Botschafter des Heils in Christo 1906

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1906 Seite
Was Hiob zu lernen hatte 1, 29, 57
Jehova, mein Hirte 19
Auf meinem Pilgerpfade hier (Gedicht) 28
Einige Gedanken über Matth. 16 und 18 46
Gemeinschaft und Gönnerschaft 54
Einige praktische Bemerkungen über die Einheit des
Leibes Christi 71
Wir müssen alle geoffenbart werden 80
Du, Jesus, bist bei mir im Leiden (Gedicht) 84
169, 197. 225. 253, 281, 309 85, 118, 141 
Die Gabe des Heiligen Geistes 85
Die drei Kreuze 99, 126, 152
Aus einem alten Briefe 109
O Herrlichkeit der Herrlichkeiten! (Gedicht) 112
Ein Brief Christi 136
Gedanken 140
Ihr dienet dem Herrn Christo." 162
Der Sabbath und der Tag des Herrn. 180, 211,238,269
Dorkaswerke (Gedicht). 195
Er selbst 252
Zu meinem Gedächtnis 275
Ein Brief von G. Tersteegen 278
Mit Ihm vereint (Gedicht). 280
Lehren der Trübsal.... 302
Ich warte auf dein Kommen (Gedicht) 308


Botschafter des Heils in Christo

Vierundünfzigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1906

Was Hiob zu lernen hatte oder Gott ist es welcher rechtfertigt.

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 1ff

Das Zeugnis des inspirierten Wortes über Hiob lautet: „Selbiger Mann war vollkommen und rechtschaffen und gottesfürchtig und das Böse meidend“. Er war, mit einem Worte, ein wirklicher Mann Gottes. (Vgl. Hesekiel 14, 14.) Die Echtheit seines Charakters als Gläubiger steht außer aller Frage, nachdem Gott selbst sie bezeugt hat. Zugleich war er ein reicher Mann; sein" Besitztum war sehr groß. Gott hatte ihn reichlich gesegnet mit irdischen Segnungen in irdischen Örtern. Es ist wichtig, dies zu beachten. Es wird uns gesagt, ehe Hiob in den Schmelztiegel Gottes geworfen wurde. 

 Das Zeugnis des Wortes Gottes ist ebenso klar hinsichtlich jedes Kindes Gottes in der gegenwärtigen Zeit, mag es auch noch so sehr durch Kämpfe und Prüfungen hin und her geworfen werden. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Segnungen heute geistlich, nicht irdisch, sind. Wir lesen in Eph. 1, 3: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo“. Wir sind also nicht in irdischen Örtern gesegnet, mit einem Besitztum, das der Zerstörung ausgesetzt ist, sondern in den himmlischen Örtern in Christo. Beachten wir die Bestimmtheit des Ausdrucks: Er hat uns gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in Christo. 

in anderes Zeugnis hierfür lautet: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der nach Seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, welches in den Himmeln aufbewahrt ist für euch, die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden“. (1. Petr. 1, 3 - 5.) So steht die Segnung des Gläubigen, wie wir sie in diesen beiden Kapiteln, Eph. 1 und 1. Petr. 1, finden, in leuchtendem Gegensatz sogar zu dem Manne, der „größer war als alle Söhne des Ostens“. Hiobs Erbe konnte vergehen, das des Gläubigen kann nie vergehen.

Bevor wir uns nun näher mit der Szene heißen Kampfes beschäftigen, wie das Buch Hiob sie darstellt, möchte ich den Gläubigen bitten, sich dessen wohl zu erinnern, was aus das Zeugnis Gottes hin sein bestimmtes, klar festgestelltes Teil ist. Das Wort Gottes lässt keinen Zweifel darüber bestehen, dass der Gläubige durch das kostbare Blut Christi die Erlösung hat, die Vergebung seiner Sünden. Ferner könnte sein Erbe in den himmlischen Örtern ihm nicht sicherer gestellt werden, als es geschehen ist. Denn der Herr Jesus, der für seine Sünde starb, ist aus den Toten auferweckt worden und gen Himmel gefahren, um den Besitz der himmlischen Örter für ihn anzutreten und zu bewahren. 

Ist deshalb dieser Besitz für den Gläubigen nicht gerade so sicher, als wenn er sich selbst schon dort befände? Oder, mit anderen Worten, könnte er ihn. sicherer bewahren, als Christus es in Herrlichkeit für ihn tut? Gott sei gepriesen! Diese Frage ist für ihn geordnet: sein Erbteil wird für ihn aufbewahrt in den Himmeln. Indes möchte gefragt werden: Könnte aber der Gläubige, obgleich er ein Kind Gottes ist, nicht zu Fall kommen und so schließlich durch seine Schuld doch noch den Besitz verlieren? Nein, auch dafür ist gesorgt, wie dies aus der eben angeführten Stelle (1. Petr. 1) mit gleicher Klarheit hervorgeht. Es heißt dort: „die ihr durch Gottes Macht bewahrt werdet''.

Die ängstliche, furchtsame Seele sieht also, dass das Zeugnis des Wortes Gottes alles klar und sicher für sie gemacht hat. Gottes Zeugnis über Hiob lautete: er ist vollkommen und rechtschaffen, er fürchtet Gott und meidet das Böse. Heute, nachdem das Werk Christi vollbracht ist, lautet das Zeugnis: ,,Denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden''. (Hebr. 10.) Das ist die Stellung des Gläubigen vor Gott. Ferner lesen wir in Kol. 2, 10: ,,Ihr seid vollendet in Ihm''. Zugleich sind die Liebe zu Gott, die Liebe zur Heiligkeit und der Hass gegen das Böse die charakteristischen Kennzeichen eines jeden, der aus Gott geboren ist. (Vgl. 1. Joh. 3, 6 -10.) So hat denn das Zeugnis Gottes „zunächst die Segnung und den Charakter Hiobs bestimmt;" und so bestimmt das Zeugnis des Wortes heute die Segnung und den Charakter eines jeden Kindes Gottes.

 Nunmehr wird, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, der Vorhang beiseite gezogen, der die unsichtbare Welt vor unseren Augen verhüllt. Satan erscheint in der Mitte der Söhne Gottes. Er kommt vom Durchstreifen der Erde und vom Umherwandeln aus ihr. Er ist der große Widersacher, von welchem Petrus uns berichtet, der wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlinge. Um uns zu zeigen, was für einen Widersacher wir haben, legt der Herr Satan eine Frage vor: „Hast du acht gehabt auf meinen Knecht Hiob?“ usw. Sicherlich hatte Satan den Fall Hiobs hin und her erwogen. O wie oft, wenn wir gar wenig daran denken, mag Satan uns beobachten und mit all der Erfahrung, welche die Jahrtausende ihm gegeben haben, überlegen, welche Versuchungen wohl am meisten für unseren Fall passen! Du magst deine Tür verschlossen haben und "gar nicht an ihn denken; aber der Widersacher ist da.

" Satan, eine wirkliche Person, beobachtet dich mit der tiefsten Bosheit. Wir sehen ihn nicht, aber er würde nicht wirklicher sein, wenn wir ihn sähen. Gott hatte Hiob gesegnet, und das genügte völlig, um das Herz Satans mit Hass zu erfüllen. Und nun beginnt die von Gott zugelassene Prüfung Hiobs. Sie war notwendig. Nie darf Satan uns sichten, es sei denn dass eine Notwendigkeit dazu vorliege. Indes wird bei dem wahren Kinde Gottes Satan sich sicher und gewiss stets selbst überlisten. Gott wird alles zum Wohle des Gläubigen mitwirken lassen.

Wer würde es für möglich gehalten haben, dass Satan solche Macht besäße, wenn Gott es uns nicht in diesem Buche offenbart hätte? Hiobs Söhne und Töchter aßen und tranken, geradeso wie die Welt es heute tut, und dachten wenig an das plötzliche Verderben, welches ihrer wartete. Die Rinder pflügten, und die Eselinnen weideten neben ihnen - alles ging seinen gewöhnlichen Gang. Wie sieht die Welt so glücklich und fröhlich aus, als ob kein Teufel in ihr wäre, allezeit bereit, zu versuchen und zu verderben! Wie schnell und sicher tat Satan sein Werk! Die Sabäer übersielen die Knechte Hiobs und erschlugen sie mit dem Schwerte. Nur einer entrann, um es seinem Herrn zu melden. 

Auch in unseren Tagen hört man von kriegerischen Vorbereitungen, geplanten Einfällen und dergleichen. Die Leute reden über den Kaiser oder die betreffenden Fürsten, über die Auslassungen der Presse, über das Volk usw. Aber wie wenige denken an den großen Widersacher Satan, den „Fürsten der Gewalt der Luft“ (Eph. 2, 2), „den Gott dieser Welt“ (2. Kor. 4, 4), an ihn,. der auch bei den letzten Szenen menschlicher Gottlosigkeit auf Erden die große, treibende Kraft sein wird. (Vgl. Offb. 13, 4.) Es war Satan, der die Sabäer dahin brachte, über Hiobs Knechte herzufallen. Er ist ein Mörder von Anfang. Und siehe da, während der Knecht, der die Schreckensbotschaft brachte, noch zu seinem Herrn redete, kam ein anderer und berichtete: ,,Feuer Gottes ist vom Himmel gefallen und hat das Kleinvieh und die Knaben verbrannt und sie verzehrt; und ich bin entronnen, nur ich allein, um" es dir zu berichten«. ,,Feuer Gottes'', so meinte jener Knecht, aber es war Satan, der es vom Himmel fallen ließ.

 Er wird, so seltsam es auch erscheinen mag, genau dieselbe Macht am Ende der Tage wieder ausüben. Von dem Tiere, das wie ein Drache redet, lesen wir in Offb. 13, 13: „Und es tut große Zeichen, dass es selbst Feuer vom Himmel aus die Erde herabkommen lässt vor den Menschen“.

„Dieser redete noch, da kam ein anderer und sprach: Die Chaldäer haben drei Haufen gebildet, und sind über die Kamele hergefallen und haben sie weggenommen, und die Knaben haben sie mit der Schärfe des Schwertes erschlagen, und ich bin entronnen, nur ich allein, um es dir zu berichten.“ Das waren schreckliche Botschaften; aber noch Furchtbareres sollte kommen." „Während dieser noch redete, da kam ein. anderer und sprach: Deine Söhne und deine Töchter aßen und tranken Wein im Hause ihres erstgeborenen Bruders; und siehe, ein großer Wind kam von jenseits der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses, und es fiel aus die jungen Leute, und sie starben; und ich bin entronnen, nur ich allein, um es dir zu berichten. Die Schlacht begann gleichsam mit rollenden Gewehrsalven, eine immer stärker und vernichtender als die andere.

 Welch ein Schmerz ist es für ein Elternherz, wenn die Kunde von dem Tode eines Kindes es erreicht! Was aber mag Hiob erst gefühlt haben, als ihm alle seine Kinder, zehn an der Zahl, mit einem Schlage genommen wurden! Und doch, so furchtbar dieser erste Teil des Kampfes auch sein mochte, Satans schwere Artillerie war noch nicht ausgefahren. Bis zu diesem Augenblick behauptete Hiob das Feld. „Jehova hat gegeben, und Jehova hat genommen, der Name Jehovas sei gepriesen!« das war seine Antwort aus all die schrecklichen Anfälle des Feindes. . Wiederum erscheint Satan, der Ankläger der Brüder, inmitten der Söhne Gottes und klagt Hiob an. Wenn auch sein erster Angriff keinen Erfolg gehabt hat, so hat er doch nicht aufgehört, Hiob zu beobachten, und zu planen, wie er ihm eine Niederlage beibringen könne.

Gott wiederholt Sein Zeugnis- über Hiob. Und o, wie gut ist es, immer wieder, zwischen jedem Anlauf unseres Todfeindes, das gesegnete Zeugnis des Wortes zu betrachten! Gerade im Epheserbriese, der Epistel, welche uns unsere herrliche, sichere Stellung in dem auferstandenen Christus zeigt, werden wir aufgefordert, die ganze Waffenrüstung Gottes zu nehmen, und das Schwert „des Geistes, welches das Wort Gottes ist, dabei nicht" zu vergessen. ,,Nehmet die ganze Waffenrüstung Gottes, auf dass ihr an dem bösen Tage zu widerstehen vermöget.“ Nicht wider Sabäer und Chaldäer, wider Feuer und Wind kämpfen wir; nein, unser Kampf ist wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern.

„Und Jehova sprach zu Satan: Siehe, er ist in deiner Hand; nur schone seines Lebens". Es ist sehr gesegnet, dies zu wissen. Satan kann nicht um eines Haares Breite weiter gehen, als Gott es ihm erlaubt. Und wenn wir eine geistliche Anwendung von dieser Stelle machen wollen, so dürfen wir sagen, dass er nimmer das Leben, welches in uns ist, anzutasten vermag. Unser Leben ist mit Christo in Gott verborgen. Gott mag Satan wohl die Erlaubnis geben, unsere Leiber am Marterpfahle zu verbrennen; aber nimmer kann Satan dass ewige Leben antasten, es kann nie sterben. Wenn der Christ stirbt, so ist es nur ein Abscheiden, um bei Christo zu sein, was weit besser ist. ,,Und Satan ging von dem Angesicht Jehovas hinweg, und er schlug Hiob mit bösen Geschwüren, von seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel.

« Hiobs Segnungen waren, wie bereite bemerkt, irdischer Natur, die unsrigen sind himmlisch. Einen ähnlichen Gegensatz können wir in den Drangsalen finden, durch welche Hiob ging, und den Anfechtungen, welche Satan uns heute bereitet. Jene waren leiblich, diese sind geistlich. Gleichwie es nun Satan damals erlaubt wurde, auf das leibliche Fleisch, den Körper, Hiobs einzuwirken und ihn in die tiefste Trübsal und Not zu stürzen - und welch ein Schauspiel bot der arme Mann! er schabte sich mit einem Scherben und saß mitten in der Asche - so mag es Satan heute gestattet werden, auf unsere alte fleischliche Natur einzuwirken, und zwar in einer Weise, - dass wir in geistlichem Sinne die Entdeckung machen müssen, dass von der Fußsohle bis zum Scheitel nichts Gesundes an uns ist, nur Wunden, Beulen und eiternde Geschwüre. Und hat Satan es so weit gebracht, dann führt er sein schweres Geschütz ins Feld.

Den ersten gewaltigen Anlauf, den der Widersacher nun gegen Hiob nimmt, erblicken wir in den Worten seines ganz verwirrten und erzürnten Weibes. Sie sagt: ,,Hältst du noch fest an deiner Vollkommenheit? Lästere Gott und stirb!'' Doch wie treffend ist Hiobs Antwort! Ohne Zweifel sah er den Schmerz seines Weibes über seine eigenen Leiden, und indem er ihre Worte von der lichtesten Seite aufnahm, maß er ihr eine bessere Gesinnung zu, als ihre Worte ausdrückten, und erwiderte: ,,Du redest, wie eine der Törinnen redet''. Er sagt nicht: Was für eine Törin bist du doch! sondern: Du sprichst wie eine Törin. ,,Wir sollten das Gute von Gott annehmen, und das Böse sollten wir nicht auch annehmen? — Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.''

War er nicht in der Tat ein schöner Charakter? Sicher, er nimmt unter den Söhnen der gefallenen Menschheit einen hervorragenden Platz ein. Der Herr selbst hatte von ihm gesagt: „Seinesgleichen ist nicht aus der Erde“. Es ist bemerkenswert, dass wir von dem Augenblick an, wo die drei Freunde Hiobs, Eliphas, Bildad und Zophar, auftreten, nichts mehr von Satan hören. Aber welch bessere Waffen hätte Satan benutzen können, als- die Worte dieser im Irrtum befangenen Freunde? Von solchen, die wir lieben, falsch beurteilt und missverstanden zu werden, ist mehr als bitter. Was hat gerade in dieser Hinsicht unser hochgelobter Herr Jesus erduldet, als Er in das Seinige kam und die Seinigen Ihn nicht aufnahmen?

Doch kehren wir zu Hiob zurück. Wir können uns eine schwache Vorstellung von der Größe seiner Qualen machen, wenn wir ihre Wirkung aus die drei Freunde. betrachten. ,,Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben "Tage und sieben Nächte; und keiner redete ein Wort zu" ihm, denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.« "So war. die Trübsal Hiobs beschaffen; und ich möchte" sie als ein Bild der tiefen Herzensangst manches wahren Kindes Gottes bezeichnen, welches, wie Hiob, zwar die Erlösung kennt, aber nicht das lebendige, liebende und allmächtige Priestertum Christi; und das vielleicht nach Jahren eines dem Maße seiner Erkenntnis entsprechenden, glücklichen Genießens Christi die Entdeckung macht, dass das Fleisch immer noch so schrecklich verderbt ist, und nun vielleicht in einem Augenblick jede Hoffnung auf ein verbessertes Ich vernichtet und zerstört sieht.

 Hiob konnte seinen Finger nicht auf einen einzigen Fleck seines Körpers legen, der nicht ein eiterndes Geschwür" gewesen wäre. Und so muss der Gläubige früher oder später finden, dass es in seinem alten Ich keinen Fleck gibt, auf welchem er ruhen könnte. Und fürwahr, es sind zwei verschiedene Dinge, davon zu reden, dass alles, was- ich von dem ersten Adam her bin, vor Gott welk und tot ist, oder die Erfahrung zu machen, dass es sich also verhält. Doch wenn man dies erfahren hat, ist es überaus gesegnet, auch die lichte Auferstehungsseite (wenn ich sie so nennen darf) der Geschichte des leidenden Hiob kennen zu lernen. Schließlich öffnet Hiob (in, Kapitel 3) seinen Mund, und o, welch ein Schmerz, welch eine Bitterkeit kommt da zum Vorschein! Er schließt mit den Worten: ,,Denn ich fürchtete einen Schrecken, und er traf mich, und vor dem mir bangte, das kommt über mich. Ich war nicht ruhig, und ich rastete nicht und ruhte nicht, da kam dass Toben.''

Ganz ähnlich ist es vielleicht meinem Leser ergangen. Der wahre Gläubige fürchtet nichts so sehr wie die Sünde; und nun gerade das bei sich zu finden," was er am meisten fürchtet, ja, Sünde, Sünde, Sünde zu finden — und er hasst sie doch und sucht mit allen Kräften sich von ihr zu befreien, meint auch zuweilen, sie sei wirklich nicht mehr da — zu erfahren, dass sie immer wieder auftaucht, und dass er selbst um gar nichts besser geworden ist, o das möchte ihm schließlich alle Gewissheit und Sicherheit rauben. Er findet keine Ruhe, keine Rast; ach! es ist, wie es bei Hiob war:" immer wieder „kommt das Toben''.

 Bis Hiobs Aufgabe gelernt worden ist, verhält es sich so mit jedem Kinde Gottes. Der Grad oder dass Maß der Erfahrungen ist verschieden, aber kein wahres Kind Gottes kann ihnen entgehen. Ja, mein lieber gläubiger Leser, je größer deine Liebe zu Gott ist und je tiefer dein Hass wider die Sünde, umso herber ist auch die Bitterkeit deines Schmerzes. Hast du nicht seit deiner Bekehrung die Sünde viel mehr in ihrer Abscheulichkeit erkannt als vorher? Hat sie nicht deine Seele niedergebeugt, bis du auch fast, wie Hiob, wünschtest, nie geboren, nie bekehrt worden zu sein? Ja, soweit kann es kommen; und vielleicht musstest du länger als sieben Tage bei deinen teuersten Freunden sitzen, bevor du dein Herz öffnen konntest. Nie hättest du geglaubt, die Entdeckung machen zu müssen, dass du so schlecht wärest, wie es dir jetzt klar geworden ist.

Satan erneuert jetzt seine Angriffe durch Freund Eliphas. Vergiftete Pfeile werden durch dessen Lippen auf den armen Hiob abgeschossen. (Kapitel 4, 3—8.) „Du hast viele unterwiesen.“ Es ist schrecklich, wenn Satan so die Gedanken eines armen Gläubigen auf sich selbst richten kann. ,,Was? sagt er, „das bist du? Du, der du ein so hohes Bekenntnis abgelegt hast, du, der andere unterweist, zu dem man bewundernd aufschaut? Du wirst eine schöne Schmach auf den Namen Christi bringen, wenn einmal alles, was du bist, vor der Welt offenbar werden. wird. Deine Sünde ist umso furchtbarer, je höher und schöner dein Bekenntnis ist.“ So redet Satan. Ja, manchmal möchte er die zitternde Seele gar überreden, dass ihre Sünde durch die Höhe ihres Bekenntnisses so erschwert, sei, dass ihr überhaupt nicht mehr vergeben werden könne.

Und wenn er auf diesem Weges den beabsichtigten Zweck nicht erreicht, so führt er, schnell wie ein Gedanke, den Stoß, den er auch gegen Hiob richtete: ,,So wie ich es gesehen habe: die Unheil pflügen und Mühsal säen, ernten es. Durch den Odem Gottes kommen sie um. Das ist, um sein Bild zu gebrauchen, das dünne Ende von Satan-3 grobem Keil. ES ist die erste Anspielung darauf, dass Hiob ein Heuchlerei. Wir werden bei der weiteren Betrachtung unseres Buches finden, wie dieser Keil Schlag auf Schlag immer tiefereingetrieben wird. Möge der Gläubige vor diesem Keile Satans auf der Hut sein! Er flüstert der armen Seele so gern ins Ohr: ,,Ja, ja, es ist alles: ganz wahr für die, welche dem Herrn angehören. Sie besitzen sicherlich die Erlösung durch dass Blut Christi. Das will ich keineswegs abstreiten. Aber ich möchte fragen: Würdest du so schlecht sein, wenn du wirklich ein Kind Gottes; wärest?" Meinst du nicht, das all dein Christentum Heuchelei sein könnte?

Ach, wenn ein Christ dem Widersacher auf diesen Boden folgt, darf er sicher sein, einen empfindlichen Stoß zu erhalten. Es ist ja ganz richtig, dass solche, die Unheil säen, es auch ernten werden. So war es, und so wird es auch bleiben. Durch den Odem Gottes kommen sie um. Aber diese Wahrheit war Hiob gegenüber nicht an ihrem Platze. Sie würde selbst einem Petrus gegenüber falsch angewandt gewesen sein, obwohl er seinen Herrn verleugnet hatte. Bei Judas war es anders; hier war sie ganz am Platze. Er säte Unheil. 

Er suchte eine Gelegenheit, seinen Herrn zu verraten. Nicht so Petrus. Wohl kam er in die Versuchung, vor welcher der Herr ihn gewarnt hatte, und musste nun die Entdeckung machen, dass er völlig kraftlos war; aber er suchte nicht eine Gelegenheit," Christum zu verraten. Und gerade das ist der Unterschied. zwischen einem Gläubigen und einem Heuchler. Die Sünde ist nicht Zweck und Gegenstand des Gläubigen; er sucht nicht nach Gelegenheiten, um seinen Herrn zu verleugnen, wenngleich er sich, wie Petrus, angesichts der Versuchung so schwach und kraftlos fühlen mag wie Wasser, dahingeschüttet ist.

Diese falsche Anwendung der Wahrheit war es also, welche Satan in den Reden der Freunde Hiobs so nachdrücklich und erfolgreich benutzte. Kapitel 6 zeigt uns, wie tief der arme Hiob hierdurch berührt und erschüttert wurde. Er sagt: „O dass mein Gram doch gewogen würde, und man mein Missgeschick auf die Waagschale legte allzumal! Denn dann würde es schwerer sein als der Sand der Meere. Und weiter: „Denn die Pfeile deck- Allmächtigen sind in mir, ihr Gift trinkt mein Geist; die Schrecken Gottes stellen sich in Schlachtordnung wider mich aus''. In diesen Worten lag ein großer Irrtum. Es waren die Pfeile Satans, welche Hiob trafen. Gott war nicht wider Hiob. Gott war für ihn; wenn Hiob es nur gewusst hätte!"

— Wie groß ist die Not der Seele, wenn Satan ihr so vorspiegeln kann, dass Gott gegen den Gläubigen sei! Wie ist dieser Gedanke geeignet, jede Prüfung, jedes Leiden zu vergrößern; und wie ist Satan darauf aus," ihn der Seele einzublasen! „Sieh doch nur dies und „das'', so lautet seine Sprache; zeigt es dir nicht, dass du ein Heuchler bist, und dass Gott gegen dich ist?

Warte nur, Er wird schon mit dir handeln, wie es deine Sünden verdienen.''

Ach! und wie ist das ungläubige Herz dann so gern bereit, zu antworten: „Ja, so muss es sein. Sicher, nie hat jemand solche Verzweiflung gefühlt wie ich. Die Schrecken Gottes stellen sich in Schlachtordnung wider mich aus. Ich hielt mich für einen so guten Christen, aber jetzt finde ich, dass meine Sünden die größten Qualen der Hölle verdienen.'' So tief war Hiobs Not unter dieser Versuchung, dass er wünschte, Gott möchte ihn vernichten. Ob wachend oder schlafend, er findet keinen Trost. Niemand ist da, der seinen Fall versteht. Und so versinkt er tiefer und tiefer in seiner Bitterkeit.

Wie wenige gibt es, die den Fall eines Gläubigen, der durch solch tiefe Wasser zu gehen hat, wirklich zu verstehen und richtig zu beurteilen imstande sind! „Ich weiß nur von einem solchen; wir werden nachher" über ihn reden.

Im 8. Kapitel tut Freund Bildad seinen Schlag aus den Keil und treibt ihn ein wenig tiefer ein. „Schießt Papierschilf auf, wo kein Sumpf ist? wächst Riedgras empor ohne Wassers? Noch ist es am Grünen, wird nicht ausgerauft, so verdorrt es vor allem Grase. "Also sind die Pfade aller, die Gottes vergessen;" und des Ruchlosen Hoffnung geht zu Grunde.'' Alles das ist wahr von den Hörern des Wortes, bei denen der Same auf das Steinige fällt, aber es ist nicht wahr von Hiob, noch von der Seele, welche aufrichtig auf Christum vertraut. Das Wasser in ihr ist eine Quelle Wassers, das ins ewige Leben quillt. „Des Ruth losen Hoffnung geht zu Grunde«, aber das schwächste Schäflein Christi wird nie zu Grunde gehen. 

Doch wenn es auf seine eigene eingebildete Frische, aus das eigene gerühmte Gute blickt, so wird dieses vergehen; und so erringt Satan seinen Vorteil. Bei der" Bekehrung mag viel Frische der Seele vorhanden sein, "gleich dem grünen Riedgras, das rasch ausschießt; aber" hüten wir uns, daraus zu vertrauen! Denn sehr oft steht der Rückschlag im Verhältnis zu dem Übermaß der Freude, wenn einmal der wirkliche Charakter des Fleisches erkannt wird. Dann kommen wahre Schauern von Wurfgeschossen angeflogen, wie z. B.: „Wie ist es eigentlich mit mir?« ,,Habe ich mich nicht getäuscht?'' ,,Ich habe nicht mehr dieselben Gefühle wie vordem. „Alles ist finster um mich her. „Vielleicht bin ich gar nicht in Christo gewurzelt'', usw. Und o! welche Finsternis der Seele, welche ’ Bestürzung folgt darauf! Das Auge ist von Christo abgewandt, das Herz lauscht auf Satan. Die allererste Frage, die es für die glaubende Seele gibt, die Frage der Rechtfertigung, erscheint noch ungeordnet. Gerade so war es mit Hiob am Schlüsse der Rede Bildads. Hüten wir uns denn vor Bildads Schlag aus den Keil!

Das neunte Kapitel offenbart den Zustand der Gesinnung Hiobs. Er sagt: ,,Wahrlich, ich weiß, dass es also ist; und wie könnte ein Mensch gerecht" sein vor Gott?'' Er tritt vor Gott in Seinem Charakter als Richter; und seine Bestürzung ist sehr groß." Er kann Gott auf tausend nicht eins antworten. ,,Es bangt mir vor allen meinen Schmerzen; ich weiß, dass" du mich nicht für schuldlos halten wirst. (V. 28.)

Armer Hiob! Er weiß jetzt nicht, wohin er sich wenden soll. Und ist dies nicht der Fall bei jedem Gläubigen in dem Augenblick, wo er vor Gott als den Richter tritt? Wie kann er, wie kannst du, mein lieber Leser, vor Gott gerecht sein? Würde nicht schon eine von tausend Sünden dich gänzlich verdammen? Und doch kämpft das arme menschliche Herz so verzweifelt darum, vor Gott gerecht zu fein. Hiob fährt fort: ,,Wenn ich auch gerecht wäre, so würde mein Mund mich doch verdammen«.

 Hast du gemeint, Gott würde dich für unschuldig erklären? Weit entfernt davon! Aber bei der Bekehrung hast du doch gehofft, fortan schuldlos wandeln zu können. Ist es so gewesen? Kannst du zu dem Antlitz Gottes als deines Richters aufblicken und sagen, dass du seit deiner Belehrung schuldlos geblieben seiest? Unmöglich! Ruft dann nicht der Gedanke, vor Gott als Richter zu stehen, Furcht und Schrecken in dir wach? Sicherlich. Hiob fühlte die völlige Unmöglichkeit, vor Gott als Richter zu erscheinen und gerecht erfunden zu werden, und daher empfand er das tiefe Bedürfnis nach einem Mittler oder Schiedsmann. „Denn Er (Gott) ist nicht ein Mann wie ich, dass ich Ihm antworten, dass wir zusammen vor Gericht gehen könnten. Es gibt zwischen uns kleinen Schiedsmann, dass er seine Hand auf uns beide legte. Er tue Seine Rute von mir weg, und Sein Schrecken ängstige mich nicht.

Im zehnten Kapitel erfüllt der Gedanke an Gott als Richter Hiob mit Verwirrung. Er kommt zu dem Gefühl, dass Gott gegen ihn wüte wie ein grimmiger Löwe. Auch finden wir hier einen Zustand des Zusammenbrechens und des Sich-demütigens vor Gott. Aber alles ist noch finster, Todesschatten ringsumher. Was war die Ursache von dem allen? Ja, ich möchte weiter fragen, was ist die Ursache, dass manches teure Kind Gottes sich in dieser selben Finsternis und Ungewissheit befindet? Verfolgen wir die weiteren Berichte unseres Buches, und wir werden die Ursache entdecken. In Kapitel 11 spricht Hiob Freund Zophar. Er stellt die Majestät Gottes dar, aber nur, um Hiob zu zermalmen. Er sieht, dass Hiob sich im Unrecht befindet, wenn er sucht, in seinen eigenen Augen rein zu sein, und in seinem Eifer sagt er: ,,Möchte Gott doch reden und Seine Lippen gegen dich öffnen!« Aber es steht nicht bei ihm, Hiob zu zeigen, wie es möglich sein kann, dass er ein Sünder ist und doch gerechtfertigt wird. 

Er kann sagen, dass es, wenn Hiob kein Sünder wäre, aufs beste mit ihm stehen würde. Dies ist alles, was Zophar, oder ein bloß menschliches Licht, tun kann. Das ist menschliche Religion. Ich muss suchen, kein "Sünder zu sein; dann werde ich glücklich sein, und Gott" ist nicht wider mich. Aber das war bis heute ein vergebliches Bemühen, nicht wahr? Ich bin ein Sünder. Wie kann ich also vor einem heiligen Richter erscheinen? Darin liegt die Schwierigkeit. Hiob antwortet wiederum. Auch er versteht es wohl, über die Majestät Gottes in allen Seinen Wegen zu reden. Aber das vermag nicht die Frage zu ordnen: Wie kann ein fündiger Mensch vor Gott gerecht sein? Ein Mensch mag, wie Hiob, über Sterne und Steine treffliche Reden halten können, er mag in aller Wissenschaft dieser Welt bewandert sein, und trotz allem unfähig, zu sagen, wie ein Sünder vor Gott gerechtfertigt wird.

 Hiob wurde noch immer von dem schrecklichen Gedanken gequält dass Gott wider ihn sei. Und in der Tat, was könnte überwältigender und erschreckender sein, als dieser Gedanke? Zu wem können wir gehen, wenn Gott wider uns ist? Die Sonne mag scheinen, aber sie scheint nicht für uns. Wir mögen suchen, die Sünde zu fliehen, aber Satan verfolgt uns und setzt uns immer härter zu. Hiob sagt zu Gott: „Dein Schrecken ängstige mich nicht“. Das gibt dem Eliphas Gelegenheit, seinen Angriff zu wiederholen.

Er sagt im 15. Kapitel: ,,Ja, du vernichtest die Gottesfurcht und schmälerst die Andacht vor Gott''. Auch das ist eine schwere Versuchung Satans. Wenn die Seele in Finsternis wandelt, so scheint es ihr oft, "als ob sie nicht beten könne; es ist so ganz anders, als" es früher war. Und dann kommt Satan und raunt ihr ins Ohr: ,,Nun, ist das nicht ein Beweis, dass du nichts anderes bist als eine gottlose Person? Sicher musst du ein Heuchler sein. „Denn der Hausstand des Ruchlosen ist unfruchtbar, und Feuer frisst die Zelte der Bestechung. „Alle seine Tage wird der Gesetzlose gequält.“ — „Wehe mir!“ antwortet der Gläubige, ,,gerade so steht es mit mir. Ich genieße das Gebet nicht mehr so, wie ich es einst tat; ich führe ein qualvolles Leben.'' „Leidige Tröster seid ihr alle“, sagt Hiob. Und dann wird seine Verzweiflung noch größer.

 Der Gedanke kommt wieder: Gott ist gegen mich! Er hat mich meinem Schicksal überlassen! „Ich war in Ruhe, und Er hat mich zerrüttelt, und Er packte mich beim Nacken und zerschmetterte mich; und Er stellte mich hin, sich zur Zielscheibe.“ „O!“ ruft der Gläubige aus, ,,wie kann es sein, dass Gott solches mit mir erlaubt? wie kann das sein?“ Und dann kommt Satan mit einem Strom ungläubiger Gedanken, die nicht in Worte zu kleiden oder aufs Papier zu bringen sind.

Wieder dringt der sehnsüchtige Schrei nach der Mittlerschaft Christi aus dem Herzen Hiobs. (Kap. 16, 21.) „O dass er schiedsrichterlich entscheide Gott gegenüber für einen Mann und für einen Menschensohn hinsichtlich seines Freundes!“ „Setze doch ein, leiste Bürgschaft für mich bei dir selbst! wer ist es sonst, der in meine Hand einschlagen wird?“

@@@@

Jehova mein Hirte

Bibelstelle: Psalm 23

Botschafter des Heils 1906 S. 19ff

Die Segnungen, in welche der Herr als der Hirte heute Seine Herde führt, sind nicht so sehr zeitlicher, als vielmehr geistlicher Natur. Der Vorhang ist jetzt zerrissen, von oben bis unten, und wir sind zu Gott gebracht. Er sorgt jetzt für uns aus dem ganzen Wege; aber wir sollen auch, und darin besteht die Übung unserer Seelen, mit Ihm im Lichte wandeln. Seine Sorge ist, uns dahin zu bringen, dass wir in der Kraft der vor uns liegenden himmlischen Herrlichkeit mit Ihm selbst wandeln. Er bitter: „Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast“. Gott ist uns indes nicht nur bekannt als Jehova, der ewige, unveränderliche Gott,· der uns Barmherzigkeiten zu teil werden lässt, so lange wir uns auf der Pilgerschaft befinden, sondern auch als der Vater, der uns mit jeder geistlichen Segnung gesegnet hat und sie uns genießen lassen möchte. Sicher sind die Haare unseres Hauptes alle gezählt; aber ebenso sicher gibt es Zucht für unsere Seelen, um sie zu jenen Segnungen zu führen. . . - - 

Jeder fromme Jude, der eine erneuerte Natur besaß, konnte in alten Zeiten den vor uns liegenden Psalm aus sich anwenden und sagen: „Jehova, mein Hirte“. Die Heiligkeit Gottes war noch nicht völlig geoffenbart, und demzufolge wurde der Abstand von Gott, in welchem die Seele sich befand, nicht so gefühlt. Ein frommer Jude kannte die Gunst Gottes ihm gegenüber, und zählte so auf Seine Güte. Wir aber sind jetzt ins Licht gebracht; wir wissen, was Gerechtigkeit und Gericht ist. Der Vorhang ist zerrissen, und Gottes Heiligkeit ist völlig geoffenbart worden. „Durch Jesum sind wir in dem Lichte, wie Er in dem Lichte ist. „Die Finsternis vergeht, und das wahrhaftige Licht leuchtet schon“ (1. Joh. 2, 8). Nachdem jetzt die Sünde in ihrer ganzen Schrecklichkeit ans Licht getreten und die Feindschaft des menschlichen Herzens durch den Tod Christi erwiesen ist, muss der Mensch hinsichtlich dieses Punktes zunächst zur Ruhe gebracht werden. 

Die Frage der Sünde muss zuerst geordnet werden. Ich kann nicht sagen: „Ich werde wohnen im Hause Jehovas auf „Länge der Tage“, wenn ich nicht weiß, dass meine Sünden vergeben sind. Ebenso wenig kann ich von Vertrauen reden, wenn ich noch das Gericht fürchten muss und im Lichte der Heiligkeit Gottes die Sünde in ihrer ganzen abscheulichen Gestalt sehe. Ich kann von Einem, dem ich vielleicht bald als Richter begegnen muss, unmöglich sagen, dass Er mein Hirte sei, und dass ich dereinst in Frieden in Seinem Hause wohnen werde. Um Ihn als Hirten kennen zu können, muss zunächst die Frage der Vergebung meiner Sünden ihre Erledigung gefunden haben; denn Gott kann die Sünde in Seiner Gegenwart nicht dulden. Was uns nottut, ist ein gereinigtes Gewissen. Und siehe da, Christus ist angenommen worden, und Er stellt uns, nachdem Er durch das Blut Seines Kreuzes Frieden gemacht hat, an Seinen Platz. „Durch ein Opfer hat Er aus immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 14). Er ist „ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als Er eine ewige Erlösung erfunden hatte“ (Hebr. 9, 12). 

Gott sieht keine Sünde in Jesu; und wir, die wir glauben, sind in Ihm; daher sieht Gott auch keine Sünde mehr in uns, wenn es sich um unsere Stellung vor Ihm handelt. Und selbst den Trost und den Frieden, welchen Jesus genoss, als Er als Mensch« hienieden wandelte, will Er uns geben.Frieden lasse ich euch“, sagt Er, „meinen Frieden gebe ich euch.“ Damit sind wir auf den Platz eines ungehinderten Vertrauens zum Vater gestellt, auf einen Platz, den wir nie einnehmen· könnten, wenn noch die geringste Spur von Sünde zwischen Gott und uns stände. Der Friede ist gemacht; deswegen kann der Herr nicht nur sagen: „Frieden lasse ich euch“, sondern auch:Meinen Frieden gebe ich euch“. Das waren keine leeren Worte. Er, Christus, hat uns Gott nahe gebracht und alles was irgendwie gegen uns war, beseitigt. „Selbstredend gibt es Schwierigkeiten und Kampf auf dem Wege; aber Gott ist mein Hirte. Er hat nicht nur etwas für mich getan, sondern Er ist auch etwas für mich, so dass gesagt werden kann: „auf dass euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott sei“ (1. Petr. 1, 21.)

 Ich glaube an Gott als in Christo geoffenbart und geschaut, als einen Gott, der mich völlig geliebt und diese Liebe dadurch geoffenbart hat, dass Er meine Sünden zunichte machte. „Die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes ist erschienen“ (Tit. 3,4). Welch eine Gnade, dass Gott alles dieses für mich getan hat, und dass Er alles dieses für mich ist! Zwar ist es möglich, dass ich strauchle und vom rechten Wege abkomme, und das wird mich dann tief beugen und beschämen; aber es kann oder sollte wenigstens mein Vertrauen nicht erschüttern, weil mein Glaube und meine Hoffnung auf Gott selbst sind. Gott ist mein Hirte, und wir können Vertrauen zu Ihm haben. Es heißt nicht nur, dass Er dieses getan habe und jenes noch tun werde, sondern: „Mir wird nichts mangeln“. Es kann überhaupt keinen Mangel geben für eine Seele, die Ihn, die Fülle selbst, besitzt. Eine solche Seele darf die ganze Macht und Güte Gottes auf ihre täglichen Bedürfnisse anwenden, und zwar auf Grund der Vergebung ihrer Sünden, des vollbrachten Versöhnungswerkes. Sie weiß nicht nur, dass sie nötig hat, gerechtfertigt zu werden, sondern dass Er sie gerechtfertigt hat. Denn welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt (Röm. 8, 30). Der Ausgangspunkt aller wahren christlichen Erfahrung ist: „Gott für uns,“ und: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?“ Ich bin der Gegenstand der Gunst und Zuneigung Gottes, und das ist besser als Leben. „Er lagert mich auf grünen Auen, Er führt mich zu stillen Wassern.“ Überall werde ich Gutes finden.

 Ich werde lagern, und niemand wird mich aufschrecken." Der Wolf mag rauben und plündern auf dem Wege, ich aber lagere auf grünen Auen. Wie ist das möglich? Weil „Er mich führt“; das muss in völligem Frieden, in vollkommener Freude geschehen, darum lesen wir weiter: „zu stillen Wassern“. Das ist der naturgemäße Zustand des Christen. Er nimmt sozusagen alles für sich in Anspruch („alles ist euer“ 1. Kor. 3, 21), denn Gott ist für ihn; deshalb kann er auch lagern. Wohl wird er auf seinem Wege Kampf &c. begegnen; aber in allen Lagen genießt er Freude und Friede. Nur dann, wenn die Trübsal zwischen seine Seele und Gott tritt und Misstrauen in ihm wachruft, wird es ihm zur Sünde. Aber selbst in einem solchen Falle, so betrübend er ist, vermag Gott die Seele wiederherzustellen; und Er vermag es nicht nur, Er tut es auch. Er wartet nicht, bis die Seele zu einem Bewusstsein ihres Fehlers kommt, sondern Er kommt ihr entgegen in wiederherstellender Gnade. Welch ein Gott ist unser Gott! Vielleicht gibt es dem Gläubigen auch manches, was der Berichtigung bedarf, ja, es kann sein, das er strauchelt und fällt. Das Herz kann verhärtet sein, und durch Leiden und Trübsale daraus aufmerksam gemacht werden müssen. Alles das ist möglich.

 Aber wenn es so ist, dienen die Züchtigungen und Prüfungen doch nur zu seinem Besten, zu seiner Wiederherstellung oder Förderung. Zuweilen, und das ist weit besser, sind Leiden unser Teil, weil wir Jünger und Nachfolger Dessen sind, der „der Mann der Schmerzen“ war. Dann erfahren wir Sein vollkommenes Mitgefühl. „Er erquickt meine Seele.“ Aber vergessen wir nicht, dass, wenn Er erquickt, Er es ·“um Seines Namens willen“ tut. Hier bin ich, ein armes, schwaches, elendes Geschöpf, und der Herr tritt ins Mittel und richtet mich auf. Warum? „Um Seines Namens willen.“ ——— „Er erquickt meine Seele; Er leitet mich in Pfaden der Gerechtigkeit um Seines Namens willen.“ Welch eine Gnade, sagen zu können: Was ich auch bin, Gott ist für mich! Er ist für mich in jeder Hinsicht, im Leben und im Tode, auch gegenüber allen meinen Feinden! Auch wenn ich wandelte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts übles“. Ehe Christus kam, hatte der Mensch wohl Grund, beim Anblick des Todes zu verzagen; aber jetzt brauchen wir, im vollsten Sinne des Wortes, „nichts Übles zu fürchten“. Der Tod ist jetzt „unser“. Paulus, der treue Jünger seines Herrn, schreibt einmal an die Korinther: „Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, auf dass unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt“ (2. Kor. 1, 9.) Mit anderen Worten: Wenn man mir selbst das Leben genommen hätte, würde man mir doch nichts haben anhaben können, denn ich vertraute auf den Einen, der mich aufzuerwecken vermag. 

Paulus sagt damit gleichsam: Wenn man mir dieses Leben nimmt, so habe ich nichts verloren; im Gegenteil, es ist ein Gewinn für mich, denn es bringt mich nur dem Ziele näher. Der Tod ist jetzt nicht mehr schrecklich für den Gläubigen. Warum nicht? Er kann sagen: „Du bist bei mir“. Ohne das ist er schrecklich. „Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.“ Es ist nicht ein Stab, sondern Sein Stab, und so brauche ich nichts Übles zu fürchten. Was vermöchte jemand gegen Gott auszurichten? Gerade durch den Tod hat Christus mich errettet, und der Tod ist auch (so lange der Herr noch verzieht) das Mittel, welches mich in Seine Gegenwart bringt, um „ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn“ zu sein. Doch vielleicht erscheint der Tod dir als eine Prüfung, die geeignet ist, deine Seele tief zu üben. Gut, lass es so sein; aber erinnere dich an die Worte: „Du bist bei mir“! Allein es gilt nicht nur, Schwachheit im Leben und Schwachheit im Tode zu begegnen, wir haben auch mächtige Feinde. (Vers 5.) Doch obwohl das so ist, kann ich mich in ihrer Gegenwart, vor ihren Augen, hinsetzen und reiche Nahrung für mich finden. „Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde.“ Ich nähre mich in Frieden von einem gestorbenen Christus, mit welchem ich aus ewig verbunden bin. In Seinem Tode war die ganze Macht Satans aufgeboten. 

Heute kommt Satan in einer anderen Gestalt, als die listige Schlange, und versucht mich im Fleische; aber ich kann ihm entgegnen: Ich bin tot, mit Christo gestorben.“ Ich habe ein Recht, so zu sprechen. Vielleicht mag ich es oft nicht tun, leider; aber das ändert an der Sache selbst nichts. „Wir wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, aus dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen“ (Röm. 6, 6.) Satan kann nur mein Fleisch anrühren; und wenn ich meine Glieder töte, die auf der Erde sind (Kol. 3, 5), so hat er keine Macht über mich. Wenn ich meinen Gliedern erlaube zu leben, dann allerdings kann Satan mich nicht für tot halten. So kann ich mich· denn in Gegenwart aller meiner Feinde niederlassen und sagen: Sie können mir nichts anhaben, denn „du bist bei mir“. Ich habe jene Macht gefunden, wodurch sie für mich zu nichts geworden find. Doch die Fülle meiner Segnungen ist noch nicht erschöpft; wir kommen zu noch weiterer Sicherheit, Freude und Segnung. „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über.“ Nachdem Christus gen Himmel gefahren und der Heilige Geist herniedergesandt worden ist, ist ein triumphierender Friede und eine Überschwängliche Freude unser Teil, und zwar durch die Kraft des Heiligen Geistes. Der Becher fließt Über. - Ich entdecke jetzt, dass Gott selbst die Quelle von allem ist; und das nicht nur für die Gegenwart, sondern indem ich sehe, was Gott ist, kann ich ausrufen: „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens; und ich werde wohnen im Hause Jehovas auf Länge der Tage«-. 

Nie werden wir Güte nötig haben und sie nicht zu finden vermögen. „Güte wird mir folgen« Und fürwahr, die Güte Gottes ist besser als die Güte des Menschen, selbst wenn wir diese erlangen könnten. - Auch gibt es für den Gläubigen einen Platz, wo er wohnen kann; und dahin geht seine Hoffnung. Für uns ist diese Wohnstätte das Vaterhaus. „In dem Hause meines Vaters sind Viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten“ (Joh. 14, 2). Es sind nicht nur Segnungen über uns ausgegossen, sondern eine Stätte ist bereitet, wo wir in alle Ewigkeit bei dem Vater wohnen sollen. Wie Er Christum dahin geführt hat, wird Er auch uns durch alle Gefahren und Prüfungen hindurchtragen und wohlbehalten dahin bringen; ja, durch den Glauben weilen wir jetzt schon dort· Wir fühlen uns daheim bei unserem Vater; und Er möchte gern in uns die Überzeugung und das Gefühl wecken, dass alle Unterweisungen und Züchtigungen auf dem Wege sich aus die Tatsache gründen, dass Er für uns ist. Wenn der Friede wirklich durch Christi Werk gemacht ist, dann sind alle diese Übungen naturgemäß unser Teil.

 Gott handelt mit uns als mit Söhnen; „denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?“ Und was im Anfang nur dem Glauben bekannt ist, wird allmählich eine Sache der Erfahrung, wenn auch immer der Glaube wirksam bleiben muss. Indem wir aus jedem Schritte die Erfahrung machen, dass Gott für uns ist, und dass Seine Güte und Huld uns folgen alle Tage unseres Lebens, können wir schließlich sagen: wir wissen, dass es so ist. Was irgend denn auch auf dem Wege uns begegnen mag, wir wissen, dass es uns nur zum Guten dienen kann, und indem wir in dieser kostbaren Gewissheit voranschreiten, schaut das Glauben-sauge die vor uns liegende Herrlichkeit, das Vaterhaus, wo wir ewiglich wohnen werden mit Jesu, unserem Herrn. Wunderbare Gnade!

@@@@

Auf meinem Pilgerpfade

Bibelstelle: Psalm 73,23 - 26

Botschafter des Heils 1906 S. 28ff

Auf meinem Pilgerpfade hier

bedarf ich Kraft und Mut.

Mein guter Herr gibt beides mir,

ja, alles, was mir gut.

Bei meiner rechten Hand hat Er

mich gnädiglich erfasst;

Er leitet mich nach seinem Rat

und trägt auch meine Last.

Er hält mich fest und lässt mich nicht,

wenn alles wankt und fällt;

ist meines Herzens Fels und Licht,

Er, der die Welten hält.

Durch Ihn hat Gott sie ja gemacht.

Er ist es der alles trägt;

durch seines Wortes Wundermacht,

auch mich, das Würmlein, hegt.

Im Staube rühm ich seiner mich,

der für mich starb und lebt

und mit den Seinen bald zu sich

zu Herrlichkeit erhebt.

Dann wird ich meinen Pilgerpfad

von oben übersehen,

und seine Liebe, Treu und Gnad,

Ihn selber ganz verstehen.

@@@@

Was Hiob zu lernen hatte

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 29ff

Im 18. Kapitel tritt Bildad wieder auf in dem Wortstreite. Er meint es gut, aber seine Worte sind wie vergiftete Pfeile. „Das Licht des Gesetzlosen wird erlöschen“, sagt er. Ja, so ist es, er hat ganz recht; jedes seiner Worte über die Gesetzlosen ist wahr, vollkommen wahr. Aber welch eine niederschmetternde Wirkung musste seine Rede auf Hiob haben! Die Umstände schienen ja den Worten Bildads recht zu geben und waren dem Angriff förderlich. Hiobs Licht schien dem Erlöschen nahe zu sein, und er fühlte tief den Stachel, der in den Worten des Freundes lag. „Wie lange«, fragt er, „wollt ihr meine Seele plagen, und mich mit Worten zermalmen?“ — „Erbarmet euch meiner, erbarmet euch meiner, ihr meine Freunde! Denn die Hand Gottes hat mich angetastet.

“ Ist es nicht erstaunlich, dass Hiob durch so vieles hindurch muss, während er doch über manches ein solch klares Licht besaß? Er sagt in Kap. 19, 25: „Und ich, ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird Er auf der Erde stehen; und ist nach meiner Haut dieses da zerstört, so werde ich aus meinem Fleische Gott anschauen, welchen ich selbst mir anschauen und den meine Augen sehen werden, und kein anderer: meine Nieren verschmachten in meinem Innern. Wahrlich, das ist ein heller Lichtstrahl inmitten von so viel Finsternis und Verwirrung. So mag auch oft viel Erkenntnis über die Erlösung und die zukünftige Herrlichkeit in einer Seele vorhanden sein, hier und da selbst der Trost des- Heiligen Geistes reichlich verspürt werden, und doch ist die Frage der Rechtfertigung vielleicht noch nicht klar in Ordnung gebracht. Und bemerken wir, alles was Hiob sagt verhindert Zophar nicht, seinerseits den Angriff mit doppelter Wucht wieder aufzunehmen. - Er sagt im 20. Kapitel: „Weißt du dieses, das; von jeher, seitdem der Mensch aus die Erde gesetzt wurde, der Jubel der Gesetzlosen kurz, und die Freude des Ruchlosen für einen Augenblick war?« Das war nach der vorhergehenden kurzen Erleichterung ein umso härterer· Stoß. Hiob, einigermaßen gereizt, schlägt den Angriff scharf zurück, indem er zeigt, dass der Gesetzlose doch oft in dieser Welt Gedeihen hat. Er wird alt, nimmt gar an Macht zu, sein Haus hat Friede, Gottes Rache ist nicht über ihm, und in Wohlfahrt verbringt er seine Tage. (Kap. 21, 7-—-13.) Doch alles ist umsonst. Im 22. Kapitel nimm tEliphas einen neuen, heftigen Anlauf. Er sagt: „Ist es wegen deiner Gottesfurcht, dass Er dich straft, mit dir ins Gericht geht? Ist nicht deine Bosheit groß, und deiner Missetaten kein Ende?“ Damit greift er Hiob an seiner empfindlichsten Stelle an.

Er erhebt falsche Anschuldigungen wider ihn. „Denn du pfändetest deinen Bruder ohne Ursache, und die Kleider der Nackten zogst du aus; den Lechzenden tränktest du nicht mit Wasser, und dem Hungrigen verweigertest du das Brot. . . . Die Witwen schicktest du leer fort, und die Arme der Waisen wurden zermalmt.“ Das macht Hiobs Klage sehr bitter. Er antwortet: „Auch heute ist meine Klage trotzig; Seine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen. O das; ich Ihn zu finden wüsste, dass ich kommen könnte bis zu Seiner Wohnstätte!“ Dann wiederholt Bildad die schwierige Frage: „Wie könnte eins Mensch gerecht sein vor Gott, und wie könnte rein sein ein vom Weibe Geborener?“ (Kap. Z-3.s). Aber das ist kein Trost, keine Hülfe für Hiob.“ Er beginnt jetzt seine letzte Rede, den letzten Versuch, sich selbst zu rechtfertigen. Er macht verzweifelte Anstrengungen, um seine Gerechtigkeit und das Unverdiente der ernsten Wege Gottes mit ihm ans Licht zu stellen. Ach! er verstand nicht, dass gerade dieser sein Herzenszustand die notwendige Ursache all seiner Proben und Leiden war. Seine Worte sind sehr rührend. „O dass ich wäre wie in den Monden der Vorzeit, . . . wie ich war in den Tagen meiner Reife“ u. s. w. Es heißt nicht: o dass es mit mir wäre, sondern: o dass ich wäre.

 Wie sehr gleicht das den irregeleiteten Wünschen einer Seele, welche zwischen dem eigenen Ich und Christo hin- und hergeworfen wird! Das Befriedigtsein mit sich selbst erweckt eine seltsame, trügerische Freude. Wie oft wird nach der Bekehrung der Gedanke rege: Wieviel besser bin ich doch jetzt, als ich einst war! Wie treu wandle ich jetzt in den Wegen Gottes! Ja, manche« Seelen betrügen sich selbst so weit, dass sie denken, die alte Natur in ihnen sei gänzlich verändert, keine Wurzel der Sünde sei mehr in ihnen zurückgeblieben. Aber ach! wenn die Stunde der Versuchung kommt, so sinken alle solche Anmaßungen in den Staub. Und nun, mein lieber Leser, lies die Kapitel 29 bis 31 unseres Buches. Ich bin überzeugt, dass du mit mir sagen wirst: Wenn irgend ein Mensch sich durch gute Werke hätte rechtfertigen können, so war es Hiob. Fürwahr, da ist kein Mensch in deiner oder meiner Vaterstadt, mag diese auch noch so groß sein, der in Wahrheit sagen könnte, was Hiob gesagt hat. Was z. B. seine Freundlichkeit und Güte den Armen gegenüber betrifft, so war er das gerade Gegenteil von den lügnerischen Anklagen, welche gegen ihn erhoben wurden. Hiob war sich dessen auch sehr wohl bewusst. Er hatte nicht vergessen, was er getan hatte, und lässt nun die Erinnerung jede gute Tat seines Lebens berichten. Aber ach! alles ist außerstande, seinem verwirrten Geiste Ruhe zu geben. Ich, ich, ich —— so heißt es ein über das andere Mal; ich habe dies getan, ich habe jenes nicht getan. Doch alles ist umsonst.

 „Mögen Dornen statt Weizen, und Unkraut statt Gerste hervorkommen!“ so schließt er seine Rede, und dann lesen wir: „Die Worte Hiobs sind zu Ende“. Nicht doch, Hiob, du wirst wiederum reden, und wenn auch deiner Worte wenige sein werden, so sind sie doch voller Bedeutung. Aber du, mein lieber Leser, wie steht es mit dir? Ist deine Sache mit Gott in Ordnung gebracht? Oder weißt du auch noch nicht, wie ein Mensch vor Gott gerechtfertigt wird? Wenn Hiob nicht vor Gott gerecht sein konnte, wie kannst du es? Lass das Gedächtnis einmal zurückblicken auf deinen Lebenslauf. Wie viele Sünden vor Gott findest du da! Was alles liegt auf deinem Wege! Sind deine Worte auch zu Ende? Bist du ganz fertig mit dir selbst, völlig bankrott? Sagst du: Ich weiß nicht, was aus mir werden, was ich mit allen meinen Sünden machen soll? O wenn es so ist, dann lausche aufmerksam auf das, was Elihu zu sagen hat! Dieser Elihu ist eine wunderbare Persönlichkeit, gerade eine solche, wie Hiob sie herbeigewünscht hatte, ein „Schiedsmann“, das Vorbild unseres großen Hohenpriesters. Die falschen Beschuldigungen der Freunde hatten die Selbstgerechtigkeit Hiobs ans Licht gebracht: und nun war Elihus Zorn gegen ihn entbrannt. Warum?Weil er sich selbst mehr rechtfertigte als Gott“ - Der aufmerksame Leser wird finden, dass der letzte verzweifelte Versuch Hiobs, sich selbst zu rechtfertigen, sechs Kapitel umfasst. Ach, wie viele lange Kapitel der Lebensgeschichte mancher Christen werden ebenfalls ausgefüllt von dem törichten und eitlen Bemühen, sich selbst zu rechtfertigen, anstatt sich als einen verlorenen Sünder anzuerkennen und Gott zu rechtfertigen, indem man sich unter Sein Urteil beugt und Ihn rechtfertigt in Verbindung mit Seiner Heiligkeit und Herrlichkeit! Das ist der große Fehler, die Ursache so vieler dunkler Stunden und solch arger Verwirrung bei manchen Gläubigen. Las; mich versuchen, dir die Sache klar und einfach vorzustellen, mein Leser. Ich möchte deutlich und verständlich mit dir reden.

 Du bist vielleicht schon manchmal beschäftigt gewesen mit dem Gedanken, wie du vor Gott gerecht sein könntest, und die Entdeckung der Unmöglichkeit hiervon, die Erkenntnis, dass du immer noch sündigst, hat dich mit Verwirrung und Zweifel erfüllt. Vielleicht hast du dich oder deinen Jammer dann und wann vergessen und bist glücklich gewesen in der Liebe Gottes-, als du an das Werk deines Erlösers dachtest, wie Hiob es auch für einen Augenblick tat. Aber dann ist dir der qualvolle Gedanke wieder gekommen: „Ich bin nicht, was ich sein sollte; und wie kann ich das erreichen? Ich bin nicht passend, vor Gott, dem heiligen Richter, zu stehen. Ich bin nicht gerecht.“ Ach! es ist ganz vergeblich, auf sechs Kapitel hinter dir liegender Erfahrungen zurückzublicken, selbst wenn sie so gut wären, wie diejenigen Hiobs. Trotz aller noch so oft wiederholter Versuche bist du in keiner Weise besser geworden, so dass du schließlich allen Mut und jede Hoffnung verloren hast, wirklich das- zu werden, was du sein solltest, gerecht vor Gott. Nun lass mich fragen: Was ist alles das anders als eine eifrige Bemühung, dich selbst zu rechtfertigen? Gott sagt, du seiest ein Sünder. Du tust dein Äußerstes, kämpfst und ringst, um zu beweisen, dass es nicht so ist; und die Entdeckung, das; Gott recht hat, dass du dennoch ein Sünder bist, bringt dich ganz in Verwirrung. Sicher und gewiss kannst du nicht vor Gott als einem heiligen Richter stehen und dort unschuldig, geschweige denn gerecht, erfunden werden. Von all den Millionen, welche auf dieser Erde gewandelt haben, konnte nur Einer vor Gott, dem Richter, bestehen, und dieser Eine war unser hochgelobter Herr Jesus Christus. Ihn konnte das Feuer der Heiligkeit Gottes durchdringen, und keine Sünde ward in Ihm gefunden; Dieser Eine, dieser Heilige und Gerechte, stand vor Gott, dem Richter, als der Stellvertreter Seines Volkes. Das Gericht des heiligen Gottes hat sich über Ihn ergossen unserer Sünden wegen. Und jetzt ruft Gott in göttlicher Gerechtigkeit arme Sünder zu sich, nicht damit sie vor Ihm stehen als dem Richter, sondern vor Ihm als dem rechtfertigenden Gott. 

O Du hochgepriesener, dreimal heiliger Gott, hier liegt der große Unterschied: Ich kann vor Dir nicht stehen und mich selbst rechtfertigen; aber Du kannst mich rechtfertigen, ja, Du hast mich gerechtfertigt durch das kostbare Blut Jesu Christi, Deines geliebten Sohnes! O welch ein Heim, welch eine friedliche Stätte ist jetzt Deine Gegenwart für mich! Diese kostbare Wahrheit ist, wie wir finden werden, der Hauptinhalt der Botschaft Elihus. Bemerkenswert ist, dass in dem Augenblick, wo Elihu zu sprechen beginnt, Satan in den drei Freunden zum Schweigen gebracht ist. „Sie waren bestürzt, sie antworteten nicht mehr, die Worte waren ihnen ausgegangen“. O dass der geprüfte, von seinen Gefühlen, Zweifeln hin und her geworfene Gläubige doch auch an die Worte denken wollte, die zu seinem Trost niedergeschrieben find: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat— wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten. 

Und Er ist die Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. Z, 1. 2). Wenn jene drei Männer bestürzt waren, als Elihu aufstand als Fürsprecher für Hieb, wie bestürzt muss dann erst Satan sein, wenn es ihm gelungen ist, das Kind Gottes in einem unbewachten Augenblick in die Sünde zu verstricken, und er nun hingeht, um es vor Gott anzuklagen! Ja, wie muss es ihn bestürzt machen, dort oben vor dem Throne Gottes jemanden zu finden, der Fürsprache einlegt für den armen, unwürdigen Christen, und zwar Jesum Christum, den Gerechten, der Fürsprache übt auf Grund Seines eigenen, vergossenen Blutes! Die drei Freunde Hiobs öffneten fortan ihren Mund nicht mehr. So schließt auch die bloße Erwähnung des- Blutes Jesu den Mund des Anklägers der Brüder. „Sie haben ihn überwunden um des Blutes des Lammes willen“ (Offbg. 12, 11). Teurer Bruder, liebe Schwester in Christo, denke hieran! Deine aufrichtigsten Bemühungen, deine äußersten Anstrengungen, dich zu rechtfertigen, können niemals den Mund des Anklägers verschließen; das vermag nur das Blut des Lammes. Elihu war für Hiob; aber er war nicht für seine Selbstgerechtigkeit. Gegen diese richtete sich sein ganzer Zorn.

 Als unser hochgelobter Herr auf Erden wandelte, war Er auch gegen nichts so ernst und scharf wie gegen das selbstgerechte Pharisäertum. Dasselbe erregte Seinen heiligen Zorn. Dir, mein lieber Leser, hat es vielleicht schon tiefen Kummer bereitet, dass du nicht selbst gerecht sein konntest, um dich auf diese Weise selbst zu rechtfertigen. Aber der bloße Versuch von deiner Seite hat Sein Herz noch viel mehr bewegt, hat Ihn tief betrübt. Elihu war über Hiobs großen Fehler sehr betrübt; aber mit noch viel tieferem Schmerz war sein Herz über ihn selbst erfüllt. Er sagt: ,,Siehe, mein Inneres ist wie Wein, der nicht geöffnet ist; gleich neuen Schläuchen will es bersten. Ich will reden, dass mir Luft werde. Lieber Mitpilger! Droben, hoch über Thronen und Herrschaften, in jener strahlenden Herrlichkeit, wo es keine Veränderung, keinen Schatten von Wechsel gibt, befindet sich ein Mensch, dessen zartfühlendes, menschliches Herz sich sehnt nach dir und mir. Ist das nicht über alles Verstehen hinaus groß und herrlich?— O Du Abglanz der Herrlichkeit des Vaters! hast Du nicht die menschliche Natur angenommen, gerade zu dem Zweck, um ein barmherziger, treuer, liebender Hoherpriester zu werden? Jetzt weilst Du für uns in der Gegenwart Gottes! Dein Herz wird erquickt, indem Du Fürsprache für uns Arme und Unwürdige einlegst. Deine Liebe wird meiner nie, nie überdrüssig! O über diese wunderbare, köstliche, göttliche Liebe! Herr, gib, dass sie das Herz des Schreibers und Lesers dieser Zeilen erfülle! Elihu beginnt jetzt mit seiner Ansprache an Hiob. 

Er sagt: „Meine Worte sollen die Geradheit meines Herzens sein“ u.s.w. Welch ein herrlicher Wechsel, wenn nach all meinen vergeblichen Bemühungen, Gerechtigkeit in mir selbst zu finden, der- Geist Gottes meine Gedanken von mir selbst auf einen Anderen hinlenkt! Der Gegenstand des tiefgefühlten Bedürfnisses Hiobs fand sich in Elihu. „Der Geist Gottes hat mich gemacht“, sagt er; und weiter: „Siehe, ich bin Gottes, wie du; vom Tone abgekniffen bin auch ich. Siehe, mein Schrecken wird dich nicht ängstigen, und mein Druck wird nicht schwer auf dir leisten“. Diese Worte erinnern uns unwillkürlich an die wirkliche Menschheit unseres hochgelobten Stellvertreters, des Herrn der. Herrlichkeit. Er war durch den Heiligen Geist empfangen, von Gott gezeugt; aber Er wurde von einem Weibe geboren, Er, der Mittler- oder Schiedsmann zwischen Gott und dem Menschen, der Mensch Christus Jesus. Ist es nicht wunderbar, dass Gott so im Fleische geoffenbart worden ist? Wahrlich, Sein Schrecken ängstigt uns nicht“. Betrachte Ihn inmitten armer, schuldiger Sünder, bei dem Weibe von Samaria, bei der großen Sünderin im Hause des Pharisäers, oder bei dem sterbenden Räuber am Kreuze. Sollten wir einem solchen Herrn nicht mit Vertrauen nahen? Elihu tadelt Hiob zunächst wegen seines verzweifelten Versuchs, sich selbst zu rechtfertigen, und dann wegen des schrecklichen Gedankens, dass Gott gegen ihn sei. Er sagt: „Siehe, darin hast du nicht recht, antworte ich dir; denn Gott ist erhabener als ein Mensch. Warum haderst du wider Ihn?“ Wie einfach ist doch der Kampf des Gläubigen, wenn dieses Licht auf den Kampfplatz fällt! Du hast nicht recht, du bist schuldig, so lautet der Urteilsspruch des Wortes Gottes, und so ist es Tatsache. Da ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt. . 

Als ein Sünder bist du in dem Tode Jesu gerichtet, und als ein verurteilter, gerichteter Sünder wirst du durch jenen Tod für gestorben angesehen und bist für immer vor Gott beiseite gesetzt. Du kannst, als ein Sohn Adams, nie gerecht sein; darum ist jeder Versuch, das alte, schuldige Ich in irgend einer Weise wieder aufzurichten, nichts anderes als wider Gott hadern. Gott ist nicht gegen dich, aber Gott ist gegen diesen Versuch, dich selbst zu-rechtfertigen. Und da lass dir nur sagen: Gott ist zu stark—für dich. So lange du wider Gott haderst, muss alles in einem Zustand der Verwirrung sein. Kürzlich wurde mir ein Begebnis aus dem Leben eines lieben alten Christen erzählt, welches das Gesagte in treffender Weise erläutert. Dieser alte Gläubige wurde kurz vor seinem Tode noch schwer versucht. Alle begangenen Sünden seines Lebens traten mit solcher Deutlichkeit vor seinen Geist, und das Gefühl der Schuldbarkeit und Beschämung wurde so Überwältigend, dass er fast in Verzweiflung geriet. Doch schließlich lernte er, was Hiob lernen musste, und damit war der Kampf beendigt. Er sagte: „Jetzt verstehe ich es. Wenn ich nur ein um ein wenig besserer Mensch gewesen wäre, so würde das mein Verderben bedeutet haben. Denn wenn ich irgend Etwas bei mir gefunden hätte, worauf ich nach meiner Meinung meine Errettung hätte stützen können, so würde ich es als ein Ruhekissen benutzt haben und in meinem Wahn umgekommen sein. Aber jetzt ist es nur das Blut Christi« Ähnliche Erfahrungen macht jedes Kind Gottes. Das menschliche Herz führt einen verzweifelten Kampf wider Gott. Hiobs Ausgabe muss von uns allen gelernt werden.

Der Mensch will sich einmal auf irgend eine Weise selbst rechtfertigen. Der eine will es tun durch das Halten des Gesetzes, der andere dadurch, dass er die Gerechtigkeit Christi mit der eigenen vermengt; doch jeder Versuch dieser Art, mag er geschehen wie er will, ist im Grunde nichts anderes als ein Hadern wider Gott. Es heißt so viel wie versuchen, der alten Adamsnatur, welche Gott gerichtet und für immer begraben hat, wieder aufzuhelfen. Wenn Gott das Ohr der Menschen öffnet, „um den Menschen von seinem Tun abzuwenden, und aus dass Er Übermut vor dem Manne verberge, dann muss dieser durch jene bitteren Leiden und Kümmernisse hindurch. Vielleicht muss durch irgend einen Fall, den er tut, alles Selbstvertrauen vernichtet werden. Ja, es mag wohl sein, dass kein Gläubiger wirklich den Inhalt von Phil. Z verstehen lernt, ohne durch— den einen oder anderen Fall belehrt worden zu sein. Fürwahr, es ist keine geringe Sache, alles, was mit dem religiösen Ich zusammenhängt, für Verlust und Dreck zu achten, kein Vertrauen auf Fleisch zu haben und nur in Christo erfunden zu werden. Elihu zeigt, dass es Gottes Absicht war, Hiob völlig zu befreien. Und das ist auch heute Seine Absicht, wenn er all den Kampf und Streit erlaubt, durch welchen der Gläubige hindurchmuss. Ja, wenn dieser auf dem Punkte steht, hoffnungslos zu versinken, dann gilt auch ihm das Wort: „Wenn es nun für ihn einen Gesandten gibt, einen Ausleger, Einen aus Tausend, um dem Menschen seine Geradheit kundzutun, so wird Er sich seiner erbarmen und sprechen: Erlöse ihn, dass er nicht in die Grube hinabfahre; ich habe eine Sühnung gefunden“. — Welch eine Gnade ist es, dass wir einen treuen Gesandten vom Himmel, einen treuen Ausleger von Gott haben, der uns einerseits Gottes Gedanken mitteilt und uns andererseits unsere Geradheit kundtut, d. h. uns Licht gibt über uns selbst, uns sagt, wie es um uns steht und uns so zum Selbstgericht führt! Der vom Himmel herabgesandte Heilige Geist ist der wunderbare Ausleger der Gedanken Gottes in dem Kreuze Christi. 

Dort sehen wir, was Gott ist, aber auch, was der Mensch ist. Ja, es ist das gesegnete Werk des Heiligen Geistes, uns von dem zu überführen, was wir vor Gott sind, uns die so schwer zu erlernende Lektion auszulegen, dass in uns, d. i. in unserem Fleische, nichts Gutes wohnt; aber auch uns zu zeigen, dass Gott wiederum nur in Übereinstimmung mit sich selbst, mit Seiner Heiligkeit, handelt, wenn Er sich uns gnädig erweist. Aber wie ist das möglich? Wie kann Gott sagen: „Erlöse ihn, dass er nicht in die Grube hinabfahre? Gibt es in dem Menschen irgend eine Begründung dafür? Nein. Ist da einer, der gerecht sei? Nein. Ist einer unschuldig? Nein. Verdient der Mensch es nicht, in die Grube hinabzufahren? Verdient er es nicht, für ewig verloren zu gehen? Ja, sicherlich! Wie kann Gott denn nun gerecht sein und ihn verschonen? Wie sind diese beiden Dinge miteinander zu vereinigen? Die Antwort ist kurz und einfach. Sie lautet: Ich habe eine Sühnung gefunden. Der Mensch ist schuldig; er hat keine Gerechtigkeit. Aber Gott hat eine Sühnung gefunden. Das ändert alles und erklärt alles.

