dein Leben, dein Herz
dir offenbar geworden in Gottes Gegenwart, und bist du
gereinigt und mit Gott versöhnt? Kannst du deine Rechte
aufs Herz legen und sagen: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!"? Bist du ein Kind Gottes? „Wer Christi
Geist nicht hat, der ist nicht Sein!" (Röm. 8, 9.) O, ihr
Kinder von gläubigen Eltern, ihr Verwandte von Gläubigen, die ihr so oft eingeladen, so oft gewarnt worden seid,
wendet euch noch heute zu Christo! Erwartet nicht, daß
noch große Dinge geschehen werden! Ungesehen und plötzlich nahm der Herr den Henoch vor der Sündflut hinweg;
(Hebr. 11, 5.) so kann der Herr auch im nächsten Augenblick kommen und in einem Nu die Braut wegnehmen.
Wo wirst du dann sein?
Derselbe Herr, der jetzt voll Gnade ruft: „Kommet
her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich
will euch Ruhe geben!" muß dann alle von sich weisen,
die gleich den thörichten Jungfrauen draußen stehen und
noch Einlaß begehren. Er, der jetzt noch die Thür ist,
die frei zu Gott führt, (Joh. 10, 9.) wird dann, kann
dann nicht mehr öffnen. Die thörichten Jungfrauen gehen
nicht alsbald ein ins ewige Feuer; sie bleiben zunächst
vor verschlossener Thüre, hienieden auf der Erde, über
welche die Zeit der großen Drangsal kommt. Wohl wird
nachmals die Thür wieder geöffnet, (Offbg. 19, 11.)
223
aber nur um dem kommenden Richter und König und
den himmlischen Heerscharen aufzuthun, damit die Erde
gerichtet werde in Gerechtigkeit, (Apostgsch. 17, 31.) und
Er Sein Reich beginne.
Siehe, „noch ist Raum da!" Und der Herr nötigt
durch Seine Boten, „hereinzukommen, auf daß Sein Haus
voll werde." Willst du der Einladung folgen? Laß dich
bitten, nicht länger mehr aufzuschieben! Und wenn du des
Herrn bist, o dann antworte auch auf Seine herrliche Verheißung: „Ja, ich komme bald!" mit glücklichem Herzen:
„Amen, komm, Herr Jesu!"

Geliebte.
Geliebte! — ein schöner Titel, nicht wahr, mein
Leser? Wem wird er gegeben? Solchen, die einsthassenswürdig waren, an und in denen es nichts gab, was Liebe
hätte erwecken können. Und wer giebt ihn? Der Gott des
Himmels und der Erde, der allmächtige und allweise
Schöpfer und Erhalter aller Menschen, ja, des ganzen
Weltalls! Welch ein Gedanke, von dem großen, ewigen
Gott geliebt zu sein! Nicht nur Gegenstände Seiner
Fürsorge und Bewahrung, nein, Gegenstände Seiner Liebe!
Arme, schwache, elende Geschöpfe in uns selbst, verlorene,
verdammungswürdige Sünder von Natur, und dennoch
Geliebte, geliebte Kinder Gottes! Geliebt vor Grundlegung der Welt, geliebt jetzt, inmitten unsrer Schwachheit
und auf dem Wege durch eine arge Welt, geliebt bis in
alle Ewigkeit! Und weshalb geliebt? Geliebt um Christi
willen, begnadigt in dem Geliebten!
224
Geliebte! welch eine Antwort geben unsre Herzen
auf die große That der Liebe Gottes, auf alle die Liebe,
die Er über uns ausgeschüttet hat und jeden Tag ausschüttet? Schlagen sie für Ihn? Sind sie erfüllt mit Lob,
Dank und Anbetung und mit dem sehnlichen Verlangen,
Ihn wieder zu lieben, der uns zuerst geliebt hat? Freuen
wir uns über jede Gelegenheit, wo wir Ihm unsre Liebe,
wenn auch in noch so geringem Maße, beweisen können?
Lieben wir Gott? Lieben wir alle diejenigen, welche aus
Ihm geboren sind? Suchen wir in selbstverleugnender
Liebe einander zu dienen? Gehen wir in duldsamer Liebe
den Schwachen nach? Besuchen wir die Kranken und
Leidenden? Stehen wir den Betrübten, Niedergebeugten,
Schwergeprüften tröstend, teilnehmend und helfend zur
Seite? Haben wir eine geöffnete Hand für die Bedürfnisse
des Armen, der Witwe und der Waise? Freuen wir uns
mit den sich Freuenden, und weinen wir mit den Weinenden? Achten wir in Liebe und Demut einer den andern
höher als unS selbst?
Geliebte! Ist nicht oft gerade das Gegenteil von dem
Gesagten bei uns vorhanden? Giebt es nicht viel Gleichgültigkeit, Gefübllosigkeit, Unduldsamkeit und — was der
Gesinnung Christi und dem Herzen unsers Gottes und
Vaters so zuwider ist — viel Eigenliebe und Selbstsucht in unsrer Mitte? Wo ist jene kostbare „Bemühung der Liebe," welche das Herz des Apostels
Paulus so sehr erfreute? (1. Thess. 1, 3.) O, laßt unS
einen Blick thun in die Tiefen unsrer Herzen und einen
zweiten in unser tägliches Thun und Lassen! Wir werden
viel zu verurteilen, viel zu richten finden. Laßt uns damit
zum Herrn gehen und es in aufrichtigem Selbstgericht vor
Ihn bringen; und dann laßt uns viel mit Ihm beschäftigt
sein, Ihn betrachten, von Ihm lernen und Seine Liebe in
unsre Herzen überströmen lassen! Möchten wir nie vergessen,
daß gerade die Eigenliebe zuerst unter den Kennzeichen
der letzten „schweren" Tage genannt wird! (2. Tim. 3, 2.)
„Ich habe aber wider dich, daß du deine
erste Liebe verlassen hast!"
(Offbg. 2, 4.)
Das Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus
<Offbg. 2, 1 — 7.) zeigt uns den Beginn des Verfalls in
der christlichen Kirche. Bis zu welcher Höhe und Ausdehnung dieser Verfall in der gegenwärtigen Zeit gekommen ist, vermag keine Feder zu beschreiben, kein Mund
auszusprechen. Die Gesetzlosigkeit tritt von Tag zu Tage
gewaltthätiger und frecher hervor und wird bald auch die 
letzte Schranke durchbrochen haben.
Je mehr wir aber, durch den Geist Gottes geleitet,
befähigt sind, in die Eiefe dieses Verfalls hineinzuschauen,
desto mehr müssen wir staunen über die wunderbare Gnade
Gott«, die sich gerade in unsern Tagen, ja, in diesen
bösen Tagen, so überreich entfaltet hat und immer noch
fortfährt, ihre gesegnete Wirksamkeit zu offenbaren. Wie
groß ist nah und fern die Zahl derer, die in jüngster
Zeit durch Seine Gnade errettet worden siM! Wie viele
einst hoffnungslose Sünder, die nichts als Tod und Verdammnis zu erwarten hatten, blicken jetzt voll glückseliger
Hoffnung nach oben, wo eine ewige Herrlichkeit für sie
bereit liegt!
Und andrerseits hat der Herr in unsern Tagen und
inmitten der fast zahllosen Parteien wiederum ein klares
226
Zeugnis für die Wahrheit aufgerichtet, und viele Tausende
der Seinigen erfreuen sich derselben. Sie erfreuen sich
Seiner herrlichen Ratschlüsse, die Er vor Grundlegung der
Welt gefaßt und durch die Apostel und Propheten des
Neuen Testaments geoffenbart hat, deren GegenstauN
Christus und die Versammlung ist. Sie erwarten den
Herrn zu ihrer Ausnahme, um vor dem kommenden Zorn
in Sicherheit gebracht zu werden; sie versammeln sich, getrennt von allen Parteien und in Anerkennung der Einheit des Geistes, einfach in dem Namen Jesu, verkündigen
Seinen Tod und bringen Ihm die Opfer des Lobes dar.
Sind sie auch nicht d i e Versammlung — denn diese umfaßt
alle wahren Gläubigen, alle Erlösten auf der ganzen Erde,
so wie eine örtliche Versammlung alle an jenem Orte
wohnenden Glieder Christi einschließt — so kommen sie
doch auf dem einfach wahren Boden der Versammlung
Gottes zusammen und machen von ihren gesegneten Vorrechten Gebrauch. — Im Blick auf solch reiche Segnungen
der Gnade Gottes, und dazu in einer so bösen Zeit, wie
die gegenwärtige ist, können unsre Herzen nur mit Dank
und Anbetung erfüllt sein.
Der Mensch aber bleibt immer derselbe; zu aller
Zeit offenbart er seine Schwäche und seine Undankbarkeit,
am Ende wie im- Anfang der Geschichte der Kirche auf
der Erde. Rach und nach weicht er von dem gesegneten
Boden ab, auf welchen die Gnade ihn gestellt hat, und
bleibt, im Blick auf die Erfüllung seiner Verantwortlichkeit, immer weiter hinter den ihm verliehenen Segnungen
zurück. Ein höchst ernster Gedanke, der wohl geeignet ist,
uns tief zu demütigen! Doch welch ein Glück, daß die
Gnade Gottes ewiglich währt, und daß nichts uns aus
227
Seiner Hand rauben, nichts uns von Seiner Liebe, die
in Christo Jesu ist, trennen kann!
Lesen wir die Briefe der Apostel an die verschiedenen
Versammlungen, so finden wir, daß ihr Inhalt stets dem
Zustande einer jeden derselben angepaßt ist. So werden
m denr Briefe an die Epheser der Versammlung in Ephesus
die herrlichsten und erhabensten Dinge geoffenbart, und
zwar in einer Fülle, wie dies in keinem der übrigen Briefe
der Fall ist. Es werden in dieser Epistel die unermeßlichen Segnungen der Gnade und Liebe Gottes entfaltet,
welche das Teil der Gläubigen bilden. Sie sind von
Gott, dem Vater, gesegnet mit aller geistlichen Segnung
in den himmlischen Oertern in Christo; sie sind auserwahlt
in Ihm vor Grundlegung der Welt und in eine Stellung
versetzt, die über alles erhaben ist. Durch Ihn hat sie
Gott nach dem Wohlgefallen Seines Willens zur Sohnschaft zuvor verordnet, und zwar für sich selbst, für Sein
Herz, und hat sie begnadigt in dem Geliebten, in welchem
sie die Erlösung haben durch Sein Blut. Ueberdies sind
sie durch ein inniges und unauflösliches Band mit Christo
verbunden. Die Versammlung ist Sein Leib, Seine
Fülle; sie ist Seine Miterbin, versiegelt durch den Heiligen
Geist, das Unterpfand zur Erlösung des erworbenen Besitzes. (Eph. 1.) Ja, die Versammlung zu Ephesus wurde
in die herrlichsten Dinge eingeweiht und in die Erkenntnis des wunderbaren Geheimnisses Gottes eingesührt, in
welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis
verborgen sind. Ein solcher Brief läßt uns mit Recht
schließen, daß der allgemeine Zustand jener Versammlung
ein geistlicher, und daß Christus selbst der wahre Gegenstand
des Herzens sein mußte.
228
Das Sendschreiben in der Offenbarung zeigt uns jedoch die Versammlung zu Ephesus nicht mehr in jenem
gesegneten Zustande. Sie war mehr oder weniger davon
abgewichen; ja, für das Herz des Herrn war ein unersetzlicher Verlust eingetreten. Nichtsdestoweniger verschlieW
dieser schmerzliche Verlust Sein Auge keineswegs für das
Gute, das noch vorhanden war. Wir sehen sogar, daß
Sein Blick sich zunächst auf dieses richtet. In dem Apostel
Paulus begegnen wir ebenfalls dieser Gesinnung göttlicher
Liebe. In seinem Briefe an die Versammlung zu Korinth,
in deren Mitte so viele Herzen gegen ihn, ihren geistlichen Vater, der sie so innig liebte, erkaltet waren, und
in welcher so manche tadelnswerte Dinge Vorlagen, spricht
er zuerst von den reichen Segnungen und Gaben, welche
die Gnade bei ihnen hervorgebracht hatte; dann erst folgen die Ermahnungen. Nur wenn die Liebe Christi in
unserm Herzen wohnt und wirksam ist, sind wir fähig,
unser Auge, inmitten der vielen Mängel unter den Seinigen, über das vorhandene Gute offen zu halten und zuerst
auf dieses unsern Blick zu richten; daß sie uns zugleich
nie gleichgültig gegen das Böse sein läßt, braucht kaum 
gesagt zu werden. Wenn wir aber nicht durch Seine
Liebe geleitet werden, so sehen wir immer das Böse zuerst,
und das noch vorhandene Gute oft gar nicht mehr. Möchten wir auch in dieser Beziehung ernstlich über uns wachen l
Wir sind sonst unfähig, den Seinigen aus eine nützliche
Weise zu dienen. Es ist sicher demütigend, wahrzunehmen,
wie unter den Kindern Gottes die Fehltritte des Einen
oder Andern oft so leicht und schnell weiter erzählt werden, als hätte man ein gewisses Wohlgefallen daran,
während von dem Guten wenig oder gar nicht die Rede ist.
229
Möge der Herr unsre Augen offen halten und durch Seine
Gnade uns immer mehr befähigen, allezeit in Seiner Gesinnung zu wandeln!
Doch betrachten wir das Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus etwas näher. Zunächst hören wir
aus dem Munde des Herrn die Worte: „Ich kenne deine
Werke und deine Arbeit und dein Ausharren, und daß
du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast geprüft,
die da sagen, daß sie Apostel seien, und sind es nicht,
und hast sie als Lügner erfunden; und hast Ausharren
und hast getragen um meines Namens willen und bist
nicht müde geworden." (V. 2. 3.) Aeußerlich war also
noch alles in guter Ordnung, so daß ein jeder, der das
innige Band zwischen Christo und Seiner Versammlung
nicht kannte, dem Zustande jener Versammlung das beste
Zeugnis ausgestellt haben würde. Da waren Werke, Bemühung und Ausharren; das Böse wurde nicht geduldet,
die falschen Apostel wurden als Lügner erkannt, und die 
Gläubigen waren im Ausharren und Tragen, und zwar
um des Namens Christi willen, nicht müde geworden.
Allein das Auge des Herrn schaute tiefer, und da vermißte es die wahre Quelle, die wahre Triebfeder ihrer
Werke, ihrer Arbeit und ihres Ausharrens: der Glaube,
die Liebe und die Hoffnung fehlten. Er konnte nicht, wie
der Apostel zu den Thessalonichern, sagen: „Unablässig
eingedenk euers Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf, unsern Herrn Jesum Christum."
(1. Thess. 1, 3.)
Wenn ein Christ im Glauben wandelt, so nimmt er
stets Rücksicht auf den Herrn, dem er alles zu verdanken
230
hat: Errettung, ewiges Leben und ewige Herrlichkeit, und
dessen Eigentum er für immer geworden ist. Sein wohlgefälliger Wille ist die Richtschnur seines Pfades und
leitet ihn in all seinem Thun. Es besteht ein großer
Unterschied zwischen zwei Knechten, von denen der eintztz
vielleicht das Beste zu thun wünscht, aber nach seinem
eignen Gutdünken handelt, während der andere nur das
thut, von dem er sich überzeugt hat, daß es nach dem
wohlgefälligen Willen seines Herrn ist; denn nur dann
ist ein solcher Knecht völlig befriedigt.
So hat auch alle Arbeit und alle Bemühung nur
dann ihren ganzen Wert vor Gott, wenn die Liebe, die 
Liebe Christi , die Quelle und der Beweggrund derselben
ist. Ebenso verleiht die Hoffnung dem Ausharren seinen
wahren Charakter, die stete Erwartung auf die Ankunft
unsers geliebten Herrn. Doch, wie schon bemerkt, fehlte
diese göttliche Grundlage den Werken, der Arbeit und dem
Ausharren der Versammlung in Ephesus, und somit fehlte
in den Augen Christi das Schönste und Beste darin.
Mochten daher auch Andere urteilen, daß alles wohlgeordnet sei und sich in einem gnten Zustande befinde,
mochte auch ein reger Eifer für alles Gute und gegen
alles Böse vorhanden sein, und kein Ermüden, keine Nachlässigkeit sich offenbaren, so erblickte der Herr dennoch
einen großen Mangel in jener Versammlung; für Sein
Herz gab es dort einen schmerzlichen und unersetzlichen
Verlust. Die Versammlung ist aus Ihm genommen, wie
Eva aus Adam genommen wurde; sie bildet einen Teil
von Ihm, sie ist Sein Leib. Durch die innigsten Bande
ist sie mit Ihm verbunden: sie ist Seine Braut. Eine
Magd verdient alles Lob, wenn sie treu, fleißig, unverdrossen.
231
unermüdlich und sittsam ist. Aber wenn sich auch dieselben
Eigenschaften bei einer Braut oder einer Frau finden, so
wird dennoch im Herzen des Bräutigams oder des Mannes
tiefer Kummer und Schmerz sein, wenn er zu dem allen
hinzufügen muß: „Aber ich habe wider dich, daß du deine
erste Liebe verlassen hast;" (V. 4.) und je wahrer und
inniger die Liebe des Bräutigams oder des Mannes ist,
desto größer und fühlbarer wird sein Schmerz sein bei
dem Gedanken an diesen Verlust. Es ist ein Verlust,
der durch nichts ersetzt werden kann.
Wo aber ist eine Liebe, wie die Liebe unsers hochgelobten Herrn zu Seiner Versammlung s Sie ist stärker,
als der Tod. Für sie gab Er Sein teures Leben dahin,
für sie vergoß Er Sein kostbares Blut. Er nahm ihre
große Schuld auf sich und tilgte sie; Er ging für sie in
Tod und Gericht und befreite sie aus aller ihrer schrecklichen Sklaverei; Er erwarb für sie das ewige Leben und
die ewige Herrlichkeit und verband sie mit sich durch unauflösliche Bande. Jetzt ist Er droben für die Seinigen
beschäftigt als ein treuer Sachwalter. Er liebt sie zu
aller Zeit mit unveränderlicher Liebe; ja, Er ist sogar
seit Jahrhunderten mit dem geringsten Dienst unter ihnen
beschäftigt, indem Er ihre Füße wäscht, um die durch
irgend welche Sünde unterbrochene praktische Gemeinschaft
mit dem Vater und mit Ihm wiederherzustellen; und nie 
wendet sich Sein Auge von ihnen ab. Was muß es also
für Sein Herz sein, für ein Herz, das mit solch einer
unvergleichlichen Liebe liebt, wenn Er, sei es im Blick auf
die Versammlung oder auf den Einzelnen der Seinigen,
klagen muß: „Aber ich habe wider dich, daß du deine
erste Liebe verlassen hast!" Gewiß, niemand ist fähig,
232
diesen Verlust zu fühlen, wie Er ihn fühlt, niemand fähig,
die Tiefe Seines Schmerzes zu ergründen.
Was aber mag Sein Herz jetzt empfinden, wenn Er
auf die große Zersplitterung und auf den höchst traurigen
Zustand so vieler der Seinigen herniederblickt? Und was
hat Er schon gesehen, und was sieht Er täglich, selbst
unter denen, die Er durch Seine Gnade in diesen letzten,
bösen Tagen zur Erkenntnis der Wahrheit — zu dem,
was von Anfang war — zurückgeführt hat! Ach! die
Antwort auf diese Fragen wird in jedem geistlichen Gemüt,
bei jedem Erlösten, der die Wahrheit kennt und Ihn liebt,
große Beschämung und tiefe Demütigung wachrufen, und
ein solcher wird, wenn auch in ganz geringem Maße, an
dem Schmerz Seines liebenden Herzens teilnehmen.
Ich möchte nun an jeden gläubigen Leser dieser
Zeilen die ernste Frage richten: Gehörst du etwa auch zu
denen, über welche der Herr seufzen und klagen muß:
„Ich habe wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen
hast?" Oder nimmt Er noch den ersten Platz in deinem
Herzen ein? Gehst du in Gemeinschaft mit Christo und
in innigem Umgang mit Ihm durch diese Wüste? Ist Er
es, für den du lebst, den du auf deinem Wege hienieden
zu verherrlichen suchst, und auf den du mit Sehnsucht
wartest? Sicher giebt es in unsern bösen, gefahrvollen
Tagen so manches Herz, das gegen Ihn kalt und lau
geworden und mit dem beschäftigt und erfüllt ist, was
diese armselige, verderbte Welt darbietet, während es nur
wenig an Ihn denkt, der uns so unaussprechlich liebt.
Es scheint oft, als hätten viele ganz vergessen, daß Er
sie durch Sein Blut von ihren Sünden gereinigt und
durch Seinen Tod von der Welt getrennt habe; eS scheint.
233
als ob ihre Erkenntnis des Werkes und der Liebe des
Herrn zu einem eitlen, leeren Wissen und ihr christliches
Leben zu einer kraftlosen Form herabgesunken wäre. Sicher
sind ihrer viele, die ebenso gefühllos und gleichgültig an
den Ort gehen, wo die Seinigen versammelt sind und
der Herr in ihrer Mitte ist, als gingen sie an ihre tagtägliche Arbeit, und die deshalb auch ebenso leer und kalt
von dort zurückkehren. Da ist kein Bewußtsein, kein Gefühl von Seiner herrlichen und gesegneten Gegenwart.
Würde sie wirklich erkannt und wertgeschätzt, würde ein 
jeder mit Gebet und Flehen zu Ihm seinen Platz einnehmen, wie reich gesegnet würde dann zu jeder Zeit das
Zusammenkommen in Seinem Namen sein!
Doch ach! es giebt sogar viele, die säumig und träge
sind im Zusammenkommen, denen dieses selbst eine Last geworden ist, weil sowohl die Person des Herrn, als auch Sein
köstliches Wort wenig Jnterresse für sie haben; ja, es
giebt sogar solche unter ihnen, die selbst am Tage des
Herrn, anstatt sich mit den Seinigen zu versammeln und
zu erbauen, einen Spaziergang oder etwas dergleichen vorziehen. Was muß aber eine solche Gesinnung, ein solches
Verhalten für Ihn sein, dessen Liebe zu den Seinigen unergründlich ist und nie erkaltet! Was muß Er inmitten
einer Versammlung empfinden, in welcher so viele gefühllose Herzen Ihn umgeben, die kaum an Seine Gegenwart
denken, in welcher von vielen die Lob- und Dankeslieder
gedankenlos abgesungen werden, und in welcher alles weit
mehr Gewohnheit und Form, als Wirklichkeit und Leben
ist! Und ach! dahin ist es in unsern Tagen bei so vielen
Seelen gekommen, die sich der Wahrheit rühmen und auf
dem Boden der Wahrheit, einfach in dem Namen Jesu,
234
Zusammenkommen. Wie wird da der Herr verunehrt und
der Geist betrübt; und sicher bedarf es einer besondern
Wirksamkeit der Gnade Gottes, um aus einem solch traurigen
Zustande befreit zu werden. Wie war es doch so ganz
anders im Anfang, als die erste Liebe das Herz erfüllte!
Christus allein war der Gegenstand des Lebens, die Freude
und Wonne des Herzens; alles andere war wertlos und
nichtig geworden.
Es giebt in unsern Tagen aber auch viele Seelen,
von denen man eigentlich nicht sagen kann, daß sie die
erste Liebe je besessen haben. Ihre Buße war oberflächlich,
wenig gründlich, die Erkenntnis ihrer Sünden gering und
besonders das Bewußtsein ihres verderbten und feindseligen Zustandes vor Gott sehr schwach, weil das Gewissen zu wenig in Sein Licht gebracht war. Sie hielten
freilich ihre Errettung für eine Notwendigkeit, aber sie
erkannten sie weniger als einen Akt der großen Gnade
und Liebe Gottes zu dem verlornen Sünder. Als sie sich
ihrer Errettung bewußt wurden, waren sie ohne Zweifel
sehr erfreut; allein der Gegenstand dieser Freude war
mehr ihre Errettung, als Christus, der das große Werk
der Errettung für sie vollbracht hat; sie freuten sich der
Gabe und weniger des Gebers. Es war nicht Seine
Gnade und Liebe, die das Herz so glücklich wachte und
mit Lob und Dank erfüllte.
Im Blick auf solche Seelen kann mau eigentlich nur
von der ersten Freude, aber nicht von der ersten Liebe
reden. Und ach, wie bald nimmt oft diese Freude im
Herzen ab, wie bald verstummt dieser erste Jubel! Bei
vielen merkt man schon bald nach der Bekehrung kaum
noch, daß irgend eine Veränderung in und mit ihnen
235
vorgegaugen ist. Es ist daher immer bedenklich, wenn
Arbeiter im Werke des Herrn dem Wirken des Geistes
Gottes in Herz und Gewissen mehr oder weniger Vorarbeiten, nur auf die Gefühle einwirken und die Seelen
zum Glauben an Christum drängen, bevor eine gründliche
Buße, die allein der Geist Gottes bewirken kann, vorhanden ist, wie dies leider in unsern Tagen so oft geschieht, und schon so viele traurige Früchte hervorgebracht
hat. Paulus sagt, daß er sowohl Juden als Griechen
die Buße zu Gott und den Glauben an den
Herrn Jesum C h r i st u m bezeugt habe. (Apstgsch. 20,
21.) Es ist ebenso sehr zum Schaden der Seele, wenn
der wahre Wert der Buße zu Gott nicht erkannt und
diese daher mehr oder weniger vernachlässigt wird, als
wenn dem Glauben an Christum Jesum zur Errettung
noch etwas hinzugefügt wird. Beides geschieht leider nur
zu oft, und deshalb findet man einerseits so viel Leichtfertigkeit und andrerseits so große Ungewißheit unter denen,
die sich zu Christo bekennen.
Wenn nun die erste Liebe verlassen ist, oder auch
die erste Freude im Herzen abgenommen bat, giebt es
dann kein Heilmittel mehr, keine Wiederherstellung der
Seeles Gott sei Dank! es giebt ein Heilmittel, aber
auch nur eins. „Gedenke nun, wovon du gefallen bist,
und thue Buße und thue die ersten Werke; wenn aber nicht,
so komme ich dir, und ich werde deinen Leuchter wegthun
aus seiner Stelle, wofern du nicht Buße thust." (V. 5.)
Wir haben es in diesem Sendschreiben nicht mit der
Versammlung als dem Leibx Christi zu thun, sondern mit
ihr als dem verantwortlichen Körper auf der Erde. Der
wahre Gläubige ist ein Glied des LeibeS Christi, und
236
alles ist Gnade; aber so lange er hienieden ist, gehört er
auch zu diesem Verantwortlichen Körper. Doch wie groß
ist die Gnade und Liebe des Herrn zu der Versammlung,
daß Er sich nicht von ihr, die sich doch so höchst undankbar
bewiesen hat, sofort abwendet und sie ihrem gleichgültigen
Zustande überläßt! Sicher hat sie sich einer großen Ungerechtigkeit gegen Ihn schuldig gemacht. Sie hat Seine unvergleichliche Liebe zu ihr erkannt und geschmeckt; sie weiß, daß Er
Sein teures Leben für sie hingegeben und sie aus einem
schrecklichen und hoffnungslosen Zustande errettet hat, und
täglich hat sie neue Beweise Seiner Huld und Gnade erfahren;
aber trotz allem war sie fähig, kalt und gleichgültig gegen
Ihn zu werden, sich von Ihm abzuwenden und an eitlen
und nichtigen Dingen Gefallen zu finden. Wie gerecht
und wohlverdient wäre ihre Verwerfung, und wie sehr
hätte der Herr Ursache, sie ganz dem Verderben preiszugeben! Doch nein; Seine Liebe ist nicht geschwächt.
