Botschafter des Heils in Christo 1897

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter des Heils in Christo Jahresband 1897 online Seite
Inhalts-Verzeichnis.
Elisa 1
Leben durch Glauben 16
„Dem aber, der nicht wirkt." 23
Die prophetischen Ereignisse der legten Tage 44
Das Rote Meer und die Wüste 98
Einiges über 1. Joh. 3, 9 107
Die Nacht ist weit vorgerückt 128
„Ich komme bald!" 138
Henoch und seine Zeit 154
Wandelt in Liebe! 163
Christliche Hingebung 179
Das Kreuz 192
Bleibet in mir! (Gedicht) 196
Psalm 32, 8. 9 204
Das Reich und die Kirche 214
Gute Werke 221
Der beste Freund 242
Gedanken 250
Einige Gedanken über Gottes Thun 253
Der Wille Gottes 264
1. Johannes 5, 1-15 275
„Wachet, stehet fest int Glauben, seid männlich, seid stark 281
Einige Gedanken über Matthäus 9, 1-13 294
Sühnung und Stellvertretung 305
Das Haus des Gläubigen 309
Auf dem Wege 321
Der Same des Weibes 330

Elisa

Bibelstelle: 2. Könige 2 - 13

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 1ff

„Erzähle mir doch alle die großen Dinge, die Elisa getan hat.“ (Kap. 8, 4.)

Einleitung.

Der Dienst, den Elia und Elisa zu vollführen hatten, füllte die Zeit aus, während welcher die Familie Ahabs,

das Haus Omris, am Ruder war. Es waren dies die Tage, in welchen das Verderben in dem Zehnstämmereich seinen Höhepunkt erreicht hatte. Das Zeugnis des Herrn bezüglich jener Zeiten lautet folgendermaßen: „Und Ahab, der Sohn Omris, tat was böse war in den Augen Jehovas, mehr als alle, die vor ihm gewesen waren“.

In jenen Tagen geschah es, dass Hiel, der Betheliter, dem Arm des Herrn dadurch Trotz bot, dass er Jericho wieder aufbaute. Aus dieser Tat, die eine Beleidigung der Wahrheit und Macht des Herrn war, blickte gewissermaßen die Verwegenheit des Unglaubens heraus; es ist, als wollte er sagen „Wo ist der Gott des Gerichts“ (Matthäus 2, 17)? Denn die Zeiten Ahabs waren wiederum Zeiten, in denen der Mensch sich erdreistete, Gott herauszufordern und zu versuchen.

Zu einer solchen Zeit, unmittelbar nach der Tat Hiels, wurde Elia berufen (1. Kön. 16, 34; 17, 1); und wir sehen bei ihm eine Berufung Gottes und eine Wirksamkeit des Geistes, die unabhängig von allem andern dastehen. Elia ist ganz und gar in des Herrn Hand. Er gehört nicht der Priesterschaft an. Er sucht nie den Tempel auf. Um den Willen Gottes zu erfahren, benutzt er nie die von Ihm zu diesem Zweck bestimmten Mittel, noch wandelt er ordnungsgemäß nach den Satzungen und Regeln, wie sie Israel gegeben waren. Der Herr ist es, der ihn ergreift und mit einem Licht und einer Kraft erfüllt, die unmittelbar von Ihm herfließen, ohne dass Er sich dazu irgend eines der von Ihm vorgeschriebenen Kanäle bediente.

Gerade so war es mit Elisa. Er war von alledem, was bereits im Lande eingerichtet war, unabhängig. Die Hand des Herrn benutzt, und der Geist Gottes erfüllt ihn, ohne dass dies in Verbindung mit dem Tempel oder dem Priestertum geschähe.

Hieraus können wir eine Lehre ziehen, die wir in der Schrift vielfach antreffen, und die so sehr gesegnet ist, nämlich: dass, wenn der Mensch alles, was Gott ihm anvertraute, verdorben und gerechter Weise jeden Anspruch darauf verloren hat, (wie dies bei Ahab und zu seinen Zeiten der Fall war,) dies dem Herrn Gelegenheit gibt, die HilfsquelIlen, die Ihm zu Gebote stehen, ans Licht zu bringen. Was für den Menschen eine Wüste war, war für Christum ein Vorratshaus (Matth. 14, 15—21).

Obwohl jedoch die Berufung dieser beiden Propheten, wie erwähnt, dieselben Merkmale trägt, und wir ihr dieselbe Lehre entnehmen können, (was in gewissem Maße sogar bei der Berufung aller Propheten zutrifft,) so unterscheidet sich doch ihr Dienst im Einzelnen in sehr bestimmter Weise. Ein Zeugnis gegen das Böse, und Leiden, die daraus hervorgehen, kennzeichnen die Geschichte des Elia, während sich bei Elisa Macht zeigt, sowie Gnade in der Benutzung dieser Macht für Andere. 

Bei dem Herrn Jesu Christo, dessen Schatten selbstverständlich diese Männer waren, sieht man beides. Einerseits gewahren wir in Seinem Leben hienieden den leidenden, vertriebenen und verfolgten Zeugen — die Welt hasste Ihn, weil Er ihr bezeugte, dass ihre Werke böse waren; andrerseits tritt uns der mächtige, gnädige, hilfsbereite Freund Anderer entgegen — alle, die in Kummer oder in Not waren, empfingen von Ihm Heilung und Segnung.

Doch noch mehr als das spiegelt sich in der Geschichte der beiden Propheten ab; denn der Kummer, den Elia hienieden empfinden musste, und seine Verwerfung seitens der Welt endeten damit, dass er in den Himmel aufgenommen wurde; die Macht dagegen, welche Elisa zur Verfügung stand, trieb ihn geradeswegs alledem entgegen, was ihm hätte widerstehen können, und erhielt ihn in dem dauernden Genuss der ihm zu teil werdenden Ehre und der Freude über seine Siege aus Erden. Damit werden die himmlischen und die irdischen Dinge abgebildet, welche den Herrn Jesum Christum, als Sohn Gottes und König Israels, betreffen.

Indem ich jetzt zu der Betrachtung der Geschichte EIisas übergehe, wie uns dieselbe in 2. Kön. 2 13 vorgeführt wird, Beabsichtige ich nicht, dies in erschöpfender Weise zu tun; aber ich möchte doch bei dieser kurzen Wanderung aus jede einzelne Szene, welche der Heilige Geist für uns hat aufzeichnen lassen, der Reihe nach aufmerksam machen und suchen, einige der Unterweisungen ans Licht zu ziehen, die Gott uns hier betreffs Seiner Ratschlüsse und unsers Verhaltens gibt, da die Betrachtung dieses Schriftabschnitts meiner eignen Seele zu großem Nutzen und Segen gereicht hat.

Die Entrückung des Elia. (Kap. 2, 1—14.)

Die oben angeführten Verse bilden den ersten Abschnitt, mit welchem wir uns zu beschäftigen haben.

Elia hatte schon weit früher Elisa aufgefordert, mit ihm in den Dienst zu treten (1 Kön. 19), indem er zu ihm hinging und seinen Mantel auf ihn warf. Damals war aber Elisa noch nicht ganz vorbereitet gewesen, der Aufforderung Folge zu leisten. Er hatte seinen Vater, und seine Mutter vorgeschützt. „Lass mich“, sagte er, „doch meinen Vater und meine Mutter küssen, so will ich dir folgen.“ Daraufhin hatte Elia ihm gleichsam seinen Mantel wieder abgenommen und seine Aufforderung mit den Worten widerrufen: „Gehe, kehre zurück! Denn was habe ich dir getan? *)

Diese Worte sind bezeichnend; denn wiewohl wir nachher sehen, dass Elisa dem Elia einen Augenblick diente (1. König. 19, 21; vergl. auch 2 Könige 3, 11), so finden wir ihn doch bis zu dem Augenblick, wo sein Meister von ihm genommen werden sollte, nicht wieder ausdrücklich in Gemeinschaft mit demselben. Und zu welchem Zwecke wird er hier bei ihm gesehen? Einfach um das Feuer auszuhalten, um die Probe zu bestehen, ob er in der Tat für den Besitz des Mantels völlig vorbereitet wäre oder nicht.

Elia konnte seinen Mantel zurücklassen. In dem Himmel, in welchen er ging, brauchte er ihn nicht mehr. Sobald er den vom Sturmwinde begleiteten feurigen Wagen bestieg, sobald er von Engeln (Heb. 1, 7) in den Himmel hinaufgetragen wurde, konnte und musste er sich seiner Kleider entledigen. Der Mantel war als das Werkzeug der Macht für den Dienst hienieden gegeben. Ist nun der Dienst beendigt, so legt der Diener den Mantel beiseite, gerade so wie der Sünder bei seiner Bekehrung, wenn sein alter Zustand vergangen ist, seine Kleider abwerfen kann. (Mark. 10, 50.) „Wir erkennen stückweise, und wir prophezeien stückweise; wenn aber das Vollkommene gekommen sein wird, so wird das, was stückweise ist, weggetan werden.“

Elia kann also seinen Mantel jetzt entbehren; ist aber Elisa für den Besitz desselben vorbereitet? Das ist die Frage. Diese Probe wird jetzt gemacht, und zwar vermittelst zweier Werkzeuge; diese sind Elia selbst und die Söhne der Propheten. Beide wurden jedoch von Gott benutzt, um zu prüfen, ob Elias Mantel in der Wertschätzung des Elisa wirklich den ersten Platz einnahm; ob er den Geist eines wahren Leviten in sich trug, eines Mannes, bei welchem die Urim und Thunnim weilen konnten, indem er sich fähig erwies, jetzt von seinem Vater und von seiner Mutter zu sagen: „Ich sehe ihn nicht“ (5. Mose 33, 8. 9). 

Das war die ernste Frage, um welche es sich bei der Probe handelte. Der Herr wog ab, wie viel die Herrlichkeit dem Elisa galt; Er überzeugte sich davon, welches Gewicht die Freude und die Ehre, in dem Geiste und dem Dienste Elias einhergehen zu dürfen, in der Waagschale der Neigungen Elisas hatte. Und Elisa hält die Probe aus; seine Hand wird durch nichts wankend gemacht. Er bringt alle Versuchungen zum Schweigen und erklärt offen heraus, dass er nach dem Mantel, ja, nach dem zwiefachen Teile des Geistes des Elia, verlange. Er wendet sein Auge von jedem anderen Gegenstande ab, nur nicht von der Herrlichkeit. Er will nicht mehr zu seinem Vater oder seiner Mutter, die er zurückgelassen hat, umkehren, um sie zu küssen, sondern er hängt an Elisa, seinem Vater im Glauben, an seinem Verwandten dem Geiste nach ; dieser ist es und dieser allein, zu welchem er aufschaut und in dessen Fußstapfen er tritt. „Mein Vater, mein Vater!“ so ruft er aus, als Elia gen Himmel fährt, „Wagen Israels und seine Reiter!“

Das genügte·. Anfänglich war, wie wir gesehen haben, sein Anrecht auf den Mantel in etwa zweifelhaft (1.Kön. 19), jetzt aber kann er vollen Anspruch auf denselben machen. Er ist nun ein wahrer Levit. „Er kennt niemanden nach dem Fleische“, und so gehört der Mantel ihm.

Darin liegt eine heilige Lehre für uns; denn wir wissen selbst am besten, wie wenig unsre Herzen den Mantel schätzen, wie gering wir die Ehre achten, Jesu dienen, oder wie wenig es uns gilt, an Seiner kommenden Herrlichkeit teilnehmen zu dürfen. Es handelte sich hier nicht darum, zu erproben, ob der Prophet Anspruch auf Gott selbst oder auf Sein Heil habe. Elia zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Elisa ein Eigentum des Herrn war. Nein, hier wurde die Probe gemacht, wie hoch er die Herrlichkeit schätzte. Und das ist eigentlich auch die einzige Frage, um die es sich bei uns handelt. Wir müssen uns prüfen, ob wir der Herrlichkeit des Herrn würdig wandeln, ob es uns wertvoll erscheint, dass wir an derselben teilnehmen sollen. Wohl uns, wenn wir, wie Elisa, durch Zucht dahin gebracht werden, nach der

Herrlichkeit zu verlangen! Wohl uns, wenn die Natur, die so hartnäckig an ihrem Leben in uns festhält, zurückgewiesen wird, und wenn wir, falls sie uns sagt: „Gehe zurück, küsse Vater und Mutter!“ lieber auf die Stimme des Mantels lauschen, der uns ermuntert, vorwärts zu eilen, dem Propheten Gottes nach!

Demütigend ist es aber, zu wissen, dass das Herz, wenn es sich selbst überlassen ist und nicht unter der Leitung des Geistes steht, sich weder um Gott noch um Seine Herrlichkeit bekümmert. Einmal verkaufte es Ihn für ein gekochtes Gericht, ein andermal für eine Herde Schweine, ein drittes Mal für dreißig Silberlinge; und es ist imstande, dies immer wieder für irgend einen beliebigen Preis zu tun. Unsertwegen mag der Wagen leer zum Himmel zurückkehren. Das ist die Sprache des natürlichen Herzens. — O möchten wir doch Gnade haben, um das Teil zu schätzen, welches wir einst mit Dir, hochgelobter Heiland, besitzen werden! Möchten unsre Seelen Kraft erlangen, um uns nach einem Platze mit Dir in jenem himmlischen Wagen zu sehnen, der uns von der Erde und allen irdischen Interessen und Bestrebungen trennen und uns in Dir, mit Dir und durch Dich auf Höhen hinauftragen wird, wo Herrlichkeit und Seligkeit unser warten!

Die Wasser Jerichos werden gesund gemacht. (Kap. 2, 15 - 22.)

In dem Standpunkt, welchen die Gläubigen einnehmen, herrscht ein Unterschied; sie stehen, was ihr geistliches Leben, ihre Erkenntnis usw. betrifft, auf verschiedenen Stufen. Lot stand nicht aus gleicher Höhe mit Abraham, ebenso wenig die 7000 Verborgenen mit Elia. Dennoch waren alle in gleicher Weise die Auserwählten Gottes, welche Ihm bekannt waren als solche, die Er sich erhalten hatte. So ist es auch hier im Blick aus Elisa und die Prophetensöhne. Während wir den Ersteren durch alle Hindernisse hindurch der himmlischen Herrlichkeit zustreben sehen, müssen wir bei den Anderen eine Gesinnung wahrnehmen, die in nur zu betrübender Weise von der Erde beherrscht wird.

Diese Prophetensöhne waren, wie Nikodemus, trägen Herzens zu glauben. Ihre Gedanken erhoben sich nicht über die Berge und Täler der Erde. Sie hatten nie einen himmlischen Wagen gesehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass Elia anderswo sein könne, als an irgend einem Orte hienieden; darum suchen sie ihn hier. Elisa hätte sie gern sogleich auf den lichten, erhabenen Standpunkt gebracht, den er einnahm; aber sie mussten erst durch ihre eigenen Verkehrtheiten belehrt werden.

Doch mögen sie sich auch noch so schwach und wenig empfänglich erweisen, und mag sich die Kraft des Geistes auch in weit geringerem Maße bei ihnen offenbaren, als bei dem Propheten Gottes, so kann Elisa sie trotzdem als seine Genossen anerkennen, so dass sie seine Gegenwart genießen, sowie den Segen, dessen Träger er ist. Die Stadt, in welcher sie wohnten, hatte unter einem Fluch gelegen (Jos. 6). Elisa aber bringt ihr Heilung. „Keinerlei Fluch wird mehr sein“, so lautete die Sprache des Propheten über Jericho, wie es dereinst die Sprache des Herrn bezüglich Seines Erbteils sein wird **) (Röm. 8; Offenbg. 22). Dies ist tröstlich, wenn auch zugleich demütigend für uns, die wir uns unsrer Schwachheit bewusst sind, und die wir, soweit wir unsre armen Herzen kennen, eher mit den Söhnen der Propheten um Jericho

her stehen, als dass wir in der Kraft des Heiligen Geistes mit Elisa durch den Jordan gehen. Der Gedanke, dass wir uns nicht auf einer Höhe mit ihm befinden, sollte uns zur Demütigung gereichen, während das Bewusstsein, dass der Herr trotzdem unser ist, uns in reichem Maße zu trösten vermag. Vor Ihm stehen die Kleinen ebenso wie die Großen.

Hier möchte ich noch die Bemerkung einfügen, dass von dem Augenblick an, da unser Prophet den Mantel seines Meisters aufhob, Gott alles war, was er· hatte; er erfuhr aber auch, dass Gott für alles, was er bedurfte, genug war. Seine Bedürfnisse waren indessen, wie dies auch bei Jesu der Fall war, nicht seine eigenen. Für Andere nahm er die Hilfsquellen und die Kraft, welche ihm in Gott zu Gebote standen, in Anspruch. Er war reich, aber nicht um für sich davon Gebrauch zu machen. Er begegnet den Unannehmlichkeiten, die in der Natur ihre Quelle haben; ohne einen Geldbeutel zu besitzen, unterstützt er Arme; ohne ein Proviantamt speist er Heere; das, was todbringend war, macht er unschädlich; ohne Brot zu haben, reicht er einer Menge Speise dar und sammelt noch Brocken ein; ohne Arzeneimittel heilt er Krankheiten; ohne Waffen oder Soldaten besiegt er Feinde; während einer Hungersnot versorgt er ein ganzes Volk; wiewohl er tot ist, teilt er Leben mit.

Alles dieses redet zu uns von einem Größeren als Elisa, von Jesu. Denn Jesus hatte nichts und machte doch viele reich. Für die bedürftigen Menschenkinder standen Ihm die Welten der Natur und der Gnade zur Verfügung. Und bei Seinem Diener Elisa leuchtet uns ein Wider- schein von Seinem Tun und Handeln entgegen.

Das Strafgericht über die spottenden Knaben. (Kap. 2, 23 — 2-3).

In diesen Versen wird uns Stoff zu einer Betrachtung anderer Art geboten. Knaben von Bethel sind eine ganz andere Klasse von Leuten, als Prophetensöhne. Wenn Elisa den Starken in Christo darstellt, den wahren Leviten, der allem den Rücken gewandt und seinen Blick nur auf die Herrlichkeit und den feurigen Wagen, der ihn in dieselbe bringen soll, gerichtet hat, und wenn die Söhne der Propheten die Schwachen sind, die durch die Gnade Gottes doch noch dieselbe Gemeinschaft und denselben Segen mit Elisa teilen, so erblicken wir andrerseits in diesen Knaben von Bethel die Spötter oder die Ungläubigen. Sie verachten das Wort des Herrn. Sie spotten über den Gedanken an eine Himmelfahrt. Sie sagen gleichsam: „Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft?“ (2. Petr. 3).

 Mit dem ganzen Geheimnis Gottes, das geoffenbart ist, um dadurch Errettung und Herrlichkeit zu erlangen, treiben sie ihr Spiel. Sie stellen den Sohn Gottes öffentlich zur Schau. „Geh’ hinauf, Kahlkopf! Geh’ hinauf, Kahlkopf!“ so rufen sie Elisa. zu und treiben somit ihren Spott mit dem Gedanken, dass Elia bereits hinaufgegangen sein sollte. Hier ist der Fluch an seinem Platze. Diener erscheinen, um das Zornesurteil zu vollstrecken; Bären kommen über die Knaben von Bethel, sowie Adler über das Aas, um den Widersprechern gegenüber die Unanfechtbarkeit der göttlichen Wahrheit festzustellen.

 Die Schöpfung soll allerdings nicht für immer unter dem Fluche seufzen, den unsre Sünde über sie gebracht hat, sondern sie soll freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses zu herrlicher Freiheit (Römer 8), so wie es mit Jericho gerade geschehen war; aber auf Kain, sowie aus den Knaben von Bethel, die das Heilmittel, welches Gott gegen den Schaden darreicht, verachten, wird der Fluch ruhen. Von solchen spottenden, ungläubigen Knaben, Söhnen des Ungehorsams, ob sie nun von Babel, von Bethel oder von Edom stammen, steht geschrieben: „Glückselig, der deine Kindlein ergreift und sie hinschmettert an den Felsen!“ (Psalm 137) ***)

Die Heere der Könige werden mit Wasser versorgt (Kap. 3).

Wir hören nichts davon, dass Elisa der Spielball gottloser Könige gewesen wäre, wie dies mit Elia der Fall war. Ihre gewalttätige Hand herrscht nicht über ihn; vielmehr hängt ihr Geschick von seinem Wort und von der ihn begleitenden Kraft Gottes ab.

Wir sehen hier, wie, ohne ihn, drei Könige mit ihrer ganzen Heeresmacht an den Rand des Verderbens kommen. Allein durch das Wort des Herrn, welches er verkündigt, wird das ganze Bild mit einem Schlage verändert, und das Elend ganzer Völker, das mit Bestürzung gepaart geht, verwandelt sich in Sieg und Beute.

Indessen müssen wir bei der Betrachtung dieser Begebenheit einen Umstand näher ins Auge fassen. Der

König von Juda befindet sich hier in schlechter Gesellschaft. Das Bündnis, welches er mit dem abtrünnigen Hause Ahabs geschlossen hatte, war das Zeichen eines traurigen Mangels an Wachsamkeit bei Josaphat. Indes lässt die Gnade Gottes hier besondere Gelegenheiten kommen, um das verborgene Leben, welches in ihm war, offenbar werden zu lassen. Er gerät plötzlich in eine Verlegenheit, und nun lässt sich die Stimme seiner besseren Natur hören: „Ist hier kein Prophet Jehovas, dass wir Jehova durch

ihn befragen?“ Diese Worte zeigen an, dass sich der erneuerte Sinn Josaphats in der Lage, in welcher er sich hier befand, nicht wohl fühlte, wiewohl er in einem unbewachten Augenblick eingewilligt hatte, sie zu schaffen. Es war Güte von seiten des Herrn, dass Er die Verlegenheit kommen ließ, damit das Leben, welches tatsächlich in Josaphat war, zu Tage träte (Siehe 1. Kön. 22, 7).

Das ist tröstlich für uns. Indes gibt es in dieser Erzählung noch etwas anderes zu beachten.

Elisa entdeckt in Gegenwart dieser Könige, dass er nicht ohne Weiteres weissagen kann. Josaphat konnte wohl Anspruch darauf machen, dass Elisa ihm das Wort des Herrn mitteilte, denn Josaphat war ein Knecht des Herrn; aber er befand sich nicht an dem Platze, an welchem er hätte sein sollen, und so war der Geist in Elisa gehindert. Das war eine ernste Sache. Ein Saitenspieler musste geholt werden, ehe der Geist in dem Propheten in gewohntem, vollem und gnadenreichem Fluss strömen konnte.

Welch ein Vorwurf lag darin für den König von Juda! Welch ein Vorwurf ist es für irgend einen Heiligen, wenn ein Anderer fühlt, dass in seiner Gegenwart der Geist in ihm zurückgehalten wird! Ist dies aber nicht

oft der Fall? Bildet unser fleischlicher Zustand nicht oft ein Hindernis für das schöne, freie und leichte Ausströmen des Geistes, so dass ebenfalls der Saitenspieler gerufen werden muss? Diejenigen, welche geistlich sind, müssen erst ein gewisses Zögern, eine gewisse Anstrengung, irgend einen Zwischenfall eintreten oder über sich ergehen lassen, ehe alles wieder in harmonischem Einklang sein kann.

So war es hier, und so ist es heute noch oft. Es war ein Beweis von Josaphats schlechtem Zustand, zugleich aber auch von Elisas himmlischer Gesinnung. Wäre des Letzteren Gemeinschaft mit dem Herrn weniger lebendig gewesen, so würde er das Bedürfnis nach dem Saitenspieler nicht in dem Maße empfunden haben. Wäre er im Fleische und nicht im Geiste gewesen, so hätte er kein Gefühl von dem Bruch gehabt, den Josaphat, welcher sich jetzt im Fleische befand, verursachte. Aus dieser seiner feinen Empfindung und seinem Bedürfnis nach einer Erquickung lässt sich seine himmlische Gesinnung erkennen. 

Jesus musste beständig den Saitenspieler rufen. Seine Gemeinschaft mit Seinem Vater begegnete hienieden unaufhörlich Dingen, die ihr hindernd in den Weg traten, und das sogar seitens der Seinigen, die weder für Seine Freuden noch für Seine Kümmernisse ein Verständnis hatten. Er musste sie verlassen; um im Gebet mit Gott zu verkehren, musste Er vor Tagesanbruch aufstehen oder die ganze Nacht einsam verharren und einen wüsten Ort aufsuchen. Gerade die Vollkommenheit Seiner Gemeinschaft war es, die dies notwendig machte. Er bedurfte den Saitenspieler. Hätte Er einen Standpunkt eingenommen, der der Erde näher gewesen wäre, so würde Er die irdische Gesinnung, von welcher Seine ganze Umgebung erfüllt war, nicht so schnell empfunden haben. Der schroffe Gegensatz aber, in welchem dieselbe zu Seiner eignen Seele stand, brachte Ihm diese Gesinnung voll und ganz zum Bewusstsein, und der Wohlklang und das Liebliche Seines Umgangs mit dem Vater reichte Ihm stets neue Erquickung dar.

So war es mit unserm hochgelobten Herrn und Meister, der das Muster aller Vollkommenheiten ist, und so war es auch in seinem Maße mit Elisa. Ein bloßes Werkzeug der göttlichen Macht oder ein bloßes Gefäß einer geistlichen Gabe mag überall mit derselben Freiheit seine Aufgabe verrichten oder seine Gabe verwenden. Balaam sah sich durch die Anwesenheit Balaks und der Altäre nicht gehindert, seine Weissagungen auszusprechen; denn er war ein bloßes Werkzeug — gleichsam ein fleischerner Stoff, durch welchen ein Anderer atmete. Wo aber ein erneuerter Sinn als Werkzeug dient, da kann dies nicht der Fall sein. Mag er auch als ein Werkzeug benutzt werden, durch welches sich eine höhere Macht wirksam erweist, so werden doch die ihm eigentümlichen Gefühle und das ihm eigene feinfühlige Streben nach Heiligkeit stets rege bleiben.

So war es bei Elisa. Das was seine Augen erblickten, konnte ihn nur betrüben. Josaphat hätte nicht an diesem Platze sein sollen, und Elisa muss ihm zu verstehen geben, dass, wenn er selbst ihn betreten sollte, dies auf einem ganz anderen Wege geschehen musste. Ein Heiliger kann zwar an Stätten, die aufs Traurigste verunreinigt sind, zum Dienst oder zum Zeugnis berufen werden; aber nie wird er Gefallen daran haben, sich dort aufhalten zu müssen, vielmehr wird dies seiner Seele stets zuwider sein.

Es gereicht Elisa, als einem Heiligen, zum Ruhme, dass er in dieser Weise dem Herrn ähnlich war, indem er das Schwere und Drückende eines Auftritts, wie der vorliegende, augenblicklich fühlte, während ein anderer Heiliger an demselben teilnehmen konnte, da er nicht im Geiste, sondern im Fleische wandelte. Wie sollten wir danach trachten, Elisa zu gleichen, Geliebte! Wie sollten wir so leben, uns so bewegen Und so mit unserm ganzen Wesen im Heiligtum weilen, dass demselben nichts Unreines nahen könnte, ohne dass wir sofort eine Empfindung davon hätten!

Fußnote:

*) In Luk. 9, 62 scheint der Herr auf die Berufung Elisas anzuspielen. Elisa war damals am Pfluge, allein es hatte den Anschein, als ob er ein wenig zurückblicke. (Siehe 1. Kön. 19, 19. 20)

**) Sollte der Gedanke nicht zu kühn sein, so möchte ich aus dem, was die Schrift uns von der Geschichte Jerichos mitteilt, entnehmen, dass wir in dieser Stadt ein Bild der ganzen Erde erblicken können. Im Anfang wurde der Fluch über diese Stadt ausgesprochen (Josua 6); derselbe kam zur Ausführung (1.Kön.16,34); schließlich aber wird sie zu einem gesund gemachten Ort, der wieder zur Wohnung dienen und Gott und Menschen erfreuen kann. Dürfen wir darin nicht ein Gleichnis von der Geschichte der Erde

erblicken?

***) Bethel kann wohl mit Recht mit Babel und Edom zusammengestellt werden. Was wir von ihm hören, deutet auf völligen Abfall von Gott hin. In Bethel wurden die abgöttischen Bilder aufgestellt (1. Kön.12, 25 -33); in Bethel wurde, wie wir gesehen haben, Hiel geboren (siehe die Einleitung); und hier wird uns mitgeteilt, dass es der Geburtsort dieser spottenden, ungläubigen Knaben war.

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Leben durch Glauben

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 16ff

„Was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes“ (Gal. 2, 20).

Sobald ein Christ das Kreuz und die Herrlichkeit Christi aus dem Auge verliert, hört er auf, durch Glauben zu leben, und tritt in die Wege der Welt ein. Dies mag unter zwei Hauptformen geschehen, der gesetzlichen oder der fleischlichen; aber so schroff diese beiden Formen sich auch gegenüberstehen, so entstammen sie doch derselben bösen Quelle, dem Fleische, und dienen demselben bösen Zweck, der Befriedigung des natürlichen Herzens. Darum sind beide Formen mit allen ihren Abstufungen und Schattierungen verwerflich vor Gott, so verschieden sie auch seitens der Menschen beurteilt werden mögen.

 So war z. B. der Zustand der Christen in Korinth wegen der dort herrschenden Unordnung und Sittenlosigkeit in den Augen der Menschen sicherlich weit schlechter als derjenige der Christen in Galatien, die um das Gesetz eiferten. Aber obgleich der Apostel die ersteren sehr ernst zurechtwies, sagte er doch nicht zu ihnen: „Ihr seid abgetrennt von dem Christus…; ihr seid aus der Gnade gefallen. .

 Ihr liefet gut; wer hat „euch aufgehalten, dass ihr der Wahrheit nicht gehorchet?“ (Gal. 5, 4. 7.) Sicher dachten die Galater nicht im Entferntesten daran, dass sie den Pfad des Glaubens verlassen und die Wahrheit des Christentums ausgegeben hätten; aber nach dem Urteil des Heiligen Geistes war es so. Heute lobt man einen gesetzlichen Eifer, ohne zu fragen, ob das, wofür man eifert, auch der Wahrheit des Christentums entspricht. Man sagt:

 Es hat doch einen guten Zweck! aber man bedenkt nicht, dass man nach dem Grundsatz der Welt und nicht nach dem des Glaubens handelt. Offenbar verfolgten die Christen in Galatien und Kolossä auch einen guten Zweck, als sie um das Gesetz, eiferten; aber der Apostel bezeichnet ihr Streben als ein Leben in der Welt. „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerfet ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt“ (Kol. 2, 20). Ihr Streben stand mit den Bemühungen des Apostels in unmittelbarem Widerspruch, indem er die Gläubigen vollkommen in Christo darzustellen suchte. Und wie ernst er diese Sache nahm, ersehen wir aus den Worten: „Denn ich will, dass ihr wisset, welch großen Kampf ich um euch habe“ (Kol. 1, 28. 29; 2, 1).

Die Absicht des Feindes ging von jeher dahin, die Christen vom Pfade des Glaubens ab- und in die Welt zurückzuführen. Beherzigen wir daher die ernsten Worte des Apostels Judas: ,,Geliebte, indem ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“ (V. 3). Und in Übereinstimmung hiermit bezeugt Paulus: „Was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes“. Wie treu und entschieden er diesen Weg verfolgt hat, bezeugt er am Ende seines Lebens: „Ich habe den guten Kampf gekämpft; ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit“ (2. Tim. 4, 7).

Die Natur des Glaubens, durch welchen der Apostel lebte, erklärt er uns in den hinzugefügten Worten: „Durch den an den Sohn Gottes“. Wenn schon der Glaube an und für sich uns außerhalb aller natürlichen und weltlichen Beziehungen stellt, so lenkt der Glaube an den Sohn Gottes unsern Blick auf das, was Christus als Sohn in Seinen höchsten und ewigen Beziehungen zu dem Vater ist. Nicht was Er in Seinem Verhältnis zur Kirche ist, so unendlich kostbar dies auch sein mag, noch was Er in Seinem Verhältnis zu Israel, Seinem irdischen Volke, oder zu den Nationen ist, die Ihm alle unterworfen sein und Ihm ihre Huldigungen darbringen werden. Es handelt sich um das, was Er von Ewigkeit her war und ist als Sohn Gottes. Wer vermöchte diese Herrlichkeit zu ergründen! „Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater“ (Matth. 11, 27). 

Wenn schon die Herrlichkeiten der Schöpfung, des Reiches und der Kirche so unendlich groß sind, wie groß muss dann die Herrlichkeit Dessen sein, durch den und um deswillen alle jene Herrlichkeiten sind! Johannes drückt die persönliche Größe und Herrlichkeit des Sohnes aus durch die Worte: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch nicht eines, das geworden ist“ (Joh. 1, 1 - 3). 

Es handelt sich um eine Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war; und diese Herrlichkeit ist ebenso unergründlich wie die Liebe, mit welcher der Vater den Sohn liebt, die Liebe, die der Sohn selbst andeutet, wenn Er sagt: ,,Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“ (Joh. 17, 24) 

Die Ihm vom Vater gegebene Herrlichkeit wird hier als Beweis der Liebe des Vaters zu Ihm dargestellt. Auch die Kirche ist Ihm zu diesem Zwecke vom Vater gegeben; und ebenso wird das Reich mit seinen himmlischen und irdischen Herrlichkeiten als das Reich des Sohnes Seiner Liebe bezeichnet (Kol. 1, 13). Himmel und Erde, das ganze Weltall mit all seinen Herrlichkeiten, sind zunächst und vor allem deshalb ins Dasein gerufen worden, um die Liebe des Vaters zum Sohne ans Licht zu stellen, um zu zeigen, was dieser von Ewigkeit her für Sein Herz war als Sohn in Seinem Schoße. „Als Er die Grundfesten der Erde feststellte, da war ich Schoßkind bei Ihm, und war Tag für Tag Seine Wonne.“ (Sprüche 8, 29. 30.) Alle Dinge, „die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten“ (Kol. 1, 16), haben Ihm gegenüber nur einen untergeordneten Platz.

Hat die Welt dem eben genannten Zwecke entsprochen? Hat sie in Übereinstimmung mit der Liebe des Vaters die — Herrlichkeit des Sohnes anerkannt, und Ihm in ehrfurchtsvoller Unterwürfigkeit die Ihm gebührende Huldigung dar gebracht? Das Kreuz ist die Antwort auf diese Frage. Mit gewaltiger, nie verhallender Stimme bezeugt es den Zustand der gegenwärtigen Welt: sie hasst Den, welchen der Vater so unaussprechlich liebt. Das Kreuz ist der unumstößliche Beweis, dass diese Welt mit allem, was in ihr ist, in .schroffstem Gegensatz zum Vater steht. Deshalb die Ermahnung: „Liebet nicht die Welt, noch was-in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1.Joh. 2, 15.) Es ist ebenso unmöglich, den Glauben an den Sohn Gottes mit einer weltlichen Gesinnung zu verbinden, wie sich Licht mit Finsternis vereinigen lässt.

Dieser Gegensatz zwischen dem Vater und der Welt wird noch mehr verschärft durch den vom Himmel herniedergesandten Heiligen Geist, welcher bezeugt, dass der Vater Seinen von der Welt verworfenen Sohn zu Seiner Rechten erhöht und Ihm die Herrlichkeit gegeben hat, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war. Und in Übereinstimmung damit stellt sich der Glaube auf die Seite Gottes, indem er sich entschieden von der Welt trennt und seinen Blick auf die Herrlichkeit richtet. Diese Absonderung kennzeichnet den Pfad des Glaubens, und entspricht der Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden; denn Er kann unmöglich einen Wandel nach weltlichen Grundsätzen durch Seine Gegenwart bestätigen. Er ist der Geist. der Wahrheit, der gekommen ist, die Welt zu überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht; gekommen, um Christum zu verherrIichen (Joh. 16, 8. 14). Er besteht aus einer entschiedenen Absonderung von der Welt seitens der Christen, wenn diese anders aus Seiner Gegenwart Nutzen ziehen und deren segensreiche Wirkungen an ihren eignen Herzen erfahren wollen. Er besteht darauf, dass sich im Wandel der Christen derselbe Gegensatz zeige, wie er zwischen dem Vater und der Welt besteht.

Im Einklang damit stehen auch die Worte des Herrn: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin. Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit. Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt; und ich heilige mich selbst für sie, aus dass auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit« Die neue Stellung, welche Christus nach Seiner Verwerfung in der Herrlichkeit eingenommen hat, bezeichnet das Maß unsrer Heiligkeit und unsrer Absonderung von der Welt. 

Er hat sich für uns geheiligt, indem Er dorthin gegangen ist. Wie Er für uns am Kreuze starb, und wir dort nach unserm alten Zustande in Ihm gerichtet worden sind, so sind wir jetzt nach unsrer neuen Stellung droben in Ihm verherrlicht; haben in Ihm dort in der Gegenwart Gottes unsern Platz, während zugleich der Heilige Geist in uns hienieden Wohnung gemacht hat. Unsre Absonderung von der Welt ist denn in Ihm zur vollendeten Tatsache geworden, wir sind Geheiligte durch Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist in der Person des zur Rechten Gottes verherrlichten Menschen, der höher als die Himmel geworden ist, hervorgestrahlt. Die im Glauben erfasste und verwirklichte Erkenntnis dieser Wahrheit trennt uns von der Welt und heiligt unsre Gedanken, Gefühle und unsern ganzen Wandel, entsprechend dem Bilde, welches die Wahrheit uns vor Augen stellt; und obgleich noch in der Welt, sind wir nicht von der Welt, sondern Fremdlinge in ihr, wie Er es war.

Das Kreuz Christi, die Herrlichkeit Christi Und die Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden bezeichnen also den Pfad des Christen, das Leben durch Glauben, als einen Pfad unbedingter Heiligkeit. Das Kreuz ist der Ausgangspunkt dieses Pfades, und der gegenwärtige Platz Christi in der Herrlichkeit ist das Ziel desselben· Dieses Ziel im Auge haben und in Dingen leben, die unvereinbar mit demselben sind, ist unmöglich. Johannes schreibt an seine geliebten Kinder: »Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist (1. Joh. 3, 2. 3.) Könnten gesetzliche Vorschriften oder menschliche Satzungen diese Reinigung bewirken? 

Haben nicht gerade die Elemente der Welt —- und dazu gehören die menschlichen Überlieferungen und Einrichtungen ebenso wohl, wie die Sünden und Gottlosigkeiten der Welt — den Tod Christi herbeigeführt? Darum kann nur das Kreuz der Ausgangspunkt des Pfades des Christen sein. Nur dieser entspricht der Liebe des Vaters zum Sohne, ist würdig des Sohnes Gottes, und steht im Einklang mit dem Heiligen Geiste. Denn wer seinen Pfad wirklich beim Kreuze beginnt, hat geendigt mit dem eignen ,,Ich« und dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf, wie der Apostel sagt: „Ich bin mit Christo gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“. Und wiederum: »Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unsers Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt“ (Gal. 2, 20; 6, 14).

Gott gebe uns, geliebter Leser, dass wir die Sprache des Kreuzes besser verstehen lernen, damit sie auch auf unsre Herzen den tiefen, unauslöschlichen Eindruck mache, wie einst auf den Apostel! Er hatte verstanden, wer dort für ihn gestorben war, um seine Erlösung und Befreiung zu bewirken: der Sohn Gottes selbst! Diese Tatsache verlieh dem Kreuze in seinen Augen jene göttliche Kraft, welche sein ganzes Leben beherrschte. „Was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat« Möchte diese herzgewinnende und heiligende Macht der Liebe, in welcher der Sohn Gottes sich für uns bis zum Kreuze erniedrigte, damit wir Seine Herrlichkeit mit Ihm teilen könnten, unser ganzes Leben beherrschen! 

Denn dann wird diese Welt für uns dasselbe sein, was sie für Ihn war; Sein Pfad und Seine Erfahrungen hienieden werden die unsrigen sein, und wir werden willig Seine Schmach tragen. Denn vor uns liegt die Herrlichkeit, die unaussprechliche Freude, bei Ihm zu sein auf immerdar. Wahrlich, es ist der Mühe wert, mit Ausharren den vor uns liegenden Wettlauf zu laufen, ,“hinschauend auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten Gottes“ (Hebr. 12, 2).

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Dem aber der nicht wirkt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 23ff

„Dem aber, der nicht wirkt, sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm. 4, 5).

Sobald ein Mensch um seine Seligkeit bekümmert wird, denkt er zuerst ans „Wirken“, ans „Werke tun“. Das göttliche Licht, welches in seine Seele geleuchtet hat, lässt ihn seinen unreinen, sündhaften Zustand erkennen und zeigt ihm, dass er der Gnade bedarf. Aber anstatt nun die Gnade Gottes so frei und umsonst anzunehmen, wie sie ihm angeboten wird, wünscht er, sich ihrer erst würdig zu machen. Er sucht ein neues Leben zu beginnen, „sich zu bessern“ und vor Gott wohlgefälliger zu wandeln, und dann will er Gnade haben. Das dünkt ihm der richtige Weg in den Himmel zu sein. Er vergisst ganz, dass die Gnade nicht mehr Gnade wäre, wenn der Sünder irgendetwas zu· seiner Errettung beitragen könnte, und dass in diesem Errettungswerke Gott allein die Ehre haben will und muss.

Seinen eignen Gedanken folgend, tappt der Mensch im Finstern umher. Er muss erfahren, dass Gott die Weisheit des Menschen stets zunichtemacht. Anstatt in seinen Werken, in seinem Beten und Ringen Ruhe zu finden, wird es in seinem Innern immer trostloser. Je mehr er sich abmüht, je mehr er kämpft, desto mehr sieht er sich gefangen in den Netzen der Sünde, in den Ketten Satans, des Fürsten der Finsternis. Der Heilige Geist überführt ihn von der gänzlichen Hoffnungslosigkeit seines Zustandes vor Gott. 

Zu seiner tiefen Bestürzung muss er erfahren, dass es mit seinem „Besserwerden“ nichts ist, und dass alles, was er zu tun sucht, um Gott zu befriedigen und sich selbst für den Empfang der Gnade würdiger zu machen, nichts, gar nichts taugt. Eine Stütze nach der andern bricht zusammen, und endlich steht er da als ein Mensch, der in jeder Beziehung rettungslos verloren ist. Vergebens schaut er sich um nach einem Wege des Entrinnens; denn in ihm selbst und rund um ihn her wird kein Weg gefunden. Er sucht und sucht; aber jeder Weg ist versperrt, jede Hilfe abgeschnitten. Verzweifelnd erkennt er seine gänzliche Hilflosigkeit, sein völliges Unvermögen, auch nur einen Finger zu seiner Sicherstellung vor dem Zorne des heiligen Gottes zu regen.

Das ist eine ernste, niederschmetternde Entdeckung; aber welch ein Glück, wenn ein Mensch dahin kommt, nicht länger sein Heil in sich und seinem Tun, auch nicht mehr in irgendetwas hienieden zu suchen, sondern seinen Blick nach oben zu richten! Er ist jetzt an dem Platze angelangt, wo ihm geholfen werden kann. Hilfeflehend seufzt er zu Gott empor und sehnt sich nach einer freien, unverdienten Gnade, ohne Verdienst und ohne Werke. Und nun dringt die frohe Botschaft in sein Herz, dass Jesus Christus gekommen ist, um Sünder und Verlorene zu erretten, dass der Gerechte für die Ungerechten gelitten hat, um sie zu Gott zu führen, dass Gott den Gottlosen rechtfertigt und den feindseligen, verdammungswürdigen Sünder zu Seinem Kinde machen und der Sünden und Übertretungen desselben nie mehr gedenken will.

An diese Predigt hatte der Pharisäer Simon nicht gedacht, als Jesus in seinem Hause die große, stadtbekannte Sünderin rechtfertigte und ihre Liebe pries, während Er Simon nicht rechtfertigte, obwohl derselbe sicherlich in der ganzen Nachbarschast als ein achtbarer, gerechter Mann galt, und dies in seinen eignen Augen auch ohne Zweifel war. Ach! in keines Menschen Herz hätte jemals der Gedanke kommen können, dass der heilige Gott Seine Freude daran finden wolle, den Gottlosen zu rechtfertigen und seiner Sünden nie mehr zu gedenken. Aber dieser Gedanke war und ist in dem Herzen Gottes. In den Herzen der Menschen war kein Raum für Gott und für Seinen geliebten Sohn, aber in dem Herzen Gottes war Raum für den armen, verlorenen Sünder. Anbetungswürdige Gnade!

Den Sünder verdammt alles — Gedanken, Worte und Werke; er selbst muss sich das Urteil sprechen. Aber Der, von welchem er vor allen Dingen ein schonungsloses Gericht erwarten müsste, ist bereit, ihn zu rechtfertigen. Obwohl der Sünder unaufhörlich an Gott gesündigt und stets als ein Gottloser und Feind vor ihm gewandelt hat, ist Gott doch geneigt, alle seine Übertretungen zu vergeben und ihm um Christi willen ewiges Leben und ewige Seligkeit zu schenken. Der verlorene Sohn hatte alles verprasst und kehrte in Lumpen gehüllt zu seinem Vater zurück; aber noch hatte er die Schwelle des väterlichen Hauses nicht überschritten, als der Vater an seinem Halse hing und ihn zärtlich küsste. Ja, der Vater ließ den reuigen Sohn herrlich kleiden, führte ihn ins Vaterhaus und rief seinen Knechten zu: „Lasset uns essen und fröhlich sein!

So ist das Herz Gottes. Mit schwerer Schuld beladen, zitternd und zagend blickt der Sünder nach oben; und siehe da! liebende Vaterarme sind für ihn geöffnet, das vornehmste Kleid liegt für ihn bereit, und die herrliche Botschaft dringt in sein Herz: „Sei gutes Mutes, Kind, fürchte dich nicht! Deine Schuld ist getilgt. Das Blut Jesu Christi, meines Sohnes, reinigt von aller Sünde. Ich will deiner Übertretungen nie mehr gedenken. Als mein geliebtes Kind, als Erbe Gottes und Miterbe Jesu Christi sollst du einen Platz in meinem Hause und an meinem Herzen haben. Ich habe dich geliebt, ehe du mich kanntest, ja, ehe du nach mir fragtest, und ich liebe dich wie meinen Geliebten selbst. Die Herrlichkeit, die ich Ihm gegeben habe, soll dein sein aus ewig!“

Eine solche Aufnahme hat der Sünder nicht erwartet, ebenso wenig wie der verlorene Sohn sie erwarten konnte. Der Sünder naht und denkt nur an seine vielen Sünden, an seine große Schuld; Gott denkt nur an Seine Liebe und Gnade und richtet den Blick des Bußfertigen nach Golgatha auf das Kreuz Seines geliebten Sohnes. Ach, wenn Er nur mit einem leisen Vorwurf der begangenen Sünden gedächte! Aber nein, Er tut es nicht. Er redet kein Wort davon. Er wirft nichts vor. Die ganze Schuld des glaubenden Sünders ist getilgt; alle seine Sünden sind an das Fluchholz getragen und dort gerichtet worden. 

Der Sohn Gottes „ist um unsrer Übertretungen willen dahingegeben worden“ (Röm. 4, 25.) Die Gerechtigkeit Gottes hat sich im Blick auf uns in dem Opfer Christi auf Golgatha völlig befriedigt, so dass Er jetzt Seiner vollkommenen Gnade und Liebe gegen uns freien Lauf zu lassen vermag. Das ist die einzige, aber auch die feste, göttliche Grundlage, auf welcher der Gottlose nahen kann und, seine Schuld bekennend, Gnade und Vergebung findet.

Es ist kein Wunder, dass der Sünder die göttlichen Gedanken nicht gleich zu erfassen vermag, dass das Gewicht einer solchen Gnade und Liebe ihn zu Boden drückt. Ach, wie herrlich und köstlich sind die Gedanken Gottes über den Gottlosen! Gott will nicht seinen Tod, sondern dass Er sich bekehre und lebe! Er will nicht, dass er auf seinem bösen Wege weitergehe und ins Verderben renne, sondern dass er zu Ihm umkehre und Erbarmen finde. „Der Gesetzlose verlasse seinen Weg, und der Mann des Frevels seine Gedanken; und er kehre um zu Jehova, so wird Er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn Er ist reich an Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht Jehova“ (Jes. 55, 7. 8). 

Hört nun „der Gesetzlose auf die ernste Warnung Gottes und kehrt um zu Jehova, so vernimmt er die wunderbaren Heilsgedanken, glaubt an Jesum und ist errettet. Nicht Werke, sondern sein Glaube wird ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Ja, die Gerechtigkeit Gottes selbst ist das Kleid, in welchem der Gläubige vor Gott steht; und Friede und Freude erfüllen sein Herz. Der Heilige Geist überzeugt ihn von seiner Gotteskindschaft und versiegelt und verbürgt ihm alle Rechte und Beziehungen dieses seligen Verhältnisses.

Gott sei Lob und Dank, dass wir, was die Frage unsrer Rechtfertigung betrifft, uns nur mit den Gedanken Gottes und dem Werke Jesu Christi zu beschäftigen haben! Unser Herz denkt immer zu gering von dem Herzen Gottes. Wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind Gottes Wege höher als unsre Wege und Seine Gedanken als unsre Gedanken. Wir werden auch stets finden, dass alle diejenigen, welche die Gedanken Gottes im Glauben annehmen, ohne zu zweifeln, Friede und Freude genießen und fähig sind, Ihn durch einen würdigen Wandel zu verherrlichen; während alle, die mit ihren eignen Gedanken und ihrem eignen Herzen beschäftigt· sind, gedrückt einhergehen und wenig zu danken haben. 

Sie bleiben immer von ferne stehen als Sünder, und nahen nicht wie geliebte Kinder, die sich der Liebe ihres Vaters bewusst sind. Unser Friede gründet sich nicht auf uns oder auf etwas, was wir getan oder nicht getan haben. Gott sei Dank, nein! Er gründet sich vielmehr auf Gott und auf Sein in Christo Jesu vollbrachtes Erlösungswerk. Wir glauben an den Gott, der Jesum aus den Toten auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben hat; unser Glaube und unsre Hoffnung ist auf Gott selbst. (1.Petr. 1, 21).

Abraham setzte seine Hoffnung auf den Gott, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft als seiend. Er glaubte wider Hoffnung auf Hoffnung. ,,Nicht schwach im Glauben, sah er nicht an seinen eigenen, schon erstorbenen Leib, da er fast hundert Jahre alt war, und das Absterben des Mutterleibes--der Sarah, und zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend, und war der vollen Gewissheit, dass Er, was Er verheißen habe, auch zu tun vermöge. Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden“ (Röm. 4, 18 — 21). Lasst uns ihm gleichen, geliebter Leser, und mit dem Apostel fröhlich ausrufen: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum“ (Röm. 5, 1)!

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 29ff

Das Öl der Witwe wird vermehrt (Kap. 4, 1---7).

„Euch geschehe nach euerm Glauben!“ so lautete das Wort des Herrn an die zwei Blinden, welche Ihm einst folgten und tun Erbarmen flehten. Wie wunderbar und herrlich ist es doch, dass somit unser Glaube, unser Ausharren oder das, was unsre Hoffnung erwartet, irgendwie das Maß für die tätige und freigebige Wirksamkeit des Herrn abgeben darf! Aber so war es in der Tat: „Euch geschehe nach euerm Glauben!“ heißt es; und wiederum: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast“ (Matthäus 8 und 9).

Dieselbe Sprache redete das Wunder, welches hier durch die Hand Elisas geschah. So lange nämlich die arme Witwe Gefäße herbeibrachte, ließ der Krug sein Öl fließen. Das Öl wartete auf die Gefäße. Die Gefäße bildetest das Maß für das Öl. Mit anderen Worten: die Kraft Gottes wartete auf den Glauben; der Glaube war bei dieser Gelegenheit für die Ergiebigkeit der Hilfsquellen Gottes maßgebend. Es war gerade so wie Jahrhunderte vorher, als Abraham vor den Herrn hintrat und für Sodom Fürbitte einlegte. So lange nämlich Abraham stehen blieb und Fürbitte tat, blieb auch der Herr stehen und sagte zu (1. Mose 18, 17 —33).

Diese bewunderungswürdige Gnade Gottes findet in dem vorliegenden Abschnitt eine liebliche Darstellung. Indessen ist hier noch etwas anderes zu beachten. Der Prophet sagte zu dem Weibe: „Tue mir kund, was du im Hause hast“. In ähnlicher Weise richtete in späterer Zeit Jesus die Frage an Seine Jünger: „Wie viele Brote habt ihr?“ und so hatte Er auch einst zu Mose an dem Berge Horeb gesprochen: „Was ist das in deiner Hand?“ Denn es geziemt sich, dass alles, was irgend wir haben, zur Verwendung komme. 

Es mag für das vorliegende Bedürfnis durchaus nicht genügen, aber es soll benutzt werden, mag es sein was es will. Wenn es auch nur ein Hirtenstab ist, und es sich um Israels Erlösung handelt; oder nur ein Krug Öl, und der Schuldherr, der ein Recht hat, die Kinder und alles zu verkaufen, bezahlt werden muss; oder wenn nur fünf Gerstenbrote da sind und fünftausend Hungrige gesättigt werden müssen“ — ganz einerlei; was da ist, muss herbeigebracht und benutzt werden. „Sie hat getan, was sie vermochte“ (Mark. 14, 8). Dementsprechend finden wir hier das Wort: „Tue mir kund, was du im Hause hast“.

Und wenn nun der Krug Öl und damit alles, was im Hause ist, herbeigebracht ist, so mag der Glaube auf die Kraft Gottes und auf Sein Verheißungswort rechnen; und es wird nicht nur der Schuldherr befriedigt, sondern, über die Bezahlung der Schuld hinaus, auch noch für den Lebensunterhalt auf viele Tage hin gesorgt werden. Nicht nur wird die Menge gespeist, sondern es werden auch noch Brocken eingesammelt; nicht nur wird Israel aus Ägypten erlöst, sondern derselbe Hirtenstab, der nun zu dem Stabe Gottes geworden ist, wird auch die Herde weiden und hüten bis an das Ende der Wüstenreise.

Die Sunammitin (Kap. 4, 8 - 37).

In dieser Erzählung zeigt sich aufs neue, welche Macht dem Propheten zu Gebote stand, während er hienieden umherwandelte. Was wir hier vor Augen haben, ist ein herrlicher Beweis davon, und wir werden sehen, in welch bemerkenswerter Weise dabei die wirksame Kraft und die Machtvollkommenheit Gottes, womit der Prophet ausgerüstet war, zu Tage treten. Allein obwohl ihm solche Macht zum Nutzen Anderer zur Verfügung stand, besaß er selbst doch während all dieser Zeit nichts. 

Er war tatsächlich arm, während er viele reich machte; er schien alles zu besitzen und hatte doch in Wirklichkeit nichts. Diejenigen, um derer willen er Hilfsquellen erschloss, welche völlig außerhalb des Bereiches des Menschen lagen, sorgten für ihn und teilten ihm das mit, was er zum täglichen Leben bedurfte. Dazu kam, dass er allein durch diese Welt wandelte, während doch alle auf ihn warteten.

Alles das erinnert uns in lebendigster Weise an das Leben und den Wandel des Einen, der sich Meister und Herr nennen und die Huldigungen entgegennehmen konnte, welche der Glaube Ihm darbrachte, während Er gleichzeitig nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegen sollte. Wir finden in allen diesen Dingen bei unserem Propheten einen Widerschein, einen Abglanz des Pfades Jesu.

Das Weib, welches in diesem Abschnitt vor unsre Blicke tritt, gehörte augenscheinlich zu dem göttlichen Samen im Lande Israel. Sie lebte inmitten des abseits wohnenden Stammes Jssaschar und scheint Elisa, den mächtigen Propheten Gottes, nicht persönlich gekannt zu haben. Aber schon sehr bald nimmt sie etwas an ihm wahr, was vom Herrn ist. Sie war bereits von Gott belehrt worden; ihre Religion bestand in jener Gesinnung, welche die Gedanken und Wege Gottes an einem bösen Tage, wenn alles durch den Abfall verdunkelt ist, zu unterscheiden wusste. Neumonde und Sabbate machten nicht ihren Gottesdienst aus oder bestimmten den Verkehr ihres Geistes mit Gott, wie ihr Mann irrtümlicherweise meinte. Vielmehr war Elisa, der in jenen Tagen den Kanal bildete, durch welchen sich, unabhängig vom Tempel und seinen Verordnungen, göttliche Macht und Gnade ergoss, ihr Gegenstand und ihre Hoffnung; denn er war der Gegenstand, auf welchen das Auge Gottes gerichtet war, sowie das Werkzeug, dessen Er sich bediente.

Demgemäß bereitete sie ihm in ihrem Hause einen Platz, an welchem er sich aufhalten konnte. Die Vorkehrungen, welche sie für ihn trifft, zeigen weiter in bedeutsamer Weise, wie gut sie ihn versteht. Sie richtet ihm nur eine kleine Kammer mit Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter her. Alles entsprach dem einfachen Wesen eines Mannes Gottes, der, von der Welt abgesondert, inmitten ihres Verderbens als ein Fremdling dastand.

Sie verstand ihn, weil sie ihm glich. In ihnen beiden lebte ein Geist. Die Gedanken und Gewohnheiten eines Pilgrims, in welchen Elisa sich bewegte, waren ihr eben darum verständlich, weil sie selbst in denselben geübt war. Dies ist auch die einzige Art und Weise, in welcher man sowohl die Kinder Gottes, als auch Gott selbst in Wahrheit kennen lernen kann. Der gemeinsame Geist stellt die Verbindung her und ruft eine Übereinstimmung in der Gesinnung wach.

Die Sunammitin wohnte inmitten ihres Volkes und hatte keinen Wunsch, dass für sie, sei es mit dem Könige oder mit dem Heerobersten, geredet würde. Gerade so war es mit Elisa; denn obgleich ihm der König wie der Heeroberste Gehör schenkten, (wie dies billigerweise nicht anders sein konnte, nachdem er am Tage der Schlacht ihre Heere versorgt hatte), zog er es doch vor, ein Fremdling und Pilgrim im Lande zu bleiben und in einer kleinen Kammer zu herbergen, die mit den einfachsten Hausgeräten, einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Leuchter, versehen war.

Hier tritt uns deutlich die Gemeinsamkeit der geistlichen Empfindungen entgegen, wie sie unter den Kindern Gottes besteht. Das Weib konnte einen Propheten in eines Propheten Namen aufnehmen, und zwar so wie es den Gefühlen und Neigungen eines Propheten entsprach. Und der große Prophet jenes Tages, der Zeuge Gottes im Lande, das Gefäß der reichsten Schätze Gottes, welches damals die göttlichen Segnungen überall da, wohin die Macht des Geistes es führte, im Namen des Herrn ausströmen ließ, ist eines Sinnes mit dieser unbekannten, in entlegener Gegend in den Grenzen „Issaschars wohnenden Tochter Abrahams. Wie kostbar sind doch die Spuren des einen Geistes, der so jedem auserwählten, der gleichen Haushaltung angehörenden Gliede Leben und Gestaltung gibt!

Wir entdecken jedoch an diesem bevorzugten und angehenden Orte nicht nur eine Tochter Abrahams, sondern auch etwas von dem Hause und dem Glauben dieses Patriarchen. Die Sunammitin hatte keinen Sohn, und ihr Mann war alt. Aber so wie der Herr selbst einst zu Abraham gesprochen hatte: „Übers Jahr, und Sarah wird einen Sohn haben“, so spricht jetzt der Prophet Jehovas zu dieser Sunammitin: „Übers Jahr wirst du einen Sohn umarmen“. Und nach diesem Worte geschah es -— wie bei Sarah, so auch bei diesem Weibe. Die lebengebende Kraft Gottes kehrte in ihr Haus ein, und sie umarmte einen Sohn, wie es ihr verheißen worden war.

Indessen können Wir in diesem Hause noch mehr als das wahrnehmen. Durch die Hand Elisas soll dieses Weib nicht nur die Macht, Leben zu geben, sondern auch die Macht der Auferstehung kennen lernen; gerade so wie das Haus Abrahams durch die Wirksamkeit des Herrn selbst über diese Macht belehrt wurde. Isaak, zuerst im Mutterleibe durch die Macht Gottes ins Leben gerufen, wurde nachher wie aus den Toten empfangen. Ähnlich ist es hier. Der Sohn der Verheißung wird unter das Urteil des Todes gestellt, aber durch dieselbe Macht Gottes, mittelst des Elisa, aus den Toten auferweckt.

Das ist also wiederum ein Zug, der an Abrahams Haus erinnert; und ein in entlegener Gegend wohnendes

Weib von Issaschar ist es, welchem seitens des Gottes ihres Volkes solche Beachtung, solche Ehre, solche Gnade zuteil wird. Aus diesem Wege wird das Haus der Sunammitin zu einem Beispiel, in welchem jenes herrliche Geheimnis zu Tage tritt, an dem wir alle teilhaben; es wird zu einem Zeugnis von dem, was eine jede Seele erfahren hat, der die Kraft Gottes bekannt geworden ist; denn es zeigt sich hier eine Kraft, die sowohl Leben mitteilt, als auch Auferstehung bewirkt, eine Kraft, welche diejenigen, die tot in Sünden und Übertretungen waren, auferweckt, um nun in dem Leben des Sohnes Gottes leben zu können.

Der Glaube macht sich dies zu eigen: der Glaube, welcher erfasst, dass in uns der Tod, in Jesu aber das Leben ist. Je einfältiger dies geschieht, um so glücklicher find wir. Je weniger Fragen und Zweifel wir erheben, desto mehr sind wir mit den Gedanken Gottes in Übereinstimmung. So war es bei dieser Sunammitin. Ihr Glaube war, wie wir gesehen haben, sofort bereit, in die Gedanken des Propheten einzugehen, ja bereit, zu verstehen, dass alles wohl stände oder doch gut werden würde, selbst nachdem

der Tod das Haus betreten hatte. Und er war bereit, trotz aller Versucher und Versuchungen, sich an den Propheten Gottes, an den Gegenstand und das Werkzeug Gottes zu klammern, und nur an ihn allein. Das war eine kostbare Glaubenseinfalt, ein liebliches Vertrauen. Und auch während der ganzen Glaubensprobe, durch welche sie jetzt, wie seiner Zeit ihr Vater Abraham, geführt wird, ist an ihr eine sich stets gleichbleibende Ruhe und Gewissheit der Seele zu bemerken. Als der Erzvater den Befehl erhielt, seinen Sohn zu nehmen und als Brandopfer zu opfern, da ging er dieser Probe entgegen, ohne dass seine Seele auch nur im Geringsten beunruhigt worden wäre. Der Esel und die Knaben werden unverzüglich in Bereitschaft gestellt, und alles was nötig war: Messer, Feuer und Holz, wird ohne Zögern beschafft. 

Der Glaube rechnete auf eine Auferstehung. Abraham urteilte, dass Gott imstande wäre, Isaak aus den Toten aufzuerwecken, gerade so gut, wie Er ihm vorher in dem Mutterleibe der Sarah das Leben verliehen hatte. Abraham blieb daher völlig ruhig: und als am Ende die Errettung wirklich eintrat und die Stiulnle«oo1n.Hi1n1ne"l den Stellvertreter für Isaak ankündigte, bemerken wir nichts von Überraschung oder Erstaunen bei unserm Patriarchen. Er wundert sich nicht, ist auch nicht im Zweifel und fragt nicht, ob sich wirklich also verhalte, sondern er macht seinen Sohn mit derselben Ruhe und Gewissheit los, wie er ihn vorher gebunden hatte. Welch eine Tiefe und welch eine Würde offenbaren sich in dieser Gelassenheit! Der Glaube hatte sich im Voraus die Auferstehung zu eigen gemacht. Und ganz in demselben Geiste schreitet die teure und geehrte Tochter Abrahams, mit welcher wir uns hier beschäftigen, auf dem Pfade des- Glaubens voran. 

Der Tod trat auch in ihr Haus- ein; aber sie wusste von Einem, der die Toten lebendig macht. Und so werden denn auch hier wieder der Esel und die Knaben bereit gemacht, und in der sichern und gewissen Hoffnung einer Auferstehung der Toten lautet die Sprache ihres Glaubens: „Es geht Wohl“. IV. 26.«) Und am Schlusse hat die Belebung ihres Kindes nichts Überraschendes für sie. Sie erhielt ihren ins Leben zurückgerufenen Toten wieder (Hebr. 11, 35). Sie vermag im Glauben ihren Sohn sowohl zu lösen als auch zu binden. Sie fällt dem Propheten zu Füßen und bückt sich zur Erde (V. 37). 

Sie erkennt die kostbare Gabe mit Dank und Beugung an; aber dann trägt sie das Kind von dannen, ohne irgendwelche Überraschung zu zeigen. Sie war über das wunderbare Ereignis nicht erstaunt. Sie untersucht auch nicht in leicht begreiflicher Neugier den Knaben, ob er wirklich lebendig sei. Nein, ihr Glaube hatte auf eine solche Stunde gerechnet und das Kind bereits wie durch Auferstehung wieder erhalten; und so hatte ihre Seele nichts weiter nötig, als zu wissen, dass ihr Liebling wieder warm und lebendig in ihren Armen lag.

Alles dieses liefert uns ein Beispiel von dem Glauben eines Sünders. Sollte es bei uns für etwas Unglaubliches gehalten werden, dass Gott Tote auferweckt? Die Sprache des Glaubens sollte immer lauten: „Ist für Jehova eine Sache zu wunderbar?“ Bei Gott sind alle Dinge möglich. Und so sind wir denn berufen, ans einem Zustande, da wir tot in Übertretungen und Sünden waren, herauszutreten und in das Leben und die Freiheit einzugehen — heraus ans dem Geiste der Knechtschaft und der Furcht und unter der Schuldenlast eines ungereinigten Gewissens hinweg: und zwar dürfen wir dies tun, ohne überrascht zu sein oder zu zweifeln, weil der Herr es bewirkt hat. „Einst war ich blind, aber jetzt sehe ich“, so darf sich die ruhige, glückliche, dankbare Gewissheit des Sünders äußern, wenn er mit dem Sohne Gottes zusammengetroffen ist und die Heilkraft Seines Blutes kennen gelernt hat.

In dem Glauben dieser teuren Seele gibt es aber noch mehr zu beachten. Es scheint mir, dass er in derselben doppelten Weise geprüft wurde, wie vorher der Glaube Elisas. Die Söhne der Propheten einerseits und das Wort Elias andrerseits hatten den Glauben Elisas auf eine harte Probe gestellt; derselbe trug aber den Sieg davon, und Elisa ging voran, seinem Herrn nach, bis der „Wagen Israels sie trennte.“

So war es auch hier. Zuerst stellen die Gedanken ihres Mannes und dann das Verhalten Elisas die Festigkeit ihrer Seele auf die Probe. „Warum willst du heute zu ihm gehen?“ sagt ihr Mann zu ihr, „es ist weder Neumond noch Sabbat; und Elisa sucht sie mit Gehasi zufrieden zu stellen, indem er diesem gebietet, hinzugehen und seinen Stab aus das Angesicht des Knaben zu legen. Der Glaube des Weibes aber macht beide verstummen. Sie lässt sich durch nichts aufhalten, sondern verfolgt ihren Weg mit derselben Entschiedenheit und demselben Eifer wie vordem Elisa, als er sprach: „So wahr Jehova lebt und deine Seele lebt, wenn ich dich verlasse“ (Kap. 2, 2; 4, 30)!

Der große Feind und Verführer, die alte Schlange, möchte die Seelen oft an die Kraft irgend eines Abgesandten, an diesen oder jenen Diener und seinen Stab fesseln. Der Glaube widersetzt sich dem aber stets. Durch seine List und durch die Verdunklung der Ratschlüsse Gottes hatte Satan in späteren Tagen die gläubigen Galater dahin gebracht, ihr Vertrauen auf äußere Satzungen und Verordnungen zu setzen; Paulus aber klammerte sich an das Kreuz und stieß die Magd aus dem Hause hinaus (Gal. 4, 30). 

Um eine Seele auf die Probe zu stellen, kann sogar der Herr selbst, wie hier Sein Prophet es tat, ein ähnliches Anerbieten machen. „Wenn du ins Leben eingehen willst, so halte die Gebote“, sagte Jesus zu dem jungen Obersten. Was würde der Glaube hierauf geantwortet haben? Seine Antwort hätte gelautet: „Herr, Du hast Worte des ewigen Lebens“. Der junge Oberste mochte. das ihm vorgeschlagene Heilmittel untersuchen, den Diener und den Stab mit sich nehmen und seines Weges gehen; Paulus aber und der Glaube und dieses Weib von Issaschar konnten und können sich nur an Jesum klammern.

Aus dem Werke des Geistes in der Seele der Sunammitin strahlt uns eine Größe entgegen, die in der Tat kostbar ist. Elisa war ihr bereits dadurch bekannt geworden, dass er ihrem erstorbenen Leibe Leben verliehen hatte. Sie hatte in dieser Sache ihn oder vielmehr die sich durch ihn kundgebende Kraft Gottes kennen gelernt, und an diese Kraft klammert sie sich jetzt angesichts aller Versuchungen, die an sie herantreten mögen. Gerade so verhält es sich im Blick auf den Sünder und .Jesum. Der Sünder, welcher zum Glauben gekommen ist, hat den Sohn Gottes in Seiner lebenbringenden Kraft kennen gelernt. Er hat das Geheimnis des Todes und der Auferstehung verstanden. 

Er ist auf Golgatha und bei dem leeren Grabe gewesen. Hier hat er Dinge geschaut und in ihrer Bedeutung erfasst, durch welche ihm eine völlige Reinigung des Gewissens Gott gegenüber zu teil geworden ist. Und keine Satzung, kein religiöser Brauch, wie man es nennt, kann in dem Herzen eines Gläubigen die Stelle jener Dinge einnehmen· Der Eine mag von Neumonden und Sabbaten reden, ein Anderer von dem Stabe des Propheten, der sich in der Hand eines Stellvertreters oder Abgesandten befindet; aber der Glaube des von Gott belehrten Sünders ergreift nichts anderes als den kostbaren, unveränderlichen und nnvergänglichen Wert Dessen, der tot war und wieder lebendig geworden ist· Von Ihm hat er gelernt, wie es einst dieses teure Weib von Elisa lernte, wo man allein lebendigmachende, erlösende und errettende Kraft von Gott empfangen und genießen kann.

In der Tat, es ist ein lieblicher und fruchtbringender Ort, an welchem die Füße des Propheten des Öfteren weilten, und zu welchem sich auch unsre Gedanken, wenn wir unser selbst und der Welt müde sind, ebenso oft wenden mögen, um dort in Gott erfrischt zu werden!

Das todbringende Gericht wird zu einem gesunden gemacht. (Kap. 4, 38 – 41)

Die verschiedenen Vorfälle, denen wir im Leben unsers Propheten begegnen, bilden ebenso viele Gelegenheiten, an denen die Herrlichkeit die Wolke seines scheinbaren Nichts und seiner Armut in dieser Welt durchbrach; und dies war einer von den Zügen, die auch das Leben des Sohnes Gottes hienieden kennzeichneten.

Das Tun und Lassen des Propheten kommt in dem vorliegenden Abschnitt in besonders bezeichnender Weise zum Ausdruck, und damit das Verhalten Dessen, den er vorbildlich darstellte. „Der Tod war im Topfe“; d. h. der Tod war da, wo Leben hätte sein sollen, der Tod war in einen Ort eingedrungen, von dein aus das Leben seinen Unterhalt und seine Kräftigung erhoffte. Der Prophet aber besitzt hier ebenso wohl ein Gegenmittel gegen den Tod, wie er es einst in Jericho gegen den Fluch hatte. Wir kennen den Einen, von dem wir singen:

„Wo Seine Heilkraft Er beweist,

da müssen Fluch und Tod verschwinden.“

Hier hat unser Prophet das Vorbild von Jesu, Mehl, um es in den Topf zu tun, wie früher Salz, um es in das Wasser zu werfen; das eine wie das andere wird auf diesem Wege gesund gemacht. Mose stellte zu Mara, wo er für das bittere Wasser das Holz hatte, dieselbe Sache im Bilde dar. Denn der Sohn Gottes hat sich selbst auf den Schauplatz des Todes begeben und den Lauf des Todes aufgehalten. Er erschien mit Seinem heilbringenden Kreuze und „machte den zunichte, der die Macht des Todes hat“ (Hebr. 2, 14). „Durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jesaja 53). Wohl ertönt bei der Entdeckung, dass der Tod eingedrungen ist, ein Schrei; aber der Sohn Gottes hat auf diesen Schrei geantwortet. Wir genießen von dem, was wir uns in unserm Eigenwillen zusammengelesen haben; Jesus aber gestaltet das Mahl um und gibt uns wahrhaftig Speise und wahrhaftig Trank, wovon wir selbst in der Zeit der Hungersnot leben können.

Fluch und Tod sind völlig Dein unterworfen, der sich um unsertwilIen auf den Schauplatz und in das bewegte Leben dieser Welt begeben hat. Er sagt: „Ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades“, und Seine Macht wird die Schöpfung von dem Fluche befreien und den Tod selbst in den Feuersee werfen.

Warum, so könnten wir voll Erstaunen fragen, haben wir uns jemals daran gemacht, unsere wilden Früchte zusammenzulesen und so den Tod einzuführen? Warum blieben wir nicht bei dem Mahle sitzen, wie es anfänglich für uns zubereitet war?

