Botschafter des Heils in Christo 1898

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Wiederkunft unseres Herrn Jesu Christi. 1
Ruhe in Christo vor dem Dienste für Ihn. 23
Die Fülle Christi (Gedicht) 27
Ruhe. 47
Freuet euch in dem Herrn! 104
„Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel." 129
Einfalt 139
Ich bin, der ich bin. 158
Der Wandel durch Glauben 184
In Gottes Hut (Gedicht) 196
Auf dem Gipfel und am Fuße des Berges 211
Gemeinschaft 223
Die im Fleische noch übrige Zeit 249
Der Dienst. 270
„Wie Er in dem Lichte ist." 277
Friede, Gnade und Herrlichkeit 303
Wir sehen Jesum 328

Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi und die damit in Verbindung stehenden Ereignisse. 

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 1ff

Einleitung.

Die Wiederkunft Christi — die herrliche Hoffnung der Kirche — ist der glückselige Augenblick, in welchem  sie mit Ihm, ihrem himmlischen Haupte, in der Herrlichkeit vereinigt werden wird, um für immer bei Ihm zu sein und alle Segnungen mit Ihm zu teilen. Wohl ist Er jetzt schon im Geiste uns nahe und verweilt, so oft

wir in Seinem Namen versammelt sind, in unserer Mitte, so dass das lebendige Bewusstsein Seiner unsichtbaren Gegenwart unsere Herzen mit Trost und Freude erfüllt. Allein bei Seiner Wiederkunft wird Seine sichtbare Gegenwart unsere Freude überströmend machen. Auf diese Seine herrliche Wiederkunft richtete sowohl der Herr selbst, als Er hienieden wandelte, wie auch später der Heilige Geist durch den Mund der Apostel die Aufmerksamkeit der Gläubigen.

 Diese Wiederkunft des Herrn war die Erwartung der ersten Christen; sie war die herrliche Hoffnung, die ihre Herzen mit tiefer, seliger Freude erfüllte und ihnen Kraft, Mut und Ausharren verlieh inmitten der Leiden, Kämpfe und Schwierigkeiten des gegenwärtigen Zeitlauf-Z. Beinahe in allen seinen Briefen spricht der Apostel Paulus wieder und wieder über diese herrliche Hoffnung der Kirche, und zwar zu dem Zwecke, um das innige Verlangen nach dem Herrn, welches sein Herz so unaussprechlich glücklich machte, auch in den Herzen aller Heiligen wachzurufen. Seine Bemühungen waren nicht erfolglos.

 Die Thessalonicher z. B. lebten so sehr in der Erwartung dieser Wiederkunft, dass die ganze Umgegend davon redete, wie sie sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt hätten, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten (1. Thess. 1).

Doch ach! nur allzu schnell gelang es dem Teufel, den Glanz dieser herrlichen Hoffnung vor den Augen der Gläubigen zu verdunkeln und schließlich ganz zu verbergen. Die Kirche vergaß, dass sie die Genossin der Herrlichkeit Christi sein sollte; sie vergaß ihren Herrn, ihr Haupt, ihren Bräutigam; sie vereinigte sich mit der Welt, und so verschwand nach und nach die Erwartung Seiner Wiederkunft. Jahrhunderte gingen dahin, in denen diese herrliche Wahrheit ganz und gar unter dem Scheffel stand. Obwohl die Lehre von dem Kommen Christi zur Aufnahme Seiner Heiligen in den Briefen so vielfach erörtert wird, wurde sie doch so vollständig übersehen, dass man nur noch von einem allgemeinen Tage des Gerichts redete, an welchem der Herr Jesus erscheinen würde, um Lebendige und Tote zu richten. Wie die Jungfrauen in dem Gleichnis, so war die ganze christliche Kirche.in tiefen Schlaf gefallen; und es schien, als ob dieser Zustand sich nie wieder ändern würde.

Doch gepriesen sei der Name unseres teuren Herrn! Er, der Bräutigam, schläft und schlummert nicht. Sein Verlangen, uns Seine Herrlichkeit teilen zu sehen, ist trotz der Untreue der Kirche unverändert geblieben. So wie Er in den Tagen der Reformation mit göttlicher Allmacht die Lehre der Rechtfertigung aus Glauben ohne Gesetzes Werke wieder ans Licht brachte, so hat Er in unseren Tagen die Herzen der Gläubigen auf die Einheit und die herrliche Berufung der Kirche und vor allem auf Seine baldige Wiederkunft hingelenkt. Der mitternächtliche Ruf: „Siehe, der Bräutigam! Gehet aus, Ihm entgegen!“ ist ertönt und hat mit überraschender Schnelligkeit in fast allen Ländern der Erde ein Echo gefunden. Der Herr selbst hat Seine Boten überallhin ausgesandt, um Seine baldige Ankunft den Seinigen anzukündigen. „Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm!“ Und als Antwort auf diesen Ruf ertönt vom Himmel her die Stimme des geliebten Bräutigams: „Ja, ich komme bald!“ (Offbg. 22, 17. 20).

Hast auch du diesen Ruf bereits vernommen, mein Bruder? O so antworte mit freudigem Herzen: „Amen, komm, Herr Jesu!“ Denn mit Seiner Erscheinung verbindet sich der ununterbrochene Strom einer unbeschreiblichen, nie endenden Freude. Lass dich nicht zurückhalten durch die Kälte und Gleichgültigkeit vieler deiner Mitgläubigen, sondern bedenke, dass der Herr selbst uns eine Stätte im Hause des Vaters bereitet hat und uns zuruft: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“! (Joh. 14, 3).

Leider, leider gibt es ja heute noch viele Gläubige, die kein Auge und kein Herz für die herrlichen Offenbarungen des Herrn haben; ja sogar viele, die trotz der deutlichsten Versicherungen, dass die Ankunft des Herrn nahe sei, sich Mühe geben, aus der Schrift zu beweisen, dass Er noch nicht kommen könne. Wie betrübend muss das für Jesum sein! Sein Herz verlangt sehnlichst nach uns. Er ruft uns beständig zu: „Siehe, ich komme bald!“ Was muss deshalb Sein liebendes Herz fühlen, wenn Er solcher Kälte und Gleichgültigkeit bezüglich Seiner Ankunft bei den Seinigen begegnet! Was würde man von einer Frau sagen, die gar keine Vorbereitungen für die Ankunft ihres Mannes träfe, obwohl er ihr mit den zärtlichsten Worten sein baldiges Kommen angekündigt hätte? 

Würde man sie nicht liebloser Kälte, ja selbst der Untreue beschuldigen? Und gleichen die Christen, welche nicht an die baldige Ankunft Christi glauben wollen, trotzdem diese so klar und deutlich in dem Worte Gottes gelehrt ist, nicht jenem untreuen Knechte, welcher sagte: „Mein Herr verzieht zu kommen«? (Luk. 12, 45.) Wahrlich, in solchen Seelen kann der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, nicht wohnen; denn sie berauben sich selbst mutwillig der Strahlen, die aus der „seligen Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi« hervorkommen und den dunkeln Wüstenpfad erhellen, den sinkenden Mut des ermattenden Pilgers beleben und sein Herz mit Trost und Freude erfüllen.

Doch woher mag dieser Zustand wohl kommen? Zunächst kann er eine Folge mangelhafter Erkenntnis des Werkes Christi sein. So lange das Gewissen in der Gegenwart Gottes keine Ruhe gefunden hat, kann

man den Herrn unmöglich mit Freuden erwarten. Nur die wahre Erkenntnis dieses Werkes befreit uns von aller Furcht, indem wir in diesem Werke nicht nur alle unsere Sünden abgewaschen, sondern auch die in uns wohnende Sünde gerichtet sehen. Aus Grund dieses Werkes stehen wir in Christo vor Gott; ja, die Schrift sagt: „Gleichwie Er ist, sind auch wir in dieser Welt“ (1 Joh. 4, 17), und: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind“ (Röm. 8, 1). Sein Blut, die Grundlage unseres ewigen Friedens, gibt uns Freimütigkeit, in das himmlische Heiligtum einzutreten und die Ankunft Jesu mit Freuden zu erwarten.

Dann aber liegt der Grund der Gleichgültigkeit Vieler in der mangelhaften Erkenntnis der herrlichen Person des Herrn Jesu. Die Seele hat keine beständige Gemeinschaft mit Ihm, und sucht deshalb unbefriedigt Nahrung in den nichtigen Dingen dieser Welt. Wenn aber das dürstende Herz sich Brunnen in der Wüste gräbt, wenn es nach Reichtum und Gemächlichkeit trachtet, wie könnte dann ein Verlangen nach der Wiederkunft des Herrn vorhanden sein? Was ist dieses Ereignis für solche Seelen anders, als ein schmerzliches Scheiden aus einem Kreise, mit welchem das Herz durch zahllose Bande verknüpft ist? Ist es zu verwundern, wenn in solch einem Zustand die Annahme, dass der Herr Jesus noch einige Zeit ausbleiben werde, begierig aufgenommen wird? O möchte darum der Herr die Augen all der Seinen erleuchten, damit sie die Vollkommenheit Seines Werkes und die Herrlichkeit Seiner Person mehr kennen und genießen lernen!

Lasst uns ferner nicht vergessen, dass der Herr uns alle Gedanken Seines Herzens mitgeteilt hat. Wie Gott einstmals zu Seinem „Freunde“ Abraham sagte: „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?«, so sagt der Herr Jesus jetzt zu uns: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe“ (Joh. 15, 15). In Seinem Worte macht Gott uns einerseits mit dem Zustande des sündigen, abgefallenen Menschen bekannt und teilt uns andrerseits Seine Handlungen mit diesem Menschen mit, sowohl den Plan der Versöhnung und Erlösung, den Er entworfen und zur Ausführung gebracht hat, als auch Seine Ratschlüsse betreffs der Versammlung, des Volkes Israel und der Welt. Nichts hat Er vor uns, Seinen Kindern, verborgen gehalten. 

Er hat uns mitgeteilt, was Er von der Zeit vor der Grundlegung der Welt bis zur Erschaffung des neuen Himmels und der neuen Erde getan hat und noch tun wird. Und Er hat uns diese Offenbarungen doch sicherlich nicht deshalb gemacht, damit wir einen großen Teil derselben unbenutzt lassen und uns nur mit dem beschäftigen sollten, was nach unserer Meinung das Wichtigste ist. Nein, Er hat sie uns gemacht, damit wir sie untersuchen und uns an den Gütern Seines Hauses sättigen möchten: Und wie wichtig das Untersuchen der zukünftigen Dinge, der Absichten und Pläne Gottes ist, erfahren wir aus den Worten des Apostels Petrus: „Wir besitzen das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr wohltut, (als auf eine Lampe, welche an einem dunklen Orte leuchtet), bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen; indem ihr dies zuerst wisset, dass keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist. Denn die Weissagung wurde ehemals nicht durch den Willen des Menschen hervorgebracht, sondern heilige Männer Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geiste“ (2. Petr. 1, 19 — 21).

Man könnte unmöglich deutlicher sprechen. Die Propheten hatten von der Herrlichkeit geredet, welche geoffenbart werden sollte; ihr Zeugnis bezog sich auf die Herrlichkeit des Reiches, welches auf dem Berge der Verklärung von den Jüngern Jesu zum Voraus geschaut worden war. Das prophetische Wort war durch diese Verklärung befestigt, bestätigt worden. Und dieses Wort war wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort, in der Finsternis dieser Welt, leuchtete. 

Es gab in dieser Welt kein anderes Licht hinsichtlich alles dessen, was ihr begegnen sollte, sowie hinsichtlich des kommenden Reiches und seiner Herrlichkeit, als das Zeugnis Gottes durch die Propheten. Darum taten die Gläubigen wohl, auf dieses Licht zu achten; und auch wir tun heute wohl daran, obgleich jene, wie auch wir, wenn sie anders ihre christliche Stellung und Hoffnung verstanden, noch ein anderes Licht besaßen. Der Apostel sagt: „bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen“. 

Der Gläubige, welcher während der Nacht dieser Welt wacht, kennt den Herrn als den glänzenden Morgenstern, welcher vor dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit erscheinen wird, und er sieht im Glauben schon den Anbruch des Tages und das Aufgehen dieses Morgensterns. So besitzen wir neben dem Zeugnis der Propheten die Kenntnis von dem Kommen Christi als des glänzenden Morgensterns, der zur ewigen Freude der Seinigen erscheinen und sie mit sich droben im Vaterhause vereinigen wird, ehe der Tag in seinem vollen Glanze anbricht.

Wir werden also ermahnt und tun wohl, aus das Zeugnis der Propheten, zu welchem jetzt dasjenige der neutestamentlichen Propheten hinzugetreten ist, zu achten. Ohne dieses Zeugnis würde die Zukunft dunkel vor uns liegen; wir würden von den Wegen Gottes mit Israel und mit dieser Welt, sowie von den die Erscheinung Christi begleitenden Ereignissen nichts wissen. So aber weiß ein jeder, der die Prophezeiung kennt und an sie glaubt, was die Zukunft in sich birgt. Er weiß, was geschehen wird; er kennt die Gedanken und Pläne Gottes, und sein Herz verlangt nach der Offenbarung der Herrlichkeit Christi.

 Inmitten der Leiden und Trübsale des Weges schaut er empor; er weiß, dass er bald bei seinem geliebten Herrn in der Herrlichkeit sein wird. Nimmt die Gottlosigkeit und der Unglaube in der Christenheit zu — die Prophezeiung weist ihn auf ihr schreckliches Ende hin. Sieht er die Stämme Israels aus der Erde umherirren — die Prophezeiung erzählt ihm -von ihrer herrlichen Wiederherstellung. Vernimmt er das Seufzen der Schöpfung unter dem Fluch der Sünde — die Prophezeiung erklärt ihm, dass dieser Fluch bald weggenommen werden wird. Über alle diese Dinge gibt die Prophezeiung Aufschluss; sie tröstet und erfreut die Seele und lenkt den Blick auf die Dinge, welche droben sind, sowie auf den Gott, dessen Wege

göttlicher Liebe und Gerechtigkeit, göttlicher Treue und Allmacht uns erfreuen.

Dieses prophetische Wort, sowohl Alten wie Neuen Testamentes, zu untersuchen und daraus die Wiederkunft Jesu und die mit dieser Wiederkunft in Verbindung stehenden Ereignisse kennen zu lernen, ist der Zweck dieser Schrift. Möchten Schreiber und Leser derselben von der Überzeugung durchdrungen sein, dass die Eröffnung des Wortes Gottes erleuchtet und den Einfältigen Einsicht gibt! (Psalm 119, 130). Lasst uns die Offenbarung der Wege und Ratschlüsse Gottes unter Gebet untersuchen und gläubig annehmen! Jeder neue Einblick in den Reichtum der Gnade Gottes wird unsere Freude erhöhen und das Verlangen vermehren, Ihn zu schauen, der uns von dem ewigen Verderben errettet und uns zu Miterben Seiner Herrlichkeit gemacht hat.

I.

Das Reich der Himmel und die Kirche Christi.

Die Propheten des Alten Testamentes hatten „die Leiden, die auf Christum kommen sollten, und die Herrlichkeiten darnach“ zuvor angekündigt. Anfangs hinter einem geheimnisvollen Schleier verborgen, wurde diese Verheißung allmählich immer deutlicher und trat in ein stets heller werdendes Licht. Ganz im allgemeinen dem Abraham mitgeteilt, dem Isaak und Jakob wiederholt, wurden die Umstände, welche die Erfüllung dieser Verheißung begleiten sollten, dem Moses, David und den Propheten mit stets zunehmender Genauigkeit vorgestellt, bis Jehova endlich dem Daniel auch die Zeit der Erfüllung mitteilte.

„Siebzig Wochen (d. h. Jahrwochen) sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt“ (Dan. 9, 24), sagt der Engel zu dem Propheten und zerlegt dann diesen Zeitraum in drei Teile: in 7 Wochen, 62 Wochen und eine Woche. In sieben Wochen, oder 49 Jahren, von dem Befehle Artasasthas, Jerusalem wieder aufzubauen, an gerechnet (siehe Neh. 2), wurden die Straßen und Gräben wiederhergestellt, und zwar in drangsalsvollen Zeiten. *) Während dieser Zeiten weissagten Haggai, Sacharja und Maleachi inmitten des aus Babylon zurückgekehrten Überrestes, aber darnach zeugten keine Propheten mehr in Palästina. Die Heilige Schrift teilt uns auch nichts von dem mit, was in den folgenden 62 Wochen geschehen ist, bis das Neue Testament bei dem letzten Teile dieses Zeitabschnitts den abgebrochenen Faden wieder aufnimmt.

Die Fülle der Zeiten war gekommen; der Messias, der Fürst, sollte erscheinen, um den Verheißungen gemäß als der Sohn des Menschen ein Königreich auf der Erde aufzurichten, welches über alles herrschen sollte. Schon die Worte, die der Engel Gabriel an Maria richtete, zeigen dies deutlich. „Du wirst einen Sohn gebären, und du sollst Seinen Namen Jesus heißen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird Ihm den Thron Seines Vaters David geben; und Er wird über das Haus Jakobs herrschen in die Zeitalter, und Seines Reiches wird kein Ende sein“ (Luk. 1, 31 — 33).

 Als König der Juden wurde der Herr Jesus geboren und von Einigen auch als solcher aufgenommen. Simeon und Hanna im Tempel, die Hirten vom Felde zu Bethlehem und die Weisen aus dem Morgenlande huldigten Ihm alle als dem geborenen König Israels. Man könnte hier vielleicht einwenden: der Sohn des Menschen habe doch diese Erde wieder verlassen; auch könne Er keineswegs die Absicht gehabt haben, ein Reich auf dieser Erde aufzurichten, da Er ja, als man Ihn zum König machen wollte, sich dessen weigerte und sich verbarg (Joh. 6, 15). Die Aufrichtung Seines Reiches sei deshalb in geistlichem Sinne, als in den Herzen Seines Volkes geschehen, aufzufassen. — Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick berechtigt zu sein. Allein wenn wir die Sache näher untersuchen, so werden wir finden, dass jene Absicht der Volksmenge, Ihn zum König zu machen, keineswegs die Annahme des Messias als König Israels genannt werden kann. Im 26. Verse des angeführten Kapitels sagt der Herr zu der Volksmenge: „Ihr suchet mich, nicht weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und gesättigt worden seid“.

 Er las in ihren Herzen und kannte die niedrigen Beweggründe, von welchen sie geleitet wurden. Es blieb Ihm deshalb nichts anderes übrig, als sich zu verbergen. Er konnte unmöglich aus diesem fleischlichen Wege das Königtum annehmen. Und in Wirklichkeit wollte Israel Ihn nicht zum König haben, ja hatte Ihn bereits als solchen verworfen, wie dies aus vielen anderen Stellen deutlich hervorgeht. „Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an“ (Joh. 1, 11). „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Luk. 19, 14). „Wir haben keinen König als nur den Kaiser“ (Joh. 19, 15)“ „Hinweg mit diesem! kreuzige Ihn!“ u. s. w. Wenn deshalb auch Einige, (weil sie von den Broten gegessen hatten, nicht aber weil sie an Ihn als ihren Messias glaubten), Ihn zum König machen wollten, so war dies nur eine vorübergehende Regung ihrer fleischlichen, selbstsüchtigen Herzen. Tatsächlich hassten sie Ihn, und es bedurfte nur eines Anlasses, um diesen Hass in seiner ganzen Bitterkeit ans Licht zu bringen.

Ein Blick auf den Gang der geschichtlichen Ereignisse wird uns völlige Klarheit über diesen Punkt geben. Bevor der Messias öffentlich austrat, musste die Prophezeiung von Jes. 40, 3 erfüllt werden: „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnet den Weg Jehovas; ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!“ Johannes der Täufer erschien. Nach seinem eigenen Zeugnis war er der Vorläufer des Herrn, auf welchen Jesaja in der angeführten Stelle hingewiesen hatte. Und was war der Inhalt seiner- Predigt? Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“ (Matth. 3, 2). Sollte er wohl beider Verkündigung dieses Reiches an ein geistliches Reich in den Herzen der an seine Botschaft Glaubenden gedacht haben? Unmöglich; denn Jesaja lässt auf seine Ankündigung des Vorläufers Christi sofort die Worte folgen: Jedes Tal soll erhöht, und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden, und das Höckrichte soll zur Ebene werden, und das Hügelige zur Niederung! Und die Herrlichkeit Jehovas wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund Jehovas hat geredet.“

Aber hat der Herr Jesus selbst nicht anders gesprochen als der Täufer? Nein; in dieser Beziehung unterschied sich Seine Predigt, so lange das Reich noch nicht endgültig von den Juden verworfen worden war, gar nicht von derjenigen des Johannes. Er verkündigte überall: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen“ (Mark. 1, 15; Matth. 4, 17). Dies tritt besonders deutlich bei dem Aufenthalt des Herrn in Nazareth hervor. In der dortigen Synagoge ließ Er sich die Rolle des Propheten Jesaja reichen, öffnete sie und las: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil Er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn“ (Luk. 4, 18.19.) 

Das 61. Kapitel des Propheten Jesaja, welchem diese Stelle entnommen ist, kündigt aber in ergreifender Sprache die Wiederkehr der Gnade Gottes über Israel an, sowie alle jene Segnungen, welche das Sabbat- oder Jubeljahr kennzeichnen. Jesus bot also, indem Er die angeführte Stelle vorlas und Seinen Zuhörern sagte: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“, Israel das wahre Jubeljahr, nämlich das Reich mit allen seinen Segnungen, an. Johannes der Täufer und Jesus hatten bereits den großen Versöhnungstag verkündigt, indem sie dem Volke zuriefen: „Tut Buße!“ Und jetzt wurde dem Volke, gleichsam nach dem Versöhnungstage, das Jubeljahr, d. h. nach der Bekehrung das Reich mit allen seinen Segnungen angekündigt.

Warum aber hörte der Herr mitten im Satze aus, und las nicht auch die Worte: „und den Tag der Rache unseres Gottes“? Weil Er nicht die Rache, sondern den Segen brachte. Hätte Israel seinen Messias damals angenommen, so würden die Verheißungen erfüllt worden sein. Dies geschah aber nicht, und darum ist die Erfüllung der Prophezeiung für eine spätere Zeit aufgeschoben worden. Zwischen der Verkündigung des angenehmen Jahres des Herrn und dem Anbruch des Tages der Rache unseres Gottes liegt daher heute schon ein Zeitabschnitt von mehr als 1800 Jahren. Der große und schreckliche Tag des Herrn ist noch nicht angebrochen. Doch wie lange er auch noch hinausgeschoben werden mag, er wird sicher und gewiss kommen. Und dann, nachdem Israel den Versöhnungstag angenommen haben wird, wird das wahre Jubeljahr kommen. „Dann werden sie die uralten Trümmer aufbauen und die verödeten Städte erneuern“. Dann werden sie „Priester Jehovas und Diener unseres Gottes“ genannt werden.

Was der Herr in Nazareth gepredigt hatte, verkündigte Er von Stadt zu Stadt; denn „Er zog umher durch alle Städte und Dörfer und lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches, und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen“ (Matth. 9, 35). Im 10. Kapitel beauftragt Er Seine zwölf Jünger mit der Predigt des Evangeliums des Reiches unter dem ausdrücklichen Befehl: „Gehet nicht auf einen Weg der Nationen, Und gehet nicht in eine Stadt der Samariter“. Das Reich war nur den Juden verheißen und musste darum auch ihnen allein gepredigt werden; während die Nationen erst dann gesegnet werden sollten, wenn Israel dieses Reich angenommen haben würde. 

Der Inhalt der Predigt der Jünger war einfach und kurz. Sie lautete: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“ Sie war, wie diejenige des Herrn, von den Kräften des Reiches begleitet. Die Jünger heilten Kranke und weckten Tote aus; denn das waren „die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“. (Hebr. 6, 5). Derselbe Auftrag wurde später den Siebzig gegeben; und wenn man sie in einer Stadt nicht aufnehmen wollte, so sollten sie sagen: „Auch den Staub, der uns aus eurer Stadt an den Füßen hängt, schütteln wir gegen euch ab; doch dieses wisset, dass das Reich Gottes nahe gekommen ist“ (Luk. 10, 11).

Das Reich der Himmels ***) war also sowohl durch Johannes, als auch durch Jesum und Seine Jünger durch ganz Palästina hin gepredigt worden; und die Predigt war von einer solchen Menge von Zeichen und Wundern begleitet gewesen, dass niemand mehr darüber in Unwissenheit sein konnte, dass der König der Juden gekommen war. Wir können deshalb mit vollem Recht sagen: Das Reich war geoffenbart.

Untersuchen wir jetzt, wie das geoffenbarte Reich von den Juden aufgenommen wurde. In Maleachi 3, 1 lesen wir: „Siehe, ich sende meinen Boten, dass er den Weg bereite vor mir her“; und in Kap. 4, 5: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag Jehovas kommt, der große und furchtbare“. Der Engel Gabriel sagt in Luk. 1, 17 über Johannes den Täufer: „Derselbe wird vor Ihm hergehen in dem Geist und der Kraft des Elias, um der Väter Herzen zu bekehren zu den Kindern . . . um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten.“ Daraus sollte man schließen, dass in Johannes dem Täufer die Prophezeiung Maleachis erfüllt worden sei. Doch der Herr sagt: „Wenn ihr es annehmen wollt, er ist Elias, der kommen soll“ (Matth. 11, 14); d. h. wenn ihr mich als euren König annehmt, so werdet ihr auch Johannes annehmen, da er mein Herold ist, und dann würde er der verheißene Elias sein. 

Doch die Juden nahmen ihn nicht an; und als man Johannes fragte: „Bist du Elias?“ antwortete er: „Ich bin’s nicht“ (Joh. 1, 21). Mochten auch viele mit dem Bekenntnis ihrer Sünden zu Johannes kommen, um getauft zu werden (Matth. 3, 6), so dürfen wir doch nicht vergessen, dass er selbst den Pharisäern und Sadduzäern zurief: „Otternbrut! wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen?“ und dass Jesus in Bezug auf ihn sagen musste: „Johannes ist gekommen, der weder aß noch trank, und sie sagen: Er hat einen Teufel“ (Matth. 11,18); und wiederum: „Elias zwar kommt zuerst und wird alle Dinge wiederherstellen. Ich sage euch aber, dass Elias schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Also wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Da verstanden die Jünger, dass Er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach“ (Matth. 17, 11 — 13). So stehen wir denn vor einer zwiefachen Erfüllung der Prophezeiung, einer vorläufigen und einer der Zukunft noch vorbehaltenen.

Johannes der Täufer war der verheißene Elias; und wenn die Juden ihn angenommen hätten, so hätte kein anderer Elias zu kommen brauchen. Da sie ihn aber verworfen haben, wird die Prophezeiung Maleachis vor der zweiten Ankunft Christi auf Erden in Erfüllung gehen: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag Jehovas kommt, der große und furchtbare“.

Wie Johannes der Täufer, so wurde auch der Herr selbst von den Juden verworfen. Die Verwerfung begann schon sehr bald. Bei der Verkündigung des angenehmen Jahres des Herrn in der Synagoge zu Nazareth wurden die Juden von Wut erfüllt, stießen Ihn zur Stadt hinaus und führten Ihn bis an den Rand des Berges, um Ihn von der Höhe hinabzustürzen. Die Geschichte Seiner Verwerfung wird uns am deutlichsten von Matthäus beschrieben. Sie beginnt im 9. Kapitel seines Evangeliums. Der Herr hatte, einen Teufel ausgetrieben, und statt dass nun die Obersten in Anbetung vor Ihm niedergesunken wären, schrieben sie Seine Macht, die der Beweis Seines Königtums war, der Wirkung des Teufels zu.

 In Verbindung mit diesem Ereignis, welches deutlich zeigte, dass die Juden Ihn nicht als König anerkennen wollten, sprach Jesus die ernsten Worte zu ihnen: „Wem soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es ist Kindern gleich, die auf den Märkten sitzen, und ihren Gespielen zurufen und sagen: Wir haben euch gepfiffen, und ihr habt nicht getanzt, wir haben euch Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht gewehklagt“ u. s. w. (Matth. 11, 16 - 19); dann fing Jesus an, den Städten Chorazin, Bethsaida und Kapernaum, in denen Er die meisten Wunderwerke getan hatte, und wo daher Sein Königtum am deutlichsten geoffenbart worden war, ihren Unglauben vorzuhalten und ihnen das Gericht anzukündigen, weil sie nicht Buße getan und also den König verworfen hatten.

Weiter lesen wir in Matth. 12, 14, dass die Pharisäer miteinander Rat hielten, wie sie Jesum umbringen könnten, und zwar weil Er am Sabbat den Menschen mit der dürren Hand geheilt hatte. Als Er dann aus einem Besessenen, der blind und stumm war, den bösen Geist austrieb, zeigte sich von neuem ihre Bosheit, indem sie diese Heilung wiederum dem Teufel zuschrieben. Sie gaben zu, dass der böse Geist ausgetrieben worden sei; aber aus reiner Bosheit und mit voller Überlegung, aus Hass gegen Gott und mit offenen Augen schrieben sie diese Tat dem Teufel zu. Diese Lästerung konnte nicht vergeben werden, weder in dem Zeitalter des Gesetzes, noch in dem des Messias. 

Ein schreckliches Gericht wird ihnen darum auch angekündigt: selbst Heiden sollten sie verurteilen und den Messias erkennen, während sie in ihrem hartnäckiger: Unglauben verharren würden, Hierdurch war es offenbar geworden, dass sie ihren König verwarfen; und darum bricht Jesus nun auch öffentlich das Band, welches dem Fleische nach durch Seine Geburt zwischen Ihm und dem Volke bestand (Matth. 12, 47 — 50). Von diesem Augenblick an hört die Predigt des Reiches auf; Jesus verlässt das Haus (ein Bild des jüdischen Volkes) und setzt sich an den See, um sich auf eine andere Weise zu offenbaren (Matth. 13, 1).

Allerdings schienen die Juden später noch einen Augenblick bereit zu sein, ihren König anzunehmen, als sie Ihm mit dem „Hosanna dem Sohne .Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 21, 8 — 16) einen triumphierenden Einzug in Jerusalem bereiteten. Doch es schien auch nur so; denn sehr bald gelang es den Obersten des Volkes, diese äußerliche gute Stimmung wieder zu unterdrücken. Die Herzen und Gewissen waren nicht erreicht. Darauf kündigt der Herr den Leitern des Volkes nochmals ihre Verwerfung an, zwingt sie durch das Gleichnis von dem Weinberge, ihr eigenes Urteil auszusprechen, und sagt dann zu ihnen: „Habt ihr nie in den Schriften gelesen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden; von dem Herrn ist dies geschehen und ist wunderbar in unsern Augen«? Deswegen sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch weggenommen und einer Nation gegeben werden, welche dessen Früchte bringen wird. 

Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden; aber auf welchen irgend er fallen wird, den wird er zermalmen“ (V. 42 -— 44). Der Herr Jesus war bei Seinem ersten Kommen für Israel ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses; Israel fiel auf diesen Stein und wurde zerschmettert. Nach Seiner Verwerfung wurde der Herr in den Himmel aufgenommen, und bald wird Er als der Stein, der sich ohne Hände losreißt und das Bild Nebukadnezars zermalmt (Dan. 2), in Herrlichkeit wiederkommen, um nach der Vernichtung Seiner Feinde Sein Reich aufzurichten. „Auf welchen irgend er fallen wird, den wird er zermalmen. Durch seine Verwerfung ist der Stein (Jesus), den die Bauleute (die Juden) verworfen haben, zum Eckstein der Kirche geworden. Die Kirche, „die Behausung Gottes im Geiste“, ist gebaut auf „den lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar“ (Vergl. Matth. 16, 18 mit 1.Petr. 2,4 10). „Von dem Herrn ist dies geschehen und ist wunderbar in unsern Augen.“

Was Israel schließlich mit seinem König getan hat, ist ja bekannt genug. Durch Judas verraten, wurde Er

von den Obersten den Heiden überliefert, und das ganze Volk rief über Ihn: ,,Kreuzige Ihn!“ Und als Pilatus fragte: „Euren König soll ich kreuzigen?“ antworteten sie: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser“. Sein Haupt schmückte man mit einer Dornenkrone; als Szepter gab man Ihm einen Stab und als Thron ein Kreuz, über welches man, zum Verdruss Seiner Feinde,-in griechischer, lateinischer und hebräischer Sprache die Überschrift setzte: „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden“, um so gleichsam der ganzen Welt kundzutun, dass, wenn Israel von da ab ohne König sei, dies nicht daran liege, dass der König Seinem Volke untreu geworden sei, sondern daran, dass das Volk Seinen König verworfen habe.

So ist also das geoffenbarte Reich durch die Juden verworfen worden. Wird das für immer so bleiben? O nein! Man höre nur die Worte Jesu, mit denen Er von Jerusalem Abschied nahm: „Ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 23, 39). Es war kein Abschied für immer, sondern: „Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet“. Die Zeit wird kommen, in welcher Israel zu seinem König und Gott umkehren und Ihn, wenn Er wiederkommt, aufs neue mit dem: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ begrüßen wird. (Hosea 3, 5; Ps. 118, 26). Dann werden alle Verheißungen des Alten Testamentes erfüllt werden; dann wird Israel unter der herrlichen und glücklichen Regierung des wahren Melchisedek gesegnet, und die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis des Herrn, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken.

Unsere Untersuchung hat uns also gezeigt, dass der Sohn des Menschen, der Messias, der Fürst, auf die Erde gekommen ist, um das Reich der Himmel in seiner verheißenen Herrlichkeit aufzurichten; dass aber die Aufrichtung dieses Reiches in Herrlichkeit infolge der Verwerfung von seiten Israels und der Kreuzigung des Messias auf eine spätere Zeit verschoben worden, so dass der Charakter dieses Reiches für die jetzige Zeit völlig verändert ist.

 Es ist eine Art von Zwischenregierung eingetreten. Der König wird jetzt mit einem hochgeborenen Manne verglichen, der „in ein fernes Land zog, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen (Luk. 19, 12). In dieser Zwischenzeit hat das Reich eine besondere Form angenommen. Die Untertanen warten auf dessen Herrlichkeit und auf die Rückkehr ihres Königs. Diese besondere Form, die das Reich jetzt während der Abwesenheit des Königs angenommen hat, nennt die Schrift ein Geheimnis, welches der Herr jedoch Seinen Jüngern erklärt hat: „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu wissen“ (Matth. 13, 11).

Wie wir schon bemerkten, hörte die Predigt des Evangeliums des Reiches auf, nachdem der Herr in Matth. 12 von den Juden verworfen worden war, und Er das Gericht über das Volk ausgesprochen hatte. Von da an offenbarte Er sich auf eine ganz andere Weise. „Siehe, der Säemann ging aus zu säen“, war das Erste, was Jesus sagte, nachdem Er das Haus (Jsrael) verlassen hatte. Vergeblich hatte Er an dem Weinstock Israel Frucht gesucht, und darum musste Er nun selbst den Samen ausstreuen, aus welchem Frucht entstehen konnte. 

Hätte Israel seinen König angenommen, so hätte Jesus nicht als Säemann auszugehen brauchen; denn dann hätte Er als König Seine Herrlichkeit offenbaren können.****) Da Er jedoch verworfen worden und dadurch das Band zwischen Ihm und dem Volke gebrochen war, wendet der Herr sich an alle, die das Evangelium hören würden, und beschreibt die Wirkung, welche das Evangelium in der Welt hervorbringen würde. Von den dann folgenden sechs Gleichnissen zeigen die drei ersten die äußere Form, welche das

Reich der Himmel während Seiner Abwesenheit in der Welt annehmen würde, und die drei übrigen den innern Kern, den das Reich enthält, und der für Sein Herz so köstlich ist. ; (Fortsetzung folgt)

Fußnote:

*) Obwohl manches in dem nachstehenden längeren Aufsatz, dessen ersten Teil wir heute bringen, den Lesern des „Botschafter“ bereits bekannt sein wird, mehrere der behandelten Gegenstände auch wohl schon in früheren Jahrgängen unseres Blattes besprochen worden sind, zweifeln wir doch nicht daran, dass es für Viele von Interesse und Segen sein wird, die mit der Wiederkunft unseres geliebten Herrn in Verbindung stehenden Ereignisse noch einmal im Zusammenhang zu lesen. Je näher wir der Erfüllung unserer glückseligen Hoffnung kommen, desto mehr lenkt ja der Heilige Geist die Herzen und Blicke der Gläubigen auf die „Zukunft“ Jesu Christi. Möchten deshalb auch diese Blätter dazu dienen, die Erkenntnis über die genannten Dinge zu vermehren, vor allem aber den Ruf: „Komm“ Herr Jesu!“ wach zu erhalten und immer lauter und dringlicher werden zu lassen!

**) Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Zeitraum von 70 Wochen von dem zweiten, durch Nehemia mitgeteilten Befehl Artafafthas an gerechnet werden muss, da in dem ersten Befehl desselben Königs an Esra nur von der Wiederherstellung des Tempels die Rede ist. (Siehe Esra 7)

***) Der Ausdruck „Reich der Himmel« kommt nur in Matthäus vor, während Markus und besonders Lukas stets von dem „Reiche Gottes“ reden. In denselben Gleichnissen, in welchen Matthäus von dem „Reiche der Himmel“ spricht, findet sich bei Lukas der Ausdruck: „Reich Gottes“. Trotzdem wird man nicht überall „Reich der Himmel“ in „Reich Gottes“ verändern können. Es scheint mir, dass „Reich Gottes“ eine allgemeinere und zu allen Zeiten gültige Bezeichnung für das Reich darstellt, während „Reich der Himmel“ mehr begrenzt ist; und da dieser letztere Ausdruck sich nur im Evangelium Matthäus findet, wo Christus vornehmlich in Seinem Charakter als der Messias vorgestellt wird, so scheint er unmittelbarer auf Israel Bezug zu haben. Die Juden erwarteten den Messias und die Aufrichtung des Reiches, doch dachten sie dabei an ein irdisches Reich (siehe Apstgsch. 1, 6); und um diesen irdischen Gedanken entgegen zu treten, sprach der Herr so viel von dem „Reiche der .Himmel“. Es sollte zwar, sprechend den Verheißungen des Alten Testamentes, ein Reich auf Erden sein, trotzdem aber einen himmlischen Charakter tragen; es sollte vom Himmel, der Wohnstätte seines Königs, aus nach himmlischen Grundsätzen regiert werden.

****) Wir reden hier natürlich nur von der Verantwortlichkeit Israels, nicht aber von dem Vorsatz Gottes. Die Verwerfung Christi war die Schuld der Juden, doch zugleich wurde Er nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes übergeben. (Siehe Apstgsch. 2, 23.)

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Ruhe in Christo vor dem Dienste für Ihn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 23ff

Es gibt zwei Dinge, die das Herz jedes wahren Gläubigen kennen und verwirklichen sollte, nämlich zuerst in Christo zu wirken, und dann Christo zu dienen. Unsere Neigung geht stets dahin, das zweite voranzustellen, d. h. uns im Dienst für Christum zu bemühen, um das erste, die Ruhe in Ihm, zu erlangen. Aber ich glaube, dass es immer von schlimmen Folgen sein wird, wenn wir dieser Neigung nachgeben. Sie ist, wenn auch unbewusst, nichts anderes als Gesetzlichkeit, obwohl sie vielleicht so verborgen und verhüllt sein mag, dass sie kaum zu entdecken ist. Nicht als ob es im Dienst für Christum keine Freude gäbe. Im Gegenteil, jeder wahre Dienst für unseren teuren Herrn wird von tiefer Freude begleitet sein. Aber der gläubige Leser wird mir darin Recht geben, dass, wenn wir nicht über die Neigungen unserer Herzen wachen, unser Dienst für Christum, indem er zu dem Zwecke geschieht, um glücklicher in Ihm zu werden, etwas Gesetzliches in sich birgt. Denn das Werk oder der Dienst, also unser Tun, wird dann zur Quelle der Glückseligkeit gemacht, und nicht Christus selbst.

In Johannes 14 sehe ich, was Christus für mich ist, und da wird kein Dienst vorgeschrieben, der über dem Gehorsam stände. Wenn ich liebe, dann gehorche ich. Maria Magdalene in Johannes 20 ist ein Beispiel von einer Person, deren Herz so ganz von Jesu, von Seiner Person, erfüllt und hingenommen war, dass weder Apostel noch Engel sie von dem Gegenstande ihres Herzens abwenden konnten; und sobald sie Ihn gesehen hatte, war ihr Herz befriedigt. Er ruft sie bei ihrem Namen, und sie fällt Ihm zu Füßen. Welch ein Anblick! Wer vermag die Gefühle eines solchen Herzens auszusprechen! Ihr Herz schlug allein für Jesum und wurde so völlig von Ihm erfüllt und beherrscht, dass sie Ihm gehorchte, sogar um das Opfer des Verlustes Seiner sichtbaren Gegenwart. Ein wahrhaft liebendes Herz kann nicht anders handeln.

Tiefe, persönliche Freude in Christo ist sicherlich eine süße und unaussprechlich kostbare Sache. Aber wie gibt sie sich kund? In hohen Worten und inbrünstigen Ausdrücken? Nein, im Gegenteil, möchte ich sagen: Wo sich hohe Worte und Inbrunst des Ausdrucks finden, ist meist wenig Tiefe vorhanden. Das Gesagte mag vielleicht der Ausdruck einer wirklichen Überzeugung sein; aber man wird immer finden, dass da, wo viel Geräusch und Aufsehen nach außen gemacht wird, wenig verborgener, persönlicher Genuss vorhanden ist.

 Wir machen sehr wenig Aufsehen unseren teuersten Freunden gegenüber, wenn wir bei ihnen zu Hause sind. Wenn wir einander nach längerer Abwesenheit wieder begegnen, ja dann gibt es Begeisterung; aber diese Begeisterung ist nur der Beweis, dass wir längere Zeit voneinander getrennt waren. Ach! Wie viel und oft sind wir, was den verborgenen Umgang unserer Herzen betrifft, von unserem geliebten Herrn getrennt; und wenn dann auch die Begeisterung bei der Wiedergewinnung Seiner Gegenwart für den Augenblick tiefer gefühlt wird, als der ruhevolle, ununterbrochene Genuss Seiner persönlichen Nähe, so sollten wir doch nichts aus dieser Begeisterung machen, sondern sollten uns vielmehr von ihr erheben zu der tiefen Ruhe und dem Genuss der ununterbrochenen Gemeinschaft mit Ihm.

Aus solcher Gemeinschaft muss auch aller Dienst fließen, denn nur in ihr lernen wir den Sinn unseres Meisters verstehen. In einem Haushalt steht nicht der Diener, der die schwersten Arbeiten verrichtet, seinem Herrn am nächsten, sondern der, welcher das meiste Vertrauen besitzt. Der vertraute Diener ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, der höchste Diener. Was für eine Arbeit er verrichtet, ist unwichtig. 

Wenn ihm kein anderer Auftrag geworden ist, so wird er willig die Schuhe putzen; aber er wird dies, wie alles andere, mit der ganzen Willigkeit seines Herzens tun, indem er nur nach dem einen trachtet, dass das Vertrauen seines Herrn zu ihm sich mehre. Und er tut alles, weil er seinen Herrn liebt. Sein Dienst fließt aus dem Ruhen in der Liebe seines Herrn hervor. „Wer mich liebt, wird mein Wort halten."

Was machte Maria von Bethanien geschickt, im rechten Augenblick das Richtige zu tun und ihrem geliebten Herrn einen Dienst zu erweisen, der Sein Herz angesichts der Ihm bevorstehenden Leiden auf das Höchste erquickte? Sie hatte zu den Füßen Jesu gesessen und da etwas genossen, was ihrer Schwester und selbst den Jüngern unbekannt geblieben war. Ihr Herz ruhte in der Liebe des Herrn.

Der Gläubige denke auch nie, dass er vor dem Bösen in der Welt sicher sei. Ohne Zweifel wird er durch den Glauben bewahrt. Aber er darf die Augen nicht verschließen vor den Formen, welche das Böse in seiner Zeit und Umgebung annimmt. Es mag den Schein haben, als ob er vor dem Bösen gesichert wäre; aber er wird, wenn er nicht wachsam ist, in verhängnisvoller Weise vom Gegenteil überzeugt werden. Denn jegliche Art des Bösen in der Welt findet in einer scheinbar reinen Form seinen Weg in die Herzen der Gläubigen, wenn sie nicht auf ihrer Hut sind. Sinnlichkeit ist eines der Mittel, durch die Satan in unseren Tagen vornehmlich die Kinder dieser Welt zu blenden sucht, Sinnlichkeit in feinerer oder gröberer Form.

 Reden wir hier nur von der ersteren. Man liest Romane, besucht Konzerte, Schauspielhäuser usw.; und die Welt, ja die christliche Welt fragt: Was ist denn Böses dabei? Nun, im Lichte Gottes betrachtet, sind alle diese Dinge nichts anderes als geistige Berauschung. Und sollten die Gläubigen nicht einsehen, dass ihre Freunde und ihr Verkehr unmöglich da sein können, wo das Fleisch seine Rechnung findet? dass sie im Gegenteil nur da sein dürfen, wo das Fleisch nicht anerkannt wird? Denn wir sind im Geiste, wo das Fleisch keinen Platz mehr findet. 

Möchten sich doch die ernsten Worte des Apostels tief in unser aller Herzen einprägen, wenn er an die Römer schreibt: „Die, welche nach dem Fleische sind, sinnen auf das, was des Fleisches ist; die aber, welche nach dem Geiste sind, auf das, was des Geistes ist... . So denn, Brüder, sind wir Schuldner, nicht dem Fleische, um nach dem Fleische zu leben, denn wenn ihr nach dem Fleische lebet, so werdet ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben" (Römer 8,5.12.13).

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Die Fülle Christi

Bibelstelle: 1. Korinther 1, 30. 31

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 27ff

Aus Ihm aber seid ihr in Christo Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung; auf dass, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.“ 1.Korinther 1, 30. 31

Wo ist göttliches Erbarmen,

das die Sünder nicht verschmäht;

Liebe, die mit offenen Armen

Reuigen entgegengeht?

Wo wird alle Schuld vergeben,

alle Missetat bedeckt,

und, wenn Tod und Hölle schreckt,

Seligkeit geschenkt und Leben?

Fasse Mut, in Jesu Christ

solcher Gnaden Fülle ist.

Wo wird Balsam für die Wunden,

wo wird Linderung für den Schmerz,

wo wird Rat und Trost gefunden

für ein rat- und trostlos Herz?

Wo erquickt man müde Seelen,

richtet die Gefallenen auf,

stärkt zu unverdrossenem Lauf,

lässt des rechten Wegs nicht fehlen?

Sei getrost, in Jesu Christ

solcher Gnaden Fülle ist.

Wer gibt Leben, das genüget?

Wer gibt Freud in Traurigkeit,

und mit allem, was Gott füget,

völlige Zufriedenheit?

Wer gibt kindliches Vertrauen,

legt uns in des Vaters Schoß,

macht uns eitler Sorgen los,

lässt uns Gottes Wunder schauen?

Freue dich, dein Jesus Christ

solcher Gnaden Geber ist.

Wer gibt Sinn der Kinder Gottes:

Demut, die ihr Nichts erwägt;

Sanftmut die den Pfeil des Spottes

ungereizt zur Seite legt;

Liebe, die kein Opfer scheuet,

der das Geben Seligkeit,

die zu allem Dienst bereit,

mit den Fröhlichen sich freut?

Danke Gott! Ja, Jesus Christ

solcher Gnaden Geber ist.

Wer macht zum Gewinn das Sterben,

lässt den Tod uns nimmer sehn

und uns ew´ge Güter erben,

wenn wir nackt von hinnen gehen?

Wer lässt noch einmal auf Erden

für die Saat, die da gesät,

dass sie herrlich aufersteht,

Frühling durch Sein Wort es werden?

Lob und singe! Jesus Christ

solcher Gnaden Geber ist.

O, Du Einer, der Du Allen

gibst und alles bist,

weil nach Gottes Wohlgefallen

alle Fülle in Dir ist!

Alle hast Du eingeladen,

alle sollen zu Dir nahn;

allen hast Du aufgetan

solche Fülle Deiner Gnaden.

Selig, wer es recht genießt,

was Du gibst und was Du bist!

Spitta

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 29ff

Lasst uns jetzt unter der Leitung des Heiligen Geistes die Gleichnisse von dem :Reiche der Himmel zu verstehen suchen.

1. Das Unkraut im Acker. -— Dieses Gleichnis zeigt uns die Folgen der Übergabe des Reiches in die Hände des Menschen. Das« Reich trägt nicht mehr das Aussehen eines Werkes des Herrn. Der Sohn des

Menschen hat guten Samen gesät; der Same ist das Wort. (V. 1 - 23.) Aus dieser Aussaat sind die Kinder des Reiches entstanden. Durch die Untreue und Nachlässigkeit der Menschen aber hat der Teufel Gelegenheit gefunden, Unkraut unter den Weizen zu säen. Das Unkraut ist das Böse, welches der Teufel vermittelst schlechter Lehrer und deren Anhänger, durch Ketzer und falsche Brüder unter die Söhne des Reiches gebracht hat. Weizen und Unkraut müssen zusammen aufwachsen bis zur Ernte; mit anderen Worten: das Reich der Himmel, wie es durch die Untreue der Menschen. sich gestaltet hat, bleibt bis zur Vollendung des jetzigen Zeitalters ein gemischtes System.

 Die Diener, welche nicht imstande waren, das Eindringen des Bösen zu verhindern, besitzen noch weniger die Fähigkeit, dasselbe zu beseitigen; es fehlt ihnen dazu wohl das notwendige Unterscheidungsvermögen als auch die Macht. Sie vermögen das Unkraut nicht aus der Welt auszurotten; sie würden den Weizen mit ausraufen. Aber zur Zeit der Ernte wird der Sohn des Menschen Seine Engel aussenden, um das Unkraut in Bündel zu binden und zur Verbrennung aufzubewahren (V. 30), während der Weizen in die Scheune (den Himmel) gesammelt wird — wohl ein Hinweis aus die Entrückung der Gläubigen; und schließlich erscheint der Sohn des Menschen, um das Unkraut zu vernichten, indem Er es durch die Engel ins Feuer werfen lässt.

Wenn man sich einfach an die Auslegung des Herrn Jesu gehalten hätte, so würde man nie auf den Gedanken gekommen sein, dass in diesem Gleichnis von der Versammlung oder der wahren Kirche die Rede sei. Der Herr sagt: „Lasst es beides (die Kinder des Reiches und die Kinder des Bösen) zusammen wachsen bis zur Ernte“, während Paulus mit Bezug auf die Versammlung sagt: Tut den Bösen von euch selbst hinaus“ (1. Kor. 5, 13)! 

Wenn daher hier von denselben Personen unter denselben Umständen die Rede wäre, so hätte Paulus dem Herrn widersprochen. Die Sache ist indes sehr einfach. Der Herr redet von dem Reiche, und der Acker ist die Welt; Böse und Gute sollen auf diesem Acker zusammen aufwachsen bis zur Zeit der Ernte. Paulus dagegen spricht zu der Versammlung, die zwar in dem Reiche, aber nicht das Reich selbst ist, und fordert sie auf, den Bösen aus ihrer Mitte hinauszutun.

2. Das Senfkorn. — Das Reich der Himmel hat was als ein kleines Senfkorn gesät wurde, ist ein großer Baum geworden. Ein großer Baum ist in der Sprache der Schrift das Sinnbild einer großen Macht auf der Erde. So werden z. B. der Assyrer, der Pharao, und vor allem Nebukadnezar mit großen Bäumen verglichen. (Siehe Hesekiel 31, 3; 17, 23. 24; Dan. 4, 10 u.f.). Das Reich, anfangs klein, sollte in seiner äußeren Gestalt nach und nach zu einer großen, angesehenen Macht auf Erden werden, unter welcher man, wie die Vögel unter einem Baume, Schutz suchen würde. Dies ist geschehen. Das Reich der Himmel ist zu einer gewaltigen Macht geworden; es ist mit Ehre und Ansehen bekleidet, so dass man in ihm Schutz sucht.

3. Der Sauerteig. -— Während das Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen uns zeigt, dass böse Lehrer und ihre Anhänger in dem Reiche Eingang finden würden, belehrt uns das Gleichnis vom Sauerteig, dass böse, falsche Lehren eindringen und das Ganze von denselben durchsäuert werden würde. Gewöhnlich versteht man unter dem Sauerteig die alles durchdringende Kraft des Evangeliums; man vergisst aber dabei, dass der Sauerteig in der Schrift nie als etwas Gutes, sondern immer als etwas Böses bezeichnet wird. Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist“ (Matth. 16, 6. 11..12; Luk. 12, 1). 

Paulus sagt: „Wisset ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert? Feget den alten Sauerteig aus, auf dass ihr eine neue Masse sein möget, gleichwie ihr ungesäuert seid“ (1. Kor. 5, 6 — 8; Gal. 5, 9). Im Alten Bunde durfte während des Passahfestes kein Sauerteig in allen Grenzen Israels gesunden werden u. s. w. Es wäre daher zum Mindesten sehr willkürlich, an dieser einen Stelle den Sauerteig für etwas Gutes erklären zu wollen. Überdies zeigt das Gleichnis selbst, dass jene Erklärung ganz und gar falsch ist. Das Weib verbirgt den Sauerteig. Das Evangelium wird aber wahrlich nicht verborgen; wohl aber die falsche Lehre, :die immer auf betrügerische Weise eingeschmuggelt wird und langsam ihre verderbliche Wirkung ausübt.

Wir finden daher in diesen drei Gleichnissen die äußere Form, welche das Reich der Himmel während der Abwesenheit seines Königs in der Welt annehmen sollte.

Bis hierhin hat der Herr im Beisein der Volksmenge gesprochen; sobald Er aber über den inneren Kern des Reiches reden will, entlässt Er die Volksmenge und tritt mit Seinen Jüngern in ein Haus.

4. Der Schatz im Acker. — Ein Menschfindet einen in einem Acker verborgenen Schatz und kauft voll Freude den Acker, um den Schatz zu besitzen. Nicht der Acker, sondern der Schatz, der sich in demselben befindet, ist das Ziel seiner Wünsche. So betrat Christus den Acker dieser Welt und fand in demselben einen Schatz. Der Schatz ist die Versammlung, die Kirche, welche hier nicht in ihrer sittlichen Schönheit vorgestellt wird, sondern als dasjenige, was Sein Herz nach den Ratschlüssen und Gedanken Gottes in dieser Welt gefunden hat. Für eine Zeit verbirgt· Er sie, und geht hin, verkauft alles, was Er hat: Seine Herrlichkeit, Seine königlichen Rechte, ja Sein eigenes Leben, und kauft die Welt, nicht weil die Welt so schön und begehrenswert für Ihn war, sondern weil der Schatz-, die Versammlung, sich in ihr befand. ·

5. Die kostbare Perle. — Ein Kaufmann sucht schöne Perlen. Er kennt den Wert derselben und vermag. ihre Kostbarkeit zu beurteilen. Sobald er eine Perle gei-funden hat, die seinen Wünschen entspricht, ist es für ihn der Mühe wert, für ihren Besitz alles hinzugeben was er hat Er kauft die Perle, und zwar sie allein. So hat Christus in der Versammlung eine solche Schönheit, einen solchen inneren (Wert gefunden, dass Er dadurch veranlasst worden ist, alles- aufzugeben und sie zu kaufen. Es gefiel Ihm, allem zu entsagen was Er hatte, um sie zu besitzen. Andere Perlen: hat Er nicht gekauft; nichts hätte Ihn auch bewegen können, Sein ganzes Eigentum hinzugeben, als nur der· Anblick dieser Perle. *)

6. Das ins Meer geworfene Netz. — Das Netz ist das Netz des Evangeliums. Die nämlichen Personen, welche dasselbe auswerfen, ziehen es auch wieder auf und treffen dann unter den gefangenen Fischen eine Auswahl. Es sind also nicht Engel, welche die Scheidung vollziehen, wie in dem Gleichnis vom Unkraut im Acker. Die Fischer ziehen das Netz, ans Ufer herauf und beginnen die Fische· auszulesen. Die Guten legen sie in Gefäße, und die Faulen werfen sie fort. Es handelt sich für die Fischer darum, gute Fische zu haben; sie beschäftigen sich deshalb nur mit diesen. So ist das Netz, des Evangeliums in das Meer der Völker geworfen worden und hat allerlei Menschen in sich aufgenommen. Und nun sondern die Arbeiter des Herrn die Guten von den Bösen ab und bringen die ersteren in Sicherheit, während sie sich um die letzteren nicht weiter kümmern. 

Die Guten werden in Gefäßen vereinigt, und zwar geschieht dies nicht, wie bereits gesagt, durch Vermittlung der Engel, sondern durch die Fischer selbst. Die praktische Folge dieser Arbeit ist also die Absonderung der Guten von den Bösen und das Zusammenbringen oder das Sammeln der ersteren vermittelst der Tätigkeit der Arbeiter des Herrn. — Die Vollziehung des Gerichts ist eine ganz andere Sache, mit welcher die Arbeiter des Herrn nichts zu tun haben. In der Vollendung des Zeitalters werden die Engel ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern und sie in den Feuerofen werfen, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird (V. 49. 50). Dies ist aber nicht etwa die Erklärung des Gleichnisses, sondern nur eine Mitteilung darüber, was die Engel mit den Bösen tun werden, welche von den Fischern bereits als solche erkannt und deshalb fortgeworfen worden sind.

Das Ergebnis unserer Betrachtung der Gleichnisse vom Reiche ist also folgendes:

1. Durch Seine Verwerfung von seiten der Juden wurde es dem Herrn unmöglich gemacht, Sein Reich so aufzurichten, wie es nach den Prophezeiungen hätte geschehen sollen, und Er hat es deshalb den Händen der Menschen übergeben bis zu der Zeit, wann Er wiederkommen wird, um selbst die Herrschaft zu übernehmen.

2. Der Herr hat uns eine Beschreibung gegeben sowohl über die äußere Form, welche das Reich während Seiner Abwesenheit annehmen würde, wie auch über den inneren Kern, den es enthält.

3. Um diesen kostbaren Kern zu besitzen, hat Er alles was Er hatte hingegeben, und obwohl die Bosheit und Feindschaft des Menschen unmittelbar Veranlassung zu Seinem Weggang von der Erde gaben, so lag es doch schon bei Seinem Herniederkommen in Seiner Absicht, alle Seine Rechte als Messias und König Israels für eine Zeitlang aufzugeben, um jenen kostbaren Schatz zu kaufen, der jetzt durch Seine Diener in dem Reiche gesammelt und abgesondert wird.

Hieraus geht zunächst hervor, dass das Reich und die Kirche nicht eine und dieselbe Sache sind. Das Reich war schon geoffenbart, ehe von der Kirche nur die Rede war. Bis zur Verwerfung des Herrn als Messias seitens Seines irdischen Volkes finden wir von der Kirche keine Spur; und wenn der Herr zum ersten Male von ihr redet (obschon noch immer in Gleichnissen), so stellt Er den Unterschied zwischen ihr und dem Reiche ins hellste Licht. 

Nach dem Ratschluss Gottes sollte die Kirche als eine Braut Christo gegeben werden; deshalb musste der König des Reiches verworfen werden, damit Er sich um den Preis Seines Blutes den Schatz erkaufe, welchen Er in der Welt gesehen und gefunden hatte. Um Seine himmlische Braut besitzen zu können, gab Christus Seine königlichen Rechte auf und überließ das Reich den Händen und der Verantwortlichkeit des Menschen. Einen stärkeren Beweis für den Unterschied zwischen Reich und Kirche kann es wohl nicht geben. Wenn jemand um den Besitz einer Sache willen eine andere preisgibt, so können die beiden Sachen doch nicht einander gleich sein. Wohl haben wir gesehen, dass das Reich heute noch besteht; allein es trägt einen ganz besonderen Charakter und ist von der Kirche völlig verschieden. 

Die Kirche, d. h. die wahre Kirche, die Versammlung oder Gemeinde Gottes, befindet sich in dem Reiche; sie bildet den inneren Kern, den himmlischen Bestandteil desselben, aber sie ist nicht das Reich selbst. Die Kirche ist der Leib Christi, Seine Braut, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Das kann unmöglich von dem Reiche gesagt werden. Die Untertanen des Reiches sind als solche nicht mit Christo gestorben und auferstanden und in Ihm in die himmlischen Örter versetzt; sie sind nicht Kinder Gottes, sondern Kinder des Reiches, Untertanen des Königs desselben. Auch wird die Kirche, als das Weib des Lammes, dereinst mit Christo über das Reich herrschen.

Ferner geht aus dem oben Gesagten hervor, dass die Meinung vieler Christen, als ob die Kirche Christi die Gläubiger: aller Zeiten umfasse, unrichtig ist. Die Schrift belehrt uns aus die bestimmteste Weise, dass die Kirche bis zur Zeit der Apostel und Propheten des Neuen Testamentes ein Geheimnis war, von den Zeitaltern her in Gott verborgen, und dass ihre Berufung durchaus himmlisch ist.

Schon aus der Antwort, welche der Herr auf das Bekenntnis des Petrus gibt: „Du bist Petrus; und auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen“ (Matth.16, 18), geht klar hervor, dass die Versammlung weder im Alten Bunde bestand, noch zur Zeit da Jesus hienieden wandelte. Der Herr sagt nicht: „ich baue“, oder gar: „ich habe gebaut“, sondern: „ich will bauen“. Die Gründung und Erbauung der Kirche war also damals noch etwas Zukünftiges. Und nichts ist natürlicher als das. Denn was ist die Kirche oder Versammlung? Sie ist der Leib Christi; und zwar nicht der Leib des hienieden lebenden, sondern des auferstandenen und verherrlichten Christus. Ohne den Tod und die Auferstehung war jede Vereinigung mit Jesu eine Unmöglichkeit, wie Er selbst sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“ (Joh. 12, 24). Vor der Auferstehung Christi konnte die Versammlung nicht vorhanden sein.

Sehr bestimmt erklärt daher auch der Apostel Paulus, dass bis zu seiner Zeit die Versammlung ein Geheimnis gewesen sei. Er schreibt an die Epheser: „Wenn ihr anders gehört habt von der Verwaltung der Gnade Gottes, die mir in Bezug auf euch gegeben ist, dass mir durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden ... wie es jetzt geoffenbart worden ist Seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste: dass die aus den Nationen Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber Seiner Verheißung in Christo Jesu durch das Evangelium.“ Und einige Verse weiter: „Und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses sei, das von den Zeitaltern her verborgen war in Gott, der alle Dinge geschaffen hat“ (Eph. 3, 1 - 10.) Das sind unzweideutige, klare Worte. Eine Sache, die von den Zeitaltern her in Gott verborgen und in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan war, kann unmöglich in jenen Zeitaltern und Geschlechtern gefunden werden. Trotzdem suchen viele Christen die Kirche entweder unter den verschiedenen Namen, welche Israel gegeben werden, oder in den Aussprüchen Jehovas über Sein Volk, oder endlich in den Prophezeiungen des Alten Bundes. Betrachten wir deshalb diesen Gegenstand noch etwas näher.

Man begegnet vielfach der Meinung, dass das Geheimnis, welches der Apostel hier im Auge habe, die Berufung der Nationen zur Kenntnis des Evangeliums sei. Das ist jedoch unmöglich; denn die Berufung der Nationen und ihre Teilnahme an den Segnungen Israels war durchaus nichts Verborgenes, sondern war im Gegenteil immer wieder angekündigt worden (Vergl. z. B.Jes. 49, 6). Das Geheimnis, von welchem der Apostel hier spricht, besteht vielmehr darin, dass die Gläubigen aus den Nationen „Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber Seiner Verheißung in Christo Jesu durch das Evangelium“.

 Es war im Alten Testament kein Geheimnis, dass die Nationen durch Israel gesegnet werden sollten; dagegen war es vollständig verborgen, dass die Gläubigen aus den Nationen mit denen aus den Juden Erben derselben Verheißung sein und zusammen mit ihnen einen Leib bilden sollten, so dass der Judenchrist nicht vor dem Heidenchristen bevorzugt war. Im Alten Bunde waren die Juden durch das Gesetz von allen anderen Völkern geschieden; sie wurden bestraft, wenn sie mit ihnen irgendwelche Verbindung eingingen. Sollte deshalb von einem Leibe die Rede sein, in welchem Juden und Griechen eins sind, so musste zunächst die von Gott: selbst errichtete Zwischenwand der Umzäunung, das Gesetz der Gebote in Satzungen, hinweggetan werden. 

Und durch den Tod Christi auf dem Kreuze wurde diese Zwischenwand beseitigt, und wurden beide — die Gläubigen aus den Juden und die aus den Nationen — in einem Leibe mit Gott versöhnt, auf dass Christus die Beiden in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe. Dieser neue Mensch ist Christus und die Versammlung, „wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Scythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen“ (Kol. 3, 11.) Vor Vollendung dieses Werkes konnte daher die Kirche, der Leib des auferweckten und verherrlichten Christus, in welchem jeder Unterschied zwischen Volk oder Geschlecht aufgehört hat, nicht anders als in dem Ratschluss Gottes bestehen.

Für die inspirierten Schreiber des Alten Testamentes war darum die Kirche ein Geheimnis; ja selbst die Zeit der Kirche, die Zeit, in welcher wir leben, ist in ihren Prophezeiungen nicht zu finden. Drei Beispiele aus der Menge der vorhandenen werden genügen, um das Gesagte zu beweisen. In Jesaia 11 wird die erste und die zweite Ankunft Christi in einer Weise miteinander verbunden, dass niemand beim Lesen jener Prophezeiung auf den Gedanken kommen kann, dass zwischen beiden Ereignissen viele Jahrhunderte liegen. Und doch ist es so. Bis zur Mitte des 4. Verses ist die Prophezeiung bereits erfüllt, wogegen die zweite Hälfte erst bei der zweiten Ankunft Christi ihre Erfüllung finden wird. —

 Ebenso deutlich ist die bereits angeführte Stelle aus Jes. 61. Beim Lesen dieser Weissagung wird jeder Israelit gedacht haben, dass die angekündigten Ereignisse in unmittelbarer Aufeinanderfolge, so wie sie von dem Propheten vorhergesagt sind, eintreffen würden. Und doch wissen wir, dass jetzt schon mehr als 1800 Jahre seit der ersten Ankündigung „des Jahres der Annehmung Jehovas“ verflossen sind, und „der Tag der Rache unseres Gottes« ist noch nicht gekommen. — Im Z. Psalm finden wir dasselbe. In Apstgsch. 4 wird der Anfang dieses Psalmes angeführt, und die Verwerfung des Herrn durch Herodes und Pontius Pilatus als die Erfüllung desselben betrachtet. Man sollte nun erwarten, dass im weiteren Verlauf des Psalmes von der Kirche gesprochen werden würde; doch das Gegenteil ist der Fall, indem der folgende Teil eine Beschreibung des Reiches Christi, sowie des Gerichtes Gottes über die Feinde Seines Gesalbten enthält.

Die Zeit, in welcher wir leben und in der die Kirche Christi gesammelt wird, findet also keinen Raum in den Prophezeiungen des Alten Bundes. Diese Tatsache gibt uns den Schlüssel zum richtigen Verständnis der Prophezeiungen in die Hand. Die zukünftigen Ereignisse folgen in den Propheten immer unmittelbar auf die Ankunft des Messias, ohne irgendwelche Hindeutung auf eine Zwischenzeit. Der durch die Verwerfung des Messias abgebrochene Faden der Geschichte Israels wird erst in den letzten Tagen wieder angeknüpft werden, sobald Israel wieder als Volk auf dem Schauplatz erscheinen wird; von der dazwischen liegenden Zeit und ihren Ereignissen findet sich im Alten Testament keine Spur.

 Wohl können wir, in dem vollen Lichte des Neuen Testamentes, viele schöne und ausdrucksvolle Vorbilder der Kirche in den Personen und Geschichten des Alten Testamentes entdecken, wie B. in Eva, Henoch, Rebekka, dem Weibe Josephs; doch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass wir selbst diese Vorbilder nicht in ihrer Schönheit erkennen würden, wenn wir sie nicht durch die dem Paulus gegebenen Offenbarungen als solche kennen gelernt hätten.

Es geht daher sowohl aus den Worten des Herrn selbst, als auch aus den bestimmten Aussprüchen des Heiligen Geistes, sowohl« aus der Natur und dem Charakter der Kirche, als auch aus dem Fehlen irgendwelcher Andeutungen in den Propheten mit völliger Gewissheit hervor, dass man die Kirche nicht im Alten Testament suchen darf, und dass sie ebenso wenig während des Umherwandelns Jesu auf der Erde bestand; dass sie vielmehr erst, nachdem Jesus zur Rechten Gottes erhöht worden und der Heilige Geist auf die Erde herniedergekommen war, in die Erscheinung getreten ist. Das Pfingstfest (Apstgsch. 2) war gleichsam der Geburtstag der Kirche, während sie in dem göttlichen Ratschluss bereits vor Grundlegung der Welt bestand.

Lasst uns jetzt noch einen Augenblick bei der Berufung der Kirche verweilen. Dem Apostel Paulus wurde das besondere Vorrecht zu teil, den Charakter, die Natur und die Berufung der Kirche den Gläubigen bekannt zu machen. Er konnte sagen, dass ihm „durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden sei“ (Eph. 3, 3). Wohl wurde die Kirche am Pfingsttage gegründet, indem die Gläubigen durch die Ausgießung des Heiligen Geistes zu einem Leibe getauft wurden; allein ihr besonderer und himmlischer Charakter wurde im Anfang von den Jüngern nicht verstanden.

 Das sehen wir deutlich aus der Weigerung Petri, etwas zu essen, was nach jüdischen Begriffen gemein oder unrein war (Apstgsch. 10), und aus der Tatsache, dass er in Jerusalem Rechenschaft darüber ablegen musste, dass er zu den Nationen eingegangen war (Apstgsch. 11). Gott wollte, bevor Er die himmlische Berufung der Kirche offenbarte, als Erhörung des Gebetes Jesu am Kreuze noch einmal das Reich den Juden anbieten lassen. Dies geschah durch den Mund des Petrus, der zu den Juden sagte: „Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, gleichwie auch eure Obersten….So tut nun Buße und bekehret euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn“ (Apstgsch. 3, 17 — 21). 

Doch wie das Zeugnis Jesu, so wurde auch das Zeugnis des Heiligen Geistes verworfen. Stephanus, der Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, wurde gesteinigt, und von diesem Augenblick an hörte Jerusalem auf, der Mittelpunkt der Predigt des Evangeliums zu sein. Saulus, der Augenzeuge bei dem Tode des Stephanus, der eifrige Verfolger der Versammlung, sozusagen die Personifizierung des Hasses der Juden gegen Jesum, wurde bekehrt; und ihm wurden die Offenbarungen über die Natur und die Berufung der Kirche gegeben.

Diese Offenbarungen teilt er uns am ausführlichsten im Epheserbriefe mit. Schon im Anfang des 1. Kapitels lesen wir: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo Jesu!“ Nach dem Ratschluss Gottes ist also die Segnung der Kirche eine geistliche, und der Ort, wo sie diese Segnung empfängt, ist der Himmel. 