Sein Herz, mag es auch noch so sehr betrübt sein, ist
bemüht, sie wieder zurückzubringen, das gesegnete Band
zwischen Ihm und ihr in der Seele praktisch wiederherzustellen. Doch es giebt dazu,» wie gesagt, nur einen Weg,
nur ein Mittel, sei es im Blick auf die Versammlung,
als solche, oder auf jeden Einzelnen der Seinigen, und
dieser Weg, dieses Mittel ist die Buße. „Gedenke nun,
wovon du gefallen bist, und thue Buße und thue die ersten
Werke" — jene Werke, die von der Liebe zu Ihm ein
so klares und unzweideutiges Zeugnis gaben.
Geliebter Leser! laß uns unsre Gesinnung und unser
Verhalten gegen Christum mit aufrichtigem Herzen im
Lichte Gottes erforschen; und finden wir, daß jene Klage
des Herrn über die Versammlung zu Ephesus auch uns
237
trifft, so laß eS zu einem lebendigen Bewußtsein in uns
werden, wovon wir gefallen sind und was wir verlassen
haben. Sicher giebt es im Blick auf das, was wir waren,
und was Christus für uns gethan hat, waS Er für uns
ist und ewig sein wird, im Blick auf Seine unveränderliche Gnade und Liebe zu uns, keinen größeren Undank,
kein größeres Unrecht, als kalt und gleichgültig gegen Ihn
zu sein. Und jede Seele, die das im Lichte Gottes erkennt, wird sich voll Scham und Schmerz vor Ihm niederwerfen, ihr großes Unrecht bekennen und um Gnade
flehen. Ja, ihr Schmerz wird jetzt noch weit größer und
ihre Buße weit tiefer sein, als zur Zeit, da sie zuerst ihre
Zuflucht zu Ihm nahm; denn ihr trauriges Verhalten
war nicht eine Folge ihrer Unwissenheit und ihres Unglaubens, sondern vielmehr eine bewußte Gleichgültigkeit.
Sie hat Seine erkannte und genossene Liebe mit Geringschätzung behandelt und sich mit kaltem Herzen von Ihm
abgewandt. Sie ist deshalb strafbarer als je; und dennoch zeigt ihr der Herr in Seiner unwandelbaren Liebe
einen Weg zur Rückkehr. Findet aber der ernste Mahnruf
Seiner geduldigen und langmütigen Liebe kein Gehör, so
bleibt nur das Gericht übrig: „Wofern du aber nicht
Buße thust, komme ich dir und werde deinen Leuchter
wegthun aus seiner Stelle." Wie beherzigenswert und
ernst ist diese Warnung!
Die Versammlung zu Ephesus hat Sein Wort nicht
zu Herzen genommen und hat aufgehört, ein Leuchter an
ihrer Stelle zu sein. Die verantwortliche Kirche auf der
Erde hat jenen ernsten Mahnruf nicht beachtet, sie ist
tiefer und tiefer gesunken; nur ein kleiner Teil ist übriggcbliebcn, der bis jetzt noch als Leuchter durch die Gnade
238
des Herrn benutzt wird. Doch wie ist auch selbst dieser
Ueberrest so zersplittert, und wie klein ist seine Kraft!
Wie viele giebt eS unter ihnen, zu denen gesagt werden
kann: Du hast die erste Liebe verlassen, und wse viele,
die sie in Wahrheit nie genossen haben! Mögen auch in
diesen letzten Tagen viele Tausende zur Wahrheit zurückgekehrt sein und ihren wahren Platz vor Gott eingenommen haben, mögen sie die Einheit des Geistes anerkennen
und sich im Namen Jesu versammeln, so giebt es doch
auch unter ihnen nicht wenige, deren Herzen gegen Christum
erkaltet sind, die nicht Seine Ehre, sondern die ihrige
suchen, die mehr oder weniger ihren Lüsten dienen und
ihre Blicke auf das gerichtet haben, was diese verderbte Welt ihnen bietet. O möchte doch der Herr in
Seiner Gnade all den Seinigen wahre Einsicht, wahre
Buße und wahre Umkehr geben!
Schließlich möchte ich noch auf den 6. Vers in unserm Sendschreiben Hinweisen, der uns einen tiefen Blick
in das treue und liebende Herz unsers Herrn thun läßt.
Ich habe schon erwähnt, daß Sein Auge zuerst immer
auf das Gute gerichtet ist, sowohl in der Versammlung,
als auch bei jeder einzelnen Seele. Das bezeugen uns
der 2. und 3. Vers sehr klar. Darnach spricht der Herr
von dem, was die Versammlung zu Ephesus verlassen
hatte — ein überaus schmerzlicher Verlust für Sein Herz
— und ermahnt sie ernstlich zur Umkehr. Aber dann
kommt Er auf etwas zurück, was Er anerkennen kann
und mit Freude anerkennt. Mag auch ihre erste Liebe
nicht mehr vorhanden und ihr Herz gegen Ihn erkaltet
sein, so kann Er doch das nicht übersehen und unerwähnt
lassen, worin sie noch mit Ihm eines Sinnes ist. „Aber
239
dieses hast du, daß du die Werke der Nikolaiten hassest,
die auch ich hasse." (V. 6.)
Wunderbare, anbetungswürdige Liebe! Die geringste
Uebereinstimmung mit Ihm erkennt Er an, mögen andrerseits die Gefühle für Ihn auch noch so matt und schwach
geworden sein. Wahrlich, wer einen Blick in diese Liebe
thut, wird sich schämen und tief demütigen, wenn er sich
bekennen muß, daß sich sein Herz mehr oder weniger von
Ihm abgewandt hat, so daß Christus nicht mehr der
einzige Gegenstand seines Lebens, seiner Freude und seiner
Wonne ist. Dazu beizutragen, diese Gefühle in den
Herzen der Seinigen wachzurufen, ist der Zweck dieser
Zeilen. Möge der Herr sie dazu gesegnet sein lassen!

Noah.
(1. Mos. 6—11.)
(Schluß.)
Reich ausgestattet, gesegnet und geehrt, unterrichtet
und zum Herrscher eingesetzt, und bei alledem in Ruhe
und Sicherheit — so wurde Noah in die neue Welt eingeführt. Nichts Böses war ringsumher zu erblicken, kein
Feind zu sehen. Eine neue Probe des Menschen unter
neuen Umständen begann, und wie bei Adam in Eden,
so war auch hier von Gottes Seite nichts unterlassen
worden; alles war in Ordnung. Aber wie steht es mit
dem Menschen? Wenn Adam vor den Zeiten Noahs fehlte
und den Garten verlor, wenn Israel nach ihm fehlte und
das Land von Milch und Honig einbüßte, so mag wohl
auch zu Noah gesagt werden: „Liebst du mich mehr als
diese?" In Christo und in Ihm allein ist unfehlbare
240
Treue und Stärke. Noah fehlt, wie die Uebrigen, und
der jungfräuliche Boden der neuen Welt wird wiederum
schnell besudelt durch den Fuß des ersten Menschen, der
ihn betritt.
„Und Noah fing an, ein Ackerbauer zu werden, und
pflanzte einen Weinberg. Und er trank von dem Weine
und ward trunken und entblößte sich in seinem Zelte."
So wurde Noah zu Schanden. Gerade der erste
Mensch, der Adam des neuen Systems, beginnt die Geschichte des zweiten Abfalls, so wie sein Vorfahr diejenige
des ersten begonnen hatte; und schnell nimmt das Böse
zu. Ham freut sich über die Schande seines Vaters.
„Ham, der Vater Kanaans, sah die Blöße seines Vaters
und berichtete es seinen beiden Brüdern draußen."
Das war ein schrecklicher Forrschritt im Bösen; es
war nicht nur ein „Uebereiltwerden von einem Fehltritt,"
sondern ein „Wohlgefallenfinden an der Ungerechtigkeit."
Das natürlich sittliche Gefühl wendet sich mit Abscheu
davon ab. Sem und Japhet „nahmen ein Gewand und
legten eS beide auf ihre Schultern und gingen rücklings
und bedeckten die Blöße ihres Vaters." Noah erwacht
von seinem Wein. Er, der übereilt worden war, kommt
wieder zu sich selbst, wird wiederhergestellt, und die Gnade
Gottes giebt ihm einen großen und herrlichen Triumpf:
der Wiederhergestellte richtet seinen Richter und verurteilt
seinen Ankläger. Er sagt: „Verflucht sei Kanaan, ein 
Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern!" Das war mehr
als Wiederherstellung. Selbst das herrliche Wort des
Apostels: „Wer wird wider die Auserwählten Gottes
Anklage erheben?" drückt das nicht aus; denn in diesem
Worte liegt nur das Verstummen des Anklägers, während
241
hier die Anklage auf den Kläger zurückgeworfen wird.
„Freue dich nicht, meine Feindin, über mich. Wenn ich
gefallen bin, werde ich wieder aufstehen.... Und meine 
Feindin wird es fehen, und Scham wird sie bedecken; . . .
sie wird zur Zertrelung werden wie Kot der Straße."
(Micha 7, 8-10.)
Doch laßt uns hier einen Augenblick stille stehen, um
das reiche und interessante Gemälde zu betrachten, welches
der Geist der Prophezeiung vor uns entrollt.
Der Fluch über Kanaan ist nur ein Teil der Prophezeiung Noahs. Noah sah im Geiste von der erneuerten
Erde in die Zukunft hinaus; er sah die Rückkehr des Verderbens und der Gewaltthat vorher, aber auch daß die
Gnade Gottes in deren Mitte ein Zeugnis aufrecht erhalten
würde. Er sah, daß der eine Zweig (Sem) der menschlichen Familie, welche die Erde - jetzt wieder bevölkern
sollte, ausgezeichnet werden würde durch die Offenbarung
und Gegenwart Gottes unter ihnen, der andere (Japhet)
durch seinen Erfolg und sein Emporkommen in der Welt
— ein Volk, das sich auf der Erde ausbreiten und berühmt werden würde — und der dritte (Ham) durch das beständige und unveränderliche Zeichen der Erniedrigung und
Knechtschaft. Seine Prophezeiung betrachtete so zu sagen
den Asiaten, den Europäer und den Afrikaner, oder den
Hebräer im Osten, bei dem das Heiligtum Gottes sein
sollte, den Heiden des Westens, der unter der Hand und
Vorsehung Gottes sich weit über seine Grenzen hinaus
ausdehnen sollte, und den Sklaven deS Südens, der wohl
einen Wechsel seiner Herren kennen, aber selbst stets ein
Sklave bleiben sollte.
So kurz diese Schilderung der Geschichte der Welt
242
auch sein mag, so ist sie doch durchaus richtig und, soweit sie geht, vollständig und der Absicht des Geistes in
Noah entsprechend.
Die drei Prophezeiungen, welche wir in den frühesten
Zeiten der menschlichen Geschichte finden, diejenige von
Henoch, von Lamech und von Noah, beschäftigen sich also
alle mit der Erde und ihrer Geschichte, obgleich sie sich
auf verschiedene Zeiten und Teile dieser Geschichte beziehen
mögen; und sie geben zusammen ein vollständiges Bild
des Ganzen. Wir müssen sie jedoch in dieser Reihenfolge
betrachten: Noah, Henoch, Lamech.
Noahs Prophezeiung hat von Alters her ihre Erfüllung gefunden und bestätigt sich heute noch in allen
den Veränderungen, welche es in der ernsten und interessanten Geschichte der Welt giebt. Heuochs Prophezeiung
(Judas 14.) redet von Gericht und wird ihre volle Erfüllung finden, wenn der gegenwärtige Zeitlauf zu Ende
geht und der Tag des Herrn kommt, um die Gottlosen
„von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos
verübt haben," zu überführen. Lamechs Prophezeiung
(1. Mos. 5, 29.) redet von Ruhe und wird erst dann
erfüllt werden, wenn „der Tag des Herrn" das Gericht
ausgeführt hat, und „die Gegenwart des Herrn" Wiederherstellung und Ergnickung bringen wird.
Es wird uns also in diesen Prophezeiungen die
Gegenwart und Zukunft der Weltgeschichte — das Gute
und Böse der Gegenwart, sowie das Gericht und die Herrlichkeit der Zukunft — geschildert, und es ist nicht schwer,
diese Dinge zu unterscheiden und die Reihenfolge und
den Charakter jener frühen patriarchalischen Orakel zu
verstehen.
243
Die Prophezeiung Noahs möchte ich jedoch noch etwas
genauer betrachten, da wir uns hier hauptsächlich mit dieser
beschäftigen. Sie wurde bei der Entdeckung des Bösen
in seinem Sohne Ham ausgesprochen, und bevor wir diese
Kapitel verlassen, wird der weitere Verlauf des Bösen
bis zu seiner völligen Reife ausführlich beschrieben. Die
erste Erscheinung deS Bösen in Noah selbst und die vorgeschrittene Form desselben in Ham haben wir bereits
betrachtet; sein weiteres Wachstum erblicken wir in der
Erbauung Babels, einige hundert Jahre nach der Flut,
und zwar in einer wahrhaft erschreckenden Weise.
Beim Beginn der neuen Welt war der Altar NoahS
als Zeichen des Glaubens und der Anbetung errichtet
worden; aber jetzt werden die Stadt und der Turm erbaut, als Zeichen des Trotzes gegen Gott und der angematzten Unabhängigkeit des Menschen. Und so verschieden
diese beiden Dinge sind, so verschieden ist auch die Antwort des Himmels auf dieselben. Der Altar Noahs ries
Worte und Zeichen des Friedens und der Sicherheit hervor; das Geschrei der Stadt und das Erbauen des Turmes rufen das Gericht herab. Verderben hienieden und
Rache von oben bezeichnen jetzt die Scene, anstatt, wie
damals, Anbetung hienieden und Segen von Gott. Bei
Noah ließ Gott das glänzende Zeichen Seines Bundes
in den Wolken erscheinen, aber jetzt zerstreut Er die Gegenstände Seines gerechten Zornes über die ganze Erde.
Doch, das ist noch nicht alles. Der hohe und stolze
Turm mag umgestürzt, und die Erbauer mögen zerstreut
werden, aber ihre Grundsätze bleiben bestehen. Das Gericht
bessert den Menschen nicht. Der ganze Geist des Abfalls,
der jene stolze und rebellische Vereinigung beseelt hatte,
244
findet sich sehr bald in vollkommener Thätigkeit und Darstellung in einem einzelnen Menschen vereinigt. Nicht lange
nach der Zerstreuung (es mögen ungefähr 30 Jahre sein)
pflanzt Nimrod, der Enkel Hams, sein Zeichen gerade an
derselben Stelle auf, welche Zeugin des Gerichts Gottes
gewesen war. „Der Anfang seines Reiches war Babel."
(Kap. 10,10.) Er entrollt sein Banner angesichts Dessen,
dem allein die Rache gehört, und ruft gleichsam: Wo ist 
der Gott des Gerichts? Er war wie der Thor in Psalm 14:
„Der Thor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott."
„Er fing an, ein Gewaltiger zu sein auf Erden." Er jagte
„vor Jehova." Gott zum Trotz trachtete er nach weltlicher
Macht und Erweiterung seines Reiches. Er fügte Haus
zu HauS und Feld zu Feld in dem Streben, allein Herr
zu sein. Erek und Akkad und Kalne sind Mutterstädte,
und das mächtige Ninive mit Rechoboth und Kalach und
die große Stadt Resen nur Tochterstädte in dem Reiche
dieses prahlerischen Abtrünnigen. Er hatte kein Herz für
das, was Gott ihm geben konnte; er unternahm es, selbst
für sich zu sorgen, sein Glück selbst zu machen, um sich
dann auch selbst allen Erfolg und alle Ehre zuschreiben
zu können. Und gerade so ist der Mensch der Welt heutzutage. Sein Verstand und sein Fleiß, seine Geschicklichkeit
und sein Mut machen ihn zu dem, was er ist, und verschaffen ihm das, wonach er strebt. So war Nimrod,
dieser große Abtrünnige, das früheste Vorbild jenes Gesetzlosen, der am Ende der Tage seinen eignen Willen
thun und das Maß der Ungerechtigkeit des Menschen voll
machen wird.
Wie wichtig ist es für unsre Seelen, alles das zu
betrachten und darauf zu achten! Warten wir, Geliebte,
245
auf andere und reinere Dinge, und trachten unsre Herzen
nach solchen Genüssen, die Gott gutheißen und Jesus mit
uns teilen kann?
Hiermit schließt eigentlich der vorliegende Abschnitt.
Die Scenen einer bösen und stolzen Empörung sind an
unserm Auge vorübergegangen, und das 11. Kapitel
endigt mit einem schwachen und entfernten Blick auf die
Berufung eines andern himmlischen und von der Welt
getrennten Fremdlings. Aber das ist die Dämmerung
eines neuen Tages, der Anbruch eines andern Abschnittes
der Wege Gottes, den wir hier nur in der Entfernung
erblicken.
Wie schon früher bemerkt, schließt mit dem 11. Kapitel
der zweite Teil des ersten Buches Mose. Derselbe stellt
eine vollständige abgeschlossene Handlung dar, die in
passender Weise der vorhergehenden folgt und ebenso die
folgende einleitet. In diesem Abschnitt (Kap. 6 — 11.)
ist der Schauplatz der Handlung auf die Erde verlegt.
Vorher, in Kap. 1—5, stand die himmlische Familie
vor unsern Augen, und ihr Lauf endete mit der Verwandlung Henochs; aber hier ist, wie im Anfang im
Garten Eden, die Erde wieder der Hauptgegenstand, und
ich möchte, bevor wir schließen, den Inhalt dieses kleinen
Bandes noch einmal kurz zusammenfassen.
Die Kapitel 6—8 stellen die Sünde und das
Gericht der Erde vor, sowie die Erwählung, den Glauben
und die Befreiung der Heiligen.
Das 9. Kapitel zeigt uns die neue Stellung des
Menschen in der neuen Welt, wie er in derselben auSgestattet und bereichert wird von dem Gott des Himmels
246
und der Erde, und wie dieser Gott ihn in der Gnade
des Bundes sicherstellt und zum Repräsentanten und Vollstrecker der göttlichen Autorität macht.
Die Kapitel 10 und 11 endlich enthüllen vor unsern
Blicken große Teile der Geschichte der neuen Welt, den
Beginn, den Fortschritt und die Reife deS Bösen, wodurch
die Erde aufs neue in einen solchen Zustand gebracht
wird, daß der Herr sich zum zweiten Male zurückziehen
muß und wieder ein Volk absondert, damit dasselbe, wie
die Heiligen vor der Flut, auf der Erde ein Volk von
himmlischen Fremdlingen bilde.
Himmel und Erde haben so wiederholt das Geheimnis zum Voraus dargestellt, welches sie in den kommenden
Tagen, den Tagen der Herrlichkeit, entfalten werden, wenn
„in dem Namen Jesu jedes Knie sich beugen wird, der
Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede
Zunge bekennen wird, daß Jesus Christus Herr ist, zur
Verherrlichung Gottes des Vaters." (Phil. 2, 10. 11.)
„Das Land soll nicht für immer verkauft werden,"
sagt der Herr, „denn mein ist das Land." (3. Mos. 25, 23.)
Dem Menschen ist eine bestimmte Anzahl von Jahren eingeräumt, während welcher es in seine Macht gestellt ist, die
göttliche Ordnung zu stören. Neunundvierzig Jahre durfte
in Israel das Land verkauft werden, aber im fünfzigsten
Jahre machte Gott Sein Recht geltend und stellte alles
nach Seinen eignen Gedanken wieder her; es gab eine
Zeit der Erfrischung und Wiederherstellung, als ob Er
selbst gegenwärtig wäre. — Welch eine herrliche und glückselige Hoffnung! „Jehovas ist die Erde und ihre Fülle,"
heißt es im Anfang des 24. Psalmes; und dann folgt
die Frage: „Wer wird steigen auf den Berg Jehovas?"
247
das heißt: wer wird die Regierung dieser Erde und ihrer
Fülle übernehmen? Die Antwort findet sich in der Aufforderung im 7. Verse: „Erhebet, ihr Thore, eure Häupter, und erhebet euch, ewige Pforten, daß einziehe der
König der Herrlichkeit! Wer ist dieser König der Herrlichkeit? — Jehova, stark und mächtig! Jehova, mächtig
im Kampf!" Einem ähnlichen Ausruf begegnen wir in
Offbg. 5. Auf die Frage: „Wer ist würdig, das Buch
Zu öffnen und seine Siegel zu brechen?" erfolgt die Antwort: „das Lamm, das geschlachtet ist, der Löwe aus
dem Stamme Juda." Der, der auf dem Throne sitzt,
giebt diese Antwort dadurch, daß Er das Buch aus Seiner
Hand in die Hand des Lammes übergehen läßt. Die
vier lebendigen Wesen und die gekrönten Nettesten vereinigen sich mit dieser Antwort in dem neuen Liede, welches mit der Aussicht auf ihre Herrschaft über die Erde
endet. Die himmlischen Heerscharen schließen sich ebenfalls
dieser Antwort an, indem sie alle Stärke und Ehre und
Herrlichkeit dem Lamme darbringen; und alle Kreatur
endlich, die im Himmel und auf der Erde, unter der
Erde und in den Meeren ist, beeilt sich, in ihrer Ordnung
und nach ihrem Maße die nämliche Antwort auszusprechen.
Das Recht des Lammes, die Herrschaft auf der Erde zu 
übernehmen, wird also gerade an dem Platze anerkannt
und bestätigt, wo allein alle Herrschaft und Würde rechtmäßig bestätigt werden kann: in der Gegenwart des
Thrones im Himmel.
Der hochgeborne Mann ist in ein fernes Land gezogen, um ein Reich für sich selbst zu empfangen. Jesus,
der alle Macht von feiten des Gottes dieser Welt
(Matth. 4.) und von feiten der Volksmenge (Joh. 6.)
248
zurückwies, nimmt sie von Gott an, wie Er in Psalm 62
sagt: „Auf Gott beruht mein Heil und meine Herrlichkeit." Und zur rechten Zeit wird Er zurückkehren, und
die, welche Ihn in den Tagen Seiner Verwerfung anerkannt haben, werden mit Ihm glänzen an dem Tage SeinerHerrlichkeit; diejenigen, welche Ihm hienieden gedient haben,
werden dann einen andern Platz mit Ihm einnehmen.
Im Blick auf diesen Tag sagt Paulus zu Timotheus:
„Ich gebiete dir vor Gott . . ., daß du das Gebot unbefleckt, unsträflich bewahrst bis zur Erscheinung unsers
Herrn Jesu Christi, welche zu seiner Zeit zeigen wird der
selige und alleinige Machthaber, der König der Könige
und Herr der Herren." Und in derselben Voraussicht
konnte der teure Apostel von sich selbst sagen: „Ich habe
den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet,
ich habe den Glauben bewahrt; fortan ist mir beigelegt
die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte
Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tage;
nicht allein aber mir, sondern auch allen, die Seine Erscheinung lieb haben." (1. Tim. 5, 14. 15; 2. Tim. 4, 7. 8.)
Möge der Herr auch unsern Herzen mehr von diesem
Geiste des Glaubens und von dieser Kraft der Hoffnung
geben!
„Gott sagt, daß ich errettet sei."
Vor nicht langer Zeit wurde ich gebeten, ein junges
Mädchen von ungefähr 17 Jahren zu besuchen, das sich
durch einen Fall eine schwere Verletzung an Kopf und Rücken
zugezogen hatte. Ich kannte das Mädchen schon mehrere
Jahre und wußte, daß sie ohnehin von zarter Gesundheit
249
war. Nach einigen Fragen über ihre körperlichen Leiden,
welche zu Zeiten sehr heftig waren — sie war durch den
Fall fast ganz gelähmt — begann ich mit ihr über den
Zustand ihrer Seele zu reden.
„Sind Sie ganz glücklich?" fragte ich.
„Nein, Herr N."
„Warum nicht? Sind sie noch nicht errettet?"
„Ich bin dessen nicht gewiß."
„Aber warum sind Sie nicht gewiß? Glauben Sie
an den Herrn Jesum Christum?"
„O ja; aber ich fühle nicht, daß ich errettet bin."
„Fühlen Sie denn, daß Sie verloren sind?"
„Ja, ja," erwiderte sie und begann zu weinen.
„Woher wissen Sie denn, daß Sie verloren sind?"
„Weil ich eine Sünderin bin, und weil Gottes
Wort mir sagt, daß ich verloren sei."
„Dann glauben Sie an Gottes Wort, nicht wahr?"
„Gewiß; ich weiß, daß Gott nicht lügen kann."
„Nun denn, Sein Wort sagt: „Wendet euch zu mir
und werdet errettet!" Glauben Sie das?"
„Ja."
„Aber haben Sie sich schon zu Jesu gewandt?"
„O ja; aber ich fühle nicht, was ich fühlen sollte."
„Gut! Aber sagt der Herr: Wendet euch zu mir
und fühlt, daß ihr errettet seid."
„Nein."
„Was denn?"
„Werdet errettet!"
„Wann soll das geschehen, heute oder morgen?"
„Ich denke, sobald ich mich zu Ihm wende."
„Aber Sie sagten vorhin, Sie hätten sich schon zu
250
Ihm gewandt. Haben Sie wirklich schon Ihren Blick
auf Jesum, den Gekreuzigten, gerichtet?"
„O ja; ich glaube, daß Er für mich gestorben ist."
„Sind Sie dann nicht errettet?"
Sie zögerte einen Augenblick, sah mich groß an und
sagte dann in bestimmtem Tone: „Ich fühle es nicht,
aber Gott sagt, daß ich errettet sei. Und Gott
kann nicht lügen. O, jetzt verstehe ich es, jetzt verstehe
ich es!" — Im nächsten Augenblick leuchtete ihr Auge
auf; sie lächelte unter Thränen, und ihr bleiches Antlitz
spiegelte die himmlische Freude wieder, deren Quelle ihr
soeben geöffnet worden war. Ich weidete mich einen
Augenblick an ihrem Glück und sagte dann:
„Aber wenn nun sogleich jemand ins Zimmer treten
und Sie fragen würde, ob Sie errettet seien, was würden
Sie ihm antworten?"
„Ich würde sagen: Ja!" entgegnete sie.
„Und wenn man Sie fragen würde, wie Sie das
mit solcher Gewißheit sagen könnten, was würden Sie
erwidern?"
„Ich würde sagen, daß ich an Jesum glaube, und
daß Gott in Seinem Worte sagt: „Wer an Ihn glaubt,
wird nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben."
Ich glaube Seinem Worte, und deshalb bin ich völlig
gewiß."
„Dann ruht Ihre Seele jetzt in Christo, in Seinem
vollbrachten Werke, und auf dem, was Gott gesagt hat,
nicht wahr?"
„Ja, Herr N., so ist es; und ich kann jetzt glücklich
sterben. Ich möchte gern heute noch zu Jesu gehen."
„Haben Sie denn gar keine Furcht mehr?"