Denn dieser an und für sich unbedeutende Vorfall gibt uns ein Bild im Kleinen von dem großen Geheimnis in seinem ganzen Umfang. Was hat Adam getan? Was tat Christus? Finden wir hier nicht die Antwort auf diese beiden Fragen? -— Der Prophet richtete eine Mahlzeit zu. Wiewohl es eine Zeit der Hungersnot war, besaß er doch seine Hilfsquellen. Er hatte ein Gericht für seine Gäste, und der Topf brodelte auf dem Feuer. Da war aber einer, -— einerlei wer; jedenfalls war es weder der Prophet noch sein Diener, — der die Mahlzeit zu verbessern gedachte und in aufdringlicher Dienstfertigkeit wilde Koloquinthen las.

 Seine Koloquinthen brachten aber den Tod in des Propheten Topf. Und nun frage ich, hat nicht Adam dasselbe getan? Jehova, der Schöpfer, hatte in Eden für den Menschen ein nahrhaftes, wohlschmeckendes und reichliches Mahl zugerüstet; Adam meinte aber, es noch verbessern zu müssen. Er las wilde Früchte zusammen, etwas was der Herr nicht für den Tisch bestimmt hatte, etwas was Adam noch hinzufügte; damit aber verdarb er alles und brachte den Tod in den Topf. Er brachte also den Tod auf jene Tafel, welche der Herr mit der lieblichsten, nahrhaftesten Lebensspeise in reicher Fülle beladen hatte!

Der Prophet besitzt jedoch das passende Gegenmittel und macht den Inhalt des Topfes gesund; und dann setzen sich seine Gäste mit einem Appetit, der an Stärke nur gewonnen hat, aufs neue zu dem Mahle nieder, um die nun noch schmackhafter gewordene Speise zu genießen. Sie sehen jetzt eine nicht nur zubereitete, sondern auch eine gesund gemachte Mahlzeit vor sich. Sie haben wohl Ursache, den Mann und seine Hilfsquellen zu bewundern und zu lieben, der imstande gewesen war, (in einer Gnade, die keinerlei Vorwürfe machte,) den guten Dingen, die für sie bestimmt waren, ihre Kraft wiederzugeben — jenen guten Dingen, welche sie in ihrem leichtfertigen Übermut zu verbessern gedacht, aber völlig verdorben und verunreinigt hatten. Erblicken wir hierin, so frage ich wiederum, nicht ein Bild von Jesu und von uns selbst? 

Sitzen wir nicht bei einer Mahlzeit, die gesund gemacht worden ist? „Die Blätter des Baumes sind zur Heilung der Nationen« Wir befinden uns bei einer Mahlzeit, so herrlich und freudenvoll, wie sie im Schatten der Bäume Edens nie hätte stattfinden können; ja wir nehmen mit einem Herzen voll neuer, glücklicher Empfindungen teil an dem Feste des Erlösers. Wir bewundern Seine Macht, die nicht nur imstande war, zu erschaffen, sondern auch zu heilen, und gehen auf in Liebe und Lob, wenn wir der Gnade gedenken, die, anstatt uns Vorwürfe zu machen, dem angerichteten Schaden in solcher Weise abgeholfen hat.

Die Menge wird gespeist (Kap. 4, 42 --- 44).

In der vorhergehenden kleinen Erzählung kam in bezeichnender Weise die Macht des Sohnes Gottes zum Ausdruck, wie sie der Macht des Todes begegnet. Wir wurden an den Stärkeren erinnert, der in das Haus des Starken hineingeht, um seinen Hausrat zu rauben - an die Macht des Lebens, die auf der Stätte des Todes erscheint, um mit dem Tode ein Ende zu machen und ihn zu vernichten.

In diesem Abschnitte begegnen wir einer milderen Äußerung der Macht desselben herrlichen Jesus. Es war noch dieselbe Zeit der Hungersnot wie vorher. (V. 38.) Aber mit zwanzig Gerstenbroten und etwas Gartenkorn speist der Prophet, zum Erstaunen seines Dieners, hundert Männer — wie später Jesus, zum Erstaunen Seiner Jünger, mit fünf Gerstenbroten und zwei kleinen Fischen Fünftausend speiste; und nach beiden Mahlzeiten blieben Brocken übrig, um uns erkennen zu lassen, welch eine Fülle im Hause unsers Vaters ist. Dort gibt es „Überfluss an Brot“ (Lukas 15). Wir dürfen zu Ihm gehen, als zu Einem, der überströmende Reichtümer sowohl, als auch eine überströmende Liebe hat. Weder im Blick auf Ihn selbst, noch auf Seine Hilfsquellen sind uns — irgendwelche Schranken gesetzt. „Seine Liebe entspricht Seiner Macht“ (und ich möchte hinzufügen, Seine Macht Seiner Liebe) „und kennt weder Schranke noch Ziel.“

Indessen besteht nicht nur ein Unterschied hinsichtlich des Umfanges (wenn ich mich so ausdrücken darf) dieser beiden von Elisa und von Jesu bewirkten Wunder, sondern auch bezüglich der Art und der Tragweite derselben. Elisa speist die Leute „nach dem Worte Jehovas“, Jesus kraft Seines eigenen Wortes. Elisa sagt: „So spricht Jehova: Man wird essen und übriglassen“; Jesus aber sagt: „Machet, dass die Leute sich lagern!“ So sind die Herrlichkeiten verschieden. Jesus war „das Wort“, nach welchem Elisa die Leute speiste. Elisa trug den Namen Jehovas mit sich; Jesus aber war selbst Jehova, und die Rechte und die Machtvollkommenheit Seines eignen Namens waren es, die Er mit sich umhertrug und kraft deren Er handelte.

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Die prophetischen Ereignisse der letzten Tage

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 44ff

Es ist nicht meine Absicht, in dem Nachstehenden die Ereignisse der letzten Tage ausführlich zu behandeln; ich möchte nur dem Leser des prophetischen Wortes eine kurze Übersicht, einen Leitfaden an die Hand geben, um ihm zum Verständnis der zukünftigen Wege Gottes mit dieser Erde und ihren Bewohnern behilflich zu sein.

Ich darf wohl voraussetzen, dass allen meinen Lesern die Tatsache bekannt ist, dass der Zeitabschnitt der Kirche nicht in den Rahmen der Weissagungen der Propheten gehört. Die Weissagungen beschäftigen sich mit dieser Erde, und die Kirche ist ihrer Stellung und Berufung nach himmlisch; sie gehört dieser Welt nicht an. Sie wird deshalb auch, (ich rede natürlich nur von der wahren Kirche; die falsche, abgefallene Kirche wird, weil sie sich der Welt gleichgestellt hat, mit dieser gerichtet werden), ehe „die Stunde der Versuchung“ über alle diejenigen, „welche auf der Erde wohnen“, hereinbricht, aufgenommen. werden und ihren Platz im Himmel einnehmen. Allein obwohl das so ist, werden die neutestamentlichen Gläubigen dennoch ermahnt, das prophetische Wort nicht zu vernachlässigen, sondern vielmehr auf „dasselbe zu achten, als auf eine Lampe, welche an einem dunklen Orte leuchtet“ (2. Petr. 1). Ja, es ist heilsam und nötig für uns, die Weissagungen zu kennen, damit wir uns fernhalten von den Wegen und dem Geiste dieser Welt, und in Übereinstimmung bleiben mit Dem, der bald kommt und dem dann alle Dinge unterworfen sein werden.

Im 9. Kapitel des Propheten Daniel hören wir, dass über dessen Volk und die heilige Stadt (Jerusalem) — siebzig Wochen — d. h. bekanntlich: Jahrwochen, Wochen von je sieben Jahren, also. 490 Jahre — dahingehen würden. Nach Verlauf dieser Zeit würde dem Abfall und den Sünden ein Ende gemacht, und die ewige Gerechtigkeit (die Zeit der Herrschaft Christi) eingeführt werden. Auf diese Ankündigung folgt eine nähere Erläuterung dieses Zeitraums. Der Engel sagt zu dem Propheten: „So wisse“ denn und verstehe: Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen (49 Jahre) und zwei und sechzig Wochen (434 Jahre); Straßen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden, und zwar in Drangsal der Zeiten“ (Dan. 9, 25). 

Der Befehl, Jerusalem wieder zu bauen, ging von dem König Artasasta (Artaxerxes) aus, im zwanzigsten Jahre seiner Regierung (Neh. 2). Von da an bis zum öffentlichen Einzuge des Messias als König in Jerusalem und Seiner Verwerfung durch das Volk reichen die 69 Wochen oder 483 Jahre. Dann ist eine Unterbrechung im Laufe der Ereignisse eingetreten. Die 70. Woche ist von den übrigen 69 getrennt. Der Tod des Messias, die Verwerfung des letzten Mittels Gottes, um das Gewissen des Volkes Israel zu erreichen, hat die Zerstörung Jerusalems und eine lange Periode „festbeschlossener Verwüstungen“ eingeführt. Zwischen der 69. und 70. Woche liegt eine Zeit, die nun bereits nahezu 1900 Jahre gedauert hat. Gott hat Sein irdisches Volk beiseite gesetzt und beschäftigt sich nicht mehr mit ihm. Lässt man diese Unterbrechung unberücksichtigt, so gerät man betreffs der prophetischen Zukunft in Verwirrung und in unlösbare Schwierigkeiten, wohingegen alles klar und einfach ist, sobald man sie in Betracht zieht.

Während dieser langen Zeit nun ist das Zeugnis von der Auferstehung Christi, des Sohnes Gottes, weithin verkündigt worden, und Gott sammelt durch den Dienst des Wortes und das Zeugnis des Heiligen Geistes ein himmlisches Volk, eine Braut für Christum, die Ihm durch die Wüste entgegengeführt wird, wie einst Rebekka dem Isaak, nachdem dieser auch gleichsam aus den Toten auferstanden und als Erbe in den ganzen reichen Besitz seines Vaters Abraham eingetreten war (1. Mose 24). Gott hat die Herrschaft über alle Werke Seiner Hände (Psalm 8, 6) Christo als Mensch übergeben, und die Seinigen werden als die Glieder Seines Leibes alles mit Ihm erben, und mit Ihm über alles herrschen. 

Nun, das gegenwärtige Werk der Gnade geht feiner Vollendung entgegen: wir stehen bereits am Ende der Tage, an der Schwelle der Erfüllung aller Verheißungen und Gerichtsankündigungen Gottes bezüglich dieser Erde. Wenn die Glieder Christi und Erben Gottes gesammelt und ins Vaterhaus eingeführt· sind (Joh. 14, 1 — 3), wird der Lauf der siebzig Wochen. seinen Fortgang nehmen. Die letzte Jahrwoche wird (ab sofort nach der Aufnahme der Braut, oder erst einige Zeit darnach, bleibe dahingestellt) beginnen und dann ohne weitere Unterbrechung zu Ende gehen. Der Abfall wird zum Abschluss kommen, den Sünden wird ein Ende gemacht und eine ewige Gerechtigkeit eingeführt werden.

Es mag nun vielleicht befremdend erscheinen, dass sich in so kurzer Zeit, in sieben Jahren, alle jene gewaltigen Umwälzungen vollziehen sollen, von denen uns das Wort berichtet. Aber man bedenke zunächst, dass bei dem Herrn ein Tag ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag. (2. Petr. 3, 8.) Der Herr kann in Seiner göttlichen Langmut Ereignisse, die zu ihrer Erfüllung nur eines einzigen Tages bedürften, tausend Jahre verziehen: kann aber auch umgekehrt das in einem Tage erfüllen, wozu nach menschlichen Begriffen tausend Jahre nötig wären. 

Auch wird der Herr wegen Seines Volkes Israel eine „abgekürzte Sache tun auf Erden, und die Erfüllung ihrer Verheißungen eilend ausrichten. (Römer 9, 28; Jes. 60, 22.) Dazu kommt noch, dass Satan in jener Zeit des Endes in außergewöhnlicher Weise wirksam sein wird. Auf die Erde hinabgeworfen, wird er seine ganze teuflische Energie und Macht entfalten; wie wir lesen: „Wehe der Erde und dem Meere! denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (Offbg. 12, 12).

Schon jetzt reifen, wie gesagt, die Dinge dieseln Ende entgegen. Der Geist des Antichristen und das Geheimnis der Gesetzlosigkeit, die schon zur Zeit der Apostel wirksam waren, zeigen sich immer offenkundiger. Die Nacht ist weit vorgerückt. Der Geist des Unglaubens und der Empörung erhebt immer frecher und schamloser sein Haupt. Aber wie vieles auch in unsern Tagen auf das nahe Ende aller Dinge (1. Petr. 4, 7) hindeuten mag, so ist doch „jetzt der, welcher zurückhält, bis er aus dem Wege ist“. (2.Thess. 2, 7.)

Wir dürfen wohl in diesen Worten eine Anspielung auf die Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden erblicken, der jetzt die Braut beruft und sammelt, um sie Christo entgegenzuführen. Er wird nicht immer auf dieser Erde bleiben. Sobald das letzte Glied gesammelt ist, wird Er in Verbindung mit der Braut die Erde wieder verlassen; denn „der Geist und die Braut sagen: Komm“ (Offbg. 22, 17). Je mehr sich also die Anzeichen des Herannahens der letzten großen Krisis häufen, umso deutlicher tritt uns die Tatsache entgegen, dass die Aufnahme der Kirche ganz nahe bevorsteht. Denn sie muss dem eigentlichen Abfall und der Offenbarung des Gesetzlosen Platz machen.

Wir können uns sicherlich keine, auch nur annähernd richtige Vorstellung machen von den Veränderungen, welche sich in politischer wie in religiöser Beziehung nach der Aufnahme der Braut aus der Erde vollziehen werden. Wenn auch die Aufnahme selbst seitens der Welt nicht bemerkt werden wird, so kann ihr doch das geheimnisvolle Verschwinden von Tausenden und aber Tausenden von Christen nicht verborgen bleiben. 

Wenn ein einziger Henoch nach seiner Entrückung vermisst und nicht gefunden wurde (Hebr. 11, 5) - ein Beweis, dass niemand seine Entrückung gesehen, und dass man ihn gesucht hat - wieviel mehr werden dann die großen Scharen von Gläubigen vermisst werden, welche zur Zeit der Ankunft des Herrn hienieden leben werden, und zwar zunächst von denen, die in näherer Beziehung zu ihnen gestanden haben! Hier wird ein Mann sein Weib, dort ein Weib ihren Mann suchen; hier werden Eltern ihre Kinder, dort Kinder ihre Eltern vermissen; hier werden Herrschaften nach ihren Dienstboten, dort Dienstboten nach ihren Herrschaften fragen u. s. w. Im öffentlichen Verkehr, in den Geschäften, in den Schul- und Gerichtssälen, in christlichen Vereinen und Körperschaften, in Ausschüssen und Kollegien — überall werden Stockungen, Unterbrechungen und Lücken entstehen, die Verlegenheiten und großes Aufsehen hervorrufen werden.

 Besonders ergreifend wird das plötzliche Verschwinden der Christen für solche sein, die von jenen die Wahrheit gehört, oder gar mit ihnen in näherer Verbindung gestanden und ihren Zusammenkünsten beigewohnt haben; die so oft in ernster Weise auf das Heil ihrer unsterblichen Seele hingewiesen wurden und so manches Mal von der Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Seinigen reden hörten! Bei der Entdeckung, dass alle, die sie einst als Kinder Gottes kannten, mit denen sie vielleicht noch wenige Stunden vorher ahnungslos verkehrten, diese Erde verlassen haben, und dass sie selbst zurückgeblieben sind in einer Welt, die, wie sie wohl wissen, den schrecklichsten Gerichten entgegengeht —- bei dieser Entdeckung, sage ich, wird Angst und bittere Verzweiflung sie ergreifen. 

Sie werden zum Herrn schreien, gleich den törichten Jungfrauen, aber auch, wie diese, vor eine verschlossene Tür kommen. Vergeblich wird ihr Klopfen sein, umsonst ihr Rasen: „Herr, Herr, tue uns auf“ (Matth. 25, 11). Oft hat Er an die Tür ihrer Herzen geklopft (Offbg. 3, 20), oft sie zur Umkehr und Buße ermahnt, als ihnen der Eintritt noch offen stand — aber alles war umsonst. Darum werden auch sie vergeblich klopfen, vergeblich bitten und flehen: ohne Gnade werden sie abgewiesen werden durch die erschütternde Antwort des Herrn: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht“ (Matth. 25,12).

Außer diesem werden politische Ereignisse die Gemüter nicht zur Ruhe kommen lassen; die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen (Luk. 21, 26). Die Wiedererscheinung des „Tieres“, des römischen Reiches als Weltmacht, wird mit einem Schlage alle Hoffnungen der Diplomatie, das Gleichgewicht der Mächte aufrecht zu erhalten, vernichten. 

Seit langen Jahrhunderten vom Schauplatz verschwunden, wird diese Macht, zur Verwunderung der ganzen Erde, unerwartet wieder erstehen. Es ist nicht notwendig, dass diesem Ereignis große Revolutionen vorausgehen; denn wenn auch Johannes das Tier aus dem „Meere“ (d. h. aus dem unruhig wogenden Meere der Völker) aufsteigen sieht, so weist dies doch nur aus seinen ersten Ursprung hin (Vergl. Dan. 7, 3). 

Denn es wird weiterhin gesagt, das; das Tier eine Todeswunde empfangen habe, so dass seine bevorstehende Erscheinung am Ende der Tage eine Art Wiederbelebung sein wird, die durch satanische Macht bewirkt wird; auch steigt es zum zweiten Male nicht aus dem „Meere“, sondern aus dem „Abgrunde“ herauf. „Und ich sah einen seiner Köpfe wie zum Tode geschlachtet. Und seine Todeswunde wurde geheilt, und die ganze Erde verwunderte sich über das Tier“ „Das Tier, welches du sahst, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und ins Verderben gehen; und die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und da sein wird“ (Offbg. 13, 3; 17, 8).

Infolge der unerwarteten Erscheinung dieser gewaltigen Macht wird selbstverständlich eine ernste Störung des Gleichgewichts, eine furchtbare Erschütterung des ganzen europäischen Staatensystems und ein blutiger Zusammenstoß der Mächte stattfinden. Das Eintreten schrecklicher Naturereignisse, sowie Hungersnöte Und Seuchen werden diese Katastrophe noch grauenvoller gestalten. „Es wird sich Nation wider Nation erheben, und Königreich wider Königreich, und es werden Hungersnöte und Seuchen sein, und Erdbeben an verschiedenen Orten. Alles dieses aber ist der Anfang der Wehen“ (Matth. 24, 7. 8). *)

Die Wichtigkeit, welche die Weissagung dem „Tiere“ beilegt, verlangt indes noch eine nähere Betrachtung desselben. Es wird uns unter verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt; zunächst in Verbindung mit der Hure, später unter einem kaiserlichen Oberhaupt in Verbindung mit dem Antichristen. Zunächst erscheint es in Form einer Vereinigung von zehn Königen unter der Herrschaft der Hure, der abtrünnigen Kirche. 

Diese stellt in ihrer unheiligen Verbindung mit dem Tiere, indem sie sich der Macht desselben zu ihrer Selbsterhebung bedient, die große Babylon dar; denn alle irdische Herrlichkeit und Pracht wird in ihr gefunden werden. „Und ich sah ein Weib auf einem scharlachroten Tiere sitzen, voll Namen der Lästerung, das sieben Köpfe und zehn Hörner hatte (das wiedererstandene römische Weltreich). Und das Weib war bekleidet mit Purpur und ·Scharlach und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen, und hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand, voll Gräuel und Unreinigkeit ihrer Hurerei; und an ihrer Stirn einen Namen geschrieben: Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“ (Offbg. 17, 3 - 6).

Die gefallene, verweltlichte Kirche wird dann auf der Höhe ihrer Wünsche angelangt sein. Sie wird in ihrem Herzen sprechen: „Ich sitze als Königin, und Witwe bin ich nicht, und Traurigkeit werde ich nicht sehen“ (Offbg. 18, 7.) Schon seit vielen Jahrhunderten hat sie zur Erlangung dieser Machtstellung alle Hebel in Bewegung gesetzt, und unter ihrem stetig wachsenden Einfluss wird schließlich das Bündnis, die Vereinigung der zehn Könige, die Bildung der römischen Macht, zustande kommen.

Unter dem Deckmantel des Christentums hat sie seit langer, langer Zeit ihren schrecklichen, verderblichen Einfluss ausgeübt; aber durch die Verwirklichung jenes Bündnisses erringt sie einen Sieg, der ihr die Könige der Erde zu Füßen legen wird. Dieser Sieg wird uns, wie mir scheint, unter dem Symbol des ersten Siegels, mit dessen Eröffnung die prophetischen Ereignisse beginnen, vorgestellt: „Und ich sah: und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß hatte einen Bogen; und eine Krone wurde ihm gegeben, und er zog aus, siegend. Und auf dass er siegte.« (Offbg. 6, 2.)s Ohne einen Schwertstreich, ohne Blutvergießen wird unerwartet das Geheimnis, Babylon, die große, das Weib sitzend auf dem Tiere, als vollendete Tatsache dastehen. Der Ausdruck: „Und die auf der Erde wohnen, sind trunken geworden von dem Weine ihrer Hurerei“ (Offbg. 17, 2), zeigt die Macht ihres bösen Einflusses, der ihr den Sieg über die Könige der Erde verschafft. „Und das Weib, das du sahst, ist die große Stadt (Rom), welche das Königtum hat über die Könige der Erde“ (Offbg. 17, 18).

Ach! dieselbe Kirche, welche ursprünglich mit .so reichen geistlichen Gaben und Segnungen ausgestattet war, wird durch ihre Verweltlichung in der Hand-Satans zur Quelle von Ungerechtigkeit, Verderbnis und Gewalttat! Sie wird am Ende die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde genannt. Welch ein erschreckender Gedanke! Gleich dem alten heidnischen Babylon wird sie zum Mittelpunkt der Weltlichkeit, wo alles das gefunden wird, „was in der Welt ist: die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens“ (1. Joh. 2, 16).

 Eigenwille und Selbstverherrlichung werden sie kennzeichnen, gerade jene beiden Dinge, welche später in dem Antichristen zu ihrem vollen Ausdruck kommen werden. Alles dieses aber steht im schroffsten Gegensatz zu Christo und zu Seiner Herrlichkeit; und vergessen wir nicht: insoweit Christen heute schon die Welt lieben und etwas von ihr begehren, stellen sie sich unter den Einfluss Babylons und trinken von dem Weine ihrer Hurerei. Darum gilt allen, die sich zum Volke Gottes bekennen, die ernste Mahnung: „Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen“ (Offbg. 18, 4)! Der weitere Verlauf der Geschichte Babylons zeigt, was das Ende der Weltlichkeit ist.

In seiner Verbindung mit der „Hure“ wird das „Tier“ seine Herrschast sehr rasch ausdehnen und, mit seinem Hauptsitz in Rom, am Ende wohl ungefähr dieselben Grenzen einnehmen wie vor alters. Damit stellt es eine imponierende Übermacht dar, die, wie schon bemerkt, das gegenwärtige Staatensystem in seinen Grundfesten erschüttern und einen gewaltigen Zusammenstoß der Mächte herbeiführen wird. Die symbolische Darstellung dieser Ereignisse finden wir, wie ich glaube, in dem zweiten Siegel: „Und es zog aus ein anderes feuerrotes Pferd; und dem, der darauf saß, ihm wurde gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, und auf dass sie einander schlachteten; und ein großes Schwert wurde ihm gegeben“ (Offbg. 6, 3. 4.)

 Ein furchtbarer Weltkrieg, wie er mörderischer und vernichtender nicht gedacht werden kann, wird dem Auftreten des Tieres folgen. Dieses wird jedoch in dem Kampfe seinen Platz als herrschende Weltmacht behaupten. Die Anzeichen des Herannahens dieser schrecklichen Katastrophe mehren sich. Schon jetzt gleicht Europa einem großen, in Waffen starrenden Heerlager; immer zahlreicher werden die Heere, immer furchtbarere Mordwerkzeuge werden ersonnen. Doch jetzt ist noch „der, welcher zurückhält“. Ist dieser aber einmal aus dem Wege und zieht Gott Seine Hand von der Erde und ihren Bewohnern ab, so wird ein Funke genügen, um die drohende Explosion zu bewirken.

Die Herrlichkeit, welche die Hure durch ihre Verbindung mit der römischen Macht besitzt, wird indes nicht von langer Dauer sein. Ein plötzliches Verderben wird die in falscher Sicherheit Ruhende erreichen. Dieselben Könige, auf deren Macht sie sich gestützt, und die sie zu ihrer Selbsterhebung benutzt und missbraucht hat, werden sie verderben. „Und die zehn Hörner, die du sahst, und das Tier, diese werden die Hure hassen und werden sie öde und nackt machen, und werden ihr Fleisch fressen und sie mit Feuer verbrennen. Denn Gott hat in ihre Herzen gegeben, Seinen Sinn zu tun und in einem Sinne zu handeln und ihr Königreich dem Tiere zu geben, bis die Worte Gottes vollbracht sein werden“ (Offbg. 17, 16.17) **) 

Das 18. Kapitel der Offenbarung schildert in ergreifender Sprache den jähen Sturz, die Plagen und das schreckliche Ende der falschen Kirche. Wahrlich, es ist ein Ende mit Schrecken! Anstatt in Abgeschiedenheit von der Welt den Herrn zu erwarten, hat sie, gleich dem „bösen Knecht“, die Mitknechte geschlagen, und gegessen und getrunken mit den Trunkenen; und so ist denn der Herr im Gericht über sie gekommen an einem Tage, an welchem sie es nicht erwartete, und in einer Stunde, die sie nicht wusste, und hat ihr ihr Teil gegeben mit den Heuchlern; „da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (Matth. 24, 48 — 51). Ursprünglich berufen, die Wohnung des Heiligen Geistes zu sein, wird sie schließlich „eine Behausung von Teufeln und ein Gewahrsam jedes unreinen Geistes und ein Gewahrsam jedes unreinen und gehassten Vogels“. Alles das, worin sie sich verherrlicht und Üppigkeit getrieben hat, wird ihr in ein doppeltes Maß von Qual und Trauer verwandelt werden (Offbg. 18).

Das ist das Ende eines Weges, der mit dem Verlassen der „ersten Liebe“ begann. (Offbg. 2, 4). So wird die untreue Kirche die Frucht ihrer eignen Aussaat ernten. Denn gerade der Geist des Antichristen, den sie groß- gezogen, genährt und gepflegt hat, wird das Werkzeug zu ihrem Sturze werden. In schrecklicher Weise wird sich an ihr der Spruch bewahrheiten: Untreue schlägt ihren eignen Herrn. „Wer Unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat“ (Kol. 3, 25.) O möchten deshalb alle, die dem Herrn angehören, der Mahnung des Apostels eingedenk bleiben: „Ihr, was ihr von Anfang gehört habt, bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang gehört habt, so werdet auch ihr in dem Sohne und in dem Vater bleiben“ (1. Joh. 2, 24).

Siehe hier, mein Leser, den einzigen Schutz in bösen Tagen! Nach dem Gericht Babylons nimmt das Tier eine andere Form an. Die zehn Hörner übergeben ihr Königtum dem Tiere; das Reich erhält ein kaiserliches Oberhaupt, welches alsdann die ganze Macht des Tieres gleichsam in seiner Person verkörpern wird und daher fortan einfach den Namen: „das Tier“ trägt. Es ist dies dieselbe Persönlichkeit, welche in Daniel als das „kleine Horn“ bezeichnet wird, das stufenweise bis zu dieser Machtstellung emporsteigt, indem es drei von den zehn Königen erniedrigt. (Dan. 7, 8. 24.) Ferner ist es auch der Fürst, der mit der großen Masse der Juden (der treue Überrest wird sieh davon fern halten und gerade infolge dessen leiden müssen einen Bund machen wird. „Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schließen für eine Woche«, d. h. für sieben Jahre. (Dan. 9, 27.) Von diesem Augenblick an erstreckt sich die Herrschaft und der Einfluss des Tieres auch auf Palästina, ähnlich wie zur Zeit des Herrn Jesu, der ja durch den römischen Machthaber dem Tode überliefert wurde.

Fußnote:

*) Der Herr spricht in Matth. 24 bis zum 14. Verse von der ersten, nachher von der zweiten Hälfte der letzten 70. Woche Daniel

``) Welch ein Trost, dass Gott in Seiner Vorsehung die ganze Macht des Feindes überwacht, und diese infolge dessen nur zur Ausführung Seiner Ratschlüsse dienen darf!

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 57ff

Naaman, der Syrer. (Kap. 5.)

Die Herrlichkeiten, von denen der Pfad unsers Propheten erstrahlt, sind ebenso mannigfaltig wie bezeichnend und bedeutungsvoll. Jede Stufe tut uns ein neues großes Geheimnis Gottes kund.

In der vorliegenden Geschichte werden augenscheinlich alle die Hauptwahrheiten, welche in dem Geheimnis der Gnade Gottes verborgen sind, in einfacher, aber treffender Weise ans Licht gestellt. Sie wird so zu einem Gleichnis voll der reichsten Belehrung.

In der Person Naamans tritt uns der Mensch in vorteilhaftester Lage entgegen. Ohne Zweifel wird dieser Mann von vielen wegen seiner einflussreichen Stellung beneidet worden sein. Er war der erklärte Liebling des Volkes, der Held des Tages. Jedermann hielt, wie man zu sagen pflegt, große Stücke auf ihn, von dem Könige herab bis zu dem geringsten Manne im Volke. Was Ausstattung mit natürlichen Gaben und Lenkung seiner Lebensschicksale betrifft, so hatte der Herr ihn in hervorragender Weise begünstigt. Aber — „er war aussätzig“! Auf alledem, dessen er sich rühmen konnte, auf seiner ganzen Herrlichkeit ruhte ein Flecken, den nur die Hand Gottes entfernen konnte; und mochte die Welt ihm auch schmeicheln, wie sie es sicherlich tat“— der Flecken blieb; und derselbe war für ihn ein Zeuge, ein beständiger Zeuge, dass nicht alles in Richtigkeit war.

Gerade so verhält es sich mit dem Menschen. Mag er sich in noch so vorteilhaften Verhältnissen befinden, oder vielleicht mit Reizen und mancherlei Anziehendem geschmückt sein, trotz alledem ist etwas da, was gegen ihn zeugt.

In der kleinen gefangenen Dirne, welcher wir zunächst begegnen, erblicken wir das gerade Gegenteil von Naaman. Was ihre Verhältnisse betraf, so war alles zu ihren Ungunsten. Von ihren Lieben und aus ihrem Vaterlande weggeschleppt, musste sie jetzt in fremdem Hause und fremdem Lande eine Sklavin sein; aber sie bewahrte ein. Geheimnis bei sich, welches in unmittelbarstem Gegensatz zu dem Geheimnisse Naamans stand. Sie hatte das Zeugnis Gottes für sich, während er Sein Zeugnis gegen sich hatte. Sie kannte das Heilmittel, während er die Plage fühlte. Darin lag ein gewaltiger Unterschied, ja der ganze Unterschied, wenn Gott in Frage kam. Ihn für und nicht gegen uns zu haben, ist sicherlich die große Sache, aus die es vor allem ankommt. Und das war hier der Fall. Und das ist bei jedem wahren Israeliten, der ihr gleicht, der Fall; indem sie alle dasselbe Geheimnis, das Heilmittel Gottes, kennen gelernt haben, können sie sagen: „Wenn Gott für mich ist, wer wider mich?“

Wahrlich, schon dies sind wertvolle Lehren, die wir der vorliegenden Erzählung entnehmen können. Doch finden sich noch andere in ihr. Als Dritter in der Reihe der handelnden Personen tritt uns der König von Syrien entgegen; in ihm erblicken wir den Menschen in dem Stolz seiner Gedanken und in der hohen Meinung, die er sogar in religiösen Dingen von sich selbst hegt. Ohne Zweifel war der König der Ansicht, die Heilung seines geschätzten Heerführers von Seiten Gottes ließe sich nicht anders erreichen, als durch die Vermittlung seiner Person und durch die Anwendung der ihm zu Gebote stehenden Mittel.

 „Wer konnte ein wirksames Wort einlegen wie er? Wer war gleich ihm, dem Könige?“ so lautete die Sprache seines Herzens. Daher schafft er sein Silber, sein Gold und seine Wechselkleider herbei und schreibt eigenhändig in dieser Angelegenheit einen Brief an den König von Israel. Ein König schreibt an einen König! Denn hätte wohl etwas Geringeres als eine solche Fürsprache das sichere Erlangen der Segnung gewährleisten können?

In allem diesem offenbart sich die Religion der Welt, die Gedanken, welche sich der Mensch hinsichtlich der Wege Gottes macht. Aber all das Tun des Königs von Syrien ist einfach „verlorene Mühe“, nichts anderes. Seine eigene persönliche Fürsprache, die Geschenke, die er sendet, die Mitwirkung, die er von seinem königlichen Bruder beansprucht — alles das sind Ergebnisse der Einbildung, welcher sich der Mensch in religiöser Beziehung hingibt: törichte, wertlose Dinge! Und der König von Israel, der das Vorrecht genoss, die Offenbarung Gottes in seinem eigenen Lande zu besitzen, ist imstande, die erbetene Mitwirkung abzulehnen; er will den Platz nicht einnehmen, noch die Rolle spielen, welche der König von Syrien ihm in diesem erhabenen Werke zuwies.

Doch da war Einer, der in allem diesem höher stand als der König, wiewohl der Syrer nichts von ihm wusste. Elisa war selbstredend der Beachtung jener Großen der Erde entgangen; aber jetzt kommt an ihn die Reihe, in dieser Geschichte handelnd aufzutreten. Er ist die einzige Hoffnung Naamans in den Tagen seines Aussatzes. Und indem Elisa sich bewusst ist, dass die Kraft Gottes ihm zur Seite steht, gerät er nicht in Aufregung, noch macht er Schwierigkeiten, wie der König es getan hatte. Zwar steht ihm nicht, wie später einem Anderen, einem Größeren als er, die Machtvollkommenheit seines eigenen Wortes zur Verfügung, um die befleckende Krankheit zu entfernen, aber er kennt das geheimnisvolle, von Gott verordnete Heilmittel, und kann dasselbe mit Autorität dem Aussätzigen verkündigen.

An dieser Stelle möchte ich daraus hinweisen, wie Jesus alle, selbst die größten Propheten und Gottesmänner, unendlich überstrahlt· Wenn der Aussätzige zu Ihm kommt, so hört man Ihn nicht, gleich dem König von Israel, sagen: „Bin ich Gott, einen Mann von seinem Aussatz zu heilen?“ Auch weist Er ihn nicht an, wie der Prophet es Naaman gegenüber tat: „Gehe hin, bade dich im Jordan, und du wirst rein sein“. Nein; Er offenbart sich vielmehr sofort als Gott und in der Kraft Gottes. „Ich will, sei gereinigt!“ Elisa konnte nur als ein Prediger Jesu, als einer, der Ihn verkündigte, vor Naaman hintreten; Jesus aber war in Seiner Person die Reinigung, die Heilung, ja, der Gott des Aussätzigen. So war auch Johannes, der Bevorzugteste unter allen diesen Männern, nur der Freund des Bräutigams; Jesus allein war der Bräutigam.

Weiterhin tritt uns in unsrer Erzählung eine Sache entgegen, die von dem höchsten Interesse für uns ist. Ich meine die Art und Weise, wie der arme, sich seines Zustandes bewusste Aussätzige die Reinigung an sich erfährt.

Anfänglich leistete seine Natur mächtigen Widerstand. Er fühlte sich durch das Heilmittel, welches die Gnade für ihn bereitet hatte, tief beleidigt. Denn es war wohl ein sehr einfaches, aber zugleich auch ein sehr demütigendes Heilmittel; so einfach, dass es nicht missverstanden und ohne jede Schwierigkeit angewendet werden konnte. Das einzige Hindernis bildet die Schwierigkeiten, welche der Stolz und die Vorurteile des Menschen seiner Anwendung entgegensetzten. Diese machten sich denn auch sofort geltend. Aber, Gott sei Dank! die Gnade kann nicht nur darreichen, was ein aussätziger Leib bedarf, sondern sie vermag sich auch mit einem trägen, widerstrebenden Herzen zu beschäftigen und es zu belehren.

 Sie kann zum Heile der Sünder ebenso gut die Tätigkeit eines Dieners benutzen, wie sie einen Quell zur Reinigung auftun kann. Und jene Tätigkeit ist, gleich dem Heilmittel, einfach und ungekünstelt, und daher zur Erreichung ihres Zweckes durchaus geeignet. Die Knechte Naamans treten in ihrer Weise der aufwallenden Natur ihres Herrn entgegen, und ihr Wort oder ihr Dienst bleibt nicht ungesegnet: der empfohlene Quell wird versucht, seine Kraft erprobt sich, und das vorher aussätzige Fleisch Naamans wird wie das Fleisch eines jungen Knaben. Das ist mehr als Wiederherstellung; es ist Auferstehung. Das Baden im Jordan hatte für diesen Syrer in Wahrheit die Bedeutung einer Taufe. Er stirbt und wird wieder lebendig; er wird begraben und steht wieder auf, und steigt nun, nicht als ein nur geheiltes, sondern als ein neues Geschöpf aus dem Wasser heraus.

Und was sind die Früchte des neuen Zustandes, in welchem er sich befindet? Indem wir diesen nachforschen, werden wir wiederum finden, dass die vorliegende Erzählung ein Gleichnis ist, in welchem die auf dem Wege Gottes zur Geltung kommenden Grundsätze noch weiter dargestellt werden.

1. Naaman steht vor Elisa mit seinem ganzen Zuge. Aber er ist jetzt nicht mehr der stolze, sondern der demütige Naaman. Welch eine liebliche Frucht des neuen Menschen, zu welchem Naaman nun geworden ist! Er ist gedemütigt, weil er gewaschen ist.

2. Er legt ein herrliches Bekenntnis von dem Namen des einen wahren Gottes ab. Er nimmt Ihn zu seinem Gott ein“, denn er hatte Ihn kennen gelernt durch die Heilung und Errettung, die ihm zu teil geworden waren. Das ist der Weg, auf welchem ein neues Geschöpf Ihn kennen lernt, ja, der einzige Weg, auf welchem man in dieser Welt dazu gelangen kann, Ihn kennen zu lernen.

3. Er drängt seine Geschenke, alles was er hatte, dem Propheten auf -— und zwar jetzt nicht, wie sein königlicher Herr es gemeint hatte, um damit seine Heilung zu erkaufen, sondern weil die Heilung geschehen war. Ihm war vergeben worden, und daher liebte er.

4. Er will von nun an von keinem anderen Gott etwas wissen —- und deshalb wünscht er einen Wagen voll Erde aus Kanaan mitzunehmen, um Gott davon einen Altar zu erbauen. Gott muss sein Gott sein, selbst inmitten des ungläubigen Syrien, wohin er zurückzukehren im Begriff stand. Ihn und Ihn allein will er anbeten. Denn diese ,,Last eines Maultiergespannes Erde“ begehrte er zu dem Zwecke, um gleichsam einen zweiten „Zeugen“ jenseits des Jordan zu errichten (Vergl. Jos. 22, 34.) Derselbe sollte in dem fernen Syrien Zeugnis davon ablegen, dass wenigstens ein Bürger jenes Landes, gleich dem Eunuchen aus Äthiopien (Apstgsch. 7), sein Los mit Israel verbunden und, gleich Ruth, der Moabitin, unter den Fittichen des Gottes Israels seine Zuflucht gefunden hatte.

Und zum Schluss: Er empfängt ein erneuertes Gewissen, das in jeder Beziehung rege ist und ein Gefühl für das geringste, selbst nur scheinbare Abweichen von dem Gott hat, der ihn so reichlich gesegnet hatte. Naaman fürchtete sich schon vor dem bösen Schein. Er wünschte nicht den Gedanken zu erwecken, als wäre eine Aufmerksamkeit, die er seinem Herrn erweisen zu müsset glaubte, gleichbedeutend mit einer Umkehr zu den alten Grundsätzen Syriens und zu dem Hause Rimmons. Diese Dinge hatte er verlassen, und zwar durch die Gnade Gottes für immer verlassen, und deshalb wollte er jetzt, nachdem er eben erst in die Stellung einer neuen Schöpfung in Christo Jesu eingetreten war, sich gegen alles verwahren, was auch nur einen gegenteiligen Schein erwecken konnte.

Ist also nicht diese Geschichte, die einen so hervorragenden Platz. in dem Dienst unsers Propheten einnimmt und den Teil seiner Laufbahn bildet, an welchen sein göttlicher Meister später erinnert und auf welchen Er sich bezieht (Luk. 4), von höchstem Werte für uns? In welch deutlicher und vollständiger Weise veranschaulicht sie uns, wie Gott mit einem jeden von uns handelt! Möchten unsre Herzen in aller Einfalt daran festhalten, dass alles, was zuvor geschrieben worden, zu unsrer Belehrung geschrieben worden ist, und dass unser Gott von Anbeginn an Andern dies und jenes widerfahren ließ, damit wir dadurch ermahnt und getröstet werden möchten!

Es gibt jedoch in unserm Kapitel noch einen Punkt, auf welchen ich aufmerksam machen muss. Der Prophet macht seinem Diener Gehasi nicht deswegen Vorwürfe, weil er Naaman belogen hatte, sondern wegen einer ganz andern Art des Bösen, das in seinem Verhalten zu Tage getreten war (V. 26). Und hierin liegt, wie es mir vorkommt, eine besondere Kraft und Schönheit. „War es Zeit“, spricht Elisa zu seinem Knechte, „Silber zu nehmen und Kleider zu nehmen, und Olivenbäume und Weinberge, und Kleinvieh und Rinder, und Knechte und Mägde?“

Diesen besonderen Umstand in der Sünde Gehasis zu kennzeichnen, war eher Sache des Geistes — die Lüge lag für das sittliche Urteil jedes Menschen klar am Tage.

„Der Heide hatte soeben die Gnade des Gottes Israels kennen gelernt. Die Talente Silber, die Goldstücke und Wechselkleider, welche der König von Syrien in das Land Israel gesandt hatte, waren von dem Propheten verschmäht worden, und Naaman nahm sie alle bis zum letzten „Faden oder Schuhriemen“ wieder mit sich nach Hause. Er war zu den „Wassern ohne Geld und ohne Kaufpreis“ gekommen, und war nun ein Zeuge davon, dass die Gabe Gottes nicht mit Geld zu erlangen war.

Wie schrecklich war es daher, dieses ganze kostbare Zeugnis zu verderben! Wohl mochte der Prophet fragen: „War es Zeit, das Silber des Syrers zu nehmen?“ Hätte es etwas Betrübenderes für den Heiligen Geist geben können als das? Die Lüge war sicherlich abscheulich, erstlich die Lüge Naaman gegenüber und dann die Lüge Elisa selbst gegenüber; sie könnte nicht abscheulicher sein. Aber was sollen wir von jenem traurigen Gegenzeugnis sagen, von der Verdunkelung des hellen Glanzes der Gnade Gottes, von dieser leichtfertigen Art, „denen eine Gelegenheit zu geben, welche eine Gelegenheit suchen“ mochten?

Das war das Verwerfliche, welches der Geist ans Licht zog und der Prophet seinem Diener zum Vorwurf machte. Gehasi hatte die Ehre der reichen und freien Gnade des Jehovas Israels den Verunglimpfungen einer schmähsüchtigen Welt preisgegeben. Wenigstens hatte er zur Erreichung dieses Zieles alles getan, was in seinen Kräften stand. Daher musste sein Geld samt ihm ins Verderben fahren. Er musste aus den Grenzen des Lagers entfernt werden; denn wer imstande war, den Gott Israels in solcher Verfälschung darzustellen, war unfähig, dem Israel Gottes anzugehören.

Das Gleichnis von dem unbarmherzigen Knechte enthält dieselbe Warnung für uns. Dort wurde die Gnade des Evangeliums verhöhnt; und der Mann, der sie der Verunglimpfung aussetzte, wurde ebenso hinausgetan wie der aussätzige Gehasi. Im Gegensatz hierzu bestand die besondere Kraft des geliebten Apostels Paulus darin, dass er in seiner Person diese Gnade beständig wiederspiegelte und hervorstrahlen ließ. Man lese betreffs seines Verhaltens nur Apstgsch. 20, 33 — 35! Ja, hierin besteht unser vernünftiger Dienst: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“; oder mit andern Worten: „Haltet den Charakter der Familie aufrecht, welcher ihr angehört“! Aber ach! Gehasi war nicht darauf bedacht, die Ehre oder den Ruhm derselben den Heiden gegenüber aufrechtzuerhalten. Bewies er damit nicht, dass er sich selbst eines Platzes in derselben für unwert hielt?“

Das ist der ernste Zug in diesem sonst so erfreuenden Bilde. Und es ist in der Tat ein ernster Gedanke, dass ein Mann wie Gehasi, der einen solchen Diener Gottes, wie Elisa war, so lange begleitet und in so vertrautem Verkehr mit ihm gestanden hatte, von der Gesinnung desselben so fern gewesen sein soll!

Indessen zeigt uns dieser Teil der Erzählung andrerseits auch etwas Erquickendes und Ermunterndes. Das Herz des Syrers nämlich hatte, wiewohl die Stunde seiner ersten Liebe bereits hinter ihm lag, und er sich auf der Reise nach seiner fernen Heimat befand, noch nichts von der willigen Hingabe jener ersten Stunde eingebüßt. Er springt, sobald er den Knecht des Propheten hinter sich sieht, von seinem Wagen herab und legt ihm seine Schätze ohne Argwohn und ohne Rückhalt zu Füßen, gerade so wie er sich im ersten Augenblick erbötig gezeigt hatte, dies dem Herrn gegenüber zu tun. O möchte sich so auch auf unserm Wege die Kraft der ersten Stunde beständig spürbar erweisen!

Das Eisen wird schwimmen gemacht (Kap. 6, 1 — 7).

Wir kommen jetzt zu einer einfachen Begebenheit, die sich im Rahmen des alltäglichen Lebens abspielt; und doch, da wir auch hier bei Elisa dieselben wunderbaren Züge wie bei dem Herrn beobachten können, so hat auch sie den Zweck, uns an das Tun des Letzteren zu erinnern. Denn mag ein Petrus oder eine Axt von dem Wasser getragen werden — beides ist in gleicher Weise der Natur zuwider. Auch besteht keinerlei natürlicher Zusammenhang zwischen der Ursache und der Wirkung, zwischen dem Hineinwerfen eines Holzes und dem Schwimmen des Eisen?-; wie auch später kein solcher Zusammenhang bestand zwischen dem Streichen von Kot auf die Augen eines Blinden und der Verleihung des Augenlichtes.

 Denn es ist weder die Geschicklichkeit des Werkmannes, noch die Tauglichkeit des Werkzeuges, welche in Betracht kommen, sondern einzig und allein die Größe der Kraft Gottes. Wie natürlich und ungezwungen ist das Verhalten unsers Propheten hier! In einem Augenblick hat er sich einer Schar angeschlossen, die von den einfachsten Angelegenheiten des täglichen Lebens in Anspruch genommen ist! Der große Apostel der Nationen konnte Reiser zusammenraffen, um das Feuer anzufachen, und der Herr der Propheten und Apostel konnte, sogar nach Seiner Auferstehung aus den Toten, das Frühstück am Ufer des Sees herrichten. Und doch welch hohe Kraft ruhte, indem sie dieses taten, in ihren Händen! Der Apostel schüttelt ein giftiges Tier in dasselbe Feuer ab, welches er angefacht hatte, und der Prophet macht das Eisen der Axt auf dem Wasser schwimmen. O wie schön und Gott entsprechend ist es, wenn wahre Kraft sich so herablässt!

Indessen können wir dieser Erzählung noch eine andere Lehre entnehmen.

Es ist wiederholt die Bemerkung gemacht worden, dass es bei Gott weder Großes noch Kleines gebe; ein derartiger Gedanke sei Seiner Natur zuwiderlaufend. Es mag dies der Fall sein. Indessen sind wir weniger befähigt, Schlüsse zu ziehen oder Behauptungen aufzustellen, die auf die Natur Gottes gegründet sind, als wie solche, die auf Seiner Offenbarung beruhen. Ja, wir dürfen keinen Anspruch darauf erheben, Seine Natur zu kennen, es sei denn auf Grund Seiner Offenbarung. Diese Seine Offenbarung führt uns indessen in gewissem Sinne dazu, es als Wahrheit zu erkennen, dass für Ihn nichts groß und nichts klein ist. Dies tritt in all Seinem Tun zu Tage.

Schon die Schöpfung veranschaulicht uns diese Wahrheit. Es wurde bei derselben auf die Bildung des Flügels eines Insekts dieselbe Sorgfalt verwandt, wie auf die Gestaltung des Himmels und der Erde. Die kleinen wie die großen Dinge nahmen damals den gleichen Platz, vor Ihm ein.

Als es sich um die Niederlassung des Volkes Israel in dem Lande Kanaan handelte, wurde ebenso klar und bestimmt durch göttlichen Ausspruch angeordnet, dass die Dächer der Häuser, um Blutvergießen zu vermeiden, den Schutz von Geländern erhalten sollten, wie die Gottesdienste des Heiligtums oder die Anteile der einzelnen Stämme festgesetzt wurden.

Jesus konnte bei der Ausübung Seines Dienstes hienieden ebenso wohl Kindlein in Seine Arme schließen, wie Seine bevorzugtesten Jünger mit sich auf den Berg der Verklärung nehmen. Hierin offenbarte sich ebenfalls derselbe Charakter.

Desgleichen, als es sich später um die Pflege und Einrichtung der Versammlungen handelte, sorgte der Geist für die Einzelheiten der Beziehungen zwischen Männern und Weibern, zwischen Älteren und Jüngeren, sowie für andere irdische Verhältnisse, wie Er auch - und zwar derselbe Geist -— Geheimnisse offenbarte, die von Grundlegung der Welt an verborgen gehalten waren. Er gab Anweisung, um des Magens willen ein wenig Wein zu gebrauchen, wie Er das Erbe des Vaters der Herrlichkeit in den Heiligen entfaltete.

Gerade diese Gnade, welche der Heilige Geist beweist, indem Er für die großen wie für die kleinen Dinge die gleiche Sorge trägt, ist es, welche mein Herz in der gegenwärtigen Zeit besonders bewegt hat. Denn wiewohl es die Ihm zukommende, ja Seine glückliche Ausgabe ist, von den Dingen des Vaters und Christi zu nehmen und uns zu verkündigen, wendet Er doch auch Seine Sorge den Angelegenheiten der Zucht in der Versammlung Gottes zu, um dem Schwächsten unter uns zu Hilfe zu kommen. Und geschieht dies nicht, wenn ich so sagen darf, indem Er persönlich ein Opfer bringt? „Sollte ich meine Süßigkeit aufgeben und meine gute Frucht, und sollte hingehen, zu schweben über den Bäumen“ (Richter 9, 11)?

Es ist die Freude des Heiligen Geistes, sich mit Jesu zu beschäftigen. In Seiner Gnade aber willigt Er ein, sich um alles das zu bekümmern, was für die Bedürfnisse der Heiligen erforderlich ist.

Es ist also tatsächlich so: ob Gott in der Schöpfung, der Vorsehung oder der Erlösung wirkt; ob es sich um Israel oder die Versammlung handelt; ob es je nach der betreffenden Haushaltung der Vater, der Herr Jesus oder der Heilige Geist ist, den wir in Tätigkeit sehen —- immer und überall sehen wir Gott für die erhabenen wie für die geringen Dinge in gleicher Weise Sorge tragen; das Große wie das Kleine nimmt vor Ihm denselben Platz ein.

Dieselbe Wahrheit können wir auch dann wahrnehmen, wenn unser Gott mehr im Stillen und Verborgenen handelt. Er lässt in unserm Abschnitt durch Seinen Propheten eine Axt aus dem Wasser in die Höhe kommen, weil der Gedanke daran, dass es entlehnt war, einen der Begleiter des Propheten in Kummer versetzte. So ermuntert auch der Herr Sein Volk, sie möchten darum bitten, „dass ihre Flucht nicht im Winter geschehe“, aus dem einfachen Grunde, weil eine Flucht zu jener Jahreszeit unbequemer und schwieriger sein würde. Er zeigt so, wie Er ebenso sehr darum besorgt ist, Seinen Heiligen in ganz gewöhnlichen Dingen des Lebens Erleichterung zu verschaffen, wie ihre Kümmernisse und Ängste zu stillen. Das kleine Ereignis in dem vorliegenden Kapitel redet, wie bereits gesagt, dieselbe Sprache.

Und nun, was erblicken wir in allem diesem? Nicht nur, wie die Macht Gottes sich herablässt, wenngleich auch das wunderschön ist, sondern, wie gütig Er sich in Seinem Wohltun erweist. Gerade weil es sich bei diesen geringen Dingen darum handelt, uns zu erfreuen und unser augenblickliches Wohlbefinden zu fördern, wird ihrer in solcher Weise gedacht. ·Und nun, was sollten wir tun?

 In unserm geringen Maße Nachahmer Gottes sein! Es mag nicht, ja, es kann nicht die Freude der geistlich Gesinnten fein, die Süßigkeit und die gute Frucht, welche in der Lehre vom Vater und von Christo enthalten find, aufzugeben, um sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die die Aufrechterhaltung der Zucht unter den Heiligen betreffen — um über solchen Dornen und stachelichten Sträuchern zu schweben. Dennoch aber legt das Vorbild, welches Gott uns in Seinem Wohltun gibt, die Art und Weise, wie Er auf alle Dinge, (mögen sie nun groß oder klein sein, sofern sie nur das Wohl Anderer betreffen,) eingeht, uns jene Beschäftigung als unsre Pflicht auf. „Seid Nachahmer Gottes“, so steht geschrieben, „als geliebte Kinder“! Und weiter: „Wer irgend dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem gehe zwei“.

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Die prophetischen Ereignisse der letzten Tage

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 71ff

Der fernere Verlauf der Ereignisse lenkt unsre Blicke fast ausschließlich nach dem Orient, wo unsre Aufmerksamkeit zunächst von drei Königen in Anspruch genommen wird, die in der Weissagung nächst dem „Tiere“ die wichtigste Rolle spielen. Dies ist erstens der König von Palästina, der Antichrist; zweitens der König von Assyrien, d. h. der nördlich von Palästina gelegenen Länder, weshalb er auch ,,König des Nordens« genannt wird; und drittens der König von Ägypten, im Süden von Palästina, darum auch „König des Südens“ genannt. Gegenwärtig beherrscht der türkische Sultan noch alle diese Länder; aber wie in Europa die römische Weltmacht, so werden auch im Orient die genannten drei Königreiche unter dem Einfluss satanischer Kräfte wiedererstehen. 

Das türkische Reich, schon jetzt im Verfall, wird seine gegenwärtige Machtstellung nicht lange mehr behaupten können. Die Juden werden, obgleich der größten Mehrzahl nach im Unglauben, nach Palästina zurückkehren und dort ihren eigenen König haben. *) Die nördlich von Palästina gelegene asiatische Türkei, das vormalige Assyrien, wird ebenfalls einen eignen König haben, während Ägypten schon jetzt — nach einem Zeitraum von mehr als zweitausend Jahren — wieder seinen eignen König. wenn auch vorläufig noch als Vizekönig, besitzt.

Wir haben bereits gesehen, dass das Oberhaupt des römischen Reiches einen Bund mit den Juden machen wird. Aus den Mitteilungen, welche das Wort Gottes uns hierüber macht, geht klar hervor, dass die Juden in jenen Tagen den Tempel wieder aufgebaut haben werden, ihre Opfer darbringen und ihre Feste und Sabbate feiern. Alles wird wieder nach den gewöhnlichen Formen, wie vor alters, seinen Gang gehen, als sei nichts vorgefallen und alles in bester Ordnung. Aber da ist keine Anerkennung ihrer Schuld, den Messias gekreuzigt zu haben, keine Buße, keine Zerknirschung des Herzens. 

Doch die Zeiten des Formendienstes ohne Kraft und Leben sind alsdann vorüber; lange genug hat der Herr Geduld gehabt, sowohl mit der Christenheit als auch mit dem Judentum, lange genug die Heuchelei und selbstgefällige Frömmigkeit eines solchen Dienstes ertragen. Unter allen Völkern der Erde hat keines solche Vorzüge, Gunsterweisungen, Offenbarungen und Gnadenbezeugungen von seiten Gottes genossen, wie das Volk der Juden, und nach ihm die Christenheit. Trotzdem haben beide sich alles Blutes schuldig gemacht, das auf der Erde Vergossen worden ist. (Vergl. Matth. 23, 35; Offbg. 18, 24.) 

Mit der letzten Woche Daniels ist die Zeit der Entscheidung für beide, Judentum und Christenheit, gekommen. Der Deckmantel eines bloßen Formendienstes wird fallen, und der wahre Zustand der Bekenner ans Licht gestellt werden. Alle werden vor die entscheidende Frage gestellt werden: Gott oder Satan? Die Weissagung belehrt uns, dass sich beide für Satan entscheiden werden, und dass dieser völlig Besitz von ihnen nehmen wird. Die ganze Erde wird dem Tiere und dem Antichristen folgen, welche beide von Satan inspiriert und bereitwillige Werkzeuge seiner Hand sein werden.

In der Mitte der Woche tritt plötzlich eine Unterbrechung in dem Gottesdienst der Juden ein; ihr König, der bis dahin denselben geduldet hat, wirft die Maske ab und zeigt sich in seinem wahren Charakter als der Antichrist. Und in Übereinstimmung mit ihm lässt das Tier Schlachtopfer und Speisopfer aufhören und zwingt dem Volke den Götzendienst auf: der Gräuel der Verwüstung wird im Tempel aufgerichtet. (Dan. 12, 11; Matth. 24, 15.) Das Tier und der Antichrist handeln von da an gänzlich unter dem Einfluss Satans, indem der letztere als das „andere Tier“ auftritt. (Offbg. 13, 11 — 18). Bezüglich des ersteren heißt es: „Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt“ — der Thron des römischen Reiches ist alsdann tatsächlich der Thron Satans, während das zweite Tier so zu sagen die rechte Hand des ersteren bilden wird, indem es dessen ganze Gewalt vor ihm ausübt. Zugleich stellt es sich den Juden als Christus dar: es hat zwei Hörner gleich einem Lamme, redet aber wie ein Drache — indem es große Zeichen und Wunder tut; und als der „falsche Prophet“ (Offbg. 19, 20) verführt es alle, die auf der Erde wohnen, das erste Tier anzubeten.

So wird denn die ganze Erde unter die Macht und den schrecklichen Einfluss des Antichristen kommen. Der Abfall wird allgemein sein; Mohammedaner und Götzendiener, aber allen voran Christen und Juden, werden sich um den Gesetzlosen als ihren Mittelpunkt vereinigen. Die wirksame Kraft des Irrtums (2.Thess. 2, 11) hat sich geltend gemacht; die Christenheit hat der Lüge geglaubt und sie angenommen; der Glaube an Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, ist abgeschafft, und an seine Stelle ist die Anbetung Satans, des Tieres und des falschen Propheten getreten (Offbg. 13, 4). 

Das ist der traurige Ausgang jener Länder, in welchen einst das Licht der christlichen Wahrheit seinen hellen Schein verbreitete: der Leuchter ist weggenommen und hat einer undurchdringlichen Finsternis Platz gemacht. Und in dem Tempel, der einst der Anbetung des allein wahren Gottes geweiht war, wird gräulicher Götzendienst getrieben werden: der Gräuel der Verwüstung wird stehen an heiliger Stätte. „Der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist ,wird sich in den Tempel Gottes setzen und sich selbst als Gott darstellen und verehren lassen. (2.Thess. 2, 3. 4.)

 Die heilige Stätte, wo einst Psalmen und Loblieder ertönten, wird wiederhallen von Lästerungen wider Gott, Seinen Namen und Seine Hütte, während allen Seinen Heiligen, dem treuen Überrest, der Krieg erklärt ist. (Offbg. 13, 6. 7.) Das Wort des Herrn hat sich erfüllt: „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“ (Joh. 9, 4). Er kam einst zu Seinem irdischen Volke in dem Namen Seines Vaters, aber sie nahmen Ihn nicht auf; ein Anderer ist gekommen in seinem eignen Namen, den haben sie aufgenommen (Joh. 5, 43). Von nun an bleibt dem unglücklichen Volke nur ein gewisses, furchtvolles Erwarten des Gerichts und ein Feuereifer, der die Widersacher verschlingen wird“ (Hebräer 10, 27). Der Betrug der Ungerechtigkeit ist in den Händen Satans gelungen, aber zum Gericht derer, „die verloren gehen, darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden“ (2.Thess. 2, 10). Welch eine ernste Warnung für alle, die es bis heute versäumt haben, die ihnen dargebotene Gnade zu ergreifen!

Von da an, wenn der Gräuel der Verwüstung im Tempel aufgestellt ist, beginnt für den Überrest jene Zeit großer Drangsale, von welcher der Herr in Matth. 24 vom 15. Verse an redet. „Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von welchem durch Daniel, den Propheten, geredet ist, stehen sehet an heiligem Orte, (wer es liest, der beachte es,) dass alsdann, die in Judäa sind, auf die Berge fliehen.“ Dieses treue Häuflein hat nicht eingewilligt in das Treiben der großen Masse, hat das Tier nicht angebetet und dessen Malzeichen nicht angenommen; deshalb wird die ganze Macht der Werkzeuge Satans gegen diese Zeugen der Wahrheit losgelassen werden, und es wird ihnen nur die Wahl bleiben, zu fliehen oder zu sterben. 

Die letzte Halbwoche Daniels ist für sie eine Zeit der Drangsal, „dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt hin nicht gewesen ist, noch je sein wird“. In mannigfaltigster und ausführlichster Weise schildern uns die Psalmen in prophetischer Sprache den Herzenszustand, die Leiden, Prüfungen, Gebete und Bekenntnisse des treuen Überrestes jener Tage. Die Sünden des Volkes, das seinen Messias gekreuzigt, das Gesetz gebrochen, den Götzendienst und einen falschen Christus angenommen hat, mit einem Wort der ganze Sündenweg Israels von Ägypten bis zum Ende hin, wird von diesem Überrest im Lichte Gottes erkannt und mit tiefer Beugung bekannt werden.

Indessen ist die Zeit der unumschränkten Herrschaft des Antichristen nur von verhältnismäßig kurzer Dauer. Schwere Plagen werden über sein Volk und das ganze Land hereinbrechen. Das Volk wird die Folgen seines Abfalls tragen müssen. In weit schrecklicherer Weise, als je vorher, wird das arme Land den Tummelplatz der Heere der Könige des Nordens und des Südens bilden. Das Blut wird in Strömen fließen, und nie dagewesene Gräuelszenen werden die Herzen mit Schrecken und Entsetzen erfüllen. „Und auf Flügeln der Gräuel wird ein Verwüster kommen, und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden“ (Dan. 9, 27). Das Bündnis mit der römischen Macht wird das unglückliche, verblendete Volk nicht schützen können vor den Verheerungen, denen es hauptsächlich durch die Einfälle des Assyrers ausgesetzt sein wird. 

Denn nach den Worten des Propheten wird der König von Assyrien die Geißel sein, mit welcher die Hand des Herrn die Abtrünnigen schlägt: „He! Assyrer, Rate meines Zornes! und der Stock in seiner Hand ist mein Grimm. Wider eine ruchlose Nation werde ich ihn senden, und gegen das Volk meines Grimmes ihn entbieten, um Raub zu rauben und Beute zu erbeuten, und es zur Zertretung zu machen gleich Straßenkot“ (Jes. 10, 5. 6). Im Vertrauen auf ihr Bündnis glauben die Juden jedem Feinde Trotz- bieten zu können; ihre Ob

ersten dünken sieh kraft desselben unüberwindlich, und in ihrem Übermut spotten sie jeder Gefahr. Aber sie müssen erfahren, dass Gott sich nicht spotten lässt, und dass ihr Verderben sie erreichen wird. „Darum höret das Wort Jehovas, ihr Spötter, Beherrscher dieses Volkes, das in Jerusalem ist! Denn ihr sprechet: Wir haben einen Bund mit dem Tode geschlossen und einen Vertrag mit dem Scheol gemacht: wenn die überflutende Geißel hindurchfährt, wird sie an uns nicht kommen . . . . Und euer Bund mit dem Tode wird zunichte werden, und euer Vertrag mit dem Scheol nicht bestehen: wenn die überflutende Geißel hindurchfährt, so werdet ihr von derselben zertreten werden“ (Jes. 28, 14. 15.17. 18).

Dieser König des Nordens, „der Assyrer", wird beschrieben als eine Person „frechen Angesichts und der Ränke kundig. Und seine Macht wird stark sein, aber nichtdurch seine eigene Macht; und er wird erstaunliches Verderben anrichten und Gelingen haben und handeln; und er wird Starke und das Volk der Heiligen verderben. Und durch seine Klugheit wird der Trug in seiner Hand gelingen“ (Dan. 8, 23 — 25). Seine Macht besteht in seiner Verbindung mit andern Mächten, die mit gleichem Hass gegen die Juden erfüllt sind und ihm, dem trotzigen, ränkekundigen Manne, als ihrem geeigneten Anführer Heeresfolge leisten werden. 

Wie die Juden als Volk ein Bündnis mit der westlichen Macht, dem römischen Reiche, eingehen werden, so wird sich der Assyrer ohne Zweifel mit den nördlich und östlich wohnenden Völkern verbinden, zugleich auch wohl unter dem Einfluss des mächtigen russischer Reiches stehen. Im 83. Psalm werden viele Völker aufgezählt als im Bunde mit Assur stehend und erfüllt mit bitterer Feindschaft gegen das Volk Gottes. „Sie sprechen: Kommet und lasset uns sie vertilgen, dass sie keine Nation mehr seien, dass nicht mehr gedacht werde des Namens Israel!“ Welch entsetzliche Bluttaten, Verheerungen und Gräuel werden den Einfall dieser furchtbaren Horden in Palästina begleiten!

Außer dem Assyrer wird sich indes auch Ägypten in den Streit mischen, da auch dieses Ansprüche auf Palästina macht. „Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm (dem Antichristen) zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn (den Antichristen) anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen . . . . Und er wird eindringen in das Land der Zierde (Palästina)“. Der Antichrist wird gleichzeitig von beiden Seiten angegriffen« werden; doch wird der Assyrer den König von Ägypten, seinen Gegner, zurückdrängen und bis in sein eignes Land verfolgen und dort völlig besiegen. „Und er wird seine Hand an die Länder legen, und das Land Ägypten wird nicht entrinnen“ (Dan. 11, 42).

Schließlich aber, nachdem der Herr durch den Assyrer Seine Gerichte an Seinem Volke und an Jerusalem ausgeführt hat, wird auch diesen das Gericht ereilen: „Und es wird geschehen, wenn der Herr Sein ganzes Werk an dem Berge Zion und an Jerusalem vollbracht hat, so werde ich heimsuchen die Frucht der Überhebung des Herzens des Königs von Assyrien und den Stolz der Hoffart seiner Augen“ (Jes. 10, 12). Gerade dort, wo er das Maß seiner Sünden voll gemacht hat, im heiligen Lande, wird ihn sein Schicksal erreichen. „Und er wird sein Palastgezelt aufschlagen zwischen dem Meere und dem Berge der heiligen Zierde. Und er wird zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“ (Dan. 11, 45).

Damit haben wir den Abschluss der Kriegsereignisse und zugleich auch das Ende der vier oben genannten Mächte erreicht. Der König des Südens findet sein Ende, wie wir gesehen haben, durch die Hand des Königs von Assyrien; dieser wiederum findet es in dem Lande Palästina, wenn er wider den Fürsten der Fürsten, d. h. gegen Christum in Seinem Charakter als Herr der ganzen Erde, aufstehen wird. Er wird „ohne Hand“, d. h. ohne die Hand eines Menschen, durch göttliche Macht, zerschmettert werden (Dan. 8, 25). Um dieselbe Zeit werden auch das Tier und der Antichrist ihr Ende finden. 

Denn mit dem Assyrer werden, unter der Leitung der Vorsehung Gottes, auch die Heere des römischen Reiches in Palästina eintreffen, damit alle mit einander dort gerichtet werden. Dieses Gericht wird uns im Propheten Sacharja und in Offenbg. 19 geschildert; der Herr selbst wird es ausführen bei Seiner Erscheinung in Herrlichkeit und Macht. „Und es wird geschehen an jenem Tage, da werde ich Jerusalem zu einem Laststein machen für alle Völker: alle die ihn ausladen wollen, werden sich gewisslich daran verwunden. Und alle Nationen der Erde werden sich wider dasselbe versammeln“ (Sach. 12, 3). „Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit Dem, der auf dem Pferde saß, und mit Seinem Heere“ (Offbg. 19, 19).

Das ist also der traurige Ausgang, zu welchem der Hochmut die Gewaltigen der Erde in ihrer Auflehnung gegen Gott drängt; auf ihre Macht vertrauend, wagen sie es, mit dem Herrn selbst Krieg zu führen. „Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen mit einander wider Jehova und wider Seinen Gesalbten“ (Psalm 2, 2). In ihrem Hochmut haben sie einst Christum verworfen, als Er in Güte und Gnade herniederkam, und in ihrem stolzen Wahn werden sie sich gegen Ihn erheben, wenn Er in Herrlichkeit und Majestät erscheint. Aber „der im Himmel thront lacht, und der Herr spottet ihrer. . . . Mit eisernen! Szepter wirst du sie zerschmettern, wie Töpfergefäß sie zerschmeissen“ (Psalm 2, 4. 9). Die Könige der Erde müssen die Erfahrung machen, dass sie mit allen ihren Heeren in den Augen des Herrn nicht mehr gelten als ein Tropfen, der vom Eimer fällt, und als ein Sandkorn auf der Waagschale (Jes. 40, 15).

Mit diesem Gericht endet dann auch die Herrschaft der Nationen, welche mit Nebukadnezar begonnen hatte. In seiner Person war die Herrschaft über die Erde den Heiden übertragen worden· Gott hatte Seinen Thron aus Jerusalem entfernt, und Seine Herrlichkeit war in den Himmel zurückgekehrt. Am Ende der Tage aber wird die Herrschaft wieder an das Volk Gottes kommen, welches alsdann, unter dem Szepter seines Messias, von neuem den ersten Platz, unter allen Völkern der Erde einnehmen wird. „Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, welches ewiglich nicht zerstört, und dessen Herrschaft keinem andern Volke überlassen werden wird“ (Dan. 2, 44).

Doch ehe wir einen Blick auf das tausendjährige Reich und die Stellung Israels in demselben werfen, müssen wir noch des Gerichts über „Gog“ gedenken. Die Herrschaft Gogs umfasst alle jene Völkerschaften, welche heute schon das russische Reich ausmachen oder doch wenigstens unter seinem mächtigen Einfluss stehen. Sein Titel: „Fürst von Rosch (Rußland ?), Mesech (Moskau ?) und Tubal (Tobolsk ?)“, sowie die Namen der mit ihm verbündeten Völkerschaften, wie z. B. der Perser, der Äthiopier (d. h. des am Euphrat gebliebenen Teiles derselben; ein Teil ließ sich bekanntlich in Ägypten nieder), des Hauses Togarma (Armenien?) und anderer im Norden von Palästina, in Kleinasien und in der Tartarei wohnenden Völker, bestätigen die Anspielung auf Russland (Vergl. Hesekiel 38, 3 — 5).

Im Beginn des tausendjährigen Reiches, wenn der Herr schon gekommen ist, die Herrschaft der Nationen zerstört und Seine Feinde besiegt hat, wird Russland an der Spitze seiner Verbündeten in Palästina einfallen. Wie früher die Westmächte, so wird auch die nordische Macht durch die Vorsehung Gottes in das Land Israel geführt werden, um dort dem göttlichen Gericht zu begegnen. Gog scheint keine Ahnung von der Gegenwart des Herrn daselbst zu haben, sondern zu denken, nachdem alle Feinde beseitigt seien, könne er das in Sicherheit und ohne Mauern wohnende Israel widerstandslos berauben und plündern. Gottes Gedanken aber sind, die Heerscharen Gogs auf die Berge Israels zu bringen, damit sie dort fallen und ihr Grab finden.

 „Und du sollst hinaufziehen, wie ein Sturm herankommen, sollst wie eine Wolke sein, um das Land zu bedecken, du und alle deine Haufen und viele Völker mit dir . . . . auf den Bergen Israels wirst du fallen“. Der Herr wird ein besonderes Gericht an Gog üben: „Wahrlich, an selbigem Tage wird ein großes Beben sein im Lande Israel! . . . Und ich werde nach allen meinen Bergen hin das Schwert über ihn herbeirufen, spricht der Herr, Jehova; das Schwert des einen wird wider den andern sein. 

Und ich werde Gericht an ihm üben durch die Pest und durch Blut; und einen überschwemmenden Regen und Hagelsteine, Feuer und Schwefel werde ich regnen lassen auf ihn und auf seine Haufen und auf die vielen Völker, die mit ihm sind.“ Ohne dass Israel auch nur einen Schwertstreich zu führen brauchte, werden die Heere Gogs vernichtet werden. Sieben Monate lang wird man an den Leichen der Gefallenen begraben, und sieben Jahre lang mit ihren Waffen Feuer machen (Hes. 38, 9 — 22; 39, 2 — 11). Wie die übrigen Mächte und Reiche, so muss auch Gog erfahren, dass Gewalttat und Ungerechtigkeit nicht bestehen können in der Gegenwart des „Herrschers in Gottesfurcht“ (2. Sam. 23, 3), der den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit, und über die Völkerschaften Gericht halten wird in Geradheit“ (Ps. 9, 8). Vor den Augen aller Völker wird der Herr sich an Gog groß und heilig erweisen (Hes. 38, 23).

