Botschafter des Heils in Christo 1910

02/01/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1910Seite
Pilgerschaft und Ruhe1
Heilig dem Jehova15
Das ganze Wolk stand auf24
Der Brief an Philemon39
Gedanken über Lukas 12, 38-6346
Wenn Gott nein" sagt102
Vereinigung auf Grund gegenseitiger Zugeständnisse123
Zwei Briefe an ein Brautpaar zum Hochzeitstage128
Der Pfad des Gerechten160
Wo ist, o Tod, dein Stachel?"138
Gedanken139
Gnade um Gnade150
Jetzt und dann151
Was dünkt euch über den Christus?" (Gedicht)167
Die letzten Worte Davids169
Über die Zulassung zum Tische des Herrn192
Sei still, mein Herz! (Gedicht)196
Jakob, oder die Zucht215
Wahrheit im Innern225
Mein Sehnen (Gedicht)252
Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?"253
Zu Jesu Füßen (Gedicht)280
Zucht und Einheit im Handeln303
Wächter, wie weit ist's in der Nacht?" (Gedicht)308
Ein würdiger Wandel322
Die Liebe des Christus drängt uns"330


Botschafter des Heils in Christo

Achtundünfzigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1910
 Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: 5. Mose 8,11

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 001

Ein wichtiger, das Christentum charakterisierender Zug ist dies-, dass der Christ auf seinem Pfade durch
die Welt zu derselben Zeit die Erfahrungen der Wüste und diejenigen Kanaans macht, während der Jude, der Israelit, diese Erfahrungen getrennt, -in verschiedenen Abschnitten seiner Geschichte, zu machen hatte· Es ist deshalb von besonderer Bedeutung für uns, diese beiden Dinge an ihren richtigen Platz zu stellen, weil wir stets geneigt sind, die Gedanken Gottes einzuschränken und so wenig wie möglich von dem zu nehmen, was Gott uns schenken will. ·Eine Folge dieser Neigung ist, dass fast jeder Gläubige seine Lieblings-Wahrheit oder –Lehre hat. Würden wir treuer, wirklicher mit Gott wandeln, so würden wir alles das genießen, was Gott gefallen hat uns zu geben. Wir würden dann nicht nur finden, dass jede Wahrheit ihren Platz hat und unseren Umständen angepasst ist, sondern wir würden auch dahin kommen, diese Wahrheiten nach dem Grade der Wichtigkeit zu beurteilen, welche sie in den Gedanken Gottes haben. Es ist außerordentlich kostbar, die Wahrheit Gottes als ein Ganzes zu besitzen und so zu schätzen, indem man zu gleicher Zeit jedem ihrer einzelnen Teile den ihm zukommenden besonderen Platz im Herzen einräumt. 
Ich möchte nun zunächst von der Pilgerschaft hienieden sprechen, der geringeren, aber im allgemeinen wohl besser erfassten und verstandenen Seite unseres Gegenstandes. Ich bitte den Leser, zu diesem Zweck seine Bibel aufzuschlagen und 5. Mose 8, 2 — 6 zu lesen. Diese Verse reden von dem, was ich die Pilgerschaft hienieden genannt habe, von dem Wege durch die Welt, welche für den Christen zur Wüste geworden ist. Denn von dem Augenblick an, da ich für Gott und Seine Wahrheit gewonnen bin, befinde ich mich in der Wüste, welche ich fortan als Pilger durchwandern muss. Hier ist der Schauplatz, auf dem sich meine eigentliche Geschichte abspielt, hier ist der Weg, der mich durch die trüben Wechselfälle des Lebens hindurchführt. 
Zwei Dinge sind hauptsächlich in unserem Kapitel zu beachten; Gott lehrt uns zwei bedeutungsvolle Tatsachen: zunächst, dass die Geschichte der Wüste notwendig« war für uns, und dann (ich sage es mit aller Ehrerbietung), dass sie nötig war für Gott, d. h. dass sie Ihm die Gelegenheit bot, das was in Seinem Herzen für uns war, zu offenbaren, und zwar gerade inmitten der Umstände, welche uns in dieser Welt umgeben. 
Betrachten wir zunächst den ersten Teil: das was uns betrifft. Ich habe gesagt: Die Geschichte der Wüste ist notwendig für uns. Warum? Wir lernen auf unserer Wüstenreise zwei Dinge, welche niemals dem natürlichen Menschen eigen gewesen sind, nämlich Abhängigkeit und Unterwürfigkeit oder Gehorsam. Wir wissen alle sehr wohl, dass gerade das Gegenteil hiervon dem natürlichen Menschen eigen ist: er liebt Unabhängigkeit und Ungehorsam. Ja, das sind die beiden großen Charakterzüge, welche den abgefallenen Menschen als solchen kennzeichnen, zwei Züge, deren Ursprung bis zum Garten Eden zurückzuführen ist. Alles aber wird verändert, wenn Gott uns einmal zu sich gebracht und zu Teilhabern Seiner Natur gemacht hat. Die Charakterzüge, die hervorstechenden Eigenschaften dieser neuen Natur, die wir als ein Geschenk Seiner Gnade besitzen, sind Abhängigkeit und Unterwürfigkeit. Und die Umstände, durch welche wir in dieser« Welt zu gehen haben, die Schwierigkeiten, Prüfungen und Versuchungen des Weges bilden ebenso viele Gelegenheiten, um diese Eigenschaften ans Licht zu stellen und zu erproben. 
Das Durchschreiten der Wüste mit ihren Freuden und Leiden, ja, alles was uns begegnet, schlägt so für uns zum Segen aus. Wenn das Herz wirklich vor Gott geübt ist, und wir in der Kraft des neuen Lebens unter der mächtigen Leitung des Heiligen Geistes wandeln, so wird jeder Umstand, jeder Abschnitt unseres Weges bedeutungsvoll für uns, indem die Prüfungen, Schwierigkeiten und Kümmernisse, denen wir ausgesetzt sind, uns Gelegenheit geben, unsere Abhängigkeit und unseren Gehorsam praktisch zu beweisen. Beachten wir wohl, in welch wunderbarer Weise diese beiden Charakterzüge in der Geschichte Dessen ans Licht traten, der sich herabließ, Mensch zu werden, welcher der einzig vollkommene Mensch war. Wenn wir an die Versuchung des Herrn in der Wüste denken (Luk. 4), so wissen wir, dass das Erste, was Er Satan entgegenstellte, die Festigkeit des abhängigen Menschen war. „Jesus antwortete ihm und sprach: Es steht geschrieben: »Nicht vom Brote allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Worte Gottes«.« Der Leser wolle beachten, dass der Herr diese Stelle aus dem Kapitel anführt, welches uns gerade beschäftigt. Er tut das geflissentlich, denn dieser Teil der Schrift greift aus die Geschichte der Israeliten zurück, welche Gott aus ihrer Wüstenreise Abhängigkeit und Unterwürfigkeit lehren wollte. Hier nun gibt Gott uns das Muster dieser Dinge in Seinem eigenen Sohne, dem vollkommenen Menschen.
Diese Tatsache verbreitet viel Licht über eine andere Schriftstelle, deren Verständnis einige Schwierigkeit bietet; ich meine diese: „Und Er war daselbst bis zum Tode Herodes, auf dass erfüllt würde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, welcher spricht: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“. (Matth.2,15). Was will das sagen? Nichts anderes, als dass Christus, in Seiner eigenen Person, die Geschichte Israels wieder aufnimmt. Israel, das Volk Gottes, hat als solches in jeder Prüfung, in jeder Stellung, in die es versetzt wurde, nicht bestanden; es hat überall gefehlt, in der Wüste, im Lande, wie auch später, in welcher Lage es sich auch befinden mochte. Jesus nimmt, wie gesagt, in Seiner Person diese Geschichte wieder aus, und in jeder Stellung, in welcher das Volk nicht bestanden hat, wird Er als vollkommen erfunden. 

Er war vollkommen in der Wüste, vollkommen in der Abhängigkeit, vollkommen im Gehorsam, mit. einem Wort, vollkommen in jeder Beziehung. Die Wahrnehmung, das-, Gott in einem Menschen, in Dem, welcher zugleich Mensch und Gott war, den vollkommenen Menschen darstellt, ist unendlich kostbar für uns. Gott zeigt uns so in der Person Christi die charakteristischen Züge, welche einem Menschen eigen sind, der vor Gott wandelt. Er zeigt sie in Jesu. Vergessen wir das nie! Christus hat in dieser Welt gezeigt, was Gott dem Menschen gegenüber war, aber zu gleicher Zeit war Er der vollkommene Mensch vor Gott. 
Abhängigkeit ist der erste Charakterzug des vollkommenen Menschen. Deshalb kann es nur Nutzen bringen, in Not und Schwierigkeiten zu kommen. Denn aus der Prüfung fließt Segen hervor. Wenn wir abhängig« sind, so wird die Trübsal nur eine Gelegenheit zu gesegneten Übungen. Der Grund, warum so viele Kinder Gottes diese Abhängigkeit nicht kennen, ist folgender: Sie haben sich noch nie in Schwierigkeiten befunden, aus denen kein Ausweg mehr zu sein schien. Ich bedaure jeden, der das noch nicht durchgemacht hat. Ich bin überzeugt, dass wir alle einmal diesen Weg zu gehen haben werden, denn Gott ist, den Gedanken Seines Herzens gemäß, zu treu gegen uns, als dass Er uns nicht Gelegenheit geben würde, zu erfahren, was für eine Segnung es ist, nichts anderes mehr zu haben, als den lebendigen Gott. Es kann nur nützlich sein, in eine Lage gebracht zu werden, in welcher ich keine andere Hülfe vor mir sehe, als Ihn allein, den lebendigen Gott. Denn dann macht Gott sich meinem Herzen in einer Weise bekannt, wie ich Ihn nie vorher gekannt habe, und ich erfahre, was es heißt, in der Abhängigkeit geübt zu sein. 5
Hast du schon einmal eine Esche am Abhang eines hohen Hügels stehen sehen, mein lieber Leser? Je heftiger Wind und Sturm an dem schlanken Baume rütteln, desto tiefer senken sich dessen Wurzeln in den Erdboden, vorausgesetzt, dass sie frei und gesund sind. Der Sturm ist ein Segen für den Baum, denn er ist das Mittel, ihn fester und fester mit dem Erdreich zu verbinden. Ich brauche kaum zu sagen, dass ich von einem Herzen rede, welches wirklich vor Gott geübt ist, von einem Menschen, der mit Gott wandelt; denn für denjenigen, welcher nicht mit Gott wandelt, haben die Schwierigkeiten die Wirkung, dass sie zwischen die Seele und Gott treten, und das Ergebnis ist notwendigerweise ein geistlicher Niedergang. Im 13. und 14. Kapitel des vierten Buches Mose, wo die Kinder Israel auf dem Punkte standen, ins Land einzuziehen, sehen wir, wie die Schwierigkeiten sich zwischen sie und Gott stellten. Und was war das Ergebnis? Sie verloren das Bewusstsein des Gehorsams. „Sie sprachen zueinander: Lasst uns ein Haupt über uns setzen und nach Ägypten zurückkehren!“ Sie murrten, weinten und waren ungehorsam. Aber wenn das Herz wirklich geübt ist, wenn man vorangeht, das Auge fest auf Gott gerichtet, dann lehrt uns die Schwierigkeit Gott in besonderer Weise kennen, es entsteht ein Geheimnis zwischen der Seele und Gott, ein stilles Einvernehmen, von welchem ein« Dritter nichts weiß. 
Kennst du dieses Geheimnis, mein lieber Leser? Ich glaube, dass der Apostel auf dasselbe anspielt, wenn er in Phil. 4 sagt: „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen“. Er sagt nicht: „Euer Gott“. Warum nicht? Ohne Zweifel war Gott ebenso gut der Gott der Philipper, wie der Gott des Apostels, aber Paulus sprach von Ihm, als ob er Ihn in besonderer Weise, für sich, kännte. Wohl hat Jesus gesagt: „Mein Gott und euer Gott«; aber wenn ich von Gott rede, wie ich Ihn für mich kenne, so kann ich sagen: Es gibt Geheimnisse zwischen Gott und mir; „mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen“. Hier haben wir also eine der kostbaren Wohltaten, welche die Wüste uns erweist. Wir begegnen Schwierigkeiten, die uns in der Abhängigkeit von dem lebendigen Gott üben. 
Wir kommen jetzt zu der zweiten Unterweisung, welche die Wüste uns erteilt: der Unterwürfigkeit oder dem Gehorsam. Wir lesen in Matth. 11, 25: „Zu jener Zeit hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart“, und dann folgt eines der wunderbarsten Worte, die uns in der ganzen Schrift berichtet werden: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir“. Welch außergewöhnliche Worte von den Lippen des ewigen Sohnes Gottes! In den äußeren Umständen Christi war alles dazu angetan, Sein Herz auf das Tiefste zu betrüben. Johannes zweifelte an Ihm; die Städte, welche Seine gewaltigsten Wunderwerke gesehen hatten, taten nicht Buße; Israel war Kindern gleich, denen man gepfiffen, die aber nicht getanzt hatten, denen man Klagelieder gesungen, die aber nicht gewehklagt hatten. Kapernaum, das bis zum Himmel Erhöhte, sollte bis zum Hades hinabgestoßen werden. Worin fand denn das Herz des Herrn Trost „zu jener Zeit“, als nicht ein einziger Stern die Finsternis, welche Ihn umgab, durchbrach? War es nicht in der vollkommenen Unterwerfung unter den Willen des Vaters? „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Er nimmt gleichsam Zuflucht zu der vollkommenen Unterwürfigkeit des vollkommenen Menschen, und da findet Er Seine Befriedigung. 
Und alles das stellt Gott uns in einem Menschen vor: vollkommene Abhängigkeit, vollkommenen Gehorsam! Welch eine Unaussprechliche Gnade! Nicht nur sind diese beiden Dinge uns geoffenbart worden, wie es für Gott angemessen war, sondern sie sind zur Darstellung gelangt in der Person, den Wegen, dem Wandel und den Umständen dieses wunderbaren Heilandes: Gott, geoffenbart im Fleische. Er ist in diese Welt herabgekommen, — o vergessen wir es nicht! —- nicht nur um unseren armen Herzen das zu offenbaren, was in dem Herzen Gottes für uns war, sondern um vor Gott und Menschen unter diesen beiden Charakterzügen: Abhängigkeit und Gehorsam, das darzustellen, was ein vollkommener Mensch vor Gott ist. 
In 5. Mose 8 lesen wir: „Und du sollst gedenken des ganzen Weges, den Jehova, dein Gott, dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre“. Eine vierzigjährige Wanderung war also für Israel nötig. Vierzig Jahre sind sie in der Wüste umhergeirrt, ohne abhängig und gehorsam zu sein. Hast du verstanden, lieber Leser, was uns das sagen will? Sind nicht wohl manche von uns seit dreißig, vierzig, sechzig, ja vielleicht achtzig Jahren unterwegs, ohne diese Unterweisung bis heute gelernt zu haben? Dagegen erblicken wir in Christo einen Menschen, der Seine Geschichte als vollkommener Mensch in der Abhängigkeit und dem Gehorsam begann. Hierin liegt der Unterschied zwischen Ihm und uns. Wir haben vierzig, fünfzig, achtzig Jahre, je nachdem, nötig und find noch nicht vollkommen geworden in Abhängigkeit und Gehorsam. Für Christum war es der Ausgangspunkt. Er wurde Mensch durch eine Handlung des Gehorsams. So begann der vollkommene Mensch, Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit, Seinen Lauf. Er kam hernieder, um ein wahrhaftiger Mensch zu werden, ebenso wie Er wahrhaftig Gott war, vollkommen in allen Dingen, in denen wir nichts tun als fehlen. Es liegt ein großer Segen darin, Ihn so stets vor uns zu haben. Welch eine Freude ist es für das Herz, sich von allem anderen abwenden und nur Ihn betrachten zu dürfen! 
Ohne Zweifel steht Jesus unendlich hoch über uns; aber es gibt doch dem Herzen eine Erleichterung, zu sehen, wie Gott in einem Menschen, in Seinem eigenen ewigen Sohne, alles gefunden und in Vollkommenheit zur Darstellung gebracht hat, wonach Sein Herz verlangte, und was wir versäumt haben vor Ihm darzustellen. Diese hochgelobte Person, der Gegenstand der ewigen Wonne des Vaters, wird in der ganzen Vollkommenheit Seines Weges, in der vollkommenen Abhängigkeit, dem vollkommenen Gehorsam, worin Er stets das tat, was Seinem Vater gefiel,“ vor unsere Augen gestellt als das Muster, das einfache Muster von dem, was wir nach Gottes Willen, durch Seine Gnade und Seinen Geist, praktisch sein sollten. Ich spreche von der Tatsache, nicht von der Kraft, durch welche die Sache zur Ausführung gebracht wird· Möchte der Herr geben, dass die Wüstenreise uns zu diesem Ergebnis diene! Die Wüste ist nicht nur der Ort, wo die Gnade und Macht eines Gott-Heilandes zur Entfaltung kommen und alle unsere Notdurft erfüllen, durch alle Schwierigkeiten und Prüfungen hindurch, sondern sie ist auch die Schule, in welcher Gott uns, nach den unendlichen Reichtümern" Seiner Gnade, praktisch bildet, indem Er in uns Sein Werk fortsetzt und sich dazu eben jener widrigen Umstände bedient, der Dornen, Hindernisse, Mühen und Schwierigkeiten des Weges, um so um Seines Namens willen Seine Gnadenabsichten in uns zur Vollendung zu bringen. 
Bevor wir zum zweiten Teil unseres Gegenstandes übergehen, der mir noch kostbarer als der erste erscheint, möchte ich noch einmal auf die Bemerkung zurückkommen·, dass die Wüste eine für Gott notwendige Sache gewesen sei im Blick aus Seine Wege mit uns. Ein solches Wort mag seltsam erscheinen, aber Tatsache ist, dass die Zuneigungen Gottes des Wüstenweges bedürfen, um sich in ihrer Wirklichkeit offenbaren zu können. Die Wüste ist tatsächlich der einzige Ort, welcher Gott Gelegenheit gibt, Seine unveränderliche Liebe und die treuen Zuneigungen Seines Herzens zur Ausübung zu bringen. Im Himmel werden wir keine Sorgen, keine Leiden und Tränen, keine Not, keine Mühen und Prüfungen mehr haben; alle diese Dinge gehören dem irdischen Schauplatz an, und Gott bedarf ihrer, um sich selbst darin zu offenbaren. Wunderbarer Gedanke: göttliche Macht im Dienst der menschlichen Schwachheit, menschliches Elend der Gegenstand des göttlichen Mitgefühls und Erbarmens! In Wahrheit, es war eine Welt wie diese nötig, damit Gott in ihr die ganze zärtliche Liebe zeigen konnte, welche Sein Herz erfüllt gegen Seine armen, geprüften Heiligen. Er naht sich ihnen, Er trägt Sorge für sie, Er tröstet sie, Er pflegt sie, ,,wie eine Amme ihre eigenen Kinder pflegt“ (1. Thess. 2, 7). Meinst du nicht, teurer Leser, dass es zur Zeit, als die Seele des Paulus gestärkt wurde, für Gott und Christum eine besondere Freude war, zu dem Apostel zu kommen und ihm zuzurufen: „Sei gutes Mutes!“ Wenn diese Begebenheit in der Geschichte des Apostels gefehlt hätte, so behaupte ich kühn, dass Gott eine andere geschaffen haben würde, nicht nur des Paulus wegen, sondern auch um zu zeigen, in welcher Weise Christus sich Seinem Diener zu nahen und dessen Herz zu stärken liebte in seinem treuen Dastehen für Ihn und in seinem Leiden für Seinen Namen. 
Die Umstände, durch welche wir gehen, bieten Gott die Gelegenheit, sich uns zu offenbaren, sie sind aber nicht die Quelle Seiner Tätigkeit. Da ist kein einziger Beweggrund in dem Herzen Gottes, der nicht seine Quelle in Ihm selbst hätte. In uns findet Er keine Beweggründe zum Handeln, wohl aber gibt unser Elend Ihm Gelegenheit, Seine Barmherzigkeit zu zeigen. Er findet darin den günstigen Zeitpunkt, um die zärtliche Liebe Seines Herzens zu offenbaren. In unseren Leiden entfaltet Er Seine Tröstungen, in unseren Schwierigkeiten Seine unergründliche Weisheit und Macht. Aber die Beweggründe zu allem sind nur in Seinem Herzen. Welch eine gesegnete Tatsache! Alle Quellen sind in Gott selbst, und unsere Umstände bilden für Ihn nur die Gelegenheiten, das zu offenbaren, was bereits in Seinem Herzen ist. Wie unendlich ist die Gnade, die sich so tief herablassen kann! Haben unsere Herzen in diesem Augenblick ein Gefühl davon? Ist unter den Lesern einer, der in irgend einer Weise bekümmert oder geprüft ist? Er möge die herrliche Tatsache erfassen, dass Gott über ihn wacht, dass Seine kostbaren Hilfsquellen da sind für alle seine Umstände! Wir dürfen davon überzeugt sein, dass es für das Herz Gottes stets eine Freude ist, uns zu Hülfe zu kommen, und zwar nicht nach unseren Gedanken, sondern nach Seiner unendlichen Weisheit und Seiner tiefen Liebe; denn- es ist Sein eigenes Herz, welches Seine Hand leitet. Ich weiß, dass ich Gottes Wege nicht immer so verstehe, wie ich sollte und könnte, aber ich sehe immer wieder, dass den Menschen nichts ungläubiger macht, als wenn er versucht, Gott nach den Wegen Seiner Regierung zu beurteilen. Große Massen werden in unseren Tagen vom Unglauben erfasst und verführt. Das ist ein Übel, welches beständig zunimmt. Ich kenne manche, die am Glauben Schiffbruch gelitten haben, weil sie auf ihre Umstände, auf die Wege, die sie geführt wurden, hinblickten. Sie kannten Gott genügend, um Ihn nicht von ihren Umständen zu trennen; sie glaubten nicht an die schreckliche Anschauung, dass alles vom Zufall geleitet werde. Aber sie beurteilten Ihn nach Seinen Wegen mit ihnen, und so verloren sie ihr geistliches Gleichgewicht und wurden an Gott irre. Nein, auf diese Weise gibt Gott nicht das Geheimnis Seiner Wege zu erkennen; aber ich will euch sagen, was Er zu erkennen gegeben hat. Da ist nicht ein einziges geheimes Kämmerlein in Seinem Herzen, das Er uns nicht geöffnet und geoffenbart hätte. Der vielgeliebte Sohn hat all die Zuneigungen des Vaters kundgemacht. Wir kennen Ihn, wir kennen Sein Herz, und wie kostbar ist es, immer wieder dahin fliehen zu können! 
Die Wege Gottes sind oft in Wolken und Finsternis gehüllt. Ich erkenne nicht von Anfang an das Ende des Weges, den Er mich führt; vielleicht hält Gott es mir absichtlich verborgen. Aber wenn ich die Liebe zum Ausgangspunkt nehme, die Sein Herz erfüllt, Seine unendliche Güte, dann weiß und glaube ich, und spreche es ohne Furcht aus: „Gott, der Höchste, der Allmächtige, liebt mich auf immerdar“. Ich messe dann Seine Wege nach Seinem Herzen, und nicht Sein Herz nach Seinen Wegen» Ich hörte einmal von einem Manne, der das Evangelium der Gnade Gottes und den einzigen Weg, auf welchem ein Sünder zu Ihm geführt werden kann, in entschiedenster Weise zurückwies. „Ich kann“, sagte er, „euer ewiges Predigen nicht verstehen. Das Blut, das Blut, immer das Blut! Was für ein Gott ist eigentlich euer Gott? Ich höre euch von nichts anderem reden als von Blut und Tod.“ Die Antwort, die er erhielt, bestand in einer Frage. „Welche Verbindung besteht“, so fragte man ihn, „zwischen dem Gott, von welchem Sie in solchen Ausdrücken reden, und dem Opfer, das Sie verachten, und das Er doch bereitet hatte?“ Das war die richtige Antwort. Das Opfer war der Sohn Seiner Liebe! 
Die Erkenntnis der göttlichen Liebe löst alle Fragen. Auf der einen Seite antwortet sie auf die Spöttereien des Ungläubigen, auf der anderen befestigt sie das schwache Herz, das geneigt ist, sich in Verwirrung bringen zu lassen. Gott hat Seinen eingeborenen Sohn gegeben, den Sohn Seiner Liebe, welcher von Ewigkeit her in dem Schoße des Vaters war, von dem selbst, als Er hienieden war, geredet wurde als dem „eingeborenen Sohn, der in des Vaters Schoß ist“ (Joh. 1, 18.) Gott hat Ihn dahingegeben in der unendlichen, unergründlichen, wunderbaren Größe Seiner Liebe, um uns allen zu beweisen, dass Er ein Herz hat! Er hat den teuersten Gegenstand Seiner .Zuneigungen dahingegeben, um uns zu beweisen, dass es eine Lüge ist, wenn Satan uns zuflüstert, Gott bekümmere sich nicht um Seine Geschöpfe. 
Ich habe bereits bemerkt, dass es nicht alles ist, dass Gott uns in unseren Umständen entgegenkommt; es gibt in Bezug hierauf eine noch kostbarere Wahrheit, und die finden wir in Luk. 12 in den wenigen Worten: „Euer Vater aber weiß«. Jesus sagt nicht: Euer Vater wird euch zu Hülfe kommen, um eure Notdurft zu erfüllen, —— das wird Er gewiss tun, — sondern Er richtet die Herzen der Seinigen auf die Kenntnis des Vaters: „Er weiß“. Teurer Leser, genügt dir das nicht? Genügt es dir nicht in jeder Lage, dass der Vater alles weiß, dass Er ein Auge auf dich gerichtet hält, welches nie schläft, dass Er ein Ohr hat, das stets geöffnet ist, eine Liebe, die sich nie verändert? „Er weiß!“ Kostbare Wahrheit! Ruhst du darin? 
Möchte der Herr uns alle die Tröstungen und die kostbaren Früchte des Wüstenlebens finden lassen! Es ist nötig, dass wir in der Abhängigkeit und dein Gehorsam geübt werden, und andererseits will Gott uns zeigen, dass Er Mitleid mit uns hat in unserer Schwachheit und in unseren Schwierigkeiten, und dass Er uns nahe sein will. Und wer könnte uns in solchen Augenblicken so nahe sein wie Gott? Das Mitgefühl des Menschen ist im günstigsten Falle nichts weiter als der Ausdruck seiner eigenen Schwachheit. Aber wenn Gott uns naht, welch ein Segen folgt dann! „Der Herr aber stand mir bei“, sagt der Apostel, und an einer anderen Stelle: „Ein Engel des Gottes, dessen ich bin und dem ich diene, stand in dieser Nacht bei mir“. Der Herr schenke uns durch Seinen Geist, die Lieblichkeit dieser Dinge mehr zu kosten, während wir die öde Wüste dieser Welt durchpilgern! 

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Heilig dem Jehova

Bibelstelle: Sacharja 14,20 

Botschafter des Heils 1910 S. 15ff 

Sobald ein Mensch Vom Gnadenruf Gottes erreicht und errettet worden ist, ist er geheiligt, d. h. für Gott abgesondert und Seinen Heiligen zugezählt. Das Wort nennt ihn jetzt „heilig“. Diese hohe Bezeichnung ist also nicht etwa von seinem Zustand, seinem Wandel oder von sonst etwas von ihm abhängig, sie gründet sich nicht einmal auf das Werk des Heiligen Geistes in ihm, obschon jeder Fortschritt im geistlichen Leben von dem Geist abhängt. Nur das Werk Gottes für uns, nur die Vereinigung mit Christo in Seinem Tode und Seiner Auferstehung haben diese neue Ordnung der Dinge herbeigeführt, in welcher wir als „Heilige“, als „heilige Brüder“ unseren Platz haben. Wir gehören jetzt der neuen Schöpfung an, von welcher Er das Haupt ist; und da „Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, alle von einem sind“, so schämt Er sich nicht, uns Brüder zu nennen. Er, der „Erstgeborene vieler Brüder“, hat uns in der Vollgültigkeit Seines Werkes und gemäß der Wohlannehmlichkeit und Kostbarkeit Seiner Person vor Gott hingestellt. 
In dieser Hinsicht kann also weder von einem Ergreifen, noch von einem Fortschreiten oder Wachsen die Rede sein. Die „Heiligkeit“ ist einfach eine Frage unserer gemeinschaftlichen Stellung in und mit Christo vor Gott, so dass das jüngste und schwächste Kind Gottes ebenso wirklich und bestimmt zu den „Heiligen“ gehört, wie die großen und ausgezeichneten Apostel selbst. In der Kraft des Heiligen Geistes und auf Grund des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi stehen alle, die errettet sind, vor Gott als „Auserwählte, Heilige und Geliebte“ (Kol. 3, 12). 
Welch eine Gnade! Welch hohe Stellung! Wohl mögen wir im Hinblick darauf, wie Petrus beim Gedanken an die Auflösung aller Dinge, ausrufen: „Welche sollten wir nun sein in heiligem Wandel und Gottseligkeit!“ Die Wiedergeborenen oder Erlösten haben also nicht heilig zu wandeln, damit sie „Heilige“ werden, sondern sie sind zu „Heiligen“ gemacht, um fortan heilig zu wandeln. Dazu sind sie berufen, «und zwar zu jeder Zeit und auf alle Weise. Als ein heiliges Volk zu Gott gebracht, stehen sie unter der ernsten Verantwortlichkeit, sich auch als ein solches hienieden zu erweisen. Gott sagt: „Seid heilig, denn ich bin heilig!“ 
Was heißt nun „heilig sein“, „heilig wandeln“? 
„Heilig“ bedeutet nicht bloß „abgesondert“, sondern „abgesondert für Gott“. Das Wort hat einen zweifachen Sinn; es bezeichnet »das Getrenntsein vom Bösen«, und zugleich „die Weihe und Hingabe für Gott“. „Heilig sein“ heißt also nicht nur: „sich der Sünde für tot halten“, sondern auch: „Gott leben in Christo Jesu“. (Röm. 6, 11.) Das Wesen der Heiligkeit ist also, wenn ich mich so ausdrücken darf, negativ und positiv, verneinend und bejahend. Unser Leben gibt ihr Ausdruck, wenn wir sowohl „ja“ als auch „nein“ zu sagen verstehen: nein zu der Sünde, der Welt, dem Teufel, und ja zu Christo, Seiner Wahrheit und Seinen Geboten. Mose kannte das Nein, als er sich weigerte, ein Sohn der Tochter des Pharao zu heißen, und das Ja, als er erwählte, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden. 
Der Nasiräer im alten Bunde hatte sich nicht nur vor der verunreinigenden Berührung eines Toten zu hüten, sondern musste sich auch von jeder Frucht des Weinstocks enthalten und sein Haupthaar wachsen lassen. So ist es auch die tägliche Aufgabe der Heiligen, sich von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes zu reinigen und sich „als Lebende aus den Toten“ Gott darzustellen in Unterwerfung unter Ihn und in Absonderung für Ihn, „heilig zu sein in allem Wandel“. Die heilige Furcht vor der Befleckung durch das Böse muss die heilige Liebe zu Gott in Christo zur Gefährtin haben, wenn wir heilig sein, heilig wandeln wollen. 
Das göttliche Leben in dem Gläubigen begehrt nach Heiligkeit im täglichen Leben, nach einem Wandel im Geiste, welcher der neuen Natur entspricht. Fleisch und Geist sind einander entgegengesetzt, und so lange wir hienieden pilgern, wird das Fleisch wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch gelüsten. Der Gläubige hat aber die Zusicherung, dass er, wenn er im Geiste wandelt, die Lust des Fleisches nicht vollbringen wird (Gal. 5, 16. 17.) Wohl muss er die niederdrückende Erfahrung machen, dass er, ebenso wenig wie er sich aus eigener Kraft erretten konnte, auch nicht aus eigener Kraft im Geiste zu wandeln und die Forderungen der Heiligkeit: Trennung von der Sünde und Hingabe an Gott, zu erfüllen vermag. Diese Erfahrung ist schmerzlich, aber heilsam und notwendig, weil sie ihn (vielleicht erst nach langem Ringen und Kämpfen), zu der Erkenntnis bringt, dass in ihm, das ist in seinem Fleische,- nichts Gutes wohnt, dass er aber in Christo von der Herrschaft der in ihm wohnenden Sünde befreit ist, indem er nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade steht. Während das Gesetz von der Voraussetzung ausgeht, dass der Mensch Kraft hat, seinen Geboten nachzukommen, wendet sich die Gnade an den Kraftlosen und lehrt ihn, in dem neuen Leben, dem Leben eines Anderen, dem Leben Christi, das er durch den Geist besitzt, seinen Leib als ein lebendiges Schlachtopfer Gott darzustellen. Sobald der Gläubige seine vollständige Kraftlosigkeit erkannt und verstanden hat, dass seine Kraft in einem Anderen ist, wird er sich an den Starken anklammern und durch dessen Kraft siegen; doch wohlverstanden: nicht durch Christi Kraft Und eigene Kraft, sondern nur durch die Kraft Christi, die in ihm, dem Schwachen, wirkt. 
Welch eine Freude erfüllt das Herz des Gläubigen, wenn er erkennt, dass er von der Sünde freigemacht ist; zwar nicht als ob er von ihrer Gegenwart befreit wäre, wohl aber von ihrer Herrschaft über ihn. Diese Befreiung ist durch den Tod geschehen· Er ist frei, weil er im Leben vereinigt ist mit Ihm, der einst für ihn der Sünde starb. „Wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde“ Und: „was Christus gestorben ist, ist Er ein für allemal der Sünde gestorben, was Er aber lebt, lebt Er Gott“. Deshalb soll die Sünde nicht mehr in unserem sterblichen Leibe herrschen, noch sollen unsere Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit dienen; wir sind frei, Gott zu leben in Christo Jesu (Röm. 6, 7 —1 4). 
Es gibt nun manche aufrichtige Christen, welche meinen, diese Befreiung erst nach und nach durch eine völligere Hingabe, durch mehr Ernst und heilige Treue erreichen zu können. Diese Brüder greifen die Sache am verkehrten Ende an. Wir werden in der oben angeführten Stelle ermahnt, uns Gott darzustellen „als Lebende aus den Toten«: mit anderen Worten: wir stellen uns nicht Gott dar, um die Segnung der Befreiung zu erlangen, sondern weil wir sie durch die Gnade bereits besitzen. Wir halten uns dafür, der Sünde gestorben zu sein, und leben nun Ihm. Wir werden aber andererseits nur dann Frieden und Freude durch den Heiligen Geist in unserer Seele haben und in praktischer Heiligkeit wachsen, wenn wir uns rückhaltlos dem Herrn übergeben und uns, soweit unser Licht reicht,. von allem absondern, was Seiner Heiligkeit zuwider ist. 
Und Gott nimmt es ernst mit Seiner Forderung der Heiligkeit, so lange wir hienieden pilgern. Die wahre Trennung von der Welt, der erste Schritt unserer Absonderung für Gott, kann sich nur aus der Gemeinschaft mit Gott ergeben. Sich für Gott absondern heißt nicht etwa: sich äußerlich von der Welt trennen, weltflüchtig sein und, wie die Mönche und manche Weltweise es tun, sich selbst zum Mittelpunkt seines Daseins machen. Aus dieser Art von Absonderung, welche uns in uns selbst einschließt, gehen nur Kälte und Unfruchtbarkeit hervor, während die Absonderung für Gott uns von uns ausgehen lässt und uns tätig und fruchtbar macht in der Liebe für andere. Dann räumt man Gott den Ihm gebührenden Platz ein und macht nicht sich und „die eigenen Interessen zum Mittelpunkt. Das Wort spricht ja auch nicht davon, dass wir aus der Welt hin-ausgehen sollen, sondern sagt uns ausdrücklich, dass wir in ihr vor dem Bösen bewahrt werden sollen. „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen“ (Joh. 17, 15). Auch Paulus schreibt an die Korinther, dass sie das Zusammentreffen mit Hurern, Habsüchtigen, Räubern oder Götzendienern nicht vermeiden könnten, da sie ja sonst „aus der Welt hinausgehen“ müssten. 
Nein, wir haben die Aufgabe, inmitten dieser unheiligen, gottentfremdeten Welt, den: Schauplatz der Sünde, als ,,Heilige« zu wandeln, „uns zu reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes?“. (2. Kor. 7, 1). Und weil es uns leider so sehr an dieser Furcht mangelt, gelingt es Satan so oft, unser Auge für die Heiligkeit unseres Verhaltens und Wandels zu trüben. Wie traurig ist das, da Gott uns doch nicht zur Unreinigkeit berufen hat, sondern in Heiligkeit! (1. Thess. 4, 7). 
Wenn wir „Heilige Gottes“ sind, so sind wir es nicht halb, sondern ganz. Mögen wir uns denn wohl prüfen, ob unserem Verhalten beständig die Inschrift „Heilig dem Jehova!“ ausgeprägt ist, ob wir, die wir ein Brief Christi sind, gekannt und gelesen von allen Menschen, diesen Charakter der Heiligkeit stets offenbaren! Liest nicht die Welt oft in unserem Tun, dass wir zwar nicht die Welt in ihren gröbsten Formen, in ihrer unverhüllten Erscheinung begehren, wohl aber viele Dinge in der Welt lieb haben, die, obwohl in sich selbst nicht böse, doch der Heiligkeit nicht entsprechen? Und wir sind doch ermahnt, die Welt nicht lieb zu haben, noch was in der Welt ist. 
Wachen nicht auch leicht alte Gewohnheiten, welche uns gefangen hielten, ehe das Licht Gottes uns erreichte, wieder in uns auf und treten in deutlichen Schriftzeichen aus dem Briefe hervor? Kommen nicht natürliche Neigungen, die wir bei unserer Bekehrung Verurteilten, nach und nach wieder in den Brief hinein und verdunkeln seinen Charakter? Vergessen wir nicht, dass alte Neigungen und Gewohnheiten eine fortwährende Gefahr bilden. Wir sehen das an den Kretern, welche von Natur „Lügner“ waren und ernste Spuren davon auch noch nach der Bekehrung zeigten, so dass Titus sie streng zurechtweisen musste. (Tit. 1, 12. 13). 
Und wie unklar und unleserlich wird erst die Sprache des Briefes Christi, wenn Weltförmigkeit sie beeinflusst und die Überschrift „Heilig dem Jehova« allmählich ganz überschattet; wenn es sich zeigt, dass man die Dinge dieser Welt nach ihren Beziehungen zu uns, und nicht nach ihren Beziehungen zu dem von ihr verworfenen und verachteten Christus beurteilt, wenn Gemeinschaft mit Dingen gemacht wird, gegen welche man zeugen sollte! 
Auch machen wir gern einen Unterschied zwischen Geistlichem und Menschlichem, Wichtigem und Alltäglichem, in dem Sinne nämlich, dass wir uns in gewissen Dingen geistliche, heilige Grundsätze zur Richtschnur dienen lassen, während wir in anderen, z. B. im Geschäft, im Alltagsleben, beim Essen und Trinken oder sonst wie, als natürliche Menschen handeln zu dürfen glauben. Von einem solchen Unterschied weiß aber die Schrift nichts. Immer und Überall gehören wir dem Herrn an, nicht mehr der Welt und nicht mehr dem eigenen Ich. Immer und überall sind wir Ihm geheiligt und haben uns nach Seinem Willen zu richten. Alles was wir tun, im Wort oder im Werk, sollen wir tun im Namen des Herrn Jesu und zur Ehre Gottes. Die Schrift wendet diesen heiligen Grundsatz, sogar auf Essen und Trinken an. (Vergl. Kol. 3, 17; 1· Kor. 10, 31). 
Paulus konnte immer sagen: „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“, ganz gleich. ob er das Evangelium verkündigte oder als Zeltmacher arbeitete. Gott macht in Seiner Aufforderung zur Heiligkeit keinen Unterschied zwischen Großem und Kleinem, zwischen Geistigem und Materiellem; und wenn wir den Herrn Jesum in Seinem Leben hienieden betrachten, so sehen wir, wie Er immer und überall einzig und allein für Gott lebte, wie Er alles Ihm tat, um Seinen Willen zu erfüllen und Ihn zu verherrlichen, mochte Er als Zimmermann arbeiten oder predigen, mochte Er essen oder trinken, ruhen oder wirken. Und so zu leben, sind auch wir berufen, und durch die Gnade des Herrn ist es uns in Seiner Kraft möglich, Ihm nachzueifern. Wohl werden wir dieses hohe Vorbild nie erreichen, und werden uns immer wieder, wie die Thessalonicher von Paulus, ermahnen lassen müssen, „doch reichlicher zuzunehmen“; aber lasst uns mit Fleiß diesem uns von Gott gesteckten Ziele nachjagen, denn: „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“. (1. Joh. 2, 6). 
Ja, nehmen wir es genau mit der Heiligkeit in allen Dingen, in großen und kleinen, in wichtigen und unwichtigen! Wir sind abgesondert für Gott und haben uns von allem fern zu halten, was nicht zu unserer Stellung als Heilige und Geliebte passt. Alles in uns, an uns und um uns soll dem Herrn heilig sein. Wir lesen in dem Propheten Sacharja bei der Beschreibung der Zustände im Taufendjährigen Reich, wenn der Herr wieder bei Seinem irdischen Volke gegenwärtig sein wird: „An jenem Tage wird aus den Schellen der Rosse stehen: Heilig dem Jehova. Und die Kochtöpfe im Hause Jehovas werden sein wie die Opferschalen vor dem Altar; und jeder Kochtopf in Jerusalem und in Juda wird Jehova der Heerscharen heilig sein“ (Kap. 14, 20. 21). 
Da handelt es sich doch wahrlich um recht unbedeutende, recht materielle Dinge, um Pferdeschellen und Kochtöpfe, und doch werden sie dem Herrn heilig sein, ja, alles im Lande. —— „Welche sollten wir dann sein in heiligem Wandel und Gottseligkeit!“

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Das ganze Volk stand auf 

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils 1910 S. 24ff  

„Und Esra öffnete das Buch vor den Augen des ganzen Volkes, denn er ragte über dem ganzen Volke empor; und als er es öffnete, stand das ganze Volk auf“ (Neh. 8, 5).   
Es ist ein ergreifendes SchauspieI, an welches uns die obigen Worte erinnern. Der aus Babylon zurückgekehrte Überrest des jüdischen Volkes hatte unter der selbstverleugnenden und tatkräftigen Leitung Nehemias die Mauern Jerusalems wieder gebaut, und nun versammelten sich alle wie ein Mann auf dem Platze, der vor dem Wassertore lag (V. 1). Der siebente Monat war herangekommen. dieser vor allen anderen bedeutungsvolle Monat für Israel, denn er begann mit dem Fest des Posaunenhalls, brachte am zehnten den großen Tag des Versöhnungsfestes und führte am fünfzehnten das Laubhüttenfest herbei. (Vergl. 3. Mose 23, 23 43.) Gott hatte gleichsam mit Seiner Posaune in die Herzen und Gewissen hineingeblasen, wie es „am Ende der Tage“, wenn die genannten Feste ihre Erfüllung finden werden, wieder geschehen wird. Das Volk hatte den Schall vernommen und war aufgewacht. Licht war ihnen aufgegangen. 
„Und sie sprachen zu Esra, dem Schriftgelehrten, dass er das Buch des Gesetzes Moses bringen sollte, welches Jehova Israel geboten hatte. Und am ersten Tage des siebenten Monats brachte Esra, der Priester, das Gesetz, vor die Versammlung, sowohl der Männer als der Weiber, und vor alle, die Verständnis hatten, um zuzuhören“ (V. 1. 2). Sobald das Gewissen ins Licht Gottes kommt, merkt man auf das Wort Gottes. Es gewinnt einen Wert und eine Bedeutung, die es früher nicht hatte. Das Ohr ist jetzt geöffnet, und das Herz verlangt zu hören. Jede geistliche Erweckung oder Neubelebung kennzeichnet sich durch eine Umkehr zu Gottes Wort. 
So war es auch hier. Die ganze Gemeinde, Männer und Weiber, ja, auch die Kinder, soweit ihr Geist genügend entwickelt war, um das Wort verstehen zu können, versammelte sich und horchte gespannt auf das, was gelesen wurde. „Die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet.“ Glückliches Volk! „Auf diesen will ich blicken“, sagt Gott, „auf den Elenden und auf den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte“ (Jes. 66, 2),
Auf einem hohen Holzgerüst stehend, welches man eigens zu diesem Zweck errichtet hatte, ragte Esra über dem ganzen Volke empor. Und er „öffnete das Buch vor den Augen des ganzen Volkes . . ·, und als er es öffnete, stand das ganze Volk auf“. 
Verschiedene Punkte drängen sich hier unserer Beachtung auf. Vor allem ist es die Ehrfurcht vor Gottes Wort, die sich hier zeigt. Sobald das Buch des Gesetzes geöffnet wird, stehen alle auf. Ein erhebender Anblick! Wenn in den gesetzgebenden Körperschaften eines Volkes eine königliche Botschaft verlesen wird, so erheben sich alle Anwesenden von ihren Sitzen, um so ihre Ehrerbietung vor der Person Dessen zu bezeugen, der, wenn auch nicht selbst gegenwärtig, zu ihnen redet. Feinde des Königs verlassen den Saal. 
Hier redete der „große König“ zu Seinem Volke, und ohne eine Aufforderung empfangen zu haben, stehen alle auf, wie von einem gewaltigen Drang getrieben. 
Wohnt in unseren Herzen dieselbe Ehrfurcht vor Gottes Wort? Gewiss, es war damals eine besondere Gelegenheit, eine außergewöhnlich feierliche Stunde; aber das Tun des Volkes war-Gott wohlgefällig und redet zu uns. Nicht dass wir nur stehend Gottes Wort lesen oder anhören dürften, — zu Zeiten, bei außergewöhnlichen Anlässen, mag es durchaus am Platze sein,— aber doch sollte sich in unserem äußeren Verhalten stets zeigen, dass wir uns bewusst sind: es ist Gottes Wort, das wir lesen. Vor allem sollte dies zutage treten, wenn das Lesen öffentlich geschieht, sei es im Kreise der versammelten Gläubig-en oder bei der Verkündigung des Evangeliums vor der Welt. Die Haltung, das Benehmen des Lesenden sollte in den Hörenden unwillkürlich das Bewusstsein wachrufen, dass es etwas Heiliges, Ehrfurchtgebietendes ist, was ihnen gebracht wird. Dass in einer solchen Versammlung der Lesende daher immer stehen sollte, ergibt sich hieraus von selbst. 
Es ist nicht gut, Regeln aufzustellen oder Gebote zu machen, aber die Schrift gibt uns in manchen Dingen deutliche Fingerzeige, welche wir beachten sollten, und die geistlichen Gefühle und Triebe der neuen Natur in uns sind, wenn auch nicht untrügliche Führer, so doch beachtenswerte Weiser und Mahner. Man kann deshalb auch oft die Beobachtung machen, dass einfache Menschen, deren Erziehung vielleicht recht mangelhaft war, die aber in Gottesfurcht wandeln und viel in der Gemeinschaft ihres Herrn weilen, mit einem erstaunlichen Schickichkeitsgefühl handeln und in einer Weise sich benehmen, dass andere, äußerlich mehr Bevorzugte, beschämt dastehen müssen.
 Auch beim Lesen des Wortes Gottes in der Familie ist es überaus wichtig, das Bewusstsein in allen Herzen wach zu erhalten, dass Gott redet. Es kann so leicht dahin kommen, dass man „gewohnheitsmäßig“ die Bibel aufschlägt und einen Abschnitt liest; und so- bald diese Herzensstellung bei dem Lesenden eintritt, teilt sie sich sehr bald den Hörenden, besonders den Kindern und Unbekehrten, mit. Lasst uns deshalb auf unserer Hut sein und vor diesem schlimmen Übel uns fürchten! 
Beachtenswert ist ferner, dass die Israeliten nicht nur ihre Weiber, sondern auch „alle, die Verständnis hatten, um zuzuhören“, unter den Schall des Wortes“ brachten. Keiner, der irgendwie imstande war, „zuzuhören“, durfte fehlen. Mochten die jüngeren Kinder auch nicht alles, was gesagt wurde, verstehen oder in seiner ganzen Tragweite erfassen können, so hörten sie doch die Stimme Gottes zu sich reden und empfingen tiefe, unverwischbare Eindrücke von der Wirkung des Wortes auf ihre Eltern und größeren Geschwister. Das ist eine wichtige Sache, die vielleicht im allgemeinen zu wenig Beachtung findet. Alle unsere Kinder, so weit sie genügend herangewachsen sind, um zuhören zu können, sollten zugegen sein, wenn wir uns um das Wort versammeln, und sie sollten zugleich an uns sehen, was dieses Wort für uns ist.
Lieblich und ernst ist der Inhalt des 8. Verses unseres Kapitels: „Und sie (die Leviten) lasen in dem Buche, in dem Gesetz Gottes, deutlich, und gaben den Sinn an, dass man das Gelesene verstand“. Die Männer lasen „deutlich“, für jedermann verständlich, und erklärten das Gelesene, so dass alle mit den Gedanken Gottes bekannt wurden. Auch hierin liegt eine wichtige Belehrung für uns. Gott will, dass man Sein Buch auch verstehe, und so gibt Er Männer, deren Herzen Er in besonderer Weise erleuchtet, dass sie es deutlich zu lesen und auszulegen verstehen. Unsere Sache ist es dann, das Gehörte in einem guten, wohl zubereiteten Herzen zu bewahren und danach zu handeln. 
Auch für Familienväter enthält dieser Vers eine Ermunterung und Belehrung. So wie „der treue und kluge Verwalter dem Gesinde die zu gemessene Speise zur rechten Zeit gibt« (Luk. 12, 42), sollte auch ein Familienvater (denn ihm ist gleichfalls eine Verwaltung anvertraut) wohl vor dem Herrn erwägen,-was er seinem Hause vorliest, und wie er das Gelesene den Hörenden verständlich macht. Ist es nicht tief befremdend, wenn Kinder aus Christenhäusern oft auf die einfachsten Fragen über göttliche Dinge keine befriedigende Antwort zu geben wissen? Hat da wohl der Vater oder die Mutter deutlich gelesen und, so viel der Herr Gnade gab, das Gelesene verständlich gemacht?“ 
Zum Schluss noch dies: es ist Gottes Freude, die Seinigen weiter zu führen und ihren Eifer zu belohnen. So lesen wir im 14. Verse, dass die Männer, welche auch am zweiten Tage zu Esra kamen, um aufzumerken auf die Worte des Gesetzes, im Gesetz geschrieben fanden.-— Wer sucht, der findet.

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Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: Mose 8 und 11

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 29

Wir kommen jetzt zu der anderen Seite unseres Gegenstandes, zu jener himmlischen Wohnstätte, von welcher ich bereits sagte, dass sie viel weniger als eine gegenwärtige, wirkliche und von der Seele genossene Sache bekannt sei, als die Pilgerschaft hienieden, von welcher wir gesprochen haben. Es tut uns aber not, beide Wahrheiten zu kennen. Der Herr wolle uns in Seiner Gnade dahin leiten! 
Die Übungen der Wüste werden für unsere Herzen keine Frucht bringen, wenn wir nicht das kennen, worüber ich jetzt einige Worte sagen möchte. Lesen wir zunächst das 11. Kapitel des 5. Buches Mose. Wir finden da die göttliche Beschreibung des Landes Kanaan, mit anderen Worten: die Wohnstätte und das was sie kennzeichnet. Die Verse 10 12 erheischen unsere besondere Aufmerksamkeit, da sie Ägypten und das Land Kanaan einander gegenüberstellen. Die Welt ist für uns Christen zugleich Ägypten und die Wüste: Ägypten in sittlicher Hinsicht, die Wüste vom Standpunkt der Erfahrungen aus. 
Doch was lesen wir? „Denn das Land, wohin du kommst, um es in Besitz zu nehmen, ist nicht wie das Land Ägypten, von wo ihr ausgezogen seid, wo du deine Saat sätest und mit deinem Fuße wässertest, wie einen Krautgarten; sondern das Land, wohin ihr hinüberziehet, um es in Besitz zu nehmen, ist ein Land mit Bergen und Tälern; vom Regen des Himmels trinkt es Wasser; ein Land, auf welches Jehova, dein Gott, acht hat: beständig sind die Augen Jehovas, deines Gottes, darauf gerichtet, vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres“. Was bedeutet das alles? Der erste Teil der Stelle will uns, wie mir scheint, sagen, dass in der Wüste dieser Welt alles von Mühen begleitet ist. Da ist kein einziger Tag, der ganz ohne Wolken wäre. Denken wir z. B. nur an das Säen und Ernten. Welche Sorgen sind damit verknüpft! Jeder Landmann kann davon erzählen, wie er das ganze Jahr hindurch, wenn die Saaten draußen stehen, in Unruhe ist betreffs der Ernte. Mit vieler Mühe hat er den Erdboden bearbeitet und den Samen ausgestreut. Wird er gedeihen? Eine ununterbrochene Kette von Sorgen und Befürchtungen, bis endlich die Ernte kommt· So war es in zwiefacher Hinsicht in Ägypten, für welches der Nil die einzige Quelle der Fruchtbarkeit bildete. Man musste Kanäle graben, um das Wasser überallhin zu leiten, sobald der Fluss über seine Ufer trat. Die Bewässerung des Bodens selbst geschah mit dem Fuße, d. h. durch das Treten eines Schöpfrades. Wie viel Arbeit und Mühe erfordern: das alles! 
Die Anwendung davon ist nicht schwer. Wo wäre ein Kind Gottes zu finden, welches nicht selbst schon die Erfahrung gemacht hätte, dass alles hienieden, selbst das Beste und Lieblichste, nicht frei von Mühen ist? Sind nicht alle Lebensbeziehungen beständig Gegenstände oder Anlasse zu Schmerz und Kummer? „Erweitere den Kreis deiner Beziehungen“, hat einmal jemand gesagt, „du wirst dadurch nur die Zielscheibe vergrößern, gegen welche der Tod seine Geschosse richtet“. Der teuerste Gegenstand für unser Herz entgeht nicht dem allgemeinen Lose, das dem Menschen bestimmt ist in einer Welt, wo Leiden und Tod ihre natürliche Stätte haben. 
Das also ist der erste Charakterzug Ägyptens im Gegensatz zu Kanaan. Der zweite ist, dass die besten Dinge hienieden mit Schwächen und Fehlern behaftet, ja, vielfach dürftig und armselig sind, während Gott von dem Lande Kanaan sagt: „Ein Land, in welchem du nicht in Dürftigkeit Brot essen wirst, in welchem es dir an nichts mangeln wird«. (Kap. 8,9.) Auf Erden ist es so wie bei der Hochzeit zu Kana: ein Fest wird gefeiert, aber es gebricht an Wein! Überall gibt es Not, alles ist mangel- und fehlerhaft. 
Hat dein Herz dies schon erprobt, lieber Leser? Du wirst ohne Zweifel zugeben, dass den besten Dingen der Erde Mühen und Beschwerden anhaften; aber dieses Gefühl an und für sich macht das Herz nicht frei von jenen Dingen. Ich habe Menschen kennen gelernt, welche vom Blitz getroffenen und bis auf die Wurzel gespaltenen Bäumen glichen, ja, selbst solche, denen nicht die leiseste Spur von grünem Laub geblieben war: sie sind von dem Feuer der Prüfung heimgesucht worden, und ihr Herz findet. anderswo keine Stärkung, keinen Trost; sie kennen keinen anderen Schauplatz als den, welchen sie durchschreiten. Ich denke, dass Gott auf folgende beiden Arten mit uns handelt: Er bringt den Tod über uns in den Dingen, welche zu unseren Umständen und unserer Geschichte gehören, und macht diese Erde, wo unsere Herzen so gern Wurzel fassen möchten, zu hart für uns. Aber während Er einerseits also verfährt, stellt Er uns andererseits einen Gegenstand vor Augen, der geeignet ist, uns mit Macht anzuziehen. Wenn dann diese beiden Dinge zusammengehen: ein Herz, das von dem Irdischen befreit ist, weil es einen Gegenstand außerhalb des Schauplatzes hienieden gesunden hat, und der Tod, angewandt auf das Beste, was diese Welt bieten kann, so wirken sie in wunderbarer Weise miteinander, um ein gesegnetes Ergebnis hervorzubringen. Ja, in der Tat, wenn unsere Herzen einen Gegenstand außerhalb dieser armen Welt besitzen, und wenn wir uns zu gleicher Zeit in der Prüfung befinden, dann werden wir davor bewahrt, anderswohin zu blicken, als auf den einzigen Gegenstand, der uns befriedigen kann. Das Ergebnis des in uns wirkenden Todes ist, dass das Leben durch uns geoffenbart wird, um in anderen zu wirken; das ist der Sinn des Wortes des Apostels: „So denn wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch«. (2. Kor. 4, 12.)
Vergessen wir nie, dass ein Mensch in geistlichem Sinne sterben oder alles um sich her verwelken sehen
kann aus-zwei sehr verschiedenen Gründen; der eine ist, weil es für ihn so gut ist, der andere ist die Liebe zu Christo.
Die Gewissheit, dass wir alles in Christo besitzen, stellt uns nicht sicher vor dem Wehen des Todes hienieden; aber wenn unsere Herzen in unserer himmlischen Heimat weilen, indem sie einen unendlich kostbareren Gegenstand besitzen als alles, was in dieser Welt ist, dann unterwirst uns Gott der Prüfung hienieden wegen der Liebe zu Ihm, zu Christo, zum Evangelium, aus dass Er anderen so in uns zeige, was Er für uns getan hat und tun kann, und was Er für uns ist. In diesem Falle »sterben« wir, um die Vortrefflichkeit der himmlischen Dinge ans Licht zu stellen, anstatt zu sterben, um für uns selbst die Eitelkeit alles Irdischen zu entdecken. Welch ein Unterschied! Die einen müssen sterben, um die Vortrefflichkeit des Landes, wo der Tod niemals Zutritt hat, kennen zu lernen, während die anderen, beginnend mit der Erkenntnis der Vorzüge dieses Landes, hinabsteigen können auf den Schauplatz dieser Welt, um hier gleichsam als die Leinwand zu dienen, auf welche Gott die Herrlichkeiten jenes Ortes malen kann, worauf Seine Augen beständig gerichtet sind. 
Bemerken wir in Kapitel 11 noch den Unterschied, der zwischen der Wüste und dem Lande gemacht wird:
„Das Land, wohin ihr hinüberziehet, um es in Besitz, zu nehmen, ist ein Land mit Bergen und Tälern; vom
Regen des Himmels trinkt es Wasser«. Seine eigenen Quellen genügen ihm. Es ist in keiner Weise abhängig von den Dingen hienieden; seine Quellen sind in ihm selbst. „Vom Regen des Himmels trinkt es Wasser“. Es ist „ein Land, auf welches Jehova, dein Gott, acht hat: beständig sind die Augen Jehovas, deines Gottes, darauf gerichtet, vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres“.
Was ist denn nun für uns dieser Ort, auf welchen Gott beständig Sein Auge gerichtet hat? Wo liegt er? Ist es nicht da, wo Jesus weilt? Ich wüsste keinen  anderen Ort, auf welchem das Auge Gottes beständig
ruhte. Und das ist der Ort, welchen Er uns, dir und mir, zur Wohnung gegeben hat. Er will, dass unsere Herzen da weilen, und Er trägt Sorge dafür, weil Seine eigenen Zuneigungen hier ihre tiefste Befriedigung
finden. 
Bleiben wir einen Augenblick bei diesen Dingen stehen und betreten wir die Stätte, wo Seine Gnade uns Zugang gegeben und wo Seine Zuneigungen eine so vollkommene Befriedigung gefunden haben, dass Seine Augen mit ewiger Befriedigung darauf ruhen. Welch ein Vorrecht ist es, jetzt schon ein wenig von den Gütern droben zu schmecken! Genießest du sie, teurer Leser, wenigstens in einem gewissen Maße? Dass dieses Maß bei uns allen klein und schwach ist, gebe ich zu. Aber der Herr kann mehr geben, und möchte Er durch Seinen Geist das Verlangen in uns erwecken, jetzt schon das Glück zu kosten, dort zu weilen, und zwar nicht nur weil wir einen Zufluchtsort inmitten der Stürme und Prüfungen dort gefunden haben, sondern weil es ein Heim für uns geworden ist! Welches Glück, ein Heim zu haben! Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem Zufluchtsort und einem Heim. Ein Zufluchtsort ist ein Platz, wohin man eilt, um Schutz vor dem Sturm zu suchen, den man aber wieder verlässt, sobald das Unwetter vorüber ist; ein Heim ist eine Stätte, der unsere Zuneigungen gehören. Wenn Christus für dich und mich nur ein Zufluchtsort ist, dann braucht Er noch nicht notwendigerweise unsere Wohnung zu sein. Christum nur als einen Zufluchtsort darstellen ist ein armes Evangelium, welches das ständige Weilen des Herzens bei Ihm nicht in sich begreift. Aber wenn Christus eine Wohnstätte für mich geworden ist, wenn ich das Glück, die Freuden, die Ruhe, die Gemeinschaft und die Zuneigungen des Hauses gefunden habe, dann spreche ich: „Hier will ich wohnen; hier ist mein Heim; hier finde ich Erquickung, Sättigung, Tröstung, mit einem Wort: volles Genüge; hier ist die Stätte des Glücks. Mag ich auch den wechselvollen Schauplatz dieser Welt zu durchschreiten haben, hier ist meine Wohnung.“ 
Ein Beispiel wird verständlicher machen, was ich meine. Der freundliche Leser wird schon Gegenden besucht oder davon gehört haben, wo sich Bergwerke befinden. Er weiß deshalb, wo und wie die Bergleute ihr tägliches Brot verdienen. Sie steigen des Morgens in den Schacht hinab und arbeiten tagsüber in der Tiefe; aber ihre Wohnung ist nicht da unten. Wohl ist dort ihr Arbeits- und Übungsplatz, aber ihre Ruhestätte ist nicht da; die besitzt jeder einzelne in dem, was er sein Heim nennt. Er verlässt dieses jeden Tag, um an der Aufgabe zu arbeiten, welche ihm zu seinem Lebensunterhalt dient, und am Abend kehrt er dahin zurück. So dürfen auch wir, du und ich, diese Welt durchschreiten mit dem glückseligen Gefühl, dass wir ein Heim haben. Man wird hiergegen einwenden, dass wir es noch nicht haben, sondern uns auf dem Wege dahin befinden. Freilich, die Zeit, da wir leiblich dort sein werden, ist noch zukünftig, aber es ist uns gegeben, jetzt schon durch den Glauben unseren Platz dort zu haben: unsere Herzen ruhen dort. Das ist es auch, was uns einen himmlischen Charakter ausprägt. Die Welt zu durchschreiten mit einem Herzen, das vom Glück des Himmels erfüllt ist, das verleiht uns einen besonderen Charakter. Es ist ebenso leicht, diejenigen zu erkennen, welche ihre Wohnung und Ruhe im Himmel gefunden haben, wie die, welche es nicht haben. Niemals wird Tätigkeit uns Ruhe des Herzens geben. Unser Tun wird stets der Widerschein dessen sein, was wir sind. Wenn unser Herz nicht seine Ruhe mit Christo im Himmel gefunden hat, so wird unsere Tätigkeit einen unruhigen Charakter tragen. Das Verweilen in der Gemeinschaft Christi dagegen macht uns Ihm ähnlich. Die Gemeinschaft, welche wir pflegen, die Verbindungen, in denen wir leben, offenbaren sich notwendigerweise in allem, woran wir unsere Hand legen. 
Wenn wir nicht durch Jesum die Ruhe des Himmels und den Frieden des Herzens genießen, so wird unsere Tätigkeit, wie groß und ausgedehnt sie auch ist, stets unruhig sein und das Gepräge des Aufgeregtseins tragen. Gott aber sucht zufriedene Herzen, welche still und voll Ruhe sind, da sie einen zuverlässigen Ankergrund gefunden haben, eine unerschütterliche Sicherheit in Dem, auf welchem das Auge des Vaters mit Wonne ruht. Möchte der Herr uns lehren, diesen Platz. Mehr zu genießen und viel in der Gesellschaft Seines Geliebten zu weilen! 
Ich möchte den Leser bitten, jetzt das 26. Kapitel des 5. Buches Mose aufzuschlagen. Alles in diesem Kapitel, die Erstlingsfrüchte, der Ort, der Priester, alles stellt uns Christum dar und steht mit Ihm, dem großen Gegenbild all dieser Dinge, in Beziehung. Was also ist der alles beherrschende Gegen-stand, der das Herz erfüllt und ausschließlich leitet, wenn es droben weilt? Es ist Christus. Er ist es, der mich beschäftigt, der meine Zuneigungen für sich in Anspruch nimmt und ihnen ihre Richtung gibt; Er ist es, der
über mich, über meine Kräfte, meine Zunge, mit einem Wort, über alles, was ich bin und besitze, verfügt. Alles was in Beziehung steht zu dieser Stätte, steht auch in Beziehung zu Christo; auf Ihn sind meine Augen anbetend gerichtet, mit Ihm ist mein Herz unausgesetzt beschäftigt.
Vergessen wir jedoch nicht, dass wir nur dann so mit Ihm beschäftigt sein können, wenn wir in das Land gekommen sind. Beachten wir die Worte: „Wenn du in das Land kommst „. (5. Mose 26, 1). Nur in dem Lande können wir mit Dem beschäftigt sein, der uns dorthin geführt hat und uns Segen darreicht; und Er selbst ist es, der uns beschäftigt, nicht unsere Segnung. Er hat uns dieses Land durch Sein Blut erworben, und Er ist dorthin gegangen, damit wir es besitzen und daselbst wohnen möchten, indem unser Herz dort sein Heim gefunden hat. Und Er, der das Land zu einer Heimat für uns gemacht hat, ist der Gegenstand, der unsere Herzen dort befriedigt.
Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit des Lesers auf das 3. Kapitel des Kolosserbriefes richten.
In Kapitel 2 zieht der Apostel uns gleichsam unseren ersten Zustand, den ersten Menschen, gänzlich aus;
in Kapitel 3 verbindet er uns mit dem zweiten Adam, dem aus den Toten auferstandenen Menschen. In Kapitel 2 sind wir mit Christo gestorben: Sein Tod hat unsere ganze Geschichte in dem ersten Adam zum Abschluss gebracht, und wir sind jetzt mit dem auferstandenen Christus vereinigt. Nun denn, „wenn ihr mit dem Christus auferweckt worden seid, so suchet was droben ist!“
Mein lieber Leser! Warum mag wohl der Apostel das, „was droben ist“, nicht weiter ausführen? Warum zählt er die einzelnen Dinge nicht auf? Weil die Person Christi es ist, welche ihnen allen ihren Charakter verleiht; die Person, deren Umgebung sie bilden, macht sie zu Gegenständen, die unseres Suchens und Nachtrachtens würdig sind. Einem Menschen, der Christum liebt, genügt das eine Wort: „Christus ist da“. Die Tatsache Seiner Gegenwart ist eine vollkommene Bürgschaft für ein Herz, das Ihm ergeben ist, und erklärt ihm alles. Es ist nicht nötig, in Einzelheiten einzugehen, wenn man Christum zum Gegenstand hat; denn man ist dann da, wo Er ist, inmitten alles dessen, was Ihn umgibt, zu Hause, man fühlt sich da wohl und völlig befriedigt.  Glückselig, die da wohnen in deinem Hause!“ ruft der Psalmist aus, stets werden sie dich loben.“ Ihre Herzen sind nur von einer Sache erfüllt, mit einer Sache beschäftigt, und das ist Sein Lob. 
Möchte der Herr uns schenken, die besprochenen Wahrheiten mehr zu schätzen und in ihrer göttlichen Ordnung zu genießen, um dadurch gestärkt und ermutigt zu werden, der Höhe unserer Berufung gemäß zu wandeln, in stillem Frieden, indem wir das Leben Christi darstellen in dieser armen Welt, die so voller Unruhe und fieberhafter Tätigkeit ist! Ja, möchte der Herr uns Herzen geben, die imstande sind, in Frieden zu leben inmitten des geräuschvollen Treibens und der Stürme hienieden; Herzen, welche zeigen, was es ist, zu Ihm gebracht zu sein und da ein Heim gefunden zu haben! 
Es ist ein erhebender Anblick, einen der großen Ozeandampfer nach heftigem Sturm in den Hafen einlaufen zu sehen. Obwohl bis zur Höhe des Schornsteins mit dem weißen Schaum der ungestümen Wogen bedeckt, ist das mächtige Schiff doch unversehrt geblieben, weil es fest und gut gebaut ist und von kundiger Hand geleitet wurde. Alle, die es sehen, müssen anerkennen: „Das ist ein vortrefflich ausgerüstetes und sicher geleitetes Schiff; es hat allen Stürmen siegreich widerstanden!“ Möchte es in geistlicher Beziehung so auch mit uns sein! Von Ihm geleitet, wird keine Woge zu groß, kein Sturm zu heftig sein; wir werden nicht wünschen, eine Prüfung, eine Trübsal weniger zu haben, denn wir können sagen: „Du bist bei mir“.

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Der Brief an Philemon oder die im täglichen Leben tätige Liebe

Bibelstelle: Philemon

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 39ff

Kein Brief des Neuen Testamentes hat eine so ausgedehnte Anwendung wie der Judasbrief, denn er richtet sich nicht an Christen, die einen gewissen Grad von Erkenntnis erlangt haben, sondern allgemein an alle Berufenen, an alle, die dem Herrn angehören. Der Brief an Philemon steht in dieser Hinsicht in unmittelbarem Gegensatz zu dem des Judas. Es gibt im Neuen Testament keinen Brief, der so persönlich ist. Damit will ich nicht sagen, dass er an eine einzelne Person gerichtet sei, (die drei ersten Verse zeigen das Gegenteil) sondern dass der Brief selbst ganz persönliche Ermahnungen enthält und nur eine einzige Person, Philemon, betrifft.
Wenn man die verschiedenen persönlichen Briefe des Neuen Testamentes betrachtet, wird man das bestätigt finden. Die Briefe an Timotheus sind an eine einzelne Person gerichtet, aber in dem ersten empfiehlt der Apostel seinem teuren Mitarbeiter nicht nur ein gewisses persönliches Verhalten, sondern zeigt damit allen Christen, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist". Der zweite Brief bildet die Ergänzung des ersten. Er betrachtet das Haus Gottes als in Unordnung befindlich, und der Apostel gibt dem Timotheus Anweisungen, damit er und alle Gläubigen wissen möchten, was sie zu tun oder zu bewahren haben, wovon sie sich in diesen bösen Zeiten absondern und womit sie sich vereinigen sollen.
Im Brief an Titus finden wir etwas Ähnliches: der Apostel wendet sich an Titus persönlich, aber er redet von der Ordnung und der gesunden Lehre unter den Christen. Er hat also die ganze Kirche im Auge.
Dann haben wir noch die beiden kleinen Briefe des Johannes. Sie sind an einzelne Personen gerichtet; der zweite an eine Frau, damit sie mit ihren Kindern weiß, wen sie inmitten der in der Versammlung eingetretenen Verwirrung abweisen muss. Der Zweck ist also ein allgemeiner. Der Verfall war augenscheinlich; es war nötig, dass jeder weiß, wovon er sich abzusondern hat. Es handelt sich nicht mehr allein darum, an der gesunden Lehre festzuhalten, sondern auch darum, Menschen zu meiden, welche die Wahrheit verlassen. Ebenso ist in dem an Gajus gerichteten dritten Brief der Zweck ein allgemeiner. Gajus sollte wissen, wen man bei der herrschenden Unordnung aufnehmen musste, und nicht allein (wie in dem zweiten Brief) wer zurückzuweisen war. Das Thema dieser beiden Briefe, wie auch des zweiten an Timotheus, ist also das Verhalten eines oder mehrerer Christen inmitten der Christenheit, die, unter dem Gesichtspunkt ihrer Verantwortlichkeit betrachtet, eine in Trümmern liegende Kirche ist.
lm Brief an Philemon finden wir nichts Derartiges; der Einfluss, den Philemon auf seine Umgebung ausüben sollte, wird in keiner Weise erwähnt. Es handelt sich hier um durchaus persönliche Umstände, die für einen oberflächlichen Leser sehr wenig Unterweisung zu enthalten scheinen. Der Gegenstand ist ein Ereignis, das in dem Leben keines einzigen von uns vorgekommen ist; und doch wird diese Sache, die nur Philemon betraf, durch den Geist Gottes benutzt, um uns Wahrheiten, die für unser Leben und unser persönliches Verhalten sehr wichtig sind, vorzustellen.
Die Sache ist diese: Philemon hatte einen Sklaven, Onesimus, der ihm entflohen war, wahrscheinlich indem er das eine und andere mitgenommen und so, wie man zu sagen pflegte, eine Zwangsanleihe bei seinem Herrn gemacht hatte. Onesimus war nach Rom geflüchtet, wo er mit dem gefangenen Apostel Paulus in Berührung kam, bekehrt wurde 4ind dann als sein Gefährte und hingebender Diener seine Gefangenschaft teilte. Jetzt sandte Paulus ihn zu seinem Herrn zurück. Das ist die ganze Geschichte. Ist es der Mühe wert, möchte man fast fragen, dass der Geist Gottes uns einen Brief über eine so persönliche Sache aufbewahrt hat? Nun, liebe Freunde, wenn wir den Brief an Philemon nicht hätten, so würde es uns gerade für die gewöhnlichen Umstände des Lebens an Unterweisung fehlen. Wie können wir bei den Vorkommnissen in der Familie, im Hause, im gewöhnlichen Tageslauf das Leben Christi leben? Außer diesem Brief finden wir im Neuen Testament keinen, der diesen alleinigen Zweck hat. Deshalb ist er so wertvoll.
Lesen wir die anderen Briefe; sie alle stellen uns mit der Person und dem Werk Christi, welche die Grundlage der Belehrung bilden, bedeutsame Lehren vor, auf die unser Glaube aufgebaut ist; oder sie zeigen uns, was geschieht, wenn wir die Wahrheiten aufgeben. Wir haben Briefe, wie z. B. den Römerbrief, die uns die Rechtfertigung des Sünders und die Befreiung des Gläubigen vor Augen stellen, andere, wie die an die Korinther, die über die Ordnung in der Versammlung Christi und über den Dienst reden; wir haben den Epheserbrief, der uns die Stellung der Versammlung in Christo in den himmlischen Örtern und die Einheit Seines Leibes hienieden zeigt, den Kolosserbrief, der das auferweckte Haupt der Versammlung zum Gegenstand hat und unsere Herzen und Gedanken auf Christus lenkt, der im Himmel in Gott verborgen ist, wir haben z. B. die Thessalonicherbriefe, die von dem zweiten Kommen des Herrn reden. Ohne hiermit eine vollständige Aufzählung gegeben zu haben, können wir doch sagen, dass die Briefe uns entweder die Person Christi oder große Grundsätze der Wahrheit darstellen, die Sein Werk zur Grundlage haben, sowie die Ermahnungen, die daraus hervorgehen.
Im Brief an Philemon ist nichts dergleichen zu finden. Er redet von den Ereignissen eines Tages, von einem gelegentlichen Vorkommnis; aber mitten in diesen Umständen offenbart sich das Leben Gottes, als ein Leben tätiger Liebe, die um so auffallender ans Licht tritt, weil die Ereignisse scheinbar nur für den Augenblick von Bedeutung sind.
Wir haben in unserem Leben viel mehr mit kleinen Dingen zu tun als mit großen. Wir sind meist berufen, den Charakter Christi in den Schwierigkeiten des täglichen Lebens zu offenbaren, die geeignet sind, uns zu erregen oder uns gegen solche aufzubringen, die uns ungerechterweise Leiden verursachen. Da haben wir n6tig, das Geheimnis kennen zu lernen, wie man das Leben Christi lebt unter solchen Umständen, in denen das Herz oft erkaltet und die Zuneigungen leicht verwundet und zurückgedrängt werden.
Was uns über Philemon gesagt wird, zeigt ihn uns als einen sehr gottesfürchtigen Mann, und es ist nicht daran zu zweifeln, dass er durch die Gnade einen guten christlichen Einfluss auf seine Umgebung ausgeübt hat, so dass in seinem Haus die Zusammenkünfte der Gläubigen stattfanden. Er opferte sich für andere auf, und die Herzen der Heiligen wurden beständig erquickt durch die Art, wie er sich allen widmete. Wenn einem solchen Mann einer seiner Sklaven, dem er ohne Zweifel ebenso viel Fürsorge hatte angedeihen lassen wie den Übrigen, entlief und dabei sogar etwas veruntreute, so kann man verstehen, dass er unwillig wurde. Solche Gefühle können durchaus berechtigt sein, aber gibt es in einer solchen Lage ein Mittel, den wahren Charakter Christi zu offenbaren? 
Beachten wir zunächst, dass wir uns, wenn unsere eigenen Interessen verletzt werden, viel leichter erregen, als wenn das gleiche Unrecht anderen zugefügt worden ist. Ist es nicht wahr, dass wir uns monate-, vielleicht jahrelang eines Unrechts erinnern können, das man uns angetan hat, anstatt jeden Groll aus unseren Herzen zu verbannen? Ja, dass dieser Groll sich selbst im Blick auf unsere Brüder und Schwestern in Christo zeigen kann?
Wir haben deshalb den Brief an Philemon nötig, um zu wissen, wie wir von bitteren Gedanken, die des Herrn unwürdig sind, befreit werden können. Gott gebe uns, dass wir diesen Brief unter Gebet lesen und aus ihm das Geheimnis eines echten persönlichen und täglichen Christenlebens kennen lernen! Dieses Geheimnis ist ganz einfach die Liebe.
Ja, der Brief an Philemon ist voll von Liebe vom Anfang bis zum Ende. Die Liebe wird uns hier in ihren verschiedenen Äußerungen gezeigt.
Betrachten wir zunächst Paulus. Er war ein Apostel, und als solcher hatte er das Recht, zu gebieten. Er besaß eine vom Herrn verliehene Autorität, mit der er sagen konnte: “Ich will, dass dies so und nicht anders ist"; und die Christen waren verpflichtet, sich seinem Wort zu unterwerfen. In dem Fall Philemons hätte er diese Autorität benutzen können, um die Wiederaufnahme des Onesimus zu fordern. Doch was tut er? Bedient er sich seiner Rechte? Tritt er in seiner apostolischen Würde auf, um Gehorsam zu fordern? Nein, er ist “Paulus, ein Gefangener Christi Jesu oder „Paulus, der Alte" (V. 1+9). Er redet von seiner Abhängigkeit und Schwachheit. Mehr noch: dieser „Alte" war vor der Zeit geschwächt (denn er war bei seinem Tode kaum sechzig Jahre alt) durch seine unzähligen Leiden für das Evangelium und durch das, was täglich auf ihn eindrang: die Sorge um alle Versammlungen" (2. Korinther 11, 23 - 28). Wenn Paulus, statt sich in seiner Schwachheit zu zeigen, dem Philemon eine Pflicht auferlegt hätte, so wäre die ganze Unterweisung dieses Briefes verloren gegangen. Stattdessen nimmt er in Liebe den letzten Platz ein.
„Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, Philemon, dem Geliebten und unserem Mitarbeiter, und Appia, der Schwester, und Archippus, unseren Mitkämpfer, und der Versammlung, die in deinem Hause ist." (V. 1 und 2). Paulus selbst vereinigt mit sich, wie in anderen Briefen, „den Bruder Timotheus", der als Abgesandter des Apostels auch eine Autorität zum Handeln besaß, der sich aber hier als einfacher Bruder mit dem gefangenen Apostel verbunden findet. Dann beruft er sich auf die christliche Gemeinschaft, um in Philemon alle Früchte der Gnade hervorzubringen. Er versammelt sozusagen alle Heiligen des Hauses Philemons, selbst Appia (wohl seine Frau), und verbindet sie miteinander. Archippus, der „Mitkämpfer" des Apostels, war wahrscheinlich in der Versammlung tätig. Die Bezeichnung „Mitarbeiter", die er dem Philemon und anderen (V. 24) beilegt, ist allgemeiner. Jeder Christ, dem das Werk des Herrn am Herzen lag, selbst diejenigen, die nur durch ihre Gebete dafür kämpfen konnten, waren Mitarbeiter des Apostels. Wir können es auch sein, können dieselben Herzensanliegen haben wie Paulus, können wie er die Bedürfnisse der Seelen vor Gott bringen, und wie er an dem Evangelium teilnehmen.
Das sind also die Leute, die der Apostel in seinem Gruß mit Philemon verbindet, um sich dann unmittelbar an das Haupt der Familie zu wenden.