„Wie Er uns auserwählt hat in Ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor Ihm in Liebe.“ Die Kirche steht ganz außerhalb des Laufes der Geschichte der Welt und der diesbezüglichen Wege Gottes; sie ist vor Grundlegung der Welt zu einer himmlischen Berufung auserwählt. Sie hat diese Berufung infolge ihrer Vereinigung mit Christo, und ihr Charakter steht in Übereinstimmung mit Gott, der Licht und Liebe ist.

Weiter heißt es: „Der uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen Seines Willens“. Israel wurde als das Volk Gottes auf der Erde auserwählt; wir aber sind nach dem Wohlgefallen des Willens Gottes zu Seinen Kindern zuvor bestimmt. Und wie unaussprechlich herrlich sind unsere Beziehungen zu Christo! Nachdem der Apostel von dem Geheimnis Gottes geredet hat, dass Er alles unter ein Haupt zusammenbringen will in dem Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist“, fügt er hinzu: „in Ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben“.

 Wenn Christus alle Dinge als Sein Erbteil besitzen wird, dann wird die Versammlung Seine Miterbin sein; wenn Er, mit Macht und Herrlichkeit bekleidet, als König über die Erde herrschen wird, so wird sie mit Ihm herrschen. Sein Teil ist das Ihrige; als die Braut Christi genießt sie alle Vorrechte ihres verherrlichten Bräutigams; denn Gott hat Ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche Sein Leib ist, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt“. Welch eine innige Vereinigung! Wie unser Leib mit dem Haupte ein Ganzes ausmacht, wie der Leib das Haupt vervollständigt und zu einem Menschen Macht, so ist die Versammlung mit Christo verbunden; sie ist die Vervollständigung, die Fülle ihres herrlichen Hauptes.

In dem 2. Kapitel zeigt uns dann der Heilige Geist, dass die Versammlung, weil sie mit ihrem verherrlichten Haupte vereinigt ist, ihren Platz im Himmel hat. „Er hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu“ (V. 6). Wie könnte da noch von einem Unterschiede zwischen Juden und Heiden die Rede sein? Christus hat die zwei, Frieden stiftend, in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaffen, da Er sie auf dem Kreuze in einem Leibe mit Gott versöhnte (V. 14 — 16). Dieser Leib, aus Juden und Heiden gebildet, ist die Versammlung Gottes, welche, aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten des Neuen Testamentes, an Stelle des früher von Jehova bewohnten Tempels in Jerusalem, „zu einer Behausung Gottes im Geiste“ geworden ist.

Das 3. Kapitel zeigt uns, dass die Versammlung, wie bereits gesagt, ein Geheimnis war, welches von den Zeitaltern her in Gott verborgen gewesen ist; aber auch zugleich, dass „jetzt den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Orten! durch die Versammlung die gar mannigfaltige Weisheit Gottes kundgetan wird“. Wohl hatten die Fürstentümer und die Gewalten im Himmel die Größe, Weisheit und Macht, die Gerechtigkeit, Güte und Langmut Gottes, wie sie sich in der Schöpfung und in den Wegen Seiner Vorsehung und Regierung geoffenbart hatten, angeschaut; aber noch niemals hatten sie auf der Erde einen Leib gesehen, der mit dem Sohne Gottes im Himmel vereinigt ist. Das war für sie eine ganz neue Entfaltung der Weisheit Gottes.

Im 4. Kapitel sagt der Apostel, dass es nur einen Leib und ein en Geist gebe (V. 4), und spricht dann über die diesem Leibe mitgeteilten Gaben. (V. 7 —12.) Der unausforschliche Reichtum Christi ist die Quelle der Auferbauung der Versammlung, weil jedes Glied, nach der ihm verliehenen Gabe, aus diesen unerschöpflichen Vorräten dem Leibe mitteilt. Der Leib entwickelt sich und wächst zu dem ,,Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Christus selbst ist das Ziel und der Maßstab für die Versammlung. Nach Christo werden wir gebildet; Ihm werden wir einmal vollkommen gleich sein.

Im 5. Kapitel endlich weist der Apostel auf das Verhältnis zwischen Mann und Weib hin, als Bild der Beziehung, welche zwischen Christo und der Versammlung besteht. Er erinnert einerseits an die unaussprechliche Liebe und zärtliche Sorgfalt Jesu für Seinen Leib, die Versammlung, und andererseits an ihre innige Beziehung und unzertrennliche Verbindung mit Ihm. Wie Eva aus Adam war, so ist die Versammlung aus Christo, dem letzten Adam; denn wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen“ (V. 30). Sie ist ein Teil von Ihm, Seine Fülle, Seine Miterbin. Köstliche Wahrheit! O möchte diese Einheit, dieses unzerreißbare Band stets von uns verstanden und gefühlt werden!

Auch in anderen Briefen Pauli finden wir betreffs dieser Wahrheit deutliche Unterweisungen. In dem ersten Brief an die Korinther, in welchen der Apostel die genauesten Anweisungen über die Einrichtung einer örtlichen Versammlung gibt, belehrt er uns auch, dass die an einem Orte vereinigten Gläubigen die Einheit des ganzen Leibes darstellen. Sie bilden die Versammlung oder die Gemeinde Gottes an diesem Orte. Deshalb richtete er seinen Brief an die Versammlung Gottes, die in Korinth ist. 

Es gab dort nur eine Versammlung, und sie bestand aus allen denen in Korinth, welche Geheiligte in Christo Jesu, berufene Heilige“, genannt werden konnten. Dieselben waren durch ihr Bekenntnis und durch ihr gemeinsames Wandeln von der Welt getrennt. Das Abendmahl bildete das äußere Zeichen ihrer Vereinigung (1. Kor. 10, 16); und der Heilige Geist wohnte in der Versammlung. Sie ist der Tempel des Heiligen Geistes (Kap. 3, 16. 17; 6, 19). Dieser Geist vereinigt alle Gläubigen zu einem Leibe. „Denn gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus. Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen (Kap.12, 12. 13). Die Versammlung ist daher der Leib Christi; und der Heilige Geist vereinigt die Christen zu einem Leibe und teilt zugleich jedem Gliede Gaben aus zum Nutzen des ganzen Leibes.

Auch der Brief an die Kolosser beschäftigt sich mit diesem Gegenstande, indem er uns sowohl die Herrlichkeit Christi als Haupt über alle Dinge und als Haupt der Versammlung (Kap. 1, 15 - 18), wie auch Sein Wohnen in ihr als „die Hoffnung der Herrlichkeit“ vor Augen stellt. Der Herr sichert auch den Heiden, die ohne Verheißung und ohne Hoffnung waren, die himmlische Herrlichkeit zu, in die Er selbst eingegangen ist. Die Versammlung besitzt in Ihm „die Fülle Gottes, welche in Ihm leibhaftig wohnt“, und sie ist „vollendet in Ihm, welcher das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist“ (Kap. 2, 9. 10) 

„Welch eine herrliche Stellung für die Versammlung! Sie ist vollkommen eins mit Christo und nimmt an allen Seinen Segnungen teil. Wie unendlich groß Seine Herrlichkeit auch sein mag — sie ist Seine Miterbin. Er hat ihr die schmutzigen Kleider ausgezogen und sie mit Seiner Schönheit und Lieblichkeit geschmückt. Er hat sie vor das Angesicht des Vaters hingestellt, „heilig und tadellos- in Liebe“. Er bringt sie als Seine Braut und Miterbin in die für sie erworbene himmlische Herrlichkeit. Er wird sie als Sein Weib aus diese Erde zurückführen, damit sie Seine Herrschaft mit Ihm teile; und Er wird stets in ihrer Nähe weilen, um sich an ihrem Lob und ihrer Anbetung, an ihrem Glücke und ihrer Freude zu weiden. Welch ein unaussprechliches Vorrecht daher, zu dieser Versammlung zu gehören, die schon jetzt alle Segnungen durch den Glauben genießt und bald Seine ganze Fülle in alle Ewigkeit anschauen und genießen wird!

Fußnote:

*) Dieses und das vorige Gleichnis werden oft so erklärt, als wenn Christus der im Acker verborgene Schatz und die kostbare Perle wäre, und als wenn der Sünder, um Christum zu gewinnen, alles aufgäbe was er habe. Aber der Sünder lauft doch nicht den Acker (die Welt), um den Schatz zu besitzen, noch könnte er dadurch, dass er alles aufgäbe, was er an irdischen Gütern, Vorteilen, Ehren u. s. w. besitzt, sich Christum oder die Seligkeit erkaufen. Gott verkauft nicht Seine unaussprechliche Gabe, sondern Er gibt sie ganz umsonst, „ohne Geld und ohne Kaufpreis“ (Jes. 55, 1).

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Ruhe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 47ff

„Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volke Gottes übrig. . . . Lasst uns nun Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen“ (Hebr. 4, 9. 11).

Ruhe! — wie lieblich klingt das Wort in den Ohren des müden Wanderers oder der bekümmerten, von Trauer und Leid niedergebeugten Seele! Ist es nicht, als ob es aus einer ganz anderen Welt zu uns herübertönte? Denn wenn wir die Dinge um uns her betrachten, so sehen wir nichts als Unruhe, ein rastloses Jagen, Treiben und Rennen auf allen Seiten. Ein jeder möchte gern möglichst viel von den gleißenden Schätzen dieser Erde erlangen. Man trachtet nach Reichtum und Genuss, nach Ehre und Ansehen, nach Zerstreuung und Vergnügen. Und dieses Trachten nimmt das Herz des natürlichen Menschen und alle seine Gedanken so völlig in Anspruch, dass er keine Zeit findet, an ernstere Dinge, an Gott und die Ewigkeit zu denken. Ja, er flieht die ruhigen, einsamen Stunden wie ein böses Gift, weil er nicht zum Nachdenken kommen will. Wer wollte sich denn auch die wenigen flüchtigen Augenblicke, die ihm hienieden geschenkt sind, mit Grillen plagen?

Und doch, — ist ein Mensch, über den diese Erde das Füllhorn ihrer Gaben ausgeschüttet hat, wohl glücklich zu nennen? Ist er wirklich befriedigt, wahrhaft zur Ruhe gebracht? Nein, er vielleicht am allerwenigsten! Denn mag er auch alles erlangen, was sein Herz begehrt, mag er den schäumenden Becher der Lust und Freude dieser Welt bis zur Neige auskosten, nichts wird ihm Befriedigung geben, nichts sein ruheloses Herz zur Ruhe bringen. Und wie wenige Menschen gibt es überhaupt, denen, wie man sagt, das Glück lächelt, die in Gesundheit und Wohlstand ein hohes Alter erreichen, deren Pläne gelingen und die eine entsprechende Frucht von ihrer Arbeit und Mühe sehen? 

Ach, wie viele Leiden und Schwierigkeiten, wie viel Kampf, wie viele Seufzer und Klagen, wie viel Jammer und Elend birgt diese arme Erde! Wie viele plagen sich ab vom Morgen bis zum Abend, sehnen sich nach Ruhe und finden sie nicht! Und wie rasch eilt bei all dieser Plage, Hast und Unruhe das Leben des Einzelnen dahin! Ehe er sich’s versieht, steht er am Rande der Ewigkeit. Hienieden fand er keine Ruhe, und was wird nun sein Los sein? Wird er dort Ruhe finden? Ach! wenn er sie hier nicht da gesucht hat, wo sie allein zu finden ist, wird sie auch in der Ewigkeit nicht sein Teil sein. Erschreckend groß ist die Zahl derer, die täglich, statt in die ewige Ruhe, in die ewige Pein gehen! 

Und doch sind die Gedanken Gottes über den Menschen Gedanken des Friedens. Er will nicht den Tod des Sünders; Er hat kein Gefallen am Verderben des Menschen, sondern ist bereit, ihn zu retten und ihm Ruhe zu geben -— Ruhe schon hier auf Erden, und Ruhe dereinst droben bei Jesu.

Wie glücklich, ja wie beneidenswert sind alle, die zu dieser ihnen von Gott selbst bereiteten Ruhe in Jesu gekommen sind! Und doch, wie leicht lassen auch diese Glücklichen, Beneidenswerten sich durch das Getriebe der Welt wieder mit fortreißen und genießen dann nicht die Ruhe, die ihr gesegnetes Teil hienieden schon sein könnte! Wie mancher Gläubige trachtet nach denselben Dingen, nach welchen die ungläubige Welt trachtet, und wühlt vom Morgen bis zum Abend in der Werkstatt, in der Fabrik, im Geschäft oder wo es nun sein mag. Sein Ziel und Streben ist, vorwärts zu kommen, es zu etwas zu bringen. 

Er findet deshalb auch keine Zeit, sich in der Stille mit dem Herrn und Seinem Worte zu beschäftigen. Und so geht er der kostbaren Ruhe der Seele verlustig, die allein in der Abhängigkeit von und in der Gemeinschaft mit dem Herrn genossen wird, und verliert zugleich das Ziel, dem wir entgegengehen, die verheißene Ruhe droben, aus dem Auge.

Das Wort Gottes spricht oft und in der verschiedensten Weise von Ruhe. Zum ersten Male bei der Schöpfung: „Und Gott sah alles was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut . . . . Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn; denn an demselben ruhte Er von all Seinem Werk.“ Sein Auge konnte mit Wohlgefallen auf der ganzen Schöpfung ruhen, denn alles entsprach Seinen Gedanken; alles war rein und tadellos aus Seiner Hand hervorgegangen. Auch der Mensch erfreute sich völliger Ruhe. Nichts war da, was ihn hätte beunruhigen können. Alles um ihn her atmete Ruhe und Frieden, und zugleich genoss er das hohe Vorrecht, mit Gott, seinem Schöpfer, verkehren zu können.

Doch diese Ruhe war von kurzer Dauer. Die Sünde kam, und mit einem Schlage war das herrliche Bild zerstört. Der Mensch gab den Einflüsterungen Satans Gehör, übertrat das Gebot Gottes und riss die ganze Schöpfung mit sich ins Verderben. Fluch und Tod betraten den Schauplatz. Fortan gab es keine Stätte mehr für den Menschen im Paradiese; der Sünder wurde aus der Gegenwart des heiligen Gottes verbannt; er war unter die Herrschaft der Sünde und des Todes gekommen und musste hinfort im Schweiße seines Angesichts den um seinetwillen verfluchten Erdboden bebauen. Furcht und Schrecken, Krankheit und Tod hatten mit der Sünde ihren Einzug in die Schöpfung Gottes gehalten.

So war es denn mit der Ruhe des Menschen für immer vorbei; aber nicht nur das, auch die Ruhe Gottes war unterbrochen. Wie hätte der heilige Gott ferner ruhen können in einer durch die Sünde verunreinigten Schöpfung? Unmöglich! Aber gab Er deshalb das Werk Seiner Hände auf? Nein, Sein Name sei ewig dafür gepriesen! Er nahm in Seinem unendlichen Erbarmen die Rettung des gefalIenen Menschen in die Hand gemäß Seinen, vor Grundlegung der Welt gefassten, gnadenreichen Vorsätzen. Er kam und suchte den Menschen auf, als dieser im Bewusstsein seiner Schuld sich vor Ihm verbarg, und Er verhieß einen Retter aus dem Samen des Weibes. 

Und von dem Augenblick an hat Gott nicht aufgehört zu wirken, sich dem Menschen in Gnade zu offenbaren, ihn zur Erkenntnis seines Zustandes zu bringen und ihn zu ermahnen, zu Ihm umzukehren. Der Herr Jesus sagt einmal: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“. So hat Gott Jahrtausende hindurch gewirkt, unmittelbar und mittelbar. Er gab sich den Menschen kund durch Sein Wort, durch Seine Taten und Führungen, durch Seine Engel, durch Seine Knechte, die Propheten, und endlich durch Seinen geliebten Sohn. Und heute wirkt Er mächtiger als je durch Seinen Heiligen Geist; und so wird Er fortfahren zu wirken, bis einmal alles neu gemacht ist und Gott auf der neuen Erde inmitten Seines glücklichen, erlösten Volkes wohnen wird, in einer Schöpfung, die keine Sünde und keinen Fluch mehr kennt.

Bis dahin aber gibt es auf dieser Erde nur Ruhe für den, der sie durch den Glauben in Jesu gefunden hat. Wohl verhieß Gott Seinem Volke Israel eine irdische Ruhe in dem Lande Kanaan; aber wegen ihres Unglaubens kamen alle, die aus Ägypten gezogen waren (mit alleiniger Ausnahme von Josua und Kaleb) in der Wüste um; und ihre Kinder, welche das Ziel erreichten, fanden dennoch keine Ruhe. Ungehorsam dem bestimmten Gebote Gottes, vertrieben sie nur teilweise die Völker des Landes, sodass diese ihnen zum Fallstrick und zum Verderben wurden. Josua hat sie nicht in die Ruhe gebracht (Hebräer 4, 8).

 Auch in späteren Tagen wurde ihnen die verheißene Ruhe nicht zu teil. Israel wandte sich von Jehova ab und verfiel in den schrecklichsten Götzendienst. Wie hätte es da in die Ruhe eingehen können? Gott züchtigte sie viel- mehr wiederholt durch die Völker des Landes, und als das Verderben trotzdem überhand nahm, gab er sie in die Hände der Assyrer und Babylonier, ließ sie aus ihrem Lande wegführen und zerstreute sie über die ganze Erde.

Wird Israel denn niemals in die verheißene Ruhe eingehen? Sicher und gewiss; denn Gottes Gnadengaben und Berufung sind unbereubar. Er wird alle Seine Verheißungen wahr machen, und wird Sein Volk Israel wieder sammeln und ihm die irdische Ruhe geben; aber nicht eher als bis — es Seinen Messias im Glauben aufgenommen haben wird. Alle Propheten reden von dem herrlichen Friedensreiche des Herrn auf dieser Erde.

 Ganz Israel wird errettet werden; alle werden Ihn erkennen, und eine tausendjährige Segnung wird das Teil derer sein, die in diese Ruhe eingehen. Wie herrlich wird diese Zeit nach den voraufgegangenen schrecklichen Kriegen und Gerichten für die ganze Schöpfung sein! „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden, und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen“ (Micha 4, 3). Der Herr selbst wird König sein, und Gerechtigkeit, Ruhe und Frieden werden auf der ganzen Erde herrschen.

Aber auf welchem Wege und auf welcher Grundlage wird Gott Sein Volk in diese Ruhe einführen? Auf derselben Grundlage, auf welcher Er heute einer Seele Ruhe gibt. Gott ist heilig, und der Mensch ist ein Sünder. Er bedarf deshalb eines Heilandes, einer Sühnung für seine Sünden, die zwischen ihm und Gott stehen, eines Retters, der ihn aus der Macht Satans und der Sünde befreit. Und dieser Heiland, dieser Retter ist gekommen, und hat die Sühnung vollbracht. Freilich wollen die meisten Menschen von diesen Dingen nichts hören; sie sind ihnen unangenehm, lästig, und wenn das Gewissen sich ja einmal regt, so suchen sie es auf allerlei Weise zu beschwichtigen. Ach! wo steht der Mensch! 

Er ist nicht nur ein Sünder, sondern ein Feind Gottes. Aber wie groß ist das Erbarmen Gottes diesem feindseligen Menschen gegenüber! Er lässt ihn nicht, sondern bemüht sich Tag. und Nacht um ihn, um ihn zur Besinnung und zum: Stillstehen zu bringen. Und wenn dann endlich das Gewissen durch die Gnade Gottes wirklich aufwacht, und -— der Mensch sich in der Gegenwart Gottes sieht, wie er ist als ein verderbter, verlorener Sünder, der der ewigen Verdammnis entgegeneilt, so ist es mit seiner erkünstelten Ruhe dahin. Angst und Schrecken erfüllen seine Seele seine Sündenschuld lastet schwer auf ihm, und er kann sie nicht abschütteln, noch auch die peinlichen Gedanken, die ihn unaufhörlich quälen, loswerden. Vielleicht strengt er sich an, besser zu werden und sich aus seiner üblen Lage zu befreien; aber alle Anstrengungen lassen ihn seinen. traurigen Zustand als Sklave der Sünde nur umso deutlicher erkennen und vermehren seine Angst und Unruhe.

Welch eine Freudenbotschaft find für einen solchen dann die Worte des Herrn Jesu: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben“! Ja, Jesus allein kann einer schuldbeladenen Seele Ruhe geben. Er kam vom Himmel herab, wurde Mensch und gab sich selbst am Kreuze als Opfer hin. Er starb, der Gerechte für die Ungerechten, und jetzt ruft Er allen denen, die unter der Last ihrer Sünden niedergebeugt find, zu: „Kommet her zu mir, und ich werde euch Ruhe geben!“ O wenn das Herz Ihn im Glauben als seinen Heiland angenommen hat, wenn es die Liebe erkennt, die auf dem Kreuze tätig war, dann kehrt Ruhe, wahre, tiefe Ruhe in das Herz ein. 

Das erwachte Gewissen ist zum Schweigen gebracht; die Seele ruht auf dem ein für allemal vollbrachten Werke Christi, ruht in der Liebe Gottes und des Herrn Jesu. Glücklich ein jeder, der diese Ruhe gefunden hat! Mag es auch viel Kampf und Leiden für ihn in dieser Welt geben, er weiß, dass er Frieden mit Gott hat, dass er in der Gunst Gottes steht, und er rühmt sich in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes (Röm. 5, 1. 2).

Doch es gibt noch eine andere Ruhe als die des Gewissens. Der Herr Jesus sagt zu denen, welchen Er diese Ruhe gegeben hat: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen“ demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“. Jene erste Ruhe wird jedem Glaubenden als freie, unverdiente Gabe geschenkt; die zweite Ruhe muss gefunden werden. Es ist die Ruhe der Seele in einer Welt voll Unruhe, Kampf und Beschwerde. Die Ruhe des Gewissens ist ohne Bedingung und deshalb durch die Gnade das Teil eines jeden wahren Gläubigen. Die Ruhe der Seele in den Umständen hienieden ist dagegen an die Bedingung geknüpft, dass wir des Herrn Joch auf uns nehmen; und nur in dem Maße wie wir dies tun, wird sie unser Teil sein.

Wenn wir den Herrn Jesum auf Seinem ganzen Wege hienieden betrachten, so finden wir in Ihm stets eine vollkommene, unerschütterliche Ruhe. Er war nie unruhig und besorgt, nie hastig und aufgeregt, nie gereizt. Seine Seele schwankte nie hin und her zwischen Befürchtungen und Hoffnungen. Ob Er als zwölfjähriger Knabe zwischen den Schriftgelehrten im Tempel saß, oder als erwachsener Mann auf stürmischer See in einem kleinen Schiffe sich befand; ob Er den listigen Fragen der heuchlerischen Pharisäer ausgesetzt war, oder die Schwachheit und den Unglauben Seiner Jünger ertragen musste; ob Johannes der Täufer an Ihm irre wurde und die Städte, in welchen Seine meisten Wunderwerke geschehen waren, Ihn verwarfen; ob Er vor dem Synedrium der Juden oder vor dem Richterstuhl des Pilatus stand — unter allen Umständen und zu allen Zeiten erfüllte eine vollkommene, erhabene Ruhe Seine Seele, weil Er immer in unbedingtem Gehorsam, in der völligen Abhängigkeit von dem Willen Seines Vaters wandelte. 

Als Er in diese Welt kam, sagte Er: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun; und als Er im Begriff stand, diese Welt wieder zu verlassen, sagte Er zu Seinen Jüngern: „Auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und also tue, wie mir der Vater geboten hat“. (Joh. 14, 31.) Er, der Herr des Himmels und der Erde stellte sich freiwillig Seinem Vater zum Diener. Er wurde in allem versucht wie wir, ausgenommen die Sünde. Er war arm und abhängig und tat niemals Seinen Willen, sondern den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte.

Diesen Platz der Abhängigkeit von Gott, den Platz. eines Knechtes, einzunehmen, dem Willen Seines Vaters in allem unterworfen zu sein, das war das Joch, welches Er trug. Aber es war Ihn kein schweres Joch; o nein, Er sagt: „Mein“ Joch ist sanft, und meine Last. — ist leicht“. Er hatte nicht nötig zu dienen; Er tat es freiwillig; das Dienen war Sein Genuss, Seine Freude. „Meine Speise ist, dass ich den Willen Dessen tue, der mich gesandt hat, und Sein Werk vollbringe“ (Joh. 4, 34).

Und nun sagt der Herr zu uns, den Seinigen: „Nehmet auf euch mein Joch“; d. h. nehmet, wie ich, diesen Platz der Abhängigkeit von Gott ein, verleugnet euch selbst und tut den Willen des Vaters, wandelt in meinen Fußstapfen! Von Natur sind wir geneigt, unseren eignen Willen zu tun und unserem eignen Ich den ersten Platz einzuräumen. Doch der Herr hat uns der göttlichen Natur teilhaftig gemacht und uns dadurch befähigt, in der Kraft Seines Geistes in Seinen Fußstapfen zu wandeln. 

Wir können also Sein Joch auf uns nehmen; da dies aber ein gebrochenes Herz voraussetzt und mit beständiger Verleugnung unseres eignen Willens verbunden ist, so fügt der Herr hinzu: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“. Je mehr wir Ihn, den Sanftmütigen und von Herzen Demütigen, betrachten und uns zugleich zu Seinen Füßen niedersetzen und uns von Ihm unterweisen lassen, um so mehr werden wir fähig werden, Sein Joch auf uns zu nehmen. Und die gesegnete Folge dieses Wandels in der Abhängigkeit von dem Willen unseres Vaters wird die sein, dass wir Ruhe finden für unsere Seelen, eine glückliche Ruhe des Herzens in allen Umständen und inmitten all der Unruhe dieser Welt.

O welch ein glückliches Teil besitzt der Gläubige, der seinen richtigen Platz hienieden eingenommen hat! Sein Gewissen ist völlig in Ruhe gebracht in dem Blute des Lamms; und in dem Wandel in der Abhängigkeit von Gott, seinem Vater, genießt seine Seele eine Ruhe, welche die Welt nicht kennt. Er ruht in der Liebe Gottes und weiß, dass, wie auch sein Weg sein wird, Güte und Huld ihm folgen werden alle Tage seines Lebens.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 57ff

II.

Das Kommen des Herrn zur Aufnahme der Kirche.

Als der Herr im Begriff stand, diese Erde zu verlassen, sagte Er zu Seinen Jüngern: „Kinder, noch eine kleine Zeit bin ich bei euch; ihr werdet mich suchen, und, wie ich den Juden sagte: Wo ich hingehe, könnet ihr nicht hinkommen, so sage ich jetzt auch euch“ (Joh. 13, 33). Kein Wunder, dass die Jünger beim Vernehmen dieser Worte betrübt und bestürzt wurden. Ihr geliebter Lehrer, ihr treuer Leiter und Freund, der sie mit so viel Geduld getragen, mit so viel Liebe zurechtgewiesen, mit so viel Treue für sie gesorgt hatte, wollte sie verlassen; sie sollten in dieser Welt voll Sünde und Schmerz allein zurückbleiben. Sie sollten Ihn, den sie so innig liebten, nicht mehr sehen. 

Er hatte ihnen gesagt, dass Er zum Vater gehe, und dass sie Ihm jetzt nicht folgen könnten. Furcht und Bestürzung erfüllten ihr Herz. Wer sollte sie trösten, wer sie beruhigen? Nun, derselbe Herr, der sie verlassen wollte. Er verstand ihren Schmerz, Er kannte ihr Leid, Er begriff ihre Furcht und Bestürzung, und, Seine eigenen Leiden vergessend, rief Er ihnen in unendlicher Liebe zu: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubet an Gott, glaubet auch an mich. In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 1 — 3).

Welch eine köstliche Verheißung! Welch ein Trost für das Herz der betrübten Jünger! und wir dürfen hinzufügen: Welch ein Trost auch für uns! Der Weggang des Herrn Jesu hat nur zu unserem Besten gedient. Er kehrte in den Himmel zurück, um uns dort, in dem Hause des Vaters, eine Stätte zu bereiten; und Er will wieder- kommen, um uns- zu sich zu nehmen, damit wir für immer bei Ihm seien, da wo Er jetzt ist. Die Stellung der Jünger wurde allerdings von jenem Augenblick an eine ganz andere. Sie hatten bis dahin den Herrn in ihrer Mitte gehabt; sie hatten Ihn sehen, hören und betasten können. Jetzt aber sollte Er für Ihr natürliches Auge unsichtbar werden, wie Gott unsichtbar ist; darum mussten sie so, wie sie an Gott geglaubt hatten, ohne Ihn zu sehen, nun auch an Jesum glauben. Jesus wurde im Himmel der Gegenstand ihres Glaubens. Durch den Glauben konnten sie Ihn zur Rechten Gottes im Himmel schauen. Doch nicht allein das.

 Das Vaterhaus, in welches Er ging, sollte nun auch ihre Wohnung werden. Der Herr ging dorthin, um für sie eine Stätte zu bereiten. Er hatte das Vaterhaus verlassen, um eine ewige Erlösung für uns zustande zu bringen; nachdem dies geschehen war, kehrte Er ins Vaterhaus zurück, um auch uns dort eine Stätte zu bereiten. Als Sohn Gottes war Er dort von Ewigkeit her gewesen; jetzt ist Er dort als der Mensch Christus Jesus, und dadurch ist das Haus des Vaters auch unsere Wohnung geworden. Er ist jetzt dort als unser Vorläufer, als der Erstgeborene vieler Brüder, als das Haupt der neuen Schöpfung. Er selbst sagt: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin“. Ja, wir können unseren Blick jetzt nach oben erheben und durch den Glauben unseren Herrn und Heiland zur Rechten Gottes anschauen; und indem wir das tun, dürfen wir voll Freude ausrufen: Da wo Er ist, werden auch wir bald sein!

Nichts steht zwischen dem Hingang des Herrn und Seiner Wiederkunft. Der Herr hat keine Zeit bestimmt; denn das würde die Erwartung Seines Kommens in den Herzen der Seinen geschwächt haben. Er will, dass wir, wie die Knechte in dem Gleichnis, auf Ihn warten und uns durch nichts und durch niemanden von dieser Erwartung abbewegen lassen. Ob Er um Mitternacht oder um die erste oder zweite Nachtwache kommt, wissen wir nicht; wir wissen nur, dass Er nahe ist, und wir sollten deshalb stets bereit sein, Ihn kommen zu sehen und Ihm entgegen zu eilen. Nachdem nun schon mehr als 1800 Jahre seit jenem letzten Zusammensein des Herrn mit Seinen Jüngern verflossen sind, ruft Er uns jetzt (in dem Sendschreiben an Philadelphia) zu: „Ich komme bald! halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme!“ Vergessen wir auch nicht, dass tausend Jahre bei dem Herrn sind wie ein Tag, und ein Tag wie tausend Jahre. Sein Verheißungswort lautet: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“. — „Siehe, ich komme bald!“

Die Wiederkunft des Herrn ist daher die charakteristische Hoffnung der Kirche· Der Herr selbst hat ihr diese Hoffnung gegeben. Wir erwarten nicht den Tod, sondern unseren Herrn. Durch Seine Wiederkunft werden wir dorthin gelangen, wo Er ist. „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen.“ Diese Verheißung allein kann auch ein Herz, welches Jesum liebt, befriedigen. Er selbst wird wiederkommen, um uns abzuholen. 

Er wird nicht einen Engel oder einen Engelfürsten senden. Nein, der Bräutigam selbst wird Seine geliebte Braut heimholen; und so sehnen wir uns danach, Ihn zu sehen, wie Er ist, und Ihm gleichförmig zu sein. Unser Herz verlangt danach, bei Ihm zu sein und Seine Herrlichkeit zu schauen. Ja, der Freund unserer Seelen, unser geliebter himmlischer Bräutigam, wird zurückkehren, und zwar nicht um aus dieser Erde bei uns zu bleiben, sondern um uns von der Erde zu sich zu nehmen und uns ins Vaterhaus droben zu bringen.

Doch auf welche Weise wird diese Aufnahme der Kirche stattfinden? Die Schrift gibt uns auf diese Frage eine Antwort, die ebenso deutlich und bestimmt ist wie die Verheißung, welche der Herr Jesus gegeben hat. Wir lesen in 1. Kor. 15, 51 — 54: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Verschlungen ist der Tod in Sieg.“

Und ferner in 1. Thess. 4, 13 — 18:

„Wir wollen aber nicht, Brüder, dass ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig seid, auf dass ihr euch nicht betrübet wie auch die übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die durch Jesum Entschlafenen *) mit Ihm bringen. Denn dieses sagen wir euch im Worte des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten“.

Aus diesen herrlichen Offenbarungen über die Art und Weise der Aufnahme der Kirche ersehen wir zunächst, dass die entschlafenen Gläubigen auferstehen und einen neuen, verherrlichten Leib empfangen werden. Ohne diesen neuen Leib ist der Gläubige noch nicht zur Vollendung gelangt. In jeder Beziehung vollkommen gemacht sind wir erst dann, wenn wir Christo gleichgestaltet sein werden, wenn die Verheißung sich erfüllen wird: „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1. Kor. 15, 49). Und das wird erst bei der Ankunft des Herrn geschehen. Paulus sagt: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der Er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil. 3, 20. 21). Und Johannes: „Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen wie Er ist (1. Joh. 3, 2).

Hieraus geht also hervor, dass die im Herrn entschlafenden Gläubigen nicht sogleich ins Vaterhaus gehen. Wenigstens stellt es die Schrift nicht so dar. Erst bei der Ankunft des Herrn werden die „Toten in Christo“ aus ihren Gräbern hervorkommen; erst dann werden sie einen neuen Leib empfangen und durch den Herrn Jesum in das Haus des Vaters geführt werden. Bis dahin sind sie im Paradiese, und warten dort, gerade so wie wir auf Erden, auf die Ankunft des Herrn. Es wird uns im Neuen Testament nicht viel über den Zustand derer, die durch Jesum einschlafen sind, gesagt; doch wird uns genug mitgeteilt, um uns zu zeigen, dass sie völlig glücklich, allem Leid enthoben und in vollkommener Ruhe bei dem Herrn sind. Jesus selbst sagte einst zu dem Räuber am Kreuze: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Lukas 23, 43). Stephanus bat den Herrn, den er zur Rechten Gottes stehen sah, seinen Geist aufzunehmen (Apstgsch. 7, 59. 60). 

Paulus sagt in 2. Kor. 5, 8: „Wir möchten lieber ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn sein“; und in Phil. 1, 23: „Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein, denn es ist weit besser“; und: „das Sterben ist für mich Gewinn“. Aus allen diesen Stellen ersehen wir, dass der heimgehende Gläubige einen herrlichen Tausch macht. Er verlässt diese arme Erde, den Schauplatz der Sünde und des Todes, um im Paradiese zu sein; er scheidet ab, um zu Jesu zu gehen. Ein begehrenswertes Leben, ein unendlich besseres Leben als das Leben aus dieser Erde, ist sein Teil; das Sterben ist für ihn Gewinn. 

Dort bei Jesu, im Paradiese Gottes, kennt er keine Sünde, keine Schwachheit, kein Gebrechen mehr; er wird nicht mehr durch allerlei hindernde Einflüsse und Umstände gestört, sondern genießt eine ungetrübte, selige Gemeinschaft mit Jesu. Sein Geist befindet sich auch nicht etwa in einem Zustande des Schlafens oder des Träumens, wie manche meinen» sondern bei völligem Bewusstsein. Der Gedanke, vielleicht Hunderte von Jahren in einem bewusstlosen, traumartigen Zustande zu verbringen, wäre wahrlich nicht trostreich. Das wäre kein Gewinn! Dann wäre es noch besser, hier auf Erden zu bleiben und, wenn auch in Schwachheit, die köstliche Gemeinschaft Jesu zu genießen. Doch, Gott sei Dank! Sein Wort sagt uns genug, um jene Meinung als ganz und gar falsch zu erkennen. Die uns vorangegangenen Lieben sind bei Jesu, im Paradiese, von ihrem sündigen und schwachen Leibe getrennt, in ungestörtem Genuss und ungetrübtem Glück.

Doch wie glücklich und begehrenswert das Weilen im Paradiese auch sein mag, so ist es doch nicht, wie bereits bemerkt, die Vollkommenheit. Es ist vielmehr ein vorübergehender Zwischenzustand. Die Vollkommenheit wird erst dann da sein, wenn der Herr Jesus kommen wird. um die Seinen heimzuholen. „Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen.“ Nach diesem Augenblick verlangte Paulus, als er sagte: „ob ich auf irgend eine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten“ (Phil. 3, 11). Welch ein herrlicher Augenblick wird das für alle durch Jesum Entschlafenen sein! Denn wie gesegnet auch ihr Teil im Paradiese gewesen sein mag, so wird es doch noch weit herrlicher für sie sein, bei der Ankunft des Herrn Ihm völlig gleichgestaltet und nach Geist, Seele und Leib tadellos und mit Frohlocken vor Ihm dargestellt zu werden.

 Die Wiedervereinigung des Geistes mit dem auferstandenen, verklärten Leibe wird stattfinden, die Zeit des Wartens wird vorüber fein, und jubelnd werden alle mit ihrem geliebten Herrn in die vielen Wohnungen des Vaterhauses einziehen. Der Zwischenzustand ist dann vorüber, das Vollkommene ist gekommen.“

Doch wenn die Ankunft Jesu für die entschlafenen Heiligen herrlich ist, so ist sie nicht weniger herrlich und begehrenswert für diejenigen, welche bis zu jenem Augenblicke hienieden in ihrem Leibe wallen. Die vielfach unter den Christen verbreitete Meinung, dass alle Gläubigen sterben müssten, ist ganz und gar unrichtig. „Ich sage euch ein Geheimnis: wir werden nicht alle entschlafen. Es gibt also Gläubige, die nicht sterben werden; sie „bleiben übrig bis zur Ankunft des Herrn“. Die Worte des Heiligen Geistes sind so klar und bestimmt, dass sie keinen Widerspruch zulassen. Er sagt uns ausdrücklich, dass der Herr bei Seiner Wiederkunft einen Teil der Gläubigen entschlafen und einen Teil noch aus Erden lebend finden wird.

Aber was wird mit den bis dahin am Leben Gebliebenen geschehen? Werden sie, so wie sie sind, in den Himmel aufgenommen werden? O nein; unmöglich könnten wir mit diesem sterblichen und verweslichen Leibe ins Vaterhaus gehen. „Dies aber sage ich, Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können, auch die Verwesung nicht die Unverweslichkeit ererbt“ (1. Kor. 15, 50). Unser Leib muss also verwandelt werden; er muss das Sterbliche und Verwesliche ausziehen und Unsterblichkeit und Unverweslichkeit anziehen. Und gerade das ist es, was der Geist uns sagen lässt:

 „Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“. „Wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn“, werden also nicht sterben, sondern in einem Nu, in einem Augenblick verwandelt werden; d. h. dieser unser sterblicher und verweslicher Leib wird, ohne den Tod zu sehen, in einem Augenblick in einen unsterblichen und unverweslichen Leib umgestaltet werden.

Welch eine Aussicht! Welch ein Trost und welch eine Freude für unsere Herzen! Denn wenn auch der Tod für den Christen seinen eigentlichen Charakter, seinen Stachel, verloren hat (vergl. 1. Kor. 3, 22), wenn er auch für ihn nichts anderes ist, als der Übergang aus einem Zustande der Schwachheit und des Leidens in ein besseres, herrlicheres Leben, so bleibt das Sterben doch immer unserer Natur und allem, was in uns ist, zuwider. Es zerreißt die zartesten Bande und trennt die innigsten Beziehungen auf Erden. Welch ein herrlicher Gedanke ist es daher, vielleicht zu denen zu gehören, die nicht sterben, sondern verwandelt werden sollen! Wenn der Herr heute kommt, so werden wir den Tod nicht sehen, brauchen nicht Abschied

zu nehmen von unseren geliebten Verwandten und Freunden, sondern werden mit allen, die an Jesum glauben, unmittelbar in den Himmel ausgenommen werden. Und der Herr kann heute kommen; nichts steht Seinem Kommen im Wege. Wenn mein Herz das glaubt, so werde ich nicht mehr an den Tod denken, der nichts Angenehmes für mich hat, sondern an die Ankunft des Herrn, die mich in jeder Hinsicht mit unaussprechlicher Freude erfüllt. O was wird es sein, geliebter Leser, wenn unsere, den Keim des Todes und der Verwesung in sich tragenden Leiber in unsterbliche und unverwesliche Leiber verwandelt werden! Wenn unser niedriger, gebrechlicher, kränklicher, dem Tode unterworfener Körper auf einmal in einen geistigen und himmlischen Leib umgestaltet werden wird — in einen Leib, der dem Leibe Jesu, des Herrn vom Himmel, gleichförmig sein wird! 

Und diese Verwandlung wird nicht langsam vor sich gehen, nicht allmählich geschehen; nein, sie wird in einem Augenblick, in einem Nu stattfinden. Schneller als wir es zu fassen vermögen, wird das Wunderbare sich ereignet haben. Vielleicht wird uns die Ankunft des Herrn bei unserer Arbeit finden, vielleicht wenn wir gerade in dem kostbaren Namen Jesu versammelt sind. Doch wann und wo sie uns auch finden mag, wir werden mit einemmale Jesum erblicken und in einem neuen, dieser Schöpfung nicht angehörenden Leibe dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft.

Sobald das letzte Glied des Leibes Christi aus der Welt herausgeholt und der Versammlung hinzugefügt ist, wird der Herr Seinen Platz zur Rechten des Vaters verlassen und ,,mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, um alle die Seinen zu sich aufzunehmen. Die letzte Posaune wird geblasen werden; und auf den Schall dieser Posaune hin werden die Gräber sich öffnen, und in einem Augenblick werden alle die Millionen, welche durch Jesum entschlafen sind, aus den Gräbern hervorkommen, nicht mehr bekleidet mit einem irdischen, vergänglichen Leibe, sondern strahlend in himmlischer, unvergänglicher Herrlichkeit und Schönheit.

 Ja unmittelbarer Verbindung damit werden die vielen Tausende von Gläubigen, welche dann noch aus der Erde leben, verwandelt werden. Das Verwesliche wird Unverweslichkeit und das Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Alles was an Staub und Tod erinnert, wird für immer beseitigt sein. Himmlische Herrlichkeit erglänzt dann auf jedem Antlitz, selige Freude strahlt aus jedem Blick. Alle Trennung hat aufgehört; nicht ein Glied fehlt. Die Bewohner des Paradieses sind mit den Gläubigen, die noch auf Erden waren, vereinigt. Alle die Lieben, von welchen man eine Zeitlang geschieden war, findet man dann wieder, und eine große, schier unzählige Schar von Gläubigen, die man nie gesehen und nie gekannt hat, wird man dann sehen und kennen. Alle Tränen sind abgewischt. Trauer, Schmerz und Leid sind vergessen. Der raue, beschwerliche Wüstenpfad ist zurückgelegt, der Kampf ist ausgestritten, und die ewige Herrlichkeit tut den seligen Streitern ihre Pforten auf.

O Geliebte, wie wird uns sein! Welche Szenen des Wiedersehens und Wiederfindens werden wir erleben! Welch ein Jubeln und Frohlocken wird ertönen! Aber vor allem, wie wird jedes Auge auf einen Punkt gerichtet sein, auf Ihn, den geliebten Bräutigam, den Schönsten unter den Menschenkindern, der allen sichtbar in der Luft erscheint! Jedes Herz wird Ihm entgegenschlagen, an den wir geglaubt und den wir geliebt haben, ohne Ihn zu sehen. Wonnetrunken wird unser Auge an Seinem Antlitz- hängen, und unser Ohr auf Seine Stimme lauschen; und in unabsehbarem Zuge wird die ganze Schar der Erlösten in einem Augenblick von der Erde hinausfahren, um unter den Lobgesängen der vielen Myriaden von Engeln mit Ihm einzuziehen in ihre ewige Heimat, in die vielen Wohnungen des Vaterhauses droben. Dort werden sie mit Ihm wohnen und zur Verherrlichung Seiner nie genug zu preisenden Liebe das neue Lied, das Lied der Erlösung, singen.

Es wird also nicht nur ein Teil der Versammlung, sondern die ganze Versammlung durch den Herrn aufgenommen werden. Alle, die durch Jesum entschlafen sind, werden auferweckt, und alle die lebend übriggebliebenen Gläubigen werden verwandelt werden; die ganze Versammlung, der ganze Leib, wird dem Herrn in die Luft entgegengehen. Die Meinung Einiger, dass eine Auswahl stattfinden und nur die mit aufgenommen werden würden, welche an diese Aufnahme glauben und den Herrn erwarten, oder die in der praktischen Heiligung eine gewisse Stufe erreicht haben, steht mit der Schrift in unmittelbarem Widerspruch. Wie könnte das überhaupt möglich sein? 

Sollte der Herr mit einem Teile der Versammlung das Hochzeitsmahl im Himmel feiern, während der andere Teil für seine mangelhafte Erkenntnis oder seine Untreue und seinen Unglauben betreffs der Aufnahme durch die Gerichte gestraft würde? In Offbg. 19 (also vor dem zweiten Erscheinen Christi auf dieser Erde und der Ausführung des Gerichts über die Lebendigen) lesen wir! „Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und Sein Weib hat sich bereitet“. Wer ist das Weib des Lammes? Niemand wird leugnen, dass es die Versammlung oder die Kirche Christi ist. Und wer gehört zu der Kirche Christi? Alle, die von der Gründung der Kirche Christi am Pfingsttage an bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel an Jesum geglaubt haben und mit dem Heiligen Geiste getauft sind.

„Aber“, wird man vielleicht einwenden, was bedeutet dann das Gleichnis von den zehn Jungfrauen?“ Nun, dasselbe beweist gerade das, was ich gesagt habe. Glaubten die fünf törichten Jungfrauen etwa nicht an das Kommen des Herrn? Das Gleichnis sagt das Gegen- teil. Zehn Jungfrauen nahmen ihre Lampen und gingen aus, dem Bräutigam entgegen. Als der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig. Aber um Mitternacht entstand ein Geschrei: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen!“ Da standen alle auf und schmückten ihre Lampen. Alle hörten den Ruf, und alle glaubten, dass der Bräutigam komme; denn sonst würden sie ihre Lampen nicht geschmückt haben.

 Der Unterschied besteht also nicht darin, dass die klugen Jungfrauen an das Kommen des Bräutigams glaubten und die törichten nicht, oder dass die einen in einem besseren praktischen Zustand waren als die anderen, sondern darin, dass die törichten kein Öl in ihren Gefäßen hatten. Nun ist aber das. Öl in der ganzen Schrift das Symbol des Heiligen Geistes; niemand ist deshalb berechtigt, das Öl hier als ein Symbol des Glaubens an das Kommen des Herrn zu erklären, was ja auch mit dem Gleichnis selbst im Widerspruch wäre, da die törichten Jungfrauen ebenso gut an die Ankunft des Bräutigams glaubten wie die klugen. Diejenigen, welche Öl, d. h. den Heiligen Geist hatten, gingen ein zur Hochzeit; die kein Öl, d. h. den Heiligen Geist nicht hatten, blieben draußen und wurden abgewiesen.

Die Erklärung des Gleichnisses ist einfach folgende: Die Christen haben im Anfang an das Kommen des Herrn geglaubt und sind ausgegangen, dem Bräutigam entgegen. Danach sind alle, sowohl die wahren Christen als auch die bloßen Bekenner, eingeschlafen. Jahrhunderte sind dahingegangen, in welchen niemand, was diese Wahrheit betrifft, wach war. Erst um Mitternacht —— wir können heute sagen: etwa seit dem Beginn dieses Jahrhunderts — wurde der Ruf wieder vernommen: „Siehe, der Bräutigam! Gehet aus, Ihm entgegen!“ Dieser Ruf wird in der christlichen Kirche von Jahr zu Jahr lauter. 

Tausende und Hunderttausende sind aus ihrem Schlafe aufgewacht; überall wird von der nahen Ankunft des Herrn geredet und geschrieben, und die Annahme dieser Wahrheit wird immer allgemeiner. Es beweist, dass wir nahe, ganz nahe am Ziele stehen; bald, sehr bald wird der Herr kommen, und dann werden alle wahren Gläubigen mit Ihm eingehen zur Hochzeit, während die Namenchristen obwohl sie jene Wahrheit kennen und bekennen, davon ausgeschlossen sind und später gerichtet werden.

Alle, die wahrhaft an Jesum glauben und mit dem Heiligen Geiste getauft sind, mögen sie noch so verschieden über die Lehre betreffs der zukünftigen Dinge denken, werden also bei dem Kommen des Herrn Jesu in die Luft aufgenommen und Ihm entgegengerückt werden, um für ewig bei Ihm zu sein. Wenn sie auch nicht alle an die Aufnahme der Kirche glauben, so erwarten sie doch alle Jesum in der einen oder anderen Weise und haben Seine Erscheinung lieb (Hebr. 9, 28; 2. Tim. 4, 8), und alle werden sich herzlich darüber freuen, wenn sich Seine Verheißung heute erfüllen sollte.

Lasst uns nun untersuchen, was uns über diese Erfüllung der Verheißung Jesu noch weiter mitgeteilt wird. Wenden wir uns zunächst zu Offbg. 4 und 5. Dort werden uns die Erlösten verherrlicht in dem Himmel gezeigt. „Nach diesem sah ich: und siehe, eine Tür aufgetan in dem Himmel, und die erste Stimme, die ich gehört hatte wie die einer Posaune mit mir reden, sprach: Komm hier herauf, und ich werde dir zeigen, was nach diesem geschehen muss.“ So spricht der Prophet, und alsbald war er im Geiste und sah im Himmel einen Thron, auf welchem der Herr, Gott, der Allmächtige, saß; und rings um diesen Thron vierundzwanzig Throne, und auf diesen Thronen vierundzwanzig Älteste, bekleidet mit weißen Kleidern und mit goldenen Kronen auf ihren Häuptern. 

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese vierundzwanzig Ältesten die himmlischen Heiligen darstellen; denn im nächsten Kapitel (V. 9 u.10) fingen sie ein neues Lied und sagen: „Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Geschlecht und Sprache und Volk und Nation und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!“ Aus diesen Worten geht unzweideutig hervor, dass diese vierundzwanzig Sänger die große Schar von Erlösten bildlich darstellen, welche durch das Blut des Lammes aus jedem Geschlecht und Sprache und Volk und Nation für Gott erkauft und zu Königen und Priestern gemacht sind (Vergl. 1.Petr. 2, 5. 9 und Offbg. 1, 6).

 Das Lied stimmt auch völlig mit dem Charakter überein, in welchem die Ältesten uns gezeigt werden. Sie sind bekleidet mit weißen Kleidern, dem Zeichen ihrer priesterlichen Würde, und sie tragen goldene Kronen auf ihren Häuptern, wodurch ihre königliche Macht dargestellt wird. Die Zahl vierundzwanzig (zweimal zwölf) ist selbstredend eine symbolische sie erinnert an die vierundzwanzig Priesterordnungen, welche einst in Israel bestanden (vergl. 1. Chron. 24), und die von David errichtet wurden, ehe Salomo den Königsthron bestieg. So werden sie auch hier gesehen, bevor der wahre Salomo Seine Herrschaft antritt.

Manche haben gemeint, dass unter diesen vierundzwanzig Ältesten die entschlafenen, noch nicht vollendeten Heiligen zu verstehen seien. Aus dem weiter oben über die Entschlafenen Gesagten wird es aber für jeden klar sein, dass diese Meinung unmöglich richtig sein kann. Denn die Ältesten erscheinen nicht etwa als Geister, sondern besitzen schon ihren neuen, verherrlichten Leib; sie sind bekleidet mit weißen Kleidern und mit goldenen Kronen gekrönt. Sie müssen also schon aus den Toten auferstanden sein. 

Auch weist gerade die Zahl vierundzwanzig darauf hin, dass wir es hier nicht nur mit einem Teile, sondern mit der Gesamtheit der verherrlichten Erlösten, der himmlischen Heiligen, zu tun haben. Dies stimmt auch genau mit dem, was wir bisher betrachteten, überein. Wir haben gesehen, dass bei der Ankunft des Herrn sowohl die Toten in Christo auferstehen, als auch die bis dahin am Leben gebliebenen Heiligen verwandelt werden, und dass beide Klassen von Gläubigen zusammen aufgenommen werden, dem Herrn entgegen in die Luft, um dann miteinander ins Vaterhaus zu gehen. Dass ferner die vierundzwanzig Ältesten keine Engel sein können, geht schon aus der Tatsache hervor, dass diese später besonders erscheinen. S73

Ich wiederhole also, dass uns in den beiden genannten Kapiteln der Offenbarung die Gesamtheit der Erlösten, verherrlicht in dem Himmel, gezeigt wird. Während das 2. und 3. Kapitel die Geschichte der Kirche in ihrer Verantwortlichkeit auf dieser Erde beschreiben, erblicken wir im vierten die Könige und Priester, welche in Kap. 1, 5. 6 den Gruß ihres verherrlichten Herrn erwidern, im Himmel. Es muss also das in dem Sendschreiben an Philadelphia angekündigte Kommen des Herrn inzwischen eingetreten sein. (Johannes redet nicht von der Aufnahme der Gläubigen, da sein Gegenstand nicht die Erfüllung der Gnadenratschlüsse Gottes ist, sondern vielmehr die Ausführung Seiner gerechten Gerichte) Nichts könnte herrlicher und schöner sein als der Platz, den die Erlösten hier einnehmen. Der allmächtige Gott sitzt hier auf dem Throne Seiner Herrlichkeit. Aus diesem Throne gehen hervor Blitze und Stimmen und Donner, die Symbole der Gerichte (Kap. 6 — 19), welche im Begriff stehen, über die Welt hereinzubrechen. Der auf dem Throne sitzt hat in Seiner Rechten ein Buch, inwendig und auswendig beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt. 

Es ist das Buch der Gerichte (Vergl. Kap. 6). Niemand im Himmel und auf Erden ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen. Niemand vermag es nur anzublicken, bis das Lamm erscheint, welches geschlachtet ist. Es nimmt das Buch aus der Rechten Dessen, der auf dem Throne sitzt. Und wie verhalten sich bei dem allen die vierundzwanzig Ältesten? Sie sitzen ruhig auf ihren Thronen und umgeben Gott und das Lamm. Blitze, Stimmen und Donner gehen aus dem Throne hervor, das Buch der Gerichte wird gezeigt und geöffnet — aber anstatt sich zu fürchten, singen sie das neue Lied, das Lied der Erlösung. Und kein Wunder!

 Durch Jesum von der Erde aufgenommen und mit neuen, verherrlichten Leibern bekleidet, ist kein Flecken an diesen himmlischen Heiligen mehr zu sehen. Alles was an ihren Aufenthalt auf dieser armen, sündigen Erde erinnern könnte, ist vollständig und für immer verschwunden. Da sie Jesu gleichgestaltet sind, können die hellen Strahlen des Lichtes Gottes nichts als makellose Reinheit an ihnen offenbaren. Allem Kampf, allen Leiden entrückt und vor jedem Gericht sicher gestellt, ruhen sie droben aus und bringen Dem ihre Anbetung dar, der da lebt in die Zeitalter der Zeitalter.

Das ist also unsere herrliche Hoffnung, geliebter Leser. Wie einst Elieser, der treue Knecht Abrahams, den Auftrag hatte, Rebekka aus Mesopotamien zu holen und sie Isaak, ihrem Bräutigam, zuzuführen, so ist jetzt der Heilige Geist auf die Erde gesandt, um die himmlische Braut aus der Welt herauszuholen, sie auf ihrem .Pilgerpfade durch die Wüste zu geleiten, sie mit allerlei geistlichen Segnungen, den Gütern des Vaterhauses, zu erquicken und sie dem wartenden Bräutigam entgegen zu führen. Und wie einst Isaak seiner Braut persönlich entgegenging und sie in das Zelt seiner Mutter führte, so wird auch Jesus Seiner geliebten Braut gleichsam auf halbem Wege entgegenkommen und sie voll Freude in das Haus des Vaters geleiten.

 Ohne Zweifel wird dieses selige Ereignis der Welt verborgen bleiben; denn die Welt, die nur in den irdischen Dingen lebt, hat kein Auge für etwas, was nur Jesum und die Seinen angeht. Bei der Himmelfahrt des Herrn waren nur Seine Jünger zugegen; die Entrückung Henochs blieb seinen Zeitgenossen verborgen, und die Himmelfahrt des Elia wurde nur von Elisa gesehen. So wird sicherlich auch Christus der Welt nicht eher geoffenbart werden, als bis wir mit Ihm in Herrlichkeit erscheinen (Kolosser 3,4). Wie eine Wolke den Herrn vor den Augen Seiner Jünger aufnahm, so wird auch die Versammlung in Wolken dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft.

Doch wann wird dies geschehen? Niemand kann einen bestimmten Zeitpunkt angeben; aber weil diese Aufnahme nicht abhängig ist von den Zeichen der Zeit, noch von der Erfüllung der Prophezeiungen, so kann sie ebenso gut heute wie morgen stattfinden. Wenn heute das letzte Glied der Versammlung hinzugefügt werden sollte, so wird der Herr kommen, um uns in den Himmel aufzunehmen. Darum wartete schon Paulus auf das Kommen Jesu; er wünschte nicht entkleidet, sondern überkleidet zu werden (2. Kor. 5, 4); er hoffte zu denen zu gehören, die den Tod nicht sehen, sondern lebend übrigbleiben würden bis zur Ankunft des Herrn. (1. Thess. 4.) Diese köstliche Hoffnung erfüllte sein Herz mit dankbarer Freude, machte ihn geduldig im Leiden, ausharrend im Kampf und eifrig im Dienst.

Auch wir kennen den mächtigen Einfluss, den die beständige Erwartung des Herrn auf den Wandel der Gläubigen ausübt. „Jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat“, sagt Johannes, „reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist“ (1. Joh. 3, 3). Diese Hoffnung hält uns getrennt von dem was hienieden ist, und richtet unseren Blick auf das was droben ist. Das Bewusstsein der baldigen Ankunft des Bräutigams erhält unsere Seelen nüchtern und wach. Und, Gott sei Dank! die Mitternacht ist vorüber; der Morgen dämmert. Das Kommen des Herrn wird aufs neue allerwärts verkündigt. Der Ruf: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ hat in vielen Herzen ein Echo gefunden. Bald, bald wird unser Herr kommen, um unserer Fremdlingschaft in dieser feindseligen, gottlosen Welt ein Ende zu machen.

Hat dieser Ruf auch in deinem Herzen bereits ein Echo gefunden, mein Leser? Hast du erkannt, dass die Zeit schon da ist, dass wir aus dem Schlafe aufwachen sollen? Denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben. Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe“ (Röm. 13, 11. 12). Glaubst du an die herrliche Hoffnung der Kirche? Sehnst du dich nach dem Kommen des Herrn? Lebst du in der beständigen Erwartung, dem himmlischen Bräutigam in der Luft zu begegnen? Wenn nicht, so kommt der Ruf: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen!“ durch diese Zeilen auch zu dir. Wenn du wirklich an den Herrn Jesum glaubst, o glaube dann auch an Seine baldige Ankunft! Mache dann diese Ankunft zur beständigen Hoffnung deines Herzens, und gehe Ihm fröhlich entgegen! Betrübe deinen Herrn nicht länger durch Gleichgültigkeit betreffs Seiner Wiederkunft. Glaube Seinem Worte! Erwarte, wie die Thessalonicher, den Sohn Gottes aus den Himmeln, und rufe mit innigem Verlangen: „Amen; komm, Herr Jesu!“

Fußnote:

„Durch Jesum entschlafen will sagen, dass das Sterben der Gläubigen nicht ein Sterben im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist, nicht ein Sterben wie das der Ungläubigen. Nein, der Gläubige schläft ein, er entschläft in Frieden, um am Auferstehungsmorgen von Jesu wieder aufgeweckt zu werden. So wird Jesus selbst der Erstling der EntschIafenen (1.Kor.15,20) genannt, und alle, die im Glauben an Ihn sterben, sind durch Ihn, den Sieger über Tod und Grab, nicht einfach Gestorbene, sondern Entschlafene.

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Ruhe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 77ff

Allein so köstlich die Ruhe des Gewissens und der Seele auch ist, Gott stellt uns eine noch bessere Ruhe in Aussicht: die Ruhe droben im Vaterhause. Diese Ruhe ist das Ziel, welchem wir entgegeneilen, und Gott ermahnt uns, dieses Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Wir lesen in Bezug hierauf in Hebr. 4: „Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volke Gottes übrig. Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken, gleichwie Gott von Seinen eigenen. Lasst uns nun Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen, auf dass nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle.“ 

Der Schreiber des Briefes spricht hier zu Gläubigen aus den Juden, die im Anfang, nachdem sie Christum als ihren Heiland erkannt und angenommen hatten, treu vorangegangen waren und Schmähungen und Drangsale, ja den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet hatten, indem ihr Glaubensblick auf das himmlische Ziel, auf die bessere und bleibende Habe droben, gerichtet war. (Vergl. Kap.10,32 — 34). Nach und nach war es jedoch dem Feinde gelungen, ihren Glauben zu schwächen und ihr Auge wieder auf die Erde und die sichtbaren Dinge hinzulenken. Deshalb stellt ihnen der Schreiber mit großem Ernst ihre Väter vor Augen, welche einst alle aus Ägypten ausgezogen waren, um in die verheißene Ruhe zu gelangen, aber infolge ihres Unglaubens in der Wüste umkamen und das Ziel nicht erreichten.

Welch eine ernste Warnung für alle Zeiten; auch für uns, geliebte Brüder, die wir auf dem Wege zu der himmlischen Ruhe sind! Lasst uns deshalb nicht träge und gleichgültig werden! Möchte doch niemand denken, weil er errettet sei und Christum angenommen habe, so werde er auch schon ans Ziel kommen! Wie viele warnende Bei- spiele zeigt uns der Herr in unseren Tagen! Wie manche sind mit uns aus Ägypten (der Welt) ausgegangen, haben sich aber durch die Sünde und durch die List des Feindes verlocken lassen, zunächst zurückzubleiben, dann umzukehren und endlich ihren Platz wieder in der Mitte derer zu nehmen, welche nicht der Ruhe droben, sondern dem ewigen Verderben entgegengehen. 

Darum „lasst uns Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen! Wahrer Ernst tut not in dieser Zeit der allgemeinen Schwachheit. Der Feind ist listig. Er tritt heutzutage selten wie ein brüllender Löwe auf; er schleicht vielmehr umher wie eine giftige Schlange, leise, unbemerkt, um die Sorglosen zu verderben· Ehe sie es ahnen, sind ihre Blicke vom Ziele abgelenkt, die Herzen in die Welt und ihre Dinge verstrickt, die Hände schlaff und die Knie gelähmt. Die Mittel, welche Satan anwendet, um die Gläubigen hier wieder heimisch zu machen, sie in den Schlaf zu wiegen und so sicher zu Fall zu bringen, sind mannigfaltig und an und für sich vielleicht nicht einmal böse; aber er weiß sie meisterhaft zu benutzen. Da sind z. B. Familienbeziehungen, geschäftliche Unternehmungen, gesellschaftliche Verbindungen, Freunde und Bekannte, da ist irdisches Hab und Gut, Ehre und Ansehen bei den Menschen u. s. w. — alles Dinge, welche der Natur angenehm sind und in der Hand Satans zu ebenso vielen Fallstricken werden können und leider für nur zu viele schon geworden sind.

Doch Gott sei Dank! Er hat es nicht uns überlassen, uns ans Ziel zu bringen; wir alle würden in dem ungleichen Kampfe mit dem Starken unterliegen. Er selbst hat es übernommen, uns durch alle Gefahren· und Versuchungen sicher hindurchzuführen, und wenn wir in Lauterkeit vor Ihm wandeln, so wird Er uns bewahren trotz all unserer Schwachheit und trotz aller List und Macht des Fürsten dieser Welt. Gott kennt uns und ist eingedenk, dass wir nur eine kleine Kraft haben. Er hat uns darum auch für unseren Weg durch diese Welt Hilfsmittel gegeben, die wir kennen und benutzen sollen. Da ist zunächst das Wort Gottes, welches unsere Herzen mit Christo, dem Anfänger und VolIender des Glaubens, beschäftigt, der uns hienieden vorangegangen ist und nun droben zur Rechten Gottes weilt.

 Es zeigt uns immer wieder unsere himmlische Berufung und richtet so unseren Blick beständig auf das vor uns liegende Ziel. Es ist „lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des Geistes, sowohl der Gelenke als des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens“. Es stellt alles an seinen wahren Platz; es zeigt uns, was Gott wohlgefällig ist und was Ihm nicht gefallen kann. Aber es beurteilt nicht nur unsere Worte und Werke, sondern dringt auch bis in die verborgensten Tiefen und Falten unserer Herzen. Es ist ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen, so dass es die bösen Wurzeln in uns, aus welchen die bösen Früchte hervorkommen, bloßlegt. 

Es offenbart uns die geheimsten Triebfedern in unserem Innern und bringt uns so dahin, alles vor Gott aufzudecken, zu bekennen und zu verurteilen. Wenn wir das Wort Gottes in dieser Weise wirklich benutzen, so wird es seine reinigende und heiligende Kraft an uns beweisen, entsprechend der Bitte unseres Herrn: „Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit“.

Auch ist das Wort das Schwert des Geistes, die Waffe, mit welcher wir, wie der Herr Jesus es tat, die Angriffe des Feindes zurückschlagen können. Es ist „lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“, so dass der Feind vor ihm nicht standzuhalten vermag. Möchten wir es nur fleißiger benutzen und besser anzuwenden verstehen!

Eine weitere mächtige Hilfe ist das Hohepriestertum Christi Jesu, unseres Herrn. Der Apostel sagt: „Lasst uns das Bekenntnis festhalten, denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Hebr. 4, 14 —-16); und: „worin Er selbst gelitten hat, als Er versucht wurde, vermag Er denen zu helfen, die versucht werden“ (Kap. 2, 18). Welch ein großer Trost ist das in den Umständen hienieden! 

Für die Gläubigen ist der Weg durch diese Welt ein Weg durchs Tränental. Wie viele gehen durch schwere Leiden und Krankheiten; andere haben beständig mit äußerer Not und Armut zu kämpfen; wieder andere haben große Schwierigkeiten in ihren Familien oder Geschäften, ja oft scheint es, als ob der Herr „vergessen habe, gnädig zu sein (Psalm 77,9), als ob Er über Vermögen versucht werden lasse. Alle diese Dinge benutzt der Feind, um unsere Herzen durch die Beschäftigung mit den Umständen niederzubeugen, sie verzagt zu machen und Zweifel an der Liebe und Güte Gottes in uns wachzurufen. Wie tröstlich ist es da zu wissen, dass unser geliebter Herr in allem versucht worden ist gleichwie wir. Er versteht jedes Leid, fühlt jeden Schmerz mit und vermag mit innigem Verstehen aus jede Kümmernis einzugehen. „Das Herz kennt seine eigene Bitterkeit, und kein Fremder kann sich in seine Freude mischen“ . . .Doch es gibt Einen, der liebt und anhänglicher ist als ein Bruder“ (Spr. 14, 10; 1.8, 24.) Ja, wahrlich, wer vermöchte mitzufühlen und zu trösten wie Er? Er ist ein barmherziger und treuer Hoherpriester und als solcher allezeit für uns vor Gott beschäftigt. Er vermag- denen zu helfen, die versucht werden. „Er gibt dem Müden Kraft, und dem Unvermögenden reicht Er Stärke dar in Fülle“ (Jes. 40, 29). S81

Auch wenn wir von seiten der Welt Spott und Verachtung zu erdulden haben, oder wenn der Feind Menschen und Umstände dazu benutzt,. uns zu versuchen und unseren Weg zu erschweren, ist unser geliebter Herr allezeit als unser treuer Hoherpriester· für uns tätig, um uns aufrecht zu erhalten und uns Trost und Kraft zu verleihen. Denn auch Er wurde in dieser Weise von Satan versucht. Niemand hat jemals einen solchen Widerspruch seitens der Sünder zu erdulden gehabt wie Er. In welcher Lage und bezüglich welcher Sache wir deshalb unsere Zuflucht zu Ihm nehmen mögen, Er versteht uns immer. Darum „lasst uns mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.

Ein drittes Hilfsmittel auf unserem Wege zeigt uns Johannes für den Fall, dass jemand gesündigt haben sollte. Die Sünde unterbricht stets die praktische Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne, und raubt dadurch unseren Herzen Ruhe, Friede und Freude. Wie gut ist es daher, dass Gott auch für diesen Fall Vorsorge getroffen hat! „Wenn jemand gesündigt hat, — wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“ (1. Joh. 2, 1). Er ist dort, um für uns zu bitten, um unsere Sache, wenn wir gesündigt haben, beim Vater zu vertreten und uns selbst zur Buße zu leiten.

 Er beschäftigt sich mit unseren Fehltritten und ist beständig bemüht, uns zu reinigen. Wie Er dies tut, sehen wir bei Petrus. Satan hatte begehrt, die Jünger zu sichten wie den Weizen. Auch musste der Herr, dass sie alle Ihn verlassen, ja dass Petrus Ihn auf eine schreckliche Weise verleugnen würde. Deshalb warnte Er ihn bei Zeiten. Petrus aber wies im Vertrauen auf seine eigene Kraft diese Warnung zurück. Er meinte, seine Liebe zu dem Herrn sei so groß, dass er sogar mit Ihm in den Tod gehen könne. Doch welch traurige Erfahrung musste er von sich und seiner vermeintlichen· Kraft machen! Sie reichte nicht einmal hin, um vor einer schwachen Magd seinen Herrn zu bekennen. Der Herr wusste dies und sagte deshalb zu ihm: „Ich habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre“. 

Er war als Sachwalter bei dem Vater für Petrus tätig gewesen, bevor dieser fiel, und darum geriet Petrus, als der Herr ihm den bekannten Blick zuwarf, nicht in Verzweiflung, sondern kam zu einem tiefen Gefühl seiner Schuld: er ging hinaus und weinte bitterlich. Welch traurige Stunden wird der arme Petrus nachher verlebt haben! Ach! es gab ja nach seiner Meinung keine Möglichkeit mehr, zu den Füßen seines geliebten Herrn seine schwere Sünde zu bekennen. Aber welch eine anbetungswürdige Gnade! Sobald der Herr auferstanden war, erschien Er dem Petrus zuerst von allen Jüngern, und zwar ihm allein (Vergl. Luk. 24, 34). Was bei dieser ersten Begegnung zwischen dem Herrn und Seinem gedemütigten Jünger vorgegangen ist, wird uns nicht erzählt; aber wir dürfen wohl mit Sicherheit annehmen, das; Petrus seine Sünde bekannt und von Seiten des Herrn die Versicherung der völligen Vergebung empfangen hat.

Gerade so handelt der Herr auch mit uns. Er ist stets in Liebe für uns tätig; Er bittet den Vater, dass Er durch Seinen Geist in unseren Herzen wirken möge, damit, wenn wir gefehlt haben, wir zur Einsicht und zu aufrichtigen Bekenntnis kommen; und wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“; und so werden wir wiederhergestellt und in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes zurückgeführt. Was sollte aus uns werden, wenn der Herr nicht fortwährend als unser Sachwalter tätig wäre! Wir würden unfehlbar auf dem Wege zum Ziele umkommen.