 Ich stehe nicht länger als ein zitternder Sünder vor Gott als meinem Richter, sondern ich stehe vor Gott als meinem Rechtfertiger. Gott hat eine Sühnung, ein Sühnopfer, gefunden in dem Blute Jesu, und Er beweist nun gerade Seine Gerechtigkeit darin, dass Er mich umsonst rechtfertigt durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist. Viermal wird uns in Röm. 3, 21-—26 gezeigt, dass sich gerade hierin die Gerechtigkeit Gottes erweist. Aber beachten wir es wohl: nicht als ein Sohn Adams bin ich gerecht. Das ist unmöglich; das kann nie der Fall sein. Nein, die Kapitel 5, 6 und 7 des Römerbriefes zeigen mir vielmehr, dass ich, als Kind Adams, infolge des Todes Christi gestorben und begraben bin. Ich bin als solches vor Gottes Augen hinweggetan und stehe nun vor Ihm auf einem ganz neuen Boden, als ein Mensch in Christo. Der Stand der Rechtfertigung, in welchem ich mich befinde, ist einzig und allein in dem auferstandenen Christus. Christus starb nicht für die Gerechten, sondern für die Ungerechten, um sie zu Gott zu führen. Und nun, mein lieber Leser, wie steht es mit dir? Haderst du wider Gott, wie Hiob? Streitest du mit Ihm? Suchst du, in dir selbst vor Ihm, als deinem Richter, gerecht erfunden zu werden? Wenn es der Fall ist, dann ist es kein Wunder, wenn deine Seele bitter leidet und sich in Verwirrung und Finsternis befindet.“ — 

Oder ruhst du gänzlich aus dem Werte jenes Sühnungsblutes, jenes Lösegeldes, das Gott als einen gerechten Gott erweist, wenn Er dein Rechtfertiger ist? Höre: wenn je deine Seele von einem Zweifel niedergedrückt wird, so kannst du getrost sagen: „Ach, wieder suche ich mich selbst zu rechtfertigen, anstatt mich in Gott, meinem Rechtfertiger, zu erfreuen“. Ja, teurer Freund, wenn Gott dein Richter ist, so kannst du nicht gerettet werden. Ist Gott aber dein Rechtfertiger, so kannst du nicht verloren gehen. „Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme? Christus ist es, der gestorben, ja, noch mehr, der auch auferweckt, .der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet. Nicht du bist es, der die Sühnung gefunden hat; Gott fand sie. Satan mag Ihm von allen deinen Sünden sagen, und besonders von deiner großen Undankbarkeit und deinen Fehltritten, seitdem du ein Kind Gottes geworden bist. Aber Gottes Antwort auf alles dieses ist: „Ich habe eine Sühnung gesunden“. Sicherlich muss das eine vollkommene Befreiung zur Folge haben: Gott mein Rechtfertiger, Jesus mein Sachwalter, o welch eine Seelenfrische gibt das!“ Sein Fleisch wird frischer sein als in der Jugend; er wird zurückkehren zu den Tagen feiner Jünglingskraft.“ Es heißt jetzt nicht länger: “O dass ich wäre wie in den Monden der Vorzeit!“ Die Seele führt auch nicht länger einen armseligen Kampf, um das alte Ich zu rechtfertigen. Nein, sie wird erfrischt und erquickt durch die Betrachtung der Sühnung Gottes und der vollkommenen Rechtfertigung von Seiten Gottes durch jene Sühnung. 

Wie lieblich ist jetzt das Gebet zu Gott! „Er wird zu Gott flehen, und Gott wird ihn wohlgefällig annehmen, und er wird Sein Angesicht schauen mit Jauchzen; und Gott wird dem Menschen seine Gerechtigkeit vergelten“ (Kap. 33, 26.) Wunderbar! Derselbe Mensch welcher früher mit Gott haderte, schaut jetzt Sein Angesicht mit Jauchzen. Nichts hemmt mehr das volle Ausfließen des Segens und die Freude an der göttlichen Gegenwart. Die Seele verkehrt ungehindert mit Gott und genießt das Bewusstsein Seines Wohlgefallens. Und was ist die Folge im Blick auf seine Umgebung? „Er wird vor den Menschen singen und sagen: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es ward mir nicht vergolten. Er hat meine Seele erlöst, dass sie nicht in die Grube fahre, und mein Leben erfreut sich des Lichtes“.Wie einfach und schön ist dieser Vers!“ ruft hier vielleicht der eine oder andere meiner Leser aus. „Ich fange an zu zweifeln, ob ich überhaupt jemals ein Christ war. Meine Religion bestand zum großen Teil in dem Vertrauen auf mich selbst“. Nun, wenn es so ist, dann beachte die Worte: „Er wird sagen: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es ward mir nicht vergolten“. Ist das jetzt auch die Sprache deines Herzens? Ist dein Vertrauen auf eigene Kraft und eigenes Tun dahin? Kannst du dich zu Jesu Füßen niederwerfen als einer, der seine Sündhaftigkeit erkannt, der die Geradheit verkehrt hat? Fürwahr, du darfst diesen Platz einnehmen ohne irgendwelche Furcht, von Ihm zurückgewiesen oder enttäuscht zu werden. Nein, wer sein Vertrauen auf den Gott setzt, welcher Seines eingeborenen Sohnes nicht schonte, um den Sünder erretten zu können, wird nimmermehr zu Schanden werden.

 Gott wird seine Seele erlösen, dass sie nicht in die Grube hinabfahre. Er wird seiner Sünden nie mehr gedenken, mögen sie auch bergehoch gewesen sein. Es wird ihm nicht vergolten werden, und seine Seele wird sich des Lichtes der Lebendigen erfreuen. O ruhe nicht, bis du dessen gewiss bist, dass Gott dich „umsonst gerechtfertigt hat durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“ (Röm. Z, 26). Das sind tief bedeutsame, inhaltsreiche Worte, fast zu groß, um geglaubt werden zu können. Doch sie müssen wahr sein, denn es sind die Worte Gottes. Nie wird jemand im Abgrunde gefunden werden, der als ein verlorener Sünder zu Gott gekommen ist. Ein solcher kann mit aller Gewissheit des Glaubens sagen: ,,Er hat meine Seele erlöst, das; sie nicht in die Grube fahre, und mein Leben erfreut sich des Lichtes. Wie wichtig ist also» die Frage, „ob der Mensch zu einem wirklichen Bekenntnis vor Gott gebracht worden ist. Es ist hier nicht die Rede von irgend welchem Verdienst, von irgend einem Wirken und Streben des Menschen. 

Nein, wer da sagt, dass er gesündigt habe, wer wirklich seine Schuld vor Gott bekenn"t, dessen Seele wird erlöst. Teurer Leser! Gott kennt deine Gedanken auch in diesem Augenblick. Wie stehst du Ihm gegenüber? .Gehörst du zu jenen, die gesagt haben: „Ich habe gesündigt und die Geradheit verkehrt“, und die nun glücklichen, dankbaren Herzens hinzufügen dürfen: „aber es ward mir nicht vergolten“. Elihu fährt fort: „Wenn du Worte hast, so antworte mir; rede, denn ich wünsche dich zu rechtfertigen“. Ich wünsche dich zu rechtfertigen! Ist es nicht eine wunderbare Sache, dass der Zweck Gottes, ja, Sein Wunsch und Seine Absicht bei der Sendung Seines geliebten Sohnes in diese Welt gerade der war, den gottlosen Sünder zu rechtfertigen? O möchten denn alle-.ängstlichen, vom Sündenschlafe aufgewachten Seelen es wissen, dass Gott bereit ist, ja, dass Er wünscht, sie zu rechtfertigen! In dem Augenblick, da der bußfertige, heilsverlangende Sünder an den Gott glaubt, welcher Jesum zu unserer Rechtfertigung aus den Toten auferweckt hat, in demselben Augenblick ist er von allem gerechtfertigt, wovon er durch eigenes Tun nie gerechtfertigt werden konnte. (Vergl. Apstgsch. 13, 38; Röm. 4, 24——5, 1.)

@@@@

Einige Gedanken über Matthäus 16 und 18

Bibelstelle: Matthäus 16 und 18

Botschafter des Heils 1906 S. 46ff

Der Evangelist Matthäus kommt in seiner Erzählung der Geschichte Jesu hienieden schon im 10. Kapitel zu dem Punkte der Verwerfung des Heilandes seitens der Juden. Wenn auch noch nicht endgültig vollzogen, so war sie in Wirklichkeit doch schon da. Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht verlangte nach einem Zeichen, während doch das größte Zeichen, Jesus selbst, vor ihnen stand. All Sein Wirken und Reden war umsonst gewesen: ihre Herzen blieben böse und verhärtet. Und so „verließ Er sie und ging hinweg“ (·V. 4). In Übereinstimmung damit gebot Er auch Seinen Jüngern, dass sie niemandem mehr sagen sollten; „dass Er der Christus sei“, und begann ihnen zu zeigen, dass Er leiden müsse. (V. 20. 21). Und nunmehr teilt uns der Evangelist, geleitet durch den Geist Gottes, mit, dass an die Stelle des jüdischen Systems die Kirche (oder Versammlung) und das Reich der Himmel treten sollten (Kap. 16), und lässt uns auf dem Berge der Verklärung einen Blick tun in die zukünftige Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, wenn Er in Seinem Reiche kommt (Kap. 17). 

Kirche und Reich der Himmel sind also die wichtigen Gegenstände der Mitteilungen des Geistes in Matth. 16; und zwar gründet sich alles auf die Offenbarung der wunderbaren Person des« Sohnes Gottes. Die Menschen hatten sich mancherlei Meinungen über Jesum gebildet, aber der Vater hatte Simon, dem Sohne Jonas, geoffenbart, dass Er der Sohn des lebendigen Gottes sei. Auf diesen Felsen wollte Christus Seine Versammlung bauen. Sehr bemerkenswert ist der Beginn des 18. Verses: „Aber auch ich sage dir“. Der Vater hatte Simon gesagt, wer Christus sei, und nun sagt Christus ihm (miit derselben göttlichen Autorität), was er, Simon, sei. Er war Petrus, ein Stein; aber nicht auf ihn, sondern auf die kostbare Wahrheit, dass Er (Christus) der Sohn des lebendigen Gottes war, wollte der Herr Seine Versammlung bauen. Die Grundlage des Baues ist also Er selbst, ein lebender, auferstandener Christus; und obwohl Satan die Gewalt des Todes hat, vermag doch all seine Macht nichts wider das, was Christus so baut. Beachten wir, dass Christus, und zwar Christus allein, hier der Bauende ist. „Ich will bauen“. Kein Mensch hat irgend Etwas mit diesem Bauen zu tun, noch ist das, was Christus baut, schon vollendet. Das Bauen wird fortgesetzt, bis der ganze Tempel nach Gottes Gedanken vollendet ist. So sagt auch Petrus, wenn er in seinem ersten Briefe von diesen Dingen spricht: „Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine, . . . seid auch ihr selbst als lebendige Steine aufgebaut“.

 Es gibt hier keinen menschlichen Baumeister, ebenso wenig wie in Eph. 2, wo wir lesen: Ihr seid ,,aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten, indem Jesus Christus selbst Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, wohl zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn“. In allen diesen Stellen ist, wie gesagt, der Herr der Baumeister, und das Gebäude wächst empor zu einem Tempel in Ihm. In 1. Kor. Z wird, im Gegensatz, hierzu, die Tätigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen beschrieben. Hier nennt sich Paulus einen weisen Baumeister, und ein jeder wird ermahnt, zuzusehen, wie er auf dem von Paulus gelegten Grunde weiterbaue. Einige bauten mit Holz, Heu und Stroh, andere mit Gold, Silber und köstlichen Steinen. Das Werk eines jeden wird erprobt werden und entweder verbrennen oder bleiben. Während also in dem, worin des Menschen Verantwortlichkeit in Frage kommt, Holz, Heu und Stroh eingebaut und das Werk durch Feuer zerstört werden kann, gibt es in Matth. 16 durchaus nichts derartiges. Es ist Christus, der baut; und gegen Sein Werk vermögen selbst die Pforten des Hades nichts. Es ist vollkommen und unerschütterlich. — Auch ist schon oft bemerkt worden, dass die Kirche und ihre Erbauung nichts mit „Schlüsseln“ zu tun hat. Christus baut, und Er baut nicht mit Schlüsseln. Die Schlüssel sind Sinnbilder oder Abzeichen der Verwaltung des Reiches der Himmel. Diese Schlüssel wurden in einer besonderen Weise Petrus persönlich anvertraut: aber unsere Stelle verbindet ihn in keiner Weise mit dem Bauen der Kirche, und er selbst behauptet dies auch nicht, wenn er sich in seinem Briefe auf diese Stelle bezieht. Er hat einen bemerkenswerten Anteil an dem, worauf die Kirche gegründet ist: er ist ein Stein, hat teil an der Natur des lebendigen Steines, des Sohnes des lebendigen Gottes; aber das ist auch alles. Was ihm besonders anvertraut wurde, war, wie gesagt, die Verwaltung des Reiches der Himmel. Das Reich ist nicht die Kirche und wird sie nie sein. 

In einem allgemeinen Sinne kann man sagen, dass die, welche die Kirche ausmachen, auch teilhaben am Reiche und dereinst in ihm regieren werden, wie sie jetzt für dasselbe leiden; aber ich wiederhole: das Reich ist nicht die Kirche, und die Kirche ist nicht das Reich. Die beiden Begriffe sind ganz verschieden voneinander. Christus hatte, wie Johannes der Täufer, das Reich gepredigt; ebenso die Zwölfe. (Matth. 10, 7.) Und als es schließlich errichtet wurde, obwohl nicht in Macht und ·Herrlichkeit, lag Petrus in besonderer Weise die Verwaltung desselben ob, wie wir dies in der Apostelgeschichte sehen. Der Herr tat täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten; das war Sein Werk. Petrus dagegen hatte die verwaltende Leitung in dem, was vorging, sei es in dem Zeugnis an die Juden oder Heiden, sei es in der Anordnung der Wahl der Diakonen, oder auch in dem ernsten Falle von Ananias und Sapphira. Und was Petrus predigte, war die Herrschaft des gen Himmel gefahrenen Menschen („Gott hat Ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht“) und Seine Rückkehr in Macht, um die Verheißungen der Propheten zu erfüllen (Kap. 2, 36; Z, 19 ss). Die Versammlung war da, und der Herr tat täglich zu ihr hinzu: aber das abgelegte Zeugnis hatte den zum Herrn erhobenen Christus und Seine Rückkehr zum Gegenstande. In dieser Verwaltung des Reiches der Himmel hatte Petrus also einen besonderen Platz. Auf alles, was er, geleitet durch den Geist Gottes, tat, setzte der Himmel sein Siegel. 

Was irgend er band oder löste, war gebunden oder gelöst mit einer Machtvollkommenheit, welche der Himmel anerkannte und bestätigte. Dieses Binden und Lösen beschränkte sich nicht auf die Vergebung von Sünden, schloss dieselbe aber ein; alles was Petrus in seiner apostolischen Autorität in der Verwaltung des Reiches anordnete, fand das Siegel oder die Anerkennung des Himmels. Nicht als ob Petrus alles das hätte entscheiden können, was der Himmel zu entscheiden vermag. Die Anerkennung der Entscheidungen einer niedrigeren Autorität durch eine höhere bedingt nicht, dass diese niedrigere Autorität alles das tun kann, was die höhere zu tun berechtigt ist. Petrus band oder löste nur Dinge hier auf Erden; weiter ging sein Auftrag nicht. Er hatte nichts zu tun mit dem, was im Himmel selbst gebunden oder gelöst wurde; aber das was er in den Dingen hienieden tat, fand die Anerkennung des Himmels. Es ist sehr wichtig, dies klar zu verstehen. Wenden wir uns jetzt zu Matth. 18, 18, wo wir lesen: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr aus der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein«. Hier wird die Anerkennung des Himmels bezüglich des Bindens und Lösens einer anderen Trägerin von Macht zugesprochen.

 Es handelt sich hier nicht um eine persönliche Autorität, auch nicht um die Ausübung derselben, im Reiche, sondern eine ganz neue Sache tritt vor unsere Blicke: die Versammlung, und in Verbindung damit eine Macht, die zu allen Zeiten, so lange wahres Christentum hienieden besteht, gefunden werden kann, und zwar da, wo zwei oder drei in dem Namen Christi versammelt sind. Ich wiederhole: es ist nicht eine persönliche Autorität eines oder aller Glieder einer religiösen Gemeinschaft, sondern die Autorität einer Versammlung, weil Christus in ihrer Mitte ist. Seine Gegenwart verleiht der ganzen Sache Kraft und Wert. Die Sprache der Stelle ist so verständlich, dass niemand Schwierigkeiten in ihr finden würde, wenn nicht vorgefasste Meinungen und langjährige Denkgewohnheiten ihr eine Deutung gegeben hätten, für welche ihr einfacher Wortlaut .keinen Raum lässt“. Wenn ein Bruder wider einen anderen sündigte, so sollte der Beleidigte seinen Bruder zu gewinnen suchen; gelang ihm das nicht, so sollte er noch einen oder zwei hinzunehmen, damit die Sache, falls sie zu einer öffentlichen Beurteilung kommen sollte, nicht auf der Aussage des Beleidigten allein beruhte. War auch das umsonst, so musste er es der Versammlung sagen: hörte der Beleidiger auch auf diese nicht, so sollte der Beleidigte ihn wie einen Heiden und Zöllner behandeln. 

Die christliche Versammlung trat so gleichsam an den Platz der Synagoge, und wo sie gehandelt hatte, da war das Urteil endgültig, es sei denn dass Buße eintrat: der Beleidiger war als draußen stehend zu betrachten, wie der Heide. Es war die Ausübung der Zucht seitens der versammelten Heiligen an irgend einem Orte; und um uns die Sache ganz deutlich zu machen, wird hinzugefügt, dass da, wo zwei oder drei in Seinem Namen (eig.: zu Seinem Namen hin) versammelt seien, Christus in ihrer Mitte sei. Die Sache könnte in der Tat nicht einfacher sein. Da ist mit keiner Silbe die Rede von einer sogenannten Geistlichkeit, oder von Dienern (so nützlich diese letzteren an ihrem Platze durch ihre Gaben auch sein mögen), noch selbst von Ältesten; nein, der wichtige Punkt ist, dass da, wo zwei oder drei in dem Namen Christi versammelt sind, Christus persönlich gegenwärtig ist. Inmitten der also Versammelten ist dann der bleibende Sitz der Ausübung jener Autorität, deren Handlungen im Himmel Anerkennung finden sollen, vorausgesetzt natürlich, dass sie den ihr zugewiesenen Bereich nicht überschreitet. Dieselbe Autorität, welche Simon Petrus persönlich gegeben wurde, wird in unserer Stelle auf die zwei oder drei übertragen, welche im Namen Christi versammelt sind; eine Autorität, die auch in der Zeit des größten Verfalls da besteht, wo eben diese zwei oder drei versammelt sind und so die Versammlung darstellen. 

Die bindende und lösende Macht besteht fort in der Mitte der also Versammelten. Das ist ein überaus wichtiger Punkt, der in unseren Tagen nicht zu· ernst betont werden kann. Unter den eifrigen Bestrebungen, die Kinder Gottes zu vereinigen, vergisst man einerseits, was die Versammlung nach Gottes Gedanken ist, und übersieht andererseits, was es heißt, „im Namen Jesu versammelt zu sein“. Man redet und handelt, als wenn das Wort des Herrn «) Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass hier nicht an irgend ein Zusammenkommen von Gläubigen, sei es zum gemeinschaftlichen Gebet, zur Betrachtung des Wortes, zu gegenseitiger Erbauung, Tröstung und dergleichen, gedacht werden darf; das ist eine ganz andere Sache. Die Worte: so sage es der Versammlung«, zeigen dem Leser deutlich, um was es sich handelt. in Matth. 18, 20 keine weitergehende Bedeutung hätte, als etwa Seine Verheißung in Matth. 28, 20. Man spricht viel von dem „gegenwärtigen“ Herrn, aber es scheint tatsächlich oft so, als ob der Feind diesen Ausdruck nur benutze, um die Herzen der Gläubigen von der ernsten und kostbaren Wahrheit abzulenken, die uns in Matth. 18, 20 gelehrt wird. 

Der Herr gebe uns ein klares Auge und einen nüchternen Sinn, um uns das nicht rauben zu lassen, was Er uns geschenkt hat! Was weiter oben im Blick auf das Binden und Lösen durch Petrus bezüglich des Himmels gesagt worden ist, gilt selbstverständlich auch von dem Binden und Lösen seitens einer Versammlung. Die Ausübung der Zucht bezieht sich nur auf diese Erde, nicht auf die Ewigkeit, wenngleich sie im Himmel Anerkennung findet. Die Versammlung hat nichts zu tun mit Sündenvergebung in dem Sinne von Nichtanrechnung der Schuld oder von Rechtfertigung des Sünders. Das ist allein Gottes Sache, und insofern hatten die Pharisäer ganz recht, wenn sie fragten: „Wer kann Sünden vergeben, als nur einer, Gott?“ Der Himmel, Gott selbst, hat dem Glaubenden die Sünden vergeben. „Ich schreibe euch, Kinder“, lesen wir in 1. Joh. 2, 12, „weil euch die Sünden vergeben sind um Seines Namens willen“ Diese Sache hat Gott geordnet, und da kann niemand mehr etwas hinzutun oder wegnehmen. Der Versammlung steht in diesem Sinne keinerlei Machtvollkommenheit noch Urteil-Zuspruch zu. Sie hat einen Bereich der Zucht, in welcher sie vergibt oder richtet, und ihre gerechten Handlungen in diesem Bereich werden droben anerkannt.

Fußnote:

@@@@

Gemeinschaft und Gönnerschaft

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 54ff

Es besteht ein großer Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gönnerschaft, zwischen einer Begünstigung der Sache Christi und dem Sicheinsmachen mit einem verworfenen Christus. Es liegt viel Anziehendes in dem Gedanken, ein Gönner der sogenannten guten Sache zu sein, zur Förderung der verschiedenen christlichen Bestrebungen freigebig beizusteuern, oder seinen Einfluss, so klein oder groß er sein mag, zu Gunsten des Volkes Gottes und der Diener Christi zu verwenden. Aber ist das Gemeinschaft? Weit davon entfernt! Alle diese Dinge können vorhanden sein ohne ein Atom von wahrer Gemeinschaft mit einem verworfenen, verachteten, gekreuzigten Herrn. Das ist ein ernster Gedanke. Es ist durchaus nicht unsere Absicht, den Wert einer Unterstützung der Sache Christi herabzusetzen. Keineswegs. Wir möchten den Leser nur vorstellen, dass die Sache Christi unterstützen und mit Christo Gemeinschaft haben zwei gänzlich verschiedene Dinge sind. Ein Beispiel aus der Schrift wird dies näher erläutern. Versetzen wir uns einen Augenblick in die Zeit, da Mose am Hofe des Pharao war. 

Betrachten wir die seltene Gelegenheit, die sich ihm hier bot, seinen bedeutenden Einfluss als Gönner des Volkes Gottes auszunutzen. Ergriff er diese Gelegenheit? Er dachte nicht daran! Anstatt sich das weite Feld der Tätigkeit, auf welches die Vorsehung ihn so offenbar gestellt hatte, zu nutze zu machen, gab er alles preis und warf sich in die Arme des verachteten und unterdrückten Volkes Gottes. Anstatt seinen Einfluss für sie zu verwenden, machte er sich öffentlich eins— mit ihnen. Wenn je ein Mensch eine Stellung bekleidet hat, in welcher er als Gönner der Sache Christi austreten konnte, so war es Moses Aber anstatt das zu tun und sich so einen Namen zu machen, sehnte sich sein Herz nach einer Gemeinschaft, die nur Schmach, Verachtung und Schande über ihn bringen konnte. Die Gunst eines mächtigen Fürsten beleuchtete seinen Pfad, der Luxus eines königlichen Palastes und der Glanz eines königlichen Hofes umgaben ihn, und nebenbei war— er in der Lage, der Sache der Hebräer große Dienste zu erweisen; aber er gab alles auf, und machte sich eins mit dem Volke Gottes in der Tiefe seiner Erniedrigung. So berichtet uns die Geschichte des Alten Testamentes: und wenn wir uns jetzt für einen Augenblick zu der inspirierten Erklärung wenden, die wir im Neuen Testament hierüber finden, so lesen wir: „Durch Glauben weigerte sich Moses, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, lieber wählend, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung“ (Hebr. 11, 24——26). Aus dieser Stelle ersehen wir, dass Mose das, was er tat, aus Glauben tat. Ohne diese göttliche Erklärung wären wir vielleicht geneigt gewesen, ihn zu verurteilen, weil er einen ihm von der Vorsehung so sichtbarlich zugewiesenen Platz, verließ und, menschlich gesprochen, alles aufgab, wodurch er sich für sein Volk hätte nützlich machen können; aber der Geist Gottes teilt uns mit, dass Mose aus Glauben handelte.

 Das ist ein schönes Zeugnis. Zugleich ersehen wir daraus, dass dem Herrn die Gemeinschaft mit Ihm selbst weit kostbarer ist als eine noch so reiche Unterstützung Seiner Sache. Er verlangt nach einem ernsten, demütigen Sicheins-machen mit Seiner Person und dem, was Ihm teuer ist. Es ist gut, dies zu verstehen. Gott hat uns zur Gemeinschaft mit Seinem Sohne Jesu Christo berufen, und es ist unser hohes Vorrecht, eins zu sein mit Ihm, unserem verworfenen Herrn und Meister. Er will unser Herz, nicht unser Vermögen, unseren Einfluss, unsere Gaben. Aber unsere Natur widerstrebt dem, weil sie ihre Rechnung nicht dabei findet. Wenn der Herr zu dem reichen Jüngling (Mark. 10) gesagt hätte: „Gehe hin, gebrauche deine Reichtümer für mich: benutze deinen großen Einfluss zur Förderung meiner Sache auf Erden“, so dürfen wir versichert sein, dass der junge Mann in Fröhlichkeit und Selbstgefälligkeit von dannen gegangen wäre. 

Aber als er hören musste: „Gehe hin, verkaufe was irgend du hast, und gib den Armen, und komm, folge mir nach, das Kreuz aufnehmend, da ging er traurig hinweg. Hüten wir uns, dass wir ihm nicht gleichen! Der Herr Jesus sagt einmal: „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein“. Ist es der Wunsch unserer Herzen, Ihn zu erkennen und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden, indem wir Seinem Tode gleichgestaltet werden? Möchte der Geist Gottes uns fähig machen, in Wahrheit zu verstehen, was es heißt, die Genossen eines verworfenen Christus zu sein!

@@@@

Was Hiob zu lernen hatte

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 57ff

Elihu spricht jetzt zu denen, die ein Ohr haben zu hören. „Höret, ihr Weisen, meine Worte, und ihr Kun digen, gebet mir Gehör!« (Kap. 34, 2.) Er zeigt ihnen, worin Hiob so sehr geirrt hatte. Zuerst in dem Ausspruch: „Ich bin gerecht, und Gott hat mir mein Recht entzogen“; dann in seiner Behauptung, dass es nutzlos sei, Gott zu dienen. Wir sehen hier, wohin die Selbstgerechtigkeit führt: zum Unglauben und zu erschreckender geistlicher Bosheit. Wer sollte es meinen? wer es für möglich halten? Aber so ist es. Hierauf legt Elihu dar, dass Gott in allen Seinen Wegen gerecht ist. „Wahrlich, Gott handelt nicht gesetzlos, und der Allmächtige beugt nicht das Recht“ (V. 12). Mag der Mensch es erkennen oder nicht, mag er es annehmen oder leugnen — für alles was Gott tut und für alles was Er zulässt, liegt eine Notwendigkeit vor, sei es, dass Er mit einer ganzen Nation oder mit einem einzelnen Menschen handelt· „Denn Seine Augen sind auf die Wege des Menschen gerichtet, und Er sieht alle seine Schritte. 

Da ist keine Finsternis und kein Todesschatten, dass sich darein verbergen könnten die Frevel tun.“ Gottes Vorsehungswege mit der Welt wie Seine Erziehungswege mit Seinen Kindern, sei es in Züchtigung oder gar in einer Wegnahme durch den Tod (vergl. 1. Kor. 11, 30. 31), sind wunderbar und oft unbegreiflich; aber alle Seine Wege sind Gerechtigkeit und Wahrheit. Im nächsten Kapitel wendet Elihu das Gesagte auf Hiob selbst an, und geht dann im Beginn des 36. Kapitels dazu über, Gott zu rechtfertigen. „Harre mir ein wenig, und ich will dir berichten; denn noch sind Worte da für Gott. Ich will mein Wissen von weither holen, und meinem Schöpfer Gerechtigkeit geben.“ Es ist auffallend, wie Elihus ganze Tätigkeit darauf gerichtet ist, Gott zu rechtfertigen. Es erinnert uns an die Worte Jesu: „Gerechter Vater! — und die Welt hat dich nicht erkannt; ich aber habe dich erkannt“. Die große Aufgabe Jesu, des Sohnes, war, durch Seinen Tod den Vater zu verherrlichen in Seiner Rechtfertigung des Gottlosen; und es ist von der größten Wichtigkeit für die Seele, dies wirklich zu verstehen, dass Gott vollkommen gerecht ist, wenn Er den Gottlosen durch das Blut Jesu rechtfertigt; und ferner, dass dieser, also gerechtfertigt, als gerecht betrachtet wird in dem auferstandenen Christus. So sieht Gott sie allezeit, und Er wendet Seine Augen nie von ihnen ab. „Er zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten, und mit Königen auf den Thron, dahin setzt Er sie auf immerdar, und sie sind erhöht“ (Kap. 36, 7). Ja, so muss es sein.

 Wenn Gott einmal den armen, schuldigen Sünder gerecht sieht in Christo, so wendet Er Seine Augen nie wieder von ihm ab; der glaubende Sünder befindet sich in Christo und muss darum „auf immerdar“ seinen Platz vor Gott haben; denn Christus hat Seinen Platz dort, Er hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Wenn Christus für immer erhöht ist, dann ist auch der Gläubige in Ihm für immer erhöht. Wohl kann er sein Auge von Christo, Seiner Gerechtigkeit vor Gott, abwenden und auf das hinblicken, was er in sich selbst ist; aber Gott wird das niemals tun. O mein lieber Mitgläubiger, macht dies nicht dein Herz hüpfen vor Freude? In diesem Augenblick schon sieht Gott dich gerecht in Christo, „auf immerdar vollkommen gemacht in Ihm. Doch du antwortest: Aber wie kommt es dann, dass ich durch so viel Kummer und Leid gehen muss? Es ist doch sehr seltsam, dass ich so oft wie mit Fesseln gebunden und in Stricken des Elends gefangen bin. Ja, wenn du so sprichst, dann hast du Hiobs Aufgabe noch nicht gelernt. Höre, was die nächsten Verse dir sagen. Sie werden dich mit der Absicht Gottes bekannt machen, die Seinigen zu erziehen. Die Gerechten sind Sein auf ewig, niemals zieht Er Seine Augen von ihnen ab; aber ebendeshalb muss Er sie, so lange sie hienieden pilgern, in Seine erziehende Hand nehmen, um sie Seiner Heiligkeit teilhaftig zu machen. Anders würden sie Seine Gemeinschaft nicht genießen können, denn Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in Ihm; der Gott, den sie anrufen, ist heilig und „richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk“. Gott züchtigt die Seinigen zu ihrem Nutzen, Er belehrt und erzieht sie. Und wenn sie mit Fesseln gebunden sind, in Stricken des Elends gefangen werden, dann macht Er ihnen kund ihr Tun und ihre Übertretungen, dass sie sich trotzig gebärdeten; und Er öffnet ihr Ohr der Zucht, und spricht, dass sie umkehren sollen vom Frevel. 

Wenn sie hören und sich unterwerfen, so werden sie ihre Tage in Wohlfahrt verbringen und ihre Jahre in Annehmlichkeiten. Wenn sie aber nicht hören, so rennen sie ins Geschoß und verscheiden ohne Erkenntnis. Es ist höchst wichtig, die Stellung und das Heil des Gläubigen in Christo nicht mit seinem Wandel und seiner Erziehung von der Hand seines Vaters zu vermengen. Wenn es sich um seine Stellung in Christo handelt, so ist er, wie wir sahen, für immer vollkommen gemacht. Diese Stellung auch nur im geringsten Maße von seinen Werken abhängig zu machen, würde die Gnade Gottes leugnen heißen. Und doch, wieviel hängt andererseits von seiner Treue, von seinem Wandel mit Gott ab! Allerdings nicht irdisches Gedeihen, nicht weltliche Genüsse. Im Gegenteil, je näher wir mit Gott wandeln, desto weniger werden wir von diesen Dingen haben. Betrachte nur den Apostel Paulus und alle, die gottselig leben wollen in dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf. Aber wer könnte es aussprechen, wie sehr unser geistliches Gedeihen, der Genuss himmlischer Freuden abhängt von einem innigen Verkehr und Wandel mit Gott! Und hier ist es, wo Gott uns zu Hülfe kommt. Er führt uns durch Leiden, Prüfungen und Drangsale. Seine gesegnete Absicht bei all Seinem Erziehen und Züchtigen ist, uns Seiner Heiligkeit teilhaftig zu machen.

 O denke daran, teurer Leser, wenn du durch Leiden gehst! Du weißt, wozu Gott dich in Christo gemacht hat, wie unaussprechlich Er dich liebt; und wenn das vor deiner Seele steht, so wirst du in der Drangsal sagen: „Wenn Gott es für gut findet, mich durch tiefe Wasser zu führen, dann wird sicherlich auch ein Grund dafür vorhanden sein. Er hat nur Segensabsichten mit mir. Vielleicht sieht Gott eine Gefahr für dich und will ihr vorbeugen. Vielleicht wirst du finden, dass du dich in irgend einer Weise mit dem Bösen eingelassen hast. Und wenn Gott nicht züchtigend ins Mittel getreten wäre, würdest du möglicherweise weiter und weiter gegangen sein, bis Ihm nichts anderes übriggeblieben wäre, als dich durch den Tod wegzunehmen. „Wen der Herr liebt, den züchtigt Er“ (Vergl. Hebr. 12, 5—9). Mein lieber Mitgläubiger, wer könnte die gesegneten Resultate einer völligen Hingabe an Gott aufzählen? Welch eine Schande ist es für den Gläubigen, wenn er irgendwie der Welt, dem Fleische oder Satan dient! Welch eine Kraft liegt in dem Worte: „Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“ (2. Kor. 5, 15)! Oder in jenem anderen: „Die vergangene Zeit ist uns genug, den Willen der Nationen vollbracht zu haben“ (1. Petr. 4, 3). 

Möchten die Worte „,nicht mehr“ und die vergangene Zeit ist uns genug« tief in das Innere deiner Seele dringen! Was sollte für die im Fleische noch übrige Zeit dein und mein Leben ausfüllen? O denke an die Liebe und an die Ansprüche Christi! Möchtest du Tage geistlichen Fortschritts und Jahre himmlischer Freuden erleben? Dann lass alles fahren, was nicht im Einklang steht mit einem von der Welt verworfenen, aber im Himmel verherrlichten Christus. Suche Ihm mit deinem ganzen Herzen in liebendem Gehorsam zu dienen, in einfältiger Abhängigkeit von der Leitung des Heiligen Geistes, ohne irgendwie auf Fleisch zu vertrauen. Und solltest du infolge einer Sünde „Mit Fesseln gebunden, in Stricken des Elends gefangen“ sein, o so höre auf die Unterweisungen Gottes, der dir dein Tun und deine Übertretung kundmachen und deine Seele wiederherstellen möchte. Zögere nicht mit deinem Bekenntnis, sondern kehre um zu Ihm; suche die verlorene Nähe, den Wandel mit Gott, wiederzugewinnen. Bedenke auch wohl, dass der Gläubige die Sünde nicht anrühren kann ohne große Bitterkeit der Seele, und dass Gott gerade diese Bitterkeit benutzt, um ihn wiederherzustellen. „Wenn sie hören“, sagt Elihu, und sich unterwerfen, so werden sie ihre Tage in Wohlfahrt verbringen und ihre Jahre in Annehmlichkeiten . . .Aber die ruchlosen Herzens sind, hegen Zorn: sie rufen nicht um Hülfe, wenn Er sie gefesselt hat.

 Ihre Seele stirbt dahin in der Jugend, und ihr Leben unter den Schandbuben.“ Nicht selten hört man Gläubige sagen: „Wenn ich ein Kind Gottes wäre, würde ich sicherlich nicht all diesen Kummer und diese Bitterkeit haben“. Aber das soeben angeführte Wort beweist, dass gerade deshalb, weil die betreffende Seele ein Kind Gottes ist, Kummer und Bitterkeit da sind. Wäre sie ruchlosen Herzens, so würde sie nicht all diese Bitterkeit haben, sondern ruhig in der Sünde vorangehen, bis sie für immer verloren wäre. Der Rest der Rede Elihus bezweckt, die Majestät Gottes ans Licht zu bringen und zu zeigen, wie völlig der Mensch von Ihm abhängig ist. Schließlich spricht Jehova, der Herr, selbst zu Hiob. Die Ordnung des Buches ist also folgende: Hiob, das Zeugnis Gottes von ihm, Satans Anschuldigung und seine Angriffe durch Hiobs Freunde, dann Elihu, der Schiedsmann, und schließlich Gott selbst. .Gewaltig ist die Wirkung auf Hiob, wenn er sich so vor den Herrn selbst gestellt sieht. In seiner Vermessenheit hatte er Ihn in die Schranken gefordert; aber wenn er nun die Entdeckung macht, dass er sich wirklich im Streit mit dem Allmächtigen befindet, ist er verwirrt und bestürzt. „Und Hiob antwortete Jehova und sprach: Siehe, zu gering bin ich, was soll ich dir erwidern? Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, und ich will nicht mehr antworten, und zweimal, und ich will es nicht mehr tun" (Kap. 39,33—35.) Weiter oben lasen wir: „Die Worte Hiobs sind zu Ende“, und hier sagt er, er wolle nicht mehr antworten. Und doch wird er noch einmal antworten. Nicht nur das Bekenntnis: „Siehe, zu gering bin ich“, soll über seine Lippen kommen, nein, in seinem zweiten Bekenntnis wird er noch einen bedeutenden Schritt weitergehen. Welch ein ernstes Wort richtet Gott im Anfang des 40. Kapitels an Hiob!

 „Willst du gar mein Recht zunichte machen“, fragt Er, „mich verdammen, damit du gerecht seiest?“ O es ist ein schreckliches Ding, sich gegen Gott aufzulehnen und das, was Er als ganz böse verurteilt hat, rechtfertigen zu wollen. Und gerade das hatte Hiob getan« Er hatte Gott verurteilt und sich selbst gerechtfertigt. Und wie viele Nachfolger hat er im Laufe der Jahrhunderte gehabt und hat sie heute noch! Anstatt den ganz verlorenen, schuldigen und unverbesserlichen Zustand des Menschen anzuerkennen und sich unter das Urteil Gottes zu beugen, dass der Mensch auf dem Boden des Gesetzes nie gerecht werden kann, und dass Gott nur auf Grund des Blutes Jesu den glaubenden Sünder zu rechtfertigen vermag, sucht man eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten und predigt anderen, dass sie durch ein ausrichtiges Halten der Gebote Gottes gerechtfertigt werden könnten. Muss Gott nicht jedem, der das tut, auch heute zurufen: „Willst du mich verdammen, damit du gerecht seiest“? Ich wiederhole, es ist ein schreckliches Ding, sich wider Gott aufzulehnen. Darum, wenn diese Zeilen jemandem zu Gesicht kommen sollten, der sich auf den oben beschriebenen Boden stellt und Gesetz predigt, der, mit anderen Worten, dem Menschen seine Geradheit nicht kundtut, so möchte ich ihm in Liebe, aber auch mit allem Ernst sagen: Du streitest wider Gott! Du verurteilst Ihn, damit du gerecht seiest. Ja, du bist im Grunde nichts anderes als ein Verfolger Christi! Ich las kürzlich einen Brief von einem hochgestellten Manne, der eine Person aus der „Kirche“ auszuschließen drohte, weil sie von der gesetzlichen Religion des alten Menschen bekehrt worden war zu dem vollkommenen und ewigen Heil in Christo. 

Das einfache Bekenntnis, Frieden gefunden zu haben in dem Glauben an das Blut des Lammes Gottes, hatte diesen Drohbrief veranlasst; und dass dieser Fall nicht vereinzelt dasteht, wird den meisten meiner Leser wohl bekannt sein. Möge der gnädige Gott, der einst dem Drohung und Mord schnaubenden Saulus Jesum offenbarte, auch diesen armen, betrogenen Streitern wider Ihn die Augen öffnen und ihnen „Seinen Sohn offenbaren“! Doch nicht nur blinde, unbekehrte „Blindenleiter“ suchen die Seelen von Christo fernzuhalten und in ihnen den Wahn zu erhalten, dass doch noch etwas Gutes in der alten, schlechten Natur des Menschen zu finden sei, nein, selbst von wirklichen Kindern Gottes wird Gottes Zeugnis über die menschliche Verderbtheit und die einzig mögliche Erlösung in Christo Jesu in ihrer Tragweite oft so wenig verstanden, dass sie den größten Teil ihres Lebens mit den Versuchen zubringen, dem verdorbenen, verfluchten Acker gute Fruchte abzuringen. Dass sie hierbei anstatt der sehnlichst erwarteten Frucht nichts als Unkraut ernten, brauche ich nicht zu sagen. Immer wieder wird sich das Wort bewahrheiten: „Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner“ (Röm. 3, 4). Möchten wir uns denn dem Urteil Gottes unterwerfen, so demütigend es ist, und nicht länger suchen, in uns selbst gerecht zu sein! Möchten wir aber auch, indem wir uns in der Gerechtigkeit Gottes freuen, allezeit in Neuheit des Lebens wandeln und, „gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit“, unseren Weg gehen würdig des Herrn, der uns so teuer erkauft hat, »in jedem guten Werke fruchtbringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“. Nachdem Gott dann noch von zwei gewaltigen Geschöpfen Seiner Hand, dem Behemoth und dem Leviathan, gesprochen und Hiob an Seine überwältigende Größe und Weisheit erinnert hat, antwortet Hiob: „Ich weiß, dass du alles vermagst“. 

Wie ist dieses Bekenntnis dazu angetan, uns einerseits tief in den Staub zu beugen, aber auch andererseits uns reichen Trost zu verleihen! Dieser Gott, der alles vermag, ist uns er Gott, ist der Gott, der uns liebt. Welch eine Erleichterung gibt das! Der Gläubige, in sich selbst betrachtet ohne Kraft, wäre der Macht Satans (manche erblicken in dem Leviathan ein Bild Satans) schutz- und rettungslos preisgegeben, wenn nicht Gottes Kraft ihn beschirmte und Seine Hand ihn leitete. Der Mensch fiel vor Satan, als er noch unschuldig war; wieviel weniger ist er jetzt, da er gefallen ist, imstande, ihm zu widerstehen! Unabhängigkeit von Gott öffnete Satan die Tür, Abhängigkeit von Gott kann sie allein wieder schließen. Möchte Gott uns deshalb ein tiefes Gefühl von der Notwendigkeit einer völligen Abhängigkeit von Ihm geben! „Ich vermag alles“, sagt Paulus, „in Dem, der mich kräftigt.“ „Meine Gnade“, sagt Jesus, „genügt dir.“ Jetzt endlich lernt Hiob seine Aufgabe. Er geht weiter und sagt: „Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche.“ „Ich bereue.“ Worüber fühlte Hiob denn solch tiefe Reue? Warum verabscheute er sich so? War er von Pfaden der Trunkenheit oder Unreinigkeit zu Gott umgekehrt? War er betrübt über ein in offenbarer Sünde verbrachtes Leben? O nein; das war, wie wir wissen, durchaus nicht Hiobs Fall. 

Er war ein treuer Mann Gottes und hatte ein so sittlich reines und rechtschaffenes Leben geführt, wie nur je eines gelebt worden ist. Von menschlichem Standpunkt aus betrachtet, war sein Leben, gleich dem des Saulus, tadellos gewesen. Was bereute er denn so tief? Sein Bestreben, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Früher hatte er nur von Gott gehört; jetzt sah Ihn sein Auge, und nun verabscheute er sich. Mein lieber Leser! Verabscheust auch du dich? alles was dich erhebt? jede Religion, die darauf abzielt dich vor Gott, dem Richter, als gerecht hinzustellen? Sage mir, verabscheust du alles, was den Menschen als Sohn Adams erheben will? Und ganz besonders, verabscheust du es deshalb, weil es Christo einen Teil Seiner Größe und Herrlichkeit rauben möchte? Hast du gelernt, dass alles das „mit Gott hadern“, wider Gott streiten heißt und daher höchst verabscheuungs-würdig ist? Der Apostel hatte Hiobs Aufgabe gelernt, und er fühlte tief Hiobs. Reue. Er konnte auf sein ganzes religiöses Leben, auf seinen Eifer für Gott, auf seinen untadeligen Wandel als Jude, als Pharisäer, zurückblicken, und alles das, was ihn als Menschen erhob, unter die Füße treten. Lauschen wir auf seine ergreifenden Worte: „Was die Gerechtigkeit betrifft, die im Gesetz. ist, tadellos erfunden. 

Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, auf dass ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, nicht habend meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum ist — die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben; um Ihn zu erkennen und die Kraft Seiner Auferstehung u. s. w.“ (Vergl. Phil. 3, 1—11). Welch eine vollständige Umkehr oder Bekehrung war das von der Religion des Ich zu der Gerechtigkeit Gottes! Bist du, mein Leser, auch so mit dem Ich zu Ende gekommen? Ist dein Auge auf Ihn gerichtet, in welchem Gott sich geoffenbart hat, und kannst du mit Hiob sagen: „Nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich mich“? Bist du in Wirklichkeit von all dem Hadern des alten Menschen mit Gott umgekehrt? Welch ein Wechsel trat für Hiob ein, sobald er seine Aufgabe gelernt hatte! „Und Jehova wendete die Gefangenschaft Hiobs, als er für seine Freunde betete; und Jehova mehrte alles, was Hiob gehabt hatte, um das Doppelte: Hatte er siebentausend Schafe verloren, so bekam er jetzt deren vierzehntausend; ebenso war es mit den Kamelen, den Ochsen und Eseln. Und wenn das so mit Hiob der Fall war, wieviel mehr hat der Gläubige durch Christum in der Auferstehung gewonnen, als er durch Adam im Tode verloren hat! Die menschliche Unschuld ist durch die Sünde verloren gegangen; göttliche Gerechtigkeit ist durch die Gnade in Christo erworben worden. 

Ein irdischer Garten der Wonne und Freude ist verloren gegangen; des Himmels ewige Freude ist dafür gefunden. Ja, im weiteren Sinne kann gesagt werden: Das Ich ist verloren, Christus ist gefunden worden. Ich bin gestorben; Christus lebt. Ich bin mit Ihm begraben und auferstanden, und ich lebe in Ihm. Ich hätte nie vor Gott gerecht sein können; aber Christus ist meine Gerechtigkeit geworden, und Gott selbst ist es, der mich rechtfertigt. Welch eine Ruhe gibt das der bangen, geprüften Seele! Welch göttlichen Trost nach solch bitterem Leid! Ja, welch ein tiefer Friede füllt das Herz, wenn alle Bestrebungen, sich selbst zu rechtfertigen, aufgegeben sind und die Seele weiß, dass sie eine völlige Rechtfertigung, ja, göttliche Gerechtigkeit in dem von den Toten auferstandenen Christus besitzt! Soll ich nicht Gott rechtfertigen in der herrlichen Erlösung, die Er gewirkt hat? Je mehr ich mit dem wunderbaren Gedanken Gottes, mich, einen armen Sünder, zu rechtfertigen, beschäftigt bin, umso mehr wird meine Seele mit Freude in Gott erfüllt werden. Hüten wir uns denn vor jedem Versuch, dem Menschen im Fleische wieder aufzuhelfen! Es ist alles umsonst; da ist keine Hülfe, keine Hoffnung, Tod steht auf allem geschrieben. Lasst uns vielmehr danach trachten, die Freude und Kraft unserer Auferstehungs-Stellung, die so ganz und gar in Christo ist, besser kennen und genießen zu lernen! In Adam ist der Mensch gänzlich in Sünde verloren und hat keine Kraft zur Gerechtigkeit; das Gesetz hat nur Übertretungen hervorgerufen und seinen Fluch über den Menschen ausgesprochen; aber in dem auferstandenen Christus ist der Gläubige nicht nur der Herrschaft der Sünde entrückt und aller Verdammnis entronnen, sondern er besitzt auch, als mit Christo auferweckt und mit dem Geiste Gottes versiegelt, Kraft gegen alle Sünde: die Kraft der Auferstehung und des Geistes Gottes. Wenn Hiob seine Söhne und Töchter im Tode verlor, so empfängt er sie jetzt gleichsam in der Auferstehung wieder. 

Schon die Namen der Töchter sind bedeutungsvoll; zugleich lesen wir: „Und so schöne Frauen wie die Töchter Hiobs wurden im ganzen Lande nicht gefunden“. Die Sünde hat alles das verdorben, was in der alten Schöpfung, deren Haupt Adam war, so herrlich und schön dastand. Aber wer vermöchte Worte zu finden, um Ihn, den auserstandenen Christus, zu preisen, der das Haupt der neuen Schöpfung« ist! — O Du Schönster unter Zehntausenden! Wie ist Deine Schönheit, Deine Herrlichkeit, so fleckenlos, so rein! Der Wohlgeruch Deines Namens ist wie ein ausgegossenes Salböl! Und ich, ach! wie lange habe ich vergeblich gesucht, Vollkommenheit in mir, das ist in meinem Fleische, zu entdecken! O drücke das Siegel des Todes allem auf, was von mir ist! Zu Dir allein schaue ich empor, Du Herr der Auferstehung, und ich verabscheue mich! Aber ist denn nun auch wirklich alles, was, Er ist, mein? Ist Seine Schönheit und Herrlichkeit, der Wohlgeruch Seiner heiligen Person, ist das alles mein? Ist es das Teil eines jeden durch Ihn erretteten Sünders? Ja; Gott sei ewig dafür gepriesen! O Herr, fast ist es zu groß, - um es glauben zu können.

 Aber Dein Wort sagt es, und Dein Wort ist Wahrheit. Alles, was ich bin, im Tode fahren zu lassen, und jetzt für immer dazustehen in der Lieblichkeit und Schönheit Deiner Person, o mein Herr und mein Heiland, fürwahr, das ist Bekehrung, das ist Befreiung! Teurer Leser, möge Gott den Rest deines Lebens segnen, wie Er das Ende Hiobs gesegnet hat! Möge deine Seele in Verabscheuung des eigenen Ich und alles dessen, was von ihm kommt, und in stetem Aufblick zu Jesu, in Gott, deinem Rechtfertiger, ruhen! Dann wird dein Friede fließen wie ein Strom. Ja, indem du mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit deines anbetungswürdigen Herrn anschaust, wird dein Pfad heller und heller werden, bis der vollkommene Tag anbricht, dessen Sonne nie mehr untergeht. ·

@@@@@@

Einige praktische Bemerkungen über die Einheit des Leibes Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 71ff

Die Kirche, der Leib Christi, hat nicht eher gebildet werden können, als bis Christus, das verherrlichte Haupt, im Himmel war. „Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden« (1. Kor. 12, 13), so dass also der Leib Christi nicht eher bestanden hat, als bis der Heilige Geist, infolge der Verherrlichung Christi, aus dem Himmel herabgesandt worden ist. (Joh. 7, 39.) Eine andere Sache, die dem aufmerksamen Leser des Neuen Testamentes auffallen muss, ist die, dass, der Leib Christi nur in den Schriften des Apostels Paulus erwähnt wird. Er sagt uns auch, dass die Verwaltung dieses Geheimnisses ihm besonders anvertraut worden sei. (Eph. 3, 2—7; Kol.1,25.) Der Keim dieser Offenbarung findet sich schon in den ersten Worten, welche der Herr an Saulus richtete, als Er ihm auf dem Wege nach Damaskus erschien. „Saul, Saul“, sagt Er zu ihm, »was verfolgst du mich?“ Nicht, was verfolgst du die Meinen, sondern, was verfolgst du mich? (Apstgsch. 9, Ht.) Wir sehen da, wie Christus als das auferweckte Haupt sich mit Seinen Gliedern auf der Erde so vollkommen eins macht, dass Saulus, als er in Seiner Wut die Heiligen verfolgte, in Wirklichkeit Ihn verfolgte.

 Ähnlich sagt auch Paulus später, als aus dem Verfolger ein Apostel geworden war und er die Wahrheit bezüglich des Leibes Christi offenbarte: „Denn gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus“ (1. Kor. 12, 12). Unter dem Ausdruck „der Christus“ stellt er Christum und die Seinigen auf der Erde als ein unteilbares Ganzes dar. - Die Wahrheit, welche die Schrift uns lehrt, ist also folgende: Die Gläubigen sind durch einen Geist zu einem Leibe getauft und so in eine lebendige Verbindung mit Christo gebracht, so dass Christus und die Seinigen auf der Erde einen lebendigen Leib bilden; und darum sind die Gläubigen Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen,— Worte, die auf die stärkstmögliche Weise die lebendige und innige Verbindung der Gläubigen mit Christo, ihrem auserweckten Haupt, zeigen, eine Verbindung, die durch den Heiligen Geist gebildet ist und aufrecht erhalten wird. Aus dieser Tatsache gehen nach Gottes Plan wichtige Folgen hervor, von denen ich einige kurz hervorheben möchte.

1. Die Gläubigen in irgend einer Örtlichkeit, oder vielmehr die Versammlung Gottes an irgend einem Orte wird in der Schrift betrachtet als der Ausdruck des Leibes Christi. So sagt der Apostel zu den Korinthern, nachdem er von den geistlichen Offenbarungen inmitten der Versammlung und dem Verhältnis der Glieder des Leibes zueinander gesprochen hat: „Ihr aber seid der Leib Christi, und Glieder insonderheit“ (1. Kor. 12, 27). Das ist ein „sehr wichtiger Grundsatz, der uns in ganz bestimmter Weise darüber belehrt, was der göttliche Boden für das Zusammenkommen Seines Volkes, d. h. der Glieder des Leibes Christi, ist. Mit anderen Worten: wenn die Gläubigen eines Ortes auf einem Boden versammelt sind, welcher nicht alle Glieder des Leibes Christi an diesem Orte zulässt, (mit Ausnahme derer, die sich unter der schriftgemäßen Zucht befinden,) so würde das nicht der göttliche Boden sein. 

Wenn z. B. Gläubige sich unter irgend einer Benennung versammeln, so kommen sie nicht als Glieder des Leibes Christi zusammen. Man wird mir erwidern: „Ja, wir sind allerdings Glieder dieser oder jener Gemeinschaft, aber wir möchten niemanden ausschließen, und tatsächlich nehmen wir alle Gläubigen aus“. Das heißt, nicht wahr? wenn diese anderen Gläubigen sich euren Ansichten und Einrichtungen unterwerfen, sei es bezüglich der kirchlichen Verwaltung oder des Gottesdienstes. Immerhin könnte man das eine gewisse Weitherzigkeit nennen, die andere vielleicht nicht haben; aber es ist darum nicht weniger wahr, dass ihr euch nicht versammelt aus der Grundlage des Leibes Christi, in Seinem Namen. Wenn ihr auch diejenigen ertraget, die eure besonderen Ansichten nicht teilen, so betrachtet ihr sie doch nicht als Glieder, und ihr erlaubet ihnen nicht, in euren Zusammenkünften einen Dienst auszuüben; dazu müssten sie eben vorher eure Ansichten annehmen, die doch von vielen Christen als nicht schriftgemäß betrachtet werden. Ist das aber die Grundlage, auf der man sich versammelt, so leugnet man damit praktisch die Einheit des Leibes Christi. 

Nach der Schrift sollen die Gläubigen sich nur versammeln als Glieder des Leibes Christi, und der Name Jesu soll der einzige Mittelpunkt ihres Zusammenkommens sein. Alle anderen Namen sollten daher verschwinden; denn viele teure Kinder Gottes, welche den durch jene Namen angedeuteten Ansichten und Grundsätzen nicht zustimmen können, sehen sich gerade dadurch ausgeschlossen." Die Forderung, ein Glaubensbekenntnis, bestimmte Satzungen, Einrichtungen und dergl. anzuerkennen, ist nicht nach dem Worte.

2. Wenn man sich als Glieder des Leibes Christi versammelt, so muss man· der Ausübung der Gaben der Glieder Raum lassen. Das ist augenscheinlich die Trag- weite der Ausführungen des Apostels in 1. Kor. 12; und wie sehr ist das dort Gesagte verschieden von dem, was heute geschieht! „Denn gleichwie der Leib einer ist“ und viele Glieder« hat ; . . . also auch der Christus.· . . . Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele“ (1. Kor. 12, 12——14.) Ferner kann kein Glied von idem Leibe, an welchem es sich befindet, getrennt werden; jedes einzelne ist für das« Wohl— der anderen notwendig, es sei das schwächste oder das geehrteste; denn „Gott hat den Leib zusammengefügt, indem Er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat, auf dass keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben möchten“. Weiter fügt der Apostel hinzu: „Ihr aber seid der Leib Christi und Glieder insonderheit; Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten“ (V. 15——28). 

Da dies nun der Charakter der Versammlung ist als der Leib Christi, der aus vielen Gliedern zusammengesetzt ist, da ferner jedes Glied einen bestimmten Dienst hat, und die Tätigkeit eines jeden zum Wohle des ganzen Leibes durchaus notwendig ist, was ist es dann, wenn Versammlungen unter den Vorsitz oder die Leitung eines Mannes gestellt werden? Leugnet man damit wiederum nicht die Einheit des Leibes, und macht man nicht die Tätigkeit und den Gebrauch seiner verschiedenen Glieder unmöglich? Wenn man einen Mann, und wäre es auch der Begabteste, hinstellt, um alles zu tun, der Dolmetsch von allem zu sein, so ist man, wissentlich oder unwissentlich, blind für den Platz, den die Gläubigen als Glieder des Leibes Christi haben. Wäre es nicht Torheit, wenn ich meinen Kopf oder meine Hand alle Verrichtungen des Leibes ausüben lassen wollte? Die Torheit ist aber noch größer, wenn man einem Prediger zumutet, er solle alle Verrichtungen des Leibes Christi ausüben. Er mag eine Gabe haben, oder selbst mit mancherlei Gaben versehen sein, aber er kann nicht die Verrichtungen aller Glieder des Leibes ausüben, weil alle verschiedene Gaben haben, nach der einem jeden verliehenen Gnade. So lange man also in einer Versammlung nicht der Ausübung der verschiedenen Gaben, die der Herr den einzelnen Gliedern Seines Leibes verliehen hat, Raum lässt, kann man nicht sagen, dass man auf dem Boden der Einheit des Leibes Christi zusammenkomme. Man stellt sich vielmehr in unmittelbaren Gegensatz zu dem Gebot des Herrn. In Röm. 12.,. 6 u. 7 ermahnt uns der Apostel durch den- Geist: „Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maße des Glaubens; es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst“.

 Und diese Ermahnung erfolgt auf Grund der Tatsache, dass, „gleichwie wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben, also auch wir, die Vielen, ein Leib in Christo sind, einzeln aber Glieder voneinander“ (V. 4 u. 5.) Es ist eine sehr ernste Sache, wenn durch menschliche Einrichtungen die Ausübung der Gabe mancher Glieder verhindert wird; ja, es ist nichts Geringeres als Ungehorsam gegen den Herrn, das Haupt der Kirche, und heißt zugleich den Geist dämpfen oder auslöschen. Die Sache wird uns nicht minder ernst erscheinen, wenn wir eine andere Stelle der Schrift zu Rate ziehen. Wir finden in dem Briese an die Epheser, dass der Herr Jesus, nachdem Er hinaufgestiegen ist in die Höhe, den Menschen Gaben gegeben hat, und nach Aufzählung derselben fügt der Apostel hinzu: »zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“. Wenn man sich also auf dem Boden der Einheit des Leibes Christi versammelt, wie sehr sollte man sich dann fürchten, irgendwie von diesen Unterweisungen abzuweichen! Mit welcher Sorgfalt sollte man bemüht sein, jedes Hindernis zu beseitigen, welches der Verwirklichung dessen, was für die Auserbauung des Leibes Christi vorgesehen ist, im Wege steht!

3. Eine andere wichtige Wahrheit wird uns durch den Apostel in 1. Kor. 10 gelehrt. Er sagt: ,,Denn ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (V. 17). Aus diesen Worten geht hervor, dass das eine Brot ein Sinnbild von der Einheit des Leibes Christi ist, und dass diese Einheit auch durch die Tatsache dargestellt wird, dass alle Glieder Christi, welche die Versammlung bilden, wenn sie sich als solche versammelt finden, des einen Brotes teilhaftig sind. Der Zweck des Zusammenkommens ist darum der, das Brot zu brechen und dadurch „den Tod des Herrn zu verkündigen, bis Er kommt“. Hieraus folgt, dass, wenn wir uns nach Gottes Gedanken als Glieder des Leibes Christi versammeln, dies an dem Tische des Herrn geschehen sollte im Gehorsam gegen Sein Gebot. Hier haben wir, außer dem Gedenken an Christum, das Brot vor uns, welches uns einerseits an Seinen für uns gegebenen Leib erinnert und andererseits an die Einheit Seines Leibes, d. h. der Kirche.

 Aus dem Wortlaut der oft angeführten Stelle Apostelgesch. 20, 7 ersehen wir auch, dass die ersten Jünger sich am ersten Tage der Woche zu versammeln pflegten, um das Brot zu brechen. Sie gedachten mit Sorgfalt des Gebotes des Herrn und der Tatsache, dass sie Glieder des Leibes Christi waren. Doch wie ist es heute? Was sehen wir im allgemeinen am ersten Wochentage in den Zusammenkünften der verschiedenen christlichen Benennungen? Ist der Zweck der, das Brot zu brechen zum Gedächtnis des Herrn? Nein; in einigen nimmt man das Abendmahl nur viermal des Jahres, bei anderen monatlich einmal, vielleicht auch zweimal. Aber wenn es selbst häufiger geschieht, ist der eigentliche Zweck des Zusammenkommens doch nicht das Brotbrechen; dasselbe wird meistens aufgeschoben, bis der regelmäßige Dienst beendet ist, und bildet eigentlich nur ein Anhängsel dessen, was vorher stattgefunden hat. Dies beweist, dass man die Bedeutung des Tisches des Herrn, wie Paulus sie beschreibt, ganz vergessen hat; man ist hauptsächlich gekommen, um eine Predigt zu hören. Man wolle mich jedoch nicht missverstehen. Ich stelle keineswegs in Abrede, dass einzelne kommen mögen, um mit dankbarem Herzen anzubeten; aber für jeden Unparteiischen Beobachter kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Predigt doch die Hauptsache ist. Der Beweis dafür sind die Fragen, die man so oft hört: „Wer hat gepredigt? Habt ihr Segen gehabt? War es eine schöne Predigt?“ Es ist möglich, dass durch dieses Mittel den Versammelten oft Segen zufließt; aber es ist nicht weniger gewiss, dass Gläubige (von Unbekehrten rede ich selbstverständlich nicht), so lange sie nicht im Namen Jesu an Seinem Tische versammelt sind, nicht als Glieder des Leibes Christi, und infolge dessen auch nicht nach den Gedanken und dem Willen Gottes versammelt sind.“

4. Es ist daher klar, dass die Christen, so lange sie damit zufrieden sind, „Glieder dieser oder jener Kirche? zu sein (ein, Ausdruck, den die Schrift durchaus nichtkennt); so lange sie verschiedenen Benennungen angehören, die unter sich keine andere Verbindung haben, als dass sie einander ertragen, hie und da vielleicht zum Gebet, zu gemeinsamer Wortbetrachtung &c. zusammenkommen und. sich gegenseitig aus christlicher Ehrerbietung als zu Christo gehörend anerkennen; so lange sie an verschiedenen Orten unter verschiedenartigen Formen und nach verschiedenen Methoden Gottesdienst· ausüben und verschiedenartige Gemeinschafts-Bedingungen ausstellen — dass sie so lange sich nicht versammeln können als Glieder des Leibes Christi, und dass deshalb auch die Ermahnung, die Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens zu bewahren (Eph. 4, 3), für sie ganz und gar unerfüllbar ist.

 Wenn alle Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind, wenn ferner die Versammlung der Gläubigen an einem Orte die Darstellung des Leibes ist (1. Kor. 12, 27), dann ist jede Grundlage des Zusammenkommens, die nicht alle Glieder des Leibes, (aufgenommen, wie bereits gesagt, die, welche sich unter schriftgemäßer Zucht befinden,) einfach als Glieder Christi zulässt, nicht die Grundlage der Kirche Gottes. Mit anderen Worten: Wenn eine Versammlung von Gläubigen andere Gemeinschafts-Bedingungen aufstellt, als dass jemand ein Glied Christi ist und in Heiligkeit und in der Wahrheit wandelt; wenn irgend ein menschlicher Name von ihr angenommen wird; wenn sie einen anderen Mittelpunkt des Zusammenkommens hat, als den Namen Jesu allein; wenn die Gaben der verschiedenen Glieder des Leibes nicht anerkannt werden, oder deren Ausübung in ihrer Mitte nicht frei ist, gemäß der Schrift — dann ist eine solche Versammlung nicht die Darstellung der Versammlung Gottes an jenem Orte; sie steht nicht auf dem Boden der Wahrheit, sondern auf menschlicher Grundlage. Die Einzelnen mögen treu und eifrig sein, auch viele Teile der göttlichen Wahrheit anerkennen aber der Grundsatz ihres Zusammenkommens ist nicht schriftgemäß. 

Der Herr kann ihn nicht anerkennen. O wieviel verliert man, wenn man in der Praxis die Einheit des Leibes Christi außer acht lässt! Wie will man z. B., um nur eins zu nennen, verwirklichen was der Apostel sagt: »Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“? Wie kann ich den Fall eines Gläubigen in irgend einer der verschiedenen Benennungen als den aller fühlen, mit ihm leiden, seine Wiederherstellung suchen und mich mit ihm freuen, wenn er sie erlangt hat? Wie kann ich andererseits die Verherrlichung eines Gliedes in ihrer gesegneten Wirkung auf alle fühlen? Wie kann ich den Segen genießen, welcher verbunden ist mit der Verwirklichung dieser Einheit des Leibes Christi, die doch tatsächlich vorhanden ist und durch die Kraft des Heiligen Geistes erfasst wird? In rein persönlichem Sinne ist es vielleicht möglich, aber anders auch nicht. O möchten die Christen doch ernstlich und mit Gebet die Schrift über diesen Gegenstand untersuchen und sich durch den Heiligen Geist in die Wahrheit leiten lassen! Sie werden dann sicher jeden Namen und jede sektiererische Unterscheidung beiseite werfen, sich einfach als Glieder des Leibes Christi versammeln und, auf Jesum allein blickend, in Einfalt und Abhängigkeit alles das nach der Schrift zu ordnen suchen, was zu ihrem Zusammenkommen gehört.

@@@@@

Wir müssen alle geoffenbart werden

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 80ff

„Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus geoffenbart werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2.Kor. 5,10.) Es ist eine ernste Wahrheit, welche der Apostel hier den gläubigen Korinthern und damit auch uns vor Augen führt: „wir müssen alle geoffenbart werden, auf dass ein jeder empfange“. Es ist schon oft bemerkt worden, aber es ist immer wieder nötig, darauf hinzuweisen, dass es nicht heißt: „wir müssen alle gerichtet werden“, denn dann wären wir alle verloren; aber auch nicht: „die und die müssen geoffenbart werden“, sondern: »wir müssen alle geoffenbart werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan hat“, — alle Menschen, gläubig oder ungläubig; ein jeder, Christ oder bloßer Bekenner, Jude oder Heide. Nicht alle zu derselben Zeit, aber alle ohne Ausnahme. Viele gläubige Seelen erschrecken bei dem Gedanken an diese zukünftige Offenbarwerdung, und wohl deshalb, weil sie sich heute schon nicht wohl fühlen in der Gegenwart Gottes. 

Das kann zwei Ursachen haben: entweder persönliche Untreue, und das ist ein trauriger Fall, oder Mangel an Belehrung, Unkenntnis. Die zu der zweiten Klasse gehören, wissen nicht wirklich, was es heißt, an den Gott zu glauben, der den Gottlosen rechtfertigt, und dass der einfältige, aber von Gott geschenkte Glaube ihnen zur Gerechtigkeit gerechnet wird. (Röm. 4.) Sie wagen nicht zu glauben, dass sie allezeit in dem vollen Werte und der unveränderlichen Vollgültigkeit des Opfers Christi stehen; dass sie stets geborgen sind hinter dem Blute des Lammes, von Gott geliebt, wie Christus selbst. Sie haben noch nie verstanden, dass Christus durch Sein Blut die Sünde vor Gott vollkommen hinweggetan hat, so dass Gott jetzt keine Sünde mehr auf ihnen sieht. Die heilige Empfindsamkeit, welche der treue Gläubige dem Bösen gegenüber stets haben wird, soll nicht „Pein“ erwecken, denn „die Furcht hat Pein“. Sie sollte uns allerdings zu immer eifrigerer Wachsamkeit, inbrünstigerem Gebet, ernsterem Selbstgericht, tieferer Demut anleiten, aber nie sollte sie Zweifel und Befürchtungen bezüglich des Tages des Gerichts in uns wachrufen. Wir lesen vielmehr: „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, auf dass wir Freimütigkeit haben an dem Tage des Gerichts, dass, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt“ (1.Joh.4,17). Wir sind durch Christum vom Zorn errettet und warten auf Seine Wiederkunft. Wir kommen nicht mehr ins Gericht; wir sind für ewig errettet, auf immerdar vollkommen gemacht, „gleichwie Er ist“ schon in dieser Welt. Zugleich aber sind wir „geheiligt zum Gehorsam“, wir sind „Kinder des Gehorsams“, berufen, Ihm zu folgen, dessen Gehorsam allezeit vollkommen war; und indem wir zu wandeln suchen, wie Er gewandelt hat, werden wir erkennen, wie wichtig es ist, all unser Tun und Lassen nicht aus der Wage menschlichen Urteils abzuwägen, sondern an dem vollkommenen Maßstab göttlicher Beurteilung zu messen und in dem untrüglichen Licht des Tages Christi zu prüfen. Wir werden stets in dem ernsten, heiligenden Bewusstsein wandeln, dass wir vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden müssen. Wir befinden uns schon in dem Lichte dieses Richterstuhls. 

Als solche, die „von dem Tage“ sind, ja, als „Söhne des Lichtes und Söhne des Tages“ wünschen wir nüchtern zu sein, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn. Unsere Gewissen sind geübt, und wir begehren, uns zu reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes. (2. Kor. 7, 1). Doch wie soll man die Worte verstehen: „Auf dass ein jeder empfange, was er im Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“? Wir haben schon weiter oben gesagt, dass die Offenbarwerdung nicht eine gleichzeitige ist, d. h. also nicht allgemein und für alle zu derselben Zeit stattfinden wird. Es gibt da verschiedene Perioden oder Abschnitte. Die Offenbarung der Gläubigen wird ohne Zweifel stattfinden, sobald sie aufgenommen und verherrlicht sind; und, beachten wir es wohl, sie treten vor den Richterstuhl in ihrem verherrlichten Zustande, mit himmlischen Leibern, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichgestaltet. Die Ungläubigen werden erst später vor den Richterstuhl gestellt (Vergl. Matth. 25, 31—46); das Schlussgericht, das Gericht „der Toten“, erblicken wir in Offbg. 20, 11—15. Schon diese Tatsache weist uns auf den großen Unterschied hin, der zwischen dem Offenbarwerden der Gläubigen und der Ungläubigen besteht. Belohnung oder Verlust in der Herrlichkeit, ihrer Treue und ihrem Dienste gemäß, wird das Ergebnis bei den ersteren sein; nur Gnade hat sie befähigt, Dem zu dienen, der sie zuerst geliebt hat, aber dennoch soll der Lohn ihnen nicht fehlen. Ein ernstes und ewiges Gericht wird die letzteren treffen, und zwar ein Gericht seitens des gerechten Richters, gegen dessen Willen sie sich aufgelehnt und dessen Gnade sie verachtet haben.