251
„Nein, gar keine."
„Auch keine Zweifel?"
„Nein! Wie sollte ich auch? Ich verstehe es jetzt
ganz klar und bin völlig ruhig und gewiß. Ich bin nur
eine arme Sünderin; aber Jesus starb für mich; ich
glaube an Ihn, undGott sagt, daß ich errettet
sei. Das giebt mir volle Gewißheit; ich weiß jetzt,
daß ich errettet bin."
Ich sprach noch einiges mit ihr und verließ dann
das Zimmer, im Stillen dem Gott aller Gnade dankend.
Zwei Tage später besuchte ich sie wieder und fand sie voll
von Freude und Frieden. Ihr Antlitz strahlte jenes Glück
wieder, welches allein die Bekanntschaft mit Gott verleihen
kann. Bald nachher mußte ich eine längere Reise antreten. Bei meiner Rückkehr fand ich sie nicht mehr unter
den Lebenden. Sie hatte noch ungefähr einen Monat
nach meiner Abreise gelebt und ihrer Umgebung gegenüber
ein herrliches Zeugnis von Christo abgelegt; ihr Herz
war bis zum Ende hin getrost und voll von Freude geblieben, und so war sie in völligem Frieden entschlafen, 
um für immer bei Jesu zu sein.
Und nun, mein lieber Leser, erlaube mir eine Frage
über den Zustand deiner Seele. Bist du errettet —
oder verloren? Welches von beiden? Weise diese Frage
nicht ärgerlich oder gleichgültig von dir ab. Laß sie in die
Tiefe deiner Seele dringen. Bald muß sie beantwortet
werden. Das längste Leben hat ein Ende, und wer giebt
dir die Gewißheit, daß ein langes Leben dein Los sein
wird? Aber eine lange, ja, eine endlose Ewigkeit liegt
vor dir! Wo wirst du sie zubringen? Der nächste
Tag mag dich schon in der Ewigkeit finden. Du magst
252
morgen schon von dieser Erde scheiden müssen, auf welcher
Christus starb, „der Gerechte für die Ungerechten, auf daß
Er uns zu Gott führe." Wohin würdest du gehen? Um
bei Christo zu sein? oder um, fern von Ihm, da zu sein,
wo ein ewiges Feuer dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist? Du wagst nicht, zu antworten? O höre mich
einen Augenblick an. Deine Zukunft ist schrecklich. Vergessen von Menschen — verlassen von Gott — für
ewig in der Hölle! Stehe doch, ich bitte dich, einmal
stille auf deinem Wege, der dich ins Verderben führen
muß. Lausche auf die Stimme der göttlichen Liebe, welche
spricht: „Kommet her zu mir" — „wendet euch zu mir"
— „ich bin der gute Hirte" — „ich bin die Thür der
Schafe; wer durch mich eiugeht, wird errettet werden."
Du hast nichts zu thun, als den dir gebührenden
Platz vor Gott einzunehmen, den Platz eines verlorenen
Sünders. Bekenne deine Sünden! Eile unverzüglich
in aufrichtiger Buße und in ernstem Selbstgericht zu
Jesu, dem Heilande der Sünder! Rechtfertige Gott,
so wird Er dich rechtfertigen, und du wirst heute noch
fähig sein, mit jenem sterbenden Mädchen zu sagen: „I ch
bin nur ein armer Sünder; aber Jesus starb
für mich; ich glaube an Ihn, und Gott sagt,
daß ich errettet sei. Das giebt mir volle Gewißheit; ich weiß, daß ich errettet bin." — Gott
gebe in Seiner unendlichen Gnade, daß das heute noch
das Teil aller unbekehrten Leser dieser Zeilen werden
möchte!
Die Furcht des Herrn.
Ein Wort der Ermahnung.
Es ist eine ernste Wahrnehmung, daß Satan zu allen
Zeiten gesucht hat, das Werk und Zeugnis Gottes auf
Erden zu schwächen und zu verderben; und besonders begegnen wir dieser Wirksamkeit des Bösen in der Geschichte
der christlichen Kirche von Beginn ihres Bestehens an.
Als in Jerusalem die Gläubigen ein Herz und eine
Seele waren und alles gemein hatten, da „erfüllte Satan
das Herz" des Anamas und der Sapphira, den Heiligen
Geist zu belügen und von dem Kaufpreis des Feldes beifeite zu schaffen. (Apstgsch. 5.) Gott griff ein und entfernte beide durch den Tod. Bald auch, nachdem der Herr
den guten Samen auf Seinen Acker gesäet hatte, kam
„der Feind" und säete, während die Menschen schliefen,
Unkraut unter den Weizen. (Matth. 13.) Dann, nachdem
die Welt und die Kirche durch die List des Feindes
eine unheilige Verbindung eingegangen waren, sehen wir,
wie sich die Augen der Gläubigen immer mehr verdunkelten und ihre Herzen gegen das Wort Gottes zuletzt ganz
gleichgültig wurden. Die Wahrheit von dem vollkommenen,
gegenwärtigen Heil in Christo, von der hohen himmlischen Berufung der Gläubigen, von ihrer Einheit mit
Christo, von ihrer Stellung in Ihm verschwand unter
dem Schutte menschlicher Ueberlieferungen und der eitlen
254
Lehren des Aberglaubens. Anstatt darnach zu fragen, was
Gott redete und lehrte, ergab man sich blind dem Aberglauben und wandte sich, von Satan ungehindert, dem
eigenen Thun in menschlicher Heiligkeit und gesetzlicher
Gerechtigkeit zu.
Da'ließ Gott im Zeitalter der Reformation Sein
Wort aufs neue kund und offenbar werden, und Viele
erfuhren an ihren Herzen, daß Gottes Wort weise macht
zur Seligkeit. Sie fanden, gerechtfertigt aus Glauben,
Frieden mit Gott und priesen die Gnade in Christo. Was
geschah aber bald? Damit die Wahrheit von der Rechtfertigung aus Glauben verlästert werde, bethörte der Versucher die Herzen der Unachtsamen, daß sie nicht die Treue
des Wandels für wichtig hielten, sondern, stolz auf „die
reine Lehre", gleichgültig wurden gegen das praktische
Leben, auf welches man vordem äußerlich mehr geachtet,
aber dabei sich gegen Gottes Wort und Lehre gleichgültig
erwiesen hatte. Manches gottesfürchtige Herz während und
nach der Reformationszeit brach über das ungöttliche
Leben der Masse der evangelischen' Bekenner in bittere
Klagen aus.
Nachdem nun Gott in unserm Jahrhundert größere
Gnade gegeben und in gewissem Sinne ein noch größeres,
wenn auch stilleres Werk gethan hat, als im ReformationsZeitalter, dürfen wir uns nicht wundern, daß wir aufs
neue die listigen Anläufe Satans erfahren und neue Gefahren entdecken. Welch eine hohe Gnade, daß Gott so
Vielen der Seinigen wiederum aus Seinem Worte gezeigt
hat, was Seine Ratschlüsse sind, sowohl in bezug auf die
Kirche, als auch auf das kommende Reich: was erstere ist
als die Behausung Gottes im Geiste und als der Leib
255
Christi, und auch was die Zukunft Seines irdischen Volkes
ist. Wie gesegnet ist es, daß die Wahrheit von der Einheit der Gläubigen mit dem gestorbenen, aber auch auferstandenen und verherrlichten Christus, dem Bräutigam
der Braut, wieder von so vielen Erlösten verstanden und
genossen wird! Gewiß gereicht es zum Ruhme Gottes,
daß von neuem Tausende von Christen, so wie in den
ersten Tagen der Christenheit, sich einfach als Gläubige
im Namen Jesu versammeln und, wie in jener Zeit, begehren, „zu verharren in der Lehre der Apostel, in der
Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten," (Apstgsch. 2, 42 und 20, 7.) indem sie in dem
Bewußtsein, frei zu sein von Schuld und Strafe, frei
von Sünde, Tod und Gericht, den Vater anbeten durch
Jesum Christum im Geiste und in der Wahrheit. Auch
hat der Herr, „der die Schlüssel Davids hat, der da
öffnet und niemand schließt," diesem schwachen Zeugnisse
in unsern Tagen die besondere Gnade verliehen, daß ihm
im großen Ganzen der Schutz der Obrigkeit und alle
Ruhe von außen zu teil wird.
Aber nun entsteht die Frage, ob wir in dieser Ruhe
und Stille, frei von Verfolgung und öffentlicher Bedrückung, in Wahrheit praktisch ein Leben führen „in aller
Gottseligkeit und Ehrbarkeit?" (1. Tim. 2, 2.) Ach!
die Ueberzeugung ernster Herzen ist die, daß hierin viel
von uns gefehlt wird. Die Ruhe, welche wir genießen,
die uns gegeben worden, damit wir dankbar und fleißig
im Wort und Dienst sein sollten, hat uns im Gegenteil
vielfach träge und weltförmig gemacht. Wohl ist uns Gott
auf schmerzlichem Wege zu Hülfe gekommen und hat durch
Druck und Not in der Geschäftswelt hie und da wieder
256
mehr Ernst und Absonderung hervorgerufen; aber die
Wirksamkeit des Feindes, welche dahin zielt, das Zeugnis
von der himmlischen Berufung und Stellung der Kirche
zu verderben und, wenn möglich, Hinwegzuthun, macht sich
mehr und mehr fühlbar. Das Bewußtsein von unsrer
ernsten Verantwortlichkeit gegenüber den empfangenen Vorrechten und Segnungen ist bei Vielen nur noch schwach
vorhanden, ebenso die praktische Dankbarkeit und Erkenntlichkeit. Mit einem Wort, man könnte wohl sagen: die
Hauptgefahr für das Zeugnis unsrer Tage
liegt darin, daß die Furcht des Herrn in der
Mitte der Heiligen abnimmt. Der Herr wolle
in Seiner Gnade eine lautere Gesinnung in allen den
Seinigen erwecken, daß wir in der Kraft Seines Geistes
„züchtig und gottselig leben in dem gegenwärtigen bösen
Zeitlauf" und „Ihm wohlgefällig dienen mit Frömmigkeit
und Furcht!" (Hebr. 12, 28.)
Fragen wir denn zunächst rWasistdieFurchtdes
Herrn? — Der Apostel Johannes schreibt: „Hierin ist
die Liebe mit uns vollendet worden, auf daß wir Freimütigkeit haben an dem Tage des Gerichts, daß, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt. Furcht ist
nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt
die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber
fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe." (1. Joh. 4,
17. 18.) Die Furcht des Herrn, in welcher zu wandeln
wir so oft ermahnt werden, ist also nicht jene knechtische
Furcht vor „dem Tage des Gerichts," in welcher leider
viele unbefestigte Herzen zur Unehre Gottes und zu ihrem
eignen Nachteile zeitlebens befangen bleiben. Wer die
Liebe kennt, „die Gott zu uns hat," wer in der geseg­
257
neten Thatsache ruht, daß „Gott Seinen Sohn für uns
gegeben hat als eine Sühnung für unsre Sünden,"
(1. Joh. 4, 9. 10. 14. 16.) in dem ist die Liebe Gottes
vollendet; er hat „Freimütigkeit auf den Tag
des Gerichts" und „Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum (d. h. in die Gegenwart
Gottes) mit wahrhaftigem (nicht zweifelndem, sondern völlig überzeugtem) Herzen, in voller Gewißheit des Glaubens." (Hebr. 10, 19-22.) Der
wahre und einsichtsvolle Christ wird in kindlichem
Glaubensgehorsam anbetungsvoll anerkennen, daß Gott
ihn „begnadigt hat in dem Geliebten" und ihn schon „hat
mitsitzen lassen in den himmlischen Oertern in Christo
Jesu," (Eph. 1, 6 und 2, 6.) daß er und mit ihm alle
Gläubigen geliebt sind, gleichwie der eingeborne Sohn,
(Joh. 15, 9 und 17, 23.) daß „wir die Gerechtigkeit
Gottes" sind in Christo, (2. Kor. 5, 21.) daß „Er, der
Herr, unser Leben, ist," (Kol. 3, 4.) daß, „gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt,"
(1. Joh. 4, 17.) und daß Er uns dieselbe Herrlichkeit
gegeben, die der Vater Ihm gegeben hat! (Joh. 17, 22.)
Wo wäre da noch Raum für die Furcht, welche Pein
hat? Die Liebe Gottes treibt sie auS.
Anders ist es mit der Furcht des Herrn; man kann
wohl sagen, daß diese gerade dann in das Herz einzieht,
wenn Gottes Liebe Einkehr hält, und zwar in demselben
Maße, wie diese Liebe erkannt und genossen wird. Die
natürlichen Menschen in ihrem unbekehrten, Gott entfremdeten Zustande schildert der Apostel also: „Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg
des Friedens haben sie nicht erkannt. Es ist keine
258
Furcht Gottes vor ihren Augen." (Röm. 3,
16—18.) Die Furcht des Herrn oder die Furcht Gottes
ist die Frucht der Wirksamkeit des Heiligen Geistes im
menschlichen Herzen, und kann sich auch da schon finden,
(wie es thatsächlich bei den Gläubigen im alten Bunde
der Fall war) wo derselbe noch nicht Wohnung gemacht,
aber doch Leben hervorgerufen hat. (Vergl. auch Apostelgesch. 10, 1 — 44.) Zuweilen bedeutet die Mitteilung der
Furcht Gottes soviel als die Mitteilung des neuen Lebens.
So sagt Jehova in bezug auf die zukünftige Sammlung
und Bekehrung des Ueberrestes aus Israel: „Siehe, ich
werde sie aus allen Ländern sammeln, . .. und sie sicher
wohnen lassen. Und sie werden mir zum Volke, und ich
werde ihnen zum Gott sein. Und ich will ihnen ein
Herz und einen Weg geben, mich zu fürchten alle
Tage, ihnen und ihren Kindern nach ihnen
zum Guten. Und ich will einen ewigen Bund mit ihnen
machen ... und will meine Furcht in ihr Herz
geben, daß sie nicht mehr von mir abweichen u. s. w."
(Jer. 32, 37 — 41.) Wo also wirklich eine Bekehrung
stattgefunden hat in einer Seele, wird sich immer als
gesegnete Frucht derselben wahre Gottesfurcht zeigen, ja,
dieselbe kann als Maßstab gelten für die Tiefe des Werkes und des Lebens aus Gott in jener Seele. Je oberflächlicher die Bekehrung und je schwächer das Leben, desto
mangelhafter ist die Furcht des Herrn; und umgekehrt,
je wahrer das Selbstgericht und die Bekehrung, und je
tiefer die Erkenntnis Gottes und des eigenen verderbten
Ichs bei einer Seele ist, desto reichlicher ist hier auch die
Furcht des Herrn vorhanden. Die Furcht des Herrn ist
die Offenbarung und Aeußerung des göttlichen Lebens,
259
wie der Schein und Glanz die Offenbarung des Lichtes
und die Wärme diejenige des Feuers ist.
Wenn also in unsern Tagen, leider gewiß vielfach
mit Recht, die Klage laut wird, daß unter den jungen
Seelen, die bekehrt zu sein bekennen, im Allgemeinen so
wenig Gottesfurcht gefunden wird, so beweist das, daß
die Bekehrung der Betreffenden, wenn überhaupt echt, nur
eine oberflächliche und das Leben ein schwaches ist. Und
wer weiß, was das Ende sein wird! Gewiß, nur der
wahrhaft Bekehrte kann schließlich eingehen in die ewige
Sabbathruhe, und nur der treue Christ kann in dieser
Zeit und Welt gewisse, feste Tritte thun zum Ruhme
Gottes; er wird nicht hinken auf beiden Seiten. Andrerseits ist es auch wahr, daß, wenn wirkliches, ob auch
zunächst nur schwaches Leben in einer Seele vorhanden
ist, diese, wenn sie anders aufrichtig und treu ist, wachsen
wird im göttlichen Leben und eben darum auch in der
Erweisung der Kraft Gottes in einem wirklich gottesfürchtigen Wandel. „An den Früchten sollt ihr sie erkennen !"
Fragen wir nunmehr: Worauf gründet sich
die Furcht des Herrn? — Die Furcht des Herrn
gründet sich, wie wir bereits angedeutet haben, vor allem
auf die Erkenntnis Gottes und entspricht dem Charakter,
unter welchem die Seele Gott kennt. Abraham war Er
als „der Allmächtige," und dem Volke Israel vornehmlich
als „Jehova" bekannt; dem entsprach auch Seine Furcht
und Verehrung bei den Gläubigen im alten Bunde. Nie
aber hat Gott Sein Wesen geändert; Er ist und bleibt
stets in sich derselbe. Paulus schreibt darum an die Christen
aus den Hebräern, die doch „zum Berge Zion" gekommen
260
waren: „Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich
empfangen, lasset uns die Gnade festhalten, durch welche
wir Gott wohlgefällig dienen mit Frömmigkeit und
Furcht. „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes
Feuer."" (Hebr. 12, 28. 29.)
An dem Charakter der göttlichen Regierung und an
den Wegen, in welchen Gott die Seinigen zu allen Zeiten,
in Uebereinstimmung mit sich selbst, nach Seiner Heiligkeit führt, richtet und erzieht, ändert auch die gesegnete
Thatsache nichts, daß die Christen Gott als Vater
kennen und in sich das Zeugnis haben, daß sie Seine
Kinder sind. Ja, um so völliger sollten wir Seinem Wort
und Geist Folge leisten, und „in der Furcht Christi"
„dem Vater der Geister unterworfen sein und leben."
Wie unnatürlich wäre es z. B., wenn das Kind eines
Lehrers die Schulordnung deshalb gering achten oder gar
übertreten wollte, weil es des Lehrers Kind ist! Würde
es nicht doppelter Streiche wert geachtet werden? Sollte
es nicht und wird es nicht um so inniger dem Lehrer
anhangen, weil es ihn als Vater besitzt, kennt und genießt, und ihm um so mehr ergeben sein und gesegnet
werden? So ermahnt Petrus auch die Gläubigen: „Als
Kinder des Gehorsams bildet euch nicht nach den vorigen
Lüsten in eurer Unwissenheit, sondern wie Der, welcher
euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr
heilig in allem Wandel; denn eS steht geschrieben: „Seid heilig, denn ich bin heilig!"
Und wenn ihr Den als Vater anruft, der
ohne Ansehen der Person richtet nach eines
jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht, indem ihr wisset, daß ihr
261
nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold,
erlöst worden seid von euerm eiteln, von den Vätern
überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren
Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl
und ohne Flecken." (1. Petr. 1, 14—19.)
In diesen Worten führt der Apostel den wahren
Beweggrund an, der uns leiten soll, die Zeit unsrer
Fremdlingschaft „in Furcht zu wandeln;" er erinnert daran, wie teuer wir Gott geworden sind, wie viel
Cr für uns gethan hat. Christus, das Lamm Gottes,
hat mit Seinem eignen Blute uns Gott erkauft und uns
Gott gemäß rein und heilig dargestellt. Wie vollkommen
muß die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes, und wie
furchtbar die Sünde in Seinen Augen sein, wenn nur
auf diese Weise „die Reinigung unsrer Sünden" geschehen
konnte! Und welch eine Liebe, die solchen Preis für uns
erlegt hat! Paulus ermahnt darum auch die Gläubigen
in Korinth: „Ihr seid nicht mehr euer selbst. Denn
ihr seid um einen Preis erkauft; verherrlichet nun Gott
an euerm Leibe!" (1. Kor. 6, 19. 20.) Ebenso schreibt
er an die Christen in Rom: „Ich ermahne euch nun,
Brüder, durch die Erbarmungen Gottes (d. h. auf Grund
derselben), eure Leiber darzustellen als ein lebendiges
Schlachtopfer, heilig, Gott wohlgefällig." (Röm. 12, 1.)
Und an die Epheser schreibt er: „Deshalb seid eingedenk,
daß ihr, einst die Nationen im Fleische, ... zu jener
Zeit ohne Christum wäret,... keine Hoffnung habend und
ohne Gott in der Welt. Jetzt aber, in Christo Jesu, seid
ihr, die ihr einst ferne wäret, durch das Blut des Christus
nahe geworden ... Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn, daß ihr würdig wandelt der Berufung,
262
womit ihr berufen worden .... einander unterwürfig i n
der Furcht Christi." (Eph. 2,11—13; 4, 1; 5,21.)
Leicht ließe sich die Zahl der Stellen vermehren, aus
welchen hervorgeht, daß uns der Geist Gottes viel und
oft ermahnt, doch auf Grund dessen, was Gott ist, was
wir in uns sind, und was Er an uns gethan hat, gottesfürchtig und gottselig in dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf zu leben. Möge das Bewußtsein dieses heiligen
Willens Gottes uns tief durchdringen!
Aber es giebt noch einen andern Grund, weshalb
wir als „Geliebte" „uns selbst reinigen" sollen „von
jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die
Heiligkeit vollenden sollen in der Furcht
Gottes." (2. Kor. 7, 1.) Der Apostel Johannes schreibt
nämlich: „Jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt
sich selbst, gleichwie Er rein ist." (1. Joh. 3, 3.) Er weist
also hin auf das herrliche Ziel, das vor uns liegt: wir
erwarten Jesum, werden Ihn sehen, wie Er ist, werden
Ihm gleich sein! Ja, Gott hat uns „zuvorbestimmt, dem
Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein!" (Röm. 8, 29.)
Und wie bald kann's geschehen, wie bald wird's sein,
daß der glückselige Augenblick kommt, wo wir zu Ihm
gehen und allezeit bei Ihm sein werden! Können wir,
wenn diese Hoffnung unser Herz erfüllt und belebt, ohne
die Furcht des Herrn dahingehen und eigne Wege wandeln? Unmöglich! Wir werden dann gewißlich begehren,
treu erfunden zu werden, uns zu reinigen, wie Er rein
ist, uns los zu machen von allem, was Ihm entgegen ist,
was nicht Ihm gleicht und entspricht, den wir bald sehen,
dem wir bald gleich sein werden in einer ewigen, wolkenlosen Herrlichkeit! Paulus streckte sich aus nach dem, was
263
davorne ist, und jagte, „das vorgesteckte Ziel anschauend,
hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben
in Christo Jesu;" und er bittet: „So viele nun vollkommen sind, lasset uns also gesinnt sein .. . denn unser
Wandel ist in den Himmeln, von woher wir auch den
Herrn Jesum als Heiland erwarten, der unsern Leib der
Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit des Leibes
Seiner Herrlichkeit." (Phil. 3, 14. 15. 20. 21.) Hienieden, inmitten einer gefahrvollen Welt voll. „Augenlust,
Fleischeslust und Hochmut des Lebens," kann das Leben
aus Gott sich in uns, in Anbetracht der genannten verschiedenen Gründe, nicht anders offenbaren als in steter
Furcht des Herrn. Wir werden darum ermahnt, „unsre
eigne Seligkeit zu bewirken in Furcht und Zittern," allezeit
auf Gott zu hören und zu harren; „denn Er ist es, der
da wirkt beides, das Wollen und das Wirken, nach Seinem Wohlgefallen." (Phil. 2, 12. 13.)
In diesem Gehorsam und Harren auf den Herrn,
in dieser steten Abhängigkeit von Gott, worin sich die
Furcht des Herrn erweist, liegt aber ein großer Segen
verborgen. „Siehe, das Auge Jehovas ist gerichtet auf
die, so Ihn fürchten, auf die, welche auf Seine Güte
harren .... In Ihm wird sich freuen unser Herz, weil
wir Seinem heiligen Namen vertraut haben. Deine
Güte, Jehova, sei über uns, gleichwie wir aus Dich geharrt haben!" (Ps. 33, 18—22.) Doch dies führt uns
zu unsrer letzten Frage:
Was bewirkt die Furcht des Herrn?
Da der Gottesfürchtige sich raten und leiten läßt
durch Gottes Wort und Geist, und wie ein gehorsames
Kind die nötigen Warnungen und Unterweisungen nicht
264
gleichgültig anhört, so bleibt er zunächst vor vielem Traurigen bewahrt. In den Gefahren und Versuchungen des
Lebens, die über ihn kommen, in welchen Tausende unterliegen, blickt er im Bewußtsein und Gefühl dessen, was
Gottes Wille ist, auf den Herrn, und dieser flehentliche,
vertrauensvolle Blick zerstört den gleißnerischen Schein der
Sünde, führt Gottes Kraft herbei, zerreißt die Schlinge
des Versuchers, und der Gläubige geht so unverletzt, ja
siegreich au? der Prüfung hervor, Gott zum Ruhme. Der
Gottesfürchtige hat, wie der Jüngling Joseph und der
Knabe Daniel im fernen Lande und unter fremdem Volke,
Gottes Wort in seinem Herzen verborgen, damit er nicht
wider Ihn sündige. (Ps. 119, 11.) Er „sitzt im Verborgenen deS Höchsten und wird bleiben im Schatten des
Allmächtigen." Ihm gilt daS Wort: „Er wird dich erretten von der Schlinge des Vogelstellers, von der verderblichen Pest. Mit Seinen Fittigen wird Er dich decken,
und du wirst Zuflucht finden unter Seinen Flügeln."
(Ps. 91, 1—4.) Gewiß, „durch die Furcht Jehovas weicht
man vom Bösen," (Spr. 16, 6.) und in der Gegenwart
Gottes sind wir einzig und allein sicher und geborgen.
Die Furcht deS Herrn bewahrt aber nicht nur vor
den Schlingen und Fallen, vor Uebeln und Schmerzen,
sie bewirkt auch positiven Segen. „In der Furcht
Jehovas ist starkes Vertrauen, und Seinen
Kindern wird Er eine Zuflucht sein. Die
Furcht Jehovas ist eine Quelle des Lebens."
(Spr. 14, 26. 27.) Dieses „starke Vertrauen" und diese
„Quelle des Lebens," die also in der Furcht des Herrn
zu finden ist, spendet Kraft und Stärke. „Er giebt
dem Müden Kraft, und dem Kraftlosen mehrt Er die
265
Stärke. Knaben werden ermüden und ermatten, und
Jünglinge dahinfallen; die aber auf Jehova harren, werden
die Kraft erneuern." (Jes. 40, 29—31.)
Ferner verleiht sie Weisheit und Einsicht:
„Die Furcht Jehovas ist der Weisheit Anfang; gute
Einsicht haben alle, die sie üben." (Ps. 111, 10; vergl.
auch Spr. 1, 7; 9, 10; Ps. 24, 12; Hiob 28, 28.)
Und: „das Geheimnis Jehovas ist für die, welche Ihn
fürchten." (Ps. 25, 14; vergl. Spr. 3, 32.) So gab
Gott Joseph und Daniel, wie auch den drei gottesfürchtigen Freunden des letzteren, ein weises, einsichtsvolles
Herz; und vor Seinem treuen Knechte Abraham konnte
Er nicht verbergen, was Er thun wollte. (1. Mos. 18,
17 — 19.) Wo Gott Treue wahrnimmt, der empfangenen
Erkenntnis gegenüber, da fügt Er nach den Grundsätzen
Seines Hauses neue Erkenntnis hinzu; „denn wer da
hat, dem wird gegeben werden, auf daß er mehr habe."
