Botschafter des Heils in Christo 1913

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1913Seite
Betrachtungen über das zweite Buch der Könige 1.1
Abwärts11
Jesus allein19
Unsere Umgebung27
Christliche Liebestätigkeit42
Glaubwürdigkeit53
Römer 8, 28 (Gedicht)56
Kain und Seth75
In eins vollendet" (Gedicht)84
Was die Schrift mir sagt85
Einige Gedanken über die Person Jesu Christi, unseres Herrn96
Doch auch ihr."111
Aufwärts!113
Das Gesicht des Allmächtigen138
Ein nicht umgewendeter Kuchen141
Die Zeit ist kurz (Gedicht)160
Gehasi161
„Christus alles"167
Zelt und Altar169
Kurze Aufzeichnungen aus einer Besprechung über181
3. Mose 16.191
Ich habe ihnen dein Wort gegeben ist Wahrheit"
Dein Wort ist Wahrheit197
Betrachtungen über das Buch Esra 197. 225. 258. 281. 809211
Der gebissene Israelit241
Gott liebt dich!218
Was ist euer Leben?223
Der Regenbogen247
Denen, die Ihn lieben"251
4. Mose 24, 3-6257
Die Zerrissenheit unter den Gläubigen in der Gegenwart.258
Strebe aber!"303
Persönliche Verantwortlichkeit326


Botschafter des Heils in Christo

Einundsechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1913

Betrachtungen über das zweite Buch der Könige

Bibelstelle: 2. Könige 22 – 23. 30

Botschafter des Heils 1913 S. 1ff

Josia und die zweite Erweckung

Mit diesem Kapitel sind wir bei der zweiten großen Erweckung, die in den letzten Tagen Judas stattfand, angelangt. Wir werden reichlichen Stoff zur Unterweisung für uns selbst darin finden. Bei der Betrachtung der Geschichte Hiskias haben wir uns gesagt, dass die Erweckungen des Endes gekennzeichnet sind durch den Bruch mit den Überlieferungen (so sehr auch manche Überlieferungen durch den Brauch geheiligt sein mochten), und auch durch die Rückkehr zu dem' was im Anfang aufgerichtet worden war. Es ist selbstverständlich, dass man außer solch besonderer und mächtiger Tätigkeit des Heiligen Geistes auch Zeiten begegnet, in denen die persönliche Frömmigkeit vorherrschend ist und den Götzendienst beseitigt, so z. B. bei Joas, Amazja und Asarja. Alle, die mit Gott handeln, können auf Grund dieser Tatsache jederzeit eine für ihre Umgebung gesegnete Wirksamkeit ausüben; indes ist es in den Wegen Gottes beachtenswert, dass in dem Maße, wie das Böse zunimmt und die Welt dem Endgericht zutreibt, die Wahrheit Gottes um so heller und lebhafter erglänzt und einen allgemeinen Einfluss zur Erweckung der Seelen ausübt.

Unter Josia wie unter Hiskia gab es einen entschiedenen und völligen Bruch mit dem alten Bösen, das in Juda geduldet oder entstanden war. Die Treue Josias in dieser Hinsicht (wie sie uns in dem Buche der Könige dargestellt wird) ist sehr bemerkenswert.

Josia begann zu regieren, als er ein kleiner Knabe war. Er stand infolgedessen noch unter der Leitung seiner Mutter Jedida, der Tochter Adajas, von Bozkath, einer Frau aus Juda (Vergl. Jos. 15, 39). Er wandelte, wie Hiskia, "auf allen Wegen seines Vaters David und wich nicht zur Rechten noch zur Linken". Das erste, was uns hier*) von ihm erzählt wird, ist, dass er anfängt, für das Haus Jehovas Sorge zu tragen, um das Baufällige des Hauses auszubessern, indem er auf „die Treue" derjenigen rechnet, die mit dieser Arbeit beauftragt wurden.

Das ist eines der bestimmten Kennzeichen einer Erweckung in den letzten Zeiten. Das Haus Gottes bekommt für die Gläubigen eine ganz neue Bedeutung, und sein verfallener Zustand erweckt ihre Fürsorge. So muss es auch in den Tagen sein, die die Christenheit gegenwärtig durchschreitet. Die Stimme der Treuen muss sich hören lassen, um die Aufmerksamkeit des Volkes auf Sein Haus zu lenken, auf die Versammlung des lebendigen Gottes, denn sie ist für das Herz Christi der teuerste Gegenstand. Es handelt sich aber keineswegs darum, den verfallenen Tempel von neuem aufzubauen; nein, es gilt, die an ihm entstandenen Breschen wieder zu schließen, in Treue das nötige Baumaterial herbeizuschaffen, dem Gebäude das Zedernholz und die behauenen Steine einzufügen, die Gott, dem Erbauer des Hauses, wohlgefällig sind. Ich brauche kaum zu sagen, dass in diesen Zeiten des Endes der Christ, der sich seiner Berufung bewusst ist, dem Hause nicht Holz, Heu und Stroh einfügen wird; er wird vielmehr das herbeibringen, was für das Haus Gottes passt: lebendige, durch den Geist Gottes im Steinbruch der Welt gehauene Steine, die durch den Meister geformt und nun geeignet sind, in endgültiger Weise einen Teil des Bauwerkes Gottes auszumachen. Die Erweckung in unseren Tagen hat dies verstanden. Für sie besteht die Versammlung Gottes, obwohl sie in Trümmern liegen mag, während sie die Gebäude, die die Menschen ihre Kirchen nennen, und die von ihnen unterhalten werden, außer Acht lässt. Nicht zu diesen Gebäuden werden die treuen Zeugen Christi Baustoffe herbeischaffen, sondern zu der Kirche des lebendigen Gottes, und Ihm allein ist jeder für die Arbeit, die ihm anvertraut ist, verantwortlich. „Das Geld", sagt Josia, „das in ihre Hand gegeben wird, soll nicht mit ihnen verrechnet werden; denn sie handeln getreulich" (V. 7).

Der Eifer für das Haus Gottes hat ein sofortiges und äußerst wichtiges Ergebnis. „Das Buch des Gesetzes wird im Hause Jehovas wiedergefunden". Wenn dem Josia nicht die Wiederherstellung des Tempels am Herzen gelegen hätte, wäre das Buch des Gesetzes, das dort aufbewahrt wurde (2. Chron. 34,15), nicht wieder ans Licht gekommen. Dieser Punkt kennzeichnet in besonderer Weise die Erweckung Josias. Bei Hiskia war das Vertrauen auf Jehova mehr vorherrschend, selbstverständlich begleitet von wirklicher Unterwerfung unter das Wort Gottes, dessen Träger der Prophet Jesaja war. Unter Josia finden wir gleichsam eine ganz neue Offenbarung des geschriebenen Wortes, d. i. in diesem besonderen Falle der Bücher Moses. So erhalten bei dieser Gelegenheit die vernachlässigten und unter den vorhergehenden Regierungen sozusagen vergessenen Heiligen Schriften auf einmal ihre Bedeutung wieder. Das war auch der große Segen, der mit der Erweckung verbunden war, die wir gemeinhin „die Reformation" nennen. Die durch die Wege der Vorsehung aus dem Schatten hervortretende und allen dargebotene Bibel erstrahlt alsbald im höchsten Glanz. Aber schmerzlich berührt es zu sehen, dass die Reformation nicht, wie Josia, mit dem Eifer für das Haus Gottes begann. Aber wir gehen wohl nicht irre in der Annahme, dass die Erkenntnis der Bedeutung der Versammlung (Gemeinde) Christi für eine spätere Zeit aufbewahrt wurde.

Wenn der Eifer für das Haus und der Gehorsam gegen die Schriften Hand in Hand gehen, dann werden die Schriften zu einer ganz neuen Offenbarung. Das früher als von Gott kommend Erkannte verliert gewiss nicht seine Bedeutung, aber ein Licht dringt herein, das als etwas bis dahin gänzlich Unbekanntes nicht nur in Erstaunen setzt, sondern auch tief das Gewissen ergreift. „Und es geschah, als der König die Worte des Buches des Gesetzes hörte, da zerriss er seine Kleider" (V. 11). Wie war es möglich, dass das Wort Gottes durch Sein Volk so vergessen und übertreten werden konnte?! War es verwunderlich, dass die Folge davon der Verfall des Volkes war?

Und nun, wer wird uns dieses Wort erklären? Wie sollen wir „Jehova befragen" über das, was wir zu tun haben, da wir doch nach diesem Wort wissen, dass wir uns Sein Miss­fallen zugezogen haben? Der Prophet allein, der Vertreter des Geistes Christi (1. Petr. 1, 11), kann es uns auslegen. Josia wendet sich deshalb nicht an Schaphan, den Schreiber, selbst nicht an Hilkija, den Hohenpriester; er will sich unmittelbar mit dem Worte in Verbindung setzen. Es gab viele Propheten zur Zeit des gottlosen Manasse (2. Kön. 21, 10). Zur Zeit Josias, in diesen Tagen der Erweckung, aber großer Schwachheit, findet man eine Prophetin zu Jerusalem. Nicht dass in Juda die Propheten gefehlt hätten (Kap. 23, 2), aber die einer Frau anvertraute Tätigkeit kennzeichnet hier den Zustand des Niedergangs, wie die Tätigkeit der Debora im Buch der Richter.

Ähnlich der Debora sucht Hulda, die Dienerin Jehovas, nicht einen öffentlichen Dienst auszuüben, wie die falschen Prophetinnen unserer Tage es machen; sie benutzt ihre Gabe in dem ihr angewiesenen Kreis. Die Knechte Josias begeben sich zu ihr; .sie wohnte aber zu Jerusalem im zweiten Stadtteil" (V. 14). Wir sind hier weit entfernt von einem Jesaja, dessen Dienst das ganze Gebiet der Prophezeiung umfasste, und dessen Anwesenheit die Erweckung Hiskias kennzeichnete. Aber der Geist Gottes redet durch diese Frau, um "alle Worte des Buches, welches der König von Juda gelesen hat", zu bestätigen und um zugleich Josia über seine eigene Zukunft zu beruhigen. Gott beachtet die tiefe Demütigung des Königs: "Weil dein Herz weich geworden ist, und du dich vor Jehova gedemütigt hast, als du hörtest, was ich über diesen Ort und über seine Bewohner geredet habe, dass sie zur Verwüstung und zum Fluche werden sollen, und du deine Kleider zerrissen und vor mir geweint hast, so habe ich es auch gehört, spricht Jehova" (V. 19). Sich demütigen war in der Tat das Einzige, was notwendig war. Es charakterisiert Josia und kennzeichnet zu allen Zeiten den treuen Überrest inmitten des Bösen (Hesekiel 9, 4), in den Tagen des Verfalls der Kirche wie unter allen denen, die bekennen, den Namen Jehovas zu kennen. Man kann heute das Herdes Treuen an der Demütigung erkennen, die er über den gegen­wärtigen Zustand der Dinge empfindet. Das Herz Josias ist daran erkennbar: er zerreißt seine Kleider und weint. Aber er sollte "vor dem Unglück hinweggerafft werden", wie Jesaja sagt (Kap. 57, 1).

KAPITEL 23, 1‑20 Das Buch des Bundes und die Heiligung des Volkes

Die Bedeutung des Hauses Gottes auf Erden, der Stätte, wo Jehova Seinen Namen wohnen lässt, und das Buch des Bundes, das sind, wie wir gesehen haben, die beiden Dinge, die die geistliche Erneuerung unter Josia kennzeichnen. Wir zögern nicht zu wiederholen ‑ In den Zeiten, in denen wir leben, werden diese beiden Dinge stets eine wahre Erweckung kennzeichnen. Das Interesse für die Versammlung des lebendigen Gottes (nicht aber für die armseligen Nachahmungen, die die in Verfall geratene Christenheit an ihre Stelle gesetzt hat) und der Eifer für die inspirierte Autorität der heiligen Schriften, das ist es, woran jede treue Seele, die die Verherrlichung des Herrn sucht, heute festhalten wird, koste es was es wolle.

Der König versammelt alle Ältesten von Juda und Jerusalem um sich und „geht in das Haus Jehovas hinauf, und alle Männer von Juda und alle Bewohner von Jerusalem mit ihm' und die Priester und die Propheten, und alles Volk, vom Kleinsten bis zum Größten; und man las vor ihren Ohren alle Worte des Buches des Bundes, das im Hause Jehovas gefunden war". Dieses Buch des Bundes enthält nicht nur den Bund von Sinai, sondern auch den, der in den Ebenen Moabs gemacht worden war, das heißt alle Worte des 5. Buches Mose. Sie passten genau zu dem Zustand des Volkes, wie er in jenem Augenblick war, und Gott hatte ihn im voraus in diesem Buch beschrieben. Das 5. Buch Mose redete vor allem von Gehorchen und machte Segen und Fluch des aus Ägypten erlösten Volkes von dem Gehorsam gegen das Wort abhängig. Dieser Bund wird hier erneuert: "Der König stand auf dem Standorte und machte den Bund vor Jehova, Jehova nach zu wandeln und seine Gebote und seine Zeugnisse und seine Satzungen zu beobachten mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, um die Worte dieses Bundes zu erfüllen, welche in diesem Buche geschrieben sind. Und das ganze Volk trat in den Bund" (V. 3).

Diese Erweckungen des Endes üben auf alle eine mächtige Wirkung aus, wenn auch die Wirklichkeit sich nur im Herzen des Überrestes findet. So zeigt uns das Buch Jeremias, der unter Josia weissagte, dass der sittliche Zustand des Volkes tatsächlich keine Veränderung erfuhr. Man stimmte der Ausrottung des Götzendienstes infolge der Treue des Königs leicht zu, aber die Herzen blieben ebenso weit von Gott entfernt wie zuvor. Der Prophet sagt: "Und Jehova sprach zu mir in den Tagen des Königs Josia. Hast du gesehen, was die abtrünnige Israel getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und hurte daselbst. Und ich sprach: Nachdem sie dies alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht zurück. Und ihre treulose Schwester Juda sah es; und ich sah, dass trotz alledem, dass ich die abtrünnige Israel, weil sie die Ehe gebrochen, entlassen und ihr einen Scheidebrief gegeben hatte, doch die treulose Juda, ihre Schwester, sich nicht fürchtete, sondern hinging und selbst auch hurte. Und es geschah, wegen des Lärmes ihrer Hurerei ent­weihte sie das Land; und sie trieb Ehebruch mit Stein und Holz. Und selbst bei diesem allen ist ihre treulose Schwester Juda nicht zu mir zurückgekehrt mit ihrem ganzen Herzen, sondern nur mit Falschheit, spricht Jehova" (Jer. 3, 6‑10; man lese auch Kap. 5, 27‑29; 6, 9‑15. 29; 8, 8‑13).

Dessen ungeachtet wird durch die Treuen ein sittlicher Zwang auf die Seelen ausgeübt, selbst auf die, die tatsächlich fern von Gott sind. In 2. Chron. 34, 33 lesen wir, dass Josia, „alle, die sich in Israel befanden, anhielt, Jehova, ihrem Gott, zu dienen. Alle seine Tage wichen sie nicht ab von der Nachfolge Jehovas, des Gottes ihrer Väter". Und auch hier heißt es, dass das ganze Volk in den Bund trat. Amon, hatte alles, was Manasse bei seiner Buße zerstört hatte, wiederhergestellt. Josia in seinem Eifer für Gott und für Gott allein, ganz verschieden von dem Eifer Jehus, reinigt völlig Jerusalem, Juda und Israel, soweit sein Arm reicht. Er verbrennt im Tale Kidron alle im Tempel angesammelten Gegenstände für den Dienst des Baal, der Astarte und der Sternbilder, und lässt ihren Staub nach Bethel bringen, an den Ort, wo der Götzendienst Jerobeams seinen Anfang genommen hatte. Er schafft die Götzenpriester ab, die die Könige von Juda eingesetzt hatten, den falschen Göttern zu räuchern. Er zerstört die Aschera, das Bild der unkeuschen Venus, das im Hause Jehovas errichtet war. und wirft den Schmutz ihrer Asche auf die Gräber derer, die sie angebetet hatten. Er hebt die Buhlerei auf, die sich unter dem Deckmantel des Dienstes der Astarte in Jerusalem breit machte. Er ruft die Priester zusammen, die, seitdem Manasse Buße getan hatte, fortgefahren hatten, Jehova auf den Höhen zu opfern (2. Chron. 33, 17). Er stellt sie nicht den Götzenpriestern gleich, erlaubt ihnen aber auch nicht, zum Altar Jehovas in Jerusalem hinaufzugehen. Jede Gemeinschaft mit einer Religion, die, auch wenn sie vom Götzendienst getrennt ist, es gewagt hat, den einzigen Mittelpunkt des Zusammenkommens des Volkes zu verleugnen, wird entschieden abgebrochen.

Hierin finden wir eine Unterweisung für die Tage, in denen wir leben. Die Handlungsweise Josias zeigt uns, dass eine Erweckung sich nicht mit einem Gottesdienst verbinden kann, der nicht am Tische des Herrn, dem einzigen Mittelpunkt des Zusammenkommens der Seinigen, ausgeübt wird. Doch erkennt Josia diesen Priestern das Recht zu, "Ungesäuertes in der Mitte ihrer Brüder zu essen" (V. 9). Die persönliche Heiligkeit derer, die der Herr geweiht hat, wird völlig anerkannt, aber für den Augenblick (wenn nicht für immer) wird die Ausübung ihres Amtes beim Gottesdienst Israels nicht geduldet. Josia schafft auch die Rosse der Sonne ab und zertrümmert die Altäre, die gewagt hatten, den Platz des einzigen Altars Gottes einzunehmen. Er wagt sich sogar in seinem Eifer für Jehova an die Altäre, die von Salomo gebaut worden waren (V. 13). Mehr noch. Sein Interesse dehnt sich auf das ganze Volk Gottes aus. Er geht nach Bethel, richtet das ganze Böse dort bei seiner Wurzel und erfüllt so die Prophezeiung, die einst gegen den Altar ausgesprochen worden war, auf dem der König Jerobeam geopfert hatte (V. 15. 16; 1. Kön. 13, 2). Nur verschont er das Grab des Mannes Gottes, „der diese Dinge ausgerufen hatte". Wie untreu der Mann auch gewesen sein mochte, Josia erkennt das, was er für Gott getan hatte, an, indem er auch die Gebeine des Propheten von Samaria verschont, der die Ursache des Falles des Mannes Gottes gewesen war, sich aber auch über seinen Fehler gedemütigt hatte. Gerade so erkennt jedes wahrhaft christliche Herz das an, was die Männer Gottes in vergangenen Zeiten in Seinem Dienste getan haben, und achtet ihre Arbeit hoch, selbst wenn sie mit Fehlern behaftet ist, wodurch sie von ihrer Kraft eingebüßt hat und in ihren Ergebnissen beeinträchtigt worden ist (V. 17. 18).

Schließlich durchzieht der König die Städte Israels, tut die Höhenhäuser hinweg und vertilgt ohne Erbarmen die götzendienerischen Priester, obwohl deren Einfluss nach der Wegführung des Volkes durch den Assyrer anscheinend geringer geworden war. Er handelt so im Blick auf eine zukünftige Wiederherstellung, und sein für den Dienst Jehovas entflammtes Herz klammert sich daran; denn die Propheten kündigten, noch während seiner Regierung, die Wiederherstellung unter dem Zepter des Königs der Gerechtigkeit und des Friedens an.

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Abwärts

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 11ff

Sobald der Gläubige aufhört, wachsam zu sein, sobald er die Gemeinschaft mit Jesu Christo, "zu welcher er durch den treuen Gott berufen ist" (1. Kor. 1, 9), vernachlässigt, geht es abwärts mit ihm. Nicht auf einmal, aber nach und nach.

Der Rückgang im geistlichen Leben beginnt mit Schläfrigkeit und Trägheit in Bezug auf die göttlichen Dinge. Man gleitet allmählich aus der schützenden und belebenden Nähe des Herrn in den verunreinigenden Einfluss der Welt hinab. Ein Schritt im Bösen zieht aber, wenn er ungerichtet bleibt, unfehlbar den anderen nach sich, und das Ende ist offenbare Untreue oder gar Verleugnung des Namens Jesu.

So war es bei Salomo. Die Anfangszeit seiner Regierung war so überaus herrlich, dass sie ein Vorbild der Segnungen des Tausendjährigen Reiches ist. Sein Verhältnis inniger Abhängigkeit zu Jehova erweist sich schon in seinem Gebet, als Jehova ihm zu Gibeon in einem Traume der Nacht erschien. „Ich bin", sagt er, „ein kleiner Knabe, ich weiß nicht aus- und einzugehen . . . So gib denn deinem Knechte ein verständiges Herz, um dein Volk zu richten, zu unterscheiden zwischen Gutem und Bösem“ (1. Kön. 3, 7 u. 9). In solch wacher, lebendiger Erkenntnis seiner Schwachheit, mit einem „weisen und einsichtsvollen Herzen« (V. 12), das nur nach Gottes Weisheit und Willen handeln wollte,. trat Salomo seine Regierung an. Friede und Herrlichkeit umgaben ihn. Aber wie schnell verblich dieser Glanz! Wie bald schwand seine Demut und der Sinn zur Unterscheidung des Guten und des Bösen! Lässigkeit und Trägheit bemächtigten sich seiner, die Entfernung zwischen ihm und Gott wurde immer größer, das Herz wandte sich der Welt zu, und sein anfangs Gott so wohlgefälliger Weg endete mitten unter Götzen und fremden Weibern.

Ein solches Abwärtsgleiten vollzieht sich, wie gesagt, allmählich. Drei Stufen können wir erkennen, die von der Freude im Herrn bis zur Verunehrung Seines Namens hinabführen: Schläfrigkeit, Versäumen der Gemeinschaft und Weltsinn. Wir finden in Lukas 22, wo uns die Verleugnung Petri mitgeteilt wird, diese drei Schritte abwärts gewissermaßen angedeutet.

„Zuerst (V. 45; vgl. auch Mark. 14, 37) muss der Herr dem Petrus sagen: „Simon, schläfst du?“ Dann (V. 54) heißt es: „Petrus aber folgte von ferne“. Und bald darauf (V. 55 u. Mark. 14, 54): „Petrus aber setzte sich in ihre (der Feinde) Mitte und wärmte sich an ihrem Feuer". Damit war der geeignete Augenblick gekommen. Die Versuchung trat an ihn heran, und Petrus, der Felsenmann, der aufrichtig sagen konnte: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!“ — unterlag und verleugnete seinen Herrn.

Schläfrigkeit ist also der erste Schritt auf der abschüssigen Bahn, und die Gefahr, in Schläfrigkeit zu verfallen, in der Hingabe lässig und träge zu werden, liegt sehr nahe und mahnt einen jeden, auf der Hut zu sein. Nicht bloß die törichten, nein, auch die klugen Jungfrauen wurden schläfrig und schliefen ein; selbst die Jünger auf dem heiligen Berge wurden vom Schlaf beschwert.

Weder der Besuch der Versammlung, noch der Hirtendienst der Brüder, noch das Lesen des Wortes Gottes schützen uns vor der Gefahr einzuschlafen. So wenig wie die Gegenwart eines Paulus in dem Obersaale zu Troas verhüten konnte, dass der junge Eutychus vom Schlaf überwältigt wurde (Apg. 20, 9), ebenso wenig schützt uns das Hören des Wortes aus dem Munde der treuesten Diener an und für sich vor Schläfrigkeit. So wenig wie der Hirtendienst eines Petrus die Gläubigen wach und lebendig zu er halten vermochte, so dass es nötig wurde, „sie durch Erinnerung aufzuwecken" (2. Petr. 1, 12), ebenso wenig genügt der brüderliche Dienst unserer Tage, um uns in jedem Falle vor dem Einschlafen zu bewahren. Und wenn wir dann noch lesen, dass die Gläubigen, die der „Aufweckung durch Erinnerung" bedurften, „die Dinge wussten", an welche zu erinnern der Apostel sich bemühte, und dass sie „in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt waren", dann verstehen wir, dass auch das Wissen der Wahrheit an und für sich keine sichere Schutzwehr gegen Trägheit und Schläfrigkeit ist.

Man mag sich mit den Gläubigen zur Betrachtung des Wortes versammeln, man mag dieses Wort mit Frische und Kraft verkündigen hören und dabei sogar fühlen, wie herrlich und passend es für einen selbst ist, man mag selbst die Bibel fleißig lesen und sich einen Hausen Schriftkenntnis sammeln — wenn man aber versäumt, das gehörte oder gelesene Wort auf das eigene Herz anzuwenden, es aus sein Gewissen wirken und im Wandel sich offenbaren zu lassen, dann stellen sich unausbleiblich über kurz oder lang Trägheit und Schläfrigkeit ein. Es kann gar nicht ausbleiben, denn im wahren Sinne des Wortes „erjagt man sein Wild nicht", wie es in Sprüche 12, 27 heißt. Man ist zu träge dazu; und wenn einem wirklich ein Wild zuläuft," so gibt man sich doch nicht die Mühe, es zu braten (wie das hebräische Wort auch übersetzt wird) und zum Essen zuzubereiten; d. h. man unterlässt es, die gehörte oder gelesene Wahrheit zu seinem Nutzen zu gebrauchen, darüber nachzusinnen, danach zu handeln, sie sich praktisch zu eigen zu machen. Und das ist eben nötig, wenn das Wort Gottes Leben und Frucht in uns hervorbringen soll. „Ein nach dem Gesetz reines Tier“, bemerkt ein anderer Schreiber, „nahm nicht nur Speise zu sich, sondern kaute sie auch wieder; ein Bild davon, wie das, was unserer Seele Speise ist, sorgsam verdaut werden soll zur Erneuerung unserer geistlichen Kraft in einen entsprechenden Wandel.“

Von der Schläfrigkeit, dem Nachlassen in der Hingabe für den Herrn, werden wir auch ergriffen, wenn wir versäumen, allen Fleiß anzuwenden, um in unserem Glauben auch die Tugend (die geistliche Energie) darzureichen, wie Petrus die Gläubigen ermahnt. (2. Petr. 1, 5.) Dann entdecken wir plötzlich Schwierigkeiten auf unserem Wege, die früher nicht da waren, und bemerken Gefahren, die uns vorher nicht kümmerten. „Wegen des Winters mag der Faule nicht pflügen“, und „wegen des Löwen inmitten der Straßen" hält er es für geratener, zu Hause zu bleiben (Spr. 20, 4; 26, 13). Die Gleichgültigkeit für das Wohl unserer Seele nimmt zu; wir gleichen dem schläfrigen Manne, der zwar alles sieht, was um ihn her vorgeht, der aber nicht Energie genug hat, um sich selbst zur Tätigkeit aufzuraffen. Dabei haben wir vielleicht den aufrichtigen Wunsch, zur Ehre des Herrn zu wandeln und Seinen Geboten zu folgen; aber es fehlt uns die Kraft und die Freudigkeit, einen solchen Wandel zu führen und Seinen Willen zu tun. „Die Seele des Faulen begehrt, und nichts ist da" — „die Hände des Faulen weigern sich zu arbeiten" (Spr. 13, 4; 21, 25).

Wenn meine Gedanken nicht höher gehen, als: „ich weiß, dass ich errettet bin", wenn ich mich mit dem Bewusstsein begnüge, den Weg genau zu wissen, den der Gläubige zu gehen hat, wenn ich mich nur an dem Worte Gottes erbaue und mich durch dasselbe nicht beurteilen und anspornen lasse, dann wird auch an mich mit Recht der Herr die vorwurfsvolle Frage richten müssen: Simon, schläfst du?

Im Banne der Schläfrigkeit und Bequemlichkeit verlassen wir unmerklich die Pfade göttlicher Weisheit, die doch nur Freude und Lieblichkeit für uns sind, und folgen nunmehr unserem Herrn von ferne. Nun will uns Gott aber auf dem Wege durch die Wüste mit Seinem Auge raten (Ps. 32, 8), gerade wie vor alters die Wolken- und Feuersäule die Kinder Israel leitete. Und dieses Auge kann ich nur verstehen, wenn ich darauf achte, und ich kann nur darauf achten, wenn ich mich in der Nähe Gottes aushalte. Bin ich zu weit entfernt, um einfältigen Herzens auf Ihn blicken zu können, so bin ich „unstet in allen meinen Wegen“, nicht nur — beachte es — in einigen, sondern in allen.

Und weiter: Folgen wir, die wir als Schafe Jesu Christi Seine Stimme kennen, unserem Herrn von ferne, so überhören wir bei den mannigfaltigen Stimmen, die aus der Welt zu uns herübertönen, den Ruf unseres Herrn, und wir irren und straucheln aus dem Wege. Nur in Seiner Nähe finden wir ferner die Waffen, mit denen wir die Angriffe des listigen Feindes zurückschlagen können, und lernen die uns bestimmte Waffenrüstung Gottes gut gebrauchen; nur in Seiner Nähe dringt Sein Trostwort in unser Ohr, dass „Der, welcher in uns ist, stärker ist als der, welcher in der Welt ist“. (1. Joh. 4, 4.) Nur in Seiner Nähe haben wir die Kraft, uns von jeder Befleckung der Welt rein zu erhalten, und nur in Seiner Gemeinschaft vermögen wir uns freizumachen von all den irdischen Dingen, die Ihn ununterbrochen aus unserer Seele zu verdrängen suchen, und die uns verhindern wollen, immer mehr mit Ihm eins zu werden in Seiner Verwerfung.

Folgen wir unserem Herrn von ferne, so verliert das göttliche Leben in uns an Energie und wird geschwächt durch den Geist dieses Zeitlaufs, durch den Weltsinn, dem sich unser Herz so gern öffnet. Nicht die groben, Schande bringenden Fallstricke Satans sind es, denen wir anfangs unterliegen, sondern vielleicht ganz unschuldig scheinende Dinge, die aber nichtsdestoweniger ein langsam wirkendes Gift enthalten, das uns immer mehr an die Atmosphäre dieser Welt gewöhnt. Wie mancher wird angezogen von Dingen, die an und für sich nicht böse sind, aber ihn doch abhalten vom Vorwärtsdringen auf dem Wege zur Herrlichkeit!

Es gibt ja vieles hienieden, das uns zum Genießen erlaubt ist, wenn wir nur über der Gabe den Geber nicht vergessen. Gott schenkt dem einen Häuser, Felder, Reichtümer aller Art; er mag ruhig alles das ergreifen, was in seinen Bereich gelegt ist, und in dem Bewusstsein gebrauchen, dass alles Ihm, dem Vater, gehört, und dass er der verantwortliche Verwalter darüber ist — doch darf sein Herz nicht davon eingenommen werden, denn sein Herz gehört ungeteilt dem Herrn. Auch mag er sich erfreuen an den Schönheiten der Natur, sich beschäftigen mit Kunst und Wissenschaft, aber er darf es wiederum nur insoweit tun, als die Gemeinschaft mit dem Herrn nicht darunter leidet. Leidet diese darunter, so geht es ihm wie Adam, der, wie ein Bruder bemerkt, „einen schlimmen Gebrauch von den an und für sich guten Bäumen des Gartens Eden machte, als er sich hinter ihnen vor Gott verbarg“.

Vergessen wir nicht, dass von den Einflüssen, denen wir uns überlassen, unendlich viel für unser geistliches Leben abhängt, und dass wir durch die rege Beschäftigung mit den sichtbaren, an und für sich nicht bösen, Dingen am Ende doch wieder Geschmack am „Alten“ gewinnen können, und dann vergessen, dass das „Neue“ viel vorzüglicher ist. Und tritt diese Veränderung ein, dann ist es nicht mehr so gar weit bis zu dem Wandeln im Rate der Gesetzlosen, zu dem Stehen auf dem Wege der Sünder, zu dem Sitzen in ihrer Mitte, zu dem Wärmen an ihrem Feuer. Zur Warnung für uns alle sei es gesagt; denn wenn es so um uns steht, sind wir in großer Gefahr, der ersten besten Versuchung zu unterliegen und den treuen Herrn zu verleugnen.

Den Herrn zu verleugnen? Ja, wie oft schon mag uns unser Herr, wie einst den Petrus, traurig angeblickt haben, ohne dass wir es beachteten! Wir hatten Ihn vielleicht durch eine unbedeutende Handlung, durch ein Wort oder auch nur durch unser Stillschweigen verleugnet, oder doch die Gelegenheit versäumt, für Ihn zu zeugen. Wir schämten uns, Ihn zu bekennen, Ihn, der uns doch so geliebt und Sein Leben für uns hingegeben hat. Solche Untreue nimmt ihren Anfang immer in geistlicher Trägheit und Schläfrigkeit. Darum: „Wache auf, der du schläfst und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten“.(Eph. 5, 14). Möge denn die Gnade des Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes — wie Paulus das den Korinthern einst wünschte (2. Kor. 13, 13) —auch mit dir und mit mir sein, damit wir treue Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu sind und nicht träge und schläfrig Ihm von ferne folgen und so auf dem schlüpfrigen Wege der Welt langsam abwärts gleiten mitten unter die Feinde unseres Herrn und an ihr wärmendes Feuer!

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Jesus allein

Bibelstelle: Matthäus 17,1-8

Botschafter des Heils 1913 S. 19ff

„Und nach sechs Tagen nimmt. Jesus den Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mit und führt sie aus einen hohen Berg besonders. Und Er wurde vor ihnen umgestaltet. Und Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, Seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht.“ So beginnt der Bericht, welchen der Evangelist Matthäus uns über die Verklärungsszene gibt. Er folgt unmittelbar auf die Worte des Herrn: „Wahrlich, ich sage euch: Es sind etliche von denen, die hier stehen,. welche den Tod nicht schmecken werden, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in Seinem Reich" (Kap. 16, 28). Genauso ist es in den beiden anderen Evangelien, die uns die Vorgänge aus dem heiligen Berge (Johannes redet naturgemäß nicht davon) überliefert haben (Vgl. Mark. 9 und Luk. 9). Diese Tatsache beweist unzweideutig, dass jene Vorgänge die Erfüllung der Worte des Herrn sind. Mit anderen Worten: die Erscheinung auf dem Berge ist eine Darstellung, ein Gesicht, von dem Kommen des Herrn in Seinem Reiche oder von dem Erscheinen des Königs Israels in Macht und Herrlichkeit. Die Propheten des Alten Bundes hatten wieder und wieder davon geredet, und nun vollzieht sich dieses Kommen in einem prophetischen Bilde vor den Augen der staunenden und erschreckten Jünger. .

Das 16. Kapitel erzählt uns von der Verwerfung des Messias seitens eines bösen und ehebrecherischen Geschlechts, von dem Bekenntnis des Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, und endlich von der Rückkehr Christi als des Sohnes des Menschen in der Herrlichkeit Seines Vaters, um dann einem jeden zu vergelten nach seinem Tun. Dieser Rückkehr in Herrlichkeit mussten notwendigerweise der Tod und die Auferstehung vorangehen. Nur ein leidender Menschensohn kann die Herrlichkeit des Reiches einführen. Ihm, dem Gestorbenen und Auferstandenen, ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Nur Er kann Satan endgültig aus seinem Besitz vertreiben und jenes Reich ausrichten, das von Grundlegung der Welt an bereitet ist. (Matth. 25, 34.)

Der Herr nimmt drei Zeugen mit sich auf den Berg. Nicht die ganze Volksmenge, nicht einmal alle Jünger sollten die Erscheinung sehen. Es war eben ein Zeugnis, das von diesem Reiche abgelegt werden sollte, nicht das Reich selbst; oder noch genauer gesprochen: es war der Sohn des Menschen, wie Er in Seinem Reiche kommen wird. Diese teilweise Darstellung des Reiches sollte zur Veranschaulichung der dann erscheinenden Herrlichkeit des verworfenen Menschensohnes dienen. Es war noch nicht die ganze Fülle dieser Herrlichkeit, —— denn welches menschliche Auge könnte diese Herrlichkeit ertragen? aber sie war doch so groß, dass die Augen der Jünger, wie Lukas uns berichtet, vom Schlaf beschwert waren und sie selbst sich sehr fürchteten.

„Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß wie das Licht." Die Sonne, das Tagesgestirn, ist ein Bild königlicher Herrlichkeit, überwältigenden Glanzes. Diesen Glanz durften die drei Jünger erblicken, und in ihm, in derselben Herrlichkeit, erschienen die beiden Hauptsäulen des jüdischen Systems, Moses, der große Mittler des Volkes, durch den es das Gesetz empfangen hatte, und Elias, der mächtige Vertreter des Prophetentums, der Reformator Israels, der einst das abgefallene Volk zur Anbetung. des einen wahren Gottes zurückrief. Es ist bekannt, dass jeder treue Israelit zu diesen Personen mit tiefster Verehrung emporblickte. Dürfen wir uns daher wundern, wenn Petrus ganz erfreut ausruft: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind"? wenn ihm dieser Anblick besser gefällt, als die Aussicht aufs Kreuz eine Woche vorher?

Ja, welch ein Anblick! In Jes. 53 wird uns der Herr in Seiner tiefen Erniedrigung vorgestellt, als der Allerverachtetste und Unwerteste. Dort sehen wir Ihn wie ein Lamm zur Schlachtbank gehen, und hören den Propheten sagen: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht, und als wir Ihn sahen, da hatte Er kein Ansehen, dass wir Seiner begehrt hätten" (V. 2). Aber hier ist Seine Gestalt herrlich und Sein Ansehen prächtig, Seine Kleider sind weiß wie das Licht. Und in der gleichen Herrlichkeit mit Ihm erscheinen zwei Männer, von denen der eine die besondere Ehre gehabt hatte, von Jehova selbst begraben zu werden, während der andere gen Himmel gefahren war, ohne den Tod überhaupt zu sehen.

Es ist nicht schwer, in diesen beiden Männern die Vertreter der himmlischen Heiligen zu erblicken, welche einst mit dem Herrn kommen werden, verherrlicht wie Er, in Sein Bild umgestaltet, in derselben Herrlichkeit mit Ihm — auferweckt aus ihren Gräbern durch Seine Macht oder verwandelt in einem Nu, in einem Augenblick, und miteinander dem Herrn entgegengerückt, um so „allezeit bei dem Herrn" zu sein. „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1. Kor. 15, 49). „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein“ (Röm. 8, 29). Der Herr Jesus selbst wird unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit (Phil. 3, 21).

Er ist Gott und Er ist Mensch. In unserer Stelle empfängt Er als der Sohn des Menschen von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit. (Vgl. 2. Petr. 1, 17.) Drei Augen- und Ohrenzeugen waren bei dieser Gelegenheit zugegen, und drei andere Zeugen haben, geleitet durch den Heiligen Geist, uns die Vorgänge auf dem Berge berichtet. „Aus zweier oder dreier Zeugen Mund "soll aber jede Sache bestätigt werden“ (Matth. 18, 16; 5. Mose 19, 15.) Vor den Augen jener drei Zeugen, aus hoher, einsamer Bergeskuppe, allein vor Gottes Angesicht, vollzog sich die wunderbare Erscheinung. Die drei Jünger durften hernach nicht einmal von dem Gesicht zu anderen reden. Erst nachdem der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden und so der Grund zu Seiner Verherrlichung zur Rechten des Vaters gelegt war, sollten sie Zeugnis davon ablegen. Gleichwie der Herr sie im 16. Kapitel aufgefordert hatte, niemand mehr zu sagen, dass Er der Christus sei, so sollten sie jetzt auch zu keinem Menschen von dem Reiche Christi reden. Der König des Reiches war endgültig verworfen, und das Gesicht war nur für den gläubigen Überrest aus Seinem Volke, um dessen Glauben zu stärken. Der hochgeborene Mann stand im Begriff, in ein fernes Land zu ziehen, „um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen" (Luk. 19, 12).

Als Gott empfängt der Herr nichts. Er schafft, wirkt, gibt usw. Aber als Menschensohn empfängt Er, und als solcher steht Er hier vor den Augen der Jünger, und neben Ihm die beiden Männer Moses und Elias. Jesus ist als Menschensohn nicht allein in Seiner Herrlichkeit. Menschen sind bei Ihm, aber wenn Simon Petrus in bester Absicht diese beiden Menschen mit dem Herrn aus einen Boden stellt, indem er sagt: "Wenn du willst, lass uns hier drei Hütten machen, dir eine und Moses eine und Elias eine", wenn er sich freut, seinen Herrn und Meister in so guter Gesellschaft zu sehen, dann empfängt Er von Gott, dem Vater, die ernste Zurechtweisung: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gesunden habe; Ihn höret“.

Der Sohn des Menschen ist der Sohn Gottes, der Eingeborene, an welchem Gott Seine ganze Wonne hat. Niemand darf es ungestraft wagen, Ihn irgend einem Geschöpf gleichzustellen. Er ist Gott über alles, der Schöpfer aller Dinge. Wenn Jesus auch nicht Seine eigene Ehre suchte, so wacht Gott doch eifersüchtig über sie. „Ich suche nicht meine Ehre: es ist Einer, der sie sucht und der richtet“ (Joh. 8, 50). Gott wird es einmal dahin führen, „dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beugt, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekennt, dass Jesus Christus Herr ist“ (Phil. 2, 10. 11). Glücklich ein jeder, der Ihn heute schon als den Sohn des lebendigen Gottes anerkennt, dem allein Ehre und Anerkennung gebührt! Was ist selbst ein Moses, was ein Elias neben Ihm? Mögen auch der Wert und das Gewicht dieser beiden Häupter des Gesetzes und der Propheten groß sein; was gelten sie in der Gegenwart des Sohnes Gottes? Gott will, dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Darum hat Er Ihm das ganze Gericht übergeben. (Joh. 5, 22. 23.) Der Mensch will das nicht, und wie weit er in seinem Unglauben und seiner Auflehnung gegen den Gesalbten Gottes geht, das zeigen uns die traurigen Erscheinungen rund um uns her. Der Unglaube erkennt in Jesu nur den Menschen, vielleicht einen Ideal-Menschen, aber doch nur einen Menschen; der Glaube sieht und hört Gott in Ihm und kennt Ihn in dem unvergleichlich gesegneten Verhältnis des Sohnes zum Vater. Er sieht eine Schönheit und Herrlichkeit in Ihm, die den Glanz alles Irdischen und Zeitlichen völlig erbleichen lässt.

„Ihn höret!" Diese kurze Aufforderung erinnert uns indes an noch etwas anderes. Moses und Elias, die Vertreter des gesetzlichen Systems, sollten jetzt verschwinden und der unvermischten Gnade, wie sie in Jesu ans Licht trat, Raum machen. An die Stelle des Gesetzes, das nichts zur Vollendung bringen konnte, sollte „die Wahrheit" treten. „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden." (Joh. 1, 17.) „Ihn höret!" Jesus allein! Will das sagen, dass Moses und Elias etwas einbüßen sollten von ihrem Werte? Keineswegs. Oder verlieren etwa die Sterne an Wert und Lieblichkeit, wenn man den Glanz der Sonne preist? Moses und Elias blieben was sie stets waren, aber es heißt jetzt nicht mehr: Höret Moses, höret Elias, sondern „höret Ihn". Alles musste dem Sohne Raum machen.

Hätte irgendetwas überraschender sein können für einen Juden? Und nun kommt noch hinzu, dass der Ruf aus der Wolke dringt, dem wohlbekannten Symbol der göttlichen Gegenwart, aus der „prachtvollen Herrlichkeit", wie Petrus sie in seinem Berichte (2. Petr. 1, 17) nennt, und ferner, dass diese Wolke sich auf alle herabsenkt, sie alle überdeckt. Mögen vielleicht auch nur Moses und Elias mit dem Herrn in die Wolke eintreten, so sind doch alle, auch die drei Jünger*), in ihrem Bereich, werden von ihr „überschattet“. Das war für einen Israeliten noch unbegreiflicher. So lesen wir denn auch: „Und als die Jünger es hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr". Aber dann rührt der Herr sie an, ermuntert sie mit den Worten: „Fürchtet euch nicht!" und als sie ihre Augen aufhoben, sahen sie „niemanden als Jesum allein". Das Gesicht ist vorüber, Moses und Elias sind verschwunden, aber Jesus ist geblieben, und aus Ihn sind ihre Augen gerichtet. Er geht auch wieder mit ihnen den Berg hinab in die Kämpfe und Schwierigkeiten des täglichen Lebens.

Jesus allein! So wird es auch einmal heißen, wenn all die Erlösten um Ihn versammelt stehen und mit Ihm kommen werden. Nicht aus sie wird das Auge gerichtet sein, sondern auf Ihn, auf Ihn allein. Alles Fleisch wird Seine Herrlichkeit sehen. Will Gott auch „verherrlicht werden in Seinen Heiligen und bewundert in —allen denen, die geglaubt haben" (2. Thess. 1, 10), so wird doch im Grunde nur Er in ihnen geschaut werden.

Und wenn wir nach dieser Zeit

dort mit Dir verherrlicht stehen,

wird doch jeder in uns sehen,

Herr, nur Deine Herrlichkeit.

Sein Name wird aus aller Lippen sein, und Sein Ausgang, den Er in Jerusalem erfüllt hat, d. i. Sein Kreuz, die Grundlage aller Gnadenwege Gottes, wird der Gegenstand unserer Unterredung mit Ihm bilden. Er wird uns ins Vaterhaus führen, und wir werden bei Ihm sein und Seine Herrlichkeit schauen von Ewigkeit zu Ewigkeit. (Joh. 17, 24.) Die Jünger mussten wieder vom Berge herab, wir werden „nie mehr hinausgehen". (Offb. 3, 12.)

Jesus allein! So spricht der Glaube heute schon dankbaren Herzens. Der Unglaube verwirft Ihn, und die menschliche Religiosität möchte zwei Hütten bauen, Ihm eine und dem frommen Fleische eine. Sie möchte Gnade und Gesetz miteinander verbinden und ihr eigenes Tun neben das Werk Christi stellen. Eitles, vermessenes Beginnen! Gott tritt für die Ehre Seines Sohnes ein, Er kann nichts neben Ihm dulden. Wenn am großen Versöhnungstage Israels, wo die Beziehungen Gottes zu dem Volke auf Grund des Sühnungswerkes festgestellt wurden, eine Seele sich vermaß, irgend eine Arbeit zu tun, so wollte Gott selbst sie aus der Mitte ihres Volkes vertilgen.

Fußnote:

*) Das Bild der irdischen Heiligen im Tausendjährigen Reiche.

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Unsere Umgebung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 27ff

Gott stellt die Seinen unter Leute und an Orte, wo alles dazu beiträgt, die geistlichen Tugenden in ihnen zu entwickeln.

Er stellt einen flinken zu einem langsamen, einen stillen zu einem geschwätzigen, damit der eine mit dem anderen Geduld üben lerne. Er bringt eine reinliche und ordnungsliebende Person mit einer schmutzigen und unordentlichen zusammen, damit beide lernen.

Unsere Umgebung ist oft nur eine Antwort auf unsere Gebete. Wir bitten um Geduld und Ausharren, und der Herr sendet Leute oder Umstände, die uns ganz außer Fassung bringen, denn „die Trübsal bewirkt Ausharren“ (Röm. 5, 3). Wir bitten um Selbstlosigkeit, und der Herr stellt uns Menschen zur Seite, die uns durch ihre Eigenliebe und Selbstsucht üben. Wir bitten um eine innigere Verbindung des Herzens mit Jesu, und der Herr zerreißt die natürlichen Liebesbande, oder lässt unsere besten Freunde uns missverstehen und gleichgültig gegen uns werden. Wir verlangen nach mehr Liebe, und siehe da, Gott bringt recht unverträgliche und unliebsame Personen aus unseren Weg und lässt sie Dinge sagen und tun, die uns tief ins Herz schneiden. Warum? Weil wir so die Bedeutung der Worte des Apostels kennen lernen: „Die Liebe ist langmütig, ist gütig; die Liebe neidet nicht; die Liebe tut nicht groß, . . . sie sucht nicht das Ihrige, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu . . . sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles“ (1. Kor. 13, 4—7).

Wir bitten um Unterwürfigkeit, und Gott schickt uns Leiden. Wir bitten um Demut und Kraft, und Gott erlaubt, dass irgend ein Engel des Satans uns quält, bis wir im Staube liegen und mit dem Apostel sagen können: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark" (2. Kor. 12, 10). Wir bitten, Jesu treuer nachfolgen zu können, und Er scheidet uns von Heimat und Verwandtschaft. Wir möchten dem Sanftmütigen und von Herzen Demütigen ähnlicher werden, und ein ganz kleiner, unscheinbarer Wirkungskreis wird uns zugeteilt; oder man reizt und beleidigt uns und bürdet uns Dinge auf, deren wir nicht schuldig sind. Wir bitten um Stille des Gemüts, und von rechts und links dringen Unruhe und Lärm aus uns ein, damit wir lernen, gleich Ihm unseren Mund nicht aufzutun, und erfahren was es heißt: „Wenn Er Ruhe schafft, wer will beunruhigen?“ (Jes. 53, 7; Hiob 34, 29).

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Betrachtungen über das zweite Buch der Könige

Bibelstelle: 2. Könige 23, 21-27

Botschafter des Heils 1913 S. 29ff

Das Passah

„Und der König gebot dem ganzen Volke und sprach: Feiert Jehova, eurem Gott, Passah, wie in diesem Buche des Bundes geschrieben steht. Denn es war kein solches Passah gefeiert worden wie dieses, von den Tagen der Richter an, welche Israel gerichtet haben, und alle Tage der Könige von Israel und der Könige von Juda; sondern im achtzehnten Jahre des Königs Josia wurde dieses Passah dem Jehova zu Jerusalem gefeiert" (V. 21‑23).

Die Feier des Passahs wird uns hier nur in einigen Worten mitgeteilt, während die Chroniken sie ausführlich beschreiben (Vergl. 2. Chron. 35, 1‑19). Die Sache ist indes in der Geschichte der Erweckung von zu großer Bedeutung, dass wir die Aufmerksamkeit unserer Leser nicht für einen Augenblick darauf richten sollten. Wir haben soeben von zwei großen Grundsätzen gesprochen, die die Erweckung des Endes kennzeichnen: von dem Bruch mit dem Götzendienst der Welt oder ihren religiösen Überlieferungen, und von der Rückkehr zu den Heiligen Schriften. Im Gefolge dieser beiden Tatsachen und als deren Furcht begegnen wir der Feier des Passahs.

Das Passah war, als Einrichtung, zunächst in Ägypten gefeiert worden, wo das Volk Israel durch das Blut des Passahlammes aus dem Land der Knechtschaft errettet wurde. Durch dieses Blut war das Gericht Gottes, das Ägypten traf, von Israel abgewendet worden. Das unter die Besprengung des Blutes gebrachte Volk aß das Passah. Das war ein Bild von der Anwendung des Opfers Christi auf uns, die ein für allemal durch den Glauben geschehen ist, und dieses Sinnbild entspricht dem, was uns in Joh. 6, 53 von dem Christen gesagt wird.

Die Gedächtnisfeier dieser Errettung kam nachher. Sie wiederholte sich jedes Jahr am 14. Tage des ersten Monats (2. Mose 12, 14. 26. 27. 45). Diese Gedächtnisfeier wurde vom ganzen Volke begangen. Unter geregelten Verhältnissen durfte niemand davon wegbleiben, da er sonst „ausgerottet werden sollte aus seinen Völkern". Als erste Bedingung musste man beschnitten sein (2. Mose 12, 48). Dieses Zeichen war das Bild der Absonderung für Gott durch das Gericht über die Sünde und das Hinwegtun des Fleisches. Beim Eintritt in das Land Kanaan, nach dem Durchzug durch den Jordan, wurden daher auch alle die, deren Väter in der Wüste gefallen waren' und die nicht beschnitten waren, zu Gilgal beschnitten. „Die Schande Ägyptens" wurde so von ihnen abgewälzt und sie konnten das Passah in den Ebenen von Jericho feiern (Jos. 5, 6‑12).

Durch die Tatsache, dass sie einem erlösten und beschnittenen Volke gegeben war, wurde diese Gedächtnisfeier dass Sinnbild der Einheit des Volkes Gottes. In dem Passah erblicken wir daher, neben der Erinnerung an die Erlösung, die Verkündigung der Einheit des Volkes.

Der Geist Gottes redet von der Feier des Passah als einer grundlegenden Anordnung zuerst während der Reise durch die Wüste (4. Mose 9, 1‑14), und dann beim Einzug in Kanaan (Jos. 5, 10). Von da an erwähnt das Wort das Passah nicht mehr bis zu den Tagen Hiskias; nicht dass es unter den Richtern, unter David, Salomo und den Königen niemals beobachtet worden wäre, aber es war nicht der besondere, von dem Heiligen Geist vorgestellte Gegenstand. Dagegen sehen wir die Feste des siebenten Monats, vor allem das Laubhüttenfest, unter der Regierung Salomos einen hervorragenden Platz einnehmen.

Bei der Erweckung zur Zeit Hiskias wurde das Passah nicht am 14. Tage des ersten Monats, sondern an demselben Tage des zweiten Monats gefeiert (2. Chron. 30, 15), einem Tag, der durch das Wort für diejenigen gutgeheißen war, die zur Zeit der Feier dieses Festes unrein waren oder sich auf der Reise befanden (4. Mose 9, 11). Bei den Priestern in den Tagen Hiskias war es so, dass sie zur Zeit des Festes unrein waren; sie hatten es an dem Eifer, sich zu reinigen, fehlen lassen, und Hiskia handelte demgemäß. Das Passah bei Josia wurde an dem ursprünglich von Gott festgesetzten Tage im ersten Monat gefeiert (2. Chron. 35, 1). Das Bedürfnis, sich für Jehova zu heiligen, war da viel allgemeiner als unter Hiskia, denn das Wort Gottes wurde besser verstanden, und der Wunsch, Ihm zu gehorchen, war wirklicher.

Auch zur Zeit Esras wurde das Passah von den "Kindern der Wegführung" an dem dazu bestimmten Tage gefeiert, „denn die Priester und die Leviten hatten sich gereinigt wie ein Mann" (Esra 6, 19. 20).

Je weiter wir also in der Geschichte des Verfalls des Volkes Gottes voranschreiten, desto bedeutsamer wird das Passah und der dazu passende Seelenzustand für die Treuen; und ‑ eine ganz merkwürdige Sache! ‑ das Zeichen der Einheit des Volkes wird um so wichtiger, je mehr dieses Volk durch den Verfall zerstreut wird.

Ist es nötig, hinzuzufügen, dass diese Wahrheiten den jetzigen Zeiten entsprechen? Das Abendmahl des Herrn, das in der Nacht, in welcher der Herr Jesus überliefert wurde, als Gedächtnisfeier an die Stelle des jüdischen Passahs trat, ist bereitet und der Tisch des Herrn errichtet für das erlöste Volk, und nur für dieses. Der Tod des Herrn wird dort verkündigt, bis Er wiederkommt. Dieser Tisch ist zu gleicher Zeit der Mittelpunkt des Zusammenkommens für das Volk Gottes und die Verkündigung der Einheit des Leibes Christi (1. Kor. 10, 17), selbst in einer Zeit, wo scheinbar alles dieser Wahrheit widerspricht, wo man sogar diejenigen, die sie verkündigen, verlacht und verspottet, wie zur Zeit Hiskias (2. Chron. 30, 10).

Die Geschichte des Passahs ist damit nicht zu Ende, und wird tatsächlich nie zu Ende kommen. Ein williges Volk wird es noch während der tausendjährigen Herrlichkeit Christi auf der Erde feiern (Hesekiel 45, 21). Zugleich wird es in dem himmlichen Reiche gefeiert werden, wenn die verherrlichten Heiligen um das geschlachtete Lamm versammelt sind (Offbg. 5).

So bleibt von dem Augenblick an, da eine Erlösung bewirkt worden ist, das Gedächtnis an Den, der sie für das Volk Gottes erworben hat, durch alles hindurch bestehen und wird bis in Ewigkeit fortdauern. Die Erinnerung an den Tod Christi ist immer nötig, denn Sein Tod ist die einzige Grundlage jeder Segnung.

Kehren wir jetzt zu dem Passah Josias zurück. Die Erzählung unseres Buches wird, obwohl sie sehr kurz ist, durch ein wichtiges Wort gekennzeichnet. Es lautet: "wie in diesem Buche des Bundes geschrieben steht" (V. 21). Allerdings war auch unter Hiskia (wie wir in der Chronika sehen) das Volk gekommen, um es "nach dem Worte Jehovas" und "nach dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes" (2. Chron. 30, 12. 16) ' zu feiern, aber unter Josia nimmt das wunderbarerweise im Tempel erhaltene und wiedergefundene geschriebene Wort eine noch größere Bedeutung an. Ohne das Wort sollte nichts von dem, was jene Gedächtnisfeier anging, stattfinden. „Nach der Schrift Davids und nach der Schrift seines Sohnes Salomo" sollte man sich dafür bereiten (2. Chron. 35, 4); "nach dem Worte Jehovas durch Mose" sollte man das Passah bereiten (V. 6); "wie im Buche Moses geschrieben steht", sollte man Jehova das Opfer darbringen (V. 12); "nach der Vorschrift " sollte man es am Feuer braten (V. 13); "nach dem Gebote Davids und Asaphs und Hemans und Jeduthuns, des Sehers des Königs", nahm jeder seinen Platz ein, um die Gott wohlgefällige Ordnung beim Singen und Loben zu beobachten (V. 15). Und alles geschah „nach dem Gebote des Königs Josia" (V. 16), das heißt, das Werkzeug dieser Erweckung hatte Verständnis, um nur das anzuordnen und zu gebieten, was mit den Schriften übereinstimmte.

Lasst uns das zu Herzen nehmen. Josia hatte eine Botschaft von Jehova erhalten (2. Kön. 22, 20) und wusste genau, dass er, indem er So handelte, das kommende Gericht nicht aufhalten konnte; er wusste auch, dass er vor dem Unglück weggenommen werden würde, und dass seine Augen es nicht sehen würden; aber er hatte nur einen Gedanken ‑ Indem er den Schimpf, der Jehova und Seinem Dienst angetan worden war, mit tiefer Demütigung fühlte, drängte es ihn, Ihn inmitten des Verfalls Israels zu ehren, gerade an dem Ort, wo Er verunehrt worden war; er verurteilte durch sein ganzes Verhalten die Schändlichkeiten, die unter dem Deckmantel der Religion in Juda begangen worden waren; er demütigte sich wegen dieses Abfalls, als wenn er die Verantwortlichkeit dafür ebenso gut trüge wie die anderen, aber seine ganze Tätigkeit richtete sich, ohne etwas davon wegzunehmen, auf den Dienst Jehovas und die Reinigung eines abgesonderten Volkes für Ihn, so erniedrigt und zerstreut dieses auch sein mochte.

Das Zeitalter Josias war nicht, wie das Zeitalter Hiskias, durch besondere Angriffe des Feindes, durch Prüfungen von innen und außen gekennzeichnet. Es war eine verhältnismäßig friedliche Zeit, wo die Gleichgültigkeit sicher mehr verbreitet war als der Hass; aber während die Welt sich ruhig verhielt und alles seinen Gang gehen ließ, benutzte Josia die kurze Windstille, um die eifrigste Tätigkeit im Dienst seines Herrn zu entfalten.

Unsere Zeit ist, wie bereits gesagt, jener ähnlich, und die Gläubigen haben in ihr die gleiche Stellung und die gleichen Pflichten. Möchten wir diese Tage des Endes, die verhältnismäßig ruhig sind, um von diesen drei Dingen Zeugnis zu geben: 1. von der Trennung von der religiösen und nicht­religiösen Welt, die uns umgibt, 2. von dem Festhalten an den Schriften und 3. von dem Zusammenkommen der Kinder Gottes an dem Tische des Herrn, bis Er kommt!

Unser Kapitel fügt noch hinzu: „Alle Scheusale, die im Lande Juda und in Jerusalem gesehen wurden, schaffte Josia hinweg, um die Worte des Gesetzes auszuführen, die in dem Buche geschrieben standen" (V. 24). So übte Josia bis ans Ende seiner Laufbahn praktisch die Vorschriften aus, die er in den Schriften gefunden hatte. Es hat keinen König, weder vor noch nach ihm gegeben, der ihm ähnlich gewesen wäre; und das lag nicht an seinem persönlichen Verdienst noch an seiner Gerechtigkeit, sondern an der Tatsache, dass das Wort Gottes, das in seinem Herzen mit dem Glauben vermischt war, zu einem untrennbaren Bestandteil seiner selbst geworden war.

KAPITEL 23, 28‑30 Der Pharao Neko

Das Ende Josias entspricht nicht den Segnungen im Anfang seiner Regierung. Wir haben gesehen, dass Gott ihm in besonderer Gnade äußere Ruhe geschenkt hatte, so dass sein Zeugnis sich in Frieden entfalten konnte, und Josia selbst war es, der sich verleiten ließ, Krieg zu suchen. Der Augenblick war gekommen, in dem nach der Prophezeiung die Macht Assyriens, die' so schwer auf allen Völkern gelastet hatte, gebrochen werden sollte, um der Weltherrschaft Babels Platz zu seinem Herzen mit dem Glauben vermischt war, zu einem machen. Neko zieht mit dem ägyptischen Heer gegen den König von Assyrien herauf. Josia nimmt Partei für den Assyrer gegen den Pharao, was Gott ihm keineswegs geboten hatte. Was hatte er damit zu tun, das schwankende Gebäude dieser Macht zu stützen, die von jeher ein grausamer Feind Israels gewesen war? Er wusste durch die Propheten, dass der endgültige Untergang des Assyrers nahe bevorstand. Hatte er von seiten Gottes den Auftrag, die Weltereignisse zu korrigieren oder ihnen seine Unterstützung zu leihen? In dem Zustand der Welt gibt es nach Gottes Urteil nichts, was verbesserungsfähig wäre, und wir wissen, dass sie schon gerichtet ist. Josia war von dem ganzen Lauf der Welt abgesondert worden, um Jehova und dem Volke Jehovas zu dienen, und nun mischt er sich in die Politik! Die Folgen lassen nicht auf sich warten: die Welt straft uns für unsere Einmischung in ihre Angelegenheiten. „Was haben wir miteinander zu schaffen?" lässt ihm der Pharao sagen, der das Bewusstsein hatte, ein Werkzeug Gottes zu sein. "Gott ist mit mir ... Gott hat gesagt, dass ich eilen solle", und: „die Worte Nekos kamen aus dem Munde Gottes" (2. Chron. 35, 20‑22). Von dem Augenblick an, da Josia diesen Weg betritt, verliert er das Unterscheidungsvermögen für die Gedanken Jehovas und weiß die Worte Seines Mundes nicht mehr zu erkennen. So ist es immer. Geistliches Verständnis und wahre Kenntnis des Wortes sind verbunden mit wahrer Trennung von allem, woraus die Welt besteht, einschließlich ihrer Politik. überdies würde ein Kind Gottes immer ein schlechter Diplomat sein, weil es nicht vermeiden kann, sich durch sittliche Grundsätze leiten zu lassen, um die die Welt sich nicht kümmert. Andererseits freilich, wer könnte die Zukunft der Welt so kennen wie der Christ? Ein einfaches Kind im Glauben, das am Worte Gottes hängt wird durch seine Kenntnis der Zukunft klüger sein als die größten Politiker; denn es kennt alle Einzelheiten der zukünftigen Dinge nach der Offenbarung, die Gott ihm darüber gegeben hat.

Josia muss für sein Tun büßen, denn eine solche Einmischung war eine schwere Untreue für einen Mann, der, wie er, mit Segnungen und mit der Gemeinschaft seines Gottes begünstigt worden war. Er wird von dem Pharao zu Megiddo getötet und in seinem Begräbnis beerdigt. Jeremia stimmt über das Ende dieses frommen Knechtes Jehovas ein Klagelied an (2. Chron. 35, 25).

KAPITEL 23, 31‑35 Der endgültige Zusammenbruch - Joahas

Die ganze Gunst Gottes unter der Regierung Josias, der Segen und die Freude, womit Jehova das Herz des Volkes erfüllt hatte, blieben ohne irgendwelches Ergebnis für die Nachfolger dieses Königs. Joahas, der vom Volke erwählt und an Stelle seines Vaters zum König gemacht wurde, „tat was böse war in den Augen Jehovas, nach allem was seine Väter getan hatten (V. 32). Er steht nicht mit Josia in Verbindung, sondern mit seinen ungläubigen und götzendienerischen Vätern. Er gehört nicht zu dem Geschlecht des Glaubens. Es ist nicht möglich, Josia oder Abraham zum Vater zu haben, ohne der Buße würdige Früchte hervorzubringen. Die Axt war jetzt an die Wurzel des Baumes gelegt, das Königtum lag in seinen letzten Zuckungen, um endgültig von Juda abgeschnitten zu werden. Die dem Volk Gottes entsprossenen Mütter sind fernerhin ohne Einfluss, sei es dass keine Ohren da waren, auf sie zu hören, sei es dass sie selbst an dem Verderben teilnahmen. Hamutal, das Weib Josias und die Mutter des Joahas, war eine Tochter Jeremias von Libna und anscheinend aus priesterlichem Geschlecht (Vergl. Josua 21, 13). Ihr Sohn regierte nur drei Monate und fand doch Zeit, Böses zu tun und durch sein Verhalten gegen Gott dem entgegenzuwirken, was

Josia aufgerichtet hatte. Der Pharao Neko rächt sich an ihm wegen des Widerstandes Josias, der törichterweise zur Unterstützung des Assyrers den Marsch des ägyptischen Heeres hatte aufhalten wollen. Gefesselt wird Joahas nach Ägypten gebracht und stirbt dort. Der Pharao kümmert sich gar nicht um dieses vom Volk errichtete Königtum. Jeremia weissagt über ihn: „Weinet nicht um den Toten und beklaget ihn nicht; weinet vielmehr um den Weggezogenen, denn er wird nicht mehr zurückkehren und das Land seiner Geburt sehen. Denn so spricht Jehova von Schallum,*) dem Sohne Josias, dem König von Juda, welcher König ward an seines Vaters Josias Statt und der aus diesem Orte weggezogen ist: er wird nicht mehr hierher zurückkehren; sondern an dem Orte, wohin sie ihn weggeführt haben, daselbst wird er sterben, und er wird dieses Land nicht wiedersehen" (Jeremia 22, 10‑12). Neko nimmt Eljakim, den Sohn Josias, und macht ihn zum König „an Josias , seines Vaters, Statt", indem er seinen Namen in Jojakim umwandelt; dieser wird Knecht und Tributpflichtiger des Königs von Ägypten und gibt dem Pharao das Gold und Silber, das er nach seiner Schätzung eines jeden von dem Volke eingetrieben hatte.

KAPITEL 23, 36-24 , 7 Jojakim

Für die Mutter Jojakim gilt das gleiche wie für die Mutter des Joahas. Sie hieß Sebudda und war die Tochter Pedajas, von Ruma" welches (wahrscheinlich) eine der Städte Judas war. Jojakim, der anfangs dem Pharao tributpflichtig war, kommt nachher in das gleiche Verhältnis zu Nebukadnezar, dessen Herrschaft im vierten Jahre Jojakims begann. Jehovas Warnungen wurden in reichem Maße durch Jeremia (Jer. 22, 13‑19) und andere Propheten an ihn gerichtet, fanden aber keine Be­achtung. Er tötete Urija, den Propheten, der gegen Jerusalem und gegen Juda geweissagt hatte, der dann aber, da es ihm angesichts der mörderischen Pläne des Königs an Glauben mangelte, nach Ägypten geflohen war (Jer. 26, 20‑23). Jeremia befand sich in der gleichen Gefahr, aber er stützte sich auf das Wort Jehovas: "Siehe, ich mache dich heute zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land, sowohl wider die Könige von Juda als auch dessen Fürsten, dessen Priester und das Volk des Landes. Und sie werden gegen dich streiten, aber dich nicht überwältigen; denn ich bin mit dir, spricht Jehova, um dich zu erretten" (Jer. 1, 18. 19; siehe auch Kap. 6, 27; 15, 20. 21). Jehova wachte über ihn nach diesem Worte. Als z. B. der König in seinem Unglauben die Rolle der Weissagung Jeremias mit einem Messer zerschnitten und ins Feuer geworfen hatte, und sodann den Propheten und seinen treuen Gefährten Baruch zu ergreifen suchte, hören wir: „aber Jehova hatte sie verborgen" (Jer. 36, 20‑26).

Vom dreizehnten Jahre des treuen Josia an, als das Volk sich noch des Wohlergehens erfreute, das die Treue des Königs ihm verschaffte, hatte Jeremia angefangen zu weissagen, aber das Volk hatte nicht darauf gehört. Dann kündigte der Prophet die siebzigjährige Gefangenschaft unter dem Joche Babels an (Jer. 25, 11), weiter das Los aller Nationen, an deren Spitze er Jerusalem setzte, indem er es den heidnischen Völkern gleichstellte, und schließlich das Los Babels selbst (Jer. 25, 17‑29). Diese Aufzählung lässt verstehen, was die durch Babel errichtete allgemeine Monarchie war, so kurz deren Herrschaft im Vergleich mit der lange dauernden assyrischen Herrschaft auch gewesen ist; doch Assyrien hat nie ein zusammenhängen­des, festgegründetes und allgemein anerkanntes Reich gebildet, wie das Reich Babels war.

Nachdem Jojakim seinen Herrn gewechselt hatte, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als sich gegen Nebukadnezar zu empören. Sein Land war teilweise schon die Beute seiner Nachbarn geworden (Kap. 24, 2), da zog auch dieser König gegen ihn herauf und band ihn mit ehernen Fesseln, um ihn nach Babel zu führen (2. Chron. 36, 6). Durch Jeremia erfahren wir den Ausspruch Jehovas in Bezug auf ihn: "Darum spricht Jehova also über Jojakim, den König von Juda: Er wird niemand haben, der auf dem Throne Davids sitze; und sein Leichnam wird hingeworfen sein der Hitze bei Tage und der Kälte bei Nacht" (Jer. 36, 30).

"Fürwahr, nach dem Befehle Jehovas geschah dieses wider Juda, um es vor seinem Angesicht hinwegzutun, wegen der Sünden Manasses, nach allem was er getan hatte; und auch wegen des unschuldigen Blutes, das er vergossen, da er Jerusalem mit unschuldigem Blute erfüllt hatte. Und Jehova wollte nicht vergeben" (Kap. 24, 3. 4). Seit den Tagen Manasses war der unwiderrufliche Ausspruch von ‑ seiten Jehovas ergangen; aber dessen Ausführung wäre, wie bei Josia, so auch bei seinen Nachfolgern zurückgehalten worden, wenn sie nur hätten hören wollen (Jer. 25. 1‑11). Für das schließliche Gericht gab es zwei Ursachen: den Götzendienst und das unschuldige Blut; und Jojakim hatte, wie Manasse, unschuldiges Blut nach Möglichkeit vergossen in Jerusalem, das seine Propheten tötete und steinigte die zu ihm gesandt waren.

„Aber der König von Ägypten zog fortan nicht mehr aus seinem Lande; denn der König von Babel hatte von dem Flusse Ägyptens an bis zum Strome Phrat alles genommen, was dem König von Ägypten gehört hatte" (Kap. 24, 7).

Fußnote:

Derselbe wie Joahas; vergl. 1. Chronika 3,15, 2. Chronika 36,1

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Christliche Liebestätigkeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 42ff

Die allgemeine christliche Liebestätigkeit hat auf die Welt einen großen Einfluss ausgeübt, und zwar nicht nur da, wo man sich zum Christentum bekennt, sondern auch in den Kreisen, wo Unglaube und ausgesprochene Feindschaft gegen Christum herrschen. Man kann ruhig sagen, dass die Sorge für Arme, Kranke, Schwache allgemein als eine Pflicht der menschlichen Gesellschaft anerkannt wird. Das beweisen die zahlreichen, aus Staatsmitteln oder freiwilligen Spenden gegründeten Anstalten und Heilstätten um uns her, sowie die vielen Barmherzigen Schwestern, Diakonissen, Pflegerinnen u. s. w., deren aufopfernder und entsagungsreicher Dienst unsere Bewunderung hervorruft.

Im Blick auf all das Elend um uns her können wir uns nur darüber freuen und dem Herrn dafür danken, wenn auch auf Grund des Wortes Gottes manches an der Art der Liebestätigkeit auszusetzen sein mag; und wir sollten uns im Eifer nicht von denen beschämen lassen, welche in vielleicht unrichtigen Verbindungen oder aus irdischen Beweggründen die guten Wirkungen der Wahrheit nachahmen. Mit Freuden ist es zu begrüßen, dass auch in der Mitte der Gläubigen die Zahl der Schwestern wächst, welche den Beruf der Krankenpflege ergriffen haben. Nur möchten wir diesen ans Herz legen, sich hinsichtlich ihres Dienstes ganz vom Wort belehren und leiten zu lassen, denn — um mit einem anderen Bruder zu reden — „die Wahrheit muss der Gürtel sein, mit welchem wir uns für jede Art Tätigkeit umgürten“.

Zunächst wollen wir es uns ins Gedächtnis rufen, dass der Pflegedienst an sich ein Beruf ist wie jeder andere, und dass die Krankenschwester vor Gott nichts vor ihren Mitschwestern voraus hat. Titel und Tracht ändern daran nichts.