O wie gut ist es, dass Gott so in jeder Hinsicht für uns gesorgt hat! Wir haben Sein Wort, welches uns in allem den richtigen Weg zeigt, uns bewahrt und heiligt. Wir haben Jesum als unseren barmherzigen und treuen Hohenpriester, um uns in all den Versuchungen und Umständen des Lebens aufrecht zu erhalten; und wir kennen Ihn als unseren Sachwalter, der für uns bittet und uns wiederherstellt, wenn wir gefehlt haben. Möchten wir diese Hilfsquellen, die Gott uns für unseren Weg hienieden gegeben hat, nicht nur kennen, sondern auch fleißig benutzen, damit wir nicht von dem Ziele abgewandt werden, sondern mit glücklichem Herzen und zu Seiner Ehre unseren Weg gehen bis ans Ende!

Wie viele haben schon vor uns ihren Laus vollendet, haben den Glauben bewahrt und sind in die ewige Ruhe eingegangen! Sie ruhen nun von ihren Werken und warten auf den herrlichen Augenblick, wo der Herr wiederkommen wird, um auch uns, die Lebenden, die übrigbleiben bis zu Seiner Ankunft, in die Wohnungen des Vaters einzuführen. Möchten deshalb auch wir nicht müde werden, sondern von ganzem Herzen in das Wort des Apostels einstimmen: „Eines aber tue ich: Vergessend was dahinten, und mich ausstreckend nach dem was vorne ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“ (Philipper 3, 14).

Bald sind wir am Ziele. Dann wird die himmlische Ruhe, die Ruhe Gottes selbst, unser ewiges Teil sein. Dort wird uns nichts mehr stören in dem Genuss der Liebe unseres Herrn. Dort werden wir das geschlachtete Lamm erblicken, dessen Blut uns von allen unseren Sünden gereinigt hat, und unsere Herzen werden überströmen in Dank und Anbetung.

Ruhe fand hier mein Gewissen,

denn Sein Blut —- o reicher Quell!

hat von allen meinen Sünden

mich gewaschen rein und hell.

Und mit süßer Ruh im Herzen

geh’ ich hier durch Kampf und Leid.

Ew’ge Ruhe find’ ich droben

in des Lammes Herrlichkeit!

Ja, es bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volke Gottes übrig, und gewiss, sie wird herrlich sein!

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 85ff

III.

Das zweite Kommen Christi auf die Erde. Die Prophezeiungen des Alten Testamentes reden immer wieder, und zwar in der bestimmtesten Sprache, von der Errichtung eines herrlichen Friedensreiches hienieden, in welchem der Fluch hinweggetan sein und der Sohn Davids als König über Israel und über die ganze Erde herrschen soll. Von Zion wird Seine Herrschaft ausgehen und sich erstrecken über alle Enden der Erde. Wählen wir aus der großen Menge der vorhandenen Stellen einige der deutlichsten aus.

Psalm 2, 1 - 9: „Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völkerschaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander wider Jehova und wider Seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“ So weit hat sich die Prophezeiung schon bei dem ersten Kommen Christi erfüllt (vergl. Apstgsch. 4); der Inhalt der folgenden Verse aber muss noch erfüllt werden: „Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer. Dann wird Er zu ihnen reden in Seinem Zorn, und in Seiner Zornglut wird Er sie schrecken.“ Das wird geschehen in den Gerichten, welche dem zweiten Kommen Christi vorangehen werden. Dann lesen wir weiter: „Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge! . . . .Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen, und zum Besitztum die Enden der Erde. Mit eisernem Szepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen.“

Psalm 110: „Jehova sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße! Den Stab deiner Macht wird Jehova senden aus Zion; herrsche inmitten deiner Feinde! Dein Volk wird voller Willigkeit sein am Tage deiner Macht; in heiliger Pracht, aus dem Schoße der Morgenröte wird dir der Tau deiner Jugend kommen. . . Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tage Seines Zornes. Er wird richten unter den Nationen, Er füllt alles mit Leichen; das Haupt über ein großes Land zerschmettert Er“

Jesaja 11, 1 —- 2: „Und ein Reis wird hervorgehen aus dem Stumpfe Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen. Und auf Ihm wird ruhen der Geist Jehovas . . . .. . und Gerechtigkeit wird der Gurt Seiner Lenden sein, und die Treue der Gurt Seiner Hüften. — Und der Wolf wird bei dem Lamme weilen, und der Pardel bei dem Böcklein lagern; und das Kalb und der junge Löwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. 

Und Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen zusammen lagern; und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loche der Natter, und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle des Basilisken. Man wird nicht übeltun, noch verderbt handeln auf meinem ganzen heiligen Gebirge; denn die Erde wird voll sein der Erkenntnis Jehovas, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken. -— Und es wird geschehen an jenem Tage: der Wurzelspross Isais, welcher dasteht als Panier der Völker, nach Ihm werden die Nationen fragen; und Seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein. — Und es wird geschehen an jenem Tage, da wird der Herr noch zum zweiten Male Seine Hand ausstrecken . . . und Er wird den Nationen ein Panier erheben und die Vertriebenen Israels zusammenbringen, und die Zerstreuten Judas wird Er sammeln von den vier Enden der Erde.“

Jesaja 24, 23: „Und der Mond wird mit Scham bedeckt und die Sonne beschämt werden; denn Jehova der Heerscharen herrscht als König auf dem Berge Zion und in Jerusalem, und vor Seinen Ältesten ist Herrlichkeit.“

Jeremia 23, 5. 6: „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich dem David einen gerechten Spross erwecken werde; und Er wird als König regieren und verständig handeln, und Recht und Gerechtigkeit üben im Lande. In Seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen; und dies wird Sein Name sein, mit dem man Ihn nennen wird: Jehova, unsere Gerechtigkeit“ (Vergl. auch Jer. 33, 14 - 16).

Hesekiel 43, 2. 7: „Und“ siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam von Osten her; und ihr Rauschen war wie das Rauschen großer Wasser, und die Erde leuchtete von Seiner Herrlichkeit. . . . Und er sprach zu mir: Menschensohn, dies ist der Ort meines Thrones und der Ort meiner Fußsohlen, wo ich inmitten der Kinder Israel wohnen werde ewiglich. Und das Haus Israel wird meinen heiligen Namen nicht mehr verunreinigen.

Daniel 2, 44: „Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, welches ewiglich nicht zerstört, und dessen Herrschaft keinem anderen Volke überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber ewiglich bestehen.“

Daniel 7, 13. 14: „Ich schaut ein Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und Er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor denselben gebracht. Und Ihm ward Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten Ihm; Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen, und Sein Königtum ein solches das nie zerstört werden wird.“

Micha 4, 7: „Und Jehova wird König über sie sein auf dem Berge Zion, von nun an bis in Ewigkeit“

Lukas 1, 33: „Und Er wird über das Haus Jakobs herrschen in die Zeitalter, und Seines Reiches wird kein Ende sein.“

Alle diese und eine große Zahl ähnlicher Prophezeiungen sind noch nicht erfüllt. Der herrliche Friedenszustand, welcher nach denselben während der Regierung Christi auf Erden herrschen soll, ist weder jemals dagewesen noch heute da. Die Stämme Israels sind noch über die ganze Erde hin zerstreut; das gelobte Land ist noch verwüstet; die Stadt und der Tempel werden noch von den Heiden zertreten, und der König Israels ist dem Auge noch verborgen. Die Erfüllung dieser Prophezeiungen ist also noch zukünftig; denn die Verheißungen Gottes sind „Ja und Amen“, was Er verheißen hat, muss geschehen; und da sie unmöglich erfüllt werden können ohne die persönliche Anwesenheit Jesu auf der Erde, so muss der Herr zum zweiten Male den Himmel verlassen und aus diese Erde kommen.

Dieses zweite Kommen Christi wird uns daher auch, wie zu erwarten stand, im Neuen Testament deutlich angekündigt. Wir wollen die darauf bezüglichen Stellen der Reihe nach anführen und, wenn nötig, erläutern. Wir übergehen dabei die Stellen, in welchen von dem Kommen Christi zur Aufnahme Seiner Braut gesprochen wird, weil Sein Kommen aus die Erde, um hienieden Sein herrliches Reich aufzurichten, ganz verschieden ist von Seinem Kommen in die Luft, um die Versammlung abzuholen und ins Vaterhaus

zu führen.

Die erste neutestamentliche Ankündigung der Wiederkunft Christi aus die Erde finden wir in Matth. 23, 37 —39. Nachdem Jesus von den Juden verworfen worden war, vernehmen wir aus Seinem Munde jene rührenden Abschiedsworte an Jerusalem, in welchen sich, trotz der Hartnäckigkeit und Bosheit des Volkes, Seine Gnade in so herrlicher Weise offenbarte: ,,Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch wüste gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! „Obwohl der Herr mit diesen Worten das Urteil über Sein Volk spricht, verheißt Er ihm doch zugleich, dass Er einmal wiederkommen, und dass das Volk Ihn dann annehmen und Ihm das „Hosanna“ zurufen werde.

In Matth. 24, 30 lesen wir: „Und dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen in dem Himmel erscheinen; und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn des Menschen sehen, kommend auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“ (Siehe auch Mark. 13, 26 und Luk. 21, 27).

Einen anderen Beweis für das persönliche Kommen des Herrn, um hienieden Sein Reich aufzurichten, finden wir in Luk. 19, 11 —15. Die Jünger waren der Meinung, dass das Reich Gottes alsbald erscheinen sollte. Um diesen Irrtum betreffs der Zeit der Errichtung des Reiches zu berichtigen, zeigte ihnen der Herr in einem Gleichnis, dass diese Herrschaft noch nicht alsbald geoffenbart werden würde, sondern dass Er erst zu Seinem Vater zurückkehren müsse, um das Reich zu empfangen; dann werde Er zurückkehren, um jenes Reich in Macht und Herrlichkeit aufzurichten. „Ein gewisser hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen.“

Auch in Apstgesch. 1,11 wird uns eine sehr deutliche Prophezeiung betreffs des Kommens Christi als König gegeben. Als die Jünger den Herrn, in welchem sich alle ihre Erwartungen vereinigten und der jetzt gen Himmel fuhr, vor ihren Augen verschwinden sahen und nun voll Erstaunen ihre Blicke nach oben gerichtet hielten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen, welche sagten: „Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also kommen, wie ihr Ihn gen Himmel habt auffahren sehen.“ Der Herr wird also auf dieselbe Weise zurückkommen, wie Er weggegangen ist“. In einer Wolke fuhr Er auf zum Himmel, und auf den Wolken wird Er wiederkommen. Der Ölberg war die Stätte, von wo aus Er gen Himmel fuhr, und der Ölberg wird auch wieder die Stätte sein, auf welcher Seine Füße stehen werden, wenn Er zur Rettung des bedrängten Überrestes von Israel und zur Vernichtung Seiner Feinde erscheinen wird (Vergl. Sach. 14, 4).

In seiner Ansprache an das jüdische Volk gelegentlich der Heilung des Lahmen sagt Petrus: „So tut nun Buße und bekehret euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn, und Er den euch zuvor verordneten Jesus Christus sende, welchen freilich der Himmel aufnehmen muss bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“ (Apstgesch. 3, 19 - 21).Gott wird also den Herrn Jesum Christum zum zweiten Male auf die Erde senden, und dann wird die Wiederherstellung aller Dinge, wovon die heiligen Propheten von jeher geredet hoben, stattfinden.

Die Briefe Pauli, in denen wir so herrliche Offenbarungen über die Aufnahme der Kirche oder Versammlung gefunden haben, enthalten auch klare Aussprüche über das Kommen Christi auf die Erde und über Sein herrliches Reich hienieden. In 1. Kor. 15, 23 - 25 sagt der Apostel z. B.: „Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus sind bei Seiner Ankunft; dann das Ende, wenn Er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn Er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. Denn Er muss herrschen, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt hat.“

Doch vor allem behandelt Paulus diesen Gegenstand in den beiden Briefen an die Thessalonicher. Nachdem er im 4. Kapitel des 1. Briefes die Offenbarung des Herrn bezüglich der Aufnahme der Versammlung mitgeteilt hat, fährt er im 5. Kapitel fort: „Was aber die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde. Denn ihr selbst wisset genau, dass der Tag des Herrn also kommt wie ein Dieb in der Nacht.

 Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit! Dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, gleichwie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen.“ —- „Der Tag des Herrn« ist ein Ausdruck, der sehr oft im Alten Testament vorkommt, und der immer mit der Ausübung des Gerichts über die Erde und ihre Bewohner in Verbindung steht. Dieses Gericht wird durch den Herrn persönlich ausgeführt werden, wie dies zahlreiche Stellen beweisen. Auch in 2. Thess. 1, 6 —- 8 wird die Erscheinung des Herrn mit dem Gericht in unmittelbare Verbindung gebracht. Es heißt dort: „Wenn es anders bei Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen, und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns bei der Offenbarung des Herrn Jesu vom Himmel, mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn Er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesu» Christi nicht gehorchen.

“ Während der Herr Jesus daher, wenn Er kommt, um Seine Braut heimzuholen, die Erde nicht betritt, sondern die Braut Ihm in die Luft entgegengerückt wird, und während Er bei dieser Wiederkunft von Seinen Feinden nicht gesehen werden wird, erscheint Er bei Seiner zweiten Ankunft allen sichtbarlich: „jedes Auge wird Ihn sehen“ (Offbg. 1, 7). Er kommt dann vom Himmel auf die Erde herab, um an Seinen Feinden Rache zu nehmen, oder mit anderen Worten, um den Tag der Rache, von welchem Jesaja in dem 61. Kapitel seiner Prophezeiungen spricht, herbeizuführen.

In dem 2. Kapitel des 2, Briefes an die Thessalonicher redet der Apostel noch genauer über dieses Kommen des Herrn auf die Erde. Nachdem er seinen ersten Brief geschrieben hatte, waren Lehrer zu den Thessalonichern gekommen, die sie in Verwirrung bringen wollten, indem sie sagten, der Tag Christi sei schon da. Gegen diese bösen Lehrer wendet sich Paulus mit den Worten: „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi willen und unseres Versammeltwerdens zu Ihm,“ —- oder mit anderen Worten: Wir bitten euch, Brüder, da ihr ja an die Aufnahme der Versammlung glaubt, da ihr ja wisset, dass der Herr kommen wird, um uns zu sich zu versammeln, — „dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in der Gesinnung. . ·, als ob der Tag des Herrn da wäre . . . denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens.“ Und dann lässt er einige Verse weiter die Worte folgen: „Und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“. Zuerst also wird die Braut zu Christo hin versammelt werden, zuerst wird der Morgenstern am Horizont erglänzen, zur Freude aller derer, die auf Ihn warten; und dann erst wird der Sohn des Menschen als die Sonne der Gerechtigkeit ausgehen, um alle Gesetzlosen und Feinde wie Stoppeln zu verbrennen (Mal. 4, 1. 2) und um, wie wir hier lesen, den Menschen der Sünde, den Antichristen, zu vernichten durch den Hauch Seines Mundes.

Wenn wir uns jetzt zu dem Buche der Offenbarung wenden, so werden Wir dort die Ereignisse beschrieben finden, welche dem Tage des Herrn unmittelbar vorangehen werden. In Kap.1,7 lesen wir: „Siehe, Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen, auch die Ihn durchstochen haben, und wehklagen werden Seinetwegen alle Stämme des Landes. Ja, Amen. Doch die belangreichsten Mitteilungen bezüglich unseres Gegenstandes enthält das 19. Kapitel jenes wunderbaren Buches. Dort wird das Kommen des Herrn Jesu auf die Erde folgendermaßen beschrieben: „Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd und der darauf saß, genannt Treu und Wahrhaftig, und Er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit.

 Seine Augen aber sind eine Feuerflamme, und auf Seinem Haupte viele Diademe, und Er hat einen Namen geschrieben, den niemand kennt, als nur Er selbst; und Er ist bekleidet mit einem Gewande, in Blut getaucht, und Sein Name heißt: das Wort Gottes. Und die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, folgten Ihm auf weißen Pferden, angetan mit weißer, reiner Leinwand. Und aus Seinem Munde geht hervor ein scharfes, zweischneidiges Schwert, auf dass Er damit die Nationen schlage; und Er wird sie weiden mit eiserner Rate, und Er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen. Und Er hat auf Seinem Gewande und auf Seiner Hüfte einen Namen geschrieben: König der Könige und Herr der Herren. Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, und er rief mit lauter Stimme und sprach zu allen Vögeln, die inmitten des Himmels fliegen: Kommet her, versammelt euch zu dem großen Mahle Gottes!“ auf dass ihr Fleisch von Königen fresset und Fleisch von Obersten und Fleisch von Starken und Fleisch von Pferden und von denen, die darauf sitzen, und Fleisch von allen, sowohl von Freien als Sklaven, sowohl von Kleinen als Großen. 

Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit Dem, der auf dem Pferde saß, und mit Seinem Heere. Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, durch welche er die verführte, welche das Malzeichen des Tieres annahmen und die sein Bild anbeteten, — lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt. Und die übrigen wurden mit dem Schwerte Dessen getötet, der auf dem Pferde saß, welches Schwert aus Seinem Munde ging; und alle Vögel würden von ihrem Fleische gesättigt (V. 11 — 21).

Man kann unmöglich diese Stellen lesen, ohne klar zu erkennen, dass der Herr Jesus ein zweites Mal den Himmel verlassen wird, um, nachdem Er alle Ärgernisse und Unreinigkeiten aus Seinem Reiche hinweggetan und alle Seine Feinde vernichtet haben wird, das herrliche Friedensreich, das sogenannte taufendjährige Reich, aufzurichten. Die Reihenfolge der Ereignisse tritt in Offbg. 19 und 20 so deutlich wie möglich vor unsere Blicke· Nachdem das Gericht über die Feinde vollzogen ist, wird Satan für 1000 Jahre in den Abgrund geworfen; die während der Zeit der großen Drangsal um ihres Glaubens willen getöteten Zeugen Jesu werden auferweckt, und das tausendjährige Reich beginnt. 

Die Meinung einiger, das; das tausendjährige Reich vor dem Kommen des Herrn errichtet werden würde, ist daher durchaus falsch. Die Verkehrtheit dieser Annahme geht schon daraus hervor, dass wir, laut den klaren Aussprüchen der Schrift, während des Zeitabschnittes, der zwischen der apostolischen Zeit und der Ankunft des Herrn liegt, nicht etwa eine Verbesserung der Welt, sondern nur eine Verschlimmerung ihres Zustandes zu erwarten haben. Sie schreitet von Schlimmem zu immer Schlimmerem fort, bis endlich die göttliche Langmut erschöpft ist und ein gerechtes Gericht die Welt trifft.

„Die Gleichnisse in Matth. 13, über welche wir bereits sprachen, lehren uns dies deutlich. Das Unkraut und der Weizen sollen auf dem Acker der Welt zusammen weiterwachsen, bis der Sohn des Menschen kommt, um das Unkraut in Bündel zu binden und zu verbrennen. So lange das Unkraut aus dem Acker steht, ist ein Zustand allgemeiner Glückseligkeit unmöglich. In Röm. 8, 19 — 23, verglichen mit 1.Joh. 3, 1. 2, finden wir dieselbe Wahrheit. „Das sehnsüchtige Harren der Kreatur“, sagt Paulus, „wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen worden, (nicht mit Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat), auf Hoffnung, dass auch selbst die Kreatur freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“.

Die Schöpfung wird also in ihrem traurigen Zustande (der. Eitelkeit unterworfen) bleiben, bis die Kinder Gottes geoffenbart werden. Wann aber wird diese Offenbarung stattfinden? Wenn der Herr selbst geoffenbart wird, antwortet Johannes. Die Schöpfung wird also bis zu der Ankunft des Herrn in ihrem alten Zustande bleiben und erst durch diese Ankunft die Veränderung erfahren, welche das .tausendjährige Reich kennzeichnet. Doch was jedem Zweifel in dieser Beziehung ein Ende macht, ist das Wort des Herrn in Luk. 17, 26 —30: „Und gleichwie es in den Tagen Noahs geschah, also wird es auch sein in den Tagen des Sohnes des Menschen: sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie wurden verheiratet, bis zu dem Tage da Noah in die Arche ging, und die Flut kam und alle umbrachte. Gleicherweise auch wie es geschah in den Tagen Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage aber, da Lot von Sodom ausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte alle um.

 Desgleichen wird es an dem Tage sein, da der Sohn des Menschen geoffenbart wird“ (Siehe auch Matth. 24, 37— 39.) Statt dass man die Schwerter zu Pflugmessern und die Specke zu Winzermessern schmieden und kein Volk mehr den Krieg lernen wird (Jes. 2, 4), wird auf der Erde Bedrängnis der Nationen sein in Ratlosigkeit, bei brausendem Meer und Wasserwogen; indem die Menschen verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen, denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden“ (Luk. 21, 25. 26).

Die Erwartung vieler Christen, dass nach und nach die ganze Welt das Evangelium annehmen und sich der Herrschaft Christi freiwillig unterwerfen werde, ist daher ganz und gar irrig. Gottes Wort sagt vielmehr, dass erst dann, wenn Seine Gerichte die Erde treffen, die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit lernen werden (Jes. 26, 9) Und in Zeph. 3, 8. 9 lesen wir: „Mein Rechtsspruch ist, die Nationen zu versammeln, die Königreiche zusammenzubringen, um meinen Grimm über sie auszugießen, die ganze Glut meines Zornes; denn durch das Feuer meines Eifers wird die ganze Erde verzehrt werden. 

Denn alsdann werde ich die Lippen der Völker in reine Lippen umwandeln, damit sie alle den Namen Jehovas anrufen und Ihm einmütig dienen.“ Die gegenwärtige Predigt des Evangeliums hat den Zweck, die Glieder der Kirche Christi, der Versammlung Gottes, aus der Welt herauszuholen; sie wird aber keineswegs die Bekehrung der Welt und die Errichtung des Reiches auf der Erde zur Folge haben. Im Gegenteil, statt dass die Welt, wie man erwartet, immer mehr einen. evangelischen Charakter annähme, und das Evangelium, wie man fälschlich behauptet, alles durchsäuerte, verhärtet sich die unter die Predigt des Evangeliums gebrachte Welt je länger je mehr, und der Geist des Antichristen offenbart sich immer deutlicher in ihr. Das schließt nicht aus, dass wir berufen sind, allen das Evangelium der Gnade zu verkündigen. Aber so verkehrt es sein würde, das Evangelium nicht zu verkündigen, weil man weiß, dass doch nicht alle bekehrt werden, ebenso verkehrt ist es, danach zu trachten, ein Reich des Evangeliums auszurichten, welches nach der ausdrücklichen Erklärung Gottes erst kommen wird, nachdem die himmlische Braut Christi von dieser Erde weggenommen und die Welt durch furchtbare Gerichte gereinigt sein wird. 

Es ist dem Herrn wohlgefällig, dass wir für Ihn arbeiten und Seelen für Ihn zu gewinnen trachten; es ist Ihm aber nicht wohlgefällig, dass wir Dinge zu erreichen suchen, von denen Er bestimmt gesagt hat, dass sie nicht eintreten werden. Alle Anstrengungen, die Welt zu verchristlichen, werden sich einmal als Torheit erweisen, und die damit ausgefüllte Zeit wird man als verloren betrachten müssen. Möge darum unser aller Streben dahin gerichtet sein, den einzig wahren, durch Gott vorgezeichneten Weg zu gehen und keine Erwartungen zu hegen, die nach Seinen Erklärungen unmöglich in Erfüllung gehen können!

Fassen wir das Gesagte noch einmal kurz zusammen, so ist das Ergebnis unserer Untersuchung folgendes: Wenn die Welt in ihrer Gottlosigkeit soweit fortgeschritten ist, dass ihr Zustand dem der Menschen vor der Sündflut und dem der Bewohner von Sodom und Gomorra gleich geworden ist, wird der Sohn des Menschen Seinen Platz zur Rechten des Vaters verlassen und. auf den Wolken des Himmels erscheinen mit Macht und großer Herrlichkeit. Wie die Jünger Ihn gen Himmel haben auffahren sehen, so wird Er wieder auf die Erde kommen, und dann werden Seine Füße auf dem Ölberg stehen. Er wird die Völker, die gegen Jerusalem versammelt sind, vernichten; den Antichristen und die ihn anbeteten durch den Hauch Seines Mundes beseitigen; als der ohne Hände losgerissene Stein wird Er das Bild Nebukadnezars zermalmen und schließlich alle Feinde zum Schemel Seiner Füße legen. 

Der auf diese Weise aus der Hand seiner Feinde errettete treue Überrest Israels wird Ihn als seinen König-Jehova aufnehmen und Ihn begrüßen mit dem: „Hosanna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Nachdem der Herr dann durch das Gericht der Lebendigen (Matth. 25, 31ff), alle Ärgernisse aus Seinem Reiche hinweggetan und alles für Seine Regierung vorbereitet hat, wird Er als der König Israels über die ganze Erde herrschen und das herrliche Friedensreich anbrechen lassen, in welchem Gerechtigkeit herrschen und die Erkenntnis des Herrn die ganze Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken.

Es bleibt jetzt noch eine Frage zu beantworten übrig, die von der größten Wichtigkeit für uns ist. Es ist diese: Wird der Herr Jesus allein kommen, wenn Er als Richter und König allen sichtbar erscheinen wird?“ Die Antwort der Schrift auf diese Frage ist ebenso deutlich wie ihre Erklärungen über die bisher behandelten Gegenstände. Die folgenden Stellen werden uns zeigen, dass Jesus nicht allein, sondern mit Seinen himmlischen Heiligen wiederkommen wird.

„Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart wird, dann werdet auch ihr mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol. 3, 4).

Um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesu mit allen Seinen Heiligen“ (1. Thess. 3, 13).

„Es hat aber auch Henoch, der siebente von Adam, von diesen geweissagt und gesagt: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten Seiner heiligen Tausenden, Gericht auszuführen wider alle“ (Jud. 14. 15).

„Und kommen wird Jehova, mein Gott, und alle Heiligen mit dir“ (Sach.14,5).

Außer diesen Stellen, die ausdrücklich über das Kommen Christi mit den Seinigen reden, gibt es noch verschiedene andere, in denen von dem Richten und Herrschen der Gläubigen mit Christo gesprochen wird; so z. B. 1. Kor. 6, 2: „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ Ferner 2. Tim. 2, 12: „Wenn wir ausharren, so werden wir auch mitherrschen“; und Offbg. 5, 10: „Sie werden über die Erde herrschen“. Aus diesen Stellen folgt, dass, weil Christus aus der Erde richten und herrschen wird, die Seinigen mit Ihm da sein, also mit Ihm vom Himmel gekommen sein müssen.

In Offbg. 19 wird uns dieses Kommen der Heiligen mit Christo auch deutlich vorgestellt. Die vierundzwanzig Ältesten, das Bild der himmlischen Heiligen, erscheinen im Anfang dieses Kapitels zum letzten Male vor unseren Blicken. Dann findet die Hochzeit des Lammes statt. Die Braut Christi, die schon im 4. und 5. Kapitel im Himmel gesehen wurde, wird das Weib des Lammes, um jetzt mit ihrem Geliebten Herrschaft und Reich, ja alles was Sein ist zu teilen. Ihr Platz ist jetzt an Seiner Seite, wenn Er auszieht, um Seine Feinde zu richten und Seine Herrschaft anzutreten. 

Darum, wenn gleich darauf Christus auf einem weißen Pferde sitzend, den Himmel verlässt, so folgen Ihm die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, auf weißen Pferden, angetan mit weißer reiner Leinwand2. Die letzten Worte lassen uns klar erkennen, wer diese Kriegsheere sind; denn die feine Leinwand sind die Gerechtigkeiten der Heiligen“ (V. 8). Und im 4. Verse des 20. Kapitels, beim Beginn der Herrschaft Christi, lesen wir: „Und ich sah Throne, und sie (nämlich die himmlischen Heiligen, die mit Ihm auf die Erde gekommen sind) saßen darauf, und es wurde ihnen gegeben, Gericht zu halten“.

Wenn daher der Herr Jesus kommt, um als König auf der Erde zu herrschen, so wird Seine Braut, das Weib des Lammes, mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit. Nirgend lehrt die Schrift, dass Christus über die Kirche oder Versammlung herrsche oder herrschen werde, wie viele Christen meinen. Die Gläubigen der gegenwärtigen Zeit (von dem großen Pfingsttage an bis zum Kommen des Herrn) stehen in einem ganz anderen Verhältnis zu Christo. Er ist ihr Heiland, ihr Bräutigam, ihr Herr, das Haupt des Leibes, an welchem sie Glieder sind u. s. w.; nicht aber ihr König, obwohl sie Ihn selbstverständlich in allen Seinen königlichen Rechten anerkennen. Christus ist König im Blick auf Israel und die Welt, und zwar heute ein verworfener König, der Seine Herrschaft noch nicht angetreten hat. 

Wenn letzteres geschieht, dann wird Seine Braut mit Ihm auf dem Throne Seiner Herrlichkeit sitzen; denn der Platz des Weibes ist an der Seite ihres Mannes. Zugleich sind wir Kinder Gottes; wenn aber Kinder, so auch Erben — Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm. 8, 17). So wie Eva einst an der Herrlichkeit Adams teil hatte und mit ihm über die Schöpfung herrschte, so wird die Kirche, als das Weib des zweiten Menschen, des letzten Adam, an Seiner Herrlichkeit teilhaben und mit Ihm über das ganze Weltall regieren.

Was sollen wir hierzu sagen, geliebter Leser? Wahrlich, unergründlich ist Gottes Gnade, unendlich Gottes Liebe! Da wo Jesus ist, werden auch wir sein auf immerdar. Dem Bilde des Sohnes, des Erstgeborenen vieler Brüder, gleichgestaltet (Röm. 8, 29), denselben Leib der Herrlichkeit tragend wie Er (Phil. 3, 21), Bein von Seinen Gebeinen und Fleisch von Seinem Fleische, werden wir Seine Herrlichkeit mit Ihm teilen und mit Ihm auf Seinem Throne sitzen (Offbg. 3, 21), zur Verherrlichung Gottes des Vaters, dessen wunderbare Gnadenratschlüsse dann erfüllt sein werden. Auch im Blick auf uns wird dann das Wort wahr sein: „Jehova freut sich über dich mit Wonne, Er schweigt in Seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph. 3, 17.) Und es wird zur Wahrheit werden, was wir hienieden so oft gesungen haben:

Kron’ und Szepter wirst Du teilen

Dort mit Deiner sel’gen Braut;

Ewig wird sie bei Dir weilen,

die hier glaubend Dir vertraut.

Schauend ihre Füll’ und Habe,

preist sie Dich ohn’ Unterlass;

doch dass Du bist ihre Gabe,

bleibt der Freude höchstes Maß.

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Freuet euch in dem Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 104ff

„Übrigens, meine Brüder, freuet euch in dem Herrn! Euch dasselbe zu schreiben, ist mir nicht verdrießlich, für euch aber ist es sicher“ (Philipper 3).

Als der Apostel seinen Brief an die Gläubigen zu Philippi schrieb, war seine äußere Lage nichts weniger als angenehm und beglückend; er befand sich im Kerker, in der Gewalt eines gewissenlosen und blutdürstigen Tyrannen, getrennt von allen denen, die seinem Herzen teuer waren. Trotzdem war er sehr glücklich. In keinem Briefe gibt er so oft seiner Freude Ausdruck und fordert andere auf, sich mit ihm zu freuen, wie gerade in dem Briefe an die Philipper. Was war denn wohl der Grund seiner Freude?

 Es ist mit wenigen Worten gesagt: Er besaß Christum und in Ihm einen Schatz der ihn sich selbst und alle seine Leiden vergessen ließ. Christus war ihm in Herrlichkeit erschienen, und im Lichte dieser Herrlichkeit hatte er zweierlei kennen gelernt: seine eigene Nichtigkeit, und die alles übertreffende Kostbarkeit Christi; und in demselben Maße wie die Erkenntnis der ersteren seine Person immer mehr in den Hintergrund drängte, ja ganz aus seinem Gesichtskreis verschwinden ließ, erfüllte die Erkenntnis der letzteren sein Herz mit überströmender Freude.

Die Entdeckung, welche er aus dem Wege nach Damaskus gemacht hatte, dass nämlich alles das, wodurch er das besondere Wohlgefallen Gottes erworben zu haben meinte, ganz und gar wertlos in Gottes Augen war, hatte ihn bis in sein Innerstes erschüttert. Ach! alles das, was ihn als einen guten Israeliten gekennzeichnet und ihm einen Vorzug gegeben hatte vor vielen seines Gleichen, sein Eifer und seine Aufopferung für die Religion seiner Väter; alles, dessen er sich gerühmt und worauf er sein Vertrauen gesetzt hatte, war im Lichte der Herrlichkeit Christi in nichts zusammengesunken. Von dem, was er bis dahin für Gewinn gehalten hatte, war ihm auch rein gar nichts übriggeblieben. Alles was seinem natürlichen Herzen eine Stütze oder eine Erleichterung hätte gewähren können, war dahin.

 Als ein schwaches, hilfloses Geschöpf kam er nach Damaskus, in dieselbe Stadt, in welche er als der bevollmächtigte Abgesandte des Hohenpriesters seinen Einzug hatte halten wollen. „Er war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht“ (Apstgsch. 9, 9). Das äußere Augenlicht war erloschen, und vor seinem Geistesauge lag die einstige Herrlichkeit, alle die Dinge, deren das Fleisch sich rühmen konnte, in Trümmern. Durch das Licht aus dem Himmel, welches ihn auf dem Wege plötzlich umstrahlt hatte, war die Herrlichkeit des Fleisches mit einem Schlage vernichtet worden. In seinem Innern sah es aus, wie einst auf dieser Erde, als Gott aus der Finsternis das Licht hervorleuchten ließ: alles „war wüste und leer“. Der strahlende Glanz jenes Lichtes hatte ihn erkennen lassen, was die Welt und der Mensch von Natur sind, hoffnungslos verdorben und in unheilbarer Verwirrung. Der Beste und Frommste war nach allem nur ein Feind Christi, ein Lästerer, Verfolger und Gewalttäter, der erste unter den Sündern (1. Tim. 1, 13. 16). Seine gesetzliche Gerechtigkeit, so tadellos sie nach menschlichem Urteil auch sein mochte, konnte ebenso wenig im Lichte der Herrlichkeit Christi bestehen, wie seine Sünden.

Aber war dies das einzige Ergebnis der Begegnung zwischen Christo und Seinem Feinde? Gott sei Dank, nein! Hören wir, was der Apostel selbst hierüber an die Korinther schreibt: „Denn der Gott, der aus der Finsternis Licht leuchten hieß, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“ (2. Kor. 4, 6). Dasselbe Licht, welches ihn seine eigene Richtigkeit erkennen ließ, zeigte ihm in dem verherrlichten Christus einen Menschen, der in Übereinstimmung mit der Herrlichkeit Gottes war, den Menschen nach den Gedanken Gottes, der nicht von der Erde, sondern vom Himmel ist.

 „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel. Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub find; und wie der Himmlische, so auch die Himmlischen“ (1. Kor. 15, 47. 48). Welch ein lieblicher Lichtglanz umstrahlte ihn von neuem, als seine Augen geöffnet und durch den Heiligen Geist erleuchtet wurden! Welch ein Augenblick kam für ihn nach jenen drei Tagen schwerer Seelenübungen, die der Herr mit den Worten gekennzeichnet hat: „Siehe, er betet“! Welch ein Wechsel trat ein, als es wie Schuppen von seinen Augen fiel! (Apstgsch. 9, 11 — 18.) 

Von nun an war es nicht mehr schwer für ihn, sich selbst, seine Gerechtigkeit nach dem Gesetz und alle seine Vorzüge nach dem Fleische aufzugeben, die Erde samt den Trümmern seiner einstigen Herrlichkeit zu Vergessen; denn er hatte Christum und den Himmel dafür eingetauscht. Von nun an lautete seine Sprache: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, auf dass ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, nicht habend meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum ist —— die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben (Vers 7 — 9).

Glücklicher Paulus, der nicht mehr auf Fleisch vertraute, sondern sich Christi Jesu rühmte; beachte es, lieber Leser, nicht: „in Christo Jesu“, sondern: „Christi Jesu2! Christus selbst war sein Ruhm, sein Gegenstand, sein Ein und Alles geworden. Christus füllte seinen ganzen Gesichtskreis aus in einer Weise, dass er sofort alles als Verlust erkannte und verwarf, was irgendwie darauf hinzielte, Christum in den Schatten zu stellen. Für ihn füllte Christus die Gegenwart und Zukunft aus. Ihm hier auf der Erde in Seiner Niedrigkeit und dort oben in Seiner Herrlichkeit gleichförmig zu sein, das war von nun an sein einziges Begehren. „Um Ihn zu erkennen und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden; indem ich Seinem Tode gleichgestaltet werde, ob ich aus irgend eine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten“ (Vers 10. 11.) 

Der verherrlichte Christus, der Mensch vom Himmel, war das Ziel, dem er nachjagte und das er zu erreichen suchte, mochte es ihn kosten was es wollte. Zu diesem Zwecke war er bereit, gleich Ihm von der Welt verworfen zu werden, mit Ihm zu leiden, ja Seinem Tode gleichgestaltet zu werden. Der Gedanke an das Ziel beherrschte ihn so vollständig bei seiner Arbeit, in allen seinen Leiden und Kämpfen, dass alles andere hinter der hohen Bedeutung und Wichtigkeit desselben zurücktrat, selbst das wichtige Werk, welches ihm betreffs der Versammlung aufgetragen war. Nicht als ob ihm dieses irgendwie gleichgültig gewesen wäre; nein, er widmete sich demselben vielmehr umso eifriger und selbstloser, gerade weil seine Blicke unverwandt auf das Ziel gerichtet waren. Aus dem gleichen Grunde vermochten ihn auch die Leiden, die er um seines Dienstes und um der Versammlung willen zu erdulden hatte, nicht zu entmutigen. Mit beispielloser Energie hören wir ihn sagen: „Eines aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorne ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“ (Vers 14).

Das Verhalten des Apostels liefert uns ein schönes Beispiel von dem, was in der Schrift „erste Liebe“ genannt wird (Offbg. 2, 4). Bekanntlich hat die Kirche schon sehr bald ihre erste Liebe verlassen und damit den ersten Schritt zu dem traurigen Verfall getan, der in seinen Folgen so verhängnisvoll für sie geworden ist. Der Apostel aber hat seine „erste Liebe“ bis zum Ende seines Lebens hin bewahrt, obgleich er denselben Angriffen des Feindes, denselben Verlockungen und Versuchungen seitens einer Christusfeindlichen Welt ausgesetzt war, wie die Kirche. Seine Liebe zum Herrn ist nicht erkaltet, seine Treue und Hingebung für Ihn blieben standhaft und unerschütterlich. Obgleich er mit Weinen von vielen Bekennern sagen musste, dass sie die Feinde des Kreuzes Christi seien und auf das Irdische sännen (Vers- 18. 19), obgleich er am Ende seines Pilgerlaufes und nach einem Dienst voll aufopfernder Liebe die schmerzliche Erfahrung machen musste, dass alle in Asien (und unter ihnen hervorragende Männer) sich. von ihm abgewandt hatten (2. Tim. 1, 15), so berührte das doch nicht im mindesten seine Liebe zu Christo. Mit Recht konnte er deshalb sagen: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und sehet hin auf die, welche also wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt“ (Vers 17).

Was war es denn eigentlich, das den Apostel zu einem solch leuchtenden und nachahmungswürdigen Vorbilde machte und ihm diese beharrliche Energie verlieh? Verdankte er es der Tatsache, dass er ein so reich begabter und bevorzugter Apostel war? Gab es irgend Etwas in ihm, das er vor anderen Gläubigen voraus gehabt hätte? Verliehen seine Treue und Liebe zu Christo ihm Kraft, Ihm unentwegt nachzufolgen? Nichts von alledem! Hätte er auf irgend Etwas in sich sein Vertrauen gesetzt, so würde das nichts anderes als Vertrauen auf Fleisch gewesen sein. Aber er selbst sagt, wie schon oben bemerkt: „Die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“. 

Der Apostel besaß keine andere Quelle für seine Freude, Kraft und Energie, als jene, die allen Gläubigen ohne Unterschied zugänglich ist: Christum. Wir alle könnten deshalb ebenso glücklich in den Trübsalen und Leiden, ebenso stark und mutig im Kampfe, ebenso ausdauernd in der Treue und Hingebung für Christum sein, wie Er es war. Nichts ist imstande, den Christen aufzuhalten, weder Satan, noch Welt, noch selbst der Tod, nachdem Christus in der Kraft Seiner Auferstehung alle Hindernisse für uns überwunden hat. Als Gläubige sind wir alle gerade so innig geliebt und teuer geachtet von Christo, wie der Apostel es war; der schwächste wie der stärkste, der jüngste wie der älteste, der wenig begabte wie der reich begabte. Alle sind in Seinem Blute gleich rein gewaschen. von ihren Sünden; alle besitzen die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben an Christum, und alle sind Gott gleich nahe gebracht in Christo. Alle sind zu derselben Herrlichkeit und zu demselben Königtum berufen, alle zu Priestern Seinem Gott und Vater gemacht, und alle haben dasselbe Ziel vor Augen (Offbg. 1, 5. 6). 

Es liegt deshalb keinerlei Grund für uns vor, weniger glücklich zu sein als Paulus es war, in der Liebe gegen Christum zu erkalten oder zu ermatten und auf dem Wege zurückzubleiben. Wir besitzen Christum in derselben Fülle und Kostbarkeit, wie er, und dürfen uns in allen Lagen ebenso ausschließlich und vollkommen auf Ihn stützen, wie er es tat.

Aber eine andere Frage ist, ob wir wirklich von diesem kostbaren Vorrecht Gebrauch machen, ob wir uns so einfältig wie Paulus nur auf Christum stützen in allen Dingen, und ob wir, gleich ihm, in keiner Weise auf Fleisch vertrauen. Es steht zu befürchten, dass unter den Gläubigen weit mehr Vertrauen auf Fleisch vorhanden ist, als man im allgemeinen denkt; und je mehr dieses Übel im Stillen und Verborgenen wirkt, um so gefährlicher ist es. Nichts schwächt mehr die Freude im Herrn und die Energie für Ihn, als ein solches Vertrauen auf Fleisch, weil es gleich einem Vorhang die Herrlichkeit Christi vor unseren Blicken verhüllt. 

Wir denken jetzt weniger an die groben Formen, unter denen sich dieses Vertrauen kundgibt, wie z. B. das Ruhen in den sichtbaren Dingen, in Wohlstand, sicheren Erwerbsquellen, Gedeihen des Geschäfts, angenehmen Verbindungen u. dergl. mehr. Ein Vertrauen auf solche Dinge setzt schon einen ungeistlichen Zustand und eine irdische Gesinnung voraus. Wir möchten vielmehr auf andere, weniger leicht zu erkennende Formen des Vertrauens auf Fleisch hinweisen, die gerade deshalb, weil sie nicht als solche erkannt werden, umso gefährlicher wirken.

Es ist nicht schwer, eine offenbar irdische Gesinnung als vom Fleische stammend zu erkennen; aber wie, wenn das Fleisch eine geistliche Form annimmt, wenn es fromm und religiös wird, so dass wir geneigt sind, es für etwas Gutes zu halten? Und vergessen wir nicht, dass das gerade so gut möglich ist, wie Satan die Gestalt eines Engels des Lichts annehmen kann. (2. Kor. 11, 14.) So hielt Saulus z. B. seine Gerechtigkeit, die nach dem Gesetz war, für etwas sehr Gutes und setzte sein Vertrauen darauf. Aber was war es, wenn im rechten Lichte besehen? Nichts anderes als Vertrauen auf Fleisch. 

Er gefiel sich selbst darin. Und was anderes als Vertrauen auf Fleisch ist es, wenn wir uns gefallen in unserer Treue und Geduld, unserer Liebe zu Christo und unserem Eifer für Ihn, in unseren Gaben und unserer Erkenntnis, in unserem Glauben, unseren Gebeten u. dergl.? Sind auch diese Dinge an und für sich gut und schätzenswert, so wird doch Christus durch sie in den Schatten gestellt, sobald wir anfangen, uns in ihnen zu gefallen. Und alles was Christum in den Schatten stellt, ist nicht das Werk des Geistes, sondern des Fleisches. Ach, wie manches, das heute in der Christenheit hoch geschätzt und mit großem Eifer, mit vieler Hingebung und Aufopferung gefördert und gepflegt wird, würde, wenn im Lichte der Herrlichkeit Christi betrachtet, als Verlust und Dreck erkannt werden!

Dass in unseren Tagen sehr viel geschieht für die Ausbreitung des Evangeliums und zur Hebung des Christentums, ist nicht zu leugnen; und wir sind dem Herrn für die eifrige Tätigkeit auf allen Gebieten des christlichen Lebens sicher viel Dank schuldig. Aber dennoch können wir uns der Überzeugung nicht verschließen, dass so manches, manches dereinst auf der Waage des Heiligtums für zu leicht erfunden werden wird. Denn dort entscheiden nicht die Meinungen, die wir selbst oder andere über unser Tun und Lassen haben, sondern dort werden die Beweggründe gewogen. Können wir sagen, dass Christus und Sein Ruhm die leitende Triebfeder in allem für uns ist? Suchen wir allein Ihm zu gefallen? 

Oder gefallen wir uns selbst in unserem Tun Im letzteren Falle dürfen wir versichert sein, dass wir bei allem schönen Schein, bei all der hohen Meinung, die wir und andere von unserer Tätigkeit haben mögen, in Wirklichkeit nur aus Fleisch vertrauen. Nichts wird davon übrigbleiben; es wird sich als Verlust und Beschämung erweisen, wenn bei der baldigen Ankunft unseres geliebten Herrn Sein Licht uns umstrahlen wird. Wir werden dann zwar nicht zu Boden stürzen, wie einst Saulus, sondern wie Paulus offenbar werden als solche, die dem Herrn der Herrlichkeit durch Gnade gleichgestaltet sind. Aber von unserem praktischen Leben und Wandel wird nur das übrigbleiben, was wir hienieden tatsächlich für Christum waren und soweit wir Ihn zum Gegenstand unserer Freude und unseres Ruhmes hatten. Die Freude über irgend Etwas in uns oder über unser Tun und Wirken lässt sich nicht mit der Freude im Herrn verbinden; die beiden Dinge schließen sich gegenseitig aus.

Möchten wir deshalb wahre Nachahmer des Apostels sein und in keiner Weise Vertrauen auf Fleisch setzen! Es wird so sein wenn wir seine Ermahnung beherzigen und befolgen: „Übrigens, meine Brüder, freuet euch in dem Herrn!“ Paulus hatte erfahren, dass die Freude am Herrn, die Beschäftigung mit dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohne, ein untrügliches Schutzmittel ist gegen alles Vertrauen auf Fleisch, in welcher Gestalt es sich auch zeigen mag. Darum fügt er hinzu: „Euch dasselbe zu schreiben, ist mir nicht verdrießlich, für euch aber ist es sicher“.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi und die damit stehende Ereignisse

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 113ff

IV.

Die erste und die zweite Auferstehung.

Die in früheren Jahrhunderten allgemein angenommene und selbst heute noch vielfach unter den Gläubigen verbreitete Meinung, dass nur eine Auferstehung, der Gerechten und Ungerechten zugleich, stattfinden werde, steht, wie sich aus unseren bisherigen Betrachtungen bereits ergeben hat, im Widerspruch mit der Schrift. Wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes möchten wir jedoch noch etwas näher auf denselben eingehen und die Einwendungen, die man gegen unsere Behauptung macht, zu widerlegen suchen.

Zunächst wolle der Leser den Unterschied zwischen dem Ausdruck „Auferstehung aus den Toten“ (Apstgsch. 4, 2; Luk. 20, 35; Phil. 3, 11) und „Auferstehung der Toten“ wohl beachten. Offenbar können diese beiden Ausdrücke nicht dasselbe bezeichnen. Der Ausdruck „Auferstehung der Toten“ bedeutet die Auferstehung aller Gestorbenen, und in engerem Sinne die Auferstehung der geistlich Toten. „Die Auferstehung aus den Toten“ bildet dagegen nur einen Teil, einen besonderen Abschnitt der „Auferstehung der Toten“. Schon der Ausdruck „aus den Toten“ deutet klar darauf hin, dass, während alle Toten sich in ihren Gräbern befinden, einige aus ihrer Mitte auferstehen werden. So geschah es mit Jesu: Er stand auf aus den Toten (1. Kor. 15, 12); und so wird es auch mit den Heiligen geschehen (Luk. 20, 35).

Wenden wir uns jetzt zu 1. Kor. 15, 1 — 28. Es gab damals schon in dem Schoße der korinthischen Gemeinde falsche Lehrer, welche die Auferstehung der Toten leugneten. In dem genannten Kapitel nun beweist der Apostel in schlagender Weise, dass ganz gewiss eine Auferstehung der Toten stattfinden wird. Zunächst führt er einige unleugbare Beweise für die Auferstehung Jesu an (V. 1 — 11), Beweise, denen niemand, auch jene falschen Lehrer nicht, widersprechen konnte; war aber Christus aus den Toten auferstanden, so musste es eine Auferstehung der Toten geben (V. 12 —19.) 

Die Auferstehung eines Menschen, und zwar eines wirklich Gestorbenen, beweist die Auferstehung aller Gestorbenen.- Indem der Apostel dann erst im 29. Verse seine Beweisführung fortsetzt, gibt er in einem Zwischensatz (V. 20 — 28) eine allgemeine Darstellung der Ereignisse, welche mit der Auferstehung verbunden sind. Er beginnt mit den einfachen, aber so eindrucksvollen Worten: „Nun aber ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen“. Was folgt daraus? Dass, wenn Christus, der aus den Toten Auferstandene, der Erstling der Entschlafenen ist, diese Entschlafenen gleich Ihm aus den Toten auferstehen müssen; sie müssen, wie Er, nicht nur den Tod, sondern auch die Toten verlassen. Diese Wahrheit wird im 23. Verse noch deutlicher ausgesprochen:

 „Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus sind bei Seiner Ankunft. Merkwürdige Worte! Mit Christo hat die erste Auferstehung, die Auferstehung aus den Toten, begonnen. Allerdings sind vor der Auferstehung Jesu schon Tote auferweckt worden, sowohl im Alten Testament, als auch während des Wandelns des Herrn auf dieser Erde; aber das war eine Auferweckung ganz anderer Art, indem die Seelen dieser Gestorbenen wieder in denselben Leib zurückkehrten, welchen sie verlassen hatten, um nun, wie vor ihrem Tode, hienieden zu leben und zum zweiten Male zu sterben. Die Auferstehung Jesu dagegen war der Anfang eines ganz neuen Zustandes, der Beginn der neuen Schöpfung. Deshalb wird Er auch der Erstling der Entschlafenen genannt, und alle, die des Christus sind bei Seiner Ankunft, werden dann, gleich Ihm, aus den Toten auferstehen mit einem neuen, verherrlichten Leibe, um fortan ewig mit Ihm zu leben.

„Christus hat in der Kraft des in Ihm wohnenden Lebens den Tod überwunden; wir ziehen Nutzen aus Seinem Siege. Er trägt deshalb mit Recht den Titel: „Erstling“, und ist als solcher aus der Mitte der Toten auferstanden. „Der Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus find bei Seiner Ankunft“. Es wäre indes verkehrt, aus diesen Worten den Schluss ziehen zu wollen, dass alle, welche des Christus sind, zugleich auferstehen werden. Der Ausdruck „Seine Ankunft“ umfasst hier den ganzen Zeitraum von Seinem ersten Kommen zur Einholung Seiner Braut bis zu Seiner Erscheinung mit ihr in Herrlichkeit. 

Die erste Auferstehung vollzieht sich in verschiedenen Perioden. So wird uns denn auch in Offbg. 20 berichtet, dass erst, nachdem der Herr mit Seinem Weibe vom Himmel gekommen ist, um Sein Reich aufzurichten, und nachdem der Teufel für tausend Jahre gebunden ist, die während der Gerichte getöteten Gläubigen aus den Toten auferstehen werden. Die „Toten in Christo“, alle, die zu jener Zeit bereits durch Jesum entschlafen sind, werden auferweckt, wenn der Herr in die Luft kommt; die Gläubigen aber, welche in der Zeit der Gerichte um ihres treuen Zeugnisses willen den Märtyrertod erlitten haben, werden erst bei Seinem Kommen auf die Erde auferstehen. Beide Klassen gehören indes, wie ihr Herr und Heiland selbst, zur ersten Auferstehung.

„Dann das Ende", sagt Paulus. Welches Ende? Die Übergabe aller Gewalt und Herrschaft seitens Christi in die Hände des Vaters, „auf dass Gott alles in allem sei“ (V. 28). Wird dieses Ende sogleich auf die Ankunft Christi folgen? Nein; denn zwischen der Auferstehung der Gläubiger: und dem „Ende“ muss Christus als König herrschen. »Dann das Ende, wenn Er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn Er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. Denn Er muss herrschen, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod“. 

Das sind deutliche und bestimmte Worte. Christus wird, nachdem Er alle, die Sein sind, aus den Toten auferweckt und mit sich in Herrlichkeit vereinigt hat, als König herrschen; alle Feinde werden unter Seine Füße gelegt werden, und schließlich wird Er auch den Tod, den letzten Feind, zunichte machen, indem Er alle Toten (d. h. alle, die nicht der ersten Auferstehung angehören,) aus ihren Gräbern zum Vorschein ruft. Dann wird das herrliche Ende kommen: ein neuer Himmel und eine neue Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt (2. Petr. 3, 13); der ewige Zustand, in welchem Gott alles in allem sein wird.

Doch wir müssen noch einen Augenblick bei Offbg. 20 verweilen. Nachdem die himmlischen Heiligen ihre Herrschaft mit Christo angetreten haben, und die während der Gerichte getöteten Gläubigen auserweckt sind, lesen wir: „Die übrigen der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren. Dies ist die erste Auferstehung. Glückselig und heilig, wer teil hat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit Ihm herrschen tausend Jahre“ (V. 5. 6). Hier wird uns also in einfachen, nicht mißzuverstehenden Worten gesagt, dass eine erste und eine zweite Auferstehung stattfinden wird. 

Die erste Auferstehung ist, wie es sich auch hier wieder deutlich zeigt, eine Auferstehung aus den Toten; denn »die übrigen der Toten wurden nicht lebendig«. Sie umfasst in ihren verschiedenen Abschnitten alle, die des Christus sind. Alle Gläubigen, die von Anfang der Welt an bis zur Errichtung des tausendjährigen Reiches gestorben sind, gehören zu der ersten Auferstehung. Diese erste Auferstehung findet vor Beginn, beziehungsweise ganz im Anfang des tausendjährigen Reiches statt. Doch wenn die tausend Jahre vorüber sind, werden alle, die in den Gräbern sind, durch Jesum auferweckt und vor Seinen Richterstuhl gestellt werden. „Und ich sah einen großen weißen Thron und den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel, und keine Stätte ward für sie gefunden. 

Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Throne stehen, und Bücher wurden aufgetan; und ein anderes Buch ward aufgetan, welches das des Lebens ist. Und die Toten wurden nach dem gerichtet, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, rund der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. Und der Tod und der Hades wurden in den Feuersee geworfen. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee“ (V. 11 —- 14). Hier haben wir die zweite Auferstehung.

Obwohl der Ausdruck „erste Auferstehung“ nur in Offbg. 20 vorkommt, so ist dies doch keineswegs die einzige Stelle, in welcher die Lehre von zwei verschiedenen Auferstehungen behandelt wird. Schon in 1.Kor. 15 fanden wir einen deutlichen Hinweis auf diese Lehre; doch es gibt noch andere Stellen, welche dieselbe Wahrheit enthalten. In Luk. 14, 14 z. B. sagt der Herr Jesus: „Glückselig wirst du sein, weil sie nicht haben, dir zu vergelten; denn es wird dir vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten“. Dieser Ausdruck: „Auferstehung der Gerechten« würde keinen Sinn haben, wenn damit nicht eine besondere, von der Auferstehung der Ungerechten oder Gottlosen unterschiedene Sache bezeichnet werden sollte. Ferner lesen wir in Luk. 20, 35. 36: „Die aber würdig geachtet werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind“. 

Hier kann man wieder nicht an eine gemeinsame Auferstehung aller Toten denken; denn zunächst ist es eine Auferstehung aus den Toten, ferner werden nur einige dieser Auferstehung und der zukünftigen Welt würdig geachtet werden, und zum Dritten werden diese Wenigen den Engeln gleich sein, Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind, ähnlich wie Jesus selbst durch Seine Auferstehung in Kraft als Sohn Gottes erwiesen worden ist. (Römer 1, 4.) Es ist also ganz unmöglich, aus dieser Stelle auf eine allgemeine Auferstehung zu schließen. Sie beweist gerade das Gegenteil. — In Phil. 3, 11 endlich ruft Paulus aus: „ob ich auf irgend eine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten“. Wie hätte der Apostel so reden können, wenn es nur eine Auferstehung gäbe, zu welcher alle, ob gerecht oder ungerecht, notwendigerweise hingelangen müssten? Es hätte dann wahrlich eines so ernsten Trachtens und Nachjagens seinerseits nicht bedurft.

Eine weitere, für unseren Gegenstand sehr wichtige Stelle ist Joh. 5, 19 — 29, da man dieselbe sehr oft als beweiskräftig für die Annahme» einer allgemeinen Auferstehung anführen hört. Betrachten wir sie denn etwas näher. Jesus, von den Juden der Gotteslästerung beschuldigt, weil Er sich selbst Gottes Sohn nannte, rechtfertigt sich durch den Hinweis darauf, dass der Vater dem Sohne Macht gegeben habe, alles zu tun, was Er selbst tue. Der Vater und der Sohn sind eins; und es ist der Wille des Vaters, dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Diese Ehre wird nun dem Sohne auf zweierlei Weise zugesichert: 1) Er macht lebendig, und 2) Er übt Gericht. „Denn gleichwie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, also macht auch der Sohn lebendig, welche Er will“ (V. 2.) 

Das ist der erste Beweis Seiner göttlichen Macht: Er gibt das Leben, und Er gibt es, wem Er will. Aber als der Mensch gewordene Gottessohn ist Er von Seiten der Menschen verunehrt, verkannt und verworfen worden; und darum ist Ihm das ganze Gericht gegeben: „denn der Vater richtet auch niemanden, sondern das ganze Gericht hat Er dem Sohne gegeben, auf dass alle — auch die, welche den Sohn verworfen haben — den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.“ Wollen Sie Ihn jetzt nicht ehren, wo noch Gnade zu erlangen ist, so werden sie Ihn dereinst im Gericht ehren müssen (Vergl. Phil. 2, 9 — 11). Diejenigen aber, welche durch den Vater und den Sohn lebendig gemacht sind, kommen nicht ins Gericht, sondern sind aus dem Tode in das Leben hinübergegangen (V. 24). 

Doch wie gelangen sie in dieses Leben? Die Antwort finden wir in Vers 25: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt und ist jetzt, da die Toten (d. h. die geistlich Toten, welche in Vergehungen und Sünden tot sind) die Stimme des Sohnes- Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ —- nicht auferstehen, sondern geistliches Leben empfangen. Die Stunde hatte damals schon begonnen und währt fort bis zum Schluss der Gnadenzeit. Im Blick auf alle aber, welche dem Sohne ungehorsam sind und auf Seine Stimme nicht hören wollen, hat der Vater dem Sohne Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten. „Wundert euch darüber nicht“, sagt der Herr, „denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, (d. h. also alle Gestorbenen, nicht etwa geistlich Tote wie in Vers 25), Seine Stimme hören und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (V. 28. 29). Es gibt also eine Auferstehung des Lebens für diejenigen, welche vor dem Gericht lebendig gemacht worden sind, und eine Auferstehung des Gerichts für alle übrigen.

Doch man wendet ein: „Diese Stelle redet allerdings von zweierlei Klassen von Menschen und auch von zweierlei Ende derselben; allein es geht zu weit, daraus auch auf zwei verschiedene Auferstehungen schließen zu wollen. Deutet nicht vielmehr der Ausdruck „Stunde“ gerade darauf hin, dass die Auferstehung beider Klassen zu derselben Zeit stattfinden wird?“ — Mit Recht mögen wir uns darüber wundern, dass dieser Einwand für viele so großen Wert hat. Der Herr sagt allerdings: „Die Stunde kommt, in welcher alle, die in den Gräbern sind, Seine Stimme hören und hervorkommen werden“; aber Er hat auch gerade vorher gesagt: „Die Stunde kommt und ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben«. Und wir haben bereits gesehen," dass diese letzte Stunde schon mehr als 1800 Jahre gedauert hat; warum sollte also die Stunde, von welcher in Vers 28 die Rede ist, nicht auch 1000 Jahre dauern können? (Das Wort „Stunde« bedeutet in der Schrift oft einen Jahrhunderte langen Zeitraum. So sagt auch z. B. Johannes: „Kindlein, es ist die letzte Stunde“. Die Sache ist so einfach wie möglich, wenn man die Stelle nur in Verbindung mit allen übrigen betrachtet.

Noch einmal denn: Die Ansicht, dass es nur eine einzige, gleichzeitige Auferstehung der Gerechten und der Gottlosen gebe, kann bei einer einigermaßen sorgfältigen Untersuchung der Schrift nicht aufrecht erhalten werden. Die göttlichen Aussprüche beweisen klar und deutlich, dass es zwei Auferstehungen gibt, die zu verschiedenen Zeiten stattfinden werden: eine Auferstehung der Gerechten und eine Auferstehung der Gottlosen, eine Auferstehung des Lebens auch „erste“ Auferstehung genannt, und eine Auferstehung des Gerichts oder der „übrigen der Toten“ (Joh. 5, 29; Offbg. 20.) Was den Charakter derer betrifft, die auferstehen werden, so gibt es auch nur zwei Klassen: Gerechte und Gottlose, oder solche, die zum Leben, und solche, die zum Gericht auferstehen. 

Die Gerechten werden bei der Ankunft des Herrn — in dem allgemeinen Sinne des Wortes, ohne Sein Kommen für die Kirche und für Israel zu unterscheiden — auferstehen: das ist die erste Auferstehung; und die Gottlosen werden nach Beendigung der 1000jährigen Regierung Christi aus ihren Gräbern auferweckt werden: das ist die zweite Auferstehung, -oder die Auferstehung „der übrigen der Toten“. Wir haben bereits weiter oben bemerkt, dass man in der ersten ·Auserstehung verschiedene Abschnitte oder Unterabteilungen unterscheiden kann; aber hierdurch wird das eben Gesagte in keiner Weise berührt.

V.

Der Zustand der Welt nach der Aufnahme der Braut.

Die Aufnahme der Braut Christi und ihre Einführung ins Vaterhaus wird von der Welt nicht gesehen werden. In einem Augenblick, in einem Nu werden die Gläubigen von der Erde verschwinden, ohne dass jemand ihr Weggehen bemerkte oder sagen könnte, wohin sie gegangen und auf welche Weise sie weggenommen worden sind. Es ist indes selbstredend, dass ein solch außergewöhnliches Ereignis nicht unbeachtet bleiben wird. Wie man einst Henoch vermisste, so wird man dann auch die Gläubigen vermissen; und man kann sich bei einigem Nachdenken leicht eine Vorstellung davon machen, welch eine gewaltige Erschütterung das für uns so herrliche Ereignis hervorrufen wird. Tausende von Menschen werden auf einmal spurlos verschwunden sein. Mancher Mann wird seine Frau, manche Frau ihren Mann vermissen; Eltern werden ihre Kinder und Kinder ihre Eltern vergeblich suchen.

 Einige Stunden oder gar wenige Minuten vorher waren sie noch bei einander, und nun sind die Einen nicht mehr da, und die Anderen irren klagend und jammernd umher. Geschäftsleute werden vergeblich auf ihre Arbeiter und Angestellte, Herrschaften vergeblich auf ihre Dienstboten warten; oder umgekehrt. Ja, ganze Häuser werden leer stehen; die Bewohner sind mit Hinterlassung von all ihrem Hab und Gut verschwunden. Ganze Familien sind wie vom Erdboden weggefegt; kein Glied ist zurückgeblieben, um Kunde von den übrigen zu geben oder ihr Erbe anzutreten. Welch eine allgemeine Bestürzung und Verwirrung wird das hervorrufen! Es wird sicherlich in den ersten Tagen und Wochen über nichts anderes gesprochen werden; die Zeitungen werden voll davon sein, und man wird wahrscheinlich zu den ungereimtesten Vermutungen kommen, noch ungereimter als die der Prophetensöhne zur Zeit des Elias. Und diese Dinge werden nicht nur in einem Lande oder in einem Erdteil stattfinden, sondern in allen Ländern der Welt, überall wo Gläubige wohnen.

Doch wie es zu allen Zeiten in der Welt gegangen ist, so wird es auch dann gehen: man wird, nachdem man lange an das sonderbare, nie dagewesene Ereignis gedacht, allerlei Vermutungen darüber ausgesprochen und wahrscheinlich viel darüber gespottet hat, die Sache vergessen. Zugleich werden andere, ernste Ereignisse sehr bald die Aufmerksamkeit so völlig in Anspruch nehmen und die Herzen so beschäftigen, dass man keine Zeit mehr haben wird, an das Verschwinden der Christen zu denken. Nach der Aufnahme der Kirche Christi werden die Gerichte mit überraschender Schnelligkeit über die Welt hereinbrechen; die durch die Propheten zuvor angekündigten Ereignisse werden einander so schnell folgen, die Kriege und Seuchen werden so schrecklich sein, dass man alles andere schnell vergessen wird. Ja, nach der Kenntnis, die wir von dem menschlichen Herzen haben, können wir noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die Welt sich schließlich freuen wird, von den lästigen Warnungen und Ermahnungen der „Frommen“ befreit zu sein.

Von einer Bekehrung der Welt wird auch dann ebenso wenig die Rede sein wie heute. Vielleicht werden Einzelne, die mit der Schrift und den Prophezeiungen betreffs der zukünftigen Dinge bekannt sind, und daher wissen, was geschehen ist, sich bekehren; *) und sicher werden viele aus den Juden und den übrigen Nationen infolge der dann wieder aufgenommenen Predigt des „Evangeliums des Reiches“ den Messias Israels aus dem Himmel erwarten. Doch die große Masse wird unbekehrt bleiben, ja an Gottlosigkeit zunehmen. Es wird voll und ganz so werden, wie es in den Tagen Noahs und wie es in Sodom und Gomorra zur Zeit Lots war. (Luk. 17, 26 — 30.) Die Erde wird mit Bosheit und Gewalttat erfüllt werden, und die Gottlosigkeit wird ihren Gipfelpunkt erreichen. Der Geist des Umsturzes wird sich überall in ungezügelter Weise geltend machen, und der Unglaube wird herrschen. Throne und Mächte werden wanken, die von Gott eingesetzten Herrschaften und Gewalten werden gestürzt werden, und schließlich wird die ganze Welt vor dem Menschen der Sünde, dem Sohne des Verderbens, willig das Knie beugen. Eine schreckliche Zeit wird anbrechen, „eine große Drangsal, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt hin nicht gewesen ist, noch je sein wird“. (Matth. 24, 21.)

 Schon jetzt ist es wahr, (wird sich aber dann noch furchtbarer bewahrheiten), was der Apostel über die letzten Zeiten an sein Kind Timotheus schreibt: „Die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott“ (2. Tim. 3, 1 — 4; siehe auch 1. Tim. 4, 1; 2. Petr. 2 u. 3 und Judas). Wie entsetzlich ist doch der Mensch!

 Er ist durch nichts zu verbessern. Weder die Bannflüche des Gesetzes, noch die Predigt der Gnade, noch die erschütterndsten Ereignisse sind imstande, irgend eine Veränderung in seinem Zustande hervorzubringen; er ist und bleibt stets gleich böse, gleich feindselig gegen Gott. Wie man einst die Auferstehung Jesu wider besseres Wissen geleugnet hat, so wird man am Ende auch die Aufnahme der Seinigen leugnen. Selbst. die schrecklichen Gerichte, von welchen das Buch der Offenbarung uns in so ergreifender Weise Mitteilung macht — die Siegel, Posaunen und Zornschalen —— werden keine Veränderung bewirken. 

Wenn die Gerichte einen solchen Grad erreichen werden, dass die Menschen verzweiflungsvoll den Tod suchen, werden sie sich trotzdem nicht von ihren bösen, gottlosen Werken abwenden, sie werden nicht zu Gott rufen, sondern in bitterer Feindschaft gegen Ihn fortfahren, die Teufel anzubeten; sie werden „nicht Buße tun von ihren Mordtaten, noch von ihren Zaubereien, noch von ihrer Hurerei, noch von ihren Diebstählen“ (Offbg. 9, 20. 21.) Sie werden ihre Zungen zerbeißen vor Pein, aber anstatt sich zu Gott zu bekehren, werden sie erst recht den Gott des Himmels lästern wegen ihrer Pein und wegen ihrer Geschwüre (Offbg. 16, 10. 11).

Das ist der Mensch! In demselben schrecklichen Zustande befanden auch wir uns, geliebter christlicher Leser, und würden darin geblieben sein, wenn nicht die unergründliche Gnade Gottes, „das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt“, uns herausgerissen hätte. Ewig sei deshalb der Name unseres Gottes und Vaters und unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi gepriesen!

Dass die Gottlosigkeit am Ende so reißend zunehmen und das Verderben sich so unverhüllt offenbaren wird, kann uns nicht Wunder nehmen, wenn wir bedenken, was in jenen Tagen geschehen wird. Gleichzeitig mit der Entrückung der Kirche Christi wird ja auch der Heilige Geist die Erde verlassen: Er führt die Braut dem Bräutigam entgegen. Dann ist das Licht der Welt und das Salz der Erde verschwunden; alles ist finster geworden und dem Verderben preisgegeben. Die Versammlung, die wahre Kirche, in welcher der Heilige Geist wohnt, und die der Gegenstand der zärtlichen Fürsorge Gottes ist, bildet heute noch einen Damm gegenüber dem Strome der Ungerechtigkeit (2. Thess. 2).

 So lange sie hienieden weilt, hält Gott in Seiner Macht, welche in den von Ihm geordneten Obrigkeiten wirksam ist, die völlige Entwicklung des Bösen, des zügellosen, aller Autorität spottenden Eigenwillens des Menschen, zurück. Gott hat der Offenbarung des Menschen der Sünde, des Gesetzlosen, eine Schranke gesetzt. Sobald aber die Kirche von der Erde weggenommen ist, zieht Gott Seine Hand zurück und lässt dem Bösen freien Lauf. Dann ist nichts mehr da, was zurückhält, und die Bosheit der Menschen wird sich in einer Schrecklichkeit offenbaren wie nie zuvor. Wir brauchen nur die Welt um uns her zu betrachten, um heute schon überall die Keime wahrzunehmen, die dann zu ihrer vollen Entwicklung kommen werden. Die Gottlosigkeit nimmt von Jahr zu Jahr zu; das Abweichen von Gottes Geboten wird stets größer. Der Geist der Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung, der Geist der Empörung gegen alle Obrigkeit und Gewalt wächst lawinenartig an. 