 Für die einen ist es „der Tag Jesu Christi“, der alles, auch die Anschläge der Herzen, die innersten Triebfedern und Beweggründe, ans Licht bringen, und wo einem jeden sein Lob werden wird von Gott. Für die anderen ist es der Tag des „Gerichts“ und des „Zornes“. Für die einen ist es eine gerechte, aber zugleich überaus gnädige Prüfung ihres Dienstes und ihrer Verwaltung, für die anderen ein gerechtes Gericht über ihre Sünden. Paulus hatte diesen Tag stets vor Augen; er lebte und arbeitete im Blick auf ihn. (Vergl. 1. Kor. 4, 5; 2. Tim. 1, 12; 4, 8; Phil. 2, 16). Petrus redet von seinem Anbruch und dem Aufgehen des Morgensterns in den Herzen der Gläubigen und ermahnt diese zu einem heiligen Wandel und zur Gottseligkeit, damit sie ohne Flecken und tadellos erfunden werden möchten in Frieden. (2. Petr. 1, 19; Z, 11. 14.) Im Briefe an die Hebräer werden wir aufgefordert, uns gegenseitig zu ermuntern, da wir „den Tag herannahen“ sehen (Hebr. 10, 25.) Johannes spricht von ihm mit Bezug auf die Ergebnisse in den Heiligen, denen er diente (1. Joh. 2, 28; 2. Joh. 8). Und Judas schreibt alle Herrlichkeit,-Majestät, Macht und Gewalt Dem zu, der auch in den finstersten Zeiten uns ohne Straucheln zu bewahren und uns vor Seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken.

@@@@

Du Jesus bist bei mir im Leiden

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 84ff

Du Jesus bist bei mir im Leiden,

du pflegst und stärkst mich Tag und Nacht;

Ich hab genossen reiche Freuden,

seitdem Du mich zu Dir gebracht.

Einst war ich fern, mit Fluch beladen,

jetzt bin ich Dein und steh in Gnaden.

Wenn auch die Erdenleiden drücken.

Ein Glaubensblick zur Herrlichkeit,

wo Du die Deinen bald wirst schmücken,

wo uns umgibt nur Seligkeit;

das lässt das Herze Psalmen singen

und meinen Geist empor sich schwingen.

So leite Du mich alle Tage,

lass mich genießen Deine Huld;

und lehr mich leiden ohne Klage,

gib Kraft, Ergebung und Geduld!

Damit mein Herz zu Deinem Preise,

sich allzeit dankbar Dir erweise!

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 85ff

Einleitung

Gott erinnert Seine Kinder zu Zeiten in besonderer Weise an besondere Teile Seiner Wahrheit. So hat Er in unseren Tagen die Aufmerksamkeit der Gläubigen, - neben manchem anderen, auf die persönliche Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes gelenkt, und ge­wiss vielen zum Segen und bleibenden Nutzen. Wie könnte es anders sein? Wenn eine so wichtige und lang vergessene, oder doch wenig beachtete Wahrheit, wie die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde, den Seelen der Gläubigen wieder lebendiger zum Bewusstsein kommt, so kann das nur erfreuliche Folgen haben und gesegnete Früchte zeitigen.

Aber wir wissen auch, dass dann, wenn Gott in solch besonderer Gnade wirkt, der Feind sich aufmacht, um das göttliche Werk zu hindern und, wenn möglich, zu verderben. Dieser Erscheinung begegnen wir zu allen Zeiten. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn es heute wieder geschieht. Allerlei von Menschen erfundene (gewiss in guter Meinung, aber darum nicht weniger verkehrte) Lehren und Behauptungen werden ausge­sprochen und eifrig verbreitet — Behauptungen, welche dahin zielen, die Herrlichkeit des zur Rechten Gottes erhöhten Menschensohnes zu verdunkeln und dem Men­schen einen Platz zu geben, der ihm nicht gebührt. Das ist ja die alte List Satans: nicht der Wahrheit unmittel­bar entgegenzutreten, sondern sie dadurch zu verder­ben, beziehungsweise ihre Segnungen ins Gegenteil zu verkehren, dass er das religiöse Fleisch, das arme mensch­liche Ich, Vorteile aus ihr ziehen lässt; mit anderen Wor­ten, dass er den Menschen dahin bringt, die betreffende Wahrheit zur Verherrlichung seiner Person in der einen oder anderen Weise zu benutzen.

Wenn in dem vorliegenden Büchlein nun der Ver­such gemacht worden ist, die Gabe des Heiligen Geistes, Seine Person und Sein Wirken, etwas näher zu be­trachten, so ist es geschehen in dem stets wachsenden Gefühl von der unermesslichen Größe des Gegenstandes und der völligen Unzulänglichkeit des Menschen, ihn in gebührender Weise behandeln zu können; doch zugleich auch in dem Vertrauen auf Ihn, der da will, dass wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind, und mit dem Flehen: Bewahre, o Herr, Schreiber und Leser vor allem Eigenen, Menschlichen; lass nichts geschrieben werden, das den Prüfstein deines heiligen Wortes nicht auszuhalten vermag!

Niemand wolle eine umfassende Behandlung des ge­waltigen Gegenstandes erwarten; das ist nicht der Zweck dieser Betrachtung. Der Schreiber hat nur, dem Drange seines Herzens folgend, seinen geliebten Mitgläubigen mit dem Geringen dienen wollen, das der Herr ihm an­vertraut hat.

Die Person des Heiligen Geistes

Der Heilige Geist ist nicht ein bloßer Einfluss, eine Kraft, wodurch man geleitet oder beseelt wird, wie man es nach der Schreib- oder Redeweise mancher Gläubigen meinen sollte; auch nicht ein Ausfluss der Gottheit, der als Geist des Vaters und des Sohnes wohl göttlich ist, aber kein eigenes, selbständiges Bestehen hat.

 Nein, der Heilige Geist ist eine göttliche Person, die dritte Person der Gottheit, der heiligen Dreieinheit, die als solche allgegenwärtig ist und am Pfingstfest, auf Grund des vollbrachten Erlösungswerkes und der Erhöhung Christi zur Rechten Gottes, aus dem Himmel hernieder- kam, um in den Heiligen hienieden zu wohnen, sie zu einem Leibe zu taufen und in Ewigkeit bei ihnen zu bleiben; eine Person, die seitdem auf dieser Erde wohnt und hier bleiben wird, bis sie (wie einst Elieser die Rebekka) die Braut aus fernem Lande, die Versamm­lung oder Gemeinde Christi, ihrem Bräutigam und Herrn entgegenführen kann. Das Wohnen des Heiligen Geistes auf dieser Erde als Geist der Sohnschaft, als Salbung, Siegel und Unterpfand in dem Gläubigen, ist also ein charakteristisches Merkmal des Christentums.

Lasst uns das zu allernächst festhalten! So lange ein Gläubiger diese Grundwahrheit nicht versteht, bleibt ihm der Unterschied zwischen den Heiligen des Alten Testamentes und denen des Neuen verborgen, und er verliert viel von der Freude und dem Genuss, der Gnade und der Kraft, welche das Erlösungswerk ihm ge­bracht hat.

Der Heilige Geist ist eins im Wesen, in Eigenschaften und Gesinnung mit dem Vater und dem Sohne, aber doch von beiden durchaus unterschieden. Wie von dem Vater und dem Sohne, so kann auch von dem Heiligen Geiste gesagt werden: Er ist G o t t. Daher konnte der Apostel Petrus dem Ananias die ernsten Worte zurufen: „Warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du d e n Heiligen Geist belogen hast? ... Nicht Menschen hast du gelogen, sondern Gott" (Apstgsch. 5, 3. 4 ). Der Heilige Geist ist also eine P e r s o n, die man belügen kann, und Er ist Gott. An mehreren Stellen wird Er in einer Linie und Verbindung mit dem Vater und dem Sohne genannt. (Vergl. Matth. 28, 19; 2. Kor. 13, 13; vergl. auch 1. Kor. 12, 4-6.) 

Er ist der Heilige Geist, der ewige Geist (Hebr. 9, 14 ), der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, und den der Sohn sendet ( Joh. 15, 26 ), der Geist des Sohnes (Gal. 4, 6), der Geist Christi (1, Petr. 1, 11 ); Er ist die Wahrheit (1. Job. 5, 6 ), durch Ihn getrie­ben, redeten die heiligen Männer des Alten Testamentes (2. Petr. 1, 21), mit Ihm gesalbt, weiß der Gläubige jetzt alles (1. Joh. 2, 20); Er ist allgegenwärtig (Ps.139,7ff.), allwissend, Er erforscht alles, auch die Tiefen Gottes (1. Kor. 2, 10), Er be­weist Seine Allmacht in allerlei Wundern und Zei­chen und indem Er fortwährend tote Sünder lebendig macht; durch Ihn trieb Jesus die bösen Geister aus (Matth. 12, 27. u. a. St.), und Er ist es, der inmitten der Versammlung wirkt und Gaben austeilt, wie Er will (1. Kor. 12, 4 ff.), der zum Dienst begabt und aussendet ( Apstgsch. 13, 2-4) usw.

Unter den Gläubigen herrschen oft sonderbare Vor­stellungen über den Begriff einer Person. Manche meinen, eine Person müsse notwendigerweise auch einen Leib haben, ein körperloses Wesen könne daher nicht eine Person genannt werden. Aber nur ein Augenblick ruhigen Nachdenkens wird dem Leser zeigen, dass das ein Irrtum ist. Wäre die Meinung richtig, so würde - Gott der Vater keine Person sein, ein Engel ebenfalls nicht, auch der Sohn vor Seiner Menschwerdung nicht. Eine Person ist ein lebendes Wesen, das sich (gegen­über dem willen- und leblosen Gegenstand) seines Seins bewusst ist, das denkt, will und handelt. Unsere Per­sönlichkeit ist aufs innigste mit unserem Körper verbun­den; darum ist der gestorbene Gläubige, obwohl er beim Herrn ist, nicht vollkommen; er befindet sich in einem Zwischenzustand und gelangt erst zur Vollkommenheit, wenn er in der Auferstehung einen neuen Leib empfängt.

Als der Heilige Geist aus dem Himmel herniederkam, hat er keine leibliche Gestalt angenommen. Aber gerade so wahrhaftig wie der Sohn auf diese Erde kam, ist der Geist herabgekommen; nur mit dem Unterschiede, dass der Sohn Fleisch und Blut annahm und in Seiner Ge­stalt wie ein Mensch erfunden wurde, während der Heilige Geist das nicht tat *1) und deshalb weder gesehen noch betrachtet werden konnte.

 Der Herr sagte deshalb auch: „Die Welt kann ihn nicht empfangen, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt" ( Joh. 14, 17). Aber nichtsdestoweniger kam die dritte Person der Gottheit gewiss und wahrhaftig in diese Welt, nachdem der Sohn sie verlassen hatte und zum Vater zurückgekehrt war. (Lies Joh. 14, 16. 26; 15, 26; 16, 7-15. ) Obwohl unsichtbar, wirkt, spricht, sendet, leitet, belehrt, zeugt, überführt, warnt, ermahnt, bittet der Geist, teilt Gaben aus, beruft zum Dienst, kann belogen, betrübt und ge­dämpft oder ausgelöscht werden, wohnt in den einzelnen Gläubigen und im weiteren Sinne in der Versammlung, dem Hause Gottes.

Wir wiederholen also: Der Heilige Geist ist keines­wegs ein Einfluss, obwohl Er Einfluss ausübt; Er ist auch kein Ausfluss von Gott, obwohl Er durch den Vater und den Sohn gesandt wurde. Er ist eine P e r s o n. So hat Er sich schon im Alten Testament durch Sein Wirken bekannt gegeben, wenngleich Er nicht in der­selben Weise geoffenbart war, wie im Neuen, und vor allen Dingen nicht auf der Erde wohnte.

Sammeln wir jetzt kurz einige alttestamentliche Zeug­nisse bezüglich Seines Wirkens. Schon auf der ersten Seite des göttlichen Wortes lesen wir: „Und Finsternis war über der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte (oder brütete) über den Wassern." Nachher im 6. Kapitel des 1. Buches Mose, sagt Gott: „Mein Geist soll nicht ewiglich mit dem Menschen rechten, da er ja Fleisch ist", und so rechtete der Geist Gottes hundertzwanzig Jahre lang mit den Menschen vor der Flut. Er war es auch, der Mose zu seinem schweren Dienst befähigte, der Bezaleel mit Weisheit und Verstand er­füllte, der in Josua wirkte.

 Er war es, der den ge­weihten Sängern Psalmen und Lobgesänge eingab, der die heiligen Propheten und Schreiber der alttestament­lichen Schriften inspirierte, so dass sie sagen konnten: „So spricht Jehova", oder wie David: „Der Geist Jehovas hat durch mich geredet, und sein Wort war auf - meiner Zunge" (2.Sam. 23, 2). Mit einem Worte, der Heilige Geist hat im Alten Testament in offenkundiger Weise gezeugt und gewirkt. Seine Wirksamkeit war so klar und bestimmt gekannt, dass Gott zu Mose sagen konnte: „Ich werde von dem Geiste nehmen, der auf dir ist, und auf sie (die siebzig Ältesten) legen" (4. Mose 11, 17); dass wir von Josua lesen: er war „erfüllt mit dem Geiste der Weisheit, denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt" (5. Mose 34, 9) ; dass David bitten konnte: „Verwirf mich nicht von dei­nem Angesicht, und den Geist deiner Heilig­keit nimm nicht von mir" (Ps. 51,11 ), und dass endlich der Prophet Haggai dem Überrest des jüdischen Volkes in seinen Tagen von seiten des Herrn tröstend zurufen konnte: „Das Wort, welches ich mit euch eingegangen bin, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist be­stehen in eurer Mitte: fürchtet euch nicht!" ( Hagg. 2, 5).

Aber obwohl das alles so war, kannten die Gläu­bigen des Alten Testamentes den Heiligen Geist doch nicht als eine besondere Person der Gottheit, unter­schieden von dem Vater und dem Sohne, ebenso wenig wie ihnen die zweite Person der Gottheit (der Sohn) als solche bekannt war. Sie kannten nur den einigen Gott, und der Geist war für sie der Geist Gottes, der Geist Jehovas, die in Gott wirkende und von Ihm ausgehende Kraft; nicht mehr. Von einer Sendung oder Ausgießung des Heiligen Geistes wussten sie nichts. Das Alte Testament redet nicht davon, außer in Verheißungen.

Auch als die Stunde der Geburt des Herrn Jesu herannahte, und selbst während des Wandelns Jesu auf dieser Erde, „in den Tagen seines Fleisches", wohnte der Geist Gottes nicht hienieden, es sei denn in dem Sinne, dass Er auf den Sohn Gottes herabkam, um Ihn als den durch den Heiligen Geist in Maria Gezeugten und aus ihr Geborenen zu salben und zu versiegeln. (Vergl. Apstgsch. 10, 38; Matth. 3, 16. 17; Joh. 3, 34; 6, 27 u. a. St.) Er war wirksam wie im Alten Testa­ment, leitete die Gläubigen, erfüllte sie zu Zeiten, redete durch sie usw., aber Er wohnte nicht in ihnen. Es war unmöglich, wie wir lesen: „Der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war" (Joh. 7, 39).

Sieh da, mein lieber Leser, in wenigen Worten die Ursache, weshalb die wunderbare Segnung, von welcher Jesus gesprochen hatte, — „dies aber sagte er von dem Geiste, welchen die an ihn Glaubenden empfangen sollten", — noch nicht kommen konnte: Jesus war noch nicht verherrlicht. Er war noch nicht „weggegangen", und so lange das nicht geschehen war, konnte der Sachwalter nicht zu den Seinigen kommen (Johannes 16,7). Erst musste der Sohn des Menschen in die Tiefen der Erniedrigung hinabsteigen, musste leiden und sterben, musste wieder auferstehen und vom Vater zurückkehren. Erst musste das Versöhnungswerk vollbracht sein und Der, welcher es vollbracht hatte, Seinen Platz in dem Heiligtum droben, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, eingenommen haben. Dann erst konnte der Heilige Geist herniederkommen, um in dem Gläubigen Wohnung zu machen und ihn in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne einzuführen.

Auf Jesum konnte der Heilige Geist kommen und auf Ihm bleiben, weil Er der Reine, Fleckenlose und Heilige war. Ihn konnte der Vater, Gott, versiegeln und „mit Heiligem Geiste und mit Kraft salben“ wegen der makellosen Herrlichkeit Seiner Person. Aber so ist es nicht mit uns. Gott kann uns nicht Seinen Heiligen Geist geben auf Grund von irgend etwas in uns oder von uns. Er gibt Ihn den an Jesum Glaubenden, die gewaschen sind von ihren Sünden in dem kostbaren Blute Christi. Er konnte diese Gabe – vergessen wir nie, dass es eine Gabe ist! – sicherlich nicht in unreine Gefäße legen; darum reinigte Er sie und machte sie passend für ein solches Geschenk. Der Vater knüpfte Seine Verheißungen auch nicht an die Erfüllung irgend einer Bedingung seitens Seiner Kinder; sie war unbedingt, Sein Name sei ewig dafür gepriesen! „Siehe“, sagt Jesus zu ihnen, „ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber. bleibet in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“ (Lukas 24,49). 

An einer anderen Stelle lesen wir: „Er befahl ihnen, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten, — die ihr von mir gehört habt; denn Johannes taufte zwar mit Wasser, ihr aber werdet mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen." Und als die Verheißung in Erfüllung gegangen war, hören wir Petrus sagen: „Die­sen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind. Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret" (Apstgsch. 1, 4. 5; 2, 32. 33 ).

Der Leser wolle also mit allem Ernst beachten, dass die Gabe des Heiligen Geistes, die Salbung und Ver­siegelung mit dem Geiste, das Angetan werden mit Kraft aus der Höhe, die Taufe mit dem Heiligen Geiste, — was irgend man auch darüber geredet und geschrieben hat oder noch reden und schreiben mag, — nach den klaren, unzweideutigen Aussprüchen des Wortes Gottes, der einzig gültigen Autorität, nicht eine Sache ist, die man in heißem Gebet zu erflehen hat, deren man nur nach Erfüllung gewisser Bedingungen teilhaftig werden kann, sondern vielmehr eine freie, be­dingungslose Gabe Gotte s, die jedem einfältig und aufrichtig an Christum glaubenden Sünder zuteil wird; und zwar, wie bereits gesagt, auf Grund des vollbrach­ten Erlösungswerkes und der Erhöhung und Verherrli­chung Christi zur Rechten Gottes. Gott allein gebührt, in dieser wie in jeder Beziehung, alle Ehre und aller Ruhm durch Jesum Christum. Wer also die Geistestaufe irgend­wie abhängig macht von Bedingungen, die seitens des Menschen zu erfüllen sind, erhebt den Menschen auf Kosten der Ehre Gottes und Seines Gesalbten. Er be­hauptet, einen Boden schaffen zu können, den der heilige Gott anerkennen kann, ja, auf welchem Er seinen Bitten entsprechen muss.

Hier möchte indes eingewandt werden: Steht denn nicht geschrieben: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisset, wie viel mehr wird der Vater, der vom Himmel ist, den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!"? Aller­dings, so steht geschrieben; der Herr selbst hat diese Worte ausgesprochen. Aber beachten wir zunächst, in - welcher Verbindung, und dann, zu welcher Zeit der Ausspruch geschehen ist. Der Herr redet an jener Stelle (Luk. 11) vom Gebet überhaupt und ermuntert Seine Jünger zum Ernst und zur Beharrlichkeit in dem­selben.

 Beispiele werden gegeben, wie selbst arme, schwache und oft so hartherzige Menschen sich bereit finden lassen, den Bitten anderer nachzugeben; um dann zu sagen: Wenn solche schon ihr Herz den Bittenden und Bedürftigen nicht verschließen, wie viel mehr wird der Vater vom Himmel das Flehen Seiner Kinder beant­worten und ihnen sogar die höchste Gabe geben, die Er ihnen außer dem Sohne geben konnte, den Heiligen Geist! Es ist also nicht so sehr eine Aufforderung, um den Heiligen Geist zu bitten, als vielmehr eine Ver­heißung seitens des Vaters, dass Er Ihn geben werde, so­wie eine Hervorhebung der Größe Seiner Gabe gegen­über den Gaben der Menschen.

Entscheidender noch als das ist aber die Zeit, in welcher die Worte gesprochen wurden. Die Jünger besaßen den Heiligen Geist noch nicht. Sicher waren sie bekehrt, vom Geiste geboren; aber das ist etwas ande­res, als die Gabe des Geistes empfangen zu haben. Die Bekehrung, oder die neue Geburt, geht der Versiegelung mit dem Heiligen Geiste voran. Die Gabe des Geistes ist ein Vorrecht, das dem Besitz der neuen Natur noch hinzugefügt wird; ohne sie ist die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne ebenso unmöglich wie die Ein­führung in die Tiefen der Gedanken und Ratschlüsse Gottes, welche wir in dem zu Seiner Rechten verherr­lichten Menschensohne geoffenbart finden. Gleichwie Christus droben, das Haupt, mit welchem wir als Leib vereinigt sind, das hauptsächliche himmlische Kennzeichen des Christentums genannt werden kann, so ist die Gabe des Heiligen Geistes dessen charakteristisches Merkmal hienieden. Keines dieser Vorrechte war bis dahin bekannt gewesen; niemand hatte sie genossen oder genießen können, seitdem die Welt bestand. 

Jetzt aber wurden die Jünger ermuntert, ihren himmlischen Vater zu bitten, der sicherlich denen, die Ihn bäten, den Heili­gen Geist geben würde. Die Zeit war nahe; die wun­derbare Gabe sollte geschenkt werden. Die Jünger haben deshalb auch ohne Zweifel uni diese Gabe gebeten, und sie „verharrten im Gebet", (wie wir dies aus Apstgsch. 1, 14 wissen,) selbst nachdem der Herr gestor­ben und auferstanden war; sie warteten noch immer auf die Verheißung des Vaters, und sie warteten, bis der Tag der Pfingsten erfüllt wurde. Von Stund an aber hörte ihr Warten auf; auch baten sie nicht mehr, es sei denn in einem besonderen Falle im Blick auf andere. Wir finden in allen Schriften des Neuen Testamentes auch keine Aufforderung mehr, um den Heiligen Geist zu bitten. Die einfache Botschaft der Apostel an das Volk lautete: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen" — aus Gnaden, ohne jede weitere Bedingung.

Nachdem also die Verheißung des Vaters sich er­füllt hatte, war ein Bitten um die Gabe des Heiligen Geistes nicht mehr am Platze. Er war da, bereit, Seine Wohnung in jedem Glaubenden aufzuschlagen. — Ist es denn auch unrichtig, um eine größere Wirksamkeit des Geistes zu bitten? Sicherlich nicht. Ich darf darum bitten, ja, ich sollte anhaltend und ernstlich bitten, mehr mit dem Heiligen Geiste erfüllt zu werden, damit Er so völlig von meiner Seele Besitz nehme, dass die Macht und der Einfluss der äußeren Dinge schwinde und Er in mir wirken könne in ungetrübter und unge­hinderter Kraft; aber ich wiederhole: das ist kein Bitten um den Heiligen Geist, das ist keine Taufe mit dem Heiligen Geist, keine Ausgießung des Geistes.

Doch was meint Johannes der Täufer, wenn er, auf Jesum hinweisend, sagt: „Er wird euch mit Heiligem Geiste und Feuer taufen"? — Hierüber in dem nächsten Abschnitt.

Fußnoten:

*1) Wenn Er auf den Herrn Jesum in leiblicher Gestalt, wie eine Taube, herniederkam, und am Pfingsttage auf den Häuptern der versammelten Jüngern als zerteilte Zungen wie von Feuer erschien, so waren das nur vorübergehende Erscheinungen, die, obwohl tief bedeutungsvoll, wie wir später sehen werden, doch nichts an dem oben Gesagten ändern

@@@@

Die drei Kreuze

Bibelstelle: Lukas 23, 39 -43

Botschafter des Heils in Christo 1906, S. 99ff

l.

Es ist nur ein kurzer Abschnitt, auf den wir die Aufmerksamkeit des Lesers lenken möchten, aber er er-öffnet dem forschenden Geist ein weites Feld der Wahrheit. Tatsachen von der höchsten Wichtigkeit kommen in den auf dem Hügel Golgatha errichteten drei Kreuzen zur Darstellung. Dass unsere Augen sich dabei zu allererst auf das mittlere Kreuz richten, bedarf keiner Frage.

Schauen wir denn hinauf zu Ihm, der dort angenagelt hing, zu dem herrlichen Jesus von Nazareth. Was hatte Er getan? Jahre des treuesten Dienstes, der unermüdlichsten Ausübung von Werken der Liebe lagen hinter Ihm. Er hatte Kranke geheilt, Aussätzige gereinigt, der Blinden Augen aufgetan, Tote auferweckt, Hungrige gespeist, der Witwen Tränen getrocknet, kurz, Er war allen menschlichen Bedürfnissen in jeder Form und Gestalt in rettender Gnade und Macht begegnet. Es war Seine Speise und Sein Trank gewesen, den Willen Gottes zu tun. Heilig, fleckenlos, voll unendlicher Huld und Güte war Er „von Gott erwiesen worden durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen“ (Apstgsch. 2, 22). Er hatte Gott vollkommen auf dieser Erde verherrlicht und Ihn in allen Seinen Wegen geoffenbart.

Was war es denn, das diesen Vollkommenen an das Kreuz gebracht hatte? Wir wissen es: es war einerseits unsere Schuld, und andererseits Seine göttliche Liebe. In Verbindung damit möchte ich auf drei Punkte in diesem Abschnitt hinweisen, die von besonderer Bedeutung sind.

Zunächst erblicken wir hierin einer Weise wie nirgendwo sonst, was das Herz des Menschen Gott gegenüber ist. Nichts vermochte dieses Verhältnis so darzustellen, wie das Kreuz es getan hat. Wenn wir nach einem vollkommenen Maßstab fragen, an welchem wir die Welt, das menschliche Herz und die Sünde messen können, so brauchen wir nur auf das Kreuz zu blicken. Dort hat die Welt sich zu erkennen gegeben, wie sie ist; dort hat sich die gefallene Menschheit völlig geoffenbart, völlig ausgelassen. Der Ruf: „Kreuzige Ihn! Kreuzige Ihn!“ legte den wahren Zustand des menschlichen Herzens vor Gott bloß. Als der Mensch den Sohn Gottes ans Kreuz schlug, fügte er dem Gebäude seiner Schuld und Schändlichkeit den Schlussstein ein. Indem er einen Räuber und Mörder Christo vorzog, bewies er, dass ihm Raub und Mord lieber waren, als Licht und Liebe. Das Kreuz stellt diese furchtbare Tatsache ans Licht.

Es ist gut, dies klar zu erfassen. Wir neigen dahin, die Welt danach zu beurteilen, wie sie uns behandelt. Wir sprechen von ihrem Unglauben, ihrer niedrigen Gesinnung, ihren Betrügereien und dergleichen, nehmen dabei aber gern uns selbst als Maßstab an; und so geht uns das wahre Kennzeichen der Welt verloren. Um zu einem richtigen Urteil zu kommen, müssen wir das Kreuz betrachten und daran denken, dass die Welt einen Räuber und Mörder Christo vorzog, und dass sie den einzig vollkommenen Menschen, der je gelebt hat, zwischen zwei Räubern ans Kreuz schlug.

Das, mein lieber Leser, ist der Charakter der Welt, in welcher du lebst; das ist ihr wahrer Zustand. Deshalb brauchst du dich über nichts zu verwundern, was du von der Gottlosigkeit der Welt hörst oder siehst; hat sie doch in der Kreuzigung des Herrn der Herrlichkeit den stärksten Beweis ihrer Schuld und Gottlosigkeit gegeben. Schrecklicheres kann es nicht geben.

Vielleicht wird man einwenden: Die Welt hat sich im Laufe der Zeit verändert. Sie ist heute nicht das, was sie in den Tagen eines Herodes und Pontius Pilatus war. Sie hat Fortschritte gemacht. Die Zivilisation hat ihren schönen Mantel über sie gebreitet; zugleich hat das Christentum, wenigstens in einem großen Teile der Welt, einen reinigenden und erleuchtenden Einfluss auf die Massen ausgeübt, so dass es ungerecht wäre, die Welt von heute nach der schrecklichen Tat der Welt von damals zu beurteilen.

Glaubt der, welcher so spricht, dass die Welt sich wirklich geändert habe? Sollte sie besser geworden sein in ihrem Wesen, ihren Wegen und Zielen? Dass die freie Verkündigung des Evangeliums, die erstaunliche Verbreitung der Bibel und die Erlaubnis, sie zu lesen, an vielen Orten durch Gottes Gnade große Veränderungen hervorgerufen hat, ist wahr. Mit dankbarem Herzen denken wir an die Tausende, ja, Hunderttausende kostbarer Seelen, die sich zu Gott bekehrt haben; an die Vielen, die im Glauben an Christum gestorben sind, sowie an die zahlreichen Scharen, die gerade in letzter Zeit zu Christo gekommen sind. Aber alles das hebt die Tatsache nicht auf, dass die Welt immer noch die Welt ist, und dass sie, wenn ihr die Gelegenheit dazu geboten würde, die schreckliche Handlung, die sie im Jahre verübte, im Jahre 1906 wiederholen würde.

Die Beweise für das Gesagte können wir täglich sehen. Oder ist der Name „Jesus“ der heutigen Welt um ein Haar lieber, als zur Zeit, da ihre religiösen Führer schrien: „Nicht diesen, sondern den Barabbas!“? Mache nur einen Versuch, lieber Leser. Geh und sprich den Namen Jesu in jenen glänzenden Kreisen aus, die sich in den Gesellschaftsräumen der Großen und Reichen dieser Erde bewegen. Rede von ihm in den Hütten der Geringen und Armen. Sprich ihn aus in der Eisenbahn, im Gasthause, oder wo es sei, —überall wird man dir sehr bald zu verstehen geben, dass dieser Name nicht am Platze sei.

 Jeder andere Name kann genannt werden, jeder andere Gegenstand wird geduldet, ja, du kannst die größten Torheiten vor den Ohren der Welt aussprechen — niemand wird dir sagen, dass dies nicht am Platze sei. Sobald du aber von Jesu redest, wird man suchen, dich so rasch wie möglich zum Schweigen zu bringen. Halbtrunkene können, hässliche Lieder singend, durch die Straßen taumeln, Narren in tollem Aufzuge den albernsten Mummenschanz treiben, Lästerer den Namen Gottes gröblich missbrauchen — niemand tritt ihnen in den Weg. Wenn aber Gläubige sich von Jesu unterhalten, oder ein Lied zu Seiner Ehre singen, oder wenn gar ein Knecht Christi es wagt, an einem öffentlichen Platze oder in einer Straße das Evangelium zu verkündigen, zeigen sich sofort Hass, Feindschaft und Bitterkeit. Was folgt daraus? Dies: Für den Teufel ist in unseren Straßen Raum, nicht aber für Jesum Christum. „Nicht diesen, sondern den Barabbas!“

Beweisen diese Tatsachen nicht, dass die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts noch genau die gleiche ist wie die der ersten Jahrzehnte der christlichen Zeitrechnung? Wohl hat sie vielerorts ihr Aussehen verändert, aber nirgendwo ihren Geist. Sie hat die Gewänder des Heidentums abgelegt und das Kleid des Christentums angezogen; aber unter diesem Kleide verbirgt sie die abscheulichsten Züge des Heidentums in seinen dunkelsten, Tagen. Vergleiche nur Röm. 1, 29 - 31 mit 2. Tim. 3; die finstersten Merkmale heidnischen Verderbens findest du wieder in Verbindung mit der „Form der Gottseligkeit«, die gröbsten Formen sittlicher Versunkenheit, bedeckt mit dem Kleide eines schönen, christlichen Bekenntnisses.

Nein, mein lieber Leser, zu glauben, dass die Welt besser geworden sei, ist nichts als Täuschung. Die Ermordung des Sohnes Gottes lastet auf ihr, und sie trägt darüber nicht nur nicht Leid, sondern beweist in jedem Zeitpunkt ihrer Geschichte, wie sie jener gottlosen Tat völlig zustimmt. Gott beschäftigt sich auch nicht mehr mit der Welt als solcher; sie ist dem Gericht verfallen. Ihr Todes-Urteil ist gesprochen, und der furcht-bare Tag der Vollstreckung des Urteils naht mit eilenden Schritten heran.

 Man kann die Welt mit einen: tiefen, dunklen Fluss vergleichen, der in ungestümen Laufe jenem See zuströmt, der mit Feuer und Schwefel brennt. Das Schwert des Gerichts kann allein die Frage ordnen, welche zwischen dem Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi und jener Welt schwebt, die Seinen Sohn verworfen und ermordet hat. Und dieses Gericht steht vor der Tür. Schon vor beinahe neunzehnhundert Jahren schrieb der inspirierte Apostel: „Gott ist bereit, zu richten“. Er war damals schon bereit, wieviel mehr ist Er es heute! Wenn Er noch zögert, so geschieht es nur deshalb, weil Seine Langmut groß ist, und weil „Er nicht will, dass irgend welche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“. Welch wunderbare Worte voll unvergleichlicher Gnade!

Indes heben sie die Tatsache nicht auf, dass das Gericht nahe ist. Der schreckliche Tag der Vergeltung ist nicht mehr fern. Darum eile zu Jesu, wer noch nicht geborgen ist! Heute ist die einladende Stimme Jesu durch den Mund Seiner Knechte noch überall zu vernehmen. Heute fordert Er die Menschen noch auf, dem kommenden Zorn zu entfliehen und Zuflucht zu suchen in der Feste des Heiles Gottes.

Dies führt uns zu dem zweiten der oben erwähnten drei Punkte. Wie wir in dem Kreuze in klaren, untrüglichen Buchstaben die Beschreibung des Zustandes des menschlichen Herzens Gott gegenüber lesen können, so finden wir in ihm auch mit nicht geringerer Deutlichkeit die Gefühle des Herzens Gottes gegen die Menschen ausgedrückt. Das Kreuz ist der vollkommene Maßstab für beide.

Im Kreuze schauen wir die Begegnung von Feindschaft und Liebe, von Sünde und Gnade. Hat der Mensch auf Golgatha die ganze Größe seiner Feindschaft gegen Gott gezeigt, so hat Gott, Sein Name sei ewig dafür gepriesen! die ganze Größe Seiner Liebe geoffenbart. Hass und Liebe begegneten sich, aber die Liebe trug den Sieg davon; Gott und die Sünde trafen aufeinander, aber Gott triumphierte, und die Sünde wurde hinweggetan. Gleichsam auf der lichten, der Auserstehungsseite des Kreuzes stehend, Verkündigt der Geist Gottes jetzt die frohe Botschaft, dass die Gnade durch Gerechtigkeit herrscht zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn. Auf dem Kreuze wurde die furchtbare Schlacht geschlagen und der Sieg erstritten, und jetzt verteilt die freigebige Hand königlicher Gnade überall die Errungenschaften dieses Sieges.

Wünschen wir also zu wissen, was für Gedanken und Gefühle in dem Herzen Gottes gegen die Menschen sind, so brauchen wir wiederum nur zu dem Kreuze emporzuschauen, an welches nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes Jesus Christus geschlagen wurde. Allerdings hat der Mensch diese Tat ausgeführt. Er hat, wie wir sahen, mit gottlosen Händen den Heiligen gegeißelt und gekreuzigt. Aber neben dieser dunklen Seite gibt es auch eine helle; wir erblicken in allem Gottes Hand. Er hat die böse Tat des Menschen zum Guten gewandt. Gott war stärker als der Mensch, hoch erhaben über den vereinigten Mächten der Erde und der Hölle.

Es war ähnlich wie in der Geschichte von Joseph und seinen Brüdern: sie erwiesen die bittere Feindschaft ihrer Herzen darin, dass sie ihren armen Bruder in die Grube warfen und ihn dann an die Ismaeliter verkauften. Das war die dunkle Seite. Doch hören wir, was Joseph später darüber zu ihnen sagt: „Und nun betrübet euch nicht, und es entbrenne nicht in euren Augen, dass ihr mich hierher verkauft habt. Denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt.“

Das war die lichte Seite. Doch an wen richteten sich diese wunderbaren Worte der Gnade? An zerbrochene Herzen, an zerschlagene Geister und an überführte Gewissen; an Männer, die gelernt hatten, zu sagen:“ „Fürwahr, wir sind schuldig“, und: „Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden“. Nur auf solche kann überhaupt die uns beschäftigende Wahrheit Anwendung finden. Nur solche, welche ihren wahren Platz eingenommen, die das Urteil Gottes über sich als gerecht anerkannt haben, welche wirklich fühlen, dass das Kreuz der Maßstab ihrer Schuld ist, nur sie können auch das Kreuz als den Ausdruck der Liebe des Herzens Gottes zu ihnen würdigen; nur sie können die wunderbare Wahrheit erfassen, dass dasselbe Kreuz, welches den Hass des Menschen gegen Gott zur Darstellung bringt, auch Gottes Liebe zu dem Menschen zeigt. Diese beiden Dinge gehen stets miteinander. Erst dann, wenn wir unseres Schuld, wie das Kreuz sie uns zeigt, sehen und anerkennen, können wir die reinigende und Frieden gehende Kraft jenes kostbaren Blutes verstehen, das uns von aller Sünde rein wäscht.

Ja, mein lieber Leser, nur ein zerbrochenes Herz und ein reuiger, zerknirschter Geist können in Wahrheit die wunderbare Liebe Gottes erfassen, wie sie in dem Kreuze Christi ans Licht tritt. Wie hätte Joseph sagen können: „Betrübet euch nicht“, wenn er nicht seine Brüder ganz zerbrochen in seiner Gegenwart gesehen hätte? Es wäre unmöglich gewesen. Und wie könnte ein ungebrochenes Herz, ein nicht aufgewecktes Gewissen und eine unbußfertige Seele den Wert des Sühnungsblutes Christi erfassen oder die im Kreuze geoffenbarte Liebe Gottes erkennen und genießen? Ganz unmöglich. 

Joseph redete zuerst hart mit seinen Brüdern; aber sobald aus der Tiefe ihrer zerknirschten Herzen das Bekenntnis her-vordrang: »Was sollen wir meinem Herrn sagen? Was sollen wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gesunden«, da waren sie imstande, die liebevollen, beschwichtigenden Worte: „Betrübet euch nicht“, zu verstehen und zu würdigen. Gerade dann, wenn wir angesichts des Kreuzes zusammenbrechen, weil wir gerade durch dasselbe die ganze Größe unserer Schuld und die Tiefe unseres sittlichen Verderbens sehen, sind wir vorbereitet, in ihm die überwältigende Darstellung der Liebe Gottes zu uns zu erblicken, Und wenn wir so weit gekommen sind, so gehören wir nicht mehr zu der schuldigen, dem Gericht verfallenen Welt. Wir schwimmen dann nicht mehr mit in dem dunklen, reißenden Strom, von welchem wir sprachen, sondern wir sind in den geheiligten und friedevollen Kreis des Heiles Gottes gebracht, wo wir in dem Strahlenglanze eines Vaterantlitzes wandeln und, die reine Luft der neuen Schöpfung einatmend, ausrufen können: „Gott sei Dank für Seine unaussprechliche Gabe!“

Zum Schluss noch ein ganz kurzes Wort über den dritten Punkt unserer Betrachtung, die Darstellung des Herzens Christi in Seinem Verhältnis zu Gott, wie sie am Kreuze zum Ausdruck kam.

Inmitten einer Welt wie die, in der wir leben, liegt für das Herz ein großer Trost in dem Gedanken, dass Gott wenigstens durch einen Menschen hienieden vollkommen verherrlicht worden ist. Da hat Einer auf dieser Erde geweilt, dessen Speise und Trank es war, den Willen Gottes zu tun und Sein Werk zu vollbringen. Im Leben und im Sterben hat Jesus Gott vollkommen verherrlicht. Von der Krippe bis zum Kreuze war Sein Herz nur von diesem einen Gegenstand erfüllt, den Willen Gottes zu tun, koste es was es wolle. „Siehe, ich komme, (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben,) um deinen Willen, o Gott, zu tun.“ In der Rolle der ewigen Ratschlüsse Gottes stand von dem Sohne geschrieben, dass Er in der Fülle der Zeit in diese Welt kommen und den Willen Gottes vollbringen werde. Und Er hat sich dieser Aufgabe gewidmet mit all der Tatkraft Seines vollkommenen Wesens. Nie, von Anfang bis zu Ende, ist Er um eines Haares Breite davon abgewichen, und wenn wir Ihn nun am Kreuze betrachten, so sehen wir gerade dort die vollkommenste Ausführung dessen, was Sein Herz auf Seinem ganzen Wege erfüllt hatte: völlige Unterwerfung unter den Willen Gottes und Ausführung dieses Willens in Gehorsam und Liebe.

Die bekannten Worte des Apostels in Phil. 2, 5 — 9 stellen uns dies in besonders gesegneter Weise vor Augen. Es heißt dort: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war, welcher, da Er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze“.

Wie schön ist doch das alles! Welch unergründliche Tiefen, welch unmessbare Höhen sind in dem Geheimnis des Kreuzes enthalten! Wir erblicken dort das Herz des Menschen Gott gegenüber, Gottes Herz dem Menschen gegenüber und endlich das Herz Christi in Seinem Verhältnis zu Gott. Alles das wird uns in jenem Kreuze gezeigt, an welchem der vollkommene Mensch, als ein Schauspiel für Himmel, Erde und Hölle, zwischen zwei Räubern hing. Nichts kommt dem Kreuze gleich. 

Es wird in alle Ewigkeit den Gegenstand unserer Betrachtungen und Unterredungen bilden. Möchte es heute schon mehr so sein! Der Heilige Geist will so gern unsere Herzen in die Höhen und Tiefen des Kreuzes einführen, damit wir ganz von Ihm, der einst daran hing, erfüllt und in demselben Maße von der Welt, die Ihn dahin brachte, abgesondert werden! Möchte es Ihm gelingen, damit die Sprache unserer Herzen in Wahrheit stets die Seines treuen Apostels sei: „Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesu Christi!« — Gott gebe es um Jesu willen!

@@@@

Aus einem alten Briefe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 109ff

. . . Ich glaube, dass es das Vorrecht des Glaubens ist, Christum stets anzuschauen und uns in Ihm für gestorben und auferstanden zu halten. Allerdings setzt uns die Kraft des Heiligen Geistes allein in den Stand, das zu tun, und das Licht, welches von Christo aus in das Herz scheint, wenn wir ihn anschauen, zeigt uns alles, was in unserem Herzen nicht vom Lichte ist; denn das Licht Christi macht alles offenbar. Auf diese Weise richten wir uns selbst durch den Heiligen Geist und werfen alles weg, was uns verhindern will, Christum anzuschauen.

Indem ich so wandle, habe ich Freimütigkeit zu Gott, und die Liebe Gottes strahlt immer heller und glänzender in mein Herz. Es ist nicht die Folge einer besonderen Anstrengung des Herzens; es ist die Wirkung des Lichtes selbst, das Ergebnis der Gegenwart Gottes. Nichts bleibt Ihm verborgen; dennoch ist Seine Gegenwart eine Freudenquelle in meinem Herzen. Sobald wir unsere Augen von Christo abwenden, sind wir in der Dunkelheit, und außer der Gegenwart Gottes können wir nicht uns selbst richten. 

Wenn aber das Bewusstsein dieser Gegenwart im Herzen wahr ist und aus das Gewissen wirkt, so kann ich nicht zufrieden sein, wenn sich noch etwas in meinem Herzen findet, womit Christus nicht zufrieden ist. Wenn jemand sagt, er schaue Christum an, und ich sehe dennoch Dinge in ihm, die Christo missfällig sein müssen, er sieht sie aber nicht, so kann ich mit Gewissheit sagen, dass er nicht wirklich in der Gegenwart Christi ist; er täuscht sich. Wohl mag er der Meinung sein, dass man Christum anschauen sollte, „aber er täuscht sich, wenn er denkt, dass er es wirklich tue.

Die Strahlen dieser Lebenssonne sind warm; es sind wahre Liebesstrahlen, und die Kraft dieser Liebe weckt die Liebe in unseren Herzen auf und zwingt uns, alles das, was die Wirkung dieses Sonnenglanzes unterbricht, zu hassen und zu richten und mit Beschämung des Herzens hinwegzutun.

Das Licht der Liebe Christi, welches wir genießen, wenn wir« Christum anschauen, ist für das Herz zu köstlich, als das; wir irgend ein Hindernis darin dulden könnten. Das Licht aber macht, wie gesagt, alles offenbar. Das ist nicht Gesetz; das Gesetz überführt von der Sünde, aber es verdammt den Sünder. Nein, es ist die Wirkung des Anschauens Christi, wenn dieses Anschauen wahr ist. Wenn wir uns selbst betrachten, sind wir außerstande, uns kennen zu lernen, weil das Herz viel zu trügerisch ist. Das Licht, welches alles offenbar macht, fehlt dann; ich tappe in der Dunkelheit umher. Jeder, der mit sich selbst beschäftigt ist, ist immer- geneigt, etwas zu entschuldigen oder zu fürchten, oder aber zu verzweifeln, wenn es unter dem Gesetz geschieht. Das Licht fehlt, und das Auge ist ohne das Licht nicht fähig, zu sehen: man sieht entweder nicht klar, oder man fürchtet sich, ohne zu wissen warum.

Wenn ich Christum anschaue, und es findet sich nichts in meinem Herzen, was Gott missfällig ist, so ist die Wirkung dieses Anschauens Gemeinschaft mit dem Herrn. Wenn wir uns selbst anschauen, so entdecken wir vielleicht viel Böses im Herzen; aber das Licht Gottes ist nicht da, und die Liebe Gottes, die sich mit. dem Lichte vereinigt, wird nicht im Herzen erkannt. Sie vermischt sich nicht, wenn ich so reden darf, mit dem Bewusstsein, dass Sünde vorhanden ist. Das Vertrauen geht verloren, und das Gewissen befindet sich. unter dem Gesetz. Anstatt uns selbst zu richten, fürchten wir das Gericht Gottes; die Kraft der Gnade ist nicht im Herzen vorhanden.

Der Blick, welchen Jesus Seinem Jünger zuwarf, weckte das Gewissen Petri auf, und dann stellte sich sein ganzes Verhalten in wahren Farben vor seinen Augen dar. In der Gegenwart Christi werden die innersten Regungen und Beweggründe des Herzens offenbar; sie kommen in das Licht Seines Angesichts, zugleich aber auch in das Licht Seiner Liebe, und indem wir an diese Liebe denken-, schmilzt das Herz . . . .

Niemals bin ich so glücklich im Herrn gewesen wie jetzt. Manchmal steigt der Gedanke in meinen! Herzen auf, das; ich diese Welt bald verlassen werde, da der Himmel so nahe und wirklich und Christus so köstlich ist. Dennoch fühle ich, dass wir unseren Lauf vollenden müssen . . . . Ich hoffe, dass die Verfolgungen den Mut der Brüder nicht schwächen werden. Wir sollten solche erwarten, denn Christus hat es uns vorhergesagt. Gott stärke ihre Herzen!

J. N· D·

@@@@@

O Herrlichkeit der Herrlichkeiten

Bibelstelle: Psalm 27,4; 2.Korinther 3,17.18; 4,6

Botschafter des Heils 1906 S. 112ff

O Herrlichkeit der Herrlichkeiten

in Jesu Christi Angesicht!

Ja Lieblichkeit der Lieblichkeiten

erblicken wir in Seinem Licht.

O Lebensquell, o Lebenssonne,

von Dir strömt Leben, Licht und Wonne

in Fülle jetzt und ewiglich.

O welche Gnade hier auf Erden

„von Herrlichkeit zu Herrlichkeit

ins selbe Bild verwandelt werden,

als durch den Herrn; Er ist der Geist“!

O Seligkeit, Ihn anzuschauen

und Seiner Treue zu vertrauen,

und Ihm zu dienen, bis Er kommt!

Ja, „Er kommt bald!“ O welch Entzücken,

Ihn dann von Angesicht zu sehen!

Ihn, „den Geliebten“ zu erblicken,

mit Ihm ins Vaterhaus zu gehen!

Mit Ihm beim Vater dann zu wohnen,

mit Ihm verherrlicht auch zu thronen –

„O komm Herr Jesu“ ruf uns heim!

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 113ff

II Die Taufe mit Heiligem Geiste und Feuer

Um die Frage zu beantworten: Was meint Johannes der Täufer, wenn er auf Jesum hinweisend sagt: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der nach mir Kom­mende aber ist stärker als ich . . .; Er wird euch mit Heiligem Geiste und Feuer taufen" (Matth. 3, 11), müssen wir uns zunächst ein wenig mit den Umständen beschäftigen, unter welchen der Ausspruch geschah.

Johannes der Täufer war der Vorläufer des Herrn Jesu, der Herold des großen Königs, der in Bethlehem geboren worden war und nun im Begriff stand, in der Mitte Seines Volkes aufzutreten. Unter diesem Cha­rakter erscheint Johannes ganz besonders in unserem Kapitel. In Erfüllung der Prophezeiung des Jesaias predigte er in der Wüste von Judäa: „ Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen. Denn dieser ist der, von welchem durch Jesaias, den Propheten, ge­redet ist, welcher spricht: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn; machet gerade seine Steige"."

 Jehova, der Herr, war inmitten Seines irdischen Volkes erschienen, um Sein Reich auf­zurichten, und aller Augen sollten auf Ihn hingelenkt, aller Herzen auf Ihn aufmerksam gemacht werden. Jo­hannes war nicht die wichtige Person; er war nur eine Stimme, welche durch ihr Rufen alle aus dem Schlafe auf­rütteln und die Gedanken der Bußfertigen und Gottes­fürchtigen auf den Messias, den Hirten Israels, richten sollte.

„Das Reich der Himmel" war nahe gekommen, jenes Reich, von welchem schon in Daniel 2 und 7 die Rede ist. Welche Form dieses Reich zunächst annehmen würde, dass sein König verworfen und das Reich selbst in einer geheimnisvollen Gestalt (vergl. Matth. 13) aufgerichtet werden sollte, darüber hatte Johannes wohl kein Ver­ständnis. Er predigte einfach dem Volke Israel (denn um dieses handelt es sich hier aus schließlich) das Reich der Himmel als nahe bevorstehend und kündigte die Gegenwart des Jehova-Messias an, der an dem Bösen Gericht üben und in göttlicher Macht das Gute einführen und so der Herrlichkeit den Weg bahnen würde, welche Gott den Vätern verheißen hatte. Wie wenig Johannes auf die Verwerfung Jesu seitens der Juden und die darauf folgende Hinausschiebung der Er­füllung der Verheißungen vorbereitet war, geht aus sei­ner Sendung an den Herrn in Matthäus 11 hervor.

Dürfen wir uns über sein mangelhaftes Verständnis wundern? Nein; aber billig sollten wir uns über Gläubige in unseren Tagen wundern, die trotz des hellen Lichtes des Neuen Testaments noch nicht zur Einsicht darüber gekommen sind, dass die Errichtung des Reiches Christi in sichtbarer Herrlichkeit und Macht, so wie es im Alten Testament beschrieben wird, aufgeschoben worden ist, und dass die Verwerfung Jesu hienieden und Seine Er­höhung zur rechten Hand Gottes zur Einführung des Reiches in der bereits genannten geheimnisvollen Gestalt geführt hat. Es ist ganz erstaunlich, wie schrift­widrig die Begriffe vieler Gläubigen in dieser Beziehung sind. 

Man vermengt das Reich mit der Kirche, die irdi­schen Hoffnungen und Erwartungen Israels mit der himmlischen Stellung und Hoffnung der neutestament­lichen Gläubigen, und man redet infolgedessen mehr von dem „König" Jesus, als von dem hienieden verworfenen, aber droben verherrlichten Menschensohne, dem Haupte Seines Leibes, der Versammlung. Selbstverständlich ent­spricht dieser Anschauung dann auch mehr oder weniger die ganze Denkweise der betreffenden Gläubigen.

Aus diesem Grunde mag es gut sein, noch einen Augenblick hierbei zu verweilen. Nie hat es eine Zeit auf Erden gegeben, in welcher die Wege Gottes dem Men­schen solch weitgehende Segnungen gebracht hätten wie heute. Selbst im Tausendjährigen Reiche geboren zu sein, ist nicht zu vergleichen mit der gegenwärtigen Segnung. Bei dem Gedanken an die Herrlichkeit, welche dann ge­schaut werden wird, wenn alles Christo unterworfen ist und Gottes Wille geschieht „wie im Himmel also auch auf Erden", möchte freilich in manchem Herzen der Wunsch aufkommen: „Ach, wenn ich doch dann auf dieser Erde lebte! " Aber die Gläubigen, welche in jenen Tagen hienieden weilen werden, genießen nicht das, was wir heute genießen. Sie stehen nicht in denselben Beziehun­gen zu dem Vater und dem Sehne, wie wir es tun. 

Sie werden nicht in der Weise wie wir wissen, was es heißt, innerhalb des Vorhangs ins Allerheiligste zu treten, oder hienieden an den Leiden Christi teilzunehmen. Sie wer­den nicht in dem vollen Sinne die Freude des Heiligen Geistes kennen, während sie zugleich von der Welt verworfen sind und um Christi willen geschmäht werden. Was die gegenwärtige Zeit kennzeichnet, ist der Umstand, dass die Gläubigen, während sie hienieden pilgern und verworfen sind, in bewusster Weise im Himmel wohnen. Unsere Heimat ist droben; wir ge­hören dieser Welt gar nicht an, alle unsere Erwartungen liegen außerhalb der sichtbaren Dinge, sind mit Christo verbunden, da wo Er jetzt ist.

Ein liebliches Bild von unserer Stellung in dieser Be­ziehung erblicken wir in unserem geliebten Herrn selbst, als Er nach Seiner Taufe durch Johannes aus dem Jordan wieder heraufstieg und der Himmel sich über - Ihm öffnete. Der irdische Schauplatz um Ihn her war eine Wüste, aber der Himmel war geöffnet, und der Heilige Geist stieg auf Ihn hernieder, während der Vater Ihn anerkannte als Seinen geliebten Sohn.

Mein lieber gläubiger Leser, betrachte mit Anbetung den gesegneten Platz, auf welchen die Versöhnung dich gestellt hat! Nachdem Christus in den Himmel zurück­gekehrt ist als Der, welcher Gott vollkommen verherr­licht hat im Blick auf die Sünde, ist der Vorhang für dich zerrissen und der Himmel aufgetan. Du bist ge­salbt und versiegelt mit dem Heiligen Geiste, und der Vater hat dich anerkannt als Sohn, als Sein geliebtes Kind. — Dass Jesus jene Anerkennung von seiten des Vaters empfing auf Grund Seiner persönlichen Rechte, der Würdigkeit Seiner Person, während wir durch Gnade und auf Grund des Erlösungswerkes auf diesen Boden gebracht sind, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Darum wird Ihm auch kein Gegenstand im Himmel gezeigt, auf welchen Er Sein Auge zu richten hatte, wie z. B. dem Stephanus oder Paulus, sondern Er ist der Gegenstand, auf welchen der Himmel herabblickt.

Im Vorübergehen möchte ich noch bemerken, dass wir bei dieser Gelegenheit zum ersten Male die gött­liche Dreieinheit völlig geoffenbart finden. Der Sohn ist da in sichtbarer Gestalt als Mensch hienieden; der Heilige Geist kommt auf Ihn herab und bleibt auf Ihm, und die Stimme des Vaters erkennt Ihn als Sohn an. Welch eine wunderbare Offenbarung in Verbindung mit der Stellung, die der Sohn eingenommen hatte! Diese Offenbarung der drei Personen in der göttlichen Einheit war, wie wir in dem ersten Abschnitt unserer Betrach­tung sahen, im Alten Testament unmöglich; sie blieb, als Grundlage des Christentums, aufgespart für den herrlichen Augenblick, da der Sohn Gottes Seinen Platz einnehmen würde inmitten der Armen Seiner Herde, unter denen, welche Er in Seiner Liebe und herablassenden Gnade „die Herrlichen der Erde" nennt. (Vergl. Ps. 16.)

Kehren wir jetzt zu Johannes dem Täufer zurück. Angesichts des Reiches, dessen Nahen er ankündigte, forderte Johannes alle zur Buße auf. Der Zustand des jüdischen Volkes war ein solcher, dass der Täufer, ent­sprechend seiner Bußpredigt, außerhalb Jerusalems, des religiösen Mittelpunktes Israels, in der Wüste seinen Aufenthalt nahm, in härenem Gewande einherging und von Heuschrecken und wildem Honig sich nährte. Die Gnade kam in seinem Dienst nicht zum Ausdruck, wenn­gleich seine Sendung an und für sich ein Beweis der Gnade Gottes war. Er kam „im Wege der Gerechtigkeit" (Matth. 21,32). Die äußeren Vorrech­te des Israeliten erkannte er nicht an. Gott vermochte dem Abraham sogar aus den Steinen, die am Wege lagen, Kinder zu erwecken. Es handelte sich jetzt um wahre Buße und Umkehr zu Gott, um „der Buße wür­dige Frucht". Der Messias war da. Der Herr der Ernte war erschienen.

 Er, der den Weizen von der Spreu zu unterscheiden wusste, der Herzenskündiger, der Richter Israels, stand auf Seiner Tenne, d. h. inmitten Seines Volkes Israel. Die Aufforderung zur Buße er­ging an das ganze Volk, und schon lag die Axt an den Wurzeln der Bäume. Weigerte sich Israel, Buße zu tun, so war Gott bereit, mit dem alten religiösen System völlig zu brechen, wie es in Wirklichkeit ja auch her­nach geschehen ist. Die Bäume, welche keine guten Früchte brachten, sollten abgehauen und ins Feuer ge­worfen werden; wer das Zeugnis des Johannes annahm und dem göttlichen Urteil sich unterwarf, wurde von dem übrigen Volke durch die Wassertaufe abgesondert.

Ich wiederhole also: es handelt sich in unserem Kapitel nur um Israel und um Gottes Wege mit den Juden. Die Botschaft des Johannes richtete sich ausschließlich an dieses Volk. Es ist notwendig, dies immer wieder zu betonen, weil gerade die Nichtbeachtung dieser Tat­sache zu so vielen verkehrten Auslegungen des Aus­spruchs unseres Propheten Anlass gegeben hat. Johan­nes war ein Prophet, ja, mehr als ein Prophet; nicht nur redete er ernste Worte von seiten Gottes zu dem Volke, sondern er kündigte auch die Erfüllung der Ver­heißungen Gottes und damit den Anbruch einer ganz neuen Zeit für Israel an und zeugte von der Gegen- wart Jehovas inmitten Seines Volkes.

 Welch eine Tat­sache von unermesslicher Bedeutung war diese Gegen­wart! Der Jehova-Jesus, welcher in der Mitte Seines Volkes erschienen war, sollte sicherlich der Erfüller aller Verheißungen sein, aber Er musste auch notwendig alles Böse, das Er unter Seinem Volke fand, richten. Er kam nach Johannes, aber Er war vor ihm. Er war der Stärkere und Größere. Johannes war nicht würdig, Ihm die Schuhriemen zu lösen. Er war Jehova, und Er stand im Begriff, Seine Tenne (Israel) durch und durch zu reinigen, Die Worfschaufel war in Seiner Hand. Diejenigen, welche wahrhaftig Sein waren (den Weizen), wollte Er aus Seinem Volke ausscheiden und in Seinen Scheunen in Sicherheit bringen; die übrigen, die Bösen (die S p r e u), sollten verbrannt wer­den mit unauslöschlichem Feuer.

Damit kommen wir zu dem Ausspruch, der den eigent­lichen Kernpunkt unserer Betrachtung bildet: „Er wird euch mit Heiligem Geiste und Feuer taufen." Die lange Einleitung war notwendig, um zu zeigen, wie verkehrt, ja verhängnisvoll es ist, die Worte des Propheten aus ihrem Zusammenhang herauszunehmen, um ihnen auf diese Weise eine Auslegung zu geben, die der Belehrung des Geistes in unserem Kapitel und an anderen Stellen der Schrift unmittelbar widerspricht. Man redet im Anschluss an den Ausspruch des Propheten davon, dass „wir eine Feuertaufe brauchen"; man be­trachtet die Feuertaufe als eine kostbare Verheißung für den Gläubigen und bittet in heißem Flehen um die Erfüllung dieser Verheißung. O wie gut ist es, dass Gott in Seiner Gnade solches Flehen nicht erhört! Er kann es nicht erhören; denn wenn Er es täte, so würde es ja die ewige Verdammung der Bitten­den bedeuten.

„Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der nach mir Kommende aber ist stärker als ich . . .; Er wird euch mit Heiligem Geiste und Feuer taufen." Zwei in ihrer Natur völlig verschiedene, ja, unmittelbar einander ent­gegengesetzte Dinge stellt Johannes hier, geleitet durch den Geist, in einem kurzen Satze zusammen; zwei Tätig­keiten des Herrn werden in knapper, charakteristischer Weise beschrieben, die nicht nur völlig verschieden sind, sondern auch, was die Zeit ihrer Ausübung betrifft, weit auseinander liegen.

 Letzteres konnte Johannes freilich damals nicht wissen, hat es auch später nicht gewusst, wie wir oben bereits gesehen haben. Was sind mm diese beiden Dinge? Jesus war gekommen, um mit Heiligem Geiste zu taufen, d. h. Seinen Geist denen zu geben, die lebendig gemacht, gereinigt und er­löst werden würden; und Er war gekommen, um mit Feuer zu taufen, d. h. Sein Gericht an denen a u s z u f ü h r e n, welche das Zeugnis des Johannes nicht annehmen und in ihren Sünden beharren würden. Wäh­rend Johannes das Volk zur Buße rief und diejenigen, welche seinem Rufe folgten, mit Wasser taufte, stand ein Größerer als er bereit, Seine Tenne zu reinigen, an den Unbußfertigen. Gericht auszuüben, aber auch mit Heiligem Geiste diejenigen zu taufen, welche durch den Glauben an Ihn sich retten lassen würden. Beachten wir also wohl: Johannes stellt hier den Herrn Jesum nicht dar als den in Gnade erschienenen Heiland, nicht als das Lamm, welches gekommen war, um die Sünde der Welt hinweg zunehmen, sondern als das Haupt des Reiches, als Jehova, welcher im Begriff stand, falls Israel nicht Buße tun würde, das Gericht an dem schul­digen Volke zu vollziehen. Die Tenne war Seine Tenne, der Weizen war Sein Weizen, und die Spreu wird Er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer.

Israel hat Jesum verworfen. Die ernste Botschaft des Johannes, der im Wege der Gerechtigkeit kam, und die freundlichen Einladungen Jesu, der, obwohl Er der Rich­ter Israels war, in göttlicher Gnade Seinem Volke begegnete, blieben unbeantwortet. Der Messias, der König Israels, wurde ans Kreuz geschlagen. Damit war das Schicksal der jüdischen Nation als solcher besiegelt; nichts als Gericht blieb für sie übrig. Doch ist das Ge­richt noch nicht endgültig vollzogen. Wohl ist das ganze religiöse System hinweggetan, wohl befindet sich Israel in der Zerstreuung unter den Völkern der Erde und liegt unter dem Fluch, welchen es durch die Ermordung des Sohnes Gottes auf sich gebracht hat; aber das im 12. Verse unseres Kapitels angekündigte endgültige Gericht ist noch nicht vollzogen. 

Gott hat, wie uns allen bekannt ist, den Endabschluss Seiner Wege mit Israel hinausgeschoben, und inzwischen ist etwas ganz Neues, in Gottes Herzen bis dahin Verborgenes: die Ver­sammlung oder Gemeinde, ans Licht getreten. Sie wurde am Tage der Pfingsten gebildet, und ihr tat der Herr nachher täglich diejenigen aus Israel hinzu, welche von dem kommenden Zorn gerettet werden sollten. Dem gläubigen Überrest aus Israel, der sich nach der Verwerfung Christi und nach Seiner Aufer­stehung aus den Toten vorfand, wurde, das Zeugnis des Johannes, die Verheißung wiederholt: „ihr werdet mit Heiligem Geiste * 2) getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen" ( Apstg. 1,5 ).

Johannes stellt also zwei wichtige Charakterzüge des ersten und zweiten Kommens Christi in einem Satz zusammen. Alles was zwischen beiden liegen mochte, war vor seinen Augen verborgen. Wohl hatten die alt­testamentlichen Schriften von der ersten und zweiten An­kunft des Messias geredet, aber nicht in einer Weise, dass der Gedanke an zwei verschiedene Zeitabschnitte dadurch erweckt wurde. Selbst nach dem Tode und der Aufer­stehung des Herrn hatten die Jünger noch kein Ver­ständnis hierüber. Daher stellt Johannes diese beiden Dinge: die Taufe mit dem Heiligen Geiste und die Taufe mit Feuer, einfach nebeneinander.

 Er konnte, wie ge­sagt, nicht wissen, was wir heute wissen, dass die Taufe mit dem Heiligen Geiste die Segnung Gottes im Reiche der Himmel ist, so wie es heute besteht, während die Taufe mit Feuer die Errichtung des Reiches der Himmel in Macht und Herrlichkeit bei der Wiederkunft Christi begleiten wird. In jenen Tagen wird der Inhalt des 12. Verses in Erfüllung gehen: Christus wird die Gott­losen wie Spreu sammeln und ins Feuer werfen. Das ist die Taufe mit Feuer. Sie hat nichts zu tun mit der Wiedergeburt eines Menschen, noch mit seiner Zu­bereitung und Ausrüstung in Kraft zum Dienst; noch weniger ist sie eine Befreiung von Sünde, eine Art Ausbrennung der alten Natur, so dass der, welcher sie empfangen hat, nun heilig und ohne Sünde lebt. Nein, sie steht in keinerlei Verbindung mit dem Gläubigen, sondern bedeutet das Ausgießen des Feuereifers Gottes, des brennenden Zornes des gerechten Richters, über alle, welche sich den ernsten und freund­lichen Botschaften Gottes gegenüber verhärten und auf ihren Sündenwegen beharren.

Feuer ist in der Schrift überall das Symbol des Ge­richts. (Matth. 3, 11 macht keine Ausnahme von der Regel.) Diese Tatsache ist so bekannt und geht aus so vielen Stellen des Alten und Neuen Testamentes her­vor, dass wir nicht länger dabei zu verweilen brauchen. Nur eine Stelle aus dem Neuen Testament, die zuweilen Schwierigkeiten macht, möchte ich erwähnen. Sie lautet: „Denn jeder wird mit Feuer gesalzen werden, und jedes Schlachtopfer wird mit Salz gesalzen werden" (Mark. 9, 49). Der Herr redet hier von dem Ernst der Ewigkeit. Gott ist ein verzehrendes Feuer, und mit Ihm und Seiner vollkommenen Heiligkeit haben alle es zu tun. Ein jeder, ob gut oder böse, wird mit Feuer gesalzen werden. 

Ist Leben in einer Seele vor­handen, so wird das Feuer des Gerichts nur das treffen, was der Heiligkeit Gottes nicht entspricht; alles was aus dem Fleische ist, begegnet einem schonungslosen Ge­richt. Gott will und muss in denen, die Ihm nahen, geheiligt werden. ( Vergl. 3. Mose 10.) In Verbin­dung damit lesen wir auch in 1. Kor. 11, 32: „Wenn wir gerichtet werden, so werden wir vom Herrn ge­züchtigt, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden." Wenn aber das Gericht den Gottlosen und Bösen erreicht — und das wird sicherlich geschehen — so bedeutet es für ihn die Verdammnis, das unauslöschliche Feuer.

Außerdem wird jedes Schlachtopfer, d. h. jeder Gute, Gott Geweihte, mit Salz gesalzen werden; d. h. die heiligende Gnade Gottes, welche die Seele inner­lich vor dem Bösen bewahrt, darf denen nicht fehlen, deren Leben ein Opfer für Gott ist. Ist das Feuer ein Bild des verzehrenden Gerichts, so erblicken wir in dem Salz ein Bild jener göttlichen Kraft, die uns von allem Bösen absondert und uns vor innerer Fäulnis bewahrt.

Nirgendwo in der Schrift finden wir etwas, das uns Anleitung geben könnte, das, was am Pfingsttage ge­schah, als Feuertaufe zu bezeichnen. Es handelt sich dort in keiner Weise um Gericht, sondern vielmehr um das Ausgießen der Gnade Gottes und die Gabe des Heiligen Geistes, damit Er in den Heiligen wohne und sie als Seine Werkzeuge benutze. Die „Zungen wie von Feuer" weisen hin auf die Art und Weise, wie die Macht des Heiligen Geistes sich fortan offenbaren und in den Jüngern wirksam sein sollte. Das Wort, welches einem Feuer gleicht, indem es alles richtet und in dem Herzen des Menschen nichts Böses duldet, sollte von ihnen in Kraft verkündigt werden, zugleich aber auch die wunderbare Gnade Gottes in allen Sprachen den Menschen kundtun. Es waren Zungen, und zwar zerteilte Zungen, was uns wohl daran erinnert, dass Gottes Zeugnis nunmehr die Schranken des Judentums durchbrechen und zu allen, zu Juden und Heiden, hingelangen sollte.

So begegneten denn — auch das ist charakteristisch für das Christentum — bei dieser Gelegenheit die bedingungslose Gnade und die vollkommene Liebe Gottes dem Menschen, der gar keinen Anspruch auf dieselben hatte, indem zugleich alle seine Sünden durch dieselbe Gnade in dem Tode Christi als gerichtet erschienen. Im Kreuze sehen wir das Gericht über die Sünde; dort wurde das fleckenlose, reine Opfer von dem Feuer des Gerichts an unserer Statt verzehrt. Das Böse im Men­schen muss gerichtet werden und war tatsächlich bereits in Christo als dem großen Sündopfer gerichtet worden. Die Gnade herrscht jetzt durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn; und wer dieser Gnade teilhaftig geworden ist und sie in sich wirken lässt, wendet allezeit jenes göttliche Urteil auf sich an und wandelt in Aufrichtigkeit und Lauterkeit vor Gott und Menschen.

Auf Jesum kam der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, des passenden Sinnbildes der Reinheit und Sanft­mut. Auf diesen Reinen und Heiligen konnte Er herniederkommen und auf Ihm bleiben ohne irgendwelchen Hinweis auf ein notwendiges Gericht. Zugleich erinnert es uns daran, dass von Jesu gesagt war: „Er wird nicht streiten noch schreien, noch wird jemand seine Stimme auf den Straßen hören; ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht wird er nicht auslöschen" (Matth. 12, 19. 20)

Fußnoten:

*2) Warum wird hier nicht auch hinzugefügt: „und Feuer"? Wenn die vorhin angeführte Erklärung über die Feuertaufe richtig wäre, würden die Worte an dieser Stelle wahrlich nicht ausgelassen worden sein.

@@@@@@

Die drei Kreuze

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 126ff

II.

In dem ersten Teil unserer Betrachtung beschäftigten wir uns mit dem wunderbaren mittleren Kreuze, an welches der Herr der Herrlichkeit um unserer Erlösung willen geschlagen war. Heute möchten wir die Aufmerksamkeit des Lesers auf die beiden anderen Kreuze lenken, beziehungsweise aus die Männer, welche daran hingen. Wir werden in diesen beiden Männern Vertreter der zwei großen Klassen finden, in welche die menschliche Familie seit Anbeginn der Zeit geteilt ist, nämlich derer, die den Christus Gottes annehmen, und derer, die Ihn verwerfen, derer, die an Jesum glauben, und derer, die es nicht tun.

Zunächst ist es von Wichtigkeit, zu sehen, dass zwischen den beiden Männern an und für sich kein wesentlicher Unterschied bestand. In ihrer Natur, ihrer Vergangenheit und ihren Umständen waren sie sozusagen eins. Einige Schriftausleger haben sich bemüht, einen Unterschied zwischen ihnen zu entdecken. Zu welchem Zweck? Wohl nur in der Absicht, den lichten Glanz der Gnade zu verdunkeln, der aus der Geschichte des bußfertigen Räubers» hervorstrahlt. Sie behaupten, es müsse in seinem früheren Leben irgend etwas gegeben haben, das sein wunderbares Ende einigermaßen erklärlich mache, sei es eine schlechte Erziehung, wodurch sein böses Leben in etwa zu entschuldigen gewesen wäre, sei es das eine oder andere Gute in seinen Handlungen, wodurch er sich von dem anderen Räuber vorteilhaft unterschieden habe.