Wohl beurteilt der Mensch die Berufe verschieden, je nach ihrer Bedeutung und dem Nutzen, den sie der Allgemeinheit bringen. Er schätzt z. B. den Beruf des Arztes höher ein, als den des Fabrikarbeiters, auch den der Krankenschwester höher, als den des Dienstmädchens. Im Lichte Gottes verschwinden aber diese Unterschiede. Auf der Waage des Heiligtums, die unser Herr in der Hand hält, fällt es gar nicht ins Gewicht, welche Art Arbeit der Gläubige leistet, sondern ob er sie für Christum und in Treue tut. Die eine Schwester mag die Aufgabe haben, das Vieh zu füttern, die andere, Kinder zu erziehen, die dritte, Kranke zu pflegen, die vierte, Schuhe zu wichsen — vor Gott ist die eine Arbeit nicht minder wert, als die andere. Zum alleinigen Maßstab dient die Treue, mit der jede Schwester den ihr von Gott angewiesenen Platz ausfüllt. Und wer den Herrn Jesum lieb hat und Ihm seine Arbeit tut, wird da, wo Gott ihn hingestellt hat, „im Fleiße nicht säumig" sein, und auch jede Nachlässigkeit verurteilen, weil er weiß, dass Gottes Auge auf ihm ruht. Andererseits wird das Bewusstsein dieser heiligen Beziehungen ihn vor übermäßigem, hastigem Treiben bewahren. Er ist ja nicht für die Arbeit, sondern für Christum geschaffen, und das zarte Schlagen eines hingebenden Herzens hört sowohl bei Trägheit als auch im Drange fiebriger Tätigkeit auf. Die Fürsorge Gottes gibt sich darin kund, dass Er einem jeden einen Beruf gegeben hat, dem er mit Fleiß und Treue nachgehen soll, „auf dass er ehrbar wandle gegen die, welche draußen sind, und niemandes bedürfe". (1. Thess. 4, 12.) Der Beruf schafft uns Nahrung und Kleidung, macht uns von der Hilfe anderer unabhängig und dient uns zugleich als der äußere Bereich unseres Zeugnisses von Gott, in welchem „wir die Lehre, die unseres Heilandes Gottes ist, zieren sollen in allem". (Vgl. Tit. 2, 10.) In unserem Berufe haben wir das Leben Jesu zu leben, sollen die Welt sehen lassen, dass wir etwas besitzen, was sie nicht hat, und dass wir einen Frieden genießen, den sie nicht kennt.

Alles was wir tun, können wir ja zu einem Dienst für den Herrn machen. Den Knechten wird in Kol. 3 gesagt: „Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen .... ; ihr dienet dem Herrn Christo". Sind wir nun bei unserer Arbeit unzufrieden, unlustig, dann wird die Welt glauben, dass der Herr, dem wir dienen, ein harter Mann, und unsere Stellung eine trübselige sei. Und weil wir eben in unserem Berufe dem Herrn dienen, mögen wir uns auch hüten, wegen der aus jedem Wege liegenden Prüfungen und Schwierigkeiten unsere Beschäftigung schnell zu wechseln und so eigenwillig den Pfad, auf welchen Gott unsere Füße gesetzt hat, zu verlassen. „Ein jeder, worin er berufen worden ist, darin bleibe er bei Gott" (1. Kor. 7, 24). Ich muss mich angesichts der Schwierigkeiten fragen, ob ich mit Gott in meiner jetzigen Beschäftigung bleiben kann, und kann ich das, so soll ich ruhig abwarten, ob Er mir den Weg, fortzugehen, öffnet. Ist es nicht ein trostreicher Gedanke, dass unser Herr selbst, dessen Weg aus Erden, auch vor der Zeit Seines öffentlichen Dienstes, kein leichter und bequemer war, doch ruhig in der Arbeit ausharrte und sie willig tat, so lange der Vater sie Ihm zu tun gab? Er arbeitete ja wahrscheinlich in der Werkstätte Seines Vaters zu Nazareth. „Ist dieser nicht der Zimmermann?“ fragen die Leute in Mark. 6, 3. Auch das ist zur Belehrung und Ermunterung für uns geschrieben.

Eine Schwester, die ihren bisherigen Beruf aufgeben will, um dem Herrn, wie sie meint, .als Krankenschwester besser dienen zu können, wird daher gut tun, vor allem den Herrn um Licht und Leitung zu bitten und sich vor Ihm darüber klar zu werden, ob sie wechseln soll. Unser Herz ist trügerisch und lässt uns häufig den eigenen Neigungen nachgehen, wenn wir meinen, dem Herrn zu folgen. Es treibt uns vielleicht dazu, dem Herrn öffentlich und nach außen wirksam zu dienen, während wir nach Gottes Willen ein stilles, wenig beachtetes Zeugnis sein sollten. Möglicherweise verleitet uns ein gewisses Gefühl der eigenen Wichtigkeit zum Verlassen des alten Berufes. Das Fleisch liebt ja einen Dienst zu wählen, in welchem es glänzen und Anerkennung finden kann, wenn auch dabei das h anvertraute Maß der Gnadengabe überschritten und die wirklich verliehene Gabe, weil sie zu unbedeutend erscheint, vernachlässigt wird. Eine Veranlassung ernsterer Art zum Berufswechsel kann auch darin liegen, dass wir in der alten Stellung zum Anhören übler und gotteslästerlicher Gespräche gezwungen werden, oder durch die Handlungen unserer Umgebung in Gewissensübungen geraten, oder uns des Zeugnisses wegen Feindseligkeiten gefallen lassen müssen. Aber selbst in einer solchen Lage, vorausgesetzt, dass wir uns nicht, wie Lot, um weltlichen Gewinnes willen diesen Gefahren ausgesetzt haben, kann es der Wille Gottes sein, dass wir wenigstens vorläufig zum Zeugnis dort ausharren und uns an dem Trost genügen lassen: „Wenn eines Mannes Wege Jehova wohlgefallen, so lässt Er selbst seine Feinde mit ihm in Frieden sein" (Spr. 16, 7). Der Herr bewegte sich ja auch aus einem Schauplatz, wo alles Seinem Wesen entgegen war, und wo Er still den „großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldete" (Hebr. 12, 3). Besser ist es unter allen Umständen, auf dem Wege, den Er uns führt, Seine Kraft und Seinen Segen zu suchen, als einen eigenen Weg zu wählen.

Darum möge jede Schwester, die ihren alten Beruf gegen den neuen der Krankenpflege — sei es im Inland oder Ausland — umtauschen will, sich vorher über diesen Schritt vor dem Herrn klar werden, auf Ihn geduldig warten und Ihm alles anbefehlen. „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben" (Joh. 8, 12.) Und: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein" (Matth. 6, 22), oder auf den vorliegenden Fall angewandt: Wenn dein Auge auf Ihn gerichtet ist, wird Sein Licht dir deinen Weg klar zeigen.

Keine Schwester denke, dass sie durch einen solchen Berufswechsel an sich Gott näher gekommen sei. Sie hat bloß den Platz gewechselt, an welchem sie Gott dienen und für Ihn zeugen kann. Der Beruf bedeutet ja nicht Hingabe. Die Herzenshingebung knüpft wohl an den Beruf an, begnügt sich aber nicht mit der treuen Erfüllung der jeweiligen Berufspflichten, sondern fühlt sich gedrängt zu Bemühungen der Liebe gegen andere. Es ist unmöglich, den Herrn zu lieben, ohne auch Ihm und den Geschwistern zu dienen, und ein Herz, das in Gemeinschaft mit Gott Christum zu seinem ersten Gegenstand macht, besitzt die Triebfeder und Kraft des wahren Dienstes. Für alle Kinder Gottes, in welchem Berufe sie auch stehen mögen, gilt gleichmäßig die Mahnung Pauli: „Durch die Liebe dienet einander!" (Gal. 5, 13).

Wie der gemeinsame Glaube alle umfasst, so auch umfasst alle die. gleiche Liebe im Dienst, und einem jeden von uns ist diese Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus, aus dass wir sie zum Besten anderer gebrauchen. Zwar sind die Gaben verschieden, aber es gibt kein einziges Glied des Leibes Christi, welches nicht anderen nützlich sein soll. Ich denke jetzt nicht so sehr an die besonderen Gaben des Dienstes zur Vollendung der Heiligen in Eph. 4, 11. 12, als vielmehr an den gegenseitigen Dienst aller Glieder des Leibes zu seiner Selbstauferbauung in Liebe, wovon der Apostel im 16. Verse desselben Kapitels redet. Der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, bewirkt für sich das Wachstum des Leibes nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles. In dieser Weise dient Christus, das Haupt, den Gliedern Seines Leibes mittels der Glieder. Christi Leben steht vor ihrer Seele, und Christi Tod leitet ihr Herz. Denn „Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist" (2. Kor. 5, 15).

An diesem Dienst, dessen Grundsatz also die Liebe zum Herrn und zu den Seinigen ist, sollten alle Geschwister — wie sehr sie sich auch äußerlich durch Beruf und Stand unterscheiden mögen — ausnahmslos teilnehmen, und zwar in der Gnade, aus welche das Wort die ganze Ordnung des Zusammenlebens der Geschwister zurückführt. Römer 12, welches Kapitel zur Hingebung aus Grund der Erbarmungen Gottes auffordert, stellt alle Tätigkeiten inmitten der Versammlung wie: Weissagung, Dienst, Lehre, Ermahnung, Wohltätigkeit, Leitung, Barmherzigkeit, als aus Gnadengaben beruhend dar. Wenn nun auch Gott hinsichtlich dieser Dienste an unseren Beruf und an die darin gewonnenen Fähigkeiten anknüpfst, so dürfen doch nicht diese, sondern nur die Erkenntnis Gottes und Christi, sowie die Liebe zu Ihm die Quelle unserer Kraft im Dienste sein. Da das so ist und nach Eph. 4 alle Glieder des Leibes berufen sind, einander zu dienen, so dürfen wir nicht Teile dieses Dienstes von uns ab in andere bestimmte Hände legen, auch nicht das Wohltun und die Krankenpflege nach den Gedanken der Welt regeln und als fest begrenzte Einrichtungen in unsere Mitte verpflanzen. Gott wünscht nicht, dass wir die Grundlage verbessern, auf der es Ihm gefällt, Seine Kinder zu trösten und zu segnen.

Die Krankenpflege ist also ein Beruf, der an und für sich nicht höher steht als jeder andere. Aber welch ein schöner Beruf! Es gibt wohl keinen, der einem Bruder oder einer Schwester so viele Gelegenheiten gäbe, der Ausdruck des liebevollen Herzens des Herrn Jesus, der Welt und den Seinen gegenüber, zu sein; wohl auch kaum einen, in dem für die Verkündigung des kostbaren Evangeliums so viel Raum gegeben wäre. Es gibt aber auch vielleicht keinen Beruf, in welchem der Dienst für den Herrn so viel Selbstlosigkeit und Geduld erfordert, wie gerade die Krankenpflege.

Darum drängt es mich, die Herzen der Krankenpfleger und -pflegerinnen, welche diese Betrachtung lesen, auf Ihn zu lenken, der „umherging wohltuend und heilend" (Apg. 10, 38), um durch das Vorhalten dieses erhabenen Vorbildes die Energie ihrer neuen Natur zu wecken und zum Eifer und zu wachsender Hingabe in dem Dienste anzufachen.

Er, der „alle Dinge durch das Wort Seiner Macht trägt“, Er erniedrigte sich, um auf der Erde allen Menschen zu dienen. Von Seiner ganzen Laufbahn hienieden lesen wir, dass Er sich zu nichts machte. Er ließ sich in Seiner Liebe so weit herab, dass Er den niedrigsten Dienst an Seinen Jüngern erfüllte und ihnen die Füße wusch. Welch ein Beispiel ist dieser willige, demütige Dienst! Wir sind sehr geneigt, zu dienen, um uns selbst hervorzutun und uns in den Vordergrund zu stellen. Und wenn wir bedenken, dass die Krankenpflege in besonderer Weise die Anerkennung und das Lob der Menschen findet, wie nahe liegt es dann, die Gesinnung des Zauberers Simon zu haben, der „von sich selbst sagte, dass er etwas Großes sei“ (Apg. 8, 9), statt den Dienst in der stillen, selbstlosen Weise unseres Herrn zu tun. Seine Liebe zu den Menschen „tat nicht groß", „blähte sich nicht auf“, „suchte nicht das Ihrige". Ein Dienst, der nicht in Demut getan wird, kann deshalb nicht von Ihm kommen, noch Ihm wohlgefällig sein.

Betrachte Ihn denn, lieber Bruder, teure Schwester, in der Demut und Treue, mit welcher Er, der vollkommene Diener, alles tat, was Ihm der Vater zu tun gab. „Der Herr, Jehova“, konnte Er sagen, „hat mir das Ohr geöffnet, und ich, ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen“ (Jes. 50, 5). Betrachte Ihn, damit du lernest, „alles zu tun, was du mit deiner Kraft zu tun vermagst“ (Prediger 9, 10), und willig den niedrigsten, von der Welt nicht beachteten Dienst auszuführen, der an dich herantritt, und „den Tag der kleinen Dinge nicht zu verachten". (Vgl. Sach. 4, 10.) Wie tröstlich, dass selbst die kleinste Handreichung deinen Kranken, sei es das Bringen eines Glases Wasser nur, oder das Zurechtlegen des Kissens, wenn du sie im Namen des Herrn tust, Ihm schon ein wohlgefälliger, annehmbarer Dienst ist!

Vor allem lerne Sein Herz kennen, wie es sich hier auf der Erde zeigte, und du wirst dadurch lernen, die Herzen der Kranken und Betrübten zu erreichen; wird doch" von Ihm gesagt: „Der Herr, Jehova, hat mir eine Zunge der Belehrten gegeben, damit ich wisse, den Müden durch ein Wort aufzurichten" (Jes. 50,4). Du siehst hier in das Herz des Herrn Jesu hinein, in ein Herz voll zarten Mitgefühls, in ein Herz, für welches „die Müden" der Gegenstand besonderer Sorge sind. Und dieser Herr steht dir zur Seite und hilft dir, dich selbst zu vergessen, um den Weg anderer zu erhellen, Kranke zu trösten, ihre Schmerzen zu lindern, Müde auszurichten.

Welch schönen Dienst hast du! Sicher ist er auch von vielen Prüfungen, zugleich aber auch von reichem Trost begleitet. Das hat der Herr selbst in reichlichem Maße erfahren. Er, der nur tat, was Seinem Vater wohlgefiel, Er, der stets wusste, den Müden durch ein Wort auszurichten, sah sich genötigt, Sein Angesicht wie einen Kieselstein zu machen, um nicht von dem schweren Wege abgewandt zu werden, den Er betreten hatte. Zugleich aber stand Er in dem Bewusstsein, dass Er nicht beschämt werden würde. (Vgl. Jes. 50.) Er versteht dich daher in allen Schwierigkeiten, die dein Beruf mit sich bringt. Auch hat Er ein volles Verständnis für deine Lage, wenn du unter dem Druck des Enttäuschtseins, des Ausbleibens der Erfolge, des Mangels an Anerkennung deiner aufrichtigen Bemühungen etc. einhergehen solltest.

Der Wunsch, verstanden zu werden, liegt nun einmal tief in der menschlichen Natur. Auch in solcher Anfechtung blicke auf den Herrn! Als die Städte, in denen Er die meisten Wunderwerke getan hatte, Chorazin, Bethsaida und Kapernaum, nicht auf Ihn achteten und keine Buße taten, richtete Er Sein Auge nach oben und sprach: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir“ (Matth. 11, 25. 26). Unverstanden und nicht anerkannt von den Menschen, denen Er doch so viel Gutes getan hatte, erquickte Ihn der Gedanke, dass die Ratschlüsse Seines Vaters in Erfüllung gingen, und dass der Vater Ihn kannte. Er ruhte völlig in Seiner Liebe. Nimm auch du zu Ihm deine Zuflucht! Er vergisst die nicht, welche in Seinem Namen mit willigem Herzen dienen, wenn es auch so scheinen möchte, als bliebe der Erfolg aus und als wäre der Dienst wenig nützlich. Eine unverwelkliche Krone der Herrlichkeit und Sein Lob wird ihnen werden bei Seinem Erscheinen.

Aber das wollen wir alle, die wir dem Herrn zu dienen wünschen, beachten, dass nur der Mensch, dessen Herz von Christo beherrscht wird, fähig ist, ein Leben der Liebe gegen andere zu führen. Es ist eine große Freude, daran denken zu dürfen, dass Der, in welchem wir die Vollkommenheit der Liebe gegen alle Menschen erblicken, unser Leben ist. Christus ist unser Leben, und wahre christliche Liebestätigkeit besteht gerade in der Offenbarung dieses Lebens durch uns. Glauben und Liebe gehen dabei Hand in Hand. Mit dem Zunehmen des Glaubens wächst auch die Liebe. Indem der Glaube bei den Thessalonichern „überaus wuchs", war auch die Liebe jedes einzelnen von ihnen allen gegeneinander „überströmend“ (2. Thess. 1, 3). Der Glaube verbindet die Seele mit der unendlichen Fülle Gottes und erzeugt die selbstlosen Gefühle und innerlichen Erbarmungen gegeneinander, welche den treuen Apostel an die Korinther schreiben ließen: „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen, wenn ich auch, je überschwänglicher ich euch liebe, um so weniger geliebt werde". (2.Kor. 12, 15.) Und derselbe Paulus ruft uns zu: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“ (1.Kor. 11, 1).

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Glaubwürdigkeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 53ff

Ich musste eine Reise nach S. machen. Es war eine weite, je nachdem umständliche Fahrt, und es lag mir deshalb viel daran, wenn möglich in einen durchgehenden Wagen zu kommen. Um sicher zu gehen, bat ich einen mir bekannten, sehr tüchtigen Beamten um Auskunft. Bereitwillig wies er mir einen Platz in einem Wagen an, der, wie er mir versicherte, direkt nach S. lief. Da ich den Beamten als einen Mann kannte in dessen Aussagen ich unbedingtes Vertrauen setzen konnte, war ich völlig beruhigt.

Die Fahrt begann. Die Mitreisenden unterhielten sich über die verschiedenen Wege, auf denen man hierhin und dorthin gelangen konnte. Ich hörte nur halb zu, da der Gegenstand mich wenig interessierte. Dann aber kamen wir an einen Ort, an dem ein großes Umordnen der Wagen stattfand. Wir mussten aussteigen und aus dem Bahnsteig warten, bis der Zug wieder zur Abfahrt bereit war. Das gab Anlass zu einiger Beunruhigung. Der Zug fuhr nämlich so weit weg, dass er überhaupt nicht mehr zu sehen war. Wartend schritt ich auf und ab. Endlich sprach ich einen Beamten an. Er sagte mir kopfschüttelnd, der Zug habe gar keinen durchgehenden Wagen nach S.. Diese Auskunft machte mich einen Augenblick stutzig, aber der Gedanke an die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit meines Bekannten zerstreute alle Besorgnisse. Als der Zug zurückkehrte, stieg ich getrost wieder in meinen Wagen.

Nach einiger Zeit gab es abermals längeren Aufenthalt aus einem anderen Bahnhof. Wieder wurde rangiert. Mein Wagen wurde sogar auf ein Nebengleise, in eine Art Schuppen geschoben, wo er an zwanzig Minuten stehen blieb. Wieder wollten Fragen in meinem Innern aussteigen, aber ich rief mir wieder das Wort meines Gewährsmannes ins Gedächtnis zurück, und so blieb ich ganz ruhig. Mochten die Wagen noch mehrmals hin- und hergeschoben werden, ich setzte mein Vertrauen aus die Zuverlässigkeit meines Freundes. Und dieses Vertrauen wurde belohnt; ich kam wohlbehalten an meinem Ziel an, ohne ein einziges Mal umsteigen zu müssen.

Soweit meine Reiseerfahrung. Die geistliche Anwendung derselben ist nicht schwer. Nur eins besitzt für den Gläubigen volle, unbedingte Glaubwürdigkeit. Das ist das Wort Gottes. Kirchenväter, Theologen, Väter und Brüder mögen mit Bestimmtheit und großer Beweiskraft die verschiedensten Dinge behaupten, aber nur die Stimme Gottes ist untrüglich.

Weiter: Gefühle oder Erfahrungen bilden nicht die Grundlage des Glaubens, sondern das Wort Gottes. Jemand mag fragen, — und wie oft geschieht es —: „Muss ich nicht dies oder jenes fühlen? Muss ich nicht diese oder jene Erfahrung vorher machen?“ Die einzige Antwort ist: „Du musst glauben“. „Gefühle“ lassen mich auf mich selbst blicken, der „Glaube“ richtet mein Auge auf Gott. Meine Gefühle hätten mir, falls ich im verkehrten Eisenbahnwagen gesessen hätte, bitter wenig nützen können, wenn sie mir auch für den Augenblick vielleicht eine Beruhigung gewährt hätten. Sicherheit gab mir nur das zuverlässige Wort. meines Freundes. Allerdings hatte ich das bestimmte Gefühl, am richtigen Platze zu sein; aber warum? weil ich einen sicheren" Zeugen und ein zuverlässiges Zeugnis besaß.

Darum, liebe gläubige Seele, die du immer nach Gefühlen in dir suchst, und ganz verzagst, wenn du sie nicht findest, nicht deine Gefühle geben dir ewiges Leben, sondern der Glaube an das vollbrachte Werk Jesu Christi. „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben", nicht: wer glaubt und fühlt, oder: wer fühlt und glaubt. Gott hat klar und deutlich gesprochen, und der Glaube ergreift Ihn bei Seinem Worte. Er nimmt an was Gott sagt, weil Er es sagt. Wenn du auf Gefühle warten willst, um Sicherheit zu haben, so heißt das, dein Vertrauen auf Gefühle, nicht aber auf Gottes Wort setzen.

Und wie mit der Errettung, so ist es mit allen Dingen im Leben des Christen. Alles hängt von dem untrüglichen Worte Gottes ab. Habe ich aus diesem Worte meinen Weg erkannt, so mögen Hindernisse und Schwierigkeiten kommen, Freunde und Bekannte mögen bedenklich den Kopf schütteln und Ratschläge aller Art erteilen, —— ich kann in Ruhe, mit Glück und Frieden meine Straße ziehen, im Vertrauen aus dieses Wort, das nie irren kann.

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Römer 8,28

Bibelstelle: Römer 8,28

Botschafter des Heils 1913 S. 56

Wir wissen aber, dass denen die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind. Die welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein

Römer 8,28-29

Es wirket alles mit zum Guten,

so schwer und trübe es auch scheint;

Ja, geht es gleich durch tiefe Fluten,

es ist doch alles wohl gemeint.

Sagst du nur wirklich: Herr, dein Wille

geschehe mit mir Tag für Tag!

So wird`s in deinem Herzen stille,

wie krumm auch manches scheinen mag.

Du nimmst aus deines Vaters Händen,

was dir begegnet willig an;

und bald wird ja die Reise enden,

bald ruhst du aus in Kanaan!

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Betrachtungen über das zweite Buch der Könige

Bibelstelle: 2. Könige 24,8-12

Botschafter des Heils 1913 S. 57ff

KAPITEL 24, 8‑17 Jojakin (oder Jekonja oder Konja)

Jojakin oder Konja, wie er an anderen Stellen genannt wird, geht auf dem Weg seines Vaters weiter. Der Name seiner Mutter war Nechuschta, die Tochter Elnathans, von Jerusalem. Es tritt immer deutlicher zutage, dass die Mütter dieser letzten Könige, gleich ihren Söhnen, Jehova vergessen hatten. Zur Zeit Konjas belagerten die Knechte Nebukadnezars Jerusalem. Der große König kommt schließlich selbst, um persönlich an der Belagerung teilzunehmen. Jojakin geht zu ihm hinaus und wird gefangen nach Babel geführt samt seiner Mutter, nach der Weissagung Jeremias: "So wahr ich lebe, spricht Jehova, wenn auch Konja, der Sohn Jojakims, der König von Juda, ein Siegelring wäre an meiner rechten Hand, so würde ich dich doch von dannen wegreißen. Und ich werde dich in die Hand derer geben, welche nach deinem Leben trachten, und in die Hand derer, vor welchen du dich fürchtest, und in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, und in die Hand der Chaldäer. Und ich werde dich und deine Mutter , die dich geboren hat, in ein anderes Land schleudern, wo ihr nicht geboren seid; und daselbst werdet ihr sterben. Und in das Land, wohin sie sich sehnen zurückzukehren, dahin werden sie nicht zurückkehren. ‑ Ist denn dieser Mann Konja ein verachtetes Gefäß, das man zertrümmert, oder ein Gerät, an welchem man kein Gefallen hat? Warum werden sie weggeschleudert, er und sein Same, und in ein Land geworfen, das sie nicht kennen? ‑ O Land, Land, Land, höre das Wort Jehovas! So spricht Jehova: Schreibet diesen Mann auf als kinderlos, als einen Mann, der kein Gedeihen hat in seinen Tagen; denn von seinem Samen wird nicht einer gedeihen, der auf dem Throne Davids sitze und fortan über Juda herrsche" (Jer. 22, 24‑30).

Alle Schätze des Königs und die Schätze des Tempels werden in die Hauptstadt der Chaldäer gebracht, und das ganze Volk, hoch und niedrig, die streitbaren Männer, die Fürsten und Werkleute, alle werden gefangen weggeführt. "Nichts blieb übrig, als nur das geringe Volk des Landes" (V. 14‑16).

Im Anschluss an diese Wegführung sah Jeremia in einem Gesicht zwei Körbe mit Feigen, die vor dem Tempel Jehovas aufgestellt waren (Jer. 24), als dem einzigen Ort, wo der wahre Zustand des Volkes richtig eingeschätzt werden konnte. Einer dieser Körbe war in Gottes Augen mit sehr guten Feigen angefüllt, gleich den Frühfeigen, der andere mit sehr schlechten Feigen. Die Menschen sahen genau das Gegenteil von dem, was Gott dem Jeremia offenbarte. Für die Welt waren die guten Feigen das unter Zedekia in Jerusalem zurückgebliebene Volk, für das Herz Gottes waren es die aus Juda Weggeführten. Ihre Güte hatte ihren Grund darin, dass sie das ihrer Sünde gebührende Gericht Gottes erlitten hatten. Dieser Grundsatz ist auch für uns wahr; nur haben wir, Gott sei Dank! das Gericht in der Person Christi erduldet, der auf dem Kreuze an unserer Stelle verurteilt worden ist, Nach Vollzug des Ge­richts konnte Gott mit Gunst auf die herabblicken, die die Gegenstände des Gerichts waren. "Ich werde mein Auge auf sie richten zum Guten und sie in dieses Land zurückbringen; und ich werde sie bauen und nicht abbrechen, und sie pflanzen und nicht ausreißen" (Jer. 24, 6). Er konnte sie für immer in Seine Gegenwart einführen. Es bedarf dazu der Vollkommenheit, und in diesem Charakter sah der Herr den armen gefangenen Überrest. So ist es auch mit uns: kraft des Gerichts Christi sieht Gott uns vollkommen in Ihm, wie elend wir in uns selbst auch sein mögen.

Jehova verheißt die Wiederherstellung des Volkes mit den Worten: „Ich werde sie in dieses Land zurückbringen"; aber zugleich kündigt Er an, dass Er ihnen in der Zukunft eine sittliche Vollkommenheit vor Ihm geben wolle, das Ergebnis eines neuen Bundes, an dem alles von Ihm kommen werde. Indem Er allein der Urheber dieses Bundes ist, wird es ein Gnadenbund sein, nicht ein Bund der Verantwortlichkeit. "Ich will ihnen ein Hergeben, mich zu erkennen ... und sie werden mein Volk, und ich werde ihr Gott sein; denn sie werden mit ihrem ganzen Herzen zu mir umkehren" (V. 7).

Die „schlechten Feigen, die vor Schlechtigkeit nicht gegessen werden können", und mit denen Gott selbst nichts anzufangen weiß, sind die, die dem ersten Gericht unter Jojakin entronnen sind und darum einem zweiten verfallen, das endgültig sein wird. Gott erklärte, dass alles verloren sei. Diese aber, im Vertrauen auf sich selbst, brüsteten sich damit, dass sie die Vertreter des Volkes Gottes seien. Das Land Ägypten, ein Bild der Welt unter Satans Herrschaft, gefiel ihnen sehr gut. Statt sich unter das Gericht Gottes zu beugen, empörten sie sich gegen Ihn, wie wir in der Geschichte Zedekias sehen werden.

Inmitten des Zusammenbruchs öffnete Gott Seinem Volk eine Tür der Hoffnung, und zwar wollte Gott aus den Weggeführten zur bestimmten Zeit einen Überrest erwecken, den Kein des zukünftigen Israel, über das der König der Gerechtigkeit, der Gesalbte Jehovas, regieren wird, nachdem die Söhne Davids alle ihrer Verantwortlichkeit nicht entsprochen haben. Die Worte Jeremias über das Ende der Verwüstung Jerusalems trösteten und stärkten später das Herz Daniels, als die babylonische Gefangenschaft sich ihrem Ende nahte (Vergl. Daniel 9, 1‑3). Denselben Trostesworten für das Volk der Wegführung unter Jojakin begegnen wir in Hesekiel: Und das Wort Jehovas geschah zu mir also: Menschensohn, deine Brüder, die Männer deiner Verwandtschaft, deine Brüder sind es und das ganze Haus Israel insgesamt, zu welchen die Bewohner von Jerusalem sprechen: Bleibet fern von Jehova; uns ist das Land zum Besitztum gegeben! Darum sprich: So spricht der Herr, Jehova: Obgleich ich sie unter die Nationen entfernt, und obgleich ich sie in die Länder zerstreut habe, so bin ich ihnen doch ein wenig zum Heiligtum geworden in den Ländern, wohin sie gekommen sind. Darum sprich: So spricht der Herr, Jehova: Ich werde euch aus den Völkern sammeln und euch zusammenbringen aus den Ländern, in welche ihr zerstreut worden seid, und ich werde euch das Land Israel geben. Und sie werden dorthin kommen, und alle seine Scheusale und alle seine Gräuel daraus entfernen. Und ich werde ihnen ein Hergeben, und werde einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Heraus ihrem Fleische wegnehmen und ihnen ein fleischernes Herz geben: auf dass sie in meinen Satzungen wandeln, und meine Rechte bewahren und sie tun; und sie werden mein Volk, und ich werde ihr Gott sein" (Hesekiel 11, 14‑20).

In Verbindung mit Jojakin sei noch ein von Jeremia (Kap. 28) berichtetes Ereignis erwähnt, das unter Zedekia geschah. Ein Prophet, wie es in jener Zeit gar viele gab, Hananja, der Sohn Assurs, weissagte vor Jeremia im Hause Jehovas. Nach ihm sollte am Ende von zwei Jahren das Joch des Königs von Babel, das Jeremia als Zeichen vor dem ganzen Volke auf seinem Halse trug, zerbrochen werden. Am Ende dieses Zeitraums sollten die Juden, die unter Jojakin weggeführt worden waren, nach Jerusalem zurückgeführt und die heiligen Geräte sollten in das Haus Jehovas zurückgebracht werden. Zur Bekräftigung seiner Worte zerbrach Hananja das Joch, das der Prophet trug. Er tat das gleiche, was die Fürsten taten, als sie entgegen der Anweisung Jeremias den Weggeführten den Rat gaben, keine Häuser zu bauen (Hes. 11, 3). Hierauf geschah das Wort Jehovas zu Jeremia: Das hölzerne Joch, das Hananja zerbrochen hatte, sollte ein eisernes Joch auf allen Nationen werden. Zugleich wurde der falsche Prophet zum Tode verurteilt, weil er "Abfall geredet hatte wider Jehova" (Jer. 28, 16). Zwei Monate danach wurde der Urteilsspruch Gottes vollzogen.

Diese kleine Szene enthüllt uns die Gefühle des Volkes und seiner Führer inmitten der Gerichte Gottes. Sie nahmen die Gerichte durchaus nicht an und unterwarfen sich ihnen nicht.

Ihr nationaler Stolz ertrug die Demütigung nicht; weder sie noch ihr König wandten sich zu Gott, um Seinen Willen zu erforschen.

Wie wir auch durch die Propheten haben feststellen können, war das Herdes Volkes hoffnungslos schlecht, und sein Zustand so, dass er gebieterisch das Gericht Gottes herbeirief.

Und gerade so wie das Gericht angenommen werden musste, war es auch nötig, es geduldig zu tragen bis zum Ende der 70 von Jehova festgesetzten Jahre. Deshalb schreibt Jeremias den unter Jekonja (Jojakin) Weggeführten: "Bauet Häuser und bewohnet sie, und pflanzet Gärten und esset ihre Frucht. Nehmet Weiber und zeuget Söhne und Töchter, und nehmet Weiber für eure Söhne, und eure Töchter gebet Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären; und mehret euch daselbst und mindert euch nicht. Und suchet den Frieden der Stadt, wohin ich euch weggeführt habe, und betet für sie zu Jehova; denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben" (Jer. 29, 5‑7). Zur bestimmten Zeit sollte es eine Wiederherstellung geben, „denn ich weiß ja die Gedanken, die ich über euch denke, spricht Jehova, Gedanken des Friedens und nicht zum Unglück, um euch Ausgang und Hoffnung zu gewähren" (V. 11).

KAPITEL 24, 18‑25, 21 Zedekia

Zedekia war der Oheim Jojakins. Der König von Babel hatte ihn an Jojakins Statt zum König eingesetzt, indem er seinen Namen Mattanja in Zedekia umwandelte. Seine Mutter war Hamutal, eine Tochter Judas. Wir wollen betreffs ihrer die früher gemachten Bemerkungen nicht wiederholen.

Indem Nebukadnezar Zedekia einsetzte, rechnete er darauf, einen König zu haben, der in Abhängigkeit von ihm regieren und nicht wieder neue Empörungen anzetteln würde. Die beiden Vorgänger Zedekias hatten den König von Babel genötigt, zwei Feldzüge gegen Jerusalem zu unternehmen. Er wünschte vor diesem stolzen und unruhigen Volk, das seinem Zepter unterworfen war, endlich Ruhe zu haben. Der Prophet Hesekiel beschreibt (Kap. 17) in einem Gleichnis die Politik und die Pläne Nebukadnezars. Der große babylonische Adler hatte Jojakin, den obersten der Schößlinge einer Zeder des Libanon, abgebrochen und ihn nach Babel gebracht. Dann hatte er von dem Samen des Landes (Zedekia) genommen und ihn wie eine Weide an große Wasser gepflanzt. Dort war er zu einem Weinstock geworden, der sich zwar ausbreitete, aber niedrig blieb; denn der König von Babel wollte in Juda ein von ihm abhängiges, niedriges Königtum haben. Dieser Weinstock hatte sich zu einem anderen großen Adler, dem Pharao von Ägypten, gewandt, statt dem babylonischen Adler unterworfen zu blei­ben, und Gott erklärt durch den Propheten, was die Folge davon sein würde.

„Zedekia empörte sich gegen den König von Babel" (Kap. 24, 20). Das war eine Schandtat und eine Entweihung in den Augen Jehovas, und zwar weil Nebukadnezar „Zedekia bei Gott hatte schwören lassen" (2. Chron. 36, 13). Auch Hesekiel sagt uns, dass er "einen Bund mit ihm gemacht und ihn einen Eid habe schwören lassen. So fügte Zedekia all seinen anderen Missetaten den Bruch eines im Namen Jehovas den heidnischen Nationen geschworenen Eides hinzu, und bewies so vor ihnen, dass er nicht die geringste Achtung vor Gott hatte, dem anzugehören er doch behauptete. Die Chroniken zählen vier Ursachen des Gerichts über diesen König auf. Er tat was böse war in den Augen Jehovas. Er demütigte sich nicht vor dem Propheten Jeremia, als er nach dem Befehl Jehovas redete; das ist Empörung gegen das Wort und den Geist Gottes. Dann empörte er sich gegen Nebukadnezar, der ihn bei Gott hatte schwören lassen, und schließlich verhärtete er seinen Nacken und verstockte sein Herz, so dass er nicht umkehrte zu Jehova, dem Gott Israels (2. Chron. 36, 12. 13). Was den ersten Punkt betrifft, dass er tat was böse war in den Augen Jehovas, was im Blick auf die letzten Könige von Juda so oft wiederholt wird, hören wir nicht, dass die Abgötterei der unmittelbaren Vorgänger Zedekias ebenso schreiend gewesen wäre, wie die des Manasse; wenigstens werden uns keine Einzelheiten angegeben. Aber über Zedekia berichten zunächst die Chroniken (2. Chron. 36, 13‑14), dass er mit allen Obersten des Volkes „das Haus Jehovas, das Er in Jerusalem geheiligt hatte, verunreinigt habe., und der Prophet Hesekiel beschreibt in seinem Gesicht (Kap. 8) die Einzelheiten der von ihm verübten Gräuel: "Das Bild der Eifersucht", die von Manasse errichtete Astarte, das "Jehova zur Eifersucht reizt", stand am Eingang des Tempels; im Vorhof, in den "Bilderkammern befanden sich allerlei gemalte Götzenbilder, vor denen die Ältesten Israels räucherten; am Eingang des nördlichen Tores des Hauses saßen Weiber, die den Tammuz (wahrscheinlich den Adonis), beweinten; am Eingang des Tempels, zwischen der Halle und dem Altar, waren Männer, die sich vor der aufgehenden Sonne niederbeugten. Die Gedanken im Herzen des Volkes waren nicht besser. Statt anzuerkennen, dass das Gericht Gottes sie wegen ihrer Treulosigkeit getroffen habe, sagten sie: "Wir wollen sein wie die Nationen und wie die Geschlechter der Länder, indem wir Holz und Stein dienen" (Hes. 20, 32). Der Prophet schildert auch den sittlichen Zustand der Propheten, der Priester und Fürsten: überall Gewalttat, Entweihung, unrechtmäßiger Gewinn, Erpressung und Übervorteilung (Hesekiel 22, 23‑31; vergl. auch Jer. 32, 30‑35).

Die Empörung Zedekias konnte in den Augen der Welt annehmbare politische Beweggründe haben. Wie das auch in unseren Tagen vorkommt, fand sie Zustimmung bei denen, die das Joch Babels leid waren. Doch dieses Joch entsprach den Gedanken Gottes, und Er gab das in offensichtlicher Weise durch Seinen Propheten Jeremia kund, der in der Stadt umherging, indem er ein hölzernes Joch auf seinem Halse trug. Das hätte der König von Juda wissen müssen, das hätte er bedenken sollen, wenn er nur im Geringsten darum besorgt gewesen wäre, Jehova zu dienen. Doch dieser Mann, der tapfer genug war, sich zu empören, war im Grunde voll Furcht, indem er es ängstlich mied, sich vor den Fürsten seines Volkes bloßzustellen. jedenfalls fand er bei seinem Handeln Unterstützung bei den umwohnenden Völkern. Nach Jeremia 27, 3 hatten die Könige von Moab und Edom, von den Kindern Ammon und von Tyrus und Sidon ihre Boten zu ihm gesandt, um ihn zu ermutigen, mit ihnen das Joch Babels abzuschütteln. Die Fürsten von Juda dachten ebenso und ließen sich in ihren Gedanken durch ihre Propheten unterstützen, die das Volk in die Irre und auf einen Weg der Empörung gegen Jehova zu führen suchten (Jer. 27, 12‑22).

Man versteht den Zorn Nebukadnezars, der zum dritten Mal, unter drei unmittelbar aufeinanderfolgenden Regierungen, gezwungen wurde, sich gegen Jerusalem zu wenden, um es zu belagern; man begreift die Wut dieses Herrschers, dem alles von seiten Gottes unterworfen war (Jehova hatte ihm das ja öffentlich kundgetan, Dan. 2, 37. 38), als er sich so von der schwachen und gedemütigten Bevölkerung des Landes Israel missachtet und verhöhnt sah. Ohne Zögern machte er sich auf , die Empörer zu strafen. Hesekiel beschreibt uns seine Ungewissheit bezüglich der Ausübung seiner Rache. Soll er mit Rabba der Kinder Ammon oder mit Jerusalem beginnen? Er benutzt, um sich zu entscheiden, die Wahrsagerei! Die Hand Jehovas führt ihn, ohne dass er sich dessen bewusst ist, gegen Juda. "Hinweg mit dem Kopfbund und fort mit der Krone! ... Umgestürzt, umgestürzt, umgestürzt will ich sie machen", spricht Jehova (Hesekiel 21, 26‑32).

Nebukadnezar baut eine Verschanzung rings um Jerusalem her und belagert die Stadt ungefähr acht Monate lang. Der Hunger nahm in ihr überhand nach dem Wort Jeremias: "Ich werde sie das Fleisch ihrer Söhne und das Fleisch ihrer Töchter essen lassen, und sie sollen einer des anderen Fleisch essen in der Belagerung und in der Bedrängnis, womit ihre Feinde und die nach ihrem Leben trachten sie bedrängen werden" (Jer. 19, 9). Während dieser ganzen Zeit steht Jeremia trotz unzähliger Gefahren, die ihn bedrohen, fest auf seiten Jehovas, nach Seinem Wort: "Ich werde dich diesem Volke zu einer festen, ehernen Mauer machen, und sie werden wider dich streiten, aber dich nicht überwältigen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten und dich zu befreien, spricht Jehova. Und ich werde dich befreien aus der Hand der Bösen und dich erlösen aus der Faust der Gewalttätigen" (Jer. 15, 20. 21). Seine immer wiederkehrende Aufforderung lautet: "Unterwerfet euch dem Joch des Königs von Babel". „Ergebt euch ihm." Den gleichen Rat gibt er den mit Juda, verbündeten Nationen (Kap. 27, 3‑11), dem Zedekia und seinem Volke (V. 12‑15). Die Fürsten verfolgen den Propheten und suchen ihn zum Tode zu bringen unter dem Vorwand, er mache die Hände des Volkes schlaff. Zedekia fürchtet sich vor den Fürsten (Kap. 38, 24). Im gegebenen Augenblick kommt der Pharao mit seinem Heer Jerusalem zu Hilfe (Hesekiel 17, 17; Jer. 37, 5). Die Kunde davon veranlaßt die Chaldäer, von Jerusalem abzuziehen. Das Volk atmet auf, aber Jeremia reißt es aus seinem Irrtum: Das Heer des Pharao, sagt er, wird in das Land Ägypten zurückkehren, und die Chaldäer werden wiederkommen. In dem Augenblick, da die Chaldäer sich zurückziehen, verläßt der Prophet Jerusalem und begibt sich in das Land Benjamin, um seinen Anteil zu holen (Jer. 37, 12). Er wird gefangengenommen unter der Beschuldigung, ein Überläufer zu sein, wird dann verfolgt und in die tiefe Grube geworfen, wo er im Schlamm versinkt. Die Fürsten des Volkes sind am meisten gegen ihn erbittert. EbedMelech, der Äthiopier, redet zu seinen Gunsten mit dem König und zieht ihn aus der Grube heraus (Kap. 39). Am Tag der Einnahme der Stadt wird dieser Mann gerettet, nach dem Wort des Propheten (Kap. 39, 15). Auch Zedekia verfolgt Jeremia und sperrt ihn in den Gefängnishof ein (Kap. 32, 2. 3), doch in Wirklichkeit ist der König der Gefangene seiner Obersten und Fürsten und wagt nicht, sich ihnen zu widersetzen; denn im Grunde haßt er Jeremia nicht, sondern wird von Menschenfurcht beherrscht, anstatt von der Furcht Jehovas, den er verachtet und verleugnet hat (Kap. 38, 24‑28).

Mit einer Kühnheit, die sich auf das Wort und die Verheißung Gottes stützt, verbirgt der Prophet dem König nichts von dem, was kommen wird: die Stadt wird zerstört, geplündert und mit Feuer verbrannt werden. In dem Maße wie das Gericht herannaht, ruft er dessen Einzelheiten in die Ohren des Volkes und des Königs: „Zedekia, der König von Juda", sagt er, "wird der Hand der Chaldäer nicht entrinnen, sondern gewißlich in die Hand des Königs von Babel gegeben werden; und sein Mund wird mit dessen Munde reden, und seine Augen werden dessen Augen sehen" (Kap. 32, 4); und weiter: „Deine Augen werden die Augen des Königs von Babel sehen" (Kap. 34, 3). Und Hesekiel weissagt von dem Fürsten, der in der Mitte Israels ist: "Er wird es (sein Gepäck) in dichter Finsternis auf die Schulter nehmen und ausziehen; sie werden die Mauer durchbrechen, um es dadurch hinauszutragen; er wird sein Angesicht verhüllen, auf dass er mit seinen Augen das Land nicht sehe. Und ich will mein Netz über ihn ausbreiten, und in meinem Garne wird er gefangen werden; und ich will ihn nach Babel bringen, in das Land der Chaldäer, aber sehen wird er es nicht; und er wird daselbst sterben" (Hesekiel 12, 12. 13). Beide Prophezeiungen gehen wörtlich in Erfüllung. Als Zedekia gelegentlich des vorübergehenden Abzugs des chaldäischen Heeres ein Jubeljahr ausruft und befiehlt, dass alle israelitischen Knechte und Mägde freigelassen werden sollen, gehen alle, die Fürsten von Juda und die Fürsten von Jerusalem, die Kämmerer und die Priester und alles Volk des Landes", zwischen den Stücken des entzweigeschnittenen Kalbes hindurch, um den Bund zu bestätigen, den sie vor Jehova gemacht haben (Jer. 34, 18. 19; vergl. 1. Mose 15, 9), aber kaum ist das Versprechen gegeben, so übertreten sie es, wenden sich wieder um und unterjochen ihre Knechte und Mägde von neuem. Auch hier wird das Gericht über sie mit der größten Entschiedenheit durch den Propheten ausgesprochen (Jer. 34, 20‑22).

Nur ein kleiner Überrest, der die Botschaft Jehovas angenommen hatte und sich den Chaldäern ergab, rettete sein Leben (2. Kön. 25, 11). Sie sind, wie wir gesehen haben, die sehr guten Feigen von Jeremia 24.

Jerusalem wird eingenommen. Zedekia flieht mit seinem Heer in der Richtung des Jordan. Sein Gefolge wird zerstreut; er selbst wird gefangengenommen, zu Nebukadnezar gebracht, verurteilt, wie wir gesehen haben, und nach Babel weggeführt, wo man „ihn in Gewahrsam setzte bis zum Tage seines Todes" (Jer. 52, 11). Nur stirbt er, wie der Prophet gesagt hatte, nicht eines gewaltsamen Todes (Jer. 34, 4. 5), weil Jehova das geringste Zeichen der Umkehr bei diesem armen König beachtete, indem er einen Augenblick Mitleid mit dem Diener Jehovas gehabt und auf sein Wort gehört hatte, obwohl es ihm an Mut fehlte, ihm zu folgen, und an Glauben, sich vor Gott zu demütigen.

Das Volk wird nach Babel gebracht; die Priester und die, die sich an der Verteidigung beteiligt hatten, sterben eines gewaltsamen Todes zu Ribla. Die letzten Spuren der Macht und des Wohlstandes Judas verschwinden infolge dieses Angriffs. Sogar die beiden Säulen des Tempels werden zerbrochen und nach Babel gebracht, samt allem Erz, Gold und Silber des Hauses Jehovas. Was sollten noch Jakin und Boas in Jerusalem, nachdem Jehova verachtet worden war? Die Stärke, die in Ihm ist, hatte sich infolge der Untreue Judas entfernt, und anstatt es zu befestigen, hatte Gott es zerstört.

So endete die Geschichte des unter seiner Verantwortlichkeit vor Gott gestellten Menschen. Gott musste ihn dahingeben, ‑ aber Seine Verheißungen sind unbereubar. Er wird die Herrschaft Seines Gesalbten auf jenen zwei wunderbaren Säulen errichten, und diese Herrschaft wird nie wieder erschüttert werden können.

KAPITEL 25, 22‑26 Gedalja

Nebukadnezar bestellte Gedalja, den Sohn Achikams, über das Volk, das er als Weingärtner und Ackerbauer im Lande zurückgelassen hatte. Dieser Achikam hatte Jeremia in den Tagen Jojakims gerettet, als er, gleich dem Propheten Urija, gegen Jerusalem weissagte (Jer. 26, 24). Wir dürfen wohl annehmen, dass diese Tatsache auf den Geist des Königs von Babel von Einfluss gewesen war, denn er achtete und beschützte Jeremia. Gedalja wohnte zu Mizpa, einer befestigten Stadt, die Asa, der König von Juda, aus den Steinen Ramas erbaut hatte (1. Kön. 15, 22). Dorthin begibt sich auch Jeremia, und dorthin kommen alle Entronnenen aus den umliegenden Landschaften mit der armen Bevölkerung, die übriggeblieben war, und suchen den Schutz Gedaljas, dieses edlen Stellvertreters des Königs von Babel. Er versichert und schwört dem Volk, dass es nichts zu fürchten habe, wenn es sich den Chaldäern unterwerfe.

So gab es für diesen armen Überrest eine Ruhepause von einigen Monaten. Sie ernteten Wein und Sommerfrüchte in großer Menge (Jer. 40, 12). Der Dienst Jehovas scheint sogar wieder zu Ehren gekommen zu sein in einer Zeit, da der Tempel völlig zerstört war und in Trümmern lag. Wenigstens scheint es "ein Haus Jehovas" gegeben zu haben, wohin die, die über den Zustand Israels trauerten, gehen konnten (Jer. 41, 4. 5).

Was an Heerobersten noch übriggeblieben war, sammelte sich um Gedalja, an ihrer Spitze Ismael, der Sohn Nethanjas, ein Mann aus königlichem Geschlecht. Dieser kam mit bösen Absichten, gesandt von Baalis, dem König der Kinder Ammon, und ohne Zweifel durch eigenen Ehrgeiz getrieben. Gedalja wird durch Jochanan, einen der Obersten, über den beabsichtigten Verrat benachrichtigt, weigert sich aber, daran zu glauben und seine Hand zur Beseitigung Ismaels zu leihen (Jer. 40, 13‑16). Darauf erschlägt ihn Ismael in feiger, hinterlistiger Weise, indem er sich so zum letzten Male gegen die Herrschaft des Königs von Babel empört. Auch tötet er die Anhänger des Statthalters und die chaldäischen Kriegsleute, die sich in Mizpa befanden. Und als am zweiten Tage achtzig Männer kamen, die vielleicht in Unwissenheit und nicht frei von heidnischen Gebräuchen, aber mit zerschlagenem Herzen Jehova suchten, da erschlug er auch diese und führte den ganzen Überrest des Volkes, das zu Mizpa war, mit den Töchtern des Königs gefangen zu den Kindern Ammon (Jer. 41, 4‑10). Jochanan und die Heerobersten verfolgten ihn, erreichten ihn bei dem Wasser bei Gibeon und nehmen ihm die Gefangenen wieder ab, während es ihm gelingt, mit acht Männern zu entrinnen und zu Baalis zu gelangen.

Die so befreiten, aber von Furcht erfüllten Gefangenen wünschen nach Ägypten zu ziehen und befragen durch Jeremia Jehova, um eine ihren Wünschen entsprechende Antwort zu empfangen; doch sind sie im Grunde entschlossen, nicht zu gehorchen, wenn diese Antwort ihrem Vorhaben nicht günstig ist. Der Prophet gibt ihnen eine feierliche Warnung: Bleiben sie im Lande, so bedeutet das ihre Rettung; denn die Segnung geht immer Hand in Hand mit der Unterwerfung unter das Gericht Gottes, wobei die Seele sich ihm demütig unterwirft und trotz allem auf Gott rechnet, dass Er segnen werde. Nach Ägypten hinabgehen, wo sie Sicherheit zu finden hofften, hieß einem unausbleiblichen Gericht entgegengehen (Jer. 42).

In ihrem Stolz wollen die Heerobersten die Demütigung nicht annehmen und behandeln das Wort Gottes als Lüge. Ist es nicht immer so, wenn Gott Sein Wort, das die Welt und den Willen des Menschen verurteilt, den Seelen vorstellt, die sich entschlossen haben, der Welt und ihrem eigenen Willen zu folgen? Sie sagen den deutlichsten Aussprüchen gegenüber: "Jehova hat dich nicht gesandt, also zu reden. Es ist eine Lüge" (Jer. 43, 2).

Sie hörten also keineswegs auf das Wort Jehovas, sondern hielten bis ans Ende, an einerr Sache fest, an der Empörung gegen Gott, und nahmen Jeremia und den treuen Baruk mit, da sie diese Zeugen ihres Ungehorsams und Unglaubens nicht zurücklassen wollten. Sie vergaßen nur eines, nämlich dass sie das Wort Jehovas, das sie verurteilte, auch mitnahmen.

Jeremia setzt bis ans Ende die treue Ausübung der Gabe der Weissagung fort, die Gott ihm anvertraut hat. In Tachpanches wie in Jerusalem ist er der Zeuge der Wahrheit Gottes. Er kündigt den zukünftigen Einfall Nebukadnezars in Ägypten an, der dann dieser Empörungen eingedenk sein würde (Jer. 43).

Im Lande Ägypten, wohin diese Unglücklichen entflohen waren, fangen sie wiederum an, anderen Göttern zu dienen. Ihr Zustand wird uns in den Worten beschrieben: "Bis auf diesen Tag sind sie nicht gedemütigt, und sie haben sich nicht gefürchtet und haben nicht gewandelt in meinem Gesetz und in meinen Satzungen, die ich euch und euren Vätern vorgelegt habe" (Jer. 44, 10). Auch erklärt Gott, dass von allen, die nach Ägypten hinabgezogen seien, außer "einem zählbaren Häuflein" (V. 28), "kein Entronnener noch übriggebliebener da sein werde, um in das Land Juda zurückzukehren" (V. 14).

Das Volk erklärt offen, dass es fortfahren wolle , der Königin des Himmels" zu opfern, und ihr schreibt es das Wohlergehen zu, das es früher in Jerusalem genossen hatte (Jer. 44, 17. 18). Das angekündigte Unglück, bei dem Jehova den Pharao Hophra in die Hände des Königs von Babel gibt, trifft es in Ägypten (V. 30).

KAPITEL 25, 27‑30 Ende

Im 37. Jahre der Wegführung läßt Ewil-Merodak, der König von Babel, Jojakin aus dem Gefängnis herausgehen und unterhält ihn an seinem Hofe „alle Tage seines Lebens". Die Leuchte, die völlig erloschen zu sein schien, beginnt wieder einen schwachen Schein abzugeben, ‑ ein Beweis, dass Jehova stets der Verheißungen eingedenk ist, die Er David, Seinem Gesalbten, gegeben hat, und dass trotz allem Seine Gnade über diesem schuldigen Geschlecht wacht. ja, ein Tag sollte kommen, und er war nicht mehr fern, wo, nach Jesaja, der Geist Jehovas den Gebundenen Öffnung des Kerkers ausrufen und das Jahr der Annehmung Jehovas, das angenehme Jahr des Herrn, verkündigen würde. Würde das Volk dann darauf achten? Ach! es hat auch den Gesalbten Jehovas verworfen, wie es einst Jeremia und alle Propheten vor Ihm verwarf. Doch trotz allem werden die Verheißungen Gottes betreffs des Volkes in Erfüllung gehen, und sein endgültiges Jubeljahr wird anbrechen, wenn das Schwert des Gerichts sein Werk auf Erden getan haben wird und die ewigen Pforten sich erheben werden, um den König der Herrlichkeit einziehen zu lassen!

Fußnoten:

*) Und tatsächlich ist Ahasja der einzige, der Elia erkennt. Niemand in seiner Umgebung kannte den großen Propheten Israels; aber wie sehr vermehrt das die Strafbarkeit des Königs! Zu einer Zeit, da das Wort Gottes von dem Volke, welches Kenntnis von ihm hätte haben sollen, nicht gekannt wird, ist der einzige, welcher nicht in Unkenntnis darüber ist, gerade derjenige, der es be­kämpft!

*) Offenbarung 12, 5 zeigt uns ein ähnliches Beispiel.

Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit daran, dass zwei Menschen, Henoch und Elia, gen Himmel gefahren sind, ohne durch den Tod zu gehen, während ein einziger, Christus, aus den Toten auferweckt wurde, um in den Himmel hinaufzusteigen**); darum wird Er auch "der Erstgeborene aus den Toten" genannt, da Er den Heiligen voranging, deren Erstling Er ist in der Auferstehung. Es wurden andere Tote vor Christo auferweckt, aber immer nur für die Erde, niemals für den Himmel. Sie waren dem Tode aufs neue unterworfen, wogegen Christus, nachdem Er aus den Toten auferweckt worden ist, nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über Ihn.

**) In mehr als einem Zuge ist Henoch dem Elia ähnlich. Beide sind Propheten des Gerichts. Henoch wandelt mit Gott ‑ Elia steht vor Jehova. Beide werden aufgenommen vor dem schließlichen Gericht, von welchem sie Zeugnis abgelegt haben.

*) Das ist, wie ich glaube, der Sinn, den man in dieses Wort legen muss.

*) Es ist bemerkenswert, dass das Wort gewöhnlich reiche Leute wählt als Beispiele von solchen, welche das Heil nicht erlangen. Mit Ausnahme des zweiten Räubers am Kreuze entsinne ich mich keines Falles, in welchem ein Armer als Beispiel von solchen genommen wäre, die das Heil verlieren. Judas trug die Kasse; er war der einzige unter den Jüngern, der etwas hatte. Das Evangelium wurde den Armen gepredigt, und die Reichen, wie der in der Geschichte des Lazarus, hatten ihr Teil in diesem Leben. Die Scheunen des Reichen, dessen Seele in der Nacht gefordert wurde (Luk. 12, 20), hatten Über­fluss an Getreide. Die Reichen im Jakobusbriefe, die in den letzten Tagen Schätze gesammelt und den Gerechten verurteilt hatten, verfallen dem Fluche. Es waren Reiche, die in dem Gleichnis von dem großen Abendmahl sagten: "Halte mich für entschuldigt", und die darauf verworfen wurden. Der reiche und so liebenswürdige Jüngling beraubt sich selbst des Heils, als es sich darum handelte, alles aufzugeben, um Jesu nachzufolgen. Der verlorene Sohn war reich, als er seinen Vater verließ, aber von allem entblößt, als er zu ihm zurückkam.

Aber es gibt auch Ausnahmen von diesem Fluche, den der Reichtum mit sich bringt, denn wenn die Rettung eines Reichen auch bei Menschen unmöglich ist, bei Gott sind alle Dinge möglich. Die Sunamitin gibt uns dafür ein kost. bares Beispiel. Zachäus, der Oberzöllner, der Jesum in sein Haus aufnahm, und Joseph von Arimathia, der für den Herrn in Seinem Tode Sorge trug, waren auch reiche Männer (Matth. 27, 57).

*) In allen Stellen, die wir anführen werden, ist das Wort fürchte dich nicht" im Griechischen (Neues Testament) und im Hebräischen (Altes Testament) das gleiche.

*) Zur Zeit des Endes (in der Offenbarung) wird der Herr in den Wegen Seiner Vorsehung sich in Gestalt eines Engels zu erkennen geben bis zu Seiner Erscheinung auf dem Berge Zion; daher finden wir in diesem Buche den Aus­druck "ein anderer Engel".

*) Die verschiedenen Arten zu sehen sind in diesem Kapitel von höchstem Interesse. Wir finden zuerst Elisa, den Seher, dessen Augen nicht geöffnet zu werden brauchten, um das Heer Jehovas zu sehen; dann seinen von der Sorge um die sichtbaren Dinge beherrschten Diener, welcher der Vermittlung des Propheten bedurfte, um durch das Sehen der unsichtbaren Dinge beruhigt zu werden. Weiter begegnen wir dem Heer der Syrer, das doppelt blind ist, weil es zu sehen meint und in völlige Nacht versenkt wird; dann demselben Heere, wie es sein Los unter dem Gericht Gottes erkennt, zugleich aber offene Augen hat, um sich an dem "großen Mahl" der Gnade niederzulassen; und schließlich dem König von Israel, der mit Gottes Gedanken unbekannt ist, der aber auch zu sehen meint, und dessen "Sünde bleibt" (Joh. 9, 41) ‑ ein trauriger Vertreter Israels, ein Feind Christi, der mehr und mehr für das Gericht heranreift.

*) Dieser Ben‑Hadad ist augenscheinlich derjenige, der Samaria belagert hatte (im vorhergehenden Kapitel), und wahrscheinlich, obwohl er nicht ge­nannt wird, derselbe König von Syrien, der Naaman zum König von Israel sandte, und dessen Streifscharen das Gebiet der zehn Stämme verheerten " Man muss jedoch nicht vergessen, dass Ben‑Hadad ein oft vorkommender Name der Könige von Syrien ist. Er bedeutet Sohn (oder Anbeter) Hadads, d. 1. wahr­scheinlich der Sonne. Wir finden einen Ben‑Hadad zur Zeit Asas, des Königs von Juda (1. Kön. 15, 20), einen zweiten zur Zeit Ahabs (1. Kön. 20, 1), dann unter Joram den Ben‑Hadad, der Samaria belagerte und mit dem wir uns hier beschäftigen, und schließlich (Kap. 13, 24) den Ben‑Hadad, der der Nachfolger Hasaels war.

*) am Nordende des Golfs von Akaba. ‑ In den beiden nachher angeführten Stellen wird die Stadt "Eloth" genannt. Anmerkung des Übersetzers.

*) Vielleicht auch Salmaneser. In diesem Falle würde das Kalb von Bethel Salmaneser durch den König Hosea gesandt worden sein. Beth‑Awen (Hos. 4, 15; 5, 8) bedeutet Götzenhaus, das an die Stelle von Bethel (Gotteshaus) getreten war.

*) Wir wollen hier nicht von den Siegen reden, die von Rezin und Pekach über Juda errungen wurden, noch von dem Propheten Oded, dem es gelang, das Gewissen einiger Anführer von Ephraim zu erreichen, indem er sie dahin brachte, die Gefangenen und die Beute, die sie von Juda gemacht hatten, zurückzuschicken. Diese ganze Erzählung wird bei der Betrachtung der Chronika ihren Platz finden.

*) Wir haben nicht die Absicht, außer dieser Erklärung, uns mit der Auf­lösung der in diesen Büchern enthaltenen historischen Schwierigkeiten zu be­schäftigen. So lassen wir auch die meisten der chronologischen Fragen unberührt. Andere haben auf die Einwürfe der sogenannten höheren Kritik" geantwortet.

*) Wir werden bei der Betrachtung des 2. Buches der Chronika die sich scheinbar ganz widersprechende Weise sehen, in der dieses Buch uns den wichtigen Gegenstand vor Augen führt.

*)Wir reden hier selbstverständlich nicht von der Verkündigung des Evan­geliums an die Welt und von der Bekehrung von Sündern.

*) Man hat vermutet, dass Hiskia nicht den ganzen Tribut, der eine gewaltige Summe ausmachte, hätte bezahlen können; aber aufgefundene Inschriften be­stätigen die biblische Erzählung, dass er ihn buchstäblich entrichtet hat. Es war daher ein Treubruch seitens des assyrischen Monarchen, und Gott hat dies zur Züchtigung Hiskias benutzt.

*) Was wir über die Zeit der Krankheit Hiskias sagen, wird durch die „Worte Jehovas bei seiner Heilung bestätigt: "Ich will zu deinen Tagen fünfzehn Jahre hinzufügen; und von der Hand des Königs von Assyrien will ich dich und diese Stadt erretten' (2. Kön. 20, 6).

*) Auf seiner Rückkehr von diesem Kriegszuge war es, dass sein Heerlager auf den Bergen Israels geschlagen wurde, wie es auch mit demjenigen des zu­künftigen Assyrers der Prophezeiung geschehen wird.

*) Da Hiskia sich seiner Schätze beraubt hatte, um dem Angriff des Königs von Assyrien auf Jerusalem zu entgehen (Kap. 18, 15 und 16), möchte man vermuten, die Gesandtschaft Babels habe vor diesem Augenblick stattgefunden, kurz nach der Krankheit Hiskias, die im 14. Jahre seiner Regierung eintrat. Wenn Hiskia den Gesandten alle seine Schätze zeigte, könnte man der Meinung um geben, dass diese noch nicht vermindert gewesen seien durch jenen ungeheuren Tribut, der den König zwang, selbst den Tempel Gottes zu berauben Allein in 2. Chron. 32, 23 wird uns berichtet, nach dem Hiskia aus der .ä Sanheribs gerettet worden war: „Und viele brachten Gaben für Jehova nach Jerusalem, und Kostbarkeiten für Jehiskia, den König von Juda; und er wurde danach erhoben in den Augen aller Nationen". Und weiter: Jehiskia hatte sehr viel Reichtum und Ehre. Und er machte sich Schatzkammern für Silber und Gold und Edelsteine . . ." (V. 27). Der Angriff Sanheribs war also schon vorüber, als die Gesandtschaft von Babel kam und die Schätze des Königs Hiskia besichtigte.

*) In den Chroniken ist die Reihenfolge anders; dort beginnt Josia mit der Reinigung des Landes und beschäftigt sich dann mit dem Tempel. Umgekehrt berichtet uns dasselbe Buch, wie Hiskia mit dem Tempel beginnt und danach das Land reinigt, während in dein Buche der Könige diese Reinigung des Landes die erste Handlung Hiskias ist.

*) Derselbe wie Joahas; vergl. 1. Chron. 3, 15; 2. Chron. 36, 1.

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Kain und Seth

Bibelstelle: 1. Mose 4

Botschafter des Heils 1913 S. 75ff

Die Welt, wie sie sich heute unseren Augen darbietet, ist aus dem Sündenfall Adams hervorgegangen. Die Erde mit allem, was aus ihr ist, wurde von Gott geschaffen, und als Gott alles, was Er gemacht hatte, ansah, „siehe, da war es sehr gut". (1. Mose 1, 31.) Aber das gottentfremdete System um uns her, das beim Abfall des Menschen seinen Anfang nahm, ist das auf die Auflehnung des Menschen gegen Gott gegründete Werk Satans.

Die Welt der Kinder Adams ist die Welt von heute. Die Grundsätze, die damals herrschten, herrschen heute noch. Gleichwie in jenem Kindesalter der Weltgeschichte zwei Familien, —— im Denken, Handeln und in den Beziehungen zu ihrem Schöpfer voneinander grundverschieden,—die Familie Kains und die Familie Seths, die ganze Menschheit ausmachten, so scheiden sich auch heute alle Menschen in zwei Klassen, in solche, die den Weg Kains gehen, und in solche, die den Fußstapfen Seths folgen.

Kain ist der Vorläufer aller derer, die nicht nach Gott fragen. Er ist der Gründer einer aus menschlichen Gedanken fußenden Religion, welche die Forderungen eines gerechten, heiligen Gottes an den gefallenen Menschen nicht anerkennt und den Fluch, von dem die sündige Erde betroffen ist, einfach übersieht. Die gleiche Auffassung teilen die Religionssysteme aller Völker und aller Zeiten. Kain erkennt das Verderben des gefallenen Menschen nicht an und verschmäht den von Gott gegebenen Heilsweg, in völligem Gegensatz zu seinem Bruder Abel. Dieser verstand, dass er ein Sünder war, dass der Tod zwischen ihm und Jehova stand; deshalb brachte er nach dem göttlichen Grundsatz: „Ohne Blutvergiessung ist keine Vergebung", ein Opfer von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett, ein Opfer, welchem Gott Zeugnis geben konnte (Hebr. 11, 4). Kain trat freilich auch mit einer Opfergabe vor Jehova, aber sie bestand aus der Frucht eines verfluchten Erdbodens, aus den Erzeugnissen der Arbeit seiner Hände; er leugnete damit alles, was seit der Schöpfung vorgegangen war - und das war Unglaube. Sein Herz war verderbt, und da ein solches Herz, wie geschrieben steht, „die Begierden dessen zu tun wünscht, der ein Menschenmörder von Anfang und in dem keine Wahrheit ist" (vgl. Joh. 8), so hasste Kain seinen Bruder, beneidete ihn, weil Gott auf dessen Opfer mit Wohlgefallen geblickt hatte, und erschlug ihn. Er erwies sich als ein getreues Beispiel jener Menschen, welche den Herrn Jesus aus Neid und Hass überlieferten und ebenso selbstgerecht und mörderisch waren wie er. Es kommt noch hinzu, dass er vor der Tat in einer besonderen Unterredung von Jehova gewarnt wurde, aber die ihm so erwiesene Gnade in seiner Verblendung von sich wies.

Es ist heute noch genauso. „Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (Joh. 3, 19). Das Licht, das Jesus uns gebracht hat, das Licht des Lebens (Joh. 8, 12), das Licht des Heils (vgl. Jes. 49, 6), wird von dem Gott der Gnade dem Sünder entgegengehalten, aber die Menschen machen es wie Kain, sie hassen das Licht und stoßen es von sich. Dasselbe verderbte Herz, das bei Kain Hass und Mord gebar, schlägt in einem jeden Menschen, ohne Ausnahme. Und weil das so ist und auch damals so war, entzog Jehova das Gericht und die Bestrafung Kains seinen Mitmenschen und „machte an Kain ein Zeichen, aus dass ihn nicht erschlüge, wer irgend ihn fände" (1. Mose 4, 15). Gott sagte damit, dass alle Menschen gleich verdammungswürdig seien. „Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst, denn du, der du richtest, tust dasselbe“ (Röm. 2, 1).

Gott will allein mit der Sünde zu handeln haben, weil jede Sünde des Menschen, mögen auch andere, wie hier Abel, durch ihre Folgen zu leiden haben, unmittelbar gegen Ihn begangen wird. Später, als die Regierung Gottes aus der Erde offenbart werden sollte, wird dem Noah gesagt: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden“ (1. Mose 9, 6). Hier aber, wo es galt, dem Menschen die gemeinsame Verderbtheit zum Bewusstsein zu bringen, war es niemand erlaubt, Kain seiner schrecklichen Sünde wegen zu strafen. „Jeder, der Kain erschlägt - siebenfältig soll es gerächt werden."

Jetzt ging Kain weg von dem Angesicht Jehovas". (V. 16.) Ihm ist von Seiten Gottes Schutz zugesichert, und mehr begehrt er nicht. Er denkt nicht daran, Jehova, gegen den er so schwer gesündigt hat, um Vergebung zu bitten; er hat nur den Wunsch, so schnell wie möglich aus dessen Nähe weg zu kommen und sich in der Welt und ihrer Lust zu verlieren. Genauso, wie es heute die Menschen machen. Wenn Gott nur ihr Leben schützt, Seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte — dann wollen sie schon ohne Ihn fertig werden.

Von der Gegenwart Gottes nunmehr ausgeschlossen, baut Kain die erste Stadt und vereinigt die Menschen zu einer Gesellschaft, zu einem gemeinsamen Zusammenleben. Die Stadt wächst und gedeiht, und Dank der Geschicklichkeit und Betriebsamkeit der Kinder und Enkel Kains finden sich bald die Annehmlichkeiten des Reichtums (V. 20), der Industrie (V. 22), der Künste und- Vergnügungen (V. 21) ein. Sicher hatte die Stadt auch ihre Religion, denn Kain war, wie wir an seinem Opfern gesehen haben, in seiner Art ein religiöser Mann. Nach und nach vergisst die Familie Kains den Totschlag Abels, hört nicht mehr das Schreien des Bruderblutes, und das Schuldbewusstsein geht unter in der Freude an den wachsenden Viehherden, in dem Lärm der Hämmer und der Schneidewerkzeuge aus Erz und Eisen, und in den Tönen der Laute und der Flöte. Kain ist ein ehrbarer Bürger der Welt geworden, aber von der Gegenwart Gottes noch ebenso weit entfernt wie an dem Tage, als er seinen Bruder erschlug.

So bildete sich die „gegenwärtige böse Welt" (Gal. 1, 4). Von dem Augenblick an, da unsere Stammeltern dem Teufel ihr Ohr liehen, nahmen „die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens" Besitz von den Menschen. Auf diesen Grundsätzen baute sich die Welt aus und wurde organisiert von einem Manne, der aus der Gegenwart Gottes ausgeschlossen war. Daran hat sich seit damals nichts geändert; nur dass heute die Welt, wegen des Mordes und der Verwerfung nicht nur eines Abel, sondern des Sohnes Gottes selbst, völlig als Feindin Gottes dasteht und in herzloser Weise das Blut und die Leiden Jesu vergisst.

Damals, wie jetzt, gab es noch eine Familie auf der Erde, ganz anderer Art wie Kain und sein Geschlecht. Der Tod Abels, wie der Tod Jesu Christi, hat Früchte getragen und eine Familie in die Welt eingeführt, die mit der Stadt Kains nichts zu tun hat und, getrennt von der im Argen liegenden Welt, als die Familie Gottes vor unseren Augen erscheint. Das ist die Familie Seths.

Inmitten des Verderbens der Familie Kains schenkte Gott der Eva in der Person Seths einen anderen Samen, und zwar an Stelle des gerechten Abel, der von Kain erschlagen worden war. So wurde Seth das Haupt einer Familie, die Gott nicht in Verbindung setzte mit Kain, sondern mit dem getöteten Abel, wie ja auch Eva bei der Geburt dieses Sohnes bezeugte: „Gott hat mir einen anderen Samen gesetzt anstatt Abels, weil Kain ihn erschlagen hat" (V. 25). In der Familie Seths, die gleichsam von Gott selbst ins Leben gerufen und von Ihm bewahrt wurde, finden wir — wenn auch nur in ganz kurzen Worten angedeutet — all die Charakterzüge und Vorrechte wieder, welche das Teil derer sind, die als Errettete noch heute die Familie Gottes aus der Erde bilden.

Der Glaube, der die Auserwählten dieser Familie zuführt, war dort vorhanden — derselbe Glaube, den wir schon bei Adam, Eva und Abel finden. Wir lesen, dass dem Seth ein Sohn geboren wurde, den er Enos, d. h. Mensch, Sterblicher, nannte.

Auf diese - Weise bekannte und bezeugte Seth, dass das Gericht Gottes aus jedem Menschen liege, und dass der Tod, der Sünde Sold, ihm von Rechts wegen gebührt. Kain hatte sich an dieses Gericht gewöhnt und tat sein Möglichstes, es im Taumel der Welt zu vergessen; aber Seth bezeugte es öffentlich, und wir wissen, dass es der erste Schritt des Glaubens ist, sich als Sünder und Verlorenen zu erkennen.

Weiter wird uns von dieser Familie gesagt: „Damals sing man an, den Namen Jehovas anzurufen“ (V. 26). Das setzt unbedingt Glauben voraus, denn: „Wie werden sie nun Den anrufen, an welchen sie nicht geglaubt haben?“ (Röm. 10, 14).