Der Unglaube erhebt immer verwegener sein Haupt und erkühnt sich, das zu leugnen, was er noch vor wenigen Jahren nicht zu verneinen wagte. Vergegenwärtigen wir uns nun einmal, dass die wahren Christen von dieser Erde verschwunden sind, dass das Licht weggenommen ist und das Zeugnis der Wahrheit aufgehört hat, ja, dass Gott selbst das Böse nicht länger im Zaume hält, so werden wir leicht verstehen können, dass das Verderben unaufhaltsam und reißend schnell zunehmen wird. Der Mensch, sich selbst überlassen und völlig der Macht des Teufels preisgegeben, der dann aus dem Himmel auf die Erde geworfen ist (Offbg. 12, 9), wird sich in seiner ganzen Bosheit und Feindschaft gegen Gott offenbaren; Unglaube, Ungerechtigkeit und Eigenwille werden wie ein Strom die Erde überfluten und in der Anbetung des Antichrists ihren Höhepunkt erreichen. Aber dann wird auch der Herr kommen inmitten Seiner heiligen Tausenden, in flammendem Feuer, um an den Bösen Vergeltung zu üben und »den Gesetzlosen zu verzehren durch den Hauch Seines Mundes“ (Judas 14; 2. Thess. 1, 7. 8; 2, 8).

Welch ein entsetzliches Los steht daher den Kindern dieser Welt bevor! Sollten wir kalt und gleichgültig bleiben bei dem Gedanken an das unsagbar schreckliche Gericht, welches über sie ausgegossen werden wird? Wahrlich nicht! sondern so wie einst Jesus über Jerusalem weinte und ausrief: »Wenn auch du erkannt hättest, und selbst an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient!« so sollten auch unsere Herzen mit Schmerz und Trauer erfüllt sein bei dem Anblick einer Welt, die sich immer rückhaltloser der Sünde und Ungerechtigkeit ergibt, und die mit raschen Schritten dem ewigen Verderben entgegeneilt. 

Und wir sollten nicht bei der Betrübnis darüber stehen bleiben. Nein, lasst uns mit Ernst und Eifer, mit Herzen, die von der Liebe Christi gedrungen werden, den Verlorenen nachgehen und ihnen die frohe Botschaft der Gnade verkündigen, damit noch viele von dem kommenden Zorn errettet werden! Die Stunde des Gerichts-, wie nahe sie auch sein mag, hat noch nicht geschlagen. Die Tür der Gnade ist noch geöffnet, und noch kann ein jeder Anteil erlangen an den himmlischen Segnungen, welche Gott für alle an Jesum Glaubenden bereitet hat.

Brüder, die Zeit ist kurz! Die Stunden eilen schnell dahin! Bald werden wir keine Gelegenheit mehr haben, in einer verlorenen Welt für unseren Herrn und Heiland Zeugnis abzulegen und Seelen für Ihn zu gewinnen. Lasst uns deshalb unserer Berufung treu sein, damit es einmal vor dem Throne Gottes offenbar werden möge, dass wir vielen Sündern als Wegweiser zu Jesu hin gedient haben!

Fußnote:

*) Indes dürfen wir nicht vergessen, dass nach den bestimmten Erklärungen der neutestamentlichen Schreiber gerade über die christlichen Völker und Länder, welche so lange unter dem Schall des Evangeliums gestanden haben, das Gericht der Verblendung und Verhärtung kommen wird. Gott selbst wird denen, welche der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit, eine wirksame Kraft des Irrtums senden, aus dass sie der Lüge glauben“ (2. Thess. 1,11. 12) Die Tür der Gnade, welche so lange für diese Völker weit offen stand wird für sie geschlossen werden. Das ist ein sehr ernster Gedanke, besonders für die vielen Angehörigen von Gläubigen, welche so viel gehört haben und so oft eingeladen worden sind, aber ihr Herz verhärten.

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Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 129ff

„Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln“ (Jak. 1, 6).

Die Menschen dieser Welt setzen bekanntlich einen hohen Wert auf ihre Geschicklichkeit und Weisheit, und sinnen auf allerlei Mittel und Wege, um ihre Ziele zu erreichen. Der Gläubige dagegen, der mit Gott wandelt, lässt „seine Anliegen durch Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden«. (Phil. 4, 6.) Er vertraut nicht ·auf seine eigene Kraft und Klugheit, sondern auf den Gott, der ihn liebt, und dessen Macht ebenso groß ist wie Seine Liebe. So betete der König Josaphat zu seiner Zeit, als er vom Feinde bedrängt wurde, und sprach: „Unser Gott . . . in uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge, die wider uns kommt; und wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf dich sind unsere Augen gerichtet“ (2. Chron. 20). Und David legte, als er zum Kampfe mit Goliath schreiten wollte, Sauls Waffenrüstung wieder ab, denn sie stimmte mit seinem Glauben und Vertrauen auf Gott nicht überein; er konnte nicht darin gehen (1. Sam. 17). Die Rüstung passte für Saul, aber nicht für David.

Der Herr, „groß an Rat und mächtig an Tat“, steht auf der Seite Seiner armen, schwachen Gläubigen, hört ihre Gebete und ist bereit, ihnen mit Seiner Liebe, Macht und Weisheit zu dienen. „Die Augen Jehovas durchlaufen die ganze Erde, um sich mächtig zu erweisen an denen, deren Herz ungeteilt aus Ihn gerichtet ist“ (2. Chron. 16, 9). Welch ein Trost ist das für uns! Wie gut ist es zu wissen, dass die Augen unseres Herrn allezeit „gerichtet sind auf die Gerechten, und Seine Ohren auf ihr Schreien“ (Ps. 34, 15), und dass Ihm alles von Wichtigkeit ist, was- das Wohl oder Wehe der Seinigen betrifft! Ihm ist nichts zu groß, aber auch nichts zu klein und zu gering. Abrahams treuer Knecht wandte sich an Gott um Leitung, damit er eine Braut für den Sohn seines Herrn finde, und sein einfaches Gebet wurde beantwortet und Abrahams Vertrauen nicht beschämt (1. Mose 24). Wie viel könnten Eltern und junge Leute hieraus lernen! Ach, wie manche Ehe wird geschlossen, ohne dass die Betreffenden sich zu Gott um Leitung gewandt und auf Ihn geharrt hätten! Wie groß ist deshalb auch die Zahl jener unglücklichen Verbindungen, welche Gott wohl zugelassen, aber nicht geordnet hat; wie mancher Ehestand ist so zu einem Wehestand geworden!

Groß ist auch die Gefahr für Gläubige auf geschäftlichem Gebiet. Wie manche gewagte und sicherlich nicht dem Glauben und dem Verkehr mit Gott entsprungene Spekulation wird gemacht, um vorwärts zu kommen und schnell reich zu werden! Jabez machte es in seinen Tagen anders. Er glaubte, dass der Segen des Herrn reich mache. Er schlug deshalb den geraden und richtigen Weg ein und wandte sich mit seinem Anliegen an Gott. „Und Jabez rief zu dem Gott Israels und sprach: Wenn du mich reichlich segnetest und meine Grenze erweitertest, und deine Hand mit mir wäre, und du wirktest gegen das Übel, dass ich keinen Schmerz empfände! — „Und Gott ließ kommen, was er erbeten hatte“ (1. Chron. 4, 10.) Wie belehrend ist das! Lasst uns dem Beispiele dieses Mannes folgen. Denn „nahe ist Jehova allen die Ihn anrufen, allen die Ihn anrufen in Wahrheit. Er tut das Verlangen derer, die Ihn fürchten; ihr Schreien hört Er und reitet sie“ (Ps. 145, 18. 19).

Hanna, die Mutter Samuels, war ein Weib beschwerten Herzens. Ihr Kummer war tief, und niemand vermochte ihr zu helfen. Da betete sie in ihrem Herzen zu Gott und schüttete ihre Seele vor Jehova aus; und siehe da, ihr Kummer wurde in Freude verwandelt. (1. Sam. 1 u. 2.) Hannas Kenntnis von Gott war gering; wir aber kennen heute den Vater, der die Haare unseres Hauptes gezählt hat, und singen:

Wirf Sorge und Schmerz

ins liebende Herz

des mächtig dir helfenden Vaters!

Nehemia, der Mundschenk des Königs Artasasta, hörte in der Gefangenschaft von dem traurigen Zustande der im Lande Kanaan übriggebliebenen Juden und trug Leid um Jerusalem Tage lang. Dann aber betete er zu dem Gott des Himmels und wurde erhört. (Neh. 1 u. 2.) Es gab damals besonders listige und erbitterte Feinde Jerusalems, wie „Sanballat, den Horoniter, und Tobija, den ammonitischen Knecht, und Geschem, den Araber“. Die Kirche Christi hat auch ihre bitteren, listigen Feinde von Außen und von Innen (Apstgsch. 20, 29. 30), und sie ist durch dieselben dahin gebracht worden, wo sie sich heute befindet. Aber Gott ist auch uns „Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen“ (Ps. 46, 1), und von Ihm ist unsere Rettung. (Ps. 3, 8.) Diese Wahrheit erfuhr auch Jona im Bauche des Fisches in der Tiefe des Meeres, Von wo sein Gebet zu Gott empordrang und beantwortet wurde. (Jona 2.) Ebenso Daniel. Schon im Beginn seines Flehens wurde der Engel Gabriel ausgesandt, um ihm die Antwort zu bringen und ihm zu sagen, dass er ein Vielgeliebter sei (Dan. 9).

Unsere Gebete sind schwach, aber dennoch dem Herrn angenehm. Darum so viele Ermahnungen und Aufmunterungen zum Gebet in allen Lagen. Auf das Gebet Samuels antwortete Gott mit einem großen Donner über den Feinden Israels, so dass sie in Verwirrung gerieten und vollständig geschlagen wurden (1. Sam. 7). „Ja, das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel.“ Das sehen wir auch bei Elia, durch dessen Gebet gleichsam Himmel und Erde in Bewegung gesetzt wurden; und zu unserem Troste und zu unserer Ermunterung steht dabei geschrieben: „Elia war ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“. Er war aus keinem anderen Stoff gebildet wie wir, aber er war ein treuer Knecht, der für die Ehre seines Herrn eiferte in einer Zeit des allgemeinen Abfalls. Elisa, sein Nachfolger im Prophetenamt, war ebenfalls ein Mann des Gebets und vereitelte durch seinen Verkehr mit Gott die bösen Anschläge des Königs von Syrien (2. Kön. 6).

Wie köstlich sind ferner die Worte des Herrn in Luk. 11: „Bittet, und es wird euch gegeben werden; suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden“! Auch lässt es der Herr an schönen Beispielen und kostbaren Verheißungen nicht fehlen, um uns zu überzeugen, dass Gottes Herz und Hand für uns sind, allezeit bereit, uns gute Gaben zu geben, viel mehr als Eltern ihren Kindern zu geben vermögen. Allerdings können Kinder zuweilen um etwas bitten, was ihnen schädlich ist und was die Eltern ihnen deshalb aus Liebe nicht geben dürfen. Solch törichte Kinder sind auch wir oft; aber unser him1nlischer Vater ist weise, treu und gut. Er gibt uns nur Gutes. „Und dies ist die Zuversicht, die wir zu Ihm haben, dass, wenn wir etwas nach Seinem Willen bitten, Er uns hört“ (1.Joh. 5, 14).

Wie schön und vertrauensvoll ist das Gebet Asas, als das mächtige Heer der Kuschiter in einer Stärke von tausend mal tausend Mann gegen ihn heranzog! Er rief zu Jehova, seinem Gott, und sprach: „Jehova, um zu helfen ist bei dir kein Unterschied zwischen dem Mächtigen und dem Kraftlosen. Hilf uns, Jehova, unser Gott! Denn wir stützen uns auf dich . . . lass den Menschen nichts wider dich vermögen!“ — Und Jehova hörte auf Seinen Knecht und schlug die Kuschiter. Es fielen so viele von ihnen, dass sie sich nicht wieder erholen konnten (2.Chron.14).

 — Auch Sanherib vermochte in seinen Tagen, trotz seines siegreichen Heeres, nichts gegen Jerusalem auszurichten; und was war der Grund? Innerhalb der schwer bedrängten Stadt beteten zwei Männer, nämlich Hiskia und Jesaja, der Prophet; und in Beantwortung ihres Flehens sandte Gott einen Engel aus, welcher alle tapferen Helden und Fürsten und Obersten im Lager des Königs von Assyrien vertilgte. (2. Chron. 32.) Dem stolzen, übermütigen König selbst aber, der sich erkühnt hatte, den Heiligen Israels zu verhöhnen, wurde ein Ring in seine Nase gelegt und ein Gebiss in seine Lippen, und er musste beschämt desselben Weges zurückkehren, den er gekommen war (2. Kön. 19).

Derselbe Herr und Gott antwortete in späteren Tagen auf das Gebet der Versammlung für Petrus, indem Er einen Engel sandte, vor welchem die Ketten zu Boden fielen und das eiserne Gefängnistor sich von selbst auftat (Apstgsch. 12); und derselbe Herr und Gott hört auch auf unsere Gebete. Leider waren die Beter damals nicht auf die göttliche Antwort vorbereitet; denn als Petrus kam, wollten sie es nicht glauben. Das war demütigend. Aber es ergeht uns nicht anders. Wir sind häufig ebenso wenig auf die Antwort vorbereitet.

Auf das Gebet und den Lobgesang der beiden Apostel im Kerker zu Philippi antwortete Gott mit einem Erdbeben und mit der Bekehrung des Kerkermeisters und seines ganzen Hauses. (Apstgsch. 16.) Gott erlaubt allerlei Prüfungen, damit wir Ihm mehr nahen in ernstem, inbrünstigem Gebet. Schon mancher hat die Wahrheit des alten Spruches: „Not lehrt beten“, an sich selbst erfahren.“ Rufe mich an am Tage der Bedrängnis“, sagt Gott, „ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen“ (Ps. 50, 15). Gottes Segnungen find größer als alle unsere Bedürfnisse. Psalm 121 enthält nur eine Bitte und etwa zwölf Antworten. „Größer als der Helfer ist die Not ja nicht“, und: Er hilft so gern!

„Was willst du, dass ich dir tun soll?“ fragte der Herr einst (Mark. 10, 51). So fragt Er auch heute noch und fügt hinzu: „Tue deinen Mund weit auf, und ich will ihn füllen (Ps. 81, 10); oder: ,,Bittet, und ihr werdet empfangen, auf dass eure Freude völlig sei“ (Joh. 16, 24). Der Herr erwartet, dass Sein Volk gut von Ihm denke. Der Apostel Paulus entsprach dieser Erwartung. Er bewies ein volles Vertrauen zu Gott, als er an die Philipper schrieb: „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu“ (Phil. 4, 19).

So lange Abraham sich für Sodom verwandte, antwortete Gott auf alle seine Bitten; aber als Abraham nicht mehr bat, antwortete Gott auch nicht mehr (1. Mose 18). Der Ölkrug füllte alle leeren Gefäße für die bedürftige Witwe; aber als kein leeres Gefäß mehr vorhanden war, stand das Öl (2. Kön. 4). Vergleiche auch 2. Kön. 13, 14 —19: 

Der Mann Gottes zürnte über Joas, den König von Israel, wegen seines Mangels an Glauben und an Energie dem Bösen gegenüber. Hätte Joas fünf- oder sechsmal auf die Erde geschlagen, so würde er die Syrer völlig vernichtet haben. — O möchten wir uns doch mehr in der gesegneten Gegenwart unseres Herrn und Gottes befinden, um uns alles dessen zu erfreuen, was Er für die Seinen ist in allen Lagen! „Jehova wird eine hohe Feste sein dem Unterdrückten, eine hohe Feste in Zeiten der Drangsal“ (Ps. 9, 9). Der Glaube sagt: „Du bist ein Bergungsort für mich, vor Bedrängnis behütest du mich“. — „Ich weiß, dass Jehova ausführen wird die Rechtssache des Elenden, das Recht der Armen“ —

 „Der Name Jehovas ist ein starker Turm; der Gerechte läuft dahin und ist in Sicherheit“ (Ps. 32, 7; 140, 12; Spr. 18, 10.) Ja, wir dürfen kühn sagen: „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun“ (Hebr. 13, 6)? „Keinen Ausweg sehend, aber nicht ohne Ausweg; verfolgt, aber nicht verlassen; niedergeworfen, aber nicht umkommend“ (2. Kor. 4, 8. 9).

Man hört aus dem Munde von Kindern Gottes zuweilen die Klage: „Ich habe schon so lange zu Gott gebetet und Ihm mein Anliegen vorgebracht; aber Er antwortet nicht«· Solche Gläubige vergessen, dass Gott Seine eigene Zeit hat und öfters mit uns handelt, wie wir mit unseren Kindern handeln, wenn wir ihnen sagen: „Seid still und wartet noch ein wenig; es ist noch nicht an der Zeit“. Wir dürfen dem allein weisen Gott keine Vorschriften machen, vielmehr geziemt uns geduldiges Warten; und vergessen wir nicht, dass das Harren auf den Herrn köstliche Verheißungen hat. „Du wirst erkennen, dass ich Jehova bin; die auf mich harren, werden nicht beschämt werden“ (Jesaja 49, 23).

 ,,Harre auf Jehova! sei stark, und dein Herz fasse Mut, und harre auf Jehova!“ (Ps. 27, 14.) „Jehova ist gütig gegen die, welche auf Ihn harren, gegen die Seele, die nach Ihm trachtet“; (Klagelieder 3, 25.) „Die auf Jehova harren, gewinnen neue Kraft“ (Jes. 40, 31). — „Siehe da, unser Gott, auf den wir harrten . . . Lasst uns frohlocken und uns freuen in Seiner Rettung!“ so wird Israel am Ende der Tage bekennen (Jes. 25, 9), und dann folgt im 26. Kapitel das Lied, welches dereinst im Lande Juda gesungen werden wird. Auch wir erhalten manches Loblied in unserem Herzen, wenn wir mit Gott verkehren und in kindlicher Zuversicht auf Ihn harren. Selbst in den dunkelsten Zeiten werden wir erfahren, dass Er der Gott ist, welcher „Gesänge gibt in der Nacht“ (Hiob 35, 10).

J. N. Darby sagt in seinen nachgelassenen Notizen sehr schön über das Gebet: „Gott schenkt uns im Gebet nicht nur Segen in der Gemeinschaft mit Ihm, sondern Er gibt uns auch Anteil an Seinem gesegneten Vorrecht, Andere zu segnen. Wenn ich das Wort Gottes verkündige, und der eine oder andere empfängt ewiges Leben, so ist das ganz und gar Gottes Werk, nicht das meinige; allein Gott gibt mir in Seiner Gnade einen Anteil daran als Werkzeug, wiewohl ich meine völlige Abhängigkeit von Ihm darin anzuerkennen habe. 

Diese Abhängigkeit kommt im Gebet noch völliger zum Ausdruck. Nicht als ob Gott hier das Werk noch ausschließlicher allein täte als bei der Predigt des Wortes, aber ich stehe in vertrauterer Beziehung zu Ihm: ich bringe Ihm meine Wünsche und Anliegen dar, Liebe zu den Seelen, ihre Bedürfnisse, oder die Bedürfnisse der Kirche, und Er handelt, wie Er es tat, als ich das Wort verkündigte. Ich habe mehr Gemeinsames mit Gott im Gebet als in der Predigt; ich kann schwierigere Fälle erreichen, wo ein gesprochenes Wort nicht angebracht ist, auch Fälle, die außer meinem Bereich liegen; ich kann die Macht Satans, die Welt, ja jedes Hindernis für solche Seelen vor Gott bringen, die ich selbst nicht erreichen kann. Im Gebet gibt es mehr Vertraulichkeit, mehr gemeinschaftliche Interessen mit Gott (selbstverständlich in Abhängigkeit von Ihm) als in der Predigt des Wortes, und der Kreis meiner Tätigkeit ist viel weiter. Evangelisten, welche die Bekehrung von Seelen ihrer Predigt zuschreiben, übersehen dabei die vielen und mancherlei Mitarbeiter, wie Eltern, Lehrer, welche an den Seelen vorgearbeitet haben. 

Auch ist es bemerkenswert, dass der Heilige Geist das Gebet vor den Dienst am Worte stellt. (Apstgsch. 6, 4.) Epaphras wird ein Knecht Christi genannt, der allezeit für die Gläubigen rang in den Gebeten. (Kol. 4, 12). Der demütige und gläubige Beter, welcher das Werk des Herrn in China, Indien, Ägypten u.s.w.. auf dem Herzen trägt, hat auch seinen Anteil daran, wenn Gott dort wirkt; er ist Gottes Mitarbeiter. Welch ein weites und gesegnetes Arbeitsfeld hat daher der betende Bruder, die betende Schwester! Wenn sie auch von den vielen, vielen Sprachen der Welt nur ihre eigene verstehen, so können sie doch in dieser Weise gute Missionsdienste tun: denn Gott wirkt durch Seine stillen Mitarbeiter und erfreut ihre Herzen durch die Beantwortung ihres Flehens.

An der Unterstützung des Missionswerkes durch irdische Mittel kann Armut uns hindern; aber an der eben besprochenen Mitarbeit hindert uns nur ein schlechter Herzenszustand.

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Einfalt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 139ff

„Jehova bewahrt die Einfältigen“ (Ps. 116, 6). „Die Eröffnung deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ (Ps. 119, 130). Den Weisen und Klugen ist es verborgen — sie zweifeln und stoßen sich; den Unmündigen ist es geoffenbart — sie glauben und freuen sich und rechtfertigen die Wege der Weisheit Gottes (Matth. 11). Die großen Apostel rühmten sich, dass sie in Einfalt und Lauterkeit Gottes ihren Verkehr in der Welt und vor allem unter den Gläubigen gehabt· hätten (2. Kor. 1, 12). Wenn wir nicht einfältig sind, so sind wir auch nicht lauter; denn Einfalt und Lauterkeit gehen zusammen, wie fleischliche Weisheit und Unlauterkeit.

Der Geist Gottes gebraucht in 2. Kor. 11 ein passendes Bild von der köstlichen, heiligen Einfalt: eine keusche Jungfrau, die einem Manne verlobt ist, die immer an ihren geliebten Bräutigam denkt, die ihm vertraut, seinen Worten glaubt und niemals an seiner Liebe zweifelt. Aber die listige Schlange, welche einst Eva verführte, ist eine Feindin dieser heiligen Einfalt; und wer auf sie hört, wird Einfalt und Lauterkeit verlieren. So war es einst mit dem Volke Israel; so war es in späteren Tagen mit der Kirche, und so ist es mit jeder einzelnen Seele. „Ich habe dir gedacht“, sagt der Herr zu Israel, „die Zuneigung deiner Jugend, die Liebe deines Brautstandes, dein Wandeln hinter mir her in der Wüste, im unbesäten Lande.“ Von der Kirche lesen wir:

 Die Gläubigen alle „waren zusammen . . . und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen, nahmen sie Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens und lobten Gott“ (Apstgsch. 2). Und was die Einzelnen betrifft, wie viele Gläubige, Prediger und Lehrer unserer Zeit waren als Jünglinge so glücklich im einfältigen Glauben an ihren geliebten Herrn und Heiland, indem Sein Wort ihre tägliche Speise bildete und ihre Pfade reinigte, indem sie selbst Herzensgemeinschaft mit Gott pflegten und im Gebet ihrer Abhängigkeit von Ihm Ausdruck gaben! Aber ach! die Welt, die Geschäfte, die Ehre der Menschen, die hohen Schulen mit ihren vergiftenden Einflüssen. haben das liebliche Bild in das gerade Gegenteil verwandelt. Die einst so glücklichen Zeugen Jesu haben ihre Einfalt und Lauterkeit verloren. Der Verkehr mit dem Herrn ist kälter und kälter geworden, bis er endlich ganz aufhörte; das Glaubensschifflein hat Schiffbruch gelitten, und Zweifel aller Art erfüllen das arme Herz. Anstatt zu glauben, zu loben und anzubeten, zweifeln, tadeln und kritisieren sie. Ihr „Sinn ist verderbt und abgewandt worden von der Einfalt gegen den Christus“ (2. Kor. 11, 3).

Heil’ge Einfalt, Gnadenwunder,

tiefste Weisheit, größte Kraft!

schönste. Zierde, Liebeszunder,

Werk, das Gott alleine schafft!

Alle Freiheit geht in Banden,

alter Reichtum ist nur Wind;

alle Schönheit wird zu Schanden,

wenn wir ohne Einfalt sind.

Wenn wir in der Einfalt stehen,

ist es in der Seele licht;

aber wenn wir doppelt sehen,

so vergeht uns das Gesicht.

„Jehova bewahrt die Einfältigen“ (Ps. 116, 6). „Die Eröffnung deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ (Ps. 119, 130). Den Weisen und Klugen ist es verborgen — sie zweifeln und stoßen sich; den Unmündigen ist es geoffenbart — sie glauben und freuen sich und rechtfertigen die Wege der Weisheit Gottes (Matth. 11). Die großen Apostel rühmten sich, dass sie in Einfalt und Lauterkeit Gottes ihren Verkehr in der Welt und vor allem unter den Gläubigen gehabt· hätten (2. Kor. 1, 12). Wenn wir nicht einfältig sind, so sind wir auch nicht lauter; denn Einfalt und Lauterkeit gehen zusammen, wie fleischliche Weisheit und Unlauterkeit.

Der Geist Gottes gebraucht in 2. Kor. 11 ein passendes Bild von der köstlichen, heiligen Einfalt: eine keusche Jungfrau, die einem Manne verlobt ist, die immer an ihren geliebten Bräutigam denkt, die ihm vertraut, seinen Worten glaubt und niemals an seiner Liebe zweifelt. Aber die listige Schlange, welche einst Eva verführte, ist eine Feindin dieser heiligen Einfalt; und wer auf sie hört, wird Einfalt und Lauterkeit verlieren. So war es einst mit dem Volke Israel; so war es in späteren Tagen mit der Kirche, und so ist es mit jeder einzelnen Seele. „Ich habe dir gedacht“, sagt der Herr zu Israel, „die Zuneigung deiner Jugend, die Liebe deines Brautstandes, dein Wandeln hinter mir her in der Wüste, im unbesäten Lande.“ Von der Kirche lesen wir: Die Gläubigen alle „waren zusammen . . . und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen, nahmen sie Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens und lobten Gott“ (Apstgsch. 2). 

Und was die Einzelnen betrifft, wie viele Gläubige, Prediger und Lehrer unserer Zeit waren als Jünglinge so glücklich im einfältigen Glauben an ihren geliebten Herrn und Heiland, indem Sein Wort ihre tägliche Speise bildete und ihre Pfade reinigte, indem sie selbst Herzensgemeinschaft mit Gott pflegten und im Gebet ihrer Abhängigkeit von Ihm Ausdruck gaben! Aber ach! die Welt, die Geschäfte, die Ehre der Menschen, die hohen Schulen mit ihren vergiftenden Einflüssen. haben das liebliche Bild in das gerade Gegenteil verwandelt. Die einst so glücklichen Zeugen Jesu haben ihre Einfalt und Lauterkeit verloren. Der Verkehr mit dem Herrn ist kälter und kälter geworden, bis er endlich ganz aufhörte; das Glaubensschifflein hat Schiffbruch gelitten, und Zweifel aller Art erfüllen das arme Herz. Anstatt zu glauben, zu loben und anzubeten, zweifeln, tadeln und kritisieren sie. Ihr „Sinn ist verderbt und abgewandt worden von der Einfalt gegen den Christus“ (2. Kor. 11, 3).

Heil’ge Einfalt, Gnadenwunder,

tiefste Weisheit, größte Kraft!

schönste. Zierde, Liebeszunder,

Werk, das Gott alleine schafft!

Alle Freiheit geht in Banden,

alter Reichtum ist nur Wind;

alle Schönheit wird zu Schanden,

wenn wir ohne Einfalt sind.

Wenn wir in der Einfalt stehen,

ist es in der Seele licht;

aber wenn wir doppelt sehen,

so vergeht uns das Gesicht.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 141ff

VI.

Der Unterschied zwischen der Ankunft Christi zur Aufnahme Seiner Heiligen und Seiner Erscheinung mit ihnen in Herrlichkeit.

Das- Kommen Christi als- der glänzende Morgenstern zur Aufnahme Seiner Heiligen und Seine Erscheinung mit ihnen in Macht und Herrlichkeit, um Seine Herrschaft anzutreten und Gericht zu üben, find zwei Ereignisse, die sowohl ihrem Charakter als auch der Zeit ihrer Erfüllung nach ganz verschieden und voneinander getrennt sind. Das Wort Gottes liefert uns deutliche Beweise für diese Verschiedenheit, teils in bestimmten Erklärungen, teils ins berechtigten Schlussfolgerungen; zum Teil geht der Unterschied auch aus Vergleichungen und aus dem ganzen Zusammenhang der Heiligen Schrift hervor. Die Frage selbst ist von der größten Bedeutung, da ihre Beantwortung für die Stellung und Berufung der Kirche oder Versammlung entscheidend ist. Denn wenn die Seele weiß und im Glauben verwirklicht, dass ihr abwesender Herr jeden Augenblick zurückkommen kann, so wird sie nüchtern sein und wachen. Wenn sie aber glaubt, dass diese oder jene Ereignisse noch vor Seiner Ankunft stattfinden müssen, so ist der Herr nicht mehr der Gegenstand ihrer Erwartung, sondern ihr Blick ist auf jene Ereignisse gerichtet. Seine Ankunft ist dann in unbestimmte Ferne gerückt, und der gesegnete Einfluss der täglichen Erwartung des Herrn wird geschwächt, wenn nicht gar gänzlich vernichtet. Müssen noch sieben oder mehr Jahre vor dem Kommen des Herrn verfließen, müssen vorher noch allerlei Prophezeiungen in Erfüllung gehen, so hat die Ermahnung: ,,Seid nun bereit!« selbstverständlich nicht dieselbe Kraft und Bedeutung für mich, als wenn die Überzeugung in meiner Seele lebt, dass der Herr noch vor dem Anbruch des morgenden Tages kommen kann.

Mit welch liebevollem Ernst ermahnt der Herr Jesus Seine Jünger, zu wachen und Seine Ankunft beständig zu erwarten! Immer wieder stellt Er ihnen vor, dass sie „Menschen gleich sein möchten, die auf ihren Herrn warten, wann irgend Er aufbrechen mag von der Hochzeit, auf dass, wenn Er kommt und anklopft, sie Ihm alsbald aufmachen. Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird!· . . . .

 Und wenn Er in der zweiten Wache kommt und in der dritten Wache kommt, und findet sie also — glückselig sind jene Knechte“ (Luk. 12, 36 — 38; Matth. 25, 1 — 13)! Sobald der Knecht anfängt zu sagen: „Mein Herr verzieht zu kommen«, tritt unfehlbar· Pflichtvergessenheit und Untreue ein. (Luk. 12; Matth. 24, 42 — 51). In Übereinstimmung mit jener Ermahnung an die Knechte, ans der Hut zu stehen und zu wachen, erwarteten die Gläubigen der ersten Tage, wie wir dies ans den Briefen der Apostel ersehen, fortwährend die Ankunft ihres Herrn. „Ihr habt euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt«, schreibt Paulus an die Thessalonicher, „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (1. Tess. 1, 9. 10.) Und an die Philipper: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten“ (Phil.3,20). 

Und den Korinthern ruft er zu: „Denn in diesem (Hanse, d. i. in diesem Leibe) freilich seufzen wir uns sehnend, mit unserer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden, denn wir freilich, die in der Hütte sind; seufzen beschwert, wiewohl wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben“ (2. Kor. 5). Das Verlangen des Apostels ging also nicht dahin, entkleidet zu werden, d. h. den Leib abzulegen, zu sterben, sondern überkleidet zu werden, d. h. ohne zu sterben den neuen Leib zu empfangen, was bei der Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Seinigen mit allen Gläubigen geschehen wird, die dann noch im Leibe wallen. Würde Paulus wohl Grund zu der Hoffnung gehabt haben, dieser Überkleidung teilhaftig zu werden, wenn vor der Aufnahme der Versammlung noch eine ganze Reihe von Ereignissen hätte stattfinden müssen? Keineswegs. Es würden dann diese Ereignisse, nicht aber die Ankunft des Herrn, den Gegenstand seiner Erwartung gebildet haben. — Doch lasst uns einige Stellen der· Schrift untersuchen, die in besonderer Weise über diesen Punkt Licht verbreiten.

In 1.Thess. 4, 13 — 18, wo uns die Ankunft des Herrn zur -Aufnahme der Seinigen beschrieben wird, sehen wir, dass Er nicht auf diese Erde herabkommt, sondern das; die erlöste Schar, nachdem die Toten in Christo auferweckt und die lebend übriggebliebenen Heiligen verwandelt sind, Ihm entgegengerückt wird in die Luft. Und was dann? Wird der Herr dann sofort mit ihnen zurückkommen, um Sein Reich auf Erden aufzurichten und Seine Herrschaft anzutreten? Nein; Sein Kommen hat einen ganz anderen Zweck. Er bringt die Seinigen vor dem kommenden Zorn in Sicherheit; Er führt sie in den Himmel ein. Er bringt Seine teuer erkaufte Braut ins Vaterhaus, wo Er für sie eine Stätte bereitet hat. „Und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein.“

An dieser Stelle wird also keinerlei Ereignis erwähnt, das auf diese Erde Bezug hätte; auch handelt es sich nur um Erlöste: einerseits um die Toten in Christo, die durch Jesum Entschlafenen, und andererseits um uns, die bis zur Ankunft des Herrn übrigbleibenden Gläubigen. Von anderen Personen ist gar keine Rede. Erst nachdem der Apostel von der herrlichen Hoffnung der Gläubigen gesprochen hat, fährt er in völlig veränderten: Tone fort: „Was aber die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde“. Warum nicht? Hatte nicht der Herr Jesus selbst, als Er auf Erden war, Seinen Jüngern geboten, auf die Zeichen der Zeit zu achten? 

Hatte Er nicht über „Zeiten und Zeitpunkte, über zukünftige Kriege, über den Gräuel der Verwüstung, über die Zeit der großen Drangsal, über Zeichen in dem Himmel und über viele andere Ereignisse gesprochen, damit die Jünger inmitten dieser Drangsale wissen möchten, dass die Zeit der Offenbarung des Sohnes des Menschen nahe sei? Allerdings. Dennoch will der Apostel hier nicht bei diesen Dingen verweilen. Es war nicht nötig, darüber an die Thessalonicher zu schreiben. Weshalb nicht? Weil alle diese Dinge mit der besonderen Erwartung der Kirche Christi, der Braut des Lammes, nichts zu tun haben. Die Thessalonicher wussten genau, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht über die Gottlosen kommen würde: wenn sie (die Gottlosen) sagen: Friede und Sicherheit! dann kommt ein plötzliches Verderben über sie. 

Die Gläubigen aber sind Söhne des Lichtes und des Tages; sie sind nicht von der Finsternis, dass der Tag sie wie ein Dieb ergreifen könnte. Als Kinder des Lichtes stehen sie in Verbindung mit Christo, der Sonne der Gerechtigkeit, und werden, wenn Er in diesem Charakter erscheint, mit Ihm leuchten (Vergl· Matth. 13, 43). Als Kinder des Tages warten sie auf den Morgenstern, dessen Erscheinen den Tag einleiten und dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit vorangehen wird. Zugleich gehören die Gläubigen, als die Braut und der Leib Christi, als die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt, so völlig zu Christo,· sind so innig mit Ihm verbunden, dass sie in derselben Stellung sein müssen wie Er, zu Ihm hin versammelt, ehe Er sich der Welt gegenüber in Herrlichkeit offenbaren kann.

Es sind den Gläubigen der Jetztzeit also weder „Zeiten und Zeitpunkte“, noch Zeichen und Wunder zur Beobachtung angewiesen. (Auf die Worte des Herrn in Matth. 24 und für wen dieselben bestimmt sind, werden wir später zurückkommen.) Der Herr Jesus kann jeden Augenblick kommen, um die Seinen in die Herrlichkeit aufzunehmen. Nichts steht diesem Kommen im Wege. Keine einzige, diese Erde betreffende Prophezeiung muss vorher erfüllt werden. Wenn es sich dagegen um das Kommen Christi auf die Erde, zur Aufrichtung Seines Reiches, handelt, so muss vieles vorher geschehen; denn dieses Reich kann nicht errichtet werden, bevor der Antichrist überwunden und eine ganze Reihe von prophetisch angekündigten Ereignissen in Erfüllung gegangen ist.

So lange die wahre Kirche sich noch auf der Erde befindet, werden die Gerichte, welche die Propheten des Alten und des Neuen Testamentes geweissagt haben, nicht hereinbrechen. Wohl mögen die Gläubigen heute durch Trübsale und Züchtigungen gehen und auch an den Leiden teilhaben, welche die Welt im allgemeinen treffen; aber die Gerichte, von denen wir reden, tragen einen ganz anderen Charakter, als die Leiden und Prüfungen der Gegenwart. Für die Gläubigen sind die Kriege, Krankheiten u: s. w;, die jetzt fortwährend auf der Erde herrschen, nicht Strafgerichte, sondern Züchtigungen von der Hand eines liebenden Vaters; für die Welt sind sie ein Mahnruf des Gottes der Gnade, welcher will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 

Die Plagen und Drangsale aber, welche dereinst über die Welt kommen werden, sind die Zornesergüsse und gerechten Gerichte des heiligen Gottes, welcher von der Welt Rechenschaft fordern wird wegen der Ermordung und Verwerfung Seines geliebte» Sohnes. Und da Gott alles Gericht dem Sohne übergeben hat, so ist es zugleich der Zorn des Lammes, der dann über die Welt ausgegossen werden wird. Wie könnte nun die Braut des Lammes, die so teuer durch Sein Blut erkauft und aus der Welt erlöst worden ist, dann noch auf der Erde sein, wenn die Welt für die Verwerfung Christi gestraft wird? Unmöglich!

Doch wir sind in dieser Beziehung nicht· etwa auf eine bloße Schlussfolgerung, so berechtigt diese auch sein mag, beschränkt. Der Apostel Paulus lehrt in dem 2. Briefe an die Thessalonicher genau dieselbe Wahrheit. Wie wir früher schon bemerkten, hatten einige falsche Lehrer versucht, die Gläubigen in Thessalonich in Verwirrung zu bringen, indem sie ihnen sagten, dass die Verfolgungen und Leiden, die sie erdulden mussten, ein Beweis seien, dass der Tag des Herrn schon da sei. Gegen diese Lehrer tritt Paulus in der schärfsten Weise auf, indem er den Thessalonichern beweist, dass ihre Leiden einen ganz anderen Charakter trugen, als die Gerichte, welche dem Tage Christi vorangehen werden. 

Er ruft ihnen zu: „So dass wir selbst uns euer rühmen in den Versammlungen Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren Verfolgungen und Drangsalen, die ihr erduldet; ein offenbares Zeichen des gerechten Gerichts Gottes, dass ihr würdig geachtet werdet des Reiches Gottes, um dessentwillen ihr auch leidet“. Die Drangsale, welche sie erduldeten, kamen also über sie, weil sie an Jesum glaubten; während die Plagen und Gerichte, welche den Tag Christi kennzeichnen, die Welt treffen werden, weil sie die Christen verfolgt und Christum verworfen hat, also gerade aus dem entgegengesetzten Grunde. „Wenn es anders bei Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen. Der Gegensatz könnte nicht schärfer ausgeprägt sein. Überdies wird, gleichzeitig mit der Androhung des Gerichts hinsichtlich der Welt, den Christen die Verheißung gegeben: „Und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns bei der Offenbarung des Herrn Jesu vom Himmel, mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn Er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesu Christi nicht gehorchen“ u. s. w. (V. 7 — 10). Wenn also die Gerichte über die Welt kommen und der Herr an denen, die Gott nicht kennen, Vergeltung üben wird, dann werden wir Ruhe haben. 

Dies wird auch ausdrücklich in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Philadelphia verheißen, wo der Herr sagt: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“ (Offbg. 3, 10.) Die Aufnahme der Versammlung muss also vor den Gerichten stattfinden; anders würde sie mit der Welt „in der Stunde der Versuchung“ sein, während der Herr ihr gerade verheißt, dass das nicht der Fall sein soll.

Aus 2. Thess. 2, 3 -— 10 geht ferner hervor, dass auch der Antichrist nicht geoffenbart werden kann, solange die Versammlung oder die Braut Christi noch auf der Erde ist. Wir lesen dort: „Lasst euch von niemandem auf irgend eine Weise verführen; denn er (nämlich der Tag des Herrn, von welchem im vorhergehenden Verse die Rede ist) kommt nicht, es sei denn dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott heißt, oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei . . . . Und jetzt wisset ihr, was zurückhält, dass er (der Sohn des Verderbens) zu seiner Zeit geoffenbart werde. 

Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur ist jetzt der, welcher zurückhält, bis er aus dem Wege ist.“ Die Offenbarung des Antichrist geht dem Tage des Herrn, d. h. dem Kommen Christi als König auf diese Erde, voran. Indes steht dieser Offenbarung jetzt noch ein Hindernis im Wege, und sie wird nicht eher stattfinden, bis jenes Hindernis aus dem Wege geräumt ist. Die Frage ist nun, worin dieses Hindernis besteht. Nach meiner Meinung ist es der Heilige Geist, der in der Versammlung als in Seinem Tempel wohnt, und dessen Gegenwart auf der Erde der vollen Offenbarung des Verderbens im Wege steht und die völlige Entfaltung des Bösen zurückhält. Mit der Entrückung der Braut wird dieses Hindernis verschwinden. Der Heilige Geist ist dann nicht mehr hienieden, die Bosheit kann sich ungehindert entfalten, und der Antichrist wird erscheinen.

Das 19. Kapitel des Buches der Offenbarung macht jedem Zweifel bezüglich der Frage, ob die Versammlung vor den Gerichten in den Himmel aufgenommen werden wird, ein Ende. Wir haben diesen Abschnitt schon früher ausführlich behandelt. Der Herr Jesus kommt dort, auf einem weißen Pferde sitzend, aus dem Himmel, um Seine Feinde zu vertilgen und Sein Königreich aufzurichten. „Und die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, folgten Ihm auf weißen Pferden, angetan mit weißer, reiner Leinwand“.

 Diese himmlischen Kriegsheere können nicht Engel sein, wie Einige meinen, weil sie mit weißer reiner Leinwand bekleidet erscheinen, und „die feine Leinwand sind die Gerechtigkeiten der Heiligen“ (V. 8). Es ist das Weib des Lammes, das kurz vorher im Himmel die Hochzeit mit dem Lamme gefeiert hat (V. 6 — 9). Es sind die himmlischen Heiligen. Wenn diese nun, herrlich geschmückt, mit Christo aus dem Himmel auf die Erde herabkommen, so ist es offenbar, dass sie vorher von der Erde in den Himmel versetzt und dort mit Christo verbunden worden sein müssen. Auch haben wir ja in einem früheren Abschnitt unserer Betrachtung gesehen, dass diese himmlischen Heiligen bereits im 4. und 5. Kapitel der Offenbarung, unter dem Bilde der vierundzwanzig Ältesten, als im Himmel befindlich erscheinen, angetan mit den Zeichen priesterlicher und königlicher Würde. Im 6. Kapitel beginnt dann die Beschreibung der Gerichte die über die Erde kommen werden. 

Diese Beschreibung setzt sich fort bis zum Anfang des 19. Kapitels. Während all dieser Zeit befinden sich die vierundzwanzig Ältesten oder die himmlischen Heiligen droben, geschart um den Thron des «allmächtigen Gottes. Die Beschreibung der Gerichte wird immer wieder unterbrochen, um uns die Ältesten im Himmel zu zeigen, wie sie, auf Thronen sitzend, sich in vollkommener Ruhe der unendlichen Liebe Gottes und des Lammes erfreuen“ (Kap. 7, 11. 14 u. 19.) Und wenn dann endlich, nach Vollziehung aller Gerichte, das große Mahl Gottes gekommen ist, verlässt der Herr mit Seiner erlösten Schar den Himmel, um Seine Feinde zu vernichten und Sein Königtum auf Erden anzutreten. So sehen wir denn, dass zwischen der Aufnahme der Versammlung in den Himmel und ihrem Kommen mit Jesu aus dem Himmel ein Zeitraum liegt, in welchem die vorlaufenden, das Erscheinen der Herrlichkeit des Herrn einleitenden Gerichte und die damit in Verbindung stehenden ernsten Ereignisse sich vollziehen werden.

Die Meinung vieler Erklärer der Offenbarung, dass der größte Teil dieses Buches bereits erfüllt sei, fällt somit von selbst dahin. Denn bevor die in den Kapiteln 6 - 19 angekündigten Ereignisse sich erfüllen können, muss die Braut Christi, die Versammlung des lebendigen Gottes, die jetzt noch auf der Erde weilt, in den Himmel aufgenommen sein. Damit fallen dann auch jene wunderlichen, sich gegenseitig widersprechenden und aufhebenden Erklärungen zu Boden, welche über den Inhalt der genannten Kapitel aufgestellt worden sind, ohne dass man der Tatsache Rechnung getragen hat, dass die Entrückung der Kirche allem vorangehen muss. Um ihre Behauptungen aufrecht zu erhalten, haben jene Ausleger oft die unbedeutendsten Ereignisse der Vergangenheit für die Erfüllung wichtiger prophetischer Mitteilungen erklären müssen.

Beachtenswert ist ferner der große Unterschied zwischen den Stellen, in welchen über das Kommen des Herrn auf die Erde, und« denen, in welchen über Seine Ankunft zur Aufnahme der Seinigen die Rede ist. In Offbg. 1, 7 lesen wir: „Siehe, Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen, auch die Ihn durchstochen haben, und wehklagen werden Seinetwegen alle Stämme des Landes“. Und in Matth. 24, 27 u. 30: „Denn gleichwie der Blitz ausfährt von Osten und scheint bis gen Westen, also wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein . . . „und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“.

 Das Kommen des Sohnes des Menschen auf den Wolken trägt also einen erschreckenden Charakter; es ist dem Blitze gleich, überall Furcht und Entsetzen verbreitend. Jedes Auge wird Ihn dann sehen. Die Ankunft Christi für Seine Heiligen dagegen, wird nicht von allen Menschen geschaut werden. Nur Gläubige werden dann· die Stimme des Sohnes Gottes hören, und keinerlei Schrecken wird ihre Herzen erfüllen. Sie werden Ihn schauen, an den sie geglaubt und dessen Ankunft sie so lange herbeigesehnt haben. Von Gericht wird dann keine Rede sein; nein, Christus kommt als Heiland, als Freund und Bräutigam, um Seine geliebte Braut in ihre ewige Heimat einzuführen und sie dem Vater darzustellen, gleichsam sagend: „Siehe, ich und die« Kinder, welche du mir gegeben hast“. Welch ein Unterschied besteht daher zwischen diesem und jenem Kommen! 

Die Erscheinung des Herrn auf den Wolken wird mit der Sintflut und mit dem Untergang von Sodom und Gomorra verglichen (Matth. 24, 38. 39; Luk. 17, 28 —31.) Wären aber wohl eine große, alles vernichtende Flut und ein Feuer- und Schwefelregen passende Bilder für die Ankunft Christi zur Aufnahme Seiner Braut? Wird Er für Seine Heiligen kommen wie ein plötzlich aufflammender, erschreckender Blitzstrahl? Wird Er Seiner Braut begegnen als Richter, mit einem scharfen, zweischneidigen Schwert, oder mit einer eisernen Rute in der Hand, oder gar angetan mit einem in Blut getauchten Gewande, wie Er in Offbg. 19 dargestellt wird? Der Leser möge selbst antworten.

Doch nun entsteht die Frage: Wenn die Versammlung wirklich vor den Gerichten aufgenommen wird, wer sind dann die Heiligen, die sich während der Gerichte auf der Erde befinden werden? Das Buch der Offenbarung und Matth. 24 geben uns Antwort auf diese Frage. Die Kapitel 6 bis 18 der Offenbarung reden mit keinem Wort von der Versammlung oder der wahren Kirche, als auf der Erde befindlich; dagegen tritt der Unterschied zwischen Juden und Nationen wieder scharf und deutlich in den Vordergrund. So lange die Versammlung hienieden weilt, kann aber von einem solchen Unterschiede keine Rede sein; denn in der Versammlung ist „weder Jude noch Grieche“, da sind alle eins in Christo. Gott kennt jetzt kein anderes Volk auf der Erde, als dasjenige, welches Er aus allen Völkern beruft, um es als eine Braut Christo zu geben. Doch sobald die Versammlung von der Erde weggenommen ist, tritt der Unterschied zwischen Juden und Nationen wieder klar hervor; und der Zustand der Dinge, wie er im Alten Testament bestand, kehrt zurück.

 Die Versiegelten in Kapitel 7 sind aus den Stämmen Israels, und die Schar, die niemand zählen kann, aus den Nationen. Die Heiligen in Kap. 11, die in dem Tempel anbeten, sind Juden. Der Tempel und der Altar werden gemessen, und der Vorhof wird den Nationen gegeben, die das wieder als „heilige Stadt“ erscheinende Jerusalem zertreten; während das Weib (das jüdische Volk) und ihr Same die besonderen Gegenstände des prophetischen Zeugnisses bilden (Kap. 12). Aber nicht allein das; auch der Charakter der Heiligen, welche während der Gerichte hienieden sind und um ihres Zeugnisses willen leiden, beweist, dass sie nicht zu der Versammlung gehören. In Kapitel 6 rufen sie zu Gott um Rache an ihren Feinden.

 Es ist der Heilige Geist, der ihnen diese Worte in den Mund legt; denn ihre Bitte wird erhört. Dieser Schrei um Rache steht aber in unmittelbarem Widerspruch mit dem Charakter der Versammlung, die berufen ist, ihre Feinde zu lieben, zu segnen die ihr fluchen, und für diejenigen zu bitten, welche sie hassen und verfolgen. Auch das Zeugnis der beiden Zeugen in Kapitel 11 ist» mit Gerichten verbunden: Feuer geht aus ihrem Munde hervor und verzehrt ihre Feinde. Sie verschließen den Himmel und schlagen die Erde mit allerlei Plagen; während der Herr Jesus zu Jakobus und Johannes, als sie Feuer vom Himmel herabfallen lassen wollten, um die Samariter zu vertilgen, sagte: „Ihr wisset nicht, wes; Geistes ihr seid“.

Dasselbe finden wir in Matth. 24, wo der Herr, wie aus den Versen 29 und 30 hervorgeht, nicht über die Zerstörung Jerusalems durch Titus *) spricht, sondern über die Ereignisse, welche Seinem Kommen auf den Wolken des Himmels unmittelbar vorhergehen werden. „Alsbald nach der Drangsal jener Tage wird der Sohn des Menschen kommen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit. Die Heiligen, welche während dieser Ereignisse auf der Erde sind, werden ermahnt, sich nicht verführen zu lassen. Es wird ihnen gesagt, dass falsche Propheten und falsche Christi aufstehen und viele verführen werden· Alle, die in Judäa sind, werden aufgefordert zu fliehen, wenn sie den Gräuel der Verwüstung an heiligen: Orte stehen sehen werden, und zu beten, dass ihre Flucht nicht im Winter, noch an einem Sabbat geschehen möge. Sie werden ermahnt, nicht auf solche zu. hören, die da sagen werden: „Siehe, hier ist der Christus, oder hier! Siehe, Er ist in der Wüste, siehe, in den Gemächern“ (V. 13 — 26)!

 Es liegt klar auf der Hand, dass diese Ermahnungen nur an jüdische Heilige, keineswegs aber an Glieder der Versammlung gerichtet sein können. Wie könnte überhaupt die Versammlung zu jener Zeit in Judäa sein? Wie sollte sie den Tempel in Jerusalem als das Heiligtum (Hebr. 9, 24), und den jüdischen Sabbat oder den Samstag als den heiligen Tag betrachten können? Wie sollte sie sich durch Betrüger, die sich für den Messias ausgeben, oder durch Andere, die da sagen, dass Er in den Gemächern sei, verführen lassen können, da sie doch weiß, dass ihr Herr im Himmel ist? Für die gläubigen Juden dagegen, die, in ihr Land zurückgekehrt, den Messias erwarten werden, sind diese Ermahnungen und Warnungen durchaus am Platze. 

Der Tempel wird für sie wieder das Heiligtum bilden, der Sabbat wird von ihnen gehalten werden, und da sie ihren Messias aus Erden erwarten, um mit Ihm an Seinem Reiche teilzunehmen, wird es für sie eine große Versuchung sein, wenn die Botschaft an sie gelangt: Der Messias ist erschienen! Die „Auserwählten“, um derentwillen jene Tage verkürzt werden sollen (V. 22), sind daher gläubige Juden, und an sie richtet der Herr die mahnende Verheißung: „Wer ausharrt bis ans Ende, dieser wird errettet werden“ (V. 13).

Zum Schluss noch ein Wort über Offbg. 20, 4. Dort wird von den himmlischen Kriegsheeren, welche mit Jesu aus dem Himmel gekommen sind, gesagt: „Und ich sah Throne, und sie saßen daraus, und es wurde ihnen gegeben Gericht zu halten“; und dann heißt es weiter: ,,und (ich sah) die Seelen derer, welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und. die, welche das Tier nicht angebetet hatten, noch sein Bild, und das Malzeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und an ihre Hand; und sie lebten und herrschten mit dem Christus tausend Jahre. Während also die himmlischen Heiligen verherrlicht mit Jesu aus dem Himmel kommen, werden die Gläubigen, welche in der Zeit der Gerichte den Tod erleiden — sowohl die, welche in Kapitel 6 unter dem Altar gesehen werden, als auch ihre Brüder, die später getötet werden, - aus den Toten auferweckt, um an der taufendjährigen Herrschaft Christi teilzunehmen.

Doch wie werden diese Gläubigen aus Israel und aus den Nationen, die während der großen Drangsal hienieden sind, zum Glauben gelangen? Wird nicht nach der Entrückung der Braut und der Rückkehr des Heiligen Geistes in den Himmel jedes Gnadenzeugnis hienieden verstummen? Nein; wir lesen vielmehr in Matth. 24: „Und dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden aus dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“ (V. 14). Und in Offbg. 14, 6. 7: „Und ich sah einen anderen Engel inmitten des Himmels fliegen, der das ewige Evangelium hatte, um es denen zu verkündigen, die auf der Erde ansässig sind, und jeder Nation und Stamm und Sprache und Volk, indem er mit lauter Stimme sprach: Fürchtet Gott und gebet Ihm Ehre, denn die Stunde Seines Gerichts ist gekommen; und betet Den an, der den Himmel gemacht hat und die Erde und das Meer und die Wasserquellen“. Der Herr wird also nach der Aufnahme der Versammlung aufs Neue eine gute Botschaft verkündigen lassen.

 Es wird jedoch nicht mehr dasselbe Evangelium sein wie heute; nicht das Evangelium der Gnade und „der Herrlichkeit des Christus“ (2. Kor. 4, 4), welches den Glaubenden mit dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohne verbindet und ihm dort einen Platz gibt, sondern das Evangelium des Reiches. Bei dem ersten Kommen des Herrn Jesu auf die Erde predigte Johannes der Täufer: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“. Diese Predigt wurde später von den Jüngern Jesu fortgesetzt. (Vergl. Matth. 10). Den Inhalt derselben nennt der Herr das Evangelium des Reiches; und dieses Evangelium wird vor dem zweiten Kommen Christi aus die Erde aufs Neue nicht allein den Juden, sondern auch allen Völkern der Erde gepredigt werden. Jesus selbst sagte zu den Zwölfen, als Er sie mit der Predigt dieses Evangeliums betreute: „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird“ (Matth. 10, 23.) Alle nun, welche dieses Evangelium des Reiches annehmen werden, gehören» zu den Gläubigen, von welchen wir soeben gesprochen haben.

 Sie werden sich von der Welt und ihrer Gottlosigkeit absondern; sie werden sich weigern, den Antichrist anzubeten und das Malzeichen des Tieres anzunehmen; sie werden Babylon, die große Hure (Offbg. 18), verlassen und an die bevorstehende Ankunft des Königs Israels glauben. Diese Ankunft wird den schrecklichen Leiden, denen sie um ihres Glaubens und treuen Zeugnisses willen ausgesetzt sein werden, ein Ende machen und alle ihre Feinde vertilgen, sie selbst aber in die Ruhe und die Segnungen des tausendjährigen Friedensreiches einführen.

Indem ich hiermit diesen Abschnitt beschließe, kann ich nicht umhin, noch einmal auf unsere kostbare, gesegnete Hoffnung aufmerksam zu machen. Nichts steht der Erfüllung derselben im Wege. Heute noch kann der Morgenstern erscheinen und uns aus- dieser armen Welt, von dem Schauplatz der Sünde und des Todes, abholen in die ewigen Wohnungen des Friedens- droben. Darum aufgeschaut, geliebter Mitpilger! Nur noch eine kleine Weile, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.

Fußnote:

*) Wenn man Matth. 24 mit Luk. 21 vergleicht, wird man zwischen diesen beiden Prophezeiungen einen großen Unterschied entdecken. In Lukas kündigt der Herr zunächst die Zerstörung Jerusalems an (siehe V. 20) und das, was derselben vorangehen sollte; in Matthäus dagegen beschäftigt Er sich sofort mit den Ereignissen der letzten Tage, in Übereinstimmung mit der Frage der Jünger: „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters“ (Vergl. damit die Frage in Luk. 21, 7)? Trotzdem besteht zwischen beiden Prophezeiungen eine große Übereinstimmung, da die Ereignisse, welche. der Zerstörung Jerusalems vorangingen, denen der letzten Tage gleichen und eine vorläufige Erfüllung derselben bilden.

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Ich bin, der ich bin

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 158ff

Sehr oft richtet der Herr Jesus durch die beiden Wörtchen „Ich bin« in ganz besonderer Weise unsere Aufmerksamkeit auf sich selbst. Am meisten finden wir sie in den Schriften des Johannes, dessen besondere Aufgabe es war, die Herrlichkeit des Herrn Jesu in jeder Beziehung zu offenbaren.

Betrachten wir sie zunächst in Bezug auf die Person des Herrn. Schon dem Mose hatte Er sich unter dem Namen „Ich bin« geoffenbart: Und Gott sprach zu Mose: Ich bin, der ich bin. Und Er sprach: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: „Ich bin hat mich zu euch gesandt (2. Mose 3, 14.) Derselbe Herr, welcher als wahrhaftiger Mensch auf dieser Erde wandelte, zog einst in der Wolkensäule vor Israel her und zerteilte die Wasser des Roten Meeres und des Jordan. Er selbst bezeugt den Juden in feierlicher Weise: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin ich“ (Joh. 8, 58).

 Er war, ehe die Welten wurden, wie geschrieben steht: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch nicht eines, das geworden ist (Joh. 1, 1 — 3). Diese Stellen zeigen deutlich, dass unser geliebter Herr der Schöpfer des Weltalls ist, und dass Er als die zweite Person der Gottheit, als Sohn, von Ewigkeit her bei Gott war. Es ist kostbar für uns, dies aus Seinem eigenen Munde bestätigen Zu hören und zu wissen, dass Er auch in Seiner Niedrigkeit immer derselbe blieb, der Er von Ewigkeit her war. Auf die Frage des Hohenpriesters: „Bist du der Christus, der Sohn des Gesegneten?« antwortete Er: „Ich bin’s“ (Markus 14, 62)! Bei einer anderen Gelegenheit sagte Er: „Ich und der Vater sind eins . . . Ich bin Gottes Sohn“ (Joh. 10, 30. 36). Und zu Seinen Jüngern: „Ihr heißet mich Lehrer und Herr, und ihr saget recht, denn ich bin’s“(,Joh. 13, 13). Selbst in der Zeit Seiner Erniedrigung war Er stets Herr und unumschränkt» Gebieter über alles, obgleich Er nur bei gewissen Gelegenheiten, zum Nutzen für Andere, Seine Macht als solcher gebrauchte. 

Wie vor alters sich der Sturm auf Sein Geheiß erhob und wiederum in Stille verwandelt wurde (Psalm 107, 25 — 29), so gehorchten Ihm auch in den Tagen Seines Fleisches die Elemente willig; auf Sein Geheiß legten sich Wind und Wellen, und es ward eine große Stille. (Mark. 4, 39.) Auf Sein Wort: „Ich bin’s“, wichen Seine Feinde zurück und fielen zu Boden (Joh. 18, 6); und mit Gewalt gebot Er selbst den unreinen Geistern, und sie gehorchten Ihm (Mark. 1, 27). Auf die bloße Meldung hin: „Der Herr bedarf ihrer“, wurden Ihm die Eselin und ihr Fällen von deren Eigentümer zur Verfügung gestellt. (Matth. 21, 3). Ihm gehorchten die Fische des Meeres und füllten das Netz, welches die Jünger auf Sein Wort hinabließen (Luk. 5, 4 — 6). 

Wie herrlich und erhaben ist doch die Person unseres Herrn und Heilandes! Er vereinigte alle jene Titel in sich. Außerdem ist Er der „Sohn des Menschen“, und als solchem ist Ihm ebenfalls alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben (Matth. 28, 18). In Bezug darauf sagt Petrus: „Welcher, in den Himmel gegangen, zur Rechten Gottes ist, indem Engel und Gewalten und Mächte Ihm unterworfen sind“ (1. Petr. 3, 22). Ferner wird von Ihm, dem Menschensohne, gesagt: „Mit Herrlichkeit und

Ehre hast du Ihn gekrönt und Ihn gesetzt über die Werke deiner Hände; du hast alles Seinen Füßen unterworfen. Denn indem Er Ihm alles unterworfen hat, hat Er nichts gelassen, das Ihm nicht unterworfen wäre“ (Hebr. 2, 7. 8.) Wie „auch nicht eines“ ohne Ihn geworden ist, so hat Gott auch „nichts“ gelassen, das Ihm als Mensch nicht unterworfen wäre. —-

„Ich bin.“ Kostbare Worte! Der Herr ruft sie uns nicht nur zu kraft Seiner ewigen Gottheit, sondern auch kraft Seiner Herrlichkeit als der Auferstandene aus den Toten. Wir kennen Ihn jetzt als Den, der nicht nur die Welten erschaffen, sondern auch unsere Erlösung vollbracht hat. Bevor Er in die Herrlichkeit droben einging, machte Er die Reinigung unserer Sünden und sandte dann den Heiligen Geist hernieder. durch welchen wir das Bewusstsein haben, dass wir Kinder Gottes und als solche in Christo in die Gegenwart Gottes gebracht sind. Er, der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck Seines Wesens, der alle Dinge durch das Wort Seiner Macht trägt, hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt, nachdem Er durch sich selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht hat. (Hebr. 1, 2. 3.)

 So haben wir denn betreffs unserer persönlichen Stellung zum Herrn nie Ursache uns zu fürchten, wenngleich wir noch hienieden von Schwachheit umgeben sind. „Fürchte dich nicht!“ rief der Herr Seinem Knechte Johannes zu, als dieser angesichts Seiner Majestät wie tot zu Boden sank; „fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig in die Zeitalter der Zeitalter und habe die Schlüssel des Todes und des Hades“ (Offbg. 1, 17. 18). Das Sterben des Herrn, Sein Auferstehen, Sein Leben und Sitzen zur Rechten der Majestät in der Höhe — alles, alles bezeugt uns, dass unsere Sünden getilgt sind, dass der Tod überwunden, und dass Gott für uns ist. Auch im Blick aus unseren Weg durch die Wüste haben wir niemals Ursache uns zu fürchten, wenngleich wir rechts und links von Feinden und Gefahren umgeben sind. Mit den Worten „Ich bin“ hat der Herr stets das verbunden, was zu unserem Troste, zu unserer Ermutigung und Befestigung dient. Sind wir schwach, gibt es Leiden und Drangsale, oder offenbaren sich immer ernster die schweren Zeiten — Sein Wort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Matth. 28, 18), genügt in jeder Lage und für alle Zeiten.

 Er ist bei uns in der Fülle alles dessen, was Er ist; und zwar so beständig, wie Er einst bei Israel in der Wüste war. „Des Tages wich nicht die Wolkenschule, noch des Nachts die Feuersäule vor dem Volke. „So war es beständig: die Wolke bedeckte sie (die Wohnung), und des Nachts war es wie das Ansehen eines Feuers“ (2. Mose 13, 22; 4. Mose 9, 16). Der Herr kannte den Weg und sorgte für alle Bedürfnisse Seines Volkes während der ganzen langen Wüstenreise, so dass ihnen „nichts mangelte“. „Er kannte dein Ziehen durch diese große Wüste; diese vierzig Jahre ist Jehova, dein Gott, mit dir gewesen, es hat dir an nichts gemangelt“ (5. Mose 2, 7). Und so kennt der Herr auch alle unsere Bedürfnisse bis ins Kleinste hinein und sorgt für uns als Der, der uns vollkommen liebt und über alles verfügen kann. „Als ich euch ohne Börse und Tasche und Sandalen sandte, mangelte euch wohl etwas?« fragte Er einmal Seine Jünger. „Sie aber sagten: Nichts“ (Luk. 22, 35). Und warum nicht? Weil Er bei ihnen gewesen war. Wahrlich, Seine Gegenwart ist mehr wert als Tausende gefüllter Börsen und Taschen.

Ferner sagt der Herr: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden“(Joh.10, 9). Alles was in dieser Welt ist, befriedigt das Herz nicht; wohin das Auge blickt, sieht es nichts als Eitelkeit. Selbst ein Salomo musste bekennen: „Alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“. Nirgendwo findet das Herz etwas, das seine Leere auszufüllen vermöchte. Nun, der Herr Jesus ist die Thür, welche aus dem Labyrinth der Täuschungen dieser Welt heraus zu vollkommenem Frieden und wahrem Glücke führt. Welch eine Tür! Der Unterschied zwischen denen, die sich außerhalb dieser Tür, und denen, die sich innerhalb derselben befinden, lässt uns schon in etwa die Bedeutung der Thür verstehen.

 Es ist derselbe Unterschied, der uns in der Schrift durch ,,drinnen« und ,,draußen« bezeichnet wird. Die „drinnen“ sind errettet und werden später in der Herrlichkeit gesehen als solche, die ihre Kleidergewaschen, und die ein Recht haben an dem Baume des Lebens, und die durch die Tore in die Stadt eingehen. Die aber „draußen“ sind, stehen unter dem Gericht Gottes. (1. Kor. 5,13.) Ihr Teil ist die äußere Finsternis, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird (Matth. 8, 12). „Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer“ und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut“ (Offbg. 22, 15). 

Welch einen Tausch macht derjenige, der durch die Tür eingeht! Nicht nur entrinnt er dadurch dem schrecklichen Teil derer, die draußen sind, sondern er empfängt auch schon hier vollkommenen Frieden und ein Glück, das die Herrlichkeiten eines Salomo nicht aufzuwiegen vermögen. Er genießt schon in dieser Zeit einen Vorgeschmack von dem, was dort im Himmel sein ewiges Teil sein wird. Wer aber vermag einen solch wunderbaren Wechsel herbeizuführen? Wer vermag einen Sünder aus Verderben und Verdammlichkeit heraus in Errettung und ewige Glückseligkeit zu versetzen? Er allein, der gesagt hat: „Ich bin die Tür“.

Ferner lesen wir: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Offbg.22,13). Auch legt sich Jesus den Namen: „Anfang der Schöpfung Gottes“ bei (Offbg. 3, 14). Die erste Schöpfung war sicherlich· gut ·und schön aus den Händen Gottes hervorgegangen; aber in den Händen des Menschen ist sie, gleich allein, was dem Menschen je anvertraut worden ist, dem Verderben anheimgefallen. Christus aber ist der Anfang der Schöpfung Gottes auf einer Grundlage, wo Verfall und Verderben gänzlich ausgeschlossen sind, weil da nichts von dem Menschen, sondern alles von Gott ist, und weil alles von Anfang« bis zu Ende in den Händen Christi ruht.

 Die traurigen Früchte der Wirksamkeit des Menschen werden in dieser Schöpfung Gottes nicht mehr gefunden werden. „Und Er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Throne saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu. Und Er spricht zu mir: Schreibe, denn diese Worte sind gewiss und wahrhaftig. Und Er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“ (Offbg. 21, 4 — 6).

Wir sind als Gläubige heute schon in Christo in diese Stellung gebracht, wo alles von Gott ist, und können deshalb sagen: „Das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden. Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesum Christum“ (2. Kor. 5, 17.18). Dies ist auch die eigentliche christliche Stellung, welche wir durch den Glauben in der Macht des Heiligen Geistes zu bewahren haben, und Christus ist auch im Blick auf diese Stellung das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende; darum kann sie niemals verdorben oder erschüttert werden. 

Sie liegt ganz und gar in Seinen Händen. „Ich gebe ihnen ewiges Leben“, sagt Er von den Seinigen, „und sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben (Joh.10, 28.) Dies gilt sowohl von jedem einzelnen Erlösten, als auch von der Versammlung in ihrer Gesamtheit, betrachtet nach den Ratschlüssen Gottes. Am Ende des Buches der Offenbarung sehen wir sie diesen Ratschlüssen gemäß dargestellt in Herrlichkeit (Kap. 21, 9—22, 5). Weder die Anstrengungen des Feindes noch der traurige Verfall der bekennenden Kirche vermögen dieses herrliche Ergebnis zu verhindern.

Wohl nimmt das Zerstörungswerk des Feindes seinen Fortgang, Verfall und Verwirrung nehmen zu, und infolge dessen wird die Stellung der Treuen immer schwieriger; aber trotzdem kann der Ausgang nicht zweifelhaft sein, denn unser Herr hat gesagt: „Ich bin der Erste und der Letzte, der tot war und lebte“. Diese Worte wurden der Kirche einst zur Ermunterung zugerufen, als sie durch schwere Verfolgungen gehen musste. (Siehe das Sendschreiben an Smyrna; Offbg. 2, 8). Uns ruft sie der Herr heute zu demselben Zwecke zu; denn obgleich wir jetzt keine ernsten Verfolgungen« zu erdulden haben, befinden wir uns doch in den „schweren Zeiten“ der letzten Tage, in welchen die Aufrechthaltung eines lauteren Zeugnisses für Christum kaum weniger schwer ist als damals. Nicht Feuer und Schwert sind heute die Waffen des Feindes, sondern List und Tücke. 

Er handelt, wie einst Jannes und Jambres, welche dem damaligen Zeugnisse Gottes widerstanden; und es ist nicht zu leugnen, dass der Feind dem Zeugnis für Christum umso größere Niederlagen beigebracht hat, je mehr es ihm gelungen ist, die Form der Gottseligkeit nachzuahmen. Dies bezeugt der traurige Zustand nicht nur der bekennenden, sondern auch der gläubigen Christenheit unserer Tage. Wie viel Gleichgültigkeit gegen Christum, welch ein Hang zur Welt, welche Sucht nach Reichtum und Ansehen zeigt sich selbst unter denen, welche die Liebe Gottes geschmeckt haben!

Sicher wird durch derartige traurige Zustände die Stellung solcher Gläubigen erschwert, denen die Verherrlichung des Namens Jesu und die Aufrechthaltung der Wahrheit noch Herzenssache ist. Aber das Bewusstsein, dass Christus als der Erste und der Letzte, der tot war und lebte, den Sieg über alle Anstrengungen und Listen des Feindes davontragen wird, verleiht ihnen Trost und Kraft zum Ausharren. Satan meinte von Anfang an die Ratschlüsse Gottes durchkreuzen zu können; aber Christus hat als der Auferstandene aus den Toten den Sieg über die ganze Macht des Todes und des Hades davongetragen und somit den Beweis geliefert, dass Er Der ist, welcher die Pläne Satans zunichtemacht und alle Ratschlüsse Gottes erfüllt.

 Er ist der Erste und der Letzte. Er war, ehe die Welt geschaffen wurde und ehe Satan seine Pläne schmieden, konnte, und Sein Thron. Wird seine. Herrlichkeit bestehen, wenn die jetzige Gestalt der Welt, auch die gegenwärtigen Zustände und Satans Macht für immer beseitigt sein werden (Vergl. Hebr. 1, 8 — 11).