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Gedanken über Lukas 12,35-53

Bibelstelle: Lukas 12,35-53

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 46ff

Nachdem der Herr die Welt gewarnt und die Torheit derjenigen gerügt hat, welche Behagen und Freude
in ihr suchen, sagt Er: Trachtet nach dem Reiche Gottes, und dieses wird euch hinzugefügt werden. Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“. (V. 31. 32). 
Was den Christen kennzeichnet ist, dass er durch die Offenbarung dessen, was man nicht sieht, ganz und gar aus dieser Welt herausgehoben wird. Wohl muss er durch die Welt gehen, aber als Christ gehört er ihr nicht an. »Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Wert bin“ (Joh. 17, 14.) Die Erlösung ist vollbracht, und sie gibt uns, gleich dem sterbenden Räuber, ein Anrecht ans Paradies; nichtsdestoweniger sind wir Fremdlinge, wie der Hebräerbrief es zeigt, und wir suchen ein Vaterland. In dieser Welt gibt es nichts Beständiges oder Bleibendes; dennoch kennzeichnet sich der Sinn dieser Welt von Anfang an dadurch, dass der Mensch da Ruhe sucht, wo Gott im Gericht uns zu Fremdlingen gemacht hat. 
In 1. Mose 4, 11 u. 12 wird das Gericht über Kain ausgesprochen. Gott sagt zu ihm: „Unstet und flüchtig sollst du sein auf der Erde“. Kain selbst bezeugt es, dass er unstet und flüchtig sein werde, und dann geht er hin und baut sich eine Stadt im Land Nod d. h. Flucht. Er geht hinweg von dem Angesicht Jehovas, lässt sich in Nod wohnlich nieder und nennt die neuerbaute Stadt nach dem Namen seines Sohnes. Hernach hören wir dann von Zeltbewohnern und Herdenbesitzern, d. h. von Wohlstand; weiter von solchen, die mit der Pfeife und Laute umgehen, und schließlich von Künstlern in allerlei Werkzeug aus Erz und Eisen. Die Sünde hat den Menschen dem Paradiese Gottes entfremdet, und so hat der Mensch es unternommen, sich selbst einen Ruheort zu schaffen. Das ist indes nicht alles. Als der Herr Jesus in diese Welt kam, sah der Mensch nicht nur keine Schönheit in Ihm, sondern er warf Ihn auch hinaus und kreuzigte Ihn. Somit kennzeichnet sich die Welt jetzt nicht nur dadurch, dass der aus dem Paradiese vertriebene und von dem Angesicht Gottes hinweggegangene Mensch sein mühevolles Arbeitsfeld in ihr hat, sondern ihr gegenwärtiger Zustand ist die Folge davon, dass Gott aus ihr vertrieben wurde, als Er in Gnade in die Welt eintrat. Diese Vertreibung gab Gott zwar Gelegenheit zur Entfaltung Seiner wunderbaren Gnadenwege, aber sobald der Sohn Gottes verworfen war, hatte die sittliche Geschichte dieser Welt ein Ende. Kurz vor Seinem Leiden und Sterben sagte der Herr: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden«. Für die Welt als solche bleibt nur noch Gericht übrig, und die Macht Satans ist gebrochen, wenngleich er noch der Gott dieser Welt heißt. Mit der Verwerfung Christi, des hochgelobten Sohnes Gottes, hat die sittliche Geschichte des Menschen ihren Abschluss gefunden; er wird jetzt als verloren betrachtet, nicht so, als ob er nicht errettet werden könnte, aber in Hinsicht auf seinen moralischen Zustand ist er verloren, und wird von Gott so angesehen. Die Frage Gottes an die Welt lautet nicht nur, wie einst im Paradiese: „Adam, wo bist du?“ und: „Was hast du da getan?“, sondern: „Was habt ihr mit meinem Sohne gemacht?“ Und wenn Er jetzt so mit dieser Welt redet, was kann sie antworten? 
Christus kam in bedingungsloser Güte. Sogar Pilatus fragte: „Was hat dieser denn Böses getan?“ Doch der Mensch warf Ihn hinaus. Es ist unmögIich, sich jetzt mit der Christenheit zu beschäftigen, ohne zu sagen: die Welt hat Christum verworfen; die Stellung, in welcher sie sich befindet, ist diese: sie hat Christum verworfen, und der Mensch ist verloren. Aber während der Mensch rief: „Hinweg mit Ihm!“ hat Gott zu Christo gesagt: ,,Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Scheine! deiner Füße“ (Ps.110,1). Und jetzt sitzt unser Herr Jesus Christus, hienieden verworfen, als Mensch zur Rechten Gottes und wartet auf den Augenblick, da Seine Feinde Ihm zu Füßen gelegt werden. Mittlerweile wirkt die langmütige Gnade, um Sünder zur Erkenntnis des Heils zu bringen, welches Er in Seinem Tode erwirkt hat.
Christus kam ein erstes Mal, um die Sünde abzuschaffen durch Sein Opfer; zum zweiten Mal wird Er denen, die Ihn erwarten, ohne Sünde zur Seligkeit erscheinen. (Hebr. 9, 26—28.) Dann aber wird unfehlbar das Gericht diejenigen erreichen, welche Ihn verworfen haben. Wir stehen zwischen der ersten und der zweiten Ankunft; bei der ersten hat Er die Erlösung vollbracht, die zweite zeigt uns alle Früchte derselben, indem sie auch das Gericht der Toten einschließt. 
Schon die Propheten hatten von den Leiden Christi zuvor geweissagt. In 1. Petr. 1, 10ff. lesen wir: „Über welche Errettung Propheten nachsuchten und nachforschten, die von der Gnade gegen euch geweissagt haben, forschend, auf welche oder welcherlei Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als Er von den Leiden, die auf Christum kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte; welchen es geoffenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind durch die, welche euch das Evangelium gepredigt haben durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist, in welche Dinge Engel hineinzuschauen begehren. Deshalb umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hoffet völlig aus die Gnade, die euch gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi.“ 
Ich führe diese Stelle so ausführlich an, um die Reihenfolge der Dinge zu zeigen. Die Propheten, welche vor den Leiden Christi (und somit auch vor den Herrlichkeiten) geweissagt haben, forschten in ihren eigenen Schriften, um das Geweissagte zu verstehen; und es wurde ihnen geoffenbart, dass sie für uns die Dinge bedienten. Diese Dinge sind uns jetzt verkündigt worden, aber sie sind noch nicht erschienen. Christus hat gelitten, aber die Herrlichkeiten danach sind noch nicht ans Licht getreten. Somit ist das Christentum nicht die Erfüllung der Dinge selbst. Sie sind uns durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist im Evangelium gepredigt worden, aber noch nicht da. Deshalb sollen wir „die Lenden unserer Gesinnung umgürten und völlig hoffen auf die Gnade, die uns gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi“. Das ist einfach und klar. Die Propheten forschten in ihren eigenen Weissagungen und fanden, dass die Gnade, von welcher sie sprachen, nicht für sie selbst war. Nun aber ist Christus zur Rechten Gottes persönlich verherrlicht, der Heilige Geist ist herniedergekommen, und wir wandeln hienieden durch
Glauben; das Schauen ist noch nicht unser Teil. Als der Herr aus dieser Welt ging, stellte Er die Jünger auf diesen Platz und wusste, dass die Folge davon Widerstand seitens der Welt sein würde. 
Christus hat den Vater hienieden geoffenbart, aber die Welt wollte nichts von dieser Offenbarung wissen
und verwarf Ihn. Er war treu bis ans Ende, und nach vollbrachtem Erlösungswerk ist Er zurückgekehrt zu
„der Herrlichkeit, welche Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war“. Er kehrte als Mensch dahin zurück und nahm zur Rechten Gottes Seinen Platz ein. Der Mensch, von welchem alles abhing, hat das Werk vollbracht und sitzt nun zur Rechten Gottes. Hinsichtlich Seiner Freunde, d. i. der Gläubigen, hat Er Sein Werk Vollendet; Er hat sich deshalb gesetzt. Die Priester des Alten Bandes standen immer „und brachten oftmals dieselben Opfer dar, welche niemals Sünden hinwegnehmen können. Er aber, nachdem Er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes« Dort, auf Seines Vaters Thron, wartet Er, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt werden.
Die aber, welche geheiligt werden, „hat Er durch ein Opfer auf immerdar vollkommen gemacht“ (Hebr. 10, 14). Die Folge des Todes und der Verherrlichung Christi war das Herniederkommen des Heiligen Geistes. Bis zum Tage der Pfingsten war Er nie herabgekommen, es sei denn auf Christum, um Ihn als den Sohn Gottes zu versiegeln. Er konnte nicht eher kommen, wie der Herr Jesus sagt: »Wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen“. Nun aber ging der Eine weg, und der Andere kam. Bevor der Heilige Geist kommen konnte, musste der Mensch in der Herrlichkeit Gottes sein. Sein Herniederkommen am Pfingsttage ist gerade der Beweis der großen Tatsache, dass der Mensch, der hochgelobte Sohn Gottes, in der Herrlichkeit Gottes verherrlicht ist. Gott hatte dieses zuvor verheißen; allein Gottes Wort und die erfüllte Tatsache sind zwei verschiedene Dinge. „Jesus Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrheit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen“ (Röm.15,8).
Aber mehr noch: Christus war der Gegenstand der Verheißungen. So war von Ihm bezeugt worden: „Du bist aufgefahren in die Höhe«. (Ps. 68, 18.) Auf diese Erde herniedergekommen, ist Christus nach Seinem
Tode und Seiner Auferstehung hinaufgefahren und hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt. Das was zuvor bezeugt worden, hat jetzt seine Erfüllung gefunden. Die Welt hat Ihn verworfen, aber Gott hat Ihn dort mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Nachdem Er Gott verherrlicht hatte in Seinem Tode, hat Gott Ihn zu Seiner Rechtel1 verherrlicht. 
Und wie verhält es sich jetzt mit mir? Wenn meine Sünden Christum ans Kreuz gebracht haben, so ist die
herrliche Folge jetzt die, dass sie alle weggetan find. „Er selbst hat unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen.“ Wenn es wahr ist, — und ich erkenne es im Glauben an, — dass meine Sünden Ihn dort unter das Gericht Gottes gebracht haben, so können sie mich nie mehr dorthin bringen. Das ganze Werk ist für immer beendet, nicht nur im Blick auf meine Schuld und den Fluch, welchen ein gebrochenes Gesetz, über mich gebracht hat, (denn in praktischer Hinsicht steht die ganze Namen-Christenheit unter dem Gesetz,) sondern Gott ist auch ins Mittel getreten, um die ganze Frage der Sünde zu ordnen: Christus, Gott geoffenbart im Fleische, ist in diese Welt gekommen und gestorben, damit ich fähig sei, im Blick auf Gott sagen zu können: Ich darf Ihm völlig vertrauen. Dem Menschen in dieser Welt kann ich nicht vertrauen; aber ich kann Gott vertrauen, welcher Seinen Sohn für mich gesandt hat, und ich weiß, dass Er, der dieses Werk vollbracht hat, nun zur Rechten Gottes in Gerechtigkeit sitzt. Das ist eine Tatsache, nicht nur eine Verheißung. Sicher gibt es köstliche Verheißungen, welche uns auf dem Wege hienieden unterstützen sollen; dies aber ist eine Tatsache. Und nun, wenn Gott Den, der meine Sünden trug und für mich zur Sünde gemacht war, zu Seiner Rechten erhöht hat, dann weiß ich, dass die Frage der Sünde völlig geordnet sein muss; denn die Gegenwart Gottes ist kein Ort, wo die Sünde Zutritt hat. 
Je mehr ich das Kreuz Christi betrachte, desto besser verstehe ich, dass alles, was in Bezug auf gut und böse in Frage stand, vollkommen geordnet ist. Am Kreuze sehe ich den Menschen in seiner ganzen Bosheit, d. h. er hasst den in Liebe gegenwärtigen Gott, der nicht gekommen war, die Welt zu richten, sondern sie zu erretten. Der Fürst dieser Welt wiegelte alle, Juden und Heiden, auf, sich Christi zu entledigen; der Mensch war ganz wider Ihn.

Christus aber war in allem Vollkommen: „auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und also tue, wie mir der Vater geboten hat“. Der Mensch hat sich geoffenbart in seiner völligen Bosheit, und Satan in all seiner Macht über die Welt. Es war die Stunde der Menschen, wie der Herr sagt, und die Gewalt der Finsternis. (Luk. 22, 53.) Die Welt hasste Ihn ohne Ursache, aber Er ging still und stumm, in nie wankendem Gehorsam, durch alles hindurch und stellte so die unbedingte Vollkommenheit in einem Menschen ans Licht. 
Wenden wir jetzt unsere Blicke Gott zu, so sehen wir im Kreuz vollkommene Liebe zu dem Sünder: alles was der Mensch in Vollkommenheit sein kann, alles was Gott in Seiner heiligen, gerechten Natur wider die Sünde und in Seiner vollkommenen Liebe zu dem Sünder ist, — alles das finden wir in der Person Christi. So ist denn Gott am Kreuze in jeder Hinsicht verherrlicht, und jede Schwierigkeit ist dort gelöst worden: vollkommene Gerechtigkeit und Liebe sehen wir beieinander. „Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst“ (Ps. 85, 10). Hätte Gott Adam und Eva nach dem Sündenfall beseitigt, so würde Er nach Recht und Gerechtigkeit gehandelt haben, aber die Liebe wäre nicht zu ihrem Recht gekommen; wäre Er über die Sünde hinweggegangen, so wäre der Gerechtigkeit Abbruch geschehen. Nun aber sind am Kreuze alle sittlichen Fragen für immer erledigt worden; der Mensch, Satan, Gott —- alle haben gezeigt, was sie sind, und alles ist für immer geordnet. Gott hat Christum aus den Toten auferweckt und Ihn, „nachdem Er durch sich selbst die Reinigung der Sünden gemacht hat“, als Mensch zu Seiner Rechten in die himmlischen Örter gesetzt. 

So haben wir denn die große Wahrheit vor uns, dass, nachdem alles in sittlicher Hinsicht geordnet ist, ein Mensch zur Rechten Gottes gefunden wird; ja, mehr noch: Gott hat Seine Gerechtigkeit darin erwiesen, dass Er Christo diesen Platz gegeben hat, wie geschrieben steht: „Und wenn Er (der Heilige Geist) gekommen ist, wird Er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht“ (Joh. 16, 8.) Der Geist Gottes macht nicht nur dem Gewissen des Menschen dessen eigene persönliche Sünden fühlbar, sondern Er überführt auch die Welt von Sünde, weil sie nicht an Den glaubt, welchen Gott verherrlicht hat; Von Gerechtigkeit, weil der von ihr Verworfene zum Vater gegangen ist; von Gericht, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Es ist jetzt also ein unwiderlegliches Zeugnis von Gerechtigkeit vorhanden: der Mensch, welcher auf dem Schauplatz der Sünde, ohne Sünde, aber „zur Sünde gemacht“, Gott vollkommen verherrlicht hat, ist von Gott bei sich verherrlicht worden; nach den eigenen Worten des Herrn: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm (hienieden). Wenn Gott verherrlicht ist in Ihm, so wird auch Gott Ihn verherrlichen in sich selbst (droben), und alsbald wird Er Ihn verherrlichen“ (Joh. 13, 31. 32).
Wie groß ist diese Tatsache! Der Sohn Gottes, der meine Sünden trug, sitzt als Mensch jetzt in Herrlichkeit zur Rechten Gottes, und die Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden ist der Beweis, dass Er dort ist. Und Sein Platz, ist jetzt mein Platz; ich habe den Heiligen Geist empfangen und besitze durch Ihn die Kenntnis der vollkommenen Liebe Gottes, der Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat. Schon der Vater Johannes des Täufers sagt, dass Gott „Seinem Volke Erkenntnis des Heils geben werde in Vergebung ihrer Sünden«, und diese Erkenntnis wird uns in ihrer Fülle jetzt durch den Heiligen Geist zu teil. Seine Gegenwart hienieden gibt mir das Bewusstsein meines Platzes in Ihm. Der Sohn Gottes wurde Mensch und starb für mich, damit ich in Herrlichkeit sei mit Ihm. Als Er auferstanden war, ließ Er Seinen „Brüdern“ die Botschaft bringen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott“. Wir alle sind „Söhne Gottes durch den Glauben an Christum Jesum“; und weil wir Söhne sind, hat Gott den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: „Abba, Vater!“ Das ist mein Platz kraft des Werkes Christi, und der Heilige Geist gibt mir das Bewusstsein davon. Ich kann nicht jemand meinen Vater nennen, wenn ich nicht weiß, dass ich sein Kind bin. 
.Der Heilige Geist teilt mir durch Seine Innewohnung indes noch etwas anderes mit: ich weiß durch Ihn, dass ich in Christo bin. In Joh. 14, 20 lesen wir: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch“. „An jenem Tage“, das will sagen: wenn nach der Auferstehung und Himmelfahrt Christi der andere Sachwalter gekommen sein würde. Bis dahin konnten die Jünger es nicht wissen. So weiß ich denn, dass ich in Christo bin und somit vollkommen angenommen, begnadigt oder annehmlich gemacht in dem Geliebten (Eph. 1, 6.) Will man den Gläubigen verurteilen, so muss man Christum in der Herrlichkeit verurteilen; denn der Gläubige ist in Christo. 
Wenn ich aber so vollkommen angenommen bin, so bin ich auch verantwortlich, dementsprechend mich zu verhalten. Wir sind „ein Brief Christi“. Die Welt sollte Christum in uns lesen, so wie man die zehn Gebote auf den zwei steinernen Tafeln lesen konnte. Wenn es wahr ist, dass wir in Christo sind, so ist es ebenso wahr, dass wir aufgefordert werden, „des Gottes würdig zu wandeln, der uns zu Seinem eigenen Reich und Seiner eigenen Herrlichkeit beruft“ (1. Thess. 2, 12). Auch in dem Briefe an die Kolosser, wo in der bestimmtesten Weise von unserer Annahme in Christo die Rede ist (vergl. .Kap· 1, 12 —14), bittet der Apostel „würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen“. Dasselbe finden wir, wenn auch unter einem anderen Charakter, im Epheserbrief: „Ich ermahne euch nun, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid“.

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Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: Johannes 14

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 57ff

II.
Das vierzehnte Kapitel des Evangeliums Johannes ist uns gut bekannt. Wir alle haben es ohne Zweifel gelesen und wiedergelesen, und doch ist sein Inhalt immer wieder neu und kostbar für uns, denn das Wort Gottes besitzt eine stets gleiche Frische für die Seele, welche darin forscht. Ich möchte heute drei Punkte aus diesem Kapitel hervorheben, die der Herr Seinen Jüngern zu ihrem Trost vor Herz und Augen stellt. 
Der erste dieser Punkte ist der, dass die Erde den Jüngern Jesu niemals mehr einen Ruheplatz bietet. Mit dieser Tatsache sollte der Christ sich mehr vertraut machen, besonders der, welcher durch die Gnade in gewissem Maße die Wahrheiten versteht, welche Gott in den letzten Zeiten wieder ans Licht gebracht hat.
Wir erfassen im allgemeinen viel leichter jene andere Seite der Wahrheit, dass nämlich der Mensch im Fleische keinen Platz mehr vor Gott hat, dass seine Geschichte mit dem Kreuze Christi zu Ende gegangen ist. Wir wissen, dass der Mensch, in seinem natürlichen Zustande vor Gott betrachtet, aus verschiedene Weise von Gott selbst auf die Probe gestellt worden ist. Das Ergebnis dieser Proben war, dass er, was seine Stellung als Nachkomme Adams betrifft, gänzlich beiseite gesetzt worden ist. Er hat also als solcher keinen Platz mehr vor Gott. Von dem Augenblick an, da ein Mensch an den Herrn Jesum Christum gläubig wird, betrachtet Gott ihn nicht mehr als in Verbindung stehend mit dem ersten Menschen, sondern als ein Geschöpf, das in dem von den Toten auferstandenen Christus eine ganz neue Stellung einnimmt. 

Durch Gottes Güte ist diese Wahrheit jetzt ziemlich allgemein bekannt, wie schwach und wenig sichtbar ihre Wirkungen oft auch sein mögen. Möchten unsere Gewissen besser kennen, was das Wort sagen will: „Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden«! Ja, der Herr gebe, dass wir uns von dieser Wahrheit mehr erfassen lassen!  Wenn sie wirklich von der Seele Besitz ergriffen hat, so kann man zu nichts zurückkehren, was von dem ersten Adam ist, ohne seinem Gewissen und der Wahrheit Gewalt anzutun; und in dem Maße, wie man mit einem guten Gewissen vor Gott wandelt, bleibt das Gewissen in Tätigkeit und macht uns im rechten Augenblick aufmerksam, wo und wie wir vom Wege abgekommen sind. 
Man begeht hier häufig einen großen Fehler. Man gibt sich viel Mühe, die eine oder andere Wahrheit zu erfassen, aber man ruht nicht so in der Gegenwart Gottes, dass die Wahrheit von uns Besitz ergreifen kann. Die Wahrheit muss wirken, nicht wir. Das ist natürlich dem Fleische nicht angenehm; es ist demütigend, weil das Fleisch lieber etwas tun möchte. Wir möchten die betreffende Wahrheit zu einem Gegenstand machen, um den wir uns zu mühen haben, während Gott uns nimmt und uns in die Ruhe Seiner Gegenwart versetzt, damit hier die Wahrheit durch den Geist ihre ganze Wirkung aus unser Gewissen ausübe. 
Ich möchte dies durch ein Beispiel näher erläutern. Als Mose zum zweiten Mal auf den Berg stieg, um dort die Gesetzestafeln in Empfang zu nehmen, mühte er sich da wohl ab, den Glanz der Herrlichkeit auf sein Angesicht zu bringen? Nein, er stand ruhig vor »Jehova, und die Herrlichkeit Gottes beleuchtete ihn und ließ ihren Widerschein auf dem Antlitz Moses zurück. Als er dann vom Berge herabstieg, war er selbst der
einzige Mensch, der nicht wahrnahm, wie sein Antlitz strahlte. Alle anderen sahen, dass Muse in Gottes Gegenwart geweilt hatte, denn sie konnten die Wirkung davon wahrnehmen. Mose selbst ahnte nichts von dieser Wirkung. 
Ich glaube, dass uns in unseren Tagen dieses Ruhen der Seele vor Gott ganz besonders not tut; es erlaubt der Wahrheit, uns zu formen und nach ihrem Bilde zu gestalten. Von dem Augenblick an, da unser Geist sich mit der Wahrheit als einem Gegenstand beschäftigt, den wir durch unser eigenes Mühen und Wirken zu erlangen haben, stellen wir der Erreichung dieses Zieles eines der größten Hindernisse in den Weg. Statt dass wir dem Heiligen Geist gestatten, die betreffende Wahrheit aus unser Gewissen anzuwenden, sind wir mit unserem Verstande beschäftigt, sie uns zu eigen zu machen, und indem das Gewissen nicht vor Gott geübt ist, bieten wir dem Feinde Gelegenheit, einen Vorteil über uns zu erringen. 
Von dem Augenblick an, da ich meinen wahren Platz vor Gott einnehme, in dem aus den Toten auferweckten Christus, und dieser Gedanke Besitz ergriffen hat von meinem Gewissen, muss mein ganzes Tun, Denken und Fühlen in Übereinstimmung sein mit dieser Stellung. Die Wahrheit unseren Umständen anzupassen suchen, ist etwas anderes, als durch die Wahrheit gebildet werden, um so für Gottes Gegenwart passend zu sein. Gottes Freude ist es, uns zu solchen zu machen, die dem herrlichen Platze, an welchen Er uns führt, entsprechen, und darum muss Er als wegnehmen, was nicht in Übereinstimmung mit dieser Stellung ist, Und je mehr ich alles, was ich in Christo besitze, kenne, desto mehr wird mein Herz die Zuneigungen Gottes genießen, und desto mehr werde ich auch bereit sein, alles zu verlieren, was nicht Christus ist.
Der zweite Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist die Tatsache, dass der Christ nicht nur keinerlei Verbindung mehr mit dem ersten Menschen hat, sondern dass er auch der Erde nicht mehr angehört. Seine Heimat ist anderswo. Der Christ ist nicht von dieser Welt. Wir finden diese beiden Wahrheiten, dass ein Christ weder in Adam, noch von dieser Erde ist, in den zwei ersten Kapiteln des Epheserbriefes. Freilich sind wir noch im Leibe, aber es ist etwas Großes, zu wissen, dass wir auf Erden keine Heimstätte haben. 

Die Erde ist uns verschlossen. Wenn Christus hier keine Stätte hatte, so haben wir auch keine. Diese kostbare und zugleich ernste Tatsache übt einen großen Einfluss aus auf ein Herz, das seufzend fragt: Wo ist mein Platz? wo meine Heimat? wo kann ich frei ein- und ausgehen? Der Anfang unseres Kapitels gibt die kostbare Antwort auf diese Fragen. Jesus sagt hier den Seinigen: Ich habe eine Stätte für euch außerhalb dieses Schauplatzes der Sünde und des Elends. „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet.“ Es liegt etwas ganz Bestimmtes in diesen Worten: „zu mir“. Ebenso ist es im 3. Kapitel des Kolosserbriefes, wo wir lesen: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so suchet was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes«. Gott gibt uns so eine ganz bestimmte Stätte an, damit das Herz des Gläubigen wisse und schmecke, dass sie dort bei Ihm zu finden ist.
Wenn der Apostel sagt: „Suchet was droben ist, wo der Christus ist«, so entsprechen die letzten vier Worte nach Kraft und Bedeutung genau jenem kostbaren »wo ich bin« von Joh. 14. Sie bieten einem Herzen, das Jesum zum Gegenstand hat, alles. Von Zeit zu Zeit erscheinen mehr oder weniger dichterische Beschreibungen des Himmels, aber ist es nicht bemerkenswert, dass die Schrift so wenig über diesen Gegenstand redet? Das Wort sagt tatsächlich sehr wenig über den Himmel, während die menschliche Einbildungskraft sich viel mit ihm beschäftigt. Aber was das Wort uns versichert, ist, dass wir da sein werden, wo Jesus ist. Der Platz erhält seinen Charakter durch die Person. Die kostbare Tatsache ist eben die, dass der Herr uns bei sich haben will, da wo Er ist; und das genügt dem Herzen, dessen Gegenstand Christus ist. Christus ist droben, Seine Gegenwart verleiht dem Ort alles, was ihn für uns wichtig und anziehend macht. Seine Gegenwart entspricht jedem Wunsch und Bedürfnis.

 „Wir werden allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thess. 4). 
Die Stellung Christi, beachten wir es wohl, bestimmt also unsere Stellung. Er will, dass wir da seien, wo Er ist. Seine Liebe hat das so gewollt. Sein Herz würde anders nicht befriedigt sein. Im 13. Kapitel des Hebräerbriefes finden wir eine andere Seite der nämlichen Wahrheit. Es heißt dort im 12. Verse: „Darum hat auch Jesus, auf dass Er durch Sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten. Deshalb lasst uns zu Ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend.“ Der Herr hat, wie wir eben sahen, für uns eine Stätte droben in den Himmeln bereitet, Wohnungen im Vaterhause, den besten Platz, den das Herz sich nur wünschen kann, und Seine Gegenwart verleiht dieser Stätte Charakter und Auszeichnung. Das aus Hebr. 13 angeführte Wort: „Deshalb lasst uns zu Ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend“, stellt uns die Kehrseite dieser Wahrheit vor Augen. Sieh die Weisheit des Geistes Gottes, gläubiger Leser! Wenn wir im Lager bleiben, entgehen wir der Schmach, wenn wir aber hinausgehen, zu Jesu, so ist sie uns sicher. Was aber kann uns bewegen, hinauszugehen? Was vermag der Schmach ihren Stachel zu nehmen? Nur der Umstand, dass wir zu Ihm hinausgehen. 
Die Sache ist nicht damit erschöpft, dass wir das Lager verlassen und so gegen alles, was innerhalb desselben vorgeht, Einspruch erheben. Nein, sie geht weiter: wir gehen hinaus aus Liebe zu Christo. Gewiss gehe ich hinaus, weil meint vor Gott geübtes Gewissen mir nicht gestattet, im Lager zu bleiben; aber ich verlasse es vor allen Dingen deshalb, weil ich angezogen werde durch eine lebendige Person, die sich außerhalb des Lagers befindet. Ich blicke zum Himmel empor und frage: „Wo ist Jesus?“ Die Antwort lautet: Im Heiligtum droben! Dort habe auch ich Zutritt. Und „wo auf Erden?“ Außerhalb des Lagers! Er hat außerhalb des Tores gelitten (vergl. 3. Mose 4, 12. 21; 4. Mose 19, 3); und so habe auch ich keine andere Wahl, als hinauszugehen, und zwar zu Ihm hin.
Das ist also mit zwei Worten die Geschichte des Christen: er geht hinein, um die Wonnen des Vaterhauses zu genießen; er geht hinaus, um in Gemeinschaft zu sein mit Ihm, der ihm droben eine Wohnstätte bereitet hat, „Seine Schmach tragend“.
Teurer Leser, redet diese Wahrheit zu deinem Gewissen? Hast du sie lieb? Sie ist freilich einem scharfen Messer vergleichbar, das tief ins Fleisch schneidet und uns an unserer empfindlichsten Stelle trifft. Vielleicht könnte mancher von uns davon erzählen, wie, wann, und wo er den scharfen Schnitt dieses Messers gefühlt hat. Aber wo bleibt aller Schmerz, wenn erst der Heilige Geist uns Jesum gezeigt hat in den Wohnungen, die außerhalb der Trümmerhaufen dieser Welt liegen, und wenn unser Herz verstanden hat, dass dort eine Stätte für uns bereit liegt, für uns? Dann sind wir imstande, den Raub unserer Güter ruhig hinzunehmen. Mag dann auch der Glutwind der Trübsal über uns hingehen, mögen die ungestümen Wogen der Prüfung über uns zusammenschlagen, nichts ist imstande, unser Glück und unseren Frieden zu erschüttern. 
Selbst vor der Sichel des Todes, die niemand auf Erden verschont, brauchen wir keine Furcht zu haben. Wenn auch alles in dieser traurigen Welt vor diesem Feinde dahinfällt, Jesus ist hinaufgestiegen in den Himmel mit den Worten: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder.“ Er bewahrt nicht nur die Stätte für uns auf, nein, Seine Gegenwart selbst bereitet sie uns (darin liegt die Kraft dieser Stelle); und mehr noch: Er wird wiederkommen, Er selbst in eigener Person, um uns aufzunehmen und dort einzuführen.
Ich glaube nicht, dass Jesus droben tätig ist, um die Stätte für uns zu bereiten; Seine Gegenwart droben bereitet sie vielmehr für uns. Seine Tätigkeit im Himmel hat uns, die wir uns noch hienieden befinden, im Auge, und sie geschieht, um uns für Seine Gegenwart passend zu erhalten, nachdem Sein Blut uns bereits dafür zubereitet hat. Sein Blut ist die Grundlage, auf der wir vor Ihm stehen, Seine Gnade das Mittel, welches uns passend erhält für Seine Gegenwart; aber es ist Seine Gegenwart, die die Stätte für uns bereitet. Jetzt bleibt nur noch eins übrig. Wer wird uns in die bereit liegende Stätte einführen? Die Antwort ist herrlich. Derselbe Herr, der hingegangen ist, uns eine Stätte zu bereiten, der uns während der Zeit Seiner Abwesenheit erhält und bewahrt, kommt wieder. Das erste Begrüßungswort, das uns an der Stätte Seiner Gegenwart empfängt, soll aus Seinem Munde kommen. „Wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen.“ „Zu mir“, das ist nicht der Himmel, nicht die Herrlichkeit, es ist Seine Person. „Auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet.“ Welche Freude! 
Bevor ich weitergehe, möchte ich fragen: Welchen Einfluss übt alles dies auf unsere Herzen aus? Der Zug unserer Zeit geht dahin, von Christo so viel Nutzen wie möglich zu ziehen und Ihn dann zu vergessen. Sind wir durch diese Neigung nicht oft mit fortgerissen worden? Geht es nicht vielen wie jenem ägyptischen Manne, der im Gefängnis glücklich war, Joseph zu haben, weil er durch ihn Aussicht hatte auf ein zukünftiges Wohlergehen und Glück, der aber seinen Wohltäter völlig vergaß, sobald ihm die ersehnte Befreiung zu teil wurde? 

Ja, so geht es häufig auch uns. Wir nehmen Christi Hilfe, wenn irgend ein Bedürfnis vorliegt, in Anspruch, aber nachher vergessen wir Ihn. Wie oft missbrauchen wir z. B. die kostbare Tatsache, dass Christus eine Stätte für uns außerhalb dieser Erde bereitet hat, wohin unsere Herzen flüchten können, wenn der Hauch des Todes über die Dinge hienieden geht! Missbrauchen? Wie ist das möglich? Nun, was tun wir, nachdem der Sturm sich gelegt hat? Ach! nur zu häufig ist diese Stätte nichts anderes für uns gewesen als ein Zufluchtsort während des Unwetters; sobald das Wetter vorüber ist, verlassen wir sie wieder. Christus redet von Wohnungen. Ohne Zweifel ist dieser Ort eine Zufluchtsstätte und ein Obdach, der einzige Schatten vor der versengenden Glut der Wüstenhitze; aber wir werden ihn sehr bald wieder verlassen, wenn wir nicht unser Heim in ihm gefunden haben oder, mit anderen Worten, die Freuden und Segnungen des Vaterhauses in der Gemeinschaft Dessen, der dem Herzen volles Genüge zu geben vermag. Die uns um- gebende Welt denkt mit keinem Gedanken an ein Wohnen mit Christo außerhalb dieses irdischen Schauplatzes; ihr erscheint die Erde als ein höchst angenehmer Aufenthaltsort. m besten Falle lässt man Christum auf die Erde herabsteigen, damit man hier Seine Gnade und Liebe, Seine Hülfe und Erlösung haben und sorglos leben könne.
Gott erwartet etwas ganz anderes. Sein Wille ist, dass das Erlösungswerk Christi und die Gnade, die uns in Ihm zu teil geworden ist, die Wirkung haben, dass wir die Bande, die uns mit dieser Welt verbinden, zerreißen, dass wir mit allem, was von der Erde ist, brechen, uns dafür aber droben fest und sicher einrichten. Von dem Augenblick an, da wir jenen wunderbaren Ort, wo Christus eingegangen ist, zu unserer Wohnung machen, denken wir an keine Ruhestätte hienieden mehr. Weshalb nicht? Nun, stellen wir uns vor, ein Mensch würde mit einem mal in eine ganz fremde Gegend versetzt. Hat er nötig, sich hier fremd zu  machen, die Gesinnung und Gefühle eines Fremden anzunehmen? Nein, er ist fremd. Was ihn dazu gemacht hat, ist die einfache Tatsache, dass er den Ort verlassen hat, wo er daheim. war. Dort ist er kein Fremder, auch heute noch nicht, denn sein Herz ist dort geblieben; dort liegen seine Freuden, seine Interessen, dorthin geht sein Sehnen.
Machen wir die Anwendung auf unseren Fall, so können wir sagen: das sicherste Kennzeichen dafür, dass ein Mensch in Wirklichkeit kein Pilger ist, ist sein Bemühen, ein solcher zu werden. Man sucht immer das zu sein, was man nicht ist. Für den, der wirklich ein Pilger ist, bedarf es keines solchen Bemühens· Sein Charakter ist einfach der Ausfluss seines Lebens und seiner Natur. Eine Pflanze bedarf keiner Anstrengungen, eine Pflanze zu werden. Was sie nötig hat, ist Wärme und Licht; empfängt sie diese, so wächst sie, und ihre Natur erweist sich. So können auch wir uns niemals die Eigenschaft, Fremdlinge hienieden zu sein, erwerben, ebenso wenig wie wir uns, als Sünder, für Gottes Gegenwart passend machen können; aber von dem Augenblick an, da unser Herz seine Ruhe bei Christo gefunden hat, da, wo Er ist, stehen wir außerhalb des irdischen Zeitlaufs; die Dinge dieser Erde werden uns fremd und hören auf, Gegenstände unseres Interesses und unseres Strebens zu sein. 
Aber ach! wie wenig haben die Gläubigen in Wirklichkeit ihren einstigen Platz in der Welt aufgegeben, wie wenig trauern wir alle über den Zustand der Dinge um uns her! Wenn wir mehr droben lebten, so würden wir, wie eine Pflanze, die in ein fremdes Klima gebracht wird, fühlen, dass der irdische Luftkreis unserer Natur nicht entspricht. Aber indem wir uns an das irdische Klima gewöhnten, haben wir es fertig gebracht, im Geist der uns umgebenden Dinge zu leben. Wir sind imstande, der Welt so entgegenzutreten, wie sie uns entgegentritt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir uns nach und nach an ihre Kälte und Finsternis gewöhnt haben und weil wir lieber hienieden wohnen als pilgern möchten. Aber Gott will, dass wir droben wohnen und, indem wir die Freuden des Vaterhauses in Gemeinschaft mit Christo finden, hienieden nur als auf der Reise befindliche Fremdlinge weilen, gleichsam als Besucher, welche die Gnade, Vollkommenheit, Milde und Kraft des Herrn Jesu in das Land ihrer Fremdlingschaft mitbringen. 
Man. findet denselben Geist, von welchem wir eben sprachen, in der Art und Weise wieder, wie man den Dingen hienieden zu begegnen sucht. Man sieht die Schwierigkeit voraus, prüft sie, misst sie ab und sucht
sich nach Möglichkeit darauf vorzubereiten. Kommt dann der gefürchtete Augenblick, so erfährt man eine
bittere Enttäuschung. Warum? Weil Gott neue Kraft immer erst dann darreicht, wenn das Bedürfnis dafür
vorliegt. Wir können von dieser Kraft nicht einen Vorrat ansammeln für kommende Fälle. Gott gibt niemals aus Vorrat. Er gibt in Seiner Güte und Weisheit nur nach den augenblicklichen Bedürfnissen. Er weiß sehr wohl, dass wir die dargereichten Vorräte nur dazu benutzen würden, unabhängig zu werden. Was uns, not tut, ist, Tag für Tag für unsere Bedürfnisse zu Gott zu gehen. Je mehr unsere Herzen bei Christo weilen, da wo Er ist, desto mehr werden wir die Freuden des Vaterhauses genießen und desto besser in einfacher, natürlicher Weise, ohne zu suchen, uns im voraus zu stärken, den Schwierigkeiten eines jeden Tages begegnen.
Möchten wir doch täglich also wandeln, in der Geduld, der Ruhe und der Freude Christi! Wenn dann die Schwierigkeiten kommen, werden wir sie überwinden durch Seine Gnade und Seine Macht. In dem Maße, wie wir die Stätte genießen, wo Er sich befindet, werden wir imstande sein, Widerwärtigkeiten zu ertragen und uns über alles zu erheben. Wir können den Schwierigkeiten nur dann die Stirn bieten, wenn wir an jener Stätte heimisch sind und nur als himmlische Besucher hienieden weilen. Möchten wir denn mehr in unserer Heimat wohnen, damit wir imstande seien, in der Gnade Christi auch die auf uns anstürmenden Schwierigkeiten zu besiegen und so Ihn zu verherrlichen!

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Der Brief an Philemon

Bibelstelle: Philemon

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 69ff

Wenn es sich um das persönliche Wohlergehen der Heiligen handelt, um die Weise, wie sie Zeugnis ablegen sollen, um das, was ihr ganzes christliches Leben beherrschen soll, so ist, wie wir gesehen haben, die Liebe die Quelle und treibende Kraft. Mit ihr beginnt denn auch der Apostel, wenn er sich an Philemon wendet.
„Ich danke meinem Gott, indem ich allezeit deiner erwähne in meinen Gebeten, da ich höre von deiner Liebe und von dem Glauben, den du an den Herrn Jesus und zu allen Heiligen hast." Er war voll Dank gegen Gott, weil er bei seiner Erinnerung an Philemon dafür danken konnte, dass die Liebe in seinem Herzen wirksam war. Und ist nicht diese Liebe zu allen Heiligen gerade das, was uns heute besonders am Herzen liegen sollte? Wie jämmerlich ist der Zustand, in den das Zeugnis Gottes in unseren Tagen geraten ist! Könnte wohl der Apostel seinem Gott noch danken, wenn er von der Liebe hörte, die in jedem von uns ist?
Ein wichtiger Punkt, dem man in den Briefen immer wieder begegnet, ist die Tatsache, dass der Apostel, anstatt sofort auf die Mängel der Christen hinzuweisen, immer zunächst an das denkt, was es Gutes bei ihnen gibt. Er warnt und tadelt sie von Seiten Gottes, aber nie beginnt er einen Brief mit diesen Ermahnungen. Selbst wenn er auf manches Ungehörige hinweisen musste, das sich in Korinth in der Versammlung Gottes zeigte, und er den Korinthern nicht sagen konnte: Ich danke Gott dafür, dass ihr treu seid, sagt er doch: „Ich danke Gott, dass ihr in keiner Gnadengabe Mangel habt". In unseren Brief, wie überall, erkennt er an, was die Gnade gewirkt hat und was Philemon für den Herrn ist. Er dankt dafür, dass er bei diesem treuen Jünger eine hervorragende und ihn auszeichnende Eigenschaft gefunden hat. Diese Eigenschaft war die Liebe.
Warum war diese Liebe zu den Heiligen bei Philemon so lebendig? Weil sie die Folge des Glaubens und der Liebe war, die er zu dem Herrn Jesus hatte. Dieser Glaube (das Tell jedes Christen) ist hier nicht, wie im Briefe des Judas, die christliche Lehre, sondern das, was die Gnade ins Herz gelegt hat, um Christus zu ergreifen, jene Gabe, welche die Seele befähigt, den Gegenstand zu erfassen, den Gott ihr vorstellt. Der Glaube Philemons hatte ihn zu dem Mittelpunkt der Liebe geführt. Es war nicht, wie bei so vielen Christen, ein Glaube, der nur den Bedürfnissen eines Sünders entspricht und Jesus als Heiland annimmt. Sein Glaube hatte das Wesen Gottes selbst, die Liebe in der Person Christi, ergriffen. Er hatte ihn durch den Heiligen Geist in sein Herz aufgenommen, und von da aus hatte sich diese Liebe über alle die erstreckt, die dem Herrn angehörten. Das ist das Geheimnis unseres persönlichen christlichen Lebens. „Da ich höre von deiner Liebe und von dem Glauben, den du an den Herrn Jesus und zu allen Heiligen hast."
Von der Liebe zu allen Heiligen! Ich wünsche sehr, liebe Freunde, dass wir uns in diesem Augenblick nicht mit Lehren beschäftigen, - dieser Brief enthält solche nicht, - dass wir uns nicht beschäftigen mit unserem gemeinsamen Zeugnis, - andere Teile des Wortes reden oft darüber zu uns - , sondern ich wünsche, dass dieser Brief in jedem von uns persönlich die tätige Liebe hervorbringt, die den Gedanken Gottes entspricht; und wenn beim Lesen nicht diese innere Wirkung hervorgebracht wird, so wäre es ziemlich nutzlos, in der Betrachtung dieses Briefes fortzufahren.
Die Liebe Philemons erstreckte sich auf alle Heiligen. Wenn es sich um unsere persönlichen Beziehungen zueinander handelt, gibt es da nicht den einen oder anderen unter unseren Brüdern, der nicht das gleiche Teil von Zuneigung unsererseits besitzt? Oder befinden sich gar Misstrauen, Kälte, Bitterkeit, Groll und Abneigung gegen die Glieder der Famille Gottes in unserem Herzen? Christus liebt jeden von uns mit derselben unveränderlichen und vollkommenen Liebe. Haben wir unsere Liebe aus dieser Quelle geschöpft? 

Lasst uns auf diese Frage vor Gott antworten und, wenn es damit anders steht, uns vor Ihm demütigen, damit Seine Gnade unseren Zustand heilen kann.
Die Liebe Philemons richtete sich nicht nur gegen seine Hausgenossen oder seine Bekannten, sie war weit ausgedehnter; sie erstreckte sich auf alle Heiligen, ohne irgendeine Ausnahme. Diese Liebe hatte er aus dem Herzen Christ! geschöpft; daher konnte sein Herz, wie das seines Herrn, gleichsam die ganze Welt umspannen, sich Überallhin begeben, wo sich Heilige befanden.
Der Apostel spricht hier nicht von der Liebe, die sich an die Sünder wendet, um ihnen das Evangelium zu verkündigen. Von dieser sagt er an einer anderen Stelle: „Die Liebe des Christus drängt uns" (2.Korinther 5,14), hier handelt es sich um die Heiligen. Diese Liebe ist unter den Christen im Allgemeinen leider so erkaltet, dass man heutzutage fast nur von der Liebe hören will, die den Menschen die gute Botschaft des Heils bringt. Man kennt vielfach fast nur die natürlichen Zuneigungen, welche die Glieder der einzelnen, von Menschen gebildeten Parteien miteinander verbinden, und wenn ein Christ gelegentlich diese Grenzen zu überschreiten sucht, wird er durch parteiische Vorurteile, die mehr Macht über das Herz haben als die Freiheit des Geistes, sehr schnell wieder dahin zurück gebracht.
Die Liebe zu den Heiligen und die Liebe zu den Sündern sollten zusammengehen. Die Versammlung Gottes, die wir in allen Briefen des Paulus finden, war der Hauptgegenstand der liebenden Fürsorge des Apostels. Wenn er das Evangelium verkündigte, selbst wenn es Gefahren durchzumachen und Leiden aller Art zu erdulden gab, so war sein Herz viel mehr erfreut als betrübt; denn wenn er mit Tränen säte, so erntete er mit Jubel. Handelte es sich aber um die Kirche, so litt er unaufhörlich in seinem Herzen. Die Sorge um alle Versammlungen drang alle Tage auf ihn ein. Wenn er hörte, dass die Heiligen (an welchem Orte es auch sein mochte) nach den Gedanken Christi wandelten, so fiel er auf seine Knie und dankte; waren sie in Gefahr, oder hörte er, dass sie schlecht wandelten, so fiel er wiederum auf die Knie, aber unter Tränen, und rang für sie in den Gebeten.
Wir sollen sein Beispiel nachahmen; aber müssen wir nicht mit Demütigung anerkennen, dass unsere Gemeinschaft mit Christus in Seiner Liebe zu allen Heiligen sehr weit von der des Philemon entfernt ist? Sollten wir uns damit begnügen, dies auszusprechen? Nein; wenn auch die Liebe, von der wir reden, in der Kirche, als ein Ganzes betrachtet, verloren gegangen ist, so kann sie doch durch ein tiefes Selbstgericht persönlich wieder gefunden werden. Ein zerbrochenes Herz, das selbst Barmherzigkeit bedarf, ist auch imstande, die Reichtümer der Liebe Christi zu verstehen und zu schätzen, um sie dann anderen gegenüber zu offenbaren.
„Dass die Gemeinschaft deines Glaubens wirksam werde in der Anerkennung alles Guten, welches in uns ist gegen Christus Jesus" (V. 6). Philemon war beständig in Glaubensgemeinschaft mit dem Apostel Paulus. Der Glaube war für beide der Ausgangspunkt; durch ihn hatten sie einen gemeinsamen Gegenstand. Philemon fand bei Paulus ein ungeteiltes Herz in Bezug auf Jesus Christus. Das ist das Geheimnis der brüderlichen Liebe; sie geht hervor aus der Gemeinschaft, die wir mit Christus haben. Auf der anderen Seite erkannte der Apostel an, dass das weite Herz Philemons alle Heiligen umfasste, und er fügte hinzu: „Denn wir haben große Freude und großen Trost durch deine Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind.“
Beachten wir immer wieder, welchen Platz die Liebe in diesem Briefe einnimmt. Die Folge der Tätigkeit Philemons in der Liebe war, dass die Herzen der Heiligen erquickt wurden. Hat unsere Liebe auch diesen Charakter? Verbreiten wir auf unserem Weg in völliger Hingabe für die Kinder Gottes diesen Wohlgeruch der Liebe Christi, der die Seelen aller unserer Brüder belebt, ermuntert und erquickt? Könnte der Apostel von jedem von uns sagen: „Die Herzen der Heiligen sind durch dich, Bruder, erquickt worden?“
„Bruder!" wie liebe ich dieses zärtliche Wort, das so gut das lebendige Band ausdrückt, das uns in Christus umschlingt und die Gemeinsamkeit unseres Ursprungs und Ziels bezeichnet. Es ist hier umso inniger und tritt umso mehr hervor, weil es nicht, wie anderswo, mit einem Eigenschaftswort, wie „geliebter", verbunden ist. Ich erkenne in diesem einfachen Wort die ganze Tiefe der Gefühle im Herzen des Apostels für Philemon.
Mit dem 8. Vers kommen wir zu dem eigentlichen Thema des Briefes: „Deshalb, obgleich ich große Freimütigkeit in Christus habe, dir zu gebieten, was sich geziemt, so bitte ich doch vielmehr um der Liebe willen, da ich nun ein solcher bin, wie Paulus, der Alte, jetzt aber auch ein Gefangener Jesu Christi." (V. 8 und 9). Wir begegnen hier zwei Grundsätzen, die beide Gehorsam hervorrufen können. Der erste ist die Autorität. Väter und Mütter kennen ihn gut; durch ihre Autorität bringen sie ihre Kinder dahin, zu gehorchen. Der Apostel besaß, wie wir weiter oben gesehen haben, eine Autorität, die ihm das Recht gab, von den Gläubigen Gehorsam zu fordern. Er war völlig frei, Philemon gegenüber von diesem Recht Gebrauch zu machen. Aber er gibt sein Recht auf, um der Liebe freien Lauf zu lassen. Wenn er dem Philemon geboten hätte, seinen entflohenen Sklaven wieder aufzunehmen, so hätte er damit den Gefühlen im Herzen seines Bruders keinen höheren Beweggrund gegeben. Philemon hätte ohne Zweifel gehorcht, aber dieser Gehorsam hätte an dem bitteren Gefühl, das er vielleicht gegen seinen undankbaren und untreuen Sklaven hatte, nichts zu ändern vermocht.
Der zweite Grundsatz, der Gehorsam hervorruft, ist die Liebe. Philemon kannte sie und übte sie aus, wie wir gesehen haben; doch der Apostel sucht ihn dahin zu bringen, in der vorliegenden Schwierigkeit in Übereinstimmung mit seinen Gefühlen zu ihm zu handeln. „Ich bitte dich vielmehr um der Liebe willen...". Nichts vermag wie sie bei den Kindern Gottes ein Betragen hervorzubringen, das mit den Gefühlen Christi übereinstimmt. Wenn die Autorität ihrer Natur zufolge immer den ersten Platz einnimmt, so nimmt die Liebe immer den letzten ein.

 Paulus bittet Philemon. Er, der große Apostel der Heiden, bekleidet mit der Würde eines Abgesandten Gottes, er, dessen Leben Christus verherrlicht hatte und Achtung und Ehrerbietung forderte, kommt zu Philemon als ein Bittender. „Ich bitte dich vielmehr um der Liebe willen", sagt er, "da ich nun ein solcher bin, wie Paulus, der Alte, jetzt aber auch ein Gefangener Jesu Christi." Nicht ein Apostel, sondern ein Greis, ein Gefangener! Man hat Mitleid mit einem Greise, dessen Kräfte schwinden; man dient ihm gern als Stütze. Man hat Mitgefühl für einen Gefangenen, obwohl dieser hier sich nicht als Gefangener der Menschen, sondern als einen Gefangenen Jesu Christi betrachtete. Der Apostel vergisst seine Würde, erniedrigt sich in Liebe vor Philemon, und doch ist sein ganzer Brief eine Hilfe, ein Beistand, den er diesem treuen Diener Gottes verleiht. Das ist die Art und Weise, durch die wir die Herzen unserer Brüder gewinnen und sie fähig machen können, hier schon das Bild Christi zu sein, indem bei ihnen Gefühle hervorgebracht werden, die in Übereinstimmung sind mit Dem, der sanftmütig und von Herzen demütig ist.

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Gedanken über Lukas 12,35 - 53

Bibelstelle: Lukas 12,35 - 53

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 77ff

Noch etwas möchte ich hervorheben: des Christen Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes, welchen er
von Gott hat. — „In welchem (Christus) ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit
dem Heiligen Geiste der Verheißung, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise Seiner Herrlichkeit.“ (Eph.1, 13. 14).Nachdem ich durch das Blut Christi von meinen Sünden gewaschen worden bin, hat der Heilige Geist meinen Leib zu Seinem Tempel gemacht. Zufolge der Erlösung ist dies meine Stellung. Es ist des Christen gesegneter Platz; und nun soll er wandeln, wie Christus gewandelt hat.
Vierzig Tage nach Seiner Auferstehung fuhr der Herr gen Himmel und sandte den Heiligen Geist hernieder, „den die Welt nicht empfangen kann, weil sie Ihn nicht sieht, noch Ihn kennt“. Die Gläubigen aber kennen Ihn, denn Er bleibt bei ihnen und ist in ihnen (Joh. 14, 17). Und wir wissen, dass Er in uns bleibt, weil wir sagen: Abba, Vater! Wie sollten wir nun sündigen, wenn unser Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist und wir um einen Preis erkauft sind! 
So ist also der Gläubige der Brief Christi in dieser Welt, und das Leben Jesu soll an und in ihm offenbar
werden. Das ist seine Verantwortlichkeit. Er kennt seinen Platz, indem er ruft: Abba, Vater! Die Liebe Gottes ist ausgegossen in sein Herz. Er kennt seine Verbindung mit Gott, ja, in Christo Jesu sitzt er schon
in den himmlischen Örtern, während der Heilige Geist in ihm als Seinem Tempel hienieden wohnt. Er ist ein Kind Gottes, und deshalb auch ein Erbe, ein Erbe Gottes und ein Miterbe Christi. 
Wenn ich nun Christum in meinem Wandel zeigen soll, dann ist es mein Vorrecht, mit Ihm zu leiden. Denn da der Geist Christi in mir wohnt, ist es unmöglich für mich, eine Welt des Elends und der Sünde zu durchschreiten, ohne — gewiss in geringem Maße, aber doch wirklich — zu fühlen, was diese Welt ist, sowohl in ihrem Widerstand gegen Gott als auch in ihrem ganzen Wesen. Der Christ durchschreitet diese
Welt als ein Mensch, der nicht von ihr ist, dessen Bürgerrecht im Himmel ist. Er ist herausgenommen aus der gegenwärtigen bösen Welt —— aber er muss durch sie hindurchgehen. Angenommen nun, Christus wäre erst gestern gekreuzigt worden, könnte ein Christ dann mit der Welt wandeln, die Ihn gekreuzigt hat? Nein, sein Platz ist bei Ihm, außerhalb des Lagers. Christus ist alles für ihn, der alles beherrschende Gegenstand seines Herzens. Christus ist in ihm als die Kraft des Lebens und der Freude.
Auch dies sei noch beiläufig bemerkt: wir wissen, wen wir lieben, wenn wir Ihn auch nicht genug lieben. Wenn jemand sagt: „Ich liebe meine Mutter, und ich weiß, dass ich sie genug liebe“, so täuscht er sich; die erste Probe wird den Beweis erbringen, dass er sie gar wenig liebt. Sagt aber ein Kind: „Ich liebe meine Mutter nicht halb so viel, wie ich sie wegen all ihrer Sorge und Mühe um mich lieben sollte“, so behaupte ich: „Dieses Kind liebt seine Mutter“. Genauso verhält es sich mit dem Herrn und uns; deshalb sehnen wir uns auch danach, Ihn zu schauen.
Damit kommen wir zu dem zweiten wichtigen Kennzeichen des Christen: er erwartet Christum, seinen Herrn. Ich sage dies mit allem Nachdruck. Was einen Gläubigen aus einer vielleicht christlichen Umgebung hervorhebt und vor ihr auszeichnet, ist nicht so sehr seine Erkenntnis, sein geistliches Wissen, als vielmehr die sehnliche Erwartung der Rückkunft Christi. Die Thessalonicher hatten sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“. Nichts könnte einfacher und klarer sein. Alles was den Christen bewegt und interessiert, steht mit der Rückkehr seines Herrn in Verbindung. Das Ende eines jeden Kapitels im ersten Briefe an die Thessalonicher redet von dieser Rückkehr. Das erste Kapitel knüpft die Wiederkunft Christi an die Bekehrung, das zweite an den Dienst Pauli, das dritte an die Heiligkeit, welche dann ans Licht treten wird, das vierte an den Tod des Christen: „Die Toten in Christo werden zuerst auferstehen, danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden“. Dieser Mitteilung fügt der Apostel die Aufforderung hinzu: „So ermuntert nun einander mit diesen Worten“. 
„Der Gläubige hat sich also zu Gott bekehrt, um Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten. Es ist nicht nur wahr, dass wir im Himmel glücklich sein werden; nein, der Herr sagt: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“. Und der Apostel Paulus schreibt: ,,Also
werden wir allezeit bei dem Herrn sein«. Esbesteht ein auffallender Unterschied zwischen den Gefühlen eines Menschen, "welcher sagt: »Ich bin« auf dem Wege zum Himmel«, und denen eines Gläubigen, welcher Christum heute vom Himmel erwartet. Die Redeweise »in den Himmel gehen«, der man so oft begegnet, findet man in der Schrift überhaupt nicht. Was ihr am nächsten kommt, ist das Wort des Herrn an den Räuber: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“. Zu Christo gehen, bei Christo sein, das steht geschrieben; „ausheimisch von dem Leibe, einheimisch bei dem Herrn sein“, auch das ist göttlich wahr; aber die obige Redeweise stellt den Herrn und Seine Ankunft mehr oder weniger in den Hintergrund. . Sterbe ich, so gehe ich zu Ihm; sterbe ich nicht, und das ist meine Hoffnung, so kommt Er und nimmt mich zu sich. Die Ankunft des Herrn ist das, wozu die Kirche berufen ist, sie ist unsere Hoffnung, unser Gegenstand, das, was vor uns liegt; und hierdurch lebt der Mensch, denn der Lebenszweck eines Menschen, das Ziel, welches er verfolgt, kennzeichnet ihn und seinen ganzen Weg.
Wozu waren die zehn Jungfrauen berufen? Auszugehen, dem Bräutigam entgegen. Wie hat es sich aber mit den Gläubigen verhalten, die viele Jahre vor uns gelebt haben? Sie sind, gleich den Jungfrauen, alle eingeschlafen. Was hat sie aufgeweckt? „Um Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen! Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen“. Der Zustand eines Menschen wird daran geprüft, ob er bereit ist, dem Herrn entgegenzugehen, sobald Er kommt. Ich weiß nicht, wann Er kommt; es heißt: „in der Stunde, in welcher ihr es nicht meinet“. Wie steht es mit unseren Herzen? Sind unsere Gedanken und Neigungen in einem Ihm wohlgefälligen Zustande? Brennen unsere Lampen? Bekennen wir Jesum vor den Menschen? Gleichen wir den Knechten, die auf ihren Herrn warten? Zu solchen kommt Er und klopft, und sie öffnen Ihm alsbald. Das sollte unser Charakter sein.
Der Christ ist zuvor bestimmt, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Wann wird dies geschehen? Wir sagten bereits: Sterbe ich, so gehe ich zu Christo, und welch ein Glück wird das sein! Aber es ist nicht alles, nicht das „Vollkommene“, es ist nicht das, was die Schrift „dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig sein“ nennt. Wann wird dies denn stattfinden? „Wir wissen2 — ein Wort, das die Schrift gern gebraucht, weil der Heilige Geist gekommen ist — „wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird (oder: wenn Er geoffenbart wird), wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh. 3, 2). Dann, wenn Er kommt, wenn wir Sein Antlitz
schauen, werden wir Seinem Bilde gleichförmig sein; wir werden wirklich Ihm gleich sein, anders könnten wir Ihn nicht sehen, wie Er ist. Mittlerweile sollen wir Ihm dem Geiste nach ähnlich sein, indem wir berufen
sind, Seine Ankunft zu erwarten: „Ihr, seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten!“ Wenn wir dieser
Ermahnung folgen und Christum erwarten, werden wir dann Geld anhäufen, um Ihm damit zu begegnen? In unserem Kapitel behandelt der Herr den uns beschäftigenden Gegenstand auf zweierlei Weise. Er ermuntert uns, auf Seine Ankunft zu warten. Wir gehören jetzt dem Himmel an und dem, was ewig ist; aber wir wissen nicht, wann Christus kommen und uns dorthin bringen wird. Wie steht es nun mit uns? Sind unsere Herzen dieser Welt, dem Ort, aus welchem Er uns erlöst hat, so sehr entfremdet, dass wir Ihn
täglich erwarten? Dies wird „das Wort Seines Ausharrens“ genannt; denn Er wartet, und weil Er wartet, warten auch wir. Der Herr verzieht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten; die Welt ist nach ihrem eigenen Willen unwissend, aber der Herr ist langmütig gegen uns, da Er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen.
Das ist das eine; das zweite ist: „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird!“ Warum glückselig? Die Beschreibung der Glückseligkeit derer, welche wachen, folgt unmittelbar: „Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen, und wird hinzutreten und sie bedienen“. Er deckt im Himmel den Tisch für sie und lässt sie dann sich niedersetzen. Er bedeckt ihn mit dem Besten, was der Himmel aufzuweisen hat, und dann tritt Er selbst hinzu und bedient Seine Knechte. Darum sagt Er: Bis ich komme, sollen eure Lenden umgürtet und eure Lampen brennend sein. Noch um ein gar Kleines, so werden meine Wünsche in Erfüllung gehen; dann sollt ihr euch zu Tische legen, und ich selbst will euch bedienen! Welch ein Beweis Seiner Liebe! Ich brauche nicht zu sagen, dass dies ein Bild ist; allein es zeigt uns, dass Er nie aufhören wird, den Seinen in der Darreichung der höchsten Glückseligkeit zu dienen.
In Joh. 13 steht Jesus, in dem Bewusstsein, dass der Vater Ihm alles in die Hände gegeben hatte, und dass Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe, von dem Abendessen auf, nimmt ein leinenes Tuch, umgürtet sich und wäscht die Füße Seiner Jünger. Er sagt gleichsam: Ihr sollt da sein, wohin ich jetzt gehe; aber selbst während ihr euch noch auf dem Wege dahin befindet, müsst ihr rein genug sein für jenen Ort. Und in 1. Joh. 2 lesen wir: „Wenn jemand gesündigt hat -— wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten«. — So bedient der Herr die Seinigen unaufhörlich und wird ihnen dienen in der Ewigkeit. Diejenigen, welche wachen und deren Herzen auf Christum gerichtet sind, wird Er in Glückseligkeit sich an Seiner Tafel niedersetzen lassen, und dann wird Er selbst kommen und sie bedienen. Handelt es sich um Lohn für unsere Arbeit, wie wunderbar ist dann der Platz, den wir im Reiche haben werden, als Erben Gottes und Miterben Christi! Wenn Er Seine Macht und Herrschaft antreten wird, so werden wir mit Ihm herrschen; Er wird nicht allein über die Werke Seiner Hände regieren. Handelt es sich jedoch um unsere wahre Glückseligkeit, so besteht sie darin, dass der Herr selbst sich umgürten und uns bedienen wird. 
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf das ernste, warnende Wort im 45. Verse unseres Kapitels: „Wenn
aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr Verzicht zu kommen“ —— das ist die Stellung der bekennenden Kirche; man sagt nicht gerade: Er wird nicht kommen; aber man erwartet Ihn nicht jetzt — „und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen und zu essen und zu trinken und sich zu berauschen“ — das heißt, die Welt zu regieren und zu genießen — „so wird der Herr jenes Knechtes kommen an einem Tage, an welchem er es nicht erwartet. und in einer Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn entzweischneiden und ihm sein Teil setzen mit den Untreuen.“ Der Knecht nimmt den Platz eines Dieners ein, sagt aber: „Mein Herr verzieht zu kommen,« so kommt sein Herr zu einer Zeit, da er ihn nicht erwartet, und richtet ihn. Es ist, um es mit einem Wort zu sagen, das ernste Gericht des bekennenden Christen. Wenn man die Ankunft des Herrn mit Herzensvorsatz hinausschiebt, so empfängt man sein Teil mit den Ungläubigen. Wacht man dagegen und wartet aus Christum, so wird die Liebe des Herzens mehr und mehr auf Ihn gerichtet, und bald wird Er selbst den treuen Knecht sich zu Tische setzen heißen und hinzutreten und ihn bedienen. Wohl gibt es mittlerweile einen Dienst für uns; aber Sein Herz findet Seine Wonne daran, uns zu bedienen; und Christus wird nicht eher befriedigt sein, als bis Er uns bei sich in derselben Herrlichkeit hat. Er wird wiederkommen und alle wahren Gläubigen zu sich nehmen, damit, wo Er ist, auch sie seien. 
Was die eingeschlafenen Jungfrauen aufweckt, ist, wie wir hörten, der Ruf: „Siehe, der Bräutigam!“ Der Ruf ist längst erschollen; und es erhebt sich für uns die ernste Frage: Warten wir nun wirklich auf Christum? Sind wir ausgegangen, dem Bräutigam entgegen? Unser Warten hat nichts mit der Zeitrechnung zu tun· Die Regierung dieser Welt ist ein Gegenstand, welcher an seinem Platze äußerst interessant ist; mit der Ankunft des Herrn zu unserer Aufnahme hat er aber gar nichts zu tun. Ich soll kein Ereignis irgendwelcher Art zwischen mich und die Ankunft Christi stellen. An Ereignissen wird’s nicht fehlen, aber sie gehören alle dieser Welt an; und wir sind nicht von der Welt. Die praktische Frage ist, inwieweit unsere Herzen diesen Standpunkt einnehmen. Wir müssen durch diese Welt gehen, und sie hat Christum verworfen! Können wir alle sagen, dass wir wachen und Christum erwarten? Wie antworten unsere Herzen auf die Liebe, welche Er zu uns hat? Welch armselige Begriffe haben wir oft von dem Interesse unseres hochgelobten Herrn für uns! Ich glaube, man kann getrost sagen, dass keiner von uns allen, die wir durch die Gnade glauben, Ihm auch nur die Hälfte des Interesses zutraut, welches Er für uns hat. O möchten wir doch mehr Menschen gleich sein, die auf ihren Herrn warten!
„Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird!“

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Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 85ff 

II. 
Ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen zweiten Punkt in unserem Kapitel (Joh. 14) lenken. Der Herr sagt im 23. Verse: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen«. Ich richte die Frage an einen jeden von uns: Sind wir bereit, unsere Liebe zu Christo auf diese Weise zu bezeugen? Der Herr spricht nicht von Werken, die wir tun sollen; Er sagt nicht: „Wenn jemand mich liebt, so wird er wirken“. 
In unseren Tagen der fieberhaften Tätigkeit, wo selbst das Werk der Evangelisation so häufig diesen Charakter annimmt, würde man es ohne Zweifel lieber sehen, wenn Jesus sich so ausgedrückt hätte. Fern sei es von mir, übel zu reden von dem, was Gott in Seiner Unumschränktheit und Barmherzigkeit zur Ausführung Seiner Absichten tun lässt, mögen die Werkzeuge sein, welche sie wollen. Aber Zeugnis ablegen ist nicht alles: wir müssen das Wort Jesu halten. Tun wir das? „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“.
Es ist ein ernster Gedanke, dass unaufhörliche Tätigkeit, rastloser Eifer, aufopfernde Mühe und Arbeit vorhanden sein können, ohne dass in dem, was geschieht, wahre Liebe zu Christo zu finden ist. Der Leser denkt vielleicht, ich übertreibe. Aber lesen wir doch einmal das 2. Kapitel der Offenbarung. Dort sehen wir Den, welcher, mit Augen wie eine Feuerflamme, inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt, der alles hört, alles sieht, alles beurteilt. Und Ihn hören wir sagen: „Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: . . . Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren, und dass du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, welche sich Apostel nennen, und sind es nicht, und hast sie als Lügner erfunden; und du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen, und bist nicht müde geworden. Wo ließe sich heute, unter dem alles durchdringenden Auge des Herrn, ein besserer Zustand finden? Denn Er ist es, welcher all diese Arbeit erwähnt, wie Er es stets mit dem tut, was Er nur irgend anerkennen kann. Aber dann — und nun kommt das große „Aber“, fügt Er hinzu: „Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“. Ich weiß nicht, ob wir der so überaus ernsten Möglichkeit genügend Rechnung tragen, das; man Werke tun kann, auch wenn keine Liebe zu Christo vorhanden ist. Es ist augenscheinlich, dass der Herr die Liebe weit mehr schätzt als die Werke, und doch ist es möglich, dass man eine Arbeit, ja, eine selbst vom Herrn anerkannte Arbeit, verrichtet, ohne dass das Herz in Wahrheit und Ausrichtigkeit dabei ist. Hüten wir uns wohl, Werke zu tun, wenn deren treibende Kraft, die Liebe, fehlt. 
Der Maßstab für alles, was um uns her vorgeht, ist das einfache Wort des Herrn: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“. Liebst du Christum, teurer Leser? Ich frage dich im Namen des Herrn. Ist dein Herz mit Ihm? Kannst du sagen: Ja, ich habe Ihn lieb? Wir leben in einer Zeit, wo jedermann seine Gefühle offen und frei zeigt. Nun, „wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“. Wenn du nun Sein Wort nicht hältst, wenn du Seinem Rat, Seinem klar geoffenbarten Willen nicht folgst, ist es dann nicht falsch zu sagen, dass du Ihn lieb habest? Denken wir an Delila. Dieses Weib wusste trotz ihrer Erbär1nlichkeit und Verdorbenheit doch etwas davon, was aufrichtige Liebe ist. Sie sprach zu Simson: „Wie kannst du sagen: Ich habe dich lieb, so doch dein Herz nicht mit mir ist?“ — „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten.“ 
Wenden wir uns jetzt einen Augenblick zu den Worten des Herrn an die Versammlung zu Philadelphia. Er sagt zunächst: „Ich kenne deine Werke“. Er redet nicht ein Wort über die Werke selbst, nur dass Er sie kenne. Der Grund hierfür ist, wie ich nicht bezweifle, der, dass niemand anders sie beachten würde. Die Werke Philadelphias waren derart, dass es des Auges Jesu bedurfte, um sie zu entdecken oder doch wenigstens sie zu würdigen. Sie waren zu unbedeutend, den Augen der Welt zu sehr verborgen; sie waren nach Ausführung, Art und Beweggründen zu eigenartig, als dass sie von einem anderen Herzen hätten geschätzt werden können. „Ich kenne deine Werke“
Weiter sagt der Herr: „Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt“. Es ist derselbe Gedanke, den Er in Joh. 14 mit den Worten ausdrückt: »Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“, worauf dann die Belohnung folgt: „Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“. Und es ist dasselbe Wort wie im 2. Verse des genannten Kapitels. Der Sohn Gottes hat droben -eine Wohnung für mich; das ist wahrlich schon wunderbar genug. Aber noch wunderbarer ist der Gedanke, dass Er, bis Er mich droben einführt, herabsteigen und in Gemeinschaft mit dem Vater in meinem armen Herzen Wohnung machen will. Wie wenig denkt man daran! Wo find die Herzen, welche mit inbrünstigem Verlangen Seine Gegenwart wünschen, deren tiefste Wonne es ist, die Wohnung Jesu zu sein? 
Mein lieber Leser! wie stehst du zu dieser Sache? Denke dir, dein armes, schwaches, unbeständiges Herz soll die Wohnung des Vaters und des Sohnes sein! Nachdem wir die beste Stätte gefunden haben, wird uns hier, ich sage es mit aller Ehrfurcht, auch die beste Gesellschaft zugesagt. Vater und Sohn! Ist es denkbar, dass wir uns allein fühlen könnten, wenn wir uns einer solchen Verbindung bewusst sind? Vater und Sohn steigen hernieder, nicht nur um uns einen kurzen Besuch zu machen, sondern um in Herzen zu wohnen, in welchen früher Welt, Fleisch und Teufel geherrscht haben! O ihr lieben Freunde, wünschet ihr, dass der Vater und der Sohn bei euch Wohnung machen, dann haltet Jesu Wort!
Aber, möchte ich fragen, sind wir wohl alle schon einmal in dieser Weise geübt worden? Haben wir Zeiten erlebt, in welchen wir mit tiefer Herzensübung oder doch wenigstens in ernstem Nachdenken die Tatsache erwogen haben, dass überall Jesu Wort beiseite gesetzt wird? Wir reden viel von unserer Liebe zu Christo und zu Seinem Wort; aber haben wir schon ein einziges Mal auf unserem Angesicht gelegen im Gefühl darüber, dass so viele mit Wissen und Willen ihre eigenen Interessen suchen und nicht die Interessen Jesu Christi, und dass Sein Wort nicht gehalten wird? 
Wir reden, wie gesagt, gern von unserer Liebe, von unserer Zuneigung; aber wie armselig und selbstsüchtig ist das! Wären unsere Herzen und Gedanken mehr mit den Zuneigungen Christi beschäftigt, so würden wir uns wahrlich nicht so leicht in den Reihen derer befinden, die Seinen Wünschen gegenüber Gleichgültigkeit offenbaren. Die Wahrnehmung, dass man im allgemeinen so wenig den Wunsch Seines Herzens schätzt, würde uns tief niederbeugen. Er bat einst den Vater: „Auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien“. Aber wie viel wird der Zweck vergessen, für welchen Er starb, nämlich „die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln«! (Joh. 11, 52.) Kümmert sich z. B. die bekennende Kirche irgendwie um diese Absicht, diese Bitte Jesu? Darum, vergessen wir es nicht: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten“. 
Der dritte Punkt, auf den ich noch hinweisen möchte, findet sich in- den Versen 26 — 28 unseres Kapitels. Wir haben von dem besten Platz und dann von der besten Gesellschaft gesprochen. Reden wir jetzt einen Augenblick von den besten Umständen. Der beste Platz ist in dem Himmel, bei Christo; die beste Gesellschaft ist »außerhalb des Lagers«, indem man Christum und den Vater als solche kennt und besitzt, die Wohnung bei uns machen· Doch was sind die besten Umstände? Zunächst ist es ein zwiefacher Friede der Friede, den Christus durch das Blut Seines Kreuzes gemacht hat, und dann der Friede, in dessen Genuss Er als der gehorsame und abhängige Mensch, als Sohn mit Seinem Vater gestanden hat. Er lässt uns den ersten und gibt uns den zweiten. Aber besitzen wir alle diesen doppelten Frieden? Ist es nicht eine niederdrückende Tatsache, dass sich unter denen, welche das Volk Gottes zu sein bekennen, solche finden, die nicht einmal den ersten Frieden besitzen? Sie wissen nicht, dass es für den Gläubigen keine Feinde mehr gibt. Nur wer wirklich erfasst hat, dass alle Feinde besiegt sind, dass keiner mehr sein Haupt erhebt, besitzt den Frieden, welchen Jesus durch das Blut Seines Kreuzes gemacht hat. Denn wo wäre noch ein Feind, den Jesus nicht besiegt hätte? Wo ist die Sünde? „Er ist einmal geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfern“ Wo Satan? „Er hat durch den Tod den zunichte gemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel“ Wo der Tod? „Wo ist, o Tod, dein Stachel? wo ist, o Tod, dein Sieg?“ Es gibt keinen Feind mehr! Wenn also unsere Herzen sich Dem unterwerfen, der alles aus dem Kreuze zur Vollendung gebracht hat, wenn wir unser Vertrauen auf Ihn setzen, so besitzen wir diesen Frieden. Kein Feind kann uns noch etwas anhaben. 
Der zweite Friede ist die Folge davon, dass das Herz in Einfalt dem Herrn unterworfen ist; er geht, mit anderen Worten, aus der Abhängigkeit und dem Gehorsam hervor. Dieser Friede ist mein Teil, wenn ich Sein Joch auf mich nehme und von Ihm lerne. Im allgemeinen redet man vom Joch in Verbindung mit der Arbeit; das Joch Christi indessen nimmt man auf, um Ruhe zu finden. „Nehmet auf euch mein Joch. . ., und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen« Sobald ich einfältig meinen Platz, vor Gott einnehme, in der Erkenntnis, dass ich betreffs alles dessen, was ich im Fleische war, beiseite gesetzt bin, sobald ich mich vor Gott erkenne als einen gestorbenen Menschen, der keinen Willen mehr hat, und mich nun, durch die Kraft des Lebens in Christo, für gestorben halte, so besitze ich diesen zweiten Frieden.
Was so häufig Beunruhigung in den Herzen hervorruft, ist der Umstand, dass man seine Rechnung mit Gott nicht abgeschlossen hat und nicht durch den Glauben das verwirklicht, was Gott uns in Christo gegeben hat. Wenn wir uns nicht für tot halten, dann ist es unser Wille, der uns beherrscht, und so lange dieser Wille nicht unter die Herrschaft Gottes kommt, können wir jenen zweiten Frieden, von dem wir reden, nicht besitzen. Haben wir aber unsere Rechnung mit Gott abgeschlossen, so haben wir das- Kreuz über unseren Willen gestellt und genießen dann den Frieden eines abhängigen und unterwürfigen Menschen. Unser Wille ist es, der unserem Abhängig- und Unterwürfigsein hindernd im Wege steht, und diesen Willen können wir, ich betone es nachdrücklich, unmöglich durch eigene Willenskraft brechen. Fürsten danken zuweilen aus freien Stücken ab; der Wille hat noch nie abgedankt und wird es auch nie tun. Das Einzige, was uns gänzlich beiseite zu setzen vermag, ist das Kreuz. Ja, ich muss mit Gott meine Rechnung in Ordnung bringen; Gott hat meinen alten Menschen mit Christo gekreuzigt; Gott hat allem, was ich war, im Tode ein Ende gemacht, und ich habe jetzt nur eines zu tun, und das ist: „mich der Sünde für tot zu halten“. 92
Noch etwas anderes, sehr Kostbares in Verbindung mit den Umständen gibt es in diesem 14. Kapitel des Evangeliums Johannes. Im 28. Verse sagt der Herr: „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe“. Ich glaube, dass wir im allgemeinen nicht tief in diesen Gedanken eindringen. Der Herr sagt gleichsam: „Ich habe euch so innig mit mir verbunden, euch in mir selbst in eine so außerordentlich gesegnete Stellung versetzt, dass ich darauf vertraue, das; ihr meine Freude mit mir teilen werdet. Ich schenke euch, mit mir teilzuhaben an meiner Freude. Ist es da viel, eure Trauer um meiner Freude willen zu vergessen?“ —— „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe.“ Ach, wie wenig sind unsere armen, selbstsüchtigen Herzen imstande, in Seine Freude einzugehen, diese Herzen, die sich beständig in dem engen Kreise des eigenen Ichs bewegen! Wie wenig sind wir doch ausschließlich mit Christo beschäftigt, wie wenig haben wir unsere Freude an Seiner Freude! „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn mein Vater ist größer als ich.“ Es sind Grundwahrheiten, mein lieber Leser, von denen wir soeben gesprochen haben. Gott stellt sie vor unser Auge für die Tage unserer Pilgerschaft. Ich weiß wohl, dass es unter den Kindern Gottes Energie genug zum Dienst gibt, aber findet man bei ihnen wohl genug Ruhe zur Gemeinschaft?  Ich bin überzeugt, dass niemand seinen Platz in dem Zeugnis, welches Gott für diese letzten Tage aufgerichtet hat, einnehmen kann wenn er nicht die Ruhe des Herzens kennt, in welcher er mit dem Herrn Gemeinschaft pflegen kann. Und ferner, wenn ich die Ruhe, die des Herzens ebenso wohl wie die des Gewissens, nicht habe, so bin ich nicht befreit. Ich glaube auch, wie ich schon vorhin sagte, dass der Zustand, in welchem sich heute viele Kinder Gottes befinden, sie dahin bringt, es mit den tausenderlei sie umgebenden Dingen zu versuchen, um so wenn möglich die schreckliche Leere auszufüllen, welche daraus entsteht, dass ihre Herzen nicht wirklich vor Gott zur Ruhe gekommen sind.
Der Herr gebe uns, dass wir in einer Zeit der inneren Schwachheit und des äußeren Verderbens mehr und mehr die Stätte kennen lernen, in welche Er für uns eingegangen ist, ja, dass unsere Seelen jetzt schon dort wohnen! Möchten wir auch Seine Gegenwart und Seinen Umgang mehr genießen in den Umständen, durch welche wir nach Seinem Willen zu gehen haben, und so mehr den Frieden und die Freude schmecken, die Er darreicht, bis zu jenem glückseligen Augenblick, wo wir Seine Stimme hören und Ihm entgegengehen werden, um auf immerdar bei Ihm zu sein!