„Den Namen Jehovas anrufen" bedeutet zunächst, dass man auf diesem Wege durch den Glauben das Heil mit seinen Segnungen erlangt; heißt es doch in Röm. 10,13: „Jeder, der irgend den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden". Bin ich aber errettet, bin ich ein Kind Gottes, dann rufe ich den Namen des Herrn an, um Ihn anzubeten.

So gab es denn von der Zeit an, als die Familie Seths den Namen Jehovas anrief, Anbeter des wahrhaftigen Gottes auf der Erde; und alle Männer des Glaubens im Alten Testament riefen von da an, in Verbindung mit dem Opfer auf dem Altar, den Namen Jehovas an.

Abraham baute in Bethel einen Altar und rief den Namen Jehovas an. (1. Mose 12, 8.)

David errichtete auf der Tenne Ornans einen Altar, opferte und rief zu Jehova (1. Chron. 21, 26).

Elias baute auf dem Berge Karmel einen Altar, opferte und rief den Namen Jehovas an (1.Kön. 18).

Aus diesen drei Beispielen, deren Zahl sich vergrößern ließe, lernen wir, dass die wahre Anbetung sich an ein Opfer knüpft. Wir sind zu Anbetern Gottes gemacht, weil das Lamm geschlachtet ist. Ja, das geopferte Lamm ist der Gegenstand unseres Dienstes vor Gott. „Durch Ihn (Christum) nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, dass ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen“ (Hebr. 13, 15). Außer dem Glauben, außer der Anbetung finden wir bei der Familie Seths noch etwas, das sie von Kain unterscheidet, und was auch heute noch die Kinder Gottes von den Kindern der Welt trennt, nämlich die Absonderung.

Wir haben schon davon gesprochen, dass Gott an Kain ein Zeichen machte, auf dass niemand ihn erschlüge. Die Familie Seths beachtete das Verbot Jehovas und machte nicht den geringsten Versuch, „das Schreien des Blutes Abels vom Erdboden zu Gott“ (Kap. 4, 10) zu beantworten. Sie hörte nicht aus den Racheschrei des Blutes, sondern auf die Stimme Jehovas, der die Rache verboten hatte, und ertrug in Trauer und Mitgefühl das ihrem Bruder zugefügte Unrecht. Ja, diese Gläubigen verstanden, dass Jehova sich selbst die Zeit vorbehielt, wo Er die Erde von Unrecht und Gewalttat reinigen würde, und dass es ihre Ausgabe war, bis dahin in Fremdlingschaft und mit einer himmlischen Gesinnung hienieden zu wandeln. Darum sehen wir sie auch nicht in der Stadt Kains und hören nichts von Erfolgen ihrerseits in der Ausschmückung der Erde.

Diese von Gott erwartete Absonderung von der bösen Welt, die unseren Herrn verworfen hat, findet heute, wie damals, eine sehr köstliche Belohnung. Der überaus herrliche Lohn ist die Gemeinschaft des großen Gottes mit Seinen Kindern. Dieser Gemeinschaft begegnen wir auch in der Familie Seths. Schon im nächsten Kapitel wird uns gesagt, dass als Nachkomme Seths Henoch geboren wurde, der „mit Gott wandelte“ (Kap. 5, 24).

Dass Gott mit Seinen Kindern wandelt, wenn ich mich so ausdrücken darf, mögen sie noch so schwach und wenig folgsam sein, ist als die kostbare Frucht der Erlösung aller Gläubigen Teil. Hier heißt es aber, (und es wird zweimal betont), dass „Henoch mit Gott wandelte“, und das ist mehr. „Mit Gott wandeln" ist nicht bloß eine Frucht der Erlösung, sondern auch eine Frucht unseres Glaubens, der persönlichen Treue, und zugleich ein Beweis der Verwirklichung der Gemeinschaft mit Gott. Obgleich Henoch aus der Erde lebte, wandelte er in der Gegenwart Gottes, da wo Gott sich befand. Er lebte ein himmlisches Leben, abseits von den Grundsätzen und dem Treiben dieser Welt. „Wandeln wohl zwei miteinander, es sei denn, dass sie übereingekommen sind?“ fragt Amos in Kap. 3, 3. So lange wir mit Gott wandeln, besteht zwischen Gott und uns eine Übereinstimmung der Gedanken, der Interessen und des Verhaltens. Vollkommen war diese Übereinstimmung nur bei Einem, bei Jesu, als Er hienieden pilgerte, und Sein Wandel mit Gott bleibt für alle Zeiten das makellose Vorbild des unsrigen; aber möchte uns schwachen Gliedern der Familie Gottes schon das Beispiel eines Henoch zum Ansporn dienen, der „dreihundert Jahre mit Gott wandelte“, also drei Jahrhunderte hindurch sich gleich blieb in seinem Charakter als himmlischer, die Gemeinschaft Gottes genießender Fremdling!

Schließlich finden wir auch die große Hoffnung unserer Herzen, dass wir den Tod nicht schmecken werden, und dass der Herr bald kommen wird, um uns zu sich zu nehmen, bei diesem treuen Pilger aus der vorbildlichen Familie Seths bereits erfüllt. „Henoch wandelte mit Gott, und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg“ (Kap. 5, 24).

Wie reich und vielsagend ist doch das Wort Gottes! In der kurzen Beschreibung der Geschichte Kains und Seths stellt der Geist Gottes die Geschichte der ganzen Menschheit in ihrer Entwicklung vom Anfang bis zum Ende vor unsere Augen. Er schildert sie an zwei Familien, die mit unveränderten Grundsätzen die vieltausendjährige Wegstrecke durchlaufen, und richtet dadurch an jeden Menschen die ernste Frage, ob er den Weg Kains, den Weg der Welt ohne Gott, gehe, oder ob er zu der Familie Seths, zur Familie Gottes auf der Erde, gehöre, — zu jener glücklichen Familie, die durch Seine Gnade in Glauben, Anbetung, Absonderung und in Gemeinschaft mit Ihm bewahrt und erhalten wird bis zum Kommen ihres hochgelobten Herrn.

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In eins vollendet

Bibelstelle: Johannes 17, 22. 23

Botschafter des Heils 1913 S. 84ff

Autor: Jul. Sturm

Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, dass sie eins seien, wie wir eins sind . Auf dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt uns sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast. Johannes 17,22 - 23

O Seligkeit, wenn einst die Stunde schlägt,

die noch die Ewigkeit im Schoße trägt,

wo länger nicht im Kampfe der Partei`n

die Glieder eines Leibes sich entzwein,

wo aller Lippe einen Namen nennt,

wo aller Herz in einer Liebe brennt,

und aller Geist nur einem Dienst geweiht,

sich freut in Schauen Deiner Herrlichkeit!

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Was die Schrift mir sagt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 85ff

Die nachstehenden Zeilen sind niedergeschrieben worden in Beantwortung einer an den Schreiber gerichteten Bitte, eine Darstellung dessen geben zu wollen, was er glaube. Dabei aber wurde dem Bittsteller gesagt, dass der Schreiber niemals ein Glaubensbekenntnis, auch kein von ihm selbst aufgestelltes, unterschreiben werde, nicht unterschreiben könne, weil alle menschlichen Feststellungen der Wahrheit weit, weit hinter der Schrift zurückblieben, selbst wenn alles dem geschriebenen Worte unmittelbar entnommen würde. — In dieser Überzeugung hat die Niederschrift den Schreiber nur noch mehr befestigt.

In erster Linie vielleicht können wichtige Punkte ausgelassen oder andere eingefügt werden, die besser nicht da wären. Und selbst vorausgesetzt, dass alles seine Richtigkeit hätte, würde das Geschriebene doch immerhin mehr einem gemachten Baume gleichen, als einem wirklichen, wachsenden. Wie ganz anders ist es mit dem Worte! Das Wort gibt die Wahrheit in ihren lebendigen Wirkungen. Es gibt in Verbindung mit Gott, in Verbindung mit dem Menschen, mit dem Gewissen, mit dem göttlichen Leben, und das ist etwas ganz anderes. Um zu unserem Bilde zurückzukehren, eine solche Niederschrift ist nicht der wachsende Baum, sondern, wenn auch alles darin enthalten ist, doch nur ein Haufe in Bündel gebundener Hölzer. Dennoch hatte der Schreiber kein Bedenken, die gestellte Frage zu beantworten und das, was er glaubt, niederzuschreiben. Aber, wie gesagt, das Nachstehende wird dargeboten mit einer Überzeugung, tiefer als je, von der Unvollkommenheit jeder menschlichen Zusammenstellung der Wahrheit, und in dem Bewusstsein, dass noch vieles mehr da ist, was gelehrt werden könnte und sollte. Jedenfalls aber kann er von dem Gebotenen sagen:Dies glaube ich. So habe ich es aus der Schrift gelernt.“

Die Schrift sagt mir, dass es einen lebendigen Gott gibt (1. Tim. 2, 5; 4, 10 u. a. St.), der uns in Christo völlig geoffenbart worden (Joh. 1, 18), und durch Ihn als Vater, Sohn und Heiliger Geist bekannt gemacht worden ist (Matth. 3, 16. 17; 28, 19; Eph. 2, 18), und zwar in der Einheit der Gottheit (Joh. 5,19; 1. Kor. 12, 6), obwohl geoffenbart als unterschiedlich wollend (Joh. 6, 38 – 40; Joh. 5, 21; 1. Kor. 12, 11), wirkend (Joh. 5,17; 1. Kor. 12, 11), sendend, gesandt (Joh. 14, 26; 15, 26; 5, 24. 37; 1.. Petr. 1, 12; 1. Joh. 4, 14), kommend (Joh. 15, 26; 16, 7. 8. 13), austeilend (1. Kor. 12, 11), oder in anderer Weise handelnd; oder, wie man sich gewöhnlich unter Christen ausdrückt, da sind drei Personen in einem Gott, oder Dreieinheit in Einheit. Gott ist der Schöpfer aller Dinge; aber der Schöpfungsakt wird persönlich dem Worte und dem Sohne beigemessen, sowie der Wirksamkeit des Geistes Gottes (1. Mose 1, 1 - 2; Hiob 26,13 ; Joh. 1, 1 - 3; Kol. 1, 16; Hebr. 1, 2).

Die Schrift sagt mir, dass das Wort, welches bei Gott und welches Gott war, Fleisch wurde und unter uns wohnte (Joh. 1, 1. 2. 14), indem der Vater den Sohn sandte als Heiland der Welt (1. Joh. 4, 14). Er ist als der Christus von einem Weibe geboren worden (Gal. 4,4), durch die Kraft des Heiligen Geistes, der über die Jungfrau Maria kam (Luk. 1, 35). Er war wahrer Mensch (Phil. 2 7; Hebr. 2, 14. 17; 1. Joh. 4,2; 2. Joh. 7), ohne Sünde (Luk. 1,35; 1. Joh. 3,5); in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol. 2,9); Er ist der Verheißene Same Davids dem Fleische nach (Röm. 1, 3; Apstgsch. 2, 30; 13, 23; 2. Tim. 2, 8), der Sohn des Menschen (Matth. 16, 13 u. a. St.) und der Sohn Gottes (Joh. 1, 18. 34 u. a. St.), als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung (Röm. 1,4), eine hochgelobte Person, Gott und Mensch (Phil. 2, 6 -10; 2. Kor. 5, 19 - 21; Hebr. 1 u. 2; 1. Joh. 2, 23 -3,3; 5, 20; Offbg. 22, 12. 13; Joh. 1, 1. 14; 8, 58, u. v. a.), der Mensch Christus Jesus (1. Tim. 2, 5), der gesalbte Mensch (Apgsch. 10, 38), Jehova, der Retter (Heiland) (Matth. 1, 21. Das Wort Christus oder Messias bedeutet gesalbt, und Jesus oder Josua: Jehova (oder Jah), der Retter).

Die Schrift sagt mir, dass Er für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften (1. Kor. 15,3), nachdem Er einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden ist zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer (Hebr. 9,26), dass Er unsere Sünden an Seinem Leibe aus dem Holze getragen hat, indem Er, der Gerechte für die Ungerechten, litt, auf dass Er uns zu Gott führe (1.Petr. 2,24; 3,18), und dass Er unsere Gerechtigkeit vor Gott ist. (1. Kor. 1,30; Hebr. 9, 24).

Die Schrift sagt mir, dass Er aus den Toten auferstanden ist (1. Kor. 15. 20; Matth:. 28, 6 u. v. a. St.), auferweckt durch Gott, durch die Herrlichkeit des Vaters (Apstgsch. 3, 15; Joh. 2, 19; Röm. 6, 4; Eph. 1, 20), dass Er auferstanden ist in der Kraft Seiner Person und hinaufgestiegen in die Höhe (Mark. 16, 19; Luk. 24, 51; Eph. 4, 8 -10 u. a. St.), nachdem Er durch sich selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht hat, und dass Er dort zur Rechten Gottes sitzt (Hebr. 1, 3; 10,12; Eph. 1, 20. 21 u. a. St.).

Die Schrift sagt mir, dass nach Christi Himmelfahrt der Heilige Geist auf die Erde herabgesandt worden ist, damit Er in Seinem Volke einzeln und gemeinsam wohne, so dass sie in beiderlei Hinsicht der Tempel Gottes sind (Joh. 16, 7; 7, 39; Röm. 8, 9; der Vater sendet: Joh. 14, 26; Christus sendet vom Vater: Joh. 14, 16. 17, 26; Röm. 8, 11; 1. Kor. 6, 19; 3, 16; Eph. 2, 22; 1.Kor. 12, 13; Eph. 5, 30, 1, 23; u. a. St.) Wir sind versiegelt (Eph. 1, 13; 2. Kor. 1, 22) und gesalbt mit diesem Geiste (2. Kor. 1, 21; 1. Joh. 2,20. 27), indem die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist (Röm. 5, 5); wir werden durch Ihn geleitet (Röm. 8, 14), und Er ist das Unterpfand unseres Erbes (Eph. 1, 14; 2. Kor. 1, 22; 5, 5). Wir rufen: Abba, Vater! indem wir wissen, dass wir Söhne sind (Röm. 8, 15; Gal. 4, 6. 1).

Die Schrift sagt mir, dass Christus wiederkommen wird, um uns zu sich zu nehmen (Joh.14,3); dabei wird Er die Seinigen auferwecken oder, falls sie noch leben, verwandeln, indem Er ihre Leiber zur Gleichförmigkeit mit Seinem verherrlichten Leibe umgestalten wird, nach der Kraft, mit der Er vermag, sich alle Dinge zu unterwerfen (1. Thes. 4, 16. 17; 1. Kor. 15, 23. 51. 52; Phil. 3,20. 21); die von ihnen, welche vorher sterben, gehen hin, um bei Ihm zu sein (2. Kor. 5, 8; Luk. 23, 43; Apstgsch. 7, 59).

Die Schrift sagt mir, dass Gott einen Tag gesetzt hat, an dem Er diesen Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird durch jenen Mann, den Er dazu bestimmt hat, wovon Er allen Menschen den Beweis gegeben, indem Er Ihn aus den Toten auferweckt hat (Apstgsch. 17, 31), und dass Er am Ende auf dem großen weißen Throne sitzen und die Toten, vornehm oder gering, richten wird (Offbg. 20, 11. 12).

Die Schrift sagt mir, dass ein jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben (Röm. 14, 12) und dass er empfangen wird, was er in dem Leibe getan hat, es sei Gutes oder Böses (2. Kor. 5, 10). Und wie der Gerechte ewiges Leben ererbt (Röm. 6, 22. 23; Matth. 25, 46), so wird der Gottlose gestraft werden mit ewigem Verderben vom Angesicht: des Herrn; er wird hingehen in die. ewige Pein und in den Feuersee geworfen werden, der bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Ja, jeder, der nicht geschrieben gefunden wird in dem Buche des Lebens, wird in den Feuersee geworfen werden (2. Thess. 1, 7 - 9; Matth. 25, 46; Offbg. 20, 15).

Die Schrift sagt mir, dass jener Hochgelobte, der Herr Jesus Christus, für alle gestorben ist, dass Er sich selbst gegeben hat zum Lösegeld für alle, wovon das Zeugnis zu seiner Zeit verkündigt worden ist, dass Er Sühnung getan hat für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt (2. Kor. 5, 14; 1. Tim. 2, 6; 1. Joh.. 2, 2).

Die Schrift sagt mir, dass Er auf diese Weise eine ewige Erlösung erfunden hat (Hebr. 9,14), dass durch Sein Opfer die Sünden all derer, welche an Ihn glauben, ein für allemal abgewaschen sind (Hebr. 1, 3; 9, 22; 10, 2), und dass durch den Glauben an Ihn auch ihre Gewissen gereinigt sind (Hebr. 9, 14; 10, 2). Gott gedenkt nie mehr ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten (Hebr. 10, 17). Ferner empfangen sie als von Gott Berufene die Verheißung des ewigen Erbes (Hebr. 9, 15), indem sie auf immerdar vollkommen gemacht sind, so dass sie Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch Sein Blut, auf dem neuen und lebendigen Wege, welchen Er uns eingeweiht hat (Hebr. 10, 14. 19. 20).

Die Schrift sagt mir, dass wir, um in das Reich Gottes einzugehen, von neuem, aus Wasser und Geist, geboren werden müssen (Joh. 3. 5), da wir von Natur tot in Sünden und Kinder des Zornes sind (Eph. 2, 1. 3; 2. Kor. 5, 14). Das, was Gott zu unserer Wiedergeburt anwendet, ist Sein Wort (Jak. 1, 18; 1. Petr. 1, 23). Wir werden daher durch Glauben Seine Kinder (Gal. 3, 26).

Die Schrift sagt mir, dass Gott also die Welt geliebt hat, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe (Joh. 3, 16), aber dass zu diesem Zweck, da Gott ein gerechter und heiliger Gott ist, der Sohn des Menschen auf das Kreuz erhöht werden musste (Joh. 3, 14, 15). Dort am Fluchholze hat Er selbst unsere Sünden an Seinem Leibe getragen (1. Petr. 2, 24), dort wurde Er, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm (2. Kor. 5, 21).

Die Schrift sagt mir, dass Er die Versammlung (Gemeinde) geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heilige und reinige durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, damit Er sie sich selbst als eine verherrlichte Gemeinde darstelle, die weder Flecken und Runzel noch etwas dergleichen hat (Eph. 5, 25 - 27).

Die Schrift sagt mir, dass der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus uns in Ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, damit wir heilig und tadellos vor Ihm seien in Liebes (Eph. 1, 4).

Die Schrift sagt mir, dass die, welche geglaubt haben, versiegelt worden sind mit dem Heiligen Geiste, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist zur Erlösung des erworbenen Besitzes (Eph.1,13.14; 2. Kor.1, 22); dass durch Ihn die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen (Röm. 5,5), und dass wir nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen haben, wiederum zur Furcht, sondern den Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater! (Röm.8,15; Gal. 4, 6; Joh. 14, 20). Und die, welche diesen Geist empfangen haben, rufen nicht nur: Abba, Vater! sondern wissen auch, dass sie in Christo sind, und Christus in ihnen; sie wissen so, dass nicht nur Er in Gottes Gegenwart für sie erscheint, sondern dass sie in Ihm sind, der zur Rechten Gottes sitzt, wo Er wartet, bis Seine Feinde gelegt werden zum Schemel Seiner Füße. (Eph. 2, 6; Hebr. 9, 24; 10, 12.13). Sie sind in Gottes Augen der Sünde gestorben und sollen sich auch selbst dafür halten, da sie den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben; sie leben Gott in Christo Jesu (Christus ist ihr neues Leben), sie sind der Welt gekreuzigt und dem Gesetz gestorben (Kol. 3, 3. 4. 9. 10; Röm. 6, 6. 11; Gal. 2, 20; 6, 14).

Ich lerne also aus der Schrift, dass, wenn die Gläubigen in Christo sind, Christus in ihnen ist, und dass sie berufen sind, das Leben Jesu an ihrem sterblichen Fleische zu offenbaren (Joh. 14, 20; Röm. 8, 10; 2. Kor. 4, 10) und so zu wandeln, wie Er gewandelt hat (1. Joh. 2, 6), indem Gott sie in die Welt gestellt hat als Briefe Christi (2. Kor. 3, 3), dessen Gnade ihnen genügt, und dessen Kraft in ihrer Schwachheit vollbracht wird (2. Kor. 12, 9).

Die Schrift sagt mir, dass sie bekehrt sind, um Gottes Sohn aus den Himmeln zu erwarten, und dass sie so unterwiesen sind (1. Thess. 1, 10; Tit. 2, 12. 13; Luk· 12, 35 37). Sie haben die Verheißung, dass sie nie verloren gehen werden, und dass niemand sie aus der Hand Christi rauben wird (Joh. 10, 28), sondern dass Gott sie befestigen wird bis ans Ende, damit sie untadelig seien an dem Tage unseres Herrn Jesus Christus (1. Kor. 1, 7 - 9).

Die Schrift sagt mir, dass sie an diesen Vorrechten teilhaben durch Glauben an Christum Jesum, kraft dessen ihnen Gerechtigkeit zugerechnet wird (Röm. 5, 1. 2; Gal. 3, 11. 14. 24 - 26; Röm. 4, 16; Eph. 2, 8; 2. Kor. 5, 7; Gal. 2, 20; Hebr. 11, 4; Apstgsch. 13, 39; Gal. 3, 9. 6; Röm. 4, 24. 25 u. v. a. St.). Christus, der gehorsam war bis zum Tode, und der auf dem Kreuze ein vollkommenes Werk für sie vollbracht hat (Phil. 2, 8; Joh. 17, 4; Hebr. 7, 27; 9, 25 - 28; 10, 12. 18), ist jetzt ihre Gerechtigkeit, von Gott ihnen dazu geworden (1. Kor. 1, 30), und wir sind Gottes Gerechtigkeit geworden in Ihm (2. Kor. 5, 21). Wie Sein kostbares Blut uns von aller Sünde reinigt, so sind wir persönlich annehmlich gemacht in dem Geliebten (Eph. 1, 6), und wie durch des einen Menschen Ungehorsam die Vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden durch den Gehorsam des Einen die Vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden (Röm. 5, 19).

Die Schrift sagt mir, dass wir geheiligt oder für Gott abgesondert sind durch Gott, den Vater, mittelst des ein für allemal geschehenen Opfers Jesu Christi, und durch die Wirksamkeit und Kraft des Heiligen Geistes mittelst der Wahrheit, so dass alle Christen Heilige sind (Jud. 1; Hebr. 10, 10; 2. Thess. 2, 13; 1.Kor. 6, 11; Joh. 17, 17. 19; 1. Petr. 1, 22; Röm. 1, 7; 1. Kor. 1, 2; Eph., 1, 1 u. a. St.); dass wir ferner in unserem praktischen Zustande nötig haben, der Heiligkeit nachzujagen (Hebr. 12, 14; 2.·Petr. 3,14) und heranzuwachsen zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus, indem wir in Sein Bild verwandelt werden, dem wir bald in Herrlichkeit völlig gleichgestaltet werden sollen ( Eph. 4,13. 15; 2. Kor. 3, 18; 1. Joh. 3, 2. 3; Eph. 4, 1; Kol. 1, 10; 1. Thess. 2, 12; 5, 23).

Die Schrift sagt mir, dass der Herr zwei feierliche Bräuche oder Verordnungen hinterlassen hat, welche beide auf Seinen Tod Bezug haben, der eine einleitend, der andere ständig fortdauernd in der Kirche Gottes -— die Taufe und das Abendmahl (Matth. 28, 19; Mark. 16, 16; Apstgsch. 2, 38; 8, 12. 16. 36; 9, 18; Eph. 4, 5; 1. Kor. 1, 17; 1. Petr. 3, 21; Röm. 6, 3; Kol. 2, 12; Matth. 26, 26 - 28; Mark. 14, 22. 23; Luk. 22, 19. 20; 1. Kor. 11, 23 -26; 10,14 -17).

Die Schrift sagt mir, dass Christus, als Er in die Höhe hinausstieg, Gaben empfing für die Menschen, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, und dass aus Christo der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe (Eph. 4, 6 - 13; Apstgsch. 2, 33; 1. Kor. 12, 28; Röm. 12, 6; 1. Petr. 4, 10. 11; Matth. 25, 14; Luk. 19, 13).

Die Schrift sagt mir, dass, wie die Gnade und unumschränkte Liebe Gottes die Quelle und der Ursprung aller Segnung sind (Joh. 3, 16. 27; 1. Kor. 2, 12; 4, 7; Eph. 2, 7 - 10; Tit. 2, 11), so die beständige Abhängigkeit von jener Gnade dasjenige ist, wodurch wir Ihm nachfolgen und zu Seiner Verherrlichung wandeln können, indem Er uns ein Beispiel hinterlassen hat, auf dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen (Joh. 15,5; Phil. 2, 12. 13; 1. Thess. 5, 17; Röm. 12, 12; Luk. 18, 1; 2. Petr. 1, 5 -10 u. viele and. St.; Joh. 8, 12; 10, 4; 12, 26; 17, 10; 2. Kor. 5, 15; 1. Kor. 6, 19. 20; Röm. 14, 7.8; 1. Kor. 10- 31; Kol. 3, 17; 1.Joh. 2, 6; 1. Petr. 2, 21).

Ich lerne aus dem Beispiel und der Autorität des Herrn und Seiner Apostel, dass die Schriften des Alten und des Neuen Testaments von Gott eingegeben und aufzunehmen find als das Wort Gottes, welchem Seine Autorität ausgedrückt ist, und das in uns, den Glaubenden, wirkt (Matth. 4, 4. 7. 10; Luk. 24, 25 - 27. 44 - 46; Joh. 5, 39; 10, 35; Matth. 5, 17. 18; Joh. 20, 9; Matth. 1, 23 und eine Anzahl anderer Stellen. Matth. 26, 54; 2. Petr. 1, 20. 21; Gal. 3, 8; 2. Tim. 3, 14 - 17; 1.Thess. 2, 13; 1. Kor. 15, 2. 3; 2, 13; 14, 36. 37; Röm. 16, 26. Hier sind es nicht „die Schriften der Propheten“, d. h. es sind wohl Schriften, aber Neu-Testamentliche, nicht Alt-Testamentliche. 2. Petr. 3, 16). Ich lerne ferner, dass das Zeugnis des Herrn zuverlässig ist, indem es den Einfältigen weise macht und die Gedanken und Gesinnungen des Herzens beurteilt, und dass die Schriften nicht durch menschliche Weisheit verstanden werden, sondern durch göttliche Belehrung, weil sie geistlich beurteilt und durch den Geist geoffenbart, mitgeteilt und beurteilt werden (Ps. 19, 7; Hebr. 4, 12. 13; Luk. 24, 45; 1. Kor. 2, 10; 1. Joh. 2, 20. 27; Joh. 6, 45; 1. Kor. 2, 12 - 14).

Die Schrift sagt mir, dass, während Gott allein in und durch sich selbst Unsterblichkeit hat (1. Tim. 6, 16), die Engel dem Tode nicht unterworfen sind (Luk. 20, 36), und dass der Tod eines Menschen, sei er gottlos oder wiedergeboren, das Leben seiner Seele nicht berührt, sondern dass alle, wenn auch gestorben, Gott leben (Luk.12, 4. 5; Matth.10, 28; Luk. 16, 23; 20, 38), und dass die Bösen ebenso wohl auferweckt werden wie die Gerechten ( Joh. 5, 28. 29; Apstgsch. 24, 15).

Die Schrift sagt mir, dass jede Versammlung Gottes durch eine wortgemäße Ausübung der Zucht gebunden ist, sich rein zu erhalten in Lehre und gottseligem Wandel ( Hebr. 12, 15 - 17; 1. Tim. 3, 15; Tit. 3, 10. 11; 1. Kor. 5, 7. 13).

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Einige Gedanken über die Person Jesu Christi, unseres Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 96ff

I

Es ist wunderbar, wie der Geist Gottes die Schreiber der vier Evangelien geleitet hat, uns den Herrn Jesus vor Augen zu stellen. Jedem von ihnen war ein besonderer Dienst anvertraut; und die Ungezwungenheit, mit der jeder seiner Aufgabe gerecht wird, zeigt die Inspiration, unter der sie schrieben, sowie ihr eigenes Bewusstsein, dass alles, was sie berichteten, die Wahrheit war. Es entspricht der Ungezwungenheit, mit welcher Er, über Den sie schrieben, Seine Werke tat und Seine Belehrungen erteilte, eine Ungezwungenheit, die in gleicher Weise die Gegenwart des göttlichen Lichts und der göttlichen Macht zeigte, die Ihn erfüllten. Aber ob wir nun den Sohn betrachten, Der der Handelnde in all diesen köstlichen Szenen war, oder den Geist, der sie berichtet, in jedem Falle können wir sicher sein, dass Gott uns Seinen Geliebten sehr nahe gebracht hat.

Der Herr Jesus wird uns in den Evangelien in verschiedener Weise vor Augen gestellt. Wir sehen Ihn als Gott und Mensch in einer Person, und doch ohne eine Vermengung der beiden Naturen: eins in ewiger Herrlichkeit mit dem Vater und dem Heiligen Geist, und doch, ebenso wahr, der Sohn der Maria, geboren von einem Weibe, indem Sein Leib in dem Mutterleibe der Jungfrau gebildet wurde. Wir sehen Ihn als den Sohn, der im Schöße des Vaters ist, als das fleischgewordene Wort, das Gott kundmacht; als den Sohn Gottes, den Christus, den Sohn des Menschen, den Sohn Davids, als Jesum von Nazareth, den Diener, den Gesandten, den Geheiligten, den Gegebenen, den Versiegelten, als das Lamm; wir sehen Ihn endlich als den Auferstandenen, den Aufgefahrenen, den Verherrlichten.

Unter all diesen Titeln und Charakteren lesen wir von Ihm. Auch in Seinen Umständen und Lagen erblicken wir Ihn in ganz verschiedener Weise. Sein tägliches Leben war sehr bewegt, sehr mannigfaltig. Stets war Er ein Fremder, ein Einsamer, und doch war niemand so zugänglich wie Er. Mit den Führern hatte Er ständig Zusammenstöße; das Volk lehrte Er; den Jüngern, die Ihm anhingen, war Er Berater, Warner und Lehrer; mit den Zwölfen stand Er in vertrautem Verkehr; noch inniger und herzlicher handelte Er mit einzelnen Seelen. Er kannte die Launen und Neigungen der Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer und hatte für alle ein passendes Wort bereit. Den verschiedenartigsten Personen hatte Er zu antworten, alle möglichen Krankheiten zu heilen und die mannigfaltigsten Nöte und Schwachheiten zu lindern. Ansprüche von allerlei Art traten fortwährend, und, wie wir sagen würden, ganz unerwartet an Ihn heran. Sein ganzes Leben war eine stete Einladung an die beladene, mühselige Welt rund um Ihn her.

Zu Zeiten sehen wir Ihn verspottet und verhöhnt. Man hasst Ihn und lauert Ihm auf. Manchmal zieht Er Sich zurück, wie um Sein Leben vor den Angriffen des Feindes in Sicherheit zu bringen.

Zu Zeiten ist Er schwach, und nur die Ärmsten aus dem Volke folgen Ihm nach; Er ist müde und hungrig und wird von einigen Frauen bedient, die Ihn lieben, da sie wissen, dass sie in Seiner Schuld stehen.

Zu Zeiten zeigt Er Sich in aller Zartheit, indem Er Sich der Volksmenge annimmt oder ihr mit Seinen Jüngern Gesellschaft leistet.

Zu Zeiten sehen wir Ihn stark, indem Er Wunder tut oder einige Strahlen der Herrlichkeit hervortreten läßt. In solchen Augenblicken sehen wir die Reiche des Todes und die Mächte der unsichtbaren Welten Ihm unterworfen.

Bald so, bald so tritt Er vor uns, wenn wir die Evangelien erforschen, und wir können in diesem Sinne gewiss auch sagen: „Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist". Jetzt bittet Er um einen Trunk Wasser von der Hand einer Fremden, weil Er müde ist von der Reise, ein anderes Mal verwandelt Er zu anderer Nutzen Wasser zu Wein. Von einem Fischer leiht Er ein Boot, wenn die Volksmenge sich um Ihn drängt. Er durchzieht das Land wie ein Reisender, der weitergeht und ungeladen die Wohnung anderer nicht betritt. Wenn aber die Gelegenheit es erheischt, fordert Er ein Tier von dessen Eigentümer, wie Der, Welcher als Herr Anspruch darauf hat; oder Er tut kund, dass Sein Sitz zur Rechten der Majestät in der Höhe ist und die Wolken Sein Gefährt sind.

Die Welt würde die geschriebenen Bücher nicht fassen, wenn alles niedergeschrieben worden wäre, was Jesus getan und geredet hat; aber was niedergeschrieben ist, ist zu unserer Segnung geschrieben, damit wir Ihn kennenlernen und durch solche Kenntnis leben, Ihn lieben und Ihm vertrauen.

Die Herrlichkeit des Herrn Jesu kann von drei Gesichtspunkten aus betrachtet werden: sie ist persönlich, amtlich und sittlich. Seine persönliche Herrlichkeit verhüllt Er, außer wenn der Glaube sie entdeckte oder ein gelegentliches Bedürfnis ihre Offenbarung verlangte. Seine amtliche Herrlichkeit verhüllte Er gleicherweise; weder durchschritt Er das Land als der göttliche Sohn, Der in dem Schöße des Vaters ist, noch als Der mit Autorität bekleidete Sohn Davids. Diese Seiten der Herrlichkeit blieben gewöhnlich verdeckt, während Er Sich inmitten der Umstände des täglichen Lebens hienieden bewegte. Aber Seine sittliche Herrlichkeit konnte nicht verborgen bleiben. Er konnte bei keiner Handlung, bei nichts, wo man Ihn sah und hörte, weniger als vollkommen sein. Diese Herrlichkeit gehörte zu Ihm, sie war gleichsam Er Selbst. Infolge ihrer ausgezeichneten Vortrefflichkeit war sie zu blendend für das menschliche Auge, und der Mensch fühlte sich beständig durch sie bloßgestellt und verurteilt. Aber sie warf, mochte der Mensch sie ertragen können oder nicht, ihre Strahlen überallhin, und wie sie damals jeden Pfad erhellte, den der Herr auf dieser unserer Erde wandelte, so lässt sie heute jedes Blatt der vier Evangelien hell erglänzen.

Aber abgesehen von dieser inneren, sittlichen Herrlichkeit, die immer in Ihm zutage trat, sehen wir Ihn von Herrlichkeit zu Herrlichkeit schreiten auf dem ganzen Wege von der Krippe in Bethlehem bis zum Himmel. Und gerade die vier Evangelisten setzen uns in den Stand, auf diesem Wege Seiner Spur zu folgen.

Bei Seiner Geburt erscheint Er in der Herrlichkeit einer fleckenlosen Menschheit. Er wurde geboren von einer Frau, geboren in der Welt. Dabei war Er aber „das Heilige", so dass in Seiner Person die volle Herrlichkeit der Natur, die Er angenommen hatte, geschaut wird.

Während Seiner Kindheit und Jugend und in dem ganzen Zeitraum, wo Er Seinen Eltern in Nazareth Untertan war, strahlte Er die Herrlichkeit des Gesetzes wieder. Ich meine selbstverständlich, in geistlichem Sinne. Moses konnte das nicht tun. Gleich dem Schwächsten im Lager zitterte er, als er die Stimme Gottes vernahm. Aber der Herr Jesus war, sowohl in Seiner Person als auch in Seinem Wesen, das lebendige Muster der Vollkommenheit, die das Gesetz forderte.

Als dann die Zeit dazu gekommen war, musste Er die Einsamkeit Nazareths verlassen. Er wurde getauft und nahm so die neue Stellung ein, zu der Gottes Stimme Israel berufen hatte. Auf diesem Wege erfüllte Er alle Gerechtigkeit.

Hier nun lasst uns einen Augenblick bei einem Punkt verweilen, der beachtenswert ist. Wir lesen gelegentlich Seiner Taufe, dass Er alsbald aus dem Jordan heraufstieg. Er blieb somit nicht lange unter den Händen des Johannes. Seine Salbung, Seine Einweihung (wenn wir sie so nennen dürfen), Seine Beauftragung seitens des Vaters und Seine Besitzergreifung durch den Heiligen Geist waren viel mehr Begleiterscheinungen Seiner Taufe, als dass sie ihr gefolgt wären. Wir lesen: „Und als Jesus getauft war, stieg, Er alsbald von dem Wasser herauf; und siehe, die Himmel wurden ihm aufgetan, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herniederfahren und auf ihn kommen. Und siehe, eine Stimme kommt aus den Himmeln, welche spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe" (Mt. 3,16-17).

Das ist bemerkenswert. Der Herr Jesus wurde keinen Augenblick unter den Händen des Johannes zurückgehalten, der Ihn taufte. Wie wäre das auch möglich gewesen? Konnte man von Einem eine Frucht der Buße erwarten, Der bereits vollkommen unter dem Gesetz gewesen war? Er unterzog Sich dieser Taufe, weil Er alle Gerechtigkeit erfüllen wollte; aber Er verweilte nicht unter ihr, weil von Ihm keine „der Buße würdige Frucht", gefordert werden konnte. Als Er aus dem Wasser heraufstieg, wurden die Himmel über Ihm aufgetan, der Geist fuhr hernieder, und die Stimme sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe". Das war Seine Herrlichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, unter Johannes - in der Tat eine besondere Herrlichkeit und vollkommen in ihrer Art.

Dann, als gesalbt und für Seinen Dienst geweiht, beginnt der Herr Jesus Seine Tätigkeit. Der Schauplatz ist nicht länger bloß Nazareth, sondern das ganze Land. Er tritt hervor, um den göttlichen Charakter zu offenbaren. Immer noch der vollkommen Gehorsame, Der das Gesetz in jedem Jota oder Strichlein ehrt, ist Seine Aufgabe jetzt, den Vater zu offenbaren und Dessen göttliche Huld inmitten des Elends und der Bedürfnisse einer Welt, die sich selbst zu Grunde gerichtet hat. Seine Herrlichkeit als „Bild des Vaters" strahlt jetzt hervor in dem Dienst, den zu erfüllen Er gekommen war.

Aber obwohl Er der Vollkommene unter dem Gesetz war, brachte Er doch das Gesetz nicht anderen. Hätte Er das getan, so wäre Er ein Gesetzloser gewesen, wie einst Moses. Während durch Moses das Gesetz kam, ist durch Jesum Christum „die Gnade und die Wahrheit geworden". Inmitten der Trümmer um Ihn her, mitten in dem durch den Menschen herbeigeführten Verfall offenbarte Jesus die Herrlichkeit des Vaters, indem Er den göttlichen Charakter zum Wohl des herrschenden Elends entfaltete. Dabei blieb Er aber stets der Gehorsame wie zuvor. Doch wer Ihn sah, sah Den, Der Ihn gesandt hatte.

Das war Jesus in Seinem Leben, Seiner Tätigkeit und Seinem Dienst.

Später sehen wir Ihn als gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren. Durch Seinen Tod wurde alles aufrechtgehalten, was Gottes Gerechtigkeit erweisen konnte, wenn Er den Sünder gerecht sprach oder rechtfertigte. Das Kreuz vereinigt in sich, wie in einem glänzenden Strahlenbündel, all die Herrlichkeiten der Gnade und Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens. Gott Herrlichkeit, den Sündern Friede, so lautet seine Sprache. Gott ist vollkommen in ihm verherrlicht, und der schmutzigste Sünder kann auf Grund des Kreuzes Gnade und Vergebung empfangen. Das Kreuz zerriß den Vorhang im Tempel und öffnete die Gräber der entschlafenen Heiligen. Es ist nur eine gerechte Handlung, (mag es andererseits gewiß auch die Frucht schrankenloser, ewiger Reichtümer der Gnade sein,) wenn Gott den Sünder rechtfertigt, der sich auf das Kreuz beruft. Und so erstrahlt jetzt die Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Dessen, Der tot war und lebt, Der am Fluchholz hing und nun zur Rechten der Majestät in den Himmeln thront.

Mit Recht dürfen wir daher sagen, dass wir den Herrn wie von Herrlichkeit zu Herrlichkeit schreiten sehen auf diesem ganzen wunderbaren und vielgestaltigen Wege, der von der Krippe zu Bethlehem bis in den Himmel führt. Die Herrlichkeit der menschlichen Natur erstrahlte in Seiner Person, als Er von der Jungfrau geboren wurde, die Herrlichkeit des Gesetzes in Seinem Verhalten und Seinen Wegen, als Er heranwuchs und dreißig Jahre lang in der Verborgenheit Nazareths lebte, Seinen Eltern Untertan; die Herrlichkeit des Erfüllers aller Gerechtigkeit erblicken wir darin, dass Er zur Taufe des Johannes ging, die Herrlichkeit des Vaters in Seinem Dienst in den Städten und Dörfern Israels; und die Herrlichkeit Gottes erstrahlt jetzt „im Angesicht Jesu Christi", Der, nachdem Er Kreuz und Tod erduldet hat, auferstanden ist und nun Seinen Platz in den Himmeln droben eingenommen hat.

Ich möchte an dieser Stelle, nachdem wir die Herrlichkeiten des Herrn von Seiner Geburt bis zum Himmel verfolgt haben, die Worte eines anderen Schreibers über die Himmelfahrt Christi anführen: In der Entrückung des Elias erblicken wir die Züge der Himmelfahrt jenes Einen, Der nicht in einem feurigen Wagen weggenommen wurde, da Er weder die Reinigung jener feurigen Taufe nötig hatte, noch die Entsendung eines Gefährts zu Seiner Aufnahme nötig hatte, sondern Der in der weit erhabeneren Ruhe der Ihm eigenen, in Ihm wohnenden Macht Sich von der Erde erhob und mit Seinem menschlichen Leibe in die himmlischen Örter einging. Sehr wahr und schön!

Aber außer dem oben Erwähnten enthalten die Evangelien auch Beispiele von den Herrlichkeiten, die des Herrn warten an dem noch kommenden Tage Seiner Macht. Die Verklärung auf dem Berge, der Einzug in Jerusalem, der Wunsch der Griechen, Jesum zu sehen, alle diese Dinge zeigen uns in gewissen Abschnitten „das Reich". Diese drei Ereignisse lassen uns für einen Augenblick Seine wirklichen Herrlichkeiten schauen.

Himmel und Erde, die Umgebungen des Thrones in der Höhe, Israel und seine Stadt Jerusalem, samt all den Nationen von den vier Winden des Himmels, erblicken wir hier, wie sie Ihn in angemessener Weise beschäftigen, je nach Zustand und Vermögen.

Bei der Verklärung sehen wir Ihn angenommen in den himmlischen Ortern, und es werden Ihm die Ehren erwiesen, welche, wie jene Örter in ihren höchsten Abteilungen wohl wissen, Ihm gebühren, und die jene Örter allein Ihm erweisen konnten. Er wird hier mit himmlischer Herrlichkeit verherrlicht. Auch Seine Gewänder sind in himmlisches Licht getaucht. Die Personen, die zu jenen Bereichen gehören, erscheinen zu Seinem Besuch: Moses auf der einen Seite, Elias auf der anderen; aber Jesus als die Sonne steht im Mittelpunkt der Herrlichkeit. „Seine Schleppen erfüllten den Tempel" (Jes 6,1).

Bei dem Einzug in Jerusalem wird uns Sein Empfang in Israel vorgestellt. Hier werden Ihm die Ehrungen zuteil, die Israel Ihm erweisen konnte. Der Eigentümer des Esels erkennt Seine höheren Ansprüche als Herr an. Die Volksmenge kann zwar Seine Kleider nicht in Herrlichkeit erstrahlen lassen, wie die Himmel das getan hatten, aber sie kann ihre eigenen Kleider zu Seinen Füßen ausbreiten und Ihn mit den Freuden eines Laubhüttenfestes umgeben. Es sind nicht Verherrlichte, die Ihn bei dieser Gelegenheit erwarten und die aus ihren Häusern der Herrlichkeit kommen, um Ihn zu begrüßen und zu ehren; aber „Seine Brüder" heißer, Ihn mit Jubelrufen als ihren König willkommen.

Die Griechen ferner, als Vertreter der Nationen, sind bereit, bei dem Feste aufzuwarten und Seiner Befehle, als des Herrn des Festes, gewärtig zu sein, gerade wie Sacharja es voraussieht und fordert. (Vergl. Sach 8,20-23; 14,17.) Allerdings wies der Herr diese Verherrlichung damals zurück. (Vergl. Joh 12.) Seine Stunde war noch nicht gekommen. Er wollte zunächst das Weizenkorn in der Erde sein, statt die Garbe am Tage der Ernte. Immerhin aber waren die Griechen an ihrem Platze bereit zu Seiner Verherrlichung, wie die Himmel am Tage des Sohnes Davids bereit waren.

Alle diese Dinge waren indes nur von ganz kurzer Dauer. Obwohl die Menge hier dem Herrn zujauchzte, war sie, wie wir wissen, mit ihren Führern sehr bald bereit, Ihn zu verleugnen. Und am Kreuze enthüllte sich die Feindschaft der Heiden in Verbindung mit dem Unglauben Israels. Aber doch werfen Seine Herrlichkeiten einige Strahlen über diese Orte und Gelegenheiten, und wir dürfen sie als Unterpfänder oder Bürgschaften für uns sammeln von dem, was Seiner wartet an jenem Tage, wenn Himmel und Erde und die ganze Schöpfung Gottes, jedes auf seine Art und Weise, von Ihm reden und Seine Gegenwart in einer Welt anerkennen werden, die Seiner würdig ist. O welch eine Hoffnung ist es, - „hätten wir nur Herzen für Ihn"! - dass wir Ihn in einer Welt sehen werden, die Seiner würdig sein wird!

Leider kennen wir diese Herrlichkeiten nicht so, wie wir es sollten und wie die Evangelisten sie uns vor Augen stellen. Und vor allem machen wir von diesem „Bilde Gottes" nicht mit jenem einfachen Glauben Gebrauch, den es beansprucht. Wir haben unsere eigenen Gedanken über Gott, und sie erweisen sich mehr oder weniger als Verlust und Schaden für unsere Seelen. Der Apostel konnte uns den Wert dieses Bildes beschreiben. Er konnte davon zeugen, wie diese Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi zum Herzen dringt, gerade so wie einst das Wort, das aus der Finsternis Licht leuchten hieß, zur Schöpfung drang. (Vergl. 2. Kor 4,6.) Und so sollte es uns ein Anliegen sein, dass auch in unseren Herzen nicht länger eigene Gedanken und fromme, religiöse Gefühle vorherrschen, sondern dass sie mit diesem Bilde Gottes beschäftigt seien. Ja, möchten wir unsere Ruhe und den Gegenstand unserer Herzen in Ihm allein finden!

Nichts anderes bezweckte das Wirken des Heiligen Geistes in den Aposteln, ob sie nun mündlich zu Sündern redeten, oder die Heiligen durch Briefe belehrten, als den Jesus weiter zu offenbaren, von Welchem die Evangelisten unter Seiner Leitung berichtet haben. Wahrlich, „Christus ist alles". Und durch überzeugende Beweisgründe und Beweisführungen werden wir aufgefordert, alles aus Ihm zu machen. Unseren eigenen spekulativen Überlegungen wird kein, gar kein Raum gelassen.

Gott hat Sich uns also geoffenbart in unserer eigenen Natur, in unserer eigenen Welt und in unseren eigenen Umständen. Wohl mögen Könige und Propheten vor alters mit sehnlichem Verlangen nach einem solchen Vorrecht ausgeschaut haben.

Aber sie besaßen es nicht. Es ist unser unschätzbares Teil. Unsere Kenntnis von Gott stützt sich nicht auf bloße Beschreibungen; wir sehen, hören und lernen durch Seine persönliche Offenbarung, wer und was Er ist. Wir sitzen gleichsam vor Seinem Bilde, Seinem Gleichnis, in dem Herrn Jesus. Das Evangelium ist „das Evangelium der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist". Die Schrift lässt, wenn ich so sagen darf, Gott Sich Selbst zeigen durch Seine Handlungen, sie wendet nicht die Methode an, Ihn zu beschreiben. Gott hat die Offenbarung von Sich Selbst nicht der Feder einer wenn auch inspirierten Beschreibung überlassen. Er hat Sich gnädiglich herabgelassen, Sein eigener Offenbarer zu sein, in persönlicher, lebendiger Tätigkeit, durch Sein eigenes Reden und Handeln. Er hat den einfachsten und sichersten Weg, Sich Selbst bekanntzumachen, gewählt, einen Weg, auf dem der Einfältige nicht irrezugehen und das Kind seine Aufgabe nicht misszuverstehen braucht (Vergl. Jes 35,8).

In Übereinstimmung damit sehen wir den Herrn während Seines Lebens in steter Tätigkeit. Denn in dieser Tätigkeit lag eine tiefe Bedeutung. Er lenkte dadurch die Aufmerksamkeit der Sünder immer und immer wieder auf Gott oder auf den Vater. Dieser unermüdliche Eifer im Handeln und Reden tut auch uns kund, wie sehr Er wünscht, dass wir viel von Gott lernen und zugleich uns in reichem Maße mit Ihm bekanntmachen möchten. Und das geschieht nicht durch Abhandlungen oder Vorträge; nein, durch ein persönliches Tätigsein in unseren gewöhnlichen Umständen lernen wir Ihn viel besser kennen. Je einfältiger wir daher sind, je mehr wir Kindern gleichen, die ihre Aufgabe mehr lernen als sie erörtern, um so sicherer werden wir Ihn finden, erreichen und kennenlernen.

Die göttliche Natur enthüllte sich in Seiner Person, der göttliche Charakter in Seinem Leben. Und dies macht uns jeden Zug in diesem Leben so interessant, wie unscheinbar, zufällig oder nebensächlich er auch scheinen mag. Denn der, welcher das leben und Sterben Jesu verfolgt, liest Gott darin oder die charakteristischen Merkmale der göttlichen Herrlichkeit.

In Verbindung hiermit möchte ich fragen: Rief dieses Bild, diese Herrlichkeit, wie sie in Jesu erstrahlte, irgendwie Angst und Unruhe hervor, wie es z. B. bei der Herrlichkeit, die von dem Antlitz Moses widerstrahlte, der Fall war? Fühlte der arme, von seinen Sünden überführte Mensch das Bedürfnis: Ach, wenn doch der Herr eine Decke über Sein Antlitz breiten möchte! wie Aaron und die Kinder Israel es von Moses forderten? Keineswegs. Die Samariterin war so tief und völlig von ihrer Schuld überführt, wie der Sinai sie je hätte überführenkönnen. Alle Geheimnisse ihres Gewissens hatte Jesus ans Licht gebracht. Aber zog sie sich daraufhin zurück? Die Sünderin im Tempel steht vor Jesu als eine Person, die das Gesetz gesteinigt haben würde. Aber verbirgt sie sich vor Ihm? Findet sie das Licht, das in einem Augenblick die Stätte füllte und sie von ihren Anklägern befreite, überwältigend oder niederschmetternd?

Und weiter frage ich: Zitterten die Jünger, die Tag für Tag mit Jesu umherzogen, vor Ihm? Konnten sie Seine Gegenwart nicht ertragen, und wünschten sie Ihn weit fort? Nichts von alle dem! Sie waren betrübt, wenn Er von Seinem Weggehen sprach. Und als sie Ihn nach ihrer Meinung wirklich verloren hatten, da fanden die Engel sie trauernd und weinend. Nie wandelten sie mit Ihm, als ob sie wünschten, dass eine Decke auf Seinem Angesicht gelegen hätte. Auch Sein Tadel bewirkte darin keine Änderung. Obwohl dieser Tadel zu Zeiten scharf sein mochte, war er für sie doch nie ein Donner des Berges Sinai. Sie fühlten wohl die Heiligkeit Seiner Gegenwart und schämten sich, wenn die Geheimnisse ihrer Herzen offenbar wurden, aber nie wünschten sie, dass Er sie verlassen möchte. Welch ein Vorrecht und welch ein Trost!

Meine Leser werden mit mir eins darin sein, dass es angenehmer ist, eine hochstehende Persönlichkeit bei sich zu empfangen, als hinzugehen und sie in ihrem Hause aufzusuchen. Aber wenn diese Persönlichkeit uns besucht, ist das das sicherste Mittel, uns geneigt und freimütig zu machen, dass wir sie in ihrem Hause besuchen und sie dort in ihren persönlichen Umständen und Verhältnissen beobachten, die so hoch über den unsrigen stehen. Ich möchte dieses Beispiel anwenden auf unser Verhältnis zum Herrn. Wie gesegnet ist es! Christus ist hier gewesen. Er trat in unsere Umstände ein. Als der Sohn des Menschen weilte Er hier, aß und trank und bewegte Sich in der gnädigen Ungezwungenheit einer Persönlichkeit unter uns, die unser Vertrauen gewinnen wollte. Er verkehrte und sprach mit uns, wie es ein Mensch mit seinem Freunde tut. Er kannte uns von Angesicht zu Angesicht. Er war, um in dem oben angeführten Bilde zu bleiben, in unserem Hause. Auch nach Seiner Auferstehung kehrte Er zu uns zurück, wenn nicht zu unserem Hause, so doch zu unserer Welt. Denn sie war ja der Schauplatz aller Ereignisse nach der Auferstehung. Er befand sich jetzt auf dem Wege zu Seiner eigenen Wohnstätte, aber wieder zögerte Er hienieden, damit das Band zwischen uns und Ihm befestigt werden möchte. Denn Er war jetzt nach Seiner Auferstehung Derselbe für uns, der Er vorher gewesen war. Eine Änderung des Zustandes hatte keine Wirkung auf Ihn. Ist das nicht eine Tatsache, die unser ganzes Herz ergreift?

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Doch auch ihr

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 111ff

„Doch auch ihr, ein jeder von euch liebe sein Weib also wie sich selbst; das Weib aber, dass sie den Mann fürchte." (Lies Eph. 5, 22 - 33.)

Jedes Ding hat seine zwei Seiten, sagt man, und es ist so, sowohl in natürlicher als auch in geistlicher Beziehung. Alle Belehrungen des Wortes Gottes haben eine theoretische und eine praktische Seite, und beide sind wichtig. Beide müssen von uns beachtet werden, wenn anders der Zweck der Unterweisungen Gottes erreicht werden soll.

In dem oben angeführten Schriftabschnitt wird das eheliche Verhältnis angewandt auf die Beziehung zwischen Christo und der Versammlung (Gemeinde), und kostbar ist die Belehrung, die sich daraus ergibt. Diese Beziehung ist himmlisch und deshalb ewig. Die Versammlung ist mit dem verherrlichten Menschen droben verbunden. Er ist das Haupt, sie der Leib. Er nährt und pflegt sie, sie ist Ihm unterworfen, und bald wird Er sie sich verherrlicht darstellen. Alles das ist dem Christen bekannt, und Er darf und soll darin leben und sich dessen erfreuen. Aber dabei darf er nicht vergessen, dass es irdische Beziehungen zwischen Mann und Frau gibt, die zwar nach himmlischen: Muster geschaffen sind und gleichsam auf himmlischer Grundlage sich aufbauen, die aber doch hienieden bestehen und für das tägliche Leben bestimmt sind. Sie gehören der Zeit und der Erde an, und der Christ ist berufen, Gott täglich und stündlich darin zu verherrlichen.

Wie nun aber, wenn jemand über die himmlische Beziehung zwischen Christo und der Gemeinde gut unterrichtet ist und geläufig darüber zu reden weiß, dabei aber in seinen irdischen Beziehungen als Gatte fehlt, sein Weib vernachlässigt, sie kalt und barsch behandelt und, anstatt sie zu nähren und zu pflegen, wie Christus die Versammlung: nur an sich und seine Bequemlichkeit denkt? Oder wenn die Frau, anstatt ihrem Manne unterworfen zu sein und in der Stille ihren gesegneten Dienst im Hause zu tun, herrschsüchtig ist oder, ihren verkehrten Neigungen folgend, draußen umherläuft? — Was nützt dann beiden die Erkenntnis? Wäre es nicht viel besser für sie, wenn sie weniger Erkenntnis besäßen, dafür aber einfältiger und treuer wären?

Und was in dieser Beziehung für Mann und Weib gilt, ist auch wahr für alle anderen irdischen und natürlichen Beziehungen. Überall sucht Gott nach Wirklichkeit, nach Wahrheit im Innern. Alle Heuchelei, alles Scheinwesen ist Ihm ein Gräuel. Von himmlischen Wahrheiten reden und dabei in irdischer Gesinnung wandeln, eine geistliche Sprache führen und dabei die Neigungen des Fleisches pflegen, eine hohe Stellung predigen und dabei seinen Launen die Zügel schießen lassen, das sind gar schlimme Dinge und doch, leider! nicht so gar selten unter uns zu finden.

Gott schenke uns allen, ernstlich hierüber nachzudenken und uns immer wieder der Mahnung des Apostels: „Doch auch ihr“ und: „ein jeder von euch“ zu erinnern! Was heute mehr als je Not tut, sind ungeteilte Herzen, ganze Persönlichkeiten.

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Aufwärts

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 113ff

Kürzlich*) haben wir uns darüber unterhalten, wie Schläfrigkeit, Versäumen der Gemeinschaft und Weltsinn den Christen nach und nach auf seinem Glaubenswege abwärts gleiten lassen. Heute wollen wir uns ein wenig damit beschäftigen, was den Gläubigen auf dem Wege erhält und aufwärts führt. Unser Weg geht ja aufwärts, aufwärts zu den ewigen Höhen, die uns zum Besitztum geworden sind. Manche Mittel werden zur Erreichung dieses hohen Zieles angepriesen. Gott hat uns nur eins gegeben, und das ist das unverrückte Aufschauen aus Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, da wo Er jetzt ist.

So lange wir das Heil in Christo nicht erkannt hatten, so lange Sünde und Furcht vor dem Gericht aus unserem Gewissen lagen, waren wir völlig außerstande, den in der Herrlichkeit zur Rechten Gottes befindlichen Herrn Jesus anzuschauen und uns an Ihm zu erfreuen. Bis Goliath besiegt war, konnte Jonathan an nichts anderes denken, als wie er mit seinem Volke von diesem schrecklichen Feinde befreit werden könne; erst nach dem Siege Davids über Goliath war er frei, sich mit dem Befreier zu beschäftigen. So ist es auch mit dem Sünder. Er muss die Gewissheit der Vergebung seiner Sünden, die Sicherheit der Niederlage seines mächtigen Feindes, des Teufels, haben, wenn er den Sieger in der Herrlichkeit anschauen und zu Ihm seine Schritte lenken soll. So lange dieses Bewusstsein fehlt, fürchtet er sich und wird mit Israel vor dem Berge Sinai zitternd sagen: „Gott möge nicht mit mir reden“ (2. Mose 20, 19) oder, wie Adam und Eva, vor dem Angesicht Jehovas sich zu verstecken suchen (1. Mose 3, 8).

Sobald aber ein Mensch errettet und durch das Blut Christi von allen Sünden gereinigt ist, verursacht ihm die Herrlichkeit keine Schrecken mehr; sieht er doch Den dort, der für ihn zur Sünde gemacht wurde. Gerade in Seinem Weilen in der Herrlichkeit erblickt er den Beweis von der völligen Tilgung seiner Sünden und von der vollbrachten Erlösung; denn „nachdem Er (Christus) durch sich selbst die Reinigung der Sünden gemacht hat, hat Er sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe" (Hebr. 1, 3). Und je mehr der Gläubige nun auf Ihn blickt, der des Vaters Wonne, die Erfüllung Seiner ewigen Ratschlüsse und zugleich das kostbare Teil des Gläubigen ist, desto besser versteht er die Vollkommenheit des Werkes Christi und seine eigene Annahme in Ihm. Desto mehr ergreift er Besitz von Jesu, als der unaussprechlichen Gabe Gottes, in welcher alle anderen kostbaren Gaben enthalten sind. Er lernt Ihn kennen als seine Weisheit, die ihn von den Wegen der Torheit auf die Pfade des Friedens und des himmlischen Lichtes geführt hat, als seine Gerechtigkeit in den Augen eines heiligen Gottes, als seine Heiligung, die seinen praktischen Wandel durchdringt, und als seine Erlösung, durch welche er, von der Macht des Todes befreit, in das Vaterhaus droben einziehen kann (Vgl. 1. Kor. 1, 30).

Auf Ihn, der uns das alles geworden ist, unverwandt blicken, mit Ihm, der einzigen Quelle aller Kraft, immer inniger verbunden werden, das ist das Geheimnis, um als Pilgrime und Fremdlinge hienieden auf dem Wege, der aufwärts zur Herrlichkeit führt, vorwärts zu kommen. Nur dann können wir in unserem Wandel all die lieblichen Dinge in unserem Glauben darreichen, welche Petrus, uns anspornend, aufzählt: die Tugend oder die geistliche Energie, die Erkenntnis, die Enthaltsamkeit, das Ausharren, die Gottseligkeit, die Bruderliebe und die Liebe (2. Petr. 1, 6. 7).

Wenn alle „diese Dinge" bei uns sind und reichlich vorhanden, so gehen wir mit einem guten Gewissen voran und wachsen in der Erkenntnis unserer Vorrechte und Segnungen. Wir „machen dann unsere Berufung und Auserwählung fest" — selbstverständlich nicht im Herzen Gottes, sondern in unserem eigenen Herzen und in dem Herzen unserer Brüder. Wie das geschieht, zeigt uns 1. Thess. 1, 3. 4, wo wir im Blick auf die Gläubigen in Thessalonich lesen: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung". Ihr Werk des Glaubens, ihre Bemühung der Liebe und das Ausharren ihrer Hoffnung gaben dem Apostel die zweifellose Gewissheit, dass sie Auserwählte Gottes waren. . Auch wird uns dann der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi reichlich dargereicht. Das ist die kostbare Frucht eines treuen Wandels. Der Eingang wird allen Gläubigen dargereicht, aber nicht jedem reichlich. Es gibt einen reichlichen, und es gibt auch einen kärglichen Eingang. Es ist ein Unterschied, ob ich im Blick auf die Treue Gottes die Hoffnung festhalte, doch auch errettet zu werden, oder ob ich die Tür, die den Eingang in die Herrlichkeit des Reiches gewährt, weit vor mir geöffnet sehe. Es ist ein Unterschied, ob ich errettet werde, doch so wie durchs Feuer, oder ob ich jubelnd hinübergehe und die begrüßenden Worte hören darf: „Wohl, du guter und getreuer Knecht .... gehe ein in die Freude deines Herrn!“

In unserem Glauben die Tugend oder die geistliche Entschiedenheit darzureichen, vermögen wir nicht auf Grund unserer Bekehrung allein. Das Bewusstsein der Vergebung unserer Sünden gibt uns an und für sich noch nicht diese Energie, diese Entschiedenheit. Wohl bringt uns der Glaube an Christum ein volles Heil, einen völligen Frieden, aber Kraft für den Wandel finden wir nur in der engen, praktischen Verbindung mit dem Platz, den wir in Christo haben, mit dem Teil, das wir in Ihm besitzen. Die eigene Kraft, die Energie der alten Natur, bringt uns rückwärts, statt vorwärts. Wir mögen uns noch so sehr bemühen, „im Geiste zu wandeln und die Lüfte des Fleisches nicht zu vollbringen", immer wieder erfahren wir, dass jeder in eigener Kraft gemachte Versuch misslingt. Doch was sagt Paulus? „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2. Kor. 12, 10). Das lautet ganz widersinnig und ist es doch keineswegs. Wenn ich meine Schwachheit kenne und fühle, so klammere ich mich an Christum, und durch Seine Kraft werde ich Sieger über Welt, Sünde und Teufel. Beachten wir indes: nicht durch Christi Kraft und meine Kraft siege ich, sondern Seine Kraft wird in meiner Schwachheit vollbracht. Nur im Gefühl der eigenen Schwachheit kann ich überwinden; dann bin ich stark," stark in einem Anderen, nicht in mir selbst. Diese Kraft fließt mir zu, wenn mein Auge sich fest auf Ihn richtet. Als Elia, kurz bevor er im Sturmwind gen Himmel fuhr, von Elisa um ein zwiefaches Teil von seinem Geiste gebeten wurde, sagte er: „Du hast Schweres begehrt! Wenn du mich sehen wirst, wann ich von dir genommen werde, so soll dir also geschehen; wenn aber nicht, so wird es nicht geschehen“ (2. Kön. 2, 10). Je ausschließlicher der Herr vor meiner Seele steht, desto mehr wird Er meine Hilfe sein, desto mehr wird Seine Kraft in mir wirken können. Als Stephanus unverwandt gen Himmel schaute, sah er die Herrlichkeit Gottes und Jesum zur Rechten Gottes stehen. Ach, wenn wir nur inmitten der Drangsale und Schwierigkeiten dieser Welt unverrückt aus Ihn schauen, wenn wir uns nur von Seiner Kraft und Hilfe allein abhängig machen wollten! Welch kostbare Erfahrungen würden wir machen! Es würde unserem ganzen Leben als Christen Wirklichkeit verleihen und uns Kraft und Entschiedenheit geben. Die Hindernisse würden verschwinden, die Seele über alle menschlichen Einflüsse erhoben und in den Bereich einer Kraft versetzt werden, die alles vermag. „Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“ (Phil. 4, 13).

Um in der Tugend auch die Erkenntnis, d. h. die Einsicht in die göttlichen Gedanken über den zu verfolgenden Weg, darreichen zu können, bedarf es wiederum der Mahnung: Aufwärts! Je mehr ich die göttlichen Dinge anschaue, desto mehr werde ich nicht nur sie schätzen, sondern auch in der Kenntnis Gottes selbst gefördert werden, und das wird sich in meinem ganzen Verhalten zeigen. In dieser Erkenntnis werde ich auch immer mehr wachsen, denn „Jehova lässt die Seele der Gerechten nicht hungern" (Spr. 10, 3), und „die Seele der Fleißigen wird reichlich gesättigt" (Spr. 13, 4).

Das 9. Kapitel der Sprüche stellt uns die beiden mächtigen Einflüsse vor, denen wir hienieden ausgesetzt sind, und wir mögen uns wohl prüfen, unter welchen von beiden wir uns auf dem Wege stellen. Der eine ist „die Weisheit", die Weisheit von Gott, d. i. Christus (1. Kor. 1, 24), und der andere ist „die Torheit", die „Frau Torheit", welche die Welt anreizt und verführt. Beide, Weisheit und Torheit, bieten etwas an, was das menschliche Herz erquicken und sättigen soll. Die Weisheit sagt: „Kommet und esset von meinem Brote und trinket von dem Weine, den ich gemischt habe". (V. 5.) Frau Torheit spricht zu den Vorübergehenden: Wendet euch hierher! „Gestohlene Wasser sind süß, und heimliches Brot ist lieblich" (V. 1 5-17). Beide verheißen also dem menschlichen Herzen Speise und Erfrischung. Während aber die Torheit ohne Einschränkung das, was den Begierden des Fleisches gefällt, das, wozu dem Menschen kein Recht zusteht, was er sich aber nimmt, um sein zügelloses Ich zu befriedigen, anpreist, fügt die Weisheit ihrem Anerbieten zweierlei hinzu: eine Abmahnung und eine Aufforderung. Sie sagt: „Lasset ab von der Einfältigkeit . ., und schreitet einher aus dem Wege des Verstandes". (V. 6.) In ähnlicher Weise ermahnt uns das Wort häufig, z. B.: „Lasset ab vom Übeltun — lernet Gutes tun" (Jes. 1, 16. 17), oder: „Haltet euch der Sünde für tot — Gott aber lebend in Christo Jesu" (Röm. 6, 11). Es ist der immer wiederkehrende Charakterzug der göttlichen Weisheit, dass sie uns zuerst zur Trennung von dem Bösen auffordert und dann den neuen, der Welt unbekannten Weg uns vorstellt.

Wie gut, dass es einen Weg der Weisheit gibt, einen Weg Gottes, auf welchem „der Weise und der Gerechte" (V. 9) fortschreiten und wachsen kann. Aber als Anfang dieses Weges bezeichnet die Weisheit in V. 10 „die Furcht Jehovas"; oder wie es in Spr. 15, 33 heißt: „Die Furcht Jehovas ist Unterweisung zur Weisheit". Was wollen wir also tun? Uns nähren von dem Brote und dem Weine, welche die Weisheit uns anbietet. „Dann wird sich unser Herz jeden Tag beeifern um die Furcht Jehovas" (Spr. 23, 17), und wir werden wachsen in der Erkenntnis Gottes, die uns alles Sichtbare in seinem Nichts erkennen lässt.

Die Enthaltsamkeit, wozu wir weiter ermahnt werden, bedeutet nicht nur Mäßigung im Essen und Trinken. Das hierfür im Griechischen gebrauchte Wort lässt sich ebenso gut mit „Selbstbeherrschung" übersetzen. Sich beständig im Zügel halten, den Wünschen der Natur nicht Raum geben, das ist es, was den Gläubigen kennzeichnet, der in der Kenntnis Gottes wandelt. Er beherrscht sich selbst, das schlimme „Ich" mit all seinem sündhaften Streben wird im Zaums gehalten. Im Aufblick auf Jesum, in welchem Gott sich offenbart hat, vermag er alles in Dem, der ihn kräftigt. Diese Enthaltsamkeit oder Selbstbeherrschung ist also eine Frucht der praktischen Heiligung, welche die Gnade Gottes in dem Gläubigen bewirkt. Er lässt sich nicht gehen, ist nicht gereizt, launisch oder herrisch, sondern offenbart die Ruhe und Seligkeit eines in Gott ruhenden Herzens. Mancher Gläubige scheint zu denken, es sei damit genug zu wissen: Meine Sünden sind mir vergeben, ich komme nicht mehr ins Gericht. Aber die Errettung hat nicht nur Bezug auf die Zukunft, sie ist etwas durchaus Gegenwärtiges, das sich in meinem ganzen Verhalten kundgeben muss. Sie hat mich nicht allein von der Sünde Schuld und Strafe erlöst, sondern auch ebenso völlig von ihrer Macht befreit. Und dieses Befreitsein von dem Ich und seinen Wünschen ist etwas ganz anderes, als die Selbstbeherrschung eines Stoikers, der nichts weiß von der Enthaltsamkeit, von welcher Petrus hier spricht. Diese ist eine Frucht des Glaubens, jene ein Ergebnis menschlicher Willensstärke und Philosophie.

Es gibt wohl kaum etwas, wozu wir im Worte häufiger ermahnt werden, als zur Geduld, zum Ausharren. Das Ausharren von 2. Petri 1 ist freilich von anderer Art als das, was manchem Menschen angeboren ist, oder was er sich durch festen Willen angewöhnt hat. Es ist das Ausharren, welches wir in Seiner ganzen Vollkommenheit. bei unserem Herrn und Heilande finden, sowohl aus Seinem Wege bis zum Kreuze, als auch in Seiner jetzigen Stellung am Throne des Vaters. Mit demselben Ausharren, mit welchem Er auf Jehova wartete, als „Er Seinen Rücken bot den Schlagenden und Seine Wangen den Raufenden, und Sein Angesicht nicht verbarg vor Schmach und Speichel“ (Jes. 50, 6), womit Er alles wegen der vor Ihm liegenden Freude ertrug, harrt Er noch heute, bis der Tag der Herrlichkeit kommt und alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt werden. Geduldig ausharren in der Unterwerfung unter den Willen Gottes - nicht herausstreben aus den Prüfungen des Weges, den Gott uns führt — ruhig alle Ungerechtigkeit und Bosheit der Menschen über uns ergehen lassen — nicht aus unser Recht bestehen, sondern es Dem anheimstellen, der recht richtet — geduldig die Zeit abwarten, da Gott Seine Verheißungen an uns erfüllen wird — alles das ist der Weg, den Jesus gegangen ist, das ist das Joch, das Er getragen hat, das Ausharren, das Ihn auszeichnet. In der Geschichte Davids finden wir einige Züge dieses Ausharrens Christi. Obwohl er der Gesalbte Jehovas war, wird sein Thron, so lange Saul herrscht, nicht ausgerichtet. Er wird gehasst, verfolgt. Drangsal und Verwerfung trägt er mit Geduld und tut nichts, um seinen Feind zu bekämpfen. Mit Ausharren erwartet er die Zeit, da Gott ihm geben wird, was Er verheißen hat.

Geliebter gläubiger Leser! Zeigt sich in deinem Leben auch etwas von diesem gesegneten Ausharren? Es ist das Gegenteil von der Ungeduld unseres Ichs, dem Kurzangebundensein und der Reizbarkeit unseres natürlichen Charakters, der Ruhelosigkeit und Wandelbarkeit des Menschen dieser Welt.

Da Seine göttliche Kraft uns alles in Betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt hat durch die Erkenntnis Dessen, der uns berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend", so sind wir auch befähigt, in dem Ausharren die Gottseligkeit darzureichen. Mit Gott in Gemeinschaft leben, in Ihm ruhen und in allen Dingen Seine Verherrlichung suchen, das ist die Gottseligkeit, die sich in unserem Wandel offenbaren soll. Sie kann nur da gesunden werden, wo die Seele mit Ausharren das Licht der Gegenwart Gottes sucht. Inmitten der sichtbaren Dinge, die uns so leicht hindern, hält die Gottseligkeit unseren Sinn stets nach oben gerichtet. Sie ist, verbunden mit Genügsamkeit, „ein großer Gewinn" (1. Tim. 6, 8). Wie ernst ist für unsere Tage die Mahnung: „Begnüget euch mit dem, was vorhanden ist" (Hebr. 13, 5), oder: „Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen"! (1. Tim. 6, 8.) Ach, möchten wir, anstatt den Reichtümern dieser Welt nachzujagen, nur nach dem streben, wodurch Gott in uns vor der Welt dargestellt und verherrlicht wird!