Aber das sind völlig unbegründete Vermutungen; die Schrift spricht von nichts Derartigem. Im Gegenteil, sie gibt uns das inspirierte Zeugnis zweier Evangelisten, welches aussagt, dass anfänglich beide Räuber, der eine wie der andere, den Sohn Gottes geschmäht und verspottet haben. In Matth. 27, 44 lesen wir: „Auf dieselbe Weise schmähten Ihn auch die Räuber, die mit Ihm gekreuzigt waren«. Und Markus sagt: ,,Auch die mit Ihm gekreuzigt waren, schmähten Ihn“ (Kap. 15, 32).

Diese beiden Zeugnisse stellen es ganz außer Frage, das; zwischen den zwei Räubern anfänglich kein Unter- schied bestand. Sie waren beide verurteilte Missetäter, ja, sie trieben es in ihrer Bosheit und Gottesfeindschaft so weit, dass sie, an den Pforten der Ewigkeit stehend, angesichts eines qualvollen Todes, noch beide den Sohn Gottes schmähten. Erst als ein Pfeil aus dem Köcher Gottes das Herz des einen traf, trat eine Veränderung ein; in ihrer Natur, in ihrer Schuld, in ihrem Verbrecherleben und in ihrer ganzen Gottlosigkeit waren sie einander völlig gleich. Je klarer wir diese Tatsache erfassen, in umso herrlicherem Glanze strahlt uns die unumschränkte Gnade Gottes entgegen; umso besser lernen wir verstehen, wie einem: „denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ gegenüberstehen kann ein: „denn es ist kein Unterschied . . ., denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“ (Vergl. Röm. 3, 22. 23 mit 10, 12).

Der Maßstab, an welchem die Menschheit an der eben genannten Stelle gemessen wird, ist „die Herrlichkeit Gottes“; und da alle, die besten wie die schlechtesten, diese Herrlichkeit nicht erreichen, ihr nicht entsprechen, so besteht kein Unterschied zwischen ihnen. Wäre der Maßstab das menschliche Gewissen oder die menschliche Gerechtigkeit, so würde man ohne große Mühe einige Unterschiede unter den Menschen herausfinden können. Aber das ist nicht der Fall. Der Maßstab für alle ist nichts Geringeres als die Herrlichkeit Gottes selbst, und dieser gegenüber sind alle gleich arm, unrein und unvollkommen. „Alle. haben gesündigt und erreichen nicht (d. i. reichen nicht hinan an) die Herrlichkeit Gottes.“

Doch Gott sei gepriesen! Diese wichtige Frage hat noch eine andere Seite. „Derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“, so lesen wir in Röm. 10, 12. Die Reichtümer der Gnade Gottes sind so groß, dass sie bis in die tiefsten Abgründe menschlichen Verderbens, menschlicher Schuld und menschlichen Elends hinabreichen. Wenn einerseits das Licht der göttlichen Herrlichkeit die Armut und Sündhaftigkeit des Menschen in einer Weise offenbart, wie nichts anderes dies tun konnte, so ist andererseits diese Herrlichkeit in der Person und dem Werke Christi zu einem Ausdruck gekommen, welche der Größe des menschlichen Verderbens völlig entspricht. Ein Heilmittel ist gefunden worden, welches in jedem Falle genügt, um den Ansprüchen der göttlichen Herrlichkeit zu begegnen.

Doch beschäftigen wir uns jetzt ein wenig näher mit den Einzelheiten der ergreifenden Geschichte des bußfertigen Räubers. Offenbar lässt der Heilige Geist den Evangelisten Lukas dieselbe an dem Punkte aufnehmen, wo bereits ein göttliches Werk in der Seele des Mannes begonnen hatte. Matthäus und Markus stellen ihn nur als schmähenden und spottenden Übeltäter dar. In ihrem Bericht ist alles dunkel, dunkel wie die Nacht, und doch wiederum nicht so dunkel, dass nicht durch die geheimnisvolle Vermittlung des mittleren Kreuzes ein Lichtstrahl von oben die Finsternis erleuchten könnte.

Es ist gut, wenn wir einen recht tiefgehenden Begriff von unserem wahren Zustande von Natur bekommen. Das Verderben der menschlichen Natur in allen ihren Formen ist völlig· Wenn nicht alle im Böses tun so weit gehen wie der Räuber, wenn sie nicht dieselben Früchte hervorbringen, wenn ihr Leben nicht in gleich abstoßender Weise verläuft, so ist damit nicht gesagt, dass ihre Natur besser wäre. Keineswegs! Wir können das menschliche Herz mit einem Saatplatz vergleichen, in welchen der Same zu jedem Verbrechen eingestreut ist, mit einem Beet, welches die Keime von allem nur denkbaren Unkraut in sich birgt. Wenn die Samenkörner nicht in gleicher Weise ausgehen und Frucht tragen, so liegt das nicht an der verschiedenen Beschaffenheit des Bodens, sondern (abgesehen von der bewahrenden und zurückhaltenden Gnade Gottes) an mancherlei äußeren Umständen und Einflüssen, an Erziehung, Bildung und dergleichen.

Das Zeugnis der Schrift lautet einfach und bestimmt: „Da ist kein Unterschied“. Dass dieses Urteil dem Menschen nicht gefällt, ist begreiflich. Er möchte nicht mit allen anderen Menschen auf eine Linie gestellt werden. Seine Eigengerechtigkeit wird durch jene bündige Erklärung in ihren Wurzeln getroffen. Der sittenstrenge, ehrbare, religiöse Mensch kann es nicht ertragen, sich mit dem Auswurf der menschlichen Gesellschaft auf denselben Boden gestellt zu sehen. Und doch kann es nicht anders sein. Dass es im Blick aus die Größe der Schuld, die Menge der Sünden u. s. w. Unterschiede gibt, lehrt uns die Heilige Schrift; aber hinsichtlich der Stellung vor Gott gibt es keine. Alle haben gesündigt, alle sind verloren, gänzlich verloren. 

Alle bedürfen gleichsehr der Gnade, wie auch alle, welche die Gnade verwerfen, in gleicher Weise dem Gericht verfallen sind. Wie die Gnade jetzt alle Unterschiede aufhebt, so wird das Gericht es bald tun. Wenn jemand errettet wird, so geschieht es in Verbindung mit Magdalenen, Samaritern, Lästerern, Trinkern und dergleichen; und wenn jemand verloren geht, so geschieht es genau so. Ohne Zweifel wird es (wie jetzt im Blick auf die Verantwortlichkeit) dann Verschiedenheiten geben in Bezug aus den Lohn, den jeder empfängt, wie ja auch die Strafen verschieden schwer ausfallen werden. 

Aber was den Zustand des Menschen vor Gott, was die Natur und den Charakter seines Herzens anlangt, so gibt es, wie gesagt, „keinen Unterschied“. „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es; wer mag es kennen“ (Jer. 17, 9)? Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen“ (Matth. 15, 19). So lautet Gottes Urteil über das Herz des Menschen; und da ist der Schreiber und der Leser dieser Zeilen nicht ausgeschlossen. Diese Dinge könnten nicht aus dem Herzen hervorkommen, wenn sie nicht darin wären.

Wenn je der Geist Gottes an dem Herzen und Gewissen eines Menschen zu wirken beginnt, so bringt Er zuerst ein Gefühl von der Wahrheit jenes göttlichen Urteils hervor; und je tiefer es ist, desto besser. Alle Kinder der Weisheit rechtfertigen Gott und verurteilen sich selbst. Da gibt es keine Ausnahme. Ja, jede wahrhaft bußfertige, von dem Heiligen Geist überführte Seele wird nicht nur ohne Rückhalt der göttlichen Erklärung: „Da ist kein Unterschied“ ihr Siegel ausdrücken, sondern sich auch gern als einen der ersten Sünder bezeichnen. Wer das nicht tun will, hat sich im Lichte der Heiligkeit Gottes noch nicht kennen gelernt. 


Der besterzogene, gebildetste Mensch wird, sobald er durch den Geist Gottes wirklich erleuchtet ist, bereitwillig seinen Platz neben dem Räuber am Kreuz einnehmen; denn in dem göttlichen Licht, welches sein Inneres erleuchtet hat, entdeckt er die verborgenen Wurzeln seines Wesens, die erschreckenden Tiefen seiner Natur, die unreinen Quellen seines Handelns. Und während andere vielleicht hoch von seinem Charakter denken mögen, ruft er verzweifelnd aus: „Ich elender Mensch! — Wehe mir, ich bin verloren! — Ich bin ein sündiger Mensch!“

Ja, mein Leser, das sind die Gefühle einer göttlich überführten Seele· Möchtest du sie aus. Erfahrung kennen! Denn nur eine solche Seele ist imstande, die Reichtümer der Gnade Gottes, wie sie in dem Evangelium Jesu Christi zur Entfaltung gekommen sind, zu genießen. Vergiss es nicht: die Gnade ist nur für Sünder da. „Der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten was verloren ist“. Und je besser ich verstehe, wie verloren, wie hoffnungslos verderbt ich bin, desto mehr werde ich imstande sein, die Fülle und Größe des Heils zu erkennen, das durch das Blut des Kreuzes für mich erworben ist.

Aus diesem Grunde strahlt auch bei der Errettung des Räubers die Gnade in so wunderbarem Glanze. Dieser arme Mann hatte weder gute Werke getan, noch schöne, uneigennützige Taten vollbracht; und von Religion hatte er wahrscheinlich wenig oder gar keinen Begriff. Er war ein Sünder, und nichts anderes. Sein Fall war so schlimm und hoffnungslos wie nur möglich. An Händen und Füßen gebunden, aufs Kreuz erhöht, war er ganz und gar hilflos, ein Bild völliger Ohnmacht; er war nicht mehr imstande, auch nur irgend etwas zu tun oder irgendwohin zu gehen. 

So lange er den freien Gebrauch seiner Hände besaß, hatte er sie zur Ausübung schrecklicher Taten benutzt; und so lange er über seine Füße verfügen konnte, waren sie auf den bösen Pfaden des Verbrechens dahingeschritten. Jetzt waren sie gebunden, ans Kreuz befestigt. Aber (und dies ist wohl zu beachten) wenn auch Hände und Füße, die so unentbehrlich sind für eine Religion der Werke, an jeder Bewegung verhindert waren, so waren doch Herz und Zunge frei, d. h. gerade jene beiden Teile, deren Tätigkeit bei der Religion des Glaubens in Frage kommt; denn wir lesen: „Mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Munde wird bekannt zum Heil“ (Röm. 10, 10).

Das sind kostbare Worte — so ganz geeignet für den Räuber am Kreuz, wie für jeden hilfslosen, hoffnungslosen und mit sich selbst zerfallenen Sünder! Nicht Werke, nicht Tun, nein, der einfache, kindliche Glaube an das kostbare, auf Golgatha geflossene Sühnungsblut Christi ist der Weg, auf welchem der Sünder Errettung und ewiges Heil findet. Auf diesem Wege gelangt er an das herrliche Ziel, wo er sich mit der glücklichen Schar derer zusammenfinden wird, die dereinst miteinander das neue Lied singen werden: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist“.

Wir sagten vorhin, dass das Herz des Räubers frei gewesen sei. Das will sagen: es war frei, unter der mächtigen Wirksamkeit des Heiligen Geistes sich an jenen Hochgelobten zu wenden, der neben ihm hing, an ihn, den er kurz vorher noch geschmäht hatte, aber den jetzt sein reuiger Blick traf. Ja, er wurde befähigt, Ihm eines der erhabensten Zeugnisse auszustellen, welche je von Menschen- oder Engellippen gekommen sind.

Sehr belehrend und interessant ist es, den Fortschritt des Werkes Gottes in der Seele dieses sterbenden Mannes zu verfolgen. Das Werk Gottes in einer Menschenseele ist ja immer von Interesse, aber hier ist dies in ganz besonderer Weise der Fall. Allein es ist gut, von vornherein zu bemerken, dass wir die Wirkungen des Heiligen Geistes in uns, so verschieden sie von dem Werke Christi für uns sind, doch von diesem nicht trennen dürfen. Beide gründen sich auf die ewigen Ratschlüsse Gottes in Bezug auf uns und sind unzertrennlich mit ihnen verbunden. Das macht alles so wirklich und sicher. 

Nichts ist von dem Menschen. Alles, von Anfang bis zu Ende, geht von Gott aus, von dem ersten Dämmern einer Erkenntnis über den verlorenen Zustand bis dahin, wo die Seele in das volle Licht des herrlichen Evangeliums der Gnade Gottes tritt. Gott sei dafür gepriesen, das; es so ist! Wäre es anders, gäbe es nur ein einziges Teilchen von Menschlichem in dem Werke der Errettung des Sünders, so würde dies eine Teilchen genügen, um das Ganze zu verderben.

Bei dem Räuber am Kreuz zeigt sich die erste Frucht des heiligenden Wirkens des Geistes in den Worten des armen Mannes an seinen Gefährten: „Auch du fürchtest Gott nicht?“ Er sagt nicht: „Auch du fürchtest die Strafe nicht?“ Nein, das Wirken des Heiligen Geistes wird in jedem Falle zuerst Furcht Gottes und Abscheu vor dem Bösen in der Seele wachrufen. „Die Furcht Jehovas ist der Weisheit Anfang. „Es gibt auch Furcht vor dem Gericht, vor der Hölle, vor den Folgen der Sünde; aber diese Furcht kann vorhanden sein ohne eine Spur von Hass gegen die Sünde. Aber wo der Geist Gottes im Herzen zu wirken beginnt, da bringt Er ein wahres Gefühl von der Sünde, sowie ihre Verurteilung in der Gegenwart Gottes hervor; mit einem Wort, Er bewirkt Buße. Man vergisst zuweilen, von welch hervorragender Wichtigkeit die Buße bei der Bekehrung eines Menschen ist.

 „Gott gebietet den Menschen, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen“, sagt der Apostel Paulus in seiner Rede an die Athener. Er ging nicht über diese Frage leicht hinweg, wie es heute leider so vielfach geschieht. Er betonte immer wieder die Notwendigkeit der Buße und ließ dem Heiligen Geiste Zeit und Raum, in den Herzen der Menschen zu wirken und sie zur Buße zu leiten.

Schon Johannes hatte mit feierlichem Ernst Buße gepredigt. Nach seiner Gefangennahme nahm Jesus selbst diese Predigt aus, wie wir in Matth. 4, 17 lesen: „Von da begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“. Am Pfingsttage setzte Petrus mit den Elfen die Predigt fort. In seiner gewaltigen Berufung an die Gewissen der ihn umgebenden Juden, die mit der Errettung von dreitausend Seelen gekrönt wurde, predigte er Christum und forderte seine Hörer zur Buße auf: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“. (Apstgsch. 2, 38.) Und bei einer anderen Gelegenheit: „So tut nun Buße und bekehret euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden“ (Apstgsch. 3, 19).

Den großen Apostel der Nationen, dessen Zeugnis in Athen wir bereits anführten, hören wir im 20. Kapitel der Apostelgeschichte, gelegentlich seiner Unterredung mit den Ältesten der Versammlung von Ephesus, hinsichtlich seines Dienstes unter ihnen sagen: „Ich habe nichts zurückgehalten von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern, bezeugend — sowohl Juden als Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesum Christum“. So auch in seiner ergreifenden Ansprache an den König Agrippa: „Ich war nicht ungehorsam dem himmlischen Gesicht, sondern verkündigte denen in Damaskus zuerst und Jerusalem und in der ganzen Landschaft von Judäa und den Nationen, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren, indem sie der Buße würdige Werke vollbrächten“.

So lasst uns denn nicht vergessen, dass »Gott den Menschen gebietet, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen“. Mögen alle, und ganz besonders die Prediger des Evangeliums, sich hüten, diese ernste Tatsache beiseite zu schieben, oder ihr nicht die gebührende Beachtung zu schenken! Der Sünder ist verantwortlich, Buße zu tun, sich zu Gott zu bekehren und der Buße würdige Werke zu vollbringen. So lautet das bestimmte Zeugnis Gottes.

@@@@

Ein Brief Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 136ff

Das Neue Testament enthält eine ganze Anzahl Briefe, von Paulus und anderen inspirierten Schreibern; aber einen Brief Christi finden wir nicht unter ihnen. Und doch gibt es einen solchen Brief, aber er ist ganz eigenartig; er ist „geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geiste des lebendigen Gottes; nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln des Herzens“ (2. Kor. 3, 3). Die Versammlung oder Gemeinde ist der Empfehlungsbrief Christi in dieser Welt. So wurde die Versammlung zu Korinth und anderswo von Gott angesehen. Das Licht, welches von dem Angesicht des verherrlichten Menschensohnes droben auf die Versammlung in dieser finsteren Welt fällt, wird von ihr zurückgeworfen. Sie gleicht hierin dem Monde, der all sein Licht, welches er in der Nacht verbreitet, von der dann unsichtbaren Sonne empfängt.

„Wie die Sonne ein schönes und passendes Bild von Christo ist“, sagt ein anderer Schreiber, „so erinnert uns der Mond in ausfallender Weise an die Kirche oder Versammlung. Die Quelle ihres Lichtes ist dem Auge verborgen. Die Welt sieht Ihn nicht; sie aber sieht Ihn und hat den Beruf, Seine Strahlen auf eine umnachtete Welt zurückzuwerfen. Nur durch die Versammlung oder Kirche bietet sich der Welt ein Weg dar, um etwas von Christo zu lernen. „Ihr“, sagt der Apostel, „seid unser Brief, gekannt und gelesen von allen Menschen“; und wiederum: „die ihr offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid“.

 Welch eine Verantwortlichkeit! Wie ernst sollte die Versammlung in ihren Wegen gegen alles das wachen, was den Widerschein des himmlischen Lichtes Christi verhindern könnte! . . . Aber ach! die Welt mit ihren Nebeln, ihren Wolken und Dünsten tritt störend dazwischen und verbirgt das Licht und befleckt den Brief. Man vermag oft nur wenig von den Zügen des Charakters Christi bei denen zu entdecken, die sich nach Seinem Namen nennen; ja, bei manchen Gelegenheiten stellen sie eher einen demütigenden Gegensatz als eine Ähnlichkeit dar. *)

Um treu das wiedergeben zu können, was Christus ist, haben wir nötig, in Seinem Licht zu wandeln. Um ein leserlicher Brief Christi zu sein, müssen wir das Auge auf Ihn in der Herrlichkeit droben gerichtet halten, muss das Herz von Ihm erfüllt sein. Wir sind der Brief Christi, aber wenn jene Dinge nicht bei uns vorhanden sind, so kann der Brief nicht von der Welt gekannt und gelesen werden. Christi Bild kommt nicht in uns zur Darstellung. Es fehlt an jenem Wandel, durch welchen Er geoffenbart wird. „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“ (1. Joh. 2, 6).

Der Heilige Geist stellt uns in der Schrift immer zuerst das vor Augen, was wir in Christo sind; dann redet Er von dem, was wir sein sollen.

Was seine Stellung angeht, so ist der Christ seinem Herrn gleich: „gleichwie Er ist, sind auch wir in dieser Welt“; darum wird er aufgefordert, „so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“. Er hat nichts zu tun mit dem auf steinerne Tafeln geschriebenen Gesetz. Dasselbe war für den Menschen im „“Fleische gegeben“ und konnte nur Tod oder Verdammnis über ihn bringen. Seine Forderungen, so gerecht, heilig und gut sie sein mochten, waren unerfüllbar, weil der Mensch von Natur tot ist in Sünden und Übertretungen. Heute ist Christus, wenn ich mich so ausdrücken darf, durch den Heiligen Geist auf unsere Herzen geschrieben; Er, der uns erlöst hat von unseren Sünden, der unser Leben ist, mit dem wir verbunden sind, und der uns in den Stand gesetzt hat, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Durch Ihn, und durch Ihn allein, vermögen wir den an uns gestellten Forderungen zu entsprechen. Ohne Ihn können wir nichts tun. Wenn wir aber in Gemeinschaft mit Ihm leben, auf Ihn sehen und uns durch den Glauben da aushalten, wo Er jetzt ist, so werden wir Ihm praktisch ähnlich werden, unser Wandel wird sich nach Seinem Wandel bilden. Wir werden durch Ihn in Sein Bild verwandelt werden.

Ich benutze zur Erläuterung des Gesagten ein Bild. Es gibt eine besondere Art Tinte für Geheimchristen. Das mit dieser Tinte Geschriebene ist gänzlich unsichtbar; die Schrift lässt nicht die geringste Spur zurück, und das Papier bleibt weiß. Wird aber ein solches Schriftstück in die Nähe des Feuers gebracht, so dass das Papier warm wird, dann kommt die Schrift deutlich und gut lesbar zum Vorschein; lässt man das Papier wieder kalt werden, so verschwindet sie wieder. Die Schrift ist also in jedem Falle vorhanden, kann aber nur dann gesehen und gelesen werden, wenn das Papier erwärmt wird.

Gerade so ist es mit dem Gläubigen. Wir sind ein Brief Christi; doch die Schrift, Er selbst, kann nur dann von den Menschen gekannt und gelesen werden, wenn wir in der Nähe des Feuers bleiben, d. h. wenn wir mit Ihm leben und durch Seine Liebe uns erwärmen lassen. Je mehr wir zu Ihm, dem verherrlichten Jesus, emporschauen, desto mehr werden wir Ihm auch in unserem praktischen Leben ähnlich werden. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist.“

Ein ergreifendes Beispiel hiervon sehen wir in Stephanus, als er vor dem hohen Rat Zeugnis ablegte. „Voll Heiligen Geistes, schaute er unverwandt gen Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes, und Jesum zur Rechten Gottes stehen.“ Welche Folgen hatte dies unverwandte Emporschauen zu dem verherrlichten Herrn? Es setzte ihn nicht nur in den Stand, treu zu sein bis in den Tod, sondern ließ auch sein Angesicht von himmlischem Licht erstrahlen und machte Ihn Jesu so gleichförmig, dass er, gleich Ihm, sterbend für seine Feinde beten konnte. Wie, deutlich war der Brief Christi in Stephanus zu lesen!

Lass es uns denn auch so machen, geliebter Leser! Lass uns, gleich Stephanus, nach oben blicken, damit wir von dort Gnade und Kraft empfangen, um mehr und mehr so wandeln zu können, „wie Er gewandelt hat“. Lass uns mit Herzensentschluss — ach! wie viel fehlt er in unseren Tagen! — bei Ihm verharren, um von Ihm zu lernen, Sein Bild uns einzuprägen und so Ihm gleichförmiger zu werden, je mehr der Augenblick Seines Wiederkommens herannaht! So lange unser Herr droben weilt, sind wir berufen, hienieden ein Brief Christi zu sein, Ihn der Welt bekannt zu machen und wenigstens in etwa mit dem Apostel sagen zu können: „Das Leben ist für mich Christus“. Unsere Verantwortlichkeit in dieser Beziehung ist groß. Nicht nur die Verherrlichung des Herrn, sondern auch das Heil unsterblicher Seelen hängt davon ab, wie wir ihr nachkommen.

Fußnote:

*) C. H. M. — Betrachtungen über das 1. Buch Mose. (Im gleichen Verlage erschienen)

@@@@

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 140ff

Kein Vergnügen ist unschuldig, das die Seele von Jesu abzieht, oder doch so beschaffen ist, dass es im Laufe der Zeit dies tun muss. Wir leben in der Welt aber wir sollten nicht die Atmosphäre der Welt einatmen; sonst wird sich unser Bekenntnis, dass wir nicht aus dieser Welt sind, bald als hohl erweisen.

_________

Wenn du etwas Verkehrtes bei einem Mitgläubigen siehst; so gehe zuerst damit zum Herrn; und wenn du es Ihm gesagt hast, so rede falls es nötig ist mit deinem Bruder. Das ist besser und hat sicherlich mehr Erfolg, als wenn du zu anderen über ihn redest.

@@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 141ff

III Der andere Sachwalter

Es ist im Laufe unserer Betrachtung schon einmal darauf hingewiesen worden, dass das Herniederkommen des Heiligen Geistes auf diese Erde das charakteristische Kennzeichen des Christentums sei. Dieser Punkt ist so wichtig und wird doch so oft übersehen, dass ich nicht umhin kann, noch einmal darauf zurückzukommen.

Zwei Dinge waren es, welche Johannes der Täufer von Jesu, dem Sohne Gottes, bezeugte: 1. „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt", und 2. „Dieser ist es, der mit Heiligem Geiste tauft". Christus war das reine, fleckenlose Lamm, welches Gott sich zum Schlachtopfer ersehen hatte (vergl. 1. Mose 22, 8), das in jeder Beziehung passend und annehmlich war, und welches die Sünde hinwegtun sollte, geradeso wie der erste Mensch sie in die Welt eingeführt hatte. Ein neuer Himmel und eine neue Erde, in welchen es keine Spur von Sünde mehr gibt, in denen vielmehr Gerechtigkeit wohnt, wird das volle, herrliche Ergebnis des Opfertodes Christi sein. 

Wir haben eine unschuldige Welt gehabt, freilich nur für eine ganz kurze Zeit; dann eine sündige Welt, in welcher die Gnade wirkt; und wir werden eine gerechte Welt, eine ganz neue Schöp­fung, haben, gegründet auf ein Werk, das niemals seinen Wert und seine Wirksamkeit verlieren kann. Der Sohn Gottes hat dieses Werk vollbracht und nach Vollbrin­gung desselben Seinen Platz zur rechten Hand Gottes genommen. Dort sitzt Er jetzt, dem menschlichen Auge verborgen, bis Er Seine Macht und Herrschaft annehmen und regieren wird von einem Ende des Himmels bis zum anderen Ende.

Aber um alles das tun, um dieses Werk vollbringen zu können, musste Er Mensch werden. Nur ein wahr­haftiger Mensch konnte an des Menschen Statt sterben und Gott im Blick auf die Sünde verherrlichen. „Weil die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er gleicherweise an denselben teilgenommen" (Hebr. 2, 14 ). Er starb, stand wieder auf aus den Toten und kehrte als der auferstandene, verherrlichte Mensch zum Vater zurück. Und nun ist, infolge dieses Seines Hinaufsteigens zu Gott, der Heilige Geist herniedergekommen. Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist also eine Folge der Erhöhung Christi zur Rechten Gottes. ( Joh. 7, 39) . Sie bringt einen Menschen hienieden, der den Heiligen Geist besitzt, in Verbindung mit einem verherrlichten Christus im Himmel droben. Weiterhin beweist diese Gegenwart, dass Gott selbst jetzt auf Erden wohnt. Das ist eine Wahrheit von unermesslicher Tragweite. So lange das Erlösungswerk nicht vollbracht war, konnte Gott nicht bei dem Menschen wohnen. Er hat nie bei Adam und Abraham gewohnt, obwohl Er sie zeitweilig besuchte. Erst als Israel aus Ägypten erlöst war, sagt Gott: „Ich werde in der Mitte der Kinder Israel wohnen und werde ihr Gott sein" (Vergl. 2. Mose 29, 45. 46 ).

Nun, nach dem Tode Christi und Seiner Rückkehr zum Vater ist Gott, der Heilige Geist, herniedergekommen und wohnt in dem einzelnen Gläubigen sowohl, als auch in der Versammlung oder Gemeinde, dem Tempel des lebendigen Gottes. Die Folge davon ist, dass der Gläubi­ge nicht nur das ganze Werk kennt, das für ihn auf Gol­gatha geschehen, sondern dass er auch, wie schon bemerkt, in eine innige Verbindung mit Christo eingeführt ist, d a wo Er jetzt ist, und dass er sich in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes rühmt.

 Bis diese Herrlichkeit den an Christum Glaubenden zuteil wird, wohnt Gott schon in ihnen, und Christus, der verherrlichte Mensch zur Rech­ten Gottes, ist der Gegenstand ihrer Zuneigungen. Das ist es, was das Christentum kennzeichnet und den Chri­stenstand ausmacht: Christus droben, der Heilige Geist auf dieser Erde. Der Christ ist ein Mensch, der zwischen- dem ersten Kommen Christi (und Seinem damals vollen­deten Werke) und der Wiederkunft Christi zu seiner Ein­führung in die Herrlichkeit steht; und zwischen diesen beiden Endpunkten besitzt er den Heiligen Geist, den „anderen Sachwalter", wie der Herr Jesus Ihn nennt.

Wir finden dies schon in Vorbildern angedeutet. Der Aussätzige z. B. wurde bei seiner Reinigung mit Wasser gewaschen, mit Blut besprengt und schließlich mit Öl, dem Bilde des Heiligen Geistes, gesalbt (3. Mose 14) . So wird das Wort Gottes (das Wasser) in der Kraft des Geistes auf uns angewandt, das Blut der Versöhnung auf uns gesprengt, und danach wird die Salbung unser Teil. Die Wiedergeburt aus Wasser und Geist ( Joh. 3 ) muss vorangehen, dann folgt das Blut; aber außerdem wird der Geist uns gegeben und so die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen.

Lasst uns, ehe wir weitergehen, noch einen kurzen Blick auf die Weise werfen, wie der Heilige Geist im 3., 4. und 7. Kapitel des Evangeliums Johannes uns vor Augen gestellt wird. Es wird uns behilflich sein zu einem besseren Verständnis der diesbezüglichen Aussprüche des Herrn in den späteren Kapiteln. Im 3. Kapitel wird bekanntlich von unserer Geburt aus dem Geiste gesprochen. Durch diese Geburt empfangen wir eine neue Natur, ein neues Leben. „Was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist", d. h. hat seine Natur von dem Geiste ( V.6 ). Das war nichts Neues. Nikodemus hätte es als ein Lehrer Israels verstehen sollen.

 Mochte Gott im Alten Testament sich auch nicht in der Fülle geoffenbart haben, wie es jetzt geschah, so war dies doch immer bekannt gewesen: um mit Gott in Verbindung zu sein und Seine Verheißungen in Wahrheit zu genießen, musste der Mensch neues Leben empfangen; Gott musste durch die Kraft Seines Heiligen Geistes vermittelst des Wortes reinigend und belebend in dem Menschen wir­ken. So sagt Er in Hesekiel 36, 25. 26 durch den Mund Seines Propheten: „Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein . . . Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen n e u e n Geist in euer Inneres geben usw." „Wasser und Geist" — genau wie in unserem Kapitel. ( Vergl. auch Hes. 11, 19.20; Jesaja 44, 3.)

Beachten wir also, dass es sich hier nicht um das Empfangen des Geistes handelt, sondern um die Mit­teilung einer neuen Natur durch die Kraft des Geistes. Wiedergeburt ist nicht Salbung oder Versiegelung. Der Gläubige ist infolge der Mitteilung dieser neuen Natur fähig, die göttlichen Dinge zu genießen, was der natür­liche Mensch nicht ist. Es ist deshalb oft mit Recht ge­sagt worden, dass ein natürlicher Mensch, und wäre es der ehrenwerteste und religiöseste, im Himmel gar nichts finden würde, was seinen Wünschen und Neigungen ent­spräche. Könnte man ihn in den Himmel versetzen, so würde er so rasch wie möglich ihn wieder verlassen.

Im 4. Kapitel unseres Evangeliums werden wir einen Schritt weiter geführt. Hier handelt es sich nicht um die Mitteilung einer neuen Natur, sondern um die Gabe Gottes, welche in dem Gläubigen zu einer Quelle Was­sers wird, die in das ewige Leben quillt. Gott gibt nicht nur die neue Natur, sondern auch die entsprechende K r a f t, die in ihr wirken soll, eine Kraft- und Freuden- - quelle, die dieser neuen Natur eigen ist und ihre Tätig­keit beseelt und leitet. Es ist nicht nur ein Leben, das seiner Natur nach heilig ist, sondern eine göttliche Kraft für den Menschen und im Menschen, eine Kraft, die ihn geradewegs dahin erhebt, wo Christus jetzt ist und ihn alles das genießen lässt, was einem aus Gott Geborenen gehört, ja, die ihn als einen wahrhaftigen Anbeter ein­führt in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohne. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten." ( Vergl. V. 19-24.) Es ist mit einem Wort der Heilige Geist, welchen der hienieden in Niedrigkeit und Gnade erschienene Sohn Gottes gibt, zwar nicht als Person, sondern als Leben und als die Kraft unserer Gemeinschaft mit den Quellen der Gnade.

Im 7. Kapitel unseres Evangeliums erreichen wir, in Verbindung mit der fortschreitenden Offenbarung oder Entfaltung der Person Christi, einen neuen Abschnitt in der göttlichen Belehrung über unseren Gegenstand. Jesus redet in diesem Kapitel von Seiner bevorstehenden Rückkehr zu Seinem Vater. Schon am Ende des 6. Kapitels hatte Er von Seinem Tode gesprochen und von der Not­wendigkeit für den Menschen, Sein Fleisch zu essen und Sein Blut zu trinken, d. h. mit Ihm, dem Gekreuzigten, in wahre Glaubens- und Lebensverbindung zu treten. Im Anfang des 7. Kapitels lesen wir, dass die Juden Ihn zu töten suchten, und jetzt stand Er im Be­griff, zu sterben und dahin zu gehen, wohin der Mensch Ihm nicht folgen konnte. 

Das Laubhüttenfest *3 ) wurde in Jerusalem gefeiert. Jesus war in der Mitte des Festes hinaufgegangen und stand nun „an dem letzten, dem großen Tage des Festes und rief und sprach: Wenn je­manden dürstet, so komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, gleichwie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geiste, welchen die an ihn Glaubenden empfangen soll­ten; denn der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war" ( V. 37-39).

Wenn der Herr hier von dem Heiligen Geiste spricht, so ist es offenbar in einem ganz anderen Sinne als bisher. Es ist nicht das Lebendigmachen einer Seele, die Geburt aus Wasser und Geist, wie im 3. Kapitel; auch nicht der Geist Gottes als Leben oder als Kraft der Gemeinschaft mit dem hienieden in Niedrigkeit geoffenbarten Sohne Gottes wie im vierten, sondern eine Segnung, die von keinem menschlichen Herzen genossen werden konnte, so lange der Herr Jesus nicht gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren war; und zwar sollten solche diese Segnung empfangen, die bereits an Ihn gläubig waren. 

Es ist auch hier der Sohn Gottes, welcher redet; aber Er spricht von einer zukünftigen Zeit, wann Er als Sohn des Menschen verherrlicht sein würde. Dann würde Er von dem Himmel her den Heili­gen Geist senden, damit Er ein göttliches Band zwischen. Ihm, dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes droben, und dem auf dieser Erde pilgernden Gläubigen bilde, und damit dieser triumphierend in seinem er­hobenen Herrn, die alle Schranken durchbrechenden Ströme des Segens genießen und von sich zu anderen ausströmen lassen könne. Eine ganz neue Ordnung der Dinge sollte damit beginnen. Der hienieden pilgernde Gläubige sollte durch den Heiligen Geist mit den Dingen droben bekannt gemacht werden, und alle seine Inter­essen, Zuneigungen, Gedanken und Erwartungen sollten sich an Ihn knüpfen, der droben weilt.

Beachten wir den Ausdruck: „Ströme lebendigen Wassers." Die Macht des Heiligen Geistes erfüllt das Herz, den inneren Menschen, mit der Herrlichkeit, in welche Christus eingegangen ist, während der Gläubige diese Welt durchschreitet, die eine öde Wüste für ihn geworden ist. Um ihn her ist nichts als die äußerste Dürre. Kein sprudelnder Quell, kein grünes Fleckchen zeigt sich, soweit das Auge reicht; nicht e i n schattiger Palmbaum, unter welchem der Wanderer Ruhe finden könnte. Aber siehe da, inmitten der allgemeinen Dürre fließen Ströme lebendigen Wassers von ihm aus, der seine Heimat da gefunden hat, wo Jesus ist, wo die Quel­len der Gnade allezeit überströmend fließen.

 Er hat seinen Durst in Ihm gestillt, die Bedürfnisse seiner Seele bei Ihm befriedigt, und nun ist der Geist in ihm nicht nur eine Quelle Wassers, die in das ewige Leben quillt, sondern von ihm selbst fließt lebendiges Wasser aus, um andere Dürstende zu laben. Er ist selbstverständlich nicht ein Quell in sich selbst, aber der Strom fließt von ihm aus in der Kraft des Heiligen Geistes. Indem das Herz mit der Herrlichkeit droben beschäftigt ist, und vor allem mit Ihm, der den Mittelpunkt all dieser Herrlich­keit bildet, wird es zum überströmen gefüllt, so dass der Mund von den Herrlichkeiten redet, die das Herz genießt, und so andere des reichen Segens mitteilhaf­tig macht.

Wieder möchte ich den gläubigen Leser darauf auf­merksam machen, wie alles dieses an und für sich nicht abhängt von der völligen Übergabe oder Hingabe eines Menschen an Gott, oder von seinem zielbewussten Bitten um solchen Segen; nein, es ist die freie, bedingungslose Gabe Gottes, die jedem zuteil wird, der einfältig an Seinen geliebten Sohn glaubt. „Dies aber sagte er von dem Geiste, welchen die an ihn Glaubenden e m p fangen sollten." Von einer anderen Bedingung, als an Ihn zu glauben, ist keine Rede. Die Verheißung gilt allen Glaubenden ohne Unterschied.

Doch vielleicht wird man fragen: Wenn das so ist, wie kommt es dann, dass die Segensströme von manchen Gläubigen so spärlich ausfließen, bei anderen sogar ganz zu fehlen scheinen? Der Grund ist nicht der (abgesehen von den Fällen, wo Mangel an Kenntnis der göttlichen Wahrheit die Seele noch in Finsternis und Knechtschaft hält) , dass solche Gläubige den Geist nicht haben, sondern dass sie sich nicht durch Ihn mit dem füllen lassen, was droben ist. Die sichtbaren Dinge haben wieder Wert für sie gewonnen. Die Welt und ihre Grundsätze beein­flussen das Herz. Sie sind nicht zufrieden damit, hie­nieden nicht s zu sein, Zeugen eines verworfenen Christus, nur hier gelassen, um den Willen Gottes zu tun und einer verlorenen Welt die frohe Botschaft von der Liebe Gottes und dem Heil in Christo zu bringen. Das eigene Ich, die Wünsche und Neigungen des alten Menschen, die im Tode gehalten werden sollten, sind lebendig und stark; und so ist der Geist betrübt und gehindert, die Herzen sind leer und dürr. Wie könnten da die Ströme lebendigen Wassers fließen?

Eine besondere Gefahr in unseren Tagen liegt für den Gläubigen in der Neigung, etwas für sich oder für seine Familie in dieser Welt zu suchen. Diese Gefahr war gewiss immer da, aber sie ist heute größer als je. Was war, und ist gegenwärtig in hervorragender Weise, der Wunsch der Kinder dieser Welt? Vorwärts zu kommen, irgend etwas Großes zu tun oder zu werden; was heute errungen wird, gilt nur als Mittel und Unter­lage, um morgen noch mehr zu erreichen. Eine derartige Gesinnung bei einem Gläubigen ist die völlige Leugnung seiner Stellung als Christ; sie beweist, dass er mit dem Strome der Welt schwimmt, dass Christus und die un­sichtbaren Dinge ihren Wert für ihn verloren haben. 

Für einen Menschen dieser Welt ist es ganz natürlich, wenn er sucht, einen Platz zu erringen, möglichst viel für sich und seine Familie zu gewinnen; aber wenn ein Gläubiger es tut, wo ist dann die Treue für Christum? Sollten wir nur Sonntags- Christen sein? Oder ge­hört dem Herrn unser Herz, unsere Kraft, unser Alles auch an den übrigen Tagen der Woche? Wo haben wir am meisten Gelegenheit, uns als Briefe Christi zu be­weisen? In unserem Verkehr mit den Kindern dieser Welt, im Geschäft, in der Werkstätte, in der Fabrik, im Kontor, im Laden usw. Da sollen die Briefe von den Menschen gekannt und gelesen werden. Dort sollen die Ströme lebendigen Wassers dürstenden Seelen zu­fließen.

Wie steht es damit, geliebter Leser? Sei versichert, nur dann, wenn du nicht dir selbst oder der Welt, sondern Dem lebst, der für dich starb und auferstanden ist, wirst du die Kraft des Geistes mit dir haben. Nur dann, wenn du mit Gottes Auge Personen und Dinge um dich her betrachtest und rückhaltlos alles verurteilst, was Seinem Worte entgegen ist, oder was aus Seiner Gnade Vorteil ziehen möchte zur Verschonung des Fleisches und zur Verunehrung des Herrn — nur dann wirst du ein passender Kanal sein, durch welchen die Ströme lebendigen Wassers anderen zufließen können, zum Preise Dessen, der jetzt droben in der Herrlichkeit weilt und uns Seinen Geist gegeben hat, damit Er bei uns sei in Ewigkeit.

Fußnoten:

*3) Bekanntlich das letzte in der Reihe der jüdischen Feste. Es wurde in Erinnerung an die Tatsache gefeiert, dass das Volk Gottes, weiches einst in der Wüste umherwander­te, sich in dem verheißenen guten Lande befand. Der ganze Kreis der Feste war mit ihm vollendet; aber hatten sie den Durst der Seele stillen, die Bedürfnisse des Herzens oder Gewissens befriedigen können? Nein. „Wenn jemanden dürstet!" ruft Jesus am Schluss derselben.

@@@@

Die drei Kreuze

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 152ff

II. Die Geschichte des bußfertigen Räubers liefert eine treffliche Erläuterung zu den in unseren letzten Betrachtungen bereits angeführten Worten des Apostels Petrus: „Tut Buße und bekehret euch“. Sie zeigt uns klar, was Buße und Bekehrung sind zwei Gegenstände, die leider oft wenig verstanden und auseinander gehalten werden.

Das menschliche Herz ist immer geneigt, göttliche Dinge am verkehrten Ende anzufassen. Und wenn dann noch eine unrichtige Schriftauslegung sich zu der Neigung des Herzens gesellt und die Dinge in einseitiger Weise betrachtet, so ist die Wirkung auf die Seele höchst verderblich. Dann geschieht es, dass die Menschen die Aufforderung, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren, dahin auffassen, das; sie dies oder jenes tun, dass sie kämpfen, ringen, geloben, sich bessern und religiös werden müssen. Anstatt ihren Zustand im Lichte Gottes zu betrachten und zu verurteilen, beginnen sie, sich mit ihrem Tun zu beschäftigen. Die Folge ist in den meisten Fällen Selbstgefälligkeit und Eigengerechtigkeit, diese böse Quelle der Finsternis und des Elends für die Seele und ernster Schädigung der Wahrheit Gottes.

Es ist wirklich erstaunlich, in welch verschiedenartige Formen die Eigengerechtigkeit sich zu kleiden versteht. Manchmal sieht sie aus wie Demut und redet hohe Worte von der Verwerflichkeit und den Gefahren des Stolzes, und ist dabei doch der Hochmut selbst. Dann wieder nimmt sie das Gewand und die Sprache sogenannter religiöser Erfahrung an und ist im Grunde doch nichts mehr und nichts weniger als eine ausschließliche Beschäftigung mit der eigenen Person: Selbstbespiegelung.

Was ist denn Buße? Es ist die völlige, aufrichtige Verurteilung des eigenen Ichs, seiner Geschichte und seiner Wege. Es ist der Zusammenbruch des ganzen Gebäudes der eigenen Gerechtigkeit und die Erkenntnis des gänzlichen Verderbens, des Verfalls und der völligen Ohnmacht des Menschen. Es ist ein tiefes Gefühl von der persönlichen Schlechtigkeit und Sündhaftigkeit, ein Gefühl, das durch die mächtige Wirkung des Geistes Gottes vermittelst des Wortes in Herz und Gewissen hervorgerufen wird. Es ist ein Herzenskummer über die Sünde und eine Verabscheuung der Sünde um ihrer selbst willen.

Wahre, echte Buße weist gewiss auch noch andere Züge aus, aber für den Augenblick möchten wir uns auf die genannten beschränken. Sie alle kommen in der rührenden Geschichte des bußfertigen Räubers zum Ausdruck und können wohl in ein Wort zusammengefasst werden, und dieses heißt: Selbstgericht. Wir fürchten, dass bei der Verkündigung des Evangeliums, wie es heute mannigfach geschieht, der Buße zu wenig Raum gelassen wird. Bei den Bemühungen, möglichst viele zur Annahme der guten Botschaft von Christo zu bewegen, ist man in Gefahr, zu vergessen, dass „Gott den Menschen gebietet, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen“. Der Mensch muss zu dem tiefen Gefühl davon gebracht werden, dass er ein Sünder, ein verlorener, schuldiger, verdammungswürdiger Sünder ist; nicht nur dass er gesündigt hat, sondern dass die Sünde in Gottes Augen ein schreckliches Ding ist, so schrecklich, dass nur der Tod Christi Sühnung dafür tun konnte, ja, dass alle, welche in ihren Sünden sterben, die endlose Ewigkeit unwiderruflich in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, zubringen müssen.

Indes wolle der Leser nicht denken, dass mit der Buße irgend ein Verdienst für den Menschen verknüpft sei, irgend etwas, worauf er bauen, oder dessen er sich rühmen könnte. Sie hat nichts zu tun mit der Grundlage unseres Heils, mit unserer Rechtfertigung oder unserer Annahme bei Gott, ebenso wenig wie im kaufmännischen Leben die Erkenntnis des Bankerotts dem betreffenden Kaufmann die Grundlage neuen Kredits oder gar zukünftigen Vermögens gewährleistet. Nein, die Buße an und für sich, und sei sie auch noch so tief und gründlich, verschafft keine Rettung, keine Vergebung. Wie könnten die Gefühle eines Ertrinkenden zum Rettungsboot werden? wie die Todesängste eines in einem brennenden Hause Eingeschlossenen zur Rettungsleiter?

Betrachten wir den Räuber am Kreuze. Was sagt er? „Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen was unsere Taten wert sind. „Das war sicherlich wahre, aufrichtige Buße: „und wir zwar mit Recht“. Er fühlte und sprach es aus, dass er mit Recht verurteilt worden war, dass er nur empfing „was seine Taten wert waren“. Lag darin irgend ein Verdienst für ihn? Keineswegs. Er tat nur, was ihm zu tun gebührte: er verurteilte und richtete seine Wege und gestand seine Schuld ein. Aber wenn diese Gefühle und Geständnisse auch nichts Verdienstliches für ihn hatten, so waren sie doch die Vorbedingungen für seine Bekehrung zu Gott. Sie waren die Frucht des Werkes des Geistes in seiner Seele, obgleich sie in keiner Weise seine Rechtfertigung vor Gott erwirken konnten; denn ein Schuldgefühl kann niemals die Grundlage der Rechtfertigung bilden.

Je tiefer die Buße geht, desto besser. Je sorgfältiger der Pflug den harten, unfruchtbaren Boden aufbricht, je tiefer er die Furchen zieht, in welchen der unverwesliche Same des Wortes Wurzel fassen soll, desto besser ist es· Wohl niemand hat sich je darüber zu beklagen gehabt, dass die Pflugschar zu tief in feine Seele eingedrungen wäre. Im Gegenteil, je mehr wir unsere Verderbtheit fühlen, desto völliger werden wir auch imstande sein, den Wert der Gerechtigkeit Gottes zu schätzen, welche durch Glauben an Jesum Christum allen zu teil wird, die da glauben.

Und was folgt auf die Buße? Was ist die göttliche Ordnung? „Tut Buße und bekehret euch!“ „Tut Buße und wendet euch zu Gott!“ Welch eine herrliche Ordnung! Erst Überführung, dann Bekehrung. Erst die Entdeckung, was man nach Gottes Urteil ist, dann das Bekanntwerden mit Gott und Seinem Heilmittel. Auf die Verurteilung meiner selbst folgt die Rechtfertigung Gottes, auf die Entdeckung meines Nichts und meiner Leere die Erkenntnis der Kraft und der Fülle Christi.

Beachten wir, wie alles dies in den kurzen, aber umfassenden Worten des Räubers zum Ausdruck kommt! Er gibt dem Gefühl seiner eigenen gerechten Verurteilung Ausdruck und wendet sich dann an den Hochgelobten, der neben ihm hängt, mit dem lieblichen Zeugnis: „Dieser hat nichts Ungeziemendes getan“. Er setzt sich in Widerspruch mit der ganzen Welt, mit all den Hohenpriestern, Ältesten und Schriftgelehrten, welche dem Landpfleger gegenüber erklärt hatten: „Wenn dieser nicht ein Übeltäter wäre, würden wir Ihn dir nicht überliefert haben“. Von einem schuldigen, verderbten Ich wendet er sich an einen fleckenlosen Christus; und er, der sterbende Räuber, sagt der Welt, die ihn verurteilt, dass sie sich eines schrecklichen Verbrechens schuldig gemacht habe, indem sie den Herrn der Herrlichkeit kreuzigte.

War das nicht ein gutes Werk? Sicherlich; es war das beste Werk, das ein Mensch tun kann. Ein klares, kühnes Zeugnis für Christum ablegen ist der angenehmste und wohlgefälligste Dienst, den ein Sterblicher Gott erweisen kann. Millionen für wohltätige .Zwecke geben, seine Kräfte in den Dienst der armen, leidenden Menschheit stellen, ein ganzes langes Leben mit den Übungen einer toten Religiosität ausfüllen und andere ähnliche Dinge sind nach menschlichem Ermessen von außerordentlichem Werte, während sie auf der Waage göttlicher Beurteilung vielleicht weniger wiegen als ein Stäublein, gegenüber einem einzigen Worte herzlichen, echten und durch den Geist gewirkten Zeugnisses für Gottes geliebten Sohn. Der arme Räuber konnte nichts geben und nichts tun; aber er durfte das reiche und wohl einzig dastehende Vorrecht genießen, ein Zeugnis für Christum abzulegen, als die ganze Welt Ihn ausgestoßen, und Seine eigenen Jünger Ihn verraten, verleugnet oder doch verlassen hatten. Ja, es war ein Dienst, welcher auch dann noch in dem Andenken des Himmels fortleben wird, wenn die stolzesten Denkmäler menschlichen Geistes und menschlicher Wohltätigkeit längst in den Schoß ewiger Vergessenheit versunken sein werden.

Doch es gibt in den Worten des sterbenden Übeltäters noch mehr zu lernen. Er legt nicht nur ein herrliches Zeugnis für die Schuldlosigkeit Christi ab, sondern er erkennt Ihn auch als Herrn und König an, und das in einem Augenblick, unter Verhältnissen, wo auch nicht eine Spur von Herrlichkeit und königlicher Würde in Ihm zu erblicken war. Und er sprach zu Jesu: „Gedenke meiner, Herr, wenn du in deinem Reiche kommst!“

Sinnen wir hierüber nach! Denken wir daran, dass der, welcher wenige Augenblicke vorher den sterbenden Heiland gelästert hatte, Ihn jetzt als Herrn und König anerkennt. Das war in der Tat ein göttliches Werk, eine wirkliche Bekehrung, eine tiefe, wahre Umkehr zu Gott. „Gedenke meiner, Herr!“ Drei Worte, aber wie kostbar sind sie! Sie verbinden ein armes, schuldiges, die Hölle verdienendes Menschenkind mit dem göttlichen Heiland durch das eine Wort „gedenke“. Diese Verbindung bedeutet ewiges Leben, unerschütterliches Heil. Wie einfach und in göttlicher Ordnung erscheint hier alles! Zuerst finden wir die Frucht der Buße in den Worten: „und wir zwar mit Recht“, und dann das Ergebnis einer wahren Bekehrung in dem kurzen, aber ergreifenden Ausruf: „Gedenke meiner, Herr! Es ist ganz so, wie die Schrift sagt: „Tut Buße und bekehret euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden“. — „Tut Buße und bekehret euch zu Gott!“

Welch eine wunderbare Tiefe und Kraft liegt doch in diesen wenigen Worten! Wer Buße tut, erkennt und bekennt was er ist, und verabscheut sich. Wer sich zu Gott bekehrt, erkennt was Gott ist, und findet in dieser Erkenntnis Leben, Frieden und ewiges Heil, alles was er für Zeit und Ewigkeit nötig hat. So sind Buße und Bekehrung unzertrennlich miteinander verbunden. Sie sind verschieden, und gehören doch innig zusammen. Man darf sie nicht voneinander trennen, aber auch nicht miteinander vermengen. Hören wir jetzt, was der Herr auf den Ausruf des bußfertigen Räubers erwidert.

Dieser hatte gesagt: „Gedenke meiner, Herr, wenn du in deinem Reiche kommst!“ Die Antwort lautet: „Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradiese sein“. Es ist, als ob der Heiland zu ihm sagen wollte: „Du brauchst nicht auf die Herrlichkeit des kommenden Reiches zu warten. Heute noch sollst du die Gnade des Hauses, die Lieblichkeit des Vaterhauses, schmecken. Heute noch sollst du bei mir sein in dem wunderschönen Paradiese droben, um dort völlige Gemeinschaft mit mir zu haben, lange bevor die Herrlichkeiten des Reiches zur Entfaltung gelangen werden“. Ist das nicht eine anbetungswürdige Gnade?

Und nicht ein Wort des Tadels kommt aus dem Munde des Herrn. Nicht eine einzige Bemerkung über die Vergangenheit wird laut! Nicht einmal eine Andeutung der eben erst geschehenen Lästerung! Nein, nie werden wir etwas derartiges finden, wenn Gott sich mit einer bußfertigen Seele beschäftigt. Der Räuber hatte aus der Tiefe eines zerbrochenen und zerschlagenen Herzens heraus gesagt: „und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen was unsere Taten wert sind“. Das war genug. Es war notwendig, aber es war auch genug. „Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“ Nein, Er wird es vielmehr füllen mit dem reichen Trost Seiner errettenden Gnade und vergebenden Liebe. Es ist die Freude Gottes, einem bußfertigen Sünder zu vergeben; aber auch nur ein bußfertiger Sünder kann in Wirklichkeit Gottes Vergebung erfahren und genießen.

„Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Welch einen Glanz himmlischer Freude werden diese Worte auf dem Angesicht des Räubers hervorgerufen haben! Mit Jesu im Paradiese Gottes! Wer vermöchte die Fülle dieser Segnung auch nur annähernd zu schildern? Der Apostel Paulus ist im Paradiese gewesen und hat dort unaussprechliche Worte gehört, die der Mensch nicht sagen darf. (2. Kor. 12.) Aber hier sollte ein Räuber dahin gehen. Bewunderungswürdige Gnade!

Ohne Zweifel wird er nie vergessen, was für ein Sünder er gewesen ist. Wie könnte ein Mensch wie er, angesichts einer solchen Gnade, jemals seine Schuld und Gottlosigkeit vergessen? Unmöglich! Aber gerade die Erinnerung an die Vergangenheit erhöht unendlich die Herrlichkeit der Gegenwart. Ja, die endlosen Zeitalter der Ewigkeit hindurch wird er, und mit ihm alle Erlösten, die Vergangenheit im Gedächtnis behalten. Es kann unmöglich anders sein. Aber jede Erinnerung an die Vergangenheit wird nur dazu dienen, die Stimme des Dankes und der Anbetung umso lauter erschallen zu lassen. Wie jubeln unsere Herzen heute schon, wenn wir an die Gnade denken, die aus den Worten hervorstrahlt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“. So vergibt Gott. Nie, nie wird Er auf jene Sünden zurückkommen, welche Seine eigene Hand durch das Blut des Kreuzes ausgetilgt hat. Nein, nie wieder. Er hat sie für immer hinter Seinen Rücken geworfen. Wie Blei sind sie in die tiefen, grundlosen Wasser ewiger Vergessenheit versunken. Sein herrlicher Name sei dafür gepriesen!

Wir müssen jetzt noch für einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf das dritte Kreuz richten. Auch da erblicken wir einen schuldigen Sünder. Aber nicht nur das; ein schuldiger Sünder war der bußfertige Räuber auch. Beide befanden sich in demselben Gericht. Aber niemand braucht zur Hölle zu gehen, einfach deshalb weil er ein Sünder ist; denn Jesus Christus ist ja gerade deswegen in die Welt gekommen, um Sünder zu erretten. Es lebt kein Sünder auf der Erde, noch hat je einer gelebt, der außerhalb des Bereichs des göttlichen Heiles stände oder gestanden hätte. Wer da will, lautet die göttliche Botschaft. Nötiget alle, hereinzukommen! Niemand ist ausgeschlossen, als nur der, welcher das ihm angebotene Heil von sich stößt oder es vernachlässigt.

Ein solcher Mensch war der an dem dritten Kreuz hängende Räuber. Er war nicht nur ein schuldiger, sondern auch ein unbußfertiger, ungläubiger Sünder. Das ist der ernste Punkt. Hätte er gleich seinem Gefährten die Gnade des sterbenden Heilandes angerufen, so würde er sicherlich dieselbe Antwort erhalten haben. In dem Herzen Jesu war Gnade genug für beide. Aber während der eine um Gnade bat, wollte der andere sie nicht. Er blieb verstockt und ungläubig, bis die finstern Schatten des Todes ihn um- schlossen und seine arme Seele hinüberging in die Schrecken einer hoffnungslosen Ewigkeit. Obgleich nur auf Armeslänge von dem Heiland entfernt, ging er doch für ewig verloren.

Furchtbarer Gedanke! Wer vermöchte den Gegensatz zwischen diesen beiden Räubern in seiner ganzen Tragweite zu erfassen? Allerdings bestand er nur in einem Punkte, aber dieser Punkt hatte Folgen von ewiger Bedeutung. Der Unterschied bestand in der Annahme bzw. der Verwerfung des Sohnes Gottes, jenes Hochgelobten, der zwischen den beiden Verurteilten hing, dem einen so nahe wie dem anderen. Zwischen ihrer Natur, ihrer Stellung vor Gott und ihren äußeren Umständen gab es keinen Unterschied; der einzige Gegensatz, war, das; der eine an Jesum glaubte und der andere nicht. Der eine rief: „Gedenke meiner, Herr“, während der andere lästernd sagte: „Wenn du der Christus bist“.

So gab es denn eine schreckliche Kluft zwischen den beiden Männern, die in anderer Hinsicht einander so nahe waren und sich beide in der unmittelbaren Nähe des göttlichen Heilandes befanden. Aber ist es nicht heute noch gerade so? War es nicht immer das Gleiche? Die einzig bedeutungsvolle Frage für jedermann ist: „In welchem Verhältnis stehe ich zu Christo?“ Von der Beantwortung dieser Frage hängt alles ab für Zeit und Ewigkeit. Darum, wie steht es, mein lieber Leser? Bist du in Christo, oder bist du es nicht? Wir haben im Anfang gesagt, dass die zwei Räuber die beiden großen Klassen darstellen, in welche die Menschheit von den Tagen Kains und Abels bis· zu dem gegenwärtigen Augenblick sich teilt.

 Zu welcher Klasse ein Mensch gehört, dafür ist der Gesalbte Gottes der einzig entscheidende Prüfstein. Wie groß die Verschiedenheit im Blick auf Charakter, gesellschaftliche Stellung, religiöses Bekenntnis usw. auch sein mag, alles zerfällt in nichts vor der einen wichtigen Frage: „In oder außer Christo?“ Die Person Christi ist auch heute noch der große Scheidepunkt, welcher die Erretteten von den Verlorenen, die Kirche von der Welt, die neue Schöpfung von der alten, das Reich Gottes vom Reiche Satans und die Kinder des Lichts von den Kindern der Finsternis trennt, und diese Scheidung reicht in die Ewigkeit hinein.

Indem wir hiermit unsere kurze Betrachtung über die drei Kreuze beschließen, möchten wir jedem Leser, der noch nicht wie der bußfertige Räuber durch einfältigen Glauben mit Christo verbunden ist, der also noch zu der anderen bedauernswerten Klasse gehört, in Liebe zurufen: Bedenke, auf welch gefährlichem Boden du stehst! Dein Weg kann nur zur ewigen Verdamnis führen, selbst wenn du der rechtschaffenste und religiöseste Mensch wärest. O höre deshalb auf das ernste und doch so gnadenreiche Wort: „So tut nun Buße und bekehret euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn“.

@@@@@

Ihr dienet dem Herrn Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 162ff

Zwei Tatsachen sind es, die jedem wahren Dienst in unseren Tagen seinen Charakter verleihen. Die eine ist: Die Welt hat Christum verworfen, die andere: Gott hat die Welt gerichtet (Vergl. Joh.12,31).

Wenn man nach diesen beiden Tatsachen handeln würde, so würden sie einen wesentlichen Einfluss auf die Bemühungen Vieler ausüben, die zwar in mancher Hinsicht Gott in richtiger Weise dienen mögen, deren Bestrebungen sich aber vielfach noch in falschen Bahnen bewegen. Es handelt sich darum, „in jedem guten Werke den Willen Gottes zu tun“ (Vergl. Hebr.13,21). Ein Werk mag an und für sich ganz gut sein, aber wenn es für den gegenwärtigen Augenblick nicht nach dem Willen Gottes ist, verliert es seinen Wohlgeruch für Gott und wird seines wahren Wertes beraubt.

In Röm. 12 finden wir ein vollständiges Verzeichnis verschiedener Arten des Dienstes. Der Heilige Geist wendet sich dort an jedes Glied der Versammlung Gottes, und jedem wird sein besonderer Dienstkreis angewiesen. Zunächst werden alle ermahnt, ihre Leiber als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen, welches ihr vernünftiger Dienst sei. Das ist die positive Seite der Sache: wir sind gänzlich den Händen eines Anderen übergeben; denn von einem treuen Diener wird zu allererst ein verständiger, aber unbedingter Gehorsam gefordert. Im L Verse haben wir die negative Seite:

 „Seid nicht gleichförmig dieser Welt“. Wenn wir diese Ermahnungen befolgen, so wird daraus, als sicheres Ergebnis der Verbindung mit dem Guten einerseits und der Trennung von dem Bösen andererseits, ein praktisches Bekanntwerden mit dem Willen des Herrn und Meisters hervorgehen: wir werden „prüfen, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“. Eine Wahrheit zu bewundern genügt nicht; nur dadurch dass man sie in die Praxis umsetzt, erprobt man ihre Wirklichkeit. „Wer den Willen Gottes« tut, wird von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist“ (Vergl. Joh. 7, 17).

In 2. Samuel 15; 17 und 19 begegnen wir drei Klassen von Dienern, welche alle, ein jeder in seiner Weise, dem König David am Tage seiner Verwerfung vernünftige und wohlgefällige Dienste erwiesen. Sie liefern uns eine schöne Erläuterung zu den neutestamentlichen Wahrheiten, dass »die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben“, und dass „der Gnadengaben verschiedene sind nach der einem jeden verliehenen Gnade“, — Wahrheiten, die heutzutage in der bekennenden Kirche ganz unbeachtet gelassen werden; denn alle Verrichtungen werden durch ein und denselben Mann ausgeführt, indem man annimmt, dass er alle Gaben dazu besitze, und indem man voraussetzt, dass er diese Gaben, nicht etwa aus ihrer wahren Quelle, einem verherrlichten Christus, sondern durch Mittel empfangen habe, die von Menschen verordnet und festgesetzt sind.

Wenn wir uns jetzt zu den Beispielen aus dem 2. Buche Samuel wenden, so finden wir zunächst im 15. Kapitel, Vers 19ff. Ittai, den Gathiter. Er war ein Fremder und Verbannter, aber er fühlte sich mit seinem Herzen zu David hingezogen, welcher die Ergebenheit, deren Ittai ihn versichert, dadurch auf die Probe stellt, dass er ihm sagt, sein eigenes Schicksal werde auch dasjenige seines Begleiters sein; denn wenn er ihm nachfolgen wolle, so könne er nichts anderes erwarten, als gleich ihm geächtet zu werden und heimatlos umherzuirren. Er sagt gleichsam: „Die Welt hasst mich, und so wird sie auch dich hassen“. Aber wie schön bringt diese Probe die Tiefe von Ittais Ergebenheit ans Licht!

Er erwidert: „So wahr Jehova lebt und mein Herr König lebt, an dem Orte, wo mein Herr, der König, sein wird, sei es zum Tode, sei es zum Leben, daselbst wird auch dein Knecht sein!“ Er nimmt praktisch sein Leben in seine Hand, und diese Selbstverleugnung ist das erste große Erfordernis für einen wahren Diener. Davon spricht auch der Apostel, wenn er sagt: „Denn wir, die wir leben, werden allezeit dem Tode überliefert. . . . . Als Auskehricht der Welt sind wir geworden.“ Ittai ist gewillt, Jerusalem mit allem, was es anziehend machte, preiszugeben und ein Knecht, ein heimatloser Wanderer, zu werden.

Wenn wir die Leidensgeschichte unseres geliebten Herrn lesen, so finden wir, dass Gott in Seiner Unumschränktheit in besonderer Weise gewisse Menschen berief, um bei Christo in der Wüste hienieden zu sein und für Ihn einzutreten. Heimat, Freunde, Reichtum, Stellung und Ehre — alles Dinge, welche der Mensch als Mensch so sehr hoch schätzt, müssen aufgegeben werden, wenn ein deutlicher Ruf von Seiten Gottes an uns gelangt. Ein treffendes Beispiel hierfür erblicken wir in Saulus von Tarsus; auch in Petrus, der seine Netze, seine Bote und Fische auf den Ruf Christi hin verlassen musste. Wer einem solchen Rufe gehorcht, wird nie aus Wohlleben und Bequemlichkeit nach Art der Welt rechnen dürfen. Der „Diener“ muss bleiben „im Dienst“, der „Lehrer“ in der Lehre, „der da ermahnt“ in der Ermahnung; mit anderen Worten, der Dienst des Herrn ist Zweck und Ziel des Lebens eines Dieners, er füllt das ganze Leben desselben aus.

 Alles andere ordnet sich diesem einen großen Zweck unter. Ein Diener mag zwar, um das Beispiel Pauli wieder aufzunehmen, Zelte machen, aber das ist nicht seine Aufgabe. Es ist wichtig, dies zu beachten, denn manche meinen, ein wahrer Diener Christi dürfe niemals einem irdischen Berufe obliegen. Das Beispiel dessen, der „in nichts den ausgezeichnetsten Aposteln nachgestanden hat“, belehrt uns anders darüber. „Diese Hände“, konnte er ehrlich sagen, „haben meinen Bedürfnissen und denen, die bei mir waren, gedient“

Am Schluss des ersten Verzeichnisses der Gaben und nach Beschreibung der ersten Klasse der Diener (Röm. 12, 6—8) fährt der Apostel im 9. Verse fort: „Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheuet das Böse, haltet fest am Guten“. Mit anderen Worten: ein „Herz voll Liebe“, ein von allem Bösen „abgesonderter Pfad“ und ein „treuer, hingebender Wandel« sind unerlässlich für einen treuen Diener.

Damit kommen wir zu der zweiten Klasse von Dienern. Neben solchen, die Gott in besonderer Weise zu Seinen Knechten berufen hat, und die alles aufzugeben haben, was irgend sie von ihrem Dienste abhalten könnte, lesen wir von anderen, die aufgefordert werden, in Verbindung mit der Ausübung der „Bruderliebe“, „im Fleiße nicht säumig“ zu sein, inbrünstig im Geist; dem Herrn zu dienen, in Hoffnung sich zu freuen, in Trübsal auszuharren, im Gebet anzuhalten, an den Bedürfnissen der Heiligen teilzunehmen, nach Gastfreundschaft zu trachten“. Diese stehen also nicht ausschließlich im Dienste des Herrn. Aber doch sollen auch bei ihnen Eifer, Inbrunst im Geist, Geduld, Freude und Abhängigkeit zum Ausdruck kommen im Dienst gegen die, welche dem Kreise der Zuneigungen Christi angehören, welche zu den Gliedern Seines Leibes zählen, die Er liebt, und für die Er starb und jetzt lebt. Indes trägt diese Art des Dienstes einen anderen Charakter wie die erste.“

Die Handlungsweise Schobis, Makirs und Barsillais, wovon uns in 2. Sam. 17, 27 - 29 berichtet wird, liefert wiederum eine schöne Erläuterung zu dieser zweiten Klasse von Dienern. Ihr Dienst ist in seiner Art und zu seiner Zeit ebenso annehmlich wie der des Ittai, wenn er auch nach Natur und Charakter von jenem verschieden ist. Diese drei Männer lassen nicht alles im Stich und gehen nicht aus, um einem verworfenen König zu folgen; aber sie stellen ihren Reichtum, ihre Betten, Nahrungsmittel, Geräte, ihr Vieh u. s. w. dem David und denen, die seine Verwerfung teilten, zur Verfügung. „Denn sie sprachen: Das Volk ist hungrig und matt und durstig in der Wüste“.

Wir werden beim Lesen dieser Worte unwillkürlich an den treuen Gajus im Neuen Testament erinnert, den Paulus „seinen und der ganzen Versammlung Wirt“ nennt, sowie an die Weiber, welche dem Herrn mit ihrer Habe dienten. Ihr Andenken wird unvergessen bleiben. Ja, ein Becher kalten Wassers, der im Namen Christi dargeboten wird, wird von Ihm in freundlicher Erinnerung gehalten werden bis zu jenem Tage, wo das Wort: „Insofern ihr es einem der geringsten dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan“, manch längst vergessene Handlung der „Bruderliebe“ ins Gedächtnis zurückrufen wird.

Mein lieber Leser, das was wir eben betrachten, ist eine Sache von größter praktischer Wichtigkeit. Es mag sein, dass du weder eine Gabe hast, das Evangelium zu verkündigen, noch berufen bist, zu lehren oder zu ermahnen; aber das kannst und sollst du tun: alles was du in dieser Welt hast, gänzlich unter die Gewalt, Aufsicht und zur Verfügung deines Herrn stellen, indem du nichts, weder Hab und Gut, noch dein Heim mit allen seinen Bequemlichkeiten, als dein eigen betrachtest, sondern „als ein guter Verwalter der mancherlei Gnade Gottes“ alles für Christum benutzest. Du wirst davon selbst auch den größten Vorteil haben; denn die Erfahrung hat bewiesen, dass nichts mehr zum allgemeinen Wohle der Heiligen an irgend einem Orte beiträgt, als die praktische Betätigung jener Liebe, die nicht auf das Eigene, sondern auf das des anderen sieht.

Allein der eine oder andere möchte einwenden: „Das ist alles gut und wohl; aber es ist nichts für mich. Ich habe weder besondere Gaben, mit denen ich dem Herrn zu dienen vermöchte, noch besitze ich ein, Haus oder Mittel, die ich den Seinigen zur Verfügung stellen könnte“. In Erwiderung darauf verweise ich den Leser auf Luk. 12, und damit kommen wir zu der dritten Klasse von Dienern. Der Herr Jesus unterscheidet in genanntem Kapitel zwischen Knechten, die der Hausherr bei seiner Ankunft wachend findet (V. 37), und solchen, die er bei der Erfüllung ihrer Pflichten, „also tuend“ (V. 43), antrifft.

 Er dient den ersten und belohnt die zweiten; doch werden beide gleicherweise Knechte genannt, auch erscheint die erste Klasse mit gegürteten Lenden, obgleich nichts von einem besonderen Dienst gesagt wird. Paulus sagt in seinem zweiten Briefes an Timotheus, dass die Krone der Gerechtigkeit allen denen bereit liege, welche die Erscheinung ihres Herrn lieb hätten. Dazu braucht man weder Gaben noch Reichtümer zu besitzen. Kann nicht auch ein Herz, welches von sich selbst frei ist, „sich freuen mit den sich Freuenden und weinen mit den Weinenden“? Und wenn das in Gemeinschaft mit der Gesinnung des Herrn geschieht, so ist es für Sein Herz ein Dienst höchst lieblicher und annehmlicher Art. Und weiter: Sind irdische Güter dazu nötig, um die zu segnen, welche uns verfolgen, oder gleichgesinnt zu sein gegen einander u. s. w.? Was der Herr von uns wünscht, ist, dass unsere Leiber Lampen gleich seien, welche das Licht der Gemeinschaft mit einem verworfenen Herrn hell und sichtbar auf andere fallen lassen.

Wie findet sich diese letzte Art des Dienstes so wunderschön dargestellt in dem Benehmen und Verhalten Mephiboseths während der Abwesenheit seines geliebten, verworfenen Königs! (2. Sam. 19, 24ff) „Er hatte seine Füße nicht gereinigt und seinen Bart nicht gemacht und seine Kleider nicht gewaschen von dem Tage an, da der König weggegangen war, bis zu dem Tage, da er in Frieden einzog. „Während der ganzen Zeit der Verbannung Davids war dieser ergebene und treue Diener, der unfähig war, seinem Herrn auf den Platz der Verwerfung und Ächtung zu folgen oder ihm mit seiner Habe zu dienen, in Jerusalem ein beständiges Zeugnis dafür gewesen, dass sein Herz bei seinem geliebten Herrn draußen „in der Wüste2 weilte. Jedermann hatte dies an ihm wahrnehmen können.