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Der Brief an Philemon

Bibelstelle: Philemon

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 94ff

Der Apostel kommt jetzt zu seinem Anliegen betreffs des Onesimus. Hier wird uns eine Stelle im 5.Buche Mose beeindrucken: „Einen Knecht, der sich vor seinem Herrn zu dir rettet, sollst du seinem Herrn nicht ausliefern. Er soll bei dir wohnen, in deiner Mitte, an dem Orte, den er in einem deiner Tore erwählen wird, wo es ihm gut dünkt: du sollst ihn nicht bedrücken" (Kap. 23,15.16). Der Apostel tut hier also genau das Entgegengesetzte von dem, was das Gesetz für einen solchen Fall angeordnet hatte. Onesimus war ein entlaufener Sklave, der bei Paulus Zuflucht gefunden hatte. Das Gesetz gebot unter diesen Umständen, dass der Sklave bei dem bleibt, der ihn aufgenommen hatte, weil es (unter der Voraussetzung, dass das Herz des Menschen böse und schlecht ist) der Rache, den Leidenschaften und den grausamen Naturtrieben des Herrn keine Gelegenheit geben wollte, in Tätigkeit zu treten. Hier aber sagt der Apostel: „ich habe ihn dir zurückgesandt". Woher dieser Widerspruch? Weil die Herrschaft der Gnade alles verändert: hat. Das Gesetz, das Gegenteil der Gnade, konnte nicht eine neue Natur voraussetzen, noch die Ausgießung der Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in das Herz des Menschen. Unter der Gnade sind alle Beziehungen verändert. Das neue Leben in dem Christen kennt die Liebe Gottes und kann sie ausüben. Der Apostel selbst, so voll von Liebe, hatte sie bei Onesimus, dem bekehrten Sklaven, der sich völlig ihm gewidmet hatte, feststellen können; er erkannte sie in dem Verhalten Philemons, dessen Liebe die Herzen der Heiligen erquickt hatte. So war durch das göttliche Leben ein Band zwischen dem Apostel und Philemon und Onesimus entstanden. Paulus konnte daher bei den anderen auf diese Liebe rechnen, und seine eigene Liebe war voll Vertrauen: sie glaubte alles und hoffte alles. Wie hätte er die Liebe im Herzen Philemons in Zweifel ziehen können? Wie sollte er bei diesem treuen Diener der Heiligen nicht nach dem neuen Grundsatz handeln, anstatt nach dem Gesetz?
„Ich bitte dich für mein Kind, das ich gezeugt habe in den Banden, Onesimus, der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist, (der Name Onesimus bedeutet nützlich und weiter in V. 20: „ich möchte gern Nutzen an dir haben im Herrn". Der Nutzen, den Paulus an Philemon haben wollte, bestand in der Wiederaufnahme des Onesimus, aber er rechnete so sehr auf Philemons Liebe, dass er sagt: „Den ich zu dir zurückgesandt habe - ihn, das ist mein Herz" (V. 12). Philemon hatte „die Herzen der Heiligen erquickt; indem seine Liebe ihnen stets zu Hilfe zu kommen suchte, hatte er sie ermuntert, belebt und erfreut in ihren verschiedenen Bedürfnissen. Der Apostel fordert von ihm nicht denselben Dienst für sich persönlich; er denkt nicht an sich. Sicher hatte er in seinem Gefängnis das Bedürfnis, durch die Liebesbeweise erquickt zu werden, die er von verschiedenen Seiten empfing, und die doch im Ganzen so selten waren für ihn, der sein Leben Christus, seinem Werke und Seinen Erlösten völlig gewidmet hatte. Wenn er aber zu Philemon redet, denkt er nur an Onesimus. Diesen untreuen, entlaufenen Sklaven, der in der damaligen Welt kaum mehr geschätzt wurde als ein Stück Vieh, (wenn man von dem materiellen Nutzen, den man von einem Sklaven haben konnte, absieht) - ihn betrachtet Paulus als sein Herz, als das, was seine innigsten Zuneigungen besaß.
Warum? Weil der Glaube in dem Herzen dieses Mannes entstanden und well der Apostel das Werkzeug zu seiner Bekehrung gewesen war. Onesimus war ein Kind Gottes geworden und ein Kind des Paulus, das dieser in seinen Banden gezeugt hatte. Die natürlichen Beziehungen waren vor den geistlichen völlig in den Hintergrund getreten. Onesimus war ein neuer Mensch. Weiter sagt der Apostel: „Nimm ihn auf wie mich", und „erquicke mein Herz in Christo". Er zweifelt nicht einen Augenblick daran, dass Philemon dem Ruf der Liebe gehorchen wird.
Ist es nicht etwas Wunderbares, die Entwicklung der christlichen Zuneigungen in einer Seele zu beobachten? Wir lernen sie in diesem Brief an Philemon auf eine ganz besondere Weise kennen. Könnten wir doch auch bei uns, der eine beim anderen, ähnliche Früchte des göttlichen Lebens feststellen!
Der Apostel fährt fort: „ich wollte ihn bei mir behalten, auf dass er statt deiner mir diene in den Banden des Evangeliums. Aber ohne deinen Willen wollte ich nichts tun, auf dass deine Wohltat nicht wie gezwungen, sondern freiwillig sei" (V. 13.14). Wie völlig verschwindet die Person Paulus! Wie wenig versucht er seine Ansprüche und seine Autorität geltend zu machen! Er, der große Apostel, sitzt sozusagen zu Philemons Füßen, um von ihm eine Weisung zu bekommen. Das ist wahre Demut. Für uns, die wir nichts von dieser apostolischen Autorität besitzen, sollte es nicht schwer sein, uns zu erniedrigen. Welch einen Platz nimmt die Liebe in dem Herzen dieses Mannes ein! Er stellt sich unter Philemon, ja, selbst unter Onesimus, diesen unwürdigen Sklaven, damit er dem einen und dem anderen dienen kann. Er weiß, dass man verpflichtet ist, sich seiner Forderung zu unterwerfen, aber er weiß auch, dass dadurch nichts in dem Herzen hervorgebracht wird und dass nur eine Liebe, die sich selbst erniedrigt, Liebe wecken kann. Paulus wollte, dass das, was er Philemon vorschlug, nicht die Folge eines Zwanges, sondern eine Tat des guten und freien Willens gegen einen entflohenen Sklaven wurde.
„Denn vielleicht ist er deswegen für eine Zeit von dir getrennt gewesen, auf dass du ihn für immer besitzen mögest, nicht länger als einen Sklaven, sondern mehr als einen Sklaven, als einen geliebten Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im Fleisch als im Herrn (V. 15.16). Wie begegnen wir in diesem kurzen Brief überall der Liebe! Paulus will, dass Philemon den Onesimus für immer besitzt, sowohl im Fleische als im Herrn. Es gab ein natürliches Band zwischen einem Herrn und seinem Sklaven, denn dieser bildete einen Tell des Hauses seines Herrn; aber was war dieses fleischliche Band im Vergleich mit demjenigen, das Philemon und Onesimus zu Brüdern in Christus machte? Der eine sollte den anderen besitzen, nicht für eine Zeit, sondern für immer. Gott hatte einen Zweck gehabt: Er hatte die Undankbarkeit und Untreue des Onesimus gegen einen guten Herrn benutzt, um ihn mit dem Evangelium in Berührung zu bringen und ihn zu bekehren, und jetzt sandte der Apostel ihn dem Philemon zurück, damit sich zwischen ihnen neue Bande bilden möchten, die selbst der Tod nicht zerreißen konnte, ewige Bande.
Liebe Freunde, vergessen wir in unseren Beziehungen zueinander nicht oft die große Bedeutung dieser Bande? Brüder und Schwestern in Christus stehen oft mehr in Beziehung zueinander auf dem Boden einer Freundschaft nach dem Fleische als auf dem einer Gemeinschaft, die durch den Heiligen Geist zwischen den Gliedern der Familie Gottes, den Gliedern Christi, gebildet ist. So etwas sollte niemals stattfinden. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, dass, wenn man eine Seele findet, die Fortschritte in der Liebe, in der Gottesfurcht, in der Hingabe für Christus, in der Erkenntnis und der Unterwürfigkeit unter Sein Wort macht, man nicht in besonderer Weise die Gemeinschaft mit dieser Seele genießen kann. Wir sehen dies in den Beziehungen Christi selbst zu Seinen Jüngern; wir sehen es auch in diesem Brief. Paulus war in besonderer Weise mit Philemon verbunden, weil er ein solch hingebender und gottesfürchtiger Mann war; aber in der Versammlung Gottes müssen wir auf der Hut sein gegen Bande, die durch eine Übereinstimmung der Neigungen, der Erziehung oder der gesellschaftlichen Stellung geknüpft werden und denen wir den Vorrang vor den ewigen Banden im Herrn geben könnten.
„Als einen geliebten Bruder." Dieser Sklave war durch seine Bekehrung der geliebte Bruder des Philemon geworden, der Gegenstand einer besonderen Zuneigung, wie er es für Paulus war. „Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst, so nimm ihn auf wie mich." Wie rührend ist dieses Wort des Apostels: wenn du mich für deinen Genossen hältst! Er gibt Philemon den ersten Platz, den Ehrenplatz in der Genossenschaft, und schätzt seine Zuneigung so hoch, dass er aus freien Stücken den zweiten Platz wählt. Ja, er bittet ihn, seinen Sklaven aufzunehmen wie ihn selbst, den Apostel, indem er wohl wusste, wie Philemon ihn aufnehmen würde. Er legt einen außerordentlich hohen Wert auf den Charakter, der durch die Gnade und durch das Leben Gottes in diesem einst verächtlichen und herabgewürdigten Geschöpf hervorgebracht war, und er legt einen gleichen Wert auf den Charakter Philemons.
„Wenn er dir aber irgendein Unrecht getan hat, oder dir etwas schuldig ist, so rechne dies mir an“ (V. 18). Daraus ersieht man, dass Onesimus im Verdacht stand, dem Philemon unrecht getan oder sich etwas angeeignet zu haben, was seinem Herrn gehörte. „Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben, ich will bezahlen; dass ich dir nicht sage, dass du auch dich selbst mir schuldig bist“ (V. 19). „Ich habe es mit meiner Hand geschrieben", wie eindrucksvoll sind diese Worte! Der Apostel schrieb oft mit eigener Hand, seien es Grüße oder auch einen ganzen Brief, um dessen Inhalt zu bestätigen und zu beglaubigen. Hier nimmt er in feierlicher Weise Philemon gegenüber die Verantwortlichkeit für Taten auf sich, die Onesimus begangen haben konnte. Heißt das nicht die Sinnesart Christi darstellen, der Gott gegenüber die ganze und völlige Verantwortlichkeit für unsere Taten übernommen hat? Er hat unsere Schuld bis zum letzten Pfennig bezahlt. Solche Gefühle kamen bei dem Apostel aus einem Herzen, das in Gemeinschaft mit dem Herzen des Herrn war, und das den Wert Seines Opfers für die Seinigen kannte. Er lebte so nahe bei dem Heiland, dass er fähig war, Seine Züge darzustellen. Tat nicht Stephanus dasselbe, als er unter den Steinwürfen seiner Feinde Jesus anschaute und redete wie Er? Der Apostel will keinen Zwang auf Philemon ausüben und schreibt ihm nichts vor, da er der Liebe Philemons vertraut. Er sagt: „Dass ich dir nicht sage, dass du auch dich selbst mir schuldig bist. Ja, Bruder, ich möchte gern Nutzen an dir haben im Herrn; erquicke mein Herz in Christo. Da ich deinem Gehorsam vertraue, so habe ich dir geschrieben, indem ich weiß, dass du auch mehr tun wirst als ich sage. Zugleich aber bereite mir auch eine Herberge, denn ich hoffe, dass ich durch eure Gebete euch werde geschenkt werden" (V. 20-22).
Bevor ich schließe, möchte ich noch eine Frage stellen. Wir alle sind überzeugt, dass Philemon dem, was der Apostel ihm schrieb, gehorcht hat. Warum? Der Brief selbst teilt uns nichts darüber mit, und doch wissen wir, dass es so gewesen ist. Warum wissen wir es, oder worauf gründet sich unsere Schlussfolgerung? Wir schöpfen unsere Gewissheit aus der Liebe, und wir hegen in dieser Hinsicht nicht den geringsten Zweifel. Wie wäre das auch möglich, wenn wir diese drei Männer betrachten: den Apostel mit einem von Liebe brennenden Herzen, Philemon, ganz von Liebe erfüllt, und Onesimus, der dem Paulus in Liebe diente, wie ein Sohn seinem Vater, und damit einverstanden war, zu Philemon zurückzukehren, um sein Joch wieder auf sich zu nehmen, wenn sein Herr es so entschied. Ja, es ist ganz unmöglich, eine andere Antwort zu geben. Philemon hat auf den Apostel gehört, well eben dieses Band der Liebe die beiden Männer umschlang. Unsere gegenseitigen persönlichen Beziehungen haben kein anderes Geheimnis: unser persönliches Verhalten darf nur durch die Liebe geregelt werden. Wo diese fehlt, da ist der sittliche und unheilbare Verfall da; wo sie geschwächt ist, da wird Christus verunehrt, und unser Zeugnis verliert seinen Wert.
„Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christo Jesu, Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geiste“. In den Stellen, wo Epaphras erwähnt wird, hat er entweder den Charakter eines Sklaven Jesu Christi oder eines Mitgefangenen des Apostels. Markus war wiederhergestellt worden, nachdem er die Ursache der Trennung zwischen Paulus und Barnabas gewesen war; er war ein Mitarbeiter des Apostels wie Aristarchus und Lukas. Lukas, der geliebte Arzt, hatte dem Apostel fast auf allen seinen Missionsreisen gedient. Von ihm haben wir das wunderbare Evangelium von dem menschlichen Charakter des Heilandes. Demas, der mit Lukas auch im Kolosserbrief erwähnt wird, hat leider schlecht geendet: „Demas", sagt Paulus, „hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat“ (2. Timotheus 4,10). Welch ein Ende für einen Mitarbeiter des Apostels! Er hat die Welt wieder lieb gewonnen und das Zeugnis des Apostels Paulus, des Gefangenen Jesu Christi, aufgegeben. Ist das nicht eine ernste Warnung für uns? Das Zeugnis des Herrn ist unvereinbar mit der Liebe zur Welt. Legt dieser Dienst Verleugnung auf, so ist er andererseits von so reichen Segnungen und so kostbaren Verheißungen begleitet, dass nur eine unglaubliche Leichtfertigkeit ihn aufgeben kann. Die Kraft, in diesem Dienst zu wandeln, wächst in dem Maße, wie man Fortschritte darin macht, und die geistliche Frische wird bis ans Ende dadurch erneuert, dass das Herz mit Christus, mit Seiner Person, beschäftigt ist, mit den unergründlichen Reichtümern Christi, der Liebe selbst in ihrer frischen, strahlenden und erhabenen Schönheit.
Diesen Weg hatte Demas verlassen. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi erhalte uns darin! Er sei mit unserem Geiste! Amen.

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Wenn Gott „nein" sagt

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 102

Das Blut Christi ist in den Augen Gottes so kostbar, dass Er Sich dem Sünder sozusagen völlig zur Verfügung stellt, sobald dieser in dem Wert dieses Blutes Ihm naht. Er lässt ihm sagen: „Bitte, und es wird dir gegeben werden", und der Herr Jesus ruft Seinen Jüngern zu: „Was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird er euch geben" (Johannes 16,23). 
Wie oft haben wir, die wir auf Grund des vergossenen Blutes Christi in der Gnade und Gunst unseres Gottes stehen, das schon erfahren dürfen! Manchmal aber werden wir auch auf dem zurückgelegten Glaubenswege die Erfahrung gemacht haben, dass Gott uns Seine Zusage scheinbar nicht erfüllte, dass Er vielmehr zu unseren Bitten und Anliegen „nein" sagte. Und wir haben uns vielleicht vergeblich gefragt: „Warum wohl?"
Wenn wir nachträglich unsere Bitten als Wünsche unserer fleischlichen Natur erkannten (das Fleisch sucht ja stets die eigene Ehre und hat nur Wünsche, die den Gedanken Gottes widersprechen, ja, es möchte sogar gerne Gott zu seinem willfährigen Werkzeug erniedrigen), dann verstanden wir wohl Gottes „Nein"; sagt doch schon Jakobus: „Ihr bittet und empfanget nichts, weil ihr übel bittet, auf dass ihr es in euren Lüsten vergeudet". Anders aber war es, wenn uns Bitten ab» geschlagen wurden, die unserem Bewusstsein nach gut waren, die wir nur als Gott wohlgefällig erkennen konnten. In solchen Fällen machte Gottes „Nein" uns stutzig und ließ uns vielleicht an Seiner Treue zweifeln.
Zunächst müssen wir bei derartigen Erfahrungen festhalten, dass wir es mit einem liebenden Vater zu tun haben, der stets unser Bestes will und unsere Bedürfnisse besser kennt, als wir selbst, sowie mit dem Geiste Gottes, der Sich unserer Schwachheit, Gottes Willen zu erkennen, annimmt. Je mehr wir mit diesem Gott und Vater beschäftigt sind und uns durch Seinen Geist belehren lassen, umso mehr werden auch unsere Herzen von allen Wünschen und Anliegen befreit werden, die Gottes Gedanken zuwider sind. Zwar bessert sich das Fleisch durch unsere Gemeinschaft mit Gott auch in dieser Beziehung nicht, aber der innere Mensch wächst und gewinnt im Glauben die Fähigkeit, die Bitten zu unterscheiden, zu denen Gott „ja" sagt, und zu denen Er „nein" sagen muss.
Für den gläubigen Beter ist wichtig, dass er sich in vollem Vertrauen an einen Gott und Vater richtet, dessen Liebe und Gunst er besitzt, der ihn zum Bitten auffordert und ihm Erhörung zugesagt hat; dass er es aber auch tue im Gefühl der eigenen Unwissenheit und Ohnmacht, in Abhängigkeit von dem Willen Gottes und befreit vom eigenen Willen.
In der Bitte, die Salomo einst aussprach auf die Aufforderung Jehovas hin: „Bitte, was ich dir geben soll", kommt zum Ausdruck, dass er sich seiner Gunst bei Gott und der Höhe der ihm von Gott verliehenen Stellung so stark bewusst war, wie seiner Schwachheit und Abhängigkeit. Er sagt: „Du hast deinen Knecht zum König gemacht, und ich bin ein kleiner Knabe, ich weiß nicht aus- und einzugehen" (1.Könige 3, 5. 7).
Dieser Doppelton - was Gott aus uns gemacht hat, und wie arm wir in uns selbst sind - klingt auch aus dem Gebet Daniels, wenn er sagt: „Zögere nicht um deiner selbst willen, mein Gott! denn deine Stadt und dein Volk sind nach deinem Namen genannt", und: „Nicht um unserer Gerechtigkeit willen legen wir unser Flehen vor dir nieder, sondern um deiner vielen Erbarmungen willen" (Daniel 9, 18. 19).
Der Gläubige darf sich, wie Salomo, der Gunst Gottes rühmen, er befindet sich auch in königlicher Stellung, und ist, wie das Volk Daniels, nach Seinem Namen genannt; aber in sich selbst ist er gleichfalls wie ein kleiner Knabe, der nicht aus- und einzugehen versteht, der auf die vielen Erbarmungen Gottes angewiesen ist. Ein Gebet nun, das in dem Bewusstsein dieser völligen Abhängigkeit und im Gefühl des eigenen Nichts zu Gott emporsteigt, wird nicht nur erfüllt, sondern es wird ihm stets eine weit höhere und vollkommenere Antwort zuteil, als der Bittende zu hoffen und zu erwarten wagte. Bittet der Räuber am Kreuz: „Herr, gedenke meiner, wenn du in deinem Reiche kommst", so wird ihm die Antwort zuteil: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein". Fleht der Überrest Israels, Psalm 132: „Stehe auf, Jehova, zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Stärke! Lass deine Priester bekleidet werden mit Gerechtigkeit, und deine Frommen jubeln! Um Davids, deines Knechtes, willen weise nicht ab das Angesicht deines Gesalbten!" so lautet die Antwort: „Jehova hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte: Dies ist meine Ruhe immerdar, hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt. Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen. Und seine Priester will ich bekleiden mit Heil, und seine Frommen werden laut jubeln. Dort will ich das Hörn Davids wachsen lassen, habe eine Leuchte zugerichtet meinem Gesalbten."
So handelt Gott, und es ist ganz naturgemäß, dass Er so handelt, denn unser Gott ist reich an Vergebung, und wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind Seine Gedanken höher als unsere Gedanken und Seine Wege als unsere Wege (Vergl. Jes. 55,7 - 9).
Wie erkenne ich aber die Gedanken Gottes, und wie finde ich Seine Wege? Diese Frage ist bedeutsam, wenn wir auf die Erhörung unserer Bitten rechnen wollen. Mose, unter dem Druck der Verantwortlichkeit, das Volk nach Kanaan zu bringen, sagt zu Jehova: „Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lass mich doch deinen Weg wissen, dass ich dich erkenne" (2. Mose 33,13)! Das war Abhängigkeit, verbunden mit kindlichem Glauben. Mose sagt nicht: „Lass mich doch einen Weg durch die Wüste wissen, laß mich doch ihn erkennen". Er wollte des Herrn Weg gehen und den Herrn erkennen. Darum erhielt er auch die wundervolle Antwort: „Mein Angesicht wird mitgehen, und ich werde dir Ruhe geben". Ja, wenn der Eigenwille schweigt, wenn es nur den einen Wunsch in unserem Herzen gibt, Ihn zu erkennen und Seinen Weg zu wissen, so lässt Er uns keinen Augenblick in Zweifel und Ungewissheit. Sein Angesicht geht mit uns, und selige Ruhe erfüllt das schwache Herz. Dann wissen wir auch, dass wir die Bitten haben, die wir von Ihm erbeten haben (1. Johannes 5,15). Wir genießen den Frieden, der allen Verstand übersteigt, und Herz und Sinn werden in Christo Jesu bewahrt (Philipper 4,6. 7).
Gott leitet die Menschenkinder im allgemeinen durch die Vorsehung; bei Seinen Kindern will aber Sein Angesicht mitgehen. Gerade wie die Kinder Israel nicht durch die Umstände und Zufälligkeiten der Wüste geleitet wurden, sondern durch eine Wolke am Tage und eine Feuersäule bei Nacht, so will Gott auch uns mit Seinem Angesicht raten, mit Seinem Auge uns leiten. Wohl gebraucht Er zuweilen die Umstände, um Abgeirrte auf den rechten Weg zurückzuführen, oder Er lässt die Umstände auch unserer Schwachheit zu Hilfe kommen, aber unseren Weg will Er nur dadurch bestimmen, dass Sein Angesicht mitgeht. „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten" (Psalm 32,8). Wenn wir auf dieses Auge acht haben, so werden wir es vermeiden, dass Gott zu unseren Bitten „nein" sagt.
Wann sagt Gott denn „nein"? Ich nenne nur einige Fälle. Er sagt „nein", wenn wir in Gefahr sind, von Seinem Weg abzuirren und uns in die Welt zu verlieren. Er sagt „nein" unserer Erziehung wegen, wenn wir eigenwillig gehandelt haben, oder unabhängig von Ihm handeln wollen. Er sagt aber auch „nein", um zu verhüten, dass wir in vor uns liegenden, uns unbekannten Gefahren und Versuchungen unterliegen. Denn Sein Auge sieht in die Vergangenheit, in die Gegenwart und in die Zukunft, und Seine Erziehung bezieht sich unter Umständen auf etwas, was uns noch gar nicht bewusst ist, das vielleicht in weiter Ferne liegt, das Er aber sieht; so wie der Herr zu einer Zeit für Petrus betete, als dieser an die Möglichkeit, Ihn zu verleugnen, noch nie gedacht hatte. So ließ der Herr das dreimalige Flehen Seines Knechtes Paulus unerhört, ihm den Dorn für das Fleisch wegzunehmen, weil er in Gefahr war, sich durch die Überschwänglichkeit der Offenbarung zu überheben (2. Korinther 12,7.8).
Aber wenn Gott zu den Bitten des treuen Apostels „nein" sagte, weil Sein Auge Gefahren voraussah, denen Er vorbeugen wollte, wie freundlich und liebevoll ist dann doch auch wiederum die Weise, wie die Bitte abgeschlagen wird! „Meine Gnade genügt dir", sagt Gott, „denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht." Er weist Paulus hin auf Seine Gnade, die ihm ganz gehörte, auf Seine Kraft, die sich in der Schwachheit Seines Knechtes offenbaren sollte.
So macht es Gott immer, wenn Er „nein" sagt. Er zerbricht nicht ein geknicktes Rohr, Er löscht einen glimmenden Docht nicht aus. Daran lasst uns denken, wenn wir durch Wasser der Trübsal gehen müssen und durch mancherlei Versuchungen betrübt sind. Nein, Er zerbricht das geknickte Rohr nicht. Er löscht den glimmenden Docht nicht vollends aus. Er richtet auf und verbindet, Er gießt öl zu, damit das Lichtlein wieder heller brenne. Und nimmt Er uns trotz flehentlichen Bittens nicht aus der Prüfung heraus, so wollen wir das Vertrauen zu Seiner Liebe und Treue nicht verlieren und uns an der Gnade genügen lassen, die Er wie Balsam in das gedrückte, vielleicht zerrissene Herz einströmen lässt.

Die Hand, die Wunden schlägt.
Hat sich aufs müde Haupt
Zum Segen dir gelegt;
Wohl dem, der dennoch glaubt!

Welch ein Trost, mitten in den Umständen Seine Teilnahme, Sein Mitgefühl zu genießen, und in Seiner Kraft, in Seiner Gnade als Überwinder durch die Prüfung zu gehen und so Seinen kostbaren Namen zu verherrlichen!
Gottes „Nein" ist stets freundlich und mild, selbst dann, wenn Er uns eine Bitte um Befreiung von den Folgen irgendeiner Sünde abschlägt, die wir verschuldet haben und vielleicht zeitlebens hier tragen müssen. Mose, der treue Mann Gottes, hat das erfahren. Als er nahe am Ziel der Wüstenreise angelangt war, brachte er noch einmal seinen Herzenswunsch vor Jehova, doch über die Grenze hinübergehen und das Volk in das gelobte Land einführen zu dürfen. „Und ich flehte zu Jehova und sprach: Lass mich doch hinüberziehen und das gute Land sehen, welches jenseits des Jordan ist, dieses gute Gebirge und den Libanon. Aber Jehova war über mich erzürnt um euretwillen und hörte nicht auf mich; und Jehova sprach zu mir: Lass es genug sein, rede mir fortan nicht mehr von dieser Sache" (5. Mose 3,23 - 26).
Also auch hier, wie bei Paulus, die gnädige Antwort: „Lass es genug sein!" Werden wir dabei nicht unwillkürlich an eine zärtliche Mutter erinnert, der es unendliche Mühe kostet, ihrem Kinde eine dringende Bitte abschlagen zu müssen, und die in ihrer Furcht, weiteren Bitten des geliebten Kindes nicht widerstehen zu können, selbst bittend sagt: „Lass es genug sein!" Die Ursache, warum Mose nicht über den Jordan gehen durfte, ist uns allen ja bekannt; er hatte an dem Wasser von Meriba „mit seinen Lippen unbedacht geredet" (Psalm 106,33). Gott aber, der sein Flehen nicht erhörte, zeigte Mose vom hohen Pisga aus das ganze gelobte Land. Später, auf dem Berge der Verklärung, lässt Gott ihn in der Herrlichkeit Christi erscheinen. Das ist Gnade!
Aber so zart wie Gottes „Nein" ist, ebenso bestimmt ist es auch. Das hat, neben Mose, auch David erfahren müssen.
„Siehe doch", sagt er (2. Samuel 7) zu Nathan, dem Propheten, „ich wohne in einem Hause von Zedern, und die Lade Gottes wohnt unter Teppichen." Sein heißer Wunsch, den er lange Jahre „in seinem Herzen" trug (1. Chronika 28,3), den er sich sozusagen zum Lebenszweck gemacht hatte, trat jetzt, als Jehova ihm ringsumher von allen Feinden Ruhe geschafft, wieder lebhaft vor seine Seele, und er nahm sich vor, Gott einen Tempel zu bauen.
Dieses Vornehmen war gut; das sehen wir bestätigt, wenn Salomo vor der Versammlung Israels sagte: „Jehova sprach zu meinem Vater David: Weil es in deinem Herzen gewesen ist, meinem Namen ein Haus zu bauen, so hast du wohlgetan, dass es in deinem Herzen gewesen ist" (1.Könige 8,18). Auch der Prophet Nathan ermuntert den König dazu. „Gehe hin", sagt er, „und tue alles, was du im Herzen hast, denn Jehova ist mit dir" (2. Sam 7,3). Der Gedanke, dass Gott zu einer solchen guten Sache „nein" sagen würde, kam ihm ebenso wenig wie dem David. Wir lernen daraus, wie leicht wir uns auch in unserer vermeintlichen Urteilsfähigkeit über die Wege, die Gott für andere bestimmt hat, täuschen können.
Gott dachte eben anders, und der Prophet musste noch in derselben Nacht dem König das bestimmte „Nein" Jehovas überbringen. Beachten wir aber auch hier, wie zart und freundlich dieses „Nein" ausgesprochen wurde. Gott tröstet Seinen Knecht, verspricht ihm, dass Er ihm  ein Haus bauen werde, und gibt ihm dann die Zusage, dass sein Plan in herrlicher Weise durch seinen Sohn Salomo zur Ausführung gebracht werden solle. So sehen wir denn die Gnade immer wieder neben dem „Nein", gerade wie bei Mose und bei Paulus; nur scheint Gott hier den David über den Grund zu Seinem „Nein" im Dunkeln gelassen und es ihm erst nach Verlauf von Jahren mitgeteilt zu haben (Siehe 1. Chronika 28,2). Eine besondere Ehre ist es, wenn der Herr uns einen Blick in die Beweggründe Seines Handelns mit uns tun lässt; es verrät ein besonderes Vertrauen, es erinnert an den Jünger Johannes, der in dem Schöße Jesu lag. „Gott tat seine Wege kund dem Mose, den Kindern Israel seine Taten"  (Psalm 103,7), sagt David, dem doch Gott hier die vertraute Mitteilung über Seinen Weg vorenthielt. Damals wie heute teilt der Herr Seine innersten Gedanken nur solchen mit, die sich in ungetrübter Gemeinschaft mit Ihm befinden, deren Weg und Wandel klar vor Ihm liegt, die Ihn lieben und Seine Gebote halten (Johannes 14,21). Davids Seelenzustand war zu jener Zeit wohl nicht derart, dass Gott mit ihm „von Angesicht zu Angesicht reden konnte, wie ein Mann mit seinem Freunde redet" (Vergl. 2. Mose 33,11). Davids Abhängigkeit, die so schön zu Tage getreten war, als er von Saul verfolgt wurde, „wie man einem Rebhuhn nachjagt auf den Bergen", war einem gewissen Selbstvertrauen gewichen. Nicht lange vorher, als er die Bundeslade heraufbringen wollte, hatte er nach der Weise der Philister gehandelt und sich nicht an die klaren Vorschriften Jehovas gehalten. Jetzt hatte er sich einem gewissen Müßiggang hingegeben, dem bald die schrecklichen Sünden des Ehebruchs und des Mordes folgen sollten.
So kann es auch an unserem Zustand liegen, wenn der Herr zu unserem aufrichtigen Wunsch, Ihm zu dienen, „nein" sagen muss, selbst wenn ernste Brüder uns dazu ermuntern, wie Nathan den David ermunterte. Irgend etwas ist dann auf dem Wege, das weggeräumt werden muss; denn nur volle Abhängigkeit von Gott, frei vom eigenen Ich, machen uns zu Seinem Dienst geschickt. Statt stark zu sein in der Gnade, die in Christo Jesu ist (2. Tim 2,1), sind wir vielleicht nur stark in der Erkenntnis und im natürlichen Willen; statt willig an den Trübsalen teilzunehmen als gute Kriegsleute Jesu Christi, ziehen wir das eigene Behagen und die Verwicklung in die Beschäftigungen des Lebens vor; statt in fleißiger Arbeit und Geduld auszuharren und auf den Herrn zu warten, wie der Ackerbauer, möchten wir ernten, noch ehe wir gesät haben. Muss der Herr da nicht „nein" sagen, wie bei David, obwohl wir, wie er, wohlgetan haben mögen, dass es in unserem Herzen war, Ihm zu dienen? Das vollkommene Vorbild für allen Dienst haben wir in unserem hochgelobten Herrn; ja, es ist der Gehorsam Jesu Christi, zu dem wir berufen sind. Und Er gab Sich in den Tagen Seines Fleisches freiwillig an den Platz der völligen Abhängigkeit. Er kannte keine Bitten, die nicht des Vaters volles Wohlgefallen gehabt hätten. Hungrig nach vierzigtägigem Fasten in der Wüste, hätte Er Seinen Vater bitten können, dass die Steine für Ihn zu Brot gemacht würden; aber diese Bitte kam nicht über Seine Lippen, weil Er von Gott kein Wort dazu empfangen hatte. Er hätte um mehr als zwölf Legionen Engel bitten können, als die Menge mit Schwertern und Stöcken auf Ihn eindrang und Hand an Ihn legte; aber Er tat es nicht, weil diese Bitte nicht dem Willen des Vaters entsprach. Und dabei konnte Er sagen: „Ich weiß, dass du mich allezeit erhörst" (Johannes 11,42).
Lasst uns denn auch in dieser Beziehung lernen von Jesu, unserem Herrn, dem Sanftmütigen und von Herzen Demütigen!

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Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: Johannes 13

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 113

III.
In dem vorliegenden Abschnitt gibt es zwei Gegenstände von besonderer Bedeutung, über die ich in der
Reihenfolge, wie die Schrift sie uns darstellt, einige Worte sagen möchte. Diese beiden Gegenstände sind:
1. Die praktische Reinigung, deren wir bedürfen, um Teil mit Christo zu haben,
2. die Ruhe, welche daraus hervorgeht.
Wer ein irgendwie geübtes Auge hat in der Beurteilung des Zustandes des Volkes Gottes unserer Tage, kann sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass die wahre Ruhe der Seele, von welcher wir in den vorigen Abschnitten unserer Betrachtung gesprochen haben, selten unter den Gläubigen zu finden ist. Wohl mögen, wie schon wiederholt erwähnt, Ernst, Eifer und Hingabe, Erkenntnis und Verständnis vorhanden sein, aber man kann das eine und andere dieser Dinge, ja selbst alle miteinander haben und dabei doch keinen gegründeten Frieden, keine wirkliche Ruhe des Herzens besitzen. Wenige Christen genießen beständigen Frieden. Haben wir uns schon einmal die Frage vorgelegt, woher das kommt und warum in dieser Hinsicht so wenig Unterschied zwischen den Heiligen und ihrer Umgebung zu bemerken ist? 
Zwei Dinge sind es insonderheit, durch welche Seelen, die sich zu Christo bekennen, sich Ruhe zu verschaffen suchen. Das eine dieser Dinge heißt Tätigkeit, ernste, rastlose Tätigkeit. Ist Tätigkeit denn nicht gut? Gewiss, an und für sich vollkommen gut und richtig; aber doch gibt sie keine Ruhe, ja, kann sie nicht geben. Im Gegenteil, das Maß der entfalteten Tätigkeit steht gewöhnlich im genauen Verhältnis zu dem Mangel an Ruhe in der Seele. Je weniger die Seele jene Ruhe genießt, desto emsiger wird die Tätigkeit; ja, man wird oft finden, dass eine nach Herz und Geist ruhelose Person sich zur Tätigkeit gedrängt fühlt, nur um von sich selbst los zu werden. 
Das andere der beiden Dinge ist der Wunsch, das Fleisch zu bessern, um aus diesem Wege zu der ersehnten Ruhe zu gelangen. Man hat behauptet, und manche Kinder Gottes haben es als wahr angenommen, dass die Unterwerfung des Eigenwillens mittelst der persönlichen Willenskraft Ruhe gebe. Das Törichte eines solchen Ausspruchs liegt auf der Hand, aber dennoch lässt man nicht ab, hartnäckig zu behaupten, dass von dem Augenblick an, da der Wille sich in den Tod gebe, die Seele infolge dieser Willenshandlung die fehlende Ruhe erlange. 
Diesen beiden Dingen gegenüber möchte ich versuchen, auf Grund des Wortes Gottes klarzustellen, was in Wirklichkeit die Seele an dem Genuss der vollkommenen Ruhe hindert, einer Ruhe, von welcher der an der Brust Jesu liegende Johannes uns in dem vorliegenden Kapitel ein solch treffendes Beispiel gibt; auch möchte ich zeigen, woraus diese Ruhe besteht, und was ihre Folgen sind. 
Ich glaube, dass wir die Ursache des Mangels an Frieden bei den Heiligen hauptsächlich in der Tatsache
zu suchen haben, dass ihre Füße nicht gewaschen sind. Dadurch werden sie praktisch unfähig, Gemeinschaft mit Christo zu haben, da wo Er ist; denn das ist die große Wahrheit, welche Joh. 13 uns vor Augen stellt. Es ist vollkommen wahr, dass der Herr den Schmutz, der sich bei unserem täglichen Wandel an unsere Füße hängt, entfernt, aber ich glaube, dass wir hier mehr, weit mehr finden als das, nämlich ein Herz, das instand gesetzt ist, mit dem Herrn da zu weilen, wo Er ist; es handelt sich um eine Reinigung, welche uns fähig macht, Gemeinschaft, teil mit Christo zu haben in der Herrlichkeit droben. 
„Während des Abendessens“, d. h. während der Herr noch mit den Seinigen in dieser Welt vereinigt war, „steht Er von dem Abendessen auf“, das will sagen; Er bricht, anstatt noch länger mit ihnen vereinigt zu bleiben, diese Vereinigung ab und zeigt ihnen, wie Er sie fähig machen kann, in eine andere und weit kostbarere Beziehung zu Ihm zu treten. Er scheint ihnen durch diese Handlung sagen zu wollen: Seht, bisher war ich mit euch auf eurem Boden vereinigt, aber jetzt will ich euch zeigen, was ich tun werde, um euch für eine Vereinigung mit mir auf meinem Boden passend zu machen. Ich werde euch instand setzen, mit mir in der neuen Umgebung und der neuen Stellung, die ich einnehmen werde, in Gemeinschaft zu sein und zu bleiben. Darauf nimmt Er das „Waschbecken“, das „Wasser“ und das „leinene Tuch“, und in dem vollen Bewusstsein, „dass Er von Gott ausgegangen war und zu „Gott hingehe“, bückt Er sich, um diesen Dienst an denen, welche Er liebte, zu erfüllen. Seine Liebe zu den Seinigen ist die Quelle und Triebfeder des ganzen Dienstes, den wir Ihn hier für sie erfüllen sehen. 
„Da Er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende“ Welch eine Liebe! Ja, welch eine wunderbare Gnade! Lasst uns einen Augenblick dabei verweilen. Die Zuneigung und Liebe des Herrn zu den Seinigen bleibt zu allen Zeiten und unter allen Umständen dieselbe. Ist es nicht kostbar, so bis zu der Quelle der Handlungen unseres teuren Herrn durchdringen zu dürfen? Aber wie wenig verstehen unsere Herzen davon, dass die Beweggründe zu all Seinem Tun nur in Ihm selbst liegen! Die einfache Handlung in unserem Kapitel zeigt uns das aufs Deutlichste. Alles das, was Ihn veranlasste, die Seinigen passend zu machen für Seine Gegenwart und für die Gemeinschaft mit Ihm in der neuen Umgebung, wohin Er ging, lag in Seinem eigenen Herzen verborgen. Nichts weniger konnte auch dem Herzen Christi genügen, als uns teil mit sich zu geben im Lichte der Herrlichkeit droben. Sind wir uns der Tragweite dieser wunderbaren Tatsache bewusst? Haben wir ein Gefühl darüber, dass in Seinem Herzen der Wunsch war, arme, elende Menschen, wie wir sind, passend zu machen für die Gemeinschaft mit Ihm an der Stätte, wohin Er gegangen ist? und dass, abgesehen von unseren Bedürfnissen und unserem Elend, die Zuneigungen Seines Herzens die Beweggründe sind, welche Ihn bei Seinem Tun leiten? Um diesen Zuneigungen zu entsprechen, gießt Er Wasser in das Waschbecken und fängt an, die Füße Seiner Jünger zu waschen und sie mit dem leinenen Tuche, womit Er sich umgürtet hatte, abzutrocknen. 
Teurer Leser! wir alle wissen, was diese Handlung bedeutet. Aber obwohl es sich um alte und bekannte Dinge handelt, ist es doch gut, sie immer wieder zu erwägen und in unseren Herzen aufleben zu lassen. Fühlst du es als eine Wirklichkeit, dass der Herr Jesus selbst deine Füße in der Hand hält? Bist du dir bewusst, was es sagen will, der Gegenstand einer solchen Handlung Seinerseits zu sein, einer Handlung, die bestimmt ist, jedes schmutzige Fleckchen zu entfernen, das deine Gemeinschaft mit Ihm stören könnte? Einer Handlung ferner, die geschieht, damit Sein Herz mehr Freude genießen kann in der Gemeinschaft mit dir? Hast du ein Bewusstsein davon, dass der Herr sich in solcher Weise mit dir beschäftigt? Unterwirfst du dich auch willig Seinem Tun? Erlaubst du dem Herrn, die Fußwaschung an dir vorzunehmen? Bist du damit einverstanden, dass Er sich für dich umgürtet und, indem Er dir die Füße wäscht, alles wegnimmt, was dich für Ihn und Seine Gemeinschaft unpassend macht? Wenn ich diese Fragen stelle, so geschieht es, weil Christus, in diesem Dienst der Liebe, alles aufdeckt, nichts verschont. Die Sache ist so ernst, besonders im gegenwärtigen Augenblick, dass wir wohl tun, sie eingehend in unseren Herzen zu erwägen. Ich glaube nicht, dass wir im allgemeinen der durchdringenden und heiligenden Kraft des Wortes so unterworfen sind, dass auch das Geringste, was Christo nicht gefällt, gerichtet und hinweggetan wird. Wir alle kennen eine Stelle, welche in klaren Worten das sagt, was ich mir und anderen tief einprägen möchte. Sie lautet: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Hebr. 4, 12. 13). 
Diese Stelle erklärt uns in göttlicher Weise, wie der Herr alles wegnimmt, was unserer Gemeinschaft mit Ihm hindernd im Wege steht: Er wendet das Wort Gottes darauf an. Das Wasser ist das Wort Gottes. Wir finden es fast überall in der Schrift unter diesem Bilde. Das Wasser ist die reinigende Kraft, welche alles wegnimmt, was nicht in die Gegenwart des Herrn passt. Und wie das lebendige Wort das Gewissen und die Seele trifft und ergründet, so führt es uns auch in Gottes Gegenwart, und hier ergeht Gottes Gericht über alles, was sich in uns befindet. 
Beachtenswert ist in dieser Stelle des Hebräerbriefes, wie das fleischgewordene und das» geschriebene Wort hier miteinander verschmolzen erscheinen. Wir lesen: »Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert . . . und kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Dessen, mit dem wir es zu tun haben“. Vor wessen Augen? Vor den Augen Gottes! Gott und Sein Wort sind also gleichsam eins. Was von Gott wahr ist, ist auch von Seinem Worte wahr, und die Vollkommenheiten Gottes, Seine wirksame und durchdringende Kraft, welche die Gedanken und Gesinnungen des Herzens liest und beurteilt, sind auch Seinem Worte eigen. Ich möchte dies ganz besonders betonen, weil ich fürchte, dass wir vielfach nicht das rechte Gefühl von der außerordentlich ernsten Wichtigkeit des Wortes haben, noch von der Art, wie es auf unsere Gewissen wirken würde, wenn wir uns mehr von ihm erreichen ließen. Der Leser wolle sich selbst fragen, ob das Wort Gottes in seinem Herzen wirklich den Platz einnimmt, den es bei den Heiligen vergangener Tage hatte. Nicht ob ein Zunehmen der Erkenntnis bei den Christen unserer Tage wahrzunehmen ist, sondern ob das Wort die Macht, welche es vor sechzig, siebenzig Jahren über die Seelen hatte, auch noch in gleichem Maße über diejenigen besitzt, welche heute ernten, was andere gesät haben. Findest du es kostbar, jeden Gedanken, jeden Beweggrund, jede Handlung in deinem Leben der durchdringenden Kraft
dieses lebendigen Wortes zu unterwerfen? Ich zweifle sehr daran, dass viele diese Frage bejahen können. 
Wenn das aber so ist, braucht man dann erstaunt zu sein, dass so viele Seelen die wahre Ruhe nicht kennen? Wenn das Wasser nicht angewandt wird, das von allem reinigt, was mit der Gegenwart des Herrn unvereinbar ist, ist es da ein Wunder, wenn die Ruhe fehlt? Ja, es ist nur Gottes Güte, dass Er uns die Ruhe vorenthält, solange wir nicht in dem richtigen Zustande sind, um sie vor Ihm genießen zu können. 
Ich möchte dem Gesagten noch hinzufügen, dass wir nicht tief genug in die Bedeutung des Tuns des Herrn mit uns eingehen, wenn wir Ihn darin nur mit Dingen beschäftigt sehen, welche offensichtlich böse und unverträglich sind mit Seiner Gegenwart. Unser teurer Heiland sieht weiter und kommt vielen Dingen zuvor, die, wenn sie eindringen und geduldet werden würden, die Gemeinschaft trüben müssten. Wir alle geben ohne weiteres die Tatsache zu, dass der Herr in Gnaden wiederherstellt und reinigt, dass Er unsere Füße wäscht; aber woran wir vielleicht weniger denken, ist der Umstand, dass es in unserem Leben zahlreiche Fälle gibt, die wir in ganz anderem Lichte betrachten würden, wenn unsere Herzen einsichtig genug wären, um zu sehen, wie der Herr dem Zutagetreten von Grundsätzen zuvorkommt, welche zwischen Ihm und uns eine Entfernung herbeiführen müssten. Er beugt sowohl vor, wie Er wegnimmt. Sagt nicht selbst Paulus in 2. Kor. 12: „Und auf dass ich mich nicht durch die Überschwänglichkeit der Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, auf dass er mich mit Fausten schlage, aus dass ich mich nicht überhebe“? Es lag nichts Tatsächliches vor, das zu einer Unterbrechung der Gemeinschaft zwischen dem Herrn und Seinem Diener Anlass gegeben hätte. Das Fleisch war nicht in Paulus tätig gewesen, aber es war da und war darauf aus, in Tätigkeit zu treten; so war die Grundlage vorhanden, aus welcher diese Unterbrechung zur Tatsache werden konnte. Die Stoffe, welche dem Fleische Anlass geben konnten, in Tätigkeit zu treten, waren selbst in einem Manne vorhanden, der bis in den dritten Himmel entrückt worden war. Deswegen sagt der Apostel: „Auf dass ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben“.
Besitzt dieser Gedanke für unsere Herzen wohl die Kraft, welche er haben sollte? Beschränken wir uns nicht vielfach auf den Wunsch, dass die Entfernung wieder schwinden möge, wenn das Fleisch durch seine Tätigkeit eine solche schon herbeigeführt hat? Bitten wir wohl darum, dass der Herr Vorbeugungsmittel benutzen möge, um zu verhindern, dass die Entfernung überhaupt eintrete? Gepriesen sei der Name des Herrn, dass Er treu ist! Aber wenn wir mehr an diese Dinge dächten, würden wir manches Ereignis besser verstehen; auf manchen dunklen Weg, den wir in unserem Leben gehen müssen, auf viele Mühseligkeiten, Unruhen, Ängste, Kümmernisse und ärgerliche Dinge, die wir lieber anders sähen, würde ein helles Licht fallen. 
Wie wunderbar ist doch die Liebe, welche sich nicht nur zu uns herablässt, um die vorhandenen Schmutzflecken abzuwaschen, sondern die auch der Tätigkeit der alten, bösen Natur in uns zuvorkommt, damit sie uns nicht von Ihm entferne! Er, der hinaufgestiegen ist über alle Himmel, liebt uns mit göttlicher, ewiger Liebe, und Er weiß genau, wann Sein Eingreifen nötig ist. Er legt uns Hindernisse in den Weg und verleiht uns das Vorrecht, in Gemeinschaft mit Gott zu lernen, was das Fleisch ist, anstatt diese Erfahrung in der Gesellschaft des Teufels machen zu müssen; denn auf die eine oder andere Weise muss es geschehen. Wenn wir nicht, wie Paulus, in Verbindung mit Gott lernen, was wir sind, so müssen wir es, wie Petrus, mit dem Teufel lernen. Wie ernst ist das! Paulus vermochte die vorbeugende Liebe des Herrn darin zu erblicken, dass ihm „ein Dorn für das Fleisch gegeben wurde«. O welch ein treuer Hirte und unermüdlicher Freund ist unser teurer Herr! Er liebt uns, wir haben Wert für Ihn als die kostbare Gabe Seines Vaters und als die Frucht Seiner eigenen treuen Liebe. 
Weißt du jetzt, lieber Leser, was es heißt, passend zu sein für die Gemeinschaft mit dem Herrn? Hast du etwas verstanden von der heiligen Innigkeit dieser Gemeinschaft? Sind deine Gedanken, deine Interessen diejenigen Christi in der Herrlichkeit? Oder musst du zugeben, dass dein Herz sich wenig auf der Höhe dieser Dinge befindet? Vielleicht möchte jemand hier einwenden: „Aber ich bin immer glücklich“. Es mag sein; aber es handelt sich in Joh. 13 nicht darum, ob man glücklich ist, sondern um die Frage, ob man durch die Fußwaschung für Gottes Gegenwart passend gemacht is in einer Weise, dass alles, was nicht für diese Gegenwart passt oder was Unbehagen darin erwecken könnte, völlig hinweggetan ist. In diesem Falle gibt es kein Hindernis mehr für eine völlige Gemeinschaft mit Ihm, da wo Er ist, und für den Genuss der Ruhe, welche aus dieser Gemeinschaft hervorgeht.
Wie steht es in dieser Beziehung mit dir, mein Leser? Sind deine Füße gewaschen? Oder ist eine Entfremdung zwischen dir und Christo eingetreten? Hat sich dein Herz von Ihm entfernt? Besteht eine Trübung in deinen Beziehungen zu Ihm? Bedenke, dass es nur eines geringen Anlasses bedarf, um eine solche Entfremdung und Trübung herbeizuführen!

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Vereinigung auf Grund gegenseitiger Zugeständnisse

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 123ff

Vereinigung auf Grund gegenseitiger Zugeständnisse — dieser Grundsatz ist weit verbreitet und hat einen
guten Namen; aber so hübsch er aussehen mag, in Wirklichkeit ist er böse und vermessen. Er setzt voraus, dass die göttliche Wahrheit zu unserer Verfügung steht. Phil. 3 lehrt das Gegenteil; dort findet sich kein Gedanke an Zugeständnisse oder an irgendwelche Bemühung, die Wahrheit so auszudrücken. dass sie die verschiedenen Meinungen miteinander Versöhne. Der Apostel sagt vielmehr: „So viele nun vollkommen sind, lasst uns also gesinnt sein!“ (V. 15). Es heißt nicht: Lasst uns die Wahrheit zu dem Standpunkt oder der Fassungskraft dessen herabschrauben, der noch nicht bis zu ihr gelangt ist. Es ist auch nicht, wie wenn zwei Personen darüber hinwegsehen wollen, wer von ihnen die Wahrheit besitzt, oder unter der Annahme der Möglichkeit des Irrens auf beiden Seiten, damit zufrieden sind, etwas von dem, was sie für die Wahrheit halten, aufzugeben und sich so auszudrücken, dass der andere Teil befriedigt ist. Alles das ist ein Vergehen gegen die Rechte, welche die Wahrheit an uns hat. 
„Und wenn ihr etwas anders gesinnt seid, so wird euch Gott auch dies offenbaren.“ Hier kommen Zugeständnisse gar nicht in Frage, sondern es handelt sich um die Offenbarung Gottes zwecks Erleuchtung dessen, der noch nicht vollkommen in der Wahrheit ist. „Doch wozu wir gelangt sind, lasst uns in denselben Fußstapfen (auf demselben Pfade) wandeln!“ (V. 16). Mit anderen Worten: lasst uns eines Sinnes sein, derselben Regel folgen. Es handelt sich also wieder nicht um Zugeständnisse, sondern um ein gemeinsames Wandeln in den Dingen, die wir besitzen und bezüglich deren es kein Aufgeben irgendwelcher Art gibt, weil alle anerkennen, dass es die Wahrheit Gottes ist und ihr deshalb alle unterworfen sind.. Wenn es so steht, gibt es kein Zugeständnis, weder auf dieser noch auf jener Seite: denn alle besitzen dieselbe Wahrheit, indem sie in irgend einem Maße zu ihr gelangt sind, und sie wandeln miteinander, indem sie eines Sinnes sind. Das Heilmittel für die etwa noch bestehende Verschiedenheit des Sinnes sind nicht Zugeständnisse (wie dürfte jemand so mit der Wahrheit handeln?), sondern Offenbarungen von Seiten Gottes zu Gunsten dessen, der noch unwissend ist; und das sind wir ja alle hinsichtlich verschiedener Punkte. 
Aber, wird man sagen, auf diesem Boden werden wir niemals zu einem guten Einvernehmen kommen. Ich erwidere darauf: Wo findet sich in der Schrift so etwas wie „zu einem guten Einvernehmen kommen“? Das ist nicht die Einheit der Kirche Christi. Die Wahrheit kann nicht nach Belieben umgestaltet werden, und wir sind nicht berufen, unsere unvollkommenen Ansichten anderen aufzuzwingen. Ich muss Glauben haben, und man muss denselben Glauben haben, um miteinander zu wandeln; aber in -den Dingen, die ich durch den Glauben als die Wahrheit Gottes empfangen habe, kann ich keine Zugeständnisse machen. Ich kann und soll mit Unwissenheit Geduld haben, aber ich darf nicht nach Belieben mit der Wahrheit umgehen, um dadurch anderen zu gefallen. 
Wieder wird man einwenden: Wie ist dann ein Zusammengehen möglich? Ich antworte: Warum soll man Grundlagen der Einheit aufstellen, welche entweder eine völlige Übereinstimmung in den Ansichten fordern oder eine so böse Sache bedingen, wie das Machen von Zugeständnissen hinsichtlich dieser oder jener Wahrheit?   Nein, lasst uns in den Dingen, bezüglich derer wir die Wahrheit besitzen und Glauben haben, eines Sinnes miteinander wandeln. Erlangt jemand über diesen oder jenen Punkt mehr Einsicht, so trage er seinen Bruder, bis Gott auch diesem die Sache offenbart. Unsere Einheit besteht nicht in übereinstimmenden Ansichten oder Meinungen, sondern in Christo. Wenn die Einheit von gegenseitigen Zugeständnissen abhängig oder auf sie auf- gebaut ist, so haben wir nichts anderes als eine Sekte, gegründet auf menschliche Meinungen, denn der Grundsatz der unbedingten Autorität der Wahrheit ist dann aufgegeben. Das Wort Gottes erlaubt mir keinerlei Zugeständnisse. Die Behauptung, Zugeständnisse machen zu dürfen, leugnet die unbedingte Autorität der Wahrheit über uns und setzt die Befähigung voraus, um des Friedens willen über sie verfügen zu können. 
In nachstehenden Zeilen wird die Sache besser ausgedrückt, als ich es zu tun vermag: „Es gibt etwas, was unter uns noch weniger beachtet wird, als die Wahrheit selbst, und das ist der Wert der Wahrheit und ihre Ansprüche an uns. Dieselben Lehren in der Schrift zu finden liegt uns nicht so fern, als dass wir ihnen dieselbe Autorität über uns zugestehen. Ja, ich glaube behaupten zu dürfen, dass die Fragen, welche heute die Gläubigen so vielfach trennen, bald geordnet sein würden, wenn alle ihre Bibel zur Hand nähmen mit der Absicht, die Wahrheiten, welche sie ausspricht, ausnahmslos ernst zu nehmen. Aber ach! während wir lesen, flüstert der Feind uns ins Ohr: Alles das ist nicht gleich ernst, nicht gleich verpflichtend
und bindend; wir sollen doch die Schwachen ertragen; Paulus wurde allen alles, indem er sich sogar bereit finden ließ, ein Opfer im Tempel darzubringen und Timotheus zu beschneiden; andererseits geht Erbauung über Lehre, und es gibt doch auch Hauptlehren, die von höherer Bedeutung sind als andere u. s. w. Man öffnet unwillkürlich sein Ohr einer Sprache, die so einleuchtend und verständig klingt und keine einzige Wahrheit anzutasten scheint, die aber nur umso mehr darauf berechnet ist, sie alle kraftlos zu machen. Von weitem beugt man sich vor jeder Wahrheit; tritt sie aber mit der Forderung an uns heran, nach ihr zu handeln, irgend etwas zu opfern, sofort wird sie zu den Wahrheiten gestellt, welche nicht mehr recht zeitgemäß sind.“ 
Einen Menschen, der „schwach im Glauben“ ist, nehme ich auf, aber ich opfere ihm gegenüber die Wahrheit in keinem Punkte, selbst wenn es sich nur um „Gemüse“ handeln sollte; wenn ich es täte, könnte ich vielleicht wichtige Wahrheiten dadurch verleugnen. Der Fall mag eintreten, wo das Beobachten von Tagen zu einem Zweifel an der Echtheit des Christentums dessen führt, der die Tage hoch hält. (Vergl. Gal. 4, 9 - 11). In einem anderen Falle mag ich nur sagen können: „In diesem Punkte sei ein jeder in seinem eigenen Sinne völlig überzeugt“ (Röm. 14, 5. 6ff) Zuweilen hängt das ganze Christentum von der pünktlichen Aufrechthaltung einer -Sache ab, über die man unter anderen Umständen vielleicht hinwegsehen könnte. (Vergl. Gal. 2, 14). 
Ich wiederhole: es gibt im Worte Gottes keine Spur von jenem System, welches einen Teil der Wahrheit unterdrückt, um so zu einem gemeinsamen Bekenntnis zu gelangen. Das Gegenteil ist der Fall. Die vollständige Wahrheit war da, und da wo es nötig war, offenbarte Gott das Mangelnde. Die Gläubigen waren eines Sinnes und wandelten miteinander; ein Bedürfnis, Zugeständnisse zu machen, lag gar nicht vor. Man verlangte nicht nach Dingen, welche solche nötig gemacht hätten. Die Bibel setzt das, was man heute zu tun sich anmaßt, gar nicht voraus; es ist im Grunde auch nichts anderes als ein Verstümmeln der Wahrheit, um sie so vielen annehmbar zu machen. 
Das Wort, und besonders Phil. 3, verurteilt aufs Entschiedenste ein solches Zusammenstellen verstümmelter Wahrheiten, welches die Annahme derselben durch jedermann bezweckt und nur zur Vermehrung Gottes und Seiner Wahrheit dient. Auf diesem Wege bildet man Sekten, die sich aus denen zusammensetzen, welche über die als Einigungsgrundlagen niedergelegten Punkte miteinander übereingekommen sind. Niemals ist das aber die Einheit der Kirche Gottes. Man hat im besten Falle eine rechtgläubige Sekte, selbst wenn sie die größere Hälfte eines ganzen Volkes in sich einschließen sollte Menschen haben eine Körperschaft errichtet gemäß der Übereinkunft, zu welcher sie im Blick auf gewisse Wahrheiten gekommen sind.
In einem Glaubensbekenntnis handelt es sich nicht um das Ertragen Einzelner, die über gewisse Punkte unwissend sind, noch um die gemeinsame Anerkennung, dass die Erkenntnis mangelhaft ist, noch endlich um die Erleuchtung und Belehrung der in der Erkenntnis Zurückgebliebenen; nein, man stellt eine Erklärung der Wahrheiten auf, die man besitzt, damit andere, die mit dieser Erklärung als Grundlage der Vereinigung einverstanden sind, sich anschließen können. Um es allen annehmbar zu machen, muss das Bekenntnis aus das Maß der Unwissenheit derer zurückgeführt werden, welche sich der Körperschaft anschließen; anders würden sie in ihrem Bekenntnis ja nicht aufrichtig sein. Das heißt aber nicht, andere ertragen in Liebe, sondern man schließt einen menschlichen Vergleich auf Kosten der göttlichen Wahrheit. Aber ist das die Einheit des Geistes?

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Zwei Briefe an ein Brautpaar zum Hochzeitstage

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 128ff

Liebe Schwester im Herrn! — Sie dürfen versichert sein, dass meine Gebete, und gewiss auch die vieler anderer Gläubigen, Sie begleiten werden· Es ist eine ernste Stellung, in welche Sie eintreten. Auf einen Christen, der (wie der Apostel uns belehrt) in Gefahr steht, „für die Dinge der Welt besorgt zu sein, wie er dem Weibe gefallen möge“, kann die Frau einen verhängnisvollen Einfluss ausüben, besonders dann wenn es sich um einen Arbeiter des Herrn handelt, der als solcher bereits gesegnet war· Sie können Ihrem Gatten ein Segen sein, wenn Gott in Seiner Güte Sie in dieser armen Welt beieinander erhält, indem ihn stärken, trösten und er-muntern und für ihn beten in. den Mühsalen und Prüfungen, welche sein Dienst mit sich bringt; aber sehen Sie zu, dass Sie seinen Eifer nicht lähmen! Es kommt vor, dass eine Frau ihren Mann gern nur für sich haben möchte, und wenn der Mann ein Arbeiter im Werke des Herrn ist, so ist das ein schlimmes Übel. Ich habe eine Frau gekannt, die auf diesem Wege ihren Mann nicht nur als Arbeiter, sondern auch als Gatten verdorben hat. 
Ein Mann ist verpflichtet, für sein Weib zu sorgen, sie zu schätzen und eher alles, andere zu tun als sie zu
vernachlässigen; es wäre sicherlich sehr böse und traurig, wenn er nicht so handelte. Aber das Weib eines Dieners des Herrn muss dessen Werk und Arbeit ihrer eigenen Person voranstellen oder besser gesagt ganz darin aufgehen; doch das kann sie nur dann, wenn sie mit dem Herrn. und für den Herrn lebt. Aber zuweilen missgönnen wir dem Herrn so viel. Das ist eine kluge Frau, die zunächst den Herrn sucht und Ihn in allem ihrem Manne voranstellt, diesen aber darum nicht weniger liebt. Ihr Mann wird sie deshalb ehren und schätzen, und der Herr nicht minder. 
Eine andere Gefahr liegt darin, dass eine Frau aus ihrem Manne gern viel gemacht sieht. Es ist das ja nicht mehr als natürlich. Aber ich habe Arbeiter gekannt, die hierdurch völlig verdorben wurden. Indem dem Manne die Bedeutung nicht beigelegt wurde, welche er nach der Meinung seiner Frau besaß, erweckte sie in ihm hässliche Gefühle und reizte ihn auf gegen andere. Eine Frau ehre ihren Mann — das ist recht und gut - und stehe ihm in seinem Dienst bei, so viel sie kann; aber nie vergesse sie, dass er des — Herrn Diener ist! Still und friedlich verharre sie auf ihrem Posten, ohne sich in seine Beziehungen zu seiner Arbeit einzumischen, die vielleicht nur in Hilfsleistungen inmitten der Herde Christi besteht, wobei sie ihm aber sehr behilflich sein kann. Frauen erkennen ja Dinge und Beweggründe zuweilen klarer als Männer; aber wenn sie dann durch Einflüsterungen oder sogenannte kleine Mittel in diesen Dingen in Tätigkeit treten wollen, so wirken sie verderblich. Mögen sie für sich selbst mit dem Herrn verkehren, wenn ihr Stolz in ihrem Manne verwundet ist. 
Wenn ich als ein alter Mann, der schon vieles, auch manch Trauriges und Schmerzliches, erlebt und beobachtet hat, diese wenigen Worte an Sie richte, so dürfen Sie versichert sein, dass es- in aufrichtiger Teilnahme für Sie geschieht, und mit dem Wunsche, dass Ihnen ein voller Segen zu teil werden möge. Der Herr sei mit Ihnen! Viele und reiche Segnungen fließen uns durch diese Kanäle der irdischen Beziehungen von Ihm zu, vorausgesetzt dass wir in ihnen zu Ihm aufblicken. Auch Trübsale? Ja. Wenngleich Gott die natürlichen Bande und Verhältnisse durchaus anerkennt und heiligt, sind doch, weil die Sünde in der Welt ist, Leiden und Trübsale in ihrem Gefolge. Aber der Herr ist da erschienen, wo Sünde und Schmerz sich Eingang verschafft haben, ohne Zweifel um uns zu weit höheren Segnungen zu erheben, aber auch um uns nicht zu vergessen auf dem prüfungsreichen Pfade, den wir zu gehen haben. Er wurde innerlich bewegt, wenn Er das Leid hienieden sah, und Er vermag heute noch uns zu versorgen und mit uns zu fühlen. 
Es ist Ihr Vorrecht, mit Ihrem Manne zu leben „als Miterben der Gnade des Lebens“, wie Petrus sagt (1.Petr. 3, 7); wenn Sie das tun, so wird alles wohl stehen selbst in einer Welt der Leiden, und ich habe das zuversichtliche Vertrauen, dass Sie mit Ihrem Manne überströmende Gemeinschaft und Freude darin haben werden. Machen Sie (und möchte Ihr Mann es auch tun) den Herrn zu Ihrem ersten Gegenstand, zu dem wahren Bande, das Sie miteinander verbindet; das übrige wird Ihnen dann von selbst werden. Vergessen Sie auch nicht, dass ein gläubiges Weib, besonders die Frau eines Arbeiters, zu allernächst mit dem Herrn in Verkehr stehen muss, und dass sie nicht neugierig sein darf hinsichtlich seiner Arbeit und alles dessen, was vorgeht, sondern vielmehr sein Trost, seine Ermunterung und Freude in ihr, die Teilnehmerin an seinen Beschwerden und Schmerzen, eben weil sie mit dem Herrn lebt . . . . 
Mein lieber Bruder! — Ich danke Ihnen für Ihren Brief und den Bericht, welchen Sie mir geben konnten. Ich preise Gott von ganzem Herzen für den Segen, den Er gegeben hat, und für den Anteil, welchen Sie von Anfang an an dem Werke haben durften. Seien Sie meiner ungeteilten Teilnahme hinsichtlich Ihrer beabsichtigten Verbindung versichert. Das Eingehen einer Ehe ist immer eine ernste Sache, doppelt ernst für Sie, da Sie in dem Werke des Herrn tätig sind. Die Ehe ist, besonders in einem solchen Falle, entweder eine Hilfe oder ein großes Hindernis; letzteres kann selbst dann der Fall sein, wenn beiderseitig eine aufrichtige Liebe vorhanden ist. Ist der Herr nicht persönlich der erste Gegenstand, so will jeder Teil den anderen für sich besitzen. Ich habe das Vertrauen, dass es nicht so mit Schwester —- — sein wird, und ich bitte den Herrn um Seinen Segen für Sie. Wenn man in dem Werke steht, ist es ernst, mit der Verehelichung das Leben gleichsam von neuem zu beginnen; aber es mag sich für Sie als eine Hilfsquelle erweisen in einsamer Arbeit, und Ihre Frau mag eine wahre Gehilfin für Sie darin werden.
Ich bin, menschlich gesprochen, nahe daran, die Welt zu verlassen, obwohl ich mich augenblicklich recht wohl fühle; Sie treten gleichsam in sie ein, denn es ist ein neues Leben, das Sie beginnen. Ein Weib heimzuführen (mag sie noch so fromm und hingebend sein), ist ein anderes Ding, als zur Verkündigung des Wortes Gottes auszugehen. Das ist ernst. Ich meine nicht, dass es nicht richtig sei; vielleicht ist es das Beste für Sie, das Sie tun können. Ich sage nur, es ist ernst, und es lässt mich viel an Sie denken und für Sie beten, dass Gott es für Sie und selbst für Ihre Arbeit zu großem Segen dienen lassen möge. Sollten Sie jemals ins Ausland, nach Australien oder Neu-Seeland, gehen, so mag es sich als etwas Großes für Sie erweisen. 
Der gnädige Herr leite und segne Sie überströmend in Ihrer Seele und in Ihrem Werke! Ihr in Ihm innig verbundener Bruder
J. N. D.