Gedenken wir zum Schluss noch kurz der Segnungen, welche die Gegenwart des Herrn für diese Erde herbeiführen wird. Wahrhaft wunderbare Veränderungen werden eintreten. „Er (der Herr) wird sein wie das Licht des Morgens. wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken: von ihrem Glanze nach dem Regen sprosst das Grün aus der Erde“ (2. Sam. 23, 4). Seit dem Sündenfall hat die Erde nie wieder einen Morgen ohne Wolken gesehen; was Gott auch den Menschen anvertrauen mochte, immer wieder fiel es in seiner Hand dem Verderben anheim. Die Erde, welche so schön und gut aus der mächtigen Schöpferhand Gottes hervorgegangen war, verdarb der Mensch durch seinen Ungehorsam. 

Das Gesetz übertrat er und folgte seinem eigenen bösen Willen. Die Herrschaft missbrauchte er zu Gewalttat und Ungerechtigkeit. Auf die in Christo Jesu geoffenbarte unumschränkte Gnade antwortete er mit gänzlichem Abfall und mit Lästerungen gegen Gott. Immer von neuem und stets hoffnungsloser hat er diese Erde zu einem Schauplatz des Elendes und Jammers gestaltet. Doch am Ende wird Christus, der zweite Mensch, auf Grund der Erlösung, die Er selbst bewirkt hat, die Herrschaft in Seine Hand nehmen, und dann werden die Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn kommen (Apstgsch. 3, 19). Wessen Herz lebt nicht auf, wenn er an diese glückseligen Zeiten denkt, wie die Schrift sie uns schildert, und nur sie allein sie uns schildern kann Zeiten, nach welchen die Schöpfung seufzt, und der Glaube sich sehnt schon beinahe 6000 Jahre lang? 

Dann wird das ganze Weltall Christum, den Sohn des Menschen, zum Mittelpunkt haben; die Himmel werden sich öffnen, und die Herrlichkeit der Kirche wird ihre Strahlen auf eine glückselige und erlöste Schöpfung herniedersenden, und die Nationen werden durch ihr Licht wandeln (Joh. 1, 51; Offbg. 21, 24) .Und wie die Kirche droben den Sitz der Regierung in der himmlischen Herrlichkeit des Reiches (in dem Reiche des Vaters) bilden wird, so wird die Stadt Jerusalem hienieden der Mittelpunkt der Regierung des irdischen Reiches (des Reiches des Sohnes) sein. Unter der weisen, segensreichen Regierung Christi, einer Regierung, wie die Erde sie nie gesehen hat, wird Israel alles das empfangen, was ihm von Gott zugesichert ist (vergl. Ps. 72), und die Welt wird erfahren, dass Er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit und die Völker in Geradheit.

Als eine besondere Segnung jener glückseligen Tage wird uns die Tatsache mitgeteilt, dass Satan in den Abgrund eingeschlossen sein wird. Schon früher mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde geworfen, wird er alsdann auch von der Erde auf die Dauer von tausend Jahren verbannt sein (Offbg. 20, 2.) Welch eine Ruhe, Sicherheit und Erquickung wird eine Welt bieten, auf welcher der Fluch, die traurige Folge der Sünde, verbannt ist, und wo man die Gewissheit hat, dass der Verführer, Versucher und Widersacher die Seelen und Leiber der Menschen tausend Jahre lang nicht mehr quälen kann! Soweit die Herrschaft Christi, des wahren Salomo, reichen wird, werden auch Friede und Wohlfahrt herrschen.

 „In Seinen Tagen wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist; und Er wird herrschen von Meer zu Meer, und vom Strome bis an die Enden der Erde“ (Psalm 72, 7. 8). Auch ist nicht zu befürchten, dass das Szepter je wieder Seinen Händen entrissen werden wird; denn „dein Reich ist ein Reich aller Zeitalter, und deine Herrschaft durch alle Geschlechter hindurch“ (Ps. 145, 13). Das ganze weite Erdenrund wird wiederhallen von dem Lobgesang seiner glücklichen Bewohner. Ein Geschlecht wird dem andern rühmen Seine Werke, und Seine Machttaten werden sie verkünden (Ps. 145, 4). Die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis Jehovas, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken (Jes. 11. 9); und aus glücklichen, dankbaren Herzen wird der Jubelruf zum Himmel emporsteigen: „Jehova, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde“ (Ps. 8, 9)!

Fußnote:

*) Schon heute sollen gegen 100,000 Juden im Lande, und davon allein 40,000 in Jerusalem wohnen, also weit mehr als bei ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft unter Esra und Nehemia

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 85ff

Das Heer der Syrer wird mit Blindheit geschlagen (Kap. 6, 8 - 23).

Wie ich bereits bemerkt habe, kennzeichnete sich die Geschichte des Elia durch ein entschiedenes Zeugnis gegen das Böse und durch Leiden, die aus diesem Zeugnis hervorgingen; in der Wirksamkeit Elisas dagegen offenbarte sich Macht, sowie ein gnadenvoller Gebrauch derselben. In Übereinstimmung damit finden sich viele Beispiele aus dem Leben Jesu, bei welchen der Herr Macht im Verein mit Gnade offenbarte, in der Geschichte Elisas wieder, wenn auch selbstverständlich nur in schwachen Abbildern.

So treten uns in der Begebenheit, welche sich unsrer Betrachtung jetzt darbietet, verschiedene Züge entgegen, die uns lebhaft an unsern Herrn erinnern. Wenn es Ihm gefallen hätte, so hätten zwölf Legionen Engel zu Seiner Verfügung — gestanden; und ebenso steht hier ein Berg voll Rosse und Wagen unserm Propheten zu Diensten. Dabei ist die Einfalt seines Glaubens sehr bemerkenswert. Er brauchte in dieser Beziehung nicht für sich selbst zu bitten; er hatte bereits „die Wagen Israels und seine Reiter“ gesehen (Kap. 2, 12) und ruhte in der Gewissheit, dass sie jederzeit zu seiner Benutzung bereit standen. Wenn er ihrer hier bedarf, so weiß er, dass sie in der Nähe sind. Er braucht deshalb nichts für sich selbst zu erbittert. Alles was er wünscht, ist nur, dass sein Knabe mit ihm auf derselben Höhe des Glaubens stehen möchte.

Elisa hatte, wie gesagt, diese Rosse und Wagen Israels bereits gesehen. Er wusste, dass der Gott Jeschuruns auf den Himmeln einherfuhr zu seiner Hilfe (vergl. 5. Mose 33, 26), und er wünschte, dass in jener Stunde der Gefahr sein Knabe sich dieses göttlichen Schutzes gleichfalls bewusst werden möchte. Die feurigen Rosse und Wagen, welche den Berg bedeckten, und die am Tage der Entrückung Elias von einem Sturmwind begleitet waren, stellen, wie ich nicht zweifle, ein Heerlager von Engeln dar, eine Schar jener himmlischen Geschöpfe, die, gewaltig an Kraft, in der Gegenwart Gottes stehen, oder ausgehen zum Dienst um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen. (Ps. 103, 20; Hebr. 1, 14.) Im Blick auf sie lesen wir, dass Gott „Seine Engel zu Winden macht und Seine Diener zu einer Feuerflamme“; und wiederum: „Der Wagen Gottes sind zwei Zehntausende, Tausende und aber Tausende“ (Ps. 68, 17). Auf den Befehl Gottes machen sie sich aus, um. zu dienen, wie die Bedürfnisse der Heiligen oder die Regierungswege Gottes es gerade erfordern. 

Sie bildeten den Reisewagen, der Elia gen Himmel brachte und Lazarus in den Schoß Abrahams trug. Und hier, wo Elisa von den feindlichen Scharen der Syrer umzingelt ist, bilden sie Kriegswagen. Einzeln oder gemeinschaftlich besuchen sie die Auserwählten auf Erden, und einzeln oder zu einer Schar vereinigt, verherrlichen sie die Freude des Himmels vor den Ohren der Erdenbewohner. Sie ziehen das Schwert, um eine schuldbeladene Stadt zu schlagen, oder sie führen an der starken Hand der Liebe den zaudernden Lot aus dem gottlosen Sodom· Sie gleichen entweder Winden oder Feuerflammen. Sie überbringen eine Gnadenbotschaft, oder sie vollziehen das Gericht, je nachdem „der Herr“, der „unter ihnen ist“, ihnen Seine Befehle erteilt. Sie waren auf dem Berge Sinai, als das Gesetz gegeben wurde, und sie schwebten über den Gefilden Bethlehems, als Jesus in diese Welt kam. Und an der vorliegenden Stelle gleichen sie in der Ordnung und Kraft, in welcher sie dastehen, einer feurigen Mauer, einer Mauer des Heils, die unsern Propheten von allen Seiten umgibt.

Alles das ist sehr köstlich. Und noch köstlicher ist es, zu wissen, dass die verborgenen Herrlichkeiten, welche gegenwärtig nur einem Glauben, wie Elisa ihn besaß, bekannt sind, binnen kurzem offen zu Tage treten werden, und dass die Drohungen des Feindes, das Geklirr und Getöse der Waffen, wovon wir jetzt umgeben sind und wodurch das Herz so leicht mit Befürchtungen und Sorgen erfüllt wird, dann gleich einem Gewitter für immer vorübergezogen sein werden; das Rollen des Donners wird verstummen, und heller als je wird die Sonne von dem wolkenlosen Himmel herabstrahlen.

Allein wir finden hier noch mehr als diese Ruhe und Sicherheit des Glaubens. Es zeigen sich auf dem Pfade unsers Propheten auch Spuren der Macht und Gnade Jesu.

„Als Übeltäter mir nahten, um mein Fleisch zu fressen, meine Bedränger und meine Feinde . . . sie strauchelten und fielen.“ So redete David einst im Blick auf Jesum (Ps. 27). Und so geschah es im Garten Gethsemane, als die Schar von den Hohenpriestern und Ältesten kam, um Hand an Jesum zu legen. Wen suchet ihr? Sie antworten Ihm: Jesum, den Nazaräer. Jesus spricht zu ihnen: Ich bin’s . . . Als Er nun zu ihnen sagte: „Ich bin’s«, wichen sie zurück und fielen zu Boden“ (Joh. 18). Ähnliches finden wir hier bei unserm Propheten. Die Scharen der·-Syrer kommen nach Dothan, um Elisa zu holen; aber als sie sich anschicken, ihn zu ihrem Gefangenen zu machen, da schlägt der Herr sie mit Blindheit.

So spiegelt sich die Herrlichkeit der Macht des Herrn in Elisa wieder. Aber die Abmessungen dieser Herrlichkeit sind auch hier wieder, wie wir es schon früher gesehen haben, verschieden. Elisa begehrte, dass sich die Macht des Herrn bei dieser Gelegenheit offenbaren möchte, während Jesus in der Macht Seiner eigenen Person dasteht und den Feind zwingt, sich vor derselben zu beugen. Als Er nun zu ihnen sagte: „Ich bin’s“, wichen sie zurück und fielen zu Boden.“

Doch es offenbart sich hier ebenso wohl die Gnade wie die Macht des Sohnes Gottes. Der Herr wollte in den Tagen Seines Fleisches das zerknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Er weigerte sich, von Seiner Stärke und Machtvollkommenheit Gebrauch zu machen, selbst wenn es sich um das gerechte Gericht über Seine Feinde handelte. Er wollte nicht streiten noch schreien, noch Seine Stimme auf den Straßen hören lassen; sondern, den Weg des Leidens gehend, überwand Er das Böse mit dem Guten. So war es auch bei Elisa. Das zerknickte Rohr und der glimmende Docht befanden sich in seiner Gewalt; aber er wollte weder zerbrechen noch auslöschen. „Soll ich schlagen, mein Vater?“ fragt der König, als er die Scharen der Syrer in seiner Gewalt, mitten in Samaria, sieht. Aber der Prophet antwortet: „Du sollst nicht schlagen; —— setze ihnen Brot und Wasser vor, dass sie essen und trinken und zu ihrem Herrn ziehen“.

In welch herrlicher, kostbarer Weise zeigt sich hier die Gesinnung Gottes! Wahrlich, wir erkennen mit Bewunderung und Freude in den Wegen dieses bevorzugten Propheten ein Abbild von den Wegen des Herrn hienieden, wie Er in Seinem Tun Macht und Gnade in lieblicher Weise mit einander verband. In welch einer Vertraulichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, wandelte Elisa mit Gott! Wie vollkommen genoss er Seine Freundschaft und kannte Seine Geheimnisse! Und welch eine schöne Erläuterung fanden in seiner Geschichte die Worte des Propheten: „Der Herr Jehova tut nichts, es sei denn dass Er Sein Geheimnis Seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart habe“ (Amos 3, 7)! 

Elisa wusste von Bergen voll hilfsbereiter Streitkräfte, die Anderen gänzlich unsichtbar waren; er konnte von Überfluss reden, der morgen in den Toren herrschen würde, obwohl heute nichts als Hungersnot und Tod in der Stadt herrschten. Ja, so groß war die wunderbare, herablassende Liebe des Herrn zu ihm, und so vertraut war sie seiner Seele, dass es ihn fast Wunder nahm, wenn ihm nicht jede Sache mitgeteilt wurde. (Siehe Kap. 4, 27.) Und ebenso wirklich kann in Bezug auf einen jeden von uns (die wir nicht bevorzugte Propheten, sondern die Schwächsten der Heiligen sind) gesagt werden: „Wir haben Christi Sinn“. O möchten unsre Seelen mit Kraft erfüllt werden, um eine solche Güte auf Seiten des Herrn, und ein solch erhabenes Vorrecht und solch kostbare Segnungen auf unsrer Seite nach Gebühr zu schätzen!

Die Hungersnot in Samaria (Kap. 6, 24 - 7, 20).

Dieser Abschnitt der Geschichte unsers Propheten ist von ganz besonderer Bedeutung. Das ergreifende Gemälde von dem Elend und der Befreiung Samarias führt uns die Gnade Gottes in ihrer ganzen Fülle, in ihrem reichsten Ausströmen vor Augen.

Die Belagerung jener Stadt durch das Heer der Syrer brachte die unglücklichen Bewohner in einen Zustand, wie er nicht trauriger und elender hätte sein können. Die Not erreichte eine entsetzliche Höhe. Ein Eselskopf galt achtzig Sekel Silber, und Mütter sahen sich durch den nagenden Hunger getrieben, ihre eigenen Kinder zu schlachten und zu verzehren.

Mehr braucht nicht gesagt zu werden, um das Bild des Jammers in seiner ganzen Furchtbarkeit vor unsre Blicke zu stellen. Nur mit tiefem Entsetzen können wir es betrachten. Es erinnert uns an den Mann, von welchem wir in den Evangelien lesen, der von einer Legion Teufel besessen war — an ein anderes Bild davon, was die Macht des großen Verderbers, wenn ihr unbeschränkt. und ungehindert zu wirken erlaubt würde, mit einem jeden von uns zu tun vermöchte.

Der Mensch offenbart sich indes in dieser Geschichte noch in anderer Beziehung. Erblicken wir ihn einerseits- in seinem ganzen schrecklichen Elend und in der Gefangenschaft, in welcher ihn sein unbarn1herziger Feind hält, so zeigt er sich andrerseits in der Gesinnung seines natürlichen Herzens. „So soll mir Gott tun und so hinzufügen“, sagt der König von Israel, „wenn der Kopf Elisas, des Sohnes Saphats, heute auf ihm bleibt!“

Damit erklärte der Mensch Gott, oder Seinen Diener — was dasselbe bedeutete —- für den Urheber all des Unheils, welches ihn betroffen hatte. Gerade so machte es einst Adam, als unsre Sünde ihren Anfang nahm. „Das Weib“, sagte er zu Gott, „das du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baume, und ich aß“. Das hieß, die Sünde mit ihren schrecklichen Folgen auf das Haupt Dessen wälzen, der allein rein und frei von aller Schuld war.

Erblicke hier, mein Leser, die Sünde in ihrer Vollendung! Wie später bei dem Kreuze Christi, so hatte auch hier das Böse seinen Höhepunkt erreicht. Weiter konnte die Ungerechtigkeit Samarias nicht gehen, höher konnte die Sünde der Stadt nicht steigen; aber auch gerade so wie es bei jenem Kreuze der Fall sein sollte, betrachtete Gott diesen Augenblick als den gelegenen Zeitpunkt zur Entfaltung Seiner Gnade. Das Verderben war völlig ausgereift, und von menschlicher Seite war keine Hilfe mehr zu erhoffen. Da, in diesem hoffnungslosen Augenblick, öffnen sich die Lippen Elisas, um eine wunderbare Verheißung auszusprechen, und er wird der Überbringer eines Wortes vom Herrn.

Denn wenn die Kraft Israels geschwunden, wenn der Gebundene und der Freie dahin ist, wird Jehova sich’s dann nicht gereuen lassen über Seine Knechte (5. Mose 32, 36)? Wenn Gott sieht, dass kein Mann, kein Vermittler mehr da ist, wird dann nicht Sein eigner Arm Rettung schaffen? Wenn der Bedränger kommt wie ein Strom, wird nicht der Hauch Jehovas ihn in die Flucht schlagen (Jes. 59, 16 — 19)? Ein solcher Augenblick war jetzt gekommen; und ein solcher Augenblick war für Gottes herrliche Gnade der geeignete Zeitpunkt, um sich zu offenbaren. 

Wo die Sünde überströmend geworden, da ist die Gnade noch überschwänglicher geworden. Wie bei dem Kreuze Christi der Mensch auf der Höhe seiner Empörung, und Gott auf der Höhe der Herrlichkeit Seiner Gnade sich offenbarte, so sollte auch hier, als die Sünde und das Elend Samarias ihren Gipfelpunkt erreicht hatten, der Becher der Segnungen Gottes bis zum äußersten Rande gefüllt werden. „Da sprach“ Elisa: Höret das Wort Jehovas! So spricht Jehova: Morgen um diese Zeit wird ein Maß Feinmehl einen Sekel gelten, und zwei Maß Gerste einen Sekel im Tore von Samaria.“

„Im Tore von Samaria!“ Der Gedanke, der sich in diesen Worten ausdrückt, ist für die heilsbedürftige Seele in der Tat kostbar; die Gnade des Evangeliums gibt sich in denselben in wahrhaft herrlicher Weise kund. Die Rettung braucht weder oben im Himmel noch unten in der Tiefe gesucht zu werden; sie ist zu uns gekommen! Das Sündopfer liegt vor der Tür· Der Israelit hatte nicht nötig, die Schwelle seines Hauses zu überschreiten, um dasselbe vor dem Schwerte des Verderbers sicher zu stellen. Die Gnade bringt die Hilfe, die sie bereitet hat, auch selbst herbei. Die Verhungernden konnten das Feinmehl und die Gerste unmittelbar im Tore ihrer Stadt bekommen (Siehe Röm. 10, 6 — 8)!

Wie deutlich können wir in allem diesem die leuchtenden Fußstapfen unsers Heiland-Gottes verfolgen! „Gott gebe uns Gnade“, hat einmal jemand gesagt, „zu holen, nein, zu begehren, nein, zu empfangen und nur zu empfangen!“

Ist das nicht sehr bedeutsam, geliebter Leser? Und gerade das war es, was Elisa bei der vorliegenden Gelegenheit zum Ruhme gereichte: er war mit der Gesinnung Gottes vertraut. Das böse, verderbte Herz des Menschen ging bis zum Äußersten. Der König von Israel suchte, wie bereits bemerkt, die Schuld an dem ganzen Unheil auf den Einzigen abzuwälzen, der tatsächlich schuldlos an demselben war; gerade so wie der Hohepriester Kajaphas in späteren Tagen den Rat erteilte, es müsse einer für das Volk sterben, damit nicht die ganze Nation umkäme, und dieser Eine musste Der sein, welcher allein an dem traurigen Zustand des Volkes unschuldig war (Joh. 11). Und gerade in einem solchen Augenblick lässt Gott Seine Rettung offenbar werden und Seine Gnade überströmen. Statt dass ein Eselskopf achtzig Silbersekel galt, sollten jetzt ein Maß Feinmehl und zwei Maß Gerste in dem Tore der Stadt, die durch eigene Schuld an den Rand des Verderbens gekommen war, für einen Sekel verkauft werden.

So sehen wir also, wie das menschliche Böse, nachdem es seinen Gipfelpunkt erreicht hat, der überströmenden Gnade Gottes begegnet; zugleich aber gewahren wir auch, in welch verschiedener Weise diese Gnade in der Welt aufgenommen wird. Einige weisen sie zurück, wie hier der Anführer. Er wollte nicht glauben, dass Gott alles das tun könnte, was Sein Prophet soeben verkündigt hatte.

Ein Löwe war auf dem Wege. Ja, wenn sich noch Fenster am Himmel auftun würden, dann hätte das Wort des Propheten vielleicht in Erfüllung gehen können; wer aber hatte je von Fenstern am Himmel gehört? Und beachten wir, dass diese Worte in dem Geiste vollständigen Unglaubens ausgesprochen wurden, in der bösen Gesinnung des menschlichen Herzens, welches sich weigert, die frohe Botschaft großer Freude, die Gott ihm verkündigen lässt, anzunehmen; welches Ihm gegenüber weder glückliche Gedanken hegen, noch kindliches, heiliges Vertrauen empfinden will; welches vielmehr, wenn Er von Vergebung und Segnung redet, die Gnade von sich weist und lieber seine eignen, selbstgebildeten Meinungen festhält. denen zufolge eine solche Gnade rein unmöglich ist. Ja, so unwissend, so entfremdet von dem Leben Gottes ist das Herz des Menschen!

Indessen gibt es auch eine Klasse von Leuten, welche gar keine Hoffnung mehr haben; solche, die alle ihre Habe an die Ärzte verwandt haben, um von ihrer Plage geheilt zu werden, und mit denen es doch um kein Haar besser geworden ist. Es gibt noch Aussätzige außerhalb des — Lagers —- arme, überführte Sünder, die, wie einmal jemand gesagt hat, „für jeden Anderen, als für Jesum, zu schlecht sind“. Vor ihnen, hinter ihnen, um sie her ist nichts als der Tod. Vor sich gewahren sie die Syrer, hinter sich die hungernde Stadt, und an sich ihre siechen, aussätzigen, erstorbenen Leiber. Für solche kommt die — Gnade gerade zur rechten Zeit. Sie sind ihrer bedürftig. Sie erkennen, dass dieselbe ganz für sie ist, ganz für sie passt. Entweder steht der gewisse Tod vor ihnen, oder diese letzte, diese einzige Zuflucht in Gott selbst. Und solche machen sich auf und bemächtigen sich der Beute. Ihre Not bringt sie an den Platz, wo Christus den Sieg errungen hat.

So war es hier mit den vier Aussätzigen. Sie sahen keinen Ausweg, keine Hilfe. Der Tod umringte sie in verschiedenster Gestalt, ja, von allen Seiten; und so trieb sie ihr eigener, trauriger Zustand in das Lager der Syrer, wo der Herr ganz allein, ohne Mitwirkung von irgend Jemandem, einen herrlichen Sieg errungen hatte. Denn der Herr hatte das Heerlager der Syrer ein Getöse von Wagen und Rossen hören lassen, und so war Er es ganz allein gewesen, der sie« in die Flucht geschlagen hatte. Von dem Volke Israel war niemand mit Ihm gewesen. Es war „der Tag des Herrn“. In der Stadt rang das Volk mit dem Tode, und vor der Stadt hatten die Aussätzigen nichts anderes als den Tod vor sich. 

Da tritt Gott dem Heere der Syrer allein entgegen; und den armen Aussätzigen bleibt nichts" weiter zu tun übrig, als sich aufzumachen und sich ihren Anteil an den Früchten des Sieges des Herrn zu holen. Gerade so ist es jetzt mit dem Sünder. Der Sieg ist ganz ausschließlich das Werk Jesu. Es war niemand, der Ihm beigestanden hätte oder für Ihn eingetreten wäre. Allein trat Er dem Feind entgegen; allein erduldete Er die Strafe; allein trank Er den Kelch. Die drei Stunden der Finsternis kamen vom Himmel her über Ihn, weil Er zur Sünde gemacht war; allein hing Er als ein Fluch an dem Holze. Und im Evangelium wird dieser ganze Kampf und Triumph Jesu frei verkündigt, damit Sünder, tote, den Aussätzigen gleichende Sünder, kommen und das Festmahl genießen können, welches die Errungenschaft des ruhmreichen Kampfes bildet, den Jesus für sie ausgefochten hat— ein Festmahl, durch welches für alle ihre Bedürfnisse in Ewigkeit gesorgt ist.

Und was erwächst ihnen aus ihrer eigenen Freude? Das Verlangen, auch Andere an der Beute teilnehmen zu lassen! Sie breiten die gute Botschaft aus, die sie selbst empfangen haben und auf Grund deren sie jetzt das Leben genießen. Ja, es gibt keinen Seelenzustand, der von dem Geiste des erneuerten Sinnes entschiedener verurteilt würde, als die Selbstsucht unsrer alten, verderbten Natur. Die Tätigkeit derselben ist der herrlichen, frei nach allen Seiten hin ausströmenden Gnade, die Gott im Evangelium offenbart, so entgegengesetzt, dass da, wo man sich ihr hingibt, sie das drückende Gefühl der Furcht in der Seele zurücklässt. „Wir tun nicht recht“, sagten jene Aussätzigen zu einander. „Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft; und schweigen wir und warten, bis der Morgen hell wird, so wird uns Schuld treffen. Und· nun kommet und lasset uns hineingehen und es im Hause des Königs berichten.“ Und so gehen sie hin und verkündigen das Geschehene, und es ward dem Hause des Königs berichtet.

Alle diese Herzenserfahrungen werden einem erneuerten Sinne, der die Gnade des Evangeliums geschmeckt hat und unter dem Einfluss dieser Gnade steht, leicht verständlich sein. Indes gibt es in diesem bedeutungsvollen Bilde noch weitere Belehrungen für uns. So erblicken wir z. B. in dem Könige einen schwachen Glauben, ein Herz, welches glaubensträge ist. Er geht, wenn er die gute Botschaft hört, erst mit seiner Vernunft zu Rate. Er weist die Botschaft nicht, wie der Anführer, in dreistem Unglauben und Spott sofort zurück, sondern beginnt zu überlegen und seinen Verstand zu befragen.

 Auf ihn lässt sich das Wort des Herrn anwenden: „O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!“ Doch die Gnade erweist sich als überschwänglich. Wie bei Naaman, so vermag sie auch hier ebenso gut für einen Diener zu sorgen, wie sie Schätze aufzutun weiß; und der Erfolg ist der, dass der glaubens- und herzensträge König, ebenso gut wie die Aussätzigen, die sich mehr bereit gezeigt hatten als er, seinen Anteil an der Beute des herrlichen Sieges Jehovas empfängt. Und die ganze ausgehungerte Stadt folgt ihm nach. „Lahme plündern die Beute!“ Keiner kommt zu kurz, mit alleiniger Ausnahme des ungläubigen Anführers. Nur das Misstrauen, welches in die Freigebigkeit Gottes gesetzt wird, schließt an diesem Festtage Israels von der allgemeinen Segnung aus. Alles was der Prophet angekündigt hatte, ging in Erfüllung. Das Mehl und die Gerste wurden im Tore zu dem angegebenen Preise verkauft; der Anführer allein kam in seinem Unglauben um.

So sehen wir denn die großen Dinge, welche in dem Evangelium Gottes enthalten sind, in diesem überaus treffenden Bilde von Samarias Elend und Befreiung dargestellt und erläutert; es bietet uns reichen Stoff zu heiliger, nutzbringender Ermunterung und Ermahnung. Möchten wir jedoch nicht nur begehren, diese bewunderungswürdigen Wege der Weisheit Gottes zu erforschen und zu bewundern, sondern lasst sie uns auch wohl beachten und in unsre Herzen aufnehmen, damit dieselben erfrischt und unser Glaube an Den gestärkt werde, dessen Gnade für alle unsre Bedürfnisse und unsre Freude auf immerdar Sorge getragen hat!

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Das Rote Meer und die Wüste

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 98ff

Es ist gut und nützlich für unsre Seelen, den Unterschied zwischen dem Passah und dem Roten Meere zu verstehen. Denn jemand mag das Evangelium hören, es bereitwillig aufnehmen und sich der Vergebung seiner Sünden erfreuen; er mag die Lieblichkeit Christi erkennen und sein ganzes Herz zu Ihm hingezogen fühlen wenn er aber die volle Erlösung nicht verstanden hat, wie sie im Roten Meere vorbildlich dargestellt ist, wenn er nicht weiß, dass er mit Christo auferstanden ist und sich auf der anderen Seite des Todes und Gerichts befindet, so kann er fast mit Sicherheit darauf rechnen, seine Freude zu verlieren sobald Versuchungen und Prüfungen über ihn kommen und er seine Schwachheit und Ohnmacht kennen lernt. Die Freude, welche sich in dem 15. Kapitel des 2. Buches Mose kundgibt, gründet sich aus die Tatsache, dass Gott Sein Volk völlig aus Ägypten erlöst und es durch Seine Stärke zu Seiner heiligen Wohnung geleitet hat. Diese Freude ist also sehr verschieden von derjenigen des Passahfestes. In letzteren gab sich die Befreiung von einem gerechten und wohlverdienten Gericht kund; Jehova offenbarte sich in dem Passah als der Gott des Gerichts. 

Das Blut an den Türpfosten schützte die Israeliten vor dem Gericht; es hielt Gott draußen, ferne von ihnen; der Würgengel trat nicht in ihre Häuser ein, um zu verderben. Wäre er eingetreten, so hätte es nur zum Gericht sein können. Am Roten Meere war es aber ganz anders. Gott selbst erschien auf dem Schauplatz und trat in Seiner Stärke ins Mittel zu ihrem Heil, als ihr Erlöser. Das Passah befreite sie von dem Gericht, das Rote Meer von ihren Feinden. Sobald Sein Volk in Gefahr ist vor dem Pharao, erscheint Gott und handelt für dasselbe. Das nämliche Meer, welches die Israeliten so fürchteten und welches sie den Händen des Pharao zu überliefern schien, wird das Mittel zu ihrer Errettung.

So befreite Gott also Sein Volk durch den Tod vom Tode; gerade so wie Christus in die Festung Satans hinabgestiegen ist, sich der Macht des Todes unterworfen und, indem Er aus den Toten wieder auferstanden ist, uns vom Tode befreit hat. Im Roten Meere nahmen der Pharao und das Land Ägypten ein Ende für Israel. Das Rote Meer ist gleichbedeutend mit der Erlösung aus Ägypten. Gott selbst ist hier das Heil Seines Volkes. Derselbe Gott, welchen sie als Richter, und zwar mit Recht, gefürchtet hatten, ist jetzt ihr Heil, ihre Rettung geworden. Sie sind erlöst. Sie hoffen nicht länger mehr auf Gnade, sondern sie sind imstande, sich der Tatsache zu erfreuen, dass das· Gericht vorübergegangen ist, und sie vermögen Gott Loblieder zu singen, dafür dass Er sie zu Seiner heiligen Wohnung, zu sich selbst gebracht hat. Sie befinden sich gleichsam im Lichte, so wie Er im Lichte ist; und sie sind dorthin gebracht worden, noch ehe sie einen Schritt in der Wüste getan oder einen Kampf mit ihren Feinden bestanden haben.

Genau genommen gibt es keinen Kampf, so lange das Erlösungswerk nicht verstanden wird. Israel versuchte nicht mit dem Pharao zu kämpfen; es beeilte sich nur, seiner Gewalt zu entrinnen. Es seufzte unter seinem Joch, aber es stritt nicht mit ihm. Wie hätte es das auch vermocht? Israel muss erst zu Gott gebracht werden, es muss erst das Heerlager Jehovas geworden sein, ehe es gegen Seine oder gegen die eignen Feinde kämpfen kann. Gerade so ist es mit der einzelnen Seele. So lange ich ein Sklave Satans bin, habe ich keine Kraft, mit ihm zu kämpfen. Ich mag unter seinem schweren Joche seufzen und mich danach sehnen, von demselben befreit zu werden; aber ehe ich meinen Arm gegen ihn erheben kann, muss ich mich in dem bewussten Besitz einer vollkommenen Erlösung befinden. 

Die Israeliten entrannen nicht nur glücklich ihrem Verfolger, nein, es war eine volle, bewusste Erlösung von Ägypten und seinem Fürsten; und nachdem diese ihnen zu teil geworden war, konnten sie für alles übrige auf Gott rechnen. „Es hörten’s die Völker sie bebten; Angst ergriff die Bewohner Philistäas. Da wurden bestürzt die Fürsten Edoms, die Starken Moabs, sie ergriff Beben; es verzagten alle Bewohner Kanaans“ (S. V. 14 - 16). Die Freude Israels ging nicht aus dem Umstande hervor, dass sie keine Feinde mehr hatten, sondern gründete sich darauf, dass Gottes Macht sie ergriffen und in Seine Gegenwart gebracht hatte. „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöset, hast es geführt durch deine Stärke zu der Wohnung deiner Heiligkeit“ (V. 13).

In Vers 17 lesen wir andrerseits: „Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils“. Das musste noch geschehen; aber schon waren sie bei Ihm in Seiner heiligen Wohnung — in Seiner, nicht in ihrer Wohnung. Und so befinden auch wir uns in Seiner Gegenwart, sind zu Gott gebracht, obgleich wir noch nicht an der Stätte angelangt sind, die droben für uns bereitet ist. In Übereinstimmung damit bittet der Apostel in Eph. 1: „Damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisset, welches die Hoffnung Seiner Berufung ist, und welches der Reichtum der Herrlichkeit Seines Erbes in den Heiligen“ (V. 18). 

Es war Gottes Land, in welchem Israel wohnen sollte; es ist das Vaterhaus, in welchem unsere Heimat sein soll. Es ist Seine Herrlichkeit, in welche Er uns bringen will. Die Feinde auf dem Wege, so zahlreich sie sein mögen, brauchen wir nicht zu fürchten; sie sind machtlos für den Glauben. Zu einer vollkommenen Erlösung gehört ein vollkommenes Vertrauen. Dürfen wir denn gemächlich auf ruhiger Meeresfläche dahinsegeln und sorglos unser Schifflein dem Spiele der Wellen überlassen? Keineswegs. Die Wüste liegt vor uns, und in der Wüste gibt es kein Wasser; und beachten wir wohl, dass die Kinder Israel auf Befehl Jehovas in Rephidim lagerten (Kap. 17). Gott selbst brachte sie in die schwierige Lage, kein Wasser zu finden.

Wird hierdurch die Erlösung zu einer unsicheren Sache? Durchaus nicht. Dennoch ist es eine schwere Prüfung, kein Wasser zu haben. Wassermangel war in jenen Ländern gleichbedeutend mit dem gewissen Tode. Hatte Gott denn das Volk durch das Rote Meer geführt und zu sich gebracht, um es vor Durst sterben zu lassen? So fragt das arme, törichte Herz. — Und ach! als Israel schließlich Wasser fand, da war es bitter.

 Warum das alles? Um die Kinder Israel auf die Probe zu stellen, und ans Licht zu bringen, was in ihren Herzen war! Das bittere Wasser offenbarte nicht, was in dem Herzen Gottes war — das hatte die Erlösung getan; aber in ihren Herzen lag vieles, das geoffenbart und berichtigt werden musste. Sie mussten die Macht des Todes auf sich anwenden, in sich aufnehmen. Als solche, die auf immerdar erlöst waren, mussten sie lernen, dass es in der Wüste nichts für sie gab. Ihr ganzer Unterhalt musste von Gott kommen. Das ist gerade die Wirkung der Erlösung; und ach! wie vieles gibt es in uns, das ans Licht gebracht und berichtigt werden muss! Aber Gott sei Dank! obwohl das so ist, macht Er doch die Wasser süß.

Wir müssen alle lernen, was der Tod ist (als Erlöste besitzen wir das Leben), und das kann in Ägypten nicht gelernt werden. Israel begegnete keinem Mara, so lange es in Ägypten weilte. Das gehört zu den Erfahrungen der Wüste. Was wir zuerst kennen lernen müssen, ist, wie bereits gesagt, die vollkommene Erlösung. Die Wirkung dieser Erkenntnis aber bedeutet Tod für die Sünde, die Selbstsucht, den eignen Willen u. s. w. Dass dies sehr schmerzlich ist, brauche ich nicht zu sagen. — Ein Gläubiger, der durch große Prüfungen, durch tiefe Wasser der Trübsal zu gehen hat, mag sich vielleicht zu Zeiten versucht fühlen, zu denken: Alles dieses kommt über mich, weil ich nicht erlöst bin. Aber das ist ein durchaus falscher Schluss. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Diese Dinge begegnen ihm, eben weil er ein Erlöster ist. 

Wir möchten den bitteren Wassern von Mara so gern entrinnen; aber Gott führt uns gerade zu ihnen hin. Er muss alles, was von dem alten Menschen in uns ist, zerbrechen, und dann, zu Seiner guten Zeit, wird Er das ins Wasser werfen, was es süß macht. Weil Gott mich zu sich selbst gebracht hat, so muss Er Seinen Finger auf alles legen, (sei es nun Weltliebe, Eigenwille, Selbstsucht oder irgend Etwas anderes), was meiner völligen Abhängigkeit von Ihm im Wege steht oder meine Seele verhindert, sich voll und ganz Seiner zu erfreuen. Darum lass es dich nicht befremden, mein. lieber Mitpilger, wenn eine Prüfung dich trifft und du gar wie durch einen Feuerofen hindurchgeführt wirst! Denn so sicher du ein Erlöster des Herrn bist, so sicher wird Gott es nicht unterlassen, deinen Eigenwillen zu brechen. Ja, Gott wird dich, wenn ich so sagen darf, dieselbe Sache trinken lassen, die dich erlöst hat: den Tod.

Nachdem Israel in Mara diese schmerzliche, aber gesegnete Unterweisung empfangen hat, wandelt es mit Gott, und Gott beschäftigt sich mit ihm. „Daselbst stellte Er ihm Satzung und Recht, und daselbst versuchte Er es; und Er sprach: Wenn du fleißig hören wirst auf die Stimme Jehovas, deines Gottes, und tun was recht ist in Seinen Augen, und horchen wirst auf Seine Gebote und beobachten alle Seine Satzungen, so werde ich keine der Krankheiten auf dich legen, die ich auf Ägypten gelegt habe; denn ich bin Jehova, der dich heilt“ (V. 25.26).

Gott gab dem Volke nicht eher Satzungen und Verordnungen, bis Er es erlöst hatte. Sie waren vorher durch den Pharao in Trübsal gebracht worden, jetzt aber kam die Trübsal von Gott selbst über sie. Das war die Folge davon, dass sie es jetzt mit Gott zu tun hatten; und nun lernen sie Gott auch in einem ganz neuen Charakter kennen, nämlich als den Jehova, der sie heilte. Gott gab ihnen auch die Verheißung, dass Er im Falle ihres Gehorsams keine der Krankheiten Ägyptens auf sie legen. wolle; aber das war etwas ganz anderes. 

Sie werden jetzt von Gott versucht und geübt, aber nur damit sie erkennen möchten, dass Er es war, der sie heilte. Um Ihn so kennen zu lernen, muss alles, was im Herzen ist, vor Ihm ans Licht gebracht werden. Wir können dem nicht entrinnen. Gott wird die Umstände sich so gestalten lassen, dass dieses Endziel erreicht wird. Zuweilen werden wir auch angesichts der Menschen gedemütigt, und das ist besonders schmerzlich für die Natur; das sind in Wahrheit bittere Wasser. Aber wenn wir nachher zu uns selbst kommen und im Lichte Gottes alles sehen, wie es ist, müssen wir dann nicht ausrufen: Ach! wie töricht, wie erbärmlich war es doch, dass wir je daran gedacht haben, uns in den Augen der Menschen verherrlichen zu wollen!?

Sobald das Holz (das Kreuz) sich im Wasser befindet, erquickt es die Seele. Das ist Freude in der Drangsal. Zuerst gibt Gott uns Freude in der Erlösung und dann Freude in der Heilung. Er ist es, der im Blick auf die vollbrachte Erlösung einen Lobgesang in unsern Mund legt; wollen wir aber die praktische Wirkung des Erlösungswerkes, d. i. den Genuss Gottes selbst, in der Seele kennen lernen, so muss das Fleisch, welches diesen Genuss stets verhindern will, gerichtet werden, in welcher Form es sich auch zeigen mag. Israel musste gleichfalls auf diese Weise versucht werden. Gott wusste, was in ihren Herzen war; sie wussten es nicht, und eben darum mussten sie es lernen.

Von Mara kommt Israel nach Elim. Hier erfährt es die naturgemäße Folge seiner Verbindung und Gemeinschaft mit Gott· Die vollen Ströme der Erquickung fließen, sobald Israel gebrochen und gedemütigt am Boden liegt. Wäre Elim zuerst gekommen, so wäre dem Volke seine Abhängigkeit vom Herrn im Blick auf alles und jedes nicht zum Bewusstsein gekommen, und die Natur wäre ungebrochen geblieben. Aber die Trübsal bewirkt Ausharren und Abhängigkeit, und die Abhängigkeit bewirkt Gemeinschaft. Nur um dieses gesegnete Ziel zu erreichen, lässt Gott zuweilen die Seinigen warten; denn Er hat kein Gefallen daran, uns Schmerzen zu bereiten; Seine Freude ist es, Sein Volk zu segnen.

„Und sie kamen nach Elim, und daselbst waren zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume“ (V. 27). Die Zahlen zwölf und siebzig sind verschiedene Bilder der Vollkommenheit; zwölf Wasserquellen: vollkommene Erquickung, siebzig Palmbäume: vollkommener Schutz, vor den sengenden Strahlen der Sonne. Und beachten wir, dass dies alles in der Wüste dem Volke zu teil wird; und dann folgt die Ruhe. „Und sie lagerten sich daselbst an den Wassern.“

Israel musste also in Mara geübt und geprüft werden, um in Elim Gott völlig erkennen und genießen zu können. Die Erlösung hatte sie zu Gott gebracht; aber jetzt ist ihre Freude in Gott. Und so ist es auch mit uns. Obgleich wir erlöst sind, können wir doch diese Segensquellen, die aus Gott selbst in und durch unsere Seelen strömen, nicht genießen, außer wenn unser Fleisch, unsere Natur gebrochen ist. Aber in welcher Trübsal wir uns auch befinden mögen und wie ernst das Todes-Urteil auch von uns verwirklicht werden muss, vergessen wir nicht, dass es ebenso wohl eine Auferstehung gibt wie einen Tod; und wenn wir Gottes Hand in der Prüfung erblicken, wenn wir das Kreuz Christi in den bitteren Wassern sehen, so verstehen wir Gottes Gedanken und Absichten darin, und die Wasser werden süß für uns. Wir können nicht ohne Glauben auf dem Wege des Glaubens wandeln. Deshalb müssen wir auf die Probe gestellt werden; und sicherlich „scheint alle Züchtigung für die Gegenwart nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; hernach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind“ (Hebr. 12, 11).

Fleisch ist nicht Glaube. Sobald ich mein Vertrauen auf Gott auch nur für eine Minute verliere, so erweist sich das Fleisch gerade in dieser Minute in der einen oder anderen Form wirksam. Wenn irgend ich bestürzt bin und mich ratlos frage, was ich nun beginnen solle, so ist mein Auge nicht einfältig. Meine Ratlosigkeit beweist, dass ich die innige Gemeinschaft mit Gott verloren habe; anders würde ich wissen, was ich zu tun hätte. Wäre das Auge einfältig, so würde der ganze Leib voll von Licht sein. Vielleicht gibt es in einem solchen Falle auch etwas in mir, was noch nicht ans Licht gebracht ist, was ich in meinem Herzen noch nicht entdeckt habe. Es braucht nicht eine offenbare, mit Willen geschehene Sünde zu sein, sondern etwas, worüber Gott mit mir reden, bezüglich dessen mein Herz und Gewissen in Tätigkeit treten muss — etwas, worin Er sich als der Gott offenbaren will, welcher uns heilt. Auf diese Weise lernen wir in

der Drangsal uns freuen, der Trübsal uns rühmen, und dann folgt die Freude in Gott, der Genuss Seiner selbst als naturgemäßes Ergebnis unsrer Erfahrungen. Wir finden Quellen der Freude, Erquickung und Ermunterung in der Wüste, und zwar in demselben Gott, welcher uns in die Wüste geführt hat. Lasst uns deshalb die Trübsal nicht als etwas Befremdliches betrachten, Geliebte! Wir kennen ja ihren Zweck: Gott will, dass wir uns an und in Ihm selbst erfreuen sollen.

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Einiges über 1. Joh. 3,9

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 107ff

„Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“

Diese Schriftstelle hat schon manches gläubige Herz beunruhigt und ihm zu bangen Fragen und Befürchtungen Anlass gegeben. Denn, so überlegt man, wenn der Apostel Johannes hier von der Möglichkeit eines sündlosen Wandels redet, wenn er gar sagt, dass der aus Gott Geborene keine Sünde tue, wo stehe ich dann, der ich mich doch so oft zu verurteilen und zu richten habe? Bin ich ein wahrer Gläubiger, ein Kind Gottes? Kann ich angesichts der Worte des Apostels: „Jeder, der sündigt, hat Ihn nicht gesehen noch Ihn erkannt« (V. 6), darf ich angesichts meines mannigfaltigen Strauchelns, meines vielen Fehlens noch daran festhalten, dass ich aus Gott geboren bin?

Ehe ich weitergehe, möchte ich ausdrücklich betonen, dass mir nichts ferner liegt, als die Verantwortlichkeit des Christen irgendwie schwächen zu wollen. Sie ruht mit feierlichem Ernste auf ihm, und Gott gebe, dass wir alle sie mehr und mehr fühlen und ihr entsprechen möchten! Der Christ ist teuer erkauft durch das Blut des Lammes Gottes und berufen, nunmehr in den Fußstapfen seines Herrn und Meisters zu wandeln, ein Nachahmer Gottes zu sein, heilig in Wort und Wandel, und sich von allem fern zu halten, was irgendwie Schmach und Unehre auf den Namen Christi bringen könnte; er ist berufen, allem Guten nachzustreben, eifrig zu sein in guten Werken, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn u. s. w. Wenn er dieser Berufung nicht entspricht, wenn er träge und fruchtleer ist, oder wenn er gar sündigt und Schande auf den Namen seines Herrn bringt, so hat er nicht nur keine Entschuldigung, sondern er ladet eine ernste, schwere Verschuldung auf sich — doppelt ernst und schwer, nachdem ihm solch unverdiente göttliche Liebe zu teil geworden und er aus der Gewalt Satans erlöst und von der Herrschaft der Sünde befreit worden ist.

Was nun die oben angeführte Stelle betrifft, so sei zunächst bemerkt, dass es nicht heißt: „Wer aus Gott geboren ist, sollte nicht sündigen“, oder: „kann und sollte sich bewahren vor der Sünde“; sondern: „er tut nicht Sünde“ und: „er kann nicht sündigen“. Der Apostel stellt also nicht etwa die Möglichkeit eines sündlosen Wandels hin, sondern die Unmöglichkeit, überhaupt zu sündigen. Dies wird von vielen Christen ganz übersehen und darum auch der Sinn der Stelle gar nicht erfasst. Johannes redet in den Versen 4 - 12 unsers Kapitels von zwei Familien, von den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels. Beide tragen die Natur ihres Vaters an sich: die einen, die Kinder Gottes, sündigen nicht, sondern tun die Gerechtigkeit und lieben Gott und die Brüder; die anderen, die Kinder des Teufels, tun die Sünde, oder die Gesetzlosigkeit, und hassen Gott und die Gläubigen, ja hassen einander. 

Das ist die Natur, der Charakter dieser beiden Familien, die sie mit ihrem Vater teilen; das sind ihre Kennzeichen. „Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel«; er hat in moralischer Hinsicht dieselbe Natur wie der Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang. Das ist sein Charakter als Teufel; und wer sündigt, wer die Sünde liebt, wessen Natur es ist, die Sünde zu tun, der ist aus dem Teufel, er teilt: dessen Charakter. Wer aber aus Gott geboren ist, sündigt nicht, weil er der Natur Gottes teilhaftig geworden ist. 

Ja, er kann nicht sündigen. Warum nicht? „Sein Same bleibt in ihm“, er ist aus Gott geboren! Die neue Natur trägt den Grundsatz der Sünde nicht in sich. Sie ist heilig, göttlich. Wie könnte die göttliche Natur sündigen? Darum lesen wir auch in Kap. 5, 18: „Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt; sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an“. Wer aus Gott geboren ist, wer das göttliche Leben empfangen hat, sündigt nicht. In diesem Leben gibt es keine Sünde, ja durchaus keine Neigung zur Sünde. Alles was Satan auch darbieten mag, hat keinen Reiz, nichts Verführerisches für dieses Leben.

Es ist hierbei sehr wichtig zu beachten, dass Johannes die Wahrheit stets in abstraktem Sinne darstellt, d. h. in dem vorliegenden Falle ganz abgesehen von dem unvollkommenen Zustande, in welchem wir uns hienieden befinden und diesen Schatz besitzen. „Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ (2.Kor. 4, 7). Ein jeder Gläubige weiß, dass das Fleisch noch in ihm ist, und dass das Fleisch nie etwas anderes werden kann als Fleisch. 

Es ist unverbesserlich schlecht (Röm. 7, 18 u. a. St.). Das Fleisch ist nicht aus Gott geboren und kann nicht aus Gott geboren werden. Es ist und bleibt Fleisch, und es gelüstet allezeit wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch (Gal. 5, 17); und sobald wir das Fleisch wirken lassen, sündigen wir. Nur so lange und insoweit wir uns, was das Fleisch betrifft, für gestorben und tot halten, nur insoweit wir unser Gestorbensein mit Christo verwirklichen, wird praktisch das Leben Christi an uns offenbar werden. Die neuerdings aufgetauchte Behauptung, dass Christus am Tage der Bekehrung eines Menschen in dessen Fleisch komme, ist so offenbar böse und schriftwidrig, dass wir uns nicht weiter damit zu beschäftigen brauchen. *)

Die Worte des Apostels, welche unsrer Betrachtung zu Grunde liegen, beziehen sich also auf das neue göttliche Leben, auf die Natur Christi in uns. Aber, möchte der Leser dagegen einwenden, müsste es dann nicht heißen: „Was aus Gott geboren ist“, statt „Jeder, der“? Nein, Johannes spricht nicht von einer Sache, sondern von einem Wesen. Nicht zu sündigen ist das charakteristische Kennzeichen des Kindes Gottes. 

Die heilige Natur, welche der Gläubige besitzt, macht in geistlichem Sinne seine Person aus. So steht er vor Gott. Dieses neue Wesen, der Gläubige, insofern. er in Christo ist, sündigt nicht. Als aus Gott geboren, kann er nicht sündigen, denn sein Same bleibt in ihm. Er kann seine Abstammung, seine Natur nicht verleugnen. Er ist nicht nur erlöst, errettet, verändert, sondern er ist der göttlichen Natur teilhaftig geworden. Ähnlich schreibt der Apostel Paulus an die Galater: „Ich bin mit Christo gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“ (Kap. 2, 20).

Es handelt sich an unsrer Stelle also gar nicht um ein allmähliches Erkennen einer neuen Stellung, oder um ein fortschreitendes Hineinwachsen in dieselbe, überhaupt nicht um Wachstum · und Entwicklung, sondern um die Natur, welche jedes Kind Gottes, ob jung oder alt, ob erst kürzlich oder seit einer Reihe von Jahren bekehrt, besitzt. Der Mensch besitzt die Natur, in welcher er geboren ist, und diese kann sich niemals verändern. Dasselbe gilt von jedem anderen Geschöpf. Nun, der Gläubige ist aus Gott geboren; er besitzt deshalb die göttliche Natur, und diese ist sündlos und kann nicht sündigen· Das; das Fleisch noch in ihm ist, in welchem nichts Gutes wohnt, und dass er deshalb, so lange er sich »in diesem Leibe befindet, unausgesetzter Wachsamkeit bedarf, haben wir bereits oben gesehen. Aber das ist eine ganz andere Seite der Wahrheit — eine Seite, die von denen völlig außer acht gelassen wird, welche behaupten, hienieden schon ein völlig reines, heiliges, sündloses Leben zu führen.

Diese Behauptung beweist nur, wie völlig es Satan gelingen kann, selbst die Augen eines Gläubigen zu verblenden und sein Gewissen zu verhärten. Sie steht in unmittelbarem Widerspruch mit dem Worte Gottes. So sagt z. B. Johannes in demselben Kapitel, welchem unser Text entnommen ist: „Jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist“ (V. 3). Wäre diese fortwährende Reinigung notwendig, wenn der Gläubige rein wäre wie Christus, oder wenn er dahin gebracht wäre, „nicht mehr sündigen zu können, wenn er im Glauben bleibt“? Dieses letztere aber wird heute behauptet. 

Ferner lesen wir im 2. Kapitel: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat — wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“. Wenn nicht die Möglichkeit und stete Gefahr für uns vorläge, in die Sünde zu willigen, so würden wir der liebevollen und ernsten Ermahnungen des Apostels ebenso wenig bedürfen, wie eines gerechten Sachwalters-, der- unsere Sache bei dem Vater vertritt. Schließlich heißt es im 1.Kapitel: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“

Jene betrügen sich also selbst, und die Wahrheit ist nicht in ihnen; und bedenken wir wohl, dass derselbe Apostel in demselben Briefe diese beiden Seiten der Wahrheit behandelt. Der Herr bewahre deshalb Schreiber und Leser dieser Zeilen vor jenem groben, verderblichen Irrtum, der nur zu Selbstüberhebung und tiefem Fall leiten kann; aber Er gebe uns andrerseits auch viel Gnade, nicht in die entgegengesetzte Strömung hinein zu geraten und träge oder gar sorglos zu werden! „Seid heilig, denn ich bin heilig!“ ruft Gott uns zu, und der Heilige Geist knüpft an dieses Wort die ernste Mahnung: „Wenn ihr Den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht, indem ihr wisset, dass ihr nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold erlöst worden seid . . ., sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“ (1. Petr. 1, 16 — 19)!

Fußnote:

*) Es sei hier nur bemerkt, dass es in den beiden Stellen, auf welche man sich unbegreiflicher Weise bei jener Behauptung stützt, nämlich 1.. Joh. 4, 2; 2. Joh. 7, gar nicht heißt, dass Christus ins Fleisch, noch viel weniger, dass Er in uns er Fleisch gekommen sei, sondern vielmehr: „im Fleische“. Der Sinn ist also· ganz einfach und klar. Es handelt sich um die Art und Weise des Kommens Jesu auf diese Erde (Die lutherische Übersetzung der betr. Stellen ist unrichtig).

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 113ff

Noch einmal die Sunammitin (Kap. 8, 1 —6).

Der kurzen Nachricht, welche wir hier über eine andere Begebenheit aus dem Leben unsers Propheten erhalten, können wir wiederum entnehmen, wie sehr er mit den Gedanken Gottes vertraut war. Wir werden hier von neuem an jenes Schriftwort erinnert: „Der Herr, Jehova, tut nichts, es sei denn dass Er Sein Geheimnis Seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart habe“.

Elisa muss von der bevorstehenden Hungersnot Kunde erhalten, wie Joseph, Agabus und Andere in früherer oder späterer Zeit. „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?“ so lautete die Sprache desselben gnadenreichen Herrn, welcher mit den Seinigen wie mit Freunden umgeht. So waren denn bei unserm Propheten ebenso wohl die Gedanken wie die Hand des Herrn zu finden; er war in gleich herrlicher Weise der Träger Seiner Ratschlüsse wie Seiner Macht.

Und immer wieder sehen wir, wie er alles das, worüber er verfügen konnte, in Gnade für Andere benutzte. „Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben.“ Abraham benutzte sie zum Wohle Anderer. Als er erfahren hatte, welches Gericht über Sodom verhängt war, legte er für den gerechten Überrest einer Stadt Fürsprache ein. Ebenso sehen wir hier Elisa handeln. Nachdem er von der bevorstehenden Hungersnot gehört hatte, warnte er das gottesfürchtige Weib von Sunem und forderte sie auf, im Blick auf dieselbe für· ihr Haus Sorge zu tragen.“

Die Sunammitin befindet sich jetzt in anderen Verhältnissen als früher. Diese Tochter Sarahs, der Gegenstand so vieler Liebe und Bevorzugung, ist jetzt augenscheinlich eine Witwe geworden, und das kleine Kind, welches Gott ihr geschenkt hatte, ist herangewachsen. Die Hungersnot hat sie aber von ihrem Heim und ihrem Grundbesitz, der im Gebiete Issaschars lag, getrennt. (Siehe Kap. 4.) Dort hatte sie sich einst der göttlichen Gnaden-Erweisungen erfreut und hatte „inmitten ihres Volkes gewohnt“. 

Damals war der königliche Hof oder eine Gunstbezeugung seitens des Königs ohne Wert für sie gewesen, und auch jetzt verlangt sie nicht darnach, es sei denn um dadurch wieder in die einfachen Verhältnisse von ehedem innerhalb ihrer Heimat und ihres Volkes zurückkehren zu können. Und wir dürfen wohl annehmen, dass „das kleine gemauerte Obergemach“ mit dazu beitrug, ihre Gedanken und Wünsche zu dem bevorzugten Orte zurückzulenken, wo sie die lebengebende und aus dem Tode erweckende Macht ihres Herrn und Heilandes mittelst des von Ihm erwählten Dieners erfahren hatte.

Auch Gehasi ist jetzt in anderen Verhältnissen. Es mag sein, dass die Wurzel der bösen Sache, um die es sich bei ihm handelte, noch in seinem Herzen war. „Aber er ist aussätzig.“ Er steht jetzt außer aller Verbindung mit dem Propheten Gottes. Indessen hatte nicht die Hungersnot diese Veränderung hervorgerufen, sondern seine verabscheuungswürdige Habsucht. Er kann sich jetzt „der großen Dinge, die Elisa getan hat“, nur noch erinnern, aber ein Zeuge derselben kann er nicht mehr sein. 

Ein Glück für ihn, wenn er in bußfertiger Gesinnung mit heiliger Freude dem König von jenen Ereignissen erzählen konnte; aber glücklicher, viel glücklicher wäre er gewesen, wenn er dem Pfade des Glaubens und der Unterweisung des Geistes treu geblieben wäre und so noch länger den Umgang mit seinem Herrn hätte genießen können. Aber er hatte seiner Seele Gewalt angetan, wie auch wir, Geliebte, es tun können und es leider, ein jeder in seiner eigenen Weise, mehr oder weniger tun. „Glückselig der Mensch, der auf mich hört“, sagt die Weisheit, indem er an meinen Türen wacht Tag für Tag, die Pfosten meiner Thore hütet! 

Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden und Wohlgefallen erlangt von Jehova. Wer aber an mir sündigt, tut seiner Seele Gewalt an.“ Und es ist ein Beweis von Gnade seitens des Herrn, dass Er uns hier noch diesen letzten Blick auf Gehasi erlaubt. Wir dürfen so doch die Hoffnung hegen, dass, wie er sich einst mit vielen Schmerzen durchbohrt hatte (1. Tim. 6), so jetzt das Geld nicht länger der Gegenstand war, den er im Herzen oder im Munde führte, sondern vielmehr Erinnerungen an Elisa.

 Denn der Herr scheint ihn hier in Seiner Gnade wieder zu benutzen, um der gottesfürchtigen Freundin des Propheten in der Zeit ihrer Bedrängnis behilflich zu sein. Wie erfreulich ist es, aus der Hand des Herrn ein solches Pfand Seiner wiederherstellenden Gnade zu empfangen, mag auch Sein Geist durch die Abirrungen Seines Volkes noch so tief betrübt worden sein! O möchten wir Ihn preisen wegen Seiner Güte und wegen

Seiner Wundertaten an den Menschenkindern! *)

„Ein Wort zu seiner Zeit, wie gut ist es!“ so fühlen wir uns versucht auszurufen, wenn wir den Bericht von diesem kleinen Vorfall lesen. Gehasi und der König unterhielten sich gerade von der Sunammitin, als diese an den Ort kam, wo sie sich befanden. Und wie oft haben wir Gelegenheit, ein gleich glückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände zu beobachten! Es wird schwerlich Jemanden geben, dem nicht dergleichen hie und da in seinem Lebens begegnet wäre. Wie· oft bekommt :man, wenn man unerwartet in einen kleinen Kreis von Freunden tritt, zu hören: „Soeben war gerade von dir die Rede«! Und der Glaube. wird die Gnaden anerkennen, welche sich in dem Erscheinen solch günstiger Vorläufer offenbart, die den Weg bahnen oder verschlungenen Pfaden eine gerade Richtung geben, so dass; dieselben, wie in dem vorliegenden Falle, zu „der gewünschten Segnung führen. Der Glaube wird sich auch, nicht darüber beklagen, dass das nicht immer so ist. Denn der Glaube sagt: „Es steht Wohl“, mögen die Umstände günstig oder ungünstig sein. Die nämliche Hand der Liebe ist tätig,“ ob sie nun den Dorn aus dem Fleische herausnimmt oder ihn unberührt darin stecken lässt.

Die Weissagung über Hasael (Kapitel 8, 7 - 15).

Wie in dem vorhergehenden Falle,so finden wir auch hier! wieder, wie genau der Prophet mit den Absichten des Herrn bekannt war. Welcher Verkehr muss täglich zwischen ihm und dem Herrn stattgefunden haben! — Und in der Tat, die Geschichte des Volkes Gottes lässt uns immer wieder sehen, wie jenen Treuen, die „in böser Zeit“ den Platz des gehorsamen, von der Wahrheit Zeugnis ablegenden und um deswillen leidenden Überrestes einnahmen, herrliche Offenbarungen zu teil wurden. 

Denken wir z. B. an Hesekiel und Daniel, welche sich unter den Gefangenen in Babylonien befanden! Welch weitreichende Blicke in das Gebiet der Ratschlüsse Gottes wurden ihnen eröffnet! Ebenso nach der Rückkehr des treuen Überrestes aus der Gefangenschaft, als Sacharja, Haggai und ihre Genossen mit aufrichtigen Herzen, „der Feinde ungeachtet, an dem Hause Jehovas zu arbeiten begannen, welche Gedanken und Bilder zukünftiger Herrlichkeit ließ Gott da an ihnen vorüberziehen! Dasselbe begegnete später uns noch wunderbarere Weise dem Johannes auf der Insel Patmos, wo er ein Mitgenosse in dem Königtum und dem Ausharren in Jesu war. Zu diesen Männern gehörten auch Elia und Elisa. Sie bildeten, ein jeder zu seiner Zeit, den gottesfürchtigen Überrest ihrer Tage, und genossen- den kostbaren Vorzug, dass das Auge, das Ohr und die Lippen des Herrn für sie geöffnet waren.

Dem vorliegenden Abschnitt der Geschichte unsers Propheten können wir zugleich entnehmen, dass Elisa auch über die Grenzen Israels hinaus Ansehen genoss. Wir begegnen ihm hier in Damaskus, wo seine Ankunft sogleich dem König berichtet und ihm seitens desselben Ehre erwiesen wird. Möglicherweise hatte das mit Naaman Vorgefallene ihm den Zugang zu der Ehre und dem Vertrauen des syrischen Hofes gebahnt; vielleicht können wir hierin auch einen Beweis von dem Zeugnis erblicken, welches jener geheilte Aussätzige, jener bekehrte Sünder aus den Nationen, von dem Namen des Gottes Israels abgelegt hatte, so dass der König von Syrien sich jetzt wenigstens nicht wieder an den König (vergl.. Kap. 5, 5), sondern an den Propheten von Israel wendet.

Indes gibt es hier noch einen anderen Punkt, der eine wertvolle Belehrung für unsere Herzen enthält, bei welchem ich deshalb noch einen Augenblick verweilen möchte. Ich meine in dem Charakter und dem Verhalten Hasaels. Hasael war zu Elisa gekommen, um ihn, im Auftrage des Königs von Syrien, seines Herrn; betreffs der Krankheit, an welcher dieser litt, zu befragen. Elisa lässt ihn seinem Herrn sagen: „Du wirst gewisslich genesen“. Nachdem er ihm jedoch diese Antwort aus die Anfrage des Königs erteilt hat, fügt er noch ein Wort hinzu, welches nur an Hasael persönlich gerichtet war: „Aber Jehova hat mir gezeigt, dass er gewisslich sterben wird“.

Als Hasael dies hörte, „stellte er“, wie wir lesen, „sein Angesicht fest und richtete es auf ihn, bis er sich schämte“. Das war Heuchelei. Unter den Augen unsers Propheten, angesichts des wahrheitsliebenden Geistes des Mannes Gottes, musste das Aussehen, welches er seinem Antlitz zu geben suchte, gegen ihn zeugen. Er wollte sich den Schein geben, als sei er über die Weissagung des Propheten bezüglich des Todes Ben-Hadads betrübt.

Während Hasael sich so Mühe gibt, einen Kummer zu heucheln, den er nicht fühlte, scheint der Prophet selbst mittlerweile dem Gange göttlicher Mitteilungen, die seiner Seele zu teil wurden, gefolgt zu sein und weint bei dem Gedanken an all das Böse, welches dieser Hasael, wenn einmal zur Macht gelangt, Israel zufügen würde. Denn schreckliche Bilder waren es, welche ihm die göttliche Eingebung, unter der er soeben stand, vor Augen führte. Dieser Kummer war aber echt; er war nicht erzwungen. und gemacht, wie derjenige Hasaels. Er kommt aus einem aufrichtigen Herzen, das durch das göttliche Gesicht, auf welchem das Auge des erleuchteten Sehers ruhte, traurig gemacht worden war.

Nach einer weiteren kurzen Unterredung zwischen den beiden Männern, auf welche ich nicht näher eingehen will, kehrt Hasael zu Ben-Hadad zurück. Der Prophet hatte gesagte· „Du wirst gewisslich genesen“, —— und damit angedeutet, dass die Krankheit des Königs an sich nicht lebensgefährlich sei; dann aber hatte er hinzugefügt: „Jehova hat mir gezeigt, dass er gewisslich sterben wird“. Damit hatte er Hasael zu verstehen gegeben, dass Ben-Hadad auf eine andere Weise als infolge der Krankheit sein Ende finden würde. Der Ausgang zeigt in schlagender Weise die volle, unverfälschte Wahrheit der Worte des Propheten; denn der König stirbt nicht an der Krankheit, sondern findet sein Ende durch die mörderische Hand Hasaels. Er hätte von seiner Krankheit genesen können, aber er stirbt gewisslich, wie der Prophet geredet hatte.

Diese rätselartige Abfassung der Antworten oder Aussprüche des Geistes verdient unsere Bewunderung. Dem vorliegenden ähnlich war das Wort, welches unser Prophet an den ungläubigen Anführer in Samaria richtete: „Siehe, du wirst es mit deinen Augen sehen, aber du wirst nicht davon essen“. So seltsam dieser Ausspruch auch dem Ohre klingen mochte, so ging doch jeder Buchstabe davon in Erfüllung. „Und es geschah ihm also-; und das Volk zertrat ihn im Tore, und er „starb“, - d. h. in· demselben Augenblick, da die Volks-Menge ihm ihre Gerste und-ihr Feinmehl. unter die Augen brachte, kam er in dem Gedränge zu Fall und wurde zertreten. (Siehe Kap. 7). Gerade so ist es hier; Die Worte: „du wirst gewisslich genesen“ und: „er wird gewisslich sterben“, werden durch den Ausgang als wahr erwiesen, wiewohl sie so seltsam und widerspruchsvoll klangen wie möglich.

Noch auffallender sind indes die Aussprüche über Zedekia, den letzten König von Juda. Jeremia hatte von ihm gesagt, seine Augen würden die Augen des Königs von Babel sehen, und er würde nach Babel kommen (Jer. 34, 3). Hesekiel hatte gesagt, er würde nach Babelkommen, aber sehen würde er es nicht, wiewohl er daselbst sterben würde. (Hesekiel 12, 13.) Diese beiden Aussprüche miteinander zu vereinigen, schien so gut wie unmöglich zu sein, und doch ist alles auf das Allergenaueste in Erfüllung gegangen. Es waren Worte, die von den Lippen Dessen kamen, dessen Hand wunderbar und mächtig ist und unbeschränkt in all ihrem Tun. (Siehe Jer. 39).

Dies jedoch nur beiläufig. Die Geschichte, welche uns der unsrer Betrachtung zu Grunde liegende Schriftabschnitt vor Augen führt, zeigt uns wahrlich ein erschreckendes Bild menschlicher Selbstsucht und Heuchelei. Wir können dem eine ernste Warnung für uns alle entnehmen; und zwar ist es diese: dass mit einem Blick ebenso gut geheuchelt werden kann, wie es vermittelst eines Wortes geschehen mag. Und »wir« alle sollten stets aus unsrer Hut sein unter Gebet und Flehen, damit der Geist, der ja alles erforscht, in dem Innern unsrer Herzen sowohl, wie in unserm ganzen äußeren Verhalten, in jedem Blick und jeder Bewegung, nur Wahrheit finden möge!

Dir Salbung Jehus (Kap. 9 u. 10).

Unser Prophet bildet zwar nicht die Hauptperson in dieser Erzählung, aber doch sehen wir ihn in derselben handelnd austreten. Und da die erzählten Begebenheiten selbst von tiefgehender Bedeutung sind, so möchte ich sie nicht unberührt lassen.

Wir empfangen hier aufs Neue eine ernste Unterweisung. Es wird uns ein erschreckendes Beispiel von jener Wahrheit vor Augen geführt, dass der Herr solche, an denen Er, was ihre Person betrifft, kein Wohlgefallen hat, sowohl als Werkzeuge wie auch als Diener benutzen kann. Es ist dies eine ernste Tatsache. Einen Balaam hätte Gott niemals in Sein Vertrauen ziehen können; aber Er bediente sich seiner als eines Propheten, wie Er später einen Saul als König und einen Judas als Apostel benutzte.

Wir tun wohl, hier einen Augenblick stille zu stehen und über eine solch ernste Wahrheit nachzusinnen und uns dieselbe zur Warnung dienen zu lassen. „Viele werden an jenem Tage fragen: Herr, Herr! haben wir nicht durch deinen Namen „geweissagt?“ Aber der. Herr wird ihnen antworten: „Ich habe euch niemals gekannt“. (Matth. 7, 21 — 23). Es ist keine Gemeinschaft des Geistes dagewesen, wiewohl die Hand oder die Zunge von dem Herrn benutzt worden sein mag.

Wie klar tritt dies bei Jehu zu Tage! Die Hand dieses Heerobersten wird benutzt, aber keinerlei Gemeinschaft besteht zwischen ihm und dem Herrn. Er verrichtet seinen Dienst, er führt den ihm gewordenen Auftrag vollständig aus; allein es findet sich in seiner Geschichte keine Spur von einer Andeutung, dass seine Seele Gott gegenüber in Tätigkeit gekommen wäre. Er geht mit Eifer an die ernstesten und wichtigsten Unternehmungen und führt sie zu Ende, und er tut das alles im Namen und auf Befehl des Herrn, aber sein Herz bleibt unberührt; von inneren Übungen und Erfahrungen im Heiligtum oder in der Gegenwart Gottes· weiß er nichts.

Und das ist es gerade, was einen Mann kennzeichnet, welchen Gott zwar als Diener benutzen mag, an dessen Person Er aber keine Freude hat. Alles kann in dieser toten Weise benutzt werden. Wie man sich mit einer toten Hand an Dienstverrichtungen machen kann, so kann man ebenso gut mit einem toten Verstande Erkenntnis in sich aufnehmen. Denn welchen Wert hat Erkenntnis, wenn man sich ihrer bedient, ohne dass das Herz durch dieselbe beeinflusst wird? Jehu besaß beides. Er hatte Erkenntnis und Kraft; er besaß ein Verständnis, welches die Aussprüche Gottes über das Haus Ahabs zu fassen vermochte, und eine Hand, die bereit war, dieselben in Ausführung zu bringen. 

Aber es war ein toter Verstand und eine tote Hand. Weder göttliche Liebe noch göttliche Gnade erfüllten den ersteren, oder setzten die letztere in Bewegung, Und auch für uns wird Erkenntnis keine andere Bedeutung haben, wenn sie nicht dazu dient, gottgemäße Empfindungen in unserm Innern wachzurufen. Die Erkenntnis, welche Jesus besaß, veranlasste Ihn beständig, sich in die Gedanken Gottes zu vertiefen und dieselben in Seiner Person und in Seinem Tun zum Ausdruck zu bringen. Bei Jehu aber finden wir nichts dergleichen. Er konnte von den Absichten Gottes reden und als Werkzeug zu ihrer Ausführung dienen, aber bei all seinem Tun war er nicht in Gemeinschaft. mit Gott.

Und nun möchte ich auf etwas anderes hinweisen, das in völligem innerem Gegensatz zu dem bisher Gesagten steht, und worin sich in schöner Weise offenbart, welcher Geist Elisa beseelte.

Er sagte seinem Boten, sobald er das Öl auf Jehus Haupt ausgegossen habe, solle er die Tür öffnen und fliehen, um dadurch auszudrücken, dass er mit Jehu keine Gemeinschaft haben dürfe. Es erinnert uns dies an den Mann Gottes, welcher mit dem Orte, den zu verfluchen er gesandt war, in keinerlei nähere Berührung treten durfte (Siehe 1. Kön. 13, 9). Der Bote Elisas hatte ein Geschäft bei Jehu zu verrichten, ein überaus wichtiges Geschäft; aber das war auch alles. Sobald sein Auftrag vollzogen war, musste er sich eiligst entfernen. Und hierin offenbarte Elisa in bewunderungswürdiger Weise die Gefühle Gottes selbst, wenn ich mich so ausdrücken darf.

Wir haben bereits gesehen, in welch herrlicher Weise sowohl die Gedanken wie die Kraft Gottes bei ihm zu finden waren, indem er die ersteren kundtat und die letztere ausübte; aber in diesem Falle lässt er erkennen, dass auch das Empfinden, die Gefühle des hochgelobten Gottes ihm vertraut waren.