Schließlich möchte ich noch aus die Worte des Herrn in Offbg; 22, 16 aufmerksam machen. „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern“. Er ist die einzige, aber sichere Hoffnung Seines irdischen Volkes sowohl, als auch der Kirche, dieser beiden Mittelpunkte der Wege Gottes mit dem Menschen, in welchen die Herrlichkeit Christi nach den zeitlichen und ewigen Ratschlüssen Gottes geoffenbart werden soll. Als der wahre David wird Er alle die dem Volke Israel gemachten Verheißungen, erfüllen, wenn Er in Seiner Herrlichkeit, inmitten Seiner Heiligen, erscheinen wird. An jenem großen Tage wird Er auf dem Throne Seiner Herrlichkeit sitzen und die Völker voneinander scheiden; und alle werden ihr Teil empfangen, je nachdem sie an Israel (Seinen Brüdern) gehandelt haben (Matth. 25, 31 — 46).

 Als der glänzende Morgenstern- aber ist Er die herrliche Hoffnung der Kirche. Unter diesem Bilde wird uns in treffender Weise« gezeigt, wie Er für die Kirche kommen wird, Um sie ans der Welt herauszunehmen und ins Vaterhaus zu führen. Wie der Morgenstern schon vor Anbruch des Tages am Himmel erscheint und nur von denen gesehen wird, die während der Nachtwachen“ so werden auch nur die Gläubigen den Herrn zu ihrer Aufnahme kommen sehen. Kein Anzeichen, kein Ereignis kündigt die Aufnahme der Kirche an; aber die Gläubigen sind, was ihre Stellung betrifft, alle dazu bereit gemacht. Alle sind abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes, und darum passend für die Herrlichkeit. (1.Kor. 6, 11). Sie bilden zusammen. die Kirche, die Braut Christi, Seinen Leib. Ihre Aufnahme hängt daher davon ab, wann diesem Leibe das letzte Glied hinzugefügt werden wird, was jeden Augenblick geschehen kann.

„Mittlerweile ruht das Glaubensauge auf Ihm, dem glänzenden Morgenstern, mit welchem die Kirche als Seine Braut aufs Innigste verbunden ist. Und wie innig und herrlich muss ihr Verhältnis zu Christo sein, wenn schon Seine Beziehungen zu Israel Seiner irdischen Braut, im Hohenliede mit solch richtenden Worten geschildert werden! „Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben“, so redet der Herr dort die Braut an; und sie erwidert Ihm: „Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja holdselig“; und bald darauf: „Mein Geliebter ist weiß und rot, ausgezeichnet vor Zehntausenden“ (Kap. 1, 15. 16; 5, 10.) 

Welch ein wunderbar inniges Verhältnis drückt sich in diesen Worten aus! Wer kann es fassen, dass ein so hartnäckiges und widerspenstiges Volk, wie Israel war, noch einmal eine solche Herzensverbindung mit Dem haben wird, welchen es einst so schnöde behandelt und schließlich dem Kreuzes-tode überliefert hat? Ach! Seine unaussprechliche Liebe zu Seinem Volke ist trotz allem nicht erkaltet; Er ist derselbe geblieben, der Er von jeher war: der „Ich bin, der ich bin.

Noch unergründlicher aber ist die Liebe, die sich in Seinem Verhältnis zur Kirche offenbart: Er liebt sie wie sich selbst, Er betrachtet sie wie Fleisch von Seinem Fleische und Gebein von Seinen Gebeinen. Sie ist Seine Braut, das Weib, um derentwillen Er gleichsam Vater und Mutter verließ (Vergl. Eph. 5, 22 - 32). Sie ist für Ihn die „sehr kostbare Perle“, um deren Besitz Er alles verkauft hat, was Er hatte (Matth. 13, 45. 46). Gleich dem hebräischen Knecht hat Er sich aus Liebe für sie freiwillig und für ewig zum Knecht gemacht (2.Mose 21, 2 — 6). Er dient ihr, Er pflegt und nährt sie mit unermüdlicher Liebe. Mag auch Sein Auge viel Betrübendes sehen müssen, vieles, was Sein liebendes Herz aufs Schmerzlichste berührt, so bleibt doch Seine Liebe zu der Versammlung immer dieselbe.

 So wie Er sie geliebt hat vor Grundlegung der Welt, so wie Er sich für sie dahingab in Tod und Gericht mit derselben Liebe wird Er ihrer bis ans Ende hin gedenken und sie endlich sich selbst verherrlicht und tadellos darstellen. Dann wird diese, „die Erkenntnis übersteigende Liebe“ völlig erkannt und gewürdigt werden — eine Liebe, die nichts zu hemmen, zu verändern oder zu schwächen vermochte. „Denn die Liebe ist gewaltsam wie der Tod, hart wie der Scheol ihr Eifer; ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs. Große Wasser vermögen nicht die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht (Hohel. 8, 6. 7). Diese Liebe ist die Bürgschaft für die Unauflöi3lichkeit unseres Verhältnisses zu Christo, die Gewähr für die Wiederherstellung Israels und für die Erfüllung aller Verheißungen. Diese Liebe ist unwandelbar wie Christus selbst, wie Er, der ewige „Ich bin“.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi und die damit in Verbindung stehenden Ereignisse.

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 169ff

VII.

Die Wiederherstellung des römischen Reiches.

Das Volk Israel, von Gott dazu auserwählt, Seinen Namen auf der Erde zu tragen und Seine Herrlichkeit und Gerechtigkeit unter den Völkern zu offenbaren, bildete einst den Mittelpunkt, das Haupt aller Völker der Erde, und Jerusalem war der Sitz der Regierung Gottes über die Erde. Als jedoch dieses Volk durch feine fortwährenden schrecklichen Sünden den Herrn so lange gereizt und erzürnt hatte, „bis keine Heilung mehr war“, verlor es den Platz welchen es in der Geschichte der Welt einnahm, und die Herrschaft über die Erde wurde den Nationen übergeben. Zuerst wurden die zehn Stämme, welche das Reich Israel bildeten, durch Salmanassar, den König von Assyrien, gefangen weggeführt, um nicht wieder in ihr Land zurückzukehren; und als die zwei Stämme, das Reich Juda, fortfuhren in den Sünden Israels zu wandeln, fielen auch sie dem Gericht anheim und kamen in die Gefangenschaft nach Babel. 

Von diesem Augenblick an ging die Herrschaft über die Völker der Erde in die Hände des Königs Nebukadnezar über, wie wir dies aus dem Munde des Propheten Daniel vernehmen: „Du, o König, du König der Könige, dem der Gott des Himmels das Königtum, die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben hat; und überall, wo Menschenkinder, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels wohnen, hat Er sie in deine Hand gegeben und dich zum Herrscher über sie alle gesetzt“ (Dan. 2, 37. 38). Wohl sind die beiden Stämme (wenigstens ein Teil von ihnen) nach siebzigjähriger Gefangenschaft aus Babylon in ihr Land zurückgekehrt und haben die Stadt und den Tempel wieder aufgebaut; aber Macht und Herrschaft haben sie nicht wieder erlangt. Sie blieben vielmehr den Weltreichen, welche im Laufe der Jahrhunderte auf einander folgten, unterworfen, bis sie endlich unter dem letzten dieser Reiche, dem römischen, über die ganze Erde hin zerstreut wurden. 

Dieser Zustand der Dinge, dass nämlich der Thron Gottes von der Erde entfernt ist und Er nur noch mittelst Seiner Vorsehung den Gang der Ereignisse hienieden lenkt, wird so lange währen, bis der wahre Sohn Davids erscheinen und die Zügel der Regierung in Seine Hand nehmen wird, um dann in Gerechtigkeit über die ganze Erde zu herrschen. Bis dahin liegt die Herrschaft in den Händen der Nationen; und darum wird diese Zeit im Worte Gottes die Zeiten der Nationen« genannt (Vergl. Luk. 21, 24).

Untersuchen wir jetzt ein wenig, was die Schrift bezüglich der Ereignisse sagt, welche in diesen „Zeiten der Nationen“ stattfinden sollten oder noch sollen. Die umfassendsten und wohl am meisten Licht über unsern Gegenstand verbreitenden Prophezeiungen finden wir in dem Propheten Daniel. In dem großen Bilde, welches Gott dem König Nebukadnezar im Traume zeigte (Kap. 2), tritt zunächst die ganze Geschichte der „Zeiten der Nationen“ sinnbildlich vor unsern Blick. Nach der Auslegung Dunkels sollten nacheinander vier Reiche auf Erden erscheinen: das babylonische, das medisch-persische, das griechische und endlich das römische Reich. 

Die drei ersten Reiche werden von dem Heiligen Geiste in kurzer, treffender Weise gekennzeichnet; das vierte Reich, unter dessen Herrschaft der Messias geboren wurde (Luk. 2, 1), wird dagegen ausführlich beschrieben. Es ist das bedeutendste und zugleich dasjenige Reich, welches mit den Ereignissen am Ende der Tage in Verbindung stehen wird. Das Bild Nebukadnezars wird ja in dem vierten, dem römischen Reiche, von dem Gericht ereilt werden· Der Stein, der sich ohne Hände (d. h. ohne menschliche Vermittlung oder Mitwirkung) losreißt, schlägt das Bild an — seine Füße von Eisen und Ton und zermalmt sie samt dem ganzen Bilde. Dieser Stein ist Christus oder vielmehr das Reich, welches Gott in Ihm und durch Ihn aufrichten wird. (Indes ist es beachtenswert, dass der Stein erst nach der Zerstörung des Bildes zu einem großen Berge wird und die ganze Erde füllt.) 

Der 44. Vers unseres Kapitels berichtet noch Näheres über dieses Reich: „Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, welches ewiglich nicht zerstört, und dessen Herrschaft keinem anderen Volke überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber ewiglich bestehen“. Dies ist, wie gesagt, das Reich Christi. Bei der zweiten Ankunft Christi, oder, wie die Schrift es nennt, bei Seiner „Erscheinung in Macht und Herrlichkeit“, wird das römische Reich, in welchem die vorigen Reiche aufgegangen sind, für immer vernichtet werden. Hieraus geht, da das römische Reich im gegenwärtigen Augenblick als Reich nicht mehr besteht, hervor, dass es vor der Ankunft Christi wiederhergestellt werden muss. Inwieweit diese Folgerung mit den übrigen Belehrungen des Wortes Gottes übereinstimmt, werden wir weiter unten sehen.

Im 7. Kapitel des Propheten Daniel finden wir die eben genannten vier Reiche unter dem Bilde von vier Tieren wieder. Das babylonische Reich wird durch einen Löwen, das medisch-persische durch einen Bären, das griechische durch einen Pardel dargestellt, während das römische Reich beschrieben wird als ein Tier, „schrecklich und furchtbar und sehr stark, und es hatte große eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und was übrigblieb zertrat es mit seinen Füßen; und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm gewesen waren, und es hatte zehn Hörner. Die Übereinstimmung dieser Worte mit der Beschreibung des vierten Reiches in Daniel 2 ist in die Augen fallend; nur wird hier noch etwas hinzugefügt, was wir im 2. Kapitel nicht fanden. 

Wohl hat das Tier, entsprechend den zehn Zehen der Füße des Bildes, zehn Hörner; aber von diesen Hörnern wird gesagt: „Während ich aus die Hörner achtgab, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horne waren Augen wie Menschenaugen, und ein Mund, der große Dinge redete. Die Erklärung hierzu gibt Vers 24: „Und die zehn Hörner: aus jenem Königreiche werden zehn Könige aufstehen; und ein anderer wird nach ihnen aufstehen, und dieser wird verschieden sein von den vorigen und wird drei Könige erniedrigen“. Hieraus erhellt, dass das römische Reich am Ende in einer nie vorher dagewesenen Form wieder erstehen wird: es wird sich aus zehn Königen oder Königreichen, die miteinander verbunden sind, zusammensetzen; schließlich wird ein anderer, elfter König, das sogenannte „kleine Horn“, zwischen den übrigen hervorkommen, drei von den zehn erniedrigen und sich selbst zum Leiter und Beherrscher des Tieres machen. Das römische Reich hat in den vergangenen Jahrhunderten stets nur als ein Ganzes bestanden; nie ist es in zehn Königreiche geteilt gewesen, die, wie es in Offbg. 17, 12 heißt, eine Stunde mit dem Tiere Gewalt empfangen.

 Einige Gelehrte haben mit vieler Mühe versucht, die Bruchstücke, in welche das ungeheure Reich unter dem Ansturm der Barbaren im 5. Jahrhundert zerfiel, auf die Zahl zehn zu bringen, um so zu beweisen, dass die Prophezeiung sich: in jener Zeit schon erfüllt habe; aber sie haben dabei vergessen, dass die Entstehung jener Bruchstücke gerade den Zusammenbruch des römischen Reiches bedeutete, und dass von einer einheitlichen Leitung und Regierung fortan keine Rede mehr war. Das römische Reich hat eben um die genannte Zeit aufgehört zu bestehen; aber es wird wieder in neuer Form auf dem Weltschauplatz erscheinen. Es „war“ einst, ist jetzt nicht, und „wird aus dem Abgrund heraufsteigen“ , d. h. durch satanische Gewalt wiederhergestellt werden (Vergl. Offbg. 17, 8).

Von dem kleinen Horne wird ferner gesagt: „Er wird Worte reden gegen den Höchsten, und die Heiligen der höchsten Örter vernichten; und er wird darauf sinnen,. Zeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit in seine Hand gegeben werden“. Wir haben schon bemerkt und werden später noch einmal darauf zurückkommen, dass dieses kleine Horn das Haupt des römischen Reiches in seiner letzten Form darstellt, und zwar in Verbindung mit dem Antichristen. Infolge der Lästerungen und schrecklichen Taten des kleinen Hornes kommt das Gericht über das Tier. 

Wie das Bild Nebukadnezars zermalmt wird, so wird das vierte Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Feuer übergeben (V. 11). Dann lesen wir weiter: „Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und Er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor denselben gebracht. Und Ihm ward Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten Ihm; Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen, und Sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (V. 13. 14). An die Stelle des vierten Königreiches tritt also (wie in Daniel 2) das Königreich Christi; die Herrschaft wird Ihm, dem Sohne des Menschen, übergeben, und Sein Königtum wird nie wieder zerstört werden. „Auch hieraus folgt, dass das

römische Reich wiederhergestellt werden muss; denn wie könnte es durch den Sohn des Menschen gerichtet und vernichtet werden, wenn es nicht wieder in Erscheinung träte?

Wenn wir jetzt das Buch der Offenbarung zur Hand nehmen, so werden wir in den Kapiteln 13 und 17 eine nähere Beschreibung des vierten Reiches von Daniel finden, d. h. also des römischen Reiches in seiner neuen Gestalt.

Und ich stand auf dem Sande des Meeres. Und ich sah aus dem Meere ein Tier aufsteigen, welches zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und aus seinen Hörnern zehn Diademe, und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sah, war "gleich einem Pardel, und seine Füße wie die eines Bären, und sein Maul wie eines Löwen Maul. Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt. Und ich sah einen seiner Köpfe wie zum Tode geschlachtet. Und seine Todeswunde wurde geheilt, und die ganze Erde verwunderte sich über das Tier. Und sie beteten den Drachen an, weil er dem

Tiere die Gewalt gab, und sie beteten das Tier an und sagten: Wer ist dem Tiere gleich? Und wer vermag mit ihm zu kämpfen? Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große Dinge und Lästerungen redete; und es wurde ihm Gewalt gegeben, zu wirken zweiundvierzig Monate. Und es öffnete seinen Mund zu Lästerungen wider Gott, Seinen Namen zu lästern und Seine Hütte und die, welche ihre Hütte in dem Himmel haben. Und es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden; und es wurde ihm Gewalt gegeben über jeden Stamm und Volk und Sprache und Nation. Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten, ein jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buche des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an (Kap. 13, 1 -— 8).

„Das Tier, welches du sahst, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und ins Verderben gehen; und die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und da sein wird. Hier ist der Verstand, der Weisheit hat: die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf welchen das Weib sitzt. Und es sind sieben Könige: fünf von ihnen sind gefallen, der eine ist, der andere ist noch nicht gekommen; und wenn er kommt, muss er eine kleine Weile bleiben. 

Und das Tier, welches war und nicht ist, er ist auch ein achtet: und ist von den sieben Und geht ins Verderben. Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige, welche noch kein Königreich-empfangen haben, aber Gewalt wie Könige empfangen eine Stunde mit dem Tiere. Diese haben einen Sinn und geben ihre Macht und Gewalt dem Tiere. Diese werden mit dem Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden; denn Er ist Herr der Herren und König der Könige, und die mit Ihm sind Berufene und Auserwählte und Treue (Kap. 17, 8 — 14).

Eine nähere Betrachtung der Einzelheiten dieser Weissagungen wird deutlich ergeben, dass hier von dem vierten Tiere Daniels die Rede ist; mit anderen Worten, von dem römischen Reiche, jedoch nicht so wie es einstmals bestanden hat, sondern wie es am Ende der Tage, kurz vor dem Erscheinen des Sohnes des Menschen, bestehen wird.

1. Wie die vier Tiere bei Daniel, so steigt auch bei Johannes das Tier aus dem Meere herauf. Das Meer mit seinen ungestümen Wogen ist in der Prophezeiung das bekannte Sinnbild von Völkern, die sich in einem ungeordneten, revolutionären Zustande befinden, von Volksmassen, die, gleich den ruhelosen Wellen der großen Tiefe, in mächtiger Bewegung sind; während die Erde, aus welcher das zweite Tier in Offbg. 13 heraufsteigt, das Bild von Völkern ist, die nach den Stürmen der Revolution zur Ruhe gekommen sind. In Kap. 17, 15 wird gesagt: „Die Wasser, die du sahst, wo die Hure sitzt, sind Völker und Völkerscharen und Nationen und Sprachen“ (Vergl. auch ·Jes. 17, 12. 13 und 57, 20). Das entstehende Reich wird also ans einer Masse von Völkern hervorkommen, die sich in dem Zustande der Herrschaftslosigkeit befinden; es wird seine ·Entstehung dem revolutionären Geist der Völker verdanken.

2. Das Tier bei Johannes vereinigt in sich die drei ersten Tiere Daniels. Es ist gleich einem Pardel, seine Füße sind wie die eines Bären, und sein Maul ist wie eines Löwen Maul. (Dass diese Tiere hier in umgekehrter Reihenfolge genannt werden wie bei Daniel, hat wohl seinen Grund darin, dass Daniel jene Reiche in der Zukunft sah, während Johannes sie in der Vergangenheit erblickte. Daniel lebte unter der babylonischen Herrschaft, sah also, vorwärts blickend, nach dem babylonischen Reiche das medische, dann das griechische und endlich das römische Reich; Johannes dagegen, der unter den Römern lebte, sah, rückwärts blickend, zuerst das griechische, darnach das medische und schließlich das babylonische Reich. 

Hieraus folgt, dass das römische Reich bei seiner Wiederherstellung die verschiedenen charakteristischen Eigenschaften der drei vorhergehenden Reiche: Schnelligkeit, Raubgier und gewaltige Kraft, in sich vereinigen wird. In Übereinstimmung damit sehen wir denn auch, dass, wenn der Stein sich ohne Hände losreißt und das Bild, an seine Füße von Eisen und von Ton schlägt, nicht nur das Eisen und der Ton, sondern auch das Erz, das Silber und das Gold zermalmt werden wird (Dan. 2, 34. 35,· 7, 11. 12). Mit dem römischen Reiche wird das ganze Bild Nebukadnezars zerstört werden.

3. Das Tier bei Johannes trägt, ähnlich dem Tiere Daniels, in seiner letzten Gestalt einen teuflischen Charakter. Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt. Wer der Drache ist, geht aus dem vorhergehenden Kapitel hervor. Es ist die alte Schlange, welcher Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt“.(Kap. 12, 9.) Er wird samt seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde geworfen, woraufhin die Heiligen im Himmel rufen: „Wehe der Erde und dem Meere! 

Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (V. 12). Aus dem Himmel, seiner bisherigen Wohnstätte (vergl. Eph. 6, 12), auf die Erde geworfen, wird Satan dem römischen Reiche Macht und Gewalt verleihen. Durch seinen unmittelbaren Einfluss wird es in seiner letzten Form entstehen· Er ist es auch, der dem Tiere einen Mund gibt, um große Dinge und Lästerungen

zu reden. Bei Daniel lasen wir, dass das kleine Horn einen Mund hatte, der große Dinge redete, und dass es die Heiligen verfolgen und Zeiten und Gesetz verändern wird. Nun werden in 2. Thess. 2 und Offbg. 13, 11-18 fast die nämlichen Dinge von dem Antichristen gesagt. Auch heißt es in letztgenannter Stelle, dass dem Antichristen gegeben werden wird, wunderbare Zeichen vor dem Tiere zu tun, indem er die Menschen auffordert, dem Tiere ein Bild zu machen, welchem er dann Odem und Sprache gibt und „macht, dass alle getötet werden, die das Bild des Tieres nicht anbeteten“. Wir können deshalb den Antichristen wohl den Mund des kleinen Hornes nennen; oder mit anderen Worten: das Haupt des römischen Reiches wird in Verbindung mit dem Antichristen durch den Teufel benutzt werden, um vermessene Lästerungen gegen Gott zu reden und die Völker zum völligen Abfall von Gott, zur Gottlosigkeit und zum Götzendienst zu verleiten.

Wie lange nun wird dieser Zustand dauern? Daniel sagt: „eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit d. h. dreiundeinhalb Jahre. Johannes sagt: „zweiundvierzig Monate“, also wieder dreiundeinhalb Jahre. Das römische Reich wird deshalb in dem Charakter, in welchem es uns hier gezeigt wird, nämlich in Verbindung mit dem Antichristen, dreiundeinhalb Jahre bestehen, um danach durch das Kommen des Herrn vernichtet zu werden. Während dieser Zeit wird es die Heiligen verfolgen und Gewalt haben über alle Völker und Sprachen und Nationen. „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten, ein jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buche des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an“ (Offbg. 13, 8).

4. „Das Tier, welches du sahst, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraussteigen und ins Verderben gehen; und die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, das; es war und nicht ist und da sein wird“ (Kap. 17, 8). Das will sagen: in der Zeit des Endes, in welcher wir heute schon leben, wird von dem römischen Reich gesagt werden können: es war, d. h. es hat eine Zeit bestanden; es ist nicht, d. h. es hat aufgehört zu bestehen, und es wird wieder sein. 

Das römische Reich hat noch mehrere Jahrhunderte nach dem Tode Christi bestanden. Dann ist es zusammengebrochen und vom Schauplatz verschwunden. Es existiert heute nicht mehr. Aber es wird wieder zum Vorschein kommen, und zwar wird es dann aus dem Abgrunde heraufsteigen und seine Macht von dem Drachen empfangen. Die Sprache des Propheten ist so einfach und klar, dass ein Missverständnis ganz ausgeschlossen erscheint. Will man die Wiederherstellung des römischen Reiches leugnen, so muss man dem Worte Gottes geradezu Gewalt antun. Diese Wiederherstellung ist bestimmt und ausdrücklich vorhergesagt, und sie wird in der Welt einen solchen Eindruck machen, dass alle Menschen sich darüber verwundern und ausrufen werden: „Wer ist dem Tiere gleich? Und wer vermag mit ihm zu kämpfen“ (Siehe Kap. 13, 3. 4; 17, 8)?

5. Das Tier hat sieben Köpfe und zehn Hörner. „Hier ist der Verstand, der Weisheit hat“, sagt der Geist; „die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf welchen das Weib sitzt“. Dass hiermit Rom gemeint ist, welches auf sieben Hügel erbaut ist, wird wohl von niemandem bestritten werden. Doch die sieben Köpfe des Tieres haben noch eine weitere Bedeutung: „Und es sind sieben Könige: fünf von ihnen sind gefallen, der eine ist, der andere ist noch nicht gekommen; und wenn er kommt, muss er eine kleine Weile bleiben“. 

Unter diesen „Königen“ haben wir hier wohl nicht bestimmte Personen, sondern vielmehr Regierungsformen zu verstehen, unter welchen das römische Reich nacheinander gestanden hat. Als jene Auslegung dem Johannes gegeben wurde, waren bereits fünf dieser Regierungsformen vorübergegangen, während die sechste, die kaiserliche, noch bestand. Die siebente war und ist heute noch nicht gekommen; und wenn sie kommen wird, so muss sie eine kurze Zeit bleiben. Ich halte es für wahrscheinlich, dass, wenn das römische Reich wiederhergestellt sein wird, zunächst diese siebente Regierungsform nur eine kurze Zeit bestehen wird, um dann dem achten Haupte Platz zu machen. „Und das Tier, welches war und nicht ist, er ist auch ein achter und ist von den sieben und geht ins Verderben“. Nachdem die siebente Regierungsform nach kurzem Bestehen verschwunden ist, kommt die achte, und diese muss „aus den sieben“ sein; d. h. eine der schon früher dagewesenen Regierungsformen wird wiederhergestellt werden, jedoch mit dem Unterschiede, dass sie jetzt aus dem Abgrunde hervorkommen wird. 

Dieses achte Haupt wird die Herrschaft über das wiederhergestellte Reich so voll und ganz an sich reißen, dass dieses in ihm gleichsam verkörpert sein wird und Tier und Haupt in unserer Stelle als gleichbedeutend erscheinen: „Das Tier, welches war und nicht ist, er ist auch ein .achter“.. In Daniel sahen wir inmitten der zehn Hörner des Tieres ein kleines Horn hervorkommen, welches drei von den zehn Königen erniedrigte und dadurch die Oberherrschaft an sich riss. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir dieses kleine Horn und das hier beschriebene achte Haupt als gleichbedeutend betrachten.

Bezüglich der zehn Hörner des Tieres wird gesagt: „Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige, welche noch kein Königreich empfangen haben, aber Gewalt wie Könige empfangen eine Stunde mit dem Tiere“ (Offb.17,12). Die genaue Übereinstimmung dieser Auslegung des Engels mit den Weissagungen Daniels muss jedem aufmerksamen Leser sofort ausfallen. Schon in der Deutung des Traumes Nebukadnezars wird darauf hingewiesen (Dan. 2, 44) und in der Beschreibung des vierten Tieres in Kap. 7 ausdrücklich erklärt, dass die letzte Form, unter welcher das vierte Reich erscheint, ein zehnköpfiges Königreich sein wird. Gerade so ist es hier. Das wiederhergestellte römische Reich wird zunächst aus zehn Königen oder Königreichen bestehen, die eine Stunde Gewalt empfangen mit dem Tiere.

 Und von diesen Königen wird gesagt: „Sie haben einen Sinn und geben ihre Macht und Gewalt dem Tiere“. Das heißt mit anderen Worten: sie werden sich miteinander verbinden und durch diese Vereinigung und ihre Unterwerfung unter das Tier dieses groß machen. Doch wozu wird diese Machtentfaltung dienen? Um Krieg zu führen gegen das Lamm. „Diese werden mit dem Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden; denn Er ist Herr der Herren und König der Könige, und die mit Ihm sind Berufene und Auserwählte und Treue.

Es unterliegt nach dem Gesagten also keinem Zweifel, dass das frühere römische Reich am Ende der Tage wiederhergestellt werden wird. Doch aus welchen Ländern wird es dann bestehen? Diese Frage ist wohl nicht bestimmt zu beantworten. Als das alte römische Reich in seiner höchsten Blüte stand, umfasste es beinahe die ganze damals bekannte Welt. Die römische Herrschaft erstreckte sich über folgende Länder, die wir mit ihren heutigen Namen nennen: Italien, Griechenland, die europäische und asiatische Türkei, Persien, Osterreich bis an die Donau, die Schweiz, Frankreich, Spanien, Portugal, die Rheinprovinzen, Belgien, England mit Ausnahme von Schottland und Irland, Palästina, Ägypten und die ganze Nordküste von Afrika. Wird sich die Herrschaft des wiederhergestellten römischen Reiches über dasselbe Gebiet erstrecken? Vielleicht; jedenfalls über einen großen Teil desselben.

Wir brauchen uns daher nicht zu verwundern, wenn der Prophet sagt, dass das Tier aus dem Meere, d. h. aus dem unruhigen Wogen großer Völkern lassen heraussteigt. Es wird ja noch vieles geschehen müssen, ehe die Karte Europas eine Veränderung erfahren hat, wie sie zur Darstellung des römischen Reiches notwendig ist. Eine solche Veränderung kann kaum ohne gewaltige Umwälzungen und Kriege vor sich gehen. Fürsten werden von ihren Thronen gestoßen werden; einige Reiche werden wohl aushören zu bestehen, während andere neu errichtet werden mögen. Kein Wunder daher, wenn inmitten der allgemeinen Verwirrung ein Mann aufstehen wird, der, von Satan selbst ausgerüstet und geleitet, mit eiserner Hand die Zügel der Regierung ergreifen und aus diesem Durcheinander das alte römische Reich wieder erstehen lassen wird. 

Und es ist ebenso begreiflich, dass die ganze Erde sich darüber verwundern und den Teufel anbeten wird, der dem Tiere die Gewalt gibt. Wie die Franzosen, nach der Revolution von 1795, sich willig unter das eiserne Szepter des ersten Napoleon beugten, so werden dann die Völker des römischen Gebietes sich vor demjenigen beugen, der die Kraft und Fähigkeit besitzt, alles was sich ihm entgegenstellt niederzuwerfen, und die Ordnung, soweit von einer solchen dann noch die Rede sein kann, wiederherzustellen. Dieses letzte Haupt des römischen Reiches wird, wie bereits bemerkt, drei von den zehn Königen erniedrigen und, nachdem es sich mit dem Antichristen, der dann König der Juden sein wird, verbündet hat, seinen teuflischen Einfluss über das ganze Reich geltend machen. In diesem letzten antichristlichen Zustande wird das Reich dreiundeinhalb Jahre bestehen, um dann durch das Kommen des Herrn Jesu mit Seinen himmnlischen Heerscharen vernichtet zu werden.

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Der Wandel durch Glauben

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 184ff

„Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebräer 11, 1).

So lange wir hienieden pilgern, haben wir durch Glauben« zu wandeln. Dem Glauben aber sind zwei Dinge eigen: er ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, und eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht. Bezieht sich das Erstere (das was man hofft) auf die zukünftige .Herrlichkeit der Erlösten, so lässt sich letzteres das was man nicht sieht) wohl aus die Gerichte anwenden, die über diese Welt kommen werden. Jedenfalls stehen, wenn wir wirklich durch Glauben wandeln, diese beiden Dinge, die Herrlichkeit und die Gerichte, frisch und lebendig vor unserm Geiste, und die gegenwärtige Welt erscheint uns in ihrer wahren Gestalt. Der Glaube stützt sich betreffs dieser beiden Dinge nicht aus Mutmaßungen oder menschliche Meinungen, sondern aus das untrügliche Wort Gottes.

 Auf Grund desselben verwirklicht er die Herrlichkeit, und ist zugleich überzeugt, dass das Gericht kommen wird, selbst wenn keinerlei Anzeichen dafür vorhanden sind. So hatte zum Beispiel Noah keinen anderen Beweis für das Kommen der Flut, als den „göttlichen Ausspruch“; aber dieser genügte ihm vollständig. Während nach menschlichem Urteil alles um ihn her diesem Ausspruch zu widersprechen schien, baute er auf Grund desselben eine Arche zur Rettung seines Hauses. Der Glaube in ihm war eine Überzeugung von dem, was noch nicht zu sehen war. Die Menschen gingen in ihrer gewohnten sorglosen Weise voran: „sie aßen, sie tranken, sie heirateten“. Aber wie lange? Bis zu dem Tage, da Noah in die Arche ging und die Flut kam (Hebräer 11,7; Lukas 17, 27) .— Andererseits verwirklichte Abraham seinen Platz in dem Lande der Verheißung, indem er sich durch Glauben darin aushielt, als er noch keinen Fußbreit davon sein eigen nennen konnte (Hebr. 11, 9; Apstgsch. 7, 5).

Ehe die Gerichte über diese Welt ergehen, werden die Gläubigen in den Himmel entrückt werden und bei dem Herrn sein, und alsdann werden sich die Zornschalen über diese Erde ergießen. Das sind die festbeschlossenen Gedanken Gottes, sowohl betreffs der Seinigen als auch der Welt; und diese Gedanken werden durch den gegenwärtigen Zustand der Dinge nicht aufgehoben. Mag auch die Welt frohlocken, und mögen die Kinder Gottes leiden, der Glaube betrachtet dennoch die Welt stets von einem göttlichen Gesichtspunkt aus: sie steht für ihn unter dem Gericht.

 Und diese seine Anschauungs-weise wird durch die der Welt gewährte Frist, welche zwischen dem göttlichen Ausspruch *) und der tatsächlichen Ausführung desselben liegt, nicht im mindesten geändert. Er ist so völlig von dem unausbleiblichen Ausdruck der schrecklichen Katastrophe überzeugt, wie einst Noah von dem Kommen der Flut. Nichts kann ihn in seiner Überzeugung wankend machen. Mögen auch der Welt ihre Pläne je länger je mehr zu gelingen scheinen, mögen Erfindungen auf Erfindungen sich häufen, ungeahnte Kräfte sich ihr erschließen, und mag sie den Frieden für immer gesichert wähnen —— der Glaube weiß, dass ein plötzliches Verderben über sie kommt. (1. Thess. 5, 3).

Aber nicht mir das — während die Welt sich sorglos einer falschen Sicherheit überlässt, verwirklicht der Glaube sein zukünftiges Teil, den Platz, welchen die Kinder Gottes im Himmel einnehmen werden. Er kennt die Gedanken und Absichten Gottes hinsichtlich der Gläubigen, was auch ihr gegenwärtiger Zustand der Schwachheit, des Leidens, der Niedrigkeit und Schmach sein mag. Nichts von der zukünftigen Herrlichkeit ist ja jetzt an ihnen zu sehen; denn ihr Leben ist noch verborgen mit dem Christus in Gott. (Kol. 3, 3.) Aber ebenso plötzlich wie das Gericht über die Welt kommen wird, werden sie zum Herrn entrückt werden, „in einem Nu, in einem Augenblick“ (1. Kor. 15, 52).

Eh noch die Gerichte toben,

werden wir zu dir erhoben;

eh’ der Tag des Zorns erscheint,

hast du uns mit dir vereint.

Mit Freuden weilen die Gedanken des Gläubigen bei diesem wunderbaren Wechsel, der dann für die Kinder Gottes eintreten wird, bei dem Übergang aus dem Glauben zum Schauen, aus der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, ans dem Kampfe zum endgültigen, vollständigen Siege. Dann werden wir alle in Christo Entschlafenen wiedersehen, und mehr als alles, wir werden Ihn schauen, den geliebter: Herrn, von Angesicht zu Angesicht. Triumphierend werden wir dann ausrufen: ,,Wo ist, o Tod, dein Stachel? wo ist, o Tod, dein Sieg?“ (1.Kor. 15, 51 -- 58.) Der Gedanke an diesen herrlichen Augenblick gibt Mut und Kraft zum Ausharren in den gegenwärtigen Prüfungen, und er ist ein mächtiger Trost selbst angesichts des Todes.

Wir besitzen jetzt noch alles in Hoffnung. Errettung, Sohnschaft, Erbteil und Herrlichkeit — nichts von alledem ist heute zu sehen. „Denn in der Hoffnung sind wir errettet worden. Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung; denn was einer sieht, was hofft er es auch“ (Röm. 8, 24)? Aber bei der Ankunft des Herrn werden wir sichtbarlich den Besitz, dieser Dinge antreten; dann wird unsere Errettung zur vollendeten Tatsache werden, dann empfangen wir die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes, und treten ein in das Erbteil und in die Herrlichkeit Gottes. 

Doch der Glaube ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft. Durch ihn verwirklichen wir heute schon unsere Errettung in der hier gegebenen Bedeutung, indem wir unsere vollständige Befreiung durch den Tod Christi festhalten. Denn dieser ist das Ende unseres alten Menschen und des ganzen damit verbundenen Zustandes der Sünde. Durch Glauben halten wir uns der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu. (Römer 6, 11.) Durch Glauben wandeln wir in Neuheit des Lebens, wo Satan, Welt und Tod keine Macht mehr über uns haben, weil das was ihnen Macht verlieh, die Sünde, im Tode Christi gerichtet und hinweggetan ist.

Ebenso verwirklichen wir durch den Glauben die Sohnschaft, die Erlösung des Leibes, indem wir uns als auferstanden mit Christo betrachten. Zwar sind wir jetzt schon Kinder Gottes, aber es ist doch noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden (1. Joh. 3, 2); erst dann, wenn wir als Auferstandene und Verherrlichte das Bild des Himmlischen tragen werden, werden wir als Söhne Gottes in dem Sinne Seines Vorsatzes geoffenbart sein.

 „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Römer 8, 29; 1. Kor.15,49). Diese Sohnschaft, die Gleichförmigkeit mit Christo in der Herrlichkeit, verwirklichen wir jetzt durch Glauben, indem wir, gleich dem Sohne Gottes, durch diese Welt gehen als solche, die nicht von der Welt sind. „Sie find nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“, sagte der Herr betreffs der Seinigen hienieden (Joh. 17, 16).

Ferner verwirklichen wir durch den Glauben unser Erbteil, unseren Platz, in den himmlischen Örtern. Gott hat uns mit Christo auferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu, und hat uns dort in Ihm mit jeder geistlichen Segnung gesegnet. (Eph. 1,3 2, 6). Aber gleichwie Israel einerseits durch das Rote Meer (das Bild des Todes Christi für uns) von der Knechtschaft Ägyptens und der Macht des Pharao befreit, und andererseits durch den Jordan (das Bild unseres Gestorbenseins mit Christo) in Kanaan eingeführt wurde, so treten auch wir in den Genuss unserer geistlichen Segnungen ein, indem wir unser Gestorbensein mit Christo durch Glauben verwirklichen. 

Tun wir dies, so können uns die täglichen Umstände des Lebens ebenso wenig an jenem Genuss hindern, wie die Wüste die Kinder Israel, nachdem sie einmal den Jordan durchschritten hatten, an dem Genuss der Segnungen Kanaans hindern konnte. Der Jordan trennte sie von der Wüste. Wir kämpfen darum auch nicht mehr mit der Sünde, noch mit dem alten Menschen oder dem eigenen „Ich“, wir sind ja diesem allem mit Christo gestorben; sondern wir kämpfen den Kampf in den himmlischen Örtern. Und in diesem Kampfe sind wir nicht auf unsere Kraft angewiesen, sondern auf die Kraft des Herrn, auf die „Macht Seiner Stärke“, indem wir durch Glauben festhalten, dass unsere Feinde, die geistlichen Mächte der Bosheit, längst durch Christum überwunden sind; denn Er hat sie am Kreuze zur Schau gestellt und durch dasselbe einen Triumph über sie gehalten. (Eph. 6, 10, 2 Kor. 2, 15).

Schließlich rühmen wir uns mittelst des Glaubens in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes (Römer 5, 2), wie sich zum Beispiel jemand der gewissen Aussicht auf eine reiche Erbschaft rühmt, obwohl er in Wirklichkeit vielleicht noch in tiefer Armut darben muss. Die Aussicht macht ihn dermaßen glücklich, dass er seine Armut darüber vergisst, und das Warten aus die Erbschaft fällt ihm durchaus nicht schwer. So sind auch wir durch Glauben fähig, mit dem Apostel zu sagen: „Denn ich halte dafür, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm. 8, 18). 

Oder: „Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit«. (2. Kor. 4, 17.) Inmitten der tiefsten Leiden war das Herz des Apostels mit überschwänglicher Freude erfüllt, weil sein Glaube sich die Herrlichkeit vergegenwärtigte. Und in vollkommener Weise genoss das Herz des Herrn .Jesu selbst diese göttliche Freude, als Er hienieden, wie kein Anderer, durch Leiden ohne Maß ging. Von Ihm lesen wir: „Welcher, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (Hebr. 12, 2).

Beachten wir, dass der Herr auf Seinem Wege durch diese Welt auch nur durch Glauben diese Freude genoss; und Er will, dass wir kraft des Glaubens dieselbe Freude genießen wie Er. „Dieses rede ich in der Welt, auf dass sie meine Freude völlig in sich haben. (Joh.17, 13). Wir befinden uns durch Gnade auf demselben Wege wie Er, und dasselbe Ziel liegt vor uns. So ist es denn auch unser Vorrecht, dieselben Erfahrungen zu machen wie Er, indem wir kraft des Glaubens wandeln. Wir werden auf diesem Pfade Seine Leiden teilen, aber auch Seinen Frieden und Seine Freude genießen, weil wir in Gemeinschaft mit Ihm sind — mit Ihm außerhalb des Lagers, aber auch mit Ihm innerhalb des Heiligtums. (Joh. 14, 27; 17, 13. 14; Hebr. 13, 13.) Sein liebendes Herz sehnte sich nach dieser Gemeinschaft mit uns, und Er hat dafür gesorgt, dass weder Leiden noch Herrlichkeit, weder Erde noch Himmel, weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendwelche Mächte oder Gewalten diese Gemeinschaft vereiteln können. (Röm. 8, 38. 39.) 

Der gegenwärtige große Unterschied zwischen Seiner und unsrer Stellung, zwischen Seiner Herrlichkeit und unsrer Niedrigkeit und Schwachheit, kann uns nicht um eines Haares Breite von Seinem Herzen und darum auch nicht von Seiner Liebe scheiden, noch unsrer Gemeinschaft mit Ihm Abbruch tun. Wie die Seinigen mit Ihm hienieden in Gemeinschaft waren, so sollen sie auch jetzt durch Glauben droben Teil mit Ihm haben. (Joh. 13, 8). Das Einzige, was uns daran zu hindern vermag, ist das Aufhören des Wandelns durch Glauben; denn von dein Augenblick an, da der Glaube erlahmt und außer Tätigkeit tritt, beginnt die Wirksamkeit des eigenen Lebens, der Sünde, und wir werden nicht mehr durch den Heiligen Geist, sondern durch das Fleisch geleitet. Alsdann ist die Gemeinschaft mit unserem geliebten Herrn unterbrochen; wir verwirklichen nicht mehr unsere große Errettung (Hebr. 2, 3), unsere Sohnschaft und unseren Platz in den himmlischen Örtern; wir rühmen uns nicht mehr in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes, auch nicht mehr der Trübsale (Röm. 5, 3). Wir haben keinen Mut zu sagen, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert seien, verglichen zu werden..., und unsere himmlische Freude ist dahin.

Sicher kann der Herr die Irrenden wiederherstellen und wird es auch tun, wie die Fußwaschung dieses bildlich darstellt (Joh. 13); aber bis zur Wiederherstellung fehlt die kostbare Gemeinschaft mit Ihm, und die herrlichen Erfahrungen des Glaubens werden nicht gemacht. Und nicht nur das; wir haben dann auch kein Auge mehr für den wahren Zustand der Welt. Die Weltlichkeit, die sich hie und da unter den Gläubigen zeigt, lässt nur zu sehr befürchten, dass sie nicht mehr durchdrungen sind von dem Ernst der Lage, in welcher die Welt sich befindet. Der „göttliche Ausspruch“ macht nicht den tiefen, Eindruck aus sie, wie einst auf Noah, der, „von Furcht bewegt“, eine Arche baute zur Rettung seines Hauses; oder wie auf den Propheten Amos, der dem Volke Israel das Gericht ankündigen musste. „Der Löwe hat gebrülIt“, sagte er, wer sollte sich nicht fürchten? 

Der Herr, Jehova, hat geredet, wer sollte nicht weissagen“ (Amos 3, 8). Das Volk hatte das Brüllen des Löwen nicht vernommen und die ernste Sprache Gottes nicht verstanden; es hatte kein Ohr dafür, gerade so wie es auch die Stimme aus dem Himmel nicht verstand zur Zeit, als der Herr das Gericht über diese Welt ankündigte und der Volksmenge zurief: „Nicht um meinetwillen ist diese Stimme geschehen, sondern um euretwillen“ (Joh. 12, 28 — 31). Die Welt hat keine Ahnung von dem, was ihr bevorsteht; sie hört nicht und merkt nicht auf, bis es zu spät ist.

Der natürliche Mensch ist blind, taub, tot. Was aber soll man sagen, wenn auch Gläubige die ernste Sprache des Herrn bezüglich der Welt nicht beachten, wenn sie im Gegenteil mit dem Geist und den Grundsätzen der Welt harmonieren? Ach! sie liefern dadurch den traurigen Beweis, dass sie nicht verstehen, dass der Herr geredet hat, und ferner, dass ihnen die wahre Gottesfurcht fehlt. Sie kennen wohl die Lehre von ihrer himmlischen Stellung und dem Zustande der Welt, aber es fehlen ihrem Wandel die Charakterzüge des Glaubens, die uns in Noah und Abraham vorgestellt sind. Noah verurteilte die. Welt; sein Verhalten stand in schroffem Gegensatz zu dem Treiben der Nachkommen Kains, welche die Welt zu verschönern und angenehm zu machen suchten. 

Das Bauen der Arche verkündete laut und deutlich, dass die Flut über kurz oder lang all den Erzeugnissen der Kunst des Menschen, allen seinen Erfindungen und großartigen Plänen ein jähes Ende bereiten würde. Das Leben des Herrn Jesu war in noch schärferer Weise eine Verurteilung der Welt; deshalb hasste sie Ihn auch so bitter und verwarf Ihn. „Die Welt kann euch nicht hassen“, sagte Er zu Seinen ungläubigen Brüdern, ,,mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind (Joh. 7, 7).

Durch einen weltförmigen Wandel wird die Welt nicht verurteilt.. Wenn ein Christ mit der Welt liebäugelt und nach ihren Schätzen begehrt, so bezeugt er ihr nicht, dass das Ende aller Dinge nahe gekommen ist (1. Petr. 4, 7), noch auch, dass er selbst die Ankunft des Herrn erwartet. Vielmehr entkräftet er durch sein Verhalten dieses Zeugnis und bestärkt die Welt in ihrer falschen Sicherheit und in ihrem Wahn, dass sie wirklich schön und begehrenswert sei. Andererseits erweckt er den Eindruck, als ob der Himmel mit seinen Freuden und Seligkeiten doch nicht so anziehend sein könne, wie diejenigen sagen, welche die Menschen einluden, zu Jesu zu kommen, dass also deren Anpreisungen eitel Torheit und Heuchelei sein müssen. Es darf uns zum Beispiel gar nicht wundern, wenn die Eidame Lots dessen ernste Warnungen für Scherz hielten. Sie wussten ja nur zu gut, dass das Verhalten Lots in unmittelbarem Widerspruch mit seinen Warnungen stand, indem sein eigenes Herz so fest an Sodom hing, dass er die gottlose Stadt nicht nur zu seiner Wohnstätte erwählt, sondern es sich sogar hatte gefallen lassen, einen Ehrenplatz in ihr einzunehmen (1. Mose 13, 11; 19, 1. 14). 

Lot war ein Gläubiger, aber trotz der herrlichen Umgebung Sodoms (1. Mose 13, 10) und der angesehenen Stellung, die er in der Stadt selbst einnahm, war er höchst unglücklich. ·Wir lesen von ihm:— „Der unter ihnen wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken (2. Petr. 2, 8). Wie hätte es auch anders sein können? Er machte dieselben bitteren Erfahrungen, die jeder weltförmige Christ heute noch machen muss. Mag auch eine Zeitlang alles zu seinen Gunsten zu gehen scheinen —- schmerzliche Enttäuschungen, ein anklagendes Gewissen und ein leeres, unglückliches Herz sind die unausbleiblichen Folgen der Liebe zur Welt, unter welcher Form sie sich auch kundgeben mag. 

Und vergessen wir es nicht: sobald ein Gläubiger den einfachen Pfad des Glaubens verlässt, kann niemand sagen, wohin sein Weg ihn schließlich führen mag, wenn nicht Gottes Gnade ihm Einhalt gebietet. „Die aber reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen versenken in Verderben und Untergang. Denn die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen, welcher nachtrachtend etliche von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben“ (1.Tim. 6, 9. 10). Der arme Lot quälte seine gerechte Seele, geriet mit den Sodomitern in Gefangenschaft, verlor schließlich sein ganzes Hab und Gut und wurde mit Not errettet. Welch ein warnendes Beispiel!

Wie ganz anders war es mit Abraham! Bei Noah hatte sich der Glaube darin kundgegeben, dass er durch das Bauen der Arche die Welt verurteilte; bei Abraham zeigte er sich darin, dass er sich aushielt in dem Lande der Verheißung und Fürbitte tat für die Leute von Sodom. **) Letzteres war eine Folge des ersteren; denn nur ein glückliches Herz kann Fürbitte tun für Andere. Wann aber ist das Herz glücklich? Wenn es im Gehorsam gegen Gott den Platz einnimmt, den Er uns in Seiner herablassenden Güte angewiesen hat.

 Für Abraham war dieser Platz das Land der Verheißung: „Durch Glauben war Abraham, als er gerufen wurde, gehorsam, auszuziehen an den Ort, den er zum Erbteil empfangen sollte“ (Hebr.11,8). Uns hat Gott in Seiner unendlichen Gnade in die himmlischen Örter berufen; und Er will, dass wir uns durch Glauben dort aufhalten. Abraham stand infolge seines Glaubensgehorsams außerhalb Sodoms und alles dessen, was im Bereiche des Gerichts lag. Er stand vor Jehova, als dieser ihm, wie einem vertrauten Freunde, Seine Absichten über Sodom mitteilte: „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will“ (1. Mose 18, 17. 22). Köstliche Stellung des Glaubens! „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und er wurde Freund Gottes genannt“ (Jak. 2, 23). 

Sicher haben wir es als eine besondere Gunst Gottes zu betrachten, dass Er uns in Seine Gedanken sowohl betreffs unser selbst, als auch betreffs der Welt eingeweiht hat. Der Herr sagte einst zu Seinen Jüngern: „Der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe“ (Joh. 15, 15). Wie wunderbar, dass Gott uns zu Seinen Vertrauten gemacht hat, dass der Sohn Gottes uns Seine Freunde nennt! Sollte nicht das Bewusstsein dieser Nähe Gottes, Seines Vertrauens und Seiner Gunst unsere Herzen mit kindlicher Zuversicht zu Ihm, sowie mit Gnade gegen die erfüllen, welche draußen sind, um ihrer mit anhaltender Fürbitte zu gedenken?

Abraham hielt sich also durch Glauben in dem Lande der Verheißung auf. Der Glaube ist die Verwirklichung dessen, was man hofft. Dem Glauben steht der Weg zum Herzen und zu den Schatzkammern Gottes offen, weil er Gott in allem die Ehre gibt. Abraham wurde gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend (Röm. 4, 20). Darum legt Gott so großen Wert auf den Glauben, wie arm und schwach das Gefäß auch sein mag, in welchem er fiel kundgibt. „Und als Jesus ihren Glauben sah, sprach Er zu dem Gichtbrüchigen: Sei gutes Mutes. O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst“ (Matth. 9, 2; 15, 28). Diese und zahlreiche andere Stellen mögen wohl in uns die Bitte der Jünger wachrufen: Herr, vermehre uns den Glauben, ermuntern uns aber zu gleicher Zeit, in kindlicher Einfalt aus den unerschöpflichen Quellen unseres gütigen und gnadenreichen himmlischen Vaters zu schöpfen.

Fußnote:

*) „Jetzt ist das Gericht dieser Welt“ (Joh. 12, 31).

**) Beides ist die Frucht des Glaubens: die Welt verurteilen und für sie Fürbitte tun, d. h· nicht für die Welt als solche, sondern für die armen, verlorenen Menschenkinder in ihr.

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In Gottes Hut

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 196ff

In Gottes Hut

Wie frei macht mich von Sorgen

mein Gott im Kämmerlein,

wie fühl ich mich geborgen

am Vaterherzen mein!

So oft im Schmerz ich eile

Zu Ihm ins Heiligtum,

so oft ich dort verweile,

erfüllt mich Dank und Ruhm.

In Gottes Vaterarmen

Da fühl ich mich zu Haus,

da fühl ich Sein Erbarmen,

da ruh ich friedlich aus.

Mit Danken und mit Flehen

Tu ich Ihm alles kund;

Er kann mein Herz verstehen,

drum spricht vertraut mein Mund.

Getrost sprech ich mein Amen,

ich weiß, er hörte mich.

Getrost in Jesu Namen

Dann weiter wandre ich.

So führt mich Seine Gnade

Und zeigt mir täglich neu

Auf meinem Pilgerpfade,

wie Er so gut und treu!

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 197ff

VIII.

Das Gericht über die Christenheit.

Israel hätte durch seinen Gehorsam« und die demselben folgenden zeitlichen Segnungen allen Völkern der Erde zeigen sollen, wie glücklich das Volk ist, dessen Gott „Jehova ist“. Aber trotz der hohen Vorrechte, mit welchen dieses Volk ausgestattet war, wandte es sich von Jehova ab und diente den Götzen. Wie ein untreues Weib verließ es seinen rechtmäßigen Gatten und hing sich an den Baal. Gerade so ist es mit der Kirche Christi gegangen. Berufen, während der Abwesenheit ihres Herrn durch einen heiligen und gottseligen Wandel, durch Reinheit und Einheit der Welt zu zeigen, dass der von ihr verworfene Jesus im Himmel lebt und jene himmlische Gesinnung in der Kirche bewirkt, hat sie den Pfad der Absonderung verlassen und ist ihrer Berufung untreu geworden. Indem sie mit der Welt ein Bündnis schloss, hat sie ihren himmlischen Charakter eingebüßt und ist zu einer Vereinigung geworden, in welcher Gläubige und Ungläubige mit einander Hand in Hand gehen.

Die beiden Hauptgrundsätze für den Wandel der Kirche auf Erden sind diese: 1) Absonderung von den Ungläubigen und von allem Bösen, und 2) Vereinigung mit allen, die den Herrn Jesum in Wahrheit lieb haben. Die Gläubigen sind berufen, sich rein und von der Welt unbefleckt zu erhalten, als der heilige Tempel Gottes nichts Unreines in ihre Mitte zuzulassen, und, sobald sich etwas Böses unter ihnen offenbart, sei es sittlich Böses oder böse Lehre (Ketzerei), dieses mit Entschiedenheit zu richten und hinwegzutun. Zugleich aber sollen sie sich befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens, sich also nicht etwa wegen bloßer Meinungsverschiedenheiten voneinander trennen.

 Nach diesen beiden Hauptgrundsätzen haben die Gläubigen im Anfang mit allem Ernst gehandelt. Lieblich ist die Beschreibung, welche uns von· der ersten Versammlung oder Gemeinde zu Jerusalem gegeben wird. Die Absonderung von der Welt wurde in so entschiedener Weise aufrecht erhalten, dass von den anderen niemand wagte, sich ihnen anzuschließen; und andererseits wurde das Einssein untereinander so tief gefühlt und verwirklicht, dass sie alle ein Herz und eine Seele waren. Und so war es nicht nur in Jerusalem, sondern auch in vielen anderen Versammlungen. Hinsichtlich der Versammlung zu Thessalonich lesen wir z. B.: „Wir danken Gott allezeit für euch alle, . . . unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und- der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesum Christum“ (1. Thess. 1, 2. 3.) 

An die Versammlung zu Ephesus konnte Paulus schreiben: „Weshalb auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben an den Herrn Jesum, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre, für euch zu danken (Eph. 1, 15. 16); und an die zu Philippi: „Ich danke meinem Gott bei aller meiner Erinnerung an euch allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue, wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt“ (Phil. 1, 3—5); und endlich an die zu Kolossä: „Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi allezeit, indem wir für euch beten, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben in Christo Jesu und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt“ (Kol. 1. 3. 4).

In welch lieblicher Weise entsprach also, die Kirche im Anfang ihrer himmlischen Berufung! Doch ach! die herrliche Offenbarung ihrer Reinheit und Einheit währte nicht lange. Schon zur Zeit der Apostel begann das Böse zu keimen, welches sich in späteren Tagen so schrecklich entwickeln und ausbreiten sollte. Die Briefe an die Korinther, Galater und Hebräer beweisen hinlänglich, wie bald es dem Teufel gelang, grobe Sünden, Irrlehren und Spaltungen unter die Christen einzuführen. Ja, in fast allen Briefen findet man Spuren von der Tätigkeit des Fürsten der Finsternis. Seine Freude war es, das schöne Werk Gottes zu verderben, und nur zu gut ist es ihm gelungen. Wenn auch die eindringlichen Ermahnungen und Zurechtweisungen der Apostel, verbunden mit ihrem kraftvollen, ernsten Auftreten, dem offenen Hervorbrechen des Bösen lange einen Damm entgegensetzten, enthalten ihre Briefe doch Andeutungen genug darüber, dass nach ihrem Tode schwere Zeiten kommen würden.

 Auch sagt Paulus zu den Ältesten aus Ephesus: „Ich weiß dieses, dass nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe zu euch hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apstgsch. 20, 29. 30).

Diese prophetischen Worte sind buchstäblich in Erfüllung gegangen. Kaum hatten die Apostel ihre Augen geschlossen, als es sich zeigte, wie viele Seelen bereits durch falsche Lehrer und falsche Brüder verführt worden waren. Die jüdisch gesinnten Lehrer führten allerlei jüdische Grundsätze und Gebräuche ein, und die aus den Heiden vermengten ihre philosophischen Lehrsätze mit der Wahrheit des Evangeliums. Die Folge war eine grenzenlose Verwirrung und nicht selten heftige Streitigkeiten. Die Sucht nach Ehre und Ansehen, das Trachten nach einer einflussreichen Stellung inmitten der christlichen Gemeinden, Neid und Eifersucht zwischen den Aufsehern und Dienern selbst — alles das diente dazu, den Verfall immer trauriger zu gestalten. Das Gebot des Herrn: „Einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder“, wurde völlig vergessen. Wohl kam der Herr eine Zeitlang durch schreckliche Verfolgungen seitens der Machthaber dieser Welt Seiner armen Kirche zu Hilfe. Als diese aber aufhörten und im dritten Jahrhundert Kaiser Konstantin der Große gar mit seinem ganzen Hofe das Christentum annahm, da griff das Verderben mit Riesenschritten um sich. 

Die bisher so grimmig verfolgten und verachteten Christen gelangten jetzt zu hohen Staatsämtern, und das Christentum wurde zur Staatsreligion erhoben. Mit dieser Tatsache war der völlige Ruin der Kirche besiegelt. Der größte Teil der Höflinge des Kaisers nahm nur deshalb die neue Religion an, weil der Kaiser es tat. Von einer wahren Buße und Bekehrung zu Gott war keine Rede; ja viele kannten das Evangelium kaum dem Namen nach. Die Kirche nahm diese glaubenslosen Bekenner bereitwillig in ihren Schoß auf; die Verbindung mit der Welt war damit vollzogen. Anstatt nach dem Worte des Herrn die guten Fische in Gefäße zu sammeln und die schlechten wegzuwerfen, wurden beide miteinander vereinigt. Die Welt bekam Zutritt zu der Kirche Christi, und so wurde diese, entgegen der deutlich ausgesprochenen Absicht Jesu und trotz der ernsten Warnungen Seiner Apostel, ein trauriges Gemisch von Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, von Kindern des Lichts und Kindern der Finsternis.

Man beachte hierbei, dass dies alles die Schuld der Kirche war. Sie wurde keineswegs dazu gezwungen, sondern handelte freiwillig. Sie verließ den Pfad des Gehorsams und vergaß das Wort des Apostels: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen“, und beschwor dadurch die ganze Kette von traurigen Erscheinungen heraus, welche die Kirchengeschichte zu der finstersten aller Geschichten gemacht haben. Alle die Gräuel des Mittelalters finden in jenem Ungehorsam ihren eigentlichen Ursprung. 

Und bis zum heutigen Tage besteht dieselbe Vermengung von Licht und Finsternis fort. Wohin man auch seine Augen richten mag, ob auf die griechische, römische oder protestantische Kirche, überall findet man die Welt mit den Gläubigen vermengt; der Unterschied zwischen Kirche und Welt ist so völlig verschwunden, dass niemand mehr zu sagen vermag, wo die eine anfängt oder die andere aufhört. Eigentlich kann man nur noch von einer Religion der Welt sprechen, von einem Gottesdienst, der nur noch zum Schein den Namen „christlicher Gottesdienst“ trägt.

Es konnte nicht ausbleiben, dass mit den Ungläubigen allerlei böse Lehren, grobe Unordnungen und Sünden in die Kirche eindrangen. Auch wurde, nachdem das Christentum einmal Staatsreligion geworden war, vieles nach weltlichen, politischen Grundsätzen geregelt und geordnet. Sogenannte geistliche Ämter mit reicher Rangabstufung wurden eingerichtet. Um der überhand nehmenden Unordnung und Sittenlosigkeit zu steuern, wurden Gesetze und Bestimmungen erlassen, auf deren Übertretung nicht selten harte Strafen gesetzt waren. Die Kirche erhielt aus diese Weise allmählich das Aussehen eines westlichen Gerichtshofes. Andererseits führten die getauften Heiden mancherlei heidnische Gebrauche ein, welche nach und nach mit einem christlichen Gewande umgeben, verchristlicht wurden, und die wir noch heutzutage in der römischen Kirche erblicken können. 

Die heidnischen Tempel wurden in christliche Kirchen, die heidnischen Feste in christliche Feiertage umgewandelt. Zugleich wurde der jüdische Priesterdienst unter etwas veränderter Gestalt wieder eingeführt. Die reine Lehre des Evangeliums verschwand mehr und mehr unter einem Wust von Irrtümern und menschlichen Überlieferungen. Von der heiligen Einfachheit der ersten Kirche war bald keine Spur mehr zu erblicken. Mochten auch von dem dunklen Hintergrunde sich hie und da einzelne leuchtende Sterne abheben — denn Gott hat sich zu keiner Zeit ohne ein Zeugnis gelassen; stets hat es wahre, treue Jünger Jesu gegeben — so war doch die Kirche als solche in die tiefste Finsternis versunken.

„Aber die Reformation hat doch diesen Zustand der Dinge verbessert“, höre ich den Leser sagen. Ich antworte: In gewisser Hinsicht ja. Luther z. B, (um nur von dem Nächstliegenden zu reden) war ein Mann Gottes und ein tüchtiges Werkzeug in Seiner Hand. Er erhob die große Wahrheit der Rechtfertigung aus Glauben ohne Gesetzes Werke wieder auf den Leuchter; und wir können Gott nicht genug dafür danken, dass Er die Finsternis des Mittelalters durch dieses helle Licht erleuchtet hat. Viele Tausende sind durch die Verkündigung jener Wahrheit bekehrt worden, und das Hinwegräumen eines mächtigen, Hunderte von Jahren alten Schutthaufens von Aberglauben und Menschenwahn war ein großer Segen. Allein wir müssen leider auch hinzufügen, dass im Blick auf die Grundsätze, denen man seit dem dritten Jahrhundert gehuldigt hat, auch in der protestantischen Christenheit keine Änderung eingetreten ist. Viele trennten sich allerdings von der römischen Kirche, aber nur um auf ähnlichen Grundlagen eine neue Kirche zu errichten.

 Ohne Frage befanden sich in dieser neuen Kirche anfänglich viele lebendige Glieder, aber die ernste Scheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen wurde nicht vollzogen. Es war nicht die Frage, ob jemand bekehrt sei oder nicht, sondern ob er die reformatorische Lehre angenommen habe. War dies der Fall, so wurde er mit offenen Armen aufgenommen. Für die Kinder, welche geboren wurden, genügten, wie heute, Kindertaufe und Konfirmation für die Zulassung zum Abendmahl. Der lebendige Glaube an den Herrn Jesum war nicht die maßgebende Bedingung, sondern, wie bei der römischen Kirche, die Annahme der Lehre und die Unterwerfung unter die Anordnungen der Kirche. Zugleich wandten sich die Protestanten um Schutz und Hilfe an die weltlichen Fürsten; und während bis dahin die Kirche über den Staat geherrscht hatte, herrscht seit der Reformation der Staat über die Kirche. 

Selbstverständlich musste bei derartigen Grundsätzen nach einiger Zeit dasselbe eintreten wie früher: die Ungläubigen, die zuerst in der Minderheit waren, bekamen nach und nach die Oberhand; und obwohl viele Gebrauche und Formen der römischen Kirche für immer aus den protestantischen Kirchen verbannt wurden, ist der wahre Zustand hier doch kaum viel besser als dort. Den Namen zu haben, dass man lebe, während man in Wirklichkeit tot ist (Offbg. 3,1), ist in Wahrheit ein höchst trauriger Zustand. Ach! die gegenwärtige Zeit beweist zum tiefen Schmerze aller derer, welche noch Augen haben zu sehen, wie schlimm es in den protestantischen Kirchen steht.

 Die Zweifelsucht, die grobe Missachtung des Wortes Gottes, die Leugnung der Gottheit Christi, ja der offenbare Unglaube nehmen in erschreckender Weise überhand. In Gebäuden, in denen die sogenannte christliche Gemeinde sich versammelt, wird die Bibel ohne Scheu für eine Sammlung von Fabeln und Legenden erklärt, wird der Christus Gottes zu einem sündigen Menschen erniedrigt, und beugt man seine Knie nicht vor dem Gott des Himmels und der Erde, der aus nichts die Welt erschaffen hat, sondern vor dem neuen Gott: vor dem Menschen und seiner Vernunft. Mit unwiderstehlicher Macht drängt alles dem Ende, dem schrecklichen Ende zu. Nicht lange mehr, und der Antichrist wird erscheinen, ein Mensch, eine wirkliche Person; er wird sich in den Tempel Gottes setzen, indem er sagt, dass er Gott sei, und die ganze Welt wird sich willig vor ihm beugen (Vergl. 2. Thess. 2, 4; Offbg. 13, 11—18).

Ist es ein Wunder, wenn ein schonungsloses Gericht über diese, sich „die Braut Christi« nennende Christenheit kommen wird? Wahrlich nicht. Die Schrift belehrt uns auch deutlich genug über diesen Punkt. Manche Christen können sich zwar noch immer nicht von dem Wahne trennen, dass der Zustand der Kirche sich noch einmal bessern werde. Gottes Wort aber sagt uns das Gegenteil. Sünde, Irrtum, Unglaube und Abfall werden immer weiter um sich greifen und endlich eine solche Gestalt annehmen, dass die bekennende Kirche „die große Hure“ genannt werden kann. 

Schon jetzt ist der Verfall groß, aber da die wahren Gläubiger! noch auf der Erde sind, wird die volle Offenbarung der Bosheit noch zurückgehalten. „Wenn aber einmal die Gläubigen in den Himmel aufgenommen sind, und somit auch der Heilige Geist die Erde verlassen hat, wird Gott selbst einen Geist des Irrtums unter die Menschen senden; sie werden die Lüge als Wahrheit annehmen, sich völlig von Gott und Seinem Christus lossagen und dem Antichrist huldigen· Dann wird die christliche Kirche, die sich als eine keusche Jungfrau für Christum hätte bewahren sollen, einer Hure gleich geworden sein.

Im Neuen Testament wird auf dreierlei Weise von der Kirche gesprochen. Sie ist zunächst der Leib Christi: Er das Haupt, die Seinigen die Glieder (1; Kor. 12; Röm. 12, 4. 5). Dann wird sie der Tempel Gottes genannt, dessen Erbauer Gott selbst ist und zu welchem Er die Steine hinzufügt (Eph. 2, 19 - 22; 1. Petr. 2, 4. 5). Von diesen beiden Gesichtspunkten aus betrachtet, kann von keinem Verfall die Rede sein. Zu dem Leibe Christi können nur wahrhaft Wiedergeborene kommen, und dem Tempel Gottes können nur lebendige Steine eingefügt werden. Doch die Kirche wird auch betrachtet als der Tempel Gottes, der unter die Verantwortlichkeit des Menschen gestellt ist (1. Korinther 3, 9 - 15; vergl. auch 2.Tim. 2, 19 - 21). In diesem Falle ist es nicht Gott allein, der baut, sondern Er benutzt Menschen als Seine Mitarbeiter; und diese können Holz, Heu und Stoppeln auf die Grundlage bauen. Es ist die Kirche in ihrer äußeren Darstellung auf dieser Erde, das große Haus der bekennenden Christenheit. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Kirche abgefallen, hat sich mit der Welt vereinigt und reift dem Gericht entgegen. S.206

Die Geschichte oder die Entwicklung dieses Verfalls finden wir in den Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien dargestellt. (Offbg. 2 und 3.) Ohne Zweifel sind diese Briefe zunächst an Gemeinden gerichtet gewesen, welche zu jener Zeit bestanden und deren Zustand dem Inhalt der Briefe entsprach; allein es ist ebenso unzweifelhaft, dass sie, wie das ganze Buch der Offenbarung, einen prophetischen Charakter tragen und uns einen kurzen, aber ernsten Abriss der Geschichte der christlichen Kirche geben, von ihren ersten Anfängen bis zu ihrem Ende. *) Das Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus schildert uns den Zustand der Kirche während des Lebens und kurz nach dem Tode der Apostel. Äußerlich war alles noch sehr schön, aber die erste Liebe war verlassen. 

Dann folgt in Smyrna die Verfolgung unter den römischen Kaisern am Ende des ersten und im Laufe des zweiten Jahrhunderts. In Pergamus wird die Verbindung der Kirche mit der Welt, die im dritten Jahrhundert unter Konstantin dem Großen stattfand, angekündigt. Wie Bileam das Heilige mit dem Unheiligen zu verbinden trachtete, so hat die heilige Kirche sich mit der unheiligen Welt verbunden; und die Kirche wohnt jetzt da, wo der Thron Satans ist. In Thyatira wird der Abfall noch größer; dort finden wir nicht nur die Vereinigung mit der Welt, sondern die Einführung des Götzendienstes und die Anmaßung weltlicher Herrschermacht, gerade so wie Iesabel, das Weib Ahabs, den Baalsdienst in Israel einführte und sich die königliche Macht aneignete (Vergl. 1. Kön. 21, 7. 8).

 Die Verwirklichung dieser Weissagung finden wir in dem Zustand der bekennenden Kirche während der finstern Zeiten des Mittelalters. Damit ist der erste Teil der Geschichte der Kirche behandelt. Mit der Reformation trat ein neuer Zeitabschnitt ein; indes blieb die römische Kirche bestehen und wird bis zum Ende hin fortbestehen, so dass in diesem Briefe das Endgericht, welches sie treffen wird, mit den Worten beschrieben wird: „Ich werde sie in große Drangsal bringen. . . ·, und ihre Kinder werde ich mit Tod töten“, während dem, der bis ans Ende überwindet, die Herrschaft über die Nationen und der Morgenstern verheißen wird.

Mit dem Sendschreiben an die Versammlung zu Sardes beginnt, wie bereits bemerkt, ein neuer Zeitabschnitt in der Geschichte der Kirche. Infolge der Reformation wurden viele Irrlehren der römischen Kirche abgeschworen, Heiligen-Anbetung und Bilderdienst verschwanden, und viele wurden bekehrt· Eine große geistliche Bewegung entstand in fast allen Ländern Europas, und eine neue Kirche, die protestantische, wurde gegründet. Aber ach! ihr muss gesagt werden: »Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebest, aber du bist tot“ (Offbg. 3,1) Dieser Zustand eines äußerlichen, rechtgläubigen Bekenntnisses ohne Kraft und Leben ist noch heute vorhanden. Und was nun? Wird dieser Zustand verändert, verbessert, wiederhergestellt werden? Ist die nochmalige Gründung einer neuen Kirche zu erwarten? 