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Der Pfad des Gerechten

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 133ff

Der Pfad des Gerechten führt durch eine ungerechte, gottentfremdete Welt, welche in dem Bösen liegt.
Durch diese Welt schritt einst der wahre Gerechte, Jesus, der Sohn Gottes, der von Gott herniedergekommen war, um Ihn in der Welt zu verherrlichen, da wo der Mensch Seine Ehre in den Staub gezogen hatte.
Wiederholt öffnete sich der Himmel über diesem Gereihten, und Gott bezeugte von Ihm: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Er konnte sagen: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust, und dein Gesetz. ist im Innern meines Herzens. Ich habe die Gerechtigkeit verkündet in der großen Versammlung“ (Ps. 40, 8. 9). Am Ende Seiner Laufbahn hienieden kamen die Worte über Seine Lippen: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“ (Joh. 17, 4). 
Zugleich war Er das Licht der Welt, und Er war gekommen, um die Welt zu retten; aber die Welt kannte Ihn nicht. Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, weil ihre Werke böse waren. Er aber ging still Seinen Weg, Er wandelte „auf dem Pfade der Gerechtigkeit, mitten auf den Steigen des Rechts“
(Spr. 8, 20), 
Eine solche Sprache und ein solcher Pfad mussten naturgemäß die Menschen, welche in der Finsternis lebten und die Finsternis liebten, aufs höchste beunruhigen, denn sie wurden dadurch verurteilt. In Bezug
darauf hatte schon der alte Simeon gesagt: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel, zu einem Zeichen, dem widersprochen wird“ (Luk. 2, 34.) Ferner lesen wir: „Betrachtet Den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat«. (Hebr. 12, 3.) Ja, endlich rief man: „Kreuzige, kreuzige Ihn!“ und: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Luk. 19, 14). Und so wurde dieser Gerechte „durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht“ (Apstg. 2, 23). 
Eine ganze Reihe von Zeugen und Gerechten hat Gott in Seinem Worte neben diesen Gerechten gestellt,
die alle durch Seine Gnade denselben Pfad gewandelt sind. Die Reihe beginnt mit Abel, den der Herr selbst einen Gerechten nennt. (Matthäus 23, 35). Die Ungerechtigkeit hatte begonnen, auf dieser einst so gesegneten Erde Fuß zu fassen. Kain, der aus dem Bösen war, tat das Böse. Es konnte nicht anders sein, er offenbarte die Triebe seiner bösen Natur. Abel hingegen, welcher durch den Glauben verstand, dass er ein Sünder war und den Tod verdient hatte, auch dass ohne Blutvergießen keine Vergebung ist, erlangte diese dadurch, dass Gott sein stellvertretendes Opfer wohlgefällig annahm. 
Nachher offenbarte er die Früchte der Gnade, welche
ihm zu teil geworden war. Seine Werke waren gerecht, er wandelte auf dem Pfade der Gerechtigkeit. Aber die damalige Welt entledigte sich kurzer Hand eines solchen Zeugen, indem sein Bruder Kain ihn ermordete. 
Auf Abel folgte Henoch, der siebente von Adam.Von ihm berichtet uns die Schrift: ,,Henoch wandelte
mit Gott, nachdem er Methusalah gezeugt hatte, dreihundert Jahre, und zeugte Söhne und Töchter . . . . Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg«.« (1. Mose 5, 22 —24). Dieser Mann war kein Mönch, kein Einsiedler, er führte kein absonderliches, naturwidriges Leben; nein, als Gatte und Familienvater wanderte er Jahrhunderte lang mitten durch eine Welt, die binnen kurzem dem Gericht anheimfallen sollte. Und in dieser langen Zeit hatte er das Zeugnis, dass er Gott wohlgefiel (Hebr. 11, 5). 
Die Weissagung dieses treuen Mannes, welche uns im Judasbriefe mitgeteilt wird, zeigt uns, dass er das
Ende dieser Welt sehen durfte, weil er mit Gott und nicht mit der Welt wandelte. Gott konnte vor ihm nicht verbergen, was Er tun wollte, wie Er es später vor Abraham nicht verbergen konnte. 
Als dann das Böse immer mehr um sich griff und die Erde mit Gewalttat erfüllte, so dass es Jehova in Sein Herz hinein schmerzte und Er den Beschluss fasste, die große Flut über die Erde zu bringen, da erweckte Gott sich wiederum einen Zeugen: Noah, von welchem wir lesen, dass er Gnade bei Gott fand, und dass er ebenso wie Abel und Henoch unter seinen bösen Zeitgenossen die Früchte der Gnade offenbarte. (1. Mose 6, 8. 9). 
„Und Jehova sprach zu Noah: Gehe in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht
vor mir erfunden in diesem Geschlecht“ (1. Mose 7, 1). Im Neuen Testament wird Noah „der Prediger der
Gerechtigkeit“ genannt. (2. Petr. 2, 5). 
„Jehova kennt den Weg der Gerechten, aber der Gesetzlosen Weg wird vergehen“ (Ps. 1, 6). Das ist ein göttlicher Grundsatz für alle Zeiten. Die Zeitgenossen Noahs hatten ihren Weg verderbt auf Erden. (1.Mose 6, 12.) Ihr Weg verging, er endete im Verderben. Noah aber machte gerade Bahn für seine Füße; er wandelte auf dem Pfade der Gerechtigkeit, und die Folge war, dass Gott ihm einen Weg bahnte selbst durch die große Flut hindurch. Sein Weg verging nicht, er konnte ihn aus der durch das Gericht gereinigten Erde fortsetzen. Und obgleich er gestorben ist, redet er noch. Ja, „zum ewigen Andenken wird der Gerechte sein“. In Ewigkeit wird er nicht wanken, und seine Gerechtigkeit besteht ewiglich. (Ps. 112, 6. 9). 
Eine weitere Bestätigung dieses Grundsatzes finden wir bei dem Volke Israel in späteren Tagen. Der Weg
ihrer Bedränger, der Gesetzlosen, verging, er endete im Roten Meere; aber Seinem Volke bahnte Gott einen Weg durch das Meer. Auch sie konnten ihren Weg am jenseitigen Ufer fortsetzen und durch die Wüste nach Kanaan wandern. — Dass es sich bei diesem Vergehen des Weges der Ungerechten nicht um das ewige Verderben, sondern nur um ein zeitliches Gericht handelt, ist jedem einsichtsvollen Leser klar. 
Weiterhin lesen wir von Abraham und Isaak, dass sie unter ähnlichen Umständen wie die Gläubigen Vor der Flut vor dem Angesicht Gottes gewandelt haben. Ja, durch das ganze Wort Gottes hin können wir den
Pfad der Gerechten gleich einem leuchtenden, goldenen Faden verfolgen. Er ,,ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr. 4, 18). Ob wir Josef in Ägypten betrachten,
über dessen Leben geschrieben stand: „Ich fürchte Gott“ (vergl. 1. Mose 42, 18), oder Daniel in Babylon, der sich mit seinen Freunden in seinem Herzen vornahm, sich nicht mit der Tafelkost des Königs zu verunreinigen (Dan. 1, 8) — alle gehören zu den Gerechten, welche in einer ungerechten Welt auf dem Pfade der Absonderung „Gerechtigkeit» wirkten“ (Hebr. 11, 33). Ja, sie alle wandelten auf dem Pfade, „den der Raubvogel nicht kennt, und den das Auge des Habichts nicht erblickt hat, den die wilden Tiere nicht betreten, über den der Löwe nicht hingeschritten ist“ (Hiob 28, 7. 8). Aber der Einfältige kennt ihn und wandelt darauf. 
Geliebter Leser! auch wir haben die Gnade Gottes geschmeckt, ja, in weit höherem Maße erfahren als jene Männer Gottes in früheren Tagen; auch wir sind auf denselben Pfad gestellt. Sollten wir nun nicht dastehen, „angetan mit dem Brustharnisch der Gerechtigkeit“ (Eph. 6, 14), „im Worte der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken“? (2. Kor. 6, 7). Sollten wir nicht inmitten einer Welt, aus welcher der Herr uns jeden Augenblick heraus- nehmen kann, über die binnen kurzem das von Henoch angekündigte furchtbare Gericht hereinbrechen wird, als solche erfunden werden, die mit ihrem Leben bezeugen: Wir sind nicht von dieser Welt — unser Wandel ist in dem Himmel? Nur dann werden wir am Ende unseres Weges mit Paulus sagen können: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tage“ (2. Tim. 4, 7. 8). Der Herr belebe unsere Herzen in diesen letzten schweren Tagen! Er kommt ja so gern „dem entgegen, der Freude daran hat, Gerechtigkeit zu üben, denen, die auf Seinen Wegen Seiner gedenken“ (Jes. 64, 5),

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Wo ist o Tod dein Stachel

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 138ff

Geliebter A.——!. Empfange die letzten Zeilen von Deinem Freunde und Bruder, der bald das Angesicht seines Heilands schauen wird. Ja, bald werde ich daheim sein! Und da möchte ich Dir mitteilen, dass mein Herz jubelt bei dem Gedanken, bald den geliebten, teuren Herrn schauen zu dürfen. Ich möchte beide Arme ausstrecken und rufen: „Komm!“ - Welch ein Herr, der auch in schweren Leiden das Herz so überaus glücklich machen kann!
Die letzten Jahre haben mir, wie Du weißt, noch viele Prüfungen und Entbehrungen gebracht, aber da waren es besonders drei Stellen aus Gottes Wort, die mir Trost gaben. Zunächst Psalm 39, 7: „Und nun, auf was harre ich, Herr? Meine Hoffnung ist auf dich!“ Für das Ende des Weges war es die Stelle aus Sach. 14: „Und es wird geschehen zur Zeit des Abends, da wird es Licht sein“ (V. 7). Das Ziel, das Ende, wird immer heller und klarer. Die Strahlen fallen oft auf den dunklen, rauen Pfad. Und was meinen Weg betrifft, wie er auch kam, war mir das Wort zum Troste: „Meine Gnade genügt dir“ (2. Kor. 12, 9). Welch ein Wort! Möchte es doch mehr bekannt sein und verstanden werden! 
Wäre der Weg nicht so weit, so hätte ich Dich gebeten, wenn der Staub zum Staube gelegt wird, herzukommen und den Menschen hier noch einmal in besonderer Weise die Gnade vorzustellen. Doch wie der Herr es leitet.
Mein Befinden ist gar nicht gut. Die Klappe der Luftröhre schließt nicht mehr, so dass ich fast nichts mehr
zu essen und zu trinken weiß. Aber der Herr weiß, was ich tragen kann. Nimm herzlichen Gruß, und ausf Wiedersehen bei Ihm! 
Dein , · · · .

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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 139ff

Wo wenig Licht ist, da ist gewöhnlich viel Eigenwille und Selbstsucht.
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Gott ist für uns „der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi“ ebenso sehr in dem, was Er nicht gibt, als in dem, was Er gibt.
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Niedergeworfen zu sein ist nicht unrichtig; aber es wird dazu, wenn es Unruhe und Misstrauen in uns
hervorruft.
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Ist es nicht ernst und bedeutungsvoll, dass oft kurz nach einer bedeutenden Glaubenstat sich Schwachheiten und Fehler offenbaren? Vergleiche den Fall Gideons. Wie nötig ist es daher, zu wachen!
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Das Bewusstsein, dass wir nichts sind, lässt uns mit Freuden uns selbst vergessen, und dann wird Christus alles für die Seele.
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Es handelt sich für uns nicht so sehr um „große Kraft“, nein, was- wir bedürfen ist eine größere Übereinstimmung mit der Stellung, in welcher Christus sich droben befindet.
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Schwierigkeiten kommen, ja, Gott erlaubt, dass uns Dinge in den Weg treten, die unsere ganze Schwachheit ans Licht stellen; aber an uns ist es, in einfältigem Gehorsam voranzugehen, nicht im Voraus zu überlegen, was wir tun sollen, sondern auf die Hülfe zu rechnen, die wir bedürfen und finden werden, wenn die Zeit dafür da ist.
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Der Charakter unserer Tage ist, dass die Menschen stets nach der Erkenntnis der Wahrheit suchen und sie nicht finden. Ich brauche nicht zu fragen, was Wahrheit ist, wenn ich sie habe; was jemand sucht, besitzt er noch nicht. Ein Mensch, der immerfort nach Wahrheit jagt, beweist durch sein Tun, dass er sie noch nicht hat.
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Wer keine anderen Interessen hat als die Christi, ist ein wahrhaft glücklicher Mensch. Umgekehrt kann der, welcher keine anderen Interessen kennt als seine eigenen, nur unglücklich sein.
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Wer gute Verhaltungsmaßregeln gibt, ihnen aber ein schlechtes Beispiel folgen lässt, ist einem Manne vergleichbar, der sich bemüht, ein Feuer anzuzünden, und nachdem er es kaum angezündet hat, kaltes Wasser hineingießt.

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Pilgerschaft und Ruhe

Bibelstelle: Johannes 13

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 141ff

III.
Es gibt noch eine sehr ernste Sache in Verbindung mit der Fußwaschung, auf die ich besonders hinweisen möchte. Es ist die, dass wir unsere Füße den Händen des Herrn entziehen -können und Ihn so für eine Zeitlang hindern, uns zu waschen, oder mit anderen Worten die Anwendung des Wortes auf uns unmöglich machen. Denn es handelt sich hier um den Anteil, welchen Christus an der Sache hat, nicht um den unsrigen. Damit stelle ich letzteren keineswegs in Abrede, denn wir müssen unserseits wachsam sein und uns selbst richten; aber ich rede jetzt von dem Anteil, welchen Christus hat, und da kann es, wie gesagt, geschehen, dass wir unsere Füße Seinen Händen entziehen und so die Tätigkeit Seiner Liebe verhindern, so dass die Entfernung zwischen uns und Ihm bestehen bleibt. Dann muss Er uns auf andere Weise belehren. Und doch, wie wunderbar ist des Herrn Tun zum Besten solch armer Geschöpfe, wie wir sind!
wie anbetungswürdig ist die Gnade, welche sich so weit herablässt, dass sie unsere Füße von allem reinigt, was nicht Ihm selbst entspricht! Wie trägt Er Sorge, das; alles, auch das Geringste, hinweggetan wird, was das Verhältnis zu Ihm trüben könnte! Die Vollkommenheit Seiner Liebe zeigt sich gerade darin, dass Er nichts durchgehen lässt; unsere Eigenliebe und Selbstsucht lässt manches durchgehen, Seine Liebe nichts. Die Eigenliebe bewegt sich immer in ihrem eigenen engen Kreise, die Liebe beschäftigt sich mit einem Gegenstand außer ihr und weiht sich ihm. Sie denkt an das Wohl dieses Gegenstandes und duldet nicht, dass das Geringste bestehen bleibe, was nicht ihren Gefühlen entspricht. Und warum handelt sie so? Um der Freude willen, ihren Gegenstand so zu sehen, wie sie ihn haben möchte. Wer kann die Freude des Herzens Jesu ausdrücken, wenn Er uns so in Seiner Gegenwart sieht? Wer kennt selbst diese Seine Freude nur in schwachem Maße, die Freude, uns dort bei sich zu haben, und zwar als solche, die Gemeinschaft mit Ihm haben können? Glaubst du nicht, lieber Leser, dass es für den Herrn eine weit größere und tiefere Freude ist, dich dahin zu stellen, wo Er Gemeinschaft mit dir haben kann, als deine Freude, dich dort bei Ihm zu befinden? 
Ich möchte besonders aus diesem Punkte bestehen, weil wir in unseren Tagen, mit all der äußeren Tätigkeit um uns her, in großer Gefahr stehen, zu vergessen, was dem Herrn Jesu gebührt, und doch ist es gerade dies, worauf Sein Herz sieht. Ich bin überzeugt, dass der Herr, wenn es sich um das Zeugnis der Seinigen in diesen Tagen handelt, sie nicht als ein Volk finden möchte, das sich hienieden durch große Dinge auszeichnet und Heldentaten verrichtet, sondern als ein Volk, auf welches Sein Gott und Vater herabschauen und das Er mit den Worten kennzeichnen kann: Hier sind Herzen, die Zeugnis geben von der Allgenugsamkeit meines Sohnes und von Seiner Macht, alles für sie zu tun. Ja, Gott sucht Zeugen der Gnade und Macht Jesu, um sie anderen armen, mühseligen und beladenen Herzen zeigen und ihnen zurufen zu können: „Seht, mein Sohn kann für euch dasselbe tun, was Er für diese getan hat“. Ja, mein lieber gläubiger Leser, dazu hat Gott uns in dieser Welt gelassen, damit wir als Beispiele dienen,
was Christus für solch arme Geschöpfe, wie wir sind, zu tun vermag. Er kann von unseren Herzen Besitz
ergreifen, sie bis zum Überlausen füllen und sie instand setzen, Ihn, unsere ewige Freude und Ruhe, da zu genießen, wo Er ist, an der Stätte der Herrlichkeit. 
Möchte also der Herr uns davor bewahren, dass wir uns Seiner Hand entziehen! Lasst uns vielmehr beständig vor Ihm sein mit Seinem kostbaren Worte, indem wir mittelst desselben die verborgenen Regungen unserer Herzen prüfen und so die vollkommene Ruhe genießen, welche aus diesem Weilen vor Ihm hervorgeht. Unsere Gewissen möchten oft gern die scharfe Schneide des Wortes fliehen. Aber lasst uns jeden Gedanken unserer Herzen, jede Regung unserer Seelen dieser alles durchdringenden Macht unterwerfen! Fürchten wir uns nicht davor, uns von diesem Schwerte durchbohren zu lassen! Fürchten wir lieber alles, was uns seiner sichtenden und prüfenden Tätigkeit entziehen will; aber fürchten wir nie Gottes Wort, nie die Liebe, welche aus allem das Beste für uns hervorgehen lassen möchte! Die Gedanken des Herzens unseres Herrn sind nur darauf gerichtet, uns zu segnen. Wir sind die Gegenstände Seiner Liebe; Er wünscht uns so zu gestalten, dass Seine Freude in uns bleiben und unsere Freude völlig sein kann. Johannes lag in dem Schoße Jesu. Hat unser Haupt auch schon einmal an der Brust Jesu geruht? Haben wir je das Bewusstsein gehabt, dass Er unsere Füße genommen und sie gewaschen hat, damit wir uns in Seinem Schoße ausruhen können? Das eine muss notwendigerweise dem anderen vorangehen. Welch glücklicher Platz, für eine müde Seele! Und wie herrlich! die Liebe Christi ist groß genug, dass jeder Seiner Heiligen diesen Platz bei Ihm einnehmen kann. 
Alles das ist ohne Zweifel eine bildliche Sprache. Aber wie schön und treffend sind die Bilder! Was ist z. B. unter jenem Liegen in dem Schoße Jesu zu verstehen? Nicht weniger als ein Ihm so-nahe-sein, ein so-verbunden-sein mit Ihm, dass Er die vollkommene Ruhe meines Herzens wird. Nicht das, was ich von Ihm empfange, nein, Er selbst ist meine Ruhe. Wenn etwas sich zwischen uns und Christum geschoben hat, können wir die Ruhe nicht genießen. In diesem Zustande fürchtet unser Herz die Gegenwart des Herrn, da sie notwendigerweise Anlass geben müsste zu einer ernsten Auseinandersetzung. Deswegen können leider auch nur so wenige Personen es ertragen, mit Gott und Jesu allein zu sein. Denn um dieses Alleinsein mit Gott nicht zu fürchten, muss alles zwischen Gott und uns in Ordnung sein. Als Jakob an der Furt des Jabbok allein war, rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte ausging; als Joseph, nachdem er jedermann von sich hatte hinausgehen lassen, mit seinen Brüdern allein war, gab er sich ihnen zu erkennen. Niemand war bei diesen Gelegenheiten zugegen. Ich zweifle nicht daran, dass viele Seelen nur deswegen in den tausenderlei Dingen, mit denen sie sich umgeben, eine Ablenkung suchen, weil sie einer Stunde des Alleinseins mit Christo und mit Gott entgehen wollen. Wenn nichts zwischen uns und Christo steht, können wir allein sein mit Ihm und können unsere Ruhe in Seiner Gemeinschaft finden. Seine Gegenwart ist dann die Ruhe unseres Herzens. Aber wie viele von uns können sagen: Ich weiß, was es heißt, in Jesu Schoß zu ruhen? 
Eine aufrichtige Seele ist an zwei Dingen zu erkennen, die wir beide in Luk. 7 finden können. Das erste ist: „Ich muss Ihn finden und bei Ihm sein“, das andere: „Er muss mein Alles sein“. Wenn ich hier von einem bei-Christo-sein spreche, so verstehe ich darunter das Weilen bei Ihm, da wo Er ist. Nicht dass ich Ihn zu mir herabsteigen lasse, als ob Er von dieser Welt wäre, oder Ihn auf die Erde, in meine Umstände einführe, damit ich bequemer in der Welt leben kann. Leider sehen wir das letztere überall um uns her: man lässt die Erleichterung, welche man für das Gewissen gefunden hat, dazu dienen, um nach seiner Bequemlichkeit in der Welt zu leben. Wie traurig ist das! Nein, was uns nottut, ist nicht ein Einführen Christi in unsere irdischen Verhältnisse, damit wir uns in ihnen glücklich fühlen; wir bedürfen einen Christus, der uns die Füße wäscht, der uns von allem reinigt, was für Gottes Gegenwart unpassend sein würde, damit unserem Eintreten in Seine Beziehungen droben nichts im Wege steht. 
Wenn unsere Herzen je den Segen der Gemeinschaft mit Christo, da wo Er jetzt ist, in Seinen Beziehungen, geschmeckt haben, so können wir hinter uns blickend sagen: „Ich bin unabhängig von den Dingen der Erde“. Der Besitz dessen, was droben ist, lenkt unsere Herzen von den Dingen ab, die hienieden uns umgeben und nur eine trügerische Nachahmung jener Güter sind. Die Menschen sind in die irdischen Dinge verwickelt, weil sie das wahre Gut nicht besitzen. Wenn sie es besaßen, würden sie auch den richtigen Maßstab zur Beurteilung alles dessen haben, was im Widerspruch mit ihm steht, und kein Verlangen mehr danach tragen. Niemand kann erkennen, was nach Gottes Urteil verkehrt ist, wenn er nicht das Richtige und Wahre kennt. Wir bedürfen ein Muster, ein Vorbild, nach welchem wir alles beurteilen; ohne ein solches vermögen wir nichts wahrhaft zu erkennen. Wenn wir die Wahrheit nicht kennen, können wir auch nicht wissen, was von ihr abweicht, und sind deshalb nicht gewappnet gegen den Irrtum; wenn wir aber das Vorzügliche besitzen, so wissen wir, was schlecht ist, und wollen nichts damit zu tun haben. 
Wenn ich gemeinsame Interessen mit Christo habe, halte ich mich in Seiner Nähe auf. Seine Gegenwart
ist die Ruhe meiner Seele. Mein Herz kennt die Ruhe, welche, nach Psalm 23, hier zu finden ist. Dieser Psalm beschreibt nicht irgend einen Ort auf Erden; denn in dieser Welt findet man keine „grünen Auen“. Sie sind im Himmel. Und was die „stillen Wasser“ betrifft, so fließen auch sie nicht hienieden. Inmitten der Unruhe und der Stürme der Dinge hienieden ist keine Ruhe zu finden. Da gibt es kein Grün, keine Stille; nichts als Unruhe und Eitelkeit. Aber von dem Augenblick an, da mein Herz die Gemeinschaft Jesu kennt, und nichts mehr da ist, was mich an ihrem Genuss hindert, kann ich den besten Dingen der Erde, ja, allen Gütern dieser armen Welt den Rücken kehren, und ich erkenne alsdann auch mit klarem Blick alle Ränke und Vorstellungen Satans. Und warum das? Weil ich dann das höchste Gut besitze, welches mein Herz gegen alles stählt, was mit ihm unvereinbar ist. Nichts anderes als dieses Gut vermag mich zu befriedigen. 
Mehr noch. Wenn wir bei Christo weilen und, das Haupt an seine Brust gelehnt, diese kostbare Ruhe genießen, befinden wir uns an dem richtigen Platz, um Mitteilungen von Ihm empfangen zu können. Weißt
du, lieber Leser, was es heißt, Mitteilungen von dem teuren Heiland entgegenzunehmen, so von dir selbst und allem, was dich umgibt, von der Welt und ihrer ruhelosen Tätigkeit, losgelöst und befreit zu sein, so nahe bei Jesu zu weilen, dass Er dir Seine Gedanken mitteilen kann? Verweilen wir einen Augenblick bei der entsprechenden Stelle in unserem Kapitel: „Als Jesus dies gesagt hatte, ward Er im Geiste erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern. Da blickten die Jünger einander an, zweifelnd, von wem Er rede. Einer aber von Seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tische in dem Schoße Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er forschen möchte, wer es wohl wäre, von welchem Er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu Ihm: Herr, wer ist es?“ (V. 21 — 25). Hier war Vertrauen und zugleich auch Ruhe vorhanden, um die Antwort auf das Vertrauen entgegenzunehmen. Was könnte einfacher und zugleich glückseliger sein? Dem, der am nächsten bei Jesu weilt, erkennen die anderen das Recht des vertrautesten Umgangs zu. Johannes ist der Freund des Herrn. Aus der Entfernung bedient sich Petrus der Nähe, in welcher Johannes weilt, sowohl um die Zweifel seines eigenen Geistes und die der anderen Jünger zu beseitigen, als auch um die Geheimnisse des Herzens Christi zu erfahren. Petrus wusste ganz gut: wer im Schoße Jesu lag, der erfuhr auch die Geheimnisse Seines Herzens und empfing Seine Mitteilungen. 
Wir sollten hieraus die wichtige Lehre für uns ziehen, dass der Herr Seine Mitteilungen nicht aus der Ferne macht. Wenn wir uns von Ihm entfernt haben, können wir weder Seine Geheimnisse erfahren noch Seine Wünsche kennen lernen. Ich sage nicht, dass Er uns dann nicht liebt; aber es ist dann das Begehren Seines Herzens und muss es sein, uns praktisch in Seine Gemeinschaft zurückzuführen, damit Er wieder die Freude des innigen Umgangs mit uns haben kann; denn das ist der Wunsch Seines Herzens. Die anderen Jünger weilten nicht nahe genug bei Jesu, um die Geheimnisse Christi zu erfahren. Johannes war nahe bei Ihm. Er besaß Vertrauen genug zu Ihm, um Ihn zu fragen: „Herr, wer ist es?“ Und er war auch imstande, in Ruhe Jesu Antwort abzuwarten. Bei ihm finden wir Nähe, Vertrauen und Ruhe. Teurer Leser! kennen auch wir diese Dinge? Ich weiß von mir selbst, dass wir dem Herrn häufig Mitteilungen machen; aber selten genießen wir einen solchen Frieden, sind Ihm so nahe und so ruhig, dass Er uns Mitteilungen machen kann. Ach! dass das so selten geschieht! dass wir es so wenig verwirklichen: Er will uns bei sich haben, damit Sein Herz uns mit tiefer Freude und rückhaltlos alles offenbaren kann, was es an Liebe für uns in sich birgt! Möchte Er uns diesen Seelenfrieden, diese Ruhe des Herzens vor Ihm und dieses geöffnete Ohr schenken, damit wir wirklich imstande sind, Seine Mitteilungen aufzunehmen! 
Wenden wir uns zum Schluss noch für einen Augenblick zu dem 21. Kapitel unseres Evangeliums. Es heißt dort im 7. Verse: „Da sagt jener Junger, welchen Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr“. Diese Worte lassen uns eine andere Wirkung des Weilens in der Nähe des Herrn erkennen. Diese besteht darin, dass man fähig ist, Seine Taten zu verstehen, weil man die handelnde Person kennt. Die Handlung richtet die Gedanken unwillkürlich auf Den, der sie verrichtet. 
Indes möchte ich hier bemerken, dass wir die Gegenwart des Herrn nicht deshalb aufsuchen sollten, um
Mitteilungen von Ihm zu empfangen, oder um wie Johannes der Täufer sagen zu können: „Dies ist Christus“, oder: „Jenes ist Christus“. Nein, wir müssen Ihn selbst suchen ohne irgend einen anderen Beweggrund; unser Haupt sollte nur deshalb an Seiner Brust ruhen, weil wir Ihn lieben.
Ich weiß, dass meine Worte schwach sind, viel schwächer als ich es selbst fühle; aber möchte der Herr
unsere Herzen von allem befreien, was unserer Gemeinschaft mit Ihm irgendwie hindernd in den Weg treten will! Möchten wir Ihm gänzlich und willig unterworfen sein, damit Er unsere beschmutzten Füße in Seine Hand nehmen und von allem reinigen kann, was uns unfähig macht, in Seiner Gegenwart, da wo Er ist, zu weilen und dort mit Ihm Gemeinschaft zu haben! Nichts, gar nichts sollte zwischen uns und Ihm stehen. Er möchte so gern unser Haupt an Seiner Brust ruhen sehen. Dieser Platz ist für einen jeden von uns da. In der Familie Gottes gibt es kein Kind, das vor dem anderen etwas voraus hätte, keine Bevorzugten, welche eine höhere Stellung einnähmen als andere. Der Schoß Jesu, das Herz und die Zuneigungen Christi sind für alle die Seinigen da; alle sind eingeladen, ihr Haupt da ruhen zu lassen, wo Johannes es ruhen ließ. Möchte der Herr in diesen Tagen fieberhasten Wirkens, wo dem Geiste des Menschen mehr die Quantität als die Qualität, mehr die Menge als die Güte, gilt, uns besser verstehen lassen, was Seinem Herzen und Seinen Zuneigungen entspricht! Er selbst wolle uns fähig machen, uns zu der Höhe unserer Berufung zu erheben und die Süßigkeit zu kosten, in unserem geringen Maße für Ihn zu arbeiten und auf einem vielleicht einsamen und unbeachteten Pfade bewahrt zu bleiben! Glücklich ein jeder, den nichts anderes leitet, als der Gedanke: Meine Freude ist, den Wünschen des Herzens Dessen zu dienen, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat!

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Gnade um Gnade

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 150

Der Gläubige nimmt Gnade um Gnade aus der Fülle, welche in Christo ihm zu Gebote steht. Stunde um Stunde muss er sich schenken lassen, was er bedarf. So wenig wie er eine Woche im Voraus essen kann, ebenso wenig wird ihm ein Vorrat von Gnade für eine längere oder kürzere Zeit geschenkt.

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Jetzt und dann

Bibelstelle: Lukas 12

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 151ff

„Indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig“ (2. Kor. 4, 18).
Die Grundsätze, welche in dem 12. Kapitel des Evangeliums Lukas niedergelegt sind, tragen einen höchst
ernsten, erforschenden Charakter, und ihre Bedeutung in praktischer Beziehung ist gerade für unsere Tage sehr groß. Im Lichte der Wahrheit, wie es uns hier entgegenstrahlt, kann eine fleischliche oder weltliche Gesinnung nicht bestehen; sie wird von Grund aus verurteilt. Würde man nach einer kurzen Beschreibung des Inhaltes dieses Kapitels fragen, so könnte man vielleicht als Überschrift empfehlen: „Die Zeit, betrachtet im Lichte der Ewigkeit“.
Der Herr hatte offenbar die Absicht, Seine Jünger durch diese Betrachtung in das Licht jener Welt zu versetzen, wo alles in völligem Gegensatz zu der gegenwärtigen Welt steht, um so ihre Herzen unter den segensreichen Einfluss der unsichtbaren Dinge und ihr Leben unter die mächtige Autorität der himmlischen Grundsätze zu bringen. Der göttliche Lehrmeister legt Seiner Unterweisung die warnenden und zugleich herzdurchdringenden Worte zu Grunde: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist“ (V. 1). Gott hat Wohlgefallen an „der Wahrheit im Innern“. Kein unlauterer Zug darf in der Seele geduldet werden; die Quellen jedes Gedankens, jeder inneren Regung müssen bloßgelegt werden; ja, wir müssen die erforschen den Strahlen des himmlischen Lichtes bis in die verborgensten Tiefen unseres Wesens dringen lassen. Vor diesem Licht verschwindet jeder Unterschied zwischen dem Urteil der Seele und den Worten des Mundes, zwischen der Richtung des Lebens und dem Bekenntnis der Lippen. Der Gedanke geht nicht weiter als der Mund, und der Mund nicht weiter als der Gedanke (Vergl. Ps. 17, 3). 
Wir sind geneigt, bekannte praktische Wahrheiten mit einer gewissen Kälte und Gleichgültigkeit anzuhören, während wir einer Unterredung über gewisse Lehrpunkte, über interessante Fragen der Prophezeiung und dergleichen viel mehr Teilnahme entgegenbringen· Warum das? Weil letzteres geschehen kann in Verbindung mit Weltsinn und manch anderem ungerichtetem Bösen, während die praktischen Grundsätze der Wahrheit uns verurteilen und zum Selbstgericht anleiten. Aber ist das nicht etwas von jenem bösen Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist? Derselbe hat einen recht schönen äußeren Schein, aber er ist deshalb nur umso gefährlicher. Er bildet tatsächlich ein unüberwindliches Hindernis für das Wachsen in der erfahrungsmäßigen Erkenntnis und praktischen Heiligung der Seele. Wenn ich nicht meine ganze Seele der Einwirkung der göttlichen Wahrheit bloßstellen will, wenn ich noch Rückhalte habe oder die Wahrheit in unredlicher Weise meinem Standpunkt und Verhalten anzupassen suche, so bin ich mit dem Sauerteig der Heuchelei befleckt, und mein Wachsen in das Bild Christi hinein ist ganz und gar unmöglich. Wie ängstlich sollte sich deshalb jeder Jünger Christi vor diesem verderblichen Sauerteig hüten, um wirklich, zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen, sagen zu können: „Rede, Herr, denn dein Knecht hört“! 
Die Heuchelei ist aber nicht nur jedem geistlichen Fortschritt entgegen, sondern sie verfehlt auch gänzlich
ihren Zweck oder ihre Absicht; denn „es ist nichts verdeckt, was nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, was nicht kundwerden wird“ (V. 2). Vor dem Richterstuhl Christi wird einmal jeder Mensch geoffenbart und jeder Gedanke ans Licht gezogen werden. Was jetzt die Wahrheit tun möchte, wird dann das Gericht tun. Der Herr selbst wird »das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren«. (1. Kur. 4, 5.) Vor jenem Richterstuhl wird jede Maske und Larve fallen; nichts wird dem durchdringenden Licht, welches von ihm ausstrahlt, entgehen können. Mag es jetzt auch viel Schein und Täuschung geben, dann wird alles Wirklichkeit sein. Mag man jetzt die Dinge nennen, wie man will, dann wird alles mit dem rechten Namen genannt werden. Weltsinn pflegt man jetzt wohl Klugheit, Habsucht und
Eigennutz, Vorsicht zu nennen, die Befriedigung der Wünsche des natürlichen Herzens, das Wachsen des Ansehens in dieser Welt als Lebensweisheit und lobenswerten Geschäftseifer zu bezeichnen; aber dann wird es ganz anders sein, alle diese Dinge werden vor dem Richterstuhl Christi in ihrem wahren Licht erscheinen und mit ihrem wahren Namen genannt werden. 
Ist es deshalb nicht wahre Weisheit eines Jüngers Christi, wenn er jetzt schon in dem Lichte jenes Tages wandelt und ein gutes Gewissen vor Gott und Menschen zu bewahren bemüht ist? Der Apostel Paulus sagt: „Deshalb beeifern wir uns auch . . ., Ihm wohlgefällig zu sein. Denn wir müssen alle (Gläubige und Nichtgläubige, wenn auch nicht zu derselben Zeit und auf demselben Boden) vor dem Richterstuhl des Christus geoffenbart werden“ (2.Kor. 5,9.10). Freilich braucht das nicht das Gemüt eines Jüngers zu beunruhigen, vorausgesetzt das; sein Herz von dem Sauerteig der Heuchelei gereinigt ist, so dass er mit dem Apostel (in demselben Kapitel) weiter sagen kann: „Gott sind wir offenbar geworden; ich hoffe aber auch in euren Gewissen offenbar geworden zu sein“ (V. 11). In dem Bewusstsein, dass Christus sein Friede und seine Gerechtigkeit ist, kann ein solcher Jüngers getrost, ja, freudig dem Richterstuhl entgegensehen. 
Der Herr ist in Seiner Belehrung in Luk. 12 deshalb auch bemüht, das Gewissen Seiner Jünger in das Licht dieses Richterstuhls zu stellen, indem Er sie zugleich in lieblicher Weise ermuntert. Wir lesen: „Ich sage aber euch, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und nach diesem nichts weiteres zu tun vermögen. Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollt! Fürchtet Den, der nach dem Töten Gewalt hat in die Hölle zu werfen; ja, sage ich euch, Diesen fürchtet“ (V. 4. 5). Menschenfurcht ist eine Schlinge und steht in naher Verbindung mit dem Sauerteig der Pharisäer; aber die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang und bringt den Menschen dahin, jetztschon sich so zu betragen, so zu denken, zu reden und zu handeln, wie wenn er in dem vollen Lichtglanz des Richterstuhls Christi stände. Und was ist die Folge einer solchen Gesinnung? Sie verleiht dem Charakter Würde und Erhabenheit und erstickt im Keime jenen stolzen Geist der Unabhängigkeit, der sich in unseren Tagen so breit macht. Nichts ist so geeignet, den Jünger Christi seiner wahren Würde zu berauben, als ein Wandel nach den Gedanken der Menschen und das Bestreben, ihnen zu gefallen. Dieses große Übel ist zugleich mit dem anderen verbunden, meine Wege vor Gott verbergen zu wollen. 
Doch warum sollten wir die Menschen fürchten? Warum sollten wir nach ihren Meinungen fragen und sie berücksichtigen? Können diese Meinungen bestehen in der Gegenwart Dessen, der Gewalt hat, in die Hölle zu werfen? Haben sie irgendwelche Bedeutung für die Ewigkeit? Wenn nicht, welchen Wert haben sie dann? Es ist Gott, mit dem wir es zu tun haben. In dem bereits angeführten 4. Kapitel des 1.Korintherbriefes sagt Paulus: „Mir ist es das Geringste, dass ich von euch oder von einem menschlichen Tage beurteilt werde“. Der Mensch mag jetzt einen Richterstuhl und Gerichts-tage haben; dann hat er keine mehr. Er mag in dieser Zeit zu Gericht sitzen, in der Ewigkeit richtet er nicht mehr. Warum sollten wir deshalb unsere Wege nach einem so vergänglichen und armen Gericht einrichten? Nein, lasst uns vielmehr alles in Beziehung zur Ewigkeit bringen, diese Zeit im Lichte der Ewigkeit betrachten! 
Doch das arme, ungläubige Herz erhebt da, wie immer, seine Fragen und macht seine Einwendungen: Wenn ich mich so völlig über die Gedanken und Meinungen der Menschen hinwegsetze, wie werde ich dann in einer Welt fortkommen, in welcher diese Gedanken und Meinungen herrschend und tonangebend sind? Die Frage ist nur zu natürlich. Aber der Herr, der unsere Herzen kennt, kommt ihr in einer so befriedigenden Weise zuvor, dass wir nur anbeten können. Es scheint so, als wolle der Herr von vornherein den aufsteigenden Fragen und Zweifeln des Unglaubens begegnen, indem Er Seine Jünger über den trüben Dunstkreis hienieden in das reine Licht droben erhebt und sagt: „Werden nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennig verkauft? und nicht einer von ihnen ist vor Gott vergessen. Aber selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. So fürchtet euch nun nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge“ (V. 6. 7). So wird das Herz unterrichtet, nicht allein Gott zu fürchten, sondern auch Ihm zu vertrauen; es wird nicht nur gewarnt, sondern auch in der lieblichsten Weise beruhigt. Das „fürchtet“ und „fürchtet nicht“ mag Fleisch und Blut seltsam erscheinen, aber für den Glauben liegt nichts Seltsames darin. Der Mensch, welcher Gott am meisten fürchtet, vertraut auch am meisten aus Ihn und fürchtet deshalb die Umstände am wenigsten. Der im Glauben Wandelnde ist der abhängigste und zugleich auch der unabhängigste Mensch: abhängig von Gott, unabhängig von Menschen und Umständen. Das eine geht aus dem anderen hervor: wahre Abhängigkeit bewirkt wahre Unabhängigkeit. 
Das Gesagte zeigt uns, auf welcher Grundlage der Friede des Gläubigen ruht. Der Gott, welcher Macht hat in die Hölle zu werfen — der Einzige also, welcher zu fürchten ist — hat es für der Mühe wert geachtet, die Haare meines Hauptes zu zählen; und wahrlich, Er hat es nicht darum getan, um mich früher oder später verloren gehen zu lassen, sondern um mich zu bewahren und zu erhalten. Diese bis ins Kleinste gehende Fürsorge meines Vaters sollte jeden Zweifel, der sich in meinem Herzen erheben will, zum Schweigen bringen. Nichts ist für Ihn zu gering, und nichts kann zu groß für Ihn sein. Die unzähligen Welten, welche sich in dem unermesslichen Raum bewegen, und ein Sperling, der zu Boden fällt, sind vor Ihm gleich. Sein Geist, für den es keine Schranken gibt, kann mit derselben Leichtigkeit den Lauf der Jahrtausende überschauen, wie die Haare meines Hauptes zählen. Das ist die feste Grundlage, auf welche Christus Sein „Fürchtet euch nicht“ und „Seid nicht besorgt“ stützt. Aber ach! wie oft fehlen wir in der praktischen Anwendung und Verwirklichung dieser Wahrheit! Und doch wird ihre Schönheit und Süßigkeit nur in der Anwendung erkannt und in der Verwirklichung geschmeckt. Wenn wir nur von ihr reden, ohne sie im Glauben zu verwirklichen, so malen wir gleichsam Sonnenstrahlen an die Wand und kommen um vor Kälte. 
Mit der heiligen Erhebung über die Gedanken der Menschen und dem stillen Vertrauen auf unseres Vaters zärtliche Fürsorge, selbst in den kleinsten Dingen, ist meist ein offenes und mutiges Zeugnis für Christum verbunden. Wenn mein Herz über den Einfluss der Menschenfurcht erhoben und durch die Versicherung, dass Gott selbst die Haare meines Hauptes gezählt hat, völlig beruhigt ist, dann bin ich in dem richtigen Zustande, um Christum vor den Menschen zu bekennen. Ich bekümmere mich dann nicht so sehr um die etwaigen Folgen meines Bekennens, da ich weiß, dass ich in Gottes Hand stehe, und dass Er mich erhalten wird, so lange ich nach Seinem Willen hienieden sein soll. „Wenn sie euch aber vor die Synagogen und die Obrigkeiten und die Gewalten führen, so sorget nicht, wie oder womit ihr euch verantworten oder was ihr sagen sollt; denn der Heilige Geist wird euch in selbiger Stunde lehren, was ihr
sagen sollt“ (V. 11. 12). Nur durch den lebendigen Glauben an Gott und ein unerschütterliches Vertrauen auf Ihn kann ich von dem Einfluss der Menschen befreit werden. Insoweit ich unter diesem Einfluss stehe,
bin ich ein Knecht der Menschen und für den Dienst Christi untauglich. Wenn aber Gott das Herz erfüllt, dann ist kein Raum für das Geschöpf. Kein Mensch hat es je für der Mühe wert gehalten, die Haare meines Hauptes zu zählen; ich selbst auch nicht. Aber Gott hat es getan, deshalb kann ich Ihm mehr vertrauen als irgend Jemand anders. Gott ist ausreichend für jedes Bedürfnis, klein oder groß, und wenn wir Ihm vertrauen, so werden wir erfahren, dass es so ist. 
Freilich bedient Gott sich oft der Menschen als Werkzeuge, um unseren Bedürfnissen zu begegnen; aber
wenn wir uns auf die Werkzeuge verlassen, anstatt auf die Hand, die sie gebraucht, so bringen wir einen Fluch über uns, wie geschrieben steht: „Verflucht ist der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arme macht, und dessen Herz von Jehova weicht!“ (Jer. 17, 5). Jehova benutzte die Raben, um Seinen Propheten zu speisen; aber ob Elia wohl je daran gedacht hat, auf die Raben zu vertrauen? So sollte es immer sein. Der Glaube verlässt sich auf Gott, rechnet auf Ihn, klammert sich an Ihn und harrt auf Ihn. Er lässt Gott Raum zum Handeln und versperrt Ihm nicht den Weg durch irgend ein Vertrauen auf das Geschöpf. Er überlässt Ihm alles. Und sollte der Glaube auch durch tiefe Wasser gehen müssen, er wird immer auf der Höhe der Wellen gesehen werden und von da aus in Ruhe auf Gott und Sein mächtiges Walten harren. Der Glaube allein gibt sowohl Gott als auch dem Menschen den gebührenden Platz. 
Während der Herr Jesus damit beschäftigt ist, diese himmlischen Grundsätze zu entwickeln, mengt sich ein Kind dieser Erde mit einer Frage über Hab und Gut unerwartet ein. „Einer aus der Volksmenge aber sprach zu Ihm: Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile“ (V. 13.) Wie wenig kannte dieser Mensch von dem Charakter Dessen, der vor ihm stand! Er hatte keine Ahnung von dem Geheimnis
Seines Wesens, noch von dem Zweck Seiner himmlischen Sendung. War Er aus dem Schoße des Vaters
herabgekommen, um Erbstreitigkeiten zu schlichten und um der Schiedsrichter zwischen zwei habsüchtigen Menschen zu sein? Der Geist der Habsucht beseelte offenbar den Kläger wie den Angeklagten: der eine wünschte so viel wie möglich zu behalten, der andere so viel wie möglich zu bekommen. 
„Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zu einem Richter oder Erbteiler über euch gesetzt?“ (V. 14). Es handelte sich nicht darum, wer bei dieser Frage recht oder unrecht hatte; nach der Lehre Christi hatten sie beide unrecht. Überdies, welchen. Wert haben einige Morgen Landes im Lichte der Ewigkeit? Und was Christum selbst betraf, so war Er nicht gekommen, um über das Erbe zu streiten. Er war „der Erbe aller Dinge“; der Weinberg Israel, der Thron Davids und die ganze Schöpfung gehörten Ihm, aber als die Weingärtner sagten: „Dieser ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, auf dass das Erbe unser werde!“ da unterwarf Er sich in vollkommener Geduld und vernichtete — Gott sei ewig dafür gepriesen! — durch diese Unterwerfung bis in den Tod die Macht Satans und brachte „viele Söhne zur Herrlichkeit“. So erblicken wir in der Lehre und dem Leben des himmlischen Menschen die Darstellung der Grundsätze des Reiches Gottes.

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Der Pfad des Gerechten

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 160ff 

II. 
Wir haben gesehen, dass der Pfad des Gerechten durch eine gottlose und böse Welt führt, und dass viele Gläubige vor uns diesen Pfad zur Verherrlichung Gottes gewandelt sind; wie kommt es nun, dass dieser Pfad dem glänzenden Morgenlicht gleicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe? — Wie kam es, dass der wahre Gerechte, Jesus, mit Ausharren mitten auf den Steigen des Rechts wandelte? War es, weil Er der Sohn Gottes, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge war? Nein, wenn es sich um Seine persönlichen Interessen oder um Seine Bewahrung handelte, machte Er von Seiner göttlichen Macht nie Gebrauch; sonst hätte Er für uns kein Vorbild werden können. Er wandte sich in den Tagen Seines Fleisches vielmehr mit den Worten an Gott: „Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich“, und Er konnte immer sagen: „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt; weil Er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken“ (Ps. 16, 1. 8).
Seine Augen waren also stets auf Jehova gerichtet, um sich von Ihm leiten und bewahren zu lassen. Ebenso war Sein Ohr stets geöffnet für die Stimme Gottes; wie wir lesen: „Er weckt jeden Morgen, Er weckt mir das Ohr, damit ich höre gleich solchen, die belehrt werden" (Jes. 50, 4). Und nicht nur das, Er bewahrte auch das Wort Gottes tief in Seinem Innern, so dass von Ihm in Wahrheit gesagt werden kann: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und sie sind mir zur Freude und Wonne meines Herzens gewesen“ (Jer. 15, 16). Das Wort Gottes war das Licht für Seinen Weg, die einzige Richtschnur Seines Lebens. Er verwirklichte, was geschrieben steht: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes hervorgeht“ (Vergl. 5. Mose 8, 3). Das Wort war auch Seine Waffe den Feinden gegenüber. In Bezug hierauf hören wir Ihn sagen: Ich habe mich bewahrt durch das Wort deiner Lippen vor den Wegen des Gewalttätigen“ (Ps. 17, 4)- Und indem Er so die Worte tief in Seinem Innern bewahrte, hatten sie auch allzumal Bestand auf Seinen Lippen (Sprüche 22, 18). Immer wieder sagte Er: „Es steht geschrieben“. „Habt ihr nie in den Schriften gelesen?“ (Matth. 21, 42). „Habt ihr nicht in dem Gesetz gelesen?“ (Matth. 12, 5.) „Was steht im Gesetz geschrieben? wie liesest du?“ (Luk. 10, 26) u. s. w. Ja, „Holdseligkeit war ausgegossen über Seine Lippen“ (Ps. 45, 2). Petrus bezeugte: „Du hast Worte des ewigen Lebens“, und „Maria setzte sich zu Seinen Füßen, um Seinen Worten zuzuhören“; selbst Seine Feinde bekannten: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Joh. 7, 46)- Für den Freund wie für den Feind hatte Er allezeit das rechte Wort. 
„Ein Mann hat Freude an der Antwort seines Mundes, und ein Wort zu seiner Zeit, wie gut!“ (Spr. 15, 23).
Als der abhängige Mensch war Jesus auch zu jeder Zeit ein Mann des Gebets. In Ps. 109, 4 wird von Ihm gesagt: „Ich aber bin stets im Gebet“. Lesen wir dann die Evangelien, so finden wir Ihn sowohl des Morgens früh (Mark. 1, 35), als auch des Abends (Matth. 14, 23), ja, selbst die ganze Nacht hindurch im Gebet (Luk. 6, 12). 
So schritt Er denn zur Verherrlichung Seines Gottes und Vaters durch diese böse und gottlose Welt, geleitet von dem Heiligen Geist, mit dem Er gesalbt worden war, den Menschen gegenüber segnend und wohltuend, Gott gegenüber gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze. „Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil. 2, 9 —11). 
So war Sein Weg, und wir sind gebracht zum Gehorsam Jesu Christi (1. Petr. 1, 2), d. h. wir sind fähig gemacht, in den Fußstapfen Jesu zu wandeln. Wir sind durch Seine Gnade auf denselben Pfad der Gerechtigkeit gestellt, um gleich Ihm zu bezeugen, dass wir nicht von dieser Welt sind. Dieselben Mittel, welche Jesu zur Bewahrung dienten, stehen auch uns zur Verfügung. Gott ist da für uns, das Wort ist da, und der Heilige Geist ist da, der uns als Führer auf diesem gesegneten Pfade gegeben ist. Endlich ist auch das Gebet da, und wenn wir fleißig davon Gebrauch machen, so Vermag Gott uns ohne Straucheln zu bewahren und uns vor Seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen mit Frohlocken (Jud. 24). 
Gott ließ den aus Bube! zurückgekehrten Juden durch den Propheten Haggai sagen: „Ich bin mit euch, spricht Jehova der Heerscharen. Das Wort, welches ich mit euch eingegangen bin, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist bestehen in eurer Mitte; fürchtet euch nicht“ (Hagg. 2, 4. 5.) Dieser Überrest aus Israel besaß also in den Tagen kleiner Kraft: Gott, das Wort und den Geist. Der Apostel Paulus sagte den Ältesten von Ephesus, dass der Heilige Geist sie als Aufseher gesetzt habe, und befahl sie dann Gott und dem Worte Seiner Gnade, „welches vermag aufzuerbauen und euch ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten“ (Apstgsch. 20). Dieselben Hilfsquellen sind auch für uns da in den Tagen kleiner Kraft, und sie werden uns bleiben, so lange wir auf dem Pfade der Absonderung zu wandeln begehren. Petrus schreibt: „Seid begierig nach der vernünftigen und unverfälschten Milch, auf dass ihr durch dieselbe wachset zur Errettung“ (1. Petr. 2, 2). Diese Milch ist das Wort, auf welches unsere Ohren und Augen gerichtet sein sollen (Spr. 4, 20. 21). Der Herr Jesus sagt: „Sehet nun zu, wie ihr höret“ (Luk. 8, 18). Und in Nehemia 8, 3 lesen wir: „Die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet“. Sehr wichtig ist es auch, das Wort genau und deutlich zu lesen, wie jene es taten, von denen wir eben hörten, dass ihre „Ohren auf das Buch des Gesetzes gerichtet waren“. „Sie lasen auch in dem Buche, in dem Gesetz Gottes, deutlich“. Ferner müssen wir das Gehörte oder Gelesene tief in unserem Innern bewahren. „Glückselig die das Wort Gottes hören und bewahren!“ (Luk. 11, 28)- Nur so vermag das Wort das Herz zu befestigen und seine reinigende Kraft auf dasselbe auszuüben. Redet dann der Mund aus dieser Fülle, so redet er Weisheit. (Ps. 37, 30; 49, 3.) Die Worte werden „in Gnade, mit Salz gewürzt“ sein (Kol. 4, 6). Das Auge ist einfältig, indem es nur auf Christum blickt. Durch das Wort in die unmittelbare Gegenwart Gottes selbst gebracht, der Licht ist, wird auch der ganze Leib licht sein (Matth. 6, 22). Das Leben „erfreut sich des Lichts“ (Hiob 33, 28). Licht strahlt über unseren Wegen (Hiob 22, 28). Wir ebnen die Bahn unseres Fußes, und alle unsere Wege sind gerade; wir biegen nicht ab, weder zur Rechten noch zur Linken, und wenden unseren Fuß ab vom Bösen (Spr. 4, 26. 27). „Der Pfad des Gerechten ist gerade, du bahnest gerade den Weg des Gerechten“ (Jes. 26, 7.) Auch David redet davon: „Der Mund des Gerechten spricht Weisheit aus, und seine Zunge redet das Recht; das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen, seine Schritte werden nicht wanken“ (Ps. 37, 30. 31). Wenn wir das Wort Gottes so benutzen, verstehen und erfahren wir erst, welch ein Schatz von unendlichem Wert uns von Gott in die Hand gegeben ist, und welch ein Segen aus dem Hören, Lesen und Bewahren desselben ruht. 
Außer dem Worte hat Gott uns Seinen Geist gegeben als Führer aus dem Pfade. Wie nun dem Volke Israel einst gesagt wurde: „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, um dich auf dem Wege zu bewahren und dich an den Ort zu bringen, den ich bereitet habe. Hüte dich vor ihm und höre auf seine Stimme und reize ihn nicht, denn er wird eure Übertretungen nicht vergeben, denn mein Name ist in ihm“ (2. Mose 23, 20. 21), so werden auch wir ermahnt, unseren Führer nicht zu betrüben (Eph. 4, 30). Wir sollen im Gegenteil „mit dem Geiste erfüllt sein“ (Eph. 5, 18). Ist letzteres der Fall, dann werden wir dieselben Erfahrungen machen wie Stephanus, der Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, dessen Geist und Weisheit die Ungläubigen nicht zu widerstehen vermochten. Der Heilige Geist richtete seinen Blick auf Jesum, den verherrlichten Menschensohn zur Rechten Gottes, und erfüllte so sein ganzes Herz mit der Gesinnung Jesu. „Niederkniend rief er mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ (Apstgsch. 7, 60; vergl. Luk. 23, 34). 
Es ist der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit, der uns geschenkt ist (2. Timotheus 1, 7). Er gibt uns Kraft dem Widerstand der Welt gegenüber, macht uns überströmend in der Liebe und lässt uns mit Besonnenheit auf dem Pfade der Absonderung vor Gott wandeln. Und indem wir so wachsam und nüchtern sind, machen wir. alle Dinge zum Gegenstand des Gebets; mag es sich handeln um das Werk des Herrn, um die Fürbitte füreinander oder für die Unbekehrten, oder mögen unsere eigenen Angelegenheiten uns beschäftigen, überall und zu jeder Zeit finden wir Gelegenheit, im Gebet vor Gott zu verharren. Durch die Kraft des Heiligen Geistes und durch das Gebet wird unserem Leben dann die rechte Weihe vor Gott und die wahre Bedeutung den Menschen gegenüber gegeben. 
Der Herr schenke uns, dass wir so unseren Weg gehen von Kraft zu Kraft (Ps. 84), von Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte wird aus Glauben leben«, bis wir alle das Ziel erreichen, wo wir vom Glauben zum Schauen gelangen werden! 
Ach! nur mit tiefem Schmerz können wir uns an solche erinnern, die einst glücklichen Herzens mit uns diesen Pfad wandelten, nun aber, durch Betrug der Sünde und durch die List des Feindes verführt, von diesem Pfade abgewichen sind. Sie haben wie Demas den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen, haben, was den Glauben betrifft, Schiffbruch gelitten und sich so mit vielen Schmerzen durchbohrt. Lasst uns ihrer mehr im Gebet vor Ihm gedenken, damit sie wieder frei werden von den Ketten, mit denen sie gebunden sind! 
Fühlst du, teurer Leser, dich selbst aber durch diese Zeilen verurteilt, hast du weltliche und ungöttliche Dinge in deinem Herzen genährt, und ist Gefahr vorhanden, dass vielleicht binnen kurzem auch deine Füße auf dem Wege der Welt und der Sünde stehen möchten, so lass dir im Namen des Herrn ein ernstes „Halt!“ zurufen! Nur bitteres Weh und unsäglichen Schmerz wirst du dir auf diesem Wege bereiten. „Viele werden der Schmerzen derer sein, die einem anderen nacheilen“ (Ps. 16). Und wie betrübst du das Herz des Herrn und bringst Schmach und Schande auf Seinen Namen!
O wie töricht ist es, um augenblicklicher fleischlicher Genüsse willen das Erstgeburtsrecht zu verkaufen, wie Esau es tat, d. h. seine hohen göttlichen Vorrechte preiszugeben und so des Segens, welchen der Herr für uns bestimmt hat, verlustig zu gehen!

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Was dünkt euch über den Christus?

Bibelstelle: Matthäus 22,42

Botschafter des Heils 1910 S. 167ff

Wer war es doch, der vor Beginn der Zeiten
die Macht und Weisheit Gottes hat enthüllt
und der, im Brennpunkt aller Herrlichkeiten,
das Vaterherz mit Wonne hat erfüllt?
Kennst du Ihn wohl? – Sein Name ist fürwahr
geheimnisvoll. Er heißet: Wunderbar.                         Jesaja 9,6

Wer war es doch, auf dessen Wort: Es werde!
das große, weite Weltenall entstand?
Dass sichtbar ward der Himmel und die Erde
samt allem, was ihnen wird genannt?
Kennst du Ihn wohl? – Es bringt der Engel Schar
Ihm stets Anbetung, der da ist und war.                     Offenbarung 4,6-8

Wer war es doch, der einst das Schilfsmeer teilte
und Jakobs Kindern Seine Rettung wies?
Der in der Wolke treu bei Ihnen weilte,
sie in der Wüste Manna essen ließ?
Kennst du Ihn wohl?  - Auf die Geschlechter hin
ist Er der Herr, Er, der da spricht: Ich bin.                    2.Mose 3,14

Wer war es, der im Stalle arm geboren
und der doch Sohn des Höchsten ward genannt?
Der eigens kam, zu retten, was verloren,
zu lösen, was der Satan hier gebannt?
Kennst du Ihn wohl? – Heißt Er nicht Jesu Christ,
Er, der die Wahrheit, Weg und Leben ist?                     (Johannes 14,6)

Wer war es, den die Welt nur hasste, höhnte,
den sie verwarf und an das Fluchholz schlug?
Der stille duldend uns mit Gott versöhnte
und alle Leiden williglich ertrug?
Kennst du Ihn wohl? – War Er nicht Gottes Lamm,
der für uns gab Sein Blut am Kreuzesstamm?                (1.Petrus 1,18-19)

Wer war`s, der Tod und Satan hat bezwungen?
Wer ward gekrönt mit Ehr und Herrlichkeit?
Das neue Lied, von Selgen dort gesungen,
gilt es nicht Ihm, der ewig sie befreit?
O kennst du Ihn? – Ist Er Derselbe nicht,
der Einst auch kommt auf Wolken zum Gericht?              (Matthäus 24,30)

Wer lässet Erd und Himmel einst vergehen?
Wer spricht: Ich mache alles, alles neu?
Was Er gesagt, gewisslich wird`s geschehen;
Er ist der Herr, genannt auf ewig: „Treu“
Ja heut und gestern und auf immerdar,
sei Ehre Ihm, des Name: „Wunderbar“                              (Römer 9,5; 1.Timotheus 1,17)

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Die letzten Worte Davids

Bibelstelle: 2. Samuel 22 und 23, 1 - 7

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 169ff

Es besteht ein bemerkenswerter Gegensatz« zwischen den beiden in 2. Samuel 22 und 23 durch den Geist Gottes zusammengestellten Gesängen: dem Gesang Davids, nachdem er mit seinen Feinden zu Ende gekommen war (das ist nach seinen Prüfungen durch Saul), und seinem Gesang, nachdem er mit sich selbst fertig geworden ist.
Wenn er am Ende jener Prüfungen auf seine Feinde zurückblickt, so singt er voller Freude und Triumph: alles ist Erhebung. — Wenn er aber die Segnung genossen hat, so heißt es: „obwohl mein Haus nicht also ist bei Gott“. Das Ende aller Trübsale und Prüfungen in Verbindung mit Saul ist Freude, Erhebung und Stärke. „Es umfingen mich die Wogen des Todes, und die Ströme Belials erschreckten mich; die Bande des Scheols umringten mich, es ereilten mich die Fallstricke des Todes“. Und doch war das Ergebnis von allem, wodurch er so in tiefer und bitterer Seelenübung schritt, Triumph, Danksagung und Verherrlichung, während in dem zweiten Falle tiefer und bitterer Schmerz zum Ausdruck kommt: der Ehrenplatz, die Segnung und der Triumph, die ihm zuteil geworden sind, rufen das Bekenntnis hervor: „Mein Haus ist nicht also bei Gott“. Nicht dass er bei diesem allen ohne eine Stütze gewesen wäre, die sein Herz aufrecht zu halten vermocht hätte; er hatte diese Stütze, denn er fügt hinzu: „doch hat Er mir einen ewigen Bund gesetzt, geordnet in allem und verwahrt“. Und darauf wartete er, bis der „Morgen ohne Wolken“ kommen würde. Aber doch ist das Ende all seiner Segnung hier: „Mein Haus ist nicht also bei Gott“. 
Dieser Gegensatz macht Mühe und Beschwerde kostbar und stellt sich dem so begreiflichen Wunsch, von
Prüfungen verschont zu bleiben, entgegen. 
Wir machen in praktischer Beziehung dieselben Erfahrungen wie David. Erfolg ist immer gefährlich. Wir haben deshalb nötig, vor den Wirkungen desselben auf unserer Hut zu sein. Der Druck der Umstände, der mich niederhält, bewirkt nichts als Freude und Lob in der Erfahrung der Güte Gottes; die Wirkung der Umstände, die mich erheben, ist Schmerz. Wie oft ist ein Heiliger, der im Bewusstsein seiner Schwachheit
in der Prüfung zum Herrn schrie und als ein treuer Knecht aufrecht gehalten wurde, ein Segen für andere geworden und hat Einfluss, göttlichen Einfluss erlangt; wie oft hat aber auch ein solcher, zufrieden mit dem Segen und dem Einfluss, der ihm so zuteil geworden war, das Gefühl seiner Schwachheit verloren, hat plötzlich in seinem Lauf eingehalten, ist auf dem Punkte des erlangten Einflusses stehen geblieben und so nach und nach verhältnismäßig unnütz geworden! Das sollte in uns allen den Wunsch erwecken, Jesu auch im Leiden gleichförmiger zu werden. Der Pfad der Gnade ist, dem Vater immer näher und näher zu kommen, aber hier auf Erden zu nichts zu werden. 
Drei Dinge werden uns in diesen Kapiteln in besonderer Weise vor Augen gestellt; eines von ihnen soll uns eine ernste Warnung erteilen. Diese drei sind:
1. das Ergebnis der Prüfungen Davids von seiten Sauls;
2. nach seiner Thronbesteigung die Folgen des Umstandes, dass er von allen irdischen Segnungen umgeben war;
3. das schließliche Frohlocken des „Lieblichen in Gesängen Israels“ im Vorgeschmack des kommenden
„Morgens ohne Wolken“.
Ehe wir in die nähere Betrachtung dieser drei Dinge eintreten, möchte ich fragen: Schauen wir, während das Herz die Warnung vor den Wirkungen des Erfolges und gegenwärtiger Segnungen dankbar annimmt, nach der bestimmten und vollkommenen Segnung aus, welche an jenem Tage erscheinen wird, an dem der Herr Jesus kommt? Ruhen wir darin? 
Wunderbar ist die Weise, wie der Geist Christi in diesen Kapiteln die Geschichte Israels zusammenfasst und aus den Saiten der Harfe Davids wiederklingen lässt. Es gibt vielIeicht nichts, was von größerem Interesse wäre, als die Art, wie Gott die Geschichte Davids in den Psalmen aufnimmt und die Geschichte des Herrn Jesu gleichsam auf die Tafeln des Herzens Davids schreibt. 
Der erste Gesang (Kap. 22) enthält eine ergreifende Anspielung auf die ganze Geschichte Israels, auf die
Wege Gottes mit diesem Volke, deren sittliche Kraft David in sich fühlte. Wohin wir schauen, vorwärts, rückwärts, rechts oder links, überall erblicken wir eine wunderbare Mannigfaltigkeit von Umständen, welche die Geschichte Davids und seine Triumphe zusammenfassen und zugleich das Mitgefühl Christi mit dem Herzen Davids im Leid offenbaren, bis er zum Haupte der Nationen gemacht wird, während sein Volk unter seiner Regierung gesegnet ist. 
Im 23. Kapitel finden wir „die letzten Worte Davids“. Sie zeigen uns, wo sein Auge und sein Herz ruhten inmitten des Bewusstseins von seinem eigenen Fehlen und dem seines Hauses. Er schaute aus nach dem „Morgen ohne Wolken“, nach dem Einen, der über die Menschen herrschen soll in der Furcht des Herrn, der Gottes Haus bauen, und in welchem die Herrlichkeit sich offenbaren wird. Auch um die Männer Belials zu beseitigen, muss einer kommen mit ernstem Gericht; dann werden sie allesamt „Wie Dornen sein, die man wegwirft“. Neben dem tiefen Bewusstsein von dem bereits eingetretenen Verfall erscheint also die Wirkung des kommenden Morgens, der seine Strahlen auf die Ruinen fallen lässt. Der Gedanke an die Ankunft des Sohnes Davids und der Blick auf den Verfall rund um ihn her führen David dahin, sich im Geiste nach dem vollen Triumph jenes Tages auszustrecken, wo alles Segen sein wird. 
Verfolgen wir jetzt ein wenig, was David bis dahin gewesen war. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Gott sich gern mit dem beschäftigt, was in den Augen der Menschen hoffnungslos erscheint. Denken wir nur an die Geschichte von Sara, Rebekka, Zacharias und Elisabeth. So ist es auch hier. In David stand alles in unmittelbarem Gegensatz zu den Gedanken des Fleisches. Vergleichen wir ihn mit Saul. Saul war der schönste Mann in Israel, er überragte alle um eines Hauptes Länge. „Höher als alles Volk von seiner Schulter an aufwärts“, war er das Bild fleischlicher Kraft. Aber Gott geht an dem allen vorüber, und der jüngste Sohn Isais, „der das Kleinvieh weidete“, wird angenommen. Saul ist untreu, wird als König verworfen, und Gott richtet Sein Auge auf David. 
Samuel geht durch den Geist der Prophezeiung (1. Sam. 16) nach Bethlehem hinab, um von den Söhnen Jsais einen auszuwählen, der König sein sollte an Sauls Statt. Er lässt sie alle an sich vorübergehen. Sieben kommen und gehen. Samuel fragt: „Sind das die Jünglinge alle?“ Nein, es ist noch einer da, aber
er weidet die Schafe. „Sende hin und lass ihn holen,“ lautet der Befehl des Mannes Gottes. David erscheint, und durch den Geist der Prophezeiung wird er als der Gesalbte Jehovas bezeichnet. Alles was in Isais Augen groß war, musste unbeachtet vorübergehen. Die sieben waren ansehnliche Männer, aber der Knabe, der „das Kleinvieh weidete“, der achte, der Schwache, erhielt den Vorzug.
Von jener Zeit an wich der Geist Gottes von Saul, und ein böser Geist kam über ihn. David wird in seine Gesellschaft gebracht als einer, der des Lautenspiels kundig ist; aber er findet keine Beachtung. Wenn er nachher den Riesen Goliath getötet hat, und Saul fragt: „Wessen Sohn ist doch der Jüngling, Abner?“ so antwortet dieser: „So wahr deine Seele lebt, o König, ich weiß es nicht!“ Auch seine Brüder fragen ihn: „Wem hast du jene wenigen Schafe in der Wüste überlassen?“ Das ist David nach dem Urteil des Menschen. Aber welche Züge finden wir bei ihm? Ein tiefes Bewusstsein von dem Besitz der Kraft Gottes, und ein Sich-selbst-Vergessen in all den Schwierigkeiten, die sich ihm auf dem Wege der Pflicht entgegenstellen. David weidet seines Vaters Schafe. Da kommt ein Löwe und ein Bär, um ein Lamm der Herde zu rauben. Es ist seine Aufgabe, die Schafe zu hüten, und so tritt er ohne Zaudern dem Löwen und dem Bär entgegen und erschlägt sie. Diese mächtigen Werke werden aus einfachem Pflichtgefühl getan. Schwierigkeiten sind gleich Null. 
Es ist der Glaube, den wir hier in Tätigkeit sehen. Der Glaube erkennt Gott und die Pflicht Ihm gegenüber an; damit wird jedes Ding zu etwas Selbstverständlichem. Einen Stein aufzuheben, erfordert die ganze Kraft eines Kindes; nimm einen starken Mann, und die Sache ist ohne Mühe getan. Der Glaube setzt die Stärke Gottes in Wirklichkeit um, ohne auf sich selbst zu rechnen, und so führt er das, was ihm auf dem Wege begegnet, aus und hält nichts davon. 
David empfängt auf dem Pfade der Pflicht das Bewusstsein, dass Gottes Stärke mit ihm ist, zur Benutzung in späteren Proben. Das Geheimnis der Kraft, das er so in stiller Zurückgezogenheit erwirbt, bereitet ihn auf das vor, was der Herr in der Folge für ihn zu tun hat.
Obwohl als König verworfen, war die Laufbahn Sauls immer noch gesegnet; wir lesen von ihm: „Überall, wohin er sich wandte, übte er Strafe“ (1. Sam. 14, 47). Trotz Sauls Selbstsucht und Bosheit empfing Israel Segnung durch ihn. Im Geheimen aber hatte der Herr Sein Auge schon auf David gerichtet. Die Philister versammeln sich zum Streit wider Israel. (Kap. 17.) David geht, von seinem Vater gesandt, mit Mundvorräten für seine Brüder ins Lager und hört dort, wie Goliath Israel schmäht. Nachdem er auf dem einfachen Pfade der Pflicht, wandelnd mit dem Gott Israels, als kein Menschenauge ihn beobachtete, die Treue Gottes erfahren hat, ist er jetzt, wenn er das Volk Gottes besucht und Goliath ihnen gegenüber sieht, erstaunt, alle in Furcht zu finden, und fragt: „Wer ist dieser Philister, dieser Unbeschnittene, dass er die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt?“ Was? ein unbeschnittener Philister wagt es, die Schlachtreihen Israels, des Volkes Gottes, zu verhöhnen? 
Sein Bruder Eliab legt ihm für sein Kommen ins Lager schlechte Beweggründe zur Last. Aber in David findet sich eine solche Einfalt des Herzens in dem Erkennen Gottes, dass der Pfad der Pflicht klar vor ihm liegt und in Kraft von ihm betreten wird. Ob er als Hirt, dessen Aufgabe es war, die Schafe zu hüten, den Löwen, der zum Raub nahte, bei seinem Barte ergriff und erschlug, und den Bären gleicherweise, ohne damit zu prunken und sich zu rühmen, — es waren einfache Taten der Pflicht, die man nicht erzählt, bis eine Gelegenheit es notwendig macht, — oder ob er jetzt mit diesem unbeschnittenen Philister stritt, es war genau dasselbe: „er soll sein wie einer von ihnen, weil er die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt hat“. In der Tatkraft des Glaubens geht er voran. Er schaut nicht nach Israel aus um Hilfe, er denkt nicht an den Speer, dessen Schaft wie ein Weberbaum war, und will auch nicht in der Rüstung Sauls dem Feinde entgegentreten. Sollte dieser unbeschnittene Philister den Gott Israels höhnen? Darum allein handelte es sich, und so sagt David: „An diesem Tage wird dich Jehova in meine Hand überliefern“. Sein Herz ist mit Israel, und er greift die Beziehungen Gottes zu Israel auf. Mochte auch die Übung des Glaubens in jenem Augenblick Sache eines Einzigen sein, dennoch war „der Streit Jehovas“. Die Herrlichkeit Gottes und Israel waren für David eins, und so konnte der „Philister, der Unbeschnittene“, überhaupt keine Macht haben. Mit der Schleuder und einem Stein aus dem Bache schmettert er ihn zu Boden und haut ihm mit seinem eigenen Schwerte den Kopf ab. Geradeso ist von Jesu gesagt, dass Er durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes, diese furchtbare Waffe, hatte. 
Davids Herz ruhte auf der Treue des Gottes der Gläubigen. Das war das Geheimnis seiner Stärke, das er in der Stille gelernt hatte, um dann in allen Umständen danach zu handeln. Und das ist es, was den Glauben stets kennzeichnet. Der Glaube bringt, wenn er in Tätigkeit tritt, Gott hinein, lässt Gott alles sein und die Umstände nichts. Ob Löwe oder Bär, oder ein unbeschnittener Philister, es ist ganz gleich. Das Geheimnis der Stärke Gottes, das man in der Einsamkeit kennen lernt, lässt dem Glauben alle Umstände als gleichbedeutend erscheinen, indem er Gott zu dem großen Umstand macht, der alles andere beherrscht. 
Und nun beginnen die Weiber zu singen: „Saul hat seine Tausende erschlagen, und David seine Zehntausende“. Damit wird David der Gegenstand des Hasses Sauls. „Und Saul sah scheel auf David von
selbigem Tage an und hinfort.“ 
In der Folge finden wir bei David, wenn er sich in der Mitte mächtiger Feinde befindet, das Bewusstsein seiner Schwachheit und Ohnmacht, verbunden mit dem Fehlen jeglichen Rachegelüstes Saul gegenüber. Er tut keinen einzigen Schritt, ohne Gott zu befragen; nur in einem Falle weicht er von dieser Regel ab, und dann wird er dafür gezüchtigt. Alles ist gegen ihn. Er ist sich bewusst, dass er in der Mitte listiger Feinde weilt und mit einer Macht zu kämpfen hat, die er nicht beseitigen kann. Saul trachtet ihm nach dem Leben (Kap. 18, 10. 11), aber er hat kein Recht, die Macht Sauls zu brechen. *) Er kann sich des Feindes nicht entledigen, und deshalb ist er gezwungen, den Herrn für jeden Tritt, den er tut, um Seine Leitung zu bitten. 
Genau so ist es heute mit uns. Was wir bedürfen, ist das Bewusstsein, dass wir mit einer Macht zu kämpfen haben, die wir nicht beseitigen können, verbunden mit dem Gefühl unserer gänzlichen Schwachheit, so dass wir dadurch in allen Umständen unmittelbar zu Gott getrieben und für jeden Schritt in Abhängigkeit von Ihm gebracht werden.
Schließlich vertreibt Saul den verhassten Mann völlig; David wird geächtet. Alles das war notwendig zur Übung seines Glaubens; und David wurde dadurch geübt, indem er auf den Herrn harrte: „In meiner Bedrängnis rief ich zu Jehova, und ich rief zu meinem Gott.“ 
Er entrinnt in die Höhle Adullam (1. Sam. 22), wird von allem abgesondert, was Gott im Begriff ist zu richten, und sammelt seine Helden um sich. 178
Welch ein Schauspiel entrollt sich vor unseren Blicken! „Jeder Bedrängte, und jeder, der einen Gläubiger hatte, und jeder, der erbitterten Gemütes war,“ versammelt sich zu David in die Höhle Adullam; aber bei diesen Geächteten finden wir Gottes Propheten,**) Gottes Priester und Gottes König: alles, was Gott wirklich anerkannte, war da.
Auch in dem weiteren Verlauf seiner Geschichte bleibt David in beständiger Abhängigkeit von der Stärke Gottes, indem er sich nicht selbst rächt, sondern immer Saul verschont, wenn dieser in seine Gewalt gerät. (Vergl. Kap. 24 und 26.) So groß ist seine beständige Abhängigkeit von Gottes Kraft, dass er selbst in dem Augenblick, wenn er sich angesichts der Macht der Gottlosigkeit befindet, die Unwürdigkeit seiner Person bekennt, zugleich aber den Platz des Vorrangs einnimmt, gerade so wie Jakob bei der Erzählung all des Jammers seiner Fremdlingschaft hienieden den Pharao segnet. Jener arme David hatte um Sauls willen ein elendes, drangsalsvolles Leben geführt. Aber wenn Abisai sagt: „Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand geliefert“, antwortet er: „Jehova lasse es fern von mir sein, dass ich meine Hand gegen den Gesalbten Jehovas ausstrecke!“ Und ein anderes Mal, als er mit Saul rechtet, sagt er: „Jehova richte zwischen mir und dir, und Jehova räche mich an dir; aber meine Hand soll nicht wider dich sein . . . Jehova verschaffe mir Recht aus deiner Hand!“ Er handelte wie der Herr, „der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern sich Dem übergab, der recht richtet“ (1. Petr. 2, 23).
Zu gleichem Verhalten ist die Kirche berufen inmitten der Feinde, die sie nicht beseitigen kann. Wenn wir nach Gottes Verherrlichung streben, haben wir nicht nötig, uns selbst zu rechtfertigen. Bitten mag .am Platze sein, („gelästert, bitten wir“) aber niemals eine stolze Selbstverteidigung. Petrus sagt: „Wenn ihr ausharret, indem ihr Gutes tut und leidet, das ist wohlgefällig bei Gott“. Das ist ein seltsamer Grundsatz, nur nicht für den Glauben. Als ein Gläubiger kann ich, so lange der falsche König in Würden ist, mein Teil nicht besitzen, (gerade so wie David den Gesalbten Jehovas nicht antasten durfte); es kommt „ein Morgen ohne Wolken“, und dann, wenn der wahre König eingesetzt sein wird, werde ich es besitzen. Jetzt heißt es: ausharren, indem wir Gutes tun und leiden, gerade so wie der Herr Jesus es tat, aber mit diesem Trost, dass es „wohlgefälIig bei Gott ist“. 