Darnach sollten auch wir in Wahrheit innig verlangen. Ein solch heiliges Vorrecht genießen zu dürfen, sollte der Gegenstand unsers eifrigen Begehrens sein. Gott hatte, wie schon bemerkt, an Jehu, was seine Person betraf, keine Freude, wiewohl Er sich seiner als Werkzeug bedienen mochte. Und ebenso hatte Elisa an ihm persönlich keine -Freude, wiewohl er ihn auf göttlichen Befehl hin zum König salben ließ.

Und hierin unterscheidet sich Elisa von Jonadab. Nicht dass Jonadab nicht treu gewesen wäre, oder dass er nicht zu den Abgesonderten, den Heiligen Gottes gehört hätte. Aber er steht nicht auf derselben Höhe wie Elisa, gerade so wie Lot nicht auf der Höhe Abrahams, oder Obadja nicht auf der Höhe Elias stand. Jonadab besaß nicht jene göttlichen Empfindungen über das, was Jehu war. Er stieg zu ihm auf den Wagen. Er machte so zu sagen Kameradschaft mit ihm. Er hatte seine Freude an dem, was Jehu tat. Aber Elisa und der Herr fanden kein Wohlgefallen an ihm. „Öffne die Tür und fliehe und harre nicht“, lautete das Wort des Propheten an seinen Boten.

Dies sollte uns allen zu heiliger Warnung dienen und uns antreiben, inbrünstig von unserm Gott zu begehren, dass auch uns dieses kostbare Teilnehmen an Seinen Gefühlen, dieses Mitempfinden Seines Wohlgefallens, Seiner Zuneigungen wie Seiner Abneigungen, verliehen werden möchte. Es war dies die Frucht eines tiefgehenden Werkes des Geistes in der Seele unsers Propheten. 

Es war außerdem noch vieles bei ihm anzutreffen; er war, wie schon gesagt, der Träger der Gedanken und der Macht Gottes. Aber höher und herrlicher als alles das ist jenes Eingehen seiner Seele in das Empfinden Gottes über Dinge und Personen! In der Tat, es war eine liebliche, gesegnete Frucht, welche auf dem Pfade und unter der Pflege des Geistes in ihm erwachsen war. Es war, mit einem Worte, göttlich. Er konnte, wie Gott selbst, dem ganzen Laufe der Wirksamkeit Jehus folgen und doch kein Wohlgefallen an seiner Person finden. Anders aber stand es mit Jonadab. In ihm waren die Empfindungen eines geistlich gesinnten Herzens nicht so rege. Er vermochte die Person nicht von dem Werke zu trennen; das Werk ließ ihn das Missfällige in der Person übersehen. Und solchen Verschiedenheiten im geistlichen Empfinden können wir heute noch beständig begegnen.

Und vergessen wir nicht, dass die Gesinnungsart, welche Jehu offenbarte, von sehr ernster Natur war. Wir finden bei ihm keine Spur von einem zerbrochenen Geiste, keine Äußerungen eines heiligen Verlangens, kein Gefühl für die Ehre Gottes. Er kann sogar seinen Anführer Bidkar an den Tag erinnern, an welchem sie beide hinter Ahab herritten - als dieser seine Blutgier und Habsucht offenbarte und der Herr sein gerechtes Urteil über ihn aussprechen ließ, — ohne dass sich eine tiefere Regung seiner Seele geoffenbart hätte. Sein Herz ist bei der Erinnerung an jene traurigen Tage nicht beteiligt. 

Er hat kein Gefühl von einer Mitschuld an all dem Bösen. Wie unähnlich ist er einem Daniel oder einem Nehemia, welche bei der Aufzählung der Sünden ihres Volkes, ihrer Könige, ihrer Priester und ihrer Propheten, (an welchen sie persönlich ja nicht beteiligt gewesen waren,) dennoch den ihnen zukommenden Platz einnahmen und ihre Mitschuld an allem, was vorgekommen war, bekannten! Wie unähnlich auch einem David, welchem das Gericht, das an einem Anderen vollzogen werden sollte, den Weg zum Throne bahnte, (wie hier das Gericht über das Haus Ahabs dieselbe Wirkung für Jehu hatte) und der doch nur auf die Schmach sah, welche dem Gesalbten des Herrn angetan wurde; -— dessen Auge nicht von Freude erstrahlte im Blick auf den Thron, der vor ihm schimmerte, sondern sich vielmehr mit Tränen füllte, als er die Schande und den Sturz derer erblickte, welche ihm den Weg zum Throne versperrt hatten!

So steht Jehu in unmittelbarem Gegensatz zu solchen Männern, die in ähnlichen Lagen auf Seiten Gottes standen. Und dieser Gegensatz ist eben der Gegensatz. zwischen Fleisch und Geist, zwischen einem Herzen, das sich nur von den verderbten Grundsätzen dieser Welt leiten lässt, und einem solchen, welches von der Macht und Gnade Gottes regiert wird.

Trotzdem war es ein Auftrag Gottes, welchen Jehu ausführte. Aber wie furchtbar war derselbe! Auf welch einen schreckenerregenden Weg wurde das Schwert Jehovas durch jenen Auftrag gesandt! Von Ramoth nach dem Weinberge Naboths, von dort nach der Anhöhe Gar, von dort nach Jisreel, von dort nach Beth-Eked und endlich nach Samaria, und der ganze Weg ist mit Blut bezeichnet, und zwar mit Blut, dessen Vergießen die Gerechtigkeit forderte! Denn wiewohl das Schwert, durch welches es vergossen wurde, nicht nach Gerechtigkeit fragte, so übte doch Jehova durch dasselbe an dem Fleische Ahabs und seines Hauses Gericht, wie Er seiner Zeit ein noch größeres Gericht an allem Fleische ausüben wird; und dann werden der Erschlagenen Jehovas viele sein. Und mit welch einer Schnelligkeit wird dann das Gericht Gottesausgeführt werden, und wie weit wird es reichen! Wie wird der Weg aussehen, den das Schwert des Herrn oder „die verhängte Rate“ an jenem Tage nehmen wird! Denn „gleichwie der Blitz ausfährt vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, also wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein.“

Dieser Weg Jehus stellt uns einen Zeitabschnitt des gerechten Gerichts vor Augen. Er erinnert uns an die Zeit der großen Flut, an den Tag von Sodom und Gomorra, oder an die Ereignisse am Roten Meere; und unsere Herzen, geliebter Leser, freuen sich beim Betrachten dieser Szenen unwillkürlich aufs Neue des kostbaren Blutes, welches uns in Sicherheit gebracht hat, und erkennen zugleich in Ehrerbietung das gerechte Tun Dessen an, welchem allein die Rache zukommt!

Jehu führte allerdings den göttlichen Auftrag aus; derselbe diente aber seinem eigenen Vorteil. Das Gericht, welches Gott über Ahab verhängt hatte, bildete für Jehu das Mittel, um in der Welt vorwärts zu kommen. Gleich einem echten Pharisäer trieb er mit der Religion Handel, oder benutzte die Gottseligkeit als ein Mittel zum Gewinn. Darüber hinaus hatte« sie« keinen Reiz« für ihn; sie hatte keinen Einfluss auf sein Herz. Und so sehen wir ihn denn bemüht, das, was religiöser Eifer ihm eingebracht hatte durch religiösen Abfall sich zu bewahren. Wenn er imstande war, Baal aufzugeben, um auf den Thron zu gelangen, so konnte er mit gleicher Leichtigkeit Jehova aufgeben, um sich den Thron zu sichern. Nachdem er die Propheten Ahabs ausgerottet hatte, konnte er sich zu den Kälbern Jerobeams zurückwenden, damit, wie Jerobeam sich einst ausgedrückt hatte, nicht „das Königreich an Andere zurück komme „Welch eine tiefgehende, ernste Belehrung liegt in allen diesen Dingen für uns! Möchten wir über dieselbe nachsinnen und darnach trachten, dass bei all unserm Dienen und Erkennest unsere Herzen und Gewissen in Tätigkeit bleiben; denn sonst ist all unser Denken und Tun nur ein totes Werk!

Fußnote:

*) Ich weiß wohl, dass Anderen das Auftreten Gehasis an dieser Stelle nicht in so günstigem Lichte erscheint. Sie erblicken vielmehr den Beweis darin, dass er immer noch ein Mann der Welt war und sich von Geldliebe leiten ließ, weil er in der Nähe des Königs angetroffen wird und augenscheinlich in gewissem Grade das Vertrauen desselben besaß. Vielleicht ist es so. Auf mich macht indes die Begebenheit, in welcher wir ihn hier handelnd austreten sehen eher den oben geschilderten Eindruck;

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Die Nacht ist weit vorgerückt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 128ff

„Das Bewusstsein der nahen Ankunft des Herrn belebt und ermuntert das- Herz und erhält uns wachsam und nüchtern. Wie lebendig und frisch die Erwartung dieser Ankunft bei Paulus- war, geht ans seinen Worten hervor: „Denn jetzt ist unsre Errettung näher, als da wir geglaubt haben“ (Röm. 13, 11). Er zählte gleichsam die Tage und Stunden, welche seit seiner Bekehrung verflossen waren und ihn dem Kommen des Herrn näher gerückt hatten. Ähnlich wie jemand, der nach monate- oder gar jahrelanger Abwesenheit von den lieben Seinen die Tage zählt, bist fein Dienst erfüllt“ oder seine Geschäfte beendigt sein werden, und er in die Heimat zurückkehren kann. Ohne Zweifel sind Herz und Gedanken eines solchen, wie sehr ihn seine Geschäfte auch in Anspruch nehmen mögen, stets und vor allem bei seiner Familie. Es fesselt ihn ein Band an die Heimat, das weder durch die weiteste Entfernung noch durch die wichtigsten Ereignisse in der Fremde gelockert werden kann.

Gerade so war es mit dem Apostel. Seit dem Tage, an welchem der Herr ihm in unendlicher Gnade und Barmherzigkeit begegnet war, gehörten sein Herz und alle seine Zuneigungen nicht mehr der Erde an, sondern dem Himmel und vor allem dem zur Rechten Gottes verherrlichten Sohne des Menschen. Ihm, „der zuvor ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter gewesen war“, war Barmherzigkeit zu teil geworden (1. Tim. 1, 13. 16). 

Die Gnade hatte« sein Herz für Christum gewonnen, und die Herrlichkeit, in welcher der Herr ihm erschienen war, hatte seinen Blicken die Heimat des Glaubens eröffnet. Von da an hatte nicht nur die Welt ihre Reize für ihn verloren, sondern er achtete auch alles, was ihm bis dahin das Wertvollste und Teuerste gewesen war, weil es ihn in seinen und anderer Augen wichtig gemacht hatte für Verlust und Dreck. Die Erkenntnis Christi war unendlich vortrefflicher und begehrenswerter als alles, was diese Erde ihm bieten konnte. Von dem Tage seiner Bekehrung anstand sein« Verlangen nur nach Christo; seine Blicke waren beständig auf das Ziel seines Weges gerichtet, auf den Himmel, von wo er. den Herrn Jesum Christum zur Aufnahme- der Seinigen erwartete.

Mittlerweile weilte sein Herz schon dort als in seiner wahren Heimat. „Denn unser Bürgertum“, sagt er, „ist im Himmel“ (Phil. 3). Gleichsam auf der Wache stehend während der Stunden der Nacht, achtete er auf alles, was den heißersehnten Morgen ankündigte. Er konnte in Wahrheit sagen: „Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen, die Wächter auf den Morgen (Psalm 130, 6). Sicher lag ihm das Wohl der Versammlung Gottes und der Schafe Christi am Herzen, wie je einem Arbeiter des Herrn. Sein ganzes Leben, seine ganze Kraft war dem Dienst des Herrn geweiht. Aber nicht der Dienst, sondern der Herr und die Erwartung Seiner Ankunft standen im Vordergrunde; und dies kennzeichnete ihn als einen Knecht, der im Sinne des Herrn alsbald ausmacht, wenn dieser kommt und anklopft. (Luk. 12, 36). Er war in Wahrheit ein Fremdling hienieden.

Geliebter Leser! Können auch wir sagen, dass die Erwartung des Herrn bei uns im Vordergrunde steht? Sehnen auch wir uns nach Ihm und dem Aufschauen Seiner Herrlichkeit? Haben Seine Gnade und Liebe unsere Herzen so völlig gewonnen, dass sie wie mit unlösbaren Banden an Ihn und unsere Heimat droben gefesselt sind, so dass diese Welt uns in Wahrheit öde und leer erscheint? Die Stellung unserer Herzen gibt die richtigste Antwort auf diese Fragen; „denn“ wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein“ (Luk. 12, 34). 

Das was unsere Gedanken Tag für Tag fesselt, das was uns am meisten beschäftigt, sagt uns, wo tatsächlich unser Schatz, und unser Heim ist. Unsere Geschäfte, unser Beruf mögen uns sehr in Anspruch nehmen, und der Herr will, dass wir unsern Pflichten mit aller Treue obliegen und sie in keiner Weise vernachlässigen; aber sie werden unsere Sehnsucht nach Seinem Kommen nicht schwächen, wenn Er wirklich unser Schatz und der Himmel unsere Heimat ist. Obwohl wir treu und gewissenhaft die uns aufgetragene Arbeit tun werden, weil das zu Seiner Verherrlichung gereicht, werden wir uns doch nicht in den irdischen Dingen verlieren und ihnen den ersten Platz, in unsern Herzen einräumen. Wenn irgendetwas, und sei es selbst die Beschäftigung mit dem Werke des Herrn, Ihn selbst und die Sehnsucht nach Seinem Kommen in den Hintergrund drängt, so leitet uns nicht mehr die Gesinnung des Apostels, und wir haben das Ziel aus dem Auge verloren. Wir wachen nicht mehr in dem wahren Sinne des Wortes; wir beobachten und merken nicht mehr, wie weit die Nacht vorgerückt ist.

Wenngleich wir nicht auf die Zeichen der Zeit hingewiesen sind, was unsere Entrückung betrifft, so kennzeichnet sich doch die Sehnsucht nach dieser durch das Interesse, welches wir an dem Vorrücken der Nacht und dem Herannahen des Tages nehmen. Denn würden wir davon nichts merken können, so würde der Heilige Geist die Gläubigen nicht darauf hingewiesen haben; wie geschrieben steht: Indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei etlichen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen sehet“ (Hebr. 10, 25). 

Paulus wusste freilich nicht, als er an die Gläubigen in Rom schrieb, dass sich die Nacht noch so lange hinziehen würde. Er stand damals, im Vergleich mit uns, noch im Anfang der Nacht; wir aber wissen jetzt, dass die Mitternachtsstunde längst vorüber ist. Das mitternächtige Geschrei: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, ihm entgegen!“ ist längst erklungen. Es war das Zeichen eines bestimmt ausgeprägten Abschnittes in der Geschichte der Kirche. Überall auf der Erde erwachten die Gläubigen von neuem zur Erwartung des Herrn. Die Wahrheit von der Wiederkunft Christi war nach dem Abscheiden der Apostel mehr und mehr aus der Kirche verschwunden und war schließlich nur noch als eine Erwartung des jüngsten Tages bekannt. 

Der Geist Gottes aber hat in unsern Tagen die allgemeine Aufmerksamkeit der Gläubigen wieder auf die glückselige Hoffnung der Braut gelenkt, und von diesem Zeitpunkt ab spricht der Herr von Seinem Kommen als nahe bevorstehend. Er sagt nicht einfach: „so komme ich wieder und werde: euch zu mir nehmen“ Joh.14,3), sondern: „Ich komme bald“ (Offbg. 3, 11; 22, 7. 12). S.132 Ich sage: „von diesem Zeitpunkt ab“, denn die Verheißung des baldigen Kommens Christi ist nicht an die bekennende Kirche als solche gerichtet, (diese hat nur noch Sein Kommen zum Gericht zu erwarten), sondern an die Gläubigen, und vor allem an die Gläubigen der letzten Tage, welche, gleich dem jüdischen Überrest beim ersten Kommen des Herrn, vor den Gerichten bewahrt bleiben sollen. Wie damals die Gläubigen von der Masse des Volkes als einem ,,verkehrten Geschlecht« abgesondert und zu denen hinzugetan wurden, „die gerettet werden sollten“ (Apstgsch. 2, 40. 47), so sondert sich der Herr jetzt einen Überrest von der großen bekennenden Masse ab, um ihn vor der Stunde der Versuchung zu bewahren, die über den ganzen Erdkreis kommen wird. (Offbg· 3, 10.)

Diesem Überrest, (zu welchem selbstverständlich alle wahren Gläubigen der Gegenwart gehören, wenn sie auch nicht alle in der Erwartung des Herrn zu ihrer Aufnahme stehen mögen), gelten die Worte: „Ich komme bald; halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme“. Es ist jetzt an uns, die Erwartung des Herrn festzuhalten, was die bekennende Kirche seiner Zeit nicht getan hat. Wie der Apostel damals den Gläubigen, so ruft der Herr uns jetzt von neuem zu: „Die Nacht ist weit vorgerückt“. Nachdem die Mitternacht vorüber ist, ist der Aufgang des Morgensterns nicht mehr fern; denn als solchen erwarten wir den Herrn, als solcher wird Er schon vor dem Anbruch des Tages, wenn die Kinder der Welt noch in tiefem Schlummer liegen, den Wachenden erscheinen. „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm!“ (Offbg. 22, 16. 17).

Wenn Paulus schon damals an der Zeit erkannte, dass die Stunde da war, um vom Schlafe aufzuwachen (Röm. 13, 11), so haben wir jetzt im Blick auf die Zeit noch weit mehr Ursache, aufzuwachen und nüchtern zu sein. Nicht nur weil seit den Tagen des Apostels bis jetzt eine ungleich längere Zeit verflossen ist, als dieser hinter sich hatte, sondern auch weil sie einen Charakter angenommen hat, welchen sie damals noch nicht hatte, den sie aber gemäß der Weissagung am Ende annehmen sollte. Unwillkürlich drängt sich uns hier die Frage aus: Wie konnte denn der Apostel von einer nahen Ankunft des Herrn reden, wenn die Zeit damals noch nicht den Charakter der letzten Tage trug? 

Befand er sich im Irrtum? Kannte er die betreffende Weissagung nicht? - Auf diese Fragen antworten wir, dass der Apostel sich ganz und gar nicht irrte, indem er den Herrn erwartete. Er handelte in vollkommener „Übereinstimmung mit den Worten, welche der Herr bei Seinem Abschiede den Seinigen zugerufen hatte: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen“ (Joh. 14, 3). Im Einklange damit verkündigte er als der vom Herrn berufene und durch den Heiligen Geist geleitete Apostel den Gläubigen das Kommen des Herrn als Gegenstand ihrer gemeinsamen täglichen Erwartung: „Denn dieses sagen wir euch im Worte des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird . . . herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen; darnach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden“ (1. Thes. 4, 15 - 17).

Inzwischen entwickelten sich in der Kirche die ersten Keime des Verfalls, welcher sich mit der Zeit immer unheilbarer gestaltete, so dass der Apostel am Ende seiner Laufbahn mit derselben apostolischen Autorität die Weissagung verkündigen konnte, dass die Gläubigen, statt einer nahen Ankunft des Herrn, den Fortschritt des Bösen, den gänzlichen Verfall der Kirche zu erwarten hätten: „Denn ich weiß dieses, dass nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apstgsch. 20, 29. 30). In Übereinstimmung damit sehen wir in den Sendschreiben der Offenbarung, in welchen die ganze Geschichte der« Kirche in prophetischer Weise entwickelt ist, dass der Herr mit jahrhundertelangen, aber vergeblicher Geduld auf die Umkehr der Kirche gewartet hat, dann aber die bekennende Masse sich selbst überlässt und von neuem den Gläubigen, als dem christlichen Überrest, wie schon oben bemerkt, Sein baldiges Kommen in Aussicht stellt.

Die Gläubigen der ersten und diejenigen der letzten Tage nehmen also, entsprechend den verschiedenen Charakteren der damaligen und der gegenwärtigen Zeit, eine verschiedene Stellung ein; und je mehr wir diesen Unterschied sowie den ernsten Charakter der gegenwärtigen Zeit erkennen, um so bedeutungsvoller werden für uns die Worte: „Die Zeit erkennend, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlafe aufmachen sollen“. Zu den Kennzeichen eines wirklichen Aufwachens gehört, wie bereits gesagt, das Interesse an den Zeichen der Zeiten. Der Herr tadelte die Pharisäer, weil sie die Zeichen der Zeit, welche die Gegenwart ihres Messias bezeugten, nicht zu beurteilen vermochten (Matth. 16, 3). Sollten wir weniger tadelnswert sein, wenn wir die, Zeichen, welche uns klar und bestimmt, gleich dem Zeiger auf der Uhr, andeuten, dass wir uns in den letzten Tagen befinden und dass die Ankunft des Herrn nahe ist, unbeachtet lassen? 

Der gewaltige Fortschritt des Bösen, der überhandnehmende Unglaube, die stets frecher werdenden Anmaßungen des Aberglaubens, die Verspottung und Verhöhnung alles Göttlichen und Heiligen, die erschreckende Zunahme der Sittenlosigkeit und Unzucht, die täglich länger werdende Liste der Verbrechen, Morde und Selbstmorde, der Geist der Unzufriedenheit, des Ungehorsams und der Auflehnung gegen jede gottgewollte Ordnung — sind nicht alle diese Dinge, in Verbindung mit der Entwicklung der Verhältnisse auf politischem Gebiet, ernste Zeichen der letzten Tage? Wahrlich, der Tag des Gerichts naht mit Riesenschritten heran; der Richter steht vor der Tür!

Was sagt die Schrift von den letzten Tagen? „Dieses aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten da sein werden; denn die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, die eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen“ (2. Tim. 3, 1 - 5).

 Wie genau trägt das von dem Apostel entworfene finstere Gemälde die Züge unsrer Tage! Und beachten wir, dass fast genau mit denselben Worten der Heilige Geist das Verderben des Heidentums schildert (Vergl. Römer 1, 29 - 32). Wenn aber die Christenheit, welche die höchsten Vorrechte und Segnungen von Gott empfangen hat, und als das letzte Zeugnis von Seiner Gnade und Wahrheit in die Welt gestellt war, den Charakter des Heidentums, und dies noch unter einer „Form der Gottseligkeit«, angenommen hat, dann ist sie sicherlich reif für das Gericht. „Denn wenn wir mit Willen sündigen, .nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, so bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein gewisses, furchtvolles Erwarten des Gerichts und ein Feuereifer, der die Widersach.er verschlingen wird“ (Hebr. 10, 26..27).

Warum aber führt uns der Heilige Geist die Kennzeichen der letzten Tage vor Augen? Um uns aufzurütteln aus dem Schlafe· der Lauheit, Gleichgültigkeit und Weltförmigkeit, und um unsere Herzen, unser Leben und Tun in Einklang zu bringen mit der nahen Ankunft unsers Herrn. Er möchte uns anspornen zu einer entschiedenen Absonderung von dem Bösen um uns her· und zu einem heiligen Wandel in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.

Allerdings bedarf es kaum einer besonderen Ermahnung hierzu bei solchen, die in Wahrheit den Herrn erwarten; denn die Erwartung des Herrn erzeugt von selbst einen treuen, ergebenen und heiligen Wandel. Das liegt in der Natur. der Sache» Wie könnte jemand bei dem Bewusstsein, dass der Herr nahe ist, „und dass er Ihm gleich sein wird, wenn „Er kommt, noch Gefallen finden an Dingen, die Seinem heiligen Worte zuwider sind, „die Ihn verunehren, und die in Seiner herrlichen .Gegenwart. nicht bestehen können? Ein solcher wird sich vielmehr mit Abscheu von allen solchen Dingen abwenden und begehren, dem Herrn jetzt schon gleich zu sein und Seinen Spuren zu folgen, die Er uns hienieden zurückgelassen hat.

Sein Gewissen ist im Lichte Gottes und steht unter der Zucht des Heiligen Geistes; er wünscht schon jetzt erfunden zu werden, wie am Tage Seiner, Ankunft, und beeifert sich, Ihm wohlgefällig zu sein. „Jeder, der diese Hoffnung“ zu Ihm hat (d. h. Ihm gleich zu sein), reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist (1. Joh. 3, 3). Einem solchen dient jedes Anzeichen der nahen Ankunft des Herrn zu neuer Ermunterung und zu neuem Troste und gibt ihm Mut treu auszuharren. Darum: „Die Zeit ist“ nahe. 

Wer Unrecht tut, tue noch Unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt. Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird“ (Offbg. 22, 10 - 12). Welch ein ernstes Wort zur Warnung der Untreuen, zur Ermunterung und Ermahnung der Treuen! Der Herr schreibe. es tief in unser aller Herzen ein! Der Augenblick ist nahe, wo alles offenbar werden und ein jeder seinen Lohn empfangen wird nach seiner Arbeit.

Lehr’ uns wachen, kämpfen ohn’ Ermüden,

immer näher bringt uns jeder Tag;

Lehr uns wandeln völlig abgeschieden,

unseren Kampf folgt selige Ruhe nach!

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Ich komme bald

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 138ff

Als der Herr Jesus zum letzten Male mit Seinen Jüngern versammelt war, lenkte Er ihren Blick von dieser Erde nach oben: „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen“. Nicht auf ein herrliches Reich hienieden, nicht auf einen königlichen Palast auf dieser Erde, sondern auf die Wohnungen im Vaterhause droben sollte fortan die Erwartung der Jünger gerichtet sein. Und Jesus ging hin, um ihnen dort eine Stätte zu bereiten, einen Platz zu sichern. Denn erst durch den Hingang unsers teuren, auferstandenen Erlösers ist für uns der Zugang ins Vaterhaus geöffnet, ist uns dort eine Stätte bereitet worden.

„Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet. Wann und wie Er wiederkommen werde, sagt der Herr hier nicht. Die wichtige Sache, um welche es sich handelt, ist, dass Er selbst hingehen wollte, um die Stätte zu bereiten, und dass Er selbst wiederkommen würde, um die Seinigen zu sich zu nehmen, damit sie bei Ihm seien. Welch ein mächtiger Trost war dies für die trauernden Jünger und ist es heute noch für uns! Jesus selbst ist der Gegenstand unsrer Erwartung, bei Ihm zu sein unsre Hoffnung.

Späterhin hat der Herr uns auch mitteilen lassen, wie Er wiederkommen wolle (vergl. 1. Kor. 15, 51 — 54; 1. Thess. 4, 13 - 17 und a. St.); und in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Philadelphia, oder mit anderen Worten, an die Gläubigen unsrer Tage, sagt Er: „Ich komme bald (od. schnell, eilends)!“ Dieselbe Verheißung wird im letzten Kapitel der Offenbarung noch dreimal wiederholt. So dürfen wir unsern geliebten Herrn bald erwarten.“ Seine Ankunft ist nahe, sehr nahe! Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Morgen dämmert schon. Jeden Augenblick kann der helle, glänzende Morgenstern ausgehen; und dann? Dann wird die selige Braut ihrem himmlischen Bräutigam entgegengehen und mit Ihm einziehen in die — vielen Wohnungen, welche der Vater für Seine geliebten Kinder bestimmt und herrlich gemacht hat.

Was sagen unsere Herzen hierzu, geliebter Leser? Antworten sie: „Amen, komm, Herr Jesu!“? Können wir wirklich singen: „Inniglich, inniglich sehnet meine Seele sich“?

In dem genannten Sendschreiben verbindet der Herr die Verheißung Seines baldigen Kommens mit der Ermahnung: „Halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme! Ist diese Ermahnung tief in unser Inneres eingeschrieben? Halten wir fest an dem Worte Christi? Verleugnen wir in keiner Beziehung Seinen Namen? Bewahren wir das Wort Seines Ausharrens?“ Halten wir uns abgesondert von denen, »die auf der Erde wohnen«, von dem Geiste derer, die hier ihre Heimat haben? 

O wie groß ist die Gefahr, besonders in unsern Tagen, hienieden eine feste Wohnung zu suchen, uns hier heimisch zu machen, anstatt, wie einst Abraham,. mit einem Zelte und einem Altar zufrieden zu sein und als himmlische Fremdlinge durch diese Welt zu gehen! Wie leicht machen wir in unsern Häusern, in unsern Geschäften, in unserm ganzen Tun und Lassen immer weiter gehende Zugeständnisse an die Welt und ihre Kinder! Wie sind wir so geneigt, die Grenzlinie weiter und weiter hinauszuschieben und die Absonderung immer weniger streng aufrecht zu erhalten. Ach! möchten wir doch nicht vergessen, dass der Herr sehr nahe ist! „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird! . . . Auch ihr nun, seid bereit; denn in der Stunde, in welcher ihr es nicht meinet, kommt der Sohn des Menschen“ (Luk. 12, 40).

Vielleicht sind uns nur noch wenige Tage des Wirkens, des Ausharrens, des Arbeitens für den Herrn beschieden. Sollten wir nun nicht darnach trachten, einen reichen Lohn zu empfangen, wenn die Zeit der Abrechnung zwischen dem Herrn und Seinen Knechten kommen wird? Wahrlich, es wird der Mühe wert sein, aus Seinem Munde das Wohl, du guter und getreuer Knecht!“ zu vernehmen, und das: „Gehe ein in die Freude deines Herrn!“ Möchten wir deshalb von Herzensgrund und immer wieder flehen:

„O Herr, löse unsere Herzen von dieser armen Welt und ihren Dingen! Lass uns abstehen Von jeder Gemeinschaft mit ihr und als wahre Nasiräer dir nachfolgen, indem wir uns selbst verleugnen und täglich unser Kreuz auf uns nehmen! Lehre uns, dass Feststehen und Ausharren uns nottun in diesen schweren Tagen, und lass uns alle in Wahrheit rufen können: „Amen, komm, Herr Jesu!“

Fußnote:

Im Anschluss an die vorstehende Betrachtung mögen auch noch die folgenden kurzen Gedanken hier einen Platz finden. Sie wurden um dieselbe Zeit niedergeschrieben, in welchen jene entstanden ist, so dass der Herr uns zu gleicher Zeit durch zwei Zeugen an Seine nahe Ankunft erinnern lässt. Möchte es nicht vergeblich sein!

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 141ff

Joas, König von Juda (Kap. 11 und 12).

Wir hören in diesen Kapiteln nichts von unserem Propheten, da dieselben sich mit den Angelegenheiten des Reiches Juda beschäftigen; indessen stehen sie insofern doch zu den Angelegenheiten des Reiches Israel in Beziehung, als sie uns von einem großen Abfall Bericht geben, der in erstgenanntem Reiche eintrat, sowie von dem darauffolgenden Gericht, gerade so wie die vorhergehenden Kapitel uns mit dem Gericht über den Abfall in dem Reiche Israel bekannt machten. Überdies lassen sie uns wichtige Blicke in die Ratschlüsse Gottes - tun, so dass ihre Betrachtung, wenn auch von Elisa in ihnen keine Rede ist, „dennoch von Nutzen und Interesse sein wird.

Die beiden Kapitel führen uns in die Zeit ein, in welcher das Haus Davids vorübergehend des Besitzes des Thrones Judas beraubt war, so wie auch in der gegenwärtigen Zeit der Same und das Hans Davids den Thron und die Macht Davids nicht inne haben.

Athalja, die Tochter Ahabs und Iesabels, — und wir können sie wohl die Iesabel von Juda nennen, war das Werkzeug, durch welches dieser Frevel ausgeführt wurde. Eine Mörderin, eine Götzendienerin und Thronräuberin, bringt sie hier das Böse zur Vollendung, wie Ahab und Iesabel es in Israel getan hatten, bis der Zorn Gottes sie heimsuchte und hinwegraffte, wie er jene heimgesucht und hinweggerafft hatte.

Ihre Mordgier richtete sich gegen den königlichen Samen, um sich selbst in den Besitz, der Krone zu setzen und (wie sie vielleicht in der Anmassung ihres Unglaubens meinte) so die von Gott dem Hause Davids gegebene Verheißung zunichte zu machen (1. Kön. 2,4). Sie handelte gerade so, wie Ahab in Samaria dem Weinberge des Gerechten gegenüber verfuhr, oder wie später das ganze Volk den Herrn des Weinbergs oder den Erben des Reiches behandelte.

Aber es gibt verborgene Gedanken und eine verborgene Macht Gottes, welche alle solche Pläne vereiteln. Er stellt die Auferweckung Jesu dem Feinde entgegen und macht so alle Anschläge desselben zunichte; und hier dient Ihm Joas, der ein Kind der Auferstehung ist, als Werkzeug zu gleichem Zwecke. Das Urteil des Todes war ebenso gut gegen Joas ergangen, wie gegen alle diejenigen, welche infolge desselben umkamen. Der Herr hatte jedoch eine Errettung für ihn vorbereitet, da Er durch ihn Großes zur Ausführung bringen wollte, und so wird er denn, wie einst Mose in ähnlicher Lage, durch eine Königstochter, Namens Joseba, die den Hohenpriester Jojada geheiratet hatte, von der Stätte des Todes entfernt.

Es ist indessen sehr bemerkenswert, dass, nachdem Joas so von der Stätte des Todes entfernt worden war, er durch den Priester Gottes „im Hause des Herrn“ verborgen wurde, und noch dazu „bis zum siebenten Jahre -— ein treffendes Bild von dem, was Gott in späteren Tagen mit dem wahren Erben des Thrones Davids tun wollte. Denn nachdem Jesus durch die Auferstehung von der Stätte des Todes entfernt worden ist, wird Er während der Dauer eines ganzen Zeitalters im Hause Gottes verborgen gehalten, indem die Himmel Ihn als den Hohenpriester des gegenwärtigen Hauses Gottes aufgenommen haben. So liefert uns denn das zeitweilige Verbergen des Erben Davids in damaliger Zeit ein schönes Bild von der gegenwärtigen Verbergung Jesu in den Himmeln.

Joas sollte aber nicht für immer dort bleiben, wohin die Hand Jojadas ihn in Sicherheit gebracht hatte. Zu seiner Zeit bereitet Jojada in Juda einen Überrest zu, der für Joas ist. Mit diesem Überrest schließt er im Hause Jehovas einen Bund und zeigt ihm „den Sohn des Königs“. Und nachdem er ihn zubereitet hat, benutzt er ihn: er versieht jeden Einzelnen für den Tag des Kampfes mit Kriegswaffen und Schilden, die er der Rüstkammer Davids entnimmt, und lässt alle sich in bestimmter Ordnung aufstellen, um mit ihrer Hilfe die freche, ungläubige Räuberin vom Throne zu stoßen. Und dies geschieht ebenso mit einem vollkommenen, heiligen Verständnis für die Gedanken Gottes wie vorher die Verbergung des Kindes im Tempel. 

Dieser selbst darf nicht mit Blut befleckt werden; die Gottlosen aber müssen an diesem Tage gerechten Gerichts ohne Gnade ausgerottet, und „der Sohn des Königs“ muss aus dem Hause Jehovas heraus-geführt werden — drei Punkte, die bei dieser wichtigen Gelegenheit genau zu beobachten sind. Der König muss auf den Thron erhoben und die Gesetzlosen müssen umgebracht werden, aber bei alledem muss der Tempel rein erhalten bleiben. Alles muss geschehen in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes. Nachdem alles bestens vorbereitet ist, tritt der König von dem Orte, an welchem er verborgen gewesen war, hervor, und zwar mit all der Feierlichkeit, wie sie ihm zukam, indem diejenigen, welche die Stütze seines Königtums bildeten, die Gerechten, auf welche er sein Vertrauen setzen konnte, ihn begleiten. Dazu geschieht dies am Sabbattage.

Indem Jojada (als Priester und als der Beschützer des jungen Königs während der Herrschaft der Thronräuberin) die ganze Angelegenheit seiner Krönung und Offenbarmachung ordnet, zeigt er den Thronerben zunächst einem auserwählten Überreste. Dies tut er im Geheimen innerhalb des Tempels. Dann lässt er eine Leibwache sich in einer Reihe aufstellen, die sich von; Hause Jehovas bis zum Hause des Königs, von dem Heiligtum des Reiches bis zu dem Palaste hin erstreckt. Die Aufgabe derselben war, den König auf dem ganzen Wege, von seinem Austritt aus dem Tempel bis zu seinem Eintritt in den Palast, zu bewachen.

Dann wird er aus dem Tempel herausgeführt und unmittelbar vor demselben auf dem Standorte stehend, unter den Beifallsbezeugungen des Volkes zum König ausgerufen, wobei ihm sowohl das Zeugnis wie auch die Krone überreicht wird, das erstere als Zeichen seiner Unterwerfung unter Jehova, die letztere als Symbol seiner Oberhoheit über Israel.

Sodann wird die Thronräuberin Athalja getötet, jedoch außerhalb des Tempelgebietes. Denn selbst wenn es sich um die Wiedereinsetzung des Königs und um die Ruhe des Reiches handelt, will der Priester nicht die Heiligkeit des Tempels zum Opfer bringen — ein schönes Zeugnis dafür, dass der Herr bei all Seinem Tun eine jede Seiner Herrlichkeiten aufrechterhält und nie erlaubt, dass eine derselben durch das Hervorstrahlen einer anderen in den Schatten gestellt wird· Dann wird ein Bund mit dem ganzen Volke geschlossen; sie nehmen den König an, und der König bekennt sich zu ihnen. Alles was Ärgernis verursacht und böse ist, wird entfernt: das Haus, die Altare, die Bilder und die Priester Baals. Und schließlich schreitet der König an der aufgestellten Leibwache entlang, die voller Freude ihm zu Diensten steht, und setzt sich, wie ein zweiter Salomo, in Frieden und voller Würde, mit Ehren überhäuft und inmitten der Freudenbezeugungen seines Volkes, aus den königlichen Thron, den Thron des Hauses Davids.

Könntet! wir uns wohl eine schönere Darstellung der Rückkehr Jesu aus Seinem himmlischen Heiligtum vorstellen? Wird Er nicht in all der Macht und Gerechtigkeit Seines Reiches erscheinen? Wird dann nicht ein neuer Sabbat für Sein Volk Israel und die ganze Schöpfung anbrechen? Und wird es nicht zugleich der Tag der Heimsuchung für diejenigen sein, welche das Blut der Gerechten vergossen und die Erde verderbt haben? Der Himmel wird geöffnet werden, und der Tag der Krönung Jesu und der Freude Seines Volkes wird beginnen, so wie hier der Priester Joas salbt, ihm die Krone ans das Haupt setzt und, der göttlichen Verordnung gemäß (vergl. 5. Mose 17), ihm das Zeugnis in die Hand gibt, während das Volk ruft: „Es lebe der König!“ Der König erscheint in seiner Schönheit, wie aus den Toten erstanden, während die Thronräuberin und Mörderin vor seinen Augen ihr Ende findet.

Eine deutlichere Darstellung unsers wahren David, wie Er einstmals erscheinen wird, könnten wir uns kaum denken. Wir erblicken gleichsam Sein Herabsteigen vom Himmel, Sein Kommen aus dem Hause Jehovas in Macht und großer Herrlichkeit. Zudem war damals gerade der geeignete Augenblick für ein solches Vorbild. Denn die widerrechtliche Einnahme des Thrones durch Athalja bezeichnete den vollendeten Abfall Judas und damit den Zeitpunkt, wo der Herr, wie einst bei Gelegenheit der Bosheit Babels und Gomorras, hervortreten musste, um die Erde für ihre Bosheit zu strafen und die Ihm zukommende heilige Macht und Ehre an sich zu nehmen.

Der Name Davids erfüllt jetzt wieder das Land. Nicht nur war die Wache des Königs mit den Speeren und Schilden Davids — die man aufbewahrt und, während der Verborgenhaltung des Erben im Heiligtum, gleichsam hatte verrosten lassen -— ausgerüstet worden, sondern es werden jetzt auch die Anordnungen Davids beobachtet, und die Klänge der Musik Davids ertönen von neuem. (2. Chron. 23, 18.) Der Priester lässt es sich angelegen sein, in jeder Beziehung Erinnerungen an David wachzurufen.

 Zugleich wird der Baal samt seinen Dienern beseitigt, und der Gott Israels hat wieder den Ihm gebührenden Platz. Jehova wird als der Herr und David als Sein Knecht anerkannt, wie es in dem herrlichen Gegenbilde dieser Szene der Fall sein wird, wenn „jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“. Und dann wird, wie bereits bemerkt, ein weitergehender Bund geschlossen. Der Priester nimmt nicht nur Einig en einen Eid zu Gunsten des verborgen gehaltenen Joas ab, indem er ihnen allein denselben zeigt; sondern er vereinigt jetzt aufs Neue das ganze Volk, den König und Jehova in einem heiligen, gnadenvollen Bunde — Israel soll wieder das Volk Jehovas sein — und dann zeigt er den rechtmäßigen Erben der ganzen Herrlichkeit nicht nur Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinde Israel. Und so hatte die Stadt Ruhe, das Volk des Landes freut sich, der König sitzt auf dem Throne und stellt in Gemeinschaft mit dem Priester den Dienst des Gottes Israels wieder her. S. 147

In diesen Vorgängen erblicken wir ein Vorbild von der zukünftigen großen Wiederherstellung aller Dinge. Ein vollständiger Wechsel tritt in den Verhältnissen ein. Der König ist nicht länger im Hause Jehovas verborgen, während ein fremdes Weib den Thron innehat und gleichsam auf dem Tiere reitet (vergl. Offbg. 17), während Baal angebetet wird und der Tempel des einzig wahren Gottes sich in einem Zustand der Verunreinigung und des Verfalls befindet; sondern der König ist durch sein Ihm bereitwillig dienende Volk herausgeführt und anerkannt, die Thronräuberin ist gerichtet, und das Heiligtum Jehovas steht wiederum in Ansehen, und dem Herrn wird aufs neue die gebührende Verehrung zu teil.

Wie es aber einst bei Salomo der Fall war, so ist es jetzt auch bei Joas; dieser liebliche Zustand der Dinge dauert nur eine Zeitlang. Sobald Jojada den Schauplatz verlässt, trübt sich der helle Glanz· Doch das Eine sehen wir, dass, so lange der Priester Jojada lebte, der König Joas die Heiligkeit und Schönheit des Reiches bewahrte. Auch dieser Umstand ist bedeutungsvoll. Was können wir ihm entnehmen? Lehrt er uns nicht, dass in dem zukünftigen Reiche, in welchem der König und der Priester in einer Person vereinigt sein werden, alles gut gehen wird? Wie geschrieben steht: „Er wird Herrlichkeit tragen; und Er wird auf Seinem Throne sitzen und herrschen, und wird Priester sein auf Seinem Throne; und der Rat des Friedens wird zwischen ihnen beiden sein“ (Sach. 6, 13). 

Der Priester jenes Reiches kann nicht sterben, weil Er nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens Priester geworden ist; und der König jenes Reiches kann nichts Verkehrtes oder Unrechtes tun, weil Sein Szepter ein Szepter der Gerechtigkeit ist, und es von Ihm heißt: „Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst“. Deshalb werden auch dieser Friede und diese Herrlichkeit während der ganzen Dauer Seiner Herrschaft fortbestehen, bis Er das Reich Seinem Gott und Vater übergeben wird. „In Seinen Tagen wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist“ (Ps. 72, 7). „Die Herrschaft ruht auf Seiner Schulter, und man nennt Seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben auf dem Throne Davids und über Sein Königreich, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit (Jes. 9, 6. 7).

Wir erblicken hier also eine klare Darstellung der Dinge, welche die Herrlichkeit Christi betreffen, die damals noch in ferner Zukunft lagen, uns aber heute ganz nahe gerückt sind: Seine Rückkehr aus dem Himmel, dem Heiligtum Gottes, dann die Übernahme und Ausführung des Gerichts durch Seine Hand, weiterhin die Ehren, welche Ihm als Priester und als König zu teil werden sollen, und schließlich Seine Herrschaft in dem Lande, welches Er sich von alters her zum Besitztum erwählt hatte. Es macht unsere Herzen stets glücklich, wenn sie sich mit Gedanken beschäftigen, die Ihn zum Gegenstande haben, und es wäre deshalb schade gewesen, diese Kapitel zu überschlagen.

Joas, König von Israel, und die Pfeile (Kap. 13, 1 — 19).

Wir kehren jetzt aus dem Reiche Juda in das Land der zehn Stämme zurück. Während der ganzen, siebenzehn Jahre währenden Regierung Joahas, des Sohnes Jehus, hören wir nichts von Elisa. Erst in den Tagen seines Nachfolgers Joas wird uns ein letzter Blick auf unseren Propheten gestattet.

Joas hatte nach dem Tode seines Vaters Joahas den Thron Israels bestiegen. Er tat, gleich diesem, was böse war in den Augen Jehovas, wie Jerobeam, der Sohn Nebats, und alle übrigen Könige es vor ihm getan hatten. In seinen Tagen nun „erkrankte Elisa an seiner Krankheit“, an welcher er nachher starb (V. 14).

Man hat oft gesagt, dass der längste Tag seinen Abend habe. So war es auch im Blick auf die Wirksamkeit Elisas. Er hatte die Regierungszeiten Jorams, des Sohnes Ahabs, Jehus, Joahas und Joas durchlebt, und auch schon vorher die Tage Ahabs und Ahasjas gesehen. VielIeicht hatte seine Wirksamkeit als Prophet Gottes nahezu sechzig Jahre gedauert. Jetzt aber war der Abend seines Tages gekommen, und indem seine Sonne untergeht, verbreitet sie noch die schönste Abendröte um sich her und erstrahlt in einem Glanze, der völlig dem ihrer Mittagshöhe entspricht.

„Joas, der König von Israel“, so lesen wir, „kam zu ihm herab und weinte über seinem Angesicht und sprach: Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!“ Es mag uns dies Wunder nehmen. Allein es ist augenscheinlich, dass es sich hier nicht um Heuchelei, Spott oder Unaufrichtigkeit handelte. Es war vielmehr die Äußerung natürlicher Gefühle. Vielleicht war Elisa von diesem König des Hauses Jehus bisher sehr vernachlässigt worden. Und indem dieser nun voraussieht, dass Elisa bald von ihm genommen werden würde, erwacht, wie das sehr natürlich ist, sein Gewissen, und infolge dessen sucht er den Propheten auf. Selbst ein Herodes, der doch ein schlimmerer Mann war als Joas, konnte bei dem Gedanken an den lebenden Johannes vieles tun, wie hier Joas bei dem Gedanken· an den sterbenden Elisa sich aufmacht, um noch einmal sein Angesicht zu sehen und seine Stimme zu vernehmen.

Es waren dies, wie gesagt, natürliche Gefühle. Joas legte Wert darauf, dass Elisa in seinem Reiche weilte. Außerdem wünschte er ohne Zweifel, ihn zu ehren, ehe es dazu zu spät war; denn die Erinnerung an eine solchen Ehrung konnte nach dem Abscheiden Elisas zur Beruhigung seines Gewissens dienen. Der heilige Wandel des Propheten, die Macht, welche sich so oft bei ihm gezeigt hatte, der Platz, den er inmitten des Volkes einnahm, das Ansehen, welches er genoss — alles das rief in dem Herzen des Königs in jenem ernsten Augenblick die erwähnten Regungen hervor; und so kam er, nicht als ein Spottender oder aus Heuchelei, sondern getrieben von dem Drang seiner natürlichen Empfindungen, zu dem sterbenden Propheten, und begrüßte ihn mit demselben Zuruf, wie einst Elisa selbst den Elia bei dessen Himmelfahrt begrüßt hatte.

Die Natur kann sich jedoch niemals zu der Höhe aufschwingen, welche den Gedanken des Geistes Gottes entspricht. „Stehet fest im Herrn“, ruft das Wort uns zu; und: „Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“, lautete des Apostels einziger Ruhm. Wir haben uns keiner Sache zu rühmen, es sei denn dessen, was Christus in uns wirkt. Darum, mag auch der Anfang der vorliegenden Erzählung zu schönen Hoffnungen Anlass geben, so zeigt sich doch die Natur in Joas bald den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen.

Er konnte nicht, wie Elisa es früher getan hatte, in der Kraft des Geistes seinen Weg bis zum Ende hin verfolgen. Natürliche Regungen mögen uns dem Anscheine nach und für eine kurze Zeit in der Richtung forttreiben, nach welcher der Heilige Geist uns gehen sehen möchte; aber sie werden uns niemals befähigen, mit denen, welche in der Kraft des Geistes auf diesem Pfade wandeln, das Ende desselben zu erreichen. Obwohl daher anfänglich dieselbe Sprache auf den Lippen des Elisa wie des Joas liegen mochte, so gab es doch zwischen diesen beiden Männern einen großen Abstand.

Indessen möchte» ich im Anschluss an die in Vorstehendem enthaltene Warnung bemerken, dass wir die Güte Gottes niemals in Zweifel ziehen dürfen, wenn wir auch immer wieder erfahren mögen, wie schwach und betrügerisch unsere eignen Herzen sind. Wir sind so leicht geneigt, das Licht, die Freude oder die Kraft, welche zu Zeiten uns erfüllen mögen, auf einen anderen als den wirklichen Ursprung derselben zurückzuführen. 

Die Vernunft möchte uns glauben machen, das; dies einfach Wirkungen der Natur, nicht aber des Geistes Gottes seien. Wir tun, was wir nur irgend können, um Gott des Ruhmes zu berauben, dass wir Ihm allein unsere Segnungen zu verdanken haben, als wenn irgendwelche gute Gaben anderen Quellen entstammen könnten als nur dem Vater der Lichter. Das sollte nicht so sein. Das Herz ist freilich betrügerisch; aber Gott ist gut. Und wir sollten uns in einfältigem Glauben daran gewöhnen, das Licht, die Freude oder die Kraft, welche unseren Seelen zu teil werden, der Wirksamkeit Seines Geistes zuzuschreiben, ohne den verwirrenden Vernunftschlüssen unsrer Herzen Gehör zu schenken.

Lasst uns auf die Belehrungen acht haben, welche sich uns in dieser Geschichte darbieten! Möchten wir auf unsrer Hut sein vor allen bloß natürlichen Regungen, aber auch des Trostes gedenken, der uns hier in Gott selbst entgegentritt! Indes gibt es noch etwas anderes hier, das unsrer eingehenden Betrachtung wert ist. S152

Auf das Geheiß des Propheten holt der König Pfeil und Bogen herbei und tut mit denselben, was der Prophet ihm sagt; dann erklärt ihm Elisa die Bedeutung dieser Handlung. Er sprach: „Ein Pfeil der Rettung von Jehova und ein Pfeil der Rettung wider die Syrer! und du wirst die Syrer schlagen zu Aphek bis zur Vernichtung“ (V. 17). Hierauf muss der König die Pfeile zur Hand nehmen, und es wird ihm gesagt, er solle mit denselben auf die Erde schlagen. Er tut dies, aber nur dreimal. Darüber macht ihm der Prophet Vorwürfe. Der Mann Gottes ist zornig und schilt ihn, denn er fühlte sich schmerzlich enttäuscht. 

Aus welchem Grunde? Warum war die Seele Elisas von solch brennendem Eifer erfüllt? Die Ursache ist wahrhaft schön. Er hatte soeben dem König gesagt, dass „ein Pfeil der Rettung von Jehova und ein Pfeil der Rettung wider die Syrer“ in seiner Hand sei; wäre nun seine Seele mit derjenigen des Propheten im Einklang gewesen, hätte ihn der Gedanke an die Herrlichkeit, die ihm hier so nahe gebracht wurde, entflammt; und wäre sein Herz angesichts des Köchers des Herrn selbst, den er in seinen Händen hielt, erglüht, mit welcher Lust würde er dann nach dem Geheiß des Propheten auf die Erde geschlagen haben! Hätte der Pfeil Jehovas denselben Wert für Joas gehabt, wie einst der Mantel seines Herrn für Elisa, so hätten beider Herzen vollkommen zusammen gestimmt. Aber ach! der König hatte jene Bahn, auf welcher der Prophet einst vorangeschritten war, betreten, ohne durch den Geist dazu getrieben zu sein. In ihm konnte der Geist nicht in jenem schönen Strome dahinfließen wie einst in Elisa, und darum schlägt er mit träger Hand nur dreimal auf die Erde. 

O wieviel können auch wir von ähnlichen Erfahrungen erzählen! Wo ist der erhebende Eifer der Herzen geblieben, der in früheren Zeiten zu finden war? wo das Entflammtsein der Seelen? wo die Kundgebungen der Kraft, welche in vergangenen Tagen unter unsern leidenden und schwer geprüften Brüdern zu bemerken waren? Wie wurde damals, gleichsam in Übereinstimmung mit dem Geiste Elisas, immer und immer wieder auf die Erde geschlagen! 

Doch unsere Hand ist träge. Die Salbung des Geistes, der Ernst und Eifer, den Er bewirkt, treten gegenwärtig in weit schwächerem Maße zu Tage, als dies in vergangenen Zeiten der Fall war. Elisa rief einst, als Elia ihn verließ, schmerzlich bewegt aus: „Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!“ aber er hob auch den Mantel des Propheten auf und schlug auf das Wasser, wie Elia es getan hatte, und es teilte sich dahin und dorthin. Der König kann jetzt auch zu Elisa kommen, wenn dieser im Begriff steht, ihn zu verlassen, und sogar dieselben Worte aussprechen, aber wir sehen hier nicht ein Schlagen, welches jenem entsprochen hätte. Des Königs Herz ist kalt, und seine Hand ist träge, während Elisa ein warmes Herz und eine kühne Hand gezeigt hatte.

Wir stehen heutzutage nur in geringem Maße unter der reichlichen und eifrigen Wirkung des Geistes Gottes. Dies macht sich in der Tat nur zu deutlich unter uns allen fühlbar. Wohl mögen wir jetzt eine vermehrte Einsicht auf dem Gebiet der Ratschlüsse Gottes besitzen; die Heiligen mögen im allgemeinen eine größere Fülle von Wahrheiten in sich aufgenommen haben; aber die Kraft der Wahrheit selbst in ihrer Tiefe und der von ihr ausgehenden Salbung wird weniger empfunden. Wieviel Ursache haben wir daher zu rufen: „Herr, belebe dein Werk inmitten der Jahre, inmitten der Jahre mache es kund!“

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Henoch und seine Zeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 154ff

Viele, selbst ernste Christen geben noch immer der Hoffnung Raum, dass das Christentum allmählich die weltlichen Elemente verdrängen, die Grundsätze der Kinder dieser Welt umgestalten und die Welt selbst in eine christliche Welt umwandeln werde. Sie kennen weder den wahren Charakter der Welt, noch das Wesen des Christentums, und werden sich in ihrer Hoffnung bitter getäuscht finden. 

Die Elemente der Welt sind und bleiben denen des Christentums völlig entgegengesetzt, und die Welt wird nicht durch das Evangelium, sondern durch das Gericht umgestaltet werden, wie schon vor Jahrtausenden der Prophet Jesaja angekündigt hat: „Denn wenn deine Gerichte die Erde treffen, so lernen Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises. Wird dem Gesetzlosen Gnade erzeigt, so lernt er nicht Gerechtigkeit: im Lande der Geradheit handelt er unrecht und sieht nicht die Majestät Jehovas“ (Jes. 26, 9. 10). Die Erfahrungen aller Zeitalter beweisen, dass die Welt immer dieselbe geblieben ist und selbst unter den Segnungen des Christentums ihren Charakter nicht aufgegeben hat. 

Sie ist heute nicht anders wie in den Tagen Henochs; sie trägt heute wie damals das Gepräge Kains. So wie dieser seinen Bruder erschlug und dann, sich aus der Gegenwart Jehovas entfernend, eine Stadt baute und sie nach dem Namen seines Sohnes nannte, so hat auch die Welt den Sohn Gottes getötet und, von Gott entfremdet, die unter dem Fluche stehende -Erde zu verschönern gesucht. Die Kinder der Welt verfolgen heute noch dieselben Ziele wie Kain und seine Nachkommen. Reichtum, Vergnügen und Wohlleben, Musik und Tanz, mit einem Worte alles, was der Sinnlichkeit und den Lüsten des natürlichen Herzens entspricht, alles was die Kunst und Erfindungsgabe des Menschen hervorzubringen vermag, um die Erde unter Ausschluss Gottes zu einem möglichst angenehmen Aufenthalt zu gestalten — das kennzeichnete die Familie Kains und kennzeichnet heute die Welt.

Sicher ist der Besitz von Herden oder sonstigem Gut, die Pflege der Musik, der Kunst und Wissenschaft an und für sich nichts Böses, aber es wird böse, sobald der Mensch dabei seine Abhängigkeit von Gott vergisst und in Entfremdung von Ihm oder gar in offener Auflehnung gegen Ihn seinen Weg geht. Und wie böse und verwerflich sind erst die Beweggründe und Ziele, welche der Mensch verfolgt, indem er durch alle jene Dinge die Stimme des vergossenen Blutes, das von der Erde zu Gott schreit (1. Mose 4, 10), zu ersticken und die große Schuld, welche infolge der Verwerfung des Sohnes Gottes auf der Welt lastet, in Vergessenheit zu bringen sucht!

 Er bemüht sich unausgesetzt, sein Gewissen zu betäuben, die mahnende und warnende Stimme in seinem Innern zum Schweigen zu bringen und als letztes Ziel: sich selbst zu verherrlichen. Was haben schließlich alle jene großartigen Welt- und Gewerbeausstellungen, veranstaltet unter dem Vorwande, Kunst und Wissenschaft, Handel und Gewerbefleiß dadurch zu fördern, zum Zweck? Dienen sie der Ehre Gottes, oder der Verherrlichung des Menschen?

 Aus all dem Getümmel und Treiben dieser festlichen Veranstaltungen heraus vernimmt das geöffnete Ohr dieselbe Sprache, welche einst Nebukadnezar auf dem königlichen Palast zu Babel führte: “Ist das nicht das große Babel, welches ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit“ (Dan. 4, 30)? Derselbe Geist der Gottentfremdung und des Hochmuts, welcher einst die Stadt Kains beherrschte und unter dessen Einfluss das Haupt des ersten heidnischen Weltreiches stand, beherrscht heute die sogenannte Christenheit. Von ihr steht geschrieben: „Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen“ (Judas 11).

Statt dass die Welt durch das Christentum verchristlicht worden wäre, sind dessen Bekenner vollständig in die Fußstapfen der Welt eingetreten und haben sich eins gemacht mit ihr, die unter der Anführung ihres Fürsten den Sohn Gottes verworfen hat. Die Ehrung und Verherrlichung des Menschen steht mehr als je in Blüte; aber für die Herrlichkeit des Herrn Jesu zur Rechten Gottes hat man kein Auge. Die oben angeführten Worte des Propheten Jesaja passen genau auf die große Masse der christlichen Bekenner: „Im Lande der Geradheit handelt er unrecht und sieht nicht die Majestät Jehovas“. Trotz der Segnungen des Christentums macht heute die Christenheit dieselben Fortschritte im Bösen, wie die Welt zur Zeit Henochs, und liefert damit den Beweis, dass ihr Gericht unausbleiblich ist.

 „Denn das Land, welches den häufig über dasselbe kommenden Regen trinkt und nützliches Kraut hervorbringt für diejenigen, um derentwillen es auch bebaut wird, empfängt Segen von Gott; wenn es aber Dornen und Disteln hervorbringt, so ist es unbewährt und dem Fluche nahe, und sein Ende ist die Verbrennung“ (Hebr. 6, 7. 8). 

In den Tagen Henochs machte das Böse solch reißende Fortschritte, dass der Zustand der Dinge bald unhaltbar wurde; und gar nicht lange nach der Entrückung Henochs brach die Flut herein. „Und Jehova sah, dass des Menschen Bosheit groß war auf Erden, und alles Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag . . . Und die Erde war voll Gewalttat. Und Gott sah die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden“ (1. Mose 6). Gerade so wird, nachdem der Herr die Seinigen von der Erde aufgenommen hat, die Gottlosigkeit ihren Höhepunkt erreichen und das Gericht wird hereinbrechen.

Wie verschieden von dem Wege Kains war der Weg Henochs! Von ihm wird gesagt: „Und Henoch wandelte mit Gott“ (1. Mose 5, 22). Das sind wenige, aber inhaltsschwere Worte. Sie beschreiben uns das Leben eines Mannes, für welchen die Dinge dieser Welt keine Anziehungskraft besaßen, weil seine Interessen außerhalb des Sichtbaren lagen. Er genoss von den unvergänglichen Schätzen jener Welt, wo kein Dieb sich naht und keine Motte verderbt (Luk. 12, 33)“ — von Schätzen, die nur in den Schatzkammern Gottes gefunden werden können. Wie wäre es anders möglich gewesen für einen Menschen, der dasselbe Fleisch und Blut an sich trug und „von gleichen Gemütsbewegungen« war wie wir (Jak. 5, 17), inmitten einer bösen, gottentfremdeten Welt dreihundert Jahre lang mit Gott zu wandeln, wenn nicht diese Erquickungen von oben ihn gestärkt und aufrecht erhalten hätten? 

Durch Glauben genoss er diese Erquickungen, und sie dienten wiederum zur Stärkung seines Glaubens, so dass er „von Kraft zu Kraft ging“. Denn es liegt in der Natur des Glaubens, selbst das Tränental zu einer Quelle zu machen (Ps. 84, 6. 7), weil er Gott in alle seine Umstände einführt, und Gott kann sich selbst nicht verleugnen. Er sagt nie: Ich bin nicht der reiche, mächtige und barmherzige Gott, für welchen du mich hältst; ich habe nicht so viel Liebe, wie du von mir glaubst. Er sagt im Gegenteil: „Tue deinen Mund weit auf, und ich will ihn füllen“ (Ps. 81, 10). Er schätzt und liebt den Glauben umso mehr, je höher dieser von Ihm denkt und je größere Anforderungen er an Ihn stellt.

Wir lesen deshalb auch von Henoch: „Denn vor der Entrückung hat er das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefallen habe“. Dieses Wohlgefallen Gottes ruhte aber auf dem Glauben Henochs; denn der Heilige Geist fügt hinzu: „Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Ihm wohlzugefallen; denn wer Gott naht, muss glauben, dass Er ist, und denen, die Ihn suchen, ein Belohner ist“ (Hebr. 11, 5.6). Henoch wusste, dass er in sich selbst nicht besser war als alle seine Zeitgenossen: schuldig, verderbt und hilflos; aber er glaubte Gott und wusste, dass sein ganzes Heil bei Ihm stand.

 In diesem Glauben hatte Abel schon vor ihm Gott ein vorzüglicheres Opfer dargebracht als Kam; und dieser Glaube wurde später Abraham zur Gerechtigkeit gerechnet. (Hebr. 11, 4; Röm.. 4, 3; Gal. 3, 6.) Dieser Glaube war es auch, welchen der Herr bei dem Hauptmann von Kapernaum und dem. kananäischen Weibe bewunderte (Matth. 8, 10; 15, 28). Diesen Glauben kann der Herr segnen, weil er nicht sich selbst, sondern Gott die Ehre gibt. Henoch wandelte mit, Gott, weil er glaubte; und er hat Gott wohlgefallen, weil er glaubte.

Aber aus demselben Grunde hat er auch das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefallen habe. Denn Gott ist denen, die Ihn suchen, ein Belohner; Er erkannte den Glauben Henochs an, wie Er auch das Opfer Abels anerkannt hatte, indem Er Zeugnis gab zu seinen Gaben. Und diese Anerkennung und Billigung seitens Gottes gibt der Seele einen göttlichen Frieden, bietet ihr reichlichen Ersatz für alle Unbill, welche sie seitens einer gottlosen Welt erfahren mag, und verleiht ihr zugleich den nötigen Mut und die Kraft zum Ausharren auf dem Pfade des Glaubens.

 Sie ist für sie ein Beweis der Güte und Gunst Gottes, und Seine „Güte ist besser als Leben“ (Ps. 63, 3). Wenn schon von einem irdischen Könige gesagt werden kann: „Im Lichte des Angesichts des Königs ist Leben, und sein Wohlgefallen ist wie eine Wolke des Spätregens« (Sprüche 16, 15), wie unendlich erquickender ist dann der Genuss der Gunst Gottes, das Leuchten Seines Angesichts für den, der mit Ihm wandelt! Gott antwortet dem Glauben, belohnt ihn, lässt ihn Seine Gunst schmecken und bezeugt ihm, dass Er Wohlgefallen an ihm hat. 

Vergessen wir jedoch nicht, das; der Glaube dem Genuss vorangehen muss. Ohne Glauben kein Wohlgefallen auf Seiten Gottes, ohne Glauben kein Genuss auf unsrer Seite, und deshalb auch keine Ermunterung und Stärkung auf dem Pfade. Erst als die Füße der Priester, welche die Lade trugen, in den Rand des Wassers tauchten, - . . blieben die von oben herabfließenden Wasser stehen“ (Jos. 3, 15. 16) .Es liegt in der Natur des Menschen, erst sehen oder fühlen und dann glauben zu wollen; aber Natur ist nicht Glaube, und der Herr sagt: „Glückselig, die nicht gesehen und geglaubt haben“ (Joh. 20, 29). Das Zeugnis folgt dem Glauben; „denn in diesem haben die Alten Zeugnis erlangt“ (Hebr. 11, 2). 

Das Zeugnis, welches Henoch von Gott empfing, war ein Beweis der Echtheit seines Glaubens; und wir müssen uns billig fragen, ob unser Glaube echt, das heißt lebendig und tätig ist, wenn wir den Herrn und Seine Liebe so wenig genießen. Hat nicht ein bloßes Wissen oder Führwahrhalten dessen, was Gott in Christo für uns ist, die Stelle des Glaubens bei manchen Gläubigen eingenommen? Und hat nicht die so oft beklagte Kraftlosigkeit und Weltförmigkeit vieler Christen gerade darin ihren Grund? Es fehlen diesen Christen die inneren Erfahrungen, welche eine Seele in der Gemeinschaft mit Gott macht; diese Erquickungen, von welchen der Psalmist sagt: „Er (Jehova) lagert mich auf grünen Auen, Er führt mich zu stillen Wassern“ (Ps. 23, 2).

Aber wenn das so ist, wo bleibt dann der Gegensatz zwischen unsern Wegen und den Wegen der Welt, wie er einst zwischen dem Wege Henochs und demjenigen Kains bestand? Ein Mittelding zwischen diesen beiden ist der Schrift wie dem Glauben fremd. Es ist nichts anderes als ein böses, unheiliges Gemisch, welches der Feind in der heutigen Christenheit dargestellt hat, um Welt und Christentum mit einander auszusöhnen. Wahrlich, Gott kann einem solchen Zustand nicht das Zeugnis Seines Wohlgefallens geben.

 Der Apostel sprach mit Weinen von solchen Bekennern ohne Kraft und Leben. Sie waren Feinde des Kreuzes Christi, ein Hindernis für das Werk Gottes und eine Unehre für Seinen heiligen Namen. Sie verfolgten eine Richtung, die derjenigen des Apostels schnurstracks entgegengesetzt war. Sie schauen aus das Irdische, während er, unverrückt das Ziel anschauend, hinjagte zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu. Und er ermahnt die Gläubigen: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und sehet hin auf die, welche also wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt“ (Phil. 3).

Wie Henoch zu seiner Zeit, so stehen auch wir heute vor den Tagen der Entscheidung“ Henoch wurde entrückt, und bald darnach brach die Flut über die sorglose Welt herein. Wir erwarten den Herrn zu unsrer Aufnahme, und dann wird das schon von Henoch angekündigte Gericht über die Gottlosen hereinbrechen: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten Seiner heiligen Tausenden, Gericht auszuführen wider alle und völlig zu überführen alle ihre Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben, und von all den harten Worten, welche gottlose Sünder wider Ihn geredet haben“ (Judas 14. 15). 

Das Kommen des Herrn führt die endgültige Scheidung zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Kirche und Welt herbei; alsdann wird der schroffe und unversöhnliche Gegensatz zwischen beiden vor den Augen des ganzen Weltalls bloßgestellt sein. Aber sollen oder wollen wir bis dahin warten mit der Trennung vom Bösen und von den Grundsätzen der Welt? Wollen wir, angesichts eines solchen Ausgangs, an den eitlen, fruchtlosen und schriftwidrigen Versuchen festhalten, die Welt verchristlichen zu wollen, anstatt in demütiger Unterwerfung unter den Herrn mit Ihm zu wandeln und von Ihm zu zeugen, um auf diesem Wege, wenn möglich, einige aus der Welt zu retten? Möge ein jeder von uns sich immer wieder die Worte des Herrn ins Gedächtnis rufen: „Die Zeit ist nahe! Wer Unrecht tut, tue noch Unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt! Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird!“

Die Welt hat in den Tagen .Henochs den Beweis ihrer Unverbesserlichkeit geliefert, indem dessen treues und entschiedenes Zeugnis ihren Lauf nicht zu ändern vermochte; unentwegt ging sie in ihrer Gottlosigkeit voran. Und wie ist erst ihre Unverbesserlichkeit durch die Tatsache ans Licht getreten, dass ein Größerer als Henoch vergeblich ein unendlich mächtigeres Zeugnis in ihrer Mitte abgelegt hat! Ja, dieses Zeugnis blieb nicht nur vergeblich, sondern es diente auch dazu, den wahren Charakter der Feindschaft der Welt gegen Gott vollends an den Tag zu bringen, indem sie Ihn, den Sohn Gottes, ans Kreuz schlug. 

Mit unwiderstehlicher Gewalt hat die Welt von jeher alles mit sich ins Verderben gezogen, was sich irgendwie mit ihr verband, sei es das irdische Volk Gottes oder die Kirche. Die Welt nähert sich niemals den Gläubigen, bequemt sich ihnen auch nicht an. Eine Verbindung ist nur dann möglich, wenn die Christen sich ihr nähern; aber dann müssen diese erfahren, dass die Welt stärker ist als sie. Wandeln sie dagegen mit dem Herrn, so wird zwar der Hass der Welt ihr Teil sein, wie dieser einst Christo in so reichem Maße zu teil wurde (Joh. 15, 18), aber sie werden auch erfahren, dass der Herr auf ihrer Seite ist; und Er hat gesagt: „In der Welt. habt ihr Drangsal; aber seid gutes Mutes, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16, 33)! Sie empfangen auf diesem Wege das Zeugnis Seines Wohlgefallens, genießen Seine Anerkennung und Seine Tröstungen, verbunden mit der Aussicht auf einen Ausgang ihres Weges, wie er herrlicher nicht gedacht werden könnte.

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Wandelt in Liebe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 163ff

Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Epheser 5, 1. 2).

„Der Herr richte eure Herzen zu der Liebe Gottes“, schrieb der Apostel einst an die Gläubigen zu Thessalonich; und was könnte ermunternder und gesegneter sein, als die Liebe Gottes zu kennen und zu betrachten! Indes ist es nicht genug, die Sprache der Liebe im Munde zu führen; unsere Herzen müssen auf diese Liebe gerichtet, von ihr erfüllt und durchdrungen sein. Dann wird diese Liebe nicht nur uns selbst erquicken, sondern sich auch fruchtbar in uns erweisen. Sie ist immer tätig, sie kann nicht ruhen.

Gott hat uns Seine wunderbare Liebe in Christo Jesu geoffenbart. Unsere Sünden sind gesühnt, wir sind Kinder Gottes geworden, Erben Gottes und Miterben Christi. Jesus selbst bezeugt, dass der Vater uns liebe, wie Er Ihn liebe. Wir sind das Werk Gottes, in welchem sich Seine Liebe in ihrer ganzen Fülle erweist und worin sie auch ihr Genüge findet. Und wie der Vater uns liebt, so liebt uns Christus, unser Herr. Er hat sich selbst für Seine Versammlung hingegeben. Wer könnte eine solche Liebe ergründen? Wir haben sie geglaubt und erkannt, aber sie übersteigt alle unsere Begriffe.

Die Liebe Gottes ist durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen. Sie hat uns nicht als Fremdlinge Gott gegenüber gelassen, so dass wir sie nur aus der Ferne bewundern könnten; nein, wir sind in Christo Gott so nahe gebracht, dass wir mit aller Zuversicht sagen können: Abba, lieber Vater! Wir sind so völlig in die Gemeinschaft dieser Liebe gebracht, sie hat uns so sicher geborgen und so unauflöslich mit sich vereinigt, dass wir mit dem Apostel ausrufen dürfen: „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Hungersnot, oder Blöße, oder Gefahr, oder Schwert?“ Ja, nichts wird uns „zu scheiden vermögen von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“ (Röm. 8, 35. 38. 39)! Ein doppeltes Band hält uns fest.

Aber noch einmal: so lange wir diese Liebe nur im Munde führen, so lange wir sie nicht in Tat und Wahrheit beweisen, stehen wir nicht in praktischer Gemeinschaft mit ihr; wir verwirklichen nicht, dass sie in unsere Herzen ausgegossen ist; wir sind nicht Nachahmer Gottes und wandeln nicht in Liebe. In dieser Beziehung findet viel Täuschung statt. Aber der Herr wolle uns Augensalbe geben und Herzen, welche aus die Mahnungen Seines Wortes und die Wirkungen Seines Heiligen Geistes achthaben! 