Wird eine neue Bewegung entstehen, welche die Kirche in ihrer alten Einfalt und Reinheit wiederherstellen wird? Nichts von alledem! Die Prophezeiung sagt uns, dass die wahren Gläubigen, die wenigen, die ihre Kleider nicht besudelt haben, vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, durch die Wiederkunft Christi zu ihrer Aufnahme bewahrt werden sollen, während die zurückbleibenden Namenchristen aus dem Munde Christi ausgespien werden. Das ist der Inhalt der Sendschreiben an Philadelphia und Laodicäa. Die Gläubigen, die wahre Kirche, der Leib Christi, werden vor der Stunde der Versuchung, d. h. vor den schrecklichen Gerichten, welche den ganzen Erdkreis treffen werden, und die wir in der Offenbarung und an anderen Stellen vorhergesagt finden, in den Himmel aufgenommen werden. Das was übrigbleibt, die beiden großen Lager der bekennenden Christenheit, wird teils dem in Offbg. 17 angekündigten Gericht anheimfallen, teils als ein Gegenstand des Abscheus aus dem Munde Christi ausgespien werden.

In dem eben angeführten 17. Kapitel der Offenbarung wird uns die Kirche als eine geistliche Macht vorgestellt. Sie, die sich die Braut Christi nennt, es aber nicht ist, weil sie ihren rechtmäßigen Herrn verlassen hat und anderen Göttern nachgewandelt ist, wird, ähnlich wie Israel im Alten Testament, eine Hure genannt. Während sie einst als eine keusche Jungfrau die Herrlichkeit und Weisheit Gottes auf dieser Erde offenbarte, trägt sie jetzt auf ihrer Stirn den Namen: „Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“. Während sie einst, ihrer Berufung getreu, viel erlitten und erduldet hat um des Namens Jesu willen, muss sie hier dargestellt werden als trunken von dem Blute der Heiligen und von dem Blute der Zeugen Jesu. Schrecklicher Gegensatz! Und nicht nur ist die Kirche eine geistliche, sondern sie ist auch eine staatliche Macht geworden. Darum wird sie im 18. Kapitel „Babylon, die große, genannt, mit welcher die Kaufleute der Erde Handel getrieben haben. Aber sowohl als geistliche, wie auch als staatliche Macht wird sie von der Erde verschwinden.

Man darf jedoch nicht erwarten, dass dieses Gericht schon in allernächster Zeit stattfinden werde. Anstatt durch den Verlust der weltlichen Macht des Papstes schwächer geworden zu sein, ist Rom im Gegenteil in den letzten Jahrzehnten immer mehr erstarkt; ja, es geht noch einer Zeit des höchsten Ansehens und fast unumschränkter Machtfülle entgegen. In einem früheren Abschnitt unserer Betrachtung haben wir gesehen, dass das scharlachrote Tier mit seinen sieben Köpfen und zehn Hörnern das wiederhergestellte römische Reich darstellt. Nun, auf diesem Tiere sitzt das Weib, welches die große Hure genannt wird. Es hält also das Tier im Zaume; es reitet darauf; es hat es in seiner Gewalt. Mit anderen Worten: die Kirche wird in diesem letzten Zustande des Abfalls- und der Gottlosigkeit Beherrscherin der Welt sein.

Indessen wird diese Herrschaft nicht lange währen. Es gibt noch eine andere Macht, die in der Welt wirksam ist. Gegenüber der geistlichen und weltlichen Macht der Kirche steht der revolutionäre Geist der Völker. Nachdem die Hure eine Zeitlang auf dem Tiere gesessen und es regiert haben wird, werden „die zehn Könige“ sich gegen sie erheben; „sie werden die Hure hassen und werden sie öde und nackt machen, und werden ihr Fleisch fressen und sie mit Feuer verbrennen“. Diese Könige werden in der Hand Gottes das Werkzeug bilden, um das Gericht an der abgefallenen Christenheit zu vollziehen, „denn Gott hat in ihre Herzen gegeben, Seinen Sinn zu tun“. 

Der Herr wird Seinen ganzen Zorn und Grimm über die abtrünnige Kirche ausgießen. Man höre nur, was Er zu den Gläubigen sagt, die in jenen Tagen auf der Erde sein werden: „Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen! Denn ihre Sünden sind aufgehäuft bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Ungerechtigkeiten gedacht. Vergeltet ihr, wie auch sie vergolten hat, und verdoppelt ihr doppelt nach ihren Werken; in dem Kelche, welchen sie gemischt hat, mischet ihr doppelt. Wie viel sie sich verherrlicht und Üppigkeit getrieben hat, so viel Qual und Trauer gebet ihr. Denn sie spricht in ihrem Herzen: Ich sitze als Königin, und Witwe bin ich nicht, und Traurigkeit werde ich nicht sehen. Darum werden ihre Plagen an einem Tage kommen: Tod und Traurigkeit und Hungersnot, und mit Feuer wird sie verbrannt werden; denn stark ist der Herr, Gott, der sie gerichtet hat.“

So wird denn die christliche Kirche ein Ende mit Schrecken nehmen. Sie wird von dem Erdboden verschwinden. Ihre Kirchen und Tempel werden Verwüster, ihre Diener getötet, ihre Pracht und Herrlichkeit wird vernichtet werden. So hoch sie sich selbst erhoben hat, so tief wird sie hinabgestürzt werden. Nichts wird von ihr übrigbleiben. Und während die Könige der Erde und die Kaufleute und alle Steuerleute sie beweinen und über sie wehklagen werden, indem sie ausrufen: „Wehe, wehe! Die große Stadt, denn in einer Stunde ist sie verwüstet worden“, werden die Engel frohlocken und den Bewohnern des Himmels zurufen: „Sei fröhlich über sie, du Himmel, und ihr Heiligen und ihr Apostel und ihr Propheten! Denn Gott hat euer Urteil an ihr vollzogen“.

Fußnote:

*) Die ganze Offenbarung ist prophetisch. Dies wird deutlich in Kap. 1, 3 gesagt, während uns in Vers 19 die Einteilung des Buches gegeben wird. „Schreibe“, wird dort dem Propheten zugerufen, 1) „was du gesehen hast“, dies finden wir im 1. Kapitel; 2) „was ist“, das ist der Inhalt des 2. und Kapitels, und 3) „was geschehen wird nach diesem“: Kap.4 bis zum Ende des Buches. Der 3. Abschnitt oder das was geschehen wird nach diesem (vergl. Kap.4, 1), beginnt mit der Darstellung der Gläubigen in der himmlischen Herrlichkeit; sie sind also nicht mehr hienieden. Dann folgen die Gerichte, die über die Erde kommen werden, die Wiederkehr Christi, das tausendjährige Reich und schließlich der neue Himmel und die neue Erde. Hieraus erhellt, dass das was ist, nichts anderes sein kann, als die christliche Kirche und ihre Geschichte während der Zeit ihres Bestehens auf Erden.

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Auf dem Gipfel und am Fuße des Berges

Bibelstelle: Lukas 9,28 - 43

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 211ff

In der herrlichen Szene auf dem Berge der Verklärung verweilt das Herz mit Freude und Anbetung beider Person des geliebten Herrn, welcher vor den Augen Seiner drei Jünger, -Petrus, Jakobus und Johannes, in Seiner königlichen Majestät erschien. Kurz vorher hatte Er selbst die Jünger darüber belehrt, welchen Weg der Leiden Er gehen müsse; wie Er von den Obersten des Volkes, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden würde, um dann am dritten Tage wieder aufzuerstehen. In Verbindung mit dieser Belehrung hatte Er zu allen gesagt: „Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf täglich und folge mir nach“ (V. 23).

Die Person des Herrn ist der Prüfstein für die Seele. Wenn jemand den Herrn lieb hat, so wird sich dieses nicht nur in Worten, sondern auch im Verhalten, in der Nachfolge des Herrn Jesu, in dem Wandeln in Seinen Fußstapfen zeigen. Es ist der Pfad des Glaubens; und nur diejenigen, welche in der Person Christi ihr Ein und Alles gefunden haben, vermögen diesen Pfad zu gehen. Schon das Auge Henochs war im Glauben auf den verheißenen Samen des Weibes gerichtet, und so konnte er 300 Jahre lang inmitten einer feindseligen, gottentfremdeten Welt den schmalen Pfad der Absonderung einhalten.

 „Er wandelte mit Gott.“ Ebenso weigerte sich Mose durch Glauben, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, lieber wählend, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung“ (Hebr. 11, 24 — 26.) Und noch heute hat· der Gläubige, der Jesu treu nachfolgen will, nichts anderes zu erwarten als Schmach und Leiden. Das Kreuz ist sein Teil.

Nachdem der Herr Seinen Jüngern so den Weg gezeigt hatte, den sie in Seiner Nachfolge würden gehen müssen, fügte Er hinzu: „Ich sage euch aber in Wahrheit: es sind etliche von denen, die hier stehen, welche den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes gesehen haben“. Und ,,es geschah bei acht Tagen nach diesen Worten, dass Er Petrus und Johannes und Jakobus mitnahm und auf den Berg stieg, um zu beten. Und indem Er betete, wurde die Gestalt Seines Angesichts anders und Sein Gewand weiß, strahlend. Und siehe, zwei Männer redeten mit Ihm, welche Moses und Elias waren. Diese erschienen in Herrlichkeit“ (V. 27 —31). 

Welch ein Anblick für die erstaunten Jünger! Ihr Herr steht plötzlich vor ihnen in Seiner königlichen Majestät; sie sehen Ihn als den Herrn der Herren, als den Überwinder über jede Macht des Feindes, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Es ist nicht mehr der leidende und verworfene Messias in dem Gewande der Niedrigkeit, sondern der verherrlichte Menschensohn. Wie unendlich kostbar diese Erscheinung für die Jünger war, und wie gut sie ihre Bedeutung in späteren Tagen verstanden haben, das lassen uns die Worte Petri erkennen, die er in seinem zweiten Briese an die ihm anvertraute Herde richtete: „Denn nicht indem wir künstlich erdichteten Fabeln folgten, haben wir euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesu Christi kundgetan, sondern als die da Augenzeugen Seiner Majestät gewesen sind. Denn Er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der prachtvollen Herrlichkeit eine solche Stimme an Ihn erging: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Und diese Stimme hörten wir vom Himmel erlassen, als wir mit Ihm auf dem heiligen Berge waren“ (Kap. 1, 16 — 18).

Die Jünger sahen also die Herrlichkeit des Sohnes und vernahmen die Stimme des Vaters aus der Wolke, der Wohnung Gottes. Zugleich sahen sie die Seinen mit ihrem Herrn in derselben Herrlichkeit vereinigt. In Mose können wir ein Bild all der Gläubigen erblicken, welche in Christo entschlafen sind, während Elias (der, ohne den Tod zu sehen, gen Himmel fuhr) diejenigen vorstellt, welche verwandelt werden bei der Ankunft des Herrn (Vergl.1.Thess.4, 13 - 18). Sie, die hienieden mit Ihm gelitten und um Seines Namens willen Schmach und Verachtung erduldet, die bis ans Ende hin ausgeharrt, die Sein Wort bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet haben inmitten einer bösen, gottlosen Welt — sie werden mit Christo in derselben Herrlichkeit erscheinen, Ihm gleichgestaltet, Erben Gottes und Miterben Christi. (Vergl. Röm. 8, 17; Joh. 17, 22; Kol. 3, 4) Ja, noch mehr als das! In jener kostbaren Erscheinung lässt der Herr die Seinen sehen, wie „Er“ die ganze Einigkeit hindurch den Mittelpunkt der Anbetung und des Lobgesanges bilden wird. Mose und Elias besprachen „Seinen Ausgang, den Er in Jerusalem erfüllen sollte“.

Das ist der höchste Gegenstand, der je ein erneuertes Herz beschäftigen kann. Schon die Heiligen des Alten Testamentes haben ihren Blick auf diesen Ausgang gerichtet. Mochte ihnen auch die Erkenntnis über die Tragweite des Werkes Christi fehlen und manches noch dunkel für sie sein, so wussten sie doch eins, nämlich „dass der Christus leiden und in Seine Herrlichkeit eingehen sollte“ (Vergl. Luk. 24, 26. 27 und 1. Petr. 1,10 — 12). Ihre Augen waren im Glauben auf diesen Ausgang gerichtet; sie schauten dahin, wo der Christus an ihrer Statt leiden, wo Er als das Lamm für sie zur Schlachtbank geführt werden sollte.

 Über denselben erhabenen Gegenstand redeten Mose und Elias mit dem Herrn in der Herrlichkeit. So wird auch für uns das Kreuz, und was auf demselben geschah, in alle Ewigkeit der große Gegenstand der Bewunderung und Anbetung bleiben. Wir werden immerfort von dem herrlichen Ausgang reden, den unser geliebter Herr in Jerusalem erfüllt hat. Wir werden immer wieder das neue Lied anstimmen: „Du bist würdig . . . ·; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Geschlecht und Sprache und Volk und Nation und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht“ (Offbg. 5, 9. 10).

Am Kreuze haben wir das ganze Verderben kennen gelernt, in welchem wir uns von Natur befanden. Das Kreuz zeigt uns, was der Mensch ist: Verdammungswürdig! Andererseits aber hat uns das Kreuz auch die göttliche Liebe in hellstem, strahlendstem Lichte gezeigt; eine Liebe, die alle unsere Erkenntnis weit übersteigt. Dort hat Gott „Ihn, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“ (2. Kor. 5, 21.) Dieses wunderbare Ereignis, diesen Tod verkündigen wir am ersten Tage der Woche, wenn wir versammelt sind in Seinem Namen an Seinem Tische. Wir reden von Seinem Ausgang, den Er auf Golgatha erfüllt hat. Wir preisen Ihn für Seine unbegreifliche Liebe und beten den Vater an, der Ihn uns gab, dessen Heilsplan so wunderbar ist, dass die Engel hineinzuschauen begehren. Ja, die Engel sehen in der Versammlung die gar mannigfaltige Weisheit Gottes.

 Unser Friede ist allein gegründet auf das Opfer Christi, auf den Ausgang, den Er in Jerusalem erfüllt hat. Wir würden Mose und Elias nicht mit dem Herrn in Seiner Herrlichkeit erblicken, ja, kein einziger der Menschen würde diese Herrlichkeit mit Ihm teilen können, wenn Er nicht gestorben und auferstanden wäre und sich zur Rechten Gottes gesetzt hätte. Von diesem großen Werke redeten alle die Opfer des Alten Testamentes; und auch die Opfer, welche dereinst im tausendjährigen Reiche von den Überwindern wieder dargebracht werden sollen, werden von nichts anderem reden. So bildet denn das Kreuz Christi den Mittelpunkt der Anbetung und des Lobgesangs aller Heiligen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Nicht lange mehr, und wir werden die Wundenmale in Seinen Händen und Füßen betrachten und sehen, wie teuer Er uns erkauft hat mit Seinem Blute.

Wohl mochte Petrus beim Anblick dieser Herrlichkeit auf dem Berge Tabor zu Jesu sagen: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind; und lass uns drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elias eine, — nicht wissend, was er sagte“ (V. 33). Ja, er wusste nicht, was er sagte. Die Zeit war noch nicht gekommen, um Hütten zu bauen. Der Ausgang in Jerusalem war noch nicht erfüllt. Die Sünde war noch nicht hinweg getan. Das herrliche Reich, in welchem jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum sitzen wird, war noch nicht erschienen. Mose und Elias verschwinden. Jesus aber bleibt; und aus der Wolke, der Wohnung Gottes, hören die Jünger die Stimme ertönen: „Dieser ist mein geliebter Sohn, Ihn höret“ (V. 35)! 

Der Vater konnte nicht dulden, dass Sein geliebter Sohn mit Mose und Elias auf einen Boden gestellt wurde, so gut Petrus es auch meinen mochte. Er wusste nicht, was er sagte. Alles verschwindet. Selbst Männer, wie Mose und Elias, die von Gott so hoch begnadigt waren und zu ihrer Zeit ein so herrliches Zeugnis abgelegt hatten, verlassen den Schauplatz; aber Jesus bleibt. Und Er ist genug. Seine Gemeinschaft ersetzt alles. Mose und Elias, die Vertreter des Gesetzes sollten nicht länger gehört werden, sondern Jesus allein. Kostbares Teil!

Verlassen wir jetzt die herrliche Szene auf dem Berge und steigen wir mit Jesu ins Tal hinab. Dort finden wir die Jünger, die während der Abwesenheit des Herrn Seine Zeugen in dieser Welt sein sollten. Im Anfang unseres Kapitels wird uns berichtet, dass der Herr Seine zwölf Jünger zusammenrief „und ihnen Kraft und Gewalt gab über alle Teufel, und Krankheiten zu heilen; und Er sandte sie, das Reich Gottes zu predigen und die Kranken gesund zu machen“ (V. 1 und 2). Der Herr hatte also den Seinen jede Kraft und Gnade, die sie in dieser Welt bedurften, dargereicht. Es war „Seine Kraft,“ die sie in ihrer verantwortlichen Stellung hienieden beleben sollte. Sie waren berufen, die Tugenden Dessen zu verkündigen, der sie berufen hatte aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht (1. Petr. 2, 9).

Das ist auch unser gesegnetes Teil während der Abwesenheit unseres teuren Herrn. Seine göttliche Kraft hat auch uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt, und auch wir sind verantwortlich für das, was uns anvertraut ist. Wir sollen unserer Berufung entsprechen. Ja, es ist unser Vorrecht, während der Herr droben weilt, einer armen Welt, welche Gott nicht kennt und dem schrecklichen Gericht entgegengeht, das kostbare Heil in Christo zu verkündigen, die Menschen aufmerksam zu machen auf ihren verlorenen Zustand und ihnen die heilbringende Gnade zu predigen. 

Noch mehr; wir sind berufen, durch unseren ganzen Wandel das Wort des Lebens darzustellen und den Namen unseres Herrn zu verherrlichen. Wir sollen mit den Pfunden, die der Herr uns anvertraut hat, handeln, damit, wenn Er zurückkommt, wir die herrlichen Worte aus Seinem Munde vernehmen: „Wohl, du guter und getreuer Knecht! über weniges warst du getreu, über vieles werde ich dich fetzen; gehe ein in die Freude deines Herrn“ (Matth. 25, 21. 23).

Gelegenheiten, um Gebrauch zu machen von der Gnade und Kraft, die wir vom Herrn empfangen haben, bieten sich täglich auf unserem Wege. So war es auch bei den Jüngern unten am Berge. Wir lesen: „Und siehe, ein Mann aus der Volksmenge rief laut und sprach: Lehrer, ich bitte dich, blicke hin auf meinen Sohn, denn er ist mein eingeborener; und siehe, ein Geist ergreift ihn, und plötzlich schreit er, und er zerrt ihn unter Schäumen, und mit Mühe weicht er von ihm, indem er ihn aufreibt. Und ich bat deine Jünger, dass sie ihn austreiben möchten, und sie konnten es nicht“ (V. 38 - 40). 

Das war ein trauriges Zeugnis. Welch eine schöne Gelegenheit war hier den Jüngern geboten, von der Gnade und Kraft des Herrn Gebrauch zu machen! Aber was sagt die Welt von denen, welche „Jünger Jesu“ zu sein bekannten? „Sie konnten es nicht.“ Ist es nicht tief demütigend für uns, Wenn wir, anstatt den Namen unseres Herrn zu verherrlichen, nicht Glauben und Kraft genug haben, um von der uns verliehenen Gnade Gebrauch zu machen? Ist es nicht schmerzlich für das Herz des Herrn, wenn die Welt sagt: „Sie konnten es nicht“? Anforderungen, wie sie damals an die Jünger ergingen, werden ja nicht an uns gestellt; aber wie oft geht das Zeugnis, welches wir mit dem Munde ablegen, durch die Kraftlosigkeit unseres Wandels verloren! Wie oft offenbart sich bei Gläubigen eine Gesinnung und ein Verhalten, welche selbst von der Welt verurteilt werden! Irdische Gesinnung, Eigenliebe und Hochmut zeigen sich. Wie wenig wahren Jüngern Jesu, Männern des Glaubens- und der Kraft, begegnet man! Überall geben sich Kraftlosigkeit und geistliche Armut kund, sowohl öffentlich, im Verkehr mit den Kindern der Welt, als auch daheim, im Familienkreise. Und die Welt sieht mit scharfem Auge auf alle, die da Knechte und Mägde des Herrn zu sein bekennen.

Woher diese betrübende Erscheinung? so fragen wir mit Recht. Hat sie nicht darin ihren Grund, dass die meisten Gläubigen sich zu wenig auf dem Berge aufhalten? dass ihnen deshalb die Kraft, welche aus einer innigen Gemeinschaft mit Christo, aus dem Anschauen Seiner Herrlichkeit hervorfließt, verloren gegangen ist? Ach! man weilt zu wenig bei Jesu. Man beachtet nicht die göttliche Aufforderung: „Ihn höret!“ Paulus konnte sagen: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, auf dass ich Christum gewinne“ (Philipper 3, 7. 8). Paulus versenkte sich in diese herrliche Person. Ihn zu gewinnen, das war das Verlangen seines Herzens. Er weilte viel auf dem Berge. Er schaute mit ausgedecktem Angesicht die Herrlichkeit seines Herrn (2. Kor. 3, 18). Daher vermochte er auch in allen Prüfungen und Leiden das Bild seines Herrn darzustellen.

Wie steht es in dieser Beziehung mit uns, geliebter Leser? Müsste nicht der Herr auch uns oft strafend zurufen: „O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, bis wann soll ich bei euch sein und euch ertragen“ (V. 41)? Nichts ist betrübender für den Herrn, als wenn wir, die Seinigen, die Er so sehr liebt und für die Er so Großes getan hat, uns unfähig erweisen, von der uns geschenkten Kraft und Gnade Gebrauch zu machen; unfähig, in der Einfalt des Glaubens ein Zeugnis für Ihn zu sein. Wo hältst du dich auf, mein Leser? In der Atmosphäre unten am Berge, die allmählich jede Kraft erstickt? Hast du keine Zeit, auf den Berg zu steigen, um wenigstens eine Stunde am Tage mit Jesu allein zu sein und Seine Herrlichkeit anzuschauen? Ist dein Auge so verdunkelt durch den Nebel dieser Welt, dass du die Sonne nicht mehr siehst und dich an ihren belebenden Strahlen nicht mehr erwärmen kannst? 

Wie war es im Anfang deines Pilgerlaufes, kurz nach deiner Bekehrung? War damals nicht die kostbare Person Jesu der Gegenstand deines Herzens, deine Freude und dein Glück? Lasest du nicht das Wort Gottes mit großem Genuss, und hast du nicht oft die Einsamkeit aufgesucht, um mit dem Herrn allein zu sein im Gebet? Waren das nicht selige Stunden für dein Herz? und ging nicht Kraft aus dieser Gemeinschaft mit dem Herrn hervor? Warum ist es anders geworden? O blicke zurück auf jene ersten Tage, wo Jesus der einzige Gegenstand deiner Freude war, wo es dir nicht schwer wurde, Spott und Schmach um Seines Namens willen zu tragen, indem du lieber wähltest, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben! 

Die Schmach Christi war größerer Reichtum für dich, als die Ehre und die Dinge dieser Welt. Der Glaube bewies seine Kraft. Jesus und Sein Wort waren die Speise für dein Herz. Im Kämmerlein und in der Einsamkeit, allein mit Jesu, suchtest du die Kraft und die Waffen zum Kampf, um dann unten am Berge, in den bösen Tagen, den Listen des Feindes zu widerstehen.

Ach! wir alle müssen uns anklagen und darüber trauern, dass die Tage der ersten Liebe und der ersten Frische vorüber find. Das Leben ist nicht mehr Christus allein. Die strenge Absonderung von der Welt hat in bedenklicher Weise abgenommen. Zu manchem Gläubigen müsste der Herr auch heute sagen: »Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist“ (Offbg. 2, 13). Wie demütigend ist das alles! Wie viel Mühe, Kummer und Schmerz bereiten wir unserem teuren Herrn! Möchten wir es doch alle tief fühlen, und umkehren unter ernstem Selbstgericht, damit, wenn Er kommt, wir nicht beschämt werden! Paulus schreibt an die Korinther: „Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch, Ihm wohlgefällig zu sein. Denn wir müssen alle geoffenbart werden vor dem Richterstuhl des Christus, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 9. 10). 

Das ist eine ernste Wahrheit, und wir sollten uns aufrichtig fragen: Wie wird der Herr uns finden, wenn Er in die Luft herabsteigt? Wird Er uns finden in treuem, hingebendem Dienst für Ihn, mit umgürteten Lenden und brennenden Lampen, als Knechte, die aus ihren Herrn warten? Unsere Verantwortlichkeit ist groß, umso größer, je mehr wir die kostbaren Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind.

Der Herr gebe uns ein tiefes Gefühl von dieser Verantwortlichkeit! Und möchten wir viel „auf den Berg steigen“, um Seine herrliche und kostbare Person zu betrachten, damit der Abglanz dieser Herrlichkeit von uns ausstrahle in einer dunkeln und bösen Welt! Dort allein fließen die Quellen des Segens und der Kraft, dort in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Wohl mag es auf dem Wege besondere Schwierigkeiten und Glaubensprüfungen für uns geben, wo es nötig wird, mit Gebet und Fasten, d. h. in besonderer Absonderung von allein, was die Natur und das Fleisch anregt, vor dem Herrn zu verharren, wo allein im Kämmerlein unter ringendem Gebet der Kampf gekämpft werden kann. Eins aber ist gewiss: wir können uns stets auf Seine Kraft, Liebe und Gnade stützen. Er wird die Seinen, die während Seiner Abwesenheit Ihn zu verherrlichen und für Ihn zu leben begehren, nie zu Schanden werden lassen.

In Markus 9, 29 hören wir den Herrn zu Seinen Jüngern sagen: „Diese Art kann durch nichts ausfahren, als nur durch Gebet und Fasten«. So kann es, wie gesagt, sein, dass sich besondere Prüfungen auf unserem Wege finden, die ein besonders inbrünstiges und anhaltendes Flehen nötig machen. Wenn z. B. gläubige Eltern ihre heranwachsenden Kinder in Sünde und Welt hineingehen sehen, — keine Ermahnung fruchtet mehr, ihr Herz ist verhärtet gegen das Wort Gottes, Bitten und Tränen erwecken kein Gefühl mehr in ihrem Innern —— was bleibt dann solch trauernden Eltern übrig? Sie sehen die furchtbare Gewalt des Feindes über ihre armen Kinder und stehen derselben machtlos gegenüber. 

Was sollen sie tun? Antwort: „Diese Art kann durch nichts ausfahren, als nur durch Gebet und Fasten“. -— Oder wenn ein Christ die Folgen seiner Untreue zu tragen hat, wenn es dem Feinde gelungen ist, ihn in die Welt und ihre Dinge zu verwickeln: und er keine Möglichkeit mehr sieht, aus den starken Schlingen frei zu werden, was bleibt einem solchen dann übrig? In ihm selbst ist keine Kraft; Menschen können ihm auch nicht helfen. Einer allein vermag ihn zu retten. Zu Ihm möge er eilen, vor Ihm sich niederwerfen mit aufrichtigem Selbstgericht und tiefer Demütigung, mit Gebet und Fasten, in heißem, anhaltendem Flehen! Wird der Herr ihn hören? Ja; denn Er ist reich an Vergebung, und bei Ihm ist Macht zu helfen, wären die Herzen auch noch so hart und die Bande noch so fest. Er vermag steinerne Herzen zu schmelzen, eiserne Riegel zu zerbrechen und das starke Netz des Vogelstellers zu zerreißen.

Welch ein Glück, dass wir in allen Lagen und Umständen mit Vertrauen zu Ihm gehen dürfen! Seine Liebe hört nimmer auf; Sein Erbarmen ist groß. Sieht Er uns in Anerkennung unserer Schuld gebeugt im Staube liegen, so ist es Seine Freude, uns zu Hilfe zu kommen und uns aufzurichten. So schwer wir auch gefehlt haben mögen, Er wird, wenn wir in ernster Zerknirschung zu Ihm schreien, die Sache in Seine Hand nehmen, und am Ende wird alles zum Preise Seiner herrlichen Gnade ausschlagen. O möchten wir mehr Ihn anschauen und Ihn kennen lernen in Seiner ganzen Fülle!

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Gemeinschaft

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 223ff

„Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, ans dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habet; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo“ (1.Johannes 1,3.)

Wir können die Gemeinschaft, in welche Johannes in dem 1. Kapitel seines ersten Briefes die Seele einführt, jener Gemeinschaft gegenüberstellen, welche Paulus der Seele am Schlusse von Römer 8 gibt, oder auch jener, mit welcher derselbe Apostel sie am Schlusse von Römer 11 bekannt macht.

In Römer 1 — 8 belehrt Paulus uns über das Geheimnis des Friedens, welchen das Blut Christi für das Gewissen des Gläubigen bereitet hat; und am Ende dieses Schriftabschnittes bereitet er gleichsam dem Gewissen einen Triumph oder eine reiche, jubelnde Gemeinschaft mit Gott hinsichtlich des Werkes Christi für Sein Volk.

In Römer 9 — 11 belehrt er uns über die Ratschlüsse und weisheitsvollen Regierungswege Gottes; und am Ende dieses Schriftabschnittes bereitet er dem erleuchteten und erweiterten Verständnis des Gläubigen einen Triumph, oder eine Gemeinschaft mit Gott bezüglich der Reichtümer Seiner Weisheit und Erkenntnis.

In 1. Joh. 1 aber finden wir weder das eine noch das andere. Es ist hier nicht eine Gemeinschaft infolge des allgenugsamen Werkes Christi für den Sünder, noch eine Gemeinschaft betreffs der herrlichen und wunderbaren Wege Gottes, sondern eine Gemeinschaft mit Gott selbst, eine persönliche Gemeinschaft auf Grund eines wohlgekannten Verhältnisses zwischen Ihm und uns. Diese Gemeinschaft ist anderer, und wir dürfen wohl sagen, höherer Art. Sie führt nicht, wie die beiden erstgenannten Arten, die Seele zu Triumph und Jubel, sondern zu der ruhigen, tiefen Befriedigung des Herzens, welche „die Fülle der Freude“ genannt wird. „Dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“ (V. 4).

Das Herz ist in Bewegung in dem Bewusstsein des persönlichen Verhältnisses zu dem Vater und dem Sohne, nicht so sehr das Gewissen, welches Befreiung und Sieg kennt auf Grund des vergossenen Blutes Christi, noch das Verständnis, das erneuerte Verständnis, welches mit Bewunderung und Anbetung die reichen Schätze der geoffenbarten Weisheit Gottes betrachtet.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 225ff

IX.

Die Rückkehr Israels nach Palästina.

Ein Blick auf das alte, durch Gott auserwählte und von den Heiden abgesonderte Volk kann unser Herz nur mit Traurigkeit erfüllen angesichts des kläglichen Zustandes, in welchem es sich heute befindet. Wegen ihrer Sünden und Missetaten, wegen ihrer Abgötterei und Hartnäckigkeit und vor allem infolge der Verwerfung ihres Messias von Gott dahingegeben, schweifen die Juden als Fremdlinge unter den Völkern der Erde umher. Fern von ihrem Lande und ihrer heiligen Stadt, sind sie ohne Heiligtum und ohne Altar. Ein Gegenstand des Spottes und Ärgernisses für die meisten Völker, tragen sie das Zeichen ihrer Schande und Verwerfung an der Stirn, trotzdem es vielen von ihnen geglückt ist, sich durch Geld einen Platz, in den höchsten Gesellschaftskreisen zu verschaffen. Verachtet, gehasst, ja zuweilen wie die Pest gemieden, irren sie umher wie Schafe, die keinen Hirten haben. Gottes Zorn ruht auf ihnen.

Doch so wird es nicht immer bleiben. Nein, der Herr wird sich wieder über Sein Volk erbarmen; „denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“. Der Herr „wird nicht immerdar rechten und nicht ewiglich nachtragen“. Es wird eine Zeit kommen, in welcher Israel zu dem Lande seiner Väter zurückkehren, Stadt und Tempel wieder aufbauen, das Licht des freundlichen Antlitzes Jehovas wieder genießen und sicher wohnen wird unter den Palmen und Zedern des gelobten Landes.

Dass die Juden nach Palästina zurückkehren müssen, geht schon aus der Tatsache hervor, dass der Herr bei Seiner Erscheinung mit den himmlischen Heiligen Sein irdisches Volk im Lande vorfinden wird. Seine Füße werden dann auf dem Ölberge stehen; Er wird aufs neue Seinen Einzug in Jerusalem halten und durch Israel als der wahre Messias aufgenommen und angebetet werden. Das Volk muss, also vorher in sein Land zurückgekehrt sein. Doch wir sind bezüglich dieser Wahrheit nicht auf eine Schlussfolgerung angewiesen, so richtig diese auch sein mag, sondern besitzen eine Menge von Schriftstellen, welche die Gedanken und Ratschlüsse Gottes über Israel auch dem einfachsten Leser klar und deutlich vor Augen führen.

So lesen wir z. B. in Jes. 14, 1. 2: „Denn Jehova wird sich Jakobs erbarmen und Israel noch erwählen, und wird sie einsetzen in ihr Land. Und der Fremdling wird sich ihnen anschließen, und sie werden sich dem Hause Jakob zugesellen. - Und die Völker werden sie nehmen und sie an ihren Ort bringen; und das Haus Israel wird sich dieselben zu Knechten und zu Mägden zueignen im Lande Jehovas. Und sie werden gefangen wegführen, die sie gefangen wegführten, und werden herrschen über ihre Bedrücker.“ 

Dass diese Prophezeiung noch nicht erfüllt ist, liegt klar auf der Hand. Wohl kehrte einst ein kleiner Teil der Juden aus der ·babylonischen Gefangenschaft zurück, aber nicht um über seine Feinde zu herrschen, sondern im Gegenteil um ihnen unterworfen zu bleiben bis zur völligen Zerstörung Jerusalems durch Titus und zur Zerstreuung des Volkes über die ganze Erde. Man sucht vergeblich nach einem Zeitabschnitt in der Geschichte Israels, auf welchen sich jene Prophezeiung anwenden ließe. (Vergl. auch die Kapitel 54. 55 und 61 — 65 des Propheten Jesaja.)

Eine weitere, sehr deutliche Prophezeiung von der Rückkehr Israels nach Palästina finden wir in Jeremia 16, 10 —- 18. Nachdem der Herr dort. Seinem abtrünnigen Volke die Ursachen seiner Vertreibung und Zerstreuung vorgestellt hat, fährt Er fort: „Darum siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da nicht mehr gesagt werden wird: So wahr Jehova lebt, der die Kinder Israel ans dem Lande Ägypten heraufgeführt hat! sondern: So wahr Jehova lebt, der die Kinder Israel heraufgeführt hat ans dem Lande des Nordens und aus all den Ländern, wohin Er sie vertrieben hatte! Und ich werde sie in ihr Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe.“

Auch im 30. und 31. Kapitel des Propheten Jeremia ist in beachtenswerter Weise von unserem Gegenstand die Rede: „Denn siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich die Gefangenschaft meines Volkes Israel und Juda wenden werde, spricht Jehova; und ich werde sie in das Land zurückbringen, welches ich ihren Vätern gegeben habe, damit sie es besitzen“ (V. 3.) Und als ob der Heilige Geist verhindern wollte, das; man den einfachen, buchstäblichen Sinn dieser Stelle vergeistliche, wird hinzugefügt: Und dies sind die Worte, welche Jehova über Israel und über Juda geredet hat: So spricht Jehova: Siehe, ich will wenden die Gefangenschaft der Zelte Jakobs, und seiner Wohnungen will ich mich erbarmen. Und die Stadt wird auf ihrem Hügel wieder erbaut, und der Palast nach seiner Weise bewohnt werden (V. 18).

Derselben deutlichen Sprache begegnen wir in dem folgenden Kapitel, welches sich mehr auf die Wiederherstellung von ganz Israel in dem Lande bezieht. Nicht nur die zwei, sondern auch die zehn Stämme werden nach Kanaan zurückkehren, wiewohl nicht zu derselben Zeit. „In jener Zeit, spricht Jehova, werde ich allen Geschlechtern Israels zum Gott, und sie werden mir zum Volke sein“ (V. 1). „Siehe, ich bringe sie ans dem Lande des Nordens und· sammle sie von dem äußersten Ende der Erde, unter ihnen Blinde und Lahme, Schwangere und Gebärende allzumal; in großer Versammlung kehren sie hierher zurück“ (V. 8).

Alle Völker sind Zeugen der Verwerfung Israels, seines Elends und seiner Schande gewesen; aber nun werden sie aufgefordert, die Barmherzigkeit Gottes in der Wiederherstellung Seines Volkes anzuschauen. „Höret das Wort Jehovas, ihr Nationen, und meldet es aus den fernen Inseln und sprechet: Der Israel zerstreut hat, wird es sammeln, und wird es hüten, wie ein Hirt seine Herde“ (V. 10). Dann folgt die herrliche Beschreibung des Glückes und der Wohlfahrt, welche Israel unter der Regierung seines Messias genießen wird."

Die Kapitel 34. 36 und 37 des Propheten Hesekiel enthalten ebenfalls sehr deutliche Weissagungen über die bevorstehende Wiederherstellung Israels. Im 34. Kapitel finden wir zunächst das Gericht über die untreuen Hirten Israels (V. 1 — 10), dann die Verheißung der Wiederherstellung (V. 11 — 22), und schließlich die Beschreibung der Herrlichkeit des tausendjährigen Reiches unter dem Szepter des Messias, des wahren David; „Ich werde sie herausführen aus den Völkern und sie aus den Ländern sammeln und sie in ihr Land bringen; und ich werde sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Wohnplätzen des Landes“ (V. 13). Im 36. Kapitel lesen wir: „Und ich werde euch aus den Nationen holen und euch sammeln ans allen Ländern und euch in euer Land bringen. Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von allen euren Unreinigkeiten und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. 

Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben“ u. s. w. (V. 24 — 26). Dann folgt die völlige Bekehrung und Wiederherstellung Israels, sowie die Beschreibung seiner Segnungen während des tausendjährigen Reiches. Das 37. Kapitel enthält die bekannte Beschreibung der Auferweckung der Totengebeine, des Bildes „des ganzen Hauses Israel“ (V. 11). Die Gebeine sind sehr verdorrt; es ist keine Spur von Leben mehr in ihnen. Als Volk besteht Israel nicht mehr. Doch es wird aus den Gräbern der Nationen, unter welche es weithin zerstreut ist, wieder ins Leben gerufen werden und in das gelobte Land zurückkehren (Vergl. auch Daniel 12, 2). 

Die Gebeine bekommen zuerst Fleisch und dann einen Odem. Das will sagen: Israel wird sowohl äußerlich als auch innerlich wiederhergestellt werden; es wird seinen Platz, als Volk wieder einnehmen und zugleich ein neues Herz und einen neuen Geist bekommen. In der zweiten Hälfte des Kapitels wird uns dann unter dem Bilde von zwei Hölzern die Wiedervereinigung von Juda und Israel, welche bei dem Kommen Christi ans die Erde stattfinden wird, vor Augen geführt.

Es würde nicht schwer sein, noch eine Reihe anderer ähnlicher Weissagungen aus dem Alten Testament aufzuzählen; doch die vorstehenden genügen für unseren Zweit. Verweilen wir nur noch einen Augenblick bei einer neutestamentlichen Weissagung bezüglich unseres Gegenstandes, die sich in dem 11. Kapitel des Briefes an die Römer findet. Nachdem der Apostel dort zunächst —.gezeigt hat, dass auch jetzt, wie zur Zeit des Propheten Elia, ein Überrest Israels nach Wahl der Gnade vorhanden ist, beschäftigt er sich mit der Frage, was das Los des verworfenen Teiles des Volkes sein wird. „Ich sage nun: Haben sie etwa gestrauchelt, auf dass sie fallen sollten?“ d. h. um nie wieder aufzustehen? „Das sei ferne! sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen“ (V. 11). 

Nun, wenn die Berufung der Heiden unter anderem den Zweck hatte, Gottes altes Volk zur Eifersucht zu reizen, so ist es offenbar, dass dieses Volk nicht für immer verworfen sein kann; ja noch mehr, wenn Israels Fall den Heiden zum Heil gereicht hat, dann muss seine Wiederherstellung sicher noch herrlichere Folgen haben (V. 12 — 15). Doch das ist noch nicht alles. Nachdem die Juden ihres Unglaubens wegen aus dem Ölbaum der Verheißung ausgebrochen und die Nationen an ihrer Stelle in den Ölbaum eingepfropft worden sind, richtet Paulus an die Nationen die Warnung, nicht hochmütig zu sein, damit sie nicht demselben Gericht anheim fallen und auch wieder ausgebrochen werden möchten, wie jene.

 „Zum Schluss lesen wir dann die bemerkenswerten Worte: „Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei . . .: dass Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis dass die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird; und also wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: Es wird aus Zion der Erretter kommen, Er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden (V. 25. 26). Wem: also die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird, d. h. wenn alle, die aus den Nationen zur Kirche Christi gehören, berufen und in die himmlische Herrlichkeit eingegangen sind, wird Gott sich wieder in Gnaden Seinem irdischen Volke zuwenden, und ganz Israel wird errettet werden. Das alte Volk Gottes, seines Unglaubens wegen für eine Zeit verworfen, wird wieder in den Ölbaum eingepfropft und in dem Lande seiner Väter in alle Verheißenen Segnungen eingesetzt werden.

Die bis jetzt angeführten Stellen reden jedoch, wenn auch klar und verständlich, nur im allgemeinen über die Rückkehr Israels nach Palästina. Wollen wir uns deshalb ein genaues Bild von den bevorstehenden Ereignissen machen, so müssen wir noch aus einige Einzelheiten näher eingehen.

Betrachten wir denn zunächst Daniel 9, 24 — 27, eine Stelle, die uns schon mehrmals beschäftigt hat. Es wird dort dem Propheten gesagt: „Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt“. Diese Wochen (Jahrwochen) teilen sich, wie schon früher bemerkt, in drei Abschnitte: in 7 Wochen, 62 Wochen und 1 Woche. Von dem Befehl zur Wiederherstellung Jerusalems bis aus den Messias, den Fürsten, sind 7 Wochen und 62 Wochen. In 7 Wochen oder 49 Jahren wurden die Straßen und Gräben wiederhergestellt, und zwar in drangsalsvollen Zeiten. Von da an bis auf den Christus, oder richtiger bis aus Seinen Tod, sollten 62 Wochen oder 434 Jahre verfließen. 

Und noch den 62 Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben. Auch das ist erfüllt. Der Messias ist zur bestimmten Zeit erschienen, aber von Seinem Volke verworfen worden, so dass Er als König nichts empfangen hat. Er musste Sein Erbe und die heilige Stadt den Händen der Menschen überlassen und kehrte zum Himmel zurück, um erst viel später Sein Königreich in Besitz zu nehmen. — „Und das Volk des kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und das Ende davon wird durch die überströmende Flut sein; und bis ans Ende: Krieg, Festbeschlossenes von Verwüstungen.“ Auch das ist geschehen. Infolge der Verwerfung des Messias durch Israel hat Gott die Römer gesandt, die unter ihrem Feldherrn Titus Jerusalem und den Tempel verwüstet haben, und diese Verwüstung dauert bis zum jetzigen Augenblicke fort. – 

„Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schließen für eine Woche; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen“. Wer ist dieser „er“, der mit der Mehrzahl der Juden einen Bund schließen wird? Es ist der Fürst, dessen Volk die Stadt und den Tempel zerstört hat. Zuerst wird von dem Volke des Fürsten, der später kommen würde, gesprochen, und dann von dem Fürsten selbst. Das Volk des kommenden Fürsten hat Jerusalem und den Tempel zerstört; der Fürst selbst wird, wenn das römische Reich wiederhergestellt sein wird, und die Juden in ihr Land zurückgekehrt sind, mit der Masse der Juden (der treue Überrest wird sich nicht daran beteiligen) einen Bund schließen.

 Aber dann, in der Hälfte der Woche, also nach Verlauf von 3,5 Jahren, wird er sich in seiner wahren Gestalt zeigen; er wird Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen, d. h. dem jüdischen Gottesdienst ein Ende machen, um dann in Verbindung mit dem Antichristen einen gräulichen Götzendienst einzuführen. (2. Thes. 2.) Infolge dieser Gräuel wird eine große Verwüstung über Jerusalem

kommen, die mit der Vernichtung des Antichristen durch das Kommen des Herrn mit Seinen himmlischen Heiligen enden wird.

Wenden wir uns jetzt zu dem 24. Kapitel des Evangeliums Matthäus. Wir haben bereits früher angedeutet, dass der Herr hier von den Gerichten und· Drangsalen redet, die der Ankunft des Sohnes des Menschen unmittelbar vorangehen werden. Er betrachtet Seine Jünger als die Vertreter der gläubigen Juden, die in der letzten Zeit, nach der Aufnahme der Kirche, auf der Erde sein werden. Man kann dieses Kapitel in drei Abschnitte einteilen. Zunächst wird der Zustand der Gläubigen und der Welt während der Zeit beschrieben, in welcher das Evangelium des Reiches verkündigt werden wird. (V. 4 — 14.) Dann folgt die Beschreibung des Zeitraums, in welchem der Gräuel der Verwüstung an heiligem Orte stehen wird (V. 15 — 28); und zum Schluss wird das Kommen des Herrn und die Sammlung der Auserwählten aus Israel angekündigt (V. 29 — 31).

1. In jener Zeit des Endes werden falsche Christi in Israel aufstehen; Kriege, Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben werden an verschiedenen Orten stattfinden. Aber die Gläubiger: werden aufgefordert, nicht zu erschrecken; denn es ist nach nicht das Ende; jene ernsten Erscheinungen sind nur der Anfang der Wehen (V. 5—8). Neben diesen äußerlichen Plagen, von welchen alle Menschen betroffen werden sollen, werden die Gläubigen auch innerlich auf die Probe gestellt werden. Man wird sie in Drangsal überliefern und sie töten; sie werden um des Namens Jesu willen von allen Völkern gehasst werden, so dass viele Anstoß nehmen und einander überliefern und hassen werden. Falsche Propheten werden aufstehen und viele verführen; und wegen des Überhandnehmens der Gesetzlosigkeit wird die Liebe der Masse der Bekenner erkalten (V. 9 — 13). Während dieser Zeit „wird das Evangelium des Reiches gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“ (V. 14).

2. Nach dieser ersten Drangsal kommt die Zeit, in welcher der Gräuel der Verwüstung an heiligem Orte stehen wird. „Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von welchem durch Daniel, den Propheten, geredet ist, stehen sehet an heiligem Orte, (wer es liest, der beachte es,) dass alsdann, die in Judäa sind, aus die Berge fliehen“ (V. 15 u. 16). Der Herr verweist uns hier zum richtigen Verständnis Seiner Worte auf die Weissagung Daniels: „Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, und zwar um den verwüstenden Gräuel aufzustellen, sind 1290 Tage“ (Kap. 12, 11).

 Wie zur Zeit der Makkabäer Antiochus Epiphanes, der König des Nordens, ein Bild des olympischen Jupiter in dem Tempel zu Jerusalem ausstellen ließ und die Juden zwang, dasselbe anzubeten, so wird auch am Ende der Tage seitens des Antichristen ein Götzenbild, „ein verwüstender Gräuel“, an heiligem Orte, d. i. im Tempel Gottes, aufgestellt werden, ja, er selbst wird sich in den Tempel setzen und sich göttlich verehren lassen. Von dieser Zeit redet der Herr. Es werden Tage unvergleichlich« Drangsal sein, wie sie von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen sind, noch je sein werden (V. 21; siehe auch Dan. 12,1). Der Antichrist wird die Gläubigen, welche sich weigern werden ihn anzubeten, mit grausamer Wut verfolgen und zu vernichten suchen (Vergl. Offbg. 12, 13 — 17; 13, 7). 

Die Tage werden so schrecklich sein, dass kein Fleisch gerettet werden, d. h. am Leben bleiben würde, wenn jene Tage nicht verkürzt würden; aber um der Auserwählten willen werden sie verkürzt werden (V. 22). Diese Auserwählten sind die in ihr Land zurückgekehrten gläubige Juden. Sie werden aufgefordert, sobald sie das Gräuelbild des Antichristen in dem Tempel Gottes stehen sehen, in die Berge Judas zu fliehen. Denn dann ist keine Zeit mehr zu verlieren; die Tage der höchsten Not sind angebrochen. „Wer auf dem Dache ist, steige nicht hinab, um die Sachen aus seinem Hause zu holen, und wer auf dem Felde ist, kehre nicht zurück, um sein Kleid zu holen“ (V. 17. 18).

3. Wenn die Macht des Antichristen so ihren Höhepunkt erreicht hat und die Bedrückung der Gläubigen schier unerträglich geworden ist, wird der Herr Jesus vom Himmel kommen mit Macht und großer Herrlichkeit, um Seine Feinde zu vertilgen und Seine Auserwählten zu retten. Plötzlich, wie ein Blitzstrahl, der von Osten ausfährt und bis gen Westen hin scheint, wie ein Adler, der sich auf seine Beute stürzt, so wird der Herr erscheinen (V. 27. 28). Dann werden die Könige «der Erde von ihren Thronen gestoßen werden, und ihre Reiche werden untergehen. „Alsbald aber nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.“

 Sonne, Mond und Sterne werden in der Schrift vielfach als Sinnbilder von großen und kleinen Mächten, von höheren und niederen Gewalten gebraucht. So stellen in Josephs Traum Sonne, Mond und Sterne seinen Vater, seine Mutter und seine Brüder vor. „Dieselben Bilder finden wir auch in Weissagungen wie Jes. 13 u. 34, 4; Hesekiel 32, 7. 8 u. a. Diese Weissagungen sind schon lange in Erfüllung gegangen, und bei ihrer Erfüllung wurden Sonne und Mond verfinstert, und die Sterne fielen vom Himmel herab, indem die Könige, gegen welche die Weissagungen gerichtet waren, mit ihren Großen und Gewaltigen von dem Schauplatz verschwanden. Wir müssen deshalb auch wohl hier an den Untergang der irdischen Reiche denken. Dies steht auch« in völliger Übereinstimmung mit dem Traume Nebukadnezars. Der ohne Hände losgerissene Stein zermalmt das ganze Bild, oder mit anderen Worten: bei der Ankunft Christi werden die Königreiche der Erde vernichtet werden und unter die Herrschaft des Königs der Könige kommen.

Unser Kapitel enthält jedoch noch eine andere bemerkenswerte Stelle. Nachdem der Herr im 30. Verse von Seinem Kommen auf die Erde gesprochen hat, sagt Er in Vers 31: „Und Er wird Seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden Seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von den äußersten Enden der Himmel bis zu ihren äußersten Enden“. Die Frage erhebt sich von selbst: Welche Auserwählten sind hier gemeint? Wir haben gesehen, dass die Juden vor der Wiederkunft Christi auf die Erde in ihr Land zurückkehren und Stadt und Tempel wieder aufbauen werden; und nun wird hier von einem Versammeln der Auserwählten des Herrn nach jener Wiederkunft gesprochen. Die Beantwortung obiger Frage ist deshalb für ein richtiges Verständnis der zukünftigen Ereignisse notwendig. Eine Vergleichung von Sach. 13 mit Hesekiel 20 wird uns die gewünschte Antwort geben.

 In Sach. 13, 8 u. 9 lesen wir: „Und es wird geschehen im ganzen Lande, spricht Jehova: zwei Teile davon werden ausgerottet werden und verscheiden; aber der dritte Teil davon wird übrigbleiben. Und ich werde den dritten Teil ins Feuer bringen, und ich werde sie läutern wie man das Silber läutert, und sie prüfen wie man das Gold prüft. Es wird meinen Namen anrufen,- und ich werde ihm antworten; ich werde sagen: Es ist mein Volk; und es wird sagen: Jehova ist mein Gott. Aus dem ersten Verse dieses Kapitels geht hervor, dass die Weissagung für das Haus Davids und die Bewohner von Jerusalem, das heißt also für die zwei Stämme bestimmt ist. Von diesen werden in dem Lande zwei Drittel ausgerottet werden, während das letzte Drittel in dem Feuerofen des Gerichts geläutert werden wird. In Hesekiel 20, 38 lesen wir dagegen, dass die Empörer und die von Gott Abgefallenen »von dem Hause Israel im Lande ihrer Fremdlingschaft getötet werden, und nicht in das Land Israel zurijckkom1nen sollen; nur ein Überrest wird in das Land gebracht werden.

Die zwei Stämme (Juda und Benjamin) werden also in dem Lande, die zehn übrigen Stämme außerhalb des Landes gerichtet werden. Ferner wird die Läuterung des Überrestes der zwei Stämme in dem Lande stattfinden, diejenige des Überrestes der zehn Stämme aber außerhalb des Landes; und erst nach dieser Läuterung wird der letztgenannte Überrest in das Land kommen. Von dieser Zurückführung spricht der Herr in V. 31. Während Er die Auserwählten aus Juda durch Seine Ankunft ans ihren Drangsalen retten wird, werden die Auserwählten aus Israel erst nach Seiner Ankunft durch Seine Engel von den vier Winden her gesammelt und in das gelobte Land geführt werden, damit sie dort mit ihren Brüdern an den Segnungen der Regierung Christi teilnehmen mögen. (Vergl. auch Jes. 11). 

Weiter folgt hieraus, dass die zwei Stämme im Unglauben nach Palästina zurückkehren werden, wogegen von den zehn Stämmen nur die Auserwählten ins Land zurückkommen sollen; zugleich auch, dass nur die zwei Stämme die schreckliche Bedrückung und Verfolgung seitens des Antichristen erdulden werden. Der Grund für diese Erscheinung mag wohl darin zu suchen sein, dass die zehn Stämme sich nicht so unmittelbar der Verwerfung Christi schuldig gemacht haben, wie Juda und Benjamin. Sie waren nicht im Lande, als Christus ans Kreuz geschlagen wurde, haben sich also nicht direkt an der Ermordung des Sohnes Gottes beteiligt.

Es bleibt uns nun noch die Frage zu beantworten übrig, auf welche Weise die zwei Stämme in ihr Land zurückkehren werden. Die Schrift sagt uns nicht viel darüber; die einzige Weissagung, welche unseres Wissens ein wenig Licht über diesen Gegenstand verbreitet, findet sich in dem 18. Kapitel des Propheten Jesaja. Eine Seemacht, als solche angedeutet durch die Worte: „Welches Boten entsendet auf dem Meere und in Rohrschiffchen über die Wasserfläche, wird dort aufgefordert, Boten zu senden zu einem Volke, welches weithin geschleppt und gerupft ist, und dieses. Volk unter ihren Sehnt; zu nehmen. „He! Land des Flügelgeschwirres, jenseits der Ströme von Äthiopien, welches Boten entsendet auf dem Meere und in Rohrschiffchen über die Wasserfläche! Gehet hin, schnelle Boten, zu der Nation, die weithin geschleppt und gerupft ist, zu dem Volke, wunderbar seitdem. es ist und hinfort, der Nation Von Vorschrift aus Vorschrift und von Zertretung, deren Land Ströme beraubt haben. Dass unter diesem weithin geschleppten und gerupften Volke Israel zu verstehen ist, scheint ans dem 7. Verse unzweideutig hervorzugehen, wo es heißt, dass dieses Volk „Jehova der Heerscharen als ein Geschenk dargebracht werden soll nach. dem Berge Zion.

 Nach dieser Weissagung wird Israel also durch ein anderes, großes und mächtiges Volk, welches zugleich das Meer zu beherrschen scheint, in Schutz genommen und nach Palästina zurück gebracht werden. Dass dies nicht unbemerkt, sondern unter großem Aussehen geschehen wird, zeigt Vers 3, wo wir lesen: „Ihr alle, Bewohner des Erdkreises und die ihr aus der Erde ansässig seid, wenn man ein Panier auf den Bergen erhebt, so sehet hin; und wenn man in die Posaune stößt, so höret!“ Die ganze Welt wird also Zeuge dieses bedentungsvollen Ereignisses sein. Der Zweck, welchen die mächtige Nation bei der Zurückbringung der Juden in ihr Land im Auge hat, wird jedoch nicht erreicht werden. 

Denn obwohl Jehova anfänglich „stille sein und zuschauen wird“, so wird Israel doch noch nicht in Sicherheit wohnen; im Gegenteil, Gerichte über Gerichte werden das unglückliche Volk treffen, so dass die Worte in Erfüllung gehen werden: „Sie werden allzumal den Raubvögeln der Berge und den Tieren der Erde überlassen werden; und die Raubvögel werden darauf übersommern, und alle Tiere der Erde werden darauf überwintern“ (V. 6). Mit anderen Worten: In ihr Land zurückgekehrt, werden die Juden aufs neue unter die Gewalt ihrer Feinde kommen, welche sie auf die schrecklichste Weise bedrucken werden.

Indes wird diese Trübsal nur von kurzer Dauer sein und, wie wir bereits aus anderen Prophezeiungen gesehen haben, mit ihrer völligen Erlösung enden. Mit der Verheißung dieser Erlösung schließt daher auch dieses Kapitel: „In jener Zeit wird Jehova der Heerscharen ein Geschenk dargebracht werden: ein Volk, das weithin geschleppt und gerupft, und von einem Volke, wunderbar seitdem es ist und hinfort . . . . . nach der Stätte des Namens Jehovas der Heerscharen, nach dem Berge Zion“.

Welche Macht die Juden in ihr Land zurückbringen wird, ist schwer zu entscheiden; aber sicher wird die Rückkehr aus politischen Gründen erfolgen, keineswegs aber um der Furcht des Herrn willen oder aus Gehorsam gegen Sein Wort. Vielleicht wird die Zurückführung verhindern sollen, dass eines der europäischen Völker Palästina in Besitz, nehme und dadurch den ganzen Osten in seinen Machtbereich bringe.

Wir kommen jetzt zu Offbg. 11 u. 12. Schon in den beiden ersten Versen des 11. Kapitels sehen wir, dass es sich hier um das jüdische Land handelt. Stadt und Tempel sind wieder aufgebaut, und der Opferdienst ist wiederhergestellt. Der Vorhof des Tempels wird indessen den Nationen gegeben, welche die Stadt 42 Monate oder 3,5 Jahre lang zertreten werden. Während dieser Zeit werden zwei Zeugen, welche zum Zeichen ihrer Betrübnis und Trauer über den Abfall des Volkes mit Sacktuch bekleidet sind, ein kräftiges Zeugnis für Gott ablegen. Sie treten in dem Charakter von Moses und Elias auf.

 Wie Elias werden sie ihre Feinde durch Feuer vernichten können und Gewalt haben, den Himmel zu verschließen, auf dass während der Tage ihrer Weissagung kein Regen falle; und wie Moses werden« sie das Wasser in Blut verwandeln und die Erde mit allerlei Plagen schlagen, so oft sie wollen (V. 5 u. 6). Doch wenn ihr Zeugnis vollendet ist, wird „das Tier“ oder das römische Reich (vergl. Offbg. 13, 7) Krieg mit ihnen führen und sie töten, und ihre Leichname werden 31 Tage lang auf der Straße der großen Stadt liegen, „welche geistlicher weise Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“, das ist also in Jerusalem (V. 8). Hierüber werden alle, die auf der Erde wohnen, sich freuen; doch nach den 3,5 Tagen wird Gott ihnen den Geist des Lebens geben, und sie werden angesichts ihrer Feinde in den Himmel aufgenommen werden. (V. 10 —12).

Im 12. Kapitel finden wir in einem prophetischen Gesicht die ganze Geschichte Israels in Verbindung mit dem Messias. Dass das Weib, von welchem hier die Rede ist, nicht die Kirche sein kann, wie manchmal angenommen worden ist, geht unzweifelhaft aus der Tatsache hervor, dass sie nach Vers 5 die Mutter des Messias ist. Der männliche Sohn, der alle Nationen weiden soll mit eiserner Rute, ist ja Christus (Siehe Palm 2,9). Anstatt die Mutter Christi zu sein, ist aber die Kirche aus Christo hervorgegangen; sie ist die Frucht Seines Todes und Seiner Auferstehung. Das Weib ist ohne Frage ein Bild von Israel. 

Dies erhellt schon aus der Beschreibung, die von ihr gegeben wird. Sie ist bekleidet mit der Sonne, und der Mond ist unter ihren Füßen, während sie auf ihrem Haupte eine Krone von zwölf Sternen trägt. Ich. erinnere hier wieder bezüglich der Erklärung dieser Symbole an den Traum Josephs. Das Weib ist schwanger und schreit in Geburtswehen. „Und es erschien ein anderes Zeichen in dem Himmel: und siehe, ein großer feuerroter Drache, welcher sieben Köpfe und zehn Hörner hatte; und sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels mit sich fort; und er warf sie auf die Erde. 

Und der Drache stand vor dem Weibe, das im Begriff war zu gebären, auf dass er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlänge.“ Der Teufel (hier mit denselben Zeichen der Macht und des bösen Einflusses dargestellt, wie in Kapitel 13 das Tier) benutzte die Römer, um den Messias zu töten; doch trotzdem erreichte er seinen Zweck nicht. Das Weib -gebar einen männlichen Sohn, der alle Nationen weiden soll mit eiserner Rute; und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu Seinem Throne“.

Bis hierhin ist alles erfüllt. Der Messias ist aus Israel gekommen, durch die Römer getötet und von Gott in den Himmel aufgenommen worden. Was weiter folgt muss noch geschehen; und der Grund, warum das bereits Geschehene und das Zukünftige so enge miteinander verbunden erscheinen, während doch schon nahezu 1900 Jahre seit dem Tode des Messias verflossen sind, liegt in der wichtigen Tatsache, dass Gott bei der Verwerfung Jesu von Seiten der Juden aufgehört hat, Israel als Volk zu behandeln, und erst später, wenn die Zeiten der Nationen erfüllt sein werden und die Aufnahme der Kirche stattgefunden hat, den abgebrochenen Faden der Geschichte Israels wieder aufnehmen wird.

Die Ereignisse, die uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels mitgeteilt werden, werden sich in der zweiten Hälfte der siebenzigsten Woche Daniels erfüllen. Der Teufel, welcher jetzt noch in den himmlischen Ottern wohnt (siehe Eph. 6),“ wird mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde geworfen werden (V. 7 — 12). Sobald dies geschehen ist, wird er das Weib verfolgen, welches das männliche Kind geboren hat. Die hauptsächlichen Werkzeuge, deren er sich« bei dieser Verfolgung bedienen wird, sind, wie wir bereits gesehen haben, das „Tier“ oder das Haupt des wiederhergestellten römischen Reiches und der Antichrist. 

Das erstere wird in der zweiten Hälfte der siebenzigsten Woche seinen Bund mit Israel brechen und das Schlacht- und Speisopfer wegnehmen, während der Antichrist sich selbst als Gott in den Tempel setzt und zugleich ein Götzenbild aufrichtet, das von allen angebetet werden wird. Nur ein kleiner, treuer Überrest wird sich der Huldigung des Antichristen nicht anschließen, sondern lieber das Schwerste erdulden. Gegen diesen kleinen Überrest, das wahre Israel, wird sich die ganze Wut des Teufels richten. Er wird alle seine Macht aufbieten, um ihn zu vernichten und so das letzte Zeugnis für Gott im Lande Palästina auszulöschen.

Doch der Herr wird die Seinigen bewahren. „Und es wurden dem Weibe die zwei Flügel des großen Adlers gegeben, auf dass sie in die Wüste fliege, an ihre Stätte, woselbst sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit (d. h. 3,5 Jahre), fern von dem Angesicht der Schlange“ (V. 14). Die Schlange wird in ihrer ohnmächtigen Wut die Flucht des Weibes dadurch zu verhindern suchen, dass sie aus ihrem Munde einen Strom Wassers hinter ihr herwirft; aber Gott wird dem Weibe zu Hilfe kommen und die Erde ihren Mund auftun lassen, um den Strom zu verschlingen (V. 15. 16). Hierdurch noch mehr ergrimmt, geht die Schlange hin, um Krieg zu führen mit den übrigen des Samens des Weibes, welche die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben (V. 17).

Über alle Beschreibung schrecklich wird die Lage des treuen Überrestes von Israel in jenen Tagen sein. Ja das Land ihrer Väter zurückgebracht und zu dem Herrn bekehrt, sehen sie wie die große Masse des Volkes sich gänzlich von Jehova abwendet, um einen Menschen als Gott anzubeten. Zeiten und Gesetz werden verändert, das tägliche Opfer hört auf, und in dem Tempel zu Jerusalem steht der Gräuel der Verwüstung“. Welch ein Schmerz für. ein gottesfürchtiges Herz! Allein bei dieser Prüfung wird es nicht bleiben. Ihre Weigerung, sich jener schändlichen Abgötterei mitschuldig zu machen, wird unsägliche Leiden und Verfolgungen über sie bringen.

 Viele von ihnen werden gemartert und getötet werden (Matth. 24, 9; Offbg. 6, 9 — 11; 13, 7; Dan. 7, 21); ein Teil wird in die Wüste fliehen und dort durch den Herrn bewahrt werden (Vergl. Matth. 24, 15 — 22). In dieser tiefen Not werden sie zu Jehova, dem Gott ihrer Väter, um Rache über ihre Feinde und um Rettung aus ihren Bedrängnissen schreien. Das Buch der Psalmen, in welchem uns die Leiden des jüdischen Überrestes der letzten Tage auf prophetischer Weise mitgeteilt werden, enthält viele ergreifende Ausbrüche der Gefühle, welche dann in den Herzen dieser von allen bitter gehassten und verfolgten Israeliten sein werden. (Siehe Ps. 58; 139, 19 — 22; 44, 23 - 26; 143, 11. 12)

Neben diesen unerhörten äußeren Drangsalen gibt es indes noch ein anderes, weit schwereres Leiden, welches auf den Gläubigen aus Israel lasten wird — ein Leiden, das nicht durch die Menschen, sondern durch Gott über sie gebracht werden wird. Inmitten des allgemeinen Abfalls und Götzendienstes, in welchem sie feststehen und dem Gott ihrer Väter treu bleiben, werden sie fühlen, dass alle die Drangsale, welche über sie kommen, eine gerechte Vergeltung ihrer früheren Sünden sind. Gottes Hand wird schwer auf ihnen lasten; Gottes Zorn wird sie treffen wegen all ihrer Sünden und Missetaten und in Strömen über ihr Haupt ausgegossen werden. Ihr erwachtes Gewissen wird lauter und immer lauter reden, und wie mit Flammenschrift werden ihre Sünden vor ihren Augen stehen. Sie werden ihrer bösen Wege und Handlungen gedenken und Ekel an sich selbst empfinden wegen ihrer Missetaten und Gräuel (Hesekiel 36, 31).

 Sie werden nicht wagen, ihren Blick nach oben zu erheben, da sie von Seiten eines heiligen und gerechten Gottes nur völlige Vernichtung erwarten dürfen· Dennoch wird das Bewusstsein in ihrem Herzen leben, dass Jehova ihr Gott ist. Fast verzweifelnd an ihrer Erlösung, werden sie sich doch an die Güte und das Erbarmen Gottes anklammern. „Darum ist das Recht fern von uns, werden sie ausrufen, „und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir harren auf Licht, und siehe, Finsternis; auf Helle, aber in dichtem Dunkel wandeln wir. Wie Blinde tappen wir an der Wand herum, und wir tappen herum wie solche, die keine Augen haben; wir straucheln am Mittag wie in jeder Dämmerung. Wir sind unter Gesunden den Toten gleich. 

Wir brummen alle wie die Bären, und wir girren wie die Tauben. Wir harren auf Recht, und da ist keines; auf Rettung, aber sie ist fern von uns. Denn viel sind unserer Übertretungen vor dir, und unsere Sünden zeugen wider uns; denn unserer Übertretungen sind wir uns bewusst, und unsere Missetaten, die kennen wir: AbfaIlen von Jehova und Ihn verleugnen, und zurückweichen von unserem Gott, reden von Bedrückung und Abfall, Lügenworte in sich aufnehmen und ·sie aus dem Herzen sprechen“ (Jes. 59, 9 -— 13; siehe auch Psalm 79.) Ihr Zustand wird in der Tat schrecklich sein! Doch wenn ihr Elend aufs höchste gestiegen ist, wenn sie, niedergebeugt unter der Last ihrer Schuld, unter dem entsetzlichen Bewusstsein, ihren Messias getötet zu haben, voll nagender Selbstvorwürfe und Gewissensbisse, trost- und hoffnungslos, schier an der Gnade Gottes und an ihrer Errettung verzweifeln werden, dann wird der Heilige Geist sie an das herrliche Wort aus Jesaja 43 erinnern:

 „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken“; oder an jenes andere: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet zum Herzen, Jerusalems und rufet ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand Jehovas Zwiespältiges empfangen hat für alle ihre Sünden“ (Jes. 4(), 1. 2).

Groß ist die Zahl ähnlicher kostbarer Stellen; und was wird es sein für den armen, gequälten Überrest, wenn ihm das Verständnis über die Bedeutung derselben allmählich ausgehen und das Bewusstsein der Vergebung seiner schrecklichen Sünden in seinem Inneren aufdämmern wird! Und wenn dann erst der verheißene Messias, der einst von ihnen verworfene und gekreuzigte Jesus von Nazareth, auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit erscheinen wird, um ihre Feinde zu vertilgen, das gelobte Land von allen Gräueln zu reinigen und sie für immer Seine glückliche Gegenwart genießen zu lassen, —-wie werden dann die Berge und Täler Kanaans wiederhallen von dem Jubel und Frohlocken der Erlösten! Wie werden aus den so lange geängstigten Herzen die herrlichen Worte des 103. Psalmes zum Throne Jehovas emporsteigen! Ja, dann wird ihnen zugerufen werden: „Jubele, Tochter Zion; jauchze, Israel! freue dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem! Jehova hat deine Gerichte hinweggenommen, deinen Feind weggefegt; der König Israels, Jehova, ist in deiner Mitte, du wirst kein Unglück mehr sehen . . . Jehova, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held; Er freut sich über dich mit Wonne, Er schwelgt in Seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph. 3, 14 —17).

Wenn wir jetzt das Ergebnis unserer Untersuchung noch einmal kurz zusammenfassen, so finden wir folgendes: Nach der Entrückung der Kirche werden die zwei Stämme Juda und Benjamin in ihr Land zurückkehren und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen. Diese Rückkehr wird im Unglauben stattfinden doch wird ein kleiner Teil der ins Land Zurückgekehrten sich zu dem Herrn bekehren. Mit dieser Rückkehr oder kurz nach derselben beginnt die siebenzigste Woche Daniels; diese Woche teilt sich in zwei Hälften von je 3,5 Jahren. In der ersten Hälfte wird der Antichrist, der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, erscheinen und in Verbindung mit dem Haupte des römischen Reiches sich zum König Israels aufwerfen. Er wird „in seinem eigenen Namen kommen, und ihn werden die Juden aufnehmen. Schon während dieser Zeit werden viele Gerichte über Israel und die Nationen ausgegossen werden, während zugleich seitens der gläubigen Juden die Verkündigung des Evangeliums des Reiches auf der Erde beginnen wird; In der zweiten Hälfte der Woche wird der Antichrist sich in unverhüllter Bosheit und Gottlosigkeit offenbaren. 