Fußnote:
*) Es war eine rechtmäßige Macht, denn Gott hatte Saul als König eingesetzt, wenn sie auch nicht in rechtmäßiger Weise gebraucht wurde.
**) Saul erschlug die Priester, aber Abjathar, einer der Söhne Abimelechs, entrann und floh zu David; und im 5.Verse finden wir Gad, den Propheten des Herrn, als ebenfalls anwesend erwähnt.

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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 179ff

Das Kreuz hat es für Gott möglich gemacht, uns zu segnen in vollkommener Übereinstimmung mit allem, was Er ist und sein will, und trotz allein, was wir sind und nach Seinem Worte nur sein können.

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Jetzt und dann

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 180ff 

Würden die Grundsätze des Reiches heute herrschen, so wären keine Gerichtshöfe nötig; denn wenn niemandem unrecht geschieht, braucht auch kein Unrecht geahndet zu werden. Nun ist aber der Christ gebunden, sich durch diese Grundsätze leiten zu lassen und sie auch im Leben zur Ausübung zu bringen; ja, in demselben Maße wie er vergisst, jene Grundsätze zu verwirklichen, raubt er seiner eigenen Seele den Segen und schadet seinem Zeugnis. Wenn ich bekenne, durch Gnade errettet zu sein, sollte ich dann mit meinem Nächsten nach Gerechtigkeit handeln? Oder wenn mir zehntausend Talente geschenkt sind, sollte ich dann meinen Mitknecht um armseliger hundert Denare willen ergreifen und würgen? (Matth. 18, 28.) Wenn der Leser zugibt, dass im Reiche Gottes keine Gerichtshöfe nötig sind, so möchte ich ihm mit allem Ernst die Frage vorlegen, ob er, als Untertan dieses Reiches, recht daran tut, mit einem anderen vor Gericht zu gehen? Vielleicht wird er manchen Verlust erleiden, wenn er die Grundsätze des Reiches zur Anwendung bringt; aber auch nur der ist „des Reiches würdig“, welcher bereit ist, „für dasselbe zu leiden“. Wenn die Kinder dieses Zeitlaufs vor Gericht gehen, so handeln sie ihrer Natur und ihrem Charakter gemäß; aber ein Christ sollte nie vergessen, dass nicht die gegenwärtigen Dinge ihn leiten sollten, sondern die ewigen, und dass er einem Reiche angehört, dessen König verworfen ist, so dass die Untertanen dieses Königs berufen sind, zu leiden. Will der Christ jetzt richten, so tut er, als wenn die Zeit des Tausendjährigen Reiches und der Herrschaft seines Herrn und Meisters schon da wäre. Er ist berufen, sich übervorteilen zu lassen, Unrecht und Ungerechtigkeit zu leiden; weigert er sich dessen, so leugnet er die Wahrheit von dem Reiche, dem er angehört, oder schätzt doch dessen Grundsätze gering.
Ein Christ sollte also in allem durch diese Grundsätze geleitet werden. Wenn er ein Geschäft treibt, so sollte er es tun als ein Kind Gottes und als ein Knecht Christi. Er sollte nicht am Sonntag eine christliche und am Montag eine weltliche Gesinnung offenbaren. In der Werkstatt, im Laden, im Kontor — überall sollte ihn das Bewusstsein der Gegenwart des Herrn erfüllen. Es ist sein Vorrecht, in all seinen Geschäften von Gott abhängig zu sein; deshalb muss das Geschäft von solcher Natur sein und nach solchen Grundsätzen geleitet werden, dass Gott es als das Seinige anerkennen kann. Wenn ein Christ sagt: Ich muss mein Geschäft betreiben, wie die Menschen im allgemeinen es tun, sonst kann ich nicht bestehen, so verlässt er den wahren christlichen Boden und verliert sich in dem Strom der Überlegungen und Gedanken der Welt. Wenn er z. B. (um nur eins zu nennen) zu marktschreierischen Ankündigungen an den Anschlagsäulen oder zu auffallenden Empfehlungen seiner Waren. in den Tagesblättern seine Zuflucht nimmt, so steht er gewiss nicht mehr in der einfältigen Abhängigkeit von. Gott, sondern handelt nach den Grundsätzen der Welt. 
Aber, werden etliche einwenden, wie soll ich denn mein Geschäft treiben? Die Zeiten werden für den Geschäftsmann immer schwieriger, der Wettbewerb wird immer ernster u. s. w. Es ist gewiss so, und jeder, der ein wenig die vielen Schwierigkeiten der Geschäftsleute unserer Tage kennt, wird mit Teilnahme an sie denken; aber wir dürfen deshalb doch nicht die alten Grenzsteine verrücken und die stets sich gleich bleibenden göttlichen Grundsätze verändern oder verlassen. Ich möchte, um den Kern der Sache zu treffen, die oben gestellte Frage mit einer Gegenfrage beantworten. Sie lautet: Zu welchem Zweck betreibst du dein Geschäft? Ist es, um Nahrung und Kleidung zu haben, oder um Schätze zu sammeln und ein reicher, angesehener Mann zu werden? Jm ersten Falle kannst du darauf vertrauen, das; Gott Seine Verheißung wahr machen wird; du brauchst nur nach Seiner Vorschrift zu handeln und von Ihm allein abhängig zu bleiben. Der Glaube stellt uns auch in den Geschäften auf einen Boden, der von dem der Kinder dieser Welt ganz und gar verschieden ist: und wenn ein Christ sein Geschäft als Christ treibt, wird er ein gutes Zeugnis sein und für seine eigene Seele Segen ernten.
Nun könnte jemand sagen, es heiße die Kirche oder Gemeinde Gottes von ihrer hohen Stellung herabziehen, wenn man ihr die Grundsätze des Reiches aufzuprägen suche. Aber das ist keineswegs der Fall. Wir gehören heute der Gemeinde (Versammlung) an, aber wir befinden uns in dem Reiche. Obgleich beide Begriffe nicht miteinander verwechselt werden dürfen, wird doch jeder zugeben, dass der Zustand, das Leben und der Wandel der Versammlung Gottes nicht unter den Ansprüchen stehen darf, welche an Angehörige des Reiches gestellt werden. Ist es nicht im Einklang mit den Grundsätzen des Reiches, wenn ich meine Rechte vor den Kindern und den Gerichtshöfen dieser Welt geltend mache, so steht es (wenn das überhaupt möglich ist) noch mehr in Widerspruch mit den Grundsätzen und dem Geist der Versammlung. Das kann keinem Zweifel unterliegen; denn je höher meine Stellung und meine Vorrechte sind, desto höher und himmlischer sollten auch mein Charakter und Wandel sein. Ich glaube völlig, dass die Versammlung in ihrem ganzen Leben und Wandel zu beweisen hat, dass sie der Leib und die Braut Christi ist, die, kraft ihrer Vereinigung mit Christo, die himmlische Herrlichkeit erwartet; aber ich kann nicht begreifen, dass ich als Glied dieses so hoch bevorzugten Leibes in meinem Wandel weniger eifrig sein sollte, als ein Kind des Reiches. Ich gehöre dem Leibe eines verworfenen Hauptes an, jenes dem Reiche eines verworfenen Königs. Sollten Verhalten und Wandel bei mir weniger Bedeutung und Wichtigkeit haben als bei jenem? 
Unmöglich! Je inniger meine Gemeinschaft mit Ihm, dem Verworfenen, ist, desto entschiedener sollte ich auch von alledem getrennt sein, was Ihn verworfen hat. Was uns hierbei nottut, und ganz besonders in der gegenwärtigen Zeit nottut, ist ein zartes, aufrichtiges Gewissen, welches sich darin übt, treu und genau den Belehrungen Gottes in Seinem heiligen Wort zu folgen. Wir bedürfen der- Gnade, der Energie und der heiligen Entschiedenheit des Herzens, um die Grundsätze, welche unseren Wandel kennzeichnen sollen, um jeden Preis zu befolgen. Es kann vorkommen, dass jemand mit dem Munde Wahrheiten bekennt, die das, was er sich im Geheimen oder öffentlich erlaubt, unmittelbar verwerfen und verurteilen. Man kann z. B. viel von Gnade reden und dabei mit unbeugsamer Entschlossenheit sein Recht verteidigen. Ja, man hört zuweilen aus einem Munde kostbare Belehrungen über die Grundsätze der Gnade und des Vergebens und sieht den Sprecher nicht lange nachher seinen Vorteil rücksichtslos wahrnehmen, vielleicht gar auf Jahre hinaus einen schweren Druck auf seinen Bruder oder Nächsten legen. Ich glaube, mancher Gläubige würde erschrecken, wenn er die Verwünschungen hören könnte, die infolge seines Verhaltens Über ihn ausgesprochen werden. 
Niemand denke, dass diese Worte zu hart seien. Vergessen wir auch nicht, dass es infolge des Mangels
an Gewissenhaftigkeit und geistlichem Gefühl bei vielen von uns nötig ist, ganz deutlich zu reden. Es geht
uns zuweilen wie dem König David: so lange wir in dem uns vorgeführten Bilde uns nicht selbst erkennen,
können wir uns nicht genug tun in Äußerungen des Unwillens und der Missbilligung über das Geschehene; und es wäre auch oft ein Nathan nötig, der uns zuriefe: „Du bist der Mann“. 
Aber ist es denn ungerecht, das Seinige zu suchen und sich der Rechtsmittel zu bedienen, die uns dafür zu Gebote stehen? Nein; eine solche Behauptung stände im Widerspruch mit dem Worte Gottes. Der Knecht in Matthäus 18 wird ein „böser Knecht“ genannt und wird den „Peinigern überliefert“, nicht weil er ungerecht gehandelt hatte, indem er auf der Rückerstattung einer Schuld bestand, sondern weil er, dem so viel Gnade zu teil geworden war, nicht -nach Gnade gehandelt und die Schuld erlassen hatte. Ein Mensch, welcher nicht nach Gnade handelt, wird allmählich das Gefühl, was Gnade ist, verlieren, und wer es versäumt, nach den Grundsätzen des Reiches zu handeln, wird sehr bald die Freude an diesen Grundsätzen einbüßen. Wie nötig war es deshalb, dass der Herr Jesus warnend zu Seinen Jüngern sagte: „Sehet zu und hütet euch vor aller Habsucht, denn nicht weil jemand Überfluss hat, besteht sein Leben von seiner Habe“ (V.15). 
Wie schwer ist es, diese ,,Habsucht« richtig zu beschreiben, wie schwer, diese Wurzel alles Bösen in ihren verschiedenen Gestaltungen und Schattierungen vor Augen zu stellen! Man findet sie, wie jemand vom „Weltsinn“ gesagt hat, in allen Abstufungen, „vom Weißlichen bis zum Kohlschwarzen“; und nur dann, wenn wir von einer himmlischen Gesinnung erfüllt sind und von Ewigkeitsgrundsätzen geleitet werden, find wir fähig, diesem bösen Übel und seinen Ausgängen und Wirkungen auf den Grund zu gehen. Die Habsucht ist vielfach auch die Quelle der Heuchelei. So war es bei den Pharisäern, und so kann es bei uns sein. In Luk. 16, 14 lesen wir: ,,Dies alles hörten aber auch die Pharisäer, welche geldliebend waren, und sie verhöhnten Ihn“. Ähnlich ergeht es denen, welche heute mit dem Übel der Habsucht behaftet sind. Sie suchen der Anwendung der Wahrheit auf ihr Gewissen auszuweichen, die Schneide des Wortes Gottes abzustumpfen. Sie bemühen sich, der Wahrheit eine solche Auslegung zu geben, dass sie ihnen nicht zu nahe kommt und ihr Gewissen nicht trifft. Auf diese Weise aber verlieren sie immer mehr das Gefühl für das, was lauter, gerecht und gut ist, und geraten unter die Macht und den Einfluss des Feindes. Es kann nicht anders sein: entweder werde ich durch die reinen Lehren des Wortes Gottes geleitet oder durch die unreinen Grundsätze der Welt, welche in der Werkstatt Satans bereitet werden.
In dem Gleichnis von dem reichen Manne, welches der Herr im Anschluss an Seine Warnung den Jüngern erzählt, trägt die Habsucht einen Charakterzug, den die Welt schätzt und gutheißt. Aber wie in diesem ganzen ernsten Kapitel, so sehen wir auch hier wieder den Unterschied zwischen jetzt und dann, zwischen Zeit und Ewigkeit. Alles hängt freilich von dem Gesichtspunkt ab, unter welchem wir Menschen und Dinge um uns her betrachten. Wenn wir sie nur im Lichte der Gegenwart anschauen, so ist es von großer Bedeutung für uns, ob wir in unseren Geschäften vorankommen, ob unsere Vermögensumstände sich bessern und wir einen Vorrat für die Zukunft sammeln können. Ja, wer heute so denkt und handelt, wird für verständig gehalten. Aber wie denkt Gott darüber? Schuldscheine, Sparkassenbücher, Banknoten, Versicherungsscheine aller Art, Rücklagen in den Banken u. s. w., alles das sind Dinge, die jetzt einen hohen Wert haben, aber wie wird es dann sein? Jetzt trachtet man eifrig danach und hält sie für überaus begehrenswert, dann werden sie weggeworfen werden. O geliebter Leser, möchten wir mehr die Dinge der Zeit im Lichte der Ewigkeit betrachten, die Dinge der Erde im Lichte des Himmels beurteilen! Das ist wahre Weisheit. Sie befreit das Herz von den Dingen, die unter der Sonne sind, und führt es in das Licht und unter den mächtigen Einfluss der unsichtbaren Welt, wo die Grundsätze des Reiches Gottes regieren. 
Es mag gut sein, hier auch ein Wort über die vielen. Versicherungen zu sagen, welche auf allen Gebieten des Handels und Wandels entstanden sind, und die oft mit so verführerischen Worten und überzeugenden
Gründen angepriesen werden, dass mancher Gläubige in die Gefahr gekommen ist, den Vorstellungen Gehör zu geben und sich und die Seinigen vor allen möglichen Gefahren und Schaden sicher zu stellen. Wenn die Kinder der Welt so handeln, kann es uns nicht wunder nehmen; aber steht es nicht in unmittelbarem Widerspruch mit dem Bekenntnis eines Christen, wenn er z. B. sein Leben versichert, oder sich durch menschliche Mittel vor jeder göttlichen Heimsuchung bewahren will? Zeigt er dadurch Vertrauen zu seinem Gott und Vater? Ist das Glauben? (Ich rede selbstverständlich nicht von Fällen, wo ein Christ um anderer willen verpflichtet ist, sein Haus oder sein Hab und Gut gegen Feuersgefahr und dergl. zu versichern). 
Mancher wird vielleicht sagen: Man kann das Christentum nicht in solche Dinge einführen. Aber ich möchte fragen: Wo können wir es denn zurücklassen oder beiseite schieben? Das Christentum ist doch nicht ein Kleid, das man am Sonntag anzieht, am Schluss des Tages aber sorgfältig zusammenfaltet und in den Schrank legt bis zum nächsten Sonntag? Leider scheint man hie und da so zu denken. Manche Christen tragen wirklich einen doppelten Charakter. Aber ist das nicht „der Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist“? Für den Menschen ohne Gott ist es, wie gesagt, ganz natürlich, dass er zu Versicherungen der mannigfaltigsten Art seine Zuflucht nimmt, denn für ihn ist alles unsicher; aber für das Kind Gottes ist alles sicher, bei Tag und bei Nacht, ob es sich daheim oder aus der Reise befindet. Sein Leben, samt allem was sein ist, steht in Gottes Hand. Ist es da nicht sicher genug? 
„Er sagte aber ein Gleichnis zu ihnen und sprach: Das Land eines gewissen reichen Menschen trug viel ein“ (V. 16). -- Ist es denn Sünde, wenn jemand seinen Ackerbau oder sein Geschäft· mit Erfolg betreibt?
Keineswegs! Oder sollte ein Mensch sich nicht freuen, wenn Gott Segen auf seine Arbeit legt? Ganz gewiss! Aber beachten wir, wohin der Erfolg den Menschen hier führte. „Und er überlegte bei sich selbst.“
Sieh da die Wege eines habsüchtigen Herzens. Der Mann überlegte nicht in der Gegenwart Gottes; seine
Gedanken standen auch nicht unter dem Einfluss der Ewigkeit. Nein, er überlegte bei sich selbst, in dem
engen Raum seines selbstsüchtigen Herzens. Deshalb dürfen wir uns über seinen Entschluss auch nicht wundern. Er sprach: „Was soll ich tun? denn ich habe nicht, wohin ich meine Früchte einsammeln soll“.(V. 17). Gab es denn gar keine nützliche Verwendung für die Güter im Blick auf die Zukunft? Ach nein! Der Mensch hat wohl eine Zukunft, oder meint wenigstens eine zu haben, und aus diese rechnet er, und für diese sammelt er ein; aber der einzige Gegenstand, welcher in dieser Zukunft eine Rolle spielt, ist sein Ich; ob dieses Ich in seiner eigenen Person oder in seinem Weibe und seinen Kindern besteht, ist im Grunde dasselbe. Der große Gegenstand der Zukunft Gottes aber ist Christus, und die wahre Weisheit leitet uns an, unser Auge auf Ihn zu richten und Ihn zu unserem Gegenstande zu machen für Zeit und Ewigkeit, für jetzt und dann. Das ist allerdings nach dem Urteil eines Weltmenschen barer Unsinn; aber die himmlische Weisheit ist eben nach dem Urteil der irdischen Weisheit nichts als Torheit. 
Hören wir, wozu die irdische Weisheit, die Weisheit derer, welche unter dem Einfluss irdischer Grundsätze und Gewohnheiten dahinleben, den Mann in unserem Gleichnis brachte. „Und er sprach: Dies will ich tun: ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen, und will dahin all mein Gewächs und meine Güter einsammeln“ (V.18). Er „überlegte“, er „sprach“ und er „tat“, und zwischen seinem Überlegen, Reden und Tun besteht eine traurige Verbindung. Dort, in meinem selbsterbauten Vorratshause, will ich alles einsammeln! Gott galt nichts in diesem Plan. Er war weder der Schatz, dieses reichen Menschen noch seine Schatzkammer. Ein eigenes Vorratshaus sollte die ganzen Schätze seiner unsterblichen Seele aufbewahren. So ist es immer bei den Menschen dieser Welt. 
„Und ich will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter daliegen auf viele Jahre; ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich“ (V. 19). Der Reichtum eines Weltmenschen ist nur für eine engbegrenzte Zeitdauer, im
besten Fall für „viele Jahre“. Nach seinen eigenen Gedanken kann er nicht über diese Grenze hinausgehen, oder gar in die Ewigkeit hineinreichen. Er ist nur für eine kurze Spanne Zeit, und doch bietet er diesen Schatz seiner unsterblichen Seele an, damit sie „ausruhe und fröhlich sei“. Welch ein törichtes Beginnen! Wie verschieden Von dieser Sprache ist das, was der Gläubige zu seiner Seele sagen kann! Er darf sie auffordern, auszuruhen, zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. Er darf zu ihr sagen: Iss aus der Fülle der Vorratskammern Gottes, trinke aus dem „Strome Seiner Wonnen“ und freue dich in dem vollendeten Werke Seiner Erlösung. Ruhe in Seiner Liebe und erwarte mit Ausharren die kostbare Ruhe, welche dem Volke Gottes bereit liegt. Du besitzest viele Güter, ja, unerschöpfliche Reichtümer und unaussprechlich herrliche Schätze, und sie sind nicht nur für „viele Jahre“, sondern werden dir für die Ewigkeit aufbewahrt. Das vollendete Werk Christi ist die Grundlage deines Friedens, und Sein Kommen der gewisse Gegenstand deiner Hoffnung. 
Nicht wahr? mein lieber Leser, das ist eine andere Sprache. Sie zeigt so deutlich die Verschiedenheit zwischen jetzt und dann. Christus, der Gekreuzigte, Auferftandene und Verherrlichte, sollte in allen unseren Berechnungen Alpha und Omega, Anfang und Ende sein. Sich eine Zukunft auszumalen ohne Christum ist nichts als Vermessenheit und Verblendung; Gott tritt dazwischen, und das ganze hoffnungsfrohe Bild ist zerstört. „Gott aber sprach zu ihm: Du Tor! in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern; was du aber bereitet hast, für wen wird es sein?“ (V. 20). 
Und nun merke die Lehre aus diesem allen: „Also ist, der für sich Schätze sammelt (ob gläubige oder unbekehrte) und ist nicht reich in Bezug auf Gott“ (V. 21). Wer Schätze sammelt, macht dieselben mehr oder weniger zu seinem Gott. Das Wachsen seines Vermögens beruhigt sein Herz im Blick auf die Zukunft; tritt ein Stillstand oder gar ein Rückgang ein, so kommt er in Unruhe. Von Gott allein abhängig zu sein, ist für den natürlichen Menschen unerträglich; gib ihm aber einige vergilbte Papiere in die Hand, die einige ansehnliche Schuldtitel enthalten, um welche er jeden Augenblick durch die Ränke der Menschen gebracht werden kann, und er wird darauf vertrauen, ja selbst ruhig sterben, weil er sie seiner Familie hinterlassen kann. Bewillige ihm eine Pension, setze ihm eine Jahresrente aus, kaufe ihn in ein Heim oder Stift ein, und er ist ganz zufrieden: er stützt sich auf alles und jedes, nur nicht auf Gott. Alles Mögliche ist dem natürlichen Herzen Wirklichkeit, nur nicht das einzig Wahre und Wirkliche. Das zeigt den wahren Zustand der Natur oder des Fleisches. Es kann wohl von Gott reden, aber nicht auf Ihn Vertrauen. Einer der hervorstechendsten Charakterzüge der gefallenen, sündhaften Natur ist Misstrauen gegen Gott, und eine der schönsten Früchte des erneuerten Menschen ist Vertrauen auf Gott in allem und für alles. „Die deinen Namen kennen, werden auf dich vertrauen“ Kein anderer vermag es.
Das Sammeln von Schätzen steht auch in unmittelbarem Widerspruch mit der Lehre Christi, wie die Evangelien sie uns berichten. „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde“, heißt es in Matth. 6, 19. 20, „wo Motte und Rost zerstört, und wo Diebe durchgraben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstört, und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen“. Das ist einfach und verständlich und wird sicherlich auch von jedem aufrichtigen Gewissen anerkannt werden. „Schätze auf der Erde zu sammeln“ ist mit den Grundsätzen des Reiches Gottes und mit der wahren Jüngerschaft Christi unvereinbar, und die Grundsätze dieses Reiches sind unveränderlich. 

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Über die Zulassung zum Tisch des Herrn

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 192ff

. . . Ich habe oft Mängel empfunden in der Gesinnung und Handlungsweise solchen gegenüber, die ihren Platz am Tische des Herrn einzunehmen wünschten; aber es ist leichter zu empfinden, als das Empfundene auszudrücken. Ich denke, wenn der Herr eine Seele vom Tode zum Leben gebracht hat, sollte vor allem Freude darüber vorhanden sein und zum Ausdruck kommen. Ich verstehe gut, dass in unseren Tagen, wo das- Evangelium oft in einer oberflächlichen Weise Verkündigt und den Seelen so wenig richtig gedient wird, Vorsicht am Platz, ist, weil es leicht gehen kann, wie es in Matth. 13, 20. 21 beschrieben ist; aber diese Vorsicht sollte sich doch nicht äußern in Misstrauen und Vorurteil, sondern darin, dass man sich in Liebe mit der Seele beschäftigt und ihr zu dienen sucht. In jedem, auch im besten, Falle kann es ja eine neu- bekehrte Seele gut brauchen, dass man sie in der Gnade zu befestigen sucht, und andererseits kann man den Zustand einer Seele auch kennen lernen, ohne dass man gerade ein augenscheinIiches Verhör oder Examen anstellt. Im Gegenteil, bei einer Unterredung, bei der man der Seele zunächst mit Vertrauen entgegenkommt, wird sie sich offener äußern und bereitwilliger ihren Herzenszustand offenbaren, als wenn sie befangen und ängstlich ist. Es bleibt einem ja dann immer noch
vorbehalten, wenn man es für nötig erachtet, auf das Gewissen einzuwirken. Und auch Neubekehrte merken es gut, ob man ihnen mit Vertrauen oder mit Misstrauen entgegenkommt.
Bei Unterredungen, die sich auf die Zulassung zum Tische des Herrn beziehen, sollte man sich auch nicht
damit begnügen, Fragen an die Seele zu stellen, sondern man sollte die Gelegenheit benutzen, um sie mehr verstehen zu lassen von den kostbaren Vorrechten und Segnungen, sowie auch von der ernsten Verantwortlichkeit, die mit diesem Platz verbunden sind. Dies ist besonders wichtig bei jungen Seelen, die, inmitten einer gläubigen Umgebung groß geworden, früh bekehrt worden sind und wenig oder nichts von den Kämpfen wissen, welche es andere gekostet hat, um sich zu der Erkenntnis der Wahrheit durchzuringen. Die Erfahrung lehrt, dass gerade bei solchen Seelen oft nicht nur das Verständnis sehr schwach ist, sondern auch das Gefühl der Verantwortlichkeit sehr gering. 
Das wird oft auch so wenig verstanden (und zwar von Brüdern und Schwestern), dass die Schwestern in der Versammlung durchaus mitverantwortlich sind, sei es nun dass es sich um Ausschluss oder um Zulassung zum Tische des Herrn handelt. An manchen Orten denken die Schwestern (oder gar die Brüder selbst), das sei nur Sache der Brüder; oder es wird gar gedacht, das gehe nur einige ältere Brüder an, welche die Versammlungs-Angelegenheiten gewöhnlich beraten, oder nur solche, die sich gerade mit dem Betreffenden beschäftigt haben. Dass es nicht Sache aller ist, die einzelnen Fälle zu prüfen, ist selbstverständlich; aber dass alle mit dem Herzen, im Gebet und Flehen vor dem Herrn ihrer Verantwortlichkeit Ausdruck geben sollten, wird oft nicht bedacht. 
Auch ist es- mir schon manchmal aufgefallen, dass man sich nur gerade dann, wenn es sich um die Zulassung zum Tische des Herrn handelt, mit einer Seele beschäftigt; aber auch vor- und nachher bedarf sie es doch, dass man sich um sie kümmert. 
Vieles von dem Gesagten kommt auch in Betracht bei der Behandlung solcher Christen, die aus anderen
Kreisen in unsere Mitte kommen. Wie nötig ist es, dass man sie mit wahrer Liebe für die Wahrheit zu gewinnen sucht, und dass man bedenkt, dass sie in den Augen Gottes dieselbe Stellung und Segnung in Christo haben, wie wir. Nur unter diesem Gesichtspunkt kann man ihnen ja in der rechten Weise dienen. Es wird vielfach ganz vergessen, in welch verkehrten Anschauungen so viele Kinder Gottes (oft durch Jahre hindurch) festgewurzelt sind, und wie verkehrt sie beeinflusst und belehrt werden. Sonst würde man ihnen oft mehr Geduld entgegenbringen und nicht erwarten, dass sie gleich alles auf einmal verstehen, oder den Stab über sie brechen, wenn sie manches nicht gleich annehmen wollen. Wir sollten suchen, uns der Denkweise und Fassungskraft derer anzupassen, mit welchen wir uns beschäftigen. Aber es mangelt da so oft an dem Sich-Hineinversetzen in die Gedanken und Gefühle anderer und an dem liebevollen Entgegenkommen bei Unbeholfenheit oder mangelhafter Fähigkeit sich auszudrücken. 
Sicher wäre es verkehrt und der Heiligkeit und Würde des Tisches des Herrn nicht entsprechend, wenn ein Christ, der mit menschlichen Einrichtungen noch in Verbindung ist und bleiben will, nur für einmal mit uns am Tische des Herrn teilnehmen und dann zum Alten zurückkehren wollte. Man sollte solche Gläubige bitten, zunächst von der Teilnahme abzusehen, aber ihnen zugleich auch die richtigen Gründe dafür angeben und sie empfinden lassen, dass man wünscht, sie möchten in Wahrheit verstehen, dass auch ihr Platz dort sei, und möchten ihn einnehmen. Nie sollte man ihnen Grund geben, zu denken oder zusagen, wir sähen es lieber, sie kämen nicht, oder wir wären eben auch nur eine Partei. 
Sollte das nicht überhaupt viel mehr in unseren Gedanken sein und auch in den Gebeten usw.. zum Ausdruck kommen, dass wir, die am Tisch des Herrn versammelt sind, meist doch nur einen ganz kleinen Teil der Gläubigen des Ortes ausmachen, und dass wir mit Schmerz empfinden, dass so viele, die nach Gottes Willen ihren Platz mit uns hätten, nicht gegenwärtig sind. Ich glaube, es wäre gut, sich mehr daran zu erinnern. 
Auch das ist so ernst, dass ich nur dann mir über den Zustand einer anderen Seele vor Gott klar werden kann, wenn ich selbst mit Herz und Gewissen im Lichte der Gegenwart Gottes bin. Ich mag die göttlichen
Wahrheiten noch so lange kennen und noch so bewundert in ihnen sein, aber sobald mein Gewissen und mein praktischer Wandel nicht mehr unter ihrer Kraft und Wirkung stehen, kann ich einem jungen Schäflein des Herrn sehr um-echt tun und es ganz falsch beurteilen. (Vergl. 1. Sam. 1, 10 — 16).

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Sei still mein Herz 

Bibelstelle: Psalm 37,7

Botschafter des Heils 1910 S. 196ff

Vertraue still dem Herrn und harre auf ihn! ( Psalm 37,7)

Sei still, mein Herz!
Gott kennt den Schmerz,
und Er versteht des Herzens Sehnen.
Wie Gott es will,
harr aus, sei still!
Er sieht und zählet deine Tränen.

Nimmt Er dir ab,
was Er dir gab,
was ist es denn anders als Sein eigen?
du und was dein
ist alles Sein –
Nimmt Er es zurück, so musst du schweigen.

Gott hat es getan,
o denk daran!
Wohl darfst du deinen Schmerz beweinen;
doch nie, mein Herz,
vergiss im Schmerz:
Gott liebt, auch wenn Er schlägt, die Seinen.

Drum sei du still,
weil Gott es will;
Er legt dir es auf, du darfst nicht zagen.
Was dich bedrückt,
hat Gott geschickt,
und will samt deinem Weh dich tragen.

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Die letzten Worte Davids

Bibelstelle: 2.Samuel 22 und 23,1-7

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 197ff

Schließlich (Kap. 28) befindet sich Saul in dem schrecklichen Zustande, dass Jehova von ihm gewichen ist. Der Tag kommt, an welchem er zusammenbrechen muss in dem Bewusstsein: ich erhalte von Jehova keine Antwort mehr, weder durch Träume, noch durch die Urim, noch durch die Propheten. Alle verlassen ihn und schließen sich dem leidenden David an, welcher nichts hienieden hat. Endlich fallen Saul und Jonathan, und David tritt die Königsherrschaft an. 
Damit kommen wir zu einem traurigen Gemälde. Das Betragen Davids wird fortan ein anderes. Vertrauen auf seine eigene Kraft kennzeichnet ihn als König in seinem Hause. „Ich wohne in einem Hause von Zedern“, sagt er, „und die Lade Gottes wohnt unter Teppichen.“ Er will den Tempel bauen, ohne von dem
Herrn ein Wort dafür empfangen zu haben. Die Sache an und für sich war ja nicht schlecht, aber David erfasste nicht die Gedanken Gottes darüber, weil er Ihn nicht befragt noch auf Ihn geharrt hatte. Jene unmittelbare Verbindung mit Jehova, welche so bezeichnend gewesen war für seinen früheren Weg, beginnt zu fehlen. Er vertraut auf eigene Kraft, verwöhnt und schont sich und fällt dann in eine grobe Sünde. 
Auf den Eigenwillen folgt Verweichlichung; dann tritt die direkte Sünde an den Tag in der Ermordung Urias und dem Ehebruch mit Bathseba; später zeigt sich Misstrauen gegen Jehova in der Zahlung des Volkes. Das Ende von allem ist das Wort Jehovas durch den Propheten, dass das Schwert von dem Hause Davids nicht weichen solle ewiglich. Wohl kommt David infolge der Züchtigung zur Buße, und die Sünde wird hinweggetan, aber das Schwert weicht nicht. 
In diesem Teile der Geschichte Davids sehen wir, welche Folgen ein Segen, das Ergebnis des Glaubens,
bringt, wenn er im Fleische und für das Ich benutzt wird. Nicht dass David, gleich Saul, im Fleische begonnen und im Fleische geendigt hätte und gar nicht gesegnet worden wäre. Im Gegenteil, bis zu der Zeit, da er König in feinem Hause war, bietet sich uns ein liebliches Gemälde des Glaubens, zeigt sich ein demütiger, vortrefflicher Wandel. Jehova hatte gesagt: „Ich habe einen Mann nach meinem Herzen gefunden“; nicht dass Davids Verhalten stets so gewesen wäre, aber er war ein Mann nach dem Herzen Gottes, ein frommer Mann, in dessen Leben die Gnade in lieblicher Weise ans Licht trat. 
Nachher aber sehen wir, dass die Ergebnisse seiner Treue zu viel wurden für den Glauben, der ihn in den Besitz derselben gebracht hatte. Die Gnade strahlt freilich durch alles hindurch, und wir dürfen bei David einem lieblichen Sichdemütigen begegnen, einer kostbaren Gnade; zu gleicher Zeit aber empfangen wir in seiner Geschichte eine ernste Warnung hinsichtlich des Umstandes, dass das gesegnete Ergebnis des Glaubens zu mächtig werden kann für den Glauben, durch welchen es herbeigeführt wurde. 
Die einzige Sicherheit für uns „liegt in dem Worte des Apostels an die Philipper: „Diese Gesinnung sei in
euch, die auch in Christo Jesu war“, d. h. in dem beständigen Hinabsteigen, tiefer und tiefer, in dem steten
Sichbeugen. David wurde als König, so lange er demütig blieb, gerade so gesegnet wie zur Zeit, da er, ein Geächteter, vor Saul wie ein Rebhuhn über die Berge floh. 
In den „letzten Worten Davids“ liegt, wie wir bereits gesehen haben, ein tiefes Bewusstsein von Fehlen und Zukurzkommen: „mein Haus ist nicht also bei Gott“. Und wo fand sein Herz inmitten von alledem Ruhe? Hierin: „Er hat mir doch einen ewigen Bund gesetzt, geordnet in allem und verwahrt; denn dies ist all meine Rettung und all mein Begehr, obwohl Er es nicht sprossen lässt“ 
Wo findet die Kirche heute Trost, Hilfe und Freude, wenn sie im Blick auf den gegenwärtigen Zustand des VerfalIs sagen muss: „Nicht also bei Gott“? Es gibt ja doch wohl kein einziges Herz, das den Geist Gottes hat, welches nicht niedergebeugt wäre angesichts des Zustandes des Hauses Gottes, mag man es betrachten, von welcher Seite man will. Wahrlich, es gibt keinen Anlass zur Freude und Fröhlichkeit. Man
kann wirklich nur sagen: „Nicht also bei Gott“. Aber obwohl wir hierüber Leid tragen und uns demütigen sollen, wandelt sich doch, wenn es sich um das Ende handelt, alles zu reichem Trost. Das Haus Davids wird doch noch einmal verherrlicht werden in der Person Christi, inmitten des Volkes, welches jetzt weithin geschleppt und gerupft“ ist; und wir werden dereinst bei Ihm sein in Seiner Herrlichkeit, bei Ihm, dem Haupte Seines Leibes, der Kirche. Da ist auch für uns ein Bund, geordnet in allem und verwahrt“, ein ewiger Bund, ein Bund, welcher vor Grundlegung der Welt errichtet wurde. Eines solchen Trostes bedürfen wir, damit unsere Seelen aufrecht erhalten bleiben.
Aber sollte uns die sichere Gewissheit jenes Bandes zufrieden machen mit dem Verfall um uns her? Soll
sie uns hinwegschauen lassen über den Mangel an Ehre, der sich heute dem Hause Christi gegenüber erweist? Konnte David angesichts des Verfalls seines Hauses zufrieden und glücklich sein, wenn er auch zu sagen vermochte: ,“Ich habe einen Bund, geordnet in allem und verwahrt“? Unmöglich! Es war Sein Haus, das Haus Davids, mit welchem es vor Gott nicht also stand, wie es hätte stehen sollen; und das fühlte er. So sollte es mit uns sein. Wenn wir den Geist Christi haben, so wird Kummer und Leid im Herzen sein, weil das Haus auch heute „nicht also ist bei Gott“. Wir mögen vielleicht sagen: Schließlich ist
die Offenbarung der Ehre und Herrlichkeit Christi an dem Tage Seiner Ankunft uns doch zugesichert. Es ist so; allein was ich zu suchen habe, ist die gegenwärtige Verherrlichung des Herrn, und deshalb wird ein treues Herz Leid tragen über die Verunehrung, die Ihm heute widerfährt. 
Es wäre schrecklich zu sagen: Der Bund sichert mir ja alles aus ewig, darum kümmere ich mich nicht darum, ob Christus gegenwärtig verherrlicht wird. Das würde nichts anderes heißen, als: die Verherrlichung Christi gilt mir nichts, ist mir gleichgüItig. Andererseits aber ist es inmitten des Verfalls um uns her ein Trost, zu wissen, dass vor uns Segnung liegt. Wir bedürfen zur Stärkung unserer Seele das, was Gott: uns als unsere Hoffnung gegeben hat, d. i. das Kommen des Herrn. Diese Hoffnung ermuntert unsere Herzen. Und es ist nötig für uns, dass wir zuweilen ungeteilt mit dem Guten uns beschäftigen. Wo ist der Mann, welcher, immer mit dem Reinigen schmutziger Kleider beschäftigt, nicht selbst endlich ein wenig schmutzig würde? So darf auch ich mich von dem Bösen und Unreinen abwenden und mich gleichsam in dem Guten, in Gott selbst verlieren. Und, Sein Name sei gepriesen! Er hat sich uns nicht verschlossen! Weil Er Liebe ist, ist Er gleichsam aus sich selbst herausgetreten und ist übergeströmt in der Mitteilung dieser Liebe. Sollten wir nicht suchen, mehr mit jenem Bereich Verbindung zu haben, wo Gott der Mittelpunkt ist, und wo Er uns Segnungen über Segnungen mitteilt? 
Wenn Gott einmal alle Dinge unter dem Herrn Jesu als Haupt vereinigen wird, unter Ihm, der „gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht« ist, und wenn dann die Söhne Belials (die Macht des Bösen) „allesamt sein werden wie Dornen, die man wegwirft“, dann bei der Offenbarung Jesu Christi, werden auch die Gedanken des Herzens Gottes zur öffentlichen Darstellung kommen. Dann wird der Mensch als Haupt und Mittelpunkt all dieses Segens dastehen; der Mensch, der Herr Jesus Christus nämlich, wird alles nach Gottes Gedanken in Ausführung bringen. Der Mensch hat stets gefehlt, in welcher Weise Gott ihm auch einen Segen anvertrauen mochte; und wenn er dereinst, nachdem er die Herrlichkeit gesehen hat, nochmals sich selbst überlassen wird, wird er wiederum fehlen. Aber das Herz Gottes ist auf die Offenbarung des Herrn Jesu Christi, des nie fehlenden Menschen, als Mittelpunkt aller Segnung gerichtet. Wenn Er, der große Priester nach der Ordnung Melchisedeks, aus dem Himmel herabkommt von Gott, dann wird die Fülle des Segens hereinbrechen. Schon jetzt fließt uns Segen vom Himmel zu, aber das göttliche Leben in uns entlockt uns angesichts der Verwirrung um uns her den Ruf: „Nicht also bei Gott!“ Dann aber wird ein geordneter Segenszustand in dieser Welt sein, eine Zeit, wo Er, der den Segen verordnet und mitteilt, von Gott zu uns herabkommt. Das ist es, was „jenen Tag“ kennzeichnen wird: Segen, Gottes Gedanken entsprechend und vom Himmel herabkommend in der Person des Herrn Jesu Christi. 
Alles wird dann seinen Platz gemäß seiner Beziehung zu dem Herrn Jesu einnehmen. Ist die Kirche die Braut des Lammes, so nimmt sie ihren Platz, zu Ihm als solche ein. Mit Israel ist es dasselbe: „Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht; und Er wird sein wie das Licht des
Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken: von ihrem Glanze nach dem Regen sprosst das Grün aus der Erde.“ — „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich dem David einen gerechten Spross erwecken werde; und Er wird als König regieren und verständig handeln, und Recht und Gerechtigkeit üben im Lande. In Seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen; und dies wird Sein Name sein, mit dem man Ihn nennen wird: Jehova, unsere Gerechtigkeit“ (Jer. 23, 5. 6). 
Wenn Er regiert, werden wir mit Ihm regieren, als das Weib, das an Seiner Herrlichkeit teil hat; und Israel wird unter Ihm als seinem Könige gesegnet sein. Auch die Völker der Erde werden ihr Teil haben. Wenngleich Israel in jenen Tagen der Mittelpunkt der Segnung auf Erden sein wird, lesen wir doch: „auf Ihn werden die Nationen hoffen“. – „Und es wird geschehen an jenem Tage: der Wurzelspross Isais, welcher dasteht als Panier der Völker, nach Ihm werden die Nationen fragen; und Seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein“ (Jes. 11, 10). „Alle Nationen werden Ihn glücklich preisen“ (Psalm 72, 17). 
Weiterhin sind „alle Dinge durch Ihn und für Ihn geschaffen“. Er ist ein „treuer Schöpfer“. Auch das ist ein Segenskreis, in welchem die Kraft Seines Sühnungswerkes und die Größe Seiner Herrlichkeit geoffenbart werden soll. Die Herrschaft ist bereits Seinen Händen übergeben, wie Er selbst sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“; aber die Gewalt wird noch nicht von Ihm ausgeübt. „Wir sehen Ihm noch nicht alles unterworfen.“ 
Wir sollten nicht nach Segnungen hienieden ausschauen, getrennt von der zukünftigen Offenbarung Dessen, in welchem der endliche Segen kommt, wenn der Morgen ohne Wolken“ anbricht. So lange die Macht des Bösen nicht beseitigt ist, lässt uns die in uns wirkende Kraft des Heiligen Geistes seufzen und leiden, und zwar in demselben Verhältnis, wie diese Kraft ungehindert in uns wirken kann. Unser Seufzen als Heilige sollte stets das des Geistes sein auf Grund einer heiligen Gesinnung, die inmitten des Bösen leidet; niemals sollte es in unserem eigenen Bösen seine Ursache haben. So war es mit Jesu: Er seufzte niemals wegen unheiliger Neigungen, sondern nur infolge der heiligen Gefühle Seines Herzens. So lange die Macht des Bösen noch nicht beseitigt ist, ist der Gläubige, in welchem die Kraft des Heiligen Geistes sich in dem angegebenen Sinne am deutlichsten offenbart, auch am meisten der Wut des Feindes ausgesetzt. 
Der Gläubige hat auch mit jenen „Söhnen Belials“ zu schaffen. Indes ist für sie nicht die sanfte Hand der Gnade bestimmt; nein, „sie find allesamt wie Dornen, die man wegwirft, denn mit der Hand ergreift man sie nicht. Und der Mann, der sie anrührt, versieht sich mit Eisen und Speeresschaft; und mit Feuer werden sie gänzlich verbrannt an ihrer Stätte« Unkraut ist aufgeschossen unter dem Weizen. (Vergl. Matth. 13) Die Gnade kann das Unkraut nicht aus dem Felde auslesen, sie kann es auch nicht in Weizen verwandeln! Man muss es „lassen bis zur Ernte“. Dann soll es zusammengelesen, in Bündel gebunden und verbrannt werden. 
David rechnete nicht darauf, dass; sein Haus wiederhergestellt werde, nachdem der Verfall eingetreten war. Er schaute aus nach dem „Morgen ohne Wolken“, wo ein voller Segen kommen wird. So sollte es mit uns sein. Nehmen wir Israel, David, die Kirche, wen und was man will — alle haben gefehlt; das „Haus ist
nicht also bei Gott“. Der Mensch hat gefehlt; er musste fehlen. Paulus musste sagen: „Niemand stand mir bei, sondern alle verließen mich. Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich“ Gott muss der Mittelpunkt unseres Segens sein. Wir fühlen, dass wir etwas bedürfen: die ungetrübte Kraft des Glaubens macht Gott zu einer Wirklichkeit. Es handelt sich nicht um eine vermehrte Ausgießung des Geistes auf Grund unserer Treue, sondern um Gottes Treue trotz unseres Fehlens. Aber es ist eine gute Sache für uns, nicht nur sagen zu können: „Gott ist treu“, sondern auch die Neigungen und Gefühle unserer Herzen in einem Bereich sich entfalten zu lassen, wo alles vollkommene Segnung ist, sie mit solchen Dingen zu beschäftigen, die Gottes Herz befriedigen. „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben; uns aber hat es Gott geoffenbart durch Seinen Geist; denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes“ (1. Kor. 2, 9. 10). Das, was der Heilige Geist uns offenbart, ist der Charakter und die Entfaltung der Herrlichkeit im Himmel und auf Erden, deren Mittelpunkt der Herr Jesus ist, und die Er bei Seiner baldigen Wiederkunft entfalten wird. Ist das nicht ein Bereich der Freude, des Trostes und der Ruhe für uns? Gefühle und Neigungen, die
durch den Geist Gottes geweckt sind, können nie zur Ruhe kommen, es sei denn da, wo Gottes eigenes Herz ruht. Da ist ihr Mittelpunkt, ihr Bereich und ihre Ruhe, in Jesu und Seiner Herrlichkeit. 
Die praktische Wirkung des Gesagten auf unsere Herzen und Gewissen sollte die sein, uns in den ersten
Teil der Geschichte Davids zu versetzen. Mögen unsere Umstände sein, welche sie wollen, wir werden uns, wenn wir anders mit einfältigem Auge treu sind im Lager Sauls, bald in der Höhle Adullam wiederfinden, indem wir, als das Teil unserer Seele, Gemeinschaft haben mit den Leiden Christi. Dort werden wir die ganze Entfaltung jener inneren Gefühle und Zuneigungen des Herzens erfahren, die sich bei David zeigten, so lange er demütig war. In den Tagen, da David in der Höhle Adullam im voraus an den Leiden und Trübsalen Christi teilnahm, als er wie ein Rebhuhn über die Berge gejagt wurde, war er umgeben Von Lobgesängen und Rettungsliedern.
Der Herr schenke uns ein einfältiges Auge und ein demütiges Herz, um in der Kraft Seiner Auferstehung Gemeinschaft zu haben mit Seinen Leiden!

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Jetzt und dann

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 206ff

„Er sprach aber zu Seinen Jüngern: Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für das Leben, was ihr essen, noch für den Leib, was ihr anziehen sollt. Das Leben ist mehr als die Nahrung, und der Leib mehr als die Kleidung“ (V. 22. 23). Beachten wir das Wort: „Seid nicht besorgt“. Es bedarf keiner Auslegung oder näheren Erklärung. Manche könnten vielleicht meinen, es sei ein ängstliches Sorgen gemeint; allein das Wörtchen ,,ängstlich« steht nicht da. Es heißt einfach: „Seid nicht besorgt«, und es bezieht sich auf alles, was der Mensch wirklich bedarf, auf „Nahrung und Kleidung«. Die Raben und die Lilien werden uns als Beispiele vor Augen gestellt. Die einen werden ernährt, die anderen gekleidet, und doch ist keines von
ihnen besorgt. Hätte der Herr Jesus ein ängstliches Sorgen gemeint, so würde Er es sicher gesagt haben.
So ruft uns auch der Heilige Geist durch den Apostel zu: „Seid um nichts besorgt!“ Und warum nicht? Weil Gott für uns besorgt ist (1. Petr. 5, 7). Was könnte es auch nützen, wenn zwei sich um eine Sache mühten, von denen der eine nichts und der andere alles zu tun vermag? „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu“ (Phil. 4, 6. 7). Das ist die feste Grundlage für den inneren Frieden des Herzens, dessen sich so wenige Gläubige wirklich erfreuen. Viele kennen wohl die Ruhe des Gewissens auf Grund der Genugsamkeit des Werkes Christi, aber die Ruhe eines Herzens, das die Genugsamkeit der Sorge Gottes kennt, genießen sie nicht. Ost bringen wir unsere Schwierigkeiten und Prüfungen im Gebet vor Gott und stehen doch ebenso unruhig und besorgt wieder auf, wie wir hingekniet sind. Warum das? Ach! wir bekennen, dass wir alle unsere Sorgen in Gottes Hand legen können, aber wir verstehen es nicht, sie dort zu lassen. 
So flehte einst auch Jakob zu Gott, dass Er ihn aus der Hand Esaus befreien möge, aber kaum war er von seinen Knien ausgestanden, als er zu überlegen begann, wie er sich selbst helfen könne. „Ich will ihn versöhnen durch das Geschenk, das vor mir hergeht“ (1. Mose 32, 20). Offenbar setzte er weit mehr Vertrauen auf sein Geschenk, als auf Gott. So geht es den Kindern Gottes heute auch oft. Man bekennt, sein Auge auf die ewigen Quellen allein gerichtet zu haben, und dabei schaut man nach rechts und links aus irgend ein Geschöpf. Auf diese Weise wird Gott tatsächlich ausgeschlossen; die Seele ist nicht frei und genießt deshalb auch nicht den Frieden Gottes. 
Nachdem der Herr das Herz Seiner Jünger so hinsichtlich der gegenwärtigen Bedürfnisse und des zukünftigen Schatzes beruhigt hat, fährt Er fort: „Trachtet nach dem Reiche Gottes, und dieses wird euch hinzugefügt werden“. Das ist aber nicht etwa so zu verstehen, als sei das Trachten nach dem Reiche Gottes ein Mittel, um die irdischen Dinge reichlich zu erhalten. Wer solche Gedanken in seinem Herzen hegt, ist kein wahrer Jünger. Ein solcher denkt nur an seinen Herrn und dessen Reich, und der Herr wird Seinerseits sicher an ihn und seine Bedürfnisse denken. Das ist das gesegnete Verhältnis zwischen dem allmächtigen und allgütigen Herrn und Seinem treuen Diener; und gewiss, ein solcher Diener ist frei von allen Sorgen. 
Es gibt indes noch einen anderen Grund, weshalb wir nicht sorgen sollen. Unser Sorgen ist ganz und gar nutzlos. „Wer unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzusetzen? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermöget, warum seid ihr um das Übrige besorgt?“ (V. 25. 26.) Wir gewinnen nichts mit unseren Sorgen. Im Gegenteil, wenn wir ihnen nachhangen, so werden wir untüchtig, nach dem Reiche Gottes zu trachten, und legen Gott ein Hindernis in den Weg, um für uns zu handeln. Es heißt einmal vom Herrn: „Er konnte daselbst keine Wunderwerke tun wegen ihres Unglaubens“. Der Unglaube ist das große Hindernis, welches wir dem mächtigen Wirken Gottes für uns entgegenstellen. Wenn wir selbst unsere Angelegenheiten in die Hand nehmen, so ist es klar, dass wir Gott nicht nötig haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir uns entweder auf Gott stützen oder auf die Umstände; sich auf beide zugleich zu verlassen ist unmöglich. Wir sollten in dieser Beziehung unsere Wege genau prüfen; denn was kann es nützen, von Glauben zu reden, während unsere Herzen sich in Wirklichkeit — in welcher Form es nun sei — auf das Geschöpf verlassen? Und wir sollten es recht genau mit dieser Untersuchung nehmen, damit wir uns nicht selbst täuschen. Für Fleisch und Blut ist es gewiss eine große Versuchung, keine sichtbare Stütze zu haben. Das Herz zittert, wenn es auf das unbekannte wogende Meer hinausschaut — allen unbekannt, nur nicht dem Glauben; und wir möchten wohl mit Lot ausrufen: „Siehe doch, diese Stadt ist nahe, um dahin zu fliehen, und sie ist klein; lass mich doch dahin mich retten, (ist sie nicht klein?) damit meine Seele am Leben bleibe“ (1. Mose 19, 20). Das Herz klammert sich an jeden Strohhalm, an jeden Faden menschlicher Hilfe, um nicht von dem Strom der Umstände fortgerissen zu werden; es trachtet nach allem Möglichen, nur nicht nach Abhängigkeit von Gott. 
O möchten wir Gott besser kennen lernen, um Ihm völliger zu vertrauen, und Ihm völliger vertrauen, um Ihn besser kennen zu lernen! Der arme Mensch will immer etwas Sichtbares oder Fühlbares haben. Handelt es sich um seinen Lebensunterhalt, so sehnt er sich nach einem bestimmten Einkommen, nach einem Besitz, einem festen Gehalt und dergleichen. Selbst im Dienst des Evangeliums begegnet man diesem Bestreben. Geht jemand aus, um zu predigen oder zu lehren, so bereitet er eine Predigt vor, oder macht sich doch einige Notizen über das, was er sagen will. Alles ist dem armen Herzen willkommen, nur nicht die gänzliche, unmittelbare Abhängigkeit von Gott. 
Der Glaube allein vermag das Herz zu reinigen und die Welt zu überwinden. Er führt die unter dem Einfluss des Vergänglichen stehende Seele in das Licht der Ewigkeit. Er beschäftigt sie nicht mit dem „Jetzt“, sondern mit dem „Dann“, nicht mit der Erde, sondern mit dem Himmel. Er hört und beherzigt das Wort Christi: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (V. 32). Füllt die Hoffnung auf die kommende Herrlichkeit meine Seele aus, so hat sie keinen Raum mehr für andere Dinge, und ich kann leicht den gegenwärtigen Schein für die zukünftige Wirklichkeit hingeben. 
Deshalb fügt der Herr auch sogleich hinzu: „Verkaufet eure Habe und gebet Almosen; machet euch Säckel, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich naht und keine Motte verderbt. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein“ (V. 33. 34). Wenn ich meinen Schatz auf der Erde habe, (mag er bestehen, worin er will,) so wird auch mein Herz da sein, und ich bin infolge dessen ein weltlich gesinnter Christ. Wie ist es denn möglich, dass das Herz von der Welt und dem, was in ihr ist, geleert werde? Dadurch, dass es mit Christo erfüllt wird. Er ist der wahre Schatz der allein Bestand und Wert hat. Die Welt hat ihre Schatzkammern, ihre Vorratshäuser und Speicher, und sie füllt sie mit allem, was Auge und Herz begehren. Aber sie baut sie zu niedrig, unter die Wolken. 
Leider ist auch das Trachten vieler Kinder Gottes heute darauf gerichtet, ein Vermögen zu erwerben und
möglichst sicher anzulegen; und wenn sie es nicht für sich tun, so geschieht es für ihre Kinder, ihr zweites
Ich. Sammle ich aber für meine Kinder, so tue ich es für mich selbst, und ach! in wie vielen Fällen ist dieses Sammeln zum Fluch und Verderben für die Kinder geworden! Eitelkeit und Hochmut erfüllten ihre Herzen, und das Gefühl der Abhängigkeit von Gott ging verloren. Deshalb lasst uns das Wort des Apostels beachten: »Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, auf dass er dem Dürftigen mitzuteilen habe“ (Eph. 4, 28). Das ist die von Gott festgesetzte Grundlage für jedermann: arbeiten, mit meinen Händen das Gute wirken. Wenn ich daher Schätze für mein Kind sammle, so bringe ich es in Gefahr, diesen Boden zu verlassen, und das kann sicher nur Unsegen zur Folge haben. Und warum ist es nötig, für meine Kinder Schätze zu sammeln? Wenn ich Gott betreffs meiner vertrauen kann, warum nicht betreffs ihrer? Kann und wird Der, welcher mich gekleidet und ernährt hat, nicht auch sie kleiden und ernähren? Geliebter Leser! lass uns wohl bedenken, dass, wenn wir Gott nicht vertrauen können im Blick aus unsere Kinder, wir Ihm auch nicht vertrauen hinsichtlich unser selbst. 
Mein Sammeln mag nach den herrschenden Ansichten durchaus gerechtfertigt sein, Weltsinn und Unglaube mögen es mit den schönsten Namen belegen —— aber es bleibt eine unumstößliche Wahrheit: „Wo euer Schatz, ist, da wird auch euer Herz sein“. Lasst uns dieses ernste Wort nicht missverstehen oder falsch auslegen! Gott legt mir die ernste Verpflichtung auf, (und Er selbst ist mir ein Beispiel) für die Meinen zu sorgen. „Wenn jemand für die Seinigen, und besonders für die Hausgenossen, nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlechter als ein Ungläubiger“ (1. Tim. 5, 8)- Das ist deutlich genug. Weiterhin bin ich verpflichtet, meine Kinder -— soweit die Grundsätze Gottes es zulassen und Er mir die Mittel dafür darreicht — für einen irdischen Beruf auszubilden, so dass sie imstande sind, sich ihren Unterhalt in ehrlicher Weise zu verdienen. Aber nirgendwo unterweist mich das Wort, meinen Kindern Reichtümer zu hinterlassen. Eine ehrbare Beschäftigung, verbunden mit dem Gefühl der Abhängigkeit von dem himmlischen Vater, ist ein großes Gut. Die Erfahrung bestätigt auch, dass nur wenige Kinder ihren Vätern für das ererbte Geld danken, während sie sich stets mit Dankbarkeit der weisen elterlichen Fürsorge erinnern, die sie in einen Wirkungskreis leitete, wo sie in Gott wohlgefälliger Weise sich betätigen können. 212
Ich vergesse hierbei keineswegs die Schriftstelle, welche zuweilen gebraucht oder richtiger missbraucht wird, um ein eifriges Schätzesammeln zu rechtfertigen „Siehe“, schreibt der Apostel an die Korinther, „dieses dritte Mal stehe ich bereit zu euch zu kommen, und werde nicht zur Last fallen, denn ich suche nicht das Eure. sondern euch. Denn die Kinder sollen nicht für die Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern für die Kinder“ (2. Kor. 12, 14). Viele freuen sich, wenn sie für ihre weltliche Gesinnung auch nur einen Schein von Rechtfertigung in der Schrift zu finden meinen, und in dieser Schriftstelle gibt es einen solchen Schein. Aber ich möchte fragen: wie könnte der Apostel einen himmlischen Menschen ermahnen wollen, sich irgendwie irdische Schätze zu sammeln? Die Sache ist einfach diese: er bedient sich einer natürlichen Gewohnheit, um den Korinthern, welche seine Kinder im Glauben waren, seine Handlungsweise zu erklären. Er war ihnen nie lästig gewesen und wollte es auch jetzt nicht sein; er war ja ihr Vater, dessen Pflicht es war, für sie zu sorgen. Wenn nun jemand hierin einen Entschuldigungsgrund zu finden meint, um zu den Grundsätzen der Welt zurückzukehren, so möge er mit allem Fleiß Schätze ansammeln und sie aufhäufen bis zum „letzten Tage“, aber er möge auch nicht vergessen, dass Motte und Rost das Ende von allem sein werden. Ach! nur dann, wenn wir die unvergänglichen Schätze zu würdigen verstehen, welche der Glaube in die himmlischen Schatzkammern einsammelt, werden wir imstande sein, uns über den trüben Dunstkreis dieser Welt zu erheben, die beherrscht wird durch zwei böse Elemente, welche heißen: Geldliebe und Feindschaft wider Gott. 
Indem ich schließe, möchte ich den Leser an jene zwei kostbaren Stücke erinnern, welche sich bei den jungen Gläubigen in Thessalonich als Früchte der Wirkungen des Geistes Gottes vorfanden: sie hatten sich bekehrt, um 1) „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen“ und 2) „Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“. Der weitere Inhalt unseres Kapitels, von Vers 35 bis zum Ende, lässt sich in diese zwei Wahrheiten zusammenfassen, und der gläubige Leser tut wohl, sie ernstlich zu erwägen. Wir haben niemand anders zu dienen, als dem „lebendigen Gott“, und haben nichts anderes zu erwarten als „Seinen Sohn“. All unser Tun und Lassen muss unter dem reinigenden und heiligenden Einfluss dieser beiden ernsten und kostbaren Tatsachen stehen.
Der Heilige Geist wolle denn Sein Wort mit Kraft in jedes Herz und Gewissen eindringen lassen, damit das Leben der Kinder Gottes wieder mehr zur Verherrlichung des Namens Christi diene, und die Lehre unseres Heiland-Gottes durch ihren Wandel geziert werde in allem! Ein treues Herz und ein zartes, aufrichtiges Gewissen sei das gesegnete Teil eines jeden von uns, damit wir unter der Hand des Meisters, gleich einem gutgestimmten Instrument, einen reinen, vollen Ton abgeben, in Übereinstimmung mit Seiner eigenen holdseligen Stimme!
O glücklich Herz, das sein und still
auf Seinen Gott vertraut,
und stündlich fragt, was Jesus will,
bis es Ihn droben schaut!