Ein gottseliges Leben bedingt, wie gesagt, den ständigen Aufenthalt in der Nähe des Herrn im Lichte Gottes. Nun ist es aber unmöglich, Christo nahe zu sein, ohne auch mit Liebe gegen alle erfüllt zu werden, die Sein sind. So entzündet sich von selbst in unserem Herzen die Bruderliebe.

„In der Gottseligkeit (reichet dar) die Bruderliebe.“ An anderen Stellen ermahnt uns das Wort: „Die Bruderliebe bleibe", und: „Vor allen Dingen habt untereinander eine inbrünstige Liebe" (Hebr. 13, 1; 1. Petr. 4, 8). Kurz vor Seinem Leiden und Sterben rief der Herr Seinen Jüngern zu: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet, auf dass, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet" (Joh. 18, 34), und in 1. Joh. 4, 11 wird die Liebe Gottes zu uns als der Beweggrund zur brüderlichen Liebe dargestellt: „Geliebte, wenn Gott uns also geliebt hat, so sind auch wir schuldig, einander zu lieben". Der Maßstab für unsere Liebe ist also die Liebe Gottes und die Liebe Christi: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns Sein. Leben dargelegt hat;" auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen«. (1. Joh. 3, 16.) Je mehr unsere Herzen diese Liebe verstehen und genießen lernen, desto reicher wird unsere Liebe zu unseren Brüdern sich entfalten und praktisch sich tätig erweisen in allem Guten. Zugleich ist das der Weg zu unserem eigenen Segen, zu der Versicherung unserer Seele vor Gott, wie es in 1. Joh. 3, 19 heißt: „Und hieran (indem wir in Tat und Wahrheit die Brüder lieben) werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden vor Ihm unsere Herzen überzeugen". Wir haben dann Freimütigkeit in der Gegenwart Gottes und lassen uns in der Bruderliebe von der Liebe, der göttlichen Liebe, leiten.

Damit kommen wir zu der letzten kostbaren Perle in dieser unvergleichlichen Schnur: „In der Bruderliebe (reichet dar) die Liebe“. Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit. (Kol. 3, 14.) Gott ist Liebe, Liebe ist Seine Natur. Je mehr wir von Ihm lernen, desto weniger wird unsere Liebe von persönlichen Zuneigungen, von anziehenden Eigenschaften des Bruders oder der Schwester beeinflusst sein; wir lieben dann alle Gläubigen, wir lieben sie, weil sie Christo angehören, weil sie Kinder Gottes sind. Ist diese Liebe tätig, so wird Gott Seinen Platz haben in allen unseren Verhältnissen. Diese Liebe hat sich uns wunderbar offenbart. Sie erreichte uns, als wir noch tot waren in unseren Sünden, indem sie den eingeborenen Sohn gab, damit wir durch Ihn leben möchten, Christum, der Sühnung tat für unsere Sünden (1.Joh. 4, 9.10). In Ihm, der nun zur Rechten Gottes erhöht ist, haben wir Leben, Gerechtigkeit, Annahme bei Gott. Der Kreis dieser Liebe ist geschlossen. Er reicht von dem Throne Gottes im Himmel herab auf diese Erde, wo wir im Elend lagen, und hat uns in dem Auferstandenen hinaufgehoben und uns gesetzt zur Rechten der Majestät droben.

Und diese Liebe sollen wir darreichen. Wie ist das aber möglich? Indem wir uns viel aushalten in der Gegenwart des Gottes der Liebe, uns versenken in die Liebe, die in Christo uns so nahe gebracht worden ist, und dann, von ihr erfüllt, durchflutet, sie ausüben in Tat und Wahrheit.

Möchtest du also Gott verherrlichen, mein lieber Leser, so lass dein Verhalten eine. ununterbrochene Offenbarung der Dinge sein, die das Leben und die Gottseligkeit ausmachen. Nur ein Einziger freilich, „der Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr. 12, 2), hat sie in vollkommenem Maße dargereicht. Aber Er will sie auch in uns hervorbringen. Darum aus Ihn geschaut, mein teurer Mitpilger! Das Ziel aufwärts fest ins Auge gefasst! Umgürte die Lenden deiner Gesinnung und lass dein Kleid nicht durch den Morast des Weges schleifen! Musst du klagen über geringe Fortschritte, über Mangel an all den kostbaren Dingen, die wir betrachtet haben, so bleibe nicht dabei stehen, sondern sage es dem Herrn und richte aufwärts deinen Blick! Wende allen Fleiß an! Bleibe nicht zurück auf dem Wege! Wende Fleiß an, in die Ruhe einzugehen, welche dem Volke Gottes droben bereit liegt! „Denn wenn diese Dinge bei euch sind und reichlich vorhanden, so stellen sie euch nicht träge noch fruchtleer hin.“

Aber ich wiederhole: Nur im beständigen Ausschauen auf Ihn in der Herrlichkeit gewinnen wir die zum Laufen notwendige Kraft, nur so lernen wir die übrigen kostbaren Stücke kennen, indem wir aus der heiligen Quelle schöpfen, die uns in Ihm aufgetan ist. Nur so kann der Heilige Geist von den Dingen Christi nehmen und sie uns mitteilen, nur so uns die Person Christi offenbaren und unsere Seele nach Ihm bilden. Das Trachten nach den Schätzen dieser Welt hört dann auf, weil wir in Christo unausforschliche Reichtümer als unser eigen erblicken; es verlangt uns nicht mehr nach den Freuden der Welt, weil wir die Fülle von Freuden vor Gottes Angesicht genießen. Glücklich in der Gemeinschaft mit unserem Herrn und durchdrungen von Seinem Geiste, werden wir zu einem deutlich lesbaren „Briefe Christi" gegenüber der Welt. Mit aufgedecktem Angesicht Ihn in der Herrlichkeit anschauend, werden wir in Sein Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2. Kor. 3, 18), um bald, wenn wir Ihn sehen werden, wie Er ist, dieses Bild auch unserem Leibe nach zu tragen. „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm. 8, 29).

Welch herrliche Verheißungen werden sich an uns erfüllen! Darum „Aufwärts, aufwärts!" sei unsere Losung, so lange wir durch den Sand der Wüste schreiten!

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Einige Gedanken über die Person Jesu Christi, unseres Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 126ff

II.

Wir haben gesagt, dass eine Änderung des Zustandes keine Wirkung auf die Person unseres Herrn Jesu gehabt habe, dass Er nach Seiner Auferstehung Derselbe gewesen sei wie vorher. Zwar hatten Ereignisse kurz vor Seinem Tode stattgefunden, die Ihn äußerlich weiter von Seinen Jüngern entfernten, als es zwischen Gefährten wohl je der Fall gewesen ist. Sie hatten den Unglauben ihrer Herzen verraten, indem sie Ihn in der Stunde der Gefahr verließen und flohen, während Er um ihretwillen in den Tod ging, indem Er das Gericht Gottes über die Sünde schmeckte. Und während sie immer noch arme Galiläer waren, war Er mit der Herrlichkeit aller Macht im Himmel und auf Erden angetan worden. Aber das alles, so groß und wichtig es war, hatte keine Änderung bei Ihm hervorgerufen. „Weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf", wie ein Apostel sagt, könnte das tun. Er kehrte zu den Seinigen zurück als Derselbe Jesus, Den sie zuvor gekannt hatten. Er zeigte ihnen Seine Hände und Seine Seite, damit sie erkennen möchten, dass Er Selbst es war (Lk 24,39). Ja, wir können hinzufügen: Er zeigte ihnen Sein Herz, Seine Gedanken und Wege, Sein Mitgefühl, Seine zarte Rücksichtnahme auf ihre Schwierigkeiten und Fragen, ja, die ganze Innigkeit Seiner Zuneigungen, damit sie auch in anderem Sinne erkennen möchten, dass Er Selbst es war.

Noch vieles könnte über diesen Gegenstand aus den Evangelien angeführt werden; bei jeder Gelegenheit, wo wir den auferstandenen Herrn erblicken, zeigt sich das in überströmendem Maße, wenn wir nur Augen haben, um zu sehen. Doch möchte ich für einen Augenblick aus dem Rahmen der Evangelien heraustreten und einen Blick auf den auferstandenen Herrn werfen, wie Er in der Apostelgeschichte vor uns tritt. Wir finden dort genau die gleiche Person. Überall ist Er Derselbe, ob im Dienst hienieden oder in der Auferstehung oder droben im Himmel. Denn vom Himmel her scheint Er Sich mit Freude bei dem Namen zu nennen, den Er unter uns und für uns erworben hat, bei dem Namen, der Ihn zu unserem Eigentum macht und durch das Band einer gemeinsamen Natur sowohl wie einer vollkommenen Gnade und Erlösung. „Ich bin Jesus", lautete Seine Antwort aus der Herrlichkeit des Himmels, als Saul auf dem Wege nach Damaskus Ihn fragte: „Wer bist du, Herr"?

Was sollen wir sagen, teurer Leser, von der Herablassung und Treue, der Größe und Schlichtheit, der Herrlichkeit und Gnade, die in Verbindung miteinander Seinen Pfad gestalteten und ihn kennzeichnen! Aus dem, was Er war und wie wir Ihn in den Evangelien sehen, wissen wir, was Er jetzt ist und was Er in alle Ewigkeit sein wird. Und wenn wir daran denken, erscheint es uns leicht und natürlich, in Seine Welt (um nochmals auf das früher angeführte Bild zurückzukommen) einzutreten.

Dort in den Höfen voller Segen,

Wo aus der Fremd' ich kehre ein,

Kommt mir kein fremder Gott entgegen.

Nein, Er ist „Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit" in der Ihm eigenen persönlichen Herrlichkeit. Bei Ihm ist „keine Veränderung, noch ein Schatten von Wechsel", entsprechend Seiner wahrhaft göttlichen Natur. So ist es in allem, mag es sich nun um Seine Kenntnis von uns handeln oder um Seine Zuneigungen zu uns oder um Seine Wege mit uns.

Nachdem der Herr Jesus auferstanden und zu Seinen Jüngern zurückgekehrt war, hat Er sie kein einziges Mal daran erinnert, dass sie Ihn vor Seinem Leiden so schnöde verlassen hatten. Wie spricht das zu unseren Herzen! „Ich kenne niemand, der so freundlich und so herablassend war wie Er", sagt ein anderer Schreiber, „der sich so zu armen Sündern herabgeneigt hätte. Ich vertraue Seiner Liebe, nicht nur Seiner Macht als Gott, sondern der zarten Liebe Seines Herzens als Mensch. Nie hat jemand eine solche Zärtlichkeit gezeigt oder besessen, geschweige denn sie so herrlich bewiesen. Niemand hat mir je solches Vertrauen eingeflößt. Mögen andere zu Heiligen oder Engeln gehen, wenn sie wollen, ich vertraue Jesu mehr".

Aber das ist nur ein Strahl Seiner Herrlichkeit als Mensch. Welch einen Anblick würde sie gewähren, wenn wir sie in ihrem vollen Maße anschauen könnten! Welch eine Anziehungskraft muß Er besessen haben für den, dessen Auge und Herz durch den Heiligen Geist geöffnet waren! Das sehen wir bei den Aposteln. Was die Lehre betraf, so kannten sie nur wenig von Ihm, und hinsichtlich ihrer weltlichen Interessen gewannen sie nichts, wenn sie bei Ihm blieben. Und doch hingen sie an Ihm. Man kann nicht sagen, dass sie sich Seiner Macht bedient hätten, um Wunder zu verrichten. Im Gegenteil, eher zogen sie diese Macht in Zweifel. Und wir haben Grund anzunehmen, dass der Herr Jesus für gewöhnlich Seine Macht nicht zu ihrem Vorteil ausgeübt haben würde. Und doch blieben sie bei Ihm; um Seinetwillen verließen sie Heimat und Verwandtschaft. Welch einen Einfluss muss Seine Person gehabt haben auf Seelen, die der Vater zu Ihm zog! Und dieser Einfluss, diese Zugkraft, wurde in der gleichen Weise von Menschen gefühlt, die ganz verschiedenartig veranlagt waren. Der bedächtig abwägende, grübelnde Thomas und der rasche, unüberlegt handelnde Petrus, beide wurden von Ihm angezogen und blieben bei Ihm.

Gewiß, es kann nur nützlich für uns sein, diese Beispiele oft zu betrachten. Sie zeigen uns, wie nahe Er uns ist, und wie kostbar Er damals den Herzen war. Aber nicht nur das; wir sollten sie auch annehmen als Unterpfänder dessen, was uns allen werden wird, wenn wir einmal für immer bei Ihm sein werden, Erlöste aus allen Himmelsstrichen, Stämmen und Farben der menschlichen Familie.

Was wir bedürfen, ist, Ihn persönlich besser zu kennen, als wir es tun. Diese Kenntnis besaßen die Jünger in den Zeiten der Evangelien, und ihre Herzen fühlten den mächtigen Einfluss solcher Kenntnis. Auch wir haben mehr davon nötig. Vielleicht sind wir eifrig und mit Erfolg bemüht, uns mit Wahrheiten bekanntzumachen, die Ihn betreffen, aber dabei kann es wohl sein, dass die verhältnismäßig unwissenden Jünger uns mit unserem reichen Wissen weit hinter sich zurücklassen, was die Kraft der Zuneigung zu Ihm betrifft. Und doch wäre es gut, wenn das Herz durch Ihn angezogen würde über die Erkenntnis hinaus, die wir von Ihm haben (ich meine Erkenntnis in lehrhafter Form). Es gibt einfältige Seelen, bei welchen es so ist; aber im allgemeinen ist es anders.

„Der Vorzug unseres christlichen Glaubens", sagt ein anderer Schreiber (und seine Worte sind gut und zeitgemäß), „das Geheimnis seiner Stärke ist dies, dass alles, was er hat und bietet, in einer Person niedergelegt ist. Das hat ihn stark gemacht, während so vieles neben ihm sich als schwach erwiesen hat. Er bietet nicht nur Befreiung an, sondern er hat einen Befreier; er bringt nicht nur Erlösung, sondern er hat einen Erlöser. Das macht ihn, bildlich gesprochen, zu Sonnenlicht, und alles andere, im Vergleich mit Ihm, zu Mondlicht. Anderes mag schön sein, aber es ist kalt und wirkungslos, während hier Leben und Licht vereint sind. Und welch ein unermeßlicher Unterschied, ob ich mich einer Sammlung von Regeln und Verordnungen zu unterwerfen habe, oder Zuflucht nehmen darf zu einem Herzen, das in Liebe schlägt! ob ich ein bloßes Lehrsystem annehme oder an einer Person hangen darf! Unsere besondere Segnung besteht darin, dass alle unsere Schätze in einer Person aufgespeichert sind, die nicht nur für ein Geschlecht ein gegenwärtiger Lehrer und belebender Herr war, und dann für alle folgenden vergangen und tot, sondern eine Person, Die für alle gegenwärtig und lebendig ist".

Ja, und dieser ewig Gegenwärtige und Lebendige ist in den Evangelien immer Er Selbst, ob Er Sich nun sehen oder hören läßt. Er ist der Lehrende oder Handelnde bei jeder Gelegenheit; für die Schreiber der Evangelien ist, was Auslegung oder Erklärung angeht, wenig oder gar kein Raum gelassen. Und gerade das verleiht ihren Erzählungen neben der Einfachheit eine so offensichtliche Wahrheit, die unwillkürlich gefühlt wird.

In Seinen Beziehungen zu der Ihn umgebenden Welt sehen wir den Herrn zugleich als Sieger, als Dulder und als Wohltäter. Welche Herrlichkeiten strahlen aus einer solchen Verbindung hervor! Er besiegte die Welt, indem Er alles zurückwies, was sie Anziehendes hatte. Er litt von ihrer Seite, indem Er gegen ihren ganzen Lauf zeugte. Und Er segnete sie, indem Er unaufhörlich die Früchte Seiner Gnade und Macht spendete. So machten ihre Versuchungen Ihn nur zu einem Sieger, ihre Befleckungen und Feindseligkeiten nur zu einem Dulder, ihre Nöte und Bedürfnisse nur zu einem Wohltäter. Welch eine Verbindung!

Doch wir sehen unseren Herrn Jesus in den Evangelien nicht nur so, wie wir es bisher ausgeführt haben. Wir betrachten Seine Person, die Ihm innewohnenden Kräfte und Seinen Dienst in Lehre und Handlung; aber ohne Seinen Tod würde uns das alles nichts nützen.

An dem „Ort, der Schädelstätte genannt wird", oder vom Garten Gethsemane bis hin zu diesem Orte, fiel die große Entscheidung, an der alle beteiligt waren, je nach Art und Charakter, wo über alle verfugt wurde, wo sie ihre Antwort erhielten oder ihre Befriedigung fanden, bloßgestellt oder geoffenbart und verherrlicht wurden, je nachdem sie es verdienten. Welch ein Ort, welch ein Augenblick, durch jeden der Evangelisten nach seiner Eigenart geschildert und dargestellt!

Da sehen wir den Menschen, erbärmlich und jämmerlich wie er ist, seinen Platz einnehmen und seine Rolle spielen. Wir sehen ihn in allen Lagen und Umständen: als Jude und Heide, roh und gesittet, als Beamter und Geistlicher, als nahe gebracht und fernstehend, bevorrechtet und sich selbst überlassen. Aber wie groß die Verschiedenheit auch sein mag, alle sind ihrer Schande preisgegeben.

Da sitzt der heidnische Pilatus auf dem Stuhl der höchsten weltlichen Gerichtsbarkeit. Aber wir finden bei ihm statt Gerechtigkeit Gewalttat. Er trug das Schwert nicht nur umsonst, sondern gar zur Bestrafung derer, die das Gute taten. Er verurteilte Den, Welchen er selbst „gerecht" nennen mußte, und von Dem er gesagt hatte: „Ich habe an diesem Menschen keine Schuld gefunden"; und die unter seinem Befehl stehenden Kriegsknechte machten sich eins mit dieser Ungerechtigkeit oder gingen noch über sie hinaus.

Die jüdischen Schriftgelehrten und Priester, die „Geistlichkeit" jener Tage, suchen falsche Zeugen wider Jesum, und die auf ihren Wink wartende Menge ist völlig eines Sinnes mit ihnen. „Kreuzige, kreuzige ihn"! schallte es aus ihrem Munde gegen den Einen, Der ihnen in ihren Nöten und Kümmernissen 403 gedient hatte.

Die Vorübergehenden, Wanderer, die gerade des Weges kommen, Menschen, zu denen der Herr nicht in nähere Beziehung getreten war, oder die sich selbst überlassen geblieben waren, schmähen Ihn, indem sie ihrem ohnmächtigen Haß Luft machen, gleich so vielen Simeis in den Tagen Davids. Und die Jünger, die Ihm so nahe gestanden und so viele Vorrechte genossen hatten, verraten dasselbe allgemeine Verderben und nehmen teil an dem für den Menschen so schändlichen Schauspiel, indem sie in der Stunde der Gefahr ihren Herrn herzlos verlassen, als Er nach einigen Wenigen ausschaute, die bei Ihm bleiben würden.

Wie der Mensch, so tritt auch Satan in dieser großen Entscheidungsstunde auf den Schauplatz. Er verführt und richtet dann zugrunde. Sein Gefangener, Judas, wird sein Opfer, indem er ihn in derselben Schlinge fängt, durch die er ihn versucht hatte. Der Köder wird in seiner Hand zur Angel, wie das stets bei ihm der Fall ist. Die Sünde, die wir verüben, verliert ihren Reiz mit dem Augenblick, wo sie vollendet ist, und dann wird sie zum Wurm, der nicht stirbt. Gold und Silber verrosten, und der Rost verzehrt das Fleisch, als wäre er Feuer. So war es mit den dreißig Silberlingen des Judas, des unglücklichen Opfers Satans.

Dann aber sehen wir Jesum hier in Seinen Tugenden und Siegen; bei jedem Seiner Schritte, wie irgend die Gelegenheit sich darbot, zeigt sich Seine sittliche Herrlichkeit und Schönheit, und Er ist Sieger über alles, was Ihm in den Weg tritt. Mit welcher Geduld trägt Er Seine schwachen, selbstsüchtigen Jünger! Mit welcher Würde und Ruhe antwortet Er den Widersachern! Wie weiht und unterwirft Er Sich dem Willen des Vaters! Lauter Herrlichkeit und Tugend treten uns entgegen, wenn wir Seinen Pfad verfolgen von Seinem letzten Zusammensein mit Seinen Jüngern bis zu Seinem Verscheiden auf dem Kreuze. Und dann Seine Siege! Der Gefangene ist der Sieger, wie es die Bundeslade im Philisterlande war. Er kam, um die Sünde hinwegzutun und den Tod zunichtezumachen.

Auch Gott ist da, Gott Selbst, Der in der Höhe thront. Er tritt auf den Schauplatz, wenn ich mich so ausdrücken darf, als die Finsternis über das ganze Land kommt. Da nimmt Er das Opfer des Lammes entgegen, Das gesagt hatte: „Siehe, ich komme". Und nachdem dieses Opfer einmal angenommen ist, kann Gott keine Gnade erweisen. Sobald Jesus für uns zur Sünde gemacht ist, muß ein schonungsloses, durch nichts gemildertes Gericht Ihn treffen. Dem gab die Finsternis Ausdruck. Gott nahm das Opfer an und behandelte demgemäß Den, Der Sich zum Opfer darbrachte, indem Er von den Forderungen Seiner Gerechtigkeit nichts abließ.

Und wenn dann das Werk vollbracht, das Opfer dargebracht und das Blut des Schlachtopfers geflossen ist, wenn Jesus Seinen Geist aufgegeben hat und alles, alles vollendet ist, dann erkennt Gott durch ein anderes Bild die Fülle des Sühnungswerkes und die Vollkommenheit der Versöhnung an. Der Vorhang im Tempel zerreißt von oben an bis unten. Er, Der auf dem Throne sitzt, Der gerecht richtet, Der alles genau abwägt: alle Forderungen und ihre Erfüllung, die Sünde und ihr Gericht, den Frieden und seinen Preis, das Lösegeld, das er kostet, - Er gibt jenes wunderbare Zeugnis von der tiefen, unsagbaren Befriedigung, die Er in dem Werke findet, das in jener Stunde an dem „Ort, der Schädelstätte genannt wird", vollbracht wurde.

Welch einen Anteil hatte der hochgelobte Gott an dieser großen Entscheidung, diesem gewaltigsten aller Ereignisse, durch das für die Ewigkeit alles an seinen Platz gestellt wurde!

Und mehr noch. Auch Engel waren bei dieser Gelegenheit zugegen, und Himmel und Erde, auch Sünde und Tod, ja, die Welt dazu.

Die Engel waren Zeugen der Vorgänge und sahen neue Wunder. Christus wurde von ihnen geschaut.

Himmel und Erde warteten auf den Augenblick. Das zeigen die Felsen und die Gräber, das Erdbeben und die Finsternis.

Über Sünde und Tod wurde das Urteil gesprochen. Sie wurden beiseite gesetzt und zunichtegemacht. Der zerrissene Vorhang und das leere Grab tun diese Geheimnisse kund.

Die W e l t vernahm ihr Urteil in der Tatsache, dass der versiegelte Stein weggewälzt war, und dass die Hüter des Grabes gezwungen wurden, das Todesurteil über sich selbst ergehen zu lassen (vgl. Mt 28,4).

So haben wir wahrlich allen Grund, diese Szene die große Entscheidung zu nennen, den feierlichsten Augenblick in der ganzen Geschichte der Handlungen Gottes mit Seinen Geschöpfen. Und welch eine wunderbare Vereinigung von Handelnden und Handlungen! Gott und Jesus, der Mensch und Satan, Engel, Himmel und Erde, Sünde und Tod, die Welt - alle nehmen ihren Platz ein, ob den der Schmach und Niederlage, oder den des Gerichts, der Triumphe und der Herrlichkeit. Jeder der Evangelisten berichtet dies in seiner Art oder nach seiner Weise, unter der Leitung des Geistes. Menschliche Spekulationen finden hier keinen Raum. Wir haben einfach die Belehrungen der Evangelien anzunehmen, die klar und verständlich über Ewigkeitsdinge Auskunft geben.

Nachdem wir uns mit dem Kreuze beschäftigt haben, möchte ich noch etwas näher auf das leere Grab zu sprechen kommen.

Das große Geheimnis, welches es uns enthüllt, ist ein siegreicher Tod, oder, mit anderen Worten, die Auferstehung aus den Toten. Dieses Geheimnis wurde bereits in der allerersten Verheißung angedeutet. Denn das Wort an die Schlange in 1. Mose 3 redet von dem Tode Christi und in Verbindung damit von Seinem Siege, d. h. von Seinem Siege durch Sein Sterben. Der Zermalmte sollte zum Zermalmer werden.

Abels Opfer, wie jedes Opfer in den Zeiten der Patriarchen oder Moses, redete vom Tode, und zwar von einem siegreichen, verdienstlichen, sühnenden Tode.

Abraham glaubte an dasselbe Geheimnis, an Den, Der die Toten lebendig macht. Sein Glaube war vorbildlich, denn Er wird „Vater aller" genannt, „die glauben".

Unter den vielen prophetischen Aussprüchen kündigt das 53. Kapitel des Jesajas, jener wohlbekannte Schriftabschnitt, dasselbe Geheimnis an. Denn es redet von den Herrlichkeiten des Zerschlagenen, und das deutet Seinen siegreichen Tod an.

Der Herr Selbst weist in Seinen Lehren auf Seinen Tod als einen siegreichen Tod hin; zu Zeiten spricht Er von Seiner Auferstehung aus den Toten und von der Aufrichtung des Tempels Seines Leibes am dritten Tage (Vgl. Joh 2).

Die Frau, die Ihn zu Seinem Begräbnis salbte, gibt uns einen Beweis ihres Glaubens an dasselbe Geheimnis. Sie glaubte, dass Er sterben und begraben werden würde, aber auch, dass Er als Sieger durch Tod und Grab gehen und gerade durch diesen Vorgang zu Seiner Salbung oder Seiner Verherrlichung gelangen würde. Sie verstand das Geheimnis Seines siegreichen Todes oder Seiner Auferstehung aus den Toten; an dieser großen Tatsache hängt die ganze frohe Botschaft von Christo. Deswegen sagt der Herr auch zu ihr, dass, wo irgend das Evangelium gepredigt werden würde, auch von ihrer Tat und ihrem Glauben geredet werden sollte zu ihrem Gedächtnis. Er machte ihren Glauben zu einem vorbildlichen Glauben, so wie es der Glaube Abrahams gewesen war.

Die Briefe verbreiten sich später ebenfalls länger über das gleiche Geheimnis, indem sie den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesu als den Schlüssel des Evangeliums darstellen.

So wird überall der siegreiche Tod Jesu in den Vordergrund gerückt. Denn ohne diese große Tatsache gibt es keine Erlösung.

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Das Gesicht des Allmächtigen

Bibelstelle: 4. Mose 24, 4-6

Botschafter des Heils 1913 S. 138ff

Wollen wir freundliche Gedanken über die Gläubigen haben, so müssen wir uns zu dem erheben, was die Versammlung (Gemeinde) Gottes wirklich für Gott ist. Wir müssen „das Gesicht des Allmächtigen" schauen, d. h. Kenntnis nehmen von der Schönheit und Lieblichkeit, welche die Gemeinde in all der Vollkommenheit Christi besitzt; anders werden unsere Seelen im Blick" auf die Vorgänge rund um uns her nicht in Milde, Sanftmut und Demut erhalten bleiben. Und weiter, wenn wir nicht durch die Kraft des Geistes uns über die Umstände zu erheben vermögen, um die Versammlung und jeden einzelnen Gläubigen so zu sehen, wie Christus sie sieht, so werden wir entmutigt und enttäuscht werden, statt dass wir sie zu nähren und zu pflegen suchen, wie Christus es tut. Und das macht uns dann verdrießlich — es sollte ja nicht so sein, aber es ist doch so. Und die weitere Folge ist, dass wir entweder unseren Maßstab herabsetzen und uns mit mehr oder weniger Weltförmigkeit in den Gläubigen zufrieden geben, oder dass wir unzufrieden werden und einem richtenden, bitteren Geist unseren Geschwistern gegenüber Raum geben.

Der Glaube hält die Wohlgefälligkeit der Gläubigen in Christo fest, während er in der Ausübung einer Gott entsprechenden und gnädigen Zucht danach trachtet, sie in dem Wohlgeruch der Gnade Christi zu erhalten und grünen und blühen zu sehen. „Gleich Tälern breiten sie sich aus, gleich Gärten am Strome, gleich Aloebäumen, die Jehova gepflanzt hat, gleich Zedern am Gewässer." Welch ein liebliches Bild! Aloebäume und Zedern — Duft und Kraft! Könnten wir deshalb mit glücklichem Herzen die Gläubigen verkümmern und den Herrn verunehren sehen? Unmöglich. Es handelt sich ja um die Herrlichkeit Christi selbst. Er wird in uns gesehen. „Ihr seid (nicht: ihr solltet sein) ein Brief Christi, geschrieben mit dem Geiste des lebendigen Gottes" (2. Kor. 3, 3). Es muss mich darum tief betrüben, wenn ich in meinen Brüdern etwas finde, was ihrer Schönheit im Herrn zuwider ist.

O mein lieber, gläubiger Leser, wie sehr bedürfen wir es, die Gläubigen, gemeinsam oder einzeln, also in Gottes Gesicht zu sehen mit geöffneten Augen, in der Kraft des Geistes, um so in Gottes Gedanken über sie eintreten zu können! Wir haben jenes Gesicht nicht nötig, um zu erkennen, dass ein Gläubiger ein Gläubiger ist, noch brauchen wir um „geöffnete Augen" zu bitten, um Mängel und Widersprüche in dem Wandel unserer Brüder zu entdecken. Was wir bedürfen ist, in Gottes Gegenwart zu stehen und mit offenen Augen jene Schönheit und Herrlichkeit zu betrachten, die Er in der Versammlung sieht.

Und beachten wir, dass alles das gesagt wurde in der unmittelbaren Gegenwart Balaks. Wie gut, dass wir die Gewissheit dieser Dinge inmitten von Satans Macht besitzen! David sagt: „Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde“. Die Feinde können nur zuschauen und sehen, wie reich gesegnet ich bin, indem ich mich an dem erquicke, was Gott für mich bereitet hat.

„Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!“ Wir dürfen zu unserem Trost allezeit an die Kraft der Liebe Gottes denken, und wo ein richtiges Verständnis über die Schönheit und Lieblichkeit der Versammlung, wie auch über ihre Versehlungen sich findet, da wird auch Demut, verbunden mit einer milden, sanftmütigen Gesinnung, dem Herrn und den Gläubigen gegenüber vorhanden sein.

Der Herr schenke uns denn, dass wir uns nicht in kalter Gleichgültigkeit hinsetzen, indem wir uns mit dem Bösen in uns oder in unseren Brüdern zufrieden geben! Das wäre ein großes Übel. Nein, die Wasser Gottes sind da, an den Wurzeln der Pflanze, wie arm und kümmerlich deren Wuchs auch sein mag. Das ist ein kostbarer Trost. Lasst uns nie vergessen, dass wir ein „Garten“ des Herrn sind! Wir dürfen in der Wüste, angesichts unserer Feinde, das Bewusstsein haben, dass wir nicht nur errettet, sondern als Gottes „Bäume“ gepflanzt sind, und dass Gottes Bach in der Wüste fließt, in einem dürren und lechzenden Lande, ja, dass Ströme von Wasser zur Erquickung der Gläubigen da sind. O möchten wir immer in der Erkenntnis der Gedanken Gottes über die Seinigen dastehen, um uns in Ihm zu erfreuen, der unsere Lieblichkeit ist, uns Seiner zu rühmen, der Gottes Wonne und unsere Freude ist! So werden wir dann auch fähig sein, die schwachen Pflänzlein zu pflegen in der nie ermüdenden Liebe und Geduld Christi, unseres Herrn.

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Ein nicht umgewendeter Kuchen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 141ff

Das Wort Gottes ist reich an lieblichen und ernsten Bildern. Gott liebt es, in bildlichen Ausdrücken zu uns zu reden, um uns Seine Gedanken deutlicher zu machen und tiefer einzuprägen. Der Eindruck einer bloß lehrhaften Rede, sei es nun Unterweisung, Ermahnung oder Warnung, verwischt sich leicht; ist die Rede von entsprechenden Bildern begleitet, so haftet der Eindruck viel länger, ja, ist oft unverwischbar.

Ein Garten am Strome, eine Zeder auf dem Libanon, ein junger Löwe, eine grünende Zypresse, ein Fruchtbaum am Quell, dessen Schösslinge über die Mauer treiben, ein Born lebendigen Wassers, oder andererseits ein geknicktes Rohr, ein glimmender Docht, ein Dornstrauch, ein zerbrochener Rohrstab, eine geborstene Zisterne, ein versprengtes Schaf, ein Schlauch im Rauche — alles das sind Bilder (und es sind nur einige wenige aus der reichen Fülle), die eindringlich und verständlich zu unseren Herzen und Gewissen reden und sich unserer Erwägung und Betrachtung immer wieder von selbst darbieten. Das Kind versteht sie, und der Alte und Weise bewundert sie.

Ein solch bildlicher Ausdruck steht auch an der Spitze dieser kurzen Betrachtung: ein nicht umgewendeter Kuchen; mit anderen Worten: ein Kuchen, der nur auf einer Seite gebacken und auf der anderen noch ungar ist. Der Prophet Hosea, ein Zeitgenosse des Propheten Jesaja (vgl. Hos. 1, 1 mit Jes. 1, 1), nennt Ephraim so. Ephraim ist der Name des Zehnstämme-Reiches im Gegensatz zu Juda. „Ephraim ist wie ein Kuchen geworden, der nicht umgewendet ist." (Kap. 7, 8.) Und warum das? Weil Ephraim „sich mit den Völkern vermischt" hat.

Gottes Volk hat nichts mit anderen Völkern gemein; es ist ein abgesondertes Eigentumsvolk. Wie könnte Gott etwas mit den Völkern, mit der Welt, gemein haben? Ebenso wenig darf Sein Volk sich mit ihnen vermischen. In seiner Absonderung besteht seine Kraft. Denn in demselben Maße wie es sich mit fremden Elementen vermischt, entfernt es sich aus der Gegenwart Gottes, der Quelle aller Kraft und Heiligkeit, und „Fremde verzehren seine Kraft" (V. 9). Gott kann sich unmöglich mit der Welt in den Besitz von irgend etwas teilen. Licht und Finsternis schließen einander aus. Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit können nicht nebeneinander bestehen (Vgl. 2. Kor. 6, 14-18).

Alle Halbheit, alles Scheinwesen ist vor Gott ein Gräuel. Gemischte Grundsätze sind Ihm hassenswürdig. Darum durfte kein Israelit sein Feld mit zweierlei Samen besäen, oder ein Kleid, aus zweierlei Stoff gewebt, anziehen. (3. Mose 19, 19; 5. Mose 22, 9—11). Gott will, dass in dem Verhalten und Dastehen Seines Volkes alles klar und unzweideutig sei. Er hat Wohlgefallen an der Wahrheit im Innern, welcher ein entsprechendes äußeres Verhalten nicht fehlen wird. Abraham war ein Mann nach Seinem Herzen. In Abrahams Leben gab es wohl Verfehlungen und Untreuen, aber sein Pfad war bestimmt, sein Zeugnis unzweideutig. Lot trug ein Kleid von zweierlei Stoff. Er fürchtete Gott und — liebte die fetten Weiden Sodoms. Er vermischte sich mit Fremden, mit den bösen Bewohnern der gottlosen Stadt. Darum verlor sein Zeugnis alle Kraft; seine Eidame meinten, er treibe Scherz mit ihnen (1. Mose 19, 14). Auch Jonathan, obwohl ein ganz anderer Mann als Lot, besäte sein Feld mit zweierlei Samen: er verband sich mit David, dem Auserwählten Gottes, und er blieb am Hofe und im Heere Sauls, des Feindes Davids und von Gott verworfenen Königs, bis er in der schmählichen Niederlage desselben auf dem Gebirge Gilboa seinen eigenen Untergang fand.

„Ephraim vermischt sich mit den Völkern; Ephraim ist wie ein Kuchen geworden, der nicht umgewendet ist.“ Ein ungarer Kuchen macht dem keine Ehre, der ihn gebacken hat, und er ist ungenießbar für den, der ihn essen soll. Ein ernster Gedanke, wenn wir das Bild auf uns anwenden! Wir sind in diese Welt hineingestellt als Zeugen Gottes, zu Seiner Verherrlichung und zum Nutzen und Segen für unsere Mitmenschen. Sind wir Kuchen, die auf beiden Seiten gebacken sind? Leute, die Gott und Menschen gegenüber ihren Beruf erfüllen? Muss die Welt, wenngleich sie uns hasst, von uns bezeugen: „Das sind Christen!«? Stehen unsere Wege in Übereinstimmung mit unseren Worten? Können unsere Vorgesetzten oder Untergebenen, Mitarbeiter oder Kameraden bekunden, dass wir dem Herrn, an den wir zu glauben bekennen, Ehre machen? Verbinden wir mit der entschiedenen Absonderung von allem Bösen und Unwahren eine selbstlose, sanftmütige Gesinnung, Geduld, Nachgiebigkeit, Zuvorkommenheit und Demut?

Weiter wird von Ephraim gesagt: „Fremde haben seine Kraft verzehrt, und er weiß es nicht; auch ist graues Haar auf sein Haupt gesprengt, und er weiß es nicht" (V. 9). Es gibt Gläubige, die auf beiden Schultern tragen möchten, um es mit niemand zu verderben. Aus Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit suchen sie einem entschiedenen Bekenntnis für Christum aus dem Wege zu gehen. Ungare Kuchen, nur aus einer Seite gebacken! — Andere liebäugeln mit der Welt und vergessen, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist. Sie gehen Verbindungen ein, die Gottes Wort verbietet. „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen", ruft der Apostel den Korinthern zu. Aber man denkt: „Was kanns schaden? Ich werde schon meinen Standpunkt zu wahren wissen. Wer weiß auch? Vielleicht gelingt es mir, den anderen Teil für Christum zu gewinnen." Mit solchen und ähnlichen Überlegungen beruhigt man sein Gewissen. Auge und Herz sind gefangen, und ehe man sichs versieht, ist die verderbliche Verbindung da, und Fremde verzehren die Kraft"!

O dass doch niemand meine, er könne auf solchem Wege dem ungläubigen Teile zum Nutzen sein und sogar Gottes Werk fördern helfen! Nein, unsere Stelle zeigt, und die Erfahrung beweist, dass es genau umgekehrt geht. Der Ungläubige zieht den Gläubigen mit sich, und ohne dass dieser es wahrnimmt, raubt ihm die unerlaubte Verbindung alle geistliche Kraft. Es ist ganz ergreifend, den Propheten klagen zu hören: „Fremde haben seine Kraft verzehrt, und er weiß es nicht;" auch ist graues Haar auf sein Haupt gesprengt, und er weiß es nicht“. Das Ergrauen des Haares ist ein Zeichen des nahenden Alters und der schwindenden Kraft. Noch ist das Haupt nicht ganz grau, aber es zeigen sich die Spuren des Rückgangs, der Abnahme. Der innerlich vorgehende Entkräftungsprozess offenbart seine Wirkungen nach außen. Und man weiß es nicht! Man hat das Geheimnis seiner Kraft preisgegeben und denkt doch wie Simson: Ich werde schon „davon kommen" und „mich herausschütteln“, wenn die Feinde an mich herantreten. Aber die Versuchung kommt, und siehe da, die Kraft ist gewichen: man gerät in die Gewalt der Feinde, wird ein Gefangener der Welt und ein Gegenstand des Spottes. Auch von Simson heißt es: „Er wusste aber nicht, dass Jehova von ihm gewichen war" (Richter 16, 20).

O wie mancher Gläubige in unseren Tagen gleicht dem Simson oder dem Ephraim! Da sind Beziehungen und Verbindungen mit der Welt angeknüpft worden - oft durch das Geschäft, oft durch die heranwachsenden Kinder -, die man einst, in den Tagen der Kraft und Frische, gar nicht für möglich gehalten hätte. Man hat hier ein wenig nachgegeben und dort ein kleines Zugeständnis gemacht, und so ist das graue Haar gekommen, und man weiß es gar nicht! Man meint, alles sei noch in Ordnung, und doch haben die Fremden längst die beste Kraft verzehrt, und man „ist wie eine einfältige Taube geworden, ohne Verstand“ (V. 11). Mit Ephraim war es schon so weit gekommen, dass es Ägypten um Hilfe anrief und nach Assyrien ging. Schreckliche Verblendung! Aber sind nicht manche Gläubige heute in großer Gefahr, auf denselben Weg zu geraten?

Im 14. Kapitel ruft Hosea das Volk zur Umkehr: „Kehre um, Israel, bis zu Jehova, deinem Gott!“ Noch immer ist Jehova der Gott Israels. Er hat sich nicht von ihm abgewandt. Da ist kein Retter außer Ihm, Er ist Israels Gott von Ägypten her (Kap. 13, 4). Seine Treue ist sehr groß. Aber nichts Geringeres genügt auch, als eine Umkehr bis zu Jehova, und zwar mit aufrichtigem Bekenntnis und ernstem Selbstgericht. „Nehmet Worte mit euch und kehret um zu Jehova; sprechet zu Ihm: Vergib alle Ungerechtigkeit" (V. 2).

Als der verlorene Sohn im Evangelium zu sich selbst kam, beschloss er zu seinem Vater umzukehren und Worte mitzunehmen. „Ich will zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nichtmehr würdig, dein Sohn zu heißen“ (Luk. 15, 18. 19). Es war Gnade, die ihn dahin leitete, umzukehren und zu bekennen, und es war Gnade, die ihm begegnete, als er seinen Entschluss zur Ausführung brachte. Genauso ist es hier. Es ist Gnade, die ruft: „Kehre um, Israel!", und es ist Gnade, die den Umkehrenden sagen lässt: „Ich will ihre Abtrünnigkeiten heilen, will sie willig lieben . . . Ich werde für Israel sein wie der Tau: blühen soll es wie die Lilie und Wurzeln schlagen wie der Libanon." Es ist Gnade, wunderbare, göttliche Gnade, welche die Frucht ihrer Lippen als ein wohlgefälliges Schlachtopfer annehmen will, nachdem sie erkannt haben, dass Assyrien sie nicht retten und das Machwerk ihrer Hände sie nicht erlösen kann, sondern dass nur das Erbarmen Jehovas mit der Waise (dem Schwachen, Hilflosen) ihnen Hilfe bringt.

Kehret denn um, auch ihr, die ihr heute zu Gottes Volk zu gehören bekennet, und deren Herzen doch gleichgültig geworden und von Gott abgewichen find! Kehret um und nehmet Worte ausrichtigen Schmerzes und ehrlicher Beugung mit euch! Saget es Ihm, wie da so manches in euren Herzen und Häusern Eingang gefunden hat, was nicht da sein sollte! Bittet Ihn um Licht und Gnade zu wahrer, gründlicher Umkehr bis zu Ihm! Ephraim heulte aus seinem Lager, aber es schrie nicht zu Gott in seinem Herzen; es wandte sich um, aber nicht nach oben. Darum war sein Heulen nutzlos, und sein Umwenden blieb ohne Ergebnis. Es „war nur ein trüglicher Bogen geworden“ (Kap. 7, 14. 16). O denket an das Kleid von zweierlei Stoff, an den Kuchen, der nur auf einer Seite gebacken ist, und fliehet die Fremden (auch die fremden Bücher), die eure Kraft verzehren! Ganz gewiss, Gott wird auch eure Abtrünnigkeiten heilen und euch willig lieben. Ihr werdet wieder blühen wie die Lilie und grünen wie die Zypresse, und eure Frucht wird aus Ihm gefunden werden.

„Wer weise ist, der wird dieses verstehen; wer verständig ist, der wird es erkennen. Denn die Wege Jehovas sind gerade, und die Gerechten werden darauf wandeln" (Hos. 14, 8. 9).

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Einige Gedanken über die Person Jesu Christi, unseres Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 148ff

III.

Die Sünde und Christus begegnen sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf den Gefilden des Todes. Die Sünde ist des Todes Stachel oder das, was ihn herbeiführt; Christus ist Der, Welcher den Tod besiegt und zunichtemacht. Sie begegnen einander, und fürwahr, das Ergebnis ist nichts anderes, als die Abschaffung der Sünde und die Erlösung ihres Gefangenen.

Die bloße Auferstehung der Toten oder das Sichauftun der Gräber, um die herauszugeben, die in ihnen sind, wäre nicht eigentlich ein Sieg (obwohl die Auferstehung der Toten auch durch Christum ist). Die Toten könnten ja nur zu dem Zweck aus den Gräbern hervorgerufen werden, um vor ihrem Richter zu erscheinen, wie es tatsächlich der Fall sein wird mit allen, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens des Lammes geschrieben sind. Die Auferstehung aus den Toten ist das Siegreiche; sie verbürgt die Erlösung und damit jenes wunderbare Ergebnis, dass „jeder, der irgend den Namen des Herrn anrufen wird, errettet werden wird" (Römer 10,13). Denn „der Herr", Der angerufen wird, ist der auferstandene Herr Jesus. Er hat den Tod zunichtegemacht, und Sein Blut reinigt von aller Sünde.

Die Auferstehung des Herrn Jesu ist eine große Tatsache. Ganz gleich, ob man sie hören will oder nicht, sie besteht und kann nicht geleugnet werden. Wir können auch nicht ihrer Anwendung auf uns entgehen. Ich möchte sagen: sie zieht uns, einen jeden von uns, ganz von selbst in ihren Wirkungskreis, wir mögen wollen oder nicht. Ihre Kraft und Bedeutung ist zweifacher Art, und jeder sollte sich darüber klar werden, wie er zu ihr steht. Denn weil sie eine Tatsache ist, kann niemand sich ihr entziehen. Wie die Sonne am Himmel steht und die Schöpfung Gottes sich ihrem Einfluß nicht entziehen kann, so thront Er auferstanden und verherrlicht über uns, und Gott Selbst hat Ihn vor unsere Blicke gestellt. Könnte jemand die Sonne vom Himmelsgewölbe entfernen?

Die Herrlichkeit nahm ihren Sitz in der Wolkensäule, als Israel durch die Wüste wanderte, und das Volk musste wissen, dass sie da war und dass es mit ihr zu tun hatte, in welchem Zustand es sich auch befinden mochte. Wenn Israel im Gehorsam voranging, war es ein freudiges Führen, wenn nicht, so wurden ihm Tadel und Gericht aus der Wolke zuteil. In jedem Falle war sie da, über ihnen und vor ihnen; unter allen Umständen hatten sie mit ihr zu rechnen, ob ihr Zustand gut oder schlecht war.

So sandte Gott auch Seine Propheten unter das Volk. Sie waren da. Ob das Volk sie anhören wollte oder nicht, es sollte wissen, dass Propheten in seiner Mitte gewesen waren. Es war unmöglich, die Tatsache abzuleugnen oder sich ihrer Anwendung zu entziehen.

Das Kommen Christi in diese Welt in den Tagen Seines Fleisches war eine Tatsache ähnlicher Art. Satan kannte sie wohl, und er hatte mit ihr zu rechnen; und dem Menschen wurde durch sie entweder Segnung gebracht, oder seine Schuld und sein Gericht wurden erschwert. Das Reich Gottes war nahe gekommen. Hiervon und von der Kraft dieser Tatsache hatten sie sich zu vergewissern.

Genau so verhält es sich mit der großen Tatsache der Auferstehung. Er ist auferstanden und erhöht. Er ist aufgefahren und verherrlicht. Wir könnten gerade so gut versuchen, die Sonne vom Himmelsgewölbe zu entfernen, als den Versuch machen, der Anwendung dieser Tatsache auf uns zu entrinnen. Sie redet von „Gericht" oder von „Gnade", je nachdem wir das Kreuz Christi geringschätzen und verachten, oder es mit überführten, interessierten Herzen betrachten. Allen und jedem hat sie etwas zu sagen. Sie redet, ob der Mensch hören will oder nicht. Nur ist bei ihr dieser ernste Unterschied zu beachten: um uns ihrer als Gottes Heil erfreuen zu können, müssen wir jetzt durch den Glauben in persönliche, lebendige Verbindung mit ihr treten. Geschieht das nicht, vernachlässigen wir sie alle die Tage unseres Lebens, so wird sie sich dereinst mit uns in Verbindung setzen.

Das ist, wie gesagt, ernst. Eine Illustration dazu finden wir in Markus 5. Mochte Satan wollen oder nicht, der Herr Jesus setzte sich mit ihm in der Person des armen Besessenen zu Gadara in Verbindung, um ihn zu richten und sein Werk zu vernichten. Aber mit dem armen, blutflüssigen Weibe in der Volksmenge trat Er und die Kraft, die in Ihm war, nicht eher in Verbindung, als bis sie durch Glauben sich und ihre ganze Not zu Ihm gebracht hatte.

Dieser Unterschied redet zu unseren Herzen und Gewissen. Wenn wir nicht jetzt durch Glauben von einem auferstandenen Jesus Gebrauch machen und der Kraft, die in Ihm ist, teilhaftig werden, so wird Er uns dereinst mit dem Gericht heimsuchen, das Ihn dann begleiten wird. Dereinst wird keine Bitte um Abwendung mehr helfen, während es jetzt kein Suchen gibt, auf das Er nicht antwortet.

Ziehen wir daraus die notwendige Schlussfolgerung. Es ist ein eitles Bemühen, wenn der Mensch oder die Welt oder der Gott und Fürst dieser Welt dem auferstandenen Christus widerstehen will; es ist nichts als ein ohnmächtiges Ausschlagen wider den Stachel. Andererseits ist es töricht und eitel, wenn ein Sünder, der an den auferstandenen Christus geglaubt hat, zu zweifeln beginnt; denn Gott hat ihn gerechtfertigt. Die Gerechtigkeit Gottes ist sein Teil, und diese spricht für ihn auf Grund der Erlösung durch Blut, auf Grund des Sühnungswerkes Jesu, durch das Gott verherrlicht worden ist. Jesu Tod hat Gottes Gerechtigkeit vollkommen strahlend erwiesen. Mag Gott jetzt dem Schlechtesten vergeben, das Kreuz setzt Ihn dazu instand, und zwar unter vollkommener Aufrechterhaltung Seiner Gerechtigkeit und sittlichen Herrlichkeit. Ja, Gottes Gerechtigkeit ist es gerade, die den Sünder annimmt, der sich auf das Kreuz beruft. Denn wie das Kreuz Gottes Gerechtigkeit aufrecht hält, so entfaltet sich jene Gerechtigkeit in der Rechtfertigung des Sünders, der sich auf das Kreuz stützt.

Wir kennen daher Gott nicht, wir sind in Unwissenheit über Ihn, wie der Apostel sich in 1. Kor 15,34 ausdrückt, wenn wir die Tatsache der Auferstehung, oder die Belehrung, die in ihr liegt, nicht annehmen. Denn gerade durch sie erweist Sich Gott in dieser Welt in der Ihm eigenen Herrlichkeit. Der Feind hat durch die Sünde den Tod in die Welt gebracht; unser hochgelobter Herr hat ihn besiegt durch jene mächtige Handlung, welche die Sünde hinweggetan und den Tod zunichte gemacht hat; und das Zeugnis davon ist die Auferstehung.

Die Jünger waren ganz ungläubig hinsichtlich dieses großen Ereignisses, selbst nachdem es zur Tatsache geworden war. Wohl gaben sie Beweise einer schönen und ernsten Hingebung, aber im Blick auf die Auferstehung verrieten sie einen völligen Unglauben. Das ist auch ganz natürlich. Es liegt uns viel näher, uns für den Herrn zu verwenden, als zu glauben, dass Er Sich Selbst für uns verwendet, dass Er für uns gekämpft, gelitten und den Sieg erstritten hat.

Von herzlicher Liebe getrieben, besuchten die Frauen, die mit Ihm aus Galiläa gekommen waren, die Gruft. Kühn forderten Joseph und Nikodemus den Leib des Herrn von Pilatus. Es war mehr als Spezereien und Salben, womit sie Ihn zum Begräbnis zubereiteten; es war Liebe und Eifer dabei, samt Trauer und Tränen. Maria Magdalene war frühe am Grabe, und Petrus und Johannes suchen in ihrem Lauf dahin einer dem anderen zuvorzukommen. Mit bekümmerten Herzen unterhalten sich die beiden Jünger auf dem Wege nach Emmaus über Jesum, und ihre Herzen brennen, als der Wanderer, Der Sich zu ihnen gesellt, hat, Ihn zum Gegenstand Seiner Belehrung macht. In diesem allem zeigte sich eine schöne Zuneigung, und trotz allem waren die Jünger ungläubig. Obwohl ihre Herzen so innig mit Ihm beschäftigt waren, vermochten sie doch nicht die große Tatsache Seines Sieges für sie anzunehmen.

Damit ist der Herr aber nicht zufrieden. Wie könnte Er es auch sein? Der Sünder muß Ihn in der Gnade und Kraft kennenlernen, die seinem Bedürfnis begegnet ist. Voll Eifer und Liebe mögen die Jünger zur Gruft eilen. Aber das ist nicht genug. Wir müssen Ihn durch den Glauben gleichsam zu uns, in unsere Gräber, kommen sehen, anstatt uns zu Ihm, in Sein Grab, zu begeben. Wir sind die Toten, nicht Er; und Er ist der Lebendige, nicht wir. Der Sohn Gottes hat diese Stätte des Verfalls betreten als ein Erlöser der Verlorenen und als Der, Der die Toten lebendig macht. Das ist es, was wir wissen müssen. Er begegnete den Jüngern gütig und freundlich, da Er ihre Liebe wohl zu schätzen wußte; aber Er tadelte ihren Unglauben und ruhte nicht, bis das Licht dieses großen Geheimnisses in ihre Herzen und Gewissen hineinleuchtete. Dann „huldigten sie ihm und kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude", indem sie Ihm gleichsam so im Geiste ihr Speis- und Trankopfer darbrachten, wie es bei der „Erstlingsgarbe" geschah, die zu Beginn der Ernte durch den Priester vor Jehova gewebt wurde. (Vergl. 3. Mose 23,9-13.)

Die Engel waren ihnen hierin bereits zuvorgekommen. Sie hatten das Geheimnis erkannt; sie freuten sich darüber und feierten es auf ihre Weise. Es ist wahrlich ein tröstlicher Gedanke für uns, wenn wir sehen, welch ein Interesse man im Himmel an den Dingen nimmt, die auf Erden vorgehen. Welche innigen Verbindungen bestehen da zwischen Engeln und sündigen Menschen!

„Gesehen von den Engeln", bildet einen Teil des „Geheimnisses der Gottseligkeit" (1. Tim 3,16). Der Christus Gottes war der Gegenstand der Engel in Seinem wunderbaren Werk und Weg für Sünder. Wie gesegnet ist das!

„Die Söhne Gottes", die Engel, jubelten, als die Grundfesten der Erde eingesenkt wurden (Hiob 38,6. 7); und das Buch der Offenbarung zeigt uns ihren Platz und Anteil an den großen Vorgängen, die den Schluß der Geschichte der Erde begleiten. Sie nehmen an der Freude teil, die im Himmel herrscht, wenn ein Sünder Buße tut, und sie dienen ihm als einem Erben der Seligkeit auf seinem ganzen Wege bis ans Ziel (Heb 1,14).

Was taten sie, als Jesus geboren wurde, und was tun sie, nachdem Jesus gestorben ist? Sie sind immer noch da. Wie sie die Gefilde Bethlehems bei Seiner Geburt füllten, so sitzen sie jetzt, nach Seiner Auferweckung, in dem leeren Grabe.

Kann man da nicht von inniger Verbindung reden?

Es ist gesagt worden: „Die Engel durchbrachen Schranken an jenem Morgen", als sie in Scharen und unter lautem Lobgetön den Hirten erschienen. Das ist wahr, aber sie haben stets „Schranken durchbrochen", indem sie ihre Heimat, den Himmel, verließen, um sich mit irdischen Dingen zu beschäftigen. Die Handlung in Lk. 2 ist nur ein Kapitel aus ihrer Geschichte. Dürfen wir uns aus dieser engen Verbindung des Himmels mit der Erde, aus diesem Interesse, das die Geschöpfe Gottes droben an den Gegenständen Seiner Gnade hienieden nehmen, nicht den Schluß ziehen auf die Harmonien, die dereinst den ganzen Schauplatz der Handlungen Gottes kennzeichnen und füllen werden? Gott ist ein Gott der Ordnung. Die Sphären, die Er schafft und belebt, werden Zeugen dieser Harmonien sein, und alle werden die Geschicklichkeit der Hand rühmen, die ihnen ihren Platz angewiesen, und die Liebe des Herzens, das sie miteinander in Verbindung gebracht hat.

Ich kann nicht weitergehen, ohne noch auf einen Punkt aufmerksam gemacht zu haben, der sich mir hinsichtlich des Menschen unwillkürlich aufdrängt, und das ist die Weise, wie die Unverbesserlichkeit und Unheilbarkeit seines Zustandes sich in jener Zeit so tief und unwiderleglich erwiesen hat. Die Tatsache, dass der Vorhang im Tempel zerrissen wurde, lässt Schriftgelehrte und Priester genau so verhärtet und böse wie zuvor, und dass das Grab geöffnet war, bewirkt nicht die geringste Änderung bei den Hütern. Die einen geben Geld und die anderen nehmen es, um dafür, angesichts solch gewaltiger, erstaunlicher Tatsachen, eine Lüge zu verbreiten. Wahrlich, von einem Herzen, das solchen Heimsuchungen und solch ernsten Offenbarungen der Hand Gottes gegenüber hart und der Buße unzugänglich bleibt, kann man nur sagen, dass es unwiderruflich verderbt ist. „Verloren", das ist das einzige Wort, das den Zustand der menschlichen Seele richtig beschreibt.

Deshalb möchte ich noch einmal sagen: Welche wunderbaren, mannigfaltigen Blicke tun sich uns auf, wenn wir die Schlussberichte der Evangelisten betrachten! Das vollbrachte Werk hat Sündern, verlorenen Sündern von Natur, die höchsten Interessen an Gott gegeben, und das für immer und ewig! Es hat uns der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig gemacht, und es hat uns einen Platz in der Familie Gottes gegeben. Wir sind Söhne, an Kindesstatt angenommen, und wir sind gerechtfertigt. Durch das Kreuz ist Gott völlig geoffenbart und der Mensch völlig bloßgestellt worden. Der ganz und gar verderbte Zustand und sittliche Ruin des Menschen trat auf Golgatha ebenso zutage wie die herrliche Vollkommenheit Gottes in Güte. Das kostbare Blut des Sohnes Gottes begegnet dem Speer des Menschen. Der Vorhang im Tempel wurde entzweigerissen, als der Herr Jesus Sein Leben dahingab, Er, für den der Mensch nur ein „Kreuzige, kreuzige Ihn"! gehabt hatte. So ist, wie gesagt, Gott geoffenbart und der Mensch bloßgestellt worden, und diese Offenbarung hat ebenso vollkommen zur Verherrlichung Gottes gedient, wie des Menschen Bloßstellung zu dessen Schande.

Fürwahr, die Gnade hat sich in vollkommener, glänzender und wunderbarer Weise entfaltet. Gott hat den Sünder in Gerechtigkeit in Seine Gegenwart zurückgeführt, und Er hat das auf einem Wege und in einer Weise getan, wie sie dieses Platzes würdig sind. Aber nicht nur ist Gerechtigkeit vor Gott unser Teil, sondern wir sind auch, wie ich bereits sagte, als Söhne zu dem Vater gebracht. Und weiter: Annahme in dem Geliebten, Gleichförmigkeit mit dem Bilde des Sohnes, das Erben aller Dinge mit Ihm, ein verherrlichter Leib, das Vaterhaus und der Thron Christi in dem zukünftigen Zeitalter: das alles ist des Sünders Teil, der durch den Glauben innerhalb des von Gottes eigener Hand zerrissenen Vorhangs tritt. Es sind wirklich liebliche Örter, reiche Gefilde, in welche die Gnade uns einführt! Aber wir können nur einzeln, jeder für sich, dahin gelangen. Es ist eine durchaus persönliche Sache. Jeder muss diese Reise für sich unternehmen und von dem Zustand, in dem er sich von Natur befindet, hinübergehen zu diesen reichen Gefilden. Jeder hat es für sich persönlich mit Gott zu tun. Hernach mögen wir unsere Miterlösten kennenlernen, unsere Verbindung mit ihnen erfassen, unsere Stellung in dem einen Leibe verstehen lernen, unseren Platz in der Versammlung Gottes einnehmen und die uns hieraus erwachsenden Pflichten erfüllen.

Zu allen Zeiten bedarf die Seele der Erinnerung hieran; besonders notwendig und zugleich tröstlich ist sie aber in Tagen der Verwirrung, der Zerrissenheit und der Spaltungen, wie die gegenwärtigen sind. Wir stehen alle persönlich vor Gott.

In früheren Tagen trat das Volk Gottes bei zwei sehr wichtigen und ernsten Anlässen in dieser Weise vor Gott: bei der Gesetzgebung in 2. Mose 19 und 20 und bei der Salbung Aarons in 3. Mose 8 und 9. Als der Herr das Gesetz der zehn Gebote gab, versammelte Moses das Volk an dem Fuße des Berges und ließ es dort so lange verweilen, bis die Worte zu Ende waren. Und als Aaron in sein Amt eingeführt wurde und seine priesterlichen Verrichtungen zum ersten Mal in Gottes Gegenwart ausübte, versammelte Moses wiederum das Volk am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft, bis die feierliche Handlung vorüber war.

Das war nicht immer so. Gewöhnlich vernahm das Volk durch Moses das, was es betraf, und wurde durch Moses, oder durch Moses und Aaron, in seinen Pflichten unterwiesen. Aber bei diesen beiden besonderen Gelegenheiten, der Gesetzgebung und der Einführung des Priestertums, musste die ganze Gemeinde Israels zugegen sein, damit jeder für sich Augen- und Ohrenzeuge dieser Dinge sein und sie persönlich kennenlernen möchte.

Aber nicht nur das. Mit jeder der beiden Gelegenheiten war auch eine ihnen entsprechende Seelenübung für das Volk verbunden. Sie waren nicht bloß Zuschauer, sondern sie waren beteiligte und unterwiesene Zuschauer.

Am Sinai schrien und zitterten sie. Und das war ganz in Ordnung. Moses billigte, auf Seiten Gottes stehend, diesen Schrei und diese Furcht. Wir können nicht an Gott als Richter denken, ohne dabei als Menschen unser Todesurteil zu vernehmen.

Am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft wurde eine andere Wirkung bei dem Volke hervorgerufen. Als das Feuer und die Herrlichkeit vom Himmel herniederkamen, um die Genügsamkeit des Dienstes Aarons zu bezeugen und dessen Ergebnisse zu bestätigen, jauchzte die ganze Versammlung und fiel auf ihr Angesicht in glückseliger Anbetung. Auch das war ganz in der Ordnung. Denn hier war Gott nicht ein Gesetzgeber inmitten der Schrecken des Gerichts, sondern ein Retter inmitten reicher Vorkehrungen der Gnade. Und welche andere Antwort sollten unsere Herzen geben, als Jubel und Dank (leider ist sie manchmal nur zu schwach), wenn Gott uns in Gnade und Rettung begegnet?

So stand auch damals bei Israel jeder für sich persönlich in der göttlichen Gegenwart, und alle fühlten die mächtige Wirkung dieser beiden wichtigen und ernsten Gelegenheiten. Der lebendige Gott und jede einzelne Seele waren dabei beteiligt. Gott war bei ihnen, und jeder von ihnen befand sich in Gottes Gegenwart.

Soll ein Mensch von seiner Sünde und Schuld überführt werden, so muss er in Gottes Gegenwart kommen. Möchte er, als überführter Sünder, erlöst und frei werden, so muss er wiederum in Gottes Gegenwart kommen. Das sind Erlebnisse von durchaus persönlichem Charakter. Wir müssen, jeder für sich, wiedergeboren werden und durch die neue Geburt ins Licht und ins Reich Gottes hinübergehen.

„Ich weiß, wem ich geglaubt habe", sagt ein Apostel, und an einer anderen Stelle setzt er hinzu: „Ich bin mit Christo gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat" (Galater 2,20). Jedes dieser Worte atmet das Bewusstsein eines persönlichen Besitzes Christi. So sollte es bei uns sein. So tönt auch, in weicheren Lauten, wenn man will, eine Stimme aus längst vergangenen Zeiten: „Und ich, ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letze wird er auf der Erde stehen; und ist nach meiner Haut dieses da zerstört, so werde ich aus meinem Fleische Gott anschauen, welchen ich selbst mir anschauen, und den meine Augen sehen werden, und kein anderer: meine Nieren verschmachten in meinem Innern" (Hiob 19,25-27).

O möchten wir doch alle nach wahrer Herzensgemeinschaft mit Ihm trachten! Die erste Pflicht, das höchste Vorrecht und zugleich die erhabenste Kundgebung des Glaubens besteht darin, dass wir unseren Platz vor dem Herrn einnehmen, indem wir Ihn mehr und mehr kennenlernen und in Frieden vor Ihm sind. Möchte es deshalb ein Herzensanliegen für uns sein, Ihn mehr zu genießen in den wunderbaren Offenbarungen Seiner Selbst, von denen wir geredet haben - zu lernen, was Er ist, mit ruhigem, glücklichem und dankbarem Herzen! Seine Nähe ist unser Heim, wo wir zu aller Zeit, ob morgens, mittags oder abends, einen offenen und weiten Zugang haben in aller Zwanglosigkeit und Natürlichkeit, als solche, wie einmal jemand gesagt hat, „die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben".

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Die Zeit ist kurz

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 160ff

Die Zeit ist kurz! Sind deine Kleider rein und weiß,

im Blut des Lammes hell gemacht? Du jubelst: „Ja!!“

Dann, Miterlöser, tritt herzu, zum Banner her!

Umgürte dich und streite mit; der Herr ist nah`!

Lass ernst und treu uns sein; es ist noch kurze Zeit.

Sie sei dem Herrn, ja, Ihm, dem teuren Herrn geweiht!

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Gehasi –Ging mein Herz nicht mit?

Bibelstelle: 2. Könige 5,26

Botschafter des Heils 1913 S. 161ff

„Und er sprach zu ihm: Ging mein Herz nicht mit, als der Mann sich von seinem Wagen herab dir entgegenwandte? Ist es Zeit, Silber zu nehmen und Kleider zu nehmen und Olivenbäume und Weinberge und Kleinvieh und Rinder und Knechte und Mägde?“ (2. Kön. 5, 26).

So redete einst Elisa, der Mann Gottes, zu seinem Knaben Gehasi. Er stand vor dem Angesicht Jehovas und war als solcher der Mund Gottes. Seine Augen waren geöffnet.

Ihm war deshalb auch der verderbliche Weg seines Knaben nicht verborgen geblieben. So gut wie er, in Dothan von den Syrern umzingelt, den Berg voll feuriger Rosse und Wagen gesehen und seinem ängstlichen Diener die Worte zugerufen hatte: „Mehr sind derer, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind", so sah er auch jetzt das Treiben Gehasis. Mochte dieser auch heimlich dem Naaman nachgelaufen sein und das Böse durch eine Lüge vor ihm zu verbergen suchen — eitle Mühe! „Ging mein Herz nicht mit, als der Mann sich von seinem Wagen herab dir entgegenwandte?" Niederschmetternde Worte! Umsonst hatte Gehasi so lang das Vorrecht genossen, bei dem Propheten gewesen zu sein; eine dem Geiste Elisas völlig entgegen gesetzte, niedrige, ungöttliche Gesinnung war an den Tag getreten, und der Ruhm des Gottes Israels, Naaman umsonst gereinigt zu haben, war beeinträchtigt, der reine Glanz der Gnade verdunkelt worden. Die gerechte Strafe konnte nicht ausbleiben: Naamans Aussatz haftete an ihm und seinen Nachkommen ewiglich. (V. 27.)

Elisa war ein Vorbild von Jesu, unserem hochgelobten Herrn, von dem Vollkommenen, aus den alle Propheten und Gottesmänner nur als schwache Schatten und Vorbilder hinweisen. Salomo musste in seinem Gebet bekennen: „Denn da ist kein Mensch, der nicht sündigte"(1. Könige 8, 46). Ihn aber konnte keiner Seiner Feinde einer Sünde zeihen. Auf dem Berge der Verklärung verschwanden Mose und Elia; nur Jesus, der geliebte Sohn, blieb. Bildad, der Schuchiter, ruft: „Wir sind von gestern und wissen nichts" (Hiob 8, 9); von Ihm wird gesagt, dass „Er" alle kannte und nicht bedurfte, dass jemand Zeugnis gäbe von dem Menschen" (Joh. 2, 24. 25). Israel musste erfahren, dass Er ihr verborgenes Tun vor das Licht Seines Angesichtes stellte (Psalm 90, 8), und wir wissen, dass vor Ihm kein Geschöpf unsichtbar ist, und dass Er die Gedanken und Gesinnungen des Herzens beurteilt (Hebr. 4, 12. 13). Sein Herz geht auch mit uns. Er beobachtet mit göttlichem Scharfblick unermüdlich die Wege der Seinigen. Es entgeht Ihm nichts. Jeder einfältige Dienst, jeder aufrichtige Eifer, jede Hingabe, jede Liebe und Treue für Ihn erquicken Sein Herz. Sein Auge unterscheidet aber auch das Böse, die Eigenliebe, die Unaufrichtigkeit, den Weltsinn usw. Seine Augen durchlaufen die ganze Erde und schauen in jeden Winkel. Er sah, wie Sarah im Zelte in ihrem Innern lachte, und wie Jona ganz unten im Schiffe schlief. Er sah auch vom Berge aus, wie Seine Jünger auf dem See beim Rudern Not litten. Er sah Nathanael unter dem Feigenbaum, Petrus im Gefängnis, und Er konnte der Versammlung in Thyatira zurufen: „Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren und weiß, dass deiner letzten Werke mehr sind, als der ersten“ (Offb. 2, 19).

Gehasi brachte es nicht fertig, weder durch sein harmloses Wesen noch durch seine Lüge, Elisa zu täuschen. Er machte seine Schuld und Strafe dadurch nur größer. Bei Kain und später bei Ananias und Sapphira sehen wir dasselbe. Noch törichteres Beginnen wäre es, vor dem alles durchdringenden Feuerauge des Sohnes Gottes etwas verbergen zu wollen. Warum also die Sünde durch Lüge noch verschlimmern? Nein, liegt etwas auf dem Wege, das vielleicht nur Ihm bekannt ist, so lasst uns durch ein offenes Bekenntnis, das wie Balsam wirkt, uns des Druckes entlasten. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit" (1. Joh. 1, 9). „Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben, wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen“ (Spr. 28, 13). Satan, der Lügner von Anfang, suchte von jeher das Menschenherz zu betören und durch Lügen zu verblenden. Doch Gott sei Dank! „hierzu ist der Sohn Gottes offenbart worden, auf dass Er die Werke des Teufels vernichte“ (1. Joh. 3, 8). Und wenn wir ihm im Glauben entgegentreten, so flieht er. Er ist ein besiegter Feind; seine Kraft ist gebrochen."

Ist es Zeit, Silber zu nehmen?

Was war die Triebfeder zu dem unseligen Tun Gehasis? Hatten Geldgier und Habsucht die Oberhand über ihn gewonnen? Wollte er sich bereichern, ansässig machen, Weinberge, Kleinvieh, Knechte und Mägde nehmen?

Für Elisa, den Mann Gottes, waren Zeit und Umstände nicht dazu angetan, nach diesen Dingen zu trachten. Das Verderben hatte unter der Regierung des gottlosen Königs Ahab seinen Höhepunkt erreicht. Er hatte durch sein götzendienerisches, frevelhaftes Verhalten Jehova mehr gereizt als alle Könige, die vor ihm in Israel gewesen waren. Seine Söhne Ahasja (1. Kön. 22, 52 - 54) und Joram (2. Kön. 3, 1 - 3) waren in seine Fußstapfen getreten. Bei einem wahren Israeliten konnten solche Zustände nur Gefühle des Schmerzes und der Trauer wachrufen. Das in Aussicht gestellte Gericht des Hauses Ahab war nicht geeignet, Verlangen nach Besitztum zu erwecken. War das Gewissen Gehasis allmählich abgestumpft und für das Göttliche unempfänglich geworden? Wenn Elisa ihn zu seiner persönlichen Bedienung berufen hatte, so können wir nicht annehmen, dass er von Hause aus ein böser Mann war. Das Eine aber ist gewiss, dass die große Gnade des Gottes Israels, die sich in der Heilung Naamans erwies, keinen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Sein Herz war lüstern. Das Silber und die Wechselkleider des syrischen Feldhauptmanns hatten seine Begehrlichkeit gereizt. An die Ehre Gottes dachte er nicht.

Ähnliches finden wir bei Lot. Er hob seine Augen aus und wählte die wasserreiche und fruchtbare Gegend Sodoms. Dass die Leute dort böse und große Sünder vor Jehova waren, störte ihn nicht.

Wie war es so ganz anders mit Elisa! Sein Herz brannte für die Ehre des Gottes Israels und für die Entfaltung der Macht Seiner Gnade. Wie so ganz anders stand es auch mit Abraham! Er hielt sich in dem verheißenen Lande auf wie in einem fremden, wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung, und erwartete die Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist!

Auch wir sind als Zeugen der Gnade Gottes in diese Welt gestellt, und im Blick aus uns sagt der Apostel: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige". (Hebr. 13, 14.) „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit" (Phil. 3, 20. 21). Kostbares Teil! Wenn unsere Herzen und Blicke auf dieses Teil gerichtet sind, wird es uns nicht schwer werden, als Fremdlinge hier zu verkehren. Jesus, unser Herr und Meister, hat uns auch in dieser Beziehung ein gutes Vorbild gegeben. Alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, alle Ehre von Seiten der Menschen ausschlagend, nicht habend, wohin Er Sein Haupt legen sollte, verfolgte Er „mit Ausharren" den geraden, schmalen und heiligen Pfad.