Das Wesen der Liebe bleibt sich immer gleich. Sie verändert sich nicht. Sie ist stets voll Erbarmen, Güte und Geduld. „Die Liebe ist langmütig, ist gütig; die Liebe neidet nicht; die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, sie gebärdet sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihrige, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles“ (1. Kor. 13, 4 — 7). Das ist der Charakter der Liebe, und sie wird sich immer in dieser Weise offenbaren. Sie lenkt unseren Blick stets auf das Wohl Anderer, gleichwie Christus nicht sich, sondern uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat. S. 165

In dem Bewusstsein, dass die Liebe Gottes in Christo Jesu unser Teil geworden ist, nahen wir stets mit Freimütigkeit zum Gnadenthron. Denn diese Liebe ist unwandelbar. Mögen unsere Gefühle auch veränderlich sein, das Herz Gottes bleibt immer dasselbe. In dieser Erkenntnis wandeln wir mit Zuversicht und Vertrauen durch diese Welt, wissend, dass wir jederzeit als geliebte Kinder Zugang zum Vater haben. Die vollkommene Liebe Gottes treibt alle Furcht aus und verbannt jede Sorge. Was wir sonst nirgendwo finden, das finden wir im Vaterherzen Gottes: Trost in Drangsal, Kraft in Schwachheit, Hilfe in der Not, Mitgefühl im Leiden, mit einem Worte alles, was wir in jeder Lebenslage bedürfen mögen. Hier begegnet das Herz einem liebenden Verstehen, einem gnädigen Eingehen auf alle Kümmernisse und Schwierigkeiten, ob klein oder groß; und voll Bewunderung und Erstaunen ruft es mit dem Apostel aus: „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Gottes Kinder heißen sollen!“

Die Liebe Gottes lenkt unsere Herzen von allem Sichtbaren ab und richtet unsere Blicke dahin, von woher uns diese Liebe entgegenstrahlt. In der Gemeinschaft mit ihr erfahren wir auch, dass sonst nirgendwo wahre Liebe zu finden ist. Der natürliche Mensch liebt nur sich, denkt nur an sich; und auch wir sind stets in Gefahr, den Neigungen unsrer alten Natur zu folgen. Aber vergessen wir nicht: In demselben Maße wie wir uns selbst oder die irdischen Dinge zum Gegenstande unsrer Liebe haben, sind unsere Herzen nicht auf die Liebe Gottes gerichtet, nicht von ihr durchdrungen. Darum: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1. Joh. 2, 15).

Die Liebe Gottes befreit uns auch von der hässlichen Eigenliebe und Selbstsucht und treibt uns an, uns selbst, mit allem was wir sind und haben, in den Dienst Anderer zu stellen. „Geliebte, wenn Gott uns also geliebt hat, so sind auch wir schuldig, einander zu lieben“ (1.Joh. 4, 11). Gott liebt alle Seine Kinder mit der gleichen Liebe, in Tat und Wahrheit. Wie könnten wir etwas anderes tun, wenn wir von Seiner Liebe durchdrungen sind? Es wäre ja völlig unnatürlich, wenn wir unsere Brüder nicht lieben wollten. Denn „jeder, der Den liebt, welcher geboren hat, liebt auch den, der aus Ihm geboren ist“ (1. Joh. 5, 1). 

Die Kinder Gottes find unausgesetzt Gegenstände der zärtlichsten Sorge und Pflege des Vaters. Er trägt das Schwache mit unermüdlicher Geduld; Er hilft dem Ermatteten wieder auf; Er tröstet und erquickt das Bedrängte; Er unterweist das Unwissende; Er leitet alle mit liebendem Herzen dem herrlichen Ziele zu. Dieselben Früchte will die Liebe Gottes auch in uns hervorbringen; und je mehr wir in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi wachsen und je treuer wir in der Absonderung von allem Bösen wandeln, desto mehr wird auch die Liebe in uns wirksam sein und ihre belebenden und erwärmenden Strahlen nach allen Seiten hin aussenden.

Und so wie der einzelne Gläubige nur dann wirklich gesegnet und zum Segen ist, wenn er sich von der Liebe Gottes tragen und durchdringen lässt, so kann· auch eine Gemeinschaft von Gläubigen nur dann fröhlich gedeihen und als ein Zeugnis für den Herrn dastehen, wenn alle Glieder von dieser Liebe erfüllt sind und durch sie getrieben werden. Eine schöne Rede über die Liebe zu halten, das genügt auch hier nicht. Je weniger Liebe in einer Versammlung wohnt, desto weniger Segen wird offenbar werden. Da wo die Liebe erkaltet, wird sich bald ein Geist lieblosen Richtens, eine selbstgefällige, gesetzliche Gesinnung kundgeben. Man sieht den Splitter in des Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmt man nicht wahr. Man verurteilt die Fehler des Bruders, aber man hilft ihm nicht im Geiste der Sanftmut auf. Man stellt Forderungen, aber man gibt nichts. Man ist ärgerlich und verdrießlich, wenn man nicht die Liebe erfährt, welche man erwarten zu dürfen meint; aber man denkt nicht daran, selbst Liebe zu erweisen.

Wo aber die Liebe Gottes in den Herzen wirksame ist, da zeigen sich die lieblichsten Früchte. Man nennt auch dann sicherlich nicht die Schwächen und Fehler des Bruders gut, aber man trägt diesen auf betendem Herzen und bringt jene vor Gott, wie die eigenen. Es offenbart sich alsdann der priesterliche Charakter des Gläubigen. Man lernt dann von Jesu, dem großen Hohenpriester der Seinigen, indem man täglich daran erinnert wird, wie man selbst Seinen Dienst als Hoherpriester und Sachwalter nötig hat. Das Gewissen ist im Licht, und man erfährt, wie einst Petrus, mit welch einer Geduld und Güte der Herr die Seele wiederherzustellen weiß.

Zwischen Ermahnen und Richten besteht ein großer Unterschied, für welchen aber nur die Liebe Augen hat. Der richtende Bruder weist mit schonungsloser Härte auf die Fehler des Anderen hin und straft ihn. Eine wahre Ermahnung in Christo ist aber immer mit Sanftmut und Geduld und mit viel Gebet verbunden. Man denkt nicht so sehr an die Aufdeckung der Fehler, als an die Wiederherstellung des Bruders. Die Liebe ist bemüht, die Sünde zuzudecken, d. h. sie vor Gott hinwegzutun, dass Sein heiliges Auge sie nicht mehr sieht. „Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“ (1. Petr. 4, 8). Ist wenig Liebe vorhanden, so bleibt das Böse, das geschehen ist, vor den Augen Gottes offen; ist aber die Liebe in Tätigkeit, so beschäftigt sie sich mit den vorhandenen Fehlern und Sünden, und derjenige, welcher das Böse getan hat, wird zum Bekenntnis desselben gebracht, zurückgeführt und wiederhergestellt; und so werden die Sünden vor den Augen Gottes hinweggenommen, sie werden bedeckt.

Möge der Herr uns Gnade geben, dass wir mehr von Ihm lernen, „der Sein Leben für uns gelassen“ und uns geliebt hat, die wir doch hassens- und verabscheuungswürdig waren! Es ist nichts Sonderliches, solche zu lieben, welche uns Liebe erzeigen; wir sind berufen, Allen eine inbrünstige Liebe entgegen zu bringen, ja wir sind schuldig, für unsere Brüder das Leben zu lassen. Möchten wir deshalb stets als solche wandeln, die sich unaussprechlich geliebt wissen, trotzdem sie nichts weniger als liebenswürdig waren, und uns gegenseitig anreizen zur Liebe und zu guten Werken! Möchten alle an uns sehen und erkennen, dass wir aus Gott geboren sind! „Gott ist Liebe, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren“.

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Elisa

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 169ff

Der tote Mann wird lebendig gemacht (Kap. 13, 20 - 25).

Dies ist der letzte Beweis der in unserm Propheten wirkenden Kraft Gottes. Und auch hier finden wir wiederum einen schwachen Widerschein von Jesu Christo, dem Sohne Gottes. Denn Sein Tod ist es, durch welchen wir leben. Den für uns dahingegebenen Leib Jesu zu berühren oder an Sein Blut zu glauben, heißt so viel als gerechtfertigt zu sein und das Leben zu haben.

Indessen wird Jesus uns hier nicht so sehr in dieser allgemeinen Beziehung, in welcher Er für alle Sünder da ist, vor Augen gestellt, sondern wir werden vielmehr an Ihn in Verbindung mit Israel erinnert, dessen Prophet Elisa war; zugleich stellte Elisa den irdischen Menschen dar, welcher seinen Lauf unter Entfaltung der ihm verliehenen Macht durch Israel hindurch und auf Erden verfolgte, nachdem Elia, der himmlische Mensch, an seinen Platz in der Höhe versetzt worden war. Denn so verhält es sich mit Jesu. Er wird derjenige sein, welchem Israel am Ende der Tage seine Rettung, sein Leben und die Aufrichtung seines Reiches zu verdanken haben wird, nachdem Seine Gnadenabsichten im Blick auf Seine himmlische Zeugin, die Kirche, erfüllt sein werden.

So sehen wir denn hier, wie unser Prophet als der Mann, der in Gnade und Macht zu Gunsten Israels wirksam gewesen war, seinen letzten Dienst verrichtete. Israel befand sich in jenem Augenblick angesichts seiner Feinde in einem Zustande der Verwirrung. Es hatte von den Moabitern Schweres zu erdulden. Das Einzige, was uns von Israel an dieser Stelle berichtet wird, das Einzige, was es tun konnte, war: seine Toten zu begraben. Das ist, wie wir wissen, der Dienst der Toten:“ Lasst die Toten ihre Toten begraben“. Damit wird in kurzer, aber treffender Weise der damalige Zustand des Volkes gekennzeichnet; Einer jedoch, und zwar ein bereits Gestorbener, trug Leben für sie in sich, ein Leben, an welches sie nimmermehr gedacht hätten. Auch dies wird hier in kurzer, aber schlagender Weise dargestellt. Ins dem Grabe des Propheten, der in bedeutungsvoller Weise einen Anderen vorbildete, war die Kraft der Wiederbelebung zu finden.

Gerade so ist es mit dem Gegenbilde, mit Jesu, dem Messias. und Jehova Seines Volkes Israel. In Ihm werden sich die Dinge erfüllen, die hier vorbildlich dargestellt sind, wenn es dereinst heißen wird: „Jehova wird Sein Volk richten, und Er wird sich’s gereuen lassen über Seine Knechte, wenn Er sehen wird, dass geschwunden die Kraft, und. der Gebundene und der Freie dahin ist. Und Er wird sagen: . . . „Sehet nun, dass ich, ich bin, der da ist, und kein Gott neben mir! Ich töte und ich mache lebendig, ich zerschlage „und ich heiIe“ (5. Mose 32, 36. 37. 39). Dann werden, wie wir durch Hesekiel hören, die verdorrten Gebeine wieder lebendig werden; der Herr wird die Gräber Seines Volkes auftun und es aus denselben herausführen

„Es wird geschehen zur Zeit des Abends, da wird es Licht sein“, so lesen wir in Sach.14,7. Und wiederum: »Er verwandelt den Todesschatten in Morgen“ (Siehe Amos 5, 8). Von der Wirksamkeit der heiligen und erhabenen Kräfte, von welchen in diesen Stellen die Rede ist, finden sich in der Geschichte unsers Propheten leise Spuren. Denn am Abend seiner Tage, als er im Sterben lag, sahen wir bei Gelegenheit des Besuches des Königs Joas ein Licht erstrahlen, welches dem der Mittagsstunde seines Lebens entsprach. Und jetzt, nachdem seine Sonne bereits untergegangen ist, leuchtet, sogar in der Nacht des Grabes, die volle Kraft des wiederkehrenden Morgens auf. Und in allem dem liegt ein geheimer Sinn verborgen. Der Boden, auf welchem wir bei der Betrachtung der Geschichte unsers Propheten dahinschreiten, ist sowohl geheimnisvoll wie heilig. Es geziemt uns daher, so leise wie möglich aufzutreten, mit unbeschuhten Füßen zu wandeln, aber doch zugleich mit glücklichen Gedanken an Jesum und Sein Tun erfüllt zu sein.

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Damit haben wir die Geschichte der „großen Dinge“, welche der Prophet Elisa getan hat, beendet. Es waren in der Tat große Dinge. Indes finden wir in den letzten Versen unsers Kapitels noch ein kurzes Nachwort, wenn ich es so nennen darf, zu denselben, eine Art von Anhang, welcher mir sehr bezeichnend und bedeutungsvoll erscheint. Ich meine den Bericht über die Zeiten des Joahas und Joas. (V. 22 — 25).

Wir hören hier, dass Hasael von Syrien die Israeliten alle Tage des Joahas drückte, aber dass Jehova sich ihnen gnädig erwies und sich Seinem Volke zuwandte, indem Er Seines Bandes mit Abraham, Isaak und Jakob gedachte. Und Er schenkte Joas drei Siege über den Sohn Hasaels, in Übereinstimmung mit dem Zeichen der Pfeile, mit welchen Joas nach dem Geheiß des Elisa auf die Erde geschlagen hatte; und Joas entriss ihm die Städte Israels wieder, welche sein Vater im Kriege an Hasael verloren hatte.

Hier wird des Gottes der Väter Israels und Seines Segensbundes, noch dazu in Verbindung mit den geheimnisvollen Pfeilen unsers Propheten, in bemerkenswerter Weise gedacht. Und dies ist, wie gesagt, sehr bezeichnend und bedeutungsvoll. Denn das Wirken Elisas war ein Wirken in Gnade und Macht Israel gegenüber gewesen, wodurch das Tun: des Messias zu Gunsten Seines Volkes vorbildlich dargestellt worden war. Und nun, nachdem unser Prophet jene Wirksamkeit völlig beendet hatte, nachdem er im Tode noch Leben gegeben, den Gefangenen aus der Grube entlassen und die Begrabenen aus ihren Gräbern hatte hervorgehen lassen, geschieht hier in einer kleinen Nachschrift des Gottes Abrahams und Seines Bandes Erwähnung, kraft dessen Israel, trotz allem was gegen sie war, bewahrt und gesegnet werden sollte.

Ist es nicht, wie wenn hier die Lehre aus der ganzen Geschichte Elisas gezogen würde? Finden wir hier nicht gleichsam den Schlüssel zu dem Geheimnis, die Auslegung des ausgestellten Gleichnisses? Hat nicht der Herr durch die ganze Geschichte Elisas dem Volke Israel für die letzte Zeit Hilfe, Kraft, Gnade und Neubelebung zusichern wollen? Nichts weniger als ein befreites und gesegnetes Israel, wie es vor alters war, tritt hier vor unsere Blicke. Die alten, längst vergangenen Zeiten, da Israel in Ägypten Barmherzigkeit widerfuhr, stehen hier aufs Neue vor uns. Denn als sie damals unter der Rate des Pharao wehklagten und wegen des harten Dienstes seufzten, gedachte Gott Seines Bandes mit Abraham, Isaak und Jakob, so wie Er es hier tut, und nahm auch, wie es hier der Fall ist, Kenntnis von ihnen (2. Mose 2, 23 — 25). Hasael mag dem Pharao gleichen, aber der Gott Abrahams ist noch immer der Gott Abrahams. und kann durch Elisa Befreiung und Segnung zusichern, wie Er sie einst durch Mose herbeigeführt hatte.

Seit langer, langer Zeit war der Name des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs nicht mehr in Verbindung mit den zehn aufrührerischen Stämmen genannt worden. Ja, nur die Lippen Elias, den ich einen Verwandten unsers Propheten nennen möchte, hatten davon gesprochen, dass Jehova Gott in Israel sei (Siehe 1. Kön. 18, 36). Aber jetzt, nachdem Elisa als der Zeuge Seiner Gnade und Macht in ihrer Mitte gewesen ist, kann wieder von dem Gott der Gnade, dem Gott ihrer Väter, gesagt werden, dass Er über ihnen und für sie sei.

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Wir haben somit das Wirken Elisas, dessen Name „Heil Gottes« bedeutet, bis zum Ende hin verfolgt. Wir begegneten darin wiederholt einem Abglanz der wunderbaren Macht und überströmenden Gnade, welche sich in Jesu finden -— einigen zwar schwachen, aber echten Spuren jener göttlichen Majestät und göttlichen Zartheit, die wir an dem Sohne Gottes bemerken, wenn Er in Macht oder in Güte handelte, und in welchen sich in den Tagen Seines Fleisches Seine Herrlichkeit offenbarte.

Alles was in Jesu ist, finden wir freilich nicht bei unserm Propheten. Wo wäre das auch wohl anzutreffen? In Seiner Stellung als ein leidender Zeuge der Welt gegenüber wird Jesus, wie bereits früher gesagt, mehr durch Elia vorgebildet. Aber in Seinem Wirken in Macht und Gnade erblicken wir Ihn in Elisa.

Elisa hatte, nachdem sein Meister von ihm gegangen war, keine Leiden zu erdulden. Es war anders mit ihm, als es mit seinem Meister gewesen war: kein königlicher Zorn trieb ihn in die Verbannung oder ließ ihn ermattet zu Boden sinken. Vielmehr machten Heeroberste vor seinem Tore Halt, und Könige sandten ihm Geschenke. Einem von ihnen enthüllt er seine Geheimnisse, einem anderen vereitelt er seine Absichten, einem dritten gibt er gewisse Bürgschaften des Sieges, und schließlich versorgt er ihre vereinigten Heere mit dem Nötigen. Wohin er sich auch wenden mag, überall lässt er Spuren zurück, die von der Größe dessen zeugen, der da gewandelt hat. Ein Berg voll hilfsbereiter Wagen steht dem Propheten zu Diensten. Hunger, Krankheit und Tod müssen vor ihm weichen. Wieder und wieder muss auf sein Geheiß die Natur ihren gewöhnlichen Lauf ändern. Er geht im Herrn von Kraft zu Kraft, und sogar seinem Leichnam entströmen noch wunderbare, überraschende, Kräfte.

Alle diese Dinge treten uns in den Wegen und dem Wirken Elisas entgegen· Und doch war er für seine Person während all dieser Zeit nichts auf der Welt. Umso mehr war er Jesu ähnlich. Was die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens betraf, so wurden ihm Gaben und Fürsorge seitens derselben Personen zuteil, welchen er Hilfsquellen eröffnete, die gänzlich außerhalb des Bereiches menschlicher Macht lagen.

 Wie ist er darin Dem so gleich geworden, welcher, wiewohl Er selbst „hungrig“ war, wiederholt Tausende mit wenigen Broten und Fischen speiste; der, wiewohl Er Quellen in die Täler entsendet und sie zwischen den Bergen dahinfließen lässt (Ps. 104, 10), wiewohl Er die Wasser mit Seiner hohlen Hand misst (Jes. 40, 12), doch ein Weib an einem Brunnen um einen Becher kalten Wassers bat, und der ein Eselsfüllen von seinem Eigentümer entlehnte, wiewohl das Vieh auf tausend Bergen Sein ist!

Es ist auffallend, dass der Herr in den finsteren Gegenden des Reiches Israel, in dem Gebiet der aufrührerischen Stämme, sich solche Propheten, wie Elisa und seinen Meister, erweckte. Sie waren in Wahrheit Lichter an dunkeln Örtern. Juda, welches noch das Heiligtum und das Priestertum besaß, wurde nie in dieser Weise vom Herrn besucht. Wohl zeigte sich zur Zeit da es mit diesem Reiche zu Ende ging, und noch nachdem seine Sonne untergegangen war, bei Männern, wie Jeremia, Hesekiel, Daniel und Anderen, eine reiche Fülle prophetischen Geistes. Und derselbe Geist hatte sich, wie wir bei Jesaja sehen, bereits früher wirksam erwiesen. Keiner dieser Männer aber übte eine derartige Tätigkeit aus, wie Elia oder Elisa, welche Wunder wirkten, Strafgerichte nicht nur ankündigten, sondern auch vollstreckten, Gnadenerweisungen nicht nur voraussagten, sondern auch zu teil werden ließen.

„Ein Prophet, mächtig im Werk und Wort«, so wird der Herr Jesus von einem Seiner Jünger genannt. Elia und Elisa waren Propheten, die mächtig im Werk waren; aber wir besitzen weder von dem einen noch von dem anderen ein Buch, wie wir es z. B. von Jesaja besitzen. Dagegen sehen wir in der Person Jesajas nicht die Größe, welche wir bei diesen Männern wahrnehmen; er nahm in der Geschichte seiner Zeit nicht die hervorragende Stellung ein wie jene; auch war er, wiewohl er ein Prophet des Herrn war, doch in der Weise ein Vorbild von Jesu. 

Durch Elia und Elisa wurde Jesus aber in den hervorstechendsten Zügen Seiner Geschichte vorgebildet. Sie erzählen uns von Ihm als dem leidenden Zeugen, dessen Laufbahn im Himmel endete; von Ihm als dem gnädigen, mächtigen, aber sich selbst vergessenden Freunde Israels, welcher durch ihre Städte und Dörfer zog, Lebens- und Heilungskräfte von sich ausströmen ließ und durch Seinen Tod ihnen die Bürgschaft gab, dass sie in den letzten Tagen neubelebt werden würden.

Das sind „die großen Dinge“, welche ein starkes und helles Licht über den ganzen Pfad unsers Propheten verbreiten; über einen Pfad, dessen einzelne Teile, wie wir gesehen haben, alle die Spuren einer Gnade tragen, die für Israel tätig war. Möchten unsere Herzen mit Freude erfüllt werden, wenn wir an das schließliche Glück jenes Volkes denken! Denn ist einmal das himmlische Volk in seine himmlische Heimat eingegangen, so wird die Erde wieder der Schauplatz der Macht und Gnade des Gottes Elisas, des Gottes Israels, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, werden.

 „Lobet Jehova von den Himmeln her -— lobet Jehova von der Erde her, so wird der Chorgesang lauten, der von allen Seiten voller Jubel immer wieder angestimmt werden wird. Denn in der Verwaltung der Fülle der Zeiten wird Gott alles unter ein Haupt zusammenbringen in dem Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist. Und »in dem Namen Jesu wird jedes Knie sich beugen, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekennen, dass Jesus Christus Herr ist zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“.

Glückselige Aussicht! Sind wir imstande, Geliebte, unser ganzes Sein und die uns anvertrauten Pfunde an dieselbe zu setzen? Jeremia verwandte im Vertrauen auf die Treue Gottes sein Geld für etwas, was er erwarten durfte, wiewohl es für die damalige Zeit weggeworfen zu sein schien; denn die Chaldäer standen vor den Toren, und die Felder von Anathoth waren bereits in ihren Händen. (Jer. 3).

Ein solcher Glaube ist gerade so kostbar, wie die Aussicht herrlich ist. Und die Hoffnung kann jetzt im Blick auf die letztere frohlocken, bis sie in Erfüllung gehen und „das lieblichere, herrlichere Lied“ ertönen wird.

Freu’ dich, du altes Israel!

Er sprengt, was dich gekettet. .

Er hats vollbracht;

Durch Seine Macht

bist du nun ganz errettet!

Freut euch, erlöste Völker!

der Feind ist nun gebunden,

der euch verführt; —-

der Herr regiert,

der siegreich überwunden.

Freu’ dich, glücksel’ge Kirche!

Du darfst nun bei Ihm weilen,

und alle Macht

und alle Pracht

will Er nun mit dir teilen.

Er tilgte deine Sünden,

hat dich zu sich erhoben,

und du kannst nun

nichts Schön’res tun,

Als ewig Ihn zu loben.

Unsere Betrachtungen begannen mit Elia, der nach einem Leben, in welchem er hier auf Erden unter Leiden Zeugnis ablegte, zum Himmel entrückt wurde, was uns an jene auserwählte Schar erinnert, die, nachdem sie mit Jesu in Seinen Versuchungen ausgeharrt hat, in den Tagen Seines Königreichs Seinen Thron mit Ihm teilen wird; und so erblicken wir ihn denn auch als den, der diese Schar darstellt, gemeinschaftlich mit Mose in Herrlichkeit auf dem von himmlischem Glanze erstrahlenden Berge (Matth. 17, 3). Und wir schließen unsere Betrachtungen mit Elisa, der, nach Ausübung eines Dienstes voll Macht und Gnade, Israel in seinem toten Zustande neues Leben darreichte und dem Samen des Volkes im Lande seines Erbteils wieder die ihm verheißenen Gnaden des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs zuführte. Damit ist in geheimnisvoller Weise die Geschichte des Himmels und der Erde erzählt, und das gewisse Erscheinen der verschiedenen Herrlichkeiten beider verbürgt. Und die kommenden Tage des tausendjährigen Reiches werden die Wahrheit dieser wunderbaren Geschichte dartun und diese kostbaren Bürgschaften einlösen.

„O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind Seine Gerichte und unausspürbar Seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Mitberater gewesen? Oder wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge; Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“

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Christliche Hingabe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 179ff

Wenn irgend Etwas in unseren Tagen von Wichtigkeit ist, so ist es die christliche Hingebung. Ich trenne dieselbe nicht von der christlichen Lehre, ich gründe sie vielmehr auf dieselbe. Auch trenne ich sie sicherlich nicht von der Gegenwart und Kraft des Heiligen Geistes (eine der wichtigsten Wahrheiten), denn sie wird durch dieselbe hervorgebracht. Allein ich glaube, dass christliche Hingebung gegründet auf die Wahrheit und hervorgebracht durch die Kraft des Heiligen Geistes — für die Heiligen selbst und für das Zeugnis Gottes von äußerster Wichtigkeit ist. Ohne Zweifel nimmt die Lehre heutzutage einen hervorragenden Platz ein: Klarheit betreffs der Erlösung; ein Friede, welcher durch göttliche Gerechtigkeit das Teil des Christen ist; die Gegenwart und lebendige Kraft des vom Himmel gesandten Sachwalters; die sichere und köstliche Hoffnung, dass Christus wiederkommen und uns zu sich nehmen wird, damit wir da seien, 

wo Er ist, ja dass wir Ihm gleich sein werden, da wir Ihn sehen werden wie Er ist; die Gewissheit, dass wir, wenn wir sterben, zu Jesu gehen; das Bewusstsein, dass wir, auferweckt mit Christo, nicht nur durch Ihn, sondern auch mit Ihm gesegnet sein werden; das tiefe, praktische Einssein mit Ihm auf Grund der Tatsache, dass wir durch den Heiligen Geist mit Ihm verbunden sind —- alle diese Dinge und viele andere hier-mit in Verbindung stehende Wahrheiten trennen uns, wenn sie anders in der Kraft des Heiligen Geistes von uns erfasst werden, von der Welt, schützen die Seele durch den bewussten Besitz eines verherrlichten Christus vor den Spitzfindigkeiten des modernen Unglaubens, und verleihen der Freude und Hoffnung des ganzen christlichen Lebens eine lebendige Frische. Doch die im Herzen empfundene Kraft dieser Wahrheiten wird sich nach außen hin in Hingebung offenbaren.

Das Christentum hat auf die Welt einen mächtigen Einfluss ausgeübt, nicht nur da wo es dem Bekenntnis nach angenommen worden ist, sondern auch da wo es offen verworfen wird. Sorge für die Armen, sowie die Stillung der zeitlichen Bedürfnisse Anderer sind anerkannte Pflichten der menschlichen Gesellschaft geworden. Wo man die Wahrheit nicht kennt und das Christentum in Verfall geraten ist, dient eine eifrige Hingebung an diese Werke der Nächstenliebe, fußend auf dem falschen Boden des eigenen Verdienstes, nur dazu, jenen Verfall zu fördern; und selbst da wo der Unglaube herrscht, hält man an den durch das Christentum hervorgebrachten Gewohnheiten fest und macht die Menschheit zum Gegenstand tätiger, wenn auch vielfach verkehrter Fürsorge. 

Nun sollte sicherlich in dem Zeugnis des wahren Christen da kein Mangel gefunden werden, wo ein falsches System die guten Wirkungen der Wahrheit nachgeahmt hat. Allein es gibt höhere Beweggründe als die eben genannten, und über diese, sowie über den wahren Charakter der Hingebung des Gläubigen möchte ich einige Worte sagen. Als allgemeine Regel halte ich es für richtig, dass Christen in dem Berufe bleiben, in welchem sie errettet werden, es sei denn dass Gott sie in besonderer Weise zu etwas anderem berufen sollte. Der irdische Beruf ist ja nur der äußere Bereich ihres Zeugnisses für Gott, die Stätte, auf welcher sie sich bewegen. Der Charakter und die Grundsätze ihres Wandels, die Beweggründe, welche sie leiten sollen, sind höheren Ursprungs, und lassen sich in ein Wort zusammenfassen, nämlich: Christus. Er ist gleichzeitig das Leben, und der Gegenstand oder der Beweggrund dieses Lebens in uns und verleiht so unserm Wandel seinen Charakter. „Das Leben“, sagt der Apostel, „ist für mich Christus“

Das Leben aus Gott besteht aus zwei großen Teilen. Der eine derselben ist gleichsam Gott selbst, die Gemeinschaft mit Ihm; der andere ist die Hingabe an Ihn, d. h. die Entfaltung und Tätigkeit Seiner Natur, welche Liebe ist. Beide Teile sind unendliche und unaussprechliche Vorrechte für uns, und wir sehen sie beide in Christo vollkommen geoffenbart und dargestellt. Seine Gemeinschaft mit dem Vater war ebenso vollkommen, wie Sein Begehren, Ihn zu verherrlichen. Das Leben hienieden war für Ihn ein Leben „des Vaters wegen“ (Joh. 6, 57). Zugleich aber· entfaltete sich in Seiner Person die göttliche Liebe zu den Menschen, mochte es Ihn kosten, was es wollte. Diese beiden Dinge waren in Seiner Seele unzertrennlich miteinander verbunden. Er fand Seine beständige Wonne, Seinen alles beherrschenden Gegenstand in dem Vater, und Er übte allezeit Liebe und offenbarte dadurch den Vater, die göttliche Natur, in vollkommener Weise. Und dies war Seine Hingebung.

Zu den Grundsätzen, welche Seinen Wandel beherrschten, gehörte außerdem noch der ungeteilte Gehorsam gegen den Willen des Vaters. Dieser Wille bildete stets den Beweggrund Seines Handelns. Ja, die Liebe zum Vater und der Gehorsam gegen Ihn verliehen Seiner Liebe zu uns Form und Charakter. Gerade so ist es mit uns, nur dass Jesus selbst mehr der unmittelbare Gegenstand für uns geworden ist; aber dies hindert in keiner Weise die Entfaltung der göttlichen Natur in Liebe. „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph. 5, 1. 2). 

Beachten wir wohl, in welch einer Fülle uns hier Beweggrund und Charakter der Hingebung gezeigt werden, und wie hoch und gesegnet dieser Beweggrund und dieser Charakter sind! Wir sind Nachfolger und Nachahmer Gottes. Wir werden aufgefordert, in Liebe zu wandeln, gleichwie der Christus uns geliebt hat. Es handelt sich also um die Ausübung göttlicher Liebe, wie sie sich in Christo entfaltet hat. In der Entfaltung dieser Liebe gibt es keinen Rückhalt: Er gab sich selbst (nichts weniger als das) ganz und gar dahin. Diese Wahrheit wird im Blick aus Christum und Seine Liebe zu uns in der Schrift oft wiederholt; denn Er gab sich selbst für uns dahin. Indes beruhte die Vollkommenheit Seiner Liebe darin, dass Gott der Gegenstand und Beweggrund derselben war, wie wir lesen: „als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“. Also zu wandeln, sind auch wir berufen; wir sollen Nachahmer Gottes sein, Ihm nachahmen, so wie Er sich in Christo geoffenbart hat.

Es ist gesegnet, sich in Gott, welcher Liebe ist, zu erfreuen; aber es ist nicht weniger köstlich, Ihm in der Ausübung dieser Liebe nachzufolgen. Als in Christo, dem vollkommenen Menschen, entfaltet, hatte diese Liebe Gott selbst zum Gegenstande. Bei uns ist es nicht anders. Die Liebe, welche von Gott herabkommt und in dem Menschen wirkt, steigt stets wieder zu Gott, als zu ihrem richtigen und notwendigen Gegenstande, empor· 

Aller Weihrauch des Speisopfers wurde aus dem Altar verbrannt, wie süß auch der Duft für Andere sein mochte. Und darin besteht eben im Wesentlichen der Charakter dieser Liebe und ihre Vortrefflichkeit. Auch wirkt sie in uns dasselbe, was sie einst in Christo wirkte: „Hierin haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns Sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen“ (1. Joh. 3, 16). Selbstverständlich handelt es sich für uns nicht darum, in irgend einer Weise den Kelch des Zornes Gottes zu trinken; darin stand Christus völlig allein. Aber all die Selbstaufopferung, all die selbstverleugnende, dienende Liebe, welche Er auf Seinem Pfade offenbarte, sind auch wir berufen zu offenbaren, da wir Sein Leben, ja Ihn selbst in uns haben.

Und wir sollen dies tun, ohne irgendwie an eine Belohnung oder an ein Verdienst unserseits zu denken. Jeder Gedanke, die in Aussicht gestellte Belohnung zum Beweggrund unsrer Hingabe zu machen, ist ganz und gar verwerflich. Man zerstört damit die ganze Wahrheit der Hingebung; denn das Trachten nach einer Belohnung ist nicht Liebe, sondern Selbstsucht. Man macht es dann wie Jakobus und Johannes, die nach einem guten Platz im Reiche trachteten. 

Die Schrift redet allerdings von Belohnung, aber nur um uns in den Schwierigkeiten und Gefahren zu ermuntern, in welche uns höhere und bessere Beweggründe gebracht haben. Christus selbst „erduldete, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz“. Allein wir wissen sehr wohl, dass nicht die Belohnung, sondern die Liebe Ihn trieb. So war es auch mit Moses: „Er hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren . . . . denn er schaute auf die Belohnung“. Der Gedanke an die Belohnung ermunterte ihn und ließ ihn ausharren; aber sein Beweggrund, das was ihn trieb, war die Sorge für seine Brüder. In dieser Weise führt die Schrift die Belohnung stets an, und sie ist so eine große Gnade. Und vergessen wir nicht, dass ein jeder seinen Lohn empfangen wird nach seiner eigenen Arbeit.

Die Quelle und Triebfeder aller wahren Hingebung ist also die göttliche Liebe, welche unsere Herzen erfüllt und in ihnen wirkt; wie Paulus sagt: „Die Liebe des Christus drängt uns“. Unsere Liebe muss sich nach dem bilden und gestalten, was Christus einst getan, wie Er gehandelt hat. Deshalb muss ich zuerst für mich selbst erfahren haben, was Gnade ist; denn nur so kann ich wissen, was Liebe ist. Auf diesem Wege wird die Liebe in das Herz ausgegossen. Wir lernen die göttliche Liebe in der göttlichen Erlösung kennen. Diese Erlösung stellt uns und das ist beachtenswert zugleich in göttlicher Gerechtigkeit vor Gott hin. Somit ist jede Frage des Verdienstes und der eigenen Gerechtigkeit, sowie jedes selbstsüchtige Streben in unserm Wirken ausgeschlossen. „Die Gnade“, haben wir gelernt, „herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Christum“ 

Die unendliche, vollkommene Liebe Gottes zu uns hat gewirkt, und sie hat es getan, als wir noch Sünder und nichts als Sünder waren; sie hat an unsere Hilflosigkeit gedacht, sie hat uns ewiges Leben in Christo gegeben, als wir tot in Sünden waren; sie hat uns Vergebung und göttliche Gerechtigkeit geschenkt, als wir schuldig waren; sie lässt uns jetzt göttliche Liebe genießen, so dass wir uns Gottes selbst freuen können durch Seinen in uns wohnenden Geist; sie gibt uns Freimütigkeit am Tage des Gerichts, weil wir schon jetzt, in dieser Welt, sind wie Christus, der Richter, ist. Ich rede von allen diesen Dingen hier nur im Blick auf die Liebe, welche sich darin geoffenbart hat. 

Sicherlich könnte von dem allen keine Rede sein, wenn es nicht auf Gerechtigkeit gegründet wäre; und das ist in Christo in der glorreichsten Weise geschehen, so dass das Herz jetzt frei ist, die ungehindert ausströmende Liebe Gottes zu genießen — eine Liebe, welche den Menschen in dem Menschen Christus Jesus kundgemacht worden ist. Denn selbst die Engel lernen „den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns in Christo Jesu kennen. Dies kettet unser Herz an Christum, indem es uns durch Ihn zu Gott, und Gott in Ihm zu uns bringt. Wir können sagen: Nichts trennt uns von dieser Liebe.

Die erste Folge hiervon ist, dass das Herz nach oben geleitet und dadurch geheiligt (für Gott abgesondert) wird; wir preisen Gott, wir beten Ihn an, den wir also kennen gelernt haben; der Gegenstand unsrer Freude, unsrer anbetenden Wonne ist Jesus.

Indem wir auf diese Weise Gott nahe gebracht und in Seine Gemeinschaft eingeführt sind, indem der Heilige Geist uns mit Christo vereinigt, ja in bewusster Weise mit Ihm vereinigt hat, strömt die göttliche Liebe in unsere Herzen und durch dieselben. Wir genießen sie, und indem wir sie genießen, beseelt und drängt sie uns. „Gott bleibt in uns“, wie Johannes es ausdrückt; und Paulus sagt: „Seine Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen“. Die Liebe strömt hervor, wie sie einst aus Christo hervorströmte. Ihre Gegenstände und Beweggründe sind dieselben wie bei Ihm, nur mit dem Unterschiede, dass Er selbst erschienen ist als die Offenbarung dieser Liebe. Es ist die Liebe Gottes in Christo Jesu, unserm Herrn“. 

Es ist deshalb nicht weniger die Liebe Gottes, nicht weniger Gott selbst; aber es ist Gott, geoffenbart in Christo Jesu, denn da haben wir gelernt, was Liebe ist. So nimmt also Christus bei jeder wahren Hingebung den ersten, den vorherrschenden Platz ein; nächst Ihm „die Seinigen, welche in der Welt sind“, und schließlich unsere Mitmenschen: d. h. zunächst ihre Seelen und dann ihre leiblichen und zeitlichen Bedürfnisse. Christi Leb en des Wohltuns an den Menschenkindern beherrscht das unsrige, aber Sein Tod beherrscht das Herz. „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns Sein Leben dargelegt hat.“ „Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass Einer für alle gestorben ist, und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden.“

Doch vergessen wir nicht, dass, da auf Grund der Erlösung und der göttlichen Gerechtigkeit die Gnade herrscht und die Liebe geoffenbart ist, jeder Gedanke an Verdienst und eigene Gerechtigkeit völlig ausgeschlossen ist. Es ist ein neues Leben in uns, welches sich Gottes erfreut und welchem Seine Liebe kostbar ist. Der neue Mensch allein Gottes gesegnetem Wesen sich zu erfreuen, und in ihm allein wirkt die göttliche Liebe gegen Andere. Dies ist nicht der Wohltätigkeitssinn der Natur, sondern die Tätigkeit der

göttlichen Liebe in dem neuen Menschen. Die Echtheit dieser Hingebung erprobt sich, indem Christus notwendigerweise den ersten Platz im Herzen einnimmt, und sie offenbart sich in der Schätzung von Gut und Böse, welche nur die neue Natur besitzt, und deren Maßstab Christus ist. „Nicht wie wir gehofft hatten“, (es war mehr, als er gehofft hatte,) sagt Paulus, wenn er von tätiger Liebe spricht, „sondern sie gaben sich selbst zuerst dem Herrn und uns durch den Willen Gottes.“

Doch die Hingebung ist nicht nur die Tätigkeit der neuen Natur. Unsere Leiber sind die Tempel des Heiligen Geistes, und die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist; und wie das Wasser, welches der Sohn Gottes uns gegeben hat, in uns gleich einer Quelle ist, die in das ewige Leben quillt, so fließen auch von uns durch den Heiligen Geist Ströme lebendigen Wassers aus. So ist denn alle wahre Hingebung die Wirkung der göttlichen Liebe in den Erlösten, und zwar in der Kraft des ihnen gegebenen Heiligen Geistes.“

Man mag einen Eifer entfalten, der Land und Meer umfasst; aber man tut es nur im Interesse einer Sondermeinung oder gar im Dienste Satans. Man mag eine natürliche Wohltätigkeit üben und dies in einen hübscher klingenden Namen kleiden, und doch ungehalten sein, wenn dieselbe nicht anerkannt und um ihrer selbst willen geschätzt wird. Man mag aus Pflichtgefühl ein gesetzliche Tätigkeit entwickeln, welche durch die Gnade zu etwas Besserem führen kann, wenngleich das Gewissen und nicht die Liebe dazu drängt. Gewiss zerstört die Wirksamkeit der Liebe nicht das Gefühl der Verpflichtung in dem Gläubigen, aber sie verändert den ganzen Charakter seiner Arbeit. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ In Gott wirkt die Liebe in unumschränkter Weise; in dem Heiligen wirkt sie in dem Bewusstsein seiner Verpflichtung, wegen der ihm zu teil gewordenen Gnade. 

Die Hingebung muss indes freiwillig sein, um den göttlichen Stempel zu tragen — um Liebe zu sein. Dennoch schulden wir alles, ja mehr als alles, Dem, der uns geliebt hat. Der in uns wohnende Geist Gottes ist ein Geist der Kindschaft, und deshalb der Freiheit vor Gott; aber Er richtet das Herz mit Macht zu der Liebe Gottes. Jedes richtige Gefühl in dem Geschöpf muss einen Gegenstand haben; und soll das Gefühl richtig sein, so muss Gott diesen Gegenstand ausmachen, und zwar Gott, als Vater in Christo geoffenbart; denn in dieser Weise gehört unsere Seele Ihm.

Deshalb sagt Paulus, wenn er von sich selbst spricht: „Ich bin mit Christo gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal. 2, 20). Sein Leben war ein göttliches Leben. Christus lebte in ihm; aber es war ein Leben des Glaubens, d. h. ein Leben, welches gänzlich von einem Gegenstande abhängig war, und dieser Gegenstand war Christus, gekannt als der Sohn Gottes, der den Apostel liebte und sich selbst für ihn hingegeben hatte. Hierin besteht praktisch der Zweck und der Charakter der Hingebung: für Christum zu leben. Wir leben durch Christum und Seinetwegen (Joh. 6, 57). Alles außer Ihm ist der Bereich des Todes.

 Er ist der Gegenstand und die Ursache unsers Lebens, und das Bewusstsein, dass Er sich selbst für uns hingegeben hat, beherrscht uns mit Macht. Wir haben in diesem Sinne schon die Stelle angeführt: „Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass Einer für alle gestorben ist, und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“ Sie leben Christo und für Christum, für nichts anderes. Das ist der Beweggrund und das Ziel ihres Lebens, mag es sie auch zu den verschiedensten Tätigkeiten anspornen. „Wir sind nicht unser selbst, sondern sind um einen Preis erkauft“, und wir haben „Gott zu verherrlichen in unserm Leibe“.

Es handelt sich hier nicht um ein Gesetz, welches einen selbstsüchtigen Willen einzuschränken oder zu brechen hat, sondern um das glückliche, dankbare Bewusstsein, dass wir uns selbst, unser ganzes Sein, der Liebe des hochgelobten Sohnes Gottes schulden; es handelt sich um ein Herz, welches auf diese Liebe und ihren Gegenstand eingeht in einem Leben aus Christo und in der Kraft des Heiligen Geistes. Deshalb ist es ein Gesetz der Freiheit, das uns leitet. Unser Dienst kann deshalb auch nur Dingen gewidmet sein, aus welche die neue Natur und der Heilige Geist unser Herz richten; wir vollführen diesen Dienst freiwillig und mit Freuden. Das Fleisch mag uns dabei zu hindern versuchen, aber der neue Mensch und der Heilige Geist verfolgen nicht die Ziele des Fleisches. 

Das Herz bewegt sich in den Bereichen, in welchen Christus sich bewegt: es liebt die Brüder, weil Christus sie. liebt; es umfasst alle Heiligen, weil sie Christo teuer sind; es sucht alle, für die Christus starb, doch in dem Bewusstsein, dass die Gnade allein imstande ist, irgend welche herbeizubringen; es „erduldet alles um der Auserwählten willen, auf dass auch sie die Seligkeit erlangen mit ewiger Herrlichkeit; es trachtet darnach, „jeden Menschen vollkommen darzustellen in Christo Jesu“; es möchte die Heiligen heranwachsen sehen in allen Dingen zu Ihm hin, der das Haupt ist, und Seiner würdig wandelnd; es möchte die Kirche Christo dargestellt sehen als eine keusche Jungfrau; es fährt fort zu lieben, wenn es auch, je mehr es liebt, desto weniger geliebt wird; es ist bereit, Trübsal zu leiden als ein guter Kriegsmann Jesu Christi.

Die Beweggründe, welche uns leiten, drücken unserm ganzen Leben ihren Stempel auf; alles· wird nach denselben beurteilt. Der Vergnügungssüchtige wirft Geld weg, nur um sich Vergnügen zu verschaffen; der Ehrgeizige opfert alles der Befriedigung seines Ehrgeizes. Beide schätzen und beurteilen die Dinge nur darnach, wieviel Vergnügen oder wieviel Macht sie ihnen einbringen. Der Geizige findet das närrisch; er beurteilt alles darnach, inwieweit es dazu dient, seinen Reichtum zu mehren. Der Christ beurteilt alles nach Christo; wenn irgend etwas Christi Verherrlichung in ihm oder in einem Anderen hindert, so wirft er es weg, und zwar nicht als ein Opfer, sondern als ein Hindernis. Alles ist Dreck und Kot wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, unsers Herrn. Dreck wegwerfen ist kein Opfer. Wie gänzlich ist hier das „Ich“ verschwunden! „Gewinn für mich“ suche ich nicht mehr. Welch eine Befreiung! Wie kostbar ist sie für uns selbst und wie erhebt sie uns über alles! Christus gab sich selbst, und wir haben das Vorrecht, uns selbst zu vergessen und Ihm zu leben.

Jeder Dienst, den wir durch die Gnade darbringen können, wird seine Belohnung finden; aber daran denkt die Liebe nicht, sondern es ist ihre Freude, in Liebe zu dienen. Das Ich lässt sich gern bedienen;" aber die Liebe findet ihre Wonne daran, zu dienen. So war es bei Christo, als Er hienieden wandelte; und wenn wir bei Ihm in der Herrlichkeit sein werden, wird Er „sich umgürten und uns bedienen“. Sollten wir nun nicht, da uns dieses Vorrecht geschenkt ist, Ihm nacheifern? Sollten wir nicht begehren zu dienen, und uns selbst Ihm hingeben, der uns also liebt? Innerlich Gott zu ·leben ist das einzige Mittel, um auch nach außen hin Ihm zu leben. Alle äußere Tätigkeit, welche nicht durch den verborgenen Umgang mit Gott geleitet und beherrscht wird, ist fleischlich und selbst gefahrvoll für die Seele; sie führt uns dazu, ohne Christum voranzugehen und bringt das Ich auf den Plan. Das ist aber keine Hingebung; der hingebende Christ gibt sich Christo hin, indem er sich darnach sehnt, bei Ihm zu· sein. Viel Tätigkeit ohne viel Gemeinschaft mit dem Herrn ist ein gefährliches Ding. Ist aber andrerseits das Herz mit Ihm erfüllt, so wird es auch Ihm leben.

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Das Kreuz

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 192ff

Das Kreuz unsers Herrn Jesu Christi kann von zwei Haupt-Gesichtspunkten aus betrachtet werden, nämlich als die Grundlage unsers Heils, unsers Friedens und unsrer-Beziehungen zu Gott, und dann als die Grundlage unsrer Jüngerschaft, unsers Zeugnisses und unsers Verhaltens der Welt gegenüber. Wenn ich als ein überführter Sünder zum Kreuze aufschaue, so erblicke ich in ihm das ewige, unerschütterliche Fundament meines Friedens. Ich sehe die ,,Sünde« verurteilt und gerichtet, und ich sehe meine Sünden getragen und hinweggetan. Ich sehe, dass Gott in Tat und Wahrheit für mich ist, und zwar für mich in dem elenden Zustande, in welchem ich mich im Lichte Gottes erblicke. 

Das Kreuz offenbart Gott als den Freund des bußfertigen Sünders. Es offenbart Ihn als Den, welcher gerecht ist, wenn Er den gottlosesten Menschen rechtfertigt, sobald dieser wirklich zu Jesu kommt und an Ihn glaubt. Die Schöpfung Gottes, die Vorsehung Gottes, das Gesetz Gottes — nichts hat Gott so offenbaren können wie das Kreuz. Ich mag göttliche Macht, Majestät, Weisheit und Heiligkeit in der Schöpfung erblicken — aber was würde aus mir werden, wenn sich alle jene wunderbaren Eigenschaften Gottes gegen mich wenden würden? und an und für sich betrachtet müssen sie gegen mich sein, weil ich ein Sünder bin. Macht, Majestät, Weisheit und Heiligkeit könnten meine Sünden nicht hinwegtun, noch Gott rechtfertigen in meiner Annahme.

Doch der Gott aller Gnade sei ewig gepriesen! Das Kreuz Christi gibt allem ein anderes Aussehen. Ich sehe Gott dort mit der Sünde beschäftigt in einer Weise, welche Ihn vor den Augen des ganzen Weltalls unendlich verherrlicht. Ich erblicke am Kreuze alle göttlichen Eigenschaften aufs Herrlichste entfaltet und miteinander in Einklang gebracht. Ich sehe Liebe, und zwar eine Liebe, welche mein Herz völlig überwältigt und doch zugleich still und getrost macht. Ich sehe Weisheit, und zwar eine Weisheit, welche Engel in Erstaunen setzt, Teufel in Verwirrung bringt und die ganze Weisheit der Welt in das Gegenteil verkehrt. 

Ich sehe Macht, und zwar eine Macht, die allen Widerstand zu Boden schmettert und jeden feindlichen Einfluss hinwegfegt — die gewaltige Macht Gottes, wirkend zum Heil des Verlorenen. Ich sehe Heiligkeit, und zwar eine Heiligkeit, die sich mit nichts Geringerem zufrieden erklären kann als mit der ewigen Verbannung der Sünde aus der weiten Schöpfung Gottes. Ich sehe Gnade, und zwar eine Gnade, welche den glaubenden Sünder in die unmittelbare Gegenwart Gottes versetzt, ins Allerheiligste ohne irgend einen Makel oder Sündenflecken; ja, eine Gnade, welche ihm einen Platz im Vaterhause, am Herzen Gottes selbst gibt.

Wo könnte ich alle diese Dinge sehen als nur am Kreuze? Dort sind Gott und die Sünde einander begegnet. Welch eine Begegnung! Dort wurde Christus, das fleckenlose, kostbare Lamm Gottes, der eingeborene und geliebte Sohn Gottes, der einzig heilige Mensch, welcher je diese sündige Erde betreten hat, zur Sünde gemacht; dort handelte Gott mit Ihm als unserem Stellvertreter und ließ alle die Wogen und Wellen Seines gerechten Zornes über Sein Haupt ergehen. Dort wurde die Sünde gerichtet, Satan besiegt, Gottes Majestät, Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit in glorreicher Weise behauptet und die unvergängliche Grundlage für die Vergebung unsrer Sünden sowohl, „als auch“ für unser ewiges Glück im Hause unsers himmlischen Vaters, gelegt.

Wie kostbar ist also das Kreuz als die Grundlage des Friedens des Gläubigen, die Grundlage seiner Anbetung und seines Verhältnisses zu Gott! Ja, wie kostbar ist es für· Gott selbst, da es einen Boden geschaffen hat, auf welchem Er gerechter Weise Seine göttliche Vollkommenheit und Seine Gnadenwege mit dem Sünder entfalten konntet. Darum bildete das Kreuz auch von jeher den ersten Gegenstand in den Gedanken und im Herzen Gottes.

Allein es gibt, wie gesagt, noch einen anderen Gesichtspunkt, von welchem ans das Kreuz betrachtet werden kann, und derselbe fordert unsere eingehende Betrachtung. Wir dürfen nie vergessen, dass dasselbe Kreuz, welches mich mit Gott verbindet, mich von der Welt getrennt hat. Ein Gestorbener hat offenbar mit dieser Welt abgeschlossen, er hat nichts mehr mit ihr zu tun; und deshalb hat auch der Gläubige, als gestorben mit Christo, mit der Welt abgeschlossen und hat, sowohl dein Geiste als auch dem Grundsatze nach, nichts mehr mit ihr zu tun, obwohl er sich selbstverständlich noch in ihr befindet. 

Er ist mit Christo gestorben, mit Ihm auferweckt, und steht nun in der Kraft eines neuen Lebens, einer neuen Natur, mit Gott in Verbindung. Indem er auf diesem Wege unzertrennlich mit Christo verbunden worden ist, hat er notwendig teil sowohl an Christi Annahme bei Gott als auch an Seiner Verwerfung seitens der Welt. Die erstere macht ihn zu einem Anbeter und Himmelsbürger, die letztere zu einem Zeugen und Fremdling hienieden. Jene bringt ihn innerhalb des Vorhangs ins Allerheiligste, diese führt ihn außerhalb des Lagers.

 Beide gehen miteinander, und beide sollten deshalb ihren geziemenden Einfluss auf unsern Charakter und unser Verhalten ausüben. Wenn das Kreuz zwischen mich und meine Sünden getreten ist, so ist es ebenso wirklich zwischen mich und die Welt getreten. Wenn es -meine ganze Schuld für immer bezahlt und die schwere Last von meinem Gewissen genommen hat, so hat es auch jedes Band zerschnitten, welches mich mit dem gegenwärtigen Zeitlauf verband. Wenn es mich auf den Boden des vollkommenen Friedens mit Gott versetzt hat, so hat es mich .auch auf den Platz des Kampfes mit Satan und der Welt gestellt.

Möchten wir alle ein klares und richtiges Verständnis. über diese beiden Seiten des Kreuzes haben! Fehlt dieses Verständnis nach der einen oder anderen Seite hin, so wird sich unfehlbar ein entsprechender Mangel in unserm christlichen Charakter oder» Wandel zeigen. Hüten wir uns ernstlich davor, nur die eine, liebliche Seite des Kreuzes genießen zu wollen! Wünschen wir, die Stimme Christi innerhalb des Vorhangs zu vernehmen, so lasst unser Ohr auch offen sein für Seine Stimme außerhalb des Lagers! Erfreuen wir uns der herrlichen Versöhnung, welche das Kreuz für uns bewirkt hat, so lasst uns auch die Verwerfung seitens der Welt auf uns nehmen, welche das Kreuz notwendig mit sich bringt!

„Von mir aber sei es ferne“, schreibt der Apostel an die Galater, „mich zu rühmen, als nur des Kreuzes“ unsers Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt!“ Paulus betrachtete die Welt als eine für ihn gekreuzigte Sache; und die Welt hatte ihrerseits, indem sie Christum kreuzigte, alle gekreuzigt, die Ihm angehören. So gibt es denn gleichsam eine doppelte Kreuzigung hinsichtlich des Gläubiger: und der Welt. Ach! wenn dies doch mehr von den Gläubigen unserer Tage verstanden würde! Wahrlich, alle würden erkennen, dass es eine völlige Unmöglichkeit ist, Christ und Welt miteinander zu vermengen.

Mein lieber christlicher Leser! Lass uns diese Dinge unter ernstem Gebet erwägen! Lass uns— suchen, diese beiden Seiten des Kreuzes unsers Herrn Jesu Christi besser zu verstehen und zu verwirklichen, damit wir als entschiedenere Zeugen für Gott dastehen und mit ungeteilterem Herzen an Christo hangen möchten, getrennt von der Welt und auf den seligen Augenblick wartend, wo wir Ihn sehen werden wie Er ist! Gott schenke es uns um Jesu Christi willen!

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Bleibet in mir

Bibelstelle: Johannes 15,4

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 196ff

Pilger! Willst du glücklich sein?

Bleib` in Jesu! – Er allein

Ist des Herzens wahre Freude,

Kraft in Drangsal, Trost im Leide.

Pilger! Willst du heilig sein?

Bleib in Jesu! – Er allein

kann und will im Kampf dich stützen,

vor dem Bösen dich beschützen.

Pilger! Willst du fruchtbar sein?

Bleib` in Jesu! – Er allein

kann die Frucht zur Reife bringen,

außer Ihm wird`s nie gelingen.

Möge drum dein Wahlspruch sein:

Bleib` in Jesu! – Er allein

Kann ja Kraft und Gnade geben,

in Ihm und für Ihn zu leben!

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Christliche Hingabe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 197ff

Auf welchem Gebiet der Christ seine Hingebung an Christum auch ausüben mag, die äußere Form seiner Tätigkeit wird geregelt und beherrscht werden durch den Willen Gottes und durch seine Befähigung zum Dienst; denn Hingebung ist ein demütiges, heiliges Ding: das Tun des Willens des Meisters. Indes sollte der Geist eines ungeteilten Dienstes für Christum bei jedem wahren Christen gefunden werden. 

Bedürfen wir dazu Weisheit? Gott gibt sie gern; Christus ist unsere Weisheit. Bedürfen wir Kraft? Wir empfangen sie im Gefühl unserer Abhängigkeit von Ihm, der uns kräftigt. Der Geist der Hingebung offenbart sich sowohl in Abhängigkeit als auch in Demut. So war es bei Christo. Der hingebende Knecht wartet auf seinen Herrn; er offenbart Mut und Vertrauen auf dem Pfade des Gehorsams gegen den Willen Gottes, denn er stützt sich auf göttliche Kraft in Christo, — auf Ihn, der alle Dinge vermag. Daher ist er geduldig und tut, was er nach Seinem Willen und Wort zu tun findet. Auf diese Weise kann Christus wirken; alles ist dann Sein Werk, und das ist gut.

Wir haben jedoch noch eine andere Seite der Sache zu betrachten. Der ungeteilte Dienst der Liebe ist an sich nur Freude und Segen. Allein wir leben in einer Welt, wo dieser Dienst Widerstand findet und verworfen wird, und unser natürliches Herz möchte solchen Prüfungen gern entgehen. Petrus suchte dem Herrn dies auch vorzustellen, als Jesus von den Leiden und der Verwerfung sprach, welche Ihm auf Seinem Pfade vollkommener Hingebung zu teil werden sollten; aber der Herr behandelte diesen Versuch als unmittelbar von Satan kommend : „Gehe hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnest nicht auf das was Gottes, sondern auf das was der Menschen ist“ (Matth. 16).

Wir werden stets finden, dass das Fleisch unwillkürlich vor der Hingebung an Christum und deren Folgen zurückschreckt; denn hier gilt es, das Ich aufzugeben und Schmach, Vereinsamung und Widerstand zu ertragen. Es gilt, das Kreuz auszunehmen und Christo nachzufolgen, anstatt nach Hause zurückzukehren und denen, die dort daheim sind, Lebewohl zu sagen. Wer diesen Wunsch hat, ist selbst noch dort heimisch und wird im besten Falle ein „Johannes Markus“ im Dienste sein (vergl. Apstgsch. 15, 37 — 9); er wird dann stets noch ein: „Herr, erlaube mir zuvor! (Matth. 8, 21) haben. 

So lange wir noch außer Christo etwas haben, wird dies stets Christo voran stehen, und wir werden Ihm nicht mit einfältigem Auge in wahrhaftiger Hingebung dienen. Aber gerade das ist dem natürlichen Herzen so schwer und so zuwider, dass alle Selbstsucht und Selbstschonung, alle Nachsicht gegen das eigene Ich aufhören sollen. Und doch sind alle die eben genannten Dinge nicht Hingebung für Christum und für Andere, sondern gerade das Entgegengesetzte. Darum, wollen wir Christo leben, so müssen wir «uns selbst für tot halten, Gott aber lebend in Christo Jesu“.

Und in der Tat, wenn dem Fleische zu wirken erlaubt wird, so erweist es sich als ein beständiges Hindernis. Schmach und Widerstand werden dann nicht als eine Ehre, sondern als eine Bürde empfunden. Wir sind berufen, mit dem Apostel Paulus „das Sterben des Herrn Jesu allezeit an unserm Leibe umherzutragen, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde“, und so das Urteil des Todes in uns selbst zu verwirklichen. Hierin kommt der Herr uns durch Prüfungen und Schwierigkeiten zu Hilfe. Doch wir sind in denselben „Mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat“. Von dieser Seiner Liebe vermag uns nichts zu trennen. Allein wenn wir die Regungen und Überlegungen unsrer Herzen beobachten, so werden wir finden, dass dieses beständige „Umhertragen des Sterbens des Herrn Jesu“ praktisch sehr schwer ist und den innersten Zustand der Seele auf die Probe stellt. 

Und doch ist Freiheit und Kraft im Dienste immer nur in dem Maße vorhanden, wie wir uns für gestorben halten; nur dürfen wir nicht vergessen, dass wir diese Kraft im Bewusstsein und in der Kenntnis der Gnade haben. Gerade die Kenntnis Seines Sterbens und Seiner Hingabe für uns übt eine Macht über uns aus, welche uns durch die Gnade veranlasst, uns im Blick auf alles außer Ihm für tot zu halten. Äußerlich mag dies vergleichsweise leicht erscheinen; auch das Werk ist äußerlich nicht schwer, wenn wir den Widerstand des Ichs und der Macht Satans nicht fühlen. Aber innerlich das Sterben Jesu allezeit auf das Ich anzuwenden, so wie es durch das Kreuz ans Licht gestellt worden ist, das ist nur dann möglich, wenn Christus unserm Herzen alles ist. Die wahre Kraft und der wahre Wert unsers Werkes wird hiernach bemessen — nach der Wirkung des Geistes Gottes in und durch uns.

 Dies allein ist in Gottes Augen Hingebung, dies allein Gottes Kraft und die Offenbarung der Gesinnung Christi in dem Dienst, den wir vollbringen. Und dies allein ist Leben. Alles andere vergeht, wenn wir den letzten Atemzug getan haben. Denn alles was nicht durch den Geist Gottes gewirkt ist, gehört dem ersten Adam an und der Welt, in welcher derselbe sich bewegt — nicht aber dem zweiten Adam. Nur das Leben, welches wir durch Christum leben, bleibt Leben.

Zwei Dinge kennzeichnen dieses Leben und setzen es in Tätigkeit: das Kreuz und Christus in der Herrlichkeit. Die in dem Kreuze geoffenbarte Liebe Christi drängt uns, uns gänzlich Ihm zu opfern, der uns also geliebt und s ich selbst völlig für uns dahingegeben hat. Und Christum in der Herrlichkeit zu gewinnen und Ihm gleich zu sein, das ist die Hoffnung, die uns mit Mut und Kraft erfüllt auf unserm Pfade.

„Welch ein mächtiger Beweggrund zur Hingebung — wenn wir ihn einmal wirklich gefühlt haben — ist die am Kreuze geoffenbarte Liebe des Herrn! Wie demütig und gering in unsern eignen Augen werden wir angesichts einer solchen Liebe! Wir erkennen, dass wir nicht unser selbst, sondern um einen Preis erkauft sind; ja, das Bewusstsein der Liebe Christi nimmt Besitz von unsern Herzen, drängt uns und erfüllt uns mit dem sehnlichen Wunsche, Ihm zu leben, der sich selbst für uns dahingab. Die Vollkommenheit Seines Opfers, die völlige Selbsthingabe, mit der es dargebracht wurde, und die darin geoffenbarte Liebe zu uns üben einen mächtigen Einfluss auf unsere Seele aus. Christus hat „durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert“. Das Bewusstsein, dass wir nicht unser selbst sind, vertieft die Ansprüche dieser Liebe in unsern Herzen und entkleidet gleichzeitig unsere Hingebung jeglichen Verdienstes. So weise und heiligend sind die Wege Gottes!

Der Gedanke, den verherrlichten Christus zu gewinnen, lässt uns alles um uns her für „Verlust“, ja für „Dreck“ achten wegen der Vortrefflichkeit Seiner Erkenntnis! Was ist alles andere im Vergleich damit, Ihm wohlzugefallen, Ihn zu besitzen, bei Ihm und Ihm gleich zu sein aus immerdar? Alles was wir tun, wird wertvoll, weil Christus es ist, dessen Liebe uns dazu treibt. So werden wir in Wahrheit weitherzig, denn alles was ihm teuer ist, wird auch uns kostbar; und doch werden wir zu gleicher Zeit davor bewahrt, unsern natürlichen Gefühlen freien Lauf zu lassen, da ja unser Auge ausschließlich aus Christum gerichtet ist. Was nicht zu Seiner Verherrlichung dient, ist ausgeschlossen, ist unmöglich. Diese Gesinnung trennt unser Herz praktisch von der Sünde durch die Kraft der göttlichen Zuneigungen in uns; das Herz ist von Christo erfüllt. Die neue Natur kann eben nur leben, wenn sie Christum zu ihrem Gegenstande hat.

Beachten wir auch, dass sich dies ans alle Dinge anwendet; denn wir haben in allem Christo wohlzugefallen. Weltliche Kleidung, weltliches Wesen, ja, Weltlichkeit in jeder Form verschwindet; denn diese Dinge können Dem nicht ähnlich oder wohlgefällig sein, welchen die Welt einst verwarf, weil Er ihr bezeugte, dass ihre Werke böse seien. Die Sinnesrichtung des Christen ist von der Welt abgekehrt; er hat nichts mit ihr zu tun, es sei denn ihr Gutes zu erweisen, wo er kann. 

Der Beruf des Gläubigen ist, ein Brief Christi zu sein, und wenn Christus das Herz wirklich erfüllt, so übt er eine unbegrenzte, alles umfassende Macht aus. Die Beweggründe, Gedanken und Beziehungen der Welt finden dann keinen Eingang mehr in das Herz. Vielmehr offenbart der Christ, wenn Christus die einzig treibende Kraft in ihm ist, und wenn alles im Herzen in Beziehung zu Ihm gebracht wird, in der Welt seinen eigenartigen Charakter in Christo· Indem er sich vor dem Bösen bewahrt, tritt das Gute, das in Christo ist, in Tätigkeit, die Liebe aus Gott offenbart sich. Das Herz ist ausschließlich auf Gott gerichtet, aber alle Segnungen Gottes strömen von dem Gefäße aus, je nach dem Maße der Fähigkeit desselben.

So ist denn die Liebe tätig. Christus hat „sich selbst ein Eigentums-Volk gereinigt, eifrig in guten Werken“ Die Liebe Christi ist in Tätigkeit und wird durch die Gesinnung Christi geleitet. Sie liebt die Brüder, wie Christus sie geliebt hat; d. h. sie findet ihren Beweggrund in sich selbst, nicht in dem Gegenstand, den sie liebt. Sie fühlt die Kümmernisse und Schwachheiten der Anderen, aber sie steht über denselben, so dass sie tragen und ertragen und in denselben einen Anlass zu heiliger Tätigkeit finden kann. Sie ist ebenso zart im Geist, wie fest in Übereinstimmung mit dem göttlichen Pfade; denn in dieser Weise liebte Christus.

Hingebende Liebe hat indes noch einen anderen Charakterzug. Wie groß auch ihre Aufopferung und wie eifrig ihre Tätigkeit sein mag, sie ist gehorsam. Es kann niemals einen gerechten eigenen Willen in einem Geschöpf geben, denn die Gerechtigkeit des Geschöpfes besteht eben im Gehorsam. Adam fiel, weil sein Wille unabhängig von Gott war. Christus kam, um den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte; und gerade da, wo Seine Hingebung sich in ihrer höchsten Vollendung offenbarte, war Sein Weg der des Gehorsams. Er konnte an jenem letzten Abend vor Seinem Leiden sagen: „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe, und also tue, wie mir der Vater geboten hat“. So ist denn einerseits der Gehorsam unser Führer in der Hingebung, und andrerseits erhält er uns still und demütig.

Möchte Gott uns allen eine einfältige, ungeteilte Hingabe an Christum schenken! Das ist das Kennzeichen eines wahren Jüngers Christi. Christus ist der einzige Gegenstand eines solchen, worin auch immer die Pflichten bestehen mögen, welche in Treue zu erfüllen die Hingabe an Christum ihn heißt. Er ist nicht gleichförmig dieser Welt, die Jesum verworfen hat. Er besitzt eine freudige himmlische Hoffnung, die mit dem verherrlichten Christus in Verbindung steht, mit Ihm, der wiederkommen wird, um uns zu sich zu nehmen und uns sich selbst gleich zumachen; er ist daher Knechten gleich, die auf ihren Herrn warten. Die Liebe Christi drängt ihn, in allen Dingen nach dem zu trachten, wonach Er trachtet; ja, Christus, als der Gekreuzigte, und Christus, der Verherrlichte, als seine Hoffnung — das sind die Mittelpunkte, um welche sich sein ganzes Leben dreht.

Beachten wir zum Schlusse noch ein Wort, das uns klar den Unterschied zeigt zwischen wahrer Hingabe und natürlicher Freundlichkeit. Der Herr sagte einst zu Seinen Jüngern: „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“. Der Herr wünschte nicht, dass die Jünger ihre guten Werke vor den Menschen leuchten lassen sollten; Er gebietet vielmehr an einer anderen Stelle gerade das Gegenteil. Nein, ihr Bekenntnis von Christo sollte so klar und bestimmt sein, dass die Menschen erkennen mussten, wem sie ihre guten Werke zuzuschreiben hatten, und dass sie infolge dessen den Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichten. Was unter den Christen so vielfach mangelt, ist gerade jene einfältige, herzliche Hingebung, von welcher wir gesprochen haben. Gott gebe uns, dass wir durch die Gnade in allen unsern Wegen Christo ergeben seien, völlig Ihm geweiht in Herz und Sinn, Ihm, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat!

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Psalm 32,8.9

Bibelstelle: Psalm 32,8.9

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 204ff

In den Psalmen werden drei besondere Arten von Glückseligkeit erwähnt. Zunächst diejenige, welche uns sofort im Eingang derselben entgegentritt: „Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Gesetzlosen und nicht steht auf dem Wege der Sünder und nicht sitzt auf dem Sitze der Spötter, sondern seine Lust hat am Gesetz Jehovas und über Sein Gesetz sinnt Tag und Nacht! Und er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen“ (Ps. 1, 1 - 3). Christus, der gerechte Mensch, wird hier dem Gesetzlosen gegenübergestellt.

Der 119. Psalm geht ein wenig weiter. In demselben ist die Rede von Irregehen und Wiederherstellung (V. 67. 71. 176). Und hier heißt es: „Glückselig, die im Wege untadelig sind, die da wandeln im Gesetz Jehovas!“ (V. 1). Der Psalm spricht von jemandem, der das Wort Gottes besitzt, seine Wonne an ihm hat und durch dasselbe geleitet zu werden wünscht.

In dem vorliegenden Psalm (Ps. 32) begegnen wir der Glückseligkeit eines Menschen, dessen Übertretungen vergeben sind, sowie den Wegen, welche Gott mit einem solchen Menschen geht, um ihn glücklich zu machen. „Glückselig der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde zugedeckt ist (nicht: der nicht übertreten oder nicht gesündigt hat)! Glückselig der Mensch, dem Jehova die Ungerechtigkeit nicht zurechnet, und in dessen Geist kein Trug ist (d. i. dessen Seele wiederhergestellt ist)“!

Die Wirksamkeit des Geistes Gottes in dem Prozess, durch welchen die Seele hier geführt wird, ist sehr beachtenswert; ebenso die Wege, welche Gott mit der widerstrebenden Seele geht, um sie zur Unterwerfung und zu aufrichtigem Bekenntnis zu führen. „Als ich schwieg, verzehrten sich meine Gebeine durch mein Gestöhn den ganzen Tag. Denn Tag und Nacht lastete auf mir deine Hand; verwandelt ward mein Saft in Sommerdürre. Ich tat dir kund meine Sünde und habe meine Ungerechtigkeit nicht zugedeckt. Ich sagte: Ich will Jehova meine Übertretungen bekennen; und du, du hast vergeben die Ungerechtigkeit meiner Sünde“ (V. 3 — 5). So ist es stets, wenn des Herrn Hand auf jemandem ruht, bis er das Böse vor Gott bekennt; dann wird ihm Vergebung zu teil.

So lange nicht ein Bekenntnis der Sünde (nicht nur einer Sünde) erfolgt, gibt es keine Vergebung. Wenn David im 51. Psalm seine große Sünde bekennt, so hören wir ihn sagen: „Siehe, in Ungerechtigkeit bin ich geboren, und in Sünde hat mich empfangen meine Mutter“. Er sagt nicht bloß: „Ich habe diese besondere Sünde begangen«, obwohl er das auch tut (V. 1 — 4), sondern er erkennt die Wurzel und den Grundsatz der Sünde an. Sobald unsere Herzen dahin kommen, die Hand Gottes zu fühlen und anzuerkennen, handelt es sich nicht länger um die Frage, welche besondere Sünde oder Ungerechtigkeit auf unserm Gewissen lastet und der Vergebung bedarf; sondern Gott hat dann die Seele durch die Wirksamkeit“ Seines Geistes dahin gebracht, den Grundsatz der Sünde zu entdecken; diese wird dann bekannt, (nicht bloß eine besondere Sünde) und es erfolgt die wirkliche Wiederherstellung der Seele.

Dies ist in ihren praktischen Folgen eine Sache von weit größerer Tragweite, als man von vornherein denken möchte. Befreit von der Knechtschaft der Dinge, welche den Verkehr der Seele mit Gott verhinderten, lernt dieses dann, sich auf Gott zu stützen, anstatt auf jene Dinge, welche sozusagen den Platz Gottes eingenommen hatten. Dem Bekenntnis folgen in unserm Psalm unmittelbar die Worte: „Deshalb wird jeder Fromme zu dir beten, zur Zeit wo du zu finden bist; gewiss, bei Flut großer Wasser - sie werden ihn nicht erreichen. Du bist ein Bergungsort für mich; vor Bedrängnis behütest du mich; du umgibst mich mit Rettungsjubel“ (V. 6. 7). Die Seele vertraut jetzt auf Gott.

Und dann folgen die Worte, welche den eigentlichen Gegenstand dieser kurzen Abhandlung bilden: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten. Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat; mit Zaum und Zügel, ihrem. Schmucke, musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht“ (V. 8. 9).

Ach, wie oft gleichen wir, ein jeder von uns, dem Rosse oder dem Maultiere! Und warum? Weil unsere Seelen nicht genug bearbeitet, nicht tief genug gepflügt sind. Wenn in irgend einer Sache der eigene Wille in Tätigkeit ist, so handelt der Herr mit uns wie mit einem Rosse oder Maultiere, um uns im Zaume zu halten. Steht dagegen das Herz in allen seinen Teilen in Berührung und Verbindung mit Ihm, so leitet Er uns mit Seinem „Auge“. „Die Lampe des Leibes ist dein Auge; wenn dein Auge einfältig ist“, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster. Siehe nun zu, dass das Licht, welches in dir ist, nicht Finsternis ist. Wenn nun dein ganzer Leib Licht ist und keinen finstern Teil hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit ihrem Strahle dich erleuchtete (Luk. 11, 34 — 36). So lange das Auge in irgend einer Sache nicht einfältig ist, mangelt der freie Verkehr des Herzens mit Gott; und die Folge davon ist, dass wir nicht einfach von Gott geleitet werden; denn unser Wille ist nicht unterworfen. 