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Jakob oder die Zucht *)

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 215ff

Einleitung.
Einige Bemerkungen über die Geschichte Jsaaks.
Da die Geschichte Isaaks manche Berührungspunkte mit derjenigen seines Sohnes Jakob bietet, mag es angebracht sein, einige Worte darüber zu sagen, bevor wir mit der Betrachtung des Lebens Jakobs beginnen.
Isaak ist im Anfang seiner Laufbahn ein schönes Vorbild von dem Sohne Gottes, während das erste Auftreten Jakobs leider nur eine Darstellung der Listen und Fehler des Menschen ist. Isaak, der wahre Same Abrahams und als solcher der Erbe der Verheißungen, wird „wider Hoffnung“ von einem „schon erstorbenen Vater — und von einer Mutter, deren Mutterleib bereits in einem Zustande des Todes war, geboren. Er stellt so schon bei seinem Eintritt in die Welt ein der Natur fremdes und über den Tod siegreiches Leben dar. Er ist der dem Glauben gewährte Sohn, und diese außergewöhnliche Stellung zieht ihm die Feindschaft Ismaels, seines Bruders nach dem Fleische, zu. Bei seinen ersten Schritten, wie auch in dem ganzen ersten Teil seiner Geschichte (Kap. 21 — 24), ist Isaak daher das Vorbild von Christo. 
Eine bedeutungsvolle Tatsache beherrscht sein Leben. Er, „der einzige Sohn, der Geliebte“ (1. Mose 22, 2), der auf dem Berge Morija als Brandopfer dargebracht wurde, ist aus den Toten auferstanden“, denn so hat Abraham „ihn im Gleichnis empfangen“ (Hebr. 11, 19). Als auferstandener Mensch empfing er dann eine Braut *) nach dem „zuvorbestimmten Vorsatz seines Vaters“ (1. Mose 24, 1 — 8). Elieser, ein eindrucksvolles Bild des Heiligen Geistes, geht, um sie zu holen, und führt sie ihm durch die Wüste zu.
Dem Befehl Abrahams gemäß durfte das Weib Isaaks nicht „aus den Töchtern der Kanaaniter“ genommen werden; sie musste der Familie des Glaubens, „dem Lande und der Verwandtschaft“ Abrahams, angehören. Doch diese Verwandtschaft selbst bot ein ziemlich trauriges Schauspiel. Nahor, von weitem den Spuren seines Bruders Abraham folgend, war nach ihm in das Land Haran gekommen und hatte sich dort niedergelassen (1. Mose 24, 10), ohne daran zu denken, wie jener dem Rufe Gottes bis ans Ende zu folgen. Obwohl er sich von dem öffentlichen Götzendienst, den man „jenseits des Stromes“ trieb, fernhielt, hatten doch seine Söhne (wenn nicht auch er) keineswegs ihre Teraphim oder Hausgötter aufgegeben; zugleich erkannten sie Jehova als ihren Gott an. (Vergl. 1. Mose 31, 19.29.53).
Auch sollte Isaak, wenngleich er sein Weib aus dem Lande Haran nehmen konnte, sich hüten, dorthin zurückzukehren (1. Mose 24, 6). Rebekka sollte ihrerseits, um ihrem Manne ganz anzugehören, „ihr Volk und das Haus ihres Vaters vergessen« und im Lande der Verheißung in Gesellschaft des auferstandenen Mannes leben; es durfte bei ihr weder eine Vermengung noch einen Vergleich geben. Das hatte sie verstanden, denn gegenüber den Bitten ihrer Brüder kommt nur ein einziges Wort aus ihrem Munde: „Ich will gehen“. Ein schönes Wort, würdig des Mannes, den sie liebte, ohne ihn gesehen zu haben, an den sie glaubte, ohne ihn noch zu sehen; ein Wort des Vertrauens aus den, dessen Wert sie schätzte; ein Wort der Entscheidung, denn es war der geliebte Herr, der sie anzog; ein Wort der Unterwerfung, denn auf die Worte Eliesers: „Haltet mich nicht auf“, folgt sie ihm durch die Wüste, bis sie endlich, als sie ihrem Herrn begegnet, sich zum Zeichen der Unterwerfung von ihrem Kamel herabwirft und sich vor ihm mit ihrem Schleier verhüllt.
Welche Freude war es für sie, Isaak sich entgegen kommen zu sehen von Lachai-Roi, dem Brunnen „des
Lebendigen, der sich schauen lässt“! (Kap. 24, 62). Dort hatte er vor dieser Begegnung gewohnt, und dort
wohnte er auch nach seiner Vereinigung mit Rebekka. (Kap. 25, 11.) Einst hatte Jehova Hagar bei diesem
Brunnen gefunden, der „an dem Wege nach Sur“ ist (Kap. 16, 7), und Hagar hatte gesagt: „Habe ich nicht
auch hier geschaut, nachdem Er sich hat schauen lassen?“ Weder Ismael, der nach dem»Fleische Geborene, noch seine Söhne nach ihm hatten Nutzen davon gehabt, denn „sie wohnten bis Sur hin“, ohne den Brunnen des Schauens zu kennen und ohne dieses Wasser zu trinken, welches die Augen der Elenden auftut. Nur der geistliche Mensch stillt seinen Durst an der Offenbarung Gottes.
O Brunnen Lachai-Rot, göttliches Wort, Offenbarung des Vaters und des Sohnes, tiefe Quelle, Ort der höchsten Freuden für den auferstandenen Menschen, frisches Wasser, wo die ihren Durst stillt, die Er zu Seinem Weibe gemacht hat! Quelle, wo man den Unsichtbaren schaut, wo man Seine Gnade kennt, wo man Ihn in der Innigkeit Seiner Gemeinschaft genießen lernt, wo man Rat und Leitung findet, welche die dürren Örter zu einer frischen Oase ergrünen lässt! Herauf, Brunnen der Wüste, für mich, für das ganze Volk des Herrn! — Möchte deine Familie, teurer Herr, ohne Aufhören wohnen rings um dein Wort, bei dem Brunnen des lebendigen Gottes! 
Im 26. Kapitel, mit welchem der zweite Teil der Geschichte Isaaks beginnt, ist der Patriarch nicht mehr das Vorbild von Christo, sondern von dem Gläubigen, der berufen ist, hienieden in seinem Charakter als himmlischer und auferstandener Mensch zu wandeln. Ach! hier wie immer sehen wir den Menschen unfähig, sich auf der Höhe seiner Berufung zu erhalten. Einst hatte die Hungersnot Abraham nach Ägypten geführt; und es ist wieder eine Hungersnot, die Isaak nach Gerar treibt. Gott sagt zu ihm: „Ziehe nicht hinab nach Ägypten“, denn er sollte in Kanaan wohnen. Er erlaubt ihm jedoch, sich in Gerar aufzuhalten, da er dort schon seinen Aufenthalt genommen hatte. Die Folgen davon lassen nicht auf sich warten: Isaak verleugnet seine Verbindung mit seinem Weibe, ein Vorbild von der Verbindung Christi mit der Kirche. Was Abraham in Ägypten getan hatte, tut er im Lande der Philister. Ägypten stellt die Welt dar; Philistäa die Welt, die sich auf dem Gebiet des Landes der Verheißung niedergelassen hat, die den Gläubigen feindliche Welt, obwohl sie innerhalb ihrer Grenzen ein Teil mit ihnen hat. 
Diese Tatsache lehrt uns, dass es ebenso unmöglich ist, seine Beziehungen zu der Gemeinde Christi zu bekennen und öffentlich aufrecht zu halten inmitten einer Welt, die mit dem Volke Gottes verbunden ist, wie in einer Welt, die durch Ägypten dargestellt wird. Weder die eine noch die andere duldet dieses Zeugnis. Ein Christ, der in Gerar wohnt, lässt sich dort seinen besten Schatz rauben: die Gemeinschaft zwischen dem Gatten und der Gattin. Seine Beziehungen, sein Zeugnis, sind zerbrochen. Die Welt bemächtigt sich der Gattin und nimmt sie gefangen. Wie Abraham, so macht auch Isaak diese demütigende Erfahrung. Eine solch falsche Stellung des Menschen Gottes mag ihm zunächst große Vorteile zu bringen scheinen. Er sät im Lande Gerar und erntet das Hundertfältige; er empfängt viele zeitliche Segnungen; vielleicht wird er immer „größer werden, bis er sehr groß geworden ist“, Vielleicht, wie einst Abraham, eine Menge Herden und Knechte finden. Aber die Freude der Gemeinschaft ist erloschen, die innigsten Bande der Seele sind zerrissen. Zudem bringt uns die Verbindung mit der Welt in ihren religiösen Formen, die uns dieser Schätze beraubt hat, Streitigkeiten, Widerstand und Hass; denn das Kind Gottes, so schwach es sein mag, wird, so lange es seinen himmlischen Charakter nicht gänzlich verleugnet, immer von der Feindseligkeit der Welt gegen Christum zu leiden haben. Das ist es, was Isaak erfährt, weil er sich in Gerar niedergelassen hat. 
Isaak, das Bild des himmlischen Menschen, ist ein „Brunnengräber“. Der Christ ist ihm ähnlich. Sein Glück besteht darin, die erfrischenden Wasser zu suchen, zunächst für sich selbst, sodann um andere daran teilnehmen zu lassen. „Isaak grub die Wasserbrunnen wieder auf, welche sie in den Tagen seines Vaters Abraham gegraben, und welche die Philister nach dem Tode Abrahams verstopft hatten“ (V. 18). So bringen die Zeugen des Herrn alte Wahrheiten wieder ans Licht; wenn aber diese Zeugen nicht von der Welt getrennt sind, bemächtigt sich diese letztere der Wahrheiten ihres Zeugnisses, als ob sie von ihr herrührten und ihr gehörten. So war es mit den großen Wahrheiten, die bei der Reformation wiedergefunden wurden, der Rechtfertigung aus Glauben und der Errettung aus Gnade. Wenn ein Zeuge Jehovas in der Mitte der Philister bleibt, so verliert er dort die Frucht seiner geistlichen Arbeit.
Isaak gräbt dann neue Brunnen, ein Bild von neuen Wahrheiten. Aber Esek und Sitna sind Gegenstände des Streiies und Hasses; der Patriarch wird gezwungen, sie in den Händen des Feindes zu lassen, ohne sie benutzen zu können. Er bekommt erst Raum, wenn er sich von Philistäa entfernt; da gräbt er den Brunnen Rechoboth (Räume), „denn“, sagt er, „nun hat Jehova uns Raum gemacht“. Wenn wir von jeder Verbindung mit der Welt freigemacht sind, ist sie kraftlos gegen unser Zeugnis. Der Gottesdienst und der wahre Charakter des Christen begegnen sich nur in einer völligen Absonderung von der religiösen Welt. Isaak macht diese Erfahrung in Beerseba, im Lande seines Vaters; denn wie Abraham, als er aus Ägypten zurückkehrte, so baut auch er erst dort einen Altar, indem er den Namen Jehovas anruft, und schlägt dort sein Zelt auf. In Beerseba ist Isaak wieder auf sein eigenes Gebiet zurückgekommen, und das muss die Welt anerkennen, ohne jedoch sich selbst zu verurteilen.»««) Der Brunnen Rechoboth ist der letzte Abschnitt auf dem Wege dieses Glaubensmannes: ein einfaches und stilles Zeugnis, welches für die ewigen Wahrheiten abgelegt wird, angesichts einer Welt, die sie nicht kennt, aber „deutlich sieht, dass Jehova mit uns ist“ (V. 28). Alles das zeigt uns einen Fortschritt bei Isaak als Mensch Gottes, sagt uns aber auch, wie weit entfernt er, in der Praxis, von Dem ist, dessen Vorbild er im ersten Teil seiner Geschichte war. Ach! im Laufe der Geschichte Jakobs werden wir Zeugen eines wirklichen Niedergangs bei unserem Patriarchen sein. Wir werden diesen dritten Teil seiner Laufbahn, der mit derjenigen Jakobs eng verbunden ist, kennen lernen, wie der Gang der Ereignisse es mit sich bringt.
I.  
Jakob im elterlichen Hause.
Zwei Grundsätze und zwei Geschlechter. (1. Mose 25, 19 — 26.)
Wie Sara, so war auch Rebekka unfruchtbar. Diese Frauen sind hierin Bilder von Israel, von dem Menschen nach dem Fleische unter dem Alten Bunde. Rahel, auch das Weib Manoahs und Hanna, noch später Elisabeth, wurden in derselben Weise heimgesucht. Ihre Unfruchtbarkeit, ein Zeichen der Kraftlosigkeit, bedeutete, dass das Fleisch weder das Recht noch das Vermögen hat, in die Familie des Glaubens einzuführen. Nur die göttliche Gnade und Kraft eröffnen den Zugang dahin, denn Gott behält sich vor, der Einzige zu sein, welcher unsere Segnung bewirkt. 
In dieser Prüfung hatte es Abraham und Sara an „Einsicht und Glauben gemangelt. Durch den Kunstgriff eines menschlichen Übereinkommens (Kap. 16, 1 — 3) suchte Sara sich das zu verschaffen, was Gott ihr noch nicht gewährt, was Er aber dem Abraham in feierlicher Weise verheißen hatte mit den Worten: „Der aus deinem Leibe hervorgehen wird, der wird dich beerben) (Kap. 15, 4) Isaak hatte mehr Glauben als Sara. Er rechnete auf Gott, und, von Ihm allein abhängig, „bat er Jehova für sein Weib, denn sie war unfruchtbar“. Später ahmte Jakob seinem Großvater Abraham nach, als Rahel ihm ihre Magd Bilha gab; anstatt wie Isaak zu bitten, „entbrannte sein Zorn wider Rahel“ (Kap. 30, 2) Ganz anders verhielt sich Hanna, als sie in der Betrübnis und Bitterkeit ihrer Seele unter vielem Weinen Jehova bat, und „die Sehnsucht des Weibes“ durch die Geburt Samuels erhört wurde (1. Samuel 1). Zacharias hatte nur einen mäßigen Glauben. Er hatte für Elisabeth gefleht (Luk. 1, 13), aber er zweifelte, als der Engel kam, um ihm zu sagen, dass sein Gebet erhört sei; auch wurde er stumm bis zum Tage der Geburt des Vorläufers Christi.
Abraham hatte zwei Söhne, einen von der Magd und einen von der Freien: Ismael, den Sohn nach dem Fleische, und Isaak, den Sohn nach dem Geiste. Isaak war kaum entwöhnt, als „der nach dem Fleische Geborene den nach dem Geiste Geborenen verfolgte“ (Gal. 4, 29). Das Fleisch, ein in der Person Ismaels von außen kommender Grundsatz, erhob sich gegen den, der aus Gott geboren war. Ebenso haben Jesus und alle die Seinen nach Ihm den Hohn und die Feindschaft des Fleisches, dieses Feindes von außen, erfahren. 
Rebekka „war schwanger von Einem, von Isaak“, (Röm. 9, 10) und hatte von ihm „zwei Kinder, die sich in ihr stießen“. Hier fanden sich die beiden Grundsätze in ihr und bekämpften sich in ihr, wie geschrieben steht: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt“. In dem Gläubigen muss indes das eine dem anderen unterworfen sein, „auf dass wir nicht das tun, was wir wollen“ (Gal. 5, 17). So ist es gleichsam auch hier: Jakob kam heraus, indem seine
Hand die Ferse Esaus festhielt. Doch die Gegnerschaft der beiden Naturen beschränkt sich nicht auf den Mutterleib Rebekkas; sie besteht fort, nachdem die Kinder geboren sind, wie Gott sagt: „Zwei Völkerschaften werden sich scheiden aus deinem Innern“. Viele Christen, welche die Welt nicht aufgeben wollen, stellen der Verpflichtung, sich von ihr zu trennen, die Tatsache gegenüber, dass wir die Welt in unserem Herzen tragen. Das ist aber nicht was das Wort lehrt. Es zeigt allerdings, dass es in dem Gläubigen eine not- wendige Gegnerschaft zwischen dem Fleische und dem Geiste gibt, und dass die Weltlichkeit seines Herzens sich nicht rechtfertigen lässt; aber die Anwesenheit und die Gegnerschaft der beiden Naturen in ihm schwächt keineswegs die andere Wahrheit, dass eine Scheidung zwischen dem aus dem Geiste Geborenen und dem aus dem Fleische Geborenen notwendig ist. Es gibt da zwei bestimmte Familien, die nichts miteinander gemeint haben können, weder Titel, noch Vorrechte, noch Segnungen. (Vergl. Röm. 9, 8).
Man fragt vielleicht: Warum werden die einen gesegnet und die anderen nicht? Gott antwortet: „Auf dass der Vorsatz Gottes nach Auswahl bestände“ (Röm. 9, 11). Die Auswahl Gottes ist unumschränkt; Er ist niemand Rechenschaft darüber schuldig. Er bringt sie in Gegensatz, zu den Werken, das heißt zu der Anmaßung des Menschen, seinerseits die Gnaden der Auserwählung erwerben zu können. Aber, wird man sagen, dann erwählt Gott ja die einen zum Segen, die anderen zum Fluch, und was vermögen wir gegen Gottes Willen? Eine törichte Frage; denn niemals erwählt Gott zum Verderben. Er zeigt Seine freie
Gnadenwahl in den Worten: „Der Altere wird dem Jüngeren dienen“, aber Er zeigt auch die Folgen der Verantwortlichkeit des Menschen, wenn Er den Worten: „Ich habe Jakob geliebt« hinzufügt: „Esau aber habe ich gehasst“ (Mal. 1, 2. 3). Wann hat Er Jakob geliebt? Im ersten Buche der Bibel und schon im Mutterleibe. Wann hat Er Esau gehasst? Im letzten Buche des Alten Testamentes, als trotz der Langmut Gottes Edom (Esau) sich bis ans Ende als der unversöhnliche Feind Jehovas und Seines Volkes erwiesen hatte. Auf diese Weise offenbaren sich einerseits die Früchte der Gnade Gottes und andererseits die der Verantwortlichkeit des Menschen. Niemals gibt Gott den einen dieser Grundsätze zu Gunsten des anderen auf, noch schwächt Er den einen durch den anderen, wohin die falschen Überlegungen des Menschen nur zu oft neigen.

Fußnote:
*) Aus dem Französischen von H. R. 
**) Rebekka ist das einzige vollständige Vorbild der Kirche und ihrer Berufung im Alten Testament
***) Ihr hasset mich und habt mich von euch weggetrieben«, sagt Isaak zu ihnen. Sie antworten: »Wir haben dir nur Gutes erwiesen!“ (Kap. 26, 27. 29).

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Wahrheit im Innern

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 225ff

„Ihr sollt diese meine Worte auf euer Herz und auf eure Seele legen, und sie zum Zeichen auf eure Hand binden, und sie sollen zu Stirnbändern zwischen euren Augen sein. Und lehret sie eure Kinder . . . , und schreibe sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore!“ (5. Mose 11, 18 — 20).
Mit diesen eindringlichen Worten wandte sich Jehova einst an die Kinder Israel.
Herz und Seele, der Sitz der Zuneigungen und Gefühle, die Hand, die Ausführerin der Gedanken und des Willens, die Augen, welche der Seele die Eindrücke von außen her vermitteln, und endlich die Stirn, hinter welcher das Denken, die Erkenntnis, wohnt —- mit einem Wort, das ganze Sein, Fühlen, Handeln und Denken sollte mit dem Worte Jehovas in inniger Verbindung stehen. War diese Vorbedingung erfüllt, so sollten die Israeliten das Wort ihren Kindern einschärfen und Zeugnis davon geben im eignen Hause und in der Öffentlichkeit.
Das Erste, worauf Gott uns hier und an anderen Stellen der Heiligen Schrift aufmerksam macht, ist also das Tragen der Worte Gottes auf dem Herzen, auf der Seele. Wir sollen das Wort im Herzen bewahren, es nicht bloß in unser Gedächtnis aufnehmen, sondern uns dadurch beeinflussen und leiten lassen, unser ganzes Handeln und Wandeln nach ihm einrichten. An der Wahrheit im Innern hat Gott nach Psalm 51, 6
Seine Lust. Ist diese aufrichtige Gesinnung in unseren Herzen, beugen wir uns einfältig unter die Wahrheit, dann wird auch unser Wandel Gott wohlgefällig sein, und ein wahres Zeugnis in Haus und Welt wird daraus hervorgehen. 
Wir beachten diese Aufforderung Gottes oft wenig und vergessen, dass es in Sprüche 23, 26 heißt: „Gib
mir, mein Sohn, dein Herz!“ — nicht deine Hand, deinen Willen, nicht deinen Kopf, deinen Verstand, nein,
„dein Herz“. Darum fehlt es auch in unserem Leben so vielfach an Tiefe und Ernst, darum so viel Kopferkenntnis ohne innere Kraft, so viel Schein statt Wirklichkeit, so viele hohe, über unsere Erfahrung hinaus- gehende Worte neben einem weltförmigen Wandel. 
Nie kann die innerliche Stellung zu Christo, der praktische Zustand des Herzens, zu stark betont werden. Aus der Gemeinschaft mit Ihm fließt aller wahre Dienst, jede fruchtbare Tätigkeit; aus dem Genuss Seiner persönlichen Nähe muss die Erkenntnis kommen. Sind Dienst und Erkenntnis nicht mit der Wahrheit im Innern verbunden und durch sie geheiligt, so bleibt die Erkenntnis ein trockenes, bloßes Aufnehmen der göttlichen Wahrheiten in den Kopf, und der Dienst für den Herrn erweist sich als fruchtleer; denn Gott kann nur das als Frucht anerkennen, was aus dem Bleiben in Christo hervorgeht. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15, 5). 
Wie wir gelesen haben, ermahnt Jehova Sein Volk, das Wort zuerst auf Herz und Seele zu legen, und es
dann als Zeichen auf die Hand und als Stirnband zwischen die Augen zu binden. Beachtenswert ist die Reihenfolge. Die Aufnahme des Wortes ins Herz steht an der Spitze und wird somit als das Wichtigste vorgestellt. Das lebendige und bleibende Wort, durch welches wir wiedergeboren sind, durchdringt unser ganzes Sein, wirkt auf Herz, Hand und Kopf. Wir können das an dem Beispiel des Mannes in Römer 7 schön beobachten.
Sobald dieser zu neuem Leben erwachte, wurde das Wort zu einem Stirnband zwischen seinen Augen und veränderte sein Urteil, sein Denken. Er missbilligt jetzt das Böse, woran er bis dahin sein Wohlgefallen gefunden, und sagt: „Was ich vollbringe, erkenne ich nicht“ (V. 15).
Auch wird es zum Zeichen auf seiner Hand und ruft den Willen, Gutes zu tun, hervor, so dass er sagen kann: „Das Wollen ist bei mir vorhanden“ (V. 18). 
Ferner ruht es auf seinem Herzen und seiner Seele und lässt ihn ausrufen: „Ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ (V. 22). 
Ich erwähne dieses Beispiel nur, weil die Anzeichen des neuen Lebens in der dreifachen Wirkung des Wortes auf Herz, Kopf und Hand sich hier so schön erkennen lassen, ohne dass ich auf die Seelenkämpfe dieses Mannes und deren Ergebnis näher eingehen möchte.
Übertrifft die Erkenntnis den verborgenen Umgang mit dem Herrn, so leidet der geistliche Zustand des Herzens. Wir lesen dann vielleicht mit großem Interesse die Bibel, um in der Erkenntnis fortzuschreiten, vielleicht auch um andere im Dienst unterweifen zu können, was beides sicher gut ist, wir lesen sie aber nicht in der Absicht, um das Wort auf uns selbst anzuwenden und es fleißig und treu zu beobachten. Wir treten dann an das Brot des Lebens heran, ähnlich wie ein Chemiker die einzelnen Bestandteile voneinander scheidet und deren Nährwert beschreibt, selbst aber das Brot nicht isst; während wir uns nahen sollten wie der Hungrige, der den Wert des Brotes als solches schätzt und würdigt. Und die Folge ist geistliche Dürre. Wir unterliegen auch leicht der Neigung, die Geheimnisse des Wortes, ja, selbst die Person unseres hochgelobten Herrn zu zergliedern und zum Gegenstand menschlichen Studiums zu machen. Ungeheiligte Wissbegierde und grübelnde, spekulative Gedanken, welche die Liebe zu Christo nicht fördern, treten an die Stelle der anbetenden Betrachtung Christi. Statt Ihn zum Gegenstand der Ernährung und Erquickung zu haben, als Den, welchen wir wiederum im Leben darstellen sollen nach dem Grade der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in uns, machen wir es wie die Bewohner von Beth-Semes: wir würdigen Ihn herab zu einem Gegenstand für unsere Neugier. Es war ja nur Mangel an Ehrfurcht und ein ungeheiligter Geist, der jene neugierigen Leute von Beth-Semes verleitete, in die Bundeslade zu schauen, was ein so ernstes Gericht über sie brachte (1. Sam. 6). 
Vergessen wir nicht, dass das Wort überhaupt nicht dem menschlichen Verstande sich enthüllt, sondern nur dem Glauben und dem Bedürfnis der Seele welche sich von ihm zu nähren wünscht. Geht der Wunsch nach Erkenntnis über dieses Bedürfnis hinaus, so gleichen wir den Israeliten, welche in der Wüste mehr Manna sammelten, als sie zur täglichen Nahrung bedurften, und die dann in den übergesammelten Körnern Würmer sanden. Gott schätzt nur die Erkenntnis, die wir durch Gemeinschaft mit Seinen Gedanken, als Folge der Wahrheit im Innern, gewinnen. 
Unser Verlangen, möglichst viel über die göttlichen Dinge zu erfahren, sollte daher dem Wunsche nachstehen, von dem, was wir wissen, einen Gott wohlgefälligen Gebrauch zu machen, indem wir es durch die Kraft des Heiligen Geistes zur Belebung und Erfrischung unseres Glaubens benutzen. Dann allein erfüllt unser Wissen den von Gott bestimmten Zweck, und so ist es auch wohl nicht ohne Absicht, dass in der Reihenfolge der Ermahnungen das Legen des Wortes als Stirnband erst an dritter Stelle steht, nach dem Binden zum Zeichen auf die Hand. 
Das bloße Wissen mag mich z. B. befähigen, die Zusammensetzung aller Teile der Waffenrüstung Gottes zu erklären und darüber zu sprechen, gibt mir aber nicht die Kraft, dieselbe anzuziehen und in wirklicher Abhängigkeit von Gott in der Kraft des Herrn dazustehen. Die Rüstung anziehen, um vor den Listen Satans geschützt zu sein, kann ich nur durch den Glauben und in der verborgenen Gemeinschaft mit dem Herrn. 
So kann ich mich auch mit bloßem Wissen des am Kreuze vollbrachten Werkes erfreuen, ohne dabei näheren, persönlichen Umgang mit dem Herrn zu haben; ich kann das Heil kennen, ohne mit dem Urheber des Heils vertraut zu sein. Und wenn dieses bloße Wissen, dieses äußere Bekanntsein mit den Dingen Christi, viel weiter geht, als das wahre Vertrautsein der Seele mit Ihm, dann ist sogar die Gefahr vorhanden, dass wir zu Heuchlern werden, dass z. B. unsere Gebete daheim oder in der Versammlung aus einem fließenden Aufzählen bekannter Wahrheiten bestehen, anstatt der Ausdruck der dankbaren Gefühle oder der Bedürfnisse unserer Herzen in der Salbung des Geistes zu sein. Ein aufrichtiges Gebet entspringt nur der Fülle des Herzens; es steigt aus dem Innern hervor, nicht aus dem Kopfe.
Gewiss sollen wir mit Fleiß nach Erkenntnis trachten und das Wort des Christus, in welchem alle Weisheit ihren Ursprung hat, reichlich in uns wohnen lassen, dabei aber nicht vergessen, die Zuneigungen des Herzens mit ihm zu nähren. Ein untrügliches Kennzeichen da- von, ob das Wort des Christus nicht bloß im Kopf, sondern auch im Herzen wohnt, ist das „Singen und Spielen dem Herrn“ im Herzen. (Eph. 5, 19; vergl. Kol. 3, 16.) Ja, Singen und Spielen wird stets in den Herzen gefunden werden, die das Wort der Weisheit und Erkenntnis mit der Wahrheit im Innern verbinden. Fehlt diese Herzensmusik, so entbehrt unsere Erkenntnis ihres Wohlgeruchs, und sie hat nicht die Kraft, andere zu erquicken.
Es gibt etwas, das Christo viel kostbarer ist, als Verstand und Erkenntnis; das ist ein Herz, welches Ihn liebt. Wie schätzte der Herr die Tränen der Maria am Grabe, obwohl sie aus Unwissenheit flossen, da ihr die Erkenntnis von der Auferstehung fehlte! 
Wahrheit im Innern, verbunden mit dem lebendigen Verständnis über die Person unseres Herrn, das allein in Seiner Gemeinschaft gewonnen wird, fördert das wahre Wachsen in der Erkenntnis, und Wahrheit im Innern, verbunden mit der Liebe zu Ihm, vermag allein die notwendige Hingebung und Selbstverleugnung
im Dienst zu erzeugen und diesen über die selbstsüchtigen, niedrigen Beweggründe der menschlichen Natur zu erheben. Steht es so mit uns, dann ist ein beständiges Warten auf den Herrn mit unserem Dienst verbunden. Wir handeln dann, Seinen eigenen Worten entsprechend, mit dem uns anvertrauten Pfunde, „bis Er kommt“ (Luk. 19, 13), d. h. in dem steten Ausblick nach Ihm. Ja, je lebendiger wir Ihn erwarten, desto tätiger wird unsere Hand sein, desto mehr werden wir die Zeit zum „Handeln“ im Sinne des Herrn ausnutzen. 
Das Tätigsein für den Herrn ist jedoch etwas anderes, als man nach den gewöhnlichen menschlichen Begriffen unter Tätigkeit versteht. Die menschliche Tätigkeit erfordert persönliche Anstrengung, *) und Anstrengung setzt eigene Kraft voraus. Die Tätigkeit für den Herrn ist dagegen der eigenen Kraft und der eigenen Anstrengung völlig bar; für Ihn hat nur das Wert, was durch Ihn im Herzen gewirkt ist und zu Ihm als der lebendigen Quelle wieder zurückfließt. „An Frömmigkeit habe ich Gefallen und nicht am Schlachtopfer, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern“ (Hos. 6, 6). 
Das Vertrautsein der Seele mit dem Herrn selbst ist ein kostbares Gut, kostbarer als alle Erkenntnis, und es erfreut Ihn mehr, wenn unser Herz und Ohr von Ihm zu empfangen wünschen, als wenn wir Ihm mit Hand und Fuß zu dienen begehren. Damit soll keineswegs der Dienst in seinem Werte herabgesetzt werden. Wie sehr der Herr unseren Dienst schätzt, wenn wir ihn üben, nicht um Ihm etwas zu bringen, sondern weil Seine Liebe uns dazu drängt, das ersehen wir aus Johannes 12, wo der Heilige Geist für alle Zeiten ausdrücklich mitgeteilt hat, dass Martha, die von Jesu geliebt war, dem Herrn diente. Sie diente hier, ohne an sich oder ihren Dienst zu denken; der Dienst war keine Anstrengung für sie, noch war er mit Unzufriedenheit gemischt, wie in Luk. 10, 38 — 42. Daher fand er auch die volle Würdigung des Herrn. Der Tadel, welchen Martha sich in Luk. 10 zuzog, verleitet uns oft, ihre Treue und Zuneigung nicht so wohlwollend zu beurteilen, wie es hier in Joh. 12 ohne Frage geschieht. Wir tun ihr unrecht, und ich möchte die liebe Leserin fragen, ob sie wohl ebenso willig dienen würde, wenn der Herr ihr eines Tages, vielleicht unangemeldet, auch so viele Gäste ins Haus schicken sollte, wie es hier geschah.
Dennoch hatte Maria das gute Teil erwählt. Sie vergaß in Jesu Gegenwart, in Seiner Nähe, alles andere. Ein wenig von der Fülle kennend, die in Christo war, begehrte sie aus dieser Fülle zu nehmen, und das war kostbarer als aller Dienst, den sie Ihm hätte erweisen können. Gewiss war es Liebe, was Marthe: bewog, dem Herrn, der müde in ihr Haus kam, zu dienen, Ihn zu bewirten, Jhm zu geben; aber schöner war in den Augen des Herrn die Handlungsweise der Maria. Die Ehre, welche sie dem milden Pilgrim erwies, war weit höher, als die, welche Martha Ihm antat.
Wenn wir nun glauben, dem Herrn durch unseren Dienst etwas bringen zu können, so muss Er uns daran
erinnern, dass Geben seliger ist als Nehmen, dass Ihm also das Geben als das Größere zukommt, und dass Er, der auf alles, was wir sind und haben, bedingungslose Ansprüche hat, doch in erster Linie wünscht, dass wir von Seiner Liebe Gebrauch machen und aus Seiner Fülle nehmen. 
Noch einmal denn: die reichste Erkenntnis und der eifrigste Dienst haben nur dann Wert für Ihn, wenn sie aus der herzlichen, innigen Gemeinschaft mit Ihm hervorgehen und verbunden sind mit einer lauteren, aufrichtigen Gesinnung des Herzens, mit der Wahrheit im Innern. Wenn diese vorhanden ist, so wird Er selbst uns „im Verborgenen Weisheit kennen lehren“, und indem wir Ihn anschauen, in Ihn uns versenken, werden wir umgestaltet werden in Sein Bild. Dann werden wir auch treu der Mahnung folgen, unseren Kindern die Worte Gottes einzuschärfen. Dann wird der Name des Herrn aus den Pfosten unserer Häuser stehen, und die Lehre unseres Heiland-Gottes wird durch uns und unsere Familien geziert werden in allem. Dann wird auch die Welt an unseren Toren lesen können, dass wir Den erwarten und lieben, den sie verworfen hat, den sie verachtet.

Fußnote:
*) Ich ·rede hier natürlich nicht von leiblichen Anstrengungen.

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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 233ff

Wir begegnen nie einem Kreuz, ohne auch einer Segnung zu begegnen, wenn wir es als solche aufnehmen.

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Jakob oder die Zucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 234ff

Der Ungöttliche und der Überlister.
Die Kinder wachsen heran, ihr Charakter offenbart sich. „Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann
des Feldes.“ Er stellt den Menschen der äußeren Tätigkeit, der körperlichen Kraft dar, welcher in dieser Welt den seiner Entwicklung eigenen Wirkungskreis findet, und der seine natürlichen Fähigkeiten in den Dienst seiner Lüste stellt. Als ein neuer Nimrod liebt er die Jagd, und seine Tatkraft verhilft ihm zur Befriedigung dieser Leidenschaft. „Jakob war ein sanfter Mann, der in den Zelten blieb.“ Man erkennt hier einen Zweig der Familie des Glaubens. Die Sanftmut bei ihm ist nicht das Gegenteil von List; wir werden leider nur zu oft sehen, welch eine große Rolle die List in der Geschichte Jakobs spielt, und welch ernster Zucht Gott ihn unterwerfen muss, um ihn von diesem Übel zu reinigen. Die Sanftmut Jakobs war die eines Mannes, der keine Bedürfnisse hat, der sich zufrieden gibt mit dem, was Gott darreicht, ohne nach Wohlstand und Ansehen zu streben — Charakterzüge, die denjenigen Esaus unmittelbar entgegengesetzt sind. Darum blieb er auch in den Zelten, ein echter Sohn jener Glaubensmänner Abraham und Isaak. „Abraham“, lesen wir, „wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung“ (Hebr. 11, 9). Im Beginn seiner Laufbahn ist also Jakob ein Zeuge Gottes, der als Fremdling in einer Welt lebt, in welcher er keine bleibende Stadt sucht; denn er hält an der Verheißung Gottes und seines Erbteils fest, und das genügt seinem Glauben. 
An diesem Punkt der Erzählung beginnt der dritte Teil der Geschichte Isaaks, in Verbindung mit der seiner
beiden Söhne. Isaak ist hier nicht mehr der Mensch Gottes, der, wenigstens teilweise, seinen himmlischen
Charakter verwirklicht; er lässt sich im Gegenteil in seinem Verhalten durch rein irdische Beweggründe leiten. „Isaak hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Munde“. Der Hang zu einem guten Essen, ein Hinneigen zu dem, was die Welt Tafelfreuden nennt, das war es, was die Zuneigungen Isaaks, ohne dass er es ahnte, auf eine falsche Bahn leitete. Das Fleisch zieht immer das Fleisch an. Ist es nicht schmerzlich, daran zu denken, dass der gottesfürchtige Isaak, wenn er gekonnt hätte, den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißungen gemacht haben würde, weil er das Wildbret liebte? 
„Rebekka liebte Jakob.“ War es vielleicht die Zuneigung einer Mutter zu demjenigen ihrer Söhne, welcher der schwächere war, und den sein Vater weniger schätzte? Der Grund wird uns nicht mitgeteilt, aber doch möchten wir glauben, dass Rebekka, die trotz. Allem eine Frau des Glaubens war, in ihrem Herzen die Antwort Jehovas bewahrt hatte, als sie hingegangen war, um Ihn zu befragen. (1. Mose 25, 22 u. 23).
In den Versen 29 — 34 zeigt sich der Charakter der beiden Brüder völlig. Esau ist „ein Ungöttlicher“ und „verkauft für eine Speise sein Erstgeburtsrecht“ (Hebr.12, 16). Von Müdigkeit übermannt, ruft er aus: „Siehe, ich gehe hin zu sterben, und wozu mir da das Erstgeburtsrecht?“ Der Unselige begreift nicht, dass er damit sein Recht nicht nur auf gewisse irdische Vorteile verkauft, sondern auch auf höhere Segnungen, die dem Abraham „und seinem Samen, welcher Christus ist“, verheißen waren. Ja, er verkauft Jakob sein Anrecht auf die Stammvaterschaft des Messias, ein Vorrecht, welches Jakob verliehen wurde; denn es heißt: „Abraham zeugte Isaak; Isaak aber zeugte Jakob“ und so weiter bis auf „Jesus, der Christus genannt wird“ (Matth. 1). Esau verachtet die Gabe Gottes (V. 34) und zieht ihr ein Linsengericht vor oder, mit anderen Worten, die armselige Befriedigung eines vorübergehenden Bedürfnisses seines Fleisches. Welch eine Gleichgültigkeit! Er hat die Wahl und gibt mit Vorbedacht sein Anrecht an die Segnung auf. „Er aß und trank, und stand auf und ging davon.“ O wenn er nachher den Segen ererben will und ihn mit Tränen sucht, wird es zu spät sein. — Ja, zu spät! — „Er wurde verworfen, denn er fand keinen Raum für die Buße!“ (Hebr. 12, 17). 
Dieses schreckliche Beispiel soll zur Warnung dienen. Die Welt ist voll von Esaus, welche eine Zukunft von Segnungen, die ihnen angeboten wird, opfern, um die Begierde eines Augenblicks zu befriedigen; sie verkaufen ihre Seele für ein Linsengericht und, nachdem sie gegessen und getrunken haben, „stehen sie auf und gehen davon“, ohne irgendwelches Gefühl über das Schreckliche ihrer Tat. Denken sie wohl daran, dass ein Tag kommen wird, wo sie „mit einem großen und bitterlichen Geschrei“ weinend sagen werden: „Segne mich, auch mich, mein Vater“, und wo sie „keinen Raum für die Buße“ finden werden? Gewiss, das Verhalten Esaus entschuldigt durchaus nicht dasjenige Jakobs. Bei diesem finden wir nichts, was uns anziehen könnte. Wenn es irgendwelchen Edelmut und natürliche Offenheit in dieser Geschichte gibt, so muss man sie bei Esau suchen. Jakob erspäht die Gelegenheiten und benutzt sie sehr geschickt, um sein Ziel zu erreichen. Er denkt von Beginn seiner Laufbahn an, dass er, um die verheißenen Segnungen zu erlangen, die menschlichen Mittel nicht vernachlässigen dürfe. Ein sehr verbreiteter Irrtum! Man gebraucht das Fleisch, um die Dinge Gottes zu erlangen, wenn man dabei auch der Tätigkeit des Glaubens einen Teil überlässt. Jakob musste mehr als zwanzig Jahre der Leiden und der Zucht durchleben, um zu lernen, dass die Tätigkeit des Fleisches nur dazu dient, dem Gläubigen Schwierigkeiten zu bereiten und ihn unter das Gericht Gottes zu bringen, ja, dass sie nichts anderes als ein Werkzeug zur Niederlage ist, und dass der Glaube allein den Sieg sichert. Esau handelte rein durch das Fleisch; Jakob stellte sein Fleisch, oder, wenn man will, seine Fähigkeiten und seinen natürlichen Verstand, auf eine Linie mit seinem Glauben, ohne zu verstehen, dass das eine des anderen Feind ist. Wir haben gesagt, die Welt sei von Esaus bevölkert; wir können mit demselben Recht sagen: die Christenheit ist von Jakobs bevölkert. Ist es nötig, dies durch Beispiele zu beweisen? Bedient man sich nicht in der Christenheit des natürlichen Verstandes, der Studien, des menschlichen Willens, der sich Gott weihen zu können meint, um das zu erlangen, was die Gnade Gottes uns geben will? Wenn Gott den Seinigen Werke des Glaubens bereitet, damit sie darin wandeln, setzt man nicht an deren Stelle Werke des eigenen Willens, welche den Werken Gottes nur hinderlich sind? Maßt man sich nicht an, durch menschliche Anordnungen sich die Segnungen zuzusichern, die der Herr Seiner Kirche verleiht? Die Verkündigung des Evangeliums, die Gaben des Geistes, die Auferbauung der Heiligen, selbst das Gebet, alles ist von diesem Übel angesteckt. Der aufrichtige Christ entdeckt überall, wohin er sich wenden mag, den Geist und die Grundsätze Jakobs, selbst in der Familie des Glaubens und unter denen, welche das Vorrecht haben, den Namen des Herrn in Wahrheit anzurufen. 
Es ist ein Trost, dass bei vielen, die
 so handeln, trotz allem Glauben vorhanden ist. Jakob legte trotz seines fleischlichen Betragens Wert auf die Verheißungen. Das seiner Mutter anvertraute Wort Gottes war seinem Herzen eingeprägt geblieben. Er hatte ein Bewußtsein von dem Vorrang, zu welchem er berufen war, und dieser sanfte Mann, der in Zelten wohnte, hatte Erscheinungen zukünftiger Herrlichkeit, die ihn die gegenwärtigen Dinge verachten ließen, während sein Bruder Esau die zukünftigen Dinge verachtete!

Die Töchter Heths. (1. Mose 26, 34. 35). 
„Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er zum Weibe Judith, die Tochter Beeris, des Hethiters, und Basmath, die Tochter Elons, des Hethiters.“
Die Heirat ist ein Prüfstein dafür, wie es mit unserer Religion beschaffen ist. Abraham, der Mann des Glaubens, belehrt durch die bitteren Erfahrungen einer Entzweiung zwischen Sara und Hagar, der Ägypterin, verlangte für seinen Sohn Isaak eine Tochter aus dem Geschlecht des Glaubens; er wollte keine Kanaaniterin, wollte auch nicht, dass sein Sohn zurückkehre, um sich im Lande Nahors niederzulassen, denn Abraham war von dort ausgegangen. Elieser erfüllt seinen Auftrag treu. So ist es immer, wenn Gottes Geist uns leitet. Isaak ist von der väterlichen Vorschrift nicht abgewichen. (Kap. 28, 1). Auch Jakob wandelte darin, obschon mit weniger Einfalt und Freimütigkeit als sein Vater. Für sie schloss der Glaube jede Verbindung mit den Töchtern der Welt aus. 
Dieselbe Verhaltungsregel wird dem Volke Gottes in 5. Mose 7, 3. 4 und Josua 23, 12. 13 anempfohlen.
Inmitten einer großen Betrübnis wirkt Esra (Kap. 10, 3 u. 11) auf das Gewissen des Volkes, damit es sich
von seinen unheiligen Verbindungen reinige. Nehemia (Kap. 10, 30) bestätigt ebenfalls diesen Grundsatz. Im Neuen Testament -— es ist gut, dessen eingedenk zu sein — wird die einzige Bedingung bei der christlichen Heirat in die Worte gekleidet: „nur im Herrn“ (1. Kor. 7, 39). 
Esau zeigt bei dieser Gelegenheit offen seine unheilige Gesinnung. Er nimmt Töchter der Hethiter zu Weibern, und „sie waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka“. Wie hätte es für dieses gläubige Ehepaar
auch anders sein können? Kam es doch durch seinen Sohn wider Willen mit einem Volke in Verbindung,
auf welchem der göttliche Fluch ruhte, und obwohl sie für sich selbst rein blieben, konnten sie sich doch nicht von dieser götzendienerischen Nachbarschaft befreien. Sie litten darunter, und das war recht. Sie konnten die Lage nicht ändern, denn göttliche Grundsätze hatten auf Esau keinen Einfluss. Es war eine Prüfung für diese Haushaltung von Gläubigen, und sie fühlten sie sehr schwer; Rebekka am meisten, denn ihre Liebe zu Esau war weniger blind, als die ihres Mannes: „Ich bin des Lebens überdrüssig wegen der Töchter Heths“, sagt sie (Kap. 27, 46). Auch treibt das böse Beispiel, welches Esau gab, seine Eltern um so mehr an, nach den Gedanken Gottes zu handeln bezüglich des Sohnes, der ihre Autorität anerkannte, und dessen Glaube mit dem ihrigen übereinstimmte. „Jsaak“, heißt es, „rief Jakob und segnete ihn; und er gebot ihm und sprach zu ihm: Du sollst nicht ein Weib nehmen von den Töchtern Kanaans, Mache dich auf, gehe nach Paddan-Aram, zum Hause Bethuels, des Vaters deiner Mutter; und
nimm dir von dort ein Weib von den Töchtern Labans, des Bruders deiner Mutter“ (Kap. 28, 1. 2).

Der geraubte Segen. (1. Moses 27). 
Das 27. Kapitel zeigt uns ein demütigendes Gemälde von dem, was im Schoße der Familie Gottes vorkommen kann. Isaak, das Haupt dieser Familie, „der himmlische Mensch“ der vorhergehenden Kapitel,
gibt einem irdischen Gelüst nach: „Wildbret war nach seinem Munde“. Er sagt zu Esau: „Siehe doch, ich bin alt geworden, ich weiß nicht den Tag meines Todes. Und nun nimm doch dein Jagdgerät, deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und er jage mir ein Wildbret; und bereite mir ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, dass ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe.“ Durch dieses Gelüst getrieben, steht er im Begriff, den Sohn des Fleisches dem Erben nach Gottes Willen, welchem Esau unterworfen sein sollte, vorzuziehen. Wir sehen auch, wie er in der Speise, die er gern hatte, die Kraft für den Dienst Gottes sucht, als ob diese erkünstelte Kraft der prophetischen Gabe eines Patriarchen zu Hülfe kommen könnte! Steht es in unseren Tagen damit anders? Wie oft erfasst die Christen eine Erregung des Fleisches, als ob es die Macht des Geistes wäre! Das Wildbret und der Wein sind nicht die einzigen Reizmittel des natürlichen Menschen; alles was die Welt ihm darbietet, die Beschäftigung mit dem eigenen Ich, der Wunsch sich zu erheben, der Hochmut des Lebens, die Einbildungskraft, verbunden mit tausend anderen Dingen, tragen dazu bei, dass er die Nüchternheit im Dienste des Herrn, durch welche allein Frucht erlangt werden kann, verliert. 
Noch weit ernster ist es, dass dieses eine Gelüst Isaaks ihn das Wort Gottes vergessen lässt und ihn in
Gegensatz, zu Gottes Gedanken bringt. Wir haben weiter oben gesagt: Wenn .Isaak gekonnt hätte, würde er den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißung gemacht haben! Man entgegne nicht, dass er hinsichtlich dieses Punktes unwissend gewesen sei; er hätte sich des Wortes erinnern müssen: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen“. Lasst uns daran denken, dass der Eingang, den wir der Welt in unseren Herzen gestatten, gleichen Schritt hält mit dem Vergessen des Wortes Gottes. Welch ein schreckliches Erwachen für Isaak, als seine Augen ausgingen und er auf einmal entdeckte, dass er aus Liebe zu seinem Sohne beinahe den Vorsätzen Gottes entgegen gehandelt hätte! Seht, wie er „Mit großem Schrecken über die Maßen erschrak! (V. 33). Das war nicht Zorn, oder Bestürzung darüber, dass sein jüngerer Sohn ihn getäuscht hatte; denn er hätte den Segen, der ihm gestohlen worden war, wieder zurücknehmen können. Nein, es ist der Schrecken über die Gefahr, welcher er durch die Gnade entgangen war. Wohl verurteilt er die Art und Weise, wie Jakob sich den Segen angeeignet hatte: „dein Bruder ist mit Betrug gekommen und hat deinen Segen weggenommen“ (V. 35) —— aber doch hält er den erteilten Segen, als den Gedanken Gottes entsprechend, aufrecht: „Ich habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein“ (V. 33). 
Infolge der Demütigung wird Isaak in seiner Seele wiederhergestelIt; nichtsdestoweniger wird er als Zeuge Gottes in dieser Welt beiseite gesetzt. Seine Zeugenlaufbahn ist beendigt, zerbrochen bis zu seinem Tode. Fast ein halbes Jahrhundert lang muss er fortan in seiner Umgebung die Früchte des alten Menschen sehen, die so bitter sind für seinen Geist, die Früchte des Fleisches Esaus, dessen er sich einen Augenblick hatte bedienen wollen, um sein eigenes Fleisch zu befriedigen.
Während Isaak seinen Glauben mit seinem Gelüst zu verbinden sucht, vermischt sich Rebekkas Glaube mit ihrem Familiencharakter. Ihr Großvater Nahor, ihr Vater Bethuel, ihr Bruder Laban entstammen alle demselben Geschlecht: eine gemischte Religion, eigenes Interesse, Falschheit und Betrug hatten bei Rebekkas Erziehung im Vordergrunde gestanden. Und doch hatte dieselbe Rebekka eines Tages durch den Glauben gesagt: „Ich will gehen“; und gleichfalls durch den Glauben hatte sie den Wert der dem Jakob gegebenen Verheißung verstanden. Unter dem Einfluss ihres Familiencharakters aber verlässt sie den Weg des Glaubens und will dem Sohn, den sie liebt, durch Betrug den verheißenen Segen verschaffen. Indem sie zu den leitenden Grundsätzen zurückkehrt, von denen Jehova sie freigemacht hatte, sucht sie durch betrügerische Kunstgriffe des Fleisches den Schlag abzuwehren, mit welchem die fleischliche Neigung Isaaks sie bedroht. Und· weiter gibt sie ihr Verhalten ihrem eigenen Sohne zum Vorbild und wagt es, den Fluch, der ihn treffen könnte, auf sich zu nehmen (V. 13), um ihn so zu bewegen, seinen Vater zu täuschen. Doch Gott ist ein heiliger Gott und zeigt sich als solcher den Seinen gegenüber. Rebekka verfällt der Zucht Jehovas. Sie verliert Jakob, auf den sich alle Zuneigungen ihres Mutterherzens vereinigten. Fortan verbringt sie ihre Jahre vereinsamt in „Herzeleid“ und stirbt, ohne den wiedergesehen zu haben, mit welchem sie eines Tages wiedervereinigt zu werden hoffte (V. 45). Ihre Zucht endet, wie bei Jakob, erst mit ihrem Leben. 
Jakob gehorcht seiner Mutter, indem er die Stimme seines Gewissens erstickt, die ihm zuruft: „Du wirst in den Augen deines Vaters wie einer sein, der Spott treibt“ (V. 12). Er belügt Isaak, um sich auf seine Art das zu verschaffen, was Gott ihm verheißen hatte. Er empfängt den Segen; würde er ihn aber nicht ohne das empfangen haben, selbst im Beisein Esaus, wie später Ephraim ihn im Beisein Manasses empfing? Er empfängt ihn, aber er wird gezwungen, auf den Besitz, desselben lange zu warten, und zwar als Flüchtling, einer harten Sklaverei übergeben, und als Gegenstand der Zucht Jehovas, bis er endlich, gerichtet und gebrochen, erkannt hat, dass sein Fleisch ohne Kraft zum Guten ist, und dass seine Kraft einzig und allein im Glauben wohnt. 
Esau endlich, der sinnliche Mensch, wird zunächst mit weniger Schlägen geschlagen, denn für das Fleisch gibt es keine Zucht, aber den verlorenen Segen kann er nicht wiederfinden, obgleich er ihn mit Tränen gesucht hat. Er findet keinen Raum für die Buße, und seine Geschichte schließt mit dem furchtbar ernsten Wort: „Esau habe ich gehasst!“

II. 
Jakob als Flüchtling. *)
Der Traum zu Bethel. (1.Mose 28)
Der erste Teil der Geschichte Jakobs ist zu Ende. Wir haben ihn im väterlichen Hause betrachtet, ihn, der
schon vor seiner Geburt der Gegenstand der Ratschlüsse Gottes war und späterhin berufen wurde, im Glauben aus die Erfüllung dieser Ratschlüsse zu rechnen. Doch der Glaube (oder vielmehr Gott, der Gegenstand des Glaubens) genügte Jakob nicht. Sehr geschickt in der Benutzung der Gelegenheiten, bemächtigte er sich zunächst des Erstgeburtsrechtes, welches Gott ihm zugeteilt hatte, dann durch List und Betrug des väterlichen Segens, d. h. des Vorrechts dessen, der jenes Erstgeburtsrecht besaß. Sein Vater segnet ihn in der Meinung, er segne Esau: „Sei Herr über deine Brüder, und vor dir sollen sich niederbeugen die Söhne deiner Mutter!“ (Kap.27,29). Scheinbar hatte also Jakob seinen Zweck erreicht. Bei diesem Punkt der Geschichte Jakobs tritt Gott dazwischen. Wie wird Er Seine Treue Seinen Verheißungen gegenüber in Übereinstimmung bringen mit Seiner Missbilligung der Sinnesart und der Wege Seines Knechtes? Er kann in keinem Stück Seine Verheißungen und Segnungen widerrufen, denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“; Er kann andererseits auch nicht das Böse unbeachtet lassen. Seine Zucht entspricht einerseits den Forderungen Seiner Treue Und andererseits denen Seiner Heiligkeit, und vereinigt sie. Unter der Zucht Gottes wird Jakob dahin gebracht, seine Wege zu verurteilen und zu verabscheuen, eine unbedingte Verurteilung seiner selbst auszusprechen, um dann, wenn dieses Ergebnis erreicht ist, durch den Glauben in den Genuss der ihm gegebenen herrlichen Verheißungen einzutreten. 
Wir werden also in dem zweiten Teile der Geschichte Jakobs, welche Bethel zum Ausgangs- und Endpunkt hat, die Zucht Gottes in Bezug auf ihn sehen, sei es um ihn zu züchtigen, oder um ihn zu reinigen. Der dritte Teil wird uns dann zeigen, dass die Zucht noch andere Zwecke verfolgt. Isaak ruft Jakob und segnet ihn, ohne ein Wort des Vorwurfs bezüglich des Vorgefallenen zu äußern. War es nicht deshalb, weil er sich selbst noch anklagen muss seit dem Tage, da er „mit großem Schrecken über die Maßen erschrak“? Der Betrug Rebekkas und Jakobs ist für ihn der Anfang seiner Zucht gewesen und hat ihm die Augen geöffnet; auch findet er die Gemeinschaft mit Gott wieder, um seinen Sohn ohne Einschränkung zu segnen (Kap. 28, 1). Rebekka sucht die Folgen ihres Fehlers zu verhüten, indem sie Jakob in die Fremde sendet, um ihn so dem  Zorn Esaus zu entziehen (Kap. 27, 43 — 45); Isaak nimmt in Demut die Folgen seines Fehlers auf sich. Er spricht, als ob nichts Außergewöhnliches geschehen wäre, und er segnet Jakob mit dem Segen Abrahams, als ob er immer in ihm den Erben der Verheißungen erblickt hätte, indem er in Bezug auf ihn nach den göttlichen Grundsätzen handelt, die seinen Vater geleitet hatten. Er erlaubt ihm nicht, dem Beispiel Esaus zu folgen, der ein Weib von den Töchtern der Kanaaniter genommen hatte. Übrigens wird Jakob nicht gleich ihm im Lande der Verheißung bleiben können; er muss weggehen. Das ist der einzige Unterschied zwischen ihm und seinem Vater (V. 5). So erkennt Isaak die Zucht Gottes an, aber er macht sich nicht zu ihrem Werkzeug und übt sie nicht aus, denn, da er selbst ein Gegenstand der Zucht ist, kann er nicht anders als sich ihr unterwerfen, indem er „sich unter die mächtige Hand Gottes demütigt“. 
Jakob verlässt Beerseba und geht nach Haran als ein betrübter Flüchtling, der nichts hat als seinen Stab, wie er später selbst sagt. (Kap. 32, 10.) Getrennt von denen, die er liebt, lässt er den Zorn Esaus hinter sich, hat vor sich das Unbekannte, Entbehrungen ohne Zweifel, und über sich den Gott, den er so schwer beleidigt hat, indem er seine eigenen Kunstgriffe an die Stelle der Hilfsmittel der Vorsehung Gottes setzte, als ob die Mittel Jakobs größeren Wert gehabt hätten als die Hilfsmittel Gottes! 
Er beginnt seine Pilgerschaft, nicht wie einst Abraham, der im Glauben und in der Gemeinschaft des Allmächtigen in die Fremde, in das Land der Verheißung, zog, sondern gegen seinen Willen, infolge seines Mangels an Glauben und seines Betruges, aus diesem guten Lande verbannt und gezwungen, in umgekehrten Sinne den Weg» zu gehen, der seinen Großvater aus Haran in das Land Kanaan geführt hatte. Er geht allein fort, ohne Gemeinschaft mit Gott, belastet mit der ganzen Schwere seiner Schuld, und gelangt nach Bethel. Die Nacht bricht herein, und er hat nur Steine· als Kopfkissen. Welch bittere Gedanken mögen sein armes Herz überfallen haben! Die Nacht in Bethel war sicher nicht finsterer als die Gedanken, die seine Seele erfüllten.
Er legt sich nieder und schläft ein. Ein herrliches Gesicht erscheint ihm: er sieht eine Leiter, welche die Verbindung zwischen der Erde und dem Himmel herstellt. Oben an der Leiter ist Gott, unten an der Leiter
ein Flüchtling ohne Wohnstätte, der die schwere Bürde seiner Sünde trägt; aber zwischen Gott und Jakob
Engel, diese „dienstbaren Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen“; „sie steigen auf und nieder“, um ihren Dienst an ihm zu erfüllen (Hebr. 1, 14). 
Welch ein rührendes Schauspiel! Gott selbst öffnet Seinen Himmel, um Seine Heerscharen einem schuldigen Erlösten zur Verfügung zu stellen, und das ist es, was Jakob beim Beginn des ersten Abschnittes auf dem Wege der Züchtigung geoffenbart wird! Unsichtbar, aber doch gegenwärtig, sollen diese Diener Gottes für seine Bedürfnisse während seines Aufenthaltes in der Fremde Sorge tragen. Später wird er sie in Machanaim wiederfinden, um ihn willkommen zu heißen, aber zuerst begegnet er ihnen in dem dunkelsten Augenblick seiner Geschichte, weil Gott da ist. *) Eine sonderbare Gelegenheit, nicht wahr, um Jakob alle Segnungen Gottes zuzusichern! O das ist so, weil Gott ihm bis dahin nicht hatte erscheinen können. Wie hätte Er sich ihm offenbaren können bei dem Linsengericht, oder bei dem Lager Isaaks, als sein Herz mit Betrug erfüllt war? Aber jetzt, an diesem einsamen, erschreckenden Ort, wohin die Sünde ihn geführt hat und wo die Züchtigung über ihn kommt, begegnet ihm Gott. Denn da die Zucht Gottes Werk ist, so ist der Ort der Strafe auch der Ort, wo Er sich offenbaren kann. 
Ist es nicht rührend, dass nicht ein Wort des Tadels aus dem Munde Gottes kommt? Er redet mit Jakob,
um ihn zu versichern, dass Er Seinen Verheißungen treu ist: „Ich bin Jehova, der Gott Abrahams, deines
Vaters, und der Gott Isaaks; das Land, aus welchem du liegst, dir will ich es geben und deinem Samen. Und dein Same soll werden wie der Staub der Erde, und du wirst dich ausbreiten nach Westen und nach Osten und nach Norden und nach Süden hin; und in dir und in deinem Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (V. 13. 14). Diese Verheißungen sind in einem Sinne fast ebenso reich, wie diejenigen Abrahams. Ich sage: fast; denn Gott gibt Jakob nicht einen Samen wie die Sterne des Himmels, sondern wie der Staub der Erde. ***) Und ich sage: in einem Sinne, denn in einem anderen sind sie viel reicher, selbst einem Abraham unbekannt. Der 15. Vers versichert Jakob des Interesses, welches Gott unaufhörlich an ihm nehmen will während seiner Verbannungszeit, eine dem Abraham, der das Land der Verheißung nicht verließ, unbekannte Gnade: „Und siehe, ich bin mit dir, und ich will dich behüten überall, wohin du gehst, und dich zurückbringen in dieses Land; denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan was ich zu dir geredet habe“. Welch ein Trost für das betrübte Herz Jakobs: „Ich bin mit dir!“ Ich züchtige dich, aber das ist ein Beweis meiner Liebe; ich werde dich behüten, ich werde dich zurückbringen, ich werde dich nicht verlassen! 
Der arme Jakob! So konnte er denn gänzlich auf Gott allein rechnen, er, dessen Sünde gerade darin bestand, dass er daran gezweifelt hatte! Wahrlich, eine solche Gnade hätte sein Herz froh machen sollen.
—- Aber nein! als er von seinem Schlaf erwacht, ruft er aus: „Fürwahr, Jehova ist an diesem Orte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie furchtbar ist dieser Ort! dies ist nichts anderes als
Gottes Haus und dies die Pforte des Himmels“ (V. 16. 17). Wie furchtbar ist dieser Ort! Furchtbar, wenn Gott ihn Seiner ganzen Gunst versichert? Woher kommt das? Weil unser Fleisch in der Gegenwart Gottes sich nicht wohl fühlt, selbst nicht wohl in der Gegenwart eines Gottes der Gnade; denn diese Gegenwart verurteilt uns. Das ist immer so. Ein Beweis davon ist der Apostel Petrus, als der Herr sein Netz mit Fischen füllte. 
Doch siehe da, Jakob bekommt wieder Mut! Warum? Weil er einen Vertrag mit Gott zu machen gedenkt. Das Fleisch beruhigt sich immer mit guten Vorsätzen und Entschlüssen. Wenn Gott tut was Er gesagt hat, dann will ich meinerseits auch etwas für Ihn tun: „Jehova soll mein Gott sein. Und dieser Stein, den ich als Denkmal aufgestellt habe, soll ein Haus Gottes sein; und von allem, was du mir geben wirst, werde ich dir gewisslich den Zehnten geben“  (V. 20 — 22). Die eben erst beginnende Zucht hat für den armen Schuldigen noch nicht ihre Früchte getragen. Er hat noch nicht gelernt, dass er nur von der Gnade abhängig ist, und dass sein eigener Wille nur Feindschaft gegen Gott sein kann. Sein alter Mensch ist noch nicht ausgezogen. Es bedarf noch mehr als zwanzig Jahre der Prüfung, um ihm endlich die Augen über sich selbst zu öffnen und ihn den Zweck der Zucht verstehen zu lassen.
Jakob weiß noch nicht, dass das einzige Mittel, die Segnungen zu erlangen, der Glaube ist, und dass ein
anderes Mittel versuchen nur die Gnade schmähen heißt. Die Neigung des natürlichen Menschen wird indes immer die nämliche sein wie bei Jakob. Nicht dass Jakob keinen Glauben gehabt hätte; er wähnte nur, die eigene Tätigkeit, die Klugheit, die Pläne, die Entschlüsse des Menschen könnten den Glauben in nützlicher Weise begleiten und dazu beitragen, ihm die Verheißungen Gottes zu sichern. Dieser irrige Grundsatz liegt jedem religiösen System unserer Tage zu Grunde. Alle stützen sich, wie bereits gesagt, ohne gerade den Glauben zu leugnen, auf Kenntnis, Klugheit, menschliche Studien und dergleichen, um sich durch sie die himmlischen Dinge anzueignen. Es bedurfte einer langen Bearbeitung des Geistes Gottes, um diesen Gedanken, der die Gnade beleidigt und gewissermaßen die Tätigkeit des natürlichen Menschen an ihre Stelle setzt, aus dem Herzen des Patriarchen auszurotten. 

Fußnote
*) Die in den Kapiteln 25 -- 50 des 1. Buches Mose enthaltenen Zeitangaben erlauben, das Alter Jakobs bei den verschiedenen Abschnitten seiner Geschichte mit einiger Sicherheit festzustellen Jakob war 40 Jahre alt, als Esau die Töchter Heths zu Weibern nahm. Er verließ das väterliche Haus- mit 75 Jahren, nachdem er 35 Jahre lang Zeuge des Herzeleids seiner Eltern gewesen und eine gewisse Anzahl von Jahren unter der Androhung der Rache seines Bruders Esau gezittert hatte. Mit 83 Jahren nahm er Lea und Rahel zu Weibern. Als er den Dienst Labans verließ, kehrte er mit 96 Jahren in das Land Kanaan zurück. Im 107. Jahre Jakobs wurde Joseph, ungefähr 17 Jahre alt, von seinen Brüdern verkauft. Mit 120 Jahren begrub der Patriarch seinen Vater Isaak, der 180 Jahre alt war (die Mitteilung des Todes Isaaks in Kap. 35, 28. 29 scheint nicht der Zeitfolge der Geschichte zu entsprechen). Dann lebte Jakob noch 10 Jahre im Lande Kanaan. Mit 130 Jahren ging er nach Ägypten hinab und starb dort 147 Jahre alt.
Die Dauer der vier Abschnitte unserer vorliegenden Betrachtung stellt sich demnach wie folgt dar:
1. Jakob lebte im elterlichen Hause 75 Jahre, 2. Als Flüchtling und im Hause Labans 21 Jahre, 3. im Lande Kanaan 34 Jahre und 4. in Ägypten 17 Jahre.  
**) Lasst uns im Vorbeigehen beachten, dass Jakob hier ein Vorbild von dem wegen seiner Untreue aus Kanaan vertriebenen Israel ist, welches, ein Gegenstand der Fürsorge Gottes während seiner Verbannung, in seinem Schoße ein Volk trägt, das zahlreicher sein wird als der Staub der Erde. Der Traum ist die ihm gegebene Offenbarung von einer zukünftigen Gemeinschaft zwischen Himmel und Erde
und zwischen Erde und Himmel durch die Vermittlung der Engel. Der Sinn dieser Stelle betrifft also, genau genommen, weniger Jakob, der persönlich der Gegenstand der Fürsorge Gottes war, als Israel, welches, durch seine Schuld vertrieben, diese Fürsorge erfährt, und stellt im Voraus eine Zukunft dar, wo Gott Seinem Volke und Israel seinem Gott begegnen wird mittelst des Dienstes der Engel. 
Was der Herr in Joh. 1, 51 sagt, ist noch herrlicher. Der Sohn des Menschen steht dort allein vor unseren Blicken. In ganz anderer Weise erniedrigt als Jakob, da Er in Gnade herabgestiegen ist bis zum Erleiden des Todes eines Übeltäters, ist Er der Gegenstand des Dienstes der höchsten Geschöpfe. Der Himmel ist über Ihm allein geöffnet und betrachtet Den, der sich freiwillig erniedrigt hat. Jesus verbindet in Seiner Person den Menschen mit Gott, die Erde mit dem Himmel. Darum dass Er gelitten hat, wird Er der einzige Mittelpunkt von allem. Doch Er hat diesen Platz eingenommen, damit der Mensch in Ihm Seinen Segen erben könnte.
***) Abraham empfängt beides (Kap. 13, 16; 15, 5; 22, 17); Isaak, der himmlische Mensch, empfängt einen Samen wie die Sterne des Himmels. (Kap. 26, 4.)

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Mein Sehnen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils 1910 S. 252ff

Mein Sehnen ist, den Herrn zu schauen,
ich habe Lust, bei Ihm zu sein;
doch will ich gerne Ihm vertrauen,
bis Er mich führt zur Ruhe ein;
weil ich schon jetzt zu allen Stunden
in Ihm die wahre Ruh gefunden.

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Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott

Bibelstelle: Hiob 9,2

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 253ff

Sehr alt ist die Frage: „Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?“ Schon vor Jahrtausenden wurde sie von „Hiob, dem Manne im Lande Zu“, aufgeworfen. Die Antwort lautete damals wie heute: Es ist für einen Menschen unmöglich, vor Gott gerecht zu sein. Wenn Gott Lust hat, mit dem Menschen zu rechten, so kann dieser Ihm aus tausend nicht eins antworten (Hiob 9, 3). Oder, wie wir im 25. Kapitel lesen: „Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott, und wie könnte rein sein ein vom Weibe Geborener? Siehe, sogar der Mond scheint nicht hell, und die Sterne sind nicht rein in Seinen Augen: wieviel weniger der Mensch, der Wurm, und das Menschenkind, die Made!“ (V. 4. 5). 
Dieselbe Wahrheit behandelt der Apostel Paulus in dem ersten Kapitel des Römerbriefes. Nachdem er gesagt hat: „Es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der
Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen“, beweist er nicht nur, dass die Heiden, die kein Gesetz haben, ohne Gesetz, verloren gehen, sondern er greift auch die Juden, die Religiösen, auf ihrem eigenen Boden an und zeigt ihnen aus ihren Schriften das Urteil Gottes über sie. Dasselbe lautet: „Da ist nicht ein Gerechter, auch nicht einer; da ist nicht, der verständig sei; da ist nicht, der Gott suche. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist nicht, der Gutes tue, da ist auch nicht einer“ (Röm. 3, 10 —12). Welch ein vernichtendes Urteil von seiten Gottes im Blick auf die menschliche Gerechtigkeit! Wenn nur der religiöse Mensch unserer Tage diese ernsten Worte hören und sich überzeugen lassen wollte, dass all seine vermeintliche Gerechtigkeit, alle seine guten Werke in den Augen Gottes nur ein unflätiges Kleid sind! 
Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dass, wenn ein Mensch wirklich die Anforderungen Gottes im
Gesetz erfüllen könnte, er sich auf diesem Wege doch nur eine menschliche Gerechtigkeit erwerben würde. Diese würde ihn dann berechtigen, auf dieser Erde zu leben, ohne zu sterben, wie der Herr Jesus zu dem reichen Jüngling sagt: „Tue dies, und du wirst leben“; aber sie würde, selbst wenn sie ganz vollkommen wäre, einen Menschen doch nicht befähigen, in den Himmel einzugehen· Warum nicht? Weil sie nicht hinanreicht an die Herrlichkeit Gottes (Röm. 3, 23), was doch nötig wäre, um in Seiner Gegenwart bestehen und weilen zu können. 
Soll ein Mensch in den Himmel, in die Herrlichkeit Gottes eingehen, so ist es unbedingt nötig, dass ihm die Gerechtigkeit Gottes zu teil wird. So sagt denn auch Paulus, wenn er von diesen Dingen spricht: „Indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum ist — die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben“ (Phil. 3, 9). Und: „Den, der Sünde nicht kannte, hat Er (Gott) für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“ (2. Kor. 5, 21). Und im Blick auf die Nationen, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, sagt er, „dass sie die Gerechtigkeit erlangt haben, eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist“, wohingegen Israel, indem es einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebte, nicht zu diesem Gesetz gelangt ist. „Warum? Weil es nicht aus Glauben, sondern als aus Werken geschah“ (Vergl. Röm. 9, 30 — 33). 
Diese Gerechtigkeit nun ist in dem Evangelium geoffenbart worden und wird dem Menschen, der von Natur keine Gerechtigkeit besitzt, sondern im Gegenteil dem Tode und dem Gericht verfallen ist, ganz umsonst angeboten. Der Apostel ruft deshalb frohlockend aus: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden; . . . denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben“ (Röm. 1, 17). Ein Mensch, der dem Evangelium glaubt, erlangt also nicht nur die Vergebung seiner Sünden und wird vor dem kommenden Gericht sicher gestellt, sondern es wird ihm auch gesagt, dass er selbst, nach feinem alten Zustande, im Tode Christi richterlich beseitigt worden ist, dass er aufgehört hat vor Gott zu bestehen. Er ist vor Gott eine „neue Schöpfung“ geworden: das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden (2· Kor. 5, 17.) Er hat, „was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt den alten Menschen, der nach den betrügerischen Lüsten verdorben wird, . . . und angezogen den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4, 22 —24). Und das alles ist von Gott und durch Gott, nichts ist von dem Menschen. Es ist Gottes Kraft und Gottes Werk, nicht Menschenkraft oder Menschenwerk. Darum: „Wo ist der Ruhm? Er ist ausgeschlossen worden“ (Röm. 3, 27.) Nur Gott gebührt der Ruhm, nur Ihm der Dank und die Anbetung jetzt und in Ewigkeit.
Weil dem aber so ist, ist es offenbar, dass der Mensch diese Gerechtigkeit nur durch Glauben erlangen kann. „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Ja, mehr noch: auch der Glaube selbst ist von Gott, eine Gabe Gottes. Der Mensch könnte sich das, was Gott in Christo für ihn bereitet hat, nicht einmal aneignen, wenn Gott ihm nicht die Fähigkeit dazu gäbe, d. i. den Glauben schenkte.
Auf welchem Wege hat Gott es nun aber möglich gemacht, unbeschadet Seiner Heiligkeit einem armen, sündigen, ungerechten Menschen Seine göttliche Gerechtigkeit geben und ihn Seiner Natur teilhaftig machen zu können? Indem wir dies an der Hand des Wortes Gottes untersuchen, wollen wir uns vom Herrn zurufen lassen: „Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land“ (2. Mose 3, 5).
Wir wenden uns zuerst zu der bekannten Stelle im 85. Psalm: „Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst“. Diese Worte zeigen uns die Grundlage all unserer Segnungen, unseres ewigen Heils, vor allem aber die Grundlage, aus welcher der heilige Gott, der zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen, hinsichtlich der Sünde vollkommen verherrlicht worden ist. Mit anderen Worten: das Kreuz Christi, wo die Frage der Sünde vollkommen und für immer geordnet worden ist, steht vor unseren Blicken. Dort hat sich die ewige Güte Gottes geoffenbart, Seine wunderbare Gnade und Barmherzigkeit, Seine göttliche, vollkommene Liebe einer feindlichen Welt gegenüber. In wunderbarem Glanze hat die Sonne dieser Gnade und Liebe gestrahlt, als Christus, da wir noch Sünder waren, für uns starb. „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4,10). Andererseits ist die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die verzehrende Heiligkeit eines gerechten Gottes der Sünde gegenüber am Kreuze in einer Weise ans Licht getreten, wie nirgendwo sonst. Als der Sohn der Liebe Gottes, der Gegenstand Seiner Freude und Wonne von Ewigkeit her, dort stellvertretend den Platz des Sünders einnahm, wandte Gott Sein Angesicht von Ihm ab. Ja, da schlugen die Wogen und Wellen des göttlichen Zornes über dem Haupte des Reinen und Fleckenlosen zusammen; da erfüllte sich, was geschrieben steht: „Schwert, erwache wider meinen Hirten und wider den Mann, der mein Genosse ist! spricht Jehova der Heerscharen; schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen“ (Sach. 13, 7).
Die Psalmen lassen uns manchen Blick tun in die Leiden des Herrn Jesu, als Er am Kreuze unter dem Gericht Gottes stand. Sie zeigen uns, welch ein Weh durch Seine heilige Seele zog. In tiefster Not rief Er:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? . . . Mein Gott, ich rufe des Tages, und du antwortest nicht; und des Nachts, und mir wird keine Ruhe. . . .Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide.“ Von ferne stehen wir gleich den Knechten Abrahams, als dieser mit seinem Sohne Isaak zur Opferung schritt. Wir fassen nur wenig von dem, was Jesus gelitten hat, als Er für uns zur Sünde gemacht war. Selbst in der Ewigkeit werden wir die Tiefen dieser Leiden nicht zu ergründen vermögen. 
So sind sich auf dem Kreuze Güte und Wahrheit begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst.
Das eine ist nicht gegen das andere zurückgetreten, das eine nicht auf Kosten des anderen beeinträchtigt worden; nein, jedes ist zu seinem vollen Recht und zu seiner vollen Entfaltung und Darstellung gekommen. Und nachdem Jesus den Kelch des Leidens, den Er aus der Hand des Vaters genommen, bis zur Neige geleert hatte, rief Er aus: „Es ist vollbracht!“ und dann neigte Er das Haupt und übergab den Geist. 
Jesus starb und wurde ins Grab gelegt. Konnte aber der gerechte Gott Den, der Ihn bis in den Tod verherrlicht hatte, dem Tode überlassen? Unmöglich. Schon David hatte im 16. Psalm von der Auferstehung Christi im Voraus geredet: „Mein Fleisch wird in Hoffnung ruhen, denn du wirst meine Seele nicht im Hades zurücklassen, noch zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe“ (Apstgsch. 2, 27. 28). „Er ist auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters“ (Röm. 6, 4). Ja, Gott hat Den, der gehorsam ward bis zum Tode am Kreuze, ,,hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist“ (Phil. 2, 8. 9). Nachdem Er durch Seinen Tod den Grund der neuen Schöpfung gelegt hat, ist Er in die Herrlichkeit Gottes eingegangen als der verherrlichte Mensch, der Anfang, der Anführer unserer Errettung, die Wurzel und das Haupt des erretteten Geschlechts. „Er ist uns geworden Weisheit von Gott, Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung, auf dass, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor. 1, 30. 31). 
Das Wort Gottes redet indes nicht nur von einer Auferweckung des Herrn, sondern sagt auch, dass Er auferstanden sei und sich gesetzt habe zur Rechten der Majestät in der Höhe. Er ist so als Sohn Gottes in Kraft erwiesen worden dem Geiste der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung (Röm. 1, 4). Diese Ausdrücke lassen uns wiederum sehen, wer Er war, der das große, wunderbare Werk der Erlösung vollbracht hat, dessen Folgen und Ergebnisse Gott allein zu schätzen und zu würdigen weiß. Mögen wir es betrachten in seiner Verbindung mit der Verherrlichung Gottes, oder in seiner Beziehung zu Seinem irdischen Volke Israel, mögen wir darüber sinnen in seinen Folgen für uns, Seine Gemeinde, die Versammlung, oder in seinen Wirkungen für diese Schöpfung, die im Tausendjährigen Reich erneuert werden wird, oder endlich im Blick auf den ewigen Zustand — überall und zu jeder Zeit zeugt alles laut von dem, was Er ist und getan hat, und steigt auf als duftender Wohlgeruch zu Gott, dem Vater. 
Hinschauend auf das Kreuz konnte Jesus sagen: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm“ (Joh. 13, 31). Am Kreuz ist Seine göttliche Gnade, Seine Liebe zu Gott und zu uns, Seine Heiligkeit, Sein Gehorsam, Seine Abhängigkeit, Sein Mitgefühl und Erbarmen, Sein unveränderliches Gottvertrauen, Seine Geduld und Ergebenheit, Sein Glaube und Ausharren und vieles, vieles andere in einer Weise ans Licht getreten, wie es zu anderen Zeiten nicht möglich war. Gold wurde in den Schmelztiegel gelegt, und Gold, lauteres Gold, kam daraus hervor. „Du hast mein Herz geprüft, hast mich des Nachts durchforscht; du hast mich geläutert — nichts fandst du; mein Gedanke geht nicht weiter als mein Mund“ (Ps.17,3). Selbst in den Stunden der Finsternis, als Gott Ihn verlassen hatte, wankte Sein Gottvertrauen auch nicht einen Augenblick. Obwohl Er, der sagen konnte: „Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoße an, von meiner Mutter Leibe an bist du mein Gott“, umsonst zu Gott schrie, auf Sein Rufen keine Antwort empfing, wurde Er doch nicht irre an Gott. Er betet: „Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israel?“ (Ps. 22, 3).
So auch, wenn Er diese Welt verlässt, erliegt Er nicht dem furchtbaren Gericht. O nein, Er übergibt in voller Kraft Seinen Geist in die Hände des Vaters. Er stirbt nicht wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern verscheidet mit einem lauten Schrei. Niemand konnte Ihm das Leben nehmen, Er gab es freiwillig. Er hatte Gewalt es zu lassen, und hatte Gewalt es wieder zunehmen. (Joh. 10, 18.) Wir können nicht an eine Notwendigkeit des Sterbens denken, es sei denn in Verbindung mit der Sünde; und die Menschheit Jesu hatte, weder im Blick auf Seine Person noch auch beziehentlich, irgend etwas mit der Sünde gemein. 
Es ist notwendig, dies immer wieder zu betonen. Die schriftgemäße Lehre von der Menschheit Jesu ist die
eigentliche Grundlage des Christentums. Herrscht hier Unklarheit, so gibt es in keinem Punkte mehr Sicherheit. Ist hier erst ein Schritt auf verkehrter Bahn getan, so ist das Ende eines solchen Weges nicht abzusehen. Und Gott selbst wacht mit Eifersucht über der Ehre Seines Geliebten. Wenn Petrus auf dem Berge der Verklärung den Herrn mit Mose und Elias auf einen Boden stellen will, so kommt die Stimme aus dem Himmel: „Dieser ist mein geliebter Sohn; Ihn höret!“ Gott kann eine Verunglimpfung Seines Sohnes, selbst bei den besten Absichten unserseits, nicht dulden. Jesus muss in jedem Falle den Vorrang haben, nicht nur in Bezug auf Seine Würden und Titel, sondern ganz besonders auch im Blick auf Seine Person.
Er war das wahre Speisopfer von „Feinmehl“, ungesäuert, mit Ö! gemengt und mit Öl gesalbt. Nicht ein grobes Körnchen, nicht eine einzige Unebenheit oder Ungleichheit war in Ihm zu finden, nicht irgendwelche Rauheit bei der Berührung. In dem ganzen Leben unseres Herrn gab es nichts als Reinheit und sanfte Gleichmäßigkeit, Unterwürfigkeit und völlige Absonderung von der Sünde.
Wenn schon von dem aus Gott Geborenen gesagt wird: „Er tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist« (1.Joh. 3,9), wie könnten wir dann dem leisesten Gedanken Raum geben, als ob Er hätte sündigen können, der doch die Quelle des Lebens ist, welches der Gläubige durch Seine Gnade besitzt? Der da sagen konnte: „Ich bin das Leben“? 
Wir haben weiter oben gesehen, dass die Gerechtigkeit Gottes Jesu einen Platz gegeben hat zur Rechten
der Majestät droben. Auf Grund dieser Tatsache ist der Heilige Geist in die Welt gekommen, um die Welt
zu Übersichten von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht (Joh. 16, 8 — 11). Jeder, der sich nun
überführen lässt, erfährt, dass ihm die Gerechtigkeit Gottes zu teil wird, welche, „ohne Gesetz geoffenbart“, in der jetzigen Zeit sich darin erweist, dass Gott den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist (Röm. 3, 26), so dass der Gläubige frohlockend ausrufen kann: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum“ (Röm. 5, 1).