Viele Gläubige sind „dem Anführer und Vollender "des Glaubens" auf diesem Weg gefolgt; Nicht selten gelang es dem Feind aber auch, die Blicke auf das Irdische zu lenken, so dass selbst Männer wie Hiskia, der mit ganzem Herzen Gott suchte und das tat, was gut und recht vor Jehova war, sich durch ihn verleiten ließen. Die äußeren Segnungen, sein Reichtum an Gold und Silber ließen Hiskia vergessen, dass Gott ihn aus der übermächtigen Hand des Assyrers errettet und durch ein Wunder von der tödlichen Krankheit geheilt hatte. Sein Herz überhob sich, und als die Gesandten des Königs von Babel kamen, um nach dem Wunder zu fragen (2. Chron. 32, 31), schwieg er anscheinend nicht nur davon, sondern zeigte ihnen, wie ein Weltmann es tun würde, seine Schatzkammern und Vorratshäuser. Die Folge davon war das Gericht. Hiskias Haus samt allem was er hatte kam in die Gefangenschaft Babels.

„Nur Eitelkeit sind die Menschensöhne, Lüge die Männersöhne . .. wenn der Reichtum wächst, so setzet euer Herz nicht darauf!“ (Ps. 62, 9.10). Ja, die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstricke und in viele unvernünftige und schädliche Lüste" (Vgl. 1. Tim. 6, 6 - 11). Das sind Worte, die besonders für die gegenwärtigen Tage passen, wo den vielfach veränderten Verhältnissen entsprechend ein Ringen nach Hab und Gut, ein Vorwärtsdrängen und Emporstreben mehr denn je als selbstverständlich und erforderlich gilt. Wenn für den Christen diese Welt etwas anderes wird als eine Wüste, diese Erde etwas anderes als ein fremdes Land, so hat er das vorgesteckte Ziel, den Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu, schon aus dem Auge verloren. Wie oft mag auch in unserer Zeit die Frage am Platze sein: „Ist es Zeit, Silber zu nehmen und Kleider zu nehmen, und Olivenbäume und Weinberge, und Kleinvieh und Rinder, und Knechte und Mägde?“ Wie leicht stumpft das Gewissen ab, indem der verführerische Glanz des Goldes das Auge blendet und das Herz einnimmt! Wo unser Schatz ist, da wird auch unser Herz sein. Das ist eine durch die Erfahrung tausendfach erprobte Wahrheit. Wie schön ist Abrahams Wort: „Nichts für mich!...auf dass du nicht sagest: Ich habe Abraham reich gemacht".

Das Kommen des Herrn ist nahe. Wird Er uns als treue Verwalter der mancherlei uns anvertrauten Gnade Gottes finden? Wir sind nicht unser selbst, sondern wir sind um einen Preis erkauft. „Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist" (2. Kor. 5, 15).

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Christus - Alles"

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 167ff

In unserem Herrn Jesus Christus, dem geliebten Sohne Gottes, beruht unser ganzes Heil. Es gibt kein wahres Leben, keinen vollkommenen Frieden, keine wirkliche Freude, keine Macht über Sünde und Satan, keine guten Werke, keinen wirksamen Dienst, so lange nicht Jesus im Herzen aufgenommen und durch Ihn alles neu geworden ist. In Jesu allein finden wir gegenwärtiges Glück und zukünftige Herrlichkeit. „Christus alles" (Kol 3,11). Er ist die Quelle aller Gnade und Wahrheit. Gott schenkt Seine Gütigkeiten nur in Verbindung mit Jesu. Nur indem wir Jesum angenommen haben und in Ihm bleiben, empfangen wir jede Segnung.

Mit Jesu Gemeinschaft zu haben durch Glauben und Gebet, sollte deshalb die Gewohnheit unseres Lebens hienieden sein. Wir sind berufen, Ihn stets und an allen Orten darzustellen. „Das Leben ist für mich Christus", konnte der Apostel in seinem Briefe an die Philipper schreiben (Kap. 1,21). Jeder andere Gegenstand als Christus steht unter der Würde des Christen. Die Sucht nach Reichtümern, Ehren oder weltlichen Vergünstigungen ist Torheit und Sünde.

Ein gottesfürchtiger und geliebter Knecht Jesu Christi schrieb einst von seinem Sterbebett aus folgende Zeilen: „Zweiunddreißig Jahre habe ich das vollkommene Sühnungswerk Christi verkündigt, die vollkommene Gerechtigkeit, die uns in Ihm geschenkt, und das ewige Heil, das uns durch Sein Blut gebracht ist. Diese Wahrheiten sind jetzt meine Hoffnung, mein Trost und mein Stab. In diesem Glauben habe ich gelebt, und in ihm sterbe ich. Sonst habe ich nichts, brauche aber auch nichts anderes mehr. Mein Glaube ist stark wie ein Fels."

Bei einer anderen Gelegenheit sagte er zu einem Freunde, der neben seinem Bett saß: „Wir Evangelisten sollten unseren Zuhörern mehr die Freude der Gemeinschaft mit Christo als einem lebendigen und gegenwärtigen Herrn darstellen. Wir neigen mehr dazu, über Christum zu reden, als Christum selbst zu predigen, über das Heil zu sprechen, als den Heiland zu verkündigen. Ich lerne jetzt mehr über die Person meines lebendigen Heilandes nachzudenken, als über die Lehren, die Ihn betreffen. Und wenn ich noch einmal von diesem Krankenbett aufstehen sollte, so würde ich, anstatt über Lehren zu sprechen, lieber meinen Zuhörern die Freude der gegenwärtigen, persönlichen Gemeinschaft mit Jesu vorstellen. Er hat gesagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters"." (Mt 28,20).

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Zelt und Altar

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 169ff

In Abraham, „dem Vater aller, die da glauben", wie die Schrift ihn (Röm. 4) nennt, sehen wir einen Gläubigen, der, seiner Berufung treu, im Geiste außerhalb dieser Welt lebt, einen Himmelsbürger, der aus Erden ein Pilgrim und Fremdling ist und mit seinem Herzen droben weilt, wo seine Heimat ist.

Zwei Dinge waren es in Sonderheit, zu welchen die Berufung Gottes diesen treuen Zeugen führte: Trennung von Mesopotamien, der alten Heimat, und Fremdlingschaft in Kanaan, dem verheißenen Lande. Aus seiner Verwandtschaft herausgeholt, sollte er inmitten des Volkes, zu dem er kam, nur als Pilger weilen. Seine Stellung lässt sich in den wenigen Worten zusammenfassen: heilige Absonderung für Gott, sowohl von den Banden und Ansprüchen der Natur als auch von dem Verderben um ihn her. Unter der Berufung des Gottes der Herrlichkeit stehend, durfte er weder dem Fleische noch der Welt irgendwelche Zugeständnisse machen. Dementsprechend waren es denn auch zwei Dinge, die in seinem Leben einen hervorragenden Platz einnahmen: Das Zelt und der Altar.

Sein Wohnen im Zelt bezeugte, dass er in der Welt kein Erbteil hatte, „auch nicht einen Fußbreit“ (Apg. 7, 5); es brachte sein Verhältnis zur Welt, seine himmlische Fremdlingschaft, zum Ausdruck. Sein Altar, vor dem er den Namen Jehovas anrief, bezeugte seine Verbindung mit den unsichtbaren Dingen; er bewies, dass er den einen wahren, lebendigen Gott kannte und sein volles Genüge in Ihm fand.

Abraham wohnte, wo er sich auch aufhalten mochte, in einem Zelt. Ein Zelt hat keine Grundlagen; man kann es überall aufschlagen und bald wieder abbrechen. Mit einer solch losen, vorübergehenden Verbindung mit der Erde zufrieden, wohnte der Patriarch in dem Lande der Verheißung wie in einem fremden, und trachtete nach der Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. (Vgl. Hebr. 11.) Er machte nicht den geringsten Versuch, den Besitzern des Landes auch nur das kleinste Stück Land abzunehmen; er erklärte vielmehr den Kindern Heth, dass er ein Fremdling und Beisasse bei ihnen“ sei (1. Mose 23), also ohne eigenes Bürgerrecht unter ihnen wohne. Wohl trug er im Blick auf die Auferstehung kein Bedenken, mit ihnen wegen eines Erbbegräbnisses zu unterhandeln; aber er kaufte es ihnen ab und ließ sich Machpela nicht schenken. Ebenso wird er mit den Kanaanitern Handel getrieben haben, denn „sie wohnten im Lande;" aber Gemeinschaft machte er mit ihnen nicht. Seine Abhängigkeit von Gott und das Bewusstsein von seinem himmlischen Bürgerrecht war völlig. So nahm er auch nicht das Geringste von dem Könige von Sodom an, damit derselbe nicht etwa sagen könne, er habe Abraham reich gemacht. Selbst bei dem Streit zwischen seinen und Lots Hirten verzichtete er, der Ältere und von Gott Berufene, auf das Sichtbare und überließ selbstlos dem jüngeren Lot Wahl und Vorteil.

Was machte ihn denn so bereitwillig, Fremdling in einem Lande zu sein, das ihm kraft der Verheißung gehörte? Wer ließ es ihn erkennen, dass es für ihn eben nur ein Land der Verheißung und nicht des Besitztums war? Wodurch gewann er die Kraft, auf das Irdische zu verzichten, den ewigen Gott (Kap. 21, 33) allein zu seinem Teil zu wählen und sich mit dem Wohnen im Zelte zu begnügen?

Der Altar, den er außer dem Zelte errichtete, gibt uns die Antwort. Dort, in der Gemeinschaft mit Gott, wurde sein Auge für die himmlischen Güter geöffnet, dort „sah er die Verheißungen von ferne und begrüßte sie (selbst angesichts des Todes) und bekannte, dass er ein Fremdling und ohne Bürgerschaft auf der Erde sei“. (Vgl. Hebr. 11, 13).

Noch ehe vom Zelt die Rede ist, berichtet uns das Wort, dass Abraham Jehova einen Altar baute, und zwar „dem Jehova, der ihm erschienen war" (1. Mose 12, 7). Er maßte sich nicht an, wie so viele Menschen aller Zeiten, Gott durch eigene Weisheit zu finden und Ihn dann nach den Eingebungen seiner Vernunft und nach seinen eigenen Gedanken zu verehren. Der Altar in Athen trug die Aufschrift: „Dem unbekannten Gott!“ Nicht so der Altar Abrahams. Er kannte den Gott, der ihm erschienen war, und verehrte Ihn gemäß Seiner eigenen Offenbarung. In seinem Tun kam auch der Gehorsam zum Ausdruck, in welchem er der Berufung Gottes gefolgt war.

Von Sichem aus zog er als Pilger durch das Land und schlug sein Zelt aus zwischen Bethel und Ai. Er lernte seine Abhängigkeit fühlen, lernte verstehen, dass der Jehova, der ihm erschienen war, „den Fremdling liebt“ (5. Mose 10, 18), dass „Er sich nicht schämt, der Gott derer genannt zu werden, die nach einem besseren, das ist himmlischen, Vaterlande trachten" (Vgl. Hebr. 11, 16). Und er, der Pilger und Fremdling, baute in Bethel wieder „dem Jehova einen Altar und rief den Namen Jehovas an“ (1. Mose 12, 8).

Später, als er Lot gegenüber den Beweis erbrachte, dass er auf alles, was die Welt ihm bot, gegenüber der Freude im Herrn Verzicht leisten konnte, baute er — dürfen wir sagen: als Zeichen seiner Hingebung? — bei Hebron, wo er unter den Terebinthen Mamres sein Zelt ausschlug, wiederum Jehova einen Altar. (1. Mose 13, 18.)

Zelt und Altar stehen immer in Wechselwirkung zueinander. Gehorsam, Abhängigkeit und Hingebung, diese drei Kennzeichen der Absonderung für Gott, finden in beiden vor der Welt ihren Ausdruck.

Aber Zelt und Altar gehören auch zusammen. Sie dürfen nicht getrennt werden. Im Zelte wohnen, d. h. äußerlich abgesondert sein, genügt nicht. Im Gegenteil, die innerliche Absonderung, die nur am Altar in der Gegenwart Gottes gelernt werden kann, muss der äußerlichen vorangehen; sie muss das nach außen hin sichtbare Getrenntsein von den Dingen der Welt und die Heiligkeit im Wandel und Zeugnis hervorbringen. Sonst fehlt da etwas.

Für diese Wahrheit gibt Abraham selbst ein warnendes Beispiel. Als eine Hungersnot im Lande entstand, wandte er sich unter dem Druck der Umstände von dem Pfade des Glaubens ab und ging nach Ägypten, wo es keinen Altar, keine Gemeinschaft mit Gott gab. Obschon er nach wie vor in Zelten wohnte, mangelte seinem Zeugnis doch die frühere Treue und Entschiedenheit. Wohl fand Abraham auf dem selbstgewählten Wege große irdische Reichtümer, aber diese wurden nach seiner Wiederherstellung gleichsam zu „Dornen in seinen Augen und zu Stacheln in seiner Seite" (vgl. 4. Mose 33, 55); denn gerade dieser Gewinn aus Ägypten verursachte später den Streit zwischen den Hirten Abrahams und den Hirten Lots. Die Gnade Gottes stellte den vom Wege Abgewichenen wieder her, aber die Tage in Ägypten waren verloren und galten nichts. Er musste zurückkehren zu dem Punkte, wo er abgeirrt war, „bis an den Ort, wo im Anfang sein Zelt gewesen war, zwischen Bethel und Ai, an den Ort des Altars, den er zuvor daselbst gemacht hatte“ (1. Mose 13,3 u. 4); er musste wieder von neuem anfangen (Vgl. 4. Mose 6, 8 -12).

Nur die Seele, welche gewohnheitsmäßig im Heiligtum Gottes lebt und in ununterbrochener Gemeinschaft mit Gott wandelt, kann nach außen hin ein wirkungsvolles Zeugnis sein. Wir haben vielleicht häufig unseren Weg zweimal machen müssen, weil bei unserem Zelte der Altar fehlte; es ist darum begreiflich, wenn wir nur geringe Fortschritte im praktischen Wandel gemacht haben.

Eine noch ernstere Lehre gibt uns das Verhalten Lots. Wir lesen von ihm, dass „er Zelte aufschlug bis nach Sodom“ (1. Mose 13, 12). Von einem Altar ist gar keine Rede. Überdies richtete Lot sein Zelt da auf, wo „die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens" ihn hinzogen. Ohne Zweifel öffneten sich ihm später die Tore der Stadt. Da angelangt, gibt er auch sein Zelt auf, und wir finden ihn „im Tore Sodoms", auf einem Platz der obrigkeitlichen Gewalt, den nur Männer von Ansehen und Einfluss inne hatten.

Dabei war Lot ein Gläubiger, „ein Gerechter, der durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken quälte" (2. Petr. 2, 8). So tief kann der Gläubige sinken, dass die beiden Kennzeichen seines Standes, Zelt und Altar, überhaupt nicht mehr bei ihm gefunden werden, und dass nur noch die Unruhe seines Gewissens seine Stellung bezeugt. Wie demütigend!

Doch noch ein Wort über den Unterschied in der Untreue Abrahams und derjenigen Lots. Die Hungersnot im Lande seiner Fremdlingschaft verleitete Abraham nach Ägypten zu gehen und dort Hilfe zu suchen. Der Kleinglaube hatte ihn schwankend gemacht und von dem Glaubenswege abgewandt. Aber Gottes Gnade stellte ihn wieder her und befähigte ihn, fortan in einer Abhängigkeit, die sich um keine Folgen kümmerte, und in wahrer geistlicher Kraft an dem Pfade des Glaubens festzuhalten. So ist es auch heute noch. Eine wahre Wiederherstellung bringt uns einen Gewinn an geistlicher Kraft, denn sie erhebt uns über das, was sie nötig machte.

Bei Lot dagegen war es nicht die Not, nicht der Kleinglaube, der ihn dazu trieb, „Zelte bis nach Sodom aufzuschlagen"; die Weltliebe, der Wunsch, gemächlich zu leben, in dieser Welt reich zu werden und emporzukommen, ihre Genüsse und Ehren zu teilen — alles das reizte ihn an. Und Gott gab ihm sein Begehr, sandte aber Magerkeit in seine Seele. Lot sank tiefer und tiefer; und wurde er auch schließlich gerettet, so war es doch nur „wie ein Brand aus dem Feuer".

Wenn wir den Altar der Anbetung, den Platz der Gemeinschaft mit Gott, vernachlässigen, wenn wir uns nur wenig drohen aufhalten, wo unser Vaterland, unsere Heimat ist, so ist es ganz natürlich, dass wir uns hier nicht als Pilgrime fühlen können. Wir genießen dann nicht unser himmlisches Teil durch Glauben im Geiste, und da unser Herz unbedingt einen Gegenstand, einen Schatz haben muss, so fangen wir an, langsam unser Zelt nach Sodom hin auszuschlagen, nach der Welt, die das Wohlergehen auf dieser Erde liebt und die göttlichen Dinge verachtet. Die Neigung, an den dort gebotenen Lebensgenüssen teilzunehmen, in den Fortschritten, deren die Welt fähig ist, unseren Ruhm zu suchen, statt gegen alles das zu zeugen, wie es unsere Berufung verlangt — steckt genauso in uns, wie in Lot. Auch die Welt ist sich gleich geblieben in ihren Reizen und in ihrer Feindschaft gegen Gott und Christum, und wenn sie sich auch heute nicht in ihrer finstern, heidnischen Form wie zu den Zeiten Sodoms zeigt, so ist es doch immer noch die Welt des religiösen Juden, des feingebildeten Griechen und des stolzen Römers, welche einst Christum kreuzigte. Wir gehören gar nicht zu dieser Welt. Vor Grundlegung der Welt von Gott auserwählt, in der Zeit aus ihr herausgerufen, sind wir nur hier gelassen, um in Zelten zu wohnen, um den Herrn zu verherrlichen und durch die Wege, die Gott uns führt, auf mannigfache Weise belehrt zu werden. Wir sind Briefe Christi, wenn wir auch dieser Bestimmung oft schlecht nachkommen mögen; wir sind berufen, den zweiten, den himmlischen Menschen zu offenbaren in der Welt, die Ihn verworfen hat. Ja, wir sind mit diesem Christus in der Herrlichkeit droben vereinigt, und das Maß Seiner Absonderung ist das Maß der Absonderung derer, die mit Ihm eins gemacht sind. Hat unsere Seele das erfasst, dass wir mit Ihm in der Herrlichkeit vereinigt sind, und dass Er in uns auf der Erde ist, dann verstehen wir auch, was es heißt, in dieser Welt für Gott abgesondert, in ihr durch Zelt und Altar treue Zeugen unserer Berufung zu sein.

Wie schwach, wie unentschieden sind wir doch in der Verwirklichung dieser Dinge! Wenn wir Jesum betrachten während Seines Lebens hienieden, wenn wir Seinen wunderbaren, abgesonderten Pfad als Mensch in dieser Welt der Sünde verfolgen, und uns dann — ins Gedächtnis rufen, dass Er sagt: „Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh. 17, 18) — wie beschämt stehen wir dann da!

Gottes Gnade hat uns zu dem zurückgeführt, was von Anfang war. Aber wie manche von uns begnügen sich mit der Stellung der äußerlichen Absonderung, welche sie in kirchlicher Beziehung eingenommen haben, sind vielleicht gar stolz darauf, und denken dabei wenig daran, auch in praktischer Weise mit Ernst den Pfad der Absonderung zu gehen. Sie sind zufrieden damit, dem Bekenntnis nach im Zelte zu wohnen,

aber der Altar fehlt. Da ist keine wahre Gemeinschaft mit Gott, kein einfältiger Wandel im Licht. Daher mangelt denn auch die geistliche Kraft im Verkehr mit der Welt.

Unser Herr und Heiland hatte niemals Gemeinschaft mit der Denkweise, dem Dichten und Trachten der Welt. Er suchte die Gedanken der Menschen stets nur zu Gott hinzuleiten. Wie nun, wenn wir uns von der Unterhaltung mit Weltmenschen bestricken lassen, in die Bahn ihrer Gedanken einlenken, uns aus ihren Boden begeben und ihre Anschauungsweise teilen? Ist es ein Wunder, wenn wir nach und nach in einen niedrigen, ungeheiligten Zustand verfallen und wie das Salz werden, das „kraftlos geworden ist“ und „zu nichts mehr taugt"? (Matth. 5, 13). Je mehr wir uns mit der Welt einlassen und ihre Anschauungen teilen lernen, je mehr wir unsere Seele mit den irdischen Dingen, statt mit Christo, nähren, desto lebhafter färben sich die bunten Farben der Welt an unserem Charakter und Verhalten ab. Es geht uns — wie einmal ein Bruder bemerkte — wie einem gewissen kleinen Insekt, von dem gesagt wird, dass es immer die Farbe des Blattes zeige, von dem es sich nähre. Wie ist die Gefahr so besonders groß für solche Gläubige, deren Beruf die Geschäfte mit der Welt nötig macht! Wie leicht vergessen sie, Jünger Dessen zu sein, „der nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegte“, indem sie, nach dem Grundsatz ihrer Umgebung, so viel wie möglich in und von der Welt zu besitzen wünschen und, im Gegensatz zu Abraham, nicht verschmähen, mit der Welt zusammenzuhalten und an ihrem gemeinschaftlichen Gewinn teilzunehmen! Wie mancher lässt sich selbst zu nicht lauterem Wettbewerb hinreißen und ist nur zu glücklich, wenn die Welt seiner Hände Arbeit durch ihre Ehrenpreise und lobenden Anerkennungen auszeichnet! Und doch bekennt man, Pilgrime zu sein, Fremdlinge, „auserwählt nach Vorkenntnis Gottes des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi".

Andererseits ist große Vorsicht geboten, um nicht in den entgegengesetzten Fehler zu fallen, d. h. nach außen hin frommer scheinen zu wollen, als man im Innern ist. Das Heiligtun des Fleisches ist gerade so schlecht, wenn nicht schlechter, als seine Leichtfertigkeit.

Was wahre innere und äußere Absonderung ist, und wie sich der Weg derer gestaltet, die sagen können: „Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen. . . Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten" (Phil. 3, 3 u. 20) — das erklärt uns der Brief an die Philipper.

In einem Herzen, das wirklich von der Welt abgesondert ist, hat Christus den ersten Platz. Der Grundsatz: „Das Leben ist für mich Christus", leitet einen solchen Gläubigen in seinem Handel und Wandel und nährt den heiligen Wunsch in ihm, dass „Christus hoch erhoben werde an seinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod" (Phil. 1, 20). So wird sein Weg und Charakter himmlisch, sein Wohnen im Zelte wahr, und alles was an ihm gesehen wird, „sein Betragen, sein Vorsatz, sein Glaube, seine Langmut, seine Liebe, sein Ausharren" (2. Tim. 3, 10) inmitten der Umstände und Schwierigkeiten der letzten Tage, erweist sein Bekenntnis als echt.

Seine Gesinnung ist die Gesinnung Christi. Er sucht nicht sich selbst, noch seine eigene Ehre, sondern die Verherrlichung Gottes und das Wohl seiner Brüder. Das Bild des demütigen und sanftmütigen Jesus wird in ihm geschaut, und wie ein hell strahlendes Himmelslicht scheint er inmitten seiner finstern Umgebung. Gleich Männern wie Paulus, Timotheus und Epaphroditus dient er in selbstloser Liebe anderen. (Kap. 2.)

Mit voller Glaubenskraft wendet sich sein Blick nach oben. Alles vergessend, was hinter ihm liegt, was ihm einst Gewinn war, strebt er hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben. Er sieht Christum verherrlicht zur Rechten Gottes, und dorthin zielt auch sein Lauf. Ihn möchte er immer mehr erkennen, in Ihm erfunden werden. Sein Bürgertum ist in den Himmeln, von dorther erwartet er den Herrn Jesum Christum als Heiland auch für seinen Leib. (Kap. 3.)

Als ein Abgesonderter des Herrn, der seine Freude, sein Alles nur in Jesu findet, vermag er sich über die Umstände des Weges zu erheben. Er besitzt eine Macht und Kraft in Christo, die ihn unabhängig macht von Menschen und Verhältnissen. Paulus, dieser treue Nasir, konnte sagen: „Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen. Ich weiß sowohl erniedrigt zu sein, als ich weiß Überfluss zu haben; in jedem und in allem bin ich unterwiesen, sowohl satt zu sein, als zu hungern, sowohl Überfluss zu haben, als Mangel zu leiden. Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“ (Kap. 4).

Da haben wir einen Menschen, der sein Einssein mit dem verherrlichten Christus zur Rechten Gottes durch den Glauben verwirklichte und das, was er bekannte, in jeder Beziehung auszuleben bereit war. Hier fehlt es bei uns so viel. Man redet viel und handelt so wenig. „An den Bächen Rubens sind große Beschlüsse des Herzens", aber es folgen keine Taten. Der Herr schenke uns, dass wir mit fester Hand Zelt und Altar hienieden errichten, dass wir, durchdrungen von der Allgenugsamkeit Jesu Christi, uns von allem abgesondert halten, was die Welt uns bieten kann, und bereit seien, auch selbst das Erlaubte um Seinetwillen freudig zu entbehren! Sind unsere Zuneigungen allein aus Christum gerichtet, so verlieren die meisten Dinge, die uns hier so sehr in Anspruch nehmen können, ihren Wert und Reiz. Möchten denn unsere Lenden umgürtet und unsere Lampen brennend sein, damit die Welt auch von uns, wie seiner Zeit von den Thessalonichern, sagen könne: „Hier sind wirklich Leute, die sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt haben, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten"!

Mag die Welt uns auch nicht verstehen, vielmehr uns bemitleiden oder verspotten, aber so sollte sie von uns denken, wenn sie uns in ihrer Mitte „im Zelte" sieht. Und so sollten wir stets „vor dem Altar" stehen, uns erfreuend an der Zusage unseres geliebten Herrn: „Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, also tuend (d. h. wachend, nicht nur wartend) finden wird!" (Matth. 24, 46).

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Kurze Aufzeichnungen aus einer Besprechung über 3. Mose 16

Bibelstelle: 3. Mose 16

Botschafter des Heils 1913 S. 181ff

Es ist bezeichnend, dass die Verordnungen über den Versöhnungstag in der Mitte des dritten Buches Mose stehen, und damit in der Mitte der fünf Bücher Mose überhaupt. Das zeigt deren Wichtigkeit. Sie bilden gleichsam den Mittelpunkt der Anweisungen Gottes an Sein irdisches Volk, gerade so wie das Versöhnungswerk eine Zentralstelle einnimmt in den Wegen Gottes.

Die Verordnungen wurden gegeben, nachdem die Söhne Aarons fremdes Feuer vor Jehova gebracht hatten und infolge dessen gestorben waren (Kap. 10).

Aaron durfte nicht mehr zu aller Zeit ins Heiligtum gehen; denn das Priestertum war unmittelbar nach seiner Errichtung durch den Menschen verdorben worden. Aaron konnte das Voll in seinen herrlichen Kleidern im Heiligtum, am Throne Gottes, nicht vertreten. Wir sehen hier, wie immer, dass der Mensch sogleich alles verdirbt, was Gott ihm anvertraut. Nicht einmal im Vorbilde konnte das aufrecht gehalten werden, was Gott schenken wollte. Zugleich werden wir von vornherein daran erinnert, dass das Gesetz, welches nur einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, nichts zur Vollendung bringen konnte. Um in das Heiligtum gehen zu können, musste der Hohepriester erst durch mancherlei Vorkehrungen dazu passend gemacht werden. Der Weg ins Heiligtum war noch nicht geöffnet.

„Auf diese Weise soll Aaron in das Heiligtum hineingehen: mit einem jungen Farren zum Sündopfer und einem Widder zum Brandopfer. Er soll einen heiligen Leibrock von Linnen anziehen, und Beinkleider von Linnen sollen aus seinem Fleische sein, und mit einem Gürtel von Linnen soll er sich umgürten, und einen Kopfbund von Linnen soll er sich umbinden: das sind heilige Kleider; und er soll sein Fleisch im Wasser baden und sie anziehen“ (V. 3 - 6).

Trotzdem diese Verordnungen also erst infolge der Untreue des Menschen gegeben wurden, ist Aaron doch auch hier ein schönes Vorbild von Christo. In seinen blendendweißen Kleidern, die ihn, den im Wasser Gebadeten, vom Kopf bis zu den Füßen bedeckten, erinnert er uns an das reine, fleckenlose Lamm Gottes, an den Sohn des Menschen, der in Seiner Natur und in Seinem Wesen das war, was Aaron hier vorbildlich darstellte: rein und heilig.

Also für sein Werk geschickt gemacht, musste Aaron Sühnung tun, zuerst für sich und sein Haus (V. 6), dann für das Volk (V. 10).

Sühnung oder Versöhnung ist der große Gedanke, der uns am Versöhnungsfest immer wieder entgegentritt. Wurde beim Passahfest in Ägypten ein schuldiges Volk vor dem Gericht in Sicherheit gestellt, so handelte es sich hier um die Beantwortung der Frage: Wie kann ein heiliger Gott inmitten eines zwar erlösten, aber immerfort fehlenden und irrenden Volkes wohnen? Und weiter: Wie kann ein unreines Volk in Frieden in der Gegenwart eines Gottes weilen, der die Sünde nicht sehen kann? Die Antwort auf diese Fragen liegt in dem Opfer, das am Versöhnungstage dargebracht werden musste.

Das Opfer dieses Tages bildete gleichsam die Grundlage aller anderen Opfer. Das Blut desselben wurde innerhalb des Vorhangs gebracht, um so einen gerechten Boden für die Beziehungen Gottes zu dem Volke zu legen. Die Wirkung desselben erstreckte sich allerdings nur aus ein Jahr.

Aaron musste, wie schon bemerkt, zunächst für sich und sein Haus ein Opfer darbringen. War das einerseits notwendig, um ihn zu seinem Dienst für das Volk passend zu machen, so enthält es andererseits auch als Vorbild eine wichtige und kostbare Belehrung. Aaron und sein Haus stellen im Bilde immer Christum und Sein Haus, die Versammlung oder Gemeinde, dar. Aaron war ein schwacher und fehlender Mensch; der Herr Jesus war das nicht. Für Ihn brauchte deshalb kein Opfer gebracht zu werden; wohl aber war das Opfer nötig für uns, die Er in Gnade mit sich verband. So wie Aaron hier mit seinem Hause gesehen wird, so hat auch Christus die Seinen, denn sie sind Sein Haus (Hebr. 3, 6), mit sich in den Himmel eingeführt. Sie haben und behalten mit Christo, dem großen Priester über Sein Haus, nach Gottes ewigem Ratschluss, aus Grund des Versöhnungswerkes einen besonderen Platz der Segnung und Nähe.

„Und er soll die zwei Böcke nehmen und sie vor Jehova stellen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft. Und Aaron soll Lose werfen über die zwei Böcke, ein Los für Jehova und ein Los für Asasel. Und Aaron soll den Bock herzubringen, auf welchen das Los für Jehova gefallen ist, und ihn opfern als Sündopfer. Und der Bock, auf welchen das Los für Asasel gefallen ist, soll lebendig vor Jehova gestellt werden, um auf ihm Sühnung zu tun, um ihn als Asasel fortzuschicken in die Wüste" (V. 7 - 10).

In diesen beiden Böcken, die seitens der Gemeinde und für sie vor Jehova gestellt wurden, erblicken wir die beiden großen Seiten des Werkes Christi. Es war nicht, wie bei dem Opfer für Aaron und sein Haus, ein Opfertier, sondern deren zwei - eins für Jehova, das andere für das Volk. Der erste Bock, auf welchen das Los für Jehova gefallen war, wurde geschlachtet. Sein Blut wurde ins Allerheiligste getragen und von dem Priester einmal auf die Vorderseite des Sühndeckels und siebenmal vor denselben gesprengt.*) Bei der Betrachtung dieser Seite des Werkes Christi handelt es sich weniger um die Frage der Sündenvergebung und Errettung. Gott musste verherrlicht, Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit mussten befriedigt werden. Es war der Bock für Jehova, Gottes Teil an diesem Opfer. Gott hätte gewiss das Recht gehabt, den Menschen, sobald er die Sünde in die Schöpfung eingeführt hatte, durch das Gericht zu beseitigen. Wie wäre es dann aber mit der Verherrlichung Gottes im Blick aus Seine Gnade und Liebe bestellt gewesen? Im Tode Jesu, der hier durch das Schlachten des Opfertieres und das Sprengen des Blutes auf und vor den Deckel der Bundeslade **) vorgebildet ist, hat Gott sich in allem, was Er ist, offenbart und verherrlicht: Wahrheit, Gerechtigkeit, Gnade, Liebe, mit einem Wort, alles was in Gott ist, wird dort in vollkommener Harmonie geschaut. Dieser Tod hat eine gerechte Grundlage geschaffen, auf welcher es Gott möglich ist, ohne irgendwie Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit zu verletzen, mit dem sündigen Menschen in Verbindung zu treten und sich in Gnade mit ihm zu beschäftigen. Ja, in diesem Tode ist das Mittel gefunden, - und das ist hier der große leitende Gedanke, - die Sünde in ihrem Wesen und in ihren Folgen abzuschaffen. (Vgl. Hebr. 9, 24 - 26.) „Er hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes" (Kol. 1, 20). Auf Grund des Opfertodes Christi kann Gott die gottlose Welt bis zu dem Augenblick des Gerichts in Langmut und Geduld tragen, kann Seine Sonne aufgehen lassen über Böse und Gute und regnen lassen über Gerechte und Ungerechte (Matth. 5, 45). Und auf dem gleichen Grunde kann heute der ganzen Welt die frohe Botschaft von Jesu verkündigt werden. Wer da will, darf kommen und von dem Lösegeld Gebrauch machen, das für alle da ist.

Der zweite Bock (Asasel = Abwendung genannt), der uns die andere, dem Menschen zugewandte Seite des Werkes Christi vor Augen führt, wurde lebendig vor Jehova gestellt. Aaron musste seine beiden Hände auf den Kopf dieses Bockes legen und alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden auf ihn bekennen (V. 21). Welch ein eindrucksvolles Bild davon, das; Gott alle Sünden und Übertretungen Seines Volkes nach Sein er göttlichen Kenntnis aus Jesum gelegt hat, so dass sie, durch Ihn getragen und gesühnt, nie mehr in das Gedächtnis Gottes kommen können. Der Bock musste alle Ungerechtigkeiten des Volkes auf sich tragen „in ein ödes Land“, wo niemand sie mehr erblickte; und der ihn dorthin schickte, war der Priester, der Vertreter Gottes (V. 22).

Kein Mensch durfte im Zelte der Zusammenkunst sein, wenn der Hohepriester im Heiligtum Sühnung tat. Es war eine hochheilige Sache, die nur zwischen Gott und dem Priester vor sich ging. Hatte der Hohepriester seinen Dienst im Heiligtum getan und war das Opfer von Gott angenommen, so sah das Volk ihn herauskommen. Danach sah es, wie alle seine Sünden im Vorhof bekannt und von dem Bock in die Wüste hinausgetragen wurden. Jetzt wussten sie, dass die ernste Frage der Sünde zwischen Gott und ihnen geordnet war. So wird es auch in späteren Tagen mit dem gläubigen Überrest aus Israel sein, wenn ihr Hoherpriester aus dem Heiligtum heraustreten wird, wohin Er mit Seinem eigenen Blute für sie gegangen ist, um Sühnung für sie zu tun. Sie werden Ihn sehen, den Jesus, den sie einst ans Kreuz geschlagen und dessen Seite sie durchstochen haben, und nach tiefer Beugung und Zerknirschung werden sie die Gewissheit empfangen, dass schon längst ein Opfer für sie dargebracht worden ist, das ihre Sünden getilgt hat.

Der Überrest wird also, wie einst Thomas, sehen und glauben. Wir besitzen heute schon das Zeugnis unserer Annahme durch den Heiligen Geist, der infolge des vollbrachten Werkes und der Verherrlichung Christi herniedergekommen ist. Wir brauchen in dieser Beziehung auf nichts mehr zu warten. Die Gegenwart des Heiligen Geistes in der Welt ist die Bürgschaft dafür, dass Gott das Opfer angenommen hat. Zugleich ist der Vorhang für uns zerrissen, und wir nahen mit Freimütigkeit ins Heiligtum, wo Jesus ist.

Außer dem Blut musste auch noch kostbares Räucherwerk in das Heiligtum gebracht werden. Dasselbe ist ein Bild von der Kostbarkeit der Person Christi, die nur Gott voll und ganz zu würdigen versteht. In 2.Mose 30, 34 - 38 wird genau vorgeschrieben, wie das Räucherwerk bereitet werden musste. Es war heilig dem Jehova, und niemand durfte desgleichen für sich machen, um daran zu riechen. Von diesem „wohlriechenden, feingestoßenen Räucherwerk" musste Aaron beide Hände voll, also so viel er fassen konnte, nehmen und es auf eine Pfanne legen, die er mit Feuerkohlen vom Altar Jehovas gefüllt hatte, und dann das Ganze innerhalb des Vorhangs tragen, „damit die Wolke des Räucherwerks den Deckel bedecke, der auf dem Zeugnis ist, und er nicht sterbe". (V. 12. 13.)

Der Wohlgeruch des Räucherwerks erfüllte somit die ganze Wohnung, und die aufsteigende Rauchwolke trat zwischen die über den Cherubim thronende Herrlichkeit und den Hohenpriester. Die Bedeutung des Bildes ist so einfach wie lieblich: es ist Christus, im Feuer vor Gott erprobt, dessen Vollkommenheiten im Gericht, durch das vom Altar genommene Feuer, in ihrem ganzen Wohlgeruch gleichsam erst entwickelt worden sind.

Das Brandopfer, welches Aaron nachher für sich und für das Volk opfern musste (V. 24), weist uns, wie immer, darauf hin, dass die ganze Kostbarkeit des Opfers auf das Volk übertragen wurde. ***) Der Gläubige hat nicht nur die Vergebung aller seiner Sünden in Christo, sondern er ist auch angenehm gemacht worden in dem Geliebten. (Eph. 1, 6.)

Wenn Aaron seinen ganzen Dienst vollendet hatte, zog er die linnenen Kleider wieder aus und legte sie in dem Zelte der Zusammenkunft nieder, wo sie bis zum nächsten Jahre aufgehoben wurden. Dann musste er sein Fleisch im Wasser baden. Das lag auch dem Manne ob, der den Bock als Asasel fortgeführt hatte: er musste seine Kleider waschen und sein Fleisch im Wasser baden. (V. 23 u. 26.) Wie zeigt uns das, was die Sünde in Gottes Augen ist! Niemand kann sich mit ihr beschäftigen, ohne durch sie verunreinigt zu werden, nicht einmal dann, wenn diese Beschäftigung den Zweck hat, die Sünde vor den Augen Gottes hinwegzutun. Auch in 4. Mose 19 hören wir, dass der reine Mann, der das Wasser der Reinigung auf den Unreinen sprengte, unrein war bis an den Abend (V. 19 u. 21).

Noch eins darf nicht unerwähnt bleiben. In den Versen 29 - 31 heißt es: „Im siebenten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr eure Seelen kasteien und keinerlei Arbeit tun. Ein Sabbat der Ruhe soll er euch sein, und ihr sollt eure Seelen kasteien, eine ewige Satzung." Und in 3. Mose 23, wo uns die ganze Reihe der Feste Jehovas entgegentritt, lesen wir im Blick auf den Versöhnungstag: „Ihr sollt keinerlei Arbeit tun an diesem selbigen Tage. Jede Seele, die sich nicht kasteit an diesem Tage, soll ausgerottet werden aus ihren Völkern; und jede Seele, die irgend eine Arbeit tut . . ., selbige Seele werde ich vertilgen aus der Mitte ihres Volkes." Das sind ernste Grundsätze Gottes, die für alle Zeiten gelten. Er will Buße, ernste Seelenbetrübnis und Selbstgericht bei uns sehen. Viele haben im Laufe der Zeit ihre Leiber kasteit und sich allerlei äußere Bußübungen auferlegt. Aber das meint Gott nicht. Er sagt zu Israel: „Zerreißet euer Herz und nicht eure Kleider!“ (Joel 2, 13.) „Gott gebietet jetzt den Menschen, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen“ (Apostelgesch. 17, 30).

Mit noch größerem Ernst forderte Gott an diesem Tage volle Ruhe von aller Arbeit ****) „Keinerlei Arbeit sollt ihr tun an diesem selbigen Tage, denn es ist der Versöhnungstag, um Sühnung für euch zu tun vor Jehova, eurem Gott.“ Hinsichtlich jeder Seele, die sich nicht kasteite, heißt es: „sie soll ausgerottet werden aus ihren Völkern“. Wahrlich, ernst genug! Hier aber lesen wir: „Und jede Seele, die irgend eine Arbeit tut an diesem selbigen Tage, selbige Seele werde ich vertilgen aus der Mitte ihres Volkes“. (Kap. 23, 30). Gott selbst will Gericht an einer solchen Seele üben, denn sie stellt ihre Arbeit neben diejenige Gottes. Wenn es sich um die Erlösung handelt, so ist jede Werktätigkeit, jede Mitwirkung von Seiten des Menschen eine Beleidigung Gottes, eine Herabsetzung des Werkes Christi. „Dem, der nicht wirkt, sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Röm. 4, 5). Der verlorene Sohn in Luk. 15 kasteite seine Seele, als er zu sich selbst kam. Er sprach: „Ich komme hier um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen." Und nichts blieb ihm zu tun übrig. Er wollte noch sagen: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner". Aber nicht einmal das wurde ihm gestattet. Er musste erkennen — und welch eine Freude wird darob sein Herz erfüllt haben! — dass der Vater schon alles für ihn getan hatte, dass alles: Kleid, Ring und Schuhe, für ihn bereit lag, ja, dass der Tag seiner Heimkehr ein Tag festlicher Ruhe war, an dem „es sich geziemte, fröhlich zu sein und sich zu freuen".

Selger Ruhort! — süßer Friede

füllet meine Seele jetzt;

Da, wo Gott mit Wonne ruhet,

bin auch ich in Ruh gesetzt.

Und das nicht für eine Zeit, für ein Jahr, nein, für immer und ewig! „Denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden." (Hebr. 10, 14.)

Fußnote:

*) Genauso wie es mit dem Blute des Farren, den Aaron für sich und sein Haus opfern musste, geschehen war.

**) Der Thron des heiligen Gottes ist so zu einem Gnadenstuhl geworden.

***) wie umgekehrt, beim Sündopfer, alle Sünden des Volkes durch das Händeauslegen auf das Opfertier gelegt wurden.

****) Bei den übrigen Festen war jede Dienstarbeit (knechtischer Dienst) verboten; am großen Versöhnungstag aber durfte, wie am Tage des Sabbats, keinerlei Arbeit, welcher Art sie sein mochte, getan werden. (Vergl.: 3. Mose 23, 3. 7. 21. 25. 28 - 31. 35).

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Ich habe ihnen dein Wort gegeben…Dein Wort ist Wahrheit.“

Bibelstelle: Johannes 17, 14. 17

Botschafter des Heils 1913 S. 191ff

So redete der Herr Jesus, die Wahrheit selbst, einst im Beisein Seiner Jünger zu dem Vater.

Welch ein kostbarer Schatz ist doch Gottes Wort für den Menschen! Es vermag allein dem Gewissen Ruhe, der Seele Frieden und dem Herzen wahres Glück zu geben und zu bewahren. Wie die Umstände auch sein mögen, das Wort ist, wenn es im Glauben aufgenommen wird, völlig genügend, jedem Bedürfnis der Seele zu entsprechen und sie so zu unterweisen, dass sie durch alle Schwierigkeiten und Trübsale mit glücklichem Herzen hindurchzugehen vermag, zur Verherrlichung Dessen, der es uns gegeben hat.

Mancher schon hat sich bezüglich der Gewissheit seiner Errettung auf etwas gestützt, das er gesehen oder gehört zu haben glaubte, oder aus besondere Gefühle, die er gehabt hatte. Aber er hat erfahren müssen, dass solche Stützen nicht standhalten, dass sie früher oder später brechen und die Seele dann in größerer Ungewissheit lassen als vorher. Nur der einfältige Glaube an Gottes Wort gibt einen unerschütterlichen Frieden.

Mancher Gläubige, der sich hinsichtlich seines Weges durch seine gute Meinung oder durch scheinbar günstige Umstände leiten ließ, ist in große Bedrängnisse geraten und hat den Namen des Herrn verunehrt, weil ihm Halt und Leitung fehlten. Wer aber unter der Leitung des Heiligen Geistes Gottes Wort zu seinem Berater macht, vermag gewisse Tritte zu tun, auch selbst dann, wenn ihm Prüfungen und Schwierigkeiten begegnen. Er stützt sich auf den lebendigen Gott, der gesagt hat: „Ich will dich nicht versäumen noch dich verlassen".

So ist es auch, wenn das Herz mit Kummer und Schmerz erfüllt ist. Vielleicht hat der Gläubige eines seiner Lieben verloren, oder er ist durch das Verhalten derer, denen er vertraute, bitter getäuscht worden. Menschlicher Trost, selbst wenn er aus teilnehmendem Herzen kommt, vermag dann die Tränen nicht zu trocknen, den Schmerz der Seele nicht zu stillen. Wendet sich aber das gebeugte Herz zu dem Vater der Erbarmungen, dem Gott alles Trostes, so erfährt es die heilsame Wirkung des Wortes Gottes. Inmitten des Leides kann es mit dem Psalmisten sagen: „Bei der Menge meiner Gedanken in meinem Innern erfüllten deine Tröstungen meine Seele mit Wonne“ (Psalm 94, 19). Selbst bei großen körperlichen Schmerzen erfährt die Seele, indem sie ihr Vertrauen auf den treuen Gott setzt, der nicht zulassen wird, dass wir über Vermögen versucht werden, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schafft, so dass wir sie ertragen können (1. Kor. 10, 13), dass Sein Wort eine wunderbare Kraft zu geben vermag, um „gekräftigt zu werden mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden“ (Kol. 1, 11).

Auch für den geistlichen Kampf, zu welchem Gott alle, die in Christo in die himmlischen Örter versetzt sind, berufen hat, und für den sie der ganzen Waffenrüstung Gottes bedürfen, bildet Gottes Wort einen wesentlichen Teil dieser Rüstung. „Unser Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut (wie bei Israel), sondern wider die Fürstentümer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern“ (Eph. 6, 12). Das sind schreckliche Feinde, und ihre gefährlichste Kampfesweise ist die List. Aus dem Hinterhalt schießt der böse Feind (wie das Wort es in bildlicher Sprache ausdrückt) seine feurigen Pfeile auf den Gläubigen, und, wenn diese das Herz treffen, so sind sie furchtbar in ihrer Wirkung. Sie machen den Verwundeten nicht nur kampfunfähig, sondern treiben ihn zur Verzweiflung, ja manchmal in den Tod. Nur der Schild des Glaubens vermag bei richtigem Gebrauch ihn zu schützen. Mit anderen Worten: Nur der lebendige Glaube, der Gottes Wort zur Grundlage hat, lässt die giftigen Pfeile wirkungslos abprallen.

Satan handelt jedoch nicht nur mit List. Er führt auch in offenem Kampf ein auserlesenes Heer gegen die Gläubigen ins Feld, bestehend aus freisinnigen Theologen, Vernunftgläubigen, Materialisten, Atheisten u.a., - aus Männern, die nicht selten mit tiefgründiger Gelehrsamkeit und durchdringendem Verstande hinreißende Beredsamkeit und liebenswürdige Umgangsformen verbinden, so dass sie allseitig hohes Ansehen genießen und auf ihre Hörer und Leser einen geradezu bestrickenden Zauber ausüben. Doch Gott hat uns in Seiner Gnade auch da eine Waffe gegeben, wodurch der einfachste Gläubige fähig ist, dem gelehrten Weltweisen siegreich entgegen zu treten. Diese Waffe heißt: „Das Schwert des Geistes, Gottes Wort".

Eine wunderbare Kraft besitzt diese göttliche Waffe! Sie hat, gleich dem Schwerte Goliaths, nicht ihres Gleichen.*) „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist“ (Hebr. 4, 12).

Selbstverständlich müssen wir das Wort kennen, um es richtig gebrauchen zu können. Ein Rekrut, der mit seiner Waffe noch nicht umzugehen weiß, ist ein schlechter Soldat. Stets aber bleiben wir, selbst bei einer reichen Erkenntnis, von der Wirksamkeit und Leitung des Heiligen Geistes abhängig, des einzigen Lehrmeisters, der uns in der erfolgreichen und zeitgemäßen Anwendung des Wortes unterweisen kann. Deshalb lesen wir auch in Verbindung mit diesem Punkte: „Zu aller Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geiste“.

Andererseits darf der, welcher seine Waffe kennt und mit ihr umzugehen weiß, mit Zuversicht daraus rechnen, dass die damit geführten Streiche erfolgreich sein werden. Es macht dabei nichts aus, ob der Gegner an die Güte und Schärfe der Waffe glaubt. Er wird es schon fühlen, dass das Schwert, welches der andere führt, von mehr als zweischneidiger Schärfe ist und ihn bis ins innerste Mark zu treffen vermag.

Unermesslich ist auch der Reichtum, der in dem Worte Gottes enthalten ist. Der Psalmist nennt es „siebenmal gereinigtes Silber, das, geläutert in dem Schmelztiegel, zur Erde fließt“ (Ps. 12, 6). Es erquickt die Seele, macht den Weisen einfältig, es erfreut das Herz und erleuchtet die Augen, es belehrt und unterweist, tröstet und warnt, nährt und stärkt (Ps. 19, 7--11 u. a. St.). Es braucht uns deshalb nicht zu wundern, wenn der Feind Gottes und der Menschen von jeher bemüht gewesen ist, es aus dem Wege zu schaffen. Doch Gott sei Dank! es wird ihm nicht gelingen. „Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.“

Wenn wir uns nun fragen, welchen Wert Gottes Wort für uns hat, wie lautet dann die Antwort? Ist es wirklich das Manna für unsere Seele, die Leuchte. für unsere Füße? Freuen wir uns über das Wort wie einer, der große Beute findet? (Ps. 119, 162.) Lesen und hören wir es mit Fleiß? Wie beachtenswert ist, was Jehova dem Josua ans Herz legt: „Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Munde weichen, und du sollst darüber sinnen Tag und Nacht, auf dass du darauf achtest, zu tun nach allem was darin geschrieben ist; denn alsdann wirst du auf deinem Wege Erfolg haben, und alsdann wird es dir gelingen“. (Jos. 1, 8).

Dass der Herzenszustand vieler Gläubigen in unseren Tagen schwach, ja vielfach weltlich ist, kann kein aufmerksamer Beobachter leugnen. Wohl wird die Lehre von der gesegneten Stellung des Christen infolge des Todes und der Auferstehung Christi mit wachsendem Verständnis verkündigt, und es wird auch mit einer Stetigkeit auf die nahe Ankunft des Herrn hingewiesen, wie es seit der Apostel Zeit kaum geschehen ist. Aber die Kraft dieser Wahrheiten wird in Gesinnung und Wandel wenig verwirklicht. Der Verfall macht sich immer fühlbarer. Die erste Liebe ist von vielen verlassen, der Heilige Geist betrübt, und der Charakter der Fremdlingschaft aufgegeben.

Wo liegen die Ursachen zu diesen traurigen Erscheinungen? Nicht zum großen Teil darin, dass Gottes Wort nicht den Platz in unseren Herzen hat, den es haben sollte? Dass wir nicht darüber sinnen Tag und Nacht und dann darauf achten, nach allem zu tun, was darin geschrieben ist? Werden nicht oft Zeitungen und andere weltliche Blätter mit größerem Interesse gelesen, als das Wort des lebendigen Gottes? So geht nicht nur viel kostbare Zeit verloren, die wir zum Lesen und Erforschen des Wortes nützlicher ausl. kaufen könnten, sondern unsere Seelen erleiden auch unermesslichen Schaden, indem sie aus trüben Quellen schöpfen, anstatt aus dem kristallklaren Born des lebendigen Wortes. Geistliche Dürre und Armut, Mangel an Frische und Kraft sind die unmittelbaren Folgen; andere, noch schlimmere, folgen.

O der Herr gebe uns, dass wir den göttlichen „Spiegel“, der uns zeigt, wie wir beschaffen sind (Jak. 1, 22 -24), wieder fleißiger benutzen und die an Josua gerichteten Worte beachten und verwirklichen, zum Segen für uns und andere und zur Verherrlichung des Gottes, der uns Sein „gutes Wort" geschenkt und bewahrt hat!

Fußnote:

*) Schon oft ist darauf hingewiesen worden, dass der Herr Jesus selbst als abhängiger Mensch das Wort Gottes als einzige Waffe gebrauchte, um den Teufel zu überwinden. (Matth. 4, 1 - 11.) Auch wenn Er in Herrlichkeit erscheint, um die abgefallene Kirche und die Ungläubigen Bewohner der Erde zu richten, wird Er sich dieses scharfen, zweischneidigen Schwertes bedienen (Offbg. 1, 16; 2, 12. 16; 19, 15. 21).

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Betrachtungen über das Buch Esra

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1913 S. 197ff

Einleitung

Im dritten oder vierten Jahre*) Joakims, des Königs von Juda, war Nebukadnezar, der König von Babel, im ersten Jahre seiner Regierung gegen Jerusalem heraufgezogen, hatte es belagert (Daniel 1, 1), Joakim gefangen genommen und ihn mit ehernen Ketten gebunden, um ihn nach Babel zu führen (2.Chronika 36, 6). Bei dieser Gelegenheit war auch ein Teil der Geräte des Hauses Jehovas mitgenommen worden. Nebukadnezar wollte damit den Tempel seines Gottes schmücken (2. Chronika 36, 7; Esra 1, 7; Dan 1, 2). Auch hatte er eine Anzahl junger Leute, die dem königlichen Geschlecht oder den vornehmsten Familien des Landes angehörten, nach Babel entführt (Daniel 1, 3).

Der chaldäische Herrscher scheint sein Vorhaben hinsichtlich des gefangenen Königs später geändert zu haben, denn man sieht Joakim wieder auf seinem Thron in Jerusalem wo er im Ganzen elf Jahre regierte (2. Chronika 36, 5; 2. Könige 23, 36). Drei Jahre nach seiner Wiedereinsetzung in sein Königtum empört sich Joakim gegen Nebukadnezar. Dieser zieht, da er anderswo beschäftigt ist, nicht selbst gegen ihn heran, lässt aber bis zum Ende seiner Regierung die feindlichen Scharen der Chaldäer, der Syrer, der Moabiter und der Kinder der Ammon gegen ihn los. Der Prophezeiung Jeremias gemäß starb Joakim wohl eines gewaltsamen Todes. Sein Leichnam wurde fortgeschleift und außerhalb der Mauern Jerusalems der Hitze bei Tag und der Kälte bei Nacht hingeworfen, und "mit dem Begräbnis eines Esels begraben" (Jeremia 22, 19; 36 30). Dennoch wird gesagt, dass "er sich zu seinen Vätern legte", ein Ausdruck der auch andeuten könnte, dass er zunächst seinen Platz in den Gräbern der Könige gefunden habe.

Jojakin oder Jekonja folgte seinem Vater Joakim, regierte jedoch nur drei Monate zu Jerusalem. Auf ihn und sein Volk goss Nebukadnezar den ganzen Zorn aus, der sich durch das falsche und treulose Verhalten Joakims in seinem Herzen angehäuft hatte. Die Knechte des Königs von Babel "zogen nach Jerusalem herauf, und die Stadt kam in Belagerung. Und Nebukadnezar, der König von Babel, kam zu der Stadt, während seine Knechte sie belagerten. Und Joakin, der König von Juda, ging zu dem König von Babel hinaus, er und seine Mutter und seine Knechte und seine Obersten und seine Kämmerer; und der König von Babel nahm ihn gefangen im achten Jahre seiner Regierung. Und er brachte von dannen heraus alle Schätze des Hauses Jehovas und die Schätze des Königshauses, und er zerschlug alle goldenen Geräte, die Salomo, der König von Israel, im Tempel Jehovas gemacht hatte: so wie Jehova geredet hatte. Und er führte ganz Jerusalem hinweg, und alle Obersten und alle streitbaren Männer, zehntausend Gefangene, und alle Werkleute und Schlosser; nichts blieb übrig; als nur das geringe Volk des Landes. Und er führte Jojakin hinweg nach Babel" (2. Kön. 24, 10‑15). Später erlöste Ewil‑Meradok, der Sohn und Nachfolger Nebukadnezars, im Jahre, in dem er zu regieren begann, Jojakin aus dem Gefängnis, setzte seinen Stuhl über den Stuhl der Könige, die bei ihm in Babel waren, und versorgte ihn an seinem Hofe bis an sein Lebensende (2. Könige 25, 27‑30).

Nachdem Jojakin gefangen weggeführt war, machte Nebukadnezar dessen Oheim Zedekia zum König und ließ ihn "bei Gott schwören", ihm treu zu bleiben. Aber Zedekia entheiligte den Namen Jehovas, indem er seinen Eid brach und sich gegen den König von Babel empörte. Dieser zog mit seinem ganzen Heer gegen Jerusalem und nahm die Stadt ein nach einer zweijährigen schrecklichen Belagerung, die eine schwere Hungersnot über die Bewohner brachte. Zedekia wurde gefangen genommen. Seine Söhne schlachtete man vor seinen Augen. Er selbst wurde, nachdem ihm die Augen geblendet waren, mit ehernen Ketten gefesselt nach Babel gebracht. Priester, Hüter des Tempels und Kriegsleute wurden erschlagen. Der Tempel, der Palast des Königs und alle Häuser Jerusalems fielen der Zerstörung anheim, die Stadtmauern wurden niedergerissen. Man führte alles Gold, Silber und Erz des Hauses Jehovas fort. "Den Rest des Volkes, die in der Stadt Übriggebliebenen, und die Überläufer, die zum König von Babel übergelaufen waren und den Rest der Menge führte Nebusaradan, der Oberste der Trabanten, hinweg. Aber von den Geringen des Landes ließ der Oberste der Trabanten zurück zu Weingärtnern und zu Ackerleuten" (2. Könige 25, 11. 12).

Aus den biblischen Erzählungen, wie wir sie soeben angeführt haben, geht hervor, dass die Wegführung nach Babel zu drei verschiedenen Zeiten stattgefunden hat: die erste im Anfang der Regierung Joakims, die zweite während der kurzen Regierungszeit Jojakins (oder Jejonkas), die dritte im elften Jahre Zedekias. Die beiden letzten waren die schlimmsten, aber von der ersten zählen die 70 Jahre Gefangenschaft, die durch den Propheten Jeremia vorausgesagt waren (2. Chronika 36, 21; Daniel 9, 12; Jeremia 25, 1. 11. 12; 29, 10; an der letzten Stelle heißt es: "wenn 70 Jahre für Babel voll sind", d. h. vom ersten Jahre Nebukadnezars an gerechnet; vergl. Jeremia 25, 1).

Die erste Wegführung trug einen besonderen Charakter, nicht (wie die zweite und dritte) infolge der Verwüstungen und der großen Zahl der Weggeführten, sondern durch die Plünderung des Tempels Jehovas, welcher der kostbaren Geräte beraubt wurde, die beim Gottesdienst benutzt wurden (Daniel 1, 1. 2; Esra 1, 7; 2. Chronika 36, 7). Bei der Wiederherstellung Judas wurden ihm alle Gegenstände, 5400 an der Zahl zurückgegeben (Esra 1, 9‑11), und gerade dies war das am meisten hervorstechende Kennzeichen dieses Auszugs, der die Überreste des Volkes wieder in ihr Land zurückbringen sollte. Der Anfang jener 70 Jahre wird in besonderer Weise charakterisiert, dass die Herrlichkeit des Tempels, die Herrlichkeit des Gottesdienstes Jehovas selbst, in die Gefangenschaft geführt wurde. Nicht viele Jahre später (Jojakin befand sich bereits als Gefangener in Babylon) sieht Hesekiel die Herrlichkeit Gottes gleichsam mit Widerstreben das Haus verlassen, in dem Gott auf immer hatte wohnen wollen; und noch einige Jahre nach diesem Ereignis wurde der Tempel, der seiner letzten Schmuckgegenstände beraubt war, verbrannt und in einen Schutthaufen verwandelt.

Von jenem ersten Zeitpunkt an zählt also die Gefangenschaft. Gott war durch den Götzendienst des Volkes und seiner Könige verunehrt worden. Lag ein großer Unterschied darin, ob die kostbaren Geräte in Seinem Tempel blieben, oder in dem Beltempel zu Babel aufgestellt wurden? Und gerade diese Tatsache bestimmt wesentlich den Charakter des Beginns der Gefangenschaft. Nie vorher war etwas Ähnliches geschehen. Bei der Empörung gegen Sanherib hatte Hiskia zwar alles Silber, das sich im Tempel vorfand, jenem gegeben, ja, er hatte, um den Tribut bezahlen zu können, die Türflügel und Pfosten ihres goldenen Überzugs beraubt (2. Könige 18, 15. 16), aber die gottesdienstlichen Geräte waren in keiner Weise berührt worden. Und später, unter Jojakin, legte Nebukadnezar seine Hand wohl in viel weitergehendem Maße an alle Schätze des Hauses Gottes als vorher, und zerschlug die Geräte, die Salomo nach dem Befehl Jehovas gemacht hatte; aber eine solche Entheiligung ohnegleichen, dass man einen Götzentempel mit den Gegenständen des Dienstes des wahren Gottes schmückte, hat nur unter Jojakim stattgefunden. Als der gottlose Belsazar mit seinen Großen, seinen Weibern und Kebsweibern aus den geheiligten Gefäßen Wein trank zum Preise seiner Götzen, beabsichtigte er, dadurch den Triumph der falschen Götter über den wahren Gott zu feiern und sie öffentlich Jehova gegenüber zu stellen. In derselben Nacht antwortete ihm Gott mit Gericht und Tod. Daniel, der im Beginn der 70 Jahre mit seinen Gefährten von Jerusalem weggeführt worden war, kündigte dieses Gericht an (Dan 5). Im ersten Jahre Darius' des Meders erlangte er durch das Lesen des Propheten Jeremia das Verständnis, dass das Ende der Gefangenschaft nahe war. Dann demütigte er sich für das Volk und wurde Zeuge der Wiederherstellung, Judas im ersten Jahre des Kores; denn im dritten Jahre dieses Königs war er noch in Babel (Esra 1, 1; Daniel 10, 1),

Kapitel 1 und 2 – Die erste Rückkehr

Das erste Jahr des Königs Kores bezeichnet das Ende der Gefangenschaft, wie das erste fahr Nebukadnezars ihren Beginn bezeichnet hatte. Kores unternimmt die Wiederherstellung des Volkes und des Tempels; seine erste Sorge ist, den Juden die gottesdienstlichen Geräte zurückzugeben, die einst durch Nebukadnezar im Hause seines Götzen aufgestellt worden waren. Der persische König war sich seiner Mission bewusst und kannte das, was Gott durch die Propheten über ihn angekündigt hatte. Daniel konnte ihn darüber unterrichten. Jesaja hatte gesagt: "Jehova spricht von Kores: Mein Hirt, und der all mein Wohlgefallen vollführt, indem er von Jerusalem sprechen wird‑. es werde aufgebaut! und vom Tempel: er werde gegründet" (Jesaja 44, 28)! Kores spielt wohl auf diese Stelle an, wenn er sagt: "Alle Königreiche der Erde hat Jehova, der Gott des Himmels, mir gegeben; und e r hat mich beauftragt, Ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem, das in Juda ist" (Kap. 1, 2). Er hatte in dem Propheten Worte lesen können, die lange vor seiner Geburt niedergeschrieben waren; wie z. B.: "So spricht Jehova zu seinem Gesalbten, zu Kores, dessen Rechte ich ergriffen habe, um Nationen vor ihm niederzuwerfen und damit ich die Lenden der Könige entgürte, im Pforten vor ihm aufzutun und damit Tore nicht geschlossen bleiben. Ich, ich werde vor dir herziehen und werde das Höckerichte eben machen; eherne Pforten werde ich zerbrechen und eiserne Riegel zerschlagen; und ich werde dir verborgene Schätze und versteckte Reichtümer geben: auf dass du wissest, dass ich Jehova bin, der dich bei deinem Namen gerufen hat, der Gott Israels. Um Jakobs, meines Knechtes, und Israels, meines Auserwählten, willen rief ich dich b e i d e i n e m N a m e n, ich gab dir einen Beinamen, und du kanntest mich nicht; ich bin Jehova, und sonst ist keiner, außer mir ist kein Gott. Ich gürtete dich, und du kanntest mich nicht" Jesaja 45, 1‑5).

Kores verabscheute, wie auch die auf ihn folgenden Könige von Persien, die Götzen. Er erkannte den Gott Israels als "den Gott des Himmels" an, und hier weist er in besonderer Weise auf die Tatsache hin, dass "er Gott ist" (V. 3). Ebenso erklärt Artaxerxes, der König von Persien, später öffentlich, dass Jehova, der Gott Israels, "der Gott des Himmels" sei (Kap 7, 21. 23).

Doch diese verstandesmäßigen Überzeugungen, brauchten mit einer Gewissensübung oder einem lebendigen Glauben nichts zu tun zu haben, ja, selbst das bestimmte Bewusstsein, ein auserwähltes Werkzeug zu sein, um die Pläne Gottes auszuführen (V. 2), genügte nicht, die Wiederherstellung der Gefangenen herbeizuführen. Gott wollte zeigen, dass Er und nicht ein anderer Sein Wort erfüllte; darum heißt es: "Jehova erweckte den Geist Kores (V. 1). Er erweckte auch den Geist der Häupter der Väter von Juda und Benjamin und den der Priester und der Leviten (V. 5). Damals zogen sie wieder in ihr Land hinauf, aber in welch einer Entblößung! Sie waren ohne Wolke, ohne Bundeslade, ohne die Urim und Thummim (Kap. 2, 63)!

Das Buch Esra ist für uns von besonderer Bedeutung. Im zweiten Buche der Könige haben wir gesehen, wie der Verfall Judas auf kurze Zeit unterbrochen wurde durch die beiden Erweckungszeiten, welche die Regierungen von Hiskia und Josia kennzeichneten. Da flammte die Leuchte des Zeugnisses, die dem Erlöschen nahe war, noch einmal glänzend auf; und wenn das Volk darauf geachtet hätte, so hätte das endgültige Gericht noch verhindert oder verzögert werden können. Doch es war nicht so, denn nach diesen gesegneten und glücklichen Unterbrechungen gewann das für einen Augenblick unterdrückte Böse mit zunehmender Macht wieder die Oberhand, so dass das Gericht in der Entblößung von allem bestehen musste. Der Verfall war vollständig.

Doch gerade aus der Mitte dieses Verfalls beruft Gott im Buch Esra einen Überrest. Nicht als ob diese "Kinder der Wegführung" tatsächlich oder in ihrer Gesamtheit der wahre Überrest Israels gewesen wären; dieser wurde vielmehr aus ihnen herausgenommen und von ihnen abgesondert, wie der Prophet Maleachi es uns zeigt. Der wahre Überrest bestand aus denen, „die Jehova fürchteten und sich miteinander unterredeten" (Maleachi 3, 16). Als der Messias erschien, waren solche Gläubige in Judäa und warteten auf die Erlösung Israels; und als der öffentliche Dienst Jesu begann, umgab derselbe Überrest in den Personen der zwölf Jünger und derer, die das Wort Christi annahmen, den Heiland. Weiterhin wird am Ende der prophetischen Zeiten der Überrest die Erscheinung des Messias in Herrlichkeit erwarten inmitten des offenen Abfalls Israels.

Doch wenn auch die Reste von Juda, die unter Kores wieder nach Jerusalem hinaufzogen, um dort den Messias zu erwarten und aufzunehmen, nicht der wahre Überrest waren, so werden sie uns durch den Heiligen Geist vorgestellt als ein Beispiel jener Charakterzüge , die ein gläubiger Überrest in einer Zeit des Verfalls an den Tag legen muss: ein um so heilsameres Beispiel für uns Christen, da wir uns gegenwärtig inmitten der Trümmer der Christenheit befinden; ein Beispiel, das uns darüber belehrt, wie wir in diesen schlimmen Umständen Zeugen Gottes sein können. Das ist der wichtige Gegenstand, den die ersten Kapitel des Buches Esra uns vor Augen stellen.

Die Zahl der Männer, die unter der Führung von Serubbabel und Jeschua (oder Josua), dem Hohenpriester, denen neun Anführer zur Seite standen, aus der Gefangenschaft wieder hinaufzogen, war 24 144. In den Versen 3‑20 werden sie nach den Namen ihrer Väter aufgezeichnet, von Vers 21‑35 nach den Namen ihrer Städte. Die zuletzt genannten zogen bei ihrer Rückkehr nach Palästina wohl in ihre Geburtsstädte, um diese wieder zu bewohnen und zu bevölkern. Das ganze Volk wurde in die Geschlechtsverzeichnisse eingeschrieben, wie Nehemia 7, 5 uns berichtet.

Die Priester aus vier Familien der Söhne Aarons erwiesen sich voll Eifer, ihren Platz und ihre Verrichtungen im Hause Gottes, das gebaut werden sollte, wieder aufzunehmen. Ihre Zahl war 4 289, während von den drei Familien der Leviten nur eine, und auch diese nur in sehr geringer Zahl, gegenwärtig war.

Haben diese Tatsachen nicht auch eine Stimme für die jetzige Zeit? Da alle Christen Priester und deshalb berufen sind, den Gottesdienst auszuüben, fühlen viele (natürlich immer in viel zu. geringer Zahl) das Bedürfnis, ihren Dienst als Anbeter in der Versammlung des lebendigen Gottes zu erfüllen; aber wie schmerzlich macht sich der Mangel an Leviten, deren Verrichtungen den Diensten in der christlichen Versammlung entsprachen, fühlbar! Nicht dass es dem Volke an Leviten gefehlt hätte, das werden wir im 8. Kapitel sehen, aber es lag bei den Leviten ohne Zweifel Gleichgültigkeit, geistliche Trägheit und ein Hang zur Bequemlichkeit vor, und so stellen sich von ihnen nur 74, um die Priester, das Volk und seine Anführer zu begleiten. Kennzeichnet dieser Zug nicht auch die gegenwärtige Zeit, gerade so wie die damalige? Die, welche vom Herrn Gaben empfangen haben für das Werk des Evangeliums, zur Belehrung und zum Weiden der Herde Christi, fürchten sich, mit der ihnen verliehenen Kraft vorzugehen und ihren Dienst so auszuüben, wie der Herr ihn ihnen anvertraut hat. Statt ihre Verantwortlichkeit zu fühlen, laden sie sie auf andere ab und ziehen vor, ihnen den Platz zu überlassen, anstatt selbst der Hut ihres Dienstes zu warten. Wenn das auch nicht der einzige Grund ist für den Platz, den die sogenannte "Geistlichkeit" in der Kirche einnimmt, begünstigt diese geistliche Tätigkeit ihn doch in hohem Maße. Wir werden später sehen, welche Mühe Esra hatte, einige Leviten zusammenzubringen, damit sie mit ihm nach Jerusalem hinaufzögen.

Die Sänger, die Söhne Asaphs, waren in größerer Zahl da, als die Söhne Levis; das Wort erwähnt 128 (Kap 2, 41). Es ist gewiss ein überaus kostbarer Dienst, die Loblieder Gottes zu singen; aber ist in den Versammlungen der Heiligen die Rolle der "Söhne Asaphs" nicht oft deshalb so gut vertreten, weil man sich dadurch von einem Dienst frei machen möchte, der schwieriger ist und mehr Verantwortlichkeit mit sich bringt?

Die Torhüter waren 139 an der Zahl, die Nethinim, oder die untergeordneten Diener des Heiligtums, sowie die Knechte Salomons zählten 392. Diese bescheidenen Dienste haben hohen Wert in den Augen des Herrn. Sehen wir nur, wie von Vers 43‑57 Gott mit Wohlgefallen alle Namen ihrer Väter verzeichnet! So ist es auch heute, wenn es sich darum handelt, die Tische zu bedienen, die eine oder andere Handreichung zu tun, für das "Obergemach" Sorge zu tragen nichts davon wird von dem Herrn vergessen; die Namen derer, die sich diesem Dienst widmen, werden unter demselben Titel eingetragen wie die anderen, und man wird mehr als einmal sehen, dass der, der unter den Kindern Gottes sich auf den letzten Platz stellt, indem er sich selbst vergisst, um andere zu bedienen, einen Ehrenplatz einnimmt, während ein anderer mit einer bemerkenswerten Gabe, der aber dahin neigt, mehr den Menschen als Christus zu verherrlichen, mit Beschämung auf dem letzten Platz sitzt.

Priester, Leviten, Sänger und Diener zählten zusammen 5022 Seelen. Das Volk, soweit es aufgezeichnet wurde, zählte 29166; die ganze Versammlung bestand aus 42360 Personen. Unter ihnen konnten 652 aus den Söhnen Israels nicht den Beweis erbringen, dass sie wirklich zum Volke gehörten. Auch eine große Zahl der Priester "suchten ihr Geschlechtsregister‑Verzeichnis, aber es wurde nicht gefunden; und sie wurden von dem Priestertum als unrein ausgeschlossen. Und der Tirsatha (ein Titel, der Esra und Nehemia als Statthalter gegeben wurde) sprach zu ihnen, dass sie von dem Hochheiligen nicht essen dürften, bis ein Priester für die Urim und die Thummim aufstände" (V. 62 u. 63).