Und nun, mein lieber Leser, lass mich fragen: Wie steht es damit bei uns? Können die Menschen um uns her auch an uns sehen, dass wir nicht uns selbst angehören, dass wir mit Christo gestorben und auferstanden sind, und dass unser einziger Wunsch ist, bei Ihm zu sein, da wo Er ist? Prüfen wir unsere Wege, geliebte Freunde! Richten wir unser Herz darauf (Hagg.1,5)! Fragen wir uns: Sind wir wirklich „Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten“?

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 169ff

Wir kommen jetzt zu den Aussprüchen des Herrn Jesu über den „anderen Sachwalter". Sie finden sich in dem 14., 15. und 16. Kapitel unseres Evangeliums und führen uns in einen ganz neuen Teil der Wahrheit bezüglich des Heiligen Geistes ein. Es handelt sich nicht mehr um eine neue Natur, wie im 3.Kapitel, auch nicht um die Kraft, welche in dieser Natur wirkt, oder die von innen heraus nach außen fließt, um von einem hienieden verworfenen, aber droben verherrlichten Herrn zu zeugen, wie in Kapitel 4 und 7; nein, wir begegnen jetzt einer göttlichen Person, welche an Stelle des Herrn Jesu fortan bei den Seinigen sein sollte. Jesus war im Begriff, diese Erde zu verlassen. 

Sein Tod, in welchem Gott vollkommen verherrlicht werden sollte, stand unmittelbar bevor; und als einzig gerechte Ver­geltung, als unmittelbares Ergebnis desselben, Seine Verherrlichung droben zur Rechten des Vaters. Nichts Geringeres als das konnte dem Werte Seines Werkes entsprechen. Das Kreuz hat Gott in einer Weise ver­herrlicht, wie es nie vorher geschehen war und nie wie­der geschehen kann; als Antwort darauf hat Gott Seinen Geliebten aus den Toten auferweckt und zu Seiner Rechten mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.

Dies gibt Veranlassung zu den wunderbaren Belehrun­gen von Johannes 14. Zunächst redet Jesus von Seinem Hingehen ins Vaterhaus, um dort eine Stätte für die Seinigen zu bereiten, sowie von Seiner Wiederkehr. So gewiss Er hingegangen ist, so gewiss wird Er zurück­kommen. Aber das ist nicht alles; nein, für die Zeit Seiner Abwesenheit droben im Vaterhause rechnet Er einerseits auf die Liebe der Seinigen, die sich nicht im Klagen und Seufzen, sondern im Halten Seiner Gebote kundtun würde (V. 15); andererseits hat Er eine Vor­sorge für sie getroffen, die Seiner Liebe und des Kreuzes würdig ist, eine Segnung, wie sie nie vorher von Menschen auf der Erde gekannt war. „Ich werde", sagt Er, „den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt. Ihr aber kennet ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein." Und nachher: „Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, wel­chen der Vater senden *4) wird in meinem Namen, jener wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (V. 16. 17. 26).

An anderen Stellen hören wir von einem „Ausgießen" des Heiligen Geistes, hier von einem „Geben" und „Senden". Schon diese Ausdrücke weisen mehr auf die göttliche Person des Geistes hin, als auf die Fülle oder Macht des Segens und der Gnade, die uns in Ihm geschenkt sind. Ich möchte dies besonders betonen, da es so vielfach vergessen wird. Zugleich erinnert es uns auch an den Unterschied zwischen der Gegenwart des Heiligen Geistes in der heutigen Zeit und Seiner zweiten Ausgießung am Ende der Tage „über alles Fleisch".

 Dass eine solche stattfinden wird, und dass die Anführung von Joel 2, 28 32 durch Petrus am Pfingsttage nur als Erklärung des soeben Geschehenen dienen, nicht aber jene Prophezeiung als erfüllt hin­stellen sollte, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Gleichwie das Eintreten unseres großen Hohenpriesters ins Heiligtum von einem entsprechenden Zeugnis des Heiligen Geistes begleitet war, so wird auch Sein Heraustreten für Sein irdisches Volk ein solches Zeugnis aufweisen. (Vergl. das Vorbild in 2. Mose 28, 33 35.) Dem Frühregen wird der Spätregen folgen. Gott wird sich Seines Volkes Israel wieder annehmen und es in Seiner überströmenden Gnade besuchen; und von ihm aus wird dann unter der Herrschaft des Friedensfürsten der Segen allen Völkern der Erde zufließen.

„Danach" (d. h. nachdem Gott sich Seinem irdischen. Volke wieder zugewandt hat, also am Ende der Tage) „wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgießen werde auf alles Fleisch" (Joel 2, 28) Furchtbare Gerichte werden die Erde und ihre Bewohner treffen, aber dann wird ein Strom des Segens sich über Israel ergießen, tiefer und umfassender als je vorher. Doch obwohl das so ist, hören wir nirgendwo von einer Sendung des Heiligen Geistes für jene Zeit. Das ist nur der Fall, wenn von dem gegenwärtigen Zeitabschnitt des Christen­tums die Rede ist. Nur für diese Zeit heißt es, dass der Vater den Seinigen in dem Namen Seines Sohnes einen anderen Sachwalter senden werde.

 Diese persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes, um in den Gläubigen zu wohnen und sie zu einem Leibe zu taufen ( obwohl davon hier noch nicht geredet wird), ist eben aufs innigste verbunden mit der persönlichen Abwesenheit Christi nach Vollbringung des Er­lösungswerkes und gründet sich auf dieselbe. Der kom­mende Tag der Herrlichkeit Christi wird gekennzeichnet sein durch Seine Gegenwart hienieden, und wer könnte die Fülle eines solchen Segens beschreiben? Aber von einer persönlichen Gegenwart des Geistes wird nir­gendwo gesprochen. Nicht dass der Heilige Geist nicht da wäre, oder dass nicht dieselben, ja, in einem Sinne noch größere Kraftentfaltungen und Wunderwirkungen statt­finden würden als in dem christlichen Zeitalter — das ganze Weltall wird ja in einem Sinne die gewaltige Bedeutung der Befreiung kennen, welche Christus bewirkt hat; aber der Zustand der Dinge wird ein ganz anderer sein wie heute. Es ist auch zu beachten, dass in jenen Tagen wohl noch das Passahfest und auch das Laubhüttenfest gefeiert werden wird, dass aber des Pfingstfestes gar keine Erwähnung mehr geschieht. Das was in diesem Feste vorbildlich dargestellt wird, ist in Erfüllung gegangen.

Beschäftigen wir uns jetzt einen Augenblick mit dem Namen oder Titel, welchen der Herr hier dem Heiligen Geiste gibt. Er nennt Ihn den „anderen Sach­walter (Fürsprecher )" oder den „anderen Tröster". Das griechische Wort bedeutet beides: sowohl eine Person, die sich mit den Interessen anderer eins macht, die ihre Sache vertritt, ihnen beisteht, sich in jeder Weise für sie verwendet, als auch jemanden, der tröstet, ermuntert, zuspricht. Das also ist der Heilige Geist für uns. Kost­bares Vorrecht! Welche Bedürfnisse sich auf unserem Wege auch zeigen, welche Schwierigkeiten und Prüfun­gen uns begegnen, welcher Gnade wir bedürfen mögen, der Heilige Geist ist da, und Er ist nicht nur imstande, sondern auch bereit, alles zu tun, was zu unserem Heil und Wohl nötig ist.

 Sollte das Bewusstsein der Gegen­wart dieser göttlichen Person, welche herniedergekommen ist, um an Stelle des verherrlichten Herrn bei uns zu sein, die Herzen der Kinder Gottes nicht allezeit erfüllen und beleben? Wir sehen unseren anderen Sachwalter allerdings nicht, aber wir kennen Ihn. Die Welt sieht und kennt Ihn nicht; wir aber kennen Ihn und wissen, dass Er bei uns und in uns ist, zunächst auf Grund des Wortes unseres geliebten Herrn, und dann weil wir Seine Gegenwart wirklich und wahrhaftig erfahren und genießen. Sie ist nicht nur eine Sache des Glaubens, son­dern auch der seligen Erfahrung, sei es im Blick auf den Gläubigen persönlich oder auf die Versammlung Gottes gemeinschaftlich. „Wisset ihr nicht", fragt der Apostel in 1. Korinther 6,19, „dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt?" Die gläubigen Korinther hatten die mächti­gen Wirkungen des in ihnen wohnenden Geistes reichlich erfahren. Und so will Gott es auch. Wenn es anders ist, wenn ein Christ von jenen lieblichen und mächtigen Wirkungen der Gegenwart des Geistes wenig oder nichts mehr weiß, so steht es schlimm um ihn.

„Ich werde den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass Er bei euch sei in Ewig­keit." Im 15. Kapitel sendet der Herr selbst den Heiligen Geist; hier kommt Er auf Seine Bitte von dem Vater zu den Seinigen. Dort sendet Ihn der verherrlichte Menschensohn als den Zeugen Seiner Herrlichkeit und Seiner himmlischen Stellung; hier sendet Ihn der Vater im Namen Jesu, weil es sich mehr um das persönliche Verhältnis der Jünger zu Jesu handelt.

„Dass er bei euch sei in Ewigkeit." Das ist eine Wahr­heit von unermesslicher Tragweite. Nicht nur ist uns der Heilige Geist gegeben, sondern Er soll bei uns blei­ben für immer; nicht wie Jesus für eine kurze Zeit bei den Seinigen blieb, nicht als ein vorübergehender Besucher, nein, Er soll bei uns bleiben „in Ewigkeit", uns nie wieder verlassen. Wie bald und wie völlig ist diese kostbare Wahrheit vergessen worden! Gott sei ge­priesen, dass Er in unseren Tagen die Aufmerksamkeit vieler Christenherzen wieder auf sie gelenkt hat!

Aber nicht nur soll der Heilige Geist b e i uns bleiben, wie der Messias (wenn auch nur für einige Jahre) bei Seinem Volke geblieben war; Er soll auch i n uns sein. Eine neue, innige Gegenwart Gottes in den Seinigen im Gegensatz zu der Welt, die Christum verworfen hat und den Heiligen Geist nicht empfangen kann, ist da­mit zur Tatsache geworden. Das ist eine zweite, höchst bedeutungsvolle Wahrheit, Die Wirkung derselben zeigt sich sofort. „Ich werde euch nicht als Waisen lassen", sagt der Herr, „ich komme zu euch. Noch ein Kleines, und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber sehet mich" ( V. 18. 19 ).

Durch die Gegenwart des Heiligen Geistes wird den Herzen der Gläubigen das Schauen Christi weit wirklicher vermittelt, als es je vorher der Fall war. Wohl sehen sie Ihn jetzt mit ihren natürlichen Augen nicht mehr, aber infolge der Belehrungen und Unter­weisungen des Geistes erkennen' sie Ihn viel tiefer und wirklicher, als die Jünger es in den Tagen Seines Flei­sches je zu tun vermochten. Aber mehr noch: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch" (V. 20).

Beachte diese Worte wohl, geliebter Leser! Sinne mit Gebet darüber! Sie reden von einer Gemeinsam­keit des Lebens und der Natur. Unser Leben ist in dem Sohne. Weil Er leb t, werden auch wir leben. Und weil der Heilige Geist in uns wohnt, wissen wir auch, dass wir mit Christo vereinigt, ja, dass wir in Ihm sind. Es handelt sich hier nicht um die Einheit des Leibes (diese finden wir in den Briefen des Apostels Paulus ), sondern um eine persönliche Vereinigung mit Christo. Aber welch eine wunderbare Sache ist das! Christus ist in dem Vater, wir sind in Ihm, dem zur Rechten Gottes Erhöhten, und Er ist in uns, die wir hienieden wandeln. Welch kostbare Bande, welch innige Beziehungen! Sie konnten unmöglich gekannt sein, so Tange Jesus hienieden pilgerte; sie sind, wenig­stens, insoweit wir dabei in Betracht kommen, erst zur Wahrheit geworden durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes und Sein Wohnen in uns. Er ist die Kraft dieser Beziehungen oder dieser Vereinigung. Christus ist in uns nach der Macht der Gegenwart des Heiligen Geistes.

Noch einmal möchte ich den freundlichen Leser fragen: Konnte das jemals im Alten Bunde genossen werden, oder werden diese Beziehungen im Tausendjährigen Reiche gekannt sein? Unmöglich. Es ist eine Segnung ganz be­sonderer Art, die nur dem Christentum eigen ist. „An jenem T a g e" — das ist jetzt, nachdem der Herr Seinen Platz droben in der Herrlichkeit eingenommen hat und der Heilige Geist herniedergekommen ist, um das un­sichtbare Band der Vereinigung des Gläubigen mit Chri­sto zu bilden. 

Es ist der Tag der christlichen Segnungen, des neutestamentlichen Verhältnisses zwischen den Gläubigen und dein Vater und dem Sohne. Nur jetzt gibt es eine solche Verbindung mit Christo droben vermittelst des Heiligen Geistes. Wenn unser geliebter Herr einmal als König herrscht, wird alles verändert sein. Wir haben gesehen, dass Seine persönliche Gegenwart das kommende Zeitalter kennzeichnen wird, und deshalb muss und wird dann auch die Tätigkeit des Heiligen Geistes eine ganz andere sein als heute.

O möchten wir diese Wahrheit mehr beherzigen, so­wohl persönlich, als auch im Blick auf unser gemein­schaftliches Zeugnis! Der Heilige Geist ist bei uns und i n uns, als Antwort auf die große Wahrheit, dass Chri­stus sich gesetzt hat zur Rechten Gottes droben. Mit diesen beiden Wahrheiten steht und fällt alles, was uns als Christen von anderen Gläubigen vor oder nach uns unterscheidet. Beide Wahrheiten gehören deshalb auch unzertrennlich zusammen; und man wird immer finden, dass alle, die nicht an die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden glauben oder sie wenig beachten, auch wenig Verständnis haben von Christo als dem verherrlichten Menschensohn zur Rechten Gottes, als Haupt Seines Leibes, der Versammlung.

Der Heilige Geist ist also bei und in uns als Der, welcher Christum verherrlicht, der uns beisteht in unse­ren Prüfungen, uns stärkt gegen die Anläufe und Listen Satans, der uns Freude, Trost und Kraft darreicht und uns befähigt, treu und einfältig, in Demut und Niedrig­gesinntheit unseren Dienst zu tun, der uns durch das Wort Gottes unterweist und uns straft, wenn wir irgend etwas getan haben, was diesem Worte zuwider ist oder die Person Christi verunehrt. O möchten wir doch ern­ster auf die Warnungen und Weisungen dieses göttlichen Führers lauschen und mit einfältigerem Glauben Seine Gegenwart verwirklichen! 

Es ist oft gesagt worden: wenn eine hochgestellte Person, ein Fürst oder König, in unser Haus träte, so würden wir besorgt sein, alles der Gegen­wart eines so hohen Gastes entsprechend einzurichten, alles zu tun, was ihm gefiele, und alles zu entfernen, was sein Auge beleidigen oder seinen Unwillen erregen könnte. Wie viel mehr sollte das aber der Fall sein im Blick auf den himmlischen Gast, den Gott uns gesandt hat, damit Er bei uns und in uns sei! Gott hat Seine Kinder zu einem Platze hoher Würde, aber auch großer Verantwortlichkeit berufen. Lasst uns mit Gebet und Flehen darauf bedacht sein, dass unser ganzes Verhalten, unsere Gesinnung, unsere Worte, unsere Blicke, unsere Kleidung, unser Essen und Trinken, ja, alle s mehr und mehr in Übereinstimmung stehe mit unserem Bekenntnis von der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes!

Im 25. und 26. Verse unseres Kapitels lesen wir dann weiter: „Dies habe ich zu euch geredet, während ich bei euch bin. Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, welchen der Vater senden wird in meinem Namen, jener wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." 

Die Worte Jesu, während Er hienieden pilgerte und diente, waren Worte, geredet durch den Heiligen Geist, der ohne Maß in Ihm wohnte; und nun sollte derselbe Geist in den Jüngern wohnen und wirken und all die Belehrungen des Herrn in ihr Gedächtnis zurückrufen, sie erinnern an alles, was Er gesagt hatte. Und nicht nur dies ist in Erfüllung gegangen, wie die Evangelien es z. B. beweisen, sondern der Heilige Geist hat die Jünger auch weiter geführt in die Erkenntnis der Wahrheit. „Er wird euch alles lehren." Später wird dieser Gedanke, wie wir sehen wer­den, noch weiter ausgeführt; aber schon an dieser Stelle wird Raum dafür gelassen.

Am Ende des 15. Kapitels wird der Heilige Geist als der Zeuge der neuen, himmlischen Stellung Christi eingeführt. „Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird er von mir zeugen. Aber auch ihr zeuget, weil ihr von Anfang an bei mir seid" ( V. 26. 27). In der vorhin angeführten Stelle bringt der Geist alles in Er­innerung, was Jesus gesagt hatte; hier zeugt Er von Christo selbst, und zwar von Ihm, dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes. Auch die Jünger waren Zeugen Jesu; sie hatten Ihn auf Seiner irdischen Wander­schaft begleitet, waren von Anfang an bei Ihm gewesen, hatten von Ihm gezeugt und sollten dies fernerhin tun. Ihr Zeugnis behandelte die irdische Seite, den hienieden lebenden Christus, das Zeugnis des Heiligen Geistes die himmlische Seite, den drohen verherrlichten Menschen­sohn. Ihrem irdischen Zeugnis von Christo wurde also das neue, himmlische Zeugnis des Geistes hinzugefügt. Die Erfüllung dieser Stelle finden wir geschichtlich in der Apostelgeschichte. ( Vergl. Apstgsch. 5, 32. )

Das 16. Kapitel führt uns noch einen bedeutenden Schritt weiter. Am Ende des 14. Kapitels hatte der Herr davon geredet, dass Er zum Vater zurückkehren wolle, und dieser Ankündigung die gnädigen und doch auch nicht ganz vorwurfsfreien Worte folgen lassen: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn mein Vater ist größer als ich." Sein Hingehen bedeutete einen herrlichen Tausch für I h n; es führte Ihn aus dieser armen Welt in die Gegenwart ewiger Freude droben beim Vater. Hier im 16. Kapitel berührt Er die andere Seite der Frage, das was dieser Hingang den Jüngern bringen würde.

Ihre Herzen wa­ren mit Trauer erfüllt bei dem Gedanken, dass ihr gelieb­ter Herr sie verlassen wollte; „doch", ruft Er ihnen zu, „ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch nützIich, dass ich weggehe; denn wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden" ( V. 7 ). Diese Worte be­weisen wiederum, dass die Vollendung des Versöhnungs­werkes und das Eingehen unseres großen Hohenpriesters ins Heiligtum droben notwendige Erfordernisse wa­ren für das Herniederkommen des Heiligen Geistes. Vor Erfüllung dieser Bedingung konnte Er nicht kommen. Wie hätte Er sündige, unreine Geschöpfe ohne Blutver­gießen, ohne vorherige Tilgung ihrer Schuld und Beseiti­gung der Sünde aus den Augen Gottes, versiegeln und mit Kraft salben können?

„Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt über­führen *5) von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht" (V. 8). Hier wird zum ersten Male die Gegen­wart des Heiligen Geistes in ihrer Wirkung und Be­deutung für die Welt vor unsere Blicke gestellt. Diese Gegenwart ist für die Welt der überführende Beweis von ihrer Sünde. Es handelt sich hier nicht um das Wirken des Heiligen Geistes an und in einzelnen Personen, auch nicht um die Überführung der Gewissen bezüglich der persönlichen Schuld, der Sünden, (obwohl der Heilige Geist sicherlich in dieser Weise tätig ist,) sondern viel­mehr um die Überführung der Welt als solcher — ob achtbar und religiös, oder gottlos und ungläubig — von der S ü n d e, die auf ihr lastet, weil sie den Sohn Gottes verworfen hat: „von Sünde, weil sie nicht 'an mich glauben". 

Die Verwerfung Christi hat die ganze Welt unter Gericht gestellt. „Jetzt ist das Gericht dieser Welt." Christus ist in Gnade und Liebe in diese Welt gekommen, die Güte und Menschenliebe Gottes sind erschienen; „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend und ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend." Aber der Mensch hat dieser Liebesoffen­barung Gottes nur Hass und bittere Feindschaft entgegen­gebracht; die Welt hat Jesum verworfen, Das Herniederkommen und Wohnen des Heiligen Geistes in den Gläubigen, welches der Erfüllung des Versöhnungswerkes folgte, ist darum der vollgültige Beweis von dem schrecklichen Zustande, in welchem die Welt sich be­findet: sie hat die in Christo Jesu ihr entgegengebrachte Gnade verachtet.

„Von Gerechtigkeit aber, weil ich zu meinem Vater gehe, und ihr mich nicht mehr sehet" ( V. 10). Wo ist Gerechtigkeit zu finden? In dieser Welt, bei dem Menschengeschlecht? Ach nein, hier ist keine Gerechtig­keit; da ist kein Gerechter, auch nicht einer. Der einzig Gerechte, der je gelebt hat, wurde von der Welt ver­spottet und ans Kreuz geschlagen. Die Verwerfung Christi hat den sündigen Zustand der Welt vollkommen erwiesen. Das Auge Gottes sieht in ihr nichts anderes als Sünde und Ungerechtigkeit. Wo ist denn Gerech­tigkeit zu finden? In Ihm, der droben, zur Rechten. Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist. Nachdem unser geliebter Herr Gott vollkommen verherrlicht hatte, ist Er zum Vater zurückgekehrt und hat sich auf Seinen Thron gesetzt. Ihm diesen Platz zu gehen, war göttliche Gerechtigkeit, und dieselbe Gerechtigkeit hat Jesum den Blicken der Welt für immer entzogen. Für die Welt als solche ist jetzt alles aus; sie hat Christum für immer verloren, und nur Gericht bleibt für sie übrig. Der zur Rechten des Vaters sitzende Menschensohn, sowie der Geist hienieden sind ein beständiges Zeugnis von „Ge­rechtigkeit", von göttlicher Gerechtigkeit in Ihm droben. Ernste Tatsache für die Welt, kostbares Zeugnis für alle, die an Jesum glauben?

„Von Gericht aber, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist" (V. 11) . Satan, der Fürst dieser Welt, hatte alles versucht, um Jesum aus dem Wege zu räumen. Die ganze Welt, Juden und Heiden, Priester und Volk, hat­ten ihrem Fürsten willig Heerfolge geleistet, als er den letzten Entscheidungskampf mit dem Fürsten des Lebens führte und anscheinend Sieger blieb; denn Christus starb am Fluchholze, wie ein gehenkter Missetäter. Aber in­dem Er dort starb, besiegte Er in Wirklichkeit Satan, und mit ihm alle Mächte der Finsternis. Das Kreuz und die ihm folgende Auferstehung sind der Beweis, dass Satan überwunden und alle Gewalt des Todes vernichtet ist. Satan ist gerichtet. Die Gegenwart und Macht des Heiligen Geistes, welcher alle Macht des Feindes nicht zu widerstehen vermag, bezeugen das unzweideutig, und wenn auch die Welt selbst noch nicht von dem Gericht ereilt worden ist, so ist doch ihr Fürst bereits gerichtet, und darum ist die Gegenwart des Heiligen Geistes für die Welt (mag sie es annehmen oder nicht ) die Über­führung von „Gericht". Sie ist dem Gericht verfallen.

Zum Schluss noch ein Wort über den letzten der wun­derbaren Aussprüche unseres Herrn bezüglich des Heili­gen Geistes. Er ist wiederum von tiefer Belehrung und Schönheit.

„Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles was der Vater hat, ist mein; darum sagte ich, dass er von dem Meinen empfängt und euch verkündigen wird" (V. 12-15 ). Von der Wirkung der Gegenwart des Heiligen Geistes im Blick auf die Welt geht der Herr hier zu dem Segen und der Hilfe über, welche diese Gegenwart den Jüngern bringen würde.

 Nicht nur sollte der Geist sie an alles erinnern, was Er ihnen gesagt hatte, nicht nur von Ihm, dem verherrlichten Menschensohne droben, zeugen, sondern Er sollte sie auch in die ganze Wahr­heit leiten; mit einem Wort, Er sollte an Stelle des scheidenden Herrn ihr göttlicher Lehrmeister werden. Der Herr hätte den Jüngern noch vieles zu sagen ge­habt; aber sie waren nicht fähig, es zu „tragen", sie konnten es nicht fassen. Aber nach dem Hingang Christi und dessen gesegneten Folgen würden sie imstande sein, in die ganzen herrlichen Wahrheiten, Hoffnungen und Segnungen des Christentums eingeführt zu werden. Die . Herzen der Jünger waren so erfüllt von der Erwartung irdischer Segnungen für Israel, dass sie sich erst nach und nach an das völlig Neue der christlichen Wahrheiten gewöhnen konnten. Sie waren in keiner Weise vorbe­reitet auf die Offenbarung der göttlichen Ratschlüsse bezüglich eines verherrlichten Christus und einer mit ihm ins Heiligtum droben eingeführten Schar. Der Geist, „der alles erforscht, auch die Tiefen Gottes" (1.Kor.), sollte sie hierüber belehren, ja, sie in die ganze Fülle der neutestamentlichen Wahrheit einführen. Auch sollte Er ihnen „das Kommende verkündigen".

Die Schriften der Apostel machen uns mit diesen Mitteilungen des Heiligen Geistes bekannt, auch hin­sichtlich der Gedanken Gottes über diese Erde und ihre Zukunft. Nicht nur in dem Buche der Offenbarung, son­dern auch in den Briefen der Apostel findet sich das pro­phetische Wort in ausgedehntem Maße, und es sollte sicherlich die gleiche Wertschätzung bei uns finden, wie die übrigen göttlichen Mitteilungen. Der Heilige Geist hat nicht aufgehört, ein Geist der Prophezeiung zu sein. Dennoch ist Seine Hauptaufgabe die Verherrlichung Christi; und bei der Erfüllung derselben redet Er nicht aus sich selbst * 6), das will sagen: nicht wie wenn Er eine unabhängige, für sich allein stehende und handelnde Per­son wäre; „sondern was irgend er hören wird, wird er reden". Wie der Sohn einst auf diese Erde kam, nicht um Seinen eigenen Willen zu tun und in Unabhängig­keit zu handeln, sondern um alles zu tun, was irgend Er den Vater tun sah, um als Diener den wohlgefälligen Willen Gottes zu vollbringen, so ist der Heilige Geist herniedergekommen, um den Sohn zu verherrlichen und alles das zu reden, was Er hören würde.

„Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles was der Vater hat, ist mein." Das ist, wie gesagt, der Mittel­punkt, um den sich bei der Wirksamkeit des Heiligen Geistes alles dreht: die Verherrlichung Christi.

 Christus hat droben Seinen Platz eingenommen, kraft der Voll­kommenheit Seines Werkes und der Würdigkeit Seiner Person, und alles was der Vater hat, ist nun Sein — nicht nur Sein als Sohn der ewigen Liebe des Vaters, sondern als Sohn Gottes, wie Er in dieser Zeit geoffenbart worden ist; und darum kann der Heilige Geist nun von dem Seinigen nehmen und uns verkündigen, Er kann Seine Herrlichkeit vor uns entfalten im Blick auf alles das, was Ihm, als verherrlicht bei dem Vater, angehört. Freilich wird all unser Wissen und Erkennen, so lange wir in diesem Leibe sind, immer Stückwerk bleiben, immer nur stückweise geschehen können; aber — o welche Höhen und Tiefen der gött­lichen Gnade! — der ganze Umfang dessen, was unse­rem geliebten Herrn gehört, alles was der Vater h a t, ist uns aufgeschlossen, und es ist die Freude des Heiligen Geistes, von dem Seinigen zu nehmen und uns mitzuteilen.

Geliebter Leser! Sinne mit Ernst hierüber nach und frage dich, inwieweit es wohl dem Heiligen Geiste bis heute möglich war, diesen Seinen Zweck, die Verherr­lichung Christi, bei dir zu erreichen; inwieweit die ernste und doch zugleich so kostbare Wahrheit von der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes in deinem Herzen Verwirklichung gefunden hat.

Fußnoten:

*4) Hier nicht „geben", wie vorher. Der Unterschied ist beachtenswert, insofern er die Persönlichkeit des Heiligen Geistes deutlicher hervortreten lässt. Eine bloße Macht oder Segensquelle könnte man geben, eine Person sendet man. Der Rest des Verses macht dies noch klarer.

*5) Der Leser beachte den Ausdruck „überführen". Er be­deutet nicht dasselbe wie „überzeugen". Die Nichtbeachtung dieses Unterschieds hat das Verständnis der Stelle vielfach sehr erschwert. Ein „überführter" Sünder ist noch kein „überzeugter" Sünder. Ein Verbrecher kann von seiner Schuld überführt werden, ohne dass irgend eine Wirkung in seinem Innern hervorgebracht wird, so dass er sich weder unter das Ergebnis der Verhandlung beugt, noch seine Mis­setat anerkennt.

*6) nicht: „von sich selbst", in dem Sinne von „über sich selbst", wie es oft ausgelegt worden ist. Der Heilige Geist spricht viel von sich selbst, aber nie aus sich selbst. Er redet das, was Er von dem Vater und dem Sehne hört. Es gefällt Ihm, der Diener der Ratschlüsse des Vaters und der Verherrlichung des Sohnes zu sein, gleichwie der Sohn vorher der Diener des Vaters war

@@@

Der Sabbat und der Tag des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 186ff

„Es ist eine ernste Sache, dass es dem Feinde so leicht gelingt, die Blicke der Gläubigen von der Person und dem Werke Christi abzulenken und ihre Herzen mit Geboten und Satzungen zu beschäftigen, um in dem Beobachten derselben die Gerechtigkeit zu suchen, deren der Mensch vor Gott bedarf, oder doch wenigstens auf diese Weise dem Werke Christi etwas von Seiten des Menschen hinzuzufügen. So war es schon zu den Zeiten der Apostel, und so ist es in unseren Tagen; und wir brauchen uns nicht darüber zu verwundern, dass dieses Bestreben des Feindes so vielen Beifall findet, da es dem Stolze des menschlichen Herzens schmeichelt. Es gefällt dem Menschen nicht, wenn man ihm sagt, dass er nicht fähig sei, auch nur das Geringste zu seiner Rechtfertigung vor Gott beizutragen, und dass er allein durch den Glauben an Jesum, ohne Gesetzes Werke, nur aus Gnaden, errettet werden könne. Er möchte gar zu gern wenigstens etwas, und wäre es auch noch so wenig, Gott darbringen, um von Gottes Seite Anerkennung seines Tuns zu finden. Er meint, alles was religiös sei oder einen religiösen Schein habe, müsse Gott auch angenehm und wohlgefällig sein. Er vergisst ganz, dass die religiösen Menschen aller Zeiten die bittersten Feinde der Wahrheit waren, ja, dass nach dem Ausspruch Dessen, der die Wahrheit selbst ist, Zöllner und Hurer eher in das Reich Gottes eingehen, als Schriftgelehrte und Pharisäer.

Eine Sache, mit der man sich heutzutage in besonderer Weise beschäftigt, ist das Halten des Sabbats (d. h. des siebenten Tages der Woche), indem man ihn als ein Gebot Gottes an alle Menschen darzustellen sucht. Mancherlei Schriften über diesen Gegenstand werden mit großem Eifer in vielen Tausenden von Exemplaren verbreitet. Da man sich in denselben auf das Wort Gottes beruft, — und wer wüsste nicht, dass sowohl im Alten wie im Neuen Testament viel vom Sabbat die Rede ist? — sind manche unbefestigte Seelen in Unruhe gekommen. Es ist deshalb von Wichtigkeit, zu untersuchen, was uns Gottes Wort sowohl über den Sabbat als auch über den ersten Tag der Woche, „den Tag des Herrn“, lehrt. Menschliche Meinungen haben hier, wie immer, keinen Wert; Gottes Wort allein kann uns den rechten Weg zeigen.

Zunächst jedoch möchte ich daraus hinweisen, dass die Schreiber der genannten Schriften, welche ihre Lehre den Christen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln aufzudrängen suchen, es so darstellen, als handle es sich nur darum, ob man den siebenten oder den ersten Tag der Woche beobachten solle. Doch dem ist keineswegs so. Ihre Stellung zu dem Sabbat berührt vielmehr die ganze Frage der Beziehung des Christen zu dem Gesetz, sowie die Natur des Evangeliums und die Folgen des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Es handelt sich um nichts Geringeres, als um die Frage: Auf welchem Boden befindet sich der Christ? in welcher Beziehung steht er zu Gott? Befindet er sich unter Gesetz oder unter Gnade? Hierauf sollte schon Röm. 6, 14 jedem Gläubigen eine genügende Antwort geben: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“. Doch möchte ich auf diesen Punkt hier nicht näher eingehen; wir kommen darauf später zurück. Ich erwähne ihn hier nur, um von vornherein festzustellen, dass es sich um etwas viel Wichtigeres handelt, als um die Frage, ob der siebente oder der erste Tag der Woche zu beobachten sei.

Sehen wir nun zu, welche Belehrungen uns das Wort Gottes in Verbindung mit unserem Gegenstande gibt, indem wir fragen:

1. Was war der Sabbat? Von dem siebenten Tage ist zum ersten male bei der Schöpfung die Rede. Wir lesen in 1. Mose 2, 2 -.3: „Gott hatte am siebenten Tage Sein Werk vollendet, das Er gemacht hatte; und Er ruhte am siebenten Tage von all Seinem Werk, das Er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an demselben ruhte Er von all Seinem Werk, das Gott geschaffen hatte. Beachten wir denn von vornherein, dass der Sabbat ein Tag der Ruhe war in Verbindung mit dieser Schöpfung. Indes wird uns nicht gesagt, dass der Mensch in diese Ruhe Gottes eingeführt worden sei, *) oder dass Gott dem Menschen ein Gebot gegeben habe, auch seinerseits den siebenten Tag als einen Tag der Ruhe zu heiligen. Ein solches Gebot konnte schon darum nicht gegeben werden, weil Adam und Eva ja nichts zu tun hatten, als sich in Frieden der Gaben Gottes zu erfreuen. 

Wovon hätten sie ruhen sollen? Auch in der Erzählung von dem Falle des Menschen und von dem Urteil Gottes über ihn findet sich nicht ein einziges Wort, welches darauf hindeuten könnte, dass Gott den Sabbat als ein Gebot eingesetzt habe. Die Tatsache, dass Gott den siebenten Tag heiligte, ist aber keineswegs ein Beweis dafür, dass dieser Tag für den Menschen eingesetzt, oder ihm damals auch nur als ein Tag der Ruhe bekannt gemacht worden sei. Es wird uns nur gesagt, dass Gott ruhte, weil Sein Werk vollbracht war. Es gab für Ihn nichts mehr zu tun; Er hatte in sechs Tagen alles geschaffen, was Er schaffen wollte; und alles war vollkommen, alles war sehr gut, d. h. es war gerade so, wie Er es gemacht hatte. Das Schöpfungswerk war vollendet, und darum ruhte Gott von und in Seinem Werke. Gott feierte einen Sabbat.

Das ist, wie bereits gesagt, der wahre Charakter des Sabbats. So viel uns die Schrift darüber sagt, war dies der einzige Sabbat, den Gott je gefeiert hat. Wohl lesen wir später, dass das Gebot Gottes, den Sabbat zu halten, dem Menschen gegeben wurde, und dass der Mensch dieses Gebot übertreten hat; aber die Worte: „Gott ruhte“ finden wir nur bei der Schöpfung. Der Herr Jesus sagt später vielmehr ausdrücklich: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke«. (Joh. 5, 17.) Der Sabbat konnte im wahren Sinne des Wortes nur gefeiert werden inmitten einer unbefleckten Schöpfung, in welcher es nichts mehr zu tun gab und wo vor allen Dingen keine Spur von Sünde zu entdecken war. Gott kann da nicht ruhen, wo die Sünde wohnt, und man braucht nur einen Blick um sich her zu werfen, um zu sehen, dass ein Ruhen in der gegenwärtigen Schöpfung unmöglich ist. 

Wie könnte Gott ruhen inmitten von Seufzern und Tränen, von Schmerzen und Leiden, von Krankheit und Tod, von Abfall und Schuld? Mit einem Wort, wie könnte Er ruhen inmitten einer gottentfremdeten, verderbten Welt? wie unter solchen Umständen einen Sabbat feiern? Unmöglich! Gott hat von dem Tage des Sündenfalles an gewirkt bis jetzt. Er ist in Gnaden tätig gewesen, unaufhörlich, jahraus, jahrein. Und das wird so bleiben, bis alles neu gemacht ist, bis der neue Himmel und die neue Erde da sind, in welchen es keine Sünde mehr gibt, sondern wo alles der Heiligkeit Gottes entsprechen wird. In dieser neuen Schöpfung wird die Gerechtigkeit wohnen, alles wird Gott verherrlichen, und zwar auf Grund des Erlösungs- Werkes Christi, in welchem der Gläubige jetzt schon für Herz und Gewissen völlige Ruhe gefunden hat. Dann wird Gott wieder ruhen; ja, dann wird der ewige Sabbat anbrechen, Von welchem der Sabbat bei der Schöpfung nur ein Vorbild war, und alle Erlösten werden an der Ruhe und Freude desselben teilnehmen.

Entsprechend der Tatsache, dass Gott bei der Schöpfung dem Menschen nicht geboten hat, den siebenten Tag zu heiligen, hören wir auch nicht, dass Adam, Seth oder irgend einer der Gläubigen vor der Flut den Sabbat gefeiert hätte; fünfzehnhundert Jahre gingen dahin, ohne dass ein Wort vom Sabbat geredet worden wäre. Das ist sicherlich eine auffallende Sache. Noch auffallender aber ist es, dass auch später, als die Erde durch das Gericht gereinigt war, und Gott mit Noah und seinen Nachkommen Seinen Bund errichtete, der Sabbat mit keinem Worte erwähnt wird. Wenn es wahr wäre, dass Gott bei der Schöpfung das Heiligen des siebenten Tages seitens des Menschen beabsichtigt oder ihm gar geboten hätte, so würde Er ganz gewiss, als Er in Noah sozusagen ein neues Menschengeschlecht auf die Erde stellte, diesem jenes Gebot in Erinnerung gebracht haben. 

Doch wir hören nichts davon. Wohl gab Gott bei der Errichtung Seines Bandes mit dem Menschen ein für alle Menschen gültiges Gebot, aber dasselbe betraf nicht den Sabbat. In Verbindung mit der Übergabe aller Tiere der Erde, des Gevögels des Himmels und der Fische des Meeres in die Gewalt des Menschen (vorher waren ihm bekanntlich nur das grüne Kraut und die Früchte der Bäume zur Speise gegeben) sagt Gott: „Nur das Fleisch mit seiner Seele, seinem Blute, sollt ihr nicht essen“. Auch wenn Gott dem Menschen den Regenbogen als Zeichen Seines Bandes mit ihm gibt, redet Er kein Wort vom Sabbat (Siehe 1. Mose 9, 1 — 17).

Wieder fünfhundert Jahre später berief Gott Abraham und führte ihn aus seinem Vaterlande nach Kanaan. Gott war im Begriff, etwas ganz Neues mit dem Menschen zu beginnen, nämlich aus allen Völkern der Erde ein Volk auszusondern, welches Sein Eigentum sein sollte; und Abraham sollte der Stammvater dieses Volles werden. Gott offenbarte sich ihm wiederholt, gab ihm den Bund der Beschneidung und schenkte ihm große und kostbare Verheißungen; aber auch jetzt wird der Sabbat nicht erwähnt. Ebenso wenig bei Isaak, bei Jakob oder in der Geschichte Josephs und der Kinder Israel in Ägypten. Wir finden im Worte Gottes keine Spur vom Sabbat, bis zu der Zeit, da Israel als ein aus Ägypten erlöstes und Gott angehörendes Volk sich in der Wüste Sin befand.

Erst als das Blut des Passahlammes, ein Vorbild von dem kostbaren Blute Christi, geflossen war und Israel vor dem Gericht in Sicherheit gebracht hatte, als das Volk aus der Knechtschaft der Ägypter erlöst war und an dem anderen Ufer des Roten Meeres» das Lied der Befreiung gesungen hatte -— da erst wurde dem Volke Israel der Sabbat gegeben. Da erst sagt Mose: „Dies ist es, was Jehova geredet hat: Morgen ist Ruhe, ein heiliger Sabbat dem Jehova“· Das Kapitel (2. Mose 16), in welchem uns dies mitgeteilt wird, beginnt mit den Worten: „Die ganze Gemeinde der Kinder Israel kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai ist“. Diese Bemerkung hat der Geist Gottes sicher nicht ohne Absicht hinzugesetzt. Elim war der Platz, wo Israel auf seiner Wanderung die unumschränkte Gnade und Güte Gottes erfuhr, indem Gott sie im Schatten der Palmbäume an erfrischenden Wassern lagern ließ. 

Sinai dagegen war der Ort, wo sie den Boden der freien Gnade verließen und sich unter ein Bündnis von Werken stellten. Diese Umstände machen die Wüste Sin zu einem besonders wichtigen Abschnitt der Reise der Kinder Israel. Sie stehen hier noch nicht unter dem Gesetz, sondern sind die Gegenstände derselben Gnade, welche sie aus Ägypten geführt hatte; und als solch en gibt ihnen Gott das Manna, das Brot aus dem Himmel, und den Sabbat, den Tag der Ruhe. Beide Dinge waren Segnungen, Gnadengeschenke aus der Hand eines liebenden und gnädigen Gottes. Gott wollte Seinem Volke schon in der Wüste Nahrung, Erquickung und Ruhe geben; sie sollten am siebenten Tage ruhen von ihrer Arbeit, sich in der Rettung Gottes erfreuen und mit dankbarem Herzen Ihn preisen.

Das ist, soweit die Schrift uns Bericht gibt, der erste Sabbat, der auf der Erde, und zwar nur von dem Volke Israel, gefeiert worden ist." **) In 2. Mose 19, 4 erinnert Gott das Volk an das, was Seine Gnade an ihm getan hatte: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe“; und dann gibt Er diesem erlösten und mit Ihm in Verbindung gebrachten Volke im Gesetz das Gebot: „Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen“. Dies tritt noch klarer hervor, wenn wir in Mose 15 lesen: „Gedenke, das; du ein Knecht gewesen bist im Lande Ägypten, und dass Jehova, dein Gott, dich mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arme von dannen herausgeführt hat: darum hat .Jehova, dein Gott, dir geboten, den Sabbattag zu feiern“.

„Ach, leider hat Israel die wahre Bedeutung des Sabbattages nie verstanden; es ist niemals in die Ruhe Gottes eingegangen, konnte es auch nicht. Aber es ist klar, dass die Worte Moses, wenn Gott Seinen Sabbat allen Menschen gegeben hätte, keinen Sinn haben würden. Dasselbe finden wir in Nehem. 9, 9 —14. Nachdem dort zunächst vorgestellt ist, was Gott an Israel getan, wie Er ihr Elend in Ägypten angesehen, ihr Geschrei am Schilfmeere gehört und sie trockenen Fußes durch das Meer geführt hatte, heißt es weiter: „Und deinen heiligen Sabbat hast du ihnen kundgetan“. Wie eindrucksvoll ist diese Darstellung! Sie zeigt uns, dass die Ruhe Gottes nur von denen geschmeckt werden kann, welche die Erlösung empfangen haben.

Es ist schon weiter oben angedeutet worden, dass der Sabbat außerdem ein Bandeszeichen zwischen Gott und Seinem erlösten Volke war. „Jehova redete zu Mose und sprach: Und du, rede zu den Kindern Israel und sprich: Fürwahr, meine Sabbate sollt ihr beobachten; denn sie sind ein Zeichen zwischen mir und euch bei euren Geschlechtern, damit ihr wisset, dass ich, Jehova, es bin, der euch heiligt.“ (2. Mose 31, 12 u. 13.) Dies wird in Vers 17 wiederholt: „Er ist ein Zeichen zwischen mir und den Kindern Israel ewiglich; denn in sechs Tagen hat Jehova den Himmel und die Erde gemacht, und am siebenten Tage hat Er geruht und sich erquickt“. In Hesek. 20 findet sich der gleiche Gedanke wieder. 

Nach einer ergreifenden Darstellung der Gnadenwege Gottes mit Israel und der Erlösung des Volkes aus Ägypten heißt es in V. 12: „Und auch meine Sabbate gab ich ihnen, damit sie zum Denkzeichen wären zwischen mir und ihnen, auf dass sie wissen möchten, dass ich Jehova bin, der sie heiligt“. Beachten wir hier, dass Israel nicht den Sabbat halten sollte, um dadurch geheiligt zu werden, sondern dass, er das göttliche Denkzeichen war zwischen Israel und seinem Gott, der das durch das Blut des Lammes geheiligte Volk aus Ägypten herausgeführt und zu sich gebracht hatte; sie sollten den Sabbat beobachten zum Zeichen, dass sie dieses für Gott abgesonderte Volk waren.

Doch Israel hat als Volk die Gnade Gottes, welche sich in diesem Gebot kundgab, geringgeschätzt und den Sabbat gebrochen, wie jedes andere Gebot Gottes, obwohl sicher einzelne gläubige Israeliten ihn persönlich treu beobachtet haben werden. Wenn aber der neue Bund mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda gemacht werden wird und die Worte in Erfüllung gehen werden: „Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben; und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein . . . . Denn ich werde ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken« (Jer. 31, 31 —-35), dann wird das Volk den Sabbat feiern. Aber dann wird auch ganz Israel errettet sein und durch Glauben in dem auf dem Kreuze vollbrachten Werke Christi ruhen, und es wird imstande sein, den Sabbat nach Gottes Gedanken zu feiern.

Fußnoten:

*) Wir lesen im Gegenteil in Hebr. 4, 4. 5: „Denn Er hat irgendwo von dem siebenten Tage also gesprochen: „Und Gott ruhte am siebenten Tage von allen Seinen Werken“. Und an dieser Stelle wiederum: „Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!“

**) Damit soll nicht gesagt sein, dass der Sabbat eine rein jüdische Einrichtung sei; er steht in Beziehung zu der Schöpfung, er war die Ruhe der ersten Schöpfung. Dennoch wurde er als Geschenk oder als Gebot nur dem Volke Israel gegeben, weil die Wege Gottes mit diesem Volke die letzte Probe bildeten, auf welche die erste Schöpfung gestellt wurde. Gott erprobte den Menschen vor der Flut, und das Ergebnis war: „Die Erde war voll Gewalttat“. Er prüfte ihn nach der Flut, und das Ergebnis war der Turmbau von Babel und die Sprachverwirrung. 

Schließlich stellte Er ihn noch einmal auf die Probe, indem Er Abraham und seine Nachkommen aus einer götzendienerischen, bösen Welt herausholte, sie als Sein Volk absonderte und ihnen Sein heiliges Gesetz gab. Es war die letzte Probe, um ans Licht zu stellen, ob der Mensch auf diesem Wege in der ersten Schöpfung gesegnet werden könne. Irdische Segnungen, ein langes Leben in dieser Schöpfung, bildeten die Verheißung, welche an die Erfüllung der Gebote Gottes geknüpft war, und der Sabbat, die Ruhe der ersten Schöpfung, war das Zeichen des Bandes, welchen Gott mit Seinem Volke einging· Hat Israel den Bund gehalten und die Probe bestanden? Der Ausgang ist uns allen wohl bekannt. Ein schreckliches Misslingen war das Ergebnis; ja, am Ende des jüdischen Haushalts wurde Gott in der Person Seines Sohnes von Seinem eigenen Volk gleichsam aus der Welt hinausgeworfen.

@@@@@

Dorkaswerke

Bibelstelle: Apgsch. 9,36-42

Botschafter des Heils 1906 S. 196ff

Dorkaswerke – ungerühmt,

unbemerkt der großen Masse,

abgewandt dem Lärm der Gasse,

wie`s dem heilgen Stande ziemt.

Dorkaswerke – nicht bestaunt

auf des Lebens offnen Bühnen.

O du demutsvolles Dienen,

das kein Schmeichler ausposaunt!

Dorkaswerke still und treu;

hilf, Herr, dass auch ich sie übe!

Dass nicht durch mein laut Getriebe

einst der Lohn entschwunden sei.

Dass, wenn ich von hinnen geh,

um mich trauern feuchte Blicke,

und mein Scheiden eine Lücke

im Geschwisterkreise seh.

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 197ff

IV Das Kommen des anderen Sachwalters

Das letzte, lieblich-ernste Zusammensein des Herrn Jesu mit Seinen Jüngern war vorüber; Gethsemane mit seinem ringenden Kampfe, das Verhör vor dem Syne­drium, vor Herodes und Pilatus mit all seinen Erniedrigungen, Verhöhnungen und körperlichen Leiden für Christum führte jenen schrecklichen Abschluss des Weges unseres teuren Herrn herbei, welchen die Propheten des Alten Bundes vorhergesagt hatten, und den die Evangelisten uns in so ergreifender Weise schildern. Christus starb und ward begraben. Das Werk war voll­bracht. Gott war verherrlicht, die Sünde gesühnt, der Weg ins Heiligtum gebahnt. Zum Beweis dessen stand Jesus am dritten Tage aus den Toten wieder auf. Der Tod war zunichte gemacht, seine ehernen Riegel ge­sprengt. Er konnte den Fürsten des Lebens nicht be­halten. Triumphierend sendet der auferstandene und durch die Auferstehung „als Sohn Gottes in Kraft er­wiesene" (Röm. 1, 4) Herr Seinen „Brüdern" die Bot­schaft: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott" ( Joh. 20, 17 ). Am Abend jenes ersten Wochentages erscheint Er in der Mitte der versammelten Jünger und ruft ihnen, unter Hinweis auf Seine Hände und Seine Seite, Sein „Friede euch!" zu.

Friede war jetzt gemacht durch das Blut Seines Kreu­zes (Kol. 1, 20). Nicht nur Vergebung der Sünden, nein, Friede konnte den Glaubenden verkündigt werden auf Grund Seines Todes und Seiner Auferstehung. Der­selbe Herr, der Mensch Jesus Christus, der Sohn Gottes, der am Kreuze gehangen hatte und dort dem ver­zehrenden Feuer des Gerichts Gottes wider die Sünde begegnet war, stand jetzt in der Mitte der Seinigen und gab ihnen Kunde von Seinem Siege. „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen." Kein Wunder! Doch sie sollten noch mehr hören und sehen. „Jesus sprach nun wiederum zu ihnen: Friede euch! Gleich­wie der Vater mich gesandt hat, sende ich auch euch. Und als er dies gesagt hatte, hauchte er in sie und spricht zu ihnen: Empfanget [den] Heiligen Geist!" (V. 21, 22).

Das erstmalige „Friede euch!" galt wohl den Jüngern persönlich, d. h. der Herr verkündigte ihnen Frieden zu ihrem eigenen Genuss. Das zweite „Friede euch!" steht mehr in Verbindung mit ihrer Sendung. Sie werden mit diesem Frieden und in der Kraft desselben zu anderen gesandt. Gleichwie der Vater Jesum ausgesandt hatte, so sendet Er, der Sohn, jetzt sie. Doch nicht nur das. Zu dem Wunsche oder der Verkündigung des Frie­dens tritt noch etwas ganz Besonderes hinzu: Jesus „haucht in sie und spricht zu ihnen: Empfanget den Heiligen Geist!" Dies erinnert uns unwillkürlich an eine Handlung Gottes bei Beginn der ersten Schöpfung. Wir lesen in 1. Mose 2, 7: „Und Jehova Gott bildete den Menschen, Staub von der Erde, und hauchte in. seine Nase den Odem des Lebens." Nur der Mensch wurde auf diese Weise eine „lebendige Seele"; keines der Tiere wurde so geschaffen. Im Blick auf sie heißt es einfach: „Gott schuf", oder „Gott machte", oder „die Erde bringe hervor" usw. Die Tiere haben daher wohl eine Seele, d. i. natürliches Leben, besitzen aber keinen Geist; der Mensch besitzt beides, Seele und Geist, und ist infolge dessen ein unsterbliches, Gott verantwort­liches Geschöpf.

Nun, gerade so wie Gott damals dem Menschen den Odem des Lebens einhauchte, haucht hier der aufer­standene Herr, das Haupt der neuen Schöpfung, der „letzte Adam", der „Mensch vom Himmel", der „leben­dig machende Geist" (1. Kor. 15, 45), den Jüngern den Odem des Auferstehungslebens ein. Er teilt ihnen geist­liches Leben nach der Kraft der Auferstehung, „Leben in Überfluss", mit. Es ist der Heilige Geist, aber wieder­um nicht als Person, sondern als die Kraft des neuen Auferstehungslebens, als der Geist des Lebens, welches der Herr als Haupt Seiner Familie den Gliedern derselben mitteilte. Weil Er lebte, sollten auch sie leben, und zwar als solche, die nun durch Ihn in den Genuss eines vollkommenen Friedens und in dasselbe Ver­hältnis zu Gott eingeführt waren, in welchem Er als Mensch stand. Sie bekamen teil an Ihm im Blick auf das Leben, das in Ihm war, nachdem Er ihre völlige Er­rettung bewirkt und alle Fragen vor Gott in Ordnung gebracht hatte. Das will selbstverständlich nicht sagen, dass sie vorher kein geistliches Leben besessen hätten. Sie hatten Leben aus Gott, ewiges Leben; aber sie empfingen es jetzt in einer ganz neuen Weise: Leben nach der Kraft der Auferstehung, gewirkt und gekenn­zeichnet durch den Heiligen Geist, der es begleitete, und in Verbindung mit dem zweiten Menschen, dem aus den Toten Auferstandenen.

Über die im Anschluss hieran gesprochenen Worte des Herrn: „Welchen irgend ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten", müssen wir hier, als unserer Betrachtung ferner liegend, hinweggehen. Nur das eine sei bemerkt, dass die Meinung, der Herr verleihe hier Seinen Jüngern und deren Nachfolgern eine Art von priesterlicher _Machtvollkommenheit, um denen, welche ihnen ihre Sünden bekennen würden, in Seinem Namen Vergebung und Lossprechung zu erteilen, ganz und gar falsch ist. Das würde ja den Menschen an den Platz Gottes stellen und ihm eine Macht verleihen, welche Gott allein zu­kommt. „Wer kann Sünden vergeben, als nur einer, Gott?", fragten die Schriftgelehrten mit vollem Recht. Keiner der Apostel hat je sich angemaßt, so etwas zu tun. Es handelt sich hier überhaupt nicht um. die Apo­stel als solche, sondern um die ganze Jüngerschar; wie viele oder wenige ihrer waren, wissen wir nicht ein­mal. In sie, die versammelten Jünger, hauchte Jesus; ihnen allen rief Er zu: „Empfanget den Heiligen Geist", und sie alle betraute Er dann mit dem neuen, wunder­baren Auftrag. 

Sie sollten hinausgehen und, wie ein an­derer Schreiber sich ausdrückt, „nach der Macht des Heiligen Geistes, der ihnen zu dem Ende gegeben war, die Vergebung der Sünden einer Welt verkündigen, welche unter das Joch der Sünde gebeugt war". Ferner dürfen wir nicht vergessen, dass die am ersten Wochen­tage, dem Tage des Herrn, versammelten Jünger, mit Jesu in ihrer Mitte, die Versammlung (Gemeinde) vor­bilden, mit all den Vorrechten und Pflichten, welche Gott ihr übertragen hat, und die später, in den Schriften der Apostel, näher entwickelt worden sind. (Vergl. auch Math. 18, 18.)

Dies führt uns von selbst zu dem wunderbaren Augen­blick, da diese Versammlung durch das Herniederkom­men des Heiligen Geistes tatsächlich gebildet werden sollte. Im Anfang der Apostelgeschichte hören wir die Jünger fragen: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?" (Kap. 1, 6). Es erging ihnen wie Maria von Magdala, als sie am Morgen des Auferstehungstages die Füße ihres Herrn umfassen wollte, meinend, Er werde die bisherigen irdischen Be­ziehungen zu Seinem Volke wieder aufnehmen und, wie früher, als ihr geliebter Lehrer unter den Jüngern ein­hergehen. Alle Gedanken und Hoffnungen der Jünger waren mit Israel und mit dieser Erde verknüpft. Sie verstanden nicht, dass, so kostbar auch die Offenbarung Gottes in einem auf dieser Erde erschienenen Christus sein mag, die mit einem verherrlichten Menschen zur Rechten der Majestät droben verbundenen Ratschlüsse Gottes weit höher und herrlicher sind. Sie kannten noch nicht die „ganze Wahrheit".

Jesus antwortete ihnen: „Es ist nicht eure Sache, Zeit oder Zeiten zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeu­gen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde" (V. 7. 8). Vorher schon hatte Er ihnen geboten, sich nicht von Jeru­salem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten, denn sie würden „mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen". In unmittelbarem Anschluss an jene Antwort lesen wir: „Und als er dies gesagt hatte, wurde er emporgehoben, indem sie es sahen, und eine Wolke nahm ihn auf von ihren Augen hinweg."

Damit war der große Wendepunkt in den Wegen und Offenbarungen Gottes eingetreten. Nach mancherlei Kundgebungen, unmittelbar, oder mittelbar durch die Propheten, hatte Gott sich in der Person Seines Sohnes geoffenbart. Die Welt hatte diese Offenbarung ver­worfen und Christum ans Kreuz geschlagen. Als der Gestorbene, aber wieder Auferstandene, „der da tot war und lebendig ist in die Zeitalter der Zeitalter", kehrte Er. zum Vater zurück, und nun war der Augenblick ge­kommen, um einen ganz neuen Charakter Gottes ans Licht treten zu lassen. Als Gott mit uns (Immanuel) hatte Er sich in dem lebenden Christus geoffenbart, als Gott für uns Seine ganze Liebe am Kreuze, in der Dahingabe Seines Sohnes, erwiesen; jetzt wollte Er als Gott in uns sich zu erkennen geben. O welch ein Gott ist unser Gott! Wie unausspürbar sind Seine Wege, wie unausforschlich Seine Gedanken! Wer war Sein Mitberater bei diesen Ratschlüssen Seiner Liebe? Kein Mensch, kein Engel. In der Tiefe Seines Vaterherzens, vor Grundlegung der Welt, sind sie entstanden.

Dem Gebote ihres scheidenden Herrn folgend, blieben die Jünger in Jerusalem und warteten in einmütigem Gebet auf die Erfüllung der Verheißung. „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Orte beisammen" (Kap. 2, 1). Es war der erste Tag der Woche, der Auferstehungstag unseres Herrn Jesu, derselbe Tag, an welchem Er in die Jünger ge­haucht hatte mit den Worten: „Empfanget den Heiligen Geist." Sieben Wochen waren seitdem vergangen; denn genau sieben Wochen mussten erfüllt werden nach der Darbringung der Erstlingsgarbe am Tage nach dem Passah-Sabbath, des lieblichen Vorbildes von Christo, dem Auferstandenen, worauf dann, am fünfzigsten Tage, aus den Wohnungen der Kinder Israel ein neues Speisopfer, in Gestalt von zwei aus Feinmehl, unter Zusatz von Sauerteig, gebackenen Broten, Jehova dargebracht wurde. Dieses eindrucksvolle, dem Leser ohne Zweifel bekannte Vorbild sollte jetzt sein Gegen­bild, seine Erfüllung, finden. An welchem Orte die Jünger versammelt waren, ob in dem Obersaal von Kapitel 1,13 oder anderswo, ist unwichtig; viel wichtiger ist, dass sie einmütig im Gebet verharrt und nun in derselben Einmütigkeit sich an einem Orte zusammengefunden hatten. Ihr Flehen sollte nunmehr Erhörung finden, die Verheißung des Vaters erfüllt werden.

„Und plötzlich geschah aus dem Himmel ein Brausen, wie von einem daherfahrenden, gewaltigen Winde, und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen. Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und sie setzten sich auf jeden einzelnen von ihnen. Und sie wurden alle mit Heiligem Geiste erfüllt und fingen an in ande­ren Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab aus­zusprechen" ( V. 2--4 ). So wie das Kommen des Sohnes Gottes von besonderen Erscheinungen begleitet war wurde auch das Herniedersteigen der dritten Person der Gottheit aus dem Himmel auf diese Erde durch äußere, eindrucksvolle Zeichen hör- und sichtbar den Sinnen der Versammelten vermittelt. Ein gewaltiges, allen ver­nehmbares Brausen erfüllte das Haus, und zerteilte Zungen, wie von Feuer, erschienen ihnen und setzten sich auf jeden einzelnen von ihnen. *7)

Wir können somit von einem doppelten Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes reden, einem allgemei­nen und einem persönlichen, entsprechend der uns be­kannten Wahrheit, dass der Geist nicht nur bei, sondern auch in uns sein sollte. (Vergl. Joh. 14, 17.) Da war ein Brausen, welches das Haus erfüllte, in welchem die Jünger saßen, und da waren die Zungen, die sich auf jeden einzelnen von ihnen setzten. Dieser doppel­ten Wahrheit, dass der Heilige Geist d a ist, und dass Er in den Gläubigen wohnt, begegnen wir immer wie­der. So bewegte z. B. der Heilige Geist in Kapitel 4 die Stätte, wo die Jünger beteten. Das hatte nichts zu tun mit der Tatsache, dass Er in jedem einzelnen von ihnen wohnte, sondern Er machte Seine Gegenwart in ihrer Mitte auf diese Weise allen fühlbar. 

So wird uns auch in der Geschichte von Ananias und Sapphira gesagt, dass diese beiden unglücklichen Menschen „Gott" be­logen hätten. Gott war in der Person des Heiligen Geistes herniedergekommen und war in der Kirche, Sei­nem Hause hienieden, gegenwärtig. Und wie es damals war, so ist es heute noch. Der Heilige Geist wohnt in den Gläubigen, trotzdem diese wissen, dass sie unreine, verlorene Sünder waren, ja, trotzdem sie sich der bösen Natur, die sie von Adam ererbt haben, tief und schmerz­lich bewusst sind, und Er ist bei ihnen, wenn sie als Gläubige versammelt sind oder in dem Werke ihres Herrn hienieden sich bemühen. Er wirkt in ihnen, und Er ist tätig für sie und durch sie.

Hieran hat der Verfall der christlichen Kirche nichts zu ändern vermocht. Die Tatsache der Gegenwart des Heiligen Geistes bleibt trotz aller Untreue des Menschen bestehen. So wie der Herr einst in der Wüste inmitten Seines irdischen Volkes wandelte und trotz aller Ver­kehrtheit und Widerspenstigkeit ihrerseits sie nicht ver­ließ, bleibt heute der Heilige Geist bei dem Volke Gottes auf dieser Erde und geleitet es durch die Wüste, bis das Ziel, das himmlische Kanaan, erreicht ist. Ja, der Herr sagt, dass Er bei uns sein werde in Ewigkeit. Als Christus hienieden wandelte, „war er noch nicht"; aber dann ist Er gekommen und seitdem stets hienieden ge­blieben. Was uns deshalb zu tun obliegt, ist, in einfältigem Glauben diese Tatsache anzunehmen und auf sie zu rech­nen, nicht aber um eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes und dergleichen zu bitten.

 Diese Ausgießung ist am Pfingsttage geschehen, ein für allemal, und wird in diesem Zeitalter nie wiederholt werden. Wohl wird eine zweite Ausgießung stattfinden, aber die Schrift belehrt uns deutlich und bestimmt, dass diese erst geschehen kann, wenn die Braut des Lammes ihren Platz zur Seite des Herrn in den Himmeln droben eingenommen hat und Er wiedergekehrt ist, um als der König der Könige, als Haupt über alles, Seine Herrschaft anzutreten. (Joel 2, 27 - 29; vergl. auch Hes. 39, 29; Sach. 12, 10.)

Mag deshalb auch alles um uns her der Tatsache, dass der Heilige Geist hienieden ist, zu widersprechen scheinen, lasst sie uns im Glauben festhalten und ver­wirklichen! Lasst uns viel zu Gott rufen, dass die Wir­kungen *8) dieser Gegenwart wieder mehr in uns persönlich und in unseren Zusammenkünften verspürt werden möchten! Lasst uns unter ernstem Gebet den Ursachen nachforschen, weshalb der Geist in uns persön­lich so viel „betrübt" und in unseren Versammlungen so vielfach „gedämpft" oder gar „ausgelöscht" erscheint! Lasst uns mit uns selbst, mit unseren täglichen Gepflogen­heiten, mit alledem, was wir „uns erlauben", mit un­serem Sinnen und Trachten, mit den Zielen, die wir für uns oder für die Unsrigen verfolgen, ernstlich ins Gericht gehen! Lasst uns Acht haben auf unsere Ge­dankenwelt, auf unsere Unterhaltungen, auf das was wir lesen, reden, hören! Es ist sicher, dass in dieser Hin­sicht erschreckend viel Oberflächlichkeit und Leichtfertig­keit sich in der Mitte der Gläubigen eingenistet hat. O möchten alle Herzen und Gewissen aufwachen und sich der Ermahnung erinnern: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr ver­siegelt worden seid auf den Tag der Erlösung"! (Eph. 4, 30) .

 Die gesegneten Folgen davon werden sich dann von selbst auch in den Versammlungen der Gläubigen zeigen. Nicht nur dass alle eifrig sein werden, das Zusammenkommen nicht zu versäumen, nein, die Zusammenkünfte selbst, sei es zum Gebet, zur Betrachtung des Wortes, oder (und zwar vornehmlich) zur Anbetung am Tage des Herrn, werden ernst, wahr und gesegnet sein. Nicht der Mensch wird den Vorrang haben, nicht geistliche Dürre und Leere werden sich offenbaren, nicht Abend­mahlsfeiern ohne wahre Weihe, Gebetsversammlungen ohne herzliches, inniges Beten, Vorträge ohne göttliche Kraft und Tiefe den niedrigen Zustand noch mehr herab­drücken; sondern Ströme lebendigen Wassers werden fließen, und selbst Ungläubigen wird es kund werden, dass „Gott wirklich unter uns ist".

Doch kehren wir zu unserem Kapitel zurück. Unter drei Gesichtspunkten wird darin von dem Kommen und Empfangen des Geistes geredet; zunächst von der Aus­gießung des Geistes, dann von der Taufe und schließlich von dem Erfülltsein mit dem Geiste. Es ist wichtig, diese drei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Der erste ist ganz allgemein: „Ich werde von meinem Geiste ausgießen auf alles Fleisch", und: „Nachdem er (Jesus) nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret" (V. 17. 33). So wird, wie wir schon wieder­holt darauf hinwiesen, der Heilige Geist am Ende der Tage zum zweiten Male ausgegossen werden, wenn die Weissagung Joels ihre Erfüllung finden wird. 

Was am Pfingsttage geschah, war nur ein Voraus empfang (Petrus sagt: „Dies ist es, was durch den Propheten Jod gesagt ist", nicht etwa: „Jetzt ist erfüllt, was etc." ) der wunderbaren Gabe Gottes, in Verbindung mit himmlischen Dingen und Segnungen. Es war die Er­füllung der Verheißung des Vaters, das Angetan werden mit Kraft aus der Höhe (Luk.24,49; Apstgsch. 1, 8), so dass die Jünger nunmehr imstande waren, den vom Herrn empfangenen Auftrag auszu­führen und Seine Zeugen zu sein in Jerusalem, Judäa und Samaria, ja, bis an das Ende der Erde, indem Gott mit­wirkte durch Zeichen und Wunder und mächtige Taten.

Zugleich aber hatten die Jünger die Versicherung seitens des Herrn empfangen: „Ihr werdet mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen - Tagen." Die Wirkung dieser Taufe war der „eine Leib". „Denn in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden" (1. Kor. 12, 13 ). Die Jünger mochten damals noch nichts wissen von dem einen Leibe, ja, wir dürfen getrost sagen, dass diese Wahrheit so lange verborgen blieb, bis es Gott gefiel, den Apostel Paulus als ein besonderes Werkzeug auszurüsten, um die Lehre von dem einen Leibe, der durch den einen Geist aus Juden und Heiden gebildet wird, bekannt zu machen; aber die Sache selbst vollzog sich: der Heilige Geist, die Kraft dieses einen Leibes, die Person, welche allein ihn bilden konnte, wurde am Pfingsttage gegeben, kam auf jeden einzelnen von ihnen und taufte sie zu dem einen Leibe. Dass zu gleicher Zeit Gaben gegeben wurden: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer, zur Auferbauung dieses Leibes, ist uns bekannt und wird uns später noch beschäftigen. Denn „hinauf­gestiegen in die Höhe, hat er (Christus) die Gefangen­schaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben" (Eph. 4, 8).

Drittens kam der Heilige Geist hernieder, um in jedem einzelnen Gläubigen Wohnung zu machen, ja, wir lesen: „sie wurden alle (nicht nur die Apostel, oder einige hervorragende Führer, sondern alle) mit Heiligem Geiste erfüllt und fingen an in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszu­sprechen." Den Heiligen Geist in sich wohnend zu haben und erfüllt zu sein mit Heiligem Geiste sind zwei ver­schiedene Dinge. 

Das erste ist das Teil jedes wahren Gläubigen, eines jeden Kindes Gottes; das zweite hängt ab einerseits von der Fülle und Kraft der Offenbarungen des Geistes in einem gegebenen Augenblick, davon, wie es Ihm gefällt zu wirken, und andererseits von dem Maße unserer Verwirklichung der Tatsache Seines Woh­nens in uns. Insoweit wir dem Geiste keine Hindernisse in den Weg legen, Seinen Dienst in uns zu tun, von den Dingen Christi zu nehmen und uns zu verkündigen, insoweit wir Seine heilige Gegenwart in uns beachten, uns Seiner Leitung übergeben, von Ihm uns weisen, mahnen und warnen lassen, werden wir Gefäße sein, die Er füllen und benutzen kann. Deshalb werden wir auch ermahnt: „Berauschet euch nicht mit Wein, in welchem Ausschweifung ist, sondern seid mit dem Geiste erfüllt, redend zueinander in Psalmen und Lob­liedern und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn in euren Herzen" (Eph. 5, 18. 19).

Welch ein gesegneter Zustand ist das! Wie sollten wir danach begehren! Wie glücklich ist ein Christ, der so mit dem Geiste erfüllt ist! Das Herz singt und spielt dem Herrn; der Mund redet von dem, was das Herz ab von der ungehinderten Wirksamkeit des himmlischen Gastes. Die Gesinnung Christi: Abhängigkeit, Demut, Gehorsam etc. tritt zutage. Der Geist ist nicht be­trübt, sondern Seine liebliche Frucht wird gebracht, welche ist: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freund­lichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit"

(Gal. 5, 22).

Wahrlich, wir können nicht genug bitten um eine Vermehrung und Vertiefung der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in uns und in unserer Mitte. Wir sind gänzlich von Ihm abhängig im Blick auf alles Gute und Gott Wohlgefällige. Ob es sich um unseren persönlichen Wandel und Dienst, oder um die Auferbauung der Hei­ligen, oder um die Bekehrung von Seelen handelt — wir sind völlig auf Ihn angewiesen, der herniederge­kommen ist, um an Stelle des Herrn bei und in uns zu sein. Wie sollten wir deshalb „allezeit ringen in den Ge­beten", dass der Heilige Geist jene Ziele mehr an uns und durch uns erreichet Er ist nicht nur betrübt und gedämpft in unseren Tagen, ach! man widersteht Ihm gar und will sich nicht beugen unter Seine Zucht.

Wie verschieden das Erfülltsein mit dem Heiligen Geiste von Seiner Gegenwart bei oder in uns ist, geht schon daraus bevor, dass wir v o r dem persönlichen Kommen des Geistes auf diese Erde wiederholt davon hören, dass einzelne Personen für besondere Zwecke mit Heiligem Geiste erfüllt wurden. So Bezaleel (2.Mose 31, 3; 35, 31), Josua (5. Mose 34, 9), Johannes der Täufer, Elisabeth, Zacharias (Luk. 1, 15. 41. 67). Ferner lesen wir in der Apostelgeschichte, dass dieselben Per­sonen bei verschiedenen Gelegenheiten oder auch zu besonderen Zwecken mit Heiligem Geiste erfüllt wurden. (Vergl. Kap. 2, 4 mit Kap. 4, 8. 31; 7, 55; 9, 17 mit 13, 9; so auch Kap. 13, 52.)

 Weiter hören wir von Männern, die „voll Heiligen Geistes und Weisheit oder Glaubens" waren, sich also dadurch von den anderen Gläubigen unterschieden (Kap. 6, 3. 5; 11, 24). Dass dieses Erfülltsein mit Heiligem Geiste sich in jenen Tagen der ersten Kraft und Frische mehr zeigte als heute, ist wohl zu verstehen; aber doch sollte diese schmerzliche Tatsache uns niederbeugen und das Sehnen in unseren Herzen wecken, persönlich mehr in einem Herzenszu­stand erfunden zu werden, dass der Heilige Geist uns, entsprechend der kleinen Kraft unserer Tage, füllen und benutzen könne zur Ehre Gottes und zum Segen für andere, — Herr, gib, dass es so sein möge bei dem Schreiber und Leser dieser Zeilen, ja, bei allen deinen Er­lösten auf der ganzen weiten Erde!