Jesus, Du hast uns die ew’ge Erlösung erfunden,
Fried’ und Gerechtigkeit hast Du am Kreuze verbunden.
O wie Dein Blut
Wunder der Gnade nun tut!
Leben entströmt Deinen Wunden.

So herrscht nun die Gnade durch Gerechtigkeit. (Röm. 5, 21.) Das will sagen: Nicht nur unbeschadet, sondern auf Grund Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit kann Gott heute Seine Gnade an allen betätigen, die des Glaubens an Jesum sind. Er ist jetzt „treu und gerecht“, wenn Er dem Bekennenden die Sünden vergibt. Ja, die Gnade triumphiert; sie führt gleichsam in der jetzigen Zeit das Regiment. Mit anbetender Bewunderung dürfen wir sehen, auf welch göttlich fester Grundlage unser Heil beruht. Es ist der Grund, der ewig steht. Auf diesem Grunde ruht das Auge Gottes mit Wohlgefallen, und hier sind auch wir, die Gläubigen, für immer zur Ruhe gebracht.

Sel’ger Ruhort! — Süßer Friede
füllet meine Seele jetzt;
Da, wo Gott mit Wonne ruhet,
bin auch ich in Ruh’ gesetzt.

Von der Sünde freigesprochen und ein Sklave der Gerechtigkeit geworden, vermag der Gläubige jetzt seine Glieder darzustellen zur Sklaverei der Gerechtigkeit (Röm. 6, 7. 18. 19). Durch den Glauben in den Besitz der Gerechtigkeit gelangt, gestorben mit Christo, ist er berufen, nunmehr die Gerechtigkeit zu tun. So lesen wir denn auch: „Wenn ihr wisset, dass Er gerecht ist, so erkennet, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus Ihm geboren ist“ (1. Joh. 2, 29). „Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott“ (1. Joh. 3, 10).
Gott vermag jemanden, der diese seine neue Stellung in Christo erkannt hat, „völlig und überströmend zu machen in der Liebe“ gegen die Gläubigen und gegen alle, und sein Herz „tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesu mit allen Seinen Heiligen“ (1.Thess. 3, 12. 13.) Durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in ihm wohnt, kann der Gläubige sich so in der Gegenwart Gottes bewegen, dass er sieh gleichsam außerhalb des Bereiches dieser Welt, der Sünde und des Fleisches befindet, in dem Bereich des Lichts; und in demselben Maße wie das bei ihm zur Wahrheit wird, vermag er inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts das Wort des Lebens darzustellen, ein Nachahmer Gottes zu sein als ein geliebtes Kind, ein Licht inmitten der Finsternis. — Das ist praktische Heiligkeit. 
Der Glaube ist das Mittel, durch welches wir alle diese kostbaren Dinge besitzen, und nur durch den Glauben können wir sie verwirklichen, so lange wir noch in diesem Leibe der Niedrigkeit hienieden pilgern. Wir gehen gleichsam von Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte wird aus Glauben leben“, aber dann auch „von Kraft zu Kraft“. Und indem wir so unseres Weges ziehen, erwarten wir „durch den Geist aus Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit“ (Gal. 5, 5), das ist die Herrlichkeit. „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 20. 21). O was wird es sein, wenn wir vom Glauben zum Schauen gelangen werden; wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, und wir dann mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit! (Kol. 3, 4). Dann wird das Sterbliche und Verderbliche aus unserem Leibe verschwunden sein, und wir werden Ihn sehen, wie Er ist! O sel’ge Stund’, voll Wonne und Entzücken!
Aber bis dahin lasst uns alle dastehen, „erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes“! (Phil. 1, 11).
Herr, unsere Gerechtigkeit,
wie hoch wird dessen Geist erfreut,
der Dich im Glauben kennet!
Du hast Dein großes Werk vollbracht,
hast alle Furcht zunicht’ gemacht,
von Gott uns nichts mehr trennet.
Lass uns ewig,
Himmelssonne, Seelenwonne, Dich genießen
und in Deinem Lob zerfließen!
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Jakob oder die Zucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 265ff

Knechtschaft und Züchtigung.(1. Mose 29—31.)
Als Jakob in Haran ankommt, trifft er unter Gottes Vorsehung Rahel bei dem Brunnen, wie Elieser einst Rebekka angetroffen hatte. Doch Elieser war in Gemeinschaft mit Gott, und die Begegnung wurde ihm als Antwort auf sein Gebet geschenkt, während bei Jakob sich nichts Derartiges zeigt. Der Gott, der ihm zu Bethel gesagt hatte: „Ich bin mit dir“, leitet, Seiner Verheißung getreu, die Umstände zu Gunsten Seines Knechtes; aber das ist auch alles. Jakob hatte Gott bei sich, ohne selbst Gemeinschaft mit Gott zu haben.
Wir werden später auf diesen wichtigen Gegenstand zurückkommen. Es genüge hier zu sagen, dass die Gemeinschaft, dieser Herzenszustand, welcher uns dieselben Gegenstände mit Gott genießen lässt, sich in einem Wandel offenbart, der sich in Übereinstimmung mit Gott befindet und auf das gleiche Ziel gerichtet ist. So war es bei Abraham; er wandelte mit Gott, weil er an Seinen geheimen Gedanken teil hatte. Die Folgen dieser Gemeinschaft zeigten sich bei ihm bei jeder Gelegenheit: er lebte als Fremdling in dieser Welt; er verwendete sich im Gebet für die schuldbeladenen Städte der Ebene; überall baute er seinen Altar, opferte Gott und betete Ihn an. Das war bei Jakob nicht der Fall. Nur einmal brachte er im Lande seiner Verbannung ein Opfer dar, und auch dies erst in dem Augenblick, als er das Land verließ. (Kap. 31, 54.) So ist es auch mit seinem Gebet; er betet höchstens, wenn eine dringende Gefahr ihn bedroht (Kap. 32, 9 — 12); und das Gebet selbst zeigt nur ganz schwach seine Abhängigkeit, denn in demselben Augenblick benutzt er menschliche Mittel, um Esau zu besänftigen, als ob Gott allein ihn nicht hätte besänftigen können.
Woraus entsprang dieses Fehlen der Gemeinschaft? Aus der Tatsache, dass die Gemeinschaft nicht mit der Züchtigung Hand in Hand gehen kann. Der Vater, der die Rute gebraucht, um sein Kind zu strafen, bedeckt es nicht mit Küssen, und das Kind erfreut sich, so lange es unter der Zucht steht, nicht der Liebe seines Vaters. Bei Jakob war Glaube vorhanden, das dürfen wir keineswegs aus dem Auge verlieren; aber es ist zweifelhaft, ob er in hohem Maße ein Bewusstsein von der Zucht Gottes hatte. 
In den vorliegenden Kapiteln sehen wir, dass die Zucht, welche Jakob zu einem armen, fern von seinem
Vaterland umherschweifenden Verbannten machte, noch in anderer Weise zur Ausübung kam. Er hatte seinen Vater betrogen, und siehe da, unter Labans Dach musste er dem Betrug wieder begegnen. Hinter den schmeichelhaften Worten Labans: „Fürwahr, du bist mein Bein und mein Fleisch« (Kap. 29, 14) verbargen sich eigennützige Absichten. Er betrog Jakob, indem er ihm Lea gab; er betrog ihn aufs neue, nachdem er bezüglich der Herden ein Übereinkommen mit ihm getroffen hatte. Jakob hatte ihm gesagt: „Ich will heute durch deine ganze Herde gehen und daraus absondern jedes gesprenkelte und gefleckte Tier und jedes dunkelfarbige Tier unter den Schafen, und das Gefleckte und Gesprenkelte unter den Ziegen; und das sei mein Lohn“ (Kap. 30, 32.) Laban antwortete: „Siehe, es geschehe nach deinem Worte“, aber dann beeilte er sich, durch seine Herden zu gehen, um den Lohn Jakobs daraus zu entfernen und ihn in die Hand seiner Söhne zu geben (V. 34). Zehnmal veränderte dieser unmenschliche und betrügerische Verwandte den Lohn Jakobs, als dieser ihm um sein Vieh diente (Kap. 31, 7. 41).
Was tut nun Jakob gegenüber all diesen Schlichen, wobei er des Tages von der Hitze und des Nachts vom Frost verzehrt wurde und gezwungen war, einem habgierigen Herrn selbst das zu erstatten, was er nicht durch eigene Schuld verloren hatte? (V. 38 — 40). Hat er durch die Zucht seine Aufgabe gelernt? Leider nicht! Er beträgt den, der ihn betrogen hat; die Geschichte mit den Schafen (Kap. 30, 37 — 43) bezeugt es, seine heimliche Flucht, über welche Gott uns sagt: „Jakob hinterging Laban“ (Kap. 31, 20), bezeugt es gleichfalls. Warum begeht er diese Betrügereien? Weil es ihm an Vertrauen auf Gott mangelt und er das Vertrauen aus seine Fähigkeiten und Ränke noch nicht verloren hat. War es nötig, Stabe von Weißpappel zu schälen, nach- dem Gott ihm im Traume die gestreiften und gesprenkelten Bocke gezeigt und ihm gesagt hatte: „Ich habe alles gesehen, was Laban dir tut“? (Kap.31,10 —13). War es nötig, im Geheimen zu fliehen, da doch Gott zu ihm gesagt hatte: „Nun mache dich auf, ziehe aus diesem Lande und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft“, und: ,,Kehre zurück in das Land deiner Väter. . . und ich will mit dir sein“? (Kap. 31, 13. 8). O, wenn er nur einigermaßen Vertrauen auf das Wort seines Gottes gehabt hätte, so würde er erhobenen Hauptes weggegangen sein, und nicht ein Haar wäre ihm gekrümmt worden! 
Trotz so vieler Fehler und Verirrungen hatte Gott dem Jakob eine zahlreiche Familie geschenkt; aber auch
hier muss er wieder die traurige Erfahrung davon machen, was menschliche Mittel wert sind. Durch Laban
betrogen, muss er sich den Abmachungen seiner Frauen und ihrer Mägde unterwerfen (Kap.30,14 —17). Auf solche Weise wird Jakob gezüchtigt, aber ohne bis jetzt gebrochen zu sein. Durch Gottes Gnade wird es später dahin kommen.
Trotz alledem zeigt Jakobs Glaube in Haran einige beachtenswerte Züge. Nachdem Joseph ihm geschenkt ist, der Sohn seines Alters (er war damals neunzig Jahre alt), aber der wahre Sohn der Verheißung (Kap. 49, 26), ein treffendes Vorbild von Christo, hat Jakob nur noch einen Gedanken: den Ort seiner Verbannung und seiner Knechtschaft zu verlassen, um in sein Land und zu seiner Verwandtschaft zurückzukehren (Kap. 30, 25 — 27). Sein Land war nicht das der Religion Labans, sondern das Land Abrahams und Isaaks, der Anbeter des wahren Gottes, ohne Beimengung von Teraphim. So ist es auch heutzutage noch. Die persönliche Erkenntnis Christi ist der mächtigste Beweggrund für uns, die religiöse Vermengung zu verlassen, welche die Christenheit kennzeichnet, und uns, die Söhne des Glaubens, zu unserer geistlichen Familie zurückzuführen. Bei seinem Weggang weist Jakob die Götzen Labans laut zurück. Laban beansprucht seine Hausgötter von ihm· „Bei wem du deine Götter findest, der soll nicht leben. Erforsche vor unseren Brüdern, was bei mir ist, und nimm es dir“, antwortet Jakob. (Kap. 31, 32.) Rahel hatte sie, als sie mit ihrem Manne ging, mitgenommen. Das geschieht oft bei solchen, die dem Glauben anderer folgen, ohne durch ihren eigenen Glauben zu wandeln.
Jakob zeigt in den Prüfungen auch die Gott entsprechende Geduld. Das beweist seine Unterredung mit Laban (Kap· 31, 36 — 42). Wie jedes Kind Gottes, welcher Art sein Charakter auch sein mag, erscheint Jakob der Welt überlegen, weil er ein Bewusstsein von der ihm verliehenen Würde hat, und kraft dieser Würde bringt er an Stelle seines Schwiegervaters das Opfer auf dem Gebirge dar (Kap. 31, 54).
Alle diese Züge bilden einen glücklichen, wenn auch unvollkommenen Gegensatz zu denen des Aramäers. Laban sucht sich bei der Flucht Jakobs in ein gutes Licht zu stellen; es geht ihm nur darum, den äußeren Schein zu wahren, denn sein Gewissen ist stumm. Es kümmert ihn wenig, wie die Dinge sich wirklich verhalten; er steht nicht in Verbindung mit Gott. Er sagt: „Was hast du getan, dass du mich hintergangen und meine Töchter wie Kriegsgefangene weggeführt hast? Warum bist du heimlich geflohen und hast mich hintergangen und hast es mir nicht kundgetan? ich hätte dich ja begleitet mit Freude und mit Gesängen, mit Tamburin und mit Laute“ (V. 26 u. 27). Mit Freude! Das war gerade so unwahr wie leicht zu sagen. Der arme Jakob hatte in den Tagen seiner Zucht Gesänge und Tamburin im Hause seines Schwiegervaters nie gekannt! — „Du hast mir nicht zugelassen, meine Söhne und meine Töchter zu küssen“ (V. 28). So gibt sich Laban noch den Anschein eines guten Familienvaters! Fürwahr, seine Töchter dachten und sprachen anders von ihm: „Haben wir noch ein Teil und ein Erbe im Hause unseres Vaters? Sind wir nicht als Fremde von ihm geachtet worden? Denn er hat uns verkauft und hat auch unser Geld völlig verzehrt“ (V. 14 u. 15). Weiter sagt Laban: „Es wäre in der Macht meiner Hand, euch Übles zu tun“. Er brüstet sich damit, obwohl Gott ihn unter Drohungen verhindert hatte, ihnen etwas zu tun! „Und nun, da du einmal weggegangen bist, weil du dich so sehr nach dem Hause deines Vaters sehntest . . .“ Weil! Welche Arglist! Nein, Jakob ging weg, weil das Maß voll war. Aber dieses Wort entlastete Laban von der Schuld, Jakob zum Äußersten getrieben zu haben. Ach, wie war dieser Mann, der den Namen des Gottes Tarahs, Abrahams und Nahors anrief, doch wirklich im Fleische! Gott bewahre uns davor, seine Wege nachzuahmen! 

Der Kampf mit Gott. (1.Mose 32). 
Unter der Leitung des Allmächtigen, der zu ihm gesagt hatte: „Ich werde mit dir sein“, kam Jakob, nachdem er allen Gefahren entronnen war, an die Grenze Kanaans. Die Engel Gottes kommen- ihm in zwei Heeren entgegen. *) Jakob kannte sie; er hatte sie zu Bethel gesehen, wo sie bemüht waren, ihm zu dienen, als sein ganzes Vermögen aus seinem Stabe be- stand. Der Herr stellt, Seiner Verheißung getreu, Seine Engel den beiden Zügen Jakobs zur Verfügung. Dieser erkennt die Wege Gottes mit ihm dadurch an, dass er den Ort nach den Engeln benennt, die ihm gedient haben (V. 2). Dann nimmt er eine Stellung demütiger Abhängigkeit Gott gegenüber ein und gibt seinem Nichts und zugleich der Größe der göttlichen Gnade Ausdruck in den Worten: „Ich bin zu gering all der Gütigkeiten und all der Treue, die du deinem Knechte erwiesen hast“ (V. 10). Indessen hat er Gott noch nicht persönlich kennen gelernt, und wiewohl er Ihm sein Vertrauen bezeugt, hat er das Vertrauen auf seine eigene Kraft noch nicht verloren. Er macht einen klugen Plan, um dem Zorn Esaus zu entgehen, und trifft alle seine Maßregeln bis in die kleinsten Einzelheiten, um sich bei ihm eine gute Aufnahme zu bereiten; nichts darf dem Zufall überlassen bleiben. Aber ist er jetzt wirklich beruhigt? Nein, selbst die Nacht gibt ihm keine Ruhe: „Er stand in jener Nacht auf und nahm seine zwei Weiber und seine zwei Mägde und seine elf Söhne und zog über die Furt des Jabbok; und er nahm sie und führte sie über den Fluss und führte hinüber was er hatte“ (V. 22 u. 23). Die Pflicht, an alles zu denken, erleichtert und beschwichtigt seine Besorgnisse. Schließlich, nachdem er alles geordnet hat, bleibt er allein. . . . 
Da tritt Gott ihm entgegen, um mit ihm zu ringen; nun erst lernt er Ihn in Wirklichkeit kennen. Dieser denkwürdige Vorgang besteht aus zwei Handlungen. Zuerst ringt Gott mit Jakob, denn dieser muss lernen, dass die Kraft des Menschen und der Wille des Fleisches Feindschaft gegen Gott sind. Selbst Jehova vermag diese böse Natur nicht zu zähmen, zu verändern oder zu unterwerfen; Er muss sie richten und zerbrechen. Nicht als ob der Kampf Gott irgendwelche Anstrengung gekostet hätte: „als Er sah, dass Er ihn nicht übermochte“, brauchte Er nur das Hüftgelenk Jakobs, den Sitz seiner Kraft in dem Kampf, anzurühren, um ihn völlig kraftlos zu machen. 
Damit beginnt der zweite Akt dieses Vorgangs: in dem Zerbrechen des „Ich“ offenbart sich der Glaube bei Jakob und tritt an die Stelle der Energie seiner Natur. Jetzt ringt er mit Gott: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet“. Er kann den Segen Gottes nicht durch menschliche List erwerben, wie er es
bei dem Segen Isaaks getan hatte; denn jener Segen gehört nur dem Glauben, der in einem Menschen hervorgebracht wird, welcher, als kraftlos in sich selbst erwiesen, seine Kraft aus der Abhängigkeit von Gott schöpft. 
Eine Stelle in dem Propheten Hosen wirft ein helles Licht auf diesen Vorgang. „In seiner Manneskraft kämpfte Jakob mit Gott«, lesen wir. Das ist der erste Abschnitt des Kampfes, aber dann folgt der zweite: „er kämpfte mit dem Engel und überwand, er weinte und flehte zu ihm“ (Hos.12,4.5). Gott erkennt diesen Glauben, den Er selbst gibt, an als einen Sieg über sich und über die Menschen. Bis dahin war Jakob, trotz. seiner Geschicklichkeit, immer von den Menschen besiegt worden. Esau flößte ihm Furcht ein, und Laban brachte ihn in Knechtschaft; gerade war er von dem Engel, der ihn angerührt hatte, besiegt worden, . . . aber jetzt endlich ist Jakob Sieger! 
Der Engel sagt zu ihm: „Was ist dein Name?“ Er wird aufgefordert, selbst den Namen Jakob auszusprechen. Sein Name bezeichnet das, was er ist: der Überlister! Sein Name bedeutet seine ganze Geschichte. Von jetzt an wird er einen anderen Namen tragen: Israel, Kämpfer Gottes! Sein erster Name drückte aus, was er in sich selbst und den Menschen gegenüber war. Sein neuer Name kennzeichnet sein Verhältnis zu Gott. Die Stärke des Überlisters macht der unbegrenzten Kraft des Glaubens Platz. 
Doch Jakob wollte nun auch seinerseits den geheimnisvollen Namen seines Gegners kennen lernen. Gott verweigert es ihm. Der Augenblick für einen Namensaustausch zwischen Israel und Gott war noch nicht gekommen — er wird später kommen — denn, wir haben es schon gesagt und wiederholen es, es kann unter der Zucht, welche richtet und züchtigt, keine Gemeinschaft geben.
„Und Gott segnete ihn daselbst“ Zu Bethel hatte Gott ihm nur angekündigt, dass alle Geschlechter der Erde in seinem Samen gesegnet werden sollten (Kap. 28, 14). Das war nur ein Teil des Segens Abrahams; Gott hatte zu Abraham gesagt: „Ich werde dich segnen . . .“Jetzt segnet Gott Jakob; aber so kostbar das ist, fehlte ihm doch noch die Gemeinschaft, welche Abraham genoss, und die ihren vollkommenen Ausdruck gelegentlich des Erscheinens Melchisedeks bei dem Patriarchen gefunden hatte. Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem so wichtigen und doch so wenig verstandenen Gegenstand, der uns augenblicklich beschäftigt, der Gemeinschaft. In 1. Joh. 1 trägt zweierlei dazu bei, der Sünde bei dem Christen vorzubeugen: einerseits die Gemeinschaft, und andererseits die Tatsache, dass man im Lichte ist: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget“ (Kap. 2, 1). Zu Pniel verbrachte Jakob die feierliche Nacht des Kampfes mit dem Engel und hatte doch noch nicht die Gemeinschaft gefunden. Was ist denn Gemeinschaft? Gemeinschaft mit Gott haben heißt ein Teil, eine Gesinnung, eine Freude, einen Genuss mit Gott gemeinsam haben, denn in der Gemeinschaft liegt Wechselseitigkeit. Sie kann in ihrer Fülle erst dann stattfinden, wenn Gott sich völlig geoffenbart hat; auch ist die christliche Gemeinschaft weit erhabener als die der Gläubigen des Alten Testamentes.**) Das ganze Leben des Christen entspricht dem Grade seiner Gemeinschaft und trägt das Gepräge derselben; Wandel, Gefühle, Gesinnung, Ziel— alles ist gemeinsam. Wenn Gott mit Abraham wandelte, so wandelte Abraham mit Gott (1. Mose 18, 16). Ebenso war es mit Henoch und mit Noah (Kap. 5, 24; 6, 9). Von den Christen wird gesagt: „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“ (1. Joh. 2, 6). Das ist Gemeinschaft im Wandel. Ferner: „Wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt hat“ (Eph. 5, 2), — Gemeinschaft der Gefühle. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war“ (Phil. 2, 5) — Gemeinschaft der Gesinnung. „Wenn ihr meine Gebote haltet . . . gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe“ (Joh. 15, 10) — Gemeinschaft des Gehorsams. „Er hat Sein Leben für uns dargelegt; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen“ (1. Joh. 3, 16) — Gemeinschaft der Hingebung; schließlich finden wir in Phil. 3 die Gemeinschaft Seiner Leiden. 
Gemeinschaft schließt auch Beziehungen gegenseitigen Vertrauens in sich. Gott sagt: „Sollte ich vor Abraham verbergen was ich tun will? . . . denn ich habe ihn erkannt . . .“ (1. Mose 18, 17. 19). Und Abraham öffnet auch seinerseits Gott sein Herz, ohne Zweifel in Abhängigkeit und Gehorsam, wie es sich dem Geschöpf seinem Schöpfer gegenüber geziemt, aber er sagt Ihm alles nach der Fähigkeit und dem Maße seines Herzens. 
Man könnte noch viele ähnliche Stellen anführen. Will man jedoch die Gemeinschaft in ihrer Vollendung kennen lernen, so muss man sie nicht betrachten in der mehr als armseligen Weise, in welcher wir sie verwirklichen, sondern in den Beziehungen, wie sie zwischen dem Herrn Jesu als Mensch und Seinem Vater bestanden. Da finden wir eine unbedingte und wolkenlose Gemeinschaft, und, sie betrachtend, sind wir berufen, das Bild des Herrn darzustellen: „Ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun.“ „Nicht was ich will, sondern was du willst“. Ich und der Vater sind eins“. Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke.“ „Was irgend der Vater tut, das tut auch der Sohn gleicherweise.“ „Alles was mein ist, ist dein, und was dein ist, mein.“ „Bewahre sie in deinem Namen . · . ich bewahrte sie in deinem Namen.“ 
Diese kostbare Gemeinschaft kannte, wie wir gesagt haben, Jakob noch nicht. Er wird sie in Bethel finden, und wir werden sehen, wie er sie am Ende seines Lebens in vollem Maße verwirklicht, wenn er Ephraim und Manasse Gottes Gedanken entsprechend segnet.
Doch lasst uns nicht vergessen, dass die Gemeinschaft, wenn wir sie gefunden haben, sehr leicht von unserer Seite gestört werden kann. Ein einziger Gedanke, der nur einen vorübergehenden Schatten auf unsere Seele wirft, genügt, sie zu unterbrechen. Wir finden sie wieder durch Selbstgericht und durch das Bekennen dessen, was sie unterbrochen hat. Wie viele Christen haben sie, gleich Jakob vor seinem zweiten Besuch in Bethel, nie gekannt! Wie viele andere lassen sie fahren, indem sie eitle Dinge ihr vorziehen! Lasst uns daher wachsam sein und in beständigem Selbstgericht leben! Der erste Brief des Johannes lehrt uns, wie man sie verliert und wie man sie wiedererlangt. 
„Jakob gab dem Orte den Namen Pniel (Angesicht Gottes): denn ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen.“ Was er sagte war wahr, denn er kannte von da an Gott persönlich; aber er hatte Ihn nur in der Dunkelheit gesehen, und er war noch weit entfernt von der Fülle der göttlichen Offenbarung, wie sie ihm später zu teil wurde. Was er gesehen hatte, war ein Gott, der ihn wohl zerbrach, aber doch ihn lieb hatte, der mit zarter Sorgfalt sich mit ihm beschäftigte, ein Gott, der Seinen Verheißungen treu war, der sich durch den Glauben Israels besiegen ließ, nicht aber der Gott, der sich schauen lässt. 
Jakob hatte in Pniel noch zwei Dinge gefunden: „Meine Seele ist gerettet worden“, sagt er. Er war freigemacht von seiner alten Natur mit ihren Plänen und Schlichen; er war von nun an mit seinen alten Wegen zu Ende gekommen, von denen man im folgenden Kapitel nur noch eine Spur findet, aber „er hinkte an seiner Hüfte“. Hinfort wird er „sachte wallen alle Jahre seines Lebens wegen der Betrübnis seiner Seele“, durch seine Schwachheit immer wieder zurückgeführt zu dem Bewusstsein seiner Ohnmacht und des Gerichtes Gottes über sein Fleisch, aber trotzdem fähig, im Lichte jener Sonne zu wandeln, die „ihm aufging, als er über Pniel hinaus war“.

Die Begegnung mit Esau. (1. Mose 33, 1 —16).
Obwohl wir die Tatsache feststellen mussten, dass es sich für Jakob noch nicht um Gemeinschaft handelt,
haben wir gesehen, dass er aus- dem Kampfe befreit hervorgeht, da er gelernt hat, sich selbst zu erkennen und zu verurteilen. Und in diesem Charakter begegnet er Esau. Er erkennt jetzt den Vorrang seines Bruders nach dem Fleische an, indem er sich siebenmal zur Erde niederbeugt, denn er hat verstanden, dass, wenn er auch von Jehova zum Ersten ernannt ist, dies ihm nicht das Recht gibt, sich unter den Menschen als den Ersten anerkennen zu lassen. Er, der tatsächlich der Erste ist, zeigt sich der Welt gegenüber demütig. Er, der sich vor Esau fürchtete, erfährt, dass Gott das Herz seines Bruders zu seinen Gunsten beeinflusst, so dass die bezwungene Feindschaft Esaus Gottes Gnadenabsichten gegen Seinen Knecht dienen muss.
Das Herz Esaus ist in Bezug aus Jakob erweicht (V. 4); auch die Befürchtungen und die Angst Jakobs (Kap. 32, 7) waren grundlos, sie verrieten nur seinen Mangel an Glauben. Nachdem Esau sich mit Interesse nach der Familie seines Bruders erkundigt hat, fügt er hinzu: „Was willst du mit diesem ganzen Zug, dem ich begegnet bin?“ Er hatte nicht einmal den Zweck dieser klugen Anordnung begriffen. Jakob antwortet jetzt der Wahrheit gemäß: „um Gnade zu finden in den Augen meines Herrn“. Esau weist das Geschenk seines Bruders zurück. Nicht vermittelst seiner Geschenke hat Jakob Gnade bei ihm gefunden, sondern weil Gott sich herabgelassen hatte, auf das Gebet Seines Knechtes (Kap. 32, 11) zu antworten. Dieser konnte nicht mehr sagen: „Ich will ihn versöhnen durch das Geschenk", sondern bietet jetzt seine Gabe an als einen Beweis, dass er in den Augen Esaus Gnade gefunden hat (V. 10). Er hat das Angesicht seines Bruders gesehen, als hätte er „Gottes Angesicht“ gesehen. Er sprach die Wahrheit. Es war nicht eine niedrige Schmeichelei, wie einige meinen. Das Angesicht Gottes, welches Jakob in Pniel gesehen hatte, sah er jetzt in Esaus Angesicht. Er erkannte darin die Gnade und Gunst, welche ihm durch
Gott selbst bereitet worden waren: „Gott hat mir Gnade erwiesen«. Er kennt jetzt die Gnade und erfasst sie völlig. Bis Pniel hatte er die Gnade in der Züchtigung gefunden, in Pniel begegnete er ihr im Gericht, nach Pniel in der Rettung. 
Aber, ach! diese Zuversicht wird wieder erschüttert, sobald Esau dem furchtsamen Jakob vorschlägt, ihn zu begleiten. Das Gegenwärtige flößt ihm Mut ein, die Zukunft erschreckt ihn. Gewiss, Jakob sollte nicht nach Seir gehen, das wusste er sehr wohl. Seir war nicht sein Bereich. Mit dem „Ungöttlichen“ außerhalb Kanaans wohnen, das ging nicht an. Jakob musste dahin gehen, wo Jehova ihn haben wollte. „Ich werde dich zurückbringen in dieses Land«, hatte Gott gesagt. (Kap. 28, 15.) Welch ein schönes Zeugnis hätte er deshalb hier vor Esau ablegen können! Aber die unseligen Worte: „bis ich zu meinem Herrn komme nach Seir“ (V. 14), sind eine Lüge und verderben alles. Esau wollte ihn beschützen. Jakob hätte sich auf den Schutz Jehovas und auf seinen Fremdlingscharakter berufen können, um dieses Anerbieten zurückzuweisen; aber er scheut sich, er ist bange. Lieber lügt er, um der Schwierigkeit auszuweichen, welche sein Mangel an Glaube ihn fürchten lässt. O wie sollten wir darüber wachen, dass unser Zeugnis vor der Welt« deutlich und klar sei, ohne Zweideutigkeiten und Hintergedanken! Aber Gott wird den befreiten Jakob für diese einzige List, für diese einzige Lüge tausendmal schwerer strafen als früher. 

Fußnoten:
*) Machanaim = Doppellager. Vergl. Vers 2 mit Vers 7.
**) Doch findet Gemeinschaft jedes Mal statt, wenn Gott sich offenbart. Als „Gott, der Höchste“ und später „der Allmächtige“ (1. Mose 14, 19 u. 17, 1), sich dem Abraham offenbarte, trat dieser in Gemeinschaft mit Ihm. In 1. Joh. 1 ist die christliche Gemeinschaft die Folge der völligen Offenbarung des „ewigen Lebens“ in Christo.
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Zu Jesu Füßen

Bibelstelle: Vgl. 5. Mose 33,3

Botschafter des Heils 1910 S. 280ff

O seliger Ort, zu Jesu Füssen
in dieser ruhelosen Zeit!
O dort in Ruhe zu genießen
sein Wort in heiliger Einsamkeit! –
Wer ist ein Lehrer wohl wie Er!
Ach, wären nur der Schüler mehr!          Lukas 10,39

O seliger Ort, zu Jesu Füssen
in dieser kummervollen Zeit,
wo still vor Ihm die Tränen fließen,
wo Er dem Herzen Trost verleiht –
Er, der im Sturme friedlich schlief,
den Toten aus dem Graben rief!             Johannes 11,32

O seliger Ort, zu Jesu Füssen
in dieser undankbaren Zeit,
wo gläubige Herzen überfließen
voll demutsvoller Dankbarkeit!
Wo süße, duftige Narde quillt,
das Haus mit Wohlgeruch erfüllt.             Johannes 12,3

O seliger Ort, zu Jesu Füssen,
von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Wo Segensströme sich ergießen
In nie geahnter Herrlichkeit!
Wo Er, des Liebe nie erlischt,
dann jede Träne abgewischt.                  Jesaja 25,8; Offenbarung 7,17; 21,4
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Jakob oder die Zucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 281ff

III.
Jakob im Lande Kanaan.
Sukkoth und Sichem (1. Mose 33, 17 — 20.)
Anstatt Esau nach Seir zu folgen, begibt Jakob sich nach Sukkoth. Vielleicht ist das Beispiel seines Bruders nicht unbeteiligt an dem, was er dort tut; denn nachdem er den Jordan überschritten hat, lässt er sein Zelt da und scheint sich in diesem Teile Kanaans niederlassen zu wollen: „er baute sich ein Haus, und seinem Vieh machte er Hütten“. Im Gegensatz zu Abraham gibt er den Glaubensgenuss des Landes der Verheißung gegen eine tatsächliche Besitzergreifung auf. Er verliert so seinen Pilgrimscharakter, den er, wenn auch ohne Zeugnis davon abzulegen, aufrecht zu halten wünschte, indem er sich von Esau trennte. 
Dennoch verlässt er bald Sukkoth und zieht nach Sichem. Fühlte er sich unbehaglich in seiner neuen Stellung? Es scheint so, denn er schlägt wieder sein Zelt auf (V. 19) und lagert vor der Stadt. Doch da war nicht der Ort für ein Lager. Das Fehlen eines Zeugnisses Esau gegenüber ist ein großes Übel; aber man findet bei dem Gläubigen oft auch ein unheilvolles und nicht zeitgemäßes Zeugnis, welches aus einem Mangel an Gemeinschaft hervorgeht. Das ist es, was Jakob hier begegnet, aber es dauert nicht lange. Das Verlassen des Pfades des Zeugnisses hatte den Fehler von Sukkoth herbeigeführt, und, da Jehova ihn wegen dieses Fehlers nicht getadelt hat, verfällt er gleich in einen ähnlichen Irrtum. Wir hören, dass er „das Stück Feld kaufte, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte“. Hier ist er wiederum von den Wegen Abrahams weit entfernt. Dieser hatte ein Feld zu Hebron gekauft, um ein Grab zu besitzen; Jakob kauft ein Feld zu Sichem, um ein Besitztum zu haben. In einem fremden Lande unter dem Schutz eines Zeltes wohnend, kauft er das Grundstück, auf welchem sein Zelt errichtet ist; Welch trauriger Widerspruch zwischen seinem Bekenntnis und seinem Verhalten! Aber wie oft begegnet uns das Gleiche! 
Indessen baut er dort einen Altar. (V. 20.j) Der Altar steht immer in Verbindung mit dem Zelte, der Gottesdienst mit unserem Bekenntnis als Pilgrim. Aber unser Gottesdienst trägt auch immer das Gepräge unseres Seelenzustandes, des Grades der Wirklichkeit unseres geistlichen Lebens. Jakob nennt den Altar: „Gott, der Gott Israels, d. i. Jakobs, denn Gott hatte ihm diesen Namen gegeben. Ein Gottesdienst, der nur persönlich ist, steht schließlich auf einem wenig erhabenen Boden. Wenn wir als Anbeter vor. Gott hintreten, können wir Ihm dann nur für die Rettungen danken, die wir persönlich von Ihm empfangen haben? Nach der Erfahrung von Sichem wird Jakob den wahren Gottesdienst zu Bethel finden; dort wird er den Gott von Bethel anbeten, „den Gott des Gotteshauses“! 

Die Zucht von Sichem. (1. Mose 34) 
Zu Sichem befindet sich Jakob im Lande der Verheißung, und da will Gott ihn auch haben. Aber es genügt nicht, den von Gott bereiteten Platz äußerlich einzunehmen; der innerliche Zustand Jakobs hätte mit dieser Segnung in Übereinstimmung sein müssen. Leider war das nicht der Fall trotz der entscheidenden Erfahrung, die er in Pniel gemacht hatte· Dort hatte er gelernt, dass seine Kraft eigentlich nichts anderes war als ein Streiten wider Jehova, und dass diese Kraft, weil sie aus einem Gott feindlichen Willen hervorging, zunichte gemacht und ersetzt werden musste durch die Kraft des Glaubens, welche einen Israel, einen „Kämpfer Gottes“, aus ihm gemacht hatte. 
Doch diese Unterweisung hatte ihm nur zum Teil genützt. Sein trügerischer Charakter war, aus Mangel an Gottvertrauen, zum drittenmale zum Vorschein gekommen. Vergessen wir nicht, dass das ganze Leben Christi als Mensch sich in ein einziges Wort zusammenfassen lässt; dieses Wort heißt: Vertrauen. „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen“ (Hebr. 2, 13). Aus diesem Vertrauen geht Abhängigkeit hervor: „Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich!“ (Ps.16, 1). Die Abhängigkeit wiederum findet ihren Ausdruck im Gebet: „Zu dir habe ich gerufen, rette mich!“ (Psalm 119, 146). So war das Leben Jesu; so auch, obwohl weit entfernt von dem göttlichen Vorbilde, das Leben der Glaubensmänner, wie David, Samuel, Elia, Hiskia. 
Diese Wahrheit war anscheinend für Jakob ein toter Buchstabe. Die Rastplätze zu Sukkoth und Sichem sind der Beweis davon. Hatte er Jehova gefragt, ob er sich an diesen Orten niederlassen solle? Vielleicht wendet man ein: Gott hatte nicht mit ihm geredet. Allerdings nicht; aber Gott redete mit ihm nach Sichem,
als Er zu ihm sprach: „Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel“, und später: „Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen2, was Sein Schweigen bei den vorhergehenden Rastorten umso bezeichnender macht. Wenn Gott nicht: redete, hatte Jakob nur zu warten, wie es ein Größerer als er bei dem Tode des Lazarus tat. Doch Jakob muss eine Aufgabe lernen, und Gott lässt ihn seinen Weg gehen. Er spricht nachher mit ihm, als er die bitteren Früchte seines Gelüstes geerntet hat, er, der Fremdling, der geglaubt hatte, eine feste Wohnstätte und ein Besitztum in der Welt zu finden. 
Die. schrecklichen Folgen von alle diesem lassen nicht auf sich warten. „Dina ging aus, die Töchter des Landes zu sehen«, ein einfacher Höflichkeitsbesuch. O wie oft verwickeln uns solche Höflichkeitsbesuche ohne unser Wissen in die Wege der Welt! Dieser Besuch gereichte Dina zum Verderben: sie wurde die wehrlose Beute des Feindes. Zuerst, wie es scheint, gegen ihren Willen erniedrigt, wird ihr Herz in das verwickelt (V. 3), was einer Tochter Israels zur Schande gereichte. Armer Jakob! Welch ein Ende nach einem scheinbar unbedeutsamen Anfang, an welchem aber Gott keinen Teil hatte! Welch einen Jammer kann eine einzige unabhängige Handlung über unser Haupt bringen! 
Doch Jakob ist ein Gläubiger. Er demütigt sich unter die mächtige Hand Gottes und tut, was ein gedemütigter Mann tun soll, er schweigt. Wenn er spricht, so geschieht das später, im Schoße seiner Familie und weil er nicht anders handeln kann; aber aus seinem Munde erfahren seine Söhne das Unglück nicht. Die Worte: „Jakob schwieg“, machen vieles wieder gut. Ganz am Ende seiner Laufbahn, in der Prophezeiung des 49. Kapitels, sieht man, dass er dem grollenden Zorn seiner Söhne gänzlich fernstand; trotzdem finden wir ihn nicht auf der Höhe jenes Endurteils, denn im 30. Verse beurteilt er die vergeltenden Taten seiner Söhne vom Gesichtspunkt des Unrechts aus, welches ihm geschehen ist; an das Unrecht, welches Gott angetan war, denkt er nicht. Er sagt: „Ihr habt mich in Trübsal gebracht, indem ihr mich stinkend machet unter den Bewohnern des Landes, unter den Kanaanitern und unter den Perisitern. Ich aber bin ein zählbares Häuflein, und sie werden sich wider mich versammeln und mich schlagen, und ich werde vertilgt werden, ich und mein Haus«. Jakob ist nicht der einzige, der in solcher Weise urteilt. Wenn unter uns, in die Versammlung, Böses eingedrungen ist, so ist das: ihr habt mich in Trübsal gebracht“ oft unser erster und einziger Gedanke. Wir tadeln das Böse, weil es uns berührt, und in diesem Geiste messen wir die Schwere desselben ab. Ein so erbärmliches Urteil könnte in der Gemeinschaft des Herrn nicht stattfinden. In Seiner Gemeinschaft machen wir uns mit dem Geschehenen eins und verurteilen das Böse als Von uns getan: »Wir haben gesündigt und verkehrt und gesetz-los gehandelt« (Dan. 9, 5); ferner erkennen wir es als gegen Gott getan: „Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt“ (Ps. 51, 4).
Sichem, das Bild der Welt, die völlig unwissend ist über die Gedanken Gottes, ist bei diesen Ereignissen weniger schuldig, als die Söhne Jakobs. Mit den besten Absichten schlagen Sichem und sein Vater der Familie Jakobs ein Bündnis vor und fordern sie auf, sich bei ihnen ansässig zu machen. (V. 9 u. 10.) Beides war unmöglich, denn durch das eine würde Israel seine Stellung der Absonderung für Gott, durch das andere seinen Charakter als Fremdling und Pilgrim verleugnet haben. Das Verhalten, welches Jakob zu Sichem an den Tag gelegt hatte, konnte in gewissem Maße solche Vorschläge rechtfertigen. Aber Hemor handelt in Unwissenheit über die Gedanken Jehovas; er kennt nicht die Würde der Familie Gottes
und glaubt ein Opfer zu bringen, wenn er ihr ein Teil im Lande und ein Tauschgeschäft anbietet. „Leget mir sehr viel auf als Heiratsgabe und Geschenk“, fügt Sichem hinzu. Die ganze Handlungsweise ist edel; auch die Unterredung mit den Männern ihrer Stadt verrät ein außergewöhnliches Vertrauen: „Diese Männer sind friedlich gegen uns . . . die Männer wollen uns zu Willen sein· .“, sagen sie. (V. 21 u. 22.) Sie achten die Familie Gottes und, da sie bei den Söhnen Jakobs keine Hinterlist Voraussetzen, vertrauen sie ihrem Wort: „Wenn alles Männliche bei euch beschnitten wird . · . wollen wir bei euch wohnen und ein Volk sein“. Eine grausame Enttäuschung sollte ihnen widerfahren. Das Herz blutet bei dem Gedanken, dass die Söhne Israels den Namen des Gottes, dem sie anzugehören bekannten, in solcher Weise verunehren und ein solches Zeugnis ablegen konnten. Zu einer Zeit, da  „die Ungerechtigkeit der Amoriter
noch nicht voll“ war, als die Langmut Gottes sich noch gegen dieses Volk erwies, ergreifen Simei und Levis das Schwert der Rache und töten Menschen, die sie der Möglichkeit, sich zu verteidigen, beraubt haben! Eine abscheuliche Tat, weit schlechter als die „Schandtat“ Sichems, denn- die Söhne Jakobs verachten den Namen des Gottes Jakobs und treten den Charakter Desjenigen mit Füßen, dessen Ruhm es ist, ein Gott der Gnade zu sein, so lange Er nicht gezwungen ist, den Charakter eines Richters anzunehmen. „Verflucht sei ihr Zorn!“ sagt Jakob später. Die ·Elenden! Wie streng richten sie, um ihre eigene Gewalttat zu entschuldigen, die Verderbtheit anderer! „Sollte man unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ fragen sie entrüstet. So ist es immer bei dem sündigen Menschen: er entschuldigt seine eigenen Laster, indem er die Laster anderer verdammt. 
Ach! bald wird die Schandtat, die sie in ihrer Entrüstung so sehr getadelt haben, unter ihnen selbst, in ihrer eigenen Familie auftauchen (Kap. 35, 22), tausendmal schändlicher als diejenige Sichems, eine Schandtat, »die selbst unter den Nationen nicht stattfand“ (Vergl. 1. Kor. 5, 1.) Werden sie dann auch denselben Eifer zeigen, sich von ihr zu reinigen? 
Möchten diese Dinge zu unserem Gewissen reden! Ein strenges Urteil über den Zustand der Welt kann Hand in Hand gehen mit Unordnung und mit grober Verunehrung Christi in der Mitte der Familie Gottes! Jakob muss, unter diese ernste Zucht gebeugt, den schrecklichen Dingen schweigend zusehen. Ein scheinbar unbedeutender Fehler hat ihn zu so viel Trümmern geführt! Wie viele Fehler in seinem vergangenen Leben hatte Gott weniger streng bestraft, als diesen! Warum doch? Weil »die Seele Jakobs zu Pniel gerettet worden war“, und weil bei einem befreiten Gläubigen eine einzige Sünde auf der Waage des Heiligtums schwerer wiegt, als alle Sünden aus- der Zeit seiner Knechtschaft; denn damals konnte er sie nicht vermeiden, jetzt kann und soll er es. 

Die Gemeinschaft von Bethel. (1. Mose 35, 1 — 5; 9 —15.)
In dem bisher Betrachteten hatten wir Gelegenheit, mehrere Charakterzüge der Zucht Gottes an Seinen Kindern zu beobachten. Als Jakob, nachdem er seinen Vater und seinen Bruder betrogen hatte, wie ein Verbannter vor dem Zorn Esaus fliehen musste, kam die Zucht des Herrn in Züchtigung über ihn; denn Gott „geißelt jeden Sohn, den Er aufnimmt“. Ja, indem Er ihn züchtigt, nimmt Gott ihn auf. Er zeigt Jakob im Traum zu Bethel, dass Er ihn liebt, für ihn Sorge trägt und ihn nicht verlassen will; doch die Züchtigung dauert während der zwanzigjährigen Knechtschaft bei Laban fort. In Pniel angekommen, ringt Gott selbst mit ihm, um ihn die Fruchtlosigkeit seiner Anstrengungen und die Ohnmacht seines Fleisches erkennen zu lassen. Pniel ist also auch Zucht, aber sie offenbart sich nicht mehr in der Züchtigung für eine begangene Sünde, sondern im Richten des Fleisches. Nach Pniel kommt Jakob nach Kanaan, baut ein Haus in Sukkoth und kauft ein Feld zu Sichem. Es hatte den Anschein, als ob ein Mann, der zwanzig Jahre lang den Pilgerstab getragen und immer als Fremdling in einem Zelte gelebt hatte, nicht mehr hätte dahin kommen können, diesen Charakter zu verleugnen. Aber Jakob unterliegt aus Mangel an Wachsamkeit. Der Feind greift uns immer von der Seite an, wo wir meinen am wenigsten der Hut zu bedürfen. Eine neue Zucht ist die Folge davon, eine Zucht, die ihm die unheilvollen Folgen eines Augenblicks des Ausruhens zeigt. Schande, Gewalttat und Trübsal ergießen sich über den armen Patriarchen. Es ist die Zucht Gottes über Sein Haus, eine Zucht, welche die Familie Jakobs noch mehr als
ihn selbst trifft, da die Heiligkeit, welche das Haus Gottes ziert, fehlte. 
Jetzt findet eine große Veränderung statt. Gott spricht zu Jakob: „Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel und wohne daselbst, und mache daselbst einen Altar dem Gott, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau flohst“. Auf einmal wird Jakob aufgefordert, vor Gott als Anbeter zu erscheinen. Er soll Gott begegnen, nicht im Gericht, sondern in Gnade, so wie Er sich ihm geoffenbart hatte, als er vor Esau floh (V. 7), „dem Gott, der ihm geantwortet hatte am Tage seiner Drangsal und mit ihm gewesen war auf dem Wege, den er gewandelt war“ (V. 3). Beachten wir also: es ist der Gott der Gnade, dem er einen Altar zu Bethel bauen soll. 
Die Wirkung dieser Offenbarung auf die Seele Jakobs ist eine unmittelbare: ,,Er sprach zu seinem Hause und zu allen, die bei ihm waren: Tut die fremden Götter hinweg, die in eurer Mitte sind, und reiniget euch und wechselt eure Kleider“. Es war ihm also nicht unbekannt geblieben, dass fremde Götter in seiner Umgebung waren, aber er hatte bis dahin nicht darauf geachtet. Nunmehr muss sein Zustand und der seines Hauses der Heiligkeit des Gottes der Gnade entsprechen, der ihn berief; denn er muss sich reinigen, um als Anbeter Gott nahen zu können. Diese Reinigung muss völlig sein: Reinigung von unreinen Verbindungen, persönliche Reinigung des Herzens und Reinigung des Wandels. Zu Sichem, wo Jakob einen Altar errichtet hatte, als Zeugen seines Gottesdienstes für die persönliche Fürsorge, die Gott in so reichem Maße an ihm erwiesen hatte, finden wir nichts derartiges. Die Verbindung mit der Welt und ihren Grundsätzen erlaubt nicht, dass unser Gottesdienst sich über diesen Boden erhebe. Als Jakob in Bethel seinen Altar errichtete, nannte er« den Ort: „El-Bethel“, Gott des Gotteshauses. Wir Christen beten Gott, den Vater, an, gemäß Seiner Offenbarung in Christo, da wo Er wohnt, im Hause des Vaters; wir beten Ihn an wie Jakob zu Bethel, nicht nur um deswillen, was Er gegen uns ist, sondern um deswillen, was Er in sich selbst ist. 
Dann erscheint Gott dem Jakob und tut ihm Seinen Namen kund. Ein sehr wichtiges Ereignis in der Geschichte des Patriarchen! „Zu Bethel fand er ihn“, sagt uns Hosea (Kap·12, 5), „und daselbst redete er
mit uns.“ Das zukünftige Volk Israel, das ganze Volk, ist in diesen Gottesdienst zu Bethel eingeschlossen. In Pniel gab es keine Offenbarung Gottes: „Warum doch fragst du nach meinem Namen?“ (Kap. 32, 29). Hier gibt sich ·der Allmächtige, der Gott der Patriarchen, Jakob zu erkennen. (V.11.) Das war ein neuer Segen für ihn. In Verbindung mit diesem Namen empfängt er, gleichsam ganz von neuem, seinen Namen Israel (V. 10), und er gibt in gleicher Weise dem Ort den Namen Bethel (V. 15; vergl. Kap. 28, 16 —19). Es war für ihn jetzt nicht mehr ein Ort der Furcht und des Schreckens. War es denn nicht derselbe Ort, und hatte nicht derselbe Gott der Gnade damals mit ihm geredet? Ganz gewiss; aber Jakob war ein anderer Mann geworden, fähig, mit Gott in Verbindung zu treten. Er war nicht mehr errettet als damals, aber er hatte endlich an diesem für ihn immer denkwürdigen Orte die Gemeinschaft gefunden, die ihm bis dahin gefehlt hatte. Welch ein gesegnetes Ereignis! Jakob kennt jetzt den Gott, der sich ihm geoffenbart hat, und betet Ihn an, nicht mehr als der Jakob von damals, sondern als der neue Israel; er betet Gott in Seinem eigenen Haufe an. Gott erfreut sich Seines Werkes in Jakob, und Israel, „aus welchem ein Haufe von Nationen werden soll“ und „aus dessen Lenden Könige hervorkommen sollen“, Israel, zu dem Gott sagt: „Sei fruchtbar und mehre dich“, erfreut sich in dem Gott der Verheißungen und feiert das Gedächtnis dieser Gemeinschaft (V. 14), welche das Endziel aller Wege Gottes mit ihm ist. 
Hast du verstanden, mein lieber christlicher Leser, dass Gott, indem Er sich dir in Christo offenbart, den Zweck hat, dich in Seine Gemeinschaft einzuführen? „Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens · . . verkündigen wir euch, auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habet; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo!“ Lasst uns diese gesegnete Gemeinschaft pflegen; lasst uns nicht zugeben, dass die erbärmlichen Sorgen der Welt oder die Sünde, die uns so leicht umstrickt, uns jene Gemeinschaft rauben! Dieser Schatz ist größer als alle anderen. Gemeinschaft haben mit dem Vater und dem Sohne heißt, in Schwachheit hienieden verwirklichen, was die ewige Freude unserer Seelen im Vaterhause sein wird.

Neue Zucht. (1. Mose 35, 6 — 8; 16 — 29). 
Jakobs Seele ist jetzt mit Gott in Ordnung. Es sieht so aus, als wollten heitere Tage, frei von den Zwischenfällen und Unruhen der Vergangenheit, für ihn anbrechen. Doch nein, neue Schmerzen erreichen und übermannen ihn; eine unerwartete Zucht beginnt schwer auf ihn zu drücken. Von allen Seiten klopft der Tod an seine Pforte, bedeckt ihn mit seinem Trauerschleier und» zerreißt die zärtlichsten Bande. Unter den Freuden zu Bethel, gerade in dem Augenblick, als die Treue des Patriarchen in dem Aufgeben der Götzen sich kundgibt, stirbt Debora, die Amme Rebekkas. Die letzte lebende Erinnerung an
seine Mutter, die er nie wiedergesehen hatte, verschwindet damit. Gerade bei Bethel findet Jakob Allon-Bakuth, die Eiche des Weinens. Dieser Tod der Debora erweckt notwendigerweise bei dem Patriarchen die Erinnerung an die Bitterkeit der verdienten Zucht und lässt sein ganzes Leben wieder an ihm vorübergehen.
Hinter Bethel, „auf dem Wege nach Ephrath, das ist Bethlehem“, stirbt Rahel, die Geliebte. Mit ihr nehmen alle Freuden in dem Leben des Patriarchen ein Ende. „Denn ich“, sagt er später, von diesem Schmerz aufs neue bewegt, „denn ich — als ich aus Paddan kam, starb Rahel bei mir im Lande Kanaan auf dem Wege, als noch eine Strecke Landes war, um nach Ephrath zu kommen; und ich begrub sie daselbst auf dem Wege nach Ephrath, das ist Bethlehem“ (Kap. 48, 7). Sie stirbt, indem sie Benoni das Leben gibt, „dem Sohn ihrer Not“, den sein Vater Benjamin nennt, „den Sohn seiner Rechten“. Benjamin kommt in Bethlehem zur Welt, wie dort später ein Größerer als er geboren wird, der Sohn der Rechten Gottes, Christus, der einst in Macht in die Mitte Israels treten wird. Jakob hat alles verloren; sein Leben ist zerbrochen, aber ähnlich wie der Mutterschoß der Rahel zerbrochen worden war, auf dass mit dem Wiederschein zukünftiger Herrlichkeit der Sohn der Rechten seines Vaters daraus hervorgehe. 
Sodann fühlt Jakob leider auf bittere Weise das Verderben seines erstgeborenen Sohnes Ruben, „des Erstlings seiner Stärke“. „Und Israel hörte es“, sagt uns das Wort ohne eine andere Bemerkung. (V. 21 u. 22). Der Mann des Glaubens murrt nicht, aber Kap. 49, 3 — 4 zeigt uns, wie er über diese Sünde geurteilt hat. In den Versen 27 — 29 findet Jakob seinen Vater wieder in Hebron, der Stätte des Todes, und seine Beziehungen zu Esau, seinem Bruder nach dem Fleische, nehmen am Grabe Isaaks ein Ende. 
Diese neue Zucht bricht das Herz Jakobs, aber Gott will es so in Seiner Fürsorge für Seinen Diener. Dieser muss die Welt in ihrem wahren Licht kennen lernen, als einen von den Schatten des Todes beherrschten und durch das schreckliche Verderben der Sünde besudelten Schauplatz; doch diese Zucht hat keineswegs den Charakter der früheren. Sie ist vorbeugend und hat zum Zweck, Jakob für das Zeugnis zu bilden, welches Gott ihm in der Folge anvertrauen will. Der große Apostel der Heiden, welcher den Fußspuren seines Herrn so treu folgte, bedurfte auch diese Zucht. Wenn ein Engel Satans den Dorn in fein Fleisch trieb, indem er ihn mit Fäusten schlug, beugte Gott dem Hochmut vor, der aus „der Überschwänglichkeit der Offenbarungen« hervorgehen konnte; wenn er täglich starb, so geschah es, damit, während der Tod in ihm wirkte, das Leben in den anderen wirken konnte.
Diese Zucht hatte Jakob sich nicht zugezogen, nein, die Gnade bildete auf diese Weise das Werkzeug, dessen sie sich bedienen wollte. Als Vergeltung, damit er die Prüfung zu ertragen vermöge, ohne zu ermatten, hatte Gott ihm drei Dinge gegeben: die Gemeinschaft mit dem Allmächtigen, die Stellung als Anbeter im Hause Gottes und den Ausblick auf einen verherrlichten Christus (bildlich) in der Person Benjamins. Sind die Leiden dieser Zeit wert, mit solchen Segnungen verglichen zu werden? 

Jakob verliert Joseph. (1. Mose 37 — 45).
In Kap. 37, 1 — 15 setzt Jakob die Überlieferung des Glaubens Isaaks und Abrahams fort und wohnt als Fremdling in Kanaan. Die Unterweisung von Sichem hatte ihre Frucht gebracht. Esau ahmt dieses Verhalten. nicht nach, denn das Fleisch kann in einer Stellung, die von der Welt absondert, keine Befriedigung finden. Das Wort berichtet uns (Kap. 36, 6), dass er „in ein Land (nach dem Gebirge Seir) zog, von seinem Bruder Jakob hinweg“. 
Jede eigenwillige Tätigkeit des früheren Jakob, mit seinen Plänen und seinen Listen, hat aufgehört, sie hat der Tätigkeit des Glaubens und Gefühlen Platz gemacht, die Gott entsprechen. Der Patriarch findet in der Person Josephs einen Gegenstand, der. Seiner ganzen Liebe würdig ist. Sein jüngster Sohn, Benjamin, war noch nicht geoffenbart als der Sohn seiner Rechten, und die zukünftige Macht, die dieser ausüben sollte, war von seinem Vater nur in Hoffnung gekannt; ohne Zweifel war sie seinen Augen und seinem Herzen gegenwärtig, doch Benjamin wurde für zukünftige Ereignisse aufbewahrt. So ist es auch mit dem Herrn, von welchem Benjamin ein Vorbild ist: Seine Herrlichkeit in Israel wird Ihm für eine zukünftige Zeit aufbewahrt (5. Mose 33, 12.) Joseph, das bewundernswürdige Bild von Christo, hat einen ganz anderen Charakter, der das Herz seines Vaters mächtig anzieht. Er ist der gerechte, heilige Mensch, der das Geheimnis der Gedanken Gottes besitzt, und darum hassen ihn seine Brüder, verkaufen ihn für einige Silberlinge und lassen ihn leiden, ihn, der später zum Licht und Beherrscher der Völker wird. 
„Israel liebte Joseph“ Das war nicht die selbstsüchtige Liebe Isaaks zu Esau. Jakob schätzt in seinem Sohne die Schönheit des Charakters und zeichnet ihn vor seinen Brüdern aus, indem er ihm „einen langen Leibrock“ macht, ein königliches und jungfräuliches Kleid, ein Zeichen persönlicher Heiligkeit. (Vergl. 2. Sam. 13, 18). Seit Bethel ist der Glaube des Patriarchen in voller Tätigkeit; er befähigt ihn, Dinge, die noch nicht zu sehen waren, zu unterscheiden; er eilt der Zeit voraus! Bevor Benjamin das ist, was er werden wird, nennt sein Vater ihn den Sohn seiner Rechten; bevor Joseph in seiner Macht geoffenbart ist, bekleidet er ihn mit einem der Wahrzeichen königlicher Würde. Ferner, wie erstaunlich und wenig begreiflich ihm der Traum Josephs auch scheinen mag (V. 5 —11), da er die Autorität Israels beseitigte (vergl. Kap. 27, 29), um sie seinem Sohne zu geben, so bewahrt doch der Patriarch dieses prophetische Wort bezüglich der zukünftigen Herrlichkeit dessen, den er liebte. Er tut, was Maria später betreffs Jesu tat: „Maria bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Luk. 2, 19. 51). 
„Indes erfüllen Liebe und Glaube nicht allein das Herz Jakobs. Zwischen ihm und seinem Sohne findet man eine völlige Gemeinschaft. (V. 12 — 15). Beide haben dasselbe Ziel. Jakob sendet Joseph aus dem
Tale Hebron, der Stätte des Todes, nach Sichem, dem Ort des Verderbens und der Gewalttat des Menschen, um dort seine Brüder zu suchen. Joseph antwortet: „Hier bin ich“. Es ist das Seitenstück zur Geschichte Abrahams und Isaaks auf der Reise nach Morija, als „sie beide miteinander gingen“; es ist auch das Seitenstück zu der Geschichte des geliebten Sohnes, als dieser sagte: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun!“
Wir wissen, was auf diesen Gehorsam Josephs folgte. Er wurde von seinen Brüdern in die Hände der Fremden überliefert und war von da an für sein Geburtsland verloren. Jakob kennt die Umstände dieses Verlustes nicht, aber ohne Joseph gibt es für ihn in dieser Welt nichts anderes mehr als Trauer und Tränen bis zum Tode. „Denn leidtragend werde ich zu meinem Sohne hinabfahren in den Scheol! Und sein Vater beweinte ihn“ (V. 35).
Und wir, die wir wissen, in welcher Weise Jesus von den Menschen, die zu retten Er gekommen war, behandelt worden ist, sollten wir nicht mit noch größerem Recht der Welt gegenüber uns wie Jakob verhalten? Sollte diese Welt, die Christi beraubt ist, in unseren Augen nicht der Ort des Todes, der Trauer und der Tränen sein? 

Die Hungersnot und der Verlust Benjamins. (1. Mose 42, 36 — 38; 43, 1 — 14).
Indes ist die Welt noch etwas anderes für Jakob: sie ist der Ort der Hungersnot. Joseph ist abwesend seit dem Verbrechen seiner Brüder, und die Hungersnot herrscht in Kanaan, während Ägypten unter der Regierung des verworfenen Sohnes sich im Überfluss befindet. In der Zwischenzeit hängt sich» Jakob, da er Joseph nicht mehr vor Augen hat, an Benjamin, den Sohn seiner Rechten, den Träger einer noch zukünftigen Gunst und Macht (5. Mose 33, 12; Psalm 80, 2). Und siehe da, er muss sich auch von ihm trennen! Wie einst Abraham Isaak aufgeben musste, so sieht Jakob sich nacheinander der beiden einzigen Söhne beraubt, mit welchen seine irdischen Hoffnungen verbunden waren, des einen, den er in seinem bewundernswürdigen Wandel auf der Erde in der Mitte seiner Brüder gesehen hatte, des anderen, auf den er die Hoffnung der Segnung Israels gründete. Er sieht sich von allem entblößt, was seine Freude und seine meistberechtigten Hoffnungen ausmachte. „In Seiner Gunst hatte Gott festgestellt seinen Berg“, und jetzt bringt Er ihn dahin zu sagen: „Du verbargst dein, Angesicht, ich ward bestürzt“ (Psalm 30, 7). Ein schrecklicher Kampf findet in der Seele des Patriarchen statt, um dahin zu kommen, den Willen Gottes rückhaltlos anzunehmen. Er beginnt damit, seinen Söhnen zu sagen: „Ihr habt mich der Kinder beraubt: Joseph ist nicht mehr, und Simeon ist nicht mehr, und Benjamin wollt ihr nehmen! Dies alles kommt über mich!“ Er lehnt sich dagegen auf: „Mein Sohn soll nicht mit euch hinabziehen“ (V. 36 —38), und: „Warum habt ihr mir das Leid angetan, dem Manne kundzutun, dass ihr noch einen Bruder habt?“ (Kap. 43, 6). In seiner Herzensangst blickt er auf die menschlichen Werkzeuge seiner Prüfung und ruft aus: „Warum?“
Gewiss ist das nicht die vollkommene Unterwürfigkeit Christi. Er bedurfte nicht der Zucht, um dahin gebracht zu werden. Wie schön ist es jedoch zu sehen, wie dieser Mann in der Prüfung sich schließlich unter die Zucht des AlImächtigen beugt, der sich ihm in Bethel geoffenbart hatte! Indem er jeden eigenen Willen ausgibt, gebrochen aber vertrauend, sagt er zu seinen Söhnen: „Nehmet euren Bruder und machet euch auf, kehret zu dem Manne zurück. Und Gott, der Allmächtige, gebe euch Barmherzigkeit vor dem Manne, dass er euch euren anderen Bruder und Benjamin loslasse!“ Er rechnet nur noch auf die Gnade Gottes. Das Opfer ist verzehrt; der Glaube Israels trägt den Sieg davon über die ganze Herzensangst Jakobs. In Bezug auf sich selbst fügt er hinzu: „Und ich, wenn ich der Kinder beraubt bin, so bin ich der Kinder beraubt!“ (V. 13 u. 14.) Die heilsame Versuchung bringt ihn dahin, Gott für alles und sich selbst für nichts anzusehen. 
Dieser neue Segen, den Jakob endlich durch die Zucht in Kanaan findet, ist ein unterwürfiger Wille, der den Willen Gottes annimmt, weil er nur noch Seine Hand in allen Prüfungen sieht. Für diese Erde scheint ihm alles genommen zu sein, aber der Allmächtige bleibt ihm die sichere Zuflucht seiner Seele, und das genügt ihm. Die letzten Spuren des alten Jakob sind durch die Zucht vernichtet worden, um Gott allein den ganzen Platz, zu geben.

Joseph lebt. (1. Mose 45, 26—28.)
Das Opfer ist verzehrt . . . . alles wird anders! Jakob erfährt, dass sein Sohn Joseph noch lebt! Jedoch auch hier zeigt sich die Schwachheit des Gläubigen. Vor dem Verlust Benjamins empörte sich sein Herz und rief: „warum“, ohne eine Antwort zu bekommen; vor die Gnade gestellt, zeigt sich dasselbe Herz zu schwach, um sie zu erfassen: „Sein Herz erstarrte, denn, er glaubte ihnen nicht“. Doch als sie ihm „alle Worte Josephs, die er zu ihnen geredet hatte«, berichteten, als er „die Wagen sah, die Joseph gesandt hatte, ihn zu holen“, das sichere Zeichen, dass sein geliebter Sohn ihn bei sich haben wollte, „lebte sein Geist auf“. Er sagt ein einziges Wort, aber dieses Wort drückt die volle Befriedigung all seiner Wünsche aus: „Genng!“ Er bedarf nichts anderes; sein Becher ist voll und fließt über. Hat er nicht Joseph wiedergefunden, den einst Verworfenen, der jetzt auf einem herrlichen Throne sitzt, Joseph, den Gott „zum Licht der Nationen gesetzt hat, um Sein Heil zu sein bis an das Ende der Erde“? (Jes. 49, 6). 
Was fehlt ihm noch, um seine Freude völlig zu machen? Nur eines: Joseph mit eigenen Augen zu sehen. Er sagt nicht mehr wie früher: „Leidtragend werde ich zu meinem Sohne hinabfahren in den Scheol“ (Kap.
i37, 35); Joseph lebt, Jakob erwartet nicht mehr den Tod. „Ich will hinziehen“, sagt er, „und ihn sehen, ehe ich sterbe“ Zu ihm gehen, ihn lebend sehen, bei ihm sein, bevor er durch den Tod geht, welche Freuden für die Seele Israels! 
Teurer Leser! möchten diese Worte des Patriarchen auch die unsrigen sein! Haben die Züchtigungen, die
Erziehung, das Zerschlagenwerden, die Prüfungen, welche -Gott benutzt, um uns jedes Vertrauen auf das Fleisch zu nehmen, den Erfolg, dass wir unsere Freude in einem auferstandenen und auf dem Thron des Vaters sitzenden Christus finden? Drücken in dem Überschwang dieser Freude unsere schwachen Herzen, die so eng sind im Erfassen derselben, ihre Befriedigung durch dasselbe Wort aus wie Jakob: „Genug“? Sind wir erfüllt von dem Wunsche, zu Ihm zu gehen und Ihn mit eigenen Augen zu sehen?

Beerseba. (1. Mose 46, 1 - 7). 
„Und Jsrael brach auf und alles was er hatte, und kam nach Beerseba; und er opferte Schlachtopfer dem Gott seines Vaters Isaak.“ Jakob geht bis zu der südlichen Grenze Kanaans, ohne sie zu überschreiten. Er kommt an den Ort, wo Isaak, auf seiner Rückkehr von Gerar, endlich die volle Segnung gefunden hatte. Da betet er an . . . . und wartet. 
Er wartet, als der rechtmäßigste Beweggrund ihn antrieb, nach Ägypten hinabzuziehen, wohin Joseph selbst ihn eingeladen hatte. Auf diese Einladung hatte Jakob geantwortet: „Ich will hinziehen“, ähnlich wie einst seine Mutter auf die Frage: „Willst du mit diesem Manne gehen?“ geantwortet hatte: „Ich will gehen“
(1. Mose 24, 58). Die stärksten Gründe wirkten auf sein Herz, seine Reise zu beschleunigen, aber es fehlte ihm noch eins: ein Wort Gottes. Er blickt auf Gott, nicht auf seine eigenen Gefühle. Das Herz ist ganz mit Ihm beschäftigt, und er bringt Ihm Schlachtopfer dar; aber er wartet.
Auch sehen wir ihn ganz bereit, wenn Gott in den Gesichten der Nacht ihm zuruft: „Jakob! Jakob!“ Er antwortet: „Hier bin ich“. Ein einfaches und rührendes Wort. Dein Herz merkt auf, um den Ausdruck des Willens Gottes in Empfang zu nehmen, völlig bereit, ihn zu tun, ohne zu überlegen, einfach weil es Sein Wille ist. „Hier bin ich“, sagt Abraham, als der Engel vom Himmel ihm zuruft: „Abraharn! Abraham!“ „Hier bin ich“, sagt Joseph, als Jakob ihn hinschickt, um seine Brüder zu suchen. „Hier bin ich“, sagt ein Größerer als sie alle, „um deinen Willen, o Gott, zu tun“.
Beerseba ist der Zeuge der Abhängigkeit und des Gehorsams Jakobs. Trotz des Magneten, der ihn anzieht, hat er keinen eigenen Willen. 
In der Tat, Gott allein konnte ihm sagen, er solle nach Ägypten hinabziehen, derselbe Gott, der zu Isaak gesprochen hatte: „Ziehe nicht hinab nach Ägypten“ (Kap. 26, 2). Jetzt sagt Er zu Jakob: Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen“. Jakob fürchtete, indem er sich selbst misstraute, seine Gedanken an die Stelle der Gedanken Gottes zu setzen. Jehova versichert ihm: „Ich will mit dir nach Ägypten hinabziehen“. Glückselige Gemeinschaft! Wohin Jakob geht, dahin will Gott mit ihm gehen. Welch ein Gegensatz, zwischen dieser Reise und derjenigen, als Jakob aus dem väterlichen Hause floh! „Ich bin mit dir“, sagte Gott in Bethel zu ihm, als Jakob noch nicht mit Gott wandelte. Später hatte er dort die Gemeinschaft in der Anbetung gefunden; in Beerseba verwirklicht er sie im Wandel. 
In dem Augenblick, da Jakob Kanaan für immer verlässt, (er wird erst nach seinem Tode dahin zurückkehren, um dort auf eine „bessere Auferstehung“ zu warten) wollen, wir die Fortschritte, die seine Seele während dieses Aufenthaltes von 34 Jahren gemacht hat, uns noch einmal vergegenwärtigen. Den schwersten Prüfungen unterworfen, indem er sah, wie der Tod ihm seine Geliebten entriss, tief betrübt über den Verlust Josephs, niedergebeugt durch die Hungersnot und ganz gebrochen durch die Trennung von Benjamin, ist der Charakter des Patriarchen in wunderbarer Weise gebildet worden, um den Zügen des göttlichen Charakters zu entsprechen; und diese Züge sind, wenn sie in dem Menschen verwirklicht werden, Unterwürfigkeit, Befriedigung, Abhängigkeit, Gehorsam, Gemeinschaft im Wandel.— Aber wir wollen uns nicht damit begnügen, den Ausdruck davon in einem fehlenden. Menschen zu suchen; lasst uns die Augen auf Jesum richten, den einzigen Menschen, der diese Charakterzüge ohne Fehl gezeigt hat! Lasst uns mit aufgedecktem Angesicht Seine Herrlichkeit anschauen, denn das ist das Mittel, um „verwandelt zu werden nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18).
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Zucht und Einheit im Handeln

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 303ff

Als allgemeine Grundlage des Handelns wird anerkannt, dass jede Versammlung von Christen, die im Namen des Herrn Jesu Christi und in der Einheit Seines Leibes versammelt sind, sobald sie als Körperschaft handelt, dies tut unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit gegenüber dem Herrn, wie z. B. wenn sie einen Akt der Zucht ausübt oder irgend Etwas der-artiges tut; so auch, wenn sie im Namen des Herrn diejenigen zulässt, die in ihre Mitte kommen, um an Seinem Tische teilzunehmen. Jede Versammlung handelt in einem solchen Fall aus eigenem Antrieb und in ihrem Bereich, indem sie über rein örtliche Dinge entscheidet, die aber nichtsdestoweniger eine Tragweite haben, welche sich auf die ganze Kirche erstreckt. Die geistlichen Männer, die sich dieser Tätigkeit widmen und sich mit den Einzelheiten beschäftigen, bevor der Fall vor die Versammlung gebracht wird, damit das Gewissen aller an der Sache beteiligt sei, können selbstverständlich in sehr nützlicher Weise und mit Sorgfalt auf die Einzelheiten eingehen; aber wenn sie irgend eine Sache entscheiden wollten ohne die Versammlung der Heiligen (selbst in den gewöhnlichsten Dingen), so würde ihre Handlung nicht mehr die der Versammlung sein und könnte nicht anerkannt werden.
Wenn solch örtliche Angelegenheiten in dieser Weise durch eine in ihrem Bereich handelnde Versammlung zur Entscheidung gebracht worden sind, so sind alle anderen Versammlungen der Heiligen, als in der Einheit des Leibes stehend, gebunden, das was getan worden ist anzuerkennen, indem sie (wenigstens so lange nicht das Gegenteil bewiesen ist) es für ausgemacht halten, dass alles in richtiger Weise und in der Furcht Gottes, im Namen des Herrn geschehen ist. Ich bin gewiss, dass der Himmel diese heilige Handlung anerkennt und bestätigt; ja, der Herr hat gesagt, dass es so sein werde. (Matth. 18, 18). 
.Es ist oft ausgesprochen und anerkannt worden, dass die Zucht, welche in dem „von euch selbst hinaustun“(1.Kor. 5, 13) besteht, das letzte Mittel sein soll, zu welchem man seine Zuflucht nimmt, und zwar nachdem jede Geduld und Gnade erschöpft ist, und wenn ein längeres Gehenlassen des Bösen nichts anderes sein würde, als eine Verunehrung des Namens des Herrn und ein Verbinden des Bösen (praktischerweise) mit Ihm und dem Bekenntnis Seines Namens. Andererseits geschieht· die Zucht des Ausschlusses stets im Blick aus die Wiederherstellung der Person, an welcher man sie ausübt, und niemals, um sich derselben zu entledigen. So ist es auch mit den Wegen Gottes mit uns. Gott hat immer das Wohl der Seele, ihre Wiederherstellung zu voller Freude und Gemeinschaft im Auge, und niemals zieht Er Seine Hand zurück, bevor dieses Ergebnis erreicht ist. Die den Gedanken Gottes entsprechende, in Seiner Furcht ausgeübte Zucht hat dasselbe Ziel; sonst ist sie nicht von Gott. 
Aber wenn auch eine örtliche Versammlung wirklich in ihrer eigenen und persönlichen· Verantwortlichkeit
dasteht und ihre Handlungen, vorausgesetzt dass sie von Gott sind, die anderen Versammlungen binden, wie in der Einheit eines einzigen Leibes, so hebt doch diese Tatsache nicht eine andere auf, welche von der größten Wichtigkeit ist und die manche zu vergessen scheinen, nämlich dass die Stimme der Brüder anderer Örtlichkeiten ebenso viel Freiheit hat wie die der Brüder des Ortes, sich in ihrer Mitte hören zu lassen, um die Angelegenheiten einer Versammlung zu besprechen, obwohl sie örtlich nicht zu dieser Versammlung gehören. Sich dem widersetzen würde tatsächlich eine ernste Leugnung der Einheit des Leibes Christi sein.
Weiter kann das Gewissen und »der innere Zustand einer örtlichen Versammlung so sein, dass sie kein Bewusstsein oder doch nur ein sehr unvollkommenes. Verständnis von dem hat, was der Ehre Christi und ihr selbst geziemt. Das alles macht dann das Auffassungsvermögen so schwach, dass keine geistliche Kraft mehr vorhanden sein kann, um das Gute und das Böse zu unterscheiden. Vielleicht können auch in einer Versammlung Vorurteile, Übereilung, oder auch die Geistesrichtung und der Einfluss einer oder mehrerer Personen das Urteil der Versammlung irreführen und so bewirken, dass sie die Zucht unrichtig ausübt und einem Bruder schweren Schaden zufügt. In einem solchen Falle ist es ein wahrer Segen, wenn geistliche und einsichtsvolle Männer aus anderen Versammlungen ins Mittel treten und das Gewissen der Versammlung wieder aus den rechten Weg zu bringen suchen, wie auch dann, wenn sie kommen auf Bitten der Versammlung oder auf Bitten solcher, deren Angelegenheit im Augenblick die Hauptschwierigkeit bildet. Statt dass ihr Dazwischentreten in einem solchen Augenblick als ein unberechtigtes Eindringen betrachtet werden dürfte, muss es vielmehr angenommen und im Namen des Herrn anerkannt werden. Wollte man anders handeln, so würde man damit ganz einfach die Unabhängigkeit gutheißen und die Einheit des Leibes Christi leugnen. 
Nichtsdestoweniger dürfen diejenigen, welche kommen und so handeln, nicht getrennt von dem übrigen Teil. der Versammlung handeln, sondern das Gewissen aller muss berücksichtigt werden. —— Sollte eine Versammlung jede Vorstellung zurückweisen und es ablehnen, die Hülfe und das Urteil anderer Brüder anzunehmen, so ist, nach Anwendung aller Geduld, eine Versammlung, die mit jener in Gemeinschaft stand, berechtigt, deren irrtümliche Handlung für nichtig zu erklären und die zurückgewiesene Person, falls man sich in Bezug auf sie getäuscht hat, zuzulassen. Doch wenn man bis zu diesem äußersten Schritt kommt, so hat sich die Schwierigkeit zu einer Frage der Verweigerung der Gemeinschaft mit jener Versammlung gestaltet, die verkehrt gehandelt hat und auf diese Weise selbst ihre Gemeinschaft mit den übrigen, die in der Einheit des Leibes handeln, gebrochen hat. Solche Maßregeln können nur nach viel Sorgfalt und Geduld getroffen werden, damit das Gewissen aller die Handlung als von Gott kommend anerkennen könne.
Ich mache auf diese Gegenstände aufmerksam, weil eine Neigung vorhanden sein könnte, das Einschreiten solcher, die in Gemeinschaft sind und aus anderen Orten kommen, für unberechtigt zu erklären und eine Unabhängigkeit im Handeln in jeder örtlichen Versammlung aufzustellen. Jede Handlung ist jedoch, wie ich im Beginn anerkannt habe, zunächst Sache der örtlichen Versammlung. 
J. N. D.
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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 307ff

Es ist oft der Fall, dass Gläubige, welche Grund haben, sich zu fürchten, höchst sorglos sind, während andere, für welche der Geist der Gnade nur Worte des Trostes und der Ermunterung hat, die ernsten Warnungen der Heiligen Schrift in verkehrter Weise auf sich anwenden. Der Mensch verlor durch die Sünde nicht nur das natürliche Leben, sondern auch Gott; und Christus gibt mir jetzt nicht nur ein neues und besseres Leben, als der Baum des Lebens je geben konnte, sondern Er gibt mir auch Gott und bringt mich in Seine Gegenwart. Er gibt meiner Seele Gott zu erkennen und versichert mich Seiner Liebe.
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„Wächter, wie weit ist's in der Nacht?" 