Befindet sich das Herz aber in richtigem Zustande. so ist der ganze Leib „voll von Licht“, und man erfasst schnell den Willen Gottes. Er lehrt uns dann mit Seinem „Auge“ alles was Er uns zu lehren wünscht, und erweckt in uns ein schnelIes Verstehen in Seiner Furcht. Das ist unser Teil als solche, in denen der Heilige Geist Wohnung gemacht hat: Herzen, die keinen anderen Gegenstand kennen, als den Willen Gottes zu tun und Ihn zu verherrlichen. So war es mit Christo in Vollkommenheit. „Siehe“, sagte Er, »ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Psalm 40, 8; Hebr. 10, 7). Wo diese Gesinnung vorhanden ist, da mögen die Umstände des Weges wohl bitter und schmerzlich sein, aber das Herz genießt die Freude des Gehorsams; und diese Freude ist tief und beständig, und die Folge ist, dass Gott uns mit Seinem Auge leitet.

Wenn wir nicht die Gewissheit haben, dass Gott uns leitet, so sollten wir, ehe wir irgend einen besonderen Dienst beginnen, suchen, diese Gewissheit zu erlangen, indem wir unsere Herzen erforschen, was wohl dem Besitz derselben bei uns hindernd im Wege steht. Denn wenn ich mich ohne die Überzeugung, dass Gott mich leitet, an irgend eine Sache mache oder mich auf irgend einen Weg begebe, und es begegnen mir Schwierigkeiten, so werde ich sofort unsicher werden, ob ich auch wohl nach den Gedanken Gottes handle; und Schwachheit und Mutlosigkeit werden über mich kommen. Handle ich aber in einer aus der Gemeinschaft mit Gott geschöpften Erkenntnis Seiner Gedanken, so bin ich „mehr als ein Überwinder“, was irgend wir auch auf dem Wege entgegentreten mag (Röm. 8, 37). 

Die Macht des Glaubens räumt dann auf dem Glaubenspfade Berge von Schwierigkeiten hinweg. Aber nicht nur das; der Herr beschäftigt sich auch innerlich mit mir und lässt mich nicht eher Seinen Willen und Weg erkennen, bis der Geist des Gehorsams in mir wirksam ist. „Wenn jemand'“, sagt der Herr einmal zu den Juden, „Seinen (Gottes) Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist, oder ob ich aus mir selbst rede“ (Joh. 7, 17). Genauso ist es mit dem Gehorsam des Glaubens. Das Herz muss sich in dem Zustande eines bereitwilligen Gehorsam befinden, wie dasjenige Christi, als Er sagte: „Siehe, ich komme.“ Dann wird die Gewissheit nicht fehlen. 

Der Apostel redet zu den Kolossern von dem „Erfülltsein mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“ (Kol. 1, 9). Das ist jenes schnelle Verstehen des Willens Gottes in der Furcht des Herrn, von welchem wir oben sprachen: der innere Zustand eines Menschen, dessen Gesinnung sich in äußeren Handlungen offenbart, sobald der Wille Gottes deutlich vor ihm steht. Deshalb fährt denn auch der Apostel Paulus an jener Stelle fort zu sagen: „um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“.

Das also ist die gesegnete, freudige Stellung einer Seele, welche durch Gottes „Auge“ geleitet wird. „Ich habe eine Speise zu essen“, sagte unser Herr zu Seinen Jüngern, „die ihr nicht kennet“. Und worin bestand diese Speise? „Meine Speise ist, dass ich den Willen Dessen tue, der mich gesandt hat, und Sein Werk vollbringe“ (Joh. 4, 32. 34).

Der Herr leitet oder besser überwacht uns auch auf eine andere Weise, nämlich durch Seine Vorsehung, beziehungsweise durch die Umstände, damit wir nicht irre gehen; und wir haben sicherlich Ursache, Ihm dankbar zu sein, wenn Er es tut. Aber vergessen wir nicht, dass wir dann solche sind, die „keinen Verstand haben“, und die Er deshalb behandeln muss wie ein Ross oder ein Maultier. „Wenn euer Wille dem meinigen unterworfen ist“, sagt Gott gleichsam, „so will ich euch mit meinem Auge leiten; wenn er aber nicht unterworfen ist, so muss ich euch mit Zaum und Zügel bändigen.“ Dass das zwei sehr verschiedene Dinge sind, brauche ich nicht erst zu sagen.

Möchten doch unser aller Herzen begehren, den Willen Gottes zu kennen und zu tun! Es wird sich dann für uns nicht so sehr um die Frage handeln, worin jener Wille besteht und wohin Er uns leiten und führen mag, sondern darum, dass wir diesen Willen erkennen und tun. Wir wissen, dass Er uns mit Seinem „Auge leiten wird, und das ist genug. In unserm Geiste ist kein Trug. Wir sind völlig abhängig von Ihm und fühlen, dass wir sicherlich irregehen würden, wenn Er uns nicht leitete.

Es gibt also eine Leitung, die mit geistlicher Erkenntnis unserseits verbunden ist, und eine Leitung ohne diese Erkenntnis. Die erstere ist unser gesegnetes Vorrecht, aber die letztere mag oft zu unsrer Demütigung notwendig werden. In Christo war alles genau in Übereinstimmung mit Gott. In einem gewissen Sinne hatte Er keinen eigenen Charakter. Denn was sehe ich, wenn ich Ihn betrachte? Ein Leben ohne Fehl, eine beständige, nie wankende Offenbarung des Gehorsams. Er geht nach Bethanien gerade dann, wenn Er hingehen muss, ohne die Befürchtungen der Jünger zu beachten; Er bleibt, nachdem Er gehört hat, dass Lazarus krank ist, noch zwei Tage an dem Orte, wo Er sich gerade aufhält. Sein Wesen, Sein Charakter bestand darin, alles zu tun, alles zu vollbringen zur Verherrlichung Gottes. Unter den Menschen herrscht eine große Verschiedenheit bezüglich des Charakters. 

Der Eine ist sanft und zart; bei einem Anderen ist Festigkeit und Bestimmtheit vorherrschend. Kaum sind zwei Charaktere einander gleich. In Christo aber bemerken wir hiervon gar nichts. In Ihm gab es keine Ungleichheit oder Unebenheit. Alles war genau an seinem richtigen Platze. Alle Fähigkeiten, die es in Seiner Menschheit gab, waren bereit zu gehorchen und dem Antriebe zu folgen, welchen der göttliche Wille ihnen gab. Das göttliche Leben, welches in uns der Leitung bedarf, befindet sich in einem Gefäß, das stets am Boden gehalten werden muss. So war selbst für die Apostel der Befehl, nicht nach Bithynien zu reisen (Apstgsch. 16, 7), nicht eine Geistes-Leitung höchster Art. Es war ohne Zweifel eine gesegnete Leitung, aber doch trug sie nicht den höchsten Charakter, wie ein Apostel ihn kennen konnte. Es war mehr eine Leitung nach Art des Rosses oder Maultieres, und nicht so sehr eine in der Gemeinschaft mit Gott erlangte Erkenntnis Seiner Gedanken.

Von dieser Leitung des Geistes finden wir viel in den bereits angeführten Versen aus Kol. 1. Der einzelne Gläubige wird dort, infolge seiner Gemeinschaft mit Gott, betrachtet als „erfüllt mit der Erkenntnis Seines Willens“. Der Heilige Geist leitet in diese Erkenntnis des göttlichen Willens ein, so dass in einem gegebenen Falle nicht einmal ein Anlass vorliegen mag, erst um diese Erkenntnis zu bitten. Wenn ich geistliches Verständnis über irgend eine Sache habe, so bral1cht das nicht notwendigerweise das Ergebnis meines Flehens bezüglich dieser besonderen Sache zu sein; wohl aber mag viel Gebet vorhergegangen sein und mir diese Erkenntnis gebracht haben. Wir finden uns oft genötigt, bezüglich einer Sache um Leitung zu bitten, weil wir nicht in Gemeinschaft mit Gott sind. Es kann vorkommen, dass ich heute über eine Sache ehrlich und aufrichtig beunruhigt bin, bezüglich deren ich vielleicht vor Jahren nicht im Geringsten im Zweifel gewesen wäre.

Wenn Gott uns in Seinem Dienste benutzen will und wir uns selbst ausgegeben haben, so dass unser Wille nicht wirksam ist, so gibt Gott es uns vielleicht ins Herz, hierhin oder dorthin zu gehen. Gott selbst leitet uns dann in bestimmter Weise. Aber dies setzt einen Wandel mit Gott voraus, und zwar einen Wandel in Sorgfalt und Fleiß; es setzt voraus, dass das eigene Ich im Tode gehalten wird. Wenn wir in Demut vor Gott wandeln, so wird Er uns sicher und gewiss leiten. Nehmen wir ein Beispiel. Ich befinde mich an einem gewissen Orte. Nun kommt jemand zu mir und sagt: „Wollen Sie nicht lieber nach — (er nennt irgend einen anderen Ort) gehen?«

 Wenn ich nun nicht die Gedanken Gottes kenne, ob ich gehen oder bleiben soll, so muss ich um Leitung von oben bitten; aber diese Notwendigkeit setzt selbstverständlich voraus, dass ich nicht in der Erkenntnis der Gedanken Gottes stehe. Anders würde ich nicht im Unklaren sein, was ich zu tun hätte. Vielleicht sind Beweggründe vorhanden, die mich nach der einen oder anderen Richtung hin treiben und mein geistliches Urteil trüben. Aber wie dem auch sei, jedenfalls stehe ich nicht unter der Leitung des Auges Gottes. Als die Jünger einst zum Herrn sagten: „Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wiederum gehst du dahin?“ antwortete Er: „Sind der Stunden des Tages nicht zwölf? Wenn jemand am Tage wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist“ (Joh. 11, 8 10).

Die Anwendung dieser Worte des Herrn ist sehr einfach. Wenn ich in der Nacht wandle, so muss ich auf die im Wege liegenden Steine acht haben, damit ich nicht über sie stolpere und zu Fall komme. Wenn ich am Tage wandle, ist das unnötig. Ich wandle im Lichte und entgehe ganz von selbst den Anstößen. So bat auch einst Paulus für die Philipper, dass ihre Liebe noch mehr und mehr überströmen möchte in Erkenntnis und aller Einsicht, damit sie prüfen möchten, was das Vorzüglichere sei, um so lauter und unanstößig zu sein auf den Tag Christi, ohne ein einziges Straucheln auf dem ganzen Wege bis ans Ziel.

Viele betrachten die göttliche Vorsehung als einen Führer. Allein die Vorsehung mag uns wohl überwachen, aber niemals leitet sie uns im eigentlichen Sinne des Wortes; sie leitet die Umstände und Dinge. Wenn ich irgendwohin gehen will, um dort das Wort Gottes zu verkündigen, und, zum Bahnhof kommend, finde, dass der Zug bereits abgefahren ist, so hat Gott die Umstände im Blick auf mich geleitet. Wohl mag ich Ursache haben, Ihm dafür dankbar zu sein, aber ich kann nicht sagen, dass Gott mich geleitet habe; denn wenn der Zug nicht abgefahren gewesen wäre, so würde ich gegangen sein. Mein Wille war, zu gehen.

Es ist sicher ein Segen, wenn wir so die Leitung der Vorsehung erfahren; aber es ist nicht eine Leitung durch den Geist Gottes, nicht eine Leitung durch das „Auge“, sondern eher durch den „Zügel“ Gottes. Denn obwohl die göttliche Vorsehung uns überwacht und, wie gesagt, Dinge und Umstände zu unserm Nutzen und zu unsrer Belehrung leitet, so ist sie doch, genau genommen, kein Führer.

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Das Reich und die Kirche

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 214ff

Bis zu dem Kreuze hin entfaltete Gott Seinen irdischen Regierungsplan, wenn ich mich so ausdrücken darf: Er stellte die Menschen, zuerst allein und dann mit Christo in ihrer Mitte, auf die Probe, um ans Licht zu stellen, ob auf diesem Wege die göttlichen Segensratschlüsse der Welt gegenüber in Ausführung gebracht werden könnten oder nicht. Das Ergebnis war ein völliges Misslingen. Der Mensch erwies sich als völlig ohnmächtig, sündig und widerspenstig; und als der Gesalbte kam, durch welchen alle die Gedanken Gottes ausgeführt werden sollen, nahm der Mensch Ihn nicht auf. Der erste Mensch verdarb alles was er anrührte, und der zweite Mensch wurde verachtet, verworfen und gekreuzigt. Dies brachte die Wege Gottes mit dieser Erde zu einem Abschluss oder doch zu einem Stillstand, welcher so lange währen wird, bis das Volk, welches seinen Messias verworfen hat, Buße tun und der Herr zur Befreiung und Segnung Israels wieder erscheinen wird. Auch in den Weissagungen und Berichten der Propheten begegnen wir dieser Unterbrechung; die Zeit, welche zwischen dem Tode Christi und der Wiederaufnahme der irdischen Ratschlüsse und Pläne Gottes liegt, ist wie ein leerer Raum, wie ein unbeschriebenes Blatt.

Wie füllt Gott nun diesen Zwischenraum aus? Welche Ratschlüsse bringt Er jetzt zur Ausführung? Bis zum Kreuze stand der erste Mensch, wie gesagt, unter einer Probe. Dann aber veränderte sich alles. Der Mensch bewies, dass er hoffnungslos von Gott entfremdet war und nicht einmal Segen von Dem empfangen konnte, in welchem alle Verheißungen und Ratschlüsse Gottes ihrer Erfüllung harren. Es genügte deshalb nicht, dass der zweite Mensch kam; der erste musste ganz neu geschaffen werden, um in die Segnungen eintreten zu können, welche der zweite Mensch bringen wollte.

Wie aber konnte diese Verwandlung bewirkt, wie der Mensch aus der Grube seines Elends befreit werden?“ Durch dieselbe Sache, welche die ganze Hoffnungslosigkeit seines Verderbens offenbarte! Die nämliche Tat, welche bewies, dass das menschliche Verderben seinen Höhepunkt erreicht hatte, brachte „Gottes Kraft zum Heil“ ans Licht. Das Kreuz, welches den unversöhnlichen Hass des menschlichen Herzens gegen Gott zeigte, offenbarte zugleich die unbeschreibliche Liebe des Herzens Gottes gegen den Menschen. Das was das Schicksal der alten Schöpfung besiegelte, öffnete die Tür für die neue. Das kostbare Blut, welches auf dem Kreuze vergossen wurde, legte die gerechte Grundlage für die Versöhnung aller Dinge. In dem Tode Christi wurde die alte Schöpfung auf richterlichem Wege beiseite gesetzt, während die Auferstehung den „letzten Adam“. den Erstgeborenen einer neuen Schöpfung, einführte, an. deren Gliedern Gott jetzt dieselbe Wonne finden kann als an ihrem auferstandenen Haupte. Das Weizenkorn fiel in die Erde und starb und brachte so viele Frucht; wie geschrieben steht: „Siehe, ich und die Kinder, welche Gott mir gegeben hat“.

Alle Segnungen der Kirche oder auch der Welt gründet: sich deshalb auf den Tod und die Auferstehung des zweiten Menschen· Indes können wir das Kreuz von zwei Gesichtspunkten aus betrachten, sowohl von der Seite der Schuld des Menschen als auch von der Seite der Gnade Gottes. Niemand leugnet, dass das schreckliche: Gericht, welches über die Juden gekommen ist, eine Folge ihrer Verwerfung Christi war. Aber sind die Heiden ohne Schuld? Waren sie nicht ebenfalls an dieser Verwerfung beteiligt? Sicherlich. Satan, der Fürst dieser Welt, führte seine ganze Macht gegen Christum ins Feld: Juden und Heiden, Hohenpriester und Schriftgelehrten, König und Landpfleger, jüdische Häscher und römische Kriegsknechte. 

Auch belehrt uns der Heilige Geist, dass Christus, das wahrhaftige Licht, in die Welt kam, dass die Welt durch Ihn erschaffen war, aber dass die Welt Ihn nicht kannte. Und Jesus selbst sagt zu Nikodemus: „Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (Joh. 3, 19). Die Welt, d. h. die Menschheit als solche, ist deshalb der Verwerfung Dessen schuldig, welchen Gott gesandt hatte zu ihrem Segen, Und dieses Verbrechen, samt dem ihm gebührenden Gericht, lastet gleicherweise auf allen, auf Juden und Heiden. „Jetzt ist das Gericht dieser Welt“ Durch dieses Gericht sind die Juden aus ihrem Lande vertrieben und die irdischen Segnungen des Reiches, sowohl für Juden als Heiden, hinausgeschoben worden. Die Schöpfung seufzt immer noch nach Befreiung, bis Christo das Szepter übergeben werden wird. In der Zwischenzeit nun ist Gott beschäftigt, andere Ratschlüsse auszuführen, die mit Seinen Segensabsichten bezüglich der Erde nicht in Verbindung stehen.

Diese anderen Ratschlüsse können wir zunächst hinsichtlich des Reiches und dann hinsichtlich der Kirche betrachten. Das Reich in feiner jüdischen Form ist hinausgeschoben worden. In seiner äußern herrlichen Entfaltung kann es nicht eher aufgerichtet werden, bis Israel sagen wird: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Jesus redet aber von „Geheimnissen des Reiches der Himmel — (Matth. 13, 11); und in der Tat ist das Reich in einer geheimnisvollem dem natürlichen Auge verborgenen Weise aufgerichtet worden und besteht so bis auf die Gegenwart. Christus, der König des Reiches, ist verworfen und getötet worden. Anstatt auf Seinem königlichen Throne zu sitzen und zu herrschen von einem Ende des Himmels bis zu seinem anderen Ende, hat Er sich droben auf Seines Vaters Thron gesetzt und wartet dort, bis Gott Ihm die Nationen zum Erbteil geben wird. 

Es ist deshalb jetzt der Tag Seines „Ausharrens“, nicht Seiner „Macht“. Anstatt an Seinen Feinden Rache zu nehmen und alle Bösen aus Seinem Reiche hinwegzutun, bittet Er sie vielmehr, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Dem Feinde (Satan) ist es erlaubt, Unkraut auf den Acker zu säen, ohne dass ihn ein unmittelbares Gericht für sein Tun träfe; der Sauerteig darf in dem Mehle wirken, bis alles durchsäuert ist. Gott harrt noch in Gnade und Langmut, indem Er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, und ist beschäftigt, ein Volk für sich zu sammeln und aus dem Verderben herauszuführen und vor dem drohenden Gericht in Sicherheit zu bringen. — So trägt also das Reich eine geheimnisvolle Gestalt. Auf Gottes Seite ist es die Entfaltung einer vollkommenen Gnade und anbetungswürdigen Langmut, auf des Menschen Seite die traurige Enthüllung (trauriger als je zuvor) seiner Neigung, sich von Gott zu entfernen und die besten Gaben, welche je seiner Hand anvertraut worden sind, zu verderben. S.217

Aber während des Bestehens des Reiches in dieser besonderen Gestalt bringt Gott andere Gedanken Seines Herzens zur Ausführung — ein Geheimnis, welches, wie Paulus sagt, „in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden, wie es jetzt geoffenbart worden ist Seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste“. Dieses Geheimnis wurde enthüllt, „auf das; jetzt den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung (od. Kirche) kundgetan werde die gar mannigfaltige Weisheit Gottes, nach dem Vorsatz der Zeitalter, den Er gefasst hat in Christo Jesu, unserm Herrn“ (Eph. 3,5. 10. 11.) 

Hierin besteht also das gegenwärtige Werk Gottes. Seine Segenspläne hinsichtlich der Erde sind hinausgeschoben, das Reich in seiner geheimnisvollen Gestalt ist mit Verderben erfüllt und eilt dem Gericht entgegen; aber Gott führt Seine Ratschlüsse, welche Er vor Grundlegung der Welt gefasst hat, zur Verherrlichung Christi aus — Ratschlüsse, welche den Propheten des Alten Bandes niemals kundgetan worden sind und in welche Engel hineinzuschauen begehren, ja, in welchen, wie groß auch unsere Trägheit sein mag, die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern die gar mannigfaltige Weisheit Gottes unterscheiden. Diese Ratschlüsse kommen in der „Kirche“ zu ihrer Erfüllung, welche deshalb nicht nur als der Gegenstand der Freude und Wonne Gottes, sondern auch als die herrlichste Entfaltung Seiner göttlichen Weisheit dasteht.

Der Zwischenraum, welcher zwischen dem Abbruch und der Wiederaufnahme der irdischen Ratschlüsse Gottes liegt, wird also durch das Reich in seiner jetzigen Form und durch die Kirche oder Versammlung ausgefüllt. Der Einrichtung Gottes gemäß waren Reich und Kirche ursprünglich von derselben Ausdehnung; sie umfassten dieselben Personen, wenn auch in verschiedener Weise betrachtet. Trotz der Abweichung und Verschiedenheit, welche die Untreue des Menschen herbeigeführt hat, wird das Reich doch gelegentlich in der Schrift sowohl in seinem engeren als auch in seinem weiteren Verhältnis besprochen, sowohl nach dem Charakter, den es bei seiner Errichtung von Seiten Gottes empfing, als auch nach der Form, welche es unter der Verwaltung des Menschen angenommen hat. 

Unter beiden Gesichtspunkten erscheint es in der Belehrung, in welcher der Herr das Reich in seiner gegenwärtigen Gestalt behandelt (Matth. 13). Wenn Er zu der Menge spricht, so schildert Er das Reich so, wie es sich unter der List des Feindes und der Untreue des Menschen gestalten würde: das Unkraut wächst mit dem Weizen auf, und der Sauerteig verdirbt das reine Mehl. Es ist die äußere Geschichte des Reiches. Dann aber zieht sich der Herr mit Seinen Jüngern in das Haus zurück und teilt ihnen die Geheimnisse des Reiches mit, welche ihnen allein zu wissen gegeben waren. In der Erklärung des Gleichnisses vom Unkraut sagt Er: „Der gute Same, dies sind die Söhne des Reiches, das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen“. Hier wird also das Reich in seinem engeren Bereich betrachtet. 

Dies tritt noch schärfer in den zwei nächsten Gleichnissen hervor. Hier ist es das Reich nach seinem wirklichen Charakter, so wie Gott es sieht, und Seine Gedanken und Ratschlüsse darin. „Das Reich der Himmel ist gleich einem im Acker verborgenen Schatz, welchen ein Mensch fand und verbarg; und vor Freude darüber geht er hin und verkauft alles was er hat, und kauft jenen Acker. Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmanne, der schöne Perlen sucht; als er aber eine sehr kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin und verkaufte alles was er hatte, und kaufte sie“ (V. 44 - 46).

Wir brauchen uns nicht bei der gewöhnlichen Erklärung dieser Gleichnisse aufzuhalten, nach welcher sie das Suchen des Menschen nach dem Heil in Christo darstellen sollen. Eine solche Erklärung, welche nicht nur mit dem ganzen Inhalt des Kapitels, sondern auch mit der allgemeinen Belehrung der Schrift in direktem Widerspruch steht, konnte nur aus einem völligen Mangel an Verständnis über den einheitlichen Plan hervorgehen, welcher die verschiedenen Gleichnisse mit einander verbindet. Der Zweck der Belehrung des Herrn ist, zunächst zu zeigen, durch welches Mittel das Reich in seiner gegenwärtigen Form sich ausdehnen sollte: das Säen des Wortes; dann die Geschichte des Reiches mitzuteilen, betrachtet als ein äußeres Bekenntnis: das Reich in seiner äußeren Machtentfaltung, in seiner Vermischung mit der Welt und in seinem Verderben; und endlich den guten Kern zu offenbaren, welchen Gott durch die mächtige, wertlose Schale hindurch erblickt und der durch dieselbe vor den Augen der Menschen verborgen ist. 

Draußen hatte Jesus der Menge gesagt, was aus dem Reiche äußerlich durch die Bosheit des Feindes und durch die Untreue des Menschen werden würde. Im Hause teilt Er Seinen Jüngern mit, was nach den Gedanken Gottes trotz allem bleiben würde. Unter der Hand des Menschen ist das Reich zu einem großen Baume geworden, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels ihre Nester bauen und Schutz suchen; oder, als ein Lehrsystem und ein äußeres Bekenntnis betrachtet, zu einer völlig durchsäuerten Masse. In seiner Mitte aber befindet sich ein Schatz, auf welchen das Herz Christi gerichtet ist und für den Er alles was Er hatte verkauft und Sein Leben dargelegt hat. Der Acker wurde nicht gekauft wegen seines eignen Wertes, sondern um des Schatzes willen, der in ihm verborgen lag. Das ist das Reich, so wie Gottes Auge es sieht und so wie wir, belehrt durch Seinen Geist, es sehen können, das Reich nach der Wertschätzung des Heiligen Geistes.

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Gute Werke

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 221ff

Die Schrift redet von „bösen“ Werken, von „toten“ Werken und von „guten“ Werken. Von den beiden ersteren Arten mussten wir erlöst werden, zu den letzteren sind wir berufen. „Also nun“, schreibt der Apostel am Schlusse seines Briefes an die Galater, „wie wir Gelegenheit haben, lasst uns das Gute wirken gegen alle, am meisten aber gegen die Hausgenossen des Glaubens“ (Kap. 6, 10)!

Wenn irgend Etwas den Wert dieser Worte erhöhen könnte, so ist es der Umstand, dass sie sich gerade am Schlusse eines Briefes, wie derjenige an die Galater, vorfinden. Der Apostel beweist bekanntlich in dieser Epistel, dass kein Mensch durch Gesetzes Werke („tote“ Werke) errettet werden kann; ja, dass jeder, der den gesetzlichen Boden betritt, das Christentum aufgibt und unter den Fluch Gottes kommt. Jede menschliche Gerechtigkeit wird beiseite gesetzt. Alles eigene Tun ist eitel und verwerflich.

Umso eindringlicher tönen deshalb die Worte des inspirierten Apostels am Schlusse seiner Ausführungen in unsere Ohren und Herzen: „Lasst uns im Gutes tun nicht müde werden! — Lasst uns das Gute wirken, wie wir Gelegenheit haben!“ —— Und wie oft haben wir Gelegenheit? Jeden Tag, ja jede Stunde!

Lass uns deshalb auf diese goldenen Worte acht haben, mein lieber Leser! Wenn wir bekennen, göttliches Leben zu besitzen, so muss sich dieses Leben in mehr als bloßen Gefühlen und Worten, in etwas Greifbarerem als einem noch so klaren Lippenbekenntnis kundgeben. Wir stehen, Gott sei Dank! nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade; aber gerade die Gnade, die uns zu teil geworden ist und in welcher wir stehen, legt uns die heilige Verpflichtung auf, eifrig zu sein in guten Werken, uns als Lebende aus den Toten Gott darzustellen und unsere Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit. Was für einen Wert kann es haben, von dem Besitz des ewigen Lebens zu reden, zu behaupten, dass man mit Christo gestorben, begraben und auferstanden sei, wenn nicht ein Wandel in Neuheit des Lebens unsere Worte als wahr erweist? Das neue Leben muss sich in Werken kundgeben, die kostbaren Früchte, welche den Vater verherrlichen, müssen hervorkommen; anders ist sehr daran zu zweifeln, ob überhaupt Leben vorhanden ist.

Jakobus richtet in seinem Briefe eine sehr heilsame Frage an unsere Herzen, wenn er sagt: „Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber nicht Werke? Kann etwa der Glaube ihn erretten? Wenn aber ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und der täglichen Nahrung entbehrt, und jemand unter euch spricht zu ihnen: Gehet hin in Frieden, wärmet euch und sättiget euch! ihr gebet ihnen aber nicht die Notdurft des Leibes, was nützt es“ (Kap. 2, 14 - 16)? Ja, was nützt es? Kann ein solch lebloser und werkloser Glaube erretten? Unmöglich! Ein solcher Glaube ist tot.

So fragt auch der Apostel Johannes seine Kindlein im Glauben: „Wer der Welt Güter hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm“ (1. Joh. 3, 17)? In einem solchen Herzen ist keine göttliche Liebe, wohl aber Eigenliebe und Selbstsucht. — Auch der Apostel Paulus besteht immer wieder auf der Notwendigkeit guter Werke. Im zweiten Kapitel des Epheserbriefes stellt er die beiden Seiten unsers Gegenstandes mit klaren Worten vor unsere Augen. Wenn es sich um unsere Errettung handelt, so sagt er: „Durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, auf dass niemand sich rühme“. Hier ist alles unabhängig von uns, alles Gottes Werk, alles Gnade. Aber dann fährt er fort: „Denn wir sind Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, auf dass wir in ihnen wandeln sollen“ (Kap. 2, 8 - 10).

Wir sind Gottes Werk, aber geschaffen, um in einem Pfade guter Werke zu wandeln, den Er selbst für uns zuvor bereitet hat. Wie töricht ist es daher, von Glauben und Gnade, von unsrer Bekanntschaft mit den mannigfaltigen Wahrheiten der Schrift, von unsrer richtigen Stellung. u. s. w. zu reden, wenn unsere Füße nicht auf jenem Gott wohlgefälligen Pfade wandeln, wenn wir nicht eifrig sind, gute Werke zu betreiben! Ja, nicht nur wie töricht, sondern auch wie verantwortungsvoll! Gott verlangt Wirklichkeit.

Je mehr uns geschenkt ist, desto mehr wird von uns- gefordert werden. Gott ist nicht mit einem bloßen Bekenntnis, mit leeren, hochklingenden Worten zufrieden. Er lässt uns zurufen: „Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten, sondern in Tat und Wahrheit!“ Er selbst hat uns also geliebt, und Er erwartet eine Antwort auf Seine Liebe, eine klare, bestimmte Antwort, die in einem Leben voll guter Werke, in einem Wandel in Liebe und ernster Gottesfurcht zu Tage tritt. Er schaut aus nach jenen kostbaren Früchten der Gerechtigkeit, welche durch Jesum Christum sind, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes (Phil. 1, 11).

Lasst uns deshalb nicht müde werden im Gutestun, denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten“; und lasst uns auf einander Acht haben zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken . . ., und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen sehet«! (Hebr. 10, 24. 25.) Nicht lange mehr, und der Tag wird kommen, an welchem das Werk eines jeden offenbar werden und wo ein jeder seinen Lohn empfangen wird (nach seiner eigenen Arbeit. Möchten wir deshalb treu erfunden werden und eifrig sein, uns Säckel zu machen, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich in den Himmeln! (Luk. 12, 33.)

Das ist die rechte Liebestreue,

die fest an ihrem Herren hängt,

und ohne Unterlass aufs neue

in allem Ihm zu dienen denkt.

Die im Geringen und im Kleinen

es recht genau und ernstlich nimmt,

und wissentlich auch nicht in einen,

ob noch so kleinen Fehler stimmt.

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Das Reich und die Kirche

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 225ff

Gerade so wie von dem Reiche in einer weiteren und engeren Beziehung die Rede ist, so wird auch die Kirche in doppelter Weise in der Schrift betrachtet. Die Kirche, wie sie uns im Epheserbriese nach Gottes Gedanken und Ratschlüssen vor Augen gemalt wird, und die Kirche, welche wir im 2. und 3. Kapitel der Offenbarung finden, sind sehr voneinander verschieden. Im ersten Falle stellt der Geist Gottes die wahre Kirche vor unsere Blicke, bestehend aus nur wahren Gläubigen und betrachtet in lebendiger Verbindung mit Christo, während wir in der Offenbarung die Kirche als einen verantwortlichen Körper hienieden sehen, der den Namen Christi trägt und infolge der Verbindung mit diesem Namen Gott gegenüber verantwortlich ist, und der, wenn er dieser Verantwortlichkeit nicht entspricht, einem ernsten Gericht anheimfällt. Im ersten Falle ist jeder Mangel, jedes Misslingen ausgeschlossen, denn alles ist von Gott; im zweiten zeigt sich dasselbe traurige Abweichen von den Gedanken Gottes, wie in allen anderen Dingen, welche der Verantwortlichkeit des Menschen je anvertraut worden sind.

Wir wollen uns hier nur mit der Kirche nach den Gedanken Gottes beschäftigen. In Seinen eigenen Belehrungen nimmt der Herr nur zweimal auf dieselbe Bezug. Aber obgleich die Kirche zu jenen Gegenständen gehört, welche während des Lebens Jesu hienieden nur teilweise geoffenbart waren, so werden uns jene beiden Bezugnahmen in den Evangelien doch sehr behilflich sein zum Verständnis dessen, was Gott in späteren Tagen „Seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste geoffenbart“ hat. 

Die erste Gelegenheit, bei welcher die „Kirche“ oder die „Versammlung“ ausdrücklich genannt wird, findet sich im 16. Kapitel des Evangeliums Matthäus. Im dreizehnten Kapitel war, wie wir wissen, von dem Reiche in seiner geheimnisvollen Form die Rede, zunächst im Blick auf seine geschichtliche Entwicklung unter den Händen des Menschen und dann hinsichtlich dessen, was es für Christum kostbar machte. Im sechzehnten Kapitel wird der Gegenstand des Reiches in jener ersten Form von neuem ausgenommen, und in Verbindung damit geschieht jener neuen Sache, der Versammlung, Erwähnung, welche Christus zu bauen im Begriff stand. Jesus fragt Seine Jünger: „Wer saget ihr, dass ich sei? Simon Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und But haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. 

Aber auch ich sage dir, dass du bist Petrus (petros: ein Stein); und auf diesen Felsen (petra: ein Felsen) will ich meine Versammlung bauen, und des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen. Und ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein; und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein. Dann gebot Er Seinen Jüngern, dass sie niemandem sagten, dass Er der Christus sei. — Von der Zeit an begann Jesus Seinen Jüngern zu zeigen, dass Er nach Jerusalem hingehen müsse und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden, und getötet und am dritten Tage auferweckt werden müsse. Und Petrus nahm Ihn zu sich und fing an, Ihn zu strafen, indem er sagte: Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren. Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Gehe hinter mich, Satan! du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnest nicht auf das was Gottes, sondern auf das was der Menschen ist. Dann sprach Jesus zu Seinen Jüngern: Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Matth. 16, 15 — 24).

Diese Stelle bedeutet einen wichtigen Wechsel im Blick auf die Verwaltungs- oder Haushaltungswege Gottes: Jesus stellt sich in einem ganz neuen Charakter dar und gibt das Zeugnis auf, welches Er bis dahin abgelegt hatte. Nachdem Johannes ins Gefängnis geworfen worden war, hatte Jesus begonnen „zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Matth. 4, 17). 

Diese öffentliche Ankündigung des Reiches den Juden gegenüber sollte jetzt aufhören. Anstatt sich noch länger dem Volke als seinen Messias oder Christus vorzustellen, gebot Er „Seinen Jüngern, dass sie niemandem sagten, dass Er der Christus sei“; anstatt die Jünger auf eine Annahme seitens der jüdischen Nation und eine irdische Krone hinzuweisen, redet Er von Seiner Verwerfung und von Seinem Kreuze. An die Stelle der alten Hoffnung auf die Ausrichtung eines weltlichen Reiches, von welchem die Propheten so viel geredet hatten, tritt die Aussicht auf eine ganz neue Sache, welche Jesus einführen wollte: die Kirche oder die Versammlung; und anstatt des Namens des Messias, welcher Ihn mit dem Throne Davids in Verbindung brachte, nimmt Jesus im Hinblick auf die Versammlung den soeben neu angekündigten und unendlich höheren Titel: „Sohn des lebendigen Gottes“ an.

Das Reich in seiner prophetischen und nationalen Gestalt bildete also nicht länger den Inhalt des Zeugnisses an das Volk, noch auch den unmittelbaren Gegenstand der Gedanken Gottes. Obgleich es selbverständlich nicht ausgegeben worden ist, so wurde es doch aufgeschoben und sollte inzwischen in einer ganz neuen Form aufgerichtet werden. In dieser neuen Form wurde es der Verantwortlichkeit des Menschen unterstellt, indem die Schlüssel des Reiches dem Petrus übergeben wurden, welcher zugleich die Gewalt empfing, zu binden und zu lösen. Es handelte sich nicht um die Schlüssel der Kirche, noch viel weniger um die des Himmels, sondern um „die Schlüssel des Reiches der Himmel“. 

Ein Schlüssel verschafft Zutritt zu irgend einem Raume oder einer Sache. So wurde denn Petrus mit der Zulassung, nicht zur Kirche, sondern zum Reiche betraut; und wie er diesem Auftrage entsprach, das sehen wir in der Apostelgeschichte. Er war es, der mit Macht und Autorität Jesum „als Herrn und Christus“ verkündigte, indem er die Juden aufforderte, Seine Rechte anzuerkennen und sich taufen zu lassen in Seinem Namen. Auf diese Weise wurde den Juden die Tür geöffnet, und an einem Tage gingen bei dreitausend Seelen in das Reich ein. Niemals aber sind die Schlüssel der Kirche den Händen des Menschen anvertraut worden, und so lesen wir denn auch im Anschluss an den Bericht von der wunderbaren Wirkung der Predigt Petri: „Der Herr aber tat täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten“ (Apstgsch. 2, 47).

Später wurde eine zweite Tür zu dem Reiche geöffnet. Die Gebete des heidnischen Hauptmannes Kornelius waren zum Gedächtnis vor Gott hinaufgestiegen und hatten Erhörung gefunden. Man möchte vielleicht meinen, der Apostel der Heiden wäre der richtige Mann gewesen, um diesen Hauptmann ins Reich einzuführen. Aber nein; Christus hatte dem Petrus die Schlüssel übergeben, und die den Heiden bis dahin verschlossene Tür konnte nur durch ihn geöffnet werden. Von Gott belehrt, dass in der neuen Form des Reiches die irdischen Unterschiede zwischen rein und unrein aufgehoben waren, ging er, der göttlichen Anweisung folgend, nach Cäsarea, und als er sah, dass auch auf die Nationen die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen worden war, . . . befahl er, dass sie getauft würden in dem Namen des Herrn“ (Apstgsch. 10, 44 - 48).

Die Macht, zur Versammlung oder Kirche hinzuzutun, gehört dem Herrn allein. Die sogenannte „Schlüsselgewalt“, aus welcher von der römischen Kirche in späteren Tagen so viel gemacht worden ist, bedeutete also nichts weiter als die Zulassung zum Reiche der Himmel. Diese Gewalt wurde allein dem Apostel Petrus übertragen, und nachdem er seinem Austrage entsprochen hatte, hören wir nicht mehr viel von ihm. 

Er öffnete die Tür zuerst den Juden und dann den Heiden; und nachdem letzteres geschehen und Kornelius mit seinem Hause eingeführt war, tritt Petrus sozusagen in den Hintergrund, und Paulus der Apostel der Nationen, wird die leitende Persönlichkeit in der Geschichte der weiteren Wege und Handlungen Gottes. Die Macht, zu binden und zu lösen, welche. Dem Petrus von dem Herrn übertragen wurde, stand selbstverständlich auch nur mit der Verwaltung des Reiches hienieden in Verbindung, und die Ausübung derselben, obwohl sie im Himmel ihre Anerkennung finden sollte, hatte nur Bezug auf die Zeit, nicht aber auf die Ewigkeit. In ähnlicher Weise ist der Versammlung die Ausübung der Zucht bezüglich aller, die sich in ihrer Mitte befinden, übertragen worden.

Doch lasst uns jetzt einen Blick auf die Belehrungen werfen, welche wir hinsichtlich der Kirche in der oben angeführten Stelle finden. Jesus sagt: „Auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen“. Dies beweist, dass die Kirche damals noch nicht gegründet war. Ohne Zweifel gab es damals, wie von jeher, bekehrte Personen; aber da die Kirche noch nicht bestand, so ist es klar, dass diese Personen keinen Teil von ihr ausmachen konnten. So werden auch in dem Briefe an die Hebräer „die Versammlung der Erstgeborenen“ und „die vollendeten Gerechten« als zwei ganz verschiedene Klassen von Personen angeführt (Kap. 12, 23). 

Offenbar stellt also die Kirche, welche Jesus zu bauen im Begriff stand, nicht die Gesamtheit der Erlösten, sondern eine besondere Klasse dar, welche durch gewisse deutliche Charakterzüge von den übrigen Erlösten unterschieden ist — sowohl von den alttestamentlichen Heiligen, deren Geister jetzt im Himmel sind, als auch von den Gläubigen, welche am Ende der Tage die Segnungen der irdischen Regierung Christi genießen werden.

Die Grundlage der Kirche war eine ganz neue, welche den alttestamentlichen Heiligen völlig unbekannt geblieben war. Simeon, der Vertreter dieser letzteren Klasse, wartete auf „den Christus (den Gesalbten) des Herrn“, und nachdem er Ihn gesehen hatte, konnte er sagen: „Meine Augen haben dein Heil gesehen“ (Luk. 2, 30). Und so wird auch, wenn einmal das Reich in seiner äußeren Herrlichkeit errichtet ist, der Titel „Christus« wiederum die Grundlage der Segnung bilden: der Gesalbte Gottes wird das Heil Seines Volkes und das Licht der Nationen sein. In— unserer Stelle aber wird dieser Titel aufgegeben; Jesus erscheint mit einer neuen Würde bekleidet, und eine neue Grundlage wird für den Bau der Kirche gelegt.

Worin besteht diese Grundlage? Die römische Kirche hat der Stelle die Erklärung gegeben, als ob Petrus selbst gemeint sei, und in der Tat lässt der Bau des Satzes eine solche Erklärung zu. Entweder bezieht sich die Antwort des Herrn auf Petrus oder auf Ihn selbst in dem soeben geoffenbarten Charakter als „Sohn des lebendigen Gottes“. Doch vergessen wir nicht, dass ein bedeutungsvoller Wechsel in der Wahl des Ausdrucks stattfindet. Der Herr sagt nicht, dass die Kirche auf Petrus (petros: Stein) gebaut werden solle, sondern auf diesen pera (Felsen) — „Du bist Petrus, und auf diesen petra (Felsen) will ich meine Versammlung bauen«. 

Dieser Wechsel im Ausdruck, der, wenn Petrus gemeint wäre, ganz unnötig, ja unrichtig sein würde, beweist, dass nicht er, sondern das, was er eben erwähnt hatte, der wirkliche Felsen ist, auf welchen Christus Seine Versammlung bauen wollte. Der Herr gebraucht hier offenbar ein Wortspiel (der Name Petrus war dem Simon schon weit früher gegeben worden), wie es häufig in der Schrift der Fall ist, wenn Namen in Verbindung mit irgend einem wichtigen Ereignis genannt werden. So nannte zur Zeit Samuels, als die Bundeslade in die Hände der Philister gefallen war, das Weib des Pinehas ihren soeben geborenen Sohn: „Ikabod“ („Nicht-Herrlichkeit“ oder „Wo-Herrlichkeit?“). 

Der sterbende Jakob sagt in seinem Segen bezüglich seines Sohnes Juda („Preis“ oder „er wird gepriesen“): „Dich, Juda, dich werden deine Brüder preisen“; und seinem Sohne Dan („Richter“) kündigt er an: „Dan wird sein Volk richten“ sc. Auch Esau ruft in der Bitterkeit seines Schmerzes im Blick auf Jakob aus: „Ist es nicht, weil man seinen Namen Jakob („Überlister“) genannt, dass er mich nun zweimal überlistet hat?« Solcher Beispiele gibt es viele in der Schrift; und so sagt denn auch hier, nachdem Petrus den Felsen, auf welchen der Herr Seine Kirche bauen wollte, kundgegeben hatte, Jesus zu Petrus: „Du bist Petrus“, oder mit anderen Worten: „Du magst wohl „ein Stein“ heißen, denn du hast den lebendigen Stein, den Felsen, angezeigt auf welchen die Kirche gegründet werden soll“. Zugleich deutet der Herr auch wohl auf den Platz hin, welchen Petrus in diesem neuen, herrlichen Gebäude haben sollte.

Die Grundlage ist also nicht Petrus, sondern Jesus. Petrus selbst hebt dies an einer anderen Stelle ganz ausdrücklich hervor; denn er sagt im Blick auf Jesum: „Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar, seid auch ihr selbst, als lebendige Steine, aufgebaut, ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum“ (1.Petr. 2,4.5). Indes ist die Grundlage nicht einfach Jesus, sondern Jesus in dem neuen Charakter, der hier ans Licht gebracht wird. 

Er gibt den Titel des Messias, die Grundlage der jüdischen Hoffnungen und der Pläne Gottes bezüglich der Regierung dieser Erde, auf und nimmt den Titel: „Sohn des lebendigen Gottes“ an, indem Er erklärt, das; Er auf diesen Seine Versammlung bauen wolle. In der ganzen Schrift beschreibt der Name, unter welchem Gott sich offenbart, den jeweiligen Charakter Seines Tuns und Seiner Wege. In der Schöpfung ist Er Elohim (Gott); für die Patriarchen ist Er der Allmächtige; für Israel Jehova, der Ewige; für diejenigen, welche jetzt an Seinen Sohn glauben, ist Er Vater. So ist auch Christus für David „Herr“; als „Menschensohn“ ist Er der Ausführer der gerechten Ratschlüsse und Pläne Gottes; als „Messias“ steht Er in Verbindung mit Israel, und als „Sohn des lebendigen Gottes“ hat Er sich der Kirche geoffenbart.

Das Wort „lebendig“ ist von tiefer Bedeutsamkeit. Wenn Jesus von sich als „dem lebendigen Brote“ redet, „welches aus dem Himmel herniedergekommen ist“, so fügt Er hinzu: „Wenn jemand von diesem Brote isst, so wird er leben in Ewigkeit“. Und weiterhin sagt Er: „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich isst, der wird auch leben meinetwegen“ (Joh. 6, 51. 57). In diesen Fällen enthält das Wort „lebendig“ sowohl den Gedanken der Mitteilung des Lebens an Andere als auch des Besitzes desselben. Es ist gleichsam die Beschreibung einer Person, welche, indem Sie in sich selbst, in eigenem Recht und eigener Macht Leben besitzt, über der Herrschaft des Todes steht und Anderen Leben mitzuteilen vermag.

So sagt Jesus auch, dass Er Leben habe in sich selbst, und ferner, dass Er „Gewalt habe, es zu lassen“, und „Gewalt habe, es wieder zunehmen“; auch nennt Er sich „die Auferstehung und das Leben“ und sagt, dass alle, welche an Ihn glauben, nicht sterben werden. Der Titel „Sohn des lebendigen Gottes“ ist deshalb höchst wichtig an dieser Stelle. Jesus stand gerade im Begriff, Seinen Jüngern zu sagen, dass Er sterben, und dass sie ihr Kreuz aufnehmen und um SeinetwilIen ihr Leben verlieren müssten. Welch ein Halt war es deshalb für sie, dass sie es mit dem „lebendigen Gott“ zu tun hatten und in ein Gebäude eingefügt werden sollten, welches des Hades Pforten nicht zu überwältigen vermögen, ja dass ihnen ein Leben geschenkt werden sollte, über welches der zweite Tod keine Gewalt hat!

Dies führt uns zu einer weiteren Offenbarung. Sobald Jesus den messianischen Charakter aufgibt und, als Felsen-Fundament der Kirche, den Titel „Sohn des lebendigen Gottes« annimmt, beginnt Er von Seinem Tode und von Seiner Auferstehung zu reden. Wohl ist es wahr, dass dieser Tod und diese Auferstehung ebenso wohl für Israel wie für die Kirche die Grundlage alles Segens bilden; aber doch besteht zwischen beiden ein großer Unterschied. Israel wird seine Segnung dem Tode Christi verdanken, aber es steht, was seine Berufung betrifft, in Verbindung mit der irdischen Herrlichkeit Christi. Die Kirche dagegen ist mit Seiner irdischen Verwerfung in Verbindung gebracht. Israel wird Ihn einst als Träger der Krone kennen; die Kirche· kennt Ihn als Träger der Dornenkrone und des Kreuzes. Israel wird Ihn anerkennen, wenn Er „mit Kraft umgürtet« erscheint; die Kirche erkennt Ihn an als „in Schwachheit gekreuzigt“. Ebenso ist es im — Blick auf Seine Auferstehung. 

Er wird ohne Zweifel als der Auferstandene Seine irdische Macht und Herrschaft antreten; aber doch wird diese Tatsache in Verbindung mit der Herrlichkeit des Reiches weniger hervorgehoben, während sie in Verbindung mit der Kirche stets im Vordergrunde steht. Er ist „als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Toten- Auferstehung« (Röm. 1, 4); und Er sagt zu Seinem Knechte Johannes: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig in die Zeitalter der Zeitalter und habe die Schlüssel des Todes und des Hades“ (Offbg. 1, 17. 18). Der Gläubige ist mit Christo gestorben und auch mit Ihm lebendig gemacht. Deshalb sind wir berufen, uns selbst Gott darzustellen „als Lebende aus den Toten“.. (Röm.6,13). Obwohl daher alle an dem Tode und der Auferstehung Christi interessiert sind, ist die Kirche doch in einer besonderen, scharf ausgeprägten Weise mit beiden verbunden.

In welcher Weise sie mit ihnen verbunden ist, das geht aus dem Folgenden hervor: „Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und folge mir nach. Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“. Wie ganz anders lautet die Sprache Jehovas Israel gegenüber! Die Juden werden Jesum als ihren Messias kennen, wenn Er auf dem Throne irdischer Macht sitzen und die Krone irdischer Herrlichkeit tragen wird. 

Der Christ kennt Ihn als den Sohn, der in Schwachheit gekreuzigt ist, aber „lebt durch die Kraft Gottes“. Wie könnte der Jude etwas anderes als Segen auf dieser Erde finden, wenn sein Messias den höchsten Platz aus ihr einnimmt? Und wie könnte der Christ etwas anderes als Verwerfung in der Welt erwarten, wo sein Herr nichts fand als nur das Kreuz eines Missetäters? Das Vertrauen des Juden ruht auf dem Szepter, welches seine irdischen Rechte aufrecht erhalten wird; das Vertrauen des Christen auf der Lebensverbindung mit Dem, der über den Tod triumphiert und den Gläubigen so auf einen Felsen gestellt hat, wo die Pforten des Hades machtlos gegen ihn sind.

Unsere Stelle bezeugt also wiederum die Verschiebung des Reiches in seiner äußeren Form und sein einstweiliges Bestehen in einer anderen Gestalt unter der Verwaltung des Menschen. Während dieser Zeit offenbart Jesus sich unter einem neuen Namen. Auf diesen errichtet Er das neue Gebäude der Versammlung oder Kirche, welche, gegründet auf Ihn, den Sohn des lebendigen Gottes, sich außer dem Bereich der Macht des Hades befindet. Diese Kirche ist mit Christo in Tod und Auferstehung verbunden. Die Erde ist nicht der Schauplatz ihrer Segnungen, sondern vielmehr ihrer Prüfungen; und alle, welche Christo nachfolgen wollen, müssen ihr Kreuz aufnehmen. In welch einer bewunderungswürdigen Weise stimmt dieser Charakter der Kirche mit der besonderen Hoffnung überein, die ihr gegeben ist: mit der Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn für Seine Heiligen!

Die der Herrschaft der Nationen unterworfene Welt kann nur einem schrecklichen Gericht entgegenreifen, das dem Menschen anvertraute Reich nur eine durchsäuerte Masse werden. Die Kirche dagegen kann aus der Mitte einer gottlosen Welt und dem trüben Nebel eines leblosen Bekenntnisses heraus zu den vielen Wohnungen emporblicken, welche ihr im Vaterhause bereitet sind, und darf die Stunde erwarten, in welcher der laute Zuruf des Sohnes Gottes ertönen wird, und alle die Erlösten, in das Bild Christi verwandelt, werden aufgenommen werden, „um für immer bei dem Herrn zu sein“.

Wenn Christus Seine irdische Herrschaft antritt, so wird Er ein irdisches Volk mit sich verbinden, die Teilnehmer Seiner irdischen Herrlichkeit und die Gegenstände der irdischen Ratschlüsse. Christus ist jetzt von der Erde verworfen, ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung hienieden, aber der Mittelpunkt der Freude des Himmels. Er hat deshalb ein himmlisches Volk mit sich verbunden: die, welche an Seiner Verwerfung hienieden teilhaben, aber zugleich die Gegenstände der Freude des Himmels sind. Wohl sind sie noch in der Welt, aber sie sind weit von der Welt; und Er selbst, als der zur Rechten Gottes Erhöhte, hat sich ihnen gegeben als Gegenstand ihrer gegenwärtigen Zuneigungen, ihrer Beschäftigung und ihrer Hoffnung. Haben unsere Seelen diese herrliche Stellung erkannt und eingenommen?

Das also ist die Belehrung unsers Herrn gelegentlich dieser ersten Erwähnung des neuen Gebäudes, welches Er errichten wollte. Nachher (in Kap. 18) belehrt Er Seine Jünger in Verbindung mit demselben Gegenstand über die Art und Weise ihres Verhaltens im Falle einer Beleidigung oder eines Unrechts seitens eines Mitgläubigen. Wenn alle Mittel, welche die Gnade ihnen an die Hand gab, erschöpft waren und sich als wirkungslos erwiesen hatten, sollten sie die Sache „der Versammlung sagen“. Dann fügt der Herr hinzu: „Wenn er aber auch auf die Versammlung nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner. Wahrlich ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein; und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein. Wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen werden über irgend eine Sache, um welche sie auch bitten mögen, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Matth. 18, 17 - 20).

Hier wird also die Macht, zu binden und zu lösen, welche vorhin im Blick auf das Reich dem Petrus übertragen wurde, allen Jüngern gegeben. Die Versammlung hat in Fällen der Zucht zu handeln und darf sich nicht herbeilassen, den Fehler irgend eines Gliedes gutzuheißen und anzuerkennen. Zunächst allerdings muss die Gnade und geduldige Liebe Christi geoffenbart werden: der Schuldige ist zu ermahnen und, wenn möglich, von seinem Fehltritt zu überführen. Erweisen sich aber die Bemühungen als fruchtlos, so muss die Unehre, welche dem Namen Christi zugefügt ist, in Betracht gezogen werden, und die Versammlung muss sich von dem Bösen reinigen, indem sie den, der es verübt hat, aus ihrer Mitte hinaustun. 

Das ist die Macht des Bindens und Lösens, welche nicht einzelnen Personen, sondern der Kirche oder Versammlung übertragen ist. Es ist die Machtvollkommenheit, solche, die gesündigt haben, hinauszutun und, nach ihrer Wiederherstellung, wieder aufzunehmen: ihre Sünde auf sie zu binden oder sie von derselben zu lösen. Diese den Gläubigen in ihrer Gesamtheit übertragene Machtvollkommenheit ist nicht die Gewalt, Sünden für die Ewigkeit zu vergeben, (diese gehört Gott allein), sondern die Ausübung eines von Gott geleiteten, zeitlichen Gerichts bezüglich des von einem Gläubigen verübten Bösen. Die Versammlung hat zu entscheiden, ob sie Tat des Betreffenden den Ausschluss erfordert, und nachher, ob die Buße desselben die Wiederzulassung erlaubt und rechtfertigt.

Diese Machtvollkommenheit, zu binden und zu lösen, ruht einfach auf der Gegenwart des Herrn Jesu in der Mitte der Versammelten: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen (eig.: zu meinem Namen hin), da bin ich in ihrer Mitte“. Zu dem Namen Jesu hin versammelt sein heißt: zu Seiner Person hin versammelt sein, unter Anerkennung Seiner Autorität und in Übereinstimmung mit Seinen Gedanken. Wenn daher eine Versammlung, obwohl sie aus nur wahren Gläubigen bestehen mag, irgend einen anderen Mittelpunkt oder irgend eine andere Autorität anerkennt, so hat sie nicht die Verheißung Seiner Gegenwart .in dem Sinne der obigen Stelle.

 Ohne Zweifel ist die Gnade des Herrn groß, und wo Aufrichtigkeit des Herzens vorhanden ist, da wird Er Unwissenheit und mangelhafte Erkenntnis sicherlich übersehen, so dass selbst da viel Segen vorhanden sein kann, wo man noch weit von den Gedanken des Herrn entfernt ist; denn wir haben es mit einem Gott zu tun, der unsere Schwachheit kennt und mit unsrer Unwissenheit Erbarmen hat. So lesen wir z· B. in den Tagen des Verfalls Israels von solchen, welche aus Unwissenheit „sich nicht gereinigt hatten und das Passah nicht aßen wie es vorgeschrieben ist. Doch Jehiskia bat für sie und sprach: Jehova, der Gütige, möge einem jeden vergeben, der sein Herz darauf gerichtet hat, Gott zu suchen, Jehova, den Gott seiner Väter, wenn auch nicht gemäß der Reinheit des Heiligtums. Und Jehova erhörte Jehiskia und. heilte das Volk“ (2. Chron. 30, 18 - 20.) 

So kann und will die Gnade ins Mittel treten, wenn Unwissenheit die Ursache des Fehlens ist und das Herz in Aufrichtigkeit Gott zu dienen begehrt. Aber obwohl das so ist, dürfen wir doch versichert sein, dass der Weg des Herrn stets besser ist als der des Menschen; auch kann die Gnade, welche trotz der Unwissenheit segnet, doch niemals Gleichgültigkeit bezüglich dessen, was dem Herrn wohlgefällt, entschuldigen oder gar gutheißen. Die Gegenwart des Herrn wird niemals eine Unwissenheit anerkennen, welche ihren Grund in sträflicher Nachlässigkeit hat, ebenso wenig wie sie dem .Eigenwillen und dem Ungehorsam derer ihren Beifall geben wird, welche Seinen Namen dazu benutzen wollen, ihre eigenen Gedanken zur Ausführung zu bringen.

Wir sind deshalb verantwortlich zu lernen, was unter dem Zusammenkommen im Namen Jesu zu verstehen ist. Nur diejenigen, welche wirklich so versammelt find, haben die Verheißung der Gegenwart Jesu in dem obigen Sinne; nur ihnen ist die Machtvollkommenheit, zu binden und zu lösen, gegeben. Und auch nur dann, wenn wir wirklich verstehen, was es heißt, zu jenem kostbaren Namen hin versammelt zu sein, wird uns die kostbare Verheißung des Herrn mit Bewunderung erfüllen und zugleich auch einen tiefen, heiligen Ernst in unsern Herzen wachrufen. Im Bewusstsein unsrer großen Schwachheit und der steten Gefahr, irre zu gehen, werden wir auch um so dankbarer sein für die liebliche Versicherung: „Wenn zwei von euch auf der Erde übereinstimmen werden über irgend eine Sache, um welche sie auch bitten mögen, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist“.

O wenn doch alle Gläubigen sich wirklich versammeln möchten in Unterwürfigkeit unter die Leitung des Herrn und mit Herzen, die sich Seiner Autorität willenlos beugen, indem sie in einfältigem Glauben Seine Gegenwart in ihrer Mitte anerkennen! Wenn es so geschähe, wo wäre dann noch Raum für den eigenen Willen? Der Wille des Herrn wäre allein maßgebend, Seine Gedanken würden deutlich erkannt werden, und alles Fehlen und Irregehen bezüglich der Ausübung der Zucht wäre ausgeschlossen. Das Binden und Lösen würde nach Seiner Gesinnung, unter Seiner Leitung geschehen, und alle Bitten würden Seinen Gedanken entsprechen.

Die Vernachlässigung dieser Bedingungen, sei es in Eigenwillen oder in Unwissenheit, hat die Kirche bald von ihrem gesegneten Boden entfernt. Menschen haben sich angemaßt, binden und lösen, vergeben und behalten zu können, ohne aus die Bedingungen zu achten, an welche diese Machtvollkom1nenheit gebunden ist. So lange die Kirche oder Versammlung in einem Zustande war, dass sie die Gegenwart des Herrn anerkannte und im Glauben verwirklichte, ging alles gut; sobald aber Eigenwille, Selbstvertrauen und das Verfolgen eigener Interessen sich einschlichen, trat der Verfall mit Riesenschritten ein. 

Die Gegenwart Christi und die Leitung des Geistes hörten aus, den Handlungen der Kirche ihre Anerkennung und Weihung zu verleihen, und ihre Beschlüsse wurden nicht länger im Himmel anerkannt. Die Tür wurde weit geöffnet für alle Verkehrtheiten des Menschen; Welt und Satan drangen ein, und der Name Christi wurde benutzt, um alle Arten von Bösem, ja selbst Gräuel und Lästerungen mit einem heiligen Gewande zu bekleiden. Blieb auch der „Schatz“ immer gleich kostbar in den Augen und für das Herz Gottes, so wurde doch die allgemeine Christenheit mehr und mehr zu jener hassenswürdigen Sache, welche das göttliche Gericht herbeiführen wird und den Abscheu und Ekel des Herrn erregt, deren Entwicklungsgeschichte von einem ungläubigen Geschichtsschreiber nicht mit Unrecht als „Jahrbücher der Hölle“ bezeichnet worden ist.

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Der beste Freund

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 242ff

Wir haben auf dem Wege durch diese Welt Jemanden nötig, auf den wir uns stützen und verlassen können, der imstande ist, uns sicher zu leiten, alle unsere Bedürfnisse zu stillen, allen Schwierigkeiten und Gefahren zu begegnen, uns zu ermuntern und zu trösten, uns aufrecht zu erhalten und zu stärken —mit einem Worte: Jemanden, der über dieser Erde mit allen ihren Wechselfällen erhaben ist und immer derselbe bleibt. Einen solchen unfehlbaren unveränderlichen Freund finden wir in unserm Herrn Jesu, und zwar in Ihm allein.

„Als Moses vor der Reise durch die weite, öde Wüste stand, sagte er zu seinem Schwager Hobab, als dieser im Begriff stand, in sein Land zurückzukehren: „Verlass uns doch nicht, da du ja weißt, wo wir lagern sollen in der Wüste; und du wirst unser Auge sein“. Aber Hobab sollte diese Ehre nicht haben, sondern der Herr selbst, der gute und große Hirte Israels, zog vor Seinem Volke her, um ihm einen Ruheort in der Wüste zu erkunden (4. Mose 10, 29 — 36).

Ein Freund wird vor allem in Zeiten der Not geschätzt, und ein Führer, — der mit allen Fährnissen und Vorkommnissen einer Wüstenreise vertraut ist, ist für Reisende von unschätzbarem Werte, umso mehr wenn er imstande ist, in der Not hilfreiche Hand zu bieten. Nun, diese Welt ist für uns wie eine Wüste, und der Herr allein kann und will unser treuer Freund und Führer sein. Er ist mit dem ganzen Wege wohl vertraut, denn Er ist ihn selbst gegangen, und Er kennt auch alle Gefahren und ist mächtig genug, uns durch alle Schwierigkeiten und Prüfungen sicher hindurchzuführen (5. Mose 8). Er hat in der Vergangenheit Berge versetzt, und Er vermag dies auch heute noch. Vor Ihm, dem Herrn der ganzen Erde, zerschmelzen die Berge wie Wachs. Er schaut die Erde an, und sie bebt; Er rührt die Berge an, und sie rauchen (Ps. 97, 5; 104, 32; Sach. 4, 7).

Was konnten die armen, furchterfüllten Israeliten tun, als sie vor dem Roten Meere standen? Gar nichts! Aber ihr treuer Freund und Begleiter reichte vollkommen für ihre Not aus. „Als Israel aus Ägypten zog, das Haus Jakob aus dem Volke fremder Sprache, da war Juda Sein Heiligtum, Israel Seine Herrschaft. Das Meer sah es und floh, der Jordan wandte sich zurück; die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Schafe. Was war dir, du Meer, dass du flohest? du Jordan, dass du dich zurückwandtest? Ihr Berge, dass ihr hüpftet wie Widder? ihr Hügel, wie junge Schafe“ (Ps. 114, 1 — 6)? Ja, was war ihnen? Sie erbebten vor dem Herrn, dem Gott Jakobs, vor Ihm, der den Felsen in einen· Wasserteich, den Kieselfelsen in einen Wasserquell verwandelte. — Sollte es heute anders sein?“ Ist unser Gott nicht mehr derselbe mächtige Gott, wie Er damals war? Wahrlich, wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen, der Glaube kann heute wie damals getrost sagen: „Größer als der Helfer ist die Not ja nicht“.

Israel war völlig machtlos. Es konnte weder in eigener Kraft dem Pharao entgegentreten, noch in späteren Tagen Sihon und Og, die mächtigen Könige der Amoriter und von Basan, besiegen. Es vermochte weder einen Weg durch das Rote Meer oder den Jordan zu bahnen, noch den kleinsten Hügel aus seiner Stelle zu rücken. Es besaß keine Schiffe und konnte auch keine Brücken schlagen. Aber was Israel nicht vermochte, das konnte sein treuer Freund ausführen. Und Er tat es: Er stürzte den Pharao mit seinem ganzen Heere ins Schilfmeer, und Er besiegte die großen Könige der Nationen; vor Seinem Schelten floh das Rote Meer-, und vor Ihm wandte sich der Jordan zurück. Er ließ die Berge hüpfen wie Widder und die Hügel wie junge Schafe.

Die Israeliten waren auch wenig bekannt mit der bösen Macht, die in den hohen Örtern wider sie tätig war. Sie hatten keine Ahnung davon, was auf dem Gipfel des Pisga und des Peor vorging, während sie in den Ebenen Moabs lagerten (4. Mose 23 u. 24). Es ist rührend, 5.Mose 23, 5 und Micha 6, 5 zu lesen: „Jehova, dein Gott, wollte nicht auf Bileam hören, und Jehova, dein Gott, wandelte dir den Fluch in Segen; denn Jehova, dein Gott, hatte dich lieb.“ Ach, wie unschätzbar ist doch ein solcher Freund und Führer für arme Wüstenpilger!

Er weiß auch,. mit dem Müden ein Wort zu reden zur rechten Zeit. Wie Er Mühselige und Beladene auffordert, zu Ihm zu kommen und bei Ihm Ruhe und Erquickung zu finden, so ruft Er den Seinigen zu: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage“ – „Ich werde euch nicht „verlassen noch versäumen“ — „Euer Herz werde nicht bestürzt!“ — ,,Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ u. s. w.! Für Seine Liebe und Sorgfalt ist auch nichts zu groß und nichts zu gering. Auch ist Er stets voll innigen Mitgefühls, wenn Trübsale und Kümmernisse auf dem Wege uns treffen. 

Selbst wenn Er beleidigt und Seine Liebe mit Undank belohnt wird, hört Er nicht auf zu lieben. Sein Herz verändert sich nie, so veränderlich unsere Herzen auch sein mögen. Wohl kann Er uns nicht Sein Herz offenbaren, wenn wir untreu sind; aber sobald wir unsere Fehler einsehen und bekennen, ist Er bereit, zu vergeben und wiederherzustellen. Trotz der Verkehrtheit Seines Volkes, von welchem Er mit Recht sagen konnte: „Du hast mir Mühe gemacht mit deinen Sünden“, zeigte Er sich barmherzig und gnädig. (2. Mose 34, 6.) Seine Gnade und Liebe und Sein Mitgefühl veränderten sich nicht. „In aller ihrer Bedrängnis war Er bedrängt, und der Engel Seines Angesichts hat sie gerettet“ (Jes. 63, 9; vergl. Apstgsch. 9, 5).

Von einem solchen Freunde kann man mit Recht sagen: „Der Freund liebt zu aller Zeit“ (Spr. 17, 17). Und vergessen wir nicht, dass wir ohne die Trübsale und Schwierigkeiten des Weges diesen Freund und Helfer in der Not wenig oder gar nicht kennen und schätzen lernen würden. Gerade die Prüfungen und Versuchungen müssen dazu dienen, uns zu zeigen, welch ein unveränderlich liebevoller Freund Er ist, und wirken so zu unserm Besten mit. Sie lassen uns einerseits erkennen, wer wir sind, aber andrerseits auch, wer Er ist.

Eltern sehen sich bei herannahendem Alter oft in ihren Kindern getäuscht. Statt die Liebe und Unterstützung von ihnen zu genießen, die sie verdienen und bedürfen erfahren sie nur Kummer .und Herzeleid. Anders aber ist es mit dem Freunde, von welchem wir reden. Er wankt nicht. Wohl müssen jene lernen, sich auf Ihn allein zu stützen, aber sie machen auch die gesegnete Erfahrung, dass Er sie im Alter versorgen kann und will (Ruth 4, 15). Er, der sie von Kindesbeinen an so freundlich gehoben und getragen hat, sagt: „Bis in euer Greisenalter bin ich derselbe, und bis zu eurem grauen Haare werde ich euch tragen; ich habe es getan und ich werde heben, und ich werde tragen und erretten“ (Jes. 46, 4). Das ist mehr, als was selbst der treueste Sohn und die liebevollste Tochter zu tun vermögen.

Witwen- und Waisen müssen oft die Bitterkeit ihrer Lage fühlen. Aber sollten auch Alle sie verlassen, Er bleibt treu. Er nennt sich den Richter der Witwe, der die Sache der Witwe führt und ihr zu ihrem Rechte verhilft, und den Vater der Waisen. Ja, Alle, die der Hilfe und des Trostes bedürfen, können vertrauensvoll auf Ihn blicken und zu Ihm ihre Zuflucht nehmen. Er bietet sich bereit willig Allen als Helfer, Tröster und Versorger an.

Es ist sicher sehr schmerzlich, wenn Freunde sich verändern, oder durch den Tod abgerufen werden; aber wenn dadurch der beste Freund mehr kennen und schätzen gelernt wird, so ist es der Mühe wert. Er ist ein reicher Ersatz. Wir können auch durch eigene Schuld Freunde verlieren, indem wir ihre Güte missbrauchen, oder sie beleidigen; aber der beste Freund bleibt, wie bereits gesagt, immer treu, obgleich Seine Güte oft missbraucht und Sein Herz oft tief verletzt worden ist· Ja, Seine Güte währet ewiglich. Wie kostbar ist es, einen solchen Freund zu haben! Wie anbetungswürdig sind Seine Liebe und Gnade! Ein zerknicktes Rohr wird Er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht nicht auslöschen (Matth. 12, 20). Er verbindet die gebrochenen Herzens sind. (Jes. 61, 1).

Führte unser Weg allezeit durch Rosengarten, durch schattige Haine und fruchtbare Felder, wo es keine dürre Wüste, keine Sonnenglut, keine Schlangen und Skorpionen, mit einem Worte keine schmerzlichen Erfahrungen und Prüfungen für uns gäbe, so würden wir bald in blindem Selbstvertrauen meinen, unsern Weg in eigener Kraft und Weisheit gehen zu können; denn ein Rosenweg ist ja angenehm und leicht zu gehen. Wir würden dann kein Bedürfnis für einen Begleiter fühlen, kein Verlangen nach einem Führer haben; wir würden auch wohl wenig Geschmack finden an einem Liede wie: „Mein Leben ist ein Pilgrimstand“, in welchem es heißt: „Ich kannte ja nichts hier ohne Dich, drum stärke und bewahre mich“.

Gott sorgt dafür, dass wir unsre ganze Hilflosigkeit kennen lernen, aber zugleich auch erfahren, wie Seine Gegenwart für alles genügt, ob wir nun durch die öde Wüste oder durch die tiefen Wasser der Trübsale, oder durch den heißen Ofen der Leiden und Schmerzen gehen, so dass wir mit Vertrauen in die Worte des Psalmisten einstimmen können: „Auch wenn ich wandelte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, dem: Du bist bei mir“ (Ps. 23, 4)! 

Wenn der Weg finster ist, so dient unser treuer Begleiter als Licht. Will Niedergeschlagenheit sich des Pilgers bemächtigen, so erweckt ein Blick auf Jesum neuen Mut und neue Kraft. Ist er traurig und bekümmert, so trösten ihn der Stecken und der Stab des guten Hirten Will er ermüdet niedersinken, so weist ihn der göttliche Führer auf das herrliche Endziel des Weges hin, wo die Finsternis enden wird in ewigem Licht, wo die Sünde und ihre Folgen nicht mehr sind und wo der Fremdling in seine wahre Heimat einkehrt, in die Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Dort wird er im Vaterhause wohnen, angetan mit einem neuen Leibe, der ohne Schmerzen und ohne Gebrechen ist, in ungestörter Ruhe und Seligkeit. Alle die Mühsale und Gefahren, welche mit der Reise durch die Fremde, durch eine böse, feindselige Welt, verbunden sind, liegen für immer hinter ihm.“

Eine der schmerzlichsten Prüfungen, welche uns hienieden begegnen können, entsteht wohl dann, wenn sich Freunde und Geschwister von dem Bösen gegen einander beeinflussen lassen, wenn übte Nachreden und Verleumdungen ausgestreut werden und Zwietracht entsteht zwischen Brüdern (Spr. 6, 19). Aber der Herr kann auch hierin mit uns fühlen. Er selbst hat erfahren, wie schmerzlich es ist, von einem Freunde getäuscht zu werden und das entgegengebrachte Vertrauen mit Verrat belohnt zu sehen. Wir hören Ihn in Psalm 41, 9 sagen: „Der Mann meines Friedens (d. h. mein Freund), auf den ich vertraute, der mein Brot aß, hat die Ferse wider mich erhoben«, und in Psalm 55, 12 — 14: „Denn nicht ein Feind ist es, der mich höhnt, sonst würde ich’s ertragen; nicht mein Hasser ist es, der wider mich großgetan hat, sonst würde ich mich vor ihm verbergen; sondern du, ein Mensch meines Gleichen, mein Freund und mein Vertrauter, die wir trauten Umgang miteinander pflogen, ins Haus Gottes wandelten mit der Menge“ 

Wir können also in keine Lage, in keine Schwierigkeit kommen, in welcher unser treuer Begleiter nicht Mitleid mit uns zu haben und uns hilfreiche Hand zu bieten vermöchte. Nichts kann uns begegnen, was Ihm unbekannt geblieben und worin Er selbst nicht bedrängt gewesen wäre. Möchten wir uns deshalb, so lange die Schwierigkeiten der Wüste drücken , mehr an unsern besten und unfehlbaren Freund halten und uns an Ihm erquicken! Er kann und will das bittere Wasser durch Seine gesegnete Gegenwart versüßen. (2.Mose 15.) Er kann und will allen Jammer stillen und alle Wunden verbinden und heilen. Er ist, wie der barmherzige Samariter, innerlich bewegt über all unser Leid und bringt uns in die Herberge, wo uns die nötige Pflege zu teil wird. (Luk. 10.)