Fußnoten:

*7) Mit der Bedeutung der feurigen Zungen und dem Unterschied zwischen dieser Art des Kommens des Heili­gen Geistes und Seiner Herniederkunft auf Christum ha­ben wir uns schon früher beschäftigt.

*8) Gerade die Verwechslung der Person und der Wirkungen des Heiligen Geistes hat in unseren Tagen so viel Verwirrung unter den Gläubigen hervorgerufen.

@@@@@

Der Sabbat und der Tag des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 211ff

Der Sabbat war also dem Volke Israel als ein Tag der Ruhe Von Gott gegeben. Er schließt den Gedanken der Teilnahme des Volkes Gottes an der Ruhe Gottes selbst ein, und es wird diese Ruhe dereinst genießen auf Grund des Werkes Christi. Letzteres ist auch wohl die Ursache, weshalb es kaum ein strengeres Gebot gegeben hat als bezüglich der Feier des Sabbats. Keinerlei Arbeit durfte an ihm getan, nicht einmal Feuer in den Wohnungen angezündet werden. (2. Mose 35, 2 u. 3.) Und als ein Mensch am Sabbat, kurz nach der Einsetzung desselben, Holz aufgelesen hatte, und Mose Gott befragte, was mit diesem Übertreter des Gebotes getan werden solle, antwortete Jehova: „Der Mann soll gewisslich getötet werden (4. Mose 15, 35.) Und wie ernst und eindringlich redet Gott später durch den Propheten Jeremia, obwohl in jenen Tagen alles im Verfall war, über den Sabbat: „Hütet euch bei euren Seelen (d. h. um eures Lebens willen), und traget keine Last am Sabbattage“ (Lies Jeremia 17, 19 27; vergl. auch Neh. 13, 15 — 21 und andere Stellen).

Wenn nun gelehrt wird, dass das Gebot des Sabbats auch uns Christen gelte, so ist es nicht zu verwundern, dass manche unbefreite oder unbefestigte Seelen dadurch beunruhigt werden und sich ernstlich fragen, ob sie sich nicht Gericht zu ziehen, wenn sie den Sabbat nicht beobachten. Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich zunächst bemerken, dass der Bund zwischen Gott und dem Volke Israel, dessen Zeichen der Sabbat war, für uns gänzlich beiseite gesetzt ist, dass also auch sein Zeichen uns nichts angehen kann. Ferner wolle sich der Leser daran erinnern, dass die Kirche, die Versammlung Gottes, dieser alten Schöpfung gar nicht angehört, sie ist eine neue Schöpfung; ihre Stellung, ihre Segnungen und Beziehungen — alles ist himmlisch, nicht irdisch. Sie steht aus dem Boden der Gnade, nicht des Gesetzes. 

Darum sollte sich niemand wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen lassen. (Gal. 5, 1.) Wer sich unter das Gesetz stellt, ist freilich verpflichtet, den Sabbat zu halten, und selbstverständlich genauso, wie das Gesetz es vorschreibt; er darf nichts nach seinen Gedanken daran ändern oder etwas davon abtun. Ja, mein lieber Leser, du bist dann nicht allein schuldig, den Sabbat zu halten, sondern das ganze Gesetz; und da du, wie du zugeben wirst, es weder gehalten hast, noch halten kannst, so befindest du dich unter dem Fluche; denn so viele aus Gesetzes Werken sind, sind unter dem Fluche; denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buche des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun“ (Gal. 3, 10.) Der Israelit befand sich unter dem Gesetz; aber Paulus ruft den Christen aus dem Judentum zu: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluche des Gesetzes, indem Er ein Fluch für uns geworden ist“; und: „Das Gesetz ist unser Zuchtmeister gewesen auf Christum hin, auf dass wir aus Glauben gerechtfertigt würden. Da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Zuchtmeister“ (Gal. 3, 13. 24. 25.)

 Dasselbe zeigt er in Röm. 7, 6: „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden, so dass wir dienen in dem Neuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens“. Und weiter: „Christus ist des Gesetzes Ende, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit“ (Röm. 10, 4). Wenn nun der an Christum gläubig gewordene Jude vom Gesetz befreit worden ist, dann ist selbstredend der Gläubige aus den Nationen, der nie unter dem Gesetz stand, durch den Glauben kein Sklave des Gesetzes geworden.

Die angeführten Stellen zeigen auch, das; die Behauptung, wir seien wohl von dem Fluche des Gesetzes, nicht aber vom Gesetz, selbst befreit, durchaus schriftwidrig ist. Es ist eine endgültig erwiesene Tatsache, dass niemand das Gesetz erfüllen kann; wenn daher jemand meint, zur Erlangung der Gerechtigkeit das Gesetz, erfüllen zu müssen, und sich unter dasselbe stellt, so macht er sich unfehlbar der Übertretung schuldig und bringt sich unter den Fluch. Dies gilt auch bezüglich der Heiligung des siebenten Tages. Will man sie dem Christen als ein Gebot auflegen, so muss man sich auf das Gesetz berufen; eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Man stellt sich damit auf jüdischen Boden, man wendet sich dem Berge Sinai mit seinem Dunkel, seinen Blitzen und Donnern zurück und vergisst, dass Christus uns vollkommen erlöst und vom Gesetz, freigemacht hat.

Untersuchen wir nun, was der Herr Jesus bezüglich des Sabbats gesagt und getan hat. Da finden wir zunächst in Matth. 12, dass Er mit Seinen Jüngern am Sabbat durch die Saaten ging, und dass Seine Jünger Ähren abpflückten und aßen. Die Pharisäer sagen zu Ihm: „Siehe, deine Jüngers tun, was am Sabbat zu tun nicht erlaubt ist“. Wusste der Herr das nicht? Sicherlich; aber jetzt war Der gegenwärtig, der „des Gesetzes Ende“ ist, in welchem der Glaubende die wahre Ruhe findet, und in Seiner Gegenwart sollte das Vorbild dieser Ruhe verschwinden. Zudem war er als Sohn Davids bereits von Seinem Volke verworfen worden, und damit verloren alle mit dem jüdischen System verbundenen Satzungen ihre Kraft; unter ihnen der Sabbat. „Größeres als der Tempel ist hier“, sagte der Herr, und: „der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbats“. Als Sohn des Menschen besaß Er alle Rechte, welche Gott dem Menschen verliehen hatte; und der Sabbat war um des Menschen willen, nicht der Mensch um des Sabbats willen.

In Joh. 5, 5 —18 finden wir in dem Kranken am Teiche Bethesda einen Menschen, dessen Zustand allein durch den Herrn verändert werden konnte. Er war ein Bild von Israel unter dem Gesetz: ein Heilmittel war vorhanden, aber der Kranke war infolge seiner Ohnmacht und Hilflosigkeit ganz und gar unfähig, dasselbe zu benutzen. Er hatte gerade so lange krank gelegen, wie Israel in der Wüste umhergezogen war (5.Mose 2, 14); und wie Gott Seinem Volke schließlich in Gnade das Land zum Besitztum gab, so begegnete die Gnade auch den Bedürfnissen dieses armen Mannes, der niemanden hatte, um ihm zu helfen. Jesus kommt zu ihm in göttlicher Kraft und sagt zu ihm: „Stehe auf!“ Aber nicht nur das; Er fügt auch hinzu: „Nimm dein Bett auf und wandle“. 

Die Juden sagen zu ihm: „Es ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, das Bett zu tragen. Doch derselbe Herr, welcher einst durch den Mund Seines Propheten gesagt hatte: „Hütet euch bei euren Seelen und traget keine Last am Sabbattage“ (Jer. 17, 21), gebot jetzt am Tage des Sabbats: „Nimm dein Bett auf und wandle“. Und wie uns bereits bekannt ist, antwortete Er nachher den erbosten Juden: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“. Der mit dieser Schöpfung in Verbindung stehende Sabbat war kein wirklicher Sabbat. Nie hat es in dieser sündigen Schöpfung wirklich Ruhe gegeben, weder für Gott noch für den Menschen. Wie könnte Gott oder Mensch in Sünde und Elend Ruhe finden?

Das Gleiche sehen wir bei dem Blindgeborenen in Joh. 9, den der Herr ebenfalls an einem Sabbattage heilte. Ein Wort des Herrn hätte genügt, um den Blinden sehend zu machen; aber statt dessen setzt Er wiederum den Schatten-Sabbat beiseite, indem Er einen Kot bereitet, ihn auf die Augen des Blinden streicht und diesen zum Teiche Siloam schickt, damit er sich dort wasche. (Vergl. auch die Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand).

Für den Herrn gab es, so lange Er hienieden wandelte, keine Sabbatruhe; Er vollbrachte Sein Werk, indem Er wirkte, so lange es Tag war. Und als Er, alles vollendet hatte und am Kreuze gestorben war, brachte Er den Sabbat im Grabe zu. Wie bezeichnend ist das! Der Herr Jesus, Gott geoffenbart im Fleische, der Herr des Sabbats, lag am Sabbattage in der stillen, dunklen Gruft. Was haben wir daraus zu lernen? Würde der Sohn Gottes während des Sabbats im Grabe gelegen haben, wenn dieser Tag in Ruhe und Frieden, nach Gottes Gedanken, auf Erden hätte gefeiert werden können? Unmöglich! Wir bedürfen eigentlich gar keines weiteren Beweises für die Unzulässigkeit der Sabbatfeier. Es mag unser Erstaunen erregen, dass der Heilige Gottes am Sabbat im Grabe lag, und noch gar an diesem Sabbattage, der doppelt wichtig und heilig war, weil er mit dem Passahfest zusammenfiel: „Der Tag jenes Sabbats war groß“ (Joh. 19, 31); aber die Ursache ist offenbar: der Mensch ist ein gefallenes, verderbtes, schuldiges Geschöpf, und auf seiner langen Sündenlaufbahn ist er sogar bis zur Kreuzigung des Herrn der Herrlichkeit gekommen. 

Das ist das Ende seines Wirkens: am siebenten Tage liegt der von ihm ermordete Schöpfer und Heiland der Welt im Grabe! Der Stein vor der Felsengruft des Herrn bildet gleichsam den Schlussstein in der Geschichte des Menschen. Und was tut der Mensch, während der Sohn Gottes im Grabe liegt? Er feiert mit aller Strenge den Sabbat! Er geht nicht in das heidnische Prätorium, um sich nicht zu verunreinigen, sondern um das Passah essen zu können (Joh. 18, 28), und — er schlägt den Sohn Gottes ans Kreuz! Welch ein Widerspruch! Christus liegt im Grabe, um für einen entheiligten Sabbat Genugtuung zu leisten, und der Mensch ist mit der Feier des Sabbats beschäftigt, als ob dieser nie gebrochen worden wäre! Fürwahr, es war der Sabbat des Menschen, nicht der Sabbat Gottes; ein Sabbat ohne Christum, eine leere, kraft- und wertlose Form. Dass der Messias während seiner Dauer im Grabe lag, war für die Juden, hinsichtlich ihres Bundes, ein schreckliches Zeichen; für uns ist es das Zeichen, dass bessere, bleibende Dinge, ewige Segnungen, ans Licht gebracht werden sollten.

Der Umstand, dass Christus am siebenten Tage im Grabe lag, beweist auch unwiderleglich die bereits an- geführte Tatsache, dass der Sabbat der ersten Schöpfung angehört — jener Schöpfung, deren Ende Christus durch Seinen Tod geworden ist. Und wie mit dem Sabbat, so war es auch mit den übrigen Festtagen. Aber obwohl Israel das Gesetz, in allen Stücken übertreten hatte, feierte es doch die Feste Jehovas, als ob alles in bester Ordnung wäre. Das Haus war „gekehrt und geschmückt“. Aber ach! es war nur eine äußere Form ohne Leben. Gott musste klagend ausrufen: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir“. Er erkannte diese Feste nicht mehr an. Darum heißt es auch in Joh. 7, 2: „Nach diesem war ein Fest der Juden, die Laubhütten“. Dieses in seiner Bedeutung so schöne Fest, ein Vorbild von der Freude Israels im Tausendjährigen Reiche, wird nicht mehr ein Fest Jehovas genannt, sondern ein Fest der Juden. Wie hätte der Herr angesichts des traurigen Zustandes Seines Volkes dieses Freudenfest mitfeiern können! Er sagt zu Seinen Brüdern, die nicht an Ihn glaubten: „Ich gehe nicht hinauf zu diesem Feste“.

 Wenn Er nachher dennoch hinging, so geschah es nicht, um das Fest zu feiern, sondern um das Volk, das von allen Seiten herbeigeströmt war, zu belehren. Und am letzten, dem großen Tage des Festes, hören wir Ihn die Worte ausrufen: „Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke“. Von der äußeren Beobachtung des Gesetzes, welches „nichts zur Vollendung gebracht“ hatte und nur ,,einen Schatten der zukünftigen Güter“ besaß, lenkte Er die Blicke und Herzen auf sich selbst. Er war die Quelle des Lebens. „Etliche nun aus der Volksmenge sagten, als sie diese Worte hörten: Dieser ist wahrhaftig der Prophet. Andere sagten: Er ist der Christus.“ O wie manche dürstende Seele, die sich bis dahin vergeblich abgemüht hatte, im Gesetz gerechtfertigt zu werden, mag da zu Ihm gekommen sein und Lebenswasser getrunken haben, welches den Durst der Seele stillt und ihr völlige Ruhe gibt! Sollte man es für möglich halten, dass man heute bestrebt ist, die Seelen wieder unter das Gesetz, zu stellen, damit sie sich von neuem vergebens abmühen, um Gerechtigkeit und Frieden darin zu erlangen? Teurer, gläubiger Leser, höre nicht auf die Menschen, die „dich verwirren und das Evangelium des Christus verkehren wollen“ (Gal. 1, 7)! Höre vielmehr auf das Wort Gottes, welches den Gläubigen in Galatien zuruft: „Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht; stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum unter einem Joche der Knechtschaft halten“ (Gal. 5, 1)!

Aber, sagt man, der Apostel Paulus hat doch auch den Sabbat gefeiert. Lesen wir nicht von ihm, dass es seine Gewohnheit war, am Sabbat in die Synagogen zu gehen und dort zu lehren (Apstgsch.17,2)? Allerdings; aber was beweist das? Doch nichts anderes, als dass Paulus jene Gewohnheit hatte, weil er die Juden am Sabbattage in der Synagoge versammelt fand und so Gelegenheit hatte, sich mit ihnen über die Schriften zu unterreden und ihnen das Evangelium von Christo zu verkündigen. Aber nirgendwo in der ganzen Apostelgeschichte hören wir, weder von Paulus, noch überhaupt von den Christen, dass sie sich am siebenten Tage, dem Sabbat der Juden, versammelt hätten. Das würde auch in völligem Widerspruch gewesen sein mit der Lehre desselben Apostels, die wir in seinen Briefen finden. Wir lesen Kol. 2, 16 u. 17: „So richte euch nun niemand über Speise oder Trank, oder in Ansehung eines Festes oder Neumondes oder von Sabbaten, die ein Schatten der zukünftigen Dinge sind, der Körper aber ist Christi“. Ferner Gal. 4, 9 —11: „Wie wendet ihr wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt? Ihr beobachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre. Ich fürchte um euch, ob ich nicht etwa vergeblich an euch gearbeitet habe“ Das Beobachten von Tagen &c· ist also ein Wiederumwenden von Christo zu den Dingen des Gesetzes, den schwachen und armseligen Elementen; und solchen, die das tun, ruft der Apostel die niederschmetternden Worte zu: „Ihr seid abgetrennt von dem Christus; . . . ihr seid aus der Gnade gefallen“.(Gal. 5, 4). 

Ist es nicht höchst traurig, zu sehen, dass auch heute wieder viele, trotz der klaren Belehrungen des Wortes Gottes, in dem Halten des Sabbats und anderer Dinge des Gesetzes gerechtfertigt zu werden suchen? Ja, mehr noch, dass man die Gläubigen mit aller Überredungskunst und unter Verdrehung des Wortes Gottes unter die Knechtschaft des Gesetzes bringen möchte? Wahrlich, man braucht nur die eben angeführten Stellen mit 4. Mose 15, 32—36 (wo der Mann am Sabbat Holz auflas und dafür getötet wurde) zu vergleichen, um zu sehen, dass die Grundsätze der beiden Haushalte (der Gnade und des Gesetzes) so verschieden voneinander sind wie Tag und Nacht, Licht und Finsternis. 

Unter dem alten Haushalt des Gesetzes musste der Sabbat bei Todesstrafe beobachtet werden; unter dem neuen Haushalt der Gnade wird der Sabbat nicht nur nicht geboten (weder in der Lehre Christi, noch in der Seiner Apostels, sondern seine Beobachtung wird als grundstürzend für die christliche Wahrheit hingestellt; ja, wenn jemand, um Gerechtigkeit zu erlangen, zu der Feier des Sabbats oder zum Halten des Gesetzes in irgend einem Teile zurückkehrt, so macht er sich damit einer Verleugnung Christi und Seines Werkes schuldig; und wer eine solche Lehre und damit ein anderes Evangelium einzuführen wagt, wird verflucht, und wäre es auch ein Engel aus dem Himmel (Gal. 1, 8).

Werfen wir schließlich noch einen Blick auf das, was der Geist Gottes uns in Hebr. 4 über die Ruhe sagt. Es wird uns dort mitgeteilt, dass Gott eine Verheißung gegeben hatte, in Seine Ruhe einzugehen, dass aber Israel des Unglaubens wegen nicht in die Ruhe eingegangen ist, und dass auch Josua, obwohl er das Volk in das verheißene Land einführte, es doch nicht in die verheißene Ruhe gebracht hat. Dann heißt es weiter: „Denn wir, die wir geglaubt haben, gehen in die Ruhe ein“. Die Ruhe ist also noch zukünftig, sie ist für die Glaubenden, und es ist die Ruhe Gottes selbst; denn wir lesen: „So schwur ich in meinem Zorn: Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!“ Aber indem Gott zeigt, dass es sich noch um den Eingang in dieselbe handelt, gibt Er zu verstehen, dass der Mensch in der ersten Schöpfung nicht in die Ruhe Gottes eingegangen ist. Darum zieht: der Apostel die kostbare Schlussfolgerung: „Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volke Gottes übrig. Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken, gleichwie Gott von Seinen eigenen. So lange jemand nicht ruht von seinen Werken, ist er nicht in die Ruhe eingegangen. Gott sei Dank! was unsere Rechtfertigung betrifft, sind wir schon zur Ruhe gelangt von unseren Werken, wenn wir überhaupt in diesem Sinne von Werken reden können; wir ruhen in dem kostbaren Werke Christi und können mit glücklichem Herzen singen:

„Da, wo Gott mit Wonne ruhet,

bin auch ich in Ruh gesetzt.“

Doch darum handelt es sich an dieser Stelle nicht, noch viel weniger aber um eine Sabbatruhe im Sinne des Gesetzes. Hier ist die Rede von der Ruhe droben, wo der Gläubige von allen seinen Werken, von seinen Arbeiten, Mühen und Kämpfen ruhen und an der Ruhe Gottes teilnehmen wird. Das ist das herrliche Ziel, welchem wir entgegengehen, und der Apostel ermahnt uns: „Lasst uns nun Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen!« Er möchte unsere Blicke abwenden von allem, was hienieden ist, und sie auf diese kostbare Ruhe droben hinlenken.

Doch auch Israel hat noch eine Sabbatruhe zu erwarten, denn „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“. Gott wird alle Seine Verheißungen wahr machen. Er wird Sein Volk Israel wieder sammeln und.es nicht nur in das gelobte Land, sondern auch in die Ruhe einführen. Aber das wird erst dann geschehen, wenn Israel seinen Messias im Glauben ausgenommen hat. Alle Propheten reden von diesem herrlichen Friedensreiche des Herrn aus dieser Erde. Aber auf welchem Wege und auf welcher Grundlage wird Gott Sein Volk in diese Ruhe bringen? Auf derselben Grundlage, auf welcher Er heute einer Seele Ruhe gibt, also nicht auf dem Boden des Gesetzes, sondern der freien, unbedingten Gnade und des Glaubens an Jesum und Sein vollbrachtes Werk.

Das Heiligen des siebenten Tages war. also, wie wir gesehen haben, der Ausdruck der Ruhe Gottes in einer vollendeten Schöpfung, ein Bild von der Ruhe Gottes in einer vollendeten Erlösung. Und so wenig Anteil der Mensch an seiner Erschaffung hatte, ebenso wenig kann er zu seiner Errettung beitragen. Die Erlösung ist einzig und allein Gottes Werk. Als solchen, die Gottes Gnade empfangen hatten, wurde den Israeliten der Sabbat geschenkt. Auf keine andere Weise kann heute der Mensch in die Ruhe Gottes in. Christo Jesu gebracht werden. Er muss als ein Verlorener, als einer, der selbst nichts zu seiner Rettung beitragen kann, zu Gott kommen; zu dem Gott, der in Seiner großen Gnade Seines eingeborenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat.

Teurer Leser! richte deinen Blick aus das Kreuz Christi. Lass den Wahn fahren, dass du dem dort vollbrachten Werke noch etwas beifügen könntest oder solltest! Sieh in der Auferweckung Jesu aus den Toten das Zeugnis Gottes, dass das Erlösungswerk vollbracht ist für ewig, vollbracht zur Verherrlichung Gottes und zum Preise des Erlösers· Welch eine Herrlichkeit strahlt uns von dem Kreuze entgegen! Wie Verkündigt es die ewige Allgenugsamkeit des von Frieden redenden Blutes! Ist es zu verwundern, wenn Seelen, die ihren Frieden in den alten, armseligen Schatten des Gesetzes suchen, in Knechtschaft und Finsternis bleiben? Wie arm ist das alles im Vergleich mit der Herrlichkeit des Kreuzes! Man lese nur 2.Kor. 3 und vergleiche V. 7 mit V. 18. Gott sei Dank, dass der Dienst des Todes, der Dienst der Verdammnis, hinweggetan ist, und dass wir jetzt „mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauen“!

Ich hoffe, dass allen, die sich dem Worte Gottes zu unterwerfen bereit sind, diese kurzen Gedanken genügen werden. Freilich, wenn jemand nicht aufhören will, die Gerechtigkeit durch Werke zu erlangen, (und darauf läuft schließlich die ganze Frage der Feier des Sabbats hinaus,) so wird er sich daran stoßen. Über den Sabbat als über einen entschwundenen Schatten zu reden, kann ein solcher nicht ertragen. Nur wer in Gottes Gegenwart und in die ewige Ruhe in Christo Jesu gebracht ist, kann es verstehen. Sollten diese Zeilen jemandem in die Hände fallen, der bis jetzt seine Gerechtigkeit in Werken und in dem Beobachten des Sabbats gesucht hat, so wolle er bedenken, dass alle, die aus Gesetzes Werken gerechtfertigt werden wollen, unter dem Fluche sind, und er wolle sich bitten lassen, doch unverzüglich mit allem eigenen Wirken aufzuhören und als ein Verlorener nur auf Christum zu blicken, wie der Israelit auf die eherne Schlange, und der sterbende Räuber auf Jesum. Viele Tausende haben in unseren Tagen die frohe Botschaft von der Erlösung durch das Blut Christi vernommen und haben Vergebung ihrer Sünden, Rechtfertigung und ewiges Leben empfangen. Sie haben gehört und geglaubt und sind durch den Glauben einer vollkommenen Ruhe in Christo teilhaftig geworden; und bald werden sie eingehen in die ewige Sabbatruhe, die dem Volke Gottes droben bereit liegt. Möge auch mein Leser ebenso einfältig glauben und eingehen in die selige Ruhe, welche Gott für ihn bereitet hat!

@@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 225ff

V. Verschiedene Arten der Mitteilung des Heiligen Geistes

Dem aufmerksamen Leser der Apostelgeschichte wird es willkommen sein, noch ein Wort über die verschie­denen Arten zu hören, in welchen der Heilige Geist in jenen ersten Tagen den Gläubigen mitgeteilt wurde. Diese Verschiedenheit ist im Laufe der Zeit dazu benutzt worden, sowohl dem Menschen einen Platz zu geben, der ihm nicht gebührt, als auch die Herzen mancher Gläu­bigen zu verwirren und Zweifel in ihnen wachzurufen, ob sie wirklich den Heiligen Geist empfangen haben oder nicht. Auf der einen Seite leugnet man, dass man den Heiligen Geist überhaupt noch so haben könne wie vor Alters, auf der anderen fordert man die Erfüllung be­sonderer Vorbedingungen, ehe der Gläubige auf den Empfang des Heiligen Geistes, den sogenannten „Pfingstsegen", rechnen könne. Ich hoffe an Hand der betreffenden Schriftabschnitte dartun zu können, dass in den verschiedenen Arten, wie der Heilige Geist ge­geben wurde, es weder etwas gibt, was den Menschen er­heben könnte, als wäre seine Mitwirkung in irgend einer Weise dabei erforderlich, noch auch etwas, was dazu ange­tan oder bestimmt wäre, das Vertrauen des schwächsten Gläubigen zu erschüttern. Ebenso wenig ist, wie ich kaum zu versichern brauche, die Verschiedenheit der Mitteilung zufällig oder gar willkürlich; wir werden im Gegenteil finden, dass sie von Gott weislich bedacht und in den betreffenden Fällen gerade so angeordnet ist, wie es den Umständen und Personen entsprach.

Am Pfingsttage begegnen wir wohl der ausgedehnte­sten und, in gewissem Sinne, reichsten Form der Gabe des Heiligen Geistes. Wir haben aus dem Munde des Petrus die Worte vernommen: „Nachdem er ( Jesus) durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Ver­heißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret." Das will sagen, durch kundbare Zeichen wurde an jenem Tage die Erfüllung der Verheißung des Vaters vor aller Augen und Ohren bewiesen. Nicht als ob man den Heiligen Geist selbst mit den Sinnen hätte wahr­nehmen können; aber es gab doch wunderbare Zeichen äußerer Macht, welche Sein Kommen begleiteten. Diese Unterscheidung zwischen dem Kommen des Geistes und den dasselbe begleitenden Zeichen ist wichtig, weil man heute in Gefahr ist, wegen des Mangels dieser äußeren Zeichen die Gabe des Geistes überhaupt zu über­sehen oder gar zu leugnen. So groß und wichtig jene Zeichen auch sein mochten, waren sie doch nur dazu bestimmt, die Gegenwart des Heiligen Geistes, diese völlig neue Sache auf Erden, vor den Augen der Men­schen zu bestätigen.

Doch hören wir, was Petrus weiter zu der erstaunten und tiefgetroffenen Volksmenge sagt. Auf die Frage: „Was sollen wir tun, Brüder?" antwortet er: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, u n d ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen" (Apstgsch. 2, 37. 38). Beiläufig sei bemerkt, dass die Aufforderung des Apostels, Buße zu tun und sich auf den Namen Jesu taufen zu lassen, sehr kennzeichnend ist für den damaligen Augenblick. Petrus ermuntert nicht etwa diese von Natur so stolzen und selbstgerechten Juden zum Glauben, wie Paulus es in dem Falle des Kerkermeisters und bei anderen Gelegenheiten tat, sondern er gebietet ihnen, Buße zu tu n. Beides ist nötig zur Errettung: Buße und Glaube; ja, beide Dinge gehören untrennbar zusammen. Wo durch Gottes Gnade eines vorhanden ist, da findet sich auch das andere. Aber je nach der Lage des Falles wird in der Weisheit Gottes das eine mehr betont als das andere. Was bei dieser Gelegenheit so dringend geboten erschien, war die Demütigung und Beugung der Volksmenge. Sie mussten Buße tun, ihr ganzes Nichts, ja, ihre Sündhaftigkeit und Schuld anerkennen und sich taufen lassen auf jenen verachteten Namen, dessen Träger sie verworfen und gekreuzigt hatten.

So sollten sie die Vergebung der Sünden empfangen und des Heiligen Geistes teilhaftig werden. Diese wunderbare Gabe sollte auf jene Handlung, welche sie im Glaubensgehorsam an sich vollziehen ließen, folgen; d. h. sie ist, wie wir schon wiederholt zu bemerken Gelegen­heit hatten, eine besondere, von Wiedergeburt und Glaube unterschiedene Segnung, ein Vorrecht, das sich auf den schon vorhandenen, in der Seele gewirkten und wirkenden Glauben gründet. So lesen wir auch in Gala­ter 4, 6: „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater!"

Beachten wir denn, dass uns hier einfach und deutlich die göttliche Wahrheit vor Augen gestellt wird, dass jene Leute, nachdem sie Buße getan hatten und auf den Namen Jesu getauft worden waren, die Gabe des Heili­gen Geistes empfingen als ein darauf folgendes, allen gemeinsames Vorrecht. Dass es sich hier nicht um die Gaben oder Wirkung en des Heiligen Geistes handelt, sondern um Seine Person, brauche ich wohl kaum zu betonen. Er s e 1 b s t wurde gegeben, nicht nur die Kraft, mit welcher Er jemanden bekleiden, oder die Gaben, die Er einem Menschen dar­reichen kann. Diese beiden Dinge werden im Worte Gottes immer klar unterschieden. Die G ab e des Hei­ligen Geistes ist etwas ganz anderes als Seine Gaben oder K r a f t wir k u n g e n. Jene war das gleiche, ge­meinsame und bleibende Teil aller, welche Buße taten und getauft wurden; diese sind persönlich und je nach Zeiten und Gelegenheiten verschieden.

„Die nun sein Wort aufnahmen wurden getauft; und es wurden an jenem Tage hinzugetan bei dreitausend Seelen" (V. 41). Diese alle empfingen den Heiligen Geist, und die letzten Verse unseres Kapitels beweisen, dass sie alle voll göttlicher Gnade und Kraft waren.

Die zweite Gelegenheit der Mitteilung des Geistes unterscheidet sich wesentlich von der ersten. Im An­schluss an die Steinigung des Stephanus, des Mannes voll Heiligen Geistes, entstand eine große Verfolgung wider die Versammlung zu Jerusalem. Die ganze junge Ge­meinde wurde zersprengt und, mit Ausnahme der Apo­stel, aus der Stadt vertrieben. Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Evangelium. So benutzte Gott den Grimm des Feindes zur Förderung Seiner Segensabsichten. Um diese Zeit kam der Evangelist Phi­lippus nach Samaria. Seine Bemühungen wurden reich gesegnet. Viele glaubten und wurden auf den Namen des Herrn Jesu getauft, und eine große Freude herrschte in der Stadt ( Kap. 8, 4-12). Aber merkwürdiger­weise kam auf keinen der Glaubenden der Heilige Geist herab. Erst als die Kunde von dem Vorgefallenen nach Jerusalem gedrungen war, und die Apostel zwei Män­ner aus ihrer Mitte, Petrus und Johannes, nach Samaria gesandt, und diese für die Neubekehrten gebetet und ihnen die Hände aufgelegt hatten, empfingen sie den Heiligen Geist.

Weshalb dieser Unterschied? In Jerusalem war doch die Gabe des Heiligen Geistes der Buße und Taufe unmittelbar und ohne irgendwelche Mitwirkung seitens der Apostel gefolgt; warum hier nicht? Ich glaube, aus einem naheliegenden und sehr wichtigen Grunde. Be­kanntlich herrschte zwischen den Juden und den Sama­ritern von jeher große Erbitterung. Jerusalem und der Berg Gerisim ( „dieser Berg", Joh. 4, 20) standen in scharfer Nebenbuhlerschaft einander gegenüber. Wäre nun der Heilige Geist unmittelbar nach der Predigt des Philippus auf die Neubekehrten gefallen, so wäre un­zweifelhaft — so ist die menschliche Natur — jene alte Nebenbuhlerschaft Samarias geblieben, ja, wohl noch verschärft worden. Die den Samaritern erwiesene Gnade würde ihren religiösen Anmaßungen nur einen neuen Stützpunkt geboten haben, und statt der lieblichen Ein­heit des Geistes hätte sich wohl sehr bald das traurige Bild der Zerrissenheit und gegenseitigen Eifersucht ge­zeigt. Die von Gott beabsichtigte Wirkung der Gegen­wart des Geistes wäre also völlig vereitelt worden.

Durch die Verzögerung der Gabe des Geistes und die Sendung der beiden Apostel Petrus und Johannes, zweier Säulen der Versammlung zu Jerusalem, wurde dieser Gefahr vorgebeugt. Erst zufolge ihres Gebets und der Auflegung ihrer Hände fiel der Heilige Geist auf die neubekehrten Samariter. Beachten wir auch dieses Händeauflegen. Es war einerseits wohl das Bild einer Übertragung göttlichen Segens vermittelst der Apostel auf die Glaubenden in Samaria, aber andererseits auch, und das ist so überaus wichtig, der Ausdruck der Eins­machung des hier geschehenen Werkes mit dem Werke in Jerusalem.

Obwohl also ein Unterschied in der Art der Mitteilung des Geistes bestand, zeigt doch gerade dieser Unterschied die Weisheit Gottes und Seine treue Sorge für die Seinigen. Der Unterschied war nicht bedingt durch per­sönliche Zustände der Empfänger, sollte auch nicht, wie wir sogleich sehen werden, als Muster für alle nun fol­genden Mitteilungen des Geistes dienen, sondern er zeigt uns, wie Gott in Seiner Liebe Sorge trägt für Seine Kirche und in Seiner Weisheit bemüht ist, alle Anstöße und Gefahren aus ihrem Wege zu räumen. Ihm sei An­betung und Ehre in Ewigkeit!

Der dritte Fall der Mitteilung des Heiligen Geistes, von welchem uns die Apostelgeschichte berichtet, unter­scheidet sich wiederum wesentlich von den beiden vorher-gehenden. Kornelius, ein heidnischer Hauptmann, aber, wie uns erzählt wird, „fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Hause", empfing in einem Gesicht die göttliche Weisung, nach Joppe zu senden und den Apostel Petrus von dannen holen zu lassen; dieser würde Worte zu ihm reden, durch welche er mit seinem ganzen Hause errettet werden würde. (Vergl. Kap. 11, 13. 14.) Kornelius sendet hin, und während seine Boten unterwegs sind, bereitet Gott Seinen Knecht zu, der Einladung zu folgen. Dreimal muss Er ihm zurufen: „Was Gott ge­reinigt hat, mache d u nicht gemein?" Dann erst folgt er dem Geheiß des Geistes und reist nach Cäsarea.

„In Wahrheit begreife ich", so beginnt er dort seine Predigt, „dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jeder Nation, wer ihn fürchtet und Gerechtig­keit wirkt, ist ihm angenehm" (Kap. 10, 34. 35). Das war die wunderbare, neue Sache, welche vor dem Geiste des Apostels stand. Gott wollte das, was auch seiner äußeren Stellung nach „gemein und unrein" war, die Heiden, in die Segnungen des Reiches der Himmel einführen. So wie Petrus am Pfingsttage die Tür für Israel aufgeschlossen hatte, sollte Er es jetzt für die Nationen tun. (Vergl. Matth. 16, 19.) Und der Herr erwählte in Seiner Weisheit als Erstling nicht einen blinden, fanatischen Götzendiener, sondern einen Mann, der vielleicht schon lange vorher aus seinem Sündenschlafe aufgewacht war, der den allein wahren Gott kannte und fürchtete und das Zeugnis hatte, dass er dem Volke Israel viele Almosen gab und allezeit zu Gott betete. Gott wollte und will gewiss den vornehm­sten Sünder, den am tiefsten Gefallenen und am weitesten Abgeirrten, retten; aber der Punkt, um den es sich hier handelt, ist die Einführung einer bereits lebendig gemachten, frommen Seele in die volle Freiheit eines bewussten Verhältnisses zu Gott, so dass niemand irgendwie Veranlassung hatte, ihr Anrecht an dieser Segnung zu bezweifeln.

Das Wort, welches Gott, Frieden verkündigend durch Jesum Christum, den „Söhnen Israels" gesandt hatte, war auch dem Hauptmann und seinem Hause kund­geworden. Sie hatten gehört von dem Umhergehen des Herrn Jesu im ganzen Lande, von Seinen Wunderwerken und Seiner endlichen Ermordung durch die Juden. Aber was hatten sie, die Heiden, mit dem allem zu tun? Welche Segnung konnte ihnen daraus erwachsen? Die gleiche wie den Juden. Aus dem Munde des Apostels empfangen sie die Kunde von der Auferstehung Jesu Christi, und ihnen, den Heiden, wird gesagt: „Diesem geben alle Propheten Zeugnis, dass jeder, der an in glaubt ( ob Jude oder Heide) Vergebung der Sünden empfängt durch Seinen Namen."

Wunderbare Botschaft! Kaum ist sie verklungen, ja, „während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hört e n." — Wie? Ganz unmittelbar? Ohne Taufe? Ohne Händeauflegen und ohne Gebet seitens der Apostel? Ja, ohne irgend eines von allen diesen Dingen. Sie hören das Wort, nehmen es im Glauben auf, und sofort ver­siegelt der Heilige Geist das göttliche Werk in den Seelen. Gerade so war es später bei den Ephesern. Sie hörten das Wort der Wahrheit, das Evangelium ihres Heils, glaubten und wurden versiegelt mit dem Heiligen Geiste der Verheißung. (Kap. 1, 13.) Dem allein weisen und gütigen Gott gefiel es, die armen Heiden in solch reicher Gnade zu besuchen. Die Juden in Jerusalem mussten erst getauft werden auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden; bei den Samaritern musste außerdem noch das Gebet und Händeauflegen der Apostel hinzutreten; aber hier fiel der Heilige Geist ohne irgendwelche vorbereitende Handlung eines Men­schen auf alle, die das Wort hörten; und unmittelbar darauf fingen sie an, in Sprachen zu reden und Gott zu erheben. Derselbe Apostel, welcher in Jerusalem zur Buße und Taufe aufgefordert, und in Samaria in Ge­meinschaft mit Johannes gebetet und die Hände aufge­legt hatte, verschwindet hier sozusagen vor der über­strömenden Gnade Gottes.

So handelt Gott in Seiner unendlichen Weisheit. Während Er es bei den Juden und den Samaritern nicht an einer gewissen demütigenden Beimischung fehlen ließ, hatte Er für die Heiden nichts als liebliche Ermunterung. Und beachten wir es wohl, geliebter Leser! Der Fall des Kornelius und seiner Hausgenossen ist vorbildlich für u n s. Wir sind weder Juden noch Samariter; wir gehören zu denen, die von Natur fern von Gott waren und an denen sich infolgedessen die Gnade um so größer und reicher offenbaren musste. 

Welch eine Antwort auf all die törichten und hochmütigen Anmaßungen des Men­schen! Weder die Erfüllung gewisser Vorbedingungen seitens des Glaubenden, noch das Vorhandensein und tätige Eingreifen menschlicher Werkzeuge, Apostel oder dergleichen, ist notwendig zum Empfang der Gabe des Heiligen Geistes. Wenn Gott g i b t, so tut Er es, um sich und Seine Gnade zu verherrlichen, nicht aber, um den Menschen zu erheben oder sein Tun in irgend einer Weise anzuerkennen. Dem Menschen bleibt nichts ande­res übrig, als mit Petrus und seinen Begleitern „außer sich zu geraten" über die Größe der Gnade Gottes und Seiner unaussprechlichen Gabe, aber auch diese Gnade anzuerkennen und sich willig unter sie zu beugen.

Die Segnung ist heute dieselbe wie in jenen ersten Tagen. Sie mag nicht mehr von solch erstaunlichen Er­scheinungen begleitet sein wie damals, aber an und für sich hat sie sich nicht verändert, ebenso wenig wie der Boden, auf welchem sie mitgeteilt wird. Gerade so wie Kornelius mit den Seinigen den Geist empfing auf Grund der gläubigen Annahme des gepredigten Wortes, gerade so geschieht es heute; das Wort der Gnade Got­tes wird verkündigt, und wer sich unter dasselbe beugt und es im Glauben aufnimmt, empfängt die Sohnschaft und damit die Gabe des Heiligen Geistes (Gal. 4, 4 - 6 ). Es mag sein, dass in einzelnen Fällen eine Zeit vergeht zwischen der Annahme des Wortes und der Versiegelung durch den Heiligen Geist; ja, dies wird oft da geschehen, wo ein unklares, mit Gesetz ver­mischtes Evangelium gepredigt und der Mensch ange­halten wird, zu wirken, zu kämpfen, zu ringen und dergleichen. 

Aber Gottes Wille ist, dass die bußfertige Seele durch den Glauben in den vollen, bewussten Ge­nuss alles dessen eintrete, was das Werk Christi ihr gebracht hat, und dass sie, geleitet durch den Geist der Sohnschaft, in Kindeszuversicht rufe: „Abba, Vater!" Wohl mag ein längeres, tiefes, den Menschen in allen Fasern seines Wesens erschütterndes Werk in einer Seele vorgehen, ehe sie in den Genuss der vollen Freiheit eintritt, wie z. B. bei Saulus von Tarsus (betrachte im Gegensatz dazu den Kerkermeister von Philippi) ; aber doch bleibt es wahr, dass Gott für die Seinigen nicht einen Zustand der Zweifel, Befürchtungen und bangen Überlegungen vorgesehen hat, sondern dass Er sie als geliebte Kinder glücklich sehen will in dem vollen Glanz Seiner Gnade. In den alttestamentlichen Gläubigen war jener Zustand begreiflich, weil der Erlöser noch nicht gekommen war; aber heute widerspricht er unmittel­bar den Gedanken und Absichten Gottes.

Dies führt uns zu dem vierten und letzten Fall, der für uns heute in Betracht kommt. Wir lesen in Apstgsch. 19, 1 - 6: „Es geschah aber, . . . dass Paulus . . . nach Ephesus kam. Und er fand etliche Jünger und sprach zu ihnen: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid? Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist ist. Und er sprach: Worauf seid ihr denn getauft worden? Sie aber sagten: Auf die Taufe Johannes'. Paulus aber sprach: Johannes hat mit der Taufe der Buße getauft, indem er dem Volke sagte, dass sie an Den glauben sollten, der nach ihm käme, das ist an Jesum. Als sie es aber gehört hatten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesu getauft; und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten in Sprachen und weissagten."

Dieser Fall ist ebenso bemerkenswert wie die drei vorhergehenden. Hier finden wir zwölf „Jünger", welche geglaubt hatten, denen aber das Evangelium von Jesu nie verkündigt worden war. Nur der Inhalt der Predigt Johannes' des Täufers war ihnen bekannt, und auf seine Taufe waren sie getauft worden. Die Frage des Apostels, ob sie den Heiligen Geist empfangen hätten, beweist, dass er in ihrem Reden oder Benehmen einen Mangel entdeckt haben muss. Sie unterschieden sich offenbar von den übrigen Gläubigen in Ephesus. Die Ursache war einfach und ernst: sie hatten die kostbare Gabe des Geistes noch nicht empfangen, ja, sie wussten nicht einmal, dass die alttestamentliche Verheißung, von welcher ihr Lehrer auch gezeugt hatte, inzwischen in Erfüllung gegangen war. Johannes hatte auf den kom­menden Herrn hingewiesen; er hatte nicht weiter gehen können, als mit der Taufe der Buße zu taufen. Das Versöhnungsblut war noch nicht geflossen, der Weg zu Gott noch nicht gebahnt. 

Selbstverständlich konnten seine Jünger auch nicht weiter kommen, denn der Jünger ist nicht über den Lehrer. Nun aber trafen sie mit einem Manne zusammen, der einen Heiland predigte, welcher gekommen war und eine ewige Sühnung bereitet hatte. Und als sie diese Kunde hörten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesu, d. h. mit der christli­chen Taufe, getauft, und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, empfingen sie den Heiligen Geist. Auch fehlten die begleitenden Zeichen nicht: „sie redeten in Sprachen und weissagten."

So eigenartig dieser Fall auch ist, ersehen wir doch daraus die Notwendigkeit der Verkündigung eines vol­len, klaren Evangeliums. So lange jene Jünger die frohe Botschaft von Jesu, dem Gekreuzigten und Auferstande­nen, nicht vernommen hatten, konnte der Heilige Geist, obwohl Er „da war", sie nicht versiegeln. Offenbar war ein göttliches Werk in ihnen geschehen; aber es war noch nicht zur Vollendung gekommen. Ähnlich kann es auch heute noch sein.

Das Auflegen der Hände seitens des Apostels war in diesem Falle, gleich dem in Samaria, eine Ausnahme. Wir hören nicht, dass er es bei Bekehrten aus den Heiden je getan hätte. Warum tat er es hier? Geschah es, um sein Apostelamt auch diesen Jüngern aus der Be­schneidung gegenüber zu bestätigen? Vielleicht. Jeden­falls ist es ein Ausnahmefall, und wir wissen ganz be­stimmt, dass in anderen Fällen, besonders in dem für uns so bedeutungsvollen von Kornelius und seinem Hause, ein Händeauflegen vor dem Empfang des Heiligen Geistes nicht stattfand. Darum ist es ganz und gar schriftwidrig, wenn heute eine Partei in der Christen­heit erklärt, die Versiegelung mit dem Heiligen Geiste könne nur vermittelst göttlich dazu bestimmter Personen stattfinden. Selbst wenn heute noch Apostel da wären, was ja nicht der Fall ist, würden sie keineswegs nötig sein, um einem Glaubenden die Hände zwecks Empfangs des Heiligen Geistes aufzulegen. Nein, Gott hat uns, „denen aus den Nationen", den Heiligen Geist nicht so gegeben. Indem wir durch das uns verkündigte Wort an Christum glaubten, haben wir den Heiligen Geist empfangen. Möchten wir dies einfältig festhalten, nicht nur gegenüber jenen bösen Anmaßungen einer religiösen Partei, sondern auch angesichts so mancher Lehren und Behauptungen, welche heute im Blick auf unseren Gegen­stand im Schwange sind und viele Herzen beunruhigen!

@@@@

Der Sabbat und der Tag des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 238ff

2. Was ist der erste Tag der Woche oder der Tag des Herrn?

Wenn wir jetzt zur Betrachtung des ersten Tages der Woche übergehen, so tritt uns von vornherein ein völlig anderes Bild entgegen. Der Sabbat gehörte dem Haushalt des Gesetzes an, der erste Tag der Woche gehört zum Haushalt der Gnade. „Das Gesetz, wurde durch Moses gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (Joh. 1, 17.) Diese Worte sind von großer Bedeutung für unseren Gegenstand, da sie uns den Unterschied, oder vielmehr den Gegensatz, zwischen dem alten und dem neuen Haushalt zeigen. Das Gesetz» forderte, ohne die Kraft zur Erfüllung des Geforderten darzureichen; die Gnade gibt, umsonst und bedingungslos. Jesus Christus kam, um die Gnade und die Wahrheit zu offenbaren, welche den Menschen frei machen und in den Stand setzen, Gott zu verherrlichen. Das Gesetz verhieß Leben unter der Bedingung der Erfüllung seiner Gebote; Jesus gibt Leben ohne Bedingung, ein Leben, welches sich im Gehorsam offenbart. Das Gesetz verflucht, verurteilt, verdammt; Jesus rettet und macht frei von Fluch und Verdammnis. 

Die Gegensätze sind so schroff, dass man wirklich seine Augen verschließen muss, um den Unterschied zwischen dem „Dienst des Todes und der Verdammnis« und dem „Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit“ (2. Kor. 3, 7 — 9) nicht klar zu erkennen. Die Opfer unter dem ersten Bunde konnten niemals Sünden hinwegnehmen, nie dem Gewissen völlige Ruhe geben; der Priester blieb beständig in Tätigkeit, er stand täglich da, indem er immer wieder dieselben Schlachtopfer darbrachte. In dem Haushalt der Gnade dagegen hat Christus, „nachdem Er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hat, sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes . . . denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 12 — 14).

Und gleichwie ein großer Unterschied besteht zwischen dem Haushalt der Werke, dem Dienst des Todes, und dem Haushalt der Gnade, dem Dienst des Geistes und des Lebens, so hat der Heilige Geist auch einen klaren Unterschied gemacht zwischen den beiden Tagen, welche für beide kennzeichnend sind, zwischen dem „siebenten Tage“ und dem „ersten Tage“ der Woche. Nach den Gedanken Gottes sollte der erste dieser beiden Tage die alte Schöpfung beschließen, der zweite die neue Schöpfung einleiten. In der alten Schöpfung wurde die Ruhe Gottes durch die Sünde unterbrochen, und von da an seufzt die ganze Schöpfung. Gottes Ruhe in Christo, dem Haupt der neuen Schöpfung, kann dagegen nie gestört werden. Man könnte ebenso gut Licht mit Finsternis vermengen, wie die Grundsätze dieser beiden Haushalte miteinander verbinden. Freilich muss man zuerst erkennen, dass der alte Haushalt durch das Kreuz Christi beseitigt ist, bevor man den neuen, der in der Kraft der Auferstehung beruht, verstehen kann. In dem alten war alles an den Gehorsam gegenüber einem äußeren Gebot geknüpft; in dem neuen besteht alles durch die Kraft des Auserstehungslebens.

Das ist wahr im allgemeinen und gilt auch im Besonderen hinsichtlich des Sabbats und des ersten Wochentages, des Tages des Herrn. Der Sabbat war streng geboten, und ein gesetzlicher Gehorsam wurde bei Todesstrafe von allen gefordert, die sich anheischig gemacht hatten, den Bund der Werke zu halten. Sie „waren geknechtet unter die Elemente der Welt“ (Gal. 4, 3). Für die Christen aber gibt es kein Gebot, weder betreffs des Sabbats noch des Tages des Herrn. Sie sind berufen, zu gehorchen; aber ihr Gehorsam ist kein sklavischer Gehorsam; sie sind nicht Knechte, sondern Kinder, Söhne. Für sie heißt es nicht mehr: Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten Tage ruhen, und ebenso wenig: Tue dies, und du wirst leben; ihnen wird gleichsam gesagt: Ruhe, und dann gehe gestärkt an deine Arbeit, und: Lebe, und bringe Früchte des Lebens hervor. Wir beginnen in geistlichem Sinne unser Leben hienieden mit der Ruhe, anstatt diese erst am Ende unseres Wirkens zu finden. Welch ein Gegensatz, nicht wahr? Wie herrlich ist das Evangelium! Ja, Gott sei gepriesen! wir brauchen nicht länger unter der unerträglichen Bürde eines Gesetzes zu seufzen, welches kein Mensch je erfüllen konnte, sondern, des Lebens Gottes teilhaftig geworden, können wir in Seiner Kraft und in glückseliger Freiheit Gott verherrlichen, der uns von der Sünde und aus den Ketten Satans erlöst hat.

Welch ein weites Feld herzerhebender Betrachtungen eröffnet uns also der erste Tag der Woche! Er ruft uns mit vernehmlicher Stimme zu: Alles ist vollbracht! Christus hat alles getan, was zur Verherrlichung Gottes und zu unserer Errettung nötig war. Gott hat das Werk Christi angenommen, und nun kann der Glaubende in diesem Werke ruhen. Der Auferstehungstag unseres Herrn verkündet uns, dass Sünde, Tod und Verdammnis im Grabe zurückgeblieben, und dass Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht sind. Durch diese Auferstehung sind wir wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung (1. Petr. 1, 3), sie ist die Quelle all unserer Freude und unseres Heils und verleiht unserem ganzen Leben seinen Charakter. Auch finden wir in ihr die Ruhe Gottes. Zugleich ist der Auferstehungstag Christi das Sinnbild jener herrlichen himmlischen Ruhe, die wir bald droben mit Ihm genießen werden, der Beginn der neuen Schöpfung, zu welcher wir gehören. Unsere Ruhe ist in der neuen Schöpfung. Es ist deshalb klar, dass die Ruhe Gottes für uns nicht verbunden sein kann mit dem Zeichen der Ruhe der sichtbaren Schöpfung, mit dem Sabbat; sie knüpft sich ausschließlich an die Auferstehung Jesu, den Ausgangspunkt der Stellung, welche Er als Haupt der neuen Schöpfung eingenommen hat.

Lasst uns jedoch ein wenig eingehender untersuchen, was die Schrift uns über den ersten Tag der Woche sagt. Wir besitzen freilich keine Verordnungen über ihn, ähnlich denen des alten Gesetzes; das wäre dem Geiste des Evangeliums der Gnade völlig zuwider. Wohl aber hat der Heilige Geist diesen Tag in mancherlei Weise ausgezeichnet.

Nachdem der Herr am Kreuze gestorben und ins Grab gelegt worden war, bereiteten die Weiber, die Ihm nachgefolgt waren, Spezereien und Salben zu Seiner Einbalsamierung, und „den Sabbat über ruhten sie nach dem Gebet“. (Luk. 23, 56). Sie singen mit ganzem Herzen an der Person ihres Herrn, hielten aber zu gleicher Zeit als treue Juden nach Herz und Gewissen an den Verordnungen des Gesetzes fest. Sobald jedoch das Gebot erfüllt und der Sabbat gehalten war, beeilten sie sich, um beim Grauen des ersten Wochentages den Leichnam ihres geliebten Herrn endgültig zu bestatten. So lesen wir in Luk. 24, 1: „An dem ersten Wochentage aber, ganz in der Frühe“, und ebenso in Mark. 16, 1 u. 2: „Und als der Sabbat vergangen war, sehr früh am ersten Wochentage, kamen sie zur Gruft“. Doch sie kamen zu spät; die Macht und Gerechtigkeit, die Herrlichkeit und Liebe des Vaters waren ihnen zuvorgekommen und hatten Christum aus den Toten auferweckt. Es ist sehr beachtenswert, dass der Herr im Grabe blieb, bis der Sabbat, der siebente Tag, völlig vergangen und der Morgen des achten oder des ersten Wochentages angebrochen war. Dann erst wurde Er aus den Toten auferweckt, um das Haupt der neuen Schöpfung zu werden.

„Welch ein herrlicher Morgen, welch ein Triumph für unseren geliebten Herrn! Das große Werk der Erlösung war vollbracht. Die Auferstehung war das vollgültige Zeugnis, der sichtbare Beweis davon, dass Gott dieses Werk angenommen hatte. Mit welcher Freude der Herr Seinen trauernden Jüngern die frohe Botschaft von Seiner Auferstehung sandte, bezeugen Seine Worte an Maria von Magdala: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“. Eine solche Sprache war an dem Tage, da das Gesetz gegeben wurde, nicht gehört worden. Am Sinai war alles erschreckend; da gab es Blitze und Donner, Dunkel, Finsternis und Sturm, so dass die Hörer baten, dass das Wort nicht mehr an sie gerichtet würde, denn sie konnten nicht ertragen was geboten wurde . . .,- und so furchtbar war die Erscheinung, dass Moses sagte: Ich bin voll Furcht und Zittern“ (Hebr. 12, 18 — 21). Wie ganz anders aber war es am Morgen des Auferstehungstages unseres Herrn Jesu Christi! Keine Spur von erschreckenden Erscheinungen, keine Furcht, kein Zittern; alles war friedlich, lieblich, herrlich. Statt Sturm und Posaunenschall gab es nur Offenbarungen der Gnade und Liebe. Und in welch ein kostbares Verhältnis zu sich und Seinem Gott und Vater führte der Herr die Seinigen ein auf Grund Seines Todes und Seiner Auferstehung! 243

Der Unterschied zwischen dem siebenten und dem achten (oder ersten) Tage ist, wie ein anderer Schreiber ausführt, ,,ganz ähnlich dem Unterschiede zwischen der Taufe und der Beschneidung. Der Sabbat und die Beschneidung sind, in ihrer ursprünglichen Anwendung, beide Zeichen und Zeugnisse eines Bundes mit der ersten Schöpfung, eines Bundes, der niemals von Dauer sein konnte, weil er abhing von dem Gehorsam des Geschöpfes, das berufen war, ihn seinerseits zu halten. Der Tag des Herrn und die Taufe reden beide von der neuen Schöpfung, von der Befreiung des Menschen, von der ersten Schöpfung und seiner Einführung in das Reich der Himmel durch den Tod und die Auferstehung. An dem Auserstehungstage des Herrn fand der Mensch, der keine Ruhe auf der Erde finden konnte, Ruhe in der Auferstehung. 

Unter diesem Gesichtspunkt ist dieser Tag stets von der Kirche hochgehalten worden, als das Gedächtnis an die Auferstehung Christi, den Beginn der neuen Schöpfung. Um uns zu erlösen, kam Christus auf die Erde, in die erste Schöpfung; und indem Er hier unseren Platz einnahm, insoweit wir einen Teil dieser ersten Schöpfung ausmachten, stellte Er sich für uns unter den Fluch; der Tod übte seine Gewalt über Ihn aus, und der Tag, welchen Er im Grabe zubrachte, war der Sabbat, die Ruhe der ersten Schöpfung. So war Sein Grab das Ende aller Segensaussichten für den Menschen in der ersten Schöpfung. Aber am ersten Tage der Woche stand Er wieder auf; an diesem Tage ging der Mensch, in Christo, durch die Auferstehung von dem Fluche befreit, buchstäblich in das Reich der Himmel ein. Wenn die Kirche einen Teil der ersten Schöpfung bildete, oder wenn unsere Stellung, als Glieder dieser Körperschaft, von Beziehungen abhinge, die mit der ersten Schöpfung verbunden wären, oder wenn endlich der Gegenstand unserer Hoffnung eine Ruhe in dieser Schöpfung wäre, dann freilich könnten wir uns zur Beobachtung des Sabbats verpflichtet fühlen und ihn als das Zeichen unserer Hoffnung annehmen. Aber die Kirche ist auf die Auferstehung gegründet, wir sind wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi. 244

Die Tatsache, dass der Herr am ersten Wochentage auferstanden ist, hat diesen Tag zum „Tage des Herrn“ geheiligt und ihn zum Festtage der Christen gemacht, nicht als ein vom Gesetz, ihnen auferlegtes Gebot, sondern als einen Tag hoher Vorrechte, den das Gewissen des geistlichen Christen anerkennt, und den er hochhält, weil es des Herrn Tag ist. Diesen Tag zeichnete der Herr selbst dadurch aus, dass Er bald diesem, bald jenem der Seinigen erschien, aber ganz besonders dadurch, dass Er am Abend dieses Tages in die Mitte der versammelten Jünger trat. Die Gelegenheiten, bei denen Er sich im Laufe des Tages gezeigt hatte, trugen mehr oder weniger einen persönlichen Charakter; am Abend aber finden wir die Jünger versammelt. Wie vieles hatte sich während des Tages für sie zugetragen, was alles hatten sie einander zu berichten! Johannes erzählt uns: „Als es nun Abend war an jenem Tage, dem ersten der Woche, und die Türen, wo die Jünger waren, aus Furcht vor den Juden verschlossen waren, kam Jesus und stand in der Mitte“ (Joh.20,19).

Es war diesmal nicht eine Kundgebung für Maria oder Simon, oder für zwei Jünger aus dem Wege; hier haben wir Seine Gegenwart in der Mitte der Seinen. Es ist der auferstandene Heiland, der bereit war, aufzufahren zu der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war, in welche Er aber jetzt als Mensch einging. Der Herr war jetzt nicht mehr „der Mann der Schmerzen“; Er war nicht mehr „in Gleichheit des Fleisches der Sünde“; „die Tage Seines Fleisches“ waren vorüber. Er selbst gibt diesem Wechsel Ausdruck, wenn Er zu Seinen Jüngern sagt: „Dies sind die Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war“ (Luk. 24, 44). Dieser auferstandene Heiland und Herr, den die Welt nicht wiedersehen soll, bis sie Ihn an jenem Tage sieht, wann Er wiederkommen wird in großer Macht und Herrlichkeit, ist es, der hier am ersten Tage der Woche in die Mitte der versammelten Seinen tritt und so durch Seine Gegenwart die erste Versammlung der Seinen nach Seiner Auferstehung, „an jenem Tage, dem ersten der Woche“, gutheißt und heiligt.

Sodann spricht Er zu ihnen: „Friede euch!“ Welche Worte aus dem Munde Dessen, der vom Kreuze kam, wo Er diesen Frieden gemacht hatte, und der nun in der Kraft der Auferstehung dastand als der sichere Bürge der vollen Annahme Seines Opfers bei Gott. Denn so lange das Werk nicht vollbracht war, konnte von dem bewussten und ungestörten Genuss eines vollkommenen Friedens mit Gott keine Rede sein. Dann zeigt der Herr hin auf die Wundenmale in Seinem Auferstehungleibe, die Male des Todes, dem Er sich unterworfen, den Er aus Gnade für sie erlitten hatte. „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ Der Anblick des auferstandenen Herrn in ihrer Mitte war die Ursache ihrer Freude. Thomas war an jenem Abend nicht bei ihnen; und als die anderen Jünger ihm begegneten, riefen sie ihm zu: „Wir haben den Herrn gesehen“. Am folgenden ersten Wochentage war der Herr wieder in der Mitte der Seinigen. Vielleicht hatte Er sich auch in den dazwischenliegenden Tagen auf die eine oder andere Weise den Seinigen gezeigt; hier aber lesen wir ausdrücklich, dass Er am Abend des zweiten Sonntags wieder in ihre Mitte trat, als sie versammelt waren. Wie vieles ist für uns in diesen wenigen Worten (Joh. 20, 19 und 20) enthalten! Welch ein schönes Muster und Vorbild für unser heutiges Zusammenkommen am ersten Wochentage im Namen des Herrn und um Seine kostbare Person!

Doch mussten die Jünger, obschon sie so gesegnet waren, noch in Jerusalem bleiben und auf die Verheißung des Vaters, auf den Heiligen Geist, warten (Apstgsch. 1, 4—8). Es ist hier wieder sehr beachtenswert, dass der Heilige Geist nicht eher kam, als bis das Pfingstfest erfüllt war. „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Orte beisammen. Und plötzlich geschah ein Brausen aus dem Himmel . . . . und sie wurden alle mit Heiligen: Geiste erfüllt“ (Apstgsch. 2, 1—4.) Es muss in der Tat ein bestimmter Grund dafür vorhanden sein, dass der Herr im Grabe geblieben ist, bis der Sabbat völlig vorüber war, und dass der Heilige Geist nicht eher kam, als bis der Tag der Pfingsten erfüllt war; denn sowohl die Auferstehung Jesu aus den Toten als auch die Ausgießung des HeiIigen Geistes fanden am Morgen des ersten Wochentages statt. 247

Die Verordnung über das Pfingstfest in 3. Mose 23 wirft viel Licht aus diesen Gegenstand. Wir lesen da: „Wenn ihr in das Land kommet, das ich euch gebe, und ihr seine Ernte erntet, so sollt ihr eine Garbe der Erstlinge eurer Ernte zu dem Priester bringen; und er soll die Garbe vor Jehova weben zum Wohlgefallen für euch; am anderen Tage nach dem Sabbat soll sie der Priester weben“ (V. 9 — 11). Nun, der andere Tag nach dem Sabbat ist der erste Tag der Woche. Christus ist diese Erstlingsgarbe, die an dem Auferstehungsmorgen dargebracht wurde, nicht am Sabbattage, sondern am ersten Tage, nachdem der Sabbat vorüber war. An demselben Tage, an welchem der Priester die Garbe vor Jehova weben musste, ist Christus aus den Toten auferstanden. „Und ihr sollt euch zählen vom anderen Tage nach dem Sabbat, von dem Tage, da ihr die Webe-Garbe gebracht habt: es sollen sieben volle Wochen sein. Bis zum anderen Tage nach dem siebenten Sabbat sollt ihr fünfzig Tage zählen; und ihr sollt Jehova ein neues Speisopfer darbringen. Aus euren Wohnungen sollt ihr Webe-Brote bringen, zwei von zwei Zehntel Feinmehl sollen es sein, gesäuert sollen sie gebacken werden, als Erstlinge dem Jehova“ (V. 15 —- 17).

Aus diesen Vorbildern können wir viel lernen. Das Weben der Garbe geschah am Tage nach dem Sabbat, und die zwei Webe-Brote wurden am Tage nach dem siebenten Sabbat, also wiederum am ersten Wochentage, dargebracht. Wie wunderbar ist das alles in Christo erfüllt! In derselben Nacht, in welcher das Passahlamm geschlachtet wurde, wurde Jesus überliefert und dann als das Lamm Gottes am Kreuze geopfert. Und am Morgen nach dem Sabbat, an welchem die Garbe gewoben wurde, am ersten Tage der Woche, wurde Jesus aus den Toten auferweckt und für uns angenommen. Weiter mussten sieben Sabbate vorbeigehen, und der Morgen nach dem siebenten musste da sein, bevor der Heilige Geist geschenkt werden konnte, um die Jünger zu einem Leibe, der Gemeinde des lebendigen Gottes, zu taufen. Da wurde die Gemeinde, in Übereinstimmung mit den zwei Webe-Broten, aus Juden und Heiden dem Herrn dargestellt.

Die Opfer zu einem lieblichen Geruch· für Jehova, welche in Verbindung mit der Erstlingsgarbe dargebracht wurden, sind gegenüber dem Sauerteig, mit dem die Erstlingsbrote gebacken wurden, voll Bedeutung bezüglich der Vollkommenheit Christi. Von Ihm heißt es: ,,Gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftend en Wohlgeruch“ (Eph. 5, 2). Der Sauerteig der Unvollkommenheit dagegen wird in der Gemeinde gefunden; nur in Ihm, der sie geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, ist sie „ohne Flecken oder Runzeln oder etwas dergleichen“ (V. 26 und 27). Aber warum mussten die Jünger warten, warum kam der Geist nicht, bis der Sabbat siebenmal vorbeigegangen und der Tag des Pfingstfestes erfüllt war? Geschah dies nicht, um deutlich zu zeigen, dass der Sabbat, und mit ihm alle Forderungen des Gesetzes, siebenmal, also vollkommen, vorbei sein musste, bevor Gott damit beginnen konnte, eine neue Gemeinde zu schaffen?

Die Jünger waren ohne Zweifel vorher wiedergeboren; ja, der Herr erschien, wie wir wissen, in ihrer Mitte mit Seinem Friedensgruße, hauchte in sie und sprach: „Empfanget den Heiligen Geist“. Aber sie waren nicht eher der lebendige Tempel des Heiligen Geistes, die „Behausung Gottes im Geiste“, als bis Er am Pfingsttage persönlich herniedergekommen war und Wohnung in ihnen gemacht hatte. Welch eine Veränderung trat damit ein! Eine kleine, bis dahin furchtsame Schar trat jetzt in der Kraft Gottes auf und verkündigte zum ersten Male einer erstaunten Volksmenge die frohe Botschaft von der Erlösung durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Und während bei der ersten Übertretung des Gesetzes in der Wüste Sinai dreitausend Israeliten fielen (2. Mose 32, 28), wurden an diesem Tage dreitausend Seelen gerettet. (Apstgsch. 2, 41.) Dieses große Ereignis fand also gleichfalls am ersten Tage der Woche statt, am Morgen nach dem siebenten Sabbat.

Der Gläubige bedarf wahrlich keines Befehls, um einen solchen Tag in dankbarer Erinnerung zu halten, und es ist leicht zu verstehen, warum die Christen schon in den Tagen des Apostels Paulus den ersten Wochentag, den Sonntag, auswählten, um an ihm zusammenzukommen, und zwar zu dem bestimmten Zweck, das Brot zu brechen, Wir lesen in Apstgsch. 20, 7: „Am ersten Tage der Woche aber, als wir versammelt waren, um Brot zu brechen, unterredete sich Paulus mit ihnen“. Es heißt nicht: als wir versammelt waren, um Sabbat zu feiern, als wäre der erste Tag der Woche nunmehr an die Stelle des siebenten getreten, so dass nur ein Wechsel des Tages stattgefunden hätte; nein, das Wort „Sabbat“ wird nirgendwo in der Schrift gebraucht, um damit den ersten Tag zu bezeichnen.

Niemand außer den Christen versammelte sich an diesem Tage; die Heiden kannten den Tag nicht, und die überallhin zerstreuten Juden versammelten sich am Sabbattage in ihren Synagogen. Paulus benutzte freilich, wie schon bemerkt, diesen Tag und die Lehrfreiheit in den Synagogen, um Christum dann und dort zu verkündigen; aber am folgenden Tage, dem Tage, den die Christen allein kannten und den sie als den Tag der Auferstehung Christi feierten, kam Paulus mit diesen zum Brotbrechen zusammen. Dies letztere war der Hauptzweck ihres Zusammenkommens am ersten Tage der Woche, wie aus den Worten klar hervorgeht: „als wir versammelt waren, um Brot zu brechen. Paulus redete freilich bei dieser Gelegenheit lange zu den Versammelten, er verzog sogar das Wort bis Mitternacht; aber von wie großem Werte seine Predigt für die Gläubigen in Troas auch sein mochte, so war sie doch dem Brotbrechen untergeordnet.

Wie es damals war, so ist es heute noch. Die göttliche Wahrheit hat sich nicht verändert und kann sich nicht verändern. Wie dankbar sollten wir deshalb sein, wenn Gott uns heute die Gelegenheit, das große Vorrecht schenkt, am ersten Tage der Woche ungestört zusammenzukommen, um das Brot zu brechen und dadurch „den Tod des Herrn zu verkündigen“! Welche Gnade ist es für uns, wenn wir uns des Sonntags am Tische des Herrn, der selbstverständlich auf dem Boden der Einheit des Leibes aufgerichtet sein muss, versammeln können! Wir haben die rührenden Zeichen vor uns, die uns Seine Liebe und den Tod, den Er für uns erlitten hat, ins Gedächtnis rufen; ja, Er selbst, der auferstandene Herr, ist nach Seiner Verheißung persönlich, wenn auch in einer geistlichen Weise, in unserer Mitte. Wir bringen Ihm unseren Dank und unsere Anbetung dar und genießen zugleich den Frieden und die Freude Seiner Gegenwart. Wie groß und herrlich ist das! Sollten wir ein solches Vorrecht gering achten und es uns rauben lassen, indem wir uns wieder unter die Knechtschaft des Gesetzes und die damit verbundene Sabbatfeier begeben? Das sei ferne!

@@@@

Er selbst

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 252ff

Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln so spricht die gläubige Seele in Psalm 23. Der Trost, welcher sie erquickt, die Kraft, die sie aufrecht hält, ist Er selbst, nicht Sein Tun, nicht Seine Gaben, so gesegnet und herrlich beide sein mögen. Er lagert uns auf grünen Auen und führt uns zu stillen Wassern. Er sorgt für köstliche Weide, für Ruhe und Erfrischung, und Er wird das tun bis ans Ende. Aber was das Vertrauen der Seele hervorruft und alle ihre Sorgen wegnimmt, ist Er selbst. Sicher sind grüne Auen und stille Wasser ein lieblicher Aufenthaltsort; aber wenn ich in Leiden und Prüfungen komme oder vom Pfade abgeirrt bin, so ist Er es, der meine Seele erquickt und wiederherstellt, nicht die genossene Segnung. Er ist mehr als grüne Auen und stille Wasser. Seine Treue auf dem Wege erfahren zu haben, Ihn zu kennen, das ist die Ruhe und Glückseligkeit einer erprobten Seele. Sie kann sagen: „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens“; und vor ihr liegt das Vaterhaus, die Gewissheit, Ihn zu sehen wie Er ist.

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 253ff

VI Der Heilige Geist als Siegel und Unterpfand

„Wirket nicht für die Speise, die vergeht, sondern für die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird; denn diesen hat der Vater, Gott, versiegelt" (Joh. 6, 27). So sprach der Herr einst zu den ungläubigen Juden in Kapernaum, welche Ihn suchten, weil sie „von den Broten gegessen" hatten. Der Sohn Gottes, der Messias Seines Volkes, war in die Mitte Israels getreten, um seine Speise zu segnen und seine Armen mit Brot zu sättigen (Ps.132, 15). Die Stelle der Schrift war erfüllt, welche sagt: „ Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt ha t, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hin- zusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn" (Luk. 4, 18 - 21 ). Der, welchen Gott gesandt hatte, redete die Worte Gottes; „denn Gott gibt den Geist nicht nach Maß" (Joh. 3, 34). Er ging umher, nachdem Gott Ihn mit Heiligem Geiste und Kraft gesalbt hatte, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren. (Apstgsch. 10, 38).