Ein solcher wird nicht „kurzsichtig und blind" werden in
Ermangelung der Treue und Fruchtbarkeit; vielmehr wird
er wachsen, und „der Eingang in das ewige Reich wird
ihm reichlich dargereicht" werden. „Er macht seine Berufung
und Erwählung fest," und „er strauchelt niemals." Wo
aber irgend Erkenntnis gefunden werden sollte, die nicht
aus der Furcht des Herrn erwachsen ist und nicht mit ihr
zusammengeht, da läßt dieselbe das eigene Herz kalt und
leer, dürr und unfruchtbar; ja, sie muß verderblich und
verhängnisvoll werden. Denn eine solche Erkenntnis
„bläht auf".
Neben der Kraft und Weisheit und „guten Einsicht,"
welche die Furcht des Herrn begleiten, erwächst aus ihr
auch Friede und Freude. „Gott ist Licht, und gar keine
266
Finsternis ist in Ihm;" (1. Joh. 1, 5.) und wenn auch
das Verhältnis zwischen Ihm und Seinem Volke auf
Seiner Treue beruht, so verlangt dasselbe doch praktische
Heiligkeit, und nur in heiligem Wandel kann es
genossen werden. Gott segnet nur ein Herz, das in
Seinen Wegen wandelt und in dem Lichte Seines Antlitzes
einhergeht. Da wo ein unreiner, ungebrochener, oberflächlicher oder irdischer Zustand vorhanden ist, kann Gott dem
Herzen nicht „daS Seinige", „das Wahrhaftige" anvertrauen; (Luk. 16.) da ist kein Genuß am Herrn, an
Seinen Gütern und Segnungen. „Darum fürchtet Jehova,"
sagt der Psalmist, „ihr Seine Heiligen; denn keinen Mangel
haben die, so Ihn fürchten." „Denn Jehova, Gott, ist 
Sonne und Schild; Gnade und Herrlichkeit wird Jehova
geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit
wandeln." (Ps. 34, 9; 84, 11.) Und wenn der Gläubige
also wandelt, so wird er ausrusen müssen vor Gott: „Fülle
von Freuden ist vor Deinem Angesicht, Lieblichkeiten in
Deiner Rechten immerdar!" (Ps. 16, 11.) Er wird auf
dem Pfade der Treue und des Vertrauens „sich im
Herrn freuen allezeit," wird „den Frieden Gottes" in
sich, und „den Gott des Friedens" bei sich haben. (Phil. 4.)
Das Bewußtsein von dem, was Gott ist, was Er
an uns gethan hat, was wir vor Ihm sind und sein
werden, was wir Ihm schulden, sollte darum durch ein
stetes Selbstgericht und durch Wachsamkeit im Gebet und
Flehen allezeit in uns lebendig sein; denn das ist, wie
wir erkannten, die Furcht des Herrn. Für uns Christen
kommt dies der Ermahnung des Apostels gleich: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr
versiegelt seid auf den Tag der Erlösung!" (Eph. 4, 30.)
267
Ist dies der Fall bei uns, so erfahren wir praktisch, daß
„das Reich Gottes Gerechtigkeit ist und Friede und Freude
im Heiligen Geiste." (Röm. 14, 17.)
Auf diesem Grunde ist auch die Verherrlichung und
Anbetung Gottes allein möglich. Die wahre Anbetung
war und ist stets mit dem lebendigen Bewußtsein der
Heiligkeit Gottes verbunden; das finden wir im Liede
Moses, der Hannah, der Maria, in den Psalmen und in
den Ermahnungen der Apostel. (Vergl. 2. Mose 15, 1.
11. 13. 17; 1. Sam. 2, 1—2; Luk. 1, 49. 75;
Ps. 5, 7; 22, 3 u. a. m.)
Von welcher Bedeutung und welchem Segen ist also
die Furcht des Herrn! Und wie betrübend darum die
ernste Wahrnehmung, daß Satan mit Erfolg bemüht ist,
sie in den Herzen der Gläubigen, leider auch bei denen,
die einfach im Namen Jesu zusammenkommen, zu schwächen
und zu verringern! Daß die Furcht des Herrn thatsächlich
unter allen Gläubigen der bekennenden Kirche gering und
eine Seltenheit geworden ist, zeigen schon die vielen Spaltungen, die große Zersplitterung unter ihnen, die doch
ganz gegen den Willen des Herrn ist; sind sie doch „alle
durch einen Geist zu einem Leibe getauft." Wie
schwach ist ferner das Gefühl geworden in bezug auf die 
Notwendigkeit der Ueberwachung der Lehre, so daß sich
in selbst viele sogenannte orthodoxe Gemeinden und Gemeinschaften grobe Irrlehren eingeschlichen haben! Und
wie traurig, wie weltförmig ist zumeist der Wandel! Welch
eine Zeit der Zuchtlosigkeit und Unordnung! Wahrlich,
unsre Tage gleichen in mancher Hinsicht jenen Zeiten in
Israel, von welchen wir im Buche der Richter öfters le­
268
sen: „In selbigen Tagen war kein König in Israel; ein
jeglicher that, was recht war in seinen Augen." (Richt. 17, 6; 18, 1; 19, 1; 21, 25; vergl.
dazu 5. Mos. 12, 8.) Der Gottesfürchtige aber begehrt
den geoffenbarten Willen Gottes zu thun; und in solchen
Tagen sollen die, „welche Jehova fürchten, mit einander
reden," (Mal. 3, 16.) einander die Herzen und Hände
Zu stärken. So schreibt der Apostel Judas für unsre bösen
Tage, in welchen so viele „wandeln nach ihren eignen Lüsten"
und „sich selbst weiden ohne Furcht": „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euern allerheiligsten Glauben, betend in dem Heiligen Geiste, erhaltet euch selbst in
der Liebe Gottes, erwartend die Barmherzigkeit unsers
Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben." (Jud. 20. 21.)
In der Mitte derer aber, die, getrennt vom religiösen
Lager, sich einfach im Namen Jesu versammeln, ist ganz
besonders das Bewußtsein der Heiligkeit GotteS unerläßlich. Wenn hier die Furcht Christi schwindet, wie tief betrübend, wie verderbenbringend müssen dann die Folgen
sein! Gerade für die, welche kein System bilden, keine
menschliche Umzäunung haben, muß die Gegenwart des
Herrn Schutzmauer und Burgwall sein; denn sie, welche
die herrliche Berufung und himmlische Stellung der Kinder
Gottes in ihrer Mitte bekennen, bilden in ganz besonderer
Weise die Zielscheibe des Feindes. Darum gilt es, „stark
zu sein in dem Herrn und in der Macht Seiner Stärke",
„die ganze Waffenrüstung Gottes" zu tragen, „um bestehen zu können wider die Listen des Teufels," „wider
die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen
Oertern." Sowohl für den Einzelnen, wie für Alle, ist
es nötig, alle Wachsamkeit und Treue zu erweisen und
269
einherzugehen in praktischer Gerechtigkeit, „und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes." Wieder auf dem
alten Grunde der Versammlung GotteS zu stehen und
Gott anzubeten, genügt noch nicht. Der Herr ruft durch Jeremia Seinem irdischen Volke zu: „Höret das Wort Jehovas,
ganz Juda, die ihr durch diese Thore eingehet, Jehova
anzubeten. So spricht Jehova der Heerscharen, der Gott
Israels: Machet gut eure Wege und eure Handlungen,
so will ich euch wohnen lassen an diesem Orte. Und trauet
nicht auf falsche Worte, wenn sie sprechen: Jehovas Tempel,
Jehovas Tempel, Jehovas Tempel ist dies! Sondern
wenn ihr gut machet eure Wege und eure Handlungen,
wenn ihr recht thut .. . und andern Göttern nicht nachwandelt, euch zum Unglück, so will ich euch wohnen lassen
an diesem Orte . . . Siehe, ihr verlaßt euch auf falsche
Worte, die nichts nütze sind. Wollt ihr stehlen, totschlagen
und Ehebruch treiben und falsch schwören und dem Baal
räuchern . . . und kommen und vor mir stehen und sprechen:
Wir sind geborgen, um alle diese Greuel zu thun? . . ,
Höret auf meine Stimme, so werde ich euch zum Gott sein,
und ihr werdet mir zum Volke sein, und wandelt in allem
Wege, den ich euch gebieten werde, auf daß es euch wohl
gehe." (Jer. 7.) Ja, die bloße äußere Stellung befriedigt
Gott nicht; mehr als der „Tempel Jehovas" ist „der
Jehova des Tempels"; vor Ihm laßt uns stehen und in
Seiner Furcht einhergehen!
Wie gesegnet ist eS, allsonntäglich am Tische deS
Herrn zu sein, Ihn zu rühmen und zu erheben! Wie
ernst und verderblich aber, wenn dabei ein Wandel ohne
wahre Gottesfurcht geführt wird! Man rühmt den Herrn
noch mit den Seinen in hohen Worten, singt mit ihnen
270
Lieder herrlichen Inhalts, aber die darin ausgedrückten
Gefühle und gerühmte Kostbarkeit werden nicht empfunden;
man betet an — es ist ja die zur Anbetung anberaumte
Stunde — aber Geist und Herz leiten und drängen nicht
dazu. Wie bitter rächt sich ein solcher Widerspruch im
Leben! Dürre und Gefühllosigkeit, Verhärtung des Ge»
wissens und Herzens muß für den Einzelnen daraus erwachsen, und eine solche Versammlung wird bald in sich
selbst zusammenfallen. Gott läßt sich nicht täuschen. Wie
grünt, blüht und gedeiht dagegen das Leben da, wo die 
Furcht des Herrn zu finden ist! Da spricht der Einzelne
nicht, wenn er gefehlt hat oder daS Verkehrte thut, und
ermahnt wird: „Ich sehe nichts darin!" oder gar: „Das
ist meine Sache!" Da ist vielmehr Dankbarkeit für
brüderliche Ermahnung und Zurechtweisung. Da findet
man keine Gefühllosigkeit über die ausgeübte Zucht oder 
gar Auflehnung wider Gottes Wort und Geist, indem
man hingeht und, anstatt sich zu beugen, einen eigenen
Tisch aufrichtet. Wo ist da die Furcht des Herrn, wenn
solches geschieht, und man dabei noch gar von Segen und
Anerkennung des Herrn redet, weil Er in dieser Zeit
dazu schweigt und vielleicht auch in Seiner unumschränkten
Gnade Sein Wort noch dort segnet!
Mit welchen Gefühlen werden bald manche vor dem
Richterstuhl Christi auf ihre Gesinnung und auf ihr
Verhalten hienieden zurückblicken! Dort giebt es keine
Täuschung mehr. O, daß wir doch im Lichte dieses Richterstuhls, „einander unterwürfig in der Furcht Christi,"
unsre Tage vollenden möchten! Möchte doch die aufrichtige Bitte unsrer Herzen sein: „Lehre mich, Jehova,
Deinen Weg, so werde ich wandeln in Deiner Wahrheit;
271
einige mein Herz zur Furcht Deines Namens."
(Ps. 86, 11.) Dann werden wir glückselig zu preisen
sein, werden in zarter Rücksichtnahme auf alles, was den 
Heiligen frommt und nütze ist, stets „prüfen, was das
Vorzüglichere sei," und begehren, „daß in allem Gott
verherrlicht werde durch Jesum Christum, welchem
die Herrlichkeit ist und die Macht in die Zeitalter der
Zeitalter. Amen." (1. Petri 4, 11.) Wir werden dann
auch in diesen Tagen der äußeren Ruhe, aber großer
Gefahren, nicht gleichgültig und fruchtleer sein, sondern
vielmehr, trotz unsrer „kleinen Kraft," Aehnliches sehen,
wie die ersten Christen, von denen wir lesen: „So hatten
denn die Versammlungen durch ganz Judäa und Galiläa
und Samaria Frieden und wurden erbaut und wandelten in der Furcht des Herrn und wurden vermehrt durch den Trost des Heiligen Geistes."
(Apstgsch. 9, 31.) Der Herr gebe in Seiner Gnade, daß
der Mahnruf, den Er an die Versammlung zu Philadelphia
richtet, tief in unsre Herzen eindringe: „Halte fest, was
du hast, auf daß niemand deine Krone nehme!"
(Offbg. 3, 11.)

Was ist Glück?
Glücklich möchten alle Menschen werden; darnach streben
sie mit allen Kräften des Leibes und der Seele. Wenn man
nur so recht wüßte, was denn eigentlich Glück zu nennen 
ist! Nun, Geld und Gut! denken wohl die Meisten,
das ist doch klar; wer reich ist, ist auch glücklich, da er
mit seinem Reichtum sich alles verschaffen kann, was das
Herz nur wünscht. — Alles? — Und wenn der Reiche von
272
-schwerer Krankheit befallen wird, die sein Leben bedroht,
wenn ein teures Weib, wenn liebe Kinder ihm sterben,
wirst du ihn dann noch immer glücklich nennen? Kann
er mit seinem Gelde sich und Andere bon dem „Könige
der Schrecken," dem Tode, loskaufen? Kann er die innere
Stimme zum Schweigen bringen, die immer und immer
wieder in der Stille der schlaflosen Nächte ihm zuruft:
„Mit dem Tode ist nicht alles vorbei; dann harrt deiner
die Ewigkeit, eine Ewigkeit vielleicht voll Jammer und
Entsetzen?"
Und wie mit dem Reichtum, so ist es mit allen den
sogenannten Gütern dieses Lebens. Gesundheit? —
wie gebrechlich ist unser Körper! Das Springen des kleinsten Aederchens ist imstande, sie für immer zu vernichten.
Und mit dem Alter wird auch der Gesündeste schwächer
und gebrechlicher mit jedem Tage.
Bildung und Wissen? — sind gewiß schätzenswert, aber je mehr wahre Bildung, je mehr Wissen der
Mensch sich erwirbt, desto mehr sieht er ein, daß das
Menschenherz damit nicht ausgefüllt wird, daß unserm
Verstände überall Schranken gezogen sind, daß Wissenschaft nicht wahres Glück zu schaffen vermag.
Familienfreuden? — So wohlthuend für das
menschliche Herz sie auch sein mögen, auch sie sind unbeständig, auch sie stehen nicht in unsrer Hand, und wie
leicht wendet sich dieses Glück in Leid! Und Ruhm und
Ehre? — Ach, Ruhm und Ehre bei den Menschen, welche
Seifenblasen, die kaum für den Augenblick sind und nie
das Herz befriedigen können, obwohl gerade sie oft die
größten Anstrengungen und schwere Opfer fordern!
Gewiß ein jeder, der nur ein wenig über diese Dinge
273
nachdenkt, wird zugeben müssen, daß in Reichtum, Gesundheit, Wissen, Familienglück, Ruhm und Ehre nicht das
wahre Glück bestehen könne, nach welchem das Menscheuherz sich doch ohne Aufhören sehnt. Alles das sind
Güter, die an ihrem Platze ihren Wert besitzen, — wer
möchte das leugnen! — die gewiß zu schätzen sind; aber
das wahre, echte Glück können sie dem Menschen nicht
bieten. Denken wir uns doch einen Mann, der sie alle
in seinem Leben vereinigt, wird der wohl glücklich zu
nennen sein? Du sagst: es giebt keinen solchen Mann.
O doch, wir kennen ihn ja beide, den berühmten König,
der unermeßlichen Reichtum, große Weisheit, Familienglück,
Gesundheit bis in sein spätes Alter und Ruhm und Ehre
— alles in reichster Fülle besaß; und wie lautet sein
Urteil in unsrer Sache? Wie spricht er? „Eitelkeit der
Eitelkeiten! alles ist Eitelkeit! . . . Zum Lachen sprach ich:
Unsinn! und zur Freude: was macht sie? Ich gedachte
in meinem Herzen, mein Fleisch durch Wein zu pflegen,
mein Herz in Weisheit zu üben. ... Ich machte große
Werke, baute mir Häuser, pflanzte mir Weinberge, machte
mir Gärten und Lustgärten .... ich kaufte Knechte
und Mägde; auch hatte ich großes Besitztum von Großvieh und Kleinvieh, mehr denn Alle. ... Ich sammelte
mir Silber und Gold und Schätze, schaffte mir Sänger
und Sängerinnen und Wollust der Menschenkinder, Weib
und Weiber. .... Auch meine Weisheit blieb mir, und
alles, was meine Augen begehrten, entzog ich ihnen nicht,
und hielt mein Herz von keiner Freude ab .. . und siehe,
das alles war Eitelkeit und Plage des Geistes, und
darin war kein Gewinn unter der Sonne/' (Pred. 1 u. 2.)
Und hoffst du, lieber Leser, es weiter zu bringen,
274
als König Salomo und endlich zu einem andern Urteil
zu gelangen? Ach! sagst du, das Glück des Menschen
liegt nicht in dem allen allein, man muß eben zufrieden sein! Zufrieden? und bist d u zufrieden? Kennst
du unter allen deinen Nebenmenschen einen solchen Zufriedenen? Gewiß nicht! Du hättest nicht sagen sollen:
Glücklich ist, wer zufrieden ist, — oenn das ist kein
lebender Mensch — sondern: Glücklich ist, wer Frieden
hat. Weißt du, was es heißt: Frieden haben? nicht
blos Frieden mit den Seinen, mit sich selbst, mit seinem
Nächsten — das genügt noch alles nicht; nein, sondern
auch Frieden mit Gott, mit Ihm, dem Gott des Friedens! 
(Phil. 4, 9.) So lange du nicht diesen Frieden besitzest,
ist all dein Laufen und Rennen, Arbeiten und Sparen,
Studiren und Wissen, Wünschen und Sehnen umsonst.
Du bist noch weit, unendlich weit vom wahren Glücke fern.
Frieden mit Gott! ach, welch köstliche Worte, die im Leben
und Sterben gleichen Wert besitzen, im Leben wie im Tode
den Menschen wahrhaft und allein glücklich machen!
Und wie finde ich diesen kostbaren Frieden, dieses
wahre Glück? Den kann nur Er dir schenken, der reiche
und gnädige Gott Himmels und der Erde. Bitte Ihn,
und Er wird dir ihn schenken, Er wird dir den Weg
dazu zeigen. Es giebt nur einen solchen Weg! Er, der
gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben," — unser Herr und Heiland, Jesus Christus
— Er ist der einzige Weg zum Frieden, zum wahren
Glücke, zu Gott! Er ist es, der Frieden gemacht hat.
(Kol. 1, 20.) Dir bleibt nichts zu thun übrig, als wie
einst Thomas, der auch lange zweifelte, Ihm zu Füßen
zu sinken und gläubig zu sagen: „Mein Herr und mein
275
Gott!" (Joh. 20, 28.) Wer an Ihn glaubt, der ist gerecht, (Apstgsch. 13, 38.) hat Frieden mit Gott und damit
alles, was er zum Glücke braucht hienieden und dort oben.
Er ist gereinigt von aller Schuld und Sünde durch das
kostbare Blut, das Christus am Kreuze vergossen hat für
Alle, die an Ihn glauben.
Mein Leser, gehe nicht gleichgültig an einer so wichtigen Sache vorüber! Auch du willst ja glücklich werden
und bleiben, und jetzt bist du es nicht, wenn du offen
und ehrlich es gestehen willst. Und was wird es dort sein,
nach dem Tode, in der Ewigkeit? Wird dort das Sehnen
und der Schmerz deiner Seele gestillt sein? Hier hast du
keinen Frieden, bist nicht glücklich, weil du getrennt bist
von Gott; wirst du dort glücklich sein? Nein, gewiß nicht!
Du mußt jetzt in dieser Gnadenzeit, so wie du bist, zu Gott
dich wenden; sonst verwandelt sich der Schmerz und das
Sehnen dieser Zeit in die Qual der Ewigkeit. Nur bei
Gott ist Heil, Frieden und Ruhe, wahres Glück in Zeit
und Ewigkeit zu finden. „Gott war in Christo, die Welt
mit sich selbst versöhnend, ihr ihre Uebertretungen nicht
zurechnend ... So bitten wir denn an Christi Statt:
Lasset euch versöhnen mit Gott!" (2. Kor. 5,19.20.)
„Nur in Ihm ist wahre Ruh', Drum zu Jesu eil' auch
Du!" — Ja, komme zu Jesu!
Du hast vielleicht schon manches versucht, um wahrhaft glücklich zu werden; siehe einmal ab vom eignen
Thun, von eigner Kraft! Blicke nicht geringschätzig oder
verächtlich auf diesen Rat! Der ihn dir giebt, hat auch
lange nach dem Glücke gejagt, viel Wissen mühsam erworben, er hatte, was er zu einem bequemen Leben bedurfte,
und Gesundheit des Körpers noch obendrein — aber glück­
276
lich war er doch nie. Ununterbrochen sagte ihm eine
innere Stimme: Das alles ist eitel! Und als sich sein
Heiland seiner erbarmte und in unverdienter Liebe ihm
die Hände entgegenstreckte, da erst erfuhr er, wo das wahre
Glück zu finden ist, ein Glück, das ohne Ende sein wird
hier aus dieser armen Erde und noch größer dort oben,
wo der Glaube sich in seliges Schauen verwandeln wird.
Möchte doch auch dir, mein Leser, dieses Glück recht bald
zu teil werden!
Geheimnisse unter der Sonne.
Es giebt Geheimnisse unter der Sonne, die schon
Manchen in Verwirrung gebracht oder gar zum Murren
veranlaßt haben. Da ist ein Gerechter, der in seiner Gerechtigkeit umkommt, nicht selten aus eine schreckliche Weise,
während ein Gottloser bis ins hohe Alter hinein in Gesundheit und Wohlergehen lebt. Eine gottesfürchtige Mutter
wird plötzlich aus einem großen Familienkreise herausgerissen, während ein einsamer Greis, der sich selbst und
Andern zur Last ist, leben bleibt. Dem Gottlosen geht es
gut; seine Unternehmungen gelingen; 'er vermehrt sein
Vermögen und lebt in Ruhe und äußerem Glück, während der Gerechte oft in Armut und Kummer, in Krankheit und Elend seine Tage dahinschleppt. Wahrlich, wenn
wir daran denken, ohne unser Auge nach oben zu richten,
dann verstehen wir die Klage Asaphs: „Fürwahr, vergebens habe ich mein Herz gereinigt und in Unschuld gewaschen meine Hände!" (Ps. 73.) Doch er hatte geurteilt
wie ein unvernünftiges Tier. Er hatte nur auf die Dinge
unter der Sonne gesehen, anstatt seinen Blick nach
277
oben und auf die Zukunft zu richten. Sobald er das
that, waren die Stürme in seinem Innern gestillt, und er
war zufrieden mit seinem Lose.
Wir lesen in Ps. 77: „Gottes Weg ist im Meere,
und Seine Pfade in großen Wassern, und Seine Fußstapfen sind nicht bekannt." Das Wie und Warum dessen,
was auf Erden geschieht, teilt Er uns nicht mit. Warum
uns dieses und jenes trifft, was uns Leid und Kummer
bereitet, wird unS höchst selten hienieden kundgethan.
Der Herr „giebt über all Sein Thun keine Antwort."
(Hiob 33, 13.) Es ist heute noch nicht die Zeit für die
Auflösung von Rätseln und Geheimnissen. Diese Zeit
wird kommen und zwar bald kommen, wenn wir eingehen
werden in das vollkommene Licht des Vaterhauses droben.
Dann werden wir erkennen, wie wir erkannt sind.
In dem soeben angeführten Psalm lesen wir aber
auch: „Gott! Dein Weg ist im Heiligtum; wer ist ein
großer Gott, wie Gott?" Gott weiß, weshalb und zu
welchem Zweck Er alles thut. Er kennt das Ende eines 
jeden Weges von Anfang an. Es geschieht nichts ohne
den Willen und die Zulassung des Herrn, und Er läßt aus
dem Bösen Gutis hervorkommen. Ueber das Wie und
Wann können wir uns allerdings keine Rechenschaft geben; das ist Ihm allein bekannt. Aber sicher ist es,
daß alle Dinge denen zum Guten mitwirken müssen^
die nach Gottes Vorsatz berufen sind; und ebenso sicher
ist es, daß jede Glaubensprobe einmal, in der Offenbarung Jesu Christi, zum Lobe, zur Herrlichkeit und Ehre
Gottes beitragen wird. (1. Petr. 1, 7.) Sicher ist es,
daß „das Pressen der Milch Butter giebt," (Spr. 30,33.)
und daß die Züchtigung uns Seiner Heiligkeit teilhaftig
278
macht. Wer daher des Herrn Weg kennen will, mnß in
das Heiligtum gehen. Nicht unter, sondern über der
Sonne ist die Auflösung der Rätsel. Sobald Asaph „in
die Heiligtümer Gottes hineinging," war er geheilt von
seiner Niedergeschlagenheit und seinem Neid, und er konnte
Gott loben und preisen. Denn in diesen Heiligtümern
lernte er, daß die Gottlosen, mögen sie es auch noch so
gut haben unter der Sonne, einmal ein Ende mit Schrecken
nehmen werden; während die Gerechten, was auch ihr
Los und Ende hienieden sein mag, „nachher in Herrlichkeit ausgenommen werden."
Wie treffend und schön wird uns das Ende des
Gerechten und des Gottlosen in der Geschichte des reichen
Mannes und des armen Lazarus vorgestellt! Der Reiche,
der jeden Tag fröhlich und in Pracht gelebt hatte, schlug
seine Augen auf in der Qual; während Lazarus, der
hienieden nichts als Leiden, Elend und Kummer gefunden
hatte, von den Engeln getragen wurde in Abrahams Schoß.
Dies ist, abgesehen von den Ausnahmen, die es ja gewiß
giebt, die allgemeine Regel hienieden: die Gottlosen haben
Glück und Wohlergehen, die Gerechten Kummer und Not.
Aber das Ende wird für die Gerechten herrlich und für die
Gottlosen schrecklich sein. Der Prediger, der uns lehrt:
„Ein Geschick trifft den Gerechten und den Gesetzlosen,
den Guten und den Reinen und den Unreinen, ... den
Guten wie den Sünder," sagt auch: „die Gerechten und
die Weisen und ihre Werke sind in der Hand Gottes."
<Pred. 9, 1. 2.) Herrlicher Trost! Was auch geschehen
mag, wie groß das Elend der Gerechten und wie schmerzlich ihr Ende auch hienieden sein mag — keine Umstände vermögen die Liebe Gottes zu verändern; sie stehen
279
mit ihren Werken in der Hand Gottes, und ihr Ende
droben wird sicher ein herrliches und seliges sein.
Unerschütterlicher Friede.
Ein gestorbener und auferstandener Christus ist die
Grundlage der Errettung. „Er ist unsrer Uebertretungen
wegen dahingegeben und unsrer Rechtfertigung wegen auferweckt worden." (Röm. 4, 25.) Wenn das Auge des
Glaubens Jesum an das Kreuz genagelt und jetzt zur
Rechten der Majestät droben sitzen sieht, so muß das dem
Gewissen einen unerschütterlichen Frieden und dem Herzen
vollkommene Freiheit geben. Wir blicken in das Grab
des Herrn hinein und finden es leer; und wir richten
unsern Blick zu dem Throne empor und sehen den Herrn
dort, und können dann unsern Weg mit Freuden ziehen.
Der Herr Jesus hat an dem Kreuze alles betreffs Seines
Volkes in Ordnung gebracht; der Beweis davon ist Seine
Auferstehung und Sein Sitzen zur rechten Hand Gottes.