Wir finden hier den ersten Zug, der einen Überrest kennzeichnen muss. In einer regelrechten Zeit war man nicht gehalten, sein Geschlechtsregister vorzulegen; es war ja für alle selbstverständlich, dass ein Priester nicht Anspruch auf einen Platz machen konnte, der ihm nicht gehörte. So war es auch in den ersten Tagen der Kirche: niemand wagte sich der Versammlung der Christen anzuschließen (Apg. 5, 13), weil die Macht des Heiligen Geistes dem Eindringen der Welt eine starke Schranke entgegensetzte. In einer Zeit des Verfalls ist das anders: sind einmal fremde Elemente in das Haus Gottes eingedrungen, so sind die Treuen gezwungen, genau zu wachen, um sich jeder Vermengung mit der Welt zuwider setzen. Es handelte sich in jenen Tagen darum, den Tempel Jehovas wieder aufzubauen, und der Dienst des Hauses konnte nicht mit fremden Elementen verbunden werden. Auch werden wir später sehen, dass der Überrest jedes Bündnis mit der Welt zwecks eines gemeinsamen Arbeitens entschieden zurückweist. Nur handelte es sich hier nicht darum, von außen herandrängende Elemente zurückzuweisen, sondern die Personen zu, prüfen, die behaupten, zum Volke Gottes zu gehören, und zu sehen, ob sie die Beweise ihrer Abstammung beibringen können. So ist auch heute die größte Wachsamkeit nötig, um sich zu vergewissern, ob wirklich Leben aus Gott mit dem christlichen Bekenntnis verbunden ist. Die, die von der Gemeinde Israels nicht anerkannt werden konnten, wenn sie auch vielleicht einen Teil des Volkes ausmachten, durften es sich nur selber zuschreiben, wenn sie nicht zum Dienst im Tempel zugelassen wurden. Es war ja möglich, dass sie trotz des äußeren Anscheins zu Israel gehörten, aber warum waren sie nicht imstande, ihre Abstammung zu beweisen? Trugen jene die Schuld, die sie nicht anerkannten? Mussten sie nicht vielmehr sich selbst der Bewahrung der Beweise ihrer Abstammung anklagen?

Die Priester waren doppelt schuldig. Es blieb für sie nur ein Hilfsmittel: dass ein Priester für die Urim und die Thummim aufstände, durch die er Jehova befragen konnte (Vergl. 4. Mose 27, 21; 1. Samuel 28. 6). Gott allein, der die kennt, die Sein sind, konnte offenbar machen, wer wirklich der priesterlichen Familie angehörte. Bis zu diesem Augenblick mussten sie warten und konnten nicht „von dem Hochheiligen essen". Dieses Beispiel gibt uns auch den Weg an, den die Versammlung heute in zweifelhaften Fällen einschlagen muss. Warten wir, um den Herrn befragen zu können, ehe wir solche, die nicht vor aller Augen ihren göttlichen Ursprung beweisen können, zum Tische des Herrn zulassen. Ein Überrest nach Gottes Gedanken wird nie solche zum Brotbrechen zulassen, die nur ein Bekenntnis des Christentums ablegen, sondern die, welche aus Gott geboren sind und deshalb das Recht haben, Seine Kinder zu heißen.

Die Verse 64 u. 65 reden nicht wie Vers 43 von Dienern des Heiligtums, sondern von Knechten und Mägden des Volkes , denn Gott vergisst auch diese nicht. Auf die eine oder andere Weise vollführen sie ihren Dienst. Ob es sich darum handelt, der Heiligen Füße zu waschen (1. Timotheus 5, 10), bei denen, die dem Herrn angehören, die niedrigsten Dienste zu tun, und wäre es auch nur, einem dieser Kleinen ein Glas Wasser zu reichen (Markus 9, 41), Gott nimmt Kenntnis davon und zeichnet es auf. Es gab unter ihnen auch 200 Sänger und Sängerinnen. Der Gesang begreift noch etwas anderes in sich als das Lob im Heiligtum, wie die Söhne Asaphs es ausübten; er hat auch den Zweck, außerhalb des Gottesdienstes die gegenseitige Gemeinschaft des Volkes Gottes zu unterhalten (Epheser 5, 19; Kolosser 3, 16).

Schließlich, um nichts zu vergessen, zählt Gott sogar die Tiere auf (V. 66 u. 67), alles was den Seinen nützlich und hilfreich ist. Auch diese werden sorgfältig verzeichnet, nicht ein einziges fehlt. Von welch einer Sorgfalt redet diese Aufzählung zu uns! Während des ganzen Weges, der sie zum Hause Gottes führen sollte, wachte Gott über Sein Volk, bereitete für ihre Ermüdung die nötige Erleichterung vor, sorgte im voraus für die Bedürfnisse der Schwachen, der Weiber und Kindlein. Welch ein Gott ist unser Gott! Sollten wir uns nach einem besseren Führer, einem besseren Hüter umsehen? Ist nicht unser Vater der Schöpfer und Erhalter des Weltalls?

Fußnoten:

*1) Vergl. Dan. 1, 1 ; Jer. 21, 1. Im Alten Testament begegnet man häufig dieser Verschiedenheit in der Berechnungsart, indem Teile eines Jahres oft für ein ganzes Jahr gerechnet werden.

*2) Der Monat Ethanim, in dem der Tempel Salomos eingeweiht wurde.

*3) sogenannte "biblische Gemeinden‑, oder "Gemeinden auf biblischer Grundlage" zu bilden. Anmerkung des Übersetzers.

*4) Die Geschichte nennt diesen Betrüger. der sich des Thrones bemächtigt hatte, den falschen Smerdis.

*5) wie er in der Weltgeschichte genannt wird.

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Der gebissene Israelit

Bibelstelle: 4. Mose 21

Botschafter des Heils 1913 S. 211ff

Es macht das Herz glücklich, den Herrlichkeiten der Schrift nachzuspüren, besonders in Tagen, wo die ungläubige Torheit des Menschen ihre Wahrheit in Frage stellt. Amalek wagte vor alters (2. Mose 17) hervorzubrechen und dem Heerlager Israels in den Weg zu treten, obgleich in jener Zeit die Wolke der Herrlichkeit Jehovas auf dem Lager ruhte; und in Bälde wird der ungläubige Bund der letzten Tage in seinem Stolz und seiner Anmaßung so weit gehen, dass er den Heerscharen des Reiters aus dem weißen Rosse (Offb. 19), der aus dem Himmel herniederkommt, entgegenzutreten wagt.

In ähnlich vermessenem Geiste stellt das Herz des Menschen heute das Buch in Frage, welches die kostbaren und geheimnisvollen Herrlichkeiten der Weisheit Gottes enthält. Es ist deshalb ein guter Dienst, diese Herrlichkeiten aus Licht zu ziehen und „die göttlichen Aussprüche“ in der ihnen eignen Vortrefflichkeit reden zu lassen, zur Stärkung des Glaubens und zur Verwirrung derer, die sie angreifen. Eine dieser Herrlichkeiten zeigt sich darin, dass ein Geist das ganze Buch durchweht, ein Atem es belebt, ein Licht es durchleuchtet und eine Stimme in ihm redet. Ja, man kann in gewissem Sinne sagen: Moses erscheint wieder in Paulus, Jesaja in Petrus, David in Johannes usw. Das Licht des Morgens ist das Licht des Mittags und des Abends, obgleich freilich in verschiedener Stärke und unter verschiedenen Bedingungen.

Die kleine Geschichte, die uns in 4. Mose 21, 4 - 9 erzählt wird, gibt uns eine bildliche Erläuterung zu dem Gesagten. Betrachten wir sie etwas näher. Zunächst muss uns auffallen, dass der Herr sich weigert, das Gericht, das Er ausgesprochen hat, wieder aufzuheben. Israel hatte gesündigt, und feurige Schlangen, Todesboten, kamen infolge dessen unter das Volk. In seiner Herzensangst schrie es zu Mose, und Mose flehte für sie zu Gott; aber umsonst! Der Herr nahm die Vollstrecker Seines gerechten Gerichts nicht weg.

Gerade so ist es heute. Das Todesurteil, das im Anfang über die Sünde ausgesprochen worden ist, wird nicht aufgehoben. Das wäre ein Zeichen von Unbeständigkeit oder würde heißen, Gott habe einen Fehler gemacht, als Er es aussprach - und das ist unmöglich. Was tut nun Gott? Er trifft Seine Vorkehrungen angesichts des Todesurteils. So wunderbar es ist, aber es ist, Gott sei gepriesen! die Wahrheit: Gott hat für den Sünder eine Antwort auf Seine eigenen gerechten Forderungen bereitet! So war es im Anfang der Geschichte des Menschen, und so ist es immer wieder gewesen. So war es seiner Zeit in der Wüste, und so ist es heute im Evangelium.

Gott führte den Samen des Weibes in den vom Tode getroffenen Garten Eden ein, und Adam, der durch eigene Schuld dem Verderben Verfallene, fand eine Vorsorge für sich. Noah empfing zur Zeit der Flut die Arche, und Israel am Tage des Gerichts über Ägypten die mit Blut bestrichenen Türpfosten. David wurde angewiesen, aus der Tenne eines unbeschnittenen Jebusiters einen Altar zu bauen, und dieser Altar hatte die Kraft, das Schwert des Würgengels, das über die verurteilte Stadt ausgestreckt war, abzuwenden (1.Chron. 21); gerade so wie das Blut von Golgatha die Kraft hatte, den Vorhang von oben bis unten zu zerreißen und die Höhen des Himmels den Gefangenen des Todes und der Sünde zu öffnen.

Gott hebt also die einmal ausgesprochenen Urteile nicht auf, aber Er versieht den Sünder mit einer Antwort auf dieselben. Das ist es, was die kurze Erzählung von 4. Mose 21, 4 - 9 so schön und lebendig uns vor Augen führt. Infolge der Sünde waren die feurigen Schlangen unter die Israeliten gekommen. Die flehentliche Bitte, sie von ihnen wegzunehmen, konnte keine Erhörung finden. Die Vollstrecker des gerechten Urteils Gottes mussten im Lager bleiben — der Tod muss auf die Sünde folgen, denn Gott hat im Anfang gesagt: „Welches Tages du davon isst, wirst du gewisslich sterben“ (1. Mose 2, 17). Aber Gott befiehlt Mose, eine eherne Schlange zu machen und sie auf eine Stange zu tun und dann auszurufen, so dass das ganze Lager es hören konnte: Jeder, der gebissen ist und die erhöhte Schlange anschaut, wird am Leben bleiben.

Das hieß, dem Tode das Leben gegenüberstellen. Eine geheime Quelle des Lebens und der Heilung erschien inmitten der Gewalten des Todes. Es war gleichsam wieder eine Offenbarung des Samens des Weibes da, wo der Tod eingetreten war. Aber ich wiederhole: es war nicht ein Wegnehmen der feurigen Schlangen, wie die Israeliten es gewünscht hatten, nicht ein Auhfeben des Urteils, das über ihre Sünde ergangen war, nein, es war etwas ganz anderes, viel Höheres: der Israelit in der Wüste wurde in den Stand gesetzt, über jenen traurigen Zustand zu triumphieren, in welchen er sich durch seine eigene Schuld gebracht hatte. Ja, das war es, mein lieber Leser. Es war nicht einfach ein Entrinnen aus jenem Zustand, sondern ein Triumphieren über ihn; denn der von einer feurigen Schlange gebissene Israelit konnte, nachdem er die eherne Schlange angeschaut hatte, mit Ruhe auf die feurigen Schlangen blicken, die noch überall im Lager umherkrochen — sie vermochten ihm nichts mehr anzuhaben. Gerade so wie Noah von dem Boden aus, aus welchen die Gnade Gottes ihn gestellt hatte, mit Ruhe die immer höher anschwellenden Wasser betrachten konnte, oder wie ein Israelit in Ägypten unbesorgt an das Schwert des Würgengels denken konnte, der durch Ägyptenland zog.

Wie schön ist das alles! Und Gottes Weg im Evangelium ist immer der gleiche, ob er sich nun abgeschattet findet in der Geschichte Noahs zur Zeit: der Flut, oder des Volkes in Ägypten oder des in der Wüste gebissenen Israeliten, der zur ehernen Schlange aufgeschaut hatte, oder ob er uns heute, in Christo in voller Schönheit offenbart, entgegentritt. Der durch den Glaubensblick auf die Schlange Geheilte konnte nicht noch einmal gebissen werden. Die Sünde, die er gegen den Herrn des Heerlagers Israels begangen und die jene Todesboten herbeigerufen hatte, war den Gnaden-Vorkehrungen desselben Herrn begegnet. Darin bestand seine Sicherheit, das war sein Triumph. Er befand sich jetzt in einer weit besseren Lage als vor dem Biss der Schlange. Vorher verwundbar, war er jetzt unüberwindlich geworden. Früher konnte er von den Schlangen gebissen werden, jetzt nicht mehr. Gerade so wie der von Gott bekleidete Adam den in der Nacktheit der Unschuld dastehenden Adam überragte, oder wie der von Gott angenommene Sünder, dessen Sünden vergeben sind, höher steht, als der von Gott aufrichtig geschaffene Mensch vor dem Falle.

Gottes Rätsel: „Aus dem Fresser kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit" (Richter 14, 14), findet wieder und wieder seine Auslegung. Und wenn wir noch einmal einen Blick auf Adam zurückwerfen, so dürfen wir gewiss sagen: Als sein Mund zum zweiten Mal über das Weib geöffnet wurde, kam ein schöneres Wort hervor, als das erste Mal. Der Ausspruch: „Diese soll Männin heißen", gab nicht der Freude Ausdruck, die er geschmeckt haben wird, als er „seinem Weibe den Namen Eva (Leben) gab, weil sie die Mutter aller Lebendigen war". Von Gott gegebenes Leben angesichts des durch eigene Schuld bewirkten Todes zu preisen ist eine weit höhere Beschäftigung für das Herz, als selbst die letzte, das Schöpfungswerk Gottes krönende Gabe anzuerkennen und zu erheben.

Doch kehren wir zu unserer Erzählung zurück. Von dem, was Gott angedroht hatte, konnte und kann also nichts zurückgenommen werden. Aber alledem, was der Mensch durch seine Schuld verdorben hat, ist die Erlösung begegnet. „Das Blut des ewigen Bundes" hat „den Gott des Friedens" instand gesetzt, Jesum als „den großen Hirten der Schafe" aus den Toten aufzuerwecken. Gott ist in der herrlichsten Weise gerechtfertigt worden, und der glaubende Sünder ist als Sieger in eine Stellung der Sicherheit und Unüberwindlichkeit eingegangen, in welcher er all der Feindschaft, den Angriffen und Anläufen des alten Feindes und Verderbers Trotz zu bieten vermag.

Unserer kleinen Erzählung ist indes noch ein anderer Evangeliumszug (wenn ich mich so ausdrücken darf) aufgeprägt. Die Heilung des Israeliten war persönlich; jeder Gebissene musste für sich selbst zu der Schlange aufblicken. „Es wird geschehen", sagt Jehova zu Mose, „jeder, der gebissen ist und sie ansieht, wird am Leben bleiben", und im weiteren Verlauf der Geschichte wird uns erzählt: „Und es geschah, wenn eine Schlange jemand gebissen hatte, und er schaute auf zu der ehernen Schlange, so blieb er am Leben". (V. 8. 9.)

So ist es auch jetzt in der Zeit des Evangeliums zwischen uns und Gott. Die Errettung ist eine ganz persönliche Sache, eine Sache des Einzelnen, und wir dürfen Gott von Herzen dafür danken, dass es so ist. Gott nimmt uns einzeln in Seine Gegenwart, um damit uns über unsere Sünden zu reden und die Ewigkeitsfrage mit uns zu ordnen. Er setzt sich mit uns allein an den Brunnenrand zu Sichar, oder Er sieht uns (uns selbst, so wie wir sind) unter dem Feigenbaum, oder Er fühlt das zaghafte Anrühren unseres Fingers inmitten einer geschäftig sich drängenden Menge, oder Er schaut zum Maulbeerfeigenbaum empor, um unserem suchenden Blick zu begegnen, oder Er trifft uns außerhalb der Stadt, im Vorhof des Tempels usw. Sein Wort in Joh. 3 stimmt genau mit Seinem Wort in 4. Mose 21 überein: „Es sei denn dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen". Ein Blick genügt, aber der Blick muss getan werden, und er muss persönlich sein, der Glaubensblick des Einzelnen. Glauben ist die Handlung einer Seele, die in unmittelbare Verbindung mit Gott getreten ist. Ein anderer kann nicht für mich glauben, noch können religiöse Satzungen und menschliche Vorkehrungen Gottes Platz in Bezug auf mich einnehmen. Christus musste erhöht werden, und ich muss aus Ihn blicken. Kostbare Wahrheit: Er und ich müssen einander begegnen, miteinander zu tun bekommen!

So redet der Bericht von 4. Mose 21 in vorbildlicher Weise zu uns, und so verwirklicht es sich in dem die ganze Welt umspannenden Evangelium. Das ist der Weg, den Gottes Gnade und Heil mit uns gegangen

sind. Gott hat die Sünde nicht verhindert, noch das Gericht, das Er an sie knüpfte, aufgehoben. Auch hat Er die Dinge nicht wieder zu ihrem früheren Stande zurückgeführt. Nein, Er bringt aus dem Verderben etwas Neues, Besseres hervor, und Er tut das und hat es getan in einer Weise, die nicht nur Seine Gerechtigkeit völlig befriedigt, sondern auch Seinen Namen verherrlicht und Seinen Ruhm erhöht. Dieses Neue, Bessere, ist Erlösung und Auferstehung, ein siegreiches Leben, das Er selbst gleichsam der Macht des Todes abgerungen hat für uns.

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Gott liebt dich

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 218ff

Gott liebt dich! - Ist dir das schon einmal zum Bewusstsein gekommen, mein lieber unbekehrter Leser? Gott liebt dich! Er liebt den armen, schuldigen, hassenswerten Sünder. Gott hasst die Sünde, den Sünder aber möchte Er sich nahe bringen. Aber wie ist das möglich? Nur dadurch, dass Er seine Sünden abwäscht. Niemals kann der Sünder, beladen mit seinen Sünden, in Gottes heilige Gegenwart treten. Wenn er also in seinen Sünden bleibt, so kann er bei seinem Tode nur an einen Platz gehen, der fern von Gott ist. Und dieser Platz ist die ewige Finsternis. Das ist ein furchtbarer Gedanke.

Gott liebt dich! Trotzdem du Zeit deines Lebens ein Übertreter der göttlichen Gebote gewesen bist. Du bist ein Feind Gottes. Ja, du bist, so seltsam es klingen mag, bis heute dein eigener Feind gewesen. Denn was hast du dir durch all dein Tun, durch alle deine Werke verdient? Den Tod. „Der Lohn der Sünde ist der Tod", sagt Gottes Wort. Fürwahr, ein trauriger Lohn!

Ja, es ist ein verzweifelter Zustand, in dem du dich befindest. Du hast den Tod vor Augen. Und, verzweifelt wie dein Zustand ist, du besitzest in dir auch keine Möglichkeit, dich daraus zu befreien. Wenn Gott dich ansieht, erblickt Er in dir nichts als Sünde, und der einzige Lohn der Sünde ist, wie gesagt, der Tod.

Doch, wie du schon hörtest, Gott liebt dich! Er liebt den Sünder, wenn Er auch von ihm nicht wiedergeliebt wird, und Er möchte ihm in Seiner Huld und Liebe etwas anderes zu teil werden lassen, als den Lohn seiner Sünde. Er weiß auch, dass der Sünder nicht die Kraft besitzt, sich von der Macht der Sünde zu befreien, und so hat Er in Seiner Gnade einen Ausweg für ihn gefunden. Du kennst ja diesen Ausweg: Er hat Seinen eigenen Sohn, den Herrn Jesum Christum, auf die Erde herniedergesandt, um arme Sünder zu erretten und ihnen statt des verdienten Lohnes Seine freie Gabe, ewiges Leben, anzubieten. Und nun ladet Gott dich in dem Namen Jesu Christi ein, die Gabe Seiner Liebe anzunehmen. Er kann sie nicht in einem anderen Namen geben, und du kannst sie in keinem anderen Namen finden; „denn" kein anderer Name ist unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in welchem wir errettet werden müssen". (Apg. 4, 12.) Und welch wunderbarer Gedanke: Gott kommt zu dir und bietet dir in Christo Vergebung deiner Sünden und ewiges Leben an! Er kommt dir, dem Sünder, entgegen und sagt dir, dass Er Ihn zur Sünde für uns gemacht habe, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm. So gestattet Er nicht nur dem armen Sünder, sich mit Ihm versöhnen zu lassen, sondern Er fordert ihn noch dazu auf! Er sagt zu Seinem Knecht: „Gehe eilends hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt, und bringe hier herein die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden". Und wenn der Knecht dann antwortet: „Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast, und es ist noch Raum", dann erwidert Er: „Gehe hinaus auf die Wege und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde" (Luk. 14, 21 - 23).

Durch das Blut Christi ist ein allezeit offener Eingang in das Haus Gottes geschaffen worden; eine Tür" ist aufgetan, durch welche der größte Sünder ungehindert eingehen kann, indem er alle Sünden hinter sich lässt. Denn wie das Blut Jesu Christi einerseits den Sünder Gott nahe bringt, entfernt es andererseits die Sünde aus Seinen Augen. So sagte einst der Apostel Paulus von Sündern, die an Christum gläubig geworden waren: „Ihr, die ihr einst ferne wart, seid durch das Blut des Christus nahe geworden": und wenn er von der Sünde spricht, so sagt er, dass Christus durch Sein Opfer die Sünde hinweggetan habe. Dasselbe Opfer also, welches den Sünder nahe bringt, tut die Sünde hinweg, so dass wir mit voller Glaubenszuversicht sagen können: „Wir haben die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen", und dass Gott uns zurufen lassen kann: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeit werde ich nie mehr gedenken“ (Eph. 1, 7; Hebr. 10, 17). Die Sünde, die Gott hasst, ist entfernt, der Sünder, den Er liebt, ist nahe gebracht. Und alles das auf Grund des kostbaren Blutes Jesu Christi, Seines Sohnes!

Durch dieses Blut ist ein neuer und lebendiger Weg zum Himmel geöffnet. Es hat gleichsam eine Leiter ausgerichtet, die von der Erde bis in den Himmel führt. Das Kreuz Christi wurde aus Erden ausgerichtet, und hier wurde auch Sein Blut vergossen. Gottes Gnadenstuhl befindet sich im Himmel, und dort wird das Blut gesprengt. Durch Sein eigenes Blut ist Christus eingegangen in das Heiligtum droben, nachdem Er eine ewige Erlösung erfunden hatte, und jetzt können alle, die diese Erlösung angenommen haben, mit Freimütigkeit eintreten ins Heiligtum kraft dieses Blutes.

Was sagst du zu dem allen, teurer Leser? Willst du fern bleiben, wenn Gott dich freundlich bittet: „Komm!“? Willst du ein trügerisches, flüchtiges Erdenglück in der Welt suchen, während Gott dich in Seinem Sohne wahrhaft und für ewig glücklich machen will? Willst du die Botschaft des Heils in Christo, die Gott dir wieder nahe bringen lässt, zurückweisen? O bedenke, was das sagen will!

Aber vielleicht gehörst du zu denen, die sich nicht gerade feindselig abwenden, aber die da sagen: „Ich will noch ein wenig warten; es hat ja noch Zeit"," während Gott dir sagen lässt: „Jetzt ist die wohlangenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils". Gott fordert dich auf, heute Buße zu tun. Heute sollst du

dich bekehren, heute das Heil deiner unsterblichen Seele suchen. Höre es, Leser: Heute!

Und Jesus hat genug getan, um einem schuldigen, verlorenen Sünder Ruhe und Frieden zu geben. Sein Werk ist für ewig vollbracht. Gott hätte sonst Den nicht aus den Toten auferwecken und zu Seiner Rechten erhöhen können, der mit unseren Sünden am Kreuze beladen war. Ja, Gott ist durch das Werk Christi vollkommen befriedigt worden. Diesem Werke ist nichts mehr hinzuzufügen. Die Auferstehung Christi ist Gottes Siegel darauf, dass es vollkommen ist.

Auf dem Fluchholze hat Christus den Platz des Sünders eingenommen. Er hat dort die Sünden vieler getragen, aller derer die an Ihn glauben. Diese Sünden waren auf Ihn gelegt. Und wo sind sie jetzt? Gott sei gepriesen! sie sind alle im Grabe zurückgeblieben. Gott hat sie alle „in die Tiefen des Meeres geworfen“. (Micha 7, 19.) Die Sühnung ist geschehen, ein für allemal geschehen! Der Gläubige hat nichts mehr zu fürchten. Gott hat Seinen Geliebten „unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt“. (Röm. 4, 25). Mein Leser! rührt die Liebe Gottes nicht dein Herz? Willst du dich nicht dem Herrn übergeben, der so Großes für dich tat und so Herrliches für dich zustande brachte? Glückselig bist du, wenn du es tust! Gott hat Seine ganze Wonne an Seinem Sohne und an dem durch Ihn vollbrachten Werke. Er wird dann auch Seine Freude an dir haben. Denn wer eins mit Christo ist im Tode, ist auch eins mit Ihm in Seiner Auferstehung — begraben mit Christo, auferweckt mit Christo und in Christo mitversetzt in die himmlischen Örter. Welch wunderbare Gnade!

Es ist das ewige Erbarmen,

das alles Denken übersteigt,

deß, der mit offnen Liebesarmen

sich nieder zu den Sündern neigt.

Der uns von Fluch und Tod befreit,

uns führt zu Jesu Herrlichkeit.

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Was ist euer Leben?"

Bibelstelle: Jakobus 4,14

Botschafter des Heils 1913 S. 223ff

„Was ist euer Leben? Ein Dampf ist es ja, der eine kleine Zeit sichtbar ist und dann verschwindet" (Jak 4,14). Ja, so ist es, und doch ist dieses Leben die Zeit, wo wir unseren Herrn kennenlernen und nach Seiner Wiederkehr ausschauen sollen. Aber ist es nicht wahr, geliebte Brüder, dass bei manchem von uns der Frühling vergangen, die erste Süßigkeit und Frische hingebender Liebe dahin zu sein scheint? Ja, wir alle mögen uns fragen: Lieben wir Jesum noch so, wie wir es einst taten? Ist das Maß und die Weise unserer Liebe nicht geringer geworden? E r weiß alles, und E r möge antworten, wir aber wollen still sein.

Viele von uns sind in die Jahre gekommen, und jedes einzelne der vergangenen Jahre hat uns zugerufen: „Näher zur Heimat! näher zu Jesu!" Haben wir den Ruf beachtet? Gott lässt uns eine Handvoll Jahre in der Schule des Lebens, um unseren Willen zu brechen, unsere Herzen zu beugen. Wir haben Eltern und Verwandte abscheiden, oder den Geist eines geliebten Kindes den Flug zur himmlischen Heimat antreten sehen. Wir haben Seine Nähe an diesen Sterbebetten gefühlt, und Seine linde Hand verspürt, wie sie die Tränen trocknete und sich leise, leise auf die Wunde legte. Und mit jedem Sterbebett und mit jedem Jahr ist der Himmel unseren Herzen näher und teurer geworden; von Jahr zu Jahr haben sich die dort aufgehäuften Schätze gemehrt, und jede dieser Trübsalszeiten hat uns etwas von Jesu gelehrt, was wir ohne die Trübsal nie gelernt hätten.

Was ist das Leben? Die kostbare Gelegenheit, den Herrn zu verherrlichen. Wir sind auf diese Erde gestellt, um zu wandeln, wie Er gewandelt hat, um für Ihn als Lichter in der Welt zu scheinen, um ein Brief Christi zu sein, gekannt und gelesen von allen Menschen. Und wenn wir daran denken, dass wir Ihn bald sehen werden, dann erwacht ganz von selbst der Wunsch, „Ihm wohlgefällig zu sein". Aber ist es nicht gerade so, als ob bei manchen Christen eine Art Schleier zwischen ihren Herzen und Christo hinge? Ein Etwas ist da, das nicht da sein sollte. Sie sind nicht wirklich glücklich. Frieden haben sie durch Sein Blut, aber Sein Friede erfüllt ihre Herzen nicht. Die äußeren Züge des Christentums sind da, aber das geistliche Auge strahlt nicht in Friede und Glück; Jesus ist der Seele nicht nahe, Er wohnt nicht im Herzen durch den Glauben. Das ist dann freilich nicht der Himmel auf Erden. Das Licht droht zu erlöschen, weil die Liebe fehlt.

O denke an die Stunde, meine Seele, die jenseits dieses Lebens und dieser Welt liegt, wann du das Antlitz Dessen schauen wirst, Der dich geliebt und Sich Selbst für dich hingegeben hat!

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Betrachtungen über das Buch Esra

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1913 S. 225ff

Wie wir gesehen haben, war der erste Charakterzug des Oberrestes eine peinliche Sorgfalt, um im Priestertum nicht irgend ein zweifelhaftes Element zuzulassen, damit der Tempeldienst unbefleckt erhalten bleibe. In den Versen 68 u. 69 finden wir einen zweiten Zug, den Eifer für den Bau des Hauses Gottes, die Hingebung, welche die eigenen Interessen für das Werk Jehovas aufopfert. Die Häupter geben freiwillig eine Summe, die nach unserem Gelde auf nahezu zwei Millionen Mark geschätzt werden kann. Das war wenig im Vergleich mit dem, was die Obersten des Volkes bei dem Bau des Tempels Salomos gegeben hatten (1. Chron 29, 6‑9), aber in einer Zeit äußerster Verarmung hatte diese Gabe einen großen Wert in den Augen des Herrn des Tempels, und Er, der Besitzer aller Schätze des Weltalls, wertete sie nach dem Eifer, der sie hervorrief, wie Er später das Scherflein der Witwe höher einschätzte als den ganzen Überfluss der Reichen.

Die Charakterzüge des Überrestes in diesen beiden Kapiteln sind also kurz folgende: die Treuen beugen sich unter den Zustand der Erniedrigung und Knechtschaft, in die ihre Sünde sie gebracht hat, und suchen weder den Sachverhalt zu verbessern, noch sich ihm zu entziehen. Sie wünschen vor allem, die vor unheiliger Vermengung zu bewahren, die einen Teil des Hauses Gottes ausmachen. Da sie keine Urim und Thummim haben warten sie darauf, dass Gott ihnen über manches Seine Gedanken offenbare. Sie maßen sich nicht an, die ihnen für den Augenblick vorenthaltenen göttlichen Offenbarungen durch irgend eine menschliche Einrichtung eigener Erfindung zu ersetzen. Sie wissen, dass das Maß ihres Verständnisses gering ist. Wenn die Fahrlässigkeit der einen deren Anerkennung verhindert, und wenn die Treue der anderen ein zwingender Grund wird, jene vom Priesterdienst auszuschließen, so bleibt es darum nicht weniger wahr, dass der Herr die kennt, die Sein sind, und dass der Augenblick kommen wird, wo Er sie offenbar machen wird, ohne dass einer fehlt.

Bis dahin mussten diese Treuen auf schmalem Pfad wandeln, ohne sich eine Kraft, die sie nicht besaßen, anzumaßen, und mit den geringen Hilfsmitteln, die der Gott der Barmherzigkeit ihnen übriggelassen hatte.

Diese Armut schließt jedoch keineswegs die Hingebung aus. Das Haus Gottes ist der Hauptgegenstand der Gedanken des Überrestes, und sobald sie in dem Lande der Verheißung angekommen sind, ordnen sie ihm alles unter. Die Folge wird allerdings kundtun, ob dieser anfängliche Eifer sich halten konnte.

Kapitel 3 - Der Altar und die Grundlegung des Tempels

Den beiden oben erwähnten Charakterzügen des Überrestes wird in unserem Kapitel noch eine große Zahl anderer hinzugefügt,

"Und als der siebente Monat*) herankam, und die Kinder Israel in den Städten waren, da versammelte sich das Volk wie e i n Mann nach Jerusalem. Und Jeschua, der Sohn Jozadaks, und seine Brüder, die Priester, und Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und seine Brüder machten sich auf und bauten den Altar des Gottes Israels, um Brandopfer darauf zu opfern, wie geschrieben steht in dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes. Und sie richteten den Altar auf an seiner Stätte, denn ein Schrecken war auf ihnen vor den Völkern der Länder; und sie opferten auf ihm Brandopfer dem Jehova, die Morgen‑, und Abend‑Brandopfer" (V. 1‑3).

Während der 70 Jahre der Gefangenschaft war dieses arme, von Gottes Gericht getroffene Volk des Dienstes Jehovas beraubt gewesen. Der Tempel war zerstört, alle Schätze waren geraubt, der eherne Altar selbst war zertrümmert. Doch in dem Augenblick, da der Überrest sein Land wieder betritt, wird der Altar, das erste Symbol des Gottesdienstes, ohne den dieser nicht bestehen konnte, wieder aufgebaut.

Ein treffendes Vorbild, das zu unserer Belehrung bestimmt ist. In Haran hatte Abraham keinen Altar; erst als er die Grenze Kanaans überschritten hatte, erscheint der Altar. Infolge seines Zuges nach Ägypten verliert der Patriarch seinen Altar, nach seiner Rückkehr findet er ihn wieder. So ist der Altar mit dem Wohnen im Lande der Verheißung innig verbunden. Man muss zu dem himmlischen Kanaan gehören, um wirklich Gottesdienst ausüben zu können; ja, noch mehr, man muss sich dort befinden, von seinem Erbteil Besitz genommen haben, man muss verwirklicht haben, dass man aus der Gewalt der Finsternis befreit und in ein neues Reich, das Reich des Sohnes der Liebe des Vaters, versetzt ist. Nichts Geringeres als das ist nötig, um Gott Anbetung darbringen zu können, die Ihm wohlgefällig ist. Die Kirche Christi hat in ihrer Untreue diese Dinge aus dem Auge verloren. Aber sind wir in diesen Tagen des Endes aufgewacht, um wirklich dem Herrn zu dienen und Ihm Anbetung darzubringen? Wenn man die Christen heute fragt, was das Wort "Gottesdienst" bedeute, so beweisen die meisten durch ihre Antwort, dass sie nur eine schwache Vorstellung davon haben. Doch wir wollen uns bei diesem Gegenstand nicht länger aufhalten; lasst uns vielmehr sehen, worin der Gottesdienst für diesen armen Überrest bestand.

An erster Stelle können wir sagen, dass sie nicht sich selbst überlassen waren, um ihn zu bestimmen, denn sie hatten das Gesetz Moses und die Verordnungen Gottes. Auch wird in Vers 4 gesagt: "wie es vorgeschrieben ist", und "nach der Vorschrift". Das göttliche Wort unterwies sie bezüglich des Gottesdienstes nach dem Gesetz, wie es heute über den Gottesdienst nach dem Geiste unterweist. Es ist sehr wichtig zu beachten, welche Rolle das Wort in dem allem spielt. Es war für das Volk nicht die Frage, zu wissen, was andere zu tun gewohnt waren, sondern was das Gesetz Moses ihnen in Bezug hierauf offenbarte. Die Schriften hatten für den Überrest ihren Platz und ihren Wert wiedergefunden.

Zweitens verstand er, dass der Gottesdienst mit dem Altar verbunden war. Der Altar bildete den Mittelpunkt des Gottesdienstes wie der Tisch des Herrn für den Christen der Mittelpunkt des Gottesdienstes ist. Das Opfer wurde auf den Altar gebracht, und kraft des Opfers betete das Volk Gottes an, denn nur durch das Opfer konnte das Volk versöhnt und mit Jehova in Verbindung gebracht werden.

Sie errichteten den Altar an seiner Stätte. Da in Jerusalem alles in Unordnung war und in Trümmern lag, hätten sie sich mit einem beliebigen Platz zufrieden geben können, um dort ihren Altar zu bauen. Bietet die heutige Christenheit nicht gerade dieses Schauspiel dar? Jeder wählt seine Stätte, um da seinen Altar zu errichten, unter dem Vorwand, da ja doch der wahre Tempel zerstört sei, habe ein jeder die Freiheit, den Ort zu wählen, der ihm am besten gefalle. So war es nicht bei diesen Treuen. Sie kannten die Stätte des Tempels, des Vorhofs, des Altars, und an dieser Stätte, und an keiner anderen, errichteten sie den Altar, indem sie damit den von Gott bestimmten Mittelpunkt des Zusammenkommens und des Gottesdienstes für das Volk Gottes anerkannten. Sie wollten keinen anderen und kannten in den Tagen des Verfalls wie in denen des größten Gedeihens Israels keine andere Stätte als diese. Die Tenne Ornans auf dem Berge Morija blieb der einzige Platz, wo der Gottesdienst ausgeübt werden konnte.

Man beachte drittens, dass dieser anscheinend so arme und schwache Überrest sich nicht begnügte mit der Übereinkunft oder dem gegenseitigen Zugeständnis, den Altar an seiner Stätte zu errichten. Sie offenbarten praktisch die Einheit des Volkes, die durch den Altar in sichtbarer Weise dargestellt wurde. Ihr ganzes Verhalten war ein Zeugnis für diese Einheit: das Volk versammelte sich wie ein Mann nach Jerusalem. Dass ihre Wohnstätte fern von Jerusalem lag, hinderte sie keineswegs, zu dem Altar in Jerusalem (und nicht anderswohin) zu kommen, um dort der Einheit Ausdruck zu geben.

Gerade so ist es heute mit dem Tisch des Herrn: er ist, wie der Altar des Überrestes, die Offenbarung der Einheit des Volkes Gottes, die ihren Ausdruck findet in dem „einen Brote", an dem alle teilhaben. Die geringe Zahl der Juden machte wenig aus; so macht es auch wenig aus, ob wir nur zwei oder drei sind. Ob Israel aus der Gefangenschaft wieder heraufgezogen war, oder ob es noch an den Flüssen Babels weilte oder in den Städten Persiens und Mediens zerstreut wohnte, die Einheit des ganzen Volkes wurde durch den im Vorhof aufgerichteten Altar ausgedrückt. Es war für die ins Land Zurückgekehrten nicht die Frage, ob andere ihrem Beispiel folgen würden; als Grundlage ihres Handelns diente ihnen der durch Mose verkündigte Wille Gottes. Das Wort vereinigte sie; ihr Zusammenkommen war eine Tat des Gehorsams. Sie gehorchten, ehe sie sich an das Werk des Hauses machten; das sollte später kommen. Für den Augenblick wurde der Gottesdienst etwas Größeres als das Heiligtum und etwas Größeres als die Bundeslade oder der Thron zwischen den Cherubim, wiederhergestellt. Ist es nicht ebenso mit dem, was die Gläubigen heute um das Gedächtnis des Kreuzes Christi vereinigt, dieser gesegneten Stätte, wo das Lamm Gottes geopfert worden ist, das "geschlachtete Lamm", das wir als solches in der Herrlichkeit anbeten werden?

Doch es gab in der Errichtung des Altars noch etwas anderes als eine Tat des Gehorsams. Der jüdische Überrest war die Schwachheit selbst. Die feindlichen Völker, die in jenen Gegenden rings um sie her wohnten, waren wohl geeignet, ihnen Furcht einzuflößen. "Sie richteten den Altar auf an seiner Stätte, denn ein Schrecken war auf ihnen vor den Völkern der Länder" (V. 3). Wo sollten sie Schutz und Schirm gegen die Feinde finden? An keinem anderen Ort als vor dem Gott, Den sie an Seinem Altar aufsuchen wollten. Sie verwirklichten so durch den Glauben die Gegenwart Jehovas in dem Hause, das sie bauen wollten. Da, wo sich der Altar befand, konnte Gott wohnen. Was hatten sie hinfort zu fürchten? Sie konnten sagen: "Er wird mich bergen in seiner Hütte am Tage des Übels, er wird mich verbergen in dem Verborgenen seines Zeltes; auf einen Felsen wird er mich erhöhen. Und nun wird mein Haupt erhöht sein über meine Feinde rings um mich her; und Opfer des Jubelschalls will ich opfern in seinem Zelte, ich will singen und Psalmen singen Jehova" (Ps. 27, 5. 6).

Noch ein anderer Umstand ist der Beachtung wert: es war im siebten Monat, dass das Volk aus allen seinen Städten nach Jerusalem hinaufzog (V.‑1). Am ersten Tag dieses siebten Monats war das Fest des Neumondes, das durch Trompetenschall eingeleitet wurde (3. Mose 23, 24; 4. Mose 10, 10; Ps. 81, 3). Dieser Tag passte in bemerkenswerter Weise zu der Lage des aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Volkes und zu den Gnadenerweisungen, die Gott ihm soeben hatte zuteil werden lassen. Israel hatte einst die göttlichen Segnungen durch seine eigene Schuld verloren; das Licht der Herrlichkeit Jehovas, die das Volk hätte zurückstrahlen sollen, wie der Mond die Strahlen der Sonne zurückwirft, war verschwunden. Doch siehe da, der Neumond, das Bild des wiederhergestellten Volkes, begann wieder zum Vorschein zu kommen. Es war noch nicht der Glanz des vollen Mondes, aber das erste Viertel ließ die zukünftige Offenbarung der Herrlichkeit des Volkes Gottes ahnen. Welches bezeichnendere Fest hätte gewählt werden können? Es war ein Tag der Ruhe und der Freude (3. Mose 23, 24). Keine Trauer sollte ihn beeinträchtigen, und doch lag der Schrecken der sie umringenden Nationen auf ihnen! Seit dem ersten Tag dieses siebten Monats war der Altar errichtet, und das Morgen‑ und Abendbrandopfer wurde auf ihm dargebracht (V. 6); nicht das Sündopfer, sondern das Brandopfer, das wahre Bild des Gottesdienstes; und das Volk sollte fortfahren es darzubringen ohne Unterbrechung, bis der Tempel vollendet wäre.

Sollte es damit nicht ebenso sein in den gegenwärtigen Tagen, die eine solch treffende Übereinstimmung mit dem Buch Esra haben? Soll das Volk Gottes nicht auch seinen Altar besitzen und durch ihn unaufhörlich ein Opfer des Lobes darbringen, die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen, und soll es das nicht tun, bis "der heilige Tempel im Herrn" durch Sein Kommen vollendet wird (Hebräer 13, 10. 15; Epheser 2, 21; 1. Korinther 11, 26)?

Beachten wir noch einen sehr bemerkenswerten Punkt: der zehnte Tag des siebten Monats, der große Versöhnungstag, an dem das Volk seine Seele kasteien sollte (3. Mose 23, 26‑32), wird hier nicht erwähnt. In einer Zeit, die für das jüdische Volk noch kommen soll (vergl. Sacharja 12, 10‑14), wird dieser Tag keineswegs ausgelassen werden. Dann wird es eine große Wehklage in Jerusalem geben, "wie die Wehklage von Hadad‑Rammon im Tale Megiddo". Denn dann wird es sich darum handeln, wiederum, und zwar als König der Herrlichkeit den Messias anzunehmen, den das nämliche, in sein Land zurückgekehrte Volk des Buches Esra verworfen und gekreuzigt hat. Der zukünftige Überrest wird das Laubhüttenfest (Sacharja 14, 16) erst nach diesem großen Versöhnungstage feiern können.

So war es nicht in den Tagen Esras. Das Volk war zum Teil wiederhergestellt worden, um den Messias anzunehmen, wenn Er Sich Israel darstellen würde. Seine Verwerfung stand noch nicht in Frage, sondern es handelte sich darum, Ihn als den Gesalbten Jehovas anzunehmen. Infolge dessen kam noch nicht eine Demütigung des ganzen Volkes in Betracht, wie sie der große Versöhnungstag ausdrückt, sondern es handelt sich einfach darum, Ihn aufzunehmen, wenn Er kommen würde. Konnte es in Hinsicht auf diesen Augenblick im Herzen des Volkes etwas anderes geben als Freude? (Wir reden hier nicht von der Taufe zur Buße, die unmittelbar dem Kommen des Messias zu Israel vorhergehen sollte und nicht dem großen Versöhnungstag entsprach).

Im Buch Esra folgt daher das Laubhüttenfest (V. 4), das Fest des fünfzehnten Tages des siebten Monats (3 Mose 23, 34), unmittelbar auf den Neumond. Es war das Fest, an dem man nur fröhlich sein sollte (5.Mose 16, 13‑15.) Dieses Fest sollte stattfinden vom Eintritt in das Land Kanaan an, nach der Erlösung aus Ägypten und dem Pilgerzug durch die Wüste. Es wurde im Andenken an diesen Zug gefeiert, aber nicht mehr unter Zelten, die in der Sonnenhitze mitten im Sande der Wüste aufgeschlagen waren; nein, die Ruhe des verheißenden Landes war gekommen, das frische Laub der schönen Bäume des guten Landes bildete die Zelte, unter denen ein fröhliches Volk sich an die ehemaligen Beschwerden erinnerte. Hier im Buch Esra begegnen wir mit dem Laubhüttenfest gleichsam einem wiedergefundenen Kanaan, indem die Erscheinung des Messias erwartet wird, und es ist, wie wenn das Volk nie vorher das Land der Verheißung betreten hätte. In dem Buch Nehemia (Kap. 8, 9‑15) feiert der Überrest dasselbe Fest zum ersten Mal in vollständiger Weise, nach den Vorschriften des Gesetzes, während wir hier mehr den Platz finden, den das Laubhüttenfest in der Wiederherstellung des Volkes einnimmt.

Für die Gläubigen unserer Tage, die man den Überrest des christlichen Haushalts nennen könnte, entspricht dieses Freudenfest der himmlischen Stellung des Volkes Gottes, die als eine ganz neue und im Worte wiedergefundene Sache verwirklicht wird, nach den Jahrhunderten geistlicher Gefangenschaft, wo diese Stellung entweder vergessen oder doch aus dem Auge verloren war. Sie konnte übrigens, wie hier in Esra 3, nur mit der Errichtung des Altars, das heißt mit der Verwirklichung des Gottesdienstes, wieder ans Licht gebracht werden. Bei dem Gottesdienst muss die himmlische Stellung der Kirche notwendigerweise verstanden werden. Die Gläubigen der Gegenwart haben nicht eine irdische Religion wie das jüdische Volk. Der Gottesdienst führt sie in den Himmel ein, wenn auch äußerlich alles um sie her in Verfall ist, und die Kirche, wie der Tempel im Anfang des Buches Esra, nur noch einen Trümmerhaufen bildet. Auch trägt Esra Sorge, uns zu sagen: "Aber der Grund des Tempels Jehovas war noch nicht gelegt" (V. 6).

Noch eine dritte Segnung erwartet diesen armen Überrest. Im zweiten Jahre ihres Kommens zum Hause Jehovas in Jerusalem, im zweiten Monat (V. 8), werden die Leviten (die wie wir gesehen haben, für uns den Dienst darstellen) nach den Gedanken Gottes bestellt, um über das Werk des Hauses Jehovas Aufsicht zu führen. Hier, wie bei der Errichtung des Altars, offenbart das Volk seine Einheit, indem es "wie ein Mann" dasteht (V. 9). Da ist nicht die geringste Uneinigkeit zwischen ihnen bezüglich der Einrichtung des Dienstes nach dem Worte. Auch das ist ein wiedergefundener Segen. Der Epheserbrief, der unsere Stellung in Christo in den himmlischen Örtern ins Licht setzt, enthüllt uns auch die Rolle und den Charakter der Gaben, die Christus Seiner Kirche geschenkt hat (Epheser 4).

Nach diesen drei Dingen, ‑ Altar oder Gottesdienst, Laubhüttenfest oder die Freude der himmlischen Stellung, Einsetzung der Leviten oder der Dienst ‑, beschäftigt sich der Überrest mit der Grundlegung des Hauses.

Es war in der Tat für dieses arme Volk nicht damit getan, dass der Gottesdienst wieder hergestellt war, es musste auch der Bau des Hauses Gottes ganz von neuem beginnen. Welche Zerstörung dieses Haus auch erlitten haben mochte, ‑ und wie völlig war es dem äußeren Anschein nach durch Nebukadnezar zerstört worden! ‑ es wird im Worte doch immer als d a s H a u s betrachtet. Es hat nur eine Geschichte, nur ein Bestehen in Gottes Augen während der verschiedenen Wandlungen, die es im Erbauen oder Zerstören durchgemacht hat. Wiederaufgebaut, ist es für Gott nicht ein neuer Tempel, sondern derselbe Tempel mit verschiedener Herrlichkeit. Darum wird in Haggai bezüglich des ,von dem Überrest zur Zeit Serubbabels wiederaufgebauten Tempels gesagt: "Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses" (eine Anspielung auf den Tempel im Tausendjährigen Reich, den der Herr mit Seiner Herrlichkeit erfüllen wird), "wird größer sein als die erste" (eine Anspielung auf den Tempel Salomos).

Diese Bemerkung ist sehr wichtig für die gegenwärtige Zeit. Inmitten der Trümmer der Christenheit, welche die Kirche Christi hätte sein sollen, die sich aber mit der Welt vereinigt hat, indem sie ihr Zeugnis aufgab, sind die Christen, die diesen Zustand erkennen und sich darüber demütigen, nichtsdestoweniger berufen, an dem Aufbau des Hauses Gottes zu arbeiten. Nicht dass Gott sie beriefe, ein neues Haus zu errichten, denn es gibt und wird immer nur ein Haus Gottes geben, nur eine Kirche Christi. Die von dieser Wahrheit überzeugten Christen werden vor der Forderung zurückschrecken, Kirchen zu errichten*), die der Herr nicht gutheißen und niemals anerkennen wird. Christus hat e i n e Kirche, e i n e n Leib, e i n e Braut, welche Er geliebt und für die Er Sich Selbst hingegeben hat. Er hat ein Haus auf der Erde, und in Ihm Selbst, dem kostbaren Eckstein, wächst der ganze Bau zu einem heiligen Tempel im Herrn, zu einer Behausung Gottes im Geiste.

Das alles ist Sein Werk. Aber Er hat dieses Werk auch der Verantwortlichkeitt Seines Volkes anvertraut; denn Er ist es nicht allein der Baumaterial, lebendige Steine, hinzufügt, sondern auch wir sind gehalten, der Heiligkeit dieses Bauwerks entsprechendes Material herbeizubringen. Dieses Material ist im Laufe der Zeit mit Holz, Heu und Stroh (zerstörenden Lehren, oder dem Hause Gottes fremden Personen) vermengt worden, während es nur aus Gold, Silber und köstlichen Steinen hätte bestehen sollen (1.Korinther 3), und das Bauwerk ist verderbt worden wie sein Gegenbild, der Tempel zu Jerusalem; doch das verhinderte keineswegs, dass dieser Bau auch weiterhin dem Volke Gottes anvertraut ist. In seiner Verantwortlichkeit, das Werk zu einem guten Ende zu. führen, hat dieses Volk gefehlt, aber es ist dennoch berufen, daran zu arbeiten, als wenn sich alles in einem regelrechten Zustand befände.

Zur Zeit Serubbabels waren sogar die Grundlagen des Tempels zerstört, und es handelte sich darum, sie von neuem zu legen (V. 6 u­10). Konnten sie von den Grundlagen des Tempels Salomos verschieden sein? Keineswegs: die Leviten, die dazu bestellt waren, unter dem Beistand der Priester "Aufsicht zu führen über das Werk des Hauses Jehovas" und "über die, welche das Werk am Hause Gottes taten" (V. 8 u. 9), mussten alles nach den im Anfang durch David, den König von Israel, gegebenen Anweisungen machen (V. 10). So auch heute; wer auch die Arbeiter sein mögen, kein anderer Grund kann gelegt werden als Jesus Christus. Auf diesen Felsen, sagt der Herr, will ich meine Versammlung bauen; und der Apostel Paulus seinerseits hatte als ein weiser Baumeister sich dieser Aufgabe entledigt, indem er denselben Grund legte (1. Kor 3, 10), und zwar so, dass niemand das Recht hat, anders zu handeln wie er.

Zur Zeit des Buches Esra, wie in den gegenwärtigen Tagen, kann der Grund kein neuer sein, aber nach den Jahrhunderten, während deren er aufgegeben war, ist er wiedergefunden und gleichsam neu gelegt worden, da er allein fähig ist, das Haus, die Versammlung Gottes, zu tragen.

Wir müssen hier noch darauf hinweisen, dass die Wiedererbauung des Hauses Gottes unzertrennlich war von dem Ablegen des Zeugnisses über seinen Verfall und den des Volkes. Alles was der Überrest ausführte, tat er "gemäß der Vollmacht Kores', des Königs von Persien, an sie" (V. 7). Sie waren um ihrer Sünden willen den Nationen unterworfen und mussten beständig ein Bewusstsein von ihrer Lage haben, bis die herrliche Wiederherstellung des Volkes durch den verheißenen Messias kommen wird. Das ist es, was später die Makkabäer so wenig verstanden, und was das stolze Herz des Volkes zur Zeit Jesu so tief verletzte, dass sie Ihm zu sagen wagten: "Wir sind nie jemandes Knechte gewesen". Das Bewusstsein unseres Verfalls soll uns heute kennzeichnen, wie es das Volk zu Esras Zeit kennzeichnete. Wir können und sollen ihn nicht leugnen, noch seine Last von unseren Schultern abschütteln, sondern müssen die Demütigung, die darin liegt, tragen, indem wir zugleich das Haus Gottes wieder auf seine einzige wahre Grundlage stellen, auf Christum, mit den Aposteln und Propheten, die von Ihm gezeugt haben.

Die Priester und das ganze Volk feiern in dem Augenblick, da der Grund des Tempels neu gelegt wird, ein Fest des Lobes und des Dankes (V. 10‑13), und diese Tatsache, in Verbindung mit der Errichtung des Altars, ist von großer Bedeutung für uns. Inmitten des völligen Verfalls bleiben zwei Dinge unveränderlich: das Werk Christi und Seine Person, Christus, Altar und Grundlage, Christus unser Heiland und Der, auf den wir immer gebaut sind, Christus, der Gegenstand des Gottesdienstes und des unaufhörlichen Lobes der Seinigen. In den finsteren Zeiten, durch die wir gehen, unter der verdienten Demütigung und Schande, die unser Teil sind, können wir dennoch den Lobgesang der Zukunft singen, ‑ denn Er hat sich nicht verändert ‑, So wie wir hier den Überrest inmitten der Verwüstung seiner Geschichte und der Trümmer Jerusalems den Gesang der tausendjährigen Herrlichkeit anstimmen hören. "Sie hoben einen Wechselgesang an mit Lob und Dank dem Jehova: denn er ist gütig, denn seine Güte währt ewiglich über Israel" (V. 11). Er ist Derselbe, Seine Liebe verändert sich nicht und wird völlig geoffenbart werden, wenn Er Sein geliebtes Volk in Seine eigene Herrlichkeit einführen wird.

Doch konnten inmitten dieser Freude auch Trauer und Schmerz nicht fehlen; und das ist wieder ein Kennzeichen, das dem Überrest von damals und von heute gemeinsam ist. Der Tempel, den sie bauten, konnte nicht mit dem Tempel Salomos verglichen werden; die jetzige Kirche kann nicht in Vergleich gestellt werden mit dem, was sie war, als sie durch die Kraft des Heiligen Geistes, als Zeugin des in die Herrlichkeit aufgefahrenen Christus, gebildet wurde. Die Freude konnte unvermischt sein bei denen, die noch jung waren und von dem Vergangenen kein Bewusstsein hatten. Sie waren Zeugen einer Art Auferweckung des Volkes und sahen darin das wunderbare Einschreiten der Gnade Gottes. Wer hätte sie also hindern wollen, sich zu freuen? Doch die Priester, die Leviten und die Häupter der Väter weinten, weil sie mehr in Gemeinschaft mit Gott waren und daher ein tiefes Bewusstsein von der Unehre hatten, die Seinem Namen angetan worden war; und die Alten weinten, weil sie bessere Zeiten gekannt hatten.

Dieses Gemisch von Freude und lautem Weinen stieg hinauf zu Gott; es war so miteinander vermengt, dass man das eine von dem anderen nicht zu unterscheiden vermochte, und „der Schall wurde gehört bis in die Ferne". So sollen auch die, denen es heute am Herzen liegt, das Haus Gottes zu bauen und seine zerstörte Grundlage zu legen, durch ihr Verhalten erkennen lassen, dass wahre Demütigung über ihren Zustand nicht von der Freude getrennt werden kann, welche sie genießen, indem sie das Werk und die Person Christi als einzige Grundlage der gegenwärtigen Segnungen preisen.

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Der gebissene Israelit

Bibelstelle: 4. Mose 21

Botschafter des Heils 1913 S. 241ff

Im Anschluss an das bisher Betrachtete lasst uns noch ein wenig eingehender über den Herrn Jesum sinnen, wie Er uns in Verbindung mit diesen Dingen im Evangelium Johannes vor Augen gestellt wird. In der Stunde, von welcher unsere Erzählung berichtet, gab es für nichts anderes Zeit, als für einen Blick, und zwar für einen Blick auf die erhöhte Schlange. Es hätte einem gebissenen Israeliten nichts genützt, sich mit irgendeinem anderen Gegenstand zu beschäftigen. Wenn er nicht auf die Schlange blickte, so lag der Tod vor ihm. Ein Entrinnen gab es nicht. Und irgend einer seiner israelitischen Brüder hätte ihm keinen besseren Dienst erweisen können, als wenn er sein umherschweifendes Auge oder seine abirrenden Gedanken auf die eherne Schlange gelenkt hätte.

In ähnlicher Weise handelt der Herr selbst mit Nikodemus in Joh. 3. Nikodemus war zu Jesu gekommen als zu einem Lehrer. Der Herr gibt seinen Gedanken sofort eine andere Richtung und lässt ihn wissen, dass er zu Ihm kommen müsse als zu einem Heiland, einem lebengebenden Retter. Nikodemus suchte Belehrung; der Herr sagt ihm, dass ihm Leben not tue. Nachher führt Er die Unterredung so, dass jeder Gedanke des Nikodemus auf die in der Wüste erhöhte Schlange gelenkt wird. Er belehrt ihn, dass er, gleich allen gebissenen Israeliten, auf dem Wege zum Tode sei, dass aber die eherne Schlange, Gottes Heil und Lebensquelle, wieder im Lager sei, und dass von neuem der Blick des Glaubens getan werden müsse, dass dieser Blick gleichsam zwischen den Biss und den Tod treten müsse, anders würde das Reich verscherzt werden und der Sünder verloren gehen.

Zur gleichen Geiste ist der Herr im ganzen Evangelium Johannes bemüht, den Blick derer, die zu Ihm kamen, von jedem anderen Gegenstand ab und aus die erhöhte Schlange hin zu lenken. Er will in keinem anderen Charakter handeln als in dem eines Heilandes. Wenn Menschen aus anderem Boden und zu anderen Zwecken zu Ihm kommen wollen, weist Er sie ab. Einer mag sich an Ihn wenden als an einen Wundertäter, ein anderer Ihm schmeicheln als einem König, ein dritter Ihn auf den Thron eines Richters setzen wollen, ein vierter endlich, wie Nikodemus, mag zu Ihm kommen, um tiefe, geheimnisvolle Unterweisungen über den Himmel zu empfangen - aber der Herr hat kein Wort des Willkomms für sie alle. Wenn aber ein überführter Sünder vor Ihm steht, wenn ein gebissener Israelit zu Ihm als der erhöhten Schlange ausschaut, sich an Ihn, den von Gott bestimmten Retter und Lebensspender, wendet, dann antwortet Er sofort, und Leben und Heilung werden mitgeteilt.

Welch ein Trost ist das! Welch eine Gnade ist in Christo, und welch eine Befreiung und ein Segen für uns! Wie erquickt es das Herz, Gott in einem solchen Charakter zu begegnen und den Jesus des Evangeliums Johannes so eifersüchtig darüber wachen zu sehen, dass wir Gott nur in diesem Charakter erblicken! Nikodemus musste durch eine lange und geduldige Erziehung gehen, ehe er dem Herrn den Blick eines gebissenen Israeliten schenken konnte. Aber schließlich tat er es, und dann war es ein gesegneter und gründlicher Blick. (Vgl. Joh. 19.) Wie kostbar, dass der Blick, der einst inmitten des Lagers Israels (zur Zeit von 4. Mose 21) gepredigt wurde, wieder und wieder seine Verkündigung gefunden hat durch den Herrn Jesus selbst, den Jehova Israelzsund zugleich die wahre eherne Schlange!

Doch mehr noch. Der Herr Jesus lässt uns in dem Evangelium Johannes auch wissen, wie Er jenen Glaubensblick willkommen heißt, wann irgend er sich auf Ihn richtet, und wie unmittelbar Er ihn beantwortet mit göttlicher Heilung und Errettung. Wir sehen das schon im 1. Kapitel in dem Falle des Andreas und seines Gefährten und gleich nachher bei Nathanael. Wir begegnen ferner einem schönen und herzlichen Ausdruck dieses Willkomms in Seinem gnadenvollen Verkehr mit dem Weibe am Jakobsbrunnen im 4. Kapitel, wie auch in den Worten, die Er an das arme Weib im 8. Kapitel richtet. Wir lauschen ihm mit inniger Freude in Seinen Worten an Petrus im 6. Kapitel, wenn Er sich an ihn wendet, weil die Volksmenge sich weigerte, Ihm jenen Blick zu schenken. Einem weiteren Zeugnis gleicher Art begegnen wir im 12. Kapitel, wenn der Herr von sich selbst redet als der erhöhten Schlange und in dem Gedanken frohlockt, dass Er, wenn Er einmal erhöht sei, alle Menschen, Juden und Heiden, zu sich ziehen werde. (s. Vers 32.)

Das sind Charakterzüge, die wir in dem Vorbilde von 4. Mose 21 vergeblich suchen. Dort finden wir keinen Israeliten, der in der innigen Zuneigung des Heilandes im Evangelium Johannes mit Ernst und Sorgfalt das Auge seines gebissenen Bruders aus die eherne Schlange gelenkt hätte. Die Darstellung dieser liebenden Herzensübung war dem Herrn selbst vorbehalten. Auch finden wir dort kein ermunterndes Wort von Seiten der ehernen Schlange (es ist ja nicht möglich), keinen Willkommensgruß. Auch das war dem wahren, lebendigen und göttlichen Retter der durch den Biss der alten Schlange verderbten Sünder vorbehalten. In Ihm allein finden wir diese kostbaren Dinge. Und so gilt auch hier wieder im besonderen Sinne das Wort: „Nicht die Hälfte hat man mir gesagt". Das Vorbild, so schön und ergreifend es sein mag, ist doch nur ein Vorbild. Die Wirklichkeit übertrifft bei weitem das Gerücht, das wir von ihr gehört haben. — Glücklich, dreimal glückselig alle jene Armen, die im Glauben zu der ehernen Schlange aufschauen, wie sie in dem Evangelium des Johannes vor ihren Augen erhöht ist! Sie finden da nicht nur Heilung und Leben, sondern auch einen herzlichen Willkommen.

Doch wir sind noch nicht am Ende. Demselben Ernst und derselben brennenden Liebe, die wir in dem Sohne entdeckt haben, begegnen wir auch in dem Heiligen Geiste. So z. B. in dem Briefe an die Galater. Mit welch einem Eifer ist Paulus dort, im Geiste, beschäftigt, das Auge der Galater auf den gekreuzigten Christus gerichtet zu halten oder es wieder dahin zurück zu lenken! Er sucht sie aufzuwecken durch den Hinweis auf mögliche Zauberei. „O unverständige Galater! wer hat euch bezaubert?“ Er tadelt sie scharf und macht ihnen die ernstesten Vorstellungen. Er fürchtet für sie und hat abermals Geburtswehen um sie. In ergreifender Weise und in den warmen Tönen innigster Zuneigung erinnert er sie an vergangene gesegnete Tage und stellt diese den gegenwärtigen gegenüber. Er rechtet mit ihnen, erzählt ihnen seine eigene Geschichte und schildert seinen Herzensvorsatz hinsichtlich dieses großen Gegenstandes, des gekreuzigten Christus Gottes. Er erinnert sie daran, wie er selbst aus Ihn geblickt habe und immer noch auf Ihn blicke, um durch den Glauben an Ihn zu leben, und wie er nur dieses Gekreuzigten sich rühme.

Das alles ist von ausnehmender Schönheit. Der Heilige Geist in dem Apostel steht gleichsam in Gemeinschaft mit dem Sohne Gottes bei Johannes; der Schatten, das Vorbild, wird durch den Körper, das Wesen, unendlich weit übertroffen. In den göttlichen Originalen (wenn ich sie so nennen darf) zeigen sich Zuneigungen, Liebeszüge, die in dem Vorbilde niemals zum Ausdruck gebracht werden konnten.

Und nun möchte ich fragen: Gibt es noch weitere Geheimnisse, die sich bei einem Vergleich unseres Kapitels mit dem Evangelium Johannes vor unseren Blicken enthüllen? Ja, das Licht, das dort so lieblich scheint, strahlt hier, in Joh. 3, noch heller und reiner. So verbindet der Herr hier z. B. den Blick auf die erhöhte Schlange mit der neuen Geburt. Das konnte in 4. Mose 21 nicht geschehen. Wohl mag in manchem der geheilten Israeliten ein neues Leben sich gezeigt haben, denn zu dem Blick auf die Schlange war Glaube erforderlich, und der Gebissene atmete im Hinschauen gleichsam ein neues, ein Auserstehungs-Leben. Das so gewonnene Leben war ein dem Tode entrissenes, siegreiches Leben. Grundsätzlich könnten wir es deshalb ewiges Leben nennen, gleichwie die heilende Kraft Gottes, der auserstandene, siegreiche Sohn Gottes, es den Auserwählten einhauchte. Ich meine selbstverständlich nicht, dass jeder Israelit, der zu der Schlange ausschaute, in dieses ewige Leben eingeführt worden sei. Es ist unnötig, das zu sagen. Aber wir finden in dem Vorbilde den Ausdruck davon, und in Joh. 3 begegnen wir dem Wesen, der Wirklichkeit. Der Herr selbst belehrt uns dort, dass ein Glaubensblick auf die wahre eherne Schlange ewiges Leben mit sich bringt. „Und gleichwie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, also muss der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe." (V. 14. 15.) Dieselbe Wahrheit wird in 1. Petr. 1 deutlich gelehrt: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes". (V. 23.) Und weiterhin belehrt uns der inspirierte Apostel darüber, wo und wann dieses Wort, der Same des ewigen Lebens, aufgenommen werden kann, indem er sagt: „Dies aber ist das Wort, welches euch verkündigt (eig. evangelisiert) worden ist". Das Evangelium ist die Verkündigung der Kostbarkeit und der Tugenden des Lamines Gottes, der wahren ehernen Schlange, die allein verlorene, durch die Lüge der alten Schlange zu Grunde gerichtete Sünder retten und heilen kann.

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Der Regenbogen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 247ff

Als die Wasser der großen Flut sich verlaufen hatten, nahm die Familie Noahs, die allein übriggeblieben war, - im Ganzen 8 Seelen, - Besitz von der neuen, durch das Gericht gereinigten Erde. Noah baute einen Altar und opferte Brandopfer darauf. „Und Jehova roch den lieblichen Geruch, und Jehova sprach in Seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen, denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht mehr will ich hinfort alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe. Forthin, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, und Frost und Hitze, und Sommer und Winter, und Tag und Nacht“ (1. Mose 8, 21. 22).

Die Reinigung der Erde durch das Wasser des Gerichts hatte in dem Dichten und Trachten des Menschen als solchen keinen Umschlag bewirkt; er blieb völlig unverändert, er war und blieb böse, nur böse.

„Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch“, und, wie es in Prediger 9, 3 heißt, „das Herz der Menschenkinder ist voll Bosheit, und Narrheit ist in ihrem Herzen während ihres Lebens“. In dem Menschen war nichts, das Jehova Gedanken des Friedens über ihn hätte eingeben können; diese Gedanken wurden allein durch das Blut aus dem Altar Noahs aus Gottes Herzen hervorgelockt. Das kostbare Blut Christi stand vor den Augen Gottes.

Gott segnet Noah, errichtet mit ihm und seinen Nachkommen den Bund, den Er ihm verheißen hatte (s. 1.Mose 6, 18), und sichert ihn. Er verheißt Noah, dass die Wasser nicht mehr zu einer Flut werden sollen, um die Erde zu verderben. Die vorige Welt war, vom Wasser überschwemmt, untergegangen, die jetzige sollte von solchem Verderben verschont bleiben. Dieser Bund zwischen Gott und dem Menschen gründete sich also auf das vergessene Blut, und als Unterpfand für Seine Verheißung, als Siegel für Seinen Bund, setzte Gott den Regenbogen in die Wolken. „Und der Bogen wird in den Wolken sein, und ich werde ihn ansehen, um zu gedenken des ewigen Bundes zwischen Gott und jedem lebendigen Wesen von allem Fleische, das auf Erden ist. Und Gott sprach zu Noah: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich er-richtet habe zwischen mir und allem Fleische, das auf Erden ist“ (1. Mose 9, 16. 17).

Der Regenbogen ist demnach das Zeichen des von Gott mit der ganzen Erde geschlossenen Bundes. Der Herr sagt gewissermaßen damit: Wenn die drohende Wolke kommt, wird der Bogen bei ihr sein; mit dem Vorboten des Gerichts erscheint zugleich das Zeichen des Friedens. Die Schrift belehrt uns, dass Gott in all Seinen Regierungswegen an Seine Verheißung gedacht hat und ihrer auch in Zukunft gedenken wird. Die Erde ist bis zum heutigen Tage nicht wieder zerstört worden, denn Gott hat zu allen Zeiten den Regenbogen in den Wolken vor Seinem Auge.

Die Sünden des Volkes Israel führten, wie wir in dem Propheten Hesekiel lesen, dazu, dass Gott Seinen Thron in Zion, Seinen Sitz über den Cherubim im Tempel zu Jerusalem, aufgeben musste, und dass die Herrlichkeit aus dem Heiligtum entschwand. Doch wenn der Thron Gottes in den Himmel zurückkehrte, so war er vom Regenbogen begleitet. (Hes. 1, 28.) Das will sagen: Mochte auch die Erde für eine Zeit aufhören, der Wohnplatz Gottes zu sein, so blieb sie doch - das beweist der mitgenommene Bogen — in Seinem wohlwollenden Gedächtnis.

In Übereinstimmung damit zeigt sich in dem geöffneten Himmel von Offenb. 4 der Thron Gottes umgeben von dem lieblichen Zeichen der Segnung unserer Erde. „Ein Regenbogen war rings um den Thron“ (V. 3). Eingedenk Seiner der Erde gegebenen Verheißung hat Gott Seinen Thron mit dem Unterpfand ihrer Sicherheit umgeben. Das stellt das Schicksal der Erde sicher auch während der gegenwärtigen Zeit, in welcher der Herr sich ein Volk für den Himmel sammelt. Noch erfüllt Er nicht die Erde mit Seiner Herrlichkeit, aber Er gedenkt ihrer nach Seiner Verheißung. Er sieht den Bogen an und gibt der Erde Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter und Tag und Nacht in regelmäßigem Wechsel.

Doch noch mehr. Wenn später der Herr zur sofortigen und unmittelbaren Ausführung des Gerichts schreitet, zeigt sich wiederum der Regenbogen. Ein starker Engel kommt aus dem Himmel hernieder, „bekleidet mit einer Wolke, und der Regenbogen ist auf seinem Haupte“ (Offb. 10, 1). Wohl umhüllt ihn eine Wolke, das Sinnbild des Gerichts, aber auf seinem Haupte glänzt der Regenbogen. Die Wolke muss herabkommen, - „man wird den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels", das Gericht muss stattfinden, die Schalen des Zornes müssen ausgegossen werden, nicht aber um die Erde, sondern „um die zu verderben, welche die Erde verderben" (Offbg. 11, 18). Sobald aber die Wolke ihre Aufgabe erfüllt hat, muss sie auf Geheiß des Regenbogens innehalten. Der Tag des Herrn, oder das Gericht, muss der Gegenwart des Herrn, der Wiederherstellung und Erquickung, Platz machen. Denn die Erde ist immer noch geliebt um Noahs willen, — jenes wahren Noah, in dem (und nur in dem) alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind, und von dem in seiner ganzen Bedeutung die Prophezeiung Lamechs über seinen Sohn Noah gilt: „Dieser wird uns trösten über unsere Arbeit und über die Mühe unserer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova verflucht hat" (1. Mose 5, 29).

So wird denn unsere Erde jenes Gericht überdauern und den gewaltigen Ansturm des starken Engels aushalten, „der seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken auf die Erde stellt und mit lauter Stimme ruft, wie ein Löwe brüllt" (Offb. 10, 2. 3). Ja, sie wird noch Höheres erfahren, als ihr der Regenbogen verheißt. Nicht nur werden Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht regelmäßig aus ihr wiederkehren, sondern sie wird für tausend Jahre freigemacht werden „zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes".

Welch ein schönes, ausdrucksvolles Bild ist doch der Regenbogen! Die Strahlen der Sonne, mit erhöhter Pracht von den Wolken zurückgeworfen, scheinen in unser Herz. Sie reden von dem Bunde Gottes mit der ganzen Erde und von Seiner überströmenden Treue, die weit über das Verheißene hinausgeht, und erinnern den Menschen daran, dass über den Wolken ein heiliger Gott lebt, der in Gnade an die Erde und an des Menschen Erdenwallen denkt.