Darum, geliebter Leser: ,,Vertraue auf Jehova und tue Gutes- . . . und ergötze dich an Jehova, so wird Er dir geben die Bitten deines Herzens. Befiehl Jehova deinen Weg und vertraue auf Ihn! Und Er wird handeln . . . Vertraue still dem Jehova und harre auf Ihn! . Die Rettung der Gerechten ist von Jehova, der ihre Stärke ist zur Zeit der Bedrängnis“ (Ps. 37).

Zu Dir, o Jesu, führt mein Pfad,

Ich geh getrost; das Endziel naht,

wo ich die Wüste werd«’ verlassen.

Hier find’ ich nichts; doch Du bist mein,

Bin nie vergessen, nie allein,

wer kann, Herr, Deine Liebe fassen?

Einst floss Dein Blut, es floss für mich;

Ich bin versöhnt, und Dein bin ich.

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 250ff

Ein Mann, dessen Herz voll von Christo ist, wird imstande sein, zu sagen: Wenn nur das Werk getan, wenn nur Christus verherrlicht, wenn nur Seine Herde genährt und gepflegt und Seelen für Ihn gewonnen

werden, so macht es nichts aus, durch wen das Werk geschieht, ob durch mich oder durch einen Anderen. Ein solcher denkt nicht an seine Ehre, sondern nur an die Ehre seines Herrn.

Wenn wir nichts Gutes in unserm Bruder und Mitknecht zu entdecken vermögen, wenn unser Auge den unter der Asche glimmenden Funken, den vielleicht unter viel wertlosem Schutt glitzernden Edelstein nicht finden kann, nun so lasst uns die Stille des Kämmerleins aufsuchen und am Throne der Gnade von unserm Bruder reden!___

Einsicht und Gewissen, zwei Dinge, deren der Mensch sich so gern rühmt, wurden sein durch eine Handlung des Ungehorsams. Wie demütigend ist das!

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Sobald die Kinder Israel in das Land Kanaan kamen, wurden sie gewarnt, Gottes nicht zu vergessen; wenn sie es täten, so würden sie schlimmer daran sein als in Ägypten; denn dort hatten sie den Nil, um ihren Garten damit zu bewässern, in Kanaan aber würde kein Regen fallen. Leider gibt es heute auch manche Christen, welche wohl ihre gesegnete Stellung in Christo erkannt haben, die aber den damit im Einklang stehenden Zustand als unmöglich durchführbar ausgeben und so „aus dem guten Lande umkommen“, d. h. die Segnungen ihrer Stellung verlieren. Sie empfangen keinen Regen von oben, keine gegenwärtige Bedienung von Seiten Gottes. Ihre Herzen sind trotz aller Erkenntnis dürre und leer. — Wie steht es mit dir mein lieber Leser?

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Wie kann ich Fortschritte machen, wenn ich nicht den Platz einnehme, in welchen Gott mich gebracht hat? Wie kann ich wachsen, wenn ich nicht im Vaterhause mich von dem nähre, was der Vater für mich bereitet hat?

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Mein lieber Mitpilger! Siehe sorgfältig zu, dass du nicht nur durch Christum errettet bist, sondern auch das; du von Ihm lebst. Mache Ihn zu dem täglichen Teil deiner Seele! Suche Ihn „frühe“, suche Ihn allein! Wenn irgend Etwas dein Herz in Anspruch nehmen will, so frage dich, ob es dich Christo näher bringen wird oder nicht. Wenn nicht, so stehe davon ab.

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Nichts kann den schrecklichen Unglauben und die Bosheit des menschlichen Herzens übersteigen als nur die überströmende Gnade Gottes.

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Wenn wir in irgend eine Trübsal kommen, so dürfen wir fest vertrauen, dass mit der Trübsal sich auch ein Ausgang zeigen wird; alles was wir bedürfen, ist ein gebrochener Wille und ein einfältiges Auge. Sind diese vorhanden, so werden wir den Ausgang sicherlich schauen, und wir werden finden, dass er stets gesegnet ist.

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Die Gabe des Heiligen Geistes ist das Ergebnis des am Kreuze vollendeten Werkes des Sohnes. Ehe der Felsen geschlagen war, konnten die Ströme lebendigen Wassers nicht fließen. Die Gabe des Heiligen Geistes führt aber auch Kampf herbei. Das Licht verurteilt und bekämpft die Finsternis. Wo alles finster ist, findet kein Kampf statt; aber der schwächste Kampf gegen das Böse

verrät die Gegenwart des Lichtes.

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Pharao und Amalek stellen zwei verschiedene Einflüsse oder Mächte dar: der erste suchte die Befreiung

Israels aus Ägypten zu verhindern, der zweite den Wandel des Volkes mit Gott durch die Wüste. Pharao benutzte die Dinge Ägyptens, um Israel davon abzuhalten, dem Herrn zu dienen, so dass er ein Vorbild Satans ist, der sich des gegenwärtigen bösen Zeitlaufs gegen das Volk Gottes bedient, während Amalek als das Bild des Fleisches vor uns steht. Amalek war der Enkel Esaus, der ein Linsengericht dem Erstgeburtsrecht vorzog. Er war der Erste, welcher Israel hindernd in den Weg trat, nachdem es »in der Wolke und in dem Meere“ getauft worden war.

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Möchten alle, die sich irgendwie mit der Bedienung des Wortes beschäftigen, sich stets daran erinnern, dass der Heilige Geist die lebendige, nie fehlende Quelle des Dienstes ist! Er allein vermag die Schätze des Wortes in göttlicher Frische und Fülle ans Licht zu bringen.

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Einige Gedanken über Gottes Tun

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 253ff

Sein Tun ist stets gesegnet,

selbst wenn es hart uns scheint.

Das Tun Gottes mit Seinen geliebten Kindern und Knechten, die Ihm doch so nahe stehen und so teuer sind, erscheint uns oft rätselhaft. Wir fühlen uns nicht selten versucht zu fragen: „Warum, o Gott?“ aber wir erhalten keine Antwort. Denn Gott ist, wie Elihu zu Hiob sagt, „erhabener als ein Mensch; über all Sein Tun gibt Er keine Antwort“ (Hiob 33, 12. 13).

Gott findet es nötig, mancherlei Prüfungen und Schwierigkeiten über die Seinigen kommen zu lassen, ja, „wir müssen durch viele Trübsale ins Reich Gottes eingehen“. Er hat uns sehr lieb, und „wen der Herr liebt, den züchtigt Er; Er geißelt aber jeden Sohn, den Er aufnimmt“. Und zwar tut Er dies zu unserem „Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Hebräer 12). „Nicht von Herzen plagt und betrübt Er die Menschenkinder“, es ist nicht Seine Freude, uns wehe zu tun; nein, Absichten väterlicher Treue und Güte leiten Ihn. Liebe und Weisheit vereinigen sieh in allen Seinen Wegen.

Die Knechte, welche Gott in besonderer Weise in Seinem Werke benutzen wollte, hat Er auch meist in besonderer Weise erzogen. Er selbst hat die Gefäße geformt und gebildet, und zwar oft durch schwere Prüfungen, um sie für den Dienst, den sie zu verrichten hatten, geschickt zu machen. Josephs Füße wurden in den Stock gepresst, er kam in das Eisen, bis zur Zeit da Sein Wort eintraf; das Wort Jehovas läuterte ihn“ (Ps. 105, 18. 19). Mose musste vierzig Jahre lang in der Einsamkeit der Wüste von Midian die Schafe hüten, ehe der Herr ihn: als Sein Werkzeug benutzte. Gott bereitete ihn zu für „seinen“ nachherigen wichtigen Dienst und für die vielen Leiden, die mit demselben verbunden waren. 

Es war eine schwere Aufgabe, ein widerspenstiges, allezeit zum Murren geneigtes Volk vierzig Jahre lang zu tragen und zu führen. Dazu bedurfte es ·eines Mannes, der sanftmütiger war als alle „Menschen auf dem Erdboden.“ „Ein solcher Mann war Mose. Aber wo hatte er diese. Sanftmut gelernt? In der Schule Gottes!. Auf demselben Wege gelangte er auch zu dem vertraulichen Verkehr und der kostbaren Gemeinschaft mit Gott, wovon wir wiederholt in den Büchern Mose lesen und die niemand außer ihm, selbst nicht der Hohepriester Aaron, genoss. Mose war treu in dem ganzen Hause Gottes, und Gott redete mit ihm nicht in Gesichten und Offenbarungen, sondern von Mund -zu Mund, wie ein Freund mit seinem Freunde redet- (4. Mose 12). 

Wahrlich, das konnte ihn aufrecht erhalten inmitten eines hartnäckigen Volkes, so dass er zu sagen vermochte: „Herr, du bist unsere Wohnung gewesen von „Geschlecht zu Geschlecht“, und die Entdeckung machte, dass das Beste oder der Stolz des kurzen, flüchtigen Erdenlebens Mühsal und Not ist. (Ps. 90) —. Auch wir dürfen sagen, dass der Herr unsere Wohnung ist; „und die Gemeinschaft mit Ihm ist auch unser bestes Teil. „Glückselig. die .da wohnen in deinem Hause! stets( werden sie dich loben“ (Psalm 84, 4).

Der Apostel Paulus war ein auserwähltes Rüstzeug. Aber ihm wurde ein Dorn für sein Fleisch gegeben, ein Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug, um ihn demütig zu erhalten (2. Kor. 12, 7). Auch ließ der Herr ungewöhnlich viele Leiden und Trübsale über Seinen treuen Knecht ergehen um Seines Namens willen, aber zugleich auch damit Paulus imstande wäre, Andere zu trösten. -— Die Leviten waren vom Herrn als Diener erwählt, um nahe bei Ihm zu sein und die Geräte der Stiftshütte zu tragen. Er liebte sie und sorgte für sie; aber wir lesen in Maleachi 3,3 dass der Herr sie „reinigen und läutern wird wie das Gold und wie das Silber, so dass sie Opfergaben dem Jehova darbringen werden in „Gerechtigkeit“.

David war ein Mann nach dem Herzen Gottes; aber jahrelange Leiden und Trübsale ergingen über ihn, nachdem er bereits zum Könige gesalbt war. Er wurde umhergejagt wie ein Rebhuhn auf den. Bergen. Aber vergessen wir nicht, dass ohne diese Leiden uns die meisten seiner Psalmen mangeln würden. Alle seine äußeren und inneren Leiden, seine Feinde und Versuchungen mussten zu den Psalmen mithelfen. Und wie mit David, so war es mit Paulus. Ohne das Gefängnis zu Rom würden wir wohl mehrere der herrlichsten Briefe des Apostels entbehren müssen. So bringt Gott große Segnungen aus großen Leiden und Trübsalen hervor.

Johannes war der Jünger, den Jesus liebte. (Joh. 13 u. 21). Und dieser geliebte Jünger musste in die Verbannung nach Patmos gehen; aber dort diktierte ihm der Herr die Offenbarung zu unserem großen Nutzen. Die große Drangsal, von welcher im 7. Kapitel des Buches der Offenbarung die Rede ist, wird zu großem Segen ausschlagen für eine Schar, die niemand zählen kann, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen. Sie wird ein besseres und gründlicheres Missionswerk tun als alle Missionare unserer Zeit.

Das Feuer ist nötig und nützlich. Ohne dasselbe würden die kostbaren Metalle ungeläutert bleiben. So ist es mit den mannigfachen Trübsalen und Prüfungen, welche Gott über die Seinigen kommen lässt. Sie dienen zu ihrer Läuterung und zur Bewährung ihres Glaubens (1. Petr. 1, 6. 7). Aber welch eine Gnade ist es für uns, zu wissen, dass der Schmelzer am Schmelztiegel sitzt, wenn er die kostbaren Metalle reinigt! (Mal. 3). Er beobachtet genau den Hitzegrad und lässt das Feuer nicht heißer werden, als es unumgänglich nötig ist. Er zieht Seine Augen nie ab von dem Gerechten. „Den Elenden errettet Er in seinem Elend, und in der Drangsal öffnet Er ihnen das Ohr“ (Hiob 36, 15).

Von Hiob sagte Gott zu Satan: „Hast du acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? denn seinesgleichen ist nicht auf der Erde, ein Mann, vollkommen und rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend“ (Hiob 1, 8). Und doch ließ Gott solch schwere Leiden und ungewöhnliche Trübsale über ihn kommen. Aber alles geschah zu seinem Besten (Kap. 42) und zu unserem Troste: „Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist (Jak.5,11). Satan legt die Trübsale anders aus. Er sagt, dass Gott sehr unbarmherzig und ungerecht sei, dass Er gefühllos sei unsern Leiden gegenüber und unser Schreien nicht höre. Aber wir dürfen ihm unser Ohr nicht leihen und ihm nur nicht glauben; er ist ein Lügner.

Die Diamanten sind edle Steine. Man findet sie in verschiedenen Größen, Formen und Farben. Sie sind selten und kostbar. Aber alle haben die Bearbeitung, das Schneiden und Schleifen nötig. Dieses geschieht mit der größten Vorsicht und erfordert viel Zeit und Mühe. Ein guter Diamantschleifer ist ein Künstler. 

Der Wert eines Diamanten wird durch einen guten, kunstqerechten Schliff außerordentlich erhöht. Man macht den Stein möglichst vielseitig, um seinen Glanz zu vermehren; denn so manche Seite, so manche Fläche ein solcher Diamant hat, so manchmal wirft er das Licht in wunderbarem, blitzendem Glanze zurück. -— Nun, in ähnlicher Weise verfährt Gott mit den Seinigen, mit Seinem Eigentumsvolke. Er bearbeitet und schleift die Steine mit weiser, kunstgerechter Hand, und Er nennt Seine Diener, die Ihm so wert sind, „funkelnde Kronensteine“ (Sach. 9, 16). Sie sollen eine prachtvolle Krone, ein königliches Diadem sein in der Hand ihres Gottes (Jes. 62, 3). Sie sind Sein Schatz, eine sehr kostbare Perle (Matth. 13).

Nur die fruchtbringende Rebe ist wertvoll für den Weingärtner. Darum beschäftigt er sich so viel mit ihr und reinigt sie von allem, was ihr am Fruchttragen hinderlich sein könnte (Joh. 15). Ein Weingärtner sagte einmal, dass die Reben beim Beschneiden weinten; aber es schade ihnen nichts, es sei im Gegenteil gut für sie. So ist auch eine Betrübnis und Traurigkeit Gott gemäß gut; denn eine solche Betrübnis bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil. (2.Kor. ·7, 9. 10). Die Tränen der Gläubigen, welche in einer solchen Stimmung geweint werden, sind Gott angenehm. Er zählt dieselben und legt sie in Seinen Schlauch (Ps. 56, 8). Lasst uns auch nicht vergessen, dass „die mit Tränen säen, mit Jubel ernten werden«. (Ps. 126, 5.) „Am Abend kehrt Weinen ein, und am Morgen ist Jubel da“ (Ps. 30, 5). Nicht lange mehr, so wird Gott jede Träne abwischen von unseren Augen.

Ohne Presse gibt es kein Öl und keinen Wein, durch welche man Gott und Menschen ehrt (Richter 9). Erst wenn das. Rauchwerk fein zerstoßen war und auf feurige Kohlen gelegt wurde, gab es seinen duftenden Wohlgeruch (2. Mose 30, 36; 3. Mose 2, 2). So werden die Gebete der Gläubigen, welche durch allerlei Trübsale und Versuchungen hervorgebracht werden, zu einem wohlriechenden Weihrauch vor Gott. David sagt: „Lass als Rauchwerk vor dir. bestehen mein Gebet“. (Ps. 141, 2; vergl. auch Offbg. 5, 8). Wir lieben allerdings äußere Ruhe und Wohlfahrt; aber sie sind nicht gut für Fremdlinge und Pilgrime. Diese vergessen dann nur zu leicht ihren Platz und ihre Berufung. Darum die ernste Warnung: „Hüte dich“ (5. Mose 8, 11)! Als Israel infolge der Ruhe und Segnungen fett wurde, schlug es aus und verachtete den Fels seiner Rettung (5. Mose 32, 15).

Die Palme wächst, wie man es in den heißen Ländern sehen kann, bei oder unter der Last. Durch das immer schwerer werdende Gewicht der reifenden Datteln zerreißt der Bast, der wie ein Gewebe von festen Bindfäden die Herzblätter zusammenhält und sie verhindert sich zu entfalten. — So geht es auch mit uns. Wie manches will sich da auch wie ein unzerreißbares Gewebe um das Herz legen und unser geistliches Wachstum verhindern! Aber der treue und weise Gott, der unser Wachstum am inneren Menschen wünscht, benutzt Schwierigkeiten und Drangsale, Kreuz und Leid als die geeigneten Mittel, um das Herz von den Fesseln der Welt und des Fleisches zu befreien und so die Entfaltung des neuen Lebens zu befördern. So schreibt denn auch der Apostel Paulus im Blick auf seinen Leidensweg an die Korinther: „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert“ (2. Kor. 4, 16). Darum ermattete er nicht, sondern war inmitten der Leiden allezeit gutes Mutes.

Viele Menschen essen ihr Leben lang täglich Brot und denken nie über den wunderbaren Weg nach, welchen das Brotkorn zu gehen hat. Der Herr Jesus nahm von allem Vormerkung und benutzte oft die einfachsten irdischen Vorgänge zu ernsten oder ermunternden Belehrungen. Sollten wir nicht auch hierin von Ihm lernen? Das Korn wird gesät, stirbt, wächst, reift, wird eingesammelt, gedroschen, gesichtet, gemahlen, dann zu Teig gerührt, in Brote geformt und endlich in den heißen Ofen geschoben, ehe es zu dem wird, was das Herz des Menschen zu stärken vermag (Ps. 104, 15). Alles das muss der Herr auch mit uns tun. Wenn Menschen ihre Hand daran zu legen wagen, machen sie große Fehler. Retten, Reinigen, Sichten, Zubereiten, Formen, Bilden u. s. w. — alles ist Gottes Werk. Er ist der Töpfer und hat Macht über den Ton; und Sein Werk ist stets vollkommen.

Der Herr weiß auch solche zu behandeln, die, wie Moab, still aus ihren Hefen gelegen und darum ihren Geschmack behalten haben (Jer. 48, 11). Er weiß den Wein auszuleeren und von Fass zu Fass zu tun so dass der Gläubige gnädig und Milde wird wie alter Wein, der als Arzenei zur Stärkung der Schwachen gebraucht werden kann. Der Apostel ruft seinem Kinde Timotheus zu: »Sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist“ (2. Tim. 2, 1)! Von Natur ist das Gegenteil bei uns der Fall. Wir sind stark in uns selbst, unser Wille ist ungebrochen, und wir vertrauen aus unser eigenes Wissen und Können. Wie gut, wenn dieser alte Geschmack uns nicht bleibt! Aber wie manches Mal müssen wir von Fass zu Fass ausgeleert werden, bis er sich verliert und bis die Gnade, die in Christo Jesu ist, unsere Stärke wird!

Jeremia sagt in seinen Klageliedern: „Es ist dem Manne gut, dass er das Joch in seiner Jugend trage (Kap. 3, 27). Wie ernst und wahr ist dieser Ausspruch! Das frühe getragene Joch befreit von Selbstvertrauen, bewahrt vor Hochmut, lehrt Geduld und Ausharren und ist deshalb überaus nützlich für spätere Tage. Der Herr wird von jedem, der dieses Joch mit Nutzen getragen hat, als bleibendes Teil genossen, was auch immer kommen mag. Ein solcher hat gelernt, stille auf die Rettung Jehovas zu warten; er hat erfahren, dass die Erbarmungen Jehovas. alle Morgen neu, und dass Seine Treue groß ist. Ja, seine Seele sagt: „Jehova ist mein Teil, darum will ich auf Ihn hoffen“ Eine solche Herzensstellung ist köstlich und gesegnet und dient zur Verherrlichung Gottes.

Baruk, der Sohn Nerijas, sah sich zu seiner Zeit sehr enttäuscht, als sein treuer Dienst für die Wahrheit ihm immer neue Schwierigkeiten und Leiden einbrachte, so dass er zu dem Ausrufe kam: „Jehova hat Kummer gefügt zu meinem Schmerze; ich bin müde von meinem Seufzen, und Ruhe finde ich nicht“ (Jer. 45, 3). Wir mögen uns zuweilen versucht fühlen, ihm beizustimmen, wenn wir nicht auf Trübsale vorbereitet sind. 

Die Apostel aber rühmten sich der Trübsale; sie waren darauf vorbereitet und kannten ihren gesegneten Zweck: „wissend, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Erfahrung u.s.w.“ (Röm. 5, 3 - 5.) „Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet, da ihr wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt. Das Ausharren aber habe ein vollkommenes Werk, auf dass ihr vollkommen und vollendet seid und in nichts Mangel habt“ (Jak. 1, 2 — 4).

Wir haben nötig, gestärkt zu werden mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit — nicht um große Werke zu tun, sondern: „zu allem Aus-harren und aller Langmut mit Freuden“ (Kol. 1, 11). In einem alten Liede heißt es: „O selig ist der Mensch geschätzt, den Gott in Kreuz und Trübsal setzt!“ und in einem der ältesten Bücher der Bibel lesen wir: „Glückselig der Mensch, den Gott straft! So verwirf denn nicht die Züchtigung des Allmächtigen“ (Hiob 5, 17)! So lass uns denn Mut fassen, geliebter Mitpilger, in der Hochschule unseres Gottes und uns willigen Herzens Seinem Tun mit uns unterwerfen! Was auch immer kommen mag — Gott ist treu und wird uns nicht über Vermögen versucht werden lassen. Er wird mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen. Lasst uns in Trübsalen vor allem nicht dem bösen Feinde unser Ohr leihen!

Eine der schwersten Prüfungen für den Diener des Herrn ist es, wenn Gott dem Bösen seinen Lauf lässt. So war es zur Zeit des Elia, des Jeremia und Johannes des Täufers. In solchen Tagen ist es gut, die Worte des Herrn zu beachten: „Glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird!“ Ach! unser natürliches Herz ist so verkehrt und trotzig, so leicht unzufrieden mit dem Tun Gottes, sei es, dass Er uns andere Wege führt als wir dachten, das; Er uns etwas abgeben heißt, was wir so gern behalten hätten, sei es, dass Er das Böse gehen und uns bittere Erfahrungen machen lässt auf dem Wege des Zeugnisses und Dienstes für Ihn.

 Jona freute sich über den Wunderbaum mit großer Freude; aber derselbe Gott, der den Baum gegeben hatte, ließ ihn wieder verdorren und sandte sogar noch einen schwülen Ostwind und die Glut der Sonne über Seinen Knecht. Prüfung auf Prüfung! Anderen Knechten Gottes ist es ähnlich ergangen. „Alles dieses ergeht über mich“, sagte Jakob. „Ich erwartete Gutes, und es kam Böses“, klagte Hiob (Kap. 30.) „Man hofft auf Frieden (oder Wohlfahrt), und da ist nichts Gutes, auf die Zeit der Heilung, und siehe, da ist Schrecken“, rief Jeremia (Kap· 8) in seinen Tagen aus; und Johannes der Täufer ließ den Herrn fragen: „Bist du der Kommende, oder sollen wir eines Anderen warten?“

 In solchen Prüfungen offenbaren sich die Gedanken unseres Herzens. Es zeigt sich, wie schwach und kleingläubig wir sind und wie wenig wir noch in der Schule unseres Gottes gelernt haben. Das ist sehr demütigend, besonders für alte Schüler, die schon so lange den besten aller Meister und Lehrer gehabt und so oft die freundlichen Worte von Ihm gehört haben: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir!“

„Zu jener Zeit“, lesen wir in Matth. 11,25 „hob Jesus Seine Augen ans und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde u.s.w.“ Was für eine Zeit war es? Ach! Johannes war an seinem Herrn irre geworden; das Volk nannte Jesum einen Fresser und Weinsäufer, einen Freund der Zöllner und Sünder; über die Städte, in welchen Er die meisten Wunderwerke getan hatte, musste Er Sein schreckliches „Wehe dir!« aussprechen — alles war gegen Ihn, und all Seine Arbeit, all Sein Mühen schien umsonst gewesen zu sein. 

Zu jener Zeit sprach Jesus: „Ich preise dich, Vater!“ Nun, „diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war.“ Der Jünger ist nicht über den Meister, und der Knecht nicht größer als sein Herr. Darum „habt Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn . . . befestigt eure Herzen; denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen . . . Nehmet, Brüder, zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben. Siehe, wir preisen die glückselig, welche ausgeharrt haben“ (Jak.5, 7 — 11). 

Die „Wolke von Zeugen“ ruht jetzt von allem Leid und Ungemach aus. Viele von ihnen wurden gesteinigt, zersägt, versucht, starben durch den Tod des Schwertes, gingen umher in Schafpelzen und ZiegenfelIen, hatten Mangel, Drangsal und Ungemach, sie irrten umher in Wüsten und Gebirgen, in Klüften und Höhlen der Erde. Die Welt war ihrer nicht würdig. Sie passten besser für den Himmel. Gott liebte sie und nahm sie zu sich. Wir sind aus dem Wege zu demselben herrlichen Ziele. Noch ein wenig Geduld und Ausharren, noch eine kurze Zeit des Kämpfens, des Dienens und Leidens, und die ewige Ruhe folgt. Wie werden wir droben im Lichte Gott für all Sein Tun mit uns preisen! Dort wird uns alles klar und deutlich werden, was uns hienieden dunkel und rätselhaft war.

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Der Wille Gottes

Bibelstelle: Kolosser 1,9

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 264ff

„Deshalb hören auch wir nicht auf, … für euch zu beten und zu bitten, auf dass ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis" (Kolosser 1,9).

Unter den Gläubigen herrscht im allgemeinen ein großer Mangel an Erkenntnis des Willens Gottes bezüglich ihrer Stellung in Christo. Dieser Mangel mag in den vergangenen Jahrhunderten noch größer gewesen sein als heute, aber selbst in den gegenwärtigen Tagen des vermehrten Lichtes auf geistlichem Gebiet ist die Erkenntnis vielfach noch sehr gering; und man geht wohl nicht fehl, hierin eine der Hauptursachen des kirchlichen Verfalls zu erblicken, der schon frühe mit dem Verlassen der ersten Liebe seinen Anfang nahm (Offenbarung 3,4). Sobald Christus nicht mehr den ersten Platz in der Kirche hatte, fing sie an zu verweltlichen. An die Stelle der Wirksamkeit des Heiligen Geistes trat diejenige des menschlichen Geistes; an die Stelle göttlicher Weisheit und geistlichen Verständnisses drängte sich menschliche Weisheit und natürlicher Verstand. 

Der natürliche Verstand aber kann in göttlichen Dingen nur irreführen. Und wenn einmal die Gegenwart und Leitung des Heiligen Geistes außer acht gelassen und nicht mehr „jeder Gedanke gefangen genommen wird unter den Gehorsam des Christus", welchen Spielraum hat dann die Vernunft! Wie viele Vernunftschlüsse werden aufgebaut, die die wahre Erkenntnis Gottes verdunkeln, und wie bald wird das Christentum zu einer bloßen Kopfsache, zu einer leeren Theorie ohne Kraft und Leben! Der Heilige Geist allein kann uns Weisheit und geistliches Verständnis darreichen und in die Erkenntnis des Willens Gottes einführen.

 Und Seine Wirksamkeit unterscheidet sich von derjenigen des menschlichen Geistes dadurch, dass Er die Herzen und Gedanken der Gläubigen von ihnen selbst und von allem ab auf die Person Christi hinlenkt, während der menschliche Geist ihre Blicke auf sie selbst und auf die Erfahrungen und Gefühle ihrer eigenen Herzen richtet. Wo das aber der Fall ist, da ist man mit sich selbst beschäftigt, hat keinen wahren Frieden und gerät entweder unter das Gesetz, indem man eine falsche Heiligung, die Heiligung des Fleisches, anstrebt, oder man wird infolge des Misslingens seiner Anstrengungen enttäuscht und entmutigt und unterliegt den Lüsten des Fleisches und den Lockungen der Welt.

In diesen beiden Richtungen bewegen sich leider viele Gläubige unserer Tage. Die Gläubigen der zuletzt genannten Richtungen sagen, es sei für einen Gläubigen unmöglich, nicht zu sündigen, entgegen den bestimmten Aussprüchen der Schrift: „Sondern wie der, welcher euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel; denn es steht geschrieben: ,seid heilig, denn ich bin heilig'" (1. Petrus 1,15. 16). Und ferner: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget." Und wiederum: „Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht" (1. Johannes 2,1; 3,6). Wenn man daher das Nichtsündigen von vornherein als eine Unmöglichkeit hinstellt, so verleugnet man dadurch die christliche Stellung, in die die Gläubigen kraft des Willens Gottes und der Erlösung gebracht sind.

Im unmittelbaren Gegensatz zu dieser Richtung behaupten andere, dass sie einen durchaus sünden- und fleckenlosen Wandel führten, indem sie sich einbilden, in sich selbst heilig geworden zu sein, und ferner, dass jeder, der noch sündige, kein Kind Gottes sei. Wer eine solche Behauptung aufstellt, beweist, dass er völlig blind ist über sich selbst und vergisst, dass nach den klaren und bestimmten Belehrungen des Wortes Gottes das Fleisch unverbesserlich ist und bleibt. Der Apostel spricht von den Lehren solcher, dass sie „einen Schein der Weisheit haben, in eigenwilligem Gottesdienst und in Niedriggesinntheit und im Nichtverschonen des Leibes, und nicht in einer gewissen Ehre, zur Befriedigung des Fleisches" (Kolosser 2,23). Beide Richtungen kennen die christliche Stellung nach dem Willen Gottes nicht, und tun, als lebten sie noch in der Welt (Kolosser 2,20).

Der Gläubige ist sicherlich berufen, würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes, gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden (Kolosser 1,10 - 11). Aber der Apostel stellt einen solchen Wandel als Folge der Erkenntnis des Willens Gottes dar. So lange nun der Gläubige mit sich selbst beschäftigt und mit seinem Ich nicht zu Ende gekommen ist, hat er weder Zeit noch Ruhe, über den Willen Gottes nachzudenken; denn dazu müsste er sich ausschließlich mit Christo beschäftigen. Erst dann, wenn sein Herz und sein Gewissen völlig zur Ruhe gebracht sind, wird Christus sein Gegenstand.

Ehe der Apostel daher mit den Gläubigen zu Kolossä über die Person Christi redete, bezeugte er ihnen, dass sie in Ihm die Erlösung besaßen und dass der Vater sie fähig gemacht hatte zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte, indem Er sie aus der Gewalt der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes seiner Liebe versetzt hatte (Kap. 1,12 -1 5). 

Der Gläubige kann infolge der Erlösung nie reiner werden, als das Blut Christi ihn gemacht hat; er kann nie völliger errettet, geheiligt und vom Bösen abgesondert werden, als der Vater dies in Christo getan hat, indem Er ihn in das Reich des Sohnes Seiner Liebe versetzt hat. Allen, die wirklich an Jesum glauben, gilt das Wort: „Aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes" (1. Korinther 6,11). Alle sind nicht mehr im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in ihnen wohnt (Römer 8,9), - nicht mehr in dem Zustand des ersten Adam, sondern in Christo: eine neue Schöpfung (2. Korinther 5,17).

Das ist die christliche Stellung nach dem Willen Gottes, und wenn der Gläubige sie zum Ausgangspunkt seines Wandels macht, so wandelt er weder in der Sünde, noch in selbstgemachter Heiligkeit, noch in Weltförmigkeit, sondern in Christo, und darum würdig des Herrn zu allem Wohlgefallen, fruchtbringend in jedem guten Werke. Christus ist sein Gegenstand und sein Leben, die Triebfeder und Quelle seiner Werke. Er hat mit seinem Ich geendigt und wandelt in Neuheit des Lebens (Römer 6,4).

Gott kann kein Werk anerkennen, das Er nicht in Christo zuvor bereitet hat. Israel konnte nur solche Früchte zum Altar Jehovas bringen, die auf den Fluren Kanaans, im Lande Jehovas gewachsen waren. Und mit der Erinnerung an die Errettung aus dem Elend und der Knechtschaft, worin sie einst gewesen waren, bekannten sie, was Gott an ihnen getan hatte: „und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig fließt" (5. Mose 26,1 - 11). Und die dargebrachten Erstlingsfrüchte als der Ausdruck eines dankbaren und anbetenden Herzens waren der Beweis, dass sie in dem Lande waren.

Erblicke in diesem Vorbild, mein lieber Leser, die christliche Stellung nach dem Willen Gottes, die unzertrennlich mit der Stellung Christi in Herrlichkeit verbunden ist und die wir jetzt durch den Glauben zu verwirklichen haben. „Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe" (Kolosser 1,12 - 13). 

In das Land, in das Reich des Sohnes Seiner Liebe gebracht, befinden wir uns in der von Gott anerkannten Stellung, und indem wir darin wandeln, wandeln wir im Geiste. Hier gedeiht auch die praktische Heiligung und die Frucht des Geistes: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit" (Gal 5,22). Wir sind in dieselbe Stellung versetzt, in die Christus für uns eintrat, als Er Seinen Platz in der Herrlichkeit nahm, damit wir in Wahrheit Geheiligte seien. „Und ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit" (Johannes 17,19).

Die Heiligung wird als eine der brennendsten Fragen bezeichnet; aber ihre Lösung lässt vergeblich auf sich warten, so lange die Gläubigen ihre geheiligte Stellung in Christo nicht erkennen und ihr Auge nicht einzig und allein auf Christum richten der uns mit Ihm und Seiner Herrlichkeit bekanntzumachen sucht! Die Betrachtung dieser Herrlichkeit wird nie ihre Wirkung auf unseren Zustand und Wandel verfehlen, wie der Apostel sagt: „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist" (2. Korinther 3,18). Die Sendung des Heiligen Geistes hatte sogar in erster Linie den Zweck, den Gläubigen diese Herrlichkeit des Herrn vorzustellen. 

„Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten ... Er wird mich verherrlichen, denn von dem meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles was der Vater hat, ist mein" (Joh 16,13-15). So wie Elieser vorbildlich die Rebekka mit den Reichtümern Isaaks, des einzigen Sohnes seines Herrn, bekannt machte (1. Mose 24,35. 36), will auch der Heilige Geist uns mit „allem" bekannt machen, was der Vater dem Sohne Seiner Liebe gegeben hat.

Es ist der Wille Gottes, dass wir schon auf Erden wissen und verstehen sollen, was Sein Sohn in Seinen Augen ist, Er, der Geliebte, „ausgezeichnet vor Zehntausenden" (Hl 5,10). Ja, Er will, dass wir erkennen und verstehen sollen, wie unaussprechlich Er uns geliebt und wie hoch Er uns geachtet hat, indem Er uns Jesum gab und uns mit Ihm vereinigte. Welch eine wunderbare Gnade ist es doch: Gott hat Den, dessen Füßen Er alles unterworfen hat und Der das Haupt über alles ist, Ihn, der alles in allem erfüllt, der Versammlung gegeben, welche Sein Leib, Seine Fülle ist, d. h., die den geheimnisvollen Menschen Gottes (Epheser 2,15) vervollständigt! (Epheser 1, 22. 23).

Allerdings vermag nur Gott die Person des Sohnes Gottes in den unergründlichen Tiefen ihres Wesens zu erkennen; denn der Sohn Selbst sagt: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater" (Mt 11,27). Aber Gott hat Ihn uns ganz gegeben, und unsere Aufgabe ist es, Ihn kennenzulernen, soweit der Heilige Geist Ihn uns in der Schrift geoffenbart hat. Dort lesen wir von Ihm: „Welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn durch ihn sind alle Dinge erschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen. 

Und er ist vor allen, und alle Dinge bestehen zusammen durch ihn" (Kolosser 1,15-17). In welch einer majestätischen Größe tritt unser geliebter Herr hier vor unsere Blicke! Wie verschwindend klein erscheint schon der Mensch gegenüber der Größe der sichtbaren Schöpfung, deren Anblick dem Psalmisten die Worte entlockte: „Wenn ich anschaue deinen Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du auf ihn acht hast?" (Psalm 8,3. 4). Wie tief fühlte Hiob seine Nichtigkeit, als Jehova Seine Majestät betreffs der sichtbaren Schöpfung nur in etwa enthüllte: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? ... Und wer hat das Meer mit Toren verschlossen? ... 

Bist du gekommen bis zu den Quellen des Meeres, und hast du die Gründe der Tiefe durchwandelt? ... Kannst du knüpfen das Gebinde des Siebengestirns, oder lösen die Fesseln des Orion? ... Kennst du die Gesetze des Himmels, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?... Kannst du Blitze entsenden, dass sie hinfahren, dass sie zu dir sagen: Hier sind wir? ... oder erhebt sich auf deinen Befehl der Adler und baut in der Höhe sein Nest? ... Oder hast du einen Arm wie Gott, und kannst du donnern mit einer Stimme wie er?" Ja, welch ein Abstand, welch eine unermeßliche Entfernung besteht zwischen Gott und dem Menschen von Natur! Und doch, wie nahe sind wir Ihm gebracht in Christo, der sagen konnte: „Ich und der Vater sind eins" (Joh 10,30), der „alles" Sein eigen nennen kann, was der Vater hat, ja, durch Dessen Wort alles besteht, was geworden ist!

Wie klein wird vollends der Mensch und wie majestätisch erscheint die Größe des Herrn bei dem Gedanken an die unsichtbaren Welten, die Myriaden Engel, diese „Gewaltigen an Kraft" (Psalm 103,20), an die Throne und Fürstentümer in den himmlischen Örtern! Wie unfassbar ist die Entfernung, in der wir uns als Sklaven Satans und der Sünde schon von diesen heiligen und erhabenen Mächten befanden; wie unendlich weit standen wir unter ihnen! Umso unergründlicher ist die „gar mannigfaltige Weisheit Gottes", die uns in Christo dargestellt hat, der hoch über diesen Mächten erhaben ist (Epheser 3,10), dem sie alle ihr Dasein verdanken und dem sie alle zu Gebote stehen.

Und unsere Verbindung mit Ihm ist nicht eine bloße Vereinigung wie die eines Königs mit seinem Volke, sondern eine Einheit, wie die des Hauptes mit dem Leibe. „Und er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung" (Kolosser 1,18). Es ist eine Einheit des Lebens, das Er, der Auferstandene „der Erstgeborene aus den Toten", allen Gliedern Seines Leibes mitgeteilt hat. Dasselbe Leben, kraft dessen Er den Tod überwunden hat, ist ihr Leben; jedoch mit dem Unterschied, dass Er das Haupt ist, und die Glieder alles durch Ihn und in Ihm besitzen. Wenn gleich wir mit Christo unzertrennlich verbunden sind, trägt der Heilige Geist doch stets Sorge, dass die Herrlichkeit der Person Christi gewahrt bleibt. Darum fügt Er sogleich hinzu: „Auf dass er in allen Dingen den Vorrang habe; denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen" (Vers 18. 19). Die Unendlichkeit dieser Fülle, die zu umfassen das ganze Weltall zu klein ist, wohnt in Christo leibhaftig (Kolosser 12,9). 

Wenn aber die Versammlung der Leib Dessen ist, der in Person der Sohn Gottes, die Offenbarung der Liebe des Vaters und der Schöpfer des Weltalls ist, ja in dem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, welcher Platz geziemt sich dann für sie und jedes einzelne Glied des Leibes? Muss er nicht in jeder Beziehung der Würde des Herrn entsprechen? Versteht es sich nicht von selbst, dass ihr Wandel würdig des Herrn sei zu allem Wohlgefallen? Wenn die Versammlung dem über alles erhabenen Herrn so nahe steht, wenn Er sie liebt wie Sich Selbst und sie aufs Zärtlichste nährt und pflegt als die Glieder Seines Leibes (Epheser 5,29. 30), so ist es offenbar, dass sie Ihm alle ihre Zuneigungen und ihre ganze Hingebung schuldet. Aber ach! Wie sehr hat sie das Geheimnis des Willens Gottes aus dem Auge verloren, kraft dessen Er sie mit Christo, dem Sohne Seiner Liebe, verbunden hat! 

Wie viel Weltförmigkeit und Jagen nach den Dingen dieser Welt, welch eine traurige Zersplitterung zeigt sich in ihrer Mitte! Wie ist das einst so hell strahlende Licht matt und trübe geworden! Wie ist „verdunkelt das Gold, verändert das gute, feine Gold" (Klgl. 4,1). O möchten doch alle Jünger Jesu aufwachen und von neuem unverrückt Ihn anschauen, der sie „geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat", der jetzt droben weilt und bald wiederkehren wird! Wahrlich, es kann keinen mächtigeren Antrieb geben zur praktischen Heiligung, zur entschiedenen Absonderung von der Welt, (von ihrem Geist sowohl wie von ihren religiösen Systemen und Einrichtungen) mit einem Wort zur Fernhaltung von allem Bösen, als einen zur Rechten Gottes verherrlichten Christus anzuschauen und unsere Verbindung mit Ihm zu verwirklichen.

Da wir in Christo dargestellt sind, so ist unsrer Stellung vor Gott nichts mehr hinzuzufügen; denn der Apostel sagt: „Ihr seid vollendet in ihm, welcher das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist" (Kol 2,10). Infolgedessen sind wir in Wahrheit fähig gemacht zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte; und die Gläubigen werden in der Schrift tatsächlich von diesem Standpunkt aus gesehen und verantwortlich gemacht. In vielen seiner Briefe redet Paulus die Gläubigen als Heilige in Christo an, und in seinen Ermahnungen macht er sie als solche verantwortlich. „Hurerei aber und alle Unreinigkeit oder Habsucht werde nicht einmal unter euch genannt, gleichwie es Heiligen geziemt" (Eph 5,3).

 „Ziehet nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut usw." (Kol 3,12). Jeder den Gläubigen erwiesene Dienst wird betrachtet als ein den Heiligen erwiesener Dienst: „Was aber die Sammlung für die Heiligen betrifft" ... „Denn was den Dienst für die Heiligen betrifft" ... „Denn die Bedienung dieses Dienstes ist nicht nur eine Erfüllung des Mangels der Heiligen" usw... . „Denn Gott ist nicht ungerecht, eures Werkes zu vergessen und der Liebe, die ihr gegen Seinen Namen bewiesen, da ihr den Heiligen gedient habt und dienet" (1. Korinther 16,1; 2. Korinther 9,1. 12; Hebräer 6,10).

Sicher sind die Gläubigen nicht „Heilige" in sich selbst, sondern nur durch ihre Stellung in Christo; aber infolge dieser Stellung und der Tatsache, dass der Heilige Geist in ihnen wohnt, werden selbst ihre Leiber als abgesondert für Christum, ja als Glieder Christi betrachtet. Wisset ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? ... Oder wisset ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid?" (1. Korinther 6,15. 19). Dass die Gläubigen geheiligt sind infolge ihrer Stellung in Christo, ist denn ebenso sehr eine vollendete Tatsache, wie dass Christus zur Rechten Gottes sitzt und der Heilige Geist in den Gläubigen wohnt.

Es war das Wohlgefallen des Willens Gottes, die Gläubigen in dieser glückseligen Stellung vor Sich zu haben, heilig und tadellos in Liebe (Epheser 1,4). In Seiner unendlichen Liebe gegen uns hatte Er diesen Ratschluss Seines Willens schon vor Grundlegung der Welt gefasst, und der Sohn Gottes hat ihn in vollkommener Übereinstimmung mit dieser Liebe ausgeführt. Er konnte sagen: „Siehe, ich komme, (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben) um deinen Willen, o Gott, zu tun" (Hebräer 10,7). 

„Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust" (Psalm 40,8). Wie niemand im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erde fähig und würdig ist, das Buch der Gerichte zu öffnen (Offenbarung 5,3), so vermochte auch niemand im ganzen Weltall das Wohlgefallen Jehovas auszuführen; Christus allein hat die Ausführung in die Hand genommen. Nachdem Er als das vollkommene Schuldopfer Sein Leben in den Tod gegeben hat, unsere Schuld gesühnt und die Gerechtigkeit Gottes völlig befriedigt hat, hat Er Seinen Platz in der Herrlichkeit eingenommen, um alle Ratschlüsse Gottes auszuführen. „Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen Jehova wird in seiner Hand gedeihen" (Jesaja 53,10).

Möchte denn das, was Gott gewollt hat, was Christus uns so teuer erworben hat, was in Ihm schon jetzt und in alle Ewigkeit unser unwandelbares Teil ist, mehr von uns erkannt und verwirklicht werden! Ja, möchten wir mit der Erkenntnis des Willens Gottes erfüllt sein in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, und allezeit in Christo erfunden werden zur Ehre und zum Preise Gottes! „Wie ihr nun (d. h. in Seiner ganzen Fülle) den Christus Jesus, den Herrn, empfangen habt, so wandelt in Ihm, gewurzelt und auferbaut in Ihm und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid, überströmend in demselben mit Danksagung!" (Kolosser 2,6. 7).

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Wachet stehet fest im Glauben seid männlich seid stark

Bibelstelle: 1. Korinther 16,13

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 281ff

Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dass wir in einer ernsten und wichtigen Zeit leben, in einer Zeit, die für den einzelnen Christen, wie für die ganze Gemeinde Gottes auf Erden, den Stempel an der Stirn trägt: „Wachet! der Herr ist nahe!“ Eine herrliche Zukunft ist uns verheißen; nicht hienieden, wo die Gläubigen nur Pilgrime und Fremdlinge sind, sondern zur Rechten des Sohnes Gottes in der Herrlichkeit droben. Und die Erfüllung unserer Hoffnung ist uns nahe gerückt. Wir stehen nahe am Ziele. Nicht lange mehr werden die Kinder Gottes auf den Antritt ihres himmlischen Erbes zu warten haben. Bald wird sich das Leid in Freude, der Kampf in Sieg, die Arbeit und Mühe in ewige Ruhe verwandeln.

Aber gerade weil das so ist, macht der Feind gewaltige Anstrengungen, um den Blick der Gläubigen von dem herrlichen Ziele abzulenken und ihre Herzen mit irdischen Dingen zu erfüllen. Denn ein himmlisch gesinnter Christ ist ein mächtiger Gegner des Feindes, ein hell brennendes Licht inmitten der Finsternis; während ein irdisch gesinnter Christ nicht nur selbst eine leichte Beute des Feindes wird, ja schon geworden ist, sondern ihm auch in der Verfolgung seiner Zwecke geradezu in die Hände arbeitet. Denn ein solcher ist ein Hemmschuh und ein Anstoß für seine Mitgläubigen, ein Ärgernis für die Ungläubigen und eine ernste Schädigung des Zeugnisses. Nicht umsonst steht deshalb so oft geschrieben: „Wachet!“

Nicht umsonst ruft in unserer Stelle der Apostel den Gläubigen zu: „Stehet fest!“ Wie aber kann ich feststehen? Nur im Glauben. Nur dann, wenn die himmlische Berufung deutlich und klar vor meiner Seele steht, wenn der köstliche Siegespreis meinen Blicken vorschwebt, wenn das Herz nach oben gerichtet ist und die Seele nach dem- trachtet, was droben ist. Sobald das Auge sich von dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohne abwendet, werden wir matt und kraftlos. Andere Wünsche erfüllen das Herz; das Sichtbare tritt an die Stelle des Unsichtbaren, das Irdische an die Stelle des Himmlischen.

Und doch, geliebter Leser, sind wir die Braut Jesu Christi, die Miterbin Seiner Herrlichkeit, das teuer erkaufte Volk Gottes. Wir wissen, dass Sein großes Opfer für uns gebracht worden ist, und dass wir, gewaschen in Seinem Blute, heilig und tadellos vor dem Vater dastehen; dass die Liebe Gottes auf uns ruht, und dass wir fähig gemacht sind, als geliebte Kinder zu nahen und „Abba, Vater!“ zu sagen. Wir wissen, dass wir in Christo sind und als solche nichts Gemeinsames mehr haben mit Welt und Sünde; dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen. 

Wir wissen, dass wir als Lebende aus den Toten Gott dargestellt sind und uns Ihm nun als solche praktisch darstellen sollen zu einem heiligen, Ihm wohlgefälligen Schlachtopfer. Wir wissen ferner, dass wir aus dem Wege sind zu unserer himmlischen Heimat, zu den vielen Wohnungen im Vaterhause droben, wo auch für uns eine Stätte bereitet ist. Wir wissen, dass auf dem Wege dahin alle Dinge zu unserem Wohle mitwirken müssen, und dass eine Vaterhand uns leitet und ein Vaterherz über uns wacht. Wir wissen, dass die Leiden aus dem Wege nur eine Züchtigung des Vaters zu unserem Nutzen sind, um uns Seiner Heiligkeit teilhaftig zu machen und unseren Glauben zu erproben und zu bewähren. Wir wissen, dass die Leidenszeit kurz und der Kampfe bald vorüber ist, und dass, wenn Christus geoffenbart werden wird, wir Ihm gleich sein werden, indem wir Ihn sehen werden wie Er ist.

Alles das und noch vieles andere wissen wir; es ist uns seit Jahren geläufig. Aber, geliebte Brüder! Erfüllt der Gedanke, dass wir so teuer erkauft sind und einen so hohen, köstlichen Beruf und solch wunderbare Segnungen und Verheißungen erlangt haben, unsere Herzen, heute wie ehedem, mit seliger Freude, mit Lob und Anbetung? Stimmt er uns zu tiefem Ernst, und bewirkt er in uns den aufrichtigen Herzensentschluss, koste es was es wolle, bei dem Herrn zu verharren? Jeder von uns wird sagen: Es sollte so sein. Gewiss, es sollte so sein; aber wenn es nicht so ist, woran liegt es? Liegt es nicht daran, dass viele von uns aufgehört haben, wachsam zu sein, im Gebet zu beharren und festzustehen im Glauben?

Wenn das Bewusstsein unserer hohen Berufung in unseren Herzen lebt, wenn es nicht nur ein kraftloses Wissen ist, ohne Einfluss auf unser Herz und Gewissen, so bringt und erhält es uns in der rechten Stellung. Zwar sind der Feinde viele, die uns das herrliche Ziel verrücken und uns unserer lebendigen Hoffnung berauben wollen. Aber die Freude am Herrn ist unsere Stärke. Ist Er wirklich der Gegenstand unserer Freude und unseres Genusses, so werden wir, wie einst die Israeliten zur Zeit Nehemias, nicht nur rüstig an dem Werke Gottes fortbauen, sondern auch jede unheilige Verbindung mit der Welt und ihren Kindern ausschlagen. Unser Leben ist dann allerdings ein Leben fortwährenden Kampfes, also ein unbequemes Leben für das Fleisch, aber ein gesegnetes Leben für den neuen Menschen, und vor allem ein Leben zur Ehre Gottes und zur Verherrlichung unseres Herrn. 

Wir bedürfen dann steter Wachsamkeit, sowie der ganzen Waffenrüstung Gottes, des Gurtes der Wahrheit, des Brustharnisches der Gerechtigkeit, der Beschuhung mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens und des Schildes des Glaubens. Nur so können wir an dem bösen Tage widerstehen, die feurigen Pfeile des Bösen auslöschen, alles wohl ausrichten und mit dem Schwerte des Geistes Siege erringen (Eph. 6, 13 -— 17).

Nur der einfältig Glaubende, der sich stets seiner eigenen Ohnmacht bewusst bleibt und sich deshalb an Jesum anklammert, wird seinen Weg mit Freuden pilgern und vollenden. Ein solcher findet in Jesu alles, was zum Leben und zu einem gottseligen Wandel nötig ist (2. Petr. 1, 3). Sein Herz bleibt in Frieden, sein Glaubensauge hell und ungetrübt, seine Hand stark und sein Fuß vor Straucheln bewahrt. Glücklicher Christ! Verlangst du nach diesem Glück, mein lieber Leser? Nun, so wache, stehe fest im Glauben, sei männlich, sei stark! Lass dich nicht abbewegen von dem einzigen Boden, auf welchem dieses Glück genossen werden kann, dem Boden des einfältigen Glaubens und der Herzensgemeinschaft mit Christo, deinem Herrn! Und solltest du bereits abbewegt worden sein, so kehre zurück! Bei dem Herrn ist viel Vergebung. Er stellt die Seele wieder her und leitet sie dann in Pfaden der Gerechtigkeit um Seines Namens willen.

Von Kampf bleiben wir allerdings, wie bereits gesagt, nicht verschont. Einst kämpfte das Haupt, jetzt die Glieder;· einst der Bräutigam, jetzt die Braut. Aber das Leben des Hauptes durchströmt die Glieder, die durch Ihn erkauft und erlöst sind, und Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Wir sind in Ihm, dem Auferstandenen. Satan möchte uns zwar stets gern dahin bringen, dass wir uns außer Christo betrachten; denn er weiß sehr wohl, dass uns das mutlos und verzagt macht. Aber Gott sei Dank! Satan ist ein Lügner. 

Unser Heil steht für ewig fest. Wir sind durch ein Opfer auf immerdar vollkommen gemacht und sind in Christo schon jetzt Gott dargestellt heilig und tadellos, befreit vom bösen Gewissen. Lasst uns dies einfältig und kindlich festhalten und dann als solche, die in diese Stellung vor Gott gebracht sind, mit Ernst kämpfen, in der Kraft und Stärke des Herrn; wir werden dann gewisslich auch in Gerechtigkeit wandeln.

Die Versammlung Gottes ist ermahnt, in allen ihren Gliedern Dem zu leben, der sie erkauft hat, reich zu sein an guten Werken, die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste zu verleugnen und besonnen, gerecht und gottselig zu leben in dem jetzigen Zeitlauf (Tit. 2, 12; vergl. auch Eph. 2, 10.) Und sollte es nicht die Freude der Braut sein, die ihrem himmlischen Bräutigam entgegensieht, keusch und züchtig zu leben, nicht mit der Welt zu buhlen, sondern sich in jeder Beziehung unbefleckt zu erhalten? Wenn es nicht so ist, so vergisst sie, wie teuer sie erkauft und zu welch einem Platze — an der Seite ihres Herrn! -— sie berufen ist. Sie verkennt dann den Wert der göttlichen Gnade und den unausforschlichen Reichtum der Liebe Christi.

Doch wie steht es in dieser Beziehung unter uns, geliebter Leser? Lass uns wahr und aufrichtig sein gegen uns selbst! Wenn wir Umschau halten unter den überall zerstreuten Kindern Gottes, erblicken wir da nicht Viele, die doch zur Freiheit berufen sind, als Gefangene, und die so teuer erlöst sind, als Knechte unter mancherlei menschlich im Joch? Scheint es nicht so, als wenn Viele, obwohl sie mit ihrem Munde bekennen, ihren einzigen Ruheort im Himmel gesunden zu haben, bemüht seien, sich recht wohnlich hienieden einzurichten und sich mit den Kindern dieser Welt so gut wie möglich abzufinden? Suchen Andere nicht, die teuer erworbenen Heilsgüter in Christo zu einem Gemeingut alIer zu machen, nicht allein der Kinder Gottes, sondern auch der Kinder dieser Welt?

 Fordert man nicht sogar diese letzteren auf, mitzuarbeiten im Weinberge des Herrn, obgleich sie nichts im Glauben und zur Ehre Gottes tun können, und obgleich geschrieben steht, dass die, welche im Fleische sind, Gott nicht zu gefallen vermögen? Heißen nicht Manche die Vermengung von Gläubigen und Ungläubigen gut, damit diese, wie sie sagen, von jenen durchsäuert werden, während doch gerade das Entgegengesetzte der Fall ist, indem die Kinder Gottes in solch unheiliger Verbindung von dem Sauerteig der Welt angesteckt werden? Ist nicht das Christentum vielfach so verwässert und verflacht, dass man treue, entschiedene Gläubige, die um jeden Preis dem Worte Gottes zu folgen begehren, Hochmütige und Schwärmer nennt? 

Und ist nicht auch bei denen, die äußerlich die Verbindung mit der Welt abgebrochen haben, innerlich diese Verbindung vielfach wieder angeknüpft worden? (und wenn einmal das Herz wieder zur Welt neigt, werden die Füße bald folgen)! Gibt es nicht viel Trachten nach den Dingen dieser Erde, nach Hab und Gut, nach Ehre und Ansehen in unserer Mitte? Ist nicht so manchem Christen das zarte Gefühl für das, was würdig, gerecht, rein, lieblich und wohllautend ist (Phil. 4, 8), in dem Gewühl des geschäftlichen Lebens unserer Tage verloren gegangen? Scheint nicht manches Kind Gottes die Ermahnung des Apostels: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen“, gerade ins Gegenteil verkehren zu wollen?

Ja, geliebte Brüder, lasst uns wahr und aufrichtig sein gegen uns selbst! Die Gefahr ist groß. Sie war es schon zur Zeit des Apostels Paulus. Wie ernst warnt er in seinem ersten Briefe an Timotheus vor der Geldliebe und vor der Sucht, reich werden zu wollen. Er nennt die Gottseligkeit mit Genügsamkeit einen großen Gewinn und ermahnt Timotheus so eindringlich und treu: „Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge; strebe aber nach Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Glauben, Liebe, Ausharren, Sanftmut des Geistes· Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben“ (1.Tim. 6, 6 — 12). 

Und wir müssen nicht denken, dass nur sogenannte „Geschäftsleute“ dieser Gefahr ausgesetzt seien. Sie sind es vielleicht mehr als Andere, aber keineswegs allein. Timotheus war sicherlich kein Geschäftsmann, und doch richtete sich an ihn gerade die Warnung und Mahnung des Apostels. Wir stehen alle, wer wir sein und worin unsere äußere Beschäftigung auch bestehen möge, vor derselben Gefahr: der Herr wie der Knecht, die Frau wie die Magd, der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer, der Diener im Werke des Herrn wie der in irgend einem weltlichen Beruf stehende Gläubige. Darum lasst uns wachen und feststehen im Glauben!

Es bleibt mir noch übrig, eine andere Seite unseres Gegenstandes zu berühren. Wenn einerseits die Welt und ihre Dinge die große Gefahr für uns in sich bergen, uns in unserer Festigkeit wankend zu machen, so sind andrerseits auch die Leiden und Prüfungen, welche uns hienieden treffen, geeignet, uns zu erschrecken und niederzubeugen. Obwohl diese beiden Dinge einander geradezu entgegengesetzt sind, so vermögen sie doch, wenn wir nicht wachsam sind, dasselbe Ergebnis herbeizuführen, nämlich uns matt und mutlos zu machen und unser Zeugnis zu schwächen.

So lange wir hienieden pilgern, dürfen wir nicht vergessen, dass wir einerseits allerlei Leiden des Leibes und der Seele ausgesetzt sind, welche mit unserem Zustande als schwache Menschen, die sich noch in ihrem sündigen Leibe befinden, in Verbindung stehen, und andrerseits solchen Leiden und Prüfungen, die aus der Nachfolge Christi hervorgehen. „Wenn jemand mir nachkommen will“, sagt der Heiland, „der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf täglich und folge mir nach“ (Luk. 9, 23). Sein Pfad war ein Pfad steter Selbstverleugnung und unausgesetzten Leidens. 

Er kam in Sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen Ihn nicht auf. Er liebte die Menschen und tat ihnen Gutes, aber sie hassten und verfolgten Ihn auf Schritt und Tritt; und als endlich Ihm, dem Unschuldigen und Gerechten, der Mörder Barabbas zur Seite gestellt wurde, da fiel die Wahl des Volkes auf letzteren, während Jesus gekreuzigt wurde. Die Welt liebt das Ihrige und hasst das Licht, und diese Gesinnung hat sie heute noch. Sobald daher ein Gläubiger es kundwerden lässt, dass er nicht von dieser Welt ist, wie Christus nicht von dieser Welt war; sobald er sich als ein gehorsames Kind Gottes und ein treuer Jünger seines Herrn offenbart, wird auch die Welt beweisen, dass sie eine Feindin Jesu Christi und all der Seinigen ist.

 Je mehr uns der Geist der Welt beseelt, je weniger wir uns als von ihr Abgesonderte in Wort und Wandel beweisen, desto weniger wird sie uns hassen; denn sie liebt das Ihrige, selbst wenn sie es in Kindern Gottes findet. Aber alle, die gottselig leben wollen, müssen Verfolgung leiden. Mag die Welt auch noch so große Fortschritte in Weisheit, Bildung machen, so bleibt sie doch stets was sie ist: eine Feindin Gottes. Die Bildung der Menschen schützt uns nicht vor Verfolgung, ebenso wenig wie ihre Religiosität; denn die Welt will auch ihre Religion haben, und gerade die Religiösesten in ihr offenbaren den tiefsten Hass gegen diejenigen, welche ihrem verachteten Herrn und Meister nachzufolgen begehren.

Obwohl wir heute durch die Gnade Gottes in einer Zeit verhältnismäßiger Ruhe leben, so muss doch mancher Gläubige auch in unseren Tagen erfahren, wie bitter der Hass der Welt ist; und uns allen bleibt die Selbstverleugnung und die tägliche Aufnahme des Kreuzes nicht erspart. Aber lasst uns nicht davor zurückschrecken. Alles was wir um des Herrn willen ertragen dürfen, sei’s viel, sei’s wenig, ist ein Gnadengeschenk von oben, ein Vorrecht. Zugleich lässt Gott die Leiden und Versuchungen dazu dienen, dass wir geläutert werden. Er will, dass wir Seinem geliebten Sohne, unserem Herrn und Heilande, ähnlicher werden, dass Sein Bild in uns gestaltet werde. Ist das nicht ein großes Vorrecht? Und dürfen wir

wohl erwarten, dass es uns anders ergehe als unserem teuren Herrn? Der Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch der Gesandte größer als der ihn gesandt hat.

Darum lasst uns, wenn uns ein Unrecht geschieht, wenn wir übervorteilt, gescholten oder gar geschlagen werden, auf Jesum sehen, der einen so großen Widerspruch von seiten der Sünder erduldet hat, der aber „gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern sich Dem übergab, der recht richtet“ (1.Petr. 2, 23). Er hat uns ein Beispiel hinterlassen, dass wir in Seinen Fußstapfen wandeln sollen: nicht Böses mit Bösem vergelten, nicht unser Recht behaupten, sondern der Welt Liebe, Freundlichkeit und Geduld beweisen; segnen, wo sie uns flucht, für sie bitten, wenn sie uns verfolgt. Ja, lasst uns stets hinschauen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens; hinschauen auf den herrlichen Kampfpreis droben, damit wir nicht ermüden noch ermatten! „Stehet fest im Glauben; seid männlich, seid stark!“

Wir sind ein himmlisches Volk, dessen Segnungen und Güter alle droben liegen; und wir haben im Glauben zu kämpfen, damit uns der Genuss dieser himmlischen Güter nicht geschmälert oder gar völlig geraubt werde. Wer nun sein Leben und seine Güter in dieser Welt hat, wer sein Herz an das Irdische hängt, anstatt dasselbe für Verlust und Dreck zu achten, der ist nicht geschickt, sich selbst zu verleugnen, zu dulden und zu leiden. Er hat auch keinen Geschmack für die Dinge, die droben sind. Sie haben keinen Wert für ihn. 

Der Apostel konnte sagen: „Die Leiden der Jetztzeit sind nicht wert, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm. 8, 18). Er hatte die Herrlichkeit des Herrn auf dem Wege nach Damaskus geschaut und war entrückt worden bis in den dritten Himmel, bis in das Paradies Gottes, wo er unaussprechliche Worte gehört hatte, die der Mensch nicht sagen darf. Zu dieser Herrlichkeit sind wir berufen, als Erben Gottes und Miterben Jesu Christi. Der Weg zu diesem ewigen, unverwelklichen Erbe geht aber durch Kampf und Leiden. Doch getrost! es währt nicht lange. 

Unser geliebter Herr hat überwunden, und wir überwinden in Ihm; und dann werden wir sein, wo Er ist. Darum lasst Uns stark sein! Der Siegespreis ist köstlich. Geht’s um des Namens Jesu, um der Wahrheit willen denn auch durch etwas Trübsal und Verfolgung, durch Schmach und Spott, lasst uns fröhlich sein; denn wir sind dann Nachfolger Jesu und Seiner heiligen Apostel. Und „noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“ (Hebr. 10, 37).

Die Gläubigen in Thessalonich fanden seiner Zeit die ungeteilte Anerkennung des Apostels wegen ihres-Werkes des Glaubens, ihrer Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung aus unseren Herrn Jesum Christum. (1. Thess. 1, 3.) Die Kunde von ihrem Glauben und ihrer Treue war überallhin gedrungen, zur Ehre Gottes und zur Verherrlichung des Herrn Jesu. Und sie harrten aus unter schwerem Druck von außen, unter mancherlei Leiden und Verfolgungen.

O möchten wir ihnen in etwa gleichen! Sie verlangten danach, ihrem hohen, vollkommenen Vorbilde, Jesu Christo, immer ähnlicher zu werden, für welchen es während Seines Glaubensweges durch diese Wüste nur den einen Wunsch gab: „Vater, verherrliche deinen Namen!« Wir sind berufen, in den Fußstapfen unseres Hauptes zu wandeln, und auch danach zu trachten, dass durch Wort und Wandel, durch Tun und Lassen, durch Leiden und Freuden der Name Gottes und unseres Herrn Jesu Christi verherrlicht werde. Auch unser Gebet sollte allezeit, von Herzensgrund kommend, also lauten: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ Die Antwort, welche Jesus erhielt, gilt, wenn auch nicht in demselben Sinne, dann auch uns: „Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen“ (Joh. 12, 28). Gott will sich an und durch uns verherrlichen in dem Reichtum Seiner Gnade und Liebe, Seiner Weisheit und Treue.

Ach! wenn wir Ihm doch mehr Raum ließen, um sich durch uns verherrlichen zu können! wenn wir Ihm doch mehr Gelegenheit gäben, um sich in uns zu offenbaren! Woher kommt’s, dass Er uns so wenig benutzen kann zum Preise Seines Namens und Seiner Herrlichkeit? Die Antwort ist nicht schwer, aber betrübend und demütigend. Wir haben sie schon weiter oben gegeben. Wohlleben, Gemächlichkeit, Welt- und Geldliebe, Trachten nach Anerkennung und Ehre bei den Menschen, Kreuzesscheu, Eigenwille, Neid und Eifersucht -— alle diese Dinge verhindern Ihn, sich so in uns zu offenbaren und zu verherrlichen, wie Er es möchte und wie es uns zum Heil und Segen wäre. Vergessen wir nicht, geliebte Brüder, dass wir um einen teuren Preis erkauft sind, und dass wir nicht mehr uns selbst angehören! 

Vergessen wir auch nicht, dass Er, der uns mit Seinem kostbaren Blute erkauft hat, nicht von dieser Welt war, und dass auch wir nicht von ihr sind. Wer hienieden seine Befriedigung sucht, wer sich, wie einst Kain, nach einer Wohnstätte auf dieser Erde umsieht, der hat vergessen, wer er ist, und hat das Ziel aus dem Auge verloren. Der einzige leitende Gedanke für uns darf nur sein die Verherrlichung Gottes, des Vaters, und unseres Herrn Jesu Christi. Je mehr dies wahr von uns ist, desto mehr werden unsere eigenen Personen und Interessen in den Hintergrund treten, und desto mehr wird Christus im Vordergrunde stehen. Darum „wachet, stehet fest im Glauben, seid männlich, seid stark!“

Vor allen Dingen bedürfen wir des anhaltenden Gebets. Um nicht in dem Werke und Kampfe des Glaubens zu erliegen, um nicht in der Bemühung der Liebe zu ermüden und in dem Ausharren der Hoffnung, sowie in der Geduld inmitten der Leiden und Trübsale des Weges zu ermatten, bedürfen wir der steten Stärkung von oben. Mit wem möchte das Kind aber auch lieber reden, als mit dem geliebten und liebenden Vater, der Knecht lieber als mit dem treuen und gnädigen Herrn, die Braut lieber als mit dem sie über alles liebenden Bräutigam? 

Wie treibt es uns, wenn wir wirklich die Liebe Gottes erkannt haben und genießen, zum Gebet, dass doch durch uns und alle Seine Kinder Sein Name verherrlicht werden möchte! Wie gern beugen wir, wenn wir ein Herz für die Sache des Herrn haben, fürbittend unsere Knie, dass doch alle unsere Brüder und Schwestern mit uns wachsen möchten in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn, in aller Weisheit und geistlichem Verständnis! Wie flehen wir dann einzeln und vereint, wenn ein oder mehrere Glieder leiden, und wie loben und danken wir mit, wenn sie in Glauben, Liebe und Hoffnung beharren! Das Kind Gottes, das seinen gesegneten Platz, versteht und einnimmt, denkt ja nicht nur an sich; es weiß, dass es zu einer großen Familie gehört, und dass das Wohl und Wehe dieser Familie auch sein Wohl und Wehe ist.

So lasst uns denn viel Gebrauch machen von dem Gnadenthron für uns und Andere! Lasst uns recht aufwachen und nüchtern fein! Wer wollte noch dem Willen des Fleisches dienen, nachdem wir die Bedeutung des Todes und die Kraft der Auferstehung Jesu Christi kennen gelernt haben? Wer wollte noch das Irdische suchen und lieben, nachdem wir wissen, dass uns ein ewiges, unverwelkliches und unbeflecktes Erbteil aufbewahrt wird in den Himmeln? Wer möchte noch an diese Erde und ihre Dinge sich hängen, wer hienieden eine Heimat suchen, nachdem der Ruf an unser Ohr und in unser Herz gedrungen ist: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir!?“ Wer möchte im Glaubenslauf ermüden, da der herrlichste Lohn in nächster Nähe winkt? Darum noch einmal, meine Brüder: „Wachet, stehet fest im Glauben; seid männlich, seid stark!“

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Einige Gedanken über Matthäus 9,1-13

Bibelstelle: Matthäus 9,1-13

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 294ff

Was das Herz eines Christen wahrhaft glücklich macht, ist die Betrachtung der Person seines Herrn, die Beschäftigung mit Ihm, dem Geliebten des Vaters. Sicherlich bewirkt die Erkenntnis der Liebe des Herrn in unseren Herzen Lob und Dank — welch ein Glück zog z. B. in unser Inneres ein, als wir als verlorene Sünder im Glauben zu Jesu kamen und Seine Heilandsliebe kennen lernten! — allein die eigentliche Freude des Christen, sein tiefstes, reinstes Glück, entquillt der Erkenntnis der Person seines Herrn. Den Vätern in Christo, denen also, die sich schon lange auf dem Wege des Lebens befinden, wird gesagt: „Ich schreibe euch, Väter, weil ihr Den erkannt habt, der von Anfang ist“ (1.Joh. 2, 13). 

Alles andere, so wichtig und wertvoll es sein mag, tritt hinter dieser herrlichen Person zurück. Sie ist es, die das Herz so überströmend glücklich macht und in welcher der Vater alle Seine Wonne findet: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Diese herrliche Person ist uns gegeben. Die Erkenntnis derselben ließ den Apostel Paulus alles für Verlust achten. Die Vortrefflichkeit Christi Jesu anzuschauen war für ihn das höchste und kostbarste Glück (Phil. 3).

Das ist es auch, was die Betrachtung der Evangelien für uns so anziehend macht. Wir finden Jesum darin: Sein Tun, Seine Worte, Sein Wesen, Sein Mitgefühl, Seine Liebe, Seine Demut u. s. w. Er selbst tritt vor unsere Blicke, Seine wunderbare Gestalt, Seine anbetungswürdige Person. Die Briefe der Apostel machen uns mit kostbaren Wahrheiten, mit alledem, was wir in Christo besitzen, bekannt; aber in den Evangelien finden wir Ihn selbst. Und wenn das Herz Ihn betrachtet, so spricht es unwillkürlich immer wieder sein „Amen“ zu dem Lobgesang der Erlösten in den Himmeln: „Du bist würdig!“

In dem oben angeführten Abschnitt (Matth. 9, 1 — 13) sehen wir zunächst einige Männer einen Gichtbrüchigen zu Jesu bringen. Der arme Mann liegt hilf- und kraftlos darnieder. Er ist das treffende Bild eines Menschen, der sich aus dem traurigen Zustande, in welchem er sich von Natur befindet, nicht aufzurichten vermag. Er ist ein Gebundener; die Fesseln, welche Sünde, Satan und Welt um ihn geschlagen haben, vermag er nicht zu lösen. Mag er noch so sehr nach Befreiung seufzen, so ist er doch nicht imstande, sich frei zu machen. Alle seine Anstrengungen sind nutzlos. Sie lassen ihn nur erkennen, dass er ein Sklave Satans und der Sünde ist. Armer Mensch! Wer kann ihn befreien?

Die Männer, welche den armen Kranken brachten, kannten ein Mittel. Sie brachten ihren Freund zu Jesu. Sie konnten Ihn und Seine Liebe, und mit Vertrauen und Glauben bringen sie den Gichtbrüchigen zu Ihm. So ist es heute noch. Eine Seele, die Jesum kennen gelernt hat, weiß, wer Er ist und was Er vermag. Sie hat an sich selbst erfahren, dass Er in diese Welt gekommen ist, um Verlorene zu erretten, und dass Sein Herz in innigem Mitgefühl und Erbarmen für den armen, durch die Sünde von Gott getrennten Menschen schlägt. 