Ein auferstandener Christus ist der ewig vollgültige Beweis einer vollbrachten Erlösung; und wenn die Erlösung
eine vollendete Thatsache ist, so ist der Friede des Gläubigen eine unanfechtbare Wirklichkeit. Wir haben nicht
Frieden gemacht und hätten ihn nie machen können; ja, jede
Anstrengung unserseits könnte nur dazu dienen, um so klarer
zu zeigen, daß wir den Frieden gebrochen haben. Aber
Christus hat, nachdem Er Frieden gemacht hat durch das
Blut Seines Kreuzes, sich gesetzt zur Rechten der Majestät
in der Höhe, triumphirend über jeden Feind. Durch Ihn
läßt Gott jetzt Frieden verkündigen. Das Wort des Evan­
280
geliumS bringt diesen Frieden dem Sünder nahe, und die
Seele, die dem Evangelium glaubt, hat Frieden, unerschütterlichen Frieden vor Gott; denn Christus selbst ist ihr
Friede. (Vergl. Apstgsch. 10, 36; Röm. 5,1; Eph. 2,14;
Kol. 1, 20.) Auf diese Weise hat Gott nicht nur alle
Seine Forderungen und Ansprüche befriedigt, sondern auch,
indem Er dieses that, einen göttlich gerechten Weg erfunden, auf welchem die ganze Fülle und der unermeßliche
Reichtum Seiner Liebe zu dem schuldigsten Gliede der
schuldigen Nachkommenschaft Adams ausströmen kann.
Bruchstücke.
Demütig mit Gott zu wandeln, zufrieden zu sein
mit Seinem Willen, den niedrigsten Platz einzunehmen, das
unscheinbarste Werk, wenn Er eS uns aufträgt, mit aller
Treue zu thun, das ist wahre Würde und wahres Glück!
Nichts ist trauriger, als einen ruhmredigen, aufgeblasenen, selbstgefälligen Geist bei denen zu finden, welche
Bekennen, Nachfolger des sanftmütigen und von Herzen
demütigen Jesus zu sein.
Viel allein sein mit Gott ist eine untrügliche Arzenei
gegen Stolz und Selbstgefälligkeit.
Wie gut ist es, daß Gott gegen, für und in uns
handelt nach der Liebe Seines Herzens und zur Verherrlichung Seines Namens!
Der Glaube eilt nie! Er wartet geduldig auf Gott
und auf Seine Dazwischenkunft.
Der Erstgeborne.
Die Gerechtigkeit Gottes war, wie wir in Röm. 3,
21 lesen, zwar bereits „durch das Gesetz und die Propheten bezeugt," wurde aber erst durch das Kreuz, die
Auferstehung und Verherrlichung unsers Herrn völlig ans
Licht gebracht. Jene Zeugnisse im Gesetz und in den
Propheten verhalten sich zu ihrer Erfüllung, wie der
Schatten zum Körper, d. h. sie bieten eine Aehnlichkeit
und einen Gegensatz. Der Schatten und die Umrisse eines
Körpers mögen einfacher erscheinen als der Körper selbst,
aber es fehlt ihnen die Fülle und Vollkommenheit. DeeHerr hat uns im Alten Testament so viele Schatten und
Vorbilder gegeben, damit wir die Wirklichkeit besser verstehen möchten. Einen der interessantesten dieser Schalten
finden wir in der verschiedenen Stellung und dem verschiedenen Lose der Erstgebornen von den reinen und unreinen Tieren. Dieselben liefern uns ein wunderbares
Vorbild von dem Erlöser, von dem erlösten Sünder und
von der Erlösung überhaupt.
Von Natur und nach dem Gesetz über die reinen
und unreinen Tiere, hatten die reinen Tiere vor den
unreinen einen großen Vorzug. Darum nahm auch Noah
von den reinen Tieren je sieben Paare, von den unreinen aber nur je ein Paar zu sich in die Arche. Ganz
anders aber stand es um die Erstgebornen dieser
282
Tiere. Ist es nicht eine wunderbare Thatsache, daß die
Erstlinge der unreinen Tiere ein besseres Los hatten als
diejenigen der reinen? Sie durften sich (allerdings nur
auf Grund der Erlösung) ungehindert ihres Lebens freuen,
während die Erstlinge der reinen Tiere unwiderruflich
dem Tode verfallen waren. Wir lesen in 4. Mose 18,
15 und 17: „Die Erstgebornen der Menschen sollst du
jedenfalls lösen, und auch das Erstgeborne der unreinen Tiere soll st du lösen... Aber das Erstgeborne eines Rindes oder das Erstgeborne eines Schafes
oder das Erstgeborne einer Ziege" — also der reinen
Tiere— „sollst du nicht lösen; sie sind heilig. Ihr
Blut sollst du auf den Altar sprengen."
In diesen zwei Klassen von Tieren nun werden uns die 
beiden Menschen vorgebildet: der unreine oder sündhafte
Mensch, und der heilige Mensch. Der Mensch, und zwar
sein ganzes Geschlecht, jedes Einzelwesen inbegriffen, findet
— mit alleiniger Ausnahme eines Einzigen — seinen Platz
neben dem unreinen Tiere; und das nicht erst, nachdem
er gesündigt hat, sondern schon von Geburt an. Die
Sünde der ersten Menschen hat uns alle in die Stellung
von Sündern gebracht: wir sind alle „von Natur Kinder
des Zorns." (Eph. 2, 3.) Darum heißt eS gerade da,
wo von der Lösung der Erstlinge der unreinen Tiere die 
Rede ist: „Die Erstgebornen der Menschen sollst du jedenfalls lösen, und auch das Erstgeborne der unreinen Tiere
sollst du lösen." Der Mensch wird in dieser Beziehung
mit dem unreinen Tiere auf ein und denselben Boden gestellt. Das zeigt uns die unheilige Natur des Menschen.
In gleicher Weise wird in 2. Mose 13, 13 der Mensch
mit dem Esel zusammengestellt, was uns an das Wort
283
Zophars erinnert: „Doch der Mensch ist geboren wie das
Füllen eines Wildesels," (Hiob 11, 12.) wodurch jedenfalls der von Natur unbändige Charakter unsrer Herzen
angedeutet werden soll. Die Gesinnung des Fleisches ist
Feindschaft wider Gott; sie „ist dem Gesetz Gottes nicht
Unterthan, denn sie vermag es auch nicht."
Wir sehen also, daß der Mensch ohne Gott ist,
unter dem Gericht steht und schon von Geburt an eines
Heilandes bedarf. Dem entspricht auch das Wort des
Apostels: „Durch eines Menschen Ungehorsam sind die
Vielen in die Stellung von Sündern gesetzt." (Röm. 5,19.)
Aber ebenso allgemein wie der Fall des Menschen ist,
ebenso allgemein ist auch die Erlösung gegen Alle gerichtet:
„das Erstgeborne der unreinen Tiere sollst du lösen."
In diesen Worten ist für Alle die Thür zur Erlösung
geöffnet. „Also nun, wie es durch eine Uebertretung gegen
alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch
eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung
des Lebens."
Allein inmitten des freien Erbarmens stand Einer, für
den es kein solches Erbarmen gab; für die Erstgebornen
der reinen Tiere gab es kein Entrinnen vom Tode. Der
Grund hierfür mag seltsam erscheinen; wir lesen: „denn
sie sind heilig." Der Unheilige wurde vom Gericht des
Todes errettet, der Heilige nicht. Welch ein Rätsel für
den Verstand des natürlichen Menschen! Scheint diese
Anordnung nicht mit aller Gerechtigkeit im Widerspruch
zu stehen, und ist sie nicht thatsächlich in Widerspruch mit
der menschlichen und gesetzlichen Gerechtigkeit? Wir haben
hier ein herrliches Bild von der Gerechtigkeit Gottes in
der Errettung des Sünders. Der Wille Gottes war
284
unsre Heiligkeit, und diese konnte nur auf Grund eines
Opfers zuwege gebracht werden, „durch das ein für
allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi."
(Hebr. 10, 10.)
Der Herr kam, um den Willen Gottes zu thun.
Er nahm in unendlicher Gnade den Platz des reinen
Tieres ein, Er, der selbst „der Erstgeborne aller Schöpfung"
ist, und der von dem Engel Gabriel in Luk. 1, 35 „das
Heilige" genannt wird. Das unbedingte Todesurteil,
das über alles Erstgeborne der reinen Tiere ausgesprochen
war, deutete die schreckliche Lage an, in welcher der Herr
sich befand, als Er herniederkam; für Ihn gab es kein
Entrinnen vom Tode. Wohl blickte Er über den Tod
hinaus, nach oben auf den Platz zur Rechten Gottes, wo
„Fülle von Freuden" ist und „Lieblichkeiten immerdar;"
und Er war deshalb fähig zu sagen: „Die Meßschnüre
sind mir gefallen in lieblichen Oertern, ja, ein schönes
Erbteil ist mir geworden." (Ps. 16, 6. 11.) Andrerseits
aber lag auch die Last des schrecklichen Gerichts, in welches
Er gehen mußte, schwer auf Seinem Geiste. Seine Feinde,
die hinsichtlich der Wahrheit ganz unwissend waren, drückten
in ihrem bittern, grausamen Hohn den Ernst Seiner Lage
ganz richtig aus: „Andere hat Er gerettet, sich selbst
kann Er nicht retten." Das Bewußtsein und Gefühl von
dem, was vor Ihm lag, war gegen das Ende Seiner
Laufbahn besonders lebendig in Seiner Seele; (vergl.
Joh. 12, 27.) aber nichts konnte Ihn aufhalten, vorwärts
zu gehen. So lesen wir: „Jesus nun, der alles wußte,
was über Ihn kommen würde, ging hinaus und sprach
zu ihnen: Wen suchet ihr?" Im Garten Gethsemane lag
wirklich der Schrecken des Todes und des Gerichts auf
285
Seiner heiligen Seele. Er rang im Gebet: „Mein Vater,
wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch vor mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst."
Aber es war nicht möglich; hieß es doch: „Du sollst
nicht lösen!" Betreffs des Vorbildes war geboten: „Du
sollst ihr Blut auf den Altar sprengen." Da gab es
keinen Ausweg, kein Entrinnen.
Demzufolge sehen wir auch, daß das Schreien des
Herrn um Befreiung und Erlösung keine Erhörung fand.
„Ich rufe des Tages, aber Du hörest nicht." Es konnte
nicht eher Erhörung finden, bis das Werk vollbracht war.
Allein in dieser schrecklichen Tiefe der Leiden, wo die Tiefe
der Tiefe zurief beim Brausen der Wassergüsse, da sehen
wir die wunderbare Vollkommenheit des Herrn. Er rechtfertigt Gott inmitten jener Leiden. Er sagt von Gott:
„Du aber bist heilig, der Du wohnest unter den Lobgesängen Israels." Die Größe Seiner Leiden vermochte
nur darzuthun, wie vollkommen heilig Er war. Keine
Widerrede entrang die Trübsal Seiner Brust. Er war
der Mann, in welchem nur Gutes war und aus dem nur
Gutes hervorkommen konnte; Er war ein duftender Wohlgeruch für Gott. Alle, auch die treusten Männer Gottes,
die je ernstlich auf die Probe gestellt worden sind, haben in
der Probe nicht bestanden; so Hiob und Andere. Auch sie
müssen, wie wir, mit dem unreinen Tiere zusammengestellt
werden. In Christo allein finden wir das Gegenbild des
reinen Tieres, und die Folge davon für Ihn (Dank Seiner
Gnade und Liebe zu uns) war diese, daß Er der Einzige
war, für den es keine Lösung, kein Entrinnen gab; Er mußte
den Tod erleiden, auf daß durch Gottes Gnade eine Lösung,
ein Entrinnen sei für den Sünder, der au Ihn glaubt.
286
Doch verfolgen wir die Geschichte der Erstgebornen
noch etwas weiter; sie ist voll von Interesse und Belehrung für uns. Die Erstgebornen in Israel wurden nicht
nur, wie alle übrigen, bei dem Passah durch Blut errettet, sondern bildeten auch in besondrer Weise und mehr
als alle Anderen das Eigentum Gottes, wie Gott zu
Mose sagt: „Heilige mir alles Erstgeborne; was irgendwie die Mutter bricht ... ist mein." (2. Mose 13, 2.)
Der Erlöste war also nicht nur vom Tode erlöst, er
war auch für Gott erkauft. „Ihr seid um einen Preis
erkauft; verherrlichet nun Gott an euerm Leibe."
(1. Kor. 6, 20.)
Die Geschichte der Erstgebornen war diese: Gott
hatte in Israel Sein Heiligtum mit seinen verschiedenen
und mannigfachen Dienstleistungen, zu deren Verrichtung
eine sehr große Zahl von Menschen nötig war. Dieser
Dienst gehörte den Erstgebornen, an deren Stelle aber der
Stamm Levi trat. Jeder Levit vertrat einen Erstgebornen
in Israel. So viele Erstgebornen aber in Israel mehr
waren als Söhne des Stammes Levi, diese mußten ein
jeder durch fünf Sekel Silber gelöst werden. (S. 4. Mose
3, 46 — 48 und Kap. 8.) So bildeten die Leviten in einem
besondern Sinne ein erlöstes Volk. Auch waren sie ohne
Frage ein treffendes Vorbild von den Gläubigen der
gegenwärtigen Zeit, sowohl was unsre Erlösung betrifft,
als auch in unsrer Verpflichtung zum Dienste als Erlöste
Gott gegenüber. Gottes Aufforderung an uns lautet:
„Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen
Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges Schlachtopfer, heilig, Gott wohlgefällig, welches ist euer vernünftiger Dienst." (Röm. 12, 1.)
287
Der Erstgeborne hatte demnach eine zwiefache Geschichte von seiner Erlösung an; und so ein jeder von
uns, so viele wir errettet sind. Zuerst starb er in seinem
Stellvertreter, und dann lebte er als Diener und Knecht
in dem Leviten. Dieses findet sein Gegenbild heute in
dem Gläubigen: Wir sind mit Christo gestorben. (Röm.
6, 6-8.) Das ist der Abschluß unsrer Geschichte als
verantwortliche und schuldige Kinder Adams. „Ich bin
mit Christo gekreuzigt." Aehnlich hätte ein Vater in Israel
sagen können: „Mein Sohn ist in dem Lamme gestorben;"
damit endete seine Geschichte. Aber dann heißt es auch:
„Doch ich lebe." Wir besitzen jetzt ein neues Leben:
„Christus lebt in mir!" Hier sehen wir gleichsam den
Leviten vor uns, der, vom Tode errettet, nun sich Gott
ganz weihte. Die Person bleibt natürlich dieselbe. Der
in dem Stellvertreter Gestorbene ist auch der, welcher
lebt; aber er lebt jetzt nicht mehr sich selbst, sondern dem
Herrn. Ich bin gestorben als ein Kind Adams ; ich lebe jetzt
als ein Kind Gottes, durch Ihn erlöst, aus Ihm geboren.
Diese Thatsache zeigt uns sowohl unser Vorrecht,
als auch unsre Verantwortlichkeit. Wir dürfen und sollen
unS der Sünde für tot halten, Gott aber lebend in
Christo Jesu, unserm Herrn. Christus ist nicht nur der
Erstgeborne, der gestorben ist, sondern auch der Erstgeborne, welcher lebt. Er ist der Erstgeborne aus den
Toten. Wie gesegnet ist es, an Ihn zu denken in Seinem
Triumphe über alle Seine Feinde! Und in dieser herrlichen Stellung macht Er uns in Gnade mit sich eins.
Denn „Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt
werden, sind alle von einem." Er, der Erstgeborne, hat
uns mit sich aufs Innigste vereinigt. Wir bilden darum
288
aus Gnaden „die Versammlung der Erstgebornen, die in
dem Himmel angeschrieben sind." (Hebr. 12, 23.) Auch
sind wir „eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe." 
(Jak. 1, 18.)
Wenn wir unsre Vereinigung mit Christo betrachten
— o daß wir sie völliger verstehen möchten! — so müssen
wir dankerfüllt anerkennen, daß uns alle unsre Segnungen
aus Gnaden zu teil geworden sind, indem Er, ohne entrinnen und ohne gelöst werden zu können, den Tod geschmeckt hat. So nur konnte „das Wohlgefallen Jehovas
in Seiner Hand glücklich gedeihen," und Sein Wille auch
in bezug auf uns erfüllt werden. Wir sind jetzt gleichsam
mit Christo die Erstgebornen; doch Gottes Ratschluß sichert
Ihm, dem Hochgelobten, auch hierin den ersten Platz,
„auf daß Er in allen Dingen den Vorrang habe." „Denn
welche Er zuvor gekannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein,
damit Er der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern."
(Röm. 8, 29.)
Der Herr gebe uns allen, so viele wir Ihn als
unsern Erlöser kennen, das aufrichtige Begehren, „als
Lebende aus den Toten" jetzt „Dem zu leben, der für
uns gestorben ist und ist auferweckt worden!" Er kommt
bald zurück, und Sein Lohn mit Ihm!
„Gehet zu Joseph!"
Joseph ist eines der schönsten und vollendetsten Vorbilder von dem Herrn Jesu, sowohl in den Tagen Seiner
Erniedrigung, als auch in den Tagen Seiner Herrlichkeit.
Die Zeit ist noch nicht gekommen, wann Gott die Men­
289
schen zwingen wird, Jesu die Ehre zu geben, die Ihm
gebührt. Gott ist sehr geduldig und langmütig, langsam
zum Zorn und groß an Güte, und Seine Langmut ist
Errettung. (S. 2. Petr. 3, 15.) Gott zögert noch in
Seiner Güte, da die Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit für diese Welt ein schonungsloses Gericht bedeutet.
Joseph ging, wie wir in 1. Mose 37 lesen, in der
Einfalt und Liebe seines Herzens aus, um feine Brüder
zu besuchen und nach ihrem Wohlergehen zu fragen. Sie
aber „ersannen gegen ihn den Anschlag, ihn zu töten,"
und verkauften ihn schließlich an vorüberziehende Jsmaeliter
um zwanzig Silberlinge, den Preis des geringsten Sklaven.
Wie lebendig erinnert uns dies an einen Andern, Größeren, der aus Seines Vaters Hause kam, um nach der
Wohlfahrt Seiner Brüder zu sehen, und der genau dieselbe Behandlung erfuhr wie Joseph! „Die Seinigen
nahmen Ihn nicht an;" und schließlich wurde Er um dreißig
Silberlinge verraten, verkauft und aus dieser Welt hinausgeworfen, nicht in eine Grube, wie Joseph, sondern in
ein Grab. Wohl ist es wahr, daß liebende Hände Ihn
von dem Kreuze herabnahmen und Ihn in eine Gruft
legten, in welcher noch nie jemand gelegen hatte. Aber
böse, gottlose Hände hatten Ihn ans Kreuz genagelt,
und die Welt hatte gehofft, Ihn nie wieder zu sehen.
Aber „Gott hat Ihn auferweckt aus den Toten." Der
Mensch schlug und tötete Ihn; Gott weckte Ihn auf.
Er kam in all der Liebe Seines Herzens in diese
Welt; aber der Mensch hatte keine Liebe für Ihn.
Liebst du Ihn, mein Leser? Findet Er, wenn Er in dein
Herz blickt, wahre Zuneigungen und Gefühle der Liebe
für Ihn? Wenn nicht, so hast du kein Recht, jene zu
290
Verurteilen, die Ihn verwarfen in den Tagen Seiner
Erniedrigung.
Joseph kam nach Egypten, in das Haus Potiphars,
und fand infolge seiner Treue und Gottesfurcht einen
Platz im Gefängnis. Doch zu seiner Zeit wurde er auf
Befehl des Pharao aus dem Kerker geholt und über das
ganze Land Egypten gesetzt. „Und der Pharao ließ ihn
fahren auf dem zweiten Wagen, den er hatte, und man
rief vor ihm her: Bücket euch!" (1. Mose 41, 43.) So
hat auch Gott Seinen Geliebten zu Seiner Rechten erhöht
und gebietet heute allen Menschen allenthalben, sich vor
Ihm zu beugen. Die Zeit naht heran, wo jedes Knie
sich beugen muß vor Jesu; aber Gott will, daß wir
jetzt schon unsre Kniee, ja mehr noch, daß wir unser
Herz vor Ihm beugen. Ist es deine Freude, mein Leser,
in Seiner Gegenwart zu erscheinen, Seinen Wert anzuerkennen und Ihn Herr zu nennen?
Der niedrige Platz, den Jesus freiwillig einnahm,
gab Ihm ein moralisches Anrecht auf Erhöhung von feiten
Gottes. Denn wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Und Gott hat Ihn erhöht; Er hat „Ihn hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden
Namen ist." (Phil. 2.) Es giebt keinen Namen im Himmel
und auf Erden, der dem Namen Jesu gleich käme. Gott
hat erklärt, daß alle Ihn als Herrn anerkennen sollen,
die Himmlischen, die Irdischen und Unterirdischen, d. h.
Engel, Menschen und Teufel. Die Teufel haben Ihn nie
als Herrn anerkannt, während Er hienieden war; aber 
der Tag wird kommen, an welchem Gott sie zwingen wird,
„anzuerkennen, daß Er Herr ist, zur Verherrlichung Gottes
des Vaters." Welch ein Vorrecht, Ihn jetzt schon als
291
Herrn anerkennen und vor Ihm die Kniee beugen zu
dürfen!
Ohne Zweifel war es für manchen stolzen egyptischen
Edlen sehr demütigend, sich vor dem hebräischen Knecht 
in den Staub beugen zu müssen. Aber die Zeit der
Hungersnot kam, und weder ihr Stolz noch ihre hohe
Stellung konnten sie von dem nagenden Hunger befreien.
Sie wandten sich in ihrer Not an den Pharao, und dieser
wies sie an . Joseph. „Gehet zu Joseph," lautete seine
Antwort, „was er euch sagt, das thut." Wie manche
hungernde und dürstende Seele schreit auch heute in ihrer
Not und Bedrängnis zu Gott! Wie lautet Seine Antwort? „Gehe zu Jesu!" Gehörst du auch zu der Zahl
dieser Seelen, mein Leser? O dann lausche doch auf die 
Worte Gottes. Gehe zu Jesu! Sagst du: Ich möchte
gern errettet werden, wenn ich nur wüßte, wie ich zu
Jesu kommen sollte? Betrachte dann den weiteren Verlauf der interessanten Geschichte Josephs und siehe, wie
die Egypter zu ihm kamen.
Der Pharao hatte Joseph den Namen „ZaphnathPahneach" gegeben, d. h. Erhalter der Welt oder des
Lebens, oder auch, wie es Andere übersetzen: Offenbarer
der Geheimnisse. — Ist das nicht genau das, was Jesus
ist? Werfen wir einen Blick auf Ihn am Jakobsbrunnen
wo Er mit dem samaritischen Weibe zusammentraf. Zeigt
Er sich dort nicht als der Offenbarer von Geheimnissen, wenn
Er zu ihr sagt: „Fünf Männer hast du gehabt, und den
du jetzt hast, der ist nicht dein Mann?" Der Herr kennt
alle unsre Geheimnisse; vor Ihm sind die geheimsten Gedanken des Herzens offenbar. Er kennt jede Sünde,
auch die in der tiefsten Verborgenheit geschehen ist, von
292
der kein Mensch eine Ahnung hat; und welch ein Glück
ist das für alle, die an Ihn glauben! Er kannte uns
durch und durch, und doch hat Er uns geliebt; Er hat
uns geliebt, so wie wir waren. Und von dieser Liebe getrieben, kam Er herab, um uns zu erretten. Und jetzt?
Alle unsre Sünden hat Er nach Seiner göttlichen Kenntnis getragen, getilgt und vergeben.
Was thut das Weib, als sie erkennt, daß Er alles
weiß, was sie gethan hat? Flieht sie vor Ihm? Nein, sie
bleibt stehen und spricht mit Ihm, und nachdem sich der
Herr ihr, der überführten Sünderin, als der Christus
geoffenbart hat, läßt sie ihren Wasserkrug stehen, läuft in
die Stadt und ruft: „Kommet, sehet einen Menschen, der
mir alles gesagt hat, was irgend ich gethan habe: ist
dieser nicht der Christus?" Anstatt bange vor Ihm geworden zu sein, fordert sie alle auf, zu kommen und Ihn
auch kennen zu lernen; und als sie kommen, da finden sie,
daß Er nicht nur ein Offenbarer der Geheimnisse ist,
sondern auch „der Heiland der Welt" — der wahre Joseph.
Sind alle meine Leser bereits zu diesem Heilande
der Welt gekommen? Vielleicht muß das Gewissen des
Einen oder Andern antworten: Nein, ich bin bis heute
noch nicht in Wahrheit zu Ihm gekommen. Aber laß mich
dann fragen: Warum nicht? Sagst du in deinem Herzen:
Ich weiß nicht, wie Er mich aufnehmen würde, wenn ich
zu Ihm käme? Laß uns dann sehen, wie Joseph seine
Brüder aufnahm, als sie in ihrer Not zu ihm kamen.
„Und Jakob sah, daß Getreide in Egypten war, und
Jakob sprach zu seinen Söhnen: Was sehet ihr einander
an? Und er sprach: Siehe, ich habe gehört, daß Getreide
in Egypten ist; ziehet hinab und kaufet uns von da Ge-
293
treibe, auf daß wir leben und nicht sterben. Und die
zehn Brüder Josephs zogen hinab, Getreide zu kaufen
aus Egypten." (1. Mose 42, 1 — 3.) Sie hatten gehört,
daß in Egypten Getreide zu haben war. Sie hatten vernommen, daß eine Errettung aus ihrer Not möglich war,
und wußten auch, daß ein schrecklicher Hungertod sie ereilen würde, wenn sie diese Errettung nicht erlangten. Sie
fühlten ihr Bedürfnis für einen Erretter, und sie konnten
der Errettung nicht teilhaftig werden, ohne sich an den Erretter zu wenden. Es gab keine Befreiung aus ihrer bedrängten Lage, außer in Egypten bei Joseph; eS gab
keine Möglichkeit, ihren Hunger zu stillen, außer bei ihm,
dem Verachteten, bei ihm, den sie einst gehaßt und in die
Sklaverei verkauft hatten, den aber Gott hoch erhoben 
und befähigt hatte, sie in ihrer Not zu erretten. Alles,
waS sie bedurften, war bei Joseph, aber auch nur bei
Joseph zu finden.^
Ist es nicht genau so mit dem Sünder heute? Giebt
es eine Errettung für ihn, außer in Jesu? Kann Einer
den Hunger der Seele stillen, außer Ihm, der „Ueberfluß
an Brot" hat? Giebt es eine Möglichkeit, dem sichern
Verderben, dem zweiten Tode, zu entrinnen, außer in
Jesu? Nein, da ist kein andrer Weg, kein andrer Name,
in welchem wir errettet werden können, als der Name
Jesu allein! Und mit diesem Jesus, mit diesem Heiland
der Welt, muß der Sünder in lebendige Verbindung
kommen. Es genügt nicht, Seinen Namen zu tragen und
äußerlich mit Ihm in Verbindung zu stehen. Nein, man
muß zu Ihm selbst kommen, um Heil und Frieden zu
erlangen. Und welch ein Glück! Er steht bereit, Er wartet
auf den bußfertigen Sünder; Er sehnt sich darnach, ihn
294
zu erretten. Josephs Brüder waren in großer Not, und
sie kamen zu Joseph; kein andrer Weg bleibt dem Sünder
offen, der seine Not und sein Elend fühlt; er muß dasselbe thun, er muß zu Jesu kommen.