Alle diese Stellen ( vergl. auch Apstg. 4, 27) reden von der Salbung und Versiegelung unseres Herrn und Heilandes mit dem Heiligen Geiste. Gezeugt durch den Heiligen Geist (Matth. 1, 18), wurde Er bei Gelegenheit Seiner Taufen durch Johannes mit demselben Geiste ge­salbt und von Gott, dem Vater, versiegelt. Indem der Heilige Geist auf Ihn herniederkam und auf Ihm blieb, wurde Er als Der erwiesen, welcher mit dem Heiligen Geiste tauft. Die ganze Fülle der Gottheit wohnte in Ihm leibhaftig; aber als Mensch, als der Jesus von Nazareth, welchen Gott in diese Welt gesandt hatte, um Seinen Willen zu tun und Sein Werk zu vollbringen, wurde Er mit dem Heiligen Geiste gesalbt und versiegelt; . und zwar — beachten wir es wohl! — nur Er, niemand außer Ihm. So lange das Erlösungswerk nicht vollbracht war, blieb Er allein. 

Die Salbung und Ver­siegelung war bei I h m ein Zeugnis, welches Seiner persönlichen Vollkommenheit gegeben wurde, während sie bei u n s das Ergebnis und die Bestätigung der Er­lösung ist. Darum, so lange Er hienieden lebte, konnte nur Er sie besitzen; aber sobald Er hinaufgestiegen war in die Höhe und wir durch das Erlösungswerk in den Stand gesetzt waren, die wunderbare Gabe des Geistes zu empfangen, konnte Er sie uns mitteilen. Er empfing den Heiligen Geist als der erhöhte Menschensohn gleich­sam in einer neuen Weise, um Ihn zu uns herabzusenden, wie wir in Apstgsch. 2, 33 wiederholt gelesen haben: „Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht wor­den ist und die Verheißung des Heiligen Geistes v o m Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret." Mit der Sendung des Heiligen Geistes begann das Christentum. Dies zeigt uns die wunderbare Verbindung zwischen unserer gegenwärtigen Stellung und Ihm, dem verherrlichten Menschen zur Rechten der Majestät droben.

 Dass der Mensch (und zwar ein Mensch, der zugleich Gottes Sohn ist) dort in Gerechtigkeit einen neuen Platz eingenommen hat, als Folge der Erfüllung des Erlösungswerkes auf dieser Erde, wo Sünde, Tod, Satans Macht und Gottes Ge­richt sich begegneten — das ist, wie gesagt, der Aus­gangspunkt des Christentums. Der verherrlichte Mensch empfing als solcher nach Seiner Erhöhung vom Vater den Heiligen Geist, nicht für sich selbst, wie einst, als Er in Vollkommenheit hienieden wandelte, sondern um Ihn den Glaubenden mitzuteilen und sie so in Beziehung zu bringen mit sich und den himm­lischen Dingen droben.

Nunmehr kann auch von einer Salbung und Versiege­lung der Gläubigen die Rede sein. Doch ehe wir der Reihe nach die Stellen der Schrift betrachten, welche von dieser Salbung etc. reden, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Wirkungen des Heiligen Gei­stes in einem Menschen, die Mitteilung der 'göttlichen Natur, die neue Geburt usw., niemals verwechselt wer­den dürfen mit der Versiegelung dieser Wirkun­gen. Gott setzt Sein Siegel auf diejenigen, welche an den gekreuzigten und zu Seiner Rechten verherrlichten Men­schensohn glauben. Die Welt kann den Heiligen Geist nicht empfangen, weil sie Ihn weder sieht noch kennt. Es sind Gläubige, die versiegelt werden, Menschen, die Gott bereits angehören auf Grund des vollkommenen Werkes Christi und durch den Glauben an den Aufer­standenen und Verherrlichten. Im Alten Bunde konnte deshalb weder von Versiegelung, noch selbst von einer Salbung mit dem Heiligen Geiste im Sinne des Neuen Testamentes die Rede sein. Unmöglich hätte zu einem alttestamentlichen Heiligen, ob Abraham, Mose, David oder Jesaja, gesagt werden können, was Johannes in seinem ersten Briefe, Kapitel 2, 20, an die „Kindlein" schreibt: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset alles." (Vergl. auch V. 27). Der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. 

Erst nachdem Christus zum Vater zurückgekehrt war, konnte Er als Salbung, Siegel und Unterpfand den Gläubigen gegeben werden — als Siegel unseres . Glaubens an das vollendete Werk Christi, als Unter­pfand der Herrlichkeit, die noch vor uns liegt, der ganzen Fülle des Erbes, welches wir noch nicht besitzen, ja, in dessen Besitz und Genuss auch die entschlafenen Gläubigen noch nicht eingeführt sind, so unbeschreiblich groß ihre Seligkeit auch sein mag.

Christus ist als unser Vorläufer, als der Anführer unseres Heils, droben eingegangen. Wir besitzen die „Er­lösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergebun­gen", göttliche Gerechtigkeit, ewiges Leben usw. Wir kennen auch unser Teil durch die Salbung, die uns über alles belehrt; aber der uns durch Christum erworbene „Besitz" ist noch nicht erlöst, wir „erwarten noch durch den Geist aus Glauben die Hof f nun g der Gerechtigkeit", d. h. die Herrlichkeit. (Vergl. Gal. 5, 5). Bis zur Erfüllung dieser Hoffnung ist uns der Heilige Geist als Unterpfand gegeben.

„Ein Christ ist also", wie ein anderer Schreiber sagt, „ein Mensch, in dessen Leibe der Heilige Geist wohnt wie in einem Tempel, indem Er ihn in bewusster Weise in den Platz einführt, welchen das vollendete Erlösungs­werk ihm gegeben hat. Da aber Gott ihn für die Herr­lichkeit bereitet hat, um dort mit Christo und Ihm gleich zu sein, so ist diese Herrlichkeit, so lange er hienieden pilgert, und obwohl die Erkenntnis seines Platzes in Christo ihm klar und gewiss ist, noch „eine Ho f f nun g, die für ihn aufgehoben ist in den Himmeln" (Kol. 1, 5 ). Die Juden müssen wiedergeboren werden, um in die Segnungen des Tausendjährigen Reiches eingehen zu können ( Joh. 3; Hes. 36). Diejenigen aber, welche an Christum glauben, ohne Ihn gesehen zu haben, die mit Ihm verbunden sind, während Er unsichtbar ist, be­sitzen, versiegelt mit dem Heiligen Geiste, ihr Teil mit Ihm, da wo Er jetzt ist.

 „Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, sind alle von eine m; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen» Nicht bloße Verheißungen sind dem Chri­sten geschenkt, oder ein tausendjähriger Friede so ge­segnet diese Dinge an ihrem Platze auch sein mögen, sondern Gott hat ihn bereitet für ein ewiges Gewicht von Herrlichkeit, deren Offenbarung noch kein Auge gesehen hat, die auch in keines Menschen Herz gekommen ist, welche Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben. Für die Zeit zwischen der Erfüllung des Werkes Christi und dem Teilhaben an dieser Herrlichkeit ist der Heilige Geist herniedergekommen, um den Gläubigen als erlöst und gerechtfertigt zu versiegeln und in ihm das Unterpfand des Teiles zu sein, welches er noch nicht besitzt."

Wenden wir uns jetzt zu den einzelnen Stellen in den Briefen der Apostel (vor allem des Apostels Paulus), welche wie ebenso viele glänzende Strahlen der göttlichen Gnadensonne Licht über den uns beschäftigenden

Gegenstand verbreiten. Leider gebietet uns der Raum dieser Blätter, so kurz wie möglich zu sein.

Wir beginnen mit dem Römerbrief. Derselbe behan­delt bekanntlich die Frage der Rechtfertigung des Sün­ders vor Gott, und erst nachdem diese Frage klar ent­wickelt und zu dem triumphierenden Abschluss gebracht ist: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum . . . und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes", lesen wir: „Die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist" (Röm. 5, 1-5). Kostbare und ernste Worte! Die ganze Frage unserer Schuld musste in göttlicher Weise geregelt sein, ehe der Heilige Geist eingeführt werden konnte; aber nun ist Er uns gegeben, und Gott selbst wohnt in uns als der Gott der Liebe. „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist vollendet in uns. Hieran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns, dass e r uns von seinem Geiste gegeben hat" (1. Joh. 4, 12. 13). In der Kraft dieses Geistes genießen wir die Liebe Gottes, ja, Gott selbst, wie Er sich uns in Seinem eingeborenen Sohne geoffenbart hat. Das Herz kennt die Liebe, wie sie in Jesu ans Licht getreten ist; der Heilige Geist weist auf sie hin, macht sie kund, und ist zugleich die Kraft in uns, um die göttliche Natur, welche Liebe ist, zu offenbaren.

Im 8. Kapitel werden wir einen bedeutenden Schritt weitergeführt. Es beginnt mit dem, ich möchte sagen, majestätischen Siegesruf: „Also ist jetzt keine Verdamm­nis für die, welche in Christo Jesu sind." Das ist unend­lich mehr, als wir bisher hörten. Nicht nur ist die ganze Schuld des Gläubigen getilgt und die Sünde gesühnt, er steht auch „in Christo Jesu" auf einem ganz neuen Boden vor Gott. Befreit von der Sklaverei der Sünde und dem Fluch des Gesetzes, gestorben mit Christo, der seine Sünden trug und für ihn zur Sünde gemacht wurde, ist er jetzt in eine ganz neue Stellung vor Gott versetzt und eines Lebens teilhaftig geworden, das ihn frei macht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 

Die Sünde ist fortan kein Gesetz mehr für ihn, obwohl sie noch in ihm wohnt und wirkt. Er ist nicht mehr „im Fleische", in der früheren Stellung, die er, als Nachkomme des ersten Menschen, „in Adam" hatte; er ist „im Geiste", d. h. er steht in einem ganz neuen Verhältnis zu Gott, als ein Mensch „in Christo", der durch die Wirksam­keit des Heiligen Geistes ein Leben lebt, welches mit seiner göttlichen Quelle in Verbindung steht und nie von ihr getrennt werden kann. Der Apostel fügt hinzu: „wenn anders Gottes Geist in euch wohnt"; denn nur so ist die Befreiung von dem Gesetz der Sünde und des Todes möglich. Derselbe Geist war einst in Christo; in der Kraft desselben ging Er umher, wie wir weiter oben gesehen haben, tat Gutes und gab sich selbst dahin; und nun heißt es: „wenn jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein."

Gott muss Wirklichkeit sehen. Er hat Lust an der „Wahrheit im Innern". Ein Bekenntnis ohne Leben und Kraft ist Ihm ein Gräuel. Wenngleich es sich zunächst in unserem Kapitel um die Feststellung des Christenstandes, der Stellung des Einzelnen vor Gott, handelt, ( von der „Versammlung" oder dem „Leibe" ist hier nicht die Rede; auch werden die Früchte der Gerechtigkeit nicht aufgezählt,) so wird uns doch auch die Wirkung der Gegenwart des Heiligen Geistes gezeigt, wie sie sich in dem Leben des Gläubigen hienieden offenbart. Einst wurde in Christo, dem Sohne, Gott gesehen; jetzt sind die Kinder Gottes dazu bestimmt, die Tugenden Dessen zu verkündigen, der sie aus der Finsternis berufen hat in Sein wunderbares Licht, Seine Natur zu offenbaren, voll­kommen zu sein, gleichwie ihr himmlischer Vater voll­kommen ist. Ohne diese praktische Gleichförmigkeit mit Gott können wir keine Gemeinschaft mit Ihm haben, uns Seiner nicht erfreuen, nicht Ihm wohlgefällig wandeln.

 Wir sind Gottes Werk, aber — „geschaffen zu guten Werken". Der Geist ist die Quelle und die Kraft des neuen Lebens; aber nur dann, wenn wir Ihn ungehindert in uns wirken lassen, wenn wir Ihn nicht betrü­ben, — und ach! wie oft, ja, wie unausgesetzt ist das in dem Leben mancher Christen der Fall! — nur dann wird dieses Leben auch nach außen hin sich in der von Gott gewollten Weise offenbaren. Nur in denen, die „nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln", wird das Recht des Gesetzes erfüllt; ja, die Gnade bringt noch weit mehr hervor, als was das Gesetz gefordert. Die Feinde zu lieben geht hoch über das Gesetz hinaus.

Von dem Stande des Christen, der durch den Geist gekennzeichnet ist, geht der Apostel zu dem Verhältnis über, in welchem wir uns infolge der Gegenwart des Geistes in uns vor Gott befinden. „So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes." Teurer Leser! inwieweit kann wohl deine Umge­bung an dir erkennen, dass du ein Sohn Gottes bist? Das Fleisch ist in dir und will stündlich seine Rechte geltend machen. Hältst du dich der Sünde für tot, oder: „tötest du durch den Geist", wie der Apostel hier es aus­drückt, „die Handlungen des Leibes"? (V. 13). Stehen deine Gedanken, Handlungen, Zuneigungen, Ge­wohnheiten unter der heiligenden Wirkung und Leitung des Geistes?

 Stellst du in Seiner Kraft deine Glieder Gott dar zu Werkzeugen der Gerechtigkeit? Der Heilige Geist ist unaufhörlich bemüht, die geziemenden Gedan­ken, Gefühle etc. in dir wachzurufen, denn Er ist nicht ein Geist der Knechtschaft, wiederum zur Furcht, wie einst unter dem Gesetz, sondern ein Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater! Da wo Er Seine Tätig­keit entfalten kann, wirkt Er das tiefe, selige Bewusst­sein, den herzlichen vertraulichen Genuss des Kindesver­hältnisses zum Vater, und gestaltet zugleich das ganze Wesen, das Denken, Reden und Handeln um nach Gottes Gedanken und entsprechend der Stellung, in welche der Gläubige gebracht ist. Dieser wird geleitet durch den Geist Gottes. Der Geist (die göttliche Person) zeugt mit seinem Geiste (dem neuen Leben, welches durch den Geist in ihm ist), dass er ein Kind Gottes ist, und, an­statt „nach dem Fleische zu leben", ist er ein „Nachahmer Gottes" als ein geliebtes Kind und „wandelt in Liebe" (Eph. 5, 1). 0 möchte es mehr und mehr so sein bei dem Schreiber und Leser dieser Zeilen! — Ja, Herr, be­freie uns von jedem „Wege der Mühsal" und leite uns „auf dem ewigen Wege"! (Ps. 139, 23. 24).

Wir kommen jetzt, indem wir die diesbezüglichen Stellen des 1. Korintherbriefes zur Behandlung in einem besonderen Abschnitt heute unberücksichtigt lassen, zu zwei Stellen in dem 2. Briefe, die für unsere gegenwärtige Betrachtung von Wichtigkeit sind. Sie lauten: „Der uns aber mit euch befestigt in Christum und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und hat das U n t e r p f a n d des Geistes in unsere Herzen ge­geben", und: „Der uns aber eben hierzu bereitet hat, ist Gott, der uns auch das Unterpfand des Geistes gegeben hat" (Kap. 1, 21 22; 5, 5).

In der ersten Stelle wird uns das, was Gott mit einer Seele tut, die Reihenfolge Seiner Handlungen, wenn ich so sagen darf, vorgestellt. Der Gläubige ist von Gott in Christum hinein befestigt, und zwar in einen Christus, in welchem alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind (V. 20). Diese Befestigung setzt voraus, dass der Gläubige lebendig gemacht ist, das Leben Christi empfangen hat. Aber er ist nicht nur lebendig gemacht und also auf das Festeste verbunden mit dem Christus, welcher die Erfüllung aller göttlichen Verheißungen gewähr­leistet, sondern er ist auch gesalbt; der Heilige Geist ist die Kraft, durch welche er alles Gott gemäß kennt und versteht.

 Selbst die „Kindlein" in Christo bedürfen nicht, dass sie jemand belehre, denn die Salbung, welche sie empfangen haben, „belehrt sie über alles" (1. Joh. 2, 27). Das will sagen: Der Heilige Geist öffnet, sobald der Glaubende in Christum befestigt ist, sein geistliches Verständnis, die Augen seines Herzens, und befähigt ihn, die Dinge Gottes zu erkennen und in sich aufzunehmen. Selbst die kleinsten Kinder in Christo besitzen diese Salbung, diese göttliche Fähigkeit, durch den Heiligen Geist Belehrung zu empfangen. — Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der oft zu wenig beachtet wird.

Schließlich hat Gott den Glaubenden auch versiegelt auf Grund des vollendeten Erlösungswerkes und hat den Geist als Unterpfand des zukünftigen Erbes in sein Herz gegeben. Den letzten Gedanken finden wir im 5. Kapitel wieder. Der Gott, welcher uns für Seine Herrlichkeit bereitet hat, wo ein Bau von Gott, ein ewiges Haus, unser Teil sein wird, hat uns „das Unter­pfand des Geistes" gegeben.

In dem 1. Kapitel des Epheserbriefes begegnen wir denselben beiden Gedanken in der bekannten Stelle: „in welchem (Christus.) ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geiste der Verheißung, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit" (V. 13. 14). Besonders beachtenswert ist hier der Ausdruck: „nachdem ihr ge­glaubt habt", und zwar in Verbindung mit den vorher­gehenden Worten: „nachdem ihr gehört habt des Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils". Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass nur etwas Gutes, Heiliges von Gott versiegelt werden kann; der Gedanke, dass der Heilige Geist die alte Natur, das Fleisch, versiegeln könne, ist geradezu ungeheuerlich, und doch hört und liest man heutzutage vieles, was von diesem Gedanken nicht sogar weit entfernt ist. 

Die Versiegelung mit dem Heiligen Geiste folgt auf den Glauben an das „Wort der Wahrheit", das „Evangelium des Heils", wie es uns durch die Apostel und Propheten des Neuen Testamentes verkündigt worden ist. Im Alten Testament hören wir nie von einer Versiegelung durch den Heiligen Geist, oder von dem Geiste als Unter­pfand. Die Ursache ist einfach diese: Die alttestamentlichen Heiligen, so hingebend, treu und entschieden viele von ihnen sein mochten, kannten das Evangelium des Heils noch nicht als den sicheren Segensboden für die Seele in ihrem Verhältnis zu Gott. Gemeinschaft mit Gott in Frieden und glückseliger Freiheit war eine völlig unbekannte Sache für sie. Kostbare Verheißungen waren ihnen gegeben, wir aber besitzen die Erfüllung

Unsere Stelle zeigt uns ferner deutlich, wovon der Heilige Geist ein Unterpfand ist; nicht etwa von dem für uns erworbenen Heile, oder von der Liebe Gottes, oder von der Sicherheit unserer Beziehungen zu Gott, sondern Er ist „das Unterpfand unseres Erbes". Das Heil besitze ich, die Liebe Gottes ist mein Teil, die Be­ziehungen zu Gott sind unantastbar; aber das Erbe be­sitze ich noch nicht. Ich bin, weil Sohn, auch Erbe, und zwar „Erbe durch Gott" (Gal. 4, 7); aber ich bin noch nicht in den Genuss des von Gott für mich bestimmten und von Christo für mich erworbenen Besitzes einge­treten. Nun, so lange dieser Zwischenzustand besteht, besitze ich ein göttliches Unterpfand, den Heiligen Geist, und so wie Elieser einst auf der Reise durch die Wüste Rebekkas Gedanken auf Kanaan hingelenkt und ihr von der vor ihr liegenden Herrlichkeit und Freude erzählt haben wird, so gibt uns der Heilige Geist heute schon während wir noch in dieser Welt sind, einen Vorge­schmack von den unser wartenden herrlichen Dingen. Und nicht lange mehr, so wird auch der Besitz „erlöst" werden, und wir werden uns seiner erfreuen mit Jesu, unserem Heilande, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Wir können hiermit diesen Abschnitt beschließen, aber ich möchte gern die Aufmerksamkeit des Lesers noch kurz auf einige Stellen in den Briefen an die Galater und an Titus richten. Wir lesen in Galater 3, 2: „Dies allein will ich von euch lernen: Habt ihr den Geist aus Gesetzeswerken empfangen, oder aus der Kunde des Glaubens ?" und nachher: „Der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt, ist es aus Gesetzeswerken oder aus der Kunde des Glaubens?" (V. 5).

Hatten oder haben Gesetzeswerke irgend Etwas mit dem Empfang dieser wunderbaren Gabe zu tun? Ach! wie ist der Mensch immer so geneigt, etwas aus sich und seinem Tun zu machen! Wer allein kann die armen, von Natur so unreinen, verderbten Gefäße passend machen für eine solche Segnung? Gott; und wie tut Er es? Durch „die Kunde des Glaubens", d. h. indem der von seiner Sündhaftigkeit überführte Mensch die Kunde von Christo, dem Gekreuzigten, hört und glaubend annimmt. Dieser Christus war den Galatern als unter ihnen ge­kreuzigt vor Augen gemalt worden. Wohl mag, wie wir gesehen haben, eine kürzere oder längere Zeit zwischen dem Hören und Glauben einerseits und dem Empfang des Heiligen Geistes andererseits vergehen, aber dieser Empfang selbst gründet sich einzig und allein auf Gottes Werk in der Seele. So sagt auch Petrus bei Gelegenheit der Verhandlungen in Jerusalem über die ernste Frage, ob die Christen aus den Nationen sich beschneiden lassen müssten: „Gott, der Herzenskenner, gab ihnen Zeugnis, indem er ihnen den Heiligen Geist gab, gleich­wie auch uns; und er machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen, indem er durch den Glauben ihre Herzen reinigte" (Apstg. 15,8. 9). Jene Gabe war das göttliche Zeugnis von dem Werk, welches in den Herzen der Gläubigen aus den Heiden vollbracht war; Gott selbst setzte Sein Siegel darauf.

Ähnlich verhält es sich mit der schon mehrfach an­geführten Stelle im 4. Kapitel unseres Briefes. Die Gläu­bigen in Galatien hatten den Geist der Sohnschaft emp­fangen, weil sie Söhne waren, und zwar Söhne durch Geburt. Diese neue, gesegnete Beziehung war ihr Teil „durch den Glauben an Christum Jesum" (Kap. 3, 26). Der Heilige Geist wurde ihnen gegeben, damit sie in bewusster Weise ihr Kindesverhältnis zum Vater genießen könnten. Sie warenschon vorher Söhne Gottes, aber sie waren noch nicht in den Genuss dieses Verhältnisses eingeführt. Jetzt aber wohnte der Geist Seines Sohnes in ihren Herzen und rief: Abba, Vater! Unter dem Gesetz besaß der Gläubige, obwohl er ein Kind und Erbe war, niemals das Bewusstsein und die Ge­fühle eines Kindes. Er befand sich seiner ganzen Er­fahrung nach in der Stellung eines Knechtes. Er glich einem unmündigen Kinde, das, obwohl es Erbe von allem ist, doch unter Vormündern und Verwaltern steht bis zu der vom Vater festgesetzten Frist. Er war nicht frei und hatte, obwohl das Gesetz ihn fühlen ließ, wie verkehrt und ungehorsam er war, doch nicht die Kraft in Neuheit des Lebens zu wandeln. „Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig ... Wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit" (2.Kor. 3, 6. 17).

Die höchst interessante Stelle im Titusbriefe, auf welche wir oben hindeuten, lautet: „Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes erschien, errettete er uns, nicht aus Werken, die in Gerechtigkeit vollbracht, wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er reich­lich über uns ausgegossen hat durch Jesum Christum, unseren Heiland, auf dass wir, gerechtfertigt durch seine Gnade, Erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens" (Kap. 3, 4 - 7) . Hier haben wir wiederum, ähnlich wie in 2.Korinther 1, 21, den ganzen Heilsweg vor uns, welchen Gott den Glaubenden führt. Gott ist es, der errettet, und zwar indem Er zunächst den Menschen durch die Waschung der Wiedergeburt gehen und ihn die Erneuerung des Heiligen Geistes erfahren lässt. Der Mensch wird lebendig gemacht, gereinigt und völlig er­neuert. Die Wiedergeburt war das Teil aller Gläu­bigen von jeher. Sie konnte auch, selbst als der Heilige Geist noch nicht gekommen war, nur durch Seine Kraft und Wirksamkeit geschehen. Aber wir haben hier mehr als Wiedergeburt. Gott hat den Heiligen Geist, durch welchen wir erneuert sind, auch reichlich über uns ausgegossen durch Jesum Christum, unseren Hei­land. Das kennzeichnet die ganze Fülle und Kraft der christlichen Segnung. Diese Ausgießung des Heiligen Geistes wurde erst möglich, nachdem der Mensch nach seinem alten Zustande vor Gott in Christo auf dem Kreuze vollkommen gerichtet und der verherrlichte Mensch in Gottes Gegenwart eingegangen war.

Beachten wir also wiederum, dass die Fülle des Heili­gen Geistes über alle wahrhaft Glaubenden ausge­gossen ist, und zwar auf Grund eines freien, bedingungs­losen Gnadenaktes Gottes, durch unseren Heiland Jesus Christus, der sich selbst für uns hingegeben hat. Diese „reichliche Ausgießung" ist das kostbare Teil alle r; sie ist für den einen nicht weniger wahr als für den anderen. Und gerade weil das so ist, tritt an einen jeden von uns die ernste, erforschende Frage heran, inwieweit wir von dieser Fülle Gebrauch machen, bzw. uns prak­tisch von ihr erfüllen, durchdringen, leiten und ge­brauchen lassen. Gott gebe uns allen ein klares, ziel­wärts gerichtetes Auge, ein wachsames, zartes Gewissen und einen festen Entschluss des Herzens! Wie könnte der Geist ungestört, in Macht und Fülle, in einem Menschen wirken, wenn der Blick sich nach rechts und links hin verirrt, das Gewissen befleckt ist und das Herz nicht un­geteilt für Christum schlägt? Niemand täusche sich! Geist und Fleisch sind zwei völlig entgegengesetzte Mächte. Soll die liebliche Frucht des Geistes zu Tage treten, so muss das Fleisch im Tode gehalten werden. Darum: „Wan­delt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen" (Gal. 5, 16). Teurer gläubiger Leser! Das geringste Zugeständnis, welches du dem Fleische machst, betrübt den Hei­ligen Geist, hindert Seine Wirksamkeit und raubt dir in demselben Maße deine geistliche Kraft.

@@@@@

Der Sabbat und der Tag des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 269ff

In Verbindung mit dem Zusammenkommen am ersten Wochentage standen auch die Sammlungen für die Heiligen. In Bezug hierauf Verordnete der Apostel in Korinth, wie er es auch in den Versammlungen in Galatien getan hatte, dass an jedem ersten Wochentage ein jeder nach dem Gedeihen seines Erwerbes bei sich zurücklegen und aufsammeln solle (1. Kor. 16, 2).

Schließlich wird in Offbg. 1, 10 der erste Tag der Woche „des Herrn Tag“ genannt. Manche meinen, dass an dieser Stelle nicht von dem ersten Tage der Woche die Rede sei, sondern von der Zeit, in welcher der Herr nach der Aufnahme der Gläubigen die Gerichte aus der Erde ausführen und dann selbst erscheinen wird, um Sein Reich auszurichten. Diese Zeit wird in 2. Thess. 2, 2 und an anderen Stellen der Schrift „der Tag des Herrn“ genannt. Doch der griechische Ausdruck in Offbg. 1, 10 lässt diese Erklärung kaum zu. Es ist bekannt, dass an dieser Stelle sich nicht die gewöhnliche Ausdrucksweise findet, sondern dass die nähere Bestimmung des Tages durch ein Eigenschaftswort vermittelt ist.

 Dieselbe Ausdrucksweise kommt nur noch einmal im Neuen Testament, in 1. Kor. 11, 20, vor, und zwar hier in Verbindung mit dem Abendmahl. „Wenn ihr nun an einem Orte zusammenkommet, so ist das nicht des Herrn Abendmahl essen.“ Die Bedeutung und Kraft des Ausdrucks ist nicht misszuverstehen. Es handelt sich um dem Herrn gehörig oder geweiht. Aus dem griechischen Worte ist das deutsche Wort „Kirche“ entstanden, an dessen schöne ursprüngliche Bedeutung hierdurch erinnert sei. ein Mahl, welches als dem Herrn gehörend, als Ihm geweiht, von allen anderen Mahlzeiten unterschieden ist und das, wie wir gesehen haben, am ersten Tage der Woche gefeiert wurde. Gerade so ist es in Offbg. 1, 10. Johannes war an des Herrn Tag im Geiste, d. h. an dem Tage, der dem Herrn in besonderer Weise gehört, der Ihm geweiht ist, nicht: an welchem Er erscheinen und Seine Macht und Herrlichkeit offenbaren wird.

So weist im Neuen Testament alles darauf hin, dass das Abendmahl und der erste Tag der Woche miteinander in Verbindung stehen. „Des Herrn Abendmahl“ wurde von den ersten Christen an „des Herrn Tag“ gefeiert. Allerdings hat man im Anfang anscheinend „täglich“ und „zu Hause“ das Brot gebrochen (Apstgsch. 2, 46); doch das geschah nur zu Jerusalem in den Tagen des ersten, mächtig pulsierenden Lebens, in den Tagen des Pfingstfestes, und konnte nicht dauernd beibehalten werden; und so sehen wir später, dass der erste Tag der Woche dafür benutzt worden ist.

Ehe wir unsere Betrachtung beschließen, möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass die Schrift nirgendwo sagt, dass ein Tag von sieben (also ein beliebiger Tag) der „Sabbat“ sei, oder ein Tag von sieben der „Tag des Herrn“, oder dass Gott, wie man sich ausdrückt, den siebenten Teil unserer Zeit von uns fordere. Wenn diese Behauptung richtig wäre (und man hört sie gar nicht selten aussprechen), dann könnte, je nach Belieben, der eine den ersten Tag, der andere den zweiten, der dritte den dritten Tag u. s. w. feiern; alle Tage der Woche könnten beobachtet oder nicht beobachtet werden, ohne das Gebot zu verletzen. Ja, mehr noch: die Menschen hätten das Recht, und es läge eigentlich viel näher, jeden siebenten Teil eines Tages für den Herrn abzusondern, statt eines ganzen Tages von sieben. Aber die Schrift redet niemals so. Sie erklärt ausdrücklich, dass der siebente Tag der Sabbat ist (2. Mose 20, 10), und der erste, oder der achte, wenn wir die Tage nach ihrer vorbildlichen Bedeutung zählen (vergl. 3.Mose 9, 1; 14, 10; 23, 36 u. a. St.), der Tag des Herrn.

 Sieben Tage umschließen (im Vorbilde) die Zeitabschnitte, welche die erste Schöpfung ausmachen. Der achte Tag führt uns, indem er uns jenseits dieser Zeitabschnitte, d. i. der Grenzen der alten Schöpfung, versetzt, vorbildlich ein in eine neue Ordnung der Dinge und der Zeit, oder mit anderen Worten, in die neue Schöpfung, in die Auferstehung. Hiervon, d. h. von der Stellung des Menschen in der Auferstehung, ist der Tag des Herrn ein Zeichen und ein Zeugnis, gerade so wie der Sabbat das Zeichen der Ruhe der ersten Schöpfung war. Dieser redete von einer Ruhe auf dieser Erde, jener zeugt von der himmlischen Stellung des Menschen, als gestorben und auferstanden mit Christo. (Für diejenigen, welche ein wenig vertraut sind mit der vorbildlichen Bedeutung der jüdischen Zeiten und Feste, möchte ich noch kurz hinzufügen, dass der achte Tag des Laubhüttenfestes uns auf die Verbindung hinweist, welche dereinst, im Tausendjährigen Reiche, zwischen der irdischen Ruhe und Segnung und der himmlischen Auferstehungs--Herrlichkeit bestehen wird — der siebente Tag ein Vorbild der irdischen Ruhe, der achte ein Vorbild der himmlischen. 271

Auf mancherlei Weise ist also der achte oder erste Tag vor den übrigen Tagen der Woche ausgezeichnet und von ihnen abgesondert worden: zunächst und vor allem durch die glorreiche Auferstehung des Herrn, dann durch Seine gesegnete Gegenwart in der Mitte der Seinigen, ferner durch die Ausgießung des Heiligen Geistes und durch das Zusammenkommen der ersten Christen zur Feier des Abendmahls; und schließlich wird er in der Offenbarung bestimmt als „des Herrn Tag“ bezeichnet. Die Schrift macht nicht ein Gesetz oder eine Verordnung, wo „die Gnade herrscht“, aber sie kennzeichnet deutlich den Charakter und die Segnung eines Tages, der uns durch die Gnade geschenkt ist, des Tages des Herrn, an welchem Er zu unserem ewigen Segen, als der letzte Adam, alles von neuem begann; ja, sie weist schon im Alten Testament, wie wir gesehen haben, wiederholt auf den achten Tag, d. i. den ersten nach Schluss der alten Woche, als einen Tag besonderer Segnung hin.

Sollte es nach diesen einfachen und klaren Zeugnissen der Schrift für ein nüchternes, Gott unterwürfiges Herz noch schwer sein, den Unterschied zwischen dem siebenten und dem ersten Tage der Woche zu verstehen? Ich meine nicht. Während der Israelit am letzten Tage der Woche ruhen sollte von all seinem Werk, das er in der vergangenen Woche getan hatte, und, wie gesagt, niemals den Sabbat seiner wahren Bedeutung nach feiern konnte, beginnt der Christ seine Woche damit, dass er sich mit dankbarem Herzen an Den erinnert, der ihn aus seinem Sündenelend befreit, aus der Macht Satans errettet und aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht versetzt hat; und die Ruhe, die der Gläubige genießt, hat nichts zu tun mit seiner Arbeit, sondern gründet sich einzig und allein auf das Werk eines Anderen, des Sohnes Gottes. Gerade diese Tatsache aber ist es, die dem selbstgefälligen Geist des Menschen unerträglich ist, weil sie ihm jeden Ruhm nimmt und Gott allein die Ehre gibt.

Nichtsdestoweniger ist der erste Tag der Woche kein Tag der Untätigkeit für uns; er ist vielmehr in ganz hervorragender Weise ein Tag wahrer christlicher Tätigkeit Gott und Menschen gegenüber. Mit Recht ist gesagt worden, dass ein einsichtsvoller und vor allem ein treuer Christ am Sonntagabend vielleicht müder ist, als an den Abenden in der Woche; allein sein Herz ist fröhlich und gestärkt, sein Geist dankbar und glücklich. 

Und so geht er, gleichsam aus der Gegenwart des Herrn kommend und gekräftigt mit Seiner Kraft, am Montag an sein Tagewerk, das er frohen Mutes tun kann im Aufblick zu Dem, der ihn kräftigt, und zum Preise des Gottes, der ihn erkauft hat durch das Blut Seines Eingeborenen. Ja, wie viel Ursache haben wir Gott für diesen Tag zu danken! Wir stehen nicht unter einem gesetzlichen Gebot bezüglich dieses Tages, aber ein Christ, der seinen Herrn liebt, wird ihn sicherlich nicht zur Arbeit oder zu seinem Vergnügen benutzen. Er wird es vielmehr als ein hohes Vorrecht betrachten, sich an diesem Tage mit den Gläubigen am Tische des Herrn und zur Betrachtung Seines teuren Wortes zu versammeln, an der Verkündigung des Evangeliums teilzunehmen und seinem Herrn in jeder Weise zu dienen.

Aber haben wir denn gar nichts mehr mit dem Sabbat zu tun? Hat die Forderung, ihn zu heiligen, keine Kraft mehr für uns? Nein; er ist mit dem religiösen System, welchem er angehörte und das er kennzeichnete, beiseite gesetzt. Das Kreuz hat den ersten Bund samt seinem Zeichen abgeschafft. Verlangst du deshalb nach dem Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt, nach der Gewissheit der vollkommenen Ruhe in Gott, so suche sie nicht in den Werken des Gesetzes, im Halten des Sabbats oder in irgend Etwas dergleichen, sondern blicke einfach auf Christum! Er hat „Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes“. Und andererseits bedenke, dass geschrieben steht: „So viele aus Gesetzes Werken sind, sind unter dem Fluche“. Du kannst unmöglich Christum und das Gesetz haben. Wenn du dem Gesetz und dem eigenen Tun anhängst, so lässt du Christum fahren. (Gal. 5, 4.) Hängst du aber Christo an, so bist du frei vom Gesetz, bist gerechtfertigt, hast Frieden und gehst ein in die Ruhe Gottes. Seine Liebe erfüllt deine Seele, und Sein Geist bezeugt dir, dass das Blut Christi dich gereinigt hat von allen Sünden. Du bist eine neue Schöpfung in Christo Jesu, das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden (2.Kor. 5,17). Als ein geliebtes Kind Gottes bist du berufen, ein Nachahmer Gottes zu sein und in Liebe zu wandeln, gleichwie der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat (Eph. 5, 1).

Darum, teurer gläubiger Leser, lass dich nicht in Verwirrung bringen durch solche, die dich wiederum unter ein Joch der Knechtschaft bringen wollen! Diese predigen nicht das Evangelium der Gnade Gottes. Was sie bringen, ist eine Botschaft außer dem, was die Apostel unseres Herrn Jesu Christi uns als Evangelium Verkündigt haben (Vergl. Gal. 1, 6 — 10). Höre nicht auf sie, sondern ruhe in Christo und stehe fest in der Freiheit, für welche Er dich freigemacht hat!

@@@@@

Zu meinem Gedächtnis

Bibelstelle: 1. Korinther 11, 23 - 25

Botschafter des Heils 1906 S. 275ff

Das Abendmahl des Herrn ist das köstliche und gesegnete Andenken an Ihn, der in Seiner wunderbaren Herablassung Wert darauf legt, dass wir uns Seiner erinnern. Wenn irgend etwas das Herz eines Christen rühren kann, so ist es dieses Mahl, welches mehr als irgend ein anderes Gnadenmittel von wirklichem und unmittelbarem Segen für den Gläubigen begleitet ist. Was mich betrifft, so kenne ich unter dem, was man die Einrichtungen des Christentums nennen kann, nichts, das meiner Seele mehr Freude brächte und sie in fruchtbringenderer Weise beeinflusste, als das Abendmahl. Kein Christ wird, wenn er anders seine Bedürfnisse oder seine Vorrechte kennt, die Predigt des Wortes verachten, ebenso wenig die Unterweisung, die Ermahnung, das gemeinsame Lesen des Wortes, das gemeinschaftliche Danken und Bitten; er wird auch solche Hilfsmittel nicht verachten, welche weniger unmittelbare Einrichtungen sind; aber in keiner derselben werden die Zuneigungen, welche der Heilige Geist im Herzen des Gläubigen bildet, so völlig und auf eine so feierliche Weise aufgeweckt, wie im Abendmahl des Herrn. Beim Genuss desselben geziemt sich Feierlichkeit, Ernst und Selbstgericht. Das Christentum steht hier in unmittelbarem Gegensatz zum Aberglauben. 

Dieser sucht das, was uns Gott am meisten nahe bringt, stets mit Geheimnisvollem und Furchteinflößendem zu umgeben, während dem wir durch das Wort Jesu volle Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum haben. Wir haben nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater! Die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe. Die vollkommene Liebe denn es handelt sich hier um die Liebe Gottes —— treibt die Furcht aus (1. Joh. 4).

Kein wahrer Christ bezweifelt die Gottheit unseres geliebten Herrn und Heilandes; jedes Seiner Worte, jede Seiner Handlungen war der Ausdruck derselben göttlichen Person. Aber wie feierlich die Einsetzung des Abendmahls auch sein mochte, so entbehrt der Wunsch, irgend Etwas Geheimnisvolles darin zu finden, doch jeder Grundlage. Ja, wenn Jesus sagt: „zu meinem Gedächtnis“, so handelt es sich tatsächlich mehr um Ihn, betrachtet als Mensch, der sich mit den Seinen aus der Erde unterhält, als um Seine göttliche Natur. 

Die Worte: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“, passen zu Seiner Gegenwart und Liebe hienieden; und wenn wir Seinen Tod hinzufügen, so ist es sicher, (obwohl der ganze Wert Seiner Gottheit an diesen Tod geknüpft ist; ja, nur als eine göttliche Person konnte Er das Werk tun,) dass Er als Mensch gestorben ist und nicht hinsichtlich Seiner göttlichen Natur. „Er ist ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt worden.“ Und indem wir durchaus an der vollen Gottheit des Herrn als der eigentlichen Grundlage des Christentums festhalten, dürfen wir doch nicht vergessen, dass es einen Mittler gibt zwischen Gott und Menschen, den Menschen Christus Jesus. Seine Person war im Abendmahl nicht geheimnisvoller als zu jeder anderen Zeit, obwohl die Gelegenheit feierlicher war. Wenn es besonders geheimnisvolle Umstände in Seinem Leben gibt, so ist es zu der Zeit, da Er als ein kleines Kind in der Krippe lag. In Wirklichkeit war es aber immer dieselbe Sache.

Ferner war der Tod der Tod, und er konnte nur als Lohn der Sünde erreicht werden. Jetzt ist der Tod Leben und Gewinn; denn Christus hat in der ganzen Tiefe des Todes jenen Lohn bezahlt, und wir nähren uns nun davon als Leben. Das Gedächtniszeichen dessen, was uns diese Dinge erworben hat, ist für unsere Seelen süß, gleich Seiner Liebe, die das Werk vollbracht hat. Die Gabe des Herrn, welche wir im Abendmahl feiern, ist die Gabe Seiner selbst — Seines Lebens, das Er in unendlicher Liebe auf dem Kreuze für uns dahingegeben hat. Wir kennen Ihn als Denjenigen, der jetzt in der Herrlichkeit lebt; wir nähren uns von Ihm als Dem, der einst für uns starb. Er ist jetzt in uns als unser Leben. Wir gedenken Seiner als eines ein für allemal dargebrachten Opfers, dessen Wert niemand ergründen kann, ebenso wenig wie die Leiden und die Liebe, welche in demselben zum Ausdruck kommen.

 Seine Liebe ist göttlich und menschlich, und sie ist uns kundgetan worden; aber obwohl Er jetzt in der Herrlichkeit weilt, wünscht Er doch, dass wir an Ihn denken, so wie Er damals war, in jener Zeit Seiner Liebe, als Er sich für uns dahingab . . . . Wir freuen uns, dass Er Wert darauf legt, das; wir uns im Grunde unserer Seelen Seiner erinnern. Er wünschte es, als Er litt. Wir nähren uns davon. „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns Sein Leben dargelegt hat“ (1. Joh. 3, 16.) Das ist zu allen Zeiten unendlich kostbar; aber das Abendmahl des Herrn bietet uns eine besondere Gelegenheit, uns Seiner zu erinnern, und gibt uns eine Gedenkfeier, die Er selbst eingesetzt hat, und zwar als Er im Begriff stand, Sein Leben hinzugeben, in eben der Nacht, in welcher Er überliefert wurde. —— Dass der Herr sich bei der Feier des Abendmahls in der Mitte Seines versammelten Volkes einfindet, ist unzweifelhaft.

J. N. D.

@@@@@

Ein Brief von G. Tersteegen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 278ff

Herzlich geliebter Bruder! Weil ich vermute, du seiest noch zu N. . . . ., so wollte ich dich mit eilender Feder grüßen. Jesus segne dich! Du tust nichts, als zurücksehen auf dich selbst; das muss dich ja mutlos und unruhig machen. Wenn ich’s so gemacht hätte, ich wäre in meinem Elend längst umgekommen; denn ich bin so fromm nicht, als mich einige andere dafür halten. Ich schweige aber und lass mich wohl noch dazu loben ins Angesicht, damit sie mich nicht noch dazu für demütig schelten. Ich glaube nur dem Licht der Wahrheit, in welchem ich mich heimlich und einfältig für den Elendesten halte, und Verantworte mich nicht, wenn andere mich loben. Das Begehen meiner Fehler, vornehmlich wenn’s anderen auch bekannt wurde, machte mich vor diesem so krank, wie du jetzt bist.

 Hernach wies man mir eine Arznei dagegen, nämlich die süße Liebe zur Selbst-Verschmähung, die mich allemal, wann ich sie brauchte, wunderbarlich beruhigt und so erquicket hat, dass ich meiner Krankheit gar darüber vergaß. Man muss aber diese Arznei getrost hineintrinken, und nicht so mit den Lippen lecken, sonst schmeckt’s gar bitter. —- Ich scherze nicht; es ist mehr Wahrheit in dem jetzt Gemeldeten, als ich sagen kann. Das Zurücksehen auf dich selbst schadet dir mehr als alle deine Fehler. Gewiss ist der Grund nur Eigenliebe!

Aber warum wirst du über diese Entdeckung so bestürzt? Wusstest du denn nicht, dass du ein eigenliebiges Adamskind warst, wie ich und andere? Sollte man über solche Entdeckung melancholisch werden, und nicht vielmehr ein Loblied anstimmen, dass uns der Herr eine so teure Gnade in der Erkenntnis unser selbst mitteilet? Kein Mensch kann das Loblied anmutiger singen, als eine sich selbst erkennende und verschmähende Seele Der Schmerz, sagest du in deinem letzten Briefe, über das, was ich getan, hält noch empfindlich an. Ich verstehe dies nicht. Ich weiß nicht, was du getan hast. Gib dich selbst in Gottes Namen dran! Wir sind keine Sache, die so viel Besehens wert ist. Kannst du dich nicht nach Wunsch drangeben, dann trage dich selbst willig und ruhig, und lass dein inneres Äuglein süßiglich von dir selbst ab hingewandt bleiben auf Den, in welchem dein ganzes Heil ist. Dass wir elend, böse und zum Guten untüchtig sind, sollen wir von Herzen glauben, aber nicht jedermann sagen. Aber dass unser Gott so groß, so gut, so selig und in Ihm alles Heil und Gute ist, das soll unsere Materie sein, woran wir gedenken, wovon wir reden und singen, und worin wir uns ewig erfreuen. Amen. Mülheim a. d. Ruhr, den 23. Januar 1745.

Fußnote:

*) Von einem Leser des „Botschafter“ eingesandt.

@@@@@

Mit Ihm vereint

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 280ff

Mit Ihm vereint! – O selig Rasten

an Jesu Brust, dem Leid entrückt,

wenn hingesunken alle Lasten,

die hier das Herz so oft gedrückt!

Mit Ihm der auf dem Wüstenpfade,

schon Stütze war und Weggenoss

dass wunderbare Huld und Gnade

des Himmels Frieden mir erschloss.

Mit Ihm vereint! – der Freude Fülle

genießt die Seele, die Ihn schaut.

Verwandelt ist die arme Hülle,

die Hütte, die aus Staub gebaut.

Der stillen Hoffnung höchste Träume

Im ew`gen Glück erfüllet sind,

wenn der ersehnten Heimat Räume

umschließen das geliebte Kind.

Mit Ihm vereint am selgen Ziele,

Ihn schauend dann von Angesicht –

Des Glaubens innerste Gefühle

Ergründen solche Wonne nicht!

Im Vaterhaus, im Lichte droben,

bei Ihm, dem hier das Sehnen galt,

dem dort das Danken, Preisen, Loben

in alle Ewigkeit erschallt!

@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 281ff

VII Tempel des Heiligen Geistes

„Wisset ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid? Denn ihr seid um einen Preis erkauft worden; verherrlichet nun Gott in eurem Leibe" (1. Kor. 6, 19. 20).

„Wisset ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in (oder unter) euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott ver­derben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr" (1. Kor. 3, 16. 17).

In diesen beiden Stellen wird uns eine weitere kost­bare Wahrheit in Verbindung mit der Person des Heili­gen Geistes mitgeteilt, und zwar unter zwei verschie­denen Gesichtspunkten; in der ersten Stelle handelt es sich um den einzelnen Christen, die zweite redet von den Gläubigen in ihrer Gesamtheit, als Körper­schaft betrachtet. In beiden Beziehungen wird gesagt: Der Heilige Geist wohnt oder ist in euch als Seinem Tempel; im ersten Falle bildet aber der Leib des Gläubigen den Tempel des Heiligen Geistes, während im zweiten die Gläubigen in gemeinschaftlichem Sinne Gottes Tempel genannt werden. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem ersten Teil dieser wunderbaren Segnung.

„Wisset ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist?" Sinne einen Augenblick über diese Worte, teurer Leser! Diesen armen Leib, der durch die Sünde verdorben und so vielfach verunstaltet, verstüm­melt und verkrüppelt ist, hat Gott, der Heilige Geist, zu Seiner Wohnstätte auserkoren! Auch für ihn ist das Erlösungswerk geschehen, wenngleich das volle Ergebnis desselben noch nicht geoffenbart ist. Wir er w arten noch „die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes" (Röm. 8, 23 ). Weil aber die Sühnung auch für ihn geschehen ist und wir um einen Preis erkauft worden sind, kann unser Leib der Tempel des Heiligen Geistes sein. Welch eine Segnung, aber auch welch eine Ver­antwortlichkeit! Denn da der Leib unser Diener ist, das Werkzeug sozusagen, mit dem wir arbeiten, so muss alles, was ich fortan tue, an der Gegenwart dieses hohen heiligen Gastes in mir gemessen und nach ihr beurteilt werden. Einen geringeren Maßstab gibt es nicht für den Gläubigen.

 „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung" (Eph. 4, 30). Es heißt nicht für den Christen: Tue dies und lasse jenes; es ist ihm nicht eine Anzahl Gebote, Regeln und Satzungen gegeben, nach welchen er sein Leben einrichten soll. Nein, der Heilige Geist, der in ihm wohnt, ist sein Führer und Lehrmeister; und Er lenkt das Auge des Gläubigen auf Christum und ist bemüht, ihn in Se in Bild zu verwandeln. Er gibt geistliche Einsicht und Ver­ständnis, weckt Liebe und himmlische Gesinnungen im Herzen und stellt eine Hoffnung vor das Auge, von welcher das Gesetz nichts wusste. Ja, wir dürfen sagen, der Geist ruft Seine eigenen Gedanken und Gefühle in der Seele wach. Wie sollten wir deshalb acht haben auf Seine Stimme und bemüht sein, so zu wandeln, dass wir in nichts, weder in Gedanken, noch in Worten und Taten, den Geist, der in uns wohnt, betrüben!

Der Herr gebe uns ein aufmerksames Ohr, ein ein­fältiges Auge und ein unterwürfiges Herz! Müssen wir nicht sagen, dass das Rechnen und Warten auf die Leitung des Heiligen Geistes, das einfältige Achten auf Seine Weisungen, Mahnungen und Warnungen, das stille Horchen auf Seine Belehrungen, Ermunterungen und Tröstungen vielfach eine unbekannte Sache unter uns geworden ist? Haben wir, trotz eines geläufigen Reden­könnens über diesen Teil der Wahrheit, in praktischem Sinne nicht oft vergessen, dass es Gott, der Heilige Geist, ist, der in uns wohnt? Je reiner und glänzender ein Spiegel ist, desto deutlicher zeigt sich jeder, auch der leiseste, Hauch auf dessen Oberfläche. Und nun wohnt Der in uns, dessen Augen zu rein sind, um Böses zu sehen, der selbst Seinen Engeln Torheit zur Last legt, der keinen Flecken von Sünde in Seiner Gegenwart dulden kann! Wie sollte uns dieses Bewusstsein ernst stimmen und uns anleiten zu steter Selbstprüfung, zur Erfor­schung unserer Wege und Beurteilung der innersten Regungen und Beweggründe unserer Herzen in dem un­trüglichen Lichte der göttlichen Gegenwart! Je tiefer und aufrichtiger diese heiligen Übungen der Seele sind, desto zarter wird das Gewissen, desto feiner das Gefühl, für alles Unlautere und Ungöttliche, desto genauer weist der geistliche Wärmemesser jede Schwankung, jedes leiseste Fallen an, und desto mehr wird die Seele befähigt, der Aufforderung nachzukommen: „Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget" (Phil. 4, 8). Und andererseits: „Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan, samt aller Bosheit. Seid aber gegeneinander gütig, mitleidig, einander vergeben d, gleichwie auch Gott in Christo euch ver­geben hat" (Eph. 4, 31. 32).

 Nicht von ungefähr stehen die letzten Worte in solch unmittelbarer Verbindung mit der Ermahnung: „Betrübet nicht den Heiligen Geist". Wir alle wissen aus Erfahrung, wie oft bittere Gefühle, Zorn, hartes Urteilen, liebloses Richten, gefühlloses Vorübergehen, hässliches Nachreden, Unwahrhaftigkeit gegen andere und dergleichen Dinge sich auch unter den Gläubigen gezeigt haben. Ach! alles das sollte für im­mer „von uns weggetan" sein, denn „der neue Mensch ist nach Gott geschaffen in wahrhaftiger Gerechtig­keit und Heiligkeit".

Beachten wir auch, wie innig das alles mit Christo verbunden ist. „Wisset ihr nicht", fragt der Apostel, „dass eure Leiber Glieder Christi sind?" (1. Kor. 6, 15). Wiederum redet also der Geist Gottes von den Leibern der Gläubigen; auch führt Er in unmittel­barer Verbindung damit die Auferstehung ein. Welch eine vernichtende Widerlegung all der törichten Mei­nungen und Aufstellungen der modernen Theologie, die wohl viel aus der Seele des Menschen machen möchte, aber die Erlösung und Auferstehung des Leibes leugnet! Und warum leugnet? Weil sich gerade darin das ganze Nichts des Menschen und die überschwängliche Größe der Kraft Gottes kundgibt. Der Heilige Geist ist das Unterpfand der Erlösung des Leibes. Wir sind durch Ihn versiegelt auf den Tag der Erlösung, d.h. der Erlösung unseres Leibes. So lesen wir auch in Röm. 8, 11: „Wenn aber der Geist Dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohn t, so wird er, der Christum aus den Toten auf­erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes."

Doch w i e sind unsere Leiber Glieder Christi ge­worden? „Wir sind um einen Preis erkauft", und: wir haben den Geist „von Gott". Christi Blut ist für uns geflossen, und Gott hat uns den Geist gegeben. Und fürwahr, um solch arme Kreaturen, wie wir sind, zu Seinem Tempel, zu einer Wohnstätte des Heiligen Geistes, zu machen, dazu war eine unbedingte Reinigung nötig. Denn wie könnte Gott in einer verunreinigten Hütte wohnen? Unmöglich! So hat Gott denn die Reinigung vollbracht und, auf Grund derselben, uns den Heiligen Geist gegeben, das Siegel der Erlösung und das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit. Es war Sein Wohlgefallen, uns dieses Zeugnis von der voll­zogenen Reinigung und zugleich den Beweis Seiner un­endlichen Liebe zu schenken.

Dass die Gegenwart des Geistes in uns auch ein un­trüglicher Prüfstein ist für alles, was in uns vorgeht und was wir tun, haben wir bereits gesehen. Wenn mein Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, wie könnte ich ihn dann zum Werkzeug und Diener der Sünde machen? Es handelt sich, wie bereits betont, für den Gläubigen nicht so sehr um die Übertretung irgend eines Gebotes, als vielmehr um die viel tiefere Frage, ob er die Wohnstätte des Heiligen Geistes zur Begehung einer Sünde benutzen will. Alle Ermahnungen des Wortes Gottes entsprechen immer dem Platz, auf wel­chen man gebracht, gründen sich auf das Verhältnis, in das man eingeführt ist. Das Wort nennt uns Jünger Christi, Knechte, Verwalter, Söhne Gottes, Lichter in dieser Welt usw., und die Verantwortlichkeit entspricht jedes mal der bezüglichen Stellung. So ist es auch hier. Gott hat uns Seinen Geist gegeben und uns in Ver­bindung gebracht mit sich selbst. Darum: „Wisset ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt?" Unser Leib ist das Gefäß der Gegenwart und Tätigkeit Gottes selbst durch Seinen Geist.

Das ist eine hohe, wunderbare Tatsache. Ist uns das Bewusstsein derselben wohl immer gegenwärtig ge­wesen? Haben nicht vielleicht manche von uns sie noch nie in ihrer ganzen ernsten Tragweite erfasst? Ich glaube, wenn wir uns die Stellung, in welche wir gebracht sind, im Lichte Gottes vergegenwärtigen, so werden wir alle fühlen, wie niedrig unser Zustand ist, wie eigenwillig und verkehrt unsere Wege oft waren, wie viel wir in jeder Beziehung zu kurz gekommen sind. O wie viel Hochmut und Selbstsucht, wie viele Unterlassungssünden, von an­deren ganz zu schweigen, steigen vor unserem inneren Auge auf, wenn wir einen Rückblick werfen in die ver­gangenen Tage! Der Herr wolle es uns tief fühlen und erkennen lassen! Was wir so sehr bedürfen, ist wahre Beugung und Demut des Herzens. Ein demütiger Mensch ist an seinem richtigen Platze vor Gott. Es mag noch vieles für ihn zu lernen und zu verlernen geben, aber Gnade ist ihm verheißen ( Spr. 3, 34; 1. Petr. 5, 5 ). Und nicht nur Gnade, auch Kraft ist da für ihn. Er vermag alles durch die Kraft eines Anderen. „Angetan mit Kraft aus der Höhe", wandelt er nicht in eigener Kraft, noch viel weniger im Fleische, sondern er macht Gebrauch von der Kraft, die in ihm ist. Er erlebt die Wahrheit des Wortes: „Wandelt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht voll­bringen" (Gal. 5, 16).

Dies führt uns wieder in den Galaterbrief zurück, mit welchem wir uns schon einmal kurz beschäftigten. Die Veranlassung zu den obigen Worten des Apostels ist nicht dieselbe wie im Korintherbrief, aber die gleiche Wahrheit kommt ans Licht. Die gläubigen Galater waren in Gefahr, einem gesetzlichen Geist zu verfallen und sich wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen zu lassen. Darum ruft der Apostel ihnen nach einer länge­ren Auseinandersetzung über die gänzlich unvereinbaren Grundsätze des Gesetzes und der Gnade zu: „Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht", und: „Ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder" (Kap. 5, 1. 13.) In dem ersten Verse handelt es sich um Freiheit als eine Frage der Rechtfertigung, in dem zweiten um eine Freiheit, welche zu praktischer Heilig­keit führt und stets mit ihr verbunden sein sollte. Denn eine Heiligkeit, die nicht auf diesem Boden erwächst, ist gesetzlich und dient zur Verherrlichung des Menschen, zur Erhebung des Fleisches. Dass es auch ein religiöses, frommes Fleisch gibt, ist bekannt.

Wir sind zur Freiheit berufen worden, zu der glück­seligen Freiheit von Kindern Gottes, die, freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes, in der Kraft des Heiligen Geistes vor Gott wandeln. Als eine neue Schöpfung in Christo, wo das Alte vergangen und alles neu geworden ist, hat der Gläubige einen neuen Gegenstand vor sich, Christum, und wird durch eine neue Macht, den Heiligen Geist, beeinflusst, um so alles das hervorzubringen, was lieblich und vor Gott annehmlich ist. Nicht ein unbeugsames Gebot beherrscht ihn und macht ihn zu einem unglücklichen Sklaven, ohne ihm die Kraft zu verleihen, es zu halten, (das Gesetz ist für den Menschen im Fleische bestimmt, nicht für den mit Christo gestorbenen und auferstandenen Gläubigen), sondern „Freiheit" kennzeichnet seine Be­rufung. Freilich nicht eine Freiheit, zu tun was er will, sondern das zu tun, was Gott gefällt und was mit den Trieben seiner neuen Natur in Übereinstimmung ist; nicht eine Freiheit für das Fleisch, um dessen Lüsten die Zügel schießen zu lassen, sondern eine Freiheit, in Liebe dem anderen zu dienen und des anderen Lasten zu tragen.

Die Kraft, um in dieser glückseligen Freiheit zu wandeln und wahre christliche Heiligkeit im täglichen Leben hervorzubringen, ist der Heilige Geist. „Wan­delt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Flei­sches nicht vollbringen." Das Gesetz gibt keine Kraft wider die Lüste des Fleisches, gute Vorsätze nützen auch nichts; der Geist ist die einzige Kraft, eine andere gibt es nicht. Und sie ist da für jeden Gläubigen, für den jungen und unerfahrenen, wie für den geförderten und erprob­ten. „Denn", fährt der Apostel in ganz allgemeinem Sinne fort, „das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander ent­gegengesetzt, auf dass ihr nicht das tuet, was ihr wollt" (V. 17). Diese beiden in jeder Beziehung entgegen­gesetzten Mächte sind in jedem Kinde Gottes hienieden vorhanden, gelüsten unaufhörlich wider einander, und die einzige Frage ist, welche von beiden die Herrschaft in uns hat. Die alte Natur, das Fleisch, ist stets darauf aus, seinen eigenen bösen Willen zu tun; der Geist widersteht ihm, damit wir nicht tun, was der alte Mensch, das Fleisch will. Der Heilige Geist, der mit den Gefühlen und Neigungen des neuen Menschen in Über­einstimmung steht (Er ist es ja, der das neue Leben in uns gewirkt hat), verurteilt alles Böse und verleiht der Seele Kraft in ihrem Verlangen nach allem Guten. Ihm widersteht wiederum das Fleisch und sucht uns zurück­zuhalten, das zu tun, was der neue Mensch will.

Einem ähnlichen Gedanken begegnen wir am Schluss des 7. Kapitels im Römerbrief. Nachdem der Gläubige ( denn von einem solchen ist in diesem Kapitel die Rede, obgleich er noch nicht die Anwendung des Todes und der Auferstehung Christi auf sich und seinen Zustand kennt) erfahren hat, dass in ihm nichts Gutes wohnt, dass sein Fleisch niemals dem Gesetz Gottes untertan sein will und kann, kommt er zu dem bekannten Ausruf: „Ich elender Mensch? wer wird mich retten?" Sein Auge wendet sich von sich ab auf einen Erretter außer ihm, und im nächsten Augenblick kann er sagen: „Ich danke Gott durch Jesum Christum". Jetzt ist er glücklich. Warum? Weil er sieht, dass es zwei verschiedene Naturen in ihm gibt, die alte, welche im Tode Christi zu ihrem Ende gekommen ist, die aber stets der Sünde Gesetz dient, so oft ihr zu wirken erlaubt wird, und die neue, welche bemüht ist, den Willen Gottes zu tun (V. 25). Und nachdem er dies verstanden hat, ist er fähig, in die herrlichen Wahrheiten des 8. Kapitels einzugehen: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind", d. h. er sieht sich in Christo; und: „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes" d. h. er steht in der Freiheit, für welche Christus ihn freigemacht und berufen hat (V. 1. 2).

Der Gläubige schmachtet nicht länger in finsterer, unerträg­licher Knechtschaft, sondern erfreut sich einer seligen Freiheit; und, beachten wir, es ist nicht nur eine all­gemeine Wahrheit, die er ausspricht, sondern eine prak­tische Wirklichkeit für ihn persönlich: „hat mich freigemacht", sagt er. In Christo, dem Auferstandenen, ist er auf einen ganz neuen Boden verpflanzt. Nicht dass das Fleisch nicht mehr in ihm wäre; es ist und bleibt da, so lange er hienieden lebt. Aber er besitzt jetzt eine neue Natur, in welcher der Heilige Geist wirkt und die dem Gesetz der Sünde und des Todes nicht unterworfen ist. „Wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit" (2. Kor. 3, 17). Der Gläubige hat mit dem Alten ein- für allemal abgeschlossen; er h a t das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten (Gal. 5, 24). Das ist es, was einen jeden kennzeich­net, der des Christus ist.

Aber, höre ich den Leser fragen, muss ich denn nicht täglich das Fleisch kreuzigen? Soll ich nicht immer von neuem alles, was ich in mir an ungerichteten, bösen Neigungen entdecke, ans Kreuz bringen? Meine Antwort ist: Nein, denn das ist bereits geschehen. Was dir nottut, ist, an die Tatsache zu glaube n, dass du mit Christo gekreuzigt und gestorben b i s t, und in der Kraft zu wandeln, welche der Glaube an diese Tat­sache dir gibt. O welch ein Trost ist es, zu wissen, dass das Fleisch eine bereits gerichtete Sache ist, dass das Todesurteil auf Golgatha an ihm vollzogen wurde! Könnte uns irgend etwas Kraft darreichen wie diese Tat­sache? Wir sind nicht mehr „im Fleische", sondern „im Geiste". Wir leben durch den Geist. Nun, „wenn wir durch den Geist lebe n, so lasst uns auch durch den Geist wandeln"! Lasst uns einfältig und fest glauben, dass die Kraft des Heiligen Geistes uns stärken will w i der und uns den Sieg verleihen kann über alles Böse, und lasst uns von dieser Kraft Gebrauch machen! Lasst uns als Tempel des Heiligen Geistes „uns selbst Gott darstellen als Lebende aus den Toten", und „unsere Leiber als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälli­ges Schlachtopfer"! (Röm. 6, 13; 12, 1).

Gott sei gepriesen! der Christ ist hineingestellt in Wirklichkeit, in lauter vollendete Tatsachen; er ist auf den Boden eines göttlich vollbrachten Werkes versetzt. Alles das durch die Macht des Heiligen Geistes. Und dieselbe Kraft, die ihn zu einem Christen gemacht hat, ist auch für ihn da, damit er als Christ wandeln könne. Gerade so wie der Geist dem heilsverlangenden Sünder Christum vorstellt, ist Er bei dem Gläubigen bemüht, das Auge auf Christum hinzulenken, Christum zu ver­herrlichen. Und in demselben Maße, wie Ihm das bei einer Seele gelingt, wird die „Frucht des Geistes" zum Vorschein kommen. Niemals wird der Geist eine Seele mit dem eigenen Ich, den eigenen Fortschritten, dem eigenen Wachstum und dergleichen beschäftigen; Sein Werk ist, Christum zu erheben. 

Wohl mag Er das Auge auf Fehler, Mängel, Verkehrtheiten etc. richten müssen, ja, es kann so weit kommen, dass Er uns völlig in den Staub werfen, alle unsere Gebeine zermalmen muss, wie bei Hiob, um uns über eine verborgene böse _ Neigung zu belehren, oder uns von einem Irrwege zu­rückzubringen; aber das ist nicht Seine eigentliche Tätigkeit. Diese besteht, ich wiederhole es, in der Ver­herrlichung Christi. Christus ist die Regel und Richt­schnur für den Wandel des Gläubigen; und indem der Heilige Geist uns Ihn vor Augen stellt, wie Er hienieden gewandelt hat, sucht Er in dem Gläubigen, auf Grund des Werkes Jesu Christi, dieselben kostbaren Charakterzüge hervorzubringen, welche wir in Jesu in Vollkommenheit sehen: Liebe, Gehorsam, Hingebung, Reinheit, Abson­derung von allem, was in der Welt ist usw.

Zwei große Gefahren gibt es also für den Gläubi­gen: die eine ist, gesetzlich zu werden und im eigenen Wirken sich zu gefallen; die andere ist, die Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch zu gebrauchen, oder, wie Petrus es ausdrückt, „die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit zu haben". Beiden Gefahren begegnet der Apo­stel durch das Wort: „Wandelt im Geiste." Fol­gen wir dieser Anweisung, so werden wir weder unter Gesetz sein, noch die Werke des Fleisches vollbringen, jene schrecklichen Werke, welche wir in den Versen 19 bis 21 aufgezählt finden. O durch den Geist geleitet zu werden, wie sehr sollten wir danach ver­langen, teurer Leser! Nur dann sind wir imstande, die lieblichen Früchte des Geistes zu bringen in der reichen Fülle, wie der Apostel sie hier anführt: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanft­mut, Enthaltsamkeit." Dreimal drei kostbare Ergebnisse eines Wandels im Geiste! Dass es wider solche Früchte und wider die, welche sie bringen, „kein Gesetz gibt" (V. 23), können wir verstehen. Aber laßt uns nicht dabei stehenbleiben, sondern mit Ernst und Aufrichtigkeit untersuchen, ob diese gesegneten Früchte sich bei uns finden, und ob wir als solche wandeln, die das Fleisch ge­kreuzigt haben samt seinen Leidenschaften und Lüsten. 

Ach! wie viel „Säen für das Fleisch" findet in unserer Mitte statt, und wie viel „Verderben" wird infolgedessen von dem Fleische geerntet! ( Gal. 6, 8). Der Herr schen­ke uns ein Aufwachen, nachhaltig und tief, ein Sichprüfen und Sichbeugen in Seinem Licht, damit der „Wandel m Geiste" und das „Säen für den Geist" mehr zu Tage treten möchten! Ja, Er „gebe uns, nach dem Reich­tum seiner Herrlichkeit mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen, dass der Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohne"! (Vergl. Eph. 3, 16 - 19.) „Briefe Christi" zu sein, gekannt und gelesen von allen Men­schen, das ist unsere Berufung.

Hierher gehört auch die Ermahnung des Apostels in Epheser 5, 18 ff: Berauschet euch nicht mit Wein, in welchem Ausschweifung ist, sondern seid mit dem Geiste erfüllt, redend zueinander in Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn in eurem Herzen." — Berauschet euch nicht mit Wein; ohne Zweifel ist diese Ermahnung zunächst wörtlich zu verstehen, gilt aber dann auch sicherlich in übertragener Bedeutung von allem, was Herz und Sinn zu berauschen vermag. Immer neu mischt ja die Welt ihren berauschenden Trank für die Kinder dieses Zeit­laufs, und wie leicht kann es sein, dass auch ein Gläubiger sich betören lässt, hie und da ein wenig mitzutun, mit- erhaschen und mitgenießen zu wollen! Ach, es sollte nicht so sein. Der Geist sollte so völlig Besitz nehmen können von unserem Denken, Fühlen und Sinnen, dass Er in allem die Leitung bekomme, unsere Worte regiere, unsere Wege und Handlungen bestimme, alles aus­schließe, was Ihm fremd ist, und alles hervorbringe, was Gott gefällt und dem Nächsten Segen bringt: Psalmen und Loblieder, — o möchten sie wieder mehr ertönen zur Ehre Gottes und zur Freude Seiner Kinder! — Danksagung für alles, was auch kommen möge, Wohlge­fallen an dem Willen Gottes, Unterwürfigkeit unter ein­ander in der Furcht Christi.

Wahrlich, das sind begehrenswerte Dinge, und dass es in der Verwirklichung oder Darstellung derselben ein Wachstum gibt und geben muss, brauche ich wohl nicht zu sagen. Mit dem Geiste erfüllt zu sein ist mehr, als den Geist nicht zu betrüben. Soll das erste zur Wahrheit werden, so muss das zweite zunächst vorhan­den sein. Vergessen wir auch nicht, dass Gott heilige, un­beschränkte Ansprüche an uns hat. „Ihr seid um einen Preis erkauft worden", sagt der Apostel, „verherrlichet nun Gott in eurem Leibe." Wenn es je einen mächtigen, herzergreifenden Beweggrund gegeben hat, so ist es dieser: wir sind um einen Preis erkauft worden und gehören nicht mehr uns selbst an. Wäre letzteres der Fall, so wären wir verloren. Aber Gott sei Dank! wir sind Sein, gehören Ihm an mit allem, was wir sind und haben. Er hat uns erworben durch das Blut Seines geliebten Sohnes ( Apstgsch. 20, 28 ). Wenn wir daher unserem eigenen Willen folgen, so begehen wir ein schweres Unrecht an Gott: wir bringen Ihn um Seine Ansprüche an uns.

„Verherrlichet nun Gott in eurem Leibe!" Welch eine Aufforderung an mich armes, elendes Geschöpf: Gott zu verherrlichen! Christus hat das getan, als Er hienieden pilgerte; aber sollte ich es können? Ja, wenn ich im Geiste wandle und keinen anderen Beweggrund habe als Christum, so wird die Kraft Gottes in mir wirksam, und die Welt, obwohl sie es nicht verstehen kann, sieht es. Wir sind berufen, Gott in unserem Leibe zu verherrlichen. Unser Leib gehört Gott. Dieser nämliche Leib, der einst ein bedauernswerter Sklave der Sünde war, ist aus seiner alten Stellung völlig heraus­genommen, ist Gottes Eigentum geworden. Er gehört auch nicht mehr meinem alten, verderbten Willen, son­dern Gott. Seine Glieder dürfen und sollen als Werkzeuge der Gerechtigkeit dienen. Welch eine Freude ist das! Und wie zeigt es uns weiter, welch ein Werk für uns geschehen ist! Selbst dieser arme, elende Leib ge­hört jetzt Gott an, und ich kann ihn so benutzen, ent­sprechend der Gegenwart und in der Kraft des Heiligen Geistes; ich kann Gott in ihm verherrlichen. Ist das nicht wunderbar? O möchten wir nur mehr in der Kraft und Verwirklichung dieser Wahrheit leben und „für die Dinge des Herrn besorgt sein, auf dass wir heilig seien, sowohl an Leib als Geist"! (Vergl. 1. Kor. 7, 34.) Es fehlt in unseren Tagen nicht so sehr an Verständnis, als an der ernsten Bemühung, „uns selbst zu reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes" (2. Kor. 7, 1 ).