„Die Vielen“, d. h. die große Masse der Juden, werden ihm anhangen und dienen, aber ein kleiner Teil wird sich weigern ihn anzubeten. Diese letzteren werden darum von ihm verfolgt werden; viele werden ihr treues Zeugnis mit dem Tode besiegeln, während andere in die Wüste fliehen, um dort durch den Herrn bewahrt zu werden. Zugleich findet im Himmel ein furchtbarer Kampf statt, infolge dessen Satan auf die Erde geworfen wird und nun seine Macht und Wut in schrecklichster Weise offenbart. Die Zeit der großen Drangsal, der Tag der Rache Gottes über Israel und die Welt, ist angebrochen. Gerichte, wie sie nie dagewesen sind und auch nie wieder sein werden, werden über das jüdische Land und über die ganze Erde ergehen. Eine unbeschreibliche Drangsal wird den treuen Überrest der Juden treffen. 

Doch wenn die Not ihren Gipfelpunkt erreicht hat, wird der Sohn des Menschen, begleitet von Seinen himmlischen Heerscharen, erscheinen, Seine Feinde vertilgen, das Tier und den Antichristen in den Feuersee werfen (Offbg. 19) und das römische Reich vernichten. Satan wird für tausend Jahre gebunden und in den Abgrund geworfen werden; die gläubigen Juden werden aus ihrer Drangsal befreit, die Um ihres Zeugnisses willen Getöteten werden auferweckt und die Auserwählten ans Israel durch die Engel des Herrn von den vier Winden der Erde gesammelt werden. Ganz Israel wird dann errettet sein; sie werden alle den Herrn kennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, und unter dem Friedensszepter ihres Messias die ihnen verheißenen Vorrechte und Segnungen ungestört genießen. Gottes Zorn hat sich dann von Israel abgewendet. Es wird wieder blühen wie die Lilie, und Wurzeln schlagen wie der Libanon. Seine Schösslinge werden sich ausbreiten, seine Pracht wird sein wie der Olivenbaum und sein Geruch wie der Libanon. (Hos. 14,4—6.)

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Die im Fleische noch übrige Zeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 249ff

„Da nun Christus für uns im Fleische gelitten hat, so waffnet auch ihr euch mit demselben Sinne; denn wer im Fleische gelitten hat, ruht von der Sünde, um die im Fleische noch übrige Zeit nicht mehr den Lüsten der Menschen, sondern dem Willen Gottes zu leben. Denn die vergangene Zeit ist uns genug, den Willen der Nationen vollbracht zu haben (1. Petr. 4, 1 — 3).

Der Gläubige ist mit Christo gestorben. Er ist nicht mehr „im Fleische“, sondern „im Geiste“ (Römer 8, 9) Diese kostbare Wahrheit ist ein Gegenstand des Glaubens, gerade so wie die Vergebung der Sünden und die Sicherstellung vor dem ewigen Gericht· So wie der Sünder der Vergebung seiner Sünden nicht durch eigene Anstrengungen, sondern nur durch den Glauben an das vollbrachte Werk Christi teilhaftig wird, ebenso ist seine Herausführung aus dem alten Zustande, in welchem er sich von Natur befindet, ganz und gar das Werk Gottes. Und Gott sei ewig dafür gepriesen, Er hat dieses für uns unmögliche Werk in Christo vollbracht. Unser alter Mensch ist mit Christo gekreuzigt; wir sind mit Ihm in der Gleichheit Seines Todes eins gemacht worden; wir sind mit Ihm auferweckt, ja, schon in Ihm mitversetzt in die himmlischen Orten (Römer 6, 5; Kol. 2, 12; Eph. 2, 6).

Welch eine Gnade, dass es so ist, dass wir diese vollendeten Tatsachen in einfältigem, kindlichem. Glauben in unsere Herzen aufnehmen und uns ihrer erfreuen können! Wenn es nicht so wäre, würden wir hienieden niemals wahrhaft glücklich sein können und auch nicht imstande sein, zu Gottes Ehre zu wandeln und Ihm Frucht zu bringen. Ach! es ist ein törichtes, fruchtloses Bemühen, unseren alten Menschen allmählich abtöten zu wollen, wie man so oft es nennen hört. Es ist ein Unternehmen, das nimmer gelingen, wohl aber eine aufrichtige Seele zur Verzweiflung bringen kann. 

Nein, was uns zu tun obliegt, ist: die Wahrheit unseres Gestorbenseins mit Christo im Glauben zu ergreifen und auf uns anzuwenden, sie zu verwirklichen: oder, wie die Schrift es ausdrückt, uns der Sünde für tot zu halten, Gott aber zu leben in Christo Jesu (Röm. 6, 11). „Ich bin mit Christo gekreuzigt“, schreibt der Apostel an die Galater, „und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Kap. 2, 20).

Christus hat für uns im Fleische gelitten. Er ist ein für allemal der Sünde und für die Sünde gestorben. „So waffnet auch ihr euch mit demselben Sinne.“ Was will das sagen? Einfach dieses: Wendet jene Wahrheit im Glauben auf euch an, haltet euch der Sünde für tot und folget niemals dem Willen des Fleisches und der Gedanken; denn dieser Wille ist allezeit böse, er ist Sünde.

Doch wie ist es möglich, das zu tun? Durch die Gnade und in der Kraft Gottes. Allerdings erfordert die Verwirklichung einen ernsten Herzensentschluss, eine stete Wachsamkeit und Nüchternheit; und hieran lassen wir es leider oft fehlen. Das Fleisch will nicht in den Tod; es will leben und wirken. Es bäumt sich mit aller Kraft dagegen auf, im Tode gehalten zu werden, Und ach! wir lassen es nur zu oft aufleben, und dann offenbart es sich in seiner ganzen Verderbtheit.

 Wir vergessen, das Todesurteil auf das Fleisch anzuwenden, und anstatt von, der Sünde zu ruhen, folgen wir dann unserem eigenen bösen Willen. Wir können dann nicht mit dem Apostel sagen: „Die vergangene Zeit ist uns genug, den Willen der Nationen getan zu haben“. Und doch sollten wir das stets von ganzem Herzen sagen können. Ist es nicht genug, dass wir so manches Jahr ohne Gott gelebt und Sünde auf Sünde gehäuft haben? Sollten wir, nachdem wir um einen so kostbaren Preis erlöst worden sind und ein wenig davon verstanden haben, was es unseren Herrn und Heiland gekostet hat, uns zu erretten, noch länger in irgend einer Weise der Sünde dienen? Das sei ferne! Nein, lasst uns die im Fleische noch übrige Zeit dem Willen Gottes leben!

Die im Fleische noch übrige Zeit! Wieviel mag noch übrig sein? Vielleicht nur noch wenige Tage, oder gar nur noch einige Stunden. Aber sei’s wenig oder viel, die Zeit ist kostbar! Jede vorübergegangene Stunde ist entweder für die Ewigkeit gewonnen oder verloren; wir leben sie entweder dem eigenen Willen oder dem Willen Gottes.

 Einen Mittelweg gibt es nicht. Das ist ein ernster Gedanke. Lass uns deshalb nicht vergessen, geliebter Leser, dass wir nicht mehr uns selbst angehören, sondern eines Anderen geworden sind, des aus den Toten Auferweckten, um Gott Frucht zu bringen, um uns Gott darzustellen als „Lebende aus den Toten“ und unsere Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit (Röm. 7, 4; 6, 13). Das ist in der Tat eine hohe Berufung; und wir können sie erfüllen, denn wir sind nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade. Seine göttliche Kraft hat uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt. (2. Petr. 1, 3.)

Wer im Fleische gelitten hat, d. h. wer das in Christo vollzogene Todesurteil aus sein Fleisch anwendet, wer sich wirklich der Sünde für tot hält, der ruht von der Sünde. Die Sünde, obwohl sie stets in ihm bleibt, so lange er im Leibe ist, hat keine Macht über ihn, der Wille des „Fleisches ist nicht in Tätigkeit; er ist von der Wirksamkeit des alten Menschen befreit, er ruht gleichsam von ihm und kann nun die im Fleische noch übrige Zeit dem Willen Gottes, der einzigen Richtschnur des neuen Menschen leben. Das ist ein gesegneter Zustand. Ach, möchte er mehr unter uns gefunden werden! Wissen ist viel in unseren Tagen vorhanden; aber wie oft mangelt es an der. praktischen Anwendung, an der Verwirklichung der erkannten kostbaren Wahrheiten! Wie oft zeigt sich das alte hässliche Ich, und wie wenig kommt das liebliche Bild des gehorsamen, demütigen und sanftmütigen Jesus in uns zum Ausdruck! Der Herr gebe uns Gnade, um die Zeit, die uns hienieden noch bleibt, treuer und entschiedener für Ihn zu verleben!

Für Dich nur darf mein Leben sein,

und was ich hab’, für Dich allein,

weil Du am Kreuze mich erworben.

Von Sünd’ und Tod bin ich befreit

und bin zu Deinem Dienst geweiht;

Ich lebe jetzt, weil Du gestorben.

O welche Huld! Wie liebst du mich!

Ja, was ich bin, bin ich für Dich!

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 253ff

X.

Der Antichrist oder der Mensch der Sünde.

In unserer Betrachtung ist schon wiederholt von dem „Antichrist“ die Rede gewesen; und es wird dem Leser nicht entgangen sein, dass unter dieser Bezeichnung nicht etwa nur eine böse Macht, ein verderblicher, satanischer Einfluss, wie manche gemeint haben, sondern zugleich auch eine Person, ein Mensch, zu verstehen ist. Die Schrift nennt ihn denn auch unter anderem den Menschen der Sünde, den Sohn des Verderbens (wie Judas-), oder den Gesetzlosen. (2. Thess. 2).

In dem Nachstehenden möchte ich nun ein wenig näher untersuchen, was uns die Schrift betreffs dieser abscheu- und schreckenerregenden Persönlichkeit lehrt. Betrachten wir zu diesem Zweck nacheinander seinen Charakter, seine Stellung, seine Herkunft, seine Tätigkeit und sein Ende.

1. Sein Charakter. Schon der Name Antichrist (d. i. Widerchrist oder Gegen-Christus) lässt uns verstehen, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die in Wesen und Gesinnung in jeder Hinsicht unserem Herrn Jesu Christo entgegengesetzt ist. Wie könnte dies auch anders sein? Er ist ja der Stellvertreter Satans, welcher, wie Gott einst Seinen Sohn in die Welt sandte, um Sünder zu erretten, den Antichrist in die Welt senden wird, um die Menschen zu verderben. 

So wie der Herr Jesus wird auch er als König und Prophet auftreten, d. h. weltliche Macht ausüben und in religiöser Beziehung die Menschen beeinflussen (Dan.11, 36; Offbg. 19, 20). Wie das geschlachtete Lamm wird auch er uns vorgestellt als ein Tier, welches zwei Hörner gleich einem Lamme hat, das aber redet wie ein Drache (Offbg. 13, 11). In allen diesen Beziehungen wird er sich als der Gegen-Christus offenbaren, als derjenige, welcher kommt, um gegen Gott und Seinen Gesalbten zu streiten und ihr Gedächtnis, auf Erden auszurotten.

War es die Speise des Herrn, den Willen Seines Vaters in den Himmeln zu tun (Joh. 4, 34; 6, 38), so lesen wir von dem Antichrist, dass er nach seinem Gutdünken handeln und sich- erheben und groß machen wird über jeden Gott (Dan. 11, 36). Bestand die Arbeit des Herrn darin, im Lande umherzugehen, um Gutes zu tun, Kranke zu heilen und den Armen die frohe Botschaft zu verkündigen, so wird das Wirken des Antichrists dahin gehen, die Heiligen zu verfolgen, sie ins Gefängnis zu werfen und zu töten. (Offbg. 12 und a. St.) Tat Jesus Wunder zum Heile der Menschen, so wird er Wunder tun, um die Menschen zu verführen und sie in seinen Abfall von Gott mit hineinzuziehen (Offbg. 13, 14. 15). Verkündigte Jesus die Wahrheit und tat Er die Worte Gottes kund, so wird der Antichrist die Lüge bringen und aus seinem Eigenen reden. War Jesus der gute Hirte, der Sein Leben für Seine Schafe ließ und Seine Herde vor allen Gefahren schützte,— so ist er der nichtige Hirte, der die Herde verlässt und sie dem Verderben preisgibt (Sach. 11, 17).

Im Gegensatz zu dem Menschen vom Himmel (1. Kor. 15, 47) ist der Antichrist der Mensch von der Erde (Ps. 10, 18). Im Gegensatz zu Christo, dem Heiligen und Gerechten, der sich selbst erniedrigte und Knechtsgestalt annahm (Phil. 2, 6 —11), ist er der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht. Über alles, was Gott heißt, oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2. Thess. L, 3. 4). Er gleicht dem Pharao, dem stolzen Feinde Gottes und Seines Volkes, welcher sagte: „Wer ist Jehova, auf dessen Stimme ich hören soll?“ (2. Mose 5, 2) oder dem König Nebukadnezar, der bei Todesstrafe gebot, dass alle Völker und Nationen vor dem goldenen Bilde niederfallen sollten, welches er in der Landschaft Babel hatte aufrichten lassen (Dan. 3); oder dem König Darius, welcher verbot, dass dreißig Tage lang jemand von irgend einem Gott oder Menschen etwas erbäte außer von ihm (Dan. 6).

Johannes beschreibt ihn als „den Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet“. Das ist sein Charakter in religiöser Beziehung. Er leugnet den Vater und den Sohn, d. h. die Offenbarung, die dem Christentum eigentümlich ist und es ausmacht. Er bekennt nicht Jesum Christum im Fleische gekommen, diese zweite große Wahrheit, welche dem Christentum zu Grunde liegt. Er leugnet ferner, dass Jesus der Christus ist, was mehr mit dem Judentum in Verbindung zu stehen scheint, da es sich in den letzten Tagen (wie zur Zeit des Lebens Jesu hienieden) für den gottesfürchtigen Juden gerade um die gläubige Erkenntnis dieser Wahrheit handeln wird. Der Antichrist leugnet und verdirbt also die Grundlagen jedes wahren Gottesdienstes.

Hierin offenbart sich der Höhepunkt des Unglaubens und der Bosheit. Schon zur Zeit des Johannes gab es Antichriste, d. h. Menschen, die in dem Geist des Antichrists handelten. „Viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen . . . Jeder Geist, der nicht Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist nicht aus Gott; und dies ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, dass er komme, und jetzt ist er schon in der Welt“ (1. Joh. 4, 1 — 3.) Und: „Viele Verführer sind in die Welt ausgegangen, die nicht Jesum Christum im Fleische kommend bekennen; dies ist der Verführer und der Antichrist“ (2. Joh. 7). 

Zuerst also war (und heute noch ist) der Geist des Antichrists in der Welt wirksam; am Ende aber erscheint der Antichrist selbst, um sich offen gegen Gott und Seinen Gesalbten aufzulehnen. Je näher wir dem Ende kommen, desto mehr entwickelt Satan seine schreckliche, verführerische Macht. Er begnügt sich nicht mehr damit, das Werk Christi anzugreifen, sondern er wendet sich gegen Seine Person. Das ist ein großer Schritt vorwärts auf dem Wege zur Offenbarung des Menschen der Sünde. Sobald der Herr Seiner persönlichen Herrlichkeit entkleidet wird, ob man nun Seine Gottheit oder Seine wahrhaftige Menschheit antastet, schwindet der Boden unter unseren Füßen, und das ganze Gebäude der christlichen Wahrheit stürzt zusammen. Und gerade hieran arbeitet Satan in der gegenwärtigen Zeit mit aller Kraft.

 In offener und versteckter Weise, durch offenbare Gottesleugner und Freidenker, durch Theologen und Theosophen, durch Spiritismus und Aberglaube sucht er die Bekenner Christi für die Ankunft des Antichrists zuzubereiten, damit sie sich bei seinem Auftreten widerspruchslos ihm in die Arme werfen und sich seiner Leitung übergeben. Die Grundsätze und Eigenschaften, welche den Antichrist kennzeichnen werden, sind heute schon alle vorhanden. Um das Geheimnis der Gesetzlosigkeit geoffenbart zu sehen, ist es daher nur noch nötig, dass die wahren Gläubigen von der Erde weggenommen werden. S257

2. Seine Stellung. Wir erinnern uns, dass nach der Aufnahme der Kirche Christi das römische Reich wiederhergestellt werden wird, und dass die Juden in ihr Land zurückkehren und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen werden. Damit beginnt die siebenzigste Jahrwoche Daniels, welche einst infolge der Verwerfung Christi hinausgeschoben wurde. Im Anfang dieser Woche wird der Antichrist austreten, und zwar in Verbindung mit dem Haupte des römischen Reiches. Der kommende Fürst, dessen Volk die Stadt und den Tempel verwüstet hat (Dan. 9), wird — ohne Zweifel angeleitet durch den Antichrist, den falschen Propheten, »der die ganze Gewalt des ersten Tieres (d. i. des römischen Reiches in seiner letzten satanischen Form) vor ihm ausübt —- einen festen Bund mit den Vielen (d. i. mit der großen Masse des jüdischen Volkes) schließen für eine Woche; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. 

„Und auf Flügeln der Gräuel wird ein Verwüster kommen, und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden.“ Der Antichrist wird sich zum König der Juden aufwerfen, wie dies aus Daniel 11 hervorgeht. Der erste Teil dieses 11. Kapitels bis Vers 36 ist bereits erfüllt; die Geschichte der Ptolemäer (der Könige des Südens) und der Seleuciden (der Könige des Nordens) wird dem Propheten bis in ihre kleinsten Einzelheiten hinein mitgeteilt. (Die Weltgeschichte bestätigt in einer den Unglauben geradezu verblüffenden Weise die Genauigkeit der prophetischen Darstellung.) Zugleich aber bilden die erzählten Ereignisse, entsprechend dem allgemeinen Charakter der Prophezeiung, eine vorbildliche Beschreibung dessen, was am Ende des gegenwärtigen Zeitlaufs stattfinden wird. Dieselben schrecklichen Drangsale, Kämpfe und Wirken werden sieh am Ende der Tage in verstärktem Maße wiederholen. Von dem 36. Verse bis zum Ende des Kapitels ist jedoch alles zukünftig; die in diesem Abschnitt geschilderten Ereignisse sind in den Blättern der Weltgeschichte noch nicht aufgezeichnet. 

Der 35. Vers schließt mit den Worten: „Um sie zu läutern und zu reinigen und weiß zu machen bis zur Zeit des Endes denn es verzieht sich noch bis zur bestimmten Zeit“. Die vorher erzählten Begebenheiten müssen also vor der Zeit des Endes geschehen sein. Mit dem 36. Verse erst treten wir in die Zeit des Endes selbst ein (vergl. V. 40), und die erste Person, die nun vor unseren Blicken erscheint, ist „der König“; d. h. der König, welcher mit Israel in Verbindung stehen wird. Wäre ein anderer König gemeint, so würde der Heilige Geist zweifellos eine nähere Bezeichnung hinzugefügt haben. Ähnlich lesen wir häufig von „dem Lande“, nämlich dein Lande Palästina, von „der Stadt“, nämlich der Stadt Jerusalem u. s. w. Doch wer ist dieser „König“? Es ist der Antichrist, der falsche Messias, der in seinem eigenen Namen kommen und von Israel aufgenommen und als König anerkannt werden wird. (Vergl. auch Jes. 30, 33; 57, 9.)

„Und der König wird nach seinem Gutdünken handeln und sich erheben und groß machen über jeden Gott, und wider den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden.“ Dasselbe weissagt Paulus in 2. Thess. 2 und Johannes in Offenbarung 13 von dem Antichrist. Daniel fügt noch hinzu: „Und auf den Gott seiner Väter wird er nicht achten“, d. h. er wird sich völlig von dem Gottesdienst der, Väter abwenden und einen eigenen Gottesdienst oder vielmehr Götzendienst einrichten. Auch wird er nicht achten „auf die Sehnsucht der Weiber“, das ist auf den Messias, dessen Mutter zu werden von allen gottesfürchtigen Weibern des Alten Bandes heiß ersehnt worden sein muss.

 „Und an dessen Statt wird er den Gott der Festungen ehren: den Gott, den seine Väter nicht gekannt haben, wird er ehren mit Gold und mit Silber und mit Edelsteinen und mit Kleinodien.“ Diese Worte zielen wohl auf das Bild hin, welches der Antichrist an heiliger Stätte errichten wird, auf den „Gräuel der Verwüstung“, wie der Herr Jesus ihn nennt (Vergl. auch Dan. 12, 11).

Doch wir müssen noch einmal aus die aus Joh. 5, 43 angeführten Worte zurückkommen. Der Herr sagt dort zu den in Jerusalem versammelten Juden: „Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmet mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“. „Mit anderen Worten: weil das Volk Israel den von Gott gesandten Messias nicht angenommen .hat, wird es der Verführung und Verfolgung seitens des falschen Messias preisgegeben werden; weil es den guten Hirten verworfen hat, wird es eine Zeitlang in die Hände jenes Hirten fallen, von dem geschrieben steht: „der Umkommenden wird er sich nicht annehmen, das Versprengte wird er nicht suchen, und das Verwundete nicht heilen; das Gesunde wird er nicht versorgen, und das Fleisch des Fetten wird er essen und ihre Klauen zerreißen“ (Sach. 11, 16).

Auffallend mag es erscheinen, dass der Antichrist sich einerseits über Gott erhebt und sich selbst als Gott verehren lässt, während er andererseits ein Götzenbild in dem Tempel ausstellt und „den Gott der Festungen“ ehrt, also selbst Götzendienst treibt. Allein dieser scheinbare Widerspruch ist nur ein neuer Beweis von der alten, oft erprobten Wahrheit, dass eine stolze Verwerfung des wahren Gottes und eine vermessene Selbstüberhebung nicht unvereinbar sind mit sklavischer Furcht vor einem falschen Gott. Der stolze, selbstgefällige Mensch ist selbst aus dem höchsten Gipfel irdischer Macht nichts mehr als ein armer Sklave Satans, des Gottes und Fürsten dieser Welt.

Es bleibt uns noch übrig, ein Wort über den großen Einfluss zu sagen, welchen der Antichrist, wie schon früher bemerkt, auf das römische Reich ausüben wird. In Offenbarung 13 lesen wir: „Und ich sah ein anderes Tier aus der Erde aufsteigen; und es hatte zwei Hörner gleich einem Lamme und redete wie ein Drache. Und die ganze Gewalt des ersten Tieres übt es vor ihm aus, und es macht, dass die Erde und die auf ihr wohnen das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde.“ Was die beiden Tiere von Offbg. 13 vorstellen, ist dem Leser bekannt. In dem ersten erblicken wir das wiederhergestellte römische Reich, in dem zweiten den Antichrist, den falschen Propheten. Ein „Tier“ ist in der prophetischen Sprache der Heiligen Schrift das Bild einer irdischen, weltlichen Macht. Dieses Tier nun hat zwei Hörner, gleich einem Lamme, und redet wie ein Drache. 

Es ist also, was die äußere Form seiner Macht betrifft, dem Lamme ähnlich, aber seine Sprache gleicht der des Drachen: es übt einen bösen, satanischen Einfluss aus. Auch lässt es Feuer vom Himmel herabfallen, wodurch einst die Sendung Elias als Prophet Jehovas bestätigt wurde (1. Kön. 18), und tut Zeichen und Wunder und verführt alle, die auf der Erde wohnen, Kleine und Große, Arme und Reiche. Zugleich ist es aufs engste mit dem ersten Tiere verbunden; ja, mehr als das: „es übt die ganze Gewalt des ersten Tieres vor ihm aus“. 

Das will sagen: die innere wirkende Kraft des Bösen ist in dem zweiten Tiere, obwohl das erste äußerlich mit derselben bekleidet erscheint. Ferner fordert das zweite Tier die Bewohner der Erde auf, ein Bild dem Tiere zu machen, das die Wunde des Schwertes hat und lebte“ (V. 14.) Seinem teuflischen Einfluss ist es auch wohl zuzuschreiben, wenn das Haupt des römischen Reiches „Worte redet gegen den Höchsten“ (Dan. 7, 25), oder wenn es, wie es in Offbg. 13 ausgedrückt wird, „seinen Mund öffnet zu Lästerungen wider Gott, Seinen Namen zu lästern und Seine Hütte und die, welche ihre Hütte in dem Himmel haben“ (Vers 6. 7).

Beachten wir, das; alle diese Dinge sich erst nach der Errichtung des römischen Reiches ereignen werden. So wie der Antichrist erst in der zweiten Hälfte der Woche sich den Juden in seinem wahren Charakter zeigen wird, so wird er auch wohl dann erst seinen bösen Einfluss auf das Haupt des römischen Reiches, und durch dieses auf dessen ganzen Machtbereich (die westlichen Länder) ausüben.

3. Seine Herkunft. Aus dem Vorstehenden müssen wir die Folgerung ziehen, dass der Antichrist ein Jude sein wird. Es ist auch kaum denkbar, dass die Juden bei ihrem bekannten Hass gegen Christen und Heiden einen Mann aus deren Mitte als ihren König anerkennen würden. Wie könnten sie in einem solchen ihren verheißenen Messias erblicken? Es ist daher auch nur Unkenntnis betreffs der Prophezeiungen über den Antichrist und über die Stellung, die er einnehmen wird, wenn manche zu dem Gedanken gekommen sind, ein Papst oder ein Napoleon würde der Antichrist sein. Die göttlichen Weissagungen lassen uns deutlich erkennen, dass der Antichrist in Judäa als König herrschen wird. 

Wie könnte dies nun auf einen Papst oder auf einen Napoleon bezogen werden? Die Residenz sowie der Mittelpunkt der Macht des Papstes ist nicht Jerusalem, sondern Rom; und auch ein Napoleon würde den Sitz seiner Regierung wohl kaum von Frankreich nach Judäa verlegen. Wenn es ferner heißt, dass der Antichrist sich als Gott in den Tempel Gottes setzen wird (2. Thess. 2, 4), so können wir wieder nur an den Tempel in Jerusalem denken. Einen anderen irdischen Tempel erkennt das Wort Gottes nirgendwo an. 

Diejenigen, welche einen Papst für den Antichristen halten, müssen natürlich unter dem Tempel Gottes die Peterskirche in Rom verstehen; aber diese Erklärung bedarf wohl keiner Widerlegung, sie richtet sich selbst. Das Wort Gottes kennt, wie gesagt, keinen anderen Tempel, als das Haus, welches einst auf dem Berge Morija zu Jerusalem erbaut wurde und später wieder dort errichtet werden wird. Von diesem Hause sagt Jehova: „Und nun habe ich dieses Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name daselbst sei ewiglich“ (2. Chron. 7, 16.)

 In geistlichem Sinne wird zwar auch die Kirche oder Gemeinde Christi der Tempel Gottes genannt; doch es liegt auf der Hand, dass dieses „geistliche Haus“, dieser „heilige Tempel im Herrn“ (1. Petr. 2, 5; Epheser 2, 21) hier nicht in Betracht kommen kann. Es kann sich um nichts anderes als den Tempel zu Jerusalem handeln. Dies wird auch durch manche Einzelheiten in den Weissagungen bestätigt. So kann z· B. nur in Bezug auf den Tempel zu Jerusalem von dem Abschaffen des täglichen Opfers und von dem Entweihen der heiligen Stätte gesprochen werden. Auch passt die Beschreibung, welche Johannes in religiöser Beziehung von dem Antichrist macht, dass er nämlich „den Vater und den Sohn leugne“ (1. Joh. 2, 22), nicht auf den Papst. Das hat das Papsttum niemals getan. Es hat nie geleugnet, dass Christus wahrhaftig Gottes Sohn sei. Im Gegenteil, wenn es einmal so weit kommen wird, dass der Vater und der Sohn völlig geleugnet und verworfen werden, dann wird auch der Papst, welcher sich ja gerade den Stellvertreter Christi nennt, vom Schauplatz verschwinden.

4. Seine Tätigkeit. Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, dass der Antichrist in der ersten Hälfte der 70. Woche Daniels die Juden durch Schmeicheleien an sich ziehen und unter seinen bösen Einfluss bringen wird. Aber in der zweiten Hälfte der Woche wird sich alles verändern. Der Teufel ist dann aus dem Himmel auf die Erde geworfen, und wissend, dass sein Reich bald ein Ende nehmen wird, lässt er seine ganze Wut an der Erde aus (Offbg. 12). 

Das besondere Werkzeug zur Ausführung seiner bösen Pläne ist der Antichrist, dessen Einfluss infolge seiner Verbindung mit dem Haupte des römischen Reiches sich nicht allein über Palästina, sondern auch über das ganze Abendland erstrecken wird. Durch das Gelingen seiner Pläne hochmütig geworden, wird er sich erheben und groß machen über jeden Gott; durch seinen Einfluss werden Zeiten und Gesetz verändert und das tägliche Opfer abgeschafft werden. (Dan. 7, 25; 9, 27; 11, 36.) Jeder Gottesdienst, sowohl christlichen wie jüdischen Charakters, wird aufhören, und schließlich wird sich der Antichrist selbst als Gott in den Tempel Gottes zu Jerusalem setzen, und die ganze Welt wird ihn anbeten (2. Thess, 2, 3. 4).

„Aber wie ist das möglich?“ ruft der Leser vielleicht verwundert aus. Werden denn die glaubenslosen Massen, die heute schon keinen Gott und keine Autorität über sich anerkennen wollen, sich wirklich vor einem Menschen niederbeugen und ihm göttliche Verehrung darbringen?

Vergessen wir nicht, dass in jenen Tagen einerseits der Teufel auf die Erde geworfen ist und seine Macht und List in einer Weise entfalten wird wie nie zuvor, und andererseits, dass Gott selbst allen denen, die verloren gehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, „eine wirksame Kraft des Irrtums« senden wird, dass sie der Lüge glauben (2. Thess. 2, 10. 11). Und diese Lüge wird verführerisch genug sein; ist doch die Erscheinung des Antichrists nach der Wirksamkeit Satans, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge“ (2. Thess. 2, 9). Wir haben schon weiter oben gesagt, dass er Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen lassen wird; ja, der Teufel wird ihm sogar die Macht verleihen, dem Bilde des Tieres, welches er errichtet, Odem zu geben, ,,auf dass das Bild des Tieres auch redete“ (Offbg. 13, 14. 15). 

Die Macht der Verführung wird daher überaus groß sein, und wir wissen ja, dass der Mensch, wenn Gott ihn dahingibt, zu den schrecklichsten und unglaublichsten Dingen fähig ist; wieviel mehr, wenn Gott in richterlicher Weise sein Herz verhärtet und seine Augen verblendet! — Indes gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die Menschen sich allgemein vor dem Antichrist in den Staub beugen werden. Wer irgend nämlich sich weigern wird, das Bild des Tieres anzubeten, wird getötet werden; und alle, Kleine und Große, Arme und Reiche, werden sich ein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn machen müssen, da niemand kaufen oder verkaufen kann, der nicht dieses Zeichen, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens, trägt (Offbg. 13, 15 — 17). So wie es zur Zeit Nebukadnezars, als das goldene Bild aufgerichtet war, nur einige wenige gab, die Mut und Glauben genug hatten, um dem gottlosen Befehl des Königs den Gehorsam zu verweigern, so wird auch dann die große Masse der Menschen sich willig dem Antichrist unterwerfen und seinen Willen tun.

Nur ein kleiner Überrest wird treu an seinem Gott hangen und sich standhaft weigern, den Antichrist anzuerkennen und das Bild des Tieres anzubeten. Er wird infolge dessen auf die schrecklichste Weise verfolgt werden. Wie zur Zeit der Makkabäer, so werden auch dann wieder die Gläubigen fallen „durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Raub, eine Zeitlang“ (Vergl. Dan. 11, 33.) „Hier ist das Ausharren der Heiligen, welche die Gebote Gottes halten und den Glauben Jesu“ (Offbg. 14, 12) .In Matth. 24, 15 — 22 beschreibt der Herr Jesus diese schreckliche Zeit; und in Offbg. 12. Sahen wir bereits das Weib, durch den Antichrist verfolgt, in die Wüste fliehen, wo sie durch Gott 3.5 Jahre bewahrt wird. Viele dieser treuen Bekenner werden ihr Zeugnis mit dem Tode besiegeln. 

Die beiden Hauptmächte jener Tage, das Haupt des römischen Reiches und der Antichrist, werden sie mit grausamer Wut verfolgen. Von dem ersteren lesen wir in Offenbarung 13, dass es Gewalt empfängt, „mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden; und in Offenbarung 20 sehen wir diejenigen, „welche um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und die, welche das Tier nicht angebetet hatten, noch sein Bild, und das Malzeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und an ihre Hand, aus den Toten auferstehen. So wird denn der Herr einen Teil Seiner Zeugen während dieser schrecklichen Verfolgungen bewahren, wie Er einst Noah mit den Seinigen in der Arche erhielt; viele aber werden ins Gefängnis geworfen, gemartert und getötet werden.

5. Sein Ende. Wenn die Macht des Antichrists ihren Gipfelpunkt erreicht hat, wird ein jähes Ende ihn ereilen. Er wird mit allen denen, die gegen den Herrn und Seinen Gesalbten ausgestanden sind, gerichtet werden. Wegen des verwüstenden Gräuels, der im Tempel zu Jerusalem stehen wird, und weil die Masse der Juden mit dem Tode einen Bund gemacht und mit dem Scheol einen Vertrag geschlossen (Jes. 28) und sich dem abscheulichsten Götzendienst rückhaltlos hingegeben hat, wird der Herr einen Verwüster in das Land senden, „und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden«. (Dan. 9, 27.) Auf welche Weise dies geschehen wird, darüber belehren uns verschiedene Prophezeiungen. 

So finden wir z. B. in dem letzten Teile von Dan. 11 wichtige Einzelheiten betreffs dieser Zeit: „Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm (dem Antichrist) zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; und er wird in die Länder eindringen, und wird sie überschwemmen und überfluten“ (V. 40). Der König des Südens ist der König von Ägypten, und der König des Nordens ist der Assyrer, das kleine Horn von Daniel 8, oder die „überflutende Geißel“ von Jesaja 28, welche durch das Land hindurchfahren und alles zertreten wird. Diese beiden Mächte werden gegen den König von Kanaan herausziehen, doch der König des Nordens wird die Oberhand behalten; er wird in das Land der Zierde, d. i. in das jüdische Land, kommen und dieses, mit Ausnahme von Edom, Moab und Ammon, in Besitz nehmen. 

Die Stadt wird eingenommen, die Häuser werden geplündert und die Weiber geschändet werden. Die Hälfte der Stadt wird von ihm gefangen genommen und auf seinem weiteren Zuge mitgeführt werden (Sach. 14, 2). Denn anstatt in sein Land zurückzukehren, wird er weiter nach Ägypten ziehen und auch dieses Land zu erobern trachten (Dan. 11, 42. 43). Doch während er damit beschäftigt ist, wird er durch Gerüchte von Osten und von Norden erschreckt und zur Umkehr genötigt werden. In großem Grimme macht er sich aus, mit dem Vorsatz, viele zu vernichten und zu vertilgen; doch dies wird ihm nicht gelingen. In das Land der Zierde (Palästina) zurückgekehrt, wird er zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen (Dan. 11, 44. 45).

Doch woher kommen jene Gerüchte? Etwas Bestimmtes hierüber zu sagen ist schwer, wenn nicht unmöglich. Ich gebe deshalb in dem Folgenden nur eine Meinung. Wir werden uns erinnern, dass der König von Kanaan, der Antichrist, mit dem Kaiser des römischen Reiches verbündet ist. Der Assyrer hat ihn besiegt, hat sein Land eingenommen und Jerusalem geplündert, und ist dann nach Ägypten gezogen. Während seines Aufenthaltes dort wird wohl der Kaiser des römischen Reiches seine Heere sammeln und nach Jerusalem ziehen, um dem Antichrist, seinem Verbündeten, zu Hilfe zu kommen und zugleich seine eigene Macht geltend zu machen. Zugleich mögen die Völker, welche der König des Nordens aus seinem Siegeszuge unterworfen hatte, sich wieder empören. Die Gerüchte hiervon veranlassen ihn, schleunigst aus Ägypten zurückzukehren.

 Auf diese Weise werden sich die Völker nach Palästina hin versammeln, und die Weissagung Joels wird sich erfüllen: „Dann werde ich alle Nationen versammeln und sie in das Tal Josaphat hinabführen; und ich werde daselbst mit ihnen rechten über mein Volk und mein Erbteil Israel“ (Joel 3, 2). Oder wie es in Offenbarung 16, 14 heißt: Die Könige des ganzen Erdkreises werden sich mit ihren Heeren „versammeln zu dem Kriege des großen Tages Gottes, des Allmächtigen“. In ihrer Mitte befinden sich die gefangenen Juden. 

Die große Schlacht bei Armagedon wird geschlagen, und das Blut fließt in Strömen rings um Jerusalem her. Dann erscheint der Herr mit Seinen himmlischen Heerscharen, und nun wenden sich die streitenden Heere gegen Ihn, der auf dem weißen Pferde sitzt, und gegen die, welche Ihm folgen. „Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit Dem, der auf dem Pferde saß, und mit Seinem Heere“ (Offbg. 19, 19). Törichte Vermessenheit! Nicht lange, und die ganze gewaltige Menge liegt niedergeschmettert am Boden. Er, der auf Seinem Gewande den Namen trägt: „König der Könige und Herr der Herren“, wird die Nationen „weiden mit eiserner Rute, und Er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen“ (Offbg. 19, 15).

In Sach. 14, 3 — 5 lesen wir: „Und Jehova wird ausziehen und wider jene Nationen streiten, wie an dem Tage da Er streitet, an dem Tage der Schlacht. Und Seine Füße werden an jenem Tage auf dem Ölberge stehen, der vor Jerusalem gegen Osten liegt; und der Ölberg wird sich in der Mitte spalten nach Osten und nach Westen hin zu einem sehr großen Tale . . . Und ihr (d. h. die gläubigen Juden, der treue Überrest) werdet in das Tal meiner Berge fliehen . . . Und kommen wird Jehova, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“ Der Herr selbst wird für Sein Volk streiten und alle Seine Feinde vernichten. Von dem König des Nordens wird in Dan. 11, 45 gesagt: „Er wird zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“.

 Und in Offbg. 19, 20 heißt es bezüglich der beiden Hauptmächte des Bösen in jenen Tagen: „Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet (der Antichrist), der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, durch welche er die verführte, welche das Malzeichen des Tieres annahmen, und die sein Bild anbeteten, lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt“; während bezüglich ihrer Nachfolger gesagt wird: „Und die übrigen wurden mit dem Schwerte Dessen getötet, der auf dem Pferde saß, welches Schwert aus Seinem Munde ging; und alle Vögel wurden von ihrem Fleische gesättigt“ (V. 21.) Schreckliches Ende! In dem Feuersee, der mit Feuer und Schwefel brennt, werden Verführer und Verführte ihr ewiges Teil finden. „Und der Rauch ihrer Qual steigt auf in die Zeitalter der Zeitalter, und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht“ (Offbg. 14, 11.) Das Herz zittert bei dem Gedanken daran, aber es stimmt auch ein in den Ruf der Volksmenge in dem Himmel: „Halleluja! das Heil und die Herrlichkeit und die Macht unseres Gottes! Denn wahrhaftig und gerecht sind Seine Gerichte“ (Offbg. 19, 2)!

Bezüglich des Endes des Antichrists, des „Gesetzlosen“, lesen wir noch in 2. Thess. 2, 8, dass „der Herr Jesus ihn verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“.

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Der Dienst

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 270ff

Es ist ein besonderes Vorrecht, von dem Herrn in Seinem Dienst gebraucht zu werden, sei es zur Verkündigung des Evangeliums an die arme Welt, oder zur Ermunterung, Tröstung, Ermahnung und Auferbauung der Seinigen. In Markus 6 sehen wir, wie der Herr Seine Arbeiter in Sein Werk aussendet. Er reicht ihnen alles dar, was sie dazu brauchen; Er gibt ihnen Anleitung, wie sie ausgehen sollen, und belehrt sie, was sie predigen und tun und wie sie sich der Welt gegenüber verhalten sollen. Die Jünger gingen hinaus in Seinem Namen, in Seinem Auftrage und in voller Abhängigkeit von Ihm. Eine Zustimmung oder Anerkennung seitens der Menschen hatten sie nicht nötig; der Herr Selbst hatte sie gesandt. Gerade so konnte Paulus sich nennen einen „Apostel, nicht von Menschen, noch durch einen Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott, den Vater" (Galater 1,1).

In ähnlicher Weise sendet der Herr auch heute noch Seine Arbeiter in Seinen Weinberg, indem Er einem jeden eine Gabe gibt, wie Er es für gut findet. Sie bedürfen nicht der Bestätigung der Menschen, sondern sie gehen aus auf Sein Geheiß und dienen mit der Gabe, die Er ihnen anvertraut hat. Sie sind auch nicht Menschen verantwortlich, sondern allein ihrem Herrn.

Später hören wir (V. 30), wie die Jünger von ihrer Missionsreise zurückkehren, sich um ihren Herrn versammeln und Ihm alles mitteilen, was sie getan und was sie gelehrt hatten. Wie schön ist das! All ihr Tun geht in Seiner Gegenwart noch einmal an ihrem Auge vorüber; offen und vertrauensvoll teilen sie Ihm alles mit, was ihnen begegnet ist. - Machen wir es auch so, geliebter Leser? Gehen wir auch nach unserer Arbeit zu Jesu und erzählen Ihm alles, was wir getan und geredet haben? Wir dürfen überzeugt sein, dass es einen heilsamen Einfluss auf unser ganzes Verhalten ausüben würde. Unser Eifer und Ernst würden sich vertiefen; wir würden mehr in die Gesinnung unseres Herrn und Meisters eindringen und mit stets zunehmender, heiliger Wachsamkeit unser Werk fortsetzen.

Die Jünger teilten Jesu alles mit. Wir dürfen also voraussetzen, dass sie Ihm auch ihre „Fehler" nicht verschwiegen haben werden. Ihre Herzen reinigten sich auf diese Weise, und das Band zwischen ihnen und dem Herrn wurde inniger. Ja, es ist gesegnet, wenn das Herz in solch einer vertrauten Weise mit dem Herrn verkehrt; gesegnet für jeden, besonders aber für alle, die sich in irgendeiner Weise in dem Werke des Herrn bemühen, sei es draußen oder in der örtlichen Versammlung. Die Folgen eines solchen innigen Umgangs mit Jesu werden sich stets in segensreicher Weise offenbaren, sowohl für das eigene Herz der Betreffenden als auch für die Versammlung.

Nachdem die Jünger dem Herrn alles berichtet hatten, sprach Er zu ihnen: „Kommet ihr selbst her an einen wüsten Ort besonders und ruhet ein wenig aus". Mit welch einer Liebe und Teilnahme kommt der Herr Seinen schwachen Knechten entgegen! Er kennt die Mühen und Sorgen, die Beschwerden und Verleugnungen, die ein hingebender Dienst für Ihn mit sich bringt. Er weiß, wie vieles das Herz niederdrückt, und wie mancher stille Seufzer aus ihm emporsteigt. Er kennt das Herz eines treuen Knechtes, der die Ehre und Verherrlichung seines Herrn und das Wohl der Seelen sucht. Er weiß alles; nichts ist Ihm verborgen. 

Wie lieblich ist daher Seine Aufforderung: „Kommet her, ruhet ein wenig aus!" Er weiß, wie sehr Seine Diener einer solchen Ruhe bedürfen, des Alleinseins mit Ihm unter Gebet, Flehen und Fürbitte, und der gleichzeitigen Belehrung und Unterweisung von Seiner Seite. In solchen stillen Stunden gibt es manches zu lernen, was dem Arbeiter im Dienste not tut. Er wird in der Erkenntnis Dessen gefördert, Der ihn berufen hat. Er lernt den Herrn besser kennen in Seiner Liebe, Gnade und Macht, wie auch in Seiner Heiligkeit und Reinheit; und das ist von unberechenbarem Nutzen für ihn und seinen ganzen Weg.

In dieser Weise bildet der Herr die Herzen der Seinen. So war es auch bei den Jüngern. Doch für Ihn Selbst gab es keine Ruhe. Die Volksmenge folgte Ihm in die Wüste, und innerlich bewegt über sie - denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben - fing Er an, sie vieles zu lehren. Seine Liebe konnte nie ruhen. Wenn Er den armen Menschen sah, ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt, so konnte Er nicht anders als von der Liebe Gottes zu ihm reden. O, welch ein treuer Diener war Er! Nur besorgt für die Errettung und das Heil des verlorenen Sünders oder für das Wohl der Seinen, dachte Er nie an Sich Selbst. Welch ein Vorbild ist Er für alle, die begehren, Ihm nachzufolgen!

„Und als es schon spät am Tage war, traten Seine Jünger zu Ihm und sagen: Der Ort ist wüste, und es ist schon spät am Tage; entlass sie, auf dass sie hingehen auf das Land und in die Dörfer ringsum und sich Brote kaufen, denn sie haben nichts zu essen" (V. 35. 36). Ach! wie wenig kannten die Jünger ihren Herrn! Wie wenig waren sie in Gemeinschaft mit Ihm, Der innerlich über die armen Menschen bewegt war und keinen ungesättigt entlassen konnte! Ja, wie wenig kannten sie Den, Welcher einst in der Wüste viele Hunderttausende vierzig Jahre lang mit Brot aus dem Himmel gespeist hatte! Doch der Herr macht ihnen keinen Vorwurf. „Gebet ihr ihnen zu essen", sagt Er einfach.

Es ist nicht so schwer, andere zu belehren, zu ermahnen oder zu ermuntern. Wir können in dieser Weise oft viel Eifer und vermeintliche Kraft an den Tag legen; aber sobald eine Probe an uns herantritt, in welcher der persönliche Glaube und das persönliche Vertrauen zu der Liebe und Macht des Herrn sich erweisen sollen, erfahren wir, wie schwach alles bei uns ist und wie wenig wir Ihn noch kennen. Wie unfähig zeigen wir uns oft, in Bezug auf uns selbst oder auf andere volles Vertrauen zum Herrn zu haben! Und wie betrüben wir Sein liebendes Herz, wenn Er uns unfähig sieht, Ihm durch Glauben vor den Augen anderer zu ehren und zu verherrlichen! Wenn das, was wir anderen predigen, für uns selbst nicht Wirklichkeit ist, so wird unser Dienst ohne Kraft sein. Und wahrlich, wir werden oft Ursache zur Demütigung und zu ernstem Selbstgericht finden, wenn wir unser „Tun und Lehren" in der Gegenwart unseres Herrn aufrichtig erwägen. Nicht die Worte der Aufgeblasenen, sondern die Kraft wünschte der Apostel den Korinthern.

Dennoch benutzt der Herr in Seiner Gnade die Seinen, um durch sie die Menschen zu segnen. Er setzt sie ungeachtet ihrer kleinen Kraft und ihres schwachen Vertrauens nicht beiseite, sondern gebraucht sie als Werkzeuge in Seinem Dienst. So war es damals, und so ist es heute noch. Anbetungswürdiger Herr! Er lässt das Volk sich lagern, nimmt die fünf Brote und die zwei Fische, blickt auf gen Himmel, segnet und bricht die Brote und gibt sie dann Seinen Jüngern, auf dass sie sie der Menge vorlegen.

 Aller Segen kommt von Ihm. Aus uns selbst haben wir nichts. Alles, was wir aus uns selbst darbringen, hat keinen Wert. Niemand wird dadurch gesättigt oder gestärkt. Wir können wohl schöne Worte machen, aber sie sind ohne Leben und Kraft und darum wertlos. Er allein kann das Nötige darreichen; und nur wenn wir in wahrer Abhängigkeit von Ihm aus Seiner Fülle Gnade um Gnade nehmen, können wir anderen dienen. Wer irgendwie im Dienste des Herrn gebraucht zu werden wünscht, muss im Bewußtsein seiner Schwachheit und seines Nichts vorangehen, als ein Knecht, der mit der Gabe und der Kraft dient, die „Gott darreicht". Welch eine Gnade, dass der Herr nur solche Werkzeuge gebrauchen will und kann, die in sich selbst arm und schwach sind! Aber auch welch ein ernster Gedanke für alle, die Ihm dienen wollen!

Es gibt in unseren Tagen viel Wirksamkeit, aber die eigene Verherrlichung und das eigene Ich spielen dabei oft eine sehr große Rolle. So vieles wird dargereicht, was nicht aus der Hand des Herrn kommt, sondern seinen Ursprung in der Verwirrung des menschlichen Herzens hat. So vieles wird gepredigt und gelehrt, was dem Worte Gottes zuwider ist. Traurige Irrtümer werden verbreitet und die Seelen werden dadurch immer weiter von der Wahrheit entfernt. Ach, wie mancher, der einst gut lief und treu dem Herrn zu dienen suchte, wurde durch die List des Feindes von dem Pfade der Wahrheit abgelenkt und ist nun sich und anderen zum Schaden! Ja, wir bedürfen heutzutage in ganz besonderer Weise der Wachsamkeit und Nüchternheit. „Das Ende aller Dinge ist nahe gekommen. Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet" (1. Petrus 4,7)! Wollen wir „gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes" sein, so müssen wir in Abhängigkeit von dem Herrn und Seinem Worte verharren.

Sein Name sei gepriesen! Er bleibt treu, und Er weiß Seine Knechte, die vor Ihm zu wandeln begehren, zu erziehen. So sandte Er damals Seine Jünger auf das Meer hinaus, während Er Selbst auf dem Berge allein blieb und betete. Sie hatten Ihn nicht verherrlichen können angesichts der Volksmenge; es hatte ihnen an dem Glauben dazu gemangelt. Darum läßt der Herr sie einen Augenblick allein. Er kann uns den süßen Genuss Seiner vertrauten Gemeinschaft nicht schenken, wenn wir uns unfähig zeigen, Ihn vor der Welt zu ehren. Und um uns dies fühlen zu lassen, läßt Er uns in Schwierigkeiten kommen, in welchen wir unsere Armut und Nichtigkeit kennen lernen; in welchen wir erfahren, dass wir ohne Ihn nichts sind, und zugleich sehen, worin wir gegen Ihn gefehlt haben. 

Aber mag Er uns auch durch Leiden und Übungen gehen lassen, um uns zur Erkenntnis unser selbst zu bringen, Sein Auge wendet sich doch nie von uns ab. Sturm und Wellen mögen sich hoch erheben und uns zu verschlingen drohen, aber Sein liebendes Herz ist allezeit beim Vater droben für uns beschäftigt. Er betet für die Seinen und läßt sie nicht versinken. Obgleich sie Seine Gegenwart nicht genießen, sieht Er doch ihre Kämpfe und ihre Not; und hat Er erreicht, was Er zu erreichen wünscht, so kommt Er zu ihnen, gebietet dem Sturm und den Wellen und steigt zu ihnen ins Schifflein; und Seine selige Nähe und Gemeinschaft machen das Herz wieder glücklich.

So gnädig und treu ist unser geliebter Herr. Welch ein Vorrecht, Ihm dienen zu dürfen! Möchten wir alle von Herzen begehren, stets im vertrauten Umgang mit Ihm zu stehen! Lasst uns Ihm alles sagen, was wir gelehrt und getan haben, und viel allein sein mit Ihm, um von Ihm zu lernen! Lasst uns auch aus Seiner Hand nehmen, um anderen damit dienen zu können; und Er wolle uns fähig machen, Ihn zu verherrlichen, Dessen Diener wir geworden sind, damit das Leben Christi an unserem sterblichen Leibe offenbar werde!

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Wie Er in dem Lichte ist

Bibelstelle: 1. Johannes 1,7

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 277ff

Im alten Bunde hat Gott gesagt, dass Er im Dunkel wohnen wolle (1. Kön. 8, 12). Als Er Sein Gesetz. vom Berge Sinai her gab, brannte der Berg mit Feuer, und Gott war von „Dunkel und Finsternis und Sturm“ umgeben. (Hebr. 12, 18.) In der Stiftshütte und im Tempel thronte Er aus den Cherubim, hinter einem Vorhang, in unnahbarer Majestät. Gott hatte sich nicht geoffenbart, und kein Mensch konnte Ihm nahen.

Doch so ist es nicht mehr, gepriesen sei Sein Name! Die ernste Frage der Sünde, welche den Menschen von Gott trennte, ist in dem Opfer Christi in göttlicher Weise geordnet worden. Das Kreuz ist allen Ansprüchen Gottes begegnet. In dem Tode Jesu ist Seine Majestät aufrecht erhalten und alles, was in Gott ist, vollkommen verherrlicht worden, so dass, als Jesus starb, der Vorhang im Tempel von oben bis unten mitten entzwei gerissen wurde. Gott ist der Not des Menschen in jenem wunderbaren Opfer begegnet, ist jetzt im Lichte geoffenbart und bekannt geworden als ein Heiland-Gott. Er blieb so lange verborgen, bis Er sich im Lichte offenbaren konnte auf Grund des vollkommenen Opfers, in welchem sowohl Seine unbeugsame Heiligkeit und Gerechtigkeit gegenüber der Sünde, als auch Seine unaussprechliche Liebe zu dem Sünder ans Licht getreten sind. Die Sünde ist gerichtet worden, und für den Sünder ist nun ein Opfer da, das seine Sünden hinwegnehmen kann.

Gott selbst hat den Vorhang zerrissen und sich, in Gnade, in einem wolkenlosen Lichte geoffenbart, um den Menschen in dieses Licht zu bringen. Auf dem Boden des Opfers Jesu Christi begegnen sich Gott und der Mensch in einem Lichte, in welchem es gar keine Finsternis gibt. Alle Schuld und Sünde ist für immer hinweg getan, so dass der Gläubige in der Gegenwart Gottes sein kann, in einem ewigen, unveränderlichen Verhältnis, das gegründet ist auf das kostbare Wort: „Das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“.

Wunderbar! Wir begegnen Gott in dem Lichte. Das Blut Jesu Christi ist allezeit dort vor den Augen Gottes in Seinem unbeschreiblichen Werte. Es hat jede Frage beantwortet, jeder Forderung genügt; es „reinigt uns von aller Sünde“. Das durchdringende Licht der Gegenwart Gottes vermag da, wo jenes Blut angewandt ist, keinen Flecken mehr zu entdecken. Ja, wenn das Licht noch heller und durchdringender sein könnte, so würde es nur umso deutlicher beweisen, dass kein Flecken mehr an uns ist: alles ist hinweg getan, und wir stehen in der Gegenwart Gottes in dem ewigen, unendlichen Werte des Blutes Jesu. Welch eine Gnade! Welch eine unbegreifliche Liebe! Und wie gibt dies zugleich unseren einst so mühseligen Herzen und schuldbeladenen Gewissen Ruhe und Frieden! Wahrlich, wir mögen wohl angesichts einer solchen Offenbarung der Liebe Gottes unsere Häupter in anbetender Bewunderung niederbeugen und mit dem Apostel ausrufen: „Was sollen wir hierzu sagen?“!

Doch dies ist noch nicht alles. In der Szene, in welche wir versetzt sind, gibt es gar keine Finsternis, keinen Missklang, keinen störenden Ton; und wir sind in dem Lichte und wandeln in dem Lichte. Einst waren wir in der Finsternis und wandelten in der Finsternis, wandelten nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams«. Aber wir befinden uns nicht mehr dort. Wir sind jetzt im Lichte und wandeln in demselben. Das ist wahr von jedem Gläubigen; Gottes Gnade und errettende Macht haben ihn dahin gebracht. Und was so köstlich ist: „wenn wir in dem Lichte wandeln, wie Er in dem Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander“! 

Es kann gar nicht anders sein. Wir sind in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne eingeführt; hier kann.es nur eine Gesinnung, gleichsam nur einen Gedanken geben: die Gesinnung Gottes und Christi. Der Apostel redet hier in einer abstrakten Weise von der christlichen Stellung, d. h. ganz abgesehen davon, inwieweit wir diese Stellung verwirklichen. Wir sind zu Gott gebracht, befinden uns im Lichte, besitzen ewiges Leben, haben Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne und miteinander, d. h. mit allen denen, die mit uns in dieselbe gesegnete Stellung gebracht sind. Welch ein wunderbares Vorrecht! Alles ist göttlich vollkommen, ohne irgend welchen Makel, und verkündet laut die unvermischte Gnade und unendliche Liebe Gottes.

Ich wiederhole noch einmal, da das Verständnis der angeführten Stelle manchem Gläubigen Schwierigkeiten bereitet, dass der Apostel die großen Grundsätze und Kennzeichen der christlichen Stellung beschreibt. Der Gläubige ist im Lichte, in der Gegenwart Gottes, ohne Vorhang, und indem er im Lichte wandelt, hat er Gemeinschaft mit seinen Mitgläubigen. Das Ich mit seinen hässlichen Eigenschaften, wie Neid, Selbstsucht, Eigenliebe u. s. w., ist dort gänzlich ausgeschlossen. Das Fleisch mit seinen Leidenschaften und Lüsten findet dort keinen Raum mehr. Gott selbst ist die Richtschnur des erneuerten Willens; das Herz und die Gedanken bilden sich nach Ihm und werden von Ihm regiert. Der Gläubige lebt und wandelt in dem Bewusstsein, dass er sich in der heiligen Nähe Gottes befindet. Die vollkommene, reinigende Kraft des Blutes Christi befähigt ihn, dort zu sein.

Gott sei ewig gepriesen, dass es so ist! Doch vergessen wir nicht, dass ein jedes Ding zwei Seiten hat. So gibt es auch in Verbindung mit unserem Gegenstande eine ernste, praktische Frage, und diese lautet: Inwieweit leben und wandeln wir in der Kraft der eben besprochenen Wahrheit? Oder: Inwieweit leben und wandeln wir der Natur gemäß, welche wir besitzen? Die Wahrheit, so wie sie uns von Johannes mitgeteilt worden ist, bildet den göttlichen Maßstab, nach welchem wir unser praktisches Verhalten, unseren wirklichen Zustand beurteilen sollen. Möchten wir einen niedrigeren Maßstab haben? Trachten wir heute nach etwas, was wir dereinst in dem Lichte und der ewigen Freude des Vaterhauses nicht haben werden? 

Wenn es so ist, dann beweisen wir, wie wenig die Wahrheit noch Besitz- genommen hat von unserer Seele. O möchten wir mehr alle unsere Beweggründe, unsere Wünsche und Wege, ja, unser ganzes Tun und Lassen in die Gegenwart Gottes bringen, um es dort, in dem untrüglichen Lichte Seines Antlitzes, abzuwägen und zu beurteilen! Es würde uns sicher oft aus unsere Angesichter bringen, in aufrichtigem Bekenntnis vor Ihm, der „treu und gerecht ist, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“, Ja, Gott hat uns nicht nur eine Stellung gegeben kraft des Blutes Christi; Er will auch, dass wir· sie praktisch einnehmen, und Er ist bereit, uns zu reinigen dem Platze gemäß, zu dem wir gebracht sind. Möchte Sein Wort unsere Herzen erreichen und erforschen, und dahin leiten, alles zu richten und zu verurteilen, was unserer gesegneten Stellung nicht entspricht und die Probe des Lichtes nicht aushält!

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 281ff

XI. Das tausendjährige Reich.

Durch die Vernichtung des ,,Tieres« wird die Herrschaft, welche einst in der Person Nebukadnezars den Nationen übertragen wurde, diesen wieder genommen, und sie kehrt zu ihrem Ursprung zurück, zu Ihm, der der König der Könige und der Herr der Herren ist. Als der wahre Sohn Davids wird Er über Israel herrschen. „Tröstet, tröstet mein Volk!« so ruft Er schon durch den Mund des Propheten Jesaja im Blick auf jene Tage; redet zum Herzen Jerusalems, und rufet ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand Jehovas Zwiefältiges empfangen hat für alle ihre Sünden“ (Jes. 40, 1. 2).

 Und das Volk, welches einst seinen König verwarf, wird Ihn dann annehmen und Ihm in Aufrichtigkeit und Wahrheit zujubeln: „Hosanna dem Sohne Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe“ (Matth. 21, 9; Ps.118, 26). Doch nicht nur über Israel, nein, auch über alle Völker der Erde wird sich die Herrschaft des Herrn erstrecken. Die Nationen werden Sein Erbteil und die Enden der Erde Sein Besitztum sein (Ps. 2, 8). Der Stein, der auf das große Bild fällt und es zermalmt, wird zu einem großen Berge werden, welcher die ganze Erde füllt (Dan. 2). Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum werdendem Sohne des Menschen gegeben werden (Vergl. Dan. 7.) 

Damit beginnt dann die Zeit des Segens und der Herrlichkeit für Israel und die Nationen, jene Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn, die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat. (Apstgsch. 3, 19 — 21.) Jene „Wiedergeburt“ vollzieht sich, in welcher die zwölf Apostel auf zwölf Thronen sitzen werden, richtend die zwölf Stämme Israels (Matth. 19, 28). Jene Zeit des Segens und Friedens bricht an, welche man gewöhnlich das tausendjährige Reich nennt, weil wir in Offbg. 20, 1 — 7 lesen, dass die Regierung Christi, als Haupt über alles, tausend Jahre währen wird.

Indessen wird die Fülle des Friedens und der Segnungen, welche das tausendjährige Reich kennzeichnen, nicht unmittelbar auf das von Christo bei Seiner Erscheinung vollzogene Gericht folgen. Ohne Zweifel bricht mit der Vernichtung des Antichrists und der Völker, die vor Jerusalem versammelt sein werden, die Zeit der Herrschaft Christi an; allein es sind noch nicht alle Ärgernisse aus dem Reiche entfernt (Matth. 13, 41); auch sind noch nicht alle Feinde des Herrn überwunden und zum Schemel Seiner Füße gelegt.

 Die beiden letztgenannten Dinge werden sich erst vollziehen, wenn die Morgenröte des tausendjährigen Reiches bereits erklommen, ja, wenn die Sonne der Gerechtigkeit schon aufgegangen ist; und dann erst wird sich die Erde der vollen Segnungen des Friedensreiches Christi erfreuen. Die Geschichte Davids und Salomos ist ein treffendes Vorbild von jenen Tagen. Wie David wird der Herr sich mit der Unterwerfung Seiner Feinde beschäftigen müssen, ehe Er, gleich Salomo, in Frieden herrschen kann.

Das Wort Gottes macht uns auch eingehend mit diesen Ereignissen zu Anfang der Regierung Christi bekannt. So wird uns z. B. in Hesekiel 38 und 39 die Vermehrung der Heere Gogs, des Fürsten von Rosch, Mesech und Tubal, prophezeit, welche erst nach der Ankunft des Herrn auf die Erde stattfinden kann, weil das Volk Israel dann bereits in dem friedlichen Besitz seines Landes erscheint. Am Ende der Jahre, so lesen wir im Beginn des 38. Kapitels-, soll Gog in das Land kommen, „das vom Schwerte wiederhergestellt, das aus vielen Völkern gesammelt ist, auf die Berge Israels, welche beständig verödet waren; und es ist herausgeführt aus den Völkern, und sie wohnen in Sicherheit allesamt“ (Vers 8)

„Ich will hinaufziehen“, sagt Gog, „in das Land der offenen Städte, will über die kommen, welche in Ruhe sind, in Sicherheit wohnen, die allesamt ohne Mauern wohnen und Riegel und Tore nicht haben“ (Vers 11.) Nun kann aber das Volk Israel erst sicher wohnen und in Ruhe sein, nachdem der Herr Jesus gekommen ist, um den Antichrist zu beseitigen und das Tier zu vernichten. Demnach müssen die hier beschriebenen Ereignisse im Anfang des tausendjährigen Reiches stattfinden.

Doch wer ist Gog? Die Antwort auf diese Frage wird uns im 2. Verse des 38. Kapitels gegeben. Es heißt dort: „Menschensohn, richte dein Angesicht gegen Gog vom Lande Magog, den Fürsten von Rosch, Mesech und Tubal“. Mesech und Tubal sind Namen von Völkern, die ursprünglich am Schwarzen Meere wohnten, in späteren Jahrhunderten aber weiter nach Norden gedrängt wurden. Beide Namen dürfen wir wohl in Moskau, der früheren Hauptstadt Russlands, und Tobolsk, der Hauptstadt des asiatischen Russland, wiederfinden.

 Es handelt sich in unserer Weissagung um den Beherrscher eines gewaltigen nordischen Reiches, ohne Zweifel Russland, worauf auch der Name „Rosch“ hinzuweisen scheint. Der stolze Fürst jenes Reiches, in der Meinung, dass durch die Vernichtung des römischen Reiches alles in seine Hand gegeben sei, wird in Verbindung mit den Persern, Äthiopiern, Putäern, Kusch und Put sind ebenso wohl am Euphrat wie am Nil zu suchen und den Bewohnern von Togarma (dem nordöstlichen Kleinasien, wahrscheinlich Armenien), wider Israel heranziehen und das Land wie eine Wolke bedecken. 

Doch diese ganze große Menge wird durch den Herrn vernichtet werden, ohne dass Israel auch nur das Schwert zu ziehen brauchte. Gott wird das Schwert des einen wider den anderen kehren und Gericht an ihnen üben durch die Pest und durch Blut. Zugleich werden überschwemmende Regengüsse und Hagelsteine, Feuer und Schwefel über Gog und seine Heerscharen kommen und sie vernichten. (Vers 21. 22.) Um uns eine Vorstellung von der gewaltigen Menge zu geben, die dann umkommen wird, wird uns mitgeteilt, dass die Kinder Israel sieben Monate lang die Leichen der Gefallenen begraben, und sieben Jahre lang von ihren Waffen und Geräten Feuer machen werden, so dass niemand nötig haben wird, Holz vom Felde zu holen oder aus den Wäldern zu hauen.

Außer diesem Gericht über Gog lesen wir noch von Gerichten über Edom in Jes. 34 und 63, über Ägypten in Jes. 19 und über Moab und Ammon, Tyrus und Sidon in Hesek. 25 Und 28, sowie endlich von Gerichten allgemeinen Charakters: „denn durch Feuer und durch Sein Schwert wird Jehova Gericht üben an allem Fleische, und der Erschlagenen Jehovas werden viele sein“ (Jes. 66, 16). „Der Sohn des Menschen wird Seine Engel senden, und sie werden aus Seinem Reiche alle Ärgernisse zusammenlesen und die das Gesetzlose tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (Matth. 13, 41. 42). 

Auch wird der Herr Sein Land von aller Unreinigkeit reinigen: „Und es wird geschehen an jenem Tage, spricht Jehova, da werde ich deine Rosse ausrotten aus deiner Mitte und deine Wagen vernichten . . . Und ich werde die Wahrsagereien ausrotten aus deiner Hand, und du wirst keine Zauberer mehr haben. Und ich werde deine geschnitzten Bilder und deine Bildsäulen ausrotten aus deiner Mitte, und du wirst dich nicht mehr niederwerfen vor dem Werke deiner Hände. Und ich werde deine Ascherim herausreißen aus deiner Mitte Und deine Städte vertilgen (Micha 5, 9 -13; siehe auch Sach.13 u. 14 und Jes. 25 u. 26).

Sodann hören wir in Matth. 25, dass der Herr im Anfang des tausendjährigen Reiches die Völker, welche Er bei Seiner Ankunft auf der Erde vorfindet, versammeln und Gericht über sie halten wird. Die Annahme, dass in genanntem Kapitel von dem letzten oder dem sogenannten „jüngsten“ Gericht die Rede sei, ist unrichtig. Dieses Gericht wird uns in Offbg. 20, 11 - 15 beschrieben; es ist das Gericht der Toten und wird erst nach dem tausendjährigen Reiche stattfinden. „Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Throne stehen . . Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken“. In Matth. 25 spricht der Herr dagegen von dem Gericht der Lebendigen.

 „Vor Ihm werden versammelt werden alle Nationen. Weder im Himmel, noch im Hades, noch in der Hölle kann von Völkern gesprochen werden; mit dem Tode hören alle Familien-, Stammes- und Volks-Beziehungen auf. Das Gericht von Matth. 25 muss sich also auf der Erde vollziehen. Dies geht auch aus. Den Eingangsworten hervor: „Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in Seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit Ihm, dann wird Er auf Seinem Throne der Herrlichkeit sitzen“; d. h. also: wenn der Herr mit Seinen himmlischen Heerscharen aus die Erde herabkommt, um als König Seine Herrschaft anzutreten, wird Er die Völker vor sich versammeln und sie von einander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe stellt Er zu Seiner Rechten, die Böcke zur Linken. 

Zu den Schafen sagt Er: „Kommet her, Gesegnete meines Vaters, ererbet das Reich (nicht den Himmel), das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an“ (nicht vor Grundlegung der Welt). Und zu den Böcken sagt Er: „Gehet von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“. Während also die Böcke unmittelbar in die Hölle geschickt werden, ererben die Schafe das Reich Christi und gehen mit Ihm ein in die Freuden Seiner tausendjährigen Regierung hienieden.

Außer den Völkern, welche vor dem Throne des Menschensohnes versammelt stehen, erscheint noch eine andere bemerkenswerte Klasse von Personen vor unseren Blicken, die der Herr Seine Brüder nennt, und auf welche Er sowohl die Schafe wie die Böcke hinweist. Es sind dies wohl die gläubigen Juden, die während der Gerichte, welche nach der Aufnahme der Kirche über die Welt ausgegossen werden, das Evangelium des Reiches in der ganzen Welt gepredigt haben, — die Boten des Herrn, deren Behandlung die Grundlage des Gerichts bilden wird.

 Diejenigen, welche diese Brüder des Herrn aufgenommen, beherbergt, besucht, gespeist, oder ihnen auch nur einen Trunk Wasser gereicht haben, mit einem Wort, die ihr Zeugnis angenommen und ihnen in irgend einer Weise Mitleid bewiesen haben, gehören zu den Schafen; wogegen alle diejenigen, welche nichts dieser Art getan, die Zeugen Jesu also verworfen haben, zu den Böcken gerechnet werden. Die einen haben durch ihre Teilnahme an den Leiden der Brüder des Herrn in den schweren Tagen der letzten Trübsal ein Herz für Christum bewiesen und gehen ein in die Segnungen des Reiches; die anderen haben sich als offenbare Feinde des Herrn gezeigt und werden gerichtet.

Bevor wir zu der Betrachtung des zweiten Abschnittes der Regierung Christi übergehen, müssen wir noch bei einem Ereignis verweilen, welches mit Recht das wichtigste und folgenschwerste von allen genannt werden mag. Ich meine das Binden des Teufels. In Offenbg. 20 lesen wir: „Und ich sah einen Engel aus dem Himmel herniederkommen, welcher den Schlüssel des Abgrundes und eine große Kette in seiner Hand hatte. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche der Teufel und der Satan ist; und er band ihn tausend Jahre, und warf ihn in den Abgrund und schloss zu und versiegelte über ihm, auf dass er nicht mehr die Nationen verführe, bis die tausend Jahre vollendet wären.“ 

Das ist in der Tat ein wichtiges und freudevolles Ereignis. Der Teufel, der Lügner von Anfang, der Mörder der Seelen, der Fürst der Finsternis und der Gott dieser Welt, für tausend Jahre gebunden — welch eine Veränderung muss diese Tatsache hervorbringen! Nicht länger mehr wird Satan die Menschen zur Sünde und zur Auflehnung gegen Gott verführen, nicht länger mehr die Völker zu Krieg und Zwietracht entflammen; niemand mehr wird von ihm geplagt, kein Zeuge Jesu mehr von ihm verfolgt werden; nicht länger mehr kann er seine verderbliche Macht zur Erreichung seiner bösen Pläne benutzen; allem Unheil, welches jetzt durch ihn angerichtet wird, ist dann ein Ende gemacht. Die Menschen werden zur Ruhe kommen und sich ungestört der herrlichen Gegenwart des Sohnes des Menschen erfreuen können.