„Und Joseph war der Gebieter über das Land; er
verkaufte das Getreide allem Volke des
Landes. Und die Brüder Josephs kamen und bückten
sich vor ihm, das Antlitz zur Erde." (V. 6.) Sie kommen
und beugen sich nieder vor Joseph; und welch eine gesegnete, köstliche Sache ist es, wenn der Sünder, getrieben
durch seine Not, kommt und sich in den Staub niederbeugt vor Jesu, vor Ihm, der allein dieser Not begegnen
kann!
„Und Joseph sah seine Brüder und erkannte sie;
aber er hielt sich fremd gegen sie und redete hart mit
ihnen und sprach zu ihnen: Woher kommt ihr? Und sie
sprachen: Aus dem Lande Kanaan, um Speise zu kaufen.
Und Joseph erkannte seine Brüder; aber sie erkannten ihn
nicht .... Und Joseph sprach zu ihnen: Das ist es,
was ich zu euch gesagt und gesprochen habe: Kundschafter
seid ihr. Daran sollt ihr geprüft werden: Bei dem Leben
des Pharao! wenn ihr von dannen ziehen werdet, eS sei
denn, daß euer jüngster Bruder hierher komme . . . Und
er setzte sie zusammen in Haft drei Tage." (V. 7 — 17.)
Die Brüder erkannten Joseph nicht, aber er erkannte
sie. Er redete hart mit ihnen. Sie dachten jedenfalls, er
sei ein harter Mann. So geht es auch heute manchem
Sünder. Er hält Jesum für einen harten Mann; denn
Jesus sagt ihm, was er ist. Er sagt ihm, daß er ein
Sünder ist, voll von Feindschaft gegen Gott, daß es gar
nichts Gutes in ihm giebt. Und das liebt der Mensch
295
nicht. Er hat nicht gern, wenn ans Licht gestellt wird,
was in seinem Herzen ist.
Joseph handelt mit seinen Brüdern, wie Gott mit
dem Sünder handelt. Gott muß unser Gewissen erreichen und
«in Gefühl und Bewußtsein in uns erwecken darüber, was
wir sind und gethan haben. Die Handlungsweise Josephs
weckt das Gewissen seiner Brüder auf; denn sie sagen:
„Fürwahr, wir sind schuldig wegen unsers Bruders, dessen
Seelenangst wir sahen, als er Zu uns flehte, und wir
hörten nicht; darum kommt diese Drangsal über uns."
(V. 21.)
Es ist eine wunderbare Sache, wenn eine Seele dahin gebracht wird, sich selbst als einen schuldigen, verdammungswürdigen Sünder vor Gott anzuerkennen. Gott
muß Wirklichkeit haben. Hast du, mein Leser, dich schon
einmal so im Lichte der Gegenwart Gottes gesehen? Ist
dein Gewissen wirklich einmal erwacht, und hast du ausrufen müssen: Ich bin schuldig; ich bin unpassend für die
heilige Nähe Gottes; ich habe die ewige Verdammnis verdient? Wenn nicht, so hast du auch noch nicht die erbarmende Gnade Gottes und die reinigende Kraft des
Blutes Christi an deinem Herzen erfahren.
„Und Joseph wandte sich ab von ihnen und weinte."
— So weinte auch Jahrhunderte später ein Größerer als
Joseph bei dem Anblick Jerusalems, dieser bösen Stadt,
voller Räuber und Mörder; und nicht nur das, Er vergoß auch Sein kostbares Blut für Seine Feinde, getrieben von der unvergleichlichen Liebe Seines Herzens. Joseph
mußte hart mit Seinen Brüdern reden um ihretwillen;
aber sein Herz war voll erbarmender Liebe. Jahre waren
dahingerollt, und die Brüder Josephs mochten denken,
296
ihre Missethat sei vergessen; aber sie mußten erfahren,
daß Gott sie nicht vergessen hatte, daß ihre Missethat sie
fand. Wie ernst redet das zu unsern Herzen!
„Und Joseph gebot, daß man ihre Säcke mit Getreide fülle und ihr Geld zurücklege, einem jeden in seinen
Sack." (V. 25.) Was können wir hieraus lernen? Was
bedeutet das Geld im Sack? Ich glaube, als Vorbild
will es uns sagen, daß ein Mensch seine Errettung nicht
erkaufen kann. Er ist zu arm, um sie zu kaufen, und
Gott ist zu reich, um sie zu verkaufen. Die Errettung
muß eine freie Gabe Gottes sein. Wer sie nicht als
solche annehmen will, empfängt sie überhaupt nicht. „Denn
kostbar ist die Erlösung ihrer Seele, und er muß davon
abstehen auf ewig." (Ps. 49, 8.)
Die Brüder Josephs kommen nach Kanaan zurück
und erzählen ihrem Vater alles, was Joseph gesagt hatte.
Aber Jakob weigert sich, Benjamin mit ihnen ziehen zu
lassen, indem er sagt: „Mein Sohn soll nicht mit euch
hinabziehen; denn sein Bruder ist tot, und er ist allein
übriggeblieben, und begegnete ihm ein Unfall auf dem Wege,
auf dem ihr ziehet, so würdet ihr meine grauen Haare
mit Herzeleid hinabbringen in den Scheol." (V. 38.)
Doch die Hungersnot nahm zu; die Not wuchs, und
sie mußten Nahrung haben oder sterben. Juda bot sich
an, Bürge für seinen Bruder zu werden, und Jakob ließ
sich endlich überreden, Benjamin mit ihnen zu senden.
Doch er sagte: „Thut dieses: Nehmet von dem Gepriesenen
des Landes in eure Gefäße und bringet dem Manne em 
Geschenk hinab: ein wenig Balsam und ein wenig Honig ...
Und nehmet doppeltes Geld in eure Hand, und das Geld,
das euch oben in euern Säcken wieder geworden ist, bringet
297
zurück in eurer Hand; vielleicht ist es ein Irrtum. Und
nehmet euern Bruder und machet euch auf, ziehet wieder
zu dem Manne. Und Gott, der Allmächtige, gebe euch
Barmherzigkeit vor dem Manne, daß er euch entlasse,
euern andern Bruder und Benjamin." (Kap. 43, 11 — 14.)
Das ist der Weg des Menschen, aus welchem er Errettung zu erlangen hofft. Viele denken, daß sie Gott
auf irgend eine Weise versöhnen und geneigt machen
müssen, sie zu erretten. Sie wollen gute Werke thun,
fleißig daS Wort Gottes lesen, das Böse meiden, Almosen
geben, und was dieser Dinge mehr sind. Aber das wird
und kann nimmermehr genügen, niemals zum Ziele führen.
Die Errettung ist nicht durch Geld zu erkaufen, und Gott
bedarf keiner Besänftigung. Er verlangt darnach,
gnädig zu sein, dem bußfertigen Sünder in erbarmender
Liebe zu begegnen, so wie der Vater nach dem verlornen
Sohne ausschaute und ihn schon erblickte, als er noch
ferne war. Gott wartet auf den Augenblick, da Er
offenbaren kann, was in Seinem Herzen ist. Und was ist
in Seinem Herzen? Liebe und nichts als Liebe.
Die Brüder Josephs kamen also zum zweiten Male
nach Egypten, und als Joseph Benjamin sah, gab er
Befehl, die Männer in sein Haus zu führen. „Und die
Männer fürchteten sich, daß sie in das Haus Josephs geführt wurden." So ist es stets. Wenn der Sünder zu 
dem Bewußtsein erwacht, daß er schuldig ist, so fürchtet
er die Gegenwart Gottes. Aber Joseph sprach tröstlich
zu ihnen, um ihre Herzen zu gewinnen, und sie setzten sich
mit ihm zu Tische. „Und sie saßen vor ihm, der Erstgeborne nach seiner Erstgeburt, und der Jüngste nach seiner
Jugend; und die Männer verwunderten sich einer gegen
298
den andern. Und er ließ Gerichte tragen von sich zu
ihnen, und das Gericht Benjamins war größer, als die
Gerichte von ihnen allen, fünfmal. Und sie tranken und
tranken sich fröhlich mit ihm." (V. 33. 34.)
Im nächsten Kapitel hören wir dann, daß Joseph befiehlt, die Säcke seiner Brüder mit Getreide zu füllen, ihnen
allen ihr Geld wiederzugeben und seinen silbernen Becher
in Benjamins Sack zu legen. Der Augenblick war gekommen, daß sie ihre Sünden bekennen sollten. Juda
'sagte: „Was sollen wir meinem Herrn sagen? was sollen
wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die
Missethat deiner Knechte gefunden." DaS ist
cher Punkt, wohin Gott uns bringen will, wohin Er uns
bringen muß. Gott kann nicht befriedigt sein, wenn unser
Gewissen uns sagt, daß wir gesündigt haben, wenn wir
für uns selbst erkennen, was unser Zustand ist, sondern
Er will, daß wir anerkennen und bekennen, was
wir sind und gethan haben. „Ich that dir kund meine
Sünde und habe meine Ungerechtigkeit nicht zugedeckt. Ich
sagte: Ich will Jehova bekennen meine Uebertretungen; und
Du, Du hast vergeben die Ungerechtigkeit meiner Sünde."
(Ps. 32, 5.) So sprach einst David, und so muß jede
Seele heute reden, die wirklich Gott nahen will.
Im 45. Kapitel erreichen wir den Höhepunkt unsrer
wunderbaren Erzählung: Joseph giebt sich seinen Brüdern
zu erkennen. „Ich bin Joseph!" Derselbe Joseph, den sie
in die Sklaverei verkauft hatten, stand vor ihnen als der
mächtige Herrscher über das ganze Land; aber er begegnete
ihnen in all der Gnade seines Herzens. Er ließ jedermann
von sich hinausgehen, und die Schuldigen waren jetzt allein
mit ihrem Erretter. Welch ein liebliches Gemälde gött­
299
licher Gnade entrollt sich jetzt vor unsern Blicken I „Und
Joseph sprach zu seinen Brüdern: Tretet doch her zu
mir! Und sie traten hinzu: Und er sprach: Ich bin
Joseph, euer Bruder, den ihr nach Egypten verkauft habt."
(V. 4.)
Sobald das Werk der Ueberzeugung in dem Gewissen
gethan ist, kann der Herr dem Sünder nahen und sich
ihm in Seiner überströmenden Gnade offenbaren. Aber
nie kommt Er, nie offenbart Er sich eher, als bis der Sünder
seinen wahren Platz eingenommen hat, bis eine aufrichtige
Betrübnis über seine Sünden bei ihm vorhanden ist. Aber
dann ist Er auch völlig bereit, mit Seiner freundlichen
Stimme das bange, verzagte Herz zu trösten, das erwachte
Gewissen zu beruhigen und dem zitternden Sünder Sein
„Friede dir! Fürchte dich nicht!" zuzurufen.
„Und nun betrübet euch nicht, und es entbrenne nicht
in euern Augen, daß ihr mich hierher verkauft habt; denn
zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt." Ihr seid schuldig, sagt Joseph gleichsam, ihr
habt gesündigt; aber Gott hat Seine gnädigen Absichten dabei gehabt. So ist auch der Mensch schuldig, den Heiland
ans Kreuz geschlagen zu haben; aber Gott hatte Seine
eignen Gedanken, Seine Ratschlüsse der Liebe dabei. Der
Mensch sündigte, aber indem er es that, führte er die 
Ratschlüsse Gottes aus. „Männer von Israel, höret diese
Worte! Jesum, den Nazaräer, . . . übergeben nach dem
bestimmten Ratschluß und Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand der Gesetzlosen angeheftet
und umgebracht." (Apstgsch. 2, 22. 23.) Gerade die 
Verwerfung Christi und Sein Tod auf dem Kreuze wurden
die Grundlage der großen Befreiung, welche Christus für
300
den Sünder vollbracht hat. Das Heil und die Errettung
des Sünders sind die Frucht der Leiden des Heilandes
an dem Kreuze, an welches der Mensch Ihn geschlagen
hatte. Wie wunderbar sind die Wege und Ratschlüsse
Gottes!
Doch nach all dieser Entfaltung der Liebe Josephs,
und nachdem er siebenzehn Jahre lang für seine Brüder
gesorgt, ihnen das Beste von allem gegeben und ihren
Haß nur mit Liebe vergolten hatte, kannten diese dennoch
nicht völlig das Herz ihres Bruders, wie uns dies das
letzte Kapitel des 1. Buches Mose zeigt. Wir lesen dort:
„Und als die Brüder Josephs sahen, daß ihr Vater gestorben war, da sprachen sie: Wenn nun Joseph uns anfeindete! so wird er uns gewißlich vergelten all das Böse,
das wir ihm angethan haben. Und sie entboten dem
Joseph und sprachen: Dein Vater hat vor seinem Tode
befohlen und gesagt: So sollt ihr sprechen zu Joseph:
O, vergieb doch die Uebertretung deiner Brüder und ihre
Sünde! denn sie haben dir Böses angethan. Und nun
vergieb doch die Uebertretung der Knechte des Gottes deines
Vaters! Und Joseph weinte, als sie zu ihm redeten." (V. 15-17.)
Wie sehr gleicht das so manchen stets zweifelnden,
stets beunruhigten Gläubigen! Obwohl sie sagen, daß sie
an Jesum glauben, haben sie doch keinen Frieden. Sie
sind voll von Befürchtungen aller Art. Sie haben nicht
die volle, unumstößliche Gewißheit, daß Er sie angenommen und ihnen alles vergeben hat; sie kennen Sein Herz
nicht; sie sind Ihm nie so nahe gekommen, daß sie in
Seiner Gegenwart erkannt haben, wie völlig alles in Ordnung gebracht ist. ES ist, wie mau zu sagen pflegt,
301
nicht alles auf dem Reinen zwischen ihnen und Christo.
O, möchte doch keiner der christlichen Leser dieser Zeilen
jenen Gläubigen gleichen! Möchte keiner von uns irgend
einen Rückhalt haben in seinem Herzen, keiner das liebende
Herz unsers gepriesenen Herrn und Heilandes durch irgend
einen Mangel an Vertrauen verwunden! Was muß Er
fühlen, wenn Er nach allem, was Er an uns gethan,
nach all der Freundlichkeit und Liebe, die Er uns erwiesen hat, noch einen Mangel an Vertrauen bei uns
entdeckt! Und was muß es für Ihn sein, wenn Gläubige
einen solchen Zustand steter Zweifel und Befürchtungen
sogar als den allein richtigen Zustand eines Christen
bezeichnen!
„Da sprach Joseph zu ihnen: Fürchtet euch nicht!"
Siehe da die Art und Weise, wie auch der Herr Jesus
das Herz so gern tröstet. Um das Vertrauen unsrer
Herzen zu gewinnen, ruft Er auch uns zu, wie einst
Seinen erschreckten und zagenden Jüngern ans dem sturmbewegten See: „Seid gutes Mutes, ich bin's; fürchtet
euch nicht!" oder wie der weinenden Sünderin zu Seinen
Füßen: „Gehe hin in Frieden!"
Und noch einmal wiederholt Joseph: „Und nun,
fürchtet euch nicht! ich will euch versorgen und eure Kindlein. — Und er tröstete sie und redete zu ihren Herzen."
— Sagt nicht der Herr dasselbe auch zu uns: „Fürchtet
euch nicht! Ich sorge für euch? Ich bin bei euch alle
Tage?" Er hat uns nicht nur errettet und rein gewaschen
durch Sein Blut, sondern Er nährt und pflegt uns auch
alle Tage. Er lagert uns auf grüner Au und führt uns
zu stillen Wassern. Er sorgt für einen jeden der Seinigen
Tag für Tag, auf dem ganzen Wege bis zum Ende hin.
302
Könnte Seine Liebe sich je verändern? Könnte Er in
Seiner Fürsorge und Hirtentrene je ermüden? Könnte
uns etwas von Seiner Liebe scheiden, aus Seiner Hand
rauben? „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute
und in Ewigkeit." Darum, mein Leser, laß uns Ihm
vertrauen und nie wieder Sein Herz durch den geringsten
Zweifel, durch das leiseste Mißtrauen verwunden!
Seiner Hand entreißt mich nichts!
Wer will diesen Trost mir rauben?
Mein Erbarmer selbst verspricht's,
Sollt' ich Seinem Wort nicht glauben?
Jesus läßt mich ewig nicht,
Das ist meine Zuversicht.

„Habet Glauben an Gott!"
Wie geneigt sind wir in Zeiten äußeren Drucks und
äußerer Not, unser Auge von dem Herrn abzuwenden und
auf irdische Hülfsquellen zu richten! Unsre Herzen sind
voll von Vertrauen auf das Geschöpf, voll menschlicher
Hoffnungen und irdischer Erwartungen. Wir kennen verhältnismäßig wenig davon, wie gesegnet es ist, einfältig
auf Gott zu schauen. Wir sind bereit, überallhin zu blicken,
nur nicht auf Ihn. Wir laufen zu jedem durchlöcherten
Brunnen und stützen uns auf jeden zerbrochenen Stab,
trotzdem wir eine unerschöpfliche Quelle und den Felsen
der Zeitalter stets in unsrer Nähe haben. Und doch haben
wir zu unzähligen Malen erfahren, daß irdische Quellen
versiegen und menschliche Hoffnungen trügen, daß der
Beste keine untrügliche Stütze und der Reichste keine wahre
Hülfsquelle bietet. Enttäuschung über Enttäuschung war
303
unser sicheres Teil, so oft wir auf einen Menschen unser
Vertrauen setzten. Wie wäre es anders möglich? „Lasset
nun ab von dem Menschen, dessen Odem in seiner Nase
ist! denn worin ist er zu achten?" (Jes. 2, 22.) Und
wiederum: „Verflucht ist der Mann, der auf einen Menschen vertraut und Fleisch macht zu seinem Arm, und
dessen Herz von Jehova weicht! Und er wird sein wie ein
Strauch in der Wüste, und nicht sehen, wenn daS Gute
kommt; und an dürren Plätzen wird er wohnen in der
Wüste, in einem salzigen und unbewohnten Lande."
<Jer. 17, 5. 6.)
Das ist das traurige Resultat, wenn wir unser Vertrauen auf den Menschen setzen: Dürre, Verwüstung, Enttäuschung. Wir gleichen dann einem verdorrenden Strauche
in der Wüste. Keine erfrischenden Regenschauer, kein Tau
vom Himmel benetzen ihn; er sieht nicht, wenn das Gute
kommt; nichts als Dürre und Trockenheit ist um ihn her.
Wie könnte es anders sein? Wenn das Herz sich von
dem Herrn, der einzigen Quelle des Segens, abwendet,
so kann es nur Enttäuschung und Dürre finden. Es liegt
nicht in dem Bereiche und der Macht der Kreatur, das
Herz zu befriedigen. Das vermag Gott allein. Er kann
jedem unsrer Bedürfnisse begegnen, alle unsre Wünsche
befriedigen. Er läßt nie ein Herz, das Ihm vertraut, zu
Schanden werden.
Aber das Vertrauen muß auch ein wahres und aufrichtiges sein. „Was nützt es, meine Brüder," dürfen wir
wohl mit Jakobus sagen, „wenn jemand sagt," er vertraue Gott, wenn es nicht wirklich der Fall ist? wenn
fein ganzes Verhalten beweist, daß er kein Vertrauen auf
-Gott besitzt? Ein vorgeblicher, eingebildeter Glaube genügt
304
nicht. Es genügt nicht, in Worten und mit der Zunge
zu vertrauen. Nein, es muß ein Vertrauen in That und
Wahrheit sein. Von welchem Nutzen und Wert ist ein 
Glaube, der mit dem einen Auge auf den Schöpfer, mit
dem andern auf das Geschöpf blickt? Kann Gott mit
dem Geschöpf auf ein und demselben Boden stehen? Unmöglich. Entweder muß es Gott sein, oder — was? Das
Geschöpf und der Fluch, der stets dem Vertrauen auf
ein Geschöpf folgt.
Beachten wir den Gegensatz: „Gesegnet ist der Mann,
der auf Jehova vertraut, und deß Vertrauen Jehova ist!
Denn er wird sein wie ein Baum, der gepflanzt ist am
Wasser und am Strome seine Wurzeln ausstreckt und es
nicht merkt, wenn eine Hitze kommt. Und sein Laub ist
grün, und in einem Jahre der Dürre sorgt er nicht und
hört nicht auf, Frucht zu tragen."
Wie schön! Wie gesegnet! Wer möchte nicht sein
Vertrauen auf einen solchen Gott setzen? Welch eine Freude
ist es, ganz und gar auf Gott geworfen zu sein, Ihn
allein vor dem Auge der Seele zu haben, alle unsre
Quellen in Ihm zu finden und fähig zu sein, mit dem
Psalmisten auszurufen: „Nur auf Gott vertraue still
meine Seele, von Ihm kommt meine Erwartung. Nur
Er ist mein Fels und meine Rettung, meine hohe Feste;
ich werde nicht wanken!" (Ps. 62, 5. 6.)
Beachten wir das Wörtchen „nur". Es ist sehr erforschend. Es genügt nicht, zu sagen, daß wir auf Gott
vertrauen, während unser Auge begehrliche Blicke auf das
Geschöpf wirft. Es ist sehr zu fürchten, daß wir oft von
einem Ausschauen nach dem Herrn und Seiner Hülfe
reden, während wir in Wirklichkeit von einem unsrer Mit­
305
Menschen Hülfe erwarten. „Arglistig ist das Herz, mehr
denn alles, und heillos ist's; wer kennt es? Ich, Jehova,
ergründe das Herz und prüfe die Nieren, und zwar um
einem jeglichen zu geben nach seinen Wegen, nach der
Frucht seiner Werke." (Jer. 17, 9. 10.)
Wie notwendig ist es daher, die tiefsten Beweggründe
des Herzens in dem untrüglichen Lichte der Gegenwart
Gottes zu prüfen! Wir sind nur zu geneigt, durch gewisse
schöne Worte, die wir im Munde führen, uns selbst zu
täuschen. Die Sprache des Glaubens ist auf unsern Lippen,
während das Herz voll Vertrauen auf Menschen ist.
Von welchem Wert sind dann jene Worte, so schön
sie lauten mögen? Sie haben keine Kraft, keinen Wert,
ja, sie sind eine Lüge in unserm Munde. Wir reden
zu Andern von unserm Glauben und Vertrauen auf
Gott, damit sie uns aus unsern Schwierigkeiten heraushelfen mögen.
Laßt uns aufrichtig sein, geliebte Brüder! Laßt uns
wandeln in dem Hellen Lichte der göttlichen Gegenwart,
wo alles so gesehen wird, wie es wirklich ist! Möchten
wir nicht Gott Seine Verherrlichung und unsern Seelen
unermeßliche Segnungen rauben dadurch, daß wir bekennen,
auf Ihn zu vertrauen, während das Herz im Geheimen
nach irdischen, menschlichen Hülfsquellen ausschaut! Möchten
wir nicht der Freude, des Friedens, des Segens, der
Kraft und Beständigkeit verlustig gehen, welche der Glaube
stets in dem lebendigen Gott und in dem lebendigen
Worte Gottes findet! Ja, möchten wir „Glauben haben
an Gott!"
306
Giebt es einen Gnadenstuhl für den
Gläubigen?
Man begegnet unter den Gläubigen nicht selten dem
Gedanken, als ob der Gnadenstuhl die Zufluchtsstädte der
Kinder Gottes inmitten ihrer Prüfungen und Schwierigkeiten bilde. Aber ist dieser Gedanke richtig und der
Schrift entsprechend? Nur zweimal, so viel wir wissen,
kommt jener Ausdruck im Neuen Testament vor, nämlich
in Römer 3, 25 und in Hebräer 9, 5. In der letzten
Stelle wird der Gnadenstuhl (od. Versöhnungsdeckel) jedoch nur als ein Teil der heiligen Ausrüstung des Allerheiligsten erwähnt, weshalb nur die erste der beiden
Stellen hier in Betracht kommen kann. Werfen wir daher
einen Blick auf die Worte des Apostels in Römer 3.
Der Zusammenhang zeigt uns sofort, daß es sich hier
nicht um den Gläubigen, sondern um den Sünder handelt.
„Alle haben gesündigt," sagt der Apostel, „und erreichen
nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in
Christo Jesu ist; welchen Gott dargestellt hat zu einem
Gnaden st uhl durch den Glauben an Sein
Blut, zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit wegen des
Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der
Nachsicht Gottes; zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in
der jetzigen Zeit, daß Er gerecht sei und den rechtfertige,
der des Glaubens an Jesum ist." Das will sagen:
Nachdem alle gesündigt haben und hoffnungslos verloren
sind — der Apostel hat vorher bewiesen, daß aus Gesetzes Werken kein Fleisch vor Gott gerechtfertigt werden
kann — rechtfertigt Gott den Sünder jetzt umsonst und
307
freiwillig auf Grund des vollbrachten Werkes Christi. Sowie es im Alten Bunde einen Gnadenstuhl im Heiligtum
gab, auf welchem Sühnung gethan wurde für die Sünde
des Volkes, so ist jetzt Christus von Gott gleichsam als
Gnadenstuhl vor den Sünder hingestellt; er ist nicht mehr
verborgen hinter dem Vorhang, sondern der Zugang ist
einem jeden Sünder frei geöffnet. Das Blut der Versöhnung ist auf dem Gnadenstuhl vor dem Angesicht
Gottes; und wenn jetzt ein Sünder im Glauben naht,
indem er dem Zeugnisse Gottes über die Wirksamkeit des
Blutes Christi Vertrauen schenkt, so ist Gott nur gerecht,
wenn Er ihn rechtfertigt. ES ist hier also ohne Zweifel
der Sünder, welcher dem Gnadenstuhl naht, und der,
wenn er so naht, zur Verherrlichung der überströmenden
Gnade Gottes die Entdeckung macht, daß durch den Wert
des Blutes, welches dort gleichsam vor den Augen Gottes
gesprengt ist, alle seine Sünden für immer hinweggethan
sind. Und wir erinnern den Leser daran, daß dies die
einzige Stelle ist, welche von dem Gnadenstuhl als einem
Orte des Hinzunahens redet.
Indes möchte eingewandt werden: Das Gesagte ist
völlig wahr; aber es ist doch auch eine Thatsache, daß
Aaron jedes Jahr an dem großen Versöhnungstage
in das Allerheiligste hineinging, um Sühnung zu thun.
Rechtfertigt das nicht unsern Gebrauch jenes Ausdrucks?
— Nein, gewiß nicht; denn warum mußte Aaron immer
wieder vor dem Gnadenstuhl erscheinen und immer von
neuem das Blut sprengen? Weil es, wie uns Hebräer 10
belehrt, unmöglich war, daß Stier- und Bocksblut Sünden hinwegnehmen konnten. Insoweit also Christus „durch
ein Opfer auf immerdar vollkommen gemacht hat, die ge-
308
heiligt werden," ist das Bedürfnis nach einem Gnadenstuhl nicht mehr vorhanden. Der Gnadenstuhl ist für den
Sünder. Was aber bleibt für den Gläubigen? Der
Thron der Gnade! Zu diesem sollen wir allezeit
nahen mit Gebet und Flehen und Danksagung. „Lasset
uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Throne der
Gnade, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade
finden zur rechtzeitigen Hülfe." (Hebr. 5, 16.)