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils 1910 S. 308ff

Es geht in unsern Tagen ein Rauschen durch die Welt, 
Als stürmten heft'ge Winde durchs dürre Ährenfeld. 
Es rauscht, als sei gekommen der Erde Erntezeit, 
Es rauscht, als wollt' es sagen: macht, Schnitter, euch bereit! 
Es rauscht, als schäume zornig ringsum das Völkermeer, 
Es rauscht, als zögen Wetter mit Sturmgebraus einher. E
s rauscht so ernst und düster und zeigt vernehmlich an, 
Dass die Gerichte Gottes mit Blitzeseile nahn.

Doch gehet auch ein Rauschen - die Welt vernimmt es nicht - ,
Ein Wehn des Heil'gen Geistes, das zu dem Glaub'gen spricht. 
Es mahnt: Wach auf vom Schlafe, begegne deinem Herrn, 
Die Nacht, weit vorgerücket, zeigt an den Morgenstern! 
Wie steht's mit deiner Lampe, gibt sie auch hellen Schein? 
Und nimmst du deine Stellung als Jünger Jesu ein ?
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Geliebte! lasst uns wachen und Ihm entgegengehn; 
Es ist die letzte Stunde, in der wir wartend stehn.
Bald ist der Kampf beendet, durchlaufen bald die Bahn, 
Dann will der Herr belohnen, was wir für Ihn getan.
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Jakob oder die Zucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 309ff

IV.
Jakob in Ägypten.
Jakob bei Joseph. (1. Mose 46, 28 — 80.)
Die lange Zucht hat alle ihre Früchte hervorgebracht. Jakob zieht, durch sie zubereitet, im Alter von 130 Jahren nach Ägypten hinab, um dort noch 17 Jahre als ein Zeuge seines Gottes zu leben. Ägypten ist das Bild der Welt, wie Kanaan das der himmlischen Örter. Wir sind nicht immer tatsächlich in Kanaan, doch sind wir immer in Christo dort. Obwohl wir, was unsere Stellung und den Genuss unserer Seelen betrifft, im Himmel weilen, werden wir doch in die Welt gesandt, um Zeugnis abzulegen. Jeder Diener Gottes ist also wie Jakob berufen, von Kanaan nach Ägypten hinabzuziehen. Der Herr Jesus selbst hat dies getan, denn Er hat gesagt: ,,Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt«. (Joh. 17, 18.) Das Vergessen dieser Wahrheit hat das Mönchtum, eine der offenen Wunden der Kirche, hervorgebracht. In der Welt sein ist keineswegs eine Sünde für den Christen. Der Herr hat gesagt: „Diese sind in der Welt“, und: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest“ (Joh. 17, 11. 15). Die Sünde besteht in dem Verkennen der Tatsache, dass wir in sittlicher Hinsicht völlig von ihr abgesondert sind: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“ (Joh. 17, 14). Es heißt alle unsere Vorrechte verleugnen, wenn wir unseren Platz wieder in einer Welt einnehmen, zu welcher wir nicht mehr gehören.
Kann denn das Hinabziehen nach Ägypten nach Gottes Willen sein? Alles hängt davon ab, wer uns dahin führt, sowie von den Beweggründen, die uns dahin treiben. Die Hungersnot trieb Abraham dahin, als er in dem Wandel des Glaubens noch wenig befestigt war. Er fand dort eine ernste Schule, aus welcher er durch Gottes Gnade großen Nutzen zog. Die Hungersnot wollte auch Isaak dorthin treiben, aber die göttliche Autorität trat ins Mittel, um ihn davon zurückzuhalten (1. Mose 26, 2.) Die Hungersnot würde schließlich auch Jakob dahin getrieben haben, wenn er nicht in der Schule Gottes unterwiesen worden wäre. Besser belehrt als Abraham, abhängiger als Isaak, zieht er nicht dahin, als die Umstände ihn dazu aufforderten. Ohne Zweifel war er frei, die materiellen Hilfsmittel der Welt zu benutzen, welcher er seinen Lebensunterhalt bezahlte, ohne ihr etwas schuldig zu sein, aber seine Absonderung blieb vollständig. 
Nur die Nachricht von der Anwesenheit Josephs in Ägypten kann ihn bestimmen, dorthin zu ziehen, und wie wir gesehen haben, geht er tatsächlich nur aus den Befehl Gottes hin und um dort bei Joseph zu sein.
Wie hätte er bei einer solchen Ermächtigung und einem solchen Beweggrund sich nicht auf dem Wege Gottes befinden können? Joseph ist der Gegenstand seines Herzens, und Joseph ist in Ägypten; Jakob kann also auch dort sein. Unser Joseph ist für uns natürlich nicht mehr da; Er sagt: „Ich bin nicht mehr in der Welt“; aber Er hat in ihr gewandelt und sendet uns hinein, damit wir Seinen Fußspuren folgen. Er billigt unsere Anwesenheit in der Welt, damit wir während Seiner Abwesenheit Seine Vertreter und Seine Zeugen seien und in Seinen Fußstapfen wandeln, indem wir nur Ihn zum Gegenstand und Vorbild haben. Wenn wir also die Welt durchschreiten, so tun wir es wie Jakob, mit der Absicht, bei Christo zu sein. Während der 17 Jahre, die Jakob in Ägypten zubringt, bleibt sein Leben mit dem Leben Josephs verbunden. Wir finden nicht einen Vorgang in seinem dortigen Leben, bei welchem Joseph nicht gegenwärtig wäre. Bei ihm, den er tot geglaubt hatte, der ihm aber so zu sagen in Auferstehung und Macht wiedergegeben worden war, beendet Jakob die Jahre seiner Pilgerschaft. 
Jakob sendet Juda vor sich her zu Joseph; doch dieser, anstatt seinem Vater einen Boten entgegen zu senden, kommt selbst ihm entgegen; und »als er seiner ansichtig wurde, fiel er ihm um den Hals und weinte lange an seinem Halse“ süße, unvermischte Tränen des Wiedersehens. 
Der Ausdruck der Gefühle Jakobs bei dieser Gelegenheit ist rührend: ,,Nunmehr mag ich sterben, nachdem ich dein Angesicht gesehen habe, dass du noch lebst!“ Für ihn hat das Leben in dieser Welt keinen Wert mehr. „Nun mehr mag ich sterben.“ Doch er stirbt nicht; sein Leben wäre nicht vollständig gewesen, wenn es nicht durch sein Zeugnis gekrönt worden wäre.

Jakob vor dem Pharao. (1. Mose 47, 7 — 12).
Jakob wird jetzt mit der Welt, in der Person ihres erhabensten Vertreters, in Berührung gebracht, Nicht seine Bedürfnisse führen ihn vor den König, denn Joseph sorgte für seine Wohnung und feinen ganzen Unterhalt in Ägypten (V. 11 u· 12); ebenso wenig ist es sein Wille: der ist gebrochen. Nein, Joseph selbst führt ihn dahin. „Und Joseph brachte seinen Vater Jakob und stellte ihn vor den Pharao.“ Mit einem solchen Einführer haben wir nichts zu fürchten, weder von der Macht noch von der Verführung der Welt.
Jakob segnet bei seinem Eintritt den Pharao; und er segnet ihn wieder bei seinem Weggang, nachdem seine Augen Zeit gehabt haben, die Größe der königlichen Macht zu ermessen. Das heißt, der arme Patriarch ist dem herrlichsten Könige der Welt an Würde überlegen, denn „ohne allen Widerspruch wird das Geringere von dem Besseren gesegnet“ (Hebr. 7, 7). Dieser mit Leiden überhäufte Fremdling steht, wie später der Apostel in seinen Banden, vor den Mächtigen der Erde und ist in Wirklichkeit größer als sie.
„Jakob segnete den Pharao.“ Noch heute tritt der Christ vor die Welt in dem Bewusstsein seiner Würde als Kind Gottes, aber um ihr die göttliche Gnade und Segnung zu bringen. Joseph verschafft Jakob „eine geöffnete Tür“, und der Patriarch benutzt sie, um den Pharao zu segnen. Kraft dieser Verheißung: „Ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben“, lasst auch uns kühn vor die Welt hintreten an diesem Tage der Gnade und des Heils, um ihr die Wohltaten desselben zu bringen. Moses, ein anderer Zeuge Gottes, wird lange nach Jakob vor einen anderen Pharao hintreten, aber er wird dort nur stehen, um ihm die schrecklichen Gerichte Gottes anzukündigen. Das wird auch unser Teil sein: „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ 
Vor dem Könige hat Jakob noch einen anderen Charakter. Von ihm befragt, bestätigt er seinen Titel als Fremdling: „Die Tage der Jahre meiner Fremdlingschaft sind hundertunddreißig Jahre“. Er lebt als Fremdling wie seine Väter. Aber von diesem Gesichtspunkt aus sein Leben überblickend, verurteilt er es· Natürlich braucht er der Welt nicht seine Erfahrungen mitzuteilen, aber es ist wichtig, dass der Pharao nicht denkt: der, welcher mich segnet, verdankt dieses Vorrecht seiner natürlichen Überlegenheit oder seiner angeborenen Güte. „Wenig und böse waren die Tage meiner Lebensjahre.“ Der 130 Jahre alte Jakob sagt dem Pharao, dass seiner Tage wenige gewesen sind! Ach, das kommt wohl daher, dass er im Rückblick auf seine für den Menschen zahlreichen Jahre nur eine kleine Zahl unter ihnen fand, die nach dem Herzen Gottes waren! Unsere Lebenszeit (und das ist eine Wahrheit, die wohl geeignet ist, auf unser Gewissen zu wirken), hat nur Wert entsprechend der Häufigkeit und der Dauer unseres Umgangs mit Gott und unseres Zeugnisses für Christum. Alles übrige zählt nicht mit. Ein von dem Herrn ernstlich gezüchtigter Christ sagte mir auf seinem Sterbebett: „Mein ganzes Leben ist für Christum verloren“. Das hieß mit anderen Worten: „Meine Tage sind wenige gewesen“. Sie waren böse, fügt Jakob hinzu. Ihr Geschmack ist bitter und freudelos gewesen, und sie haben nicht den Wert der Tage meiner Väter gehabt. 
Wer unter uns ist nicht gezwungen, zu reden wie Jakob, oder zu sagen wie David in seinen letzten Worten: „Mein Haus ist nicht also bei Gott“? (2. Sam. 23, 5). 
Diese beiden Worte: „wenig und böse“ zeigen das Urteil, welches der Patriarch über sich selbst fällt, wenn
er sich mit seinen Vätern vergleicht. Möchten wir gleich ihm unser Leben verurteilen! Dennoch müssen auch wir ein Bewusstsein von unserer Würde haben. Die Verschuldeten und dem menschlichen Urteil Verfallenen in der Höhle Adullam waren die Träger der Herrlichkeit ihres Königs; sie werden „die Helden Davids“ genannt. Auch wir sind trotz unserer Unwürdigkeit, oder vielmehr wegen derselben, mit der Würde Christi bekleidet, mit jenem „besten Kleide“, der Gabe des Vaters, von welcher das Gleichnis redet, mit jenem Kennzeichen der Sohnschaft, den Sandalen an unseren Füßen, dem Ring an unserer Hand; und in dieser Eigenschaft segnen wir die Welt, wie der arme Jakob den erlauchten Pharao segnete.

Jakob vor seinem Tode. (1. Mose 47, 27 — 48). 
Das Zeugnis Jakobs betrifft nur den König von Ägypten. Seine eigene Familie soll die Früchte sehen und schmecken, welche die Zucht in der Entwicklung des neuen Menschen hervorgebracht hat. Die erste dieser Früchte ist die volle Entfaltung des Glaubens Jakobs. Derselbe triumphiert in der Stelle, die wir jetzt betrachten wollen, und auf welche in Hebr. 11, 21 Bezug genommen wird: „Durch Glauben segnete Jakob sterbend einen jeden der Söhne Josephs und betete an über der Spitze seines Stabes“. 
Das erste Zeugnis dieses Glaubens, das in Hebr. 11 nicht erwähnt wird, weil es zurückbehalten wird, um
Joseph zu kennzeichnen (Hebr. 11, 22), ist der Befehl, welchen Jakob bezüglich seiner sterblichen Hülle gab: „Er rief seinen Sohn Joseph und sprach zu ihm: Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lege doch deine Hand unter meine Hüfte, und erweise Güte und Treue an mir: begrabe mich doch nicht in Ägypten! Wenn ich mit meinen Vätern liegen werde, so führe mich aus Ägypten und begrabe mich in ihrem Begräbnis“ (V. 29 u. 30); und weiter: „Siehe, ich sterbe; in meinem Grabe, das ich mir im Lande Kanaan gegraben habe, daselbst sollst du mich begraben“ (Kap. 50, 5). Er will nicht, dass seine Gebeine in Ägypten bleiben; nicht ein Atom seines Staubes, wie später nicht eine Klaue der Herden Israels, soll dort bleiben (2. Mose 10, 26). Gott hatte seinen Vätern, Abraham und Isaak, verheißen, ihnen und ihrem Samen nach ihnen das Land Kanaan zu geben; und sie hatten diese Verheißung durch Glauben angenommen. Doch sie waren ,,im Glauben gestorben“, das heißt „ohne die Verheißung erlangt“ zu haben; sie rechneten deshalb nicht weniger auf das Erbteil, welches Gott ihnen gegeben hatte. Auch Jakob gibt angesichts des nahenden Todes demselben Glauben Ausdruck. Es war tatsächlich der Glaube an die Auferstehung. Er wollte mit seinen Vätern, und sei es auch in dem Grabe zu Machpela, in Kanaan gefunden werden, wenn die Stunde schlagen würde, um das Erbteil in Besitz zu nehmen. Unser Glaube ist derselbe wie der Glaube der Patriarchen, nur mit dem Unterschied, dass wir die Auferstehung nicht im Blick auf ein irdisches, sondern auf ein himmlisches Erbteil erwarten 
Jakob legt ein zweites Zeugnis von seinem Glauben ab, indem er „anbetet zu den Häupten des Bettes“. (V. 31). Auf dem Sterbebett, im Begriff den Geist aufzugeben, betet Jakob an. Würde dieses Verhalten des Patriarchen das unsrige sein in der Sterbestunde? Der Glaube erhebt Jakob über die Umstände und Ereignisse, und sein Dankgefühl drückt sich in einer stillen Anbetung vor Gott aus.
Ein drittes Zeugnis von seinem Glauben, welches hier nicht: erwähnt wird, aber aus der Übersetzung der
Septuaginta *) übernommen und uns durch Inspiration in Hebr. 11, 21 wiedergegeben ist, besteht in der Mitteilung, dass er ,“anbetete über der Spitze seines Stabes“. Dadurch hält er seinen Pilgrimscharakter bis zur äußersten Grenze seiner Laufbahn aufrecht. 
Das vierte Zeugnis von seinem Glauben finden wir in dem Segen Ephraims und Manasses. (Vergl. Hebr. 11, 21.) Diese beiden Söhne Josephs, welche ihm von einem Weibe aus den Nationen geboren worden waren (Kap. 41, 50), nachdem seine Brüder ihn verworfen hatten, werden als Erben der Segnungen Jakobs gerechnet. Der Patriarch erkennt sie als seine Söhne an nach der Wahl der Gnade, denn sie hatten keinerlei Anrecht darauf, in den Baum der Verheißungen eingepfropft zu werden. Indem der Großvater die Enkel segnet, zeigt er ein tiefes Verständnis der Gedanken Gottes. Ja, dieser altersschwache Greis, der „nicht sehen konnte“, weil ,,seine Augen schwer waren vor Alter“, hat durch den Glauben einen klareren Blick als Joseph, der berühmte Traumdeuter.**) 
Jakob bedurfte nicht, wie sein Vater Isaak, einer künstlichen Erregung, um den Segen auszusprechen; nein, schwach und im Begriff zu sterben (was bei Isaak nicht der Fall war), „machte er sich stark und setzte sich aufs Bett“. Er besaß genug Glaubensenergie, um sein Zeugnis bis zum Ende hin fortzuführen, und was für eine Energie war es, wenn man an die lange Prophezeiung denkt, die dann folgt! Er setzt den Jüngeren dem Älteren voran. Welch ein Urteil fällt er dadurch über die strafbare Handlung, die er einst als gereister Mann beging, über den Mangel an Gottvertrauen, der sich in ihm kundgegeben hatte, und über sein Vertrauen aus sich selbst! Damals hatte er nicht geglaubt, dass Gott seinen Vater dahin bringen könne, in einer Weise zu handeln, die seinem eigenen Willen entgegengesetzt war; jetzt tut er in voller Sachkenntnis das, was Joseph, sein geliebter Sohn, verhindern wollte: „Ich weiß es, mein Sohn, ich weiß es“. „Der Grund davon ist, dass er von Gott allein“ abhängig ist und in völliger Gemeinschaft mit Ihm steht; er empfängt seine Entscheidungen aus dem Lichte des Heiligtums, und seine Seele schätzt die Gnade und möchte sie seinen Lieben mitteilen: „Der Gott, vor dessen Angesicht meine Väter, Abraham und Isaak, gewandelt haben, der Gott, der mich geweidet hat, seitdem ich bin bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöst hat von allem Übel, segne die- Knaben; und in ihnen werde mein Name genannt und der Name meiner Väter, Abraham und Isaak, und sie sollen sich mehren zu einer Menge inmitten des Landes!“ (V. 15. 16). Seine Väter hatten vor Gott gewandelt. Jakob konnte von sich nicht dasselbe sagen, aber umso mehr schätzte er die Gnade, die ihn von seinem ersten bis zu seinem letzten Tage geleitet hatte. 
Das alles ist ein kostbares Gemälde von dem Zeugnisse des Glaubens vor der Familie Gottes. Der Glaube umgibt das Sterbebett Jakobs mit einem Strahlenglanz. Durch ihn bestimmt Jakob für Joseph ein
doppeltes Teil, indem er Ephraim und Manasse je ein Los gibt. Der, welcher einst von seinen Brüdern verachtet und verworfen worden war, empfängt das Teil, welches eigentlich dem Erstgeborenen zukam. (1. Chron. 5, 1. 2). Der Glaube gibt den ersten Platz immer Dem, welchen die Welt verleugnet hat. 
Sehen wir dann noch, bis zu welchem Punkte der Glaube zu gelangen vermag. Jakob sagt im 22. Vers: „Und ich gebe dir einen Landstrich über deine Brüder hinaus, den ich von der Hand der Amoriter genommen habe mit meinem Schwerte und mit meinem Bogen“. Hatte dieser sanfte und friedliebende Mann je von solchen Kriegswaffen Gebrauch gemacht? Doch er ist Israel und sieht im Voraus, wie das Volk, welches er darstellt, die Kanaaniter besiegt und ihre Beute verteilt. Sein Glaube verwirklicht so im
voraus den Sieg Gottes durch Sein Volk als seinen eigenen Sieg! 

Jakob schaut die Zukunft. (1. Mose 49).
Wie groß auch das Interesse, welches die Prophezeiung Jakobs beansprucht, sein mag, so würden wir doch über den uns gezogenen Rahmen hinausgehen, wenn wir sie im Einzelnen betrachten wollten. Das haben andere vor uns und besser als wir getan. Einige Worte mögen hier genügen. 
Drei Namen kennzeichnen die vergangene Geschichte des Volkes Israel, wenn wir es als ein verantwortliches Volk betrachten: Ruben, Simeon und Levi, oder mit anderen Worten: Verderbtheit und Gewalttat. 
Drei Namen stellen uns seine gegenwärtige und zukünftige Geschichte, als abtrünniges Volk seit der Errichtung des Königtums in Judex, vor Augen: Sebulon, Issaschar und Dan, d. i. die geschäftliche Tätigkeit, die Unterwerfung unter die Herrschaft der Heiden und schließlich der Hass gegen den Messias und den Überrest Jsraels unter der Regierung des Antichrists. (Dan.) 
Drei Namen prophezeien die Geschichte des wiederhergestellten Israel, des Überrestes, der ausruft: „Auf deine Rettung harre ich, Jehova!“ (V. 18). Diese Namen sind Gad, Aser und Naphtali, der endliche Sieg, das königliche Wohlergehen und eine völlige und glückliche Freiheit. 
Drei Namen endlich stellen alle zukünftigen Segnungen des Volkes dar, welches ein williges Volk sein wird am Tage der Macht des Messias in Seiner heiligen Pracht, des Volkes, dessen Jugend neu aus dem
Schoße der Morgenröte zu Christo kommen wird (Psalm 110, 3). Diese Namen sind Juda, Joseph und Benjamin.
Der aus Juda hervorgehende Schilo wird die zerstreuten Stämme wieder unter Sein Zepter sammeln. Sein triumphierender Einzug in Jerusalem, „auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Füllen, einem Jungen der Eselin“ (Sach. 9, 9), als König des Friedens und der Gerechtigkeit, steht in Verbindung mit dem Weinstock Israel und mit der Edelrebe des Überrestes. (V. 11.) Das Angesicht des Löwen aus Juda wird ihnen nur die Freude und Wonne der neuen Segnungen bringen (V. 12).
Joseph, der Retter seines Volkes, der wahre Spross oder Schössling Jehovas, wird seine Zweige über die Mauer Israels hinaus ausbreiten, um den Segen zu den Nationen zu bringen. Doch der Retter hat Grausames erdulden müssen von Seiten der Menschen, um der Hirte Israels zu werden und der Eckstein, der das ganze Gebäude stützt. Aber mit was für Segnungen segnet Jakob ihn auch! „Der Allmächtige wird dich segnen mit Segnungen des Himmels droben, mit Segnungen der Tiefe, die unten liegt, mit Segnungen der Brüste und des Mutterleibes. Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern“ (V. 25. u. 26). 
Benjamin endlich wird seine Herrschaft errichten durch eine Rache, die über das Böse siegt. 
Um diese drei Namen sammeln sich die letzten Gedanken Jakobs. Indem er das Verderben des Menschen im Fleische, ein unheilbares, vergangene?-, gegenwärtiges und zukünftiges Verderben, ausspricht, ruht sein Herz in Christo, dem Haupte einer neuen Schöpfung, und er begrüßt im Voraus die herrliche Zeit, in welcher alle Dinge neugemacht sein werden. Seine schon vom Dunkel des Todes umschatteten Augen öffnen sich für dieses herrliche Jenseits, welches in den Leiden Josephs, des Geliebten, seine Quelle hat und sich erstreckt „bis zur Grenze der ewigen Hügel“. Christus ist der Gegenstand, mit welchem sein Zeugnis endet.
Glücklicher Jakob! Er benutzt seine letzte Kraft, um seinen Herrn zu preisen, und er verscheidet, indem er seine Umgebung segnet!

Fußnoten:
*) der bekannten griechischen Übersetzung des Alten Testaments.
**) Der Mensch Gottes muss immer nach irgend einer Seite hin einen Mangel haben. Joseph, zu dem man, wie zu David, hätte sagen können: „Kein Böses ist an dir gesunden worden, seitdem du lebst“ (1.Sam. 25, 28), zeigt hier seinen Mangel an geistlichem Unterscheidungsvermögen. Nur ein Einziger ist vollkommen.
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Jakob oder die Zucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 309ff

IV.
Jakob in Ägypten.
Jakob bei Joseph. (1. Mose 46, 28 — 80.)
Die lange Zucht hat alle ihre Früchte hervorgebracht. Jakob zieht, durch sie zubereitet, im Alter von 130 Jahren nach Ägypten hinab, um dort noch 17 Jahre als ein Zeuge seines Gottes zu leben. Ägypten ist das Bild der Welt, wie Kanaan das der himmlischen Örter. Wir sind nicht immer tatsächlich in Kanaan, doch sind wir immer in Christo dort. Obwohl wir, was unsere Stellung und den Genuss unserer Seelen betrifft, im Himmel weilen, werden wir doch in die Welt gesandt, um Zeugnis abzulegen. Jeder Diener Gottes ist also wie Jakob berufen, von Kanaan nach Ägypten hinabzuziehen. Der Herr Jesus selbst hat dies getan, denn Er hat gesagt: ,,Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt«. (Joh. 17, 18.) Das Vergessen dieser Wahrheit hat das Mönchtum, eine der offenen Wunden der Kirche, hervorgebracht. In der Welt sein ist keineswegs eine Sünde für den Christen. Der Herr hat gesagt: „Diese sind in der Welt“, und: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest“ (Joh. 17, 11. 15). Die Sünde besteht in dem Verkennen der Tatsache, dass wir in sittlicher Hinsicht völlig von ihr abgesondert sind: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“ (Joh. 17, 14). Es heißt alle unsere Vorrechte verleugnen, wenn wir unseren Platz wieder in einer Welt einnehmen, zu welcher wir nicht mehr gehören.
Kann denn das Hinabziehen nach Ägypten nach Gottes Willen sein? Alles hängt davon ab, wer uns dahin führt, sowie von den Beweggründen, die uns dahin treiben. Die Hungersnot trieb Abraham dahin, als er in dem Wandel des Glaubens noch wenig befestigt war. Er fand dort eine ernste Schule, aus welcher er durch Gottes Gnade großen Nutzen zog. Die Hungersnot wollte auch Isaak dorthin treiben, aber die göttliche Autorität trat ins Mittel, um ihn davon zurückzuhalten (1. Mose 26, 2.) Die Hungersnot würde schließlich auch Jakob dahin getrieben haben, wenn er nicht in der Schule Gottes unterwiesen worden wäre. Besser belehrt als Abraham, abhängiger als Isaak, zieht er nicht dahin, als die Umstände ihn dazu aufforderten. Ohne Zweifel war er frei, die materiellen Hilfsmittel der Welt zu benutzen, welcher er seinen Lebensunterhalt bezahlte, ohne ihr etwas schuldig zu sein, aber seine Absonderung blieb vollständig. 
Nur die Nachricht von der Anwesenheit Josephs in Ägypten kann ihn bestimmen, dorthin zu ziehen, und wie wir gesehen haben, geht er tatsächlich nur aus den Befehl Gottes hin und um dort bei Joseph zu sein.
Wie hätte er bei einer solchen Ermächtigung und einem solchen Beweggrund sich nicht auf dem Wege Gottes befinden können? Joseph ist der Gegenstand seines Herzens, und Joseph ist in Ägypten; Jakob kann also auch dort sein. Unser Joseph ist für uns natürlich nicht mehr da; Er sagt: „Ich bin nicht mehr in der Welt“; aber Er hat in ihr gewandelt und sendet uns hinein, damit wir Seinen Fußspuren folgen. Er billigt unsere Anwesenheit in der Welt, damit wir während Seiner Abwesenheit Seine Vertreter und Seine Zeugen seien und in Seinen Fußstapfen wandeln, indem wir nur Ihn zum Gegenstand und Vorbild haben. Wenn wir also die Welt durchschreiten, so tun wir es wie Jakob, mit der Absicht, bei Christo zu sein. Während der 17 Jahre, die Jakob in Ägypten zubringt, bleibt sein Leben mit dem Leben Josephs verbunden. Wir finden nicht einen Vorgang in seinem dortigen Leben, bei welchem Joseph nicht gegenwärtig wäre. Bei ihm, den er tot geglaubt hatte, der ihm aber so zu sagen in Auferstehung und Macht wiedergegeben worden war, beendet Jakob die Jahre seiner Pilgerschaft. 
Jakob sendet Juda vor sich her zu Joseph; doch dieser, anstatt seinem Vater einen Boten entgegen zu senden, kommt selbst ihm entgegen; und »als er seiner ansichtig wurde, fiel er ihm um den Hals und weinte lange an seinem Halse“ süße, unvermischte Tränen des Wiedersehens. 
Der Ausdruck der Gefühle Jakobs bei dieser Gelegenheit ist rührend: ,,Nunmehr mag ich sterben, nachdem ich dein Angesicht gesehen habe, dass du noch lebst!“ Für ihn hat das Leben in dieser Welt keinen Wert mehr. „Nun mehr mag ich sterben.“ Doch er stirbt nicht; sein Leben wäre nicht vollständig gewesen, wenn es nicht durch sein Zeugnis gekrönt worden wäre.

Jakob vor dem Pharao. (1. Mose 47, 7 — 12).
Jakob wird jetzt mit der Welt, in der Person ihres erhabensten Vertreters, in Berührung gebracht, Nicht seine Bedürfnisse führen ihn vor den König, denn Joseph sorgte für seine Wohnung und feinen ganzen Unterhalt in Ägypten (V. 11 u· 12); ebenso wenig ist es sein Wille: der ist gebrochen. Nein, Joseph selbst führt ihn dahin. „Und Joseph brachte seinen Vater Jakob und stellte ihn vor den Pharao.“ Mit einem solchen Einführer haben wir nichts zu fürchten, weder von der Macht noch von der Verführung der Welt.
Jakob segnet bei seinem Eintritt den Pharao; und er segnet ihn wieder bei seinem Weggang, nachdem seine Augen Zeit gehabt haben, die Größe der königlichen Macht zu ermessen. Das heißt, der arme Patriarch ist dem herrlichsten Könige der Welt an Würde überlegen, denn „ohne allen Widerspruch wird das Geringere von dem Besseren gesegnet“ (Hebr. 7, 7). Dieser mit Leiden überhäufte Fremdling steht, wie später der Apostel in seinen Banden, vor den Mächtigen der Erde und ist in Wirklichkeit größer als sie.
„Jakob segnete den Pharao.“ Noch heute tritt der Christ vor die Welt in dem Bewusstsein seiner Würde als Kind Gottes, aber um ihr die göttliche Gnade und Segnung zu bringen. Joseph verschafft Jakob „eine geöffnete Tür“, und der Patriarch benutzt sie, um den Pharao zu segnen. Kraft dieser Verheißung: „Ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben“, lasst auch uns kühn vor die Welt hintreten an diesem Tage der Gnade und des Heils, um ihr die Wohltaten desselben zu bringen. Moses, ein anderer Zeuge Gottes, wird lange nach Jakob vor einen anderen Pharao hintreten, aber er wird dort nur stehen, um ihm die schrecklichen Gerichte Gottes anzukündigen. Das wird auch unser Teil sein: „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ 
Vor dem Könige hat Jakob noch einen anderen Charakter. Von ihm befragt, bestätigt er seinen Titel als Fremdling: „Die Tage der Jahre meiner Fremdlingschaft sind hundertunddreißig Jahre“. Er lebt als Fremdling wie seine Väter. Aber von diesem Gesichtspunkt aus sein Leben überblickend, verurteilt er es· Natürlich braucht er der Welt nicht seine Erfahrungen mitzuteilen, aber es ist wichtig, dass der Pharao nicht denkt: der, welcher mich segnet, verdankt dieses Vorrecht seiner natürlichen Überlegenheit oder seiner angeborenen Güte. „Wenig und böse waren die Tage meiner Lebensjahre.“ Der 130 Jahre alte Jakob sagt dem Pharao, dass seiner Tage wenige gewesen sind! Ach, das kommt wohl daher, dass er im Rückblick auf seine für den Menschen zahlreichen Jahre nur eine kleine Zahl unter ihnen fand, die nach dem Herzen Gottes waren! Unsere Lebenszeit (und das ist eine Wahrheit, die wohl geeignet ist, auf unser Gewissen zu wirken), hat nur Wert entsprechend der Häufigkeit und der Dauer unseres Umgangs mit Gott und unseres Zeugnisses für Christum. Alles übrige zählt nicht mit. Ein von dem Herrn ernstlich gezüchtigter Christ sagte mir auf seinem Sterbebett: „Mein ganzes Leben ist für Christum verloren“. Das hieß mit anderen Worten: „Meine Tage sind wenige gewesen“. Sie waren böse, fügt Jakob hinzu. Ihr Geschmack ist bitter und freudelos gewesen, und sie haben nicht den Wert der Tage meiner Väter gehabt. 
Wer unter uns ist nicht gezwungen, zu reden wie Jakob, oder zu sagen wie David in seinen letzten Worten: „Mein Haus ist nicht also bei Gott“? (2. Sam. 23, 5). 
Diese beiden Worte: „wenig und böse“ zeigen das Urteil, welches der Patriarch über sich selbst fällt, wenn
er sich mit seinen Vätern vergleicht. Möchten wir gleich ihm unser Leben verurteilen! Dennoch müssen auch wir ein Bewusstsein von unserer Würde haben. Die Verschuldeten und dem menschlichen Urteil Verfallenen in der Höhle Adullam waren die Träger der Herrlichkeit ihres Königs; sie werden „die Helden Davids“ genannt. Auch wir sind trotz unserer Unwürdigkeit, oder vielmehr wegen derselben, mit der Würde Christi bekleidet, mit jenem „besten Kleide“, der Gabe des Vaters, von welcher das Gleichnis redet, mit jenem Kennzeichen der Sohnschaft, den Sandalen an unseren Füßen, dem Ring an unserer Hand; und in dieser Eigenschaft segnen wir die Welt, wie der arme Jakob den erlauchten Pharao segnete.

Jakob vor seinem Tode. (1. Mose 47, 27 — 48). 
Das Zeugnis Jakobs betrifft nur den König von Ägypten. Seine eigene Familie soll die Früchte sehen und schmecken, welche die Zucht in der Entwicklung des neuen Menschen hervorgebracht hat. Die erste dieser Früchte ist die volle Entfaltung des Glaubens Jakobs. Derselbe triumphiert in der Stelle, die wir jetzt betrachten wollen, und auf welche in Hebr. 11, 21 Bezug genommen wird: „Durch Glauben segnete Jakob sterbend einen jeden der Söhne Josephs und betete an über der Spitze seines Stabes“. 
Das erste Zeugnis dieses Glaubens, das in Hebr. 11 nicht erwähnt wird, weil es zurückbehalten wird, um
Joseph zu kennzeichnen (Hebr. 11, 22), ist der Befehl, welchen Jakob bezüglich seiner sterblichen Hülle gab: „Er rief seinen Sohn Joseph und sprach zu ihm: Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lege doch deine Hand unter meine Hüfte, und erweise Güte und Treue an mir: begrabe mich doch nicht in Ägypten! Wenn ich mit meinen Vätern liegen werde, so führe mich aus Ägypten und begrabe mich in ihrem Begräbnis“ (V. 29 u. 30); und weiter: „Siehe, ich sterbe; in meinem Grabe, das ich mir im Lande Kanaan gegraben habe, daselbst sollst du mich begraben“ (Kap. 50, 5). Er will nicht, dass seine Gebeine in Ägypten bleiben; nicht ein Atom seines Staubes, wie später nicht eine Klaue der Herden Israels, soll dort bleiben (2. Mose 10, 26). Gott hatte seinen Vätern, Abraham und Isaak, verheißen, ihnen und ihrem Samen nach ihnen das Land Kanaan zu geben; und sie hatten diese Verheißung durch Glauben angenommen. Doch sie waren ,,im Glauben gestorben“, das heißt „ohne die Verheißung erlangt“ zu haben; sie rechneten deshalb nicht weniger auf das Erbteil, welches Gott ihnen gegeben hatte. Auch Jakob gibt angesichts des nahenden Todes demselben Glauben Ausdruck. Es war tatsächlich der Glaube an die Auferstehung. Er wollte mit seinen Vätern, und sei es auch in dem Grabe zu Machpela, in Kanaan gefunden werden, wenn die Stunde schlagen würde, um das Erbteil in Besitz zu nehmen. Unser Glaube ist derselbe wie der Glaube der Patriarchen, nur mit dem Unterschied, dass wir die Auferstehung nicht im Blick auf ein irdisches, sondern auf ein himmlisches Erbteil erwarten 
Jakob legt ein zweites Zeugnis von seinem Glauben ab, indem er „anbetet zu den Häupten des Bettes“. (V. 31). Auf dem Sterbebett, im Begriff den Geist aufzugeben, betet Jakob an. Würde dieses Verhalten des Patriarchen das unsrige sein in der Sterbestunde? Der Glaube erhebt Jakob über die Umstände und Ereignisse, und sein Dankgefühl drückt sich in einer stillen Anbetung vor Gott aus.
Ein drittes Zeugnis von seinem Glauben, welches hier nicht: erwähnt wird, aber aus der Übersetzung der
Septuaginta *) übernommen und uns durch Inspiration in Hebr. 11, 21 wiedergegeben ist, besteht in der Mitteilung, dass er ,“anbetete über der Spitze seines Stabes“. Dadurch hält er seinen Pilgrimscharakter bis zur äußersten Grenze seiner Laufbahn aufrecht. 
Das vierte Zeugnis von seinem Glauben finden wir in dem Segen Ephraims und Manasses. (Vergl. Hebr. 11, 21.) Diese beiden Söhne Josephs, welche ihm von einem Weibe aus den Nationen geboren worden waren (Kap. 41, 50), nachdem seine Brüder ihn verworfen hatten, werden als Erben der Segnungen Jakobs gerechnet. Der Patriarch erkennt sie als seine Söhne an nach der Wahl der Gnade, denn sie hatten keinerlei Anrecht darauf, in den Baum der Verheißungen eingepfropft zu werden. Indem der Großvater die Enkel segnet, zeigt er ein tiefes Verständnis der Gedanken Gottes. Ja, dieser altersschwache Greis, der „nicht sehen konnte“, weil ,,seine Augen schwer waren vor Alter“, hat durch den Glauben einen klareren Blick als Joseph, der berühmte Traumdeuter.**) 
Jakob bedurfte nicht, wie sein Vater Isaak, einer künstlichen Erregung, um den Segen auszusprechen; nein, schwach und im Begriff zu sterben (was bei Isaak nicht der Fall war), „machte er sich stark und setzte sich aufs Bett“. Er besaß genug Glaubensenergie, um sein Zeugnis bis zum Ende hin fortzuführen, und was für eine Energie war es, wenn man an die lange Prophezeiung denkt, die dann folgt! Er setzt den Jüngeren dem Älteren voran. Welch ein Urteil fällt er dadurch über die strafbare Handlung, die er einst als gereister Mann beging, über den Mangel an Gottvertrauen, der sich in ihm kundgegeben hatte, und über sein Vertrauen aus sich selbst! Damals hatte er nicht geglaubt, dass Gott seinen Vater dahin bringen könne, in einer Weise zu handeln, die seinem eigenen Willen entgegengesetzt war; jetzt tut er in voller Sachkenntnis das, was Joseph, sein geliebter Sohn, verhindern wollte: „Ich weiß es, mein Sohn, ich weiß es“. „Der Grund davon ist, dass er von Gott allein“ abhängig ist und in völliger Gemeinschaft mit Ihm steht; er empfängt seine Entscheidungen aus dem Lichte des Heiligtums, und seine Seele schätzt die Gnade und möchte sie seinen Lieben mitteilen: „Der Gott, vor dessen Angesicht meine Väter, Abraham und Isaak, gewandelt haben, der Gott, der mich geweidet hat, seitdem ich bin bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöst hat von allem Übel, segne die- Knaben; und in ihnen werde mein Name genannt und der Name meiner Väter, Abraham und Isaak, und sie sollen sich mehren zu einer Menge inmitten des Landes!“ (V. 15. 16). Seine Väter hatten vor Gott gewandelt. Jakob konnte von sich nicht dasselbe sagen, aber umso mehr schätzte er die Gnade, die ihn von seinem ersten bis zu seinem letzten Tage geleitet hatte. 
Das alles ist ein kostbares Gemälde von dem Zeugnisse des Glaubens vor der Familie Gottes. Der Glaube umgibt das Sterbebett Jakobs mit einem Strahlenglanz. Durch ihn bestimmt Jakob für Joseph ein
doppeltes Teil, indem er Ephraim und Manasse je ein Los gibt. Der, welcher einst von seinen Brüdern verachtet und verworfen worden war, empfängt das Teil, welches eigentlich dem Erstgeborenen zukam. (1. Chron. 5, 1. 2). Der Glaube gibt den ersten Platz immer Dem, welchen die Welt verleugnet hat. 
Sehen wir dann noch, bis zu welchem Punkte der Glaube zu gelangen vermag. Jakob sagt im 22. Vers: „Und ich gebe dir einen Landstrich über deine Brüder hinaus, den ich von der Hand der Amoriter genommen habe mit meinem Schwerte und mit meinem Bogen“. Hatte dieser sanfte und friedliebende Mann je von solchen Kriegswaffen Gebrauch gemacht? Doch er ist Israel und sieht im Voraus, wie das Volk, welches er darstellt, die Kanaaniter besiegt und ihre Beute verteilt. Sein Glaube verwirklicht so im
voraus den Sieg Gottes durch Sein Volk als seinen eigenen Sieg! 

Jakob schaut die Zukunft. (1. Mose 49).
Wie groß auch das Interesse, welches die Prophezeiung Jakobs beansprucht, sein mag, so würden wir doch über den uns gezogenen Rahmen hinausgehen, wenn wir sie im Einzelnen betrachten wollten. Das haben andere vor uns und besser als wir getan. Einige Worte mögen hier genügen. 
Drei Namen kennzeichnen die vergangene Geschichte des Volkes Israel, wenn wir es als ein verantwortliches Volk betrachten: Ruben, Simeon und Levi, oder mit anderen Worten: Verderbtheit und Gewalttat. 
Drei Namen stellen uns seine gegenwärtige und zukünftige Geschichte, als abtrünniges Volk seit der Errichtung des Königtums in Judex, vor Augen: Sebulon, Issaschar und Dan, d. i. die geschäftliche Tätigkeit, die Unterwerfung unter die Herrschaft der Heiden und schließlich der Hass gegen den Messias und den Überrest Jsraels unter der Regierung des Antichrists. (Dan.) 
Drei Namen prophezeien die Geschichte des wiederhergestellten Israel, des Überrestes, der ausruft: „Auf deine Rettung harre ich, Jehova!“ (V. 18). Diese Namen sind Gad, Aser und Naphtali, der endliche Sieg, das königliche Wohlergehen und eine völlige und glückliche Freiheit. 
Drei Namen endlich stellen alle zukünftigen Segnungen des Volkes dar, welches ein williges Volk sein wird am Tage der Macht des Messias in Seiner heiligen Pracht, des Volkes, dessen Jugend neu aus dem
Schoße der Morgenröte zu Christo kommen wird (Psalm 110, 3). Diese Namen sind Juda, Joseph und Benjamin.
Der aus Juda hervorgehende Schilo wird die zerstreuten Stämme wieder unter Sein Zepter sammeln. Sein triumphierender Einzug in Jerusalem, „auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Füllen, einem Jungen der Eselin“ (Sach. 9, 9), als König des Friedens und der Gerechtigkeit, steht in Verbindung mit dem Weinstock Israel und mit der Edelrebe des Überrestes. (V. 11.) Das Angesicht des Löwen aus Juda wird ihnen nur die Freude und Wonne der neuen Segnungen bringen (V. 12).
Joseph, der Retter seines Volkes, der wahre Spross oder Schössling Jehovas, wird seine Zweige über die Mauer Israels hinaus ausbreiten, um den Segen zu den Nationen zu bringen. Doch der Retter hat Grausames erdulden müssen von Seiten der Menschen, um der Hirte Israels zu werden und der Eckstein, der das ganze Gebäude stützt. Aber mit was für Segnungen segnet Jakob ihn auch! „Der Allmächtige wird dich segnen mit Segnungen des Himmels droben, mit Segnungen der Tiefe, die unten liegt, mit Segnungen der Brüste und des Mutterleibes. Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern“ (V. 25. u. 26). 
Benjamin endlich wird seine Herrschaft errichten durch eine Rache, die über das Böse siegt. 
Um diese drei Namen sammeln sich die letzten Gedanken Jakobs. Indem er das Verderben des Menschen im Fleische, ein unheilbares, vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Verderben, ausspricht, ruht sein Herz in Christo, dem Haupte einer neuen Schöpfung, und er begrüßt im Voraus die herrliche Zeit, in welcher alle Dinge neugemacht sein werden. Seine schon vom Dunkel des Todes umschatteten Augen öffnen sich für dieses herrliche Jenseits, welches in den Leiden Josephs, des Geliebten, seine Quelle hat und sich erstreckt „bis zur Grenze der ewigen Hügel“. Christus ist der Gegenstand, mit welchem sein Zeugnis endet.
Glücklicher Jakob! Er benutzt seine letzte Kraft, um seinen Herrn zu preisen, und er verscheidet, indem er seine Umgebung segnet!

Fußnoten:
*) der bekannten griechischen Übersetzung des Alten Testaments.
**) Der Mensch Gottes muss immer nach irgend einer Seite hin einen Mangel haben. Joseph, zu dem man, wie zu David, hätte sagen können: „Kein Böses ist an dir gesunden worden, seitdem du lebst“ (1.Sam. 25, 28), zeigt hier seinen Mangel an geistlichem Unterscheidungsvermögen. Nur ein Einziger ist vollkommen.

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Gedanke

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 321ff

Befinden wir uns in einer Prüfung, so sollten wir uns stets daran erinnern, dass wir nicht eines Wechsels der Umstände, sondern des Sieges über uns selbst bedürfen.

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Ein würdiger Wandel

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 322ff

Es ist interessant und lehrreich, die drei verschiedenen Arten zu betrachten, auf welche der Apostel Paulus die Christen ermahnt, „würdig zu wandeln“.
In Eph. 4, 1 lesen wir: „Ich ermahne euch nun . . „, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid“.
In Kol. 1, 10 heißt es: „ . . um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbringend“.
In 1. Thess. 2, 12: „Wir haben euch bezeugt, dass ihr wandeln solltet würdig des Gottes, der euch zu Seinem eigenen Reiche und Seiner eignen Herrlichkeit beruft“. 
In jeder dieser Stellen wird ein anderer Gegenstand vor unsere Augen gestellt, hinsichtlich dessen der Wandel des Gläubigen würdig sein soll, und es ist von Wichtigkeit, diesen Unterschied zu beachten. 
Im ersten Falle (Eph. 4) handelt es sich um die gemeinsame Stellung, in welche die Christen als „die Behausung Gottes im Geiste“ gebracht worden sind. Das dritte Kapitel. bildet nämlich einen Zwischensatz (vergl. den Anfang des dritten mit dem ersten Verse des vierten Kapitels), so dass die Ermahnung, mit welcher das vierte Kapitel beginnt, an den letzten Vers des zweiten anknüpft. In diesem Verse nennt Paulus die Gläubigen zu Ephesus „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ und sagt, dass sie mit allen anderen Heiligen „mitaufgebaut würden zu einer Behausung Gottes im Geiste“. Die wunderbare Gnade Gottes hatte sie zu dieser glückseligen und zugleich so ernsten Stellung berufen, und sie sollten nun in jeder Beziehung würdig derselben wandeln. Obwohl ohne Zweifel noch andere Dinge in dieser „Berufung“- einbegriffen sind, ist die große Tatsache, die hier hervorgehoben wird, doch die, dass alle wahrenChristen zusammen das Haus Gottes aus Erden bilden. So schreibt denn auch Paulus seinem Sohne Timotheus: „ . · auf dass du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit«. (1. Tim. 3, 15). Die Gläubigen bilden also tatsächlich das Haus Gottes und werden ermahnt, dieser Berufung würdig zu wandeln. Dadurch werden die Blicke aus Gott, den Heiligen Geist selbst, den Bewohner dieses Hauses, gelenkt. Einerseits stehen wir in Beziehung zu Ihm als Dem, der inmitten der Gläubigen wohnt, und andererseits als Dem, der sie alle zu einem Leibe, dem Leibe Christi, gebildet hat und nun durch Seine Gegenwart diese Einheit offenbart. Um daher würdig zu wandeln der Berufung, mit welcher wir berufen worden sind, haben wir in erster Linie in dem zu wandeln, was Gott selbst, Seiner Natur und Seinen Wegen, entspricht, und demnach „in aller Demut und Sanftmut“, in dem Geiste der Gnade, gleichwie Jesus wandelte, der „sanftmütig und von Herzen demütig“ war (Matth. 11). Was wir von uns selbst auch denken mögen, eins ist gewiss, dass wir nicht würdig unserer Berufung wandeln und nicht wirklich die Wahrheit von der durch den Heiligen Geist gewirkten Einheit der Glieder des Leibes Christi, der Versammlung Gottes, ausrecht halten können, wenn die Demut und Sanftmut, welche Jesum vor Gott kennzeichneten, nicht auch bei uns sich finden. 
Wird diesem ersten Erfordernis in unserem Wandel nicht entsprochen, so wandeln wir unwürdig; Gott selbst steht dann nicht vor unseren Augen. Wenn wir wirklich das Bewusstsein Seiner Gegenwart haben, können wir nicht anders als sanftmütig und demütig sein. Davon zu reden, richtig mit anderen zu wandeln, wenn die ersten Bedingungen jedes gottseligen Wandels fehlen, ist Torheit, ja schlimmer als das; denn es beweist Verhärtung des Herzens und Abstumpfung des Gewissens, und der zweite Teil dieses Wandels, nämlich: „mit Langmut, einander ertragend in Liebe, euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“, wird unmöglich. Wenn „Demut und Sanftmut“ nicht vorhanden sind, wenn wir nicht mit Gott richtig wandeln, so können wir auch nicht miteinander richtig wandeln. Aber wenn wir in Demut mit Gott vorangehen, so wird das, was sich in Seiner Offenbarung in Christo uns gegenüber gezeigt hat, auch in uns gefunden werden anderen gegenüber. Langmut und ertragende Liebe werden in uns zur Darstellung kommen und damit auch das ernste, herzliche Bestreben, „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“. Die gesegneten und heiligen Wege Gottes müssen in unseren eignen Herzen in der Stille vor Ihm verwirklicht werden, ehe sie sich in unserem Wandel mit anderen offenbaren können; und besonders für diejenigen, welche andere führen möchten, ist es gut, sich daran zu erinnern, dass von Dem, der „Seine Wege dem Mose kundtat und Seine Taten den Kindern Israel“, gesagt wird: Er leitet die Sanftmütigen im Recht, und lehrt die Sanftmütigen Seinen Weg“. (Psalm 25, 9). 
In der zweiten der angeführten Stellen, die zu einem „würdigen Wandel“ ermahnen, wird der Herr selbst vor unsere Blicke gestellt. Im Epheserbrief handelt es sich, wie wir gesehen haben, um die gemeinsame Stellung, in welche wir vor Gott in Verbindung mit anderen gebracht sind. Wir haben mit diesen in einer Weise zu wandeln, welche unseren Beziehungen zu Gott, als Seiner Behausung im Geiste, geziemt. Im Kolosserbrief wird unsere ganze Aufmerksamkeit gerichtet auf den persönlichen Wandel mit dem Herrn in
einer Welt, die Ihm entgegen ist; wir sollen „wandeln würdig des Herrn, zu allem Wohlgefallen“. Es ist der Weg, auf welchem Henoch wandelte, der vor seiner Entrückung „das Zeugnis hatte, dass er Gott Wohlgefallen habe« (Hebr.11,5); vor allem aber der Weg Dessen, der in Seiner Vollkommenheit hinsichtlich Seines Vaters sagen konnte: „Ich tue allezeit, was Ihm wohlgefällig ist“ (Joh. 8, 29). 
Wenn auch außer mir kein anderer Christ in der Welt wäre, sollte ich doch „würdig des Herrn wandeln zu allem Wohlgefallen“. Das ist köstlich und ernst. Was auch die gemeinsamen Beziehungen der Gläubigen zueinander sein mögen, ihre erste und alles beherrschende Pflicht ist die, persönlich mit dem Herrn zu wandeln in allem, was Ihm wohlgefällt. Die Tiefe und der Ernst dieses Gegenstandes zeigen sich in der Art, wie der Apostel ihn behandelt. Im Epheserbrief richtet er eine unmittelbare Ermahnung an die Heiligen; hier wendet sich sein Herz in Fürbitte für sie an Gott, und zwar.in Worten von großer Kraft und Schönheit. „Wir hören nicht auf“, sagt er, „für euch zu beten und zu bitten, auf dass ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen“. 
Und nicht nur finden wir hier Gebet statt Ermahnung, sondern die Erfordernisse für den Wandel sind hier auch sehr verschieden von denen in dem anderen Falle. Die Gesinnung des Herzens, die für einen würdigen Wandel mit anderen Gläubigen nötig ist, kommt hier nicht unmittelbar in Betracht. Um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, müssen wir in besonderer Weise mit der Erkenntnis Seines Willens erfüllt sein; nicht wie wenn ein Gesetz außer uns wäre, dem wir nachstrebten, sondern es ist etwas, das uns innerlich erfüllt, so das; unsere Gedanken und unsere Gefühle durch Seinen Willen unter der Belehrung des in uns wohnenden Heiligen Geistes geleitet werden. Die Weisheit und das Verständnis des Gläubigen werden durch die Erkenntnis des Willens Gottes gebildet, in dessen Ausführung das Herz dann seine Freude findet, so dass jener Wille die Quelle der Gedanken und Handlungen bildet. 
Dies war in Jesu vollkommen der Fall. „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps. 40, 8). Hieraus floss die praktische Offenbarung des göttlichen
und himmlischen Lebens, das Er als Mensch auf Erden lebte, in welchem alles Gott wohlgefällig war. Er wandelte in vollkommener Abhängigkeit von Gott und in vollkommenem Gehorsam gegenüber Seinem Willen. 
Dieser Weg, auf welchem der Charakter des Herrn Jesu sich in allem zeigt, was der Christ tut und sagt, wo alles Ihm entspricht und „des Herrn würdig« ist, ist es also, von welchem das Gebet des Apostels handelt. Das ist der heilige Wandel, der allein sich für den Jünger Jesu geziemt. So wandelte Paulus selbst. Er konnte sagen: „Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch, Ihm wohlgefällig zu sein“ (2. Kor. 5, 9.) Möchte es denn auch unser Verlangen und Gebet sein, für uns selbst wie für alle Heiligen, dass wir „würdig des Herrn wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke Frucht bringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes!“ 
In der dritten Stelle, die uns zu einem „würdigen Wandel“ auffordert, wird unser Blick auf „Gott, der uns zu Seinem eigenen Reiche und Seiner eigenen Herrlichkeit beruft“, gerichtet und so dem Herzen als Beweggrund zum Wandel das gegeben, wohin Gottes Gnade uns bringen will. Es heißt nicht eigentlich, dass wir Gottes würdig wandeln sollen, noch auch, dass unser Wandel des Reiches und der Herrlichkeit Gottes würdig sein soll, sondern vielmehr würdig des Gottes, der uns mit sich an dem teilnehmen lassen will, was Er zu Seiner eigenen Freude aufrichtet. Wenn Gott sich in Seiner Macht und Herrlichkeit offenbaren wird, dann will Er uns in jener Offenbarung bei sich haben. 
Das war der wunderbare und mächtige Beweggrund, welchen Paulus den Gläubigen zu Thessalonich ans Herz legte, um ihren Wandel in dieser Welt zu bilden, während sie den Sohn Gottes aus den Himmeln erwarteten. Gott spricht in diesen rührenden Worten durch Seinen Diener auch zu unseren Herzen. Wie Er einst betreffs Seines irdischen Volkes Israel sagte: „Was war noch an meinem Weinberge zu tun, das ich nicht an ihm getan hätte?“ so kann Er wohl auch uns zurufen: „Was wäre noch zu geben, das ich euch nicht gegeben habe? In meinem eigenen Reiche und in meiner eigenen Herrlichkeit will ich euch bei mir haben, damit ihr an allem, was ich besitze, mit dem Sohne meiner Liebe teilhabet. Darum, so lange ihr in dieser mir entfremdeten Welt seid, wo Er verunehrt wird, wandelt in einer Weise, die der euch verliehenen Gnade und Würde entspricht!“ 
Als Beweggrund für unseren Wandel hienieden gibt es wohl keinen, der diesem gleich käme, es sei denn das Kreuz, die Offenbarung Seiner unendlichen Liebe und die Grundlage all unserer Segnungen, welche uns gerettet und uns den Weg zur Herrlichkeit geöffnet hat. Das eine liegt hinter uns, das andere füllt unsere ganze Zukunft aus. Wir haben Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum, und wir rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. 
Welch einen Unterschied nach jeder Seite hin würde es in unserem Leben machen, wenn Gottes „Reich und Herrlichkeit“ stets vor unseren Augen ständen als das nahe Endziel unserer Pilgerreise! Wie würden die Eitelkeiten dieser Welt ihren Einfluss über uns verlieren, ja, völlig verschwinden gegenüber der hohen und erhabenen Stellung, die wir bald einnehmen werden! Satan ist der Gott und der Fürst der Welt, wie die Schrift sagt, und die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit stehen in Verbindung mit ihm. Fürwahr, ein ernster, ja, schrecklicher Gedanke für alle diejenigen, welche Macht, Ansehen oder Freude in dieser Welt suchen! 
Unser Teil als Gottes Kinder ist in jener kommenden Welt, wo alle Macht und Herrlichkeit Ihm gehört, aber
wir haben Seiner ,,würdig zu wandeln« in dieser jetzigen Welt. Was denen geziemt, die berufen sind, jene Herrlichkeit mit Ihm zu teilen, muss sich jetzt in uns offenbaren. Der Himmel bietet keine solchen Gelegenheiten mehr, wie wir sie jetzt haben. 
Lasst uns denn die Tage nützen und die Zeit auskaufen! Lasst uns denen, die von der Welt sind, durch die Gnade zeigen, dass keine von den Beweggründen, welche ihre Herzen regieren und ihre Handlungen bestimmen, uns beherrschen oder leiten! Aber das ist nur möglich in der demütigen Nachfolge und in der Kraft Dessen, der uns auf diesem Wege vorangegangen ist. Gleich Ihm müssen wir in Abhängigkeit und Gehorsam den Versuchungen Satans mit dem Worte begegnen: „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und Ihm allein dienen“. Die Welt muss dasselbe bei uns sehen, was sie bei Ihm fand, der sagen konnte: „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und also tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh. 14, 31).

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Die Liebe des Christus drängt uns

Bibelstelle: Philemon

Botschafter des Heils in Christo 1910, S. 330ff

Wenn wir im Lichte Gottes den Zustand des Menschen ohne Gott betrachten, so sehen wir, wie völlig er mit dem übereinstimmt, was Gottes Wort über ihn sagt. Und in dem Maße, wie wir uns selbst erkannt haben, entdecken wir mit Beugung und Demütigung, dass dieses Wort den Zustand unserer eigenen Herzen von Natur schildert, wenn es sagt: „Denn einst waren auch wir unverständig, ungehorsam, irregehend, dienten mancherlei Lüsten und Vergnügungen, führten unser Leben in Bosheit und Neid, verhasst und einander hassend“ (Tit. 3, 3). Auch Paulus, der Schreiber des Briefes an Philemon, bildete keine Ausnahme von der Regel. Wie traurig der Zustand seines Herzens vor seiner Bekehrung war, geht sehr klar aus Apstgsch. 9, 1. 2 hervor.
Vergleichen wir nun damit die Gesinnung, die er in dem Briefe an Philemon offenbart, so sehen wir, was
die Gnade in dem Herzen eines Menschen zu bewirken vermag. Welch eine Liebe in einem Manne, der einst „Drohung und Mord wider die Jünger des Herrn schnaubte“; und das einem armen, seinem Herrn entlaufenen Sklaven gegenüber! Diese Liebe erscheint umso kostbarer, wenn wir uns daran erinnern, dass sie nur ein Ausfluss der Liebe ist, die in dem Herzen unseres anbetungswürdigen Herrn in ihrer ganzen Schönheit und Vortrefflichkeit wohnt. 
Als der Apostel seinen Brief schrieb, war er ein Gefangener in Rom, doch nicht so, dass er von dem Verkehr mit der Außenwelt völlig abgeschnitten gewesen wäre. Lukas berichtet darüber: „Er aber blieb zwei Jahre in seinem eigenen gemieteten Hause und nahm alle auf, die zu ihm kamen, indem er das Reich Gottes predigte und die Dinge, welche den Herrn Jesum betreffen, mit aller Freimütigkeit ungehindert lehrte“ (Apstgsch. 28, 30. 31).  Dass die Zahl derer, die zu ihm kamen, nicht gering war, dürfen wir annehmen. Die vielen Grüße in Röm. 16 lassen erkennen, dass die Versammlung in Rom damals ziemlich zahlreich war; und jedenfalls fand ein reger Verkehr zwischen den Brüdern und dem Apostel statt. In seinen Briefen er- wähnt er auch manche Mitarbeiter, welche zeitweise bei ihm waren. Wie groß und ausgedehnt mögen ferner seine schriftlichen Arbeiten gewesen sein! Die Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser entstammen auch jener Zeit. Dazu kam noch, was er anderswo erwähnt,
die Sorge um alle Versammlungen, und unermüdlich war er Tag und Nacht tätig, sowohl für das Werk im allgemeinen, als auch für die Versammlungen und einzelne Personen. (Siehe Eph. 1, 16; 3, 14; Phil. 1, 3. 4; Kol. 1, 3. 9; Philemon 4). 
Diese Bemerkungen gehören ja eigentlich nicht in den Rahmen des Briefes an Philemon, aber sie lassen
uns die Liebe des bejahrten Apostels umso wertvoller erscheinen, besonders wenn wir uns vergegenwärtigen, was für ein gering geachteter Gegenstand ein Sklave in jenen Tagen war. 
Ehe der Apostel den eigentlichen Zweck seines Briefes nennt, teilt er Philemon mit, dass er allezeit seiner in seinen Gebeten erwähne, da er gehört habe von seiner Liebe und dem Glauben an den Herrn Jesum und zu allen Heiligen. Es war sein Gebet, dass die Gemeinschaft seines Glaubens sich wirksam erweisen möge in der Anerkennung alles Guten, welches in Paulus und Timotheus — der damals bei dem Apostel war —- sich zeigte (V. 4 — 6). Was wäre wohl mehr geeignet gewesen, das Herz des Philemon für die weiteren Mitteilungen des Apostels empfänglich zu machen? Das ist ein Punkt, der unsere besondere Beachtung verdient. Unserer Natur ist es eigen, großen Wert aus das zu legen, was von uns ausgeht, während wir das, was von anderen geschieht, zu übersehen oder gar zu verkleinern geneigt sind. Mögen wir über diese böse Neigung wachen, besonders wenn es sich um die Ausübung des Dienstes handelt! Wie leicht können wir da ein Hindernis werden, so dass der Heilige Geist nicht ungehindert wirken kann! Wie schön ist demgegenüber die Gesinnung des reich begabten und durch die Gnade so hoch gestellten
Apostels, wie sie sich in den Worten ausdrückt: „Denn wir haben große Freude und großen Trost durch deine Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind“! (V. 7).
Es ist weiterhin rührend zu hören, wie Paulus alles hervorsucht, was geeignet War, das Herz des Philemon der Erfüllung seiner Bitte geneigt zu machen, noch ehe er sie aussprach. Im Blick auf seine apostolische Machtvollkommenheit hatte er große Freimütigkeit, ihm zu gebieten was sich geziemte (V. 8); und aus anderen Stellen ersehen wir, dass er, wo es gut war, von dieser Autorität Gebrauch machte. Aber lieber naht er als ein Bittender, indem er Gefühle der Liebe bei Philemon dadurch zu erwecken sucht, dass er ihm vorstellt, ein alter, im Dienste des Herrn ergrauter Knecht und jetzt ein Gefangener Jesu Christi, komme mit einem Herzensanliegen zu ihm. Wie hätte Philemon da gefühllos bleiben können? Wieder erblicken wir hier eine liebliche Nachahmung der Gesinnung unseres Herrn. Ihm, dem Herrn, steht gewiss das Recht zu, zu gebieten was sich für uns geziemt, aber Er offenbart uns zuerst Seine Liebe, — und in welcher Fülle ist das geschehen! — und erst, nachdem wir diese Liebe erkannt haben, erwartet Er von uns, dass wir dieselbe Gesinnung offenbaren wie Er. (Vergl. Joh. 13, 1 -—17; Eph. 5, 1. 2). 
Wie ganz anders war es aus dem Berge Sinai! Dort offenbarte fiel) Gott in Seiner unnahbaren Heiligkeit und Majestät, und so furchtbar war die Erscheinung, dass Moses sagte: „Ich bin voll Furcht und Zittern“ (Hebr. 12, 21). Dann gab Er dem Volke Sein heiliges, gerechtes und gutes Gesetz. Doch ach! der Mensch vermochte es nicht zu erfüllen, er hatte keine Kraft. Ja Jesu dagegen ist Gott allen unseren Bedürfnissen entgegengekommen, und in der in Christo Jesu vollkommen geoffenbarten Liebe liegt für uns die Kraft zu einem Ihm wohlgefälligen Wandel. „Wer in das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, nahe hineingeschaut hat und darinnen bleibt, indem er nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werkes ist, dieser wird glückselig sein in seinem Tun“ (Jak. 1, 25). 
Die zärtlichen Ausdrücke, welche Paulus im Blick auf Onesimus gebraucht: „mein Kind, mein Herz“, zeigen uns, welchen Wert dieser arme Sklave für ihn hatte. Er hatte ihn in seinen Banden gezeugt, und nun tritt er als Fürsprecher und Bürge für ihn ein. Das erinnert uns an die kostbare Wahrheit: „Und wenn jemand gesündigt hat — wir haben einen Sachwalter (Fürsprecher) bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“ (1. ,Joh. 2, 1). Wenn Onesimus für den Apostel solchen Wert hatte, wieviel mehr ist das der Fall bei dem Herrn hinsichtlich des Schwächsten der Seinen! Und könnte es möglich sein, dass Seine Fürsprache beim Vater keine Erhörung fände? Ach nein, der Vater selbst hat uns lieb, und die Person unseres Hohenpriesters besitzt einen unendlichen Wert in Seinen Augen. Wie tröstlich ist deshalb das Bewusstsein, dass wir, so lange wir noch hier in Schwachheit wandeln, einen solchen Hohenpriester haben, der immerdar lebt, um sich für uns zu verwenden! (Hebr. 7, 25). 
Paulus sendet Onesimus zurück, indem er völlig die Rechte anerkennt, welche Philemon dem Fleische nach über ihn hatte. Er würde ihn bei sich behalten haben, damit er ihm „in den Banden des Evangeliums“ diene, doch wollte er dies ohne den Willen des Philemon nicht tun. Wie zeigt uns doch jeder einzelne Punkt in diesem Briefe die Uneigennützigkeit des Apostels! Aber er wünschte, dass Philemon ihn aufnehmen möchte, nicht länger als einen Sklaven, sondern als einen geliebten Bruder im Herrn, ja, wie den Apostel selbst. „Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst (welch eine Bescheidenheit!), so nimm ihn auf wie mich“ (V. 17). So werden den irdischen Beziehungen die lieblichen Charakterzüge der christlichen Liebe aufgedrückt. Wenn und wo das geschieht, da nehmen sowohl Herr als Knecht den Platz ein, der sich für sie geziemt, und die Lehre unseres Heiland-Gottes wird geziert. 
Es gab indes noch einen wichtigen Punkt hinsichtlich des vergangenen Lebens des Onesimus, welchen der Apostel nicht unberührt lassen durfte, und das war die Schuld. Aber in liebevollster Weise ist er bemüht, auch diesen zu ordnen. „Wenn er dir aber irgend ein Unrecht getan hat, oder dir etwas schuldig ist, so rechne dies mir an. Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben, ich will bezahlen . . „ (V. 18. 19). Das gab dem armen Sklaven, der nichts bezahlen konnte, volle Freimütigkeit, zu seinem Herrn zurückzukehren. Paulus selbst verbürgte sich, die Schuld zu bezahlen, wie groß dieselbe auch sein mochte. Gerade so hat unser hochgelobter Heiland im Blick auf den Sünder gehandelt, nur mit dem wesentlichen Unterschiede, dass jeder, der bußfertig Ihm naht, die Schuld längst bezahlt findet; und zwar nicht mit Gold oder· Silber, — wie hätte dadurch nur eine Sünde getilgt werden können? — sondern durch Sein teures Blut. Welch ein Preis! Ja, „das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde“. (1. Joh. 1, 7). Welch eine Botschaft für jeden schuldbeladenen Menschen, der, in seinem Gewissen überführt, nun sein Vertrauen auf dieses Blut setzt! Gott selbst versichert ihm durch Sein Wort: „Deiner Sünden und deiner Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (Vergl. Hebr. 10, 17). 335
Wenn wir zum Schluss noch die Worte betrachten: „Ja, Bruder, ich möchte gern Nutzen an dir haben im Herrn, erquicke mein Herz in Christo“ (V. 20), so begegnen wir wieder derselben Selbstlosigkeit bei unserem Apostel. Er freute sich, wenn durch seine Bemühung dieselbe Liebe in dem Herzen des Philemon gegen Oriesimus zum Ausdruck kommen würde. Sollten wir nicht herzlich danach verlangen, dass dieselbe Gesinnung sich bei uns zeige, und der Herr auf diese Weise den Nutzen an uns habe, den Er so gern haben möchte? Ich glaube, wenn ich für andere mitreden darf, dass wir im allgemeinen zu wenig daran denken, dass wir das Herz unseres geliebten Herrn durch unser Verhalten erquicken können, indem wir die Gesinnung offenbaren, welche wir hier bei Paulus gefunden haben. Sie ist ja nichts anderes als ein schwacher Widerschein der Liebe, die wir in ihrer ganzen Vollkommenheit in dem Herrn selbst erblicken.
„Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“ (1. Kor. 11, 1), ermahnt Paulus die Gläubigen. (Vergl. Phil. 3, 17; 4, 9.) Diese eine Handlung aus seinem vielbewegten Leben zeigt uns, wie sein Leben in Übereinstimmung stand mit seinen Worten, und wie der Wohlgeruch Christi überall von ihm verbreitet wurde. Lasst uns denn ihm nachahmen, der einst an die Korinther schreiben konnte: „Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht, mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden!“ (2.Kor.5,14.15).
Im Wort, im Werk, in allem Wesen
sei Jesus und sonst nichts zu lesen!