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Denen die Ihn lieben

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 251ff

Wenn Gottes Auge auf diese Erde herabschaut, so entdeckt es unter den vielen Millionen, die sie bevölkern, eine Anzahl Menschen, die in besonderer Beziehung zu Ihm stehen - nicht nur als Seine Geschöpfe, die im Blick aufs Leben, Unterhalt usw. von Seiner Güte und Treue abhängen, sondern als neugeschaffene Wesen, als solche, die aus Ihm geboren, die Seiner Natur teilhaftig geworden sind. Sie unterscheiden sich so völlig von ihrer Umgebung, dass der Herr von ihnen sagen kann: „Sie sind nicht von der Welt" — „du hast sie mir aus der Welt gegeben" (Joh. 17). Ihre ganze Natur ist umgestaltet. Aus Hassenswürdigen und einander Hassenden sind Menschen geworden, die „lieben" können, weil Gott sie „zuerst geliebt" hat. Einst Feinde Gottes, dem Leben aus Gott entfremdet, jetzt geliebte Kinder, in deren Herzen die Liebe Gottes ausgegossen ist — ein ganz neues Geschlecht, von Gott selbst, aus der Gewalt der Finsternis errettet und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe (Kol. 1, 13).

Mit einem Wort: es sind die, „die Gott lieben", und die deshalb einen so unermesslichen Wert für Ihn haben, dass Er das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist", für sie bereitet und ihnen offenbart hat. Sie sollten die Dinge kennen, die ihnen von Gott geschenkt sind, sie sollten die Mitwisser Seiner geheimsten Gedanken und Ratschlüsse werden. (1. Kor. 2; vgl. Eph. 1, 8 -10 u. a. St.).

Und nicht nur das. Wir wissen auch, „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken". (Röm. 8, 28.) Nach Vorsatz berufen, zuvor bestimmt, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichgestaltet zu werden, steht ihr ganzer Erdenweg unter der Leitung der liebenden und weisen Vaterhand Gottes. Wie könnte denen, die Gott lieben, ein Haar gekrümmt werden ohne Seinen Willen?

Doch mehr noch: Denen, „die Ihn lieben", hat Gott ein „Reich“ verheißen, ja, eine „Krone des Lebens". (Jak. 1, 12; 2, 5.) Mögen sie deshalb auch zu den „weltlich Armen" gehören oder manche Versuchung, manches Ungemach zu ertragen haben, sie sind glückselig zu preisen.

Ganz ergreifend ist die Antwort, die der Herr dereinst dem jüdischen Überrest geben wird auf dessen Frage: „Was sind das für Wunden in deinen Händen?" Wie wird es sie in den Staub beugen und zugleich mit Bewunderung und Anbetung erfüllen, wenn sie von Seinen Lippen die Antwort vernehmen werden: „Es sind die Wunden, womit ich geschlagen worden bin im Hause derer, die mich lieben!" (Sach. 13, 6.) Fürwahr, unser Gott ist ein großer Gott, und wunderbar ist Sein Name und Sein Tun.

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Betrachtungen über das Buch Esra

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1913 S. 253ff

Kapitel 4 - Die Arbeit wird unterbrochen

Bisher hatte das Volk sich in seinem Zeugnis treu gezeigt, und Jehova hatte ihm beigestanden und es ermuntert. Doch das passte dem Feind nicht. Er kann nicht ertragen, das Werk Gottes in dieser Welt gedeihen zu sehen. Er sucht es sogleich zu verderben. Um diesen Zweck zu erreichen, hat er mehr als ein Mittel. Gott kennzeichnet hier die Werkzeuge Satans durch das Wort: "die Feinde Judas" (V. 1). Sie gehörten Völkern an, welche die Könige von Assyrien nach ihrer Unterwerfung in andere Gegenden wegzuführen pflegten. Der Politik Salmanesers folgend (2. Könige 17 3), hatte Esar‑Haddon, der Sohn Sanheribs, die Stämme Israels, die er in Gefangenschaft führte, durch Völker aus ganz anderen Ländern ersetzt, die er in den Städten Samarias und in dem westlich vom Euphrat gelegenen Gebiet ansiedelte (V. 10). Das zweite Buch der Könige (Kap. 17, 33) berichtet uns von dem religiösen Zustand dieser Völker, dass sie ihre Götter beibehielten, während sie zugleich den Gott Israels anerkannten und so, nach dem biblischen Ausdruck, "Jehova fürchteten und ihren Götzenbildern dienten".

Diese Vermengung, die nicht dem reinen Götzendienst gleichgestellt werden kann, lässt uns an das Gemisch denken, das sich heute Christenheit nennt, unter welcher Form sie sich auch zeigen mag, von dem römischen Marien‑ und Bilderdienst bis zu den feineren Formen der protestantischen Christenheit, wo die Anbetung des wahren Gottes mit der sittlichen Finsternis der Welt verbunden wird, und wo das Bekenntnis keinerlei Übereinstimmung mehr hat mit dem, was das Volk Gottes kennzeichnen soll. Diese einer götzendienerischen Vermischung entsprossenen Leute erbieten sich, mit dem Volke der Juden zu bauen; aber welches Material vermochten sie zum Hause Gottes zu bringen? Unmöglich konnte ihre Arbeit von dem Volke angenommen werden, , wenn dieses sonst ' treu zu bleiben wünschte. Sie kommen heran und sagen: "Wir wollen mit euch bauen; denn wir suchen euren Gott wie ihr; und ihm opfern wir seit den Tagen Esar‑Haddons, des Königs von Assyrien, der uns hierher heraufgeführt hat" (V. 2). Hat das nicht Ähnlichkeit mit dem, was wir in unseren Tagen sehen? Und weiter: Sind die Kinder Gottes von heute ebenso treu wie der Überrest damals? Verstehen sie, dass das Werk Gottes auf seiten derer, denen es anvertraut worden ist, keinerlei Vermengung mit der Welt ertragen kann? Nur denen, die ihr "Geschlechtsregister‑Verzeichnis" beibringen können, die also einen Teil des Israels Gottes ausmachen, kommt es zu, in dieser Welt etwas für den Herrn zu bauen. Hören wir, was der Überrest unverzüglich antwortet: "Es geziemt euch nicht, mit uns unserem Gott ein Haus zu bauen; sondern wir alle wollen Jehova, dem Gott Israels, bauen, wie der König Kores, der König von Persien, uns geboten hat" (V. 3). Es war durchaus nicht geistlicher Stolz, der sie so reden ließ; denn sie erkennen ihre Abhängigkeit von dem König der Heiden als Folge ihrer Untreue an, aber sie haben verstanden, dass sie allein zu diesem Werke berufen sind ‑ sie können sich in keiner Hinsicht mit dem religiösen Charakter der sie umgebenden Völker vereinigen. Mögen sie auch unter ihnen leben, ihren Obersten Ehre erweisen und ihrem König gehorchen, so ist ihnen doch jede Verbindung mit diesen Völkern untersagt; sie verabscheuen das religiöse Verderben und weisen es ab.

Wenn der Feind sich als Freund vorstellt, dann gilt es ganz besonders, wachsam und auf der Hut zu sein. Und siehe da, dieselben Leute offenbaren, nachdem sie zurückgewiesen sind, sehr schnell ihren wahren Charakter: "Da suchte das Volk des Landes die Hände des Volkes Juda schlaff zu machen und sie vom Bauen abzuschrecken. Und sie dingten Ratgeber wider sie, um ihren Plan zu, vereiteln, alle die Tage Kores, des Königs von Persien, und bis zur Regierung Darius', des Königs von Persien" (Verse 4 u. 5). Das Volk war fest geblieben und hatte den Listen und Ränken, den Merkmalen der alten Schlange, widerstanden. Aber es erschrickt, wenn der Feind als ein brüllender Löwe kommt; es vergisst ganz, dass er ein besiegter Feind ist, und dass er vor dem flieht, der ihm standhaft widersteht.

Der Hass der Feinde bleibt nicht dabei stehen, Israel zu erschrecken. Sie dingen Ankläger wider das arme, unterdrückte Volk. Ihr Brief an A r t a s a s t a *) beweist es: "Es sei dem König kundgetan, dass die Juden, die von dir heraufgezogen, zu uns nach Jerusalem gekommen sind; sie bauen die aufrührerische und böse Stadt wieder auf, und vollenden die Mauern und bessern die Grundlagen aus. So sei nun dem König kundgetan, dass, wenn diese Stadt wieder aufgebaut wird und die Mauern vollendet werden, sie Steuer, Zoll und Weggeld nicht mehr geben werden, und solches schließlich die Könige benachteiligen wird. Weil wir nun das Salz des Palastes essen und es uns nicht geziemt, den Schaden des Königs anzusehen, deswegen senden wir und tun es dem König kund, damit man in dem Buche der Denkwürdigkeiten deiner Väter nachsuche; und du wirst in dem Buche der Denkwürdigkeiten finden, und wirst erkennen, dass diese Stadt eine aufrührerische Stadt gewesen ist, und nachteilig den Königen und Ländern, und dass man von den Tagen der Vorzeit her Empörung darin gestiftet hat, weswegen diese Stadt zerstört worden ist. Wir tun dem König kund, dass, wenn diese Stadt wieder aufgebaut und die Mauern vollendet werden, du deshalb diesseits des Stromes kein Teil mehr haben wirst" (V. 12 ‑ 16).

Beachten wir, dass sie nicht das Volk anklagen, weil es den Tempel wieder aufbaute; sie sagen kein einziges Wort von dem Tempel, sondern reden nur von der Stadt. Man entdeckt leicht ihre Absicht. Sie wollen die Sammlung des Überrestes verhindern, weil Sammlung dem Feinde jede Macht über das Volk Gottes nehmen würde: "Wenn diese Stadt wieder aufgebaut wird und die Mauern vollendet werden, wirst du deshalb diesseits des Stromes kein Teil mehr haben". Blieb dagegen das Volk zerstreut, so würde es leicht die Beute seiner Gegner werden. Gerade so widersetzt sich Satan heute dem Sammeln der Kinder Gottes; und wenn es ihm nicht gelingt, die Schafe zu verderben, macht er sie uneins und raubt und zerstreut sie.

Die damaligen Gegner machen vor dem König politische Gründe geltend, um die Sammlung des Volkes zu verhindern. Es waren die einzigen, die bei diesem arglistigen Monarchen und Thronräuber Gehör finden konnten. Er ließ feststellen, dass Jerusalem früher mächtige Könige gehabt habe, und dass nur neue Unruhe entstehen könne, wenn ihr Thron wieder errichtet würde, auch dass die Stadt sich immer gegen das fremde Joch aufgelehnt habe. Das genügte. Sobald die Gegner Israels die Ermächtigung erhalten hatten, die Arbeit zu verhindern, "gingen sie eilends nach Jerusalem zu, den Juden und wehrten ihnen mit Gewalt und Macht" (V. 23).

So vereinigten sich hier vier feindliche Elemente, um das Werk Gottes zu verderben: List, Einschüchterung, Anklage und Gewalt. Der Glaube allein hätte ihnen Widerstand leisten können; aber er fehlte diesem Volke Völlig, und so kam es, dass der Wiederaufbau des Hauses Gottes fünfzehn Jahre stillstand.

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4. Mose 24,3 - 6

Bibelstelle: 4. Mose 24,3 - 6

Botschafter des Heils 1913 S. 257

Wir bedürfen nicht „des Gesichts des Allmächtigen“, um zu erkennen, dass ein Gläubiger ein Gläubiger ist; noch haben wir enthüllte Augen“ nötig, um in dem Wandel unserer Brüder Widersprüche zu entdecken. Aber um die Schönheit und Herrlichkeit der Versammlung (Gemeinde) Gottes zu unterscheiden, müssen unsere Augen geöffnet sein, damit wir sehen, wie Gott sieht.

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Die Zerissenheit unter den Gläubigen in der Gegenwart - Ein Ruf an alle.

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 258ff

Schon im Alten Bunde gab es zahlreiche Gläubige auf der Erde, eine große Wolke von Zeugen, wie in Hebräer 11 gesagt wird. Auch fand der Herr bei Seinem Kommen einen treuen Überrest vor - ich erinnere an Zacharias, Elisabeth, Maria, Simeon und Hanna; aber diese Gläubigen standen, obschon sie durch das gemeinsame Band des Glaubens und des Wartens auf den Trost Israels verbunden waren, doch allein, voneinander getrennt. Um sie in eins zu versammeln, musste Christus sterben.

In der Mitte dieses Überrestes erschien Jesus. Er vereinigte sich mit denen, welche mit dem Bekenntnis ihrer Sünden zu Johannes dem Täufer kamen. Er trat in den Schafhof (Israel), den der Türhüter vor Ihm aufgetan hatte, ein, sammelte Seine eigenen Schafe um sich und, nachdem Er sie mit Namen gerufen, führte Er sie heraus. Die Wege Gottes mit Israel als Volk waren zu einem ernsten Abschluss gekommen. Israel hatte Seinen Messias verworfen, und nur Gericht blieb für das schuldige Volk übrig. Die „eigenen“ Schafe Christi wurden von den übrigen abgesondert, aber sie sollten nicht ohne Führer bleiben. Er selbst ging vor ihnen her. Er ließ Sein Leben für sie. Es gab auch noch andere Schafe, die nicht aus diesem Hofe waren. Auch diese würde Er bringen, Und es würde dann eine Herde und ein Hirte sein. (Vgl. Joh. 10, 1 - 16.) Durch Seinen Tod und Seine Auferstehung befreite Christus den treuen Überrest Seines irdischen Volkes und brachte ihn in eine neue Stellung. Zu dieser eröffnete Er gleichzeitig den armen Heiden den Zugang, was Er der am Grabe weinenden Maria gegenüber mit den Worten andeutete: „Ich fahre aus zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh. 20, 17). In dieser neuen, durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi geschaffenen Stellung, in diesem von Ihm gebrachten Frieden und mit dem Geist des Lebens, den sie von dem zweiten Menschen, dem letzten Adam, empfingen, durften jetzt die versammelten Jünger zweimal, je am ersten Tage der Woche, die persönliche und sichtbare Gegenwart des Auferstandenen genießen.

Die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes konnte erst zur Wahrheit werden, nachdem der Herr in den Himmel aufgefahren war. Er wurde am Pfingsttage auf die versammelten Gläubigen ausgegossen. (Apg. 2,) Diese Versammlung setzte sich zunächst zwar nur aus dem jüdischen Überrest zusammen, die Samariter und die Heiden fanden erst später (Apg. 8 u. 10) darin Platz; aber als Folge des Todes und der Auferstehung Jesu und des Herniederkommens des Heiligen Geistes auf diese Gläubigen gab es von da an eine Versammlung, oder Gemeinde, als eine unterschiedliche, von Israel und den Nationen getrennte Körperschaft. Die bisher alleinstehenden Gläubigen waren jetzt alle in eins versammelt.

Diese erste Versammlung am Pfingsttage erscheint uns also als eine Vereinigung von Personen, die durch den Tod und die Auferstehung des Herrn und durch das gemeinsame Empfangen des Heiligen Geistes zustande gebracht war. Der durch die Schriften Pauli offenbarte Charakter dieser Versammlung, als vereinigt mit Christo, dem zur Rechten Gottes „als Haupt über alles" erhobenen Menschensohne, war noch unbekannt. Selbstverständlich war die Versammlung von Anfang an nach Gottes Gedanken da, aber „das Geheimnis" war noch nicht mitgeteilt. Jesus, der in der Herrlichkeit weilende Sohn des Menschen, hatte sich dem Verfolger der Versammlung aus dem Wege nach Damaskus noch nicht offenbart. Dort erst trat die wunderbare Wahrheit ans Licht, dass die hienieden pilgernden schwachen Gläubigen mit Ihm, dem im Himmel Verherrlichten, eins sind: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“. Paulus empfing alsdann „Gnade und Apostelamt für Seinen Namen zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen" (Röm. 1, 5). Er wurde ein Diener des Evangeliums, zugleich aber auch ein Diener der Versammlung, um das Wort Gottes durch die Offenbarung „des Geheimnisses" zu vollenden. (Kol. 1, 23 - 27.) Durch die Enthüllung dieses Geheimnisses haben wir erfahren, dass die Versammlung nicht nur eine durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi und durch den gemeinsamen Besitz des Heiligen Geistes gebildete Vereinigung von Gläubigen ist, sondern dass sie in ihrem wahren Charakter dem Sohne des Menschen in der Herrlichkeit zugesellt ist, und zwar als Sein Leib, als „die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt". Er ist das Haupt, sie der Leib.

Zu diesem Leibe gehören alle Erretteten auf der ganzen Erde. Wo sie auch sein und wie sie sich auch nennen mögen — sie bilden die Versammlung oder Gemeinde Gottes. Sie alle, ohne jede Ausnahme, sind Glieder dieses Leibes, des Leibes Christi. Eine andere Gliedschaft kennt die Schrift nicht. Sie sind in „einem Geiste zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden“ (1. Kor. 12, 13). Sie alle — die ganze Versammlung — sind der Gegenstand der unermüdlichen Liebe Christi, der sich, weil Er sie liebte, für sie dahingegeben hat. Und Er nährt und pflegt sie, gleichwie ein Mensch sein eigenes Fleisch nährt und pflegt, denn sie sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und von Seinen Gebeinen. (Eph. 5, 29. 30). Er reinigt sie durch die Waschung mit Wasser durch das Wort (Eph. 5, 26), und in nicht langer Zeit „wird Er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellen, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei" (Eph. 5, 27).

Diese Einheit des Leibes kann nie aufgehoben werden. Sie ist ein unauflösliches Band, das alle Gläubigen auf der Erde mit ihrem Haupte im Himmel und als Glieder untereinander fest umschlingt, ungeachtet aller Spaltungen und Trennungen, durch welche Satan sie nach außen hin für diese Zeit auseinander gerissen hat. Ja, trotz der äußeren Zerrissenheit der Versammlung besteht diese Einheit heute noch ebenso wahrhastig wie in den ersten Tagen des Christentums, denn sie hängt nicht von der Treue des Menschen, sondern von der vereinigenden Gegenwart des Heiligen Geistes ab. Inmitten all des Wirrwarrs und der allgemeinen Zerrissenheit gibt es also etwas Feststehendes, woran der Mensch nicht rütteln kann, das ist die Versammlung (Gemeinde), betrachtet als der Leib Christi, gebildet durch den Heiligen Geist und aufgebaut durch Christum selbst. Und aus Ihm, dem Haupte, „wächst der ganze Leib, durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend, das Wachstum Gottes" (Kol. 2, 19).

Diese Gesamtheit der Gläubigen nun, die Versammlung oder Gemeinde, welche in ihrer Beziehung zu Christo, dem Haupte, „der Leib Christi" genannt wird, heißt im Hinblick auf die Gegenwart des in ihr wohnenden Heiligen Geistes auch „der Tempel, oder das Haus Gottes".

Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Versammlung nicht, wie „als Leib Christi", einzig und allein Gottes Werk und daher vollkommen, sondern sie wird auch unter der Verantwortlichkeit des Menschen gesehen. Der Mensch, als Diener, hat an dem Werke des Sammelns und der Auferbauung mitzuarbeiten; er ist berufen, „Gottes Mitarbeiter" zu sein. (Vgl. 1. Kor. 3, 5 - 17.) Die Geschichte lehrt uns, wie unter seiner Hand alles verdarb, wie die Versammlung, „das Haus Gottes", schon bald ihre himmlische Stellung aus dem Auge verlor und verweltlichte. Es kam allmählich dahin, dass unbekehrte Menschen, bloße Bekenner, den weitaus größten Teil des Hauses ausfüllten. Schon Paulus musste am Ende seiner Laufbahn darüber klagen, dass das Ganze einem großen Hause gleichgeworden sei, in welchem es nicht allein goldene und silberne Gefäße gibt, sondern auch hölzerne und irdene, die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre. (2. Tim. 2, 20.) Schon damals hatten alle, die in Asien waren, sich von dem Apostel und seiner Lehre abgewandt. Falsche Lehrer „verkehrten den Glauben etlicher; vielfach besaß man eine „Form der Gottseligkeit“, während man „ihre Kraft" verleugnete, und es wurde nötig, sich von solchen Menschen „abzuwenden“.

Und wie ist es heute? Seit jener Zeit ist die Welt wie eine Flut in das Haus Gottes eingedrungen. Die Gläubigen der Gegenwart leben inmitten einer Christenheit, die ein Christentum hat ohne Christum, einer Vernunftreligion, die sich über Gottes Wort stellt, oder inmitten einer selbstgemachten Religion voll äußerer Formen, die von der ein für allemal durch unseren Herrn Jesum Christum vollendeten Erlösung nichts wissen will. Die wahren Gläubigen bilden nur einen Bruchteil der großen, den Namen Christi tragenden Masse der Bekenner, und selbst von ihnen kennen und verwirklichen nur wenige die erhabene Stellung der Versammlung Gottes. Sie sind in Parteien zersplittert und mit den religiösen Systemen der Menschen vermischt. Statt Versammlungen, die, auf Grund der Einheit des Leibes vereinigt und von der Welt getrennt, Christo unterworfen sind, statt Versammlungen, die, wie die in Apstgsch. 9, 31 erwähnten, im Frieden erbaut werden, in der Furcht des Herrn wandeln und durch den Trost des Heiligen Geistes vermehrt werden - erblickt man überall geschlossene, von den anderen getrennte Gemeinschaften, zahlreiche sich gegenseitig befehdende Bruchstücke, Parteiungen, Spaltungen, Unordnung und vielfach auch falsche Lehren. Die Versammlung, welche Gott einst zur Verwalterin Seiner herrlichen Offenbarung und zur Hüterin der Wahrheit einsetzte, „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit", wie Paulus sie in 1.Tim. 3, 15 nennt, hat das ihr anvertraute Gut nicht zu bewahren gewusst, und die Gläubigen befinden sich zerstreut und voneinander getrennt inmitten des großen, bekennenden Namenchristentums, anstatt gemeinsam „außerhalb des Lagers" in Frieden und Eintracht versammelt zu sein. Wohl bleibt uns der Trost, dass wir, wenn wir auch unsere Einheit so überaus mangelhaft vor den Augen der Welt darstellen, vor Gott alle miteinander unauslöslich zu einem Leibe verbunden sind. Aber bedenken wir: der Heilige Geist entbindet uns niemals von unserer Verantwortlichkeit wegen unserer traurigen Stellung, und fordert uns auf, einerseits uns von den Gefäßen zur Unehre zu trennen oder getrennt zu bleiben, und andererseits uns zu befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens! Und wenn wir uns auch vor der Unmöglichkeit sehen, die Gläubigen aus der ganzen Erde in ihrer Gesamtheit in eins zusammenzubringen, so steht es uns doch frei, uns mit denen, die den Willen des Herrn hierin erkennen und Ihm treu sein wollen, zu vereinigen, um uns von allem abzusondern, was dieser Einheit zuwiderläuft, und uns zu befleißigen, die Einheit zu bewahren in der Gesinnung, die allein mit ihr vereinbar ist, nämlich „mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe" (Eph. 4, 2).

Der erste Schritt zu diesem Gott wohlgefälligen Tun ist, alles auf Seite zu schieben, was Menschenhand und Menschenverstand in dieser Sache getan oder errichtet haben, zum Anfang zurückzukehren und zu lesen, was für ein Verhalten das Wort in dem damals beginnenden Verfall vorgesehen hat. Und es ist gut, uns daran zu erinnern, dass Gott Seinem Worte gegenüber, das Er uns als Halt für unseren Glauben gegeben hat, auch den Gehorsam des Glaubens verlangt.

Schon im Alten Testament finden wir an verschiedenen Stellen das Heilmittel für den durch die Untreue des Menschen hervorgerufenen Verfall ausgezeichnet. Als unter Hiskia der traurige Zustand des Volkes seinen Höhepunkt erreicht hatte, kehrten der König und sein Volk zu dem zurück, was nicht etwa von Salomo oder David oder Samuel, sondern was von Anfang war. Sie wandten sich zu dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes, und handelten im Glauben nach diesem Worte (2. Chron. 30).

Ebenso feierten der König Josia und sein Volk nach langer Unterbrechung dem Jehova Passah zu Jerusalem, nachdem sie sich von allem, wodurch sie Jehova verunehrt, gereinigt hatten und zu dem zurückgekehrt waren, was von Anfang war. Sie taten alles nach der Vorschrift, wie im Buche Moses geschrieben steht. (2. Chron. 35.)

Ein weiteres ermunterndes Beispiel geben uns die unter der Führung von Esra und Nehemia aus der Gefangenschaft heimgekehrten Juden. Sie wandten sich gleichfalls zu dem zurück, was von Anfang war, und „bauten den Altar des Gottes Israel, um Brandopfer darauf zu opfern, wie geschrieben steht in dem Gesetz Moses, des Mannes Gottes" (Esra 3, 2). Später, als die Mauer der Absonderung gebaut war, wurde das Getrenntsein vom Bösen aufrecht gehalten, indem man wiederum zurückging „zu dem Gesetz Moses, welches Jehova Israel geboten hatte" (Neh. 8, 1), und dementsprechend handelte.

Blicken wir jetzt auf die Zeit des Anfangs der Versammlung, so lesen wir, dass „die Menge derer, die gläubig geworden, ein Herz und eine Seele war" (Apg. 4, 32), hören zugleich aber auch, dass das Verderben sehr schnell eintrat. Wozu werden nun die Gläubigen ermahnt? Paulus, der in seinem ersten Brief an Timotheus sagt: „Ich schreibe dir, auf dass du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes" (1. Tim. 3, 15), ruft in dem zweiten, kurz vor seinem Märtyrertode geschriebenen Briefe den Gläubigen zu: „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Sein sind, und: jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit" (2. Tim. 2, 19). Und weiterhin ermahnt er sie, sich zu reinigen von den Gefäßen zur Unehre, damit sie Gefäße zur Ehre seien, geheiligt, dem Hausherrn nützlich und zu jedem guten Werke bereitet. Und im Anschluss daran wird Timotheus ausgefordert: „Strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen" (2. Tim. 2, 21. 22).

Das also ist der erste Schritt, den wir, die Gläubigen, tun müssen. Der Glaube beugt sich vor dem Wort und gehorcht, indem er sich von den Gefäßen zur Unehre trennt und sich mit solchen vereinigt, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen. Dazu gehört Kraft. Der Glaube hat sie. Dem Glaubenden ist alles möglich. (Mark. 9, 23.) „Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“ (Phil. 4, 13), sagt einer, der diesen Weg des Gehorsams ging.

Vielen unserer Brüder erscheint diese Forderung zu hart. Sie haben zwar in ihren Herzen die Verbindung mit dem Bösen gelöst, und sind sich vor ihrem Gewissen darüber klar, dass ein Gottesdienst im Verein mit solchen, die Gott nur mit ihren Lippen ehren, während ihr Herz weit von Ihm entfernt ist (vgl. Matth. 15, 8), unrecht ist; sie können sich aber nicht dazu entschließen, ihre Anbetungsstätte zu verlassen und den Ort zur Darbringung ihrer geistlichen Schlachtopfer aufzusuchen, den Gott in Seinem Worte den Seinigen angewiesen hat. In schwacher Erkenntnis der Wahrheit dünkt es sie gut, mit ihren als Kinder Gottes bekannten Brüdern, vielleicht in Verbindung mit ihrem gläubigen Pfarrer, das Abendmahl für sich zu feiern, und dann doch am Sonntag wieder mit Ungläubigen gemeinsamen Gottesdienst zu üben. Das Wort gibt aber keinem Mittelwege Raum; es fordert Reinigung von den Gefäßen zur Unehre, unbedingte Trennung von dem Unheiligen, und überlässt nichts dem eigenen Gutdünken.

Als David in 1. Chron. 13 zu der Versammlung Israels sagte: „Wenn es euch gut dünkt, und wenn es von Jehova, unserem Gott, ist, so lasst uns allenthalben umhersenden, und wir wollen die Lade Gottes zu uns herüberholen“, — da räumte er dem Menschen den ersten und Jehova den zweiten Platz ein. Wir wissen, dass die Folge davon Demütigung und Strafe war. Es war richtig für David, die Bundeslade nach Jerusalem zu holen, aber unrichtig, sie nach menschlichem Gutdünken auf einen neuen Wagen zu stellen, statt die Vorschriften des Gesetzes zu beobachten. So sollten unsere Brüder sich auch nicht im Blick auf den Verfall bezüglich ihres Gottesdienstes den herrschenden Verhältnissen anpassen und ihrem Gutdünken folgen, sondern vor Gott die ernste Frage an sich richten: Wo ist die Stätte der Anbetung, die ich aufsuchen soll? Sicher ist die Beantwortung der Frage schwierig, besonders in einer Zeit, wo die Zerrissenheit in der Mitte der Gläubigen größer ist als je zuvor, aber sie ist nicht unmöglich.

Ein ähnlicher Zustand der Unordnung und Schwachheit bezüglich der Anbetung Jehovas herrschte unter der Regierung Davids. Wir finden im Anfang des 1. Buches Samuel die Stiftshütte und die Bundeslade in Silo. Dann aber wurde die Lade von den Philistern entführt, und als sie nachher in Gnaden wiederkehrte, fand sie ihre Stätte nicht wieder in Silo, an dem Ort, wo man Gott durch das Opfer nahen konnte, sondern zunächst in Kirjath-Jearim, im Hause Abinadabs, dann bei Obed-Edom. Im 2. Buche Samuel verschwindet Silo, aber die Stiftshütte wird nicht nach Jerusalem gebracht. Wir finden sie später in Gibeon wieder, ohne dass uns gesagt wird, wie sie dahin gekommen ist. Sicher ist nur, dass zu der Zeit, als David die Bundeslade aus den Berg Zion brachte, die Stiftshütte und der Brandopferaltar in Gibeon waren. (1.Chron. 16, 37 —41.) Später, nach der in Jerusalem ausgebrochenen Pest, als David auf Befehl Jehovas einen Altar auf dem Berge Morija baute und dort opferte, wird gesagt: „Die Wohnung Jehovas, die Mose in der Wüste gemacht hatte, und der Brandopferaltar waren zu jener Zeit aus der Höhe zu Gibeon“ (1. Chron. 21, 29. 30).*)

Das Haus Jehovas war also noch nicht in Jerusalem, und der Gottesdienst war sozusagen geteilt zwischen der Bundeslade in Zion und dem Altar in Gibeon; der Dienst Jehovas war daher weit entfernt von dem, was er hätte sein sollen. Eine Sache aber genügte David. Sie war in der Zeit seiner Drangsale der Gegenstand all seiner Wünsche gewesen, wie wir aus Psalm 132, 1 - 8 erfahren. Er hatte eine Stätte der Ruhe gefunden für den Thron Jehovas der Heerscharen, für die Lade Seiner Stärke. Er brachte von Baale - Juda die Lade Gottes herauf, die nach dem Namen, dem Namen Jehovas der Heerscharen, der zwischen den Cherubim thront, genannt wird (2.Sam. 6, 2). Da wo David als König eingesetzt war, hatte er jetzt gleichsam den Gott Israels bei sich, denn der Name stellt die Person dar. Seine Zuflucht inmitten der Zerstreuung der heiligen Geräte, in einer Übergangszeit, aus welche die Herrlichkeit folgen sollte, war die Gegenwart Gottes selbst bei ihm und seinem Volke. Das ist auch in der gegenwärtigen Zeit die Zuflucht der Gläubigen, das ist es, was ihr Glück ausmacht. Bei all der Verwirrung und Unordnung um sie her gibt es eine Stätte der Anbetung, die für alle Gläubigen genügt und von jedem zu erreichen ist: sie ist da, wo der Herr Seine persönliche Gegenwart in der Mitte von zwei oder drei, die sich zu Seinem Namen hin versammeln, verheißen hat.

Diese Stätte der Anbetung ist uns von dem Worte Gottes für die Zeit der Verwirrung angewiesen, und für jeden Gläubigen sollte diese Anordnung des Herrn Wert haben. Es bedarf aber des Lichtes von oben, um sie zu erkennen, und wir müssen den Herrn um Weisheit bitten, damit wir Seinen Willen hierin verstehen und befolgen können.

Salomo hat diese Erfahrung gemacht. „Er ging im Anfang seiner Regierung nach Gibeon, um daselbst zu opfern, denn das war die große Höhe; tausend Brandopfer opferte Salomo auf selbigem Altar.“ (1. Kön. 3, 4). War diese große Anzahl der Brandopfer imstande, den Ort, der nicht der Anbetung Gottes entsprach, zu heiligen? Gott hatte gesagt: „Ihr sollt alle die Orte gänzlich zerstören, wo die Nationen, die ihr austreiben werdet, ihren Göttern gedient haben: aus den hohen Bergen und den Hügeln und unter jedem grünen Baume .... ; sondern den Ort sollt ihr auf suchen, welchen Jehova, euer Gott, aus allen euren Stämmen erwählen wird, um Seinen Namen dahin zu setzen, dass Er dort wohne, und dahin sollst du kommen. Und ihr sollt dahin bringen eure Brandopfer und eure Schlachtopfer und eure Zehnten, und das Hebopfer eurer Hand und eure Gelübde und eure freiwilligen Gaben . . .“ (5. Mose 12, 2. 5. 6).

„Salomo fehlte es nicht an Liebe zu Jehova; auch wandelte er treu, trotzdem sein Opfern auf Gibeon nicht dem Willen Gottes entsprach. Es heißt von ihm in Vers 3: „Salomo liebte Jehova, indem er in den Satzungen seines Vaters David wandelte; nur opferte und räucherte er auf den Höhen".

Schön ist es aber im Worte zu lesen, dass er, als die erbetene göttliche Weisheit in sein Herz eingekehrt war, sich alsbald nach Jerusalem ausmachte, sich vor die Lade des Bundes Jehovas stellte und von da ab dort seine Brand- und Friedensopfer darbrachte. (1. Kön. 3, 15.)

Der Herr schenke es den vielen Brüdern, die den Herrn lieben und Ihm treu dienen, und sich doch noch mit einer Höhe zu Gibeon begnügen, ja, sich vielleicht rühmen, aus die große Höhe zu gehen und da viel zu opfern, dass auch in ihrer Seele, wie bei Salomo, über diesen Punkt Licht ausgehe, dass sie „in die Heiligtümer Gottes" eintreten, um dort den Ort zu erkennen, welchen Gott für die Anbetung der Seinen angeordnet hat.

Ja, der Herr möge in uns allen wirken und unser Gewissen zu einem richtigen Urteil bilden über das Opfern „auf den Höhen und unter jedem grünen Baume", das will sagen: nach hergebrachter Sitte, nach menschlichem Willen und Gutdünken! Gewiss gehören Mut und Herzenshingebung dazu, sich von den menschlich geordneten religiösen Systemen und von den Überlieferungen der Väter zu trennen, um sich im Gottesdienst mit dem kleinen Häuflein derer zu vereinigen, die da begehren, sich in Seinem Namen und unter der Leitung des Heiligen Geistes zu versammeln. Die große Höhe zu Gibeon gefällt dem Menschen viel besser, als die stille Zurückgezogenheit in der Gegenwart Gottes, das einfache Zusammenkommen ohne jedes Gepränge und Aufheben.

Das Recht, Gottesdienst zu üben, ist uns durch die Gnade Gottes verliehen. Sie hat uns mittelst des Blutes Jesu so nahe gebracht, dass wir Gott als unseren Vater kennen und Ihn anbeten können in Frieden. Wir sind vor Ihm selbst zu Königen und Priestern gemacht. In dieser Beziehung sind sich alle Gläubigen, ob stark oder schwach, ob alt oder jung, ob in der Wahrheit weit gefördert oder noch in deren Anfangsgründen steckend, völlig gleich. Der begabteste Diener hat kein größeres Recht, Gott zu nahen, als der Unwissendste aller Heiligen. In den Landeskirchen hat man einen Priester oder einen Priesterstand zwischen der Kirche und Gott eingesetzt, und auch in den meisten religiösen Parteien ist man mehr oder minder diesem Beispiel gefolgt. Wir haben aber alle nur einen großen Hohenpriester, Christum; und das einzige Priestertum, welches außer dem Seinigen nach Gottes Wort besteht, ist dasjenige, wozu alle Gläubigen gemeinsam berufen sind. Alle Handlungen des Gottesdienstes sind der Leitung des Heiligen Geistes unterworfen und müssen, gleich dem Dienst in der Versammlung, durch die in 1. Kor. 14 ausgezeichneten Grundsätze beherrscht werden, nach welchen alles anständig und in Ordnung geschehen soll. Im Gottesdienst, zu dem alle das gleiche Vorrecht haben, redet der Gläubige zu Gott; im Dienst innerhalb der Gemeinde, welcher sich aus der Verleihung der verschiedenen Gaben ergibt, die den Einzelnen (samt der damit verbundenen Verantwortlichkeit) übertragen sind — redet Gott zu den Gläubigen. Wir alle ohne Ausnahme genießen das gleiche Vorrecht hinsichtlich des Gottesdienstes, während wir uns in der Verantwortlichkeit des Dienstes voneinander unterscheiden, da wir verschiedene Gnadengaben haben nach der uns verliehenen Gnade. (Röm. 12, 6.)

Welch ein klaffender Riss durchzieht die Reihen der Gläubigen, weil die Lehre von dem Wohnen und Wirken des Heiligen Geistes in der Versammlung, der Gemeinde Gottes, sowie von Seiner Gegenwart und Leitung bei ihrem Gottesdienst so wenig verstanden und beachtet wird! Es ist betrübend, dass so viele Christen kaum wissen, „ob der Heilige Geist ist“, soweit es wenigstens die wirkliche Erkenntnis Seines Hierseins angeht. Viele ausrichtige Seelen beten immer noch um Seine Ausgießung, als ob der Herr Seine Verheißung vergessen hätte; andere flehen, dass Er doch nicht von ihnen genommen werden möchte, als ob Der, welcher Ihn gesandt hat, Seinem Worte: „Er wird bei euch sein in Ewigkeit“, untreu geworden wäre. So wirklich einst Jesus bei Seinen Jüngern auf der Erde war, ebenso wirklich ist jetzt der Heilige Geist bei und in den Gläubigen hienieden, und nur in Seiner Kraft und durch Ihn geleitet können wir den Vater anbeten. „Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“ (Joh. 4, 24). Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist der Welt unsichtbar und auch unseren äußeren Sinnen verborgen, deshalb aber nicht weniger wirklich. Der Herr sagt: „Ihr aber kennet Ihn, denn Er bleibt bei euch und wird in euch sein" (Joh. 14, 16—19). Ich brauche nicht zu sagen, dass diese Gegenwart bindend und verpflichtend für uns ist. Wie bei dem Dienst in der Versammlung der Heilige Geist frei wirkt, durch wen Er will, so darf auch, infolge Seiner Gegenwart hienieden und Seines Wohnens in uns, der Gottesdienst nicht nach einer menschlichen, im voraus bestimmten Ordnung geleitet werden, sondern Er selbst will ihn leiten, und ein jeder von uns hat in demselben den Platz einzunehmen, den Er anweist, und für welchen Er befähigt.

Die Nichtbeachtung dieser zwei wichtigen Grundsätze: 1. des Festhaltens des Hauptes (Kol. 2, 19) und damit des Sichversammelns um Ihn als den einzigen Mittelpunkt, und 2. der Unterwerfung unter die Leitung des Heiligen Geistes, hemmen in erster Linie die Darstellung der Einheit der Gläubigen. Dazu kommt noch ein Drittes. Es ist möglich, dass man die genannten zwei Grundsätze anerkennt und sich danach verhalten will, dass man aber vergisst, dass das Sichversammeln bewussterweise aus dem Boden der Einheit des einen Leibes geschehen muss.

Es ist ein besonders schöner Zug im Alten Testament, dass darin bezüglich des Verhältnisses des auserwählten Volkes zu Jehova so klar ans Licht tritt, was „Einheit“ bedeutet. Die ganze Nation war eins. In 3. Mose 24 lesen wir von den zwölf Schaubroten, die beständig auf den goldenen Tisch vor Jehova gelegt wurden, und aus welche die sieben Lampen des goldenen Leuchters ihr Licht warfen. Im Verlauf desselben Kapitels wird von einem Manne erzählt, der gesündigt und den Namen Jehovas gelästert hatte. Dieser wurde außerhalb des Lagers geführt. Alle, die seine Lästerung gehört hatten, mussten ihre Hände auf seinen Kopf legen, und dann wurde er von der ganzen Gemeinde gesteinigt. — Recht bedeutsam ist die Zusammenstellung dieser beiden Tatsachen in einem Kapitel. Zuerst wird die Stellung der Einheit, welche Israel in den Augen Gottes einnahm, gezeigt, und dann aus die Zucht aufmerksam gemacht, welche das mit Ihm und untereinander eins gemachte Volk in Einheit auszuüben verpflichtet war. Der gleiche Grundsatz gilt auch heute noch für uns.

Elias nahm auf dem Berge Karmel zwölf Steine, um den Altar zu bauen. Er tat es zu einer Zeit, als das Königreich schon lange geteilt war. „Israel besteht doch nicht mehr aus zwölf Stämmen“, hätte man sagen können; „seine Einheit ist dahin.“ Aber nein; seine Einheit ist eine unauslösliche Einheit, die nie aufgegeben werden kann. Das Auge Gottes ruht auf den zwölf Schaubroten auf dem goldenen Tische und aus den zwölf Steinen im Brustschild des Hohenpriesters. Der Glaube hält an dieser Wahrheit fest, und Elias baut daher den Altar aus zwölf Steinen, „nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs, zu welchen das Wort Jehovas geschehen war" (1. Kön. 18).

Paulus sprach vor dem König Agrippa, obschon die jüdische Nation „von einem Ende der Erde bis zum anderen Ende" zerstreut war, immer noch von der von Gott geschehenen Verheißung, zu welcher unser zwölfstämmiges Volk hinzugelangen hofft“ (Apg. 26, 7).

So ist auch unsere Einheit, trotz unserer Untreue, vor Gott unauslöslich. Wir waren eins am Pfingsttage und werden eins sein in Herrlichkeit; und auch heute gibt es, genau so wie in den Zeiten von Epheser 4, nur einen Leib und einen Geist. Diese Einheit besteht durch den Heiligen Geist, der uns mit dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes und untereinander für immer verbunden hat. Und diese Einheit der Versammlung Gottes sollten wir aufgeben? Sollten wir Glieder irgend einer sogenannten „Gemeinschaft" werden? Ist denn der Leib Christi eine Gesellschaft, die nach gewissen Grundsätzen gebildet ist? Wie kann man überhaupt nur davon sprechen, sich irgendwo anzuschließen? Sobald man zu Christo bekehrt ist, ist der Anschluss gemacht; man ist dem Herrn hinzugetan (Apg. 5, 14), und gehört zu dem, was der Mensch nicht antasten kann. Niemand kann ein einziges Glied von Christo trennen, denn es ist Seinem Leibe eingefügt worden nach dem ewigen Vorsatz Gottes und durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Wie verkehrt ist es also, eine besondere Körperschaft einzurichten!

Es ist dem Feinde gelungen, die Herde zu zerstreuen, überall Spaltungen hervorzurufen; aber deshalb sind die Schafe doch noch immer des Herrn. Wir sollen treu sein, was unsere persönliche Verantwortlichkeit betrifft, aber wir dürfen nicht etwa einzelne Schafe nach unserer Wahl aussuchen, um mit ihnen voranzugehen; nein, so viel an uns liegt, sollen wir uns aller Schafe annehmen, in welchem Zustand sie sich auch befinden mögen, und unsere Verbindung mit ihnen fühlen. Ist unsere Liebe der unseres Herrn ähnlich, so wird sie alle umfassen.

Christus hat die Versammlung geliebt, und diese nährt und pflegt Er, nicht etwa nur einen Teil von ihr. Seine ganze Kirche ist der Gegenstand Seiner Sorge, jetzt noch ebenso sehr wie damals, als die Gläubigen „alle an einem Ort beisammen“ waren. Unsere Gedanken und Gefühle sollten darin mit Ihm einig gehen, wenn wir auch nicht mit allen Gläubigen nähere Gemeinschaft machen können. Gibt es nicht vielleicht Brüder, denen der Gedanke an einen treuen Überrest die Meinung eingeflößt hat, dass sie und sie allein dieser Überrest seien, oder dass sie die Leute seien, um welche der Herr sich besonders kümmere? Von da zu einer Sekte ist kein großer Schritt.

Es trägt viel zu unserer Zerrissenheit bei, dass wir so wenig bewußterweise in Glauben und Liebe die ganze Versammlung Gottes auf Erden im Herzen umfassen, und zwar sowohl bei der Anbetung, als auch bei der Lehre und in unserem öffentlichen Zeugnis. Hüten wir uns vor Anschauungen, die nicht Christo gemäß sind, vor engen Begriffen in Bezug aus Seine Gemeinde oder auf die Liebe und Sorge Christi, die sich doch in gleicher Stärke auf Seinen ganzen Leib, auf jedes einzelne Glied desselben erstrecken! Betrübt sieht der treue Jünger des Herrn, wie sich die von dem „Gipfel der Felsen" gesehene, vollendet einheitliche Versammlung Gottes in Wirklichkeit am Fuße des Berges zeigt: überall Uneinigkeit, Trennung und Verwirrung. Und er hat auch keine Hoffnung, dass ihre Schönheit, die sie im Anfang des Christentums ausstrahlte, jemals hienieden wiederkehren werde. Die äußere Einheit der Kinder Gottes ist durch unsere Untreue verloren gegangen und wird auf Erden nie wieder hergestellt werden. Dieses Werk des Feindes wurde nicht nur vorausgesehen, sondern auch vorausgesagt (Apg. 20, 29. 30).

Wohl sind gerade in der jüngsten Zeit viele gutgemeinte Versuche gemacht worden, die bestehenden Gegensätze auszugleichen, die Spaltungen zu überbrücken und die einzelnen Bruchstücke notdürftig zusammenzuflicken. Auch werden Zusammenkünfte, zu denen alle Gläubigen eingeladen werden, angeordnet, während deren Dauer jeder seinem Bruder über die trennenden Zwischenwände hinweg die Bruderhand drücken kann. Die erwartete Wirkung bleibt aber aus, und man kommt der Verwirklichung der Einheit nicht näher. Es liegt sogar die Gefahr vor, dass die Bemühungen, die Dinge zur ursprünglichen Ordnung zurückzubringen, gleich den Anstrengungen Israels in 4. Mose 14, 40 - 45, nur zu weiterem Übel führen. Gott hat den Seinigen im 2. Timotheus-Brief Licht gegeben über den Weg, den sie gehen sollen zu einer Zeit, wo Unordnung und Fehlgehen aus allen Seiten sich zeigen.

Die Versammlung Gottes wird von der Welt nie mehr in der Einheit und Schönheit gesehen werden, wie es in Apg. 2 der Fall war; doch finden wir einen herrlichen Trost im Worte Gottes, wenn wir betrübten Herzens die Zerrissenheit der Versammlung in der Gegenwart mit ihrem Zustand in der apostolischen Zeit vergleichen.

Diesen Trost schöpfen wir aus Haggai 2. Der Prophet Haggai lebte zu einer Zeit der israelitischen Geschichte, die der unsrigen sehr ähnlich war, und das Wort Jehovas geschah durch ihn „also zu dem Überrest des Volkes: Wer ist unter euch übriggeblieben, der dieses Haus in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie sehet ihr es jetzt? Ist es nicht wie nichts in euren Augen?" (Hagg. 2, 3). Das war wirklich eine Ursache zur Betrübnis: nach der Herrlichkeit des Tempels Salomo nun dieses einfache Gebäude, an welchem nichts Herrliches ins Auge fiel! Aber was sagt Jehova weiter?

„Seid stark, alles Volk des Landes, und arbeitet! Denn ich bin mit euch, spricht Jehova der Heerscharen. Das Wort, welches ich mit euch eingegangen bin, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist bestehen in eurer Mitte .... " (V. 4. 5). Diese Zusage haben auch wir. Sein Wort und Sein Geist bleiben in unserer Mitte. Darum wollen wir nicht verzagen, sondern stark sein und arbeiten. Und dem fügt Jehova noch etwas Bedeutsames hinzu.

Er sagt: „Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses wird größer sein als die erste". (V. 9.) Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses! Mochte der Tempel auch augenblicklich „wie nichts sein" in den Augen der Beschauenden — Gott betrachtet ihn immer als dasselbe Haus. Welch ein Trost für die betrübten Herzen der Israeliten! Aber mehr noch: Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses, das ihnen so armselig erschien, sollte noch größer werden, als die des ersten in den Tagen seiner höchsten Pracht.

Das ist auch unser Trost. Inmitten alles dessen, was uns niederdrückt, dürfen wir uns daran erinnern, dass Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, und „dass Er sich selbst die Versammlung verherrlicht darstellen wird, die nicht Flecken, oder Runzeln oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Eph. 5, 27). Es erfüllt uns mit Freude, dass der Tag kommt, wo die jetzt so verfallene und zersplitterte Kirche Christi herrlicher dastehen und ihrem Haupte mehr entsprechen wird, als in den schönsten Tagen von Apostelgesch. 2. Wenn der Herr auch mit Wohlgefallen die Seufzer hört, die in uns im Blick auf den traurigen Zustand der Gemeinde emporsteigen, so will Er doch, dass wir vorwärts schauen aus die Zeit, wo alles vollkommen sein und in Seinem Lichte strahlen wird, wo die Versammlung verherrlicht dastehen wird und wir Ihm alle "gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist, Ihn, das Bild des unsichtbaren Gottes. Bis dahin sind Sein Wort und Sein Geist unsere Begleiter aus dem Wege, und wir hören stets Sein tröstliches: Ich bin mit euch! Und wenn wir so mit Ausdauer den Weg des Gehorsams gehen und würdig wandeln der Berufung, mit welcher wir berufen sind, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe, so meiden wir allen Streit und Parteihader, wie geschrieben steht: „Wenn wir in dem Lichte wandeln, so haben wir Gemeinschaft mit einander“ (1. Joh. 1, 7). In diesem Lichte kennt man nur einen Mittelpunkt, einen Gegenstand, einen Zweck, einen Beweggrund — Christum. Und wem Christus alles ist, der fühlt sich Ihm und den Seinigen, ohne irgend welche Sonderinteressen, verbunden; er verwirklicht die Einheit des Leibes, dessen Haupt Christus und wovon er ein Glied ist, und er befleißigt sich, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens.

Fußnote:

*) Näheres lies in den „Betrachtungen über Samuel von H. R.“

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Betrachtungen über das Buch Esra

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1913 S. 281ff

Kapitel 5 - Das Wiedererwachen und die Erbauung des Tempels

Bei der Betrachtung der Tätigkeit des jüdischen Oberrestes in den früheren Kapiteln haben wir gesehen, dass der Überrest größtenteils aus Leuten bestand, die ihre Abstammung nachweisen konnten. Die es nicht konnten, waren dadurch als unrein von dem Priestertum ausgeschlossen, aber Gott erkannte sie dennoch an, (sozusagen als Gesamtheit), und ihren Feinden gegenüber besaßen sie gewisse Charakterzüge, die sie von den sie umgebenden Völkern unterschieden.

Wenn wir in der Christenheit etwas dieser Sachlage Ähnliches suchen wollten, so möchten wir sagen, dass die Reformation ein ähnliches Beispiel darbietet. Der aus einer beinahe götzendienerischen Umgebung hervorgegangene Protestantismus glänzte von Anfang an durch Charakterzüge, welche die Anwesenheit der wahren Gläubigen ihm aufprägte; es gab da, ohne dass wir gleich zu weit ziehen wollen, unter dem Einfluss des wieder ans Licht gebrachten Wortes Gottes kostbare wiedergefundene Wahrheiten, die auf das Leben und Verhalten des Volkes Gottes großen Einfluss ausübten. Doch die Ränke des Feindes und seine Gewalt verführten und beängstigten die Mehrzahl so, dass der Bau des Hauses Gottes erst verzögert und schließlich ganz aufgehalten wurde. Das Sendschreiben an die Gemeinde in Sardes (Offbg. 3,1‑6) beschreibt den Zustand, in den die aus dem Papsttum ausgegangene Kirche verfiel, nachdem das göttliche Wirken sie im Anfang in einem so lebhaften Glanz hatte erstrahlen lassen.

Hier im Buch Esra haben wir gesehen, wie nach dem ersten Anlauf, wobei das Volk wie ein Mann dastand, das Vertrauen auf die Macht Gottes wankte und die Arbeit eingestellt wurde. Fünfzehn Jahre gingen dahin. Nur die Grundlagen waren gelegt, der Bau, war völlig unterbrochen. Nun, während dieser langen Zeit musste das Volk sich doch mit etwas beschäftigen; und wenn der Herr nicht mehr den Ihm gebührenden Platz im Herzen hat, womit soll das Herz sich beschäftigen. es sei denn mit seinen eigenen Interessen? Dass es Israel so erging, zeigt uns das Buch des Propheten Haggai. Das Volk begann sich getäfelte Häuser zu bauen, während das Haus Gottes wüst lag (Haggai 1, 4). Doch die geistliche Untätigkeit hatte noch verhängnisvollere Folgen: das Volk verband sich mit den Nationen, von denen es gesagt hatte: „Ihr habt nichts mit uns zu tun . . ." (Kap. 4, 3). Den Folgen davon werden wir im 9. und 10. Kapitel unseres Buches begegnen.

Doch die Gnade, die sie befreit hatte, konnte durch ihr Verhalten nicht unwirksam gemacht werden, und wir sehen im 5. Kapitel ein durch Gottes Geist hervorgerufenes Erwachen. Unter Hiskia und Josia hatten einst, wie wir bei der Betrachtung des 2. Buches der Könige gesehen haben, Erweckungen stattgefunden, bevor das über Israel ausgesprochene Urteil Lo‑Ammi (Nicht mein Volk) vollzogen war (Hosea 1, 9). Eigentlich bestanden diese Erweckungen mehr darin, dass die Könige, die Leiter des Volkes, aufwachten. Das Volk hatte den Nutzen davon, aber ohne dass im allgemeinen sein Gewissen erreicht worden wäre. Hier aber, nach der Zucht durch die Gefangenschaft und nach der Zurückführung der Reste von Juda, bekommt die Erweckung einen anderen Charakter. Es ist ein Erwachen des Volkes, und es handelt sich nicht wie ehemals darum, sich von den Götzenbildern zu trennen und den Tempel zu reinigen, sondern, da der Tempel nur noch ein Trümmerhaufen ist, ihn wieder aufzubauen.

Das ist auch der Charakter des heutigen Zeugnisses inmitten der Christenheit. Es handelt sich darum, Material zum Hause Gottes herbeizuschaffen. Gott hat die Wahrheit wieder ans Licht gebracht, dass dieses Haus, die Kirche, die Versammlung des lebendigen Gottes, in den Augen Christi von höchstem Wert ist. Trotz des Verfalls betrachtet Er Seine Versammlung so, wie Er sie haben will, obwohl sie durch die Untreue des Volkes Gottes als öffentliches Zeugnis völlig verschwunden ist. Ihr Bestehen, ja noch mehr, ihre Einheit, ‑ nicht in den Augen der Welt, aber in Gottes Augen ‑, heute ebenso wirklich wie damals, als sie, ähnlich dem Tempel Salomos, erbaut wurde und wuchs zu, einem heiligen Tempel im Herrn. Es ist dasselbe Haus. In Esra (Kap. 5) betrachtet es der Überrest auch von diesem Gesichtspunkt aus: "Wir bauen" sagt er, "das Haus wieder auf, das viele Jahre zuvor gebaut wurde; und ein großer König von Israel hatte es gebaut und vollendet" (V. 11). Und: "Nebukadnezar hat dieses Haus zerstört" (V. 12); und: "Kores hat Befehl gegeben, dieses Haus Gottes wieder aufzubauen" (V. 13); und weiter: "Da kam Sesbazar und legte den Grund des Hauses Gottes, das in Jerusalem ist; und von da an bis jetzt wird daran gebaut, es ist aber noch nicht vollendet (V.16).

Das Haus Gottes zu bauen, das ist auch der Charakter des Aufwachens, das der Herr in unseren Tagen hervorgerufen hat. Im vergangenen Jahrhundert ist diese große Aufgabe des Volkes Gottes wieder ans Licht gebracht worden. Hat sie die Herzen aller Gläubigen aufgeweckt? Wiederholen wir, es handelt sich keineswegs darum, eine neue Kirche zu bauen, denn sie besteht, von Gott erbaut, und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn; und dafür genügt es, dass Gott sie sieht. Doch Gott erwartet von Seinem Volk, dass es die Kirche für aller Augen sichtbar mache, indem es das für ihre Erbauung geeignete Material herbeischafft. Der Evangelist, die Hirten und die Lehrer sind die zur Auferbauung der Versammlung von dem Heiligen Geist benutzten Werkleute; doch würde man sich sehr täuschen, wenn man dächte, dass die Verkündigung des Evangeliums allein dem Gebäude Seelen hinzufüge. Sie ist eines der hauptsächlichsten Mittel, aber diese Arbeit bedarf der Mitwirkung aller Gaben; und noch mehr, jeder der Zeugen Christi ist dafür verantwortlich, edles und lebendiges Material zum Hause Gottes herbeizuschaffen. Unsere Untreue hat dieses Material zerstreut anstatt es zusammenzubringen, so dass es nur noch für Gottes Augen sichtbar ist. Den Treuen liegt heute die Sorge ob, das gute Material zu unterscheiden und es an seinen Platz zu, bringen, so dass das Haus Gottes in dieser Welt wieder sichtbar werde, sei es auch nur durch einige Bausteine, die zeigen, was es sein soll.

Das war das Zeugnis, zu dem der Überrest von Juda berufen war. Wie manches Mal hören wir sagen, dass die Verkündigung des Evangeliums das Zeugnis sei, und dieser von Grund auf falsche Gedanke hat zur Folge, dass man meint, in Gott wohlgefälliger Weise an dem Hause Gottes gebaut zu haben, wenn Seelen bekehrt worden sind, die man dann inmitten der menschlichen, der Versammlung (Gemeinde) Gottes fremden Systeme sich selbst überlassen hat.

Lasst uns diese Dinge im Gedächtnis behalten, geliebter Leser! Wir haben in den Tagen, in denen wir leben, etwas zu bauen. Das sind aber nicht jene hinfälligen Gebäude, die man "Kirche" nennt, die Gott nicht anerkennt, und für die in dem Herzen Christi keine Gefühle sind. Er hat die Versammlung (Gemeinde) geliebt; indem Er Sich für sie hingab, hat Er gezeigt, welchen Wert sie in Seinen Augen hat. Hat sie für uns denselben Wert wie für Ihn? In diesem Fall werden wir ein weites Herz haben, das uns über engherzige und sektiererische Anschauungen erhebt, ein in Liebe brennendes Herz, das nur dadurch befriedigt werden kann, dass es alle Erlösten in der Einheit des Leibes Christi zusammengebracht sieht. Und wenn auch diese Aufgabe nicht verwirklicht werden kann, wie es irrt Anfang der Geschichte der Kirche geschehen ist, so wird Gott doch den Seinigen die Tätigkeit anrechnen, die sie entfaltet haben, um zu verkündigen und praktisch zu verwirklichen, dass es nur ein Haus, nur eine von Gott in dieser Welt anerkannte Versammlung des lebendigen Gottes gibt.

"Und Haggai, der Prophet, und Sacharja, der Sohn Iddos, die Propheten, weissagten den Juden, die in Juda und Jerusalem waren; im Namen des Gottes Israels weissagten sie ihnen" (V. 1). Um dieses Aufwachen zu bewirken, genügen hier zwei Propheten. Sie waren die Träger und die Vertreter des Wortes Gottes für das Volk. Durch sie erreichte das in der Kraft des Heiligen Geistes ans Licht gebrachte Wort die Gewissen. Wir werden später sehen, wenn Esra auf den Schauplatz tritt (Kap. 7‑10), wie dasselbe Wort den Seelen vorgestellt wird, ohne irgend ein Zeichen prophetischer Macht. Esra, der derzeitige Träger des Wortes, begehrt nichts anderes, als die Treuen in den Wahrheiten, die die Schriften darstellen, zu befestigen, auf dass ihr Wandel mit diesen in Übereinstimmung sei. Die zwei Propheten auf der einen, Esra auf der anderen Seite stellen uns zwei verschiedene Wirkungen des Wortes Gottes dar. Nachdem das Wort aufgeweckt hat, gründet und nährt es, und durch das Wort werden die Seelen geheiligt, um in einer Gottes würdigen Weise zu wandeln. Eine Zeit der Erweckung, auf die nicht schriftgemäße Unterweisung folgt, wird von kurzer Dauer sein und wird vorübergehen, ohne andere Spuren ihres Auftretens zu hinterlassen, als einzelne errettete und zur Erkenntnis Christi gebrachte Seelen. Ohne Zweifel ist das ein unschätzbarer Segen, aber er erschöpft nicht den Schatz der christlichen Segnungen. Auch kann man nie genug darauf hinweisen, wie wichtig die Belehrung ist, wenn es sich um das geistliche Wachstum erweckter Seelen handelt.

Der Dienst Haggais und Sacharjas hatte den unmittelbaren Erfolg, dass die Häupter des Volkes, Serubbabel und Jeschua, ihr Wort zu Herzen nahmen. "Sie machten sich auf und fingen an, das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen, und mit ihnen die Propheten Gottes, welche sie unterstützten" (V. 2). Die Führer erwarten nicht allgemeine Zustimmung, noch suchen sie ein gemeinschaftliches Handeln hervorzurufen, wenn der Bau des Hauses in Frage steht. Das wird immer so sein. Das einzige Mittel, die Tätigkeit des Glaubens bei anderen wachzurufen, ist: diese Tätigkeit selbst zu entfalten, und zwar mit dem Herzen, das erfüllt ist von dem Geist dessen, was wir dem Herrn und unserer Verantwortlichkeit Ihm gegenüber schuldig sind. Wenn wir auch nur zu zweien oder dreien wären, die mit ungeteiltem Herzen auf dem Wege der Hingebung für die Versammlung Gottes wandeln, wir dürfen gewiss sein, dass unser Eifer seine Früchte bringen wird. Nur zwei oder drei? wirst du sagen. ja, Haggai und Sacharja, Serubabbel und Jeschua vertraten in jenem Augenblick den wahren Geist Christi. Es waren, kurz gesagt, das Königtum, das Priestertum und der Geist der Prophezeiung am Werke zum Segen für alle. Diese beiden Männer, und mit ihnen die Propheten Gottes, begannen zu bauen. Bald schlossen sich ihnen andere an. Das Volk stand dem Feinde gegenüber für seine Führer ein: "Wir sagten ihnen, welches die Namen der Männer wären, die diesen Bau ausführten. Aber das Auge Gottes war über den Ältesten der Juden" (V. 4 u. 5).

Seit dem ersten Widerstand gegen die Erbauung des Tempels waren neue Männer, Tatnai, Schethar‑Bosnai und seine Genossen (V. 6), an die Stelle der alten Feinde des Volkes, Bischlam, Mithredath, Tabeel und ihre Genossen (Kap. 4, 7), getreten. In Nehemia 6, 1 sind es wieder andere: Sanballat, Tobija und Geschern, der Araber, und ihre Genossen. In der mehr oder weniger gewalttätigen oder gehässigen Feindschaft gegen das Werk Gottes mögen die Personen wechseln, aber der Widerstand bleibt der gleiche, weil der Feind, der alle diese Werkzeuge benutzt, sich nicht geändert hat. O dass doch der Glaube sich nie durch die Hindernisse, welche die Werkzeuge Satans aufrichten, aufhalten ließe! Möchten wir wohl verstehen, dass Gottes Werk nicht zerstört werden kann, denn Gott steht über allem! Er kann zulassen, dass unser Unglaube und unsere Feigheit das Werk verzögern und Unterbrechungen herbeiführen, und das geschieht, damit wir uns kennen lernen, uns richten und demütigen, aber nichtsdestoweniger wird Sein Werk vollendet werden. Sein Haus bleibt, selbst wenn es zerstört ist; und mögen auch die feindseligen Menschen schnell aufeinander folgen, die Serubbabel, die Jeschua und ihre Genossen bleiben, bis sie das Werk, zu dem sie berufen wurden, vollendet haben, und bis neue Werkzeuge, die Esra und die Nehemia, erweckt worden sind, um ihm ein neues Gepräge zu geben.

Das Zeugnis, das diesem durch die Propheten hervorgerufenen Aufwachen angehört, hat indes schon nicht mehr ganz denselben Charakter wie das im 3. und 4. Kapitel. Es könnte in einiger Hinsicht mit der Verkündigung des Evangeliums verglichen werden, das mit dem Christentum verbunden ist. Der Überrest verkündet hier nicht nur (wie in Kap. 4, 1. 3) "Jehova, den Gott Israels", sondern „den Gott des Himmels und der Erde" (Kap. 5, 11. 12); und der Tempel ist nicht länger nur "der Tempel Jehovas, des Gottes Israels" (Kap. 4, 1), sondern das Haus Gottes" (Kap. 5, 13. 15. 16. 17). Diese Ausdrücke reden deutlich von Gott in dem Charakter, wie Er Sich den Nationen offenbart, sowie von dem Titel Christi im Tausendjährigen Reich. Der zukünftige Tempel Jerusalems wird nicht für die zwölf Stämme allein errichtet werden; auch die Heiden werden ihren Anteil an ihm haben, und die Nationen mit ihren Königen werden zu ihm hinaufziehen, UM "den Gott des Himmels und der Erde" anzubeten. Das Volk Jehovas stellt sich hier den Nationen gegenüber dar als dem Gott dienend, dem sie selbst dienen sollten, und auf gleiche Weise stellen wir in unseren Tagen unseren Vater der Welt dar als der "Heiland Gott“ Welcher will, dass alle Menschen errettet werden" (1. Timotheus 2, 4). In diesem Sinne möchte ich das Aufwachen im 5. Kapitel eine Evangeliums‑Erweckung nennen.

Wenn das so von seinen Feinden verklagte Volk nachdrücklich den Namen und die Charakterzüge seines Gottes bekennt, so geschieht es keineswegs mit dem Gefühl der Überlegenheit gegenüber denen, die es umgeben. Es sucht nicht seine Straffälligkeit zu verringern, sondern erkennt vor den Nationen an, dass es sich unter dem Gericht Gottes befindet. Wenn die Treuen "Knechte des Gottes im Himmel" sind, so geben sie zugleich zu, dass sie gerechterweise für ihre Übertretungen gestraft worden sind: "Aber seitdem unsere Väter den Gott des Himmels gereizt haben, hat Er sie in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, des Chaldäers, gegeben, und er hat dieses Haus zerstört und das Volk nach Babel weggeführt" (V. 12.). Ihre Unterjochung unter die Nationen war die Strafe für ihre Sünde. ‑ Geziemt sich dieses Verhalten nicht auch für die schuldige Kirche, die für das verantwortlich ist, was ihr anvertraut ist? Gott fordert auch heute, wie damals, von Seinen Knechten, dass ihr Zeugnis, soll es wirksam sein, vor allem von dem Verfall Kunde gebe, in dem sie sich befinden.

Machen wir hier noch eine Bemerkung bezüglich der Angriffsart der Feinde des Volkes. Unter Artasasta, dem falschen Smerdis (Kap. 4) *), der ein Hauptinteresse daran hatte, Auflehnungen gegen seine angemaßte Macht zu verhüten, machen die Gegner politische Gründe geltend, um das Werk Gottes aufzuhalten. Dieser Herrscher würde sich kaum um religiöse Gründe gekümmert haben, aber es kam ihm vor allem darauf an, dass das Volk nicht seine Einheit wiedererlange und zugleich das Mittel erhalte, die Einheit in einer befestigten Hauptstadt zu verteidigen. Die Feinde schrieben deshalb an den König: "Die Juden bauen die aufrührerische und böse Stadt wieder auf und vollenden die Mauern". Artasasta gibt dementsprechend Befehle.

Unter Darius dem Perser hat sich die Angriffsweise der Feinde geändert. Darius verabscheute, wie die übrigen Herrscher von persischer Abstammung, den babylonischen Götzendienst, obwohl er den unter seiner Botmäßigkeit stehenden Ländern das Recht zugestand, ihren besonderen Götzendienst zu behalten. Er erkannte den wahren Gott an, wie wir im 6. Kapitel sehen werden, und hatte eine gewisse Furcht vor Ihm. Die Ankläger der Juden meinen daher eine empfindliche Seite bei ihm zu berühren, wenn sie den Tempelbau und die religiösen Interessen des Reiches voranstellen. Hat Kores wirklich den Wiederaufbau des Tempels erlaubt, wie die Juden behaupten? Die Feinde verbergen ihre Feindseligkeit unter einem Schein von Gleichgültigkeit und beinahe Duldsamkeit. Wenn die Urkunde über den Erlass des Kores nicht vorhanden war oder nicht aufgefunden wurde, so konnten sie auf einen ausdrücklichen Befehl des Königs rechnen, mit dem Werk aufzuhören. Ihre erste Sorge ist, mit der weltlichen Macht auf gutem Fuße zu bleiben; der Name Gottes hat keinen Wert für ihr Herz oder Gewissen. "Der König", sagen sie, "sende uns seinen Willen hierüber zu" (V. 17).

Kapitel 6 - Das Wiedererwachen und die Erbauung des Tempels

Gott begünstigte die von Ihm hervorgerufene Erweckung in besonderer Weise, während Er zugleich die Entronnenen mehr und mehr den Verfall fühlen lässt, der durch ihre Untreue verursacht war. Darius, der Perser, unterstützt die Juden und fällt einen billigen Urteilsspruch, der sich übrigens auf die Tatsache gründete, dass "nach dem Gesetz der Meder und Perser kein Verbot und keine Verordnung, die der König aufgestellt hatte, abgeändert werden durfte" (Daniel 6, 16). In allem kann man die Vorsehung Gottes sehen, die über das Volk wachte. Die Verordnung des Kores wurde in Ekbatana in der Provinz Medien, nicht in Babel, gefunden; das beweist, dass ohne göttliches Einschreiten auch die sorgfältigsten Nachforschungen vergeblich sein können.

Darius geht nicht so weit, wie einst der gedemütigte Nebukadnezar; er verkündet nicht, dass der Höchste über die Königreiche der Menschen herrscht, aber er erkennt doch den Gott des Himmels und den Tempel zu, Jerusalem als das Haus Gottes an (Kap. 6, 3 ‑ 10). Er ordnet (in Anlehnung an den Erlass des Kores) die Abmessungen des Hauses Gottes an, die seine Unkenntnis zeigen, weil sie nicht mehr mit den symbolischen Zahlen des ursprünglichen Tempels übereinstimmen (vergl. V. 3 mit 1. Könige 6, 2), so dass mehr als ein Gedanke Gottes wie unter den neuen Zahlen begraben bleibt. Darius erkennt auch an, dass die Gebete dieser verachteten und gedemütigten Leute von Wirkung seien für das Leben des Königs und seiner Söhne (V. 10); er benutzt die ihm gegebenen Autorität, um solche zu strafen, die sich dem Willen Gottes widersetzen würden; und schließlich richtet er eine feierliche Aufforderung an den Gott, der zu Jerusalem wohnt, dass Er Rache üben möge an denen, die sich wider Ihn auflehnen: "Der Gott aber, der seinen Namen daselbst wohnen lässt, stürze jeden König und jedes Volk nieder, die ihre Hand ausstrecken werden, diesen Erlass abzuändern, um dieses Haus Gottes zu zerstören, das in Jerusalem ist (V. 12). Die Gegner, die keinerlei Achtung vor dem Volk Gottes haben, beeilen sich, nach dem Erlass des Königs zu handeln, denn Menschenfurcht erfüllte ihre Herzen; doch Gott benutzt alles, sogar die Furcht, um Seine Gnadenabsichten bezüglich der Beschützung der Seinen auszuführen.

Die Ältesten der Juden bauen, und es gelingt ihnen durch die Weissagung Haggais und Sacharjas. Sie vollenden den Tempel nicht nur nach dem Befehl Gottes, sondern auch nach dem Befehl der Könige von Persien (V. 14). Das ist der besondere Charakter dieser Erweckung, die inmitten tiefer Demütigung und unter ihrer Knechtschaft unter den Heiden entstand. Die Arbeit am Tempel war fünfzehn Jahre lang unterbrochen gewesen, vom zweiten Jahre Kores' bis zum zweiten Jahre Darius', des Persers (Kap. 4, 24; Hag 1, 1). Vier Jahre später wurde das Haus Gottes vollendet (V. 15). Wie verhängnisvoll sind die Verzögerungen, die durch Menschenfurcht und dem darauf notwendig folgenden Mangel an Gottvertrauen hervorgerufen werden!

Im Monat Adar, dem zwölften Monat, der unserem März entspricht, fand die Einweihung des Hauses statt. Es hatte aber, wie wir gesehen haben, nicht mehr die ersten und göttlichen Abmessungen. Die Einweihung wird nur in sehr ärmlicher Weise gefeiert, im Vergleich mit dem herrlichen Angedenken an die Tempel‑Einweihung durch Salomon; dennoch erfüllt Freude das Herz des Volkes, denn Gott lässt aufs Neue in diesem wiederhergestellten Hause in öffentlicher und anerkannter Weise "Seinen Namen wohnen" (V. 12). Nicht als ob Seine Herrlichkeit wieder einzöge, oder Sein Thron zwischen den Cherubim errichtet würde, aber Seine geistliche Gegenwart kann nicht fehlen, wenn der Mittelpunkt des Zusammenkommens Seines Volkes anerkannt wird. Hatten sie neunzehn Jahre vorher bei der Errichtung des Altars ihre Einheit geoffenbart, so verwirklichten sie jetzt bei der Einweihung des Tempels die gesegnete Wahrheit, dass Jehova in ihrer Mitte war. Er weihte, sozusagen, ihre Einheit durch Seine Gegenwart, aber auch hier wieder trägt sie die Spuren ihrer Sünde und ihres Verfalls. Als Sündopfer bringen sie zwölf Ziegenböcke nach der Zahl der Stämme Israels dar. (V. 17). Kein Stamm wird bei dem öffentlichen Bekenntnis der Sünde, das durch das Opfer ausgedrückt wurde, ausgeschlossen. Man findet nicht mehr, wie zur Zeit Elia, einen Altar von zwölf Steinen, der die Einheit des Volkes ausdrückte, sondern zwölf Böcke, die auf dem Altar zur Sühnung einer gemeinsamen Sünde dargebracht werden. Sie erkennen damit an, dass sie alle in gleichem Maße und in gleicher Weise an der Sünde beteiligt waren. Die Sünde Judas und Benjamins, zu denen diese Weggeführten gehörten, war in ihren Augen so groß wie die der übrigen zehn Stämme und erforderte dieselbe Sühnung. Auch nahmen sie unter diesen Umständen für die Einrichtung des Dienstes ihre Zuflucht nur zu. dem Worte, zu "der Vorschrift des Buches Moses" (V. 18).