Doch es wird Zeit, uns dem zweiten Teil unserer heutigen Betrachtung zuzuwenden. Als der Herr Jesus Seinen Jüngern den anderen Sachwalter verhieß, sagte Er ihnen: „Er bleibt b e i euch und wird i n euch sein." Zwei kostbare Wahrheiten, auf welche wir schon früher hinwiesen! Mit der zweiten haben wir uns soeben ein­gehend beschäftigt; betrachten wir noch kurz die erste, oder, wenn man will, die zweite im Blick auf die Ge­s a m t h e i t der Gläubigen, die Gemeinde oder die Versammlung.

„Wisset ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?" fragt der Apostel in 1. Korinther 3, 16 und fährt dann fort: „Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid Ihr." Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um die Kirche Christi, das Haus Gottes, handelt, den heiligen Tempel, welchen etliche durch böse Lehren zu verderben trachteten. Die Gläubigen sind Gottes Haus, Gottes Tempel. Das Wort Gottes unterscheidet deutlich zwischen dem Wohnen des Heiligen Geistes in einzelnen Personen und Seinem Wohnen in der Versammlung, dem Leibe Christi. Die erste Wahrheit war im Alten Testament völlig unbekannt; die zweite, d. h. Gottes Wohnen bei Seinem Volke, fand eine Darstellung, nach­dem Israel als ein befreites und erlöstes Volk das Rote Meer durchschritten hatte. Darum verbindet auch der Apostel in seinem zweiten Briefe an die Korinther diese beiden Gedanken, indem er sagt: „D en n ihr seid der Tempel Gottes, wie Gott gesagt hat: „Ich will unter ihnen wohnen, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein"." Dies konnte allerdings nicht eher geschehen, als bis die Er­lösung, wenn auch nur bildlich, vollendet war. Gerade so ist es heute. Wie das Wohnen des Heiligen Geistes in dem Einzelnen gegründet ist auf den unermesslichen Wert des Blutes Christi, so gründet sich auch die Ge­genwart des Geistes in der Kirche auf die große Wahr­heit, dass Christus gestorben und zur Rechten Gottes verherrlicht ist.

Der Gedanke des Wohnens Gottes hienieden ist also nicht neu. Sobald das Volk Israel am anderen Ufer des Schilfmeeres stand, sang es: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung ." Später war Christus der wahre Tempel. Und heute ist nicht nur der einzelne Gläubige ein Tempel des Heiligen Geistes, sondern Gott erbaut sich auch aus den Seinigen, aus lebendig en Steinen, einen heiligen Tempel, ein geistliches Haus zu Seiner Wohnung (1. Petr. 2, 5). Wunderbarer Gedanke, und dennoch begreiflich, wenn man sich daran erinnert, dass die Grundlage von allem das „Blut des Christus“ ist. Er ist der kostbare Eckstein, welchen Gott in Zion gelegt hat. „Er ist unser Friede, der aus beiden (aus Juden und Heiden) eines gemacht und abgebrochen hat die Zwischenwand der Umzäunung, nachdem er in seinem Fleische die Feindschaft, das Gesetz der Gebote in Satzungen hinweggetan hatte, auf dass er die zwei, Frieden stiftend, in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe.“ Die Zwischenwand, die Gott selbst einst aufgerichtet hatte, ist verschwunden, und eine ganz neue Schöpfung, wie sie bis dahin völlig unbekannt war, ein neuer Mensch, ein Mensch der ewigen Ratschlüsse Gottes, ist ans Licht getreten. 

Juden und Heiden sind in einem Leibe mit Gott versöhnt worden, durch das Kreuz, indem Christus durch dasselbe die Feindschaft tötete; und beiden, den „Nahen“ und den „Fernen“, ist jetzt Frieden verkündigt worden, beide haben Zugang zu dem Vater durch einen Geist. Und nun heißt es: „Also seid ihr denn nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten (nämlich des Neuen Testamentes), indem Jesus Christus selbst Eckstein ist, in welcher der ganze Bau, wohl zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in welchem auch ihr mitaufgebaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geiste.“ Das Werk geschieht hienieden und geht voran, bis der heilige Tempel zu seiner vollen Ausgestaltung gekommen ist. Das alte religiöse System Israel ist durch ein völlig neues Gebäude ersetzt worden, das, infolge der Gegenwart des Heiligen Geistes, Gottes Wohnstätte oder Behausung genannt werden kann. Ge­rade diese Gegenwart ist es, welche den Tempel aus­macht, und Gott selbst bringt die Steine herbei und fügt sie ein nach Seiner Macht und Weisheit; und so schreitet der Bau voran, bis er vor den Augen des göttlichen Bau­meisters dastehen wird in vollendeter Schönheit.

Wenn von der Gemeinde Christi als dem Hause Got­tes die Rede ist, handelt es sich selbstverständlich immer um ihren Platz auf dieser Erde. Deshalb kann dieser Bau auch betrachtet werden als der Verantwortlichkeit des Menschen anvertraut; und wenn das geschieht, so kommen sofort die Untreue und Torheit des Menschen zum Vorschein: es wird nicht nur gebaut mit Gold, Silber und köstlichen Steinen, sondern auch mit schlech­tem, die Feuerprobe nicht ertragendem Material, mit Holz, Heu und Stroh; ja, es kann sogar Lehrer und Arbeiter geben, welche den Tempel Gottes verderben. Ihnen wird das ernste Gericht Gottes angekün­digt: solche „wird Gott verderben".

Aus demselben Grunde war es möglich (und ist es auch heute noch, wenn auch nicht in derselben Weise wie im Anfang ), dass jemand „des Heiligen Geistes teilhaftig werden" und dennoch verloren gehen konnte. (Vergl. Hebr. 6, 4-8.) Wenn es sich um den Heiligen Geist als das persönliche Siegel' und Unterpfand handelt, wo­durch wir, nachdem wir geglaubt haben, versiegelt wor­den sind auf den Tag der Erlösung, so war und ist das selbstverständlich unmöglich. Wenn wir Ihn aber be­trachten als den Geist, der in Kraft in der Kirche Christi hienieden wohnt, so konnte es sein, dass jemand diese Kraftwirkungen erfuhr, dass er das gute Wort Gottes und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters schmeckte, und doch wieder abfiel und verloren ging.

 Die kraftvolle Tätigkeit und der mächtige Dienst des Heiligen Geistes als einer in der Kirche wohnenden gött­lichen Person waren ihm zuteil geworden, aber es hatte keine Herzensverbindung mit Christo hervorgebracht; der Mensch war trotz allem ein bloßer Bekenner ge­blieben, denn sonst würde das Feld nützliches Kraut hervorgebracht haben für den, der es bebaute. Ähnliches kann grundsätzlich auch heute noch geschehen.

An dieses Wohnen Gottes in Seinem Hause erinnert uns besonders lebhaft die Geschichte von Ananias und Sapphira, Indem diese beiden unglücklichen Leute den Heiligen Geist versuchten und belogen, belogen sie Gott selbst ( Apstgsch. 5, 3. 4). Auch das Wort des Apostels in 1. Korinther 14, 25: Wenn in der Versammlung alle, durch den Geist geleitet, weissagen würden, und ein Ungläubiger träte in die Mitte der Versammelten, so würde er von allen überführt und beurteilt werden, und, auf sein Angesicht fallend, würde er bekennen, dass Gott wirklich unter ihnen sei, auch die­ses Wort beweist dieselbe Wahrheit. Gott war nicht nur in den Einzelnen, die da redeten, sondern in der Versammlung; gerade so wie in dem ersten Falle nicht Sein Wirken in irgend einem Gliede in Frage gestellt, sondern Er selbst belogen wurde: Er war da. Dass sich mit der Zeit falsche Brüder, bloße Bekenner einschleichen, dass untreue und böse Arbeiter, ja, selbst Verführer kommen konnten, änderte nichts an dieser Tatsache; Gott war und blieb in Seinem Hause.

Das ist ein starker, herrlicher Trost für unsere Tage des völligen Verfalls. Wir haben keine Verheißung, dass die Kirche je wieder in ihrer anfänglichen Schönheit und Herrlichkeit dargestellt werde; im Gegenteil, das Verderben wird nach dem Worte Gottes immer mehr zunehmen, bis, wie einst bei Israel, „keine Heilung mehr ist" und ein Gericht ohne Erbarmen die untreue Zeugin erreicht und den Leuchter für immer hinwegtut. Aber die Gläubigen, welche mit einfältigem Herzen die göttliche Wahrheit erfassen und zu dem umkehren, was von Anfang war, dürfen voll und ganz darauf rechnen, dass Gott unveränderlich derselbe ist, Seine Gedanken in Christo dieselben, Seine Wahrheit dieselbe. Bei Ihm ist „keine Veränderung noch ein Schatten von Wechsel", Heute wie immer ist es wahr, dass „auch wir mitaufgebaut werden zu einer Behausung Gottes im Geiste", dass „Gott unter uns ist", wenn wir, vertrauend auf die Verheißung unseres teuren Herrn und Heilandes, in Seinem Namen versammelt sind.

Geliebter gläubiger Leser! Ist dir diese Wahrheit kost­bar geworden? Ist die Gegenwart des Heiligen Geistes eine Glaubenswirklichkeit, voll herrlichen Trostes für dich, wenn die Versammlung Gottes am Tage des Herrn zur Anbetung oder zu anderen Zeiten zum Gebet oder zur gegenseitigen Erbauung versammelt ist? Rechnest du darauf, dass der Herr wirklich in der Mitte ist? Oder denkst du mehr an diejenigen, welche die Versammlung ausmachen, oder gar nur an einige wenige unter ihnen, die gewöhnlich beten oder am Worte dienen? O lasst uns doch nicht vergessen, dass es eine lebendige, göttliche Person gibt, auf die wir rechnen dürfen, und von der wir wissen, dass sie in unserer Mitte weilt, und dass sie die im Namen Jesu Versammelten zur Versammlung Gottes macht, wie nichts anderes dies in gleicher Weise zu tun vermag!

Es hat Gott in diesen letzten Tagen der Geschichte Seiner Kirche hienieden gnädiglich gefallen, die Herzen und Gewissen der Seinigen bezüglich dieser Wahrheit wieder aufzuwecken. Sein Name sei dafür gepriesen! Aber die Gefahr ist wie immer groß, die Wahrheit mit dem Verstande aufzufassen, ohne sie im Glauben zu ver­wirklichen, von ihr zu reden, ohne sie in die Praxis umzusetzen; oder auch, sie nach und nach zu einer Gewohnheitssache werden zu lassen, so dass sie ihren Ernst, ihre Frische und Kostbarkeit für die Seele verliert. In beiden Fällen ist das Ergebnis gleich traurig. Der Herr schreibe es uns allen tief ins Herz, dass nicht die Zahl, nicht das Bekenntnis oder irgend Etwas dergleichen einer Versammlung das Anrecht gibt, Gottes Versammlung zu sein, sondern nur Gottes Gegenwart durch Seinen Heiligen Geist!

@@@@@@@

Lehren der Trübsal

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 302ff

(Ein Brief an eine Freundin bei dem Tode ihres Kindes)

Teure Schwester! Ihnen und Ihrem lieben Manne herzlichen Dank dafür, dass Sie mir einen Bericht über den Unfall zugesandt haben, dem Ihr teures Kind zum Opfer gefallen ist. Es ist in der Tat eine schmerzliche Prüfung, ein Wesen, das einen Teil von uns selbst bildet, so ganz unerwartet mit einem Schlage hinweggerafft zu sehen. Aber doch, welch einen großen Unterschied macht es aus, wenn man auf die Liebe des Herrn blicken kann und glauben darf, —— wie ich es sicher tue, — dass ein solches Kindlein ein Gegenstand dieser Liebe ist. Das ist ein Trost, der alles verändert. Die Erkenntnis der Liebe Gottes, welche in dieses Tal des Todes herabgestiegen ist, hat dessen ganze Finsternis mit den herrlichsten Strahlen erleuchtet; ja, gerade die Finsternis dient nur dazu, uns zu zeigen, welch ein Trost es ist, ein solches Licht zu besitzen. Da ist nichts im Herzen als Licht; und wenn wir dieses Licht haben, so kann nichts dunkel machen.

Es ist eine Welt des Kummers und der Schmerzen, in welcher wir leben; und je länger wir sie kennen, ja, je mehr wir in der Nähe des Herrn wandeln, desto besser werden wir sie als solche kennen lernen. Ich meine nicht, dass nicht manche unserer Kümmernisse Züchtigungen seien; wir wissen, dass sie das oft sind für die, welche Er am meisten liebt, wie wir das bei Hiob sehen. Alle, außer Christo, müssen durch sie jede Gnade kennen lernen; und auch Er nahm teil an den Kümmernissen anderer, selbst wenn sie aus ihren Fehlern und ihrer Torheit hervorgegangen waren; denn Sein Mitgefühl war stets vollkommen und ist es, Gott sei Dank! auch heute noch.

Er litt um der Gerechtigkeit willen, und Er litt für die Sünde; aber außerdem ging Er, indem Er aus Gnade einen Platz, unter dem gottesfürchtigen Überrest in Israel einnahm, in alles ein, was jener Überrest fühlen sollte, indem er den Zustand des Volkes Israel, (von welchem er ja einen Teil ausmachte), unter der züchtigenden Hand Gottes erblickte. Alles das fühlte Er, wie kein anderer es fühlen konnte. Und Sein Mitgefühl ist auch jetzt noch ebenso vollkommen, obwohl Er jetzt nicht mehr durch die Kümmernisse hindurch muss, durch welche Er darin geübt wurde. Zudem haben wir nur an dem Teile zu leiden, der des Zerbrochen- und Zurechtgebrachtwerdens bedarf. Eine angetastete Zuneigung ist, vorausgesetzt dass Christus im Schmerze bei uns ist, unendlich kostbar, wenn es auch die Kostbarkeit des Schmerzes ist. Nur wenn der eigene Wille sich mit dem Schmerze vermengt, ist Bitterkeit darin; es ist dann ein Leiden, worin Christus nicht ist.

Der Herr hat Ihren lieben Kleinen zu sich in den Himmel genommen (für ihn ist das sicherlich kein Verlust); was hat nun Gott mit dieser Seiner Handlungsweise uns, den Herzen der dadurch zunächst Betroffenen, zu sagen? Er, der die mütterlichen Gefühle gegeben hat, weiß, was sie sind. Er weiß, was Er verwundet hat, und weiß auch warum; Er hat einen Liebeszweck dabei. Es gibt, ohne dass wir ein Bewusstsein von ihnen haben, eine Menge von Dingen in unserem tiefsten Innern, die noch nicht in Abhängigkeit von Gott gebracht sind; sie wirken da, und ehe wir es ahnen, erscheinen sie. Dann greift Gott bei uns ein. O wie vieles hat Er uns zu zeigen! Wie viele Bande durchschneidet Er mit einem Schlage! Ein ganzes System von Gefühlen und Zuneigungen wird berührt: wir fühlen, dass der Tod seinen Platz und Teil in ihnen hat. Ich habe nie eine Familie gesehen, die nach dem ersten Todesfall genauso gewesen wäre wie vorher. Es war eine Lücke in dem Kreise entstanden, eine Bresche war geschlagen. Alles was zu den Zuneigungen und dem Leben dieser Welt gehörte, war angetastet und — als sterblich erfunden worden; es war in seiner Natur getroffen. Das Leben nahm seinen gewöhnlichen Lauf; die Woge hatte sich über dem Gegenstand geschlossen, der in sie geworfen war; aber der Tod und die Zuneigungen, welche zu dieser Welt gehören, waren einander begegnet.

Aber alles das ist gut; denn der Tod ist da, ist in die Welt gekommen. Überdies leben wir in diesen Dingen; unser Wille lebt in ihnen, und wenn der Wille erst gebrochen ist, dann ist er, soweit der Bruch geht, gebrochen für alles. Wir lernen dann uns- mehr auf das stützen, was niemals- bricht - nicht dass wir dabei unserer Zuneigungen verlustig gehen, aber sie stehen nun mehr in Verbindung mit Christo, und weniger mit dem Willen unserer eigenen Natur; denn die Natur muss in den Tod. Nie schlägt Christus eine Bresche, außer um selbst ins Mittel zu treten und Seele und Herz mehr mit sich zu verbinden; und sicherlich ist es all den Schmerz, der je gefühlt wurde, und mehr als das wert, wenn wir dadurch nur ein Atom mehr von Seiner Liebe und von Ihm selbst kennen lernen. Nichts ist, was dem gleichkommt, nichts ist gleich Ihm. Und was wir so lernen, bleibt.

Außerdem geschieht auf diese Weise in unseren Herzen ein nützliches Werk; wir empfangen eine größere Fähigkeit, Ihn zu erkennen, uns Seiner zu erfreuen und Gemeinschaft mit Ihm zu pflegen; eine größere Fähigkeit, uns in Gott zu erfreuen und Ihn zu verstehen, sowie das zu erkennen, ja, den Wert dessen kennen zu lernen, woran Er Seine Wonne hat. Unsere sittliche Fähigkeit, uns dessen zu erfreuen, was in sich vortrefflich ist, wird vermehrt. Wir verstehen so wenig, zu welch hohen und gesegneten Dingen wir berufen sind. O dass die Heiligen es besser verstanden, mit Gott zu sein, Gemeinschaft und gemeinsame Freude mit Ihm zu haben!

Manche besitzen ja viel hiervon schon hienieden. Es ist ihnen von Gott geschenkt. Aber alles was aus der Natur und dem eigenen Willen hervorkommt, kann hieran nicht teilhaben; und oft leben die Heiligen, wenn sie auch nicht unmittelbar den Herrn verunehren, doch in der Natur. Dann beschäftigt sich der Herr mit ihnen, „um den Menschen von seinem Tun abzuwenden, und auf dass Er Übermut vor dem Manne verberge“ (Hiob 33, 17).

O wie gut ist es, wenn der Übermut wirklich vor uns verborgen wird! Und wie vollkommen wird er verborgen, wenn Gott anfängt, mit uns zu handeln, und uns in Seine Gegenwart bringt, welche Mittel Er dazu auch anwenden mag! Denn Er kennt die Triebfedern unserer Herzen und weiß sie zu berühren. Aber welch eine Gnade ist es, dass Er so täglich, beständig, auf uns acht hat! „Er zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten“, lesen wir in Hiob 36, 7. Was für ein Gott ist es doch, mit dem wir zu tun haben! und zwar ausschließlich in Liebe! Wenn der Sturm ganz vorüber ist, wird die Herrlichkeit, für die Er uns zubereitet, ihren Glanz unverhüllt ausstrahlen; und was wird diese Herrlichkeit sein? Er selbst, den wir in all Seiner zärtlichen Fürsorge gekannt haben. Wir werden bei dem Sohne sein, bei Jesu, und, Ihm gleichgestaltet, werden wir uns mit Ihm erfreuen an all dem Glanze und der göttlichen Gunst, die sich über Ihn ergießen werden. O wie herrlich ist diese Liebe, die Liebe Jesu, welche uns dann für immer mit Ihm dorthin versetzt und uns in den vollen gesegneten Genuss derselben eingeführt haben wird!

Mein inniges Gebet ist, dass diese Trübsal für Sie und für alle Ihre lieben Kinder von Segen sein möge. Möchten sie erkennen, wie nahe der Tod ist, aber wie noch näher der Herr! Geben Sie Ihrem lieben Manne die Versicherung meines herzlichsten Mitgefühls. Der Schmerz eines Vaters ist, wenn auch von anderem Charakter, nicht weniger tief als der einer Mutter.

Sie müssen erwarten, dass im Laufe der Zeit das gegenwärtige Gefühl des Verlustes an Stärke abnehmen und in gewissem Sinne selbst verschwinden wird. Nicht dass die zärtliche Erinnerung an Ihr Kindlein ganz erlöschen würde; nein, aber deren Charakter wird sich ändern, und Ihre noch lebenden Kinder sowie die täglichen Beschäftigungen werden bewirken, dass die Erinnerung Sie nicht mehr so ausschließlich beschäftigt. Das ist natürlich und in einem Sinne auch richtig. Bestehende Pflichten haben ihren Platz, der nicht Gefühlen und Zuneigungen eingeräumt werden darf, die das Herz ausschließlich in Anspruch nehmen· Was ich Ihnen recht sehr empfehlen möchte, ist, aus den Augen- blicken, wo der Eindruck und die Wirkung des Geschehenen stark ist, Nutzen zu ziehen, indem Sie sich vor Gottes Angesicht stellen und all die Früchte Seiner Wege und Seiner zärtlichen Gnade pflücken. Es sind dies Zeiten, wo Er das Herz erfrischt und ihm zu gleicher Zeit Seine Liebe offenbart. Möchten Sie durch dieses für das Herz einer Mutter sicher schmerzliche Ereignis reichlich wachsen an Ihrem inneren Menschen! Ihr in Christo treu verbundener

J. N. D.

@@@@@@

Ich warte auf Dein Kommen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 308ff

Ich warte auf Dein Kommen –

ja anderes stört mich nicht,

bis Herr all Deinen Frommen

der letzte Tag anbricht.

Bis aus verfallenen Grüften

der selgen Schar erscheint,

und jauchzend in den Lüften

den Lebenden sich eint.

Ich warte auf Dein Kommen,

tu stille meine Pflicht,

bis ich, dem Leid entnommen,

Herr, schau Dein Angesicht.

O wunderbare Stunde,

voll hehrer Majestät,

wenn auf der Wolken Grunde

Dein Bildnis mir entsteht.

Ich warte auf Dein Kommen;

und bleibst Du lange aus,

wird mir das Herz beklommen;

O hole mich nach Haus!

Bis meine Kraft verglommen

und welk mein Angesicht,

erwart ich Herr Dein Kommen,

ja Andres stört mich nicht.

K. B.

Ein armer, gläubiger Schumacher wurde einmal gefragt, was seine Beschäftigung sei. Er antwortete: „Ich warte auf das Kommen des Herrn; die übrige Zeit flicke ich Schuhe“.

@@@@@

Die Gabe des Heiligen Geistes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1906 S. 309ff

VIII Ein Leib und ein Geist

„Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden" (1. Kor. 12, 13 ).

Schon in dem vorigen Abschnitt und früher ist im Vorbeigehen auf das innige Verhältnis hingewiesen wor­den, in welchem die Gläubigen einzeln und gemeinschaft­lich zu Christo als ihrem verherrlichten Haupte stehen. Dasselbe bedarf indes noch einer näheren Betrachtung.

Die Gläubigen bilden den Leib Christi, und jeder einzelne ist ein GIied dieses Leibes. „Gleichwie wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die Vielen, e i n Leib in Christo, einzeln aber Glieder von­einander" (Röm. 12, 4. 5 ). Das ist eine einfache, ver­ständliche Sprache. Wir, die Vielen, sind ein Leib in Christo. Als die Behausung Gottes im Geiste, als der heilige Tempel im Herrn, hat die Kirche naturge­mäß ihren Platz auf der Erde; wird sie aber als Leib betrachtet, so tritt mehr ihre Verbindung mit Christo, ihrem Haupte droben, in den Vordergrund. Es gibt ja noch andere Unterschiede zwischen den beiden Be­ziehungen, aber dieser ist von besonderer Wichtigkeit. Beide aber, die eine wie die andere, gründen sich auf das vollbrachte Erlösungswerk und sind undenkbar ohne die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes.

„Ihr werdet mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen", hatte der Herr den um Ihn versammelten Jüngern kurz vor Seiner Himmel­fahrt gesagt und damit einer der gewaltigsten Wirkun­gen des Geistes, in Verbindung mit Seiner Stellung als der verherrlichte Menschensohn zur Rechten Gottes, Ausdruck gegeben. Wenngleich das Verständnis der Jün­ger damals über diese Wahrheit nicht erleuchtet war, so waren sie doch in einem Geiste zu ein em Leibe getauft worden, und zwar zu einem Leibe, in welchem alle Volks- und Standesunterschiede für immer beiseite gesetzt sind: Juden und Griechen, Sklaven und Freie gibt es da nicht mehr; alle sind eine r in Christo Jesu, und alle sind mit einem Geiste getränkt. Ich brauche wohl kaum zu betonen, dass das wiederum eine rein neutestamentliche Wahrheit ist; auch wird es dem Leser wohlbekannt sein, dass die Offenbarung der­selben nur einem Apostel von Gott anvertraut worden ist. Nicht dass die übrigen Apostel und Propheten des Neuen Testamentes sie nicht gekannt hätten; aber nur einem, dem Apostel Paulus, wurde sie durch besondere Offenbarungen mitgeteilt, damit er als ein von Gott zubereiteter Kanal sie unter der Leitung des Heiligen Geistes an die Gläubigen weitergebe.

Schon auf dem Wege nach Damaskus empfing dieses auserwählte Rüstzeug gleichsam im Keim diese wunder­bare, bis dahin völlig unbekannte Wahrheit. „Ich bin Jesus, den du verfolgst", wurde ihm aus dem über­wältigenden Glanze, der ihn vom Himmel her umstrahlte, zugerufen. Jesus von Nazareth, ein gekreuzigter, aber durch die überschwängliche Größe der Kraft Gottes auferweckter M e n s c h, war in der himmlischen Herr­lichkeit; und, Wunder über Wunder, dieser Mensch war der Herr selbst! Ja, dieser Herr machte sich eins mit den Leuten, die er, Saulus, so bitter hasste und verfolgte! „Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Welch eine Entdeckung! Sie wurde zum Ausgangspunkt und zur Grundlage des Dienstes des großen Apostels. Dass der Jesus, welchen Israel verworfen und ans Kreuz geschlagen hatte, von Gott zu Seiner Rechten erhöht und sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht worden war, hatte Petrus bereits bezeugt (Apstgsch. 2, 36), aber das Zeugnis Pauli ging von vornherein weit über das hinaus. Petrus und die Elfe zeugten, weil sie von Anfang an bei Jesu gewesen waren (Joh. 15, 27), Paulus aber hatte „Christum nach dem Fleische" nicht gekannt.

 Der verherrlichte Herr erschien ihm und stellte ihn in Seinen Dienst, und durch die machtvolle Wirksamkeit und unmittelbare Leitung des Heiligen Geistes wurde er zu dem Werke ab­gesondert, zu welchem Gott ihn berufen hatte ( Apstgsch. 13, 2). Sein Evangelium war „das Evangelium der Herrlichkeit" (2. Kor. 4, 4), sein Ausgangspunkt der Herr der Herrlichkeit, der Sohn Gottes, und zwar in Seiner Verbindung mit Seinem Leibe hienieden. Er wurde der Träger des Zeugnisses von dem einen Leibe, der, bestehend aus Juden und Heiden, mit Ihm, dem also zur Rechten Gottes Erhöhten, verbunden ist. Diese beiden großen Wahrheiten: Christus, der Sohn Gottes, und Christus, das himmlische Haupt Seines Leibes, kennzeichneten also von Anfang an den Dienst unseres Apostels. Ohne Zweifel ist er erst nach und nach in die ganze Fülle dieser bis dahin in Gott ver­borgenen Wahrheiten eingeführt worden; aber von der ersten Stunde an lernte er das große Geheimnis ver­stehen, dass der Sohn Gottes, der verherrlichte Mensch im Himmel, und Seine verachteten und so grausam verfolgten Jünger hienieden eins waren.

Die Bildung des Leibes, der Versammlung, durch den Heiligen Geist ist die Antwort auf die Erhöhung und Verherrlichung des Menschen zur Rechten Gottes. Während der erste Adam auf Grund seines Tuns aus dem Garten Eden vertrieben werden musste, ist der letzte Adam, der Mensch vom Himmel, auf Grund Seines Werkes, durch welches Gott vollkommen und in jeder Beziehung verherrlicht worden ist, in den Himmel ein­gegangen und hat sich auf den Thron der Herrlichkeit gesetzt. Und nachdem das geschehen ist, bringt Gott den ewigen Ratschluss Seiner Liebe zur Ausführung: Er sammelt durch Seinen Geist eine Braut für Seinen Sohn, Er bildet einen Leib für Ihn, das verherrlichte Haupt droben. Das, was von den Zeitaltern und Geschlechtern her verborgen war, was „vor Grundlegung der Welt" das Herz Gottes erfüllte und bewegte, ist jetzt ans Licht getreten. 

O wie betrübend ist es, dass so viele, sonst aufrichtige Kinder Gottes in diese herrlichen Ge­danken ihres Vaters so wenig einzugehen bereit sind! Anstatt sich durch den Heiligen Geist dahin leiten zu lassen, wo Christus jetzt ist, und in der Verherrlichung Christi droben und in dem Herniederkommen des Heiligen Geistes die vorläufige Aufgabe aller Ansprüche des Herrn an die Erde, sowie die Entfaltung ganz neuer, himmlisches. Ratschlüsse zu sehen, sind sie ( gleich den Jüngern in der Zeit zwischen der Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn) immerfort mit der sichtbaren Welt beschäftigt und erwarten noch große Dinge für diese Erde. Dass Gott herrliche Ratschlüsse auch für die Erde hat, ist jedem aufmerksamen Leser des Wortes wohlbekannt, aber es sollte ihm auch nicht entgehen, dass die Zeit für die Entwicklung dieser Ratschlüsse nicht jetzt ist, sondern erst anbrechen kann, wenn die Kirche Christi diese Erde verlassen hat und die göttlichen Ge­richte den Boden geebnet haben für die Aufrichtung des Reiches des Sohnes des Menschen. 

Die Nichtbeachtung der Wahrheit, dass da ein Leib ist, die Versammlung des lebendigen Gottes, die nicht von der Welt ist, die nichts mit diesem Zeitlauf zu tun hat, sondern himmlisch ist in ihrem Ursprung, ihrem Charakter und ihrer Be­rufung — ja, schon die Vernachlässigung dieser wunder­baren Wahrheit kann nur von ernsten Folgen begleitet sein; sie muss den Geist Gottes betrüben, der eigens zu dem Zwecke herabgekommen ist, um von ihr Zeugnis zu geben, uns in die ganze Wahrheit zu leiten. Der Sohn Gottes ist als Mensch in die Herrlichkeit eingegangen, welche Er hatte, ehe die Welt war. Er hat in Seiner Person sozusagen die Menschheit in Gottes Gegenwart eingeführt. Er hat Satan besiegt, die Gefangenschaft gefangen geführt und Gaben empfangen im Menschen ( d. h. als Mensch) und für den Menschen. (Vergl. Ps. 68, 18 und Eph. 4, 8.)

Von dieser herrlichen und gesegneten Tatsache gibt der Heilige Geist Zeugnis. Wer anders hätte es auch gekonnt? Wer hätte die Herrlichkeit des himmlischen Menschen kundtun, wer die Ratschlüsse offenbaren kön­nen, die mit dem verherrlichten Menschensohne in Ver­bindung standen? Gott, der Heilige Geist, allein kannte sie vollkommen, und Er ist gekommen, um sie ans Licht zu stellen, um Christum zu verherrlichen. Und was ist das Ergebnis, die Frucht Seines Kommens? Er bildet einen Leib, die Versammlung, „die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt". Ein Haupt ohne Leib ist unvollständig. So wäre auch Christus in dieser Seiner neuen Stellung, obgleich Er Himmel und Erde mit Seiner Herrlichkeit erfüllt, — denn „der hinabgestiegen, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel", — ohne Seinen Leib nicht vollständig. Der Leib ist Seine Fülle, Seine Vollendung. Welch ein erhabener und zugleich lieblicher Gedanke ist das! Aber beachten wir auch, dass ein Haupt nicht mehrere Leiber haben kann. Der Gedanke an viele Leiber, an verschiedene christliche Körperschaften, ist der Schrift völlig fremd und schnurstracks der Wirksamkeit des Heiligen Geistes zuwider. 

„Da ist e i n Leib und e i n Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Beru­fung" (Eph. 4, 4). Dass es heute viele Kirchen und Körperschaften gibt, ist eine leider nur zu gut bekannte Tatsache, aber ein treuer Christ, dem die Verherrlichung Seines Herrn am Herzen liegt, trauert darüber und steht, soweit es an ihm liegt, von allem ab, was Gottes Gedanken in dieser Beziehung nicht entspricht. O möchte es allen Gläubigen, die durch Wort oder Tat mensch­lichen Grundsätzen bezüglich der Vereinigung der Kinder Gottes huldigen, aufs Herz und Gewissen fallen, welch ein Unrecht sie dadurch dem Herrn Jesu tun und wie völlig sie im Widerspruch stehen mit Gottes Gedanken über die Verherrlichung Seines Sohnes durch den vom Himmel herniedergesandten Heiligen Geist!

Wir haben weiter oben gesagt, dass die Mitteilungen der Wahrheit von dem einen Leibe ausschließlich dem Apostel Paulus anvertraut worden sei; wir finden sie nur in seinen Schriften. Und das ist ganz erklärlich. Sie lag den Aposteln, welche von einem hienieden leben­den Christus ausgesandt worden waren, fern. Vor allem ist es, neben dem Epheserbrief, der erste Brief an die Korinther, welcher diese Wahrheit behandelt. In den übrigen Briefen nimmt Paulus häufig Bezug auf sie, ohne sie aber näher zu entwickeln; in dem Briefe an die Römer nur einmal in der bereits angeführten Stelle (Kap. 12, 4). Wenden wir uns denn zu einer ein­gehenden Besprechung des 12. Kapitels des genannten Briefes an die Korinther. Es beschäftigt sich ausschließ­lich unserem Gegenstande und gibt uns, in Verbin­dung mit dem 14. Kapitel, Belehrungen und Anweisun­gen, die für alle Zeiten gelten, so lange die Versammlung und der Geist Gottes hienieden weilen.

Der Heilige Geist bildet nicht nur den Leib Christi, indem Er die Glieder sammelt und sie so innig mit Christo verbindet, dass Er das Ganze, Christum u n d die Versammlung, „den Christus" nennen kann (V. 12 ), sondern Er wohnt und wirkt auch in der Versammlung, dem Leibe. Eine wunderbare, gött­liche Kraft ist in dieser anscheinend so schwachen und un­ansehnlichen Einrichtung wirksam. Ich sage „ist", denn sie ist heute noch vorhanden, wenn sie auch infolge der Untreue des Menschen und der eingetretenen Unordnung in ihrer Wirksamkeit außerordentlich gehemmt ist. Der Glaube darf heute noch auf sie rechnen, und wo er es tut und sich ihrer Leitung unterwirft, da verschwindet die Unordnung, und trotz des allgemeinen Verfalls offen­baren sich die gesegneten Wirkungen ihrer Gegenwart.

Im Anfang unseres Kapitels hören wir, dass Gott nicht will, dass wir, „was die geistlichen Offenbarungen betrifft, unkundig seien". Er gibt Seinen Kindern so gern Verständnis und Einsicht in Seine Gedanken. Lauschen wir denn auf Seine Unterweisungen. Zwei Mächte sind im Blick auf Gott und Menschen in dieser Welt wirksam. Da ist der Geist, der in den Söhnen des Ungehorsams sein Wesen hat, und der Heilige Geist, der in den Kindern Gottes wirkt. Der erste stachelt den Menschen an zur Auflehnung gegen Gott und Seinen Christus, der zweite führt zur Unterwerfung unter Jesum als Herrn— denn das ist der wichtige Punkt, um den es sich hier von vornherein handelt, gleichsam die Grundlage von allem. „Niemand sagt, im Geiste Gottes redend: Fluch über Jesum! und niemand kann sagen: Herr Jesus! als nur im Heiligen Geiste", d. h. der Heilige Geist bezeugt, obwohl Er selbst, wie wir nachher sehen werden, unumschränkt ist und austeilt, wie Er will, dass Jesus Herr ist. Dieser Tatsache ordnet sich gleichsam alles unter, muss alles dienen.

Weiter lesen wir: „Es sind aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber derselbe Geist; und es sind Verschiedenheiten von Diensten, und derselbe Herr; und es sind Verschiedenheiten von Wirkungen, aber derselbe Gott, der alles in allen wirkt" ( V. 4 -6 ). Es ist hier nicht gerade die Dreieinheit ( Vater, Sohn und Hei­liger Geist ), wie an anderen Stellen, sondern Gott, der Herr und der Geist, und zwar wirkend in der Kirche auf Erden. Wie völlig ist diese Wahrheit vergessen worden, dass es Gnadengaben, Dienste und Wirkungen in der Versammlung Gottes hienieden gibt, und dass sie alle abhängig sind und ausfließen von der Gegenwart Gottes in ihr! Gott wohnt durch Seinen Geist in der Versammlung, und sie ist verantwortlich, dementsprechend zu handeln und die in ihr gegenwärtige Kraft in Abhängigkeit und Heiligkeit zu entfalten. 

Wo irgend also eine Gemeinschaft von Gläubigen heute An­spruch darauf macht, dieser göttlichen Berufung zu ent­sprechen, da müssen die in obigen Versen genannten Ele­mente sich vorfinden; Verschiedenheiten von Gaben und Freiheit, sie auszuüben in Einfalt und Abhängigkeit; Verschiedenheiten von Diensten, unter Anerkennung des einen Herrn und Seiner Leitung; Verschiedenheiten von Wirkungen, und zwar von Wirkungen Gottes, wo­bei der Mensch ausgeschlossen ist und Gott allein die Ehre zukommt, denn Er ist es, „der alles in allen wirkt". Wo diese Dinge sich nicht vorfinden, sondern in Lehre oder Praxis geleugnet werden, da ist nicht Gottes Versammlung. Eine Versammlung von Gläubi­gen ist ja so weit recht und gut; aber wenn sie nicht mehr als das ist, kann sie in Wirklichkeit nicht auf den Namen: Gottes Versammlung, Anspruch machen; sie ist eine menschliche Vereinigung, wo menschliche Regeln und Satzungen mehr oder weniger Geltung haben. Nicht die Gegenwart so und so vieler Gläubiger, und wären es Tausende, sondern die Gegenwart Gottes durch den Heiligen Geist macht eine Versammlung zu Seiner Ver­sammlung (Gemeinde oder Kirche ), wo Er durch Seinen Geist wirken kann, wie Er will.

Die Gnadengaben, welche der Heilige Geist in gött­licher Machtvollkommenheit austeilt, werden ausgeübt in Abhängigkeit von dem einen Herrn. Obwohl selbst eine göttliche Person, die unumschränkt handelt, macht der Geist doch alle Gaben diesem einen Zweck dienstbar. Wir sind durch sie Diener des Herr n, nicht des Heili­gen Geistes. „Ihr dienet dem Herrn Christo." Paulus nennt sich mit tiefer Freude immer wieder den „Knecht Jesu Christi", und redet mit besonderer Vorliebe von „unserem Herrn Jesus Christus". Ich betone dies, weil Gefahr vorliegt, besonders in den gegenwärtigen Tagen, den Heiligen Geist gleichsam an die Stelle des Herrn zu setzen. Die Wirkung davon ist einerseits, dass man das Bewusstsein der Abhängigkeit von Christo verliert, so wie Er jetzt droben ist; und andererseits, weil der Heilige Geist in und durch Menschen wirkt und man mit diesen Wirkungen vornehmlich beschäftigt ist, kommt man in Gefahr, mehr auf Menschen als auf Christum zu blicken. 

Der Heilige Geist nimmt nicht den Platz eines Herrn und Hauptes ein, sondern viel­mehr den eines Dieners der Herrlichkeit Christi. Obgleich Er, wie schon wiederholt bemerkt, in Seiner eigenen Person Gott ist, gefällt es Ihm doch, zur Ausführung der Ratschlüsse Gottes dem Herrn Jesu zu dienen, gerade so wie einst der Sohn dem Vater diente. Und diesen Charakter prägt er auch allen auf, die Er als Seine Werkzeuge benutzt: Er macht sie zu Dienern, und, wie gesagt, nicht zu Seinen Dienern, sondern zu Dienern Christ i. Ein jeder ist für die Ausübung seiner Gabe Christo verantwortlich, und ist berufen, sie auszuüben, wo und wie der Herr es will, und so wie Gott ein jedes Glied an dem Leibe gesetzt hat ( V. 18). Keiner ist unabhängig, und keiner kann zu dem anderen sagen: „Ich bedarf deiner nicht" ( V. 21 ).

Es besteht also innerhalb des Leibes eine ernste persönliche Verantwortlichkeit, verbunden mit voller persönlicher Freiheit und doch auch wiederum gegen­seitiger Abhängigkeit, welcher sich niemand entziehen kann. Ein Apostel mochte infolge seiner hervorragenden Begabung und Ausrüstung anordnen, leiten, regieren etc., und selbst, auf Grund unmittelbarer Offenbarungen sei­tens des Herrn, der Kirche Gebote geben; aber er blieb bei alledem nicht nur selbst ein abhängiger Diener, sondern tastete auch in keiner Weise die persönliche Verantwortlichkeit des schwächsten Gliedes dem Herrn gegenüber an. Schuldeten auch sicherlich alle einem sol­chen Gebot Gehorsam, so war das doch nur deshalb so, weil es ein Gebot des Herrn war. Welcherlei Art die Gabe auch sein mochte, ob die eines Apostels, eines Propheten, eines Lehrers, ob Gaben der Heilungen, der Hilfsleistungen oder der Regierungen — der Träger der Gabe war und blieb Christo, dem Herrn, für die Ausübung derselben verantwortlich, und nur insoweit er sie treu und in Abhängigkeit von Ihm verwaltete, wurde seine Gabe dem Ganzen dienstbar und beförderte das Wohl und die Auferbauung des Leibes. Und wie es war, so ist es grundsätzlich auch heute noch, trotz Un­treue und Verfall.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen falschen Ausdruck oder eine unrichtige Anschauung hinweisen, der man nicht selten begegnet. Man spricht von dem Recht, das der Einzelne zur Ausübung seiner Gabe besitze. Dieses Wort, beziehungsweise der darin ausgedrückte Gedanke, dass ein Mensch berechtigt ist, seinen Willen zu tun, ohne dass ein anderer ihm dareinreden darf, ist dem Christentum völlig fremd. Wohl hat niemand ein Recht, sich in irgend etwas einzumischen, was ich im Gehorsam gegen ein bestimmtes Gebot Gottes tue — „man muss Gott mehr gehorchen als Menschen"; aber wenn man davon redet, dass jeder Gläubige das Recht habe, in der Versammlung zu reden, so stellt man eine Behauptung auf, die dem Wesen des Christentums direkt widerspricht. Wir sind zum Gehorsam Jesu Chri­sti geheiligt worden. Die Versammlung ist nicht der Platz, wo der Mensch Rechte geltend machen dürfte, oder wo es Raum gäbe für seinen Willen.

 Der Heilige Geist allein hat das Recht und die Macht, einen jeden auszuteilen, wie Er will, und wir sind verantwort­lich, in Unterwürfigkeit unter die Absicht des Heiligen Geistes dem Herrn zu dienen, und zwar nicht um u n s darin zu gefallen, sondern zu Seiner Verherrlichung und zum Nutzen für andere. „Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben" ( V. 7 ). Die Gabe verleiht uns also nicht ein Recht, sondern stellt uns vielmehr unter Verantwortlich­keit dem Herrn gegenüber. Sie mag anderen die Ver­antwortlichkeit auflegen, sie zu beachten und anzuer­kennen; aber das ist eine andere Sache.

Ferner sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Gaben nicht der Heilige Geist selbst sind, obgleich sie durch Ihn ausgeteilt werden. Sie sollen zur Erfüllung der Gnadenabsichten Gottes, zur Sammlung und Er­bauung der Versammlung dienen. Wenn also z. B. die Gabe des Redens in fremden Sprachen, auf welche die Korinther so stolz waren, an einem Orte ausgeübt wurde, wo niemand war, dem sie nützlich sein konnte, so war das nichts anderes als kindische Torheit. Auch die Geister der Propheten — und das Weissagen war die begehrenswerteste Gabe! (vergl. Kap. 14, 1) —waren den Propheten untertan. Durch ihre Torheit und Selbstgefälligkeit hatten die Korinther alles in Un­ordnung gebracht. Und ach, wie oft geschieht dasselbe heute! Müsste nicht der Apostel auch heute wohl man­chen Gläubigen zurufen: „Brüder, seid nicht Kinder am Verstande!"?

Auch ist es sehr wichtig zu beachten, dass der Heilige Geist, ob Er nun als in dem Einzelnen oder in der ganzen Versammlung wohnend betrachtet wird, immer durch das Wort und in Übereinstimmung mit demselben leitet. Geradeso wie der Einzelne, der sich durch den Geist leiten lässt, aus dem Worte die nötigen Belehrungen und Anweisungen empfängt, so werden und müssen auch die Offenbarungen der Macht des Geistes in der Ver­sammlung stets mit dem Worte Gottes im Einklang stehen. Das ist ein ernster und wichtiger Prüfstein für alles, was als Dienst des Herrn, sowohl innerhalb wie außerhalb der Versammlung, gelten will. „Gehorsam", unbedingte Unterwerfung unter den geoffenbarten 'Wil­len Gottes, ist eine Bedingung, ohne welche ein wirklich Gott wohlgefälliger Dienst nicht ausgeführt werden kann. Hingebung und Eifer einerseits, und große Erfolge andererseits, sind kein Beweis für die Richtigkeit des Weges und Dienstes eines Menschen. In diesem wie in allem anderen hat unser hochgelobter Herr uns ein voll­kommenes Vorbild gegeben. Er wurde „g e h o r s am" und lebte von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes ausging. Das gerade war Seine Vollkommenheit als Mensch und Diener. Jetzt freilich hat Er den Platz der Herrlichkeit und Macht eingenommen, und als der verherrlichte, erhöhte Mensch, als der Sieger über Satans finstere Macht, Seinen Jüngern Gaben gegeben. Aber obgleich sie die Gefäße dieser Seiner Macht sind, bleiben sie doch allezeit verantwortlich, in Abhängigkeit von ihrem Herrn, dessen Knechte sie sind, und in Unter­würfigkeit unter Sein Wort, ihren Dienst zu erfüllen zu Seiner Verherrlichung, sei es in der Bezeugung des Evangeliums der Welt gegenüber, oder in der Auferbauung der Versammlung.

Zu dieser Verantwortlichkeit unserem verherrlichten Haupte gegenüber gehört auch die Verpflichtung, „den Geist nicht auszulöschen" und „Weissagungen nicht zu verachten" (1. Thess. 5, 19. 20) . Die Ermahnungen: „Betrübet nicht den Heiligen Geist" und: „Seid mit dem Geiste erfüllt", haben wir in Verbindung mit der Verantwortlichkeit des einzelnen Gläubigen als Tempel des Heiligen Geistes betrachtet. Das „Auslö­schen" des Geistes ist eine Sache, die mehr mit der Ver­sammlung, den Gläubigen im gemeinschaftlichen Sinne, zu tun hat. Wie die Offenbarungen des Geistes zum Nut­zen aller gegeben sind, so sollen auch alle sie anerkennen und Weissagungen selbst dann nicht verachten, wenn es Gott gefallen sollte, den einfachsten, ungelehrtesten oder ärmsten Bruder als Mund und Werkzeug zu benutzen. Ein Verachten der Weissagungen, ein liebloses Kritisie­ren und Richten, ein Trachten nach Reden voll mensch­licher Weisheit und Gelehrsamkeit, alles das dient dazu, den Geist auszulöschen, Ihn in einer Versamm­lung mit der Zeit ganz zum Schweigen zu bringen.

 In welch verhängnisvoller Weise das in der Geschichte der christlichen Kirche hervorgetreten ist, weiß ein jeder; aber die Gefahr, in dieselbe Schlinge zu fallen, ist auch heute noch groß. — Der Herr schenke allen Seinen Ge­liebten Gnade, einfältig und aufrichtig zu den göttlichen Grundsätzen zurückzukehren, wie sie von Anfang an geltend waren, und dabei kindlich auf Ihn zu rechnen! Er ist mächtig und bereit, alles Nötige darzureichen, und Er wird sich überall da verherrlichen, wo man Ihn allein als Herrn anerkennt und auf die mächtige und gnädige Wirksamkeit Seines Geistes wartet. Es ist nicht unsere Sache, etwas Neues zu machen, sondern das anzuer­kennen, was der Geist gebildet hat und nimmer wieder aufgibt; denn Sein Bleiben und Wirken gründet sich nicht auf die Treue des Menschen, sondern auf das Werk Christi und die unwandelbare Treue Gottes. Was uns nottut, ist, im Glauben nach Gottes Wort zu handeln, uns von allem zu reinigen, was er verurteilt, und dem treu zu sein, was Gott selbst gegeben hat. Und gibt es auch nur zwei oder drei an einem Orte, die bereit sind, so zu handeln, Gott wird sich zu ihnen bekennen.

Niemand sage: „Das sind Dinge, um welche ich mich nicht kümmere! Meine Errettung und die Errettung anderer, das ist das Wichtigste!" Viele denken und reden ja leider so. Aber ich möchte sie fragen: Wo ist euer Herz für Christum und Seine Versammlung? Hat Gott nicht noch höhere Gedanken und Ratschlüsse, als euch und andere von der ewigen Verdammnis zu erretten? Ist Er nicht in Christo und Seiner Versammlung über alles verherrlicht? Gibt es nicht ein Geheimnis, das von jeher im Herzen Gottes verborgen war, und das Er nun Seinen Kindern kundgetan hat? Habt ihr kein Auge für den „unausforschlichen Reichtum des Christus"? Wird nicht „jetzt den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Ottern durch die Versammlung kund­getan die gar mannigfaltige Weisheit Gottes"? O ge­liebter Bruder, teure Schwester, verlangt euer Herz nicht danach, Gottes Willen besser kennen und tun zu lernen bezüglich dessen, was Christo so teuer und wertvoll ist wie die Versammlung, Seine Gemeinde?

Doch wir müssen uns noch ein wenig mit den ver­schiedenen Formen beschäftigen, in welchen der Geist sich in der Mitte der Versammlung offenbarte. In Bezug darauf lesen wir: „Einem wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geiste; einem anderen aber Glauben in demselben Geiste, einem ande­ren aber Gaben der Heilungen in demselben Geiste"; ferner hören wir von Wunderwirkungen, von Prophe­zeiung, von Unterscheidungen der Geister, von Arten von Sprachen, von Auslegung der Sprachen, von Hilfsleistungen, von Regierungen etc. (V. 8-10). Alle diese Gaben waren in der Versammlung vertreten, — Gottes Kraft war gegenwärtig, — und während sie einesteils und vornehmlich zum Nutzen der Gläubigen dienten, sollten sie anderenteils doch auch Zeichen nach außen hin sein. 

So in ganz besonderer Weise die Gabe, in Sprachen zu reden. Von ihr heißt es ausdrücklich, dass sie nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen be­stimmt gewesen sei (Kap. 14, 22). Und in der Tat, sie war ein herrliches Zeugnis von der Größe der Gnade Gottes, von Seiner Liebe, die sich fortan nicht mehr auf Israel allein beschränken, sondern allen Völkern in ihren eigenen Zungen Seine großen Taten in der Er­lösung verkündigen lassen wollte. Ähnlich war auch die Gabe der Heilungen, der Wunderwirkungen etc. mehr ein die Verkündigung des Wortes begleitendes Zeichen, als eine für die Gläubigen bestimmte Gnadengabe. ( Vergl. Hebr. 2, 4.)

„Alles dieses wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will" (V.11). Wie einfach und klar, und doch auch wie erhaben und göttlich sind diese Worte! Wenn die Wirkungen des Geistes heute nicht mehr in derselben Weise hervortreten wie früher, so hat das nicht seinen Grund darin, dass der Geist nicht mehr in derselben Fülle da ist oder nicht Christum so zu verherrlichen wünscht wie in den ersten Tagen der Kirche, sondern darin, dass diese Gaben zum Teil ihrem Zweck gedient haben, zum Teil aber auch nicht mehr in gleicher Kraft wie früher Ausübung finden können, weil der Geist durch den Verfall der Kirche und die Untreue der Gläubigen ausgelöscht oder doch vielfach gehindert ist. Alle die Gaben, welche „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi" nötig sind, werden bis ans Ende der Gemeinde Gottes erhalten bleiben. Denn der Herr ist treu, und Er nährt und pflegt Seinen Leib, so lange derselbe der Nahrung und Pflege bedarf. (Eph. 4, 11. 12 etc.) Aber vergessen wir nicht bei all dem Großen, das der Herr in unseren Tagen tut, dass die Kirche in Trümmern liegt und in­mitten des allgemeinen Verfalls nur noch ein gläubiger Überrest dasteht mit kleiner Kraft.

„Denn gleichwie der Leib einer ist und viele Glie­der hat, alle Glieder des Leibes aber obgleich viele, e i n Leib sind: also auch der Christus. Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft . .. und sind alle mit einem Geiste getränkt worden" (V. 12. 13). Also auch der Christus — wunderbares Wort! Es heißt nicht: also auch die Versammlung, oder: Christus u n d die Versammlung; sondern: der C h r i s tu s. Es ist „der neue Mensch" der Ratschlüsse Gottes, der hier vor uns steht, und die Versammlung ist Sein Leih. Obwohl es an diesem Leibe viele Glieder gibt, die alle besondere Gaben empfangen haben, zu besonderen Diensten und Verrichtungen be­stimmt sind, bilden sie doch alle zusammen einen Leib, sind alle durch einen Geist zu diesem einen Leibe getauft, sind alle desselben Geistes teilhaftig ge­worden, mit einem Geiste getränkt. 

Der Heilige Geist ist die lebendige, alle Glieder durchdringende Kraft dieses Leibes, der aus Juden und Heiden zusammen­gesetzt ist, indem „die aus den Nationen Miteinver­leibte und Mitteilhaber der Verheißung in Christo Jesu" sind (Eph. 3, 6). Alle, welche seit dem Tode und der Auferstehung Christi durch Gottes Gnade errettet worden sind, alle, die an Jesum geglaubt haben, sind in die Gliedschaft dieses Leibes eingeführt worden. Nicht einer fehlt. Alle sind durch den Heiligen Geist getauft worden, und zwar nicht um fortan als Einzelwesen da­zustehen, sondern um dem Leibe anzugehören, zu dessen Bildung der Heilige Geist herniedergekommen ist. Sicher­lich hat und behält jeder Christ seine persönlichen Segnungen und Beziehungen zu Gott, aber daneben hat Gott uns alle miteinander auf einen gemeinsamen Boden gestellt, und zwar nicht nur als e i n Volk, oder als Kinder einer Familie, obwohl beides wahr ist, sondern als Glieder eines Leibes, die unzertrennlich mit dem Haupte und untereinander verbunden sind.

Diese kostbare Wahrheit ist eine Sache des GIaubens, ebenso gut wie die Errettung, die Befreiung oder die Kindschaft; ihre Darstellung und Verwirklichung seitens des Gläubigen kann nur im Glauben und zugleich unter steter Selbstverleugnung erfolgen. Aber wir wis­sen, dass sie dem Herzen Gottes überaus teuer ist, und dass der Sohn Gottes Sein Leben lassen musste, um sie ans Licht zu bringen.

Wieder möchte ich den gläubigen Leser fragen: Weißt du, dass du ein Glied am Leibe Jesu Christi bist? Und wenn du es weißt, handelst du dementsprechend? Die Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden ist heute eben­so gewiss, wie zur Zeit da der Apostel seine Briefe schrieb. Solltest du nun nicht die Einheit, welche Er gemacht hat, mit Freuden anerkennen, dich ihr unterwerfen und dein Verhalten danach einrichten? Alle, die das in Auf­richtigkeit tun, werden sicherlich zu einem und dem­selben Ziele gelangen. Der Heilige Geist wirkt und leitet, da wo man Ihm zu wirken erlaubt, heute noch in der­selben Weise (wenn auch nicht mehr in derselben Kraft) wie früher, und das Wort Gottes hat sich ebenso wenig verändert. Ach, wären die Gläubigen nur alle einfältig und dem Worte Gottes unterworfen! Wie bald würde der Heilige Geist in allen neu eine Überzeugung, einen Sinn geweckt haben und sie alle in Frieden eine Straße führen! Aber, aber, das Fleisch, das eigene Ich, ist so wirksam! Darum gehen ihre Meinungen so viel und so weit auseinander. 0 möchten wir doch mit allem brechen, was dem Worte Gottes widerspricht, mit so manchen menschlichen Einrichtungen und Überliefe­rungen, welche der Wahrheit entgegen sind, das Wirken des Geistes hemmen und dem Menschen einen Platz ein­räumen, der ihm nicht gebührt!

Im 18. Verse unseres Kapitels lesen wir: „Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leibe, wie es ihm gefallen hat", und nachher (V.24ff): „Gott hat den Leib zusammengefügt. auf dass keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben möchten .. ihr aber seid der Leib Christi, und Glieder insonderheit." Der Leib ist nicht e i n Glied, sondern viele, und alle bedürfen einander und sind gerade da nützlich, wo Gott ihnen ihren Platz angewiesen hat, sei es als Hand oder Fuß, Auge oder Ohr. Ein jedes hat seine besondere Verrichtung, und alle sind notwendig, die schwachen wie die starken. Welch eine liebliche Harmonie könnte und sollte also in diesem Leibe herrschen! Leider aber zeigten sich damals schon Unordnung und Uneinigkeit, und seit­dem haben Spaltungen und Parteiungen überhandgenommen. Die Glieder sind voneinander getrennt, der Fuß ist hier, die Hand dort. Aber Gott sei gepriesen! immer noch wirkt der Heilige Geist, und Er ist genug für alle Zeiten und alle Umstände.

Mag auch alles schwach und armselig sein, der Geist ist nicht schwach geworden, und für uns hängt alles davon ab, ob wir an die Gegenwart und Tätigkeit des Heiligen Geistes glau­ben und inwieweit beide eine Wirklichkeit für uns sind. Dass Er auch heute noch Seine Gaben austeilt, wie Er will, und zwar verschiedene Gaben, dem einen so, dem anderen so, ja, dass Er wohl mehr als je beschäftigt ist, die Wahrheit von der Einheit des Leibes in den Herzen der Gläubigen wieder lebendig zu machen, ist eine bekannte, segensreiche Tatsache. Lasst uns denn Seine mannigfaltigen Gaben, wo sie sich zeigen mögen, dankbar und neidlos anerkennen; lasst uns den Herrn dafür preisen, aber Ihn auch bitten, dass die Besitzer dieser Gaben (und mit ihnen alle die geliebten Kinder Gottes) mehr und mehr erkennen möchten, dass ihnen von Gott ein Platz am Leibe gegeben ist, und dass ihre Tätigkeit, mögen sie nun Evangelisten, Hirten oder Lehrer sein, einzig und allein gerichtet sein sollte auf die Sammlung und Auferbauung der Glieder eines Leibes, der Versammlung! Gott gebe uns allen ein tieferes Verständnis von dem „Geheimnis des Christus"! Er vermag „über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als was wir erbitten oder er­denken". „Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin! Amen."

Wir haben im Laufe unserer Betrachtung wiederholt Verse aus dem 4. Kapitel des Briefes an die Epheser angeführt. Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die­sen so wichtigen und inhaltsreichen Abschnitt. Auch hier steht die Wahrheit von dem Leibe Christi im Vorder­grund, jedoch in einer anderen Weise als in 1. Korinther 12 und 14. Während in jenen Kapiteln die Kirche, der Leib Christi, betrachtet wird als der Schauplatz der Wirksamkeit des Heiligen Geistes hienieden, — Er ist in ihr gegenwärtig, Er wirkt in dem Leibe in der Kraft Gottes und gewissermaßen als Diener des Herr n, — erblicken wir sie in Epheser 4 ausschließlich in ihrer Verbindung mit ihrem Haupte im Himmel. Es ist deshalb keine Rede von der Tätigkeit des Heiligen Geistes, noch von Gliedern und ihren verschiedenen Ver­richtungen; auch ist nicht die innere Verwaltung und Bedienung der Versammlung der Gegenstand, sondern vielmehr die Liebe Christi zu Seinem Leibe, die zärtliche Fürsorge für jedes Glied desselben. Er nährt und pflegt die Versammlung wie Sein eigenes Fleisch.

 Er ist „hinauf­gestiegen in die Höhe", und Sein Leib, obwohl er sich tatsächlich auf der Erde befindet, wird, was sein Ver­hältnis zu Ihm betrifft, als eins mit Ihm droben ge­sehen. Er ist es auch, der die Gaben hier darreicht. Er, der über alle Himmel hinaufgestiegen ist und nun alles in allem erfüllt, ist die nie fehlende Quelle, aus welcher dem Leibe alles zufließt, was er bedarf. „Jedem ein­zelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus" (V. 7; vergl. auch V. 8 und 11). Es ist ganz naturgemäß, dass, wenn Seine Person im Vordergrunde steht, wir sogleich mit dem Himmel in Verbindung gebracht werden, während unser Blick zur Erde gelenkt wird, wenn von dem Heiligen Geiste die Rede ist; denn der Geist wirkt hienieden in der Kirche zur Verherrlichung Gottes.

Aus demselben Grunde fehlen hier auch die Gaben, welche Zeichen der Macht Gottes der Welt gegenüber waren, oder die mit dem in der Kirche auftauchenden Bösen, mit der Zügelung des Fleisches etc. zu tun hatten, wie Sprachen, Gaben der Heilungen, Wunderwirkungen, Hilfeleistungen und Regierungen. Dagegen sind diejeni­gen, welche die Sammlung und Auferbauung der Kirche zum Zweck haben, vollzählig aufgeführt. Wir finden Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. Die Liebe Christi zu Seiner Versammlung und Seine zärt­liche Sorge für sie ist also die hervorragende Sache hier, und im Einklang damit das, was der Kirche gegeben ist, um ihr Verhältnis zu Christo droben darzustellen, sie in die himmlischen Örter zu erheben und sie im Geiste zu dem Maße des vollen Wuchses Seiner Fülle gelangen zu lassen, indem sie so bewahrt bleibt vor allen irre­führenden Einflüssen und fremden Lehren und in den himmlischen Charakter und die Fülle Christi hinein­wächst. Das ist auch der Charakter der Gaben hier; sie sollen dienen „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi". 

Und sie sollen bleiben bis zum Ende, während bezüglich des Sprachenredens und der sogenannten Wundergaben* keine solche Versicherung gegeben ist. Alles was zum Wohle der Kirche, so lange sie hienieden weilt, notwendig ist, was auf Herz und Gewissen wirkt und geistliche Einsicht und Verständnis vermittelt, wird der Herr darreichen, bis das Ziel erreicht ist. Welch eine Gnade, das zu wissen und in Einfalt auf Gottes Wort rechnen zu dürfen!

Bezüglich der verschiedenen, in diesem Kapitel ge­nannten Gaben sei noch bemerkt, dass die Apostel in einem Sinne nicht einen Teil des Leibes ausmachen: sie sammeln ihn, als die vom Herrn zu diesem Zweck unmittelbar Gesandten, und treffen auf Grund einer ihnen von Gott übertragenen Machtvollkommenheit An­ordnungen und Einrichtungen in der Kirche. In Kapitel 2, 20 werden sie im Verein mit den Propheten be­kanntlich die Grundlage des heiligen Tempels ge­nannt, dessen Eckstein Christus ist. Das Haus wird gleichsam auf sie gebaut. Ihr Werk als solche, die infolge der von oben empfangenen Offenbarungen den Grund des Tempels legten, ist vollende t. In einem anderen Sinn hatten die Apostel selbstverständlich ihren Platz an dem Leibe ebenso gut wie jedes andere Glied. Auch hat es außer dem Apostel Paulus und den Zwölfen noch andere Apostel gegeben, wie z. B. Barnabas. (Vergl. auch Röm. 16, 7; Offbg. 2, 2.)

Der Evangelist hat seine Arbeit in der Welt, aber immerhin in Verbindung mit der Versammlung. Obwohl er deshalb, was sein Werk betrifft, in gewissem Sinne unabhängig von ihr ist, bleibt er doch als Persönlichkeit stets in einem Verhältnis der Abhängigkeit von ihr. Niemals aber sollte die Kirche Evangelisten aussenden. Das ist allein Gottes Sache, obwohl diejenigen, welche Er sendet, aus ihrer Mitte hervorgehen mögen. — Hirten und Lehrer stellt das Wort nebeneinander, und sie gehören auch infolge der Natur ihres Dienstes innig zusammen; denn hüten und weiden, leiten und belehren vermittelst des Wortes stehen deutlich mitein­ander in Verbindung. Der Hirte geht den Schäflein nach, welche der Evangelist gesammelt hat, hütet die Herde, wacht über ihr Wohl, tritt eindringendem Bösen ent­gegen und sucht die Füße der Heiligen auf dem schmalen Pfade zu erhalten, indem er das Wort, welches der Lehrer verkündigt, auf Herz und Gewissen anwendet. Der Lehrer legt aus, unterweist, teilt das Wort der Wahrheit recht, erbaut durch dasselbe, führt in seine Tiefen ein, deckt Irrlehren auf etc. Sehr oft werden ich diese beiden Gaben in einer Person vereinigt finden; sie ergänzen sich gegenseitig und fließen viel­fach ineinander.

Nun, alle diese Gaben schenkt der Herr. Er hat als der verherrlichte Mensch Gaben empfangen und teilt sie den Seinigen aus, und Satans finstere Macht vermag nichts gegen Ihn und die in Seinen Boten wirkende Kraft. Er ist ein besiegter Feind. Er, der gefangen hielt, ist selbst gefangen geführt worden, und „in kurzem wird der Gott des Friedens ihn unter unsere Füße zertreten". ( Vergl. Röm. 16, 20.)

IX Der Heilige Geist in dem Buche der Offenbarung

„Gnade euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Throne sind, und von Jesu Chri­sto, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Fürst der Könige der Erde!" (Offbg. 1, 4. 5.)

Es würde ein bedeutsamer Zug in dem Gemälde fehlen, wenn wir zum Schluss nicht noch einen, wenn auch nur kurzen Blick, auf die Person des Heiligen Geistes werfen würden, wie sie uns in dem Buche der Offenbarung entgegentritt. Wie dieses Buch selbst einen prophetischen und richterlichen Charakter trägt, so erscheint auch der Heilige Geist hier vorwiegend als der Geist der Prophezeiung, der die dann auf Erden lebenden Gläubigen, während Er selbst im Himmel ist, auf die Zukunft hinweist; und ferner als ein Geist des Gerichts. Selbst in den Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien, dem Bilde der Kirche, in ihrer Verantwortlichkeit hienieden betrachtet, befindet Er sich nicht i n der Kirche, sondern Er redet z u ihr. Es ist nicht der Geist, der in den einzelnen Gläubigen wohnt oder der Gaben austeilt und in der Gemeinde wirkt, wie Er will; sondern gleichwie der Herr selbst in einem priesterlichen und richterlichen Charakter gesehen wird, wandelnd inmitten der sieben goldenen Leuchter, steht auch der Geist gleichsam außerhalb und beurteilt und warnt die Versammlungen: „Wer ein Ohr hat, höre was der Geist den Versammlungen sagt."

Und während wir in allen übrigen Schriften des Neuen Testaments nur von d e m Geiste oder von dem einen Geiste hören, lesen wir in der Offenbarung (ohne Zweifel unter Bezugnahme auf die siebenfache geistliche Macht in Jes. 11, 2 ) von vornherein von den sieben Geister n, die vor dem Throne Gottes sind. Das ist eine so auffallende Erscheinung, dass sie dem aufmerk­samen Leser des Buches der Offenbarung sofort zeigt, dass er sich auf einem ganz neuen Boden befindet. Die Zeit der Gnade Gottes, in welcher Er das wunderbare Geheimnis von Christo und der Versammlung, das von den Zeitaltern und Geschlechtern her in Ihm verborgen war, geoffenbart hat, ist vorüber, die Zeit des Gerichts ist angebrochen. Gott selbst erscheint auf dem Throne des Gerichts, und alles was im Himmel und auf Erden ist, wird gerichtet: die Kirche, der Mensch als solcher, die Mächte der Welt, die Teufel etc. 

Und wenn der Prophet „sieben Geister" sieht, so erinnert das eben an die mannigfaltigen Seiten der Vollkommenheit des Gei­stes, wie sie sich in den Regierungswegen Gottes mit dieser Erde und ihren Bewohnern entfalten; darum wird Er auch „vor dem Throne Gottes" gesehen. Im 4. Kapitel erscheint Er sogar unter dem Bilde von „sieben Feuer­fackeln", welche vor dem Throne brennen, und im 5. Kapitel werden die sieben Augen des Lammes, das im Begriff steht, das Buch der Gerichte zu öffnen und seine Siegel zu brechen, „die sieben Geister Gottes" genannt, „die gesandt sind über die ganze Erde". Nicht Gnade und Segnung ist dann das Ziel des Wirkens Gottes, sondern ein gerechtes Gericht, ausgeübt mit göttlicher Macht und in vollkommener Einsicht. Nicht als die kost­bare Gabe Gottes an Seine Kirche steht der Geist vor uns, sondern als die wirkende Kraft der Richtermacht des Lammes, als der Geist des Gerichts, der alles er­forscht und ans Licht bringt.

 Wohl werden auch in diesen schrecklichen Tagen Gläubige auf der Erde sein, Men­schen, die durch die Kraft des Geistes wiedergeboren sind und von Ihm geleitet und in ihrem Zeugnis ge­stärkt werden; aber der Charakter Seiner Tätigkeit in ihnen ist ein ganz anderer als gegenwärtig. Während Er jetzt in den Gläubigen wohnt als ein Geist der Ge­meinschaft und sie in die ganze Fülle dessen einführt, was ihnen in Christo geschenkt ist, wird Er dann wie­der mehr in alttestamentlicher Weise wirksam sein als ein Geist der Prophezeiung, der nicht hienieden wohnt und die Herzen der Erlösten mit dem Himmel verbindet, indem Er sie jetzt schon die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern genießen lässt, sondern der sie auf die Zukunft hinweist, auf das was sie empfangen werden, wenn Christus erscheint und ihre Feinde vernichtet. Daher auch ihr Rufen um. Rache.

Sobald aber am Ende des. Buches, nachdem der Kreis der prophetischen Mitteilungen über Gottes richterliche Wege geschlossen ist, der Herr sich an Seine Gemeinde hienieden wendet, und sich ihr, entsprechend ihrer besonderen himmlischen Hoffnung, als der glänzende Mor­genstern ankündigt, lesen wir: „Der Geist und die Braut sagen: Komm!" Es sind nicht mehr sieben Geister, die gleich Feuerfackeln vor dem Throne Gottes brennen, nicht ernste Symbole des Gerichts erschrecken das Auge; nein, es ist die der Braut so wohlbekannte Person, der vom Himmel herniedergesandte Heilige Geist, der gött­liche Bote, welcher sie aus dem fernen Lande dem ge­liebten Bräutigam zuführen soll, der sie sorglich durch die Wüste geleitet hat und nun nahe am Ende Seiner Mission steht. In völliger Übereinstimmung mit den Gefühlen der Braut verlangt Er danach, diese Erde zu verlassen und die Frucht Seiner Wirksamkeit dahin zu führen, wo sie an der Seite des Sohnes Gottes, allen Gefahren und Versuchungen enthoben, in Herrlichkeit thronen wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.

„Wer ist der Mann da, der uns entgegenwandelt?" fragte einst Rebekka, als sie am Ziele ihrer weiten Reise angelangt war und Isaak auf sich zukommen sah; und Elieser antwortete: „Das ist mein Herr“ So wird auch bald — o wer könnte die Wonne dieser Stunde fassen? — unsere Reise enden; unser teurer Herr wird uns entgegenkommen, und der Heilige Geist, der während der langen Wüstenwanderung unsere Herzen und Hände so oft gestärkt hat durch den Hinweis auf Jesum, wird aller Augen dann auf Ihn lenken, den zu verherrlichen Er gekommen ist.

Teurer Leser! Wir haben einen wunderbaren hohen Gegenstand miteinander betrachtet, und du wirst mit mir fühlen, dass wir nur ein klein wenig in die Tiefen und Höhen desselben hineingeschaut, nur ganz schwach die „Säume" der Herrlichkeit der erhabenen, göttlichen Person des Heiligen Geistes gestreift haben. Aber Gott sei dafür gepriesen, dass Er uns dieses Wenige zu er­kennen und zu verstehen gegeben hat! Er kann und will mehr geben; und das Wenige, das wir zu fassen ver­mögen, weckt das Verlangen nach dem „Vollkommenen" und lässt uns die Fülle ahnen, welche vor uns und für uns bereit liegt. Und wenn wir fragen: Was ist der Mittelpunkt all dieser Fülle und Herrlichkeit, der Ge­genstand und das Ziel aller Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der Anfang und das Ende aller Wege Gottes? so ist die Antwort: Jesus — Jesus — Jesu s! Er, der da sagt: „I c h, Jesu s, habe meinen Engel ge­sandt . . Ich bin die Wurzel und das Ge­schlecht Davids, der glänzende Morgen­stern."

„Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens um­sonst!"

Fußnoten:

*9) Eigentlich ist jede Gabe als Geschenk von oben und als Wirkung des Heiligen Geistes eine Wundergabe.