Dass diese Gegenwart des Herrn die eigentliche Herrlichkeit und den Segen des tausendjährigen Reiches ausmachen wird, brauche ich kaum zu sagen. Die Vernichtung der Feinde Gottes und das Binden des Teufels sind freilich Ereignisse von weittragender Bedeutung; aber sie würden an und für sich noch nicht die Einführung eines allgemeinen, segensreichen Friedens-zustandes und das Aufhören aller Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit bedeuten. Denn das menschliche Herz ist und bleibt böse, selbst unter den günstigsten äußeren Umständen. Aber nein, Er wird kommen, von welchem es heißt: „Die Gerechtigkeit wird vor Ihm einhergehen und ihre Tritte zu Seinem Wege machen“ (Ps. 85, 13); und: „Er wird dein Volk richten in Gerechtigkeit, und deine Elenden nach Recht . . .

 Er wird Recht schaffen den Elenden des Volkes; Er wird retten die Kinder des Armen. · In Seinen Tagen wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist“ (Ps. 72, 2. 4. 7). Dann „wird zur Gerechtigkeit zurückkehren das Gericht“ (Ps. 94, 15); der Herr Jesus, der Friedefürst, wird König sein über die ganze Erde, und „Wahrheit wird sprossen aus der Erde und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“. Auf alle Völker der Erde wird sich der gesegnete Einfluss der Gegenwart des Herrn erstrecken. „Es werden eingedenk werden und zu Jehova umkehren alle Enden der Erde; und vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen“ (Ps. 22, 27). In der Verwaltung der Fülle der Zeiten wird in Ihm alles unter ein Haupt zusammengebracht werden, was im Himmel und was auf der Erde ist. (Eph. 1, 10). Willig werden die Völker sich dem Szepter eines Fürsten unterwerfen, dessen Weisheit so vollkommen ist wie Seine Gerechtigkeit, und dessen Liebe so groß wie Seine Macht; der niemals einen Missgriff tun kann, und der in der ganzen Ausdehnung Seines unermesslichen Reiches alles in bester Ordnung erhalten wird. Sich vor einem solchen König zu beugen, ist nicht schwer.

Untersuchen wir jetzt, welchen Anteil die Kirche oder die Braut Christi an diesen Dingen hat. Nachdem im Himmel die Hochzeit des Lammes gefeiert und die Braut „das Weib des Lammes“ geworden ist, kommt sie mit Jesu hernieder, um Ihn auf Seinem Siegeszuge zu begleiten und die Herrschaft mit Ihm anzutreten (Offbg. 1,9). 

Mit dem König der Ehre aufs innigste verbunden, wird sie sowohl an Seiner irdischen wie an Seiner himmlischen Herrlichkeit teilnehmen. Christus ist der Erbe Gottes die Braut ist Seine Miterbin; und da das Erbe, welches Gott Seinem Sohne gegeben hat, das ganze Weltall umfasst, so wird sie dieses Erbe mit Ihm teilen. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart wird, dann werdet auch ihr mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol. 3, 4). Wenn Er sich als der König des Weltalls auf den Thron Seiner Herrlichkeit setzen wird, dann wird Sein Weib an Seiner Seite thronen und mit Ihm herrschen.

Das eben Gesagte bezieht sich auf die Braut oder die Gemeinde Christi in ihrer Gesamtheit. Da ist kein Unterschied. Alle werden sich in derselben Herrlichkeit befinden und dasselbe Teil mit Christo empfangen. Dennoch wird ein Unterschied sein, und zwar im Blick aus den besonderen Lohn, welcher jedem Einzelnen für seine besondere, persönliche Arbeit ausgeteilt werden wird (Vergl. 1. Korinther 3,8, 8; 4, 5.) Der eine wird mehr Lohn, mehr Ehre empfangen als der andere, entsprechend der größeren oder geringeren Treue, mit der jeder Einzelne auf Erden dem Herrn gedient hat. Zu den zwölf Aposteln sagte der Herr einst: Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen, richtend die zwölf Stämme Israels“ (Matth. 19, 28).

 In dem Gleichnis von den Pfunden empfängt der eine Knecht Gewalt über zehn Städte, der andere nur über fünf (Luk. 19, 12). Paulus schreibt an Timotheus von einer „Krone der Gerechtigkeit“, welche der Herr, der gerechte Richter, ihm zur Vergeltung geben werde an jenem Tage. Die Thessalonicher nennt er seine „Krone des Ruhmes vor unserem Herrn Jesu bei Seiner Ankunft“. (Vergl. auch 2. Korinther 1, 14; Phil. 2, 16; 4, 1.) In Offenbg. 22, 12 kündigt der Herr Seine baldige Ankunft an mit den Worten: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird“; u. s. w. Diese Stellen sind ernst, und doch müssen wir zugleich ausrufen: 

Welch eine anbetungswürdige Gnade gibt sich in allem diesem kund! Gott hat uns errettet und fähig gemacht, Ihm zu dienen; Er hat uns Seinen Geist geschenkt und durch diesen die Kraft, gute Werke hervorzubringen; und schließlich will Er diese guten Werke noch belohnen, als ob wir selbst sie verrichtet hätten! Wie sehr sollte uns eine solche Gnade anspornen, in aller Treue vor Gott zu wandeln, Ihm zu dienen und uns selbst zu verleugnen!

In Offbg. 21, 9 bis 22, 5 wird uns eine ergreifend schöne Beschreibung gegeben von der Herrlichkeit des Weibes des Lammes während der tausend Jahre irdischer Segnung. Von Kap. 19, 6 bis 21, 8 gehen die letzten Ereignisse in ihrer Reihenfolge an unseren staunenden Blicken vorüber. Zuerst findet die Hochzeit des Lammes im Himmel statt; dann kommt der Herr mit den Seinigen vom Himmel, um Seine Feinde zu vertilgen; Satan wird gebunden, die um des Zeugnisses Jesu willen enthaupteten Gläubigen werden auferweckt, und das tausendjährige Reich beginnt; nach Beendigung desselben wird Satan wieder losgelassen und empört sich von neuem wider Gott und das-Lamm; Feuer vom Himmel verschlingt alle seine Heerscharen, und er selbst wird in den Feuersee geworfen; Himmel und Erde vergehen, und alle Toten erscheinen vor dem großen weißen Throne, um gerichtet zu werden; ein neuer Himmel und eine neue Erde entstehen, deren Mittelpunkt das neue Jerusalem ist, welches aus dem Himmel herniederkommt von Gott, und damit nimmt dann der ewige Zustand seinen Anfang, in welchem „Gott alles in allem“ sein wird. 

Das ist in kurzen Worten der Verlauf der letzten Ereignisse. Hernach beschreibt der Prophet in einem besonderen Gesicht die Herrlichkeit des neuen Jerusalem, des Weibes des Lammes. „Komm her, ich will dir die Braut, das Weib des Lammes, zeigen“, wird ihm gesagt. Und um uns Menschen, die himmlische Dinge nur unter irdischen Bildern verstehen können, eine Vorstellung von der Herrlichkeit der Versammlung oder Gemeinde Christi zu geben, wird uns eine Stadt vorgestellt, die alles in sich vereinigt, was diese Erde Schönes und Prächtiges aufzuweisen hat. Aus den Einzelheiten dieser Beschreibung ersehen wir, dass der Heilige Geist uns in die Zeit des tausendjährigen Reiches zurückversetzt und uns die Stellung vor Augen malt, welche die Versammlung während dieser Zeit einnehmen wird.

 Es gibt keine Nacht in dieser himmlischen Stadt, Und doch wird sie weder durch die Sonne, noch durch den Mond, noch durch eine Lampe erleuchtet. Die Herrlichkeit Gottes selbst hat sie erleuchtet, und ihre Lampe ist das Lamm; während die Nationen, d. h. die Völker, welche die tausendjährige Erde bewohnen werden, durch ihr Licht wandeln. Sie enthält keinen Tempel, denn der Herr, Gott, der Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm; doch die Könige der Erde bringen ihre Herrlichkeit und Ehre zu ihr. Der reine Strom des Wassers des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorkommt aus dem Throne Gottes und des Lammes, durchströmt die Stadt, und an beiden Seiten des Stromes steht der Baum des Lebens, der allmonatlich zwölf Früchte trägt und dessen Blätter zur Heilung der Nationen dienen. Sie, die selbst die Zeugin und der Ausdruck der vollkommenen Gnade Gottes und der unendlichen Liebe Christi ist, bildet während der Segensherrschaft Christi den Kanal dieser Gnade und verbreitet Licht und Heilung über die Völker.

„Aber“, möchte der Leser einwenden, „wird denn der Herr während des tausendjährigen Reiches mit uns auf der Erde wohnen?“ Keineswegs; die Wohnung Christi und Seiner himmlischen Braut ist der Himmel. Der Herr wird wohl mit den himmlischen Heiligen auf die Erde kommen, und Seine Füße werden dann auf dem Ölberge stehen. Er wird Sein irdisches Volk in die lange verheißenen Segnungen des Reiches einführen. Er wird auch Seinen Einzug in Jerusalem halten, und diese Stadt wird der Sitz, Seiner irdischen Regierung bilden. 

Aber Er wird nicht auf der Erde wohnen, und ebenso wenig die Braut oder die Versammlung. Sie wird mit Christo über die ganze Erde herrschen; das eine Glied wird vielleicht hierhin, das andere dorthin gehen, um die Befehle Christi bekannt zu machen und die Angelegenheiten des irdischen Reiches zu ordnen; doch ihre Wohnstätte wird immer der Himmel sein. Im Himmel wohnend, werden der Herr und die Seinigen sich zeigen, so oft und wo irgend es nötig ist. Zwischen Himmel und Erde wird dann eine glückliche Gemeinschaft, ein fortwährender vertraulicher Verkehr bestehen, wie dies in der Jakobsleiter vorbildlich dargestellt wird, die auf der Erde stand, während ihre Spitze an den Himmel reichte, und an welcher die Engel Gottes auf- und niederstiegen (1. Mose 28).

Es bleibt uns noch übrig, auf den Zustand Israels und der Nationen während der Zeit des tausendjährigen Reiches einen Blick zu werfen. Wir haben bereits gesehen, dass bei der Ankunft Christi ganz Israel, d. h. der treue Überrest aus den zwei und aus den zehn Stämmen, errettet werden wird. Die Prophezeiung von Hesekiel 37 wird sich erfüllen. Israel und Juda werden nach langer Trennung wieder vereinigt werden. Der Geist des Herrn wird über alle ausgegossen werden, und das Gesetz, Gottes wird auf ihre Herzen geschrieben sein. „Wenn ich sie aus den Völkern zurückgebracht habe . . ·, werden sie wissen, dass ich, Jehova, ihr Gott bin . . ..Und ich werde mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen, wenn ich meinen Geist über das Haus Israel ausgegossen habe“ (Hesekiel 39, 27 — 29).

 „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen werde; nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern gemacht habe; . . . . sondern dies ist der Bund, den ich mit dem Hause Israel machen werde nach jenen Tagen: Ich werde mein Gesetz, in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben; und ich werde ihnen zum Gott, und sie werden mir zum Volke sein. Und sie werden nicht mehr ein jeder seinen Nächsten und ein jeder seinen Bruder lehren und sprechen; Erkennst Jehova! denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten“ (Jerem. 31, 31 – 34.) 

Und als notwendige Folge dieser geistlichen Wiederherstellung wird Israel sich auch eines nie gekannten äußeren Wohlergehens erfreuen. Junge Kamele von Midian und Epha, Gold und Weihrauch von Scheba, die Herden Kedars, die Widder Nebajoths die Herrlichkeit des Libanon, ja, die Kostbarkeiten aller Völker werden nach Kanaan gebracht werden. „Statt des Erzes werde ich Gold bringen, und statt des- Eisen(3 Silber bringen, und statt des Holzes Erz, und statt der Steine Eisen. Und ich werde den Frieden setzen zu deinen Aufsehern, und die Gerechtigkeit zu deinen Vögten“ (Jes. 60; siehe auch Jer. 31, 4. 5; Hes. 36, 8 - 12; Amos 9, 13. 14).

Die Stadt Jerusalem, „die Thore Zions, welche Jehova mehr liebt als alle Wohnungen Jakobs“ (Ps. 87, 2), wird zu einem ungeahnten Glanze und einer nie gekannten Ausdehnung kommen. „Als offene Stadt wird Jerusalem bewohnt werden wegen der Menge Menschen und Vieh in seiner Mitte. Und ich, spricht Jehova, werde ihm eine feurige Mauer sein ringsum, und werde zur Herrlichkeit sein in seiner Mitte“ (Sach. 2, 4. 5.) „So spricht Jehova: Ich kehre nach Zion zurück, und will inmitten Jerusalems wohnen; und Jerusalem wird genannt werden „Stadt der Wahrheit“, und der Berg Jehovas der Heerscharen „der heilige Berg“ . . . . Es werden noch Greise und Greisinnen in den Straßen von Jerusalem sitzen, ein jeder mit seinem Stabe in seiner Hand vor Menge der Tage. Und die Straßen der Stadt werden voll sein von Knaben und Mädchen, die auf seinen Straßen spielen“ (Sach. 8, 3 — 5). Auch der Tempel wird wieder aufgebaut werden, und zwar weit herrlicher und größer als je zuvor.

 Die Kapitel 40 — 47 des Propheten Hesekiel geben uns eine eingehende Beschreibung von der äußeren Gestalt und inneren Einrichtung dieses gewaltigen Bauwerks. Der von den Juden vor dem tausendjährigen Reiche im Unglauben errichtete Tempel, in welchen der Antichrist sich als Gott setzen wird, wird ohne Zweifel wieder zerstört werden. Der Herr selbst, der wahre Salomo, wird jenen neuen Tempel bauen. „Siehe, ein Mann, Sein Name ist Spross; und Er wird von Seiner Stelle aufsprossen und den Tempel Jehovas bauen, und Er wird Herrlichkeit tragen; und Er wird auf Seinem Throne sitzen und herrschen, und wird Priester sein auf Seinem Throne“ (Sach. 6, 12. 13). In diesem Tempel wird keine Bundeslade gefunden werden, denn der Herr selbst wird darin wohnen, und man wird Jerusalem den Thron Jehovas nennen (Jeremia 3, 16. 17).

Auch der Opferdienst wird im tausendjährigen Reiche wieder hergestellt werden, um Sühnung zu tun für das Heiligtum; jedoch nicht in derselben Weise oder in demselben Sinne, wie einst unter dem Gesetz; denn Israel wird sich der vollkommenen, durch Christum bewirkten Versöhnung erfreuen und das Bewusstsein der völligen Vergebung seiner Sünden besitzen.

 Vielmehr werden die Opfer auf jenes vollbrachte Versöhnungswerk zurückweisen, daran erinnern. Ähnlich so, wie jetzt die Kirche in dem Abendmahl das Gedächtnis des Versöhnungstodes des Herrn feiert, werden dann die Opfer, in Verbindung mit dem Passah- und Laubhüttenfest, *) für Israel die Erinnerung an denselben Tod bilden. Der Gottesdienst Israels wird alsdann einen vollkommenen Charakter tragen, gegründet auf das Bewusstsein von der Annahme und Vollgültigkeit des Opfers Christi; aber doch wird er nimmer die Höhe des christlichen Gottesdienstes erreichen, denn das Volk wird niemals in das Innere des Heiligtums hineingehen.

Ferner ersehen wir aus Hesekiel 46 dass im tausendjährigen Reiche ein Fürst in Israel regieren wird, der für sich und seine Söhne ein besonderes Erbteil empfängt. Wir können uns dies etwa so vorstellen: Christus ist König über alles; aber unter Ihm wird ein Fürst, gleichsam ein Vizekönig, die Regierung über Israel führen.

Die übrigen Völker, die Nationen, werden an der Herrlichkeit Israels und an den Segnungen des Friedensreiches teilnehmen. Wie das himmlische Jerusalem der Kanal sein wird, durch welchen die himmlischen Segnungen der Erde zuströmen, so wird Israel oder das irdische Jerusalem den Mittelpunkt der ganzen Erde bilden, von wo aus den Nationen die Segnungen des tausendjährigen Reiches zufließen werden. Die einst dem Abraham gegebene Verheißung: „In dir werden gesegnet werden alle Geschlechter der Erde«, wird dann in vollem Maße in Erfüllung gehen, und es wird sich zeigen, wie wahr und zutreffend die Worte Pauli waren: „Wenn ihr (der Juden) Fall der Reichtum der Welt ist, und ihre Verminderung der Reichtum der Nationen, wieviel mehr ihre Vollzahl! . . . Denn wenn ihre Verstoßung die Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anders sein, als Leben aus den Toten“ (Röm. 11, 12. 15). Ja, auf der ganzen Erde wird eine durchgreifende Veränderung, eine völlige Umwälzung stattfinden. Der Götzendienst wird von der Erde verschwinden (Jes. 2,18), und der einige, wahre Gott wird gekannt und angebetet werden. „Und es wird geschehen: von Neumond zu Neumond und von Sabbat zu Sabbat wird alles Fleisch kommen, um vor mir anzubeten, spricht Jehova“ (Jes. 66, 23). Die zweite und dritte Bitte aus dem Gebete unseres Herrn: „Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden«, wird dann Voll und ganz Erhörung finden. 

Der Krieg wird aufhören, und die Frage der allgemeinen Abrüstung, die heute trotz, aller Bemühungen keinen Schritt weiter kommen will, wird sich ganz von selbst lösen: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden, und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. Und sie werden sitzen, ein jeder unter seinem Weinstock und unter feinem Feigenbaum, und niemand wird sie aufschrecken“(Micha 4, 3. 4). 

Die Regenten der Völker werden als Diener Christi regieren, und das Gericht wird unparteiisch geübt werden. „Siehe, ein König wird regieren in Gerechtigkeit; und die Fürsten, sie werden nach Recht herrschen (Jes. 32, 1). Wie in den Tagen Salomos, so werden auch dann die Völker nach Palästina kommen, um die Herrlichkeit, die Ehre und Weisheit des großen Sohnes Davids zu bewundern; und wie die Königin von Scheba, so werden auch sie bezeugen müssen, dass ihnen nicht die Hälfte berichtet worden sei; ja, sie werden außer sich geraten, wenn sie den König Israels inmitten Seiner teuer erkauften Scharen erblicken und die Herrlichkeit der „goldenen Stadt“ über dem Jerusalem des Landes Israel leuchten sehen werden.

 „Und viele Völker und mächtige Nationen werden kommen, um Jehova der Heerscharen in Jerusalem zu suchen und Jehova anzuflehen“ — „Und es wird geschehen, dass alle Übriggebliebenen von allen Nationen, welche wider Jerusalem gekommen sind, von Jahr zu Jahr hinaufziehen werden, um den König, Jehova der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern“ (Sach. 8, 22; 14, 16).

Aus diesem allem ersehen wir, wie herrlich es während der Regierung Christi auf dieser Erde sein wird. Das Streben und Wirken der Menschen wird nicht mehr einzig und allein den Zwecken der Selbstverherrlichung oder der Erreichung unreiner, selbstsüchtiger Absichten dienen, sondern die Verherrlichung des Herrn und die Ausbreitung der Ehre Seines Namens und Seiner Herrschaft wird im Vordergrunde stehen.

 Die gewaltigen Kräfte der Natur, in deren Erforschung und Verwertung der Mensch heute nur unsicher tappend Fortschritte macht, werden unter der Anleitung des allweisen Schöpfers und Erhalters aller Dinge sicherlich dem Wohle der Allgemeinheit und der Verherrlichung Seines Namens in einer Weise dienstbar gemacht werden, von welcher wir uns heute nicht einmal eine schwache Vorstellung zu machen vermögen. Auch die Arbeit wird nicht aufhören; aber wie ganz anders wird es dann auch in dieser Hinsicht aussehen! Niemand wird sich mehr über Mangel an Arbeit oder zu geringen Lohn, über Ausbeutung und Übervorteilung zu beklagen haben; in allem wird die völligste Gerechtigkeit herrschen.

Wird es denn im tausendjährigen Reiche keine Sünde mehr geben? Doch, die Sünde wird noch da sein; die Bewohner der tausendjährigen Erde, auch die wahrhaft Gläubigen, tragen noch ihren sterblichen und verweslichen Leib an sich, in welchem die Sünde wohnt. Aber die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis des Herrn, und gerechte Grundsätze werden Wandel und Verkehr beherrschen; und da der Teufel gebunden ist und die Menschen nicht mehr verführen kann, so werden die Leidenschaften und Begierden sich nicht in solcher Macht offenbaren wie heute. 

Dennoch werden Sünden und Vergehen vorkommen, und darum lesen wir, dass „der Sünder“, das ist jemand, der eine offenbare Sünde begangen hat, mit dem Tode bestraft werden wird. Auch belehrt uns der Heilige Geist in Sach. 14, 17 — 19, dass über die Völker, welche nicht nach Jerusalem hinaufziehen werden, um Jehova anzubeten, kein Regen kommen wird. So wird also die Gerechtigkeit herrschen und alle, die mit Vorsatz und Bedacht sündigen, bestrafen und nötigenfalls aus dem Reiche hinwegtun. S300

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf den Zustand der Schöpfung in jenen glückseligen Tagen. In dem gegenwärtigen Zeitalter seufzt die ganze Schöpfung und liegt gleichsam in Geburtswehen; dann aber wird sie freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Die Wildheit der Tiere und ihre Feindschaft untereinander, der schreckliche Kampf ums Dasein, wird aufhören, und auch die Furcht der Tiere vor dem Menschen wird verschwinden; es wird wieder sein wie einst im Paradiese. „Der Wolf wird bei dem Lamme weilen, und der Pardel bei dem Böcklein lagern; und das Kalb und der junge Löwe und das Mast-Vieh werden zusammen sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Und Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen zusammen lagern; und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loche der Natter, und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle des Basilisken“ (Jes. 11, 6 — 8; 65, 25.)

 „Und ich werde an jenem Tage einen Bund für sie schließen mit den Tieren des Feldes; . . und ich werde Bogen und Schwert und den Krieg zerbrechen aus dem Lande, und werde sie in Sicherheit wohnen lassen“ (Hos. 2, 18). Doch nicht die Tiere allein, sondern auch die ganze Erde mit allem, was auf ihr ist, wird sich freuen: „Die Berge und die Hügel werden vor euch in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen“ (Jes. 55, 12). Der Fluch und die schrecklichen Folgen der Sünde werden von der Erde weggenommen sein: „Statt der Dornsträucher werden Zypressen aufschießen, und statt der Brennesseln werden Myrten aufschießen“ (Jes. 55, 13); und: 

„Die Augen der Blinden werden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; der Lahme wird springen wie ein Hirsch, und aufjauchzen wird die Zunge des Stummen“ (Jesaja 35, 5. 6.) Die Wüsten werden fruchtbar werden: „Die Wüste und das dürre Land werden sich freuen, und die Steppe wird frohlocken und aufblühen wie eine Narzisse“ (Jes. 35, 1). Ja, ich mache durch die Wüste einen Weg, Ströme durch die Einöde. Das Getier des Feldes wird mich preisen, Schakale und Strauße; denn ich werde Wasser geben in der Wüste, Ströme in der Einöde, um mein Volk zu tränken, mein auserwähltes (Jes. 43, 19. 20).

Als die natürliche Folge von dem allen wird der Mensch nicht mehr im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu essen brauchen, denn der Erdboden wird seinen Ertrag reichlich darreichen. „Es wird Überfluss an Getreide sein im Lande, auf dem Gipfel der Berge; gleich dem Libanon wird rauschen seine Frucht“ (Psalm 72,16). Selbst der Tod, diese bittere Quelle von Trauer und Jammer, wird, wenigstens für die Gerechten, hinweggetan sein. „Und ich werde über Jerusalem frohlocken und über mein Volk mich freuen; und die Stimme des Weinens und die Stimme des Wehgeschreis wird nicht mehr darin gehört werden. Und dort wird kein Säugling von einigen Tagen und kein Greis mehr sein, der seine Tage nicht erfüllte; denn der Jüngling wird als Hundertjähriger sterben, und der Sünder als Hundertjähriger verflucht werden“ (Jes. 65, 19. 20). Der hundertjährige Gottlose, welcher seiner Sünde wegen stirbt, wird also noch ein Jüngling genannt. Auch lesen wir an derselben Stelle, dass die Tage des Volkes sein sollen „wie die Tage der Bäume“.

So werden sich also unter der Regierung des Sohnes des Menschen, des Königs der Gerechtigkeit und des Friedens, die Segnungen wie ein Strom über die ganze Erde hin ergießen. Kein Elend, kein Mangel wird mehr sein; und obwohl die Tränen noch nicht völlig getrocknet sind, weil Sünde und Tod sich noch zeigen werden, so werden doch die Quellen, die sie heute so oft fließen machen, zum größten Teil versiegt sein. Aber was mehr sagt als alles: die ganze Erde, die jetzt voller Ungerechtigkeit und Gewalttat ist, wird dann voll sein der Erkenntnis des Herrn, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken (Jes. 11, 9). 

Überall wird der Name des Herrn angerufen werden, und, befreit von der Knechtschaft des Verderbnisses und sich erfreuend der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes, wird die ganze Erde jubelnd frohlocken; ja, alles, was im Himmel und auf der Erde ist, wird der Aufforderung des Psalmisten folgen: „Lobet Jehova von den Himmeln her; lobet Ihn in den Höhen! Lobet Ihn, alle Seine Engel; lobet Ihn, alle Seine Heerscharen! Lobet Ihn, Sonne und Mond; lobet Ihn, alle ihr leuchtenden Sterne! Lobet Ihn, ihr Himmel der Himmel, und ihr Wasser, die ihr oberhalb der Himmel seid! Lobet Jehova von der Erde her, ihr Wasserungeheuer und alle Tiefen! Feuer und Hagel, Schnee und Nebel, du Sturmwind, der du ausrichtest Sein Wort; ihr Berge und alle· Hügel, Fruchtbäume und alle Zedern; wildes Getier und alles Vieh, kriechende Tiere und geflügeltes Gevögel! Ihr Könige der Erde und alle Völkerschaften, ihr Fürsten und alle Richter der Erde; ihr Jünglinge und auch ihr Jungfrauen, ihr Alten samt den Jungen! Loben sollen sie den Namen Jehovas! Denn Sein Name ist hoch erhaben, er allein; Seine Majestät ist über Erde und Himmel“ (Ps. 148). — „Singet Jehova ein neues Lied, Seinen Ruhm vom Ende der Erde“ (Jes. 42, 10 — 12)!

Fußnote:

*) Das Pfingstfest wird nicht mehr gefeiert werden, weil es die gegenwärtige Zeit und die Stellung der Kirche kennzeichnet und darin seine Erfüllung gefunden hat.

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Friede, Gnade und Herrlichkeit

Bibelstelle: Römer 5,1-11

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 303ff

Die im Anfang dieses Kapitels entwickelten Wahrheiten gründen sich auf die letzten Verse des vorhergehenden. Gott redet uns gleichsam zu, Vertrauen zu Ihm zu fassen. Der Mensch hat einst im Garten Eden das Vertrauen zu Gott verloren. Eva vertraute sich Satan an; sie meinte, Gott wolle das für sich behalten, was sie glücklich machen würde. Welchen Grad die Schlechtigkeit des Menschen seitdem auch erreicht haben und wie groß seine Entfernung von Gott sein mag, er darf gleichwohl Vertrauen zu Ihm fassen. 

Ein Mensch, der nicht wagen dürfte, seinem Nächsten ins Angesicht zu schauen, darf zu Gott mit Vertrauen gehen. Das Evangelium führt das Herz zu Gott zurück: „Denn freilich hat Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“ (1. Petrus 3, 18.) In der Person Christi ist Gott als Heiland erschienen; und Er hat Seine vollkommene Gnade kundgetan mittelst eines Werkes, welches das schrecklichste Gericht über die Sünde bedeutete. Er ist in Christo dem Tage des Gerichts zuvorgekommen, damit Er unsere Herzen für sich gewinne. Wenn wir daher ein solches Heil vernachlässigen, so sind wir doppelt schuldig.

In den drei ersten Kapiteln des Römerbriefes wird die Schuld der Heiden und Juden bewiesen, im vierten ist die Rede von Tod und Auferstehung, und in den elf ersten Versen des fünften Kapitels wird die Anwendung von diesem allem gemacht. Diese Stelle spricht von der reichen und überschwänglichen Gnade Gottes; ja, im elften Verse werden wir eingeladen, uns nicht nur des Heiles, sondern Gottes selbst zu rühmen. Ich darf also »meine Wonne an meinem Vater haben· Was die Vergangenheit betrifft, so habe ich vollkommen Frieden; jetzt, in der Gegenwart, stehe ich in der Gunst und Gnade Gottes, und für die Zukunft habe ich die Herrlichkeit. Wenn jemand sagt, unsere Sünden seien nur zum Teil gesühnt, so ist das nicht das Evangelium. Nein, Gott sei Dank! sie sind alle hinweggetan, und ich bin betreffs ihrer in Frieden. Warum? Weil Christus meiner Übertretungen wegen dahingegeben worden ist. Wohl mag vieles, was wir getan haben, unserem Gedächtnis entschwunden sein. Gott aber weiß alles, und Er hat alle meine Sünden, so wie Er sie kannte, auf Seinen Sohn gelegt, und Jesus hat durch das Blut Seines Kreuzes Frieden gemacht.

Frieden! Das ist ein liebliches und zugleich gewaltiges Wort. Ich kann mich z. B. freuen und gleichwohl über die eine oder andere Sache beunruhigt sein; wenn ich aber Frieden habe, so kann mich nichts mehr beunruhigen. Christus ist am Kreuze Gott begegnet, und indem Er den schrecklichen Kelch des Zornes Gottes trank, hat Er für uns Frieden gemacht. Meine Sünden sind getilgt; was meinen Zustand betrifft, so haben die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes am Kreuze alles in Ordnung gebracht. 

So habe ich denn Frieden mit Gott. Wohl ist das Fleisch noch in mir; aber die Anwesenheit des Fleisches gibt mir nicht ein böses Gewissen; es wird erst böse, wenn ich das Fleisch wirken lasse. Von meiner Schuld bin ich gerechtfertigt, von meiner Befleckung gereinigt, und meine Übertretungen sind mir vergeben. Ich stehe vor Gott nach dem ganzen kostbaren Werte des Blutes Christi. Wenn ich aus Gott geboren bin, so erkenne ich erst, was meine Sünden sind; denn erst im Lichte sehen wir, wie unrein wir von Natur sind. Zugleich wird der Wunsch nach Heiligkeit in mir rege, und darum folgt ans das fünfte jenes schöne 6. Kapitel, in welchem mir gezeigt wird, wo ich die Kraft gefunden habe, um in Absonderung von dem Bösen zu wandeln.

Gott sandte Seinen Sohn freiwillig. Niemand hat Ihn darum gebeten, niemand es Ihm ins Herz gelegt. Ich finde also die vollkommene Liebe im Herzen des Vaters, und ich bin in die vollkommene Gnade oder Gunst Gottes gelangt; ich stehe darin. (V. 2.) Er liebt mich, wie Er Jesum liebt; Er verändert sich nie, und indem ich auf Ihn blicke, genießt meine Seele das Bewusstsein einer unendlichen Gunst. Wenn ich an das Kreuz Christi denke, so sehe ich, dass die Liebe Gottes, welche alle Erkenntnis übersteigt, den eingeborenen Sohn für mich in den Tod gegeben hat. So kenne ich denn Gottes Herz weit besser, als mein eigenes, denn auf mein Herz und meine Gefühle kann ich keinen Augenblick vertrauen; weil aber Gott sich mir geoffenbart hat, so weiß ich, wer Er ist.

 Auf mich kann ich nicht rechnen; weil ich aber die Liebe Gottes kennen gelernt habe, so kann ich mit völligem Vertrauen auf Ihn rechnen. Am Werke des Kreuzes habe ich keinen Anteil, es sei denn durch meine Sünden und durch den Hass, der Christum kreuzigte. Deshalb beuge ich mich in den Staub, wenn ich an die Sünden denke, die Er, die vollkommene Liebe, tragen musste. Und nicht nur sind meine Sünden hinweggetan, sondern ich habe in meiner Seele auch das Gefühl der göttlichen Gunst; ich weiß, dass Er mich liebt und in Christo mit Wohlgefallen auf mich blickt, dass die Liebe, womit Er Christum geliebt hat, jetzt mein Teil ist (Joh. 17, 26). Wie könnten arme Erdenwürmer, wie wir sind, davon sprechen, dereinst in der Herrlichkeit Gottes zu sein, wenn nicht Er selbst dieses Ergebnis für uns bewirkt hätte? Ja, welch eine wunderbare Tatsache! Nachdem Gott alle unsere Sünden hinweggetan hat, gibt Er uns noch die Herrlichkeit. „Wir rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes“.

Aber das ist noch nicht alles, sondern ,,wir rühmen uns auch der Trübsale“ (Vers 3). Vielleicht ist noch mehr Böses in meinem Herzen vorhanden, als ich bis dahin gemeint und entdeckt habe, und Gott „zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten“ (Hiob 36, 7). Er blickt stets auf mich, sei es um mich zurechtzuweisen oder um mir zu helfen. Hiob steckte in einer sehr feinen Selbstgerechtigkeit, und Gott war es, der den Kampf mit ihm begann, nicht Satan. Gott wies ihn zurecht, züchtigte ihn und sandte ihm alle jene Heimsuchungen, bis er, anstatt zu sagen: „Wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab“ demütig ausrief: aber „nun hat mein Auge dich gesehen, darum verabscheue ich mich“. (Hiob 29, 1.1; 42, 5, 6). Hierauf erwiderte der Herr gleichsam: Gut, Hiob; jetzt kennst du dich selbst. Das ist alles, was ich dich lehren wollte; nun kann ich dich segnen. -— Damit ist das Ende der Züchtigung erreicht.

„Die Trübsal bewirkt Ausharren,“ das Ausharren aber Erfahrung“ (V. 4). Durch die Trübsal wird mein eigener Wille gebrochen; ich lerne mich selbst und auch Gott besser kennen. Das ist der Zweck der Trübsale: meinen Willen zu brechen und mich von den Dingen zu reinigen, die mir nicht ankleben sollten. Ich werde zermalmt, geübt, und lerne zugleich die Gnade, Liebe und Treue Gottes kennen.

Diese Liebe Gottes ist für mich der Schlüssel zu allem, was mir begegnen kann. Ich sage im Blick aus die Trübsal: Gott hat an mich gedacht; Er prüft und züchtigt mich, um mir wohl zu tun. Ich bin der Liebe Gottes völlig versichert, denn Er hat ja Seinen Sohn für mich dahingegeben. Zugleich hat Er mir Seinen Heiligen Geist geschenkt, welcher mir kundtut, dass ich ein Kind bin, und durch den die Liebe Gottes in mein Herz ausgegossen ist.

So lange ich jenen Schlüssel zu meiner Trübsal nicht kenne und anwende, sträube ich mich gegen dieselbe. Wenn ein böses Kind von seinem Vater in die Ecke gestellt wird, so weiß es sehr wohl, dass der Vater das nicht tun würde, wenn es nicht nötig wäre. So verhält es sich auch mit uns: Der Herr stellt uns in die Ecke, und wir sollen daselbst bleiben, bis Er uns wieder herausruft. Ich mache dort die Erfahrung von der treuen Liebe Gottes; denn ich weiß, dass Er mich nicht dahin stellen würde, wenn es nicht nötig für mich wäre. „Er zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten.“ Er wacht stets und unaufhörlich über ihn zu seinem Besten, sei es um einer bösen Neigung des Herzens, die dem Gläubigen vielleicht selbst noch verborgen ist, entgegen zu wirken, sei es um ihn wegen eines schon erfolgten, aber nicht gerichteten Fehltritts zu züchtigen. „Wen der Herr liebt, den züchtigt Er.“ Der Herr legt Seine Hand auf mich, und ich soll mich unterwerfen.

 Vielleicht ist die Ursache nicht ein besonderer Fehltritt meinerseits, sondern der Herr will einer Gefahr, die mir droht, vorbeugen. Aber wie dem auch sei, Er legt Seine züchtigende Hand auf mich, und ich weiß durch den Heiligen Geist, welcher in mir wohnt, dass es die Liebe Gottes ist, die so handelt, und ich habe Vertrauen zu derselben. Es mag sein, dass gewisse Dinge in mir mich verhindern, diese Liebe zu fühlen; allein je mehr ich unterwiesen werde, desto besser lerne ich sie kennen. Ich sage „besser“, denn kennen gelernt habe ich sie darin, dass Gott Seinen Sohn gegeben hat. „Denn Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben“ (V. 6.) Und: „Gott erweist Seine Liebe gegen uns darin, dass, Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Vers 8).

Der Apostel legt hier besonderen Nachdruck auf den Ausdruck „Seine Liebe“. Gott hat gottlose Sünder geliebt, die doch ganz sündig und unrein, ja verabscheuungswürdig waren. Er hat das Köstlichste des Himmels für das Elendeste auf dieser Erde gegeben. So rühmen wir uns denn Gottes selbst. (V. 11.) Zuerst habe ich also die dreifache Segnung Gottes kennen gelernt: Friede, Gnade und Herrlichkeit; dann lerne ich in den Trübsalen die Treue, Geduld und Güte Gottes kennen; und schließlich rufe ich aus: Welch ein Gott ist mein Gott! Diese letzte Segnung ist ewig. Ich genieße Gott selbst; ich habe Ihn kennen gelernt; ich habe einen Vater gefunden. Welch ein Gedanke! Meine Freude ist in Ihm, und wenn diese Freude auch nur in einem irdenen Gefäß ist, so besitze ich sie eben doch. Auf dem ganzen Wege, dessen Ziel die Herrlichkeit ist, zieht Er Seine Augen nie von mir ab. Mein Gott ist ein bewunderungswürdiger Gott. Darum rühme ich mich der Trübsale, weil sie für mich der Beweis sind, dass der Vater an mich denkt.

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Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1898, S. 309ff

XII.

Die Ereignisse nach dem tausendjährigen Reiche.

Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan ans seinem Gefängnis losgelassen werden, und wird ausgehen, die Nationen zu verführen, die an den vier Ecken der Erde sind, den Gog und den Magog, sie zum Kriege zu versammeln, deren Zahl wie der Sand des Meeres ist. Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umzingelten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt“ (Offbg. 20, 7 — 9). Das ist die letzte Kraftanstrengung Satans. Nachdem er tausend Jahre gebunden gewesen ist, beginnt er, sobald er aus seinem Gefängnis losgelassen wird, aufs Neue sein trauriges Werk. Und ach! die Völker der Erde lassen sich nochmals durch ihn verführen und versammeln sich wie der Sand des Meeres an Zahl, um gegen das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt Krieg zu führen.

„Wie ist das möglich?“ ist man unwillkürlich versucht zu fragen. „Tausend Jahre lang haben die Völker die Herrlichkeit Christi gesehen und sich der Segnungen Seiner friedlichen Regierung erfreut; Jahr für Jahr sind sie nach Jerusalem hinaufgezogen, um das Laubhüttenfest zu feiern -— und nun, sobald Gott dem Teufel wieder freie Hand lässt, werfen sie sich aufs Neue in die Arme des Lügners und Verführers, und treten auf gegen Gott und Seinen Gesalbten? Das ist doch ganz undenkbar!“ — Und doch ist es so, lieber Leser! 

Das Wort Gottes sagt es uns klar und deutlich. Ach! das menschliche Herz ist unverbesserlich böse und schlecht. Weder die Bannflüche des Gesetzes, noch die liebliche Stimme des Evangeliums der Gnade, weder die furchtbaren Gerichte zur Zeit des Endes, noch die reichen Segnungen des tausendjährigen Reiches vermögen den Menschen zu verbessern oder etwas anderes aus ihm zu machen, als was er ist: Fleisch — Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es; wer mag es kennen“ (Jer. 17, 9)?

Eine weitere Erklärung für die besprochene unglaubliche Tatsache finden wir wohl in folgender Erwägung: Es wird im tausendjährigen Reiche mit vielen Völkern ähnlich gehen, wie es jetzt oft in der Welt zugeht. Wenn ein mächtiger König ein Land erobert, so unterwirft sich ihm die Bevölkerung desselben, nicht weil sie den neuen Gebieter liebt und ihm gern dienen will, sondern weites in ihrem Interesse liegt und weil sie die Macht und den Zorn des Eroberers fürchtet. Ebenso werden im tausendjährigen Reiche viele Völker sich nur deshalb der Herrschaft des Herrn Jesu und der Seinen unterwerfen, weil sie Nutzen davon haben und Seinen starken Arm fürchten. Zugleich werden sie (wenigstens anfänglich) froh und dankbar sein, nach den schrecklichen Tagen der Endgerichte wieder ruhig aufatmen zu können und nicht länger mehr von Blutvergießen, Hungersnot und Seuchen zu hören.

 Ihre Herzen aber bleiben fern von Christo, und sobald deshalb der Teufel wieder zum Vorschein kommt und von neuem seine verführerische Macht offenbart, stellen sie sich willig unter seinen Befehl und lassen sich noch einmal zum Kampf gegen den Herrn verleiten. Einen schlagenderen Beweis von der unheilbaren Bosheit der menschlichen Natur könnte es nicht geben. Obwohl unter der gerechten Regierung Christi alles vereinigt sein wird, was den Menschen verändern und verbessern könnte: der Teufel ist gebunden, der Fluch ist von der Erde weggenommen, die Leidenschaften werden im Zaum gehalten, überall herrschen Friede und Eintracht, Ungerechtigkeit und Gewalttat sind verbannt, die Erkenntnis des Herrn erfüllt alle Länder —- bleibt dennoch der Mensch derselbe, welcher er von jeher war, ein Liebhaber der Sünde, ein Feind Gottes und ein bereitwilliger Sklave Satans. Sobald die günstigen Umstände sich ins Gegenteil verwandeln, beweist der Mensch, dass innerlich keine Veränderung mit ihm vorgegangen ist.

 Um Gott dienen und Ihn lieben zu können, muss er eben von Grund aus erneuert, eine ganz neue Schöpfu.ng werden. Die Möglichkeit einer Verbesserung oder Veredlung der menschlichen Natur besteht nur in der Phantasie der Menschen. Aber wie kann denn jene Erneuerung stattfinden? Gott sei ewig gepriesen! Das was für den Menschen unmöglich war, hat Gott in Christo möglich gemacht. »Wenn jemand in Christo ist —- eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden“ (2. Kor. 5, 17). Der Herr gebe allen den Seinigen ein klares Verständnis über diese Wahrheit, damit sie einsehen möchten, wie töricht alle Anstrengungen zur Verbesserung der menschlichen Natur sind, sei es in ihnen oder in anderen.

„Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung zu unserer Betrachtung zurück. Die Völker, verführt durch Satan, ziehen also hinauf auf die Breite der Erde und umzingeln das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Aber ach! es dient nur dazu, um ihre völlige Ohnmacht zu offenbaren und ihr Verderben zu beschleunigen. „Feuer kam von Gott hernieder aus dem Himmel und verschlang sie. Und der Teufel, der sie verführte, wurde in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo sowohl das Tier ist als auch der falsche Prophet; und sie werden Tag und Nacht gepeinigt werden in die Zeitalter der Zeitalter“ (Offbg. 20, 9. 10.) Das ist der schreckliche Schluss der Geschichte Satans; er findet seinen Platz in dem Feuer, das für ihn und seine Engel bereitet ist, um dort gepeinigt zu werden von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Dann folgt ein anderes Bild von ernster, ergreifender Wirkung. „Und ich sah einen großen weißen Thron und Den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel, und keine Stätte ward für sie gefunden“ (V. 11). Wenn der Herr Jesus, welchem der Vater das ganze Gericht gegeben hat (Joh. 5, 22), auf dem großen weißen Thron sitzen wird, um die Toten zu richten, so werden Erde und Himmel entfliehen. Obwohl der Zustand der Erde im tausendjährigen Reiche überaus herrlich sein wird, so ist er doch nicht ewig; er wird ein Ende haben. Er kann nicht ewig sein; denn die sichtbaren, geschaffenen Dinge sind zeitlich und vergänglich. Mag auch der Fluch von der Erde weggenommen sein und die ganze Schöpfung sich der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes erfreuen, so ist es doch immer noch dieselbe Erde, die wir jetzt bewohnen. 

Wir erwarten aber einen neuen Himmel und eine neue Erde; der erste Himmel und die erste Erde müssen vergehen. Im Hebräerbrief lesen wir deshalb auch: „Jetzt aber hat Er verheißen und gesagt: „Noch einmal werde ich nicht allein die Erde bewegen, sondern auch den Himmel“. Aber das „noch einmal“ deutet die Verwandlung der Dinge an, die erschüttert werden als die, welche gemacht sind, auf dass die, welche nicht erschüttert werden, bleiben“ (Kap. 12, 26. 27). 

An die Stelle der gegenwärtigen Erde und des jetzigen Himmels, welche durch die Sünde verunreinigt sind, werden ein neuer Himmel und eine neue Erde treten. Himmel und Erde werden entfliehen, und keine Stätte wird mehr für sie gefunden werden. Wie dieses Entfliehen des Himmels und der Erde vor sich gehen wird, hat uns Petrus im 3. Kapitel seines zweiten Briefes mitgeteilt: „Die jetzigen Himmel und die Erde sind durch Sein Wort aufbewahrt, für das Feuer behalten auf den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen . . . Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb, an welchem die Himmel vergehen werden mit gewaltigem Geräusch, die Elemente aber im Brande werden aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden.“

Das ist der Schluss der Geschichte der Erde. Sie wird mit allem, was auf ihr ist, mit all jenen gewaltigen Bauwerken, welche für die Ewigkeit aufgetürmt zu sein scheinen, ein Raub der Flammen werden; und mit ihr wird der Himmel, d. h. der geschaffene, mit der Erde in Verbindung stehende Himmel, die „Ausdehnung“ (1. Mose 1, 6 — 8), vergehen. Ob und inwieweit das ganze Sonnen- und Planetensystem, zu welchem unsere Erde gehört, von jenem Gericht mitbetroffen werden wird, darüber gibt uns das Wort Gottes keinen Aufschluss; aber wir dürfen wohl annehmen, dass es in Mitleidenschaft gezogen werden wird. Bezüglich des Mondes lesen wir in Psalm 72, 7, wo von den Segnungen des tausendjährigen Reiches die Rede ist: Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist“.

Doch gehen wir weiter: „Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen (d. h. die Geringen), vor dem Throne stehen“ (V. 12). Der auf dem großen weißen Throne sitzt spricht das Urteil über die Toten. Wir haben früher gesehen, dass alle Gläubigen, von der Schöpfung an bis zum Beginn der Regierung Christi auf der Erde, entweder vor oder bei Beginn dieser Regierung aus den Toten auferstehen werden. Sie gehören der ersten Auferstehung, der Auferstehung „des Lebens“ oder „der Gerechten“ an. 

Aus unserer Betrachtung über das tausendjährige Reich ist ferner hervorgegangen, das; die Feinde Christi, die Er bei Seiner Erscheinung zum Gericht auf Erden lebend vorfinden wird, im Beginn Seiner Herrschaft von Ihm gerichtet und in das ewige Feuer geworfen werden. Sie erscheinen daher nicht mehr vor dem großen weißen Thron; sie sind schon gerichtet und befinden sich bereits an dem Orte ihrer ewigen Bestimmung. Ebenso wenig werden die Gläubigen, die während des tausendjährigen Reiches gelebt haben, vor diesem Throne erscheinen; sie werden, ohne zu sterben, verwandelt werden, um mit den bereits verherrlichten, himmlischen Heiligen den neuen Himmel und die neue Erde zu bewohnen. *)

Auf welche Personen wird sich denn das Gericht vor dem großen weißen Thron erstrecken? Auf alle Ungläubigen, die von der Schöpfung an bis zu dem Ende aller Dinge gestorben sind. Schon in Offenbg. 20, 5 lasen wir: „Die übrigen der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren“. Auf das Machtwort des Sohnes Gottes hin werden sie alle aus ihren Gräbern hervorkommen und vor Seinem Richterstuhl stehen müssen· Dies ist die zweite Auferstehung oder die Auferstehung „des Gerichts“. 

Der Überwinder über Tod und Teufel, der zweite Mensch, durch welchen „die Auferstehung der Toten“ gekommen ist (1. Kor. 15, 21), wird dem Tode seine Beute entreißen. Alles wird Ihm unterworfen sein. Jedes Knie wird sich vor Ihm beugen, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge wird bekennen, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes-, des Vaters-. (Phil. 2). Die Engel und die Gläubigen werden es tun mit freudiger Willigkeit und dankbarem Herzen, die Teufel und die Gottlosen unfreiwillig und mit ohnmächtigem Zähneknirschen.

Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Throne stehen, und Bücher wurden aufgetan; . . . . . und die Toten wurden nach dem gerichtet, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken.“ Die viel verbreitete Meinung, dass die Ungläubigen nur um ihres Unglaubens willen gerichtet werden würden, ist also durchaus unrichtig; diese und andere Stellen (vergl. z. B; Pred.12, 14; 2. Kor. 5, 10; Epheser 5,6 Kolosser 3,6 u. a.) beweisen unwidersprechlich, dass ein jeder gerichtet werden wird nach seinem Werken. 

Doch außer jenen göttlichen Gedächtnisbüchern ist noch ein anderes Buch da, das Buch des Lebens. Auch dieses wird geöffnet, doch nur um zu zeigen, dass die Namen derer, welche vor dem großen weißen Throne stehen, nicht darin gefunden werden. „Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen. In dieser Beziehung ist das Gericht für alle, welche vor jenem erschreckenden Throne erscheinen müssen, gleich. Wer nicht in dem Buche des Lebens geschrieben gefunden wird, ist für ewig verloren und wird in den Feuersee geworfen. Dagegen ist das Maß der Strafe, ähnlich wie der Lohn bei den Gläubigen, verschieden. Ein jeder wird nach der Größe seiner persönlichen Verantwortlichkeit, nach seinen Werken, gerichtet werden.

Dem einen wird es daher am Tage des Gerichts erträglicher ergehen als dem anderen; der eine wird mit vielen, der andere mit wenigen Schlägen geschlagen werden. (Matth.11, 22 - 24; Luk. 12, 47, 48.) Wahrlich, der Richter der ganzen Erde wird recht tun, und ein jeder wird anerkennen müssen, dass er nur empfängt was seine Taten wert sind.

„Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. Und der Tod und der Hades wurden in den Feuersee geworfen. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee“ (V. 13. 14). Nicht einer wird dem göttlichen Gericht entrinnen, nicht einer wird vergessen oder übergangen werden. Auch die ins Meer versenkten oder von ihm verschlungenen Toten werden wieder erscheinen und zwar mit einem Leibe, der ewiglich bestehen wird. Schrecklicher Gedanke! Ewig leben zu müssen in dem Feuer, das nicht erlischt; den Tod herbeizusehnen und nicht sterben zu. können; unaufhörlich gequält zu werden von dem Wurm, der nicht stirbt fürwahr, man erbebt unwillkürlich bei dem Gedanken daran und fühlt ein wenig von dem schrecklichen Ernst der Wortes „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10, 31)! S317

„Ja, auch die unsichtbare Welt wird gezwungen werden, ihre Bewohner herauszugeben. „Der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren Tod und Hades bezeichnen die beiden Zustände, in welche der Mensch bei seinem Abscheiden aus dieser Welt versetzt wird. Er stirbt: sein Leib verfällt dem Tode und verwest; seine unsterbliche Seele geht in den Hades und wartet dort auf die Stunde der Auferstehung, in welcher Leib und Seele wieder vereinigt und unverweslich, unsterblich vor Gott dargestellt werden sollen. Der Hades (der Unsichtbare) ist also der Ort, oder richtiger der Zwischenzustand, in welchem die Seelen der Gestorbenen sich bis zum Auferstehungstage befinden. Im Hades kann sowohl Freude als Pein sein. Lazarus und der reiche Mann waren beide im Hades; der eine wurde getröstet, der andere gepeinigt. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, dass die durch Jesum

Entschlafenden nicht sogleich ins Vaterhaus gehen, sondern „bei Jesu“ auf die Entrückung der Braut warten; sie befinden sich im Hades, in jenem „Zwischenzustand“, aber sie sind in vollkommener Ruhe und in ungestörtem Glück. Ebenso gehen die im Unglauben Sterbenden nicht sogleich in die Hölle, sondern in den Hades, (der für sie aber schon ein Ort der Qual ist,) um dort zu bleiben, bis der Herr Jesus sie aus ihren Gräbern hervorruft, Leib und Seele miteinander vereinigt und sie dann vor den großen weißen Thron stellt, um endgültig gerichtet, d. h. in den Feuersee, die Hölle, geworfen zu werden. Damit verlieren dann auch Tod und Hades ihre Macht und ihr Dasein. Sie werden ebenfalls in den Feuersee geworfen. Der zweite Tod verschlingt gleichsam den ersten.

Durch dieses Gericht geht das Wort des Apostels in Erfüllung: „Er (Christus) muss herrschen, bis Er alle Seine Feinde unter Seine Füße gelegt hat“ (1. Kor. 15, 2.5.) Satan, der die Macht des Todes hatte, befindet sich selbst im „zweiten Tode“, dem Feuersee; die Lebendigen wie die Toten sind gerichtet, und der Tod, der letzte Feind, ist hinweggetan. Die Ratschlüsse Gottes bezüglich dieser Erde und des Menschen sind erfüllt. Gott hat alles den Füßen des Sohnes des Menschen unterworfen. Gesetzt über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, hat Christus geherrscht bis zur Vernichtung des letzten Feindes, des Todes. Dann kommt das Ende, wie wir in 1. Kor. 15, 24 lesen, „wenn Er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn Er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht“. 

Wenn die tausend Jahre irdischer Segnung vorübergegangen sind und alles zur Vollendung gebracht ist, was Gott im Blick auf diese Schöpfung zur Vollendung bringen wollte; wenn Himmel und Erde, so wie sie heute sind, aufgehört haben werden zu bestehen; wenn der Herr alle Feinde, selbst den Tod, besiegt und zum Schemel Seiner Füße gelegt hat, so wird Er das Ihm übertragene Reich, die Seinen Händen anvertraute Herrschaft und» Gewalt dem Vater zurückgeben. „Wenn Er aber sagt, dass alles unterworfen sei, so ist es offenbar, dass Der ausgenommen ist, der Ihm alles unterworfen hat. Wenn Ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst Dem unterworfen sein, der Ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott alles in allem sei“ (27. 28).

Dies letztere bezieht sich selbstverständlich auf Christum, als Mensch betrachtet. Wenn Er, das fleischgewordene Wort, der Mensch Christus Jesus, der Sohn Gottes, sich alles unterworfen hat, wird das Königtum, welches Er als Mensch inne hatte, aufhören. Die vermittelnde Regierung des Menschen verschwindet und geht in der Oberherrschaft Gottes, des Vaters, auf. Ich brauche kaum zu sagen, dass Christus als Gott niemals aufhören wird zu regieren; aber Seine Regierung als Sohn des Menschen, die Herrschaft, welche Er als der Erstgeborene aller Schöpfung für eine bestimmte Zeit über alles das, was Gott gemacht hat, ausüben wird, wird ihr Ende erreichen. Als Der, welcher von Gott erhöht war über alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht, wird Er sich Gott aufs Neue unterwerfen, damit Gott alles in allem sei. 

Er wird in Herrlichkeit den Platz der Unterwerfung einnehmen, so wie Er es einst in Gnade auf Erden getan hat. Dementsprechend wird auch in Offenbg. 21, 1 —- 8, wo von derselben Zeit die Rede ist, Christus, das Lamm, gar nicht mehr erwähnt. Er behält selbstredend als Mensch, indem Er zugleich Gott ist, eins mit dem Vater, ewiglich Seinen Platz; als Haupt der ganzen erIösten Familie, aber die Regierung des Menschen in Seiner Person,-welche Ihm, als dem auferstandenen Menschen, übertragen ist, hört auf.

Untersuchen wir jedoch, den eben genannten Schriftabschnitt, Offbg. 21, 1 — 8, noch etwas näher. Wir finden in dieser Stelle, wie schon früher angedeutet, eine kurze, aber treffende Beschreibung von dem ewigen Zustande; sowie von. der bezüglichen Stellung, welche die Kirche Christi und die übrigen Erlösten in der Ewigkeit einnehmen werden. Man könnte nun fragen, wer und was uns berechtige, die ersten acht Verse dieses Kapitels als eine Beschreibung der Ewigkeit, und den Rest als die Darstellung der Herrlichkeit der Versammlung während des tausendjährigen Reiches zu betrachten.

 Wir meinen aber, dass dies aus der Darstellung selbst deutlich hervorgehe. Der Inhalt der ersten acht Verse kann sich schon deshalb nicht auf das tausendjährige Reich beziehen, weil in diesem Reiche noch Tod, Trauer, Geschrei und Schmerz sein werden. Ferner führt uns der erste Vers unzweideutig in den ewigen Zustand ein. Der Prophet sieht einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Wenn im Alten Testament im Blick auf das tausendjährige Reich gleichfalls von einem neuen Himmel und einer neuen Erde gesprochen wird, so können wir darunter nur die Erneuerung des ersten Himmels und der ersten Erde verstehen, eine Wiederherstellung des Alten, nicht aber etwas ganz Neues. Es wird dann eben noch nicht alles neu gemacht sein. Andererseits kann der übrige Teil des Kapitels, vom· neunten Verse bis zum Schluss, nicht die Herrlichkeit der himmlischen Stadt. während der Ewigkeit beschreiben, weil es in der Ewigkeit keine Völker und Könige mehr geben wird, die vermittelst ihres Lichtes wandeln, und auch keine Blätter mehr nötig sein werden zur Heilung der Nationen.

In Verbindung mit dem 1. Verse unseres Kapitels lesen wir in 2. Petrus 3, 13: „Wir erwarten aber, nach Seiner Verheißung, neue Himmel und eine neue Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt. Im tausendjährigen Reiche herrscht die Gerechtigkeit aus Erden; sie kann noch nicht dort wohnen, weil die Sünde noch da ist. In dem neuen Himmel und aus· der neuen Erde aber gibt es keine Sünde, also auch keine Gelegenheit mehr für die Gerechtigkeit, zu herrschen. Sie wohnt dort, sie hat dort ihre Heimat, weil Gott dort wohnt. Alles was an diese alte Erde mit ihrer Sünde und ihrem Fluche erinnern könnte, ist für ewig hinweggetan Gott ruht mit Wonne in Seiner neuen Schöpfung. Die ewige Sabbatruhe ist angebrochen die nie mehr gestört werden wird.

Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel herniederkommen von Gott, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut.“ Das· neue Jerusalems ist, wie aus Vers 9 hervorgeht, die Kirche Christi. Sie kommt aus dem Himmel hernieder von Gott, von Ihm selbst herrlich geschmückt für Christum, ihren Mann, und Johannes hört mit lauter Stimme- aus dem Himmel her über sie sagen: „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! So behält die Kirche ewiglich ihren besonderen Platz als die Hütte Gottes, das was sie jetzt schon im Geiste ist (Eph. 2, 22). Gott wird in ihr weilen in einem besonderen Sinne. Sie ist die Hütte Gottes bei den „Menschen“, den glückseligen Bewohnern der neuen Erde. Dieselben werden nur „Menschen“ genannt, nicht mehr „Juden“ oder „Nationen“, und Gott selbst „wird bei ihnen wohnen, sie werden Sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott“. Jeder Unterschied, aber auch jede Schwachheit und Unvollkommenheit ist dann verschwunden, denn »das Erste ist vergangen“. Es ist, wie gesagt, keine Rede mehr von Juden und Nationen, von Königen und Völkern, wie im tausendjährigen Reiche, wo die Juden noch über die Nationen herrschen, und Gott der Gott Israels heißen wird. In der Ewigkeit ist ein jeder derartige Unterschied aufgehoben; die Bewohner der neuen Erde bilden alle miteinander das Volk Gottes, und Gott ist ihr Gott. Nur die Kirche Christi behält stets ihren besonderen und herrlichen Platz. Sie wird nie aufhören, das Weib des Lammes zu sein; und wenn Gott in der Ewigkeit bei den Menschen wohnen wird, so wird die Kirche das bewunderungswürdige Vorrecht genießen, die Wohnung oder die Hütte Gottes zu bilden. Darum sagt Paulus in Eph. 3: „Dem aber, der über alles hinaus zu tun vermag, . . . nach der Kraft, die in uns wirkt, Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin! Amen.

Und Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“ (V. 4). Welch ein herrlicher, glückseliger Zustand! Jede Quelle von Trauer und Elend ist auf immerdar versiegt! Nicht nur die Folgen der Sünde, sondern auch die Sünde selbst ist auf ewig verschwunden. Gott selbst wird jede Träne abwischen von den Augen der Seinen. Wie eine zärtliche Mutter ihr weinendes Kind tröstet und mit sanfter Hand seine Tränen abwischt, so wird Gott selbst Seine Erlösten trösten und sie in die vollen, ewigen Segnungen der neuen Schöpfung einführen. Das Erste ist vergangen; alles ist neu geworden. »Und der auf dem Throne saß sprach: Siehe, ich mache alles neu.“

Den Schluss des vorliegenden Schriftabschnittes bildet ein ernstes, ergreifendes Warnungswort: „Den Feigen aber und Ungläubigen und mit Gräueln befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern -— ihr Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches ist der zweite Tod“ (V. 8). Lasst uns den Ernst dieser Worte wohl beachten! Zu derselben Zeit, da Gott alles in allem sein und alles neu gemacht haben wird, werden die Ungläubigen ihr Teil in dem See finden, der mit Feuer und Schwefel brennt. Gott ist Liebe, sicherlich! aber Er ist auch Licht. Und diese beiden Wahrheiten werden uns hier gleichzeitig vorgestellt. In Liebe kommt Er hernieder, um bei Seinem Volke zu wohnen, macht aller Schwachheit und allem Elend ein Ende und wischt jede Träne von den Augen Seiner Geliebten ab. Aber in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass Er auch Licht ist, und gar keine Finsternis in Ihm, dass Er also das Böse nicht sehen kann, sondern es in vollkommener Gerechtigkeit strafen muss, bleibt auch dann, wenn die Gerechtigkeit in der neuen Schöpfung wohnt, wenn alles Böse und alle Sünde entfernt ist, das Teil der Gottlosen in dem Feuersee. Möchten doch alle, die der Irrlehre von. der. Endlichkeit der Verdammnis oder gar von der Vernichtung der Gottlosen das. Wort reden, bedenken, dass hier von der-Ewigkeit gesprochen wird! Ja, es gibt in der. Ewigkeit eine Strafe für alle, die Christum verworfen. haben; eine Strafe, die ebenso unendlich ist wie die Seligkeit der Erlösten.. Das schreckliche Los all jener Unglücklichen, welche die Zeit der Gnade versäumt haben, ist der zweite Tod, „die Hölle“ des Feuers, wo ihr Wurm nicht stirbt und das. Feuer nicht erlischt“ (Mark. 9, 47. 48). Gottes. Zorn bleibt auf, ihnen (Johannes 3, 36). Schreckliche. Wahrheit für alle, die Jesum noch nicht kennen! O möchten sie doch noch heute, am Tage des Heils, bedenken, was zu ihrem Frieden dient! Möchten sie auf die göttliche Gnadenstimme lauschen, welche selbst in der vorliegenden Stelle: -noch so freundlich – und gewinnend ihnen zuruft: „Ich bin das Alpha" und« das Omega, der· Anfang und das Ende. Ich will den Dürstenden aus der Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst“!

Und du, mein lieber Leser, der du bereits des Herrn Eigentum bist, wandle treu mit Ihm, der dich um einen so teuren Preis erworben und dich für eine» solche Zukunft bestimmt und bereitet hat! Diene Ihm mit der ganzen Hingebung, zu welcher dein« Herz fähig ist, und suche Ihm noch manche Seele zuzuführen als Lohn Seiner Schmerzen und MühsaIe! „Die“ Zeit ist gedrängt“ Ja, „noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.“

XIII

Kurze Übersicht über die bevorstehenden Ereignisse.

Indem wir hiermit unsere Betrachtungen über die Wiederkunft unseres Herrn Jesu beschließen, möchten wir im Interesse der Leser, welche mit dem Gang der prophetischen Ereignisse nicht so völlig vertraut sind, noch einmal einen kurzen Rückblick auf die behandelten Gegenstände werfen und die Ereignisse, soweit dies möglich ist; ihrer ungefähren Reihenfolge nach zusammenzustellen

Das Erste, was wir zu erwarten haben, ist das Kommen des Herrn Jesu in die Luft, um die Seinigen zu sich zu nehmen und sie in das Hans des Vaters zu führen, wo Er eine Stätte für sie bereitet hat. Die durch Jesum Entschlafenen (die Toten in Christo) werden dann auferweckt, die noch, auf Erden lebenden Gläubigen werden verwandelt werden, und alle werden miteinander dem Herrn entgegengehen in die Luft, um für allezeit bei Christo ·zu sein- In unmittelbarer oder vielleicht auch unmittelbarer Verbindung mit dieser Entrückung der Heiligen steht das Ausspeien desjenigen Teiles der christlichen Kirche, welcher uns in dem Sendschreiben an Laodicäa vor Augen geführt wird.

Nach der Aufnahme der Braut Christi werden die Ereignisse wahrscheinlich schnell aufeinander folgen. Ein Teil der Juden (die zwei Stämme) kehrt nach Palästina zurück, erbaut im Unglauben den Tempel und führt den jüdischen Gottesdienst wieder ein.

Um dieselbe Zeit wird das alte römische Reich wiederhergestellt- werden, und zwar zunächst unter der noch nicht dagewesenen Form von· zehn unter sich vereinigten Königreichen. Ein elfter König, welcher drei der zehn vorhandenen Königreiche überwältigen wird, wirft sich schließlich, unter teuflischem Einfluss, zum Haupte oder Kaiser des Reiches auf und verbündet sich mit dem Antichrist oder „dem König“ in Palästina, welcher sich für den Messias Israels ausgeben, die Masse der ungläubigen Juden an sich fesseln und die ganze Welt zur Anbetung des Bildes verführen wird, das er dem Haupte des römischen Reiches errichtet.

Die abtrünnige Kirche, welche in geistlichem Sinne einer Hure gleich geworden ist und den Namen an ihrer Stirn trägt: „Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“, wird durch das Haupt des römischen Reiches und die zehn Könige gerichtet. Das Blut, welches sie vergossen hat, wird von ihrer Hand gefordert.

Der Teufel, die alte Schlange, wird mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde hinabgeworfen.

Der König in Jerusalem tritt immer offener als Antichrist auf und setzt sich schließlich in den Tempel, um sich als Gott anbeten zu lassen. Aller Gottesdienst, jüdischen wie christlichen Charakters, ist nunmehr von der Erde verschwunden.

Während dieser ganzen Zeit kommen viele und schreckliche Gerichte (sieben Siegel, sieben Posaunen, sieben Zornschalen) über die Erde. Drangsale, wie sie nie dagewesen sind, verbunden mit einer Wirksamkeit des Teufels und seiner bösen Mächte, wie sie gleichfalls nie auf dieser Erde gekannt war, werden die Menschen ängstigen und zur Verzweiflung treiben. Entsetzliche Kriege, mit Hungersnot und Seuchen in ihrem Gefolge, werden die Erde entvölkern. Zugleich jedoch werden viele aus dem Volke Israel und den Nationen der dann wieder aufgenommenen Predigt des „Evangeliums des Reiches« Gehör geben und sich zu dem Herrn bekehren. Der Weg dieser „Zeugen Jesu“ wird indes ein schwerer und leidensvoller sein. Weil sie sich weigern, den Antichrist und sein Bild anzubeten, werden sie von ihm grausam verfolgt werden. Viele werden ins Gefängnis geworfen, gemartert und getötet werden.

Wenn die Gottlosigkeit ihren Höhepunkt erreicht hat, kommt der Herr Jesus mit Seinen Heiligen vom Himmel, um Seine Feinde zu richten. Das Tier und der falsche Prophet werden lebendig in den Feuersee geworfen, alle feindlichen Mächte werden vernichtet. Der Teufel wird für tausend Jahre in dem Abgrund gebunden.

Der treue Überrest aus Israel erkennt in dem zu seiner Befreiung erscheinenden Herrn den von ihm verworfenen Messias und wird in die Segnungen des tausendjährigen Reiches eingeführt; die Heiligen, welche während der Zeit der Endgerichte getötet wurden, werden auferweckt. Die Nationen werden vor den Thron des Herrn gestellt und gerichtet (Gericht der Lebendigen). Während ein Teil (die Böcke) in die Hölle geworfen wird, ererbt ein anderer Teil (die Schafe) das Reich.

Die zehn Stämme werden in dem Lande ihrer Fremdlingsschaft gerichtet, der Überrest wird nach Kanaan zurückgebracht. Im Beginn des taufendjährigen Reiches zieht Gog, in Verbindung mit den Völkern des Nordens, mit zahllosen Heerscharen heraus, um Palästina, „das Land der offenen Städte, in Besitz zu nehmen; aber das ganze gewaltige Heer findet auf den Bergen Israels ein schimpfliches Ende.

In dem so errichteten Friedensreiche Christi wird die Schöpfung von dem Fluche befreit- und ganz Israel errettet sein. Die Nationen werden sich indem Heil des Herrn erfreuen, und die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis des Herrn. Die himmlischen Heiligen werden an der Ehre und Herrschaft Jesu teilnehmen“.

Nach den tausend Jahren wird der Teufel wieder für eine kurze Zeit losgelassen“. Er verführt die Nationen, reizt sie noch einmal zum Kriege gegen Christum an und stürzt sie so ins Verderben. Feuer fällt vom Himmel und verschlingt sie; Satan selbst wird in den Feuersee geworfen.

Dann erfolgt die zweite Auferstehung und das letzte Gericht vor dem großen, weißen Thron (Gericht der Toten).

Himmel und Erde vergehen und machen einem neuen Himmel und einer neuen Erde Platz in welchen Gerechtigkeit wohnt. Der ewige Zustand der Glückseligkeit beginnt; Gott wohnt in Seiner Hütte (dem Weibe des Lammes) bei den Menschen. Der Herr Jesus übergibt das Reich Seinem Vater und Gott ist alles in allem.

Fußnote:

*) Das Wort Gottes macht uns allerdings keine nähere Mitteilung über diese Verwandlung; wir dürfen sie aber als selbstverständlich voraussetzen. Denn jene Gläubigen gehören Christo nicht nur an für die tausend Jahre irdischer Segnung, sondern für die ewige Herrlichkeit. Wenn daher Himmel und Erde vergehen und die gottlosen Bewohner der Erde vor oder bei diesem letzten gewaltigen Ereignis umkommen werden, müssen die dann noch hienieden lebenden Gläubigen verwandelt und in den Himmel entrückt werden. Sie werden ohne Zweifel, gleich den Gläubigen, die der Herr bei Seiner ersten Wiederkunft auf dieser Erde vorfindet, einen neuen Leib empfangen und, ohne den Tod zu sehen, in die Herrlichkeit der neuen Schöpfung versetzt werden.

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