Redet das alles nicht zu uns von der Stellung der Gläubigen in unseren Tagen? Ihnen allen kommt es zu, die Sünde der Kirche anzuerkennen und die Verantwortlichkeit dafür vor Gott zu tragen, ohne daran zu denken, die Schuld anderen zuzuschieben. Sie sollten die Gegenwart Gottes suchen in der Mitte der Seinigen, die um Seinen Namen versammelt sind, nicht aber den Anspruch erheben, das, was durch gemeinsame Schuld verdorben worden ist, im Ganzen wiederherzustellen. Für die Errichtung und Aufrechterhaltung der Ordnung in der Versammlung dürfen wir uns allein an das Wort Gottes halten und bei unserer großen Armut uns darüber freuen, dass wir in unserer Erniedrigung den Heiligen und Wahrhaftigen für uns und bei uns haben. Das ist es, was wir als unser gegenwärtiges Teil und als unsere heutigen Vorrechte betrachten sollten. Außer diesen Segnungen entdeckte der Überrest noch neue. Im zwölften Monat hatte die Einweihung des Tempels stattgefunden; im folgenden Monat, dem Monat Abib (April), dem ersten des neuen Jahres, feiert das Volk das Passah. Es findet die Ordnung der Feste, so wie Gott sie eingesetzt hatte in dem Augenblick wieder, da eine vollkommene Ordnung, ‑ der Altar und der Tempel, das Zusammenkommen und die Einheit des Volkes, die Gegenwart Jehovas in ihrer Mitte ‑, wiedererlangt ist. Im 3. Kapitel hatten sie, nach der Errichtung des Altars, das Laubhüttenfest mit den Brandopfern gefeiert, und das mit Recht, denn sie hatten ihren Wohnsitz in Kanaan wiedergefunden. jetzt bereiten sie das Passah, die Erinnerungsfeier an das Opfer, durch das Israel einst vor dem Gericht Gottes bewahrt und zugleich aus der Knechtschaft Ägyptens befreit worden war. Dieses Fest entspricht für uns Christen dem Gedenken des Todes Christi, unserer Errettung und der Segnungen des neuen Bundes in Seinem Blute. Diese Gedenkfeier findet am ersten Tage der Woche statt, am Tage der Auferstehung, der für uns "der Anfang der Monate" ist.

Die Priester und Leviten hatten sich gereinigt wie ein Mann"; sie waren alle rein (V. 20), um das Passah zu feiern. Sie fühlten, dass sie zu diesem heiligen Gedächtnismahl keine Unreinheit mitbringen durften, und so wie sie e i n e s Sinnes gewesen waren beim Bauen des Altars, bei der Überwachung des Werkes und der Grundlegung des Tempels, so sind sie es auch in dem Bestreben sich zu reinigen; und mit ihnen "ein jeder, der sich von der Unreinigkeit der Nationen des Landes zu ihnen abgesondert hatte, um Jehova, den Gott Israels, zu suchen‑ (V. 21).

Das muss stets das Zeugnis eines Oberrestes inmitten des Verfalls kennzeichnen. Er fühlt, dass keine Befleckung zum Tische des Herrn zugelassen werden darf, dass dieses Mahl nicht ohne Selbstgericht stattfinden kann: "Ein jeder aber prüfe sich selbst, und also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelche" 1. Korinther 11, 28).

An letzter Stelle "feierten sie das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage mit Freuden, denn Jehova hatte ihnen Freude gegeben und ihnen das Herz des Königs von Assyrien zugewandt, so dass er ihre Hände stärkte in dem Werke des Hauses Gottes, des Gottes Israels" (V. 22). Dieses Fest der ungesäuerten Brote, das Vorbild einer völligen Heiligung, dauerte ununterbrochen sieben Tage lang, eine vollkommene Zahl, die auf den ganzen Lauf unseres Lebens hinweist, eines Lebens der Hingabe für Ihn, der uns durch Seinen Tod errettet hat, und dem wir nun angehören. Es ist vorbildlich die gemeinsame und persönliche Heiligung, von der in 2. Kor 6, 17 ‑ 7, 1 die Rede ist. Der wiederhergestellte Überrest feiert dieses Fest mit Freude, wie er es bei dem Laubhüttenfest und bei der Grundlegung und der Einweihung des Hauses getan hatte (Kap. 3, 13; 6, 16. 22). In einem Punkte jedoch unterschied es sich von dem, was im Gesetz Moses' geschrieben war. Dort heißt es: "Sieben Tage sollst du Ungesäuertes dazu essen, Brot des Elendes, denn in Eile bist du aus dem Lande Ägypten herausgezogen" (5. Mose 16, 3). Hier, angesichts all der wiedererlangten Segnungen, war nur Raum für die Freude

Noch eins: "Die Kinder der Wegführung" feierten das Fest nicht allein. Auch aus dem Volke, das während der Dauer der Gefangenschaft im Lande zurückgeblieben war, hatten alle, die "sich von der Unreinigkeit der Nationen des Landes zu ihnen abgesondert hatten, um Jehova zu suchen", teil an der Festfeier. Mochten sie, genau genommen, auch kein Teil an dem Zeugnis haben, so kamen sie doch, um sich in wahrer praktischer Heiligkeit ihm anzuschließen. Auch hatten sie teil an der Gedächtnisfeier und am Feste. .

Diese Wahrheit ist von großer Bedeutung für die gegenwärtigen Tage. Alle Christen, die sich von der Welt und dem uns umgebenden leblosen Bekenntnis absondern, haben ein Anrecht an dem Tische des Herrn und werden von ihren Brüdern mit Freuden dort empfangen.

Trotz so großer Segnungen waren die Hilfsmittel des Volkes, sei es für die Opfer, sei es für den Dienst, sehr verringert (Vergl. 1. Könige 8, 63). Aber das beeinträchtigte nicht die Ordnung des Dienstes. Sie hatten für diese Ordnung eine unfehlbare Autorität, zu der sie stets Zuflucht nehmen konnten: "die Vorschrift des Buches Moses", mit anderen Worten, das Wort Gottes (V. 17 u. 18).

Kapitel 7 - E s r a

Wir treten hier in einen neuen Zeitabschnitt unserer Geschichte ein. Siebenundvierzig Jahre sind seit der Einweihung des Tempels verflossen, ungefähr achtundsechzig seit ,dem Erlass des Königs Kores. Ahasveros (in der Geschichte unter dem Namen Xerxes bekannt), der Herrscher, von dem im Buch Esther die Rede ist, der Sohn des Darius (Hystaspes) von Esra 5 und 6, ist im Laufe der Zeit seinem Vater in der Regierung gefolgt, und nach ihm hat sein Sohn Artasasta (Artaxerxes Langhand), von dem unser Kapitel redet, den Thron bestiegen. Das Aufwachen im 5. Kapitel wurde durch die Macht des prophetischen Wortes gekennzeichnet, wodurch bei dem Volke, das seit langer Zeit die Arbeit am Hause Gottes verlassen hatte, neue Energie hervorgerufen wurde. Die Kapitel 5 und 6 reden von den Folgen dieses Aufwachens.

Nachdem das erste Werk vollendet ist, wird das Volk berufen, in friedlicher Weise die Früchte davon zu genießen. Wird es in diesen neuen Verhältnissen auf derselben geistlichen Höhe bleiben? Nein, wieder treten Zeiten ein, in denen es reißend schnell bergab geht. Die Welt dringt ein; unheilige Verbindungen werden, wie wir am Ende dieses Buches sehen werden, geduldet und nehmen die sittliche Kraft weg. Das Böse war noch verborgen zur Zeit, als Esra erweckt wurde, denn gerade sein Erscheinen mit neuen, nicht befleckten Elementen war es, das das Böse aufdeckte.

Wo ist ein Hilfsmittel gegen solche geistliche Entkräftung und deren Folgen zu finden? Es gibt nur eins: das Wort Gottes. Gott erweckt Esra, um das Volk im Gesetz Mose zu unterweisen und es an dessen Bedeutung zu erinnern. Es handelt sich hier nicht um neue Offenbarungen wie damals, als Haggai und Sacharja zu dem Volke redeten, sondern einfach darum, "Satzung und Recht", die im "Gesetz Jehovas" enthalten waren, wieder ans Licht zu stellen und auf die Gewissen anzuwenden.

Lagt uns nicht vergessen, dass dies auch heute unser einziger Schutz und unser einziges Wiederherstellungsmittel ist. "Auf diesen", spricht Jehova, "will ich blicken: auf den Elenden und den der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte" (Jesaja 66, 2).

Esra war, insoweit er von Gott zur Erfüllung dieses Dienstes erwählt wurde, in jeder Hinsicht beachtenswert. Zunächst finden wir (V. 1‑5) sein Geschlechtsverzeichnis, welches keine Lücke aufweist. Er war aus priesterlichem Geschlecht und stieg durch seine Vorfahren und ihre Tugenden (die Treue eines Zadok, den Eifer eines Pinehas) bis zu "Aaron, dem Hauptpriester", auf.

Soll es in unseren Tagen nicht ebenso sein bei den Dienern des Wortes? Ihre Person, ihre Werke und ihr Verhalten sollen klar zeigen, dass "ihre Quellen in Christo sind", dem wahren Hohenpriester. Es muss vor aller Augen deutlich sein, wer ihr Meister ist, und von wem sie das Leben empfangen haben.

Esra war "ein kundiger Schriftgelehrter in dem Gesetz Moses, welches Jehova, der Gott Israels, gegeben hatte" (V. 6). Gott hatte ihn vorher zubereitet als eine besondere Gabe, um der Leiter des Volkes zu sein; doch das genügte nicht, um ihn zur Ausübung seines Dienstes zu befähigen: "Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz Jehovas zu erforschen und zu tun (V. 10). Zuerst es zu erforschen und dann es zu tun. Esra trennte nicht die Praxis von der Erkenntnis. Er glich nicht jenen Gesetzeslehrern, die in den Tagen Jesu „die Menschen mit schwer zu. tragenden Lasten belasten, und selbst die Lasten nicht mit einem Finger anrührten" (Lukas 11, 46). Sein praktisches Leben war durchdrungen von den Vorschriften des Wortes, von dem er sich nährte. Erst dann hatte er sein Herz darauf gerichtet, „in Israel Satzung und Recht zu lehren“ (V. 10). Mit einem Wort, sein Leben und sein Verhalten standen in vollem Einklang mit seiner Unterweisung.

Infolge dieser gänzlichen Widmung an das Wort und das Werk "war die gute Hand seines Gottes über ihm", denn, heißt es (beachten wir dieses "denn"), Esra hatte sein Herz darauf gerichtet. Wir begegnen dem immer und zu allen Zeiten. Der Schutz Gottes ruht ganz besonders auf denen, die sich selbst vergessen, um von Ihm allein abhängig zu sein, und so sich rückhaltlos Seinem Werke widmen.

Um diesen Weg des Gehorsams zu gehen, ohne Gefahr zu laufen, davon abzuweichen, bedurfte Esra einer genauen Kenntnis der ganzen Schrift. Er war kundig in dem Gesetz Moses' (V. 6); er war „der Schriftgelehrte, der Schriftgelehrte in den Worten der Gebote Jehovas und seinen Satzungen für Israel" (V. 11). Nichts ist unter Umständen für die Seelen so verhängnisvoll wie eine oberflächliche und beschränkte Kenntnis des Wortes. Wie viele Trennungen und Streitigkeiten unter den Kindern Gottes würden vermieden werden, wenn sie mehr die Schriften unter ihren verschiedenen Gesichtspunkten betrachteten! Eine Wahrheit von anderen mit ihr zusammenhängenden Wahrheiten zu trennen, ohne diese zu beachten, ist gewöhnlich ein Beweis von Unwissenheit und Eigenwillen, wenn es nicht gar die Frucht eines stolzen Selbstbefriedigtseins ist, das andere unterweisen will und sich weigert, von Gott Belehrung anzunehmen. Falsche Lehren haben fast alle ihren Ausgangspunkt in einer Wahrheit, die aus ihrem Verband gerückt wird, infolgedessen verkehrt verstanden und so vielleicht die Wurzel einer Irrlehre wird.

Der Erlass Artasastas zeigt uns, gleich dem Briefe des Darius, die Überlegungen in den Herzen der Herrscher von Persien. Ohne dass sie den lebendig machenden Glauben hatten, besaßen sie eine gewisse Gottesfurcht. Wie sein Großvater Darius, so erkennt auch Artasasta den Gott des Himmels an. Wie die Geschichte sagt, ließ er jedem Volke seine Götzen, er selbst aber hatte keine. Die Lehre Zoroasters, der Glaube an einen höchsten Gott, die Lehren der Weisen, alles das vermengt mit philosophischen Anschauungen bezüglich des Grundsatzes von Gut und Böse, bildete die Religion dieser Herrscher. Es machte sie ohne Zweifel geneigt , den "Gott des Himmels" anzuerkennen, aber in ,‑,einem Erlass geht Artasasta weiter: er erkennt den Gott Esras an (V. 14), den Gott Israels (V. 15), den Gott Jerusalems (V. 19). Er kennt auch seine Verantwortlichkeit diesem Gott gegenüber, dessen Zorn man fürchten muss (V. 23). Er zeigt ferner viel Vertrauen zu, Esra, dem Manne Gottes. So überlässt er ihm die Einsetzung von Richtern und Rechtspflegern jenseits des Stromes (V. 25), weil er sehr gut weiß, dass der gottesfürchtige Esra keine Leute dazu erwählen wird, die sich wider die königliche Autorität auflehnen werden. Er will, dass dieser Mann die Unwissenden unterweise, denn das ist für ihn die Bürgschaft für den Frieden des Reiches. Er ordnet schließlich strenge Maßregeln gegen die an, die das Gesetz Gottes und des Königs übertreten indem er in seinen Gedanken diese beiden Gesetze zu. einem macht (V. 26).

Esra selbst führt alles auf Gott zurück, sogar die Gunst des Königs. Er sagt: „Gepriesen sei Jehova, der Gott unserer Väter, der solches in das Herz des Königs gegeben hat, um das Haus Jehovas zu verherrlichen, das in Jerusalem ist, und der mir Güte zugewandt hat vor dem König und seinen Räten und allen mächtigen Fürsten des Königs" (V. 27. 28)! Vor allem lebt er in der Gegenwart seines Gottes und erfährt, dass "die Hand Jehovas über ihm ist um ihn zu erhören (V. 6), ihn zu beschützen (V. 9), ihn zu stärken (V, 28) und ihn zu erretten (Kap. 8, 31).

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Strebe aber ...”

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 302ff

Wir leben in einer Zeit, wo viel gestrebt wird. Große Mengen menschlicher Energie werden täglich verbraucht, Mengen, die, wenn sie messbar wären, in Zahlen wohl kaum ausgedrückt werden könnten. Aber die Frage ist: Wonach strebt man? Und: Ist das Ziel, das man zu erstreben gedenkt, des Schweißes wert?

Der natürliche Mensch hat die Verherrlichung und das Wohlergehen des eigenen Ichs vor Augen. Diesem Ziel strebt er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln nach. Reichtum und Ehre gelten ihm als der Mühe und des Schweißes wert. Er weiß nicht oder beachtet nicht, was Salomo sagt: „Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne? Ein Geschlecht geht, und ein Geschlecht kommt" (Prediger 1,3 u. 4). Tritt der Mensch von dem Schauplatz seiner Mühe ab, so kann er von allen Erfolgen seiner Arbeit und seines Strebens nichts mitnehmen. Es gilt ihm dann das Wort: „Was du aber bereitet hast, für wen wird es sein"?

Welch eine Gnade ist es da, abgesondert zu sein von der Welt und ihren Zielen! Der Fürst dieser Welt hatte auch uns einst mit ehernen Ketten gefesselt; auch wir konnten nicht anders, als streben nach irdischen Zielen. Aber durch Gottes Gnade ist es anders geworden. Wir gehören nicht mehr dieser Welt noch uns selbst an. Wir sind um einen Preis erkauft.

Wer der Auffassung des Herrn: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit", gefolgt ist, hat andere Ziele, andere Lebensbedingungen, einen anderen Herrn, einen anderen Weg, als die Kinder der Welt. Das, was die Welt für Gewinn achtet, gilt ihm als Verlust. Er lebt nach ganz anderen Grundsätzen als die Welt.

Leider entsprechen die tatsächlichen Erscheinungen oft nicht diesen schönen und ernsten Grundsätzen. Mancher Gläubige stellt sich in seinem Tun der Welt gleich. Wir alle haben Ursache, uns zu beugen, wenn wir an die Verwirklichung denken. Wir leben in einer Zeit allgemeiner Verflachung, in einer Zeit des Niedergangs, obgleich wir wissen und bekennen, dass die Ankunft unseres geliebten Herrn vor der Tür steht. Während unsere Blicke mit sehnlichem Erwarten nach oben gerichtet sein sollten, gehen sie leicht niederwärts und schauen aus nach irdischen Dingen und Zielen, die dem törichten Herzen erstrebenswert erscheinen. O möchten wir rückhaltlos den Stab über uns brechen, wo und wie es nötig ist! Es würde unseren geliebten Herrn erfreuen und unsere eigenen Herzen glücklich machen.

Ein jeder von uns wird erfahren haben, wie groß die Gefahr ist, sich gehen zu lassen. Und warum ist sie so groß? Weil niemals sich Kraft offenbart ohne Entschiedenheit des Herzens, ohne einen klaren, energischen Entschluss. Und daran fehlt es bei uns so viel. Ach! dass doch mehr jenes ernste Wollen gefunden würde, jener Herzens-Entschluss, von welchem Barnabas, der „gute Mann, voll Heiligen Geistes", redet (Apg. 11,23. 24)!

Niemand kann zwei Herren dienen, er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird einem anhangen und den anderen verachten; wir können nicht Gott dienen und dem Mammon. Niemand kann auf zwei Wegen wandeln, auf den Wegen der Finsternis und auf den Wegen des Lichts. Wenn man in ein Schiff steigt, das nach Tarsis fährt, wird man niemals in Ninive ankommen. (Vgl. Jona 1,1 - 3.)

Wer gegen den Strom schwimmen will, muss Energie anwenden. Wer nicht seine ganze Kraft aufwendet, treibt mit dem Strom. Das neue Leben muss sich in positiver Weise betätigen, es darf nicht nur in einem Verneinen, einem Fernbleiben von Schuld und Sünde, bestehen.

Der Apostel Paulus hat viel Energie angewandt. Er sagt von sich: „Ich jage, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung", und an einer anderen Stelle: „indem ich kämpfend ringe nach seiner Wirksamkeit, die in nur wirkt in Kraft". An die Gläubigen richtet er die Aufforderung: „Suchet, was droben ist, wo der Christus ist"; „strebet nach der Liebe, eifert aber um die geistlichen Gaben" ; „laufet also, dass ihr ihn (den Preis) erlanget"; „strebet allezeit dem Guten nach"; „bewirket eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern"; „ziehet nun an , als Auserwählte Gottes ..." usw. Seinem Kinde Timotheus ruft er zu: „Strebe aber nach Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Glauben, Liebe, Ausharren, Sanftmut des Geistes"; und: „strebe aber nach Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen". Und den Gläubigen in Rom schreibt er: „Also lasst uns nun nach dem nachstreben, was des Friedens ist, und dem, was zur gegenseitigen Erbauung dient".

Wie ganz anders würde es unter uns aussehen, wenn wir diesen Ermahnungen treu nachkämen! Gott schenke uns ein Aufleben, eine wahre Einkehr und Umkehr! Ja, geliebte Geschwister, lasst uns wieder mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, damit niemand auch nur zurückgeblieben zu sein scheine.

Wir sind Pilgrime hienieden. Unser Bürgertum ist in den Himmeln. Warum sollten wir uns also in irdischen Dingen verlieren? Die himmlischen Herrlichkeiten, die Person Jesu Selbst, Deren Herrlichkeit alle anderen Herrlichkeiten bei weitem überstrahlt, ist unser. Sollten wir, nachdem wir in unserem geringen Maße auch alles für Verlust geachtet haben, um Christum zu gewinnen, wieder zurückkehren und mit dem Verlust liebäugeln? O möchten wir mit Paulus sagen: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorne ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu"!

Es gibt Kinder Gottes, die vom frühen Morgen bis zum späten Abend streben und jagen; aber sie jagen nach unten und nicht nach oben, wie Paulus es tat. Gewiss, wir sollen fleißig sein von früh bis spät, wir sollen die uns obliegenden Pflichten gewissenhaft erfüllen, aber wir sollen es tun mit nach oben gerichtetem Herzen. Wird das unserer Arbeit Eintrag tun? Wird unser Meister oder Prinzipal, wird unser Geschäft, wenn wir eines haben, darunter leiden? Wahrlich nicht! Die Arbeit wird mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verrichtet werden, denn man arbeitet ja dem Herrn und nicht den Menschen. Sein Segen wird auf uns und unserer Arbeit ruhen, und die Lehre unseres Heiland-Gottes wird geziert werden in allem.

Freilich werden wir oft ganz anders handeln, als die Menschen, die Gott nicht kennen. Indem wir nach himmlischen Schätzen streben und danach verlangen, Gott zu verherrlichen, werden wir schmerzlos Verluste überwinden oder Gewinne dahinfahren sehen. Es wird uns nicht darum gehen, viel Geld zu verdienen, viel zu ersparen, unserem Vermögen immer mehr hinzuzufügen, einen geachteten Namen zu erlangen, etwas in der Welt auszumachen, oder gar unter den Kindern der Welt Sitz und Stimme zu haben. Nein, wir jagen ja mit Energie danach, den Preis zu erlangen. Alle jene Dinge werden wir als „Bürden" erkennen und betrachten, und der Jagende darf keine Bürden tragen. Sie können ihn nur ermüden, zum Jagen untüchtig machen und ihn außerhalb des Wettbewerbs setzen.

Wir werden dann auch nicht, wie die Menschen dieser Welt, unser Recht und unsere Ehre suchen. Wir werden nicht so leicht beleidigt und verletzt sein, auch nicht, wenn uns hinten herum lieblose Aussagen über uns zu Ohren kommen. Noch weniger werden wir selbst Verleumdungen aussprechen oder sie weitertragen. Wir werden vielmehr dem nachstreben, was des Friedens ist und was zur gegenseitigen Erbauung dient.

Der Leser wird vielleicht sagen: Ein schönes Bild, das du da entwirfst! Aber wo findet es sich verwirklicht? Leider ist die Verwirklichung schwach. Aber woran liegt es? Das Wort Gottes lässt es, wie wir gesehen haben, nicht an Ermunterungen fehlen. In unseren Zusammenkünften wird viel über diese Dinge geredet, immer und immer wieder ergehen ernste Mahnungen an uns alle; ja, wir selbst unterhalten uns oft miteinander darüber. Und doch - wie viel Unfrieden gibt es hin und her, wie viel Unheil, angerichtet durch unbedachtes Reden, wie viel entzweite Herzen, wie viele Wurzeln der Bitterkeit! Woran liegt das? Es fehlt an dem Herzensentschluss. Man hört und redet, aber das Tun bleibt aus! Der Herr sagt: „Wenn ihr dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut". Die Glückseligkeit kommt mit dem Tun. Wer „ein Täter des Werkes ist, dieser wird glückselig sein in seinem Tun" (Jak 1, 25).

Was nützt einem Bauherrn ein. noch so schöner, in allen Einzelheiten festgestellter Bauriss, wenn nicht danach gearbeitet wird?

Was nützt in einem Feldzuge ein noch so vorzüglich ausgearbeiteter strategischer Plan, wenn man nicht danach handelt?

Was nützt uns das herrliche Wort Gottes, wenn wir nicht dessen Täter sind?

Wir sagen alle, dass wir Kinder Gottes und wahre Christen sind, und doch gehen wir so oft einen anderen Weg und handeln anders, als es uns in der Schrift angegeben ist. Wie kann man uns dann an den Früchten erkennen?

Wir haben keine Ahnung davon, welche traurigen Folgen es hat, wenn wir nicht Täter Seines Wortes sind. O möchten wir alle uns prüfen! Lasst uns Energie anwenden und mit Herzensentschluss bei dem Herrn verharren! Die gesegneten Früchte werden nicht ausbleiben. Der Herr wird verherrlicht werden, und, indem wir uns allezeit in Ihm zu freuen vermögen, werden wir auch imstande sein, Seine Liebe und Seine Gesinnung zu offenbaren, unrecht zu leiden, einander zu vergeben, einander zu dienen in Demut und Liebe! Wir werden einer des anderen Lasten tragen und also das Gesetz des Christus erfüllen (Galater 6,2).

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Betrachtungen über das Buch Esra

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1913 S. 309ff

Kapitel 8 - Der zweite Auszug

Bei diesem neuen Auszug wird Esra von einem Teil des in der Provinz Babel zurückgebliebenen Volkes begleitet. Alte Ausziehenden sind, wie ihr Führer, im Besitz eines genauen Geschlechtsverzeichnisses. Die Schrift zählt sie nach ihren Familien auf, nicht wie die im 2. Kapitel teilweise nach ihren Städten. Bei der ersten großen Herstellungsbewegung gab es verhältnismäßig wenig Zweifel bezüglich des Anrechtes der einzelnen dem Volke anzugehören, und dieser Zweifel bezog sich hauptsächlich auf das priesterliche Geschlecht. Hier jedoch scheint ein genaues, persönliches Wissen als notwendig erachtet worden zu sein. Das ist eine Erscheinung, der man häufiger begegnet. Das Aufwallen einer ersten Liebe kann von einer gewissen Vermengung begleitet sein, weil die Liebe und Freude überströmen und das Ganze stützen. Fremde Elemente können sich einmischen, und oft hat man schon, kurz nach dem Beginn, schmerzliche Erfahrungen in dieser Beziehung machen müssen. Doch die Kraft des Heiligen Geistes ist da, um diese Elemente zu unterscheiden und sie auszuscheiden, wenn die Gelegenheit sich darbietet.

Die früheste Geschichte der Kirche zeigt uns ähnliche Beispiele. Mit Ananias und Sapphira drang die Lüge ein, mit Simon, dem Zauberer, das Fleisch, das nur den Schein der Bekehrung hat; doch der Geist Gottes wacht, richtet und unterscheidet, und das Haus wird für den Augenblick vor Schaden bewahrt. Später ist die Versammlung mehr auf der Hut gegen das Böse: "Du hast die geprüft, welche sich Apostel nennen, und sind es nicht, und hast sie als Lügner erfunden" (Offbg. 2, 2). Das ist weder ein Zeichen von größerer Kraft noch von mehr Liebe, aber es wird zu einer Notwendigkeit, wenn man das Zeugnis Gottes rein erhalten will.

In dem Zuge glänzen die Söhne Adonikams, von denen der größte Teil schon mit Serubbabel zurückgezogen war (Kap. 2, 13). Jetzt kehren die letzten (V. 13) mit Esra zurück; ihre Namen werden nicht vergessen. Die ganze Familie ist somit vollständig, und diese besondere Segnung wird hier in dem Buche Gottes erwähnt. Möchten auch wir ganze Familien Adonikams sehen können unter denen, die der Herr beruft, um in diesen Tagen des Endes Zeugnis von Ihm abzulegen!

Dieser Männer waren einschließlich der Priester, die an erster Stelle erwähnt werden, und der Häupter (V. 1‑14 ). Doch bevor sie sich auf den Weg begeben, macht Esra eine äußerst betrübende Entdeckung: "Ich sah mich um unter den Priestern, und ich fand keinen von den Söhnen Levis daselbst" (V. 15). Die Leviten waren, wie wir gesehen haben, schon im 2. Kapitel wenig zahlreich, sie zählten nur 74 Personen. Hier zeigt sich nicht ein einziger. Sie bleiben in den Städten der Nationen. Beschäftigt mit ihren eigenen Interessen, denken sie nicht daran, mit ihren Brüdern für den Dienst des Hauses Gottes hinaufzuziehen. Esra ist genötigt, eine besondere Gesandtschaft von Häuptern und einsichtigen Männern an sie zu schicken, um sie aufzufordern, sich ihren Brüdern anzuschließen. Nun endlich kommen sie, 38 an der Zahl! Der Nethinim sind 220, also ungefähr sechs Diener kommen auf einen Leviten! Ist eine solche Tatsache nicht sehr demütigend? Und können nicht auch wir daraus etwas lernen?

Trotz allem finden wir hier wieder das Wort: "Die gute Hand unseres Gottes war über uns" (V. 18), die einzige Hilfsquelle, auf die Esra rechnen konnte. Und wenn auch die gewährte Hilfe sich als unzureichend erwies, indem sie die durch den Verfall des Volkes hervorgebrachten großen Lücken nur uni so deutlicher ans Licht stellte, so war es doch eine Hilfe, und der Herr verließ die Seinen nicht.

Was sollten Esra und seine Gefährten angesichts dieses strafbaren Mangels tun? Sollten sie ihn zu heilen suchen durch irgend ein menschliches Auskunftsmittel, wie die Umstände es gerade eingaben? Keineswegs. Das Haus war gebaut, die Versammlungsstätte des Volkes errichtet; der Name Jehovas wohnte da; es galt, sich ohne Zögern dorthin zu begeben. Aber unter diesen Umständen war ein Ding notwendig : die Demütigung. "Ich rief daselbst, am Flusse Ahawa, ein Fasten aus, um uns vor unserem Gott zu demütigen" (V. 21). Ohne Fasten und Demütigung, die erforderlich waren wegen des armseligen Zustandes dieser Handvoll Leute, die nach Jerusalem ziehen wollten, war kein Segen möglich. Wie würden sie in diesem armen, unvollkommenen Zustand "den rechten Weg" für sich, für ihre Kinder und für all ihre Habe gefunden haben? Andere würden versucht gewesen sein, "von dem König eine Heeresmacht und Reiter zu fordern, um uns gegen den Feind auf dem Wege beizustehen". Dieser Gedanke kam in dem Herzen des gottesfürchtigen Esra aber nicht auf; er würde sich geschämt haben, ihn zu nähren und ihm Folge zu geben. Hatte er nicht zu dem König gesagt: "Die Hand unseres Gottes ist über allen, die Ihn suchen zum Guten; aber Seine Macht und Sein Zorn sind gegen alle, die Ihn verlassen" (V. 22)? Wollte er jetzt das Wort: "Ich vertraue auf Jehova" verleugnen, indem er hinzufügte: Das genügt mir nicht völlig; ich muss auch auf den Menschen vertrauen? Nein; der schwache Überrest fastet und demütigt sich, und wendet sich im Gebet an Gott. Das war das, was nötig war. "Und so fasteten wir und erbaten dieses von unserem Gott; Lind Er ließ sich von uns erbitten" (V.23),

Umständen gleich denen Esra, begegnet man oft, auch heutzutage. Bisweilen sind die Schwierigkeiten scheinbar unüberwindlich. Der Feind lauert auf uns auf dem Wege und stellt sich zwischen uns und die Erfüllung einer einfachen Pflicht: der Pflicht des Zusammenkommens mit den Gläubigen Lind des Dienstes am Hause Gottes. Wir haben gar keine Kraft, ihm zu widerstehen. Die Hilfe der Leviten, auf die wir vielleicht einige Hoffnung gesetzt hatten, fehlt uns. Satan möchte uns gern dazu verleiten, ihm mit "der Heeresmacht und den Reitern des Königs", d. i. mit fleischlichen Waffen, zu begegnen, da er sehr wohl weiß, dass wir unterliegen werden, wenn wir seine eigenen Waffen gegen ihn anwenden. Was ist da zu tun? Das, was Esra tat: Beharren wir beim Fasten, bei der Demütigung und beim Gebet, und seien wir gewiss, dass Gott uns erhören wird. "Er ließ sich von uns erbitten", sagt Esra. Außer diesen gesegneten Waffen hatte Esra das Wort Gottes bei sich, und er war der Vertreter des Wortes für das Volk. War er reich? War er stark? Keineswegs; aber er besaß die Hilfsquellen des Gottes, Dessen Kraft in der Schwachheit vollbracht wird.

In den Versen 24‑30 empfangen die Priester und Leviten die heiligen Geräte, Gold und Silber, die freiwillig für das Haus Gottes gegeben worden waren, zur Aufbewahrung. Diese Gaben waren durch den Namen Gottes und durch den Stand derer, die über sie wachten, geheiligt. "Ihr seid Jehova heilig, und die Geräte sind heilig; und das Silber und das Gold ist eine freiwillige Gabe für Jehova, den Gott eurer Väter", sagt Esra (V. 28). Diese Geschenke rührten zum Teil von dem König, von seinen Räten und Fürsten her; da aber der Name Jehovas und Sein Tempel von diesen Männern anerkannt wurden, konnte Gott sie wohlgefällig annehmen, sie waren nicht unrein. Aber selbst bezüglich dieser materiellen Gaben, Silber und Gold, mussten die Priester wachsam sein, um sie sorgfältig zu bewahren, denn nichts sollte davon weggenommen werden.

Die Verse 32‑34 berichten von dem Eifer, den die Priester und die Leviten an den Tag legten, um sich ihres Auftrages zu entledigen; sie waren ganz bei der Sache. Nichts fehlte; man fand die Zahl und das Gewicht all dieser Gegenstände wieder. Möchten wir ihnen nachahmen in den großen oder kleinen Obliegenheiten, die der Herr uns anvertraut! Lasst uns das, was Er in unsere Hände legt, nie als uns gehörend betrachten, sondern als etwas, das wir Ihm wieder zurückgeben müssen, nachdem wir es für Ihn verwaltet haben! Die kleineren oder größeren Betrügereien, deren auch Christen sich den Behörden oder der Welt gegenüber zuweilen schuldig machen, haben gewöhnlich diese Ursache: man betrachtet das, was der Herr uns zur Verwaltung übertragen hat, als eigenen Besitz und setzt sich infolge seiner Untreue oft schmerzlichen Züchtigungen aus. Die Folge der Treue zeigt sich hier. Gott wacht über Sein Gut und behütet die Träger der Gaben auf dem ganzen Wege. Der in diesem Kapitel oft wiederholte Satz findet sich auch hier wieder: "Und die Hand unseres Gottes war über uns, und er errettete uns von der Hand des Feindes und des am Wege Lauernden" (V. 31).

in Jerusalem angekommen, brachte die schwache Schar der "Kinder der Wegführung dem Gott Israels Brandopfer dar: zwölf Farren für ganz Israel". Auch sie legten Gewicht darauf, die Einheit des Volkes anzuerkennen und zu bestätigen. Auf diesen Grundsatz stützte sich ihr Zeugnis selbst in ihrem Zustand der Erniedrigung. Beachten wir jedoch, dass sie diesen Grundsatz nur anerkennen wollen in Demütigung (was sie selbst betrifft) und mit der Sorge, die Heiligkeit Jehovas vor jeder Verletzung zu behüten.

Kapitel 9 - 10 Die Reinigung des Volkes

Bis hierher hat die Wiederherstellung (denn die Kapitel 7 ‑ 10 behandeln mehr eine Wiederherstellung als eine Erweckung) ihre Wirkung auf die mit Esra nach Jerusalem zurückgekehrte Schar ausgeübt. Durch Demütigung, Fasten und Flehen sind sie dahin geführt, ihren armen Zustand und alles, was ihnen für den Dienst Jehovas fehlte, zu erkennen; nun verwirklichen diese Leute, dass die Gnade allein sie leiten und bewahren kann. Sie klammern sich an das Wort Gottes.

Doch die Ankunft dieser neuen Verstärkung macht den Zustand des Volkes, das einst den Tempel Jehovas wieder aufgebaut hatte, offenbar; sie dient dazu, das verborgene Böse, das an dem Volke fraß und seine geistliche Entwicklung hinderte, ans Licht zu bringen. Die Gefährten Esras kommen, um ihm mitzuteilen, was sie gesehen haben: "Das Volk Israel und die Priester und die Leviten haben sich nicht von den Völkern der Länder abgesondert . . . denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen, und so hat sich der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt"; ja, mehr noch: "Die Hand der Obersten und der Vorsteher ist in dieser Treulosigkeit die erste gewesen" (V. 1. 2). Die Welt, welche die Gemeinde Israels umgab, war nach und nach in sie eingedrungen, und wenn auch nicht alle verunreinigt waren, so waren sie doch in großer Gefahr, es zu werden, denn ihre Führer waren die ersten gewesen, unheilige Verbindungen einzugehen. Wie betrübend ist die Feststellung, dass alle Erweckungen eine nach der anderen, durch die Verbindung mit der Welt zu Grunde gegangen sind, und dabei waren die Führer immer durch ihr Beispiel die bei weitem Schuldigsten.

Gibt es ein Heilmittel für einen solchen Zustand der Dinge? Esra, der gottesfürchtige und Jehova ergebene Mann, versteht sogleich, was ihm zu tun obliegt: "Und als ich diese Sache hörte, zerriss ich mein Kleid und mein Obergewand, und raufte mir Haare meines Hauptes und meines Bartes aus, und saß betäubt da" (V. 3). Das Erste ist also eine persönliche Demütigung, in der Erwartung, dass das Volk seinen Fehler erkennen und sich gemeinsam demütigen werde. So muss es immer sein. Angesichts des Bekanntwerdens der Sünde des Volkes sind wir nicht in erster Linie berufen, zu handeln , sondern uns zu demütigen; und sollten wir die Einzigen sein, wie einst Daniel und andere Treue, und wie jetzt Esra, lasst uns nicht verfehlen, diese Stellung vor Gott einzunehmen! Er blickt auf das gedemütigte und zerschlagene Herz und antwortet ihm.

"Und zu mir versammelten sich alle, die da zitterten vor den Worten des Gottes Israels wegen der Treulosigkeit der Weggeführten" (V. 4). Die erste Wirkung der Demütigung Esras ist, dass sich die, die vor den Worten Gottes zittern, um ihn scharen. Es waren am ersten Tag ohne Zweifel nur wenige, doch dehnte sich die Demütigung bald auf das ganze Volk Gottes aus. Was die wenigen betrifft, so waren sie gekennzeichnet durch das, was sie unter der Führung Esras gelernt hatten. Indem sie durch ihn das Wort Gottes kannten, hatten sie daraus die Erkenntnis des Charakters Gottes geschöpft, Der Sich in keiner Weise mit Unreinigkeit verbinden kann. Hat er nicht gesagt: "Seid heilig, denn ich bin heilig"? Auch Esra bezieht sich in seinem Gebet (V. 1 ‑ 1. 12) auf das Wort Gottes, das er so gut kannte: "Wir haben deine Gebote verlassen, die du uns durch deine Knechte, die Propheten, geboten hast, indem du sprachst: Das Land, wohin ihr kommet, um es in Besitz zu nehmen, ist ein unreines Land wegen der Unreinigkeit der Völker der Länder, wegen ihrer Gräuel, mit denen sie es angefüllt haben von einem Ende bis zum anderen durch ihre Verunreinigung. So sollt ihr nun nicht eure Töchter ihren Söhnen geben und ihre Töchter nicht für eure Söhne nehmen; und ihr sollt ihren Frieden und ihr Wohl nicht suchen ewiglich".

Wie schuldig war doch dieses Volk in dem Augenblick, da die Gunst Jehovas trotz seiner Knechtschaft wieder über ihm zu strahlen begann! "Und nun ist uns für einen kleinen Augenblick Gnade von seiten Jehovas, unseres Gottes, zuteil geworden, indem er uns Entronnenen übriggelassen und uns einen Pflock gegeben hat an seiner heiligen Stätte, damit unser Gott unsere Augen erleuchte und uns ein wenig aufleben lasse in unserer Knechtschaft. Denn Knechte sind wir; aber in unserer Knechtschaft hat unser Gott uns nicht verlassen; und er hat uns Güte zugewandt vor den Königen von Persien, so dass sie uns ein Aufleben verliehen, um das Haus unseres Gottes aufzubauen und seine Trümmer aufzurichten, und uns eine Mauer zu, geben in Juda und in Jerusalem" (V. 8. 9),

Hatte der Herr nicht weiterhin ihnen Verheißungen gegeben, wenn sie sich von jeder Verbindung mit den Nationen fernhalten würden? ja, denn Er hatte gesagt: "Damit ihr stark seiet und das Gut des Landes esset und es auf eure Söhne vererbet ewiglich" (V. 12).

Sich mit den Nationen verbinden, hieß die Absonderung für Ihn aufgeben, diese Heiligkeit, deren Wert die Gefährten Esras erkannt hatten, und durch die sie bis dahin geleitet worden waren (Kap. 8, 28). Aber gerade das hatten ihre Voreltern nicht beachtet. Verbindungen, die was uns betrifft, der Weltlichkeit gleichstehen hatten Eingang bei ihnen gefunden und hatten sich wie ein brandiges Geschwür von den Hohenpriestern und den Häuptern des Volkes bis zum gemeinen Mann ausgebreitet. Sie hatten vergessen, dass sie mit der Absonderung drei wichtige Dinge verloren: die Kraft , den Genuss der Güter des Landes Kanaan und deren dauernden Besitz für sich und ihre Nachkommen (V. 12).

Was war zu tun? Esra fährt fort sich zu demütigen; immer aufs neue beugt er seine Stirn in den Staub. Er denkt mit Schmerz an das Gericht über die vergangenen Fehltritte, das doch viel weniger streng gewesen war, als das Volk es verdient hatte. "Und nach allem", sagt er, "hast du uns Entronnene gegeben, wie diese hier"; und wenn wir zu unseren bösen Taten zurückkehren, wirst du dann nicht Ursache haben, uns zu vertilgen, "so dass kein Überrest und keine Entronnenen mehr bleiben" (V. 13. 14)? Doch, fährt er fort, „wir sind als Entronnene übriggeblieben , wie es an diesem Tage ist". Das Zeugnis ist jetzt den Wenigen vom zweiten Auszug anvertraut, die für alle anderen betrübt und bußfertig sind und sagen: "Siehe, wir sind vor dir in unserer Schuld; denn dieser halb kann man nicht vor dir bestehen (V. 15).

War in diesem Augenblick für die armen Entronnenen eine Wiederherstellung möglich? ja, sie fand sich ja in der Haltung derer, die sich an jener Befleckung nicht beteiligt hatten, aber dennoch die Verantwortlichkeit dafür so völlig übernahmen, dass sie sich mit denen eins machten, die unter dem Urteil Gottes standen. Wir werden im 10. Kapitel sehen, dass diese in Aufrichtigkeit des Herzens vor Gott eingenommene Haltung, dieses bis auf den Grund gehende Bekenntnis des Bösen seinen Einfluss zur Wiederherstellung derer ausübt, die gesündigt hatten, um ihre Wiederherstellung herbeizuführen.

Kapitel 10

Im 9. Kapitel antwortet Gott auf die Demütigung eines einzelnen, Esra, der im Geiste der Zerknirschung von seinen Gefährten die er um sich scharte, die vor den Worten des Gottes Israels zitterten. Hier dehnt sich die Demütigung auf eine große Anzahl aus: "Und als Esra betete und als er bekannte, weinend vor dem Hause Gottes hingestreckt, versammelte sich zu ihm aus Israel eine sehr große Versammlung von Männern und Weibern und Kindern; denn das Volk weinte mit vielem Weinen" (Kap. 10, 1).

Wir können nicht oft genug hervorheben, wie sehr die Segnung des Volkes Gottes von einer oder einigen treuen Personen abhängen kann. Kap. 5, ‑1. 2 hat uns ein Aufwachen gezeigt, das durch zwei Propheten hervorgerufen wurde, und das zwei Führer und dann das ganze Volk zur Tätigkeit für den Herrn antrieb. Hier führt die Demütigung eines einzelnen, dem sich einige andere anschließen, eine allgemeine Demütigung herbei. Und wiederum tritt dann ein einzelner Mann hervor, um ihr Ausdruck zu geben: "Und Schekanja, der Sohn Jechiels, von den Söhnen Elams, hob an und sprach zu Esra: "Wir haben treulos gehandelt gegen unseren Gott und haben fremde Weiber aus den Völkern des Landes heimgeführt; nun aber ist noch Hoffnung für Israel betreffs dieser Sache. So lasst uns jetzt einen Bund machen mit unserem Gott, dass wir alle Weiber und die von ihnen geboren sind hinaustun, nach dem Rate meines Herrn und derer, die da zittern vor dem Gebote unseres Gottes; und es soll nach dem Gesetz gehandelt werden" (V. 2. 3).

Aber das ist nicht alles. Wenn die persönliche und hernach die gemeinsame Demütigung das erste ist, so kann doch weder der einzelne noch das Volk Gottes dabei stehen bleiben. Der Demütigung folgt das Handeln. "Stehe auf", spricht Sckekanja zu Esra, "denn dir liegt die Sache ob; und wir werden mit dir sein. Sei stark und handle" (V. 4)! Die Demütigung ist noch nicht die Trennung vom Bösen. Sie ist der Weg dahin und bereitet sie vor. Andererseits kann, wenn es sich um die Heilung des Verfalls handelt, eine Tätigkeit ohne Demütigung, so eifrig sie sein mag, nur zu neuen Trümmern führen. Wird bei der Demütigung das Fleisch nicht gerichtet, so lässt es sich gehen, wenn die Trennung vom Bösen in Frage kommt. Dieser Art war der Eifer Jehus (2. Könige 9. 10). Dieser Mensch trug ganz gewiss nicht die Sünde des Volkes als die seinige vor Gott; andererseits war er, nachdem das Gericht einmal ausgeführt war ‑ und in welcher Weise! ‑ der erste, der zu den goldenen Kälbern von Dan und Bethel zurückkehrte.

Die Demütigung ist also notwendig, aber die Energie, sich vom Bösen zu, reinigen, ist genau so unentbehrlich. Die Korinther hatten das nach der Ermahnung des Apostels verstanden. Die Betrübnis Gott gemäß hatte bei ihnen Buße zum Heil, wahre Demütigung, bewirkt; und dann, welchen Fleiß hatte sie hervorgebracht, welche Furcht, welche Sehnsucht, welchen Eifer, welche Vergeltung! Sie hatten in jeder Hinsicht gezeigt, dass sie an der Sache rein waren. (2. Korinther 7, 11).

Schekanja, der Wortführer des Volkes, zeigt hier eine Energie und eine Uneigennützigkeit, die uns als Beispiel dienen sollten, Sein Vater Jechiel war unter den Übertretern (V. 26)! Es bedurfte der Kraft des Geistes Gottes, verbunden mit dem Eifer eines Pinehas, um ihn zu bewegen, alle seine Familieninteressen aufzugeben und allein die Sache Gottes in die Hand zu nehmen. Doch dieser energische Mann sticht nicht bei dem Werk der Wiederherstellung eine Rolle zu spielen; er hat keine Bedeutung in seinen eigenen Augen. Auf Esra „dem kundigen Schriftgelehrten in dem Gesetz Moses, welches Jehova, der Gott Israels, gegeben hatte“, ruht seiner Meinung nach die Sache. Der Träger des Wortes, sagen wir das Wort selbst, muss in seinen Augen die Hauptrolle spielen.

Esra entzieht sich nicht der ihm vorgestellten Pflicht. Er lässt sogleich die Häupter des Volkes in Tätigkeit treten. "Da stand Esra auf, und er ließ die Obersten der Priester, der Leviten und des ganzen Israel schwören, nach diesen Worten zu tun. Und sie schwuren" (V. 5). Aber auch jetzt, wenn die Wandlung im Herzen des Volkes bewirkt ist und es sich entschlossen hat zu handeln, gibt Esra den Ausdruck seiner Demütigung nicht auf. Eine Verunehrung war dem Namen Jehovas angetan worden und haftete noch an ihm. So lange die Reinigung nicht völlig war, geziemten Trauer und Fasten denen, die entschlossen waren, sich vom Bösen zu trennen: "Und Esra stand auf vor dem Hause Gottes und ging in die Zelle Jochanans, des Sohnes Eljaschibs; und er ging dahin, er aß kein Brot und trank kein Wasser, denn er trauerte über die Treulosigkeit der Weggeführten" (V. 6).

Die Energie der Einzelnen duldete keinen Ungehorsam unter dem Volke. Alle mussten sich unterwerfen. Wer das nicht wollte, sollte als ein Böser betrachtet und aus der Versammlung ausgeschlossen werden: Und sie ließen durch Juda und Jerusalem einen Ruf ergehen an alle Kinder der Wegführung, dass sie sich nach Jerusalem versammeln sollten. Und wer irgend binnen drei Tagen nicht käme, nach dem Rate der Obersten und Ältesten, dessen ganze Habe sollte verbrannt, und er selbst aus der Versammlung der Weggeführten ausgeschlossen werden" (V. 7. 8). Die Zucht, die völlig vernachlässigt und durch die sittliche Erschlaffung des Volkes verhindert worden war, wird jetzt Gott gemäß ausgeübt,

Alle Männer von Juda und Benjamin versammeln sich zu Jerusalem. Esra redet zu ihnen. Er sagt nicht mehr, wie in Kap. 9, 7: "Wir sind in großer Schuld gewesen", sondern: "ihr habt treulos gehandelt und fremde Weiber heimgeführt . . ., sondert euch ab" (V. 10 u. 11), denn jetzt handelt es sich darum, die Gewissen derer zu erreichen, die gesündigt hatten. Zu der Betrübnis über die begangenen Fehltritte gesellte sich für sie die ungünstige Jahreszeit, "die Regenzeit, so dass man nicht draußen zu stehen vermochte" (V. 13). Bisweilen stellen sich äußere Schwierigkeiten einer sofortigen Reinigung in den Weg. Es konnte nicht "ein Geschäft von einem Tage oder zweien" sein, denn das Übel war sehr ausgebreitet, und nach dem Gedächtnis von allen "hatten viele unter ihnen in dieser Sache übertreten". Gott ließ sie auf diese Weise verstehen, dass es viel schwieriger ist, das Böse wieder gutzumachen, als es auszuüben. Zugleich aber war er voll Geduld und Barmherzigkeit und zog die Entschlossenheit der Herzen in Rechnung. Er wusste, dass die Schuldigen keine Ausflüchte suchten, sondern zu gehorchen wünschten.

Möchten auch wir in schwierigen Umständen gegen unsere Brüder die Geduld Esras, die Geduld Gottes Üben, damit sie nicht entmutigt werden! "Dem Überrest der Entronnenen", die an dieser Sünde nicht teilgenommen hatten, hätte es so scheinen können, als ob es notwendig sei, sich sofort vom Bösen abzusondern, trotz der Regengüsse. Die Bruderliebe aber rechnet so nicht; sie weiß, dass die Worte: "viele unter uns haben in dieser Sache übertreten", nicht eitle Worte sind. Sie trägt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, weil sie Liebe ist.

Wie sehr wäre es zu wünschen gewesen, dass das Gefühl, welches das Volk belebte einmütig gewesen wäre! Leider war es nicht so. "Nur Jonathan, der Sohn Asaels, und Jachseia, der Sohn Tikwas, traten dagegen auf; und Meschullarn und Schabbethai, der Levit, standen ihnen bei" (V. 15). Welche Beweggründe mochten sie zu diesem Widerspruch veranlassen? Es wird uns keiner angegeben. Umsomehr könnte man denken, dass der eine von ihnen, wenigstens wenn es derselbe Meschullain ist wie der Levit in V. 29, persönliche Gründe hatte, sich dem Beschluss der Versammlung zu widersetzen; denn er selbst war in die Sünde verwickelt.‑ Was tun nun die, die entschlossen waren, sich zu reinigen, gegenüber diesem den Gedanken Gottes so völlig entgegengesetzten Widerspruch? Sie schließen ihre Brüder nicht aus, sondern ertragen sie, und der Eigenwille der Widersprechenden erfordert kein anderes Gericht, als das entschiedene Handeln der großen Mehrheit. Wir haben später die Freude zu sehen, dass Schachbbethai, der Levit, der wegen seiner Stellung und weil er sich mit Meschullam eins gemacht hatte, schuldiger war als andere, angestellt wird, um das Volk über das Gesetz zu belehren; weiterhin wird er auch über die äußeren Geschäfte des Hauses Gottes gesetzt (Nehemia 8, 7; 11, 16). Tatsächlich beeinflusst der Widerspruch dieser Männer in keiner Weise den Beschluss der Versammlung. Gott benutzt ihn sogar als ein Mittel, um die Entschlossenheit des Herzens ihrer Brüder auf die Probe zu stellen. Er hält den Weg der Gesamtheit nicht auf, denn ein Versammlungsbeschluss erfordert nicht die absolute Einstimmigkeit der anwesenden Personen, obwohl diese Einstimmigkeit wünschenswert ist und auch zustande kommen kann, wenn die Herzen in demselben Grade vor Gott geübt sind.

Am ersten Tage des zehnten Monats setzten sich Esra und die Häupter der Väter, Männer, die im Worte bewandert, verständig und beim Volke angesehen waren, nieder, um die Sache zu untersuchen. Das Böse war offenbar; es handelte sich nicht mehr darum, sein Vorhandensein festzustellen, aber jeder einzelne Fall erforderte eine besondere Untersuchung und eine Beurteilung nach Gottes Gedanken. Genau drei Monate genügten, um diese große Schwierigkeit zu ordnen (V. 16. 17). Das Urteil wurde in Liebe gesprochen, ohne dass irgend einer geschont worden wäre, und ohne Ansehen der Person; man fing mit den Priestern an. Diese waren infolge ihrer Stellung schuldiger als ihre Brüder, und so "entrichteten sie einen Widder vom Kleinvieh für ihre Schuld" (V. 19). Nachdem die Sünde von ihnen anerkannt war, konnte ihr Opfer nur noch für das Vergehen dargebracht werden, aber es war wegen ihres Amtes wichtig, dass sie ihre Demütigung durch ihr Opfer öffentlich zum Ausdruck brachten. Sodann kommen die Leviten, die Sänger, die Torhüter und schließlich die "von Israel". Es ist ein langes Verzeichnis aber welch eine Gnade! Ohne dass ein neuer Bruch entsteht, findet Wiederherstellung statt, und zwar mittels der Demütigung, die eine Quelle von Entschiedenheit und Kraft wird, und mittels des Dienstes des Wortes.

Dieser Dienst kennzeichnet Esra, wie wir uns schon gesagt haben. Man findet bei ihm weder eine Wundergabe, noch eine prophetische Gabe, wie bei Haggai und Sacharja, noch eine außergewöhnliche Entfaltung göttlicher Kraft. Er hat nichts, was über das gewöhnliche Maß und die allgemeinen Hilfsmittel hinausginge; aber sein Herz schlägt für die Ehre des guten Namens Jehovas, und er eifert für das Wohlergehen des Volkes. Vor allem kennzeichnet ihn seine genaue Kenntnis des Gesetzes Moses, des geschriebenen Wortes. Das Wort leitet ihn in allem, und sein Glaube stützt sich auf das Wort. Er besteht auf den Grundsätzen, die es darbietet; er überträgt sie ins praktische Leben und duldet nicht, dass man von ihnen abweicht. Auf diese Weise gewinnt er Vertrauen, sogar das Vertrauen des Königs; auch ist es die einzige Quelle seiner Autorität.

Das Buch Esra bietet uns kostbare Unterweisungen, die sich auf die gegenwärtige Stellung des Volkes Gottes auf dem Trümmerfelde der Christenheit anwenden lassen. Es zeigt uns die Elemente des Zeugnisses, die Charakterzüge einer Erweckung, die Bedingungen einer Wiederherstellung, wenn die Zeugen die Absonderung von der Welt vergessen haben. Möchten wir hinsichtlich aller dieser Punkte diesen kostbaren Teil des Wortes mit großer Aufmerksamkeit betrachten!

Fußnoten:

*) Vergl. Dan. 1, 1 ; Jer. 21, 1. Im Alten Testament begegnet man häufig dieser Verschiedenheit in der Berechnungsart, indem Teile eines Jahres oft für ein ganzes Jahr gerechnet werden.

*) Der Monat Ethanim, in dem der Tempel Salomos eingeweiht wurde.

*) sogenannte "biblische Gemeinden‑, oder "Gemeinden auf biblischer Grundlage" zu bilden. Anmerkung des Übersetzers.

*) Die Geschichte nennt diesen Betrüger. der sich des Thrones bemächtigt hatte, den falschen Smerdis.

*) wie er in der Weltgeschichte genannt wird.

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Persönliche Verantwortlichkeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1913 S. 326ff

Jeder Mensch ist ein für sich bestehendes, persönliches Wesen. Seine Persönlichkeit kann er niemand übertragen, auch mit keinem anderen teilen. Er ist für sich selbst verantwortlich, wie geschrieben steht: „Also wird nun ein jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben" (Römer 14,12). Bei der natürlichen Geburt nimmt diese Persönlichkeit ihren Anfang, setzt mit einer ihr beständig anhaftenden Verantwortlichkeit ihren Lauf bis zum Tode fort und reicht, unzerstörbar für sich bestehend, in die Ewigkeit hinein.

Daran ändert auch die Wiedergeburt nichts. Wird auch durch das „Ausziehen des alten Menschen" und das „Anziehen des neuen Menschen" mein Zustand verwandelt, so wird doch meine Persönlichkeit durchaus nicht beseitigt. Das „Ich", welches früher der Welt angehörte, der Sünde diente und später dahin geführt wurde, die Gnade Gottes und die Liebe Christi kennenzulernen, um dann in „Neuheit des Lebens" durch diese Welt zu wandeln, - dieses „Ich" wird einmal vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden und im Erinnern an die hier für den Herrn verlebte Zeit die dereinstige, herrliche, ewige Gegenwart erfassen und genießen.

Der Gläubige besteht eben nicht - wie man anzunehmen geneigt ist - aus zwei, gleichsam aufeinander folgenden Persönlichkeiten, aus dem völlig sündigen „alten Menschen" und dem völlig sündlosen „neuen Menschen". Wäre das der Fall, so könnte, da unser „alter Mensch" mit Christo gekreuzigt und daher tot ist, und der „neue Mensch" überhaupt nicht sündigen kann, von Sünden, von denen wir uns zu reinigen hätten, gar keine Rede mehr sein. Nein, da sind nicht zwei Personen in dem Gläubigen, von denen die eine sündig und die andere sündlos ist, sondern er besitzt in einer verantwortlichen Persönlichkeit zwei unterschiedliche Naturen : die eine, vom Fleische geboren, ist Fleisch; die andere, vom Geiste geboren, ist Geist.

Der „alte Mensch" - ein Ausdruck, der dreimal im Worte vorkommt: Römer 6,6; Epheser 4,22; Kol 3,9 - kennzeichnet mich in meinem vergangenen Zustand, in der Stellung des ersten Adam, des verantwortlichen Sünders, der sein Gericht und sein Ende in dem Tode Christi am Kreuze gefunden hat. Er heißt „der alte Mensch", weil er der Vergangenheit angehört, und weil die ihm anhaftende Verantwortlichkeit des Sünders nach dem Ratschluss Gottes vergangen ist. „Das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden. Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesum Christum" (2. Kor 5,17. 18). Diesem Zustand ist durch das Kreuz Christi ein Ende bereitet worden, obgleich ich tatsächlich nur durch den Glauben gestorben bin. In Wirklichkeit lebt mein „Ich" in demselben Leibe, auf demselben Platze, wo ich früher, der Sünde dienend, lebte und wo noch immer Kampf und Sünde vorhanden sind. Ich verstehe aber jetzt durch den Glauben, dass ich mit Christo einsgemacht bin, und erblicke in Seinem Tode meinen Tod als verantwortlicher Sünder. Ich kenne den Wert, den der Tod Christi vor Gott für mich hat, und besitze daher nicht nur Frieden mit Gott, sondern auch zugleich die sittliche Kraft und den Sieg, die mir das Einssein mit Christo in Seinem Tode zu geben vermögen. „Ich bin mit Christo gekreuzigt", schreibt der Apostel an die Galater; „und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben" (Kap. 2,20). Tritt die Sünde an mich heran, so begegne ich ihr mit dem Worte: „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?" Weiß ich doch, dass mein alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass ich der Sünde nicht mehr diene (Römer 6,2. 6). Sündige ich dennoch, so darf ich das nicht etwa dem „alten Menschen" auf Rechnung setzen, sondern ich muss mit allem Ernst und aller Aufrichtigkeit mir selbst, mir, dem verantwortlichen „Ich", die Schuld beimessen und sie bekennen. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit" (1. Johannes 1,9). Wir brauchen nicht zu sündigen. Wir haben ja „den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde Dessen, der ihn erschaffen hat" (Kolosser 3,9. 10).

Was ist nun „der neue Mensch"?

„Der neue Mensch" ist das, wozu wir in Christo Jesu geschaffen sind, ist Christus, als lebend in uns in einem Leben, das wir im Glauben an den Sohn Gottes leben. Christus hat uns nicht nur aus dem alten Zustand und dessen Folgen, Tod und Gericht, erlöst, wir sind in Ihm auch zu einer neuen Schöpfung geworden, so dass wir fähig sind, die Herrlichkeit Gottes zu genießen und in sie einzugehen. Wer an den Sohn glaubt, hat nach Johannes 3,36 ewiges Leben. Das ist die wunderbare Gabe, die Gott heute jedem glaubenden Sünder darreicht. „Die Gnadengabe Gottes ist ewiges Leben in Christo Jesu, unserem Herrn" (Römer 6,23).

Im Besitz dieses Lebens, dessen Geber Gott ist, und das uns in dem auferstandenen und verherrlichten Christus zuteil wird, ist der Gläubige nunmehr „eine neue Schöpfung" (2. Kor 5,17) und soll, nachdem er den „neuen Menschen" angezogen hat, „der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit" (Epheser 4,24), nicht nur nach dem Maßstab eines gerechtfertigten und versöhnten Menschen der alten Schöpfung wandeln, sondern nach dem Muster Christi, des Hauptes der neuen Schöpfung.

Eins mit Christo in Seinem Tode und Seiner Auferstehung, bin ich einerseits von meiner früheren Verantwortlichkeit als Sünder befreit, andererseits aber als erlöst, gerechtfertigt und lebendig gemacht unter die neue ernste Verantwortlichkeit gestellt, hienieden „die Tugenden dessen zu verkündigen, der mich aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat" (1. Petrus 2,9). Die Kraft zu diesem Tun finden wir in dem gläubigen Erfassen der beiden eben behandelten kostbaren Wahrheiten. Als „mit Christo gestorben" vermag ich meine Glieder, die auf der Erde sind, zu töten; mit anderen Worten: ich vermag auf alles, was mit dem Kreuze und dem Tode Christi unvereinbar ist, und weswegen der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt, das Todesurteil zu schreiben und so es praktisch abzulegen. Und „auferweckt mit Christo", als ein Mensch, dessen Leben mit dem Christus in Gott verborgen ist, vermag ich auf das zu sinnen, was droben ist; ich bin als „ein Auserwählter Gottes" imstande, die herrlichen Eigenschaften des neuen Menschen zu offenbaren und, meiner neuen Verantwortlichkeit entsprechend, in dieser Welt Frucht für Gott zu bringen, die da bleibt.

Der Herr sagte einst zu den Jüngern, und damit heute zu jedem, den Gott nach seiner Bekehrung noch eine Zeitlang hier lässt: „Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch gesetzt, auf dass ihr hingehet und Frucht bringet, und eure Frucht bleibe" (Johannes 15,16). Wie weit wir dieser Verantwortlichkeit entsprechen, das wird vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden und dort seinen Lohn finden. (Vergl. 2. Korinther 5,10.) Dann wird der Herr „das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren, und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott" (1. Kor 4,5). Gott, der Nieren und Herzen erforscht, wird jedem nach seinen Werken geben. (Off 2,23.) So ruft der Herr uns noch auf dem letzten Blatt der Bibel zu: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird" (Off 22,12).

Wie groß ist die Gnade, die uns das, was sie in uns wirkt, als unser Werk anrechnen und noch besonders belohnen will, während sie alles, worin wir in unserer Verantwortlichkeit gefehlt haben, als vergeben und ausgetilgt erscheinen lassen wird! Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass das Wort an verschiedenen Stellen von diesem Lohne als von etwas spricht, das der Herr den Seinen nicht aus Barmherzigkeit und Gnade (außer insoweit alles auf Gnade beruht), sondern als Belohnung für ihre Treue hienieden schenken wird.

So redet Paulus zu den Gläubigen von Korinth, um sie zu größerer Treue gegen Gott und zu einer entschiedeneren Trennung von der Welt anzuspornen, von einer unvergänglichen Krone (im Gegensatz zu dem vergänglichen, beim Wettlauf zu erringenden Lorbeerkranz), und ermuntert sie, zu laufen, auf dass sie sie erlangen möchten. (1. Korinther 9,24. 25.) Und als er später im Begriff stand, diese Erde, die Stätte seiner treuen Arbeit für Christum, zu verlassen, sagte er, dass ihm nun die Krone der Gerechtigkeit beigelegt sei, welche der Herr, der gerechte Richter, ihm an jenem Tage geben werde; und nicht allein ihm, sondern auch allen, die Seine Erscheinung lieben, allen, die gleich ihm treu wandeln würden nach dem Maße der ihnen zugeteilten Gnade. (2. Timotheus 4,8.)

Auch nennt Paulus die Philipper, die er nach Gottes Willen zu Seiner Erkenntnis geführt hatte, „seine Krone", und die Thessalonicher seine „Krone des Ruhmes vor unserem Herrn Jesus bei seiner Ankunft" (Philipper 4,1; 1. Thes. 2,19).

Petrus ermahnt die Ältesten, die in seinen Tagen die Herde Gottes weideten, das nicht aus Zwang zu tun, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig, nicht als herrschend über ihre Besitztümer, sondern als Vorbilder der Herde. Dann fügt er hinzu: „Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen" (1. Petrus 5,2-4).

In Jakobus 1,12 wird dem in der Versuchung bewährten Manne die Krone des Lebens zugesagt. Dieselbe Verheißung enthält die Botschaft des Herrn Jesu an die Versammlung in Smyrna, die große Drangsale erduldete. „Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben" (Off 2,10), offenbar ein besonderer Lohn für eine bis in den Tod bewährte Treue.

Nur auf unserem Pilgergange durch diese Welt können wir Frucht für Gott bringen, die da bleibt, und Kronen erringen für die Ewigkeit. Wenn uns nun gesagt wird: „Wer sparsam sät, wird auch sparsam ernten, und wer segensreich sät, wird auch segensreich ernten" (2. Kor 9,6), und wir überdies in Spr 20,4 gewarnt werden, nicht solche zu sein, „die wegen des Winters nicht pflügen mögen, und darum zur Erntezeit begehren und nichts haben werden", - wie eifrig sollten wir dann die gegenwärtige Zeit, diese eilenden Stunden, auskaufen, um „für uns selbst eine gute Grundlage auf die Zukunft zu sammeln"!

Doch wolle man mich nicht falsch verstehen! Niemals sollte die in Aussicht gestellte Belohnung den Beweggrund unserer Hingabe und unserer Bemühungen für den Herrn bilden! Damit würden wir unser Verhältnis zu unserem Gott und Vater ganz verkehren; denn Trachten nach einer Belohnung ist Selbstsucht und daher Sünde. Wir fallen dann in den gleichen Fehler wie Jakobus und Johannes, als sie nach einem guten Platz im Reiche trachteten. Die „Kronen", der Lohn, werden uns nur vor Augen gestellt, um uns in den Schwierigkeiten auf dem Wege zu ermuntern. Die Liebe muss der Antrieb sein, nicht die Belohnung.

So war es beim Herrn, „der für die vor ihm liegende Freude, der Schande nicht achtend, das Kreuz erduldete". So war es auch bei Moses: er hielt die Schmach des Christus für größeren Reichtum, als die Schätze Ägyptens, denn er schaute auf die Belohnung. (Heb 11.) Der Gedanke an die Belohnung ermunterte ihn und ließ ihn ausharren; aber der Beweggrund, das was ihn trieb, war die Sorge für seine Brüder. Nur in dieser Weise spricht die Schrift von einem besonderen Lohn, und so ist er eine große Gnade.

Alles ist Gnade, und von einem Gesichtspunkt aus betrachtet, gibt es keinen Unterschied. Von dem Augenblick an, da wir geglaubt haben, besitzen wir alle das ewige Leben (Johannes 5,24), wir sind alle zu derselben zukünftigen Freude und Herrlichkeit berufen und alle zuvor bestimmt, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig zu sein. Sein Name wird an aller Stirne sein. (Offenbarung 22,4.) Er wird sich dessen freuen, was er aus uns allen gemacht hat: wir werden Seine Wonne, Seine Brüder, Sein Leib, Sein Weib, Miterben Seines 353 Thrones und Teilhaber Seiner Herrlichkeit sein für alle Ewigkeit. Die zukünftige Herrlichkeit wird an uns allen geoffenbart werden (Römer 8,18); jeder Einzelne wird ein Träger, ein Gefäß derselben sein und auch einen notwendigen Bestandteil der Fülle Dessen bilden, der alles in allem erfüllt. Keiner wird droben sein, der sich nicht eines restlosen, vollkommenen Glückes erfreute. Dennoch dürfen wir sagen, dass das Maß des Genusses verschieden sein, und dass der eine auch mehr Kronen auf seinem Haupte tragen wird als der andere. Ja, unsere Treue zum Herrn auf dem Wege bringt schon hier dem Einzelnen einen besonderen Lohn. Wer hätte nicht schon die Süßigkeit dieses Lohnes geschmeckt in den stillen, verborgenen Stunden „allein mit dem Herrn", wo Er sich persönlich dem nur für Ihn schlagenden Herzen offenbart! Dieses Alleinsein mit dem Herrn, wo wir uns mit Ihm, dem hier Verworfenen, eins fühlen, an Seinen Leiden mitleidend teilnehmen, wird zu einer um so höheren und süßeren Wonne, je mehr wir treu gewandelt und je mehr wir Ihn auf unserem Wege kennengelernt haben.

Diese persönliche Zuneigung des Herrn, diese tiefe Innigkeit der Gemeinschaft, die jeder hier schon für sich genießen darf, und die nicht jedem in gleicher Weise oder in gleicher Stärke zuteil wird, wird sich auch droben einem jeden persönlich in einer Weise offenbaren, dass sich kein anderer in diese Freude einmischen kann. In der Reihe der in Offenbach 2 und 3 angekündigten Freuden und Herrlichkeiten (wir lesen von dem Baume des Lebens, von der Krone des Lebens, von dem Morgenstern, von dem Wandeln mit Jesu in weißen Kleidern durch die herrlichen Räume des Himmels, von Säulen im Tempel Gottes, von einem Sitzen auf dem Throne des Herrn,) finden wir auch die Verheißung: „Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich. werde ihm einen weißen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, welchen niemand kennt, als wer ihn empfängt" (Offenbarung 2,17).

Israel musste auf seiner Wüstenreise das Manna zu seiner Speise täglich sammeln. Später wurde nach der Anordnung Jehovas ein goldener Krug, der mit diesem Manna gefüllt war und es so verborgen in sich schloss, vor Gott aufbewahrt, damit die Kinder Israel im Lande Kanaan sich stets daran erinnern könnten, was ihre Nahrung in der Wüste gewesen war. So empfängt auch droben der einzelne Gläubige von diesem „verborgenen Manna" als Erinnerung an das Manna, das ihn auf der Lebensreise erquickt hat, als Erinnerung an das, was der Herr als der hier erniedrigte und leidende Mensch für ihn war. Und dieser ewige Genuss der Gemeinschaft mit Gott in Seiner Wonne an dem einst erniedrigten, jetzt aber zu Seiner Rechten sitzenden Christus, dieser persönliche Genuss des verborgenen Mannas wird um so höher sein, je mehr wir uns in unserem Erdenleben von Ihm genährt, je mehr wir uns mit Ihm in Seiner Erniedrigung und in Seinem Leiden von Seiten der Menschen eins gemacht haben. Ist das nicht ein herrlicher Lohn für unsere so schwache Treue? Wie lieblich auch die gemeinsame Freude der Gläubigen ist, so wissen wir doch, dass es hier schon, in den Freuden und Leiden der Wüstenwanderung, eine Gemeinschaft mit Jesu, ein Beschäftigtsein mit Ihm, eine Abhängigkeit des Herzens von Ihm und Seinem Beifall gibt, die durchaus persönlich sind, woran kein anderer teilnehmen kann. Und was hier nur unvollkommen und Stückwerk ist, wird dort vollkommen sein.

So wird denn auch jeder Überwinder einen „weißen Stein" als Zeichen Seiner Gunst erhalten. Der „weiße Stein" bedeutet bei der Stimmenabgabe in den Wahlversammlungen der alten Welt das verborgene, geheime Zeichen des Beifalls. - Und dieser „weiße Stein" trägt einen Namen, den Seine Liebe, Sein Herz mir, dem unwürdigen Jünger, gibt, einen Namen, den außer Ihm niemand kennt, als ich allein.

Dazu kommt dann noch, dass ich, der ich einst der Sünde diente, dann, sowohl meinem inneren Wesen als auch meinem Leibe nach, Sein Bild tragen, Ihm gleichförmig sein werde. „Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist." Welch ein Ansporn ist das alles, abgesehen von dem mir winkenden Lohn, zu einem treuen Wandel hienieden! Welch eine Aussicht: Er, Der mich geliebt und Sich Selbst für mich hingegeben hat, wird Sich in der persönlichen, verborgenen Zuneigung Seines Herzens mir zuwenden, ja, Er wird - um in der Sprache des Hohenliedes zu reden - „mich küssen mit den Küssen seines Mundes"!