Sie hat Sein kostbares: „Gehe hin in Frieden! Deine Sünden sind dir vergeben!“ vernommen, und nun sucht sie, von der Liebe Christi getrieben, Andere zu Jesu zu führen. Mag der Fall auch noch so hoffnungslos liegen, — die Krankheit des Gichtbrüchigen war nach menschlichem Urteil jedenfalls unheilbar und jede Hoffnung ausgeschlossen, —- das Herz, welches Jesum kennt, weiß, dass Er mächtig ist, Tote lebendig zu machen, und es hat einen freien und offenen Zugang zu Ihm, der gesagt hat: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben!“ Ein solches Herz kennt Ihn in Seiner Liebe und Macht und setzt volles Vertrauen auf Ihn.

O möchten doch Alle, welche Christum kennen gelernt haben, mit all den Ihrigen, die noch fern von Ihm sind, zu Ihm sich wenden! Möchten sie im Glauben nahen, wie auch jene Männer es taten! Wir lesen in Bezug auf sie: Und als Jesus ihren Glauben sah, sprach Er“ Wir erfreuen das Herz unseres Herrn, wenn· wir .mit allen unseren Anliegen vertrauensvoll Ihm nahen; ganz besonders aber dürfen gläubige Eltern, wenn sie ihre Kinder, die noch ihre eigenen Wege gehen, mit .Gebet und Flehen vor Ihn bringen, gewiss sein, dass ihr Flehen Ihm wohlgefällig ist. Und selbst wenn, menschlich gesprochen, keine Hoffnung mehr zu sein scheint, sollten sie nicht verzagen und in ihrer Fürbitte nicht müde werden. Denn der Herr ist ein Herr auch für hoffnungslose Fälle. „Bringet ihn mir her!“ sagte Er einst, und die Macht des Feindes war gebrochen (Matth.· 17, 17).

„Sei gutes Mutes, Kind! Deine Sünden sind vergeben.“ — Herrliche Worte für den armen Gichtbrüchigen! Er war zu Jesu gebracht worden, in die Gegenwart des wahrhaftigen Lichtes. Das Licht scheint in der Finsternis und erleuchtet das dunkle Herz. Mehr als je vorher wird in diesem Augenblick dem armen Kranken sein vergangenes Leben in schrecklicher Klarheit vor die Augen getreten sein. Sein Gewissen war aufgewacht, seine Sünden ins Licht gebracht. Es ist eine ernste Sache für einen Sünder, im Lichte des heiligen und gereihten Gottes sein ganzes verlorenes Leben zu erblicken. Mit Recht erschrickt der Mensch, wenn ihm die Augen ausgehen über seinen wahren Zustand, wenn alle seine vermeintlich guten Werke in ihrer ganzen Wertlosigkeit erscheinen, und nichts als Sünde und Unreinigkeit übrigbleibt.+

 Eine unwiderstehliche Angst erfüllt dann seine Seele, und mit Zittern fragt er: „Was muss ich tun, dass ich errettet werde“ (Apstgsch.16,30)? So war es ohne Zweifel mit dem Gichtbrüchigen. Der Herr schaute in sein Inneres und sah da die tiefe Not, das ernste Fragen nach Heil und Vergebung. Und wie Himmelsmusik tönen jetzt die Worte in das Ohr des Kranken: „Sei gutes Mutes, Kind! Deine Sünden sind vergeben“. Ja, Er, der Richter der ganzen Erde, sprach ihn frei von Sünde, Schuld und Strafe. Das Gewissen war gereinigt, die Sünde, welche ihn erschreckte und von Gott trennte, hinweggetan. Das Licht, welches ihn vorher mit Furcht erfüllt hatte, wurde jetzt seine Freude und sein Ruheort. Welch ein Heiland ist unser Jesus, — welch ein vollkommener Erretter!

Doch wenn der Herr in Seiner Gnade einen Sünder rettet, so ruht auch der Feind nicht. Er wirkt in den Kindern der Finsternis Feindschaft und Hass. Er kann es nicht ertragen, eine Seele in der Gegenwart Gottes glücklich zu sehen. Die Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: „Dieser lästert! Sieh hier, mein Leser, die Bosheit des menschlichen, unter der Leitung Satans stehenden Herzens gegen Christum.

 „Dieser lästert!“ Der Sohn Gottes lästert! — welch ein Gedanke! Doch Er kennt jeden Gedanken von ferne. Er liest in dem Herzen eines jeden Menschen und schaut in die verborgensten Falten. Er ist der allwissende Gott. „Und als Jesus ihre Gedanken sah, sprach Er: Warum denket ihr Arges in euren Herzen? Denn was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden sind vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandle? Auf dass ihr aber wisset, dass der Sohn des Menschen Gewalt hat auf der Erde Sünden zu vergeben . . . dann sagt Er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, nimm dein Bett auf und gehe nach deinem Hause“ (V. 4 -— 6).

Der Gichtbrüchige hatte die Vergebung seiner Sünden empfangen. Durch den Glauben erfreute er sich derselben, aber diese Freude war nur sein persönliches Teil. Niemand konnte es sehen, dass die Sündenschuld getilgt und sein Gewissen vor Gott gereinigt war. Er konnte es glauben und bekennen und sich darin erfreuen, aber sehen konnte es niemand. Nach dem Urteil der Menschen war es deshalb leicht, zu sagen: „Deine Sünden sind vergeben“. Aber Jesus zeigt Seinen Widersachern, wer Er war, dass Er Gewalt hatte auf Erden Sünden zu vergeben, indem Er ihnen einen sichtbaren Beweis Seiner Macht gibt. 

Er war der Jehova Seines Volkes, von welchem es im 103. Psalm heißt: „Der da vergibt alle deine Ungerechtigkeit, der da heilt alle deine Krankheiten“. Er gebietet: „Stehe auf und wandle!“ Und Seinem Gebot gehorchend, steht der Kranke auf und trägt mit eigenen Händen sein Bett nach Hause. Das war etwas, was die Menschen sehen konnten, und deshalb lesen wir: „Als aber die Volksmenge es sah, fürchtete sie sich und verherrlichte Gott, der solche Gewalt dem Menschen gegeben“ (V. 8).

Wenn die Gnade Gottes in einem Menschen wirkt, so bringt sie zweierlei zum Vorschein: sie gibt dem sich verurteilenden Sünder das Bewusstsein der Vergebung seiner Sünden, und sie macht ihn fähig, zur Ehre Gottes zu wandeln. Das Erste ist etwas, was der Gerettete für sich genießt; es ist eine persönliche Sache. Das Zweite wird dagegen von Anderen gesehen und beurteilt. Und vergessen wir nicht, dass die Welt nicht nur das Bekenntnis: „Wir haben Vergebung unserer Sünden gefunden, wir sind Kinder Gottes geworden“, hören, sondern dass sie uns auch von unserem Lager ausstehen und wandeln sehen will, nicht mehr in der früheren Gesinnung, als wir noch Sklaven der Sünde waren, sondern als Kinder des Lichts, als neue Menschen, die den alten Menschen abgelegt haben und erneuert worden sind in dem Geiste ihrer Gesinnung (Vergl.

 .Eph. 4, 22 — 24). Die Welt will sehen, dass das, was wir bekennen, auch Wahrheit ist. Und sie hat Recht. Aber ach! wie viele können sich noch nicht trennen von ihrem Lager! Die Welt hat noch immer Fesseln um sie geschlagen, und die Person Jesu ist nicht das kostbarste Teil ihrer Seele. Der Herr sagt: „Stehe auf und wandle!“ aber sie folgen diesem Rufe nicht. Was nützt da ein noch so schönes Lippen-Bekenntnis? —-

 Wie ganz anders war es mit dem Gichtbrüchigen! Er stand auf und wandelte vor aller Augen, auch vor den Augen derer, die in ihrem Herzen gedacht hatten: „Dieser lästert“. Ja, er war ein lebendiges Zeugnis von der Gnade und Liebe des Herrn Jesu; und was war die Folge? Der Name des Herrn Jesu wurde verherrlicht. O möchte doch auch unser Leben davon zeugen, was der Herr an uns getan hat! Dies ist besonders ernst in unseren Tagen, wo der Geist von Laodicäa sich allenthalben zeigt und bereits in vielen Herzen der Gläubigen Eingang gefunden hat. Die Ankunft des Herrn ist nahe. Möchten wir doch alle mit brennenden Lampen Ihn erwarten!

Weiter hören wir in unserem Kapitel von der Begegnung des Herrn mit einem Zöllner. „Er sah einen Menschen am Zollhause sitzen, genannt Matthäus, und Er spricht zu ihm: Folge mir nach“ (V. 9). Matthäus war ohne Zweifel ein gläubiger Mann. Obgleich uns seine Bekehrung hier nicht mitgeteilt wird, so dürfen wir doch annehmen, dass der Herr ihn nicht zu Seiner Nachfolge aufgefordert haben würde, wenn er nicht bereits ein Jünger Jesu gewesen wäre. 

Den schmalen Weg hinter dem Herrn her zu wandeln, das vermag nur der Glaube. „Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Matth. 16, 24). Von einer Seite aus betrachtet, ist die Nachfolge des Herrn ernst. Sie bedeutet das praktische Aufgeben des eigenen Ichs. Eigenliebe, Selbstsucht und alles was damit verbunden ist, muss in den Tod. Das Fleisch kann unmöglich diesen Weg gehen. Nur wer in dieser kostbaren Person sein Ein und Alles gesunden hat, kann um Seinetwillen alles aufgeben.

Aber wie herrlich ist es andererseits, einem solchen Herrn folgen zu dürfen auf dem Wege durch diese Wüste, Seine beseligende Nähe, Seine süße Gemeinschaft zu genießen, Seine liebliche Stimme zu vernehmen! Ja, wie herrlich ist es, Ihm nachfolgen zu können ohne Sorge, in voller Ruhe des Herzens, Ihm alle unsere Leiden, Mühsale und Beschwerden ans Herz legen zu können und Sein Mitgefühl und Seine Teilnahme in allen Umständen zu erfahren! Er ist uns in Seiner ganzen Stille von Gott geschenkt worden, Er, der Abglanz Seiner Herrlichkeit und der Abdruck Seines Wesens (Hebr.1).

Matthäus vernahm den Ruf des Herrn, „und er stand auf und folgte Ihm nach“. Er ging, wie einst Paulus, nicht mit Fleisch und Blut zu Rate (Gal. 1, 16). Er ließ sich nicht mit Überlegungen ein, wie: „Was soll aus mir und meiner Familie werden, wenn ich meine einträgliche Stellung aufgebe? Wovon sollen wir leben?“ Auch fragte er nicht: „Werden die Meinen damit einverstanden sein, wenn ich dem Rufe des Herrn Folge leiste?“ Oder: „Was werden meine Verwandten, meine Freunde und meine Nachbarn sagen? Werden sie nicht denken, dass ich ein törichter Mann sei?“ 

Er dachte nicht: „Ich kann doch auch ein guter Christ sein, wenn ich am Zollhause sitzen bleibe; ich erspare mir und den Meinen dadurch manchen Kummer und manche Schmach. „Nein! „er stand auf und folgte Ihm nach“. Die Person Jesu war alles für ihn geworden; alles andere hatte seinen Wert verloren. Im Blick auf Jesum konnte er sich über alle Umstände und Schwierigkeiten erheben; die Kraft des Heiligen Geistes war wirksam. Jesus stand vor seiner Seele, Jesus allein. Kann dasselbe auch von uns gesagt werden, lieber Leser? „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!“ Das ist das Begehren des Herrn; nichts anderes kann Ihn befriedigen. Er will uns ganz haben, nicht halb. — „Simon, Sohn Jonas, hast du mich lieb?“

„Ich liebe, die mich lieben“, lesen wir in Spr. 8, 17. Die erste Segnung der Nachfolge des Matthäus war, dass Jesus in sein Haus einkehrte. Jesus war nicht nur der Mittelpunkt seines Herzens, sondern auch der Mittelpunkt seines Hauses geworden. So belohnt der Herr die Treue des Treuen. Wie lieblich, wenn Jesus der Mittelpunkt und Gegenstand des Hauses ist! Alles dreht sich dann um Ihn und Seine Verherrlichung. 

Alle genießen Seine Gemeinschaft und Seine Liebe. Aber nicht nur erfreute sich Matthäus mit seinem Hause der Gemeinschaft des Herrn, nein, er lud auch Andere ein: Zöllner und Sünder. Wenn die Liebe Christi unsere Herzen erwärmt, dann wird es zu einem Bedürfnis für uns, auch andere verlorene Sünder zu der Quelle dieser Liebe zu führen. „Die Liebe des Christus drängt uns“ (2. Kor. 5, 14). Wie könnte es auch anders sein? Wenn wir daran gedenken, in welch einem schrecklichen Zustande wir uns einst befanden, wie wir tot waren in Vergehungen und Sünden, auf dem Wege zur ewigen Verdammnis, wie könnte dann das Herz kalt und gleichgültig bleiben im Blick auf unsere Mitmenschen? Unmöglich! Wenn ich die Liebe Gottes in Christo Jesu gegen mich erkannt habe, dann ist es mein Verlangen, auch Andere zu Jesu zu führen.

Doch lasst uns einen Augenblick in das Haus des Matthäus eintreten. Was erblicken unsere Augen? Eine Versammlung von Zöllnern und Sündern, und Jesum, den Heiland der Sünder, in ihrer Mitte. Wunderbarer An- blick! Wie mögen in jener Stunde die Engel staunend herniedergeblickt haben! Jesus, der Sohn Gottes, der Herr der Herrlichkeit, in der Mitte schuldiger, verdammungswürdiger Sünder! Der Heilige inmitten der Unheiligen! Ja, es war eine Versammlung nach dem Herzen des Herrn; eine Versammlung, wie Er sie im Himmel nicht finden konnte, um derentwillen er herniederkommen und in den Tod gehen musste. Wie viele Tränen der Buße und der Reue mögen an jenem Tage geflossen sein! 

Aber wie wird sich auch das Herz des Herrn in Gnade und Liebe geöffnet haben! Der Strom des Wassers des Lebens ergoss sich in die nach Errettung dürstenden Seelen. Es war eine Stunde tiefster, innigster Freude für den Herrn; Er genoss eine Speise, die nur für Ihn war. (Joh. 4, 32.) Anbetungswürdiger Heiland! Mochten auch die Pharisäer in ihrer stolzen Eigengerechtigkeit den Herrn tadeln, dass Er mit Zöllnern und Sündern äße —— das Herz, welches aus dieser Quelle der Liebe getrunken hat, beugt sich nieder voll Anbetung, Lob und Dank.

Aber auch das Herz Jesu strömte über gegen die Pharisäer, indem Er ihnen sagte, dass Er der Arzt der Kranken sei, und dass sie aus Hos. 6, 6, lernen möchten, was das· Wort bedeute: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“. — „Ich will Barmherzigkeit!“ Mag die Schuld des Sünders überströmend, ja blutrot sein, so ist die Gnade doch noch viel überschwänglicher geworden (Röm. 5, 20). „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“ — nicht Geld und Gut, nicht Gebete oder Gelübde, keine menschliche Frömmigkeit; nein, nichts von alledem! An Barmherzigkeit hat der Herr Wohlgefallen.

Was sagt dein Herz zu allem diesem, mein lieber, gläubiger Leser? Wird es beim Anschauen der Person unseres teuren Herrn nicht weit? Füllt es sich nicht mit Lob und Dank gegen Ihn? Ja, wie leicht wird der Weg, wie empfangen wir bei Seiner Betrachtung Kraft, Mut und Ausharren, und wie freut sich das Herz inmitten aller Leiden und Schwierigkeiten! „Freuet euch in dem Herrn allezeit, wiederum will ich sagen: Freuet euch!« so rief einst der Apostel Paulus seinen geliebten Philippern zu; und uns gilt dasselbe Wort. Möchten wir dieser Aufforderung folgen und Jesum betrachten mit steigender Freude und Bewunderung. Das ist der Weg, um mit glücklichem Herzen den Lauf vollenden zu können und immer mehr in Sein Bild verwandelt zu werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2. Kor. 3, 18).

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Sühnung und Stellvertretung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 305ff

Sühnung und Stellvertretung, obgleich in dem Werke Christi innig miteinander verbunden, sind doch zwei sehr verschiedene Dinge, die wir wohl auseinander halten müssen, wenn wir anders das Wort Gottes „recht teilen“ wollen. Sühnung ist die Seite des Opfers Christi, welche, wenn ich mich so ausdrücken darf,

Gott zugekehrt ist und Bezug hat auf die ganze Welt; Stellvertretung ist die entgegengesetzte Seite und hat nur Bezug auf die Gläubigen. So lesen wir z. B. in 1. Joh. 2, 2: „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt“. Die Sühnung ist für die ganze Welt vollbracht worden; nicht für irgend ein bestimmtes Volk, oder für irgend eine beschränkte Zahl von Menschen, mit Ausschluss Anderer, sondern für die ganze Welt. Gott ist in Seiner Natur durch den Opfertod Christi vollkommen verherrlicht worden. Das kostbare Blut Christi ist in seinem ewigen Werte vor den Augen Gottes, und infolge dessen kann Gott, der heilige und gerechte Gott, Seine Langmut und Güte der ganzen Welt beweisen, den Lästerer in Geduld tragen, dem Gottlosen und Undankbaren in Liebe begegnen und Alle einluden, zu Jesu zu kommen und im Glauben an Ihn Vergebung und Frieden zu finden. Das Blut ist auf dem Gnadenstuhl (vergl. 3. Mose 16), und auf Grund dieser Tatsache können wir ausgehen und aller Schöpfung, die unter dem Himmel ist, das Evangelium predigen.

Beachten wir indes wohl, dass der Apostel nicht sagt: „Er ist eine Sühnung für die Sünden der ganzen Welt“; noch weniger heißt“ es irgendwo im Worte Gottes, dass die Sünden der ganzen Welt (oder aller Menschen) gesühnt oder getragen worden seien. Nein; denn wenn das der Fall wäre, so würde die ganze Welt errettet werden, würde niemand verloren gehen können. Das Wort Gottes ist klar und bestimmt, und wir dürfen nicht ein Wörtlein hinzu- oder davontun. Christus ist eine Sühnung für die ganze Welt: Gottes Heiligkeit ist völlig befriedigt worden im Blick auf die Sünde. 

So wie am großen Versöhnungstage der Bock, auf welchen das Los für Jehova gefallen war, geschlachtet und dann sein Blut durch den Hohenpriester ins Heiligtum gebracht und siebenmal auf und vor den Gnadenstuhl gesprengt wurde, und so wie Gott, auf Grund dieses Opfers, (ganz abgesehen von den einzelnen Tatsünden des Volkes; diese wurden nachher auf den Kopf des zweiten Bockes bekannt) weiter in der Mitte Seines Volkes weilen und es in seinem ständigen, unreinen Zustand tragen konnte — so ist auch durch Christum eine Sühnung vollbracht worden, welche den heiligen Gott gerade da, wo Er durch den Sünder aufs Schrecklichste beleidigt worden war, aufs Vollkommenste verherrlicht hat; das Sühnungsblut ist im Heiligtum und redet dort allezeit.

Hierher gehören auch Stellen, wie: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt“, (Joh. 1, 29) oder: „Er (Christus) ist in der Vollendung der Zeitalter einmal geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer“ (Hebr. 9, 26). Das Lamm Gottes ist geschlachtet worden, das Opfer ist vollbracht, und obwohl wir heute noch nicht sagen können, dass die Sünde hinweggenommen und abgeschafft ist, so wissen wir doch aus dem Worte Gottes, dass die Zeit kommt, wo der Fluch der Sünde nicht mehr auf dieser Erde ruhen wird, ja eine Zeit, wo die Sünde nicht mehr sein, auch die Gerechtigkeit« nicht mehr herrschen, sondern wohnen wird in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde. Dann wird die vollkommene Erfüllung jener beiden Stellen gekommen sein. 

Aber so wahr und herrlich alles das ist, dürfen wir es doch nicht mit der Errettung und Segnung des Gläubigen verwechseln. Diese ist persönlich, nicht allgemein, und deshalb war zu ihrer Herbeiführung nicht nur Sühnung, sondern Stellvertretung nötig. Mit anderen Worten: Außer der Tatsache, dass die Sünde in der Welt war und gesühnt werden musste, befanden wir uns selbst in dem Zustande der Sünde, waren unreine, gefallene Geschöpfe und Sünder; die viel Böses getan und eine große Schuld auf sich geladen hatten. 

Wollte Gott uns also segnen und retten, so musste ein heiliges, fleckenloses Opfer an unsere Stelle treten, unsere Strafe tragen, für uns zur Sünde gemacht und mit unseren unzähligen Sünden und Missetaten beladen werden. Das ist, Gott sei ewig dafür gepriesen! an demselben Fluchholze und in derselben Stunde geschehen, in welcher die Sühnung für die Sünde gemacht und Gott im Blick auf die Sünde völlig verherrlicht wurde. Christus ist unser Stellvertreter geworden. Er hat die Strafe getragen, die wir verdient hatten, Er hat die ganze Schuld bezahlt, und nun gehen wir frei aus. Das Gericht hat einen Anderen, einen heiligen Stellvertreter, getroffen, so dass der Gläubige nie mehr ins Gericht kommen kann.

Sobald nun in der Schrift von dieser Seite des Werkes Christi, vom Sündentragen, die Rede ist, heißt es

nicht: „die ganze Welt“, oder „alle“, sondern: „viele“. Sein Blut ,,wurde für Viele Vergossen zur Vergebung der Sünden“ (Matth. 26, 28). „Er ist einmal geopfert worden, um Vieler Sünden zu tragen“, (Hebr. 9, 28). Und nur Gläubigen wird gesagt: „Er hat unsere Sünden getragen“; „Christus ist für unsere Sünden gestorben“; Gott „hat Den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht“ u.s.w. (1.Petrus 2,24; 1.Kor. 15,3; 2.Kor. 5, 21). Die Sünden der Gläubigen, eines jeden Einzelnen von ihnen, sind nach der vollkommenen Kenntnis, welche Gott von ihnen hatte, auf Jesum gelegt worden, und Er hat dafür gebüßt. Der Gläubige kann sagen: Er hat mich gewaschen von allen meinen Sünden in Seinem Blut; 

Er hat mich geliebt« und sich selbst für mich dahin gegeben; ich bin gekreuzigt und gestorben mit Ihm u. s. w. Und Gott kann erklären: „Ich will ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten nie mehr gedenken“. Der reine, fleckenlose Sohn Gottes hat für Andere den schimpflichen Kreuzestod erduldet, indem Er für sie in den Riss trat und das Todesurteil, welches sie verdient hatten, über sich ergehen ließ. Aber, möchte gefragt werden, wird Christus denn nicht „der Heiland der Welt“ genannt, und heißt es nicht von Ihm, dass Er „für alle“ gestorben sei, dass Er sich selbst „zum Lösegeld für alle“ gegeben habe (Joh. 4, 42; 1. Joh. 4, 14; 2.Kor. 5, 15; 1. Tim. 2, 6)? Allerdings; aber der aufmerksame Leser wird finden, dass an allen diesen Stellen nicht Von Stellvertretung, sondern von dem Werke Christi in Seiner Bedeutung für alle Menschen in dem anfangs besprochenen Sinne die Rede ist. Wäre nicht Christus der Heiland der Welt, so würden wir nicht ausgehen können mit dem Rufe: „Wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ Offbg.22,17). Das Lösegeld ist da für alle. Keiner ist ausgeschlossen. Jeder ist eingeladen; und wer da kommt, empfängt Vergebung und ewiges Leben.

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Das Haus des Gläubigen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 309ff

„Und Jehova sprach: Sollte ich vor Abraham verbergen was ich tun will? . . . Denn ich habe ihn erkannt, auf dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie den Weg Jehovas bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu tun, damit Jehova auf Abraham kommen lasse, was Er über ihn geredet hat“ (1. Mose 18, 17. 19). Wie schön sind solche Worte aus dem Munde Gottes über einen sterblichen Menschen! Sie legen Zeugnis ab von Seiner Freude an einem Gläubigen, welcher, im Gehorsam gegen Sein Wort, Seinen Namen verherrlicht inmitten einer bösen Welt und aus dem Pfade der Absonderung von ihr. In späteren Tagen sagte der Herr Jesus einmal zu Seinen Jüngern: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was irgend ich euch gebiete“ (Joh. 15, 14). Gott hatte Abraham erkannt, auf dass er seine Kinder und sein ganzes Haus den Weg Jehovas lehre, und Er wusste, dass Abraham dieser Berufung entsprechen würde. Denn Abraham glaubte Gott und wandelte mit den Seinigen in Treue vor Ihm. Deshalb konnte Gott nicht vor ihm verbergen was Er tun wollte. Aus demselben Grunde empfing Abraham auch den hohen Ehrennamen: „Freund Gottes“ (Jak. 2, 23; Jes. 41,8).

Wie gesegnet ist ein solch vertrautes Verhältnis zwischen Gott und einem Menschen! Man weiß sich nicht nur errettet und von Gericht und Strafe befreit, sondern man wandelt auch im Lichte Gottes in bewusster, lebendiger Gemeinschaft mit Ihm, und erfährt die gnädige Leitung Seines Auges (Ps. 32, 8). Auch Henoch wandelte mit Gott, und zwar dreihundert Jahre lang, inmitten einer Welt, deren Bosheit und Gottlosigkeit täglich zunahm. Von ihm lesen wir, dass er das Zeugnis empfing, dass er Gott wohlgefallen habe (Hebr. 11, 5); und nicht nur das, Gott machte auch ihn, wie später Abraham, zum Mitwisser Seiner Gedanken und Ratschlüsse betreffs seiner gottlosen Umgebung (Vergl. Judas 14. 15).

Eine solche persönliche Gemeinschaft mit Gott übt ihren gesegneten Einfluss aus auf all unser Tun und Lassen, auf unser Reden und Denken, ja selbst auf· unsere ganze Umgebung. Sie erweckt das ernste Begehren in uns, die Reinheit und Heiligkeit Seines Namens aufrecht zu erhalten; sie ruft Wachsamkeit und heiligen Eifer in uns wach. In dieser Gemeinschaft stehend können wir uns in keiner Weise mit etwas verbinden, wodurch die Ehre des Herrn angetastet wird. Wir wachen mit Gebet und Flehen über uns selbst und über alle, die unter unserm Einfluss stehen. So wacht ein christlicher Vater mit göttlicher Eifersucht über sein Haus und über alles, was darin vorgeht. Er fühlt seine hohe Verantwortlichkeit und sein gesegnetes Vorrecht in dieser Beziehung und sagt, wie einst Josua: „Ich aber und mein Haus, wir wollen Jehova dienen“ (Jos. 24, 15).

Ein gläubiger Vater, der mit Gott wandelt, kann unmöglich eine andere Sprache führen. Er weiß sich eins mit seinem ganzen Hause vor Gott, und er wird sich unglücklich fühlen und sich tief vor Gott demütigen, wenn in seiner Familie durch irgend etwas der Name des Herrn verunehrt wird. Er wird, wie einst Abraham und Josua, nicht nur für sich selbst in Reinheit und Absonderung wandeln, sondern auch ernstlich begehren, dass sein ganzes Haus denselben Charakter zur Schau trage. Er wird seinen Kindern befehlen und seinem Hause nach ihm, dass sie den Weg des Herrn bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu tun. Es wird ein Herzensbedürfnis für ihn sein, mit seinem Weibe, seinen Kindern und mit allen, die zu seinem Hause gehören, in der Furcht Gottes zu wandeln.

Aber ach! wie viel wird in dieser Beziehung gefehlt! In wie manchen Häusern von Gläubiger: wird diese Gesinnung nicht gefunden! Es scheint im Gegenteil oft, als ob alle wahre Gottesfurcht aus denselben verschwunden sei. Der Ton, der in ihnen herrscht, das Verhalten der Einzelnen, der Verkehr unter einander -— alles verrät einen Geist und eine Gesinnung, die derjenigen Abrahams und Josuas schnurstracks entgegengesetzt sind. Statt eines ernsten, sittsamen Wesens findet man Oberflächlichkeit und selbst Leichtfertigkeit. Statt Liebe, Sanftmut und Tragsamkeit zeigen sich Eigenwille, Selbstsucht und Unduldsamkeit. Das Verhalten der Kinder zeugt dafür, dass Gott und Sein Wort nicht den Mittelpunkt des Hauses bilden. 

Die persönliche Gemeinschaft der Eltern mit Gott ist mehr oder weniger verloren gegangen. Vielleicht sind die letzteren im Anfang ihres christlichen, und wohl auch ihres ehelichen Lebens treu dem Herrn dienend vorangegangen und haben ihre Kinder betend dem Herrn dargebracht; aber dann ist allmählich die erste Frische verloren gegangen, und die Energie, dem Herrn zu dienen, ist erlahmt. Wohl wird das Wort Gottes noch bei Tische gelesen, aber es ist mehr eine Form als ein Bedürfnis; ein gewohnheitsmäßiges Tun, um den christlichen Charakter des Hauses wenigstens äußerlich noch zu bewahren. Im Blick auf den Verkehr mit dem Herrn steht es nicht viel besser. Es wird wohl gebetet, aber die Gebete sind ohne Kraft, ohne wahre innere Weihe; das Herz ist nicht dabei. — Möchten doch alle gläubigen Väter und Mütter darüber nachdenken, dass sie nicht nur für sich selbst verantwortlich find, sondern auch für die Kinder, welche Gott ihnen gegeben hat!

Ist es ein Wunder, dass in solchen Häusern nach und nach die Autorität der Eltern über ihre Kinder verloren geht? dass die Ermahnungen der Eltern (wenn hie und da das betrübende Verhalten ihrer Kinder ihr Gewissen aufweckt und sie ihre Verantwortlichkeit fühlen lässt) mit Kälte und Gleichgültigkeit aufgenommen werden? dass die Herzen ohne Gefühl für Gott und Sein Wort sind? Nein, es ist wahrlich kein Wunder! Haben doch die Eltern ihren Kindern es nicht besser vorgelebt. Wie höchst traurig sind aber solche Erscheinungen! Die Kraft der elterlichen Autorität ist gebrochen. Die Welt und ihre Dinge finden Eingang ins Haus, und die armen Eltern erkennen zu spät, wie viel sie verfehlt haben. Sie haben es versäumt, den guten Einfluss auf Kinder, Dienstboten und alle, die mit dem Hause verbunden sind, auszuüben, den sie hätten ausüben sollen. Sie versuchen vielleicht, erschreckt durch das was sie sehen und hören, das Versäumte durch Ernst und Strenge nachzuholen; aber es ist zu spät.

Sicherlich können Eltern ihre Kinder nicht bekehren; das ist ausschließlich Gottes Werk. Wohl aber können und sollten Eltern ihre Kinder erziehen in der Zucht und Ermahnung des Herrn (Eph. 6, 4). Sie sollten sie mit Ernst und Liebe zu Jesu zu führen suchen. Aber ach! der eigene ungerichtete Zustand und der Mangel an wahrer Gottesfurcht lässt sie ihre heilige Pflicht vergessen. Wie selten beugen in manchem christlichen Hause Vater und Mutter in Gemeinschaft mit den Kindern ihre Knie im Gebet und Flehen vor Gott! Wie selten vereinigen sie die ganze Familie, um Gott für Seine vielen Liebesbeweise zu danken und alle ihre Anliegen, sowie ihre Sorge um die Verherrlichung des Herrn in ihrem Hause vor Ihn zu bringen! Sie haben nur noch ein schwaches Seufzen für sich selbst. Mut und Kraft zu solch gemeinschaftlichem Gebet fehlen, weil das eigene Herz vom Herrn entfernt ist und sich verurteilt fühlt.

Die einzige Hilfe in einem solchen Zustande ist die wahre Umkehr zu Gott, verbunden mit einem aufrichtigen Bekenntnis und ernsten Selbstgericht. Wird dieser Weg nicht betreten, so geht es immer mehr bergab. Die Kraft, sich aufzuraffen, schwindet schließlich ganz. Der Geist des Hauses umnebelt auch die Herzen der Eltern; das Gewissen, welches seine Stimme immer schwächer hören ließ, wird endlich ganz zum Schweigen gebracht. Man sucht sich auf allerlei Weise zu entschuldigen, indem man auf andere Häuser hinweist, wo es doch auch nicht besser stehe. O welch ein armes Christentum ist das! Es verdient eigentlich diesen schönen Namen gar nicht mehr. Möchten doch alle, welche sich in einem solchen Zustande befinden, aufwachen! Möchten die Worte aus Eph. 5, 14: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten“, ihre Augen öffnen!

Doch noch mehr! In unseren Tagen sind viele Kinder gläubiger Eltern durch die große Barmherzigkeit Gottes bekehrt worden. Sie waren im Anfang voll Freude und Frieden. Ihr Glück drückte sich aus in Lob- und Dankesliedern, ja, in ihrem ganzen Wesen und Verhalten. Sie waren wie umgewandelt. Ihr Antlitz spiegelte den Frieden wieder, der in ihr Herz eingekehrt war, und ihre Worte gaben Kunde von dem Genuss ihrer Herzen an Jesu, ihrem Heilande, und an Seinem kostbaren Wort.

 Sie wurden nicht müde, zu Anderen von der Freude zu reden, die ihnen zu teil geworden war, und sie einzuladen, doch auch zu Jesu zu kommen und die frohe« Botschaft von Seiner Liebe gläubig aufzunehmen. Mit sichtlichem Interesse lauschten sie der Verkündigung des Wortes Gottes und suchten Andere unter den Schall des Evangeliums zu bringen. Aber ach! bald schwand dieser Eifer; das Herz wurde wieder kälter gegen den Herrn; die erste Liebe, die erste Frische ging verloren. Die Freude am Herrn, das Interesse für Sein Wort und Werk nahm ab, und die Zusammenkünfte zur Betrachtung des Wortes verloren ihren Reiz. Allmählich fingen sie an dahin zurückzukehren, von wo sie ausgegangen waren, zur Welt!

Worin hat diese Erscheinung ihren Grund? Ich möchte keineswegs die ernste persönliche Verantwortlichkeit solcher Kinder schwächen; aber doch, muss ich fragen: Trägt nicht mancher Vater und manche Mutter viel Schuld daran, dass es so ist? O dass es doch mehr gefühlt würde! Wie wenig wird von so manchen Eltern die große Gnade, welche Gott an ihren Kindern erwiesen hat, geschätzt! Wie wenig tragen sie Sorge dafür, ihre Kinder in der Wahrheit zu fördern und sie aufmerksam zu machen auf alle die Gefahren und Versuchungen, von denen sie umgeben sind! Wie gering ist das Bemühen, die Herzen und Gewissen zart zu erhalten und in der Furcht Gottes zu leiten! Wie schwach das Flehen zu Gott, die Kinder vor den besonderen Fallstricken, welche der Jugend drohen, zu bewahren (1.Joh. 2, 15 — 17).

 Ja, viel, sehr viel ist auch in dieser Hinsicht von gläubigen Vätern und Müttern gefehlt worden; sie haben sich damit zufrieden gegeben zu wissen: Unsere Kinder sind nun bekehrt; sie gehören dem Herrn an und kommen in den Himmel! Als wenn nun damit alles gut wäre und keine Verantwortlichkeit mehr auf den Eltern lastete bezüglich des ihnen anvertrauten hohen Gutes. O vergesst es nicht, ihr Väter und Mütter, dass Gott einmal Rechenschaft von euch fordern wird, wie ihr der höchsten Pflicht, die auf euch ruht, entsprochen habt! Kinder zu haben, ist ein Segen; gläubige Kinder zu haben, ein noch größerer Segen. Aber mit jedem Segen ist eine Verantwortlichkeit verbunden; und je größer der Segen, desto ernster die Verantwortlichkeit.

Sobald eine gläubige Seele die Freude an der Person Jesu verliert fehlt ihr bald alles. Das Herz fühlt sich öde und leer. Es muss einen Gegenstand haben, mit dem es sich beschäftigt. „Ist es Jesus nicht mehr, so muss es etwas anderes sein; und der Feind der Seele ist um einen Ersatz nicht verlegen. Man beginnt, sich Freunde oder Freundinnen in der Welt zu suchen. Unter den Gläubigen kann oder will man keine finden; und so kommt, wie schon oben gesagt, allmählich die Welt ins Haus. Freundschaft mit der Welt wird gesucht und gemacht. Ehen mit Unbekehrten werden geschlossen. 

„Licht und Finsternis verbinden sich miteinander. Wenn nun auch gläubige Eltern eine solche Verbindung nicht gutheißen können, weil das Wort Gottes sie so klar und bestimmt verbietet, hat man doch zuweilen den Eindruck, als ob sie im Innern ihres Herzens damit einverstanden wären. Sie würden sonst nicht daran denken, allerlei Entschuldigungen vorzubringen und sich auf diesen oder jenen zu berufen, der es ja auch so gemacht habe. Wo ist da die Gesinnung .Abrahams oder Josua?-? Wo die Gesinnung des Herrn selbst, dessen Tugenden wir verkündigen sollen und, der uns aus der Finsternis berufen hat zu Seinem wunderbaren Licht? (1. Petrus 2,9) „Seid nicht gleichförmig dieser Welt!“ ermahnte der Apostel Paulus einst die Gläubigen in der großen Welt- und Sündenstadt Rom (Röm. 12, 2); und diese Ermahnung richtet sich mit gleicher Kraft an uns.

Kann in solchen Häusern wohl von Frieden und Freude im Heiligen Geiste die Rede sein? Unmöglich! „Aber“, wird manche Familie einwenden, „wir sehen doch, dass Gott mit uns ist. Unser Geschäft blüht; wir haben ein reichliches Einkommen; wir können Anderen noch mitteilen und am Werke des Herrn teilnehmen. Auch hat uns Gott mit Krankheiten und Leiden verschont, so dass wir viel Ursache haben Ihm zu danken“. Vielleicht ist es so. Aber ist das ein Beweis von dem Wohlgefallen und der Anerkennung Gottes? Sind ein blühendes Geschäft, ein gutes Einkommen und körperliche Gesundheit ein Beweis von einem Wandel mit Gott und von Gesundheit der Seele? Es kann so sein, aber es ist bei weitem nicht immer so. „Da gab Er ihnen ihr Begehr, aber Er sandte Magerkeit in ihre Seelen, lesen wir einmal von dem Volke Israel (Ps. 106, 15).

Lot war auch ein reicher Mann und hatte schließlich sogar einen Ehrenplatz im Tore Sodoms; aber wie stand es um seine Seele! Sein Reichtum und sein äußeres Wohlergehen waren viel eher ein Gericht als ein Segen. Und gerade so kann es heute sein. Wenn jemand, wie Lot, seine Augen erhebt und mit begehrlichen Blicken Umschau hält, so kann es sein, dass Gott ihn sein Begehr finden lässt; aber wie steht es um die arme Seele? Sie leidet Not; sie hat keinen Frieden, sie erfreut sich nicht mehr des süßen Umgangs mit dem Herrn. Die Welt ist keine Wüste mehr für sie, und deshalb verstummt auch der Ruf: „Komm, Herr Jesu!“ An die Stelle der Sehnsucht, den geliebten Herrn zu schauen, tritt der Gedanke: „Mein Herr verzieht zu kommen“. Das Bewusstsein, dass der Herr heute noch kommen kann erweckt unbehagliche Gefühle statt seliger Freude.

Vielleicht denkt der eine oder andere Leser: Das geht doch zu weit! Die Umstände und Verhältnisse sind gegenwärtig ganz andere als früher; und dem muss man doch Rechnung tragen. Man kann bei dem besten Willen nicht mehr alles so einrichten, wie die Gläubigen zu anderen Zeiten es konnten. Man muss manchen Dingen wohl oder übel ihren Laus lassen u. s. w. — Aber ich möchte fragen: Hat das Wort Gottes aufgehört, Gottes Wort zu sein? 

Hat Gott sich verändert? Ist Er nicht heute noch derselbe heilige und eifernde Gott wie immer? Und ist Seine göttliche Kraft, die uns alles in Betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt hat, nicht mehr vorhanden (2. Petr. 1, 3)? Geliebter Leser! lass uns unserer Verantwortlichkeit nicht die Spitze abbrechen! Das Gesagte geht nicht zu weit; das entworfene düstere Gemälde ist leider im Blick auf manche Familien nur zu wahr. Ein trauriger, sehr niedriger. geistlicher Zustand offenbart sich in manchem christlichen Hause.

Und indem ich dieses schreibe, tue ich es mit Beugung vor Gott und mit dem Flehen, dass der Herr in Seiner erbarmenden Gnade die Augen der Väter und Mütter öffnen und ihre Gewissen aufwecken möge, damit sie ·in Seinem Lichte erkennen, wie sehr der Heilige Geist in ihren Häusern betrübt und der Name des Herrn verunehrt worden ist. Nicht, ich wiederhole es, als ob die Kinder ohne Verantwortlichkeit wären. Ganz gewiss nicht! Ein jeder wird für sich selbst Gott „Rechenschaft geben müssen, und ganz besonders die Kinder gläubiger Eltern. Ihre Verantwortlichkeit ist ungleich größer als diejenige anderer Kinder; denn sie kennen die heilige Schrift, und werden deshalb ein viel ernsteres Urteil empfangen als jene. Aber die Verantwortlichkeit für das Haus eines Gläubigen trifft zunächst das Haupt desselben, den Vater, und in zweiter Linie dessen Gehilfin, die Mutter. Möge Gott in Seiner Gnade die Herzen und Gewissen der Seinigen aufwecken und uns allen schenken, in heiligeln Wandel und Gottseligkeit auf die nahe Ankunft unseres Herrn zu warten, mit umgürteten Lenden und brennenden Lampen!

Zum Schluss noch ein Wort an die gläubigen Jünglinge und Jungfrauen, welchen der Herr die große Gnade zu teil werden ließ, sie schon in ihren jungen Jahren aus der gegenwärtigen bösen Welt herauszunehmen. Ich möchte sie in Liebe erinnern an die schöne und ernste Stelle aus dem 2. Kapitel des 1. Briefes Johannes: „Ich habe euch, Jünglinge, geschrieben, weil ihr stark seid und das „Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen überwunden habt“. Das ist ihre Stellung. Dahin sind sie durch das Werk Christi gebracht. Sie sind fähig gemacht, in der Kraft des Heiligen Geistes mit Energie in den- Kampf zu gehen. Das Wort Gottes, das in ihnen bleibt, „das Schwert des Geistes“, ist ihre Waffe, und sie haben den Bösen, Satan, überwunden. Sie befinden sich nicht mehr unter seiner Herrschaft. Freigemacht von der Sünde, sind sie Sklaven der Gerechtigkeit geworden (Röm. 6, 18).

Welch eine herrliche Stellung, ihr gläubigen Jünglinge und Jungfrauen! Ihr seid in dieselbe gebracht durch die Gnade und Liebe Gottes. Möchtet ihr nun auch mit der euch von Gott verliehenen Kraft und mit der Energie des Geistes, indem das Wort Gottes in euch bleibt, die Warnung des Apostels befolgen: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. „Ihr seid durch die Hingabe des Herrn, durch Sein Leiden und Sterben, aus einer Welt herausgenommen, welche sich in Feindschaft und Hass gegen Gott befindet, deren Fürst Satan ist.

Er ist auf alle Weise bemüht, eure Herzen durch die Dinge, die in der Welt sind, anzulocken und zu verleiten. Und welche Dinge sind es, die er euch vorstellt? Augenlust, Fleischeslust und Hochmut des Lebens. Habt deshalb acht auf eure Augen und Herzen! Lasst nicht eure Blicke und Gedanken zügellos umherschweifen! Durch die Augen dringt die böse Lust, die sündige Begierde ins Herz; und „wenn die Lust empfangen hat, so gebiert sie die Sünde“ (Jak. 1, 15).

Durch die genannten drei Versuchungen hat Satan auch Adam und Eva zu Fall gebracht, und so das ganze schreckliche Sündenelend in die Welt eingeführt. Mit denselben Versuchungen begegnete er auch dem Herrn in der Wüste; aber Gott sei Dank! hier wurde ihm das Schwert des Geistes, das Wort Gottes, entgegengehalten. Satan konnte nichts ausrichten; das Wort Gottes überwand ihn. Er musste beschämt von dannen gehen. Mit denselben Versuchungen tritt er heute noch an uns heran; und ach! wie viele Gläubige haben es vernachlässigt, in derselben Weise wie der Herr diese Versuchungen zurückzuweisen! Wie viele, besonders junge Gläubige, haben ihre Waffen vor dem Feinde gestreckt, haben auf seine Verlockungen gelauscht und den Genuss der Liebe des Vaters preisgegeben! 

Welch ein großer Verlust für sie, und welch eine Betrübnis des Heiligen Geistes! Von Achan lesen wir in Josua 7, 21: „Ich sah, mich gelüstete, und ich nahm“. Bei David sehen wir dasselbe: er sah, ihn gelüstete, und er nahm (1. Samuel 11). Und was war in beiden Fällen die Folge? Namenloses Elend! Wäre das Wort Gottes lebendig und wirksam in jenen Männern gewesen, so hätten sie das Anerbieten des Feindes zurückgewiesen und nicht nur sich und Anderen großes Leid erspart, sondern auch den heiligen Namen Gottes vor Verunehrung bewahrt.

Viele junge Gläubige sind in ähnliche Schlingen des Feindes geraten. Ihre Kraft ist gebrochen, die Freude am Herrn ist dahin. Es ist ihnen ergangen wie einst Simson"; sie haben das Geheimnis ihrer Kraft der Welt preisgegeben und ihr Nasiräertum nicht aufrecht erhalten. Ihre „Weihe“ ist verloren. Die Lust der Augen, die Lust des Fleisches und der Hochmut des Lebens haben ihre armen Herzen erfüllt. Sie sind müde geworden im Gebet und im Lesen des Wortes Gottes und haben aufgehört, in heiliger Treue über sich zu wachen. O ihr lieben jungen Geschwister, ertraget das Wort der Ermahnung und präget tief in euer Inneres. ein, was einst der Prediger seinem Sohne zurief: „Behüte dein Herz mehr als alles was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens . . . Lass deine Augen geradeaus blicken, und deine Wimpern stracks .vor dich hin schauen. . .· Biege nicht aus zur Rechten noch zur Linken, wende deinen Fuß ab vom Bösen“ (Spr. 4, 23. 25. 27)!

Wie würde der Name des Herrn in den Häusern der Gläubigen verherrlicht werden, wenn Eltern und Kinder gemeinsam suchten, das Wort des Lebens darzustellen; wenn jeder den ihm von Gott angewiesenen Platz in Einfalt und Treue einnähme und alle, sich gegenseitig dienend und ermunternd, in der Furcht des Herrn zu wandeln begehrten! Welch ein Zeugnis würde, dies nach außen hin sein, und wie würde das Herz Gottes erfreut werden und mit Wohlgefallen aus uns herniederblicken! Und wahrlich, die reichen Segnungen, welche Gott einst dem Abraham für seinen Glaubensgehorsam verhieß, würden nicht ausbleiben. Lob- und Dankeslieder würden emporsteigen zur Ehre Gottes und Zeugnis davon ablegen, das; die Herzen, inmitten der Leiden und Prüfungen des Pilgerpfades, ruhten in der Liebe Gottes.

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Auf dem Wege

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 321ff

„Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging vor ihnen her; und sie entsetzten sich, und indem sie nachfolgten, fürchteten sie sich" (Mk. 10,32).

Gott hat uns berufen zu Seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu (1. Petrus 5,10), und wir befinden uns auf dem Wege dahin. Dieses köstliche Bewusstsein hält uns abgeschieden von der Welt und macht sie zu einer Fremde für uns; es lässt uns, wie der Apostel sagt, vergessen, was dahinten ist, und uns ausstrecken nach dem, was vorn ist (Phil. 3,14). Es stellt uns betreffs unseres Verhaltens in unmittelbaren Gegensatz zu denen, die „auf der Erde wohnen" (Off. 3,10; 13,8. 14; 17,2. 8), die hienieden ihre Heimat haben, deren Interessen und Hoffnungen auf das Sichtbare beschränkt sind. 

Wir sind auf dem Wege zu unserer himmlischen Heimat, dem Ort der ewigen Ruhe; zu der Stadt des ewigen Lichtes mit ihren Straßen von Gold und Toren von Perlen, wo die Macht und Fülle des ewigen Lebens alles durchdringen wird (Off. 21. 22). Je lebendiger dieses Bewusstsein in uns ist, um so glücklicher sind unsere Herzen, um so lebhafter ist das Gefühl unserer Fremdlingschaft hier und die Sehnsucht nach der Heimat droben; aber auch um so schärfer tritt der Gegensatz zwischen uns und den Kindern dieser Welt hervor.

Allein so herrlich das Ziel unseres Weges ist, so schwer, ja geradezu unmöglich ist der Weg für die menschliche Natur. Der reiche Jüngling ging betrübt von dannen, als der Herr ihm den Weg zur Erlangung des ewigen Lebens und eines Schatzes im Himmel mit den Worten bezeichnete: „Verkaufe, was irgend du hast, und gib es den Armen ... und komm, folge mir nach, [das Kreuz aufnehmend]." Ja, selbst die Jünger entsetzten sich über diese Worte (Mk. 10,21. 24). Und in der Tat, der Weg ist so enge und schmal, dass nach dem eigenen Ausspruch des Herrn ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehen kann, als ein Reicher in das Reich Gottes. Infolgedessen erstaunten die Jünger über die Maßen; sie entsetzten und fürchteten sich, indem sie dem Herrn nachfolgten.

Aber selbst auf die Gefahr hin, sie gänzlich zu entmutigen, verhehlte der Herr ihnen nicht, was Ihm begegnen würde, und was auch sie in Seiner Nachfolge zu erwarten hätten. Er sagte ihnen frei heraus, dass sie mit der Taufe getauft werden würden, mit welcher Er getauft werden sollte (Vers 39). Gerade so verhehlten auch die Apostel den Gläubigen nicht, dass sie durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssten; „ihr selbst wisset", schreibt Paulus an die Thessalonicher, „dass wir dazu gesetzt sind . ..", und dem Timotheus ruft er wiederholt zu: „Leide Trübsal ... du aber leide Trübsal" (Apg. 14,22; 1.Thes. 3,2; 2. Timotheus 1,8; 4,5).

Dennoch will der Herr nicht, dass die Seinigen entmutigt und furchtsam, oder gar bestürzt und entsetzt sein sollten. Vielmehr ruft Er ihnen zu: „Euer Herz werde nicht bestürzt"; und wiederum: „Euer Herz werde nicht bestürzt, sei auch nicht furchtsam" (Johannes 14,1. 27)! Zugleich gibt Er ihnen die Gründe an, kraft deren sie fähig sein würden, den Weg trotz aller Gefahren und Widerwärtigkeiten furchtlos und mit glücklichem Herzen zu gehen: Er verheißt Ihnen Seine Gegenwart und Seine Wiederkunft. Wie Er hier mit Seinen Jüngern gewandelt und sie auf Schritt und Tritt geschützt und geschirmt hatte, so wollte Er ihnen auch nach Seinem Abschiede auf dem ganzen Wege nahe sein; wenn auch nicht sichtbar, doch ebenso wirklich. „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters" (Mt. 28,20).

Welch einen mächtigen Trost gewährt die Gegenwart des Herrn jedem, der sie in allen Lagen und Umständen durch den Glauben verwirklicht! Sie genügt für alle unsere Bedürfnisse auf dem Wege in geistlicher und leiblicher Beziehung. Sie genügt für die Einzelnen sowohl wie auch für jede Versammlung, mag sie klein oder groß sein, mag viel oder wenig Gabe da sein. Überall, wo man in Einfalt und Treue in dem kostbaren Namen Jesu zusammenkommt, da ist Er in der Mitte, Der die Fülle des Segens ist. Mochten Tausende von hungrigen Menschen in der Wüste versammelt sein und nur wenige Brote ihnen zu Gebote stehen, dennoch brauchte niemand wegzugehen, um Speise zu holen - 

Er war da und sättigte alle. Ob auch Sturm und Wellen das Schiff bedrohten, es konnte nicht versinken; denn Er war da, und auf Sein Wort legte sich der Wind und glätteten sich die Wellen (Mk. 4,35 bis 41). Seine Gegenwart brachte Kranken Heilung, gab Blinden das Gesicht, machte Lahme gehen, erquickte Müde und Schwache und befreite von der Macht des Todes und der Teufel. Und so wie Er damals war, so ist Er heute noch; gleich reich an Liebe, Macht und Erbarmen; „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit" (Hebräer 13,8).

Aber obgleich der Herr Jesus vor den Jüngern auf dem Wege herging, waren sie dennoch entsetzt und fürchteten sich. Sie hatten die wunderbare Speisung der Tausende gesehen; aber dennoch waren sie in Sorge, als sie einmal keine Brote mitgenommen hatten (Mt. 16,8). Sie wussten, dass ihr Herr und Meister der Schöpfer des Himmels und der Erde war, und doch meinten sie, sie würden umkommen, als die ungestümen Wellen ihr Schifflein umtobten. Was war die Ursache ihrer Befürchtungen und Sorgen? Nichts als Mangel an Glauben! „Was seid ihr so furchtsam"? sprach der Herr tadelnd zu ihnen, „wie, habt ihr keinen Glauben"! (Mk. 4,40). Und was anders ist heute die Ursache unserer Sorgen, Unruhen und Verlegenheiten? Ist der Herr nicht bei uns? Oder fehlt es Ihm etwa an Liebe, Macht und Erbarmen? Ach, wenn wir nur mehr von jenem einfältigen, kindlichen Glauben besäßen, der Seine Gegenwart verwirklicht, als sähe er den Unsichtbaren (Hebräer 11,27)!

Wenn der Glaube an Christum das Gewissen eines verlorenen Sünders vollkommen beruhigt und ihn von der Angst und den Schrecken eines ewigen Gerichts befreit, indem er sich auf Christum und Sein Werk stützt, sollte dann nicht der Glaube an Christum auch sein Herz vollkommen beruhigen können betreffs der geringeren Dinge dieses Lebens? Wenn Christus dem Glauben für die Zukunft genügt, warum dann nicht für die Gegenwart, welcherlei Art die Umstände auch sein mögen? O, möchten wir mehr Seine Gegenwart durch den Glauben verwirklichen nach Seinen Worten: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubet an Gott, glaubet auch an mich" (Johannes 14,1)!

Als zweiten Grund für uns, nicht zu verzagen, sondern mutig und geduldig auf dem Wege auszuharren, haben wir weiter oben die Verheißung der Wiederkunft des Herrn genannt. An jenem denkwürdigen Abend vor Seinem Leiden richtete der Herr die bekannten Worte an Seine Jünger: „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet" (Johannes 14,2. 3). 

Diese Verheißung kann jeden Tag, ja, jede Stunde in Erfüllung gehen; und dann werden die gegenwärtigen Prüfungen, Schwierigkeiten, Leiden und Trübsale noch weit rascher verschwinden als der Morgennebel vor der Sonne, die Finsternis vor dem Lichte. In einem Nu wird dieses Verwesliche Unverweslichkeit und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen; in einem Augenblick werden wir mit all den auferstandenen Heiligen vereinigt sein und, das Tal der Tränen und des Todesschattens weit hinter uns zurücklassend, werden wir dem Herrn entgegengehen und Ihn sehen von Angesicht zu Angesicht. Heute noch kann der Herr kommen und mit Ihm der herrliche Augenblick, wo das Ziel erreicht sein wird und wir durch die Tore in die Stadt eingehen werden (Off. 22,14), ja eingehen in die Wohnungen des Vaterhauses, um dann für immer da zu sein, wo Er ist.

Wenn David einst unter dem Druck der Verfolgung ausrief: „Nur ein Schritt ist zwischen mir und dem Tode" (1. Samuel 20,3), so können auch wir sagen, dass nur ein Schritt zwischen dem Glauben und dem Schauen liegt, weil der Herr jeden Augenblick kommen kann. „Denn noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen" (Hebräer 10,37). Noch über ein gar Kleines, und jedes Sehnen wird gestillt, jeder Wunsch erfüllt werden; jede Trennung und Verwirrung wird für immer verschwinden, die Gläubigen werden e i n Herz und eine Seele sein, und Christus allein wird den Gegenstand und Mittelpunkt aller bilden. Noch über ein gar Kleines, und alle Klagen und Seufzer werden verstummen; Schmerzen, Not, Kummer, Krankheit und Tod werden hinter uns Hegen für immer. Welch ein Wechsel in einem Augenblick, in einem Nu!

Wie könnten wir mutlos und verzagt werden, wenn die Erwartung dieser kostbaren Dinge in unserem Herzen lebt? - Darum aufgeschaut, geliebter Mitpilger! Fasse Mut, du leidendes, trauerndes, niedergebeugtes Gotteskind! Bald ist das Ziel erreicht, der Kampf beendet und der Sieg erstritten.

Aber wie bei den Jüngern damals, so wird auch jetzt bei uns der Zustand des Herzens auf dem Wege offenbar. Der Herr hatte den Jüngern kurz vorher gesagt: „Wahrlich, ich sage euch: Wer irgend das Reich Gottes nicht aufnehmen wird wie ein Kindlein, wird nicht in dasselbe eingehen" (Mk. 10,15). Aber gerade an diesem demütigen Kindessinn mangelte es ihnen; denn wir hören gleich nachher, dass sie an ihre eigene Größe dachten, so dass der Herr sie belehren musste: „Wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein" (Vers 35 - 45). Ach! sie hatten noch nicht von dem Sanftmütigen und von Herzen Demütigen gelernt. Er war gekommen, nicht um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. Sie aber trachteten nach einem möglichst hohen Platz und waren eifersüchtig aufeinander.

In diesem Mangel an demütiger Gesinnung eines Kindes liegt sicher auch für uns das große Hindernis, wenn wir auf dem Wege nicht die Wirkung der oben angeführten Gründe an unseren Herzen erfahren. Wir sind nicht klein in unseren Augen und denken mehr an uns selbst und an unsere Bequemlichkeit und unsere Größe, als an Christum, an Seine Verherrlichung und Seine Ankunft.

Der Herr lenkte daher die Aufmerksamkeit Seiner Jünger oft auf die Kindlein, um ihnen zu zeigen, wer wirklich groß ist in Seinen Augen. Auch ließ Er sie erkennen, dass die Kindlein in ganz besonderer Weise die Gegenstände Seiner Liebe und Sorgfalt sind. „Und als Jesus ein Kindlein herzugerufen hatte, stellte Er es in ihre Mitte und sprach: Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen. Darum, wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte im Reiche der Himmel; und wer irgend ein solches Kindlein aufnehmen wird in meinem Namen, nimmt mich auf" (Mt. 18,2 - 5). 

Und in unserem Kapitel wird uns erzählt, dass Er sie in Seine Arme nahm und sie segnete (Vers 16). Wie ein Kindlein keine Befürchtungen und Gefahren kennt, weil es sich sicher und geborgen weiß in den starken Armen eines treuen Vaters, an der Brust einer liebenden Mutter, so und noch weit sicherer und geborgener weiß sich der Gläubige in den mächtigen Armen Jesu, seines ihn zärtlich liebenden Heilandes, vorausgesetzt dass er in seinen eigenen Augen nichts anderes ist als ein Kindlein. Im Bewusstsein seiner Schwachheit und Hilflosigkeit stützt er sich auf Ihn, Der alle Gewalt besitzt im Himmel und auf Erden (Mt 28,18). 

Welch eine Ruhe und Zuversicht gewährt es, uns in den Armen Jesu zu wissen, wenngleich unser Weg zur himmlischen Heimat durch eine gottlose Welt, ja durch das Tal des Todesschattens führt! Wir können dann mit dem Psalmisten sagen: „Auch wenn ich wandelte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich" (Psalm 23,4). Möchten wir deshalb in Wahrheit wandeln wie Kindlein, damit sich auch an uns das Wort des Apostels bestätige: „ ... denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark" (2. Korinther 12,10).

Die Geschichte Israels liefert uns einen treffenden Beleg für die Wahrheit des eben Gesagten. Während das ganze Volk, das aus Ägypten gezogen war, seines Unglaubens wegen nicht in das herrliche Land eingehen konnte, nahmen ihre unmündigen Kinder Besitz davon. „Und eure Kinder, von denen ihr sagtet: sie werden zur Beute werden, und eure Söhne, die heute weder Gutes noch Böses kennen, sie sollen hineinkommen, und ihnen werde ich es geben, und s i e sollen es in Besitz nehmen. Ihr aber wendet euch und brechet auf nach der Wüste, des Weges zum Schilfmeer". Das Volk schreckte zurück vor den Kanaanitern, den bis an den Himmel befestigten Städten des Landes und vor den Söhnen der Enakim. 

Es blickte auf sich und die Umstände, anstatt auf Jehova, seinen starken Gott. Trotz des ermutigenden Zurufs Jehovas: „Erschrecket nicht und fürchtet euch nicht vor ihnen", und trotz Seiner Versicherungen, dass Er vor ihnen herziehen und für sie streiten würde, waren sie ungläubig und verzagt und widersetzten sich Seinem Gebot. Ihre Kinder hingegen, von denen sie gemeint hatten, dass sie zur Beute werden würden, gingen ungeachtet der mächtigen Feinde und Hindernisse ins Land ein, zum Ruhme und Preise der Macht, Liebe und Gnade Gottes (Siehe 5. Mose 1,28 - 40).

Lasst uns daher allezeit in der Gesinnung von Kindlein erfunden werden, damit wir so dem Herrn Gelegenheit geben, über uns Seine mächtige Gnade und Kraft zu entfalten, während wir auf dem Wege zur Herrlichkeit sind!

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Der Same des Weibes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1897, S. 330ff

Wie schön stand vor dem Falle des Menschen die Schöpfung da, tadellos hervorgegangen aus der Hand des allmächtigen Schöpfers! und welch einen gesegneten Platz nahm der Mensch in ihr ein! Aber ach, wie bald war alles durch den Ungehorsam des Menschen verdorben und er selbst in das tiefste Elend gestürzt! So herrlich sein Zustand vor dem Falle war durch die Güte Gottes, so unglückselig war er nach demselben durch seine eigene Schuld. In dem vermessenen Begehren, Gott gleich zu werden, war er ein Sklave Satans geworden und unter die Macht der Sünde und des Todes gekommen.

Wer vermochte den Menschen aus diesem schrecklichen Zustande zu befreien? Es gab kein Geschöpf, welches imstande gewesen wäre, seine ehernen Fesseln zu sprengen. Aber was das Geschöpf nicht zu tun vermochte, das konnte und wollte Gott tun. Ewig sei Sein Name dafür gepriesen! Er verhieß unmittelbar nach dem Falle des Menschen den Samen des Weibes, welcher der Schlange (vergl. Offbg. 20, 2) den Kopf zertreten sollte. (1. Mose 3,15). In späteren Tagen wurde dem irdischen Volke Gottes dieselbe kostbare Verheißung wiederholt: „Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und wird seinen Namen Immanuel (d. h. Gott mit uns) nennen“ (Jes. 7, 14). Und weiterhin lesen wir, indem diese Weissagung in prophetischer Weise als erfüllt betrachtet wird: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ (Jes. 9, 6).

Am Ende der Zeiten trat diese herrliche Person, welche alle jene Namen und noch viele andere in sich vereinigte, in diese Welt ein, und zwar unter Umständen, die ebenso wunderbar waren wie dieser Eintritt selbst. „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einem Weibe“ (Gal. 4, 4). Nicht in Glanz und Herrlichkeit erschien Er, sondern in Armut und Niedrigkeit. Ein Stall war die Stätte Seiner Geburt, und eine Krippe Seine Wiege (Luk. 2, 7). Der arme, ohnmächtige Mensch, der doch nur Staub ist, trachtet so gern, nach Ehre und Ansehen; und denen, die in dieser Welt angesehen sind, ist es so eigen, die Niedrigen gering zu achten und sich selbst zu erheben. Er aber, der in Gestalt Gottes war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an (Phil. 2, 6. 7), so dass sich auf diesem Wege erfüllte was geschrieben steht: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir Ihn sahen, da hatte Er kein Ansehen, dass wir Seiner begehrt hätten“ (Jes. 53, 2).

Von der Zeit Seiner Geburt bis zu Seinem öffentlichen Auftreten ist uns nicht viel über Ihn mitgeteilt. Es war uns eben nicht mehr zu wissen nötig. Was wir aber von Ihm lesen, ist ebenso bewunderungswürdig wie alles übrige. Er war von Ewigkeit her der eingeborene Sohn des Vaters. „Denn ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren; . . . . als Er die Grundfesten der Erde feststellte, da war ich Schoßkind bei Ihm, und war Tag für Tag Seine Wonne“ (Spr. 8, 2·5. 29. 30). Aber trotzdem nahm Er hienieden in jeder Altersstufe willig den Platz ein, der sich für einen „vom Weibe Geborenen“ geziemte, sowohl Gott als auch Menschen gegenüber. Er war Seinen Eltern untertan, und Er „nahm zu an Weisheit und an Größe, und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lies Luk. 2, 39— 52). 

Er war so allezeit ein duftender Wohlgeruch für das Herz des Vaters“. Welch eine Unterweisung liegt zugleich hierin für alle diejenigen, welchen der Apostel zuruft: „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn, denn das ist recht. Ehre deinen Vater und deine Mutter, welches das erste Gebot mit Verheißung ist“ (Eph. 6, 1. 2). Wie besonders wichtig ist diese Unterweisung für die Jugend in unseren Tagen! Möchten alle sie beherzigen! Wir leben in den ,,letzten Tagen«, wo die Menschen neben anderen bösen Dingen gekennzeichnet sind durch Eigenliebe, Hochmut und Ungehorsam gegen die Eltern. (2. Tim. 3, 2).

Bei Beginn Seiner öffentlichen Laufbahn kam dann der Herr zunächst zu Johannes, um von ihm getauft zu werden. Er nahm so, indem Er sich mit dem armen, schwachen Überrest aus Seinem Volke eins machte, die einzig richtige Stellung ein, welche sich in jenem Augenblick für einen „unter Gesetz, Geborenen“ geziemte. Es gebührte Ihm, „alle Gerechtigkeit« zu erfüllen; und indem Er das tat, rief Er wiederum das ganze Wohlgefallen Gottes, des Vaters, wach, so dass der Himmel sich über Ihm öffnete und Ihm Zeugnis gab.

Hierauf wurde Er von dem Geiste in die Wüste geführt, umso von dem Teufel versucht zu werden. Wie einst bei dem ersten Menschen im Garten Eden, so trat jetzt der Versucher an den letzten Adam in der Wüste heran, um Ihn, wenn möglich, zu verleiten, den Platz der Abhängigkeit und des Gehorsams zu verlassen“. Wie würde er triumphiert haben, wenn er Jesum hätte zu Fall bringen können! Er suchte ihn dahin zu bringen, sich durch dieselben Beweggründe leiten zu lassen, welche einst in dem Herzen des ersten Menschen ans Licht getreten waren, sobald dieser der Stimme des Versuchers Gehör gegeben hatte, und durch welche Satan seitdem die ganze Welt nach seinem Belieben leitet: Fleischeslust, Augenlust und Hochmut des Lebens. 

Aber der Versucher wurde siegreich abgewiesen, indem der letzte Adam in völligem, freiwilligem Gehorsam das Wort Gottes allein zu Seiner Richtschnur nahm und den Platz, der unbedingten Abhängigkeit keinen Augenblick verließ. Denn Er war nicht gekommen, um Seinen Willen zu tun, sondern den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte. O möchten wir alle, die wir jetzt Sein Leben und Seinen Geist empfangen haben, auch hierin Seine Nachahmer sein und dieselbe Gesinnung offenbaren!

Nachdem so „der zweite Mensch“ durch Seinen Gehorsam als Sieger aus dem Kampfe hervorgegangen war, konnte Er in das Haus des Starken hineingehen und seinen Hausrat rauben (Mark. 3, 27) .Aber das war nicht alles. Mehr als das musste geschehen. Der alten Schlange musste der Kopf zertreten werden. Und auch das hat Jesus getan, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze (Phil. 2, 8). Freilich wurde es der Schlange erlaubt, Ihm die Ferse zu zermalmen; aber dies geschah nur, damit Er so „durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, welche durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (Hebr. 2, 13 - 15). Welch eine herrliche Befreiung aus der Macht Satans und des Todes ist uns zu teil geworden!“

Allein wenn es einerseits nötig war, den gefallenen Menschen aus der Gewalt Satans zu befreien, so musste andrerseits auch den Forderungen eines heiligen und gerechten Gottes Genüge geschehen; und weil der Mensch ein Sünder und Feind Gottes war, so mussten die Sünden getilgt und er selbst mit Gott versöhnt werden. Anders hätten unmöglich die Ratschlüsse Gottes, die Er vor Grundlegung der Welt gefasst hatte, in Erfüllung gehen können. Aber Gott sei gepriesen! auch dieses ist geschehen. Christus wurde als das Lamm, welches zuvor erkannt war vor Grundlegung der Welt, aus dem Opferaltar Gottes geschlachtet; und als nun alles erfüllt war, was über Ihn geschrieben steht in dem Gesetz Moses und den Propheten und den Psalmen (Luk. 24, 44), da neigte Er das Haupt und übergab den Geist. Niemand nahm Sein Leben von Ihm; Er ließ es freiwillig. Er hatte Gewalt es zu lassen, und Gewalt es wieder zunehmen (Joh. 10, 18).

Nachdem Er so den Willen Gottes getan und das Werk vollbracht, welches der Vater Ihm aufgetragen hatte, und nachdem Er, der Sohn des Menschen, drei Tage und drei Nächte „in dem Herzen der Erde« gewesen war (Matth. 12, 40), stand Er in der Macht Seiner göttlichen Person wieder auf aus den Toten und richtete so den abgebrochenen Tempel Seines Leibes wieder auf, nach Seinen eigenen Worten: ,,Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“ (Joh. 2, 19), Anbetungswürdiger Heiland! Gott, geoffenbart im Fleische! Welch ein unermesslicher Abstand besteht zwischen uns und Ihm! Und doch, sobald Er als der Auferstandene sich der Maria Magdalena gezeigt hatte, ließ Er durch sie den Seinen die frohe Botschaft verkünden: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott. „Er schämt sich nicht, uns Seine „Brüder“ *) zu nennen (Joh. 20, 17; Hebr. 2, 11).

Nach Seiner Auferstehung hat Er sich dann Seinen Jüngern in vielen sichern Kennzeichen lebendig dargestellt und ihnen deutlich gezeigt, dass Er nicht ein Geist, sondern ein Mensch war mit Fleisch und Bein, den man sehen, hören und betasten konnte, und der zu essen und zu trinken vermochte. Während vierzig Tagen ist Er von ihnen gesehen worden, und dann von ihnen geschieden, indem Er sie segnete. „Er führte sie aber hinaus bis nach Bethanien und hob Seine Hände auf und segnete sie und es geschah, indem Er sie segnete, schied Er von ihnen und ward hinaufgetragen in den Himmel“ (Luk. 24, 50. 51).

 Er ging hin, um dort auch für sie eine Stätte zu bereiten. Wie schwer deshalb der Abschied auch sein mochte, so wurde er doch versüßt durch die freudige Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen; denn Er hatte ihnen ja gesagt: „Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh.14,3). So kehrten denn die Jünger nach Jerusalem zurück mit großer Freude.

Noch ist diese kostbare Verheißung unseres Herrn nicht erfüllt. Aber sie wird erfüllt werden, wie alles was geschrieben steht· Heute ruft der Herr den Seinen zu: „Ich komme bald“ (Offenbarung 3, 11). Nicht lange mehr, und wir werden Ihn sehen, der uns geliebt und so teuer erkauft hat, uns, die wir Feinde und verlorene Sünder waren. Und wenn es heute schon so gesegnet und lieblich für unsere Herzen ist, Ihn durch den Glauben betrachten zu können, was wird es dann sein, wenn wir Ihn sehen werden, wie Er ist, wenn wir erkennen werden, wie wir erkannt worden sind! Wahrlich, dann werden wir nicht aufhören, Ihn zu bewundern und anzubeten in Ewigkeit.

Möge der Herr uns und allen den Seinigen in diesen letzten Tagen die Gnade schenken, Ihn zum Gegenstand unserer Herzen zu haben in einer Welt, die Ihn verworfen hat und dem Gericht entgegengeht! Wachsamkeit und Ausharren tun uns not. Wie leicht lassen sich unsere Herzen von dem Ziele ab bewegen und zu anderen Dingen hinneigen! Nicht umsonst ruft der Herr uns deshalb zu: „Was ich euch sage, sage ich allen: Wachet!“ Nur die Beschäftigung mit Seiner anbetungswürdigen Person und ein Wandeln in Seiner Gemeinschaft kann unsere Füße in dem rechten Gleise erhalten und unseren Herzen das Verlangen nach Seiner Ankunft bewahren.

Fußnote:

*) Wollten wir aber den Herrn unseren Bruder (oder unseren „älteren Bruder“) nennen, wie es zuweilen geschieht, so würde das sicherlich höchst ungeziemend sein und einen großen Mangel an Ehrerbietung verraten. Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen; aber das gibt uns kein Recht, Ihm auch unserseits diesen Namen zu geben. Er bleibt stets unser hochgelobter Herr, vor dem sich unser Herz umso tiefer in Anbetung und Bewunderung niederbeugt, je mehr Er sich in Seiner herablassenden Gnade und Liebe offenbart und je näher Er uns kommt. Ein Kaiser nennt alle seine Soldaten „Kameraden“; aber würde es sich für einen Soldaten geziemen, seinen höchsten Kriegsherrn auch so anzureden? Und das ist nur ein ganz schwacher Vergleich, den man nur zur Erläuterung des Gesagten heranziehen darf.