Lobet den Herrn!
„Lobet Jehova! denn es ist gut; besinget unsern Gott,
denn es ist lieblich; es geziemt sich Lobgesang." (Ps. 147,1.)
Es war von jeher das Begehren Gottes, eine ununterbrochene Anbetung von feiten Seiner Erlösten zu
empfangen; und wahrlich, für solche, die aus dem tiefsten
Verderben errettet sind, geziemt sich ein unaufhörliches Lob.
Schon im Alten Bunde lesen wir in Verbindung mit dem
Dienste Gottes von Sängern, die „Tag und Nacht in
ihrem Werke beschäftigt waren." Und als der Herr segnend
von Seinen Jüngern schied, da „huldigten sie Ihm und
kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und sie
waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend."
Im Himmel finden wir die vier lebendigen Wesen, die
Tag und Nacht nicht aufhören, Gott zu preisen. Und wenn
dereinst alle die Erlösten um den Thron des Lammes versammelt stehen werden, so wird ihr Mund nicht ermüden,
das Lob des Lammes zu singen und Gott anzubeten. Der
Psalmist sagt: „Loben will ich Jehova mein Leben lang,
ich will Psalmen singen meinem Gott, so lange ich bin."
— Ist das auch die Sprache unsrer Herzen?
Hat Gott die Emen zur Verdammnis, und
die Andern zur Herrlichkeit bestimmt?
(Röm. 9, 6—23.)
ES ist keine ungewöhnliche List des Feindes, den
Buchstaben des Wortes Gottes zu nehmen und sich desselben zu bedienen, um seinen Lügen gegen Gott Glauben
zu verschaffen. Selbst vor dem Herrn Jesu führte er
Schriftstellen an, um Ihn zu versuchen, aus Seiner Abhängigkeit von Gott herauszutreten; darf man sich daher
wundern, wenn er auch Teile des Wortes ganz verdreht,
um die Menschen zum Mißtrauen gegen Gott zu verleiten?
Indem er dadurch ihre sträfliche Gleichgültigkeit der geoffenbarten Liebe Gottes gegenüber entschuldigt und ihnen
ihre Verantwortlichkeit verbirgt, hindert er sie, die wandelbare Gnade anzunehmen, welche, mittelst des Glaubens,
allen Menschen Heil bringt.
Der oben angeführte Schriftabschnitt, Röm. 9, 6—23,
ist eine von jenen Stellen, welche der Feind zu seinem
Vorteil und zum Schaden der Seelen ausbeutet.
In den Kapiteln 9 bis 11 dieser Epistel an die
Römer tritt der Apostel den Einwürfen entgegen, welche
die Juden gegen die Lehre von der freien Gnade, die 
sowohl den Heiden als den Juden gemeinsam ist, vorbrachten. Es mußte ihnen scheinen, als ob diese Lehre
310
gegen die besondern Verheißungen verstoße, die Gott dem
Abraham bedingungslos gegeben hatte. Um ihre Einwürfe
zu widerlegen, beweist ihnen nun der Apostel aus der
Schrift, die sie ja in Händen hatten, daß der Plan Gottes
mit Abraham, Isaak und Jakob auf Sein Wort gegründet
war, auf Seine Verheißung, Seine Erwählung und endlich
auf Seine Oberhoheit, — eine Oberhoheit, die Er in
Erbarmen erwies zu einer Zeit, als Er sie gerechter Weise 
im Gericht hätte geltend machen können. Es ist nötig,
hieran zu erinnern, um die zunächstliegende Bedeutung der
Schriftstelle, welche wir untersuchen wollen, anzugeben.
Wer diese nicht erkennt und in der Bibel nur eine Frage
behandelt sieht, nämlich diejenige unsers ewigen Heils, wird
die Worte dieses 9. Kapitels auf sich anwenden und etwa
folgenden Schluß machen: Gott steht über allem und hat den
Einen zum ewigen Verderben, den Andern zur ewigen
Seligkeit bestimmt; und weil nun alles von der Erwählung
abhängt, so gelangt man, wenn man auserwählt ist, unfehlbar zur Errettung, während andernfalls Gottes Beschlüsse und Seine Oberhoheit alle unsre Wünsche und alle
unsre Anstrengungen eitel und unnütz machen.
Andern Seelen, die in ihrem Gewissen beunruhigt
sind und sich zum Herrn hingezogen fühlen, (was ja schon
Gottes Werk in ihnen ist) flüstert der Feind zu: „Wenn
du nicht auserwählt bist, so ist es ganz und gar nutzlos,
zu beten und Frieden zu suchen!"
Um seinen Weg durch alle diese Meinungen hindurch
zu finden, ist es daher nötig, Gottes Gedanken in Seinem
teuren Worte aufzusuchen; denn dieses widerspricht sich
nie, sondern rechtfertigt sich und legt sich durch sich selbst aus.
DaS Wort Gottes redet allerdings von einer Er-
311
wühlung und Zuvorbestimmung. Die ersten Verse der
Epistel an die Epheser und die Verse 28 — 30 des 8. Kapitels an die Römer sind in bezug auf diesen Punkt klar
und bestimmt; ebenso der 23. Vers unsers Kapitels, welcher
sagt, daß Gott den Reichtum Seiner Herrlichkeit an den
Gefäßen der Begnadigung, die Er zur Herrlichkeit zuvorbereitet habe, kund thue.
Die wichtige Frage ist nun zunächst die: An wen
richtet sich das Wort GotteS, wenn es von der Erwählung
redet? Wem offenbart Gott dieses Geheimnis? Einzig
und allein den Gläubigen. Der Brief an die
Epheser war nicht an alle Einwohner von Ephesus gerichtet, sondern nur an „die Heiligen und Treuen in Christo
Jesu, die in Ephesus sind." (Kap. 1, 1.) Es waren
Gläubige. Im 13. Verse heißt es von ihnen: „Nachdem
ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium
euers Heils, seid ihr auch, nachdem ihr geglaubt
habt, versiegelt worden mit dem Heiligen Geiste der
Verheißung." Ebenso war der Brief an die Römer nicht
an alle Bewohner Roms gerichtet, sondern an „die Geliebten Gottes, die in Rom sind," zu denen der Apostel
sagen konnte: „euer Glaube wird in der ganzen Welt
verkündigt." (Kap. 1, 7. 8.) Es waren also ebenfalls
Gläubige, an welche die Verse 28 — 30 des 8. Kapitels gerichtet sind, und denen der Apostel die Erbarmungen Gottes
hinsichtlich Israels und hinsichtlich aller Menschen in den
Kapiteln 9 — 11 seines Briefes darlegt.
Die Wahrheit von der Auserwählung ist somit nur
für die Gläubigen bestimmt; sie ist gleichsam ein Familiengeheimnis und nicht eine öffentliche Frage. Ein Mensch
kann nicht eher wissen, ob er auserwählt ist, bis er an
312
den Herrn Jesum als seinen Heiland geglaubt hat. Auf
diesem Wege hatten die Gläubigen von Ephesus und
Rom ihre Auserwählung kennen gelernt. Jede Seele steht
unter der Verantwortlichkeit, das Evangelium anzunehmen,
welches allen ohne Ausnahme, mittelst des Glaubens,
das Heil anbietet; so daß niemand die Wahrheit der
Auserwählung als die Ursache vorschützen kann, daß er
nicht glaubt. Einer solchen Person möchten wir noch
dieses sagen: Um behaupten zu können, daß du nicht
auserwählt bist, müßtest du dich als ein armer, verlorener Sünder in die Arme des Herrn Jesu geworfen
haben und zurückgewiesen worden sein. — Ist das der Fall
bei dir?
Wer nicht den Eingebungen und Meinungen seiner
Vernunft folgt, sondern die Heilige Schrift achtet und
wertschätzt, wird finden, daß das Wort Gottes auch von
einer Erwählung n ach Seiner Regierung redet, d. h.
von einer Auswahl, die nichts mit der ewigen Errettung
zu thun hat, sondern mit einer Stellung, die in Verbindung steht mit dieser Erde. Und gerade das ist es,
was uns Römer 9 zeigen will. Der Apostel bezeugt die
drei großen Grundlagen des Ratschlusses Gottes: Sein
Wort, die Verheißung und die Erwählung. Auch ergreift
er das Wort für die Oberhoheitsrechte Gottes und für
Seine Treue und Sein Erbarmen. Gott ist treu in allen
diesen Dingen; anders würde sich das Volk Israel wegen
seines vielfachen Ungehorsams von allen seinen Erbrechten
an die Verheißungen ausgeschlossen finden.
Gott ist, und Er hat gesprochen; und Sein Wort
ist nicht wirkungslos gewesen. Für Ihn ist das gesprochene
Wort und das erfüllte Wort, das Geredete und das Ge­
313
schehene, eins und dasselbe. Nun hatte Gott Abraham
erklärt, daß in Isaak, dem nach der Verheißung
Geborenen, und nicht in Ismael, dem nach dem
Fleische Geborenen, sich feine wahre Nachkommenschaft finden sollte.
Darauf führt der Apostel anläßlich der Söhne Isaaks
den Grundsatz der Erwählung an. Sie waren Zwillinge
und hatten, im Gegensatz zu Isaak und Ismael, den
gleichen Vater und die gleiche Mutter. Aber noch vor
der Geburt der Kinder, „ehe sie noch etwas Gutes oder
Böses gethan hatten," also auf Grund der Erwählung
und Berufung, erklärte Gott ihrer Mutter: „Der Größere
wird dem Kleineren dienen." Demnach hat Gott also
den Jakob vor seiner Geburt erwählt? Ja. Und Er hat
Esau vor seiner Geburt beiseite gesetzt? Ja. Gott hat
Jakob erwählt, daß er seinem Vater in der Reihe der
Erzväter folge, wie dies der oft wiederkehrende Ausdruck:
„Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" beweist.
Gott hat Esau beiseite gesetzt, indem Er im Voraus urteilte, daß er unwürdig sei, in die Reihe der Erzväter
eingefügt zu werden, obwohl er älter war als Jakob.
War Gott ungerecht, indem Er diese bestimmte Auswahl
traf, noch ehe die beiden Männer etwas Gutes oder
Böses gethan hatten? Nein; ihre Geschichte hat bewiesen,
daß Gott zuvor wußte, was ein jeder von beiden sein
würde. Jakob war, menschlich gesprochen, nicht besser als
sein Bruder; aber es gab etwas in ihm, das Wert hatte
vor Gott, und das war seine Hochschätzung des väterlichen Segens. Es fehlte ihm an Glauben, und auf den
Antrieb der Mutter wendete er menschliche Mittel an,
um diesen Segen zu erlangen, der ihm nach göttlichem
314
Beschluß gehörte. Aber er zeigte, daß er es für unendlich wertvoll hielt, den Segen zu besitzen und der Sohn
Abrahams in der Geschlechtslinie der Verheißung zu sein.
Esau hingegen verachtete eine solche Gunst; er hielt sie
für eine wertlose Sache. Er tauschte seine Würde als
Erbe Abrahams gegen ein Linsengericht ein; und hierin
erwies er sich als ein „Ungöttlicher", wie Gottes Wort
uns in Hebr. 12 sagt.
So kannte Gott in Seiner Allwissenheit im Voraus
den Charakter dieser beiden Männer, und alles das, was
sie unterscheiden würde, war Ihm bekannt. Und indem
Er dies alles wußte, hat Er Jakob erwählt und Esau
beiseite gesetzt. Wir haben das eine Erwählung nach
der Regierung Gottes genannt; sie bezog sich in
obigem Falle auf die, Reihenfolge der Erzväter, und es
handelte sich weder um eine Zuvorbestimmung Jakobs
zur Herrlichkeit, noch um eine Zuvorbestimmung Esaus
zum ewigen Verderben. — Man wird jedoch einwenden:
Sagt aber nicht der Schluß der Stelle ausdrücklich, daß
„Gott den Jakob geliebt, den Esau aber gehaßt" hat?
Allerdings, das steht geschrieben; nur müssen wir nachsehen, wann Gott dies erklärt hat. Hat Gott etwa vor
der Geburt der beiden Männer diesen Ausspruch gethan?
Nein, nicht damals, als sie weder Gutes, noch Böses gethan hatten, sondern mindestens 12 Jahrhunderte nach
ihrem Tode. Das obige Wort findet sich im Buche des
Propheten Maleachi, der ungefähr 400 Jahre vor Christi
Geburt weissagte. Gott giebt hier, nach dem Tode von Jakob
und Esau, die Gründe an, welche Ihn bewogen haben, den
zu lieben, der den Segen wert geachtet, und den zu hassen,
der ihn verschmäht hat. Ist Gott ungerecht, daß Er also
315
handelt? Keineswegs; überdies finden nur nirgendwo, daß
Gott im Voraus sagt, Er werde irgend jemanden hassen,
obwohl Er im Voraus das Verhalten eines jeden kennt.
Wenn aber ein Mensch im Laufe seines Lebens seine
völlige Verachtung einer Sache, die in den Augen Gottes
überaus kostbar ist, au den Tag legt, ist Gott dann ungerecht, wenn Er erklärt, daß Er ihn gehaßt hat? —
Der 12. Vers unsers Kapitels enthält also ein Wort,
das vor der Geburt Jakobs und Esaus ausgesprochen
wurde, während der 13. Vers, der auf den ersten Blick
mit dem vorhergehenden ein Ganzes zu bilden scheint, einen
Ausspruch anführt, der mehr als 1200 Jahre nach ihrem
Tode gethan worden ist. Auch handelt es sich, wie bereits
gesagt, in beiden Stellen durchaus nicht um das ewige
Teil und Los der beiden Männer.
Alsdann führt der Apostel, um zu zeigen, daß bei 
Gott keine Ungerechtigkeit ist, (dessen man Ihn anklagt,)
in den Versen 14 — 16 die Antwort an, welche Jehova
Seinem Knechte Mose in 2. Mose 33, 19 giebt: „Ich
werde begnadigen, wen ich begnadige, und mich erbarmen, wessen ich mich erbarme." Nun mag man einwenden, daß das eine sonderbare Art und Weise sei, um
zu beweisen, daß es bei Gott keine Ungerechtigkeit
gebe. Doch sehen wir näher zu. In Kap. 32 erklärt
Gott, nachdem Israel das goldene Kalb gemacht hatte,
in gerechtem Zorn, daß Er das Volk vernichten wolle.
Dann fleht Mose für das Volk, und Gott steht ab
von Seinem Zorn. Er erweist Gnade in dem Augenblick, wo es nur ein Akt der Gerechtigkeit gewesen sein
würde, wenn Er das ganze Volk vertilgt hätte. Gott
macht Gebrauch von Seinen Oberhoheitsrechten, um
316
Gnade zu erweisen. Ist Er ungerecht, wenn Er so
handelt?
Doch man wird weiter einwenden: Aber der 16. Vers
fügt hinzu: „Also liegt es nun nicht an dem Wollenden,
noch an dem Laufenden, sondern an dem begnadigenden
Gott;" demnach nützt es mir also nichts, zu wollen oder zu
laufen, wenn Gott mich nicht begnadigen will. —
Unsre Antwort ist: Untersuche die Schrift; lies 2. Mose
32 und 33. Was war es, das das Volk wollte? Der
Götzendienst! Und wem lief es nach? Den Göttern Egyptens ! Wenn das Volk also nicht hinweggerafft worden ist,
so verdankt es dies lediglich der Gnade Gottes. — Jeder
Gläubige befindet sich in demselben Falle. Er kann sagen,
und er sagt es thatsächlich: Ich habe alles gewollt, nur
den Herrn nicht; ich bin den eitlen Dingen dieser Welt
nachgelaufen, auf sie war mein Dichten und Trachten gerichtet; und daß ich heute ein Kind Gottes bin,
verdanke ich einzig und allein Gottes Gnade und Barmherzigkeit! „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit,
wegen Seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, als
auch wir in den Vergehungen tot waren, hat uns mit dem
Christus lebendig gemacht; durch Gnade seid ihr errettet."
(Eph. 2, 4. 5.)
Aber bereiten die Verse 17 und 18 nicht eine neue
Schwierigkeit? Wenn Gott Gnade erweist, wem Er will,
so verhärtet Er auch, welche Er will. Wenn Gott aber 
eine Person verhärtet, was kann sie dann machen? —
In der That, Gott verhärtet; und das ist eine ernste
Wahrheit. So hat Er als ein Gericht Verhärtung über
das Herz des Pharao kommen lassen. Aber wann hat
Er das gethan? Geschah es schon, als Mose zum ersten
— 317 —
oder zum zweiten Male mit ihm als der Stellvertreter
Jehovas redete? Nein, es wurde dem Pharao zuvor eine
Frist gegeben, um Jehova zu erkennen; aber anstatt Ihm
zu gehorchen, spottete er Seiner. Beim Durchlesen von
2. Mose 7 und 8 finden wir wenigstens fünfmal die
Worte: „Und der Pharao verhärtete sein Herz." Allerdings finden sich darauf auch die Worte: „Und Jehova
verhärtete das Herz des Pharao." Nun beruft man sich
auf Kapitel 4, 21 und auf Kapitel 7, 3, um zu beweisen,
daß Gott im Voraus beschlossen habe, das Herz des Pharao
zu verhärten. Brauchen wir zu versichern, daß es nicht
also ist? Gott, der das Ende von Anfang an sieht und
kennt, wußte auch, daß der Pharao sein Herz verhärten
und das Volk nicht ziehen lassen würde, (vergl. Kap. 3,19.)
und daß er Gott gleichsam zwingen würde, ihn der gerichtlichen Verhärtung anheimzugeben. Jehova teilte vorher Seinem Knechte Mose im Vertrauen mit, wozu es
notgedrungen mit dem Pharao kommen müsse; und erst
nach der sechsten Plage wurde das Gericht der Verhärtung
an ihm vollzogen. So dient der Pharao, der mit Gott
gleichsam sein Spiel getrieben hat, durch seine eigene Schuld
Zum Exempel für die Thatsache, daß Gott Gott ist, und
daß ein Erdenwurm, der eS wagt, Ihm zu trotzen, sich
selbst sein Verderben bereitet. Der Pharao ist, so zu sagen,
dazu erweckt worden, um kundzuthun, daß Gott unmöglich
Seine Ehre preisgeben kann; denn wenn man die Gaben
Seiner Liebe zurückweist, so muß man Seiner Macht im
Gericht begegnen.
Auf die Fürbitte Moses hin erwies sich Gott also
dem Volke gnädig, und war, was den Pharao betrifft,
genötigt, ihn zu verhärten. Hätte Gott nur Seiner Ge­
318
rechtigkeit freien Lauf lassen wollen, so hätte Er das Volk
wie den Pharao vernichten müssen.
Wenn nun demungeachtet der Mensch fortfährt, darauf zu bestehen, daß es bei Gott Ungerechtigkeit gebe,
und wenn er sich bemüht, durch seine Vernunftgründe zu
beweisen, (was ihm nie gelingen wird,) daß Gottes Wort
fehlerhaft sei, so hat das Wort auch diesen Fall vorausgesehen. Es antwortet ihm: „Wer bist du, o Mensch,
der du das Wort nimmst wider Gott!" Bist du Seinesgleichen? Hat das Geschöpf Macht über den Schöpfer,
oder ist nicht vielmehr der Schöpfer Herr über Sein Geschöpf? Welches Recht könnte ein gefallenes Geschöpf vor
dem Schöpfer, wider den es gefrevelt hat, beanspruchen?
Keines, wofern man das Gericht nicht ein Recht nennen
will. — Und lenkt der Thon auf dem Töpfertisch etwa
die Hand des Formers? Ist es nicht vielmehr der Töpfer,
der über den Thon verfügt? Und ist es nicht die erste
Forderung der Gerechtigkeit, daß man Gott den Platz
giebt, der Ihm gebührt? Selbst wenn Gott sich Seiner
Oberhoheitsrechte bedienen würde, um (wie man Ihn beschuldigt) den Einen zum Glück, den Andern zum Verderben zu bestimmen, wer wäre berufen, mit Ihm darüber
zu rechten? Aber die Verse 22—23 zeigen uns, daß Gott
von Seiner Oberhoheit gerade im entgegengesetzten Sinne
Gebrauch macht. Selbstverständlich ist Er Gott; Erhandelt
auch in Seinem Zorn, und Er erweist Seine Macht.
Aber wann? Erst nachdem Er wiederholte Beweise Seiner
Langmut und Seiner großen Geduld gegeben hat. Und
zwar gegen wen? Gegen „Gefäße des Zornes, die zubereitet sind zum Verderben." Giebt es denn
zum Verderben zubereitete Gefäße? Ja; aber wer hat sie
319
dazu zubereitet? Etwa Gott? Unmöglich! Man lasse das
Wort Gottes nicht sagen, daß Gott jemanden zum Verderben zubereitet habe! *)
Der Pharao war ein solches Gefäß des Zornes,
das zum Verderben zubereitet war. Aber hatte Gott ihn
dazu zubereitet? O nein, sondern der Pharao selbst! Gott
hatte ihn Seinerseits „mit vieler Langmut" ertragen; und
so werden einmal alle, die Gott, so zu sagen, gezwungen
haben, sie in den Feuersee zu werfen, anerkennen müssen,
daß sie, wie der Pharao, sich selbst eigenwillig zu einer
ewigen Strafe zubereitet haben!
Der 23. Vers unsers Kapitels giebt uns die Kehrseite dieses Gedankens:„ ... auf daß Er kundthäte den
Reichtum Seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung (oder der Barmherzigkeit), die 'Er zur Herrlichkeit
zuvorbereitet hat." Was diese also betrifft, so ist es Gott,
der sie bereitet, und zwar „zuvorbereitet" hat. Sie
sind Gefäße der Barmherzigkeit, welche, wenn sie sich selbst
-") Manche meinen, daß das Wort in 1. Petr. 2, 8: „wozu
sie auch gesetzt sind," hiermit im Widerspruch stehe. Wer sind
aber die, welche dazu gesetzt sind, sich an dem Worte zu stoßen?
Die Ungehorsamen und Ungläubigen! Sie haben Christum, den
lebendigen und in den Augen Gottes und der Gläubigen so kostbaren Stein, den Gott zum Eckstein gemacht hat, verworfen, und
dieser ist somit notwendig zu einem Stein des Anstoßes für sie geworden : sie stoßen sich an Ihm. Der Prophet Jesaias hatte das
vorausgesagt. (Kap. 8, 14; vergl. auch Röm. 9, 31—33.) Als
Ungehorsame müssen sie sich notwendiger Weise am Worte stoßen;
die Thatsache, daß sie das verwerfen, was Gott und die Gläubigen
für kostbar erachtet haben, bereitet sie dazu. Es ist das kein
zuvorgefaßter Beschluß von Gott, kein Verhängnis über sie,
sondern vielmehr die unvermeidliche Folge ihrer Stellung als Ungehorsame, einer Stellung, für welche sie verantwortlich sind.
320
überlassen geblieben wären, sich selbst ihr Verderben bereitet
haben würden. Ihrer Natur nach sind sie ebensowohl Gesäße des Zorns, wie die übrigen. Gott aber, der alles
zuvorsieht, hat auch zuvorbestimmt, daß Satan nicht alle
sich nach in das ewige Verderben ziehen sollte. Gott wollte
Menschen bei sich haben in Seiner Herrlichkeit, und um
dies möglich zu machen, war es nötig, daß Er sie in
Seiner Barmherzigkeit zuvorbereitete. Kein Einziger würde
aus sich selbst zu Ihm gekommen sein. Denn „da ist
niemand, der verständig sei, niemand, de r G ott suche!"
(Röm. 3, 11.) So lautet das Zeugnis Gottes über alle
Menschen.
Gäbe es also keine Auserwählung, so würde Satan
hinsichtlich des Menschen den Vorrang haben vor Gott.
Alle Menschen würden aus seiner Seite, und keiner auf
der Seite Gottes stehen. Aber nach Gottes Vorherbestimmung sollten Menschen, glücklich gemacht durch Ihn, die 
vielen Wohnungen des Vaterhauses droben bewohnen. Ohne
diese Vorherbestimmung würde niemand, weder der Schreiber
noch der Leser dieser Zeilen, in die Gemeinschaft Gottes
gekommen sein, niemand sich zu Ihm gewandt haben.
Wenn nun der immer noch nicht überzeugte Zweifler
und Vernünftler fragt, warum Gott nicht alle Menschen zur
Herrlichkeit zuvorbereitet habe, so antworten wir zunächst
darauf, daß Gott unumschränkt ist und über allem steht.
Sodann aber sei ihm gesagt, daß das Evangelium ihn
heute noch ernstlich einladet, die Thatsache anzuerkennen,
daß er durch die Sünde verderbt und verloren ist und
infolge seiner Sünden die Verdammnis verdient hat; daß
er aber noch heute errettet werden kann, wenn er seine
Zuflucht zu Christo nimmt. Christus streckt, innerlich
321
bewegt, Seine Hände nach ihm aus; eilt er zu Ihm, so ist 
er geborgen, und wird so erkennen, daß er ein Gefäß der
Begnadigung ist, zuvorbereitet zur Herrlichkeit. Fährt er
aber fort, Christum, die Gabe Gottes, zurückzuweisen, so
möge er wissen, daß er sich selbst zum Verderben und zum
Gericht zubereitet!
Man muß völlig blind sein und die Feindschaft des
menschlichen Herzens gegen Gott leugnen, um zu behaupten,
daß ein Mensch den aufrichtigen Wunsch nach Errettung
habem und dennoch ewig verloren gehen könne, weil Gott
ihn nicht auserwählt habe. Vielmehr werden alle, die
dereinst im Himmel sein werden, das ewige Bewußtsein
haben, daß sie nur infolge der unvermischten Gnade Gottes
dort sind; und andrerseits werden alle diejenigen, welche
„des ewigen Feuers Strafe leiden werden," unter furchtbaren
Gewissensbissen sich sagen müssen: Wir sind hier durch
unsre eigne Schuld! Den Fall giebt es nicht, kann es
nicht geben, daß jemand sich aufrichtig zu Jesu, dem Erlöser, wendet, aber verloren geht, weil er nicht auserwählt
ist. Gott aber ist gerecht, wenn Er den richtet, der den
Heiland verworfen und das ihm umsonst dargebotene Heil
für wertlos gehalten und ausgeschlagen hat. Und Gott
ist gerecht, wenn Er den rechfertigt, der des Glaubens an
Jesum ist. (Röm. 3, 26.)
O möchten doch alle die Seelen, welche durch die
Gnade erweckt sind und den Herrn suchen, nicht dem Feinde
glauben, wenn er ihnen zuflüstert, daß sie nicht erwählt
seien! Möchten sie vielmehr auf den Herrn hören, der ihnen
zuruft: „Kommet her zu mir, alle Mühselige und Beladene,
und ich werde euch Ruhe geben!" (Matth. 11, 28.) und
ferner: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus­
322
werfen." (Joh. 6, 37.) Ja, gehet zu Jesu, glaubet an
Seine Liebe! Er wird euch Frieden geben; und dann
werdet ihr wissen, daß ihr von Gott auserwählt wäret
vor Grundlegung der Welt.
„Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß Er
Seinen eingebornen Sohn gegeben; auf daß jeder, der an
Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben
habe." (Joh. 3, 16.)
„Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber
nicht" glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt
hat an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes!"
(Joh. 3, 18.)
„Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer
aber dem Sohne nicht glaubt, wird das Lebennichtsehen,
sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm." (Joh. 3, 36.)
Jethro
oder
„Nun weiß ich."
Das 18. Kapitel des 2. Buches Mose erzählt uns,
wie Jethro, der Schwiegervater Moses, dahin gebracht
wurde, Jehova, den Gott Israels, als den allein wahren
Gott anzuerkennen. Wir erblicken in dieser Geschichte
ein schönes Vorbild von dem tausendjährigen Reiche, wann
der Herr Jesus König sein wird über die ganze Erde.
„An selbigem Tage wird Jehova einer sein, und Sein
Name einer." (Sach. 14, 9.) Jeder Feind, sowohl Jude
als Heide, wird überwunden sein, ja, jedes Knie wird sich
vor Ihm beugen, und jede Zunge bekennen, daß Er Herr
ist. (Phil. 2.) — Zugleich aber stellt uns diese Geschichte
323
in treffender Weise manche Wahrheiten des Evangeliums
vor Augen, und davon möchte ich einen Augenblick reden.
Jethro war ein geachteter Mann in dem Lande Midian,
ein Priester. Mose, der Knecht Gottes, fand, als er aus
Egypten fliehen mußte, einen Bergungsort bei ihm und
nahm Zippora, eine seiner sieben Töchter, sich zum Weibe.
Ohne Zweifel vernahm Jethro aus dem Munde Moses,
in welch traurigem Zustande sich Israel in Egypten unter den
Pharaonen befand, und hörte zugleich etwas von Jehova,
dem Gott Israels. Im Laufe der Zeit erschien dann
der Engel Jehovas dem Mose in einer Feuerflamme am 
Berge Horeb und forderte ihn auf, nach Egypten zurückzukehren, da der Herr im Begriff stehe, Sein Volk aus
der Hand seiner Bedränger zu befreien. (Kap. 3. 4.)
Mose gehorchte nach langem Zögern; und nachdem zehn
schreckliche Plagen über das Land Egypten gekommen
waren, deren letzte die Tötung der Erstgeburt von Menschen
und Vieh bildete, wobei Israel nur durch das Blut des
Passahlammes vor dem Schwerte des Würgengels bewahrt
blieb, (Kap. 12.) führte Gott Sein Volk mit ausgestrecktem Arm durch das Rote Meer und befreite es auch
nachher, bei seiner Wanderung durch die Wüste, von seinen
Feinden, den Amalekitern. (Kap. 17.)
Es ist sehr bemerkenswert, zu sehen, wie Jethro sich
sofort anfmacht zu Mose, sobald er von der großen Befreiung des Volkes hört. Er hatte, wie gesagt, Kenntnis
gehabt von der elenden Sklaverei der Kinder Israel und
von dem schrecklichen Druck, unter welchem sie geseufzt
hatten; jetzt hört er von alledem, was Gott an ihnen
gethan hat, von den Gerichten, die ihre Feinde getroffen,
sowie von ihrer Erlösung durch das Blut des Lammes
324
und durch die mächtige Hand Gottes. Er ist überzeugt
von der Macht Jehovas und kommt zu Mose, der ihm
nähere Mitteilungen über die wunderbare Befreiung des
Volkes machen kann. — Beachte, mein Leser, daß er kam,
sobald er hörte; er schob seine Reise nicht auf, sondern
machte sich unverzüglich auf den Weg.
Welch ein gesegneter Augenblick ist es auch in der
Geschichte eines Sünders, wenn er nicht nur entdeckt, was
der Mensch ist: sündig, verloren und ein willenloser Sklave
Satans, sondern wenn er auch von der großen Errettung
hört, die Gott für den Menschen bereitet hat durch den
Tod und die Auferstehung Seines geliebten Sohnes, und
nun, überzeugt von der Wahrheit des Wortes Gottes
und von Seiner Macht, ihn aus den Ketten Satans zu
befreien, sich aufmacht, um noch mehr zu hören, ja, sich
genau unterweisen zu lassen in dem Heilswege Gottes!
Ja, welch ein gesegneter Augenblick! Er bildet den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Sünders.
Ueberzeugt und überführt fragt er: „Was muß ich thun,
daß ich errettet werde?"
Jethro ist überzeugt und kommt zu Mose, dem Knechte
Gottes, mit Zippora und ihren beiden Söhnen. Mose
empfängt ihn mit einem herzlichen Willkommen. „Und
Mose ging hinaus, seinem Schwiegervater entgegen, und
bückte sich und küßte ihn; und sie fragten einer
den andern nach dem Wohlergehen und gingen
in das Zelt." (V. 7.)
Mose hatte seinem Schwiegervater viele wunderbare
Dinge mitzuteilen. ES war ihm wirklich w o h l ergangen
an der Hand seines Herrn. Jehova hatte Sein Volk erlöst und errettet aus der Macht des Pharao und eS ge­
325
leitet auf dem Wege durch alle Mühsale hindurch. (V. 8.)
Aber was wußte Jethro von allen diesen Dingen? Welchen
Anteil hatte er, ein Priester von Midian, an dieser großen
Errettung? Er konnte wohl erzählen, wie er in seiner
Heimat von den großen Dingen, die Jehova an Israel
gethan, gehört habe, und wie er sich entschlossen habe,
zu kommen und noch mehr zu hören; er konnte ferner
erzählen von den Zuständen in Midian und von seinen
Erlebnissen auf der Reise; aber an der bewunderungswürdigen Entfaltung der Liebe und Macht Gottes zu
Gunsten Seines Volkes hatte er keinen Anteil gehabt.
Aber jetzt, als er hört von den großen Thaten Gottes,
da lesen wir: „Und Jethro freute sich über all das Gute,
das Jehova an Israel gethan, daß Er es errettet
hatte aus der Hand der Egypter. Und Jethro sprach:
Gepriesen sei Jehova, der euch errettet hat aus der Hand
der Egypter und aus der Hand des Pharao, der das
Volk gerettet hat unter der Hand der Egypter hinweg!
Nun weiß ich, daß Jehova größer ist als alle Götter;
denn in der Sache, worin sie übermütig waren, kam Er
über sie." (V. 9—11.)
Ja, mein Leser, Freude erfüllte das Herz Jethros,
und Lob und Dank strömten von seinen Lippen, als er
erzählen hörte von der Güte und Macht Gottes. Und
„nun weiß ich," fuhr er fort, „daß Jehova größer
ist als alle Götter." Wunderbare Worte aus dem Munde
eines Midianiten! „Nun weiß ich!" Wahrlich, das
war die Sprache des Glaubens, der Ausdruck einer gegenwärtigen, unumstößlichen Gewißheit. Jethro sagt nicht:
„Nun denke ich," oder „nun glaube ich," nein: „nun
weiß ich. Er war nicht nur überzeugt von der Macht
326
Jehovas, sondern Er preist Ihn und giebt Ihm den
Platz, der Ihm gebührt. Er stellt Ihn über alle Götter.
Er erkennt Ihn an und glaubt an Ihn als den einen
wahren Gott. „Jehova, der ist Gott!" (Vergl.
1. Kön. 18, 39.) Jethro war nicht länger nur überzeugt
in seinen Gedanken, sondern er glaubte mit seinem Herzen;
und deshalb wußte er.
Wir haben oben bereits darauf hingedeutet, welch
ein gesegneter Augenblick es ist, wenn eine Seele überführt und überzeugt wird; aber dabei stehen bleiben heißt
verloren gehen und einem sichern, ewigen Verderben anheimfallen. Ueberzeugt zu sein von der Notwendigkeit
eines Heilandes und von der Liebe Gottes, das genügt
noch nicht zur Errettung. Es bringt im Gegenteil den
Menschen unter eine um so ernstere und schrecklichere Verantwortlichkeit. Jethro blieb auch nicht dabei stehen; er
kam zu Mose, hörte die ganze wunderbare Geschichte der
Güte des !Herrn, glaubte sie und bekannte den Herrn.
Der Bericht über das Vorgefallene erreichte sein Ohr, er
kam, er hörte, er glaubte und legte sofort ein schönes
Bekenntnis mit seinen Lippen ab. Freude erfüllte sein
Herz, und er pries Jehova. Willst du nicht dasselbe
thun, mein lieber unbekehrter Leser? Du hast gehört
von dem traurigen, elenden Zustande des Menschen, der
unter dem schweren Druck der Knechtschaft Satans seufzt
— von deinem Zustande; du glaubst, daß der Bericht
wahr ist. Du nimmst an, was Gott in Seinem Worte
sagt über diese arme, sündige Welt, zu der auch du gehörst. Vielleicht erkennst du auch an, daß alles um dich
her den Beweis liefert, daß Gottes Urteil der Wahrheit
vollkommen entspricht. Aber hast du auch schon weiter
327
geforscht, was Gott gethan hat für dich, ja für die ganze
Welt? Hast du Sein Wort zur Hand genommen, oder
bist du, wie einst Jethro, zu einem Seiner Knechte geeilt,
um dich genauer in dem Wege des Heils unterweisen zu
lassen, um zu hören, wie Gott alle.Macht des Feindes
der Seelen zu nichte gemacht hat? Wenn nicht, so lausche
heute auf das, was dir einer, der das Wohl deiner Seele
sucht, zu sagen hat! Laß mich dich zunächst fragen, wie
es um dein Wohlergehen, um deinen Frieden steht.
Hast du Frieden mit Gott? Ruht dein Herz in der vollen
Gewißheit eines für ewig vollendeten Heils? Oder seufzest
du noch unter dem Druck deiner Sünden und in der harten
Knechtschaft des Fürsten dieser Welt? Höre dann:
Gott hat eine große Errettung,-ein Heil, das Seiner
selbst würdig ist, zuwege gebracht, und zwar, wie einst
bei Israel, auch jetzt durch Blut und durch die Macht
Seines Armes. „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er
Seinen eingebornen Sohn gegeben." (Joh. 3, 16.) Jesus
kam in diese Welt, um „Sünder zu erretten." (1. Tim.
1,15.) Er litt, blutete und starb aus dem Kreuze. Die
Herrlichkeit des Vaters hat Ihn dann auferweckt aus den
Toten und Ihn zu Seiner Rechten gesetzt und mit Ehre
und Herrlichkeit gekrönt. Allen Forderungen und Ansprüchen Gottes ist vollkommen begegnet, und Seine Gerechtigkeit ist aufrecht gehalten worden, indem Sein eigner
fleckenloser Sohn das Gericht für die Sünde trug; und
die Macht Satans ist für alle, die da glauben, vernichtet.
Christus auf dem Throne des Vaters ist das Zeugnis
Gottes gegenüber dem ganzen Weltall, daß daS Versöhnungswerk vollbracht ist. Der Christ kann von Seinem
Heilande sagen: „Er ist unsrer Uebertretungen wegen
328
dahingegeben und unsrer Rechtfertigung wegen auferweckt 
worden;" und darf auch hinzufügen: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum."
(Röm. 4, 25; 5, 1.)
Du hörst diese frohe Botschaft, mein Leser; aber
glaubst du sie auch? Kannst du von Grund deines
Herzens sagen: „Ich will glauben, ja, ich glaube,
daß Jesus für mich gestorben ist?" Warum willst du
noch zögern? Stehen deine Sünden drohend vor dir, und
schrecken sie dich zurück, Christum zu bekennen? Dann
bedenke doch, mein Freund, daß gerade Jesus es ist, und
nur Er, der sie hinwegnehmen kann; und daß Er es nicht
nur kann, sondern auch will. Wenn du warten willst,
bis du dich gebessert hast, so wirst du nie kommen. Auch
der Schreiber dieser Zeilen hat sich Jahrelang bessern
wollen; und als er sah, daß ihm das nicht gelang, so
wollte er wenigstens seine Sünden tiefer fühlen und mehr
Thränen über sie vergießen können. Und was war das
Resultat? Ein jahrelanges Dahingehen in fruchtlosem
Kämpfen und Ringen, bis endlich das thörichte und stolze
Herz brach und sich dem Strome unbedingter Gnade
öffnete. Was willst du thun, mein Leser? Jetzt ist
der Augenblick der Entscheidung für dich, jetzt ist die
Zeit der Annehmung. (2. Kor. 6, 2.) Und das Blut
Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt von aller
Sünde. (1. Joh. 1, 7.) Willst du dich nicht heute
noch für Christum entscheiden?
Wie gesegnet würde eine solche Entscheidung sein,
mein Leser! Du würdest fortan deinen Weg mit Freuden
ziehen können. Jethro hörte, glaubte, freute sich und
329
erkannte Jehova als den allein wahren Gott. So würde
es auch dir gehen; dein Herz würde mit Glück und Freude
erfüllt werden, und du würdest Ihn kennen, der wahrhaftig ist. Du würdest die Gewißheit der Vergebung
deiner Sünden erlangen und ewiges Leben haben; denn:
„dieses habe ich euch geschrieben, auf daß ihr wisset,
daß ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubet an den
Namen des Sohnes Gottes." (1. Joh. 5, 13.) Und der
Apostel Paulus schreibt an die Kolosser: „Danksagend
dem Vater, ... der uns errettet hat (nicht: erretten
wird) aus der Gewalt der Finsternis und versetzt h a t
in das Reich des Sohnes Seiner Liebe; in welchem wir
die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden."
(Kol. 1, 12. 13.) Willst du nicht, auch in kindlichem,
einfältigem Glauben deinen Platz neben diesen Erlösten
nehmen? Alles das, was der Apostel aufzählt, wird dann
auch wahr sein von dir.
Naeman, der Syrer, sagte zu Elisa: „Siehe, nun
weiß ich." (2. Kön. 5, 15.) Die arme Witwe in Sarepta sagte: „Nun erkenne (od. weiß) ich." (1. Kön.
17, 24.) Jethro, der Midianit, rief aus: „Nun weiß
ich." Und so möchte Gott auch aus dem Munde eines
jeden gläubigen Sünders die Worte vernehmen: „Nun
weiß ich." „Wir wissen," schreibt Johannes in seinem
ersten Briese, „daß wir aus dem Tode in das Leben hinübergegangen sind." (Kap. 3, 14.) „Wir wissen," sagt
Paulus zu den Korinthern, „daß .... wir einen Bau
von Gott haben." (2. Kor. 5, 1.) Die völlige Gewißheit
des Glaubens ehrt Gott und ist angenehm für Sein Herz,
während jede Ungewißheit Ihn verunehrt.
Doch verfolgen wir unsre Erzählung noch etwas
330
weiter. „Und Jethro, der Schwiegervater Moses, nahm
Brandopfer und Schlachtopfer für Gott; und Aaron kam
und alle Aeltesten Israels, das Brot zu essen mit dem
Schwiegervater Moses vor dem Angesicht Gottes."
(V. 12.) Hier tritt Jethro als Anbeter vor uns. Der
midianitische Priester bekennt öffentlich den Namen Jehovas
und betet Ihn an als den allein wahren und lebendigen
Gott; und Aaron kommt mit allen Aeltesten Israels zu
ihm, um mit ihm zu essen, und zwar — beachten wir es
wohl! — vor dem Angesicht Gottes.
Siehe, das ist es, was das Herz Gottes für jeden
wahren Gläubigen begehrt. Der Heiland sucht Sünder,
der Vater sucht Anbeter. „Die Stunde kommt," sagte
der Herr zu der Samariterin am Jakobsbrunnen, „und
ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater im Geist
und in Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater
sucht solche als Seine Anbeter. Gott ist ein
Geist, und die Ihn anbeten, müssen im Geist und in
Wahrheit anbeten." (Joh. 4, 23. 24.) Die Gläubigen
haben jetzt natürlich keine Schlachtopfer darzubringen, wie
Jethro; aber als solche, die Gott nahe gebracht sind aus
Grund des einen vollkommenen Opfers des Lammes GotteS,
(Hebr. 10, 14.) werden sie ermahnt, durch Christum Gott
stets das Opfer des Lobes darzubringen, „das ist
die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen."
(Hebr. 13, 15.) Zugleich ist es ihr gesegnetes Vorrecht,
in süßer, köstlicher Gemeinschaft mit allen Kindern Gottes
zu wandeln; nur muß dies geschehen in dem Lichte Gottes,
gleichsam „vor Seinem Angesicht." — „Wenn wir in
dem Lichte wandeln, wie Er in dem Lichte ist, so haben
wir Gemeinschaft mit einander." (1. Joh. 1, 7.)
331
Wie schön ist es, Jethro mit Mose, Aaron und allen
Aeltesten Israels in lieblicher Gemeinschaft vor dem Angesicht
Gottes sitzen zu sehen! Was wird der Gegenstand ihrer
Gespräche gewesen sein? Ohne Zweifel Gott und Seine
herrliche Errettung. Welch ein schönes Vorbild von der
Zeit des tausendjährigen Reiches, wenn Jude und Heide
gemeinschaftlich die bewunderungswürdigen Wege Gottes
anschauen und Seine Segnungen genießen werden! O,
möchten auch die Gläubigen der heutigen Zeit mehr von
dem Segen einer solchen Gemeinschaft vor dem Angesicht
Gottes kennen! Die Geschichte Jethros, in Verbindung
mit Mose, Zippora und ihren Söhnen, ist reich an herrlichen und treffenden Vorbildern auf Christum hin in
Seiner Verbindung mit Israel und der Kirche. Da es
indes nicht eigentlich der Zweck dieser Zeilen ist, auf diese
Vorbilder aufmerksam zu machen, so sei nur noch eines 
Punktes erwähnt, der für unsern gegenwärtigen Gedankengang von hohem Interesse ist. Wir finden Jethro in der
zweiten Hälfte unsers Kapitels beschäftigt, Mose zu raten,
in welcher Weise er das Volk richten solle. Wir wollen
hier nicht untersuchen, ob sein Rat ganz richtig war, oder
ob Mose recht daran that, ihn zu befolgen; sondern ich
möchte nur auf ein höchst bemerkenswertes Wort Jethros
Hinweisen, das wir uns alle wohl einprägen sollten. Jethro
weiß nicht nur, daß Jehova Gott ist, sondern er weiß
auch, was für Ihn passend ist in dem Verhalten
Seines Volkes. Er sagt zu Mose: „Erläutere ihnen
die Satzungen und die Gesetze und thue ihnen kund den
Weg, auf dem sie wandeln, und das Werk, das sie
thun sollen." (V. 20.) Er erkennt an, daß diese Dinge
notwendig sind für das Volk Gottes, um Ihm wohlzu­
332
gefallen. Zunächst bedurften sie der Belehrung betreffs
der göttlichen Satzungen und Gesetze; dann gab cs einen
Weg, auf dem sie vor Ihm zu wandeln, und endlich
ein Werk, das sie für Ihn zu thun hatten.
Welch ein treffendes Beispiel für die Kinder GotteS
heute! Ein wahrer Christ wird ohne Zögern die Notwendigkeit des ersten, und die Wichtigkeit des zweiten und
dritten anerkennen. Wer es nicht thut, ist kein wahrer,
oder doch wenigstens kein treuer Christ. Ein Gläubiger,
der sich in einem richtigen Herzenszustand befindet, fühlt
tief, wie ihm Belehrung not thut, um mehr und mehr
zu Christo hin zu wachsen und, erfüllt mit der Erkenntnis
des Willens Gottes, würdig zu wandeln zu allem Wohlgefallen; er weiß, daß es einen Weg giebt, auf welchem
er zu wandeln hat, den Weg des Herrn, und ein Werk,
das ihm zu thun obliegt, weil er eingereiht ist in die
Listen der Knechte seines Herrn.
In dem letzten Verse unsers Kapitels hören wir
dann, daß Mose seinen Schwiegervater entläßt; und Jethro
„zog hin in sein Land." Wir dürfen wohl hoffen, daß
er nach seiner Heimkehr auch Andere zu der Erkenntnis
des wahren Gottes geführt hat. Es wird uns zwar nicht
mitgeteilt, inwieweit Jethro fernerhin in den Wegen des
Herrn gewandelt hat; aber wir finden seine Nachkommen
in späteren Tagen in ehrenvoller Verbindung mit dem
Volke Israel. (Vergl. Richt. 1, 16; 1. Chron. 2, 55;
Jerem. 35.)
Und nun, mein Leser, laß mich noch einmal die 
Fragen an dein Herz und Gewissen richten: Ist das, was
wir soeben von Jethro gelesen haben, auch wahr von dir?
Du hast schon oft von deinem Zustande gehört und die
— 333 - —
frohe Botschaft von dem großen Heile Gottes vernommen p
auch heute wieder ist sie an dich herangetreten. Aber Hash
du auch schon mit deinem Munde Jesum als Herrn bekannt und in deinem Herzen geglaubt, daß Gott Ihn aus
den Toten auferweckt hat? Wer es gethan hat, der i sb
errettet. (Röm. 10, 9.) Ein solcher kann in volleo
Gewißheit des Glaubens sagen: „Nun weiß ich." Das
ist die Sprache des Glaubens ; und die Anbetung Gottes,
die Danksagung, die Gemeinschaft mit Ihm und mit
Seinem Volke sind Gegenstände des ernsten Begehrens
einer jeden erretteten Seele. Und je mehr ein Christ
Christum kennen lernt und in der göttlichen Wahrheit
gefördert wird, desto mehr wird sein Wandel und Dienst
von Ihm zeugen und den Wohlgeruch Christi verbreiten.
Kannst du, mein Leser, mit Jethro, mit Naeman
und mit allen wahren Gläubigen sagen: „Nun weiß ich!?"
Wie kann ich den Willen Gottes kennen?
Viele möchten gern ein angenehmes und bequemes
Mittel wissen, wie man den Willen Gottes kennen kann,
ungefähr so wie man ein Rezept für irgend etwas empfängt.
Aber es giebt kein Mittel, das nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem Zustande unsrer Seele stände. Ferner
fragen wir oft nach dem Willen Gottes und nach Seiner
Leitung in Umständen, in welchen wir uns nicht befinden
würden, wenn wir Seinem Willen gefolgt wären. Wäre
unser Gewissen wirklich in einer gesunden Thätigkeit, so
würde die erste Wirkung die sein, uns aus diesen Umständen herauszuführen. Unser eigner Wille hat unS in
dieselben gebracht, und nichtsdestoweniger möchten wir gern
334
den Trost der Leitung Gottes genießen auf einem Pfade,
den wir uns selbst erwählt haben. Das ist sehr häufig
der Fall.
Wir dürfen versichert sein, daß es uns nicht schwer
fallen wird, den Willen Gottes zu erkennen, wenn wir
Ihm nahe genug sind. In einem langen und thätigen
Leben mag es vorkommen, daß Gott in Seiner Liebe uns
nicht immer sogleich Seinen Willen offenbart, damit wir
unsre Abhängigkeit von Ihm fühlen, besonders dann, wenn
jemand eine besondere Neigung hat, nach seinem eignen
Willen zu handeln. Allein „wenn dein Auge einfältig ist,
so wird dein ganzer Leib licht sein." Daraus folgt, daß
dann, wenn der Leib nicht licht ist, das Auge der Einfalt entbehrt. Vielleicht wird man sagen: „Das ist ein
schlechter Trost." Aber ich antworte: Es ist ein reicher
Trost für alle diejenigen, deren einziges Begehren es ist,
ein einfältiges Auge zu haben und mit Gott zu wandeln;
allerdings nicht für solche, welche gern jeder Mühe, Seinen
Willen kennen zu lernen, entgehen möchten. „Wenn jemand
am Tage wandelt, so stößt er nicht an, weil er das Licht
dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, so stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist."
(Joh. 11, 9. 10.) Der Grundsatz bleibt immer derselbe.
„Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben." (Joh. 8,12.)
Man kann sich diesem moralischen Gesetz des Christentums
nicht entziehen. Deshalb bittet der Apostel in Kol. 1,
9. 10: „daß ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis Seines Willens, in aller Weisheit und
geistlichem Verständnis, um zu wandeln würdig
des Herrn, zu allem Wohlgefallen, in allem guten Werke
335
fruchtbringend, und wachsend durch die ErkenntnisGottes." Die gegenseitige Verbindung dieser Dinge ist
von unermeßlicher Wichtigkeit für die Seele. Wenn jemand
in einer Weise wandeln will, die des Herrn würdig ist,
so muß er Ihn genau kennen; und wiederum wachsen
wir auf diesem Wege in der Erkenntnis deS Willens
Gottes. „Und um dieses bete ich, daß eure Liebe noch
mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht, damit ihr prüfet, was das Vorzüglichere sei, auf
daß ihr lauter und unanstößig seid auf den Tag Christi."
(Phil. 1, 9. 10.) Endlich steht geschrieben, daß der geistliche Mensch „alle Dinge beurteilt; er selbst aber wirk
von niemandem beurteilt."
Wir werden daher nur fähig sein, den Willen Gottes,
diesen kostbaren Willen, zu unterscheiden, je nachdem unser
geistlicher Zustand ein guter ist. Was wir zu thun haben,
ist, uns nahe bei Ihm zu halten. Gott würde nicht gütig
gegen uns sein, wenn Er uns erlaubte, Seinen Willen
ohne das zu erkennen. Wer daher sucht, diesen Willen
in einer geringeren oder größeren Entfernung von Gott
zu verstehen, der sucht in einer verkehrten, bösen Weise;
und leider ist es gerade dies, was wir so viel und oft
thun.
Bruchstücke.
Der Sohn Gottes kam vom Himmel hernieder in
Gnade; Er ist hinaufgegangen in Gerechtigkeit;
Er wird wiederkommen in Herrlichkeit.
Der Vater sandte den Sohn, der Sohn gab sich
für uns hin; und Er opferte sich selbst durch den ewigem
— 336 —
<8 ei st. Jetzt ist Gott für uns, Christus in uns und
das Siegel des Geistes auf uns. Wir sind Kinder Gottes,
Miedet des Leibes Christi und Tempel des Heiligen Geistes.
Wir haben die Gerechtigkeit und erwarten ihre Hoffnung. Wir haben das Unterpfand und erwarten den
Besitz unsers Erbes. Wir haben die Erlösung unsrer
Seele und erwarten die Erlösung unsers Leibes. Wir
haben die Errettung unsrer Seele und erwarten den Heiland zur Umgestaltung unsers Leibes der Niedrigkeit zur
Gleichförmigkeit des Leibes Seiner Herrlichkeit. Wir
haben den Heiligen Geist empfangen und erwarten den
Bräutigam. Welch eine anbetungswürdige Gnade und
Liebe, die uns eine solch herrliche Segnung hat zuteil
werden lassen!
Die Liebe Gottes ist die Quelle, aus welcher die
Erlösung fließt. Das vollkommene Opfer Christi ist der
Kanal, durch welche sie fließt. Der Glaube, gewirkt in
der Seele durch den Heiligen Geist, ist die Kraft ihres
Genusses, und ewiges Leben, jetzt schon erkannt und erfahren, ist ihr Resultat. (Joh. 3, 16.)
„Gott ist Licht", um uns zu überführen und uns zu -
zeigen, was wir sind; Er ist „Liebe", um uns mit sich
in die innigsten Beziehungen zu bringen durch Seinen Sohn
Jesum Christum.
Das Herz kann nicht frei sein, so lange das Gewissen nicht rein ist; und diese Reinigung bewirkt das
Blut Christi.